Geschichte des Zweiten Weltkriegs: 3. Teil: Der Weltkrieg 1941-1945 [1 ed.] 9783428485000, 9783428085002

Der dritte und abschließende Band dieser Geschichte des Zweiten Weltkriegs wird teils den Ereignisablauf von Ende 1941 b

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German Pages 435 Year 1998

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Geschichte des Zweiten Weltkriegs: 3. Teil: Der Weltkrieg 1941-1945 [1 ed.]
 9783428485000, 9783428085002

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MANFRED RAUH

Geschichte des Zweiten Weltkriegs Dritter Teil: Der Weltkrieg 1941-1945

Geschichte des Zweiten Weltkriegs Dritter Teil: Der Weltkrieg 1941-1945

Geschichte des Zweiten Weltkriegs Dritter Teil:

Der Weltkrieg 1941-1945

Von

Manfred Raub

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Raub, Manfred:

Geschichte des Zweiten Weltkriegs I von Manfred Raub. Berlin : Duncker und Humblot Literaturangaben ISBN 3-428-07300-2 Teil 3. Der Weltkrieg : 1941 - 1945. - 1998 ISBN 3-428-08500-0

Alle Rechte vorbehalten

© 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 3-428-07300-2 (Gesamtwerk) ISBN 3-428-08500-0 (3. Teil)

Vorwort Vorreden werden häufig dazu benützt, einen Kommentar zum Inhalt eines Buches abzugeben. Dies will ich dem Leser ersparen; das Vorwort kann die Lektüre des Inhalts nicht ersetzen. Trotzdem sei der Hinweis gestattet, daß mit meinem dreibändigen Werk von vornherein beabsichtigt war, eine neue Deutung des Zweiten Weltkriegs zu geben, die über zeitbedingte Einseitigkeiten hinausführt. Ich hoffe, daß sich mit dem vorliegenden dritten Band auch für den Leser nunmehr der Kreis schließt. Zu danken habe ich wiederum dem Verleger, Herrn Professor (Rep. Österr.) Dr. jur. h. c. Norbert Simon, und dem Haus Duncker & Humblot. Abgesehen davon, daß ich das Werk verfaßt habe, tragen Verleger und Verlag das größte Verdienst an seinem Zustandekommen. Nachdem der erste Band noch vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt (damals Freiburg, jetzt Potsdam) herausgegeben wurde, erschien der zweite Band ausschließlich unter meiner Verfasserschaft und alleinigen Verantwortung. Dasselbe gilt für den jetzt vorliegenden dritten Band. Manfred Rauh

Inhaltsverzeichnis Dritter Teil Der Weltkrieg 1941 - 1945 I. Die Wende des Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Der Beginn des Weltkriegs und die strategische Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Der Krieg im Pazifik bis 1943 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .

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3. Der deutsch-russische Krieg bis 1943 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Die Anti-Hitler-Koalition und ihre Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

li. Irrwege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 1. Hitlers Ostkrieg 1943 I 44 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2. Das nationalsozialistische Imperium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 3. Der Krieg in Ostasien 1943 I 44 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 244 4. Der Angriff der Westmächte auf die Festung Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 5. Politik und Strategie der Anti-Hitler-Koalition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 III. Das Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 1. Der Zusammenbruch des Dritten Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 2. Der Zusammenbruch Japans .................................................... 361 3. Das Ergebnis . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385

Literaturverzeichnis . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 391

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423

I. Die Wende des Krieges 1. Der Beginn des Weltkriegs und die strategische Lage

Als Zweiter Weltkrieg gilt gemeinhin jenes Bündel bewaffneter Auseinandersetzungen, das mit dem deutschen Einmarsch in Polen am 1. September 1939 begann und mit der japanischen Kapitulation am 2. September 1945 endete. Der Weltkrieg im eigentlichen Sinne begann jedoch erst Ende 1941, als Japan am 7. Dezember (bzw. 8. Dezember Tokio-Zeit) die Kampfhandlungen gegen die Westmächte im Pazifik und in Südostasien eröffnete, woraufhin am 11. Dezember auch die europäischen Achsenmächte Deutschland und Italien an die USA den Krieg erklärten. Diese Vorgänge wirken auf den ersten Blick erstaunlich und rätselhaft. Zwar gab es seit dem September 1940 ein Bündnis zwischen den Achsenmächten Deutschland, Japan und Italien, doch handelte es sich dabei um ein Verteidigungsabkommen gegen Amerika, das die USA von einem militärischen Eingreifen in Europa oder Ostasien abschrecken sollte. Einen Krieg gegen Amerika suchten zunächst die Regierungen sämtlicher Achsenmächte zu vermeiden. Dazu hatten sie auch allen Grund, weil das überwältigende Rüstungspotential der USA in einem Weltkrieg voraussichtlich den Ausschlag geben würde. Ruft man die entsprechenden Zahlen noch einmal in Erinnerung, so zeigt sich, daß die Achsenmächte gemeinsam nur etwa ein Fünftel der Weltindustrieerzeugung hervorbrachten, unter Einrechnung der Wirtschaft eroberter Länder ungefähr ein Viertel, während ihre Gegner Amerika, das britische Empire und Rußland auf mindestens zwei Drittel der Weltindustrieerzeugung kamen, dabei die USA allein schon über 40 Prozent. Nimmt man die Bevölkerungszahlen hinzu, so verfügten Amerika, Großbritannien mit den Dominions und die Sowjetunion über rund die doppelte Einwohnermenge wie die drei Achsenmächte, wozu noch viele hundert Millionen Menschen in den Kolonien und in Ländern wie China traten, die am Krieg gegen die Achsenmächte ebenfalls teilnahmen oder teilnehmen konnten. Angesichts solcher Kräfteverhältnisse taten die Achsenmächte gut daran, sich auf einen Krieg gegen Amerika nicht einzulassen. Selbst der deutsche Diktator Adolf Hitler, der eine nüchterne Abwägung der Tatsachen durch weltanschauliche Vorurteile zu ersetzen pflegte, ging dieser Einsicht nicht ganz aus dem Weg. Wohl hatte er seit langem ins Auge gefaßt, Deutschland müsse eines Tages-am besten im Bund mit England-den Kampf um die Weltherrschaft gegen Amerika führen; dabei schwankte er anscheinend zeitweise zwischen den beiden Ansichten, dies werde noch zu seinen Lebzeiten oder erst später geschehen. Doch legte Hitler seit Beginn des europäischen Krieges Wert darauf, Amerika nicht vorzeitig in die Auseinandersetzung hineinzuziehen. Erst mußte die deutsche Herrschaft auf dem europäischen Kontinent errichtet werden, danach

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I. Die Wende des Krieges

kam ein Krieg gegen Amerika in Betracht. In diesem Sinne betonte Hitler Ende 1940 gegenüber General Jodl, man müsse 1941 alle kontinentaleuropäischen Probleme lösen, insbesondere den Feldzug gegen die Sowjetunion gewinnen, da ab 1942 die USA in der Lage seien einzugreifen. Nach Beginn des Rußlandfeldzugs suchte Hitler dann geflissentlich alles zu vermeiden, was einen Zusammenstoß mit Amerika hervorrufen konnte. Die Rechnung Hitlers, 1941 einen schnellen Zusammenbruch der Sowjetunion zu erzwingen, um so, wie er meinte, das Dritte Reich zum Kampf der Kontinente zu befähigen, ging jedoch nicht auf. Die Sowjetunion brach nicht zusammen, vielmehr zeichnete sich die Wahrscheinlichkeit eines langen Zermürbungskrieges ab, welchen durchaus die Rote Armee Sowjetrußlands zu ihren Gunsten entscheiden mochte. Sowohl der deutsche Munitionsminister Todt als auch der Chef der Heeresrüstung, General Fromm, kamen Ende November 1941 zu dem Ergebnis, schon von der Rüstungslage her sei der Krieg nicht mehr zu gewinnen, so daß sie einen Friedensschluß für ratsam hielten. Jodl erinnerte sich 1945, dem Führer und ihm selbst sei seit der Jahreswende 1941 I 42 klar geworden, daß kein Sieg im Osten mehr errungen werden könne. Jedenfalls stand im Herbst 1941 fest, daß der Rußlandfeldzug gescheitert war, denn ursprünglich hatte die Wolga erreicht werden sollen, und jetzt wurde nicht einmal Moskau erreicht. Das hieß, daß der größere Teil der Wehrmacht auf unabsehbare Zeit im Osten gebunden sein würde. Wenn dann auch noch Amerika in den Krieg eintrat, durften sich die Achsenmächte keine großen Hoffnungen mehr machen, den Krieg zu einem annehmbaren Ende zu bringen.1 Trotzdem eröffneten die Achsenmächte im Dezember 1941 den Krieg gegen Amerika. Warum? Die Antwort hat zunächst Japan in den Blick zu nehmen. Das Kaiserreich war seit den 1930er Jahren auf dem Weg, in Ostasien einen japanischen Hegemonialraum zu errichten, indem es gewisse andere Länder in Abhängigkeit brachte und deren Wirtschaft auf Japan ausrichtete. Dies folgte nicht einem vorbedachten Plan, sondern ergab sich jeweils aus den Umständen. Auf solche Weise fand - anfangs gegen den Willen der Regierung in Tokio - die Besetzung der Mandschurei 1931 statt, und 1937 glitt Japan in einen unerklärten Krieg mit China hinein. Nach der Besetzung des nordöstlichen China trachtete Tokio diesen Krieg zu beenden, was jedoch nicht gelang. Seitdem die europäischen Kolonialmächte beim Krieg in Europa von Deutschland besiegt worden waren, erblickte Tokio die Gelegenheit, nun auch die betreffenden Kolonien in Südostasien mit ihrem Rohstoffreichtum in den japanischen Hegemonialraum einzugliedern, namentlich Indonesien, Malaya und Indochina. All dies stand im engsten Zusammenhang I Der Dreimächtepakt (Achse Berlin- Rom- Tokio), 27. 9. 1940, in Grewe, Fontes 3/2, 1269 f. Auch in Jacobsen, Weg, 82 f. Zum Potential der Mächte Bd. II dieser Untersuchungen. Zum Verhältnis Hitler - USA Hillgruber, Hitler und die USA 1933 bis 1945, in ders., Zerstörung, 186 ff. Hitler zu Jod!, 17. 12. 1940, in KTB OKW 1/2, 996. Todt und Fromm über Kriegslage, 29. und 24. 11. 1941, nach Rohland, Zeiten, 77 f. Halder, KTB III, 309. Vgt. Seidler, Todt. Jodl1945 über Jahreswende 1941/42 in KTB OKW IV /2, 1503.

I. Der Beginn des Weltkriegs und die strategische Lage

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mit der wirtschaftlichen Lage Japans. Das Kaiserreich war in hohem Maße abhängig vom Ausland, teils für den Bezug von Rohstoffen und Nahrungsmitteln, teils für den Absatz seiner lndustriewaren, zum Teil sogar dafür, seinen BevölkerungsüberschuB unterzubringen. Um diese Abhängigkeit zu mindern oder weitgehend aufzuheben, trachtete Tokio nach der Errichtung eines Hegemonialraumes, der wirtschaftlich bis zu einem gewissen Grad selbstgenügsam war, indem er Japan mit Rohstoffen und Nahrungsmitteln versorgte sowie japanische Waren, zum Teil auch Menschen aufnahm. Zugleich suchte Japan sich damit der politischen Abhängigkeit von den Westmächten zu entziehen, um seine Handlungsfreiheit und politische Eigenständigkeit zu wahren. Das Kaiserreich bezog einen großen Teil seiner Rohstoffeinfuhren, vor allem Öl, aus dem Bereich der Westmächte. Damit geriet es auf eine Stufe der Erpreßbarkeit, denn wenn ihm die Westmächte die Rohstoffzufuhren abdrosselten, stand Japan vor der Aussicht, sich demnächst bedingungslos beugen zu müssen. Ein solcher Zustand trat in Sommer 1941 ein, als Amerika unter Präsident Franktin D. Roosevelt, anschließend auch Britannien und die Niederlande (für die Kolonie Niederländisch Indien = Indonesien) eine umfassende Handelssperre verhängten. Bei langwierigen Verhandlungen im Laufe des Jahres 1941 verlangten die USA nicht weniger als ein vollständiges Aufgeben der japanischen Hegemonialpolitik, unter anderem den Rückzug aus China. Dies beinhaltete soviel wie die außenpolitische Kapitulation. Die japanische Regierung machte sich die Entscheidung nicht leicht, aber bis zum 1. Dezember 1941 gelangte sie doch zu dem endgültigen Beschluß, nicht zu kapitulieren, sondern lieber den Versuch zu unternehmen, die Großmachtstellung Japans durch den Krieg zu bewahren. Eine entscheidende Rolle spielte dabei sicher die militärische Führung, die seit Oktober 1941 mit General Tojo Hideki den Ministerpräsidenten stellte. Diese Männer wußten sehr wohl, daß die Erfolgsaussichten bei einem Krieg gegen Amerika auf lange Sicht äußerst ungewiß waren. Aber sie stellten sich auf den Standpunkt, die Würde der Nation und ihres Kaiserhauses mit ihrer mehr als zweitausendjährigen Geschichte verlange es, sich dem amerikanischen Diktat nicht zu beugen, Japan nicht auf die Rolle einer drittrangigen Macht erniedrigen zu lassen, solange das Land die Fähigkeit hatte, der Abdankung als selbständige Großmacht Widerstand zu leisten. Der Admiralstabschef, Admiral Nagano Osami, brachte das Denken dieser Kreise auf den Punkt, wenn er sagte, die Regierung habe entschieden, daß ohne Krieg das Schicksal der Nation besiegelt sei. Auch im Falle eines Krieges gehe das Land möglicherweise zugrunde. Doch ein Volk, das in dieser Zwangslage nicht kämpfe, sei charakterlos und eine dem Untergang geweihte Nation. Nur wenn Japan bis zum letzten Soldaten kämpfe, werde es möglich sein, einen Ausweg aus dieser fatalen Lage zu finden. Ende November 1941, als der Krieg für unvermeidlich gehalten wurde, trat Tokio an Berlin und Rom heran mit dem Ersuchen, unmittelbar nach dem Ausbruch der Feindseligkeiten im Pazifik den USA ebenfalls den Krieg zu erklären sowie eine Vereinbarung über das Unterlassen eines Sonderfriedens mit den Westmächten zu treffen. Hitler und der italienische Diktator Mussolini folgten dem willig,

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I. Die Wende des Krieges

obwohl sie nach dem Dreimächtepakt von 1940 zum Kriegseintritt nicht verpflichtet waren, da der Pakt nur für den Fall eines amerikanischen Angriffs galt, während nunmehr Japan der Angreifer war. Am 11. Dezember 1941, vier Tage nach Beginn des Kriegs im Pazifik, wurde ein Abkommen der drei Mächte Deutschland, Japan und Italien über das Unterlassen eines gesonderten Waffenstillstands oder Friedens unterzeichnet; am selben Tag erfolgte die Kriegserklärung Deutschlands und Italiens an die USA, der sich am 12. Dezember auch Ungarn, Rumänien und Bulgarien anschlossen. Über die Beweggründe, vor allem diejenigen Hitlers, ist viel gerätselt worden. Die Erklärung ist aber wahrscheinlich ganz einfach: Der Kriegseintritt der europäischen Achsenmächte an der Seite Japans gegen Amerika änderte an der tatsächlichen Lage nichts Wesentliches, weder an der politischen noch an der militärischen; die Eröffnung des Weltkriegs brachte den europäischen Achsenmächten in strategischer Hinsicht weder bedeutende Vorteile noch bedeutende Nachteile. Dies klingt zunächst überraschend; es wird jedoch leicht verständlich, wenn man die Rahmenbedingungen für das Handeln der europäischen Achsenmächte an der Jahreswende 1941 I 42 genauer betrachtet. Vorab scheint es unmittelbar einsichtig zu sein, daß die Achsenmächte zuverlässige Aussichten, einen Krieg zu gewinnen, nur dann besaßen, wenn zumindest Amerika nicht in den Reihen ihrer Gegner stand; selbst Hitler dürfte dies stets so eingeschätzt haben. Zwar ließ sich ab Ende 1941 die Denkmöglichkeit nicht ausschließen, Deutschland könnte durch die Sowjetunion und Britannien allein bezwungen werden, doch war es ebenso vorstellbar, daß die Wehrmacht, solange Amerika nicht eingriff, der Roten Armee erfolgreich die Stirn zu bieten vermochte. In Ostasien wiederum benötigte Japan, um auf längere Sicht seine Wirtschaft in Gang zu halten und überhaupt kriegsfahig zu sein, die Rohstoffe südostasiatischer Kolonialgebiete, vor allem ÖL Theoretisch hätte Japan die betreffenden britischen und niederländischen Kolonien allein erobern, also bloß gegen Britannien Krieg führen können, und in einem solchen Krieg hätte es sicher gute Siegeschancen besessen. Praktisch jedoch war dies nicht möglich, weil zwischen Japan und Indonesien die Philippinen liegen, die unter amerikanischem Schutz standen und von amerikanischen Streitkräften verteidigt wurden. Um die Seeverbindungen nach Südostasien zu sichern, mußten daher ebenso die Philippinen besetzt werden. Damit war vom Beginn an auch Amerika Kriegsgegner, was sich im übrigen schon deswegen nicht umgehen ließ, weil vor allem die USA der japanischen Hegemonialpolitik in den Weg traten und weil sie von Britannien nicht zu trennen waren. Ein Krieg seitens der Achsenmächte im pazifischen Raum sah daher notwendigerweise Amerika auf der Gegenseite. Nun könnte man freilich die Ansicht vertreten, was für den Pazifik zutraf, müsse für Buropa nicht in derselben Weise zutreffen. Im Rahmen einer solchen Überlegung wäre es für Hitler ratsam gewesen, den Krieg gegen die USA nicht zu eröffnen, sondern die Bindung Amerikas im Pazifik zu benützen, um seinerseits den europäischen Krieg erfolgreich zu beenden. Insofern wäre es für die europäischen Achsenmächte ein unverzeihlicher politischer und strategischer Fehler gewesen, in den Krieg gegen die USA einzutreten. Dies

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ist jedoch ein Trugschluß. Erstens bestand schon eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß Roosevelt den Kriegsausbruch im Pazifik zum Anlaß nahm, sein Land nunmehr auch gegen die europäischen Achsenmächte in den Krieg zu führen. Roosevelts Sonderberater Hopkins hielt über eine Besprechung beim Präsidenten unmittelbar nach dem japanischen Angriff fest: Nach seiner Ansicht glaubten alle, daß in letzter Hinsicht Hitler der Feind war und daß er ohne Waffengewalt nie besiegt werden konnte, daß früher oder später Amerika zum Kriegseintritt gezwungen war und daß Japan die günstige Gelegenheit dazu geliefert hatte. In der Tat wollte Kriegsminister Stirnsan umgehend auch gegen Deutschland den Krieg eröffnen. Wenn Roosevelt darauf nicht einging, so erklärt sich dies leicht aus dem Umstand, daß er es nicht nötig hatte. Durch die Entzifferung des diplomatischen Funkverkehrs der Japaner war er darüber unterrichtet, daß die europäischen Achsenmächte ihrerseits auf die Kriegserklärung zusteuerten. Roosevelt konnte dies getrost abwarten; der unvermeidliche Krieg gegen Deutschland würde gewissermaßen von selbst kommen. Im übrigen ist es so gut wie ausgeschlossen, daß Roosevelt sich dauerhaft aus dem europäischen Krieg herausgehalten und womöglich Hitler Gelegenheit gegeben hätte, diesen Krieg für sich zu entscheiden. Schon die AtlantikCharta hatte das Kriegsziel verkündet, die Nazi-Tyrannei zu vernichten, und mit einiger Sicherheit ließ sich dies nur durch die Teilnahme Amerikas am Krieg erreichen. Zweitens erzeugte die Ausweitung des Krieges zum Weltkrieg keine wesentliche Änderung der militärischen Lage auf dem europäischen Kriegsschauplatz. Amerika unterstützte bereits Britannien und die Sowjetunion durch Materiallieferungen und Finanzhilfe, es tat dies weiterhin und hätte es ohne Kriegserklärung auch getan. Der stärkere Teil der amerikanischen Flotte stand vor Beginn des Weltkriegs im Pazifik, und er blieb auch danach dort. Der andere Teil der amerikanischen Flotte befand sich im Atlantik, wo er seit dem Sommer 1941 an der Sicherung von Geleitzügen teilnahm. Im zweiten Halbjahr 1941 bestand im Atlantik tatsächlich so etwas wie ein unerklärter Krieg zwischen Amerika und Deutschland, der nur deswegen nicht in den offenen Krieg umschlug, weil Hitler den deutschen V-Booten äußerste Zurückhaltung auferlegte. Wenn der Krieg erklärt wurde, durften die V-Boote wenigstens zurückschlagen. Dasamerikanische Heer befand sich erst im Aufbau, so daß die Westmächte noch für mindestens ein Jahr, also 1942, weder auf dem europäisch-atlantischen noch auf dem pazifischen Kriegsschauplatz zu einer entscheidungssuchenden Offensive imstande waren; lediglich kleinere Unternehmungen und vorbereitende Maßnahmen ließen sich durchführen. Das heißt, daß der amerikanische Kriegseintritt für die europäischen Achsenmächte keine unmittelbare Gefährdung darstellte; ihre strategische Handlungsfreiheit wurde allenfalls beeinträchtigt, aber nicht aufgehoben. Theoretisch hätte sogar die Möglichkeit bestanden, den kontinentalen Krieg in Europa zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen, bevor das amerikanische Eingreifen wirksam werden konnte. Auf kurze Sicht war demnach die Ausweitung des Krieges zum Weltkrieg für die europäischen Achsenmächte verhältnismäßig unschädlich. Der Schaden würde sich erst

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auf lange Sicht einstellen, wenn die USA nach Entfaltung ihres Potentials in die Lage versetzt wurden, im Krieg den Ausschlag zu geben. Derartiges hätte sich nur dann abwenden lassen, wenn Aussicht bestanden hätte, die USA vom Krieg überhaupt fernzuhalten. Eine solche Aussicht bestand nicht; Amerika wäre über kurz oder lang auf jeden Fall in den Krieg eingetreten, sei es, um die Beherrschung Europas durch eine gewalttätige Diktatur zu unterbinden, oder sei es, um jene neue Weltfriedensordnung zu errichten, wie Roosevelt sie in der Atlantik-Charta umrissen hatte. Drittens hatte man auf deutscher Seite während des Jahres 1941 befürchtet, Japan könnte zu einer Verständigung mit den USA gelangen, so daß das gesamte Potential der USA gegen die europäischen Achsenmächte zur Wirkung kommen würde. Umgekehrt war in Tokio die Befürchtung aufgetaucht, Deutschland könnte sich mit den Westmächten einigen und Japan im Stich lassen. Der gemeinsame Kriegseintritt und das Abkommen über das Unterlassen eines Sonderfriedens mit den Westmächten brachte beiden Seiten insofern einen Vorteil, als nunmehr sichergestellt war, daß das amerikanische Potential bis zur Entscheidung zwischen dem pazifischen und dem europäischen Kriegsschauplatz geteilt sein würde. Darüber hinaus brachte es den europäischen Achsenmächten keinen Vorteil, denn das amerikanische Potential reichte aus, gegen alle Achsenmächte zugleich Krieg zu führen. Außerdem hatten sich Briten und Amerikaner schon im Frühjahr 1941 darauf verständigt, im Falle eines Krieges gegen Deutschland und Japan zuerst Deutschland niederzuwerfen; die Führungsspitze der Westmächte bestätigte es an der Jahreswende 1941 I 42. Angesichts der gewaltigen Stärke der USA mußte damit gerechnet werden, daß ihnen dies gelingen würde. Selbst Hitler gab Anfang 1942 gegenüber dem japanischen Botschafter Oshima zu, wie man die USA besiege, wisse er noch nicht. Immerhin durften alle Achsenmächte sich eher Hoffnungen auf einen erträglichen Ausgang des Krieges machen, wenn sie vereint kämpften, als wenn eine von beiden Seiten in Europa oder Ostasien untätig zusah, wie die andere von ihren Gegnern geschlagen wurde. 2 Welche Chancen hatten die Achsenmächte, einer totalen Niederlage gegen die überlegene Koalition ihrer Feinde zu entrinnen und wenn schon keinen Sieg, so wenigstens ein erträgliches Kriegsergebnis zu erreichen? Sofern solche Chancen bestanden, lagen sie offenbar auf zwei Ebenen, der rein politischen und der strategischen, wiewohl beide Ebenen sich nicht streng trennen lassen. Was die politische Ebene betrifft, so hatte es im Jahr 1940 auf japanischer und dann auch auf deutscher Seite zeitweise Erwägungen gegeben, einen großen eurasischen Block von den europäischen Achsenmächten über die Sowjetunion bis Japan zu bilden, ein Gedanke, dem Moskau aufgeschlossen begegnet war. Als Tokio gegen Ende 1941 z Allgemein zur Entstehung des Weltkriegs Krebs, Pearl Harbor. Syring, Kriegserklärung. Jäckel, Kriegserklärung. Nagana im September 1941 nach Crowley, 261. Vgl. Krebs, Deutschlandpolitik I, 596. Iriye, Origins, 177 f. Hopkins nach Sherwood, Hopkins, 431. Vgl. Herde, Pearl Harbor, 293 ff. Zur Atlantik-Charta Bd. II dieser Untersuchungen. Hitler zu Oshima, 3. 1. 1942, in Hillgruber, Staatsmänner li, 41. Auch in Jacobsen, Weg, 135 ff.

I. Der Beginn des Weltkriegs und die strategische Lage

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von den europäischen Achsenmächten den Kriegseintritt gegen Amerika erbat, machte die japanische Seite klar, daß sie in den Krieg gegen die Sowjetunion nicht einzutreten wünsche. Das hatte verschiedene Gründe, einen formalen: weil zwischen Tokio und Moskau seit April 1941 ein Neutralitätsvertrag bestand, einen militärischen: weil die japanischen Kräfte nicht ausreichten, auch noch Rußland zu bekriegen, und schließlich einen allgemein politischen: weil Tokio sich damit eine Hintertür offenhielt für diplomatische Bemühungen, die Mächtekonstellation zu ändern. Einen vereinten Krieg aller Achsenmächte gab es daher nur gegen die Westmächte, während umgekehrt die Anti-Hitler-Koalition aus den Westmächten und der Sowjetunion einen vereinten Krieg nur gegen die europäischen Achsenmächte führte. In Japan tauchte bereits im Herbst 1941 der Gedanke auf, einen Frieden zwischen Deutschland und Rußland zu vermitteln. Seit 1942 trat Tokio dann immer wieder sowohl an die deutsche als auch an die sowjetische Seite heran mit dem Vorschlag, Frieden zu schließen, und bot hierfür seine Dienste an. Seit Ende 1942 wurde Hitler überdies von Italien bedrängt, den Krieg gegen Rußland zu beenden. Es scheint auf der Hand zu liegen, daß sich die strategische Lage der Achsenmächte verbessert hätte, wenn die Sowjetunion als Gegner weggefallen wäre. Von einer solchen Chance des Sonderfriedens ist viel Aufhebens gemacht worden. Richtig dürfte jedoch sein, daß sie nie wirklich existiert hat. Roosevelt stellte bereits im Frühjahr 1942 mehrfach fest, zu einem Sonderfrieden werde es nicht kommen. Von Britannien läßt sich zeigen, daß London zwar zu dieser Zeit vorgab, einen solchen Sonderfrieden zu fürchten, daß es aber tatsächlich nicht daran glaubte. Was über das Streben nach oder das Bemühen um einen Sonderfrieden auf deutscher und sowjetischer Seite bekannt geworden ist, wirkt in hohem Maße undeutlich und undurchsichtig. Der sowjetische Diktator Stalin durfte gemäß den gültigen völkerrechtlichen Abmachungen an sich keinen Sonderfrieden mit Deutschland schließen, denn zur Unterlassung eines solchen Sonderfriedens hatte er sich gleich dreimal verpflichtet: erstens durch ein Abkommen mit Britannien vom 12. Juli 1941, zweitens durch den sogenannten Washington-Pakt vom 1. Januar 1942, der sämtliche Mitglieder der Anti-Hitler-Koalition einschließlich Chinas und europäischer Länder in einem Bündnis zusammenschloß, schließlich drittens durch einen Bündnisvertrag mit Britannien vom 26. Mai 1942. Gewiß könnte man die Ansicht vertreten, Stalin hätte im Bedarfsfall nicht gezögert, völkerrechtliche Abmachungen zu brechen, aber dazu hatte er in diesem Fall eigentlich keinen Grund. An der Seite Amerikas und Britanniens besaß er gute Aussichten, am Ende zu den Siegern zu gehören; eine Verständigung mit Deutschland konnte ihm wahrscheinlich nicht mehr Gewinn einbringen als das Ausfechten des Krieges vereint mit den Westmächten; und sich auf Geschäfte mit dem Psychopathen Hitler einzulassen, war ohnedies ein höchst zweifelhaftes Unterfangen. In der Tat hat die deutsche Seite, auf Veranlassung Hitlers, bis Ende 1943 schon jede Art förmlicher Verhandlungen abgelehnt, und ab Ende 1943 zeigte Stalin allen Anknüpfungsversuchen die kalte Schulter. So gab es zwar deutsch-sowjetische Fühlungnahmen über Jahre hinweg;

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sie liefen in der Regel über einen in Stockholm tätigen Agenten der deutschen Abwehr (Amt Ausland I Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht =OKW). Doch bleibt festzuhalten, daß niemals Gespräche bevollmächtigter Unterhändler stattfanden. Dies wird wohl auch mit der Kriegslage zusammenhängen, denn bis Ende 1942 meinte Hitler, einen Sonderfrieden mit Rußland nicht nötig zu haben, und ab Ende 1943 war es für Stalin gewiß, daß er keinen Sonderfrieden nötig hatte. Von daher wäre für einen Sonderfrieden allenfalls das Jahr 1943 in Frage gekommen. Aus den bekannten Tatsachen gewinnt man den Eindruck, daß Stalin im Frühjahr und Sommer 1943 bereit war, mit der deutschen Seite wenigstens vorbereitende Verhandlungen zu führen. Falls dies zutrifft, ist es indes doppeldeutig. Stalin war zu jener Zeit darüber erbost, daß die Errichtung einer "zweiten Front" der Westmächte, d. h. eine entscheidungssuchende Offensive in Westeuropa, ihm zwar seit langem versprochen war, aber immer wieder verschoben wurde (sie fand dann, als Landung in Frankreich, erst 1944 statt). Es ist immerhin vorstellbar, daß Stalin die Westmächte unter Druck setzen wollte, indem er eine Bereitschaft zum Sonderfrieden mit Deutschland vortäuschte. Für eine solche Deutung spricht auch der Umstand, daß Moskau ab Ende 1943 auf Sonderfriedensgedanken nicht mehr einging. Hätte Stalin einen Sonderfrieden wirklich gewollt, so hätte er ihn bei zunehmender Verschlechterung der Kriegslage für Deutschland wohl eher bekommen können. Sollte Stalin im Jahr 1943 aber tatsächlich eine Verständigung mit Hitler bzw. Deutschland ins Auge gefaßt haben, so muß man sich klar machen, daß Stalin dies nicht aus Nächstenliebe tat. Wenn Stalin schon das Bündnis mit den Westmächten brach, sogar ihre Feindschaft in Kauf nahm, dann mußte der Sonderfriede mit Deutschland mindestens so große Vorteile bringen wie die Fortsetzung des Krieges an der Seite der Westmächte. Gemäß der militärischen Lage im Sommer 1943 durfte Stalin in Betracht ziehen, die Rote Armee werde bis Mitteleuropa und auf den Balkan vordringen. Der vorhin erwähnte Agent der deutschen Abwehr in Stockholm, ein gewisserEdgar Klaus, der auf Grund seiner Berührung mit sowjetischen Dienststellen recht gut unterrichtet war, faßte die Kriegslage im Sommer 1943 ganz richtig so zusammen: Die Russen hätten jetzt keine Eile, sie nähmen nur noch absolut sichere Gewinne entgegen. Stalin plane, die deutsche Wehrmacht zur alten deutsch-russischen Grenze von 1914 zurückzutreiben und dabei durch Polen sowie den Balkan zu stoßen. Falls die Westmächte ihrerseits zur deutschen Grenze vorrückten, werde es ein Wettrennen geben, in welchem es darauf ankomme, sich die besten Pfänder für die Schlußabmachungen zu verschaffen. Für einen Sonderfrieden mit Deutschland konnte Stalin demnach einen entsprechenden Preis verlangen. Sollte es Bedingungen Stalins für einen Sonderfrieden im Jahr 1943 gegeben haben, so lassen sie sich nicht sicher feststellen, weil darüber nicht verhandelt wurde. Es liegen aber Hinweise vor, daß von einer deutschen Ostgrenze die Rede war, welche derjenigen von 1914 entsprach. Gemeint war damit augenscheinlich die Abgrenzung des deutschen und des sowjetischen Machtbereichs, wobei das ganze östliche Mitteleuropa sowie der Balkan der Sowjetunion zugeschlagen wurden. Aus diesen Gebieten hätte sich die Wehrmacht dann zurück-

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ziehen müssen, während Rußland sie ohne einen Schwertstreich eingenommen hätte. Die Frage ist, was danach geschehen wäre. Die Denkmöglichkeiten sind derart vielfältig, daß sie sich schwerlich erschöpfend behandeln lassen. So ist die Überlegung nicht ganz auszuschließen, daß Stalin den Sonderfrieden nur zum Schein schloß, um die sowjetische Front mühelos über 1000 km nach vom zu verlegen, daß er aber danach den Frieden alsbald wieder brach und Deutschland in den Rücken fiel. Nimmt man indes an, daß Stalin ein solches Maß an Hinterhältigkeit nicht an den Tag gelegt hätte, so wäre der Sonderfrieden praktisch auf einen Seitenwechsel der Sowjetunion hinausgelaufen; diese hätte verhüllt oder unverhüllt die Achsenmächte unterstützt, ähnlich wie nach dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939. In diesem Fall lassen sich wiederum mehrere Denkmöglichkeiten unterscheiden: Vielleicht hätten auch die Westmächte den Krieg eingestellt, vielleicht nur in Europa, vielleicht nur in Ostasien, vielleicht keins von beiden. Betrachtet man lediglich den Fall, daß der Krieg zwischen den Achsenmächten und den Westmächten seinen Fortgang genommen hätte, so wäre Deutschland weitestgehend von der Sowjetunion abhängig geworden, die ihm sämtliche kriegswirtschaftlich wichtigen Rohstoffe liefern konnte, einschließlich derjenigen des Balkans. Deutschland hätte dann gewissermaßen einen Stellvertreterkrieg geführt: für die Sowjetunion gegen die Westmächte. Es kann sein, daß Stalin derartiges beabsichtigte, aber sehr wahrscheinlich ist es nicht. Warum hätte er es denn tun sollen? Falis er es tat, mußte er sogar das Risiko eines Krieges der Westmächte gegen die Sowjetunion in Kauf nehmen. Dazu hatte er keine Veranlassung. Als Verbündeter der Westmächte besaß er gute Aussichten, große Teile Europas der sowjetischen Herrschaft zu unterwerfen. Das wußte übrigens auch Präsident Roosevelt, der im Sommer 1943 annahm, Stalin werde mindestens 40 Prozent der kapitalistischen Länder Europas in seine Gewalt bringen. Wo das Vordringen der Roten Armee enden werde, ließ sich zu dieser Zeit von niemandem sicher vorhersagen, es mochte an der Weichsel sein oder am Rhein. Jedenfalls hatte die Sowjetunion die Gelegenheit, an der Seite der Westmächte ohne Risiko mehr zu erreichen als an der Seite Deutschlands mit großem Risiko. Es ist zwar richtig, daß Stalin im Jahr 1940 mit dem Gedanken geliebäugelt hatte, einen Block zusammen mit den Achsenmächten gegen die Westmächte zu bilden. Und Stalins Außenminister Molotow hatte gelegentlich eine dunkle Anspielung auf eine Entscheidungsschlacht der Roten Armee am Rhein gemacht. Aber derlei war für die Sowjetunion nunmehr unergiebig. Bei einem Sonderfrieden mit Deutschland bekam die Sowjetunion allenfalls die Grenze von 1914 und verfeindete sich mit den Westmächten. Bei einem Fortsetzen des Krieges an der Seite der Westmächte bekam die Sowjetunion voraussichtlich mindestens dasselbe, wahrscheinlich aber noch mehr, und machte sich die Westmächte nicht zum Feind, zumindest nicht sofort und nicht offen. Denkbar wäre, daß Stalin ganz hoch pokerte und darauf hoffte, durch einen Sonderfrieden oder gar einen gemeinsamen Krieg mit Deutschland Europa vollständig unter russischen Einfluß zu bringen. Doch scheinen dafür keine Anzeichen vorzuliegen. Die einfachste Lösung bestand für Stalin tatsächlich 2 Raub, Zwetter Weltkneg 3 Tetl

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darin, den Krieg vereint mit den Westmächten siegreich zu beenden und als Beute so viel an sich zu raffen, wie er erjagen konnte. 3 Die Möglichkeit, auf der rein politischen Ebene durch einen Ausgleich mit Rußland die Lage der Achsenmächte zu verbessern, existierte also wahrscheinlich nicht. Andere Möglichkeiten dieser Art bestanden kaum, außer in Hitlers Einbildung. Der Diktator kam nun wieder auf sein weltanschauliches Vorurteil zurück, der naturgegebene Platz Englands sei eigentlich an der Seite Deutschlands. Gegen Ende 1941 spekulierte er darüber, die Erkenntnis bei England und Deutschland, daß sie sich gegenseitig nicht niederringen könnten, werde zu einem Verhandlungsfrieden führen, den er auf Kosten Frankreichs zu schließen gedachte. Anfang 1942 meinte er, wenn die Engländer heute wüßten, daß sie mit einem blauen Auge davonkommen könnten, so würden sie lieber heute als morgen Schluß machen. Äußerungen solcher Art fielen in der Folgezeit immer wieder, so etwa im April 1944, als Hitler sagte, wenn nur die Achsenmächte stur blieben und unerschütterlich durchhielten, würde einmal zwangsläufig der Bruch zwischen England und Amerika kommen. Hitler hoffte also auf einen Bruch der gegnerischen Koalition. Die Begründung, warum derartiges eintreten werde, faßte er 1942 knapp so zusammen, daß Amerika die Erbschaft Englands antreten wolle und Rußland wiederum hoffe, der Erbe beider zu sein. Hitlers Denkstil blieb immer derselbe: Der Diktator bewegte sich in einer Scheinwelt, zusammengesetzt aus Halbwahrheiten, Verdrehungen und schlichter Unkenntnis; an die Stelle sorgfaltiger Gedankenarbeit traten Oberflächlichkeit und Bauernschläue, an die Stelle der Vernunft trat der Wille, an die Stelle des Augenmaßes trat Gewalttätigkeit. Politik war in Hitlers Augen nicht ein vernunftgeleitetes Bemühen um das Wohl des Volkes, sondern sie verkürzte sich auf einen Rassenkampf um das Recht des Stärkeren, bei dem es nur Sieg oder Untergang gab. So äußerte Hitler schon Ende November 1941, wenn das deutsche Volk einmal nicht mehr stark und opferbereit genug sei, sein eigenes Blut für seine Existenz einzusetzen, dann solle es vergehen und von einer anderen, stärkeren Macht vernichtet werden. Und Ende Januar 1942 sagte er, wenn das deutsche Volk nicht bereit sei, sich für seine Selbsterhaltung einzusetzen, dann solle es verschwinden. Aus dem Gehäuse seiner selbstgezimmerten Weltanschauung mit all ihrer Unzulänglichkeit, ja Stupidität, kam der Diktator nicht mehr heraus. 4 3 Allgemein zur Frage des Sonderfriedens Fleischhauer, Sonderfrieden, 186 f. (E. Klaus im Sommer 1943) und passim. Martin, Sondierungen. Ders., Verhandlungen. Mastny, Prospects. H. W. Koch, Spectre. Minuth, Friedenskontakte. A. Fischer, Deutschlandpolitik, 38 ff. Zu den japanischen Bemühungen auch Martin, Deutschland und Japan, 114, 119, 182 f., 191, 197. Roosevelt über Sonderfrieden nach Dokumente zur Deutschlandpolitik 1/2, 178 (24./ 26. 3. 1942); 113/1, 201 f. (8. 3. 1942). Zur britischen Einstellung gegenüber einem Sonderfrieden 1942 Blasius, Zweifel. Die Vertragsverpflichtungen hinsichtlich eines Sonderfriedens nach Grewe, Fontes Ill/2, 1274 ff., 1288. Auch in Jacobsen, Weg, 156 f., 163 f., 170 f. Roosevelt über Kriegslage im Sommer 1943 nach Dokumente zur Deutschlandpolitik I /4, 509 f. 4 Hitler über England Ende 1941 nach Halder, KTB III, 295 (19. II. 1941), 333 (7. 12. 1941). Anfang 1942 nach Hitler, Monologe, 183 (7. I. 1942). April 1944 nach Hiligrober, Staatsmänner II, 420 (22. 4. 1944 zu Mussolini). Über Bruch der Gegnerkoalition

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Die Geistesverfassung Hitlers ist auch in Rechnung zu stellen beim Beantworten der zweiten Frage: Welche Chancen hatten die Achsenmächte auf der strategischen Ebene, zwar keinen Sieg, aber wenigstens ein erträgliches Kriegsergebnis zu erreichen? Für Japan stand von vornherein außer Zweifel, daß es keinen Sieg zu erringen vermochte auf dem Weg, das amerikanische oder britische Heimatland selbst zu erobern. Der Krieg Japans war also vom Beginn an ein begrenzter Krieg, der nicht auf das Niederwerfen des Gegners zielte; die Existenz Amerikas oder Britanniens wurde nie bedroht. Um einen Angriffskrieg Japans handelte es sich insofern, als das Kaiserreich nicht umhin konnte, zu Beginn des Krieges die südostasiatischen Rohstoffgebiete in Besitz zu nehmen; ohne deren Rohstoffe, vor allem das Öl, hätte es einen längeren Krieg gar nicht durchzuhalten vermocht. Aus der Tatsache, daß Japan sofort Südostasien mit Waffengewalt unterwarf, folgt daher nicht zwingend, daß Tokio dasselbe schon vor dem Krieg beabsichtigte, sondern der logische Zusammenhang ist umgekehrt: WeilJapan in den Krieg gegen Amerika eintrat, mußte es auch Südostasien erobern. Japans Ziel vor dem Krieg war es gewesen, wirtschaftlichen bzw. politischen Einfluß in Südostasien zu gewinnen, so etwas wie Vorherrschaft, und dieses Ziel blieb im Krieg erhalten. Mit der Eroberung Südostasiens war indes der Krieg nicht beendet, sondern die Führung in Tokio mußte sich darauf einrichten, daß der Krieg, namentlich gegen Amerika, lange dauern würde. Nach der Eroberung Südostasiens kam es für Japan vor allem darauf an, das Gewonnene zu verteidigen. Wenn es dem Kaiserreich gelang, die Westmächte infolge des Krieges zu veranlassen, daß sie die japanische Vorherrschaft in Südostasien (und China) anerkannten, wenn auf dieser Grundlage Frieden geschlossen wurde, dann hatte Japan den Krieg erfolgreich beendet. Ein erträgliches Kriegsergebnis wäre für das Kaiserreich aber auch unterhalb dieser Stufe denkbar gewesen, etwa in der Weise, daß Japan lediglich vertragliche Garantien für den Bezug von Rohstoffen erhielt. Der Krieg im Pazifik und in Südostasien war naturgemäß in der Hauptsache ein Seekrieg. Bodentruppen wurden dafür nur in mäßigem Umfang benötigt, und die Verwendung der Bodentruppen hing in der Regel von der Beherrschung der Seewege ab. Den Kern der Flotte bildeten nach herkömmlicher Auffassung die Schlachtschiffe, also große, gepanzerte Schiffe mit schwerer Artillerie. In dieser Schiffskategorie besaß Japan vor dem Krieg 10 ältere, jedoch modernisierte Einheiten, Amerika 15. Mitte der 1930er Jahre begann Japan mit dem Bau eines neuen Typs überschwerer Schlachtschiffe der Yamato-Klasse, die nur in geringer Stückzahl fertiggestellt wurden, aber jedem anderen Schlachtschiff an Kampfkraft überlegen sein sollten. Amerika baute etwas kleinere Schlachtschiffe in größerer Zahl. Nachdem das Flugzeug zu einem militärischen Kampfmittel geworden war, entstand sowohl in Japan als auch in Amerika eine eigene Marineluftwaffe, die sich teils auf Landflugplätze stützte, teils auf Flugzeugträger, also so etwas wie nach Hillgruber, Staatsmänner li, 82 (29. 5. 1942 gegenüber dem indischen Nationalistenführer Base). Hitler über deutsches Volk nach ADAP, Ser. D, Bd. 13/2,705 (27. 11. 1941 zum dänischen Außenminister Scavenius). Hitler, Monologe, 239 (27. I. 1942). 2*

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schwimmende Flugplätze. Vor Kriegsausbruch war die Frage, ob dem Schlachtschiff oder dem Flugzeugträger der Vorzug zu geben sei, noch nicht abschließend entschieden; so baute man beide. In der Zeit des Kriegsausbruchs besaßen Japan und Amerika je sechs große Flugzeugträger. Japan gewann in dieser Zeit einen kleinen Vorsprung, da es etliche andere Schiffe zu leichten. Flugzeuträgern umbaute (die Schiffe der Junyo-Klasse werden hier zu den leichten Trägern gerechnet, obwohl sie verhältnismäßig groß waren, denn sie besaßen nicht denselben Gefechtswert wie die regulären großen Träger). Während des Krieges traten neben die schweren und leichten Flottenträger noch Geleitträger oder Hilfsträger, meist umgebaute Handelsschiffe mit einem Flugdeck, die nicht für den eigentlichen Flottenkampf verwendet wurden, sondern für Nebenaufgaben wie das Unterstützen von Landungen. Außer Schlachtschiffen und Flugzeuträgern gab es noch all die anderen Schiffsarten, die eine moderne Flotte braucht, so die Kreuzer, kleiner als Schlachtschiffe und mit schwächerer Artillerie, sowie die vielseitig verwendbaren Zerstörer, verhältnismäßig kleine Schiffe, deren Hauptwaffe Torpedos bildeten. In der Zeit des Kriegsausbruchs erreichte Japan beim Stärkeverhältnis im Pazifik ungefähr einen Gleichstand mit den beiden Westmächten USA und Britannien, da Amerika rund 40% seiner Flotte im Atlantik stationiert hatte und Britannien lediglich schwächere Kräfte nach Ostasien entsenden konnte. An Flugzeuträgern besaß Japan ein Übergewicht. Die Schwierigkeit für Japan bestand dahin, daß es auf die Dauer dem weit überlegenen amerikanischen Rüstungspotential nicht gewachsen war. Nachdem seit dem Ende der 1930er Jahre überall heftig gerüstet wurde, ergaben japanische Berechnungen, daß die eigene Flottenstärke im Laufe des Jahres 1943 auf rund 50% der amerikanischen und im Laufe des Jahres 1944 auf etwa 30% sinken werde. Die amerikanische Baukapazität bei Schiffen und Flugzeugen schätzte man auf ein Mehrfaches der japanischen. Dies bestärkte gegen Ende 1941 Tokio in dem Entschluß, sofort loszuschlagen, denn bei den gegenwärtigen Stärkeverhältnissen war ein Erfolg noch möglich, später nicht mehr. Umgekehrt mußte die Überlegenheit des amerikanischen Rüstungspotentials den Gegner in die Lage versetzen, binnen einiger Jahre eine solch große Flotte bereitzustellen, daß Japan sich ihrer kaum noch erwehren konnte. Wie ließ sich dem begegnen? Die strategische Planung des Seekriegs oblag Admiralstabschef Nagano, der im sogenannten Kaiserlichen Hauptquartier mit Generalstabschef Sugiyama zusammenwirkte, formell zur Beratung des Kaisers. Die japanische Kriegsmarine war in mehrere "Flotten" eingeteilt, wobei die Hauptflotte die schweren Schlachtschiffe urnfaßte. Um trotzdem die gesamte Flotte (einschließlich der Marineluftwaffe) einheitlich führen zu können, gab es das Oberkommando der Vereinigten Flotte: an dessen Spitze Admiral Yamamoto Isoroku stand. Yamamoto entwickelte den Plan, der amerikanischen Pazifikflotte sofort bei Kriegsbeginn einen schweren Schlag zu versetzen. Die amerikanische Pazifikflotte lag in Pearl Rarbor auf Oahu in der Gruppe der Hawaii-Inseln, einem zentralen Stützpunkt im Pazifik von hoher strategischer Bedeutung. Der Angriff gegen Pearl Rarbor sollte als Überraschungsschlag

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mit den japanischen Flugzeugträgem geführt werden. Dieser Plan stieß in Japan anfangs auf Widerstand und ist auch später öfters kritisiert worden: Er sei politisch wie militärisch unzweckmäßig gewesen, da er Amerika zum unnachsichtigen Gegner Japans machte, während er eine schwerwiegende Schädigung der amerikanischen Flotte nicht gewährleistete. Zweifelsohne trifft es zu, daß der Plan kühn war, denn wenn die Überraschung nicht glückte, lief Japan Gefahr, einen erheblichen Teil seiner Trägerstreitmacht einzubüßen. Andererseits beruhte der Plan auf durchaus zutreffenden strategischen und operativen Überlegungen. Wenn Japan die Philippinen angriff, würde Amerika mit Sicherheit in den Krieg eintreten. Außerdem hatte die Atlantik-Charta von einer Entwaffnung gesprochen, die jedenfalls auch Japan betreffen würde. Eine solche Entwaffnung ließ sich nur durch eine vollständige Niederlage Japans erreichen; sie setzte also den Krieg stillschweigend voraus. Unter solchen Umständen konnte Yamamoto auch die amerikanische Flotte in Pearl Harbor überfallen, ohne politische Nachteile befürchten zu müssen. Sodann rechnete man auf japanischer Seite damit, daß die Eroberung Südostasiens mehrere Monate dauern würde. Unterdessen erhielt die amerikanische Pazifikflotte Gelegenheit, sich durch Schiffe aus dem Atlantik zu verstärken (was dann tatsächlich geschah) und ihrerseits zum Gegenangriff überzugehen, z. B. auf die japanischen Marshall-Inseln (was tatsächlich geplant war). Dem mußte die japanische Flotte entgegentreten, weil andernfalls die Amerikaner über die Karolinen in Richtung auf die Philippinen vordringen konnten. Da jedoch ein Teil der japanischen Kräfte in Südostasien gebunden war, würde die Auseinandersetzung mit der amerikanischen Flotte schwierig und ihr Ergebnis unsicher werden. Japan mochte dann seinen Verteidigungsraum in der Inselwelt des westlichen Pazifik verlieren oder einen Teil seiner Flotte einbüßen, oder an der vollständigen Eroberung Südostasiens gehindert werden, oder mehreres zugleich. Der Krieg war dann schon in den ersten Monaten verloren, denn wenn Japan und seine Streitkräfte bereits am Anfang geschwächt wurden, vermochten sie einen langen Abnützungskrieg erst recht nicht durchzuhalten. Falls umgekehrt Yamamotos Plan in vollem Umfang glückte, würde die amerikanische Flotte herbe Verluste erleiden, so daß sich das Stärkeverhältnis weit zugunsten Japans verschob. Den USA würde es dann schwerer fallen, oder zumindest würde es länger dauern, eine überlegene amerikanische Flotte im Pazifik bereitzustellen. Unter solchen Umständen konnte Japan erstens den wirtschaftlichen Ergänzungsraum in Südostasien ungefahrdet in Besitz nehmen. Und zweitens besaß Japan dann für einige Zeit ein Flottenübergewicht, so daß es darangehen konnte, seinen Verteidigungsraum zu festigen, gegebenenfalls auch zu erweitern, oder eine Schlacht gegen die feindliche Flotte zu suchen, um sie weiter zu schwächen. Der Gedanke, die amerikanische Pazifikflotte durch einen Überraschungsschlag sofort auszuschalten, war demnach sinnvoll. Fraglich war nur, ob es in der erwünschten Weise gelingen würde. Im Herbst 1941 setzte Yamamoto durch, unter Androhung seines Rücktritts, daß Nagano seinen Plan genehmigte. Es wurde eine Kampfgruppe gebildet, welche die sechs schweren japanischen Flugzeuträger umfaßte, begleitet von einigen Sicherungsstreitkräften; ihr Befehlshaber wurde Admi-

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ral Nagumo Chuichi. Der Angriff auf Pearl Harbor fand am Morgen des 7. Dezember statt (Ortszeit), ungefähr eine Stunde nach Beginn der Kampfhandlungen in Südostasien gegen das britische Malaya; die formelle Kriegserklärung erfolgte danach von seiten der Westmächte. Der Schlag gegen die amerikanische Pazifikflotte war insofern erfolgreich, als eine vollständige Überraschung erzielt wurde. Dagegen war der Angriff insofern nur teilweise erfolgreich, als sich keine amerikanischen Flugzeugträger im Hafen befanden, sondern lediglich acht ältere Schlachtschiffe, die teils versenkt und teils durch Beschädigung außer Gefecht gesetzt wurden. Immerhin brauchte nunmehr Japan mit einer baldigen amerikanischen Gegenoffensive nicht zu rechnen. Der Befehlshaber des japanischen Verbandes, Nagumo, der mit Bedenken an das Unternehmen herangegangen war, betrachtete nach der Ausschaltung der amerikanischen Schlachtschiffe seinen Auftrag als erfüllt und trat umgehend den Rückmarsch an. Damit konnte er jedenfalls nichts falsch machen und seine Schiffe heil wieder nach Hause bringen. Andererseits vergab er wahrscheinlich eine gute Gelegenheit, den Erfolg auszuweiten. Die japanischen Träger hatten nur geringe Flugzeugverluste erlitten und waren noch voll kampfkräftig, während die amerikanische Luftwaffe auf Oahu weitgehend zerschlagen war. Es hätte sich angeboten, einen weiteren Angriff gegen Pearl Harbor zu fliegen, um auch die Versorgungseinrichtungen des Stützpunkts zu zerstören, und zugleich das Seegebiet sorgfältig abzusuchen, um vielleicht noch den einen oder anderen amerikanischen Träger aufzuspüren. In der Tat befand sich von drei Trägern der amerikanischen Pazifikflotte mindestens einer in erreichbarer Nähe. Hätte Nagumo alle drei angetroffen, so hätte er immer noch eine doppelte Überlegenheit besessen. Nagumo begnügte sich jedoch mit dem bereits errungenen Sieg. 5 Damit konnte Japan wenigstens den Krieg erfolgreich beginnen. Offen blieb, ob und inwieweit der Krieg sich auf längere Frist erfolgreich weiterführen ließ. Es bedarf wohl keiner näheren Begründung, daß es in einem Koalitionskrieg von Vorteil ist, wenn die Koalitionäre möglichst eng zusammenarbeiten, sich wechselseitig unterstützen, ihre Anstrengungen aufeinander abstimmen und ihre Mittel gemeinsam füreinander verwenden. Im Zweiten Weltkrieg hätte dies für beide Seiten gegolten, die Achsenmächte wie die Anti-Hitler-Koalition. Wirft man zunächst einen Blick auf die Anti-Hitler-Koalition, so ist zu sagen, daß sich auf dem Gebiet der Kriegswirtschaft eine enge Zusammenarbeit einstellte, vor allem zwischen den USA und Britannien. Ohne amerikanische Hilfe hätte Britannien einen Krieg gegen die Achsenmächte schwerlich durchgestanden. Die amerikanische Hilfe erhielt es jedoch reichlich, sowohl auf militärischem als auch auf wirtschaftlichem Gebiet. Amerika wickelte seine kriegsbedingten Lieferungen an die Verbündeten hauptsächlich im Rahmen des 1941 entstandenen Leihe-Pacht-Programms ab (!end-lease). Einen wichtigen Posten in der amerikanischen Unterstützung machten Nahrungsmittel aus, durch welche eine Mindestversorgung der britischen Bevölkerung sicherge5 Ohmae, Konzeptionen. Das ältere Schrifttum bei Herde, Pearl Harbor. Ferner Lengerer I Kobler-Edamatsu. Willmott, Empires. Spector, Eagle. MGFA, Weltkrieg VI, 219 ff. (Beitrag Rahn). Prange, Pearl Harbor.

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stellt wurde. 1941 beispielsweise bestanden die amerikanischen Lieferungen an das Commonwealth zu rund 30% aus Lebensmitteln. Andererseits umfaßten die Lieferungen Kriegsmaterial im engeren Sinn wie Flugzeuge, Schiffe und Waffen; in den späteren Kriegsjahren kam über ein Viertel des Materials der britischen Streitkräfte aus Amerika. Umgekehrt erbrachte auch Britannien beträchtliche Leistungen, etwa durch das Bereitstellen militärischer Anlagen für amerikanische Truppen auf dem Boden des Empire. Die Sowjetunion wurde gegen Ende 1941 in das Jend-Iease-Programm einbezogen. Auch hier spielten Nahrungsmittel eine wichtige Rolle; dagegen hatte Rußland in den späteren Kriegsjahren, als seine Rüstungserzeugung einen starken Aufschwung nahm, nicht mehr viel Bedarf für Waffen und Gerät der Westmächte, außer bei Lastwagen. Die Lieferungen erreichten trotzdem ein beträchtliches Ausmaß; sie wurden zum größeren Teil über Persien geleitet, zum kleineren Teil über das europäische Nordmeer und Wladiwostok am Pazifik (da Japan nicht im Krieg mit Rußland stand, konnten hier russische Schiffe das Material befördern). Was die Zusammenarbeit auf dem rein militärischen Gebiet angeht, so trafen sich Roosevelt und der britische Premierminister Churchill bereits an der Jahreswende 1941 I 42 zur ersten ihrer gemeinsamen Kriegskonferenzen, die von da an in unregelmäßiger Folge fortgesetzt wurden. Bei jener ersten Kriegskonferenz bestätigte man den Plan, Deutschland wegen seiner größeren wirtschaftlichen und militärischen Stärke als Hauptgegner zu betrachten und zuerst niederzuwerfen. Außerdem wurde die Einrichtung der Vereinigten Stabschefs beider Länder geschaffen (Combined Chiefs of Staff), d. h. die amerikanischen Stabschefs von Heer, Heeresluftwaffe und Marine (Joint Chiefs of Staff) traten in Washington mit Vertretern der britischen Stabschefs zusammen zur Beratung der gemeinsamen Strategie und der entsprechenden Operationen. Sodann wurde auf der Konferenz der nützliche Brauch begründet, auf den einzelnen Kriegsschauplätzen gemeinsame Oberbefehlshaber zu ernennen, welchen dann die betreffenden Streitkräfte beider Länder und gegebenenfalls weiterer Verbündeter unterstanden. Dies galt zunächst für Südostasien; später fand es auch auf anderen Kriegsschauplätzen Anwendung. Die Sowjetunion wurde in die organisatorischen Formen gemeinsamer Kriegführung nicht einbezogen; ob sie es gewollt hätte, blieb offen, sie wurde nicht gefragt. So führten die beiden Westmächte und die Sowjetunion jeweils einen gesonderten Krieg; gemeinsam waren nur wechselseitiges Mißtrauen und Hintergedanken. Aber auch Spannungen zwischen Amerikanern und Briten blieben nicht aus, da Churchill es verstand, in der gemeinsamen Strategie Wendungen herbeizuführen, die den Amerikanern, kurz gesagt, gegen den Strich gingen. Daß zwischen den USA und Britannien eitel Sonnenschein geherrscht hätte, ist eine ungerechtfertigte Beschönigung. 6 6 Zur wirtschaftlichen Seite W. Fischer, Geschichte V (Milward), 96 ff. Harrison, 189. Vgl. Schlauch, Rüstungshilfe. Herring. Zur Konferenz Roosevelt - Churchill MGFA, Weltkrieg VI, 43 ff. (Beitrag Boog; dort das Schrifttum). V gl. Schnabel, Joint Chiefs, I ff. Parrish.

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Für die Achsenmächte wäre angesichts ihrer ungewissen Zukunftsaussichten eine gemeinsame Kriegführung umso mehr am Platz gewesen. Auf dem europäischen Kriegsschauplatz war sie weitgehend verwirklicht; Italien hatte sich seit seinen Niederlagen im Mittelmeerraum 1940 mehr oder weniger zu einem Satelliten Deutschlands entwickelt, der seine Rohstoffe aus dem deutschen Machtbereich bezog und sich an deutschen Operationen unterstützend beteiligte. Zu klären blieb das Verhältnis gegenüber Japan. In Tokio hatte man die Vorzüge gemeinsamer Kriegführung sehr wohl erkannt. Schon am 15. Dezember 1941 überreichte der japanische Botschafter Oshima in Berlin den Entwurf für eine Militärkonvention der drei Achsenmächte. Der Entwurf wurde als Militärische Vereinbarung zwischen Deutschland, Italien und Japan am 18. Januar 1942 praktisch unverändert unterzeichnet. Das Dokument verdient eine eingehende Würdigung. Sein Hauptgedanke bestand darin, den Krieg in einer bestimmten Region der Erde gemeinsam zu führen und die entsprechenden Maßnahmen abzustimmen. Diese Region war der Raum des Indischen Ozeans, was von der Geographie und den militärischen Gegebenheiten her auch gar nicht anders sein konnte. Die Konvention (die Vereinbarung) drückte dies so aus, daß die Operationszonen für die Achsenmächte eingeteilt wurden: Die Grenze zwischen der deutsch-italienischen und der japanischen Operationszone sollte etwa auf dem 70. Längengrad verlaufen, d. h. auf einer Linie, die ungefahr am Indus im westlichen Indien lag. Die damalige britische Kolonie Indien fiel demnach zum Teil in die japanische, zum Teil in die deutsch-italienische Zone, was zwei Schlüsse zuläßt. Einerseits blieb das zukünftige Schicksal Indiens offen; die Japaner beanspruchten die Entscheidung augenscheinlich nicht für sich. Andererseits handelte es sich um eine vorläufige und ganz grobe Einteilung, durch welche den europäischen Achsenmächten das Angebot gemacht wurde, die beiderseitigen Interessensphären im Indischen Ozean zusammentreffen zu lassen und sie militärisch zu sichern. Mit einer Aufteilung der Erde, wie gelegentlich behauptet wurde, hatte dies absolut nichts zu tun, sondern es stellte eine Einladung an die europäischen Achsenmächte dar, gemeinsam mit Japan in den Raum des Indischen Ozeans vorzudringen. Einen politischen Hintersinn hatte die Linie des 70. Längengrades allenfalls insofern, als den Deutschen angedeutet wurde, sie sollten sich nicht um die niederländischen Kolonien in Südostasien kümmern. Umgekehrt gab freilich Tokio auch zu verstehen, daß es keine Ansprüche auf die europäischen Besitzungen an der afrikanischen Ostküste erheben wolle, insbesondere nicht auf die italienischen Kolonien Abessinien und Somabland sowie auf das französische Madagaskar. Die Grenze der militärischen Operationszonen war dabei nicht starr, vielmehr hieß es ausdrücklich, im Indischen Ozean dürften die Operationen je nach der Lage über die vereinbarte Grenze hinaus durchgeführt werden. Das war auch ganz selbstverständlich, denn wenn eine japanische Flotte in den Indischen Ozean vorstieß und in Kämpfe mit den Westmächten verwickelt wurde, dann würde sie schwerlich am 70. Längengrad wieder umkehren. Ebenso selbstverständlich war es, wenn sich die Operationszone der europäischen Achsenmächte westlich des 70. Längengrades bis zur atlantischen Küste Amerikas er-

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streckte, die Operationszone Japans östlich des 70. Grades bis zur pazifischen Küste Amerikas. DeutscheU-Boote konnten nun einmal im Atlantik bis zur amerikanischen Küste operieren, und für Japan galt im Pazifik entsprechendes. Ansonsten beschränkte sich die Konvention nicht ausschließlich auf den Seekrieg, schon deswegen nicht, weil die europäischen Achsenmächte ein Vordringen in den Raum um den Indischen Ozean nur auf dem Landweg bewerkstelligen konnten. Deshalb wurden in der Konvention als Operationsraum der europäischen Achsenmächte ausdrücklich der Nahe Osten und der Mittlere Osten genannt, also etwa das Gebiet vom Suezkanal bis nach Indien. Von Rußland war in der Konvention gar nicht die Rede, außerdem war Rußland für die gemeinsame Kriegführung belanglos, weil Japan in den Krieg gegen Rußland sowieso nicht eintreten wollte und es am liebsten gesehen hätte, wenn ein Frieden zwischen Deutschland und der Sowjetunion zustande gekommen wäre. Über die Art der gemeinsamen Kriegführung hatte man in Tokio ziemlich klare Vorstellungen. Einerseits sollten die europäischen Achsenmächte in Mittelmeer und Atlantik, Japan im Pazifik die Gegner bekämpfen. Andererseits aber, und das ist das Entscheidende, sollte Japan die Vernichtung der amerikanischen und englischen Land-, See- und Luftstreitkräfte im Indischen Ozean anstreben, während die europäischen Achsenmächte wichtige Stützpunkte der Westmächte im Nahen und Mittleren Osten vernichten, deren dortige Gebiete angreifen oder besetzen sollten. Demnach hatten die europäischen Achsenmächte das Gebiet, welches hier vereinfachend als vorderer Orient umschrieben wird, auf dem Landweg in Besitz zu nehmen, während Japan diese Operation an der Seeflanke abzudecken hatte. Ein solches Vorgehen stellte geradezu den Idealfall der strategischen Zusammenarbeit dar: Man hatte ein gemeinsames Operationsziel, setzte gemeinsam seine Kräfte dafür ein, unterstützte sich wechselseitig, und jeder brachte das zum Tragen, was er am besten zu leisten vermochte. Die europäischen Achsenmächte setzten ihre Landstreitkräfte für den Kampf um den vorderen Orient ein, da sie ohnedies nur auf dem Landweg dorthin gelangen konnten, da sie an Bodentruppen stärker waren und da sie zum vorderen Orient die kürzeren Verbindungslinien hatten. Umgekehrt würde Japan den europäischen Achsenmächten das Erobern des vorderen Orients erst ermöglichen. Denn wenn die europäischen Achsenmächte sich anschickten, in den vorderen Orient einzudringen, würden natürlich die Westmächte Verstärkungen dorthin schaffen - und zwar auf dem Weg über den Indischen Ozean. Dann trat Japan in Erscheinung, das gegen die Westmächte um die Seeherrschaft im Indischen Ozean kämpfen würde. Dazu war es am besten befähigt, weil es eine starke Flotte besaß und die Westmächte ohnehin im Seekrieg bekämpfen mußte. Nach der absehbaren Eroberung Südostasiens besaß Japan zudem die geeigneten Absprungpositionen. Beim Kampf um den vorderen Orient mußte Japan sogar die schwierigere Aufgabe lösen. Denn die Westmächte würden, um den vorderen Orient zu schützen, im Indischen Ozean eine starke Flotte zusammenziehen, so daß es hier leicht zu einem Entscheidungskampf des Weltkriegs kommen mochte. Ohne japanische Hilfe würden die europäischen Achsenmächte den vorderen

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Orient wahrscheinlich nicht einnehmen. Umgekehrt vermochten freilich auch die europäischen Achsenmächte das Kaiserreich zu entlasten. Die europäischen Achsenmächte würden beim Kampf um den vorderen Orient jedenfalls gegnerische Kräfte fesseln, und wenn es ihnen überdies gelang, die Meerenge von Aden zu öffnen, konnten sie durch den Suezkanal und durch das Rote Meer eigene Seestreitkräfte in den Indischen Ozean entsenden. Der vordere Orient würde dann vermutlich fallen, die Achsenmächte konnten sich im Indischen Ozean die Hand reichen. All dieses sah der japanische Plan vor. Er sah vor, daß die Achsenmächte die Hauptpunkte ihrer operativen Planung miteinander abstimmen sollten. Bei getrennten, weit voneinander entfernten Kriegsschauplätzen war dies unerheblich, denn es mußte die Deutschen nicht sonderlich interessieren, ob die Japaner die Fidschi-Inseln besetzen wollten. Im Raum des vorderen Orients und des Indischen Ozeans dagegen war es von der höchsten Bedeutung, weil beide Seiten, wenn sie sich wechselseitig unterstützen wollten, natürlich wissen mußten, was die jeweils andere Seite vorhatte oder tat. In einem fortgeschrittenen Stadium der Kämpfe mochte es sich sogar empfehlen, einen gemeinsamen Oberbefehlshaber einzusetzen, wofür ein Japaner in Frage kam, da an der Seefront die wichtigeren Entscheidungen fallen würden. Etwas anderes als eine gemeinsame Strategie, insbesondere einen gemeinsamen Kampf um den Indischen Ozean, bezweckte der japanische Plan nicht. Das wird auch daran deutlich, daß die Konvention die Zusammenarbeit der Achsenmächte vorsah, um den Seeweg über den Indischen Ozean zu öffnen. Gemeint war damit zweifellos nicht der Seeweg um die Südspitze Afrikas herum, den die Westmächte überwachen konnten, sondern gemeint war die direkte Verbindung vom Mittelmeer und vom vorderen Orient nach Südostasien. Auf diesem Weg konnte ungestört der Güteraustausch zwischen den Achsenmächten stattfinden: Rohstoffe wie Gummi und Zinn aus Südostasien für Europa, andere Güter wie Maschinen oder hochwertige Technik für Japan. Sodann sollte auch die Luftverbindung zwischen den Achsenmächten hergestellt werden, was ebenfalls nur im Raum des Indischen Ozeans möglich war. Schließlich sprach die Konvention davon, im Bedarfsfall die beiderseitigen Seestreitkräfte zu verschieben. Wenn die Westmächte ihre Flotten im Pazifik konzentrierten, um Japan anzugreifen, sollten die europäischen Achsenmächte einen Teil ihrer Marine in den Pazifik entsenden; umgekehrt sollte Japan entsprechendes tun, wenn die Westmächte ihre Flotten im Atlantik zusammenzogen. Mit den betreffenden Seestreitkräften, die der jeweils anderen Seite zu Hilfe kommen sollten, waren sicher nicht bloß U-Boote gemeint. Italien besaß eine ansehnliche Überwasserflotte, und auch Deutschland hatte etliche schwere Schiffe. Man sieht nun leicht, daß die Verlegung von Überwasserstreitkräften nur auf dem Weg über den Indischen Ozean möglich war, denn im Atlantik besaßen die Westmächte die Seeherrschaft, und solange die Briten Gibraltar hielten, kam die italienische Flotte auf diesem Weg nicht aus dem Mittelmeer heraus. Ergänzend hat man sich wohl vorzustellen, daß die Japaner erwarteten, die europäischen Achsenmächte würden Gibraltar nehmen oder ausschalten; anschließend konnten auch japanische Seestreitkräfte auf dem Weg durch das Mittelmeer

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in den Atlantik gelangen. Es wäre dann gewissermaßen eine Rollbahn entstanden vom Atlantik durch das Mittelmeer und den Indischen Ozean bis nach Japan ideale Voraussetzungen für das Verschieben von Streitkräften, für den Güteraustausch und für die wechselseitige Unterstützung der Achsenmächte. Mit dem japanischen Plan, wie er sich in der Militärkonvention niederschlug, spielte Tokio sozusagen den europäischen Achsenmächten den Ball zu. Der Oberbefehlshaber der deutschen Marine, Admiral Raeder, nahm den Ball auf. Im Februar 1942 drängte er den Diktator, im Mittelmeerraum eine Offensive zu unternehmen, nämlich in Nordafrika, wo ja bereits deutsche und italienische Truppen standen. Diese Offensive sollte über den Suezkanal auf die Besetzung des vorderen Orients zielen. Raeder maß dem allergrößte strategische Bedeutung bei, weil dann die Lage im Mittelmeer bereinigt, die Ölquellen des vorderen Orients gewonnen, die politische Haltung der Türkei beeinflußt und das britische Empire schwer erschüttert werden könnten. Die Briten, so führte Raeder aus, befürchteten das Herstellen einer strategischen Verbindung zwischen den deutsch-italienischen Streitkräften und den japanischen. Die Japaner wiederum strebten nach Raeders Erkenntnis aufrichtig eine solche Verbindung an, weil ihnen deren entscheidende Bedeutung geläufig sei. Festzuhalten ist dabei, daß Raeder eine Offensive aus Nordafrika über Suez durchführen wollte. Allein von der Geographie her war es ja auch denkbar, über den Kaukasus in den vorderen Orient einzudringen. Dies befürwortete Raeder jedoch nicht, vielmehr glaubte er, das strategische Ziel Suez könne schneller erkämpft werden als der Weg über den Kaukasus, außerdem benötige man dafür weit weniger Truppen. Insgesamt kam die deutsche Seekriegsleitung, deren Chef Raeder war, im Februar 1942 zu dem Ergebnis, die wichtigste strategische Forderung für die europäischen Achsenmächte sei der Gewinn von Ölquellen (die auch im vorderen Orient zu finden waren). Die für die weitere Kriegsentwicklung bedeutsamste strategische Schlüsselstellung sei Suez. Die Seekriegsleitung sei davon überzeugt, daß eine baldige Offensive gegen den Suezkanal und das spätere Herstellen einer Seeverbindung mit Japan eine vernichtende Auswirkung für die Kriegführung der Westmächte habe und damit von kriegsentscheidender Bedeutung sei. Das Reden von der kriegsentscheidenden Bedeutung war vielleicht ein wenig hoch gegriffen. Wohl äußerten sich japanische Marinekreise ähnlich, wenn sie im März 1942 die deutsche Seite wissen ließen: Falls es in absehbarer Zeit gelinge, eine Verbindung zwischen Ostasien und Europa über den Indischen Ozean herzustellen, sei der Krieg so gut wie gewonnen und das britische Empire erledigt. Doch darf man darin eine bewußte Überzeichnung sehen, um der deutschen Führung den japanischen Plan schmackhaft zu machen. Immerhin ist nicht zu leugnen, daß das Herstellen einer Verbindung über den Indischen Ozean die strategische Lage der Achsenmächte wesentlich verbessert hätte. Den Krieg hätten sie damit noch nicht gewonnen, aber den Gegnern wäre der Sieg um einiges schwerer gefallen. 7 7 Die Militärische Vereinbarung zwischen den Achsenmächten, 18. I. 1942, in ADAP, Ser. E, Bd. I, 260 ff. Auch in Jacobsen, Weg, 188 f. Dazu Martin, Vereinbarung. Raeder im Fe-

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Dieser strategischen Logik folgte Hitler nicht. Die Eroberung des vorderen Orients und die Zusammenarbeit mit den Japanern hätte eine Umstellung der deutschen Strategie erfordert. Zu jener Zeit befanden sich in Nordafrika drei deutsche Divisionen, darunter zwei gepanzerte, sowie italienische Verbände. Mit diesen Kräften ließ sich Suez sicher nicht einnehmen und der vordere Orient erst recht nicht. Wenn Deutschland einen Schwerpunkt seiner Kriegführung im Mittelmeer bildete, mußten dort die Kräfte erheblich verstärkt werden, sowohl an Luftwaffenverbänden als auch an Bodentruppen, als auch an Nachschub. Um den Nachschub sicher nach Afrika zu bringen, mußte überdies der britische Stützpunkt Malta genommen werden. Erst nach Überführung von Bodentruppen und Luftstreitkräften im erforderlichen Umfang, versehen mit dem nötigen Nachschub, konnte Suez erobert werden, gegebenenfalls mit Unterstützung durch die italienische Flotte. An der Jahreswende 1941 I 42 ließen sich die für eine solche Offensive unerläßlichen Kräfte sicher nicht freimachen, da man vollauf damit beschäftigt war, die Löcher an der Ostfront zu stopfen. Immerhin bestand Aussicht, nach einiger Zeit die Lage an der Ostfront wieder zu festigen, und dies erwartete auch Hitler. Für das weitere Verhalten gab es verschiedene Möglichkeiten. Nach Auffassung der Japaner war es für Deutschland das Klügste, den Krieg mit der Sowjetunion zu beenden und Frieden zu schließen. In diesem Fall wäre Deutschland imstande gewesen, so starke Kräfte in den Mittelmeerraum zu verlegen, daß die Verteidigung des vorderen Orients ohne Mühe aus den Angeln gehoben werden konnte. Allerdings bleibt es zweifelhaft, ob der Weg des Sonderfriedens überhaupt gangbar war. Hitler wünschte dies sowieso nicht, Stalin gab Ende 1941 bereits zu verstehen, daß er an der Seite der Westmächte so etwas wie die Teilung Europas zu erreichen hoffte, und selbst wenn der Sonderfrieden zustande gekommen wäre, dann allenfalls in der Weise, daß die Rote Armee kampflos bis in das östliche Mitteleuropa vorrückte. Falls die Wehrmacht umfangreiche Kräfte gegen eine potentielle Bedrohung durch die Rote Armee bereithalten mußte, trat eine grundlegende Verbesserung in der militärischen Lage der Achsenmächte nicht ein (übrigens hielt auch Japan stets starke Streitkräfte gegen Rußland bereit, während umgekehrt Rußland in Sibirien dasselbe tat). Es gab indes noch eine andere Lösung. Bei nüchterner Betrachtung der Sachlage konnte man seit der Jahreswende 1941 I 42 wissen, daß Deutschland über die Sowjetunion keinen Sieg mehr erringen würde, jedenfalls nicht in der Weise, daß Rußland zur Kapitulation gezwungen wurde. Augenscheinlich wußte das auch Hitler, selbst wenn er es nicht immer offen zugab. Seinem Propagandaminister Goebbels deutete er im März 1942 an, daß sich der Krieg im Osten noch lange hinziehen könne und daß er im Jahr 1942 wohl nicht entschieden werde. Unter solchen Umständen hätte es eigentlich auf der Hand liegen sollen, was zu tun war. Der Genebruar 1942 nach KTB OKW Il/ I, 5 ff. G. Wagner, Lagevorträge, 356 (13. 2. 1942). Salewski, Seekriegsleitung II, 72 ff.; III, 262 ff. (25. 2. 1942). KTB SKL, Bd. 30, 251, 272 f., 332, 443, 511. Zur Ansicht japanischer Marinekreise Bericht des Botschafters in Tokio, Ott, 3. 3. 1942, in ADAP, Ser. E, Bd. 2, 8 ff. Auch in Jacobsen, Weg, 189 ff.

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ralstabschef des deutschen Heeres, Halder, berichtete nach dem Krieg, er habe Hitler in den ersten Monaten des Jahres 1942 aufgefordert, im Osten zur strategischen Defensive überzugehen. Dies wird heute bestritten; es wird jedoch später zu zeigen sein, daß es zutrifft. Im übrigen entsprach es der strategischen Logik. Die Stärkeverhältnisse sind hier nicht zu behandeln; es muß bei einem kurzen Hinweis auf die Kopfstärken der beiderseitigen Heere sein Bewenden haben, obwohl Kopfstärken über die Kampfkraft noch nichts Verbindliches aussagen. Bei Beginn des deutschen Rußlandfeldzugs, 1941, hatte das deutsche Ostheer etwas über drei Millionen Mann umfaßt, die sowjetischen Verteidigungskräfte etwas unter drei Millionen. 1942 dagegen zählte das deutsche Ostheer weniger als drei Millionen, während die Rote Armee für die Abwehr um die fünf Millionen Mann aufbot. Wenn der deutsche Angriff schon 1941 gescheitert war, was würde dann bei einem deutschen Angriff 1942 geschehen? Angebracht war also der Übergang zur strategischen Defensive, d. h. die Front mußte begradigt und verkürzt werden, es waren Reserven zu bilden, die eigenen Kräfte zu schonen und unnütze Angriffe zu unterlassen. Die Verteidigung ist insofern die wirtschaftlichere Form der Kriegführung, als sie mit geringeren Kräften auskommt. Damit hätte sich zugleich die Möglichkeit eröffnet, einige Kräfte von der Ostfront abzuziehen. Dies wären dann eben die Kräfte gewesen, die man für die Eroberung des vorderen Orients benötigte. Bei der strategischen Defensive konnte die Ostfront auf eine Handvoll gepanzerter und motorisierter Divisionen verzichten. Sie hätten bei Suez und im vorderen Orient gute Dienste geleistet. Hitler folgte dem nicht. Am 3. Januar 1942 sprach er mit Botschafter Oshima und legte diesem dar, wie er sich die deutsche Strategie vorstellte. Er beabsichtige, so sagte Hitler, vorläufig in der Mitte der Ostfront keine Angriffsoperationen mehr durchzuführen. Sein Ziel sei die Offensive an der Südfront Er sei entschlossen, die Offensive in Richtung des Kaukasus wieder aufzunehmen, sobald das Wetter günstig würde. Diese Stoßrichtung sei die wichtigste; man müsse an das Öl und an Iran und den Irak herankommen. Natürlich würde er außerdem alles daransetzen, Moskau und Leningrad zu vernichten. Beim Gespräch mit Oshima trat in Erscheinung, daß Hitlers Entscheidung bereits gefallen war; tatsächlich verblieb es in Zukunft dabei. Die Einwände Raeders und Halders beeindruckten den Diktator nicht mehr. Die vorhin genannte Militärkonvention mit Japan wurde zwar unterzeichnet, aber offenbar nur zum Schein. Jegliche Planung für eine gemeinsame Strategie unterblieb, eine gemeinsame Kriegführung fand nicht statt. Die Beweggründe Hitlers bleiben im Dunkeln. Vielleicht verstand er das japanische Angebot einfach nicht; vielleicht verstand er es zwar, wollte aber nicht darauf eingehen, weil er den Japanern mißtraute, sich nicht von ihnen abhängig machen wollte oder glaubte, er komme ohne sie zurecht. Es wiederholte sich ein Vorgang, der in den früheren Bänden dieser Untersuchungen immer wieder beschrieben wurde: Nur in seinem eigenen Kopf, nur nach seinem eigenen beschränkten Horizont und nach seinen eigenen Vorurteilen setzte Hitler sich sein politisches wie militärisches Weltbild zusammen und schirmte es gegen unbequeme Einwände ab; nur nach seinen eige-

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nen Eingebungen und seiner eigenen verbohrten Weltanschauung faßte er seine Entschlüsse und ließ sich von vernünftigen Sachargumenten nicht beirren. Hitlers Entscheidungen sind daher mit den Mitteln des logischen Denkens in der Regel nur schwer oder gar nicht nachvollziehbar. Die Fachleute in Hitlers Umgebung, namentlich die hohen Offiziere, hatten dagegen kaum eine Handhabe: einerseits, weil Hitler in seinem Starrsinn fast immer unbelehrbar blieb, andererseits, weil er unbequeme Mahner, wenn sie allzu lästig wurden, zu entfernen pflegte. Es ist ja kein Zufall, daß seit 1941 fortwährend hohe und höchste Offiziere abgesetzt oder ausgewechselt wurden; so verschliß Hitler allein rund ein halbes Dutzend Generalstabschefs bei Heer und Luftwaffe. Gegen Ende 1941 keimten noch einmal Staatsstreichhoffnungen auf, als der Oberbefehlshaber des Heeres, Brauchitsch, zu verstehen gab, daß er nun zum Handeln bereit sei. Doch wurden die Hoffnungen bald wieder erstickt, als Brauchitsch im Dezember von Hitler entlassen wurde und der Diktator sich selbst zum Oberbefehlshaber des Heeres machte. 8 Hitlers Entschluß ist für eine rationale Betrachtung im Grunde unverständlich, ebenso wie viele andere Entschlüsse des Diktators vorher und nachher. Hitler wollte an das Öl heran, nämlich an das Öl der Sowjetunion im Kaukasus. Wozu? Ware er, mit Unterstützung Japans, in den vorderen Orient vorgedrungen, so hätte er ausreichend Öl bekommen, und zwar mit geringerem Aufwand. Hitler wollte den Kaukasus erobern oder sogar darüber hinaus vordringen. Das war nach aller Voraussicht nicht möglich. Die deutschen Kräfte würden allenfalls ausreichen das hat der Generalstab im Frühjahr 1942 so festgehalten - , an den Kaukasus heranzukommen, nicht jedoch ihn zu überschreiten. Um das wichtigste Ölgebiet, dasjenige von Baku, in Besitz zu nehmen, ließ sich indes ein Überschreiten des Kaukasus kaum umgehen. Also würde Hitler das Öl des Kaukasus nicht bekommen, jedenfalls nicht den bedeutenderen Teil. Hitler wollte eine Offensive mit strategischem Ziel gegen die Sowjetunion führen. Wieso? Nach übereinstimmender Lagebeurteilung aller Beteiligten, die Hitler nicht bestritt, konnte die Sowjetunion 1942 nicht zum Frieden oder zur Kapitulation gezwungen werden. Selbst die Führerweisung für die neue Ostoffensive, die am 5. April 1942 erging, sprach nicht von einem Niederwerfen der Sowjetunion, wie es die Barbarossa-Weisung von Ende 1940 noch getan hatte. Wenn die Sowjetunion nicht niedergeworfen werden konnte, welchen Sinn sollte eine neuerliche Offensive dann haben? Sie konnte den Sinn haben, den Gegner wesentlich zu schwächen. Bei Hitlers Kaukasus-Offensive würde eine schwerwiegende Schwächung des Gegners nicht eintreten, weil man nur einen Teil der gegnerischen Truppen zu fassen bekam und das Öl von Baku nicht gewinnen würde. Vielleicht hätte es gelingen können, den Gegner durch eine Offensive gegen Moskau wesentlich zu schwächen, denn der Verlust dieses Ver8 Stalins Ziele Ende 1941 nach Dokumente zur Deutschlandpolitik I/ 1, 592 ff. Hitler zu Goebbels über Kriegslage in Goebbe1s, Tagebücher, Teil II, Bd. 3, 489 ff. (20. 3. 1942). Zur Kopfstärke der Roten Armee 1942 Ziemke, Decision, 301 f. Hitler zu Oshima, 3. 1. 1942, in Jacobsen, Weg, 135 ff. Zu den Staatsstreichhoffnungen Hassen, Aufzeichnungen, 311 f., 318 f. (l.ll. und 21. 12. 1941).

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kehrs-, Nachrichten- und Rüstungszentrums hätte die sowjetische Kriegführung in Zukunft sicher stark behindert. Stalin selbst rechnete mit einer Offensive auf Moskau. Aber für jede groß angelegte und länger dauernde Offensive galt, daß sie nach einiger Zeit in Versorgungsschwierigkeiten geraten mußte, vor allem beim Treibstoff. Haider wußte dies spätestens im Januar 1942, denn zu dieser Zeit hielt er fest, man werde die Offensive (diejenige in den Kaukasus) zwar beginnen, aber nicht durchführen können. Demnach hätte es sich umso mehr empfohlen, an der Ostfront zur strategischen Defensive überzugehen. Für eine Offensive in den vorderen Orient, die mit geringeren Kräften durchgeführt werden konnte als ein Angriff an der Ostfront, hätte der Nachschub eher ausgereicht; überdies wäre sie von den Japanern (und den Italienern) unterstützt worden. Warum faßte Hitler den Entschluß zum Angriff im Osten? Abgesehen davon, daß es sich hierbei nur um ein weiteres Glied in der Kette unüberlegter Willkürentscheidungen des Diktators handelte, von keiner tieferen Einsicht in Sachfragen getrübt, scheint sich folgende Deutung für Hitlers Entschluß anzubieten: Der Diktator wollte sozusagen mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Vor allem sollte der Versuch unternommen werden, die Sowjetunion so schwer zu treffen, daß sie zwar nicht sofort, aber doch nach einiger Zeit ermattet aufgeben mußte; der Weltanschauungskrieg gegen den sogenannten jüdischen Bolschewismus mußte seinen Fortgang nehmen. Der Schwächung der Sowjetunion sollte vor allem die Kaukasus-Offensive dienen, welche einerseits der Sowjetunion das kaukasische Öl entziehen und dieses andererseits der deutschen Kriegswirtschaft verfügbar machen sollte. Der Vorstoß über den Kaukasus hinweg würde sodann den Nachschubweg der Westmächte über Persien nach Rußland unterbrechen, was die Sowjetunion weiter schwächen sollte, und der Vorstoß über den Kaukasus würde zudem die deutschen Truppen in bedrohliche Nähe Indiens bringen, so daß Britannien unter Druck gesetzt werden konnte und sich schließlich zu einem Sonderfrieden bereitfand. Das war sicher fein ausgedacht; es krankte nur daran, daß es mit der Wirklichkeit nichts zu tun hatte. Hitler suchte es dennoch zu erreichen, wobei er wohl, wie stets, auf das Glück hoffte und im übrigen darauf baute, die Kraft des Willens und seine Feldherrngabe würden es möglich machen. 9 Der Hinweis auf Hitlers Geistesverfassung ist wie in den früheren Bänden unserer Untersuchungen so auch hier unerläßlich. Dies nicht etwa deswegen, weil Hitler die Zentralfigur des Zweiten Weltkriegs darstellte. Eine solche Kennzeichnung träfe eher auf Roosevelt oder Stalin zu, wogegen Hitler allenfalls den Zauberlehrling abgab, welcher die Geister, die er rief, nicht mehr loswurde (sofern man es nicht vorzieht, in Hitler den Schurken des Dramas zu sehen oder den Hanswurst). Vielmehr ist der Hinweis auf Hitlers Geistesverfassung vonnöten, weil sie offenbar 9 Zu den Einzelheiten der deutschen Ostoffensive 1942 das entsprechende Kapitel weiter unten. Die Führerweisung vom 5. 4. 1942 sowie die Barbarossa-Weisung vom 18. 12. 1940 in Hubatsch, Weisungen, 213 ff., 96 ff. Stalin 1942 über Offensive nach Knjazkow, passim. Haider über Versorgungs Iage, 24. I. 1942, in seinem KTB III, 389 f.

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eine wesentliche Bedeutung für den Verlauf des Krieges besaß. Allein vom Kriegspotential her war die Niederlage der Achsenmächte von vornherein wahrscheinlich. Aber es war nicht von vornherein wahrscheinlich, daß die Niederlage gerade in der Weise eintrat, wie es dann tatsächlich der Fall war. Der Krieg hätte auch vollständig anders verlaufen können, in Europa ebenso wie in Ostasien. Undjedenfalls in Europa hing der Verlauf des Krieges immer mit dem Verhalten Hitlers zusammen, sicher nicht ausschließlich, aber zu einem großen Teil. Der Verlauf des Krieges zog das spätere Ergebnis nach sich, d. h. er zog die politische Gestalt nach sich, welche nicht bloß einzelne Teile der Erde, sondern die Erde insgesamt für eine nähere und fernere Zukunft erhalten sollten. Der Zweite Weltkrieg war einer der großen Knotenpunkte in der politischen Entwicklung der Menschheit, ein Knotenpunkt, an welchem nicht allein über Sieg oder Niederlage der einen oder anderen Kriegspartei entschieden wurde, sondern zugleich über die Form des Zusammenlebens der Völker untereinander und der Menschheit insgesamt. Es ging im Zweiten Weltkrieg nicht um die Frage, ob die Achsenmächte die Welt erobern würden, denn Japan wollte dies niemals, und Hitler, der es wohl gewollt hätte, konnte es nicht, was spätestens seit Ende 1941 auch nicht mehr zu leugnen war. Wenn es darum im Zweiten Weltkrieg nicht ging, worum ging es dann? Es ging um die Frage, in welcher Form, in welcher Verfassung, die Völker der Erde und letztlich die ganze Menschheit zukünftig zusammenleben sollten, nebeneinander oder miteinander. Präsident Roosevelt, der geistige Erbe Präsident Wilsons, nahm dessen Ziele aus der Zeit des Ersten Weltkriegs wieder auf und wollte aus dem Krieg eine neue Welt des ewigen Friedens, des Rechts und der allgemeinen Wohlfahrt hervorgehen lassen. Unter diesem Blickwinkel spielte sich im Krieg eine Auseinandersetzung ab zwischen zwei Ordnungsprinzipien des Staatensystems: der herkömmlichen Macht- und Gleichgewichtspolitik souveräner Machtstaaten sowie der Idee einer organisierten Völkergemeinschaft Wie letztere gestaltet sein sollte, legte Roosevelt in der Atlantik-Charta vom Sommer 1941 fest; sein Ziel schien damals erreichbar zu sein. Über die Verwirklichung dieses Zieles entschied der Kriegsverlauf Die Niederlage der Achsenmächte wurde dabei als selbstverständlich vorausgesetzt; wesentlich war die Frage, wie sie zustande kam. Ebenso wesentlich war die Frage, welchen Anteil die Hauptverbündeten Amerikas, die Sowjetunion und Britannien, an der Niederlage der Achsenmächte hatten, inwieweit sie darauf Einfluß nehmen konnten. Das Ergebnis des Krieges entstand in einem Feld vernetzter Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Kriegsschauplätzen, zwischen den einzelnen Mitgliedern der beiderseitigen Koalitionen. Demnach wird es offenbar erforderlich, dem Verlauf des Krieges bis in die Einzelheiten hinein nachzugehen, die militärischen Ereignisse zu verfolgen. Die militärischen Ereignisse waren keine unbeachtlichen Quisquilien, sondern sie entschieden über grundlegende Fragen der Organisation menschlichen Zusammenlebens überhaupt, und sie bestimmten das zukünftige Schicksal der betroffenen Völker. Kriegsgeschichte ist damit nicht eine Nebensächlichkeit für Fachleute und einige aufgeschlossene Laien, sondern sie er-

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füllt eine Aufgabe, welche Geschichte als ernsthafte Wissenschaft seit jeher zu erfüllen hat: zu zeigen, wie es gewesen ist, und vor allem, warum es so gewesen ist und warum es so gekommen ist. Warum entstand, trotz der ungeheuren Überlegenheit Amerikas, aus dem Krieg heraus nicht jene Weltordnung des ewigen Friedens, welche Präsident Roosevelt, einer der wenigen bewundernswerten Visionäre und Gestalter der Geschichte, eigentlich anstrebte? Warum wurde Europa geteilt? Warum mußten die Kolonialvölker, ein wesentlicher Teil der Menschheit, noch lange nach dem Krieg um ihre Freiheit kämpfen, statt sie als Geschenk in den Schoß gelegt zu bekommen? Warum breitete sich der Bolschewismus über große Teile Eurasiens aus? Warum wurden zwei der bedeutendsten Kulturländer der Erde, Deutschland und Japan, durch den Krieg regelrecht zerschmettert, Japan auch durch den bis heute einmaligen Gebrauch der fürchterlichsten Vernichtungswaffe, der Atombombe? (Nebenbei bemerkt: Mit der ebenso unmenschlichen wie abstrusen Judenpolitik der Nationalsozialisten kann jenes Kriegsergebnis augenscheinlich nichts zu tun haben, denn Japan erlitt ein solches Schicksal, obwohl dort keine Juden umgebracht wurden.) All die genannten Fragen, und andere mehr, erheischen eine Antwort. Ohne sorgfaltige Betrachtung des Kriegsverlaufs, der militärischen Ereignisse, kann sie nicht gegeben werden. Dies gilt in verschiedener Hinsicht und auf verschiedenen Ebenen. Um noch einmal die frühere Frage aufzunehmen, welche Chancen die Achsenmächte auf der strategischen Ebene hatten, zwar keinen Sieg, aber wenigstens ein erträgliches Kriegsergebnis zu erreichen: Alle Achsenmächte zusammen hatten eine solche Chance lediglich dann, wenn sie eine gemeinsame Strategie entwickelten, bei der sie sich wechselseitig unterstützten, wechselseitig ihre Schwächen ausglichen oder ihre Stärken füreinander zum Tragen brachten. Eine derartige Strategie wäre der gemeinsame Kampf um den Indischen Ozean gewesen. Daß die Achsenmächte den Raum um den Indischen Ozean in Besitz genommen, sich dort die Hand gereicht hätten, ist nicht gewiß, aber durchaus vorstellbar. Im Erfolgsfall hätten die Achsenmächte anschließend den Krieg in der gemeinsamen Defensive weiterführen können, indem sie das eroberte und beherrschte Gebiet, das von Europa und dem Mittelmeer über den Indischen Ozean bis in den Pazifik reichte, nach allen Seiten abschirmten. Bei großer Umsicht, viel Geschick und einer erheblichen Portion Glück mochte es dann gelingen, die Angriffe der Gegner so lange und so nachhaltig abzuwehren, daß schließlich ein Verständigungsfriede möglich wurde. Die Chance war nicht groß, doch war sie immerhin vorhanden, und es war die einzige. Darüber hinaus wäre bei einer solchen Strategie auch die deutsche Ostfront zur strategischen Verteidigung übergegangen und hätte ihre Kräfte geschont. Bei einer sachgerecht durchgeführten Defensive vermochte die Wehrmacht der Roten Armee lange standzuhalten. Falls die Westmächte dann doch eine erfolgreiche Invasion in Europa vomahmen und Deutschland schließlich besiegten, hätte immerhin Aussicht bestanden, daß der größere Teil Europas von den Westmächten besetzt wurde. Den Zielen der Atlantik-Charta wäre derartiges zuträglicher gewesen, auch in dem 3 Rauh, Zwetter Weltlmeg 3 Tetl

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Sinn, daß bei dieser Gelegenheit wohl zugleich Kolonialländer wie Indien ihre Unabhängigkeit erlangt hätten. Derartige Chancen wurden von Hitler vertan. Er vergab die kleine Chance, daß die Achsenmächte bei einer gemeinsamen Strategie im Indischen Ozean vielleicht doch der totalen Niederlage entronnen wären. Und vor allem vergab er fortwährend die viel größere Chance, die Rote Armee so lange abzuwehren, daß die Westmächte, vor allem die Amerikaner, den Sieg hauptsächlich an ihre eigenen Fahnen heften konnten. Wenn die Niederlage schon unvermeidlich war, so hätte sich doch eine Schadensbegrenzung empfohlen; aber nicht einmal dazu war Hitler imstande. So beschritten die Achsenmächte, sehenden Auges oder nicht, die Bahn in den Untergang: Nachdem die gemeinsame Strategie der Achsenmächte im Indischen Ozean nicht zustande gekommen, nachdem Hitlers zweite Ostoffensive gescheitert war, konnten die europäischen Achsenmächte der Niederlage nicht mehr entrinnen. Ähnliches galt auf dem pazifischen Kriegsschauplatz. Die Japaner, von Hitler allein gelassen, suchten ihre strategische Lage durch ein weiteres Ausgreifen im Pazifik zu verbessern. Als dies mißlang, war auch für das Kaiserreich die Wende des Krieges vollzogen. Trotzdem hätte selbst noch danach der Krieg vollständig anders verlaufen und ein völlig anderes Ergebnis zeitigen können. Es ging im Weltkrieg nicht bloß um die Frage, ob die Niederlage der Achsenmächte eintreten würde; dies war, um es noch einmal zu sagen, von vomherein wahrscheinlich, und ein Mann wie Roosevelt etwa hat von vomherein nie etwas anderes erwartet. Vielmehr ging es im Weltkrieg vor allem um die Frage, wie die Niederlage der Achsenmächte eintreten würde. Jede der großen Siegermächte verfolgte dabei ihre eigenen Ziele: Die Sowjetunion wünschte möglichst große Gewinne zu machen, Britannien das Empire zu bewahren und Amerika die Atlantik-Charta zu verwirklichen oder, mit fortschreitender Kriegsdauer, wenigstens möglichst viel davon zu retten. Betrachtet man die Sache unter dem amerikanischen Blickwinkel - und dies ist für den nachlebenden Historiker der höchste - , so ging es im Zweiten Weltkrieg um die Frage, ob und inwieweit Roosevelts neue Weltfriedensordnung errichtet werden könne, die mit dem ewigen Frieden zugleich das Wohl aller Länder, auch der besiegten, sichern wollte. Diese neue Weltfriedensordnung ließ sich nur dann verwirklichen, wenn der Krieg in einer Weise verlief, die dafür günstig war. Das heißt, amerikanische Truppen mußten den größten Teil Europas selbst besetzen, und auch in Ostasien mußten die Streitkräfte so verwendet, der Krieg so geführt werden, daß dies der Verwirklichung der Atlantik-Charta dienlich war. All dies mißlang. In Wahrheit zog der Kriegsverlauf das Scheitern der Atlantik-Charta nach sich, und damit scheiterte der Versuch, im Zusammenleben der ganzen Menschheit einen revolutionären Fortschritt zu bewirken. Nachdem Hitler den deutschen Ostfeldzug von 1941 verpfuscht hatte, wurde deutlich, daß Amerika wahrscheinlich seinen Willen nicht mehr weltumspannend würde geltend machen können, sondern daß die Sowjetunion einen entscheidenden Anteil am Sieg über die Achsenmächte erringen könnte. Der Verlauf des Weltkriegs von 1941 bis 1945 brachte es dann mit sich, daß weder

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der allgemeine und dauerhafte Frieden gesichert, noch das Wohl aller Völker gewährleistet, noch der Kolonialismus aufgehoben, noch die Unterdrückung beseitigt, noch die allgemeine Freiheit erreicht, noch der Raffgier und Gewalt Zügel angelegt wurden. Am Ende stand zwar ein vernichtender, aber kein aufbauender Sieg, ein Sieg ohne wesentlichen Fortschritt für die Menschheit insgesamt. Der Verlauf des Krieges ist zu betrachten.

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Die japanische Strategie für den Krieg gegen die Westmächte hatte zwei Teile: Der erste, verhältnismäßig klar und eindeutig, sah die Eroberung der Rohstoffgebiete in Südostasien vor, um Japan insoweit der wirtschaftlichen Abhängigkeit von anderen Ländern zu entziehen sowie das Kaiserreich überhaupt erst dauerhaft kriegsfähig zu machen. Der zweite Teil dieser Strategie, wesentlich unbestimmter, beinhaltete die Absicht, die neugewonnenen Gebiete zu verteidigen und zugleich zu versuchen, dem Hauptgegner Amerika einen für Japan vorteilhaften oder erträglichen Frieden abzunötigen. Bei diesem zweiten Teil mußte Japan nicht ausschließlich in der Defensive verharren; es konnte durchaus weitere Offensivoperationen unternehmen, um seine strategische Lage zu verbessern. Allerdings bestand von vornherein keinerlei Aussicht, durch einen unmittelbaren Angriff auf das amerikanische oder britische Mutterland diese Gegner zu besiegen oder zum Nachgeben zu zwingen; dies wurde auch von niemandem erwartet. Der Ausgang des Krieges hing demnach davon ab, ob es Japan gelang, in dem eroberten und dem Kaiserreich vorgelagerten Gebiet des Pazifik die Seeherrschaft zu behaupten. Solange dies der Fall war, blieb der Krieg unentschieden und Tokio durfte hoffen, die USA würden aus Ermattung oder Kriegsmüdigkeit einlenken. Gewann Amerika zur See die Oberhand, so hatte Japan verspielt. Die Chancen, im Pazifik ein strategisches Patt, ein Unentschieden, nicht bloß zu errichten, sondern auch aufrechtzuerhalten, standen für Japan nicht gut, da die USA wegen ihres weit überlegenen Wirtschafts- und Rüstungspotentials die Stärke der japanischen Streitkräfte binnen weniger Jahre in den Schatten stellen konnten. Dem vermochte Japan nur zu begegnen, wenn es die amerikanischen Streitkräfte, insbesondere die Flotte der USA, immer rechtzeitig so stark zu schwächen verstand, daß sie eine entscheidende Überlegenheit nicht erlangten. Den ersten Teil seiner Strategie bzw. seines Kriegsplans führte Tokio ohne große Mühe und sehr erfolgreich durch. Der Schlag gegen die amerikanische PazifikFlotte in Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 erfüllte seinen Zweck, diesen Gegner vorerst unschädlich zu machen und so eine Flankenbedrohung des Vorstoßes nach Südostasien auszuschalten. Das Hauptziel in Südostasien bildete Niederländisch Indien (lndonesien) mit den großen Inseln Borneo, Sumatra und Java, die vor allem wegen ihres Reichtums an Erdöl und Gummi wichtig waren. Auf dem Weg dorthin mußten zunächst die britische Kolonie Malaya mit der Seefestung Singa3*

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pur besetzt werden sowie die Inselgruppe der Philippinen, die seit 1934 Selbstverwaltung besaß, aber militärisch an die USA gebunden blieb und von amerikanischen Truppen unter dem Oberbefehl von General Douglas Mac Arthur verteidigt wurde. Um das südostasiatische Rohstoffgebiet an den Flügeln abzudecken, sollte im Westen das britische Burma erobert werden; zu diesem Zweck war auch Thailand zu gewinnen, das zwischen Burma und dem seit 1940 I 41 in japanischer Hand befindlichen lndochina lag. Thailand schloß sich, nach dem Einmarsch japanischer Truppen, Anfang 1942 für Territorialgewinne dem Krieg gegen die Westmächte an. Durch das Festsetzen in Burma konnte zugleich der Nachschubweg für Nationalchina unter Tschiang Kai-schek abgeriegelt werden, um so leichter zur Beendigung des Krieges in China zu gelangen. Im Osten sollte der amerikanische Verbindungs- und Nachschubweg von Hawaii nach den Philippinen durchtrennt werden, indem die Insel Wake sowie die Insel Guam in den ansonsten japanischen Mariarren genommen wurden. Das japanische Verteidigungsgebiet im Osten, das die Karolinen und Marshall-Inseln umfaßte, war abzurunden durch die Besetzung der Gilbert-Inseln sowie des australischen Bismarck-Archipels vor der Nordküste von Neuguinea. Wegen der Bindung des japanischen Heeres in China sowie in der Mandschurei (gegen die Sowjetunion) standen für die vielfältigen Aufgaben in Südostasien nur begrenzte Bodentruppen zur Verfügung, insgesamt 11 Divisionen sowie eine Anzahl schwächerer Verbände. Trotzdem waren diese Kräfte überlegen, da die betreffenden Gebiete vorwiegend von einheimischen und Kolonialtruppen mit geringem Kampfwert verteidigt wurden und kaum Verstärkungen erhalten konnten. Ebenfalls überlegen waren die Japaner bei See- und Luftstreitkräften. Churchill hatte im Herbst 1941 zwei britische Schlachtschiffe nach Singapur verlegen lassen, doch fehlte dem Verband der ursprünglich vorgesehene Flugzeugträger. Als die beiden Schlachtschiffe mit einigen Zerstörern gegen eine japanische Landung auf der malaiischen Halbinsel vorstießen, wurden sie von der landgestützten japanischen Marineluftwaffe in Südindochina erlaßt und am 10. Dezember versenkt. Amerika unterhielt auf den Philippinen eine kleine Flotte aus Kreuzern und Zerstörern, die sich bei Beginn des japanischen Angriffs nach Süden zurückzog, wo sie später mit anderen leichten Einheiten der Niederländer und Briten zu einer Kampfgruppe unter dem Kommando des holländischen Admirals Doorman zusammengeschlossen wurde. Unter solchen Umständen ließen sich die japanischen Landungsoperationen kaum beeinträchtigen und schon gar nicht verhindern. Diese Landungsoperationen begannen ab dem 8. Dezember, zuerst auf Malaya, den Philippinen und Guam, um dann allmählich nach Süden voranzuschreiten. Umsichtig geplant und geschickt durchgeführt, erzielten sie fast überall rasch den gewünschten Erfolg. Die Landungsstellen wurden so gewählt, daß sie sich innerhalb der Reichweite von Fliegern auf japanischen Landflugplätzen befanden. Nachdem die gegnerischen Luftstreitkräfte durch Angriffe auf deren Flugplätze ausgeschaltet waren, wurden die Landungsstellen aus der Luft und durch leichte Seestreitkräfte sturmreif bombardiert, bis schließlich die eigentliche Landung erfolgen konnte, für welche die Japa-

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ner zweckmäßige kleine Landungsfahrzeuge verwendeten. An Land nahmen die Truppen umgehend Flugplätze in Betrieb, um den Luftschirm für die nächsten Unternehmungen sicherzustellen. Dieses Verfahren war geboten, damit stets eine ausreichende Überlegenheit in der Luft und das schnelle Erringen der Luftherrschaft gewährleistet wurden. Die trägergestützten Marineflieger allein reichten hierfür nicht aus, weil die großen Flugzeugträger anfangs bei Pearl Harbor eingesetzt und die verbleibenden kleinen Flugzeugträger zu schwach waren, während sich für später nicht absehen ließ, inwieweit der Verband von Pearl Harbor wieder zur Verfügung stehen würde. Im einzelnen verliefen die Ereignisse dergestalt, daß die auf Malaya gelandeten japanischen Truppen nach Süden gegen Singapur vorrückten, das sie nach ungefähr zwei Monaten erreichten und Mitte Februar 1942 einnahmen. In Burma fiel die Hauptstadt Rangun am 7. März, bis zum Mai wurden die Briten nach Indien zurückgedrängt. Wegen der japanischen Luft- und Seeherrschaft konnten auch die Philippinen nicht gehalten werden; General Mac Arthur mußte sich mit seinen Truppen auf die Halbinsel Bataan westlich der Hauptstadt Manila zurückziehen, wo am 9. April die Kapitulation stattfand. Mac Arthur hatte schon im März auf einem Schnellboot die Philippinen verlassen; Anfang April übernahm er den Oberbefehl über einen neu eingerichteten Kommandobereich Südwestpazifik, der Australien, Neuguinea, Niederländisch Indien (außer Sumatra) und die Philippinen umfaßte. Nach einer ersten Landung im Norden von Borneo Mitte Dezember 1941 gingen die Japaner in der Folgezeit beiderseits dieser Insel nach Süden vor und näherten sich Ende Februar 1942 Java. Die Kampfgruppe von Admiral Doorman wurde aufgerieben, Java mit der Hauptstadt Batavia besetzt, am 9. März kapitulierten die Niederländer. Die Eroberung der südostasiatischen Rohstoffgebiete war innerhalb weniger Monate geglückt, bei geringen japanischen Verlusten, die sich auf einige hundert Flugzeuge und etliche Zerstörer beliefen. Einen kleinen Rückschlag erlitten die Japaner lediglich am Ostflügel ihres Vormarsches im Pazifik. Die Insel Wake westlich von Hawaii sah am 11. Dezember den Angriff eines japanischen Landungsverbandes aus Kreuzern und Zerstörern, der jedoch von der amerikanischen Inselbesatzung abgeschlagen werden konnte. Erst nachdem die Japaner Kräfte von dem zurückkehrenden Pearl Harbor-Verband herangezogen hatten, insbesondere zwei Flugzeugträger, gelang am 23. Dezember die Landung und die Einnahme der Insel. Reibungsloser verliefen die Dinge an anderen Stellen, so auch im Bismarck-Archipel, wo Ende Januar die Orte Rabau! und Kavieng genommen und in der Folgezeit zu starken Stützpunkten ausgebaut wurden. Das schnelle Verwirklichen des ersten Teiles der japanischen Strategie ließ alsbald die Frage auftauchen, auf welche Weise der Krieg weiterzuführen sei. Für die Westmächte Amerika und England blieb zunächst die strategische Leitlinie maßgebend, die Kräfte gegen Deutschland bzw. die europäischen Achsenmächte zu konzentrieren, so daß sie gegen Japan vorerst in der Defensive bleiben mußten. Für Britannien bedeutete dies vor allem, die verbliebenen Teile des Empire bzw. Commonwealth zu halten, also insbesondere Indien und den vorderen Orient mit seinen

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Ölquellen. Die Verantwortung für Australien teilte sich England nach dem Verlust Südostasiens (auch Hongkong war in japanische Hand gefallen) mit den USA, die dort in der Person Mac Arthurs den Oberbefehlshaber stellten. Bis zum Frühjahr 1942 wurde in Indien eine beachtliche britische Flotte zusammengezogen, bestehend aus fünf älteren Schlachtschiffen, drei Flugzeuträgern und leichteren Streitkräften. Für die USA stellte der zeitweilige Ausfall der Schlachtflotte in Pearl Harbor zwar eine empfindliche Schlappe, aber keineswegs eine Katastrophe dar. Von den acht älteren Schlachtschiffen gingen ohnedies nur zwei vollständig verloren, die durch das Heranziehen von Schlachtschiffen aus dem Atlantik ersetzt wurden. Drei beschädigte Schlachtschiffe wurden innerhalb einiger Monate repariert und einsatzfähig gemacht, drei weitere, die im flachen Wasser gesunken waren, wurden in den nächsten Jahren gehoben, inslandgesetzt und wieder in Dienst gestellt. Zu den drei Flugzeuträgern, die Amerika in der Zeit von Pearl Harbor im Pazifik stationiert hatte, traten in den folgenden Monaten weitere, die zum Teil aus dem Atlantik herangezogen wurden. Insgesamt war die amerikanische Pazifikflotte im Frühjahr und Sommer 1942 kaum schwächer als im Herbst 1941. Für eine erfolgreiche strategische Defensive schien dies auszureichen, zumal der Hauptstützpunkt im Pazifik, Hawaii, stark genug war, um einer Wegnahme durch die Japaner zu trotzen, und überdies die Möglichkeit bestand, bei Bedarf weitere Kräfte in den Pazifik zu verlegen. Japan wurde von den Amerikanern umgehend darüber belehrt, daß es sich nicht ungestört des Besitzes der Seeherrschaft im westlichen Pazifik erfreuen dürfe. Noch im Dezember 1941 übernahm Admiral Chester W. Nimitz den Oberbefehl über die amerikanische Pazifikflotte anstelle von Admiral Kimme!, dem man die Verantwortung für das Mißgeschick von Pearl Harbor anlastete. Nimitz wollte seine Aufgabe, die strategische Defensive, so lösen, daß er dem Gegner überall da, wo es sich ermöglichen ließ, mit Angriffsoperationen entgegentrat. Dabei konnte es sich freilich nur um schnelle Überraschungsschläge handeln; für eine großangelegte Offensive reichten seine Kräfte noch nicht aus. Schnelle Überraschungsschläge ließen sich am besten mit Flugzeuträgern durchführen, die ihre Waffenwirkung wendiger und auf größere Entfernung zum Tragen bringen konnten als andere Schiffe. Die vorhandenen älteren Schlachtschiffe beschäftigte Nimitz mit Sicherungsaufgaben im östlichen Pazifik, also im Gebiet der eigenen Seeherrschaft. Wegen ihrer verhältnismäßig geringen Geschwindigkeit eigneten sich die älteren Schlachtschiffe nicht für die Begleitung von Flugzeuträgern (die älteren amerikanischen Schlachtschiffe liefen etwa 20 Knoten Höchstgeschwindigkeit, die Flugzeugträger über 30 kn). Auch für einen Kampf gegen die japanische Schlachtflotte ließen sich die älteren amerikanischen Schlachtschiffe der Pazifikflotte nur im Notfall verwenden, teils weil sie 1942 zahlenmäßig unterlegen waren und teils wegen ihrer geringeren Geschwindigkeit (die japanischen Schlachtschiffe liefen zwischen 24 und 30 kn). So stützte sich Nimitz für den Seekrieg vor allem auf die Flugzeugträger, die zusammen mit Kreuzern und Zerstörern in kleinen Kampfgruppen eingesetzt wurden.

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Anfang Februar 1942 führten zwei solche Kampfgruppen mit je einem Flugzeugträger als Kern Überraschungsangriffe auf die japanischen Marshall-Inseln durch. Eine dritte derartige Trägergruppe wollte im Februar Rabau! angreifen, wurde aber von der japanischen Aufklärung erfaßt und brach, da eine Überraschung nicht mehr möglich war, das Unternehmen ab. Anschließend ging eine der Kampfgruppen nach Norden, wo sie Ende Februar I Anfang März die Inseln Wake und Marcus angriff. Zwei Trägergruppen stießen ins Korallenmeer südlich Neuguinea vor und ließen ihre Flugzeuge über einen Gebirgszug hinweg die kürzlich von den Japanern besetzten Häfen Lae und Salamaua an der Nordküste von Neuguinea angreifen. Im April stieß eine Kampfgruppe mit zwei Trägem gegen das japanische Mutterland selbst vor. Da die Amerikaner nicht wagen durften, allzu nahe an den Wirkungsbereich der japanischen Luftwaffe heranzugehen, führte einer der Träger 16 Fernbomber des Heeres mit, die zur Not von einem Flugdeck starten, aber nicht mehr dort landen konnten. Die Bomber mußten daher nach China weiterfliegen. Am 18. April warfen sie ihre Bomben auf Tokio, was zwar nur geringen Schaden anrichtete, doch eine starke Propagandawirkung erzeugte. Insgesamt stellten die amerikanischen Trägerangriffe bloß Nadelstiche dar; sie hoben indes die Moral und führten den Japanern vor Augen, daß der Krieg noch lange nicht gewonnen war.IO Dies blieb nicht ohne Einfluß auf die Überlegungen in Japan. Dort wurde seit der Jahreswende über das weitere Verhalten nach Eroberung der südlichen Rohstoffgebiete beraten. Die Erörterungen offenbarten eine gewisse Ratlosigkeit, was sich auch in einem Bericht an den Kaiser vom 13. März 1942 niederschlug, der von Ministerpräsident Tojo, Admiralstabschef Nagano und Generalstabschef Sugiyama erstattet wurde. Darin hieß es, daß ein längerer Krieg zu erwarten sei; es werde nicht nur äußerst schwierig sein, die Vereinigten Staaten und Britannien in kurzer Zeit zu besiegen, sondern das Ende des Krieges lasse sich auch nicht durch einen Kompromiß herbeiführen. Nun war es aber allgemein bekannt, daß in einem langen Krieg die amerikanischen Streitkräfte, vor allem die Flotte, eine solche Stärke erreichen würden, daß sie den japanischen mehrfach überlegen waren. Den Ausweg aus diesem Dilemma erblickte die politische und militärische Führung Japans darin, daß sie, wie es in dem genannten Bericht hieß, jeden möglichen Schritt tun wollte, um die Vereinigten Staaten und Britannien in der Defensive zu halten. Wie dies zu bewerkstelligen sei, war die Frage, auf welche auch der Bericht keine verbindliche Antwort geben konnte. Für Japan bestand im Frühjahr 1942 eigentlich kein zwingender Anlaß, die Offensive unmittelbar fortzusetzen und in irgendeinem Gebiet die Seeherrschaft zu erringen, denn wegen der Stärkeverhältnisse empfahl IO Zur StrategieJapansund der Westmächte allgemein Nomura, Plans. Ohmae, Konzeptionen. James, Strategies. Morton, Strategy. Matloff I Snell. Hayes, Joint Chiefs. Gwyer I Butler. Ein Überblick mit Literaturangaben bei Herde, Strategie. Zur Eroberung Südostasiens Hattori, Operationsplan. Willmott, Empires. Darstellung der Ereignisse ferner in Morison, Operations (mit den jeweils einschlägigen Bänden). Spector, Eagle. Kirby, War. MGFA, Weltkrieg VI, 143 ff., 173 ff. (Beitrag Rahn). Potter I Nimitz I Rohwer, 765 ff. Ruge, Entscheidung.

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sich für die beiden Westmächte noch für einige Zeit die (strategische) Defensive, während unterdessen die japanische Flotte durch einige neue Flugzeugträger und Schlachtschiffe einen Stärkezuwachs erfuhr. Vielmehr hätte für das Kaiserreich die Gelegenheit bestanden, im Seekrieg eine kurze Pause einzulegen und seine Flotte den Erfordernissen des Seekriegs besser anzupassen. Nachdem die bisherigen Ereignisse des Seekriegs gezeigt hatten, daß der Flugzeugträger in der Regel dem Schlachtschiff überlegen war, weil er schneller, härter und auf größere Entfernung zuschlagen konnte, hätte es sich angeboten, die Flotte im Licht dieser Erkenntnis anders zu organisieren. Entsprechende Vorschläge wurden innerhalb der japanischen Marine auch gemacht, so war insbesondere die Rede davon, mehrere etwa gleichstarke Trägerkampfgruppen mit je drei oder vier Trägern zu bilden. Daß Flugzeugträger in solchen Kampfgruppen eingesetzt werden müssen, war der japanischen Marineführung im Grundsatz durchaus klar, und sie handelte auch danach. Japanische Trägerkampfgruppen waren häufig stärker als amerikanische, ihr Schutz war nicht selten besser, da sie auch von schnellen Schlachtschiffen begleitet wurden. Das Problem bestand darin, daß die Masse der Schlachtschiffe von den Trägerkampfgruppen getrennt blieb, daß die Schlachtflotte gewissermaßen immer noch den Kern der ganzen Flotte bildete, obwohl sie ohne die Träger nicht mehr viel auszurichten vermochte, und daß die Schlachtflotte wiederum leichte Streitkräfte wie Zerstörer zu ihrer Unterstützung benötigte. Zweckmäßiger wäre es gewesen, Schlachtschiffe, Kreuzer und Zerstörer auf die Trägerkampfgruppen aufzuteilen, so daß die verschiedenen Schiffstypen sich wechselseitig schützten. Von der Geschwindigkeit der Schiffe her bestand kein Hindernis, denn die japanischen Träger, die bis Mitte 1942 zur Verfügung standen, liefen zwischen 25 und über 30 Knoten Höchstgeschwindigkeit, die japanischen Schlachtschiffe und Kreuzer ebenfalls zwischen 24 und über 30 kn, so daß die Träger nach der Geschwindigkeit zusammengefaßt werden konnten, begleitet von einem entsprechend starken Gefolge aus Kreuzern, Schlachtschiffen und Zerstörern. Warum dies nicht geschah, hängt vermutlich damit zusammen, daß im Frühjahr 1942 die Überzeugung vorherrschte, die Offensive müsse unverzüglich fortgesetzt werden. Damit fehlten Zeit und Muße, um die Kommandostrukturen, die ja bislang gar nicht schlecht funktioniert hatten, auseinanderzureißen, und es fehlte wohl auch die Zeit, um für neu zusammengesetzte Trägerkampfgruppen die taktische Verbandsausbildung zu betreiben, also beispielsweise das Formationsfahren zu üben. In den japanischen Führungskreisen herrschte im Frühjahr 1942 jedenfalls die Meinung, die Gegner müßten in der Defensive gehalten werden. Dahinter verbarg sich die richtige Erkenntnis, daß Japan nicht warten durfte, bis die Gegner sich so weit verstärkt hatten, daß die japanischen Streitkräfte ihnen nicht mehr gewachsen waren; die Gegner mußten vorher geschwächt werden. Auch der Aufbau der japanischen Flotte legte dies nahe. Die Flotte war ausgelegt für entscheidende Schlachten im Seekrieg und demzufolge verhältnismäßig stark an schweren Einheiten: Schlachtschiffen und Flugzeuträgern. Bis ins Jahr 1942 übertraf die Zahl der japanischen Träger diejenige der amerikanischen. Zugunsten des Baues einer starken

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Hochseeflotte hatte jedoch der Bau von Handelsschiffen und Geleitfahrzeugen zurücktreten müssen. Einen langen Verschleißkrieg, bei dem die Transportflotte stark beansprucht und durch Feindeinwirkung entsprechend abgenützt wurde, konnte sich Japan nicht leisten. Die Hochseeflotte mußte zur Schwächung der Gegner eingesetzt werden, solange sie dazu noch imstande war, ohne daß die Transportflotte in einen aussichtslosen Zerrnürbungskrieg hineingezogen wurde. Auf welche Weise sich die Gegner schwächen ließen, wurde im Frühjahr 1942 in den japanischen Führungseinrichtungen untersucht und beraten. Im Rahmen der Verfassung des Kaiserreichs mußte die Strategie gewissermaßen zwischen den Stabschefs von Heer und Marine sowie der Regierung ausgehandelt werden, wobei überdies das Oberkommando der Flotte unter Admiral Yamamoto sich berufen fühlte, mit eigenen Vorschlägen in die Debatte einzugreifen. Yamamoto hatte bereits den Angriff auf Pearl Harbor veranlaßt, und im Frühjahr 1942 schaltete er sich wiederum in die Entscheidungsfindung ein. Das Verfahren, die Strategie sozusagen "demokratisch" zu vereinbaren, konnte dazu führen, die Sachlage von allen Seiten zu beleuchten und einen gangbaren Mittelweg ausfindig zu machen, sie konnte indes die Willensbildung auch zu dem Bestreben entarten lassen, es allen recht zu machen und damit faule Kompromisse zu erzeugen. Da die Gegner ohnedies nicht niedergeworfen werden konnten, hatte das Fortsetzen der Offensive, um die Gegner in der Defensive zu halten, nur dann einen Sinn, wenn es die Verteidigungsmöglichkeiten des japanischen Herrschaftsbereiches verbesserte, ohne die Kräfte des Kaiserreichs über Gebühr zu beanspruchen oder aufzubrauchen. Amerika konnte Verluste leicht ersetzen, Japan nicht. Zudem war das japanische Heer bereits durch einen aufreibenden Krieg in China gefesselt und mußte Truppen gegen die Sowjetunion bereithalten, so daß es verständlicherweise wenig Neigung zeigte, die verbleibenden Kräfte in ausgreifenden Eroberungen zu verzetteln, zumal wenn die Gefahr bestand, daß man dabei ebenso steckenblieb wie in China. Im Admiralstab wurde der Gedanke entwickelt, Australien zu besetzen, weil es zweifellos ein geeignetes Sprungbrett der Westmächte für größere oder kleinere Angriffe auf den südostasiatischen Wirtschaftsraum Japans darstellte. Diese Absicht mußte jedoch aufgegeben oder zumindest vertagt werden, weil die erforderlichen Bodentruppen nicht verfügbar waren und die Transportflotte zu stark beansprucht worden wäre. Als Ersatz einigten sich Admiralstab und Generalstab darauf, östlich von Australien die Insel Neu-Kaledonien, die Fidschi-Inseln und Samoa zu besetzen. Von hier aus konnten die Verbindungswege zwischen den USA und Australien bedroht werden, vor allem deren Endstück an den wichtigen Häfen in Südostaustralien. Zudem bestand Aussicht, beim Kampf um jene Inseln die amerikanische Flotte zu stellen und unter verhältnismäßig günstigen Bedingungen für Japan zu schlagen. Das Unternehmen paßte gut in die strategische Lage: Es setzte die Offensive ohne übertriebenen Aufwand fort, es erlaubte eine Schwächung der Gegner durch den Einsatz der Flotte, ohne Bodentruppen und Transportmittel in unerträglichem Ausmaß zu benötigen, und es erweiterte den Bereich japanischer Seeherrschaft durch den Gewinn von Stütz-

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punkten in annehmbarer Entfernung. Einwände gegen diese Lösung ließen sich zweifellos erheben; sie war nicht ideal, auch nicht besonders kühn, aber immerhin vertretbar. Ganz andere Wege ging demgegenüber das Oberkommando der Flotte. Yamamoto und sein Stab legten die ebenso einfache wie richtige Erkenntnis zugrunde, daß Amerika mit seiner Flotte der Hauptgegner sei. Solange Amerika im Krieg stand, war auch Britannien nicht zum Aufgeben genötigt. Wenn Japan sich behaupten wollte, mußte es sich in erster Linie gegen Amerika behaupten, und zwar im Pazifik, denn dort war normalerweise mit einer Offensive der USA zu rechnen, wenn deren Flotte erst die erforderliche Stärke erreicht hatte. Am Erreichen dieser Stärke galt es sie zu hindern, indem sie rechtzeitig geschwächt wurde. Durch den Angriff auf Pearl Harbor bei Beginn des Krieges hatte Yamamoto eine solche Schwächung herbeizuführen gesucht, doch waren ihm dabei die amerikanischen Träger entwischt. An der Jahreswende 1941 I 42 wurde der Gedanke wiederaufgenommen und geprüft, ob sich Hawaii erobern lasse. Bei einem derartigen Angriff würde sich mit Sicherheit die amerikanische Flotte zum Kampf stellen und möglicherweise aufgerieben werden. Nach Vernichtung der Flotte mußte auch Hawaii fallen. Im Besitze des starken Stützpunkts Hawaii konnte Japan einer späteren Offensive der USA beruhigter entgegensehen. Die Diskussionen zwischen Flottenkommando, Admiralstab und Generalstab ergaben, daß der Plan vorerst nicht durchführbar war. Weder der Admiralstab noch der Generalstab wollten sich auf ein derart kühnes und großzügiges Unternehmen einlassen - nicht weil es ganz aussichtslos war, sondern weil man den strategischen Wert nicht einsah oder bezweifelte. Die Inselgruppe von Hawaii lag von Japan so weit entfernt und war für die USA so wichtig, daß ihre Eroberung und anschließende Verteidigung für das Kaiserreich einen ungewöhnlichen Kraftaufwand erfordern würde, dessen Notwendigkeit dem Generalstab und dem Admiralstab nicht einleuchtete. Darüber hinaus scheute man, vor allem im Generalstab, auch das Risiko. Denn die Hawaii-Inseln, mit Abwehrkräften in der Luft und an Land reichlich ausgestattet, waren so stark und boten solch günstige Verteidigungsmöglichkeiten, daß sie im Verein mit der amerikanischen Flotte einem Angriff wohl standzuhalten vermochten und der Angreifer möglicherweise den kürzeren gezogen hätte. Bodentruppen in größerem Umfang dafür einzusetzen, lohnte sich für das Heer nicht, solange die japanische Flotte den Erfolg eines solchen Unternehmens nicht sicher gewährleisten konnte. Da Yamamoto gegen diesen Widerstand nicht ankam, ordnete er als Ersatzlösung an, eine Operation gegen die Midway-Inseln zu prüfen, die rund 2000 km nordwestlich Hawaii liegen. Dabei wurde in Aussicht genommen, nach der Eroberung von Midway auch Hawaii zu besetzen. In der Tat entbehrte dieser Gedanke nicht der Logik, denn Midway war wesentlich schwächer als Hawaii, konnte also durch ein Flottenunternehmen leichter genommen werden. Wenn es gelang, dabei die amerikanische Flotte herauszulocken und zu vernichten, dann konnte anschließend auch Hawaii abgeschnitten und mit geringerer Mühe erobert werden.

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Bevor dies zum Tragen kam, befaßte sich das Flottenkommando noch mit einem weiteren Plan. Dabei handelte es sich darum, den Schwerpunkt der Kampfhandlungen nicht in den Pazifik zu verlegen, sondern in den Indischen Ozean, dort die Seeherrschaft zu erringen und die Gegner zu schwächen. Im diesem Fall hätte Japan nicht nur seinen eigenen Verteidigungsraum erweitert und ausgebaut, sondern zugleich denjenigen der europäischen Achsenmächte. Denn wenn die japanische Flotte im Indischen Ozean die Seeherrschaft gewonnen hätte, wären die Verbindungs- und Nachschubwege der Westmächte nach Indien sowie in den vorderen Orient durchtrennt worden, so daß wahrscheinlich die Briten den vorderen Orient nicht mehr hätten halten und die europäischen Achsenmächte dieses Gebiet mit seinen Ölquellen hätten einnehmen können. Sogar die Verselbständigung Indiens wäre auf längere Sicht vorstellbar gewesen. Gegen eine solche Strategie sprach jedoch eine Reihe gewichtiger Erwägungen. Erstens verlangte der Kampf im Indischen Ozean den Einsatz der gesamten japanischen Flotte, was zu einer gefährlichen Entblößung der Flanke im Pazifik führen mußte. Davon abgesehen vermochten die Westmächte ihre Seestreitkräfte beliebig zu verschieben, so daß sie mit Sicherheit die Flotte im Indischen Ozean verstärkt und dort den Kampf um die Seeherrschaft aufgenommen hätten, um nicht Indien und den vorderen Orient einzubüßen. Bei entschlossener Konzentration der Kräfte waren die Westmächte imstande, im Indischen Ozean eine Flotte zusammenzuziehen, die der japanischen zahlenmäßig annähernd gleichkam. Der Kampf um die Seeherrschaft wäre damit für Japan schwierig und voraussichtlich verlustreich geworden. Große Verluste mußte Japan aber tunliehst vermeiden. Das galt auch insofern, als für das Erringen der Seeherrschaft Stützpunkte notwendig waren, wofür insbesondere Ceylon und Madagaskar in Frage kamen. Das Besetzen solcher Stützpunkte erforderte jedoch erhebliche Boden- und Luftstreitkräfte; außerdem wäre dann ein großer Teil der japanischen Transportflotte auf den weiten Wegen im Indischen Ozean gebunden und abgenützt worden. Derartiges konnte Japan sich nicht leisten. Der Kampf im Indischen Ozean mochte sich leicht als Faß ohne Boden entpuppen; überdies blieb der Ausgang eines solchen Kampfes in der Schwebe. Zweitens ließ sich solchen Unzuträglichkeilen bis zu einem gewissen Grad wohl abhelfen, wenn die europäischen Achsenmächte am Vorstoß zum Indischen Ozean teilnahmen und damit das Kaiserreich entlasteten. Aber mit einem solchen gemeinsamen Vorgehen war nicht zu rechnen, da Hitler seinen Weltanschauungskampf gegen den Bolschewismus nicht einstellen wollte und daher die Kräfte fehlten, um in den vorderen Orient vorzudringen. Japanische Marinekreise ließen, wahrscheinlich auf Veranlassung Yamamotos, gegenüber dem deutschen Marineattache, Admiral Wenneker, den Versuchsballon steigen, ob nicht Deutschland den Krieg gegen die Sowjetunion beenden und statt dessen sich auf den Kampf um den vorderen Orient konzentrieren könne. Der Gedanke war allerdings zum Scheitern verurteilt, da sich an Hitlers Haltung nichts änderte und demzufolge Japan im Indischen Ozean alleingeblieben wäre. Anscheinend bezog es sich auf die Ideen japanischer Marinekreise, wenn in dem vorhin genannten Bericht an den Kaiser vom 13. März 1942

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davon die Rede war, auf einen Frieden zwischen Deutschland und Rußland bestehe keine Hoffnung; daher sollten auch japanische Vermittlungsversuche unterbleiben. Drittens schließlich wäre, selbst wenn Japan die Seeherrschaft im Indischen Ozean dauerhaft errungen hätte, der Krieg dadurch keineswegs entschieden worden. Falls der Nachschubweg für die Sowjetunion, der durch den Indischen Ozean und über Persien lief, unterbrochen wurde, so wäre Rußland deswegen noch nicht zusammengebrochen; es konnte auch auf dem Weg über den Atlantik zu den Eismeerhäfen mit Nachschub versehen werden. Wenn Indien und der vordere Orient verlorengingen, so war dies für Britannien zwar schmerzlich, aber noch nicht tödlich, solange es auf Amerika zählen durfte; und die USA wurden durch den Verlust jener Gebiete überhaupt nicht schwerwiegend getroffen. Umgekehrt freilich mußte Japan selbst beim Erfolgsfall im Indischen Ozean mit erheblichen Verlusten und der Bindung umfangreicher Kräfte rechnen, was dann zu Buche schlagen würde, wenn die amerikanischen Streitkräfte sich so weit verstärkt hatten, daß sie zur strategischen Offensive im Pazifik ansetzen konnten. Der entscheidende Gegner blieben für Japan die USA, der entscheidende Kriegsschauplatz war der Pazifik. Ein Verzetteln der Kräfte im Indischen Ozean lohnte sich für das Kaiserreich nicht; jedenfalls dann nicht, wenn die europäischen Achsenmächte zum Kampf um den Indischen Ozean nichts beitrugen. So wurde der Gedanke einer strategischen Offensive im Indischen Ozean aufgegeben oder zumindest die Durchführung vertagt. Lediglich ein Flottenvorstoß sollte stattfinden, in der Hoffnung, die britische Flotte in Indien anzutreffen und schwer zu schlagen oder wenigstens Abschreckung zu erzeugen. Damit kam das Flottenkommando doch wieder auf den Gedanken zurück, im Pazifik anzugreifen, und zwar in Richtung Hawaii. Yamamoto kleidete dies in die Form, es solle Midway besetzt werden, weil dann Aussicht bestehe, die amerikanische Flotte, vor allem die Flugzeugträger, zur Schlacht zu veranlassen und zu vernichten. Falls eine Entscheidungsschlacht nicht stattfinde, könne wenigstens der Verteidigungsring im Pazifik vervollständigt und vorgeschoben werden. Der Admiralstab wandte gegen diesen Plan ein, die amerikanische Flotte habe es gar nicht nötig, sich zur Schlacht zu stellen. Midway besaß als Stützpunkt keine nennenswerte Bedeutung. Auf den beiden kleinen Inseln gab es zwar einen Flugplatz, doch ließen sich dort weder umfangreiche Boden- und Luftstreitkräfte unterbringen noch eine Flotte stationieren. Nach Einnahme der Inseln hätte sich die japanische Flotte wieder zurückziehen müssen, was der amerikanischen Flotte, die sich auf Hawaii stützen konnte, Gelegenheit gegeben hätte, die japanischen Kräfte auf Midway alsbald wieder unschädlich zu machen, sofern dies für unverzichtbar gehalten wurde. Trotzdem beharrte Yamamoto auf seinem Vorhaben und brachte es unter Einsatz seiner Persönlichkeit schließlich dahin, daß der Admiralstab nachgab. Bis Mitte April genehmigte Admiralstabschef Nagano einen Plan, der sich eng an denjenigen von Yamamotos Flottenkommando anschloß. Dies blieb zwar noch unverbindlich, solange der Generalstab nicht zustimmte, doch wurde auch diese Schwierigkeit nach einigen Tagen ausgeräumt, als der erwähnte Angriff amerikanischer

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Bomber auf Tokio am 18. April die Lage klärte. Es schien jetzt tatsächlich nötig zu sein, amerikanischen Angriffen aus dem Seegebiet östlich Japan entgegenzutreten. Die geeignete Handhabe dafür bot Yamamotos (und Naganos) Plan, nacheinander Midway und Hawaii zu erobern. Der Generalstab entschied daher, beides zu unterstützen, auch durch die Bereitstellung von Bodentruppen. So entstand ein Plan, der eine gestufte Abfolge von Operationen vorsah. Ihr Kernstück war der Angriff Richtung Hawaii, doch enthielt sie auch einige Bestandteile, die nicht recht dazu passen wollten und die sich aus der verwickelten Entstehungsgeschichte erklären. Am Beginn sollte ein Unternehmen stehen, das bereits im Januar befohlen worden war, nämlich die Wegnahme des australischen Stützpunktes Port Moresby an der südöstlichen Küste von Neuguinea. Dies war bislang nicht möglich gewesen und sollte nunmehr mit Unterstützung durch die Flotte nachgeholt werden, und zwar schon Anfang Mai. Zugleich war in der Inselkette der Salomonen östlich von Neuguinea ein Stützpunkt für Seeflugzeuge einzurichten, auf dem Eiland Tulagi nahe der Insel Florida unmittelbar nördlich von Guadalcanar (bzw. Guadalcanal). Im Anschluß daran sollte ein Flugplatz auf Guadalcanal gebaut werden. Diese Ziele entsprachen eigentlich einem früheren Stand der Planungen, bevor Yamamoto sich durchgesetzt hatte. Der Besitz von Port Moresby, Tulagi und Guadalcanal war nützlich, um die Verteidigung des Raumes um den Bismarck-Archipel zu verbessern sowie die Voraussetzung für weitere Unternehmungen in Richtung Australien und Südpazifik zu schaffen. Generalstab und Admiralstab hatten das ursprünglich so vorgesehen, aber wenn gemäß Yamamotos Plan der Schwerpunkt der Strategie in den Zentralpazifik verlegt wurde, dann war der Kampf um Stützpunkte an der Südostecke des japanischen Verteidigungsraumes ziemlich überflüssig. Wahrscheinlich hielt man trotzdem daran fest, um die mühsam erreichte Einigkeit zwischen den verschiedenen Stäben nicht zu gefährden. In der nächsten Stufe sollte sodann Anfang Juni der Angriff auf Midway stattfinden. Zusätzlich wurde eine Operation gegen die Inselkette der Aleuten, die sich von Alaska nach Westen zieht, in den Plan aufgenommen. Was damit bezweckt wurde, ist nicht recht durchsichtig; die Begründung, damit solle der Schutz Nordjapans verbessert werden, wirkt wenig überzeugend. Die Aleuten waren als Stützpunkte nahezu wertlos und ließen sich bei einem amerikanischen Gegenangriff noch schwerer verteidigen als Midway. Anscheinend hatte Yamamoto, um den Generalstab zu seinem Midway-Plan zu bekehren, die Aleuten ins Spiel gebracht, denn das Heer blickte mit Sorge auf die Gefahr, daß die Sowjetunion und die USA in Ostsibirien zusammenarbeiteten, und eine Besetzung der Aleuten mochte dem vorbeugen. Was die dritte Stufe des Plans betrifft, so muß man sie wohl als erstaunlich bezeichnen. Yamamoto und im Anschluß daran auch Nagano betrachteten die Besetzung von Midway lediglich als Vorstufe für das eigentliche Ziel: Hawaii. Um dieses Ziel zu erreichen, war es durchaus zweckmäßig, schrittweise vorzugehen, also außer Midway noch andere vorgelagerte Inseln einzunehmen. Denn erstens war es keineswegs sicher, daß die amerikanische Flotte sich bei Midway überhaupt zum Kampf stellte und daß sie bei einer Seeschlacht weitgehend vernichtet wurde;

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zweitens blieb die starke Verteidigung der Hawaii-Inseln selbst bei einer einigermaßen erfolgreichen Seeschlacht ein ernstes Hindernis. In diesem Sinn nahmen sowohl Yamamoto als auch Nagana in Aussicht, nach der Eroberung Midways noch die Inseln Johnston und Palmyra zu besetzen, um den späteren Sturm auf Hawaii mit Hilfe landgestützter Flugzeuge durchzuführen. Erstaunlicherweise ordnete aber das Kaiserliche Hauptquartier (in welchem Generalstab und Admiralstab zusammenwirkten) am 28. April an, im Anschluß an die Operation gegen Midway seien im Juli, wie früher geplant, die Inseln im Südpazifik Neu-Kaledonien, Fidschi und Samoa zu besetzen. Was sich dahinter verbirgt, bleibt undeutlich. Zwar hatte Yamamoto Anfang April vorgeschlagen, im Juli Trägerangriffe auf Neu-Kaledonien usf. durchzuführen, wahrscheinlich um die zwischen Hawaii und Australien verteilte amerikanische Luftwaffe abzunützen, doch hatte Yamamoto die besagten Inseln nicht besetzen wollen. Nagana wiederum hatte ganz folgerichtig Yamamotos Plan zu Ende gedacht, indem er Mitte April den Schwerpunkt der Kriegführung in den Zentralpazifik verlegen wollte und die Inseln im Südpazifik gar nicht mehr erwähnte. Warum sollten diese Inseln (Neu-Kaledonien usf.) nun doch besetzt werden? Vermutlich liegt die Erklärung darin, daß Yamamoto das Kaiserliche Hauptquartier, insbesondere den Generalstab, und möglicherweise auch noch andere Entscheidungsträger, nicht wirklich überzeugt hatte; auch dürfte die Beschlußfassung nach dem amerikanischen Luftangriff auf Tokio etwas überstürzt vor sich gegangen sein. Offenbar setzte sich Yamamoto nur insofern durch, als ihm der baldige Angriff auf Midway freigegeben wurde. Ansonsten jedoch beschloß das Kaiserliche Hauptquartier, gewissermaßen zweigleisig vorzugehen. Schon die Besetzung von Port Moresby und Guadalcanal ergab keinen rechten Sinn, wenn man sich wirklich vorbehaltlos auf den Entscheidungskampf im Zentralpazifik Richtung Hawaii einstellte. Nützlich dagegen war sie, wenn man anschließend gegen Neu-Kaledonien usf. vorging. Das zweigleisige Vorgehen - einerseits Richtung Hawaii, andererseits Richtung Südpazifik - empfahl sich insofern, als niemand wußte, nicht einmal Yamamoto selbst, ob bei Midway wirklich eine siegreiche Seeschlacht stattfand. In jedem Fall mochte es nicht verkehrt erscheinen, nach dem Midway-Unternehmen erst einmal die Inseln im Südpazifik zu besetzen. Wurde die amerikanische Flotte bei Midway schwer geschlagen, so konnte man sich den Abstecher in den Südpazifik leisten. Wurde dagegen bei Midway kein entscheidender Sieg errungen, so war es ernsthafter Erwägung wert, ob man überhaupt noch den Vorstoß nach Hawaii unternehmen oder sich lieber mit dem alten Plan eines Vordringens in den Südpazifik begnügen solle. Was auch immer die Beweggründe gewesen sein mögen, im Laufe des April entstand jedenfalls der Plan, von Mai bis Juli nacheinander Port Moresby, Midway und die Inseln im Südpazifik zu nehmen. 11 II Der Bericht an den japanischen Kaiser vom 13. März 1942 sowie ein Bericht des deutschen Botschafters in Tokio, Ott, über Gespräche des Marineattaches Wenneker mit japanischen Marinekreisen, 3. 3. 1942, in Jacobsen, Weg, 279 ff., 189 ff. Vorschläge in der japanischen Marine über Neuorganisation der Flotte nach Fuchida/Okumiya, lll. Zur japanischen

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Dieser Plan und seine Durchführung sind später hart kritisiert worden. In der Tat schlug die Abfolge von Unternehmungen fehl und endete bei Midway mit einer herben Niederlage, die in gewisser Weise bereits den pazifischen Krieg entschied. Im nachhinein wurde dies auf eine Vielzahl von operativen und taktischen Fehlern der japanischen Seite zurückgeführt; es entstand der Eindruck, die Japaner hätten nahezu alles falsch gemacht, was man im Seekrieg falsch machen kann. Aus der Rückschau ergibt sich zweifellos, daß ein anderes Verhalten oftmals zweckmäßig gewesen wäre. Trotzdem bleibt es erstaunlich, daß dieselben Japaner, welche die Eroberung der südostasiatischen Rohstoffgebiete geschickt und zielstrebig ins Werk gesetzt hatten, plötzlich ein solches Maß an Ungeschicklichkeit, um nicht zu sagen Unfähigkeit, an den Tag gelegt haben sollen. Warum die Japaner sich so verhielten, bleibt zu erklären, und möglicherweise durften sie unter den gegebenen Umständen ihre Maßnahmen für weit angemessener halten, als die spätere Kritik wahrhaben wollte. Zunächst unternahm eine japanische Trägerkampfgruppe Anfang April 1942 einen Vorstoß gegen Ceylon und die britische Indienflotte. Die Kampfgruppe unter dem Oberbefehl des von Pearl Harbor bekannten Admirals Nagumo bestand aus fünf großen Trägem, vier schnellen Schlachtschiffen, drei Kreuzern und einer Zerstörerflottille. Eine zweite Kampfgruppe aus einem leichten Träger, sechs Kreuzern und etlichen Zerstörern wirkte gegen die Schiffahrt im Golf von Bengalen. Die Anlage der Operation nahm Rücksicht auf die strategischen Erfordernisse Japans: Unnötiges Risiko und unersetzliche Verluste waren zu vermeiden, es mußte eine ausreichende eigene Überlegenheit bestehen, um den Erfolg sicherzustellen und nicht die eigenen Kräfte fruchtlos abzunützen. Die Fehler, welche man der japanischen Marineführung später vorgeworfen hat, wie Verzettelung der Kräfte, überflüssiges Risiko und dergleichen, lassen sich hier nicht beobachten; die japanische Marineführung wußte augenscheinlich, wie sie den Seekrieg führen mußte. Nagumos Trägerkampfgruppe war der britischen Indienflotte, die über fünf ältere Schlachtschiffe sowie zwei moderne große und einen kleinen alten Träger verfügte, stark überlegen; wäre es zur Schlacht gekommen, so wäre die britische Flotte einer Katastrophe kaum entgangen. Zur Schlacht kam es nicht, denn der britische Oberbefehlshaber Admiral Somerville, von der Aufklärung rechtzeitig gewarnt, suchte der Trägergruppe Nagumos auszuweichen, was ihm mit etwas Glück auch gelang, da die japanische Luftaufklärung ihn nicht sofort fand und Nagumo eine systematische Suche unterließ. Die Gründe für Nagumos Verhalten sind unbekannt; vielleicht lag einfach ein Versäumnis vor, vielleicht fehlte Nagumo, ähnlich wie bei Pearl Harbor, die Entschlußkraft zum rücksichtslosen Nachsetzen, vielleicht glaubte er, um die Flotte zu schonen, lasse sich ein Erfolg der Operation auch ohne Seeschlacht erreichen. So fielen dem japanischen Vorstoß nur zwei schwere Kreuzer und ein leichter Träger zum Opfer, dazu kleinere Einheiten und Handelsschiffe in beträchtlicher Zahl. Die großen Häfen auf Ceylon wurden Planung Ugaki, 75, 79, 93, 96, 104. Ohmae, Konzeptionen. Fuchida/Okumiya. Stephan, Hawaii, 89 ff., 109 ff. Morton, Strategy, 216 f., 284. Willmott, Barrier. Rohwer, Midway.

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schwer beschädigt. Das Unternehmen erzielte immerhin einen Teilerfolg, denn die Briten wurden so eingeschüchtert, daß sie ihre Flotte nach Ostafrika verlegten. Die Westflanke des japanischen Verteidigungsraumes von Burma über die Inselketten der Andamanen und Nikobaren bis Sumatra war damit fürs erste gesichert. Aus Furcht vor einem weiteren Ausgreifen der Japaner in den Indischen Ozean besetzten die Briten Anfang Mai Diego Suarez an der Nordspitze Madagaskars. Ende Mai wurde dort ein britisches Schlachtschiff beim Angriff japanischer U-Boote beschädigt. Anschließend wandten sich U-Boote und Hilfskreuzer mit einigem Erfolg dem Handelskrieg zu und hielten so die Briten weiter in Atem. Nachdem die Entscheidung gefallen war, nacheinander die Unternehmungen gegen Port Moresby, Midway und Neu-Kaledonien etc. durchzuführen, mußten hierfür die Kräfte bereitgestellt werden. Die japanische Trägerluftwaffe war in den bisherigen Kämpfen stark beansprucht worden und hatte einige Verluste erlitten. Die erfahrenen Flugzeugführer zu ersetzen, fiel den Japanern nicht leicht, zumal in dieser Zeit auch neue Träger in Dienst gestellt wurden, die ebenfalls Piloten benötigten. Die Lösung, mit den weiteren Operationen ein wenig zu warten, um der Trägerluftwaffe durch bessere Ausbildung wieder höchste Schlagkraft zu verleihen, wurde von den Verantwortlichen jedoch nicht gewählt. Der Hauptgrund dürfte darin zu suchen sein, daß den Amerikanern nicht die Zeit gegönnt werden sollte, die Inseln, welche die Japaner erobern wollten, weiter zu verstärken. In der Tat schafften die Amerikaner seit der Jahreswende Truppen und Material auf die Inseln des Pazifik, so auch nach Midway und anderen potentiellen Angriffszielen, außerdem begannen sie mit dem Bau von Flugplätzen. Je länger die Japaner warteten, umso schwieriger mußte die Wegnahme solcher Inseln werden. Welche Kenntnis die Japaner von den amerikanischen Maßnahmen hatten, ist unklar, aber sie haben offenbar damit gerechnet. Midway wurde Anfang Juni von rund 3000 Mann und 120 Flugzeugen verteidigt, während die Japaner 5000 Mann Landungstruppen aufboten, also insoweit den Gegner nicht unterschätzten. Luftwaffe und Artillerie auf Midway mußten, wie bei einer solchen Operation nicht anders zu erwarten, von der japanischen Trägerluftwaffe und der Schiffsartillerie niedergekämpft werden. Bei Midway konnten in dieser Hinsicht kaum Schwierigkeiten auftreten, solange die japanische Flotte die Seeherrschaft sicherstellte. Bei den großen Inseln in anderen Teilen des Pazifik konnten dagegen sehr wohl Schwierigkeiten auftreten, wenn dort erst hunderte von Flugzeugen und beträchtliche Bodentruppen stationiert waren. Die Kräfteverteilung wurde so geplant, daß an dem Unternehmen gegen Port Moresby und Tulagi Anfang Mai zwei große Träger von Nagumos Verband teilnehmen sollten, dazu ein neuer leichter Träger, einige Kreuzer, Zerstörer, Minensucher, Transporter usf. Für das Unternehmen gegen Midway und die Aleuten Anfang Juni sollte dann fast die gesamte japanische Flotte aufgeboten werden, sämtliche vorhandenen Flottenträger und Schlachtschiffe, die meisten schweren Kreuzer und all die anderen Schiffe, welche für die Begleitung der schweren Einheiten und für Landungen benötigt wurden. Welchen Kräftebedarf man veranschlagte, um

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die folgenden Operationen durchzuführen, ist nicht zweifelsfrei erkennbar. Möglicherweise wurde die Frage nicht abschließend geklärt, da man erst einmal abwarten wollte, ob sich bei Midway der erhoffte große Sieg über die amerikanische Flotte einstellte. Falls dies geschah, war es wohl vertretbar, für das Unternehmen gegen Neu-Kaledonien, Fidschi und Samoa lediglich einen Teil der Flotte aufzubieten, insbesondere die großen Flugzeugträger mit ihrer Begleitung, während die gesamte Flotte erst wieder für den Angriff Richtung Hawaii versammelt wurde, der im August mit einer Operation gegen Johnston und Palmyra beginnen sollte. Blieb dagegen der Sieg bei Midway aus, weil vielleicht die amerikanische Flotte sich nicht zur Schlacht stellte, so war es ratsam, auch den Kräftebedarf für NeuKaledonien usf. noch einmal zu überdenken. Wie auch immer, in der Kräfteverteilung spiegelte sich jedenfalls das Verknüpfen von zwei verschiedenen strategischen Zielen wider, das ein Ineinanderschachteln verschiedener Operationspläne nach sich zog. Das eine strategische Ziel, auf welches sich Admiralstab und Generalstab ursprünglich geeinigt hatten, beinhaltete das Ausgreifen in den Südpazifik, also nach Neu-Kaledonien usf. Das Unternehmen gegen Port Moresby und Tulagi war dem vorgeschaltet, um den Verteidigungsraum beim Bismarck-Archipel abzurunden und eine günstige Ausgangsstellung für den Vorstoß in den Südpazifik zu gewinnen. Das andere strategische Ziel, dasjenige von Yamamotos Flottenkommando, hieß Hawaii. Das Unternehmen gegen Midway war dem vorgeschaltet, um die amerikanische Flotte herauszulocken und nach Möglichkeit zu einer Entscheidungsschlacht zu veranlassen. Daß Yamamoto tatsächlich auf Hawaii zielte, durfte bei sorgfältiger Würdigung verstreuter Hinweise schon immer vermutet werden, es ist mittlerweile nachgewiesen und entspricht überdies der Logik. Natürlich ging es Yamamoto nicht vorrangig um die Besetzung Midways und schon gar nicht um diejenige der Aleuten. Nicht einmal der Gedanke, gerade bei Midway eine Entscheidungsschlacht zu schlagen, war zwingend. Der Admiralstab hatte früher ganz richtig darauf hingewiesen, daß es zweifelhaft sei, ob es bei Midway überhaupt zur Schlacht kommen werde. Umgekehrt enthielt der frühere Plan des Kaiserlichen Hauptquartiers, in den Südpazifik vorzustoßen und um den Besitz der dortigen Inseln zu kämpfen, mindestens dieselbe Aussicht, die amerikanische Flotte zur Schlacht zu stellen. Wenn es nur um das momentane Abnützen der amerikanischen Flotte ging, dann war der Angriff auf Midway überflüssig. In diesem Fall empfahl es sich eher, in den Südpazifik vorzudringen. Aber Yamamoto ging von der zutreffenden Einsicht aus, daß durch das Vordringen in den Südpazifik auf lange Sicht keine grundlegende Verbesserung der strategischen Lage Japans erzielt werden könne. Australien ließ sich ohnedies nicht erobern, und die Verbindungswege nach Australien vermochte man lediglich zu bedrohen, jedoch schwerlich ganz zu unterbrechen, da die Westmächte, wenn sie Umwege in Kauf nahmen, immer eine Möglichkeit finden würden, Transporte nach Australien durchzubringen. Das Ausgreifen in den Südpazifik konnte nur dazu führen, den japanischen Verteidigungsraum weiter auszudehnen und die h.egrenzten Kräfte des Kaiserreichs zu zerstreuen, 4 Rauh, Zweiter Weltkneg 3. Tetl

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ohne seine späteren Verteidigungsmöglichkeiten einschneidend zu verbessern. Selbst wenn Amerika beim Kampf um den Südpazifik einen Teil seiner Flotte einbüßte, vermochte es die Verluste binnen weniger Jahre überreichlich zu ersetzen. Dann würde die amerikanische Gegenoffensive beginnen, und ihr Ausgangspunkt würde Hawaii sein. Japan konnte seine strategische Lage im Pazifik auf lange Sicht nur dann tiefgreifend verbessern, wenn es Hawaii in Besitz nahm. Von diesem zentralen Stützpunkt aus ließen sich beliebig Flottenunternehmungen ansetzen, die Amerika höchst unbequem werden mußten. Umgekehrt vermochten die USA, wenn ihr Rüstungsstand es zuließ, zwar sehr wohl in die Offensive zu gehen, aber kaum an Hawaii vorbei, da ihre Verbindungslinien sonst immer in der Flanke bedroht waren. Es würde demnach voraussichtlich zum Kampf um Hawaii kommen, wobei Japan in der stärkeren Position des Verteidigers war, die es ihm erlaubte, sowohl seine Flotte als auch die sonstigen auf Hawaii befindlichen Streitkräfte einzusetzen. Inseln mit Flugplätzen stellen ja so etwas wie unsinkbare Flugzeugträger da, und bei entsprechender Stationierung von Luftwaffenverbänden auf Hawaii würde das Kaiserreich in diesem Gebiet dann über ziemlich viele Flugzeugträger verfügen. Die Japaner durften in diesem Fall ohne Bedenken einen Großteil ihrer Kräfte auf Hawaii konzentrieren, weil verhältnismäßig sicher war, daß die Amerikaner Hawaii nicht umgehen würden. Dagegen konnten die Japaner, solange Hawaii in amerikanischer Hand blieb, nicht zuverlässig abschätzen, wo die Offensive der USA stattfinden sollte, und mußten demzufolge ihre Kräfte zersplittern. Im Besitze von Hawaii war es für Japan nicht ausgeschlossen, den USA längere Zeit standzuhalten; überdies bildeten die Inseln ein mögliches Faustpfand für Friedensverhandlungen. Zweifellos war die strategische Absicht Yamamotos kühn. Sie scheiterte indes nicht wegen ihrer übertriebenen Kühnheit oder wegen des fachlichen Unvermögens der japanischen Planer, sondern weil es im Rahmen der verwickelten japanischen Willensbildung nicht dazu kam, jene Absicht wirklich bedingungslos und folgerichtig durchzuführen. Die Besonderheiten der japanischen Planung oder ihre scheinbare Unzulänglichkeit erklären sich aus der besagten Verquickung von zwei verschiedenen strategischen Zielen, gefolgt von einem Ineinanderschachteln verschiedener Operationspläne: Südpazifik und Hawaii. Yamamoto, ihm folgend dann auch Nagano, strebte über Midway nach Hawaii und betrachtete den Südpazifik lediglich als unbedeutendes Nebenziel, wogegen das Kaiserliche Hauptquartier, namentlich der Generalstab, dieser Sichtweise nur zögerlich folgte und am Operationsziel Südpazifik festhielt Die Lösung, die man wählte, war ein Komprorniß, und zwar, wie sich später herausstellte, ein fauler Komprorniß. Statt sich für eine der beiden Absichten zu entscheiden und alle Kräfte auf ein Ziel anzusetzen, verfolgte man beide Ziele zugleich und mußte einen Weg ausfindig machen, die Kräfte nebeneinander oder nacheinander für beide Ziele zu verwenden. Der Weg, den man dafür fand, war unter den gegebenen Verhältnissen an sich nicht ungeschickt, er entpuppte sich erst im Licht der nachfolgenden Ereignisse als ungeeignet.

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Japan besaß zu jener Zeit im Pazifik eine klare Flottenüberlegenheit Allein an Flugzeuträgern, nunmehr den wichtigsten Kriegsschiffen, verfügte es über die sechs großen Einheiten, die schon bei Pearl Harbor gefochten hatten (Kaga, Akagi, Soryu, Hiryu, Shokaku, Zuikaku), dazu fünf kleinere, die zum Teil aus anderen Schiffen umgebaut worden waren (Hosho, Ryujo, Zuiho, Shoho, Junyo; eine weitere Einheit des Junyo-Typs, die Hiyo, stand kurz vor der Fertigstellung). Demgegenüber hatten die USA im Pazifik nur vier einsatzfähige Flottenträger (Lexington, Enterprise, Yorktown, Homet), ein weiterer (Saratoga) war im Januar von einem japanischen U-Boot torpediert worden und lag zur Reparatur in der Werft, zwei befanden sich im Atlantik (Wasp und Ranger). Die Japaner rechneten mit den genannten vier Trägem im Pazifik und wußten, daß einer davon (Yorktown) sich in letzter Zeit im Südpazifik aufgehalten hatte. Für das Unternehmen gegen Port Moresby und Tulagi stellten sie einen Trägerverband mit den beiden modernsten großen Einheiten Shokaku und Zuikaku zur Fernsicherung bereit, dazu einen weiteren Verband mit dem leichten Träger Shoho zur Nahsicherung. Die Überlegenheit schien damit sichergestellt zu sein, weil die Japaner in diesem Gebiet nur mit der amerikanischen Yorktown rechneten. Wenn das Unternehmen schnell genug stattfand, konnten die Amerikaner auch keine weiteren Träger von Hawaii mehr heranbringen. Nach Erledigung der Aufgabe bei Port Moresby sollten Shokaku und Zuikaku zur Hauptflotte stoßen, um an dem Angriff gegen Midway teilzunehmen. Mit sechs großen Trägem, dazu einigen kleinen, würden die Japaner auch den höchstens vier amerikanischen Trägem bei Midway überlegen sein. Die landgestützte amerikanische Luftwaffe auf Midway vermochte daran nicht viel zu ändern, weil sie nicht sehr umfangreich sein konnte und Flugzeuge wie Besatzungen auf japanischer Seite im Durchschnitt eine bessere Qualität aufwiesen. Falls es bei Midway gar nicht zur Seeschlacht kam, wie selbst Yamamoto in Rechnung stellen mußte, so entstand kein Schaden; es blieb dann immer noch Gelegenheit, sich dem Südpazifik zuzuwenden und über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Kam es aber zur Schlacht bei Midway, so würde voraussichtlich die amerikanische Flotte geschlagen werden, so daß die Eroberung weiterer Inseln zumindest erleichtert wurde. Im Licht solcher Überlegungen erklärt sich möglicherweise auch das merkwürdige Unternehmen gegen die Aleuten. Militärisch hatte es an sich wenig Sinn; zwar sollten etliche Inseln besetzt werden, doch nur für kurze Zeit, da man die Versorgung im Winter für zu schwierig hielt und deshalb die Besatzungen vorher wieder abziehen wollte. Das erweckt den Eindruck, als habe der Angriff auf die Aleuten weniger eine militärische als vielmehr eine psychologische Aufgabe erfüllen sollen. Für diesen Angriff wurden zwei leichte Flugzeugträger abgezweigt (Ryujo und Junyo), die an anderer Stelle wohl bessere Dienste geleistet hätten. Der eigentliche Zweck des Midway-Unternehmens bestand indes darin, die amerikanische Flotte herauszulocken. Um dies zu erreichen, mochte es nützlich erscheinen, nicht bloß Midway, sondern auch noch amerikanisches Territorium bei Alaska anzugreifen. Die amerikanische Flotte würde dann vielleicht eher geneigt sein, sich zum 4*

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Kampf zu stellen, als wenn nur die unbedeutenden Inseln von Midway bedroht wurden. 12 Freilich entwickelten sich die Dinge nicht so glatt, wie die japanische Seite es sich gewünscht hätte. Nachdem der amerikanische Nachrichtendienst schon früher die Verschlüsselung des diplomatischen Funkverkehrs der Japaner gebrochen hatte, gelang im Frühjahr 1942 auch das Knacken des japanischen Marinecodes. Amerikanische Stellen waren daher über die japanischen Absichten hinreichend unterrichtet, zunächst über das Unternehmen gegen Port Moresby, dann über die Operation gegen Midway. Admiral Nimitz, dem außer dem Oberbefehl über die Pazifikflotte auch der Oberbefehl über alle Streitkräfte im Pazifik übertragen wurde mit Ausnahme von Mac Arthurs Kommandobereich Südwestpazifik - Nimitz also sandte im April unverzüglich den Träger Lexington zur Unterstützung der Yorktown in den Südpazifik, um dem Angriff auf Port Moresby entgegenzutreten. Die beiden Träger, die am Unternehmen gegen Tokio teilgenommen hatten, sollten folgen, konnten aber voraussichtlich nicht mehr rechtzeitig eintreffen. Die Rechnung der Japaner, daß sie beim Angriff auf Port Moresby an Trägem überlegen sein würden, ging damit nicht mehr auf. Es kam hinzu, daß die Luftherrschaft über Port Moresby von der landgestützten japanischen Luftwaffe errungen werden sollte. Selbst wenn dies gelang, änderte es nichts an der Tatsache, daß dadurch die Flugplätze auf dem gegenüberliegenden australischen Festland nicht ausgeschaltet werden konnten. Dies hätte den Angriff einer starken Trägerkampfgruppe erfordert, die jedoch nicht zur Verfügung stand. Die Gruppe mit Shokaku und Zuikaku war zu schwach dazu und erhielt den Befehl, sich auf derartiges nicht einzulassen. Damit waren die japanischen Kräfte eigentlich zu knapp bemessen. Es rächte sich nun, daß man zwei Operationsziele ineinander geschachtelt hatte und für das eine der beiden, welches Midway einschloß, bereits die Flotte zusammenzog. Zweckmäßig wäre es gewesen, entweder auf das Port Moresby-Unternehmen zumindest vorläufig zu verzichten, oder die Kräfte für den Südpazifik zusammenzufassen. Da dies nicht geschah, hing der Ausgang der Kämpfe von der taktischen Geschicklichkeit und vom Kriegsglück ab- eine eher unsichere Grundlage. Wenn es der japanischen Trägergruppe gelang, ihren Gegner zu schlagen, war der Weg frei, andernfalls nicht. Es gelang nicht, oder jedenfalls nicht in der erforderlichen Weise. Zum Auftakt besetzten die Japaner am 3. Mai ohne Schwierigkeiten Tulagi, wo zu Aufklärungszwecken ein Stützpunkt für Seeflugzeuge eingerichtet werden sollte. Die amerikanische Trägerkampfgruppe mit zwei Trägern unter dem Befehl von Admiral Fleteher stand zu dieser Zeit im Korallenmeer südlich der Salomonen. Fleteher ließ umgehend Tulagi angreifen, richtete indes keinen großen Schaden an. Danach stieß 12 Kritik an den japanischen Plänen neuerdings vor allem bei Willmott, Barrier. Zum Flottenunternehmen im Indischen Ozean auch Marder I J acobsen I Horsfield. Zur Zielsetzung des japanischen Flottenkommandos FuchidaiOkumiya, 108 und passim. Ugaki, 119. Zur Person Yamamotos Agawa.

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Fleteher nach Westen ins Korallenmeer vor, um etwa in der Gegend der Luisiaden den japanischen Invasionsverband für Port Moresby abzufangen, welcher, gesichert von einer Kampfgruppe mit dem leichten Träger Shoho, um die Südostspitze von Neuguinea herum zu seinem Ziel marschieren mußte. Unterdessen umrundete der japanische Verband mit den beiden schweren Trägem die Südostspitze der Salomonen und stieß im Rücken der Amerikaner ebenfalls ins Korallenmeer vor. Die Ereignisse vom 5. bis zum 8. Mai wurden stark von Zufällen und Unwägbarkeiten geprägt. Fleteher wußte längere Zeit nichts über den Aufenthalt der japanischen Träger, während diese umgekehrt nur einen amerikanischen Träger vermuteten. Bei Kämpfen zwischen Flugzeuträgem ist eine zuverlässige Aufklärung noch entscheidender als sonst im Seekrieg; wer den Gegner zuerst erlaßt, kann ihn auf große Entfernung mit Bombern und Torpedofliegern schwer treffen, ohne selbst Schaden zu nehmen. Mit ihrer Aufklärung hatten beide Seiten Schwierigkeiten; zeitweise standen beide Trägergruppen in bequemer Reichweite voneinander, ohne sich zu entdecken. Am 7. Mai hatten beide Gruppen eine Position erreicht, die ihren Wünschen entsprach, und beide fanden einen Gegner, trotzdem unterliefen dabei schwere Irrtümer. Die Amerikaner entdeckten den Invasionsverband für Port Moresby, glaubten aber, es handle sich um einen Verband mit großen Trägem. Die Japaner erhielten drei Aufklärungsmeldungen, wovon eine den Standort der amerikanischen Trägergruppe angab. Auf den japanischen Trägem schenkte man jedoch der früher eingegangenen Meldung eines eigenen Aufklärers Glauben, wonach ein amerikanischer Träger mit Begleitfahrzeug an anderer Stelle stand. In Wahrheit handelte es sich dabei um einen amerikanischen Tanker mit Begleitzerstörer. So kam es, daß Fleteher mit geballter Kraft den leichten Träger Shoho angriff und versenkte, während der japanische Trägerverband mit geballter Kraft einen Tanker und seinen Begleitzerstörer versenkte. Nach einigen weiteren Verwirrungen fand am 8. Mai endlich die Schlacht im Korallenmeer zwischen den beiden Trägerkampfgruppen statt, die erste reine Trägerschlacht der Geschichte. Beide Trägergruppen entdeckten sich etwa gleichzeitig und griffen etwa gleichzeitig in ähnlicher Stärke an. Auf japanischer Seite wurde Shokaku durch Bombentreffer beschädigt; auf amerikanischer Seite erhielten Lexington und Yorktown Bombentreffer, Lexington überdies Torpedotreffer; das Schiff sank nach einiger Zeit. Der taktische Erfolg war damit auf Seiten der Japaner; sie konnten ihn jedoch nicht ausnützen, weil nur noch ein verwendbarer Träger übrig blieb (Zuikaku), der nicht ausreichte, das Unternehmen gegen Port Moresby zu decken. DieJapanerzogen sich zurück. Zu einer Änderung ihrer weiteren Pläne fühlten sie sich dadurch allerdings nicht bewogen. Der Angriff gegen Midway und die Aleuten sollte weiterhin, wie vorgesehen, Anfang Juni stattfinden. Im einzelnen war beabsichtigt, am 3. Juni durch einen Verband mit zwei leichten Trägem den amerikanischen Stützpunkt Dutch Harbor auf den östlichen Aleuten lahmzulegen. (Da im Pazifik eine Datumsgrenze verläuft, werden die Daten hier nicht in Tokio-Zeit angegeben, sondern in OrtsZeit, die einen Tag früher liegt.) Für den 5. Juni und später waren Landungen auf einzelnen Aleuten-Inseln vorgesehen, deren Sicherung der genannte Trägerverband

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zu übernehmen hatte sowie ein weiterer Verband mit vier Schlachtschiffen, der einstweilen weiter rückwärts stand. Die Kräfteverteilung entsprach den Verhältnissen, denn gegen die amerikanische Luftwaffe bei den Aleuten wurden trägergestützte Flugzeuge benötigt. Ansonsten mußte sich die Verwendung der Verbände nach den Umständen richten. Falls sich die Amerikaner verleiten ließen, Träger nach den Aleuten zu entsenden, konnten japanische Träger von Midway herangezogen werden. Setzten die Amerikaner bei den Aleuten Kreuzer oder sogar Schlachtschiffe ein (tatsächlich stand dort eine Kampfgruppe mit etlichen Kreuzern und Zerstörern), so wurde deren Bekämpfung bei dem schlechten Wetter in jenem Gebiet zweckmäßigerweise von dem japanischen Schlachtschiffverband übernommen, der zudem von den Kräften bei Midway verstärkt werden konnte. Umgekehrt ließen sich aber auch Kräfte von den Aleuten nach Midway ziehen. Bei Midway wiederum hatte ein Verband mit vier großen Trägern unter Admiral Nagumo am 4. Juni vorbereitende Luftangriffe zu fliegen. Da hier der Südostpassat wehte und die Träger zum Starten und Landen der Flugzeuge gegen den Wind laufen mußten, sollte Midway von Nordwesten her angesteuert werden. Der erste Luftangriff hatte in einer Entfernung von 250 Seemeilen zu starten; anschließend liefen die Träger ihren zurückkehrenden Flugzeugen entgegen und verkürzten so die ziemlich große Entfernung. Südlich von Nagumos Trägern marschierten aus westlichen Richtungen weitere Verbände heran, von denen eine Gruppe mit Seeflugzeugträgern am 5. Juni auf dem Atoll Kure nordwestlich von Midway einen Stützpunkt für Seeflugzeuge einzurichten hatte, um die folgenden Operationen zu unterstützen. Am 6. Juni sollte die Landung auf Midway stattfinden, wobei eine Gruppe von vier schweren Kreuzern die Landziele zu beschießen hatte. Die Dekkungsstreitkräfte für die Trägergruppe bestanden aus zwei schnellen Schlachtschiffen, zwei schweren Kreuzern und einer Zerstörerflottille, die Deckungsstreitkräfte für die Landungsflotte aus einem leichten Träger (Zuiho), zwei schnellen Schlachtschiffen und vier weiteren schweren Kreuzern, dazu ebenfalls einer Zerstörerflottille. Hinter Nagumos Verband stand noch eine Gruppe mit drei Schlachtschiffen, darunter Yamamotos Flaggschiff, die überschwere Yamato. Der gesamte Aufmarsch war wohl nicht ideal, aber auch nicht so unüberlegt, wie er später öfters hingestellt wurde. Das Unternehmen gegen die Aleuten darf sicher als überflüssig bezeichnet werden; da man sich jedoch innerhalb der japanischen Führungseinrichtungen darauf geeinigt hatte und offenbar niemand den Plan umstoßen wollte, mußte es durchgeführt werden. Die Akuten-Streitkräfte, namentlich die beiden leichten Träger, hätten eine Verstärkung für den Angriff gegen Midway darstellen können, wenngleich keine bedeutende. Wegen des Mangels an ausgebildeten Besatzungen und Flugzeugen hatten Ryujo und Junyo gemäß neueren Berechnungen anscheinend nur 51 Trägermaschinen an Bord, obwohl sie zusammen rund 100 zu fassen vermochten. Die Gliederung der Streitkräfte gegen Midway entsprach im Grundsatz den Anforderungen: Es gab einerseits Nagumos Trägergruppe (samt ihrer Begleitung), welche die Hauptlast der Kämpfe zu tragen hatte, und es gab andererseits die Landupgsflotte, die unabhängig von der Trägerflotte ihre eige-

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nen Deckungsstreitkräfte benötigte, z. B. gegen einen überraschenden Nachtangriff mit Kreuzern oder dergleichen. Auch die Amerikaner haben später eine ähnliche Zweiteilung angewandt, indem sie die Trägerflotte von der Landungsflotte mit eigenen Deckungsstreitkräften trennten. Zweifellos hätten sich die japanischen Kräfte gegen Midway anders und günstiger einteilen lassen; die Gruppe mit Yamamotos Flaggschiff stand ein wenig verloren hinter dem Geschehen, die Begleitung von Nagumos Trägergruppe hätte sich verstärken lassen, die Landungsflotte konnte auch von langsameren Schlachtschiffen gedeckt werden, und bei Zusammenfassung der Kräfte hätten sich zwei Trägergruppen bilden lassen. Daß all dies nicht geschah, hängt vermutlich damit zusammen, daß man nicht die Zeit gefunden hatte, die Kommandostrukturen auseinanderzureißen und die ganze Flotte neu zu organisieren. Das entscheidende Problem lag aber offenbar nicht hier, sondern in dem Umstand, daß Nagumos Trägergruppe verhältnismäßig schwach war. Nach der ursprünglichen Planung hätte sie die sechs großen Träger (Akagi, Kaga, Hiryu, Soryu, Shokaku und Zuikaku) umfassen sollen, die zusammen, wenn sie voll mit Flugzeugen ausgestattet waren, rund 400 Einsatzmaschinen und eine beträchtliche Zahl von Reservemaschinen aufnehmen konnten. Als freilich Shokaku und Zuikaku nach der Schlacht im Korallenmeer zurückkehrten, mußte Shokaku für längere Zeit in die Werft, und die Zuikaku fiel wegen ihrer Flugzeugverluste jedenfalls so lange aus, daß sie an dem Midway-Unternehmen nicht mehr teilnehmen konnte. Damit hatte Nagumos Verband nur noch vier Träger, die wegen der Knappheit an Piloten gemäß neueren Angaben lediglich rund 230 Einsatzflugzeuge aufwiesen. Trotzdem mochte Yamamoto sich nicht zu einer Verschiebung des Unternehmens bereitfinden. Dieser Entschluß war nicht so unüberlegt, wie er zunächst wirken mag. Die Amerikaner verfügten im Frühjahr 1942 bekanntlich über vier Flottenträger im Pazifik. Bei der Schlacht im Korallenmeer hatte sich die Annahme bestätigt, daß die japanische Trägerluftwaffe überlegen war. Bei ausgeglichenem Zahlenverhältnis war am 8. Mai nur ein japanischer Träger beschädigt, dagegen ein amerikanischer Träger versenkt und der andere beschädigt worden. Das japanische Flottenkommando rechnete demzufolge für den Kampf um Midway nur noch mit zwei oder drei amerikanischen Trägern. Ob im Korallenmeer beide amerikanischen Träger verlorengegangen waren, wußte man nicht genau, aber man stellte in Rechnung, daß vielleicht einer entkommen sei, oder daß mittlerweile ein anderer im Pazifik stand, entweder die früher beschädigte Saratoga oder die Wasp aus dem Atlantik. Diese Rechnung war völlig richtig, denn Nimitz verfügte Ende Mai I Anfang Juni über Euterprise und Hornet; die beschädigt aus dem Korallenmeer zurückgekehrte Yorktown wurde innerhalb kürzester Zeit repariert, Saratoga wurde im Juni wieder einsatzbereit, und Wasp stieß anschließend dazu. Wenn die Japaner, wie geplant, Anfang Juni angriffen, dann trafen sie im günstigeren Fall nur auf zwei, im ungünstigeren Fall auf drei amerikanische Träger (tatsächlich waren es drei); wenn die Japaner aber warteten, bis Zuikaku, Shokaku oder beide wieder einsatzfähig waren, dann würden sie auf vier bis fünf amerikanische Träger treffen. Ein Verhältnis von vier japanischen Trägern gegen zwei oder drei amerikanische

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war aber immer noch besser als ein Verhältnis von fünf gegen vier oder von sechs gegen fünf. Der Entschluß Yamamotos, die Operation gegen Midway nicht zu verschieben, war also durchaus begründet. Auch andere Dinge wurden auf japanischer Seite bedacht. Für den Ablauf der Ereignisse gab es zwei Möglichkeiten. Die günstigere bestand darin, daß der japanische Aufmarsch den Amerikanern verborgen blieb. Dann durfte zunächst Nagumos Trägergruppe die amerikanische Luftwaffe auf Midway in Ruhe niederkämpfen. Amerikanische Träger von Hawaii konnten wegen der Entfernung erst nach einigen Tagen eintreffen; der gleichzeitige Angriff auf die Aleuten mochte dabei für Verwirrung sorgen. Jedenfalls würde Midway ausgeschaltet sein, bis die amerikanischen Träger herankamen, so daß Nagumos Trägergruppe sich anschließend diesem Gegner zu widmen vermochte. Die ungünstigere Möglichkeit bestand darin, daß die Amerikaner über den japanischen Aufmarsch Bescheid wußten. In diesem Fall konnte es sein, daß amerikanische Träger bereits bei Midway standen, außerdem würden unter diesen Umständen wahrscheinlich die Luftstreitkräfte auf Midway rechtzeitig verstärkt werden. Die Aufgabe von Nagumos Trägergruppe würde dann schwierig werden, weil sie sich mit zwei starken Gegnern zugleich auseinandersetzen mußte. Bei Kriegsspielen des Flottenkommandos Anfang Mai warf der Stabschef Yamamotos, Admiral Ugaki, die Frage auf, was der Verband Nagumo zu tun gedenke, wenn während des Luftangriffs auf Midway eine feindliche Trägerkampfgruppe in seiner Flanke auftauche. Wie man weiß, geschah genau dieses. Die amerikanische Aufklärung erkannte die japanische Operation rechtzeitig, so daß Nimitz seine Vorkehrungen treffen konnte. Man erwartete, daß die japanische Trägerflotte wegen des Windes Midway von Nordwesten her ansteuern würde. Nimitz bildete zwei Trägerkampfgruppen, beide geschützt von Kreuzern und Zerstörern, die eine mit Enterprise und Hornet unter Admiral Spruance, die andere mit der eiligst reparierten Yorktown unter Admiral Fletcher, wobei Fleteher den taktischen Oberbefehl erhielt. Die beiden Gruppen bezogen nördlich Midway Position, so daß sie am 4. Juni, wenn Nagumo seinen Luftangriff auf Midway fliegen sollte, in dessen Flanke standen. Dies hätte die Japaner eigentlich nicht ganz unvorbereitet treffen dürfen. Bei den erwähnten Kriegsspielen Anfang Mai hatte Ugaki verlangt, daß einer solchen Möglichkeit Beachtung geschenkt werde. Yamamoto selbst hatte Nagumo angewiesen, dauernd einen Teil seiner Flugzeuge so bewaffnet zu halten, daß sie Schiffsziele angreifen konnten. Die Gefahr war also rechtzeitig erkannt worden. Es bleibt die Frage, warum die Japanertrotzdem in die Falle tappten. Nagumo und sein Stab bezogen den Standpunkt, daß die Auftragsetteilung unklar oder widersprüchlich sei, denn einerseits war genau festgelegt, wann und wo die Trägergruppe ihren Luftangriff auf Midway vorzunehmen hatte, andererseits bezeichnete der Operationsbefehl des Flottenkommandos die Vernichtung der feindlichen Seestreitkräfte als HauptzieL Beides vertrug sich schlecht miteinander, jedenfalls dann, wenn beide Aufgaben zeitlich zusammenfielen. Für den Luftkampf gegen Midway war der Nagumo-Verband in seinem taktischen Verhalten gebunden, wäh-

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rend der Kampf gegen feindliche Träger völlige Freiheit des taktischen Verhaltens erforderte. Waren beide Aufgaben nacheinander zu erfüllen, dann ließ sich das taktische Verhalten entsprechend einrichten; trafen beide Aufgaben zusammen, mußte eine von beiden darunter leiden. Freilich ließ sich das Dilemma kaum umgehen. Bei Licht betrachtet, hatte Nagumos Trägerverband nicht nur eine doppelte, sondern sogar eine dreifache Aufgabe: Er mußte die eigene Landungsflotte schützen, Midway ausschalten und die feindliche Flotte bekämpfen. Wenn die gegnerischen Träger bereits bei Midway standen, dann durfte Nagumo nicht nach Belieben manövrieren, sondern er mußte auf den Schutz der Landungsflotte bedacht sein. Andernfalls konnte es geschehen, ähnlich wie im Korallenmeer, daß die amerikanischen Träger an den japanischen vorbeischlüpften und die Landungsflotte angriffen. Falls die Transporter versenkt wurden, entfiel die Landung von selbst. Nagumo war deshalb in seinem Kurs gebunden, nicht bloß, weil er Midway gegen den Wind ansteuern mußte, sondern auch, weil er auf die Landungsflotte zulaufen mußte, die von Westen herankam. Ob sich dies durch eine andere Gestaltung des Aufmarsches hätte vermeiden lassen, ist schwer zu sagen; sehr wahrscheinlich ist es nicht, weil Nagumo, solange er auch die Landungsflotte decken mußte, nie völlige Freiheit des Manövers besaß. Es hat den Anschein, als habe der Operationsplan des japanischen Flottenkommandos eine durchaus vertretbare Lösung dargestellt, bei der man allerdings in Kauf nehmen mußte, daß eine amerikanische Trägergruppe in Nagumos Flanke auftauchte. Nagumo war angewiesen, sich darauf einzurichten. Eben dies tat er nicht. Statt die gefährlichste Möglichkeit zur Grundlage des Handeins zu machen, verhielten sich Nagumo und sein Stab so, als sei mit feindlichen Trägem bei Midway jetzt noch nicht zu rechnen. Als vordringliches Ziel betrachteten sie die Ausschaltung der gegnerischen Luftwaffe auf Midway, nicht jedoch die Absicherung gegen vielleicht vorhandene amerikanische Träger. Am Morgen des 4. Juni erreichte Nagumos Trägergruppe die vorgesehene Position etwa 250 Seemeilen nordwestlich Midway und startete ungefähr um 4 Uhr 30 eine Angriffswelle, bestehend aus 72 Bombern und 36 Jägern. Eine zweite Welle in ähnlicher Stärke wurde für den Angriff auf Schiffsziele bereitgestellt, also insbesondere für einen unvermutet auftauchenden feindlichen Trägerverband. Sie umfaßte die besten japanischen Flugzeugbesatzungen und bestand aus Torpedofliegem, Sturzbombern sowie Jägern. Ebenfalls um 4 Uhr 30 starteten sieben Aufklärungsmaschinen, großenteils Schwimmerflugzeuge der begleitenden Kreuzer, die eine Sektorenaufklärung nach Süden und Osten flogen. Eines davon hatte wegen eines Defekts am Katapult des Kreuzers Tone eine halbe Stunde Verspätung. Da sich die japanischen Träger im Schutz einer Schlechtwetterfront näherten, waren sie bis dahin durch die amerikanische Luftaufklärung von Midway nicht erlaßt worden. Etwa um 5 Uhr 30 jedoch wurden sowohl die anfliegende Angriffswelle als auch japanische Träger entdeckt, so daß die amerikanischen Flugzeuge auf Midway, auf den Angriff vorbereitet, unverzüglich aufsteigen konnten. Bomber und Torpedoflieger griffen Nagumos Träger an, während sich die Jäger, etwa 27 an

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der Zahl, der japanischen Angriffswelle entgegenwarfen. Beides brachte keinen nennenswerten Erfolg. Die amerikanischen Jäger, den japanischen weit unterlegen, wurden fast völlig aufgerieben, die Landeinrichtungen auf Midway beschädigt; und bei den Luftangriffen auf Nagumos Träger wurden die amerikanischen Flugzeuge zum großen Teil abgeschossen, ohne einen Treffer zu erzielen. Die Schlacht war bis dahin für die Japaner glücklich verlaufen. Allerdings meldete der Führer der Angriffswelle um 7 Uhr, daß ein zweiter Angriff auf Midway nötig sei, was insofern zutraf, als der Flugplatz in Betrieb blieb und Midway, soweit es noch Flugzeuge besaß, diese weiterhin einsetzen konnte. Daß ein zweiter Angriff erforderlich werden könnte, hatten Nagumo und sein Stab bereits erwartet. Die japanischen Aufklärer hatten bis 7 Uhr nichts gemeldet, so daß sich die Annahme zu bestätigen schien, mit amerikanischen Trägem brauche noch nicht gerechnet zu werden. Außerdem begannen zu dieser Zeit die Angriffe der Flugzeuge von Midway, für deren Abwehr auch Jäger benötigt wurden, welche die zweite Welle bei einem Angriff gegen Schiffsziele begleiten sollten. Nagumo glaubte daher, auf die Bereitstellung der zweiten Welle zum Angriff auf Schiffsziele verzichten zu können; man schien diese Flugzeuge jetzt dringlicher zu benötigen für den Kampf gegen die Luftwaffe von Midway. Um 7 Uhr 15 ordnete Nagumo an, die Flugzeuge der zweiten Welle umzurüsten: Die Torpedoflieger sollten statt der Torpedos gegen Schiffsziele Bomben gegen Landziele erhalten. Damit verstieß Nagumo genaugenommen gegen seine Anweisungen, denn er sollte sich auf einen möglichen Flankenangriff feindlicher Träger einrichten und dafür ständig einen Teil seiner Schlagkraft bereithalten. Die Entscheidung Nagumos stellte nicht geradezu den Wendepunkt der Schlacht dar, aber in ihr bündelten sich die untauglichen Maßnahmen und falschen Annahmen des Admirals und seines Stabes, die schließlich zur Niederlage führten. Der Gefährdung durch feindliche Träger wurde nicht die Aufmerksamkeit geschenkt, die sie verdient hätte. Das erste Versäumnis betraf die Aufklärung. Wie unsicher die Aufklärung über See war, konnte niemandem entgangen sein; die Schlacht im Korallenmeer hatte es erneut bestätigt. Um sich vor gegnerischen Trägem zu schützen, wäre sorgfältigste Aufklärung oberstes Gebot gewesen. Daß Nagumo seine erste Angriffswelle gegen Midway starten ließ, ohne vorher das Seegebiet aufgeklärt zu haben, ist dabei wenig zu beanstanden. Er befand sich in der Reichweite der Luftaufklärung von Midway und mußte damit rechnen, nach Sonnenaufgang (etwa 5 Uhr) entdeckt zu werden. Da sich seine Anwesenheit ohnedies nicht verbergen ließ, konnte er Midway auch gleich angreifen. Aber er mußte unter allen Umständen rechtzeitig erfahren, ob feindliche Träger auf der Lauer lagen. Nagumo ließ eine sogenannte Einphasenaufklärung fliegen, bei der fächerförmig sieben Aufklärungsstreifen nördlich und westlich Midway von einzelnen Flugzeugen abgesucht wurden. Eines dieser Flugzeuge muß das Seegebiet, in welchem die amerikanischen Träger standen, überflogen haben, entdeckte aber nichts. Ein anderes Flugzeug, der verspätete Aufklärer des Kreuzers Tone, sichtete gegen 7 Uhr 30 den Gegner, konnte aber zunächst nicht feststellen, um was für Schiffe es sich handelte. Nagumo muß trotz-

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dem sofort vermutet haben, daß dort feindliche Träger stehen könnten, denn wären es nur Schiffe mit Artillerie gewesen, so hätte kein Grund zur Beunruhigung bestanden. Bei einer Entfernung von über 150 Seemeilen konnten sie frühestens in fünf Stunden herankommen - genug Zeit, um ihnen vorher den Garaus zu machen. Wenn es sich dagegen um feindliche Träger handelte, dann bestand allerhöchste Gefahr, weil vielleicht ihre Flugzeuge bereits zu einem Erstschlag aufgestiegen waren (was tatsächlich zutraf). Jedenfalls fallte Nagumo unmittelbar nach Erhalt der Aufklärungsmeldung, um 7 Uhr 45, die Entscheidung, die zweite Welle erneut umzurüsten, nunmehr wieder zum Angriff auf Schiffsziele. Dieses Hin und Her zeigte deutlich, daß der Admiral und sein Stab sich verkalkuliert hatten und daß sie es wußten oder zumindest ahnten. Der Hauptgrund lag in der unzureichenden Aufklärung. Um den Gegner sicher und rechtzeitig zu entdecken, hätte sich eine sogenannte Zweiphasenaufklärung empfohlen, bei welcher eine erste Staffel von Aufklärungsmaschinen zeitig vor Sonnenaufgang startete, um bald nach Sonnenaufgang, also nach 5 Uhr, das Seegebiet in größerer Entfernung vom japanischen Trägerverband (bis ca. 300 sm) abzusuchen. Eine zweite Staffel mußte einige Zeit danach aufsteigen, um ebenfalls bald nach Sonnenaufgang das Gebiet in geringerer Entfernung (bis ca. ISO oder 200 sm) zu überfliegen. Auf diese Weise konnte sichergestellt werden, daß frühzeitig das gesamte Aufklärungsgebiet überdeckt wurde, und sogar zweimal überdeckt wurde, falls die zweite Staffel genauso weit flog wie die erste. An Flugzeugen hierfür mangelte es Nagumo an sich nicht. Zwar besaß sein Verband an reinen Aufklärungsmaschinen für größere Entfernungen nur sechs Schwimmerflugzeuge seiner Kreuzer und vier Maschinen auf den Trägem. Aber für größere Entfernungen konnte man die allseits gebräuchliche Methode anwenden, Kampfmaschinen für die Aufklärung abzuzweigen, und für geringere Entfernungen waren zusätzlich 11 Schwimmerflugzeuge der Schlachtschiffe und Kreuzer vorhanden. Im Korallenmeer hatten die beiden japanischen Träger arn Morgen des 8. Mai sieben Trägerflugzeuge für die Aufklärung eingesetzt. Wieso Nagumo und sein Stab mit vier Trägem ähnliches nicht zuwege brachten, bleibt unerfindlich. Hätte Nagumo außer den sechs weitreichenden Schwimmerflugzeugen seiner Kreuzer noch 12 oder 14 Trägerflugzeuge bereitgestellt (vier besaß er ohnehin), so hätte dies ausgereicht, um den ganzen Tag weitreichende Aufklärung zu fliegen. Offenbar hatte Nagumos Stab die Sachlage nicht sorgfaltig genug durchdacht und beging leicht vermeidbare Fehler. Eine Zweiphasenaufklärung am Morgen des 4. Juni hätte mit großer Wahrscheinlichkeit die amerikanischen Träger ziemlich früh entdeckt, entweder mit der ersten Staffel bis gegen 6 Uhr oder spätestens mit der zweiten Staffel bis gegen 7 Uhr. Nagumo besaß dann eine ausgezeichnete Chance, den ersten Schlag gegen den Feind zu führen. Das zweite Versäumnis bezog sich auf die Umrüstung der (zweiten) Angriffswelle, die ursprünglich für den Angriff auf Schiffsziele bereitgestellt worden war. Nagumo und sein Stab folgten dabei wahrscheinlich der taktischen Überlegung, daß die amerikanischen Flugzeuge vori Midway, nachdem sie die japanischen Trä-

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ger angegriffen hatten, wieder nach Midway zurückkehren mußten. Die zweite japanische Welle würde ihnen folgen und würde sie nach der Landung am Boden vernichten. Das war sicher geschickt ausgedacht, aber es verstieß erstens gegen Yamamotos Anordnung, denn die japanischen Träger blieben unter diesen Umständen zum Angriff auf Schiffsziele für mehrere Stunden außerstande; und es war zweitens auch nicht unbedingt erforderlich, weil die Luftwaffe von Midway bei den übrigen Kämpfen so angeschlagen wurde, daß sich ihr auch auf andere Weise der Rest geben ließ. Jene Entscheidung Nagumos ist nur zu erklären, wenn der Admiral und sein Stab den Kampf gegen die Luftwaffe von Midway für wichtiger hielten als Vorsichtsmaßregeln gegen amerikanische Träger. Hätte Nagumo seinen untauglichen Befehl von 7 Uhr 15, die zweite Welle umzurüsten, nicht erteilt, so hätte immer noch die Gelegenheit bestanden, nach der Sichtungsmeldung des Tone-Aufklärers die amerikanischen Träger anzugreifen. Für einen Erstschlag wäre es zwar zu spät gewesen, aber selbst unter diesen Umständen hätte die Schlacht einen anderen Verlauf genommen. Im Korallenmeer hatten 69 japanische Flieger ihre Treffer auf beiden amerikanischen Trägem erzielt. Bei Midway besaß die zweite japanische Welle mit mehr Flugzeugen und der Elite der japanischen Besatzungen gute Aussichten, den amerikanischen Trägem schwere Schläge zu versetzen. Auch das Schicksal der japanischen Träger hätte dann wohl anders ausgesehen. Auf der amerikanischen Seite waren die Admirale Fleteher und Spruance durch die Luftaufklärung von Midway sowie durch die Kämpfe in jenem Gebiet über den Standort und das Verhalten des japanischen Trägerverbandes ungefähr unterrichtet. Spruance entschloß sich, ab 7 Uhr die Angriffswelle seiner beiden Träger starten zu lassen, entweder weil er möglichst früh den ersten Schlag führen wollte, oder weil ihm sein Stabschef riet, den Angriff so zu legen, daß er die japanischen Träger in einer besonders ungünstigen Lage antraf. Wie auch immer die Beweggründe gewesen sein mögen, jedenfalls trat das letztere tatsächlich ein. Die japanische Angriffswelle gegen Midway mußte zwischen 8 und 9 Uhr zu ihren Trägem zurückkehren. Nach der Landung würden die Flugzeuge voraussichtlich wieder mit Treibstoff und Munition ausgestattet werden, was die Träger in einen höchst verwundbaren Zustand versetzte, da auf ihren Decks dann eine ungeschützte Ansammlung hochexplosiver Stoffe vorhanden war. Wenn die amerikanischen Flugzeuge ab 7 Uhr starteten, würden sie die japanischen Träger nach 9 Uhr im Zustand großer Verwundbarkeit antreffen. Nagumo tat alles, um die Verwundbarkeit noch zu vergrößern. Da seine zweite Welle nicht startete, standen auf Hiryu und Soryu die für die zweite Welle vorgesehenen, voll ausgerüsteten Stukas herum, während auf Akagi und Kaga die Torpedoflieger der zweiten Welle erst auf Bomben und dann wieder auf Torpedos umgerüstet wurden. Wegen der Eile ließen die Bedienungsmannschaften die Munition in den Hallendecks liegen. Bis ungefähr 9 Uhr nahm Nagumo überdies seine erste Welle von Midway wieder an Bord und rüstete sie ebenfalls aus. Unter diesen Umständen war es nicht verwunderlich, daß ein Angriff amerikanischer Sturzbomber etwa um 10 Uhr 30 binnen weniger Minuten drei japanische Träger in brennende Scheiterhaufen verwandelte.

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Der dritte Punkt bei den Nachlässigkeiten Nagumos und seines Stabes bezog sich auf die Verteilung der Jäger. Gemäß neueren Angaben sollen auf den japanischen Trägem nicht, wie früher angenommen, 84 Jäger vorhanden gewesen sein, sondern nur 72. Geht man von der geringeren Zahl aus, so bleibt es schwer verständlich, wieso die erste Angriffswelle gegen Midway 36 Jäger umfaßte. Nagumo brauchte seine Jäger für drei Zwecke: erstens für den Schlag gegen Midway, zweitens für den Schutz seiner eigenen Träger und drittens für den Schutz der zweiten Welle, denn ein Angriff auf gegnerische Träger mußte von eigenen Jägern begleitet werden, damit nicht die feindlichen Jäger den größten Teil der eigenen Bomber abschossen. Der Schutz der eigenen Träger und der Schutz der zweiten Welle waren eigentlich die wichtigeren Aufgaben, aber Nagumo und sein Stab hielten den Angriff auf Midway für so wichtig, daß sie ihm die Hälfte aller Jäger, nämlich 36, beigaben. Das war entschieden zu viel, und es sollte sich auch sehr schnell rächen. Eine geringere Zahl, etwa um die 20, hätte wohl ausgereicht, denn wegen ihrer qualitativen Überlegenheit konnten es die japanischen Jäger selbst in einem solchen Fall mit den ca. 27 Jägern auf Midway durchaus aufnehmen. Als dann zwischen etwa 7 Uhr und 8 Uhr 30 die Angriffe der amerikanischen Flugzeuge von Midway gegen die japanischen Träger stattfanden, zeigte sich bald, daß die verbliebenen 36 Jäger nicht ausreichten, um sowohl die japanischen Träger zu verteidigen als auch die zweite Welle ausreichend zu schützen. Die Jäger wurden nach und nach im Luftkampf bei den Trägem eingesetzt. Nagumo konnte deshalb seine zweite Welle aus einem doppelten Grund nicht gegen den amerikanischen Trägerverband aufsteigen lassen: Einerseits fehlten ihm wegen des Umrüstungsbefehls die Torpedoflieger, andererseits hatte er zuwenig Jäger. In dieser Lage verfielen der Admiral und sein Stab auf einen ziemlich riskanten Ausweg. Sie wollten sämtliche Flugzeuge zusammenfassen, teils zu einem späteren Schlag gegen die amerikanischen Träger, teils zur Verteidigung des eigenen Verbandes. Die zweite Welle blieb an Bord und wurde umgerüstet, die erste Welle wurde hereingenommen und ebenfalls ausgerüstet, und die Jäger wurden bereitgehalten für die Abwehr des amerikanischen Angriffs von den Trägem. Mit etwas Glück hätte der Plan sogar gelingen können, denn wenn die japanischen Jäger - zeitweise sollen um die 50 im Einsatz gewesen sein - den Angriff so abfingen, daß die Träger keine Treffer erhielten, dann war Nagumos Verband gerettet. Dieses Glück hatten die Japaner nicht. Nachdem Nagumo die erste Welle wieder aufgenommen hatte, lief er ungefähr ab 9 Uhr 15 mit nordöstlichem Kurs von Midway ab und den feindlichen Trägem entgegen. Ob Nagumo bei einem anderen Kurs, etwa nach Westen oder Nordwesten, das Schicksal hätte aufhalten können, läßt sich kaum ausmachen. Die amerikanische Angriffswelle war bereits so nahe herangekommen, daß Nagumo der Entdeckung nicht mehr zu entgehen vermochte. Was Nagumo brauchte, war Zeit, nämlich ungefähr eineinhalb Stunden, um seine neue Angriffswelle auszurüsten und in die Luft zu bringen. Diese Zeit hätte er durch ein Abdrehen nach Westen auch nicht gewonnen, weil die amerikanischen Flugzeuge ihn vorher erreichen konnten. Allenfalls wäre bei einem Abdrehen nach

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Westen der amerikanische Angriff anders abgelaufen, aber ob das den Japanern viel genützt hätte, bleibt ungewiß. Wie die Dinge lagen, kamen die amerikanischen Flugzeuge nach 9 Uhr gruppen- und staffelweise heran, zunächst diejenigen der Träger Enterprise und Homet, dann auch diejenigen des Trägers Yorktown, die Fleteher ab 8 Uhr 30 hatte starten lassen. Die Einzelheiten sind hier nicht von Belang; jedenfalls fanden drei Gruppen amerikanischer Torpedoflieger die japanischen Träger zuerst und griffen etwa ab 9 Uhr 30 nacheinander an. Die Angriffe wurden unter großen Verlusten für die Amerikaner abgeschlagen, sie hatten aber zur Folge, daß die japanischen Jäger auf eine geringe Flughöhe herabgezogen wurden, weil Torpedoflieger dicht über dem Wasser angreifen. Unterdessen waren in größerer Höhe zwei Stukagruppen herangekommen, die völlig ungehindert etwa um 10 Uhr 30 ihren Angriff durchführen konnten, weil keine japanischen Jäger da waren. Undeutlich bleibt, ob die japanische Jägerleitung dies hätte verhindem können, indem sie eine Jägerreserve in größerer Höhe beließ. Jedenfalls machten die amerikanischen Stukas von der Möglichkeit Gebrauch, die ihnen Glück und Zufall zugespielt hatten: Sie trafen drei japanische Träger mehrfach und, wie sich später zeigte, tödlich. Nur einer, die Hiryu, die in einiger Entfernung von den anderen stand, entging dem Verderben. Im nachhinein ließe sich die Frage aufwerfen, ob der Rest des Nagumo-Verbandes nicht gut daran getan hätte, nach dem Verlust von drei Trägem alsbald mit höchster Geschwindigkeit den Rückzug anzutreten. Ein genaues Lagebild hatten zwar die Japaner bis dahin nicht gewonnen, denn erst um die Mittagszeit meldete ein Aufklärer, daß zu dem am Morgen gesichteten feindlichen Verband drei Träger gehörten. Aber die Menge der angreifenden amerikanischen Flugzeuge zeigte doch, daß mindestens zwei, wahrscheinlich drei gegnerische Träger vorhanden waren. Den Kampf bei einer Unterlegenheit an Trägem von eins zu drei fortzusetzen, war reichlich kühn. Dennoch hat sich die Frage des Rückzugs auf der japanischen Seite anscheinend nicht gestellt. Da Nagumos Flaggschiff Akagi getroffen worden war und allmählich ausbrannte, konnten der Admiral und sein Stab ihren Verband zeitweise nicht führen; sie stiegen auf einen leichten Kreuzer um und übernahmen erst um 11 Uhr 30 wieder das Kommando. Dazwischen führte der Befehlshaber der Deckungsstreitkräfte den Verband; er ließ einige Zerstörer bei den brennenden Trägem zurück und machte ansonsten da weiter, wo Nagumo aufgehört hatte. Als nachgeordneter Befehlshaber besaß er vermutlich weder den Überblick noch den Mut, selbständig die Schlacht abzubrechen. Nagumo hatte vorgesehen, etwa ab 10 Uhr 30 eine Angriffswelle gegen die feindlichen Träger zu starten. Nunmehr konnte nur noch Hiryu den Plan ausführen; sie ließ 18 Sturzbomber aufsteigen, dazu sechs Jäger, die den amerikanischen Träger Yorktown angriffen, der mittlerweile von der japanischen Aufklärung entdeckt worden war. Diese kleine Gruppe stellte die Leistungsfähigkeit der japanischen Flieger unter Beweis, denn obwohl die meisten abgeschossen wurden, erzielten sie drei Treffer auf der Yorktown. Da der Träger nicht in einem solch verwundbaren Zustand war wie vorher die japanischen, wirkten die Treffer allerdings nicht tödlich. Spätestens nachdem Nagumo

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den Befehl wieder übernommen hatte und nachdem deutlich geworden war, daß der Gegner drei Träger besaß, hätte freilich die Frage dringlich werden müssen, ob die Schlacht nicht besser abzubrechen sei. Nagumo durfte nicht hoffen, mit dem einen verbliebenen Träger sowohl drei gegnerische Träger unschädlich zu machen als auch Midway auszuschalten. Allenfalls konnte er noch den einen oder anderen amerikanischen Träger kampfunfähig machen, aber wenn er sich weiterhin auf einen Schlagabtausch einließ, mußte er gewärtig sein, auch noch seinen letzten Träger zu verlieren. Es hätte sich empfohlen, in ungefähr westlicher Richtung abzulaufen, um aus der Reichweite der amerikanischen Flugzeuge herauszukommen. Die Entfernung zwischen den beiderseitigen Trägergruppen betrug um die Mittagszeit des 4. Juni nur noch ungefähr 100 Seemeilen. Die amerikanischen Träger würden einige Stunden nicht angriffsfähig sein, da sie erst ihre Angriffswelle vom Vormittag wieder aufnehmen und neu ausrüsten mußten. Der Nagumo-Verband konnte inzwischen das Weite suchen; die Flugzeuge, die von dem Angriff auf die Yorktown zurückkehrten, würden wegen der geringen Entfernung ihren Träger leicht noch erreichen. Nachdem Nagumo die Hiryu in Sicherheit gebracht hatte, mochte Yamamoto entscheiden, was weiter zu geschehen hatte. Zwei kleinere Träger standen noch bei den Aleuten, einer bei der Landungsflotte für Midway, ein weiterer bei Yamamotos Schlachtschiffgruppe. Zusammen mit der Hiryu besaßen sie an die 150 Flugzeuge; dazu kamen in größerer Zahl Schwimmerflugzeuge, die zwar im Flottenkampf nicht viel nützten, aber für einfachere Aufgaben verwendbar waren. Unter Umständen ließ sich damit die Schlacht erneuern. Einen solchen Ausweg wollten Nagumo und sein Stab nicht beschreiten oder zumindest nicht rechtzeitig. Die Gründe sind nur schwer erkennbar. Vielleicht mochten Nagumo und sein Stab die Niederlage und ihren eigenen Anteil daran nicht eingestehen; vielleicht glaubten sie, dem Gegner noch schwere Schläge versetzen zu können. Vielleicht hofften sie, den Gegner mit einem Artilleriekampf ihrer Schlachtschiffe und Kreuzer überraschen zu können; vielleicht wollten sie ihre brennenden Träger nicht im Stich lassen. Zunächst schien es nicht ganz ausgeschlossen zu sein, den einen oder anderen Träger zu retten; erst im Lauf des Tages stellte sich heraus, daß die Brände zu heftig, die Zerstörungen zu groß waren, so daß die Schiffe aufgegeben werden mußten. Jedenfalls steuerte der Nagumo-Verband bis zum Nachmittag ungefähr nordöstliche Kurse, ohne sich weit vom Gegner zu entfernen. Die Hiryu startete nach 13 Uhr wieder eine kleine Angriffsgruppe, bestehend aus 10 Torpedofliegern und sechs Jägern, die erneut die Yorktown antraf und ihr zwei Torpedotreffer beibrachte. Da der Yorktown ihre früheren Treffer nicht mehr anzumerken waren, glaubten die Japaner, einen zweiten Träger außer Gefecht gesetzt zu haben. Etwa ab 16 Uhr ließ Nagumo seinen Verband nach Nordwesten ablaufen und zugleich einen Dämmerungsangriff mit den verbliebenen Flugzeugen der Hiryu vorbereiten. Doch nun war es zu spät. Die amerikanischen Träger, durch ihre Aufklärung wohlunterrichtet, griffen mit Sturzbombern an - Torpedoflieger besaßen sie kaum noch - und trafen die Hiryu in einem ähnli-

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chen Zustand an wie vordem die anderen japanischen Träger: mit ausgerüsteten Flugzeugen auf ihren Decks. Der Angriff, etwa um 17 Uhr, hatte deshalb ein ähnliches Ergebnis: Er verwandelte die Hiryu in ein brennendes Wrack. Jetzt endlich entschloß Nagumo sich zum Rückzug. Yamamoto konnte auf seinem weit rückwärts stehenden Flaggschiff lange Zeit kein klares Lagebild gewinnen. Er war angewiesen auf das, was sein Flaggschiff vom Funkverkehr anderer Verbände auffing sowie auf die spärlichen Meldungen Nagumos, die teilweise regelrecht irreführend wirkten. Grund zur Sorge sahen Yamamoto und sein Stab anfangs nicht; sie gingen davon aus, daß Nagumo auftragsgemäß eine Angriffswelle gegen feindliche Schiffe bereithielt und imstande sein werde, die Lage zu meistern. Etwa um 9 Uhr meldete Nagumo, daß eine feindliche Kampfgruppe mit einem Träger gesichtet worden sei und daß er darauf zulaufe. Das entsprach zwar den Tatsachen, es verschwieg aber, daß die Aufklärungsergebnisse unzuverlässig waren und daß sein Verband bereits in Gefahr schwebte. Außerdem erfuhr Yamamoto nicht, ob Nagumo schon seine zweite Angriffswelle gegen Schiffsziele gestartet hatte, wie er es eigentlich hätte tun sollen und tun können. Kurz vor 11 Uhr meldete dann der Befehlshaber von Nagumos Deckungsstreitkräften, daß drei japanische Träger brannten und daß er beabsichtige, mit der Hiryu die feindlichen Träger (!) anzugreifen. Nagumo selbst bestätigte dies kurz vor 12 Uhr, als er Yamamoto mitteilte, drei seiner Träger seien beschädigt und er beabsichtige, nach Norden abzulaufen, nachdem er den Feind angegriffen habe. Um 14 Uhr 30 setzte Nagumo noch eins drauf, als er dem Befehlshaber der Träger bei den Aleuten mitteilte, er beabsichtige nach der Vernichtung der feindlichen Kampfgruppe im Osten nach Norden zu laufen. Diese Nachricht wurde auf dem Flaggschiff von Yamamoto aufgefangen und war wohl auch für dessen Ohren bestimmt. Was sollte Yamamoto mit solchen Mitteilungen anfangen? Immerhin wußte er nun, daß mehrere feindliche Träger anwesend waren und daß der Nagumo-Verband schwere Schläge hatte einstecken müssen, aber alles andere konnte er höchstens zwischen den Zeilen lesen. Wenn Nagumo noch vor dem Verlust seiner drei Träger eine Angriffswelle in die Luft gebracht hatte, mußte der Gegner schwer angeschlagen sein. Yamamoto vermochte allenfalls aus dem Fehlen jeglicher Erfolgsmeldung zu schließen, daß dies nicht der Fall war. In welchem Zustand befanden sich die getroffenen eigenen Träger? Lohnte sich überhaupt noch der Versuch, sie nach Hause zu bringen, oder gab man sie besser gleich auf? Und vor allem: Wie verhielt sich der Gegner, was konnte er noch tun und wie ließ sich dem begegnen? Nagumo stand ganz vorn am Feind; er mußte ein brauchbares Lagebild liefern und die Grundlage für Führungsentschlüsse schaffen. Wenn er das nicht tat, blieb auch Yamamoto halb blind. So befahl Yamamoto um 12 Uhr 20 und 13 Uhr 10 erst einmal das Nächstliegende: Die Landungsoperationen auf Midway und den Aleuten wurden aufgeschoben, die Transporter für Midway hatten sich nach Nordwesten abzusetzen. Die Trägergruppe bei den Aleuten sollte zu Nagumo stoßen, was wegen der großen Entfernung freilich erst nach einigen Tagen der Fall sein konnte. Teile der Deckungs-

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Streitkräfte für die Midway-Landung hatten Midway zu beschießen, um die dortigen Luftstreitkräfte auszuschalten. Ansonsten sollten alle Verbände den Feind bei Midway angreifen, was darauf hinauslief, daß Yamamoto selbst und der Rest der Deckungsstreitkräfte Nagumo zu Hilfe eilten. An diesem neuen Plan war im Grunde nur eines wesentlich: Yamamoto brach die Schlacht bei Midway noch nicht ab. Hätte er ein klares Lagebild besessen, so hätte er es möglicherweise getan, aber er besaß keines. Alles hing davon ab, wie stark der Gegner noch war, wie eng oder weit sein Handlungsspielraum sich gestaltete und wie lange Nagumo mit der Hiryu noch durchzuhalten vermochte. Nagumo würde seine Gründe haben, wenn er glaubte, den Schlagabtausch mit dem Gegner fortsetzen zu können oder sogar, wie er um 14 Uhr 30 vollmundig verkündete, die feindliche Kampfgruppe zu vernichten. Wenn eine solche Chance bestand- was Yamamoto nicht entscheiden konnte -,dann hatte es einen Sinn, Nagumo weiterkämpfen zu lassen. Vielleicht besaß der Gegner kaum noch Flugzeuge, vielleicht handelte es sich bloß noch darum, ihm den Rest zu geben, vielleicht hatte die Hiryu genug Jäger, um feindliche Angriffe abzuwehren, vielleicht konnten die brennenden eigenen Träger gerettet werden, vielleicht ließ sich der Gegner in ein Artilleriegefecht verwickeln (die Entfernung von 100 sm konnte nachts, wenn der Lufteinsatz kaum möglich war, in einigen Stunden überbrückt werden, und im Nachtgefecht waren die Japaner überlegen), vielleicht würde die Hiryu diesen Tag überstehen und den Gegner schwächen, so daß die Besetzung Midways doch noch möglich blieb. Anscheinend erhielt Yamamoto die erste klare Auskunft nicht früher als um 16 Uhr 15, wo bezeichnenderweise nicht Nagumo, sondern die Hiryu meldete, daß der Gegner drei Träger besitze und zwei davon beschädigt seien. Das stimmte zwar auch nicht, denn es war nur die Yorktown zweimal angegriffen worden, aber wenigstens hatte es hier jemand für nötig befunden, den Oberbefehlshaber nicht bloß mit Allgemeinheiten abzuspeisen. Kurz vor 17 Uhr verlangte Yamamoto von Nagumo einen Lagebericht, erhieltjedoch keinen. Statt dessen meldete Nagumo kurz vor 18 Uhr, daß jetzt auch die Hiryu brenne. Was sollte Yamamoto in dieser Lage tun? Nagumo muß sich bald darauf zum Rückzug entschlossen haben, aber das sagte er Yamamoto noch nicht. Zwischen 17 und 18 Uhr gaben sodann zwei Aufklärer des Nagumo-Verbandes ihre Meldungen ab, die wahrscheinlich auf Yamamotos Flaggschiff empfangen wurden. Der eine Aufklärer hatte die feindliche Trägergruppe beim Ablaufen nach Osten gesichtet, wogegen der andere meldete, der Gegner befinde sich nur etwa 100 sm östlich von Nagumo und laufe nach Westen, also Nagumo entgegen. Das war wenig glaubwürdig, weil die Amerikaner keine Veranlassung hatten, nach ihrem glänzenden Sieg noch ein Risiko einzugehen. Immerhin ließ sich nicht ganz ausschließen, daß der Gegner noch nahe genug war, um ihn in einem Nachtgefecht zu fassen. Yamamoto hatte damit die Wahl: Er konnte entweder die Schlacht sofort abbrechen, was nach dem Verlust der Hiryu nahelag, oder er konnte die letzte kleine Chance wahrnehmen, den Gegner durch ein N~chtgefecht zu schlagen. Hierfür brauchte er freilich in erster Linie die Schlachtschiffe und Kreuzer von Nagumos Verband, denn die Deckungsstreitkräfte des Landungsver5 Rauh, Zweiter Weltkneg 3 Tell

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bandes für Midway näherten sich zwar mit hoher Geschwindigkeit dem Schlachtfeld, konnten aber nicht mehr rechtzeitig herankommen. Um 19 Uhr 15 erließ Yamamoto einen Befehl "an alle", in dem es hieß, die feindliche Flotte sei so gut wie ganz vernichtet und ziehe sich nach Osten zurück. Der Verband Nagumos und die genannten Deckungsstreitkräfte sollten sofort den Feind suchen und angreifen. Der Befehl klang zweifellos schönfärberisch, doch hatte es wenig Zweck, jetzt die Wahrheit zu sagen, denn diese bestand darin, daß Nagumo die Trägerschlacht verloren hatte. Nagumo zog sich unterdessen vom Schlachtfeld zurück. Um 18 Uhr 30 erhielt er einen Winkspruch vom Kreuzer desjenigen Aufklärers, der früher den Gegner im Anmarsch nach Westen gemeldet hatte. Die Nachrichten dieses Aufklärers waren auf dem Kreuzer falsch ausgewertet worden, so daß es nun plötzlich hieß, der Gegner komme mit vier Trägern, dazu einer Anzahl von Kreuzern und Zerstörern heran. Wäre die Mitteilung richtig gewesen, so hätte eine günstige Gelegenheit bestanden, dem Feind zu einer Nachtschlacht entgegenzulaufen und dabei wohl gar mehrere Träger zu versenken. Nagumo muß allerdings bald vermutet haben, daß die Mitteilung nicht richtig sein könne, denn er lief dem Feind gerade nicht entgegen. Auf dem Kreuzer wurde der Irrtum bemerkt und die Meldung etwa eine Stunde später richtiggestellt Der Gegner hatte demnach nur zwei Träger außer der brennenden Yorktown. Nichtsdestoweniger meldete Nagumo um 21 Uhr 30 und noch einmal um 22 Uhr 50 an Yamamoto, der Gegner besitze insgesamt fünf Träger, wovon vier nach Westen liefen. Er selber setze sich nach Nordwesten ab. Das roch verdächtig nach bewußter Falschmeldung, außerdem stellte es eine klare Widersetzlichkeit dar, denn Yamamoto hatte um 19 Uhr 15 befohlen, Nagumo solle den Gegner angreifen. Auf Yamamotos Flaggschiff wurde richtig vermutet, daß Nagumo keine Lust zu einer Nachtschlacht habe. Yamamoto blieb deshalb kaum eine andere Wahl, als Nagumo das Kommando über seine Schlachtschiffe und Kreuzer zu entziehen und es dem Befehlshaber der Deckungsstreitkräfte von Midway zu übertragen. Dieser jedoch konnte mit seinen eigenen Schiffen für eine Nachtschlacht nicht mehr rechtzeitig herankommen, und Nagumos Schiffe standen mittlerweile auch zu weit ab. Von der Sache her war Nagumos Verhalten allerdings nicht ganz unverständlich. Zwar betrug die Entfernung zwischen ihm und den amerikanischen Trägern am Abend des 4. Juni gegen 19 Uhr bloß etwa 130 sm, eine Entfernung, die er innerhalb von knapp fünf Stunden überwinden konnte. Um zur Nachtschlacht zu kommen, durfte jedoch der Gegner sich nicht seinerseits zurückziehen, und vor allem man mußte ihn finden. Tatsächlich liefen die amerikanischen Schiffe nachts in östlicher Richtung ab. Sie zu finden, bestand kaum Aussicht, da der Nagumo-Verband nur einen einzigen Nachtaufklärer besaß, der überdies nicht gewußt hätte, wo er suchen sollte. Selbst wenn es durch irgendeinen glücklichen Zufall Nagumos Schiffen gelungen wäre, noch in der Nacht an den Gegner heranzukommen, wäre das eigentliche Ziel, die Vernichtung der feindlichen Träger, nicht gesichert gewesen. Nagumos Schiffe mochten zuerst mit den amerikanischen Kreuzern und Zerstörern ins Gefecht geraten, während die schnellen Träger sich zurückzogen und nach Ta-

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gesanbruch die japanische Streitmacht aus der Luft zerschlugen. Dieses Risiko scheute Nagumo; er wollte den Rest seines Verbandes nicht auch noch verlieren. Nachdem auch die Hoffnung auf ein Nachtgefecht sich zerschlagen hatte, gab Yamamoto auf. Man muß nicht darüber nachsinnen, ob die Besetzung Midways mit der immer noch starken japanischen Flotte nicht doch möglich gewesen wäre. Midway selbst war von vomherein nebensächlich gewesen. Yamamoto hatte dort den Gegner schwer schlagen und die Voraussetzungen schaffen wollen, um später auch Hawaii anzugreifen. Beides war mißglückt. Der Gegner war nicht geschlagen, und nach dem Verlust von vier der besten japanischen Träger und der besten Flugzeugbesatzungen bestand auch keine Aussicht mehr, Hawaii zu nehmen. Kurz nach Mitternacht, in den ersten Stunden des 5. Juni, ordnete Yamamoto den allgemeinen Rückzug an. Die beiden noch kampffaltigen amerikanischen Träger unter Admiral Spruance folgten mit großer Vorsicht, um nicht zu guter Letzt noch in eine Falle zu tappen. So gelang ihnen nur die Versenkung eines abgesondert marschierenden, beschädigten Kreuzers, während umgekehrt ein japanisches U-Boot die immer noch schwimmende Yorktown versenkte. Auf den Aleuten wurden zwei bedeutungslose Inseln von den Japanern besetzt, teils in der Hoffnung, dort noch zu einer Schlacht zu kommen (worauf die Amerikaner sich nicht einließen), teils wohl auch, um das Gesicht zu wahren. Die Verantwortung für die Niederlage von Midway konnten sich mehrere Beteiligte zuschreiben: teils Nagumo, weil er die Trägerschlacht taktisch verpatzt hatte, teils Yamamoto, weil er die Operation durchgesetzt und die Schlacht nicht selbst vom geführt hatte, teils der Admiralstab, weil er keinen klaren strategischen Schwerpunkt gesetzt und zu der überflüssigen Zersplitterung der Kräfte bei Port Moresby und bei den Aleuten beigetragen hatte. Personelle Konsequenzen wurden nicht gezogen, die Beteiligten verblieben auf ihren Posten. Ansonsten stellte die Schlacht von Midway zweifellos eine Entscheidungsschlacht dar, genaugenommen sogar die Entscheidungsschlacht im pazifischen Krieg schlechthin. Ware die Schlacht nach den Vorstellungen Yamamotos verlaufen, so hätten die Amerikaner mehrere Träger verloren, die Japaner nur wenige oder gar keinen. Nach der Besetzung Midways wäre die japanische Flotte stark genug gewesen, um auch die Eroberung Hawaiis ins Auge zu fassen. Den Krieg hätte Japan damit noch nicht gewonnen, aber es hätte dann eine Chance besessen, den Krieg bis zu einem annehmbaren Frieden durchzustehen. Nach der Niederlage von Midway hatte Japan diese Chance nicht mehr. Hawaii würde es nicht mehr gewinnen, und nach dem Verlust von vier großen Trägem war seine Flotte so geschwächt, daß sie nach einiger Zeit dem weit überlegenen amerikanischen Potential erliegen mußte. 13 Der endgültige Sieg im Krieg gegen Japan bildete von nun an für die USA kein besonderes Kunststück mehr. Für eine großräumige oder strategische Offensive 13 Zum Ablauf der Ereignisse und zu den Führungsentschlüssen Fuchida/Okumiya. Ugaki, 138 ff., 159 ff. Willmott, Barrier. Prange, Midway. Rohwer, Midway. Morison, Operations IV. Du11, Navy. Roskill II. Potter, Nimitz.

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reichten die Kräfte der japanischen Flotte nicht mehr aus, so daß die Führung in Tokio sich genötigt sah, das geplante Ausgreifen in den Südpazifik (Neu-Kaledonien etc.) zumindest vorläufig abzusagen. Daß das Kaiserreich eine solche Offensivkraftjemals zurückerlangen würde, durfte nicht erhofft werden, da die Flotte und die sonstigen Streitkräfte der USA in Zukunft erheblich schneller wachsen würden als die japanischen. Der beste Teil der japanischen Trägerluftwaffe, die besten Flugzeugbesatzungen, waren bei Midway verbraucht worden. Gleichwertigen Ersatz heranzubilden, würde lange dauern; tatsächlich gelang dies dem Kaiserreich überhaupt nicht mehr, sondern die durchschnittliche Qualität der Piloten nahm bis zum Kriegsende laufend ab. Rein zahlenmäßig konnte es zwar die japanische Flotte mit der amerikanischen zunächst durchaus noch aufnehmen, aber eine deutliche Überlegenheit bestand nicht mehr, und in Zukunft mußte die kaiserliche Flotte zunehmend ins Hintertreffen geraten. Betrachtet man nur einmal die Verhältnisse bei Trägem und Schlachtschiffen (bei anderen Schiffstypen und sonstigen Streitkräften lagen die Dinge ähnlich), so besaß die japanische Flotte fast zwei Jahre lang bloß die verbliebenen beiden großen Träger Shokaku und Zuikaku. Erst 1944 traten vier neue hinzu, die jedoch wegen Flugzeugmangels zum Teil gar nicht mehr an die Front kamen. Nach Midway waren ferner nominell fünf leichte Flottenträger vorhanden, wovon freilich einer, die Hosho, wegen seines Alters an der Front praktisch nicht mehr verwendbar war, während zwei andere, Junyo und Hiyo, Mitte des Jahres in Dienst gestellt wurden, so daß sie erst nach einiger Zeit wirklich frontreif wurden, weil es bis zu einem halben Jahr dauert, ehe die Besatzung eines Kriegsschiffes eingefahren ist. Bis 1944 kamen lediglich drei leichte Träger dazu, die aus anderen Schiffen umgebaut wurden. Demgegenüber besaßen die Amerikaner zunächst vier schwere Flottenträger im Pazifik, kampferprobt, siegreich und mit erfahrenen Besatzungen (Saratoga, Enterprise, Harnet, Wasp), doch traten ab der Jahreswende 1942/43 neue schwere und leichte Träger in großer Zahl zur Flotte. Anfang 1944 hatten die Japaner noch immer bloß zwei schwere, dazu sechs leichte Träger, wogegen die USA insgesamt bereits 11 schwere und neun leichte Träger besaßen, die größtenteils in die Pazifik-Flotte eingegliedert wurden. Bei den Schlachtschiffen betrug der Zuwachs für die japanische Flotte im Laufe des Krieges nur zwei, nämlich die beiden überschweren Einheiten Yamato und Musashi; ein weiteres Schiff dieses Typs, Shinano, wurde nach Midway zum Flugzeugträger umgebaut, fiel indes kurz nach Fertigstellung Ende 1944 einem UBoot-Angriff zum Opfer. Dagegen stellten die USA seit Ende 1941 insgesamt 10 neue Schlachtschiffe in Dienst, dazu drei alte, die in Pearl Harbor wieder gehoben worden waren. Der Verlauf des Krieges spiegelte ziemlich genau das Kräfteverhältnis wider: Bis Ende 1942 konnte Japan seinen pazifischen Herrschaftsraum noch einigermaßen behaupten, 1943 begann langsam der Rückzug, und seit 1944 taumelte das Kaiserreich von Niederlage zu Niederlage. Für die strategische Lage nach Midway kam ein Weiteres hinzu. Der Verteidigungsraum Japans im Pazifik war außerordentlich groß, angesichtsder begrenzten Kräfte des Kaiserreichs eigentlich zu groß. Der Hauptgrund liegt darin, daß Japan

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nach dem Ersten Weltkrieg die Inselgruppe der Karolinen und die Marshall-Inseln erworben sowie in der Zwischenkriegszeit dieses Gebiet militärisch ausgebaut hatte; Truk in den Karolinen bildete den zentralen Stützpunkt in der Südsee. Um dieses Gebiet an der Südflanke zu decken und einen geschlossenen Verteidigungsraum herzustellen, hatte Japan nach Kriegsausbruch auch den Bismarck-Archipel besetzt. Damit wurde die äußere Verteidigungslinie ungeheuer lang, die Kräfte wurden entlang dieser Linie verstreut, die inneren Verbindungslinien überdehnt, die Anmarschwege verlängert, das Heranbringen von Nachschub und Verstärkungen erschwert. Eine kürzere äußere Verteidigungslinie, etwa von den Bonin-Insein über die Marianen nach Westneuguinea, wäre wahrscheinlich günstiger gewesen, da sie Kräfte gespart hätte, aber natürlich wollte das siegreiche Japan am Beginn des Krieges nicht die Karolinen und Marshall-Inseln, die ihm sowieso gehörten, freiwillig preisgegeben. Der Einsicht, daß ein kleinerer Verteidigungsraum wahrscheinlich vorteilhafter gewesen wäre, widerspricht es nicht, wenn Yamamoto und das Flottenkommando sogar die Eroberung von Hawaii und damit eine zusätzliche Ausdehnung des Verteidigungsgebietes in Aussicht genommen hatten. Zweifellos wären dann die Verbindungslinien noch mehr gedehnt worden, aber Hawaii bildete eine solch günstige und starke strategische Position, daß man diesen Nachteil in Kauf nehmen durfte. Außerdem hätten sich dann die Kräfte auf Hawaii konzentrieren, andere Teile des Verteidigungsgürtels vernachlässigen lassen. Nach Midway jedoch befand sich Japan im Besitz einer endlos langen Verteidigungslinie quer durch den Pazifik von den Aleuten über die Gilbert-Inseln bis in das Gebiet um den Bismarck-Archipel. Zur Verteidigung dieses Gebietes konnte es nur eine geschwächte Flotte aufbieten, die das Risiko einer Entscheidungsschlacht gegen die Amerikaner sehr sorgfaltig abwägen mußte, nachdem sie bei Midway schon eine verloren hatte. Wenn Japan den Rest seiner Träger auch noch einbüßte, würde es seinen Verteidigungsraum nicht mehr lange behaupten. Das Kaiserreich mußte nunmehr zur strategischen Defensive übergehen; es konnte versuchen, im Zusammenspiel von befestigten Inselstützpunkten und Flotte den Gegner entweder von den Grenzen seines Verteidigungsraumes fernzuhalten oder ihn innerhalb des Verteidigungsraumes aufzuhalten. Wann und wo der Gegner angreifen würde, ließ sich schwer abschätzen. Umgekehrt standen zwar auch die USA angesichts der Stärkeverhältnisse nach Midway einem strategischen Patt, einem Unentschieden gegenüber. Sie hatten aber die Gefahr von Rückschlägen und Verlusten weit weniger zu scheuen als Japan, da ihre anschwellende Rüstung ihnen in Zukunft genügend Streitkräfte zur Verfügung stellte und sie den Krieg bei einigermaßen sachdienlichem Verhalten ohnedies nicht mehr verlieren konnten. Zudem bot die lange Verteidigungslinie Japans im Pazifik den Amerikanern die Gelegenheit, an einer Stelle ihrer Wahl zum Angriff überzugehen, wobei sie den Gegner wahrscheinlich überraschen und im Zustand der Unterlegenheit antreffen würden, da das Kaiserreich in seinem riesigen Verteidigungsraum die Kräfte zersplittern mußte und Verstärkungen nicht so rasch heranzubringen vermochte. Als geeignete Stelle für einen Angriff betrachtete die amerikanische Führung anfangs die Süd-

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ostecke des japanischen Verteidigungsraumes, also das Gebiet um den BismarckArchipel. Hauptschauplatz der Kämpfe waren bis 1943 die Salomonen. Nach dem Sieg von Midway fühlten sich die Amerikaner stark genug, ihrerseits sofort zum Angriff überzugehen. Dies stellte noch keine große strategische Offensive dar, die unmittelbar auf die Niederwerfung des Gegners zielte, sondern eher eine Art Positionsverbesserung im ozeanischen Stellungskrieg. Die strategische Offensive wurde erst ab Ende 1943 möglich, als die gewaltige Trägerflotte der USA Gestalt annahm. Anfang Juli 1942 gaben die amerikanischen Stabschefs (Joint Chiefs of Staff) die Weisung aus, es sei das Gebiet um den Bismarck-Archipel und dieser selbst zu erobern. Damit wurden die vorhandenen Kräfte am rationellsten eingesetzt, denn General Mac Arthur stand mit seinen Truppen des Kommandobereichs Südwestpazifik ohnedies in Australien und dem südöstlichen Neuguinea, weitere amerikanische Kräfte befanden sich im Südpazifik, wo die betreffenden Inseln, namentlich die Neuen Hehriden und Neu-Kaledonien, als rückwärtige Basis dienen konnten, und die Flotte von Nimitz ließ sich in diesem Gebiet zweckdienlich verwenden. Im einzelnen sollten das Gebiet um Tulagi in den östlichen Salomonen unter dem Oberbefehl von Nimitz ab August 1942 besetzt werden, danach die übrigen Salomonen, Ost-Neuguinea und der Bismarck-Archipel unter dem Oberbefehl von Mac Arthur. Das klingt alles ganz einfach; in Wahrheit dauerten die Kämpfe anderthalb Jahre. Die Amerikaner brauchte dies nicht zu beunruhigen; den entscheidenden Vormarsch konnten sie ohnedies erst nach Aufbau ihrer Trägerflotte beginnen, und bis dahin ließen sich die Kräfte des Gegners abnützen. In der Rückschau mag es zweifelhaft erscheinen, ob die Japaner gut daran taten, sich auf diese Abnützungskämpfe einzulassen. Einen dauerhaften Abwehrerfolg erzielten sie nicht, dafür verloren sie aber in erschreckend hohem Ausmaß Flugzeuge und Truppen, weit mehr als der Gegner, dazu erlitten sie ähnlich hohe Verluste wie der Gegner bei Seestreitkräften und Transportfahrzeugen, die sie freilich viel schwerer ersetzen konnten, und mußten am Ende doch das ganze Gebiet um den Bismarck-Archipel preisgeben. Ware es nicht klüger gewesen, beizeiten den Rückzug anzutreten, um die Kräfte zu schonen und sie weiter hinten in einer günstigeren Verteidigungslinie zusammenzufassen? Tatsächlich erließ die politische und militärische Führung in Tokio am 30. September 1943 Richtlinien für die weitere Kriegführung, noch bevor der Bismarck-Archipel mit dem Hauptort Rabau! gefallen war, Richtlinien, wonach die Hauptverteidigungslinie in Zukunft weiter westlich von den Bonin-Insein über die innere Südsee zum Westteil von Neuguinea laufen sollte. Die Ausdrucksweise blieb zwar etwas schwimmend und für Auslegungen offen, doch war augenscheinlich gemeint, daß der Bismarck-Archipel sowie die Marshall-Inseln und Karolinen nicht unbedingt gehalten werden müßten. Warum hatte man sich dazu nicht früher durchgerungen? Abgesehen davon, daß die strategische Willensbildung in Tokio so kompliziert blieb wie bisher und immer zwischen verschiedenen Stellen ausgehandelt wurde, ist die Antwort offenbar zweifacher Natur.

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Erstens trafen im Sommer 1942 gewissermaßen zwei Offensiven aufeinander. Der ursprüngliche japanische Plan hatte vorgesehen, das Verteidigungsgebiet um den Bismarck-Archipel abzurunden durch die Einnahme von Port Moresby, die Errichtung eines Flugplatzes auf Guadalcanal sowie die Besetzung der Inseln Nauru und Ozean (zwischen den Salomonen und den Gilbert-Inseln gelegen). Diese Maßnahmen waren sinnvoll, weil die Japaner dadurch Landflugplätze an den Grenzen ihres Verteidigungsgebietes gewannen, welche das Eindringen des Gegners in das Verteidigungsgebiet stark erschweren mußten. Das Port Moresby-Unternehmen war im Mai 1942 gescheitert, auch die Besetzung von Nauru und Ozean war nicht zustande gekommen, aber das Vervollständigen des Verteidigungsgürtels wurde auf japanischer Seite nach wie vor für unerläßlich gehalten. Die Japaner suchten deshalb im Sommer 1942 erneut Port Moresby zu erobern, ferner Nauru und Ozean, und sie suchten, nachdem der amerikanische Angriff begonnen hatte, auch Tulagi und Guadalcanal zu halten bzw. zurückzugewinnen. Durch den amerikanischen Angriff wurden die Japaner augenscheinlich überrascht; hätte der Angriff nur einige Wochen später stattgefunden, so wäre es den Japanern vermutlich gelungen, ihr Verteidigungsgebiet abzurunden und sich besser gegen einen Angriff zu behaupten. Die Führung in Tokio versuchte, ihr Programm trotz des amerikanischen Angriffs durchzuführen; zum sofortigen Umschalten und zur Aufgabe ihrer Pläne fand sie sich nicht bereit. Diese Haltung ist nicht unverständlich, denn die späteren Abwehrkämpfe gegen den amerikanischen Angriff im Gebiet von Tulagi und Guadalcanal standen manchmal dicht vor dem Erfolg, und wenn es gelungen wäre, die Alliierten aus den östlichen Salomonen wieder hinauszuwerfen, dann hätte das Kaiserreich nicht bloß einen ansehnlichen Sieg errungen, sondern wohl auch seinen Verteidigungsgürtel um den Bismarck-Archipel dauerhaft festigen können. Freilich stellte sich nach einiger Zeit heraus, daß das Vertreiben der Alliierten aus den östlichen Salomonen und dem östlichen Neuguinea nicht möglich war. Damit sahen sich die Japaner, zweitens, vor der unerfreulichen Lage, die eigentlich hatte vermieden werden sollen, daß nämlich der Gegner bereits innerhalb des Verteidigungsraumes stand und in den Genuß des Vorteils kam, den Angriff mit Hilfe von Landflugplätzen und anderen günstigen Bedingungen fortzusetzen. In dieser Lage hatten die Japaner augenscheinlich zwei Möglichkeiten: Entweder sie nahmen den Kampf möglichst weit vorn auf und wichen nur zurück, wo es sich nicht mehr vermeiden ließ; oder sie leiteten einen weiträumigen Rückzug in die Wege, um sich in einer wesentlich kürzeren Verteidigungslinie unter besseren Voraussetzungen zu behaupten. Das letztere schien der Führung in Tokio nicht ratsam zu sein, denn das Gebiet um den Bismarck-Archipel mit Rabau! als Mittelpunkt bildete den besten Sperriegel gegen ein Vordringen der Alliierten entlang der Achse Neuguinea - Philippinen und zugleich den Flankenschutz für das nördlich anschließende Gebiet der Karolinen und Marshall-Inseln mit seinen ausgebauten Stützpunkten. Die Kühnheit, all dies freiwillig preiszugeben, brachte man nicht auf, vielleicht auch aus einem Gefühl der Schwäche heraus, weil es keineswegs

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sicher zu sein schien, daß man sich in einer kürzeren Abwehrlinie erfolgreich verteidigen könne. So wählten dieJapanerden Weg, nirgendwo kampflos auszuweichen, sondern den Vormarsch des Gegners durch die Verteidigung des pazifischen Vorfelds möglichst lange zu verzögern. Im Jahr 1942, als die erwähnten beiden Offensiven aufeinandertrafen, saßen zunächst die Japaner an der Nordostküste von Neuguinea weiter nördlich in Lae und Salamaua, die Australier weiter südlich in Buna und Gona, von wo aus der sogenannte Kokoda-Pfad über das Gebirge nach Port Moresby führte, dazu in Milne Bay an der Südostspitze von Neuguinea. Japanische Truppen landeten im Juli in Buna, um über den Kokoda-Pfad auf Port Moresby vorzurücken, ferner im August in Milne Bay, um den dortigen Flugplatz auszuschalten. Beide Unternehmungen waren an sich nicht aussichtslos, Anfang August kam indes die amerikanische Landung auf Guadalcanal dazwischen, so daß die Japaner ihre Kräfte zersplittern mußten und der Angriff in Neuguinea fehlschlug. Die Truppen in Milne Bay mußten unverrichteter Dinge wieder abziehen, und auf dem Kokoda-Pfadkamen die Japaner zwar im September nahe an Port Moresby heran, konnten sich jedoch nicht halten und wurden über das Gebirge zurückgedrängt. Bis Anfang 1943 eroberten Australier und Amerikaner auch Buna und Gona. Die amerikanische Landung auf Tulagi und Guadalcanal fand am 7. August statt, gedeckt von Flottenstreitkräften mit drei Trägem und einem neuen Schlachtschiff. Der Zeitpunkt war gut gewählt, denn der Flugplatz auf Guadalcanal stand kurz vor der Vollendung, so daß zwar die Japaner noch keine Flugzeuge zur Abwehr des Gegners einsetzen, die Amerikaner aber einen fast fertigen Flugplatz übernehmen und binnen kurzem ihre eigenen Maschinen von da aus einsetzen konnten. Um diesen Flugplatz wurde in der Folgezeit fast ein halbes Jahr lang gekämpft. Die Einzelheiten brauchen hier nicht alle dargelegt zu werden; es sei nur erwähnt, daß der Angriff die Japaner unerwartet traf, wahrscheinlich weil sie meinten, das ungastliche Gebiet der östlichen Salomonen, das nach Midway keine besondere strategische Bedeutung mehr besaß, werde nicht die Aufmerksamkeit der Alliierten finden. Zudem blieb der Anmarsch wegen des Wetters unentdeckt, so daß die Landung ohne große Schwierigkeiten ablief und die amerikanischen Landungstruppen, eine komplette Division Marineinfanterie, die weit unterlegenen japanischen Verteidiger rasch überwältigten. Auf Guadalcanal, einer Insel mit äußerst schwierigen Geländeverhältnissen und höchst ungesundem Klima, kamen die Amerikaner über einen Brückenkopf an der Küste, wo der Flugplatz lag, nie hinaus, während die japanischen Truppen sich im Dschungel hielten. In der Folgezeit suchten beide Seiten ihre Truppen zu verstärken, um den Flugplatz zu nehmen bzw. zu behaupten; im November hatten beide Seiten jeweils rund 30000 Mann auf der Insel. Da die Amerikaner mit Hilfe des Flugplatzes bzw. ihrer Träger bei Tage die Luftüberlegenheit besaßen - die nächsten japanischen Flugplätze lagen weit ab im Gebiet von Rabaul - , mußten die Japaner mit den Unternehmungen ihrer Marinekräfte großenteils in die Nacht ausweichen, wobei es zu einer Anzahl verlustreicher Nachtgefechte kam. Das erste fand bereits am 9. August statt, als die

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Japaner, durch die Nachricht von der Landung aufgeschreckt, sofort zurückschlugen und beim kühnen, allerdings auch glücklichen Angriff eines Kreuzerverbandes vier amerikanische bzw. australische Kreuzer versenkten. Im November verloren die Japaner zwei schnelle Schlachtschiffe bei der oft durchgeführten Aufgabe, nachts den Flugplatz zu beschießen. Die Ansammlung amerikanischer Schiffe um die Insel bildete ein lohnendes Ziel für japanische U-Boote, die im August und September zwei Träger und ein Schlachtschiff torpedierten, wobei der Träger Wasp sank. Yamamoto setzte den Hauptteil seiner Flotte, insbesondere die Träger, erstmals um den 20. August ein. Die Hintergründe dieses Unternehmens sind nicht ganz klar; es scheint aber, als habe Yamamoto nur über drei voll einsatzfähige Träger verfügt, nämlich die beiden großen Zuikaku und Shokaku sowie die kleine Ryujovielleicht weil nicht genügend gute Piloten und Flugzeuge vorhanden waren, um auch die übrigen leichten Träger ins Gefecht zu schicken, vielleicht weil die neu in Dienst gestellten Träger für schwierige Aufgaben noch nicht voll tauglich waren. Mit nur zwei schweren und einem leichten Träger taten die Japaner gut daran, Behutsamkeit an den Tag zu legen, um nicht ein ähnliches Fiasko wie bei Midway zu erleben, denn die Amerikaner waren deutlich überlegen, jedenfalls in der Luft, da sie bereits den Flugplatz auf Guadalcanal benützen konnten und drei schwere Träger in diesem Seegebiet stehen hatten. Nach verbreiteter Meinung soll Yamamoto eine Entscheidungsschlacht gesucht haben; das kann indes schwerlich stimmen, da er sich nicht so verhielt und seine Kräfte auch nicht ausgereicht hätten. Das Unternehmen trägt eher den Charakter eines schnellen Vorstoßes, um den Gegner abzutasten und zu beschäftigen. Der Hauptzweck bestand wohl darin, einen Geleitzug zu sichern, der Truppen nach Guadalcanal bringen sollte, und zugleich den Flugplatz anzugreifen. Gleichsam im Windschatten dieses Unternehmens fand eine Landung auf Nauru und Ozean statt (die beiden Inseln fielen am 25./26. August), so daß der Vorstoß möglicherweise auch dem Nebenzweck diente, diese Landung abzuschirmen. Die japanischen Träger, wieder unter der Führung von Nagumo, wurden so eingeteilt, daß nur die Ryujo den Flugplatz auf Guadalcanal anzugreifen hatte, zusammen mit landgestützten Flugzeugen von Rabaul, womit Nagumo der Entscheidungsnot enthoben wurde, ob er, ähnlich wie bei Midway, mit seinen großen Trägem lieber den feindlichen Flugplatz oder lieber die feindlichen Träger bekämpfen solle. Am 24. August kam es nordöstlich der Salomonen zum Gefecht zwischen den japanischen Trägem und zwei amerikanischen; ein dritter amerikanischer Träger stand in der Nähe. Auf Grund einiger Zufalle fanden die amerikanischen Flugzeuge nur die Ryujo und versenkten sie, was ihnen erleichtert wurde, weil die Ryujo nicht genügend Jäger zu ihrer Verteidigung bereithielt. Im Gegenzug beschädigten die japanischen Träger einen amerikanischen, zogen sich aber anschließend zurück. Hätte Yamamoto wirklich eine Entscheidungsschlacht gesucht, so wäre es schwerlich zum Rückzug gekommen, denn Zuikaku und Shokaku besaßen zusammen noch rund 100 Flugzeuge und waren voll kampffahig. Da der beschädigte amerikanische Träger außer Gefecht gesetzt war, standen nunmehr auf

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jeder Seite zwei schwere Träger, also eine Lage ähnlich wie im Korallenmeer. Daneben gab es freilich noch den Flugplatz auf Guadalcanal, der durch Flugzeuge des beschädigten Trägers verstärkt wurde. Das Risiko einer Entscheidungsschlacht lohnte sich einfach nicht, schon vollends nicht, wenn keine Gewähr bestand, den Flugplatz auszuschalten. Ein zweites Mal traten die japanischen Träger gegen Ende Oktober in Erscheinung, als der Flugplatz auf Guadalcanal durch gemeinsame Anstrengungen der Truppen an Land und der Seestreitkräfte erobert werden sollte. Yamamoto bot alles auf, was er an Trägern noch hatte, die beiden schweren: Shokaku und Zuikaku, die drei leichten: Junyo, Hiyo und Zuiho, wovon allerdings die Hiyo wegen Maschinenstörung umkehrte. Die Amerikaner verfügten nur noch über zwei Träger, die jedoch vom damaligen Oberbefehlshaber auf dem südpazifischen Kriegsschauplatz, Admiral Halsey, den Befehl erhielten, unbedingt anzugreifen. So kam es am 26. Oktober nordöstlich der Salomonen zur Schlacht, die ohne auffällige Besonderheiten verlief; das Kräfteverhältnis gab den Ausschlag. Auf japanischer Seite wurden Shokaku und Zuiho durch Beschädigung außer Gefecht gesetzt, auf amerikanischer Harnet versenkt und Enterprise beschädigt. Der Sieg nützte den Japanern nichts, denn der Angriff der japanischen Bodentruppen auf den Flugplatz schlug fehl, und die beiden verbliebenen japanischen Träger waren nicht mehr stark genug, um sowohl den Flugplatz als auch die Enterprise auszuschalten. Der Flugplatz blieb der Dreh- und Angelpunkt; die Japaner vermochten ihn auch in der Folgezeit nicht einzunehmen, so daß Tokio Ende Dezember entschied, Guadalcanal aufzugeben. In schneidig durchgeführten Evakuierungsunternehmungen holten Zerstörer Anfang Februar 1943 gut 10000 überlebende Soldaten ab; etwa die doppelte Zahl war durch Krankheit und Feindeinwirkung umgekommen. Die Verluste an Kriegsschiffen waren für beide Seiten beträchtlich; unter anderem büßten die Amerikaner zwei große Träger ein, die Japaner einen leichten Träger und zwei schnelle Schlachtschiffe. Obwohl die japanischen Seestreitkräfte entschlossen und zielstrebig kämpften, vor allem Kreuzer und Zerstörer, ebenso die Marineluftwaffe, besteht der Eindruck, daß Yamamoto beim Einsatz der Flotte eine gewisse Vorsicht walten ließ - nicht unverständlich nach den Erfahrungen von Midway, ferner angesichts der Tatsache, daß die Amerikaner dank des Flugplatzes auf Guadalcanal die Luftüberlegenheit besaßen, und angesichts der Gefahr, die japanische Flotte weiter zu schwächen. Trotzdem drängt sich die Frage auf, ob nicht ein Quentehen mehr Rücksichtslosigkeit am Platz gewesen wäre. Statt schnelle Schlachtschiffe und Kreuzer bei der Beschießung des Flugplatzes auf Guadalcanal zu verbrauchen, hätten die Japaner auch ihre schweren Schlachtschiffe, die nutzlos in den Stützpunkten herumlagen, einsetzen können und damit den Bodentruppen auf Guadalcanal dasjenige ersetzt, was ihnen bitter fehlte, nämlich schwere Artillerie. Ein halbes Dutzend schwere japanische Schlachtschiffe, ausreichend gesichert von Zerstörern, auf dem Anmarsch begleitet von land- oder trägergestützten Jagdflugzeugen, hätte mit ihren Geschützen vom Kaliber 35 bis 46 cm den amerikanischen Brückenkopf wohl so stark umgepflügt, daß er keine erhebliche Bedeutung

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mehr besessen hätte. Warum dies nicht geschah, bleibt offen; möglicherweise zeigte sich Yamamoto beim Einsatz seiner Schlachtflotte ähnlich bedachtsam und zurückhaltend wie beim Einsatz seiner Trägerflotte, um sie für wichtigere Ziele aufzusparen. Der Gedanke war im Grundsatz nicht verkehrt, denn die Flotte war allemal wichtiger als die fieberverseuchte Insel Guadalcanal; nur wurden auf diese Weise die Kämpfe um Guadalcanal für die japanische Seite am Ende doch zum Verlustgeschäft Das Jahr 1943 blieb lange Zeit arm an herausragenden Ereignissen; es herrschte gewissermaßen die Ruhe vor dem Sturm, der Ende des Jahres losbrach. Die Japaner hielten noch die Aleuten-Inseln Attu und K.iska besetzt, die ihnen keinerlei Nutzen brachten, aber durch die fortdauernden Störaktionen der Amerikaner einige Verluste kosteten. Im Mai 1943 eroberten die Amerikaner Attu, woraufhin die Japaner die Besatzung von Kiska abholten. Auf den Salomonen, wo die Japaner mittlerweile mehrere Flugplätze besaßen, zog Yamamoto im Frühjahr verhältnismäßig starke Luftstreitkräfte zusammen, um die Alliierten in Guadalcanal und Neuguinea niederzuhalten. Im April entzifferte der amerikanische Funkbeobachtungsdienst das Programm eines Fluges, den Yamamoto zur Inspektion der Salomonen unternahm. Die Amerikaner setzten eine Gruppe von Jägern auf Yamamotos Flugzeug an und schossen es ab, wobei Yamamoto den Tod fand. Im Sommer 1943 eroberten die Amerikaner die mittleren Salomonen, bis Ende des Jahres auch die nördlichen. Dabei kam es zu einer Anzahl von kleineren Seegefechten, jedoch zu keiner großen Schlacht, weil die japanische Träger- und Schlachtflotte nicht erschien. Auf Neuguinea nahmen die Alliierten bis gegen Ende 1943 das Gebiet um den HüonGolf mit Lae und Salamaua ein. Wie die vorhin erwähnten Richtlinien der Führung in Tokio vom September 1943 zeigten, begann man sich auf japanischer Seite bereits darauf einzurichten, daß nach dem Verlust der Salomonen auch der BismarckArchipel mit Rabau! und im Anschluß daran ebenso die Marshall-Inseln und Karolinen nicht mehr gehalten werden könnten. Ab Ende 1943 trat dies ein; doch gehören diese Ereignisse bereits in einen anderen Zusammenhang, nämlich denjenigen der entscheidenden strategischen Offensive der USA, und sollen deshalb später behandelt werden. 14 3. Der deutsch-russische Krieg bis 1943

Der Plan des deutschen OKH für den Rußlandfeldzug von 1941 hatte auf dem Gedanken beruht, durch einen schnellen Vormarsch in der Hauptstoßrichtung über Moskau die Masse der Roten Armee zu zerschlagen, das europäische Rußland mit seinen Industriegebieten vorwärts der Wolga zu besetzen und so die Sowjetunion 14 Die Weisung der amerikanischen Stabschefs vom 2. 7. 1942 sowie die Richtlinien der japanischen Führung vom 30. 9. 1943 in Jacobsen, Weg, 282 f., 389. Zu den Ereignissen ferner Ohmae, Konzeptionen. J. Miller, Guadalcanal. Morton, Strategy. Morison, Operations V. Spector. Dull, Navy. Potter I Nimitz I Roh wer. Ruge, Entscheidung.

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unflihig zu machen, in absehbarer Zeit einen operativ aussichtsreichen Angriff gegen Deutschland zu führen. Durch die Geschwindigkeit des Vormarsches hatte insbesondere verhindert werden sollen, daß die Sowjetunion ihre beträchtlichen personellen Reserven mobilisierte, ausbildete und ausrüstete, denn einem langwierigen und verlustreichen Verschleißkrieg gegen einen starken Feind in den russischen Weiten war die Wehrmacht auf die Dauer schwerlich gewachsen. Dieser Plan des OKH war durch die fortwährenden Eingriffe Hitlers zunehmend ausgehöhlt worden, bis schließlich im Herbst 1941 der Vormarsch überall steckenblieb und Hitler die operative wie taktische Führung weitgehend selbst übernahm. Vor allem hatten die Eingriffe des Diktators, darunter die zeitraubenden Nebenunternehmungen in der Weite des russischen Raumes, die Geschwindigkeit des Vormarsches so stark gebremst, daß der Gegner tatsächlich die dringend benötigten Atempausen erhielt, um seine Reserven zu mobilisieren und an die Front zu bringen. Während so das deutsche Ostheer bis zum Herbst dauernd schwächer wurde, fand der Gegner Gelegenheit, seine Verluste bis zu einem gewissen Grad immer wieder auszugleichen und der Wehrmacht eben jenen Abnützungskrieg aufzuzwingen, den das OKH eigentlich hatte vermeiden wollen. Unter diesen Umständen hatte der deutsche Schlußangriff auf Moskau, den die Heeresgruppe Mitte ab November 1941 vortrug, von vornherein zu gut wie keine Erfolgsaussichten besessen. Bereits Anfang November hatte das deutsche Ostheer bei 136 vorhandenen Divisionen bloß noch eine Kampfkraft von 83 Divisionen aufgewiesen; die Gefechtsstärke der Infanteriedivisionen war auf 65%, diejenige der Panzerdivisionen auf 35% abgesunken. Anfang Dezember betrug die Kampfkraft der Infanteriedivisionen im Durchschnitt lediglich 40%, diejenige der Panzerdivisionen lediglich 30% der Sollstärke. Für die Heeresgruppe Mitte kann man den Kampfwert ihrer Verbände Anfang Dezember auf etwa 30 bis 40 vollwertige Divisionen veranschlagen. Demgegenüber bezifferte die deutsche Aufklärung Anfang Dezember die Gesamtstärke der Roten Armee auf rund 350 Verbände (Divisionen und Brigaden), wozu eine nicht genau faßbare Zahl von Neuaufstellungen in rückwärtigen Gebieten trat. Vor der Heeresgruppe Mitte hatten sich schon im November rund 100 sowjetische Verbände befunden; bis Anfang Dezember stieg die Zahl auf rund 150, was nach dem Kampfwert ungefähr der Hälfte der betreffenden Verbände entsprach. Der Gegner war demnach der Heeresgruppe Mitte zweifellos überlegen, wenngleich nicht so stark, wie diese Ziffern vortäuschen. Die deutschen Aufklärungsergebnisse müssen ziemlich zuverlässig gewesen sein, da sowjetische Angaben, wenn man die gängige Vertuschung ausscheidet, ähnliche Zahlen nennen. Es kann keine Rede davon sein, daß die deutsche Aufklärung den Gegner unterschätzte; richtig ist vielmehr, daß Hitler aus den Erkenntnissen des Generalstabs nicht die erforderlichen Schlüsse ziehen wollte. Einer sachgerechten Lagebeurteilung hätte es entsprochen, spätestens im November den Angriff einzustellen und zur Verteidigung überzugehen. Obwohl Hitler dies nicht zuließ, wurde für die militärischen Fachleute bald erkennbar, daß das Fortsetzen des Angriffs kaum noch Aussicht bot, die gesteckten Ziele zu erreichen. 15

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Als der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte, Feldmarschall Bock, im November 1941 den Schlußangriff auf Moskau ansetzte, hatte er offenbar die Wahrscheinlichkeit des Fehlschlags und die Notwendigkeit des späteren Rückzugs bereits einkalkuliert. Nur auf diese Weise schien es möglich zu sein, Hitler handgreiflich vor Augen zu führen, daß die Heeresgruppe Mitte auf eine geeignete Verteidigungslinie vor Moskau ausweichen müsse. Der Generalstabschef Haider hatte dem Vorhaben Bocks zugestimmt, weil Hitler auf anderem Weg sich von den militärischen Sachenordemissen nicht überzeugen ließ. Der Plan Bocks und Halders schien zunächst zu glücken, wenngleich bei dem bekannten Starrsinn Hitlers nicht sogleich. Bock gab am I. Dezember einen ungeschminkten Lagebericht ab, der auf dem Dienstweg formell an das OKH gerichtet war, aber zugleich der Heeresführung Munition für ihre Auseinandersetzungen mit dem Diktator liefern konnte. Darin wurde mit allem Nachdruck festgehalten, der Angriff erscheine ohne Sinn und Ziel, zumal der Zeitpunkt sehr nahe rücke, an dem die Kraft der Truppe völlig erschöpft sei. In ihrer gegenwärtigen Aufstellung halte die Heeresgruppe einem mit nur einiger Planmäßigkeit geführten Angriff des Gegners nicht mehr stand. Wenn nicht starke Reserven zugeführt und ausreichende Versorgung sichergestellt würden, so müsse ohne jeden Zeitverzug eine kurze, zur Abwehr geeignete rückwärtige Stellung für das Ostheer festgelegt und ausgestattet werden, so daß sie binnen kurzer Zeit bezogen werden könne. Da bei der bekannten Schwäche der Bahnen die Heeresgruppe Mitte in ihrer gegenwärtigen Stellung sicher nicht mit dem erforderlichen Nachschub versehen werden konnte, liefen Bocks Forderungen tatsächlich darauf hinaus, umgehend den Rückzug einzuleiten. Hitler ging zunächst nicht darauf ein. Bei Heeresgruppe Süd hatte die I. Panzerarmee am 28. November vor starken feindlichen Gegenangriffen die Stadt Rostow am unteren Don räumen müssen. Am 30. November verbot Hitler das vorgesehene Absetzen der Panzerarmee in eine rückwärtige Auffanglinie am Fluß Mius nördlich der Stadt Taganrog am Asowschen Meer. Haider zeichnete dazu auf, die Leute im OKW, gemeint war insbesondere Hitler, hätten keine Ahnung vom Zustand unserer Truppen und bewegten sich mit ihren Gedanken im luftleeren Raum. Über eine Besprechung des Oberbefehlshabers des Heeres Brauchitsch mit dem Führer bemerkte Halder, es scheine eine mehr als unerquickliche, einseitige Aussprache gewesen zu sein, bei welcher der Führer nur mit Vorwürfen und Schmähungen um sich warf und unüberlegte Befehle gab. Den Befehl, nicht in einem Zug bis auf die genannte Linie am Mius zurückzugehen, habe Brauchitsch leider dem Wunsch des Führers folgend gegeben. Die Antwort des Oberbefehlshabers der Heeresgruppe IS Zum Verlauf des Rußlandfeldzugs 1941 Bd. 2 dieser Untersuchungen. Zur deutschen und sowjetischen Stärke im Herbst 1941 Beurteilung der Kampfkraft des deutschen Ostheeres, 6. 11. 1941, sowie Stärke der Roten Armee am 1. 12. 1941, in KTB OKW 1/2, 1074 ff. Feindlagebeurteilung der Heeresgruppe Mitte, in KTB Heeresgruppe Mitte, 18. 11. 1941, Bundesarchiv-Militärarchiv, RH 19 II /389 a. Beurteilung der Kampfkraft des deutschen Ostheeres, 3. 12. 1941, Bundesarchiv-Militärarchiv, RH 2/2574. Die Kriegswehrmacht der UdSSR, I. 12. 1941, Bundesarchiv-Militärarchiv, RH D 7/11/4. Reinhardt, Wende, 149, 202. MGFA, Weltkrieg IV, 767,770 f. (Beitrag Hoffmann).

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Süd, Feldmarschall Rundstedt, sei gewesen, er könne diesen Befehl nicht ausführen und bitte um Änderung des Befehls oder um Enthebung von seiner Stellung. Nachdem der Führer sich die Entscheidung selbst vorbehalten habe, sei diese Meldung dem Führer wörtlich übermittelt worden. Haider kommentierte dies mit den Worten, in solchen Spannungen könne nur der örtliche Befehlshaber die Lage übersehen. Man müsse ihm vertrauen und habe bei Rundstedt wahrlich das Recht dazu. Die Heeresgruppe habe alle irgendwie möglichen Schritte eingeleitet. Man müsse ihr freie Hand lassen, dann werde sie ihre Aufgabe meistern. In dieser Aufzeichnung Halders findet sich eine der eindrucksvollsten Beschreibungen der unerträglichen Mißstände, die durch Hitlers Verhalten im Herbst 1941 eingerissen waren. Ohne die wirklichen Zustände an der Front zu berücksichtigen, ohne jedes gründliche Wissen um die Sachzwänge und Zusammenhänge der Kriegführung hatte der Diktator das Führen der Verbände bis herunter auf die taktische Ebene an sich gerissen, pfuschte jedermann ins Handwerk, vom OKH über die Heeresgruppen bis zu den Armeen, bewarf den Oberbefehlshaber Brauchitsch mit grundlosen Schmähungen und zwang ihn dazu, wider besseres Wissen unhaltbare Befehle zu erteilen. Brauchitsch sah keinen anderen Ausweg als hinhaltend zu taktieren, in der Hoffnung, den Diktator unter dem Zwang der Umstände später doch noch zum Nachgeben zu bewegen. Nachdem die Antwort Rundstedts eingegangen war, enthob ihn Hitler am 1. Dezember seines Kommandos und bestimmte den bisherigen Oberbefehlshaber der 6. Armee, Reichenau, zu seinem Nachfolger. Die weiteren Einwirkungsversuche auf Hitler, die Brauchitsch und Haider am 2. Dezember unternahmen, wurden schließlich von Erfolg gekrönt, als auch Reichenau meldete, daß er unverzüglich in die Mius-Stellung zurückgehen müsse, was Hitler dann genehmigte. Haider bemerkte dazu bitter: "Wir sind also nun da, wo wir schon gestern abend hätten sein können. Man hat Kraft und Zeit geopfert und v. Rundstedt verloren." Immerhin war nun fürs erste eine sachgerechte Lösung erzielt. Bei Heeresgruppe Mitte mußte erst noch darum gekämpft werden. Bock trug sein Anliegen am 3. Dezember auch dem OKW vor, wo Hitler allerdings nicht erreichbar war, da er sich bei Heeresgruppe Süd aufhielt (übrigens ohne das OKH daran zu beteiligen). Wenigstens konnte Haider am 4. Dezember der Heeresgruppe mitteilen, wenn Bock keine Aussicht für die verlustreichen Angriffe mehr sehe, habe er die Freiheit, sie einzustellen. Gegenüber Hitler drängte das OKH darauf, an der Ostfront allgemein zur Verteidigung überzugehen. Dies gelang vorerst, als Hitler am 8. Dezember eine Weisung erließ, in welcher es hieß: "Der überraschend früh eingebrochene strenge Winter im Osten und die dadurch eingetretenen Versorgungsschwierigkeiten zwingen zu sofortiger Einstellung aller größeren Angriffsoperationen und zum Übergang zur Verteidigung." Durch diese Wortwahl wurden die wirklichen Ereignisse bemäntelt: Als Ursache für das Mißlingen des Feldzugs erschien nicht das Fehlverhalten Hitlers, sondern das Wetter. Nichtsdestoweniger konnte das OKH auf Grund dieser Weisung noch am selben Tag eine eigene Weisung erlassen, in welcher als Absicht des OKH festgehalten wurde, während des Winters 1941/

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42 die Sicherung des besetzten Gebietes in einer möglichst günstigen, kräftesparenden Abwehrfront durchzuführen und unter ihrem Schutz das Ostheer für die ihm im Frühjahr 1942 zufallenden neuen Aufgaben zu ergänzen, aufzufrischen und neu zu gliedern. Über diese Weisung hatte das OKH bereits vorher mit Hitler verhandelt. Bei einem Führervortrag Halders am 6. Dezember erkannte der Diktator zwar grundsätzlich die Notwendigkeit an, das Ostheer aufzufrischen, aber der Übergang zur Verteidigung wurde von ihm mit so vielen Vorbehalten und Einschränkungen versehen, daß sein Wert im Unbestimmten zu verschwinden drohte. Nicht das OKH, sondern Hitler war es gewesen, der in den vergangeneo Wochen dem Ostheer die Ziele vorgegeben hatte, und nicht das OKH, sondern Hitler hatte den Angriff in Richtung auf diese Ziele fortsetzen lassen. Von seinen Zielen mochte der Diktator sich auch jetzt nicht völlig trep.nen; die erforderliche Kehrtwendung, d. h. ein unbedingtes Bekenntnis zu der allein noch möglichen Abwehr und ihrer folgerichtigen Durchführung vollzog Hitler nicht. Wohl ließ er den Angriff auf Moskau einstellen, doch bezog er am 6. Dezember den Standpunkt, der Russe sei nirgends von selbst weggegangen, und die deutsche Seite dürfe es auch nicht. Gegen eine Linienverkürzung bestünden keine grundsätzlichen Bedenken, sie dürfe jedoch erst eintreten, wenn in rückwärtigen Stellungen Vorbereitungen getroffen seien. Bei der Heeresgruppe Nord hatte Hitler in den vergangeneo Wochen einen Angriff in Richtung Tichwin vortragen lassen, um die Verbindung zu den Finnen östlich des Ladoga-Sees herzustellen. Obwohl spätestens Anfang Dezember das Fehlschlagen des Angriffs absehbar wurde, verlangte der Diktator am 6. Dezember, die Verbindung zu den Finnen müsse noch im Laufe des Winters hergestellt werden. Bei Heeresgruppe Süd hatte Hitler in den vergangeneo Wochen einen Angriff über den unteren Don in Richtung auf das nordkaukasische Ölgebiet von Maikop gefordert. Obwohl Ende November Rostow verlorengegangen war, verlangte der Diktator am 6. Dezember das Wiedergewinnen Rostows noch im Winter, um erneut die Voraussetzung für einen Vorstoß nach Maikop zu schaffen. Die Führerweisung vom 8. Dezember war daher in hohem Maße doppelbödig, und ebenso die Weisung des OKH vom seihen Tag, die sich notgedrungen den Vorgaben Hitlers anpaßte. Zwar hieß es in der Führerweisung, die Masse des Ostheeres solle so bald wie möglich in kräftesparenden, vom Oberbefehlshaber des Heeres festzulegenden Fronten zur Abwehr übergehen und anschließend mit der Auffrischung der Verbände beginnen, wobei vor allem die schnellen Divisionen aus der Front zu ziehen seien. Aber wie konnte der Oberbefehlshaber des Heeres angemessene, wirklich kräftesparende Verteidigungsfronten festlegen, wenn Hitler am 6. Dezember angeordnet hatte, man dürfe nirgendwo von selbst weggehen, wenn rückwärtige Stellungen erst einmal vorbereitet werden mußten, wenn im Norden und Süden demnächst der Angriff wiederaufgenommen werden sollte, wenn Hitler weder dem OKH noch den Kommandobehörden an der Front die Entscheidungsfreiheit einräumte, die sie benötigten? Noch am Tag vor der besagten Führerweisung, am 7. Dezember, fand Haider wieder einmal Grund, sich über die niederschmetternden und beschämenden Erfahrungen mit Hitler zu beklagen. Das

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Schrecklichste sei, so hielt der Generalstabschef fest, daß die oberste Führung, also Hitler, den Zustand unserer Truppe nicht begreife und eine kleinliche Flickschusterei betreibe, wo nur große Entschlüsse helfen könnten. Einen solchen großen Entschluß erblickte Halder darin, den ganzen linken Flügel der Heeresgruppe Mitte, der sich mit zwei Panzergruppen an Moskau herangekämpft hatte, rund 100 km zurückzunehmen auf eine kurze, kräftesparende Linie von Ostaschkow am SeligerSee über Rschew bis Rusa westlich Moskau. Dazu fand Hitler sich ebensowenig bereit wie einige Tage zuvor zum sofortigen Rückzug der 1. Panzerarmee auf die Mius-Linie. Unter solchen Voraussetzungen durfte nicht leichten Herzens erwartet werden, der Oberbefehlshaber des Heeres könne die Ankündigung der Führerweisung vom 8. Dezember wahrmachen und das Ostheer mit der gebotenen Eile in geeignete Verteidigungsfronten zurückführen. 16 Eile war in der Tat geboten, denn wie Bock am 1. Dezember festgestellt hatte, konnte seine Heeresgruppe in ihrer gegenwärtigen Aufstellung einem mit nur einiger Planmäßigkeit geführten Angriff des Gegners nicht mehr standhalten. Dieser sowjetische Gegenangriff vor Moskau begann am 5. Dezember; es trifft indes nicht zu, daß die Fachleute auf der deutschen Seite davon überrascht wurden. Vielmehr wurde die Verstärkung des Gegners vor der deutschen Front richtig erfaßt, und mit Gegenstößen wurde gerechnet. Die Tagesmeldungen des Generalstabs verzeichneten am 5. Dezember, am linken Flügel der Heeresgruppe Mitte habe der für den heutigen Tag erwartete russische Angriff begonnen. Am Tag zuvor hatten allerdings sowohl der Generalstab als auch die Heeresgruppe Mitte festgestellt, die Gefechtskraft des Gegners vor Heeresgruppe Mitte reiche nicht aus, um mit den zur Zeit verfügbaren Kräften zu einer großen Gegenoffensive anzutreten. Der scheinbare Widerspruch löst sich auf, wenn man bedenkt, daß der Gegner wohl zu taktischen Gegenstößen hinreichend befähigt war, wie er sie seit Feldzugsbeginn fortwährend geführt hatte, nicht jedoch zu einem operativen Großangriff in weiträumiger Bewegung. Diese Lageeinschätzung entsprach den Tatsachen und wurde von den sowjetischen Fachleuten geteilt. Die russische Führung hatte ab Oktober ihre Truppen vor Moskau laufend verstärkt, auch durch frische Divisionen aus Sibirien, überdies in der Tiefe des Raumes ein knappes Dutzend Reservearmeen aufgestellt, wovon zwei seit Ende November bereits in der Front vor Moskau eingesetzt und einige weitere herangeführt wurden. Der Kampfwert dieser neuen Armeen blieb indes gering; in der Regel waren die Truppen nur einige Wochen ausgebildet worden, sie verfügten über wenig Artillerie, kaum Kraftfahrzeuge und Panzer, unzureichende Fernmeldemittel und Versorgungsteile. Ein weiträumiger operativer Angriff ließ sich mit solchen Kräften zweifellos nicht führen. Bei den sowjetischen Verbänden in der Verteidigungsfront vor Moskau stellte sich die Lage nicht viel besser dar. Zum Teil handelte es sich um Reste von Divisionen, die den Vernich16 Bocks Lagebericht vom I. 12. 1941 in R. Hofmann, Moskau, 163. Zu den Ereignissen bei den Heeresgruppen Süd und Mitte sowie zum Führervortrag vom 6. 12. 1941 Halder, KTB III, 319 f., 322, 324, 326, 328 ff., 332. Hitlers Weisung vom 8. 12. 1941 in Hubatsch, Weisungen, 199 ff. Die OKH-Weisung vom 8. 12. 1941 in KTB OKW I/2, 1076 ff.

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tungsschlachten von Wjasma und Brjansk entronnen waren, zum Teil hatten die Truppen unter den anschließenden Kämpfen schwer gelitten und entsprechende Verluste hinnehmen müssen. Daß die sowjetische Seite für dep Gegenangriff bei Moskau nur noch ungefähr 700 teilweise veraltete Panzer aufbieten konnte, zeigt allein schon, wie dürftig die Materialausstattung der Roten Armee unterdessen geworden war. Bereits bei Kriegsbeginn waren die sowjetischen Truppen trotz ihrer verhältnismäßig reichen Materialausstattung zu einem weiträumigen operativen Bewegungskrieg nicht imstande gewesen. Mit wesentlich schlechterer Ausrüstung und keineswegs besserer Ausbildung würden sie jetzt voraussichtlich auch nicht dazu imstande sein. 17 Den sowjetischen Fachleuten war dies augenscheinlich bewußt. Der Generalstab unter Marschall Schaposchnikow faßte im November den Entschluß, die unmittelbare Bedrohung Moskaus zu beseitigen, indem die beiden auf Moskau gerichteten Panzerkeile der Heeresgruppe Mitte, also die Panzergruppen 3 und 4 nordwestlich Moskau sowie die 2. Panzerarmee südlich der Hauptstadt, durch taktische Angriffe zurückgedrängt und nach Möglichkeit geschlagen wurden. Zugleich sollte an den äußersten Flügeln der Gesamtfront, bei Rostow und Tichwin, angegriffen werden, um ein Verschieben deutscher Kräfte zur Heeresgruppe Mitte zu verhindern. Der Gegenangriff bei Moskau war gemeinsam von den drei dort eingesetzten hohen Kommandobehörden zu führen, d. h. der Kalininfront (General Konjew), der Westfront (General Schukow) und der Südwestfront (Marschall Timoschenko), deren rechter Flügel später von einer neu eingefügten Brjansker Front übernommen wurde. Angesichts der Schwäche der eigenen Truppen wurden nur begrenzte Vorstöße mit einer Tiefe von höchstens I 00 km in Aussicht genommen. Ein Erfolg wurde vor allem deswegen erwartet, weil die deutsche Seite ihre Kräfte verausgabt hatte, so daß die russischen Truppen ohne weitere Vorbereitung aus der Abwehr unmittelbar in den Angriff übergehen sollten. Nachdem die Einnahme Rostows Ende November gelungen war und Anfang Dezember auch bei Tichwin ein Sieg sich abzeichnete, begann am 5. Dezember der Gegenangriff vor Moskau, zunächst im Norden bei Kalinin. Angesichts des Zustands der deutschen Verbände hätte es sich empfohlen, die Heeresgruppe Mitte sofort zurückzunehmen, etwa in der Art, wie Haider am 7. Dezember festhielt Der linke Flügel müßte auf die Linie Ostaschkow - Rusa ausweichen. Dies hätte dem Gedanken einer operativen, also beweglichen Verteidigung entsprochen, die weiträumig dachte, die sich nicht nutzlos an erobertes Gelände klammerte, sondern die im Zurückweichen die eigenen Kräfte schonte und für die Abwehr in kürzeren Linien zusammenfaßte. Hitler ließ es nicht zu, sondern genehmigte am 7. Dezember lediglich das Absetzen der Panzergruppen 3 und 4 nordwestlich Moskau in eine leicht verkürzte Sehnenstellung. 17 Tagesmeldungen der Operationsabteilung des GenStdH, 5. 12. 1941, in KTB OKW 1/2, 795. Feindlagebeurteilung des Generalstabs und der Heeresgruppe Mitte , 4. 12. 1941, nach Reinhardt, Wende, 170 f., 203 f. MGFA, Weltkrieg IV, 600 (Beitrag Klink). Zu den Vorbereitungen für den russischen Gegenangriff Schukow, 340. Sokolowskij, 94 f. Reinhardt, Wende, 197 ff. MGFA, Weltkrieg IV, 770 f. (Beitrag Hoffmann).

6 Rauh, Zweiter Weltkrieg 3 Teil

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Der sowjetische Gegenangriff kam zwar nicht gefährlich schnell voran, machte aber insgesamt doch gute Fortschritte: anfangs nördlich Moskau bei Kalinin und Klin, dann auch südlich Moskau bei Tula gegen die deutsche 2. Panzerarmee und vorwärts Orel gegen die 2. Armee. Am 9. Dezember, nachdem die vorhin erwähnte Führerweisung vom 8. Dezember ergangen war, ordnete Bock das Vorbereiten einer rückwärtigen Stellung an in der Linie Ostaschkow - Rschew Gschatsk - Medyn - Orel - Kursk. Über den Gedanken Halders vom 7. Dezember, den linken Flügel der Heeresgruppe Mitte rund 100 km zurückzunehmen, ging dies noch ein Stück hinaus. Nunmehr sollte die ganze Heeresgruppe ungefähr 100 bis 200 km ausweichen, um ihre Front einschneidend zu verkürzen und die erforderlichen Reserven freizumachen. Den Befehl zu einem derartigen Rückzug vermochte freilich Bock nicht von sich aus zu geben. Formell war dafür das OKH zuständig, das jedoch wiederum nicht selbständig handeln durfte, sondern sich gezwungen sah, auf den obersten Befehlshaber der Wehrmacht, also Hitler, Rücksicht zu nehmen. Ein sachgerechter schneller Entschluß konnte deshalb vorerst nicht gefaßt werden. Bock, der wie schon in den Wochen zuvor durch fernmündliche Gespräche dauernd die Verbindung mit Haider aufrechterhielt, schilderte die Lage zunehmend in düsteren Farben, wovon Haider wiederum das OKW in Kenntnis setzte. Bereits am 9. Dezember berichtete Bock von einer Vertrauenskrise ernster Art in der Truppe und von Spannungen mit den unterstellten Befehlshabern, weil die Soldaten sich im Stich gelassen fühlten und die Entschlüsse bzw. die Entschlußlosigkeit der obersten Führung nicht verstanden. Da ein Halten der überdehnten Front mit den vorhandenen Kräften ausgeschlossen war, wurde allgemein der Rückzug für erforderlich gehalten. Bock vertrat dabei durchgehend die Ansicht, er habe nur die Wahl zwischen zwei Übeln: Entweder erhalte er den Befehl, die Front zu halten, dann bestehe die Gefahr, daß die Heeresgruppe Mitte schwer geschlagen und überrannt werde; oder er leite den Rückzug ein, dann müsse damit gerechnet werden, daß wegen der gesunkenen Beweglichkeit der Truppe große Materialverluste einträten. Da dem OKH die Hände gebunden waren, konnte es einstweilen nicht viel mehr tun, als auf eine Beruhigung der Gemüter an der Front hinzuwirken. In diesem Sinne richtete Brauchitsch am 10. Dezember ein Telegramm an die Truppe im Osten, daß ihm und Hitler die Schwere der Lage an der Front bekannt sei und daß alles zur Erleichterung Mögliche geschehen werde. Haider suchte Bock zu beruhigen, indem er ihm am 9. Dezember darlegte, der Gegner habe offenbar auffrischungsbedürftige Kräfte und Neuaufstellungen an die Front geholt, um offensiv das deutsche Vorgehen aufzuhalten. Man müsse hoffen, daß das Ostheer die russischen Angriffe mit letzter Kraft noch aushalte. In einigen Wochen werde es vielleicht ruhiger sein. Auf den Einwand Bocks, bis dahin sei die deutsche Armee kaputt, erwiderte Halder: "Der deutsche Soldat geht nicht kaputt!" An dieser Antwort ist wenig auszusetzen, denn erstens konnte Haider unter den gegebenen Umständen kaum etwas anderes sagen, und zweitens stellte sich später heraus, daß das Ostheer auch unter erschwerten Bedingungen tatsächlich nicht zerbrach. Ansonsten versicherte Haider dem Oberbefehls-

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haber der Heeresgruppe, daß das, was noch an kleinen Reserven zusammenzubringen sei, bestimmt herangeführt werde. Über das Nachschieben von Reserven konnte das OKH ebensowenig frei entscheiden wie über andere operative Dinge. Gemäß seiner ursprünglichen Planung hatte das OKH angenommen, der Rußlandfeldzug könne im Herbst 1941 mit dem Erreichen der Wolga zum Abschluß kommen, und die vorhandenen personellen Reserven reichten ungefähr aus, um die bis dahin eintretenden Verluste zu decken. Diese Berechnungen wurden hinfällig, als im Herbst 1941 noch nicht einmal Moskau erreicht wurde. Bis zum Frühherbst hatte das OKH die Ausfälle an der Ostfront noch einigermaßen ausgleichen können, teils durch die vorhandenen personellen Reserven im Ersatzheer, teils durch Truppen aus dem Westen. Von da an begann sich jedoch die Schere zwischen Verlust und Ersatz zu öffnen. Ende November beliefen sich - bei einer durchschnittlichen Stärke des Ostheeres von 3,2 Millionen - die Fehlstellen auf 340000, wovon im wesentlichen die fechtende Infanterie betroffen war, so daß die Kampfkraft der Verbände stark sank, auch in Verbindung mit dem Ausfall an Gerät und wegen der oft geringen Fronterfahrung des eingegliederten Ersatzes. Das OKH erwog zeitweise, Ostdivisionen aufzulösen, um die Lücken zu füllen, doch hätte sich dies allenfalls dann verwirklichen lassen, wenn in geeigneten Rückzugsstellungen eine gesicherte Abwehr organisiert worden wäre. Ansonsten ließen sich im Herbst 1941 Reserven nur auf zwei Wegen schaffen: Entweder wurden Truppen aus dem Westen, vor allem aus Frankreich, herangebracht, oder es wurden aus dem Ersatzheer zusätzliche Kräfte freigemacht. Da im Westen durchwegs die schwächeren und schlechter ausgestatteten Divisionen verblieben waren, besaßen sie für den Osten nur eine eingeschränkte Verwendbarkeit. Immerhin hatte das OKH schon im Sommer dafür Sorge getragen, eine Anzahl von Westdivisionen so auszustatten, daß sie, wie Haider am 7. September festhielt, "im Notfall für Abwehraufgaben im Osten verwendet werden können." Der Befehlshaber des Ersatzheeres, General Fromm, ließ im Oktober die Aufstellung von etwa acht bis neun Divisionen vorbereiten, die aus Personal der Ausbildungseinrichtungen zusammengesetzt werden sollten sowie aus Reservisten, die derzeit als unabkömmlich in der Kriegswirtschaft galten. Um solche Verbände rechtzeitig verfügbar zu haben, hätten sie freilich rasch bereitgestellt und herangeführt werden müssen. Dies geschah nicht. Im Laufe des Herbstes durfte das OKH mit Zustimmung des OKW lediglich einige wenige Westdivisionen im Austausch für Ostdivisionen nach Rußland bringen. Noch am 6. Dezember stellte sich Hitler auf den Standpunkt, im Westen dürfe keine Verminderung der Kräfte eintreten, auch leide Deutschland nicht Mangel an Soldaten, sondern an Arbeitskräften. Ersatz für die Ostfront solle durch Auskämmen von Dienststellen beschafft werden. In ähnlicher Weise äußerte sich die Führerweisung vom 8. Dezember über das Ersatzwesen. Demnach sollten Wehrfähige aus der Kriegswirtschaft erst nach besonderer Anordnung durch das OKW freigemacht werden, Westdivisionen durften nur gegen Ostdivisionen ausgetauscht werden, über eine Auflösung von Westdivisionen, um daraus Ersatz für den Osten zu gewinnen, sollte erst später entschieden 6*

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werden, und Ersatz sei durch Auskämmen überflüssigen Personals zu gewinnen. Am 10. Dezember wurde wenigstens angeordnet, einige Divisionen aus dem Westen zum Abtransport fertigzumachen. Aber bis sie im Osten eintreffen konnten, würden bei den schwierigen Verkehrsverhältnissen im russischen Winter - Züge blieben im Schnee stecken, Lokomotiven froren ein - mehrere Wochen vergehen.18 Unter diesen Umständen blieb der Ostfront tatsächlich kaum eine andere Wahl als der Rückzug in eine geeignete Verteidigungslinie, selbst wenn ein solcher Rückzug, wie Bock vorhersah, mit Materialverlusten verbunden war. Haider beschrieb später die Lage so, daß man sich unter normalen Verhältnissen einer operativen Krise, wie sie hier vorlag, durch operatives Ausweichen entziehe. Da die Beweglichkeit der Truppe erheblich gelitten hatte, war keine großzügige operative Lösung möglich. Aber die Beweglichkeit der Truppe genügte noch, um taktischen Krisen auszuweichen. Das hieß konkret, daß die Truppe nicht schnell und reibungslos über große Entfernungen ausweichen konnte. Aber sie konnte sehr wohl, im Rahmen eines einheitlichen Plans und bei selbständigem Handeln der Frontbefehlshaber, Schritt für Schritt zurückgenommen werden, bis sie in einer verkürzten Stellung und in vorteilhaftem Gelände sich besser zu behaupten vermochte. Bei einem solchen langsamen Ausweichen bestand zudem Aussicht, die Materialverluste nicht übermäßig anschwellen zu lassen. Brauchitsch begab sich am 13. Dezember zur Heeresgruppe Mitte, wo er mit Bock und einigen seiner Armeeführer Übereinstimmung erzielte, die Heeresgruppe müsse schrittweise in die vorgesehene Linie Ostaschkow - Rschew - Gschatsk Medyn - Orel - Kursk ausweichen und der Rückzug müsse sofort eingeleitet werden. Hitler schob dem umgehend einen Riegel vor. Als Brauchitsch bei der Heeresgruppe Mitte weilte, entsandte Hitler auch seinen Chefadjutanten Schmundt dorthin, der dann mit Brauchitsch und Bock über die einschlägigen Fragen verhandelte, insbesondere über den Ausbau einer rückwärtigen Stellung. Schmundt hielt sich an die Vorgaben Hitlers, denn der Diktator hatte schon beim Führervortrag vom 6. Dezember und in seiner Weisung vom 8. Dezember festgelegt, die deutschen Truppen dürften nirgendwo von selbst weggehen, und wenn die Front zurückverlegt werde, ohne vom Gegner dazu gezwungen zu sein, dann müsse vorher eine rückwärtige Stellung ausreichend vorbereitet werden. Davon wollte Hitler auch jetzt nicht abgehen. Haider wurde am 15. Dezember vom Stabschef der Heeresgruppe Mitte, General Greiffenberg, über ein Gespräch mit dem Chef des Wehrmachtführungsstabs im OKW, General Jodl, unterrichtet, wobei Hitlers Haltung so 18 Zum Beginn des sowjetischen Angriffs und zu den Vorgängen auf der deutschen Seite Halder, KTB III, 327 ff. Philippi/Heim, 99 ff. R. Hofmann, Moskau, 165 ff. Reinhardt, Wende, 204 ff. MOFA, Weltkrieg IV, 605 ff. (Beitrag Klink). Zum Gespräch Haider - Bock am 9. 12. 1941 auch C. Hartmann, Halder, 299. Zu den Ersatzfragen Halder, KTB III, 216, 260, 268 f., 279,318 ff., 328 ff., 338. Müller-Hillebrand III, 19 ff. Reinhardt, Wende, 142. MOFA, Weltkrieg V I I, 888, 927 (Beitrag Kroener). Führerweisung vom 8. 12. 1941 in Hubatsch, Weisungen, 199 ff.

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umrissen wurde: "Wo gehalten werden kann, nicht ausweichen; wo unhaltbar, zurückbiegen und ausweichen; ausweichen erst, wenn Vorbereitungen getroffen sind." Die Anordnung krankte freilich daran, daß sie widersprüchlich und undurchführbar war. Wenn die Truppe nirgendwo von selbst weggehen durfte, brauchte sie jeden verwendbaren Mann für die Abwehr an der Front und konnte keine stärkeren Kräfte für das Vorbereiten einer rückwärtigen Stellung erübrigen. Wurden dagegen Kräfte für eine rückwärtige Stellung abgezweigt, dann mußte die gesamte Front auch ohne Feinddruck planmäßig zurückgenommen werden. Eben dies hatten Bock und Haider spätestens seit Anfang Dezember gewünscht; es war jedoch von Hitler bislang nicht zugelassen worden. Brauchitsch und Bock versuchten bei ihren Gesprächen Mitte Dezember einen Ausweg zu finden, indem sie die rückwärtige Stellung (gemeint war die bekannte Linie Rschew - Gschatsk - Orel) durch eine von rückwärts herangeführte Sicherungstruppe besetzen und ausbauen lassen wollten. Dies stellte gewiß eine denkbare Lösung dar, und sie hätte sich noch einfacher verwirklichen lassen, wenn die von rückwärts heranzuführende Sicherungstruppe bereits einige Zeit früher in Marsch gesetzt worden wäre. Aber auch Mitte Dezember war ein solcher Ausweg noch begehbar. Wegen des Treibstoffmangels und wegen der winterlichen Verkehrsverhältnisse konnte der Rückzug ohnedies nur mit geringer Geschwindigkeit stattfinden. Die Durchschnittsgeschwindigkeit lag bei höchstens 10 km am Tag, eher darunter. Der Rückmarsch der gesamten Heeresgruppe in die vorgesehene Winterstellung würde unter solchen Umständen mehrere Wochen dauern. Umgekehrt wurde das Heranschaffen von Reserven erleichtert, wenn sie nicht der weit vom kämpfenden Front zugeführt, sondern in die mit der Bahn einfacher erreichbare Winterstellung gebracht wurden. Der Ausbau einer solchen Stellung konnte dann noch vor vollendetem Rückzug der Heeresgruppe beginnen. Tatsächlich gelang es bei Heeresgruppe Mitte, bis gegen Ende Dezember Stellungsbaumaterial nach vom zu bringen und bei einigen Armeen in größerer Zahl Unterstände zu bauen. Bis die Heeresgruppe die Winterstellung bezogen hatte, würden dort auch die ersten aus dem Westen herangeführten Divisionen eingetroffen sein und die Abwehr verstärken. Tatsächlich wurden vordere Teile einer solchen Division Ende Dezember bereits eingesetzt, allerdings nicht in der Winterstellung, sondern - weil der geordnete Rückzug unterblieben war - beim Auffangen eines russischen Durchbruchs. Darüber hinaus bot es sich an, bei einem geordneten, langsamen Rückzug den vorhandenen Treibstoff zum Bergen von Material zu verwenden, statt vorne zu verteidigen, den Treibstoff beim Abriegeln gegnerischer Einbrüche aufzubrauchen und anschließend das Material stehenzulassen. Hitler entschied anders. Noch am 15. Dezember ging dem OKH eine Weisung des OKW zu, wonach der Führer folgendes befohlen hatte: Ein weiträumiges Absetzen großer Teile des Heeres müsse ohne vorbereitete rückwärtige Stellungen zu den schwersten Folgen führen. Daher habe die Heeresgruppe Süd ihre Fronten zu halten, während die Heeresgruppe Nord, wo mittlerweile Tichwin aufgegeben und der Rückzug hinter den Wolchow eingeleitet worden war, einer Entscheidung über

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die endgültig zu haltende Front entgegensehen müsse. Bei Heeresgruppe Mitte dürfe die 4. Armee im Zentrum keinen Schritt zurückgehen. Auf dem rechten Flügel der Heeresgruppe, wo dem Oberbefehlshaber der 2. Panzerarmee, General Guderian, wegen der schwierigen Lage auch die 2. Armee unterstellt worden war, seien die aufgerissenen Lücken zu schließen und eine leicht verkürzte Frontlinie zu halten. Auf dem linken Flügel dürften die 9. Armee sowie die Panzergruppen 3 und 4, die ebenfalls wegen der schwierigen Lage beide gemeinsam General Hoepner unterstanden, in eine Sehnenstellung Stariza - Wolokolamsk - Rusa ausweichen, sofern die Lage keine andere Wahl mehr lasse. Diese Weisung setzte ganz konsequent dasjenige fort, was Hitler seit Ende November immer wieder befohlen hatte: Eigentlich sollte überhaupt nirgendwo ausgewichen werden; wenn es sich aber gar nicht mehr vermeiden ließ, dann nur möglichst geringfügig und jedenfalls nicht freiwillig. Operative Führung wurde auf diese Weise schlechterdings unmöglich gemacht. Eine zusammenhängende Planung für die gesamte Front auf weite Sicht fand nicht mehr statt; die Truppe mußte sich einfach an das Gelände klammern und darauf warten, daß ihr der Gegner das Gesetz des Handeins diktierte. An die Stelle militärischer Führungskunst trat der bloße Wille; geregelte, weitblickende Stabsarbeit wurde ersetzt durch sprunghafte Augenblickseinfälle eines Laien. Brauchitsch hatte am Abend des 15. Dezember eine sehr ernste Besprechung mit Haider über die Lage. Wenn Brauchitsch die besagte OKW-Weisung vom seihen Tag zu dieser Zeit noch nicht kannte, so hat er sie zumindest kommen sehen. Zwar hatte das OKW früher angekündigt, der Führer wolle mit Brauchitsch über einen weiteren Rückzug sprechen, aber die vorhin genannte Mitteilung Jodls an Greiffenberg zeigte ja bereits, daß Hitler den geordneten Rückzug der Heeresgruppe Mitte auf die Winterstellung nicht zulassen wollte. Brauchitsch war deshalb, wie Haider festhielt, sehr niedergeschlagen und sah keinen Ausweg mehr, um das Heer aus der schwierigen Lage zu retten. Hitler wiederum traf seine Entscheidungen, ohne Brauchitsch zu befragen. Mitten in der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember bestellte der Diktator Brauchitsch, Haider und den Chef der Operationsabteilung Heusinger zu sich und gab, gemäß Halders Aufzeichnung, den Befehl aus: "Von Absetzen kann keine Rede sein. Nur an einigen Stellen tiefere Feindeinbrüche. Rückwärtige Linien aufzubauen, ist Phantasie. Die Front krankt nur an einem: Der Feind ist zahlreicher an Soldaten. Er hat nicht mehr Artillerie. Er ist viel schlechter als wir." Es sollte also vorne verteidigt werden; das Zurückgehen auf eine Sehnenstellung kam nach Hitlers Worten erst in Betracht, wenn Betriebsstoff vorhanden und wenn frische Infanterie zur Aufnahme verfügbar seien. Noch schärfer wurde dies in einem Führerbefehl vom 16. Dezember ausgedrückt, der als "Haltebefehl" bekannt wurde und welchen die Heeresgruppe Mitteam 18. Dezember über das OKH erhielt. Darin hieß es, unter persönlichem Einsatz der Befehlshaber, Kommandeure und Offiziere sei die Truppe zum fanatischen Widerstand in ihren Stellungen zu zwingen, ohne Rücksicht auf durchgebrochenen Feind in Flanke und Rücken. Nur durch eine derartige Kampfführung sei der Zeitgewinn zu erzielen, um Verstärkungen aus dem Westen und der Heimat heranzuführen. Erst

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wenn Reserven in rückwärtigen Sehnenstellungen eingetroffen seien, könne daran gedacht werden, sich in solche Stellungen abzusetzen. 19 Mit Hitlers Haltebefehl kam die schleichende Ausschaltung des OKH als einer selbständigen und fachmännischen Führungseinrichtung des Heeres zu ihrem tatsächlichen Abschluß. Bereits im August hatte Haider geschrieben, das quälende Ergebnis von Hitlers Eingriffen sei ein aufreibender Kleinkrieg (nämlich bei den Auseinandersetzungen mit dem Diktator), um wenigstens in der Durchführung der Dinge noch eine leidlich vernünftige Linie zu halten. Dieser Kleinkrieg hatte seitdem angehalten und war immer aussichtsloser geworden. Hitler setzte das geregelte Funktionieren des militärischen Apparats ebenso außer Kraft, wie er das geregelte Funktionieren des Staatsapparats außer Kraft gesetzt hatte. Statt sich auf die obersten und wichtigsten Entscheidungen zu beschränken, diese Entscheidungen vom militärischen Apparat sachgerecht vorbereiten und ausführen zu lassen, kümmerte Hitler sich um die Einzelheiten, vorzugsweise um solche, von denen er nichts verstand, überging die Sachkunde der Fachleute und ersetzte deren Kenntnis durch weltanschauliche Vorurteile oder dilettantische Einfalle. Hitlers Anordnungen vom 15. und 16. Dezember, vorne zu verteidigen und die Front zu halten, wurden von den Befehlshabern der Heeresgruppe Mitte einmütig für undurchführbar erklärt; Guderian weigerte sich sogar, den Haltebefehl weiterzugeben. Feldmarschall Bock fühlte sich einer solchen Aufgabe nicht mehr gewachsen und bat krankheitshalber um Urlaub; an seine Stelle trat am 18. Dezember der bisherige Oberbefehlshaber der 4. Armee, Feldmarschall Kluge. Brauchitsch litt an einer Herzkrankheit und hatte schon am 7. Dezember seinen Abschied erbeten, den Hitler jedoch nicht sofort annahm. Über die Vorgänge, die zur Ablösung von Brauchitsch führten, ist im einzelnen wenig bekannt. Die Schilderungen der führenden Nationalsozialisten Göring und Goebbels dürften über die Hintergründe, insbesondere die Ansichten Hitlers, am besten Aufschluß geben. Goebbels zeichnete, unterrichtet von Hitler, wenige Monate später auf, Brauchitsch trage einen großen Teil der Schuld an der im Dezember drohenden Katastrophe. Hitler habe für ihn nur Ausdrücke der Verachtung. Brauchitsch habe schon den Plan zum Westfeldzug zu verderben gesucht, aber hier habe der Führer rechtzeitig eingreifen können. Ebenso habe Brauchitsch den Plan zum Ostfeldzug, der vom Führer kristallklar entworfen worden war, durch sein dauerndes Dazwischenreden und seinen dauernden Ungehorsam vollkommen verdorben. Soweit dies die Gedanken Hitlers einigermaßen richtig wiedergibt, bestätigt es die wiederholten Feststellungen Halders: Hitler hatte von den Plänen der Fachleute und von den wahren Verhältnissen an der Front überhaupt nichts begriffen; als jedoch die Front den Rückzug verlangte, meinte der Diktator, er müsse nun das Heft persönlich in die Hand nehmen und der Unfähigkeit des OKH ein Ende 19 Haider über geordneten Rückzug in Halder, Hitler, 46. Zu den Ereignissen Halder, KTB III, 345 ff., 368. Reinhardt, Wende, 213 ff. Die OKW-Weisung vom 15. 12. 1941 und der Führerbefehl vom 16. 12. 1941 in KTB OKW 1/2, 1083 ff.

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bereiten. Göring berichtete später, Hitler habe mit ihm über die Entlassung von Brauchitsch gesprochen. Dabei habe er, Göring, vorgeschlagen, zunächst den Generalstabschef auszuwechseln, weil Haider besonders unfähig sei. Der Führer habe dann aber anders entschieden und ihm gesagt, er, Hitler, wolle selbst den Oberbefehl über das Heer übernehmen, um wieder Ordnung in die Ostfront zu bekommen. Haider wolle er behalten, obwohl auch er den Generalstabschef für schwach halte. In welcher Weise Hitler und Göring den Generalstabschef für schwach hielten, wurde am 19. Dezember deutlich. An diesem Tag wurde Haider zu Hitler befohlen, wo ihm der Diktator eröffnete, daß er den Oberbefehl über das Heer selbst übernehme, während Haider die Geschäfte des Generalstabs weiterführen und der Chef des OKW, Keitel, die sonstigen Tätigkeiten des OKH leiten solle. Dabei sparte Hitler nicht mit Tadel, indem er dem Heer vorwarf, es arbeite zu schematisch, und auf die Luftwaffe verwies, die von Göring ganz anders erzogen worden sei. Wie Haider berichtet, tat Hitler den Ausspruch: "Das bißchen Operationsführung kann jeder machen. Die Aufgabe des Oberbefehlshabers des Heeres ist es, das Heer nationalsozialistisch zu erziehen." Da kein General des Heeres diese Aufgabe zureichend erfüllen könne, habe Hitler sich entschlossen, selbst den Oberbefehl zu übernehmen. Brauchitsch und Haider galten demnach bei den Nationalsozialisten als schwach, weil sie Hitlers Ansichten nicht teilten, weil sie nicht die erwünschte Gesinnung verbreiteten, vielmehr sich mit dem bißchen Operationsführung befaßten, das Hitler ohnedies viel besser zu beherrschen glaubte. 20 Wie bei Hitler nicht anders zu erwarten, traten auch hier an die Stelle von Sachkunde und fachlichem Können der Wille und die Gesinnung. Es bleibt die Frage, warum nicht auch Haider seinen Abschied nahm. Eine vordergründige Antwort liegt darin, daß er es nicht konnte, solange Hitler es nicht zuließ. Brauchitsch war wirklich krank, Haider nicht. Die tieferen Gründe finden sich jedoch auf einer anderen Ebene. An denkbaren Erklärungen mangelt es nicht, und schon die Zeitgenossen stellten darüber vielerlei Mutmaßungen an. Vielleicht hoffte Halder, selbst Oberbefehlshaber zu werden, vielleicht glaubte er, bei Hitler den bestimmenden Einfluß zu gewinnen, vielleicht zielte er gar darauf ab, das Kriegsglück insgesamt bzw. die strategische Lage noch einmal grundlegend zu wandeln? Derartige Erwägungen gehen jedoch in die Irre. Angesichts der sattsam bekannten Abneigung, ja Verachtung Hitlers gegenüber dem Generalstab war es alles andere als wahrscheinlich, daß der Diktator gerade Haider als einem herausragenden Vertreter des Generalstabs zu einer bedeutenden Aufwertung seiner Position verhelfen bzw. ihn zum Oberbefehlshaber machen würde. Seit langen Monaten hatte der Diktator danach getrachtet, das selbständige Denken der militärischen Fachleute, insbesondere das operative Denken des OKH, zugunsten seiner eigenen Vorstellungen zu unterdrükken und auszuschalten; daß Hitler gerade jetzt eine Kehrtwendung vollziehen wür2o Zur Entlassung von Brauchitsch Müller-Hillebrand III, 37 ff. Goebbels, Tagebücher, Teil li, Bd. 3, 489 ff., 510 (20. 3. 1942). Göring in IMG, Bd. 9, 417 (16. 3. 1946). Halder, KTB III, 285, 322, 327, 328, 354 f. Hitlers Ausspruch über Operationsführung in Halder, Hitler, 45.

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de, durfte billigerweise nicht erwartet werden. Über seine zukünftigen Wirkungsmöglichkeiten hat Haider sich augenscheinlich keinen Illusionen hingegeben. Wiewohl Haider dem Diktator nach wie vor ungeschminkt die Lage darlegte und ihn direkt oder auf Umwegen zu sachgerechten Entschlüssen zu veranlassen suchte, zog er sich doch zunehmend stärker in eine verbitterte Resignation zurück, da beim Starrsinn Hitlers Auseinandersetzungen über grundlegende Führungsfragen entweder von vornherein nutzlos waren oder, sofern sie stattfanden, regelmäßig unfruchtbar blieben. Seinem Ärger machte der Generalstabschef dann an anderer Stelle Luft, wobei er gelegentlich auch in bitteren Spott verfiel. Bei einer Besprechung über die Rüstungslage am 24. Januar 1942, die dasjenige bestätigte, was der Generalstab seit geraumer Zeit wußte, ließ Haider sich über das Ausmaß möglicher Rüstung für einen neuerlichen Feldzug im Jahr 1942 unterrichten und stellte dabei fest, daß die vorhandenen Kräfte nicht ausreichen würden, um eine Offensive längerfristig zu nähren. "Man wird also den Angriff beginnen, aber nicht durchführen können. Diese Fragen werden morgen von Fromm" (Chef der Heeresrüstung) "beim Führer besprochen werden. Dann wird Leben in die Bude kommen!" Eine grundlegende Verbesserung der strategischen Lage Deutschlands durfte demnach fürs Jahr 1942 nicht erwartet werden, jedenfalls nicht in Hinblick auf die Ostfront Dagegen war sehr wohl zu erwarten, daß die Auseinandersetzungen mit Hitler "Leben in die Bude" bringen würden, weil Hitler die Argumente der Fachleute und die Tatsachen nicht anzuerkennen pflegte. Haider blieb also nicht auf seinem Posten, weil er sich eine Ausweitung seiner eigenen Gestaltungsmöglichkeiten versprach, sondern er blieb einfach aus Pflichtgefühl. In diesem Sinn hatte er schon im Sommer 1941 seiner Frau geschrieben, die einfachste Lösung, mit Krach abzugehen, verbiete sich durch den Mangel eines geeigneten Nachfolgers und aus der Pflicht der Treue seinem Heer und seinen Mitarbeitern gegenüber. Als Brauchitsch im Dezember 1941 abging, bat er Haider zu bleiben, da nur er die gefahrvolle Lage an der Ostfront meistern könne. Es ist vielleicht der Erwähnung wert, daß Brauchitsch in diesem Zusammenhang dem Generalstabschef einen Ehrendegen überreichen ließ mit der Inschrift: Das deutsche Heer seinem Chef des Generalstabs in Dankbarkeit und Treue. Über eine vornehme Geste hinaus stellte dies auch einen Vertrauensbeweis dar. 21 Haider trug in der Folgezeit das Seinige dazu bei, die Lage an der Ostfront zu meistem. Seine eigenen Wirkungsmöglichkeiten blieben dabei freilich eher bescheiden; tatsächlich sank er, wie er es selbst ausdrückte, "zum Vorsteher des Hitler'schen Führungsbüros für den östlichen Kriegsschauplatz" ab. In täglichen Lagevorträgen mußte Halder, unterstützt von einigen Mitarbeitern aus dem Generalstab wie dem Operationschef General Heusinger und dem Generalquartiermeister Wagner, dem Diktator Entscheidungsunterlagen liefern für das Führen der Ost21 Vermutungen über die Gründe von Halders Bleiben bei C. Hartmann, Halder, 302 ff. MGFA, Weltkrieg VI, 954 ff. (Beitrag Wegner). Haider am 24. I. 1942 in seinem KTB III, 389 f. Haider an seine Frau, 18. 8. 1941, in Schall-Riaucour, 126. Ferner Halder, KTB III, 354, Anm. 2, 363, Anm. 2.

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front, wobei Hitler aus solchen Lagevorträgen ein zeit- und nervenraubendes Spektakel zu machen pflegte mit stundenlangen rhetorischen Ergüssen, mit langatmigen Ferngesprächen an die Front, mit der Befragung anderer Würdenträger und mit Belehrungen von der Art, daß er, Hitler, am meisten vom Kriegführen verstehe und alle anderen ihm zu gehorchen hätten. Früher, bevor Hitlers Eingriffe überhandnahmen, hatte Haider die Operationen weitgehend selbst geplant und geführt, er hatte sich um Nachschub und Ersatz gekümmert, Einfluß auf das Personalwesen und vielerlei andere Angelegenheiten des Heeres besessen. All dies wurde jetzt anders. Zwar versicherten wichtige Amtschefs des ehemaligen OKH, wie der Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres Fromm, sie wollten Haider weiterhin unterrichtet halten, aber formell unterstanden sie nun dem Chef des OKW Keitel bzw. mittelbar Hitler und hatten sich danach zu richten. Schon vor der Entlassung von Brauchitsch, am 15. Dezember, hatte Hitler den General Fromm mitten in der Nacht zu sich befohlen und die Aufstellung neuer Divisionen aus dem Ersatzheer angeordnet. Bis diese Maßnahme wirksam werden konnte, würde freilich ebenfalls kostbare Zeit verstreichen, zumal der Generalstab bereits Anfang Dezember errechnet hatte, das Vorführen von 320000 Mann Ersatz für die gesamte Ostfront dauere etwa 3 Monate. Tatsächlich mußte sich die Ostfront im Laufe des Dezember 1941 mit demjenigen Ersatz begnügen, der bis dahin hatte in Marsch gesetzt werden können, d. h. in der Hauptsache Wiedergenesene. Die Heeresgruppe Mitte erlitt im Dezember Verluste von rund 100000 Mann und erhielt bloß 40000 Mann Ersatz. Erst im Januar und Februar 1942 trafen bei der Heeresgruppe Mitte neun Divisionen ein. Demgegenüber erfaßte die deutsche Aufklärung eine fortwährende und außerordentlich umfangreiche Verstärkung der sowjetischen Kräfte bei Moskau. Vor der Heeresgruppe Mitte traten allein im Dezember über 70 neue russische Verbände auf (Divisionen und Brigaden); von Dezember bis Februar waren es insgesamt fast 120?2 Hitler ließ sich dadurch nicht beirren. Wochenlang beharrte er in ermüdender Wiederholung auf seinem Befehl, jeden Schritt Bodens zu verteidigen. Selbstverständlich war dieser Befehl nicht durchführbar; das hatten die Frontbefehlshaber von Beginn an erkannt, und der Stabschef der Panzergruppe 4, Oberst Chales de Beaulieu, drückte es später so aus, der Haltebefehl sei in Wortlaut und Forderung ein Nonsens gewesen. Es war vollständig klar, daß angesichts der deutschen Schwäche und der wachsenden Zahlenüberlegenheit des Gegners die Front nicht gehalten werden konnte; sie würde zurückgedrängt, durchbrochen, aufgerissen und 22 Haider über eigene Wirkungsmöglichkeiten in Bor, 81. Zu den Lagevorträgen und Hitlers Führungsstil Halder, KTB III, 354 und passim. Warlimont I, 231 ff. Heusinger, 163. Schaii-Riaucour, 167. Unterrichtung Halders durch Fromm u. a. nach Müller-Hillebrand III, 40. Hitler und Fromm, 15. 12. 1941, nach Halder, KTB III, 347 f. Zeitdauer für das Nachführen von Ersatz in Halder, KTB III, 325 (3. 12. 1941). Ersatz für Heeresgruppe Mitte im Winter nach R. Hofmann, Moskau, 181. Russische Verstärkung vor Moskau nach einer Aufstellung des OKH über die vor der deutschen Ostfront neu aufgetretenen Verbände der Roten Armee, Bundesarchiv-Militärarchiv, RH 2 I 2650.

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im schlimmsten Fall vollständig vernichtet werden. Haider fand sich dabei in einer wenig beneidenswerten Lage. Selbständig operativ führen durfte er nicht mehr, statt dessen mußte er sich fast täglich vom Diktator sagen lassen, freiwillig dürfe kein Schritt nach rückwärts getan werden. Aus dieser verfahrenen Situation gab es für den Generalstabschef offenbar nur einen Ausweg. Die Front würde mit Sicherheit dem feindlichen Druck nirgendwo standhalten können, jedenfalls nicht bei Heeresgruppe Mitte, sondern sie würde der feindlichen Übermacht weichen müssen. Es kam also darauf an, das unvermeidliche Zurückweichen so zu steuern, daß notdürftig die Ordnung gewahrt blieb, daß die Front nicht zerbrach und der Rückzug nicht in regellose Flucht ausartete. Da sachliche Auseinandersetzungen mit dem starrköpfigen Dilettanten Hitler regelmäßig fruchtlos blieben, suchte Haider sie nach Möglichkeit zu vermeiden und bemühte sich statt dessen um ein erträgliches Verhältnis zum Diktator. Auf diese Weise schien es am ehesten möglich zu sein, ihn wenigstens fallweise und auf der taktischen Ebene zu tragbaren Entschlüssen zu veranlassen. Obwohl es immer wieder gelang, Hitler die Genehmigung zu kleinräumigem Ausweichen abzutrotzen, blieben heftige Zusammenstöße dennoch nicht aus. So gaben Frontzurücknahmen bei der 9. Armee wegen eines feindlichen Einbruchs dem Diktator am 2. Januar 1942 den Anlaß zu tobenden Szenen, in denen dem OKH vorgeworfen wurde, die Armee parlamentarisiert zu haben und nicht straff zu führen. In Wahrheit zeigte der Vorfall nur, daß Hitler die bewährten Führungsgrundsätze des deutschen Heeres mit Füßen trat. Gemäß der Auftragstaktik entschied im Regelfall jeder örtliche Befehlshaber selbst, ob er einen Auftrag ausführen, z. B. einen Abschnitt halten könne, und wenn er es nicht konnte, besaß er die Freiheit, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, solange sie den Gesamtauftrag nicht gefährdeten. Hitler jedoch setzte all dies außer Kraft, nicht nur durch seinen undurchführbaren Haltebefehl, sondern auch durch seine Methode, in die nachgeordneten Ebenen der Kommandohierarchie hineinzubefehlen. So, wie Hitler die Ostfront führte, waren im Grunde Kommandobehörden wie der Oberbefehlshaber einer Heeresgruppe oder einer Armee weitgehend überflüssig, da sie sowieso nichts selbständig entscheiden durften, sondern nur Übermittlungsstellen für die Befehle Hitlers bildeten. 23 Haider wußte von vornherein, daß bei Hitlers Führungsstil und auf der Grundlage des Haltebefehls eine sachgerechte operative Lenkung der Ostfront und insbesondere der Heeresgruppe Mitte ausschied. Zwar versuchte der Generalstabschef wochenlang, Hitler von seinem Haltebefehl abzubringen, doch mußte er bereits am 22. Dezember feststellen, ein Befehl zum großräumigen Absetzen sei beim Diktator nicht zu erreichen. Die Führungstätigkeit an der Spitze beschränkte sich demnach auf Maßnahmen, die eigentlich zur Zuständigkeit der Frontbefehlshaber ge23 Zu Hitlers Festhalten am Haltebefehl KTB OKW I /2, 1085 ff. Halder, KTB III, 355, 356, 360 f., 362, 371, 373, 379. Chales de Beaulieu über Haltebefehl in ders., Hoepner, 233. Hitlers Genehmigung von kleinräumigem Ausweichen nach KTB OKW I /2, I 086 (24. 12. 1941). Halder, KTB III. 367, 369, 377 und passim. Zusammenstoß Hitler- Halder, 2. I. 1942, in Halder, KTB III, 372.

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hörten und die man ebensogut oder besser deren Ermessen hätte überlassen können; das Handeln an der Spitze stieg auf die Ebene der Taktik herunter. Der Führungsstil Hitlers im allgemeinen und der Haltebefehl im besonderen bargen indes, abgesehen von ihrer allgemeinen Untauglichkeit, eine bestimmte Gefahr in sich. Da der Haltebefehl ohnedies verfehlt war, umgekehrt aber die Frontbefehlshaber im Geiste der Auftragstaktik an selbständige Entschlüsse gewöhnt waren, stand zu befürchten, daß sie sich über den Haltebefehl hinwegsetzten, wenn die Übermacht des Gegners und feindliche Einbrüche ihnen keine andere Wahl mehr zu lassen schienen. Das konnte dazu führen, daß örtliche Befehlshaber zwar zum Wohle ihrer unterstellten Truppen handelten, aber die übergeordneten Zusammenhänge aus dem Auge verloren, also beispielsweise den Rückzug in einer Form vornahmen, welche andere Abschnitte oder große Frontteile gefährdete. In einem solchen Fall geriet die Disziplin ebenso ins Rutschen wie die ganze Front; am Ende tat dann jeder nur noch, was ihn das Nächstliegende zu sein dünkte, bis die ganze Front in regelloser Flucht zusammenbrach. Haider machte sich deshalb zum Anwalt einer straffen taktischen Befehlsführung; nicht in dem Sinne, daß er Hitlers Haltebefehl guthieß, sehr wohl jedoch in dem Sinne, daß die nachgeordneten Stellen strikt auf das Einhalten der Anordnungen von oben verpflichtet wurden. In einem Schreiben an die Stabschefs der Heeresgruppen und Armeen vom 6. Januar, dessen Inhalt den betreffenden Oberbefehlshabern mitgeteilt werden sollte, rückte Haider auch formell von der Auftragstaktik ab. In Zukunft sollten die höheren Kommandobehörden den nachgeordneten Stellen nicht mehr das Durchführen von Aufträgen selbst überlassen, sondern sie sollten von klaren und eindeutigen Befehlen Gebrauch machen sowie in die Einzelheiten eingreifen. Selbstverständlich stand dies im Widerspruch zu Halders innerer Einstellung, seiner bisherigen Laufbahn und Tätigkeit. Schließlich war er es gewesen, der die Auftragstaktik im Rahmen seines operativen Denkens zu voller Blüte gebracht hatte. Aber vor dem Hintergrund von Hitlers Haltebefehl blieb gar nichts anderes mehr übrig, als die Front in straffer Befehlsgebung zu führen, die Einzelheiten von oben anzuordnen, denn nur so ließ sich der Zusammenhalt einer geschlossenen Abwehrfront wahren, nur so ließen sich an der einen Stelle Kräfte freimachen, um sie an der anderen für das Auffangen gegnerischer Einbrüche einzusetzen, und nur so ließ sich der an der Taktik ausgerichtete Führungsstil Hitlers notdürftig den Gegebenheiten anpassen. Der Umstand, daß Haider aus der Unfähigkeit des Diktators das beste zu machen versuchte, hat möglicherweise der aus der nationalsozialistischen Propaganda stammenden Behauptung, Hitlers Haltebefehl habe die Ostfront gerettet, einen Anstrich von Glaubwürdigkeit verliehen. Richtig ist demgegenüber, daß Hitlers Haltebefehl im besonderen ebenso unangemessen und dilettantisch war wie sein Führungsstil im allgemeinen. Bei einem rechtzeitigen und geordneten Rückzug bestand keinerlei Gefahr, daß die Front zerbrach; diese Gefahr wurde erst durch Hitlers Haltebefehl geschaffen. Die Ostfront wurde nicht wegen, sondern trotz Hitlers Haltebefehl gerettet. Sie wurde gerettet, weil der Gegner einen weiträumigen operativen Angriff nicht durchzuführen verstand, weil Truppenführung wie Truppe auf

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der deutschen Seite herausragende Qualitäten an den Tag legten, bis zu einem gewissen Grade auch, weil es Haider und dem Generalstab gelang, die ärgsten Ungereimtheiten von Hitlers Führungstätigkeit zu entschärfen. Die Opfer waren dennoch beträchtlich, teils an Personal und Material bei der Truppe, teils an hohen Offizieren. Die Verluste an Toten und Verwundeten lagen während der Wintermonate zwar niedriger als während der Sommermonate des Feldzugs, dafür stiegen aber die Verluste durch Krankheiten und Erfrierungen steil an. Die Verluste an Material im Winter lassen sich in etwa mit denjenigen im Sommer vergleichen. Einen spürbaren Aderlaß erlitt die Generalität, teils weil sie sich Hitlers Führungsstil widersetzte, teils weil sie bei der Durchführung des Haltebefehls verschlissen wurde. Am 15. Januar zum Beispiel hielt Haider fest: "v. Leeb bittet um Ablösung. Strauß kann nicht mehr; - v. Reichenau Schlaganfall." Außer den Oberbefehlshabern aller drei Heeresgruppen (Rundstedt, Reichenau, Bock und Leeb) fielen die Oberbefehlshaber von Armeen aus wie Strauß (9. Armee) oder die Panzergenerale Guderian und Hoepner (2. und 4. Panzerarmee), dazu Korpskommandeure sowie Offiziere des Generalstabsdienstes; von letzteren befanden sich Mitte Januar 41 krank in der Heimat. Guderian und Hoepner verloren ihr Kommando, weil sie ohne Wissen des vorgesetzten Oberbefehlshabers der Heeresgruppe, Kluge, ihre Front zurückgenommen hatten. Wäre die Auftragstaktik noch in Geltung gewesen, so hätten beide Panzergenerale wohl vertretbar gehandelt. Da jedoch Hitlers Haltebefehl galt, war beiden Panzergeneralen die selbständige Entscheidungsbefugnis genommen. In beiden Fällen standen Haider und Kluge in Auseinandersetzungen mit Hitler, um die Front zurückzunehmen; im Interesse der Disziplin und im Interesse übergeordneter Zusammenhänge wäre das selbständige Handeln der beiden Panzergenerale unter den obwaltenden Umständen wohl besser unterblieben. Übrigens hatten beide Panzergenerale unter ihrer Entlassung nicht übermäßig zu leiden: Guderian wurde einstweilen in die Führerreserve versetzt und brachte es später noch bis zum Generalstabschef; im Falle Hoepner verfügte Hitler zwar die Ausstoßung aus dem Heer, aber die Angelegenheit wurde später stillschweigend so geregelt, daß Hoepner unter Belassung seiner erworbenen Rechte verabschiedet wurde. 24 Nachdem der russische Gegenangriff vom Beginn an gut vorangekommen war, glaubte das sowjetische Oberkommando (Stawka) ab der zweiten Dezemberhälfte, seine Ziele erheblich weiter stecken zu können. Bis Anfang Januar wurde beschlossen, die deutsche Heeresgruppe Mitte nicht bloß zurückzudrängen, sondern einzukesseln und zu vernichten. Zugleich sollte auch gegen die beiden anderen deutschen Heeresgruppen angegriffen werden mit dem Ziel, einerseits Leningrad zu entsetzen und andererseits durch einen Vorstoß zum Dnjepr große Teile der Heeresgruppe Süd abzuschneiden. Diese neuen Ziele gingen offenbar auf den so24 Halders Widerstand gegen den Haltebefehl nach Halder, KTB III, 362, 385 und passim. Haider an die Stabschefs der Frontbefehlshaber, 6. I. 1942, nach MOFA, Weltkrieg IV, 618 (Beitrag Klink). Zu den Verlusten MOFA, Weltkrieg V I I, 885 (Beitrag Kroener); IV, 974 f. (Beitrag Müller). Zum Ausfall von Offizieren Halder, KTB III, 385 f. und passim. Ferner Ouderian, 240 ff. Chales de Beaulieu, Hoepner, 236 ff.

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wjetischen Diktator Stalin zurück, während die militärischen Fachleute ihre Bedenken, die sie anscheinend in nicht geringem Umfang hegten, zurückstellen mußten. Immerhin schien Stalins Absicht zumindest bei Heeresgruppe Mitte nicht ganz aussichtslos zu sein, denn diese war durch Hitlers Haltebefehl mittlerweile in einige Bedrängnis geraten. Bei Kaluga und Tula war bis Ende Dezember eine große Lücke zwischen der 4. Armee und der 2. Panzerarmee entstanden (woran übrigens Guderian nicht ganz unschuldig war, weswegen Haider ihm gelegentlich das Kriegsgericht angedroht hatte)- eine Lücke, durch welche der Gegner in Richtung auf den Eisenbahnknotenpunkt Suchinitschi vordrang, der Anfang Januar eingeschlossen wurde. Von hier aus vermochte der Gegner in den Rücken der Heeresgruppe Mitte zu stoßen, was umso bedrohlicher war, als gegen Ende Dezember auch die 9. Armee an der langen linken Flanke der Heeresgruppe, wie Haider festhielt, zu bröckeln anfing. Damit zeichnete sich eine doppelseitige Umfassung der Heeresgruppe, eine Einkesselung ab. In der Tat sah der sowjetische Operationsplan vor, sowohl aus dem Raum von Suchinitschi nach Norden als auch aus dem Raum von Rschew nach Süden zu stoßen, um bei Wjasma den Kessel zu schließen. Zugleich sollte ein Stoß aus dem Raum Ostaschkow bis in die Gegend von Smolensk geführt werden, um die rückwärtigen Verbindungen der Heeresgruppe Mitte abzuschneiden. Der Plan nahm bald Gestalt an. Am 9. Januar hielt Haider fest, in der Durchbruchslücke von Suchinitschi dringe der Feind vor, und bei Rschew habe der feindliche Durchbruch Aussicht, zu einer entscheidenden Handlung zu werden. "Große Entscheidung über Rückverlegung der Front ist nun notwendig. Führer kann sich noch nicht entscheiden und will mit Kluge selbst sprechen. Daher leider wieder Vertagung dieser brennenden Frage und Verlust wertvoller Zeit." Hitler benötigte noch fast eine Woche, um das Unleugbare einzusehen. Am 11. Januar rangen Haider und Kluge mit dem Diktator den lieben langen Tag bis mitten in die Nacht um einen angemessenen Entschluß - vergeblich. Die Wende wurde anscheinend bei einem Führervortrag Halders am 13. Januar eingeleitet. Zu dieser Zeit war die Front der Heeresgruppe Mitte überall zurückgedrängt sowie im Norden und Süden aufgerissen, wo der Gegner in Richtung Wjasma vorging. Bock hatte über einen Monat vorher den Rückzug in eine Winterstellung entlang der Linie Ostaschkow - Rschew - Gschatsk - Medyn - Orel - Kursk gewünscht. Nunmehr stand der Gegner bei Rschew und Suchinitschi bereits weit hinter dieser Linie, während dazwischen deutsche Truppen noch vor der einstmals geplanten Winterstellung kämpften. Haider suchte jetzt dasjenige nachzuholen, was Hitler seit über einem Monat verhindert hatte. Der Generalstabschef schlug vor, die deutschen Verbände zwischen den beiden Durchbruchslücken zurückzunehmen, im wesentlichen auf die früher geplante Winterstellung, um endlich in größerem Umfang Reserven freizumachen. Mit diesen Reserven konnte einerseits der feindliche Durchbruch von Rschew Richtung Wjasma abgeriegelt und andererseits die Front in der Lücke von Suchinitschi gefestigt werden. Hitler vermochte sich allerdings nicht sofort zu einem Entschluß aufzuraffen, so daß Haider noch am 14. Januar festhielt "Der Führer sieht zwar Notwendigkeit des Zurückverlegens ein, gibt aber

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keine Entscheidung. Diese Art des Führens führt zur Vernichtung des Heeres." Erst am 15. Januar wurde der Bann gebrochen, als Hitler einen Befehl an die Heeresgruppe Mitte erließ, in welchem es hieß: "Es ist das erste Mal, daß in diesem Kriege von mir der Befehl zum Zurücknehmen eines größeren Frontabschnittes gegeben wird." Gemäß diesem Befehl hatten die 3. und 4. Panzerarmee (die beiden Panzergruppen waren Anfang des Jahres umbenannt worden) sowie die 4. Armee in eine wesentlich kürzere Linie auszuweichen, damit die Frontlücken geschlossen und die Front insgesamt gefestigt werden konnten. Hätte Hitler einen entsprechenden Befehl vier oder sechs Wochen früher erteilt, so wären die Frontlücken gar nicht erst entstanden. 25 Unterdessen war der Gegner seit dem 9. Januar auch an der Naht der Heeresgruppen Mitte und Nord bei Ostaschkow durchgebrochen, woraus sich gemäß sowjetischem Operationsplan ein Vorstoß über Toropez Richtung Witebsk/ Smolensk entwickelte. Operative Bedeutung hätte indes dieses Unternehmen nur dann erlangen können, wenn es die Einkesselung der Heeresgruppe Mitte bei Wjasma unterstützt hätte. Dazu kam es nach Lage der Dinge nicht mehr. Seit dem Rückzugsbefehl vom 15. Januar ließen sich deutsche Kräfte freisetzen, um die russischen Zangenarme vor Wjasma aufzufangen, insbesondere den Durchbruchskeil von Rschew unschädlich zu machen, was Ende Januar geschah. Die fortdauernden Angriffe der Roten Armee verloren damit ihren operativen Zusammenhang; die Abwehrschlacht löste sich in eine Anzahl taktischer Einzelhandlungen der ineinander verkeilten beiderseitigen Truppenteile auf, wobei es der deutschen Seite zustatten kam, daß auch der Gegner stark abgekämpft war und an den Durchbruchsstellen keine ausreichenden Verstärkungen mehr heranbrachte. Haider maß deshalb dem sowjetischen Durchbruch von Ostaschkow auf Toropez etwa ab dem 19. Januar keine operative Gefahr mehr bei. Am 24. Januar hielt er fest, in der Lücke zwischen den Heeresgruppen Mitte und Nord seien zwei feindliche Stoßgruppen mit etwa einem Dutzend Divisionen durchgebrochen und nähmen Richtung Süden. Dies sei jedoch immer noch besser als Richtung Norden, denn nach Süden stießen sie in die Richtung, wo auf der deutschen Seite Verstärkungen herankämen, nämlich die im Dezember für Heeresgruppe Mitte bestimmten neuen Divisionen. Im anderen Fall wäre Leningrad nicht zu halten. Anfang Februar erachtete dann Haider die Lage als einigermaßen gefestigt. Bei Heeresgruppe Mitte wurden durchgebrochene Teile des Gegners eingeschlossen, so daß die deutschen Truppen gleichzeitig nach vorwärts und rückwärts kämpfen mußten. Den Verlust klarer operativer Zusammenhänge und die Auflösung des Kampfgeschehens in taktische Einzelhandlungen beschrieb Haider am 2. Februar so: "Die sich durch diese Kämpfe hinter der Front ergebenden Bilder sind grotesk und zeigen, daß dieser Krieg zu entarten beginnt in eine Prügelei, die sich von allen bisherigen Formen des Krieges 2s Zur sowjetischen Winteroffensive MOFA, Weltkrieg IV, 770 ff., 790 ff. (Beitrag Hoffmann). Reinhardt, Wende, 234 ff., 243 ff. Halder, KTB III, 366, 368, 377 f., 379 ff., 382 ff., 385. Führerbefehl an die Heeresgruppe Mitte zum Rückzug auf die Winterstellung, 15. I. 1942, KTB OKW 11/2, 1268 f.

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loslöst. Dazu gehört auch das sinnlose Entsenden von einer Mehrzahl von Divn. in die tiefe Flanke der Heeresgruppe Mitte aus Richtung Ostaschkow. Sie ist operativ sinnlos und wird nur dazu führen, daß ein Teil unserer Kräfte vorübergehend gebunden wird, wird aber keine Entscheidung bringen." Was Haider als "Prügelei" bezeichnete, zog sich noch bis zum Beginn der Frühjahrsschlammperiode Ende März hin. Übrig blieb eine zerklüftete, ungeheuer lange Frontlinie der Heeresgruppe Mitte mit einer tiefen Einbuchtung bei Toropez bis vor den Raum von Witebsk und Smolensk, mit einem weit nach Norden ragenden, rüsselförmigen Frontvorsprung bis Rschew, einer weiteren Einbuchtung bei Suchinitschi und einer halbwegs geradlinigen Fortsetzung vorwärts Orel und Kursk zur Heeresgruppe Süd. Bei Heeresgruppe Nord hatte sich die Front nördlich des Urnen-Sees nach dem Verlust von Tichwin im Dezember auf den Fluß Wolchow zurückgezogen; der Südflügel stand zwischen dem Ilmen-See und Ostaschkow. Am Südflügel brach der Gegner im Januar zum Fluß Lowat durch; Anfang Februar wurde in der alten Front bei Demjansk ein starkes Korps eingeschlossen. Nachdem der Kessel zeitweise auf dem Luftweg versorgt worden war, konnte in einem langwierigen Angriffsunternehmen von Ende März bis Ende April wieder eine Landverbindung aus dem Raum von Staraja Russa zum Kessel von Demjansk hergestellt werden. Nördlich des Urnen-Sees stieß der Gegner im Januar über den Wolchow vor, um Leningrad zu befreien, doch konnte der Einbruch aufgefangen und im März am Wolchow abgeschnürt werden; die Vernichtung des Wolchow-Kessels fand dann von Mai bis Juni statt. Bei Heeresgruppe Süd entbrannte bereits im Dezember der Kampf um die Halbinsel Krim, wo die 11. deutsche Armee Sewastopol belagerte, während nur schwache Kräfte die Landzunge von Kertsch im Osten sicherten. Eben dort erfolgte Ende Dezember eine sowjetische Landung, was die 11. Armee zwang, den Angriff auf Sewastopol einzustellen und den Gegner bei Kertsch aufzuhalten. Im Februar setzte die Rote Armee aus der Front bei Kertsch zum Großangriff auf die Krim an, doch konnte die 11. Armee ihre Stellungen behaupten. Im Mittelabschnitt der Heeresgruppe Süd begann am 18. Januar ein Angriff der russischen Südwestfront (Marschall Timoschenko) bei Isjum, der auf die Dnjepr-Übergänge zielte und den Südflügel der Heeresgruppe abzuschneiden suchte. Der Angriff war auf deutscher Seite erwartet worden; Haider stellte am 19. und dann am 24. Januar fest, es werde spannungsreiche Tage geben, bis diese Angelegenheit abgefangen sei, aber er glaube, man werde es schaffen. Nachdem bis Ende des Monats ein tiefer Einbruch bei der 17. Armee entstanden war, unterstellte Feldmarschall Bock, der mittlerweile den Oberbefehl über die Heeresgruppe anstelle des verstorbenen Reichenau übernommen hatte, die 17. Armee der 1. Panzerarmee (General Kleist), mit deren Kräften es gelang, den Einbruch abzudämmen und einzugrenzen. Die Beule von Isjum blieb bestehen bis zum Mai, wo sie durch einen deutschen Angriff zerschlagen wurde?6 26 Halder, KTB III, 388, 389, 394; 387, 389; passim. Zu den deutschen Abwehrkämpfen Philippi/Heim, 107 ff. MGFA, Weltkrieg IV, 620 ff. (Beitrag Klink).

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Die Krise der Ostfront, die durch Hitlers Fehlverhalten heraufbeschworen worden war, durfte ab dem Februar 1942 als gebannt gelten. Am 12. Februar erließ Haider eine Weisung für die Kampfführung im Osten nach Abschluß des Winters. Darin hieß es, die "winterlichen Abwehrkämpfe im Osten scheinen ihren Höhepunkt überschritten zu haben." Dank der unübertrefflichen Leistungen und des harten Kampfwillens der Truppe sei der feindliche Ansturm zum Stehen gebracht. (Der Beitrag Hitlers zum Geschehen wurde, wohl mit Absicht, nicht erwähnt.) Das Ziel der russischen Führung werde nicht erreicht werden. Ansonsten beschäftigte sich die Weisung mit dem Verhalten während der Frühjahrsschlammzeit, insbesondere der Auffrischung von Truppen. Als Absicht des OKH wurde genannt, wieder eine geschlossene Abwehrfront zu schaffen, d. h. die Fronteinbuchtungen, die durch Feindeinbrüche entstanden waren, zu beseitigen, sowie Vorbereitungen zu treffen für eine Offensive aus dem Bereich der Heeresgruppe Süd. Damit wurde also, noch verhältnismäßig unverbindlich, ein neuerlicher Feldzug angekündigt, der diesmal auf den Südteil der Ostfront beschränkt sein sollte. Der Anstoß dazu ging zweifellos von Hitler aus, welcher, wie früher dargelegt, mit einem solchen Feldzug noch einmal eine Wendung des Kriegsglücks zu erzwingen hoffte. Entsprechende Anordnungen des Diktators müssen bereits Anfang Januar 1942 ergangen sein, denn nachdem Hitler dem japanischen Botschafter am 3. Januar seine Absichten dargelegt hatte, erhielt General Fromm am 8. Januar den Auftrag, die Truppe für einen ent_sprechenden Feldzug auszurüsten, und Haider erwähnte am 12. Januar eine Teilung des Ostheeres in Abwehrfront und Angriffsfront Wie Haider später berichtete, habe der Generalstab des Heeres dieser Offensive gegenüber Hitler widersprochen. "Angesichts der personellen und materiellen Quellen Rußlands und angesichts des Kräftemangels und materiellen Zustandes des deutschen Heeres nach diesem schweren Winter sei der Versuch, Rußland durch eine Offensive zum Frieden zu zwingen, aussichtslos. Selbst unter Entblößung der ganzen übrigen Front von Reserven könne höchstens ein verhältnismäßig schmaler Frontteil durch einen Angriff um ein bemessenes Stück vorwärts getrieben, nie aber eine strategische Entscheidung erzwungen werden. Die vorhandenen Kräfte würden eben ausreichen, die tiefen Fronteinbrüche zu beseitigen und dadurch die Front erheblich zu verkürzen und die erforderlichen operativen Reserven zu bilden. So könne es möglich sein, eine erfolgreiche strategische Defensive durchzuführen, an der sich die Kräfte des Feindes verbrauchen mochten, bis günstigere Verhältnisse für einen entscheidenden Schlag geschaffen werden konnten." Von der Sache her war dies unstreitig richtig. Schon der Feldzug des Jahres 1941 hätte, selbst wenn er erfolgreich verlaufen wäre, die Sowjetunion wahrscheinlich nicht zum Frieden gezwungen. Unter den gegebenen Verhältnissen würde ein neuerlicher Feldzug im Jahr 1942 den Zusammenbruch Rußlands erst recht nicht nach sich ziehen. Gleichwohl wird dieser Darstellung Halders heute widersprochen, wie es ja überhaupt Mode ist, die Glaubwürdigkeit des Generalstabschefs und anderer Zeitzeugen zu bekritteln. Es gebe, so heißt es, keinen Anhaltspunkt in den Quellen, daß Haider den Diktator wirklich vor der Offensive gewarnt 7 Raub. Zwe1ter Weltkneg 3 Ted

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habe. Dazu ist zweierlei zu sagen. Erstens existiert eine Anzahl von Belegen, daß der ganze Generalstab die Offensive in der Form, wie Hitler sie plante, für aussichtslos hielt. Der Generalquartiermeister Wagner sprach im März 1942 von "utopischen Offensivplänen". Der Chef der Operationsabteilung Heusinger kam im Januar 1942 zu dem Ergebnis, eine Offensive der Heeresgruppe Süd werde nur bis Stalingrad und bis zum nordkaukasischen Ölgebiet von Maikop vordringen, doch werde die sowjetische Flotte die Seeherrschaft im Schwarzen Meer behalten, so daß das Öl, welches vielleicht in Maikop zu gewinnen sei, nicht über See abtransportiert werden könne. Haider selbst traf im Januar die vorhin erwähnte Feststellung, man werde den Angriff zwar beginnen, aber nicht durchführen können. Am 12. Juni 1942, noch vor Beginn der Offensive, ereiferte sich Haider über die Vorstellung der Seekriegsleitung, "daß es nur von unserem guten Willen abhängt, ob und wann wir auf dem Landweg über den Kaukasus an den Persischen Golf oder aus der Cyrenaika über Ägypten bis zum Suezkanal durchstoßen." Zweitens ist es ein methodisch irreführendes Argument, in den Quellen oder den Akten (wobei die Akten bekanntlich nur eine Untergruppe der Quellen sind) finde sich nichts darüber, daß Haider bzw. der Generalstab gegenüber dem Diktator eine strategische Defensive vorgeschlagen habe. Auseinandersetzungen zwischen Haider bzw. dem OKH einerseits und Hitler andererseits pflegten mündlich vonstatten zu gehen und fanden in vielen Fällen nirgendwo anders einen Niederschlag als in Halders Kriegstagebuch. Zeichnete Haider derartiges nicht auf, so gibt es überhaupt keinen unmittelbaren Beleg. Von der Quellenlage her spricht absolut nichts dagegen, daß der Generalstabschef in den ersten Monaten des Jahres 1942 mündlich eine strategische Defensive empfahl, ohne darüber eine Aufzeichnung anzufertigen. Man kann dann höchstens nach Hinweisen Ausschau halten, die es wahrscheinlich machen, daß Haider tatsächlich vor der Offensive warnte, die Hitler plante. Solche Hinweise gibt es. Rüstungsminister Speer erinnerte sich, die Generale hätten von einer Offensive abgeraten und eine defensive Strategie mit gelegentlichen Frontverbesserungen vorgeschlagen. General Warlimont, nunmehr stellvertretender Chef des Wehrmachtführungsstabs, nahm im März 1942 an einer Besprechung über die neue Offensive teil und gewann den Eindruck, das Unbehagen Halders "stand ... fast fühlbar im Raum"; auch habe Haider sich schon vorher wiederholt gegen das überspannte Ausmaß der Operationen nach Breite und Tiefe gewendet. Haider selbst hatte sich bereits im Januar über die unzureichenden Grundlagen der neuerlichen Offensive Rechenschaft abgelegt. Daß er darüber hinaus Auseinandersetzungen mit Hitler, bei welchen er eine strategische Defensive empfahl, nicht mehr eigens aufzeichnete, ist nicht verwunderlich, seine Notizen wurden in dieser Zeit ohnehin immer knapper. Umgekehrt ergibt sich aus keiner einzigen Quelle, daß Haider den Offensivplan Hitlers guthieß oder ihn aus freien Stücken sich zu eigen machte. Die angeblichen Belege, die für eine solche Behauptung mit großem Getöse ins Feld geführt wurden, erweisen sich bei näherer Betrachtung als konstruiert oder nicht beweiskräftig. Gemäß einem Bericht des Verbindungsoffiziers der Marine zum OKH nahm

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Haider Anfang April Stellung zu einer Denkschrift der Seekriegsleitung, in welcher verlangt wurde, außer dem nordkaukasischen Ölgebiet vor allem Suez zu erobern, also in den vorderen Orient vorzudringen. Haider ging es nun offenbar darum, diesen doppelten Anspruch abzuwehren, weil für beides die Truppen nicht vorhanden waren. Dabei soll Haider gesagt haben, das Unternehmen Kaukasus bleibe wegen der Frage der Ölversorgung zur Zeit eine zwingende Notwendigkeit. Dieses Gebiet habe etwa die gleiche Bedeutung wie die Provinz Schlesien für Preußen. Erst durch den Besitz dieses Gebietes werde das deutsche Kriegsreich auf die Dauer lebensfähig. Diese Argumente klingen so, als ob sie aus dem Mund Hitlers stammten und von Haider nur erwähnt wurden, 'um den derzeitigen Stand der Willensbildung zu umreißen. Haider fuhr nämlich fort, an "der Ölfrage ist zu einem wesentlichen Teil die deutsche und italienische Kriegsmarine interessiert, während das Heer bei Fortfall weiterer Angriffsoperationen im wesentlichen mit den schon jetzt vorhandenen Brennstoffmengen auskommen könnte." Das hieß im Klartext, daß sich für das Heer der Übergang zur strategischen Defensive empfahl, weil der vorhandene Brennstoff dafür ausreichte und weitere Offensiven, auch diejenige zum Kaukasus, unter diesem Blickwinkel nicht erforderlich waren. Die Doppeloffensive zum Kaukasus und nach Suez hielt Haider aus zwei Gründen für undurchführbar: Erstens würden die Kräfte für die dauernde Inbesitznahme von Suez nicht ausreichen, und zweitens reichten auch die Kräfte für einen Vorstoß über den Kaukasus nicht aus, denn: "Eine Operation über den Kaukasus ist aber in diesem Jahr nicht mehr möglich." Wenn der Kaukasus nicht überwunden werden konnte, dann blieb auch fraglich, ob Deutschland seine Versorgungsnöte beim Öl zu beheben vermochte. Denn um das Öl über das Schwarze Meer zu verfrachten, mußte dort die russische Seeherrschaft gebrochen, d. h. die östliche Schwarzmeerküste in Besitz genommen und dabei der Kaukasus überwunden werden. Andererseits ließ sich voraussichtlich auch Baku nicht erreichen, denn dafür mußte im Grunde ebenfalls der Kaukasus überschritten werden, um nicht in der Küstenebene am Kaspischen Meer in die Zange genommen zu werden. Haider gab demnach der Seekriegsleitung zu verstehen, daß er von der Kaukasusoffensive nichts hielt, weil sie ihr Ziel verfehlen würde und weil für das Ostheer die strategische Defensive den Vorzug verdiente. In der Seekriegsleitung hat man das offenbar auch verstanden, denn hinsichtlich der Ölfrage wollte die Seekriegsleitung nunmehr erwägen, "ob die umfassendere Lösung des Gesamtproblems nicht doch schneller durch einen Stoß Suez- Ägypten erreichbar ist." Es erweist sich also einmal mehr, daß man gut beraten ist, Halders Angaben aus der Erinnerung ernst zu nehmen. Dem widerspricht es nicht, wenn der damalige Operationsoffizier Rommels, Westphal, aus der Rückschau berichtet, er habe im Februar 1942 Haider aufgesucht, wobei der Generalstabschef geäußert habe, "die Verluste der Sowjets seien so gewaltig, daß Aussichten dafür bestünden, sie im Laufe des Jahres 1942 endgültig niederzuringen." Was mit dem ,,Niederringen" gemeint war und ob das Wort wirklich gebraucht wurde, bleibt offen. Von einem Niederringen durch die Offensive zum Kaukasus ist an dieser Stelle überhaupt nicht 7*

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die Rede, vielmehr beklagte sich Halder "über das Martyrium, dem er im täglichen Kampf mit Hitler ausgesetzt sei." Dieser tägliche Kampf kann auch die Auseinandersetzungen über die Kaukasusoffensive eingeschlossen haben. Und was das "Niederringen" betrifft, so kann Halder genau dasselbe gemeint haben, was er später angab: "So könne es möglich sein, eine erfolgreiche strategische Defensive durchzuführen, an der sich die Kräfte des Feindes verbrauchen mochten ... " Wenn der Gegner seine Kräfte verbrauchte, dann wurde er eben auf diese Weise "niedergerungen" ?7 Bei einem Vergleich der deutschen und russischen Kräfte und Möglichkeiten im Jahr 1942 vermochte jeder halbwegs Einsichtige unschwer zu erkennen, daß ein Zusammenbruch der Sowjetunion mit Sicherheit nicht eintreten würde und daß eine Offensive auch im günstigen Fall nicht mehr einbringen würde als eine gewisse Abnützung der gegnerischen Kräfte und einigen Raumgewinn. Für einen Blick auf die russischen Streitkräfte wird es genügen, die deutschen Aufklärungsergebnisse heranzuziehen, da sie vielleicht nicht ganz genau, aber in den ungefähren Größenordnungen doch einigermaßen zuverlässig waren. Wenn Halder am 1. April 1942 den Chef der zuständigen Generalstabsabteilung Fremde Heere Ost, Oberst Kinzel, durch Oberstleutnant Gehlen ersetzte, weil Kinzel seinen Ansprüchen nicht genügte, so folgt daraus nicht, daß die Ergebnisse Kinzels unbrauchbar gewesen wären; andernfalls hätte Halder ihn schon viel früher ablösen müssen. Vielmehr sollte die Arbeit der Abteilung gestrafft und die Weitergabe der Erkenntnisse besser organisiert werden, zudem sollte wohl Gehlen, der selbst aus der Operationsabteilung kam, auf die operativen Möglichkeiten des Gegners stärker achten. Die Entwicklung der Roten Armee zwischen dem 1. Dezember 1941 und dem 15. August 1942 stellte sich folgendermaßen dar: Es fand eine kräftige Vermehrung der sowjetischen Verbände statt, wobei die Neuaufstellungen in zwei Schüben erfolgten, nämlich einem ersten zwischen Oktober 1941 und Januar 1942, der dann wegen Offiziersmangel auslief, sowie einem zweiten im Sommer 1942. Seit dem Herbst 1941 ging die sowjetische Seite dazu über, außer Schützendivisionen, die sollmäßig schwächer waren als bei Kriegsbeginn, in großer Zahl Schützenbrigaden mit wesentlich geringerem Personalbestand aufzustellen. Anstelle von Panzerdivisionen wurden nur noch Panzerbrigaden aufgestellt, deren Kampfkraft nicht viel höher lag als diejenige einer deutschen Panzerabteilung (Bataillon). Als Notlösung fanden daneben auch noch Kavalleriedivisionen Verwendung. Für beide sowjeti27 Halders Weisung vom 12. 2. 1942 in KTB OKW 112, I 093 ff. Hitler zum japanischen Botschafter, 3. I. 1942, in Hillgruber, Staatsmänner II, 34 f. Jacobsen, Weg, 135 ff. Zu Hitlers Anordnungen wegen einer neuen Offensive MOFA, Weltkrieg VI, 774 (Beitrag Wegner). Halder, KTB III, 380, 382. Müller-Hillebrand III, 46. Haider über Defensivstrategie in Haider, Hitler, 48 f. Zweifel daran in MOFA, Weltkrieg VI, 774 (Beitrag Wegner). C. Hartrnann, Halder, 314. Die Ansichten von Wagner und Heusinger in MOFA, Weltkrieg VI, 776 f. (Beitrag Wegner). Haider über Offensive in seinem KTB III, 390, 455. Dazu ferner Speer, Erinnerungen, 250. Warlimont I, 242. Zur Seekriegsleitung Salewski, Seekriegsleitung III, 262 ff. (Denkschrift vom 25. 2. 1942). KTB SKL, Bd. 32, 123 ff. (8. 4. 1942, Bericht des Verbindungsoffiziers). Zu Westphal dessen Erinnerungen, !56 f.

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sehen Aufstellungsschübe legte die deutsche Aufklärung einen Rechensatz von 60 Schützendivisionen zugrunde, wozu je nach den Umständen zusätzlich Brigaden treten konnten. Der erste sowjetische Aufstellungsschub wurde wohl ziemlich vollständig in der Winteroffensive eingesetzt, jedenfalls erfaßte die deutsche Aufklärung beim ersten Aufstellungsschub 60 Schützendivisionen, 46 Schützenbrigaden und 17 Panzerbrigaden, was mit der Vermehrung sowjetischer Verbände vor der deutschen Front gut zusammenstimmt. Beim zweiten Aufstellungsschub erkannte die deutsche Aufklärung schon im Juli I August 1942, daß der erwartete Rechensatz von 60 Schützendivisionen übertroffen wurde. Erklären ließ sich dies aus dem verstärkten Fraueneinsatz in der Kriegswirtschaft und der Einziehung jüngerer Jahrgänge. Eine starke Vermehrung erlebten vor allem die Panzerbrigaden, was die deutsche Aufklärung zwang, ihre bislang zu niedrigen Annahmen über die sowjetische Panzererzeugung zu ändern. Allgemein neigten die beteiligten Dienststellen auf deutscher Seite anfangs dazu, den russischen Ausstoß an Waffen und Gerät zu unterschätzen, doch kann dies auf die umfassende Lagebeurteilung des Generalstabs keinen schwerwiegenden Einfluß ausgeübt haben. GehJens Abteilung Fremde Heere Ost stellte am 28. Juni 1942 unmißverständlich fest, auch bei erfolgreicher Durchführung der Offensive werde der russische Widerstandswille noch ungebrochen fortbestehen und das russische Heer zahlenmäßig überlegen und schlagkräftig bleiben. Im nächsten Winter werde die Rote Armee sich wieder erholen und das deutsche Heer weiter zu schwächen suchen. Ausgedrückt in Zahlen umfaßte die Rote Armee am I. Dezember 1941 rund 350 Verbände, davon etwa 275 vor der deutschen Front, dazu die Neuaufstellungen in rückwärtigen Gebieten, die während der russischen Winteroffensive von der deutschen Aufklärung erfaßt wurden, mit zusammen rund 125 Verbänden. Am 15. August 1942 belief sich die Gesamtstärke der Roten Armee auf 789 Verbände mit einem Kampfwert von 593 Verbänden. Davon standen vor der deutschen Front 418 Divisionen und Brigaden mit einem Kampfwert von 222 Verbänden; in der Reserve befanden sich 245 und an anderen Fronten 126 Verbände. Die Aufblähung der Zahlen hängt mit der starken Vermehrung der Brigaden zusammen; am 15. August 1942 gab es 178 Schützenbrigaden und 165 Panzerbrigaden. Auffallig ist die sehr starke Reserve, d. h. im wesentlichen Neuaufstellungen, die zu dieser Zeit 73 Schützendivisionen, 66 Schützenbrigaden, 86 Panzerbrigaden und 20 Kavalleriedivisionen umfaßten. Die Reserve deutete darauf hin, daß der Gegner genügend Kräfte besaß, um den deutschen Angriff auszuhalten, und daß die Wehrmacht auf der Hut sein mußte, um nicht böse Enttäuschungen zu erleben. Die Erkenntnisse der Aufklärung wurden Hitler mit Sicherheit vorgetragen. Allerdings blieb Hitler seiner Gewohnheit treu, nur dasjenige aufzunehmen, was ihm gefiel, Unbequemes abzulehnen und unzulässige Schlüsse zu ziehen. In einer Aufzeichnung für einen Führervortrag hielt Haider am 20. Juni 1942 fest, der Gegner erwarte einen deutschen Angriff und habe sich zur Abwehr gegliedert. Die sowjetische Front umfasse 270 Divisionen, über 100 Schützenbrigaden und rund 70 Panzerbrigaden. Sie sei vorne verhältnismäßig dünn besetzt, schnelle Kräfte seien dahinter zusammenge-

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faßt. Von den Schützenverbänden stünden 20 bis 30% hinter der vorderen Front, von den Panzerverbänden rund zwei Drittel. Im Gebiet östlich Moskau sowie zwischen dem südlichen Ural und der Wolga würden zudem Reserven (Neuaufstellungen) bereitgestellt. Diese Gliederung des Gegners, die sich nach Beginn des deutschen Angriffs bestätigte, ließ für die Zukunft nichts Gutes ahnen. Daß der Gegner seine Kräfte an der Front nach der Tiefe auflockerte, deutete darauf hin, daß er nicht mehr, wie im Jahre 1941, vorne verteidigen wollte, sondern daß er danach trachtete, die deutschen Durchbrüche hinten aufzufangen und die vom kämpfenden Teile zurückzuziehen. Die Verteidigung in der Tiefe des Raumes würde überdies an der Reserve einen Rückhalt finden. Offenbar trug Haider solche Erkenntnisse erst nach einigen Tagen, am 25. Juni, dem Diktator vor, da dieser sich zeitweise nicht im Hauptquartier aufhielt, das seit Beginn des Rußlandfeldzugs in Ostpreußen lag ("Wolfsschanze"). Hitler zog aus den Mitteilungen des Generalstabschefs recht befremdliche Schlüsse (sofern er nicht einfach seine vorgefaßte Meinung zum besten gab). Er hielt den Gegner für schwach, glaubte die Offensive leichter und schneller als erwartet abschließen zu können und wollte eigene Kräfte für eine andere Verwendung abziehen. Unter solchen Umständen waren Lagevorträge natürlich ziemlich sinnlos. Als die deutsche Aufklärung im Juli feststellte, daß die Reserve des Gegners noch stärker war als ursprünglich angenommen und allein 56 neue Panzerbrigaden erlaßt worden waren, trug Haider am 3. August auch dies dem Diktator vor. Hitler wurde also sehr wohl unterrichtet; er wollte nur nicht hören?8 Für eine große Offensive mit Aussicht auf entscheidenden Erfolg reichten im Sommer 1942 die deutschen Kräfte ganz einfach nicht aus. Sie hätten vielleicht ausgereicht, wenn spätestens 1941 der Umfang der deutschen Rüstungserzeugung wesentlich ausgeweitet worden wäre. Da dies nicht geschah, kam die Steigerung des Ausstoßes an Rüstungsgütem, die Minister Speer 1942 einleitete, für den Krieg im Osten ebenso zu spät wie für den Krieg insgesamt. Der Generalstab wußte dies übrigens lange vorher; schon im November 1941 stellte Haider fest, ein Heer wie dasjenige bei Beginn des Rußlandfeldzugs werde in Zukunft nicht mehr zur Verfügung stehen. Begonnen hatte diese Entwicklung, als im Laufe des Jahres 1941 allerlei Erwägungen angestellt worden waren, wie der Krieg nach dem erhofften oder erwarteten Sieg über die Sowjetunion weiterzuführen sei. Naturgemäß rückte dabei der Kampf gegen England in den Vordergrund, der mit der Luftwaffe, der Marine und von Seiten der Landstreitkräfte mit Vorstößen im Mittelmeerraum, namentlich in den vorderen Orient, geführt werden sollte. Dabei wurde auch ein Um28 Die Stärke der Roten Armee am I. 12. 1941 und 15. 8. 1942 nach KTB OKW 1/2, 1075 f.; li/ I, 592. Dazu Halder, KTB III, 400, 415,422 f., 497 f. Zu Kinzel und Gehlen auch Gehlen, 22 ff. D. Thomas, Intelligence, 280 f. Allgemein zur Roten Armee Ziemke, Decision, 300 ff. Gosztony, Rote Armee, 209 ff. MGFA, Weltkrieg VI, 796 ff. (Beitrag Wegner). Die Lagebeurteilung von Fremde Heere Ost, 28. 6. 1942, in Keilig III, Nr. 201, 2 ff. Vgl. MüllerHillebrand III, 74. Halders Lageaufzeichnung vom 20. 6. 1942 und der Führervortrag vom 25. 6. 1942 in Halder, KTB III, 461 f. KTB OKW li/ I, 448 f. Dazu Halder, KTB III, 467, 497.

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bau des Heeres mit einer Vermehrung der schnellen Truppen in Aussicht genommen. In diesem Zusammenhang erließ Hitler am 14. Juli 1941 Richtlinien für die Rüstung, wonach die Luftwaffe zu verstärken, das Heer aber zu verkleinem war. Im Planungswirrwarr des Dritten Reiches schuf dies zwar keine Klarheit; nichtsdestoweniger wurden hier die Weichen gestellt für die Rüstungslage im Jahr 1942. Das deutsche Heer und namentlich das Ostheer litt im Jahr 1942 in der Hauptsache an drei Schwächen: Erstens gelang es nicht, den an sich vorhandenen Personalersatz in organisatorisch sinnvoller Weise dem Heer einzugliedern. Was dem Ostheer vor allem nottat, war das Auffüllen der ausgebluteten Verbände, um ihre infanteristische Kampfkraft wiederherzustellen. Die Personaldecke reichte hierfür sehr wohl aus; es gab über fünf Millionen Wehrfähige, die in der Kriegswirtschaft unabkömmlich (u.k.) gestellt waren, die Luftwaffe hatte überzähliges Personal gehortet, und die nachwachsenden Jahrgänge konnten schrittweise eingezogen werden. Wie Vergleichsberechnungen zeigen, genügte die vorhandene Personalreserve bis ins Jahr 1943 vollauf, um die 208 Divisionen vom Juni 1941 jederzeit auf voller Kampfstärke zu halten, wenn die Verluste unverzüglich gedeckt wurden. Hitler ließ es nicht zu. Getreu seiner Devise, Deutschland leide nicht Mangel an Soldaten, sondern an Arbeitskräften, gab er die Wehrfähigen aus der Wirtschaft bis ins Jahr 1943 nur höchst zögerlich frei. Das Auflösen abgekämpfter Divisionen, um daraus Ersatz zu gewinnen, verbot er im März 1942 aus propagandistischen Gründen. Statt dessen entwickelte er die Neigung, beständig neue Divisionen aufzustellen. Als beispielsweise im Spätsommer 1942 die Einsicht reifte, die Luftwaffe müsse Soldaten an das Heer abgeben, wurden nicht geschwächte Divisionen aufgefüllt, sondern es wurden 20 Luftwaffenfelddivisionen aufgestellt, die naturgemäß mit dem Erdkampf nicht vertraut waren und daher nur eine geringe Leistungsfähigkeit besaßen. All dies zog ein ständig wachsendes Mißverhältnis zwischen der Zahl der Verbände und ihrer tatsächlichen Kampfkraft nach sich. Bei Beginn des Rußlandfeldzugs 1941 hatte das Ostheer bei rund 150 Divisionen etwa 3,2 Millionen Mann umfaßt. Am 1. Juli 1942 dagegen war die Zahl der Verbände im Osten auffast 180 gewachsen und die Truppenstärke auf 2,8 Millionen gesunken. Das Ostheer wies zu dieser Zeit etwa 650000 Fehlstellen auf, also wesentlich mehr als noch Ende 1941. Die fechtende Infanterie, die eigentliche Kampftruppe, wurde damit entschieden zu schwach, das Verhältnis zwischen ihr und den unterstützenden Truppenteilen wurde unrationell. Das vorhandene Material und das Personal, darunter der zusammengeschmolzene Bestand an gut ausgebildeten und erfahrenen Offizieren und Unteroffizieren, wurde an eine überhöhte Zahl von Divisionen vergeudet, statt die Schlagkraft der einzelnen Verbände wiederherzustellen. Zweitens reichten Waffen und Gerät nicht aus, um die vorhandenen Divisionen voll auszustatten. Zwar ordnete Hitler am 10. Januar 1942 wieder einmal das Umsteuern der Rüstung an, diesmal zugunsten des Heeres. Der unter Minister Speer einsetzende Aufschwung konnte indes die Versäumnisse und Verluste der Vergangenheit nicht mehr ausgleichen. Am meisten gelitten hatten die schnellen Verbände und die Beweglichkeit des Ostheeres insgesamt. Wohl standen Mitte 1942 wieder

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über 3000 frontfähige Kampfpanzer zur Verfügung. Aber mittlerweile waren 24 Panzerdivisionen vorhanden (Hitler hatte ursprünglich 36 verlangt), außerdem sollten motorisierte Infanteriedivisionen mit einer Panzerabteilung ausgestattet werden, so daß nur ein Teil der schnellen Divisionen aufgefüllt werden konnte. Ähnlich war die Lage bei Kraftfahrzeugen und Zugmitteln, d. h. Zugmaschinen und Pferden. Das Ostheer des Jahres 1941 war noch einigermaßen beweglich, also zu weiträumigen Operationen imstande gewesen; das Ostheer des Jahres 1942 würde in großen Teilen dazu nicht fähig sein. Insgesamt wurde bis zum Sommer 1942 der Zustand erreicht, der sich bereits im Januar abgezeichnet hatte. Die Heeresgruppe Süd konnte weitgehend aufgefrischt und operationsfähig gemacht werden. Sie verfügte über neun voll ausgestattete Panzerdivisionen mit je drei Panzerabteilungen sowie Schützenpanzern, ferner sieben motorisierte Infanteriedivisionen und 52 infanteristische Verbände, die bis auf einige Lücken die sollmäßige Kampfkraft erhielten. Dagegen waren die Divisionen der Heeresgruppen Mitte und Nord vielfach nur noch für den Stellungskrieg geeignet und auch dafür ziemlich schwach. Die schnellen Verbände verdienten den Namen kaum noch; die 10 Panzerdivisionen beider Heeresgruppen besaßen meistens nur mehr eine Panzerabteilung und ebenso wie die "motorisierten" Divisionen bloß einen kläglichen Restbestand an Fahrzeugen; gelegentlich mußten sie sich mit Fahrrädern behelfen. Bei den meisten Infanteriedivisionen wurde wegen des Mangels an Personal und Waffen der sollmäßige Bestand an Infanterie um ein Drittel gekürzt, doch wurde personell nicht einmal der neue Sollstand erreicht, so daß die Kampfkraft auf ungefähr die Hälfte sank. Während für die verkleinerten Divisionen wenigstens genügend Waffen vorhanden waren, abgesehen von einigen Lücken bei der Artillerie, ließen sich die schweren Waffen wegen des Mangels an Zugmitteln häufig nur mühsam bewegen. Drittens traf genau das zu, was Haider schon im Januar festgestellt hatte: Ein Angriff ließ sich wegen des Mangels an Materialreserven nicht lange durchhalten. Noch am wenigsten galt dies für die Munition, wo es ursprünglich befürchtet worden war. Wohl sanken die Munitionsvorräte bis zum Sommer 1942 auf einen Tiefpunkt, aber bis dahin brachte das Ministerium Speer auch die Fertigung so sehr in die Höhe, daß der Verbrauch ungefähr gedeckt werden konnte. Bei anderem Material hingegen gab es keine nennenswerten Vorräte, vor allem nicht beim Treibstoff. Der Bedarf der Wehrmacht an Treibstoff mußte aus dem laufenden Aufkommen gedeckt werden, das für eine strategische Defensive wohl ausgereicht hätte, für weiträumige Operationen jedoch Spannungen erwarten ließ. Damit wiederholte sich, in noch verschärftem Maße, die Situation des Jahres 1941: Gemäß den Feststellungen des Generalstabs im Juni 1942 reichte der Betriebsstoff für den Angriff nur bis zum September. Zudem war es fraglich, ob bei den schlechten Verkehrsbedingungen im südlichen Rußland und bei den großen Entfernungen das Heranschaffen des Nachschubs immer reibungslos erfolgen könne. Hitler hielt es für eine gute Idee, an der Offensive auch die Verbündeten zu beteiligen mit insgesamt über 50 Verbänden und vier Armeen (zwei rumänischen, je einer ungarischen und italienischen). Die Anforderungen an das Nachschub- und Transportwesen wurden

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damit stark erhöht, ohne einen entsprechenden Gewinn an Kampfkraft zu erzielen?9 Allein mit den 68 operationsfähigen Divisionen der Heeresgruppe Süd ließ sich schwerlich ein strategisch entscheidender Schlag gegen den Feind führen. Es war noch nicht einmal sicher, ob wenigstens ein Teilerfolg, falls er durch den Angriff im russischen Süden errungen wurde, die Lage der Ostfront wie des Reiches insgesamt günstiger gestalten konnte. Über den Kaukasus würde die Wehrmacht in diesem Jahr voraussichtlich nicht mehr kommen, zumindest nicht bis an das Ölgebiet von Baku, so daß das militärische Ergebnis der Offensive allenfalls darin bestehen konnte, die Frontlinie sehr stark zu verlängern. Widerstandsfähiger wurde sie dadurch gewiß nicht, vielmehr wurden feindliche Gegenangriffe erleichtert, sei es bei den Heeresgruppen Mitte und Nord, die von operationsfähigen Reserven entblößt waren, sei es im Süden, wo nach der Offensive eine überdehnte Frontlinie entstand. Entsprechende Überlegungen wurden sogar im OKW angestellt, wo Jodl im Mai befürchtete, der Russe könne einen entschlossenen Vorstoß auf Smolensk unternehmen. Mit Hitler tröstete er sich jedoch bei dem Gedanken, die deutsche Offensive werde auch die russischen Kräfte nach dem Süden ziehen. Das mochte wohl zutreffen, nur änderte es nichts an dem grundlegenden Sachverhalt, daß durch die deutsche Offensive der Gegner nicht zusammenbrechen und daß anschließend die Abwehr für die deutsche Seite erschwert sein würde. Halders Gedanke, in der strategischen Defensive zu verharren, die bestehende Front zu begradigen und zu festigen, war also tatsächlich das beste Rezept für die Weiterführung des Ostkriegs. Auch bei einer strategischen Defensive ließen sich namhafte Teilerfolge erzielen. Die Frontlinie wies so viele Unregelmäßigkeiten und Einbuchtungen auf, daß dem Gegner selbst mit begrenzten Kräften eine Anzahl harter Schläge versetzt werden konnte. Vor allem bot sich ein Abschnüren der tiefen Einbuchtung von Toropez an, die durch den feindlichen Einbruch zwischen den Heeresgruppen Nord und Mitte bei Ostaschkow entstanden war. Bei einem derartigen Unternehmen vermochte man rund fünf feindliche Armeen einzukesseln. Zu diesem Zweck mußte die 9. Armee der Heeresgruppe Mitte aus der Gegend von Rschew nach Ostaschkow vorstoßen, während die 16. Armee der Heeresgruppe Nord die Verbindung zum Kessel von Demjansk herzustellen und der 9. Armee bei Ostaschkow die Hand zu reichen hatte. Bereits Halders Weisung vom 12. Februar 1942 sah eine solche Operation vor, die dann allerdings aus Kräftemangel vor der Frühjahrsschlammzeit nicht mehr stattfinden konnte. Der neue Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Nord, General (später Feldmarschall) Küchler, schlug dem Diktator am 4. Mai vor, auf die Offensive der Heeresgruppe Süd zu verzichten, um statt dessen die Ostaschkow-Operation durchführen zu können. Das war sicher ganz im Sinne 29 Zu den Planungen im Jahr 1941 Hubatsch, Weisungen, 151 ff. (11. 6. 1941), 159 ff. (14. 7. 1941). KTB OKW I/2, 1047 ff. (16. 8. 1941), 1059 ff. (20. 8. 1941). Halder, KTB III, 91, 93 f. (18. I 19. 7. 1941); 306 (23. 11. 1941 ). Zur Rüstungslage 1942 Müller-Hillebrand III, 40 ff., 45 ff., 59 ff., 77 ff., 109 ff. Führererlaß über die Rüstung, 10. I. 1942, in Thomas, Wehrwirtschaft, 483 ff. Halder, KTB III, 389 f., 430 ff., 455, 461. Speer, Erinnerungen, 225.

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Halders, wobei der Generalstabschef möglicherweise noch den Hintergedanken hegte, auf diese Weise die Voraussetzungen zu schaffen, um später den Angriff auf Moskau wiederaufzunehmen. Jedenfalls deutete Heusinger aus der Erinnerung an, daß ein solcher Gedanke bestand. Hitler jedoch lehnte den Vorschlag Küchlers scharf ab; er wollte an seiner Südoperation festhalten und das Ostaschkow-Unternehmen nur dann in Gang setzen, wenn sich - in seinen Augen - eine günstige Gelegenheit ergab. 30 Sodann hätte sich, unabhängig von Hitlers Absichten, bei einem Verzicht auf die Südoperation wohl auch die Lage um Leningrad bereinigen, d. h. die Stadt besetzen und damit der ganze Nordflügel der Ostfront entlasten lassen. Da auch hierfür die Voraussetzungen nicht geschaffen wurden, blieben noch einige Frontverbesserungen kleineren Umfangs, die zum Teil bereits in Halders Weisung vom 12. Februar genannt und dann bis zum Beginn der Südoffensive durchgeführt wurden. Der aus einem gegnerischen Einbruch stammende Kessel am Wolchow wurde, wie vorhin erwähnt, im Juni zerschlagen bei feindlichen Verlusten von über 100000 Mann; in Gefangenschaft geriet der sowjetische General Wlassow, der sich später als Gründer einer "Russischen Befreiungsarmee" der deutschen Seite zur Verfügung stellte. Bei Heeresgruppe Mitte wurden ab Mai die Reste sowjetischer Truppen hinter der deutschen Front südlich Wjasma aufgerieben; Anfang Juli wurde am Ostrand des Bogens von Toropez der deutsche Frontvorsprung von Rschew verbreitert. Im Raum von Charkow begann am 12. Mai ein sowjetischer Umfassungsangriff, der mit einem nördlichen Zangenarm bei Woltschansk und mit einem südlichen aus der Fronteinbuchtung bei Isjum die Stadt Charkow einschließen sollte. Deutsche Kräfte, die für das Abschnüren der Beule von Isjum bereitgestellt waren, führten ab 17. Mai den Gegenangriff, der mit einem vollen Sieg endete; der Gegner verlor über 200000 Gefangene und über 1000 Panzer. Für die Vorbereitung der Südoffensive hätte dies genügt; Hitler meinte jedoch, hier bestehe noch eine günstige Gelegenheit, zusätzlich gegnerische Kräfte zu vernichten, und wollte den Angriff in einem Gebietsstreifen östlich Charkow und östlich lsjum fortsetzen. Da hierdurch ein Teil der Südoffensive vorweggenommen werde, glaubte Hitler auch den Beginn der letzteren verschieben zu können. Der Nutzen dieses typisch Hitlerschen Einfalls blieb undeutlich, denn der Gegner entzog sich der Vernichtung und erlitt nur verhältnismäßig geringe Verluste, während auf der deutschen Seite bloß ein ziemlich überflüssiger Geländestreifen gewonnen und der Beginn der Hauptoperation um rund zwei Wochen verzögert wurde (vom 15. auf den 28. Juni). Ganz im Süden der Ostfront, auf der Halbinsel Krim, schlug die 11. Armee (General Manstein) bis Mitte Mai den Gegner auf der Landzunge von Kertsch und eroberte bis Anfang Juli die Stadt Sewastopol; der Gegner verlor fast 300000 Gefangene.31 30 Jod! über mögliche Gefahren, 10. 5. 1942, in KTB OKW II/ I, 348. Über OstaschkowOperation Halder, KTB III, 408, 412, 416 f., 419 f., 422, 436 (Vorschlag Küchlers am 4. 5. 1942). KTB OKW II/ I, 319, 460 f.; 11/2, 1270 (Führerbefehl vom I. 4. 1942). Überlegung wegen eines Angriffs auf Moskau nach Heusinger, 179, 184.

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All diese Ereignisse stellten zweifellos für die deutsche Seite erfreuliche Siege dar. Aber es war eines, wenn in begrenzten örtlichen Unternehmungen die beteiligten Kommandobehörden ihre eigenen Fähigkeiten sowie diejenigen ihrer Truppen zum Tragen bringen konnten, und es war etwas ganz anderes, wenn ein operativer Großangriff zu führen war, sogar ein Großangriff mit strategischer Zielsetzung. Einen solchen Feldzug planerisch angemessen vorzubereiten und auf dem Gefechtsfeld zu lenken, bildete eine große und schwierige Aufgabe für einen personell entsprechend ausgestatteten Generalstab, der in seinen einzelnen Abteilungen das Sachwissen vieler Fachleute zusammenfaßte. Hitler hatte schon immer geglaubt, sich darüber hinwegsetzten zu können, und hatte an die Stelle mühsamer und sorgfältiger Gedankenarbeit die sprunghaften Einfälle seines weltanschaulich beschränkten Gefreitenverstandes gesetzt. Seitdem er auch formell den Oberbefehl über das Heer übernommen hatte, gab es in dieser Hinsicht überhaupt kein Halten mehr. Wie es seiner Gewohnheit entsprach, befahl er bereits im Januar die Vorbereitung der neuen Offensive, noch bevor der Generalstab Gelegenheit erhalten hatte, vor dem Hintergrund des Kräfteverhältnisses die Operationsmöglichkeiten auszuloten und die Grenzen eines denkbaren Operationsplans abzustecken. Einen ersten Operationsentwurf erstellte der Generalstab anscheinend im Februar, aber noch im März mußten Unklarheiten ausgeräumt werden, wie lange der Aufmarsch dauern könne. Am 28. März trug Haider die Ergebnisse der Generalstabsarbeit vor, woraufhin das OKW den Entwurf einer Führerweisung vorlegte, der anschließend von Hitler eigenhändig bearbeitet und in wesentlichen Teilen neu gefaßt wurde. Das so entstandene Elaborat erging am 5. April und bildete die Grundlage für den kommenden Feldzug. Der logische Aufbau und die Gedankenführung der Weisung sind schwer nachvollziehbar; auch hatte ihre Ausdrucksweise nichts gemein mit der genauen Sprache des Generalstabs. Wenn davon die Rede war, es solle die den Sowjets noch verbliebene lebendige Wehrkraft endgültig vernichtet werden, ferner seien ihnen die wichtigsten kriegswirtschaftlichen Kraftquellen so weit als möglich zu entziehen, so stellte dies augenscheinlich das strategische Ziel für 1942 dar. Als ziemlich entlarvend darf es gelten, daß Hitler an den ursprünglichen Grundzügen des Ostfeldzugs festhalten und demzufolge die Heeresmitte verhalten, im Süden aber den Durchbruch in den Kaukasusraum erzwingen und im Norden Leningrad zu Fall bringen sowie die Verbindung zu den Finnen herstellen wollte. In der Tat war dies Hitlers Rezept für den Feldzug von 1941 gewesen, und mit diesem Rezept hatte er schon den vergangeneo Feldzug zum Scheitern gebracht. Zwar wurde die Eroberung Leningrads in der Weisung unter den Vorbehalt gestellt, daß die Entwicklung der dortigen Lage oder das Freiwerden sonstiger ausreichender Kräfte es ermöglichten. Aber für Hitler blieb das Ziel offenbar doch verbindlich, denn während der Südoffensive zog er dort Kräfte ab, um sie bei Leningrad zu verwenden. Das eine 31 Zu den Kämpfen im Frühjahr 1942 Philippi I Heim, 122 ff. MGFA, Weltkrieg VI, 840 ff. (Beitrag Wegner). Zur Fortsetzung der Schlacht von Charkow KTB OKW II/I, 385 ff., 388 f., 396,410 f., 422. Halder, KTB III, 449,456.

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strategische Ziel, dem Gegner die kriegswirtschaftlichen Kraftquellen so weit als möglich zu entziehen, suchte Hitler vor allem durch die Hauptoperation im Süden zu erreichen, von der es hieß, es sei der Feind vorwärts des Don zu vernichten, um sodann die Ölgebiete im kaukasischen Raum und den Übergang über den Kaukasus selbst zu gewinnen. Soweit man bei Hitler auf die Wortwahl etwas geben darf, konnte es einen aufmerksamen Leser stutzig machen, daß laut Weisung nur versucht werden sollte, Stalingrad zu erreichen. Das zweite der genannten strategischen Ziele, die Vernichtung der lebendigen Wehrkraft des Gegners, glaubte Hitler so zu verwirklichen, daß er, ähnlich wie 1941, den Feind durch eine Anzahl vernichtender Schläge allmählich zermürbte, zunächst durch Unternehmungen wie diejenigen auf der Krim und bei Isjum, dann durch die große Offensive im Süden, schließlich durch weitere Schläge bei Leningrad und vor Moskau. Man sieht, daß Hitler nicht das Geringste dazugelernt hatte; nach wie vor richtete er sein Handeln weder an den Tatsachen noch an den Kenntnissen der Fachleute aus, sondern an seinen Wünschen und Vorurteilen. Im Jahr 1941 hatte Hitler die Vorstellung entwickelt, der Gegner könne allmählich aufgerieben werden, indem an die Stelle weiträumiger operativer Umfassungen enge und kleinräumige taktische Einschließungen traten mit nahtlosem Zusammenwirken von schnellen Truppen und Infanterie, damit die Vernichtung des Gegners unter allen Umständen sichergestellt wurde. Dasselbe Verfahren wollte er nunmehr bei der großen Offensive anwenden. Deren Durchführung fand Hitlers ganze Aufmerksamkeit und wurde von ihm ebenso umständlich wie umfassend festgelegt. Das Unternehmen sollte in drei Abschnitten stattfinden. Zunächst hatten schnelle und infanteristische Kräfte aus dem Raum zwischen Orel und Kursk auf Woronesch vorzugehen und dieses zu besetzen. In einem zweiten Abschnitt mußten die schnellen Verbände von Woronesch aus am Don entlang nach Süden stoßen, während zugleich ein Angriff aus dem Raum von Charkow stattfand, um zusammen mit den Kräften am Don den Gegner einzukesseln. In einem dritten Abschnitt hatten die zusammengefaßten schnellen Verbände weiterhin den Don abwärts Richtung Stalingrad zu stoßen, während zugleich aus dem Südflügel der Ostfront (nördlich des Asowschen Meeres) ein Angriff über den Donez nach Osten erfolgte, der wiederum in Verbindung mit den Kräften am Don den Gegner zu vernichten hatte. Im Laufe der schrittweise nach Süden voranschreitenden taktischen Vernichtungsschlachten sollte am Don eine Verteidigungslinie errichtet werden, in welcher vorzugsweise die Verbündeten einzusetzen waren. Die komplizierte Abfolge einander überlappender Kampfhandlungen wurde damit begründet, daß die benötigten Verbände erst allmählich verfügbar wurden. Das traf insofern zu, als die Truppen einerseits aufgefrischt werden mußten, andererseits bei Isjum und auf der Krim zeitweise gebunden waren. Dennoch war das Argument nicht schlüssig, was darauf hindeutet, daß die Anlage des Unternehmens wohl den Wünschen Hitlers, nicht jedoch denjenigen des Generalstabs entsprach. Die schrittweise Abfolge von Vernichtungsschlachten wurde nur dann notwendig, wenn der Beginn der Kampfhandlungen verhältnismäßig früh angesetzt wurde, um

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anschließend in einer Anzahl kleinräumiger taktischer Einschließungen voranzuschreiten. Ein anderes Verfahren wäre durchaus denkbar gewesen und wurde anscheinend im Generalstab erwogen. Dort war gelegentlich davon die Rede, den Aufmarsch erst im August abzuschließen, was den Vorteil gehabt hätte, alle Verbände der Heeresgruppe Süd gleichzeitig beim Angriff einzusetzen und wohl auch noch einige Kräfte zusätzlich heranzuziehen, etwa weitere schnelle Divisionen, die bis dahin aufgefrischt werden konnten. Es wäre dann möglich gewesen, der Offensive eine andere Gestalt zu geben, namentlich eine weiträumige operative Umfassung mit zwei starken Zangenarmen in den Donbogen hinein anzusetzen, was einige Gewähr geboten hätte, den eingekesselten Gegner tatsächlich zu vernichten und überdies Stalingrad schnell zu erreichen, um dem Gegner die Landverbindung in den Kaukasus abzuschneiden. Die Zeit hätte dann immer noch ausgereicht, in Richtung auf den Kaukasus vorzurücken, selbst wenn das Überwinden des Gebirges und die Besetzung des wichtigsten Ölgebiets bei Bak.u aus Kräftemangel fraglich geblieben wäre. Da Hitler eine solche Lösung nicht zuließ, sahen sich der Generalstab und die Kommandobehörden an der Front gezwungen, ihre Planungen den Vorgaben des Diktators anzupassen. Dennoch verursachten die Umstände einige Änderungen. Hitler hatte in seiner Weisung vom 5. April verlangt, den Angriffsflügel nördlich des Asowschen Meeres zu verstärken, notfalls durch improvisierte schnelle Truppen. Da dies ausschied (Panzerdivisionen lassen sich nicht einfach improvisieren), sah der Generalstab zeitweise vor, die 11. Armee nach Abschluß ihrer Aufgabe auf der Krim an diesem Flügel einzuschieben. Das Vorhaben scheiterte aus zwei Gründen. Erstens zogen sich die Kämpfe auf der Krim so lange hin und beanspruchten die Truppe so stark, daß diese nicht mehr rechtzeitig aufgefrischt und herangebracht werden konnte. Zweitens entwickelte Hitler die Vorstellung, die 11. Armee könne unmittelbar die Meerenge von Kertsch überqueren, um dann im Gebiet des nordwestlichen Kaukasus den Angriff fortzusetzen. Zwar versuchte Haider ihn am 17. Mai davon abzubringen, weil das Übersetzen aus Mangel an Wasserfahrzeugen und Luftstreitkräften nicht durchführbar sei. Aber Hitler wollte vorerst daran festhalten, so daß auch der Ablauf der ganzen Südoffensive geändert werden mußte. Dieses Unternehmen, dessen Deckname öfters wechselte (zuerst "Siegfried", dann "Blau", dann "Braunschweig") sollte nunmehr so stattfinden, daß in einem ersten Abschnitt eine Zangenbewegung auf den Raum von Woronesch angesetzt wurde ("Blau I"). Hierzu hatte am Nordflügel aus dem Gebiet um Kursk eine Armeegruppe unter General Weichs mit der 2. Armee, der 4. Panzerarmee (nunmehr General Hoth) und der 2. ungarischen Armee vorzustoßen, am Südflügel aus dem Gebiet um Charkow die 6. Armee unter General Paulus. Anschließend sollten in einem zweiten Abschnitt die beiden Panzerkorps der 4. Panzerarmee sowie das Panzerkorps der 6. Armee am Don nach Süden stoßen, unterstützt von Infanterieverbänden, während die 1. Panzerarmee (General Kleist) mit zwei Panzerkorps und Infanterie aus dem Gebiet um Isjum ihnen entgegengehen sollte (,,Blau II"). In einem dritten Abschnitt war die abschließende Einkesselung der feindlichen Kräfte

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im Donbogen anzustreben, was jedoch dadurch behindert wurde, daß der Angriffsflügel nördlich des Asowschen Meeres ( 17. Armee unter General Ruoff) ziemlich schwach blieb. Man mußte sich deshalb darauf einrichten, eine einarmige Umfassung nur mit den schnellen Verbänden von Norden her zu bewerkstelligen. Haider hielt am 20. Juni fest, für "Blau I" und "Blau II" sei die personelle und materielle Ausstattung gesichert, für "Blau III" dagegen noch nicht zu übersehen. Der Generalstabschef hoffte zu dieser Zeit noch darauf, die 11. Armee für "Blau III" verwenden zu können, doch mußte sie dazu vorher aufgefrischt werden. 32 Selbst eine so schwierige und sicher nicht ideal angelegte Offensive wie das Unternehmen "Blau" vermochte wenigstens einen achtbaren Teilerfolg zu erzielen, wenn sie einigermaßen richtig durchgeführt wurde. Den 68 Divisionen der Heeresgruppe Süd unter Feldmarschall Bock standen in mehreren sowjetischen "Fronten" wahrscheinlich um die 160 Verbände gegenüber, deren Kampfkraft jedoch mit den aufgefrischten deutschen Truppen nicht schritthalten konnte. Die Heeresgruppe Süd wurde unterstützt von der Luftflotte 4 mit anfangs rund 1500 Flugzeugen, davon über 1000 einsatzbereiten. Mit diesen Kräften war es an sich durchaus möglich, verhältnismäßig rasch bis Stalingrad vorzudringen und zur Flankendeckung die Front in Richtung auf den Kaukasus vorzuschieben. Zur Erleichterung der Führungsaufgaben sollte im Verlauf der Kämpfe die Heeresgruppe Süd geteilt werden; Bock hatte dann den Nordflügel mit der Armeegruppe Weichs und der 6. Armee zu übernehmen (Heeresgruppe B), während am Südflügel die Heeresgruppe A unter Feldmarschall List die 1. Panzerarmee und die 17. Armee befehligen sollte. Der Wechsel trat zum 7. Juli ein und hätte, folgerichtig durchgeführt, dem weiteren Ablauf der Operationen eine angemessene Gestalt verleihen können. Kräftemäßig wäre der Schwerpunkt bei Bocks Heeresgruppe B verblieben, die am Don unter Einbeziehung der Verbündeten von Norden nach Süden eine Abwehrfront aufzubauen, vor allem aber mit der 4. Panzerarmee und der 6. Armee Richtung Stalingrad vorzugehen hatte, wobei sie theoretisch noch durch die nachgezogene 11. Armee verstärkt werden konnte. Der Heeresgruppe A oblag es dann, mit zwei Armeen den Don nach Süden zu überschreiten und den Flankenschutz Richtung Kaukasus herzustellen. Einen solchen halbwegs tragfähigen Ansatz wußte Hitler zu vereiteln. Nachdem der Angriff "Blau I" bei der Armeegruppe Weichs am 28. Juni und bei der 6. Armee am 30. Juni begonnen hatte, entstanden alsbald die ersten Reibereien. Die Armeegruppe Weichs hatte im Grunde zwei Aufträge, nämlich zum einen die Einnahme von Woronesch sowie das Aufbauen einer haltbaren Verteidigungsfront nördlich davon und zum anderen das baldige Freimachen schneller Verbände für den anschließenden Stoß am Don nach Süden. Diese Koppelung verschiedener Aufga32 Hitlers Weisung vom 5. 4. 1942 in Hubatsch, Weisungen, 213 ff. Dazu KTB OKW Il/ I, 315 f. Warlimont I, 243 f. Zu den Überlegungen des Generalstabs Halder, KTB III, 404, 416, 418, 420, 426, 453, 454, 461, 465, 467. Haider über das Überqueren der Straße von Kertsch, 17. 5. 1942, in KTB OKW 11/1, 363. Allgemein Phi1ippi/Heim, 125 ff. Ziemke, Decision, 286 ff.

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ben erwuchs aus der komplizierten Abfolge einzelner Operationen, wie Hitler sie angeordnet hatte, und barg von vornherein die Gefahr in sich, daß eine der beiden Aufgaben unter der Koppelung litt. Bock und Weichs hielten die rasche Besetzung von Woronesch für unverzichtbar und setzten schnelle Divisionen auf die Stadt an, die am 6. Juli fiel. Dadurch standen die schnellen Verbände nicht sofort für den Stoß nach Süden zur Verfügung. Hitler, der die Besetzung von Woronesch ursprünglich selbst befohlen hatte, lebte mittlerweile in der Angst, der Gegner könne sich der angestrebten Vernichtung vorwärts des Don entziehen. Von der Besetzung der Stadt Woronesch rückte er deshalb Anfang Juli wieder ab. Die Verzögerung beim Stoß der schnellen Verbände nach Süden lastete er nunmehr Bock an. Statt die Ereignisse ausreifen zu lassen, fiel er wieder in seine Gewohnheit zurück, die Kommandobehörden mit sprunghaft wechselnden, widersprüchlichen und unsachgemäßen Anordnungen zu überschütten. Dazu gehörte auch, daß er am 3. Juli und nochmals in einer Weisung vom II. Juli das Übersetzen der 11. Armee über die Straße von Kertsch befahl, womit jedenfalls feststand, daß die Armee für "Blau III" bzw. den Vormarsch nach Stalingrad nicht verfügbar war. Tatsächlich war diese Maßnahme weit einschneidender und folgenträchtiger als die Verzögerung beim Freimachen der schnellen Verbände von Woronesch, die von Hitler unnötig dramatisiert wurde, da er nach wie vor seinem Phantom enger Kesselschlachten nachjagte. Obwohl sich in dieser ersten Phase der Offensive ein Ausweichen des Gegners beobachten ließ, blieb die Möglichkeit eines namhaften Erfolgs durchaus gewahrt, denn die Masse der gegnerischen Truppen stand weiter südlich im Donbogen und konnte immer noch gefaßt werden. Die schnellen Verbände aus "Blau I" kamen unter Führung der 4. Panzerarmee nach Süden in Fluß, am 9. Juli trat die I. Panzerarmee zum Angriff "Blau II" an, so daß bei sachgerechtem Weiterführen der Operationen ein angemessenes Ergebnis erreichbar blieb. Haider richtete sich nun darauf ein, die zweckmäßige Form für das Weiterführen der Operationen im Donbogen zu finden. Zunächst sollten die von Norden bald herankommenden Kräfte der 6. Armee bzw. der 4. Panzerarmee sowie von Westen die 1. Panzerarmee den Gegner bei Millerowo etwa in der Mitte des Donbogens einschließen. Unterdessen hatten die aus der Gegend von Woronesch nachrückenden schnellen Divisionen den Don abwärts nach Südosten vorzugehen. Dem lag die Überlegung zugrunde, einerseits den Gegner in möglichst großem Umfang vor den Donübergängen abzufangen und andererseits die Kräfte bereitzustellen für den nachfolgenden Angriff nach Stalingrad. Letzteres wurde umso dringlicher, als ab Mitte Juli Aufklärungsergebnisse eintrafen, wonach die sowjetische Führung Stalingrad und den Kaukasus unbedingt zu halten beabsichtigte. Haider stellte deshalb den Generalstab ab 16. Juli darauf ein, im Anschluß an die Schlacht von Millerowo ("Blau Il") sowohl auf breiter Front den einarmigen Vormarsch zum Unterlauf des Don anzutreten ("Blau III") als auch die Schlacht bei Stalingrad vorzubereiten und vielleicht sogar in sie einzutreten. Zu diesem Zweck mußten die I. Panzerarmee und die 17. Armee nach Süden auf den unteren Don zwischen Rostow und der Donezmündung vorgehen, die 4. Panzerarmee an den südöstlichen Donbogen, und die

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6. Armee mußte aus der Schlacht von Millerowo in den Nordteil des Donbogens einrücken. Alsdann ließ sich mit der 6. Armee und 4. Panzerarmee von Westen und Südwesten der Angriff auf Stalingrad führen, wobei die 4. Panzerarmee jenseits des südöstlichen Donbogens dem Gegner vor Stalingrad in den Rücken zu gehen und so die 6. Armee zu entlasten hatte. Mit den beiden anderen Armeen ließ sich der Don bei Rostow in Richtung Kaukasus überschreiten, um den Angriff nach Stalingrad im Süden abzuschirmen. 33 Hitler brachte wieder einmal alles durcheinander. Bock machte sich um den 13. Juli dafür stark, die nachfolgenden Divisionen der 4. Panzerarmee an Millerowo vorbei nach Südosten in den Donbogen hinein vorzutreiben, wie auch Haider es beabsichtigte. Hitler dagegen hatte seine Augen weit mehr auf den Kaukasus gerichtet als auf Stalingrad, außerdem war er noch immer über Bock verärgert, weil das verzögerte Nachführen der schnellen Verbände aus Woronesch (das in Wahrheit sich gar nicht so schwerwiegend auswirkte) die rasche und enge Einschließung des Gegners zu behindern schien. So enthob er am 13. Juli Bock seines Amtes und bestimmte Weichs zu seinem Nachfolger. Am seihen Tag erließ er einen Führerbefehl über die Fortsetzung der Operationen, wonach die 4. Panzerarmee der Heeresgruppe A unterstellt wurde, die zur Einmündung des Donez in den Don vorzugehen, die Donübergänge im Bereich der Donezmündung in die Hand zu nehmen und so die Voraussetzung zu schaffen hatte, um anschließend nach Westen, also nach rückwärts, auf Rostow einzudrehen und südlich des Don die Bahnlinie von Stalingrad in den Nordwestkaukasus zu unterbrechen. Um seinen Willen sicher durchzusetzen, bekräftigte Hitler den Befehl durch die Anordnung, die Heeresgruppe A habe die einheitliche Führung nach seinen Weisungen vorzunehmen. Der Führerbefehl hatte ein dreifaches Ergebnis: Erstens fand eine Kräftekonzentration bei Heeresgruppe A statt, womit Hitler seine Vorstellung von einer kleinräumigen Vernichtungsschlacht mit massierten Kräften zu verwirklichen trachtete. Zweitens zielte der Hauptstoß nun nach Südwesten (Rostow) und Süden über den Don in Richtung Kaukasus. Drittens wurde die Heeresgruppe B geschwächt und das rechtzeitige Bereitstellen der Kräfte für den Angriff auf Stalingrad unterbunden. Haider versuchte in der Folgezeit zu retten, was noch zu retten war. Das Hauptquartier Hitlers und des Generalstabs wurde am 16. Juli nach Winniza in der Ukraine verlegt. Dort erließ Hitler am 17. Juli Richtlinien für das Fortführen der Operationen, welche die Konzentration der Kräfte auf Rostow bestätigten. Dies sowie der Vorstoß zum Kaukasus wurde ausdrücklich als Hauptoperation bezeichnet; sie war nach Osten abzudecken, indem Stalingrad genommen wurde. Für sehr wichtig hielt Hitler letzteres Ziel allerdings nicht. Wie schon in der Weisung vom 33 Die Stärke der deutschen Luftflotte 4 nach KTB OKW 1112, 1321. Stärke der sowjetischen Truppen vor der Heeresgruppe Süd nach Phi1ippi I Heim, 130. Zur Teilung der Heeresgruppe Süd Ha1der, KTB III, 427, 474. Hitlers Weisung vom 11. 7. 1942 in Hubatsch, Weisungen, 222 ff. Dazu KTB OKW II I I, 456 (28. 6. 1942). Halder, KTB III, 471 f. (3. 7. 1942). Halders Planung für "Blau" nach seinem KTB III, 466 ff., vor allem 473 ff., 477, 479, 483, 484. Zu den sowjetischen Absichten auch KTB OKW 1112, 1283 (15. 7. 1942).

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5. April sollte nur ein Versuch zur Einnahme Stalingrads gemacht werden. Gelang es in einem überraschenden Vorstoß nicht, dann sollte wenigstens südlich der Stadt die Wolga gesperrt werden. Für den Vorstoß nach Stalingrad wurde lediglich die 6. Armee mit Infanterie und einigen schnellen Divisionen bereitgestellt. Die 11. Armee sollte jetzt nicht mehr die Straße von Kertsch überqueren, sondern mit der Masse ihrer Kräfte nach Leningrad verschoben werden; sie fiel also sowohl für den Angriff auf Stalingrad als auch für den Vorstoß zum Kaukasus aus. Halder, der beständig vor solch untauglichen Anordnungen warnte, glaubte an den folgenden Tagen eine Wendung zum Besseren festzustellen, denn bei Hitler schien die Einsicht zu wachsen, daß die 4. Panzerarmee östlich der Donezmündung in breiter Front über den Don vorgetrieben und die Schlacht um Stalingrad eingeleitet werden müsse. Viel Brauchbares kam dabei dennoch nicht heraus, denn um die 4. Panzerarmee am südöstlichen Donbogen, wo der Feind verhältnismäßig schwach war, für einen Angriff auf Stalingrad bereitzustellen, wäre vor allem der Donübergang von Zymljanskaja wichtig gewesen. Der 29. motorisierten Infanteriedivision, die seit längerem auf Zymljanskaja angesetzt war, folgten jedoch die von Haider gewünschten Verstärkungen nicht nach, weil Hitler mehrere schnelle Divisionen an andere Stellen abdrehte, so daß die eine Division bei Zymljanskaja sich nur mühsam zu behaupten vermochte. Was daraus entstand, hielt Haider in einer oft zitierten Aufzeichnung vom 23. Juli fest, die Hitlers Führungsstil eindringlich schildert: "Führervortrag: Nachdem er selbst gegen meinen Willen am 17. 7. die Zusammenballung von schnellen Verbänden auf Rostow befohlen und am 21. 7. die Abgabe der 24. Pz. Div. an die 6. Armee gefordert hat, ergibt sich nun auch für das Laienauge eine sinnlose Zusammenballung von Kräften schneller Verbände in Rostow und ein Verhungern des wichtigen äußeren Flügels von Zymljanskaja. Vor beidem habe ich eindringlich gewarnt. Nun, wo das Ergebnis mit Händen zu greifen ist, Tobsuchtsanfall mit schwersten Vorwürfen gegen die Führung. Die immer schon vorhandene Unterschätzung der feindlichen Möglichkeiten nimmt allmählich groteske Formen an und wird gefährlich. Es wird immer unerträglicher. Von ernster Arbeit kann nicht mehr die Rede sein. Krankhaftes Reagieren auf Augenblickseindrücke und völliger Mangel in der Beurteilung des Führungsapparates und seiner Möglichkeiten geben dieser sog. "Führung" das Gepräge."

Der letzte Absatz bezog sich vermutlich schon auf eine Weisung, die Hitler am selben 23. Juli erließ. Dort hieß es, die von ihm dem Südflügel der Ostfront gesteckten Ziele seien im wesentlichen erreicht. Die Heeresgruppe A habe nunmehr die feindlichen Kräfte südlich des Don zu vernichten, und zwar durch einen Vorstoß zum nordwestlichen Kaukasus; anschließend müsse sie die gesamte Ostküste des Schwarzen Meeres in Besitz nehmen. Ferner sei eine Kräftegruppe im wesentlichen aus schnellen Verbänden zu bilden, die in Richtung auf den Ostkaukasus am Kaspischen Meer vorzugehen, zunächst das Ölgebiet von Grosnyj zu gewimien und anschließend den Raum um Baku in Besitz zu nehmen habe. Der Heeresgruppe B obliege die Besetzung Stalingrads und anschließend ein Vorstoß nach Astra8 Rauh, Zweiter Weltkneg 3 Teil

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chan. Außerdem seien bei den Heeresgruppen Mitte und Nord örtliche Unternehmungen in schneller Folge durchzuführen, um die Auflösung der feindlichen Kräfte auf das höchste Maß zu steigern; insbesondere sei die Wegnahme von Leningrad vorzubereiten. Die Weisung hatte in der Tat mit sachgerechter militärischer Führung nicht das Geringste zu tun; sie bewegte sich auf einer ähnlichen Ebene der Tatsachenblindheit, des Dilettantenturns und der nackten Abwegigkeit wie viele andere Entscheidungen Hitlers in der Vergangenheit. Haider versuchte umgehend, wenigstens die schlimmsten Ungereimtheiten auszuräumen, und konnte nach ungefcihr einer Woche immerhin einen Teilerfolg verbuchen. Am 30. Juli zeichnete er auf: "Beim Führer-Vortrag wird Gen. Jod! das Wort erteilt, der mit großen Tönen verkündet, das Schicksal des Kaukasus werde bei Stalingrad entschieden. Daher Abgabe von Kräften der H.Gr. A zu B notwendig und zwar möglichst südlich des Don. Damit wird in neuer Aufmachung ein Gedanke serviert, den ich beim Einsatz der 4. Pz. Armee über den Don dem Führer vor 6 Tagen vorgetragen habe, wo aber von der illuminierten Gesellschaft des OKW diesen Gedanken niemand begriffen hat. Weiter wird ausgeführt, die 1. Pz. Armee müsse sofort nach Süden und Südwesten einschwenken, um den schrittweise vom Don vor 17. Armee zurückweichenden Feind noch vor dem Kaukasus abzufangen. Das ist ausgekochter Unsinn. Denn dieser Feind läuft, was er laufen kann und wird rascher am Nordrand des Kaukasus sein, als unsere schnellen Verbände und dann ballen wir uns wieder vor der feindlichen Front zusammen. Die 1. Pz. Armee muß Richtung Südost nehmen und in Richtung auf das Kubanknie nördlich Armavir angesetzt werden. Die Entwicklung der Lage im Laufe des Tages gibt meiner Auffassung in schlagender Weise recht." Die abfälligen Äußerungen Halders über Jod! waren vielleicht ein wenig überspitzt; Jod! hatte zumindest die zentrale Operationsidee begriffen, daß das Schicksal des Kaukasus bei Stalingrad entschieden wurde, und zog nun mit Haider am selben Strang, wenngleich verspätet. In der Tat war die Einnahme Stalingrads und die Konzentration der Kräfte auf dieses Ziel vordringlich, um den dortigen Gegner zu schlagen, eine haltbare Verteidigungsfront zu errichten, den Rücken für den Vorstoß zum Kaukasus freizumachen und insgesamt mit den beschränkten Kräften, sowohl an Truppen als auch an Nachschub, so hauszuhalten, daß sie nicht an verschiedenen Stellen nutzlos vergeudet wurden. War Stalingrad erst gefallen, so konnte dort mit geringerem Aufwand die Verteidigung geführt, mit freiwerdenden Kräften konnte der Vorstoß zum Kaukasus genährt werden. Das kleine Ölgebiet von Maikop ließ sich dann wohl besetzen, vielleicht sogar das größere von Grosnyj, und die längerfristige Behauptung dieses Raumes mochte dann leichter fallen. Wenn man jedoch mit unzureichenden Kräften zugleich nach Stalingrad und zum Kaukasus vorrückte, so würde man nirgendwo etwas Dauerhaftes erreichen, sondern die Kräfte verzetteln, verbrauchen und am Ende überall zurückgeschlagen werden? 4

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Nachdem auch Jod! sich für den Vorrang von Stalingrad eingesetzt hatte, gab Hitlernach und ließ am 31. Juli die 4. Panzerarmee südlich des Don der Heeresgruppe B für den Vorstoß nach Stalingrad von Südwesten unterstellen. Diese späte Einsicht konnte trotzdem die verfahrene Lage nicht mehr grundlegend ändern, und zwar aus mehreren Gründen. Erstens fand Hitler es angebracht, die ohnedies knappen Kräfte der Südoffensive weiter zu verringern. Bereits Ende Juni hatte er ein Abziehen schneller Divisionen in Aussicht genommen, um sie teils für örtliche Unternehmen bei der Heeresgruppe Mitte zu verwenden, teils sie in Frankreich bereitzustellen gegen die angeblich drohende Gefahr feindlicher Landungen. Dies beruhte auf der fixen Idee, die Sowjetunion werde durch die Vernichtungsschlachten im Donbogen an den Rand des Zusammenbruchs getrieben, so daß anschließend der geschlagene Feind nur noch verfolgt werden müsse, während umgekehrt Britannien versucht sein könnte, den Bundesgenossen durch eine Landung zu stützen. Zwar wurden bei der Offensive im Donbogen erhebliche Feindteile zerschlagendie beiden Heeresgruppen A und B machten bis Mitte August rund eine halbe Million Gefangene, der Gegner verlor allein im Juli rund 4000 Panzer -, aber Hitler wollte wieder, wie schon im Jahr 1941, nicht zur Kenntnis nehmen, daß damit das Kräftepotential der Sowjetunion keineswegs erschöpft war und daß sie über umfangreiche Reserven gebot. So wurden der Südoffensive bis zum August außer der 11. Armee auch vier schnelle Divisionen entzogen, darunter die besonders kampfstarke motorisierte Division "Großdeutschland". Damit standen der Südoffensive, die für ihre schwierigen und weitgesteckten Ziele eher eine Zuführung motorisierter Reserven benötigt hätte, nur noch 12 schnelle Divisionen zur Verfügung. Dies führte beispielsweise dazu, daß die 4. Panzerarmee trotz ihres klangvollen Namens bloß noch eine Kampfkraft besaß, die weit unter derjenigen einer früheren Panzergruppe lag. Am 12. August unterstanden der 4. Panzerarmee lediglich ein Panzerkorps und drei schnelle Divisionen, dazu ein deutsches und ein rumänisches Infanteriekorps. Wie die anderen Verbündeten waren zwar die Rumänen fallweise durchaus tapfere Soldaten, aber sie waren auf Grund ihrer mangelhaften Materialausstattung für einen anspruchsvollen Bewegungskrieg einfach nicht geeignet und einem gut ausgerüsteten Gegner hoffnungslos unterlegen. Angesichts der beengten Nachschubverhältnisse hätte es sich empfohlen, anstelle der deutschen und verbündeten Infanterie mehr schnelle Divisionen einzusetzen, denn die Infanterie mußte genauso versorgt werden, aber die schnellen Truppen brachten ungleich mehr Kampfkraft und Beweglichkeit auf die Waage. Zweitens wurde durch Hitlers Entscheidungen wieder einmal kostbare Zeit vergeudet, eines der wertvollsten Güter der operativen Kriegführung. Um möglichst 34 Zum Ablauf der Ereignisse Halder, KTB 111, passim; KTB OKW II, passim. Philippi/ Heim. MGFA, Weltkrieg VI, 868 ff. (Beitrag Wegner). Führerbefehl vom 13. 7. 1942 und Richtlinien des Führers vom 17. 7. 1942 in KTB OKW II/2, 1282 f., 1284. Dazu Halder, KTB III, 484 f., 486; der Führervortrag vom 23. 7. 1942 a. a. 0., 489. Führerweisung vom 23. 7. 1942 in Hubatsch, Weisungen, 227 ff. Halders Aufzeichnung vom 30. 7. 1942 in seinem KTB 111, 493 f.

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schnell den Vorstoß nach Stalingrad bewerkstelligen zu können, wollte Haider schon Mitte Juli im Lufttransport Betriebsstoff an den unteren Don bringen lassen, was freilich nur eine zusätzliche Aushilfe für die reguläre Versorgung auf dem Landweg darstellte. Als Hitler um den 23. Juli die Konzentration der Kräfte auf Rostow und in den Kaukasus befahl, hatte dies zur notwendigen Folge, daß auch wesentliche Teile des Nachschubs dorthin abgedreht wurden. Der Angriff auf Stalingrad kam daher, so etwa bei der 6. Armee im Nordteil des Donbogens, aus Mangel an Betriebsstoff und Munition für fast zwei Wochen ins Stocken. Haider zeichnete dazu am 29. Juli auf: "Führervortrag: Große Aufregung, weil 29. mot. Div. nicht angetreten und weil 6. Armee keine Brennstoffzufuhr. Unerträgliche Schimpferei über fremde Fehler, die nur Ausführung der von ihm selbst gegebenen Befehle sind (Zusammendrängung Rostow)." Als der Angriff wiederaufgenommen wurde, hatte der Gegner Zeit gewonnen, sich zu verstärken und für die Abwehr einzurichten. Drittens schließlich änderte sich nichts an der Aufspaltung der Offensive in zwei rechtwinklig auseinanderlaufende Angriffsrichtungen, und es änderte sich nichts an der Verzettelung unzureichender Kräfte. Die Zahl der ursprünglich vorhandenen operationsfähigen deutschen Divisionen war um rund ein Dutzend vermindert worden, die Zahl der schnellen deutschen Verbände um ein Viertel. Am 12. August besaßen die 1. Panzerarmee und die 17. Armee an deutschen Divisionen fünf schnelle und 11 infanteristische, dazu eine Anzahl wenig kampfkräftiger Verbände der Verbündeten. Damit sollten sie den Kaukasus überwinden sowie nach Baku und Baturn durchstoßen. Die 6. Armee und die 4. Panzerarmee besaßen am selben 12. August zusammen sieben schnelle Verbände und 14 infanteristische, dazu wiederum Verbündete. Damit sollten sie Stalingrad einnehmen, die Wolga sperren und eine haltbare Verteidigungsfront errichten. Dies alles ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß die Widerstandsfähigkeit der Roten Armee keineswegs gebrochen war und daß sie am 15. August über 245 Verbände in der Reserve verfügte. Gewiß sagen solche Zahlenvergleiche allein noch nicht alles aus; durch operative Kunst und Geschicklichkeit lassen sich viele Schwächen ausgleichen. Aber operative Kunst hätte in diesem Fall erfordert, einen klaren Schwerpunkt zu bilden, nämlich denjenigen auf Stalingrad, und dies geschah nicht. Wenn Stalingrad nicht rasch und vollständig eingenommen wurde, wenn die Stadt über längere Zeit berannt und belagert werden mußte, dann würde sich dort das Faß ohne Boden auftun, das die deutschen Kräfte aufzehrte, bis der Gegner seine Überlegenheit zum Tragen bringen konnte. Entsprechendes galt sodann für die deutschen Truppen vor dem Kaukasus, die für ein schnelles Vordringen zu den weitgesteckten Zielen mit Sicherheit die Voraussetzungen nicht mitbrachten, die Gefahr liefen, sich zu verschleißen, und die tödlich bedroht waren, wenn ihnen nicht mehr bei Stalingrad der Rücken freigehalten wurde. 35 35 Fernschreiben vom 31. 7. 1942 (Unterstellung 4. Panzerarmee) in KTB OKW II/2, 1285. Hitler über Abziehen schneller Divisionen Ende Juni in KTB OKW Il/ 1, 448 f., 451 f. Dazu Führerbefehl über Verlegung von Verbänden nach dem Westen, 9. 7. 1942, in KTB

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Daß die Offensive unter diesen Umständen voraussichtlich in einem Mißerfolg enden würde, hat Haider offenbar seit dem Juli erkannt. Er war deshalb gewillt, den Bruch mit Hitler herbeizuführen. Warum dies gerade jetzt geschah, ist leicht verständlich. Mitnichten trifft es zu, daß Haider erst jetzt einzusehen begann, der Ostfeldzug wie der Krieg insgesamt könne für Deutschland nicht mehr gewonnen werden. Haider hatte - wie andere auch - von vornherein gewußt, daß das Reich einem Krieg gegen Amerika, England und die Sowjetunion zugleich nicht gewachsen war. Schon das Unternehmen Barbarossa des Jahres 1941 hatte in den Augen des OKH lediglich dem Zweck gedient, der Sowjetunion die operative Angriffsfähigkeit zu nehmen und so ein späteres Überrollen des Reiches aus dem Osten zu verhindern. Daß dieses Ziel verfehlt worden war, daß die Sowjetunion ihre Allgriffsfähigkeit behielt und die Wehrmacht in Zukunft in einen zermürbenden Verschleißkrieg zwingen würde, wußte Haider spätestens seit Ende 1941. Den Ostkrieg würde die Wehrmacht sicher nicht mehr gewinnen; es kam nur noch darauf an, die Rote Armee möglichst lange von den Grenzen des Reiches fernzuhalten. Gemäß Halders strategischer Lageeinschätzung besaß die deutsche Seite im Osten längerfristig keine andere Wahl mehr als die Verteidigung, das Aufhalten der späteren sowjetischen Gegenoffensive, um nicht die Kriegsentscheidung durch den Vorstoß der Roten Armee bis Mitteleuropa herbeiführen zu lassen. Die Offensive des Jahres 1942 im russischen Süden vermochte an dieser Lage nichts Grundlegendes zu ändern; sie würde den Gegner nur begrenzt schädigen und im günstigen Fall der deutschen Seite höchstens einige Ölquellen einbringen. Immerhin bestand eine gewisse Aussicht, eine sachgerecht durchgeführte Offensive werde der Verteidigungsfähigkeit der Ostfront für die Zukunft keinen unerträglichen Abbruch tun. Mit den Entscheidungen Hitlers vom Juli 1942 zeichnete sich jedoch ab, daß die Offensive scheitern mußte, daß die aufgefrischten und operationsfähigen Teile des Ostheeres verschlissen wurden, daß die Ostfront für ihre Verteidigungsaufgabe in der Zukunft nicht gefestigt, sondern weiter geschwächt wurde und daß sie im nächsten Jahr den Angriffen der Roten Armee um so weniger gewachsen sein würde. Hitler arbeitete in seiner fachlichen Unfähigkeit dem Gegner wieder einmal in die Hände und bot ihm die Möglichkeit, den Abnützungskrieg an der Ostfront in absehbarer Zeit für sich zu entscheiden. Damit wollte Haider nichts mehr zu tun haben. Sein strategisches Ziel im Jahr 1941 war es gewesen, Deutschland den Krieg wenigstens nicht gegen die Sowjetunion verlieren zu lassen. Nunmehr schälte sich heraus, daß die Wehrmacht den Ansturm aus dem Osten voraussichtlich ebensowenig aufzuhalten vermochte wie denjenigen aus dem Westen, daß sie ihm im schlimmsten Fall sogar noch früher erliegen könnte. Dies würde nicht sogleich geschehen, so schwach war die Wehrmacht einstweilen noch nicht, aber die Ereignisse des Jahres 1942 hatten bis dahin OKW II/2, 1280 f. Zu den sowjetischen Verlusten KTB OKW Il/1, 583. Halder, KTB III, 497 f. Philippi/Heim, 135, 137, 157. Stärke der deutschen Armeen am 12. 8. 1942 nach KTB OKW II/2, 1378 (bei der dort aufgeführten 19. Panzerdivision handelt es sich in Wahrheit um die 13.). Haider Mitte Juli sowie am 29. 7. 1942 in seinem KTB III, 483, 493.

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gezeigt, daß Hitler nirgendwo klüger geworden war, daß er erneut auf allen Ebenen der militärischen Führungstätigkeit die Lage nicht einzuschätzen verstand, die eigenen Kräfte sowohl operativ und taktisch als auch organisatorisch verzettelte und schwächte, so daß keine Hoffnung mehr bestand, den fortschreitenden Zerfallsprozeß noch einmal aufzuhalten. Haider war ohnedies seit längerer Zeit nur aus Pflichtgefühl auf seinem Posten geblieben; wenn die Pflichterfüllung offenbar sinnlos wurde, war es an der Zeit, sie zu beenden. Außerdem sah der Generalstabschef keine Veranlassung mehr, seinen guten Namen für Hitlers Unfähigkeit herzugeben. Wo Dilettanten und politisierende Wichtigtuer den Gang der Dinge bestimmen, muß der Weise sein Haupt verhüllen. Haider hatte sich bislang, wie seit dem Winter, um einen behutsamen Umgang mit dem Diktator bemüht; nunmehr suchte er bewußt die Auseinandersetzung, die sich, wie er später berichtete, bis zur Siedehitze steigerte. Am 30. August zeichnete er noch einmal auf: "Die Besprechungen beim Führer waren heute wieder getragen von schweren Vorwürfen gegen die militärische Führung der obersten Heeresstellen. Geistiger Hochmut, Unbelehrbarkeit und Unfähigkeit, das Wesentliche zu erkennen, werden vorgeworfen." Am 9. September überbrachte ihm Keitel die Andeutung, er solle abgelöst werden; am 24. September verabschiedete ihn Hitler nach dem Lagevortrag mit den Worten, die fortwährenden Auseinandersetzungen hätten beider Nervenkraft verbraucht. Er, Hitler, sei entschlossen, auch im Heer seinen Willen restlos durchzusetzen. In Zukunft komme es nicht mehr auf das fachliche Können an, sondern auf den fanatischen Glauben an die Idee; zu diesem Bekenntnis müsse der Generalstab erzogen werden. Halders Nachfolger wurde auf Empfehlung Görings der wesentlich jüngere General Kurt Zeitzler, früher Stabschef der Panzergruppe Kleist, dann Stabschef beim Oberbefehlshaber West, an sich ein tüchtiger Offizier, dem man freilich wegen seiner nationalsozialistischen Einstellung im Generalstab mit Zurückhaltung begegnete. Die Ära Haider in der deutschen Landkriegführung war damit beendet; den Versuch Halders, den Krieg so fachmännisch zu führen, daß Deutschland möglichst wenig Schaden nahm bzw. nur den unvermeidlichen Schaden nahm, hatte Hitler zum Scheitern gebracht. Die Bahn in den Untergang war vorgezeichnet; daß Zeitzier etwas bewirken könnte, was Haider versagt geblieben war, durfte nicht erwartet werden. Wie die weiteren Ereignisse zeigten, trat es auch nicht ein. Diese weiteren Ereignisse sollen hier bloß beiläufig abgehandelt werden; die Kriegsgeschichtsschreibung unter dem fachmilitärischen Blickwinkel kann daraus nur lernen, wie die handwerklichen Regeln der Kriegskunst durch Dilettantenturn und politische Engstirnigkeit zu verderben sind. Die Auseinandersetzungen zwischen Hitler und den militärischen Fachleuten gingen nach Halders Ausscheiden weiter und blieben ebenso unergiebig wie zu seiner Zeit. 36 36 Zu Halders Entlassung sein KTB III, 513, 519, 528. Dazu Halder, Hitler, 50 ff. Ferner Warlimont I, 262 f., 269 ff. Engel, Heeresadjutant, 125 ff. MGFA, Weltkrieg VI, 953 ff. (Beitrag Wegner).

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Was sich Ende 1942 I Anfang 1943 an der Ostfront vollzog, beruhte auf Hitlers Entscheidungen: einerseits seiner strategischen Grundsatzentscheidung, 1942 noch einmal in die Offensive einzutreten, andererseits auf seinen fallweise getroffenen Einzelentscheidungen über bestimmte Maßnahmen und die Art ihrer Durchführung. Ein stimmiges Verhältnis zwischen dem strategischen Ganzen und seinen operativen oder taktischen Teilen vermochte Hitler nie herzustellen; ebensowenig wurden seine Einzelentscheidungen den Umständen gerecht. Der Entschluß zur Südoffensive 1942 hatte notwendigerweise zur Folge, daß die beiden anderen Heeresgruppen an der Ostfront von Reserven, namentlich von operationsfähigen Reserven entblößt und schon für die bloße Verteidigung sehr schwach wurden. Um ihre Verteidigungsfähigkeit zu stärken bzw. durch eine erhebliche Frontverkürzung Reserven freizumachen, hätte es sich angeboten, die beiden Frontvorsprünge von Demjansk und Rschew zu räumen. Da ausreichende Kräfte für ein Abschnüren der Einbuchtung von Toropez ohnedies nicht vorhanden waren, brachten die beiden Frontvorsprünge keinerlei Vorteil, sondern boten lediglich dem Gegner günstige Gelegenheiten, die deutschen Kräfte abzunützen. Hitler wollte sich dagegen die Möglichkeit offenhalten, die Verbindung zwischen Rschew und Demjansk durch einen Angriff auf Ostaschkow doch noch herzustellen. Ende Juni berauschte sich der Diktator an der Vorstellung, die Widerstandsfähigkeit des Gegners sei gering, so daß von der Südoffensive Kräfte abgezweigt und bei den Heeresgruppen Mitte und Nord ebenfalls schwere Schläge ausgeteilt werden könnten, insbesondere das Ostaschkow-Untemehmen ins Werk zu setzen sei. Die Oberbefehlshaber beider Heeresgruppen zeigten zwar daran kein rechtes Interesse, aber Hitler beharrte auf seiner Meinung und setzte im Juli noch eins drauf, als er den Abtransport der 11. Armee von der Krim zur Wegnahme Leningrads anordnete. Hitler glaubte, vieles auf einmal erraffen zu können; in Wahrheit verstieß er nur gegen die militärische Grundregel der Kräftekonzentration, zerstreute die Truppen in alle Winde und erzeugte nirgendwo den Schwerpunkt, der für einen Erfolg nötig war. Nennenswerte Gefahren entstanden für die Rote Armee vor den deutschen Heeresgruppen Nord und Mitte aus Hitlers Maßnahmen nicht. Die Widerstandsfahigkeit der sowjetischen Streitkräfte reichte für zweckdienliche Gegenmaßnahmen sehr wohl aus. Das Querverschieben der 11. Armee samt der Belagerungsartillerie von Sewastopo1 führte über rund 2000 km und dauerte etwa zwei Monate. Ware die 11. Armee nach Stalingrad gebracht worden, so hätte sie das Transportwesen weniger beansprucht und wäre schneller da gewesen. Außerdem blieb das Heranführen der 11. Armee zum Angriff auf Leningrad der sowjetischen Aufklärung nicht verborgen. Ende August begann deshalb ein russischer Gegenangriff auf den schmalen deutschen Flaschenhals, der bei Schlüsselburg am Ladoga-See den östlichen Teil des Einschließungsringes um Leningrad bildete. Was von der 11. Armee noch nach Leningrad herankam (eine Anzahl von Divisionen war unterdessen anderweitig verwendet worden), mußte nun zur Abwehr dieses sowjetischen Angriffs eingesetzt werden und blieb dabei gebunden, bis die Eroberung von Leningrad nicht mehr möglich war.

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Bei Heeresgruppe Mitte verliefen die Dinge ähnlich. Stalin hatte ohnedies nicht glauben wollen, daß die deutsche Offensive 1942 nach Süden gerichtet sei, sondern hatte einen Angriff gegen Moskau erwartet, gegebenenfalls in Form einer Umfassungsbewegung aus dem Raum Orel/ Kursk. Schon der deutsche Vorstoß nach Woronesch war in diesem Sinn gedeutet worden und hatte zu heftigen sowjetischen Gegenangriffen geführt. Ab Juli fanden dann fortwährend Angriffe gegen die Front der Heeresgruppe Mitte statt, die Anfang August zu Einbrüchen bei der 9. Armee im Vorsprung von Rschew führten. Hitler hatte sich vorgestellt, mit Hilfe von zwei Panzerdivisionen, die von der Südoffensive abgezweigt wurden, zunächst den Frontbogen von Suchinitschi abzuschneiden, der aus den Winterkämpfen übriggeblieben war, und anschließend zum Angriff gegen Ostaschkow anzutreten. Als die Krise bei Rschew eintrat, konnte das Suchinitschi-Unternehmen nicht mehr in der geplanten Form stattfinden, weil bereitgestellte Kräfte nach Rschew abgezogen werden mußten. Trotzdem beharrte Hitler auf seinem Vorsatz und wollte nunmehr mit wesentlich geringeren Kräften den SuchinitschiBogen abschneiden, überdies am Ostaschkow-Unternehmen festhalten. Daß dies nicht möglich sei, suchte ihm der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte, Kluge, am 7. August zu erklären, doch vermochte er gegen Hitlers Starrsinn nichts auszurichten. Wie nicht anders zu erwarten, blieb der Angriff in den Suchinitschi-Bogen nach geringen Anfangserfolgen liegen, und wegen der fortdauernden Kämpfe bei Rschew mußte ebenso der Angriff auf Ostaschkow unterbleiben. Hitler wurde durch die Ereignisse zu nichts anderem veranlaßt, als sich noch mehr in seiner laienhaften Unzulänglichkeit einzuigeln, indem er sie als Unfehlbarkeit ausgab. Halder, der den einzigen Nutzen des Suchinitschi-Unternehmens in einer Fesselung gegnerischer Kräfte erblickt hatte, verlangte am 24. August vom Diktator ein Zurückgehen bei Rschew, um die Truppe zu schonen, und erzeugte damit einen bösen Zusammenstoß mit gehässigen Ausfällen Hitlers. Entsprechenden Vorschlägen Kluges blieb der Diktator ebenso unzugänglich; statt dessen verfaßte er eigenhändig einen Führerbefehl vom 8. September über grundsätzliche Aufgaben der Verteidigung, in welchem er seine beschränkte Schützengrabenperspektive des Ersten Weltkriegs ausbreitete und wieder dasselbe einforderte, was er schon bei den vergangeneo Winterkämpfen zum Prinzip erhoben hatte: bedingungsloses Halten um jeden Preis. Eine bewegliche Verteidigung lehnte er ab; operatives Denken war ihm nicht zugänglich. Ob er mit seinen Primitivrezepten noch einmal so glimpflich davonkommen würde wie im vergangeneo Winter, mußte sich erweisen. 37

37 Hitlers Absichten im Juni 1942 nach KTB OKW II/ I, 445,448, 451 f., 460 f. Zum Angriff auf Leningrad auch Briefwechsel zwischen Heusinger und dem Stabschef der 11. Armee, in KTB OKW II/2, 1290 ff. Zur Lageeinschätzung auf sowjetischer Seite auch Knjazkow. Zu den Auseinandersetzungen wegen des Suchinitschi-Unternehmens und der Lage bei Rschew Ha1der, KTB III, 501 ff., 508 f., 510 f., 515 f. Warlimont I, 262 f. KTB OKW 11/2, 1286 f. Der Führerbefehl vom 8. 9. 1942 in KTB OKW 11/2, 1292 ff. Allgemein Philippi/ Heim. MOFA, Weltkrieg VI, 898 ff. (Beitrag Wegner). KTB OKW II I I, 72 ff.

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Bei der Südoffensive nahm Hitlers Wunschoperation, der Vormarsch zum Kaukasus, nach einiger Zeit das vorhersehbare Ende: Sie blieb stecken. Zwar gelang es ohne große Mühe, bis zum 9. August das kleine Ölgebiet von Maikop zu erreichen, aber die Förderanlagen waren zerstört und die Ölquellen einstweilen nicht zu benützen. Im Zusammenhang mit der vorhin erwähnten Unterstellung der 4. Panzerarmee unter die Heeresgruppe B zum Angriff auf Stalingrad war es Haider am 31. Juli gelungen, dem Diktator einen Operationsbefehl zu entlocken, der auch den Vorstoß zum Kaukasus regelte. Dort hieß es, nächste und wichtigste Aufgabe der Heeresgruppe A sei die schnelle Inbesitznahme der Schwarzmeer-Küste, um damit die feindliche Flotte auszuschalten und die Versorgung der eigenen Kräfte über See für die weiteren Operationen sicherzustellen. Zu diesem Zweck habe die 1. Panzerarmee mit den zunächst verfügbaren schnellen Verbänden (zwei Panzerkorps mit einer Panzer-, einer motorisierten, einer SS- und einer slowakischen Division) über Armavir auf Maikop vorzugehen, um sich hier mit Teilen den auf den Kaukasus zurückweichenden Feindkräften vorzulegen, mit Teilen über Tuapse an der Küste entlang auf Batum vorzustoßen. Später verfügbare schnelle Verbände (ein Panzerkorps mit zwei Panzerdivisionen) hätten die linke Flanke gegen den ostkaukasischen Raum zu schützen, desgleichen ein Infanteriekorps. Dieser Operationsbefehl und die Art seiner Durchführung sind nicht leicht zu deuten. Als erstes fällt auf, daß in Hitlers Weisung vom 23. Juli die Besetzung der Ostküste des Schwarzen Meeres zwar ebenfalls als wichtigste Aufgabe der Heeresgruppe A genannt wurde, daß es dort aber hieß, zugleich sei mit einer im wesentlichen aus schnellen Verbänden zu bildenden Kräftegruppe der Raum um Grosnyj zu gewinnen. Der Operationsbefehl vom 31. Juli dagegen verteilte die Gewichte ganz anders. Er setzte die Masse der Kräfte auf die östliche Schwarzmeerküste an, er ließ diesen Vorstoß in der linken Flanke lediglich abdecken, und von Grosnyj oder gar Baku war überhaupt nicht die Rede. Das erweckt den Eindruck, Haider habe die Möglichkeit schaffen wollen, daß die Heeresgruppe A sich vorerst auf die Inbesitznahme der Küste am westlichen Kaukasus konzentrierte und daß erst danach Operationen zum östlichen Kaukasus in Betracht kamen. Das Kräfteverhältnis schien dies nahezulegen, denn so konnten die wenig zahlreichen Truppen für ein leichter erreichbares Ziel zusammengefaßt und nach Erreichen des Ziels die weiteren Kämpfe wegen der gefestigten Versorgung einfacher geführt werden. Wahrscheinlich ist diese Deutung jedoch nicht vollständig. Mit Sicherheit wollte Haider die zurückflutenden Kräfte des Gegners durch einen Vorstoß nach Maikop am Kaukasus abfangen, aber die Besetzung der östlichen Schwarzmeerküste ließ sich nicht so leicht bewerkstelligen. Wie Speer berichtet, wurde Hitler von Haider darauf hingewiesen, daß die Küstenstraße vom Gegner leicht zu sperren und der Küstenstreifen für die Bewegung größerer Truppenmassen zu schmal sei. Sodann war der genannte Operationsbefehl vom 31. Juli insofern unbestimmt, als gewisse "Teile" über Tuapse an der Küste entlang auf Batum vorgehen sollten. Als solche "Teile" kamen zunächst eine SS-Division und eine slowakische Division in Frage,

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die indes wohl zu schwach waren, um den Weg über das Bergland nach Tuapse zu erkämpfen. Nun befanden sich freilich bei der Heeresgruppe A auch geeignete infanteristische Kräfte, so namentlich ein Korps mit Jägerdivisionen und ein Gebirgskorps. Trotzdem blieb die Besetzung der östlichen Schwarzmeerküste allein ein zweifelhaftes Unterfangen, denn der gesamte Kaukasusraum bildete operativ eine Einheit. Dieses natürliche Gebirgsbollwerk ließ sich am besten so überwinden, daß sowohl am Westkaukasus als auch am Ostkaukasus angegriffen wurde, zweckmäßigerweise überdies im Zentralkaukasus, wo zwei Straßen in den transkaukasischen Raum führten und die Möglichkeit eröffneten, die Kaukasusfront von rückwärts aufzurollen. Nur auf diese Weise konnte der Gegner überall gefesselt, das Verschieben seiner Truppen verhindert und der Durchbruch erzwungen werden. Für eine solche Operation reichten die deutschen Kräfte nicht aus, weder an Divisionen noch an Nachschub. Am 13. August meldete der Generalquartiermeister Wagner dem Diktator, das Panzerkorps am Ostflügel des Kaukasus-Angriffs habe nun wieder für 100 km Treibstoff. Ein einzelnes Panzerkorps, das sich nur 100 km bewegen konnte, besaß für den Gegner wenig Schrecken. Vermutlich wollte Haider mit dem Operationsbefehl vom 31. Juli lediglich die Südflanke des Angriffs auf Stalingrad abschirmen und zu diesem Zweck den weichenden Gegner am Kaukasus abfangen. Wenn sich darüber hinaus die Gelegenheit bot, durch die Zusammenfassung der Kräfte am Westkaukasus dort die Schwarzmeerküste zu erreichen, so bildete dies eine willkommene Zugabe. Das Unternehmen schien sich anfangs erfolgversprechend zu entwickeln. Die 17. Armee ging aus dem Raum von Rostow auf den Unterlauf des Ausses Kuban am nordwestlichen Kaukasus vor, nahm am 9. August Krasnodar und näherte sich Noworossijsk, das allerdings erst Anfang September besetzt wurde. Bis dahin fand auch das Überqueren der Meerenge von Kertsch statt, das Hitler früher einmal angeordnet, dann zum größten Teil wieder abgeblasen hatte, so daß es nur noch von wenigen Divisionen vorgenommen wurde. Die 1. Panzerarmee ging östlich der 17. Armee an das Kuhan-Knie vor, verlegte dem ausweichenden Gegner durch einen Stoß über Armavir den Rückweg und stand Mitte August am Kaukasus. Das Oberkommando der Heeresgruppe A legte am 9. August die weiteren Absichten fest, wonach die 17. Armee die Schwarzmeerküste am westlichen Kaukasus besetzen und die 1. Panzerarmee zum Ostkaukasus, nach Grosnyj und Baku, vorstoßen sollte. Dies stand sicher in Übereinstimmung mit Hitlers Weisung vom 23. Juli. Ob der Diktator auch unmittelbar auf die Willensbildung der Heeresgruppe A Einfluß nahm, läßt sich für das Datum des 9. August nicht entscheiden, man darf es aber vermuten, da ab dem 12. August eine solche Einflußnahme quellenmäßig nachweisbar ist. Hitler wollte nun die Ölgebiete am Ostkaukasus besetzen, so daß er bei Maikop das stärkere der beiden Panzerkorps abzog und an den Ostflügel der 1. Panzerarmee verschob. Damit wurde jedenfalls das Bilden eines Schwerpunkts zur Gewinnung der Schwarzmeerküste verhindert, was Hitler noch verschärfte, indem er in allerlei wirren Anordnungen auch mit anderen Divisionen und sonstigen Kräften herumjonglierte.

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Ob das Besetzen der Schwarzmeerküste bei einer Zusammenfassung der Kräfte am Westkaukasus möglich war, bleibe dahingestellt; man wird aber jedenfalls sagen dürfen, daß für den langen Weg nach Batum die drei schnellen deutschen Divisionen benötigt wurden, die in das Gebiet von Maikop vorgerückt waren und die den Kaukasus auf der Straße nach Tuapse überschreiten mußten. Der Angriff auf Tuapse ließ sich unterstützen und entlasten, indem die 17. Armee auf Noworossijsk vorging und so den Küstenstreifen von Norden öffnete, ferner durch einen Angriff von Gebirgsjägern über den Hochkaukasus auf Suchumi, der die russische Verteidigung von Tuapse im Rücken bedrohte. Diese drei Angriffsrichtungen wurden auf deutscher Seite tatsächlich festgelegt, aber der Kräfteansatz wurde von Hitler durcheinandergebracht Bei Tuapse hätten vier schnelle Divisionen den Kaukasus überschreiten und nach Batum vordringen können; jetzt fehlten eine Panzer- und eine motorisierte Division. Da schnelle Verbände im Gebirgskampf naturgemäß benachteiligt sind, bedurften sie der Unterstützung durch infanteristische Kräfte. Hierfür stand das Korps mit Jägerdivisionen zur Verfügung, das Haider durch eine Infanteriedivision verstärken wollte. Hitler glaubte letztere nicht mehr zu benötigen und verlegte sie an die Don-Front. Den Schwund von drei kampfstarken Divisionen suchte er auszugleichen, indem er das Korps, das auf Noworossijsk angesetzt war, halbierte und eine Hälfte vor Tuapse einsetzte. Doch brachte auch dies keinen Gewinn, da das halbierte Korps nur langsam gegen Noworossijsk vorankam, den Nordeingang zum Küstenstreifen am Schwarzen Meer nicht zu öffnen vermochte und daher die Kräfte vor Tuapse nicht entlastete. Kam man bei Tuapse nicht voran, so hing auch der Vorstoß der Gebirgsjäger in den Hochkaukasus in der Luft, denn dieser war wiederum auf das Zusammenwirken mit den Kräften von Tuapse angelegt. Die Eingriffe Hitlers führten im Endergebnis dazu, den Vorstoß an die Ostküste des Schwarzen Meeres zu schwächen und schließlich versanden zu lassen. Der Angriff blieb bei Noworossijsk ebenso liegen wie vor Tuapse und Suchumi; daß Gebirgsjäger am 21. August den höchsten Berg des Kaukasus, den Elbrus, bestiegen, hatte eher bergsteigensehe als militärische Bedeutung. Gegen Ende August begann Hitler einzusehen, daß sich zwischen seinen Wünschen und der Wirklichkeit eine Kluft auftat. Wie üblich, suchte er die Schuld nicht bei sich, sondern bei anderen, in diesem Fall vorzugsweise beim Oberbefehlshaber der Heeresgruppe A, Feldmarschall List, weil dieser angeblich seine Befehle nicht befolgt habe. In sachlicher Hinsicht erlitt er allerdings diesmal eine Abfuhr. Jodl wurde zu Gesprächen im Hauptquartier von List am 7. September entsandt und kehrte mit dem Ergebnis zurück, List habe sich streng an die von Hitler erteilten Befehle gehalten, was Jodl dem Diktator offenbar auch vortrug. Das lief darauf hinaus, daß Hitler selbst die Kaukasus-Operation verpfuscht hatte, wie er bisher schon den ganzen Ostfeldzug verpfuscht hatte, und möglicherweise blitzte diese Erkenntnis für einen Augenblick auch in Hitlers Gehirn auf. Sofern er dadurch in Selbstzweifel gestürzt wurde, überwand er sie rasch und auf die bewährte Weise, indem er am Tag darauf, am 9. September, List entließ und selbst den Oberbefehl über die Heeresgruppe A übernahm. Außerdem trug er sich zeitweise mit dem Ge-

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danken, außer Haider auch die Häupter des OKW auszuwechseln, d. h. Keitel, Jodl und Warlimont, wobei vor allem Jodl wegen seiner Unverfrorenheit den Zorn des Führers auf sich zog. Hitler muß durch den Verweis auf seine eigene Unzulänglichkeit tatsächlich eine Art Schock erlitten haben, denn er mied fortan den geselligen Umgang mit den Generalen, ließ die Lagebesprechungen in eisiger Stimmung ablaufen, was wenigstens den Vorteil hatte, daß sein hohles Gerede verkürzt wurde, und zog sich zeitweise in die Einsamkeit seiner Blockhütte in Winniza zurück, bis das Hauptquartier Ende Oktober wieder nach Ostpreußen verlegt wurde. Um seine eigene Unfehlbarkeit nachzuweisen, forderte Hitler die Vorlage aller Befehle an die Heeresgruppe A und ließ fortan seine Besprechungen mitstenographieren, damit man ihm nicht noch einmal, wie er meinte, die Worte im Munde herumdrehe. Bemerkenswert sind die Ereignisse hauptsächlich deswegen, weil sie erneut all das bestätigten, was spätestens seit dem Frankreichfeldzug immer wieder zutage getreten war und in diesen Untersuchungen schon ausführlich dargelegt wurde: Hitler war auf Grund seiner charakterlichen und geistigen Unzulänglichkeit zum sachgerechten Kriegführen ebenso außerstande wie zu einer vernunftgemäßen, auf Augenmaß beruhenden Politik. Halder hatte dies als einer der ersten erkannt, andere waren ihm mittlerweile gefolgt, aber das einzige Aushilfsmittel, den Diktator selbst und die Diktatur insgesamt mit Gewalt zu beseitigen, scheiterte daran, daß in der fortschreitenden Zersplitterung der Führungseinrichtungen das Bilden eines schlagkräftigen Widerstandszentrums immer schwerer wurde, daß Hitler die kritischeren und selbständigeren Köpfe, denen der Gedanke des Staatsstreichs von früher her noch vertraut war, allmählich entfernte, so Leeb, Hoepner, dann Bock, List und Halder, schließlich scheiterte es wenigstens zum Teil wohl auch daran, daß die Befehlshaber mit der Abwehr des Gegners alle Hände voll zu tun hatten und nicht die Standfestigkeit der Front durch ungewisse Experimente im Innern aufs Spiel setzen wollten. Unterdessen war auch der Angriff zum Ostkaukasus steckengeblieben. Für das Panzerkorps, das Hitler von Maikop an den Ostflügel der 1. Panzerarmee verschoben hatte, war anschließend kein Treibstoff vorhanden, so daß es einige Zeit nutzlos herumstand (vorher hatte es natürlich noch kostbaren Treibstoff bei einem langen und überflüssigen Verlegungsmarsch hinter der Front verbraucht). Nachdem seit Mitte August die Absicht des Gegners deutlich geworden war, das Ölgebiet von Grosnyj und den Ostkaukasus am Fluß Terek zu verteidigen, reichten die deutschen Kräfte für einen schnellen Vorstoß nicht aus. Die 1. Panzerarmee kam zwar bis Ende August an den Terek heran, aber von da an wurde die Fruchtlosigkeit weiterer Angriffe gegen den im Terek-Bogen sich fortlaufend verstärkenden Gegner unübersehbar. Da Hitler weiter drängte, zogen sich die Kämpfe noch bis in den November hin, ohne daß Grosnyj ernsthaft in Gefahr geriet. 38 38 Der Operationsbefehl für den Kaukasus (Femschreiben des OKH/Gen.St.d.H., 31. 7. 1942) in KTB OKW II /2, 1285. Speer über Haider in Speer, Erinnerungen, 252. Zum

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Es blieb Stalingrad. Die volkstümliche Meinung, der bekannte Untergang der 6. Armee in Stalingrad bezeichne den Wendepunkt des Krieges, ist zwar insofern falsch, als grundlegende strategische Weichenstellungen schon viel früher erfolgt waren. Geht man allein vom Kriegspotential aus, so war der Krieg für Deutschland von dem Augenblick an verloren, wo sich eine Gegnerkoalition aus den USA, Britannien und Sowjetrußland zusammenschloß. Betrachtet man lediglich den deutsch-russischen Krieg, so hatte eine verläßliche Aussicht auf den Sieg in dem Sinne, daß der sowjetische Staat zusammenbrach oder zum Frieden genötigt wurde, von vomherein nicht bestanden. Dieser Krieg hätte allenfalls in dem Sinne gewonnen werden können, daß Rußland bis zur Wolga besetzt und so für geraume Zeit unfähig gemacht wurde, das Reich zu bedrohen. Dieses Ziel, welches das OKH vertreten hatte, entschwand mit dem Scheitern des Feldzugs von 1941. Von da an konnte die Sowjetunion in gar keiner Weise mehr besiegt werden; der Ostkrieg mußte längerfristig zu einem bloßen Durchhaltekrieg werden, in welchem die deutsche Seite lediglich versuchen konnte, ein strategisches Unentschieden, eine Pattsituation, möglichst lange zu erhalten. Trotzdem hat jene volkstümliche Meinung (Stalingrad als Wende) eine gewisse innere Berechtigung, und zwar in zweierlei Hinsicht. Einerseits, mehr vordergründig, begann nun auch für den militärischen Laien, dem taktische Einzelereignisse wie eine verlorene Schlacht leichter faßlich sind als operative oder strategische Zusammenhänge, erkennbar zu werden, daß Hitlers Kriegführung in der Sackgasse gelandet war. Der propagandistische Ruhm von Hitlers Feldherrnturn zerstob, seine wirkliche Unfähigkeit trat an den Tag. Jetzt vermochte niemand mehr zu behaupten, Hitler habe eigentlich die richtigen Ideen gehabt oder er habe gar, wie angeblich im Winter 1941142, die Ostfront gerettet. Als Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Oberbefehlshaber des Heeres, zeitweise auch noch Oberbefehlshaber der Heeresgruppe im Kaukasus traf offenkundig ihn die Verantwortung für das Scheitern des Feldzugs von 1942 wie für die Katastrophe von Stalingrad; tatsächlich war allein er es, der die 6. Armee in den Untergang trieb. Andererseits, und dies ist der grundlegendere Sachverhalt, zogen die Ereignisse im Umkreis von Stalingrad sehr wohl eine Veränderung der strategischen Lage nach sich, wenngleich nur eine graduelle. Bei sachgerechter Durchführung der Südoffensive von 1942 war es nicht ausgeschlossen, die strategische Pattsituation noch eine Zeitlang aufrechtzuerhalten, d. h. den Gegner tief im eigenen Gebiet festzunageln. Mit dem Zusammenbruch von Stalingrad jedoch gewann die Rote Armee die Oberhand; sie würde in Zukunft das Gesetz des Handeins an der Ostfront diktieren, und der geschwächten Wehrmacht würde die Abwehr zunehmend schwerer fallen. Seitdem Hitler die Südoffensive von 1942 verpfuscht hatte, bestand keine angemessene Kräftegrundlage mehr für den Angriff auf Stalingrad. Die betreffenden Befehlshaber, Weichs (Heeresgruppe B), Paulus (6. Armee) und Hoth (4. PanzerarAblauf der Ereignisse Halder, KTB III, 494, 504, 508, 513 f., 518 f., 520 ff. KTB OKW li/ I, 573 ff., 587 ff., 690 ff., 695 ff., 703 ff. Warlimont I, 267 ff. Görlitz, Keitel, 305 ff. Stumpf, Elite, 317 ff. Philippi/Heim, 147 ff.

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mee), hielten zunächst trotzdem an diesem Ziel fest, teils weil Hitler es ihnen vorgab, teils weil die operative Lage den äußersten, auch riskanten Einsatz zu gebieten schien. Die Lage wies eine gewisse Ähnlichkeit mit derjenigen vor Moskau im Herbst 1941 auf: Der Angriff hätte eigentlich eingestellt, die Heeresgruppe A am besten aus dem Kaukasus zurückgezogen werden müssen. Da letzteres ausschied, war die Heeresgruppe A darauf angewiesen, daß ihr die Heeresgruppe B den Rükken freihielt, wozu der Gegner an Don und Wolga gefesselt, die Landbrücke zwischen Don und Wolga gesperrt und jedenfalls die Wolga bei Stalingrad erreicht werden mußte. Wegen der Schwäche der deutschen Kräfte konnte indes Stalingrad weder schnell noch vollständig besetzt werden. Die 6. Armee kämpfte sich im August im Donbogen voran, überschritt den Don und erreichte am 23. August mit ihrem einzigen Panzerkorps (eine Panzer-, zwei motorisierte Divisionen) die Wolga dicht nördlich Stalingrad. Die 4. Panzerarmee ging südöstlich des Donbogens vor, stellte am 3. September dicht westlich der Stadt die Verbindung zur 6. Armee her und erreichte am 10. September das Wolgaufer hart südlich Stalingrad. Von da an begann der Kampf um das Stadtgebiet von Stalingrad selbst, nunmehr ausschließlich von der 6. Armee geführt, welcher dazu - außer ihrer eigenen Infanterie und ihrem Panzerkorps- auch schnelle Verbände der 4. Panzerarmee unterstellt wurden. Zur vollständigen Einnahme des Stadtgebiets führten die Kämpfe nicht, dafür ließen sie aber die eingesetzten Truppen allmählich ausbrennen. Die Fortsetzung des Angriffs in die Stadt wurde damit zunehmend sinnlos, zumal die Kräfte benötigt wurden, um eine Verteidigungsfront an der Landbrücke zwischen Don und Wolga ausreichend zu besetzen. Anfang Oktober schlugen deshalb Weichs und Paulus vor, den Kampf um die Stadt einzustellen und die Landbrücke zwischen Don und Wolga nicht mehr nördlich Stalingrad zu sperren, sondern diese Linie zurückzunehmen bis an das Wolgaknie bei Beketowka südlich Stalingrad, wo sie Anschluß an die zum Kaukasus verlaufende Front fand. Dem Vorschlag stimmten auch Zeitzier und Jodl zu. Anders wieder einmal Hitler. Er wollte jetzt Stalingrad unbedingt erobern, teils aus propagandistischen Gründen im Innern, wo das Volk an seinem "Führertum" bereits irre zu werden begann, teils um nach außen, gegenüber Verbündeten und Neutralen, keine Schwäche zu zeigen, teils wohl auch aus jenen weltanschaulichen Gründen, die schon im Jahr 1941 eine Rolle gespielt hatten: Stalingrad galt dem Diktator, ähnlich wie Leningrad, als Symbolort des Bolschewismus; wenn mit dem Fall von Stalingrad der Kommunismus seines Heiligtums beraubt werde, so meinte Hitler, dann werde auch die seelische Widerstandskraft des russischen Volkes erlahmen. Diese Begründungen zeigen einmal mehr die Eigenheiten des Hitlerschen Denkstils: Ohne Rücksicht auf die Tatsachen, ohne Rücksicht auf die Logik wurde eine Scheinwelt errichtet und gewaltsam aufrechterhalten. Die Tatsachen verlangten gebieterisch, die Front an Don und Wolga abwehrbereit zu machen, sonst lief sie Gefahr, bei einem sowjetischen Gegenangriff zersprengt zu werden. Trat dies ein, so war der Schaden, selbst auf der Ebene von Hitlers Argumenten, unvergleichlich größer: Hitlers Ansehen nach innen und außen würde dann noch viel mehr verfal-

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Jen, und der Gegner würde durch seinen Erfolg erst recht beflügelt werden. Aber solch einfache Schlußfolgerungen zu ziehen, war Hitler nicht fähig oder nicht willens. Dabei hat er, wenigstens im Grundsatz, nicht geleugnet, daß bei Stalingrad Gefahren drohten. Schon im September hegte er starke Sorgen um die Donfront, und Anfang November ließ er eine Panzerdivision sowie zwei Infanteriedivisionen aus dem Westen zur Heeresgruppe B verlegen. Doch gerade solche Dinge bestätigten nur seine Unzulänglichkeit. Die Sorgen um die Donfront gingen von den Verbündeten aus, die im Laufe der Zeit mit drei Armeen an der Donfront aufmarschierten und alsbald ihre ohnedies bekannte geringe Kampfkraft unter Beweis stellten. Zweckdienlich verwendet, vermochten die Verbündeten die deutschen Truppen bis zu einem gewissen Grad zu entlasten, mehr nicht. Wenn sie, wie es tatsächlich geschah, in national geschlossenen Großverbänden (Armeen) eingesetzt wurden, bedurften sie der Verstärkung und Stützung durch deutsche Truppen, um das Fehl an Kampfkraft auszugleichen. Die wenigen Divisionen, die Hitler bis zum Herbst dafür abzweigte, genügten bei weitem nicht, außerdem fehlten sie dann an anderen Stellen. Die drei Divisionen, die Hitler Anfang November aus dem Westen in Marsch setzen ließ, kamen zu spät. Darüber hinaus waren im Westen durchaus noch Reserven vorhanden, so namentlich fünf schnelle Divisionen, die Hitler jedoch einstweilen nicht da verwenden wollte, wo sie wirklich benötigt wurden. Bei Stalingrad und am Kaukasus ließ er weiterhin angreifen, obwohl die Truppen dadurch nur nutzlos verschlissen und Kräfte festgelegt wurden, welche die Abwehr hätten verstärken können. Statt der Front die Mittel und Freiheiten für eine erfolgreiche Abwehr zu geben, griff er wieder auf sein bekanntes Halte-Rezept zurück. In einem Operationsbefehl des Führers vom 14. Oktober, der sich mit der Kampfführung im kommenden Winter befaßte, hieß es: "Bei feindlichen Angriffen gibt es kein Ausweichen oder operative Rückwärtsbewegungen ... Abgeschnittene oder eingeschlossene Teile haben sich so lange zu verteidigen, bis sie entsetzt werden ... Für die bedingungslose Durchführung dieser Forderungen haften mir die Kommandeure." Nach diesem Muster spielte sich dann der Untergang der 6. Armee in Stalingrad ab. 39 Hitlers Verzettelung der Kräfte war nach allen Regeln der Kriegskunst unangemessen, da sie den Feind zu Gegenangriffen geradezu einlud, und sie wäre selbst dann unangemessen gewesen, wenn nicht die bisherige Erfahrung gelehrt hätte, daß die Rote Armee keine Gelegenheit zum Gegenangriff ausließ. Wie der eben erwähnte Operationsbefehl zeigt, rechnete Hitler aber sehr wohl mit Gegenangriffen, und zwar auch bei Stalingrad. Die Verzettelung der Kräfte wurde damit doppelt unangemessen. Das erkannte auch der neue Generalstabschef Zeitzler, der dem Diktator am 9. Oktober vortrug, die derzeitige Ruhe an großen Abschnitten der Ost39 Zum Stimmungsumschwung in der Bevölkerung wegen Stalingrad Steinen, Gesellschaft. Der Vorschlag von Weichs und Paulus Anfang Oktober sowie Hitlers Gründe für die Eroberung von Stalingrad nach KTB OKW II I 1, 66 f. Engel, Heeresadjutant, 129 f. Hitlers Sorgen wegen der Donfront nach Halder, KTB III, 523. Die Verlegung von Westdivisionen in den Osten sowie der Operationsbefehl vom 14. 10. 1942 in KTB OKW II/2, 902, 1301 ff.

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front lasse sich entweder so deuten, daß der Russe Verbände zur Auffrischung aus der Front gezogen habe, oder so, daß er sie nur weggezogen habe, um sie an anderer Stelle massiert, vielleicht im Rahmen einer Winteroffensive, einzusetzen. Zeitzier zog daraus den einzig richtigen Schluß, die Bildung eigener Reserven sei unter solchen Umständen besonders wichtig. Eben dies wurde versäumt; soweit Reserven überhaupt gebildet wurden, blieben sie entweder viel zu schwach oder sie kamen zu spät. Im Grunde tat Hitler wieder dasselbe, was er im Winter 1941 I 42 getan hatte: Er ließ die Truppe so lange angreifen, bis sie erschöpft war, und verlangte dann von ihr, sie müsse mit unzureichenden Mitteln überdehnte Fronten halten. Ein Versagen der deutschen Aufklärung läßt sich dafür ebensowenig verantwortlich machen wie im vergangeneo Winter. Daß die Stärke der Roten Armee ziemlich genau bekannt war, zeigen die früher genannten Zahlen; und als die Rote Armee zum Angriff aufmarschierte, wurde der Aufmarsch erfaßt. Mehr darf von der Aufklärung billigerweise nicht erwartet werden; daß die Aufklärung sämtliche Einzelheiten der gegnerischen Planung entschlüsseln könne, ist eine laienhafte Vorstellung. Wenn Haider Anfang September aus gewissen Einzelerscheinungen den Schluß zog, der Gegner verfüge im Augenblick nicht über operative Reserven, so war das zu dieser Zeit wahrscheinlich richtig, weil die aus Neuaufstellungen bestehende strategische Reserve erst allmählich operativ verwendbar wurde. Wenn Haider Ende September den Staatssekretär im Auswärtigen Amt Weizsäcker angeblich dahingehend unterrichtete (die Aufzeichnung stammt von Weizsäcker, nicht von Halder), der Russe sei zu sehr geschwächt, um uns etwa so wie im letzten Winter gefährlich werden zu können, dann war dies strategisch nicht falsch. Denn im vergangeneo Winter hatte der Gegner durch den Angriff am Wolchow in Richtung Leningrad, durch den Vorstoß in Richtung Wjasma und Smolensk sowie durch den Angriff bei Isjum in Richtung auf den Dnjepr alle drei deutschen Heeresgruppen zu zerschlagen getrachtet. Diesmal jedoch würde der Gegner voraussichtlich nicht in derselben Weise gefährlich werden, denn zwar schwebte ab dem Herbst 1942 der Südflügel der Ostfront in Gefahr, aber dem Gegner würden die Kräfte fehlen, um zugleich den Rest der Ostfront an den Rand der Niederlage zu bringen (was tatsächlich auch nicht eintrat). Die Rote Armee brachte bis zum Herbst ihre Reserven in verwendungsfähigen Zustand und marschierte damit vor der Heeresgruppe Mitte sowie bei Stalingrad auf. Während bei Heeresgruppe Mitte Fesselungsangriffe geplant waren, sollte der Hauptstoß im Süden geführt werden. Dies bot sich geradezu von selbst an, denn im Süden waren die deutschen und verbündeten Kräfte insgesamt schwach oder jedenfalls für eine erfolgreiche Verteidigung zu schwach, sie waren darüber hinaus zu großen Teilen erschöpft und in einer extrem ungünstigen Aufstellung verteilt. Am weitesten nördlich stand die 2. deutsche Armee bei Woronesch, am Don nach Süden voranschreitend folgten die 2. ungarische Armee, die 8. italienische Armee und die 3. rumänische Armee, auf der Landbrücke zwischen Don und Wolga sowie bei Stalingrad stand die 6. Armee und südlich davon die 4. Panzerarmee mit der

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4. rumänischen Armee. Um die Verbündeten zu stützen, waren am 15. November im Bereich der 2. ungarischen Armee zwei deutsche Infanteriedivisionen vorhanden, bei der 8. italienischen Armee ebenfalls zwei deutsche Infanteriedivisionen, bei der 3. rumänischen Armee nominell ein deutsches Panzerkorps, das tatsächlich kaum Kampfkraft besaß, und bei der 4. rumänischen Armee südlich Stalingrad konnte von den wenigen deutschen Divisionen, die der 4. Panzerarmee verblieben waren, nur noch eine motorisierte Division als Reserve eingesetzt werden. Damit mußten der größte Teil der Donfront sowie die Flanken der 6. Armee, was die Kampfkraft angeht, als weitgehend entblößt gelten, denn die Verbündeten vermochten einem massierten sowjetischen Angriff schwerlich standzuhalten, die Handvoll deutscher Divisionen ebensowenig, und das Panzerkorps bei der 3. rumänischen Armee stellte in Wahrheit ein Potemkinsches Dorf dar. Es bestand lediglich aus der 22. deutschen Panzerdivision, die Teile anderswohin abgegeben hatte und nicht aufgefrischt war, so daß sie nur den Torso einer Division bildete, dazu aus der 1. rumänischen Panzerdivision, die eher den Charakter eines Übungsverbandes hatte. Der sowjetische Operationsplan richtete sich an diesen Sachverhalten aus. Entworfen wurde der Plan von General (später Marschall) Schukow, im vergangenen Winter Verteidiger Moskaus und jetzt als Stellvertreter des Oberbefehlshabers Stalin mit der Verteidigung von Stalingrad beauftragt, sowie vom neuen Generalstabschef Wassilewski. In einem ersten Schritt (Deckname "Uranus") sollte der deutsche Frontvorsprung bei StaUngrad abgeschnitten werden. Hierzu hatten starke Kräfte bei der 3. und 4. rumänischen Armee durchzubrechen, sich bei Kalatsch am Don zu treffen und so die beidseitige Umfassung zu vollenden. Die Kräfte, die an den beiden Durchbruchsstellen zusammengezogen wurden, besaßen eine zahlenmäßige Überlegenheit, die sich personell auf das Zwei- bis Zweieinhalbfache, bei Artillerie und Panzern auf rund das Fünffache belief. In einem zweiten Schritt (Deckname "Saturn") sollte ein Durchbruch bei der italienischen 8. Armee einen Vorstoß nach Rostow einleiten, um der Heeresgruppe A den Rückweg vom Kaukasus zu verlegen und schließlich den ganzen Südflügel der deutschen Ostfront zu zerschlagen. Der Aufmarsch für das Unternehmen "Uranus" begann in der zweiten Oktoberhälfte und blieb der deutschen Aufklärung nicht verborgen. Da zugleich Kräfte vor der Heeresgruppe Mitte zusammengezogen wurden und dort ein stärkerer Schwerpunkt entstand als bei Stalingrad, vermutete die deutsche Aufklärung den sowjetischen Hauptangriff zeitweise bei Heeresgruppe Mitte. Ein Angriff gegen Stalingrad wurde dabei nicht ausgeschlossen, entsprechend dem Stand des sowjetischen Aufmarsches wurde er jedoch anfangs als nicht unmittelbar bevorstehend angesehen. In diesem Sinne hieß es in einer Feindlagebeurteilung aus GehJens Generalstabsabteilung vom 6. November, die russischen Angriffsvorbereitungen im Süden seien noch nicht so weit fortgeschritten, daß hier in Kürze mit einer großen Operation zu rechnen sei. Es lägen jedoch keine Unterlagen vor, daß der Russe den zweifellos seine bisherige Gedankenbildung beeinflussenden Stoß über den Don ganz aufgegeben habe. Am 12. November stellte GehJens Abteilung dann 9 Rauh, Zweiter Weltkneg 3. Teil

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fest, vor der Heeresgruppe B zeichneten sich die schon seit längerer Zeit vermuteten Angriffsabsichten allmählich deutlicher ab. Eine Beurteilung der feindlichen Gesamtabsicht sei noch nicht möglich, doch müsse mit baldigem Angriff gegen die 3. rumänische Armee gerechnet werden. Solche Aufklärungsmeldungen reichten als Grundlage für die zu fassenden Entschlüsse vollständig aus. Wenn die Aufklärung ermittelt, was der Gegner hat, wo er steht und was er tun kann, dann hat sie ihre Aufgabe erfüllt. Es ist alsdann die Aufgabe einer sachgerechten, stabsmäßig organisierten Führungstätigkeit, die notwendigen eigenen Gegenmaßnahmen zu berechnen und in die Wege zu leiten. Wie solches geschehen kann, wurde in diesen Untersuchungen an früherer Stelle fallweise dargelegt. Als der Krieg gegen Polen bevorstand, hatte Haider errechnet, wie und in welcher Zeit sich ein Aufmarsch der Westmächte für eine Offensive vollziehen könne und welche deutschen Kräfte in welcher Zeit für die Abwehr bereitzustellen seien. Seitdem Hitler das Heft in die Hand genommen hatte, traten an die Stelle derart sachgerechter Überlegungen die sprunghaften, kurzsichtigen und willkürlichen Eingebungen eines Diktators, der nicht etwa bloß einzelne Fehler beging, wie sie jedermann unterlaufen mögen, sondern der sich mit Vorsatz über alle organisatorischen und sachkundlichen Errungenschaften des Militärwesens hinwegsetzte. Zeitzier wies Anfang Oktober auf die Notwendigkeit von Reserven hin; er schlug Ende Oktober vor, gegen die Gefahr eines russischen Angriffs über den Don winterbewegliche Eingreifdivisionen hinter der Front bereitzuhalten; er legte dem Diktator am 2. November eine Karte über die Verteilung der russischen Panzerkräfte vor, denn für eine Offensive waren immer Panzer wichtig, wobei sich aus der Karte ein klarer Schwerpunkt bei Stalingrad ergab; und er hatte am 7. November eine größere Auseinandersetzung mit Hitler über die bedrohliche Lage bei Stalingrad. Anscheinend erwähnte Zeitzier dabei auch die eher belanglose Agentenmeldung, in Moskau sei noch für dieses Jahr eine große Offensive beschlossen worden. Daraus folgt keineswegs, daß Zeitzier - wie behauptet wurde - den Stand der sowjetischen Vorbereitungen grotesk verkannte. Sondern der Generalstabschef erinnerte den Diktator noch einmal daran, daß es nun wirklich allerhöchste Zeit war, etwas Vernünftiges zu unternehmen. Nach einer anderen Quelle sprach nämlich Zeitzier die Gefahren an, die aus der russischen Truppenkonzentration am Donbogen erwuchsen. Hitler erwiderte, es sei seine alte Erfahrung, daß der Generalstab den Gegner grundsätzlich überschätze. Polen und Frankreich seien in diesem Zusammenhang eine einzige Blamage gewesen. Zeitzier mag das Format eines Haider nicht erreicht haben, aber er beherrschte die Generalstabsarbeit, vermochte eine Lage sachgerecht zu beurteilen und hat den Diktator gewarnt. Nichtsdestoweniger befahl Hitler noch am 17. November die Fortsetzung des Angriffs im Stadtgebiet von Stalingrad, unterband so das Beziehen einer kräftesparenden Abwehrlinie und tat alles, um dem Gegner die Offensive zu erleichtern. Wie Haider früher vorexerziert hatte, wären rechtzeitige Berechnungen nötig gewesen, welche deutschen Kräfte innerhalb welcher Zeit vorhanden sein mußten, um gegenüber einem sowjetischen Aufmarsch, von einem sowjetischen

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Angriff ganz zu schweigen, nicht zu spät zu kommen. Solche Berechnungen hätten schon lange vorher angestellt, entsprechende Maßnahmen lange vorher eingeleitet werden müssen, spätestens im September oder Oktober, als Zeitzier auf das Bilden von Reserven aufmerksam machte. Weil Hitler auf dieser Grundlage nicht Krieg führte, war Haider gegangen, und Zeitzier durfte ebensowenig selbständig planen, sondern mußte mit Hitler um den Einsatz einzelner Divisionen oder gar Regimenter feilschen. 40 Als der sowjetische Angriff am 19./20. November bei der 3. und 4. rumänischen Armee begann, hatte er leichtes Spiel. Überrascht wurde dadurch kaum jemand, jedenfalls nicht unter den mit der Sachlage Vertrauten. Beim Heeresgruppenkommando B war schon Anfang Oktober die Möglichkeit erwogen worden, der Gegner könne die 6. Armee einschließen und bis Rostow durchstoßen. General Hoth sagte eine Katastrophe voraus, wenn er nicht für seine rumänischen Verbände Verstärkungen erhielt (natürlich erhielt er keine, weil Hitler es nicht zuließ). Der Stabschef der 6. Armee, General Artbur Schmidt, ging mit großer Selbstverständlichkeit von der Möglichkeit aus, die Armee könne zeitweise eingeschlossen werden. Die Einschließung gelang den angreifenden sowjetischen Truppen verhältnismäßig rasch, denn die Rumänen wurden überrollt, woraus ihnen bei nüchterner Betrachtung der Dinge kaum ein Vorwurf zu machen war, und die lächerlich geringen deutschen Reserven vermochten ebenfalls nichts auszurichten, so daß am 23. November bei Kalatsch am Don der Ring um die 6. Armee und große Teile der 4. Panzerarmee geschlossen wurde. Die Ereignisse waren von Beginn an verbunden mit einem zähen Feilschen um den Ausbruch der eingekesselten Truppen, welche alle dem Oberkommando der 6. Armee unterstanden bzw. unterstellt wurden, das im Kessel seinen Sitz hatte. Als sich ab dem 21. November die Einschließung abzeichnete, erzielten sämtliche beteiligten Truppenführer, d. h. Weichs, Hoth, Paulus, seine Korpsbefehlshaber, dazu die Befehlshaber der Luftflotte 4 und des VIII. Fliegerkorps, Richthofen und Fiebig, sehr schnell Einigkeit, daß es nur eine vertretbare Lösung gebe, nämlich den möglichst baldigen Ausbruch der 6. Armee nach Westen bzw. Südwesten, wo am südöstlichen Donbogen die deutsche Front noch hielt. Dieser Ausbruch wurde ab dem 23. November von der 6. Armee und der Heeresgruppe B geplant und vorbereitet; die 6. Armee sollte sich zunächst für kurze Zeit einigeln und ihre Verbände für den Rückzug ordnen, unterdessen sollte der 6. Armee, die an Versorgungsgütern aller Art Mangel litt, wenigstens das Nötigste an Nachschub im Lufttransport zugeführt werden, damit sie die Strecke bis zur deutschen Front zurücklegen konnte, und anschließend sollte, etwa um den 40 Zeitzier am 9. 10. 1942 sowie Ende Oktober und Anfang November in KTB OKW Il/ 2, 811,867 f., 889,916. Zum 7. II. 1942 auch Engel, Heeresadjutant, 133 f. Hierzu eine falsche Deutung in MGFA, Weltkrieg VI, 1014 ff., 1017 (Beitrag Wegner). Haider im September nach KTB OKW Il/ I, 703; Hili, 303. Zum sowjetischen Aufmarsch Chorkow. Die deutsche Kräfteverteilung sowie die Feindlagebeurteilungen der Abteilung Fremde Heere Ost (6.11., 12. II. 1942) und Hitlers Angriffsbefehl für Stalingrad vom 17. II. 1942 in KTB OKWII/2, 1305ff., 1385ff.

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26. November, der Ausbruch eingeleitet werden, mit einigen motorisierten Divisionen voraus, der Masse der Infanterie an den Flanken und einigen Panzerdivisionen in der Nachhut zur Deckung des Rückzugs. Der Ausbruch wurde von Paulus und Weichs seit dem 22. November gegenüber Hitler persönlich oder gegenüber dem OKH vertreten und von Zeitzier befürwortet. Nicht so Hitler. Am 20. November betraute er den Oberbefehlshaber der 11. Armee, Manstein, den er wegen des Erfolges von Sewastopol zum Feldmarschall ernannt hatte und Ende Oktober zum Oberbefehlshaber der Heeresgruppe A am Kaukasus hatte machen wollen, mit der Führung einer neuen Heeresgruppe Don, die aus der 6. Armee, 4. Panzerarmee sowie der 3. und 4. rumänischen Armee bestand (Manstein übernahm sein Kommando am 27. November). Die Maßnahme war insofern angebracht, als die Heeresgruppe B bis dahin sieben Armeen geführt hatte, nämlich drei deutsche und vier verbündete, was nach aller Erfahrung zu viel ist; nur hätte die Umstellung zweckmäßigerweise schon früher stattfinden müssen. Die Maßnahme war insofern nicht angebracht, als Manstein und sein Stab zunächst die Verhältnisse bei Stalingrad aus eigener Anschauung gar nicht kannten, sondern sich erst damit vertraut machen mußten. Notwendig wurden jedoch schnelle Entschlüsse, schnelles Handeln aus genauer Kenntnis der Gegebenheiten, namentlich Einigkeit über den baldigen Ausbruch der 6. Armee, was sich im Rahmen der Heeresgruppe B mit ihren eingespielten Befehlsverhältnissen leichter bewerkstelligen ließ, wogegen - wenn man dieses Bild einmal benützen darf- der neue Besen in der kurzen Zeit, die für den Ausbruch zur Verfügung stand, auch nicht besser kehren konnte, zumal wenn er erst einmal feststellen mußte, was überhaupt zu kehren war. Für Hitler freilich dürfte zu dieser Zeit bereits festgestanden haben, was Manstein zu tun hatte. Seit dem 21. November erteilte der Diktator der 6. Armee immer wieder dieselbe Art von Befehlen: Sie hatte zu halten und jedenfalls nicht auszubrechen. Statt dessen wollte Hitler die Verbindung zur 6. Armee wiederherstellen durch eine Entsatzoperation aus dem Raum von Kotelnikowo nahe dem südöstlichen Donbogen. In diesem Sinn erhielt Manstein den Auftrag, die feindlichen Angriffe zum Stehen zu bringen und die vor Beginn des Angriffs innegehabten Stellungen wiederzugewinnen. Die Absichten Hitlers stellten, wie so oft, baren Unsinn dar, erwachsen aus unbegründeten Vorurteilen und umrankt von willkürlich zusammengeklaubten Behauptungen. Die Lage im Gebiet der deutschen Südoffensive war ganz einfach unhaltbar; sie war im Grunde schon vor dem sowjetischen Angriff unhaltbar gewesen und wurde es danach erst recht. Eine denkbare Lösung hätte darin bestehen können, der Heeresgruppe Don auch die beiden Armeen der Heeresgruppe A zu unterstellen, den Rückzug vom Kaukasus einzuleiten und mit den dadurch gewonnenen Kräften die Entsatzoperation bei Stalingrad zu führen. Allerdings wäre dies weder strategisch noch operativ stimmig gewesen, denn der Besitz von Stalingrad hatte hauptsächlich insofern Bedeutung, als dort den Truppen am Kaukasus der Rücken freigehalten wurde. Wenn man den Kaukasus ohnedies aufgab, brauchte man insoweit auch Stalingrad nicht mehr zu halten. Es hätte dann allenfalls Stalingrad be-

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hauptet werden können, um den wichtigen Schiffahrtsweg der Wolga zu sperren, aber der Einsatz starker Kräfte für ein solches Nebenziel mußte als wenig lohnend erscheinen, zumal die Wirkung auf den Gegner beschränkt blieb, da er wohl bald Mittel und Wege gefunden hätte, die Sperrung der Wolga bei Stalingrad zu umgehen. Doch wie dem auch sei, diese Lösung kam schon deswegen nicht in Betracht, weil Hitler am 22. November das Oberkommando über die Heeresgruppe A dem General Kleist übertrug und die Heeresgruppe am Kaukasus stehen ließ. Erst am 28. Dezember, als die 6. Armee in Stalingrad nicht mehr gerettet werden konnte, unterstellte Hitler die Heeresgruppe A der Heeresgruppe Don und befahl eine Frontverkürzung am Kaukasus. Eine vernünftige Lösung, wahrscheinlich die einzig tragfähige Lösung, wäre unter diesen Umständen der möglichst rasche Ausbruch der 6. Annee gewesen. Die geringen Bestände der 6. Annee an Treibstoff, Munition und anderen Versorgungsgütern, notdürftig ergänzt durch einigen Nachschub aus der Luft, hätten dann wohl genügt, die rettende deutsche Front zu erreichen, wenn auch unter Opferung von Material. Eine ausreichende Versorgung der 6. Armee mit ihren 20 Divisionen durch Lufttransport war unter den gegebenen Verhältnissen schlechterdings ausgeschlossen. Weichs sagte am 23. November vorher, der 6. Annee könne auf dem Luftweg nur ein Zehntel des benötigten Tagesbedarfs zugeführt werden, was zumindest beim Treibstoff später ziemlich genau bestätigt wurde, nachdem Hitler am 24. November das Errichten einer Luftbrücke angeordnet hatte. Dies wiederum hieß, daß die 6. Armee immer unbeweglicher und an Kampfkraft immer schwächer wurde, so daß sie nach einiger Zeit zum Ausbruch aus eigener Kraft überhaupt nicht mehr imstande war. Manstein bezog anfangs den Standpunkt, er könne den baldigen Ausbruch nicht gutheißen, vielleicht weil er die Lage noch nicht ganz überblickte, vielleicht weil er Hitler nicht sofort widersprechen, sondern ihn erst später, unter dem Zwang der Umstände, von der Notwendigkeit des Ausbruchs überzeugen wollte, vielleicht weil er hoffte, die erforderlichen Kräfte für eine Entsatzoperation auf irgendeine Weise zu erhalten; diese Kräfte veranschlagte er selbst auf die Größenordnung einer Annee. Aber wo sollte die Armee denn herkommen? Getreu der Methode, die Haider früher als kleinliche Flickschusterei bezeichnet hatte, setzte Hitler zwar im Laufe der Zeit eine Anzahl von Divisionen in Bewegung, um sie am Don und bei Stalingrad einzusetzen, teils aus dem Westen, teils von der Heeresgruppe Mitte, teils vom Kaukasus, dazu Luftwaffenfelddivisionen, die im Gefecht bald bewiesen, daß man sie besser nicht aufgestellt hätte. Doch ließen sich damit allenfalls Löcher stopfen, nicht hingegen die Streitmacht für einen kraftvollen Entsatzangriff bereitstellen, zumal die Kräfte so schleppend herankamen, daß der Gegner die Zeit fand, sich zu verstärken und Reserven nachzuführen, welche die deutschen um ein Vielfaches überstiegen. Die Heeresgruppe Don sah sich am 28. November 97 feindlichen Verbänden gegenüber, am 9. Dezember indes schon 185. Von den mittlerweile herangekommenen deutschen Verstjirkungen wurde ein Teil durch den fortlaufend zunehmenden Druck des Gegners gebunden und fiel für den Entsatzangriff aus. Als dieser am

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12. Dezember endlich begann, konnte die 4. Panzerarmee dafür gerade ein einziges Panzerkorps einsetzen. Hitlers kleinliche Flickschusterei bildete keinen zureichenden Ersatz für das, was wirklich nottat, keinen Ersatz für eine großzügige Lösung, denn eine solche hätte darin bestehen müssen, mindestens die 6. Armee umgehend ausbrechen zu lassen, besser noch die Armeen vom Kaukasus zurückzuziehen, da sie sich dort auf die Dauer ohnedies nicht halten konnten, und am besten den ganzen Südflügel der Ostfront auf die Ausgangsstellung vor der Offensive von 1942 zurückzunehmen. Solche Gedanken wurden im Führerhauptquartier besprochen, wo am 26. November der Vorschlag gemacht wurde, offenbar von Zeitzler, den ganzen Südflügel der Ostfront weit zurückzunehmen, vielleicht sogar bis zum Dnjepr, um anschließend in einem Flankenstoß von Norden nach Süden den Gegner zu schlagen. Weiträumiges operatives Denken war also im Generalstab immer noch im Schwange, es stieß nur bei Hitler auf taube Ohren. Er wollte alles halten, was notwendigerweise zur Folge hatte, daß er alles verlieren würde. So blieb es bei dem Entsatzangriff nach Stalingrad, der ab dem 12. Dezember vom LVII. Panzerkorps mit zwei deutschen Panzerdivisionen, dazu zwei rumänischen Kavalleriedivisionen geführt wurde. Die eine der beiden Panzerdivisionen, die 6., kam frisch aus dem Westen und war gut ausgestattet, die andere, die 23., kam vom Kaukasus und war abgekämpft. Einige Tage später konnte das Korps noch die 17. Panzerdivision einsetzen, die von der Heeresgruppe Mitte kam und an Panzern schwach war. Mit diesen Kräften besaß der Angriff gegen einen starken Feind von vomherein wenig Aussicht auf durchschlagenden Erfolg - man hätte tatsächlich eine ganze Armee benötigt -, und so blieb denn auch der Vorstoß etwa 60 km vor dem Kessel von Stalingrad liegen. Manstein hat wohl erwartet, daß der Angriff nicht bis zum Kessel vordringen würde, so daß geplant wurde, die 6. Armee solle dem Entsatzvorstoß ein Stück weit entgegenkommen. Dieses Stück durfte allerdings nicht zu groß sein, da der Betriebsstoff um diese Zeit nur für etwa 40 km reichte und weiter abnahm. Selbst wenn es geglückt wäre, die Verbindung zur 6. Armee herzustellen, so wäre dadurch nur ein verhältnismäßig schmaler Verbindungsschlauch und ein auf die Dauer unhaltbarer Frontvorsprung entstanden. Manstein zog daraus augenscheinlich die Folgerung, die 6. Armee müsse nach Herstellen der Verbindung aus dem Kessel abgezogen werden, also durch den Verbindungsschlauch nach Südwesten abfließen. Vermutlich hoffte er, Hitler könne bis dahin von der Notwendigkeit dieser Lösung überzeugt werden. Als sich Mitte Dezember abzuzeichnen begann, daß die Verbindung wohl doch nicht zustande kommen würde, drängte Manstein unablässig und mit großem Nachdruck auf den Ausbruch der 6. Armee. Hitler lehnte ab. Auch die 6. Armee meldete, daß sie wegen Betriebsstoffmangels die Verbindung zum LVII. Panzerkorps nicht herstellen könne und den Ausbruch als Katastrophenlösung betrachte. Andererseits konnte das LVII. Panzerkorps nicht mehr lange in der erreichten Linie stehenbleiben, weil seit dem 16. Dezember bei einem sowjetischen Angriff weiter im Norden die 8. italienische Armee zusammenbrach und ein Stoß in den Rücken der Heeresgruppe Don sich abzeich-

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nete, gegen den Manstein die Divisionen des LVII. Korps benötigte. Trotz aller Bedenken war Paulus am 23. Dezember bereit, den Ausbruch einzuleiten, wenn er dazu einen klaren Befehl erhielt, aber einen solchen erteilten weder Hitler noch Manstein. Ab dem 24. Dezember stellte Manstein sein Bemühen um den Ausbruch ein und begann mit dem Abzug von Kräften beim LVII. Panzerkorps. Die 6. Armee wurde damit ihrem Schicksal überlassen; sie hatte nur noch die Aufgabe, möglichst lange möglichst starke gegnerische Kräfte zu fesseln, damit der Südflügel der Ostfront gerettet werden konnte. Im nachhinein läßt sich natürlich leicht darüber spekulieren, wer an welcher Stelle welchen Fehler begangen habe: Vielleicht hätte Manstein vom Beginn an den Ausbruch befürworten, vielleicht ihn später unmißverständlich befehlen sollen, vielleicht hätte Paulus auf eigene Verantwortung den Ausbruch einleiten sollen, wie einer seiner Korpsbefehlshaber, General Seydlitz-Kurzbach, schon am 25. November verlangte? Solche Überlegungen mögen verständlich oder auch berechtigt sein, es bleibt indes zu bedenken, daß die Befehlshaber in ihre Entscheidungsnot nur deswegen gerieten, weil Hitler sie unnötigerweise in Drucksituationen zwang, die sich mit den vertrauten Mitteln militärischer Entschlußbildung schwer oder gar nicht bewältigen ließen. Dem Diktator wurden monatelang die richtigen Führungsmaßnahmen vorgeschlagen: Weichs und Paulus legten ihm im Oktober das Einstellen des Angriffs in Stalingrad nahe, Zeitzier das Bilden von Reserven; die verantwortlichen Befehlshaber verlangten im November einhellig den umgehenden Ausbruch der 6. Armee; der Generalstab entwickelte Vorstellungen, wie die Krise an der Südfront insgesamt zu meistem sei; und noch im Dezember hätte der Ausbruch der 6. Armee versucht werden können. Nichts von alledem geschah; Hitler blieb unbelehrbar. Aber daß der Diktator wirklich blind in die Katastrophe stürzen würde, konnte vorher niemand mit Sicherheit wissen. Wenn der General Seydlitz-Kurzbach seinem Oberbefehlshaber Paulus am 25. November den Ausbruch auf eigene Verantwortung nahelegte, so hatte er in der Sache recht, wie man nachträglich wissen kann. Wenn Paulus trotzdem nicht danach handelte, so gab es dafür einsehbare Gründe. Paulus hatte als Halders Stellvertreter im Winter 1941/42 erlebt, wie Hitler seinen unsinnigen Haltebefehl gab und wie es Haider später dennoch gelang, dem Diktator den Rückzug auf die Winterstellung abzutrotzen, wodurch die Heeresgruppe Mitte gerettet wurde. Es war nicht auszuschließen, daß sich bei Stalingrad Vergleichbares wiederholte. Vielleicht kam Hitler doch noch zur Einsicht, vielleicht wurden die Armeen vom Kaukasus rechtzeitig zurückgeholt, vielleicht der ganze Südflügel der Ostfront zurückgenommen, vielleicht ließen sich noch günstige Bedingungen für den Ausbruch schaffen. Sodann konnte Manstein nicht von vomherein wissen, daß Hitler jede Lösungsmöglichkeit blockieren würde. Im übrigen wurde er durch Hitlers personen-, nicht sachbezogenes Denken in eine heikle Lage versetzt, wenn er als kühner, ehrgeiziger und selbstbewußter Truppenführer mit dem Kommando über die Heeresgruppe Don unvorbereitet eine Aufgabe übernehmen sollte, die er anfangs nur schwer überblicken konnte, ebenso

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schwer wie die damit einhergehende Beschränkung seiner eigenen Gestaltungsmöglichkeiten durch Hitlers FührungsstiL Schließlich läßt sich auch die Scheu Mansteins und Paulus', im Dezember auf eigene Verantwortung den Ausbruch der 6. Armee zu befehlen, durchaus nachvollziehen. Beiden war bekannt, daß der Ausbruch zu dieser Zeit eine Katastrophenlösung darstellte. Es mochte sein, daß der Ausbruch einigermaßen glückte und wenigstens die Menschen zum großen Teil gerettet wurden. Allerdings hätte die deutsche Südfront dadurch keinen nennenswerten Kräftezuwachs erfahren, denn die 6. Armee hätte ihr schweres Material weitgehend verloren und wäre zunächst nur noch sehr beschränkt verwendbar gewesen. Blieb dagegen die Armee im Kessel stehen, so würde sie noch für einige Zeit erhebliche Feindkräfte binden. Es mochte jedoch auch sein, daß der Gegner die Gunst der Stunde erkannte, wenn die 6. Armee bei einem Ausbruch wegen Betriebsstoffmangels ihr schweres Material stehenlassen mußte und sich im Fußmarsch mit Infanteriewaffen zum LVII. Panzerkorps durchschlug. Es war dann nicht auszuschließen, daß die Armee in einem üblen Gemetzel zum großen Teil aufgerieben wurde. Manstein oder Paulus hätte in diesem Fall der Vorwurf getroffen, die Armee befehlswidrig in den Untergang getrieben zu haben. Das wollten beide nicht auf sich nehmen; sie fühlten sich nicht verpflichtet, für Hitlers Unfähigkeit die Verantwortung zu tragen. Wenn ein entsprechender Befehl zu erteilen war, dann sollte Hitler dies gefälligst selber tun; er hatte sich schließlich zum Oberbefehlshaber des Heeres gemacht und fühlte sich bemüßigt, den Feldherrn zu spielen. Die 6. Armee blieb also im Kessel stehen, wobei der Truppenführung bewußt war, daß die Armee trotz fortdauernder Luftversorgung ihrem Ende entgegenging. Als die Sinnlosigkeit des weiteren Widerstandes deutlich wurde, regten Manstein und Paulus am 22. Januar 1943 eine Kapitulation an, was Hitler verbot. Ende Januar I Anfang Februar, als die Reste der 6. Armee auf kleine Widerstandsnester im Stadtgebiet von Stalingrad zusammengedrängt waren, stellten einzelne Kommandeure von sich aus den Kampf ein; am 2. Februar endete die Schlacht um Stalingrad. Daß Paulus nicht auf eigene Verantwortung dem Kampf ein Ende bereitete, sondern Hitler seine Ergebenheit zum Ausdruck brachte, stellte eine Frage des Stils dar; in der Sache blieb es weithin bedeutungslos. Für die Soldaten machte es -wenn man es einmal so zugespitzt ausdrücken darf- keinen großen Unterschied, ob sie im Kampf fielen oder in der Gefangenschaft umkamen. Gemäß neueren Berechnungen wurden im Kessel von Stalingrad etwa 195000 Deutsche eingeschlossen, dazu 50000 russische Hilfswillige und 5000 Rumänen. Etwa 25000 Deutsche wurden, meist verwundet, ausgeflogen, rund 60000 starben im Kessel (über die anderen Nationalitäten gibt es keine Zahlen). Von etwa 110000 Deutschen, die im Kessel gefangengenommen wurden, kamen rund I 05000 in der Gefangenschaft um, nur 5000 kamen mit dem Leben davon. Das lag zum Teil an der schlechten Behandlung der Gefangenen, zum Teil daran, daß die Gefangenen wegen der unzureichenden Versorgung im Kessel schon so entkräftet waren, daß sie die schlechte Behandlung nicht überstanden. Die Gefangenen von Stalingrad erlebten

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ein ähnliches Leid wie die sowjetischen Kriegsgefangenen in deutscher Hand; was dieses Leid noch besonders bedrückend macht, ist der Umstand, daß die Schlacht von Stalingrad wie der ganze Krieg vermeidbar, daß sie völlig überflüssig waren.41 Das Schicksal der 6. Armee bildete indes nur einen taktischen Ausschnitt aus einem viel größeren Zusammenhang. Hitler hatte den ganzen Südflügel der Ostfront in die Gefahr versetzt, bei einem großräumigen sowjetischen Angriff wie ein Kartenhaus zusammenzustürzen. Von den verbündeten Armeen würde keine einzige dem Gegner standhalten, und die deutschen Armeen der Südfront waren so unglücklich verteilt, daß es schon als Erfolg gelten mußte, wenn es gelang, sie einen sowjetischen Großangriff überstehen zu lassen. Einen sowjetischen Großangriff konnten sie nur dann mit Sicherheit überstehen, wenn sie rechtzeitig zurückgenommen wurden, bevor der Gegner Gelegenheit erhielt, sie einzukesseln, abzuschneiden und aufzureiben. Bei der 6. Armee gelang es nicht, sie den sowjetischen Angriff überstehen zu lassen, weil Hitler eine tragfähige Einzellösung für diese Armee ebenso verweigerte wie eine operative Gesamtlösung für die ganze Südfront Nachdem der frühzeitige Ausbruch der 6. Armee unterblieben war und ihre Rettung immer ungewisser wurde, bis sie sich schließlich als unmöglich erwies, erhob sich umso dringlicher die Frage, ob wenigstens die anderen Armeen der Südfront einen weiträumigen Angriff der Roten Armee überstehen könnten. Die operativen Möglichkeiten der Roten Armee lagen klar zutage und wurden von ihr im Großen und Ganzen auch wahrgenommen: Sie konnte bei den verbündeten Armeen durchbrechen, vorzugsweise an der Donfront, aber auch südlich Stalingrad, sie konnte wenn man auf der Karte von Norden nach Süden voranschreitet - nach erfolgtem Durchbruch die 2. deutsche Armee bei Woronesch im Rücken bedrohen, sie konnte den Durchbruch zu einem Stoß in die Tiefe ausweiten, entweder nach Rostow, um die Heeresgruppe A am Kaukasus abzuschneiden, oder gar an den Dnjepr, um die ganze deutsche Südfront zu vernichten, und sie konnte südlich Stalingrad ebenfalls in Richtung Rostow angreifen, um das Abfangen der Heeresgruppe A zu fördern. Wenn Hitler sich dann ebenso starrsinnig verhielt wie bei Stalingrad, würde er nicht nur die 6. Armee verlieren, sondern die ganze Südfront Er verhielt sich nicht ganz so starrsinnig. Der vom sowjetischen Oberkommando (Stawka) vorgesehene zweite Teil des Gegenangriffs ("Operation Saturn") wurde nach der Einschließung Stalingrads dahingehend geändert, im Anschluß an den Durchbruch bei der italienischen 8. Armee nicht Richtung Süden auf Rostow, sondern Richtung Südosten in den Rücken der Heeresgruppe Don zu stoßen ("Kleiner Saturn"). Nachdem ab dem 16. Dezember die italienische Armee zersprengt und 41 Zum sowjetischen Angriff und zur Schlacht von Stalingrad allgemein Kehrig, Stalingrad. Ders., Kessel. MGFA, Weltkrieg VI, 997 ff., 1024 ff. (Beitrag Wegner). Manstein, Siege, 326 ff. Doerr. J. Fischer, Luftversorgung. Seydlitz, 205 ff. Zur Errichtung der Heeresgruppe Don sowie zur Heeresgruppe A KTB OKW Il/2, 868, 993, 1006, 1318 f. Der Vorschlag Zeitzlers für Zuriicknahme der Südfront am 26. II. 1942 nach Engel, Heeresadjutant, 139. Die Verluste von Stalingrad nach Overmans, 6. Armee, 442.

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der schwache linke Flügel der Heeresgruppe Don (Reste der rumänischen 3. Armee sowie einige deutsche Divisionen) zurückgedrängt worden waren, suchte Hitler der neuen Lage Rechnung zu tragen. Wohl unter dem Einfluß Zeitzlers genehmigte er am 28. Dezember die Unterstellung der Heeresgruppe A am Kaukasus unter Mansteins Heeresgruppe Don sowie eine Zurücknahme der Kaukasusfront nach Westen, so daß wenigstens das Öigebiet von Maikop noch besetzt blieb. Nach Norden zu fand die Kaukasusfront Anschluß an die Front der Heeresgruppe Don, welche die Genehmigung erhielt, notfalls auf den Donez auszuweichen. Trotzdem sollte die 6. Armee in Stalingrad nicht aufgegeben, vielmehr sollten die Voraussetzungen für ihre Befreiung geschaffen werden. Zu diesem Zweck wurde am 31. Dezember angeordnet, von den Divisionen in Frankreich, die Hitler bislang nutzlos zurückgehalten hatte, drei gut ausgestattete motorisierte SS-Divisionen in die Gegend von Charkow zu überführen, dazu drei Infanteriedivisionen aus dem Westen und die motorisierte Division Großdeutschland von der Heeresgruppe Mitte heranzuziehen (außer der vorhin erwähnten 6. Panzerdivision war mittlerweile auch die 7. Panzerdivision aus Frankreich nach dem Osten in Marsch gesetzt worden). Für den angestrebten Zweck würden diese Verbände natürlich wieder einmal zu spät kommen; immerhin wurden nun diejenigen Verstärkungen für den Südflügel der Ostfront verfügbar gemacht, die eigentlich schon im November nötig gewesen wären und die man noch besser im Juli I August gar nicht von da abgezogen hätte. Die Heeresgruppen A und Don wichen im Januar 1943 auf die vorgesehene Linie zurück, d. h. mit dem Nordflügel auf den Donez. Da sich die von Hitler vorgesehene Front am Kaukasus und am Donez nicht auf die Dauer halten ließ, hätte Manstein gern das getan, was eigentlich schon viel früher hätte geschehen sollen: Er wollte die beiden Armeen am Kaukasus über Rostow zurückführen, um seinen Nordflügel zu stärken. Dies ließ Hitler nicht zu; vielmehr wollte er, wenn schon Maikop verlorenging, wenigstens einen Brückenkopf auf dem Kaukasus-Ufer des Schwarzen Meeres behalten. So rückten die 17. Armee und Teile der 1. Panzerarmee, zusammen 20 Divisionen, in den sogenannten Gotenkopf ein, d. h. in einen operativ völlig nutzlosen Brückenkopf am Unterlauf des Flusses Kuban jenseits der Straße von Kertsch. Lediglich einige Divisionen, darunter ein paar schnelle, gelangten noch zur Heeresgruppe Don. Die operative Absicht des Rückzugs vom Kaukasus, nämlich mit den freigewordenen Kräften den Südteil der Ostfront nördlich des Asowschen Meeres zu festigen, wurde also großenteils verfehlt. Unterdessen brach auch die nördlich der Heeresgruppe Don stehende Heeresgruppe B zusammen. Ihre südlichste Armee, die 8. italienische, war schon seit dem sowjetischen Angriff vom 16. Dezember weitgehend zerschlagen worden; seit dem 12. Januar richtete sich ein erneuter sowjetischer Angriff gegen den Rest der italienischen sowie gegen die nördlich anschließende 2. ungarische Armee. Das Ergebnis war klar: Die Verbündeten wurden überrannt und es entstand eine riesige Lücke, in der nur noch einige versprengte Truppenteile herumirrten. Damit war die Südflanke der 2. deutschen Armee offen, gegen welche sich ab 24. Januar ein sowjetischer Angriff richtete, der die Armee zum Rückzug bis hinter Kursk zwang. Am 14. Fe-

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bruar wurde die Heeresgruppe B aufgelöst; die 2. Armee kam zur Heeresgruppe Mitte, der Rest zu Mansteins Heeresgruppe Don, die nunmehr Heeresgruppe Süd hieß. Dort schien die Lage nicht viel besser zu sein. Durch die Lücke bei der Heeresgruppe B stieß der Gegner ziemlich ungehindert in Richtung auf den Dnjepr bei Dnjepropetrowsk vor, wo er durch Sperrung der Flußübergänge den deutschen Truppen den Nachschub und den Rückweg hätte abschneiden können. Weiter im Norden, bei Charkow, kamen bis zum Februar 1943 Verstärkungen heran, die Hitler früher in Marsch gesetzt hatte, namentlich das SS-Panzerkorps aus Frankreich. Hitler wollte damit einen Entlastungsangriff nach Süden zur Heeresgruppe Don führen, der jedoch gegen die überlegenen sowjetischen Kräfte nicht durchdrang; statt dessen mußte der Befehlshaber des SS-Korps, Obergruppenführer Hausser, Mitte Februar im Widerspruch zu Hitlers Befehl Charkow räumen. Die Lage war durch Hitlers Flickschusterei offenbar nicht zu bereinigen, nur eine Rückkehr zu den bewährten Grundsätzen der operativen Führungskunst vermochte noch zu helfen. Dies gelang schließlich Manstein, unterstützt von Zeitzler, wenngleich nicht in der großzügigen Form, die Manstein zunächst anstrebte. Die Kräfte, über welche die Heeresgruppe Don bzw. Süd gebot, legten eine bewegliche, weiträumige Kampfesweise ohnedies nahe, da die Heeresgruppe, welche den Restbestand bisheriger Rückzüge aufgenommen hatte, mehr einsatzfähige schnelle Divisionen besaß als kampfkräftige Infanteriedivisionen. Sie verfügte, mit dem SS-Panzerkorps, über mehr als ein Dutzend Panzer- und motorisierte Divisionen, wovon allerdings die meisten abgekämpft waren, dazu über etwa 10 einigermaßen vollwertige Infanteriedivisionen sowie allerlei Reste von solchen oder andere schwache Verbände. Ähnlich wie Zeitzier im November 1942 vorgeschlagen hatte, befürwortete Manstein Anfang Februar 1943 einen Rückzug seiner Heeresgruppe bis an den Dnjepr, der den Gegner hinter sich herziehen sollte, damit dieser anschließend durch einen Flankenstoß von Norden nach Süden geschlagen werden konnte. Das war keine revolutionär neue Idee, sondern es entsprach dem operativen Denken, wie es im deutschen Generalstab - aus dem Manstein ja selber kam - seit langem gepflegt und gelehrt wurde. Ein solches Schlagen aus der Nachhand, das den Gegner gewissermaßen kommen ließ, um ihn dann beweglich an einer schwachen Stelle zu fassen, hatten schon Haider und Brauchitsch in Aussicht genommen, als sie im Herbst 1939 einen französischen Angriff durch einen Flankenstoß über die Ardennen abfangen wollten. Hitler freilich hatte dergleichen noch nie verstanden, und er verstand es auch jetzt nicht. Immerhin ließ er sich einen Rückzug der Heeresgruppe Don auf die Mius-Linie nördlich Taganrog abringen, nachdem er ursprünglich gemeint hatte, er dürfe das kriegswirtschaftlich wichtige Donez-Gebiet auch nicht teilweise aufgeben. Manstein verschob nun die 4. Panzerarmee und die I. Panzerarmee (außer einigen Divisionen dieser Armee hatte er im Januar auch ihr Oberkommando erhalten) von seinem rechten Flügel, wo beide Armeen bei Rostow über den Don zurückge-

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kommen waren, auf seinen linken Hügel, der wegen des russischen Durchbruchs ungefähr in West-Ost-Richtung aus der Gegend von Dnjepropetrowsk bis zum Donez reichte. Aus den früheren Durchbrüchen an der Donfront waren verschiedene Armee-Abteilungen hervorgegangen, bestehend aus einzelnen Divisionen und Resten, die zurückgegangen waren, fallweise ergänzt durch mittlerweile herangekommene Reserven. Eine davon, die Armee-Abteilung Hollidt, hielt die Front am Mius; eine andere, die Armee-Abteilung Lanz, dann Kempf, im Raum von Charkow trat Mitte Februar zu Mansteins neuer Heeresgruppe Süd und bildete nunmehr deren NordflügeL Manstein sah vor, aus dem Raum von Dnjepropetrowsk die 4. Panzerarmee, der dann auch das SS-Panzerkorps unterstellt wurde, gegen den auf den Dnjepr zielenden feindlichen Einbruch angreifen zu lassen. Der Angriff sollte weiter im Osten von der 1. Panzerarmee unterstützt werden, um zunächst jedenfalls die Donez-Linie zu gewinnen. Bei der Offensive, die am 19. Februar begann, wurden zuerst die sowjetischen Angriffsspitzen am Dnjepr durch einen Vorstoß von Teilen des SS-Korps nach Süden abgefangen; alsdann stießen die ganze 4. Panzerarmee und die 1. Panzerarmee im russischen Einbruchsbogen nach Norden, schlugen die sowjetischen Truppen und erreichten bis Anfang März den Lauf des Donez südlich Charkow. Der Erfolg beruhte weniger auf sowjetischen Führungsfehlern, obwohl die Kräfte im Einbruchsbogen nicht besonders stark waren, als vielmehr darauf, daß Manstein die Vorteile der beweglichen Kriegführung zum Tragen brachte, indem er seine Verbände an geeigneter Stelle zusammenfaßte, also einen Schwerpunkt bildete, und damit ein Kräfteverhältnis erzeugte, welches das Schlagen des Gegners erlaubte. Am 6. März setzte die 4. Panzerarmee den Angriff fort durch einen Stoß nach Norden in die Ranke der westlich Charkow stehenden feindlichen Verbände. Charkow selbst fiel am 14. März, nach Erreichen des Donez östlich Charkow kamen die Kämpfe am 22. März 1943 zum Abschluß. Der Südteil der Ostfront war wieder gefestigt, aber die Wehrmacht war ungefähr auf die Ausgangsstellung vor der Offensive von 1942 zurückgeworfen worden, und bei Kursk gab es eine große Einbuchtung in der Front. Hitlers neuerlicher Versuch, den Feldherrn zu spielen, hatte die Offensive scheitern lassen sowie Verluste bewirkt, deren Umfang -wenn man völlig vernichtete und teilweise aufgeriebene Verbände zusammennimmt - wohl an die 75 deutsche und verbündete Divisionen erreichte. Wie lange die Ostfront nach diesem Aderlaß die Rote Armee noch aufzuhalten vermochte, mußte sich zeigen. Es bleibt noch zu sagen, daß bei den beiden anderen Heeresgruppen der Ostfront der Verfall der Kräfte bereits sichtbar zu werden begann. Bei Heeresgruppe Nord wurde im Januar 1943 der deutsche Belagerungsring um Leningrad gesprengt, indem der Nordteil des Flaschenhalses von Schlüsselburg verlorenging. Der Korridor nach Leningrad blieb zwar schmal und gefährdet, doch konnte Leningrad nun wesentlich besser versorgt und verstärkt werden. Bei Heeresgruppe Mitte wurde ein sowjetischer Angriff gegen den Frontvorsprung von Rschew um die Jahreswende abgewehrt, was indes mit starker Abnützung der deutschen Verbände einherging. Ende Januar, nachdem bei Demjansk ähnliches geschehen war, sah Hitler endlich

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ein, daß die Aufrechterhaltung der beiden Frontvorsprünge von Rschew und Demjansk völlig nutzlos war, weil die Lücke zwischen beiden ohnedies nicht mehr geschlossen werden konnte und weil dort in großer Zahl Divisionen festgelegt wurden, die als Reserven anderswo bitter fehlten. Demjansk wurde im Februar geräumt, Rschew im März 1943. Dadurch wurden über 20 Divisionen freigemacht, die auch im Sommer oder Herbst 1942 schon hätten verfügbar sein können, z. B. bei Stalingrad. 42

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Die Koalition zwischen den USA, Britannien und der Sowjetunion, die durch den amerikanischen Kriegseintritt entstand, war von vornherein ein unnatürliches Bündnis. Den Namen Anti-Hitler-Koalition trug sie in zweierlei Hinsicht mit Recht. Erstens führten die drei Länder dieser Koalition einen gemeinsamen Krieg nur gegen die europäischen Achsenmächte, also insbesondere gegen Deutschland, während zwischen Japan und der Sowjetunion auf Grund des Vertrags vom April 1941 bis gegen Kriegsende die Neutralität gewahrt wurde. Zweitens richtete sich nach dem Willen der amerikanischen Regierung der gemeinsame Krieg, zumindest anfangs, tatsächlich nicht gegen Deutschland bzw. das deutsche Volk, sondern gegen das Hitler-Regime. In diesem Sinn nahm der amerikanische Kongreß, dem laut Verfassung eine Kriegserklärung zustand, am 11. Dezember 1941 die von der Regierung vorgelegte Entschließung an, daß nunmehr die USA mit all ihren Kräften den Krieg gegen die "Government of Germany" führten, also nicht gegen Deutschland schlechthin, sondern gegen Hitler. Sogar Stalin paßte sich diesem Sprachgebrauch an, als er in einem Tagesbefehl vom 23. Februar 1942 festhielt, es sei lächerlich, "die Hitlerclique mit dem deutschen Volk, mit dem deutschen Staat gleichzusetzen. Die Erfahrungen der Geschichte besagen, daß die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt." Stalin bezeichnete es daher als Aufgabe der Roten Armee, den Sowjetboden von den faschistischen deutschen Eindringlingen zu befreien; doch sei die Rote Armee im Geiste der Achtung der Rechte anderer Völker erzogen. Freilich war für die Eingeweihten zu dieser Zeit bereits klar, daß die Sowjetunion die Rechte anderer Völker sicher nicht achten würde, sofern der Kriegsverlauf es gestattete. Einen umfassenden Plan, allen Volkern der Erde das gleiche Lebensrecht zu sichern und dauerhaft den Frieden zu bewahren, enthielt die Atlantik-Charta. Formell blieb die Atlantik-Charta bis zum Kriegsende verbindlich; sie stellte gleichsam das überwölbende Kriegszielprogramm für die Anti-Hitler-Koalition dar. Im 42 Zur Abwehr der sowjetischen Winteroffensive E. Schwarz, Stabilisierung. Manstein, Siege, 397 ff., 451 ff. Philippi/Heim, 201 ff. MGFA, Weltkrieg VI, 1064 ff. (Beitrag Wegner). Hitlers Anordnungen vom 28. und 31. 12. 1942 in KTB OKW 11/2, 1318 f. Zu den Verlusten Tippelskirch, 283. Philippi I Heim, 208.

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sogenannten Washington-Pakt vom 1. Januar 1942, eigentlich dem Gründungsdokument der Vereinten Nationen, wurde die Atlantik-Charta als gemeinsames Programm der Zielsetzungen und Prinzipien von der gesamten Anti-Hitler-Koalition anerkannt. Noch die Erklärung über das befreite Europa vom 12. Februar 1945 bezog sich ausdrücklich auf die Atlantik-Charta und bekräftigte den Entschluß, eine Weltordnung des Rechts aufzubauen, die dem Frieden, der Sicherheit, der Freiheit und dem allgemeinen Wohlergehen der gesamten Menschheit gewidmet sei. In Wahrheit war die Geschichte des Weltkriegs zwischen 1941 und 1945 gleichbedeutend mit der Aushöhlung der Atlantik-Charta. Präsident Roosevelt, der geistige Vater der Charta, mußte erleben, daß in dem unnatürlichen Bündnis der Anti-HitlerKoalition die Ideale der Atlantik-Charta sich bestenfalls zum Teil verwirklichen ließen, soweit sie nicht mit Füßen getreten wurden. 43 Die Atlantik-Charta muß hier nicht noch einmal im einzelnen besprochen werden; es wird genügen, ihre wichtigsten Gedanken kurz zusammenzufassen. Erstens sollten alle Völker der Erde in Freiheit und Selbstbestimmung innerhalb ihrer Siedlungsgrenzen leben. Die Charta brachte dies mit den Worten zum Ausdruck, es sollten keine territorialen Veränderungen zustande kommen, die nicht mit den frei geäußerten Wünschen der betroffenen Völker übereinstimmten. Soweit Grenzen strittig waren, stand demnach der betroffenen Bevölkerung der Entscheid zu, welchem Staat sie angehören wollte, etwa durch Volksabstimmungen. In Bezug auf die Achsenmächte hieß dies natürlich, daß sie Gebiete mit fremder Bevölkerung, die sie unter ihre Herrschaft gebracht hatten, wieder herausgeben mußten. Für Japan beinhaltete es eine Beschränkung des staatlichen Herrschaftsgebiets auf die japanischen Inseln, für Italien auf das betreffende Sprachgebiet um die Apenninhalbinsel und für Deutschland auf das zusammenhängende deutsche Siedlungsgebiet in Mitteleuropa. Umgekehrt bedeutete es aber auch, daß die Völker der Achsenmächte in ihrem geschlossenen Siedlungsgebiet geschützt sein sollten; das willkürliche Abtrennen von Bevölkerungsteilen oder Zerreißen von Siedlungsgebieten hatte zu unterbleiben. Die Regelungen des mißglückten Diktatfriedens nach dem Ersten Weltkrieg waren dabei nicht unantastbar, insbesondere dann nicht, wenn sie dem Willen der betroffenen Völker widersprachen. Beispielsweise hielt Roosevelt den Staat Jugoslawien für eine verfehlte Schöpfung und wollte ihn gern wieder in seine Hauptbestandteile zerlegen, da Serben und Kroaten nur schwer zusammenleben konnten. Unterstaatssekretär Welles, der öfters die Gedanken seines Präsidenten Roosevelt zum Ausdruck brachte, hielt am 22. Juli 1941, also in der Entstehungszeit der Atlantik-Charta, eine Rede in Washington. Darin hieß es, am Ende des letzten Krieges habe ein großer amerikanischer Präsident (Wilson) für die Vision ge43 Die Entschließung des amerikanischen Kongresses vom II. 12. 1941 sowie die Erklärung der Vereinten Nationen vom I. I. 1942 (Washington-Pakt) in Dokumente zur Deutschlandpolitik 1/2, 95, 106 f. Der japanisch-sowjetische Neutralitätsvertrag vom 13. 4. 1941, Stalins Tagesbefehl vom 23. 2. 1942 sowie die Erklärung über das befreite Europa vom 12. 2. 1945 nach Jacobsen, Weg, 176 f., 169, 403 f.

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kämpft, eine geordnete Welt zu schaffen, in der das Recht herrsche. Der Völkerbund, den er auf den Weg brachte, sei gescheitert wegen der blinden Selbstsucht der Menschen in verschiedenen Teilen der Welt, auch in Amerika; der Völkerbund sei gescheitert, weil er von gewissen Mächten dazu benützt worden sei, ihren eigenen politischen und wirtschaftlichen Ehrgeiz zu fördern. Vor allem aber sei der Völkerbund gescheitert, weil er von denen, die dort die führende Rolle innehatten, gezwungen worden sei, als Mittel zur Erhaltung des Status quo zu wirken. Er habe deshalb nie die Aufgabe erfüllen können, die Wilson ihm zugedacht hatte, nämlich einen friedlichen und gerechten Ausgleich zwischen den Ländern herbeizuführen. Welles sagte damit nichts Neues; er verwies nur darauf, daß die Verlierer des Ersten Weltkriegs durch den diktierten Frieden niederträchtig behandelt worden waren, daß die führenden Mächte im Völkerbund, namentlich Frankreich, diesen für die Erhaltung des status quo mißbraucht hatten, und daß die amerikanische Politik immer darauf gezielt hatte, deutschen Revisionswünschen entgegenzukommen, sofern sie auf friedliche Weise verfolgt wurden. Seit der Machtergreifung Hitlers und seit Roosevelts Regierungsantritt waren die USA zum Gegner Deutschlands geworden- nicht weil Roosevelt, der sich als Vollender Wilsons verstand, eine friedliche Revisionspolitik ablehnte, sondern weil Hitler gar keine Revisionspolitik betrieb, vielmehr Europa gewaltsam zu unterwerfen trachtete. Die Atlantik-Charta sprach deshalb zwar von der Vernichtung der Nazi-Tyrannei, aber sie sprach nicht davon, den Deutschen ein Lebensrecht zu verkürzen, das allen Völkern zugestanden wurde: nämlich das Recht, nach eigenem Willen in einem Nationalstaat zu leben, der das geschlossene deutsche Siedlungsgebiet umfaßte. Zweitens wollte die Atlantik-Charta das wirtschaftliche Wohlergehen aller Länder der Erde nach dem Krieg sicherstellen. Dies wurde umschrieben mit den Worten, es solle die Möglichkeit des Zugangs aller Staaten, großer und kleiner, Sieger und Besiegte, zum Welthandel und zu den Rohstoffen der Welt gefördert werden, und zwar der Zugang zu gleichen Bedingungen. Dies beinhaltete letztlich die Idee des weltweiten Freihandels und sollte erreicht werden durch das Aufbrechen geschlossener Wirtschaftsräume, einerseits derjenigen der Achsenmächte, andererseits aber auch derjenigen europäischer Kolonialmächte. Das Vorhaben war vermutlich nicht ganz frei von einem gewissen amerikanischen Eigennutz, denn angesichts der gewaltigen Stärke ihrer Industrie besaßen die USA ein Interesse daran, ihre Waren auf den Weltmärkten abzusetzen. Freilich konnte der Freihandel auch anderen Ländern zugute kommen, auf die Dauer vielleicht noch mehr als den USA, nicht zuletzt den ehemaligen Achsenmächten, die auf die Einfuhr von Rohstoffen weit stärker angewiesen waren als die USA und im Gegenzug ihre Industrieerzeugnisse verkaufen mußten. Zugleich mochte der Freihandel der Erhaltung des Friedens dienen, weil er die Neigung verminderte, sich Rohstoffquellen und Absatzmärkte gewaltsam zu verschaffen. Die Förderung des wirtschaftlichen Wohlergehens aller Länder sollte ergänzt werden durch deren Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiet mit dem Ziel, verbesserte Arbeitsbedingungen, wirtschaftlichen Fortschritt und soziale Sicherheit zu gewährleisten.

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Drittens schließlich sollte nach dem Willen der Atlantik-Charta der zukünftige Frieden sicher und dauerhaft gemacht werden, indem eine allgemeine Abrüstung stattfand. Die Art dieser Abrüstung wurde nicht genau umrissen, wohl in der Absicht, die spätere Handlungsfreiheit nicht einzuschränken. Das ideale Ziel bestand aber zweifellos in einem Maß an allgemeiner Entwaffnung, welches jedem Land größtmögliche Sicherheit vor Angriffen gab. Mißverständnis und Propaganda haben später die Meinung entstehen lassen, die Atlantik-Charta habe nur die Entwaffnung der sogenannten Aggressorstaaten beabsichtigt, also in der Hauptsache Deutschlands, Japans und Italiens. Wie in diesen Untersuchungen früher gezeigt wurde, trifft das nicht zu. Es kann schon nach der inneren Logik der Atlantik-Charta nicht richtig sein. Die Charta stellte ein Programm dar für die Neuordnung des menschlichen Zusammenlebens auf der ganzen Erde, namentlich für die künftige weltweite Erhaltung des Friedens. Auf der ganzen Erde gab es viele Dutzend Länder; es konnte doch im Ernst niemand annehmen, daß der Friede gesichert sei, wenn man nur drei davon entwaffnete. Und daß eine Kriegsgefahr bloß von jenen dreien ausgehe, ist doch offenkundiger Unsinn. In Wahrheit beabsichtigte die Charta, jedenfalls soweit sie den Willen Roosevelts wiedergab, sehr wohl die Entwaffnung aller Länder, um weltweit den Frieden dauerhaft zu machen. Freilich mit gewissen Einschränkungen. Für die Achsenmächte, an deren Niederlage nicht gezweifelt wurde, ergab sich die Entwaffnung gleichsam automatisch am Ende des Krieges. Um die allgemeine Entwaffnung vorzunehmen, sollten die voraussichtlichen Hauptsiegermächte, d. h. Amerika und England, nach dem Krieg, in einer Übergangszeit bis zum formellen Friedensschluß, als Weltpolizisten wirken und die Entwaffnung der übrigen Länder veranlassen bzw. durchsetzen. Die beiden Weltpolizisten hätten also zunächst an der Abrüstung nicht teilgenommen; erst später, wenn sie haltbare Grundlagen für den künftigen Frieden geschaffen hatten, konnten sie darangehen, selbst die drückenden Bürden der Rüstung zu erleichtern. Die Atlantik-Charta stellte einerseits natürlich den Entwurf einer neuen Friedensordnung dar. Andererseits unterschied sie sich von allen herkömmlichen Friedensordnungen in der Geschichte durch die revolutionäre Neuerung, nicht mehr den Frieden zwischen den Staaten wiederherzustellen, sondern gewissermaßen einen Frieden über den Staaten zu erzeugen. Die Ziele der Atlantik-Charta liefen am Ende darauf hinaus, einen Weltstaat zu errichten, in welchem der Friede gleichsam ewig wurde. Die Idee des ewigen Friedens muß man allerdings richtig verstehen. Schon innerhalb des Einzelstaates ist der Friede nicht notwendigerweise in einem zeitlichen Sinn ewig. Es mag den Bürgerkrieg geben oder die Auflehnung eines Teiles der Bevölkerung, die gegebenenfalls mit Gewalt niedergeschlagen wird. Der Staat erzeugt zuvörderst den Rechtsfrieden, d. h. ein für alle verbindliches Recht, dessen Geltung und dessen Beachtung erzwungen werden können. Das Erzwingen des Rechts besorgen innerhalb des neuzeitlichen Staates dessen Einrichtungen, z. B. die Gerichte. Derartiges existierte nicht in den klassischen Staatenbeziehungen, im herkömmlichen internationalen System; dort gab es kein für alle verbindliches Recht, das durchwegs erzwingbar war. Ein Erzwingen des Rechts konnte al-

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Jenfalls im Weg der Selbsthilfe stattfinden, insbesondere durch den Krieg. Diese Welt der klassischen Staatensouveränität, des älteren Mächtesystems, war nicht rechtlos, wiewohl dem Völkerrecht der Rechtscharakter öfters abgestritten wurde, und diese Welt war auch nicht ohne jede Ordnung; ihr herausragendes Ordnungsprinzip stellte der Gedanke des Gleichgewichts dar. Doch liegt es auf der Hand, daß die Grundlage dieser klassischen Staatenwelt die jeweilige Macht des Einzelstaats bildete. Wer über genügend Macht verfügte, konnte sich an das Recht halten oder es bleibenlassen, und je nach den Umständen gab es auch kein Mittel, ihn zur Einhaltung des Rechts zu veranlassen oder eine Rechtsverletzung zu ahnden. All dies sollte nach dem Willen zweier amerikanischer Präsidenten im 20. Jahrhundert, Wilson und Roosevelt, in Zukunft anders werden. Beide erstrebten den Zusammenschluß aller Länder in einer organisierten Staatengemeinschaft, einer mehr oder weniger lockeren Föderation mit gemeinsamen Einrichtungen. Weltstaat wäre dieser Bund insoweit geworden, als er imstande gewesen wäre, den inneren Rechtsfrieden zu wahren, d. h. die Geltung des Rechts und seine Einhaltung durch die Rechtssubjekte zu erzwingen. Dieses Recht hätte sich seinerseits entwickelt; auf dem Grundstock des hergebrachten Völkerrechts, hauptsächlich Verträge, konnte sich ein eigenes Recht des Bundes, der organisierten Staatengemeinschaft ausbilden, welches teils die Satzung des Bundes umfaßte, also gewissermaßen seine verfassungsrechtlichen Grundlagen, teils weiteres Recht, welches der Bund als Gesetzgeber im Laufe der Zeit schuf. Auch in einem solchen Weltstaat brauchte der Krieg nicht schlechterdings ausgeschlossen zu sein; er wäre aber, zumindest in der Regel, so etwas wie ein Bürgerkrieg gewesen oder eine Auflehnung gegen den Rechtsfrieden der Gemeinschaft. Wilson entwickelte für den Völkerbund die Vorstellung, daß dem Friedensbrecher idealerweise alle anderen Bundesmitglieder entgegentraten. Roosevelt, der das Scheitern des Völkerbunds in allen Einzelheiten miterlebt hatte, suchte nach verläßlicheren Lebensbedingungen für die organisierte Staaten- oder Völkergemeinschaft In der Zeit, als die Atlantik-Charta entstand, sah Roosevelt genau zwei Weltpolizisten vor, die dem neuen Bund (den Vereinten Nationen) zu Ruhe und Ordnung verhelfen sollten. Daß der eine Weltpolizist Amerika war, verstand sich von selbst; die USA waren der mächtigste Staat der Erde, der bis gegen Kriegsende allein schon fast die Hälfte der Weltindustrieerzeugung hervorbrachte. Der zweite Weltpolizist, sozusagen der Gehilfe Amerikas, war Britannien, was sich teils anbot, teils auch nicht umgehen ließ, denn Britannien, als Verbündeter im Krieg fast unverzichtbar, sollte selbst zu einem Träger der neuen Friedensordnung gemacht werden und brachte mit seinem Empire fast ein Viertel der Landoberfläche wie der Bevölkerung der ganzen Erde in den zukünftigen Bund ein. Eine Weltführungsrolle der USA hatte Wilson schon angestrebt; bei Roosevelt wäre sie, nach seinen anfänglichen Absichten, noch stärker ausgeprägt gewesen und hätte wahrscheinlich auch die neue Weltföderation weniger lose gemacht, als sie Wilson vorgesehen hatte. Der Hinweis ist am Platz, daß eine hegemoniale Föderation in der Geschichte nichts Neues ist; neu war lediglich der Gedanke, einen Weltstaat in Gestalt einer I0 Rauh, Zweiter Weltkneg 3 Te !I

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hegemonialen Föderation zu schaffen. Beispielsweise stellte das kleindeutsche Kaiserreich, das Bismarck 1870 /71 aus dem Krieg heraus errichtete, eine hegemoniale Föderation dar oder genauer: einen Bundesstaat unter Führung des weitaus größten Einzelstaates Preußen. Der Bestand an gemeinsamem Recht war anfangs gering und wuchs erst im Laufe der Zeit stark an, doch behielten die Einzelstaaten ein beachtliches Eigenleben. Die hegemoniale Stellung Preußens wurde allmählich zugunsten der gemeinsamen Einrichtungen, d. h. der Reichsorgane, zurückgedrängt. Zu dieser hegemonialen Stellung Preußens gehörte auch, daß die Reichsexekution gegen rechtsbrüchige Bundesmitglieder vom Kaiser zu vollstrecken war. Da der Kaiser notwendigerweise zugleich König von Preußen war, konnten zwar alle anderen Einzelstaaten der Exekution unterliegen, aber praktisch niemals Preußen. Das hieß umgekehrt, daß die Hegemonialmacht Preußen den Zusammenhalt wie den Rechtsfrieden des Reiches garantierte. In ähnlicher Weise vermochte sich die Weltföderation zu entfalten, die Roosevelt zur Zeit der Atlantik-Charta ins Auge faßte. Sie wäre aus dem Krieg heraus entstanden, sie hätte ein gemeinsames Recht des Bundes erzeugt, die Hegemonialmacht Amerika hätte als Weltpolizist den Zusammenhalt wie den Rechtsfrieden der Gemeinschaft gesichert, und vermutlich wären im Laufe der Zeit die zentralen Einrichtungen des Bundes, seine Organe, immer stärker in den Vordergrund getreten. Die Errichtung eines Weltstaats in Gestalt einer hegemonialen Föderation bildete keine abseitige Träumerei, sondern ein Vorhaben, das der Vernunft entsprach und dem Fortschritt wie dem allgemeinen Wohl der Menschheit diente. Nun sind bekanntlich die Menschen keine reinen Vernunftwesen, zumal nicht in den Gefilden der Politik. Wilson hatte im Ersten Weltkrieg gewünscht, seine neue Friedensordnung dauerhaft und den Völkerbund kraftvoll lebensfähig zu machen, indem alle Länder, auch die Verlierer des Krieges, in einer Gemeinschaft der Verständigung und Gleichberechtigung zusammenarbeiteten. Zu diesem Zweck sollten die Verlierer in ihrem territorialen Besitzstand weitgehend erhalten bleiben oder zumindest sollten keine unerträglichen und ungerechten territorialen Verschiebungen erfolgen, der Friede sollte gemeinsam ausgehandelt und der Völkerbund gemeinsam errichtet werden, unter Beteiligung der Verlierer, und insgesamt sollte eine tragfähige Grundlage geschaffen werden für ein friedliches Zusammenleben in der Zukunft, unter Achtung des gleichen Lebensrechts aller Völker. Nichts dergleichen geschah; die europäischen Siegermächte, namentlich die Entente, wußten all dies zu hintertreiben. Die Verlierer wurden gedemütigt, verstümmelt, bestraft, mit Propagandalügen überzogen; das Verleumden des Kriegsgegners durch moralische Herabwürdigung oder vorsätzliche Geschichtsverdrehung diente zum Rechtfertigen des Gewaltfriedens. Die europäischen Siegermächte wollten von der alten Machtpolitik nicht ablassen, sie gedachten ihren Sieg auszuschlachten, ihre Beute einzubringen und vor allem ihre eigene Macht zu steigern. Als Folge trat das ein, was Wilson vorhergesehen hatte: Der nächste Krieg folgte auf dem Fuße. Roosevelt nahm es zum Anlaß, nun erst recht eine neue Weltordnung, eine organisierte Völkergemeinschaft zu errichten, die der Vernunft zum Durchbruch verhalf, denn

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das Verhalten der Siegermächte des Ersten Weltkriegs war augenscheinlich nicht vernünftig gewesen. Inwiefern kann ein Weltstaat mehr der Vernunft entsprechen als die herkömmliche Machtpolitik? Um einer Antwort näherzukommen, geht man zweckmäßigerweise vom Begriff der Politik aus. Politik läßt sich definieren als das Handhaben von Macht oder das Streben nach Macht bzw. das Streben nach Einfluß auf die Machtverteilung. Im Innern eines Staates ist die Politik zwar an den Besitz und die Verteilung von Macht geknüpft, aber der Streit um Macht wie der Gebrauch von Macht sind innerhalb des Staates normalerweise in einen rechtlichen Rahmen eingespannt und so kanalisiert. Dagegen kennt die klassische Außenpolitik, also die Außenpolitik im herkömmlichen Staatensystem, keine derartigen Eingrenzungen; sie ist von Natur aus nicht an die Verhaltens- und Verfahrensregelungen eines größeren Ganzen gebunden, sondern kann prinzipiell das Anwenden oder Erringen von Macht nach freiem Ermessen gestalten. Eben dies taten die Siegermächte beim Diktatfrieden am Ende des Ersten Weltkriegs. Der herkömmliche Machtstaat ist nur sich selber verpflichtet; dagegen ist er keinen festen Regeln des Zusammenlebens mit anderen verpflichtet. In einem derartigen Zusammenleben der Staaten herrscht das ungebundene Spiel der Macht; je nach dem Grad an verfügbarer Macht darf jeder seinen Vorteil suchen wie er will und soweit er es vermag. Der Krieg ist dabei eine gebräuchliche und gewissermaßen selbstverständliche Erscheinung. Das klassische Völkerrecht gestand jedem Einzelstaat ein freies Recht zu Krieg und Frieden zu, während alle Versuche nach dem Ersten Weltkrieg, dieses freie Recht einzuschränken, wirkungslos blieben, da die Länder zur Beachtung des Friedensgebots nicht veranlaßt werden konnten. Dieses System der herkömmlichen Machtpolitik (unter Einschluß des Krieges) ist in verschiedener Hinsicht nicht rational, nicht vernünftig, oder zumindest weniger vernünftig als das System einer organisierten Völkergemeinschaft, eines Weltstaats. Wie man weiß, ging die gesamte menschliche Geschichte mit Krieg und Eroberung einher; der Krieg war insofern geradezu eine Kulturerscheinung oder wenigstens eine Begleiterscheinung der Kultur. Da dem so ist, darf man begründeterweise sagen, daß der Krieg die Entwicklung der menschlichen Kultur, wie sie tatsächlich vorliegt, mehr oder weniger tief beeinflußt hat. Eine ganz andere Frage ist es, ob der Krieg für die Entwicklung der Kultur oder, abstrakter gesprochen, ob er für den menschlichen Fortschritt notwendig ist. Diese Frage wird man rundweg verneinen dürfen; der Krieg ist insofern vollständig überflüssig. Ohne die Kulturgeschichte im einzelnen durchzumustern, darf man mit Zuversicht die Feststellung wagen, daß es kaum eine Entdeckung oder Erfindung von einigem Gewicht, kaum eine Bereicherung des Wissens, Verbesserung menschlicher Existenzbedingungen oder sonstige Art des Fortschritts gibt, welche bei Abwesenheit des Krieges nicht mindestens ebenso gut hätte erreicht werden können. In der Tat dürften ja die meisten derartigen Errungenschaften weder im Krieg noch für den Krieg gemacht worden sein; sie konnten lediglich im Krieg ebenfalls Anwendung finden. Der Ackerbau, die Schrift, das Rad, die Industrie, der Rechtsstaat, die ganze Wissenschaft 10*

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sie alle sind auf den Krieg nicht angewiesen und könnten leicht ohne ihn auskommen; nicht einmal die Spaltung des Atomkerns ist entdeckt worden, um damit Bomben zu fertigen. Unter diesem Blickwinkel trägt der Krieg zum kulturellen Fortschritt nahezu gar nichts bei oder allenfalls insofern etwas bei, als er Waffen und Kriegstechnik verbessert. Sofern der Krieg nicht einfach menschliches Leben und Kulturwerte zerstört, wirkt er lediglich in der Weise, daß er Kulturwerte von der einen Seite auf die andere überträgt, z. B. Siedlungsland, Bodenschätze, sonstige Güter oder Herrschaft über Menschen. Der Krieg ist zu nichts anderem nütze als dazu, die Macht der einen Kriegspartei zu vermehren, diejenige der anderen zu vermindern oder zu vernichten; ansonsten erzeugt der Krieg gar nichts außer seinem eigenen Bedarf und Schrecken für die Betroffenen. Der Verdacht steigert sich damit zur Gewißheit, daß der Krieg letztlich unrationell ist, also mehr Kosten verursacht als Gewinn abwirft. Denkt man vom klassischen Machtstaat her, so mag dieser durch Krieg und Eroberung Vorteile gewinnen, aber auf die Dauer ist das höchst ungewiß. Bis in die jüngste Vergangenheit beobachtet man, wie große, durch Krieg und Eroberung entstandene Reiche wieder zerfallen, wie ehedem erfolgreiche Kriegsparteien der Früchte vergangener Siege wieder verlustig gehen. Auf der anderen Seite ist der Krieg, wenn man von der ganzen Menschheit her denkt, mit Sicherheit ein Verlustgeschäft Setzt man voraus, daß die Menschheit insgesamt eine gewisse Menge an Kulturwerten schafft, so vergrößert der Krieg diese Menge nicht, sondern er verkleinert sie. Abgesehen davon, daß der Krieg Menschenleben kostet, die Kulturwerte schaffen könnten, schichtet der Krieg Kulturwerte bloß um, soweit er sie nicht verbraucht und zerstört. Gilt dies vom Krieg, so gilt es ebenso von der herkömmlichen Machtpolitik, deren Kernstück der Krieg bzw. das freie Recht zum Krieg ist. Der herkömmliche Machtstaat ist ständig auf den Krieg ausgerichtet, teils indem er sich für den potentiellen Krieg bereit macht, teils indem er den Krieg fallweise wirklich führt. Dafür werden gewaltige Kräfte und Mittel verbraucht, die bei Abwesenheit des Krieges für die Steigerung des menschlichen Wohlergehens und für das Schaffen von Kulturwerten verwendet werden könnten. Oder zugespitzt ausgedrückt: Die Menschen werfen riesige Mittel zum Fenster hinaus, um sich gegenseitig totzuschlagen. Der Unterschied zwischen der herkömmlichen Machtpolitik und der organisierten Völkergemeinschaft bzw. dem Weltstaat besteht hauptsächlich darin, daß letzterer den allgemeinen Rechtsfrieden herstellt, also einerseits den Einzelstaaten das freie Recht zu Krieg und Frieden entzieht sowie andererseits das Einhalten des Rechts erzwingt. Dabei kommen weder die Politik noch der Gebrauch von Macht oder das Streben nach Macht an ihr Ende, ebensowenig wie im herkömmlichen Staat. Auch im Weltstaat wird natürlich Macht angewendet, es wird um das Durchsetzen politischer Ziele gestritten, es mag Verschiebungen des Machtgefälles geben - aber alles im Rahmen des Rechts, d. h. normalerweise ohne Krieg. Auch im Weltstaat gibt es den Wettbewerb zwischen politischen Kräften, zumindest den Wettbewerb zwischen den Einzelstaaten, aber den friedlichen Wettbewerb. Indem der Weltstaat den Krieg ausschaltet, schaltet er dessen Unvernunft aus und fördert

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das allgemeine Wohl. Dies tut der Weltstaat, weil er, ebenso wie der gewöhnliche Staat, in Gestalt des Rechts ein Regelwerk für das Zusammenleben mit anderen erstellt und aufrechterhält, der gewöhnliche Staat für das Zusammenleben seiner Bürger, der Weltstaat für das Zusammenleben seiner Glieder, der Einzelstaaten. Dieses Regelwerk, das Recht, gewährleistet jedem Rechtssubjekt den ungestörten Genuß des jeweils Seinigen und legt zugleich die Bahnen fest, in denen ein Wettbewerb um materielle oder immaterielle Güter zulässig ist. Das Zusammenleben wie der Wettbewerb werden damit erleichtert, vereinfacht, und sie werden kalkulierbar: Jeder kann wissen, was ihm zusteht, was ihm auch demnächst noch zustehen wird, und wie er es vermehren oder nicht vermehren darf. Anders dagegen das System der herkömmlichen Machtpolitik. Was sich dort abspielt, mag man ebenfalls als Wettbewerb ansehen, aber es ist ein weitgehend regelloser Wettbewerb. Jeder darf seinen Vorteil suchen wie er will und soweit er es vermag. Da der Krieg üblich oder zulässig und der Gebrauch von Macht ungebunden ist, darf jeder dem anderen nehmen, was ihm gefallt. So wurde in der Geschichte ja auch tatsächlich verfahren, zwar nicht durchwegs, aber immer wieder. Einzelne Länder und ganze Kontinente wurden unterworfen, Staaten verkleinert oder aufgelöst, neue Herrschaftsgebiete geschaffen, Grenzen geändert und jede Art von Schädigung anderer vorgenommen. Vorgeschobene Rechtfertigungsgründe waren dann jederzeit wohlfeil: Man brachte anderen die Kultur oder den rechten Glauben, man sprengte die Ketten unterdrückter Klassen, man förderte das Gute und bestrafte das Böse oder suchte auf andere Weise den Betroffenen einzureden, daß sie eigentlich beglückt würden. Der Krieg dient zum Ändern der Machtverteilung oder zum Steigern der eigenen Macht, und außerhalb dessen zu gar nichts. Das System der herkömmlichen Machtpolitik mit seinem Herzstück, dem Krieg, ist erstens für den kulturellen Fortschritt der Menschheit zumindest unnötig, vielleicht eher schädlich. Dieses System hat zweitens der Mehrheit aller Völker wahrscheinlich keinen dauerhaften Vorteil gebracht; es hat aber mit Sicherheit für alle Völker gewaltige Verluste und Kosten verursacht. Dieses System erzeugt drittens einen regellosen Wettbewerb zwischen den Staaten oder Völkern, bei welchem die Schädigung anderer nicht nur zulässig, sondern geradezu oberstes Prinzip ist. Um die Schädigung herbeizuführen oder sich davor zu schützen, wird ein ungeheurer Aufwand betrieben, bei der Rüstung und anderswie, der einerseits in vielen Fällen unnütz ist, weil man den Krieg am Ende doch verliert, und der jedenfalls immer vermeidbar wäre, wenn es den Krieg gar nicht gäbe. Schließlich ist das System der älteren Machtpolitik insofern unvernünftig, als die Möglichkeit besteht, den Wettbewerb um Macht nicht in der regellosen Form der herkömmlichen Machtpolitik ablaufen zu lassen. Derartiges leistet der Weltstaat Er bindet den Wettbewerb in ein rechtliches Regelwerk ein, beseitigt den Krieg und bringt es so zuwege, den Wettbewerb um Macht wie um andere materielle und immaterielle Güter einfacher und billiger zu gestalten. Wenn ein Land sich mächtig fühlt, mag es dies auf friedlichem Weg beweisen, auf den Feldern der Diplomatie, der Wirtschaft, der Finanzen, der Wissenschaft, des Volkswohlstands

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und auf sonstigen Gebieten; man wird ja dann sehen, wer wirklich mächtig ist. Auch der hinterhältige Trick, andere Länder in den Krieg zu treiben, um die eigene Macht zu steigern, ist dann nicht mehr anwendbar. Zugleich sind die Schwachen jedenfalls davor geschützt, von den Mächtigen drangsaliert oder vereinnahmt zu werden. Die Schwachen können im Wettbewerb eine ruhige Nische finden; und es mag sich leicht herausstellen, daß ein Land, das für schwach oder gar rückständig galt, ungeahnte Kräfte entfaltet, wenn es nicht mehr unter künstlichen oder gewaltsamen Wettbewerbsverzerrungen zu leiden hat. Wären die Menschen reine Vernunftwesen, so hätten sie den Weltstaat schon lange errichten können, z. B. am Ende des Ersten Weltkriegs. Aber sie sind es nicht, und sie dürften es aus freien Stücken auch nicht so bald werden. Der eigene Vorteil oder das, was sie dafür halten, steht ihnen im Zweifelsfall immer näher als das abstrakte Wohl der Menschheit. So ähnlich hat es ja auch Sumner Welles in der vorhin genannten Rede ausgedrückt. Machtgier gehört vermutlich zur menschlichen Instinktausstattung, und beim Widerstreit mit der Vernunft dürfte letztere regelmäßig unterliegen. Freiwillig werden die Menschen die alte Machtpolitik nicht so leicht aufgeben. Wie kann man sie daran hindern, weiterhin Unsummen für Kriegswaffen auszugeben und diese Waffen je nach Lust und Laune anzuwenden? Roosevelt sah die Lösung darin, durch die Weltpolizisten eine allgemeine Entwaffnung herbeizuführen, und so steht es in der Atlantik-Charta. Weiter: Abgesehen von den Kosten und Verlusten, die der Krieg verursacht, besteht seine Wirkung allenfalls darin, Gebiete von der Herrschaft des einen Volkes oder Staates in diejenige eines anderen zu überführen. Statt Herrschaft über Menschen oder die Grenzen von Staaten durch Krieg und Gewalt festzulegen, sie durch Krieg und Gewalt zu erhalten oder zu verändern, läßt sich eine wesentlich einfachere, elegantere und billigere Lösung finden (darüber hinaus sogar eine viel gerechtere). Man lasse alle Volker selber entscheiden, unter wessen Herrschaft sie leben wollen. In der Regel werden sie es dann vorziehen, auf ihrem eigenen Siedlungsgebiet unter ihrer eigenen Herrschaft bzw. unter einer Herrschaftsform ihrer eigenen Wahl zu leben. Eben dieses sah die Atlantik-Charta vor. Schließlich kann man sagen, daß die Atlantik-Charta allen Völkern der Welt dasselbe Recht bzw. dasselbe Lebensrecht verschaffen wollte, auch den besiegten und nicht zuletzt den Kolonialvölkern, deren Unterwerfung nur der Machtsteigerung ihrer Kolonialherren diente. Warum etwa sollte Indien, damals noch englische Kolonie, dessen Kultur älter ist als diejenige der meisten europäischen Länder und das eine vielfach größere Bevölkerung besitzt, sein Schicksal nicht selbst in die Hand nehmen? Über kurz oder lang würden Indien und andere Kolonialländer dies ja doch tun, aber wenn solche Völker nicht in eine befriedete Welt, in einen Weltstaat hineinwachsen konnten, dann würden sich in noch größerem Maßstab die alte Machtpolitik, der allgemeine Unfriede und das Anwenden von Gewalt fortsetzen. Dasselbe Recht bzw. dasselbe Lebensrecht kann indes nur der Weltstaat allen Völkern auf die Dauer garantieren. Im System der alten Machtpolitik war das Recht höchstens in einem formalen Sinn gleich gewesen, etwa so, daß jeder nach

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Belieben einen Krieg anzuzetteln vermochte. In der konkreten Anwendung wurde daraus jedoch ein höchst ungleiches Recht, indem die Schwachen, die Besiegten und die Unterworfenen der Willkür der Mächtigen und der Sieger ausgesetzt waren. Wenn nicht der Weltstaat das gleiche Recht für alle erzwingt, wird immer der regellose Wettbewerb um Macht dafür sorgen, daß einem Großteil der Menschheit das gleiche Recht versagt bleibt. Die Verwirklichung des gleichen Rechts für alle verlangt, daß der alten Machtpolitik ein Ende gemacht wird, ein für allemal. Damit aber Machtgier und Unvernunft nicht weiterhin triumphierten, sollte nach dem Willen der Atlantik-Charta das mächtigste Land der Erde, Amerika, als Weltpolizist tätig werden. Das Wirken dieses Weltpolizisten stellte gleichsam den Kristallisationskern für den Weltstaat dar; die Hegemonialmacht Amerika mußte den Weltstaat als hegemoniale Föderation schaffen. Zugleich mußte Amerika eine tragfähige Grundlage für den Weltstaat schaffen, sonst würde wieder eine ähnliche Schimäre entstehen wie der Völkerbund nach dem Ersten Weltkrieg. 44 Im Lichte solcher Überlegungen entsteht unabweisbar die Frage, wie Roosevelt und die amerikanische Regierung hoffen oder erwarten durften, eine organisierte Völkergemeinschaft nach den Richtlinien der Atlantik-Charta aufzubauen. Die Antwort ist gar nicht so schwer. Im Sommer 1941, also in der Entstehungszeit der Atlantik-Charta, schien die Weltlage allgemein und insbesondere die Kriegslage derart zu sein, daß eine günstigere Gelegenheit zur Errichtung des Weltstaats nie vorher in der Geschichte und vermutlich auch nie nachher gegeben war. Geht man zunächst nur von den Großmächten aus, zu denen die Zeitgenossen üblicherweise sieben Länder zählten, so stand zwar die wichtigste und stärkste von allen, Amerika, noch nicht im Krieg. Doch konnte es für jeden, der die politischen Verhältnisse einigermaßen überblickte, kaum einem Zweifel unterliegen, daß der amerikanische Kriegseintritt nur noch eine Frage der Zeit war. Außerdem setzte die AtlantikCharta, die ja im wesentlichen ein Programm der amerikanischen Kriegs- und Friedensziele darstellte, nach ihrem Wortlaut stillschweigend und nach ihrer Logik notwendigerweise den Sieg der USA in diesem Krieg voraus. Wie anders hätte denn die Nazi-Tyrannei vernichtet werden sollen, wo doch Hitler im Sommer 1941 erfolgreich im Begriff zu sein schien, die halbe Welt zu unterwerfen? Und wie hätten die USA die neue Weltordnung errichten wollen, wenn sie am Krieg gar nicht teilnahmen? Für Roosevelt war es demnach ausgemachte Sache, daß Amerika diesen Krieg entscheiden würde; anders ergibt die Atlantik-Charta überhaupt keinen Sinn. Daraus folgt zugleich, daß die amerikanische Regierung einen Sieg über die Achsenmächte erwartete, der hauptsächlich durch die USA errungen wurde. Zu diesem Zweck sollten nach den Rüstungsplanungen vom Sommer 1941 eine gewaltige Flotte und eine gewaltige Luftwaffe aufgebaut werden, dazu ein Heer von über 200 Divisionen, das möglichst bald eine Invasion auf dem europäischen Kontinent 44 Zu Wilson, Roosevelt und der Atlantik-Charta Bd. I und II dieser Untersuchungen. Die Rede von Sumner Welles, 22. 7. 1941, nach Dokumente zur Deutschlandpolitik I/2, 20. Ferner Kimminich, Volkerrecht. Zur Definition der Begriffe Macht und Politik auch Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl., Tübingen 1972, 28, 822.

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vorzunehmen hatte. Zumindest in Europa würden also die USA ihren Willen durch den Krieg durchsetzen. Daß entsprechendes auch in Ostasien geschehen würde, war zu der Zeit noch nicht sicher, aber wahrscheinlich. Nachdem Roosevelt durch die Handelssperre vom Sommer 1941 dem japanischen Kaiserreich die Daumenschrauben angelegt hatte, stand Tokio vor der Wahl, aus Mangel an Rohstoffzufuhren entweder ohne Krieg vor den USA zu kapitulieren oder sich in den Krieg zu stürzen, wobei allgemein erwartet wurde, daß Japan bei fehlender Nachgiebigkeit der USA das letztere tun würde. Amerika konnte also auch hier seine Ziele verwirklichen, wahrscheinlich mit Hilfe des Krieges und andernfalls ohne ihn. Durch die Niederlage der Achsenmächte wurden von den sieben Großmächten drei ausgeschaltet. Über ihr zukünftiges Schicksal würden hauptsächlich die USA bestimmen, die voraussichtlich Japan besetzen würden und nach einer Landung in Europa auch den größeren Teil dieses Kontinents, namentlich Deutschland. Eine weitere Großmacht, Frankreich, war bereits ausgeschaltet; in Frankreich stand die deutsche Wehrmacht, und nach der Invasion in Europa würde auch Frankreich von amerikanischen Truppen besetzt werden. Die nächste Großmacht, die Sowjetunion, war soeben von der deutschen Wehrmacht angegriffen worden. Nach übereinstimmender Lagebeurteilung war ein deutscher Sieg so gut wie sicher; im Sommer 1941 durfte allerdings erwartet werden, daß ein russischer Reststaat sich hinter der Wolga behaupten würde (was ja auch der Planung des deutschen OKH entsprach). Dieser russische Reststaat, von der Wehrmacht entscheidend geschwächt, würde zwar deutsche Kräfte binden, aber zum Sieg keinen bedeutenden Beitrag leisten. Wenn Deutschland vor dem amerikanischen Ansturm zusammenbrach, würden die russischen Streitkräfte wahrscheinlich noch irgendwo tief im Innern ihres Landes stehen. Der russische Staat würde vom Krieg so erschöpft sein, daß er dankbar amerikanische Wiederaufbauhilfe annehmen mußte. Der Weltpolizist Amerika, Triumphator in Europa wie in Ostasien, im Besitz gewaltiger und siegreicher Streitkräfte, darüber hinaus im Besitz ungeheurer wirtschaftlicher und finanzieller Kraftquellen, befand sich dann in der Lage, den Frieden mehr oder weniger zu diktieren. Für die Verlierer, die Achsenmächte, galt dies sowieso, es würde indes auch für andere gelten, vorzugsweise Rußland. Je nach Lage bei Ende des Krieges mochten die Truppen der Westmächte sogar bis auf russisches Gebiet vordringen und damit ein Faustpfand gewinnen. Jedenfalls mußte Rußland nach dem Krieg, um Wirtschafts- und Finanzhilfe zu erhalten, amerikanischen Wünschen nachgeben; und wenn das immer noch nicht genügte, blieb auch der Druck, den die amerikanischen Streitkräfte auszuüben vermochten. Derartige Überlegungen sind keine nachträglichen Konstruktionen, sondern sie entsprechen der Logik der Atlantik-Charta und sie wurden bei den Westmächten selbstverständlich angestellt. Anfang November 1941 ließ sich Churchill gegenüber einem Angehörigen des amerikanischen Geheimdienstes dahingehend aus, es müßten sowohl der deutsche als auch der sowjetische Militarismus zerstört werden. Noch Anfang 1942 teilte Churchill seinem Außenminister Eden mit, niemand könne voraussehen, wie sich bei Kriegsende das Kräfteverhältnis gestalte und wo

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die siegreichen Armeen stünden. Doch sei es wahrscheinlich, daß die USA und Britannien, weit davon entfernt, erschöpft zu sein, den schwerstbewaffneten und wirtschaftlich mächtigsten Block darstellten, den die Welt je gesehen habe, und daß die Sowjetunion dessen Beistand für den Wiederaufbau in viel größerem Maße benötige als umgekehrt. Unter solchen Umständen konnte der Weltpolizist Amerika, auf dem Gipfel seiner Macht, tatsächlich darangehen, die allgemeine Entwaffnung durchzusetzen. Die Achsenmächte wurden davon ohnedies betroffen; Frankreich vermochte sich dem nicht zu entziehen, und Rußland ließ sich gefügig machen. Außerdem gab es keinen Anlaß mehr, für überflüssige Rüstung einen Teil des Volkswohlstands zu opfern. Wenn Frankreich und Rußland sich nicht mehr bedroht fühlen konnten, weder von Deutschland noch von Japan noch von sonst wem, wofür sollten sie dann kostspielige Streitkräfte unterhalten? Und wenn sie solche Streitkräfte für etwas anderes benötigten, mußte man sie ihnen erst recht nehmen. In diesem Sinne sagte Roosevelt noch 1943, wenn Deutschland entwaffnet werde, wofür brauche dann Frankreich ein aufwendiges Militär? Die letzte Großmacht schließlich, Britannien, würde als Verbündeter die USA beim Erringen des Sieges unterstützen und als Weltpolizist bei den folgenden Aufgaben. Über die Rolle des willigen oder unwilligen Gehilfen würde freilich Britannien nicht hinauskommen. Ohne amerikanische Kriegsgüter und amerikanisches Geld vermochte Britannien diesen Krieg kaum durchzustehen, geschweige denn ihn zu gewinnen. Verlief der Krieg entsprechend den amerikanischen Wünschen, so war Britannien bei Kriegsende wirtschaftlich, finanziell, militärisch und politisch weitgehend von den USA abhängig. Die Stellung als Hilfspolizist an der Seite Amerikas mochte dann Britannien ein wenig entschädigen für den vorhersehbaren Verlust seines Empire. Denn da Roosevelt allen Völkern dasselbe Lebensrecht verschaffen wollte sowie die Möglichkeit, in Freiheit und Selbstbestimmung auf ihrem angestammten Territorium zu leben, erstrebte er auch die staatsrechtliche Unabhängigkeit der Kolonialvölker, und zwar je nach ihrem Entwicklungsstand sofort oder nach einer gewissen Übergangszeit unter internationaler Aufsicht. Britannien, das selbst das größte Kolonialreich besaß, sollte demnach als Weltpolizist an der Liquidierung der Kolonialherrschaft mitarbeiten. Das wirkt kühn, war aber vom Standpunkt der Vernunft aus nicht abwegig. Die Kolonialherrschaft würde sich auf die Dauer ohnedies nicht aufrechterhalten lassen, so daß es klüger war, sie rechtzeitig und auf geordnete Weise zu beenden, statt abzuwarten, bis sie regellos, gewaltsam und unter großen Opfern beseitigt wurde. Bei dem Geschäft, den Kolonialismus abzuschaffen, konnte Britannien wegen der Größe seines Empire und wegen seiner kolonialen Erfahrung - auch die USA waren einmal englische Kolonien gewesen- ein nützlicher Gehilfe sein. Und den Machtzuwachs, den Britannien bislang aus seinem Empire gezogen hatte, brauchte es zukünftig insofern nicht mehr, als die alte Machtpolitik einem neuen System des friedlichen Wettbewerbs in einer organisierten Völkergemeinschaft weichen sollte; auch Britannien würde ja nicht mehr bedroht werden. Falls die verbleibende Macht Britanniens für seine Aufgaben als Weltpolizist nicht ausreichte, würde ihm sicher Amerika hilfreich unter die

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Arme greifen. Und falls Britannien allzu unlustig war, mochte es auch die amerikanische Macht zu spüren bekommen. Beim Errichten einer friedlichen Weltordnung war mit dem Ausschalten bzw. Entwaffnen von fünf der sieben Großmächte der schwerste Teil der Arbeit schon getan. Alle anderen Länder (außer den Weltpolizisten) mußten natürlich ebenfalls abgerüstet werden, andernfalls wurde ja die Kriegsgefahr nicht beseitigt, vielleicht nicht einmal wesentlich geringer. Eine Anzahl dieser Länder würde im Zuge des Vordringens amerikanischer Truppen in Europa und Ostasien besetzt werden; der Verzicht auf Waffen ließ sich dann in die Wege leiten. Eine Anzahl weiterer Länder würde freiwillig zur Abrüstung bereit sein, wenn ringsum ihre Nachbarn die Waffen abgaben und sie von niemandem mehr bedroht wurden. Bei einigen renitenten konnte amerikanischer Druck einen Sinneswandel bewirken. Bei etlichen hatte die Entwaffnung keine große Bedeutung, weil sie ohnedies kaum Waffen besaßen. Schließlich wurden durch die Aufhebung der Kolonialherrschaft in großer Zahl neue selbständige Staaten geschaffen, die von vornherein weitgehend unbewaffnet ins Leben treten konnten. Dies setzte freilich voraus, daß die Auflösung der Kolonialreiche umsichtig ins Werk gesetzt wurde, zum Wohle des Weltfriedens wie zum Wohle der betroffenen Kolonialvölker. Die willkürlichen Grenzziehungen der Kolonialherrschaft durften häufig keinen Bestand haben, vielmehr mußte für die Kolonialvölker dasselbe gelten wie für die Völker Europas und alle übrigen: Sie sollten ungestört und nach eigenem Willen auf ihrem eigenen Siedlungsgebiet leben, was voraussetzte, daß sie ihren Willen zum Ausdruck brachten, gegebenenfalls durch Volksabstimmungen, aber nicht durch die Waffen. Die allgemeine Abrüstung sollte in einer Übergangszeit nach dem Krieg stattfinden; danach erst war formell Frieden zu schließen und danach erst war die Organisation der Völkergemeinschaft zu errichten, also so etwas wie ein neuer Völkerbund oder die Vereinten Nationen. Roosevelt zeigte sich durch Erfahrung gewitzigt. Sein Vorgänger Wilson hatte im Ersten Weltkrieg den Frieden wie den Volkerbund aus den Verhandlungen Gleichberechtigter auf einer allgemeinen Friedenskonferenz hervorgehen und den Völkerbund für die allgemeine Abrüstung sorgen lassen wollen. Beides war gescheitert; die Siegermächte hatten den Frieden unter sich ausgehandelt sowie den Völkerbund unter sich errichtet, und der Völkerbund hatte keine allgemeine Abrüstung zuwege gebracht. Damit sich ein derart unseliger Frieden und ein derart untauglicher Völkerbund nicht wiederholten, sollten das gleiche Recht aller Völker, auch der besiegten, vorher gesichert und der Grundstein für den dauernden Frieden, durch allgemeine Abrüstung, vorher gelegt werden. War dies erreicht, so konnten die Völker, im unbestrittenen Besitz ihres Siedlungsgebietes und ihres sonstigen Eigentums, formell Frieden schließen und die organisatorischen Formen ihres künftigen Zusammenlebens gemeinsam festlegen. Unter solchen Umständen würden zu den Gründungsmitgliedern der Vereinten Nationen selbstverständlich auch die Besiegten gehören; andernfalls mußten die Vereinten Nationen wieder, wie schon der Völkerbund, zu einer Gewaltveranstaltung der Sieger werden. Trat letzteres ein, so würden, wie nach dem Ersten Weltkrieg, weder

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die alte Machtpolitik verschwinden noch der Weltstaat entstehen, sondern die Vernunft würde wieder einmal auf der Strecke bleiben und der regellose Wettbewerb um Macht wie gewohnt sich fortsetzen. Gelang hingegen das Errichten des Weltstaats, so war das Erhalten des Rechtsfriedens möglich. Wenn die Länder entwaffnet wurden, fehlten ihnen weitgehend die Mittel zum Kriegführen. Wenn alle Länder freien und gleichen Zugang zu den Rohstoffen und Märkten der Welt hatten, brauchten sie sich solche nicht mehr gewaltsam zu verschaffen. Wenn alle Völker in ihrem eigenen Staat innerhalb ihrer Siedlungsgrenzen leben konnten, brauchten die einen sich nicht mehr um die Befreiung unterdrückter Volksgenossen zu kümmern und die anderen nicht mehr darum, die Unterdrückung aufrechtzuerhalten. Ein Großteil aller Streitigkeiten würde damit von selbst entfallen und ebenso die Neigung, solche Streitigkeiten mit den Waffen auszutragen. Falls die Völker oder manche Völker den Ehrgeiz hegten, möglichst viel Macht anzuhäufen, durften sie das ruhig tun, z. B. auf wirtschaftlichem Gebiet, sie durften es nur nicht mit Waffengewalt tun und mußten sich an das Recht halten. Nachdem die organisierte Völkergemeinschaft errichtet, nachdem durch den Friedensvertrag und andere Rechtserzeugung sowohl der Verzicht auf Waffen als auch das Friedensgebot allgemein verbindlich gemacht war, oblag es der Gemeinschaft bzw. den Organen des Weltstaats, für die Einhaltung des Rechts zu sorgen. Wie das geschehen konnte, muß im einzelnen hier nicht erörtert werden; es war jedenfalls ein Überwachungsmechanismus zu schaffen, damit die Länder nicht heimlich und widerrechtlich aufrüsteten, und es waren Vorkehrungen zu treffen, um Rechtsbrüchen entgegenzutreten. Roosevelt äußerte sich später dahingehend, daß gegen Rechtsbrecher eine Handelssperre durch die Gemeinschaft verhängt werden solle, was meistens schon genügen werde, und daß ansonsten die Weltpolizisten militärisch einzugreifen, also gewissermaßen die Bundesexekution zu vollziehen hätten, etwa durch ein Bombardement. In einem funktionierenden Weltstaat, wie er ursprünglich geplant war, mochte dies tatsächlich ausreichen, weil zumindest die Mehrheit aller Länder keinen Anlaß hatte, die friedliche Gestaltung des eigenen Wohlergehens durch einzelne Störenfriede aus dem Tritt bringen zu lassen. 45 Die Errichtung des Weltstaats hätte eine einschneidende Wendung der ganzen menschlichen Geschichte bedeutet und wäre des Schweißes der Edlen wohl wert gewesen. Nichtsdestoweniger kam es dazu nicht. Warum nicht? Die entscheidende Ursache war offenbar der Kriegsverlauf, und zwar nicht erst der Verlauf des Weltkriegs ab Ende 1941, sondern schon der Verlauf des deutsch-russischen Krieges im Jahr 1941. Betrachtet man einmal nur das Kriegsergebnis in Hinblick auf die drei 45 Churchill über Zerstörung des sowjetischen Militarismus nach Fleischhauer, Sonderfrieden, 74,297. Churchill an Eden, 8. I. 1942, sowie Roosevelt über Frankreich, 15. 3. 1943, in Dokumente zur Deutschlandpolitik 1/311, 25; 1/4, 224. Zur Kolonialfrage auch Louis, lmperialism. Thorne, Allies. Roosevelt über Sicherheitsvorkehrungen für den Weltfrieden nach Dokumente zur Deutschlandpolitik 1/2, 281 (29. 5. 1942); Roosevelt, Letters IV, 1366 f. (November 1942). Dazu Divine, Roosevelt, 58 ff.

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Hauptverlierer, also Deutschland, Japan und Italien, so zeigt sich ein kennzeichnender Unterschied: Die Atlantik-Charta sollte ursprünglich für alle drei gelten, aber wenigstens näherungsweise erfüllt wurde sie nur für zwei, nämlich für Japan und Italien. Alle drei hatten ein Territorium erhalten sollen, das mit dem Siedlungsgebiet und dem frei geäußerten Willen der Bevölkerung übereinstimmte. Aber verwirklicht wurde dies nur für Japan und Italien, wobei letzteres sogar mit Südtirol eine problematische Beute aus dem Ersten Weltkrieg behalten durfte. Deutschland dagegen bzw. der deutsche Staat wurde nicht etwa mit dem angestammten Siedlungsgebiet der Deutschen in Mitteleuropa zur Übereinstimmung gebracht, sondern den Deutschen wurde das Recht auf Zusammenleben in einem Staat gänzlich verweigert, das Siedlungsgebiet wurde zerstückelt, zum Teil entvölkert und abgetrennt. Woher kommt der Unterschied? Nun, Japan und Italien wurden nur durch die beiden Westmächte besetzt, so daß sich dort noch ein kläglicher Rest der Atlantik-Charta verwirklichen ließ. Deutschland dagegen wurde von allen Siegermächten besetzt, namentlich von der Sowjetunion, und bekam die volle Wucht der alten Machtpolitik zu spüren. Daß es sich um reine, unverfälschte Machtpolitik in ihrer gewöhnlichsten Form handelte, brachte eine Direktive für die amerikanischen Besatzungstruppen vom April 1945 zum Ausdruck, wo es hieß: "Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als ein besiegter Feindstaat." Ursprünglich war es sehr wohl die Absicht der amerikanischen Regierung gewesen, Deutschland vom Nationalsozialismus zu befreien und es anschließend, ebenso wie die anderen ehemaligen Achsenmächte, zum wertvollen Mitglied einer organisierten Völkergemeinschaft zu machen. Nunmehr jedoch, bei Kriegsende, galt Deutschland bloß noch als besiegter Feindstaat, mit dem man nach Belieben umspringen durfte. Daß die Dinge eine solche Wendung nehmen könnten, deutete sich schon Jahre vorher an und wurde spätestens 1943 fast zur Gewißheit. Dabei ging es nicht nur um das Schicksal Deutschlands, sondern um viel mehr, nämlich um das Schicksal der Atlantik-Charta, um das Schicksal einerneuen Weltfriedensordnung und letztlich um die Frage, ob ein Weltstaat zustande kommen könne. Anfang September 1943 hatte der Erzbischof von New York und spätere Kardinal Spellman Gespräche mit Roosevelt und Churchill, die einen Einblick gestatten in die damalige Lagebeurteilung sowie die damaligen Absichten, vor allem bei Roosevelt. Die Aufzeichnung, welche Speilman darüber anfertigte, ist so aufschlußreich und deckt sich so gut mit dem, was sonst über die einschlägigen Fragen bekannt ist, daß es sich lohnt, sie ausführlich zu betrachten. Roosevelt war demnach der Ansicht, die Sowjetunion werde ihr Staatsgebiet vergrößern durch den Gewinn von Finnland, der baltischen Staaten, der östlichen Hälfte von Polen und von Bessarabien. Es habe keinen Zweck, diesen Wünschen Stalins Widerstand zu leisten, denn Stalin habe die Macht, sie zu verwirklichen, d. h. die Kriegslage war derart, daß Stalin diese Gebiete auf alle Fälle gewinnen werde. Darüber hinaus sei es völlig ungewiß, ob Stalin sich mit diesen Grenzen zufrieden geben werde. Es müsse damit gerechnet werden, daß Stalin kommunistische Regierungen in anderen Ländern einsetzen werde, so etwa in Deutschland, Österreich und weiteren

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Staaten; nur Frankreich werde diesem Schicksal vielleicht entrinnen. Als Speilman gewisse katholische Länder zur Sprache brachte, meinte Roosevelt, man müsse sich auf ein sowjetisches Protektorat über Österreich, Ungarn und Kroatien gefaßt machen. Es sei klar, daß die europäischen Länder sich gewaltig umstellen müßten, um sich an Rußland anzupassen, aber er - Roosevelt - hoffe, der europäische Einfluß werde die Russen nach einiger Zeit dahin bringen, weniger barbarisch zu sein. Die Europäer müßten die russische Herrschaft einfach erdulden. Er hoffe, daß die Sowjets nur 40 Prozent der kapitalistischen Länder Europas in ihre Gewalt brächten und daß 60 Prozent kapitalistisch blieben. So werde man sich verständigen können. Etwas anderes sei nicht möglich, weil man Rußland nicht bekriegen könne. Was Deutschland betrifft, so werde dieses der Herrschaft der siegreichen Großmächte unterstellt, hauptsächlich derjenigen Rußlands. Einen Friedensvertrag mit Deutschland werde es nicht geben, sondern nur die Entscheidungen der Großmächte. Ansonsten werde Deutschland in verschiedene Einzelstaaten aufgeteilt, und es werde gewisse Gebiete an seine Nachbarn verlieren. Von der Atlantik-Charta blieb also nicht viel übrig, und zwar deshalb nicht, weil man damit rechnen mußte, daß die Rote Armee Sowjetrußlands große Teile Europas überrollen werde. Nicht Amerika würde die deutsche Wehrmacht besiegen, nicht Amerika würde Europa befreien und dort die Atlantik-Charta verwirklichen, sondern die Sowjetunion würde als der eigentliche Sieger aus diesem Krieg hervorgehen und alles an sich raffen, was sie mit der Gewalt der Waffen erreichen konnte. Stalin würde genau diejenige Art von Machtpolitik betreiben, welche die Atlantik-Charta eigentlich unterbinden wollte. Amerika war dagegen machtlos, weil sich die Rote Armee nur mit Waffengewalt am Vordringen hindem ließ. Wenn die Wehrmacht dies nicht zuwege brachte, vermochten die USA es ebensowenig, da sie weder mittelbar noch unmittelbar gegen Rußland Krieg führen konnten. In diesem Sinn stellte eine Denkschrift vom I 0. August 1943 aus dem Kreis der amerikanischen Stabschefs fest, Rußland werde nach dem Krieg in Europa eine beherrschende Stellung einnehmen. Nach Deutschlands Zusammenbruch gebe es in Europa keine Macht, die sich Rußlands gewaltiger militärischer Kraft entgegenstellen könnte. Da Rußland im Krieg den entscheidenden Faktor darstelle, müsse alles aufgeboten werden, es zum Freund zu gewinnen. Da es nach der Niederlage der Achse die Vorherrschaft in Europa haben werde, sei die Entwicklung und Aufrechterhaltung freundschaftlicher Beziehungen zu Rußland nur umso wichtiger. Der wichtigste Faktor, den die USA hinsichtlich Rußlands zu beachten hätten, sei die Durchführung des Krieges im Pazifik. Falls Rußland gegenüber dem Krieg im Pazifik eine unfreundliche oder ablehnende Haltung einnehme, also mit anderen Worten Japan unterstütze, dann würden die Schwierigkeiten ins Unabsehbare wachsen und die Operationen könnten in einem Fehlschlag enden. Amerika war also, um den Krieg sowohl in Europa als auch in Ostasien einigermaßen erfolgreich zu beenden, auf ein gutes Verhältnis zu Rußland angewiesen. Eine Denkschrift der amerikanischen Stabschefs vom 16. März 1944 nahm diesen Gedanken noch einmal auf und betonte als hervorstechende Tatsache die erstaunliche Ent-

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wiekJung der bisher latenten militärischen und wirtschaftlichen Stärke Rußlands, eine Entwicklung, deren Auswirkung auf die künftigen politisch-militärischen internationalen Beziehungen sich voraussichtlich als epochemachend erweisen werde. Komme es zum Streit mit der Sowjetunion, so könnten die USA unter den gegebenen Verhältnissen Rußland nicht besiegen, oder mit anderen Worten: Die USA würden in einen Krieg verwickelt werden, den sie nicht gewinnen könnten. Daraus ergab sich die Folgerung, daß die USA ihre äußersten Anstrengungen daransetzen und ihren ganzen Einfluß aufbieten sollten, um das Eintreten einer derartigen Situation zu verhindem und einen Geist gegenseitiger Zusammenarbeit zwischen den Hauptsiegermächten zu fördern. Dies bedeutete im Grunde, daß der Krieg nicht mehr geführt wurde, um die Atlantik-Charta zu verwirklichen. Weder konnte es zu einer allgemeinen Entwaffnung kommen, zumindest nicht in Hinblick auf die Sowjetunion, noch würde es durchgängig die Freiheit und Selbstbestimmung der Völker geben, zumindest nicht in Deutschland und im gesamten sowjetischen Machtbereich, noch ließ sich die alte Machtpolitik mit Stumpf und Stiel ausrotten, um an ihre Stelle eine Weltföderation unter amerikanischer Führung zu setzen. Diesen Gegebenheiten mußte Roosevelt sich anpassen. Um trotzdem zu einer notdürftig haltbaren Friedensordnung im weltweiten Rahmen zu gelangen und den Weg zu einer späteren Verwirklichung von Grundsätzen der Atlantik-Charta nicht gänzlich zu verschütten, nahm Roosevelt einige Änderungen am ursprünglichen Programm der Atlantik-Charta vor. Es sollte nunmehr nicht, wie ursprünglich veranschlagt, zwei Weltpolizisten geben, nämlich die USA und Britannien, sondern deren vier, nämlich zusätzlich noch die Sowjetunion und China. Kardinal Spellman zeichnete darüber auf, es solle eine Übereinkunft unter den Großen Vier, also den vier Weltpolizisten, getroffen werden. Demzufolge werde die Welt in Einflußsphären aufgeteilt: China erhalte den fernen Osten, Amerika den Pazifik, Rußland und Britannien dagegen Europa und Afrika. Da Britannien vorwiegend koloniale Interessen habe, dürfe angenommen werden, daß Rußland in Europa die Vorherrschaft ausübe. Roosevelt hoffe - obwohl vielleicht der Wunsch der Vater des Gedankens sei -, daß das russische Eingreifen in Europa nicht allzu roh ausfalle. Amerika werde in Europa nur begrenzt Einfluß ausüben. Über die Organisation des künftigen internationalen Zusammenlebens hieß es, daß etwas ähnliches wie ein neuer Volkerbund geschaffen werden solle, der sich allerdings vom früheren dadurch unterscheide, daß die Großmächte, d. h. die vier Weltpolizisten, die entscheidende Rolle spielten. Wiewohl Roosevelt es nicht so ausdrückte, lief dies darauf hinaus, daß die Weltpolizisten eine Art Weltdirektorium bildeten und gemeinsam die Hegemonie ausübten. 46

46 Die Direktive für die amerikanischen Besatzungstruppen, Apri11945 (17. 10. 1945), in Jacobsen, Weg, 409. Die Aufzeichnung von Kardinal Speilman in Gannon, 222 ff. Auch in Dokumente zur Deutschlandpolitik I I 4, 509 f. Vgl. H.-P. Schwarz, Reich, 46 ff. Die Denkschriften der amerikanischen Stabschefs, 10. 8. 1943 und 16. 3. 1944, nach Jacobsen, Weg, 317,332 f.

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So etwas wie ein Weltdirektorium hatte auch die Atlantik-Charta schon vorgesehen, nämlich in Gestalt der beiden Weltpolizisten Amerika und Britannien. Auf den ersten Blick scheint es keinen großen Unterschied zu machen, ob das Weltdirektorium zwei Mitglieder umfaßte oder vier. Trotzdem ist der Unterschied fundamental. Nach dem Entwurf der Atlantik-Charta hätte es in Wahrheit bloß eine Weltführungsmacht gegeben, die USA, und Britannien wäre deren abhängiger Gehilfe gewesen. Nunmehr jedoch, bei vier Weltpolizisten, entstand etwas vollständig anderes. Im Grunde wurde damit das herkömmliche Verfahren der Macht- und Gleichgewichtspolitik, wie es im klassischen europäischen Staatensystem entwikkelt worden war, auf die Weltebene übertragen. Im klassischen europäischen Staatensystem hatten die Großmächte, zuletzt die bekannte Pentarchie, untereinander das Gleichgewicht gewahrt oder fallweise auch nicht gewahrt. Genau dasselbe würde notwendigerweise unter einer Mehrzahl von Weltpolizisten eintreten: Sie mußten untereinander das Gleichgewicht wahren, würden dies vielleicht auch für geraume Zeit erfolgreich bewerkstelligen, wie in Europa das Gleichgewicht öfters Bestand gehabt hatte. Aber erstens würde dieses Gleichgewicht, wie früher in Europa, ein Gleichgewicht der Macht, der Waffen und letztlich des Schreckens sein; zudem bestand zweitens keinerlei Gewähr, daß dieses Gleichgewicht immer hielt. Sodann bildete die Aufteilung der Erde in Einflußsphären, nämlich diejenigen der Weltpolizisten, ein typisches Merkmal der alten Machtpolitik; diese war immer mit der Errichtung von Einflußsphären einhergegangen. Hätte es im Sinne der Atlantik-Charta nur eine Weltführungsmacht gegeben, so wäre die ganze Erde arnerikanisches Einflußgebiet geworden. Entstanden dagegen, bei einer Mehrzahl von Weltpolizisten, entsprechend viele Einflußsphären, so würden die üblichen Erscheinungen der alten Machtpolitik auf dem Fuße folgen, nämlich Spannungen und Streitigkeiten wegen der Einflußsphären, über deren Abgrenzung, Ausdehnung, über Eingriffe oder Übergriffe und dergleichen mehr. Dabei würde am Ende voraussichtlich das Gewohnte herauskommen, nämlich der Krieg. Präsident Wilson hatte den Ersten Weltkrieg führen wollen, um für die Zukunft alle Kriege zu endigen. Damit war er gescheitert. Präsident Roosevelt verfolgte dasselbe Ziel, wie es in der Atlantik-Charta zum Ausdruck kam. Aber Roosevelt befand sich schon während des Zweiten Weltkriegs auf dem Weg des Scheitems. Wie konnte es dazu kommen? Der erste Grund ist das Mißlingen des deutschen Rußlandfeldzugs von 1941. Während Britannien kurz nach Beginn des deutschen Angriffs (22. Juni) mit der Sowjetregierung ein Abkommen über das Unterlassen eines gesonderten Waffenstillstands oder Friedens schloß (12. Juli), hielt die amerikanische Regierung geraume Zeit an der Linie fest, sich gegenüber der Sowjetunion zu gar nichts zu verpflichten. Das schloß Wirtschafts- und Rüstungshilfe nicht aus, doch wollte Roosevelt die Handlungsfreiheit der USA wahren, insbesondere zur Verwirklichung der Atlantik-Charta. Dies schien erreichbar zu sein, da allgemein erwartet wurde, Rußland könne das Kriegsende nur in wenig handlungsfähigem Zustand erleben. Hierin trat ein Wandel ein, nachdem der deutsche Angriff im Herbst steckenblieb

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und nicht einmal Moskau erreicht wurde. Gewiß konnte man daraus noch keine zwingenden Schlüsse ziehen, wo die Rote Armee bei Kriegsende stehen würde. Aber wenn sie die erste und gefährlichste Offensive der Wehrmacht aufzufangen vermochte, wurde eine spätere Schwäche der Sowjetunion äußerst unwahrscheinlich. Im Gegenteil bestand Aussicht, daß die Sowjetunion schon in dem anschließenden Abnützungskrieg gegen die Wehrmacht Vorteile erlangte und daß sie spätestens dann, wenn Teile der Wehrmacht beim Kampf gegen die Westmächte gebunden waren, zum Sturm auf Deutschland ansetzte. Bei einer Besprechung im britischen Foreign Office war man sich bereits am 19. November 1941 einig, es sei durchaus möglich, daß die Sowjetunion den ganzen Osten Deutschlands einschließlich Berlin in Besitz nehme. In welchem Maße Rußland die britischen und amerikanischen Wünsche berücksichtige, hänge vom Grad der russischen Erschöpfung bei Kriegsende ab sowie davon, inwieweit Rußland das amerikanische Wohlwollen benötige. So könnte etwa die Sowjetunion zögern, sich in einen Gegensatz zu Amerika zu bringen; doch könnte die Sowjetunion, falls sie sich stark genug fühle, sich über alle amerikanischen Vorstellungen hinwegsetzen, indem sie Ostdeutschland sowjetisiere, ihre Herrschaft über Mittel- und Südosteuropa errichte und weitere Maßnahmen dieser Art ergreife. In London wußte man also sehr wohl, daß Roosevelt weder Deutschland schädigen noch das östliche Mitteleuropa und den Balkan dem russischen Einfluß anheimgeben wollte. Man stellte indes in Rechnung, daß die Sowjetunion gegen den amerikanischen Willen eben dieses erzwingen könnte. Im Foreign Office zog man daraus den Schluß, die amerikanische Regierung solle veranlaßt werden, Rußland als gleichwertigen Partner für ein Friedensprogramm zu betrachten - was natürlich voraussetzt, daß Amerika dies bislang gerade nicht tat. In einer Denkschrift des amerikanischen Außenministers Hull für Roosevelt vom 4. Februar 1942 hieß es, die Sowjetregierung habe ungeheure Absichten (tremendous ambitions) in Hinblick auf Europa, nämlich die Vorherrschaft mindestens im östlichen Europa, wenn nicht auf dem ganzen Kontinent. Eine Denkschrift des britischen Außenministers Eden vom 28. Januar 1942 stellte ganz richtig fest, das zukünftige Verhalten der Sowjetunion hänge vom Verlauf des Krieges ab. Vielleicht werde Rußland beim Kriegsende so erschöpft sein, daß es sich den Wünschen der Westmächte beugen müsse. Doch dürfe man darauf nicht bauen, vielmehr müsse man in Betracht ziehen, daß Deutschland hauptsächlich durch die Rote Armee besiegt werde. Rußlands Übergewicht in Buropa werde dann unanfechtbar sein, die Errichtung kommunistischer Regierungen in der Mehrheit der europäischen Länder werde stark erleichtert, überdies könne Rußland in die Lage versetzt werden, die deutsche Wirtschaft auszuplündern, so daß es auf amerikanische Hilfe kaum noch angewiesen sei. Es liegt auf der Hand, daß solche Überlegungen nur deshalb notwendig wurden, weil die Wehrmacht vor Moskau jenen Rückschlag erlitt, mit dem ursprünglich niemand gerechnet hatte. Wäre die Wehrmacht, wie es der Planung des deutschen OKH entsprach, bis zur Wo1ga vorgedrungen, so hätte man sich keine Gedanken machen müssen, inwieweit Buropa

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von der Roten Armee überrannt werden könnte; die Westmächte hätten dann in jedem Fall den größeren Teil Europas vor der Roten Armee besetzt. Gegen Ende 1941 witterte auch Stalin Morgenluft. Der sowjetische Diktator durfte mit Recht davon ausgehen, daß weder Roosevelt noch Churchill wünschten, die Sowjetunion als den eigentlichen Sieger aus diesem Krieg hervorgehen zu sehen, und daß zumal die amerikanische Regierung den Frieden nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten wollte. Stalin suchte deshalb mit London zu Absprachen über die Kriegsziele zu gelangen, in der Hoffnung, dadurch einen Keil zwischen die beiden Westmächte zu treiben. Derlei Absprachen wollte die Atlantik-Charta ja gerade verhindern; fanden sie dennoch statt, so wurde einerseits die diplomatische Position Britanniens aufgewertet, weil es auf der Friedenskonferenz die Russen gegen die Amerikaner ausspielen konnte, und andererseits wurde die diplomatische Position der Sowjetunion aufgewertet, weil sie an Britannien einen Verbündeten gegen die USA fand. Für London stellte dies ein verführerisches Spiel dar, bot es doch die Möglichkeit, zwischen den USA und der Sowjetunion gewissermaßen Schaukelpolitik zu betreiben, sich dadurch wenigstens teilweise der Abhängigkeit von den USA zu entwinden und im Rahmen herkömmlicher Machtpolitik einen selbständigen Standort unter den großen Mächten zu wahren. So ist es denn nicht verwunderlich, daß das britische Foreign Office und Außenminister Eden bald auf diesen Köder angebissen haben. Am 8. November 1941 beklagte sich Stalin bei Churchill darüber, daß es zwischen beiden Ländern kein Einvernehmen über Kriegsziele sowie über die Organisation des Friedens gebe, und daß auch keine Abmachung über das gemeinsame Kriegführen vorhanden sei. Daraufhin brachte Eden in einer Sitzung des Kriegskabinetts vom 11. November einen Gedanken vor, der von nun an in seiner eigenen Argumentation und derjenigen des Foreign Office häufig wiederkehrte. Eden sagte, Stalin hege das tiefe - übrigens auch berechtigte - Mißtrauen, die USA und Britannien würden sich zusammentun, um die Sowjetunion von der Regelung der Dinge beim Frieden auszuschließen. Eden hielt es für wichtig, dieses Mißtrauen zu beseitigen und alle erdenklichen Schritte hierfür zu unternehmen. Churchill meinte zwar, man dürfe den Boden der Atlantik-Charta nicht verlassen, doch fand er sich immerhin bereit, Eden nach Moskau zu entsenden. In Washington erkannte man sofort, was sich hier zusammenbraute, so daß Außenminister Hull, über Edens Reise unterrichtet, diesen umgehend ermahnte, an der Atlantik-Charta festzuhalten und insbesondere keine geheimen Abmachungen zu treffen. Eben dieses beabsichtigte Stalin. Als Eden vom 16. bis zum 22. Dezember in Moskau Gespräche führte, erklärte ihm Stalin unumwunden, es solle zwischen der Sowjetunion und Britannien vertragliche Abmachungen geben unter Einschluß eines geheimen Zusatzprotokolls- also so etwas ähnliches wie den Vertrag zwischen Hitler und Stalin vom Jahr 1939, bei welchem in einem geheimen Zusatzprotokoll ganz Ostmitteleuropa aufgeteilt worden war. Diesmal wollte Stalin noch einen Schritt weiter gehen und das gesamte Europa in Interessengebiete Rußlands und Englands aufteilen. 1939 hatte er auf diese Weise Hitler gegen den Westen ausgespielt; nunmehr wollte er augenscheinlich Britannien gegen die USA ausspielen. II Rauh, Zweuer Weltkneg 3 Teil

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Im einzelnen verlangte Stalin für die Sowjetunion die Grenzen vom Frühjahr 1941, d. h. das ganze Baltikum, den östlichen Teil Polens und Bessarabien, also alles, was er infolge des Paktes mit Hitler gewonnen hatte. Dies stellte wohl ein unverrückbares Ziel Stalins dar, dagegen ist bei allen anderen Wünschen und Vorschlägen, die er sonst noch äußerte, nicht recht klar, inwiefern er seine Karten offen auf den Tisch legte. Sein Hauptziel dürfte gewesen sein, erst einmal zu Abmachungen mit Britannien zu kommen und so die Einheit der beiden Westmächte aufzusprengen. Alles weitere würde sich finden, denn die Sowjetunion würde von dem, was sie infolge des Krieges in ihre Gewalt oder unter ihren Einfluß brachte, freiwillig sowieso nichts mehr herausgeben, vielmehr durften die Westmächte, wenn sie einmal damit anfingen, Stalins Forderungen nachzugeben, sich auf weitere gefaßt machen. In diesem Sinn wurde die Sachlage in Washington betrachtet, und selbst Eden hat es nicht bestritten. Die Wünsche und Anregungen, die Stalin gegenüber Eden vorbrachte, müssen deshalb nicht in jedem Punkt genau das wiedergeben, was er anstrebte, sie lassen aber immerhin den allgemeinen Rahmen erkennen. So wollte Stalin auf dem Balkan und in Mitteleuropa vielerlei höchst seltsame territoriale Veränderungen vornehmen, die dem Selbstbestimmungsrecht stracks zuwiderliefen. Eine sinnvolle Klärung von Nationalitätenproblemen wurde damit nirgendwo erzielt, vielmehr mußten in ungeheurem Ausmaß Unruhe und Unzufriedenheit erzeugt werden, die voraussichtlich nur mit Gewalt niedergehalten werden konnten. Das läßt den Schluß zu, daß Stalin für den Balkan und für Mitteleuropa der Sowjetunion die Rolle einer Ordnungsmacht zudachte, welche die dortigen Länder mit ihren willkürlich gezogenen Grenzen unter ihre Fuchtel nahm. In Hinblick auf Deutschland wollte Stalin der Tschechoslowakei, einem nach dem Ersten Weltkrieg künstlich zusammengestückelten Staatsgebilde, das deutsche Sudetenland übertragen. Polen sollte den östlichen Teil Deutschlands bis zur Oder erhalten, während Stalin die nördliche Hälfte von Ostpreußen wahrscheinlich von vomherein für die Sowjetunion beanspruchte. Den Rest Deutschlands wollte Stalin aufteilen, wobei er von einem "Berliner Staat" sprach, ferner von einem westdeutschen Staat arn Rhein, durch welchen die westlichen Industriegebiete verselbständigt wurden, sodann von einem selbständigen Österreich und einem möglicherweise selbständigen Bayern. Wie diese widernatürliche Zersplitterung gegen deutsche Vereinigungswünsche aufrechterhalten werden sollte, sagte Stalin nicht. Zwar erwähnte er ein Militärbündnis der "demokratischen" Länder sowie eine internationale Streitmacht, aber das mochte gar manches heißen. Entscheidend war die Frage, wer in welchen Gebieten seinen Willen geltend machen konnte, was am Ende darauf hinauslief, wer welche Gebiete besetzte. Es ist deshalb aufschlußreich, daß Stalin den Briten großzügig anbot, sie dürften Militärstützpunkte an den Küsten Europas unterhalten, in Norwegen, Dänemark, Holland und Belgien, außerdem sogar in Frankreich, denn vom Wiedererstehen Frankreichs als selbständiger Großmacht hielt Stalin nichts. Das läßt zwei Deutungen zu: Nach der einen kann man sagen, daß Stalin den Briten (und mittelbar den Amerikanern) eine Einfluß- und Sicherheitssphäre nur an den atlantischen Küsten Europas zugestand, während ansonsten im Ionern Europas

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die Sowjetunion nach Belieben schaltete und waltete. Dies wurde am sichersten erreicht, wenn die Rote Armee ganz Deutschland besetzte und vielleicht sogar bis Frankreich vordrang. Nach der anderen Deutung hätte sich die sowjetische Machtsphäre nur bis Mitteleuropa erstreckt, und das westliche Europa wäre der britischen (und amerikanischen) Aufsicht verblieben oder vielleicht einer gemeinsamen Aufsicht durch die Sowjetunion und die Westmächte. Dies trat voraussichtlich dann ein, wenn die Rote Armee bei Kriegsende noch nicht so weit vorgedrungen war, daß sie ganz Deutschland besetzen konnte. Diese unterschiedlichen Möglichkeiten ließ anscheinend auch Stalin offen, denn er meinte, man könne später entscheiden, ob aus dem vorgesehenen westdeutschen Staat ein Protektorat gemacht werden solle. Wessen Protektorat? Britanniens? Oder Rußlands? Wenn die sowjetischen Truppen erst am Rhein standen, würde sich die Frage von selbst erledigen, wenn aber nicht, dann konnte man jedenfalls mit London vorher darüber verhandeln. Gingen die Briten darauf ein, so würde sich die Ausgangsposition der Sowjetunion für die Friedenskonferenz bedeutend verbessern. 47 Die Briten gingen darauf ein. Bei den Gesprächen mit Stalin hielt sich zwar Eden an die Marschroute, formell von der Atlantik-Charta nicht abzuweichen und vorerst nur freundliche Aufmerksamkeit für die sowjetischen Wünsche zu bekunden, so daß kein Abkommen unterzeichnet wurde. Doch bald darauf, Ende Januar 1942, legte Eden dem Kabinett eine Denkschrift vor, deren Inhalt richtungweisend wurde für die britische Außenpolitik während des Krieges. Es hieß dort, wenn Deutschland besiegt und die militärische Stärke Deutschlands vernichtet sei, wenn ferner Frankreich, zumindest für längere Zeit, eine schwache Macht bleibe, dann gebe es in Europa kein Gegengewicht zu Rußland. Trotzdem scheine es notwendig zu sein, mit Rußland zusammenzuarbeiten, und zwar aus drei Gründen: Erstens könnte andernfalls Rußland versucht sein, mit Deutschland zusammenzuwirken, da derartiges ohnehin in der Geschichte angelegt sei und von den Wirtschaftsverhältnissen nahegelegt werde. Zweitens müsse im britischen Interesse das Gleichgewicht der Macht in Europa, das durch den Zusammenbruch Frankreichs beseitigt sei, gegen ein möglicherweise wiedererstehendes Deutschland erneuert werden. Und drittens schließlich solle, militärisch gesprochen, Deutschland eingekreist werden. Es sei daher erforderlich, der Sowjetunion entgegenzukommen und vertragliche Abmachungen mit ihr zu treffen, die sich zunächst wenigstens auf das Baltikum beziehen sollten. Um eine freundschaftliche Zusammenarbeit mit Rußland nach dem Krieg zu erreichen, müsse Britannien eine Politik betreiben, die für Rußland von Vorteil sei. 47 Das britisch-sowjetische Abkommen vom 12. 7. 1941 nach Jacobsen, Weg, 156 f. Die übrigen Quellen in Dokumente zur Deutschlandpolitik, und zwar: Besprechung im britischen Foreign Office, 19. II. 1941, in I/I, 557 ff. Denkschrift von Hull, 4. 2. 1942, in 112, 118 ff. Denkschrift Edens, 28. I. 1942, in 1/311, 73 ff. Eden im Kriegskabinett, II. 11. 1941, in II I, 546 f. Schriftwechsel zwischen London und Washington, 4./5. 12. 1941, in 1/2, 71 ff., 83 f. Edens Gespräche in Moskau, 16.-22. 12. 1941, in 1/1, 592 ff., 608 ff. Zu letzterem auch Tyrell, Deutschlandplanung, 62 ff. Vgl. Ross, Kremlin, 18 ff., 82 ff.

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An diesen Ansichten ist mehreres bemerkenswert. Erstens handelte es sich um genau diejenige Art von Macht- und Gleichgewichtspolitik, welche die AtlantikCharta gerade überwinden wollte. Daß Deutschland und Rußland zusammenwirken bzw. ihr Potential vereinigen könnten, war eine alte Furcht in London. Seit den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg hatte es das Ziel der britischen (und französischen) Politik gebildet, Deutschland und Rußland getrennt zu halten oder sie gegeneinander auszuspielen: zuerst durch die Entente, dann durch den Ersten Weltkrieg, dann durch die Versailler Ordnung mit dem Sicherheitsgürtel Zwischeneuropas und schließlich durch die Appeasementpolitik. Dasselbe sollte jetzt wieder stattfinden; ganz im Geist der alten Machtpolitik sollte in Europa ein Gleichgewicht erzeugt werden, das für Britannien möglichst vorteilhaft war. Die Opfer dafür hatten andere zu erbringen; ganz im Geist der alten Machtpolitik sollten Grenzen nach freier Willkür gezogen, das Selbstbestimmungsrecht der Völker mißachtet und mindestens Teile Europas an Rußland verschachert werden. Eden wollte diejenige Art von Politik treiben, die man in London gewöhnt war, nur jetzt mit neuem Vorzeichen. Eine Kehrtwendung stellte dies schon deswegen nicht dar, weil man in London die Atlantik-Charta noch nie mit Begeisterung aufgenommen hatte. Churchill hatte ihr zugestimmt, weil er auf amerikanische Hilfe angewiesen war. Auch Ansätze zum politischen Zusammenwirken mit der Sowjetunion gab es bereits. So hatten im August 1941 britische und russische Truppen Persien besetzt, teils um das dortige Öl für England zu sichern, teils um eine abgeschirmte Verbindung für Hilfslieferungen nach Rußland zu gewinnen. Und Anfang Dezember 1941 hatte London, um Stalin zu besänftigen, an Finnland, Ungarn und Rumänien den Krieg erklärt, obwohl es mit diesen Ländern keinen Streit gab. Zweitens entbehrten die von Eden genannten Gründe für seine Politik der logischen Schlüssigkeit. Wenn Deutschland gemäß der Atlantik-Charta sowieso entwaffnet wurde, wozu brauchte man dann noch ein Gegengewicht? Wie wollte Britannien die Vereinigung des deutschen und russischen Potentials verhindern, wenn die Rote Armee ganz Deutschland überrannte? Die vorherige freundliche Verständigung mit Moskau würde daran gewiß nichts ändern; allenfalls konnte London sich mit Moskau darüber verständigen, ob es wenigstens einen Küstenstreifen am Westrand des Kontinents erhielt. Drang jedoch die Rote Armee nicht so weit vor, welchen Zweck sollte es dann haben, sich vorher mit Moskau über die Einteilung und Aufteilung Europas zu einigen? Aus den Gebieten, welche die Sowjetunion besetzte, vermochte sie ohnedies niemand zu vertreiben, wie Eden selbst festhielt Abmachungen mit Moskau konnten dann höchstens dem Zweck dienen, dem sowjetischen Einfluß auch noch Gebiete auszuliefern, welche die Rote Armee gar nicht besetzte. Nimmt man an, daß Eden durchaus imstande war, selber so weit zu denken, dann muß seiner Verständigungspolitik gegenüber Rußland ein logisch stimmiges Ziel zugrunde gelegen haben. Damit kommt man zum dritten Punkt. Edens Hauptanliegen bestand darin, für London eine diplomatische Position aufzubauen, die Britannien instand setzte, zwischen den USA und der Sowjetunion gewissermaßen den Makler zu spielen und so einen Rest an Eigengewicht unter den

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großen Mächten zu behaupten. Damit mag sich die Hoffnung verbunden haben, wenn man nur Stalin rechtzeitig entgegenkomme, dann werde er vielleicht seine Ansprüche mäßigen. Doch davon abgesehen lag es für Britannien nahe, bis zu einem gewissen Grad bei Rußland Anlehnung zu suchen, um nicht bloß den Vorposten Amerikas in Europa abzugeben. Britannien, der Sowjetunion allein nicht gewachsen, der amerikanischen Unterstützung jetzt und in Zukunft bedürftig, versuchte wenigstens so zu tun, als ob es eine Großmacht sei, indem es freundschaftliche Beziehungen sowohl zu den USA als auch zur Sowjetunion pflegte und so zwischen beiden die Waage hielt. Churchill und das britische Kriegskabinett ließen Eden seinen Weg gehen, allerdings gegen den Einspruch des Kabinettsmitglieds Attlee, Führer der Arbeiterpartei und später Premierminister. Attlee meinte, Edens Vorschlag sei gefährlich und erinnere an die Vorgänge im letzten Weltkrieg. Damit wollte er sagen, daß auch damals der amerikanische Plan einer friedlichen Weltgemeinschaft und einer gleichberechtigten Behandlung der Verlierer von Britannien zu Fall gebracht worden war. In Amerika sah man das genauso. Der britische Botschafter in Washington trug dort weisungsgemäß Edens Plan vor, britisch-russische Abmachungen zu treffen, zunächst wenigstens über das Baltikum. Daraufhin ließ Roosevelt am 20. Februar 1942 den Botschafter durch Unterstaatssekretär Welles abfertigen und ihm mitteilen, der Präsident betrachte die britischen Absichten als provinziell. Nach den diplomatischen Gepflogenheiten kam dies einer Ohrfeige gleich und wurde vom Botschafter auch so empfunden, denn seiner heimischen Regierung berichtete er nur eine geschönte Fassung der Vorgänge ohne deren Schärfen. Roosevelts Unmut war in hohem Maße berechtigt, unter anderem deshalb, weil mittlerweile alle Gegner der Achsenmächte im sogenannten Washington-Pakt vom 1. Januar 1942 die Atlantik-Charta als gemeinsames Programm anerkannt hatten. Dieser Washington-Pakt hat eine verwickelte Entstehungsgeschichte. Nach dem amerikanischen Kriegseintritt entstand bei Außenminister Hull der Plan, alle Gegner der Achsenmächte in einem großen Bündnis zusammenzuschließen und sie auf ein gemeinsames Programm der Kriegs- und Friedensziele zu verpflichten. Augenscheinlich stand dies im Zusammenhang mit Edens Moskaureise vom Dezember 1941. Der Gefahr, einzelne Mächte könnten Sonderabmachungen treffen, suchte Hull vorzubeugen, indem er sie alle unter einem gemeinsamen Dach vereinigte. Zu diesem Zweck sah Hull einerseits ein Bündnisabkommen vor, durch welches die Verbündeten zusicherten, sich wechselseitig zu unterstützen und die gemeinsame Anstrengung bis zur Niederringung der Gegner fortzusetzen. Andererseits wollte Hull einen Obersten Kriegsrat der Verbündeten errichten, welcher in Washington seinen Sitz haben und von denjenigen Mächten beschickt werden sollte, welche die Hauptlast des Krieges trugen, d. h. Amerika, Britannien, Sowjetunion und China. Die Verbündeten konnten dann ihre Kriegsanstrengungen miteinander abstimmen und in geeigneter Weise bei der Gestaltung des Friedens zusammenwirken. Wie dieser Frieden beschaffen sein sollte, wurde vorgegeben, denn in dem Bündnis bekannten sich alle zur Atlantik-Charta. Dies beinhaltete (und wurde von Hull so

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verstanden): das Recht der Völker, ihre Regierungsform selbst zu wählen; keine territoriale oder andere Vergrößerung; keine Gebietsveränderungen gegen den Willen der Bevölkerung; Zugang zum Handel und zu Rohstoffen; allgemeine Wohlfahrt; internationale Sicherheit; Freiheit der Meere; Abrüstung. Dieses Programm sollte selbstverständlich auch und gerade für die Besiegten gelten; es wäre ja ganz abwegig, ein Kriegszielprogramm aufzustellen, das die Besiegten gar nicht betrifft. Der Plan Hulls wurde nicht vollständig verwirklicht; insbesondere entfiel der Oberste Kriegsrat. Anscheinend war vor allem Churchill dagegen, vielleicht weil er vermeiden wollte, daß strategische Entscheidungen gefällt wurden, die ihm nicht zusagten; vielleicht weil es ihm nicht behagte, wenn Britannien mit China auf eine Stufe gestellt wurde. Dagegen kam das Bündnis zustande, nach längeren Verhandlungen und mehrfacher Änderung von Hulls Entwurf. Unterzeichnet wurde das Bündnis von 26 Ländern, nämlich den USA, Britannien und den Dominions, Sowjetunion, China, europäischen Exilregierungen und etlichen lateinamerikanischen Staaten, dazu auf Veranlassung der Amerikaner von Indien, das auf diese Weise den britischen Dominions mit Selbstregierung gleichgestellt wurde. Die Atlantik-Charta wurde als gemeinsames Programm der Kriegs- und Friedensziele für das ganze Bündnis verbindlich, also auch für Britannien, die Sowjetunion, Polen usf. Ansonsten verpflichteten sich die Bündnismitglieder, mit all ihren Kräften gegen die Achsenmächte zusammenzuarbeiten und keinen gesonderten Waffenstillstand oder Frieden zu schließen. Völkerrechtlich stellte der Pakt ein Regierungsabkommen dar und besaß die entsprechende rechtliche Bindungswirkung, d. h. ein Land, welches den Pakt brach, z. B. die Atlantik-Charta nicht verwirklichte, machte sich eines klaren Rechtsbruchs schuldig. Die rechtliche Bindungswirkung wurde noch verstärkt durch einen britisch-russischen Vertrag vom Mai 1942, der gleichfalls die Atlantik-Charta bekräftigte. Wenn Roosevelt später, 1943, zu Kardinal Speilman sagte, mit Deutschland werde es keinen Friedensvertrag geben, so hatte er auch jene rechtliche Bindung im Auge. Denn das deutsche Volk wurde durch die absehbare Zerstückelung seines Siedlungsgebietes wie durch das Verweigern der Selbstbestimmung einfach vergewaltigt, und diese skandalöse Rechtswidrigkeit wollten die Amerikaner nicht auch noch durch einen Friedensvertrag sanktionieren. Auf Roosevelt ging es zurück, daß die Verbündeten im Washington-Pakt als "Vereinte Nationen" (United Nations) bezeichnet wurden. Vereinigt waren diese Länder nicht bloß im Kampf gegen die Achsenmächte, sondern vereinigt waren sie vor allem im gemeinsamen Bekenntnis zur Atlantik-Charta, also im Bekenntnis zu einer zukünftigen Welt des Friedens und des Rechts - sofern sie ihr Wort hielten. Sodann war in dem Pakt vom 1. 1. 1942 davon die Rede, daß der vollständige Sieg über die Feinde notwendig sei. In früheren amerikanischen Entwürfen war dies noch dahingehend verdeutlicht worden, daß die Regierungen oder die Streitkräfte der Achsenmächte vollständig besiegt werden sollten. Man kann deshalb aus dem Washington-Pakt nicht zwingend den Schluß ziehen, daß die bedingungslose Kapitulation der Achsenmächte oder die vollständige Besetzung dieser Länder ange-

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strebt wurden. Tatsächlich aber liefen die Dinge wohl doch darauf hinaus. Die Atlantik-Charta wollte jedenfalls die Nazi-Tyrannei vernichten. Falls die Nazis bis zum Schluß am Ruder blieben, konnte ihre Tyrannei gar nicht anders vernichtet werden als durch eine vollständige Besetzung Deutschlands. Denkbar war allerdings, daß die Nazi-Diktatur durch einen Aufstand in Deutschland hinweggefegt wurde. Der spätere Präsident Truman meinte in seinen Erinnerungen, wenn die Deutschen rechtzeitig aufgegeben, wenn eine neue Regierung die Waffen gestreckt hätte, so wäre den Deutschen vielleicht die bedingungslose Kapitulation und die Teilung ihres Landes erspart geblieben. Das ist durchaus vorstellbar, allerdings hätte eine neue Regierung dann auch der Entwaffnung Deutschlands zustimmen müssen, und eine sichere Gewähr für das ordnungsgemäße Durchführen der Entwaffnung bestand nur, wenn Deutschland besetzt wurde. Das eigentliche Problem lag demnach darin, wer Deutschland besetzte, und augenscheinlich wollte Truman eben dieses andeuten. Je weiter die Westmächte, insbesondere die Amerikaner, in Buropa vordrangen, umso besser konnten sie der Atlantik-Charta Geltung verschaffen. Die bedingungslose Kapitulation der Achsenmächte bzw. die vollständige Besetzung ihres Gebiets war daher, zumindest im Keim, in der Atlantik-Charta bereits angelegt. Auf beides konnte allenfalls dann verzichtet werden, wenn auf Grund besonderer Umstände das Durchsetzen der Atlantik-Charta auch anders möglich war. 48 Jedenfalls war durch den Washington-Pakt der Vereinten Nationen die AtlantikCharta für die gesamte Anti-Hitler-Koalition völkerrechtlich verbindlich geworden. Wenn trotzdem Britannien daranging, mit Stalin Abmachungen zu treffen, zunächst über das Baltikum und demnächst vielleicht über halb Europa, so stellte dies nicht nur, wie Roosevelt ausrichten ließ, ein "provinzielles" Verhalten dar, sondern es vereinigte in sich alle üblen Kennzeichen der alten Machtpolitik, gegen welche die Atlantik-Charta sich eigentlich richtete. Der amerikanische Unterstaatssekretär Welles stellte deshalb in einer innerdienstlichen Äußerung am 4. April 1942 fest, die britischen Absichten seien nicht nur in jeder Hinsicht unmoralisch, sondern auch außergewöhnlich dumm. Das britische Vorhaben enthielt erstens eine klare Rechtswidrigkeit, denn die Atlantik-Charta war mittlerweile völkerrechtlich verbindlich, und die Überlassung des Baltikums an Rußland verstieß gegen die Atlantik-Charta. Zweitens war es hinterhältig und treulos, denn Britannien fiel damit Amerika in den Rücken, also seinem Verbündeten, auf den es wirtschaftlich und finanziell angewiesen war, um den Krieg erfolgreich abzuschließen. Wie im Ersten Weltkrieg ließ sich Britannien von den USA helfen, den Krieg zu gewinnen, und führte ansonsten die Amerikaner an der Nase herum. Drittens war jenes britische Vorhaben insofern nutzlos, als es mit Sicherheit Stalin nicht daran hindem würde, 48 Die Quellen in Dokumente zur Deutschlandpolitik, und zwar: Denkschrift Edens, 28. I. 1942, in 113 II, 73 ff. Attlee im Kriegskabinett, 6. 2. 1942, in I I 3 I 1, 94. Welles zum britischen Botschafter, 20. 2. 1942, in 112, 136 f. Dazu 113/1, 123 f. Zum Washington-Pakt Hull II, 1114 ff. Berle, Navigating, 386 ff. Dokumente zur Deutschlandpolitik 111, 604 ff. FRUS 1942, I, 1 ff. Truman in dessen Memoiren I, 167.

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sich in Europa zu nehmen, was ihm gefiel bzw. was er erraffen konnte. Es würde vielmehr nur dazu führen, Stalins Raffgier auch noch den Anstrich der Rechtmäßigkeit zu verleihen. Die Zeche hatten andere zu bezahlen, was sich ganz im Rahmen der alten Machtpolitik hielt, deren Geheimnis immer darin besteht, den eigenen Vorteil auf Kosten anderer zu suchen. Demgegenüber beharrten Roosevelt und die amerikanische Regierung eisern auf der Atlantik-Charta. Roosevelt brachte dies bei verschiedenen Gelegenheiten zum Ausdruck, so etwa mit den Worten, er wolle nicht die Atlantik-Charta zerreißen, bevor die Tinte darauf getrocknet sei. Das Argument Edens, wenn man Stalin nicht entgegenkomme, könnte dieser einen Sonderfrieden mit Hitler schließen, hielt man auf der amerikanischen Seife für einen bloßen Vorwand. Ähnlich wie seine außenpolitischen Berater betonte Roosevelt mehrfach, einen solchen Sonderfrieden werde es nicht geben. Um die zweiseitige Verständigung zwischen London und Moskau zu unterlaufen, nahm Roosevelt im März 1942 selbst Verbindung zu Stalin auf. Er ließ Stalin sein Befremden ausdrücken, daß dieser ihn übergangen habe, und lehnte alle Abmachungen vor dem Ende des Krieges ab. Dagegen sei er bereit, nach dem Krieg die Sowjetunion dahingehend zu unterstützen, daß sie gerechtfertigte Sicherheit erlange. Roosevelt wies besonders darauf hin, daß die AtlantikCharta ja die Entwaffnung Deutschlands vorsehe. Sodann ließ der Präsident durchblicken, der Kriegsverlauf könne es mit sich bringen, daß die Sowjetunion in den Besitz gewisser Gebiete gelange. In diesem Fall, so strich Roosevelt heraus, würde die amerikanische Regierung alle gerechtfertigten Maßnahmen der Sowjetunion für ihre Sicherheit billigen, vorausgesetzt, sie entsprächen dem gerechtfertigten Bedürfnis des russischen Volkes nach Sicherheit. Daran ist zweierlei bemerkenswert. Erstens bezog Roosevelt den Standpunkt der Logik. Außenpolitische bzw. militärische Sicherheit bedeutet Sicherheit vor einem Angriff. Wenn Deutschland entwaffnet wurde, erhielt Rußland diese Sicherheit. Alle weitergehenden Maßnahmen, wie Gebietsgewinne oder Zerstückelung anderer Länder, stellten dann bloß Gewalttat und Räuberei dar. Zweitens fa1lt die mehrfache Verwendung des Wortes "gerechtfertigt" (legitimate) auf. Gerechtfertigt war es, wenn das russische Volk auf seinem Siedlungsgebiet in Sicherheit lebte. Ungerechtfertigt war es, wenn die Sowjetunion unter dem Vorwand der Sicherheit andere Völker unterdrückte und beraubte. Oder anders ausgedrückt: Wenn Stalin schon darauf ausging, die Sowjetunion widerrechtlich zu bereichern, dann sollte er jedenfalls nicht damit rechnen, daß Amerika seine Machenschaften billigen könnte. Eden war über das Einschreiten des Präsidenten in hohem Maße aufgebracht. In Roosevelts Mitteilung an Stalin sah er den versteckten Hinweis enthalten, daß die Einverleibung des Baltikums durch Rußland von den Westmächten nicht gewünscht werde, daß man lediglich im Westen nichts dagegen unternehmen könne, falls sie stattfand. Die Haltung Roosevelts, so meinte Eden, werde bei Stalin jede Art von Verdacht bestätigen: daß Stalin von den Westmächten keine Beachtung sowjetischer Wünsche erwarten dürfe; daß die Westmächte die Sowjetunion nur kämpfen ließen, um ihre eigenen Ziele zu fördern; daß es die Westmächte nicht

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kümmere, wenn Rußland und Deutschland sich gegenseitig erschöpften. Man darf ungescheut annehmen, daß Stalin derartiges Mißtrauen tatsächlich hegte. Nicht umsonst sagte er gelegentlich. Roosevelt mache jederzeit lange Finger, um ihm Stalin - eine größere Münze aus der Tasche zu ziehen, aber Churchill tue dasselbe schon für eine Kopeke. Ebenso ungescheut darf man freilich auch annehmen, daß zumindest Roosevelt keinerlei Neigung hatte, große Teile Europas von der Sowjetunion vereinnahmen zu lassen, schon gar nicht Deutschland. Zunächst allerdings ging das Gezerre um britisch-sowjetische Abmachungen weiter, da Stalin sich von Roosevelts Querschuß nicht beirren ließ. Die Einzelheiten sind hier nicht von Belang, zumal es sich nur um taktische Winkelzüge handelte, die ohnedies in einer Sackgasse endeten. Im Mai 1942 schaltete sich Außenminister Hull ein und verlangte, ein britisch-sowjetischer Vertrag dürfe keine Festlegungen über Gebiete und Grenzen enthalten; widrigenfalls müßten die USA sich öffentlich davon absetzen, was einen Bruch innerhalb des Bündnisses der Vereinten Nationen nach sich ziehen werde. Roosevelt hieß dies gut. Schon im April hatte der Präsident den Gedanken ins Spiel gebracht, der Sowjetunion als Ersatz für Gebietsabmachungen eine verstärkte militärische Unterstützung zukommen zu lassen, nämlich in Gestalt der Errichtung einer "zweiten Front", also eines Angriffs der Westmächte in Europa. Dadurch sollte, wie Roosevelt in London ausrichten ließ, das Feuer aus Rußlands diplomatischen Forderungen an England genommen werden. Stalin, von der geplanten militärischen Entlastung unterrichtet, entsandte im Mai seinen Außenminister Molotow nach London und Washington, um über einen Vertrag mit Britannien und militärische Unterstützung zu beraten. Der amerikanische Botschafter in London Winant, der vorher schon die britische Seite bearbeitet hatte, bearbeitete nun auch Molotow in dem Sinn, auf Gebietsabmachungen zu verzichten. Der britische Unterstaatssekretär Cadogan kleidete dies in seinen Aufzeichnungen in die anschauliche Formel, Winant habe auf beiden Seiten "twisted their tails". Daraufhin gaben beide Seiten nach, die britische wie die sowjetische, und schlossen am 26. Mai 1942 einen harmlosen Bündnisvertrag ab. Dieser bekräftigte noch einmal die Atlantik-Charta, sah wechselseitige Hilfe sowie das Unterlassen eines Sonderfriedens vor und verpflichtete beide Seiten, weder nach territorialen Erweiterungen für sich selbst zu streben noch sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen. Auch dieser Vertrag wurde später gebrochen.49

49 Die Quellen in Dokumente zur Deutschlandpolitik, und zwar: Sumner Welles am 4. 4. 1942 in I I 2, 189 f. Roosevelt über Festhalten an Charta, 28. 3. 1942, in I I 2, 181 f. Vgl. 112, 124, 178; I/31 I, 123. Roosevelt über Sonderfrieden in Il2, 178 (24.126. 3. 1942); II 31 I, 201 f. (8. 3. 1942). Vgl. Il2, 123 (4. 2. 1942); Berle, Navigating, 390 (26. 12. 1941). Roosevelt an Stalin: Gespräch mit dem sowjetischen Botschafter Litwinow, 12. 3. 1942, in I/ 31 I, 205 f. Eden über Verdacht bei Stalin in I/31 I, 203 f. (10. 3. 1942). Stalin über Roosevelt und Churchill nach Djilas, 97. V gl. Mastny, Weg, 61. Zu Hull dessen Memoirs II, 1170 ff. Roosevelt über Zweck der zweiten Front in Sherwood, Hopkins, 526. Cadogan über Winant in Dilks, Cadogan, 454 f. Der britisch-russische Bündnisvertrag vom 26. 5. 1942 in Jacobsen,

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Nach dem Vertragsabschluß fand Molotow sich in Washington ein, wo das zweite große Thema in den Vordergrund trat, die militärische Entlastung der Sowjetunion. Zugleich jedoch enthüllte Roosevelt einen Plan, der für die Zukunft weit stärkere Bedeutung gewinnen sollte. Bei Unterredungen mit Molotow Ende Mai/ Anfang Juni 1942 sprach Roosevelt davon, die vier Hauptmächte der Vereinten Nationen, nämlich die USA, die Sowjetunion, Britannien und China, sollten in Zukunft als Weltpolizisten wirken. Sie sollten alle anderen Länder entwaffnen, also Deutschland, Japan, Frankreich, Polen, die Tschechoslowakei, Spanien usf., und sie sollten den Frieden bewahren, indem sie die Aufrüstung entwaffneter Länder unterbanden oder Störenfriede zur Ruhe brachten. Dieser Plan, der in der Folgezeit öfters als Vier-Mächte-Plan bezeichnet wurde, trat hier augenscheinlich zum ersten Mal in Erscheinung. Außenminister Hull hatte zwar in der Entstehungszeit des Washington-Paktes einen Kriegsrat jener vier Mächte ins Auge gefaßt, doch hatte er sie nicht als Weltpolizisten verstanden, und Roosevelt selbst hatte keinen gesteigerten Wert auf den Kriegsrat gelegt. Warum vollzog Roosevelt gerade jetzt die Wendung von den ursprünglich vorgesehenen zwei Weltpolizisten zu nunmehr vier derartigen Polizisten, unter Einschluß Rußlands und Chinas? Eine mittelbare Ursache besteht natürlich darin, daß seit dem Scheitern des deutschen Rußlandfeldzugs die Sowjetunion keine Größe mehr darstellte, die man vernachlässigen durfte, daß vielmehr die Sowjetunion bei der Gestaltung des Friedens ein erhebliches Gewicht in die Waagschale werfen würde. Die unmittelbare Ursache besteht aber augenscheinlich darin, daß Roosevelt die diplomatische Führung bei der Gestaltung des Friedens behalten wollte. Wenn Britannien bereit war, gemeinsam mit Rußland die Atlantik-Charta zu verletzen und bestehende Abkommen zu brechen, wenn Britannien bereit war, Amerika in den Rücken zu fallen und große Teile Europas an Rußland zu verschachern, dann lag es für Amerika nahe, gleich selbst und direkt eine Verständigung mit der Sowjetunion zu suchen. Bezeichnenderweise suchte Roosevelt die Verständigung aber nicht in der Form, daß er das Lebensrecht, die Freiheit und Selbständigkeit anderer Völker antastete, sondern er nahm nur gewisse Änderungen am ursprünglichen Sinn der Atlantik-Charta vor, indem es statt zwei Weltpolizisten nunmehr vier geben sollte. Gewiß kann man sich auf den Standpunkt stellen, das Einsetzen der Sowjetunion als Weltpolizist für Europa, der allein Waffen besaß, während alle übrigen kantinentaleuropäischen Länder entwaffnet wurden - all dies sei darauf hinausgelaufen, den Bock zum Gärtner zu machen. Aber ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Die Sowjetunion würde auf jeden Fall als eine der großen Siegermächte aus dem Krieg hervorgehen, und Amerika mußte in Zukunft mit ihr zusammenleben. Falls die USA außerstande waren, den Frieden auch gegenüber Rußland zu diktieren, dann mußten sie eben den Frieden gemeinsam mit Rußland errichten. Sodann stellte Roosevelts Vorschlag mit den vier Weltpolizisten vorderhand nur ein unverWeg, 170 f. Ferner Kettenacker, Alliance. Ders., Deutschlandp1anung. Tyrell, Deutschlandplanung, 70 ff. Miner, 193 ff., 226 ff. Kitchen, Policy.

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bindliches Angebot an Stalin dar; was daraus wurde, mußte man erst noch sehen. Roosevelt hat sich durch dieses Angebot in keiner Weise gebunden; das Angebot bildete lediglich den Versuch, von der Atlantik-Charta so viel wie möglich zu retten. Ob der Versuch glückte, würde sich im weiteren Verlauf des Krieges erweisen. Was Roosevelt erhoffte, hat er 1943 einmal seinem Vertrauten William Bullitt eröffnet, der beständig vor der sowjetischen Gefahr warnte. Roosevelt gab zu, daß Bullitt im Grunde recht habe; er meinte aber, es könne sein, daß Stalin nur Sicherheit für sein Land wolle." Er - der Präsident - stelle sich deshalb vor, wenn er Stalin großzügig und ohne Gegenleistung alles gebe, was Stalin für die Sicherheit benötige, dann werde dieser, noblesse oblige, vielleicht nichts annektieren, sondern mit dem Präsidenten für eine friedliche Welt arbeiten. Diese Äußerung gilt häufig als Beleg für Roosevelts Naivität. Mitnichten. Der Präsident konnte gar nichts anderes tun, wenn er an der Atlantik-Charta so weit wie möglich festhalten wollte. Die allgemeine Abrüstung wünschte Roosevelt nach wie vor; so sprach er Mitte 1942 öfters davon, Länder wie Frankreich, Polen, die Türkei und andere zu entwaffnen. Da sich Rußland voraussichtlich nicht entwaffnen ließ, bot sich der Ausweg an, Rußland selbst zum Weltpolizisten zu machen, der die Entwaffnung anderer überwachte. Zugleich gewann Rußland durch die Entwaffnung aller anderen ein solches Übergewicht in Europa, daß seine Sicherheit unter allen Umständen gewährleistet war. Folgte Stalin der Vernunft, so brauchte er keine fremden Gebiete mehr zu annektieren; dies würde Rußlands Sicherheit ja nicht erhöhen, sondern allenfalls die Feindschaft Amerikas hervorrufen, denn dort wünschte man dergleichen nicht. Ob Stalin der Vernunft folgte, würde sich herausstellen; einstweilen war es kein Fehler, ihm eine vernünftige Lösung vorzuschlagen. Um Stalins Vernunft zu fördern, bot Roosevelt überdies weitere Vergünstigungen an; so sprach er gegenüber Molotow davon, für finanzielle Hilfe während des Krieges keine Zinsen zu verlangen. Schließlich enthielt der Vier-Mächte-Plan auch eine deutliche Spitze gegen England. Wenn die Briten im Krieg nichts anderes zuwege brachten, als Europa den Russen auszuliefern, dann waren sie als Verbündete wenig tauglich. Wenn die Briten meinten, Rußland gegen Amerika ausspielen zu können, wie sie es im Rahmen des Eden-Plans versucht hatten, dann mußte ihnen gezeigt werden, daß man den Spieß auch umdrehen konnte. Die Atlantik-Charta hatte sich schon immer auf die ganze Erde bezogen, nicht zuletzt auf die Kolonialvölker. In Europa stand das Schicksal von 80 bis 90 Millionen Deutschen auf dem Spiel, dazu das Schicksal einiger Kleinstaaten, von denen manche, wie Polen und die Tschechoslowakei, ohnedies nichts anderes im Sinn hatten, als sich am Besitz des deutschen Volkes zu bereichern. Auf der ganzen Erde dagegen handelte es sich um das zukünftige Schicksal von vielen hundert Millionen Menschen in Asien und Afrika, denen nicht weniger das Recht auf ein eigenes Leben und eine eigene Entwicklung in Frieden und Freiheit zustand wie den Völkern Europas. Der Bolschewismus hatte sich stets gegen die Kolonialherrschaft gewandt, zweifellos nicht ohne Hintergedanken, aber wenn die Sowjetunion zum Weltpolizisten aufstieg, dann gewannen

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die USA einen Verbündeten im Kampf gegen den Kolonialismus. Bei den Gesprächen mit Molotow schlug Roosevelt vor, viele Kolonialgebiete und Inseln unter internationale Aufsicht zu stellen, und zwar auch solche, die bislang zum britischen Empire gehörten. Die Aufsicht sollte von einem Ausschuß aus mehreren Staaten geführt werden, wofür vorrangig die Weltpolizisten in Frage kamen. Als Beispiele für entsprechende Kolonialgebiete nannte Roosevelt lndochina, Malaya und Indonesien. Durch eine Treuhandverwaltung unter internationaler Aufsicht sollten jene Kolonien zur Selbständigkeit geführt werden. Für diese Idee berief sich Roosevelt auf den Führer der chinesischen Nationalbewegung Tschiang Kai-schek, der an der Spitze Rumpf-Chinas sein Land gegen die Japaner verteidigte. Damit kam zugleich Nationalchina als vierter Weltpolizist ins Bild. Für die Erhebung Chinas zum Weltpolizisten gab es mehrere Gründe. Erstens bot es sich an, nicht bloß entwickelte Industrieländer des europäisch-amerikanischen Kulturkreises am Weltdirektorium zu beteiligen, sondern auch Vertreter anderer Kulturkreise einzubeziehen. Zweitens war China eines der größten und bevölkerungsreichsten Länder der Erde, das sich schon auf Grund seiner geographischen Lage für eine Rolle als Weltpolizist im asiatischen Raum eignete. Drittens konnte China Hilfestellung leisten bei der Überwindung des Kolonialismus, z. B. durch Beteiligung an der erwähnten Treuhandverwaltung. Viertens bildete ein China unter Tschiang Kai-schek ein natürliches Bollwerk gegen russische Ausdehnungsgelüste in Asien; es stellte ein Gegengewicht zu Rußland dar und vermochte im Weltdirektorium die Rolle Amerikas als Führungsmacht zu stärken. Roosevelts neuer Vier-Mächte-Plan war also geeignet, einen ansehnlichen Restbestand der Atlantik-Charta zu retten. 5° Dennoch kam es dazu nicht. Der erste Grund für das Scheitern der AtlantikCharta ist das Mißlingen des deutschen Rußlandfeldzugs von 1941. Der zweite Grund hing wieder mit dem Kriegsverlauf zusammen. In Washington und London wurden während des Krieges vielerlei Überlegungen angestellt und Pläne geschmiedet, welche politische Gestalt Europa nach dem Krieg erhalten könnte. Diese Pläne waren durch die Bank Luftschlösser. Die Westmächte würden von Europa genau so viel erhalten, wie Stalin ihnen übrig ließ. Oder anders ausgedrückt: Alle Gebiete, welche die Rote Armee besetzte, fielen voraussichtlich in den sowjetischen Machtbereich (sofern nicht wider Erwarten Stalin doch noch den von Roosevelt vorgeschlagenen Weg der Vernunft beschritt). Stalin würde im sowjetischen Machtbereich nach eigenem Gutdünken Grenzen verschieben, Staaten errichten, Regierungen einsetzen und den Sozialismus ausbreiten. Mit dem Rest Europas konnten sich dann die Westmächte befassen. Das zukünftige Schicksal Europas hing also vom Vordringen der Roten Armee ab. Wie weit würde sie vordringen? Die Antwort ist durch zwei Faktoren bedingt. Erstens würde die Rote Armee ungeso Die Gespräche Roosevelts mit Molotow, 29.5. und I. 6. 1942, nach Dokumente zur Deutschlandpolitik I/2, 281 ff., 291 ff. Roosevelt zu Bullitt, 1943, nach einem Aufsatz von Bullitt in der Zeitschrift Life, 6. 9. 1948. Vgl. Gietz, 194. Roosevelt über Abrüstung, 6. 8. 1942, in Dokumente zur Deutschlandpolitik I /3/2, 657 f.

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fähr bis zu jener Linie vordringen, welche die deutsche Wehrmacht bei Kriegsende noch hielt. Zweitens konnten aus der Gegenrichtung, im Rücken der deutschen Ostfront, die Westmächte in Europa vordringen, und zwar ebenfalls bis zu einer Linie, welche die Wehrmacht bei Kriegsende noch hielt. Wo diese Linien liegen würden, ließ sich im voraus schwer abschätzen, doch war dies insofern unerheblich, als man sich auf jeden Fall darauf einrichten mußte, daß die beiden Linien dicht beieinander lagen. Der einfachste Fall ergab sich dann, wenn beide Linien in der Mitte Deutschlands verliefen, so daß Deutschland je zur Hälfte aus dem Osten und Westen besetzt wurde. Es mochte aber auch alles ganz anders kommen. Beispielsweise konnte es sein, daß bei Kriegsende die Rote Armee am Rhein stand oder noch weiter im Westen. Umgekehrt war es ebenso denkbar, daß die Wehrmacht weit im Osten standhielt, vielleicht noch auf russischem Gebiet, während unterdessen die Westmächte im Rücken der Ostfront den größeren Teil Europas einnahmen. Wie auch immer, eines scheint jedenfalls klar zu sein: Die größte Aussicht, möglichst viel von Europa selbst zu besetzen, besaßen die Westmächte dann, wenn sie möglichst früh, möglichst schnell und mit möglichst starken Kräften in Europa vordrangen. Freilich war dabei noch ein weiterer Gesichtspunkt zu berücksichtigen. Der Abteilungsleiter im amerikanischen Außenministerium Berle, der sich durch Weitblick auszeichnete, kam schon an der Jahreswende 1941 I 42 zu dem Ergebnis, man müsse in Betracht ziehen, daß die Sowjetunion, wenn Deutschland erst geschlagen sei, sich auf die Seite Japans stellen könnte. Diese Sorge beschäftigte von da an die Gemüter in Amerika und schlug sich auch in der vorhin genannten Denkschrift der Stabschefs von 1943 nieder. Muß man daraus schließen, daß Amerika gezwungen war, der Sowjetunion in Europa entgegenzukommen, um sie am Abschwenken auf die japanische Seite zu hindern? Nicht notwendigerweise. Wenn Stalin bei Kriegsende in Europa alles erreicht hatte, was er sich wünschen konnte, und die Westmächte nicht mehr zu fürchten brauchte, dann würde er umso eher geneigt sein, nun auch noch Japan zu unterstützen, um gewissermaßen in Ostasien einen Puffer zwischen die Sowjetunion und Amerika zu legen. Wenn jedoch die Westmächte den größeren Teil Europas in die Hand nahmen, noch bevor die Sowjetunion ihre volle Stärke entfaltet hatte, zu einer Zeit, wo die Rote Armee noch in Osteuropa stand, dann würde Stalin zögern, die Westmächte herauszufordern, indem er für Japan Partei ergriff. Auch von daher empfahl es sich also für die Westmächte, möglichst frühzeitig in Europa vorzudringen. 51 Eben dieses nahmen die Amerikaner im Frühjahr 1942 in Aussicht. Die militärische Führung auf amerikanischer Seite ging schon vor dem Kriegseintritt der USA davon aus, daß nur durch den Einsatz umfangreicher Landstreitkräfte auf dem europäischen Kontinent Deutschland niedergeworfen werden könne; zu diesem Zweck sollte ja ein Heer von über 200 Divisionen aufgestellt werden. Im Frühjahr SI Berle in dessen Navigating, 389 f. Die Denkschrift der amerikanischen Stabschefs, 10. 8. 1943, nach Jacobsen, Weg, 317.

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1942 wurde jener Plan wieder aufgegriffen und von Roosevelt sogleich dazu benützt, gegenüber Stalin die Möglichkeit eines Entlastungsangriffs der Westmächte in Europa, also der Errichtung einer zweiten Front anzudeuten, um so Gebietsabmachungen zwischen Rußland und Britannien zu unterlaufen. Bis Anfang April erzielten sämtliche beteiligten Persönlichkeiten in Washington Einigkeit über den Plan, nämlich der Präsident, sein Sonderberater Hopkins, die drei Stabschefs sowie die Minister von Heer und Marine. Die Einzelheiten ließ der Stabschef des Heeres, General Marshall, durch seinen Chef der Operationsabteilung, General Eisenhower, ausarbeiten. Demnach sollten innerhalb eines Jahres, bis zum I. April 1943, rund 50 Divisionen und 6000 Flugzeuge, davon etwa je drei Fünftel amerikanische, in England bereitgestellt werden, um anschließend die Invasion auf dem Kontinent vorzunehmen, und zwar in Frankreich. Eine frühere Großlandung in Frankreich war nicht möglich, weil die amerikanischen Streitkräfte noch im Aufbau begriffen waren und erst nach England gebracht werden mußten. Um den Russen schon 1942 eine gewisse Entlastung zu verschaffen, sollte in diesem Jahr eine Luftoffensive stattfinden, begleitet von Überfallen an der Küste. Dadurch konnte einerseits die Truppe Erfahrungen sammeln, andererseits wurde ein gewisser Druck auf die deutsche Seite ausgeübt, um deutsche Kräfte in Frankreich zu fesseln. Als Notoperation war eine kleine Invasion mit einer Handvoll von Divisionen im Jahr 1942 nur in zwei Fällen vorgesehen: wenn entweder Rußland vor dem Zusammenbruch stand und ihm durch ein Opferunternehmen sofort Hilfe gebracht werden mußte, oder wenn die deutsche Wehrmacht so geschwächt war, daß man in Frankreich eindringen konnte. Da voraussichtlich weder das eine noch das andere eintreten würde, lief der amerikanische Plan darauf hinaus, die Streitkräfte in England für die große Invasion von I 943 zu versammeln und vorzubereiten. Der Plan war zweckmäßig und versprach die rationellste Ausnützung der vorhandenen Mittel. Die einfachste, schnellste und sicherste Lösung, den Sieg über Deutschland zu erringen, Europa zu befreien und damit den ganzen Krieg zu entscheiden, bestand ohne Zweifel darin, auf dem kürzesten Weg über den Atlantik amerikanische Streitkräfte nach England zu schaffen, dieses als Absprungplattform für den Angriff auf Europa zu benützen, auf dem kürzesten Weg in Kontinentaleuropa zu landen, also in Frankreich, und anschließend auf dem kürzesten Weg nach Deutschland bzw. noch weiter nach Osten vorzudringen. Strategisch bildete dies die Ideallösung, weil sich so alle Streitkräfte, amerikanische wie britische, zusammenfassen ließen, weil Transport- und Nachschubfragen am leichtesten gelöst werden konnten, weil das Gelände für den Landvormarsch am günstigsten war und weil England die natürliche sowie bestens geeignete Basis für die Versammlung, für den Luftkrieg und für die Invasion darstellte. Was immer man von einer zweckmäßigen Strategie erwarten kann, war bei einem solchen Plan gegeben. Seit Ende 1941 galt dies umso mehr, als von nun an damit gerechnet werden durfte, daß noch für geraume Zeit der größere Teil der deutschen Wehrmacht in Rußland gebunden sein würde, so daß die deutsche Abwehr im Westen nicht unüberwindlich sein konnte.

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Darüber hinaus war der Plan auch politisch aussichtsreich. Allerdings nicht in dem Sinn, daß der Sowjetunion bald spürbare Entlastung gebracht worden wäre, denn eine Entlastung in größerem Ausmaß konnte schwerlich vor 1943 eintreten, und dann würde sie für die Rote Armee vielleicht nicht mehr so dringlich sein. Eine sofortige und nachhaltige Unterstützung der Sowjetunion ließ sich durch den Aufmarsch in England nicht erzielen. Dafür bestand aber begründete Aussicht, bei Konzentration aller Kräfte ab 1943 in Europa so frühzeitig und so rasch vorzudringen, daß· die Westmächte den Löwenanteil am Sieg errangen und entsprechend weite Gebiete besetzten. Der Wunsch, bei der Besetzung Europas der Roten Armee zuvorzukommen, spielte augenscheinlich eine wesentliche Rolle. Der amerikanische General Wedemeyer, seit 1941 mit dem Aufbau des amerikanischen Heeres befaßt, unterstützte ab dem Frühjahr 1942 Generalstabschef Marshall bei der Vorbereitung der großen Invasion 1943. Wedemeyer machte aus seinem Herzen keine Mördergrube, sondern brachte teils offen und teils verschleiert zum Ausdruck, es sei lebenswichtig, daß die Truppen der Westmächte in Europa möglichst weit vorrückten, um die Kommunisten daran zu hindern, die Herrschaft über Europa zu gewinnen. Wedemeyer wußte indes, daß es klüger war, nicht schriftlich das politische Ziel von sich zu geben, das westliche Europa und den Balkan dem sogenannten Verbündeten, der Sowjetunion, streitig zu machen. Auch wurde Wedemeyer ermahnt, nicht offen auf die bedrohlichen Folgen des Kommunismus anzuspielen. Trotzdem muß Wedemeyers Ansicht in weiten Kreisen geteilt worden sein. Als General Eisenhower im Sommer 1942 erfuhr, daß die Briten den amerikanischen Plan ablehnten, da meinte er, dies sei der schwärzeste Tag der Weltgeschichte. Was war denn so schwarz daran? Eine denkbare Erklärung könnte darin bestehen, daß Eisenhower fürchtete, die Sowjetunion werde durch den deutschen Ansturm des Jahres 1942 zusammenbrechen. Eine solche Erklärung wäre jedoch unlogisch. Eisenhower wußte sehr wohl, daß der Sowjetunion in diesem Jahr keine nachhaltige Entlastung von seiten der Westmächte zuteil werden konnte. Folglich gab es keinen zwingenden Zusammenhang zwischen dem amerikanischen Plan einerseits sowie dem sowjetischen Zusammenbruch andererseits, der ohnedies nur eine theoretische Denkmöglichkeit darstellte. Der logisch zwingende Zusammenhang bestand dagegen an anderer Stelle. Wenn die Briten den amerikanischen Plan ablehnten, dann mußte die große Invasion in Frankreich verschoben werden, und dann erhob sich die Gefahr, daß weite Teile Europas der Sowjetunion anheimfielen. Insofern durfte man durchaus von einem schwarzen Tag sprechen. Die Exilregierungen europäischer Länder, so die polnische, wiesen im Frühjahr 1942 die amerikanische Regierung darauf hin, daß ein baldiges Vordringen der Westmächte in Europa notwendig sei, um einen alliierten, nicht einen russischen Sieg zu gewährleisten und infolgedessen einen alliierten, nicht einen russischen Frieden. Wenn Roosevelt dies nicht schon selber gewußt hätte, so hätte er es hier erfahren können. Im übrigen spricht bereits der Plan selbst dafür, daß es der amerikanischen Regierung darauf ankam, Europa rechtzeitig zu befreien, nämlich vor der Roten Armee. In den USA gab es eine verbreitete Neigung, den Schwerpunkt

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der Kriegsanstrengungen in den Pazifik zu verlegen. Dies wurde von Roosevelt in jener Zeit abgelehnt; er wollte lieber die amerikanischen Kräfte in England so konzentrieren, daß sie auf dem europäischen Kontinent frühzeitig eine Entscheidung erzwingen konnten. Als Molotow zu seinem vorhin erwähnten Besuch nach Washington kam, teilte ihm Roosevelt mit, die Lieferungen von amerikanischem Kriegsmaterial an die Sowjetunion sollten gekürzt werden, um Schiffsraum freizumachen für das Verfrachten amerikanischer Truppen nach England. Molotow begegnete dem mit Mißtrauen, und er hatte Grund dazu. Tatsächlich hätte die Maßnahme dazu geführt, die sowjetische Schlagkraft ein wenig zu schwächen, während umgekehrt die Westmächte für die Invasion im Jahr 1943 stark wurden. 52 Die britische Seite, vor allem Churchill, brachte den amerikanischen Plan zu Fall. Zunächst entsandte Roosevelt im April 1942 seinen Sonderberater Hopkins und Generalstabschef Marshall nach London, um die Briten für den amerikanischen Plan zu gewinnen. Dies war erforderlich, weil sich Roosevelt, Churchill und ihre Stabschefs bei der Gipfelkonferenz an der Jahreswende 1941/42 nicht auf ein festes Programm für das Niederwerfen Deutschlands geeinigt hatten; es war nur ganz unbestimmt festgehalten worden, daß vielleicht 1943 eine Rückkehr auf den Kontinent von Süden oder Westen möglich sei. Churchill hatte damals die Absicht geäußert, ins Mittelmeer vorzustoßen, und zu diesem Zweck eine Landung im französischen Nordwestafrika vorgeschlagen. Roosevelt hatte den Anschein erweckt, als ob er dem nicht abgeneigt sei. Doch war dies an verschiedene Voraussetzungen geknüpft, darunter einen baldigen Beginn der Operation. Da die Voraussetzungen sich binnen kurzem als unerfüllbar erwiesen, wurde das Vorhaben insoweit gegenstandslos. Die gemeinsame Strategie gegenüber Deutschland bzw. den europäischen Achsenmächten blieb daher ungeklärt. Eine solche gemeinsame Strategie konnte nicht anders als im engen gegenseitigen Einvernehmen entwickelt werden, zumal dann, wenn Amerikaner und Briten gemeinsam in Frankreich landen sollten. Niemand konnte die Briten zwingen, Dutzende amerikanischer Divisionen und Tausende von Flugzeugen in England aufmarschieren zu lassen, niemand konnte sie zwingen, ihre eigenen Streitkräfte so zu verwenden, wie die Amerikaner wünschten, oder sie einem gemeinsamen Oberkommando zu unterstellen. Also mußten die Briten überzeugt werden, was nicht leicht sein würde, weil die strategischen und politischen Ziele der Briten nicht unbedingt mit denen der Amerikaner übereinstimmten. Als Hopkins und Marshall im April 1942 in London weilten, gewannen sie den Eindruck, die britische Seite habe wenigstens grundsätzlich dem amerikanischen Plan zugestimmt. Dies freilich war trügerisch; es mag sein, daß die britischen Stabschefs die militärische Logik des amerikanischen Plans anerkannten, aber Churchill tat dies mit Sicherheit nicht. Er hatte schon an der Jahreswende 1941/42 in Aussicht genommen, ins Mittelmeer vorzudringen, 52 AUgemein zum amerikanischen Plan Steele, Offensive, 100 ff. und passim. Matloff I Snell. Zu Wedemeyer dessen Krieg, 136, 150, 165 f. und passim. Eisenhower nach Butcher, Eisenhower, 44. Die Ansichten europäischer Exilregierungen nach Stoler, Politics, 39. Ders., Front, 136. Zum Molotow-Besuch Sherwood, Hopkins, 570 ff.

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insbesondere in Nordwestafrika zu landen, und dabei blieb er. Ende Mai ließ er Roosevelt wissen, man dürfe niemals die Landung in Nordwestafrika aus den Augen verlieren. Damit wurde der entscheidende Punkt angesprochen. Der Hauptgedanke des amerikanischen Plans bestand darin, alle verfügbaren Kräfte, amerikanische wie britische, in England zusammenzufassen für die große Invasion 1943. Fand diese Zusammenfassung nicht statt, z. B. weil eine Landung in Nordwestafrika unternommen wurde, so mußte aller Voraussicht nach die Invasion 1943 in Frankreich entfallen. Einerseits würden die erforderlichen Truppen für Frankreich fehlen, andererseits genügte auch der Schiffsraum nicht, um zwei Unternehmungen dieser Art zu ermöglichen. Eine Operation gegen Nordwestafrika bedeutete demnach soviel wie den Verzicht auf die Invasion in Frankreich 1943. Dieser Umstand war den Verantwortlichen sowohl in Washington als auch in London bewußt. Wenn Churchill auf der Landung in Nordwestafrika beharrte, so beinhaltete dies letztlich den Willen, die Frankreich-Invasion von 1943 zu vereiteln. In dieser Form wurde das den Amerikanern natürlich nicht mitgeteilt, sondern man gebrauchte Ausflüchte. Churchill wies seine Stabschefs an, den Amerikanern gegenüber nicht zuzugeben, daß die Landung in Nordafrika zu Lasten der Frankreich-Invasion von 1943 gehe. In Wahrheit hatte Churchill von vornherein auf einen langen Abnützungskrieg abgezielt. Seine Stabschefs unterrichtete er Ende 1941 dahingehend, man solle den Amerikanern gegenüber so tun, als ob die große Befreiungsoffensive in Europa 1943 stattfinden könne; tatsächlich werde sie aber auf spätere Jahre vertagt werden müssen. Anfang Juni 1942 entsandte Churchill den Leiter einer Dienststelle für amphibische Operationen, Admiral Mountbatten, nach Washington, um die Lage aus britischer Sicht zu erläutern. Mountbauen ging davon aus, daß der Landung in Nordwestafrika ein Vordringen nach Sizilien und Italien folgen müsse, woraus sich ergab, daß die Invasion in Frankreich frühestens 1944 stattfinden konnte. Der amerikanischen Seite teilte Mountbauen dies nicht mit; statt dessen klagte er darüber, daß im Jahr 1942 wegen der Schwäche der eigenen Kräfte kein erfolgreicher Angriff gegen den Kontinent möglich sei. Damit sagte er den Amerikanern nichts Neues. Sie wußten sehr wohl, daß 1942 nichts anderes durchführbar war als eine Luftoffensive, begleitet von Überfällen an der Küste, welche allenfalls die in Frankreich stationierten deutschen Truppen in Atem halten konnten. Der in dem amerikanischen Plan enthaltene Gedanke, im Falle eines sowjetischen oder deutschen Zusammenbruchs an der Küste einen dauernden Brückenkopf zu bilden, war eine bloße Eventualüberlegung. Unvorhergesehene Überraschungen lassen sich im Krieg nie ganz ausschließen, aber daß Rußland oder Deutschland demnächst zusammenbrechen könnten, war äußerst unwahrscheinlich, und sowohl in Washington als auch in London wußte man es. Roosevelt, der sich selber um die Einzelheiten kümmerte, hat den amerikanischen Plan nie anders verstanden als im Sinne seiner militärischen Berater: 1942 sollte eine Luftoffensive stattfinden, verbunden mit kleinen amphibischen Unternehmungen je nach den vorhandenen Kräften und 12 Rauh. Zweiter Weltkneg 3 Te1l

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Hilfsmitteln (z. B. Landungsfahrzeugen), um wenigstens einige Teile der deutschen Luftwaffe in Frankreich zu beschäftigen bzw. aus Rußland abzuziehen. Darüber hinaus legte Roosevelt Wert darauf, bereits 1942 amerikanische Truppen ins Feuer zu schicken. Das ist leicht verständlich, denn natürlich hätte es einen sehr schlechten Eindruck gemacht, wenn die Amerikaner von den Briten erwarteten, an den Küsten des Kontinents zu kämpfen, und selber tatenlos zusahen. 53 Molotow brachte bei seinem Aufenthalt in Washington Ende Mai I Anfang Juni 1942 den Wunsch der Sowjetregierung vor, die Westalliierten möchten mit rund 35 Divisionen noch in diesem Jahr auf dem Kontinent landen. Wenn es gelinge, rund 40 deutsche Divisionen von der Ostfront abzuziehen, dann sei der Sieg über Hitler absehbar. Diese Rechnung war nicht völlig aus der Luft gegriffen. Einerseits wurde im Jahr 1944, als die Invasion in Frankreich endlich stattfand, die deutsche Ostfront tatsächlich um eine größere Anzahl von Divisionen zugunsten des Westens geschwächt. Andererseits standen Mitte 1942 an die 40 britische Divisionen im Mutterland, wovon etwa 20 bis 30 für Angriffsaufgaben einsetzbar waren. Nimmt man einige amerikanische Divisionen hinzu, so schien die von Molotow genannte Zahl (35 Divisionen für eine Landung) als Rechengröße vertretbar zu sein. Trotzdem wäre eine Großlandung in diesem Umfang aus einer Reihe von Gründen entweder nicht möglich oder zu riskant gewesen, weil für ein amphibisches Unternehmen nicht bloß Bodentruppen benötigt werden, sondern auch Seestreitkräfte, Landungsfahrzeuge, Transportschiffe, Häfen, Nachschub, geeignete Wetterverhältnisse und anderes mehr. All diese Voraussetzungen ließen sich in ausreichendem Maße nicht vor 1943 gewährleisten. Molotow wurde deshalb von Roosevelt und Marshall darüber aufgeklärt, daß ein dauerhaftes Festsetzen an der Küste 1942 wohl nicht stattfinden werde, daß man vielmehr eine Luftoffensive anstrebe, wobei die Alliierten ihre Maßnahmen auch daran ausrichten müßten, wieviele Truppen sie über den Ärmelkanal bringen könnten. Roosevelt verdeutlichte dies noch dahingehend, daß er auf seine militärischen Berater Rücksicht nehmen müsse, die ein sicheres Unternehmen im Jahr 1943 einem riskanten Abenteuer in 1942 vorzögen- was im Klartext hieß, daß die Amerikaner 1942 lediglich vorbereitende Maßnahmen treffen, aber keine großen Operationen unternehmen wollten. Um Molotow trotzdem nicht mit leeren Händen nach Moskau zurückkehren zu lassen, stimmte Roosevelt zu, in eine öffentliche Mitteilung über das Ergebnis der Konferenz einen Satz aufzunehmen, den Molotow vorgeschlagen hatte. Dieser Satz besagte, man habe volles Einverständnis erzielt über die dringende Aufgabe, in Europa 1942 eine zweite Front zu errichten. Nach dem Empfinden Marshalls ging diese Formel zu weit, was bedeutet, daß Marshall 1942 eigentlich keine zwei53 Zu den Absichten Churchills Ben-Moshe. Kimball, Correspondence I, 292 ff., 494 (Churchill am 28. 5. 1942) und passim. Zu den Auseinandersetzungen auch M. Howard, Strategy, 19 ff. Sherwood, Hopkins, 524 ff. Harriman, 115 ff. Maiski, Memoiren, 741 ff. Böttger, Front. Beitzell, Alliance, 28 ff. Churchill gegenüber seinen Stabschefs, Dezember 1941, nach Villa, Action, 68. Mounthatten nach Terraine, Mountbatten, 94 f. Zu Roosevelts Verständnis des amerikanischen Plans Steele, Offensive, 105, 131 ff., 141, 164.

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te Front errichten wollte. Freilich blieb die Formel ohnehin belanglos. In London, wo Molotow nach dem Besuch in Washington noch einmal Station machte, wurde eine ähnliche Mitteilung veröffentlicht, die den fraglichen Satz ebenfalls enthielt. Zur selben Zeit erhielt jedoch Molotow von Churchill eine Denkschrift, aus der sich unschwer entnehmen ließ, daß die Briten an den Küsten des Kontinents arn liebsten gar nichts unternehmen, jedenfalls keine zweite Front errichten würden. 54 Auf die zweite Front in Jahr 1942 kam es indes gar nicht an, sondern auf die Versammlung der Streitkräfte in England für die große Landung 1943. Dies wußte Churchill zu verhindern. In Juni 1942 fand er sich in Washington ein, um Roosevelt zu überzeugen, daß man in Nordwestafrika landen müsse. Roosevelt ließ sich zunächst keineswegs überzeugen. Wie ernst es den Amerikanern mit ihrem Plan war, frühzeitig und rechtzeitig über Frankreich nach Mitteleuropa vorzudringen, zeigt allein schon der Umstand, daß sie mehrere Monate, von April bis Juli, mit den Briten rangen, um ihren Plan durchzudrücken. Bei den Auseinandersetzungen wurde auf weite Strecken Spiegelfechterei betrieben. Wenn Churchill immer behauptete, das Festsetzen an der Küste sei im Jahr 1942 nicht möglich, so hatte er damit wahrscheinlich recht, aber das war nicht das Problem. Wenn die Amerikaner sich auf den Standpunkt stellten, man müsse noch 1942 die Russen unterstützen, so meinten sie damit eine Luftoffensive, begleitet von Überfällen an der Küste. Beides wäre selbstverständlich durchführbar gewesen. Wenn die Briten 1942 imstande waren, durch Bombenangriffe deutsche Städte in Brand zu setzen, dann wären sie auch imstande gewesen, Angriffe auf das westeuropäische Küstengebiet zu fliegen. Dies umso mehr, als 1942 eine amerikanische Luftflotte nach England überführt wurde, die gemäß Plan bis zum Herbst rund 1000 Flugzeuge umfassen sollte. Landungsfahrzeuge waren zwar knapp, sie hätten jedoch ausgereicht, um an einer Stelle oder an mehreren ein paar Divisionen an Land zu setzen. Dadurch wäre die deutsche Luftwaffe herausgelockt worden, so daß es zu der Luftschlacht gekommen wäre, welche die Amerikaner anstrebten. Wenn die Truppen an Land sich nicht halten konnten, mußte man sie eben zurücknehmen; das hat Roosevelt mehr als einmal zum Ausdruck gebracht. Übrigens haben die Briten im August 1942 tatsächlich einen amphibischen Angriff auf die Stadt Dieppe an der Kanalküste unternommen, der aber so dilettantisch durchgeführt wurde, daß sich der Verdacht aufdrängt, es habe etwas vorgetäuscht werden sollen. Wie auch immer, eine Einigung über das, was 1942 möglich war, hätte sich zwischen Briten und Amerikanern sicher erreichen lassen, wenn die britische Seite nur gewollt hätte. Churchill freilich wollte etwas anderes. Nachdem er bei seinem Aufenthalt in Washington im Juni sich nicht durchgesetzt hatte, fing er im Juli wieder damit an, Roosevelt zu bestürmen, man solle doch in Nordafrika landen. Daraufhin platzte den militärischen Beratern Roosevelts der Kragen. Die Stabschefs, unterstützt von 54 Zum Molotow-Besuch Steele, Offensive, 136 ff. Zur Zahl britischer Divisionen im Mutterland Dunn, Front, 217 ff. Zu den offiziellen Ergebnissen der Molotow-Reise Dokumente zur Deutschlandpolitik 1/2, 293; 113 I 1, 481. Sherwood, Hopkins, 577.

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Kriegsminister Stimson, schlugen ihrem Präsidenten vor, er solle den Briten ein Ultimatum stellen: Entweder die Briten stimmten dem amerikanischen Plan zu, insbesondere der Versammlung der Streitkräfte in England, oder die Amerikaner würden sich von Buropa abwenden und ihre Kräfte in den Pazifik verlegen. Der Vorschlag entbehrte nicht der Logik. Wenn Aussicht bestand, durch eine frühzeitige Invasion in Frankreich den Krieg bald zu entscheiden und zugleich große Teile Europas zu besetzen, warum sollten dann die Amerikaner ihre Streitkräfte nutzlos auf dem Nebenkriegsschauplatz des Mittelmeers verzetteln? Wenn die Briten durch einen Vorstoß ins Mittelmeer den Krieg in die Länge zogen und damit das Risiko eingingen, große Teile Europas der Roten Armee preiszugeben, dann konnten die Amerikaner ihre Streitkräfte im Pazifik nutzbringender verwenden. Wenn die Briten nicht willens waren, Europa vor der Roten Armee zu besetzen, warum sollten dann die Amerikaner sich noch um Europa kümmern? Mochten die Briten doch selber zusehen, wie sie mit der Lage in Europa fertig wurden. Wenn die Rote Armee den Sieg über die Wehrmacht hauptsächlich allein errang, wenn es für die Westmächte nur noch darum ging, gegen Kriegsende der Wehrmacht den Gnadenstoß zu versetzen und denjenigen Rest Europas einzunehmen, welchen die Rote Armee übrig ließ, dann konnten die Kräfte dafür später immer noch herangeschafft werden. Roosevelt stellte den Briten kein Ultimatum. Wahrscheinlich tat er es teils aus Verantwortungsgefühl nicht und teils deswegen, weil damit nichts Wesentliches erreicht worden wäre. Bei einer Besprechung mit seinen Beratern stellte er fest, die Weigerung der Briten, 1942 an der Küste zu kämpfen, sei ein böses Vorzeichen dafür, daß sie vielleicht auch die große Invasion 1943 hintertreiben würden. Es mochte demnach der Fall eintreten, daß die Briten das amerikanische Ultimatum zwar annahmen, aber auch 1943 nicht auf dem Kontinent landen wollten. Die amerikanischen Truppen in England würden für die Invasion 1943 allein zu schwach sein, sie würden nur nutzlos in England herumstehen, während unterdessen die Briten sogar darangehen konnten, mit ihren eigenen Streitkräften eine Landung in Nordwestafrika vorzunehmen. Man vermochte die Briten nicht zu zwingen, dasjenige zu tun, was die Amerikaner wünschten. So entsandte Roosevelt im Juli 1942 noch einmal Hopkins, Marshall sowie den Stabschef der Marine, Admiral King, nach London, um einen letzten Rettungsversuch zu unternehmen. Marshall brachte dabei den Gedanken vor, im Herbst bei dem Hafen Cherbourg mit einigen Divisionen einen Brückenkopf zu bilden. Die Absicht, die sich dahinter verbarg, war augenscheinlich ein wenig gewunden. Einerseits sollten die Briten auf ein gemeinsames Unternehmen verpflichtet werden, das sie zwang, ihre Streitkräfte in England zusammenzufassen, letztlich für die Invasion von 1943. Andererseits war es höchst zweifelhaft, ob das Unternehmen gegen Cherbourg überhaupt stattfand, denn aus Witterungsgründen war eine amphibische Operation im Herbst ziemlich schwierig, außerdem sollte das Unternehmen zur Entlastung der Sowjetunion dienen, und ob diese eine solche Entlastung überhaupt benötigte, mußte erst noch festgestellt werden. Tatsächlich wurde im September I Oktober erkennbar, daß sich die deutsche

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Ostoffensive festgefressen hatte, so daß eine Landung in Frankreich nicht mehr erforderlich war. Dennoch gingen die Briten auf Marshalls Vorschlag nicht ein - womit sie im Grunde bestätigten, daß sie auch die große Invasion von 1943 nicht wünschten. Daraufhin entschied Roosevelt, es solle eine Landung in Nordwestafrika stattfinden. Etwas anderes blieb ihm auch kaum noch übrig, wenn er den Krieg gemeinsam mit den Briten weiterführen wollte. 55 Es liegt auf der Hand, daß die Strategie, welche Churchill verfolgte, die Kräfte verzettelte, die Verbindungslinien dehnte, damit den Nachschub erschwerte, und insgesamt den Krieg verlängerte. Warum ließ sich Churchill von dieser Strategie nicht abbringen? Auf amerikanischer Seite nahm man immer an, es gehe Churchill in erster Linie darum, das britische Empire zu erhalten. Sicher trifft das zumindest einen Teil der Wahrheit. Die politische und militärische Führung in London wollte ihre Streitkräfte nicht beim Kampf um das mittlere Europa verschleißen, sondern sie zur Sicherung und zum Erhalt des Empire verwenden, also der Mittelmeerachse, des vorderen Orients, Indiens und der ostasiatischen Besitzungen. Daneben spielte wohl auch der Beweggrund eine Rolle, Frankreich für die Nachkriegszeit als Großmacht wiederaufzubauen, indem das französische Kolonialreich in Nordafrika eingenommen und eine französische Befreiungsbewegung in die Lage versetzt wurde, an der Seite der Sieger bzw. selbst als Sieger im Mutterland und gegebenenfalls in Deutschland einzumarschieren. Auf die Dauer würde Britannien nicht umhinkönnen, die USA beim Vorstoß auf den Kontinent zu unterstützen, schon um den Westmächten einen angemessenen Anteil am Sieg über Deutschland zu verschaffen und der Roten Armee nicht ganz allein das Bezwingen der Wehrmacht zu überlassen. Aber damit hatte es in den Augen Churchills keine Eile, jedenfalls nicht vor der Sicherung des Empire, insbesondere der Mittelmeerachse. Betrachtet man das Verhalten Churchills unter diesem Blickwinkel, so scheint es einigermaßen erklärlich zu sein. Nichtsdestoweniger drängt sich der Eindruck auf, die Erklärung sei nicht vollständig. Bei Kriegsende klagte Churchill darüber, daß die Rote Armee bis zur Elbe vorgedrungen war, daß sich die russische Vorherrschaft auf das ganze mittlere und östliche Europa erstreckte, vom Nordkap bis Griechenland, und daß sich beim russischen Marsch quer durch Deutschland entsetzliche Dinge abgespielt hatten. Über die Ausdehnung des sowjetischen Machtbereichs sagte Churchill, man stehe damit vor einem Ereignis in der Geschichte Europas, für das es keine Parallele gebe und das die Westmächte unvorbereitet treffe. Wieso unvorbereitet? War nicht in London und Washington schon an der Jahreswende 1941 I 42 festgestellt worden, daß man genau damit rechnen müsse? Oder wollte Churchill den Umstand bemänteln, daß seine verfehlte Strategie zu diesem Ergebnis mindestens beigetragen hatte? War Churchill in Wirklichkeit gar nicht der bedeutende Staatsmann und Stratege, 55 Die Stärke der amerikanischen Luftstreitkräfte in England nach Craven/Cate I, passim. Vgl. MGFA, Weltkrieg VI, 528 (Beitrag Boog). Zum britischen Angriff auf Dieppe Villa, Action. Zu den britisch-amerikanischen Auseinandersetzungen Steele, Offensive, 160 ff., 163, 167 ff. Ferner Matloff I Snell. Hayes, Joint Chiefs, 150 ff. Pogue, Marshall II.

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als der er vor Zeitgenossen und Nachwelt so gern erscheinen wollte? Oder war Churchills Entschluß, die große Invasion von 1943 zu vereiteln, durchaus berechtigt, weil eine solche Invasion das gewünschte Ergebnis vielleicht nicht erzielt hätte? Brachte denn Churchills Strategie überhaupt irgendwelche Vorteile? Nachdem an Churchills Hartnäckigkeit die große Invasion von 1943 gescheitert war, zogen die Amerikaner alsbald ihre Folgerungen aus der neuen Lage. Einerseits drosselten sie das Überführen von Bodentruppen nach England, andererseits schickten sie ihre Streitkräfte nunmehr verstärkt in den Pazifik. Vor allem aber nahmen die Amerikaner eine einschneidende Umstellung ihrer Rüstungspläne vor. Nach den ursprünglichen Absichten, niedergelegt im sogenannten Victory-Programm von 1941, hatte das Heer einschließlich der Heeresluftwaffe auf rund neun Millionen Mann und 215 Divisionen ausgebaut werden sollen. Im Bedarfsfall hätten diese Zahlen sogar noch höher sein können; so wurde im Herbst 1942 erwogen, das Heer notfalls auf 13 Millionen Mann und fast 350 Divisionen zu bringen. Bis Ende 1942 wurden die vom Victory-Programm für diesen Zeitraum vorgesehenen Planzahlen teils erreicht, teils überschritten. Ende 1942 standen bei Heer und Heeresluftwaffe rund fünf Millionen Mann und 73 Divisionen unter Waffen. Soweit die Planzahlen überschritten wurden, betraf dies die Heeresluftwaffe und die rückwärtigen Dienste. Deren Vermehrung wurde erforderlich, weil die Amerikaner ihre Streitkräfte nicht mehr in England für die große Invasion zusarnmenfaßten, sondern auf verschiedene Kriegsschauplätze verteilten. Dies galt einerseits für England, wo die vorgesehene Luftflotte und die entsprechenden rückwärtigen Dienste hinkamen, andererseits für Nordafrika und den Pazifik, wo nunmehr Offensiven stattfanden, welche Bodentruppen, Luftstreitkräfte, Unterstützungseinrichtungen und Schiffsraum benötigten. Seit dem Herbst 1942 begannen die amerikanischen Stabschefs, die bisherigen Vorstellungen über den Heeresaufbau zu überdenken. Dies betraf vor allem die Zahl der Divisionen. Offenbar hatte es keinen Sinn, Hunderte von Divisionen aufzustellen, die vor 1944 für eine große Invasion nicht benötigt wurden und in der Zwischenzeit nur untätig herumstanden. Da die Ausbildung einer Division ungefahr ein Jahr dauerte, war es klüger, vorerst die weitere Entwicklung abzuwarten. Wurden später mehr Divisionen benötigt, so konnte man sie immer noch aufstellen, ohne vorzeitig das Personal aus der Wirtschaft herauszuziehen. So wurde Anfang 1943 festgelegt, bis Ende 1943 vorläufig nicht mehr als 100 Divisionen zu mobilisieren. Mitte 1943 fiel dann die Entscheidung, sich endgültig mit rund 90 Divisionen zu begnügen. Heer und Heeresluftwaffe sollten zusammen nur noch rund acht Millionen Mann umfassen. Für den Sieg über Deutschland wurden gut 60 Divisionen (amerikanische Truppen) als genügend erachtet, da bis zum Zeitpunkt der großen Invasion die Rote Armee für eine Schwächung der Wehrmacht hinreichend sorgen würde. Die Überlegenheit der Westmächte in der Luft würde ein übriges tun. Außerdem konnten die Amerikaner, wenn die große Invasion in Frankreich 1944 stattfand, gar nicht mehr Divisionen auf diesen Kriegsschauplatz bringen. Denn wegen der Verzettelung der Kräfte und wegen der Dehnung der

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Verbindungslinien reichten der Schiffsraum und die Nachschubkapazität nicht aus, um eine riesige Armee nach Frankreich zu schaffen und sie dort zu versorgen.56 Bei einer verspäteten Invasion 1944 sowie mit den dann verfügbaren Kräften durften die Westmächte nicht darauf hoffen, den größeren Teil Europas vor der Roten Armee zu besetzen. Deswegen sagte Roosevelt im September 1943 zu Kardinal Spellman, man müsse sich darauf einrichten, daß Stalin im ganzen östlichen und mittleren Europa bis hin nach Deutschland kommunistische Regierungen einsetzen werde. Wenn die Amerikaner im Zusammenhang mit der Invasion in Frankreich nur 60 Divisionen nach Europa zu bringen vermochten, dann durften sie sich nicht darauf einlassen, die Sowjetunion herauszufordern, und schon vollends nicht durften sie es auf einen Zusammenstoß oder gar einen Krieg mit der weit überlegenen Roten Armee ankommen lassen. Deswegen stellten die amerikanischen Stabschefs 1943 und 1944 fest, freundschaftliche Beziehungen zur Sowjetunion seien unverzichtbar, denn einen Krieg gegen Rußland könnten die USA nicht gewinnen. Um den Schaden nicht uferlos werden zu lassen, drängten alle amerikanischen Stabschefs, ebenso wie andere, im Jahr 1943 fortwährend darauf, rechtzeitig in Europa einzugreifen, um den Sieg nicht der Roten Armee allein zu überlassen. Generalstabschef Marshall beispielsweise warf im August die Frage auf, ob im Falle eines überwältigenden russischen Waffenerfolges die Deutschen wohl bereit seien, den Amerikanern das Eindringen in Deutschland zu erleichtern, um die Russen abzuweisen. Derartige Überlegungen wurden notwendig, weil die große Invasion in Frankreich nicht schon 1943 stattfand. Churchills Strategie brachte insofern also keinen Vorteil. In anderer Hinsicht brachte sie ebensowenig einen Vorteil. Das Bestreben Churchills, die Mittelmeerlinie und den vorderen Orient zu sichern, mag veranlaßt worden sein durch die Sorge, die europäischen Achsenmächte könnten die entsprechenden Gebiete in ihre Gewalt bringen, vielleicht im Zusammenwirken mit den Japanern in den vorderen Orient eindringen. Gut begründet war diese Sorge allerdings nicht. Seit der Seeschlacht von Midway Anfang Juni 1942 war die japanische Flotte so geschwächt, daß sie zu einer strategischen Offensive im Indischen Ozean außerstande blieb. Theoretisch bestand die Gefahr, daß die deutsche Wehrmacht über den Kaukasus vordrang oder in Nordafrika über den Suezkanal. Doch durfte die Wahrscheinlichkeit als gering eingeschätzt werden, da die deutschen Kräfte für einen erfolgreichen Zangenangriff solcher Art nicht ausreichten. Trat es dennoch ein, so erhob sich eine zweite Gefahr. Die Westmächte hätten in diesem Fall den vorderen Orient sich selbst überlassen und die Invasion in Frankreich zur Niederwerfung Deutschlands unternehmen können. War Deutschland erst geschlagen, so 56 Churchills Absichten in Bezug auf Frankreich nach einer Ausarbeitung Churchills, 16. 12. 1941, in Kimball, Correspondence I, 294 ff. Churchills Klagen über das Vordringen der Roten Armee, 4. 5. 1945, nach Jacobsen, Weg, 411. Zur amerikanischen Rüstungsplanung Matloff I Snell, 350 ff. Matloff, Planning, 178 ff. Stoler, Politics, 93 f.

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würden sich auch die Streitkräfte der Achsenmächte im Mittelmeer und im vorderen Orient ohne Mühe überwältigen lassen. Denkbar war jedoch, daß beim Zusammenbruch Deutschlands die Rote Armee in etliche Gebiete am Mittelmeer vorstieß, in welchen Truppen der Achsenmächte standen, z. B. in den vorderen Orient. Britannien wäre dann vom Regen in die Traufe gekommen, da es leicht sein mochte, daß Stalin auch solche Gebiete nicht mehr herausgab. Von daher scheint es einen gewissen Sinn zu ergeben, wenn Churchill den Mittelmeerraum und den vorderen Orient sichern wollte, bevor Deutschland bezwungen wurde. Dennoch war auch für einen derartigen Zweck die Strategie, welche Churchill verfolgte, wenig geeignet. Die britische Stellung am Mittelmeer wurde - theoretisch - aus zwei Richtungen bedroht: einmal vom Kaukasus her und zum anderen in Ägypten, am Suezkanal. Um dieser Gefahr Herr zu werden, mußte man notfalls am Kaukasus oder am Nil verteidigen, also Truppen dorthin schaffen. Dagegen war es völlig unergiebig, in Nordwestafrika zu landen, denn falls die Achsenmächte tatsächlich über den Kaukasus oder den Suezkanal vorstießen, konnten sie durch eine Landung in Nordwestafrika sicher nicht daran gehindert werden. Gesamtstrategisch brachten demnach Churchills Absichten auch insofern keinen Vorteil. Allenfalls brachten sie den Vorteil, daß Frankreich als Großmacht für die Nachkriegszeit wieder aufgebaut wurde- was dann zu Buche schlagen konnte, wenn unterdessen die Rote Armee Mitteleuropa überrannt hatte. Denkbar wäre sodann, daß Churchill die große Invasion von 1943 scheute, weil sie kein zufriedenstellendes Ergebnis erbracht hätte. Das ideale Ergebnis einer solchen Operation hätte darin bestanden, den deutschen Widerstand rasch zu überwinden und zügig möglichst weit nach Osten vorzudringen, ehe die deutsche Ostfront zusammenbrach. Darin waren zwei Risiken enthalten, die beide mit dem Kräfteverhältnis zusammenhingen. Einerseits vermochte niemand genau vorherzusagen, wie Hitler bzw. die deutsche Führung sich bei einer alliierten Landung in Frankreich verhielt. Legte die deutsche Seite den Schwerpunkt ihrer Verteidigungsanstrengungen in den Osten, so kamen die Westmächte voraussichtlich hinreichend schnell voran; lag jedoch das Hauptgewicht der Verteidigung im Westen, so mochte es sein, daß der Angriff der Westmächte sich festlief, während mittlerweile die Rote Armee nach Deutschland vorstieß. Dieses Risiko war indes 1944 genauso vorhanden wie 1943; das Verschieben der großen Invasion brachte insofern also keinen Vorteil. Realistischerweise darf man annehmen, daß Hitler sich 1943 ähnlich verhalten hätte, wie es 1944 tatsächlich geschah, d. h. die Ostfront wurde zwar zugunsten des Westens geschwächt, aber die Masse der deutschen Kräfte verblieb im Osten. Zwischen der Invasion von 1944 und der deutschen Kapitulation 1945 legte die Rote Armee, ganz grob gerechnet, ungefähr 1000 km zurück und kam bis zur Eibe. Es wird nicht abwegig sein, bei einer Invasion im Jahr 1943 ein entsprechendes Vorankommen der Roten Armee anzunehmen. Da die Wehrmacht 1943 noch bei Leningrad, Smolensk, Orel und in der Ostukraine stand, hätte die Rote Armee in diesem Fall bis zur deutschen Kapitulation vielleicht die östlichen Grenzen Polens und Rumäniens erreicht.

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Des weiteren wird häufig unterstellt, die große Invasion in Frankreich wäre 1943 verfrüht gewesen, weil die Kräfte nicht ausgereicht hätten. Das Gegenteil ist richtig. Als die Invasion 1944 endlich stattfand, konnten dafür, wegen der Verzettelung der Kräfte, nur rund 30 bis 40 britische und amerikanische Divisionen in England bereitgestellt werden. Für die Invasion im Jahr 1943 hätten es nach dem ursprünglichen amerikanischen Plan rund 50 Divisionen sein sollen. Diese Rechnung war sogar noch vorsichtig, denn der amerikanische Plan veranschlagte bloß 18 britische Divisionen, während eine britische Schätzung vom Mai 1942 den eigenen Beitrag auf 27 Divisionen bezifferte. 1944 wurden nach geglückter Landung in Frankreich mehrere Dutzend amerikanische Divisionen unmittelbar aus den USA nach Europa überführt, zur Verstärkung der Invasionsstreitmacht Dasselbe wäre bei einer Invasion 1943 auch möglich gewesen. Bis Mitte 1943 stellten die Amerikaner die früher erwähnten 90 Divisionen auf; wäre der Ausbau ihrer Bodenstreitkräfte nicht gebremst worden, so hätten es noch mehr sein können. Nach der Landung von 1944 verstärkten die Westmächte ihre Invasionsstreitmacht im Laufe der Zeit auf rund 80 Divisionen. Bei einer Landung im Jahr 1943 hätte sich diese Zahl mindestens ebenfalls erreichen, wahrscheinlich aber erheblich übertreffen lassen. Was für eine Landung 1943 sonst noch benötigt wurde, ließ sich herbeischaffen. Die übermäßig dramatisierte Gefahr, welche angeblich von den deutschen V-Booten ausging, hat die Westmächte nicht gehindert, im November 1942 in Nordwestafrika zu landen, wobei die Verluste durch V-Boote geringfügig blieben. Seestreitkräfte waren 1943 ausreichend verfügbar. Dasselbe gilt für Landungsfahrzeuge. Bei der Invasion 1944 wurden als erste Welle sechs Divisionen mit Landungsfahrzeugen an die Küste gebracht. Dagegen wurden bei der Landung in Sizilien Mitte 1943 über sieben Divisionen mit Landungsfahrzeugen an den Strand gesetzt. Außerdem befanden sich zu dieser Zeit Landungsfahrzeuge in großer Zahl im Pazifik. Für eine Invasion in Frankreich hätte man sie auch verwenden können. Lediglich bei den Luftstreitkräften wäre die Lage 1943 ungünstiger gewesen als 1944, denn der Plan für 1943 sah rund 6000 Flugzeuge vor, während es 1944 etwa 10000 waren. Doch hätte die geringere Zahl der alliierten Flugzeuge im Jahr 1943 der deutschen Seite nicht viel genützt. Im Jahr 1942, als die Amerikaner eine Invasion für 1943 planten, konnte noch niemand voraussehen, daß die Wehrmacht bei Stalingrad eine herbe Niederlage erleiden und stark geschwächt in das Jahr 1943 gehen würde. Es wird sich deshalb empfehlen, für einen Stärkevergleich im Jahr 1943 nur grob geschätzte Zahlen zu verwenden, mit denen die Führung auf westlicher Seite vernünftigerweise rechnen konnte. Tatsächlich besaß die Wehrmacht Mitte 1943 gut 270 Divisionen, wovon jedoch über 50 seit Jahresbeginn in der Aufstellung begriffen und vorerst kaum fronttauglich waren. Die übrigen befanden sich meistens in einem Zustand verminderter Kampfkraft Die Einzelheiten sind in einem späteren Kapitel zu erörtern; hier genügt die Feststellung, daß die Westmächte sich realistischerweise auf etwa 200 bis 250 einigermaßen kampfstarke deutsche Divisionen einstellen mußten. Davon waren mehrere Dutzend an Nebenfronten wie Skandinavien und den Balkan

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gebunden, so daß für die deutsche Ost- und Westfront ungefähr 200 Divisionen blieben. Um an der Ostfront noch notdürftig verteidigen zu können, durfte man unter 150 Divisionen nicht heruntergehen, womit im Westen bloß um die 50 vorhanden sein konnten. Tatsächlich wurde 1944 ein Zahlenverhältnis in dieser Größenordnung erreicht. Für die Abwehr einer Invasion 1943 hätte die Wehrmacht also voraussichtlich um die 50 Divisionen aufbieten können. Demgegenüber sollten gemäß amerikanischem Plan für eine solche Invasion allein in England rund 50 Divisionen aufmarschieren, während in der Folgezeit mindestens 30, wahrscheinlich aber 50 oder mehr Divisionen nachgeschoben werden konnten. Damit hätten die Alliierten die deutsche Westverteidigung allemal überrannt, zumal die deutsche Panzerwaffe 1943 schwächer war als 1944 und dasselbe für die Küstenbefestigung galt. Was die Luftstreitkräfte betrifft, so haben die Westmächte die deutsche Flugzeugproduktion für das Jahr 1942 etwas zu hoch, für 1943 einigermaßen richtig eingeschätzt. In den groben Umrissen war die Stärke der deutschen Luftwaffe also bekannt. Mitte 1943 besaß diese rund 5000 Bomber und Jäger, davon etwa 3000 einsatzbereite. Ein Teil war im Osten sowie an übrigen Fronten gebunden, so daß zur Abwehr einer Invasion im Westen höchstens wenige tausend verfügbar sein konnten. Mit rund 6000 Flugzeugen, die gemäß amerikanischem Plan für die Invasion 1943 bereitgestellt werden sollten, hätten die Westmächte eine zwei- bis dreifache Überzahl erlangt, was zum Erringen der Luftüberlegenheit oder Luftherrschaft doch wohl ausgereicht hätte. Als die Westmächte Mitte 1943 auf Sizilien landeten, bestand zwischen ihren Luftstreitkräften einerseits und den deutsch-italienischen andererseits auch kein günstigeres Überzahlverhältnis. 57 Warum hielt Churchill an seiner verfehlten Mittelmeerstrategie fest? Die einfachste Antwort wäre, daß er es nicht besser verstand. Es gibt indes noch eine andere Antwort, die eine einleuchtende Erklärung liefert. Schon viele Zeitgenossen nahmen an, Churchill ziele darauf ab, daß die Wehrmacht und die Rote Armee sich gegenseitig aufrieben. Dies muß man allerdings richtig verstehen. Churchill spekulierte darauf, daß die Wehrmacht der Roten Armee weit besser standhalten könne, als es dann tatsächlich der Fall war. Der Gedanke war an sich nicht ganz abwegig. 1942 vermochte man nicht mit Sicherheit vorauszusehen, daß Hitler die Ostoffensive dieses Jahres genauso verpfuschen würde, wie er die Ostoffensive des Jahres 1941 verpfuscht hatte; und es vermochte auch niemand vorauszusehen, daß Hitler bei Stalingrad eine ganze Armee in den Untergang treiben würde. 1943 vermochte man nicht mit Sicherheit vorauszusehen, daß Hitler durch seine abenteuerliche Kriegführung der Roten Armee den Weg bis nach Galizien ebnen würde. Ware der deutsche Ostkrieg seit 1942 sachgerecht geführt worden, so hätte das Verschieben der großen Invasion in Frankreich keine besonders nachteiligen Folgen haben müssen. Die Wehrmacht hätte dann 1944 an der Dnjepr-Linie oder sogar noch weiter 57 Marshall im August 1943 nach Stoler, Politics, 118. Vgl. ders., Front, 137 ff. Zum Kräfteverhältnis 1943 Dunn, Front, 218, 72 und passim. Die Schätzung der deutschen Flugzeugproduktion durch die Westmächte nach Boog, Luftwaffenführung, 101, Anm. 495. Zum Verhältnis der Flugzeugzahlen im Mittelmeer 1943 Gundeiach II, 587, 597 ff., 605, 609.

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im Osten stehen können. Unter solchen Umständen wäre das Besetzen des größeren Teils von Buropa durch die Westmächte wohl immer noch möglich gewesen. Churchill rechnete mit der Tüchtigkeit der deutschen Soldaten und übersah dabei, daß alle Tüchtigkeit dieser Soldaten die Unfähigkeit ihres obersten Befehlshabers nicht wettzumachen vermochte. Die Strategie Churchills war gewagt und, wie sich dann herausstellte, selbst für Churchills eigene Absichten falsch; aber unter anderen Umständen wäre sie vielleicht richtig gewesen. Diese Strategie war dem Wohl des britischen Empire gewidmet; daß Buropa den Schaden davontragen könnte, hat Churchill nicht bedacht. Roosevelt gab am 24. Januar 1943 in dem nordwestafrikanischen Ort Casablanca, wo nach geglückter Landung der Westmächte eines seiner Gipfeltreffen mit Churchill stattfand, die Absicht bekannt, den Krieg mit der bedingungslosen Kapitulation der Achsenmächte zu beenden. Die Beweggründe sind bis heute nicht recht deutlich geworden; die schlüssigste Erklärung dürfte sein, daß die Bekanntgabe der Formel "bedingungslose Kapitulation" mit dem Ausbleiben der zweiten Front zusammenhing. Churchill hatte im August 1942 Stalin in Moskau aufgesucht und ihm vorgelogen, die zweite Front werde 1943 errichtet, nämlich durch eine Landung in Frankreich. Daß dies nicht möglich sei, hatten schon vorher außer den amerikanischen auch die britischen Stabschefs festgestellt, letztere gegenüber Churchill und gegenüber dem Kriegskabinett In Casablanca wurde deshalb beschlossen, vorerst im Mittelmeer weiter vorzudringen und die zweite Front auf später zu vertagen. Dieses Ergebnis hatte Roosevelt unschwer vorhersehen können. Es bedeutete jedoch zugleich, daß sich bei Stalin der Eindruck verstärken mußte, er werde von den Westmächten bewußt und vorsätzlich hintergangen. Dies würde seine Bereitschaft, mit den Westmächten während des Krieges und danach zusammenzuarbeiten, sicher nicht verstärken. Ein halbes Jahr vorher hatte Roosevelt durch Mo1otow dem sowjetischen Diktator angeboten, Rußland könne die Rolle eines Weltpolizisten übernehmen. Allerdings verknüpfte Roosevelt dies mit der Hoffnung, Stalin werde vielleicht auf die Ausdehnung des sowjetischen Machtbereichs verzichten, falls er ausreichende Sicherheit für die Sowjetunion erlange. Wenn freilich Stalin mitansehen mußte, wie die Westmächte ihn mit grundlosen Versprechungen über die zweite Front hinhielten, wie sie die Rote Armee allein gegen die Wehrmacht kämpfen ließen, dann würde er wenig Neigung haben, seine Ansprüche zu mäßigen, sondern würde lieber die Sicherheit der Sowjetunion durch die Besetzung anderer Länder zu erreichen suchen. Solches würde ihm umso eher möglich sein, als die Rote Armee nach dem Scheitern der deutschen Ostoffensive von 1942 gute Aussichten hatte, die Wehrmacht bald zurückzutreiben, wogegen die Chancen der Westmächte, Buropa vor der Roten Armee zu besetzen, wegen der Vertagung der großen Invasion in Frankreich stark absanken. In dieser Lage hielt Roosevelt es für geraten, Stalin noch einmal darauf aufmerksam zu machen, wie nach dem Willen der amerikanischen Regierung die zukünftige Sicherheit der Sowjetunion beschaffen sein sollte. Der Präsident erklärte seinen Stabschefsam 7. Januar 1943, Stalin sei zu Bespre-

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chungen mit Roosevelt und Churchill eingeladen worden, habe die Einladung jedoch ausgeschlagen. Wahrscheinlich habe Stalin das Empfinden, daß die Westmächte seine Belange nicht genügend würdigten, und fühle sich alleingelassen. Der Präsident wolle deshalb mit Churchill darüber sprechen, ob es ratsam sei, Stalin zu unterrichten, daß die Vereinten Nationen den Kampf bis zur Einnahme Berlins fortsetzen und daß sie sich nicht mit weniger begnügen würden als mit der bedingungslosen Kapitulation. In diesem Zusammenhang wolle der Präsident mit Churchill auch über die Frage der Entwaffnung nach dem Krieg sprechen. Wenn die Gespräche erfolgreich seien, könne Generalstabschef Marshall nach Moskau entsandt werden, um Stalin die Absichten der Westmächte zu erläutern. Roosevelt wollte also augenscheinlich Stalin beschwichtigen. Er wollte ihm zusichern, daß die Westmächte nicht vorhatten, Deutschland oder eine andere Achsenmacht als militärisches Gegengewicht zur Sowjetunion zu benützen. Sondern Stalin sollte wissen, daß die Westmächte die russischen Bedürfnisse bei der Friedensregelung nicht übergehen, vielmehr auf die zukünftige Sicherheit der Sowjetunion bedacht sein würden. Solche Sicherheit würde die Sowjetunion erlangen, indem die Achsenmächte, namentlich Deutschland und Japan, entwaffnet wurden. Um ihre Entschlossenheit unter Beweis zu stellen, wollten die Westmächte die bedingungslose Kapitulation verlangen. Nach der Vernichtung der deutschen und japanischen Militärmacht wurde Rußland nicht mehr bedroht, so daß Stalin eigentlich keinen Anlaß mehr hatte, fremde Gebiete zu annektieren oder die sowjetische Einflußsphäre zu vergrößern. Roosevelts Vorhaben stellte einmal mehr einen Rettungsversuch dar- einen Rettungsversuch für wesentliche Teile der Atlantik-Charta und für die Freiheit europäischer Völker. Dieser Rettungsversuch scheiterte, wie andere auch. Zwar stimmte Churchill der Formel "bedingungslose Kapitulation" zu, doch scheint ansonsten die Einigung an der Oberfläche geblieben zu sein. Jedenfalls kam es zu der Entsendung von Marshall nach Moskau nicht. Roosevelt gab in Casablanca der Öffentlichkeit die Kapitulationsformel bekannt, aus der später jeder herauslas, was ihm beliebte. So auch Churchill, der Anfang 1944 die Behauptung aufstellte, aus der Formel "bedingungslose Kapitulation" folge, daß die Deutschen keinen Anspruch auf die Atlantik-Charta hätten. 58

58 Zu Churchills Mittelmeerstrategie Ben-Moshe. Stoler, Politics, 79 ff. und passim. Roosevelts Casablanca-Formel über bedingungslose Kapitulation sowie die Besprechung mit den Stabschefs nach Dokumente zur Deutschlandpolitik I/4, 23 ff., 81 ff., 129. Dazu Moltmann, Genesis. Kettenacker, Surrender. Vgl. Gietz, 69 ff. Tyrell, Deutschlandplanung, 136 ff. Churchill über bedingungslose Kapitulation und Atlantik-Charta, 14. I. 1944, nach Jacobsen, Weg, 328.

II. Irrwege 1. Hitlers Ostkrieg 1943/44

Spätestens nach der Katastrophe von Stalingrad, nach der Landung der Westmächte in Nordafrika und nach dem Sieg der Amerikaner auf Guadalcanal konnte für jeden, der mit der strategischen Lage halbwegs vertraut war, kaum noch ein Zweifel bestehen, daß die Achsenmächte in diesem Krieg unterliegen würden. General Jodl drückte es kurz nach Kriegsende so aus: Seit der Jahreswende 1942/43 hätten die maßgebenden Soldaten ebenso wie Hitler gewußt, daß sich der Kriegsgott von Deutschland abgewandt habe. Hitlers Tatigkeit als Stratege sei damit im wesentlichen zu Ende gewesen. Seine militärischen Ratgeber hätten dem Diktator nicht klarmachen müssen, daß der Krieg verloren sei; Hitler habe es selbst früher als andere geahnt und gewußt. Wenn dem so ist, dann scheint sich die Frage aufzudrängen, ob es nicht an der Zeit gewesen wäre, aus der Einsicht in die verfahrene Lage die nötigen Schlüsse politischer oder militärischer Art zu ziehen, etwa den Krieg rechtzeitig zu beenden, noch bevor die Schrecken einer totalen Niederlage unabwendbar wurden. Die Frage ist in dieser Form allerdings zu einfach gestellt und läßt sich so simpel nicht beantworten. Ob Hitler einer Beendigung des Krieges auf dem Verhandlungswege zugestimmt hätte, kann man nicht wissen; möglicherweise wäre sein radikaler Standpunkt: ,.Deutschland wird entweder Weltmacht oder überhaupt nicht sein" ein unüberwindbares Hindernis geworden. Aber selbst wenn Hitler bzw. eine deutsche Regierung hätte verhandeln wollen, so hätte sie es nicht gekonnt. Roosevelt und Churchill hatten bereits in der Atlantik-Charta 1941 das Kriegsziel festgehalten, die Nazi-Tyrannei zu vernichten, also mit Hitler jedenfalls keinen Frieden zu schließen. Der Washington-Pakt von Anfang 1942 hatte dann erkennen lassen, daß die Mächte der Anti-Hitler-Koalition eigentlich auf eine bedingungslose Kapitulation der Achsenmächte zielten. Dies wurde auch formell verbindlich gemacht, als Roosevelt, mit Zustimmung Churchills, bei der Konferenz von Casablanca im Januar 1943 die bedingungslose Kapitulation Deutschlands, Italiens und Japans forderte. Roosevelt bezweckte damit zwar nach wie vor nicht die Verknechtung der besiegten Völker, sondern die Förderung einer friedlichen Weltordnung. Aber von nun an stand doch fest, daß es keinerlei Art von Ausgleichsfrieden oder Verständigungsfrieden geben würde, daß die Westmächte vielmehr erwarteten, ihre Gegner dergestalt niederzuwerfen, daß diese sich auf Gnade oder Ungnade ergeben mußten. Ein Verhandlungsfrieden wäre demnach allenfalls noch zwischen Deutschland und der Sowjetunion vorstellbar gewesen, doch kam es dazu aus den früher dargelegten Gründen nicht. So wurde auch für den deutschrussischen Krieg die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation maßgeblich,

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li. Irrwege

die Stalin bereits in einem Tagesbefehl vom I. Mai 1943 sich zu eigen gemacht hatte. Damit war offenbar ein Lösungsweg, wie er wohl den Gepflogenheiten des älteren Mächtesystems entsprochen hätte, hier nicht mehr gangbar: nämlich den Krieg nur so lange fortzusetzen, wie noch irgendein wünschbares oder erträgliches Ergebnis möglich zu sein schien, und erst bei erkennbarer Aussichtslosigkeit in Verhandlungen einzutreten. Seit der Forderung nach bedingungsloser Kapitulation schied jede Verhandlungslösung aus - die Achsenmächte konnten entweder gleich kapitulieren oder weiterkämpfen in der verzweifelten Hoffnung, irgendwo werde sich doch noch ein Erfolgsschimmer zeigen. Daß die Achsenmächte den letzteren Weg wählten, ist - wenn man die Sachlage ganz allgemein betrachtet - so ungewöhnlich nicht. Nach dem deutschen Einmarsch in Polen wurde der polnischen Führung schon binnen weniger Tage klar, daß der Krieg operativ verloren war; trotzdem wurde der Widerstand noch wochenlang nicht eingestellt. Nach dem Sichelschnitt in Frankreich war der Krieg für Frankreich unstreitig verloren; trotzdem wurde er nicht sogleich beendet. Ähnlich verhielten sich die Achsenmächte. Offenbar ist es im Krieg eine gängige Verhaltensweise, sich nicht zu beugen, solange noch ein gewisses Maß an eigener Kampfkraft vorhanden ist, solange der Beweis noch nicht klar zutage liegt, daß alle Launen des Kriegsglücks ausgeschöpft sind. Angesichts der Forderung auf bedingungslose Kapitulation wurde die Entscheidungslage für die Achsenmächte sogar noch mehr zugespitzt, da ihnen nur zwei Möglichkeiten blieben: entweder ihr gesamtes politisches Schicksal in Zukunft in die Hand der Siegermächte zu legen, oder wenigstens den Versuch zu unternehmen, durch den Kampf auf die Gestaltung dieses Schicksals selbst Einfluß zu nehmen. Muß man daraus schließen, daß den Achsenmächten praktisch gar keine andere Wahl mehr blieb, als den Kampf mit allen Kräften fortzusetzen? In Hinblick auf Japan wird man dies bejahen dürfen. Das Kaiserreich war in den Krieg eingetreten, um sich den politischen Forderungen der USA nicht kampflos zu beugen. Ab 1943 setzte die japanische Führung den Krieg fort in der Hoffnung, den Gegner durch eine glückliche Schlacht doch noch aufzuhalten oder wenigstens so schwer zu schädigen, daß er ein Mindestmaß an Nachgiebigkeit zeigte. In Hinblick auf Italien sind die Zusammenhänge verwickelter, doch fand sich für das Land schließlich ein Schlupfloch, indem es weiterkämpfte, bis der Feind auf italienischem Gebiet stand und sich die Gelegenheit ergab, sowohl das Regime Mussolini zu stürzen als auch die Fronten zu wechseln, d. h. sich auf die Seite der Sieger zu schlagen. Ware für Deutschland ein ähnlicher Ausweg denkbar gewesen? An sich ja, denn die Möglichkeit ist wohl nicht von der Hand zu weisen, daß das Reich seine Kriegsanstrengungen auf den östlichen Kriegsschauplatz konzentrierte, um die Sowjetunion möglichst weit von Mitteleuropa fernzuhalten, gegen die Westmächte aber allenfalls hinhaltenden Widerstand leistete, um Mitteleuropa von ihnen besetzen zu lassen. Solche Gedanken wurden beispielsweise in deutschen Oppositionskreisen vertreten und von dieser Seite aus den Amerikanern unterbreitet.

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Zu einer solchen Lösung kam es bekanntlich nicht, sondern Hitler führte den Krieg im Innem und Äußeren weiterhin so, wie er es für richtig hielt. Wenn Wehrmacht und Volk ihm dabei weithin Gefolgschaft leisteten, so darf dies doch nicht zu dem Schluß verleiten, die Beweggründe seien überall dieselben gewesen. In ihrer unterschiedlichen Vielfalt lassen sich diese Beweggründe überhaupt nicht auf einen einheitlichen Nenner bringen. Für die Masse der Soldaten und des Volkes waren die strategischen Hintergründe kaum durchschaubar; soweit sie die unaufhaltsame Verschlechterung der Kriegslage erkannten, wird man ihnen zugute halten dürfen, daß sie meinten, ihre Pflicht am Vaterland erfüllen zu müssen gegen rachsüchtige Feinde. In einer Zeit, in welcher das Vaterland nichts mehr gilt, mag das für manchen schwer nachvollziehbar sein, aber jener Generation galt das Vaterland noch etwas- ähnlich übrigens auch den Japanem. Für Hitler freilich stand das Wohl des Vaterlands nicht im Vordergrund, wenngleich dies dem Volk weisgemacht wurde. Zweifellos hätte eine rechtzeitige, vielleicht auch politisch geschickt gegenüber den einzelnen Gegnern vorgenommene Kapitulation dem deutschen Volk wie der Wehrmacht unnötige Leiden erspart. Aber es durfte nicht erwartet werden, Hitler und die Nationalsozialisten würden die menschliche Größe zeigen, ihr Scheitern einzugestehen, ihre Herrschaft über das Volk preiszugeben, die Verantwortung für ihr Handeln auf sich zu nehmen und sich wohl auch dem Gegner auszuliefern, der ihnen den Prozeß machen oder kurzen Prozeß mit ihnen machen würde. Hitler identifizierte sein eigenes Schicksal mit demjenigen des Volkes: Wenn er selbst schon zugrunde ging, dann sollte das Volk mit ihm zugrunde gehen. Davon abgesehen klammerte sich der Diktator in den letzten Kriegsjahren augenscheinlich an die Hoffnung, die Koalition der Gegnermächte werde zerbrechen oder es werde gelingen, sie zu sprengen. Daß dies bloßes Wunschdenken darstellte, spielt dabei keine Rolle; Hitler hatte schon immer seine Wünsche und seinen Glauben mit der Wirklichkeit verwechselt. Es mag sein, daß manche unbegründete Hoffnung, mancher Wunderglaube auch im Volk als Strohhalm diente, um sich daran zu klammem. Wichtiger indes war etwas anderes, nämlich das ebenso leicht verständliche wie nachvollziehbare Bestreben, wenigstens die Rote Armee Sowjetrußlands nicht nach Deutschland vordringen zu lassen, wenn schon die Niederlage unvermeidlich war. Viele Soldaten und große Teile der Bevölkerung, die mit dem Nationalsozialismus nichts gemein hatten, dachten so und wollten die Niederlage lieber durch die Westmächte erleiden als durch die Sowjetunion. Weiterhin zu kämpfen, den Krieg bis zum bitteren Ende durchzustehen, schien diesen Menschen keineswegs sinnlos zu sein, wenn es dadurch gelang, die Heimat ganz oder großenteils vor dem schlimmsten Übel zu bewahren, vor dem Überrollen durch die Rote Armee. In der Tat hätte sich das zukünftige Schicksal Mitteleuropas wohl anders gestaltet, wenn zum Zeitpunkt der Kapitulation die Wehrmacht noch vorwärts der deutschen Ostgrenze gestanden wäre. 1 t Jod! über Hitlers Einfluß auf die Kriegführung, diktiert 1946, in KTB OKW IV I 2, 1721. Hitler über Deutschland als Weltmacht in Mein Kampf, 742. Zur Forderung nach bedingungsloser Kapitulation Moltmann, Genesis. Stalins Tagesbefehl vom I. 5. 1943 in L.

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Haider hatte schon 1942 für die Ostfront den Übergang zur strategischen Defensive empfohlen. 1943, nachdem die Ostfront weiter geschwächt worden war, kam auch Hitler an der Einsicht nicht mehr vorbei, daß die Zeit strategischer Offensiven für Deutschland zu Ende war. Fraglich blieb, wie die strategische Defensive gestaltet werden sollte. Angesichts des Kräfteverhältnisses hätte es sich empfohlen, die Ostfront so weit wie möglich zu verkürzen, um Kräfte einzusparen, sowie in beweglicher Abwehr den Ansturm des Gegners aufzufangen. In der Kunst operativer Führung war die deutsche Seite der russischen immer noch überlegen - sofern diese Kunst überhaupt angewandt wurde oder zweckdienlich angewandt wurde. Was tatsächlich geschah, faßte Haider als Beobachter aus der Feme später so zusammen: "Diese Kunst operativer Führung war eine wesentliche Stärke deutscher militärischer Führungstradition ... Dem brutalen Gewaltmenschen Hitler war diese Gedankenwelt völlig verschlossen. Seine aus dem Stellungskampf des 1. Weltkrieges geschöpften Vorstellungen und sein unbegrenztes Mißtrauen gegen die militärische Führerschaft des Heeres, die er bis in lächerliche Einzelheiten hinein an seine persönliche Entscheidung binden zu müssen glaubte, ließ ihn bei dem diktatorischen Befehl zur starren Verteidigung jedes Quadratmeters enden. Es ist geschichtlich nicht ohne Reiz, zu verfolgen, wie auf russischer Seite die Führung, die 1941 mit dem Prinzip der starren Verteidigung Schiffbruch gelitten hatte, sich zur Kunst wendiger operativer Führung entwickelt und unter einzelnen ihrer Marschälle Operationen durchführt, die nach deutschen Maßstäben vollste Anerkennung verdienen, während man auf deutscher Seite unter dem Einfluß des Feldherrn Hitler der operativen Führungskunst abschwört und in der ideenarmen und letzten Endes zum Mißerfolg verurteilten starren Verteidigung endet." Es begann damit, daß Hitler auch im Jahr 1943 an einem Frontabschnitt angreifen und so dem Gegner das Gesetz des Handeins vorschreiben wollte. Schon im Herbst 1942 hatte der Diktator das Bereitstellen einer Anzahl von Divisionen für erneute Angriffsoperationen im Jahr 1943 gewünscht, und der Räumung des Frontvorsprungs von Rschew hatte er Anfang 1943 nur mit der Auflage zugestimmt, daraus Kräfte für einen Angriff zu gewinnen. Als Angriffsziel schien sich das Abschnüren der Fronteinbuchtung bei Kursk anzubieten, die aus den Winterkämpfen hervorgegangen war. Den Entschluß zu einer solchen Operation faßte Hitler im März 1943, also zu der Zeit, als der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd, Feldmarschall Manstein, durch seine Gegenoffensive bei Charkow die Lage in diesem Gebiet wiederherstellte. Durch Operationsbefehl vom 13. März ordnete Hitler an, am Nordflügel von Mansteins Heeresgruppe Süd sofort die Bildung einer starken Panzerarmee in die Wege zu leiten, um nach der Beendigung der Schlammperiode vor dem Russen zur Offensive antreten zu können. Dadurch sollte, im Zusammenwirken mit einer Angriffsgruppe aus dem Frontvorsprung um Orel (Heeresgruppe Holbom, Aims II, 755 f. Zu den Vorstellungen des deutschen Widerstands über Kriegsbeendigung im Westen B. Martin, Versagen, 1041, 1047 ff. Zu Hitlers Hoffnungen auf einen Bruch der Gegnerkoalition Hillgruber, Weltkrieg, 108, 111.

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Mitte), der Feind im Bogen von Kursk vernichtet werden. Für den Vorstoß aus dem Orel-Bogen sollte die Heeresgruppe Mitte diejenigen Kräfte einsetzen, welche durch die Räumung des Frontvorsprungs von Rschew frei wurden. Bei der Eroberung des Kursker Bogens wollte Hitler es allerdings nicht bewenden lassen, sondern er sah für die zweite Sommerhälfte wiederum einen Angriff auf Leningrad vor. Die Einstellung der beteiligten hohen Offiziere zu Hitlers Absichten war zwiespältig. Generalstabschef Zeitzier riet anscheinend dem Diktator Anfang März, er solle lieber den Sowjets die Initiative überlassen und sie sodann im Gegenschlag angreifen. Da Hitler jedoch erklärt haben soll, er werde auf keinen Fall von seiner Offensive abgehen, mußte sich der Generalstab beugen. Manstein liebäugelte ursprünglich mit dem Gedanken, im unmittelbaren Anschluß an die Rückgewinnung von Charkow den Stoß nach Norden fortzusetzen, um auch die Einbuchtung von Kursk abzuschneiden. Dies mußte jedoch unterbleiben, da die Heeresgruppe Mitte unter ihrem Oberbefehlshaber, Feldmarschall Kluge, aus Kräftemangel sich außerstande sah, noch vor der Schlammperiode an einer solchen Operation mitzuwirken. In der Folgezeit erhob Manstein gegen das Kursker Unternehmen keine grundsätzlichen Bedenken, er meldete jedoch schon am 22. März dem OKH, daß er die Kräfte seiner Heeresgruppe für unzureichend halte, um sowohl eine starke Panzerarmee für den Angriff gegen Kursk bereitzustellen als auch seine gesamte übrige Front zu verteidigen. Für Feldmarschall Kluge stellte sich die Lage ähnlich dar. Seiner Heeresgruppe Mitte unterstanden fünf Armeen, die zusammen eine Frontlänge von fast 1300 km zu besetzen hatten, nahezu doppelt soviel wie die Heeresgruppe Süd. Zwar besaß die Heeresgruppe Mitte zahlenmäßig mehr Verbände als die Heeresgruppe Süd, aber deren Zustand war im Durchschnitt schlechter als bei Heeresgruppe Süd, denn schon im Sommer 1942 waren der Heeresgruppe Mitte lediglich die schwächeren und schlechter ausgestatteten Verbände geblieben, und infolge der Winterkämpfe hatte man Reserven regelmäßig an den Südteil der Ostfront geleitet. Der Mangel bei Heeresgruppe Mitte war so groß, daß zwei ehedem motorisierte Divisionen entmotorisiert und in gewöhnliche Infanteriedivisionen umgewandelt wurden. Die gesamte Ostfront verfügte Anfang Mai 1943 über rund 1500 einsatzbereite Panzer, davon ungefähr ein Drittel bei Heeresgruppe Mitte, zwei Drittel bei Heeresgruppe Süd, doch waren in der genannten Ziffer auch etliche hundert veraltete Kampfwagen enthalten. Der Heeresgruppe Mitte unterstanden nominell zwei Panzerarmeen (die 2. und 3.), die fast nur noch Infanteriedivisionen kommandierten; daß Panzerkorps keine schnellen Divisionen mehr besaßen, war eine gängige Erscheinung. So verfügte die Heeresgruppe Mitte wohl über 60 Infanteriedivisionen gegenüber knapp 30 bei Heeresgruppe Süd, aber die letztere besaß immerhin 12 Panzerdivisionen und eine motorisierte Division, wogegen die Heeresgruppe Mitte bis zum Sommer 1943 lediglich auf acht Panzerdivisionen und drei motorisierte Divisionen kam, die in ihrer Ausstattung hinter denjenigen der Heeresgruppe Süd zurückblieben. Kluge ließ deshalb bereits am 12. April melden, daß die verfügbaren Kräfte 13 Rauh, Zweller Weltkneg 3 Teil

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für den Angriff wahrscheinlich nicht ausreichten und daß er die Zuführung von Verstärkungen beantrage. Die Schwäche der eigenen Kräfte wurde vor allem von General Model hervorgehoben, dem Oberbefehlshaber der 9. Armee, die im März 1943 den Frontvorsprung von Rschew räumte und anschließend am Südrand des Bogens von Orel eingeschoben wurde, um den Angriff auf Kursk zu führen. Von den Divisionen, die Model für den Angriff zur Verfügung standen, war Ende April höchstens ein Viertel zu jeder Angriffsaufgabe geeignet, also unbeschränkt einsatzfähig, alle anderen waren entweder nur für die Abwehr oder bloß für begrenzte Angriffsaufgaben geeignet. Model konnte zu dieser Zeit lediglich mit gut 200 Panzern für den Angriff rechnen, dazu etlichen veralteten sowie etwa 120 Sturmgeschützen, d. h. Panzerfahrzeugen mit starrem Geschütz, die sich für die Panzerjagd und die Infanterieunterstützung eigneten. Models Haupteinwand betraf allerdings weniger die derzeitige Schwäche seiner Verbände als vielmehr den Termin des Angriffs. Hitler hatte nämlich, wie es seiner Gewohnheit entsprach, auch in diesem Fall wieder ohne sorgfaltige Abklärung der Voraussetzungen sozusagen ins Blaue hinein befohlen. Schon der Operationsbefehl vom 13. März, durch welchen Hitler den Angriff auf Kursk angeordnet hatte, war erlassen worden, ohne vorher in sorgfaltiger Stabsarbeit zu ergründen, ob, wann und wie eine derartige Operation überhaupt durchführbar und zweckmäßig war. Ein solches Unternehmen, an dem zwei Heeresgruppen beteiligt werden sollten, hätte natürlich vom OKH, also dem Generalstab des Heeres, geplant und vorbereitet werden müssen. Dies geschah augenscheinlich nicht, vielmehr entwickelten die beiden Heeresgruppen mit ihren Armeen jeweils getrennt ihre eigenen Operationspläne und legten sie bis zum April dem OKH vor. Manstein, Kluge und Model kamen dabei übereinstimmend zu der Auffassung, der Angriffsbeginn solle nicht früher als Mitte Mai liegen, da nur dann das Heranbringen der erforderlichen Verstärkungen, das Auffrischen der Divisionen und das Wiederherstellen der Operationsfähigkeit gewährleistet seien. Daran hielt sich Hitler jedoch nicht. Am 15. April erließ er erneut einen Operationsbefehl, bezogen auf den Angriff gegen Kursk, wofür seit Anfang des Monats der Deckname ,,Zitadelle" verwendet wurde. In dem Operationsbefehl hieß es, er - Hitler habe sich entschlossen, als ersten der diesjährigen Angriffsschläge den Angriff ,,Zitadelle" zu führen. Diesem Angriff komme ausschlaggebende Bedeutung zu, er müsse schnell und durchschlagend gelingen, er müsse der deutschen Seite die Initiative in die Hand geben, und der Sieg müsse für die Welt wie ein Fanal wirken. Als frühester Angriffstermin wurde der 3. Mai genannt. Diese Terminfestsetzung stieß bei Model auf Widerstand, weil er bis dahin seine Verbände nicht in angriffsfähigen Zustand bringen konnte. Ende April erhielt er Gelegenheit, seine Einwände Hitler persönlich vorzutragen. Dies führte fürs erste zur Verschiebung des Angriffstermins um einige Tage und veranlaßte Hitler außerdem, am 4. Mai eine Besprechung mit Manstein, Kluge und etlichen anderen Offizieren abzuhalten. Diese Besprechung wurde zum Wendepunkt für das Unternehmen Zitadelle; zugleich wirft sie ein Schlaglicht auf Hitlers Führungsmethode zu jener Zeit. 2

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Die Besprechung wäre in dieser Form überflüssig gewesen, wenn Hitler rechtzeitig hätte feststellen lassen, wann und unter welchen Voraussetzungen überhaupt angegriffen werden konnte. Dafür hatte er an sich den Generalstab, der früher, zu Halders Zeiten, imstande gewesen war, aussichtsreiche Feldzüge in Polen, Frankreich, auf dem Balkan und in Rußland zu planen. Aber der Generalstab hatte mittlerweile nichts mehr zu sagen; statt dessen erließ Hitler aus seiner Kenntnislosigkeit heraus irgendwelche Befehle, von denen sich dann erst noch erweisen mußte, ob sie tauglich waren (meistens waren sie es nicht). Davon abgesehen nahm an der Besprechung auch General Guderian teil. Guderian, bekannt als Panzerfachmann sowie als tüchtiger und eigenwilliger Truppenführer, war von Hitler im Winter 1941 I 42 entlassen, im Februar 1943 aber zurückgeholt worden, um das neue Amt eines Generalinspekteurs der Panzertruppen zu bekleiden, der die mechanisierten bzw. schnellen Truppen erneuern sollte. Wenngleich Guderian für eine solche Aufgabe zweifellos geeignet war, trug seine Ernennung (28. Februar) doch dazu bei, die Führungsstrukturen weiter zu zersplittern. Sie gehört daher in einen größeren Zusammenhang. Gemäß der Organisation der obersten militärischen Führungseinrichtungen, wie sie vor dem Krieg entstanden war, verfügte Hitler als Oberbefehlshaber der Wehrmacht und faktisch Kriegsminister für das Bearbeiten aller militärischen Angelegenheiten auf der Ebene der Gesamtwehrmacht (oberhalb der Teilstreitkräfte) über das OKW und innerhalb dessen über den Wehrmachtführungsstab, der in seinem Kern nicht mehr darstellte als ein kleines Büro für die Unterrichtung des Oberbefehlshabers Hitler und für das Ausarbeiten allgemeiner Weisungen auf der Ebene der strategischen Kriegführung. Die konkrete militärische Führungstätigkeit oblag in der Regel den Oberkommandos der Teilstreitkräfte und deren Stäben, insbesondere dem OKH bzw. dem Generalstab des Heeres, der in der Tat während der Ära Haider bis 1941 die meisten Feldzugspläne ausgearbeitet und das Heer geführt hatte. Im Laufe der Jahre war diese nicht unbedingt ideale, aber halbwegs arbeitsfähige Organisation durch Hitlers Eingriffe zusehends aufgelöst worden. Nachdem Hitler schon beim Norwegen-Unternehmen den Befehlshaber der Bodentruppen sich persönlich unterstellt hatte, überließ bei der Vorbereitung des Rußlandfeldzugs im Frühjahr 1941 das OKH den Kriegsschauplatz Finnland/Norwegen freiwillig dem OKW. Als Hitler am 9. Juni 1941 einen Wehrmachtbefehlshaber im Südosten (Balkan) einsetzte, da unterstellte er auch diesen sich selbst unmittelbar. Anscheinend äußerte Hitler in dieser Zeit zudem den Wunsch, das OKH solle sich ausschließlich dem Feldzug in Rußland widmen, während alle anderen Gebiete bzw. z Haider über Abwehr ab 1943 in Halder, Hitler, 56. Hitler über Bereitstellung von Angriffsdivisionen nach Müller-Hillebrand III, 78, 104. Heinrici/Hauck, 463. Hitlers Operationsbefehle vorn 13.3. und 15. 4. 1943 in KTB OKW III/2, 1420 ff., 1425 ff. Zeitzlers Ansicht nach Heinrici/Hauck, 475, 477. Meldungen der Heeresgruppen Süd und Mitte, 22.3., 24.3. und 12. 4. 1943 in Klink, Zitadelle, 280 ff. Stärke beider Heeresgruppen nach KTB OKW III/ I, 262; III/2, 736. Müller-Hillebrand III, 125, 128. Klink, Zitadelle, 111 ff. Ferner Manstein, Siege, 473 ff. Görlitz, Model, 139 ff. 13*

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Kriegsschauplätze dem OKW zu unterstellen seien. In der Folgezeit übernahm tatsächlich das OKW allmählich die Befehlsgebung über alle Fronten mit Ausnahme der russischen. So entstand jene bekannte Aufsplitterung der Führungstätigkeit, die fortan bis zum Kriegsende bestand und sich in der Unterscheidung zweier Arten von Kriegsschauplätzen niederschlug: Die Ostfront war OKH-Kriegsschauplatz insofern, als dort das OKH bzw. der Generalstab des Heeres mit der operativen Führung befaßt war, während alle anderen insofern OKW-Kriegsschauplätze bildeten, als dort das OKW Aufgaben der operativen Führung wahrnahm, was konkret hieß, daß innerhalb des OKW das Wehrmachtführungsamt (seit Sommer 1940 Wehrmachtführungsstab genannt) als Generalstab und Operationsabteilung für diese Kriegsschauplätze wirkte. Von der Sache her war diese Aufteilung nicht einmal ganz unverständlich, denn lediglich beim russischen Kriegsschauplatz stand das Landkriegswesen im Vordergrund, während bei allen anderen Kriegsschauplätzen Fragen des Seekriegswesens, des Luftkriegswesens und des Einsatzes von Bodentruppen ineinander verwoben waren. Es konnte demnach so scheinen, als sollten diese Kriegsschauplätze zweckmäßigerweise nicht durch den Stab einer Teilstreitkraft geführt werden, sondern durch einen Wehrmachtgeneralstab, der den Teilstreitkräften übergeordnet war. Trotzdem stellte dies keine angemessene Lösung dar, und zwar aus zwei Gründen. Erstens hatte zwar vor dem Krieg, zu Zeiten des Ministers Blomberg, die Absicht bestanden, das OKW zu einem regelrechten Wehrmachtgeneralstab auszubauen, doch war es dazu nicht gekommen, weil Hitler eine schlagkräftige, an einer Stelle zusarnmengefaßte und fachmännisch betriebene Führung der gesamten Wehrmacht nicht wünschte, um seine diktatorische Stellung und seine Entscheidungswillkür nicht zu gefährden. Vor allem der Wehrmachtführungsstab unter General Jodl kam über die Bedeutung und die Leistungsfähigkeit einer kleinen Hilfseinrichtung, eigentlich eines Sekretariats oder Büros für bestimmte Dienstleistungen, nie hinaus; schon von seinem Umfang und seiner personellen Besetzung her war er gar nicht imstande, die gesamte Wehrmacht, noch dazu auf verschiedenen und sehr anspruchsvollen Kriegsschauplätzen, sachgerecht zu führen. Militärische Stabsarbeit ist im Zeitalter des modernen, industrialisierten und vielfach geradezu wissenschaftlichen Kriegswesens eine höchst aufwendige Veranstaltung, die zahlreiches, gut geschultes und eigentlich auch hochkarätiges Personal erfordert. Die Generalstäbe des Heeres und der Luftwaffe beispielsweise umfaßten Hunderte von Offizieren, die auf verschiedenen Sachgebieten Zuträgerdienste leisteten für sorgfältig vorbereitete und durchdachte Entscheidungen an der Spitze. Dagegen gehörten dem Wehrmachtführungsstab zu Beginn des Krieges höchstens 15 bis 20 Offiziere an, und bis zum Kriegsende stieg diese Zahl auf lediglich 40 bis 50. Mit einer solchen, vergleichsweise winzigen Dienststelle konnte selbstverständlich die gesamte Wehrmacht mit verschiedenen Teilstreitkräften auf mehreren Kriegsschauplätzen nur in einem ganz oberflächlichen Sinn geführt werden. Es kam hinzu, daß die Häupter des Wehrmachtführungsstabs, Jodl sowie General Warlimont (seit An-

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fang 1942 Stellvertretender Chef), zweifellos befähigte Offiziere waren, die jedoch nach ihrem Werdegang und ihrer Erfahrung eigentlich nicht die Voraussetzungen mitbrachten, um die Leitung eines regelrechten Wehrmachtgeneralstabs zu übernehmen und die ganze Wehrmacht zu kommandieren. Hierfür wären ausgesuchte Spitzenkräfte nötig gewesen etwa vom Format eines Halder, aber das war bestimmt das letzte, was Hitler wünschte. Zweitens brachte die Aufsplitterung in verschiedene Arten von Kriegsschauplätzen keinerlei Klärung der Zuständigkeiten und Befehlsverhältnisse mit sich, sondern sie vergrößerte nur das wirre Durcheinander, das überall entstand, wo Hitler tätig wurde. Die Aufspaltung in verschiedene Arten von Kriegsschauplätzen kam zu einem vorläufigen Abschluß, als Hitler im Dezember 1941 auch den Oberbefehl über das Heer persönlich übernahm. Damit unterstanden ihm automatisch alle hohen Heeresbefehlshaber an den verschiedenen Fronten unmittelbar. Das hätte nicht ausgeschlossen, daß der Generalstab des Heeres operative und andere Führungsangelegenheiten für das gesamte Heer an den verschiedenen Fronten bearbeitete, also der Oberbefehlshaber Hitler für entsprechende Planungen und Weisungen sich des Heeresgeneralstabs bediente. Tatsächlich jedoch setzte Hitler die bereits eingerissene Gewohnheit fort, für die Befehlsgebung auf den nichtrussischen Kriegsschauplätzen das OKW zu benützen, so daß der Heeresgeneralstab nur noch das Führungsbüro für die Ostfront darstellte. Zudem wurde Hitler in einem formalen Sinn nie "Oberbefehlshaber des Heeres", denn er übernahm die Aufgaben eines Oberbefehlshabers des Heeres keineswegs im ganzen Umfang, sondern er unterstellte alle Einrichtungen des ehemaligen OKH außer dem Generalstab dem Chef des OKW Keitel, so insbesondere das Verwaltungs-, Personal-, Rüstungs- und Ersatzwesen des Heeres (die Leitung des Heerespersonalamts wurde im Frühherbst 1942 Hitlers Chefadjutant Schmundt übertragen). Bei wohlmeinender Betrachtung könnte man in der Zerschlagung des alten OKH sogar einen Gewinn an Vereinheitlichung erblicken, einen Fortschritt insofern, als nunmehr die zentrale Führung der gesamten Wehrmacht aufgewertet und das OKW in Richtung auf einen wirklichen Wehrmachtgeneralstab weiterentwikkelt wurde. Denn vorher hatten dem obersten Befehlshaber Hitler mit seiner kriegsministeriellen Behörde, dem OKW, drei Teilstreitkräfte mit erheblicher Selbständigkeit unterstanden, während nunmehr das Eigenleben der weitaus stärksten Teilstreitkraft, des Heeres, praktisch ausgelöscht war. Die Leitung eines Großteils der ehemaligen OKH-Geschäfte besorgte ohnedies Keitel, die hohen Befehlshaber des Heeres unterstanden Hitler direkt, und da der Generalstab des Heeres bloß noch das Führungsbüro für die Ostfront darstellte, war er im Grunde überflüssig. Es hätte sich empfohlen, den Generalstab des Heeres mit dem Wehrmachtführungsstab zu verschmelzen und das OKW in einen wirklichen Wehrmachtgeneralstab umzuwandeln, der das gesamte Heer unmittelbar und die gesamte Wehrmacht einheitlich führte. Entsprechende Überlegungen wurden von den militärischen Fachleuten auch angestellt, wenn nicht schon im Winter 1941/42, dann jedenfalls 1943, nachdem die Ereignisse von Stalingrad weiten Kreisen die Augen geöffnet

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hatten, daß Hitlers Führungsmethoden die Wehrmacht in den Abgrund reißen mußten. Manstein regte bei einer Unterredung mit Hitler im Februar 1943 an, einen einzigen Generalstabschef zu ernennen, also einen echten Wehrmachtgeneralstab zu errichten, und wiederholte den Vorschlag zusammen mit Kluge im September. Guderian unternahm 1943 und später mehrere Vorstöße mit derselben Absicht, und der Staatssekretär im Luftfahrtministerium, Feldmarschall Milch, schlug Hitler bei einem Gespräch im März 1943 ebenfalls die Einsetzung eines Generalstabschefs der Gesamtwehrmacht vor. Das Ziel war dabei immer, die zersplitterte Führungsorganisation zu bereinigen, Hitler aus der Operationsführung hinauszudrängen und ihm nur nominell den Oberbefehl zu belassen, sowie den willfährigen Keitel und den wirkungslosen Jod! zu entfernen, um Platz zu schaffen für einen leistungsfähigen Generalstabschef, der wirklich Heer und Wehrmacht kommandieren konnte. Daneben wurden auch andere Lösungen debattiert, so das Einsetzen eines Oberbefehlshabers an der Ostfront, damit wenigstens dort Hitlers Unfug abgestellt wurde, oder das Ernennen eines neuen Oberbefehlshabers des Heeres, wie es anscheinend bei einem Gespräch zwischen Guderian, Zeitzier und Rüstungsminister Speer im Sommer 1943 geschah. Nichts von alledem hatte Erfolg. Durch das Zerschlagen des alten OKH, durch das Aufspalten der Führungsorganisation hatte Hitler sich eine Machtstellung geschaffen, wie er sie wünschte: Er allein verkörperte fortan die Einheit beim Lenken und Befehligen der Wehrmacht, er allein entschied über die Kampfführung und die Kräfteverteilung auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen, er allein gab den Stäben, den Frontbefehlshabern, den Teilstreitkräften und den Rüstungsdienststellen die Richtlinien für die weitere Kriegführung. Er allein konnte sich in alles und jedes einmischen und tat dies auch, während es umgekehrt niemanden gab, keine Person und keine Einrichtung, die ein Gegengewicht zu ihm gebildet hätte oder gar ihm hätte entgegentreten können. Die Führungsorganisation war dergestalt zerfasert, daß sie wenig Überzeugendes zu leisten vermochte, dafür aber im Nebeneinander und Gegeneinander der verschiedenen Stellen Hitlers diktatorische Herrschaft sicherte und seiner dilettantischen Willkür ungehemmt ein breites Betätigungsfeld eröffnete. 3 In diesen Zusammenhang fügt sich auch die Ernennung Guderians zum Generalinspekteur der Panzertruppen. Waffengenerale bzw. Inspekteure der verschiedenen Waffengattungen hatte es auch im alten OKH gegeben, so insbesondere einen General der Schnellen Truppen, der wie alle Inspekteure keine Befehlsgewalt über 3 Zur militärischen Spitzengliederung Bd. I und li dieser Untersuchungen. Führerweisung über die Einsetzung des Wehrmachtbefehlshabers im Südosten, 9. 6. 1941, in Hubatsch, Weisungen, 142 ff. Zum Wehrmachtführungsstab auch KTB OKW IV/2, 1741 ff. Vgl. Boog, Luftwaffenführung, 600 ff. (Stärke des Luftwaffengeneralstabs). Zur Aufteilung der Kriegsschauplätze Warlimont I, 157 f., 208 ff., 228 f., 245 ff., 272 ff. Müller-Hillebrand III, 36 ff. KTB OKW I! I, 136 E f. Überlegungen zur Spitzengliederung ab 1943 nach Manstein, Siege, 437 f., 524 f. Guderian, 268 f., 276, 294 ff. Irving, Luftwaffe, 274 f. Speer, Erinnerungen, 283 f. Görlitz, Model, 138 f.

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die Truppen der betreffenden Waffengattung besaß, sondern Fragen der Ausbildung und Organisation bearbeitete. Die Waffengattung "Schnelle Truppen" hatte sich mittlerweile stark verändert: Die eigentliche Panzerwaffe (Kampfwagentruppe) war in den vergangenen Niederlagen und Rückzugskämpfen arg dezimiert worden und besaß nicht mehr den hohen Ausbildungsstand früherer Jahre; für die motorisierte Infanterie galt ähnliches, auch befand sich die motorisierte Infanterie im Wandel, indem sie nun öfters mit Schützenpanzern kämpfte und 1942 den Namen Panzergrenadiere erhielt (obwohl große Teile nach wie vor bloß motorisiert waren und manche nicht einmal das); für die Panzerabwehr wurden nunmehr vielfach Selbstfahrlafetten und Sturmgeschütze bzw. Jagdpanzer verwendet; schließlich zeichnete sich bereits die Neigung ab, die motorisierten Divisionen der Waffen-SS, die nur einsatzmäßig dem Heer unterstanden, zu Lasten von Heeresdivisionen bevorzugt mit Waffen und Gerät, auch Panzern, auszustatten. Der Gedanke, die schnellen Truppen zu erneuern, ihnen ihre Schlagkraft zurückzugeben, verbunden mit einer Umbenennung in "Panzertruppen", war also durchaus angebracht, zumal die schnellen Truppen bzw. Panzertruppen nach wie vor das Rückgrat der operativen Kriegführung bildeten. Als Guderian wegen dieser Angelegenheit im Februar 1943 zum Diktator befohlen wurde, verlangte er Befugnisse, die weit über diejenigen eines früheren Inspekteurs hinausgingen, und erhielt sie auch. Einem befähigten Fachmann Sondervollmachten einzuräumen, braucht nicht schädlich zu sein. Hier jedoch wurde einmal mehr Hitlers altes Rezept angewandt, Sonderbevollmächtigte einzusetzen, die dem Diktator unmittelbar unterstanden, mit unklar abgegrenzten und sich überschneidenden Zuständigkeiten, weil Hitler meinte, das "Talent", der harte Charakter, letztlich der rassisch überlegene Mensch, erweise seine Durchsetzungsfähigkeit gerade dann, wenn er sich in der Auseinandersetzung, im Kampf mit anderen behaupte und dabei den Bereich seiner Aufgaben sowie die Art ihrer Erfüllung aus eigener Kraft umreiße. In einem solchen Umfeld wurde auch das neue Amt des Generalinspekteurs der Panzertruppen angesiedelt; Guderian erhielt in Hinblick auf die Panzertruppen gewissermaßen die Stellung eines zusätzlichen Generalstabschefs. Früher hatte die Dienstanweisung für den Generalstabschef des Heeres bestimmt, daß er die Richtlinien für die Organisation, Ausbildung, Bewaffnung und Ausrüstung des Kriegsheeres gebe. Nunmehr oblagen dem Generalinspekteur der Panzertruppen diese Aufgaben, soweit die Panzertruppen betroffen waren, freilich ohne abschließende Festlegung, wo er tatsächlich selbständig handeln durfte. Wie der Generalstabschef des Heeres und der Chef des OKW unterstand auch der Generalinspekteur dem Führer unmittelbar, doch behielt Hitler in der Dienstanweisung für den Generalinspekteur grundsätzliche und andere Entscheidungen ausdrücklich sich selbst vor. Zwar wurde der Generalinspekteur ermächtigt, im Rahmen seiner Befugnisse bindende Weisungen an alle Dienststellen des Heeres zu erteilen, doch oblagen ihm Organisation und Ausbildung der Panzertruppen nur im Einvernehmen mit dem Generalstabschef des Heeres, was bei Uneinigkeit darauf hinauslief, daß immer Hitler den Ausschlag gab. Zwar unterstanden dem General-

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inspekteurauch die Panzertruppen der Waffen-SS und der Luftwaffe (Göring hatte im Rahmen der Luftwaffe selbst einen schnellen Verband aufgestellt), doch durfte der Generalinspekteur insoweit nur im Auftrag Hitlers handeln. Für die technische Weiterentwicklung und fabrikatorische Planung von Waffen und Gerät hatte der Generalinspekteur mit dem Rüstungsminister zusammenzuwirken, doch mußten die entsprechenden Forderungen dem Diktator zur Entscheidung vorgelegt werden. Mit der Ernennung Guderians wurde also nicht viel mehr erreicht, als einen tatkräftigen Mann auf eine im Grunde überflüssige Dienststelle zu setzen, dadurch die Führungsorganisation weiter zu zersplittern, den Generalstab des Heeres weiter zu entmachten, zusätzliche Reibungsflächen zu schaffen und Hitler noch mehr Gelegenheit zu geben, sich überall einzumischen. Der Diktator konnte nunmehr noch besser alle seine Berater und Mitarbeiter gegeneinander ausspielen und befestigte den seit längerem bestehenden Zustand, daß praktisch keine Entscheidung ohne ihn gefallt wurde, oder vereinfachend ausgedrückt: daß Hitler alles selber machte. 4 Diese Tatsache ist festzuhalten, wenn man zum Ausgangspunkt zurückkehrt: zu der Besprechung vom 4. Mai 1943 über das Unternehmen Zitadelle, an welcher auch Guderian teilnahm. Über den Inhalt der Besprechung ist man nur durch die Erinnerung von Beteiligten unterrichtet, namentlich Manstein und Guderian. Es scheint aber sicher zu sein, daß Guderian vom Unternehmen Zitadelle gänzlich abriet, weil dieses keinen nennenswerten Nutzen verspreche und weil es angesichts des Zustands der Panzerwaffe zweckmäßig sei, letztere im Laufe des Jahres wieder in die Höhe zu bringen, statt sie bei unergiebigen Angriffen zu verschleißen. Vom Standpunkt der Panzerwaffe und ihrer technischen Entwicklung aus war das sicher richtig. Die Panzerdivisionen und die ehemaligen motorisierten Divisionen, die seit Mai 1943 Panzergrenadierdivisionen hießen, waren im Frühjahr 1943 nur noch ein Schatten ihrer selbst und von der früheren Leistungsfähigkeit weit entfernt. Eine voll ausgestattete Panzerdivision hätte mindestens 150 bis 200 Kampfpanzer aufweisen müssen, nach Guderians Vorstellungen eigentlich noch mehr; tatsächlich jedoch besaßen die Panzerdivisionen im Frühjahr 1943 kaum mehr als eine schwache Abteilung (ca. 50 Panzer). Die bislang verwendeten mittelschweren Kampfwagen (Typen P III und P IV) konnten gegen starke Gegner nur noch dann eingesetzt werden, wenn sie mit leistungsfähigeren Geschützen ausgerüstet waren. Neue schwere Panzertypen befanden sich seit 1941/42 in der Entwicklung und im Bau, nämlich der P VI ("Tiger") und der P V ("Panther"), wovon der letztere in der Summe seiner Eigenschaften wohl der beste Kampfpanzer des Zweiten Weltkriegs war. Naturgemäß konnten diese neuen Panzertypen beim Gegner nur dann beträchtliche Wirkung erzielen, wenn Gerät und Besatzungen volle Einsatzbereitschaft erreicht hatten und in genügender Anzahl zur Verfügung standen. 4 Allgemein zu Hitlers Führungsstil Bd. I und II dieser Untersuchungen. Zu den früheren Inspekteuren der Waffengattungen und Waffengeneralen MGFA, Militärgeschichte IV, 334 f. Müller-Hillebrand I, 123 ff.; li, 96. Zum Generalinspekteur der Panzertruppen und seiner Dienstanweisung Guderian, 259 ff. Müller-Hillebrand III, 158 f., 234 f. Zu den früheren Befugnissen des Generalstabschefs des Heeres Müller-Hillebrand I, 116 ff.; III, 39.

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Daran hielt Hitler sich nicht. Als im September 1942 die ersten Tiger-Panzer verwendungsfähig wurden, entschied Hitler, sie in ganz geringer Stückzahl bei Leningrad einzusetzen, noch dazu in ungeeignetem Gelände - mit der vorhersehbaren Folge, daß sie allesamt abgeschossen wurden. Bis zum Sommer 1943 waren jeweils einige hundert Tiger- und Panther-Panzer vorhanden, für einen geschlossenen Einsatz eigentlich zu wenige, außerdem erwies sich die Konstruktion des Panther als noch nicht ganz ausgereift, so daß er erst im Spätsommer oder Herbst wirklich frontbrauchbar wurde. Auch von daher hätte es sich angeboten, auf unnötige Angriffsoperationen zu verzichten, die Panzerwaffe zu schonen und ihr die Schlagkraft zu verleihen, die sie in den zukünftigen Abwehrkämpfen noch bitter benötigen würde. Ähnlich wie 1942 wollte jedoch Hitler die neuen Panzer, von denen er sich Wunderdinge versprach, möglichst bald einsetzen, ohne Rücksicht darauf, daß sie zahlenmäßig und technisch noch nicht genügten. Andererseits stand für das Unternehmen Zitadelle auch wenig Infanterie zur Verfügung, weswegen Kluge und Model die Zuführung einiger Infanteriedivisionen verlangt hatten. Diese Divisionen wären an sich wohl verfügbar gewesen. Im Kuban-Brückenkopf auf der Kaukasus-Seite des Schwarzen Meeres wurde noch immer unnötig die 17. Armee festgehalten, die Hitler beim Rückzug aus dem Kaukasus im vergangenen Winter dort hatte stehen lassen, in der Hoffnung, eines Tages doch wieder zu den Ölquellen vorzurücken. In Hitlers Operationsbefehl vom 13. März hatte es zwar geheißen (wahrscheinlich unter dem Einfluß des Generalstabs), es sollten Kräfte von dort abgezogen werden. In Wahrheit tat Hitler das Gegenteil, denn der Heeresgruppe A, die am Kuban und auf der Krim den Oberbefehl innehatte, wurden bis zum Sommer 1943 außer ihren rund 20 deutschen und rumänischen Verbänden noch drei deutsche Infanteriedivisionen zusätzlich zugeführt. An anderer Stelle hätten diese Kräfte bessere Dienste geleistet. Bei jener Besprechung am 4. Mai konnte sich Guderian mit seinem Rat, auf das Unternehmen Zitadelle zu verzichten, nicht durchsetzen. Hitler nahm statt dessen in Aussicht, den Angriff so lange zu verschieben, bis man den beiden Heeresgruppen in größerer Zahl neue Panzer und Sturmgeschütze zur Verfügung stellen könne, zunächst jedenfalls bis in den Juni. Dagegen wandten sich nun Manstein und Kluge. Sie stellten dem Diktator vor Augen, daß die Verschiebung, um die deutschen Kräfte zu verstärken, zwecklos sei, weil die sowjetische Seite dadurch Gelegenheit erhalte, sich noch mehr zu verstärken als die deutsche. Die Rote Armee könne dann den Bau von Stellungen vorantreiben, ihre eigenen Verbände besser auffrischen, in großer Menge Reserven heranziehen, vor allem Panzer, denn der Zuwachs an Panzern gehe auf sowjetischer Seite erheblich schneller vonstatten als auf deutscher. Außerdem bestehe die Gefahr, daß der noch vorhandene Brükkenkopf der Achsenmächte in Afrika verlorengehe und anschließend die Westmächte eine Landung in Europa durchführten, so daß die Zitadelle und die Abwehr einer Landung zeitlich zusammenfielen und für eine von beiden die Kräfte fehlten. Der ebenfalls anwesende Stabschef der Luftwaffe, General Jeschonnek, pflichtete dem bei und ergänzte es durch die Feststellung, daß auch aus der Sicht der Luft-

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waffe eine Verschiebung der Zitadelle nicht ratsam sei, da ein wesentlicher Zuwachs an Fliegerkräften nicht in Aussicht stehe. Ähnlich sprach sich der Generalstabschef des Heeres Zeitzier aus, der bei dieser und offenbar auch bei anderer Gelegenheit auf einen baldigen Beginn des Unternehmens Zitadelle drängte, da zu einer späteren Zeit die russische Abwehr so stark sein werde, daß der Angriff bei Kursk keinen Erfolg mehr verspreche. Wenn die Operation nicht bald beginne, sei es besser, auf das Unternehmen ganz zu verzichten. 5 Bei der Besprechung vom 4. Mai prallten also drei verschiedene Meinungen aufeinander: diejenige Guderians, welcher von der Offensive abriet, diejenige der Stabschefs von Heer und Luftwaffe sowie der beiden Frontbefehlshaber, welche der Offensive nur bei baldigem Beginn zustimmten, und diejenige Hitlers, welcher beides verwarf, vielmehr die Offensive erst nach einer Verschiebung durchführen wollte. Es wiederholte sich die bekannte Erscheinung, daß derlei Besprechungen ziemlich sinnlos waren, weil sie zu Hitlers Willensbildung ohnedies nichts beitrugen. Auf der Grundlage sorgfältiger Stabsarbeit hatte Hitler noch nie seine Entscheidungen getroffen bzw. Krieg geführt, und er tat es jetzt erst recht nicht. Welches militärische Verhalten im 1ahr 1943 für die deutsche Seite angezeigt war, hätte durch eine fachmännische Analyse der Lage ergründet werden müssen. Es wird sich empfehlen, diese Lage einmal zu betrachten. Mitte 1943 umfaßte das deutsche Feldheer rund 4,5 Millionen Mann, die Luftwaffe rund 2 Millionen und die Marine 650000. Das Feldheer gliederte sich, abgesehen von den Heerestruppen, in 243 Divisionen; dazu kamen 22 Divisionen der Luftwaffe für den Erdkampf sowie 11 Divisionen der Waffen-SS. Die Luftwaffe gliederte sich, abgesehen von ihren Erdkampfverbänden, in sechs Luftflotten an den verschiedenen Fronten (drei im Osten, je eine im Norden, Westen und Süden), dazu eine Kommandobehörde im Rang einer Luftflotte für die Reichsverteidigung (Luftwaffenbefehlshaber Mitte). Zu dieser Zeit besaß die Luftwaffe ungefähr 5000 Bomber und Jäger, davon etwa 3000 einsatzbereite. Die Zahl der einsatzbereiten Flugzeuge lag nicht wesentlich höher als 1940. Bei den Bodentruppen standen die Dinge ähnlich. Die Gesamtzahl der Divisionen hatte Mitte 1941 208 betragen, war bis Mitte 1942 auf 233 gestiegen und belief sich Mitte 1943 auf 276. Mit der Vermehrung ging jedoch ein Verlust an Qualität und Kampfkraft einher. Bei Stalingrad und am Südflügel der Ostfront waren im vergangenen Winter 26 Divisionen vollständig vernichtet worden, sechs weitere gingen im Frühjahr 1943 in Afrika verloren, also zusammen 32, darunter allein 12 gepanzerte und motorisierte, d. h. etwa ein Drittel der schnellen Truppen des Heeres. Das Schlimmste war dabei nicht einmal der Verlust von rund 2000 bis 3000 Panzern und großen Mengen an sonstigem Material, sondern die Einbuße an gut ausgebildetem und erfahrenem Personal. Seit 5 Die Besprechung vom 4. 5. 1943 nach Guderian, 278 ff. Manstein, Siege, 488 ff. Klink, Zitadelle, 140 ff. Über Tiger-Panzer bei Leningrad Speer, Erinnerungen, 255. Allgemein zur Panzerwaffe Müller-Hillebrand III. Zum Kuban-Brückenkopf KTB OKW III/ I, 248, 262; III/ 2, 736.

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Anfang 1943 stellten zwar Heer, Luftwaffe und Waffen-SS zusammen über 50 Divisionen neu auf, darunter auf Befehl Hitlers auch sämtliche Stalingrad-Divisionen, aber bis solche Verbände wieder den Kampfwert der alten Divisionen erreichten, würde geraume Zeit vergehen, falls es ihnen überhaupt gelang. Allgemein stellte die scheinbar beeindruckende Zahl von 276 Divisionen eher eine hohle Fassade dar. Darunter befanden sich rund 20 Luftwaffenfelddivisionen, die von Natur aus nicht viel taugten, weil ihrem Personal die Gefechtsausbildung des Heeres fehlte. Darunter befanden sich ferner 16 bodenständige Divisionen für die Küstenverteidigung im Westen, die im Bewegungskrieg nicht verwendet werden konnten. Sodann befanden sich darunter über 20 Stalingrad- und NordafrikaDivisionen, die neu aufgestellt, aber aus Mangel an Ausbildung und Material Mitte 1943 noch nicht fronttauglich waren. Es befanden sich darunter rund zwei Dutzend alte schnelle Divisionen des Heeres, die außer in seltenen Ausnahmefallen ihre sollmäßige Stärke nicht erreichten, weil auf der Grundlage von Hitlers Entscheidungen ihre vollständige Auffüllung nicht mehr möglich war. Voll ausgestattet wurden von nun an in der Regel nur noch SS-Divisionen. Schließlich befanden sich unter jenen 276 Divisionen noch 174 Infanterie- und Jägerdivisionen herkömmlicher Art, die vom bisherigen Kriegsverlauf schwer gezeichnet waren. Früher hatte eine Infanteriedivision 15000 bis 17000 Mann umfaßt und war durch die Ausstattung mit Zugmitteln (vor allem Pferde) sowie Kraftfahrzeugen einigermaßen beweglich gewesen. Die bereits 1942 eingeleitete Entwicklung, daß die infanteristische Kampftruppe der Divisionen geschwächt, die Beweglichkeit vermindert und das erfahrene Führungspersonal ausgedünnt wurden, setzte sich 1943 fort, bis schließlich der weithin ohnedies bestehende Zustand durch eine neue Gliederung der Infanteriedivisionen im Oktober 1943 verbindlich vorgeschrieben wurde. Demnach betrug die Stärke der Infanteriedivision nur noch 10700 deutsche Soldaten, der Infanterieanteil (außer der Artillerie und den anderen Unterstützungswaffen) wurde von drei Regimentern mit je drei Bataillonen auf drei Regimenter mit je zwei Bataillonen gekürzt, und bei den Versorgungsteilen sollten 2000 sogenannte Hilfswillige verwendet werden, also Einheimische besetzter Länder, die freiwillig in der Wehrmacht dienten. Die 174 Infanteriedivisionen des Jahres 1943 brachten tatsächlich weniger Kampfkraft auf die Waage als die 157 entsprechenden Divisionen des Jahres 1941. Von den beschriebenen insgesamt 276 Divisionen standen Mitte 1943 insgesamt 186 an der Ostfront (etwa 3,2 Millionen Mann einschließlich Heerestruppen, die übrigens auch ziemlich schwach geworden waren). Demgegenüber umfaßte das Feldheer der sowjetischen Roten Armee im Frühjahr und Sommer 1943 allein in Europa rund sechs Millionen Mann, die sich wahrscheinlich in über 800 größere Verbände gliederten (Schützendivisionen und Schützenbrigaden, Panzerbrigaden und Kavalleriedivisionen). Wegen der zu erwartenden Neuaufstellungen mußte ab dem Sommer mit einer beträchtlichen Menge zusätzlicher Verbände gerechnet werden. Die deutsche Aufklärung veranschlagte Mitte Juni die Zahl sowjetischer Verbände vor der deutschen Front auf über 700 Schützendivisionen, Schützenbri-

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gaden, Panzerbrigaden und Kavalleriedivisionen, dazu eine größere Zahl selbständiger Panzerregimenter. Die Ausstattung der Roten Armee mit Material, insbesondere Panzern, entwickelte sich 1943 weiterhin günstig, denn wohl waren 1942 noch einmal hohe Verluste aufgetreten - allein an Panzern wahrscheinlich über 15000 Stück-, doch konnte die Sowjetunion ihre Einbußen weit schneller ersetzen als die Wehrmacht. Die sowjetische Rüstungsindustrie erzeugte 1943 im Monatsdurchschnitt rund 2000 Panzer sowie Selbstfahrlafetten, die den deutschen Sturmgeschützen entsprachen, wozu noch Panzerlieferungen der Westmächte traten, wogegen die deutsche Industrie im Monatsdurchschnitt 1943 lediglich 900 Kampfpanzer, Sturmgeschütze und Selbstfahrlafetten fertigte. Zudem war die Qualität der russischen Panzerfahrzeuge beachtlich gewachsen, denn während die Rote Armee noch im Jahr 1941 großenteils veraltetes Material besessen hatte, verfügte sie jetzt über leistungsfahige Typen von Panzern und Selbstfahrlafetten bzw. Sturmgeschützen. Für operative Aufgaben wurden die gepanzerten und motorisierten Verbände zweckmäßig gegliedert, indem man mehrere Brigaden zu Panzerkorps und mechanisierten Korps, diese wiederum zu Panzerarmeen zusammenfaßte. Gemäß sowjetischen Angaben soll die Rote Armee Anfang April 1943 insgesamt rund 9000 Panzer und Sturmgeschütze besessen haben, davon rund 5000 vor der deutschen Front. Anfang Juli sollen vor der deutschen Front dann 10000 Panzer und Sturmgeschütze gestanden sein, davon etwa 3500 im Bogen von Kursk. Ein gewisser Prozentsatz dieser Fahrzeuge, vielleicht ein Viertel, bestand aus leichten Panzern mit eingeschränktem Gefechtswert. Dennoch ergibt sich zwischen dem Frühjahr und dem Sommer 1943 ein bemerkenswerter Zuwachs. Von den 5000 Panzerfahrzeugen vor der deutschen Front im Frühjahr mögen etwa 1500 bis 2000 im Kursker Bogen vorhanden gewesen sein. 6 Jedenfalls war die Rote Armee der Wehrmacht an der Ostfront im Jahr 1943 deutlich überlegen. Welchen Zweck sollte unter diesen Umständen das Unternehmen Zitadelle gegen den Kursker Bogen überhaupt haben? Gemäß Hitlers Operationsbefehlen vom März und April sollte der Angriff der deutschen Seite die Initiative für Frühjahr und Sommer in die Hand geben sowie einer Offensive des Gegners zuvorkommen. Wozu denn? Und wieso ausgerechnet bei Kursk? Hitler erwartete von vomherein eine Fortsetzung der sowjetischen Angriffe im Laufe des Jahres 1943 und fand sich darin einig mit dem Generalstab des Heeres, der ab dem Frühjahr mit zunehmender Gewißheit russische Offensiven gegen den deutschen Frontvorsprung von Orel und gegen die Heeresgruppe Süd in Richtung auf den Dnjepr annahm. Verteilung und Aufmarsch der sowjetischen Kräfte, die immer deutlicher zutage traten, legten einen solchen Schluß zwingend nahe. Was konnte die deutsche Seite in dieser Lage tun? Für Hitler stand die Antwort ohne weitere Überlegung fest: Er wollte auf jeden Fall nichts von dem preisgeben, was die 6 Zur deutschen und russischen Stärke Müller-Hillebrand III, 103 ff., 225 ff. und passim. MGFA, Weltkrieg V I 1, 963 (Zahl der deutschen Flugzeuge). Gretschko, Weltkrieg Vll, 41 ff., 138, 145, 173. Klink, Zitadelle, 51 ff., 91 ff., 194 ff., 203 f. Pronko, Strategie. Gosztony, Armee, 217, 224 ff. Erickson, Stalins War II, 82 ff.

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Wehrmacht besetzt hielt; er wollte die Fronteinbuchtung von Kursk abschneiden, um den Gegner zu schwächen, die eigene Front zu verkürzen und Kräfte freizumachen; er wollte damit einen Prestigeerfolg erzielen und anschließend auch noch bei Leningrad angreifen. Nichts von alledem war schlüssig. Der Wehrmacht blieb an der Ostfront im strategischen Rahmen nur noch die Verteidigung bzw. die bewegliche Abwehr. Auch der Angriff bei Kursk diente ja lediglich zur Verbesserung der späteren Verteidigung. Wenn ohnedies nur noch die Abwehr möglich war, dann gab es keinerlei stichhaltigen Grund, den unnützen Bogen von Kursk zu erobern und den ebenso unnützen Frontvorsprung von Orel zu halten. Diese Gebiete waren strategisch belanglos und brachten der deutschen Seite keinen nennenswerten Vorteil. Angesichts des Kräfteverhältnisses war es dringend geboten, eine möglichst günstige Abwehrstellung zu beziehen, d. h. eine möglichst kurze, möglichst kräftesparende sowie nach den Geländeverhältnissen möglichst vorteilhafte. Die günstigste derartige Linie wäre wohl entlang der Flüsse Düna und Dnjepr verlaufen. Da man in diesem Fall allerdings das nördliche Baltikum und wahrscheinlich auch den Bundesgenossen Finnland verloren hätte, mochte eine Linie vom Gebiet um Leningrad oder vom Finnischen Meerbusen zum Lauf des Dnjepr bis hinunter zur Krim ratsamer erscheinen. Das verbleibende strategische Vorfeld hätte für die Abschirmung des Reiches ausgereicht, kriegswirtschaftlich wichtige Gebiete wie die Erzvorkommen im Dnjeprbogen wären in deutscher Hand geblieben, die Ostsee und Teile des Schwarzen Meeres konnten überwacht werden, und das Donez-Bekken, auf das Hitler so großen Wert legte, ließ sich leicht preisgeben, weil es für die deutsche Wirtschaft ohnedies nicht viel leistete. Derartige Überlegungen wurden offenkundig im Generalstab des Heeres angestellt, denn dort befaßte man sich seit dem Frühjahr 1943 mit der Erkundung und Vorbereitung rückwärtiger Stellungen, insbesondere der sogenannten Panther-Stellung, die von Narwa arn Finnischen Meerbusen über den Peipus-See zum Dnjepr und an diesem bis Melitopol arn Asowschen Meer verlief. Anfangs geschah dies wohl hinter dem Rücken Hitlers, weil der Diktator unter keinen Umständen Gelände freiwillig aufgeben, vielmehr mit dem Unternehmen Zitadelle noch nutzloses Gelände erobern wollte. Sodann mag man sich zwar auf den Standpunkt stellen, daß auch in der Abwehr Gegenstöße oder Gegenangriffe durchaus angebracht sein können, um feindliche Bereitstellungen zu zerschlagen, die Kräfte des Gegners abzunützen oder sonstwie die Abwehr wirkungsvoll zu gestalten. Aber für einen Gegenangriff war der Frontbogen von Kursk eine der ungeeignetsten Stellen, die sich an der Ostfront finden ließen. Das sowjetische Oberkommando rechnete augenscheinlich seit April mit einer deutschen Offensive bei Kursk, wozu wegen der deutschen Kräftezusammenballung in diesem Gebiet auch keine große Sehergabe gehörte. Marschall Schukow, der wie im vergangenen Jahr wieder als Stellvertreter des Oberbefehlshabers Stalin wirkte, schlug im April vor, den deutschen Angriff abzuwarten, den Gegner in der Verteidigung zu zermürben und anschließend im Generalangriff mit frischen Reserven seine Front aufzurollen. Das russische Oberkommando machte sich die-

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sen Plan zu eigen. Es handelte sich dabei um ein klassisches Schlagen aus der Nachhand, bei welchem man die Offensivkraft des Gegners aufbrauchte, bis er dem eigenen Gegenschlag nicht mehr gewachsen war. Der Bogen von Kursk bot für das Abnützen der Wehrmacht die besten Voraussetzungen, weil sich ziemlich genau abschätzen ließ, wo der Angriff erfolgen würde, weil man die eigenen Truppen entsprechend aufstellen und massieren konnte, und weil die Gelegenheit bestand, ein ausgeklügeltes System von Befestigungen zu errichten, das die Verteidigung stärkte und die Kräfte des Gegners verschliß. Umgekehrt sollten auf der deutschen Seite für den Angriff verhältnismäßig viele schnelle Divisionen und verhältnismäßig wenig Infanterie eingesetzt werden, teils weil Hitler es so befohlen hatte und teils weil angriffsfähige Infanterie an der Ostfront ohnedies knapp war, ebenso übrigens die Heeresartillerie. Für den Angriff gegen einen vorbereiteten Gegner in einer befestigten Abwehrfront werden zweckmäßigerweise Infanterie und Artillerie verwendet, dagegen ist die geeignete Einsatzform für schnelle Verbände eine ganz andere: Sie sollten tunliehst ihre Beweglichkeit bzw. ihre Geschwindigkeit zum Tragen bringen, z. B. an geeigneter Stelle - am besten wo der Gegner schwach ist - einen Durchbruch erzwingen, tief ins Hinterland oder in den Rücken des Gegners stoßen, bewegliche Reserven des Gegners zerschlagen und vor allem immer die Überraschung oder die Verwirrung des Gegners anstreben. Panzertruppen gegen eine befestigte Stellungsfront anzusetzen, ist zwar möglich, aber wenig ratsam, falls sie dort ihre Kampfkraft verschleißen und ihren besonderen Vorzug, die Beweglichkeit, nicht zum Tragen bringen können. Wenn die deutsche Seite ihre schnellen Divisionen schon dazu verwandte, feindliche Bereitstellungen zu zersprengen, dann besser nicht im Kursker Bogen, sondern an anderer Stelle, und noch besser war es, den Spieß umzudrehen, also nicht selbst anzugreifen und damit gewissermaßen dem Gegner ins offene Messer zu rennen, sondern den Gegner kommen zu lassen und dann selbst aus der Nachhand zu schlagen. Ein solches Verfahren bot überdies den Vorteil, unnötige Verluste zu vermeiden und die Panzertruppe wie die Ostfront insgesamt wieder in die Höhe zu bringen. Drittens schließlich mußte angesichts der Kriegslage auch darauf Bedacht genommen werden, andere Kriegsschauplätze mit kampfkräftigen Truppen zu versehen, um nach dem absehbaren Verlust Nordafrikas den zu erwartenden Landungen der Westmächte entgegentreten zu können. Durchdachte Entscheidungen brachte Hitler auch hier nicht zuwege. Gegen Mitte Mai, nachdem er soeben das Unternehmen Zitadelle verschoben hatte, wies er den Generalstab des Heeres an, jederzeit auf den schnellen Abtransport von sechs gepanzerten Divisionen, insbesondere von drei SS-Divisionen, von der Zitadelle-Front nach Italien vorbereitet zu sein. Die Anordnung war sinnlos, denn entweder wollte man die Zitadelle durchführen, dann konnte man dafür keine Kräfte entbehren (abgesehen davon, daß die Ostfront für die künftigen Abwehrkämpfe ohnedies jede Division brauchen würde), oder man zog Kräfte von der Ostfront ab, um sie gegen eine Invasion der Westmächte bereitzustellen, dann mußte man auf die Zitadelle verzichten. Jodl und Warlimont

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suchten den Widerspruch aufzulösen, indem sie Mitte und Ende Juni empfahlen, die strategisch nutzlose Zitadelle zu unterlassen und statt dessen operative Reserven im Osten wie in der Heimat bereitzuhalten. Hitler dagegen befahl, "unter Würdigung der vonseitendes WFSt geltend gemachten Bedenken", die Zitadelle doch durchzuführen, also das Gegenteil von dem zu tun, was ihm empfohlen worden war. Nachdem die Zitadelle bislang fortwährenden Aufschub erfahren hatte, teils weil die versprochenen Panzer nicht so bald verfügbar wurden, teils um die Entwicklung im Mittelmeerraum abzuwarten, sollte das Unternehmen nunmehr Anfang Juli stattfinden, obwohl unterdessen auch eine Landung der Westmächte in greifbare Nähe rückte. Gegen die letztere Gefahr behalf man sich damit, daß man einige neu aufgestellte Divisionen nach Italien schickte, die in der Regel noch nicht ganz fronttauglich waren. Eine der erfahrenen schnellen Divisionen des Heeres, die I. Panzerdivision, die seit Jahresbeginn für eine spätere Verwendung im Osten aufgefrischt und gut ausgestattet worden war, ließ Hitler auf den Balkan verlegen, weil er dort ebenfalls eine Invasion befürchtete. Hätte eine solche Invasion auf dem Balkan tatsächlich stattgefunden, so hätte die einzelne Panzerdivision dagegen auch nicht viel ausgerichtet. Wie die Dinge lagen, fand eine derartige Invasion nicht statt, und die I. Panzerdivision stand einige Zeit nutzlos auf dem Peloponnes herum, bis sie schließlich doch an die Ostfront geworfen wurde. Rechtzeitig beim Unternehmen Zitadelle verwendet, hätte diese wertvolle Division bessere Wirkung erzielt. Aber Hitler, der auf den Rat der Fachleute nicht hören wollte, war der Aufgabe einfach nicht gewachsen, die er so eilfertig an sich gezogen hatte, nämlich die Bedürfnisse der verschiedenen Kriegsschauplätze aufeinander abzustimmen. Ursprünglich hegte er ja den Wunsch, im Anschluß an die Zitadelle auch noch Leningrad zu erobern. Wo wollte er denn die Kräfte dafür hernehmen, wenn er sich so sehr um eine Invasion der Westmächte sorgte und sowohl Italien als auch den Balkan abwehrbereit machen wollte? Er hatte nur die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: Er konnte entweder, wenn er schon im Osten angreifen wollte, dort einen klaren Schwerpunkt schaffen und dafür an den potentiellen Invasionsfronten ein Risiko eingehen in der Erwartung, die Westmächte würden nicht gefährlich schnell vordringen. Oder er ging dieses Risiko nicht ein, dann mußte er auch im Osten auf alle Angriffsabsichten verzichten. In Wirklichkeit zeigte der Diktator ein unentschlossenes Schwanken zwischen seinen Wünschen, Hoffnungen und Befürchtungen, wobei in gewohnter Weise sprunghafte Augenblickseingebungen an die Stelle von Sachkunde und sorgfaltiger Überlegung traten. Der Wehrmachtführungsstab riet zumindest im Juni vom Unternehmen Zitadelle ab; der Generalinspekteur der Panzertruppen Guderian tat dasselbe schon im Mai; der Generalstab des Heeres hätte wahrscheinlich vom Beginn an gern auf das Unternehmen verzichtet, um statt dessen die Abwehr zu festigen, doch fand er sich mit der Zitadelle ab unter der Voraussetzung, daß sie frühzeitig stattfand, bevor der Gegner sich verstärkt hatte; und in ähnlicher Weise legten auch die Frontbefehlshaber dem Diktator nahe, den Angriff frühzeitig ins Werk zu set-

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zen. Am meisten konnte sich anscheinend Manstein für das Unternehmen Zitadelle erwärmen, doch geschah dies in einem bestimmten Zusammenhang. Erstens durfte seine Heeresgruppe der Operation am ehesten mit Zuversicht begegnen, weil sie die stärkste Angriffskraft besaß, nicht zuletzt wegen des dort eingesetzten SS-Panzerkorps mit drei Divisionen, die auf Befehl Hitlers wesentlich besser ausgestattet wurden als die Heeresdivisionen. Zweitens vertrat an sich auch Manstein den Gedanken der beweglichen Abwehr, indem er eine sowjetische Offensive gegen seine Heeresgruppe auf die Weise abzufangen gedachte, daß er mit seinem rechten Flügel (nördlich des Asowschen Meeres) zurückwich und dem nachdrängenden Gegner mit starken Kräften, die an seinem linken Flügel zusammengefaSt wurden, in die Flanke stieß. Das Unternehmen Zitadelle brauchte diesen Plan nicht unmöglich zu machen, denn dadurch wurden jedenfalls starke Kräfte an seinem linken Flügel zusammengefaßt, die gegebenenfalls später, wenn der Gegner nördlich des Asowsehen Meeres angriff, für einen entsprechenden Flankenstoß verwendet werden konnten. Drittens legte auch Manstein auf eine frühzeitige Durchführung der Zitadelle Wert und stimmte deren verspätetem Beginn hauptsächlich deswegen zu, weil allein aus der Sicht seiner Heeresgruppe ein Sieg immer noch erreichbar zu sein schien. Letzteres stellte jedoch einen partikularen Standpunkt dar, welcher aus den besonderen Bedingungen einer einzelnen Heeresgruppe erwuchs und andernorts nicht geteilt wurde. Model hielt am 20. Juni für seine 9. Armee, also den nördlichen Zangenarm der Zitadelle, das Ergebnis fest, daß der Gegner auf den Angriff vorbereitet sei. Die Angriffskräfte der 9. Armee würden bei günstiger Lageentwicklung für die Durchführung der Aufgabe gerade ausreichen. Das hieß im Klartext, daß der Angriff eigentlich keine ausreichende Grundlage besaß, sondern eher einem Glücksspiel glich. Wenn die Lage sich nicht günstig entwickelte, mußte der Angriff scheitern. Faßt man all dies zusammen, so zeigt sich, daß die Lageeinschätzung der militärischen Fachleute verhältnismäßig einheitlich war. Als günstigste Lösung wurde die bewegliche Abwehr an der Ostfront angesehen, wofür die Zitadelle im Grunde überflüssig war. Sollte die Zitadelle gemäß Hitlers Anordnungen dennoch stattfinden, dann möglichst frühzeitig, um das Verhältnis zwischen den eigenen und den gegnerischen Kräften vorteilhafter zu gestalten. 7 Welche Erfolgsaussichten die Zitadelle besessen hätte, wenn sie statt im Juli bereits im Mai durchgeführt worden wäre, läßt sich naturgemäß schwer angeben; nach Meinung der Fachleute hätte sie dann aber zumindest weit bessere Aussichten besessen. Wahrscheinlich trifft dies zu. Wie vorhergesagt, konnte sich die Rote Armee im Bogen von Kursk zwischen Mai und Juli weit mehr verstärken als die Wehrmacht. Zwar wurden die deutschen Divisionen, die am Angriff teilnehmen 7 Zur Lagebeurteilung auf russischer und deutscher Seite Schukow, 418 ff. Philippi I Heim, 209 ff., 215, 220. Heusinger, 241, 253. Klink, Zitadelle, 84, 91 ff., 194 ff., 328 (Model am 20. 6. 1943). Warlimont II, 335 f., 346 ff. KTB OKW III/ I, 458; III/2, 749 f., 1416. Manstein, Siege, 480 ff. Zur Bedeutung des Donez-Beckens Dallin, 390 ff.

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sollten, aufgefrischt, ausgebildet und angriffsfähig gemacht, doch galt dasselbe auch für die sowjetischen Verbände. Eine nennenswerte Vermehrung der deutschen Divisionen fand nicht statt, lediglich der 9. Armee wurden noch zwei Infanteriedivisionen aus dem Bereich der Heeresgruppe Mitte zusätzlich unterstellt. Dagegen dürfte die Zahl der verfügbaren sowjetischen Verbände erheblich stärker angewachsen sein. Genaue Angaben darüber lassen sich schwer machen, weil die Rote Armee für die Schlacht um Kursk Reserven von einem großen Teil der gesamten Front heranholen konnte, während die deutsche Seite kaum Reserven besaß. Einen ungefähren Eindruck mag folgender Vergleich geben: Auf der deutschen Seite standen am Nordrand des Kursker Bogens die 9. Armee, am Westrand die 2. Armee (beide unter der Heeresgruppe Mitte), am Südrand die 4. Panzerarmee und die Armeeabteilung Kempf (beide unter Heeresgruppe Süd). Diese vier Armeen verfügten zusammen über knapp 50 Divisionen, wobei der Zuwachs zwischen Mai und Juli nur die erwähnten beiden Infanteriedivisionen bei der 9. Armee betrug. In der Gesamtzahl waren sechs Panzerdivisionen und eine Panzergrenadierdivision bei der 9. Armee, sechs Panzerdivisionen bei der 4. Panzerarmee und drei Panzerdivisionen bei der Armeeabteilung Kempf enthalten, also zusammen 16, wobei die Heeresgruppe Süd noch zwei weitere schnelle Divisionen in Reserve hielt. Die Terminologie bietet sich etwas schwimmend dar; so wurden die SS-Divisionen, die hier als Panzerdivisionen gerechnet werden, öfters als Panzergrenadierdivisionen bezeichnet, obwohl sie im Durchschnitt ungefahr doppelt so viele Panzer und Sturmgeschütze besaßen wie die Panzerdivisionen des Heeres; die Panzergrenadierdivision des Heeres bei der 9. Armee besaß dagegen gar keine Panzer. Ähnlich gut ausgestattet wie die SS-Divisionen war lediglich eine Division des Heeres, die "Großdeutschland", die ebenfalls öfters als Panzergrenadierdivision bezeichnet wurde und mit den SS-Divisionen bei der Heeresgruppe Süd stand. Auf der sowjetischen Seite wurde der Nordteil des Kursker Bogens von der "Zentralfront" unter General Rokossowski, der Südteil von der "Woroneschfront" unter General Watutin verteidigt; hinter beiden stand noch die "Steppenfront" unter General Konjew, welche den größten Teil der operativen Reserven umfaßte. Die Zentralfront und die Woroneschfront verfügten zusammen Ende April vermutlich über rund 60 Schützendivisionen, 11 Schützenbrigaden und 13 Panzerbrigaden, dazu als Eingreifreserven sieben Panzerkorps und zwei Kavalleriekorps, so daß bei beiden Fronten insgesamt knapp 30 Panzerbrigaden vorhanden gewesen sein mögen. Bis Anfang Juli wuchsen die Zahlen auf rund 75 Schützendivisionen, die anscheinend in beträchtlichem Umfang durch Panzerregimenter verstärkt wurden, etliche Schützenbrigaden und mechanisierte Brigaden sowie knapp 40 Panzerbrigaden, abgesehen von sonstigen Verbänden wie Artilleriedivisionen usf. Das zeigt jedenfalls, daß im Kursker Bogen zwischen Mai und Juli die Anzahl sowjetischer Verbände erheblich mehr zunahm als diejenige der deutschen, der Gegner also insofern sich mehr verstärkte. Dasselbe dürfte für die Luftstreitkräfte gelten, wo die Deutschen Anfang Juli bei Kursk etwa 1800 Flugzeuge, die Russen vermutlich knapp 3000 einsetzen konnten. 14 Raub, Zwetter Weltkneg 3 Tet!

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Da sich der deutsche Angriff vor allem auf schnelle Divisionen stützte, welche auch die operativen Reserven des Gegners zerschlagen sollten, verdienen die Panzerzahlen besondere Beachtung. Gemäß den vorhin genannten sowjetischen Angaben könnte die Rote Armee vor der deutschen Front im Mai 1943 um die 6000 Panzer und Selbstfahrlafetten bzw. Sturmgeschütze besessen haben, davon vielleicht 1500 bis 2000 im Kursker Bogen. Im Juli waren es dann schon 10000, davon 3500 im Kursker Bogen. Demgegenüber wies das deutsche Ostheer im Mai einen Bestand von etwa 1500 bis 2000 einsatzfähigen Panzern auf, darunter freilich auch einige hundert veraltete, ferner wahrscheinlich über 500 Sturmgeschütze. Für die Zitadelle wären Mitte Mai mindestens 1000 moderne Panzer verfügbar gewesen, dazu eine Anzahl veraltete, sowie wenigstens 300 Sturmgeschütze, vermutlich mehr. Bei Panzern und Sturmgeschützen wäre also die deutsche Seite im Mai nahe an die sowjetische Stärke im Kursker Bogen herangekommen; allerdings hätte die sowjetische Seite Verstärkungen heranziehen können. Im Juli dagegen sahen die Dinge ganz anders aus. Bei Beginn der Zitadelle Anfang Juli verfügte die deutsche Ostfront insgesamt nur über rund 2000 einsatzfähige moderne Panzer, dazu einige hundert veraltete, sowie etwa 900 Sturmgeschütze. Für die Zitadelle standen bei der Heeresgruppe Süd etwa 1200 moderne Panzer bereit, bei der 9. Armee etwa 500, also zusammen 1700, ferner bei Heeresgruppe Süd und bei der 9. Armee jeweils um die 250 Sturmgeschütze, also zusammen 500. Mit ihren insgesamt rund 2200 einschlägigen Panzerfahrzeugen (unter Einrechnung der veralteten Panzeretwa 2500) blieb die deutsche Seite allein im Kursker Bogen deutlich hinter der sowjetischen Stärke (3500 derartige Panzerfahrzeuge) zurück. An der gesamten Ostfront war die deutsche Seite mit knapp 3000 Panzern und Sturmgeschützen (dazu einige hundert veraltete) der Roten Armee mit ihren etwa 10000 entsprechenden Fahrzeugen klar unterlegen. Es kam hinzu, daß die deutsche Verstärkung an Panzerfahrzeugen aus zwei Gründen wenig nützte. Erstens hatten die Sowjets zwischen Mai und Juli ausreichend Zeit gefunden, ein tiefgestaffeltes Stellungssystem auszubauen mit Minenfeldern, Panzerabwehrnestern, Artillerie und all den anderen Dingen, die für eine wirkungsvolle Verteidigung, auch gegen Panzer, erforderlich sind. Dagegen anzurennen, stellte eigentlich einen Rückfall in den Stellungskampf des Ersten Weltkriegs dar. Es würde zu einer gewaltigen Materialschlacht und Materialabnützungsschlacht kommen, bei welcher die Wehrmacht genau das tat, was die sowjetische Seite von ihr erwartete: Sie würde ihre gepanzerte Kampfkraft verbrauchen. Zweitens bildeten das Rückgrat der deutschen Panzerwaffe noch immer die herkömmlichen Panzertypen P III und P IV, soweit sie mit stärkeren Geschützen ausgerüstet waren. Diese Panzer waren auch im Mai schon vorhanden. Von den neuen Panzertypen P VI "Tiger" und P V "Panther" wurden bei der Zitadelle 178 Tiger und 204 Panther eingesetzt, allein von der Zahl her nicht ausreichend, um eine durchschlagende Wirkung zu erzielen. Eine nennenswerte Verstärkung stellten nur die Tiger dar, während von den Panthern bereits beim Anmarsch etwa ein Viertel wegen technischer Schäden ausfiel. Anschließend gerieten die Panther, in einer

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Brigade zusammengefaßt, in ein Minenfeld und verloren zusätzlich die Hälfte ihres Bestandes, womit sich die Erkenntnis bestätigte, daß solche Panzer überhaupt nicht gegen eine umfassend befestigte Stellungsfront verwendet werden sollten. Eine weitere Verstärkung hatte sich Hitler von dem überschweren Jagdpanzer ,,Ferdinand" versprochen, der mit rund 90 Stück bei der Zitadelle eingesetzt wurde. Dieses Gefährt besaß zwar eine überragende Kanone, war aber ansonsten eine mißlungene Konstruktion und unter den schwierigen Bedingungen bei Kursk schon vollends fehl am Platz. Hitlers Rechnung, die Zitadelle zu verschieben, um bei der Panzerwaffe überlegen zu sein, ging also nicht auf. All dies hätte man von vornherein wissen können, und die Fachleute haben es auch gewußt, weswegen sie Hitler empfohlen hatten, die Zitadelle, wenn überhaupt, dann möglichst frühzeitig durchzuführen, also etwa Mitte Mai. Ein Erfolg wäre vielleicht auch dann nicht sicher gewesen, jedenfalls nicht unter den gegebenen Verhältnissen, aber was hinderte denn Hitler daran, die Verhältnisse zu verbessern? Der Zitadelle fehlten auch im Mai schon Infanteriedivisionen, die sich ohne Mühe hätten beschaffen lassen, insbesondere durch eine Räumung des überflüssigen Kuban-Brückenkopfes. Selbst zusätzliche Panzerdivisionen waren noch vorhanden, so die l. Panzerdivision, bis Mai im Westen, die 13. Panzerdivision im Kuban-Brückenkopf sowie die 25. Panzerdivision, die in Norwegen aufgestellt wurde. Wenn man den Kuban-Brückenkopf aufgab und auf die Krim zurückwich, mußte man selbstverständlich einige Kräfte dort stehenlassen, doch bestand ohne Zweifel Gelegenheit, innerhalb des gesamten Kräftehaushalts ein paar Divisionen für die Zitadelle herbeizuschaffen und bis zum Mai angriffsfaltig zu machen. Dies war vermutlich auch die Idee des Generalstabs gewesen, der Divisionen aus dem KuhanGebiet hatte abziehen wollen, was im Grunde wohl darauf hinauslief, den Brückenkopf ganz aufzugeben, weil er mit verminderten Kräften sich nicht behaupten ließ. Wie schon so oft in der Vergangenheit wußte Hitler auch hier eine sachgerechte Lösung zu vereiteln. Wie immer wollte er alles halten, nirgendwo freiwillig zurückweichen, wie immer versäumte er es, die Kräfte ausreichend zu bemessen, und wie immer setzte er sich über den Rat der Fachleute hinweg. Es ist ermüdend, dies immer wieder herauszustreichen, aber es ist die Wahrheit. Und diese Wahrheit herauszustreichen ist erforderlich, weil sie seit langen Jahren vernebelt wird. Es ist darüber hinaus erforderlich, diese Wahrheit herauszustreichen, weil nur auf solche Weise die Frage beantwortet wird, warum der Krieg so ablief, wie es tatsächlich der Fall war. Es war nicht geboten, bei Kursk überhaupt anzugreifen; es war nicht unumgänglich, mit spärlich bemessenen Kräften anzugreifen; es war nicht notwendig, den Angriffsbeginn zu verschieben; und vor allem war es vermeidbar, bei Kursk einen Rückschlag zu erleiden, der die Kampfkraft der Panzerwaffe aufbrauchte und die Standfestigkeit der Ostfront untergrub. Warum geschah es doch? Es geschah, weil Hitler so entschied, auf Grund eigener Selbstherrlichkeit und regelmäßig gegen den Rat der Fachleute. Wie früher erwähnt, wurde die Besprechung vom 4. Mai zum Wendepunkt für das Unternehmen Zitadelle. Zeitzler, Jeschonnek, Manstein und Kluge hatten sich 14*

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damals gegen eine Verschiebung der Operation ausgesprochen. Hitler verschob die Zitadelle trotzdem und hielt am verspäteten Beginn des Unternehmens fest, trotz der Einwände von Guderian, Zeitzler, Jodl und Warlimont. Bei einer Durchführung der Zitadelle im Mai bestanden wegen des günstigeren Kräfteverhältnisses jedenfalls bessere Erfolgsaussichten als später, und sie wären noch besser gewesen, wenn Hitler den Angriff durch die dringend benötigte Infanterie verstärkt hätte. Dies geschah nicht, vielmehr arbeitete Hitler dem Gegner wieder einmal in die Hände, indem er den ohnedies fragwürdigen Angriff ohne triftigen Grund aufschob, dadurch eine Verschlechterung des Kräfteverhältnisses herbeiführte, anschließend mit unzureichenden und teilweise auch ungeeigneten Mitteln unter denkbar unvorteilhaften Bedingungen einen bestens vorbereiteten Feind zu schlagen suchte und auf diese Weise nichts anderes zuwege brachte, als dem Gegner in eine sorgfaltig vorbereitete Falle zu tappen. Ganz wohl war ihm anscheinend bei der Angelegenheit selbst nicht, denn als er kurz vor Beginn der Zitadelle, am 1. Juli, die an der Operation teilnehmenden Befehlshaber zu einer Ansprache versammelte, ließ er erkennen, daß er das Unternehmen als ungewisses Wagnis betrachtete. 8 Zu diesem ungewissen Wagnis, dem Zangenangriff auf Kursk, traten am 5. Juli die 9. Armee im Norden, die 4. Panzerarmee (General Hoth) und die Armeeabteilung Kempf im Süden an; unmittelbar daran beteiligt waren 16 schnelle Divisionen und etwa dieselbe Zahl Infanteriedivisionen, die meistens die Flanken der gepanzerten Angriffskeile zu decken hatten. Da es an Infanterie und Artillerie mangelte, mußten Panzerdivisionen dazu verwendet werden, sich durch eine schwer befestigte Stellungsfront zu nagen und Gegenangriffe der gepanzerten Reserven des Gegners abzuwehren. Der Grundsatz der operativen Kriegführung, den Gegner durch die Bewegung auszumanövrieren, wurde verlassen, die hochentwickelte Kunst der Überrumpelung des Gegners durch Geschicklichkeit und Schnelligkeit, wie Haider und der Generalstab sie vertreten hatten, wurde aufgegeben zugunsten eines ideenarmen, plumpen Verschleißkrieges entlang einer Abwehrfront, die den Gegner in jeder Hinsicht begünstigte. Für diese Art der Kampfführung reichten die deutschen Kräfte nicht, zumindest nicht bei der 9. Armee, wo die Panzerdivisionen im Durchschnitt lediglich etwa 80 moderne Panzer einsetzen konnten und der Ausbildungsstand für die Handhabung größerer Panzermassen nicht genügte. So kam es, daß bei der 9. Armee der Angriff nach einigen Tagen steckenblieb und die Aussicht schwand, mit den vorhandenen Kräften einen entscheidenden Durchbruch zu erzielen. Günstiger lagen die Dinge bei der Heeresgruppe Süd mit ihren besser ausgestatteten Divisionen, die mit Stockungen immer wieder vorankamen, gegnerische Reserven zerschlugen und sich Hoffnungen machen durften, das gesteckte Ziel Kursk zu erreichen, was freilich auch nur zu einem Teilerfolg geführt hätte, da die 9. Armee voraussichtlich nicht imstande war, ihrerseits die Zange zu schließen. s Der Stärkevergleich nach Klink, Zitadelle, 98 f., 205 und passim. Müller-Hillebrand III, I05, 124 ff., 220 f. KTB OKW III /I, 258 ff.; III /2, 731 ff. Manstein, Siege, 492. Ferner Nehring, Panzerwaffe, 305 f. und passim. Klink, Zitadelle, 197 f.

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Aber dem mißratenen Unternehmen Zitadelle wurde ohnedies binnen kurzem der Boden entzogen. Am 10. Juli landeten die Westmächte auf Sizilien, das so schwach verteidigt wurde, daß keine Aussicht bestand, die Insel zu halten. Die Rote Armee der Sowjetunion tat das, was man hatte erwarten dürfen: Nachdem sie die Wehrmacht in die Falle von Kursk gelockt hatte, ging sie zum wohlvorbereiteten operativen Gegenangriff über, zuerst um den 12. Juli gegen den deutschen Frontvorsprung von Orel, dann ab dem 17. Juli gegen den rechten Flügel der Heeresgruppe Süd im Donez-Gebiet. Die Heeresgruppe Mitte hatte, ebenso wie das OKH, seit langem mit einer Offensive gegen den Vorsprung von Orel gerechnet und dort Verteidigungsstellungen errichten lassen. Die Vorsorge nützte jedoch nicht viel, da die kampfkräftigsten Verbände bei der 9. Armee für die Zitadelle eingesetzt waren und die 2. Panzerarmee im Orel-Bogen nur rund ein Dutzend Infanteriedivisionen sowie eine einzige Panzergrenadierdivision besaß. Der Gegner, der mit mehrfacher Überlegenheit angriff, erzielte sofort beträchtliche Einbrüche und bedrohte damit die 9. Armee im Rücken. Die Heeresgruppe Mitte hatte daher keine andere Wahl, als Verbände von der 9. Armee abzuziehen, um den Gegner im Orel-Bogen aufzuhalten. Das Scheitern der Zitadelle stand damit endgültig fest, weil die 9. Armee, die sich ohnehin festgelaufen hatte, nicht mehr angriffsfähig war. Für den 13. Juli wurden Manstein und Kluge zu Hitler bestellt, welcher entschied, die Zitadelle abzubrechen. Manstein, der an seiner Angriffsfront noch Erfolgsmöglichkeiten sah, wollte den Gegner wenigstens in der Südhälfte des Kursker Bogens schlagen. Vermutlich ließ er sich dabei von dem Hintergedanken leiten, im Sinne seines alten Planes zunächst die gepanzerten Verbände am linken Flügel seiner Heeresgruppe zusammenzufassen, eine Offensive des Gegners im DonezGebiet abzuwarten, dort bei Bedarf zurückzuweichen und dann mit der gesammelten Schlagkraft seiner Panzerdivisionen dem Gegner von Norden in die Flanke zu stoßen. Hitler wußte auch dies zu vereiteln. Die beiden schnellen Divisionen, welche Manstein für die Zitadelle noch in Reserve hielt, wurden ihm für einen Schlußangriff im Kursker Bogen nicht zur Verfügung gestellt, sondern gegen eine feindliche Offensive im Donez-Gebiet bereitgehalten. Am 17. I 18. Juli mußte Manstein sodann zwei Panzerdivisionen an die Heeresgruppe Mitte abgeben sowie das SSPanzerkorps herausziehen, das Hitler noch immer nach Italien schicken wollte. Nachdem die feindliche Offensive im Donez-Gebiet begonnen hatte, durfte Manstein die SS-Divisionen wenigstens noch für einige Zeit behalten, um das DonezGebiet zu verteidigen (am Ende gelangte nur die SS-"Leibstandarte" nach Italien). Ansonsten gingen die Angriffsarmeen der Zitadelle auf ihre Ausgangsstellungen zurück und hatten bald alle Hände voll zu tun, den sowjetischen Großangriff abzuwehren.9

9 Manstein, Siege, 497 ff. Parotkine, Koursk. Heinrici I Hauck. Klink, Zitadelle, 208 ff., 258. Engelmann, Zitadelle. Neuerdings auch die Beiträge sowie die Schrifttumsangaben in dem Sammelband von R. Foerster, GezeitenwechseL

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Vordergründig betrachtet stellte das Unternehmen Zitadelle für die deutsche Seite keine Niederlage dar, sondern lediglich eine vor der Entscheidung abgebrochene Schlacht. Der operative und strategische Zusammenhang jedoch, in den diese Schlacht eingebettet war, hatte für die Ostfront verheerende Folgen. Durch die Operation gegen Kursk, vor allem durch deren verspäteten Beginn, lief die Wehrmacht tatsächlich der Roten Armee ins offene Messer. Die deutschen Verluste waren an sich nicht unerträglich hoch und betrugen bei beiden Heeresgruppen zusammen wahrscheinlich rund 40000 Mann (Tote, Vermißte und Verwundete). Aber für eine Schlacht, die nicht viel länger als eine Woche gedauert und absolut nichts eingebracht hatte, waren sie entschieden zu hoch. Vor allem die Panzerwaffe, der Erneuerung dringend bedürftig, hatte einen Großteil ihrer notdürftig zurückgewonnenen Kampfkraft fruchtlos verbraucht. Zwar erreichten die Totalverluste an Panzern und Sturmgeschützen keinen ungewöhnlichen Umfang; sie dürften sich in der Größenordnung von mehreren hundert bewegt haben. Aber wenn man die beschädigten Panzer hinzurechnet, die sich in der Instandsetzung befanden und beim späteren Rückzug häufig dem Gegner in die Hände fielen, so dürften die 15 Panzerdivisionen, die an der Zitadelle teilnahmen, höchstens noch über die Hälfte ihres ursprünglichen Panzerbestandes verfügt haben, fallweise wohl auch weniger. Die 6. Panzerdivision bei der Heeresgruppe Süd beispielsweise besaß am 16. Juli noch ganze sechs einsatzbereite Panzer. Gewiß hatte auch der Gegner Verluste erlitten, die sogar ein Mehrfaches der Zahlen auf deutscher Seite erreichten, insgesamt wahrscheinlich an die 300000 Mann (Tote, Verwundete und Gefangene) sowie mindestens 1500 bis 2000 vernichtete Panzer und Sturmgeschütze. Der Unterschied bestand freilich darin, daß die Rote Armee sich solche Verluste weit eher leisten konnte als die Wehrmacht. Der sowjetische Plan zielte ja darauf ab, die mühsam aufgefrischten deutschen Kräfte bei Kursk abzunützen und anschließend mit frischen Reserven die deutsche Front zu schlagen. Eben dies gelang. Wahrend die Rote Armee über frische Reserven in großem Umfang gebot, darunter Tausende von Panzern, besaß die deutsche Ostfront bloß geringe Reserven und mußte sich mit den Truppen behelfen, die soeben bei Kursk die Hälfte ihrer Kampfkraft eingebüßt hatten. Außer den 15 Panzerdivisionen der Zitadelle gab es an der gesamten Ostfront nur noch sechs weitere Panzerdivisionen, nämlich zwei bei Heeresgruppe Mitte, drei bei Heeresgruppe Süd und eine im Kuban-Brückenkopf. Dazu kamen vier Panzergrenadierdivisionen (außer der einen bei der Zitadelle), doch waren die genannten sechs Panzerdivisionen im Durchschnitt schlechter ausgestattet als die Zitadelle-Divisionen und die Grenadierdivisionen noch schlechter. Durch die Zitadelle wurden also tatsächlich zwei Drittel aller Panzertruppen und drei Viertel der Panzerwaffe im engeren Sinn schwer beeinträchtigt. Selbst dies hätte sich unter anderen Umständen noch verkraften lassen -immerhin hatte man ja auch den Gegner nicht unbeträchtlich geschädigt-, doch die Zitadelle stand in einem größeren Zusammenhang. Statt diesen verfehlten Angriff zu beginnen, wäre die Wehrmacht an der Ostfront besser beizeiten zur beweglichen

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Abwehr übergegangen. Spätestens nach dem Scheitern der Zitadelle war das sofortige Umschwenken zur operativen Kriegführung aufs dringendste geboten, also zu einer Kriegführung, welche unwichtigen Raum preisgab, welche elastisch zurückwich, welche Kräfte einsparte, um sie an geeigneten Stellen zu sammeln und gegnerische Vorstöße zu zerschlagen, eine Kriegführung schließlich, welche mit den eigenen Mitteln so haushielt, sie so verwendete, daß der höchstmögliche Wirkungsgrad erzielt wurde - Kriegskunst eben. Nichts dergleichen geschah. Für Hitler war es ein unverrückbares Axiom, nirgendwo von selbst wegzugehen, überall vorne zu halten. Überlegungen, was bei einem möglichen Scheitern der Zitadelle zu geschehen habe, wurden gar nicht erst angestellt, weil ohnehin feststand, was dann zu geschehen hatte: Es mußte einfach die vorhandene Front verteidigt werden. Es wiederholten sich die Vorgänge früherer Jahre, etwa diejenigen vor Moskau im Herbst 1941 oder diejenigen vor Stalingrad, als man die eigenen Kräfte bei einem fruchtlosen Angriff verbrauchte und es anschließend versäumte, vor einem übermächtigen Gegner auszuweichen. Ein solches freiwilliges Ausweichen ließ Hitler auch im Sommer 1943 und danach nicht zu, insbesondere nicht bei der Heeresgruppe Süd, gegen welche sich erwartungsgemäß die sowjetische Hauptoffensive richtete, unterstützt durch eine Nebenoffensive gegen die Heeresgruppe Mitte. Hitler wollte überall halten, nicht zuletzt an dem weit nach Osten vorspringenden Frontbalkon nördlich des Asowschen Meeres, in welchem das Donez-Gebiet lag: teils wegen dessen - aufgebauschter Bedeutung für die Kriegswirtschaft, teils weil der Diktator von einem Zurückweichen ungünstige Auswirkungen auf Verbündete und Neutrale befürchtete, hauptsächlich jedoch, weil er das Wesen der operativen Kriegführung bzw. der Kriegskunst noch nie begriffen hatte und auch jetzt nicht begriff oder begreifen wollte. So verstreute Hitler auch jetzt die spärlichen eigenen Kräfte an einer überdehnten Front, ließ das Bilden operativer Schwerpunkte, die Sammlung der Kräfte an entscheidenden Stellen, nicht zu und beraubte sich auf diese Weise selbst der Möglichkeit, die Offensive des Gegners wirksam aufzuhalten. Damit tat er erneut genau das, was der Gegner erwartete, und ließ die Rechnung des sowjetischen Oberkommandos aufgehen: Die deutschen Truppen, durch die Zitadelle geschwächt, wurden unter denkbar ungünstigen Bedingungen dem Ansturm eines weit überlegenen Feindes ausgesetzt, der Gegner diktierte das Gesetz des Handelns, und der deutschen Front wurde unter dem Druck des Gegners dasjenige aufgezwungen, was Hitler ihr aus freien Stücken nicht gewähren wollte, nämlich der Rückzug. Lediglich die Führungskunst der Frontbefehlshaber, fallweise unterstützt durch den Generalstab, sowie die immer noch beachtliche Qualität der deutschen Truppen verhinderten, daß der Rückzug schon jetzt in den Zusammenbruch mündete. Denn weit überlegen war der Gegner in der Tat. Die deutschen und die sowjetischen Verbände lassen sich für diese Zeit ohne große Mühe miteinander vergleichen, da sowjetische Infanteriedivisionen nunmehr eine Sollstärke um die 10000 Mann aufwiesen, während deutsche Infanteriedivisionen sich auf den Zustand zubewegten, der dann im Oktober allgemein verbindlich gernacht wurde, d. h. eine

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Sollstärke von rund 10000 deutschen Soldaten und 2000 Hilfswilligen. Ein sowjetisches Panzerkorps mit sollmäßig über 200 Panzern entsprach ungefähr einer voll ausgerüsteten deutschen Panzerdivision (die es nur noch selten gab). Mitte Juli standen beispielsweise den knapp 30 Infanteriedivisionen der Heeresgruppe Süd mehr als 100 sowjetische Schützendivisionen gegenüber, zu denen bis September mehr als 50 weitere traten, die durch einige mittlerweile zugeführte deutsche Infanteriedivisionen in keiner Weise aufgewogen wurden. Den 13 Panzer- und Panzergrenadierdivisionen der Heeresgruppe Süd standen Mitte Juli 17 Panzerkorps bzw. mechanisierte Korps gegenüber, dazu sieben Kavalleriekorps sowie eine beträchtliche Zahl selbständiger Panzerbrigaden und Panzerregimenter; bis September kamen noch zwei gepanzerte Korps sowie etliche Brigaden und Regimenter dazu. Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten. Die deutsche Front konnte, ähnlich wie vor Moskau 1941 und vor Stalingrad 1942, selbstverständlich nicht gehalten werden; die Rote Armee drang zwar nicht ohne Rückschläge und nicht gleichmäßig, aber insgesamt unaufhaltsam vor. Die Frontbefehlshaber und Zeitzlers Generalstab versuchten, das Erforderliche bzw. das Richtige zu tun, was von Hitler meistens verhindert wurde. Manstein wandte sich deshalb bereits Ende Juli an das OKH mit der Aufforderung, man solle ihn seinen eigenen Kopf gebrauchen lassen. Damit hatte er sicher recht, nur hatten es andere vor ihm auch schon versucht, und gelungen war es noch keinem. Etwas anderes als taktisches Flickwerk ließ Hitler in der Regel nicht zu, wenn aber doch, dann zu spät oder weil der Gegner ihn dazu zwang. Als Hitler noch im Juli die Räumung des Frontvorsprungs von Orel genehmigte, geschah dies wohl weniger zu dem Zweck, die Ostfront zu festigen, als vielmehr mit der Absicht, für die Verteidigung Italiens und des Balkan Kräfte von der Ostfront abzuziehen. Dazu kam es dann nicht; lediglich das Oberkommando der 2. Panzerarmee, durch die Räumung des Orel-Bogens entbehrlich, wurde im August auf den Balkan verlegt. Ansonsten mußte jede einzelne Rückzugsbewegung dem Diktator mühsam abgetrotzt werden, was dazu führte, daß die deutsche Seite den Einbrüchen und Durchbrüchen der Roten Armee immer hinterherlief. Bis zum 12. August gelang es Zeitzler, einen Führerbefehl zu erwirken, daß die Panther-Stellung auszubauen sei, also die seit längerem gewünschte Rückzugslinie von Narwa über den Peipus-See zum Dnjepr und an diesem bis Melitopol am Asowschen Meer. Eine solche Rückzugslinie hatte aber natürlich nur dann erheblichen militärischen Wert, wenn sie rechtzeitig bezogen wurde und wenn die Truppen noch mit ausreichender Kampfkraft dort ankamen, um sie zu halten. Zweifellos ließen sich gegen einen Rückzug auf die Panther-Stellung (den sogenannten Ostwall) Bedenken erheben, wie es etwa der neue Oberbefehlshaber der Marine, Admiral Dönitz, tat, weil dadurch das strategische Vorfeld für die Verteidigung des Reiches im Osten verkleinert wurde. Solche Bedenken bezogen sich freilich nur auf das Wünschbare; der grundlegende strategische Sachverhalt an der Ostfront betraf dagegen das Machbare oder das Mögliche, d. h. die Frage des Kräftehaushalts, den die Marine nicht zu beurteilen hatte. Mit den unzureichenden

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Kräften der Ostfront konnte ein weites strategisches Vorfeld ganz einfach nicht gehalten werden, weder im Kuban-Brückenkopf noch vorwärts des Dnjepr, noch bei Smolensk oder Leningrad. Wurde der Rückzug auf die kräftesparende PantherStellung nicht rechtzeitig eingeleitet, wurden die Kräfte bei der Verteidigung weit vor dieser Linie verbraucht, so würde sich anschließend nicht einmal mehr die Panther-Stellung halten lassen. Genau dieses geschah, weil Hitler den rechtzeitigen Rückzug nicht erlaubte. Nachdem die Front der Heeresgruppen Mitte und Süd an mehreren Stellen aufgerissen und durchbrochen worden war, wobei sich vor allem ein feindlicher Vorstoß auf den Dnjepr bei Kiew und die EinkesseJung der ganzen Heeresgruppe Süd abzeichnete, ließ Hitler arn 15. September endlich das Ausweichen beider Heeresgruppen auf die Panther-Stellung zu. Weil dies jedoch viel zu spät geschah, konnten sich zwar beide Heeresgruppen kämpfend in die Panther-Stellung zurückziehen, aber nicht verhindern, daß der Gegner, der zum Teil noch vor ihnen arn Dnjepr angekommen war, mehrere Brückenköpfe auf dem Westufer des Flusses gewann. Die Verteidigung arn Dnjepr wurde damit von vomherein entwertet. Sie wurde noch mehr entwertet durch den Umstand, daß die Truppe wegen der fortgesetzten Kämpfe vorwärts der Panther-Stellung in unerträglichem Ausmaß verbraucht war. Ebenso zu spät kam die Räumung des Kuban-Brückenkopfes, die Hitler arn 4. September genehmigte. Die Heeresgruppe A (Feldmarschall Kleist) verteidigte in Zukunft mit der 17. Armee die Krim, ferner nördlich der Krim den Gebietsstreifen von Melitopol bis zum Dnjeprknie, wozu ihr der rechte Flügel von Mansteins Heeresgruppe Süd unterstellt wurde, d h. die Kräftegruppe, welche nach Stalingrad zunächst Armeeabteilung Hollidt hieß und dann in 6. Armee umbenannt wurde. Divisionen vom Kuban verstärkten die 6. Armee, was sich wegen des schwierigen Abtransports vom Kuban indes erst nach einigen Wochen bewerkstelligen ließ, zudem waren die Divisionen ebenfalls abgekämpft. Solche Verstärkungen konnten die Lage an der Ostfront nicht mehr wenden; sie flossen in ein Faß ohne Boden. 10 Was mit der Zitadelle begonnen hatte, setzte sich von da an unaufhörlich fort: Die Kräfte der Ostfront wurden verschlissen. Dies geschah zum Teil natürlich auch, weil der Gegner stark überlegen war, vor allem aber deswegen, weil Hitler es nicht fertigbrachte, den Rat der Fachleute zu befolgen oder zumindest ihn rechtzeitig zu befolgen. Der Diktator bezog ausdrücklich den Standpunkt, es solle nicht operiert, sondern gehalten werden, und zwar da, wo er es für gut befand. Dieser Starrsinn wurde bemäntelt mit der Behauptung, die Angriffskraft des Feindes müsse sich einmal erschöpfen. In Wahrheit erschöpfte sich nur die Abwehrkraft IO Zu den Verlusten bei Zitadelle, zur Kräftelage und zur operativen Entwicklung Manstein, Siege, 501 ff., 507 ff., 520 ff. R. Foerster, Gezeitenwechsel, 79 ff., 128. Engelmann, Zitadelle, 146, 155. Müller-Hillebrand 111, Anhang (Tabelle Panzerverluste). Gosztony, Armee, 225. Gretschko, Weltkrieg VII, passim. Philippi/Heim, 212 ff. Ziemke, Defeat, 143 ff. Zur Räumung des Orel-Bogens KTB OKW 111/2, 815 f., 827, 837, 853 f., 914 f., 969 f., 1453 f. Hubatsch, Weisungen, 253 ff. Zur Panther-Stellung und zur Räumung des KubanBrückenkopfes KTB OKW 111/2, 933, 982 f., 1455 f.; 731 ff., 1155 ff.

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der Ostfront Wohl erwiesen sich die sowjetischen Truppen im Laufe ihrer Angriffe häufig als stark abgekämpft; so schätzte das Oberkommando der Heeresgruppe Süd schon im August, die Kampfkraft der Feindverbände liege vielfach nur noch zwischen 30 und 50 Prozent. Doch brachte die Rote Armee etwas fertig, was der deutschen Seite aus Kräftemangel nicht gelang: Sie zog regelmäßig abgekämpfte Verbände in großer Zahl aus der Front, frischte sie hinten wieder auf und schickte sie anschließend mit wiederhergestellter Leistungsfähigkeit erneut ins Gefecht. Seit 1943 nahm die Gesamtzahl sowjetischer Verbände kaum noch zu; es wurde jedoch geradezu mustergültig dafür Sorge getragen, daß ihre Kampfkraft erhalten blieb. Darüber hinaus staffelte die Führung der Roten Armee ihre Angriffe geschickt entlang der ganzen Front, wodurch es immer wieder vorkam, daß die deutsche Seite, um ein Loch zu stopfen, an anderer Stelle Kräfte herauszog, woraufhin die Rote Armee an jener Stelle angriff, wo die Kräfte fehlten. Die deutschen Panzertruppen entwickelten sich dabei mehr und mehr zu einer Art Feuerwehr, die beständig von einem Ort zum anderen geworfen wurde, um feindlichen Vorstößen entgegenzutreten. Während so die Rote Armee stets über schlagkräftige Reserven verfügte, unablässig an geeigneten Stellen ihrer Wahl angriff und die Wehrmacht vor sich her trieb, zeigte sich auf der deutschen Seite das gegenteilige Bild: eine ruhelose Überbeanspruchung der Truppe, ein aussichtsloses Anstemmen gegen einen übermächtigen Feind, dessen Druck man schließlich doch weichen mußte, und insgesamt ein unaufhörlicher Verfall der Kräfte. Die Zahl der Bodentruppen an der Ostfront (Feldheer, Erdkampfverbände der Luftwaffe und Waffen-SS) belief sich Anfang Juli 1943 auf rund 3,2 Millionen, sank bis Anfang November auf 2,6 Millionen und stand Anfang Februar 1944 bei 2,4 Millionen, was einem Schwund von 25% entspricht. Da naturgemäß die fechtende Infanterie am meisten betroffen war, rechnet man sich leicht aus, daß die erfahrene Kampftruppe bis auf einen dürftigen Rest zusammenschmolz. Wie immer, seitdem Hitler das Heft in die Hand genommen hatte und das Heer als dessen Oberbefehlshaber persönlich führte, hielt der Ersatz mit den Ausfällen nicht schritt. Das Feldheer im Osten zählte von Juli bis Oktober 1943 bereits 911000 Abgänge, denen lediglich 422000 Zugänge gegenüberstanden. Auch im Herbst und Winter schloß sich die Schere nicht. Im Laufe des Herbstes 1943 ließ Hitler der Ostfront rund ein Dutzend Divisionen zuführen, darunter neu aufgestellte schnelle Divisionen aus dem Westen und aus Italien sowie die 1. Panzerdivision vom Balkan. Wie üblich waren die Verstärkungen ungenügend, kamen zu spät und mußten, auf Befehl Hitlers, zum Teil an ungeeigneter Stelle eingesetzt werden. Den Gang der Dinge vermochten sie nicht zu wenden, statt dessen wurden sie in den Strudel des Rückzugs und des unaufhaltsamen Kräfteverbrauchs gezogen. Die Heeresgruppe Süd, gegen die sich nach wie vor die sowjetische Hauptoffensive richtete, besaß am 20. November 1943 insgesamt 14 Panzerdivisionen, die meistens etwa ein bis drei Dutzend einsatzfähige Panzer aufwiesen. Manche hatten auch weniger, so die einstmals stolze "Großdeutschland", deren sieben einsatzfähige Panzer beim Gegner wohl nur mäßigen

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Schrecken erzeugten. Daß man mit solchen Kräften eine überdehnte Front halten könne, vermochte nur Hitler zu glauben. Die Ostfront bezahlte derlei Irrglauben teuer. In den Rückzugskämpfen vom Sommer 1943 bis zum Frühjahr 1944 gingen 41 Divisionen verloren, die zwar nicht vollständig aufgerieben, aber so zerschlagen wurden, daß man sie auflösen mußte und die Reste in andere Verbände eingliederte. Im einzelnen verliefen die Ereignisse nach dem Rückzug der Heeresgruppen Süd und Mitte auf die Panther-Stellung, also ab dem Herbst 1943, dergestalt, daß Mansteins Heeresgruppe Süd wieder etwas ähnliches tun wollte wie bei den Kämpfen vorwärts des Dnjepr: Sie wollte einen klaren operativen Schwerpunkt schaffen durch Zusammenfassung von Kräften an ihrem linken Flügel. Denn vorher hatte die gefährlichste Angriffsrichtung der Roten Armee aus dem Raum Charkow I Kursk auf den Dnjepr in der Gegend von Kiew gezielt, wobei im Erfolgsfall der Gegner die Heeresgruppen Mitte und Süd voneinander trennen sowie durch ein Einschwenken nach Süden die ganze Heeresgruppe Süd abschneiden konnte. Manstein hatte daher an seinem linken Flügel den Feind schlagen, zudem das DonezGebiet räumen wollen, um Kräfte freizumachen, wobei nach einem Sieg am linken Flügel auch die Gelegenheit entstand, dem Gegner am rechten Flügel eine schwere Niederlage beizubringen. Nunmehr, nachdem Mansteins Plan an Hitlers Starrsinn gescheitert war, stand der Gegner bereits am Dnjepr, hatte auch schon Brückenköpfe über den Fluß gewonnen, und seine gefährlichste Angriffsrichtung zielte wiederum, jetzt aus dem Raum um Kiew, in den Rücken der Heeresgruppe Süd. Am linken Flügel dieser Heeresgruppe einen Schwerpunkt zu bilden, war demnach dringend geboten, wobei sich erneut die Möglichkeit ergeben mochte, nach einem Sieg am linken Flügel auch den Gegner vor dem rechten Flügel zu schlagen. Aber wo sollten die Truppen für den Schwerpunkt herkommen? Für einen Kräfteausgleich innerhalb der Ostfront boten sich drei Lösungen an, nämlich erstens eine Zurücknahme der Heeresgruppe Nord, die noch immer vor Leningrad und beiderseits des Urnen-Sees stand, auf die wesentlich günstigere Panther-Stellung; sodann zweitens die Räumung der Krim, um die 17. Armee freizumachen; und schließlich drittens ein Ausweichen im großen Dnjepr-Bogen südlich Kiew. Getreu der Devise, überall zu halten, ließ Hitler nichts davon zu, sondern wollte einen Teil der geringen Reserven, welche der Ostfront im Herbst von anderen Kriegsschauplätzen zugeleitet wurden, für das Halten des großen Dnjepr-Bogens verwendet wissen. Rüstungsminister Speer berichtet darüber, Zeitzier habe sich Anfang November an ihn um Hilfe gewandt, weil Hitler einen Kräfteschwerpunkt im Dnjepr-Bogen zu bilden wünschte, um die dortigen Mangan- und Eisenerzgruben zu verteidigen. Der Generalstab hielt dies für falsch, vielmehr wollte er, ähnlich wie Manstein, die eben genannten drei Lösungen verwirklichen, namentlich den Dnjepr-Bogen räumen. Speer ließ nun in einer Denkschrift nachweisen, daß die Erzgruben unter den gegebenen Verhältnissen weitgehend unbeachtlich seien. Daraufhin wurde er von Hitler schroff zurechtgewiesen mit den Worten, durch die Verteidigung der Erzgruben habe er - Hitler - endlich einen Grund, der

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die Heeresgruppe zum Kämpfen zwinge. Speers Denkschrift habe dies unterlaufen. Es bestätigt sich also wieder einmal, daß Hitler nicht auf der Grundlage von Sachargumenten Krieg führte, sondern lediglich seinen eigenen Willen durchzusetzen suchte, wobei sich Kriegskunst darauf verkürzte, die Front an falschen Stellen zum Kämpfen zu zwingen. Unter solchen Umständen kam, was kommen mußte. Noch im Herbst 1943 wurde die Landverbindung zwischen der Krim und der übrigen deutschen Front durchtrennt, die sowjetischen Brückenköpfe auf dem westlichen Dnjeprufer wurden ausgeweitet, und die Heeresgruppe Mitte wurde stellenweise zurückgedrängt. Im Januar 1944 begann ein russischer Großangriff gegen die Heeresgruppe Nord, welcher ungeachtet der üblichen Abneigung Hitlers, den Rückzug einzuleiten, rasch zum Erfolg führte, woraufhin Hitler den Oberbefehlshaber, Feldmarschall Küchler, ablöste. Sein Nachfolger, General Model, der bei Hitler Ansehen genoß, weil er angeblich nicht so leicht zurückwich, konnte am Ende auch nichts anderes tun, als die ganze Heeresgruppe auf die Panther-Stellung zurücknehmen, was bis Ende Februar geschah. Am Schwerpunkt der sowjetischen Offensiven, vor Mansteins Heeresgruppe Süd, trat die Rote Armee ab Ende Dezember 1943 aus ihren unterdessen stark ausgeweiteten Dnjepr-Brückenköpfen zum Sturm auf den Rest der deutschen Dnjepr-Verteidigung an, stieß aus dem Raum um Kiew weit nach Westen vor bis Wolynien, drängte die deutschen Truppen aus dem Erzgebiet des Dnjepr-Bogens zurück und kesselte Ende Januar 1944 bei Tscherkassy zwei deutsche Korps mit sechs Divisionen ein, die nur mühsam und unter großen Verlusten im Februar wieder ausbrechen konnten. Bis Ende Februar wurde die deutsche Front auf eine Linie ungefähr zwischen dem Dnjepr und dem ukrainischen Bug zurückgedrängt. Noch vor der Jahreswende hatte Manstein seine Kräfte umgruppiert, um auf diese Weise wenigstens eine gewisse Verstärkung seines linken Flügels zu erzielen, indem er die I. Panzerarmee mit einem Teil ihrer Divisionen aus dem Dnjepr-Bogen abgezogen und an seinem linken Flügel eingeschoben hatte. So stand nunmehr die 4. Panzerarmee (deren Oberbefehlshaber Hoth, einer der erfahrensten Panzergenerale des Heeres, von Hitler im Herbst 1943 abgelöst worden war) ganz links und sollte einen Durchbruch der Roten Armee nach Galizien abwehren, rechts anschließend folgten die I. Panzerarmee, die 8. Armee (ehedem Armeeabteilung Kempf) und die 6. Armee, während die 17. Armee auf der Krim abgeschnitten blieb. Ab Anfang März überrannten die sowjetischen Streitkräfte auch diese Front, durchbrachen die 8. Armee und kesselten die I. Panzerarmee bei Kamenez-Podolsk ein. Da Manstein von Hitler den Ausbruch der l. Panzerarmee nach Westen ertrotzt hatte, entstand ein wandernder Kessel (nach dem Oberbefehlshaber, General Hube, auch Hube-Kessel genannt), der Anfang April, unterstützt durch die entgegenstoßende 4. Panzerarmee mit den beiden neuen SS-Divisionen ,,Frundsberg" und "Hohenstaufen", wieder Anschluß an die deutsche Front fand. Mittlerweile hatte auch der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe A, Feldmarschall Kleist, seine 6. Armee sowie die zusätzlich unterstellte 8. Armee entgegen den Wünschen Hitlers zurückgenommen. Hitler, der dauernden Auseinandersetzungen mit Manstein

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und Kleist müde, entließ Ende März beide. Zeitzier bot daraufhin ebenfalls seinen Rücktritt an, mußte aber bleiben. Mansteins Heeresgruppe wurde von Model, nunmehr Feldmarschall, übernommen, die andere von General Schömer, der Hitler als besonders standfest aufgefallen war. Beide Heeresgruppen wurden kurz darauf in "Nordukraine" und "Südukraine" umbenannt, womit Hitler wahrscheinlich andeuten wollte, daß er die Ukraine noch nicht aufgegeben habe. Auf der Krim, die Hitler immer noch halten wollte, durchbrach der Gegner Anfang April die Abwehr an den engen Zugängen im Norden und drängte die 17. Armee in Sewastopol zusammen. Eine rechtzeitige Räumung dieses unhaltbaren Brückenkopfes unterband Hitler, so daß sie schließlich unter erschwerten Bedingungen und mit großen Verlusten erst im Mai stattfand. 11 Im April 1944 kam die Ostfront mit dem Einsetzen der Frühjahrsschlammzeit allmählich zur Ruhe. Die Front verlief nunmehr von Narwa und dem Peipus-See bis Witebsk, dann im Bogen bis zu den Pripjet-Sümpfen, wo sie nach Westen abknickte und durch die Sümpfe bis Kowel reichte, lief von da nach Süden bis an den Karpatenrand, knickte hier wieder nach Osten um und erreichte etwa bei Kischinew den Dnjestr, an dem entlang sie bis zum Schwarzen Meer reichte. Es bestand also, je nach Betrachtungsweise, eine riesige Ausbuchtung nach Osten im Gebiet von Weißrußland, wo die Heeresgruppe Mitte stand, bzw. eine riesige Einbuchtung im Gebiet der Westukraine, wo am Westrand dieser Einbuchtung, vorwärts Lemberg, die Heeresgruppe Nordukraine und am Südrand die Heeresgruppe Südukraine stand. War schon dieser Frontverlauf für die deutsche Seite ziemlich ungünstig, so wurde die Lage der Wehrmacht im Osten durch andere Umstände noch weiter verschlechtert. Am 3. November 1943 erließ Hitler seine letzte formelle Weisung für die Kriegführung, in welcher es hieß, daß sich nunmehr im Westen eine noch größere Gefahr abzeichne als im Osten, nämlich eine Landung der Westmächte in Frankreich. Wenn dem Feind hier auf breiter Front der Einbruch in die deutsche Verteidigung gelinge, so seien die Folgen in kurzer Zeit unabsehbar. Es müßten deshalb ausreichende Kräfte im Westen bereitgestellt werden, um die Ausweitung einer Landung zu verhindem und den Feind ins Meer zurückzuwerfen. Ob solches erreichbar sein würde, blieb indes höchst fraglich, zumal die deutschen Kräfte in ihrer Gesamtheit wohl kaum ausreichen würden, um alle großen Fronten im Osten, Westen und Süden so stark zu machen, daß die Gegner überall aufgehalten oder zurückgeworfen werden konnten. Auf jeden Fall aber mußten die Truppen, die im Westen bereitgestellt wurden, der Ostfront schmerzlich fehlen. Eine strategische Radikallösung hätte darin bestehen können, im Westen allenfalls hinhaltenden Widerstand zu leisten, also sich gewissermaßen aus dem Westen überrollen zu lassen, und die Masse der Kräfte im Osten zusammenzufassen, um wenigstens dort die Front zu halten. II Zur operativen Entwicklung und zur Kräftelage Manstein, Siege, 507 ff. Müller-Hillebrand III, 132 ff., 149. Warlimont Il, 398 f. PhilippiiHeim, 218 ff. Zum Dnjeprbogen Speer, Erinnerungen, 328 f. KTB OKW III I 2, 1463 f. Zur Krim Hillgruber, Räumung.

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Für Hitler freilich kam derartiges nicht in Frage. Er klammerte sich an die Hoffnung, den Westmächten in Frankreich eine Niederlage beizubringen und so die Voraussetzung zu schaffen, um den Krieg doch noch mit einem günstigen Ergebnis zu beenden, sei es, weil dann die Koalition der Gegner zerbrach, oder sei es, weil die Wehrmacht nach einem Sieg im Westen Gelegenheit erhielt, auch den Feind im Osten zurückzuwerfen. Realistisch allerdings war diese Hoffnung nicht. Blieb schon ein Sieg im Westen unwahrscheinlich, so war es mindestens ebenso unwahrscheinlich, daß die Ostfront, durch den Abzug von Kräften nach dem Westen geschwächt, der ohnedies weit überlegenen Roten Armee würde standhalten können. Mit den vorhandenen Kräften, zersplittert auf mehrere Kriegsschauplätze, würde die Wehrmacht wahrscheinlich an allen Fronten bezwungen werden. Selbst wenn überraschenderweise ein Sieg gegen die Westmächte in Frankreich glückte, erhielt die Rote Armee unterdessen Gelegenheit, die Ostfront so schwer zu zerschlagen, daß die Sowjetunion allein imstande war, den Krieg für sich zu entscheiden. Der Verfall der deutschen Stärke, 1941 I 42 eingeleitet, nahm ab 1943 bedrohliche Formen an. Bei der Marine war der U-Boot-Krieg weitgehend zum Erliegen gekommen; von ehedem vier Schlachtschiffen war 1944 noch eines vorhanden. Die Luftwaffe besaß Ende April 1944 zwar insgesamt über 5000 einsatzbereite Flugzeuge, davon über 3000 Jäger und Bomber, mußte jedoch überall die Luftüberlegenheit der Gegner hinnehmen, vielfach auch die Luftherrschaft Der Generalstabschef der Luftwaffe, Jeschonnek, hatte wegen des Scheiteros des Luftkrieges schon im August 1943 den Freitod gesucht. Das Feldheer, welches Mitte 1943 rund 4,5 Millionen Mann umfaßt hatte, zählte Mitte 1944 nur noch 4 Millionen und Ende des Jahres 3,6 Millionen. Die Truppen des Heeres im Osten, welche Mitte 1943 noch knapp über 3 Millionen umfaßt hatten und von der Roten Armee weit zurückgewm:fen worden waren, zählten Mitte 1944 nicht mehr als 2,2 Millionen. Aus dem Schwund der Kopfstärke muß sich nicht notwendigerweise ein Verlust an Kampfkraft ergeben; tatsächlich trat er aber doch ein, jedenfalls beim Durchschnitt der Bodentruppen. Zwar ermöglichte der Hochlauf der Rüstungserzeugung im Jahr 1944 im allgemeinen eine verhältnismäßig gute Ausstattung der Verbände mit Waffen und Gerät, auch erhielt die Truppe neue oder bessere Waffen, so ein besonders leistungsfähiges Maschinengewehr (MG 42), ein vollautomatisches Sturmgewehr und die Panzerfaust. Entscheidend für die Qualität der Truppe ist indes nicht das Material, sondern die Fähigkeit der Soldaten, damit umzugehen und in der Anwendung möglichst große Wirkung zu erzielen. Diese Qualität der Truppe ließ im Durchschnitt empfindlich nach, weil der Bestand an erfahrenen, hochwertigen Führern, Kämpfern und Spezialisten, an erprobten und eingespielten Verbänden immer mehr zusammenschmolz. Zwischen Mitte 1943 und Mai 1944, als beim Rückzug im Osten 41 Divisionen verlorengingen, wurden rund 52 Divisionen des Heeres, der Waffen-SS und der Luftwaffe neu aufgestellt. Die Gesamtzahl aller Divisionen, die am 1. Juli 1943 bei 276 gelegen war, davon 243 Divisionen des Heeres, stieg damit bis zum 1. Juni 1944 noch einmal auf 284, davon 257 beim Heer. Trotzdem fiel der Kampfwert

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weiter ab, weil die neuen Verbände an Qualität den bewährten alten Divisionen meistens nicht mehr gleichkamen. Der Ostfront nützte die Vermehrung ohnedies nichts, denn dort sank die Zahl aller Divisionen zwischen dem 1. 7. 1943 und dem 1. 6. 1944 von 186 auf 156. Wenn schon die größere Zahl an Verbänden 1943 die Rote Armee nicht aufgehalten hatte, wie sollte es dann die geringere Zahl 1944? Doch davon abgesehen stellte die erhöhte Gesamtzahl der Verbände 1944 mehr denn je eine hohle Fassade dar. Die neu aufgestellten Divisionen konnten wiederum erst nach einiger Zeit halbwegs fronttauglich werden. An herkömmlichen Infanterie- und Jägerdivisionen hatte es am 1. 7. 1943 noch 174 gegeben; am 1. 6. 1944 waren es nur mehr 162. Die Infanteriedivisionen wiesen jetzt einheitlich die verringerte Sollstärke von rund 12000 Mann auf; ihre Fähigkeit zu weiträumigen Bewegungen litt unter der Kürzung der Versorgungsteile. Für den Bewegungskrieg völlig unbrauchbar waren die bodenständigen Divisionen und Festungsdivisionen, deren Zahl bis 1944 weiter zunahm, weil sich damit Personal, Kraftfahrzeuge und Zugmittel sparen ließen. Im Grunde stellten solche Verbände allerdings eine Vergeudung der Mittel dar, weil sie weder einem beweglichen Gegner an beliebiger Stelle entgegentreten noch sich ihm entziehen konnten. Die untauglichen Luftwaffenfelddivisionen waren im Herbst 1943 ins Heer überführt worden; ein großer Teil davon wurde beim Rückzug im Osten zerschlagen. An bodenständigen Divisionen, Festungsdivisionen und Luftwaffenfelddivisionen hatte es am 1. 7. 1943 zusammen 35 gegeben; am 1. 6. 1944 waren es 43. Die Luftwaffe beschränkte sich nunmehr auf die Aufstellung von Fallschirmjägerdivisionen, von denen es Mitte 1944 fünf gab. Eine andere Einsatzart als die infanteristische kam für solche Verbände allerdings kaum noch in Frage, so daß man diese Soldaten besser gleich der Infanterie zugeteilt hätte. Von den sonstigen Verbänden, nämlich Gebirgsdivisionen, Sicherungsdivisionen und Kavalleriedivisionen, konnten die meisten (außer den alten Gebirgsdivisionen des Heeres) nur hinter der Front für die Bandenbekämpfung verwendet werden. Einen gewissen Aufschwung erlebten lediglich die Panzertruppen. Am 1. 7. 1943 waren 44 Panzer- und Panzergrenadierdivisionen vorhanden, am 1. 6. 1944 immerhin 47 solche Verbände (31 Panzer-, 16 Panzergrenadierdivisionen). Das Ausstattungssoll betrug 150 bis 200 Kampfpanzer bei den Panzerdivisionen, rund 50 Panzer oder Sturmgeschütze bei den Panzergrenadierdivisionen und dürfte vielfach auch erreicht worden sein, da sich der Bestand an Kampfpanzern am 1. 6. 1944 auf rund 5500 belief und an Sturmgeschützen auf 3500 (ohne veraltete Typen). Der Ausbildungsstand der schnellen Verbände war meistens gut, für die Auffrischung abgekämpfter Truppen wurde so weit wie möglich Sorge getragen. Trotzdem reichten 47 schnelle Verbände natürlich nicht aus, um drei große Fronten zugleich ausreichend standfest zu machen. Die Ostfront wies am 1. 6. 1944 bloß 26 solche Divisionen auf (19 Panzer-, 7 Panzergrenadierdivisionen), also ebenso viele wie 1943 und wesentlich weniger als die rund 35 schnellen Divisionen des Jahres 1941. Damals, 1941, war das deutsche Ostheer der Roten Armee noch gewachsen oder überlegen gewesen; jetzt war es ihr weit unterlegen. Mitte 1944

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zählten die sowjetischen Truppen vor der deutschen Front über sechs Millionen Mann, also fast dreimal soviel wie die deutschen. Bei der Zahl der infanteristischen Verbände bestand ebenfalls eine mehrfache Überlegenheit, und die gepanzerten oder mechanisierten Truppen der Sowjetunion, gegliedert in Hunderte von Brigaden und Regimentern, besaßen Mitte 1944 vor der deutschen Ostfront wahrscheinlich an die 10000 Panzer und Sturmgeschütze, also ungefähr das Doppelte der deutschen Zahlen. Aber anders als 1941 waren die russischen Panzerfahrzeuge im Durchschnitt jetzt etwa gleichwertig. Während auf der deutschen Seite die personelle Stärke des Heeres schrumpfte, wurde die Waffen-SS stark ausgebaut, wohl zu dem Zweck, für die Sicherung der nationalsozialistischen Herrschaft ein Gegengewicht zu dem politisch unzuverlässigen Heer zu bilden. So wuchs der Umfang der Waffen-SS von 150000 Mann in 1941 über 450000 in 1943 und 600000 in 1944 bis auf 830000 Mann in 1945. Ein bedeutender Gewinn an Kampfkraft war damit allerdings nicht verbunden. Den leistungsfähigen Kern der Waffen-SS bildeten bis zum Schluß sieben Panzerdivisionen, hervorgegangen aus den alten SS-Verbänden der ersten Kriegsjahre oder bis 1943 aufgestellt, dazu einige Panzergrenadierdivisionen, die seitdem noch dazukamen. Die Waffen-SS suchte ihr wachsendes Gewicht und ihre Selbständigkeit gegenüber dem Heer zu unterstreichen, indem sie seit 1942 eine Anzahl von Korpskommandos aufstellte, ferner 1944 ein Armeeoberkommando (6. SS-Panzerarmee). Der verfügbare Bestand an wirklich kampfstarken SS-Verbänden rechtfertigte diesen Aufwand kaum. Einschließlich der alten Divisionen stellte die WaffenSS bis Kriegsende 43 Verbände auf, von denen sechs vorzeitig wieder aufgelöst wurden und lediglich 29 bis Kriegsende überhaupt zum Einsatz kamen, davon sieben erstmalig in den letzten Kriegswochen. Die Aufblähung der Waffen-SS blieb für den Kriegsverlauf belanglos, weil über die Hälfte aller SS-Divisionen vor Mitte 1944 gar nicht zur Verfügung stand, also für das Eingreifen in entscheidende Schlachten zu spät kam, und die Mehrzahl aller SS-Verbände ohnedies nur geringe Kampfkraft besaß oder nicht viel taugte. Dies gilt insbesondere für 22 sogenannte SS-Waffendivisionen und SS-Freiwilligendivisionen, die aus Angehörigen "nichtgermanischer" bzw. "germanischer" Völker aufgestellt wurden, meistens erst kurz vor dem Zusammenbruch. Das Einbeziehen von Ausländern überschnitt sich mit einer ähnlichen Entwicklung beim Heer. Abgesehen von den Hilfswilligen, die in den Heeresdivisionen Dienst taten und deren Zahl 1943 I 44 vielleicht eine halbe Million oder mehr erreicht haben wird, wurden mit ersten Anfängen schon 1941, in größerem Ausmaß dann ab 1942 eigene Formationen für Freiwillige errichtet, vor allem für Angehörige der verschiedenen Völkerschaften der Sowjetunion. Die Gesamtzahl solcher Freiwilliger dürfte 1944 etliche hunderttausend betragen haben. Zum großen Teil wurden sie an anderen Fronten eingesetzt; so waren 60 Bataillone Osttruppen im Frühjahr 1944 den bodenständigen Divisionen in Frankreich für den Küstenschutz zugeteilt, eine turkestanische Infanteriedivision kam 1943 nach Italien und eine Kosaken-Kavalleriedivision nach Kroatien, wo es auch einige kroatische Infante-

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riedivisionen gab, die mit deutschem Rahmenpersonal versehen waren. Im August 1944 befahl Hitler, alle fremdvölkischen Verbände des Heeres an die Waffen-SS zu überführen, namentlich die Kosakendivision. Die fremdländischen Truppen haben fallweise tapfer gekämpft, aber für schwere Aufgaben waren sie in der Regel nicht geeignet. Ähnliches gilt für die Truppen der Verbündeten, die 1944 noch einmal stärker in den Vordergrund traten. Italien hatte 1943 seine Soldaten von der Ostfront zurückgezogen, auch das Personal der spanischen Division war in die Heimat zurückgekehrt, Ungarn hatte nur einige schwache, für Sicherungsaufgaben geeignete Divisionen im Osten belassen und Rumänien etwa 10 Verbände hauptsächlich bei Heeresgruppe A. Mitte 1944, als der Balkan von der Roten Armee unmittelbar bedroht wurde, stellte Rumänien im Bereich der Heeresgruppe Südukraine zwei Armeen mit über 20 Verbänden bereit und Ungarn im Bereich der Heeresgruppen Nordukraine und Mitte eine Armee mit über einem Dutzend Verbänden. Der Kampfwert dieser Truppen lag eher noch niedriger als in früheren Jahren, so daß eine gewichtige Verstärkung der deutschen Kräfte von ihnen nicht ausging. Die deutsche Ostfront mußte sich selber helfen, und dafür war sie auch zu schwach, jedenfalls unter den gegebenen Umständen. 12 Den Auftakt der Ereignisse an der Ostfront bildete der Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte im Sommer 1944. Die rückschauende Betrachtung hat dies einmal mehr auf ein Versagen der deutschen Aufklärung zurückführen wollen, was jedoch die Dinge zu sehr vereinfacht. Die deutsche Aufklärung erkannte die sowjetische Kräfteverteilung hinreichend genau, insbesondere den Umstand, daß bis zum Sommer die meisten russischen Panzerarmeen in der tiefen Fronteinbuchtung zwischen den Pripjet-Sümpfen und dem Schwarzen Meer verblieben. Tatsächlich standen Mitte 1944 von sechs sowjetischen Panzerarmeen fünf in der genannten Einbuchtung und nur eine vor der Heeresgruppe Mitte. Die Generalstabsabteilung für die Ostaufklärung zog daraus den Schluß, daß im Laufe des Sommers mit sowjetischen Offensiven aus dem Raum der Westukraine heraus zu rechnen sei, entweder Richtung Warschau in den Rücken der Heeresgruppen Mitte und Nord oder nach Süden auf den Balkan. Tatsächlich fand später beides statt, was auf Grund der Kräfteverteilung auch niemanden überraschen konnte. Von einer Überraschung mag man allenfalls insofern sprechen, als das sowjetische Oberkommando der Offensive aus der Westukraine heraus noch einen Frontalangriff auf die Heeresgruppe Mitte vorschaltete. Das Oberkommando der Heeresgruppe Mitte, nunmehr unter Feldmarschall Busch (Kluge war verunglückt), erkannte ab Ende Mai den Aufmarsch und die Angriffsvorbereitungen der Roten 12 Hitlers Weisung vom 3. II. 1943 in Hubatsch, Weisungen, 270 ff. Zur Kräftelage Müller-Hillebrand Ill, 68 ff., 114 f., 134 ff., 140 f., 148 ff., 167, 174,254,316 ff. MGFA, Weltkrieg V I I, 963 (Flugzeuge). Für die sowjetische Seite Gretschko, Weltkrieg IX, 26 ff. Zu den Erdkampfverbänden der Luftwaffe auch Stumpf, Luftwaffe. Zur Waffen-SS auch Stein, Waffen-SS. Zu den fremdländischen Truppen auch J. Hoffmann, Ostlegionen. Ders., Wlassow-Armee. Zu den Verbündeten auch Gosztony, Fremde Heere.

15 Rauh. Zweiter Weltkneg 3 Te1l

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Armee vor seiner Front, was indes Hitlers OKH nicht zu einer Änderung der deutschen Kräfteverteilung bewog. Unter den gegebenen Umständen war dies ein vertretbarer Standpunkt. Die Heeresgruppe Mitte befehligte Mitte Mai vier Armeen (2., 4., 9. Armee sowie 3. Panzerarrnee) mit rund 45 deutschen Divisionen, darunter drei Panzer- und drei Panzergrenadierdivisionen. Damit war die Heeresgruppe Mitte die weitaus stärkste der ganzen Ostfront; sie übertraf nach der Zahl der Verbände jede der drei anderen Heeresgruppen (Nord, Nordukraine und Südukraine) und verfügte, wenn man die Gesamtzahl der deutschen Divisionen an der Ostfront am 1. 6. 1944 in Höhe von 156 zugrunde legt, über rund 29% der Divisionen im Osten. Dagegen besaß etwa die Heeresgruppe Nordukraine, wo das OKH den sowjetischen Hauptangriff erwartete, Mitte Mai 1944 bei ihren beiden deutschen Armeen (1. und 4. Panzerarrnee) nur 26 Divisionen, darunter sechs Panzer- und eine Panzergrenadierdivision (eine weitere Panzerdivision war so angeschlagen, daß sie nicht zählte, zwei andere wurden im Juni nach dem Westen abbefördert). Angesichts der sowjetischen Truppenund Panzermassierung in diesem Gebiet - vor der Heeresgruppe Nordukraine standen über 100 Schützendivisionen und vier Panzerarmeen -war die Zahl von 26 deutschen Divisionen geradezu lächerlich gering. Es ist deshalb verständlich, daß das OKH hier die Front zu verstärken suchte, wozu es auf Kräfte der Heeresgruppe Mitte zurückgriff. Diese Heeresgruppe hatte im Frühjahr eine Anzahl von Divisionen, darunter zwei Panzerdivisionen, an ihrer tiefen rechten Flanke versammelt, um die Lage an dem Eckpfeiler der Front bei Kowel wiederherzustellen, ihre rückwärtigen Verbindungen zu schützen und den Anschluß an die Heeresgruppe Nordukraine zu halten. Ende Mai wurde jene Kräftegruppe (ein Korps mit sechs Divisionen) der Heeresgruppe Nordukraine unterstellt, womit die Heeresgruppe Mitte bei den drei Armeen an ihrer östlichen Front, die den russischen Angriff aushalten mußten (4., 9. Armee sowie 3. Panzerarrnee), nur noch rund 34 Divisionen besaß, darunter eine einzige Panzerdivision. Sicher war das zuwenig, aber wenn die Rote Armee bei der schwachen Heeresgruppe Nordukraine angegriffen hätte, wie Stalin und das sowjetische Oberkommando im April erwogen, wäre eben hier die deutsche Front zusammengebrochen und damit die ganze Ostfront aus den Angeln gehoben worden. Das sowjetische Oberkommando bot für die Offensive gegen die Heeresgruppe Mitte zunächst über 100 Schützendivisionen, rund 4000 Panzer und Sturmgeschütze sowie etwa 6000 Flugzeuge auf, insgesamt weit über eine Million Soldaten, und erreichte damit bei Personal und Material eine drei- bis fünffache Überlegenheit. Durch nachgeführte Reserven wurde die russische Übermacht später noch erdrükkender. Einem solchen Ansturm war die Heeresgruppe Mitte selbstverständlich nicht gewachsen. Trotzdem führt es nicht weiter, die deutsche Kräfteverteilung oder die unterstellte Fehleinschätzung des Gegners zu bemängeln. Das eigentliche Problem liegt vielmehr an ganz anderer Stelle. Mit den vorhandenen Kräften und entlang der vorhandenen Front konnte die Wehrmacht den Gegner überhaupt nicht aufhalten, weder bei der Heeresgruppe Mitte noch sonst irgendwo. Jodl soll An-

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fang 1944 dem Diktator ein Zurückgehen der ganzen Ostfront auf die kürzeste Linie zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer, zwischen Riga und Odessa, nahegelegt haben. Falls es überhaupt eine Chance gab, die Ostfront zu halten, war dies vermutlich die aussichtsreichste Lösung, und man darf ungescheut annehmen, daß Zeitzlers Generalstab ähnlich dachte. Nur- Hitler ließ es nicht zu. Unter dieser Voraussetzung war es operativ nicht verkehrt, die Heeresgruppe Nordukraine zu verstärken, um einen Durchbruch des Gegners Richtung Warschau zu vereiteln, denn falls die Rote Armee bis Warschau vorstieß und die wichtigsten rückwärtigen Verbindungen der Heeresgruppe Mitte unterbrach, ging diese einer bösen Niederlage entgegen und würde alle Mühe haben, der vollständigen Vernichtung zu entrinnen. Wenn hingegen der Feind die Heeresgruppe Mitte frontal von Osten her angriff, so bestand auch bei verringerter Stärke der Heeresgruppe Mitte durchaus die Möglichkeit eines einigermaßen geordneten Rückzugs. Ein geordneter Rückzug wäre nicht bloß erträglich, sondern sogar wünschbar gewesen, denn der vorgewölbte Frontbogen der Heeresgruppe Mitte ließ sich auf die Dauer sowieso nicht behaupten, zudem konnte bei einem Rückzug die überdehnte Front verkürzt und die Verteidigung im Osten wirkungsvoller gestaltet werden - am besten durch einen Rückzug auf die Linie von Riga bis zum Dnjestr. Die Heeresgruppe Mitte ging nicht deswegen unter, weil die deutsche Seite überrascht worden wäre oder weil die Kräfte fehlten, sondern weil Hitler den rechtzeitigen Rückzug unterband. Das Oberkommando der 9. Armee brachte das Selbstverständliche zum Ausdruck, wenn es am 22. Juni festhielt Auch in der jetzigen Lage werde die Armee die feindliche Offensive abfangen können, allerdings nicht unter dem unbedingten Verteidigungsauftrag. Es könne keinerlei Zweifel daran bestehen, daß beim Losbrechen der Großoffensive die 9. Armee zwangsläufig in einen hinhaltenden Widerstand übergehen (also den Rückzug einleiten) oder unvermeidlich zusammenbrechen müsse, da an eine Abriegelung tiefer Feindeinbrüche aus Kräftemangel nicht zu denken sei. Die anderen Kommandobehörden wußten es ebenso; deswegen hatte der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe, Busch, bereits am 20. Mai dem Diktator empfohlen, die Front der Heeresgruppe zurückzunehmen, am liebsten bis zur Beresina. Dadurch hätten sich die Front verkürzen und Kräfte einsparen lassen, dem Gegner wäre der Angriff erschwert und es wäre partisanenverseuchtes Gelände aufgegeben worden, das sich ohnehin schwer überwachen ließ. Wie üblich verwarf Hitler solche Vorschläge und kanzelte Busch ab als einen der Generale, die immer nur nach rückwärts blickten. Busch wagte nicht, offen oder heimlich gegen Hitlers Anordnungen zu handeln, sondern wies die unterstellten Armeen an, entsprechend Hitlers Willen und wider besseres Wissen die bestehenden Linien zu halten. Zusätzlich verschärft wurde die Lage durch einen Führerbefehl Hitlers vom 8. März 1944, wonach an der ganzen Ostfront "feste Plätze" einzurichten waren, die wie Festungen bedingungslos verteidigt werden mußten. Dies bildete die neueste Variante von Hitlers Vorstellung, die Abwehr dürfe nicht beweglich bzw. operativ geführt werden, sondern die Truppe habe sich fanatisch an den Boden zu krallen 15*

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also starres Halten um jeden Preis wie 1941 I 42 vor Moskau, wie bei Stalingrad und wie fortwährend seit dem Sommer 1943. Nachdem Hitler seit über zwei Jahren mit dieser Methode Schiffbruch erlitten hatte, fiel ihm nunmehr wieder nichts anderes ein als eine Neuauflage oder sogar Verschärfung derselben Methode. Gewiß können ausgebaute Festungen der Verteidigung einen Rückhalt bieten, aber die "festen Plätze" waren keine ausgebauten Festungen, konnten diesen Zweck also nicht erfüllen, sondern verschlangen nur unnütz Kräfte, die dann an anderen oder wichtigeren Stellen fehlten. Bei der Heeresgruppe Mitte, die für das starre Halten ihrer Front ohnedies viel zuwenig Divisionen aufwies, betraf das Verteidigen ,,fester Plätze" zunächst die Orte Witebsk, Orscha, Mogilew und Bobruisk, wofür eine Anzahl von Divisionen bereitgestellt werden mußte, so daß die Front noch mehr geschwächt und dem Gegner der Durchbruch noch mehr erleichtert wurde. Die sowjetische Offensive brach am 22. Juni los, am Jahrestag des deutschen Angriffs von 1941 und gut zwei Wochen nach Beginn der alliierten Invasion in Frankreich. Der russische Plan zielte nicht auf eine einzige große Umfassung der ganzen Heeresgruppe Mitte, sondern er sah mehrere kleine Kessel vor, um die Heeresgruppe Mitte zu zerschlagen oder wenigstens so stark zu fesseln, daß der spätere Angriff aus der Westukraine erleichtert wurde. Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, daß die Heeresgruppe Mitte zu retten gewesen wäre, wenn man rechtzeitig den Rückzug eingeleitet hätte. Dieser Rückzug, der von den Befehlshabern der Armeen und Korps vom Beginn an gefordert wurde, hätte normalerweise vom Oberkommando der Heeresgruppe geleitet und koordiniert werden müssen. Feldmarschall Busch tat dies jedoch nicht auf eigene Verantwortung, sondern er verhielt sich insofern ganz korrekt, als er sich deswegen an das OKH wandte, womit er Hitler einschaltete und so den Bock zum Gärtner machte. Im Generalstab erkannte man spätestens am 23. Juni, daß das Ausweichen die erforderliche Lösung sei, vermochte es indes bei Hitler nicht durchzusetzen. Busch hatte an sich ein zutreffendes Lagebild und beantragte auch die richtigen Maßnahmen, er befolgte jedoch, als diese nicht genehmigt wurden, streng die Anordnungen Hitlers. Am 26. Juni, als sich bereits der Zusammenbruch seiner Heeresgruppe abzeichnete, flog Busch zu Hitler, der bezeichnenderweise auf seinem privaten Wohnsitz bei Berchtesgaden weilte, doch faßte der Diktator auch jetzt keinen brauchbaren Entschluß, sondern beharrte auf dem Halten "fester Plätze". Am 28. Juni, als die Heeresgruppe nicht mehr zu retten war, wurde Busch abgelöst und durch Feldmarschall Model ersetzt, der zugleich die Heeresgruppe Nordukraine weiter führte und von dort Kräfte zur Heeresgruppe Mitte abzog. Die 9. Armee wurde bei Bobruisk eingeschlossen und vernichtet, die 4. Armee bei Minsk, große Teile der 3. Panzerarmee bei Witebsk. Die Katastrophe der Heeresgruppe Mitte war weit größer als diejenige der 6. Armee bei Stalingrad; insgesamt gingen 28 Divisionen mit 300000 Mann zugrunde. 13 13 Die Theorie von der Fehleinschätzung etwa bei Thomas, Intelligence, 286 ff. Zum Ablauf der Ereignisse Gackenholz, Zusammenbruch, 448 (Jod!) und passim. Ders., Dokumentation. Niepold, Ostfront, 72 (9. Armee) und passim. Ders., Führung. Hinze, Zusammenbruch.

I. Hitlers Ostkrieg 1943 I 44

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Nach dem neuerlichen Aderlaß durfte eine erfolgreiche Verteidigung im Osten kaum noch erhofft werden. Die Rote Armee war stark genug, nach der Zertrümmerung der Heeresgruppe Mitte an der gesamten Front anzugreifen und die Wehrmacht überall zurückzuwerfen. Noch vor dem Angriff gegen die Heeresgruppe Mitte hatte am 9. Juni eine sowjetische Offensive auf der Karelischen Landenge gegen Finnland begonnen, das ohnehin nur noch widerwillig am Krieg teilnahm, und hatte die finnische Front weit zurückgedrängt. Dies sowie die absehbare Niederlage Deutschlands bewogen die finnische Regierung nun endgültig zum Ausscheiden aus dem Krieg; im September traten die Waffenruhe und der Waffenstillstand in Kraft. An der deutschen Ostfront klaffte nach dem Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte ein riesiges Loch, in welchem Model mit den kümmerlichen Resten der Heeresgruppe und eilig herangeholten Verstärkungen Verzögerungsgefechte führte, bis die Front wieder einigermaßen geschlossen werden konnte und nach einem Rückzug über rund 500 km im August vor der Grenze Ostpreußens zum Stehen kam. Unterdessen hatte Mitte Juli der russische Großangriff aus dem westukrainischen Frontbogen gegen die Heeresgruppe Nordukraine begonnen, der nach dem Abzug deutscher Verstärkungen zur Heeresgruppe Mitte leichtes Spiel hatte, in Polen bis zur oberen Weichsel vordrang und durch einen Vorstoß Richtung Warschau, wie erwartet, die tiefe rechte Flanke der Heeresgruppe Mitte bedrohte. Wäre die Heeresgruppe Mitte nicht schon zerschlagen gewesen, so hätte sie spätestens jetzt den Rückzug einleiten müssen. Im August kam die Front vor Warschau, an der Weichsel und den Karpaten ebenfalls zum Stehen. Durch den Rückzug der Heeresgruppe Mitte wurde auch die Lage der Heeresgruppe Nord unhaltbar. Schon Ende Juni hatte Zeitzier vorgeschlagen, das nördliche Baltikum zu räumen und die Heeresgruppe Nord auf die Düna (Riga - Dünaburg) zurückzunehmen - ein Vorschlag, den sich dann auch Model und andere zu eigen machten, weil aus der Heeresgruppe Nord dringend benötigte Reserven für die Heeresgruppe Mitte gewonnen werden konnten und das Baltikum sich sowieso nicht behaupten ließ. Hitler lehnte wie üblich ab und wechselte mehrmals den Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Nord aus. Ende Juli erreichten sowjetische Kräfte bei Tukkum im Raum Riga die Ostseeküste und schnitten damit die Verbindung zwischen den Heeresgruppen Nord und Mitte ab. Zwar gelang es der Heeresgruppe Mitte - nunmehr unter General Reinhardt, da Model den Oberbefehl im Westen übernommen hatte - im August, die Verbindung wieder zu öffnen, aber die einzig sinnvolle Lösung, die Heeresgruppe Nord endlich abzuziehen, ließ Hitler nicht zu. Im September erzwang ein sowjetischer Angriff die Räumung Estlands, im Oktober stieß ein sowjetischer Angriff zur Küste bei Memel durch und schnitt die Heeresgruppe Nord erneut ab. Auf Befehl Hitlers mußte die Masse der Heeresgruppe Nord in Kurland, d. h. der Landzunge zwischen Libau und Tukkum, stehenbleiben. Hitlers Führerbefehl vom 8. 3. 1944 über die "festen Plätze" in Hubatsch, Weisungen, 281 ff. Stärke der deutschen Heeresgruppen im Mai nach Müller-Hillebrand 111, 232 f. Ferner Schtemenko I, 233 ff. Röhricht, Kesselschlacht, 108. Erickson, Stalins War II, 197 ff., 214.

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li. Irrwege

Neben all diesen Erfolgen war die Rote Armee auch noch stark genug, auf den Balkan vorzudringen. Im August durchbrach sie mit mehrfacher Überlegenheit die Front der Heeresgruppe Südukraine unter General Frießner, stieß zwischen Karpaten und Schwarzem Meer nach Süden Richtung Bukarest und Bulgarien vor, schwenkte in der Donau-Ebenenach Westen und stieß dann wieder mit nördlicher und nordwestlicher Richtung nach Siebenbürgen und Ungarn. Die gewaltige Umfassungsbewegung, geführt von Marschall Malinowski, konnte in mehreren Schlachten in der ungarischen Tiefebene im Oktober und November gerade noch abgefangen werden. Nach Beginn der sowjetischen Offensive war in Rumänien der Diktator Antonescu gestürzt worden; Rumänien erklärte noch im August dem Reich den Krieg. Bulgarien folgte nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen Anfang September ebenfalls mit der Kriegserklärung an Deutschland. Die deutschen Truppen der Heeresgruppen E in Griechenland (General Löhr) sowie F im jugoslawischen Gebiet (Feldmarschall Weichs) mußten sich nach Norden zurückziehen. Dort fanden sie Anschluß an die Reste der 6. und 8. Armee der Heeresgruppe Südukraine, die jetzt Heeresgruppe Süd hieß und im Laufe des Herbst vor der drohenden Einkesselung bis in den Raum von Budapest zurückwich. Im Dezember hielten deutsche Truppen noch die Slowakei, das westliche Ungarn und das nördliche Jugoslawien (Belgrad war schon im Oktober gefallen). Im Dezember begann sodann ein neuer sowjetischer Angriff im westlichen Ungarn, der jedoch bereits in einen anderen Zusammenhang gehört - nämlich den Endkampf des Dritten Reiches. 14

2. Das nationalsozialistische Imperium

Die Herrschaft der Nationalsozialisten war eine reine Gewalt- und Willkürherrschaft, sowohl in Deutschland als auch in den infolge des Krieges besetzten Gebieten. Wie andere totalitäre Diktaturen stützte sie sich auf einen ausgedehnten Polizeiapparat, der das Regime sichern und alle Widerstandsregungen im Keim ersticken sollte. Ein besonderes Kennzeichen der nationalsozialistischen Herrschaft bestand darin, daß die Polizei praktisch aus der Staatsverwaltung ausgegliedert und zu einem Werkzeug der nationalsozialistischen Bewegung gemacht wurde. Heinrich Himmler, ursprünglich Führer der SS, also einer Organisation der Bewegung, wurde 1936 Chef der gesamten deutschen Polizei. Als solcher unterstand er dem Reichsinnenminister nur persönlich, was darauf hinauslief, daß er tatsächlich ganz unabhängig war und die Anordnungen Hitlers unmittelbar entgegennahm. 1943 wurde Himmler dann selbst Innenminister. Als Chef der deutschen Polizei verschmolz Himmler die Polizei organisatorisch wie personell mit der SS und machte beide gemeinsam zu einem Organ des Führerwillens für diejenigen Aufgaben, die man der Staatsverwaltung nicht zumuten konnte oder wollte, z. B. die Rassenpolitik. Die ge14 Philippi I Heim, 246 ff. Guderian, 317 ff. Frießner, Schlachten, passim. Heusinger, 328 f., 333 ff. Ziemke, Defeat, passim. Niepold, Panzeroperationen. Kissel, Katastrophe.

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samte Polizei wurde in zwei Bereiche gegliedert, nämlich Ordnungspolizei und Sicherheitspolizei, wobei die letztere die Kriminalpolizei umfaßte sowie die Geheime Staatspolizei. Im Reichssicherheitshauptamt, 1939 gegründet, faßte man die Sicherheitspolizei mit dem Sicherheitsdienst der SS (SO) zusammen. Ordnungspolizei, Sicherheitspolizei und SS wurden überdies verklammert durch die 1937 entstandene Einrichtung der Höheren SS- und Polizeiführer. Zur Organisation der SS, die außerhalb des Staatsapparats stand, gehörte schließlich auch die Waffen-SS, eigentlich eine bewaffnete Truppe der Bewegung, die mit einigen Verbänden schon vor dem Krieg aufgebaut worden war und während des Krieges eine starke Ausweitung erfuhr. Die Bezeichnung der nationalsozialistischen Herrschaft als SS-Staat gibt zwar den Sachverhalt wieder, daß vorzugsweise die SS das Erscheinungsbild des HitlerRegimes prägte, zumal im Krieg. Sie ist jedoch insofern etwas irreführend, als die SS nicht ein Organ der rechtlich gebundenen Staatsgewalt darstellte, sondern ein Werkzeug der vorstaatlichen und außerrechtlichen Führergewalt. 15 Geschützt durch die SS, überdauerte das Hitler-Regime bis zum Schluß. Während in Japan gegen Kriegsende mehrfach die Regierung wechselte, während in Italien der Diktator Mussolini 1943 schlicht entlassen wurde, behaupteten die Nationalsozialisten rücksichtslos ihre Herrschaft über das deutsche Volk wie über andere Länder, eine Herrschaft, die auf bloßer Unterdrückung beruhte. Dies entsprach zugleich der nationalsozialistischen Weltanschauung, die im wesentlichen Hitlers Weltanschauung war. Hitler verstand unter Herrenrasse nicht das deutsche Volk schlechthin, sondern im deutschen Volk gab es (ebenso wie in anderen Völkern) einen hochwertigen Rassekern. Dieser Rassekern, die sogenannten Arier oder Nordisch-Herrischen, war zur Herrschaft berufen, zunächst zur Herrschaft über das deutsche Volk und schließlich zur Herrschaft über die ganze Erde. Der Rassekern verkörperte sich in der nationalsozialistischen Bewegung, während des Krieges dann zunehmend in der SS. Am anderen Ende der Rassenskala stand die Gegenrasse des Judentums. Auch das Judentum strebte nach der Weltherrschaft, aber während die Arier in Hitlers Augen alles Wertvolle der Menschennatur widerspiegelten, war das Judentum der Träger von Verfall und Fäulnis. Man sieht nun leicht, daß diese Lehre mit den gängigen Formeln "Nationalismus" oder ,,Rassismus" nicht zureichend erlaßt wird. Für Hitler war das deutsche Volk, die Nation, nur Verbrauchsmaterial für die Errichtung eines Imperiums der Arier, für die Herrschaft der Nationalsozialisten und der SS. Deshalb konnte Hitler ohne Mühe sagen, das deutsche Volk solle notfalls zugrunde gehen - nämlich dann, wenn es sich als ungeeignet erwies, die Herrschaft der Arier zu errichten. Sodann mag es zwar dahingestellt bleiben, inwiefern sich innerhalb der Menschheit Rassen unterscheiden - aber mit Sicherheit gibt es in einem wissenschaftlichen Sinne nicht die Rassen der Arier und der Juden, wie Hitler sie verstand. Die Rassen, die Hitler meinte, hatten mit der Wirklichkeit nichts gemein, sie waren metaphysische Konstrukte, bloße Erfindungen, ebenso wie Hitlers ganze Weltanschauung. 1s Buchheim, Anatomie I, passim. Petter, Instrumente. Wegner, Waffen-SS. Birn, Himmlers Vertreter.

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II. Irrwege

Diese Weltanschauung hatte freilich zwei Gesichter. Der britische Außenminister Halifax hatte Hitler schon vor dem Krieg als Verrückten bezeichnet, und der deutsche Generalstabschef Haider als Geisteskranken. Ob das in medizinischer Hinsicht zutrifft, kann hier offenbleiben. Jedenfalls war Hitler ein ungebildeter, kenntnisloser Schwadroneur, der seinen Mangel an Geistes- und Charaktergaben durch hemmungslosen Machtwillen, Verschlagenheit und Fanatismus wettzumachen suchte. Hitlers Weltanschauung steht intellektuell, verstandesmäßig, auf einem denkbar niedrigen Niveau. Andererseits empfing sie eine beträchtliche Wirkmächtigkeit und Überzeugungskraft aus dem Umstand, daß sie für schwierige Probleme einfache Lösungen anbot, daß sie gewisse Sehnsüchte, Ängste und Instinkte ansprach, daß sie in einer entgötterten Welt dem Glauben einen Halt, dem Hoffen ein Ziel und dem Haß ein Objekt verschaffte. Hitlers Weltanschauung war eine quasi-religiöse oder pseudoreligiöse Heilslehre, eine Lehre über die Rettung und Heilung der Welt, eine Sinndeutung der ganzen Geschichte. Wer sich zu dieser Lehre bekannte, genoß den Vorzug, an der Heilung der Welt mitzuwirken, ein Auserwählter zu sein, einer verschworenen Gemeinschaft anzugehören, die selbst ein Recht auf Herrschaft beanspruchen durfte. Der Inhalt dieser Lehre bestand im Kern darin, daß das ganze Weltgeschehen geprägt sei von einem Kampf zwischen den Mächten des Lichts und den Mächten der Finsternis, zwischen den Ariern und den Juden. Die Arier waren die Schöpfer aller wahren Kultur, die Juden deren Zerstörer. Alle Übel der modernen Gesellschaft, der modernen Zivilisation, rührten von den Juden her. Im Mittelpunkt des Kampfes zwischen Ariern und Juden stand Deutschland; dort hatte die nationalsozialistische Bewegung, selbst Ausdruck des Ariertums, die weltgeschichtliche Aufgabe, den Kampf gegen das Judentum aufzunehmen, um so Deutschland und die Welt gesunden zu lassen. Hitlers Weltanschauung, Grundlage für das politische Handeln der nationalsozialistischen Bewegung, war eine verweltlichte Erlösungslehre; erlöst wurden die Menschen nicht im Jenseits, sondern im Diesseits, und zwar von den Bedrängnissen der modernen Zivilisation, die von den Juden ausgingen. Das einigende Band für die verschiedenen Stücke von Hitlers Weltanschauung bildete nicht eine biologische oder biologistische Lehre von den Rassen, auch keine sozialdarwinistische. Sondern Hitlers Lehre, zusammengestückelt aus Fetzen von Halbbildung, wurde in die Form der Metaphysik gegossen. Sie war Religionsersatz: Weltdeutung, Handlungsanweisung und Rechtfertigung in einem. Das verlieh ihr die Schlagkraft und verschaffte ihr Anhänger, zumal die Bekenner sich als Angehörige eines höheren Menschentums betrachten durften, die an einem Heilsgeschehen teilhatten. Aus diesem Blickwinkel scheint sich am ehesten ein Zugang zu der Ungeheuerlichkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung zu ergeben. Es will dem gesunden Menschenverstand und dem normalen sittlichen Empfinden ganz unfaßbar vorkommen, daß die SS während des Krieges wahrscheinlich über fünf Millionen Juden umbrachte - Wehrlose, Unschuldige, Unbeteiligte, als Gruppe willkürlich zusammengefaßt wegen ihrer angeblichen Rassenzugehörigkeit, Menschen, die

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mit der Politik überhaupt nichts zu schaffen hatten, die sich von der übrigen Bevölkerung häufig kaum unterscheiden ließen und die zum Teil einfach deutsche Staatsbürger waren, eingewoben in die Geschichte, Kultur und Wirtschaft ihres Heimatlandes. Es führt auch nicht viel weiter, nach der kriminellen Energie der Täter zu fahnden. Wohl mag es unter den Tätern Gemütskrüppel gegeben haben, vertierte Sadisten und brutale Schlächter, aber das erklärt sicher nicht alles. Unter den höheren SS-Führem fanden sich nicht wenige, die einigermaßen gebildet waren, einen Hochschulabschluß besaßen; unter den Mannschaften fanden sich biedere Familienväter, unbescholtene Männer mit ehrbaren Berufen, und die meisten davon werden wenig Freude empfunden haben, stumm leidende oder hilflos wirnmemde Opfer umzubringen. In zwei denkwürdigen Geheimreden aus dem Oktober 1943 erklärte Himmler, der Satz "Die Juden müssen ausgerottet werden" sei leicht gesprochen. Aber für den, der es durchführen müsse, sei es das Allerhärteste und Schwerste, was es gebe. Er habe sich aus politischen Beweggründen entschlossen, auch Frauen und Kinder beseitigen zu lassen. Für die Organisation, die den Auftrag durchführen mußte, also die SS, sei es der schwerste gewesen, den sie bisher hatte. Trotzdem sei er durchgeführt worden. Man werde vielleicht in ganz später Zeit einmal überlegen können, ob man dem deutschen Volk etwas mehr darüber sage. Er glaube, es sei besser, die Nationalsozialisten hätten dies für das Volk getragen, hätten die Verantwortung auf sich genommen und nähmen dann das Geheimnis mit ins Grab. Aber die SS habe die Pflicht, für das Wohl des deutschen Volkes, des Blutes, zu sorgen, zu denken, zu arbeiten und zu kämpfen. Das deutsche Volk hätte die nötige Härte für die Judenvernichtung nicht aufgebracht. Die SS dagegen habe diese Härte; dies sei ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt in der Geschichte der SS. Ruhmesblatt? Im Rahmen der Weltanschauung des Nationalsozialismus durchaus. Die SS wußte, daß ihr Tun widerrechtlich war, daß das Volk es nicht billigte, und hielt ihr Tun deshalb geheim. Aber die Bekenner der nationalsozialistischen Heilslehre konnten glauben, sie konnten sich einreden oder einreden lassen, daß sie als Vorkämpfer des Arierturns sich selbst und den Rest Europas erlösten - nämlich erlösten von dem Übel, von dem Übel der Juden wie von dem Übel, das die Juden über die Erde brachten. Derartiges hatte Hitler selber in "Mein Kampf' gesagt: "So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln: Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn." Blasphemie? Vielleicht. Aber jedenfalls ein Glaube, eine heruntergekommene Metaphysik, ein Religionsersatz. Durch ihr Tun hatte die SS teil an einem Heils geschehen, sie rettete das Arierturn, sie rettete die Kultur, sie rettete das deutsche Volk und am Ende wohl gar die ganze Menschheit. Die SS handelte in höherem Auftrag; nicht nur im unmittelbaren Auftrag Hitlers, sondern im Auftrag eines Glaubens an die Sinnstiftung der Geschichte. Von daher leitete die SS die Befugnis ab, sich ihre Maßstäbe selbst zu geben: Sie durfte sich über das Recht hinwegsetzen, sie durfte sich über das menschliche Empfinden hinwegsetzen, sie durfte sich über den Willen des Volkes hinwegsetzen, weil sie das schlechthin Böse vernichtete, welches der Jude verkörperte.

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Oder wie Hitler in "Mein Kampr' geschrieben hatte: Die nationalsozialistische Bewegung habe darin ihre gewaltigste Aufgabe, das Judentum, den bösen Feind der Menschheit, als den wirklichen Urheber allen Leides, dem allgemeinen Zorn zu weihen. Die Bewegung müsse dafür sorgen, daß wenigstens in Deutschland der tödlichste Gegner erkannt und der Kampf gegen ihn als leuchtendes Zeichen einer lichteren Zeit auch den anderen Völkern den Weg weisen möge zum Heil einer ringenden arischen Menschheit. Die heilige Pflicht, so zu handeln, möge der Bewegung Beharrlichkeit geben, und höchster Schirmherr möge ihr Glaube bleiben. Die SS nahm dies auf, so daß es beispielsweise in einem weltanschaulichen Traktat des SS-Hauptamts von 1935 hieß, der Welt des Lichts, der Welt der Kultur, der Welt des Menschen, der Gottes Nächster sei - dieser Welt trete die Welt des Untermenschen entgegen, der Sumpf, die Hölle, und an ihrer Spitze der ewige Jude. Unter diesen Vorzeichen fand die Judenvernichtung statt. Das ist gewiß schrecklich; es ist schrecklich vom Standpunkt der Vernunft, und es ist schrecklich vom Standpunkt der Sittlichkeit. Aber es ist in der Geschichte weder neu noch einzigartig. Zu allen Zeiten haben Menschen die größten Untaten begangen für einen Glauben, für eine Weltanschauung, für eine Heilslehre. Das 20. Jahrhundert macht da keine Ausnahme. Für die Heilslehre des Kommunismus wurden in der Sowjetunion wahrscheinlich mehr Menschen dem Tod überantwortet als im Dritten Reich. Für eine ähnliche Heilslehre wurde in Kambodscha vermutlich ein Viertel der Bevölkerung ausgerottet. Man wird sich zu der Einsicht bequemen müssen, daß die Menschen eben so sind, und zwar überall auf der Erde. Die Achtung vor dem Leben, dem Recht und dem Glauben anderer zählt ihnen wenig, wenn sie sich einbilden, einer gerechten Sache zu dienen; zumal wenn die vermeintlich gerechte Sache auch noch mit der eigenen Macht verknüpft ist. Sie gewinnen dann leicht die Überzeugung, der Kampf um die vermeintlich gerechte Sache erlaube jedes Mittel, auch roheste Gewalt. Selbst in Amerika vertraten gegen Kriegsende rund 13% der erwachsenen Bevölkerung die Ansicht, man solle die Japaner am besten ganz ausrotten. Der Unterschied bestand darin, daß in den USA eine solche Minderheitsmeinung nicht zur herrschenden Politik wurde. In Deutschland dagegen hatten es die Vertreter einer Minderheitsmeinung vermocht, eine Diktatur zu errichten. Während des Krieges konnten sie darangehen, ihre Heilslehre in die Tat umzusetzen. 16 Wie es zur Judenvernichtung kam, ist bis heute umstritten. Die nationalsozialistische Judenpolitik verfolgte nach Hitlers Machtergreifung zunächst das Ziel, die Juden in Deutschland zu entrechten und zu unterdrücken, um sie zur Auswanderung zu veranlassen. Im Grundsatz galt dies bis 1941; erst in diesem Jahr wurde die Auswanderung von Juden verboten. Hitler deutete zwar gelegentlich an, daß er t6 Zur nationalsozialistischen Weltanschauung Bd. I dieser Untersuchungen. Die HirnmIer-Reden vorn 4. und 6. Oktober 1943 in IMG, Bd. 29, 145. Srnith/Peterson, Hirnrnler, 169 ff. Hitler in Mein Kampf, 70, 724 f. Der Traktat der SS von 1935 sowie andere einschlägige Zeugnisse in Hofer, Dokumente, 279 ff. Zur amerikanischen öffentlichen Meinung Yavenditti, People.

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eigentlich mehr beabsichtige als die Auswanderung, doch wirkte sich dies nach Kriegsbeginn mit ersten Anfängen lediglich in Polen aus, wo die SS bereits damit begann, außer der polnischen Führungsschicht auch Juden umzubringen. Als Zwischenspiel tauchte 1940 der Plan auf, die Juden ganz oder zum großen Teil nach Madagaskar abzuschieben. Da diese Insel vorerst unerreichbar blieb, ging man dazu über, Juden in Ghettos und Lagern auf dem besetzten polnischen Gebiet zusammenzupferchen. Damit verband sich möglicherweise die Absicht, die Juden später doch an einen anderen Ort zu schaffen, sei es nach Madagaskar oder sei es, wenn Rußland erst besiegt war, nach Sibirien. Als Auftakt der organisierten Judenvernichtung gilt allgemein die Tätigkeit der SS-Einsatzgruppen beim Rußlandfeldzug von 1941. Rechtsgrundlage für das Wirken der Einsatzgruppen war einerseits eine OKW-Weisung vom 13. März 1941, wonach der Reichsführer SS Sonderaufgaben im Auftrag des Führers erhielt, andererseits ein OKH-Befehl vom 28. April 1941, welcher den Einsatzgruppen die Aufgaben einer politischen Polizei hinter der Front zuwies. Daß die SS Juden umbringen solle oder dürfe, stand in keinem dieser Befehle. Wenn es in dem OKH-Befehl hieß, die Sonderkommandos hätten Exekutivbefugnisse, so war dies ziemlich nichtssagend, weil selbstverständlich jede Polizei Exekutivbefugnisse besitzt (und sei es nur zum Abschleppen falsch geparkter Autos). Im Rahmen der schriftlich erteilten und rechtlich unbedenklichen Aufträge konnte die SS ihre Untaten nicht vollbringen. Da sie solche Untaten dennoch vollbrachte, ist anzunehmen, daß sie einen mündlichen Auftrag erhielt, und zwar von Hitler. Anscheinend wird dies auch allgemein angenommen. Doch fand die Tätigkeit der Einsatzgruppen eben nur unter den Juden in Rußland ihr Ziel; von einer Vernichtung der Juden im übrigen Europa war noch nicht die Rede. Wann derartiges beschlossen wurde, ist die Frage. Ein schriftlicher Befehl Hitlers für die Judenvernichtung wurde nie gefunden und existiert vermutlich auch gar nicht. Das besagt freilich nichts; Hitler pflegte viele Anordnungen mündlich zu erteilen, und in diesem Fall legte wohl schon der Wunsch nach Geheimhaltung ein möglichst formloses Verfahren nahe. Im übrigen ist der formelle Dienstbefehl in schriftlicher Form eine typische und häufig unerläßliche Erscheinung einer an das Recht gebundenen Staatsverwaltung. Bei der Judenvernichtung indes handelte es sich weder um eine innerhalb des Rechts angesiedelte Maßnahme, noch war der Adressat des Befehls, die SS, ein Organ der Staatsgewalt, sondern sie stellte ein Werkzeug der Bewegung und des außerstaatlichen Führerwillens dar. Da Hitler wahrscheinlich die Untaten der Einsatzgruppen mündlich angeordnet hat, ist es ebenso wahrscheinlich, daß er auch das Ausrotten der europäischen Juden mündlich angeordnet hat. Dies mag in einer ganz pauschalen Form geschehen sein, welche die Einzelheiten der SS überließ. Himmler stellte in den vorhin genannten Reden die Sachlage so dar, daß die SS zwar einen Auftrag erhielt, daß er aber selbst entschied - oder sich zumindest dafür aussprach -, auch Frauen und Kinder umbringen zu lassen. Dies würde überdies gut in Hitlers Weltanschauung passen, da der Diktator die Eigenverantwortung der arischen Herrenmenschen zu fördern wünschte. Sodann durfte wohl niemand wagen, hinter dem

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Rücken Hitlers oder ohne seine Billigung die Judenvernichtung mit ihren weitreichenden politischen, militärischen, wirtschaftlichen und verwaltungstechnischen Folgen ins Werk zu setzen. Jedenfalls spricht nichts gegen die Annahme, daß Hitler das Ausrotten der europäischen Juden selbst befahl. Aber wann und warum? Nach einer verbreiteten Meinung kam der Entschluß zur Vernichtung der europäischen Juden erst irgendwann im Spätsommer oder Herbst 1941 zustande- und zwar im Zusammenhang mit der Krise des Rußlandfeldzugs. Als sich abzeichnete, daß der Feldzug in diesem Jahr nicht mehr erfolgreich beendet werden könne, sei der Weg zur Vernichtung der europäischen Juden beschritten worden. Als Grund für diese Wendung wird Unterschiedliches angegeben: Die Judenvernichtung sei so etwas wie eine vorgezogene Rache Hitlers am Judentum für die sich abzeichnende Niederlage gewesen; oder Hitler habe nun Hemmungen außenpolitischer Natur fallen lassen, weil sein außenpolitischer Fahrplan ohnedies zerbrach; oder das Zusammenpferchen der Juden auf polnischem Gebiet habe sich nicht mehr durchhalten lassen, weil die Möglichkeit entfiel, die Juden an einen anderen Ort abzuschieben. Was auch immer der Grund gewesen sein mag, gemäß dieser Deutung hängt der Übergang zur Vernichtung der europäischen Juden jedenfalls immer mit dem Verlauf des Rußlandfeldzugs zusammen. Sollte diese Ansicht zutreffen, so wäre es von hoher Bedeutung. Wie früher gezeigt wurde, hat Hitler den deutschen Ostfeldzug von 1941 selbst verpfuscht. Der Operationsplan des OKH sah vor, Rußland bis zur Wolga zu besetzen und die Rote Armee so schwer zu schlagen, daß sie auf absehbare Zeit zu gefährlichen Angriffshandlungen nicht mehr imstande war. Diesen Plan hat Hitler im Sommer 1941 durch seine fortwährenden unsachgemäßen Eingriffe zerstört. Etwa im August I September 1941 dämmerte ihm, daß der Feldzug in diesem Jahr nicht mehr erfolgreich abgeschlossen werden könne. Eine Denkschrift des OKW aus jener Zeit kam zum selben Ergebnis. Wenn es nun zutrifft, daß die Vernichtung der europäischen Juden erst vor dem Hintergrund dieser Sachlage anlief, so muß der Umkehrschluß erlaubt sein, daß bei einem anderen Feldzugsverlauf die Judenvernichtung vielleicht nicht erfolgt wäre. Hätten die deutschen Truppen gemäß dem Plan des OKH die Wolga erreicht, so wären die europäischen Juden vielleicht nicht umgebracht, sondern nach Restrußland abgeschoben worden. Oder Hitler wäre auf den japanischen Plan einer gemeinsamen Kriegführung im Indischen Ozean eingegangen, so daß sich die Möglichkeit eröffnet hätte, die Juden nach Madagaskar zu schaffen. Zweifellos wäre auch in diesem Fall das Schicksal der Juden kaum erträglich gewesen, aber wenigstens hätte die Zahl der Opfer geringer sein können. Solche Überlegungen lassen sich nicht einfach von der Hand weisen. Freilich sind es unsichere Spekulationen. Sie brächen überdies sofort in sich zusammen, wenn bewiesen werden könnte, daß Hitler den Entschluß zur Judenvernichtung schon vor der Wende des Rußlandfeldzugs faßte. Ein solcher Beweis ist anscheinend nicht möglich. Immerhin zeigen diese Dinge, daß der Schleier der Geheimhaltung ziemlich dicht war. Wenn nicht einmal die Geschichtsschreibung mit all ihren Hilfsmitteln Jahrzehnte später eine sichere Antwort geben kann, ob und wann

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Hitler die Judenvernichtung befohlen hat, wie hätten dann die Zeitgenossen Genaueres wissen sollen? Gewiß blieb das Wirken der Einsatzgruppen in Rußland den Soldaten nicht verborgen, gewiß konnte die Zivilbevölkerung in der Heimat ahnen, daß mit den Juden etwas Ungewöhnliches geschah. Aber was wirklich vor sich ging, konnte die Masse der durchschnittlichen Volksgenossen, von jeder zuverlässigen Information abgeschnitten, eben nicht wissen. Für den späteren Historiker scheint es eine vertretbare Deutung zu sein, daß Hitler seit seinen politischen Anfangen die Judenvernichtung wünschte und daß er sie bei passender Gelegenheit befahl. Die passende Gelegenheit war augenscheinlich die Zeit um den Beginn des Rußlandfeldzugs. Alle vorbereitenden Schritte für das Errichten der deutschen Hegemonie in Europa waren getan, beim Rußlandfeldzug erwartete man einen raschen Sieg, schließlich bildete der Rußlandfeldzug in Hitlers Augen ohnedies den eigentlichen Rassekrieg gegen das Grundübel, nämlich gegen den jüdischen Bolschewismus, so daß es sich anbot, sogleich in die Endabrechnung mit dem Judentum einzutreten. In Rußland selbst besorgten dies zunächst die Einsatzgruppen. Wenn die Vernichtung des übrigen europäischen Judentums erst gegen Ende 1941 begann, dann läßt sich das möglicherweise so erklären, daß man anfangs beabsichtigte, erst das Ende des Feldzugs abzuwarten, um nach dem Sieg desto ungestörter Rassenpolitik betreiben zu können. Es wird ja kein Zufall gewesen sein, daß Hitler in Rußland, ähnlich wie in Polen, keine Militärverwaltung errichten ließ, sondern eine nationalsozialistische Zivilverwaltung. Unter deren Schirm ließ sich Rassenpolitik betreiben, während eine Militärverwaltung nur Schwierigkeiten gemacht hätte. Betrachtet man die Dinge so, dann hatte der Verlauf des Rußlandfeldzugs auf die Judenvernichtung keinen wesentlichen Einfluß. Die Vernichtung des europäischen Judentums wurde nicht ins Werk gesetzt, weil der Feldzug scheiterte, sondern obwohl er scheiterte. Nachdem sich für Hitler abzeichnete, daß er den Krieg gegen die Sowjetunion wohl nicht gewinnen werde, wollte er wenigstens den Krieg gegen die Juden gewinnen. Dafür reichte sein Verstand eher aus. 17 Im Laufe des Jahres I 942 erhielten die Regierungen der Westmächte vielerlei Nachrichten über den Beginn der Judenausrottung. Diese Nachrichten stammten aus Quellen, die der deutschen Durchschnittsbevölkerung im allgemeinen nicht zugänglich waren. Eine Erklärung der Vereinten Nationen, die am 17. Dezember in Washington, London und Moskau abgegeben wurde, verdammte in schärfster Form die "bestialische Politik der kaltblütigen Vernichtung". Vertreter der amerikanischen Juden sprachen ebenfalls im Dezember I 942 bei Präsident Roosevelt vor, wobei dieser erklärte, der Regierung seien die meisten Tatsachen bekannt, doch sei es schwer, geeignete Gegenmaßnahmen zu finden. Die Alliierten könnten 17 Zur Judenpolitik allgemein Hillgruber, Der Ostkrieg und die Judenvemichtung, in ders., Zerstörung, 313 ff. Jäckel, Herrschaft, 89 ff. Adam, Judenpolitik. Jäckel/ Rohwer, Juden. Burrin, Juden. Vgl. Haffner, Hitler, 178 f. Die OKW-Weisung vom 13. 3. 1941 in Hubatsch, Weisungen, 101 ff. Der OKH-Befeh1 vom 28. 4. 1941 in Buchheim, Anatomie II, 171 ff. Die Denkschrift des OKW vom 27. 8. 1941 in ADAP, Ser. D, Bd. 13, 345 ff. Vgl. Ha1der, KTB III, 226 ff.

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nicht den Eindruck erwecken, als bestehe das gesamte deutsche Volk aus Mördern oder stimme mit Hitlers Tun überein. Mit der Feststellung, daß die Vereinten Nationen gegen die Judenvernichtung nicht wirkungsvoll einschreiten könnten, hatte Roosevelt zu dieser Zeit sicher recht. Trotzdem hätte es sehr wohl eine Möglichkeit gegeben, etwas Durchschlagendes zu unternehmen. Die Amerikaner hatten im ersten Halbjahr 1942 monatelang darum gerungen, bereits 1943 eine Invasion in Frankreich vorzunehmen. Wäre dies durchgeführt worden, so hätte beim damaligen Kräfteverhältnis einige Aussicht bestanden, den deutschen Zusammenbruch verhältnismäßig bald herbeizuführen und obendrein den größeren Teil Europas von den Truppen der Westmächte besetzen zu lassen. Der SS wäre dann entsprechend weniger Zeit für ihr grausiges Werk verblieben. Den beiden Regierungschefs Roosevelt und Churchill war dies augenscheinlich bewußt. Jedenfalls vermieden sie es in ihrer umfangreichen Korrespondenz geflissentlich, auf die Judenfrage einzugehen. So nahm das Verhängnis seinen Lauf. Insgesamt dürften zwischen fünf und sechs Millionen Juden umgebracht worden sein; sie stammten zum größten Teil nicht aus Deutschland, wo die Mehrzahl der Juden rechtzeitig ausgewandert war, sondern hauptsächlich aus den besetzten Gebieten und schließlich auch aus den verbündeten Ländern, soweit Hitler dort seinen Willen durchsetzen konnte. Die größere Zahl der Juden wurde mit Giftgas in Vernichtungslagern auf ehedem polnischem Gebiet getötet, am meisten in Auschwitz. Als Tarnung diente die Formel, die Juden würden zum Arbeitseinsatz in die Lager gebracht. Bis zu einem gewissen Grad war das sogar richtig, allerdings nur insoweit und so lange, wie die Betroffenen arbeitsfähig waren. 18 Tatsächlich diente das Lager-System der SS nicht bloß dem Ausrotten der Juden. Es verfolgte vielmehr drei ineinander verschränkte Ziele, nämlich erstens das Sichern der nationalsozialistischen Herrschaft durch das Überwachen und Terrorisieren der Bevölkerung, zweitens das "Reinigen des Volkskörpers", insbesondere durch die Rassenpolitik, und drittens das nutzbringende Verwenden der Häftlinge durch ihren Arbeitseinsatz in eigenen Wirtschaftsunternehmungen der SS. Die beiden letzteren Aufgaben wuchsen dem Lagersystem erst im Laufe der Zeit zu. Das Lagersystem war so entstanden, daß die nationalsozialistische Bewegung nach der Machtergreifung von 1933 auf Grund der Reichstagsbrandverordnung Personen in "Schutzhaft" genommen und dafür Konzentrationslager errichtet hatte. Diesen Zustand wollte Hitler beibehalten; die Einrichtung der Schutzhaft wurde 1936 bekräftigt, indem Handlungen der Geheimen Staatspolizei keiner Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte unterlagen. Das lief konkret darauf hinaus, daß die SS (Gestapo) festnehmen konnte, wen sie wollte, und mit ihm machen konnte, was sie 18 Die Erklärung der Vereinten Nationen vom 17. 12. 1942 in Dokumente zur Deutschlandpolitik 113 I 2, 1162 f. Roosevelt über Judenvernichtung, 8. 12. 1942, nach Laqueur I Breitman, 147. Zur Korrespondenz Roosevelt - Churchill G. Schulz, Dismemberment, 45, Anm. 35. Ferner Gilbert, Auschwitz. Laqueur, Nachrichten. Zur Judenvernichtung Benz, Dimension (dort auch das Schrifttum). Ferner Headland. Bankier. Büttner, Judenverfolgung.

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wollte. In der Folgezeit überzog die SS Deutschland, während des Krieges auch andere Gebiete, mit einem Netz von Lagern. Dazu gehörten während des Krieges rund ein bis zwei Dutzend Hauptlager, darunter das älteste, Dachau, und das größte, Auschwitz, sowie viele hundert Nebenlager. In diese Lager wurde alles eingeliefert, was aus irgendwelchen Gründen unter die Verfügungsgewalt der SS und der Polizei fiel: politisch Mißliebige jeder Art, Asoziale und "Volksschädlinge", gewöhnliche Kriminelle, später auch Kriegsgefangene und Juden. In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre begann die SS damit, die Häftlinge zur Zwangsarbeit in eigenen Unternehmungen zu verwenden, vor allem im Bauwesen. Während des Krieges suchte die SS eine eigene Rüstungsfertigung in den Konzentrationslagern aufzuziehen, was ihr jedoch nur höchst unvollkommen gelang. Statt dessen wurden nun öfters Häftlinge zur Arbeit in der Rüstungsindustrie abgestellt, wodurch sich ihr Los wahrscheinlich häufig besserte. Gegen Kriegsende zog die SS das Herstellen von Raketen an sich (die bekannte V 2), so daß diese Waffen von Häftlingen der Konzentrationslager gefertigt wurden, allerdings unter Anleitung der Fachleute des Rüstungsministeriums. Neben der Rassenpolitik und der wirtschaftlichen Betätigung verblieb der SS jedoch stets die Hauptaufgabe, das Regime zu schützen, indem sie jede Widerstandsregung im Keim erstickte. Durch die Möglichkeit, jeden Beliebigen aus beliebigem Anlaß zu verhaften und in einem Konzentrationslager verschwinden zu lassen, erzeugte die SS zweifellos ein Höchstmaß an Einschüchterung und Abschreckung. Wie weit dies ging, läßt sich naturgemäß nicht exakt angeben; man kann allenfalls versuchen, durch das Betrachten der Justiz einen Anhaltspunkt zu gewinnen. Nach der Machtergreifung wurde das Strafrecht für politische Delikte erheblich verschärft und erweitert; unter anderem wurde schon die mündliche Kritik am Regime strafbar. Für das Aburteilen politischer Delikte wurden Sondergerichte eingeführt, zu denen 1934 für Hoch- und Landesverrat noch der Volksgerichtshof trat. Nach Kriegsbeginn erfolgte eine außerordentliche Zuspitzung und Ausdehnung des Strafrechts, das sich nunmehr auch gegen "Volksschädlinge" und Wehrkraftzersetzung richtete. Vor 1933 hatte es drei Tatbestände mit Androhung der Todesstrafe gegeben; bis 1943 I 44 schwoll die Zahl entsprechender Tatbestände auf 46 an. Demzufolge schwoll auch die Zahl der Todesurteile an: Sie stieg im Bereich der zivilen Gerichtsbarkeit von 23 im Jahr 1938 auf über 4400 im Jahr 1943. Die Gesamtzahl der Todesurteile im Gebiet der zivilen Gerichtsbarkeit ist für die 12 Jahre des Dritten Reiches auf mehr als 15000 geschätzt worden. Im Bereich der militärischen Gerichtsbarkeit dürfte es eine ähnlich hohe Zahl von Todesurteilen gegeben haben (die freilich nicht alle vollstreckt wurden). Das Handhaben des Strafrechts war indes geradezu harmlos im Vergleich mit dem Wirken der SS. Immerhin war beim Strafrecht noch der alte Grundsatz gewahrt, daß der potentielle Täter wissen kann, was ihn erwartet, daß es auch für ihn eine Rechtssicherheit gibt. Beim Wirken der SS gab es keinerlei Rechtssicherheit mehr; die SS konnte nach Belieben und freier Willkür Leute verhaften, ihr Vermögen beschlagnahmen, die Betroffenen ins KZ stecken, erschießen oder anderswie

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kaltstellen. Das Wirken der Justiz wurde von der SS unterlaufen, etwa in der Weise, daß sie Angeklagte, die vor Gericht freigesprochen wurden, anschließend in Schutzhaft nahm. In Ansätzen schon vor dem Krieg, vollends dann während des Kriegs trat die SS in Konkurrenz mit der Strafjustiz. In vielen Fällen durfte ein Betroffener noch froh sein, wenn er von einem Gericht abgeurteilt wurde. Um ins KZ zu kommen, brauchte man aber keineswegs mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Häufig genügte ein Verdacht oder sonst irgendein Beweggrund, um die SS tätig werden zu lassen. Auf Anordnung Hitlers sollte z. B. die SS seit Kriegsausbruch jeden festnehmen, der am Sieg des deutschen Volkes zweifelte oder das Recht des Krieges in Frage stellte. Welches Ausmaß die Tätigkeit der SS annahm, zeigt der Umstand, daß die Gestapo allein im Oktober 1941 und allein im alten Reichsgebiet fast II 000 Leute verhaftete, darunter rund 1500 wegen irgendeiner Form von Opposition. Vermutlich wurden davon einige wieder freigelassen, aber viele andere verschwanden auf Nimmerwiedersehen. Der führende Nationalsozialist Hans Frank, Generalgouverneur in Polen und gelernter Jurist, zeichnete Mitte 1942 auf: "In fortschreitendem Maß hat sich leider in den Reihen auch der nationalsozialistischen Staatsführung der Gesichtspunkt vorherrschend gezeigt, daß die Autorität desto gesicherter sei, je unbedingter die Rechtsunsicherheit auf seiten der machtunterworfenen Staatsbürger sich darstelle. Die Ausweitung des willkürlichster Anwendung ausgelieferten Vollmachtsbereiches der polizeilichen Exekutivorgane hat zur Zeit ein solches Maß erreicht, daß man von einer völligen Rechtlosmachung des einzelnen Volksgenossen sprechen kann ... Wenn es so wie heute möglich ist, daß jeder Volksgenosse ohne jede Verteidigungsmöglichkeit auf jede Zeitdauer in ein Konzentrationslager gebracht werden kann, wenn es so ist, daß jede Sicherstellung von Leben, Freiheit, Ehre, anständig erworbenem Vermögen usw. entfällt, dann entfällt damit nach meiner festen Überzeugung auch die ethische Beziehung zwischen Staatsführung und Volksgenossen völlig ... Als ich nun in den letzten Jahren insbesondere auch in stets zunehmendem Maße die persönliche Verärgerung des Führers über die Juristen in vielfachen Zeugnissen zur Kenntnis nehmen mußte, als die Eingriffe des Staates in die Justiz immer stärker wurden und das Verhältnis zwischen Polizei- und Justizorganen sich zu einer fast völligen Beherrschung der Justiz durch die Polizeiorgane entwickelte, wurde mir klar, daß es mir persönlich immer schwieriger werden würde, meine von mir als heilig empfundene Idee so wie früher zu verkünden." Wenn sogar ein führender Nationalsozialist die völlige Entrechtung und Terrorj.sierung des Volkes durch die SS beklagte, wie schlimm muß es dann wirklich gewesen sein? Vor diesem Hintergrund ist die Frage aufzuwerfen, ob das deutsche Volk, ob die sogenannten konservativen Führungsschichten im Staatsapparat, in der Wehrmacht, in der Wirtschaft usf. gegen die nationalsozialistische Rassenpolitik, namentlich die Judenvernichtung, etwas Wirkungsvolles hätten unternehmen können. Augenscheinlich nicht, und zwar aus zwei Gründen. Einerseits konnte die Masse des Volkes zumindest nichts Genaues wissen. Andererseits standen das Volk und

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ebenso die konservativen Führungsschichten unter der Terrorherrschaft der SS. Soweit das Volk von den Vorgängen der Rassenpolitik etwas ahnte - nicht wenige werden etwas geahnt haben -, war den Menschen bewußt, daß jeder halbwegs Besonnene gut daran tat, möglichst wenig aufzufallen, um nicht in die Fänge der SS zu geraten. Was mit den Juden geschah, wußte man nicht genau, aber man wußte ganz genau, daß dauernd Volksgenossen im KZ verschwanden. So hat der durchschnittliche Volksgenosse versucht, sich den Umständen entsprechend zu verhalten: Er hat sich geduckt, hat den Mund gehalten und hat sich bemüht, wenigstens selber zu überleben. Vielen gelang nicht einmal das. 19 Es gelang auch denjenigen nicht, die sich entschlossen, Hitlers Unterdrückungsherrschaft gewaltsam ein Ende zu bereiten. Haider hatte 1938 I 39 zweimal den Staatsstreich vorbereitet, sah aber nach seiner Entlassung als Generalstabschef keine Möglichkeit mehr, selbst etwas gegen das Regime zu unternehmen, zumal er unter Beobachtung durch die Gestapo stand (später wurde er noch ins KZ eingeliefert und entging nur knapp dem Tod). Die Geschichte des deutschen Widerstands ist oft beschrieben worden und braucht hier nicht nachgezeichnet zu werden. Es wird sich indes empfehlen, einmal zu überlegen, welche Erfolgschancen der gewaltsame Widerstand haben konnte. Dabei ist zunächst festzuhalten, daß der Widerstand keine Massenbasis besaß. Das ist nicht verwunderlich in der Vorkriegszeit und in den ersten Kriegsjahren, als Hitler einige innenpolitische und gewaltige außenpolitische Erfolge hatte, die den Wünschen und Sehnsüchten des Volkes entgegenkamen. Es ist sodann auch nicht verwunderlich in den späteren Kriegsjahren, als der Terror der SS eine solche Einschüchterung erzeugte, daß das Volk nicht aufzumucken wagte. Außerdem konnte sich das Volk ausrechnen, daß selbst bei einer Beseitigung des Regimes Deutschland der Willkür der Sieger ausgeliefert sein würde. In einer vereinfachenden Betrachtungsweise lohnte es sich gar nicht, für einen Umsturzversuch das eigene Leben aufs Spiel zu setzen, wenn dadurch das Schicksal des Vaterlandes ohnedies nicht gebessert werden konnte. Es ist durchaus vorstellbar, daß in den späteren Kriegsjahren das Volk einen erfolgreichen Umsturz hingenommen, vielleicht sogar erleichtert hingenommen hätte, aber dazu mußte er erst einmal durchgeführt werden. Für das Durchführen eines Umsturzes kam nur die Wehrmacht in Frage und hier nur das Heer. Die Marine schied aus naheliegenden Gründen aus, ebenso die Luftwaffe unter Görings Oberbefehl. Die SS, insbesondere die Waffen-SS mit ihren zahlreichen Divisionen, würde einem Staatsstreich wahrscheinlich entgegentreten, sofern sie nicht überrumpelt wurde. Das Ausschalten Hitlers durch ein Attentat mochte nützlich sein, bot aber noch keine Gewähr für ein Gelingen des Umsturzes. Wenn lediglich Hitler umgebracht wurde, war die Herrschaft der Nationalsoziali19 Allgemein zu den Konzentrationslagern Broszat, in Buchheim, Anatomie li. Zur wirtschaftlichen Betätigung der SS Speer, Erinnerungen, 378 ff. Ders., Sklavenstaat Georg, Unternehmungen. Zur Justiz Broszat, Staat, 403 ff. Hirsch I Majer I Meinck, 547 ff. Seidler, Militärgerichtsbarkeit Hans Frank nach Buchheim, Anatomie I, 95 f. Auch in Präg I Jacobmeyer, 553 ff.

16 Rauh, Zweiter Weltkneg 3 Ted

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sten noch nicht gebrochen, es bestand vielmehr die Wahrscheinlichkeit, daß derjenige, welcher über die meisten Machtmittel verfügte, Hitlers Nachfolge antrat, und das war Himmler (sofern Himmler nicht einen anderen als Galionsfigur vorschob). Bei einem geglückten Attentat auf Hitler wäre man also möglicherweise vom Regen in die Traufe gekommen. Attentatsversuche gegen Hitler gab es mehrere, sie scheiterten jedoch alle. Worauf es wirklich ankam, war ein sorgfältig geplanter, mit ausreichenden Kräften durchgeführter Staatsstreich, der vom Heer getragen wurde, der die ganze SS kaltstellte, der die Machtzentren sicher in die Hand nahm und der vor allem die Gefahr des Bürgerkriegs ausschaltete. Kam es zum Bürgerkrieg, etwa zwischen verschiedenen Teilen der Wehrmacht oder zwischen dem Heer und der SS, so bestand die Gefahr, daß die Fronten zusammenbrachen, namentlich die Ostfront Wenn die Rote Armee ohne Mühe bis Berlin oder noch weiter durchstieß, hatte der Staatsstreich keinen rechten Sinn mehr. Den Aufrührern wäre dann die Schuld an der Niederlage angelastet worden, und dem Wohl des Vaterlandes hätten die Aufrührer auch nicht gedient. Aus diesem Grund zeigten die Frontbefehlshaber nur geringe Neigung zum Aufruhr. Darüber hinaus war es von ganz entscheidender Bedeutung, wie ein Staatsstreich organisiert wurde. Haider hatte zweimal geplant, den Aufstand vom OKH in Gang setzen und steuern zu lassen. Der Oberbefehlshaber des Heeres, Brauchitsch, hatte selbst den Aufstand billigen und mit seiner obersten Befehlsgewalt decken sollen. Nur so war es möglich, bindende Befehle an das ganze Heer zu erteilen, die Generale samt ihren Truppen auf das eine Ziel zu verpflichten. Dagegen war es so gut wie sicher, daß das Ausrufen des Umsturzes durch einzelne Stäbe oder einzelne Truppenteile zum Scheitern verurteilt war. An dieser Lage hat sich nie mehr etwas geändert. Seit Ende 1941 stand Hitler selbst an der Spitze des Heeres. Zudem war die gesamte militärische Führungsorganisation so zersplittert, daß ein schlagkräftiges Widerstandszentrum sich nicht mehr bilden ließ. Wer hätte denn überhaupt einen Staatsstreich in Gang setzen können? Einzelne Frontbefehlshaber offenbar nicht, sie hatten ja nicht einmal Truppen am Sitz der Regierungszentrale oder im Heimatgebiet Außerdem gab es eine Vielzahl oberster Führungseinrichtungen, und längst nicht alle befanden sich in Berlin. Hitler selbst schlug sein Hauptquartier häufig außerhalb von Berlin auf, und dann befanden sich je nach den Umständen andere leitende Personen bei ihm oder anderswo. Zu den zentralen Einrichtungen, die bei einem Umsturz bedeutsam waren, gehörten die Oberkommandos von Luftwaffe und Marine, die Befehlszentrale der SS, das OKW, wichtige Ministerien wie das Propagandaministerium, schließlich einzelne Bruchstücke aus der Erbmasse des zerschlagenen OKH, so der Generalstab und der Befehlshaber des Ersatzheeres. Wer sollte denn die Truppen liefern, die für den Staatsstreich nötig waren, und unter welchem einheitlichen Willen sollten sie zusammengefaßt werden? Einige Aktivisten des Widerstands verfielen auf den Ausweg, das Ersatzheer dafür zu verwenden, das hauptsächlich aus Verwaltungsdienststellen und Ausbildungseinrichtungen bestand. Der bekannteste Widerstandskämpfer, Oberst Stauffenberg, wurde im Juni 1944 Stabschef beim Befehlshaber des Er-

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satzheeres, General Fromm. Dieser hatte schon zu Halders Zeiten eine zwielichtige Haltung zum Umsturz eingenommen: Wäre der Staatsstreich geglückt, so hätte er mitgemacht, andernfalls nicht. Stauffenberg wollte nun, um den Aufstand auszulösen, Hitler durch ein Attentat beseitigen; anschließend sollte der Ausnahmezustand ausgerufen werden, das Ersatzheer die vollziehende Gewalt übernehmen und die Truppen für die erforderlichen Maßnahmen bereitstellen. Tat Fromm mit, so wurde das Unternehmen vielleicht ein wenig einfacher, andernfalls wollte Stauffenberg als Fromms Stabschef handeln. In dieser organisatorischen Form war der Staatsstreichversuch ein reines Verzweiflungsunternehmen. Das wußten die Verschwörer wahrscheinlich selbst. Stauffenbergs Bruder soll kurz vorher gesagt haben: .,Das Furchtbarste ist, zu wissen, daß es nicht gelingen kann und daß man es dennoch für unser Land und unsere Kinder tun muß." Ein anderer entschlossener Widerstandskämpfer, General Tresckow, ließ Stauffenberg ausrichten: .,Das Attentat muß erfolgen, coiite que coiite. Sollte es nicht gelingen, so muß trotzdem in Berlin gehandelt werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, daß die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig." Die Verschwörer, größtenteils Soldaten, kämpften demnach für ein ideales Ziel: Es ging um die Ehre des Vaterlandes, die jene Adeligen der Gesinnung und der Gesittung zu wahren suchten, auch um den Preis des eigenen Lebens. Neuerdings ist sogar die Vermutung geäußert worden, Stauffenberg habe das Attentat absichtlich scheitern lassen, um nicht Hitler zum Märtyrer zu machen und nicht im Innern das Chaos heraufzubeschwören. Ob und inwieweit das zutrifft, wird man wohl noch prüfen müssen, aber von der Logik her würde es passen. So fand am 20. Juli 1944 der Aufstandsversuch statt, um ein Zeichen zu setzen, daß Deutschland etwas anderes war und ist als der Nationalsozialismus. Stauffenberg selbst starb mit dem Ausruf: .,Es lebe das heilige Deutschland." Ansonsten scheiterte das Unternehmen, wobei die Einzelheiten hier nicht von Belang sind; unter den gegebenen Umständen hatte der Staatsstreich praktisch keine Erfolgsaussichten. Damit scheiterte auch der Versuch, das zukünftige Schicksal Deutschlands günstiger zu gestalten. Im besetzten Paris nahm der Militärbefehlshaber in Frankreich, General Stülpnagel, am Umsturzversuch teil. Es bestand der Plan, bei einem Gelingen des Aufstands den Kampf im Westen einzustellen und die Front auf die deutsche Westgrenze zurückzunehmen. Der Oberbefehlshaber West, Feldmarschall Kluge, war eingeweiht und geneigt, den Plan auszuführen. In diesem Fall wäre es vielleicht möglich geworden, die Ostfront zu halten, bis die Westmächte ganz Deutschland besetzt hatten. Unabdingbares Erfordernis war jedoch die Beseitigung mindestens Hitlers, am besten freilich zudem Himmlers und Görings. Im Westen standen etliche der kampfkräftigsten SS-Divisionen. Wenn weder Hitler noch Himmler ausfielen, würde die Waffen-SS einem Staatsstreich schwerlich tatenlos zusehen. Tatsächlich waren am 20. Juli, als Stauffenberg sein Attentat auf Hitler verübte, weder Himmler noch Göring zugegen, und Hitler überlebte das Attentat. 16'

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Damit war auch dem Aufstandsversuch in Frankreich der Boden entzogen; Kluge lehnte es verständlicherweise ab, von Frankreich aus den Bürgerkrieg anzuzetteln. Die Opfer des mißglückten Umsturzversuchs waren ohnedies hoch genug; insgesamt dürften im Zusammenhang mit dem 20. Juli mindestens mehrere tausend Menschen den Tod gefunden haben, teils durch das Vorgehen von SS und Volksgerichtshof gegen wirkliche oder vermeintliche Widerstandskämpfer, teils durch Freitod. 20 Das nationalsozialistische Regime ließ sich von innen nicht stürzen. Statt dessen vermochte Hitler seinen Willen durchzusetzen, den Krieg weiterhin so zu führen, wie er es für richtig hielt, und die Kräfte des Volkes dafür einzuspannen. Anfang 1942 übernahm an Stelle des verunglückten Munitionsministers Todt Hitlers Architekt Albert Speer das Amt eines Munitionsministers. Wie Speer eigentlich kein Fachmann war, so war er eigentlich auch kein Minister, sondern einer der vielen Sonderbeauftragten und Sonderbevollmächtigten des Diktators. Da er jedoch für einige Zeit das Wohlwollen Hitlers genoß und sich überdies recht anstellig zeigte, gelang es ihm, die gesamte Rüstungserzeugung an sich zu ziehen; 1943 wurde er Minister für Rüstung und Kriegsproduktion. Den Wirrwarr des nationalsozialistischen Staatsbetriebs überwand Speer, indem er eine weitgehende Selbstverwaltung der Industrie einführte. Die Fachleute aus der Wirtschaft wußten selbst am besten, wie sie rationell erzeugen konnten, und Speer gab ihnen Gelegenheit dazu. Die Steuerung durch das Ministerium ging so vonstatten, daß eine Anzahl von Hauptausschüssen für einzelne Waffen und Geräte (Panzer, Flugzeuge, Geschütze usf.) errichtet wurde. Zu jedem Hauptausschuß gehörte ein Hauptring, der die Zuliefe7 rungen für das Endprodukt in sich vereinigte. Das Personal dieses Apparates stammte größtenteils aus der Wirtschaft; dagegen waren im Ministerium nur einige hundert Leute tätig. Mit diesem System gelang es Speer, die Rüstungserzeugung bis 1944 zu verdreifachen. Das Geheimnis von Speers Erfolg lag allerdings nicht darin, daß er die Überbürokratisierung beseitigte - tatsächlich baute er ja neben den vorhandenen Apparaten noch einen weiteren auf-, sondern daß er das Ämterchaos des nationalsozialistischen Herrschaftssystems einfach umging. Hätte man den Staat mitsamt den Lenkungseinrichtungen der Kriegswirtschaft beizeiten vernünftig und schlagkräftig organisiert, so wäre das Wirken Speers gar nicht nötig gewesen, und seine Leistung, das Steigern der Rüstungserzeugung, hätte sich schon viel früher erreichen lassen. Tatsächlich brachte Speer zwar einen Aufschwung der Kriegswirtschaft zuwege, womit er die Dauer der nationalsozialistischen Herrschaft verlängerte, er leistete aber zugleich einen weiteren Beitrag zur Aufsplitterung und Zerfaserung des Staatsbetriebs. Wie er selbst nur ein weiterer Sonderbevollmächtigter des Führers ohne klare Abgrenzung seiner Zuständigkeiten war, so nahm auch sonst das Aushöhlen des herkömmlichen Staates durch Sonderbeauftragte mit Sondervollmachten weiter seinen Fortgang. 2o Zum Widerstand P. Hoffmann, Widerstand, 460 ff. (Stauffenbergs Bruder, Tresckow) und passim. Ders., Stauffenberg. Schmädeke I Steinbach. Zu Kluge auch Ose, Entscheidung, 193 ff. Eine neue und ungewöhnliche These zu Stauffenbergs Attentat bei Schmidt-Hackenberg.

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Einer dieser Sonderbeauftragten war Gauleiter Sauckel, der 1942 Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz wurde. Sauekel beschaffte zwar Arbeitskräfte, aber weniger durch das Mobilisieren brachliegender Reserven, insbesondere der Frauen, als vielmehr aus dem Ausland. Zur Arbeit in der deutschen Landwirtschaft und Rüstung wurden die Kriegsgefangenen herangezogen, auch die russischen, ferner wurden Arbeiter angeworben, vor allem in den besetzten Westgebieten, und schließlich wurden Arbeitskräfte zwangsverpflichtet, vor allem aus dem Osten. 1944 stellten Ausländer in einer Zahl von rund 7,5 Millionen etwa 20% aller Beschäftigten in Deutschland. Darunter befanden sich auch Hunderttausende junger Russinnen bzw. Ukrainerinnen, die als Hausmädchen Verwendung fanden, nicht zuletzt bei Parteifunktionären. 21 Über die Ziele der Eroberung, Unterdrückung und Ausbeutung kam die nationalsozialistische Herrschaft in Europa nie hinaus. Außenminister Ribbentrop entwickelte seit Ende 1942 den Gedanken, einen europäischen Staatenbund unter deutscher Führung zu errichten. Im März 1943 umriß er die Vorteile, die ein solcher Staatenbund haben würde, folgendermaßen: Dies würde erstens den Freunden und Verbündeten Deutschlands die Sorge nehmen, daß sofort bei Friedensschluß bei allen ein deutscher Gauleiter eingesetzt werde. Es würde zweitens den Neutralen die Sorge nehmen, daß sie bei Kriegsende Deutschland einverleibt würden. Es würde drittens Italien die Sorge nehmen, daß das mächtige Deutschland Italien an die Wand drücken wolle. Und es würde schließlich in mancherlei weiterer Hinsicht Vorteile haben, etwa so, daß es den Gegnern ein geeintes Europa entgegenstellte, daß es eine Beruhigung und stärkere Anspannung der Kräfte für die gemeinsame Sache nach sich zog, daß es die anderen Länder davon abhielt, sich vom deutschen Joch befreien zu wollen. Hitler freilich blieb solchen Gedanken unzugänglich; eine freundschaftliche Verständigung mit anderen Ländern, wie Ribbentrop sie vorschlug, wünschte der Diktator gerade nicht. Den Parteiführern erklärte er am 8. Mai 1943, das Kleinstaatengerümpel, das heute noch in Europa vorhanden sei, müsse so schnell wie möglich liquidiert werden. Es müsse das Ziel des nationalsozialistischen Kampfes bleiben, ein einheitliches Europa zu schaffen. Europa aber könne eine klare Organisation nur durch die Deutschen erfahren. Hitler gab dabei seiner unumstößlichen Gewißheit Ausdruck, daß das Reich einmal ganz Europa beherrschen werde. Von da ab sei praktisch der Weg zu einer Weltherrschaft vorgezeichnet. Wer Europa besitze, der werde damit die Führung der Welt an sich reißen.

Für das Jahr 1943 sind das erstaunliche Töne. Es bleibt offen, ob Hitler wirklich noch an den Sieg geglaubt hat, oder ob er nur sich selber und seinen Gefolgsleuten Siegeszuversicht einflößen wollte. Jedenfalls war er in seinem Starrsinn weder fähig noch willens, auch nur ein Jota von seiner ebenso beschränkten wie verfahre21 Speer, Erinnerungen, 219 ff. und passim. Wagenführ. J anssen, Ministerium Speer. Boelcke, Konferenzen. Homze. Herben, Fremdarbeiter. Zum Verwaltungschaos Rebentisch, Führerstaat

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nen Weltanschauung abzuweichen. Wie er früher nicht imstande gewesen war, irgendwelche brauchbaren Gedanken über den Aufbau des deutschen Staates zu entfalten, so war er jetzt nicht imstande, irgendwelche brauchbaren Gedanken über den Aufbau Europas zu entfalten. Sein Horizont reichte über das Unterwerfen, Totschlagen und rohe Beherrschen nicht hinaus. Seine Weltanschauung, sein Plan, sah vor, den Ariern, d. h. der Bewegung und der SS, zur Herrschaft in ganz Europa zu verhelfen, den bösen Feind der Menschheit, die Juden, zu vertilgen sowie das deutsche Volk von den Übeln der Zivilisation zu heilen, indem es den Osten kolonisierte und besiedelte. Daran hielt Hitler fest. Das Kleinstaatengerümpel in Europa mußte beseitigt werden, wenn nicht gleich, dann nach dem Sieg. Hätte sich der Sieg eingestellt, so wären wahrscheinlich, wie Ribbentrop andeutete, in den meisten europäischen Ländern Gauleiter eingesetzt worden; in einer Anzahl besetzter Gebiete saßen sie ohnehin schon. Ansonsten wollte Hitler, wie er in jener Rede vor den Parteiführern darlegte, am Kampf gegen das Judentum festhalten. Dies solle das Kernstück in der geistigen Auseinandersetzung der Bewegung sein. Wahrscheinlich wollte Hitler auch deswegen keinen europäischen Staatenbund zulassen, weil dann die Judenvernichtung erschwert oder undurchführbar geworden wäre. So blieb es bei der deutschen Herrschaft über die europäischen Länder in der Form, wie sie fallweise im Laufe des Krieges entstand. Dabei war zunächst zu unterscheiden zwischen den von der Wehrmacht besetzten Ländern und den Verbündeten. In den besetzten Ländern zeigten die Organisationsformen der Besatzungsherrschaft eine buntscheckige Vielfalt, von der regulären Militärregierung, die eine einheimische Verwaltung beaufsichtigte (wie in Frankreich) bis zur kompletten Zivilverwaltung mit deutschem Personal (wie in Polen und im besetzten Rußland). Gemeinsam war allen besetzten Gebieten, daß ihre Wirtschaft auf Deutschland ausgerichtet wurde und daß sie erhebliche finanzielle Leistungen zu erbringen hatten, meist in Form von Besatzungskosten. Für die betroffenen Länder, von ihren bisherigen wirtschaftlichen Verflechtungen abgeschnitten und zu einer einseitigen Begünstigung Deutschlands gezwungen, zog dies in der Regel Verarmung nach sich, vielfach auch Hunger. Was die Verbündeten Deutschlands betrifft, so gehörten dazu Italien, Ungarn, Rumänien, Kroatien und die Slowakei; Finnland beteiligte sich am Krieg gegen die Sowjetunion, war aber nicht formell mit Deutschland verbündet; Bulgarien nahm am Krieg gegen die Sowjetunion nicht teil. Auf die Haltung der Verbündeten blieb naturgemäß die Kriegslage nicht ohne Auswirkungen. Als sich die deutsche Niederlage abzeichnete, suchten die Verbündeten, soweit sie konnten, sich selbst in Sicherheit zu bringen. Den Anfang machte Italien, wo nach der Landung der Westmächte auf Sizilien Mussolini im Juli 1943 gestürzt wurde und eine neue Regierung sich auf die Seite der Westmächte stellte. Die nördliche Hälfte Italiens, von der Wehrmacht in die Hand genommen, wurde nun deutsches Besatzungsgebiet (ebenso wie die vordem von Italien besetzten Gebiete auf dem Balkan); Mussolini durfte in Norditalien ein faschistisches Schattenregime errichten, die Republik von Sal6. Da man in Berlin befürchtete, Ungarn könnte demnächst ebenfalls abspringen, wurde seit dem Herbst 1943 auch die Besetzung

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Ungarns geplant. Sie fand dann im März 1944 statt und ging mit einer Regierungsumbildung einher. Nachdem im Sommer 1944 Finnland, Rumänien und Bulgarien teils den Kampf eingestellt hatten, teils von der Roten Armee besetzt worden waren, beschränkte sich der deutsche Machtbereich auf diejenigen Gebiete, welche die Wehrmacht (und die SS) in der Hand hatte. Vor diesem Hintergrund erfolgte auch die Judenvernichtung. In Frankreich ergriff die einheimische Regierung seit Mitte 1940 von sich aus antijüdische Maßnahmen. Nach dem Anlaufen der Judenvernichtung waren französische Staatsorgane bei der Verfolgung und Deportation der Juden behilflich. Ähnlich verhielt es sich in Kroatien und der Slowakei. Italien und Ungarn machten lange Zeit Schwierigkeiten; das ungarische Staatsoberhaupt Horthy erklärte Hitler im April 1943, man könne die Juden ja wohl nicht umbringen. Nachdem Ungarn (und Italien) besetzt worden waren, konnte man es doch. In der besetzten Sowjetunion hatte sich die einheimische Bevölkerung von vomherein an der Judenverfolgung beteiligt. In Belgien gelang es dem deutschen Militärbefehlshaber, General Falkenhausen, den größten Teil der Juden vor dem Schlimmsten zu bewahren. Seinen Mut bezahlte er schließlich mit der Einlieferung ins KZ. Unruhe unter der Bevölkerung wegen der Judenverfolgung gab es in Holland und Dänemark; die Dänen verhalfen vielen Juden zur Flucht nach Schweden. Rumänien und Bulgarien unterstützten die Judenvernichtung bloß zum Teil; die Juden ihres alten Staatsgebiets suchten sie zu schützen.22 Die nationalsozialistische Herrschaft konnte nur von außen gestürzt werden, wie im Reich selbst so auch in den besetzten Gebieten. In Polen entstand bald eine verzweigte Untergrundbewegung; im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien sowie in Griechenland gab es jeweils zwei Widerstandsorganisationen, nämlich einerseits eine nationalistische (in Jugoslawien die serbischen Tschetniks) und eine kommunistische (in Jugoslawien die Partisanen unter der Führung von Tito). Beide Widerstandsorganisationen bekämpften bald die Besatzungsmacht, bald sich wechselseitig. Während in Jugoslawien bis Kriegsende die Tito-Partisanen die Oberhand erlangten, stürzte Griechenland nach der Befreiung in den Bürgerkrieg. Größere Ausmaße nahm gegen Kriegsende auch der Untergrundkampf in Frankreich und Italien an, wobei ebenfalls die Kommunisten eine beträchtliche Rolle spielten. Wenngleich die Partisanen auf dem Balkan einige deutsche Kräfte banden, hätten die Untergrundbewegungen allein die Fremdherrschaft sicher nicht gefährdet. Großen Umfang erreichte in den späteren Kriegsjahren sodann das Partisanenwesen in 22 Ribbentrops Plan eines europäischen Staatenbunds nach einer Aufzeichnung Ribbentrops, 21. 3. 1943, in ADAP, Ser. E, Bd. 5, 438 f. Hitlers Rede vor den Reichs- und Gauleitern, 8. 5. 1943, in Goebbels, Tagebücher, Teil II, Bd. 8, 236 ff. Auch in Jacobsen, Weg, 270 ff. Zur Geschichte der europäischen Länder allgemein Schieder, Europäische Geschichte VII. Zur Besatzungsherrschaft MGFA, Weltkrieg V /I (Beitrag Umbreit). C. Buchheim, Kriegswirtschaft Benz/Houwink ten Cate/Otto. Zur Besetzung Ungarns auch KTB OKW IV /I, 177 ff., 827 ff. Zur Judenvernichtung Benz, Dimension. Horthy über Juden in Hillgruber, Staatsmänner li, 245 f.

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Rußland. Es wurde von Moskau zentral gesteuert und dürfte 1942 bis 1944 mehrere hunderttausend bewaffnete Kämpfer umfaßt haben. Militärisch war das Partisanenwesen sicher lästig, bedrohlich jedoch wurde es politisch, nämlich als Zeichen, daß die Unterdrückungs- und Ausbeutungspolitik der Nationalsozialisten die Bevölkerung zum Haß auf die Besatzer trieb. Seit 1941, verstärkt dann seit 1942, erhoben sich auf deutscher Seite Stimmen, teils von Soldaten, teils von einsichtigen Zivilisten, die darauf verwiesen, daß man der Bevölkerung Rußlands ein positives Ziel zeigen müsse, insbesondere die Selbständigkeit in einem eigenen Staat. Zum Anknüpfungspunkt für solche Ansichten wurde der sowjetische General Andrej Wlassow, der 1942 in Kriegsgefangenschaft geriet, hohes Ansehen genoß und bereit war, an der Seite Deutschlands für ein selbständiges Rußland gegen den Stalinismus zu kämpfen. Hitler lehnte dies jedoch ab. Himmler, der in den letzten Kriegsjahren große Mengen von Ausländern in die Waffen-SS aufnahm, genehmigte im September 1944 die Aufstellung einer "Russischen Befreiungsarmee" unter Leitung von Wlassow. Bis Anfang 1945 wurden noch zwei Divisionen aufgestellt, die dann in den Strudel des Zusammenbruchs gerieten. Rechtzeitig in die Wege geleitet, hätte sich eine Russische Befreiungsarmee im Umfang von mindestens einer Million Mann aufstellen lassen, wahrscheinlich noch erheblich mehr. Einer solchen Lösung stand stets Hitler im Weg. Statt dessen verfolgten der Diktator und die SS bis zu den letzten Kriegsjahren andere Ziele, namentlich das Unterjochen der russischen Bevölkerung, zum Teil deren Ausrottung und das Besiedeln der Ostgebiete mit Germanen. Diese Pläne brauchen hier nicht zu interessieren; sie stellten spätestens seit 1942 reine Hirngespinste dar und hätten schon deswegen nicht verwirklicht werden können, weil Deutschland niemals eine Chance hatte, den Krieg gegen die Anti-Hitler-Koalition so zu gewinnen, wie der Diktator sich das vorstellte. 23

3. Der Krieg in Ostasien 1943 I 44

Ebenso wie in Europa zeichnete sich auch in Ostasien die unvermeidliche Niederlage der Achsenmächte, also hier Japans, immer deutlicher ab. Und ebenso wie in Europa trat damit auch in Ostasien die Frage immer dringlicher in den Vordergrund, welche politische Gestalt dieses Gebiet nach dem Krieg erhalten sollte. Ebenso wie in Europa bestand aber auch in Ostasien die Koalition der voraussichtlichen Siegermächte aus drei Ländern mit ganz unterschiedlichen Zielen und Absichten: Britannien unter der Regierung Churchill trachtete vor allem nach dem Erhalt oder der Rückgewinnung der Kolonien in seinem alten Empire; von der So23 G. Schutz, Partisanen. Ders., Widerstandsbewegungen. Zur Besatzungsherrschaft in Rußland DaHin. Zu Wlassow J. Hoffmann, Wlassow-Arrnee. Vgl. Seidler, Kollaboration. Einschlägige Denkschriften von 1943 aus dem Bereich der Heeresgruppe Mitte in Klink, Zitadelle, 124 ff. Ein Stimmungsbericht Ukraine März 1943 in KTB OKW III/2, 1424 f. Zu den nationalsozialistischen Ostplänen Rössler I Schleierrnacher. Madajczyk, General plan.

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wjetunion durfte erwartet werden, daß sie ihren Einfluß bzw. denjenigen des Kommunismus zumindest in China fördern würde; die USA unter Präsident Roosevelt hingegen legten auf die Fortdauer der Kolonialherrschaft keinen Wert und wünschten China, einen der vorgesehenen vier Weltpolizisten, als selbständige Größe sowie als Gegengewicht zur Sowjetunion zu bewahren. Dieses Spannungsfeld, durch Japans pazifischen Krieg gegen die beiden westlichen Seemächte gewissermaßen aktiviert, nahm mit der herannahenden Niederlage des Kaiserreichs an Intensität zu. Dabei leistete der Kriegsverlauf manchen Entwicklungen im Rahmen jenes Spannungsfeldes auf eigentümliche Weise Vorschub. Japan hatte vor dem Weltkrieg zunächst die Bildung eines ostasiatischen Blocks mit China und der Mandschurei angestrebt, später dann die erweiterte Großostasiatische Wohlstandssphäre unter Einschluß der südostasiatischen Rohstoffgebiete. Zweifellos beinhaltete beides die Errichtung eines japanischen Hegemonialraumes, aber beides war auch damit gerechtfertigt worden, daß Ostasien vor dem Zugriff der Sowjetunion oder dem Kommunismus geschützt werden müsse und daß die Völker Asiens ihre Unabhängigkeit gegenüber der Ausbeutung durch westliche Kolonialmächte erlangen sollten. Darin wird ein Gutteil Propaganda enthalten gewesen sein, doch ändert dies nichts an dem Umstand, daß sowohl die Befreiung der Kolonialvölker als auch der Einfluß des Kommunismus in China drängende politische Fragen darstellten, die alle Beteiligten betrafen und von weitreichender Wirkung für die Zukunft sein mußten. Tatsächlich hatten der Verlauf des Weltkriegs und der schließliehe Zusammenbruch Japans erhebliche Auswirkungen auf beiden Feldern: Die Befreiung der Kolonialvölker, zunächst gefördert, kam am Ende doch wieder ins Stocken, und die Ausbreitung des Kommunismus, vor allem in China, ließ sich am Ende doch nicht aufhalten. Wie konnte es dazu kommen? Was zunächst die Auflösung der Kolonialreiche angeht, so ließ sich jedenfalls im Hinblick auf das südliche und südöstliche Asien schon vor dem Krieg erkennen, daß der bisherige koloniale Imperialismus westlicher Länder an seine Grenzen stieß. In jenem Vorgang, den man als Ausbreitung Europas über die Erde kennt, war es seit dem 16. Jahrhundert zur Bildung großer Reiche durch europäische Länder gekommen, einerseits auf dem Landweg wie bei Rußland, das den ganzen Nordteil Asiens unterwarf, besiedelte und seinem Staat einverleibte, andererseits über das Meer hinweg wie bei den europäischen Seemächten Spanien, Portugal, Holland, England und Frankreich, welche überseeische Reiche errichteten mit Herrschafts- oder Siedlungsgebieten auf allen Kontinenten der Erde. Wahrend Rußland seinen Herrschaftsraum in Asien bis ins 20. Jahrhundert ausbauen und festigen konnte, waren die überseeischen Reiche europäischer Mächte starken Wandlungen unterworfen. Die meisten Siedlungskolonien auf dem amerikanischen Doppelkontinent hatten sich bereits um 1800 verselbständigt, und in ähnlicher Weise zeigten die im Rahmen des britischen Empire verbliebenen Siedlungskolonien (Australien, Neuseeland, Kanada und Südafrika) im 20. Jahrhundert zunehmend die Neigung, aus dem Reichsverband herauszuwachsen. Zwar hatten Britannien und Frankreich infolge des Ersten Weltkriegs ihre überseeischen Reiche noch ver-

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größem können, indem sie vordem deutsche Kolonien und Gebiete des Osmanischen Reiches im vorderen Orient übernommen hatten; der Indische Ozean stellte geradezu ein britisches Binnenmeer dar. Doch das eigentliche Herzstück des britischen Weltreiches, Indien, erwies sich in wachsendem Ausmaß als Unruheherd. 1885 war eine politische Vereinigung entstanden, der Indische Nationalkongreß, der größere Rechte für die indische Bevölkerung anstrebte; 1906 kam eine ähnliche Vereinigung für die indischen Mohammedaner hinzu, die Moslem-Liga. In der Zwischenkriegszeit spielten die führende Rolle im Nationalkongreß Männer wie Mohandas Gandhi, Motilal und Jawaharlal Nehru (Vater und Sohn) sowie Subhas Chandra Bose, die für Indien Selbstregierung verlangten. Unter der Führung von Mohammed Ali Jinnah trennte sich in dieser Zeit die Moslem-Liga vom Nationalkongreß und begann auf die Selbständigkeit der indischen Moslems hinzuarbeiten. London gewährte die Mitbestimmung und Selbstverwaltung nur zögerlich, was zu vielerlei Auseinandersetzungen führte, auch solchen gewaltsamer Natur. Spätestens am Vorabend des Zweiten Weltkriegs ließ sich absehen, daß Britannien die völlige Unabhängigkeit Indiens nicht mehr lange verhindem konnte. Neben Indien gab es im südöstlichen Asien noch die britischen Kolonien Burma und Malaya, die im 19. Jahrhundert erobert worden waren, ferner Indochina, von Frankreich etwa zur selben Zeit besetzt, sodann Niederländisch-Indien, das die Holländer im Laufe der Jahrhunderte erworben und ausgeweitet hatten, schließlich die Philippinen, welche Amerika, zeitweise selbst Kolonialmacht, am Ende des 19. Jahrhunderts den Spaniern abgenommen hatte. Die ehedem deutschen Kolonien im pazifischen Raum waren nach dem Ersten Weltkrieg an die Sieger gegangen, namentlich an Japan. Ähnlich wie in Indien begann auch in anderen asiatischen Kolonien seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert der Nationalismus zu erwachen, d. h. das Bestreben, die Fremdherrschaft abzuschütteln. In Indonesien entstand 1912 eine "Indische Partei", welche die Selbstverwaltung forderte; 1927 gründete Achmed Sukarno eine Nationale Partei Indonesiens, deren Ziel die Unabhängigkeit war. Ebenfalls 1927 wurde in Hanoi die Nationale Partei von Vietnam gegründet; ein gewisser Nguyen Ai Quoc, der sich später Ho Chi Minh nannte, schloß 1930 verschiedene Gruppen zu einer Kommunistischen Partei von Indochina zusammen. In Burma entstand 1920 ein Generalrat der Burmanischen Verbände, der die Selbstverwaltung zum Ziel erhob. Auf den Philippinen existierte seit 1907 eine Nationalistische Partei, doch führten die Amerikaner dort bald eine weitgehende Selbstregierung ein und versprachen dem Land für 1946 die Unabhängigkeit. Damit waren die USA den europäischen Kolonialmächten um einiges voraus. Diese Entwicklung darf man wohl mit Präsident Wilson in Verbindung bringen, der im Ersten Weltkrieg den Grundsatz aufgestellt hatte, fortan solle es keinem Land erlaubt sein, einen Fußbreit Boden durch Eroberung zu erwerben. Das hieß jedenfalls, daß in Zukunft auch keine koloniale Eroberung mehr zulässig sein sollte. Zwar bezweckte Wilson noch nicht die Abschaffung der Kolonialherrschaft überhaupt, was unter den gegebenen Verhältnissen auch gar nicht durchsetzbar gewesen wäre, vielmehr verlangte er in seinem bekannten 14-Punkte-Programm von

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1918 eine unparteiische Regelung aller kolonialen Ansprüche, freilich unter Wahrung der Interessen der betroffenen Völker in den Kolonien. Aber Wilson verfocht den revolutionären Gedanken, die herkömmliche Machtpolitik abzuschaffen, also das freie Recht des souveränen Einzelstaates zu Krieg und Frieden bzw. das freie Recht des Einzelstaats zur Gewaltanwendung gegen andere und damit auch zur Eroberung. Nun hatte ja der gesamte koloniale Imperialismus im Grunde nichts anderes dargestellt als eine Erscheinungsform der herkömmlichen Machtpolitik, bei welcher einerseits die Kolonialmächte ihre Stärke und ihren Reichtum durch den Erwerb von Kolonien zu steigern, den Bereich ihrer staatlichen Herrschaft auszudehnen getrachtet, sich auch gegenseitig die Kolonien abgejagt hatten, während andererseits die koloniale Landnahme regelmäßig mit der Anwendung von Gewalt verbunden war, indem andere Völker erobert, beherrscht, unterdrückt und nicht selten ausgerottet wurden. Demgegenüber verfocht Wilson den Gedanken, die Länder der Welt zusammenzuschließen in einer organisierten Vereinigung zum Zweck des gemeinsamen Wohls. Damit wäre letztlich ein Weltstaat entstanden, alle Politik wäre Weltinnenpolitik geworden. Im Rahmen dieser Weltinnenpolitik sollten dann auch die Kolonien zu freien und selbständigen Mitgliedern des Weltfriedensbundes heranreifen. In diesem Sinne bestimmte die Völkerbundssatzung, alle Staaten, Dominien oder Kolonien mit voller Selbstverwaltung könnten Bundesmitglieder werden, wenn ihre Zulassung von zwei Dritteln der Bundesversammlung ausgesprochen werde. Und über die Kolonien, die als Mandate des Völkerbunds verwaltet werden sollten, hieß es, das Wohlergehen und die Entwicklung dieser Völker bildeten eine heilige Aufgabe der Zivilisation. Was Mandatsgebieten recht war, konnte anderen Kolonien nur billig sein, so daß die Völkerbundsidee am Ende doch darauf hinauslief, allen Völkern der Welt dasselbe Recht zu gewährleisten, insbesondere die Völker der Kolonien an die Freiheit und Selbständigkeit heranzuführen, bis sie schließlich als gleichberechtigte Glieder eines Weltstaats am allgemeinen Frieden und allgemeinen Wohl teilhaben konnten. Unter Präsident Roosevelt vertraten die USA derartige Ziele mit noch stärkerem Nachdruck. Am 30. Mai 1942 erklärte Unterstaatssekretär Sumner Welles in einer offiziellen Verlautbarung, wenn dieser Krieg wirklich ein Krieg zur Befreiung der Völker sei, dann müsse er die Souveränität und Gleichheit der Völker überall in der Welt sichern. Der Sieg Amerikas müsse die Befreiung aller Völker zur Folge haben. Die Benachteiligung einzelner Völker wegen ihrer Rasse, ihres Glaubens oder ihrer Hautfarbe müsse beseitigt werden. Das Zeitalter des Imperialismus sei beendet. Die Grundsätze der Atlantik-Charta müßten für die ganze Welt Gültigkeit haben, in allen Weltmeeren und auf allen Kontinenten. Eine Äußerung von solcher Tragweite konnte Welles nicht ohne das Einverständnis Roosevelts tun, so daß man davon ausgehen muß, daß er Roosevelts eigene Gedanken wiedergab. In der Tat bestand zwischen der Rede von Sumner Welles und dem, was Roosevelt selbst schon geäußert hatte, kein Widerspruch. Namentlich die Atlantik-Charta hatte die Forderung vertreten, allen Völkern der Erde dasselbe Lebensrecht zu gewährleisten

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und dieselbe Möglichkeit, sich auf der Grundlage ihrer Fähigkeiten in Frieden und Freiheit zu entfalten. Daß die Atlantik-Charta für die ganze Welt gelten sollte, hatte man unschwer aus ihr entnehmen können; die Rede von Sumner Welles stellte insofern nur eine Erläuterung dessen dar, was Roosevelt mit der AtlantikCharta immer schon gemeint hatte. Fraglich blieb allerdings, auf welche Weise solche Ziele sich verwirklichen ließen. Einerseits glaubten Roosevelt und seine Mitarbeiter nicht, daß sämtliche Kolonialvölker auf einen Schlag in die Unabhängigkeit entlassen werden könnten. Manche dieser Völker seien schon fähig zur Selbstregierung, andere müßten erst dazu heranreifen, gegebenenfalls unter internationaler Aufsicht. Andererseits stießen die amerikanischen Vorstellungen auf Widerstand in Britannien und bei sonstigen Kolonialmächten. Die Atlantik-Charta und nachfolgende Äußerungen amerikanischer Politiker, die unverblümt das Ende des Imperialismus einforderten, waren natürlich geeignet, das Selbständigkeitsstreben der Kolonialvölker zu fördern. Churchill sah sich deshalb schon wenige Wochen nach Veröffentlichung der Atlantik-Charta genötigt, vor dem britischen Unterhaus zu erklären, daß die AtlantikCharta sich vorzugsweise auf Europa beziehe und daß das britische Empire davon nicht betroffen werde. Nachdem im November 1942 die Landung britischer und amerikanischer Truppen in Nordwestafrika stattgefunden hatte (die für die Briten hauptsächlich zur Sicherung der Mittelmeerachse ihres Empire diente), teilte Churchill der Öffentlichkeit mit, daß seine Regierung die Absicht habe, das Empire zu erhalten. Er sei nicht erster Minister des Königs geworden, um den Vorsitz bei der Liquidierung des britischen Empire zu führen. An diesem Standpunkt hielt Churchill bis zum Schluß fest - bis er nicht mehr Premierminister war und bis die Liquidierung des Empire endgültig in die Wege geleitet wurde. Tatsächlich versuchte Churchill, sich gegen eine unaufhaltsame Entwicklung zu stemmen. Als im Jahr 1935 die britische Regierung eine neue Verfassung für Indien schuf, welche den indischen Provinzen Selbstverwaltung gewährte, wurde dies von Churchill heftig bekämpft. Anfang 1942, als mit dem Washington-Pakt die Vereinten Nationen ins Leben traten, mußte Churchill zulassen, daß diese Erklärung auch von Indien unterzeichnet wurde, womit zumindest insoweit dem Land Indien dieselbe Art außenpolitischer Souveränität zuerkannt wurde, wie sie die britischen Dominions (Kanada, Australien usf.) besaßen. In Indien wird man das Signal verstanden haben. 1942 entsandte London eine Mission unter Führung des Lordsiegelbewahrers Cripps nach Indien, welche für die Zeit nach dem Krieg den Dominionstatus versprach. Der indischen Nationalbewegung genügte dies nicht mehr; sie verlangte die Unabhängigkeit sofort und forderte die Briten zum Verlassen des Landes auf. Nur durch Gewaltmaßnahmen konnte die Ruhe einigermaßen wiederhergestellt werden; es gab wahrscheinlich Tausende von Toten und Zehntausende von Verhaftungen. 24 24 Zur Geschichte der Kolonialreiche Bianco, Asien. Fieldhouse, Kolonialreiche. W. Reinhard, Expansion. Zu Indien auch Voigt, Indien. Hauner, India. Wilsons 14 Punkte und die

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An die Selbständigkeitsbestrebungen in den Kolonien suchte die japanische Politik anzuknüpfen. Der indische Nationalistenführer Subhas Chandra Bose, ein radikaler Verfechter der indischen Unabhängigkeit, war 1939 durch Gandhi und Jawaharlal Nehru von der Spitze des Nationalkongresses verdrängt worden und hatte sich anschließend von dieser Bewegung bzw. Partei getrennt. 1941 gelang ihm die Flucht aus britischer Haft; mit russischer Hilfe kam er nach Deutschland, wo er die Möglichkeit erhielt, eine Organisation "Freies Indien" zu gründen, Radiosendungen nach Indien auszustrahlen und aus indischen Kriegsgefangenen Truppen aufzustellen. 1942 gewährte ihm Hitler eine Unterredung, bei welcher sich der Diktator jedoch hütete, greifbare Zusagen für eine Unterstützung des indischen Freiheitskampfes zu machen. An einer Beseitigung der britischen Herrschaft über Indien lag Hitler nichts; er wollte lieber den Krieg gegen Rußland weiter führen und hoffte wohl noch immer auf eine Verständigung mit Britannien. Zu einer gemeinsamen Indien-Politik der Achsenmächte kam es ebensowenig wie zu einer gemeinsamen Strategie im Raum des Indischen Ozeans. 1943 gelangte Bose auf einem VBoot in den japanischen Machtbereich, wo er in Singapur eine Provisorische Regierung des Freien Indien gründete und die Indische National-Armee neu organisierte, die von den Japanern nach dem Fall Singapurs 1942 aus mehreren zehntausend kriegsgefangenen indischen Soldaten aufgestellt worden war. Die Indische National-Armee nahm 1944 mit eigenen Verbänden an einer japanischen Offensive in Burma teil, welche scheiterte. 1945 kam Bose bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Zur Befreiung Indiens trugen Bose und die Japaner wahrscheinlich weniger bei als die Briten selbst, die in Indien viel Verärgerung auslösten, unter anderem dadurch, daß sie den Ausbau der Industrie behinderten, um sich keine unliebsame Konkurrenz heranzuziehen. In anderen Kolonien dagegen wurde das Unabhängigkeitsstreben durch die Japaner zweifellos gefördert. Vor dem Krieg hatte Tokio zwar das Ziel verfolgt, in Südostasien politischen und wirtschaftlichen Einfluß zu gewinnen, aber zur kriegerischen Eroberung war Japan erst geschritten, als ihm die wirtschaftliche Blockadepolitik seitens der USA keinen anderen Ausweg mehr zu lassen schien. Fest umrissene oder genau ausgearbeitete Pläne für das zukünftige Schicksal der Länder Südostasiens existierten deshalb in Tokio nicht. Anfang 1941 hatte Außenminister Matsuoka die japanischen Möglichkeiten in Südostasien so verstanden, daß Japan eine Vorzugsstellung hinsichtlich der Bedürfnisse seiner nationalen Verteidigung, also beim Bezug strategischer Rohstoffe, erhalten solle und daß es die Rolle einer hegemonialen Lenkungsmacht zu übernehmen habe, wobei anderen Völkern in angemessener Weise Selbstbestimmung zu gewähren sei. Nach Ausbruch des pazifischen Krieges und nach Besetzung der südostasiatischen Länder stand naturgemäß das Bestreben im Vordergrund, dort die Stellung Japans durch die Stationierung von Streitkräften zu sichern und den ungestörten Bezug strategisch wichtiger Güter Volkerbundssatzung in Grewe, Fantes III/1, 670 ff.; III/2, 810 ff. Sumner WeHes am 30. 5. 1942 und Churchill am 9. 9. 1941 nach Dokumente zur Deutschlandpolitik 112,283 ff.; I II, 469 ff. Churchill am I 0. II. 1942 nach Louis, Imperialism, 200. V gl. Gietz, 97.

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zu gewährleisten. In diesem Sinn erklärte Ministerpräsident Tojo im Januar 1942 vor dem Oberhaus, die vordringliche Aufgabe in Südostasien sei es, für die Stärkung der japanischen Verteidigungsfähigkeit Sorge zu tragen. Zu diesem Zweck sollten aber nur einige Gebiete dauerhaft unter die japanische Staatsgewalt treten, so insbesondere ein malaiischer Raum mit Singapur, wogegen Tojo den Philippinen und Burma die Unabhängigkeit in Aussicht stellte sowie das Wohl Indonesiens zu fördern versprach. Nach einigen inneren Auseinandersetzungen, die den Rücktritt des Außenministers Togo nach sich zogen, wurde am 1. November 1942 ein Ministerium für die Angelegenheiten Großostasiens gegründet, welches die Pflege der allgemein politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zu allen Ländern im japanischen Machtbereich übernahm. Tatsächlich sollte das Ministerium für Großostasien die japanische Hegemonialpolitik einheitlich lenken und so die japanische Kriegsfähigkeit stärken. Dieses Ministerium, das viele Arbeitsgebiete des Außenministeriums und einige andere Verwaltungseinrichtungen aufsog, stand allerdings nur bis zum Sommer 1944 unter eigener Leitung; danach wurde es in Personalunion vom jeweiligen Außenminister geführt. Das Ministerium für Großostasien entfaltete seine Tätigkeit vor dem Hintergrund, daß sich die Stellung Japans in seinem gesamten Machtbereich auf die Anwesenheit japanischer Truppen stützte, was vielerlei unterschiedliche Formen annahm, vom bloßen Bündnis mit einem formell selbständigen Staat wie bei Thailand über die Errichtung von Marionettenregierungen wie in Mandschukuo oder dem besetzten China unter Wang Tsching-wei bis hin zur Militärregierung, welche zumindest eine eingesessene Verwaltung beaufsichtigte. Die glatte Annexion, also die Angliederung an das Mutterland, trat nur selten ein; die längst annektierten Gebiete Korea und Formosa, die bislang wie Protektorate oder Kolonien verwaltet worden waren, traten unter das japanische Innenministerium. Geplant wurde die Annexion anscheinend nur für wenige weitere Gebiete wie den Raum um Singapur und Neuguinea. In Burma und auf den Philippinen wurden 1942 einheimische Regierungen eingesetzt, freilich unter japanischer Aufsicht und mit erheblichen Eingriffsmöglichkeiten. Indonesien verblieb einstweilen unter japanischer Militärverwaltung, Indochina wie bislang unter französischer Kolonialverwaltung. Im Laufe des Jahres 1943 ging Tokio einen Schritt weiter, indem es Bündnisverträge mit China, Burma und den Philippinen schloß, welche denjapanischen Einfluß milderten, wenngleich nicht aufhoben; Burma und die Philippinen erhielten formal die Unabhängigkeit. In lndonesien wurde die politische Mitwirkung der Bevölkerung verstärkt, bis man schließlich 1944 auch diesem Land die Selbständigkeit versprach. Anfang November 1943 fand in Tokio eine Konferenz der Staaten Großostasiens statt, an welcher Mandschukuo, China, Thailand, Burma und die Philippinen teilnahmen; Subhas C. Bose war als Beobachter anwesend. Die Konferenz veröffentlichte eine gemeinsame Erklärung, in welcher die "Aggression und Ausbeutung" seitens der USA und Britanniens verurteilt sowie die Absicht erläutert wurden, ein neues Großostasien aufzubauen auf der Grundlage der Gerechtigkeit, der gegenseitigen Achtung und des gemeinsamen Wohls.

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Was die Vertreter der einzelnen Länder bewog, einer solchen Erklärung beizupflichten, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls brachte die Errichtung des japanischen Hegemonialraumes in Südostasien die Kolonialvölker der Unabhängigkeit einen großen Schritt näher. Wenn Japan den Krieg verlor, würde es den alten Kolonialmächten schwerfallen, ihre frühere Herrschaft wiederaufzurichten. Davon abgesehen hatten die Länder Ostasiens unter den Folgen des Krieges und der japanischen Eroberung erheblich zu leiden. Wie in China erwiesen sich auch in Südostasien die Japaner beim Durchsetzen ihrer Ziele als wenig zimperlich; politisch Mißliebige, darunter Auslandschinesen, wurden unnachsichtig verfolgt, die Bevölkerung zur Zwangsarbeit für militärisch wichtige Anlagen verpflichtet, die Wirtschaft auf die Bedürfnisse Japans ausgerichtet. Waren die Japaner anfangs in Südostasien vielfach als Befreier begrüßt worden, so bildeten sich nun Widerstandsbewegungen im Untergrund, teils nationalistisch und teils kommunistisch geprägt. Die Untt::rgrundbewegung wurde auf den Philippinen geradezu eine Massenerscheinung, sie fehlte auch in Burma und Malaya nicht, und in Vietnam, wo sich unter Führung Ho Chi Minhs der Viet-Minh (Liga für die Unabhängigkeit Vietnams) gebildet hatte, waren 1945 große Teile des Landes in der Hand dieser Bewegung. Im übrigen konnte Japan das hochgesteckte Ziel einer ostasiatischen Wahlstandssphäre schon deswegen nicht verwirklichen, weil seine Wirtschafts- und Finanzkraft dazu nicht ausreichte. Zudem wurden in den späteren Kriegsjahren die Transportmöglichkeiten auf dem Seeweg durch Feindeinwirkung so stark beeinträchtigt, daß der Güteraustausch mehr und mehr zum Erliegen kam. Vor dem Krieg hatten zu einem großen Teil die westlichen Industrieländer die Rohstoffe und Landwirtschaftserzeugnisse Südostasiens abgenommen sowie Fertigwaren geliefert und Investitionskapital bereitgestellt. Diese Wirtschaftsbeziehungen vermochte Japan mit seiner noch verhältnismäßig bescheidenen Industrie selbstverständlich nicht zu ersetzen; weder konnte es die Güter Südostasiens in ausreichendem Umfang abnehmen noch dessen Bedarf an Waren und Kapital befriedigen, und beides im Laufe des Krieges immer weniger. Tatsächlich war die Wirtschaft Südostasiensam Ende des Krieges weitgehend zerrüttet. 25 Was China betrifft, so läßt sich der unerklärte Krieg zwischen Japan und China, den die Japaner als chinesischen Zwischenfall bezeichneten, in verschiedene Abschnitte einteilen. In einer ersten Phase vom Sommer 1937 bis zum Herbst 1938 besetzten japanische Truppen in raschem Siegeslauf das östliche Nordchina bis zum Jangtsekiang sowie einige Plätze an der Küste Südchinas. In einer zweiten Phase bis zum Frühjahr 1944 kam der Krieg gewissermaßen zum Stehen. Wahrend sich die mehr oder weniger diktatorische Regierung unter Tschiang Kai-schek, dem Führer der chinesischen Nationalbewegung Kuomintang, ins Landesinnere zurückzog, mit Tschungking als Hauptstadt, und den Krieg nur noch verhalten wei25 Hitlers Unterredung mit Bose, 29. 5. 1942, die Errichtung des japanischen Ministeriums für Großostasien, I. II. 1942, sowie die Erklärung der Staaten Großostasiens, 5. 11. 1943, nach Jacobsen, Weg, 284, 462 ff., 469. Dazu Beasley, Imperialism, 233 ff. Jones, Order. Reinhard, Expansion III, 175 ff. Martin, Deutschland und Japan, 61 ff.

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terführte, begnügten sich die Japaner mit der Herrschaft über die wirtschaftlich wertvolleren Gebiete Chinas und suchten nach einem diplomatischen Ausweg aus dem Krieg: erstens weil die Politik Tokios von vornherein zwar auf eine hegemoniale Rolle in China, aber nicht auf die militärische Eroberung des Landes gezielt hatte, zweitens weil ein großer Teil der Streitkräfte für andere Zwecke benötigt wurde, zunächst zur Absicherung gegen Rußland, dann für den Krieg im Pazifik, und drittens weil es sich nicht lohnte, für geringen Nutzen umfangreiche Kräfte bei der Eroberung und Besetzung des riesigen chinesischen Raumes zu verbrauchen. Erst im Frühjahr 1944 begann die dritte Phase des Krieges mit einer neuerlichen japanischen Offensive, die amerikanische Flugplätze in China ausschalten sollte, beträchtlichen Raumgewinn erzielte und den nationalchinesischen Truppen eine böse Niederlage beibrachte. In der zweiten Kriegsphase von 1938 bis 1944 gab es zwar keine großen Frontveränderungen, aber einen dauernden Kleinkrieg, der vor allem von den chinesischen Kommunisten getragen wurde. Die Kommunisten, seit 1935 unter der unbestrittenen Führung von Mao Tse-tung, hatten ihr Machtzentrum zunächst in Südchina besessen, von wo sie es Mitte der 1930er Jahre nach Schensi mit dem Hauptort Jenan in Nordchina verlegen mußten, außerhalb des späteren japanischen Besatzungsgebiets. Von hier aus sickerten sie in das östliche Nordchina ein, also in das japanische Besatzungsgebiet, wobei es ihnen zustatten kam, daß die Japaner nur die größeren Städte und die Verkehrsverbindungen fest in der Hand hielten, während die Kommunisten sich unter der Landbevölkerung ausbreiteten. Sie entfalteten eine rege Untergrundtätigkeit mit vielerlei Anschlägen auf die Besatzungsmacht, was die Japaner zu harten Vergeltungsmaßnahmen veranlaßte. Die Landbevölkerung erblickte in den Kommunisten die Verkörperung des nationalen Widerstands und lief ihnen in großer Menge zu. Bei Kriegsende besaßen die Kommunisten eigene Truppen im Umfang von knapp einer Million Mann und waren in der Landbevölkerung Nordchinas fest verwurzelt. Eine Art Bürgerkrieg zwischen der Kuomintang und den Kommunisten hatte es bereits vor der Besetzung Chinas durch die Japaner gegeben, und bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen beiden hörten auch danach nicht auf. Tschiang Kaischek neigte je länger desto mehr dazu, die nationalchinesischen Streitkräfte für den Kampf gegen die Kommunisten bereitzuhalten, statt sie im Krieg gegen die überlegenen Japaner zu verschleißen. Umgekehrt waren die Kommunisten im Begriff, sich in Nordchina eine günstige strategische Position aufzubauen: Wenn die Japaner infolge der Niederlage im Weltkrieg die Mandschurei räumen mußten, konnten die Kommunisten ohne Mühe dort einrücken, so daß sie, zusammen mit den Gebieten, in denen sie bereits saßen, den gesamten Nordteil des alten chinesischen Territoriums in die Hand bekamen und Tuchfühlung mit der Sowjetunion erhielten, die sie voraussichtlich unterstützen würde. Ein amerikanischer Beobachter stellte Anfang 1943 ganz richtig fest, man frage sich heute nicht mehr, ob ein Bürgerkrieg zwischen der Kuomintang und den Kommunisten vermieden werden könne, sondern eher, ob er wenigstens hinausgeschoben werden könne bis nach dem Sieg über Japan. Der-

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seihe Beobachter hielt es auch für denkbar, daß aus den inneren Wirren in China ein Land mit kommunistischer Regierung hervorgehen werde, die naturgemäß eher mit Rußland als mit den Westmächten zusammenarbeiten würde. Wie man weiß, hatte jener amerikanische Beobachter mit seinen Befürchtungen nur allzu recht. Nach dem Zusammenbruch Japans tobte in China von 1946 bis 1949 der Bürgerkrieg, aus welchem die Volksrepublik China mit einer kommunistischen Regierung hervorging, die nunmehr das sozialistische Lager verstärkte. Für diesen Gang der Dinge mag man verschiedene Ursachen namhaft machen, aber letztlich fiel die Entscheidung im Bürgerkrieg doch auf militärischem Gebiet, wo Führung und Truppe auf nationalchinesischer Seite nicht die erforderliche Leistungsfähigkeit bewiesen. Zweifellos trifft es zu, daß die Kuomintang überfallige innere Reformen kaum zuwege brachte, doch schließt dies nicht aus, daß sie unter anderen Umständen, auf längere Frist und wenn sie am Ruder geblieben wäre, dies doch noch vollbracht hätte. Jedenfalls vermochten es Tschiang Kai-schek und die Kuomintang, nachdem sie vom chinesischen Festland vertrieben worden waren und sich nach Formosa (Taiwan) zurückgezogen hatten, dort ein stabiles und wirtschaftlich blühendes Staatswesen zu errichten. Es bleibt deshalb zu fragen, ob der Sieg der Kommunisten im Bürgerkrieg wirklich unausweichlich war oder ob nicht im Verlauf des Weltkriegs einige Ursachen für die spätere Schwäche der Kuomintang zu finden sind. Die Westmächte folgten mit ihrer Strategie gegen Japan zunächst dem Grundsatz, daß die militärischen Anstrengungen vorrangig auf das Niederringen Deutschlands gerichtet sein müßten, und beschränkten sich demzufolge im Pazifik auf die Defensive. Durch den Angriff in den Salomonen Richtung Rabau! wurde die strategische Defensive noch nicht verlassen; dieses Gebiet lag im Vorfeld des japanischen Verteidigungsraumes, und sein Besitz war nicht kriegsentscheidend. Die langfristige Strategie gegen Japan, die auf dessen Niederwerfung bzw. spätestens seit Casablanca auf dessen bedingungslose Kapitulation zielte, ergab sich aus der Natur der Sache, d. h. aus den vorliegenden Gegebenheiten geographischer, wirtschaftlicher und militärischer Art. Das japanische Mutterland bildete strategisch eine Insel; das Mutterland selbst konnte also nur auf dem Seeweg bezwungen werden, im günstigeren Fall allein durch eine Blockade, im ungünstigeren Fall durch eine Landung. Die Blockade Japans beinhaltete das Abschneiden des Kaiserreichs von seinem wirtschaftlichen Ergänzungsraum, den es teils auf dem asiatischen Festland, teils in Südostasien gewonnen hatte. Verlor Japan seinen wirtschaftlichen Ergänzungsraum, dann war es so geschwächt, daß es sich über kurz oder lang beugen mußte. Um dem Kaiserreich seinen wirtschaftlichen Ergänzungsraum, sein Herrschaftsgebiet in Ost- und Südostasien, zu entziehen, konnte dieser von außen, von den Rändern her, zurückerobert werden, entweder auf dem Landweg über China, die Mandschurei und Burma, oder auf dem Seeweg über die Inselwelt Südostasiens. Die eleganteste Lösung bestand darin, mit einer überlegenen Flotte, wie die USA sie nach einigen Jahren besitzen würden, quer über den Paziflk in Richtung auf die chinesische Küste vorzustoßen. Dies würde erstens die Verbin17 Rauh, Zweiter Weltlmeg 3 Teil

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dungslinien Japans zu den südostasiatischen Rohstoffgebieten durchtrennen, es würde zweitens die Berührung mit China herstellen sowie dieses unterstützen, und es würde drittens in der Nähe des japanischen Mutterlandes die Ausgangspositionen schaffen für den abschließenden Sturm auf das Kaiserreich. Eben diese Lösung wurde in Amerika seit Anfang 1943 ins Auge gefaßt. Der Stabschef der amerikanischen Marine, Admiral King, sprach bereits im Januar 1943 davon, mit Hilfe der Flotte über den Zentralpazifik zu den Philippinen vorzudringen, wobei er besonders herausstrich, daß die Marianen erobert werden müßten, weil sie wegen ihrer Lage im Herzen des japanischen Seereiches und seiner Verbindungslinien eine Schlüsselstellung einnahmen. Bis zum Mai 1943 entwikkelte die strategische Planungsgruppe der amerikanischen Stabschefs einen SechsStufen-Plan für das Niederwerfen Japans, der von den Stabschefs gebilligt wurde. Demnach sollte in einer ersten Stufe der Seeweg von Hawaii nach den Gewässern bei den Philippinen geöffnet werden, was so auszulegen war, daß General Mac Arthur im Südwestpazifik und Admiral Nimitz im Zentralpazifik gemeinsam vorzudringen hatten, mit dem Schwerpunkt bei letzterem. Zugleich sollte in der ersten Stufe Burma erobert werden, durch britische Streitkräfte mit Unterstützung durch amerikanische und chinesische, um die Landverbindung nach China auf der Burma-Straße zu öffnen, Tschiang Kai-schek zu stützen und China weiterhin im Krieg zu halten. In der zweiten Stufe hatten die Amerikaner die Philippinen zu erobern, während die Briten an die Öffnung des Seewegs nach Singapur durch die Malakka-Straße gehen sollten, um japanische Kräfte zu binden. In der dritten Stufe sollte Hongkong durch chinesische Truppen eingenommen werden, von See her unterstützt durch die Amerikaner, um mit den Chinesen Fühlung zu gewinnen und einen leistungsfähigen Hafen für den Nachschub nach China zu besetzen. In der vierten Stufe waren Luftstützpunkte im japanisch besetzten China zu schaffen, was nur heißen konnte, daß chinesische Truppen, unterstützt durch solche der Westmächte, nach Nordchina vordrangen und die Japaner von da vertrieben. In der fünften Stufe sollte Japan von Flugplätzen in China aus, vor allem natürlich in Nordchina, sturmreif bombardiert werden, bis schließlich, falls erforderlich, in der sechsten Stufe die Landung in Japan stattfand, an welcher außer amerikanischen auch chinesische Truppen teilnehmen konnten. An diesem Plan fallen hauptsächlich zwei Dinge auf: erstens die außerordentlich große Bedeutung, die China beigemessen wurde, und zweitens die Ausklammerung Rußlands. Das Nichtberücksichtigen der Sowjetunion läßt sich zwanglos dadurch erklären, daß dieses Land auf Grund des Neutralitätsvertrags von 1941 mit Japan nicht im Krieg stand und daß Stalin, solange er mit der Verteidigung gegen die deutsche Wehrmacht beschäftigt war, am Kriegseintritt auch kein Interesse zeigte. Auf der amerikanischen Seite neigte freilich Präsident Roosevelt anfangs ebenfalls dazu, die Einwirkung Rußlands in Ostasien mit Zurückhaltung zu betrachten. Seitdem Roosevelt den Gedanken der vier Weltpolizisten ausgeformt hatte, wünschte er China in seine vorgesehene Rolle als einer der vier Weltpolizisten hineinwachsen zu lassen. Zu diesem Zweck mußte China stark und geeint

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sein, es mußte sich erfolgreich am Krieg beteiligen, und vor allem: Es sollte ein Gegengewicht zur Sowjetunion darstellen, aber nicht unter deren Einfluß geraten. China sollte den USA eng und freundschaftlich verbunden bleiben, gewissermaßen deren verlängerten Arm in Asien darstellen, und zwar auch gegen Rußland. Deswegen erklärte Roosevelt im März 1943 dem britischen Außenminister Eden, in jeder ernsthaften politischen Auseinandersetzung mit Rußland werde sich China zweifellos auf die amerikanische Seite stellen. In dem strategischen Plan der amerikanischen Stabschefs vom Frühjahr 1943 fand dies seinen Niederschlag. Es blieb den Amerikanern nicht verborgen, daß die nationalchinesischen Streitkräfte wenig leistungsfähig, die Kuomintang-Regierung vielfach korrupt und die inneren Zustände in China oft bejammernswert waren. Eben deswegen wurde der Krieg weitgehend auf die Bedürfnisse Chinas zugeschnitten. Zunächst sollte Burma zurückerobert werden, auch durch chinesische Truppen, damit sie Kampferfahrung sammeln konnten und damit Tschiang Kaischek dringend benötigten Nachschub über die Burma-Straße erhielt. Später war Hongkong einzu':lehmen, wohlgemerkt durch chinesische Streitkräfte, was für die Kuomintang einen bedeutenden militärischen Erfolg darstellen und ihr Ansehen verschaffen, zudem einen leistungsfähigen Hafen bereitstellen würde, um die Versorgungsnöle Chinas zu lindern und seine Streitkräfte in die Höhe zu bringen. Anschließend sollte der Krieg auf dem chinesischen Festland fortgesetzt werden, damit die Kuomintang, unterstützt von den Amerikanern, Gelegenheit erhielt, den Rest Chinas zu besetzen und jenes einige Staatswesen zu errichten, welches China erst instand setzte, als Großmacht und Weltpolizist zu wirken. Von der Mandschurei, die wegen der geographischen Nähe am bequemsten durch die Sowjetunion besetzt werden konnte, war vorsichtshalber nicht die Rede, was man wohl so deuten darf, daß die Sowjets dort nichts verloren hatten, sondern daß auch dieses Gebiet von nationalchinesischen Streitkräften eingenommen werden sollte. Schließlich wurde sogar für die Besetzung Japans die Mitwirkung chinesischer Truppen in Aussicht genommen, während von einer russischen Beteiligung wiederum nicht die Rede war. Daß auf diese Weise China geradezu in den Mittelpunkt des Krieges gerückt wurde, war aus rein militärischen Gründen nicht zwingend erforderlich. Wenn die amerikanische Flotte so stark war, daß sie quer über den Pazifik vorstoßen und dabei wahrscheinlich die japanische Flotte zerschlagen konnte, dann würde sie auch stark genug sein, die erforderlichen Stützpunkte in der Nähe Japans für den Schlußangriff auf das Mutterland zu gewinnen - ohne die Kampfhandlungen auf das chinesische Festland zu verlagern. In der Tat ist der Krieg später, nachdem sich der ursprüngliche Plan zerschlagen hatte, genau so abgelaufen. Das zeigt ebenfalls, daß der ursprüngliche Plan, China in den Mittelpunkt zu rücken, aus politischen Gründen gewollt war: Es ging nicht bloß darum, Japan niederzuwerfen, sondern es sollte zugleich China zu einer Großmachtstellung verholfen werden, und zwar einem China unter Tschiang Kai-schek, nicht einem kommunistischen China unter russischem Einfluß? 6 17*

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Für den europäischen Kriegsschauplatz hatten die Amerikaner ursprünglich den Plan entwickelt, möglichst frühzeitig in Frankreich zu landen, um den Sieg hauptsächlich an ihre eigenen Fahnen zu heften und eine pax americana zu errichten. Dieser Plan war von den Briten mit ihrer Mittelmeerstrategie zu Fall gebracht worden. In Asien verhielten sich die Briten ähnlich. Die Regierung Churchill hatte nicht die leiseste Neigung, auf den strategischen Plan der Amerikaner einzugehen, also China in den Mittelpunkt der Kriegsanstrengungen zu rücken und ihm die Stellung einer Großmacht bzw. eines Weltpolizisten zu verschaffen. Bei den Gesprächen mit Eden im März 1943 erklärte Roosevelt, er wünsche China auf jede mögliche Weise zu stärken. Der britische Außenminister erwiderte darauf trocken, er könne sich nicht mit dem Gedanken befreunden, daß die Chinesen überall im Pazifik ihre Finger im Spiel haben sollten ("did not much like the idea of the Chinese running up and down the Pacific"). Die Haltung der Regierung Churchill war klar und leicht verständlich. Sie suchte das britische Empire zu bewahren, sie fürchtete den Antikolonialismus der Amerikaner und sie fürchtete ein starkes China. Beispielsweise sann Roosevelt den Briten an, auf Hongkong zu verzichten, und der strategische Plan der amerikanischen Stabschefs sah vor, Hongkong von den Chinesen erobern zu lassen, die es selbstverständlich nicht mehr herausgeben würden. Die Briten dagegen betrachteten Hongkong als ihre Kolonie, die sie wiederhaben wollten, und sie hielten es nicht für angebracht, den Krieg gegen Japan so zu führen, daß die Chinesen Hongkong erhielten. Mit anderen Gebieten verhielt es sich ähnlich. Ein starkes China, den USA verpflichtet und mit ihnen eng verbunden, würde nach dem Krieg die britische Kolonialherrschaft überall anfechten, in Malaya, wo es eine starke chinesische Minderheit gab, in Burma und in Indien. Warum hätten die Briten sich im Krieg verausgaben sollen, um China zu stärken? Ein schwaches China schien ihnen weit nützlicher zu sein. Die Briten betrieben das, was sie immer schon betrieben hatten: die alte Machtpolitik, die den eigenen Vorteil auf Kosten anderer zu wahren suchte. Den amerikanischen Plan, im pazifischen Krieg einen Schwerpunkt auf China zu legen, wußten die Briten zu vereiteln. Gemäß diesem Plan sollte zunächst, gleichzeitig mit dem Vordringen der amerikanischen Flotte im Pazifik, Burma zurückerobert werden. Für den gesamten Plan war dies wesentlich, um erstens die Landverbindung nach China wiederherzustellen, um zweitens die Kuomintang und ihre Streitkräfte zu stärken und um drittens die Voraussetzungen zu schaffen, daß Nationalchina später an der Einnahme Hongkongs mitwirken konnte. Tschiang Kai-schek hatte im Frühjahr 1942, als die Japaner in Burma einfielen, chinesische 26 Zum japanisch-chinesischen Krieg allgernein D. Wilson, Tigers. Boyle, War. Chi, Nationalist China. Der Bericht des amerikanischen Beobachters, Botschaftssekretär Service, vorn 23. I. 1943 sowie der strategische Plan der amerikanischen Stabschefs vorn Mai 1943 nach Jacobsen, Weg, 387 f., 466 ff. Zum amerikanischen Plan auch Morton, Strategy, 447 ff., 457, 644 ff. Matloff, Planning, 136 ff. Admiral King im Januar 1943 nach Hayes, Joint Chiefs, 280. Roosevelt zu Eden über China, 27. 3. 1943, in Sherwood, Hopkins, 718. Ferner Thorne, Allies, 305 ff. und passim. Spector, Eagle, 252 ff. und passim.

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Truppen an der Verteidigung dieses Landes teilnehmen lassen, die jedoch in den Strudel des britischen Zusammenbruchs gerissen wurden und erhebliche Verluste erlitten. Tschiang Kai-schek war durchaus bereit, sich an der Rückgewinnung Burmas zu beteiligen, legte aber verständlicherweise Wert darauf, daß das Unternehmen sorgfaltig vorbereitet und mit angemessenen Kräften, auch solchen der Westmächte, durchgeführt wurde, um nicht erneut chinesische Truppen unnütz zu verschleißen. Auf amerikanischer Seite wurde anfangs erwogen, im Frühjahr 1943 eine begrenzte Offensive in Nordburma zu unternehmen und ab dem Herbst 1943 den Hauptangriff zur Einnahme ganz Burmas (Deckname "Anakim") zu beginnen. Der Termin hing mit den Wetterverhältnissen zusammen, weil wegen des Monsuns größere Operationen nur von Herbst bis Frühjahr zweckmäßig waren. Die Besetzung ganz Burmas war erforderlich, um mit Rangun einen geeigneten Nachschubhafen zu gewinnen und die Burma-Straße zu öffnen. Diese Straße ließ zwar nur bescheidene Transportleistungen zu, aber jedenfalls bessere als die Luftbrücke von Indien aus, welche die Amerikaner eingerichtet hatten, um notdürftig amerikanische Luftstreitkräfte in China sowie die Chinesen zu versorgen. Als sich im 1anuar 1943 Roosevelt und Churchill sowie ihre beiderseitigen Stabschefs in Casablanca trafen, gewannen die Amerikaner den zutreffenden Eindruck, daß die Briten vor Ende 1944 in Burma überhaupt nichts Wesentliches unternehmen wollten, jedenfalls nichts, was geeignet war, die Japaner aus Nordburma und schon vollends nicht aus ganz Burma zu vertreiben. Die Amerikaner fanden sich daraufhin notgedrungen bereit, auf die vorgeschaltete kleinere Operation in Nordburma zu verzichten, wollten jedoch unbedingt das große Unternehmen "Anakim" für Ende 1943 retten. Zu den vielerlei Einwänden, weiche die Briten vorbrachten, gehörte auch, daß für diese Operation Seestreitkräfte und Landungsfahrzeuge erforderlich seien, über die man nicht verfüge. Admiral King konnte dies leicht entkräften, indem er zusagte, alles Erforderliche bereitzustellen. Schließlich schienen die Briten nachzugeben, wobei Admiral King von Churchill persönlich eine Zusage für "Anakim" erhielt und die beiderseitigen Stabschefs dieses Unternehmen für Ende 1943 in Aussicht nahmen, allerdings mit der von britischer Seite stammenden Einschränkung, die endgültige Entscheidung erst später zu fällen. Als Roosevelt, Churchill und ihre Stabschefs zu ihrer nächsten Gipfelkonferenz zusammentrafen, im Mai 1943, erklärten die Briten rundweg, allen voran Churchill, daß sie "Anakim" im Jahr 1943 nicht unternehmen wollten. Roosevelt verwies darauf, daß auch Tschiang Kai-schek die Operation wünsche und daß man darauf Rücksicht nehmen müsse. Churchill wischte dies beiseite mit der Bemerkung, er sei nicht bereit, etwas völlig Törichtes zu unternehmen, nur um die Chinesen zu besänftigen. Was hätten die Amerikaner dagegen tun sollen? Sie konnten die Briten nicht zwingen, ihre Streitkräfte auf eine Weise zu verwenden, die sie nicht wünschten, und ebensowenig konnten die Amerikaner die Briten zwingen, amerikanische Streitkräfte auf dem Boden des britischen Empire bereitzustellen, etwa in Indien. Schon Präsident Wilson hatte es im Ersten Weltkrieg nicht vermocht, die Briten den amerikanischen Vorstellungen gefügig zu machen,

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und Präsident Roosevelt vermochte es im Zweiten Weltkrieg auch nicht. So blieb den Amerikanern nichts anderes übrig, als sich nach der Decke zu strecken und zumindest für 1943 auf die große Offensive in Burma zu verzichten. Ihren Plan, im pazifischen Krieg einen Schwerpunkt auf China zu legen, mußten die Amerikaner in der Folgezeit begraben. Auf der Konferenz von Kairo zwischen Roosevelt, Churchill und Tschiang Kai-schek im November 1943 wurde zwar eine Erklärung verabschiedet, wonach China alle Gebiete zurückerhalten sollte, die ihm von Japan abgenommen worden waren, einschließlich der Mandschurei. Dies rief noch einmal den Grundsatz der Atlantik-Charta in Erinnerung, alle Völker in Frieden innerhalb ihrer Siedlungsgrenzen leben zu lassen, und sollte wohl auch die Befürchtungen Tschiang Kai-scheks beschwichtigen, die Sowjetunion wolle China in einen kommunistischen Staat verwandeln und vielleicht sogar einen Teil Chinas, insbesondere die Mandschurei, erobern. Nichtsdestoweniger begann nun die Frage eines russischen Eingreifens in Ostasien dringlich zu werden. Für die Konferenz von Teheran zwischen Roosevelt, Stalin und Churchill Ende November 1943 beschlossen die Amerikaner, die Frage eines russischen Kriegseintritts gegen Japan nicht anzuschneiden. Stalin kam jedoch selbst darauf zu sprechen und deutete an, nach der Niederringung Deutschlands sich am Krieg gegen Japan zu beteiligen. Dies ließ Churchill frohlocken: Die Bedeutung Chinas für den Sieg über Japan werde dadurch wesentlich vermindert. Zugleich nahmen es die Briten zum Anlaß, nunmehr in Burma erst recht nichts zu tun. Im Frühjahr 1944 kam zumindest die Führungsspitze des amerikanischen Heeres zu dem Schluß, der militärische Wert des chinesischen Kriegsschauplatzes bestehe in Zukunft nur noch darin, amerikanischen Luftwaffenverbänden in Südchina als Basis zu dienen; ansonsten müsse die Flotte vom Pazifik aus den Sieg erringen. Soweit der Gedanke, den Krieg auf das chinesische Festland zu tragen und dort einen Hafen zu erobern, noch lebendig war, erhielt er den Todesstoß, als die Japaner im April 1944 eine Offensive eröffneten, um die Landverbindung nach Südchina herzustellen und die dortigen amerikanischen Flugplätze auszuschalten. Da dies bis Ende des Jahres weitgehend gelang, wurden die nationalchinesischen Streitkräfte von der Küste abgedrängt und ihre ohnedies geringe Schlagkraft noch weiter vermindert, so daß schon von daher die Einnahme Hongkongs in weite Feme rückte. Für die Kuomintang besonders schmerzlich war der Umstand, daß die Japaner gezielt den Kampf gegen die besten und zugleich zuverlässigsten Truppen der Regierung suchten und diese großenteils zerschlugen. Die hohen chinesischen Verluste - nach chinesischen Angaben rund 300000 Mann, wahrscheinlich aber mehr -betrafen deshalb den leistungsfähigeren Kern der chinesischen Streitkräfte. Dutzende von Divisionen, die regierungstreu und einigermaßen einsatzwillig waren, wurden entweder aufgerieben oder zersprengt. Diese Kräfte fehlten später, als die Kuomintang in den Bürgerkrieg gegen die Kommunisten eintrat. Es kam hinzu, daß wegen der Niederlage das Ansehen der Kuomintang beim Volk schwand. Durch die japanische Offensive erhielt der nationalchinesische Staat wahrscheinlich einen Schlag, von dem er sich nicht mehr erholte. Für die Amerikaner lohnte

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es sich nicht mehr, den Krieg nach China zu verlegen, und dies aus einer Reihe von Gründen: Japan konnte auf anderem Weg schneller besiegt werden; ob die Herrschaft der Kuomintang noch zu retten war, blieb offen; die Sowjetunion würde in jedem Fall in die Mandschurei eindringen; und weitere Quertreibereien der Briten, etwa im Hinblick auf Hongkong, ließen sich nicht ausschließen. So wurde China sich selbst überlassen; die Amerikaner stießen auf dem Seeweg an China vorbei gegen Japan vor, und die Kuomintang mußte mit ihren erschütterten Streitkräften selbst zusehen, wie sie sich in China durchsetzen konnte. Waren die chinesische Niederlage und die Schwächung der Kuomintang im Jahr 1944 vermeidbar gewesen? Genau kann man das natürlich nicht wissen, es spricht aber doch eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür. Wie immer im Krieg spielte auch hier der Zeitfaktor eine wesentliche Rolle. Gemäß dem amerikanischen Plan zur Niederwerfung Japans vom Frühjahr 1943 sollten der amerikanische Vormarsch über den Pazifik und die Eroberung Burmas ungefähr gleichzeitig stattfinden, die Besetzung Burmas vom Herbst 1943 bis zum Frühjahr 1944. Die Amerikaner hätten nicht vor Anfang 1945 zur chinesischen Küste vordringen können; bis dahin wäre Zeit geblieben, die chinesischen Truppen über die Burma-Straße zu versorgen und für den vorgesehenen Angriff auf die südchinesische Küste bereitzustellen. Anschließend konnten die Chinesen mit Hilfe der Amerikaner und Briten nach Nordchina vorrücken und vielleicht noch vor einem Eingreifen der Sowjetunion die Mandschurei erreichen. Für einen solchen Ablauf der Dinge, wie er augenscheinlich den amerikanischen Planern im Jahr 1943 vorschwebte, gab es allerdings zwei Voraussetzungen. Erstens mußte die Besetzung Burmas gelingen, und zweitens durften die Chinesen nicht im Jahr 1944 die Niederlage gegen Japan erleiden, die sie tatsächlich zu erdulden hatten. Die erste Voraussetzung ließ sich mit hoher Wahrscheinlichkeit erfüllen, wie ein Vergleich mit dem wirklichen Ablauf der Dinge zeigt. Nachdem sich der frühere "Anakim"-Plan zerschlagen hatte, unternahmen einige chinesische Divisionen unter amerikanischem Kommando, die in Indien ausgebildet worden waren, ab Ende 1943 eine begrenzte Offensive in Nordburma. Unterstützt durch chinesische Truppen aus China jenseits der burmesischen Grenze, eroberten sie im Laufe des Jahres 1944 Nordburma und stellten eine Landverbindung nach China her, welche über die neu errichtete sogenannte Ledo-Straße von Nordindien über Nordburma lief, wo sie Anschluß an die alte Burma-Straße fand. Im Gegenzug eröffneten die Japaner im Frühjahr 1944 eine Offensive an der Grenze zu Indien, um die Eisenbahnlinie in Nordostindien abzuschneiden, die den Nachschubweg sowohl für die Luftbrücke nach China als auch für alle Bodenoperationen in Nordburma darstellte. In einem blutigen Abnützungskampf konnten die Briten den japanischen Angriff bis zum Sommer zurückschlagen. Ab Ende 1944 schritten die Briten zur Rückeroberung ganz Burmas, die bis zum Mai 1945 gelang, größtenteils auf dem Landweg. Diese unübersichtliche Abfolge verlustreicher Kämpfe, bei denen überdies die Wechselwirkung mit der japanischen China-Offensive spürbar wurde, hätte sich

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vermeiden lassen. Sämtliche Streitkräfte, die für die Operation Anakim zur Rückeroberung ganz Burmas ab dem Herbst 1943 erforderlich waren, hätten sich rechtzeitig bereitstellen lassen. Die Briten hatten schon Anfang 1943 zugegeben, daß sie die notwendigen Bodentruppen verfügbar machen konnten, zudem war es ja nicht ausgeschlossen, einige Verstärkungen von strategisch unergiebigen Nebenkriegsschauplätzen heranzuziehen, etwa aus Neuguinea oder dem Mittelmeer. Die Amerikaner waren fähig und willens, Seestreitkräfte, Nachschub und Luftstreitkräfte im erforderlichen Ausmaß für Anakim herbeizuschaffen, notfalls sogar Bodentruppen. Die chinesischen Divisionen aus Nordindien standen 1943 in jedem Fall bereit, und Tschiang Kai-schek vermochte Ende 1943 chinesische Divisionen aus China in noch größerem Umfang heranzuführen. Die Anakim-Operation wäre der japanischen Burma-Offensive von 1944 zuvorgekommen und hätte die Verstärkung der japanischen Truppen unterlaufen. Am Erfolg von Anakim kann wenig Zweifel bestehen, und wenn die Japaner ihre Flotte in den Indischen Ozean geführt hätten, wäre sie von den vereinigten Flotten der Amerikaner und Briten eben hier geschlagen worden. Militärisch gab es keinen stichhaltigen Einwand gegen Anakim; die Operation scheiterte am Unwillen der Briten. Schwieriger ist die zweite Frage zu beantworten, ob die chinesische Niederlage von 1944 vermeidbar war. Die Beantwortung dieser Frage muß von der Wechselwirkung der Kriegsschauplätze ausgehen. Der ursprüngliche amerikanische Plan vom Frühjahr 1943 hatte nicht bloß die Eroberung Burmas ab Herbst 1943 und damit die Verbesserung der Nachschubmöglichkeiten nach China vorgesehen, sondern er hatte auch auf die Diversionswirkung abgezielt, die von einem Angriff auf den japanischen Machtbereich von der Seite des Indischen Ozeans her ausgehen mußte. Deshalb war in jenem amerikanischen Plan davon die Rede gewesen, im Anschluß an die Besetzung Burmas Operationen in Richtung auf die MalakkaStraße durchzuführen, also in Richtung auf Singapur. Dabei handelte es sich, wie es ausdrücklich hieß, um einen außerordentlich wichtigen Bestandteil des Plans, denn der Feind müsse ständig gezwungen werden, seine Verbände über die Gebiete des Pazifiks und Asiens zu zerstreuen und sie so der Zermürbung an einer weiteren Front in Südostasien auszusetzen. Als die Briten im Mai 1943 den Analeim-Plan ablehnten, taten sie dies auch mit dem Argument, die Eroberung Burmas könne eine unerwünschte Ausdehnung der Operationen auf Thailand und Malaya nach sich ziehen. Eben dies hatten aber die Amerikaner im Auge. Umgekehrt wäre ein Vorstoß Richtung Singapur für Japan besonders bedrohlich gewesen, denn aus dem Raum von Singapur konnte die japanische Rohstoffversorgung aus Südostasien ernsthaft gefährdet werden. Ob Singapur wirklich erobert wurde, war für den amerikanischen Plan nicht so wichtig, und in der Tat wurde in dem amerikanischen Plan die Einnahme Singapurs gar nicht erwähnt. Vielmehr kam es den amerikanischen Planem darauf an, japanische Kräfte von anderen Kriegsschauplätzen abzuziehen und in der Verteidigung des Vorfelds von Singapur zu beschäftigen. Wo konnten japanische Kräfte abgezogen werden? Schwerlich im Pazifik, denn dort würden gleichzeitig die Amerikaner ihre große Offensive unternehmen. Dage-

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gen konnten japanische Kräfte sehr wohl aus China abgezogen werden, denn dort stand für Tokio vorderhand nichts strategisch Entscheidendes auf dem Spiel. Der amerikanische Plan hätte also, wäre er durchgeführt worden, eine doppelte Wirkung haben können: Er hätte erstens durch die Eroberung Burmas eine gewisse, wenngleich nicht sehr große Verstärkung der Streitkräfte in China erlaubt, teils durch die verbesserte Versorgung auf dem Land- und Luftweg, teils durch das Freimachen chinesischer Divisionen von der Burma-Front. Und zweitens hätte er, beginnend mit der Rückeroberung Burmas, für Tokio ein Signal gesetzt, daß nunmehr auch Singapur bedroht war, das Herz der japanischen Machtstellung in Südostasien. Was dann geschehen wäre, vermag niemand mit Sicherheit zu sagen. Vielleicht hätten die Japaner ihre China-Offensive von 1944 gar nicht erst begonnen, weil ihre Kräfte anderswo benötigt wurden, vielleicht hätten sie die Offensive zwar begonnen, aber wieder abgebrochen, wenn die Bedrohung Singapurs unverkennbar wurde. Jedenfalls eröffnete der amerikanische Plan die Möglichkeit, japanische Kräfte so zu fesseln, daß die Niederlage Chinas von 1944 nicht eintrat. Dann hätte sich wohl auch die Gelegenheit ergeben, daß chinesische und amerikanische Streitkräfte an der südchinesischen Küste sich die Hand reichten, um anschließend den Vormarsch nach Nordchina anzutreten. 27 Was von dem amerikanischen Plan blieb, war das Vordringen quer über den Pazifik. Es wurde ab Ende 1943 möglich, als die amerikanische Flotte genügend neue Schiffe erhielt, namentlich Flugzeugträger, um ein solches Unternehmen ins Werk zu setzen. Zu einer klaren strategischen Entscheidung zu gelangen, fiel allerdings nicht ganz leicht. Der Pazifik war seit 1942 in zwei verschiedene Kommandobereiche geteilt, wobei der Kommandobereich Südwestpazifik unter General Mac AIthur den Schauplatz eines Koalitionskrieges darstellte, auf welchem außer amerikanischen Streitkräften auch solche des britischen Empire tätig wurden. Weitgehende Entscheidungsfreiheit genossen die Amerikaner nur im Kommandobereich Pazifik unter Admiral Nimitz, dagegen mußten sie jede gesamtpazifische Strategie mit den Briten abstimmen bzw. einen tragfähigen Ausgleich zwischen Mac Arthur und Nimitz herstellen. Den Schwerpunkt des Vordringens im Pazifik wünschte Mac Arthur in seinen Kommandobereich zu legen, d. h. er wollte, nach Einnahme des Bismarck-Archipels, entlang der Nordküste von Neuguinea in Richtung auf die Philippinen vorrücken und anschließend diese Inselgruppe befreien, von der er 1942 hatte fliehen müssen und die ebenfalls zu seinem Kommandobereich gehörte. Dem vermochten die amerikanischen Stabschefs, namentlich Admiral King, freilich nicht zu folgen. Ein Vorgehen entlang der Achse Neuguinea - Philippinen 27 Roosevelt und Eden, 22. 3. 1943, in Sherwood, Hopkins, 716. Zu Hongkong a. a. 0., 719. Zu den strategischen Planungen Hayes, Joint Chiefs, 278 ff., 392 ff. Die Erklärung von Kairo, I. 12. 1943, sowie die Befürchtungen Tschiang Kai-scheks nach Jacobsen, Weg, 322 f. Zu Kairo und Teheran Herde, Strategie, 74 f. Pogue, Marshall Ill, 305 ff. Churchill über Rußland und China nach Romanus I Sunderland II, 68. Die Lageeinschätzung beim amerikanischen Heer nach LeightoniCoakley II, 516 ff. Zur japanischen Offensive 1944 Chi, Nationalist China, 68 ff. Ferner zum Ablauf der Ereignisse Tuchman, Sand, passim. Romanus I Sunderland. Ehrman, Strategy V. Kirby, War.

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hätte auf jeden Fall in der rechten Flanke gegen die japanischen Stützpunkte im Zentralpazifik abgeschirmt werden müssen, was nur die Flotte besorgen konnte. Unter diesen Umständen stieß man besser gleich mit der Flotte im Zentralpazifik durch. Ein solches Vorgehen erlaubte es, die Schlagkraft der Flotte voll auszunützen, und es bot den Vorteil, den kürzesten sowie einfachsten Weg einzuschlagen, um ein doppeltes Ziel zu erreichen: nämlich einerseits Japan von den südostasiatischen Rohstoffgebieten abzuschneiden und andererseits sich an das japanische Mutterland heranzuarbeiten. Auf diesem Weg mußten selbstverständlich die japanischen Inselstützpunkte niedergekämpft und zum Teil auch besetzt werden, um die eigenen rückwärtigen Linien zu sichern. Im Laufe des Jahres 1943 einigten sich die amerikanischen Stabschefs mit den britischen, sowohl im Zentralpazifik vorzudringen als auch im Südwestpazifik entlang der Achse Neuguinea- Philippinen. Wo der Schwerpunkt liegen solle, wurde formell nicht festgelegt, doch neigten die Amerikaner (außer Mac Artbur) dazu, ihn eher in den Zentralpazifik zu legen. Dies ergab sich aus der Natur der Sache, denn Mac Artbur konnte nicht ohne Unterstützung durch die Flotte vordringen, während die Flotte sehr wohl imstande gewesen wäre, den Zentralpazifik zu überqueren, ohne daß zugleich ein Vormarsch in Neuguinea stattfand. Zudem erlaubte der geradlinige Vorstoß über den Zentralpazifik ein schnelleres und einfacheres Heranrücken an das japanische Mutterland als der Weg über Neuguinea und die Philippinen. Dieser Gesichtspunkt spielte im Jahr 1944 noch eine Rolle, als Roosevelt im Juli eigens eine Konferenz mit Nimitz und Mac Artbur abhielt, um die Frage zu klären, ob man die Hauptinsel der Philippinen Luzon erobern oder besser gleich auf Formosa landen solle. Die Einnahme Formosas wurde von Admiral King befürwortet, denn dies stellte die folgerichtige Fortsetzung des schnellen und geradlinigen Vorstoßes über den Zentralpazifik dar, bei Formosa konnten am wirkungsvollsten die Verbindungen zwischen Japan und Südostasien abgewürgt werden, Formosa bildete ein geeignetes Sprungbrett für den Schlußangriff auf Japan, schließlich war von Formosa aus auch die chinesische Küste mühelos erreichbar. Nach einigem Hin und Her einigte man sich bis zum Herbst 1944 aber doch darauf, Formosa auszusparen und statt dessen die Philippinen vollständig zu erobern. Mac Artbur verlangte dies mit Nachdruck, und wahrscheinlich spielte es auch eine Rolle, daß wegen der japanischen China-Offensive von 1944 das Vordringen zur chinesischen Küste sich nicht mehr zu lohnen schien (Hongkong wurde übrigens durch britische Streitkräfte später von See her eingenommen). So fand der Vormarsch im Pazifik tatsächlich in Form eines Doppelstoßes statt, teils durch den Zentralpazifik, teils in Neuguinea, wobei sich im Herbst 1944 beide Richtungen bei den Philippinen vereinigten. 1943 wurden die amerikanischen Seestreitkräfte neu gegliedert und insbesondere eine starke zentralpazifische Flotte in Hawaii aufgebaut, der man die meisten neu in Dienst gestellten größeren Kriegsschiffe zuteilte. Dies war die 5. amerikanische Flotte (die Flotten im Pazifik erhielten ungerade Nummern, diejenigen im Atlantik gerade); sie stand unter dem Oberbefehl von Admiral Spruance, dem Sieger

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von Midway, der danach einige Zeit Stabschef bei Nirnitz gewesen war. Wichtigster Bestandteil der 5. Flotte war die Trägerkampfgruppe, die im Laufe der Zeit immer stärker wurde. 1944 I 45 stand sie unter dem Befehl von Admiral Mitscher, der bei Midway einen Träger kommandiert hatte. Die Trägerkampfgruppe (Task Force) umfaßte in diesen Jahren üblicherweise vier Untergruppen (Task Groups), zu denen meist je zwei schwere und zwei leichte Flottenträger gehörten; dazu kam eine Anzahl von neuen schnellen Schlachtschiffen, Kreuzern und Zerstörern. Ferner verfügte die 5. Flotte über eigene landgestützte Luftstreitkräfte sowie eine amphibische Kampfgruppe, welche einerseits die erforderlichen Bodentruppen (Marineinfanterie, Heeresverbände) mit den Transport- und Landungsfahrzeugen umfaßte, andererseits die Deckungs- und Unterstützungsstreitkräfte für Landungen in Gestalt von Geleitträgern, älteren Schlachtschiffen, Kreuzern, Zerstörern, Minensuchern usf. Neben der 5. Flotte gab es seit 1943 die 3. Flotte, d. h. die Streitkräfte auf dem südpazifischen Kriegsschauplatz unter Admiral Halsey, die bei der Eroberung der Salomonen mit Mac Artbur zusammenwirkten. 1944 I 45 löste Halsey mit dem Stab der 3. Flotte zeitweise Spruance mit seinem Stab bei der Führung der 5. Flotte ab. Wahrend dieser Zeit trug die 5. Flotte den Namen 3. Flotte, obwohl es sich um dieselben Verbände handelte. Mac Artbur besaß anfangs eigene Seestreitkräfte in geringem Umfang, die später verstärkt wurden und als 7. Flotte firmierten. Eine der größten Leistungen im pazifischen Krieg bildete die Organisation des Versorgungs- und Nachschubwesens. In den Weiten des Pazifik reichte ein weit hinten liegender Stützpunkt wie Pearl Harbor natürlich nicht aus. Um die Leistungsfähigkeit der Flotte dauernd zu gewährleisten und sie mit allem Nötigen zu versehen, mußten geeignete Versorgungsstützpunkte der vorrückenden Flotte nachfolgen, so daß sie bequem erreichbar waren. Der erste große und vorgeschobene Stützpunkt dieser Art wurde für die Salomonenkämpfe auf den Neuen Hehriden errichtet. Später kamen weitere solche Stützpunkte hinzu, z. B. im Gebiet des Bismarck-Archipels und nach der Eroberung der Marianen der bedeutendste von allen auf Guam. Dort wurde ein Hafen gebaut, es gab Docks für die Reparatur von Kriegsschiffen, riesige Lager für Verbrauchsgüter und Ersatzteile, sämtliche Einrichtungen für die Bedürfnisse des Krieges und der Streitkräfte, darunter auch über 100 Filmtheater mit über 100000 Sitzen. Um die Seeausdauer der Flotte zu erhöhen, entwickelte man ein ausgeklügeltes System der Versorgung auf See bzw. während des Einsatzes. Amerikanische Kriegsschiffe konnten fast alles auf See übernehmen: Treibstoff, Munition, Ersatzteile, Flugzeuge, Proviant, Soldaten, sogar Admirale mit ihren Stäben, wie es 1945 vor Okinawa geschah. So kam es, daß die amerikanische Flotte fallweise monatelang im Einsatz blieb, dem Gegner fortwährend schwere Schläge versetzte und ihm nie die erforderlichen Pausen gönnte, um sich wieder zu erholen und seine Kräfte für einen erfolgreichen Widerstand zu sammeln. Als Vorspiel zu der großen Offensive im Zentralpazifik besetzten die Amerikaner im Sommer 1943 die Ellice- oder Lagunen-Inseln, die gewissermaßen im Nie-

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mandsland zwischen den japanisch besetzten Gilbert-lnseln und den alliierten Stützpunkten im Südpazifik lagen. Vorsichtig und methodisch arbeitete man sich dann weiter voran, indem im November 1943 die Gilbert-Inseln eingenommen wurden, darunter die am weitesten vorgeschobene kleine Inselfestung der Japaner auf dem Atoll Tarawa. Da Tarawa keine große Bedeutung besaß, wäre seine Einnahme wohl nicht erforderlich gewesen; immerhin konnte man dort einige Erfahrungen in der amphibischen Kriegführung sammeln. Im Februar 1944 folgte das erste Hauptziel der zentralpazifischen Offensive, die Besetzung der Marshall-Inseln. Bei ihrem Vordringen im Pazifik, das als Inselspringen bekannt wurde, wandte die 5. Flotte seit dem Herbst 1943 immer dasselbe Verfahren an. Der Trägerkampfgruppe oblag das Vorbereiten und Abschirmen der Landung auf einer bestimmten Insel oder Inselgruppe, und zwar das Abschirmen gegen einen möglichen feindlichen Flottenvorstoß oder gegen die landgestützte feindliche Luftwaffe, die überall auf den Inseln des japanischen Verteidigungsraumes verteilt war und von dort im Überführungsflug an den Ort einer amerikanischen Landung oder in dessen Nachbarschaft herangebracht werden konnte. Zum Zweck des Vorbereitens und Abschirmens einer Landung griff die amerikanische Trägerkampfgruppe einerseits das Landungsziel selbst an, hauptsächlich aus der Luft dessen Flugplätze; sie unternahm andererseits aber auch weite Vorstöße tief in den Rücken eines Landungsziels, um die japanische Luftwaffe auf den Inseln möglichst überraschend anzugreifen, sie abzunützen, das Heranführen japanischer Flugzeuge an ein amerikanisches Landungsziel zu erschweren oder zu unterbinden und so die Luftherrschaft oder mindestens Luftüberlegenheit sowohl über dem Landungsziel als auch in dessen Umgebung herzustellen. Gerade diese schnellen Trägervorstöße in die Tiefe des japanischen Verteidigungsraumes zermürbten die feindliche Luftwaffe, verwirrten die japanische Führung und beschleunigten den Zusammenbruch des Kaiserreichs. Solche Vorstöße richteten sich in der ersten Phase des Inselspringens beispielsweise gegen Markus, Wake, Rabau!, Truk und die Marianen; später kamen die Palau-Inseln, die Philippinen, Formosa und das japanische Mutterland selbst an die Reihe. Während so die Trägerflotte das Inselspringen vorbereitete und abschirmte, wurden die eigentlichen Landungen von der amphibischen Kampfgruppe vorgenommen. Durch den Beschuß mit Schiffsgeschützen, darunter die schweren der alten Schlachtschiffe, wurde die Küstenverteidigung niedergekämpft. Die zugeteilten Geleitträger stellten den Luftschirm, teils gegen eine noch vorhandene feindliche Luftwaffe, teils zur Unterstützung der Erdkämpfe. Die Bodentruppen, die von großen Mengen sinnreich konstruierter Landungsfahrzeuge an den Strand gebracht wurden, hatten die japanische Verteidigung zu überwältigen und die Inseln in Besitz zu nehmen, was oft nicht leicht war, aber nie fehlschlug, weil die japanische Seite wegen der amerikanischen Seeherrschaft meistens keine Verstärkungen mehr heranzubringen vermochte. War eine Insel eingenommen, so wurden vorhandene Flugplätze in Betrieb genommen oder neue gebaut. Dann rückte die landgestützte amerikanische Luftwaffe nach, die teils neue Landungen unterstützte, teils Inseln,

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auf denen sich noch japanische Besatzungen befanden, niederhielt. Die Amerikaner besetzten längst nicht alle Inseln, sondern nur die wichtigsten oder die geeigneten, während sie andere umgingen und gewissermaßen arn ausgestreckten Arm verhungern ließen. Denn wenn diese Inseln im Bereich der eigenen See- und Luftherrschaft lagen, konnten sie nicht mehr geHihrlieh werden. Wie überall im pazifischen Krieg waren die Kämpfe von großer Erbitterung und häufig Grausamkeit geprägt. Die japanischen Soldaten hielten es für schimpflich, in Gefangenschaft zu gehen, und pflegten deshalb buchstäblich bis zum letzten Mann zu kämpfen. War eine Lage aussichtslos, so gaben sie sich eher selber den Tod als sich zu ergeben. Umgekehrt wandten sie diese Denkungsart auf die Gefangenen an, die ihnen in die Hände fielen, so daß Gefangene in japanischem Gewahrsam oft völkerrechtswidrig behandelt wurden. Die Propaganda tat auf beiden Seiten ein übriges, um die Gefühle aufzuheizen. DieJapanerkämpften rücksichtslos, und die Amerikaner zahlten es ihnen heim. 28 Der neue japanische Kriegsplan, der Ende September 1943 in Tokio beschlossen wurde, bezeichnete als strategische Gebiete, die um jeden Preis zu halten seien: die Kurilen, die Bonin-Inseln, die innere Südsee (Mittel- und Westteil), den Westteil von Neuguinea, die Sunda-Inseln und Burma. Diese strategische Position sollte bis spätestens Mitte 1944 so weit ausgebaut werden, daß sie zur Abwehr der anglo-amerikanischen Invasion in der Lage war. Gebiete, die vor dieser Hauptverteidigungslinie lagen, so insbesondere der Bismarck-Archipel und die Marshall-Inseln, sollten nur verteidigt werden, um Zeit für den Aufbau der Hauptverteidigungslinie zu gewinnen. Dies wurde in die markigen Worte gekleidet, daß in der Zwischenzeit bis etwa Mitte 1944 die feindlichen Offensivkräfte bei jeder sich bietenden Gelegenheit anzugreifen und zu vernichten seien. Doch war es der japanischen Führung durchaus bewußt, daß auf die Dauer die vorgelagerten Gebiete sich nicht halten ließen, wie überhaupt die japanische Führung ein weithin zutreffendes Bild von der Stärke und den Möglichkeiten des Gegners besaß. Die strategische Defensive gegen die beiden Westmächte sollte ergänzt werden durch das Bemühen, den Krieg in China zu beenden. Eine Eroberung Chinas wurde nicht vorgesehen, sehr wohl jedoch ein Zurückdrängen der amerikanischen Luftstreitkräfte in China (wie es dann 1944 geschah). Gegenüber der Sowjetunion wollte Tokio sich bis zum äußersten darum bemühen, den Ausbruch eines Krieges zu verhüten; außerdem blieb man weiterhin bestrebt, wie schon seit Jahren, einen Frieden zwischen Deutschland und Rußland zu vermitteln. Gute Beziehungen zur Sowjetunion waren für Japan unverzichtbar, erstens weil das Kaiserreich sich nicht noch eine Front leisten konnte, und zweitens weil das Verhältnis zur Sowjetunion die einzige Möglichkeit zu bieten schien, mit diploma28 Zur strategischen Planung Hayes, Joint Chiefs, passim. Matloff, Planning. Morton, Strategy, 592 ff. Zum Ablauf der Kriegsereignisse Morison, Operations (mit den einschlägigen Bänden). Spector, Eagle, Potter I Nimitz I Rohwer. Ruge, Entscheidung. Zum Verhalten der Soldaten auch Dower, War.

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tischen Mitteln aus der Falle der bedingungslosen Kapitulation zu entrinnen. Noch im Laufe des Jahres 1943 begannen Verhandlungen zwischen Tokio und Moskau über die Rückgabe der japanischen Öl- und Kohlekonzessionen auf dem sowjetischen Nordteil der Insel Sachalin, eine Rückgabe, welche die Sowjetunion schon Jahre vorher gewünscht hatte. Zusammen mit einem Fischereiabkommen wurde im März 1944 der Verzicht Japans auf die Konzessionen formell vereinbart; doch stellte dies schwerlich schon das Äußerste dar, was Tokio für die Annäherung an die Sowjetunion zu leisten bereit war. Wahrscheinlich sollten die Abkommen nur das Sprungbrett bilden, um mit Moskau zu einer weiterreichenden Einigung zu gelangen. Seit dem Herbst 1943 versuchte Tokio mehrmals, einen Sonderbeauftragten nach Moskau zu entsenden, der darauf hinwirken sollte, die Sowjetunion aus der Kriegsallianz mit den Westmächten herauszubrechen. Vordergründig bestand das Ziel zunächst darin, einen Frieden zwischen Deutschland und Rußland zu vermitteln, aber wenn dies gelungen wäre, so hätte natürlich auch Japan davon profitiert, weil die Westmächte dann den Krieg gegen Deutschland und Japan allein führen mußten, überdies Aussicht bestand, die Sowjetunion würde den Kampf der Achsenmächte mittelbar fördern, z. B. durch Rohstofflieferungen. Angesichts der beharrlichen Weigerung der sowjetischen Regierung, auf die japanischen Anknüpfungsversuche einzugehen, verschob sich freilich das Ziel für Tokio immer mehr darauf, wenigstens die Sowjetunion vom Kriegseintritt gegen Japan abzuhalten. Mit einer wohlwollend neutralen, vielleicht sogar freundschaftlichen Sowjetunion im Rücken bestand für das Kaiserreich eine bessere Chance, der bedingungslosen Kapitulation zu entgehen. Im September 1944 wurde im japanischen Außenministerium erwogen, das sowjetische Wohlwollen durch handfeste Zugeständnisse zu erkaufen, so durch die Abtretung von Süd-Sachalin und der nördlichen Kurilen, durch das Einräumen einer sowjetischen Interessensphäre in der Mandschurei und ähnliches mehr. Durch solche Zugeständnisse hätte Japan sich in der Tat bis zum äußersten bemüht, den Ausbruch eines Krieges mit Rußland zu verhüten, wie der japanische Kriegsplan vom Herbst 1943 vorsah. Ob man in Tokio schon im Herbst 1943 derartiges dachte, bleibt allerdings unbekannt. Doch ändert dies nichts an der Tatsache, daß Moskau keine Veranlassung sah, sich aus der Kriegsallianz mit den Westmächten herausbrechen zu lassen - was auch immer Japan der Sowjetunion anzubieten vermochte, die Sowjetunion konnte es an der Seite der Westmächte mit geringer Mühe selbst erobern. 01e Amerikaner machten sich vom Beginn ihrer großen Offensive an die Wechselwirkung der beiden Kriegsschauplätze Südwestpazifik und Zentralpazifik zunutze. Nachdem im Laufe des Jahres 1943 Admiral Halseys 3. Flotte (formell unter dem Oberbefehl von Mac Arthur) langsam in den Salomonen vorgedrungen war, landete sie Ende Oktober I Anfang November auf den nördlichen Salomonen. Die japanische Flotte, die seit den Kämpfen um Guadalcanal mit ihren stärksten Einheiten in dem Stützpunkt Truk in den Karolinen lag, entsandte daraufhin einen umfangreichen Kreuzerverband sowie die Masse ihrer Trägerflugzeuge nach Rabau!, um der Landung entgegenzutreten. Halsey wiederum verfügte zu dieser Zeit über

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keine eigenen Schlachtschiffe und Flugzeugträger, da sie alle bei der 5. Flotte für den Angriff im Zentralpazifik zusammengefaßt wurden. Nimitz überstellte ihm jedoch für den Schutz der Landung zeitweise zwei der neuen Trägergruppen (Task Groups) der 5. Flotte. Diese beiden Trägergruppen, zusammen fünf Träger, griffen im November Rabau! an, setzten etliche Kreuzer durch Beschädigung außer Gefecht und schossen in erheblichem Umfang japanische Flugzeuge ab. Gemeinsam mit der landgestützten Luftwaffe rieben die amerikanischen Trägergruppen die japanische Trägerluftwaffe weitgehend auf; letztere verlor rund zwei Drittel ihrer Flugzeuge und über die Hälfte ihrer Besatzungen. Damit war einerseits die Landung auf den nördlichen Salomonen gesichert. Andererseits begann kurz danach die Landung auf den Gilbert-Inseln, an der übrigens auch die beiden Trägergruppen teilnahmen, die man vorher an Halsey ausgeliehen hatte. Ob die japanische Flotte ohne die Niederlage bei Rabau! es hätte wagen dürfen, der konzentrierten amerikanischen Flottenmacht bei den Gilbert-Inseln entgegenzutreten, ist schon fraglich. Nach der Niederlage bei Rabau! durfte sie es jedenfalls nicht mehr wagen, und wegen ihrer Flugzeugverluste trat sie in den nächsten Monaten überhaupt nicht mehr in Erscheinung. Die Japaner betrachteten Rabau! als den Eckpfeiler ihrer Verteidigung im Südwestpazifik, den sie stark ausbauten, um das Vordringen der Alliierten aufzuhalten; bis zur Jahreswende 1943/44 versammelten sie dort rund 100000 Mann mit reichlich Material. Die Absicht war an sich nicht ganz verkehrt, denn Mac Artbur hielt für das Vorgehen entlang der Achse Neuguinea - Philippinen die Einnahme von Rabau! für unerläßlich. Die amerikanischen Stabschefs entschieden jedoch im Laufe des Jahres 1943, Rabau! zu umgehen, weil sich der Aufwand für die Eroberung nicht lohnte, wenn durch das Vordringen im Zentralpazifik Rabau! ohnedies im Rücken abgeschnitten wurde. Die Einkreisung von Rabau! zeichnete sich ab, als im Februar 1944 amerikanische Landungen auf den Marshall-Inseln stattfanden und verheerende Trägervorstöße Truk sowie die Marianen trafen, wobei Hunderte japanischer Flugzeuge vernichtet wurden. Dies führte zu personellen Veränderungen in Japan, wo Admiralstabschef Nagano zurücktreten mußte, während Ministerpräsident und Kriegsminister Tojo zugleich das Amt des Generalstabschefs übernahm sowie der Marineminister dasjenige des Admiralstabschefs. Die japanische Flotte hatte schon vorher Truk verlassen; sie sammelte sich jetzt teils in Singapur, teils im Mutterland, um die Trägerluftwaffe zu ergänzen und Schäden auszubessern. Unterdessen hatten an der Jahreswende 1943 I 44 die Streitkräfte Mac Arthurs durch amphibische Unternehmungen die Meerenge zwischen Neuguinea und der Insel Neubritannien überwunden (Rabau! liegt auf Neubritannien). Angesichts der starken amerikanischen Überlegenheit in der Luft wurde es für die Japaner unfruchtbar, ihre Flugzeuge bei Rabau! zu verbrauchen; sie begannen ihre Luftwaffe aus dem Bismarck-Archipel zurückzuziehen. Dies sowie das Verschwinden der japanischen Flotte ermöglichten es Mac Arthur, schon jetzt eine erst für später geplante Operation durchzuführen. Ende Februar 1944 landete er mit schwachen Kräften auf den Admiralitäts-Inseln nordwestlich von Rabau!, also

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in dessen Rücken. Bis Ende März konnten diese Inseln sowie einige andere besetzt werden, wodurch Rabau! abgeschnitten wurde, während die Alliierten Flugplätze gewannen sowie auf den Admiralitäts-Inseln einen vorzüglichen Hafen als Stützpunkt für den weiteren Vormarsch. Im April umging Mac Arthur die japanische Front im östlichen Neuguinea, indem er bei Hollandia im mittleren Neuguinea landete. Die amerikanische Trägerflotte unterstützte die Operation. Im Mai 1944, als schon die Kräfte für den Kampf um die Marianen bereitgestellt wurden, ließ Mac Arthur seine begrenzten Seestreitkräfte eine Landung auf der Insel Biak vor der Nordküste des westlichen Neuguinea durchführen. Im Windschatten der Schlacht um die Marianen gelang auch die Besetzung von Biak. Gemäß dem japanischen Kriegsplan vom Herbst 1943 sollte die Hauptverteidigungslinie, die im westlichen Pazifik von den Bonin-lnsein über die Marianen zum westlichen Neuguinea lief, unter allen Umständen gehalten werden. Unter allen Umständen hieß, daß dort eine Entscheidungsschlacht geschlagen werden mußte mit vollem Einsatz aller verfügbaren Kräfte, namentlich der Flotte. Ein solches Verfahren war ziemlich riskant, denn bei See- und Luftstreitkräften war die japanische Seite deutlich unterlegen, und die kleinen Inseln im Pazifik ließen sich mit Bodentruppen über längere Zeit nur dann halten, wenn sie Nachschub erhielten, den sie aber bei Verlust der Seeherrschaft natürlich nicht mehr erhalten konnten. Wurden die Inseln nicht bald entsetzt, so gingen ihre Besatzungen ohne wesentlichen Nutzen für die Kriegführung verloren. Zur Verstärkung der Hauptverteidigungslinie wurden Bodentruppen und Luftstreitkräfte dorthin geschafft, unter anderem auf die Marianen, doch blieb es für die Japaner unergiebig, große Mengen an Soldaten und Material auf den Inseln zu verteilen, wenn sie gar nicht wußten, welche Inseln die Amerikaner für die Besetzung auswählen würden, abgesehen davon, daß das Kaiserreich solche großen Mengen nicht besaß. Die japanische Rüstungsindustrie, die 1944 ihren höchsten Ausstoß erreichte, stellte in diesem Jahr zwar die ansehnliche Zahl von 28000 Flugzeugen her, doch war die Abnützung im Kampf so hoch, daß man mit der Ausbildung der Besatzungen nicht mehr nachkam. Die Flugzeuge, welche die Japaner nach vom brachten, fielen häufig den schnellen amerikanischen Trägervorstößen zum Opfer, noch bevor die Besatzungen ihre Ausbildung beendet hatten. Damit entstand ein Teufelskreis: Flugzeuge waren zwar vorhanden, wenngleich nicht so viele wie bei den Amerikanern, aber sie wurden schnell abgeschossen, teils wegen der unvollkommenen Ausbildung, teils aus anderen Gründen, woraufhin noch schlechter ausgebildete Besatzungen nachrückten, die noch schneller abgeschossen wurden. Die Hauptlast einer Entscheidungsschlacht mußte demnach auf den Schultern der Flotte ruhen. Diese wurde im Frühjahr 1944 neu organisiert; ihr Kern bestand jetzt aus der sogenannten "Beweglichen Flotte", einer Trägerflotte mit zugeteilten Schlachtschiffen, Kreuzern und Zerstörern. Sie umfaßte drei schwere und sechs leichte Träger, gegliedert in drei Divisionen, wobei die erste Division die von früher bekannten großen Einheiten Shokaku und Zuikaku enthielt sowie die neue Taiho, ein ähnlicher und etwas verbesserter Typ. Die Taiho diente als Flagg-

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schiffdes Oberbefehlshabers dieser Flotte, Admiral Ozawa. Die Trägerdivisionen wurden entsprechend den Umständen von anderen Einheiten begleitet. Die kaiserliche Flotte besaß daneben noch weitere Schiffe, etwa einige Geleitträger, die jedoch, ähnlich wie bei den Amerikanern, für den eigentlichen Flottenkampf nicht verwendet wurden. Für eine Entscheidungsschlacht war die japanische Trägerflotte im Grunde zu schwach. Der Admiralstab in Tokio veranschlagte Anfang Mai 1944 die Stärke der amerikanischen Pazifikflotte auf ungefähr 20 Flottenträger, 16 neue und alte Schlachtschiffe sowie annähernd 20 Geleitträger. Da hierbei die zeitweise nicht einsatzfähigen Schiffe mitgerechnet wurden, kam die japanische Zählung der Wahrheit nahe. Die "Bewegliche Flotte" mit ihren lediglich neun Trägem und rund einem halben Dutzend Schlachtschiffen konnte einem Vergleich schwerlich standhalten. Dies umso weniger, als nach japanischer Einschätzung die Gesamtzahl amerikanischer Flugzeuge im Pazifik etwa 8000 betrug, darunter 1200 auf den Flotten trägem, während die "Bewegliche Flotte" nur 400 bis 450 auf ihren Trägem besaß. Außerdem war die Qualität der japanischen Besatzungen wesentlich schlechter, denn während die Piloten der amerikanischen Trägerluftwaffe eine mindestens zweijährige Ausbildung besaßen, kamen die japanischen Flugzeugführer in der Regel auf Ausbildungszeiten zwischen wenigen Monaten und einem halben Jahr. Was war in dieser Lage zu tun? Eine Denkmöglichkeit besteht darin, daß die japanische Flotte die Entscheidungsschlacht nicht in der vorgesehenen Hauptverteidigungslinie lieferte, sondern weiter zurückwich, etwa bis zu den Philippinen, und sich dort erst zum Kampf stellte. Diese Lösung wurde anscheinend von der Führung in Tokio nicht erwogen; es ist auch fraglich, ob sie viel genützt hätte. Der Vorteil wäre gewesen, daß auf der verhältnismäßig großen Landmasse des Inselraumes Philippinen - Formosa, die für Verstärkungen leichter erreichbar war, die Erdkämpfe über längere Zeit sich hätten hinziehen und nähren lassen. Bis die Amerikaner das pazifische Vorfeld überbrückt, also die entsprechenden Inseln besetzt hatten, verging eine gewisse Zeit, die genutzt werden konnte, um die Luftstreitkräfte nicht vorne zu verbrauchen, sondern hinten zu sammeln und die Ausbildung zu verbessern. Dasselbe galt für die Flotte. Im Laufe des Sommers und Frühherbstes 1944 wurden in Japan drei neue große Träger fertig, die bei einiger Eile bis gegen Ende des Jahres in den Einsatz gehen konnten. Wäre dann die Entscheidungsschlacht bei den Philippinen oder bei Formosa aussichtsreicher gewesen? Vielleicht, aber sehr wahrscheinlich ist es nicht. Die amerikanische Flotte wäre auf jeden Fall etwa um das Doppelte überlegen geblieben, und auch die landgestützte amerikanische Luftwaffe hätte eine ausreichende Überlegenheit erlangt. Denkbar ist freilich auch noch eine andere Möglichkeit. Nachdem der amerikanische Vormarsch um die Jahreswende 1943 I 44 erfreulich zügig verlaufen war, entschieden die Stabschefs der USA im März 1944, die nächsten Maßnahmen früher als bislang geplant durchzuführen. Die Marianen sollten im Juni besetzt wer18 Rauh, Zwetter Weltkneg 3 Tetl

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den, die Palau-Inseln im September, während Truk in den Karolinen nicht mehr eingenommen, sondern umgangen werden sollte. In der Tat konnte man auf Truk, früher Japans zentralen Stützpunkt, leicht verzichten; es war durch einen amerikanischen Trägervorstoß schon schwer getroffen worden und ließ sich in Zukunft aus der Luft niederhalten. Dagegen lagen die Marianen, auf die Admiral King bereits Anfang 1943 hingewiesen hatte, auf dem geraden Weg über den Pazifik; durch ihre Besetzung schob man sich am schnellsten und einfachsten an Japan heran. Die Einnahme der Palau-Inseln war zweckmäßig als Flankenschutz für Mac Arthurs Vormarsch Richtung Philippinen. Bereits Ende März wurden die Palau-Inseln in bewährter Weise durch einen amerikanischen Trägervorstoß heimgesucht. Auf japanischer Seite wurde Anfang Mai Admiral Toyoda Soemu zum Oberbefehlshaber der Vereinigten Flotte ernannt. Anscheinend hatte er jedoch nicht viel zu melden, sondern mußte sich nach den Anweisungen richten, die er von höherer Stelle erhielt, also vom Admiralstab bzw. vom Kaiserlichen Hauptquartier, in welchem jetzt Ministerpräsident und Generalstabschef Tojo den Ton angab. Soweit Toyoda die Flotte führte, tat er es von der Heimat aus; den Oberbefehl am Ort der Entscheidungsschlacht hatte Admiral Ozawa inne, der Führer der Trägerflotte. Der Plan für die Entscheidungsschlacht verdient nun besondere Aufmerksamkeit. Toyoda hat ihn offenbar nicht ausarbeiten lassen, denn nach einer Aufzeichnung von Admiral Ugaki, der früher Yamamotos Stabschef gewesen war und jetzt eine Schlachtschiffdivision kommandierte, beklagte sich Toyoda darüber, daß ihm und der Flotte der festgelegte Plan vorgegeben worden sei und daß sie ihn nur auszuführen hatten. Der Plan wurde, Ugakis Aufzeichnungen zufolge, nach dem amerikanischen Angriff auf die Palau-Inseln Ende März ausgearbeitet, also im April. Wer dabei federführend war, bleibt undeutlich, aber neben dem Admiralstab waren anscheinend auch Ozawa und sein Stab beteiligt. Der Grundgedanke bestand darin, die Entscheidungsschlacht etwa im Gebiet der Palau-Inseln zu suchen. Zu diesem Zweck wurden die verschiedenen Teile von Ozawas Trägerflotte, die teils aus Singapur, teils aus der Heimat kamen, im Mai in dem vorgeschobenen Stützpunkt Tawi-Tawi zwischen Borneo und den Philippinen versammelt. Die beengte Treibstofftage kann bei der Wahl von Tawi-Tawi keine entscheidende Rolle gespielt haben, denn in Japan war offenbar genug Treibstoff vorhanden, um den größten Teil von Ozawas Flotte aus der Heimat teils nach Singapur und teils nach Tawi-Tawi zu verlegen. Den Treibstoff für die Verlegungsmärsche hätte man einsparen können, und dann hätte der Treibstoff sicher ausgereicht, um die Flotte an einem anderen Ort zusammenzuziehen, wo sie einen günstigeren Ausgangspunkt fand für die Entscheidungsschlacht, die dann tatsächlich bei den Marianen stattfand. Was die vorhin erwähnte Denkmöglichkeit betrifft, so besteht sie darin, daß man die Trägerflotte im Norden versammelte und sie rechtzeitig nach den Marianen in Marsch setzte, damit sie die amerikanische Flotte, wenn sie dort eintraf, überraschend von Norden in der Flanke angriff - ähnlich wie die Amerikaner bei Midway Nagumos Trägergruppe überraschend in der Flanke angegriffen hatten. Ugaki kam in seinen nachträglichen Betrachtungen über die Marianen-Schlacht zu dem

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Ergebnis, man hätte besser den Gegner von Norden in der Flanke angepackt. Von seiten der Aufklärung war ein solches Verfahren nicht ausgeschlossen, denn die japanische Luftaufklärung über den Marshall-Inseln stellte Anfang Juni fest, daß die amerikanische Flotte im Begriff war, ihren Liegeplatz zu verlassen (nämlich für den Angriff auf die Marianen). Durch stabsmäßige Berechnung konnte dann ermittelt werden, wann die amerikanische Flotte bei den Marianen ankommen und wo die japanische Flotte ihr auflauem würde. Dies setzte natürlich voraus, daß man auf japanischer Seite das Verhalten des Gegners richtig beurteilte und die Kühnheit aufbrachte, selbst etwas Unerwartetes zu tun. Daran mangelte es. Ähnlich wie Toyoda hielt Admiral Ugaki den japanischen Plan (Entscheidungsschlacht bei den Palau-Inseln) für zu optimistisch, für selbstbezogen und unbeweglich. Freilich lag dies weniger an einer Fehleinschätzung der Lage als vielmehr daran, daß die japanischen Planer die Lage recht gut zu beurteilen wußten. Die japanischen Planer erkannten richtig, daß der alliierte Vormarsch im Pazifik die Richtung auf die Philippinen nahm, und sie erwarteten den Angriff auf die Hauptverteidigungslinie etwa für Mitte des Jahres. Ob die Amerikaner zuerst auf den Palau-Inseln und danach auf den Marianen landen würden oder umgekehrt, ließ sich schwer ausmachen; tatsächlich war es umgekehrt. Manche japanischen Offiziere, so Ugaki und der neuemannte Marinebefehlshaber auf den Marianen, der von früher bekannte Admiral Nagumo, rechneten allerdings mit einer Invasion auf den Marianen Mitte des Jahres, also entweder vor den Palau-Inseln oder gleichzeitig. Die japanischen Planer folgten dem jedoch nicht, sondern bauten ihren Plan für die Entscheidungsschlacht auf der Annahme auf, die Amerikaner würden auf Palau landen. Wie sich später herausstellte, war das falsch, aber es war nicht unverständlich. Die Japaner wußten, daß ihre Flottenstärke nur etwa 40% der amerikanischen betrug. Bei einer solchen Unterlegenheit durfte man eigentlich überhaupt keine Entscheidungsschlacht wagen. Die Unterlegenheit ließ sich freilich bis zu einem gewissen Grad ausgleichen, wenn die Schlacht im Wirkungsbereich der eigenen landgestützten Luftwaffe stattfand. Das war eben das Gebiet um Palau. Die Japaner stellten für die Schlacht rund 1000 landgestützte Flugzeuge bereit, davon etwa die Hälfte auf den Marianen, der Rest im Bogen verteilt von den südlichen Philippinen über das westliche Neuguinea bis zu den westlichen Karolinen. Wenn die Amerikaner nach Palau kamen, würden sie gewissermaßen in einen Kessel hineinstoßen. Die japanische Trägerflotte wiederum sollte sich den Vorteil zunutze machen, daß ihre Flugzeuge eine größere Reichweite als die amerikanischen besaßen. Die japanischen Träger sollten sich in sicherer Entfernung von den amerikanischen halten, während die japanischen Trägerflugzeuge die amerikanischen Träger angriffen und anschließend zu den nächstgelegenen Landflugplätzen flogen. Dort waren sie wieder auszurüsten und konnten den Angriff in umgekehrter Richtung wiederholen. All dies ließ sich nur in dem Kessel um Palau vollständig durchführen. Die Japaner spekulierten deshalb darauf, daß die Amerikaner nach Palau kommen würden, und ließen andere Möglichkeiten außer acht. 18*

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Auf eine amerikanische Landung in den Marianen stellten die japanischen Planer sich nicht ein. Der taktische Kniff für die gewünschte Palau-Schlacht lag darin, die amerikanischen Träger zwischen die japanischen Träger und die Landflugplätze zu bringen. Geht man von der vorhin erwähnten Denkmöglichkeit aus, daß die japanische Flotte der amerikanischen bei den Marianen auflauerte, so ist es zumindest fraglich, ob sich derselbe taktische Kniff auch bei den Marianen anwenden ließ. Ohne den taktischen Kniff war aber die japanische Flotte der amerikanischen heillos unterlegen. Die Japaner konnten dann nur noch auf die Überraschung bauen. Mißlang diese, so ging ihre Flotte der sicheren Niederlage entgegen. Außerdem hätte es ja sein können, daß die Japaner ihre Flotte im Norden versammelten, die Amerikaner aber in aller Seelenruhe die Palau-Inseln besetzten und demnächst in den Philippinen standen. So blieben die japanischen Planer bei ihrem Palau-Plan, weil er die letzte einigermaßen kalkulierbare Chance bot, der amerikanischen Flotte Herr zu werden. Als Mac Arthur Ende Mai 1944 auf Biak landete, suchten die Japaner die Insel unter allen Umständen zu halten und zu verstärken, weil Biak mit seinen Flugplätzen für den Palau-Plan wichtig war. Unter anderem wurden Teile der Luftwaffe auf den Marianen in das Gebiet von Biak abgezogen. Am 11. Juni begannen Luftangriffe der heranmarschierenden amerikanischen Trägerflotte auf die Marianen. Die japanische Führung ließ sich zunächst von ihrem Palau-Plan nicht abbringen, denn bei den Luftangriffen mochte es sich um Maßnahmen zum Zweck der Abschirmung einer Landungsoperation an anderer Stelle handeln, wie es bislang schon häufig vorgekommen war. Erst wenn eine amerikanische Landungsflotte herankam oder die amerikanische Trägerflotte im Westen der Marianen Aufstellung nahm, um eine Landung zu decken, sollte die japanische Trägerflotte zur Entscheidungsschlacht nach den Marianen laufen - also an einen Ort, der für die Entscheidungsschlacht eigentlich gar nicht vorgesehen war. Da die japanische Führung in der Heimat mit dem Marschbefehl für Ozawas Trägerflotte ein paar Tage zögerte, überdies Ozawa den Weg aus dem Raum der Philippinen zu den Marianen zurücklegen mußte, konnte die japanische Flotte erst um den 19. Juni am Ort des Geschehens eintreffen. Bis dahin würde wahrscheinlich die ohnedies geschwächte japanische Luftwaffe auf den Marianen bereits weitgehend aufgerieben sein. Ozawas Flotte blieb dann auf sich allein gestellt. Unter diesen Umständen hatte die Entscheidungsschlacht kaum ernsthafte Erfolgsaussichten, zumal auch eine Überraschung schwer möglich war, weil die amerikanische Seite sich auf das Herankommen der Japaner einzurichten vermochte. Die japanische Führung in der Heimat hielt trotzdem an der Entscheidungsschlacht fest, denn der Kriegsplan sah sie vor, und wenn die Amerikaner bei den Marianen nicht aufgehalten wurden, dann waren sie voraussichtlich woanders auch nicht mehr aufzuhalten. Die Entscheidungsschlacht wurde so mehr oder weniger zum Glücksspiel, bei dem Ozawa nur noch versuchen konnte, sich mit Anstand aus der Affäre zu ziehen. Dies tat er, indem er so manövrierte, daß er die amerikanische Trägerflotte westlich der Marianen zwischen den japanischen Verband und die Inseln brachte. Dabei

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hielt er sich außerhalb der Reichweite der amerikanischen Flugzeuge, konnte aber seine eigenen Maschinen zum Angriff auf die amerikanischen Träger entsenden mit der Absicht, sie anschließend auf die Marianen weiterfliegen zu lassen. Eine Umgehung des Gegners oder einen Flankenangriff versuchte Ozawa nicht, vermutlich weil er dann den Vorteil des Pendelverkehrs zwischen seinen Trägem und den Landflugplätzen verloren hätte; außerdem war sein Verband dem Gegner an Geschwindigkeit unterlegen, so daß er sich auf komplizierte Manöver nicht einlassen durfte, um nicht selbst in die Falle zu tappen. So entstand am 19. Juni eine simple Frontalschlacht, bei welcher die amerikanische Überlegenheit an Zahl, Ausbildung und Technik den Ausschlag gab. An diesem Tag wurden rund 400 japanische Flugzeuge abgeschossen, was die Amerikaner veranlaßte, vom Truthahnschießen bei den Marianen zu sprechen. Auf Grund unglücklicher Umstände verlor Ozawa zudem zwei große Träger, Taiho und Shokaku, durch V-Boot-Angriffe. Ozawa leitete den Rückzug ein, doch versenkten die amerikanischen Träger bei der anschließenden Verfolgung am 20. Juni noch einen leichten japanischen Träger. Die amerikanische Flotte erlitt keine größeren Verluste. Die Marianen wurden in den folgenden Wochen besetzt und zu großen Stützpunkten ausgebaut, nicht zuletzt für schwere Fembomber, die von hier aus Japan angriffen und schließlich Atombomben warfen?9 Die Niederlage in der Entscheidungsschlacht und der Verlust der Marianen zogen im Juli 1944 den Rücktritt des japanischen Ministerpräsidenten Tojo nach sich. Die neue Regierung unter General Koiso begann nach einem Ausweg aus dem offenkundig verlorenen Krieg zu suchen, was fruchtlos blieb, da es nur den Ausweg der bedingungslosen Kapitulation gab - dazu war man in Japan noch nicht bereit. Die Hauptverteidigungslinie wurde im Juli 1944 auf das Gebiet vom japanischen Mutterland über Formosa bis zu den Philippinen zurückverlegt; einen Angriff gegen die Philippinen erwartete man etwa für Oktober. In der Tat beschlossen die amerikanischen Stabschefs im September, schon im nächsten Monat, also im Oktober, auf der Insel Leyte in den mittleren Philippinen zu landen. Ursprünglich war auf amerikanischer Seite geplant worden, im September die Palau-Inseln sowie die Insel Morotai nahe Halmahera zu besetzen, um die Zwischenstationen zu gewinnen für die Landungen auf der südlichen Philippinen-Insel Mindanao im November sowie auf Leyte im Dezember. Palau und Morotai wurden im September eingenommen; als jedoch die amerikanische Trägerflotte, nunmehr unter Admiral Halsey, in bewährter Weise ihre weiten Vorstöße zur Abschirmung der Landungen unternahm, stellte sich heraus, daß die japanische Luftwaffe auf den Philippinen 29 Der japanische Kriegsplan vom 30. 9. 1943 (Richtlinien für die Kriegführung) in Jacobsen, Weg, 389. Dazu Morton, Strategy, 543 ff. Zum Verhältnis zwischen Japan und der Sowjetunion Lensen, Neutrality, passim. Butow, Surrender, 89 f. Martin, Deutschland und Japan, passim. Zum japanischen Plan der Entscheidungsschlacht und zum Ablauf der Ereignisse Ugaki, 332 ff., 417 ff., 424 f. Forstmeier, Saipan. Ohmae, Konzeptionen, 198 ff. Crowl, Marianas, 69 f. und passim. Dull, Navy, 303 ff. Ferner die allgemeinen Werke wie in der vorigen Anmerkung.

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bemerkenswert schwach war und durch die amerikanischen Trägerangriffe weitgehend zerschlagen wurde. Auf Vorschlag Halseys einigte man sich, Mindanao auszulassen und statt dessen gleich auf Leyte zu landen. Die Operation war von den südwestpazifischen Streitkräften Mac Arthurs und den zentralpazifischen von Nirnitz gemeinsam durchzuführen, doch wurde kein gemeinsamer Oberbefehlshaber eingesetzt. Die amphibischen Kräfte der zentralpazifischen Flotte traten unter die 7. Flotte von Mac Arthur, der die Landung durchzuführen hatte, während Halsey mit der Trägerflotte die Landung decken sollte. Nachdem die Japaner soeben eine Entscheidungsschlacht verloren und einen Großteil ihrer Flottenstärke eingebüßt hatten, waren sie zu einer weiteren Entscheidungsschlacht im regulären Sinne nicht mehr imstande. In dieser verzweifelten Lage verfielen die Japaner auf einen verzweifelten Plan. Beim Kampf um die Philippinen die Flotte zu schonen, hatte keinen Sinn, denn wenn die Philippinen fielen, wurden die Verbindungslinien zwischen dem Mutterland und den südostasiatischen Ölgebieten durchtrennt, so daß die Flotte nicht mehr im kriegsfähigen Zustand erhalten werden konnte. Bis zur Landung auf Leyte wurde die japanische Flotte geteilt; die Flugzeugträger lagen in der Heimat, um neue Piloten auszubilden, die Schlachtschiffe dagegen und die meisten Kreuzer bei Singapur, wahrscheinlich weil sie dort am leichtesten Treibstoff erhalten konnten. Bei einer amerikanischen Landung sollten die Träger, soweit sie einsatzfähig waren, der amerikanischen Trägerflotte entgegenlaufen mit dem Ziel, als Köder zu wirken und die feindlichen Träger vom Ort der Landung wegzulocken. Unterdessen sollte die Schlachtflotte zum Ort der Landung durchbrechen und die Landungsflotte angreifen, was im Erfolgsfall wenigstens die Festsetzung des Gegners an Land verhindert und dem Kaiserreich eine Atempause verschafft hätte. Eine regelrechte Entscheidungsschlacht konnte daraus nicht hervorgehen, weil die Japaner selbst im Erfolgsfall die Seeherrschaft nicht gewannen, sondern lediglich für den Augenblick eine Landung zurückschlugen. Umgekehrt mochte sich allerdings insofern eine Entscheidung ergeben, als die Japaner den Rest ihrer Flotte auch noch verloren und damit zur See praktisch wehrlos wurden. Das letztere trat zwar nicht vollständig, aber doch weitgehend ein, obwohl es kurzzeitig so schien, als ob der japanische Plan glücken könnte. Nachdem die amerikanische Landungsflotte Mitte Oktober 1944 vor Leyte eingetroffen war - die Bodentruppen faßten am 20. Oktober dort Fuß -, ließ der japanische Flottenchef Toyoda seine Verbände auslaufen. Die Trägergruppe aus der Heimat unter Admiral Ozawa umfaßte nur vier Träger, nämlich den Veteranen Zuikaku und drei leichte, dazu einige Kreuzer und Zerstörer sowie zwei alte Schlachtschiffe, die zu merkwürdigen Zwitterwesen umgebaut worden waren, indem sie achtern eine Anlage zum Starten von Flugzeugen erhielten. Der ganze Verband besaß lediglich rund 100 Flugzeuge und konnte nichts anderes tun, als den Lockvogel abzugeben, bis hin zur eigenen Vernichtung. Die Schlachtflotte wurde geteilt: eine nördliche Angriffsgruppe unter Admiral Kurita, der an den meisten Schlachten der Vergangenheit teilgenommen hatte, bestand aus den beiden überschweren Schlachtschiffen

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Yamato und Musashi, drei älteren Schlachtschiffen, 12 Kreuzern und einer Anzahl von Zerstörern. Dieser Verband sollte von Westen her die mittleren Philippinen durchqueren und von Norden um die Insel Samar herum gegen die Landungsstelle auf Leyte vorstoßen. Die südliche Angriffsgruppe unter Admiral Nishimura bestand aus zwei alten Schlachtschiffen, einem Kreuzer und wenigen Zerstörern; sie sollte von Süden durch die Surigao-Straße an die Landungsstelle herangehen. Ein kleiner Kreuzerverband, der aus dem Gebiet des Mutterlandes kam, sollte sich Nishimura anschließen. Außerdem war vorgesehen, im Schutz der Schlacht die Bodentruppen auf Leyte zu verstärken. Der Angriff der beiden Schlachtschiffgruppen sollte unterstützt werden durch die landgestützte Luftwaffe auf den Philippinen. Noch vor der Landung wurden indes bei Luftangriffen der amerikanischen Trägerflotte über tausend japanische Flugzeuge zerstört. Die Japaner schoben zwar Flugzeuge nach, konnten aber nie mehr als einige hundert einsetzen. Demgegenüber verfügten die Amerikaner allein auf ihren 17 Flottenträgem über rund 1200 Flugzeuge, dazu weitere 500 auf 18 Geleitträgem. Unter diesen Umständen konnten den Japanern nur glückliche Zufälle helfen. Der nördliche Schlachtschiffverband von Admiral Kurita verlor bereits beim Anmarsch am 23. Oktober durch U-Boot-Angriffe drei schwere Kreuzer, darunter sein Flaggschiff; Kurita stieg auf die Yamato über. Am 24. Oktober geriet Kurita auf dem Weg durch die mittleren Philippinen in heftige Luftangriffe. Dabei wurden etliche schwere Schiffe beschädigt sowie das große Schlachtschiff Musashi durch 20 Torpedo- und 17 Bombentreffer versenkt. Ausreichenden Jagdschutz erhielt Kurita nicht, weil fast alle verfügbaren japanischen Flugzeuge in den Kampf gegen die feindlichen Träger geworfen wurden. Am Nachmittag machte Kurita kehrt, teils um den Luftangriffen zu entgehen, teils wohl auch, um den Gegner zu täuschen. Am Abend drehte Kurita wieder um, damit er am nächsten Tag, etwas verspätet, um Samar herum nach Leyte gelangen konnte. Unterdessen hatte Ozawas Lockvogelverband danach getrachtet, die Amerikaner auf sich aufmerksam zu machen, während Nishimuras südlicher Schlachtschiffverband, nur wenig angegriffen, sich der Surigao-Straße näherte. Auf der amerikanischen Seite gewann der Trägeradmiral Halsey den Eindruck, das lohnendste Ziel sei jetzt der japanische Trägerverband, zumal über dessen Schwäche und wirkliche Rolle keine Klarheit bestand. Kuritas Verband war anscheinend auf dem Rückzug und jedenfalls schwer angeschlagen; Nishimuras Verband konnte man getrost den Deckungsstreitkräften der Landungsflotte, darunter sechs ältere Schlachtschiffe, überlassen. Sollte Kuritas Verband überraschend doch wieder auftauchen, so besaß die Landungsflotte nach Halseys Ansicht genügend Kräfte, namentlich Schlachtschiffe und Geleitträger, um auch mit ihm fertig zu werden. Halsey befahl daher am Abend des 24. Oktober seiner 3. Flotte mit ihren Trägem und Schlachtschiffen, vom Ort der Landung weg nach Norden zu laufen, zum Angriff auf die japanischen Träger. Dadurch konnte Kurita am Morgen des 25. Oktober ungehindert in das Seegebiet östlich Samar, nahe bei Leyte, eindringen. Dort traf er, für beide Seiten überraschend, auf eine Gruppe amerikanischer Geleitträger mit ihren Sicherungszerstörem, doch ver-

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mochte der Verband Kuritas in einem mehrstündigen Gefecht lediglich einen Geleitträger und drei Zerstörer zu versenken, während er selbst vier schwere Kreuzer verlor. Kurita brach daraufhin das Gefecht ab und machte sich, nach einigem Zögern, auf den Rückweg. Sowohl Halsey als auch Kurita zogen von manchen Seiten Kritik auf sich: Halsey, weil er sich durch den Lockvogel von Leyte hatte abziehen lassen und nicht mit seinen Trägern und Schlachtschiffen Kurita abgefangen hatte; Kurita, weil er zu unentschlossen geführt hatte und nicht nach Leyte durchgebrochen war. Das kann man so sehen; trotzdem ist das Verhalten beider Admirale durchaus verständlich. Was Halsey betrifft, so durfte er mit Recht davon ausgehen, daß Mac Arthurs 7. Flotte, also die Landungsflotte, eigene Deckungsstreitkräfte besaß und daß sie mit ihren sechs Schlachtschiffen und 18 Geleitträgern den verbliebenen sechs japanischen Schlachtschiffen (vier bei Kurita, zwei bei Nishimura) eigentlich gewachsen sein mußte. Außerdem lief Halsey nur mit drei seiner vier Trägergruppen nach Norden, während er die vierte, die er ursprünglich zur Versorgung nach einem Stützpunkt geschickt hatte, wieder nach Leyte zurückholte, wo sie am 25. Oktober im Laufe des Tages eintreffen konnte. Den Lockvogelverband Ozawas erreichte Halsey am Vormittag des 25. und versenkte alle vier japanischen Flugzeugträger. Die vollständige Vernichtung des Verbandes gelang allerdings nicht, da mittlerweile Nimitz sich eingeschaltet hatte, der wegen des Vorrückens von Kurita besorgt war, so daß Halsey gegen Mittag des 25. mit seinen Schlachtschiffen und einer Trägergruppe wieder nach Leyte umkehrte, wo er freilich Kurita nicht mehr antraf. Wie sich herausstellte, waren die Sorgen von Nimitz unbegründet, denn zwar trat der ungewöhnliche und unorthodoxe Fall ein, daß Kurita mit seinen schweren und schnellen Schiffen auf langsame Geleitträger traf, die für einen Artilleriekampf denkbar ungeeignet sind. Die Geleitträger - außer der Gruppe, die Kurita zunächst antraf, befanden sich noch zwei weitere solche Gruppen in dem Seegebiet - wußten sich jedoch ihrer Haut zu wehren. Mit ihren Flugzeugen und Begleitzerstörern verzögerten sie das Herankommen des Gegners und setzten mehrere Kreuzer außer Gefecht, wovon drei sanken. Außerdem griff um die Mittagszeit jene vierte Gruppe von Flottenträgern ein, die Halsey am Vortag nach Leyte beordert hatte; und die übrigen Deckungsstreitkräfte der Landungsflotte waren auch noch unterwegs. Was Kurita betrifft, so werden einige weitergehende Überlegungen am Platze sein. Der Beruf des Soldaten ist nicht ein Beruf wie andere Berufe auch, sondern es gehört zu den Pflichten des Soldaten, zum Sterben bereit zu sein. Kurita wußte da~, und ebenso wie die anderen japanischen Offiziere war er dazu bereit. Aber Kurita bezog offenbar den Standpunkt, seine Schiffe und Männer nicht nutzlos zu opfern, ohne irgendein taktisches oder operatives Ziel zu erreichen. Auf dem Weg durch die mittleren Philippinen am 24. Oktober kehrte er zeitweise um, denn wenn sein Verband schon auf dem Anmarsch aufgerieben wurde, dann hätte er auch im Hafen bleiben können. Admiral Ugaki, der unter Kurita die großen Schlachtschiffe Yamato und Musashi kommandierte, hielt dazu in seinen Aufzeichnungen fest,

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nach seiner Auffassung habe Kuritas Kampfgruppe keine andere Wahl gehabt als weiter vorwärts zu marschieren, mit dem sicheren Tod vor Augen. Er, Ugaki, habe jedoch eingesehen, daß die Tauschung des Gegners durch ein zeitweiliges Umkehren zweckmäßig sei. Am nächsten Vormittag, also am 25., als Kurita auf die amerikanischen Geleitträger stieß, konnte zwar der japanische Admiral kein klares Lagebild gewinnen er wußte nicht einmal, daß Halsey nicht mehr bei Leyte stand -, aber er war gewillt, seine Schiffe schonungslos einzusetzen, solange sie noch etwas Zählbares erreichen konnten. Nach dem ursprünglichen Operationsplan hätten sowohl Kuritas nördliche Schlachtschiffgruppe als auch Nishimuras südliche bei Tagesanbruch des 25. vor der Landungsstelle auf Leyte eintreffen sollen; überdies war vorgesehen, daß Nishimuras Gruppe sich mit dem von Japan kommenden Kreuzerverband vereinigte, dessen Befehlshaber dann aus Dienstaltersgründen das Kommando übernommen hätte. Da Kurita durch sein zeitweiliges Umkehren aufgehalten wurde, teilte er Nishimura mit, er werde sich verspäten. Nishimura wiederum erhielt am 24. eine Aufklärungsmeldung, die amerikanischen Schlachtschiffe hätten sich von der Landungsstelle auf Leyte zurückgezogen, was insofern zutraf, als die älteren amerikanischen Schlachtschiffe ihre Beschießungspositionen bei Leyte verlassen hatten, um Nishimuras Verband in der Surigao-Straße abzufangen. Nishimura jedoch spekulierte darauf, die Schlachtschiffe seien in anderer Richtung abgelaufen, so daß er nun leichter zu der Landungsstelle durchbrechen könne. Deshalb wartete Nishimura nicht auf den nachfolgenden Kreuzerverband, sondern stieß in der Nacht vorzeitig in die Surigao-Straße hinein. Dort lauerte ihm jedoch ein weit überlegener Feind auf, der seinen Verband fast vollständig vernichtete. Da Kurita das Schicksal Nishimuras bekannt war, wußte er am 25. auch, daß er nunmehr allein der feindlichen Übermacht entgegentreten mußte. Ob Kurita beim Kampf gegen die amerikanischen Geleitträger wirklich so ungeschickt manövrierte, wie meistens angenommen wird, ist fraglich. In einer solchen Lage halfen ihm keine schulmäßigen Manöver, sondern er mußte versuchen, möglichst schnell an die Träger heranzukommen, um sie zu versenken, bevor ihre Flugzeuge die eigenen Schiffe kampfunfähig machten. Da seine Kreuzer etwa dieselbe Geschwindigkeit erreichten wie seine Zerstörer, und seine beiden schnellen Schlachtschiffe nicht viel langsamer waren, ließ er am besten alle Schiffe gleichzeitig in der Art eines Melee den Gegner bekämpfen. Eben dies tat Kurita, wobei seine einzelnen Geschwader und Divisionen immerhin so geschickt manövrierten, daß sie nach einiger Zeit die zuerst angetroffene Gruppe von Geleitträgem fast eingekreist hatten. Mittlerweile war aber eine zweite Gruppe von Geleitträgem in Sicht gekommen, während Kurita beim Kampf gegen die erste bereits mehrere Kreuzer eingebüßt hatte. Welche sollte er nun angreifen? Überdies hielt ihn die Auseinandersetzung mit den Trägem nur von seinem eigentlichen Ziel ab, nämlich dem Durchbruch nach Leyte. So gab Kurita den Kampf gegen die Geleitträger auf und sammelte erst einmal seine weit zerstreuten Schiffe. Danach wollte er nach Leyte vorstoßen, ließ

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jedoch die Absicht wieder fallen, als deutlich wurde, daß er praktisch umzingelt war. Vor Leyte tauchten die amerikanischen Schlachtschiffe wieder auf, die vorher Nishimuras Verband zerschlagen hatten, und im Rücken Kuritas standen mehrere feindliche Trägergruppen, die sich daran beteiligen würden, den Durchbruch nach Leyte zu verhindern. Was Kurita nicht wußte, war der Umstand, daß die amerikanischen Schlachtschiffe nur noch wenig geeignete Munition (Panzersprenggranaten) für ein Seegefecht besaßen. Andererseits konnte Kuritas zusammengeschmolzene Streitmacht in den engen Gewässern bei Leyte auch von den zahlreichen amerikanischen Zerstörern zumindest aufgehalten werden, und in der Zwischenzeit würden die amerikanischen Augzeuge nicht untätig bleiben. Kurita glaubte deshalb, seine Schiffe würden eine leichte Beute für den Gegner werden, noch bevor sie Leyte erreichten. Auf ein derart sinnloses Unternehmen wollte er sich nicht einlassen. Statt dessen lief er nach Norden ab, wobei es zunächst noch hieß, man wolle überraschend eine dort vermutete feindliche Trägergruppe angreifen. Als diese sich nicht finden ließ, trat Kurita den Rückweg an. In der Seeschlacht von Leyte verloren die Japaner drei Schlachtschiffe, vier Träger und 10 Kreuzer, dazu Zerstörer, die Amerikaner nur einen leichten Flottenträger, zwei Geleitträger und wenige Zerstörer. Nach diesem Sieg waren die Alliierten an der Eroberung der Philippinen nicht mehr zu hindern. Diese war mühsam, verlustreich und zog sich lange hin, doch wurde, nachdem Anfang 1945 die Amerikaner auch auf Luzon gelandet waren, das japanische Seereich in zwei nicht lebensfähige Hälften zerrissen. Die japanische Flotte, deren Reste sich großenteils in die Heimat zurückzogen, spielte schon aus Treibstoffmangel keine nennenswerte Rolle mehr. Der Endkampf um Japan begann. 30

4. Der Angriff der Westmächte auf die Festung Europa

Bei den Auseinandersetzungen zwischen Amerikanern und Briten um die gemeinsame Strategie setzte sich Churchill mit seiner Mittelmeerstrategie durch. Demzufolge konnte die entscheidungssuchende Offensive gegen Deutschland nicht vor 1944 stattfinden. Diese Offensive mußte von einer Landung in Frankreich ihren Ausgang nehmen, da es weder militärisch noch politisch zweckmäßig war, Europa vom Mittelmeerraum her aufzurollen. Ein Vordringen der Westmächte in Italien würde allenfalls bis zu dem gewaltigen Naturhindernis der Alpen führen, wo es auf unabsehbare Zeit aufgehalten werden konnte; und ein Vordringen auf dem Balkan empfahl sich wegen der schwierigen Geländeverhältnisse, wegen der großen Entfernungen und wegen der Dehnung der Nachschublinien ebenfalls nicht. Die Grundlage des gesamten strategischen Verhaltens der Westmächte bildete die Sicherung der Seeverbindungen über den Atlantik. Waren die Seeverbindungen 30 Ugaki, 487 ff. Anderson, Leyte. Dull, Navy, 313 ff. Ohmae, Konzeptionen, 201 f. Ferner die allgemeinen Werke.

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durchtrennt worden, so wäre Britannien nicht mehr kriegsfähig gewesen; zudem hätte eine Invasion in Europa dann nicht mehr stattfinden können. In Ermangelung einer starken Überwasserflotte mußten sich die Achsenmächte im Atlantik auf den Handelskrieg mit U-Booten beschränken. Nach dem Kriegseintritt der USA erzielten die U-Boote an der amerikanischen Ostküste einige Erfolge, solange dort das Geleitzugwesen noch nicht eingeführt war. Seinen Höhepunkt erreichte der UBoot-Krieg danach bei der Bekämpfung der Geleitzüge im Atlantik bis zum Frühjahr 1943. Von da an war die Sicherung der Geleitzüge so stark, daß der V-BootKrieg zusammenbrach. Eine ernsthafte Gefährdung Britanniens hatte allerdings auch vorher nicht bestanden. Die deutsche Seekriegsleitung stellte bereits in einer Denkschrift vom Juli 1941 fest, der derzeitige Stand des U-Boot-Kriegs sei unbefriedigend. Die Aussichten des Gegners für die Schlacht im Atlantik müßten für das Jahr 1942 als günstig angesehen werden. Im September 1942 kam ein Entwurf der Seekriegsleitung dann zu dem Ergebnis, der U-Boot-Krieg allein und in seinem bisherigen Ausmaß könne, zumal im Hinblick auf das feindliche Schiffbauprogramm, eine kriegsentscheidende Auswirkung im Sinne der totalen Niederringung der Gegnermächte nicht erzielen. In eine offizielle Denkschrift der Seekriegsleitung aus dieser Zeit wurde der Satz freilich nicht übernommen, vielleicht um Hitler nicht zu reizen, der auf dem Standpunkt beharrte, die U-Boote müßten den Krieg entscheiden. Im übrigen zeigte sich die nahezu unangefochtene Seeherrschaft der Westmächte im Atlantik bereits daran, daß Amerikaner und Briten im Herbst 1942 große Landungen in Nordwestafrika unternahmen, ohne auf See nennenswerte Verluste zu erleiden. Wären die Seestreitkräfte, die für die Landungen benötigt wurden, bei der Sicherung der Geleitzüge nach England eingesetzt worden, so wäre der U-Boot-Krieg vermutlich schon früher zusammengebrochen. 31 Was die Luftstreitkräfte betrifft, so waren zunächst das Kriegsbild und die rechtlichen Grundlagen des Luftkriegs noch nicht abschließend geklärt. Man kann zwei Arten des Luftkriegs unterscheiden: einerseits den operativen, dessen Hauptaufgaben in der Bekämpfung gegnerischer Luftstreitkräfte sowie in der Unterstützung von Boden- oder Seeoperationen bestehen, und andererseits den strategischen, der sich unmittelbar gegen die Kriegsfähigkeit eines Gegners richtet, indem er dessen Wirtschaft und Rüstung zerschlägt oder indem er durch Terrorangriffe auf die gegnerische Zivilbevölkerung deren Widerstandswillen lähmt. Nach verbreitetem Empfinden sind Terrorangriffe auf die Zivilbevölkerung schlicht rechtswidrig oder zumindest unmenschlich. In den 1920er Jahren gab es Bestrebungen, den Terrorkrieg aus der Luft durch internationale Übereinkunft zu verbieten. Dies scheiterte jedoch, nicht zuletzt am Widerstand Britanniens. Dennoch ging man bis zum Krieg im allgemeinen davon aus, es bestehe zwar kein positives Recht, das den Terrorkrieg untersage, aber immerhin ein Gewohnheitsrecht. Präsident Roosevelt rief bei Kriegsbeginn am 1. September 1939 die europäischen Kriegsparteien dazu auf, 31 Die Denkschrift der Seekriegsleitung vom Juli 1941 in Salewski, Seekriegsleitung III, 189 ff. Der Entwurf der Seekriegsleitung vom September 1942 nach MOFA, Weltkrieg VI, 304 ff. (Beitrag Rahn). Vgl. G. Wagner, Lagevorträge, 420 ff., 424 (28. 9. 1942).

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Terrorangriffe auf die Zivilbevölkerung zu unterlassen. Ein Gewohnheitsrecht setzt freilich voraus, daß mindestens die Mehrheit der Beteiligten sich daran hält. Tut die Mehrheit etwas anderes, so entsteht ein anderes Gewohnheitsrecht. Zudem war die Rechtslage aus technischen und anderen Gründen überaus verwickelt. Die Propaganda während des Krieges und danach hat behauptet, die deutsche Luftwaffe habe den Terrorkrieg begonnen und dies habe den Bombenterror der Westmächte als Repressalie gerechtfertigt. Das trifft indes nicht zu. In Wahrheit hat Britannien den reinen Terrorkrieg gegen die Zivilbevölkerung entfesselt. Die deutsche Luftwaffe war schon nach ihrem Aufbau hauptsächlich eine operative Luftstreitmacht, und tatsächlich wurde sie während des Krieges meistens für diese Aufgaben eingesetzt, d. h. zur Bekämpfung gegnerischer Luftwaffen und zur Unterstützung des Heeres. Fallweise flog die deutsche Luftwaffe auch Angriffe gegen Städte, so etwa gegen Warschau, Rotterdam oder Belgrad, und bei der Luftschlacht um England gegen britische Industriestädte. Alle diese Angriffe waren rechtlich vertretbar. Eine Stadt, die im Kampfgebiet des Heeres liegt und verteidigt wird, darf beschossen werden, also darf sie auch aus der Luft angegriffen bzw. bombardiert werden. Das war der Fall bei Warschau und Rotterdam; in Belgrad wurden, auf Anordnung des Oberbefehlshabers der betreffenden deutschen Luftflotte, nur militärisch bedeutsame Ziele angegriffen. Für die Bombardierung englischer Industriestädte galt etwas, das für alle Luftwaffen der Zeit zutraf: Der Bombenwurf aus größerer Höhe war nicht so genau, daß ausschließlich zulässige Ziele getroffen wurden, z. B. Industrieanlagen; vielmehr konnten auch nahegelegene Wohngebiete in Mitleidenschaft gezogen werden. Für die Betroffenen blieb aber erkennbar - und wurde außerhalb der Propaganda auch zugegeben -, daß eine Absicht zum Terrorbombardement nicht vorlag, daß also das Ziel der Luftangriffe nicht die Zivilbevölkerung war, sondern die Industrie und andere kriegswichtige Einrichtungen. Auf dieser Ebene spielte sich der Luftkrieg zwischen Deutschland und Britannien bis Ende 1941 ab. Im Frühjahr 1942 ging die britische Luftwaffe zu einem neuen Verfahren über, das von der Regierung, namentlich Churchill, gebilligt und gefördert wurde. Nunmehr begann der unterschiedslose Bombenkrieg, d. h. es wurden vorsätzlich und mit Absicht Terrorangriffe gegen die Zivilbevölkerung geflogen. Die Genauigkeit des Bombenwurfs auf scharf umrissene Ziele, z. B. Industrieanlagen, trat in den Hintergrund oder wurde gar nicht mehr angestrebt, sondern man suchte große Flächen zu zerstören, ganze Städte samt allem, was sich darin befand, Menschen, Fabriken und sonstiges. Der Angriff auf die Zivilbevölkerung stand gleichberechtigt neben demjenigen auf die Industrie oder war sogar übergeordnet; die Wirkung der Angriffe auf die Zivilbevölkerung suchte man zu steigern durch reichliche Verwendung von Brandbomben. Befehlshaber des britischen Bomberkommandos war seit Februar 1942 Luftmarschall Harris, der sich und anderen einzureden versuchte, diese Art des Luftkriegs werde den ganzen Krieg entscheiden. Andere glaubten das nicht, insbesondere nicht die Amerikaner. Seit Anfang 1943 einigten sich Briten und Amerikaner auf eine Arbeitsteilung. Auf der Konfe-

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renz von Casablanca im Januar 1943 wurde beschlossen, zur Vorbereitung der späteren Invasion in Frankreich eine gemeinsame (kombinierte) Bomberoffensive gegen Deutschland zu eröffnen. Sie sollte von den in Britannien befindlichen Luftstreitkräften durchgeführt werden, d. h. dem britischen Bomberkommando und einer amerikanischen Luftflotte. Später, nach der Besetzung von Teilen Italiens, griffen auch Luftstreitkräfte aus Italien in die Offensive ein. Durch die Offensive sollte die deutsche Widerstandskraft so weit geschwächt werden, daß der entscheidungssuchende Angriff der Bodentruppen, also die Invasion, begonnen werden konnte. Zu diesem Zweck hatten die Briten den Luftkrieg nach ihrer Methode fortzuführen, d. h. sie sollten weiterhin nächtliche Flächenangriffe auf deutsche Städte fliegen. Dagegen oblag es der amerikanischen Luftflotte, Präzisionsangriffe gegen bestimmte, genau umrissene Ziele kriegswirtschaftlicher oder militärischer Natur vorzunehmen, und zwar bei Tage, wo der Bombenwurf treffsicherer war. Beide Angriffsverfahren ergänzten sich insoweit, als die von den Amerikanern "anzugreifenden Industriegebiete sich in den meisten Fällen mit den ohnehin vom britischen Bomber Command für Massenzerstörungen vorgesehenen Angriffszielen decken", wie es in einer gemeinsamen Richtlinie für die Bomberoffensive vom Mai 1943 hieß. Ansonsten diente die Luftoffensive nach britischer Auffassung hauptsächlich dem Zweck, in Deutschland solche Zerstörungen zu bewirken, "daß der deutsche Arbeiter den Willen aufgibt und die Fähigkeit verliert, weiter für den Krieg zu arbeiten." Dagegen stellten die Amerikaner eine Rangfolge von Angriffszielen auf, um die militärische Schlagkraft Deutschlands so stark zu treffen, daß es nicht mehr erfolgreich Widerstand leisten konnte. Dazu gehörte einerseits das Schwächen der fliegenden Luftverteidigung, also der Jäger, teils durch Bombardierung von Flugzeugwerken, teils durch Abnützung im Luftkampf. Andererseits gehörten dazu gewisse kriegswirtschaftliche Schlüsselindustrien wie die Kugellagerindustrie und die Treibstofferzeugung. Nach diesem Plan begann Mitte 1943 die kombinierte Bomberoffensive. Das britische Verfahren nächtlicher Flächenbombardements erzeugte riesige Menschenverluste und gewaltige Verwüstungen; die meisten großen deutschen Städte sanken in Schutt und Asche. Militärisch war das Terrorbombardement weitgehend sinnlos, denn der Widerstandswille der Bevölkerung brach keineswegs zusammen, und der Aufschwung der deutschen Kriegswirtschaft unter dem Ministerium Speer wurde nur geringfügig beeinträchtigt; die deutsche Rüstungserzeugung erreichte 1944 ihren höchsten Ausstoß. Das Terrorbombardement bildete im wesentlichen eine Massenschlächterei ohne bedeutenden Nutzen für die Kriegführung. Dagegen war die amerikanische Methode in militärischer Hinsicht grundsätzlich richtig. Die deutsche Luftwaffe wurde so stark abgenützt, daß sie für die Invasion von 1944 keine nennenswerte Gefahr mehr darstellte. Allerdings geschah dies nicht sofort. Die amerikanischen Bomberverbände mußten anfangs ihre Angriffe im Innern des Reiches ohne ausreichenden Begleitschutz fliegen, da Hochleistungsjäger mit großer Reichweite nicht zur Verfügung standen. Im August und Oktober 1943 griffen die Amerikaner das Zentrum der Kugellagerindustrie in Schweinfurt an. Dabei

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kam es zu Luftschlachten, bei denen die deutsche Jagdabwehr eindrucksvolle Siege errang. Die amerikanischen Verluste waren so schwer, daß Angriffe in die Tiefe des Reichsgebiets vorerst aufgegeben wurden. Seit der Jahreswende 1943 I 44 besaßen die Amerikaner jedoch einen ausgezeichneten neuen Begleitjäger, die P 51 "Mustang", mit dessen Unterstützung es den Bombern möglich wurde, sämtliche Ziele in Deutschland erfolgreich anzugreifen. Wenngleich die Verteidigung des Reiches durch Jäger noch nicht völlig zusammenbrach, erlangten die Westmächte doch eine ungefährdete Luftüberlegenheit. Im Mai 1944 begannen amerikanische Bomber eine Offensive gegen die Anlagen der deutschen Treibstofferzeugung, der sich nach einigem Widerstreben auch die Briten anschlossen. Diese Offensive war es, die der deutschen Kriegsfähigkeit das Genick brach. 32 Der Luftoffensive der Westmächte konnte das Dritte Reich schon auf Grund des Rüstungspotentials nicht gewachsen sein. Wahrend in Deutschland 1943 rund 25000 Kriegsflugzeuge hergestellt wurden und 1944 rund 40000, kamen die Westmächte gemeinsam in den beiden Jahren auf jeweils weit über hunderttausend Flugzeuge, also fast das Vierfache. Lediglich durch bahnbrechende technische Neuerungen hätte sich für Deutschland das Blatt noch wenden lassen. Solche technischen Neuerungen gab es, so die ersten einsatzfähigen Flugzeuge mit Strahlturbinen, darunter den Düsenjäger Me 262, sowie die erste verwendbare Fernrakete (A 4 bzw. V 2). Der Strahljäger Me 262, an sich ein hervorragendes Flugzeug, sollte gemäß einem Befehl Hitlers als Bomber verwendet werden, wofür er gänzlich ungeeignet war. Es bleibt indes fraglich, ob diese Maschine- und andere neu entwikkelte Flugzeuge - imstande gewesen wären, unter den vorliegenden Umständen dem Luftkrieg eine Wende zu geben. Von der Me 262 wurden bis Ende 1944 lediglich rund 500 Stück gebaut. Als Jäger eingesetzt, hätten sie im Luftkampf sicher starke Wirkung erzielt, aber schwerlich eine so starke, daß dadurch der Gang der Ereignisse sich grundlegend gewandelt hätte. Um den Luftkrieg anders ablaufen zu lassen, also beispielsweise die Luftherrschaft über dem Reichsgebiet sicherzustellen, wäre spätestens Mitte 1944 der Masseneinsatz dieser Jäger erforderlich gewesen, die dann entsprechend früher hätten gebaut werden müssen. Für andere Waffen und Geräte galt ähnliches. So berichtet Rüstungsminister Speer, es wäre möglich gewesen, statt der militärisch unnützen Fernrakete V 2 eine Flugabwehrrakete zu bauen. Speer war nachträglich der Ansicht, daß diese Rakete im Verein mit den Düsenjägern ab dem Frühjahr 1944 die Luftoffensive der westlichen Alliierten gegen die deutsche Industrie hätte zusammenbrechen lassen. Das mag so sein. Trotzdem sind mehrere Feststellungen am Platz. Erstens ist durchaus vorstellbar, daß die gesamte Rüstungssteuerung und darüber hinaus sogar der gesamte Kriegsverlauf sich anders hätten gestalten lassen, und in diesem Rah32 Zur rechtlichen und tatsächlichen Seite des Luftkriegs die Beiträge in dem Sammelband von Boog, Luftkriegführung. Spetzler, Luftkrieg. Boog, Bombenkrieg. MGFA, Weltkrieg VI, 429 ff. (Beitrag Boog). Die Richtlinien für die kombinierte Bomberoffensive der Westmächte, 14. 5. 1943, in Jacobsen, Weg, 354 ff. Ferner Webster/Frankland. Craven/Cate. Galland. Speer, Erinnerungen. Birkenfeld, Treibstoff.

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men wäre es wohl nicht ausgeschlossen gewesen, Düsenjäger, Raketenjäger, Flugabwehrraketen und anderes hochwertiges Gerät früher in den Einsatz zu bringen. Aber dies hätte erfordert, den ganzen Herrschaftsbetrieb des Dritten Reiches anders zu organisieren, den Staat, die Kriegführung und die Rüstungsplanung auf eine fachmännische Grundlage zu stellen. Eben dies hatte Hitler von Anfang an verhindert. Statt dessen wurden alle wesentlichen (und vielfach auch die unwesentlichen) Entscheidungen von politisierenden Dilettanten und weltanschaulichen Fanatikern gefällt, von Hitler selbst, von Göring, Himmler, irgendwelchen Gauleitern und ähnlichen. Um die Rüstungsplanung und den Krieg anders ablaufen zu lassen, hätte es Leute wie Hitler gar nicht geben dürfen, aber ohne Hitler hätte es auch den Krieg nicht gegeben. Zweitens kann man zum Zweck des Gedankenexperiments einmal annehmen, die deutsche Luftwaffe hätte mit Hilfe hochwertigen Geräts im Jahr 1944 die Luftherrschaft über dem Reichsgebiet errungen. In diesem Fall wäre höchstens der Krieg verlängert, jedoch Deutschland nicht zum Sieger gemacht worden. Vielleicht hätten die Westmächte den Bombenkrieg einstellen müssen, während sich am Vormarsch der Bodentruppen nichts geändert hätte. Vielleicht hätte die Wehrmacht sich noch eine Zeitlang behauptet, bis die Gegner den technischen Vorsprung aufgeholt und mit ihrer Materialfülle Deutschland doch erdrückt hätten. Vielleicht wären nur die Westmächte aufgehalten worden, während unterdessen die Rote Armee Deutschland besetzt hätte. Jedenfalls ist nicht anzunehmen, daß Deutschland längerfristig der Niederlage entronnen wäre. Schließlich ist drittens noch zu bedenken, daß die Westmächte es sich selbst zuzuschreiben hatten, wenn sie der deutschen Seite die Chance verschafften, im Jahr 1944 noch neue Waffen und Geräte in den Einsatz zu bringen. Hätte Churchill nicht seine überflüssige Mittelmeerstrategie durchgesetzt, dann wäre die Invasion in Frankreich schon 1943 erfolgt, und die Truppen der Westmächte hätten 1944 Deutschland besetzt, ohne Düsenjäger und anderes fürchten zu müssen. Wie die Dinge lagen, fand die Invasion erst 1944 statt. Nachdem die Briten 1942 mit Terrorangriffen auf deutsche Städte begonnen hatten, entstand auf deutscher Seite, vor allem bei Hitler, das Bedürfnis, Vergeltung zu üben bzw. als Repressalie ebenfalls Flächenangriffe durchzuführen. Da die deutschen Kräfte an anderen Stellen gebunden waren, konnte die Luftwaffe nicht mehr tun, als mit geringen Bomberzahlen kleine, verhältnismäßig harmlose Terrorangriffe auf einzelne englische Städte vorzunehmen. Weil damit offenkundig nichts Bedeutendes auszurichten war, verfiel Hitler auf den Gedanken, mit anderen Mitteln einen Flächenbeschuß oder ein Flächenbombardement zu bewerkstelligen. Dabei ließ er sich augenscheinlich auch von dem Wunsch leiten, Britannien zum Einlenken zu veranlassen, also die Koalition der Gegner zu sprengen. So entstanden die sogenannten V-Waffen (Vergeltungswaffen), nämlich einerseits eine große Fernrakete, deren Entwicklung schon von den früheren Oberbefehlshabern des Heeres Fritsch und Brauchitsch gefördert worden war, sowie andererseits eine von der Luftwaffe neu entwickelte Flügelbombe, ein unbemannter Flugkörper mit einem Luftstrahltrieb-

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werk. Die Flügelbombe, V 1, wurde ab Mitte 1944 eingesetzt und wegen ihrer geringen Reichweite von der Kanalküste aus nach England verschossen, hauptsächlich nach London. Die Rakete, V 2, kam ab September 1944 aus einem Gebiet in Holland und an der deutschen Westgrenze zum Einsatz. Nachdem die Westmächte im Juni 1944 in der Normandie gelandet waren und anschließend den Vormarsch antraten, mußten die Feuerstellungen der V-Waffen zurückverlegt werden; die VWaffen wurden nun großenteils gegen Ziele im besetzten Feindgebiet eingesetzt, z. B. Antwerpen. Bedeutende Wirkung erzielten die V-Waffen nicht, da sie eigentlich noch nicht fronttauglich waren und die V 1 ohnedies wenig leistungsfähig war - ungefähr die Hälfte davon wurde vom Gegner abgeschossen. Nach der militärischen Rationalität stellten die V-Waffen eine nutzlose Vergeudung wertvoller Mittel darY Die Luftoffensive der Westalliierten machte Europa gewissermaßen zu einer Festung ohne Dach. Der Ausdruck "Festung Europa" geht ursprünglich auf Hitler zurück, wurde in der Propaganda verwendet und ist geradezu ein geflügeltes Wort geworden. Konkrete militärische Bedeutung hatte er kaum, wenn man einmal davon absieht, daß Hitler durch den sogenannten Atlantikwall den Westsaum des deutschen Machtbereichs befestigen und undurchdringlich machen wollte. Über den Atlantikwall sagte Haider später: "Gegen eine Landungsflotte, wie sie den Alliierten unter dem Schutz einer vollständigen und unbestrittenen Luftherrschaft zur Verfügung stand, hatte Deutschland keine AbwehrmitteL In dem von der Schiffsartillerie beherrschten Raum kann sich keine Landtruppe halten, die nicht die Mittel hat, die Schiffe entscheidend zu bekämpfen. Wir hatten sie nicht, weder zu Lande, noch in der Luft, noch auf dem Wasser. Also war es sinnlos, den Saum der Küste befestigen zu lassen, wie es der Feldherr Hitler mit seinem Atlantikwall unternahm und damit nur Scheiben schuf für ein durch niemand zu störendes Scharfschießen der feindlichen Landungsflotte." Die ungeheuren Mengen an Stahl, Arbeitskraft und Transportmitteln, die der Atlantikwall verschlang, wären nach Halders Ansicht besser dazu verwandt worden, der Truppe Tausende von Panzern zu liefern, um eine bewegliche Abwehr durchführen zu können. Insofern schadeten sich also die Westmächte nicht, wenn sie die Invasion in Frankreich vertagten; denn sie gaben damit Hitler die Gelegenheit, wertvolle Mittel für den Bau unnützer Schießscheiben zu vergeuden, statt die Truppe besser auszurüsten. Die "Festung Europa" war demnach nie etwas anderes als eine Schimäre. Bleibt man trotzdem im Bild von der Festung, so kann man sagen, daß die Westmächte, nachdem Churchill sich mit seiner Mittelmeerstrategie durchgesetzt hatte, den Sturm auf die Festung nicht unmittelbar unternahmen, sondern erst einmal Außenwerke belagerten. Seitdem Hitler den Italienern mit deutschen Streitkräften zu Hilfe gekommen war, hatte der Mittelmeerraum für das Reich immer nur einen Nebenkriegsschau33 Zu den Flugzeugzahlen Boog, Luftwaffenführung, 90. Ferner Nowarra, Luftrüstung. Speer über Raketen und Flugzeuge in seinen Erinnerungen, 372 ff., 375. Zu den V-Waffen Hölsken. Vgl. Schabe!, Wunderwaffen.

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platz gebildet. Daß die Westmächte eines Tages ins Mittelmeer vordringen könnten, beginnend mit einem Angriff in Nordwestafrika, hatte man in Deutschland seit 1940 in Rechnung gestellt, doch hatte Hitler daraus keine Folgerungen gezogen. So hatte er auch Anfang 1942 den Vorschlag der Japaner abgelehnt, die europäischen Achsenmächte sollten sich auf den Kampf um den Mittelmeerraum konzentrieren, insbesondere in den vorderen Orient vordringen, um den Japanern am Indischen Ozean die Hand zu reichen. Die strategische Lage im Mittelmeerraum stellte sich demnach für die europäischen Achsenmächte im Jahr 1942 so dar: Sie hatten einige Streitkräfte in Nordafrika stehen, die für einen Vorstoß bis Suez oder darüber hinaus zu schwach waren. Eine Möglichkeit, die Streitkräfte in Nordafrika nennenswert zu verstärken, hatten sie nicht, da alle übrigen Kräfte an anderer Stelle gebunden wurden, vor allem an der Ostfront Die europäischen Achsenmächte konnten sich daher im günstigeren Fall lediglich in Nordafrika behaupten; im ungünstigeren Fall mußten sie damit rechnen, aus Nordafrika hinausgeworfen zu werden. Überdies mußten sie in Betracht ziehen, die Westmächte würden in Nordwestafrika vordringen, und dann würden die europäischen Achsenmächte mit Sicherheit aus Nordafrika hinausgeworfen werden. Was war in dieser Lage zu tun? In Afrika, d. h. in Libyen, befand sich Anfang 1942 eine deutsch-italienische Panzerarmee unter dem Oberbefehl von General Rommel, der in einer merkwürdigen Konstruktion dem örtlichen italienischen Oberbefehlshaber unterstand, aber sich nach eigenem Ermessen an Hitler direkt wenden durfte. Außerdem gab es einen deutschen Oberbefehlshaber Süd, Feldmarschall Kesselring, dem aber nur die deutsche Luftflotte 2 unterstand, während ansonsten die Zusammenarbeit mit den Italienern oder mit Rommel nur durch gütliche Übereinkunft erzielt werden konnte. Ein gemeinsames Oberkommando aller deutschen und italienischen Streitkräfte im Mittelmeer existierte nicht, weil keine Seite es der anderen gönnte. Statt dessen mischte eine Vielzahl von Personen und Stellen bei der gemeinsamen Kriegführung mit: Hitler, Mussolini, das italienische Oberkommando, der italienische Oberbefehlshaber in Libyen, Kesselring, Rommel, Göring, die deutsche Marine und andere. Eine durchdachte gemeinsame Strategie konnte so naturgemäß nicht zustande kommen. Rommel begann im Januar 1942, gegen den Willen der Italiener, eine seiner eigenmächtigen Offensiven; nachdem er damit Erfolg hatte, nahmen es die Italiener hin. Deren Ziel war nunmehr die Einnahme Maltas, was strategisch sicher sinnvoll war, sei es, um den Nachschub nach Afrika zu sichern und auf diese Weise sich dort besser behaupten zu können, oder sei es, um die Rückzugslinie offen zu halten, falls man eines Tages doch aus Afrika hinausgedrängt wurde. Zur Einnahme Maltas allein mit eigenen Kräften war Italien jedoch zu schwach. Also hätten die Deutschen dabei helfen oder sogar die Hauptlast tragen müssen, was wiederum Hitler nicht wollte. Die Beweggründe des Diktators sind wie üblich schwer durchschaubar. Einerseits wollte er die erforderlichen Mittel - Flugzeuge, Bodentruppen, Treibstoff - nicht zur Verfügung stellen, sondern lieber an anderer Stelle verwenden, andererseits glaubte er anscheinend, Ägypten lasse sich besetzen, ohne vorher die rückwärtigen Verbindungslinien über See ge19 Rauh, Zweiter Weltkneg 3 Tell

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sichert zu haben. Ende April einigten sich Hitler und Mussolini, zunächst Romrneis Offensive fortzusetzen mit dem Ziel, Tobruk zu nehmen, und anschließend Malta zu erobern. Augenscheinlich wollte Hitler aber die Italiener hinters Licht führen, denn in Wahrheit hatte er vor, Rommel nach dem Fall von Tobruk bis nach Ägypten vorstoßen zu lassen, ohne Malta zu nehmen. So geschah es. Im Juni 1942 eroberte Rommel Tobruk und setzte anschließend eigenmächtig den Vormarsch nach Ägypten fort. Hitler lehnte nunmehr die Einnahme Maltas ab, woraufhin auch die Italiener Rommels Vorstoß billigten. Der Vormarsch nach Ägypten stellte ein reines Glücksspiel dar, dem an sich die tragfähige militärische Grundlage fehlte. Schon die Truppenstärke der Achsenmächte am Boden und in der Luft reichte nicht, die rückwärtigen Linien wurden zu lang und konnten nicht befriedigend gesichert werden, der Nachschub genügte den Erfordernissen nicht. So trat' das ein, was zu befürchten war: Rommel blieb bei EI Alamein stecken und wurde nach langwierigen Kämpfen zurückgeschlagen. Im November 1942 mußten die deutschen und italienischen Truppen den weiträumigen Rückzug einleiten, wie üblich gegen den Willen Hitlers. Unterdessen begannen am 8. November die Landungen der Westmächte in Nordwestafrika. Die Leitung oblag dem gemeinsamen Oberkommandierenden General Eisenhower; die Alliierten landeten an drei Stellen, nämlich an der Atlantikküste Marokkos sowie im Mittelmeer an der Küste Algeriens bei Oran und Algier. Die französischen Streitkräfte, die der Vichy-Regierung im unbesetzten Frankreich unterstanden, leisteten ein wenig Widerstand; doch befand sich gerade der Oberbefehlshaber aller französischen Streitkräfte, Admiral Darlan, in Nordafrika, der am 10. November die Waffen niederlegen ließ. Auf der Seite der Achsenmächte waren für den Fall einer Besetzung Nordwestafrikas durch die Westalliierten keine Vorbereitungen getroffen worden, wohl deshalb nicht, weil Hitler alle Vorschläge, zu einem guten Einvernehmen oder gar einem Bündnis mit Frankreich zu gelangen, stets abgelehnt und sich statt dessen damit begnügt hatte, bei einem Abfall der nordwestafrikanischen Kolonien das bislang unbesetzte Vichy-Frankreich ebenfalls zu besetzen. Für letzteres waren die Vorbereitungen schon längst getroffen; als sich die Landung in Nordwestafrika abzeichnete, ordnete Hitler am 6. November hierfür die Alarmbereitschaft an. Mussolini war das Vorgehen gegen Frankreich ganz recht; er erblickte darin die Gelegenheit, nunmehr doch noch in den Besitz der lange erstrebten Gebiete Korsika und Tunesien zu gelangen. Bis zum 9. November kamen Hitler und Mussolini überein, Vichy-Frankreich zu besetzen und in Tunesien einen Brückenkopf zu bilden. Kesselring erhielt den Auftrag, in Tunesien das Nötige zu veranlassen; erste deutsche Truppen trafen bereits am 9. November dort ein. Ab dem 11. November fand die Besetzung von Vichy-Frankreich statt; sie verlief reibungslos, da das Vichy-Staatsoberhaupt, Marschall Petain, angeordnet hatte, keinen Widerstand zu leisten. Um den Besitz von Tunesien entwickelte sich ein Wettrennen zwischen den aus Algerien vorstoßenden Truppen der Westmächte und denjenigen der Achsen-

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mächte, das die letzteren insofern für sich entschieden, als die Bildung eines Brükkenkopfes gelang. Von der Sache her konnte der Brückenkopf als unerläßlich gelten, um die deutsch-italienischen Truppen Rommels aus Libyen aufzunehmen, die vor den nachdrängenden Briten bis Anfang 1943 nach Tunesien auswichen. Da Malta nicht gefallen war, hätte sich der Abtransport dieser Truppen über See nur schwer oder gar nicht bewerkstelligen lassen. Darüber hinaus erachtete Hitler einen Brückenkopf in Afrika aber vor allem aus politischen Gründen als unerläßlich. Der Diktator hatte schon 1941 die Italiener in Afrika unterstützt, damit Italien nicht alsbald zusammenbrach oder sich sogar auf die Seite Englands stellte. Dasselbe galt nun wieder. Hitler meinte, den Brückenkopf in Afril)_a, in Tunesien, behaupten zu müssen, um Mussolini bei der Stange zu halten. In Wahrheit konnte es keinem Zweifel unterliegen, daß sich der Brückenkopf Tunesien nicht auf die Dauer behaupten ließ. Die eilig nach Tunesien überführten Truppen, darunter eine deutsche Panzerdivision, wurden unter dem Oberkommando der 5. Panzerarmee (General Arnim) zusammengefaßt. Neben sie traten dann die deutsch-italienischen Truppen aus Libyen, die nunmehr, da die Italiener Romrneis Ablösung wünschten, einen italienischen Oberbefehlshaber erhielten und als I. italienische Armee firmierten. Beide Armeen bildeten die Heeresgruppe Afrika, die kurzzeitig noch unter Rommels Oberbefehl stand, bis er auch hier abgelöst wurde. Der hochtrabende Name einer Heeresgruppe war kaum gerechtfertigt, da die Truppen zwar verhältnismäßig zahlreich waren, ihre Kampfkraft indes nur derjenigen von einigen vollwertigen Divisionen entsprach. Die Kampfkraft wurde weiter vermindert, da über Monate hinweg allenfalls die Hälfte des erforderlichen Nachschubs durchkam. Eine militärisch angemessene Lösung hätte darin bestehen müssen, Tunesien beizeiten zu räumen. Rommel hatte die Räumung Afrikas schon im November vorgeschlagen. Dies scheiterte jedoch bereits daran, daß Hitler und Mussolini darauf beharrten, Tunesien zu halten. Deutsche Stellen vermochten in dieser Angelegenheit von sich aus kaum etwas zu tun, da Italien die Kriegsschiffe und den Hauptteil der Handelsschiffe stellen mußte, die für eine Räumung erforderlich waren. Die Italiener hätten demnach die Räumung vorbereiten und mit ihren Schiffen durchführen müssen. Da sie dies nicht taten, Hitler es auch gar nicht wünschte, konnte man in Tunesien eigentlich nur auf das Ende warten. Im übrigen ist es durchaus zweifelhaft, ob die Räumung Tunesiens und der Abtransport von zwei Armeen überhaupt möglich waren. Die Westmächte besaßen die See- und Luftüberlegenheit, die italienische Flotte konnte aus Treibstoffmangel kaum noch eingesetzt werden, die Luftwaffe vermochte die Verbindungslinien nach Tunesien nicht ausreichend zu sichern. Die Heeresgruppe in Tunesien befand sich im Grunde in einer ähnlichen Lage wie die 6. Armee in Stalingrad - sie war abgeschnitten oder eingekesselt, da es keine sichere Rückzugslinie mehr gab. Die 6. Armee hätte durch rechtzeitigen Ausbruch gerettet werden können. Ob ein rechtzeitiger Rückzug der Truppen in Afrika über See durchführbar war, bleibt offen; er hätte jedenfalls nicht später als Anfang 1943 stattfinden dürfen. Aber auch in diesem Fall stand zu be19*

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fürchten, daß die überlegene britische Flotte, gestützt auf die nordafrikanische Küste und auf Malta, die Transporte abfing und vielleicht bei dieser Gelegenheit zugleich die italienische Flotte aufrieb. So blieben die deutsch-italienischen Truppen einfach in Tunesien stehen, während die Westmächte mit der Überwältigung dieses Gegners keine Eile hatten; er konnte ihnen sowieso nicht mehr entkommen. Das Ende in Tunesien fand im Mai 1943 statt; die Achsenmächte verloren insgesamt über 300000 Mann, davon knapp 300000 Gefangene. 34 Der anschließende Feldzug der Westmächte in Italien war strategisch ebenso überflüssig wie Churchills ganze Mittelmeerstrategie. Das einzige zählbare Ergebnis der Mittelmeerstrategie bestand darin, daß der Seeweg zu den asiatischen Teilen des britischen Empire verkürzt wurde, da die Schiffe nun nicht mehr um die Südspitze Afrikas herumfahren mußten, sondern durch das Mittelmeer laufen konnten. Außerdem trat eine französische Befreiungsbewegung mit Sitz in Nordafrika, als deren Führer sich General de Gaulle durchsetzte, nunmehr als Verbündeter an die Seite der Westmächte, so daß sich später am Kampf gegen Deutschland auch französische Truppen beteiligten. Ansonsten wurde durch den Feldzug der Westmächte in Italien zwar dieses Land besiegt, aber nur in der Weise, daß eine neue Regierung kapitulierte, während der wichtigere Nordteil des Landes, der von deutschen Truppen besetzt war, den Krieg auf seiten der Achsenmächte fortsetzte. Churchills Behauptung, in Italien würden deutsche Kräfte gebunden, stellte eine Milchmädchenrechnung dar, denn Kräfte der Westmächte wurden mindestens im selben Ausmaß gebunden und fehlten dementsprechend an anderer Stelle. Die deutsche Seite setzte in Italien kaum erfahrene alte Divisionen ein, sondern hauptsächlich Verbände, die 1943 eilig neu aufgestellt worden waren. Eine wesentliche Schwächung anderer Fronten trat dadurch nicht ein. Die Betrachtung des Krieges im Mittelmeerraum ist auch unter dem operativen Blickwinkel nicht sonderlich ergiebig. Wer die See- und Luftherrschaft besitzt, wie es bei den Westmächten im Mittelmeer der Fall war, kann landen, wo er will, und es gibt kein Mittel, ihn daran zu hindern. Als erste Landungsstelle wählten die alliierten Befehlshaber die Küstenstreifen um die Südostecke Siziliens, weil sie innerhalb der Reichweite landgestützter Flugzeuge aus Afrika und Malta lagen. Die deutschen Luftstreitkräfte im italienischen Raum sowie auf dem Balkan umfaßten Mitte 1943 ungefähr 1500 Flugzeuge (einschließlich der Transportflieger), wozu noch etliche hundert italienische Flugzeuge kamen. Dagegen verfügten die Westmächte über knapp 5000 Flugzeuge (einschließlich Transporter). Bei diesem Zahlenverhältnis errangen die Alliierten ohne Mühe eine Luftüberlegenheit, die sich der Luftherrschaft näherte. Die Seeherrschaft besaßen sie ohnedies, da die italienische Flotte mangels ausreichender Luftunterstützung es schwerlich wagen durfte, 34 Zur Festung Europa Galland, I90. Haider über Atlantikwall in Haider, Hitler, 58. Zu den Ereignissen in Nordafrika MGFA, Weltkrieg VI, 569 ff. (Beitrag Stumpf). Baum I Weicheid. Gundeiach. Warlimont II, 323 ff. Zum Schrifttum die Bibliographie von C. Baxter, North Africa.

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in den Kampf zu gehen. So fand am 10. Juli 1943 die Landung der Westmächte auf Sizilien statt, wobei mit Hilfe der Schiffsartillerie der ohnehin schwache Widerstand unmittelbar an der Küste bald überwunden wurde. Tiefer im Landesinneren waren einige bewegliche deutsche und italienische Divisionen der feindlichen Übermacht nicht gewachsen und wurden auf die Nordostecke Siziliens zurückgedrängt. Die Achsenmächte mußten Sizilien räumen, wenn sie nicht erneut, wie in Tunesien, ihre Truppen verlieren wollten. Bis Mitte August wurden die Truppen über die schmale Straße von Messina zurückgeführt. Unterdessen hatte am 25. Juli der italienische König Viktor Emanuel Mussolini abgesetzt und verhaften lassen. Neuer Ministerpräsident wurde der frühere Stabschef Mussolinis, Marschall Badoglio. Dieser versicherte nach außen hin, den Krieg an der Seite Deutschlands fortsetzen zu wollen, nahm aber insgeheim Verbindung mit den Westmächten auf, um Italien aus dem Krieg herauszuführen. Auf der deutschen Seite war ein Abfall Italiens seit längerem befürchtet worden. Seit dem Mai 1943 suchte man dagegen Vorkehrungen zu treffen; so wurden die deutschen Dienststellen auf dem Balkan angewiesen, notfalls das italienische Besatzungsgebiet zu übernehmen (Griechenland, Albanien, Dalmatien), zudem begann man Bodentruppen nach Italien zu verlegen (außer den ohnedies dort befindlichen Luftwaffenverbänden). Das Einströmen deutscher Truppen betrachteten die Italiener mit gemischten Gefühlen; sie konnten oder wollten es jedoch nicht verhindern, da sich ohne deutsche Hilfe Italien nicht verteidigen ließ. Die neue Regierung Badoglio strebte die Verteidigung Italiens gar nicht mehr an, aber bis dahin standen bereits deutsche Truppen im Land, was die Lage Italiens nicht eben erleichterte. Als Badoglio mit den Westmächten wegen des italienischen Kriegsaustritts verhandeln ließ, wünschte er eine Landung der Alliierten nördlich von Rom, die dann durch italienische Truppen unterstützt werden sollte. In diesem Fall hätte eine gewisse Aussicht bestanden, die deutschen Streitkräfte in Italien rasch zu schlagen. Darauf wollten die Westmächte jedoch nicht eingehen, sondern sie zogen es vor, wieder innerhalb der Reichweite landgestützter Flugzeuge zu landen, nämlich bei Salerno in der Nähe von Neapel. Außerdem wollten die Westmächte der Regierung Badoglio nicht einfach einen Seitenwechsel zugestehen, sondern sie verlangten die Kapitulation, verbunden mit der Auslieferung der Flotte und der Luftwaffe. Badoglio blieb nichts anderes übrig, als am 3. September die Kapitulation unterzeichnen zu lassen; sie wurde am 8. September verkündet. Der König und die Regierung Badoglio entwichen nach Brindisi in den Gewahrsam der Alliierten, die seit dem 3. September die südlichsten Teile Italiens besetzten. Um ihre Stellung zu stärken, erklärte die Badoglio-Regierung am 13. Oktober an Deutschland den Krieg. Die deutsche Seite war auf die Ereignisse gut vorbereitet (Fall "Achse"). Die italienischen Truppen wurden überall entwaffnet, was nicht immer reibungslos, aber ohne unüberwindliche Schwierigkeiten vonstatten ging. Mussolini wurde durch ein deutsches Fallschirmjägerkommando am 12. September aus der Haft befreit und rief kurz darauf die Soziale Republik Italien aus, die sich mit einigen Di-

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visionenweiter am Krieg beteiligte. Kesselring, dem mittlerweile außer der Luftflotte 2 auch eine Armee im südlichen Italien unterstand, hatte die Landung der Alliierten bei Salerno erwartet. Nachdem die Landung am 9. September erfolgt war, versuchte Kesselring, den Brückenkopf wieder einzudrücken, was jedoch mit Hilfe der Schiffsartillerie vereitelt wurde. Anschließend ließ Kesselring eine Verteidigungsstellung beziehen, die sich ungefähr zwischen Neapel und Rom quer über die italienische Halbinsel erstreckte. Hier erstarrte das Kampfgeschehen für rund ein halbes Jahr im Stellungskrieg. Kesselring übernahm im November als Oberbefehlshaber Südwest das Kommando über alle Streitkräfte in Italien. Dazu gehörten zwei Armeen (die 10. und die 14.), denen auf alliierter Seite ebenfalls zwei Armeen in ähnlicher Stärke gegenüberstanden (die 5. amerikanische und die 8. britische). Der Durchbruch durch die deutsche Verteidigungslinie gelang erst im Mai 1944; im Juni fiel Rom. Bis zum Herbst 1944 zogen sich die Deutschen auf eine neue Verteidigungslinie am Apennin nördlich Florenz zurück. 35 Nach dem Zwischenspiel im Mittelmeer konnte 1944 endlich die entscheidende Invasion in Frankreich stattfinden. Die Amerikaner waren ihrer Sache so sicher, daß sie etwa zur selben Zeit die Landung auf den Marianen im Pazifik unternahmen, für welche sie die Masse ihrer Flotte sowie beträchtliche Luft- und Bodenstreitkräfte einsetzten. Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte bei der Invasion in Frankreich war wieder General Eisenhower; unter ihm befehligte der britische Admiral Ramsey die Seestreitkräfte, der britische General Montgomery die Bodentruppen und der britische Luftmarschall Leigh-Mallory die Luftstreitkräfte. Der Plan für die Invasion (Operation "Overlord") war seit längerem von einem Stab unter Leitung des britischen Generals Morgan bearbeitet worden. Dieser Plan, den die Vereinigten Stabschefs und Eisenhower mit kleineren Änderungen übernahmen, sah vor, nicht an der Straße von Dover zu landen, der engsten Stelle des Ärmelkanals, sondern an der Küste der Norrnandie westlich der Seine-Mündung. Die Landung in der Seine-Bucht bot den Vorteil, daß die stark befestigte Küste an der Straße von Dover umgangen wurde und daß leistungsfähige Häfen wie Cherbourg in der Nähe lagen, die bald genommen werden konnten. Einen weiteren leistungsfähigen Hafen, nämlich Marseille, gedachten die Planer durch eine zusätzliche Landung in Südfrankreich zu gewinnen (Operation "Dragoon"), durch welche überdies einige Truppen aus Italien einer nützlichen Verwendung zugeführt wurden. Die Landung in der Normandie war im einzelnen so vorgesehen, daß zunächst die alliierten Luftflotten die deutsche Luftwaffe zerschlugen und zugleich das Verkehrswesen, vor allem die Eisenbahnen, lahmlegten, damit keine deutschen Verstärkungen an die Landungsfront herangebracht werden konnten. Die Landung sollte beginnen mit dem Absetzen von drei Luftlandedivisionen und der Anlan35 KTB OKW 111/2, 782 ff., 829 ff., 1076 ff., 1447 ff. und passim. Hubatsch, Weisungen, 251 ff. Warlimont II, 334 ff. Gundeiach II, 599, 605, 609 und passim. Baum/Weichold. Potter/Nimitz/Rohwer, 717 ff. Kesselring. J. Schröder, Kriegsaustritt B. Martin, Rückwirkungen. De Felice, Mussolini l'alleato.

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dungvon sechs lnfanteriedivisionen, welchen, nachdem sie einen Brückenkopf gebildet hatten, weitere Verbände folgen würden. Um Nachschub und Verstärkungen leichter in den Brückenkopf zu bringen, sollten vor der Landungsküste zwei künstliche Häfen errichtet werden. Der Brückenkopf war sodann auszuweiten, es waren Häfen einzunehmen, bis schließlich nach wenigen Monaten in einem Gebiet ungefähr zwischen der Küste, der Seine und der Loire eine gesicherte Basis entstand, von der aus die Offensive nach Deutschland unternommen wurde. Die deutsche Seite hatte nur ganz geringe Chancen, die Invasion abzuwehren. Auf dem Wasser hatte sie nicht die geringste Chance, da sie einer überwältigenden Übermacht an Kriegsschiffen nur etliche U-Boote, Torpedoboote und Schnellboote entgegenstellen konnte. In der Luft hatte sie ebenfalls keine Chance, da die Alliierten zwei Luftflotten mit rund 8000 Flugzeugen für die Unterstützung der Invasion einsetzten und fallweise auf die beiden Luftflotten zurückgriffen, die sonst den strategischen Bombenkrieg über dem Reich führten. Demgegenüber besaß die deutsche Luftflotte 3 im Westen bei Beginn der Invasion nur knapp 1000 Flugzeuge, davon etwa die Hälfte einsatzbereit. Später ließ Hitler Luftwaffenverbände aus dem Reich zuführen, die bald aufgerieben wurden. Eine Abwehr der Invasion wäre daher allenfalls im Landkampf möglich gewesen, und zwar, wie es der deutschen Generalstabsschulung entsprach, durch großzügige Operationen in der Tiefe des Raumes. Dem schoben jedoch die Umstände einen Riegel vor. Hitler hatte seit 1942 den Atlantikwall ausbauen lassen - von den vielen sinnlosen Unternehmungen Hitlers sicher eine der sinnlosesten. Da, wo der Atlantikwall wirklich stark war, nämlich an der Straße von Dover, blieb er nutzlos, weil die Alliierten dort nicht landeten. Andererseits wurde aber durch den Atlantikwall die Wehrmacht praktisch gezwungen, vorn an der Küste zu verteidigen, weil sie andernfalls den Wall mit seinen vielen tausend Bunkern, Geschützen und sonstigen Einrichtungen freiwillig hätte preisgeben müssen (was Hitler natürlich niemals zugelassen hätte). Dem Zwang, vorn an der Küste zu verteidigen, trug auch die Truppengliederung im Westen Rechnung. Am Vorabend der Invasion standen im Westen (Holland, Belgien, Frankreich) rund 50 Divisionen. Die zusätzlich vorhandenen sechs Reservedivisionen waren keine Kampfverbände, sondern dienten der Auffrischung und Ausbildung von Truppen; aus ihnen konnten gegebenenfalls Kampfverbände gebildet werden. Von jenen rund 50 Divisionen waren allein 23 bodenständig, d. h. sie waren unbeweglich und ließen sich nirgendwo sonst verwenden als bei der Küstenverteidigung, indem sie einen bestimmten Platz im Atlantikwall besetzten. Für einen regulären Bewegungskrieg, wie ihn das deutsche Heer früher gepflegt hatte, kamen nur ungefähr 25 Divisionen in Betracht, nämlich neun Panzerdivisionen, darunter drei von der Waffen-SS, eine Panzergrenadierdivision, ebenfalls von der Waffen-SS, 13 herkömmliche Infanteriedivisionen und drei Fallschirmjägerdivisionen. Einige zusätzlich vorhandene Luftwaffenfelddivisionen brachten keinen erheblichen Gewinn an Kampfkraft Wie unter diesen Umständen die Invasion verhindert werden sollte, blieb ein Rätsel, und die beteiligten Stellen auf deutscher Seite vermochten sich eine ein-

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heilliehe Meinung darüber auch nicht zu bilden. Die eleganteste und aussichtsreichste Lösung hätte darin bestanden, an der Küste nur geringen oder gar keinen Widerstand zu leisten, den Gegner tief ins Hinterland vordringen zu lassen, die eigene Luftwaffe zu schonen und den Gegner dann in beweglicher Kampfführung, möglichst überraschend, anzugreifen und zu zerschlagen. Derartiges schied jecfoch aus zwei Gründen aus. Erstens konnte man nicht die bodenständigen Divisionen und den Atlantikwall sich selbst überlassen. Zweitens hatten die Alliierten in England 37 Divisionen für die Invasion versammelt; weitere 40 standen in den USA bereit. Wenn die Westmächte erst mehrere Dutzend Divisionen nach Frankreich gebracht hatten, würden die 25 beweglichen Divisionen der deutschen Seite nicht mehr viel ausrichten. So versuchten die deutschen Befehlshaber im Westen, sich an Hitlers Weisung vom 3. November 1943 zu halten, in der es hieß, falls der Feind durch Zusammenfassen seiner Kräfte eine Landung erzwinge, müsse ihn ein mit größter Wucht geführter Gegenangriff treffen. Dadurch müsse die Ausweitung einer Landung verhindert und der Feind ins Meer zurückgeworfen werden. Das war freilich leichter gesagt als getan. Dem Oberbefehlshaber West, Feldmarschall Rundstedt, unterstanden am Vorabend der Invasion die Armeegruppe G unter General Blaskowitz mit der 1. und 19. Armee in Frankreich südlich der Laire, die Heeresgruppe B unter Feldmarschall Rammel nördlich der Loire, wobei die 15. Armee die nördliche Kanalküste verteidigte und die 7. Armee das Gebiet von der Seinebucht bis zur Bretagne. Rundstedt vertrat den Gedanken des zusammengefaßten Einsatzes beweglicher Reserven. Zu diesem Zweck ließ er die Panzergruppe West unter General Geyr von Schweppenburg errichten, die seine gepanzerten Verbände einheitlich führen sollte. Demgegenüber stellte sich Rammel auf den Standpunkt, die feindliche Luftüberlegenheit oder Luftherrschaft gestatte das weiträumige Verschieben großer Panzeransammlungen nicht; daher müßten die gepanzerten Verbände dicht hinter der Küste aufgestellt werden, um einer Landung unmittelbar und sofort entgegentreten zu können. Der Gegensatz der Auffassungen, der sich bei anderen Kommandobehörden fortsetzte, war vermutlich unlösbar. Große Verbände, die abgesetzt von der Küste operierten, würden unter die Einwirkung der feindlichen Luftwaffe geraten; aber Panzerdivisionen an der Küste würden unter die Einwirkung der Schiffsartillerie geraten, wie es auf Sizilien und bei Salemo der Fall gewesen war. Es galt auch hier die Regel, daß eine Kriegspartei, welche die See- und Luftherrschaft besitzt, landen kann, wo sie will, und daß es kein Mittel gibt, sie daran zu hindern. Hitler entschied schließlich den Streit, indem er von den 10 schnellen Divisionen im Westen drei der Heeresgruppe B, drei der Armeegruppe G und vier der Panzergruppe West unterstellte, so daß weder Rundstedts noch Rammels Vorstellung verwirklicht werden konnte. Die Invasion in Frankreich, in der Normandie, begann am 6. Juni 1944. Den zunächst gelandeten neun alliierten Divisionen traten rund sechs deutsche entgegen, darunter eine gepanzerte, die am ersten Tag im Gegenangriff bis zur Küste durchstieß, sich dort jedoch nicht halten konnte. So gelang es der ersten alliierten Landungswelle überall, sich an der Küste festzusetzen. Dies hätte sich nur dann ver-

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hindern lassen, wenn die deutschen Kräfte an dieser Stelle wesentlich stärker gewesen wären. Aber sie waren eben nicht wesentlich stärker, und wenn sie es gewesen wären, dann wäre der Gegner hier nicht gelandet. Bis zum 11. Juni errichteten die Alliierten einen zusammenhängenden Briickenkopf mit einer Breite von rund 100 km und einer Tiefe von 10 bis 15 km, so daß der ganze Briickenkopf unter dem Schutz der Schiffsartillerie lag. Gegenangriffe, welche die deutsche Seite unter anderem mit einigen eilig herangeführten Panzerdivisionen unternahm, schlugen nicht durch; im Wirkungsbereich der Schiffsartillerie und der feindlichen Luftwaffe konnten sie das auch gar nicht. Daß der Briickenkopf noch eingedruckt werden könnte, durfte nicht erwartet werden. Im Gegenteil war mit einem weiteren Vordringen der Westmächte zu rechnen, zumal sie ihre ohnedies überlegenen Truppen an der Landungsfront mindestens so schnell zu verstärken vermochten wie die deutsche Seite. Am 15. Juni setzte die 7. Armee für den Kampf an der Invasionsfront 15 Divisionen mit rund 200000 Mann ein, der Gegner in seinem Briickenkopf aber schon 20 Divisionen mit über 300000 Mann. Es begann nun das von der Ostfront längst bekannte Spiel, daß Hitler seine Befehle ohne Rücksicht auf die Tatsachen und gegen den Rat der Fachleute erteilte. Am 12. Juni ordnete er an, den Briickenkopf im Gegenangriff zu zerschlagen und ließ für diesen Zweck zwei SSPanzerdivisionen von der Ostfront abziehen. Am 17. Juni schlugen Rundstedt und Rommel bei einem Treffen mit Hitler dem Diktator vor, für den Fall eines Ausbruchs der Alliierten aus ihrem Briickenkopf - den sie offenbar erwarteten - eine riickwärtige Auffanglinie von der Seine oder Somme bis zur Schweizer Grenze zu bilden, also den größeren Teil Frankreichs zu räumen. Auch sollen die beiden Feldmarschälle eine politische Beendigung des Krieges im Westen angeregt haben. Darauf ließ Hitler sich indes nicht ein, sondern er verlangte weiterhin den Angriff an der Invasionsfront Zu diesem Angriff kam es nie, weil die deutschen Truppen in der Normandie alle Hände voll zu tun hatten, wenigstens den Vormarsch des Gegners aufzuhalten, was sie mit großer Tapferkeit erstaunlich lange bewerkstelligten. Anfang Juli ersetzte Hitler Rundstedt durch Feldmarschall Kluge und Geyr von Schweppenburg durch General Eberbach. Rommel wurde Mitte des Monats schwer verletzt, woraufhin Kluge auch die Heeresgruppe B selbst führte. Die Westmächte hatten unterdessen ihren Briickenkopf stark erweitert, Cherbourg genommen und ihre Kräfte weiter verstärkt. Im Juli verfügten sie über gut 30 Divisionen in ihrem Briickenkopf, brachten also die in England aufmarschierten Bodentruppen größtenteils nach Frankreich (die Luftlandedivisionen wurden zuriickgezogen). Die Überlegenheit der alliierten Truppen betrug personell ungefähr das Doppelte, bei Panzern und Geschützen ungefähr das Dreifache; obendrein besaßen die Westmächte die Luftherrschaft und konnten, anders als die deutsche Seite, in unbegrenzter Menge Munition, Treibstoff und sonstiges Material einsetzen. Auf der deutschen Seite standen im Juli ungefähr 25 Divisionen an der Invasionsfront, so daß fast alle beweglichen Verbände (gepanzerte Divisionen und normale Infanteriedivisionen) dort versammelt wurden. Eine Anzahl von Verbänden blieb immer

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bei der 15. Armee an der Straße von Dover, unter anderem deshalb, weil man auf deutscher Seite lange annahm, dort könnte eine zweite Landung stattfinden. Auf den Ablauf der Kämpfe in der Normandie hatte dies jedoch keinen nennenswerten Einfluß. Die meisten Divisionen der 15. Armee waren unbeweglich, besetzten den Atlantikwall und hätten sich woanders kaum verwenden lassen. Die gepanzerten Divisionen, die in diesem Gebiet standen, wurden den Umständen entsprechend abgezogen. Es verblieben einige reguläre Infanteriedivisionen, die man wohl an die Invasionsfront hätte schaffen können (was erst ab Mitte Juli geschah). Angesichts des gesamten Kräfteverhältnisses ist es jedoch höchst zweifelhaft, ob sie dort etwas Entscheidendes bewirkt hätten. Kluge kam in einer Lagebeurteilung für Hitler vom 21. Juli zu dem Ergebnis, er sei zwar nach Frankreich gekommen mit dem festen Willen, Hitlers Befehl zum Stehen um jeden Preis Geltung zu verschaffen. Jetzt aber sei trotz heißem Bemühen der Augenblick nahegerückt, wo die unerträglich belastete Front breche. Das bedeutete im Grunde, daß es nunmehr allerhöchste Zeit war, dasjenige zu tun, was Rundstedt und Rommel bereits einen Monat früher empfohlen hatten, nämlich den Rückzug einzuleiten. Hitler ließ es nicht zu. So geschah, was zu erwarten war: Die deutsche Front brach. Ab Ende Juli stießen die Amerikaner an der Westseite der Halbinsel Cotentin durch und gewannen die Bewegungsfreiheit im französischen Hinterland. Das letzte Gegenmittel schien ein gepanzerter Gegenstoß auf Avranches am Fuß der Cotentin-Halbinsel zu sein, und dies befahl auch Hit1er. Der Gegenstoß scheiterte jedoch bis zum 8. August, teils wegen der Schwäche der deutschen Verbände, teils wegen der Einwirkung der feindlichen Luftwaffe. Unterdessen nützte die 3. amerikanische Armee unter General Patton die Bewegungsfreiheit im französischen Raum aus, schwenkte südlich um die deutsche Normandie-Front herum und war im Begriff, zusammen mit einem Vorstoß der Briten aus dem Gebiet von Caen, die deutschen Truppen in der Normandie einzukesseln. Nötig war nunmehr der sofortige Ausbruch, aber Hitler, von Kluge zu einem "großen Entschluß" gedrängt, vermochte sich dazu nicht aufzuraffen. Statt dessen löste er Kluge Mitte August ab und ersetzte ihn durch Feldmarschall Model von der Ostfront Kluge wählte daraufhin den Freitod. Am 19. August wurde der Kessel von Falaise geschlossen, der noch 14 Divisionen enthielt, nachdem eine Anzahl weiterer Verbände rechtzeitig entronnen war. Model unternahm es, den Kessel durch Angriff von innen und außen aufzusprengen, wodurch knapp die Hälfte der Soldaten aus dem Kessel entkam. 36 Ab dem 15. August fand die Landung der Westmächte in Südfrankreich statt, an der außer amerikanischen auch französische Divisionen teilnahmen. Hitler sah nun ein, daß der Rückzug unumgänglich war. Sowohl Model im Norden als auch Blas36 Zum Schrifttum über die Invasion die Bibliographie von C. Baxter, Normandy. Ansonsten vor allem Ose, Entscheidung. Zu den deutschen Truppen im Westen auch Müller-Hiliehrand III, 144 f., 153 f., 212 ff. Hitlers Weisung vom 3. II. 1943 in Hubatsch, Weisungen, 270 ff. Kluges Lagebeurteilung vom 21. 7. 1944 in Ose, Entscheidung, 336.

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kowitz, Oberbefehlshaber der Armeegruppe G im Süden, vollbrachten eine bedeutende Leistung, indem sie die verbliebenen Truppen in Richtung auf Deutschland zurückführten. Die alliierten Truppen drängten nach; am 25. August zog General de Gaulle mit einer französischen Division in Paris ein und errichtete eine provisorische Regierung. Anfang September trat eine neue Befehlsgliederung der alliierten Truppen in Kraft. Eisenhower übernahm den Oberbefehl über die Bodentruppen persönlich; unter ihm kommandierten Feldmarschall Montgomery die 21. Armeegruppe (Heeresgruppe) mit einer kanadischen und einer britischen Armee am linken Flügel, der amerikanische General Bradley die I 2. Heeresgruppe mit drei amerikanischen Armeen in der Mitte und der amerikanische General Devers die 6. Heeresgruppe mit einer amerikanischen und einer französischen Armee, die von Südfrankreich heraufkamen, also am rechten Flügel standen. Diese drei Heeresgruppen verfügten Anfang September über 47 Divisionen, die zwar in den vergangenen Kämpfen Verluste erlitten hatten, aber immer wieder aufgefüllt worden waren. Demgegenüber standen zu dieser Zeit an deutschen Verbänden im Westen 48 Infanteriedivisionen (einschließlich bodenständige) und 14 gepanzerte Divisionen (der Zuwachs erklärt sich durch das Heranziehen von Verbänden aus anderen Fronten). Von diesen 62 Divisionen waren nur 13 infanteristische und drei gepanzerte voll kampfkräftig; der Rest war angeschlagen oder abgekämpft, neun infanteristische und zwei gepanzerte befanden sich in der Auffrischung. Es bestand also eine klare Überlegenheit der Westmächte, abgesehen von ihrer Luftherrschaft Es ließ sich indes absehen, daß die Überlegenheit bis zu einem gewissen Grad schwinden würde. Durch den Verlauf der Kämpfe in der Normandie war die ursprüngliche Planung für die Invasion durcheinandergeraten. Die Westmächte hatten beabsichtigt, nach etwa drei Monaten einen Aufmarschraum zwischen Seine und Loire mit den zugehörigen Häfen für den anschließenden Vorstoß nach Deutschland in die Hand zu nehmen. Danach hatten etwa einen Monat lang Truppen und Nachschub für die Offensive bereitgestellt werden sollen. Das Verfahren entsprach ungefähr demjenigen, welches das deutsche OKH beim Rußlandfeldzug von 1941 vorgesehen hatte: Dem Vorstoß bis Smolensk hatte damals eine kurze Pause folgen sollen, um die Verbände aufzufrischen und den nötigen Nachschub heranzubringen. Nunmehr jedoch waren die alliierten Truppen unmittelbar nach der Schlacht in der Normandie in die Verfolgung eingetreten, und zwar ohne die Verbände aufzufrischen, ohne den Nachschub zu sichern und ohne alle Häfen in der Hand zu haben. Etliche dieser Häfen, z. B. Brest, bekamen sie auch nicht so schnell in die Hand, aber den alliierten Befehlshabern schien die Lage so günstig zu sein, daß sie sie ausnutzen wollten. Der Entschluß war zweifellos kühn, doch glaubten die alliierten Befehlshaber, das deutsche Westheer sei so angeschlagen, daß man noch in diesem Jahr nach Deutschland vordringen oder sogar den Krieg beenden könne. Der geschickte Rückzug von Model und Blaskowitz machte freilich einen Strich durch diese Rechnung. Zwar gingen auf dem Rückzug noch einige Truppen verloren, doch wurden die Verluste bis zu einem gewissen Grad wieder ausgeglichen,

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weil der Westfront im Laufe des Rückzugs mehrere Divisionen, Panzerbrigaden und sonstige Truppen zugeführt wurden. Durch den Rückzug gewann das deutsche Westheer Zeit und Gelegenheit, sich wieder zu festigen. Eine Anzahl von Divisionen befand sich bereits in der Auffrischung, weitere konnten in Zukunft aufgefrischt werden, und je mehr sich das deutsche Westheer bei seinem Rückzug der Reichsgrenze näherte, umso kürzer wurden die rückwärtigen Verbindungen, umso leichter wurde das Heranbringen von Verstärkungen und Nachschub. Das deutsche Westheer war wohl geschlagen, aber es war noch nicht vernichtet. Durch den Rückmarsch entzogen es Model und Blaskowitz der Vernichtung und sorgten dafür, daß es in der Nähe der Reichsgrenze noch einmal Fuß fassen konnte - ähnlich wie Model kurz zuvor beim Rückzug an der Ostfront dafür gesorgt hatte, daß der Mittelteil der Ostfront nach einem Rückzug über Hunderte von Kilometern noch einmal Fuß faßte. Umgekehrt mußten die Alliierten erst einmal zu einem geregelten Aufmarsch kommen und ihren Nachschub sicherstellen. Montgomery, der damals noch die Bodentruppen an der Invasionsfront kommandierte, entwickelte im August die Vorstellung, man könne mit der zusammengefaßten Kraft von zwei Heeresgruppen aus der Normandie über Belgien bis in das Ruhrgebiet und wohl gar bis Berlin vorstoßen. Eisenhower folgte dem insofern, als er unmittelbar nach Falaise die Verfolgung aufnehmen ließ. Er war indes klug und vorsichtig genug, sich nicht allein auf dieses riskante Verfahren zu verlassen. Die Deutschen hatten einstweilen noch mehr Divisionen im Westen als die Alliierten. Wenn es nicht gelang, sie im Zuge der Verfolgung zu zerschlagen, dann war es ein Unding, mit unzureichenden Kräften an irgendeiner Stelle isoliert vorzustoßen. Die Deutschen würden nach einiger Zeit einen großen Teil ihrer Verbände wieder instandsetzen und einen isolierten Stoßkeil böse zurichten. Es war deshalb eine weise Entscheidung, daß alle Bodentruppen, einschließlich derjenigen aus Südfrankreich, Eisenhower direkt unterstellt wurden. So konnte eine geschlossene, einheitlich geführte Front vorwärts der deutschen Reichsgrenze errichtet, es konnten die aus Amerika nachfolgenden Divisionen in einen geordneten Aufmarsch eingegliedert und es konnte dann je nach den Umständen entschieden werden, wie man an den Rhein und über den Rhein hinweg vordrang. Mit dem Nachschub verhielt es sich ähnlich. Anfang September standen die Alliierten bereits in Belgien bei Antwerpen sowie in Lothringen vor Metz, Mitte September erreichten sie bei Aachen das Reichsgebiet Aber dadurch wurden natürlich auch die Nachschublinien stark gedehnt, so daß es zu einigen Spannungen in der Versorgung kam und die alliierten Truppen den deutschen Verbänden nicht überall so zügig nachzudrängen vermochten, wie es wünschenswert war. Von den größeren Häfen an der französischen Westküste konnten die Alliierten bis in den September nur Cherbourg benützen, da die anderen noch von deutschen Truppen gehalten wurden, und der große Hafen Antwerpen, über den sich mindestens 50 Divisionen versorgen ließen, wurde für die Alliierten erst Ende November benützbar. Es war deshalb geboten- und Eisenhower entschied auch so-, erst einmal über die Häfen,

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vor allem Antwerpen, sicher zu verfügen, ehe man sich auf eine Entscheidungsschlacht mit den Deutschen vor oder hinter dem Rhein einließ. Besaß man die Häfen, so ließen sich ohne Mühe noch Dutzende von Divisionen aus den USA heranschaffen sowie die Versorgung auf eine verläßliche Grundlage stellen. Montgomery schlug im September vor, von dem insgesamt knappen Nachschub den Löwenanteil seiner eigenen Heeresgruppe zuzuteilen, ihm ferner amerikanische Truppen zu unterstellen, damit er in das Ruhrgebiet und noch weiter vordringen könne. Der Vorschlag war in operativer Hinsicht untauglich; vielleicht wollte Montgomery aber nur darauf hinaus, daß er selber die Masse der Truppen führte, daß er selber den Hauptstoß führte und alle anderen sich nach ihm zu richten bzw. ihn zu unterstützen hatten, so daß am Ende der Ruhm des Sieges vor allem auf ihn und die britische Seite fiel. Hatten die Briten früher die Invasion in Frankreich ein Jahr lang verschleppt, so hatten sie es nun furchtbar eilig, vor den Russen nach Berlin zu kommen. Angesichts der Schwierigkeiten beim Umgang mit so eigenwilligen Verbündeten wie den Briten und den Franzosen hielt Eisenhower es für das Klügste, diplomatisch vorzugehen. Am 10. September genehmigte er Montgomerys neuesten Plan. Die Front der (britischen) 21. Heeresgruppe verlief zu dieser Zeit ungefähr an der beigiseh-holländischen Grenze. Montgomery wollte nun auf der Linie Eindhoven Nimwegen - Arnheim vorstoßen, die drei breiten Ströme Maas, Waal und Rhein auf einen Schlag überwinden und nördlich des Rheins einen Brückenkopf bilden. Anschließend, so stellte sich Montgomery vor, konnte man Holland befreien oder nach Osten eindrehen und die Verteidigung des Ruhrgebiets aus den Angeln heben. Die Durchführung war so geplant, daß Luftlandedivisionen die Brücken zwischen Eindhoven und Arnheim in die Hand nahmen, während ein britisches Korps mit Infanterie und Panzern bis Arnheim durchstoßen und den Brückenkopf errichten sollte. Montgomery berücksichtigte dabei zu wenig, daß Model kurz zuvor zwei abgekämpfte SS-Panzerdivisionen zur Auffrischung in den Raum von Arnheim hatte legen lassen, die 9. SS-Division "Hohenstaufen" und die 10. Division "Frundsberg". Als Montgomerys Operation "Market-Garden" am 17. September begann, war die deutsche Seite auf einen Angriff in diesem Raum vorbereitet. Die Sache endete damit, daß das britische Korps nur bis Nimwegen durchbrach, während eine britische Luftlandedivision in Arnheim aufgerieben wurde. Einen Brükkenkopf jenseits des Rhein erhielt Montgomery nicht. Der Rückschlag von Arnheim zeigte das Ende des weiträumigen Bewegungskrieges der Westmächte an. Zwar griffen ihre Truppen weiter an, aber nicht mit der Aussicht, und möglicherweise auch nicht mit der Absicht, irgendwo einen entscheidenden Durchbruch zu erzielen. An der Reichsgrenze versteifte sich der deutsche Widerstand; der Krieg wurde mehr oder weniger zum Stellungskrieg. Eisenhower durfte sich in seiner vorsichtigen Zurückhaltung bestätigt fühlen. Ohne methodischen Aufmarsch, ohne Verstärkung der Truppen und ohne Sicherung des Nachschubs, vor allem über den Hafen Antwerpen, war der Einbruch nach Deutschland nicht erfolgversprechend; und Montgomery wäre dafür wohl auch

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nicht der richtige Mann gewesen. Wenn die Briten so dringend nach Berlin wollten, dann hätten sie sich das besser früher überlegt, und sie sollten nicht jetzt die Amerikaner dafür verantwortlich machen, daß es nicht möglich war? 7

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1938 wurde in Deutschland die Spaltung des Atomkerns entdeckt. In den Jahren nach Kriegsausbruch fanden sowohl in Deutschland als auch in Britannien und den USA Überlegungen statt, ob und wie die Entdeckung waffentechnisch ausgenützt werden könne. In England wiesen zwei emigrierte Wissenschaftler im Frühjahr 1940 einen Weg auf, wie binnen einiger Jahre Atombomben gebaut werden konnten. Nachdem der Vorschlag auf britischer Seite geprüft und für gut befunden worden war, regte Roosevelt im Oktober 1941 bei Churchill an, schriftlich oder mündlich über den Gegenstand zu beraten, um in Zukunft gemeinsam daran zu arbeiten. Churchill ging jedoch nicht darauf ein, was wohl den Schluß zuläßt, daß in London die Furcht vor einer deutschen Atombombe nicht übermäßig groß gewesen sein kann. In der Tat ließ der deutsche Rüstungsminister Speer 1942 die Entwicklung von Atomwaffen einstellen, anscheinend auf Vorschlag der beteiligten Wissenschaftler, weil man den Aufwand für zu groß erachtete und überdies damit rechnete, daß solche Waffen für die Kriegsentscheidung zu spät kämen. In Amerika wiederum entschied Roosevelt Mitte Juni 1942, ein aufwendiges Programm für die Herstellung von Atomwaffen anlaufen zu lassen. Dieses sogenannte Projekt Manhattan, unter der Leitung von General Groves, war in der Hauptsache eine amerikanische Veranstaltung. Den Briten wurde erlaubt, daran mitzuwirken; zur Entwicklung eigener Atomwaffen kamen sie während des Krieges nicht mehr. Ab 1943 wurde für die Westmächte deutlich, daß es in absehbarer Zeit keine deutsche Atombombe geben würde. Insofern wäre die Entwicklung amerikanischer Atomwaffen also nicht mehr erforderlich gewesen. Überdies stand fest, daß die Niederlage der Achsenmächte demnächst eintreten würde und daß man auch dafür keine Atomwaffen benötigte. Warum wurden die amerikanischen Atombomben trotzdem gebaut? General Groves gab nach dem Krieg darauf eine einfache Antwort. Er meinte, bald nachdem er die Leitung des Projekts Manhattau übernommen habe, sei es ihm unzweifelhaft erschienen, daß Rußland der Feind sei, und auf dieser Grundlage sei das Manhattan-Projekt durchgeführt worden. Er habe Rußland nicht für einen verläßlichen Verbündeten gehalten. Dem Präsidenten habe er in diesem Sinne berichtet. Was Groves hier zum Ausdruck brachte, war in der Form sicher stark zugespitzt, aber es traf politisch und strategisch einen gegebenen Sach37 Die Stärke des Westheeres Anfang September 1944 nach KTB OKW IV I 1, 377 f. Ansonsten Ludewig, Rückzug (mit Schrifttum). Ferner K.-J. Müller, Zusammenbruch. Greiner, Ardennen. Logistics.

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verhalt. Daß die Sowjetunion mit Amerika für eine Welt des Friedens und des Rechts im Geiste der Atlantik-Charta zusammenarbeiten könnte, war nicht mehr als eine fromme Hoffnung. Eher mußten sich die amerikanischen Staatsmänner darauf einrichten, daß zwischen den zukünftigen Weltpolizisten, namentlich zwischen Amerika und Rußland, offene Zwietracht ausbrechen würde. Die USA waren der Sowjetunion an Bodentruppen weit unterlegen, einerseits während des gegenwärtigen Krieges und andererseits nach dem Krieg wahrscheinlich noch mehr, wenn die amerikanischen Streitkräfte demobilisiert wurden. Karn eine befriedete Welt im Geiste der Atlantik-Charta nicht zustande, setzte sich die alte Machtpolitik fort, so brauchte Amerika militärische Stärke, die es am einfachsten durch die Atomwaffen erlangte. Umgekehrt mußte damit gerechnet werden, nachdem die Herstellung von Atombomben möglich zu sein schien, daß das Geheimnis über kurz oder lang auch anderen Ländern zugänglich sein würde. In der Sowjetunion wurde 1942 mit entsprechenden Arbeiten begonnen, zudem suchte man den eigenen Kenntnisstand durch Spionage bei den Westmächten zu verbessern. Falls Amerika den Bau von Atomwaffen einstellte, mochte es eines Tages mit leeren Händen dastehen, während Rußland solche Waffen besaß. Wenn die alte Machtpolitik sich fortsetzte, tat Amerika gut daran, auf die wirkungsvollsten Waffen nicht zu verzichten. Rußland war dann der potentielle Feind, und es empfahl sich nicht, ihm wehrlos zu begegnen. Roosevelt und Churchill verhielten sich entsprechend. Im Sommer 1943 kamen sie überein, nur im gegenseitigen Einvernehmen Atomwaffen anzuwenden oder Kenntnisse darüber weiterzugeben. Im Sommer 1944 trat die Frage hervor, ob man die Sowjetunion in die Entwicklung von Atomwaffen einbeziehen und internationale Vereinbarungen über diesen Gegenstand anstreben solle. Der bekannte Physiker Niels Bohr richtete einen flammenden Aufruf an Roosevelt, in welchem er festhielt, die schreckliche Aussicht eines künftigen Wettlaufs zwischen den Nationen könne nur durch eine universelle Vereinbarung auf der Grundlage wirklichen Vertrauens vermieden werden. Wohlgesetzte Worte! Nur übersah Bohr, daß es nicht an den Westmächten lag, Stalin Vertrauen entgegenzubringen, sondern daß es an Stalin lag, seine Vertrauenswürdigkeit nachzuweisen. Roosevelt war seit 1942 bereit, die Sowjetunion zum Weltpolizisten zu machen und ihre Sicherheit zu gewährleisten - unter der Voraussetzung, daß Stalin jegliche Räuberei in Europa unterließ. Spätestens 1944 zeichnete sich jedoch immer deutlicher ab, daß Stalin alle Beute an sich nehmen würde, die er erraffen konnte. Abteilungsleiter Berle vom amerikanischen Außenministerium stellte in einer Denkschrift vom September 1944 zusammen, wie sich die militärische und politische Lage im Sommer 1944 darbot. Berle rechnete damit, daß die Rote Armee das ganze östliche und mittlere Europa einschließlich des Balkans besetzen werde bis hin zu einer Linie von der Mitte Deutschlands bis zur Adria. Hinter dieser Linie würden überall Moskau-hörige Regierungen eingesetzt. Berle nahm an, daß Präsident Roosevelt nicht wünsche, amerikanische Truppen östlich von Italien und östlich von der amerikanischen Besatzungszone in Deutschland zu verwenden. Es würde also genau das eintreten,

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was ja eigentlich schon viel früher klar gewesen war: Die Westmächte würden von Europa genau so viel erhalten, wie Stalin ihnen übrig ließ. Schon im Juli 1944 hatte Berle sich die Frage vorgelegt, welchen Wert eine neue internationale Organisation habe, wenn sie nur einer tatsächlichen Lage übergestülpt werde, in welcher jedes Land, ausgenommen Amerika, seine eigenen Interessen mit einer Wildheit verfolge, die derjenigen des Krieges gleichkomme. Die geplanten Vereinten Nationen würden also voraussichtlich auch nicht mehr taugen als der mißratene Völkerbund. Unter solchen Umständen ist es nicht verwunderlich, daß Roosevelt und Churchill im September 1944 übereinkamen, alles Wissen über Atomwaffen für sich zu behalten. Was Niels Bohr betraf, so sollte er überwacht werden, damit er nicht in seinem unangebrachten Idealismus Geheimnisse an die Russen verriet. Mit dem Übereinkommen zwischen Roosevelt und Churchill wurde nicht etwa eine gedeihliche internationale Zusammenarbeit in Sachen Atomwaffen vereitelt. Sondern gemeint war damit, daß man die Gewaltpolitik der Sowjetunion nicht auch noch honorieren und ihr nicht die Mittel an die Hand geben wollte, ihren Machtbereich zu festigen oder auszuweiten. 38 Gemäß der Atlantik-Charta hatten alle Völker frei werden sollen, auch die besiegten, und sie hatten alle das gleiche Lebensrecht erhalten sollen. Die AtlantikCharta war im Washington-Pakt sowie im britisch-russischen Bündnisvertrag vom Januar und Mai 1942 noch einmal bestätigt worden. Nichtsdestoweniger hatte sich schon bald abgezeichnet, daß die Sowjetunion willens und Britannien bereit war, solche Verträge und Abmachungen zu brechen. Roosevelt hatte den Krieg führen wollen, um dem Recht zum Sieg zu verhelfen, aber dafür wurde der Krieg sicher nicht mehr geführt. Die Amerikaner hatten 1942 beabsichtigt, durch eine frühzeitige Invasion in Frankreich den Krieg bald zu beenden und Europa vor dem Zugriff der Roten Armee abzuschirmen. Wegen Churchills Mittelmeerstrategie war das Vorhaben gescheitert. 1943 tauchte der Gedanke, Europa vor der Roten Armee zu besetzen, noch einmal auf. William Bullitt, ein Vertrauter Roosevelts, der früher Botschafter in Moskau und Paris gewesen war, erhielt Ende 1942 vom Präsidenten die Aufforderung, seine Beurteilung der Lage abzugeben, und tat dies verschiedentlich im Laufe des Jahres 1943. In mehreren Schreiben zwischen Januar und August legte Bullitt dar, Stalin werde den sowjetischen Macht- und Einflußbereich während des Krieges oder gegebenenfalls danach so weit ausdehnen, wie er nur könne. Bullitt gebrauchte dabei das Bild einer Amöbe; wo die Sowjetunion auf Widerstand stoße, halte sie an, wo der Widerstand schwach sei, bewege sie sich vorwärts. Unverblümt stellte Bullitt fest, daß der Plan, alle kontinentaleuropäischen Länder außer der Sowjetunion zu entwaffnen, unbrauchbar sei. Damit lade man Stalin nur ein, ganz Europa zu beherrschen. 38 Zur Entwicklung von Atomwaffen V. Jones, Manhattan. Edmonds, 375 ff. Hathaway, 212 ff. Speer, Erinnerungen, 239 ff. Einige Angaben auch bei M. Walker, Legenden. Groves 1954 nach Sherwin, World, 62. Vgl. Berezhkov, Stalin, 56 f. Zur Übereinkunft Rooseve1t Churchill, September 1944, Sherwin, World, I 08 ff., 284. Berle im Sommer 1944 nach dessen Navigating, 456,460 ff.

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Um einer solchen Gefahr vorzubeugen, empfahl Bullitt verschiedene Maßnahmen, darunter immer wieder ein Vordringen der Westmächte auf dem Balkan. Bullitt stellte sich das so vor, daß die meisten Balkanvölker die Westmächte als Befreier begrüßen würden, so daß die Deutschen leicht vertrieben werden könnten. Die Westmächte würden nach Norden vorrücken, in das südliche Polen und nach Österreich. Bullitt hielt es für vorstellbar, daß Hitler dann gestürzt würde und die Wehrmacht weiter die Ostfront gegen die Rote Armee halte, bis die Westmächte zum Baltikum durchstießen und so Europa gegen die Sowjetunion abriegelten. Auf diese Weise könnten die Westmächte die Länder Europas vor dem Bolschewismus bewahren. Später wurde öfters vermutet, Churchill habe ähnliche Absichten gehegt. In der Tat spielte die britische Seite 1943 beständig mit dem Gedanken, im Rahmen ihrer Mittelmeerstrategie nicht bloß in Italien zu landen, sondern einen Angriff auch im türkisch-griechischen Raum zu unternehmen. Schon Anfang des Jahres wurde erwogen, aus dem Gebiet der europäischen Türkei auf dem Balkan vorzudringen; und noch im Oktober 1943 sprach Churchill gegenüber seinem Außenminister Eden von der Möglichkeit, durch die Ägäis nach Norden vorzustoßen, um schließlich den Russen an der Donau die Hand zu reichen. Dabei ist jedoch zweierlei zu beachten. Erstens hatten die britischen Überlegungen nichts mit dem Bullitt-Plan gemein, und zweitens war der Bullitt-Plan aus militärischen Gründen schlicht untauglich. Bullitt wollte die Entscheidung gegen Deutschland nicht durch eine Invasion in Frankreich suchen, sondern durch den Kampf auf dem Balkan. Gegenüber dem Kriegsschauplatz in Frankreich bot indes derjenige auf dem Balkan nur Nachteile für die Westmächte. Die Verbindungslinien waren wesentlich länger, das Heranschaffen von Truppen und Nachschub wesentlich schwieriger, das Gelände wesentlich ungünstiger, die Unterstützung aus der Luft beschwerlicher und der Weg nach Deutschland viel weiter. Gegen entschlossenen deutschen Widerstand und bei einigermaßen geschickter deutscher Führung durften die Westmächte nicht hoffen, auf dem Balkan rasch voranzukommen, zumindest nicht rasch genug. Es mochte dann der Fall eintreten, daß die Westmächte sich noch auf dem Balkan schlugen, während die Rote Armee nach Deutschland vordrang, womöglich gar bis Frankreich durchstieß. Man sollte bedenken, daß die Westmächte zwischen der Invasion in Frankreich 1944 und der deutschen Kapitulation, also innerhalb eines knappen Jahres, ungefähr 1000 km zurücklegten. Auf dem Balkan hätten sie für dieselbe Entfernung wahrscheinlich länger gebraucht, und dann standen sie erst in Ungarn. Durch einen Kampf auf dem Balkan konnten die Westmächte allenfalls diesen vor dem russischen Zugriff bewahren, aber nicht das westliche Europa. Wollten die Westmächte das westliche Europa abschirmen, so mußten sie dort landen, eben in Frankreich. Wie weit die Westmächte dann in Europa vorzudringen vermochten, würde sich zeigen; strategisch war es jedenfalls nützlich, die Rote Armee nicht bis zu den atlantischen Küsten Europas durchbrechen zu lassen, d. h. in Deutschland nicht bis an die Nordsee. Ferner empfahl es sich, wenn man schon nicht ganz Deutschland besetzen konnte, dann wenigstens die westliche Hälfte davon mit ih20 Rauh, Zweiter Weltkneg 3. Teil

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ren wertvollen Industriegebieten zu besetzen, um dieses Potential der Sowjetunion vorzuenthalten. Was die britische Seite betrifft, so zielte sie, soweit erkennbar, nicht darauf ab, durch einen Vormarsch auf dem Balkan das westliche Europa vor der Sowjetunion abzuschirmen. Dagegen wollten die Briten, zumindest Churchill, offenbar den Nordostsaum des Mittelmeers gegen Ansprüche der Sowjetunion sichern, insbesondere die türkischen Meerengen. Für Churchill war dies nicht neu; er hatte schon als Marineminister im Ersten Weltkrieg versucht, die türkischen Meerengen unter britische Aufsicht zu bringen. In diesem Sinn kam Churchill 1943 immer wieder darauf zurück, seine Mittelmeerstrategie über Italien hinaus in das östliche Mittelmeer zu verlängern, die Türkei in den Krieg zu ziehen und im Balkangebiet kleinere Angriffsoperationen durchzuführen. Augenscheinlich war aber eine große, entscheidungssuchende Offensive auf dem Balkan nicht geplant. Bei den Amerikanern riefen die britischen Absichten trotzdem Besorgnisse wach. Die Amerikaner drängten nun darauf, endlich die Kräfte für eine große Invasion in Frankreich zusammenzuziehen, damit diese wenigstens 1944 stattfinden konnte. Wegen der Verzettelung der Kräfte im Mittelmeer ließen sich für die Landung in Frankreich ohnedies nicht so viele Truppen bereitstellen, wie früher einmal geplant worden war. Wenn die Briten ihre Mittelmeerstrategie im Balkangebiet fortsetzten, stand zu befürchten, daß die Kräfte noch mehr verzettelt würden und die Invasion in Frankreich noch einmal verschoben werden mußte. Es mochte dann sein, daß Britannien die Mittelmeerachse seines Empire sicherte, wogegen die Sowjetunion den Rest Europas in Besitz nahm. Deshalb warnte der amerikanische Kriegsminister Stimson im Mai 1943 seinen Präsidenten, es sei ein gefährliches Geschäft, wenn die Briten mit ihrer Mittelmeerstrategie das Bein des Jagdwildes hielten, während Stalin es abhäute. Stalin werde vor Leuten, die so etwas täten, nicht viel Respekt haben, und man werde dann nicht mehr viel von der Welt mit ihm teilen können. Der Vorsitzende der amerikanischen Stabschefs, Admiral Leahy, vermerkte etwa zur seihen Zeit, die britische Politik ziele darauf ab, das Mittelmeer zu sichern, ohne Rücksicht darauf, welches Kriegsergebnis dies nach sich ziehe. 39 Immerhin kam es 1943 doch noch zu dem Beschluß, die Invasion in Frankreich Mitte 1944 durchzuführen. Roosevelt und Churchill vereinbarten im Sommer 1943 als Termin für die Landung in Frankreich den Mai 1944. Als sich die beiden westlichen Staatsmänner im Herbst 1943 zu ihrem ersten gemeinsamen Gipfelgespräch mit Stalin in Teheran trafen, verlangte auch der sowjetische Diktator mit Nachdruck die Invasion zu der vorgesehenen Zeit. Die Gründe für das Verhalten Stalins im Herbst 1943 bleiben undeutlich. Stalin hatte seit 1941 die Errichtung einer 39 Bullitts Schreiben an Roosevelt, 29.1. und 10. 8. 1943, in Bullitt, President, 575 ff., 595 ff. Vgl. Stoler, Front, 138. Zu Churchills Balkanstrategie Grimm, Südosteuropa. Minuth, Balkanstrategie. Ders., Südosteuropastrategie. Vgl. Hillgruber, Das Problem der ,,Zweiten Front" in Europa 1941 - 1944, in ders., Großmachtpolitik, 332 - 350. Churchill an Eden, 20. 10. 1943, nach Jacobsen, Weg, 377 f. Stirnsen und Leahy im Mai 1943 nach Stoler, Politics, 93, 95. Vgl. ders., Front, 139.

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zweiten Front in Westeuropa gefordert, zunächst gegenüber den Briten, dann gegenüber beiden Westmächten. Dies ist leicht verständlich in den Jahren, als die Sowjetunion von der Wehrmacht noch hart bedrängt wurde; das Errichten einer zweiten Front hätte die Rote Armee entlastet, weil es namhafte Kräfte von der deutschen Ostfront abgezogen hätte. Das Vordringen der Westmächte ins Mittelmeer betrachtete Stalin zu Recht nicht als vollwertigen Ersatz für eine zweite Front. Den Abzug umfangreicher Kräfte von der Ostfront machte es nicht erforderlich; es diente nur den imperialen Interessen Britanniens und verlängerte den Krieg. Zudem gab es dem Verdacht Nahrung, die Westmächte wollten die Wehrmacht und die Rote Armee sich gegenseitig erschöpfen lassen. Als Stalin wegen der zweiten Front von den Westmächten geraume Zeit hingehalten und vertröstet wurde, spitzten sich die Spannungen so weit zu, daß Stalin Mitte 1943 seine Botschafter aus Washington und London zurückberief. Andererseits hatte Roosevelt seit 1942 versucht, Stalin persönlich zu treffen, was jedoch einstweilen nicht gelang. Gegen Mitte 1943 schien Stalin endlich zu einem solchen Treffen bereit zu sein, blies es jedoch wieder ab, als ihm einmal mehr das Verschieben der zweiten Front mitgeteilt wurde. Anfang August 1943 machte Stalin aber von sich aus den Vorschlag, Vertreter der drei Mächte sollten sich zur Beratung gemeinsamer Fragen treffen. Dies führte dann zu einer Konferenz der Außenminister, die im Oktober 1943 in Moskau stattfand. In der Folgezeit einigte man sich auch auf eine Konferenz der Regierungschefs, die vom 28. November bis zum 1. Dezember 1943 in Teheran abgehalten wurde. Schon die Tagungsorte weisen darauf hin, daß Stalin im Begriff war, eine herausgehobene Stellung in der Anti-Hitler-Koalition zu gewinnen. Man mußte sich an Orte bemühen, die ihm genehm waren. Bei der Moskauer Außenministerkonferenz machte die sowjetische Seite den Vorschlag, die Türkei in den Krieg zu ziehen. Das war Wasser auf die Mühlen Churchills, der noch immer dem Wunsch nachhing, eine Operation im Balkangebiet zu unternehmen, und der zu diesem Zweck auch eine erneute Verschiebung der zweiten Front in Frankreich gern gesehen hätte. Wegen dieser Angelegenheit kam es zu weiteren Auseinandersetzungen zwischen Briten und Amerikanern. Merkwürdigerweise trat jedoch Stalin in Teheran gewissermaßen als Schlichter auf und sprach sich für die Invasion in Frankreich im Mai 1944 aus. Warum? Auf eine Entlastung durch die Westmächte war er zu dieser Zeit nicht mehr dringend angewiesen; die Rote Armee trieb bereits die Wehrmacht an der Ostfront vor sich her. Wurde die Invasion in Frankreich erneut verschoben, so konnte die Rote Armee sich noch näher an das mittlere Europa heranschieben und besaß gute Aussichten, bis zur deutschen Kapitulation sehr weit nach Westen vorzudringen. Demnach könnte man vermuten, daß Stalin auf die zweite Front in Frankreich keinen gesteigerten Wert mehr legte, sondern lieber die Westmächte mit Unternehmungen auf dem Balkan beschäftigt sehen wollte. Dem scheint jedoch zu widersprechen, daß Stalin in Teheran den Eindruck erweckte, er wünsche eine baldige Invasion in Frankreich. Möglicherweise liegt die Erklärung darin, daß man den vermeintlichen Willensbekundungen der sowjetischen Regie20*

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rung in jener Zeit keinen großen Wahrheitsgehalt beimessen darf. Nachdem Stalin jahrelang die baldige Errichtung der zweiten Front verlangt hatte, konnte er nunmehr nicht plötzlich eine Kehrtwendung vollziehen, sonst hätte er bestimmt die Westmächte stutzig gemacht. Wenn Stalin im Herbst Gespräche mit den Westmächten suchte, dann läßt sich das auch so deuten, daß Stalin herausbekommen wollte, was sie vorhatten, bzw. daß er die westlichen Staatsmänner aushorchen wollte. Ein solches Verhalten lag umso näher, als der Endkampf um Europa vor der Tür stand. Stalin konnte dabei den Gang der Dinge gelassen abwarten; er würde auf jeden Fall beträchtliche Gewinne machen. Falls die Westmächte sich dem Balkan zuwandten und die Landung in Frankreich verschoben, würden die sowjetischen Truppen wahrscheinlich als Sieger in Mitteleuropa einziehen, unter Umständen sogar bis Paris gelangen. Falls die Westmächte auf dem Balkan nichts mehr unternahmen, vielmehr Mitte 1944 in Frankreich landeten, dann würde voraussichtlich der größte Teil des Balkans der Sowjetunion anheimfallen. Übrigens scheint die Anlage der russischen Offensive von Mitte 1943 bis Frühjahr 1944 mit ihrem Schwerpunkt in der Ukraine darauf hinzudeuten, daß die Augen der sowjetischen Führung schon damals auf den Balkan gerichtet waren. Was Mitteleuropa betrifft, so würde es voraussichtlich zu einem Wettrennen zwischen der Roten Armee und den Streitkräften der Westmächte kommen. Wie das Wettrennen ausging, ließ sich schwer vorhersagen; je nach den Umständen konnte es am Rhein enden, an der Weichsel oder irgendwo dazwischen. 40 Daß ein solches Wettrennen stattfinden würde, wußte auch Roosevelt. Im September 1943 sagte er zu Kardinal Spellman, er hoffe, daß die Sowjetunion nur etwa 40 Prozent der kapitalistischen Länder Europas in ihre Gewalt bringe. Wo das Vordringen der Roten Armee enden würde, vermochte er naturgemäß nicht zu sagen, doch stellte er in Rechnung, daß jedenfalls bis hin nach Deutschland kommunistische Regierungen eingesetzt würden. Umgekehrt geht aus Roosevelts Worten hervor, daß er es gern gesehen hätte, wenn der sowjetische Anteil weniger als 40 Prozent betrug. Hätte zum Beispiel die deutsche Wehrmacht bis Kriegsende an der Weichsel standgehalten, so wären es vielleicht nur 20 Prozent geworden. Der Gedanke des Wettlaufs trat auch an anderer Stelle hervor. Seit dem Frühjahr 1943 gab es in London einen britisch-amerikanischen Stab, der vorbereitende Arbeiten erledigte für einen erst noch zu ernennenden gemeinsamen Oberbefehlshaber auf dem (west-) europäischen Kriegsschauplatz. Dieser Stab, unter Leitung des britischen Generals Morgan, beschäftigte sich mit der Planung eines Angriffs über den Ärmelkanal und erhielt daneben noch eine andere Aufgabe. Bei einem Ge40 Allgemein zu den Konferenzen von Moskau und Teheran Sainsbury. Zum Zustandekommen der Konferenzen sowie zu Stalins Haltung in Teheran Stalin, Correspondence I, 136 ff., 148 ff.; li, 68 ff., 79. FRUS 1943 I, 514 ff. FRUS, The Conferences at Cairo and Tehran 1943, Washington 1961, 3 ff., 487 ff. A. Fischer, Teheran, 22 ff. Vgl. Tyrell, Deutschlandplanung, 122 ff., 184 ff. Zur Einschätzung der sowjetischen Politik in den USA im Sommer 1943 auch eine Ausarbeitung aus dem amerikanischen Außenministerium, September 1943, in Dokumente zur Deutschlandpolitik 1/4, 501 ff.

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spräch zwischen Roosevelt, Hopkins, Hull und Eden im März 1943 schlug Hopkins vor, sich Gedanken darüber zu machen, wie die Besetzung Deutschlands durch amerikanische, britische und russische Streitkräfte vonstatten gehen solle. Roosevelt stimmte dem zu; er bemerkte aber, die Frage werde nicht so schwer sein, wenn erst die Truppen der Westmächte mit vollem Gewicht in Frankreich oder Deutschland stünden, dagegen müsse man einen Plan ausarbeiten für den Fall, daß Deutschland zusammenbreche, bevor die Westmächte nach Frankreich kämen. Die amerikanischen Stabschefs richteten in jener Zeit ebenfalls ihr Augenmerk auf die Möglichkeit, daß die Rote Armee nach Mitteleuropa vordrang, ohne daß die Westmächte zur Stelle waren, und wollten in diesem Fall rasch Truppen auf den Kontinent werfen. So erhielt der Stab von General Morgan in London den Auftrag, sich um diese Angelegenheit zu kümmern. Im August stellte Roosevelt fest, er wünsche in einem solchen Fall Berlin so schnell zu erreichen wie die Russen. Morgans Stab arbeitete verschiedene Pläne aus für ein Unternehmen mit dem Decknamen "Rankin", je nach dem Grad der deutschen Schwäche bis hin zum völligen Zusammenbruch. Unterdessen war von britischen Stellen ein Plan entwickelt worden für eine reguläre Besetzung Deutschlands, also nicht den Notfall Rankin, sondern den gemeinsamen Einmarsch westlicher und russischer Truppen in Deutschland nach einer Invasion in Frankreich. Dieser Plan sah ungefähr die Einteilung Deutschlands in Besatzungszonen vor, wie sie dann später tatsächlich verwirklicht wurde, d. h. der ganze Mittel- und Ostteil Deutschlands einschließlich Berlin gehörte zur sowjetischen Besatzungszone. Der Stab von General Morgan suchte nun seinen Rankin-Notfallplan jenem britischen Besetzungsplan anzupassen. Roosevelt beriet darüber am 19. November mit seinen Stabschefs und brachte das Gespräch sofort auf den entscheidenden Punkt. Er stellte nämlich fest, daß die Frage der Besetzung Deutschlands mit der Frage der Teilung verknüpft sei. Das war ganz folgerichtig, wenn man von der seit Jahren bekannten Voraussetzung ausging, daß die Sowjetunion von dem, was sie einmal in ihre Gewalt gebracht hatte, voraussichtlich nichts mehr herausgab. Die Besetzung der östlichen Hälfte Deutschlands durch die Rote Armee würde demnach wahrscheinlich die Teilung Deutschlands entlang der entsprechenden Zonenlinie nach sich ziehen. Dagegen wandte sich Roosevelt. Der Stab von General Morgan bearbeitete auch die große Invasion in Frankreich, die für 1944 geplant war, und sah dabei vor, die amerikanischen Truppen am rechten Flügel, die britischen am linken Flügel anzusetzen. Diese Einteilung war aus militärischen Gründen erfolgt, weil es zweckmäßig war, die Aufstellung und Bewegung der amerikanischen Truppen an den verfügbaren Häfen auszurichten. Daraus ergab sich jedoch, daß die Briten am linken Flügel nach Norddeutschland, die amerikanischen am rechten Flügel nach Süddeutschland vorrücken würden, was nunmehr auch für Rankin gelten sollte. Das gefiel Roosevelt nicht. Er erklärte, es werde ohne Zweifel ein Wettrennen nach Berlin geben. Die USA sollten Berlin selbst einnehmen, daher könne es notwendig werden, amerikanische Divisionen so schnell wie möglich nach Berlin zu bringen.

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ll. Irrwege

Hopkins schlug vor, zwei Stunden nach dem deutschen Zusammenbruch eine amerikanische Luftlandedivision in Berlin abzusetzen. Da amerikanische Bodentruppen schwerlich nach Berlin kommen konnten, wenn sie auf Süddeutschland angesetzt waren, wünschte Roosevelt ein Vertauschen der Besatzungszonen; die Amerikaner sollten nach Norddeutschland vorrücken. Als weiteres Argument brachte Roosevelt vor, daß bei einem Vormarsch der amerikanischen Truppen am rechten Flügel die USA sich auch um Frankreich kümmern müßten. Das wünschte Roosevelt nicht; wenn die Briten Frankreich als Großmacht wieder aufpäppeln wollten, sollten sie sich selber darum kümmern. Admiral Leahy, der zeitweise Botschafter in Frankreich gewesen war, bekräftigte dies und meinte, die Deutschen seien leichter zu handhaben als die Franzosen, also sollten die USA lieber Deutschland als Frankreich besetzen. Da Roosevelt auf jeden Fall Berlin vor den Russen einnehmen wollte, wünschte er auch eine andere Abgrenzung der Besatzungszonen, als die Briten sie vorsahen. Die Amerikaner sollten Norddeutschland erhalten, ungefähr nördlich des Mains, im Osten begrenzt von einer Linie, die ungefähr von der Ostseite Thüringens über Berlin bis Stettin lief. Dies hatte zur Folge, daß die sowjetische Besatzungszone verhältnismäßig klein wurde und nur noch einen Landstreifen von 5stpreußen über Ostpommern bis Schlesien und Sachsen umfaßte. Damit gewannen die Westmächte gegenüber der Sowjetunion jedenfalls eine starke Verhandlungsposition: Sie hatten den größten Teil Deutschlands in der Hand einschließlich der Hauptstadt und vermochten, wenn es zu Diskussionen mit Moskau über die weitere Behandlung Deutschlands kam, ein erhebliches Gewicht in die Waagschale zu werfen. Roosevelt meinte, Stalin könne einer solchen Aufteilung Deutschlands zustimmen. Das kann zweierlei heißen. Im schlimmeren Fall mußten die Westmächte, wenn es zu einer Verständigung mit Moskau nicht kam, die sowjetische Besatzungszone abschreiben. Im günstigeren Falle würde Moskau sich mit einer mittelbaren Aufsicht über Deutschland begnügen, nämlich in seiner Rolle als Weltpolizist; dann ließ sich eine unmittelbare Beherrschung der sowjetischen Besatzungszone vermeiden. All dies blieben bloße Eventualüberlegungen. Der Fall Rankin trat nicht ein, und die Amerikaner gelangten nicht bis Berlin. Trotzdem läßt sich daraus eine Erkenntnis gewinnen. Roosevelt war nach wie vor willens, von Buropa so wenig wie möglich den Russen in die Hände fallen zu lassen. Im Notfall Rankin, unter ungünstigen Umständen, wollte Roosevelt wenigstens Berlin erreichen. Das läßt den begründeten Schluß zu, daß Roosevelt bereit und willens war, unter günstigeren Umständen noch viel weiter vorzudringen. Zwar nicht wegen belangloser Geländegewinne, sehr wohl jedoch dann, wenn der Aufwand gerechtfertigt war durch eine wesentliche Verbesserung der strategischen und politischen Lage. Wenn beispielsweise die deutsche Wehrmacht noch vorwärts der deutschen Ostgrenze der Roten Armee standgehalten hätte, so ist kaum vorstellbar, daß die Amerikaner und ebenso die Briten die Gelegenheit nicht wahrgenommen hätten, bis dicht hinter die deutsche Ostfront durchzustoßen. In einem solchen Fall hätten die Westmächte, selbst ohne das Bestreben, der Roten Armee bei der Besetzung Europas zuvorzu-

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kommen, schwerlich in der Mitte Deutschlands angehalten und das weitere Geschehen an der deutschen Ostfront aus respektvoller Entfernung betrachtet. 41 Wenn die mögliche Teilung Deutschlands mit dem Vordringen der Roten Armee zusammenhing, dann erhebt sich die Frage, was es mit anderen Teilungsplänen auf sich hatte. Hierzu ist vorab festzuhalten, daß es unter den Siegermächten einen formellen Beschluß über die Zerstückelung Deutschlands nie gegeben hat. Der einzige, der fortwährend an der Idee festhielt, Deutschland zu teilen, war Churchill. Schon 1940 sprach er mehrfach davon, Deutschland in ein nördliches und ein südliches Gebilde aufzuspalten. Das nördliche pflegte er als "Preußen" zu bezeichnen, dem er den angeblichen "preußischen Militarismus" anlastete; das südliche Gebilde sollte außer Baden, Württemberg, Bayern und Österreich auch Ungarn umfassen. Diesen Gedanken trug er in den folgenden Jahren immer wieder vor, so auch in Teheran. Bei allen anderen Beteiligten läßt sich auf den ersten Blick eine klare Linie nicht erkennen. Als Eden sich im März 1943 in Washington aufhielt, sagte er, seine eigene Meinung und diejenige der britischen Regierung neige zu einer Aufsplitterung Deutschlands. Kaum ein halbes Jahr später, bei einer Konferenz mit den Amerikanern im August, brachte Eden das Gegenteil vor. Nunmehr hieß es, er selber und die Mehrheit des Kabinetts neigten nicht zur Aufspaltung. Im amerikanischen Außenministerium wurden 1942 I 43 Teilungspläne debattiert; aber 1943 nahm Außenminister Hull die Dinge in die Hand und gab der Einheit Deutschlands, ungefähr in den Grenzen von 1937, den Vorzug. Stalin brachte Ende 1941 die Zerstückelung ins Gespräch, aber schon im Februar 1942 prägte er die Formel, daß die Hitler kommen und gehen, wogegen das deutsche Volk und der deutsche Staat bleiben. In Teheran erwähnte Stalin eine möglichst harte Behandlung Deutschlands, bis hin zu Massenerschießungen und zur Zerstückelung. Doch bemerkte ein amerikanischer Beobachter, daß Stalin sich auf keine bestimmte Lösung festlegte, vielmehr die Ansichten Roosevelts und Churchills zu erfahren trachtete. Die Zerstückelungsfrage wurde anschließend einem nachgeordneten Beratungsgremium überwiesen, in welchem die sowjetische Seite die weitere Untersuchung blockierte. Nach der deutschen Kapitulation, am 9. Mai 1945, erklärte Stalin dann öffentlich, die Sowjetunion wolle Deutschland nicht zerstückeln. Roosevelt schließlich, der gemeinhin als entschiedener Verfechter des Teilungsgedankens gilt, sagte fast bei jeder Gelegenheit etwas anderes, je nachdem, mit wem er gerade sprach und was er dabei erreichen wollte. Dem kanadischen Ministerpräsidenten Mackenzie King erklärte er im Dezember 1942, Deutschland solle nicht zerstückelt werden und solle auch keine Gebiete verlieren. Dagegen teilte er Kardinal Speilman im September 1943 mit, Deutschland solle aufgespalten werden 41 Roosevelt zu Kardinal Spellman, 2. I 3. 9. 1943, Roosevelts Gespräch mit Hopkins, Hull und Eden, 17. 3. 1943, Rooseve1ts Unterredung mit den Stabschefs, 19. II. 1943, in Dokumente zur Deutschlandpolitik 114, 509 f., 230 f., 648 ff. Die amerikanischen Stabschefs über Notfall, Frühjahr 1943, Roosevelt über Berlin, 23. 8. 1943, nach Sto1er, Front, 137, 139. Ders., Politics, 123. Ferner Tyrell, Deutschlandplanung, 199, 230 ff. Matloff, Planning, 340 f. Ziemke, Occupation, 116 f. Sharp, Division, passim.

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II. Irrwege

und solle auch Gebiete verlieren. Wenn Roosevelt sich über die Teilung äußerte, so faßte er teils drei, teils fünf, teils mehr Bruchstücke ins Auge. In Teheran nannte er fünf Teile, wozu noch Gebiete unter internationaler Aufsicht kommen sollten, insbesondere die westlichen Industrieregionen. Dagegen sah er bei der vorhin erwähnten Unterredung mit den Stabschefs über den Rankin-Fall eine völlig andere Einteilung vor, denn hier sprach er von drei Teilen entsprechend den Besatzungsgebieten. Als im September 1944 der amerikanische Finanzminister Morgenthau seinen berüchtigten Plan über die Zerschlagung der deutschen Industrie vorlegte, wurde wieder eine andere Art der Zerstückelung vorgeschlagen. Morgenthau wünschte nämlich, ähnlich wie Churchill, die Aufspaltung in einen nord- und einen süddeutschen Staat, dazu ein Gebiet unter internationaler Aufsicht, welches vor allem das Ruhrrevier umfassen sollte. Roosevelt stimmte nunmehr diesem Plan zu (und verwarf ihn später wieder). Was wollte Roosevelt wirklich? 42 Die Frage betrifft andere Beteiligte ebenso. Für Stalin dürfte gelten, was die Staatsmänner in Washington und London spätestens seit 1941 I 42 erwarteten: Stalin würde so viel nehmen, wie er bekommen konnte. Bekam er Deutschland ganz, so würde er es ganz nehmen; bekam er nur die Hälfte, so würde er diese nehmen. Bereits Ende 1941 hatte er angedeutet, Europa solle in eine sowjetische und eine westliche Einflußzone aufgeteilt werden, wobei die Grenzlinie zwischen beiden Zonen entweder mitten durch Deutschland oder vielleicht noch weiter westlich verlaufen solle. Ab 1943 schälte sich heraus, daß er gute Aussichten hatte, solche Ziele zu verwirklichen. Darüber hinaus hatte Stalin Ende 1941 auch erkennen lassen, daß er gewisse Grenzveränderungen in Aussicht nahm. Auf jeden Fall wünschte er der Sowjetunion diejenige Westgrenze zu geben, die sie infolge des Paktes mit Hitler erhalten hatte, also eine Linie, die das Baltikum, den östlichen Teil des früheren polnischen Staates sowie das zeitweise rumänische Bessarabien einschloß. Gewissermaßen im Gegenzug hatte er Polen nach Westen vergrößern wollen, indem Polen auf Kosten Deutschlands das Gebiet bis zur Oder erhielt. Desgleichen hatte er Ostpreußen an Polen geben wollen, wahrscheinlich mit Ausnahme von dessen Nordteil, welchen er der Sowjetunion vorbehielt. In Teheran bestätigte Stalin diese Absichten; er sprach davon, daß Rußland den Polen helfen wolle, die Grenze an der Oder zu erhalten, und verlangte nunmehr ausdrücklich die Nordhälfte von Ostpreußen mit Königsberg für die Sowjetunion. Mit seinen Absichten konnte Stalin an entsprechende Bestrebungen bei etlichen anderen Ländern anknüpfen. Die polnische Exilregierung in London unter ihrem 42 Churchill und Eden über Zerstückelung Deutschlands in Dokumente zur Deutschlandpolitik II I, 198 f. (23. 8. 1940), 255 f. (12. 12. 1940); 114, 224 f. (16. 3. 1943), 496 (21. 8. 1943), 669 (1. 12. 1943). Zur Deutschlandplanung des amerikanischen Außenministeriums Pautsch, !II ff. und passim. Stalin nach Dokumente zur Deutschlandpolitik I I I, 592 ff. (16. 12. 1941); 114,658 ff. (28.11.- I. 12. 1943). Jacobsen, Weg, 169 (23. 2. 1942), 345 ff. (britische Denkschrift vom 29. II. 1944), 413 (9. 5. 1945). Roosevelt nach Dokumente zur Deutschlandpolitik l/4, 23 f. (5. 12. 1942), 510 (2./3. 9. 1943), 584 f. (5. 10. 1943), 648 ff. (19. II. 1943), 668 (I. 12. 1943). Vgl. Harriman, 183 f. Der Morgenthau-Pian von Anfang September 1944 in Jacobsen, Weg, 335 ff.

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Ministerpräsidenten Sikorski hatte schon 1940 die Abtretung von Ostpreußen sowie mindestens von Teilen Pommerns und Schlesiens an Polen verlangt. Bis 1941 wurde außerdem deutlich, daß die Polen den Wunsch hegten, die deutsche Bevölkerung aus den beanspruchten Gebieten zu vertreiben. In ähnlicher Weise entwikkelte die tschechoslowakische Exilregierung unter ihrem Präsidenten Benesch allmählich die Absicht, die Sudetendeutschen aus ihrer Heimat zu verjagen. Mit Benesch hatte Stalin leichtes Spiel. Im Dezember 1943 fand Benesch sich in Moskau ein und vollzog die Unterwerfung. Er unterzeichnete einen Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit nach dem Krieg und führte Gespräche mit der sowjetischen Führung, bei denen er, wie der Herausgeber der betreffenden Dokumente festhält, die Tschechoslowakei als Instrument der russischen Ausdehnung nach Mitteleuropa anbot. Benesch empfahl der sowjetischen Regierung, sie solle Polen besetzen und eine pro-kommunistische Regierung unterstützen, er wünschte ebenso die Besetzung Ungarns durch die Rote Armee, um die Ungarn zu bestrafen, er wünschte mit russischer Unterstützung die Slowaken zu bestrafen, die sich auf die Seite der Achsenmächte gestellt hatten, er wünschte mit russischer Hilfe die ungarische Minderheit zu vertreiben, und schließlich kam er mit den Sowjets überein, sein Land gewaltsam von Sudetendeutschen zu säubern. Im Gegensatz zu Benesch erwies sich die polnische Exilregierung, seit Mitte 1943 unter Ministerpräsident Mikolajczy k, als hartnäckiger. Zwar wollte sie nach wie vor deutsche Gebiete erwerben und war auch bereit, sich von den Sowjets bei der Vertreibung der Deutschen helfen zu lassen, aber sie wollte nicht auf die früheren polnischen Ostgebiete verzichten. Dies blieb jedoch belanglos, da Stalin im Juli 1944 das sogenannte Polnische Komitee der Nationalen Befreiung gründen ließ, praktisch eine provisorische Regierung aus moskauhörigen Kommunisten, die im kürzlich von sowjetischen Truppen eingenommenen Lublin ihren Sitz nahm. Mit diesem Komitee verständigte sich Stalin noch im Juli 1944 auf die neuen Grenzen Polens, die im Osten bei Brest-Litowsk, im Westen an der unteren Oder sowie an der westlichen (= Lausitzer) Neiße verliefen. In einem geheimen Vertrag vom 27. Juli wurden die Grenzen festgehalten, wobei der Wortlaut nicht klar erkennen ließ, ob mit Neiße die westliche oder östliche(= Glatzer) Neiße gemeint war. Dies gab Stalin noch eine gewisse Bewegungsfreiheit, doch war den Polen die westliche Neiße versprochen worden. Formelle Abmachungen über das Vertreiben der deutschen Bevölkerung existieren anscheinend nicht, doch bestand kein Zweifel, daß die Polen derartiges beabsichtigten und Stalin es guthieß. Die polnische Bevölkerung aus dem ehemaligen Ostpolen wurde in das neue polnische Staatsgebiet umgesiedelt, offenbar unter der Voraussetzung, sie könnte ja in den ehedem deutschen Gebieten eine Heimstatt finden. 43 43 Stalin 1941 und 1943 wie in der vorigen Anm. Zur polnischen und tschechoslowakischen Exilregierung in den ersten Kriegsjahren Bd. II dieser Untersuchungen. Zu Benesch 1943 Mastny, Conversations. Der sowjetisch-tschechoslowakische Vertrag, 12. 12. 1943, in L. Holbom, Aims II, 761 ff. Zu Polen Zeidler, Kriegsende, 23 ff. Ferner Raack, Oder-NeißeLine. Foschepoth, Westverschiebung. Lehmann, Oder-Neiße.

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Il. lnwege

Den Staatsmännern der Westmächte blieb auf die Dauer nichts anderes übrig, als sich den Vorgaben Stalins anzupassen, was auf der britischen Seite im allgemeinen mit mehr Bereitwilligkeit geschah als auf der amerikanischen. Dabei blieb notwendigerweise die Atlantik-Charta auf der Strecke. Roosevelt sah sich außerstande, viel dagegen zu unternehmen. Seitdem feststand, daß die große Invasion in Frankreich nicht vor 1944 stattfinden konnte, mußte man sich bei den Westmächten darauf einstellen, daß die Rote Armee mindestens große Teile Europas in die Hand nehmen würde. Dagegen gab es kein Aushilfsmittel außer der Hoffnung, die Truppen der Westmächte würden noch rechtzeitig weit genug vordringen. Stalin die Stirn zu bieten, ihm offen entgegenzutreten, hätte mehr Schaden gestiftet als Nutzen erbracht. Geht man die verschiedenen Denkmöglichkeiten bis hin zu den extremen einmal durch, so zeigt sich, daß sie allesamt untauglich waren. Als erstes kommt ein Kürzen oder Streichen der amerikanischen Wirtschafts- und Rüstungshilfe an die Sowjetunion in Betracht. Roosevelt hat dies erwogen, aber zu Kardinal Speilman sagte er im September 1943, die russische Produktion sei so groß, daß die amerikanische Hilfe, außer bei Lastwagen, nicht ins Gewicht falle. Als zweites kommt in Betracht, daß Amerika sich aus dem Krieg zurückzog, zumindest in Europa. Das mochte verschiedene Folgen haben, wovon hier nur drei Fälle betrachtet werden sollen. Entweder Stalin gewann den Krieg, dann konnte er anschließend die sowjetische Herrschaft über Europa errichten. Oder Hitler gewann den Krieg, dann konnte er seinerseits entsprechendes tun. Oder es kam zu einem Ausgleichsfrieden zwischen beiden, dann blieb jedenfalls die nationalsozialistische Herrschaft über große Teile Europas erhalten. Unter solchen Umständen war es für Amerika immer noch besser, den Krieg weiterzuführen, um wenigstens den Nationalsozialismus zu beseitigen. Als drittes schließlich kommt in Betracht, daß Amerika zwar im Krieg verblieb, aber alle Brücken zur Sowjetunion abbrach und äußerstenfalls auf eine gewaltsame Auseinandersetzung lossteuerte. Auch dies wurde in den USA erwogen, aber die Stabschefs und Roosevelt selbst kamen zu dem Ergebnis, daß Amerika einen solchen Krieg nicht gewinnen, daß man folglich Rußland nicht bekriegen könne. Also blieb nichts anderes übrig, als zu Stalin ein erträgliches Verhältnis herzustellen. In diesem Sinn meinte Roosevelt im Mai 1944, die einzige Alternative zur Zusammenarbeit mit der Sowjetunion bestehe darin, Vorbereitungen für den Dritten Weltkrieg zu treffen. Die Zusammenarbeit mit Moskau, die Roosevelt suchte, war freilich mehrschichtig und doppelbödig. Roosevelt trachtete danach, von Europa so wenig wie möglich unter unmittelbare russische bzw. sowjetische Herrschaft fallen zu lassen. Der einfachste Weg wäre gewesen, den größten Teil Europas einschließlich MitteJeuropas mit westlichen, vor allem amerikanischen Truppen zu besetzen, doch wurde ab 1943 deutlich, daß derartiges nur noch durch einen glücklichen Zufall gelingen konnte. Sodann machte Roosevelt Mitte 1942 der Sowjetunion das Angebot, sie könne als Weltpolizist die Überwachung der kontinentaleuropäischen Länder übernehmen, die ihrerseits entwaffnet werden sollten. Allerdings war dies an die Voraussetzung geknüpft, daß Stalin vollständig oder weitestgehend darauf verzieh-

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tete, fremde Gebiete zu annektieren und andere Länder unmittelbar unter sowjetische Herrschaft zu bringen. Eine solche Lösung hätte eine verkleidete oder mittelbare Form von Herrschaft seitens der Sowjetunion insofern beinhaltet, als die Sowjetunion dann polizeiliche Aufgaben zum Zweck der Friedenswahrung übernommen hätte, doch wären ansonsten die Länder Europas frei, selbständig und unabhängig geblieben. Zugleich wäre unter solchen Umständen die Sicherheit der Sowjetunion unbedingt garantiert worden, denn wenn es im weiten Umfeld der Sowjetunion keine bewaffneten Nachbarn mehr gab, wer hätte ihre Sicherheit dann noch gefährden sollen? Ab 1943 begann Roosevelt jedoch einzusehen, daß Stalin dieser logischen und vernünftigen Rechnung nicht folgen würde. Gegenüber seinen außenpolitischen Beratern erklärte der Präsident im Februar 1943, er sei äußerst beunruhigt (greatly worried) über Rußland. Eine Friedenskonferenz wollte Roosevelt nun nicht mehr abhalten, wahrscheinlich weil er vorhersah, daß dort, ähnlich wie nach dem Ersten Weltkrieg, nur noch um das Verteilen der Beute gestritten würde. Zugleich begann Roosevelt, offenbar auch unter dem Einfluß von Bullitt, sich einem Gedanken zu nähern, den Churchill schon länger hatte. Wahrend Roosevelt ursprünglich Frankreich entwaffnen wollte, wünschte Churchill Frankreich als Gegengewicht zu Rußland aufzubauen. Wenn es zutraf, wie Bullitt meinte, daß Stalin alles an sich raffen würde, was er erlangen konnte, dann würde die Erhebung Rußlands zum Weltpolizisten für Europa zur Folge haben, daß man der Sowjetunion den Rest Europas sozusagen zum Fraß vorwarf. Roosevelt zog deshalb in Erwägung, Frankreich als Militärmacht wiederherzustellen, zum besseren Schutz des Westens. Trotzdem gab Roosevelt den Vier-Mächte-Plan mit den vier allein bewaffneten Weltpolizisten noch nicht völlig auf. Zu Kardinal Speilman sagte er, daß er von Stalin ein Versprechen erreichen wolle, das russische Gebiet nicht über eine bestimmte Linie hinaus auszudehnen, selbst wenn der Versuch wahrscheinlich keinen Erfolg habe. In Teheran sprach Roosevelt noch einmal von den vier Weltpolizisten, die überall auf der Erde für Ruhe und Ordnung sorgen sollten. Über Frankreich sagte der Präsident, daß es wohl nicht so bald wieder eine Großmacht sein werde. Auch kam wieder der Gedanke zur Sprache, für Kolonialgebiete eine Treuhandverwaltung einzusetzen, unter anderem für das französische Indochina. Dennoch erreichte Roosevelt am Ende nichts Greifbares. Stalin zeigte keine Bereitschaft, seiner Raffgier Zügel anzulegen, und Churchill lehnte in einem wütenden Ausbruch jedes Beschneiden der Kolonialherrschaft ab; ihm genügte es, wenn er Deutschland besiegen und schwächen konnte. 44

44 Roosevelt zu Kardinal Speilman sowie Roosevelt über Rußland und Frankreich, Februar 1943, in Dokumente zur Deutschlandpolitik I /4, 509 f., 187 f., 190. Roosevelt im Mai 1944 nach Edgar Snow, Stalin must have Peace, in Saturday Evening Post, I. 3. 1947. Vgl. H.-P. Schwarz, Reich, 52. Zu Teheran FRUS, Cairo and Tehran, passim. A. Fischer, Teheran, passim. Dokumente zur Deutschlandpolitik I /4, 658 ff., 666 (Churchill über Kolonialherrschaft).

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II. Irrwege

Die amerikanische Regierung suchte trotz des Zwanges zur Zusammenarbeit mit Rußland (und Britannien) noch auf einem dritten Weg nach der Möglichkeit, große Teile Europas von der unmittelbaren Herrschaft der Sowjetunion freizuhalten. Im amerikanischen Außenministerium fanden ab dem Frühjahr 1942 Planungen und Beratungen über die Ordnung der Welt nach dem Krieg statt. Unterstaatssekretär Sumner Welles sprach sich dabei für die Zerstückelung Deutschlands aus und suchte die Planungen auch in diesem Sinn zu lenken. Das wirkt ziemlich erstaunlich, denn Welles war ein erklärter Anhänger Roosevelts und seiner Ideen, insbesondere der Atlantik-Charta, aber die Zerstückelung Deutschlands stand im krassen Widerspruch zur Atlantik-Charta. Der Grund für Welles' Verhalten läßt sich jedoch erkennen. Bei internen Beratungen im März 1942 schlug Berle vor, man solle zunächst die Zonen militärischer Verantwortlichkeit abgrenzen. In einem zweiten Schritt könnten sich dann Amerikaner und Briten über das Verhalten in allen nichtrussischen Gebieten einigen. Eine solche Vorstellung lag an sich nahe; in der Tat war ja zu dieser Zeit bereits absehbar, daß die Rote Armee von Osten, die Streitkräfte der Westmächte von Westen in Richtung auf Mitteleuropa vorrükken würden, so daß zumindest anfangs Zonen getrennter Verantwortlichkeit entstanden. Freilich bildete sich damit zugleich die Gefahr heraus, daß die Zonen getrennter Verantwortlichkeit sich verfestigten und daraus die Spaltung Europas erwuchs. Dagegen wandte sich Sumner Welles. Er meinte, die Westmächte könnten schwerlich Rußland wissen lassen, daß sie im westlichen Europa einschließlich Deutschland die Dinge in die Hand nähmen, und zugleich von Rußland erwarten, daß sie in der Zone russischer Verantwortlichkeit mitbestimmen dürften. Man müsse versuchen, überall zu einem gemeinsamen Handeln der drei Siegermächte zu kommen. Um das gemeinsame Handeln der drei Siegermächte zu erreichen, wollte Sumner Welles die Zerstückelung Deutschlands anbieten. In Washington war bekannt, daß Churchill die Spaltung Deutschlands wünschte und daß auch Stalin Ende 1941 die Zerstückelung erwähnt hatte. Welles ging deshalb davon aus, daß jene beiden der amerikanischen Neigung, Deutschland zu erhalten, entgegentreten würden, so daß die USA nicht urnhinkönnten, sich ihnen anzupassen. Bei den Beratungen im April 1942 sagte einer der Teilnehmer, die amerikanische Haltung gegenüber Deutschland wäre eine andere, wenn die Rote Armee bei Kriegsende noch am Ural stünde. Das war sicher richtig, nur würde die Rote Armee bei Kriegsende woanders stehen, vielleicht auf deutschem Gebiet. Wenn die Amerikaner diejenigen Länder, welche von der Roten Armee besetzt wurden, nicht einfach abschreiben, d. h. der sowjetischen Herrschaft überlassen wollten, dann mußten sie in der Tat versuchen, zu irgendeiner Verständigung mit der Sowjetunion zu gelangen. Eine andere Frage ist es, wie ernst die Amerikaner den Plan einer Zerstückelung Deutschlands nahmen. Berle hielt in seinen Aufzeichnungen im Mai 1942 fest, ein vereinigtes Deutschland werde sich unter dem Gewicht der Umstände fast von allein herausbilden. Da Berle bei den Beratungen die Zerstückelung unterstützte,

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meinte er offenbar, man könne ruhig die Teilung Deutschlands beschließen, am Ende werde sich ja doch wieder die Einheit ergeben. Berle fuhr fort, was man wirklich wünsche, sei nicht ein schwaches Deutschland (in diesem Zustand werde es ohnedies kaum bleiben), als vielmehr ein geistig erneuertes Deutschland, das eine ausgleichende und friedfertige Kraft in der Welt darstelle. Äußerungen von Sumner Welles deuten in dieselbe Richtung. Bei den Beratungen im April schlug ein Teilnehmer vor, man solle Deutschland föderalisieren, also lediglich den Einheitsstaat, wie ihn die Nationalsozialisten errichtet hatten, wieder abschaffen. Welles entgegnete, es wäre schwierig, hierfür die Duldung Britanniens und Rußlands zu erlangen, gleichwohl könne sich herausstellen, daß dies das notwendige Ergebnis sei (the necessary outcome). Welles' Äußerung läßt sich ohne Mühe so verstehen, daß er beabsichtigte, Amerika solle sich erst einmal mit Britannien und Rußland über eine Zerstückelung einigen und dann abwarten, ob sich die bloße Föderalisierung nicht als notwendiges Ergebnis einstellte. Ende 1942 drängte Welles den britischen Botschafter, man solle bald zu Vereinbarungen mit Rußland kommen. Andernfalls werde man mitansehen müssen, wie bei einem Nachlassen der deutschen Widerstandskraft die russischen Armeen den deutschen nach Westen folgten. Niemand könne vorhersehen, wo die Rote Armee anhalte, die Westmächte könnten sie vollends nicht aufhalten, und die weite Ausdehnung des Bolschewismus sei verheerend für die Meinung in Amerika wie für die Regelung der Verhältnisse in Europa. Bezieht man dies auf die Zerstückelungsfrage, so wollte anscheinend Welles bindende Abmachungen erreichen, bevor die Sowjetunion durch das Vordringen ihrer Truppen vollendete Tatsachen geschaffen hatte. Falls die Rote Armee Deutschland nicht besetzte, würde sich noch herausstellen, ob die bloße Föderalisierung als notwendiges Ergebnis entstand; falls die Rote Armee bis Deutschland gelangte, mochte eine Vereinbarung über das Zerstückeln die sowjetische Seite so weit befriedigen, daß sie nicht durch die dauernde Anwesenheit ihrer Truppen eine sowjetische Herrschaft in Deutschland errichtete. Roosevelt dachte ähnlich. Zum kanadischen Ministerpräsidenten Mackenzie King sagte er im Dezember 1942, Deutschland solle zwar entwaffnet, aber sonst in keiner Weise geschädigt werden ("not take away any of her territories nor prevent her development in any way"). Ebenso lehnte er jede Form von Zerstückelung ab, vielmehr wollte er die alten Staaten Deutschlands wiederherstellen - also offenbar Föderalisierung. Der Ministerpräsident der polnischen Exilregierung Sikorski zeichnete über eine Unterredung mit Roosevelt etwa zur selben Zeit auf, Roosevelt habe Ostpreußen den Polen zugesprochen. Das ist nachweislich unrichtig, denn Sumner Welles stellte im Anschluß daran mehrfach fest, Roosevelt habe gar nichts zugesagt, vielmehr sei der Fall nur als Denkmöglichkeit zur Sprache gekommen. Vielleicht spielte es dabei eine Rolle, daß zu jener Zeit im amerikanischen Außenministerium erwogen wurde, den sogenannten Korridor zu beseitigen, indem Ostpreußen an Polen fiel und Deutschland zum Ausgleich einen Streifen westpolnischen Gebiets erhielt.

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II. Irrwege

Als Eden sich im März 1943 in Washington aufhielt, wurde auch über Deutschland beraten. Roosevelt nahm dabei eine doppeldeutige Haltung ein. Auf die Zerstückelung angesprochen, meinte er, man werde hoffentlich nicht die Methoden anwenden, die am Ende des Ersten Weltkriegs in Versailles diskutiert und vom französischen Ministerpräsidenten Clemenceau befürwortet worden seien, nämlich Deutschland willkürlich zu teilen. Vielmehr solle man das Streben nach Eigenständigkeit innerhalb Deutschlands ermutigen und schließlich eine Teilung anerkennen, die der deutschen öffentlichen Meinung entspreche. Das ist nicht so unbestimmt, wie es auf den ersten Blick anmutet, sondern Roosevelt wiederholte Grundsätze der Atlantik-Charta. Die deutsche Bevölkerung sollte selbst über die Form ihres staatlichen Zusammenlebens entscheiden; gewaltsame Eingriffe von außen hatten zu unterbleiben. Hopkins suchte zur Klärung beizutragen, indem er die Frage aufwarf, was denn geschehen solle, wenn es keine separatistischen Bewegungen gebe. Daraufhin waren sich Roosevelt und Eden einig, daß Deutschland unter allen Umständen in mehrere Staaten geteilt werden solle, wovon einer Preußen sein müsse. Auf die eindeutige Absicht zur Zerstückelung kann man daraus nicht schließen, sondern die Formel ist verträglich mit Föderalisierung. Die Einzelstaaten eines Bundesstaats sind nun einmal selbst Staaten. Wenn der nationalsozialistische Einheitsstaat in mehrere Staaten zerlegt wurde, so konnte daraus ein Bundesstaat hervorgehen. Wahrscheinlich wollte Roosevelt aber das Übergewicht Preußens beseitigen, wie es etwa im Bismarckschen Föderalismus anzutreffen war. Roosevelt waren diese Dinge nicht ganz fremd; er hatte sich als Jugendlicher zeitweise im Kaiserreich aufgehalten, sprach deutsch und kannte die deutschen Verhältnisse einigermaßen. Auf der anderen Seite pflichtete Roosevelt allerdings Eden bei in der Absicht, Ostpreußen abzutrennen und Österreich zu verselbständigen. Mit der AtlantikCharta ließ sich dies nicht vereinbaren; zumindest hätte die Bevölkerung vorher befragt werden müssen. Vielleicht wollte Roosevelt im diesem Fall von der Atlantik-Charta abweichen, aber ganz sicher ist das nicht. Gegenüber Eden bemerkte er, daß er von der Sowjetunion für die Eingliederung des Baltikums eine neue Volksabstimmung verlangen wolle, um eine Verhandlungsposition aufzubauen, mit deren Hilfe sich andere Zugeständnisse von Rußland erreichen ließen. Auch ging Roosevelt noch immer mit dem Gedanken um, Länder wie Frankreich und Polen zu entwaffnen, wollte insofern also an der Atlantik-Charta festhalten. Vermutlich liegt die Lösung darin, daß Roosevelt, ähnlich wie Sumner Welles, nach einem Weg suchte, der sowjetischen Seite ein Angebot zu machen. Das Angebot, in Europa als Weltpolizist zu wirken, war der Sowjetunion bereits gemacht worden; Welles suchte es zu ergänzen durch das Angebot der Zerstückelung Deutschlands. Der Hintergedanke war in beiden Fällen, die Sowjetunion zu veranlassen, daß sie diejenigen Gebiete, welche infolge des Krieges von ihr besetzt wurden, nicht dauerhaft der sowjetischen Herrschaft unterstellte. Wurde beispielsweise Deutschland zur Hälfte von der Roten Armee besetzt, so mußte damit gerechnet werden, daß sich dadurch von selbst die Teilung Deutschlands (und Europas) ergab. Bot man jedoch

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der Sowjetunion die Zerstückelung an, so war es immerhin vorstellbar, daß die Sowjetregierung nach dem Krieg sich mit einer Aufsicht über Deutschland aus der Ferne begnügte. Roosevelt stand solchen Gedanken nahe; mindestens zeitweise betonte er aber noch stärker den Gedanken der Föderalisierung Deutschlands. Bei einer Besprechung mit seinen außenpolitischen Beratern am 5. Oktober 1943 stellte Roosevelt fest, er bevorzuge (favour) die Aufteilung Deutschlands in drei oder mehr Staaten, vollständig souverän, aber aneinander geknüpft durch ein Netzwerk gemeinsamer Einrichtungen wie Post, Nachrichtenverbindungen, Eisenbahn, Zölle, vielleicht Energieversorgung. Was Roosevelt hier ins Auge faßte, entsprach wohl eher einem Staatenbund als einem Bundesstaat. Immerhin ist es aufschlußreich, daß der Präsident in der Diskussion später zugab, die Übergangszeit nach dem Krieg werde eine Phase von Versuch und Irrtum sein. Es könne leicht geschehen, daß man in der Praxis entdecke, die Teilung, unmittelbar nach dem Krieg vorgenommen, müsse wieder aufgegeben werden. Der alte Gedanke von Berle und Welles, am Ende werde sich die Einheit Deutschlands, in Form des Bundesstaats, wieder einstellen, brach also erneut durch. Außerdem muß man sich vergegenwärtigen, wie denn die Lage bei Kriegsende sein konnte. Grundsätzlich gab es zwei Möglichkeiten. Entweder die Westmächte besetzten ganz Deutschland. Dann konnten sie, um Stalin gefällig zu sein, Deutschland zerstückeln und würden vielleicht nach einiger Zeit, wohl nicht ganz zufällig, entdecken, daß der Bundesstaat doch günstiger war. Oder die Rote Armee stand bereits irgendwo innerhalb Deutschlands. Dann würde sich wahrscheinlich jede Zerstückelungsdebatte erübrigen, weil Stalin eine oder mehrere sozialistische Republiken errichten würde. Vielleicht gab es aber noch eine Chance, daß Stalin darauf verzichtete und sich mit einem Zerschlagen des deutschen Einheitsstaates begnügte, also mit einer Aufteilung in drei, fünf oder mehr Bestandteile. Standen eines Tages keine sowjetischen Truppen mehr auf deutschem Boden, so mochte sich die Gelegenheit ergeben, wieder zur bundesstaatliehen Lösung zurückzukehren. Unter diesen Vorzeichen bot Roosevelt in Teheran der sowjetischen Seite die Zerstückelung Deutschlands an. Churchill bemerkte dazu, wenn man Deutschland auf die von Roosevelt vorgeschlagene Weise teile, dann werde über kurz oder lang wieder eine vereinte Nation entstehen. Stalin war mit Roosevelts Vorschlag ebenfalls unzufrieden und zog es vor, Deutschland mit Gewalt niederzuhalten. Ansonsten legte Churchill großen Wert auf die Regelung der polnischen Frage; er wollte Polen nach Westen bis an die Oder verschieben. Obwohl Roosevelt im Laufe des Jahres öfters davon gesprochen hatte, Ostpreußen abzutrennen, hielt er sich in Teheran bei der polnischen Frage auffällig zurück. Die Teheraner Besprechungen stellten in dieser wie in anderen Angelegenheiten politischer Natur einen unverbindlichen Meinungsaustausch dar; bindende Beschlüsse wurden nicht gefaßt. Roosevelt hielt den Teheraner Meinungsaustausch für so unergiebig oder sogar unerheblich, daß er nicht einmal sein heimisches Außenministerium darüber unterrichtete. Andererseits bekräftigte Stalin dasjenige, was er bereits Ende 1941 angedeutet hatte. Eine amerikanische Denkschrift von Mitte Dezember drückte es so

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aus, daß bei Verwirklichung von Stalins Zielen die Sowjetunion als einzige militärische und politische Macht von Bedeutung auf dem europäischen Kontinent verbliebe. Das übrige Europa wäre zu militärischer und politischer Hilflosigkeit herabgedrückt. Roosevelt mußte erkennen, daß Stalin an einer Verwirklichung der Atlantik-Charta nicht interessiert war und ebensowenig an einem Zusammenwirken mit Amerika zum Wohle Europas und zum Wohle des allgemeinen Friedens. 45 So legte sich zusehends der Schatten der Sowjetunion über Europa, während alle amerikanischen Versuche, die Atlantik-Charta zu retten, weitgehend fruchtlos blieben. Die Beratungen im amerikanischen Außenministerium über die Zerstückelung Deutschlands führten bis zum Sommer 1943 zu dem Ergebnis, daß die Aufspaltung in verschiedene Teile weder angebracht noch in irgendeiner Weise zweckmäßig war. Das einzige, was sich notdürftig vertreten ließ, war die Verselbständigung Österreichs und eventuell die Abtrennung Ostpreußens. Nachdem Sumner Welles, wohl aus persönlichen Gründen, entlassen worden war, folgte Außenminister Hull dem Kurs, keine voreiligen Festlegungen zu treffen, sondern die Möglichkeit offenzuhalten, in Mitteleuropa ungefähr zu den Grenzen von 1937 zurückzukehren. Auf die Verselbständigung Österreichs konnten sich die drei Koalitionäre Rußland, Britannien und Amerika ohne Mühe einigen; bei der Moskauer Außenministerkonferenz im Oktober 1943 wurde eine gemeinsame Erklärung abgegeben, welche die Absicht ausdrückte, Österreich von Deutschland wieder abzuspalten. Ungeklärt blieb, was mit Rumpfdeutschland und dem übrigen Europa geschehen solle. In London begann man sich ab dem Sommer 1942 darauf einzustellen, daß gemäß den Wünschen von Präsident Roosevelt innerhalb der Vereinten Nationen eine Art von Weltdirektorium aus den vier Hauptsiegermächten USA, Großbritannien, Sowjetrußland und China entstehen sollte. Dies wurde als der Vier-MächtePlan bezeichnet. Ein Beamter des britischen Außenministeriums, Gladwyn Jebb, erstellte im steten Gedankenaustausch mit anderen Mitarbeitern dieser Behörde bis zum Herbst 1942 eine umfangreiche Denkschrift, in welcher er der Frage nachging, ob und inwieweit die britische Politik den Plan übernehmen, abändern und den britischen Bedürfnissen anpassen könne. Jebb kam, kurz gesagt, zu dem Ergebnis, daß man dem Plan grundsätzlich zustimmen, aber ihn bis zur Unkenntlichkeit verändern solle. Die Entwaffnung aller Länder außer den Weltpolizisten hielt er für undurchführbar, die Erhebung Chinas zum Weltpolizisten für eine leere Geste. Alle grundlegenden Gedanken von Roosevelts Weltfriedensplan blieben für 45 Die Quellen in Dokumente zur Deutschlandpolitik, und zwar: Beratungen im amerikanischen Außenministerium, März/ April 1942, in 1/2, 166 (Berle und WeHes), 193, 206 f., 216 (Welles über Föderalisierung). Berle über deutsche Einheit in dessen Navigating, 412. Welles zum britischen Botschafter, 4. 12. 1942, in 11312, 1118. Roosevelt zu Mackenzie King, 5. 12. 1942, in 114, 24. Über Sikorsk.i, 2. I 4. 12. 1942, 112, 713 ff. Dazu Zyblik.iewicz, 69 ff. Pautsch, 153 ff., 184. Roosevelt zu Eden, 15. 3. 1943, in 1/4,221 ff. Roosevelt bei der Besprechung am 5. 10. 1943 in 114, 584 f. Roosevelt über Ostpreußen in 114, 187, 222 f., 510, 584. Die Teheraner Verhandlungen in I I 4, 658 ff., 669 (Churchill), 694 ff. (amerikanische Denkschrift vom 15. 12. 1943). Dazu Sainsbury, 273 f. Gaddis, Origins, 102, 105.

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Jebb entweder unverständlich oder nicht nachvollziehbar. Damit verkürzte sich, was Britannien anging, der Vier-Mächte-Plan in den Augen Jebbs auf das eine Ziel: Deutschland und Japan in dauernder Unterwerfung zu halten (keep Germany and Japan in permanent subjection). Eine solche Vorstellung fiel Jebb nicht schwer, äußerte er doch gelegentlich, er sei dafür, aus dem Herrenvolk ein Helotenvolk zu machen. Über die Weise, wie Deutschland in dauernder Unterwerfung zu halten sei, äußerte sich Jebb in der Denkschrift nur ziemlich undeutlich. Das lag daran, daß er eigentlich die Zerstückelung befürwortete, womit er jedoch auf den Widerstand anderer Beamter des Foreign Office stieß, so daß er diese Klippen mehr oder weniger elegant zu umschiffen suchte. Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Entweder dachte Jebb die Dinge nicht zu Ende, oder er dachte sie zwar zu Ende, ließ es aber in der Denkschrift verschwimmen. Das letztere ist wahrscheinlicher. So wollte Jebb den östlichen Teil Europas von der Sowjetunion militärisch und politisch überwachen lassen, den Westteil von Britannien, gegebenenfalls zusammen mit Frankreich und Amerika. Doch was sollte mit der Mitte geschehen? Und was sollte geschehen, wenn die Rote Armee bis ins mittlere oder westliche Europa vordrang und Stalin überall kommunistische Regierungen errichtete? Jebb wußte sehr wohl eine Antwort, auch wenn er sie versteckte. Die Ideallösung bestand für ihn darin, Deutschland in eine West- und eine Osthälfte zu spalten, die Westhälfte von den Westmächten, die Osthälfte von Rußland überwachen zu lassen und so zugleich Europa in zwei Macht- oder Einflußsphären zu teilen. Dann, in der Tat, konnte Deutschland in dauernder Unterwerfung gehalten werden. Um dieses Ziel zu erreichen, empfahl Jebb dasjenige, was Eden ohnedies seit längerem betreiben wollte: Schaukelpolitik zwischen Rußland und Amerika. Eden unterbreitete die Denkschrift im Oktober 1942 seinem Premierminister und rief damit dessen Entrüstung hervor. Schon die Erhebung Chinas zum Weltpolizisten paßte Churchill überhaupt nicht, weil er darin nur eine Verstärkung für das amerikanische Bestreben erblickte, das Empire aufzulösen. Ebensowenig paßte ihm die Vorstellung, Rußland könnte seinen Machtbereich tief nach Europa vorschieben. Daher ließ er Eden wissen, es wäre ein maßloses Unglück, wenn die russische Barbarei die Kultur und Unabhängigkeit der alten Staaten Europas überlagere. Möglicherweise sträubte Churchill sich gegen die Erkenntnis, daß er sich mit seiner Politik und Strategie verrannt hatte, daß seine Mittelmeerstrategie bzw. das Verschieben der großen Invasion in Frankreich der Sowjetunion den Weg ebnete, um durch russische Barbarei die alten Staaten Europas zu überlagern. 1940 hatte Churchill behauptet, Rußland stelle in seinen Augen kein Problem und keine Gefahr dar. Seitdem hatte er auch seine Vorstellungen über die neue Ordnung Europas entwickelt, die er nunmehr Eden gegenüber wiederholte. Churchill wollte ein einiges Europa aus ungefähr 10 Bestandteilen aufbauen, darunter mehreren künstlichen Föderationen, er wollte Deutschland in einen nördlichen und einen südlichen Bestandteil spalten, den nördlichen ("Preußen") entwaffnen und die Zusammenarbeit der europäischen Länder durch gemeinsame Einrichtungen sicherstellen. Ruß21 Rauh, Zweiter Weltkneg 3 Ted

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land hatte in diesem Bild eigentlich keinen Platz, jedenfalls nicht in dem Sinn, daß es irgendeinen unmittelbaren Einfluß auf einzelne Länder Europas ausübte. Abgesehen davon, daß ein Europa, wie Churchill es umriß, niemals funktioniert hätte, wäre nur dann eine Möglichkeit vorhanden gewesen, es zu errichten, wenn die deutsche Wehrmacht während des Krieges die Rote Armee von den östlichen Grenzen eines solchen Europa ferngehalten hätte. Darauf bestand nicht mehr viel Aussicht, aber Churchill wollte es offenbar noch nicht wahrhaben. Eden wiederum ließ sich auf Churchills Konstruktionen nicht ein, sondern setzte durch, daß dem Kabinett eine neue, gekürzte Denkschrift vorgelegt wurde, welche die Grundzüge der britischen Politik in der Zukunft umriß. Darin war nur noch ganz allgemein von der Zusammenarbeit der vier Mächte die Rede, während Einzelheiten, namentlich über Deutschland, ausgeklammert wurden. Nichtsdestoweniger konnte es kaum einem Zweifel unterliegen, daß die Zusammenarbeit der vier Mächte, insbesondere diejenige zwischen Britannien und Rußland, am Ende auf Kosten der Staaten des alten Europa gehen würde. 46 Der Weg, welchen Jebb - anscheinend als erster - gewiesen hatte, wurde in der Folgezeit auch von anderen beschritten. In London wurde im Laufe des Jahres 1943 der Plan entwickelt, Deutschland durch die drei Hauptsiegermächte zu besetzen, und zwar in der Weise, die später Gültigkeit erlangte, also eine Ostzone für Rußland, eine Nordwest- und eine Südzone für die Westmächte. Daß damit die Gefahr entstand, Deutschland könnte entlang der Zonengrenze geteilt werden, wurde vom Beginn an gesehen, sowohl in London als auch in Washington. Diese Gefahr schreckte indes die britischen Stabschefs nicht. Spätestens seit dem Sommer 1943 gingen sie davon aus, daß es zu einer gedeihlichen Zusammenarbeit der Hauptsiegermächte nach dem Krieg nicht kommen werde. Die Rote Armee werde weit vordringen und werde nach dem Zusammenbruch Deutschlands die entscheidende Bedrohung für Westeuropa darstellen. Daher sprachen sich die britischen Stabschefs dafür aus, Deutschland schnell aufzuteilen und den drei Mächten Besatzungszonen zuzuweisen, mit denen sie nach Gutdünken verfahren könnten. Generalstabschef Brooke soll dabei, gemäß einer Nachricht aus dem Foreign Office vom September 1943, dies zugleich als Ansicht Churchills bezeichnet haben. Das Kriegskabinett stimmte im Oktober 1943 der Einteilung Deutschlands in drei getrennte Besatzungszonen für die drei Hauptmächte zu, trotz fortbestehender Bedenken wegen einer daraus hervorgehenden politischen Aufspaltung. Als aufschlußreich darf es gelten, daß die Planungstätigkeit für die Besetzung und verwandte Fragen seit Au46 Die Quellen in Dokumente zur Deutschlandpolitik, und zwar: Ergebnis der Beratungen im amerikanischen Außenministerium, 1/4, 417 ff. (27. 7. 1943) und passim. Dazu Backer, 23 ff. Pautsch, passim. Erklärung der Moskauer Außenministerkonferenz über Österreich, I. II. 1943, 1/4, 620. Denkschrift von Jebb zum Vier-Mächte-Plan, 9. 9. 1942, 1/3/2, 743 ff. Zur Entstehung und zu den Absichten Jebbs l/3/2, 669 ff. Jebb über Helotenvolk, 28. 8. 1942, l/3/1, 489. Vgl. die Memoiren von Gladwyn Jebb, !II ff., sowie G. Schulz, Dismemberment, 60 ff. Churchill über Vier-Mächte-Plan, 18./21. I 0. 1942, in l/3/2, 909, 915 f. Churchill 1940 in 1/1, 138 (12. 3. 1940), 255 f. (12. 12. 1940). Edens Denkschrift, 8. II. 1942, in l/3/2, 975 ff.

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gust 1943 einem gemischten Ausschuß oblag, welcher den Stabschefs unterstand und in welchem kein anderer als Gladwyn Jebb den Vorsitz führte. Dieser Ausschuß war mit dem Foreign Office einig in der Absicht, das Besetzungsverfahren bald zwischen den Siegermächten zu vereinbaren. Der Ausschuß begründete die Absicht damit, daß bei einer rechtzeitigen Vereinbarung ein Wettlauf zwischen den Truppen der Sowjetunion und der Westmächte zur Besetzung möglichst weiter Gebiete vermieden werde. Gladwyn Jebb, der es wahrscheinlich am besten wußte, berichtete nach dem Krieg, man habe damit eine gewisse Sicherheit gewinnen wollen gegenüber dem denkbaren Fall, daß die Rote Armee bis zum Rhein vordrang. Bei der Moskauer Außenministerkonferenz im Oktober 1943 wurde auf britischen Vorschlag hin eine Kommission der drei Mächte mit dem Sitz in London errichtet, die Europäische Beratende Kommission (European Advisory Commission = EAC). Die Kommission sollte sich mit Fragen im Zusammenhang mit dem Ende der Feindseligkeiten befassen und hierüber Empfehlungen abgeben. Die Kommission durfte also nichts entscheiden; immerhin konnte sie ein Meinungsbild erstellen. Im Januar 1944 brachte die britische Seite ihren Besetzungsplan in dieser Kommission ein und durfte zu ihrer Freude erleben, daß die sowjetische Seite im Februar zustimmte. Abgeschlossen war die Sache damit freilich nicht. Die britischen Stabschefs, unterstützt von Kriegsminister Grigg, traten im Laufe des Jahres 1944 mit ihrer Meinung hervor, daß die Sowjetunion feindliche Absichten hege und entschlossen sei, auf dem Weg zur Weltherrschaft vorwärtszumarschieren. Daraus zogen die Stabschefs den Schluß, Deutschland müsse in eine West- und eine Osthälfte geteilt, die Westhälfte müsse politisch an das westliche Europa gebunden werden, um das Potential Westdeutschlands für die Verteidigung des Westens zu sichern und ein strategisches Vorfeld gegen den Osten zu gewinnen. Eden wies dies mit Nachdruck zurück, aber sicher nicht deswegen, weil die Lagebeurteilung der Stabschefs völlig falsch gewesen wäre oder Eden auf die Einheit Deutschlands Wert gelegt hätte. Sondern Eden hatte seit langem danach getrachtet, auf diplomatischem Weg seinem Land einen selbständigen Standort zwischen den wirklichen Großmächten USA und Sowjetunion zu verleihen. Zu diesem Zweck hatte er freundschaftliche Beziehungen sowohl zu Amerika als auch zu Rußland gesucht, um zwischen beiden gewissermaßen die Waage zu halten und nicht einseitig von den USA abhängig zu werden. Von der Anlehnung an Rußland bzw. der Zusammenarbeit mit Rußland konnte und wollte Eden nicht ablassen. Den Vorschlag der Stabschefs zu verwirklichen hätte einerseits bedeutet, das ganze östliche Europa freiwillig der Sowjetunion preiszugeben und jeden Kredit bei den dortigen Völkern zu verspielen. Und es hätte andererseits bedeutet, die Brücken zur Sowjetunion abzubrechen, gar in offenen Gegensatz zu ihr zu treten, indem das westliche Deutschland als Bollwerk gegen Rußland aufgebaut wurde. In einem solchen Fall wäre Britannien samt seiner westeuropäischen Gefolgschaft zu schwach gewesen, um der Sowjetunion entgegenzutreten. Britannien hätte sich also wieder in die bedingungslose Abhängigkeit von Amerika begeben müssen, was Eden gerade nicht wünschte. So hielt Eden weiterhin an der Verständigung mit Moskau fest. Wenn 21 *

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sie scheiterte, wenn Europa schließlich doch geteilt wurde, mußte man das eben hinnehmen, aber Britannien konnte dann seine Hände in Unschuld waschen und hatte sich wenigstens keine Blöße gegeben. In Washington wiederum betrachtete man das Einteilen Deutschlands in Besatzungszonen mit großem Mißtrauen. Hull vermied es bei der Moskauer Außenministerkonferenz geflissentlich, sich in irgendeiner Weise festzulegen. Im Zusammenhang mit dem früher erwähnten Rankin-Plan wünschte Roosevelt eine andere Einteilung der Besatzungszonen als die Briten. Daran hielt er lange fest; erst im Laufe des Jahres 1944 stimmte er der westlichen Grenze der sowjetischen Zone und danach der Übernahme der südlichen Zone durch die USA zu, so daß die Europäische Beratende Kommission darüber zu einer Einigung kam. Wesentliche Bedeutung kann Roosevelt dem jedoch nicht beigemessen haben, denn seinen Außenminister erinnerte er noch im Oktober 1944 daran, daß die Kommission nur beratend sei und die amerikanische Regierung dadurch nicht gebunden werde. Anscheinend wollte sich Roosevelt bis zuletzt die Möglichkeit offenhalten, die Besetzung doch anders zu gestalten. Dafür spricht auch, daß Roosevelt mit Hull darin übereinstimmte, keine Entscheidung über die mögliche Teilung Deutschlands zu treffen, und daß er es überhaupt vermeiden wollte, genaue Pläne für ein Land zu entwerfen, das man noch nicht besetzt hatte. Erst im Februar 1945, als die Kriegslage darauf hindeutete, daß jede der drei Mächte ihre Zone besetzen würde (auch Österreich sollte nunmehr gemeinsam besetzt werden), kam die Kommission zu einer abschließenden Einigung. Etwa zur selben Zeit fand das zweite Gipfeltreffen der Großen Drei in Jalta auf der Krim statt (4. - 11. Februar 1945). Churchill wünschte, im Zuge seiner Bestrebungen, Frankreich als Großmacht wiederaufzubauen und ein Gegengewicht zur Sowjetunion zu erhalten, eine Beteiligung Frankreichs an der Besetzung Deutschlands. Roosevelt und Stalin stimmten dem in Jalta zu; Frankreich erhielt eine kleine Besatzungszone, die aus dem britischen und amerikanischen Gebiet herausgeschnitten wurde. Was die Zerstückelung Deutschlands betrifft, so wurde darüber ein ähnlich unverbindlicher Meinungsaustausch gepflogen wie in Teheran. Roosevelt sagte dazu in Jalta ganz richtig, soweit er im Bilde sei, ergebe sich die zukünftige Behandlung Deutschlands aus der Frage der Besatzungszonen, obwohl die beiden Probleme nicht direkt im Zusammenhang stünden. Nach der sowjetischen Aufzeichnung, die anscheinend in diesem Punkt genauer ist, sagte Roosevelt, es sei möglich, daß die Besatzungszonen den ersten Schritt zur Aufgliederung Deutschlands darstellten, was wiederum Eden beifällig nickend bestätigte. 47 47 Zur Zoneneinteilung Tyrell, Deutschlandplanung, 207, 231 ff., 442 ff. Kettenacker, Deutschlandplanung, 270 ff. Gladwyn Jebb in dessen Halfway, 9 f. Ferner Sharp, Division. Caspar, Besatzungszonen. Zu Edens Außenpolitik auch eine Denkschrift des Foreign Office, 10. 9. 1944, in Kimball, Swords, 116 ff. Roosevelt an Hull, 20. 10. 1944, in FRUS, The Conferences at Malta and Yalta, Washington 1955, 158 f. Roosevelt über Zerstückelung in Jalta nach Jacobsen, Weg, 399. A. Fischer, Teheran, 107. Die Beschlüsse von Jalta über Deutschland, u. a. französische Besatzungszone, in FRUS, Yalta, 970 f.

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Es empfiehlt sich, solche Äußerungen noch einmal im Licht der vergangenen Ereignisse und der Logik zu betrachten. Roosevelt hatte ursprünglich, im Sinne der Atlantik-Charta, dem deutschen Volk ebenso wie allen anderen Völkern ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung auf seinem angestammten Siedlungsgebiet zubilligen wollen. Die Tatsache, daß es in Deutschland eine bösartige (und vernunftlose) Diktatur gab, spielte dabei keine Rolle; erstens sollte diese Diktatur durch den Krieg beseitigt werden, und zweitens gab es eine ähnlich bösartige Diktatur auch in der Sowjetunion. Um allen Ländern Sicherheit untereinander, mithin auch anderen Länder Sicherheit vor Deutschland zu geben, hatte Roosevelt sämtliche Länder mit Ausnahme der Weltpolizisten entwaffnen wollen. Sowohl Rußland als auch Britannien hätten dann unbedingte Sicherheit vor Deutschland erlangt. Dieser Plan wurde während des Krieges zusehends ausgehöhlt; weder Rußland noch Britannien zeigten Neigung, darauf einzugehen. Der Krieg wurde also eigentlich, von einem höheren Blickwinkel aus betrachtet, nicht darum geführt, die Achsenmächte zu besiegen, denn deren Niederlage war von vornherein wahrscheinlich gewesen und stand auch ziemlich bald fest. Sondern der Krieg wurde um die Frage geführt, wieviel sich von der Atlantik-Charta retten ließ. Oder anders ausgedrückt: Der Krieg war in dieser Betrachtungsweise eine Auseinandersetzung um zwei Formen des menschlichen Zusammenlebens auf der ganzen Erde, nämlich einerseits die herkömmliche Machtpolitik und andererseits die organisierte Yölkergemeinschaft, einerseits das rücksichtslose Verfolgen des eigenen Interesses zum Schaden anderer und andererseits die Idee des ewigen Friedens und des weltweiten Gemeinwohls. In dieser Auseinandersetzung standen die Sowjetunion und ähnlich Britannien auf der Seite der alten Machtpolitik und trugen zum Scheitern der AtlantikCharta, zum Scheitern von Roosevelts großartigem Entwurf wesentlich bei. Rußland hätte im Rahmen von Roosevelts Plan vollständige Sicherheit erlangt. In diesem Sinne sprach Roosevelt noch in Jalta davon, die amerikanischen Truppen würden binnen zwei Jahren aus Europa abgezogen. Dies war nicht etwa, wie oft vermutet wird, in hohem Maße ungeschickt, sondern Roosevelt gab damit Stalin einen Wink, daß er sich um die Sicherheit der Sowjetunion nicht zu sorgen brauche, weil Amerika nicht beabsichtige, in Europa ein großes Militärpotential gegen Rußland aufzubauen. Darüber hinaus hätte die Sowjetunion im Rahmen des RooseveltPlans weitere Vergünstigungen erwarten dürfen, z. B. amerikanische Wirtschaftsund Wiederaufbauhilfe nach dem Krieg. All dies wollte Stalin nicht verstehen bzw. er wollte nicht darauf eingehen. Warum nicht? Die oftmals wiederholte Behauptung, die Sowjetunion brauche in Zukunft Sicherheit vor Deutschland und müsse aus diesem Grund sowohl ein weites strategisches Vorfeld im Westen gewinnen als auch Deutschland zerstückeln - diese Behauptung ist bloßes Propagandagerede, um nicht zu sagen barer Unfug. Und zwar aus drei Gründen. Erstens hätte die Sowjetunion durch die Entwaffnung Deutschlands, Japans und gegebenenfalls noch anderer Länder ein Höchstmaß an Sicherheit erlangt. Dies um so mehr, als die Sowjetunion im Rahmen des Roosevelt-Plans sogar Weltpolizist für Europa hätte werden und mindestens die Entwaffnung

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Deutschlands selbst hätte überwachen können. Noch 1946 legte die amerikanische Regierung den Plan vor, Deutschland zu entmilitarisieren und fortan als ungefährliches, neutrales Gebilde zwischen Ost und West existieren zu lassen. Stalin verwarf dies ebenso, wie er früher alle entsprechenden Angebote Roosevelts verworfen hatte. Zweitens gewann die Sowjetunion durch das Verhalten ihrer Regierung nicht etwa mehr Sicherheit, sondern sie machte sich Amerika zum Feind und hatte den Schaden zu tragen. Anfang 1945 wünschte die Sowjetregierung einen amerikanischen Kredit in Höhe von sechs Milliarden Dollar zu günstigem Zins, um Industrieausrüstung zu kaufen. Diesen Kredit erhielt sie nicht, weil die Amerikaner keine Veranlassung sahen, der Sowjetunion für ihre Eroberungs- und Unterdrückungspolitik auch noch Geld nachzuwerfen. Ebenso wurde nach dem Ende des Krieges in Europa die amerikanische Wirtschafts- und Rüstungshilfe im Rahmen des Jend-Iease-Programms großenteils eingestellt. In der Folgezeit traten Amerika und Rußland in den sogenannten Kalten Krieg ein, welcher der Sowjetunion ungeheure Rüstungslasten aufbürdete, die schließlich zum Kollaps des Sozialismus, zum Zerfall der Sowjetunion und zur Niederlage im Kalten Krieg mindestens beitrugen. Drittens gab es zwischen der Zerstückelung Deutschlands und der Sicherheit der Sowjetunion keinen logisch stimmigen Zusammenhang. Im Sinne der AtlantikCharta muß man bei der Zerstückelungsfrage zunächst einmal vom angestammten deutschen Siedlungsgebiet in Mitteleuropa ausgehen. Wie jeder halbwegs Einsichtige wußte, konnte eine Zerstückelung Deutschlands gegen den Willen der Bevölkerung, gegen ihren Wunsch nach Vereinigung oder Wiedervereinigung weder durchgesetzt noch aufrechterhalten werden - außer mit Gewalt. Churchill suchte dies zu umgehen, indem er Nord- und Süddeutschland voneinander trennen wollte, in der Hoffnung, die Süddeutschen, namentlich die Österreicher und die Bayern, seien einer Eigenstaatlichkeit nicht abgeneigt. Zugleich wollte Churchill damit eine Art Ersatz für die untergegangene Österreichische Donaumonarchie schaffen. Das ist insofern bemerkenswert, als Präsident Wilson im Ersten Weltkrieg die Donaumonarchie ursprünglich hatte erhalten wollen. Die damalige Machtpolitik hatte es jedoch für weise gehalten, die Donaumonarchie aufzulösen und den deutschen Österreichern den Anschluß an Kleindeutschland zu verweigern. Wie Churchills jetziger Plan zeigte, drehte sich die alte Machtpolitik immer im Kreise; zu der Einsicht, daß gerechter Ausgleich dem friedlichen Zusammenleben der Völker zuträglicher ist als gewalttätige Siegerwillkür, mochte sie sich nicht bekennen. Im übrigen war es durchaus zweifelhaft, ob die Süddeutschen sich gern von den Norddeutschen trennen würden. Jedenfalls meinte Eden, als bei einer Konferenz zwischen Stalin und Churchill in Moskau im Oktober 1944 diese Dinge zur Sprache kamen, es könne sein, daß in Zukunft Bayern sich doch wieder an "Preußen" anschließe und dabei Österreich mit sich ziehe. Darüber hinaus hatte Churchill für das Abtreten deutscher Ostgebiete an Polen schon früh Bevölkerungsumsiedlungen in Aussicht genommen. Im Laufe der Zeit wurde es bei den Westmächten allgemein für unvermeidlich gehalten, daß die deut-

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sehe Bevölkerung aus gewissen Landstrichen vertrieben werde, und in der Tat war es dann unvermeidlich, wenn die Rote Armee in solche Gebiete einmarschierte. Bei Vertreibung vieler Millionen Menschen aus den deutschen Ostgebieten mußte ein ungeheures Unruhepotential entstehen, weil die Deutschen dies als ordinären Raub ansehen und nicht leichten Herzens hinnehmen würden. Um Deutschland trotzdem unschädlich zu machen, konnte man den verbleibenden Rest auch noch aufteilen, nur erzeugte man damit das Gegenteil einer Befriedung, weil die Deutschen dann noch unruhiger wurden und zumindest die Wiedervereinigung anstreben würden. Wie ließ sich dem begegnen? Solange Deutschland besetzt war, ließen sich dort die gewünschten Maßnahmen erzwingen, bis hin zur Zerstückelung, aber was sollte geschehen, wenn Deutschland nicht mehr besetzt war, weil die Besatzungsmächte ihre Truppen wieder abzogen? Für ihre Sicherheit gewann die Sowjetunion in diesem Fall wenig oder gar nichts, weil die Deutschen voraussichtlich erneut zur Vereinigung schreiten und den Verlust ihrer Ostgebiete der Sowjetunion anlasten würden. Um die Zerstückelung dauerhaft zu machen, blieb demnach nichts anderes übrig, als sie fortwährend mit Gewalt aufrechtzuerhalten, zweckmäßigerweise durch die fortdauernde Anwesenheit von Besatzungstruppen. Dies beinhaltete jedoch für die Sowjetunion einen hohen militärischen und finanziellen Aufwand, der allein für ihre Sicherheit insofern ganz überflüssig war, als sich diese Sicherheit durch die Entwaffnung Deutschlands weit einfacher und besser gewährleisten ließ. Außerdem kann Stalin zwischen der Sicherheit der Sowjetunion sowie der Zerstückelung Deutschlands schon deswegen keinen eindeutigen Zusammenhang gesehen haben, weil er gegen Kriegsende von der Aufspaltung Rumpfdeutschlands wieder Abstand nahm. Wie erklären sich die Widersprüche? Sie erklären sich einfach so, daß es Stalin vorrangig überhaupt nicht um die Sicherheit der Sowjetunion ging, sondern um die Ausdehnung der sowjetischen Macht- und Einflußsphäre bzw. um die Ausbreitung des Sozialismus. Stalin nahm die Gelegenheit wahr, den Krieg als Beutezug zu führen, der große Teile Europas unter sowjetische Herrschaft brachte- nicht bloß unter eine vorübergehende Besatzungsherrschaft der Roten Armee, sondern unter eine dauernde Herrschaft, die sich notfalls auf die Bajonette stützte. Dies galt insbesondere für die sowjetische Besatzungszone in Deutschland, die Stalin benötigte, um den sowjetischen Herrschaftsbereich im östlichen Europa abzurunden und abzuschirmen. Ein absehbares Ende der Besetzung würde es deshalb für die sowjetische Zone nicht geben, vielmehr konnte Stalin ohne Mühe die Spaltung Rumpfdeutschlands herbeiführen, indem er in seiner Zone einen sozialistischen Staat errichtete. Dies deutete Roosevelt mit seiner vorhin erwähnten Bemerkung in Jalta an. In den folgenden Jahren begannen sich die Westmächte darauf einzurichten und dasjenige zu vollziehen, was in Britannien schon länger als glatte - wohl auch erwünschte - Lösung betrachtet wurde, nämlich Deutschland entlang der Zonengrenze zu teilen. Wenn umgekehrt Stalin von der Erhaltung Gesamtdeutschlands sprach, so meinte er damit nicht das Aufgeben der sowjetischen Besatzungszone, nicht den Rückzug der sowjetischen Truppen, sondern er betrachtete seine Zone als Brückenkopf, von dem aus die Sowjet-

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union Einfluß gewinnen konnte im übrigen Deutschland oder im übrigen Europa. Es gibt Grund zu der Annahme, daß Stalin erhoffte, den sowjetischen Einfluß allmählich auf ganz Europa ausdehnen zu können. Jedenfalls sahen die Staatsmänner und Diplomaten der Westmächte das sowjetische Ausdehnungsstreben als so bedrohlich an, daß sie in den Jahren nach dem Krieg dazu übergingen, ihm überall auf der Erde durch die "Eindämmungspolitik" entgegenzutreten. 48 Wie im Laufe des Krieges die Atlantik-Charta mehr und mehr mit Füßen getreten wurde, so zerfiel auch das Vorhaben, ein weltweites Zusammenleben der Völker dergestalt zu organisieren, daß der dauernde Frieden gewährleistet wurde. Roosevelt hatte erstmals bei seinen Gesprächen mit Molotow im Mai 1942 den Gedanken vorgetragen, die vier Weltpolizisten Amerika, Britannien, Sowjetunion und China sollten in Zukunft den Frieden sichern, indem sie alle anderen Länder entwaffneten und die Einhaltung des internationalen Rechts überwachten. Das hatte notwendigerweise zur Voraussetzung, daß die Weltpolizisten selbst das Recht achteten. Taten sie es nicht, so wurden die Weltpolizisten, die gemäß Plan als einzige bewaffnet bleiben sollten, in die Lage versetzt, eine Gewaltherrschaft übelster Art über unbewaffnete Länder zu errichten. Jener Plan Roosevelts stellte deshalb vom Beginn an lediglich eine Eventuallösung dar. Es mußte geprüft werden, ob die vorgesehenen Weltpolizisten, insbesondere die Sowjetunion, überhaupt willens und bereit waren, das Recht anzuerkennen. Seit dem Washington-Pakt und dem britisch-russischen Bündnisvertrag von 1942 war die Atlantik-Charta gültiges Völkerrecht. Wenn demnach die Sowjetunion daranging, die Freiheit, die Selbstbestimmung und den Besitzstand anderer Völker zu verletzen, dann bewies sie damit, daß sie als Weltpolizist, der allein Waffen besaß, nicht tauglich war, weil sie das Recht nicht achtete, folglich auf bloße Gewaltherrschaft ausging. Bis 1943 hielt Roosevelt an seinem Plan mit den vier allein bewaffneten Weltpolizisten noch fest. Im Frühjahr 1943 legte Sumner Welles einen Entwurf für die Organisation der Völkergemeinschaft vor, der Roosevelt zusagte. Demnach sollte es eine Versammlung für alle Mitglieder der Vereinten Nationen geben, ferner einen Exekutivrat, der außer den vier Weltpolizisten sieben weitere Länder umfaßte, und schließlich, als Krönung des Ganzen, einen Polizeiausschuß aus den Großen Vier, dem allein die Befugnis zustand, den Frieden zu erzwingen. Eben diesen Entwurf trug Roosevelt in Teheran Stalin vor. Der Präsident meinte, es müsse eine Weltorganisation geschaffen werden, die keine Ähnlichkeit mit dem Völkerbund habe. Die Versammlung der Vereinten Nationen solle nur debattieren und Empfehlungen abgeben, der Exekutivrat solle sich mit nichtmilitärischen Angelegenheiten 48 Roosevelt über Abzug amerikanischer Truppen in FRUS, Yalta, 617, 628. Stalin über sowjetische Sicherheit in Teheran, Dokumente zur Deutschlandpolitik I /4, 658 ff. Zum amerikanischen Entmilitarisierungsplan von 1946 Frohn, Neutralisierung. Zum amerikanischen Kredit und den amerikanischen Lieferungen Herring, Aid, 143 ff., 179 ff. Eden, Churchill und Stalin in Moskau, Oktober 1944, in Kimball, Swords, 135 ff., 139. Zur sowjetischen Politik auch D. Geyer, Europapolitik. A. Fischer, Deutsche Frage. Kaplan, Marsch. Raack, Drive. Vgl. H.-J. Schröder, Anerkennung. Loth, Forschung. Reynolds, Origins.

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befassen wie Wirtschaft, Ernährung und Gesundheit sowie hierüber Beschlüsse fassen, und der Polizeiausschuß solle schnell und wirkungsvoll gegen alle Friedensstörungen einschreiten. Anscheinend sagte Roosevelt nicht ausdrücklich, daß allein die vier Weltpolizisten Waffen besitzen sollten, doch läßt sich dies aus dem Sinn seiner Worte erschließen. Nur die Weltpolizisten sollten sich mit Fragen militärischer Natur befassen, nur die Weltpolizisten sollten überall auf der Erde den Frieden gewährleisten und Unruhen bekämpfen. Dies konnten sie ohne große Mühe lediglich dann, wenn die übrigen Länder entwaffnet waren. Andernfalls würde es sich beim Einschreiten gegen einen Friedensstörer nicht um eine bloße Polizeiaktion handeln, sondern um einen regelrechten Krieg, und das sollte ja gerade vermieden werden. Das Ziel Roosevelts, die Weltpolizisten sollten rasch und wirkungsvoll überall den Frieden sichern, wäre sicher verfehlt worden, wenn jeder Friedensstörer erst langwierig und mühsam niedergekämpft werden mußte. Dies läßt den Schluß zu, daß für Roosevelts Plan die Entwaffnung aller Länder außer den Weltpolizisten immer noch gültig war. Das änderte sich seit der Konferenz von Teheran. Spätestens seit Teheran konnte Roosevelt erkennen, daß die Sowjetunion sich an das Recht voraussichtlich nicht halten, sondern mindestens im östlichen Europa eine sowjetische Gewaltherrschaft errichten würde. Der Gedanke, allein die Weltpolizisten sollten bewaffnet sein, wurde damit hinfällig, weil andernfalls große Teile der Erde eine leichte Beute für die Sowjetunion geworden wären. Der Umschwung zeigte sich ab dem Frühjahr 1944. In Amerika nahm nunmehr Außenminister Hull die Dinge in die Hand und legte einen neuen Entwurf für die Weltorganisation der Vereinten Nationen vor. Es verschwand der von Roosevelt vorgesehene Polizeiausschuß der Großen Vier. Statt dessen sollte es jetzt einen Sicherheitsrat geben, den Nachfolger des früheren Exekutivrats, dem wieder 11 Mitglieder angehören sollten, darunter als ständige Mitglieder die Großen Vier. Von August bis Oktober 1944 tagten in Amerika, in Dumbarton Oaks, Vertreter der Großen Vier und einigten sich in der Hauptsache auf den amerikanischen Entwurf. Organe der Vereinten Nationen waren die Vollversammlung und der Sicherheitsrat, wobei in letzteren als ständiges Mitglied nunmehr auch Frankreich aufgenommen werden sollte. Dem Sicherheitsrat oblag es, über die Erhaltung des Friedens zu wachen; zu diesem Zweck hatte er festzustellen, wann der Friede geHihrdet war, und alle geeigneten Maßnahmen zur Wiederherstellung des Friedens zu beschließen, bis hin zur Verwendung von Streitkräften. Die frühere Vorstellung Roosevelts, so etwas wie ein Weltdirektorium zu bilden, war insofern erhalten geblieben, als die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, nunmehr die Großen Fünf, tatsächlich eine Art Direktorium innerhalb der Vereinten Nationen darstellten. Entschwunden war jedoch die Idee von den allein bewaffneten Weltpolizisten; vielmehr konnten alle Mitglieder der Vereinten Nationen nach eigenem Gutdünken oder nach Maßgabe des Völkerrechts bewaffnet bleiben. Beschloß der Sicherheitsrat Maßnahmen zur Friedenssicherung, so konnten diese von einigen oder allen Mitgliedern der Vereinten Nationen durchgeführt werden, ein bewaffneter Einsatz also auch von den nichtständigen Mitgliedern des Sicher-

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heitsrats oder von anderen. Man erkennt unschwer, daß das Verfahren in hohem Maße kompliziert war und wahrscheinlich nur in seltenen Fällen funktionieren würde. Über die Abstimmungsformalitäten im Sicherheitsrat gab es noch eine Zeitlang Streit, da Stalin für jeden Beschluß des Sicherheitsrats Einstimmigkeit verlangte, so daß durch das Veto einer der Großmächte jeder Beschluß verhindert werden konnte. Bis zur Konferenz von Jalta wurde eine Lösung gefunden, indem das bloße Behandeln bzw. Debattieren von Problemen im Sicherheitsrat durch eine Mehrheit beschlossen werden durfte, während Beschlüsse über militärische oder andere Maßnahmen nur bei Zustimmung aller ständigen Mitglieder zustande kamen. In der Regel würden sie also wahrscheinlich gar nicht zustande kommen, vielmehr würden die Großen Fünf sich gegenseitig belauern, sofern nicht noch Schlimmeres eintrat. Im April 1945, also noch während des Krieges, begann eine Konferenz in San Francisco, auf welcher formell die Vereinten Nationen mit ihrer Satzung ins Leben traten. Ähnlich wie der Völkerbund waren damit die Vereinten Nationen eine Veranstaltung der Sieger; die Besiegten wurden dem Diktat der Sieger unterstellt. Eine wirkliche Friedensgemeinschaft kam ebensowenig zustande wie nach dem Ersten Weltkrieg, und die Sicherheitsorganisation der Vereinten Nationen bildete nur einen kümmerlichen Ersatz für das, was die Atlantik-Charta einst in Aussicht genommen hatte. Zwar gab es nun wieder, wie ehedem beim Völkerbund, eine organisierte Staaten- oder Völkergemeinschaft, aber sie zeigte ungefähr dieselben Gebrechen wie jener. In beiden Fällen kam die Revolution der internationalen Beziehungen, wie die amerikanischen Präsidenten Wilson und Roosevelt sie erstrebten, über schwache Anfänge nicht hinaus. Ebenso wie der Völkerbund wurden auch die Vereinten Nationen nicht ein Bund zur Erzwingung des Friedens, sondern eine Art Dekorationsstück, welches der Fortdauer der alten Machtpolitik nur übergestülpt wurde. Ein regelrechter Weltstaat entsteht nicht schon dann, wenn ein Völkerrecht sich ausbildet, welches den Krieg bzw. die militärische Gewaltanwendung untersagt. Sondern ein wirklicher Weltstaat entsteht erst dann, wenn die Staatengemeinschaft so organisiert ist, daß sie den Rechtsfrieden wahren, d. h. das Recht erzwin· gen kann, und zwar in jedem Fall, auch für den Schwachen gegen den Starken. Dies war weder im Völkerbund noch in den Vereinten Nationen gewährleistet. In beiden Fällen hätte das Recht nur erzwungen werden können, wenn zumindest unter den Großmächten Einigkeit bestanden hätte oder wenn sie sich hätte erzeugen lassen. Im Völkerbund war dies schon deswegen nicht möglich gewesen, weil gar nicht alle Großmächte dem Völkerbund angehört hatten. In den Vereinten Nationen wiederum konnte Einigkeit unter den dort vertretenen Großmächten allenfalls insofern erzielt werden, als zwei potentielle Großmächte, nämlich Deutschland und Japan, aus diesem Kreis ausgeschlossen und künstlich oder gewaltsam niedergehalten wurden. Andere potentielle Großmächte wie Indien waren einstweilen noch nicht einmal souverän oder mußten hinter den Großmachtansprüchen derjenigen europäischen Länder zurückstehen, die bereits im Völkerbund nur ein Mittel zur Befriedigung ihres Ehrgeizes erblickt hatten.

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Ansonsten würde die Einigkeit unter den Großmächten der Vereinten Nationen meistens schon daran scheitern, daß sie gar nicht gesucht wurde, sondern daß die Großmächte im Stil der alten Machtpolitik vorrangig darauf bedacht waren, ihre Einflußgebiete abzustecken, gegeneinander zu sichern oder auszuweiten. Die Politik der Großmächte würde nicht in erster Linie der Wahrung des Rechts gelten, sondern der Wahrung ihrer eigenen Macht. Als wirkliche Weltpolizisten würden die Großmächte deshalb kaum in Erscheinung treten oder höchstens innerhalb ihrer eigenen Machtsphären. Immerhin bestand eine gewisse Aussicht, daß zumindest für einige Zeit ein Weltgleichgewicht entstand. Die Erde oder jedenfalls ein großer Teil davon wurde aufgeteilt zwischen den beiden bedeutendsten Mächten, den USA und der Sowjetunion, und keine der beiden Seiten war imstande, der anderen ihren Willen aufzuzwingen. Ein Mindestmaß an Einigkeit unter den Großmächten ergab sich dann wenigstens insofern, als sie wechselseitig ihre Machtsphären respektierten. Auf dieser Grundlage mochte es gelingen, den Frieden zu erhalten -allerdings nicht den allgemeinen Frieden, den die Weltpolizisten eigentlich hätten erzwingen sollen, sondern nur den Frieden unter den Weltpolizisten selbst. Dies würde diejenige Art von Frieden sein, wie sie in der herkömmlichen Macht- und Gleichgewichtspolitik gängig war: brüchig und ungewiß. Die organisierte Völkergemeinschaft der Vereinten Nationen dagegen konnte für die Erhaltung des Friedens lediglich ein Lückenbüßer sein, der allenfalls in besonders gelagerten Fällen als Friedensstifter zu wirken vermochte. 49 So wurde der Krieg nicht zu Ende geführt, um eine neue Welt des Friedens, des Rechts und der allgemeinen Wohlfahrt zu errichten, sondern er wurde zu Ende geführt, um die Macht der Siegerstaaten zu zementieren. Dies galt ebenso an anderer Stelle. Wie im Ersten Weltkrieg tauchte auch jetzt wieder die Frage von Kriegsentschädigungen auf, von Reparationen. Präsident Wilson hatte sie im Ersten Weltkrieg ursprünglich nicht gewünscht, und Präsident Roosevelt hielt es im Zweiten Weltkrieg anfangs genauso. Die Atlantik-Charta sah vor, das wirtschaftliche Wohlergehen aller Länder zu fördern, auch der besiegten, und umfangreiche Leistungen der Besiegten an die Sieger waren damit unverträglich. Das schloß selbstverständlich nicht aus, daß widerrechtlich angeeignetes Gut zurückerstattet wurde; aber eine gezielte wirtschaftliche Schädigung der Besiegten durch die Sieger hatte zu unterbleiben. In diesem Sinn sagte Roosevelt noch Ende 1942 zu Mackenzie King, die Entwicklung Deutschlands solle in keiner Weise behindert werden. Selbst Churchill war anfangs der Meinung, es solle keine Reparationen geben. Das Ziel der Atlantik-Charta faßte er in Hinblick auf Deutschland in die bildhaften Worte, Deutschland solle fett, aber impotent gemacht werden. Dagegen brachte Stalin als erster das Gespräch auf Reparationen, als er gegen Ende 1941 anregte, Deutschland und seine Verbündeten sollten bezahlen. Dies war offenbar der Auslöser, daß man sich in der Folgezeit auch in Washington und London mit der Reparationsfra49 Zur Organisation der Vereinten Nationen Divine, Roosevelt, 61 ff. Roosevelt in Teheran nach FRUS, Tehran, 529 ff. A. Fischer, Teheran, 44 ff. Ferner Hull li, 1625 ff. R. Russell, Charter. Range, Order.

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ge beschäftigte. Daß dem so ist, wird durch das Gegenbeispiel Japans bestätigt. Den Krieg im Pazifik führten in der Hauptsache die USA, sie besetzten später Japan weitgehend selbst, so daß gegenüber Japan die Atlantik-Charta im Großen und Ganzen verwirklicht werden konnte. Planungen für japanische Reparationen gab es in Amerika anscheinend nicht. Erst gegen Kriegsende, als sich die Unvermeidlichkeit von Reparationen in Europa herausstellte, wurde das Prinzip auch auf Japan angewandt, wahrscheinlich um nicht den Eindruck der Vorzugsbehandlung aufkommen zu lassen. Tatsächlich jedoch waren die Leistungen, welche Japan nach dem Krieg zu erbringen hatte, verhältnismäßig bescheiden. Ähnliches galt übrigens für Italien. Anders dagegen verhielten sich die Dinge bei denjenigen Ländern, die in den militärischen oder politischen Wirkungsbereich der Sowjetunion gerieten. Davon betroffen war z. B. Finnland, das im Verhältnis zu seiner Wirtschaftskraft mindestens so hohe Reparationen leisten mußte wie Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. Ähnliches suchte Stalin zudem in Hinblick auf Deutschland zu erreichen. Dies mußte, wie andere sowjetische Forderungen auch, bei den Westmächten in Rechnung gestellt werden. Der amerikanische Außenminister Hull tat es, indem er bei der Moskauer Außenministerkonferenz im Oktober 1943 einen allgemein gehaltenen Vorschlag über deutsche Reparationen einbrachte. Demnach sollte die Reparationssumme erst nach der Kapitulation festgelegt werden, es sollte auch keine Zahlungen in Geld geben, sondern die Lieferung von Gütern und Dienstleistungen, schließlich sollte dies alles der Festigung einer friedlichen Weltordnung und dem Wiederaufbau Europas dienen, die ansonsten durch internationale Zusammenarbeit und mit amerikanischer Hilfe zu bewerkstelligen waren. Molotow ging darauf nicht ein, aber im amerikanischen Außenministerium fanden in dieser Angelegenheit weitere Überlegungen statt, die auf der Voraussetzung beruhten, daß ein geeintes Deutschland ungefähr in den Grenzen von 1937 fortbestand und in Zukunft in eine offene Weltwirtschaft eingegliedert wurde. In diese Art von Deutschlandplanung kam zeitweise einige Unruhe, als der amerikanische Finanzminister Morgenthau im Sommer 1944 den Ehrgeiz entwickelte, sich in die Nachkriegsplanung einzuschalten. Morgenthau bekam heraus, daß in Teheran von der Zerstückelung Deutschlands die Rede gewesen war, daß aber mittlerweile sich niemand mehr darum kümmerte. Zudem existierten Richtlinien für die amerikanischen Besatzungstruppen in Deutschland, aus denen hervorging, daß die Deutschen in höchst humaner Weise behandelt sowie Verwaltung und Wirtschaft möglichst leistungsfähig in Gang gehalten werden sollten. Morgenthau nahm daran Anstoß und suchte Roosevelt zu einer harten Haltung gegenüber Deutschland zu drängen. Der Präsident erweckte eine Zeitlang den Eindruck, als würde er dem nachgeben, wahrscheinlich weil er befürchtete, das Mißtrauen Stalins und Churchills wachzurufen, wenn die Amerikaner den Deutschen allzu freundschaftlich begegneten. So verlangte er von Kriegsminister Stimson das Ändern der Richtlinien für die Besatzungstruppen und wies ihn an, den Deutschen müsse eingebleut werden, daß das ganze Volk an einer gesetzlosen Verschwörung

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gegen den Anstand der modernen Kultur teilgenommen habe. Aus dieser Stelle wird üblicherweise mehr herausgelesen, als tatsächlich dasteht. Gewiß, jenes konnte man den Deutschen einbleuen, aber wenn Roosevelt als Mittel hierzu vorschlug, die Deutschen sollten dreimal täglich aus amerikanischen Suppenküchen gefüttert werden, dann würden die Deutschen eine solche Behandlung wahrscheinlich ohne Schaden überstehen, sofern sie nicht noch dankbar dafür waren. Die Einzelheiten des Morgenthau-Plans sind hier nicht von Belang, zumal der Plan weniger rachsüchtig als vielmehr dämlich war. Außenminister Hull, Kriegsminister Stimson und später auch die öffentliche Meinung verwahrten sich daher entschieden gegen den Plan. Morgenthau sah unter anderem vor, Deutschland in zwei bzw. drei Teile aufzuspalten, wobei ein Teil, der vom Ruhrgebiet bis in die Gegend von Harnburg reichen sollte, von jeglicher Industrie zu entblößen war, sowie die Deutschen einer Umerziehung zu unterwerfen. Stimson, der früher selbst Außenminister gewesen war und die Dinge von einer höheren Warte aus betrachtete als Morgenthau, stellte in einer seiner Denkschriften für Roosevelt dazu fest: Es sei nicht möglich, daß eine ganze Nation von 70 Millionen Menschen, die über viele Jahre in Kunst und Wissenschaft Herausragendes geleistet, die durch Tüchtigkeit und Tatkraft eine der höchsten Industrialisierungsstufen in Europa erreicht habe, nunmehr gewaltsam veranlaßt werden könnte, ihre frühere Lebensweise zu ändern und auf die Stufe eines Bauernvolkes herabzusteigen, das seine Wirtschaft und sein Geistesleben den Eingriffen anderer Länder überlassen müsse. Stimson hob ferner, ebenso wie Hull, den Umstand hervor, daß die deutsche Industrie für ganz Europa unverzichtbar sei, so daß bei ihrem Wegfall ganz Europa bestraft würde. Sodann nahm der Morgenthau-Plan offenbar weder auf die militärische noch auf die zukünftige politische Lage Rücksicht. Zu jener Zeit war es zwar nicht ausgeschlossen, aber auch nicht wahrscheinlich, daß die Westmächte ganz Deutschland besetzen und ihre Wünsche dort verwirklichen konnten. Realistisch war vielmehr die Annahme, daß die Hauptsiegermächte in ihre Besatzungszonen einrücken würden. In diesem Fall würde Nordwestdeutschland, das gemäß Morgenthau-Plan in eine Industriebrache und ein Elendsquartier zu verwandeln war, in der britischen Besatzungszone liegen. Unterstellte man das Gebiet, wie Morgenthau vorsah, einer internationalen Aufsicht, so durften dort die Sowjets mitbestimmen. Bei einer Vernichtung der dortigen Industrie entstand ein viele Millionen umfassendes Heer von Arbeitslosen und Hungernden, das eine leichte Beute für kommunistische Aufwiegelung sein würde. Eine bessere Handhabe, Nordwestdeutschland und anschließend weitere Gebiete zu übernehmen, konnte man den Sowjets kaum bieten. Was wollten die Westmächte dann tun? Rußland den Krieg erklären? Oder den Rest Europas abschreiben? War es das, was Morgenthau wollte? Oder war er nicht fähig, so weit zu denken? Nichtsdestoweniger einigten sich Churchill und Roosevelt bei einer ihrer Gipfelkonferenzen im September 1944 darauf, den größten Teil der westdeutschen Indu-

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strie aufzulassen, und zwar mit der Aussicht, Deutschland einen vorwiegend agrarischen Charakter zu geben. Warum geschah dies? Die Antwort hat zu berücksichtigen, daß der Morgenthau-Pian wiederum mit der Reparationsfrage zusammenhing. Morgenthau gewann im Sommer 1944, unter anderem bei einem Besuch in London, den Eindruck, Britannien werde nach dem Krieg finanziell ruiniert sein, und er gewann ferner den Eindruck, das amerikanische wie das britische Außenministerium wollten Deutschland erhalten sowie seine Wirtschaft fördern, auch mit dem Ziel, es zu Reparationsleistungen zu befähigen. Beides mißfiel ihm, zum Teil vielleicht wegen einer eingefleischten Abneigung gegen Deutschland, mindestens ebensosehr aber deswegen, weil er als Finanzminister sich zugleich als Kassenwart Amerikas verstand. Erstens nahm Morgenthau an, wenn Deutschland Reparationen zahlen solle, dann müsse zuerst seine Wirtschaft wieder in die Höhe gebracht werden, was nur mit amerikanischer Hilfe möglich war. Dies würde einen doppelten Effekt haben: Einerseits würde die deutsche Wirtschaft nach dem Ende der Reparationszahlungen stärker sein als je zuvor, und andererseits würde für die deutschen Reparationsleistungen mittelbar Amerika aufkommen, wenigstens zu einem großen Teil, wie es in ähnlicher Weise nach dem Ersten Weltkrieg schon einmal der Fall gewesen war. Zweitens befürchtete Morgenthau, daß beim finanziellen Ruin Britanniens nach dem Krieg den USA auch noch die Last aufgebürdet wurde, dieses Land über Wasser zu halten. Amerika stand dann vor der Aussicht, für das wirtschaftliche Wohlergehen sowohl Britanniens als auch Deutschlands zu sorgen. Die Lösung erblickte Morgenthau darin, die deutsche Industrie zum großen Teil zu zerstören. In diesem Fall konnte es erstens keine laufenden Reparationszahlungen geben; allenfalls mochten sich die Kriegsgegner am Anlagevermögen der deutschen Industrie schadlos halten. Zweitens, so Morgenthaus Rechnung, würde Britannien durch den Wegfall der deutschen Konkurrenz Märkte gewinnen und sich auf diese Weise sanieren. Die finanziellen Überlegungen Morgenthaus leuchteten Roosevelt ein. Allerdings bleibt festzuhalten, daß Roosevelt den Morgenthau-Plan nie vollständig übernahm. Daher zeichnete Stirnsan über interne Beratungen Anfang September 1944 auf, der Präsident folge Morgenthau sicher nicht. Wie Roosevelt mehrfach erklärte, bestand der Kern seiner Absichten darin, den finanziellen Bankrott Britanniens abzuwenden. Zu diesem Zweck wollte er der britischen Wirtschaft auf die Beine helfen, indem er die Konkurrenz durch die deutsche Wirtschaft streckenweise beschnitt. Das war der eigentliche Inhalt jener gemeinsamen Absichtserklärung Churchills und Roosevelts vom September 1944, wonach ein wesentlicher Teil der westdeutschen Industrie aufgelassen werden sollte. Der Text dieser Erklärung mit der Formel vom vorwiegenden Agrarcharakter stammte von Churchill, während Roosevelt später mit Nachdruck bestritt, daß jemals die Absicht bestanden habe, aus Deutschland einen Agrarstaat zu machen. Im Zusammenhang mit den inneramerikanischen Debatten über den Morgenthau-Plan kam Roosevelt noch einmal auf die Zerstückelung Deutschlands zurück, ohne daß klar ersichtlich wäre, was er damit bezweckte. Möglicherweise hatte er schon die Spaltung entsprechend den

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Besatzungsgebieten im Auge, vielleicht handelte es sich nur um ein taktisches Manöver, jedenfalls wollte er später nichts mehr davon wissen. Das einzige, was aus der ziemlich abstrusen Debatte über den Morgenthau-Plan übrig blieb, war die deutlich erkennbare Abneigung der amerikanischen Regierung gegenüber Reparationen. Einerseits beanspruchten die USA selbst überhaupt keine derartigen Leistungen, andererseits sah man in Amerika auch nicht recht ein, warum man der Sowjetunion zu Reparationen aus Deutschland verhelfen solle, zumal dann nicht, wenn am Ende die USA mittelbar oder unmittelbar für die deutschen Reparationen aufkommen mußten. Gemäß der Atlantik-Charta hätte die einfachste Lösung natürlich darin bestanden, nach der Vernichtung der Nazi-Tyrannei die Deutschen zukünftig in Ruhe zu lassen und ihnen Gelegenheit zu geben, ohne gewalttätige Eingriffe von außen ihren Staat und ihre Wirtschaft neu aufzubauen. Infolge des Überdauerns der alten Machtpolitik wurde diese glatte und vernünftige Lösung vereitelt, so daß die Siegermächte sich mit solch unfruchtbaren Ideen wie der Zerstückelung Deutschlands, der Schwächung oder Zerstörung seiner Industrie und dem Bezahlen oder Verhindern von Reparationen abgaben. Bei der Gipfelkonferenz von Jalta im Februar 1945 legte die sowjetische Seite einen Plan für umfangreiche deutsche Reparationen vor, hauptsächlich zugunsten der Sowjetunion. Die Westmächte suchten eine Entscheidung zu verschleppen, so daß ein bindender Beschluß nicht gefaßt wurde. Auf der letzten Gipfelkonferenz der drei großen Siegermächie, derjenigen von Potsdam im Sommer 1945, wurde ein Vorschlag des nunmehrigen amerikanischen Außenministers Byrnes angenommen, wonach jede Besatzungsmacht ihre Reparationsansprüche aus ihrer eigenen Zone befriedigen sollte. Zusätzlich sollte die Sowjetunion 25% der Demontagen aus den Westzonen erhalten, zum Teil im Austausch gegen Nahrungsmittel und Rohstoffe. Damit wurde Deutschland tatsächlich geteilt, zumindest reparationspolitisch. Die Westmächte wollten damit der Sowjetunion den weitergehenden Zugriff auf die Wirtschaft der Westzonen verwehren. Umgekehrt bediente sich die Sowjetunion aus ihrer eigenen Zone, indem sie diese ausplünderte. Hätte Moskau seine Raubpolitik unterlassen, um statt dessen mit Hilfe amerikanischer Kredite Industrieausrüstung im Westen zu kaufen, so hätte Rußland mehr davon profitiert. Aber die Eingliederung der Sowjetunion in eine friedliche Weltwirtschaft wünschte Stalin nicht. 5° Ähnlich wie nach dem Ersten Weltkrieg kam auch im Zweiten wieder der Gedanke auf, durch die Siegermächte eine gerichtliche Ahndung gewisser Taten auf seiten der Verlierer vornehmen zu lassen. Allerdings gab es gegenüber dem Ersten 50 Allgemein zu den Reparationen J. Fisch, Reparationen, passim. Nübel, Reparationspolitik. Karlsch. Churchill und Stalin über Reparationen nach Dokumente zur Deutschlandpolitik !II, 255, 450, 527, 594 f. Hull über Reparationen in Moskau, Oktober 1943, in Dokumente zur Deutschlandpolitik I I 4, 609 ff. Quellen zum Morgenthau-Plan in Kimball, Swords, 65 ff., 122 ff. (Denkschrift Stimsons, 15. 9. 1944) und passim. Dazu Stimson/Bundy, 326 ff. Hull II, 1602 ff. Roosevelt an Hull, 29. 9. 1944, in Sherwin, World, 285 f. Rooseve1t an Stimson über Suppenküchen, 26. 8. 1944, in Blum, Morgenthau Diaries 111, 348 f. Ferner Tyrell, Deutschlandplanung, 281 ff., 506 ff.

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Weltkrieg einige Unterschiede. Damals war Deutschland bzw. das Gebiet der Mittelmächte von den Siegern nicht besetzt worden, die staatliche Souveränität der Verlierer war grundsätzlich erhalten geblieben. Nunmehr jedoch mußte damit gerechnet werden, daß alle oder die meisten Verliererstaaten von den Truppen der Sieger besetzt wurden, so daß die Möglichkeit bestand, die Souveränität bzw. die Staatsgewalt mindestens zeitweise von den Besatzungsmächten ausüben zu lassen. Nach dem Ersten Weltkrieg hatten gewisse Personen, so etwa der deutsche Kaiser, vor Siegergerichten angeklagt werden sollen, was damals gescheitert war, weil die Beschuldigten nicht ausgeliefert wurden. Solche Schwierigkeiten würden nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr auftreten, wenn große Teile Europas und Ostasiens besetzt wurden. Ein gerichtliches Aburteilen beschuldigter Personen ließ sich dann erzwingen. Freilich entstanden damit ähnliche rechtliche, sittliche und logische Probleme wie nach dem Ersten Weltkrieg. Zweifellos gab es bei den Verlierern des Zweiten Weltkriegs nicht bloß Verstöße gegen das Kriegsrecht, sondern politische Verbrechen großen Ausmaßes und andere Untaten. Deren Ahndung war geboten und ließ sich, soweit die Besatzungsmächte die Souveränität ausübten, mühelos herbeiführen. Doch ließ sich, wie nach dem Ersten Weltkrieg, die Frage aufwerfen, ob und inwieweit das Recht einen allgemeinen Geltungsanspruch hat. Offenbar gab es Verstöße gegen das Kriegsrecht, politische Verbrechen großen Ausmaßes und andere Untaten auch bei den Siegermächten, teils bei einzelnen, teils bei allen. Die Schreckensherrschaft des Stalinismus war nicht weniger grausam als diejenige des Nationalsozialismus, ihre Opfer waren vielleicht noch zahlreicher. Das Terrorbombardement der westlichen Luftstreitkräfte war rechtlich mindestens bedenklich, und im pazifischen Krieg pflegte auch die westliche Seite keine Gnade zu geben. Das Überfallen und Unterdrücken anderer Länder, der Bruch von Verträgen waren Erscheinungen, die nicht bloß bei den Achsenmächten auftraten. Rechtsverletzungen aller Art fanden sich nicht bloß bei den Verlierern. Wurden nun Völkerrechtswidrigkeiten nur bei den Besiegten verfolgt, so mußte sich unweigerlich der Eindruck aufdrängen, daß für Besiegte ein anderes Recht gilt als für Sieger oder daß man, sofern man zu den Siegern gehört, auch Kriegsverbrechen begehen darf. Nach dem Ersten Weltkrieg hatten die Gerichtsverfahren gegen wirkliche oder angebliche Kriegsverbrecher der propagandistischen Überhöhung einer mißratenen Friedensordnung dienen sollen. Ein tragfähiger Weltfrieden, eine lebensfähige Völkergemeinschaft muß das gleiche Recht für alle herstellen. Gelang dies nicht, so würden sich die Vorgänge des Ersten Weltkriegs wiederholen. Roosevelt gab im Oktober 1942 die öffentliche Erklärung ab, bei Kriegsende sollten Kriegsverbrecher den Vereinten Nationen übergeben werden. Die Bestrafung solle nur eine kleine Zahl von Rädelsführern treffen, doch solle es keine Massenvergeltung geben. Die gemeinsame Politik der Siegermächte wurde anläßlich der Moskauer Außenministerkonferenz von 1943 festgelegt. Gemäß einer gemeinsamen Erklärung der drei Regierungschefs waren Kriegsverbrecher denjenigen Ländern zu übergeben, wo sie ihre Taten begangen hatten. Dagegen sollten die

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Hauptkriegsverbrecher, deren Taten keine genauegeographische Umgrenzung aufwiesen, durch gemeinsamen Entscheid der alliierten Regierungen bestraft werden. Diese Erklärung bezog sich zwar nur auf Deutschland, doch hatte Roosevelt bereits 1942 von einer Bestrafung sowohl in Europa als auch in Asien gesprochen. Für diejenigen Delinquenten, die den betroffenen Ländern zu übergeben waren, kam das jeweils unterschiedliche örtliche Rechtssystem zut'Anwendung. Für die Hauptkriegsverbrecher, also insbesondere die politische Führung, blieben Rechtsgrundlage und Verfahren der Bestrafung unbestimmt. Bei den Westmächten hielt sich lange der Gedanke, sie einfach summarisch zu exekutieren. In diesem Sinn äußerte sich etwa Hull während des Jahres 1943 öfters, so auch in Moskau. Hull wollte ein solches Verfahren auf Hitler, Mussolini und Tojo sowie ihre jeweiligen Komplizen angewandt wissen. Im Schoß der britischen Regierung gab es ähnliche Vorstellungen. Der Morgenthau-Plan sah ebenfalls ein solches Verfahren vor, während Roosevelt anscheinend mehr einem regelrechten Gerichtsverfahren zuneigte. Wenngleich ein summarisches Verfahren rechtlich bedenklich war, so war doch ein förmliches Gerichtsverfahren, das sich als reine Siegerjustiz darbot, nicht minder bedenklich. Welche Straftatbestände sollten zugrunde gelegt werden? Und galten sie nicht auch für andere, z. B. Stalin? Dagegen stellte sich Stalin seit 1942 immer wieder auf den Standpunkt, es müsse ein förmliches Gerichtsverfahren stattfinden. Angesichts seiner eigenen Erfahrung mit politischen Schauprozessen mochte ihm dies nicht schwerfallen. Die Entscheidung blieb bis Kriegsende offen, doch entschied man sich dann für ein förmliches Gerichtsverfahren. 51

51 Die Quellen in Dokumente zur Deutschlandpolitik, und zwar: Erklärungen Roosevelts über Kriegsverbrechen, 21.8. und 7. 10. 1942, in I /2, 481 ff., 526 f. Die Moskauer Erklärung, I. II. 1943, in I/ 4, 621 f. Hull über summarische Exekution, 17.3. und Oktober 1943, in I/4, 230 f., 604 f. Stalin im November 1942 nach I/ 3/2, 965 ff., 1033 ff. Der Morgenthau-Plan in Kimball, Swords, 101 ff., 105 (5. 9. 1944). Ferner Glees, 177. Vgl. Gietz, 254 f. Bower.

22 Rauh, Zweiter Weltkneg 3 Teil

111. Das Ende 1. Der Zusammenbruch des Dritten Reiches

Seit Mitte 1944 befanden sich die deutschen Truppen, nach verheerenden Niederlagen, überall in Europa auf dem Rückzug. An der Ostfront drang die Rote Armee Sowjetrußlands nach der Zerschlagung der Heeresgruppe Mitte und nach dem Durchbruch bei der Heeresgruppe Nordukraine bis an die Grenze Ostpreußens und im mittleren Polen bis an die Weichsel bei Warschau vor; nach dem Verlust des Baltikums und dem Vorstoß der Roten Armee an die Ostsee bei Memel waren die Verbände der ehemaligen Heeresgruppe Nord in Kurland abgeschnitten. Auf dem Balkan mußten sich die deutschen Truppen nach dem Zusammenbruch der Heeresgruppe Südukraine in das westliche Ungarn und nach Kroatien zurückziehen. In Skandinavien, wo an der deutsch-russischen Front drei Jahre lang Stellungskrieg geführt worden war, zwang das Ausscheiden Finnlands aus dem Krieg die deutschen Truppen in Lappland (20. Gebirgsarmee) zum Rückzug nach Nordnorwegen. In Italien trieb eine Offensive der Westmächte die deutsche Heeresgruppe C auf den Apennin südlich der Po-Ebene zurück. Im Westen schließlich, wo die Alliierten die deutsche Abwehr an der Invasionsfront zerbrachen und in Südfrankreich eine weitere Landung durchführten, mußten die Heeresgruppe B aus Nordfrankreich sowie die Armeegruppe G aus Südfrankreich bis an das Rheindelta und an den Verlauf der deutschen Grenze zurückweichen. All diese deutschen Niederlagen gingen mit gewaltigen Verlusten einher. Schon im Juni und Juli 1944 wurden 34 Divisionen vernichtet oder aufgelöst, davon 29 im Osten, der Rest im Westen, in Italien und in Norwegen. Vom August 1944 bis zum Jahresende wurden weitere 62 Divisionen vernichtet oder mußten aufgelöst werden, davon 16 in Rumänien, wo bei der Heeresgruppe Südukraine die 6. Armee zum zweiten Mal zugrunde ging, weitere 11 an der übrigen Ostfront, ferner 30 im Westen sowie fünf auf dem Balkan und in Italien. Allein im zweiten Halbjahr 1944 verlor das deutsche Feldheer weit über eine Million Mann an Toten und Vermißten - ungefähr so viele wie in sämtlichen Feldzügen seit Kriegsbeginn bis zum Februar 1943 (einschließlich Stalingrad). Im Jahr 1944 büßte das Heer insgesamt 106 Divisionen durch Vernichtung oder Auflösung ein - etwa so viele, wie man bei Kriegsbeginn 1939 mobilgemacht hatte. 1 1 Zu den deutschen Rückzügen die vorigen Kapitel. Zum Rückzug in Lappland auch Bohn, Eismeer. Rendulic. Zu den Rückzügen auf dem Balkan und in Italien auch KTB OKW IV II, 473 ff., 713 ff. Zum Rückzug in Frankreich auch Ludewig. Zu den Verlusten MüllerHillebrand III, 167 ff.

I. Der Zusammenbruch des Dritten Reiches

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Solche Verluste kündigten nicht nur den bevorstehenden Zusammenbruch an, sondern sie waren selbst Ausdruck des Umstands, daß der längst unabwendbare Zusammenbruch lediglich hinausgezögert wurde, mit unzureichenden Kräften und weithin auch mit einer ungeeigneten Strategie. Wie hoffnungslos die Lage wirklich war, zeigte sich weniger an der schwindenden Stärke des Heeres als vielmehr auf dem Gebiet der Kriegswirtschaft Wegen der Gebietsverluste versiegte die Zufuhr der meisten Rohstoffe nach Deutschland, so Öl und Chrom vom Balkan, Nikkel aus Finnland, Mangan aus Rußland, Wolfram von der iberischen Halbinsel und Eisenerz aus Lothringen. Ohne Chrom, Nickel, Mangan und Wolfram war die Erzeugung der wichtigsten Rüstungsgüter schlechterdings nicht möglich. Zwar hatte man Vorräte an den genannten Metallen angelegt, so daß insoweit die Herstellung von Waffen und Gerät sich noch für einige Zeit aufrechterhalten ließ. Aber spätestens wenn die Vorräte aufgebraucht waren, wurde die Wehrmacht kampfunfähig. Freilich stellte dies noch nicht das drängendste Problem dar. Im Mai 1944 begann die amerikanische Luftwaffe, der sich dann auch die britische anschloß, Angriffe auf die Hydrierwerke und Raffinerien in Deutschland, also auf die Anlagen der Treibstofferzeugung. Bei diesen Anlagen handelte es sich eigentlich um den empfindlichsten Teil der deutschen Kriegswirtschaft, einerseits weil diese Ziele, namentlich die Hydrierwerke, leicht anzugreifen und unzulänglich geschützt waren, andererseits weil der Treibstofferzeugung eine Schlüsselrolle für die Kriegsfähigkeit zukam, denn ohne Treibstoff wurden die entscheidenden und kampfstärksten Teile aller Streitkräfte lahmgelegt Wenn Flugzeuge nicht mehr fliegen, Panzer und Kraftfahrzeuge nicht mehr fahren, Schiffe sich nicht mehr bewegen konnten, wurde weiterer Widerstand zwecklos. Diesem Ergebnis kam die Luftwaffe der Alliierten durch die Angriffe auf die Treibstofferzeugung bis Ende 1944 nahe. Schon vor Beginn der Angriffe war die Treibstofflage, wie stets in diesem Krieg, angespannt gewesen; selbst wenn keine Störungen bei der Treibstoffversorgung eingetreten wären, hätten sich den Teilstreitkräften nicht diejenigen Mengen an Treibstoff zuteilen lassen, die zur Erfüllung aller Aufgaben im Lauf des Jahres 1944 erforderlich waren. Um einen Anhaltspunkt zu geben, kann man sagen, daß der bereits gekürzte Bedarf der deutschen Luftwaffe noch vor der Invasion in Frankreich etwa 200000 Tonnen Flugbetriebsstoff pro Monat betrug; beim Heer belief er sich auf über 200000 Monatstonnen Vergaser- und Dieselkraftstoff, bei der Marine auf knapp 150000 Monatstonnen Heizöl und SchiffsdieseL Infolge der Zerstörung von Hydrierwerken und Raffinerien durch die alliierte Luftwaffe sank die Erzeugung von Flugzeugtreibstoff im zweiten Halbjahr 1944 auf Bruchteile des Bedarfs und Anfang 1945 praktisch auf Null. Bei anderen Treibstoffarten war es ähnlich; immerhin konnten der Wehrmacht Anfang 1945 an Vergaser- und Dieselkraftstoff noch jeweils mehrere zehntausend Monatstonnen zugeteilt werden, also auch nur Bruchteile des früheren Bedarfs. Im zweiten Halbjahr 1944 ließen sich die Produktionsausfälle zum Teil ausgleichen durch den Rückgriff auf Vorräte des OKW; bis Anfang 1945 waren diese Vorräte praktisch aufgebraucht. Im Januar 22*

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III. Das Ende

1945 belief sich der Verbrauch der Luftwaffe auf ungefähr 50000 Tonnen Treibstoff; der noch vorhandene Bestand betrug ungefähr 150000 Tonnen. Im selben Monat verbrauchte das Heer gut 100000 Tonnen Treibstoff und besaß noch rund 200000 Tonnen. Unter den gegebenen Verhältnissen hieß dies, daß die Luftwaffe demnächst kaum noch fliegen und das Heer sich kaum noch bewegen konnte. Die Marine verbrauchte im Januar 1945 ungefähr 90000 Tonnen Treibstoff und besaß noch über 300000 Tonnen Heizöl, aber bloß 19000 Tonnen Dieselkraftstoff. Ihre Überwasserschiffe vermochte die Marine noch eine Zeitlang einzusetzen. Für die neuen U-Boote jedoch, von denen mancher sich eine Wende im Seekrieg versprach, mangelte es an Treibstoff. 2 Was sich Hitler unter solchen Umständen von der Fortsetzung des Krieges noch versprach, ist schwer auszumachen. Schon in der letzten formellen Führerweisung für die Kriegführung vom November 1943 hatte es geheißen, wenn dem Feind im Westen der Einbruch in die deutsche Verteidigung in breiter Front gelinge, seien die Folgen in kurzer Zeit unabsehbar. Eben dies geschah bei der Invasion in Frankreich im Sommer 1944; deswegen forderten zwei Oberbefehlshaber im Westen, die Feldmarschälle Kluge und Rommel, den Diktator im Juli und August förmlich auf, den aussichtslosen Krieg zu beenden, zumindest im Westen. In der Tat stellte es jetzt mehr denn je eine Denkmöglichkeit dar, den Widerstand im Westen einzustellen oder wenigstens zu vermindern, um mit freiwerdenden Kräften die Ostfront abzustützen und so das Überrollen der Heimat durch die Rote Armee zu verhindern. Selbst wenn die Westmächte, wie zu erwarten, keinen gesonderten Waffenstillstand oder Frieden mit dem Reich schlossen, ließen sich das militärische Verhalten und die Kräfteverteilung so einrichten, daß das Reichsgebiet und gegebenenfalls noch andere Länder von den Westmächten besetzt wurden, während unterdessen die Ostfront gegen die Rote Armee standhielt. Derartiges wäre zweifellos durchführbar gewesen, denn die Truppen der Westmächte erreichten im Herbst 1944 die deutsche Westgrenze, während die erneute Großoffensive der Roten Armee an der Ostfront erst Anfang 1945 losbrach. Was Hitler an Truppenverstärkungen und Nachschub bis zur Jahreswende an die Westfront schaffen ließ, hätte sich ebenso gut oder besser in den Osten werfen lassen; außerdem befanden sich noch erhebliche deutsche Kräfte an Nebenfronten, die bei der Abwehr des gefährlichsten Gegners bessere Dienste geleistet hätten als beim nutzlosen Behaupten strategisch nachrangiger Gebiete. Im übrigen gab es für das stillschweigende Zusammenwirken mit den Westmächten ein Beispiel, wenngleich in kleinerem Maßstab: Als sich im Sommer und Herbst 1944 die deutschen Truppen aus Griechenland nach Norden absetzten, wurde der Rückzug von den Briten kaum behindert, obwohl sie dazu ausreichend Gelegenheit hatten. Offenbar geschah es deshalb nicht, weil die abrückenden deutschen Verbände ein Gegengewicht zu der nach Süden vordringenden Roten Armee darstellten und damit Griechenland abschirmten, während die 2 KTB OKW IV I 1, 931 ff.; IV /2, 1317 ff., 1514. Ferner Speer, Erinnerungen, 357 ff. Wagenführ, 105 f. Birkenfe1d, Treibstoff, 183 ff. Galland, 242 ff. W. Fischer, Geschichte V (Milward), 326 f., 336 f. Meier-Dörnberg, 85 f.

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Briten hinter den zurückgehenden deutschen Truppen in Ruhe Griechenland besetzen konnten? In Mitteleuropa freilich kam für Hitler derartiges nicht in Frage. Eine klare Vorstellung über das, was mit den deutschen Kräften militärisch noch möglich war, hat Hitler augenscheinlich nicht besessen; sein Denken blieb so wirr, widersprüchlich und mehrschichtig, wie es schon immer gewesen war. Die Lösung, im Westen den Widerstand weitgehend einzustellen, um statt dessen die Ostfront zu halten diese Lösung hatte natürlich zur Voraussetzung, daß die Niederlage eingestanden wurde, daß man sich auf die Kapitulation einrichtete, daß man aber die Kapitulation in einer Weise hinauszögerte, welche ein gewisses Maß an Schadensbegrenzung möglich machte. Dazu war Hitler nicht bereit. Wahrscheinlich hatte der Diktator durchaus das Bewußtsein oder zumindest die dumpfe Empfindung, daß das Dritte Reich und er selbst dem Untergang nicht entrinnen würden. Aber es fehlten ihm Verstandeskraft und Charakterstärke, um den Bankrott seiner Weltanschauung, seiner Politik und seiner Kriegführung zu erfassen. Er konnte und wollte nicht zugeben, daß seine eigene Unzulänglichkeit das deutsche Volk und ihn selbst in eine Falle geführt hatte, aus der es keinen Ausweg mehr gab. Als der Zusammenbruch näherri.ickte, wurde kurzerhand verboten, von der Niederlage zu sprechen. Im Januar 1945 ließ Rüstungsminister Speer dem Diktator eine Denkschrift überreichen, aus der sich ergab, daß der Krieg auf dem Gebiet von Wirtschaft und Rüstung zu Ende sei. Daraufhin wurde Speer von Hitler zurechtgewiesen mit den Worten, der Rüstungsminister habe es allein dem Diktator zu überlassen, welche Folgerungen er aus der Rüstungslage ziehe; auch sei es ihm verboten, andere über die Lage aufzuklären. Etwa zur selben Zeit wandte sich der neue Generalstabschef des Heeres, Guderian, an Außenminister Ribbentrop und erklärte ihm bündig, daß der Krieg verloren sei. Daraufhin ließ Hitler im Zustand großer Erregung wissen, er werde defätistische Äußerungen dieser Art in Zukunft mit aller Schärfe ahnden. Verallgemeinerungen und Schlußfolgerungen über die Gesamtlage stünden ihm allein zu. Wer in Zukunft einem anderen gegenüber behaupte, daß der Krieg verloren sei, werde als Landesverräter behandelt, mit allen Folgen für ihn und seine Familie. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, ließ Hitler in Zukunft öfters den Chef des Reichssicherheitshauptamts, Kaltenbrunner, an Lagebesprechungen teilnehmen. Es blieb also dabei, daß Hitler allein, in all seiner Beschränktheit und Engstirnigkeit, über das Schicksal Deutschlands entschied. Seine Berater und Mitarbeiter sollten nicht selbständig denken, sondern lediglich seine Befehle ausführen. Notfalls wurden sie mit Gewalt dahin gebracht, das selbständige Denken und Handeln zu unterlassen. Es ist deshalb keine sinnvolle Frage, warum Hitlers Berater den Diktator nicht zu überzeugen vermochten, daß der Krieg verloren sei und daß man ihn beenden 3 Hitlers Weisung vom 3. II. 1943 in Hubatsch, Weisungen, 270 ff. Die Mahnungen von Kluge und Rommel, Juli/ August 1944, in KTB OKW IV /2, 1572 ff. Zum Rückzug aus Griechenland KTB OKW IV I I, 713 ff. Speer, Erinnerungen, 409. Warlimont I!, 501.

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111. Das Ende

müsse. Hitler hatte sich noch nie sachgerecht beraten und schon gar nicht belehren lassen, und er tat es jetzt ebensowenig. Hitler hatte unangenehme Tatsachen, die seinem Weltbild widersprachen, noch nie anerkennen wollen, und er tat es jetzt auch nicht. Statt dessen gaukelte er sich selbst und anderen vor, es bestehe durchaus noch Hoffnung. Seit dem Sommer 1944 berief er sich immer wieder auf das Vorbild Friedrichs des Großen, der in fast aussichtsloser Lage gegen eine weit überlegene Koalition von Feindmächten weitergekämpft habe, bis diese Koalition zerbrach. Ein ähnliches Zerbrechen der Gegnerkoalition erhoffte Hitler auch in dem gegenwärtigen Krieg, freilich ohne sich Rechenschaft abzulegen, ob denn die geringste Aussicht darauf bestand, unter welchen Umständen es allenfalls eintreten könnte und ob, sofern derartiges überhaupt möglich war, Deutschland noch irgendwelchen Nutzen daraus zu ziehen vermochte. Unverrückbar stand für ihn bloß fest, daß man eisern durchhalten müsse, keine Schwäche zeigen und die Nerven nicht verlieren dürfe, denn eine Kapitulation komme nicht in Frage. Wenn der Zusammenbruch dennoch eintrat, so traf in den Augen Hitlers nicht etwa ihn die Schuld, sondern das deutsche Volk, weil es den Anforderungen des Rassenkampfes nicht gewachsen war und weil es sich des Führers nicht würdig erwiesen hatte. 4 Statt sich zu seinem Scheitern zu bekennen und dem Volk unnötige Leiden zu ersparen, suchte Hitler mit dem Herannahen der Niederlage sein diktatorisches Regime zu sichern und zu festigen. Seit dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft war der hergebrachte Staat mit seinen Einrichtungen, auch den militärischen, von der nationalsozialistischen Bewegung allmählich unterwandert und zersetzt worden. Dieser Vorgang erreichte in der letzten Phase des Krieges seinen Gipfel und betraf nunmehr vor allem das Militär. Als Hitler 1941 I 42 Brauchitsch und Haider entlassen hatte, war dies mit der Begründung geschehen, das fachliche Können hoher militärischer Führer sei zweitrangig, es komme vielmehr darauf an, das Heer mit dem fanatischen Glauben an den Nationalsozialismus zu durchtränken. Letzteres wurde in eine organisatorische Form gegossen, als Hitler im Dezember 1943 das Errichten der "nationalsozialistischen Führung" für die Wehrmacht anordnete. An der Spitze dieser Organisation stand ein ,,NS-Führungsstab des OKW", dessen Chef im unmittelbaren Auftrag Hitlers handelte und das Einvernehmen mit der NSDAP als der Trägerin des politischen Willens herzustellen hatte. Ihm nachgeordnet waren entsprechende Stäbe bei den drei Teilstreitkräften, denen wiederum "nationalsozialistische Führungsoffiziere" (NSFO) unterstanden, und zwar hauptamtliche bei den Kommandobehörden bis herunter zur Division sowie nebenamtliche bis herunter zum Bataillon. Die NSFO stellten, ähnlich wie die Kommissare der Roten Armee, eine Art politische Aufpasser dar; spätestens nach dem mißglückten Aufstandsversuch des 20. Juli 1944 wirkten sie zwar nicht durch4 Zu Hitlers Verbot, über die Niederlage zu sprechen, Warlimont II, 492. Speer, Erinnerungen, 430 ff. Guderian, 364 f., 367 f. Zur Berufung auf Friedrich den Großen Heiber, Lagebesprechungen, 610 ff. (31. 8. 1944), 713 ff. (12. 12. 1944), 758 ff. (29. 12. 1944). Vgl. WarIimont II, 482 ff., 518 ff., 525 f. Ferner KTB OKW IV I I, 55 ff., 68 (deutsches Volk nicht würdig); IV I 2, 1698 ff.

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wegs, aber häufig auf dem Weg der weltanschaulichen Überwachung, der Gesinnungsschnüffelei und der Denunziation. Zur Steigerung der Kampfkraft trugen sie sicher nichts bei, umso mehr dagegen zur Sicherung der nationalsozialistischen Herrschaft und zur Ausbreitung des Terrors. Ähnliches galt auch an anderer Stelle. Im OKW war das Amt Ausland/ Abwehr unter Admiral Canaris seit je her ein Stützpunkt des Widerstands gegen Hitler gewesen. Seit etwa 1942 spürte das Reichssicherheitshauptamt dem Verschwörerkreis um General Oster im Amt Ausland I Abwehr nach. 1943 wurden einige Mitglieder des Kreises verhaftet; bis 1944 wurden Oster und Canaris aus dem Dienst entfernt und das Amt Ausland/ Abwehr zerschlagen: Den wichtigeren Teil, die Abwehr, übernahm das Reichssicherheitshauptamt, der Rest wurde dem Wehrmachtführungsstab angegliedert. Heinrich Himmler, Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, hatte damit nicht nur dem Widerstand einen Schlag versetzt, sondern auch in der Führungstätigkeit der Wehrmacht, hier der Feindaufklärung, Fuß gefaßt. Ab dem Juni 1944, als die Invasion in Frankreich stattfand und die Ostfront einstürzte, begann wieder die Neuaufstellung von Divisionen. Insgesamt entstanden bis zum Jahresende über 80 Divisionen, darunter einige der Waffen-SS und der Luftwaffe, dazu weitere Verbände wie Panzerbrigaden und sogenannte Artilleriekorps, die nur etwa Brigadestärke besaßen. In diesen Vorgang wurde nunmehr auch die nationalsozialistische Bewegung einbezogen. In der Partei machte sich die Ansicht breit, die bisherigen Mißerfolge seien der unzureichenden Einschaltung der Partei zuzuschreiben. Auch war davon die Rede, es müsse eigentlich ein Volksheer im nationalsozialistischen Geist erzeugt werden, wie der SA-Führer Röhm es einst erstrebt hatte; die Rückschläge der letzten Jahre seien durch das Fehlen eines nationalsozialistisch gesonnenen Offizierkorps verursacht. Propagandaminister Goebbels hatte bereits an der Jahreswende 1942 I 43 ein verstärktes Heranziehen der Bevölkerung zu den Kriegsanstrengungen verlangt und war mit einer wohlinszenierten Rede zum totalen Krieg hervorgetreten. Nunmehr wurde Goebbels, anscheinend auf Vorschlag von Speer, im Juli 1944 zum Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz ernannt. In dieser Eigenschaft hatte er den gesamten Staatsapparat, alle Einrichtungen und Betriebe zu überprüfen mit dem Ziel, Kräfte für Wehrmacht und Rüstung freizumachen. Dabei erzielte er auch einige Erfolge, allerdings um den Preis der Stillegung von Schulen, der Einschränkung des Verkehrswesens, des Postbetriebs, des Gerichtswesens u. a.m. Dem Feldheer wurden im zweiten Halbjahr 1944 rund 1,4 Millionen Mann zugeführt und im ersten Vierteljahr 1945 noch einmal 1,6 Millionen. Dies konnte jedoch allenfalls der Verlängerung des Krieges dienen, denn das Feldheer verlor zwischen Mitte und Ende 1944 rund zwei Millionen Mann (Tote, Vermißte und Verwundete), so daß seine Gesamtstärke in diesem Zeitraum von vier Millionen auf 3,6 Millionen sank. Die Unterwanderung des Heeres durch die nationalsozialistische Bewegung nahm hauptsächlich von Himmler und seiner SS ihren Ausgang. Als Hitler Anfang

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III. Das Ende

Juli 1944 die Aufstellung von 15 sogenannten Grenadierdivisionen befahl, erhielt Himmler für diese Verbände alle Befugnisse in Fragen der Erziehung, nationalsozialistischen Führung, des Disziplinarstrafrechts und der Gerichtsbarkeit wie über Verbände der Waffen-SS. Nach dem Aufstandsversuch des 20. Juli wurde Himmler Befehlshaber des Ersatzheeres und Chef der Heeresrüstung an Stelle von General Fromm, der beim Putsch eine undurchsichtige Rolle gespielt hatte. Himmler verstand seine Aufgabe so, daß er die "nationalsozialistische Volksarmee des Führers und seines Reiches" zu schaffen habe. In diesem Sinn wurden die erwähnten Grenadierdivisionen, deren Zahl auf rund 50 anwuchs, in Volksgrenadierdivisionen umbenannt, ebenso entstanden andere "Volks"-Verbände wie die Volks-Artilleriekorps. Da zugleich die Waffen-SS weiter aufgebläht wurde, unterstand Himmler nun ein ansehnliches "Heer" mit mehreren Millionen Mann (einschließlich des Ersatzheeres). Im September 1944 erhielt Himmler weitere Befugnisse. Schon im Juli waren Führererlasse ergangen über die Regelung der Befehlsgewalt im Falle eines Vordringens feindlicher Kräfte auf deutsches Reichsgebiet Damals, im Juli, war die gewissermaßen normale Lösung angeordnet worden, daß der jeweils zuständige militärische Oberbefehlshaber in einem Gebiet die vollziehende Gewalt ausübte. Dabei sollte er von dem jeweils zuständigen Gauleiter der Partei, welcher als Reichsverteidigungskommissar eine Art ziviler Heimatbefehlshaber war, lediglich beraten und unterstützt werden; doch konnte der militärische Befehlshaber notfalls auch ohne den Reichsverteidigungskommissar handeln. Nunmehr, im September, wurde das Verhältnis geradezu umgekehrt. Es hieß jetzt, die vollziehende Gewalt übe der Reichsverteidigungskommissar aus. Nur in den unmittelbaren Kampfzonen, deren Begrenzung der militärische Oberbefehlshaber im Benehmen mit dem Reichsverteidigungskommissar bestimmen mußte, waren die militärischen Kommandobehörden befugt, zivilen Dienststellen des Staates und der Gemeinden Weisungen für die Durchführung des Kampfauftrags zu geben. Dagegen durften die militärischen Befehlshaber den Verteidigungskommissaren keine Anweisungen erteilen, während die Verteidigungskommissare alle erforderlichen Maßnahmen treffen und insoweit Rechtsvorschriften erlassen sollten. Konkret bedeutete dies, daß innerhalb eines Verteidigungsgebietes oder Operationsgebietes keine einheitliche Willensbildung mehr existierte, vielmehr alle militärischen oder militärisch wichtigen Tatigkeiten außerhalb der unmittelbaren Kampfzonen dem Verteidigungskommissar zustanden. In dieser erstaunlichen Regelung, die jedem militärischen Effizienzdenken sozusagen ins Gesicht schlug, fand auch Himmler seinen Platz. Himmler, seit 1943 ohnedies Reichsinnenminister und seit kurzem auch Befehlshaber des Ersatzheeres, hatte für die reichseinheitliche Ausrichtung aller einschlägigen Maßnahmen der Verteidigungskommissare zu sorgen und die erforderlichen Vorschriften zu erlassen. Damit ergab sich das seltsame Bild, daß die Verteidigung des Reiches zu einem großen Teil gar nicht mehr der Wehrmacht oblag, sondern zivilen Dienststellen, hinter denen sich in Wahrheit die nationalsozialistische Bewegung verbarg.

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Schließlich ordnete ein Erlaß Hitlers vom 25. September 1944 die Bildung des sogenannten Volkssturms an. Dieser Volkssturm war weder eine Einrichtung der Wehrmacht noch überhaupt eine staatliche Einrichtung, sondern ausschließlich und ausdrücklich eine Veranstaltung der Partei bzw. der Bewegung. Der Volkssturm wurde aus den sechzehn- bis sechzigjährigen waffenfähigen Männern aufgestellt, zur Verteidigung des Heimatbodens; seine Aufstellung und Führung oblag den Gauleitern, die sich hierzu der verschiedenen Organisationen der Bewegung bedienten; der Reichsführer SS Himmler hatte für militärische Gliederung, Ausbildung und Ausrüstung zu sorgen, zudem lenkte er den Kampfeinsatz; und die Angehörigen des Volkssturms galten zwar während ihres Einsatzes rechtlich als Soldaten, waren dies aber tatsächlich nicht, sondern bildeten ein eilig zusammengekratztes Aufgebot der nationalsozialistischen Bewegung ohne nennenswerte Kampfkraft.5 Das einigende Band, welches all die genannten Maßnahmen umschlang, war die Absicht Hitlers, seine diktatorische Stellung zu zementieren, seine Entscheidungsgewalt ungeschmälert zu erhalten sowie das Volk, die Wehrmacht und sogar die Bewegung an seinen weltanschaulich gebundenen Willen zu ketten. Dies galt in verschiedener Hinsicht. Erstens sollte jedes Eigenleben der Wehrmacht vollends erstickt, das Militär von Einrichtungen der Bewegung durchdrungen werden, um die Herrschaft des Nationalsozialismus zu sichern und jedes selbständige Handeln militärischer Dienststellen zu verhindern. Hitler kam deshalb dem Drängen der Partei nach, stärker in die Belange des Militärs und der Reichsverteidigung eingeschaltet zu werden. Den Aufbau einer neuen, nationalsozialistischen Volksarmee beabsichtigten Hitler und Himmler wohl nicht in der Weise, daß das Heer mit Einrichtungen der Bewegung, namentlich der SS, verschmolzen wurde. Vielmehr sollte die Wehrmacht besser überwacht und vom Glauben an den Nationalsozialismus erfüllt werden. Diesem Zweck diente auch die Ersetzung des herkömmlichen militärischen Grußes durch den "deutschen Gruß" im Juli 1944, also durch das bekannte Erheben des ausgestreckten Armes usw., ferner die Änderung des Wehrgesetzes, welche Berufssoldaten den Beitritt zur NSDAP erlaubte, der ihnen bislang verboten war. Neben der weltanschaulichen Ausrichtung oder Gleichschaltung trugen vor allem die vorhin genannten organisatorischen Änderungen dazu bei, das innere Gefüge der Streitkräfte zu zerrütten. Jene Verwirrung der Zuständigkeiten, jene institutionelle Anarchie, welche das nationalsozialistische Regime schon immer ge5 Zu den NSFO Müller-Hillebrand III, 160 f., 165 f., 186 f. Messerschmidt, Wehrmacht, 441 ff. Zoepf. Zur Abwehr P. Hoffmann, Widerstand, 363 ff. KTB OKW IV /2, 1758. Zur Neuaufstellung von Divisionen und den organisatorischen Änderungen Müller-Hillebrand III, 172 ff. Vgl. Speer, Erinnerungen, 405, 269 f. Reuth, Goebbels, 546, 554 ff. Zu den Grenadierdivisionen Jung, Ardennen, II f. Führererlasse über die Befehlsgewalt in einem Operationsgebiet innerhalb des Reiches, 13.7. und 19./20. 9. 1944, in Hubatsch, Weisungen, 295 ff., 337 ff. Erlaß über die Bildung des Volkssturms, 25. 9. 1944, in Michalka, Dokumente li, 317 ff. Dazu Seidler, Volkssturm.

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kennzeichnet hatten, wurden nun auf die Spitze getrieben und prägten den militärischen Bereich ebenso wie den staatlichen. Hier wie dort sicherten sie zwar Hitlers Alleinherrschaft, unterbanden jede wirkungsvolle Gegnerschaft, zerstörten aber auch die Leistungsfähigkeit und schufen das Umfeld, in dem sich bloß Willkür und Terror frei entfalten konnten. So wurde weiterhin, wie es der langjährig erprobten Gepflogenheit entsprach und jetzt noch stärker hervortrat, jeder gegen jeden ausgespielt, jeder durch jeden in Schach gehalten, jeder durch jeden in seinen Zuständigkeiten und seiner Handlungsfähigkeit beschränkt - außer Hitler selbst natürlich, der gleichsam wie die Spinne im Netz saß und an allen Fäden zu ziehen vermochte. Noch mehr als bisher behinderten alle sich gegenseitig und konkurrierten miteinander: in der Verteidigung des Reiches die Gauleiter mit den Frontbefehlshabem, das OKW mit dem Generalstab des Heeres, Himmler mit beiden, die Wehrmachtsteile untereinander und die SS mit den Wehrmachtsteilen; in der Kriegswirtschaft Goebbels und Himmler mit Speer, dieser mit den Gauleitern und die Gauleiter untereinander; in der Innenpolitik der Leiter der Parteikanzlei und Sekretär des Führers Bormann mit den Ministern, diese untereinander und mit den Sonderbevollmächtigten, die Gauleiter mit den Ministern usf. Das Chaos war allgegenwärtig, aber nirgendwo eine Hand, die sich mit Aussicht auf Erfolg gegen Hitler hätte erheben können. Zweitens sicherte dieses Durcheinander den Diktator auch gegenüber der Partei ab. Wenn ein augenscheinlich verlorener Krieg sich dem Ende nähert, liegt der Gedanke nicht fern, die Regierung zu wechseln, sei es, um eine letzte Kraftanstrengung zu ermöglichen, oder sei es, um den Krieg in geeigneter Weise zum Abschluß zu bringen. Eine nicht-nationalsozialistische Regierung, etwa des Militärs, wollten selbstverständlich weder Hitler noch die Partei zulassen, weil dadurch die unumschränkte Herrschaft der Bewegung über das Volk gebrochen und der Regierung über kurz oder lang die Gelegenheit verschafft worden wäre, die Partei ganz auszuschalten. Dies schloß indes die Denkmöglichkeit nicht aus, daß die Partei einen Regierungswechsel veranlaßte, vielleicht Hitler zum Rücktritt zwang, damit neue Leute das Nötige zu tun vermochten. Die Einsicht, daß Hitlers abenteuerliche Kriegführung das Dritte Reich in die Sackgasse führte, blieb auch der Partei nicht völlig verschlossen. Göring hatte schon vor dem Polen-Feldzug und vor dem Rußland-Feldzug Bedenken geäußert; im weiteren Verlauf des Krieges verfiel er zusehends in Teilnahmslosigkeit und zog sich in sein persönliches Wohlleben zurück, teils weil er wußte, daß Deutschland sich auf der abschüssigen Bahn befand, teils weil sein Ansehen und sein Einfluß immer mehr verfielen. Einen klaren Blick für die Lage behielt er trotzdem; so äußerte er Anfang November 1944, es werde zum Nibelungenkampf kommen, an der Weichsel, der Oder und der Weser, also zu einem aussichtslosen Endkampf inmitten Deutschlands. Goebbels, der dem Diktator schon 1943 den Friedensschluß mit der einen oder anderen Seite der Gegner vorgeschlagen hatte, erkannte im Sommer 1944, daß Deutschland nur durch Opferung des Führers gerettet werden könne. In Himmler fand er dabei einen Gesinnungsgenossen. Allerdings entschied

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Goebbels sich dann doch für den Führer, vielleicht weil im Organisationsdschungel des Dritten Reiches der Sturz des Diktators sich nicht bewerkstelligen ließ. Himmler wiederum, der schon seit längerem versuchte, mit den Westmächten Fühlung zu nehmen, befahl im Herbst 1944 das Einstellen der Judenvernichtung, wohl in der Annahme, sich dadurch den Westmächten als Verhandlungspartner andienen zu können. Im Dezember 1944 bot er über einen Mittelsmann der britischen Regierung an, je einen Vertreter der Wehrmacht und der NSDAP zu entsenden, um über die Definition der bedingungslosen Kapitulation zu verhandeln, was jedoch abgelehnt wurde. Trotz seiner ungewöhnlichen Machtstellung fand auch Himmler nicht den Absprung, den Diktator auszubooten. Zwar verfügte Himmler über seine SS, über die Polizei, über das Ersatzheer, über die Volksgrenadierdivisionen insofern, als sie ihm truppendienstlich unterstanden, außerdem erhielt Himmler Ende November 1944 den Oberbefehl über eine Heeresgruppe am Oberrhein und wechselte Ende Januar 1945 in den Osten, wo er bis Ende März das Oberkommando über die Heeresgruppe Weichsel innehatte. Aber all seine Machtbefugnisse reichten offenbar nicht aus, ihn zum Handeln gegen den Diktator zu bewegen. Das mag damit zusammenhängen, daß Himmler auf Grund der gemeinsam begangenen Verbrechen an Hitler gebunden blieb und daß er für seine außenpolitischen Bemühungen keinen Silberstreif zu entdecken vermochte. Für ein Vorgehen gegen den Diktator hätte Himmler freilich auch die Zustimmung der Partei benötigt, und daran mangelte es augenscheinlich. Möglicherweise stellte es einen geschickten Schachzug Hitlers dar, die Gauleiter in die Verteidigung des Reiches einzubinden, auf diese Weise ihre Aufmerksamkeit zu fesseln und zu verhindern, daß sie hinter dem Rücken des Diktators Ränke gegen ihn schmiedeten. Wichtiger wird allerdings gewesen sein, daß Hitlers personalisierte und spaltensehe Herrschaftstechnik, die unlösbar mit seiner weltanschaulichen Vorstellung vom rassischen Persönlichkeitswert verknüpft war, in der Spätphase des Dritten Reiches noch einmal Triumphe feierte. Schon immer, zuerst als Parteiführer und dann als Regierungschef bzw. Diktator, hatte Hitler Rivalitäten und Machtkämpfe seiner Gefolgsleute untereinander geduldet, gewünscht und gefördert; stets hatte er darauf geachtet, daß keiner zu einflußreich und zu selbstherrlich wurde, vielmehr jeder persönlich von seiner Gunst abhängig blieb, damit eine geschlossene Opposition gegen ihn nicht zustande kam. Sie kam auch in der letzten Kriegsphase nicht zustande, weil im organisatorischen Chaos des Dritten Reiches keiner so viel Macht anzuhäufen vermochte, daß er dem Diktator selbst gefährlich wurde. Göring, in der Partei kaum verwurzelt und auf Hitlers Gnade angewiesen, war formell noch immer zweiter Mann im Staat und Hitlers designierter Nachfolger. Innerhalb des Machtgefüges stand er mittlerweile im Hintergrund, wurde auch von Hitler geringschätzig behandelt, aber trotzdem nicht fallengelassen. So bildete er ein Gegengewicht zu Himmler oder Goebbels, falls diese versucht hätten, Hitler zu verdrängen. Sehr viel Einfluß in der Partei besaß Bormann, der bei einem Sturz Hitlers seine unvergleichliche Stellung als Sekretär des Führers verloren und sich daher an Umtrieben gegen den Diktator

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schwerlich beteiligt hätte. Als Meister der Intrige arbeitete er stets daran, andere in ihre Schranken zu verweisen; so hatte er es schon 1943 verstanden, die Gauleiter gegen den Innenminister Himmler aufzuwiegeln. Ohne Unterstützung durch die Gauleiter wiederum ließ sich keine Parteirevolte gegen den Diktator ins Werk setzen. Wer hätte unter diesen Umständen an Hitlers Stelle treten sollen? Abgesehen davon, daß die Ersetzung Hitlers durch ein anderes Mitglied der Partei am Schicksal des Nationalsozialismus ohnedies nichts geändert hätte, war ein solcher Wechsel unter den gegebenen Verhältnissen auch nicht durchführbar, weil Hitlers Gefolgsleute lieber sich gegenseitig belauerten als auf das Wohl des Volkes achteten - was ja zugleich Hitlers Willen entsprach. 6 Drittens schließlich suchte Hitler in der Endphase des Krieges seine Vorstellungen vom Rassenkampf und von der rassischen Kriegführung auch gegenüber der Wehrmacht und dem eigenen Volk durchzusetzen. Mehr denn je galt jetzt der Grundsatz, daß nicht Vernunft und fachliches Können das politische wie militärische Verhalten bestimmen müßten, sondern der Wille und die Gesinnung. Militär und Bewegung wurden nicht bloß deshalb ineinander verzahnt, um die nationalsozialistische Herrschaft zu sichern, sondern vor allem auch deshalb, um der Wehrmacht jene kämpferische Standfestigkeit und jene unbeugsame Härte einzuimpfen, welche die Bewegung mit ihrer Weltanschauung vermittelte und welche den Ausweis für hochwertige Rasseeigenschaften darstellen sollten. Die Bewegung mit ihren Einrichtungen, auch den terroristischen, trat im Leben des Volkes wie der Streitkräfte überall in den Vordergrund, um Volk wie Wehrmacht zu veranlassen oder auch zu zwingen, den Krieg so zu führen, wie Hitler es verlangte: als Kampf um die Selbstbehauptung höherer Rassenelemente, als Kampf, in welchem es nur Sieg oder Untergang gab, als Kampf, welcher sozusagen nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Herzen geführt werden mußte, nämlich mit Todesverachtung und im blinden Glauben an den Führer. General Kreipe, der zwischen Juli und Oktober 1944 kurzzeitig Generalstabschef der Luftwaffe war, wurde bald wieder entfernt, weil ihm Hitler vorwarf, er sei der typische Generalstabsoffizier und kalte Rechner, glaube weder an den Führer noch an den Nationalsozialismus, habe nur Bedenken und Widersprüche. Hitler suchte Volk und Wehrmacht dahin zu bringen, daß sie sich genauso verhielten wie er selbst: Vernunft und Einsicht hatte er nie walten lassen, tat es jetzt erst recht nicht, sondern wollte weiter eisern durchhalten und einfach darauf warten, ob das Glück ihm noch einmal lächelte oder ob er zugrunde ging. Von sich 6 Zur Änderung des Wehrgesetzes IMG, Bd. 10, 528. Messerschmidt, Wehrmacht, 18 f., 428 f. Göring über Kriegslage Anfang November I 944 nach dem Tagebuch von General Kreipe bei Jung, Ardennen, 229. Allgemein zu Göring Kube. Die Vorschläge von Goebbels 1943 nach dessen Tagebüchern, Teil II, Bd. 9, 456, 464 (10. 9. 1943), 566, 582 f., 586 (23. 9. 1943). Goebbels über Opferung des Führers in Oven, Goebbels II, 301. Zur Einstellung der Judenvernichtung durch Himmler Biss, Endlösung, 236. Himmlers Verhandlungsangebot vom Dezember 1944 nach Hull II, 1573. Zu Bormann Speer, Erinnerungen, 326 f. und passim. Vgl. Lang, Sekretär.

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selbst wie von anderen verlangte er nur die charakterlichen Qualitäten des Durchstehens, der Zähigkeit und Beharrlichkeit; damit wollte er notfalls in den Untergang schreiten, und das deutsche Volk sollte es mit ihm tun. Am 25. November 1944 erließ er einen Führerbefehl, wonach bei Truppenteilen, die auf sich selbst gestellt waren, derjenige Soldat den Befehl zu übernehmen hatte, ohne Rücksicht auf den Dienstgrad, welcher den Kampf fortsetzen wollte. Gemeint war damit, daß man auch in aussichtsloser Lage nie aufgeben und kapitulieren dürfe; konkret hätte es dazu führen können, daß ein abgeschnittener Truppenteil von jedem beliebigen Soldaten kommandiert wurde, z. B. eine Division von einem Unteroffizier. Was dabei hätte herauskommen sollen, ist nicht ersichtlich, außer daß noch mehr Menschen den Tod fanden. Hitlers Vorliebe für das starre Halten fester Fronten fand ihren Niederschlag in einem Führerbefehl vom 21. Januar 1945, wonach jede beabsichtigte Bewegung so frühzeitig zu melden sei, daß Hitler noch eingreifen könne. Um die Soldaten zum Kampf bis zum äußersten zu zwingen, ordnete ein Führerbefehl Anfang März 1945 an, wenn ein Soldat unverwundet in Gefangenschaft gerate, hätten seine Angehörigen für ihn zu haften, z. B. durch den Entzug finanzieller Zuwendungen. Bormann hatte schon im Juni 1944 die Partei angewiesen, jeden auszurotten, der Zweifel am Endsieg hege. In den letzten Kriegsmonaten suchten Parteidienststellen und SS den Durchhaltewillen zu stählen, indem sie Soldaten und Zivilisten liquidierten, die den gewünschten Kampfgeist vermissen ließen. Am 19. März 1945 erließ Hitler jenen berüchtigten Befehl, wonach beim Vordringen der Gegner innerhalb des Reichsgebietes alle militärisch nutzbaren Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlagen sowie Sachwerte zu zerstören waren. Speer hatte bereits seit dem zweiten Halbjahr 1944 entsprechende Anordnungen des Diktators für Frankreich und für das Gebiet an der deutschen Westgrenze entschärft oder unterlaufen. Nunmehr, im Frühjahr 1945, wollte Hitler dergleichen nicht mehr hinnehmen. Dem Rüstungsminister erklärte er: "Wenn der Krieg verlorengeht, wird auch das Volk verloren sein. Es ist nicht notwendig, auf die Grundlagen, die das deutsche Volk zu seinem primitivsten Weiterleben braucht, Rücksicht zu nehmen. Im Gegenteil ist es besser, selbst diese Dinge zu zerstören. Denn das Volk hat sich als das schwächere erwiesen, und dem stärkeren Ostvolk gehört ausschließlich die Zukunft. Was nach diesem Kampf übrig bleibt, sind ohnehin nur die Minderwertigen, denn die Guten sind gefallen." Das Volk sollte also dafür bezahlen, daß Hitler es ins Verderben geführt hatte. Dem rastlosen Bemühen Speers gelang es trotzdem, die Anordnung Hitlers zu entschärfen, wobei er von militärischen Dienststellen und sogar von Gauleitern unterstützt wurde. Die von Hitler gewünschte Zerstörung der Lebensgrundlagen des Volkes fand größtenteils nicht statt. 7 7 Zu Kreipe dessen Tagebuch in Jung, Ardennen, 219 f. Die Führerbefehle vom 25. II. 1944 und 21. I. 1945 in Hubatsch, Weisungen, 343 ff. Der Führerbefehl von Anfang März 1945 nach Warlimont II, 528. Messerschmidt, Realitätsverlust, 247. Bormann im Juni 1944 nach Diehl-Thiele, 252 f. Zu Hitlers Zerstörungsbefehl vom 19. 3. 1945 KTB OKW IV /2, 1580 ff. Speer, Erinnerungen, 409 ff., 440 ff., 445 f., 450 ff.

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III. Das Ende

Daß spätestens bei einem Gelingen der Invasion in Frankreich die Kriegslage hoffnungslos wurde, war seit langem klar gewesen und selbst von Hitler nicht bestritten worden. Schon die Führerweisung vom November 1943 hatte es angesprochen, und in einer Denkschrift Jodls vom April 1944, die mit Hitlers Billigung entstand sowie zur Unterrichtung aller hohen Stäbe diente, wurde es unmißverständlich ausgedrückt. Es hieß dort, daß eine gelungene feindliche Landung im Westen, insbesondere in Frankreich, die nicht abgewehrt oder sofort aufgefangen werde, in Anbetracht der wenigen beweglichen Reserven in kurzer Zeit zum Verlust des Krieges führe. Eine verantwortungsbewußte Regierung wäre unter solchen Umständen verpflichtet gewesen, in Überlegungen einzutreten, was denn geschehen solle, wenn die Abwehr der Invasion nicht glückte, und möglicherweise wollte Jod! mit seiner Denkschrift eben dies bewirken. Hitler jedoch verhielt sich weiterhin so, wie er es seit langem gewöhnt war. Wie er schon den Krieg in der Art eines Glücksspielers entfesselt hatte, ohne auf die möglichen Folgen Rücksicht zu nehmen, so baute er 1943 I 44 beim Kampf gegen die Westmächte lediglich auf das Glück - nämlich auf das Glück, durch harten Widerstand an der Landungsfront eine Invasion im Westen vereiteln zu können. Die Abwehr der Landung mußte einfach gelingen; für den Fall, daß sie nicht gelang, wurde keine Vorsorge getroffen. Das Versäumnis wurde bald deutlich. Bereits am 16. Juni 1944, zehn Tage nach Beginn der Invasion, sahen Keitel und Jod! die Lage als sehr ernst an. Wenn der Gegner aus seinem Brückenkopf heraus die operative Freiheit zum Bewegungskrieg erringe, sei ganz Frankreich verloren. Die nächste Abwehrlinie bestehe dann erst wieder am alten deutschen Westwall bzw. an der Maginot-Linie. Während Keitel glaubte, daß selbst dann noch eine Möglichkeit zur Verteidigung des Reiches gegeben sei (der Einsturz der Ostfront war zu dieser Zeit noch nicht erfolgt), ließ Jod! die Frage offen. Wie man weiß, ging in der Folgezeit tatsächlich ganz Frankreich verloren. Jetzt erst begann Hitler über das weitere Verhalten nachzudenken. Bezeichnenderweise vermochte Hitler die Starrheit seines Denkens aber auch jetzt nicht zu überwinden, sondern verbiß sich in die Vorstellung, im Westen noch einmal eine Wende herbeizuführen. Vor der Invasion hatte er augenscheinlich geglaubt, bei geglückter Abwehr der Landung werde vielleicht die Gegnerkoalition zerfallen, zumindest würden im Westen Kräfte frei, mit denen die Ostfront gefestigt werden könne. Nunmehr, nachdem die Westmächte auf dem Kontinent Fuß gefaßt hatten und in Frankreich vordrangen, suchte Hitler das gewünschte Ergebnis, das ihm an der Invasionsfront versagt geblieben war, nachträglich doch noch zu erzwingen. Einen Weg, wie solches zu bewerkstelligen sei, mußte er offenbar selbst erst ausfindig machen. Anfangs hegte er den Wunsch, eine Kräftegruppe vorwärts der Vagesen zu versammeln, um damit dem in nordöstlicher Richtung vorrückenden Feind in die Flanke zu stoßen. Dies fand seinen Niederschlag in einer Weisung für die Kampfführung im Westen vom 3. September 1944; außerdem wurde für die beabsichtigte neue Kampfführung eine Anzahl von hohen Kommando- und Stabsstellen neu besetzt, insbesondere übernahm Feldmarschall Rundstedt, der Anfang Juli als

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Oberbefehlshaber West abgelöst worden war, Anfang September erneut diesen Posten (Model, der kurzzeitig als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B und Oberbefehlshaber West amtiert hatte, behielt nur die Heeresgruppe B). Der Gedanke eines Flankenstoßes ließ sich jedoch aus Kräftemangel nicht verwirklichen. Daraufhin trat Hitler mit einer neuen Eingebung hervor, die er bei einer Besprechung vom 16. September auch gleich als Führerentschluß verkündete. Mittlerweile war Anfang September Antwerpen vom Gegner besetzt worden; bei den Westmächten rückten am linken Flügel die Briten in Richtung Holland an das Rheindelta vor, die Amerikaner am rechten Flügel an die deutsche Westgrenze. An jenem 16. September erklärte nun Hitler, er wolle einen Gegenangriff aus dem Gebiet der Ardennen führen mit dem Ziel Antwerpen. Hierfür sollten bis zum November etwa 30 Divisionen bereitgestellt werden, teils neue Volksgrenadierdivisionen, teils Panzerdivisionen. Damit wollte Hitler die Nahtstelle zwischen Briten und Amerikanern aufreißen, die Briten einkesseln und ihnen ein neues Dünkirchen bereiten. Guderian, der nach dem 20. Juli 1944 mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Heeres-Generalstabschefs betraut worden und insoweit für die Ostfront verantwortlich war, erhob sofort Einwände gegen Hitlers neuen Plan, weil natürlich die Truppen, die im Westen bereitgestellt wurden, der Ostfront schmerzlich fehlen mußten. Jod!, gewissermaßen der Generalstabschef für die übrigen Fronten, konnte sich zwar mit dem Gedanken befreunden, im Westen einen Gegenangriff zu führen, war indes sicher nicht der Urheber des Plans einer Großoffensive aus den Ardennen. Anscheinend wußte Jod! seit längerem, daß der Diktator im Westen wieder anzugreifen wünschte, kannte auch Hitler gut genug, um zu begreifen, daß sich der Diktator nicht umstimmen ließ, versuchte aber wenigstens, ein Mindestmaß an militärischer Rationalität zu wahren, indem der Angriff bis zum Herbst verschoben wurde, wenn wieder eine Anzahl kampfkräftiger Verbände bereitgestellt werden konnte. Darüber hinaus hatte auf Hitlers Willensbildung niemand erheblichen Einfluß; die neue Offensive war Hitlers Geisteskind und konnte sowohl nach ihrer Anlage als auch nach ihrem Ergebnis diese Herkunft nie verleugnen. Was Hitler mit dieser Offensive überhaupt bezweckte, ist nicht deutlich auszumachen, da Hitler es offenkundig selber nicht genau wußte. Als der Diktator im Herbst 1939 den Angriff auf Frankreich befohlen hatte, der angesichts der damaligen Stärkeverhältnisse schlicht unverantwortlich war, da hatte er keinerlei klare Einsicht besessen, was sich mit den deutschen Kräften erreichen ließ, auch hatte er sich zu keiner begründeten Vorstellung durchringen mögen, welchem strategischen Ziel der Angriff dienen könnte. Im Herbst 1944 verhielt er sich ebenso. Angesichts der Stärkeverhältnisse war eine Großoffensive im Westen in der Form, die Hitler angedeutet hatte, schlicht unverantwortlich. Die deutsche Luftwaffe besaß gegen Ende 1944 zwar noch einige tausend Frontflugzeuge, konnte aber die Bodentruppen kaum mehr unterstützen, teils weil die Flugzeuge aus Treibstoffmangel nur beschränkt einsetzbar waren, teils weil die Luftstreitkräfte der Westmächte wegen ihrer erdrückenden zahlenmäßigen, daneben auch qualitativen Überlegenheit je nach Bedarf die Luftherrschaft sicherzustellen vermochten. Bei den Bodentruppen war

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die Überlegenheit der Gegner nicht viel geringer, sowohl im Westen als auch im Osten. Ein zahlenmäßiger Vergleich von Divisionen ist wenig aussagekräftig, denn einerseits wiesen die Divisionen der Westmächte sollmäßig mehr Personal und eine bessere Materialausstattung auf als die deutschen, andererseits war die durchschnittliche Leistungsfähigkeit deutscher Verbände stark gesunken, teils wegen des Ausblutens alter Divisionen, teils wegen der ungenügenden Ausbildung und Kampferfahrung der neuen Verbände oder des Ersatzes. Für eine weitreichende Offensive blieben Volksgrenadierdivisionen ungeeignet. Um mit gerundeten Zahlen einen ungefähren Anhaltspunkt zu geben, kann man sagen, daß gegen Ende 1944 an der Ostfront zwei Millionen Mann deutsche Truppen mit 5000 Panzern und Sturmgeschützen standen, auf der Gegenseite aber sechs Millionen Mann sowjetische Truppen mit wahrscheinlich 12000 bis 15000 Panzern und Sturmgeschützen. An der Westfront standen zu dieser Zeit 1,3 Millionen Mann deutsche Truppen mit 2500 Panzern und Sturmgeschützen, aber zwei Millionen Mann alliierte Truppen mit 8000 Panzern. Hitler erhoffte von der Westoffensive die Zerschlagung von 20 bis 30 alliierten Divisionen, was in seinen Augen vielleicht sogar dazu führen würde, daß die Koalition der Gegner zerbrach, oder zumindest die Möglichkeit eröffnete, Kräfte nach dem Osten abzuziehen. Diese Vorstellungen des Diktators waren gänzlich unbegründet, um nicht zu sagen: aus der Luft gegriffen. Selbst wenn die Offensive glückte, würden die Westalliierten den Kampf selbstverständlich nicht einstellen, erstens weil sie trotz der Niederlage über genügend Truppen verfügten, um den Krieg noch lange weiterzuführen, und zweitens weil sie Hitler nicht die Gelegenheit geben würden, doch noch heil aus dem Krieg herauszukommen. Selbst bei einem Gelingen der Offensive gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder die deutschen Truppen blieben im Westen stehen, dann würde demnächst das Reich von der Roten Armee aus dem Osten überrollt werden; oder die deutschen Truppen gelangten noch rechtzeitig und mit ausreichender Kampfkraft in den Osten (was auch schon fraglich war), dann würden sich die Westmächte bald wieder so weit erholen, daß sie ihrerseits zum Angriff auf Deutschland antreten konnten. 8 Freilich blieben dies notwendigerweise hypothetische Erwägungen, denn schon die Offensive mußte fehlschlagen. Die deutschen Kräfte im Westen reichten weder zahlenmäßig noch qualitativ aus, um eine weiträumige Offensive bis Antwerpen erfolgreich durchzuführen. Der einzige Vorteil, auf den die deutsche Seite zählen s Jodls Denkschrift vom 13. 4. 1944 in Jung, Ardennen, 270 ff. Die Lagebeurteilung durch Keitel und Jodl vom 16. 6. 1944 in KTB OKW IV /2, 1593 f. Hitlers Weisung vom 3. 9. 1944 in Hubatsch, Weisungen, 329 ff. Dazu Ludewig, 238 ff., 280 ff. Lagebesprechung und Führerentschluß vom 16. 9. 1944 nach Kreipe-Tagebuch in Jung, Ardennen, 218. Zu Jodl KTB OKW IV /1, 367. Vgl. Warlimont II, 487. Zum Stärkeverhältnis Cole, Ardennes, 71 f., 650 f., 675. Jung, Ardennen, 26 f., 44, 195. Zeidler, Kriegsende, 81. Nach Müller-Hillebrand III, Anhang B, betrug der Bestand an Panzern und Sturmgeschützen auf deutscher Seite an der Jahreswende 1944/45 über 10000. Nach KTB OKW IV/2, 1512, waren es rund 9000. Davon befand sich ein Teil in der langfristigen Instandsetzung und auf dem Transport.

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durfte, bestand in der Überraschung, denn in dem bewaldeten Gelände der Eifel ließ sich der deutsche Aufmarsch unbemerkt vollziehen, und angesichts der Kräftelage erwartete die alliierte Führung keinen deutschen Großangriff, so daß vor der deutschen Angriffsfront nur einige amerikanische Divisionen standen. Dies hätte jedoch allenfalls dann zu Buche schlagen können, wenn das Stärkeverhältnis an der gesamten Westfront dergestalt gewesen wäre, daß sich dem deutschen Angriffskeil jederzeit die nötige Durchschlagskraft und Standfestigkeit verleihen ließ, um die weiträumige Einkesselung sowohl zu vollziehen als auch aufrechtzuerhalten. Andernfalls würde der Gegner aus seinen vollmotorisierten Bodentruppen rasch bewegliche Reserven heranführen, um den deutschen Durchbruch im Hinterland abzufangen, und ihn zugleich aus der Luft lähmen. Beim deutschen Angriff durch die Ardennen im Jahr 1940 war das beiderseitige Kräfteverhältnis an der Westfront ungefähr ausgeglichen gewesen; im Jahr 1944 dagegen waren die Westmächte weit überlegen, an Bodentruppen, in der Luft, an Beweglichkeit, an Material, vielfach auch an Ausbildung und Kampferfahrung. Den militärischen Fachleuten auf deutscher Seite stand dies deutlich vor Augen; lediglich Hitler wollte es nicht wahrhaben, sondern setzte wieder einmal wie ein Glücksspieler alles auf eine Karte, mit der er nicht gewinnen konnte. Nachdem das OKW im September den Auftrag erhalten hatte, die Offensive vorzubereiten, schlug Jodl am 9. Oktober verschiedene Operationsmöglichkeiten vor, die alle eins gemeinsam hatten: Den weiten Vorstoß von der Eifel über die Ardennen nach Antwerpen enthielten sie nicht. Jodl hatte also erkannt, daß die deutschen Kräfte für ein großzügiges Unternehmen nicht ausreichten. Statt dessen empfahl Jodl kleinere Operationen, insbesondere die Einkesselung amerikanischer Verbände in einem Frontbogen bei Aachen. Hitler beharrte jedoch auf seinem Vorhaben und kümmerte sich in der Folgezeit persönlich um die Einzelheiten, bis herunter zum Schießverfahren der Artillerie und zur Verwendung von Flakscheinwerfern. Auf das fachliche Können der Offiziere wollte Hitler, wie in der Vergangenheit, sich nicht verlassen; er glaubte es besser zu wissen und machte den militärischen Fachleuten aller Ebenen Vorschriften, was sie zu tun und zu lassen hatten. Am 10. November erließ Hitler einen Aufmarschbefehl für seine Offensive, in welcher das Ziel der Operation dahingehend umschrieben wurde, durch Vernichtung der feindlichen Kräfte nördlich der Linie Antwerpen - Brüssel - Luxemburg eine entscheidende Wendung des Westfeldzugs und damit vielleicht sogar des ganzen Krieges herbeizuführen. Er, Hitler, sei entschlossen, das größte Risiko in Kauf zu nehmen und an der Offensive auch dann festzuhalten, wenn die bevorstehenden Angriffe der Westmächte auf das Ruhrgebiet sowie in Lothringen zu großen Gelände- und Stellungsverlusten führen sollten. Denkwürdige Feststellung! Hitler konnte also gar nicht wissen, wie die Lage zum Zeitpunkt der Offensive sein würde, und wollte das Unternehmen trotzdem durchführen. Die Befehlsgliederung sah vor, daß unter dem Oberkommando von Rundstedt, dem drei Heeresgruppen im Westen unterstanden, die mittlere Heeresgruppe B unter Model mit vier Armeen den Angriff vorzunehmen hatte. Der 6. SS-Panzerannee oblag der Hauptstoß nach Ant23 Rauh. Zwetter Weltkneg 3 Tetl

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werpen; sie sollte in der linken Flanke gedeckt werden durch die 5. Panzerarmee und die 7. Armee, in der rechten Flanke durch die 15. Armee. Die Verteilung der Divisionen suchte Hitler ebenfalls festzulegen, sie soll hier jedoch außer Betracht bleiben, da sie sich bis Angriffsbeginn ohnedies wieder änderte. Bemerkenswert ist daran nur, daß Hitler die Waffen-SS offenbar als seine schlagkräftigste und willigste Truppe ansah, so daß er sie im Schwerpunkt einsetzte, namentlich vier Panzerdivisionen, die bei den Kämpfen in Frankreich nahezu aufgerieben und seitdem wieder aufgefüllt worden waren. Als den hohen Kommandobehörden an der Westfront gegen Ende Oktober Hitlers Offensivplan bekannt wurde, erhoben sie umgehend Einwände. Rundstedt, Model, ihre Stabschefs sowie die Oberbefehlshaber der 5. Panzerarmee und 6. SSPanzerarmee waren einhellig der Ansicht, die deutschen Kräfte reichten für eine weiträumige Offensive nicht aus. Statt dessen befürworteten sie, ähnlich wie Jod!, eine kleinräumige Operation, nämlich die Einschließung amerikanischer Kräfte bei Aachen. Diese Lösung bot sich umso mehr an, als Mitte November ein feindlicher Angriff bei Aachen begann, der dazu zwang, eine Anzahl von Verbänden, welche für die große Offensive bereitgestellt werden sollten, in die Abwehrschlacht zu werfen. Rundstedt und Model forderten nun mit Nachdruck, bei passender Gelegenheit im Raum Aachen einen Gegenangriff zu führen, d. h. die dort zusammengedrängten Feindkräf'te einzukesseln. All dies focht jedoch den Diktator nicht an. Ein gewöhnlicher taktischer Sieg, bei welchem vielleicht 10 bis 15 feindliche Divisionen vernichtet und die vordringenden Gegner zurückgeschlagen wurden, genügte ihm nicht; er hoffte auf mehr. So begann am 16. Dezember 1944 die deutsche Offensive im Westen, die als Ardennen-Offensive bekannt wurde. Dieses Unternehmen· erlitt das vorhersehbare Schicksal: Der Angriff blieb liegen, und zwar noch vor Erreichen des großen Hindernisses auf dem Weg nach Antwerpen, der Maas. Hitler hatte sich ausgerechnet, daß die gegnerische Front in den Ardennen nur schwach besetzt sei und daß er den Angriff beginnen würde, wenn wegen des schlechten Wetters die feindliche Luftwaffe nicht fliegen konnte; in der Tat blieb die Offensive für ungefahr eine Woche aus der Luft weitgehend unbehelligt. Dennoch entpuppte sich beides als Fehlrechnung. Zu dieser Jahreszeit und bei diesem Wetter waren die ohnedies ungünstigen Straßenverhältnisse in den Ardennen so schlecht, daß einige amerikanische Divisionen ausreichten, um den deutschen Vormarsch aufzuhalten. Die 6. SS-Panzerarmee, die eigentlich binnen kurzem die Maas hätte überschreiten sollen, kam wegen der schlechten Straßenverhältnisse und wegen des schlechten Ausbildungsstandes der Truppe kaum voran. Damit zeichnete sich bereits nach etlichen Tagen das Scheitern des Angriffs ab, wozu auch beitrug, daß der Nachschub nur noch stokkend und die zum Nähren des Angriffs nötigen Reserven nicht im erforderlichen Umfang herankamen. Bei einer Umfassungsoperation gegen die amerikanischen Truppen im Raum von Aachen wären solche Nachteile wahrscheinlich nicht aufgetreten, denn die Entfernung betrug für beide Zangenarme nur etwa 50 km, die Stra-

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Benverhältnisse waren besser und die Abwehr hätte an der nahe gelegenen Maas einen Rückhalt gefunden. Der deutsche Durchbruchskeil in den Ardennen erlangte nie die früher veranschlagte Stärke, da er auch nach dem Nachführen von Reserven lediglich rund 25 Divisionen umfaßte. Ungefähr dieselbe Zahl von Divisionen brachte die alliierte Führung binnen ein bis zwei Wochen vor die Fronten des deutschen Durchbruchskeils heran. Das Ende der Offensive wurde eingeläutet, als eine Wetterbesserung ab dem 23. Dezember der feindlichen Luftwaffe erlaubte, ihre drückende Überlegenheit zum Tragen zu bringen und sowohl die deutschen Truppen selbst anzugreifen als auch deren Nachschub abzudrosseln. Wie üblich wollte Hitler die Tatsachen nicht anerkennen und ließ das Unternehmen, gegen den Rat der Frontbefehlshaber, weiter fortsetzen. Erst ab dem 8. Januar 1945, als sich durch die Angriffe der alliierten Truppen an den Flanken des Durchbruchskeils die Gefahr einer EinkesseJung abzeichnete, erlaubte Hitler stückweise den Rückzug. Bis Ende Januar gelang das Absetzen auf den Westwall, also die Ausgangsposition. Die Verluste waren auf beiden Seiten ähnlich hoch und betrugen auf deutscher Seite rund 40000 Tote und Vermißte sowie etwa ebenso viele Verwundete- also weit mehr als beim Polenfeldzug. 9 Nachdem am 12. Januar 1945 die Großoffensive der Roten Armee an der Ostfront losgebrochen war, wurden Verbände von der Westfront in den Osten verlegt. An der Westfront verblieben 60 schwache und ausgebrannte Divisionen, die für den mittlerweile noch stärker gewordenen Feind kein ernsthaftes Hindernis darstellen konnten. Eine genauere Betrachtung der weiteren Ereignisse an der Westfront vermittelt keine wesentlichen Einsichten; es handelte sich tatsächlich, wie Rüstungsminister Speer später feststellte, nur noch um die von einem wirren und ohnmächtigen Widerstand verzögerte Besetzung Deutschlands. Im Februar und März 1945 nahmen die Westalliierten das linksrheinische Gebiet ein, gegen Ende März überschritten sie an verschiedenen Stellen den Rhein, kesselten Anfang April Models Heeresgruppe B im Ruhrgebiet ein, drangen dann in Norddeutschland bis zur Eibe vor, wo sich am 25. April bei Torgau Amerikaner und Russen die Hand reichten, besetzten im Laufe des April auch Süddeutschland und rückten Anfang Mai im westlichen Österreich ein. Die Rote Armee besetzte unterdessen den östlichen Teil des Reichsgebiets. Wenn die deutschen Truppen die Waffen strecken mußten, versuchten sie, wo immer es möglich war, sich den Westmächten statt der Roten Armee zu ergeben, was ihnen vielfach auch gelang. Ware die deutsche Ostfront noch weiter im Osten gestanden und wäre in ihrem Rücken ganz Deutschland von den Westmächten besetzt worden, so hätten sich auch in diesem Fall die deutschen Truppen der Ostfront mindestens zum großen Teil den Westmächten ergeben können.10 9 Jung, Ardennen, passim. Cole, Ardennes. KTB OKW IV /I, 430 ff. D. Eisenhower, War. Greiner, Ardennen. Mennel, Schlußphase. Zu den Verlusten auch KTB OKW IV /2, 1362. 10 Speer in seinen Erinnerungen, 427. Zu den Ereignissen Mac Donald, Offensive. Ellis, Victory II. Ehrman, Strategy VI. D. Eisenhower, War. Henke, Besetzung.

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Diese Lösung ließ sich nicht verwirklichen, weil Hitler die letzten deutschen Reserven lieber bei der Ardennen-Offensive nutzlos verbrauchen wollte, statt die Ostfront zu festigen. Guderian wandte sich an der Jahreswende 1944 I 45 mehrfach an Hitler mit der Aufforderung, Kräfte aus dem Westen nach dem Osten zu verlegen. Die Hauptsorge Guderians galt dem mittleren und wichtigsten Teil der Ostfront zwischen Ostpreußen und den Karpaten. Er wies Hitler darauf hin, daß dieser Abschnitt viel zu schwach besetzt sei und bei dem bevorstehenden Angriff der Roten Armee wie ein Kartenhaus zusammenstürze, wenn er an einer einzigen Stelle durchstoßen werde. Hitler ließ sich dadurch nicht beeindrucken, sondern bezeichnete die Ergebnisse der deutschen Aufklärung über die Stärke der sowjetischen Streitkräfte als größten Bluff seit Dschingis Khan. In Wahrheit lagen die Dinge so, daß im Rahmen des letzten Restes an strategischer Handlungsfreiheit, der Deutschland verblieben war, die Stärkung der Ostfront das dringendste Gebot der Stunde darstellte, sowohl in politischer als auch in militärischer, als auch in kriegswirtschaftlicher Hinsicht. Der Krieg war definitiv verloren; in Deutschland hatte man nur noch die Wahl, sich aus dem Westen, aus dem Osten oder aus beiden Richtungen zugleich überrollen zu lassen. Aus dem Westen überrollt zu werden, war in jeder Hinsicht vorteilhafter. Erstens verschob sich gegen Ende 1944 der Schwerpunkt der deutschen Kriegs- und Rüstungswirtschaft in die östlichen Landestei1e. Die Angriffe der alliierten Luftstreitkräfte, unter anderem auf das Verkehrswesen, lähmten zunehmend die Industrie, mit einer nach Osten abnehmenden Intensität. Zwischen Mitte 1944 und Anfang 1945 betrug der Produktionsausfall in den westlichen Landesteilen ungefähr die Hälfte, in den östlichen weniger als ein Drittel; hauptsächlich das oberschlesische Industrierevier hielt die deutsche Kriegswirtschaft noch am Leben. Auf die westlichen Gebiete konnte man demnach leichter verzichten als auf die östlichen, jedenfalls bis die Kapitulation eintrat. Auch die letzten Erdölquellen in deutschem Besitz befanden sich in der Nähe der Ostfront, in Niederösterreich und Westungarn, so daß es sich anbot, besser im Osten nachdrücklich zu verteidigen als im Westen. Hitlers Behauptung, im Osten könne man noch Gelände preisgeben, im Westen aber nicht, stellte strategisch die Tatsachen auf den Kopf. Die Wehrmacht vermochte auf die Dauer gar nichts mehr zu behaupten; aber für begrenzte Zeit war ein erfolgreicher Widerstand schon aus wirtschaft·· lichen Gründen im Osten einfacher. Zweitens waren die deutschen Kräfte in ihrer Gesamtheit so schwach geworden, an Bodentruppen, in der Luft sowie bei der Versorgung mit Treibstoff und Munition, daß sie allenfalls noch ausreichten, eine einzige große Front vorübergehend zu halten. Daß dies die Ostfront sein müsse, lag schon deswegen nahe, weil der größte Teil des Heeres ohnedies im Osten stand und weil die Luftwaffe dort noch am ehesten Aussicht hatte, wenigstens bescheidene Erfolge zu erringen. Guderian wollte hinter der Ostfront im Raum westlich Warschau eine starke Reserve-Armee aufmarschieren lassen, die sowjetischen Durchbruchsversuchen in beweglicher Abwehr entgegentreten konnte. Eine solche Reserve-Armee hätte sich mit 20 Divisionen und 2000 Panzerfahrzeugen, die für die Ardennen-Offensive aufgeboten

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wurden, wohl bereitstellen lassen. Ob solche Kräfte schon ausgereicht hätten, um den Gegner aufzuhalten, mag fraglich sein. Aber es gab dariiber hinaus noch eine Anzahl anderer Fronten bzw. Kriegsschauplätze, an denen in erheblicher Zahl deutsche Truppen standen, die am entscheidenden Teil der Ostfront nutzbringender zu verwenden waren. Gegen Ende 1944 betrug die Gesamtzahl der Divisionen um die 250; davon befanden sich rund 130 an der gesamten Ostfront von Kurland bis Ungarn, ungefähr 70 im Westen, über 20 in Italien und etwa 15 in Norwegen (der Rest in Kroatien, Dänemark usf.). Die Räumung Italiens wurde seit dem Sommer 1944 erwogen, von Hitler jedoch verworfen; einen bedeutenden Gewinn an Kräften hätte sie nicht erbracht, da zur Sicherung des Südalpenraums jedenfalls eine Anzahl von Verbänden in diesem Gebiet verbleiben mußte. Eine Räumung Norwegens wünschte Hitler ebenfalls nicht; sie wäre vor dem Frühjahr 1945 wegen der großen Entfernungen auch nicht möglich gewesen. Immerhin wurden aus Norwegen und Italien im Laufe der Zeit Truppen abgezogen, die aber nur zum Teil und regelmäßig zu spät an die Ostfront gelangten. Trotzdem gab es die Möglichkeit, den mittleren und entscheidenden Teil der Ostfront zwischen Ostpreußen und den Karpaten nachhaltig zu stärken. Ende November 1944 befanden sich im Kurland-Brückenkopf, dem abgetrennten nördlichen Teil der Ostfront, rund 30 Divisionen, darunter mehrere gepanzerte. Guderian verlangte seit dem Herbst 1944 immer wieder die Räumung von Kurland über See, was Hitler stets ablehnte. Im Herbst 1944 wurden nur wenige Divisionen und Truppenteile abbefördert; erst nach dem Beginn der sowjetischen Großoffensive, also zu spät, gestattete Hitler den Abtransport von etwa 10 Divisionen. Nach einem vernünftigen Grund für das Halten des Kurland-Brückenkopfes zu suchen, dürfte ein müßiges Unterfangen sein; es gab ebenso wenig einen wie für Hitlers Halte-Befehle vor Moskau 1941, bei Stalingrad und in vielen anderen Fällen seitdem. Dabei unterliegt es kaum einem Zweifel, daß die rechtzeitige Räumung von Kurland möglich war. Nach sehr vorsichtigen Schätzungen aus der Seekriegsleitung dauerte der Abtransport der ganzen Heeresgruppe etwa drei Monate, doch war bekannt, daß bei rücksichtsloser Konzentration des Schiffsraumes das Unternehmen auch in wesentlich kürzerer Zeit durchgeführt werden konnte. Und wenn die Heeresgruppe in Kurland imstande war, eine 200 km lange Landfront zu halten, dann vermochte sie während der Evakuierung auch kleine Brückenköpfe um die Häfen zu verteidigen. Jedenfalls bestand die Gelegenheit, noch vor Beginn der sowjetischen Großoffensive mindestens den größten Teil der Kurland-Truppen an die wichtigste Front zwischen Ostpreußen und Karpaten zu schaffen. Da an dieser Front ungefähr 80 Divisionen standen, hätten 30 Kurland-Divisionenimmerhin eine namhafte Verstärkung dargestellt. Hitler bezog demgegenüber den Standpunkt, daß die Heeresgruppe in Kurland feindliche Kräfte binde und insofern andere Frontabschnitte entlaste. Dies stellte eine der vielen Milchmädchenrechnungen des Diktators dar. Zweifellos band die Heeresgruppe in Kurland feindliche Kräfte - übrigens im Laufe der Zeit immer weniger-, aber sie wurde selbst ebenfalls lahmgelegt Hitler stellte sich die Vertei-

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digung, wie stets, starr und linear vor, und so mußte sie in Kurland auch geführt werden. Am mittleren Teil der Ostfront indes, hauptsächlich also in Polen, kam es darauf an, die vorderste Verteidigungslinie so stark zu machen, daß sie nicht beim ersten Ansturm des Gegners überrannt wurde, sondern notfalls kämpfend ausweichen konnte, und im Hinterland umfangreiche Reserven zu versammeln, die durchgebrochene Feindkräfte zerschlugen, am besten durch Flankenstöße. Die KurlandDivisionen ließen sich also hier in ein bewegliches Verteidigungskonzept eingliedern, bei dem weit größere Wirkung zu erzielen war - operative Kriegführung eben, wie der Panzerfachmann Guderian es ja auch beabsichtigte. Für ein bewegliches Verteidigungskonzept dieser Art reichten wohl auch die Kurland-Divisionen noch nicht aus. Erforderlich war tatsächlich die strategische Radikallösung, im Westen den Widerstand weitgehend einzustellen und fast alles nach dem Osten zu werfen. Mit rund 30 Divisionen aus Kurland, mehreren Dutzend weiteren aus dem Westen, aus Italien und Norwegen ließ sich die Zahl von 80 Verbänden am Mittelteil der Ostfront nahezu verdoppeln sowie die Zahl der Panzer und Sturmgeschütze in ähnlicher Größenordnung vermehren. Eine Niederlage der Roten Armee war dann nicht ausgeschlossen, zumindest ein Steckenbleiben des sowjetischen Angriffs. Drittens schließlich konnten auf diesem Weg günstigere Voraussetzungen für die anschließende Kapitulation geschaffen werden. Wenn die Rote Armee nicht bis zur Eibe vordrang, wenn sie an der Weichsel aufgehalten wurde, dann würden Flucht und Vertreibung der Bevölkerung aus den deutschen Ostgebieten wenigstens vorerst nicht stattfinden, dann würde Stalin wenigstens vorerst nicht imstande sein, im sowjetisch besetzten Mitteleuropa nach eigenem Gutdünken Staatsgrenzen zu verschieben, Regierungen einzusetzen und eroberte Gebiete auszuplündern. Wenn die Westmächte im Rücken der deutschen Ostfront das mittlere Europa besetzten, einschließlich Westpolen, der Tschechoslowakei und Westungarn, dann hätten sie zumindest ihre Vorstellungen über die politische Gestalt Mitteleuropas nachdrücklich zur Geltung bringen können, Stalin hätte sich unter ihren wachsamen Augen über das weitere Verfahren erst mit ihnen einigen müssen, die politischen Geschehnisse in Mitteleuropa hätten einen ganz anderen Verlauf genommen und wahrscheinlich einen für das deutsche Volk erheblich günstigeren. 11 Derartiges geschah nicht, sondern Hitler betätigte sich weiterhin als Feldherr. Es begann in Ungarn. Die sowjetische Führung beabsichtigte, hier im Spätherbst 1944 anzugreifen, um Hitler zu veranlassen, daß er Reserven an diese Stelle warf und damit den wichtigen Mittelabschnitt der Ostfront in Polen schwächte. Der Plan gelang. Die deutsche Front auf dem Balkan verlief im November 1944 von der östlichen Slowakei an die Donau südlich Budapest und von da nach Bosnien. Die II Guderian, 335 ff., 345 ff., 373 ff. und passim. Vgl. Speer, Erinnerungen, 428. Zur Kriegswirtschaft Wagenführ, 120 und passim. Mierzejewski. Zur Truppenverteilung KTB OKW IV /1, 560 ff.; IV /2, 1306 ff., 1333 ff., 1884 ff. War1imont II, 503 ff., 536 f. Zu Kurland auch Grier, 394 ff., 413 ff., 426 ff. und passim.

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Kommandoführung war geteilt; die Truppen der Heeresgruppe Süd in Ungarn gehörten zur Ostfront, für die Generalstabschef Guderian zuständig war, während die Truppen in Kroatien unter dem Oberbefehlshaber Südost zu einem OKW-Kriegsschauplatz gehörten, für welche Jod! Führungstätigkeiten wahrnahm. Diese eigenartige Trennung blieb bis zum Schluß erhalten. Auf der sowjetischen Seite zielte der Vormarsch über Ungarn in Richtung Wien. Anfang Dezember begann eine Umfassungsoperation gegen den Raum von Budapest, die bis Ende des Monats zur Einschließung der Stadt mit vier deutschen Divisionen führte. Hitler nahm es zum Anlaß, diese Front durch eine Anzahl von Divisionen aus dem polnisch-ostpreußischen Raum zu verstärken, darunter fünf Panzerdivisionen. Im Januar 1945 ließ er auch noch die 6. SS-Panzerarmee mit vier Panzerdivisionen aus dem Westen nach Ungarn verlegen. Die Beweggründe des Diktators sind, wie meistens, schwer verständlich; wahrscheinlich wollte er - unter anderem - die letzten verfügbaren Erdölquellen in Westungarn und Niederösterreich schützen, vielleicht auch die Verbündeten Ungarn und Kroatien nicht im Stich lassen, zumal sie mit eigenen Truppen am Kampf teilnahmen, wenngleich diese Truppen keine große Kampfkraft besaßen. Der Besitz der Ölquellen rechtfertigte den Aufwand kaum, weil mit der dortigen, verhältnismäßig geringen Ölförderung die Widerstandsfähigkeit der Wehrmacht zweifellos nicht dauerhaft erhalten werden konnte. Immerhin war es ein vertretbarer Gedanke, das südöstliche Vorfeld des Reiches zu schützen, teils wegen des Öls, teils wegen der Verbündeten, teils um die aus Griechenland heranmarschierenden Truppen aufzunehmen, teils um die Rote Armee nicht im Rücken der übrigen Ostfront auf das Reichsgebiet vordringen zu lassen. Aber jenes durfte selbstverständlich nicht zu Lasten der übrigen Ostfront stattfinden, weil es wenig Sinn hatte, das südöstliche Vorfeld zu halten, wenn unterdessen das Reich im Norden von der Roten Armee überrannt wurde. Es handelte sich also einmal mehr um eine Frage der Kräfteverteilung an allen Fronten, die außer Hitler allein niemand zu entscheiden hatte. Der Diktator war dieser Aufgabe weniger denn je gewachsen. Wenn man schon das südöstliche Vorfeld halten wollte, mußten die erforderlichen Kräfte rechtzeitig bereitgestellt werden, was auf verschiedene Weise geschehen konnte, aber jedenfalls zur Voraussetzung hatte, daß ein schlüssiger strategischer Entwurf vorlag, welche Fronten sich mit den vorhandenen Kräften überhaupt noch verteidigen ließen. Denkbar war, daß man im Herbst 1944 Italien räumte und freiwerdende Verbände an die Donau brachte, doch stellte es sicher die einfachste Lösung dar, im Westen auf alle Angriffsabsichten zu verzichten, um statt dessen die Front im Südosten (und Osten) zu festigen. Da es an einem schlüssigen strategischen Entwurf mangelte, wurde wieder die Methode der Flickschusterei angewendet. Die nach dem Südosten geworfenen Divisionen blieben anschließend dort gebunden und fehlten dementsprechend bei der Abwehr der sowjetischen Großoffensive in Polen. Hitler wollte mit jenen verzettelt und verspätet eintreffenden Kräften Gegenangriffe auf dem Westufer der Donau führen, die angesichts der Umstände allesamt zum Scheitern verurteilt waren. An-

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III. Das Ende

fang März 1945 fand am Plattensee in Westungarn die letzte deutsche Offensive dieses Krieges statt, hauptsächlich mit den Kräften der 6. SS-Panzerarmee. Nachdem der ohnedies vorhersehbare Mißerfolg durch Hitlers Eingriffe vollends unabwendbar geworden war, ließ der Diktator die Verbände seiner Waffen-SS maßregeln. In der Folgezeit stießen die russischen Truppen in den Raum der Ostalpen vor; Wien fiel am 13. Aprill945. Als ab dem 12. Januar 1945 die sowjetische Hauptoffensive im mittleren Polen und in Ostpreußen losbrach, stieß sie auf eine deutsche Ostfront, die für erfolgreichen Widerstand viel zu schwach war. Die Lage wurde durch Hitlers Eingriffe in taktische Einzelheiten noch verschlimmert, aber selbst wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, hätten die beiden deutschen Heeresgruppen (Heeresgruppe Mitte nördlich Warschau und Heeresgruppe A südlich Warschau) der feindlichen Übermacht nicht standhalten können. Nach einer alten militärischen Faustregel ist eine erfolgreiche Verteidigung noch möglich, wenn das zahlenmäßige Stärkeverhältnis etwa 3: 1 zugunsten des Angreifers beträgt. An der Ostfront betrug das Zahlenverhältnis aber mindestens 5:1, streckenweise noch erheblich mehr. Der Schwerpunkt des sowjetischen Angriffs lag im mittleren Polen mit seinem für weiträumige Bewegungen günstigen Gelände. Hier verfügten allein zwei sowjetische Heeresgruppen, die 1. Weißrussische Front und die 1. Ukrainische Front unter den Marschällen Schukow und Konjew, über mehr als zwei Millionen Mann mit 7000 Panzern und Sturmgeschützen. Diesen Massen vermochte die schwache Heeresgruppe A lediglich rund 25 Divisionen mit mehreren hunderttausend Mann sowie ungefähr 1000 Panzern und Sturmgeschützen entgegenzustellen. Unter diesen Umständen konnte nichts anderes eintreten als der Zusammenbruch. Bemerkenswert ist lediglich, daß der sowjetische Angriff nicht, wie ursprünglich geplant, in einem Zug bis Berlin durchstieß, sondern kurz vor Berlin, an der Oder, noch einmal vorübergehend zum Stehen kam. Im einzelnen verliefen die Ereignisse so, daß an der Weichsel bei und südlich Warschau die Truppen Schukows und Konjews den linken Flügel der Heeresgruppe A einfach überrannten und großenteils zerschlugen. Konjew drang anschließend rasch nach Schlesien vor; Schukow erreichte Ende Januar/ Anfang Februar 1945 die Oder bei Küstrin und Frankfurt, wo Brückenköpfe gebildet wurden. Nördlich Warschau stieß die 2. Weißrussische Front unter Marschall Rokossowski bei EIhing an die Küste durch und kesselte den größeren Teil der Heeresgruppe Mitte in Ostpreußen ein. In der riesigen Lücke zwischen Schlesien und Ostpreußen wurde auf deutscher Seite gegen Ende Januar die neue Heeresgruppe Weichsel gebildet, zu deren Oberbefehlshaber Hitler seinen Getreuen Himmler ernannte, wahrscheinlich weil er glaubte, dieser könne rasch Verstärkungen aus dem Ersatzheer und aus der SS herbeischaffen. Für Schukow und Konjew wäre es im Februar wohl möglich gewesen, auch noch Berlin zu erreichen; Stalins Oberkommando wollte jedoch kein unnötiges Risiko eingehen und beschloß, zunächst die Flanken zu sichern und die Kräfte aufschließen zu lassen. In der Tat hatte Guderian die Absicht, den bis zur Oder vorgedrungenen sowjetischen Angriffskeil durch eine beidseitige Umfas-

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sung aus Norden und Süden abzuschneiden, doch kam es dazu nicht, weil Hitler die 6. SS-Panzerarmee lieber nach Ungarn schicken und Kurland nach wie vor nicht räumen wollte. Bis Ende März wurden die Heeresgruppe Weichsel in Ostpommern und Westpreußen zerschlagen sowie ganz Schlesien besetzt, im April wurden die Reste der deutschen Truppen in Ostpreußen aufgerieben. Ende März entließ Hitler auch Guderian, nachdem der Diktator schon vorher fortwährend hohe Offiziere abgelöst oder gemaßregelt hatte. 12 Bis Mitte April marschierten die Truppen der Sowjetmarschälle Rokossowski, Schukow und Konjew an der Oder und Lausitzer Neiße auf. Dem abschließenden Sturm in das Herz des Reiches sollten auf deutscher Seite die Trümmer eines vielfach geschlagenen Heeres entgegentreten, ausgebrannte Divisionen sowie ein allerletztes Aufgebot aus kaum Ausgebildeten und unzureichend Ausgerüsteten, zusammengefaßt in der Heeresgruppe Weichsel, nunmehr unter General Heinrici, an der Oder sowie der Heeresgruppe Mitte (vordem Heeresgruppe A), nunmehr unter Feldmarschall Schömer, an der Neiße, in Böhmen und Mähren. Zu dieser Zeit standen amerikanische Truppen bereits an der Elbe, so daß das baldige Zusammentreffen der Gegner aus Ost und West in der Mitte Deutschlands absehbar wurde. Hitler erließ deshalb am 15. April einen Führerbefehl, wonach im Falle einer Unterbrechung der Landverbindung in Mitteldeutschland für die auseinander gerissenen, noch in deutscher Hand befindlichen Räume im Norden und Süden je ein eigener Oberbefehlshaber bestimmt wurde. Sofern Hitler sich nicht selbst in einem der beiden Räume aufhielt, sollte der Oberbefehlshaber im Norden Admiral Dönitz, derjenige im Süden Feldmarschall Kesselring sein. Augenscheinlich rechnete Hitler zu dieser Zeit noch damit, sich selbst in einen der beiden Räume zurückzuziehen, voraussichtlich in den Süden, wohl in der Hoffnung, sich im Gebirge noch eine Zeitlang zu behaupten. Nichtsdestoweniger sollte an der Oder vor Berlin bedingungsloser Widerstand geleistet werden, um den Bolschewismus vom größeren Teil Deutschlands abzuhalten. Die Truppe, darunter im Rahmen der Waffen-SS viele Ausländer, kämpfte tatsächlich verbissen, soweit ihre Kräfte es zuließen, teils um die Heimat zu schützen, teils um den Bolschewismus abzuwehren, teils vielleicht auch in der Hoffnung, sich demnächst den Westmächten ergeben zu können. Trotzdem war die Truppe der feindlichen Übermacht natürlich nicht gewachsen; der Angriff der Roten Armee, der am 16. April begann, wurde zwar einige Tage aufgehalten, aber dann brachen Schukow und Konjew durch und schlossen bis zum 25. April Berlin ein. Etwa um den 20. April faßte Hitler den Entschluß, in Berlin zu bleiben, den Kampf um die Stadt persönlich zu leiten und gegebenenfalls dort zu sterben. Die Leitung des Endkampfes um Berlin stellte die letzte militärische Traumtänzerei des Diktators dar, da der Endkampf von vomherein aussichtslos war und die Trup12 Zu den militärischen Ereignissen Philippi/Heim, 268 ff. Ziemke, Defeat, passim. Erickson, Stalins War Il, passim. Zur sowjetischen Planung auch Schtemenko I, 317 ff. Zur sowjetischen Offensive Anfang 1945 Magenheimer. Zeidler, Kriegsende, 75 ff. Abwehrkämpfe. Guderian, 342, 353 ff., 369. Duffy.

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III. Das Ende

penführung außerhalb der eingekesselten Stadt großenteils nur noch das Ziel verfolgen konnte, durch einen einigermaßen geordneten Rückzug Soldaten und Flüchtlinge dem Zugriff der Roten Armee zu entziehen. Am 30. April erschoß sich Hitler, was er ausnahmsweise sachgerecht fertigbrachte und besser schon viel früher getan hätte. Seine Leiche wurde gemäß seiner Anordnung mit Benzin verbrannt, wobei er vielleicht in seinem Entschluß bestärkt wurde, weil er kurz zuvor erfahren hatte, daß Mussolini auf der Flucht in die Schweiz von Partisanen erschossen und seine Leiche für eine aufgebrachte Menge in Mailand öffentlich ausgehängt worden war. In Berlin befanden sich gegen Ende April nur noch wenige aus Hitlers Gefolgschaft, darunter Goebbels und Bormann. Im Anschluß an den Führerbefehl vom 15. April hatten sich die meisten in die noch von deutschen Truppen gehaltenen Gebiete abgesetzt, so Göring in den Süden, Himmler in den Norden. Dönitz, als Oberbefehlshaber der Marine und vorgesehener Oberbefehlshaber für den Nordraum, befand sich naturgemäß ebenfalls dort. Hitler verfaßte vor seinem Tod ein politisches Testament, in welchem er seine Politik zu rechtfertigen versuchte und eisern an seiner verfahrenen Weltanschauung festhielt Göring und Himmler stieß er in diesem Testament aus der Partei aus und entzog ihnen alle Rechte auf Staatsämter. In Hinblick auf Himmler hatte er erfahren, daß dieser über einen schwedischen Mittelsmann ein Kapitulationsangebot an die Westmächte gerichtet hatte. Göring wiederum, der sich als rechtmäßigen Nachfolger Hitlers betrachtete, hatte am 23. April bei Hitler angefragt, ob er nun selbständig im Interesse Deutschlands handeln dürfe. Angestachelt von Bormann, sah Hitler darin Verrat und ließ Göring durch die SS verhaften; der möglichen Erschießung entging Göring durch das allgemeine Durcheinander beim Zusammenbruch. Da nun kaum noch jemand übrig war, der das Erbe von Hitlers Ämterfülle als Oberbefehlshaber, Regierungschef usw. antreten konnte, bestimmte der Diktator in seinem Testament den als Oberbefehlshaber im Nordraum vorgesehenen Dönitz zum Reichspräsidenten und Kriegsminister; zugleich ernannte er Goebbels zum Reichskanzler sowie sämtliche weiteren Mitglieder der neuen Regierung. Von den vielen Absurditäten Hitlers stellte dies die letzte dar, denn einerseits sollte die neue Regierung den Krieg mit allen Mitteln weiter fortsetzen, andererseits würde die neue Regierung nie zusammentreten, weil ihre Mitglieder über sämtliche Teile des noch in deutscher Hand befindlichen Gebietes zerstreut waren und allein aus technischen Gründen sich gar nicht versammeln konnten. Schon Goebbels hielt sich an Hitlers Anweisungen nicht, sondern erbat von der Roten Armee einen Waffenstillstand, um Kapitulationsverhandlungen einzuleiten. Als dies abgelehnt wurde, gab Goebbels am 1. Mai sich selbst und seiner Familie den Tod, darunter sechs hübschen Kindern. Dönitz, von der Ernennung zum Reichspräsidenten überrascht, war früher zwar dem Führer treu ergeben gewesen, besaß aber genügend Weitblick und Verantwortungsbewußtsein, um jetzt das Nötige zu tun. Dönitz nahm seinen Sitz in Flensburg, machte den bisherigen Finanzminister Schwerin-Krosigk zu seinem engen Berater sowie Außenminister und stellte Himmler kalt; der gestürzte Reichsführer

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SS nahm am 23. Mai Gift. Als militärisches und politisches Ziel betrachtete die Regierung Dönitz das Herbeiführen der Kapitulation, allerdings sollte dies ein wenig verzögert werden und stufenweise stattfinden, um noch möglichst vielen Soldaten und Flüchtlingen Gelegenheit zu geben, sich vor der Roten Armee zurückzuziehen und in den Bereich der Westmächte zu gelangen. Dies glückte in erheblichem Umfang. Am 2. Mai kapitulierte zuerst die Heeresgruppe C in Italien, die schon vorher deswegen verhandelt hatte. Erste Fühlungnahmen in dieser Angelegenheit hatten bereits im März stattgefunden. Als die Moskauer Regierung durch die Westmächte davon unterrichtet wurde, witterte sie Unrat und überschüttete Washington wie London mit Verdächtigungen und Drohungen. Molotow kündigte an, die Errichtung der Vereinten Nationen zu behindern, und Stalin behauptete Anfang April, die Verhandlungen liefen darauf hinaus, die deutsche Westfront für die Alliierten zu öffnen, um ihnen den Vormarsch nach Osten zu erleichtern. In der Tat stellte es auch jetzt noch eine Denkmöglichkeit dar, an den westlichen Fronten Teilkapitulationen vorzunehmen, um die Westmächte rascher vordringen zu lassen, vielleicht sogar deutsche Truppen in den Osten zu verlegen, um dort besser Widerstand leisten zu können. Ob die Westmächte derartiges tatsächlich beabsichtigten, ist fraglich; immerhin dürfte feststehen, daß zumindest die Briten es gern gesehen hätten, wenn die Truppen der Westmächte noch vor den Russen Berlin erreicht hätten. Spätestens nach den Vorwürfen Stalins und Molotows wurde die Lage für die Westmächte schwierig, vor allem für den alliierten Oberbefehlshaber Eisenhower, der viel Handlungsfreiheit genoß. Moskau wünschte offenbar seine Beute an sich zu raffen und wollte nicht von den Westmächten dabei behindert werden. Das Erreichen Berlins wäre für die alliierten Truppen wohl möglich gewesen, doch erhob sich die Gefahr, dadurch so viel politisches Porzellan zu zerschlagen, daß der Gewinn den Aufwand nicht lohnte. Ob das sowjetische Vordringen nach Europa an der Oder endete oder an der Eibe, machte globalstrategisch keinen großen Unterschied; einen bedeutenden Gewinn hätten die Westmächte nur erzielt, wenn die Rote Armee schon an der Weichsel angehalten worden wäre. Die Sowjetunion offen herauszufordern, stellte zumindest in den Augen der Amerikaner einen zu hohen Preis dar für den ungewissen Vorteil, einen schmalen Streifen Mitteleuropas zu besetzen. So wurde die Kapitulation in Italien vertagt; sie fand später unter Teilnahme eines russischen Vertreters statt. Eisenhower teilte Stalin Ende März mit, ein Teil seiner Kräfte werde an die Eibe vorrücken, um dort den sowjetischen Truppen die Hand zu reichen, ein anderer Teil nach Süden, um in Österreich auf die Russen zu treffen. Das Vorhaben wurde von Stalin und Roosevelt gebilligt. Nachdem in Deutschland die Regierung Dönitz gebildet worden war, ließ Eisenhower eine Teilkapitulation am 5. Mai zu, die sich auf Nordwestdeutschland bezog, den Seekrieg beendete und zugleich deutschen Truppen, die an der Oder und bei Berlin gekämpft hatten, die Möglichkeit gab, sich hinter die Linien der Westmächte zu retten. Dönitz versuchte, eine weitere Teilkapitulation zu erreichen, die sich auf die

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III. Das Ende

übrigen deutschen Truppen im Westen bezog und zugleich den übrigen deutschen Truppen im Osten, namentlich der starken Heeresgruppe Mitte, den Rückzug nach Westen erlaubte. Darauf wollte Eisenhower nicht mehr eingehen, weil es ihm wohl zu riskant erschien, alle deutschen Kräfte so lange gegen die Rote Armee kämpfen zu lassen, bis sie sich nach Westen in Sicherheit gebracht hatten. Er verlangte daher eine Gesamtkapitulation, die von Jodl in der Nacht zum 7. Mai in Eisenhowers Hauptquartier in Reims unterschrieben wurde, aber erst am 8. Mai gegen Mitternacht in Kraft trat, so daß wenigstens noch ein kleiner Zeitgewinn heraussprang. Um den Eindruck zu vermeiden, die Deutschen hätten sich nur den Westmächten ergeben, mußte der formelle Kapitulationsakt vor der sowjetischen Seite wiederholt werden. Dies geschah am 9. Mai in Berlin-Karlshorst; die Unterschrift für die deutsche Seite leisteten Keitel und zwei weitere Offiziere. Als Datum der deutschen Kapitulation galt der 8. Mai 1945. Bis dahin konnte sich nur ein Bruchteil der Heeresgruppe Mitte nach Westen retten, dagegen ging die Heeresgruppe Süd fast vollständig in amerikanische Gefangenschaft. Insgesamt erreichte über die Hälfte des Ostheeres - knapp zwei Millionen Mann - die alliierten Linien; verloren gingen die Heeresgruppe in Kurland sowie ein Teil der Heeresgruppe im Südosten, der den Jugoslawen in die Hände fiel. 13 Infolge des Zusammenbruchs der deutschen Ostfront konnten Stalin und seine Klientel darangehen, in den besetzten Gebieten ihre politischen Ziele zu verwirklichen. Den Polen hatte Stalin die Oder-Neiße-Grenze samt der Vertreibung der Deutschen versprochen, und die Tschechen vermochten auf Grund der russischen Besetzung mit den Sudelendeutschen nach Belieben umzuspringen. Einen Teil der Arbeit nahm die Sowjetunion ihren Verbündeten und Satelliten ab. Seit dem zweiten Halbjahr 1944 ergoß sich eine gewaltige Propagandawelle über die Rote Armee, durch welche die Soldaten angestachelt wurden, Rache an den Deutschen zu üben, nicht bloß an den Nationalsozialisten, sondern an allen Deutschen, die als Menschenfresser, Getier, Verbrecher und ähnliches bezeichnet wurden. Dies war offenbar kühl kalkuliert; die Sowjetsoldaten wurden aufgehetzt, im Feindesland solchen Schrecken zu verbreiten, daß die deutsche Bevölkerung, soweit sie das Eindringen der Roten Armee überlebte, aus Angst und Verzweiflung die angestammte Heimat verließ. Die Grenzen des Kriegsrechts wurden dabei formell nicht angetastet. Grundsätzlich blieb es möglich, Untaten der Roten Soldateska gerichtlich zu ahnden. Doch geschah dies nur selten, vielmehr wurde das Verhalten der Truppe von der Führung bis hinauf in die Generalität meistens gebilligt und gedeckt. Einen Vorgeschmack des Kommenden erhielten die Deutschen im Oktober 1944, als sowjetische Truppen ein Stück weit auf ostpreußisches Gebiet vordran13 Hitlers Führerbefehl vorn 15. 4. 1945 in Hubatsch, Weisungen, 355 ff. Zum Kampf an der Oder Lakowski, Seelow. Hitlers Testament, 29. 4. 1945, in KTB OKW IVI2, 1666 ff. Zum Ende Hitlers und des Dritten Reiches Trevor-Roper, 193 und passim. Hansen, Ende. Baum, Dönitz. M. Steinert, Dönitz. Zur Kapitulation in Italien Srnith I Agarossi. Schiemann, Sunrise. Die Kapitulationsdokumente in KTB OKW IV I 2, 1662 ff., 1669 ff. Ferner D. Eisenhower, War, 725 ff.

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genund dabei in kleinerem Ausmaß dasjenige taten, was später in großem Umfang stattfand: Es wurde gemordet, niedergebrannt, vergewaltigt, geplündert. Nachdem die sowjetische Großoffensive im Januar 1945 begonnen hatte, betraf dieses Schicksal viele Millionen Deutsche in den Ostgebieten. Über 100000 wurden umgebracht, die meisten beraubt, viele verschleppt, Frauen vergewaltigt, vom Kind bis zur Greisin, oft Dutzende von Malen. Von rund 10 Millionen Menschen in den deutschen Ostgebieten (Ostpreußen bis Schlesien) suchte ungefähr die Hälfte solchen Schrecknissen durch die Flucht zu entgehen. Die deutsche Marine vollbrachte dabei eine bedeutende Leistung, indem sie rund 1, 5 Millionen Flüchtlinge und Soldaten auf dem Seeweg abtransportierte. Mit dem Erreichen der Oder und Lausitzer Neiße durch die Rote Armee verebbte die Propagandawelle; der übelste Hetzer, Ilja Ehrenburg, wurde ausgeschaltet. Augenscheinlich hatte die sowjetische Führung das Ziel erreicht, ihrer Klientel bei der Säuberung der deutschen Ostgebiete Hilfestellung zu leisten. Die deutschen Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie wurden der polnischen Zivilverwaltung übergeben, die alsbald damit begann, die deutsche Restbevölkerung zu vertreiben. Nach dem Einmarsch der Roten Armee in Böhmen und Mähren geschah dort ähnliches. Insgesamt dürften etwa 15 Millionen Deutsche und Volksdeutsche durch Flucht und Vertreibung ihre angestammten Wohnsitze verloren haben; rund zwei Millionen kamen dabei ums Leben. 14

2. Der Zusammenbruch Japans

Um Japan zur bedingungslosen Kapitulation zu zwingen, mußten die USA sich darauf einrichten, notfalls das japanische Mutterland selbst zu erobern. Entsprechende Planungen begannen im Sommer 1944; dabei wurde vorgesehen, Anfang 1945 zunächst lwo Jima in den Vulkan-Inseln zu nehmen, um Luftangriffe auf die japanischen Hauptinseln zu erleichtern, sowie Okinawa in den Riu-Kiu-Inseln, das als vorgeschobener Stützpunkt für die Landung auf den Hauptinseln dienen sollte. Nachdem diese Kämpfe abgeschlossen und die nötigen Vorbereitungen für den Endangriff getroffen waren, sollte im Herbst 1945 eine Landung auf der südlichen Hauptinsel Kiuschu stattfinden, welcher gegebenenfalls im Frühjahr 1946 eine Landung bei Tokio auf Honschu folgen würde. Ein Kriegseintritt der Sowjetunion mußte, seitdem Stalin ihn angekündigt hatte, in Rechnung gestellt werden. Die sowjetische Hilfe war nicht unbedingt erforderlich, um Japan zu bezwingen, wichtig war vielmehr, wann Rußland den Krieg zu eröffnen gedachte. Geschah es erst nach der amerikanischen Landung auf den japanischen Hauptinseln, dann konnte Tokio vorher Streitkräfte aus der Mandschurei für die Verteidigung des Mutterlandes abziehen und die Rote Armee gegen geringen Widerstand in der Mandschurei einmarschieren. Die amerikanischen Planer hielten es deshalb für nützlich, daß die 14 Zeidler, Kriegsende, passim. Dokumentation der Vertreibung. Spieler, Vertreibung. De Zayas. J. Steinen, Flucht. Zur Marine KTB OKW IV /2, 1682 f.

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III. Das Ende

Sowjetunion, wenn sie sich schon am Krieg beteiligte, einige Monate vor der Landung auf Kiuschu den Angriff auf die Mandschurei begann, damit die japanischen Kräfte dort gefesselt wurden und Moskau nicht kampflos der Leichenfledderei nachzugehen vermochte. Bei der Konferenz von Jalta im Februar 1945 kamen Stalin, Roosevelt und Churchill überein, daß die Sowjetunion wenige Monate nach dem Ende des Krieges in Europa den Angriff auf Japan eröffnen würde, wofür die Sowjetunion den verlangten Preis erhielt, nämlich Süd-Sachalin, die Kurilen, die Verwaltung der Eisenbahnen in der Mandschurei sowie eisfreie Häfen an der mandschurischen Südküste. Dies stellte an sich einen klaren Bruch des Völkerrechts dar, da der sowjetisch-japanische Neutralitätsvertrag noch bis 1946 lief, folglich die Siegermächte rechtens nicht befugt waren, einen sowjetischen Angriff zu vereinbaren, der kurz nach dem vorhersehbaren Zusammenbruch Deutschlands stattfinden würde, also jedenfalls noch 1945. Außerdem handelte es sich dabei um einen ganz gewöhnlichen Angriffskrieg -also diejenige Art von Krieg, für welche man später Deutschen und Japanern den Prozeß machte. Immerhin konnten Roosevelt und Churchill sich darauf berufen, die Sowjetunion sei nicht daran zu hindern, sich zu nehmen, was ihr gefiel, so daß es angebracht erscheinen mochte, wenigstens geregelte Formen dafür zu finden. An diese Formen hielt sich Stalin insoweit, als er den Neutralitätsvertrag im April 1945 fristgerecht ein Jahr vor seinem Auslaufen kündigen ließ. Im August trat er sodann, ebenfalls fristgerecht, in den Krieg ein, um seine Beute an sich zu raffen. 15 Auf der japanischen Seite diente die gesamte Strategie spätestens seit der Niederlage von Leyte nur noch einem ganz bescheidenen Ziel: Es sollte wenigstens der Versuch unternommen werden, die bedingungslose Kapitulation zu vermeiden. Außenminister Shigemitsu, der dieses Amt vom Frühjahr 1943 bis zum Frühjahr 1945 innehatte, kam schon an der Jahreswende 1943 I 44 zu der Überzeugung, die bedingungslose Kapitulation werde schließlich unvermeidbar sein. Trotzdem wollte die Regierung nichts unversucht lassen, diesem bitteren Schicksal zu entgehen. Sie tat es auf zwei Wegen: dem militärischen und dem diplomatischen. Was zunächst die militärische Auseinandersetzung betrifft, so konnte die Führung in Tokio nach dem weitgehenden Ausfall der Flotte nur noch auf das Heer und die Reste der Luftstreitkräfte zählen. Damit sollten, nach dem Verlust der Philippinen, die letzten Vorpostenstellungen verteidigt werden, insbesondere Formosa und die Riu-Kiu-Inseln, sowie das Mutterland selbst. Wenn es glückte, dem Gegner große Verluste beizubringen oder ihn zurückzuschlagen, dann mochte sich eine Gelegenheit ergeben, die bedingungslose Kapitulation zu umgehen. Davon abgesehen war die Lage für das Kaiserreich verzweifelt. In einem unglücklich verlaufeneu Krieg kann es angezeigt sein, die Defensive zu stärken, indem unhaltbare oder unnötige 1s Hayes, Joint Chiefs, 668 ff. und passim. Herde, Strategie, 77 ff. Freidel, Roosevelt, 589 ff. Lensen, Neutrality, 113 ff. und passim. Das Geheimabkommen von Jalta auch in Jacobsen, Weg, 433 f.

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Außenpositionen aufgegeben werden, um die Kräfte in einem Kernraum zusammenzufassen. Für Japan galt die Denkmöglichkeit jedoch nicht, die Außenpositionen zu räumen, also insbesondere China, die Mandschurei, Formosa und Korea, um die Truppen in die Heimat zurückzuholen und dort für die Abwehr stärker zu sein. Das japanische Mutterland verfügte nahezu über keine Rohstoffe außer Kohle und vermochte seine Bevölkerung ohne die Lebensmittel aus den besetzten Gebieten nicht zu ernähren. Hätte Japan die Außenpositionen aufgegeben, so wäre seine Industrie auch ohne Feindeinwirkung bald zusammengebrochen, und Millionen zusätzlicher Soldaten in der Heimat hätten wenig Gewinn an Kampfkraft gebracht, sondern wären eher verhungert. Deutlicher Ausdruck der verzweifelten Lage war es sodann, daß Tokio sich genötigt sah, zu einer höchst ungewöhnlichen Art des Luftkriegs überzugehen. Es entstanden Sonderformationen für den Angriff auf Schiffsziele aus der Luft, die als Kamikaze bekannt wurden ("Kamikaze" bedeutet soviel wie Götterwind). Bis ins Jahr 1944 war es gelegentlich vorgekommen, daß sich einzelne Flugzeuge, aus unterschiedlichen Gründen, auf feindliche Schiffe gestürzt hatten. Seit der Schlacht bei den Marianen, als die Leistungen der japanischen Flieger offenkundig immer geringer und ihre Ausbildung immer schlechter wurden, wuchs bei Kommandeuren der Marineluftwaffe und in der Truppe der Gedanke heran, aus der Not eine Tugend zu machen. Schlecht ausgebildete Piloten, die ohnedies häufig beim ersten scharfen Einsatz abgeschossen wurden, hatten noch am ehesten die Möglichkeit, ein feindliches Schiff zu treffen, wenn sie unter Opferung des eigenen Lebens sich mit ihrem Flugzeug direkt auf das Schiff warfen. Entsprechende Vorschläge wurden von der Führung in Tokio zunächst übergangen. Vor der Schlacht von Leyte trug der Befehlshaber einer Luftflotte auf den Philippinen seinen Fliegern die Idee vor und fand begeisterte Zustimmung. Am letzten Tag der Leyte-Schlacht, am 25. Oktober 1944, stürzten sich erstmals kleine Gruppen von Kamikaze-Fliegern auf amerikanische Schiffe, in diesem Fall auf Geleitträger, wovon einer versenkt und mehrere beschädigt wurden. Von da an verbreitete sich die Kamikaze-Bewegung in der ganzen Marineluftwaffe und ebenso in der Heeresluftwaffe. Anfangs handelte es sich bei den Kamikaze-Fliegern ausschließlich um Freiwillige, die sich selbst zu dieser Art des Einsatzes entschlossen. Später sorgten der Druck von Kameraden und Vorgesetzten dafür, daß auch Männer Kamikaze-Flieger wurden, die es unter anderen Umständen nicht getan hätten. Freiwillig den Tod zu suchen konnte man allerdings niemandem befehlen, und so kam es später vor, daß Kamikaze-Flieger unverrichteter Dinge von einem Einsatz wieder zurückkehrten. Im übrigen blieben die Kamikaze-Flieger schon insofern eine Sonderwaffe, als es neben ihnen weiterhin Flugzeuge für den regulären Einsatz in beträchtlicher Zahl gab. Für den Kamikaze-Einsatz ließen sich unterschiedliche Flugzeugtypen verwenden, doch waren Jäger noch am besten geeignet, da sie zwar nur eine geringe Bombenzuladung tragen konnten, aber wegen ihrer höheren Geschwindigkeit eine größere Aussicht besaßen, die feindliche Luftabwehr zu durchstoßen. Wenig Erfolg

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hatte eine Raketengleitbombe, die aus großer Höhe abgeworfen und von einem Piloten ins Ziel gelenkt wurde, denn die langsamen Flugzeuge, die sie trugen, wurden meistens vorher abgeschossen. Neben den Kamikaze-Fliegern entstanden auch andere Sonderwaffen wie der bemannte Torpedo oder das Sturmboot, die bei der Küstenverteidigung, etwa im Mutterland, verwendet werden konnten. Solche Sonderformationen, namentlich die Kamikaze-Flieger, bildeten seit dem Kampf um die Philippinen eine Säule der japanischen Verteidigungsplanung. Rund 2500 Kamikaze-Flieger kamen ums Leben, etliche tausend wurden für den Kampf um das Mutterland bereitgehalten. Die abwertende Bezeichnung als Selbstmordverbände wird den Tatsachen und dem Selbstverständnis der Beteiligten nicht gerecht. Die betreffenden Soldaten betrachteten die Opferung ihres Lebens als Beitrag zur Rettung von Kaiser und Vaterland. Diese Männer wünschten sich nicht den Tod, sondern sie nahmen ihn auf sich, um durch den äußersten Einsatz als Krieger ihrem Volk zu dienen. Eine unverbildete Betrachtungsweise pflegte dergleichen als Heldentum zu bezeichnen. Was die diplomatischen Schritte angeht, die Japan unternahm, um die bedingungslose Kapitulation zu vermeiden, so setzte Tokio lange Zeit auf die sowjetische Karte. Im September 1944, als sich der baldige Zusammenbruch Deutschlands abzeichnete, beriet die japanische Führungsspitze über die Maßnahmen, die zu ergreifen waren, falls Deutschland mit einem oder mehreren Kriegsgegnern Frieden schloß. Dabei kam man zu dem Ergebnis, es solle in jedem Fall versucht werden, wenigstens Rußlands Neutralität gegenüber Japan zu erhalten, nach Möglichkeit aber ein Bündnis zu schließen. Dies gründete sich auf die Hoffnung, die sowjetische Regierung werde einsehen, daß Spannungen zwischen Rußland und den Westmächten in Zukunft nicht ausbleiben könnten und daß es dann für die Sowjetunion vorteilhaft sei, ein nicht völlig niedergeworfenes Japan an seiner Seite zu haben. Allerdings schätzte zumindest Außenminister Shigemitsu die Erfolgsaussichten gering ein; er meinte jedoch, Tokio könne sich nicht mehr den Luxus leisten, gewöhnliche Diplomatie zu betreiben. Das Kaiserreich habe den entscheidenden Abschnitt des Kämpfens bereits hinter sich gebracht. Es sei nunmehr in einem unvernünftigen Krieg gefangen und müsse unvernünftige Diplomatie betreiben. Man müsse alle denkbaren Möglichkeiten ausschöpfen und auf einen glücklichen Zufall hoffen. Dabei war es Shigemitsu und der japanischen Regierung durchaus bewußt, daß Moskau, falls dieses zu einem Entgegenkommen überhaupt bereit war, einen Preis für sein Wohlwollen verlangen würde. Freilich erhob sich damit zugleich die Frage, ob der Preis nicht höher sein würde als das, was Japan zu gewinnen vermochte. Wenn beispielsweise Moskau für seine fortdauernde Neutralität die Abtretung der Mandschurei, der Kurilen und Süd-Sachalins forderte, so käme Japan in die Verlegenheit, diese Gebiete freiwillig preiszugeben und anschließend den Westmächten noch hilfloser ausgeliefert zu sein. Tokio vermied es deshalb, der sowjetischen Regierung ein greifbares Angebot vorzulegen, um nicht die verzweifelte Lage des Kaiserreiches offenkundig zu machen und die russische Begehrlichkeit noch mehr anzustacheln. Statt dessen sollte erst einmal ausgelotet

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werden, ob denn auf sowjetischer Seite überhaupt Neigung bestand, auf einen Handel einzugehen. Als in dieser Hinsicht keinerlei Fortschritt sichtbar wurde, überdies die Kriegslage sich weiter verschlechterte, trat Anfang April 1945 das Kabinett Koiso zurück und machte einer Regierung mit Ministerpräsident Suzuki und Außenminister Togo Platz. Das außenpolitische Programm dieser Regierung sah vor, erstens den Kriegseintritt Rußlands zu verhüten, zweitens den Kreml zu einer freundlichen Haltung gegenüber Japan zu veranlassen und drittens durch Vermittlung Moskaus einen Frieden mit den Westmächten zu schließen, der notdürftig erträglich war, zumindest die bedingungslose Kapitulation nicht enthielt. Dieser Plan war verwegen und doppelbödig zugleich. Er lief letzten Endes darauf hinaus, die Sowjetunion gegen die Westmächte auszuspielen. Wieder lag dem Plan die Überlegung zugrunde, die russische Regierung könnte es für nützlich halten, nach dem Krieg nicht allein dem machtpolitischen Gewicht der westlichen Siegerstaaten, namentlich der USA, gegenüberzutreten, sondern im ostasiatischen Vorfeld der Sowjetunion einen Puffer in Gestalt Japans zu besitzen, der dieses Vorfeld gegen den amerikanischen Einfluß abschirmte. Einen derartigen Puffer würde Rußland gewinnen, wenn es freundschaftliche Beziehungen zu Tokio aufnahm, wenn es den Frieden vermittelte und wenn es dafür sorgte, daß Japan nicht vollständig dem Willen der Westmächte unterworfen, z. B. nicht von ihnen besetzt wurde. In diesem Sinn fanden im Juni 1945 Gespräche statt zwischen einem japanischen Sonderbevollmächtigten, Hirota, und dem sowjetischen Botschafter in Japan, Malik. Dabei versicherte Hirota, seine Regierung hege den Wunsch, mit Moskau zusammenzuarbeiten und eine Einigung herbeizuführen, die in Zukunft dem Nutzen beider Länder in Asien förderlich sei. Tokio wolle den sowjetischen Wünschen Rechnung tragen, es sei zu Zugeständnissen in der Mandschurei wie in China bereit und gedenke auch die sowjetischen Wirtschaftsinteressen in Südostasien zu unterstützen. Darüber hinaus lockte Hirota mit der Aussicht auf ein Bündnis und meinte, eine gestärkte japanische Flotte werde zusammen mit der Roten Armee die machtvollste Verbindung in der Welt darstellen. Japan brauche Öl von der Sowjetunion und könne mit tropischen Erzeugnissen wie Gummi und Zinn bezahlen. Was Hirota damit andeuten wollte, ist schwer zu durchschauen; er wird schwerlich geglaubt haben, Rußland könnte an der Seite Japans in den gegenwärtigen Krieg eintreten. Wahrscheinlich wollte Hirota nur der sowjetischen Seite den Mund wäßrig machen, indem er die Vorteile aufzeigte, die Moskau gewinnen würde, wenn es Japan vor einer Unterwerfung durch die Westmächte bewahrte. Ende Juni übergab Hirota seinem Gesprächspartner Malik einen Entwurf, wonach Japan und Rußland einen langfristigen Nichtangriffsvertrag schließen sollten mit dem Ziel, sich gegenseitig bei der Erhaltung des Friedens in Ostasien zu unterstützen. Japan würde seine Eroberungen in Südostasien aufgeben, sich nach dem Ende des gegenwärtigen Krieges aus der Mandschurei zurückziehen, über alle weiteren Vorschläge Rußlands in Verhandlungen eintreten und für sowjetische Öllieferungen auf Fischereirechte in sowjetischen Gewässern verzichten. Gemeint war damit na24 Rauh, Zwetter Weltlrneg 3 Tetl

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türlich, Moskau solle auf der Grundlage solcher Bedingungen den Frieden mit den Westmächten herbeiführen, und vor allem solle es dafür sorgen, daß Japan als selbständige politische Größe erhalten blieb, die nach dem Krieg in enger Verbindung und gemeinsam mit der Sowjetunion die ostasiatischen Angelegenheiten regelte. Oder mit anderen Worten: Japan sollte nicht von den Amerikanern besetzt werden, nicht zu deren Protektorat oder Vasallenstaat herabsinken, sondern dem Kaiserreich sollte, indem Rußland es unter seine Fittiche nahm, die bedingungslose Kapitulation erspart bleiben und zugleich die Möglichkeit verschafft werden, auch nach dem Frieden mit den Westmächten sowie dem Verlust früherer Eroberungen noch eine achtbare Stellung unter den großen Mächten zu besetzen. Große Erfolgsaussichten hat man wohl in Tokio diesem Plan von vornherein nicht zugemessen; dennoch wollte man nichts unversucht Jassen. Die sowjetische Seite jedoch zeigte praktisch keinerlei Entgegenkommen, auch dann nicht, als Tokio im Juli 1945, kurz vor der Konferenz der Siegermächte in Potsdam, nach Moskau den Wunsch des Kaisers übermittelte, den Krieg bald zu beenden, verbunden mit der Bitte, einen Sonderbotschafter zu empfangen (den früheren Ministerpräsidenten Konoye), der im Auftrag des Kaisers über die sowjetische Friedensvermittlung beraten sollte. Erreicht wurde damit nichts; statt dessen trat die Sowjetunion bald darauf selbst in den Krieg ein. Stalin hielt sich also an die Abmachungen mit den Westmächten und ließ sich nicht gegen sie ausspielen. Trotzdem fand dieses Ereignis nicht mit zwingender Notwendigkeit statt; es war nicht eindeutig vorherzusehen. Daß Stalin einen unerwarteten Winkelzug tat, ließ sich nicht rundweg ausschließen. Immerhin hatte er beim Krieg in Europa jahrelang die Zerstückelung Deutschlands verlangt und nahm bei Kriegsende plötzlich davon Abstand. Auch hatte man in Amerika seit langem befürchtet, Stalin könnte, nachdem er in Europa siegreich geblieben war, eine Kehrtwendung zugunsten Japans vollziehen. Im Frühjahr und Sommer 1945 mochte es für einen außenstehenden Beobachter durchaus den Anschein haben, der Kreml könnte unter Umständen doch den japanischen Wunsch nach einer Friedensvermittlung erfüllen, wenngleich nicht unbedingt so, wie man das in Tokio erhoffte. Denkbar sind zwei Möglichkeiten. Einerseits konnte Moskau den Angriff unterlassen, statt dessen in Verhandlungen mit Japan eintreten, dem Kaiserreich alles abpressen, was Moskau haben wollte, und den Westmächten einen passenden Frieden vorschlagen. Gingen die Westmächte darauf ein, so mußten sie jedenfalls eine bedingungslose Kapitulation Japans abschreiben und in Zukunft ein enges Zusammenwirken zwischen Rußland und Japan in Ostasien hinnehmen. Lehnten die Westmächte jedoch ab, so strich die Sowjetunion ihren Gewinn in Ostasien trotzdem ein, wahrscheinlich sogar kampflos, während die Westmächte den Schaden davontrugen. Japan würde dann für die abschließende Auseinandersetzung mit den Westmächten gestärkt werden, sei es durch Truppen aus den besetzten Gebieten, sei es durch sowjetische Öl- und Materiallieferungen. Außerdem kämen die Westmächte in die psychologisch unerfreuliche Lage, den Krieg fortzusetzen, obwohl der Frieden angeboten wurde und Japan bereit war, seine Eroberungen aufzugeben.

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Vor der Weltmeinung und gegenüber den Japanern selbst stünden die Westmächte in einem schiefen Licht, während die Moskauer Regierung ihre Hände in Unschuld wusch. Andererseits gab es bis zum Sommer 1945 die zweite Denkmöglichkeit, daß die Sowjetunion zwar den Angriff eröffnete, insbesondere in die Mandschurei einmarschierte, anschließend jedoch rasch einen allgemeinen Frieden vorschlug. In diesem Fall tat der Kreml zweierlei zugleich: Er hielt nicht nur die Abmachungen mit den Westmächten ein, sondern er kam auch dem japanischen Wunsch nach, den Frieden zu vermitteln. Formal war diese Lösung sogar noch günstiger, weil die Sowjetunion als kriegführende Partei an der Seite der Westmächte mit Recht beanspruchen durfte, den allgemeinen Frieden herbeizuführen, namentlich den Frieden zwischen Japan und den Westmächten. Die Westmächte gerieten dann noch mehr in die Zwickmühle als bei der ersten Denkmöglichkeit, denn Rußland würde als einsichtiger Friedensstifter erscheinen, sie selbst indes als hartleibige Vertreter einer Gewaltpolitik. Stimmten unter diesen Umständen die Westmächte der Aufnahme von Friedensgesprächen zu, so befänden sich Rußland wie Japan in einer starken Verhandlungsposition, und Moskau vermochte, entsprechend dem Wunsch in Tokio, das Kaiserreich unter seine Fittiche zu nehmen. Stimmten die Westmächte indes nicht zu, so kam der Kreml in die glänzende Lage, völlige Handlungsfreiheit zu gewinnen. Russische Truppen konnten dann weiter vorstoßen, z. B. ganz China besetzen, um es von den Japanern zu befreien und ihm eine kommunistische Regierung zu schenken; oder Moskau konnte, falls dies günstiger erschien, Japan gegen den Vernichtungswillen der Westmächte unterstützen; oder Moskau konnte noch andere Dinge tun, etwa an der Besetzung Japans mitwirken, oder mehreres zugleich. All dies durfte bis zum Sommer 1945 keineswegs als ausgeschlossen gelten, denn gemäß den amerikanischen Planungen war die Landung auf Kiuschu im Herbst 1945 vorgesehen, die Landung auf Honschu erst im Jahr 1946, und bis dahin mochte gar viel geschehen. 16 Die Beendigung des Krieges war demnach für die Amerikaner keine leichte Aufgabe, zwar nicht militärisch, denn auf diesem Feld hatten die Japaner schon lange verspielt, sehr wohl jedoch politisch. Militärisch ging zunächst der Vormarsch weiter vonstatten. Bis zum Sommer 1945 eroberten die Truppen Mac Arthurs die Philippinen und anschließend Bomeo. Die Masse der Seestreitkräfte wurde wieder bei der 5. amerikanischen Flotte unter Admiral Spruance zusammengefaßt für den Angriff auf Iwo Jima und Okinawa. Am Unternehmen gegen Okinawa nahm auch eine britische Pazifikflotte mit einigen Trägem und Schlachtschiffen 16 Shigemitsu über bedingungslose Kapitulation nach Butow, Surrender, 24 f. Zur japanischen Verteidigungsplanung auch Ohmae, Konzeptionen, 202. Zu den Sonderverbänden auch Hoyt, Kamikazes. Zur japanischen Planung im September 1944 für den Fall deutscher Friedensbemühungen Martin, Deutschland und Japan, 291 f. Zur Haltung Shigemitsus sowie zur weiteren Politik Japans gegenüber der Sowjetunion Lensen, Neutrality, 121 ff. Butow, Surrender, 83 ff. Sigal, Finish, 26 ff. Zu Stalins Kriegszielen sowie den amerikanischen Befürchtungen über eine Wendung Stalins gegenüber Japan die früheren Kapitel.

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teil, die Churchill den Amerikanern angeboten hatte, wahrscheinlich um den britischen Beitrag zum Sieg über Japan ins rechte Licht zu rücken. Die Einnahme von lwo Jima fand im Februar und März 1945 unter ungewöhnlich harten Kämpfen an Land statt, doch war der Sieg angesichts der hohen amerikanischen Überlegenheit nie ernsthaft gefährdet. Ähnlich hart waren die Kämpfe auf Okinawa, wo die Amerikaner Anfang April landeten. Die zahlenmäßig unterlegenen japanischen Verteidiger leisteten bis zum Juni erbitterten Widerstand. Dieamerikanische Trägerflotte hielt wie üblich die gegnerische Luftwaffe nieder, vor allem auf der in der Nähe liegenden japanischen Hauptinsel Kiuschu. Nichtsdestoweniger schlug die japanische Luftwaffe zurück, auch mit zahlreichen Kamikaze-Aiegern. Sie erzielten zwar achtbare Erfolge - unter anderem wurden mehrere amerikanische Flottenträger schwer beschädigt - , doch gelang es nicht, die amerikanischen (und britischen) Seestreitkräfte entscheidend zu schwächen. Nur 26 Schiffe wurden versenkt, davon kein Kriegsschiff größer als ein Zerstörer, dazu wurden mehrere hundert Schiffe durch Luftangriffe beschädigt. Ferner verloren die Amerikaner beim dreimonatigen Kampf um Okinawa rund 760 Augzeuge, während die japanische Seite das Zehnfache einbüßte, nämlich 7800, davon 1900 Kamikaze-Opferflieger. Den Opfergang traten auch die wenigen japanischen Kriegsschiffe an, die mit dem letzten Rest an Treibstoff fahrbereit gemacht werden konnten. Am 6. April liefen das große Schlachtschiff Yamato, ein leichter Kreuzer und acht Zerstörer aus, um auf dem Weg nach Okinawa amerikanische Trägerflugzeuge auf sich zu ziehen und so einen Kamikaze-Angriff zu erleichtern. Falls die Yamato Okinawa erreichte, sollte sie dort mit ihren schweren Geschützen die amerikanischen Truppen bekämpfen. Eine Rückkehr war, schon aus Treibstoffmangel, nicht vorgesehen. Am 7. April fiel die Yamato, noch auf dem Anmarsch, dem Angriff von fast 400 amerikanischen Trägerflugzeugen zum Opfer; nur vier japanische Zerstörer kamen beschädigt zurück. Rein militärisch stellte die Niederwerfung Japans im Sommer 1945 kein schwerwiegendes Problem mehr dar. Das Kaiserreich war zu dieser Zeit schon weitgehend wehrlos. Die Strategie Tokios hatte von vornherein darauf beruht, das Land durch den Gewinn und die Verteidigung der südlichen Rohstoffgebiete überhaupt erst dauerhaft kriegsfähig zu machen. Umgekehrt hatte die amerikanische Strategie dem Zweck gedient, das japanische Mutterland von seinen überseeischen Hilfsquellen abzuschneiden, es schließlich zu blockieren, bis es so geschwächt war, daß es entweder von selbst aufgab oder daß ihm ohne übertriebene Anstrengung der Gnadenstoß versetzt werden konnte. Das Abschneiden Japans von den südostasiatischen Rohstoffgebieten wurde mit der Besetzung der Philippinen in der Hauptsache erreicht, weil es von da an den Japanern kaum noch möglich war, entsprechende Seetransporte in das Mutterland durchzubringen. Mit der Besetzung von lwo Jima und vor allem von Okinawa konnte der Blockadegürtel um Japan so eng gezogen werden, daß sich auch die Verbindungslinien Japans zum ostasiatischen Festland großenteils abschnüren ließen, wenn schon nicht durch Seestreitkräfte, so doch aus der Luft. Dieses Ergebnis hatten die Amerikaner in den klassischen For-

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men der Seestrategie erzielt: Mit Hilfe einer starken Überwasserflotte hatten sie schrittweise die japanische Seemacht zerbrochen, Stützpunkte erobert, auf diese Weise den Bereich der eigenen Seeherrschaft immer weiter ausgedehnt, bis schließlich der Bereich eigener Seeherrschaft an das feindliche Mutterland heranreichte. Dieser Seekrieg war, anders als in der Vergangenheit, zugleich ein Luftkrieg gewesen; der Gewinn der Seeherrschaft schloß den Gewinn der Luftherrschaft in sich ein. Im Sommer 1945 besaßen die Amerikaner an den pazifischen Küsten Japans die Seeherrschaft und über weiten Gebieten des Landes die Luftherrschaft. Die amerikanische Flotte konnte an den pazifischen Küsten des Landes, die amerikanische Luftwaffe konnte am Himmel über Japan buchstäblich machen, was sie wollte. Die Strategie der USA beinhaltete auch den Kampf gegen die japanische Handelsschiffahrt. In dieser Art der Kriegführung erzielten die amerikanischen VBoote, die an sich für verschiedene Zwecke verwendet wurden, ihre größten Erfolge. Im Ersten Weltkrieg war dem Deutschen Reich der unbeschränkte V-BootKrieg als Völkerrechtsverletzung vorgeworfen worden, und die USA hatten den unbeschränkten U-Boot-Krieg zum Anlaß genommen, in den Krieg einzutreten. 1930 hatten Amerika, Britannien und Japan ein Abkommen geschlossen, wonach der unbeschränkte U-Boot-Krieg nicht zulässig war. Als der pazifische Krieg im Dezember 1941 ausbrach, ordnete die amerikanische Regierung sofort den unbeschränkten U-Boot-Krieg an, d. h. das warnungslose Versenken ziviler Schiffe ohne Rücksicht auf die Besatzung oder andere Umstände. Mag es dafür einsehbare militärische Gründe gegeben haben, so waren sie sicher weniger einleuchtend als die entsprechenden Gründe Deutschlands im Ersten Weltkrieg, das damals der völkerrechtlich mindestens bedenklichen britischen Blockade ausgesetzt war. Davon abgesehen bleibt festzuhalten, daß die Amerikaner genau dasselbe taten, was man früher anderen vorgeworfen hatte und was durch verbindliche Völkerrechtsbestimmungen eigentlich ausgeschlossen werden sollte. Die japanische Seite dagegen war auf diese Art der Kriegführung nicht eingerichtet. Japanische U-Boote führten zwar gelegentlich Handelskrieg, doch anfangs wurden sie hauptsächlich gegen die feindliche Flotte eingesetzt und später zunehmend zur Versorgung belagerter Stützpunkte. Die Bindung an die letztere, ziemlich undankbare Aufgabe verhinderte große Wirkungen im Seekrieg. Andererseits vermochten die Japaner ihre Handelsschiffe in den riesigen Seeräumen nur unvollkommen zu schützen, so daß die amerikanischen U-Boote ein ergiebiges Betätigungsfeld fanden. Im Laufe des Krieges versenkten sie an die fünf Millionen BRT, zwar längst nicht soviel wie die U-Boote der europäischen Achsenmächte, die gut 14 Millionen BRT erreichten, aber genug, um den wirtschaftlichen Verkehr zwischen Japan und seinen überseeischen Gebieten schwer zu schädigen. Kriegsentscheidend wirkten die amerikanischen U-Boote dennoch nicht, denn im Jahr 1944, als sie am meisten versenkten, stieß die amerikanische Überwasserflotte ohnedies bis zu den Philippinen durch und unterband den Schiffsverkehr zu den südostasiatischen Rohstoffgebieten. Die japanische Handelstonnage umfaßte bei Kriegsbeginn

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etwa sechs Millionen BRT und hätte für die Kriegsbedürfnisse des japanischen Seereiches notdürftig ausgereicht. Rechnet man alle Verluste sowie Gewinne, vor allem durch Neubauten, mit ein, so stieg die Handelstonnage im Jahr 1942 noch leicht an, sank dann 1943 leicht, 1944 stark ab und stand Ende 1944 bei knapp vier Millionen BRT. Für eine erfolgreiche Fortsetzung des Krieges genügte dies sicher nicht, aber der Krieg war zu dieser Zeit ohnedies längst verloren. Ähnlich wie die Amerikaner früher den unbeschränkten U-Boot-Krieg abgelehnt hatten, verdammten sie ursprünglich auch den unbeschränkten oder unterschiedslosen Luftkrieg, welcher neben der Bekämpfung wirtschaftlicher Ziele aus der Luft insbesondere Terrorangriffe auf die Zivilbevölkerung beinhaltet. Als die Japaner bei Beginn des sogenannten "chinesischen Zwischenfalls" im Jahr 1937 chinesische Städte bombardierten, verurteilten das amerikanische Außenministerium und Präsident Roosevelt selbst solche Maßnahmen als verantwortungslose Barbarei, die den Grundsätzen des Rechts und der Menschlichkeit widersprächen. Noch 1939 und 1940, nachdem der Krieg in Europa ausgebrochen war, lehnten Washington und London Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung ab, wobei Roosevelt erklärte, er müsse mit Stolz daran erinnern, daß die Vereinigten Staaten immer führend gewesen seien in dem Bestreben, jenes unmenschliche Verfahren zu verbieten. Später sah man das anders. Der britische Informationsminister teilte im August 1943 mit, die Alliierten hätten die Absicht, sowohl Deutschland als auch Japan zu bombardieren, niederzubrennen und rücksichtslos zu zerstören. Dieses Vorgehen, das zumindest für die Briten in Hinblick auf Deutschland bereits gängige Übung war, betraf ab Ende 1944 ebenso Japan. Die Amerikaner begannen im November 1944 von den Marianen aus die Bombardierung der japanischen Hauptinseln mit einem neuen schweren Fernbomber, der viermotorigen Boeing B-29. Anfangs hielten sie sich an die Gewohnheit, die sie in Deutschland lange Zeit beachtet hatten, nämlich schwerpunktmäßig Ziele der Kriegswirtschaft und Rüstung zu bekämpfen. Dabei konnte zwar auch die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen werden, etwa Rüstungsarbeiter; außerdem war das Bombardement aus großer Höhe oftmals nicht so genau, daß es sich unbedingt vermeiden ließ, nahe gelegene Wohngebiete ebenfalls zu treffen. Dennoch blieb die Absicht erkennbar, keine reinen Terrorangriffe gegen die Zivilbevölkerung zu fliegen. Dies änderte sich, als im Januar 1945 General Curtis Le May das Kommando über die Bomber auf den Marianen übernahm. Le May hatte im Herbst 1944, damals Befehlshaber der schweren Bomber in China, die von den Japanern besetzte Stadt Hankau angreifen lassen, wobei erstmals neue Brandbomben mit Napalm (geliertem Benzin) verwendet wurden. Die Zerstörungswirkung war hoch, allerdings auch gegenüber der chinesischen Zivilbevölkerung. Im Frühjahr 1945 entwickelte Le May für den Angriff auf Ziele in Japan eine ähnliche Taktik, wie sie seit langem die Briten in Deutschland anwandten. Es sollten nicht mehr eng umrissene Ziele wie Fabriken und dergleichen bombardiert werden (Präzisionsangriffe), sondern ganze Städte, und zwar nachts mit Brandbomben statt mit Sprengbomben, weil nachts die Abwehr geringer war und weil es auf die Genauig-

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keit des Zielwurfs ohnehin nicht mehr ankam (Flächenangriffe). Kriegsminister Stirnsan erhob zwar mehrfach dagegen Einspruch, der aber augenscheinlich von der Luftwaffenführung übergangen wurde. Wahrscheinlich spielte es dabei eine Rolle, daß die aufgeheizte öffentliche Meinung in den USA radikale Maßnahmen befürwortete. Immerhin äußerten zu dieser Zeit rund 13% der amerikanischen Bevölkerung, also des demokratischen Souveräns, die Ansicht, man solle die Japaner am besten ganz ausrotten. So kam es am 9. I 10. März 1945 zum ersten Flächenangriff mit Brandbomben auf Tokio, der über 80000 Tote und über 40000 Verletzte bei der Zivilbevölkerung verursachte. Auf den Standpunkt, daß solche Angriffe eigentlich der japanischen Industrie gälten, vermochte man sich guten Gewissens nicht hinauszureden. In Wahrheit machte man sich den Umstand zunutze, daß in japanischen Städten Industrie und Wohngebiete oft eng verschachtelt waren und die Wohngebiete wegen ihrer Bauweise wie Zunder brannten. Also setzte man die Städte mit Brandbomben in Flammen und gab so die Zivilbevölkerung wie die Industrie gleichermaßen der Vernichtung preis. In der Folgezeit wurden die meisten japanischen Städte auf dieselbe Weise angegriffen, zuerst die großen, dann die kleineren. Ab Juli suchte Le May die Angst der Zivilbevölkerung zu steigern, indem er über den Städten Flugblätter abwerfen ließ mit der Ankündigung, sie würden demnächst bombardiert. Im übrigen handelte es sich bei den Flächenbombardements schon deswegen um Terrorangriffe, weil der militärische Nutzen auf andere Weise ebenso gut oder besser zu erzielen war. Das Lahmlegen des Seetransports, der Häfen und der inländischen Verkehrswege hätte die japanische Kriegswirtschaft schneller und einfacher zum Erliegen gebracht als das sinnlose Niederbrennen von Fabriken, die wegen Rohstoffmangels in absehbarer Zeit sowieso nicht mehr arbeiten konnten. Die amerikanische Luftwaffe warf außer Bomben auf japanische Städte auch Minen vor die wichtigsten Häfen und Durchfahrten. Dadurch wurde die japanische Kriegswirtschaft wahrscheinlich mehr geschädigt als durch die ganze Bombardiererei. 17 Am 6. und 9. August 1945 fand schließlich das Terrorbombardement seinen Höhepunkt, als zum ersten und bislang einzigen Mal Atombomben geworfen wurden, nämlich auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Warum dies geschah und ob es wirklich nötig war, beschäftigt seit jeher die Gemüter. Einer Antwort wird man näherkommen, wenn man versucht, die verschiedenen Aspekte in eine logische Ordnung zu bringen. Was fürs erste den juristischen Blickwinkel betrifft, so war der Abwurf von Atombomben rechtlich ebenso zulässig oder unzulässig wie das konventionelle Terrorbombardement Beide stellten in tatsächlicher Hinsicht nichts anderes als eine Massenschlächterei dar. Der Luftkrieg dürfte in Deutschland ungefähr eine halbe Million Todesopfer unter der Zivilbevölkerung 17 Zu den Kriegsereignissen allgemein Spector, Eagle, 478 ff. Morison, Operations. Potter I Nimitz I Rohwer, 876 (japanische Handelstonnage) und passim. Ruge, Entscheidung. Zum Luftkrieg auch Dower, War, 38 ff. Sigal, Finish, 169 ff. Zur Ausrottung der Japaner Yavenditti, People, 228. Ferner Craven I Cate, Army Air Forces. M. Sherry, Air Power.

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gekostet haben, in Japan ist nach glaubwürdigen Schätzungen mit rund einer Million toter Zivilisten zu rechnen. Die Zahlen für Japan werden häufig viel niedriger angenommen, was jedoch schwerlich die Wahrheit treffen kann. Insgesamt wurden rund 60 japanische Städte bombardiert, wovon allein der konventionelle Angriff auf Tokio im März über 80000 Tote verursachte. Die Angriffe auf Hiroshima und Nagasaki kosteten zusammen wahrscheinlich um die 200000 Tote, in Hiroshima über 100000, in Nagasaki weniger. Daraus lassen sich zwei Schlüsse ziehen. Einerseits war die Wirkung eines konventionellen Angriffs nicht viel geringer als diejenige eines Atombombenangriffs; der Unterschied bestand hauptsächlich darin, daß man für letzteren nur eine Bombe benötigte. Andererseits erzeugten nicht erst die Atombomben gewaltige Verluste und gewaltigen Schrecken, vielmehr waren die Verluste durch alle konventionellen Flächenangriffe zusammen um ein Mehrfaches höher als diejenigen durch Atombombenangriffe. Der Abwurf von Atombomben stellte lediglich eine gesteigerte Form des Terrorbombardements dar, die insofern einen Schock erzeugte, als nunmehr ein einziges Flugzeug mit einer einzigen Bombe auf einen Schlag eine ganze Stadt ausradieren konnte (was freilich nur unter den besonderen Bedingungen des Jahres 1945 galt, denn hätte Japan noch eine leistungsfähige Abwehr durch Jäger besessen, so wären die Atombomber gar nicht so weit gekommen). Juristisch bewegte sich das Terrorbombardement gewissermaßen in einem rechtsfreien Raum, denn Flächenangriffe waren nirgendwo ausdrücklich verboten. Aus dem Kriegsvölkerrecht ließ sich zwar der Grundsatz ableiten, daß die Zivilbevölkerung unverletztlieh sei. Dem stand jedoch entgegen, daß Angriffe auf Städte zulässig waren, sofern diese irgendwelche kriegswichtigen Anlagen enthielten und verteidigt wurden, z. B. durch Flak. Bei deutschen und japanischen Städten traf das in der Regel zu. Wenn man demnach Städte durch ein konventionelles Flächenbombardement verwüsten durfte, dann durfte man sie ebenso durch Atombomben zerstören. Für die betroffene Zivilbevölkerung machte es ja auch keinen großen Unterschied, ob sie durch Brandbomben oder Atombomben Leben, Gesundheit und Besitztum verlor. Nichtsdestoweniger bleibt ein Unbehagen; es scheint der Vernunft und dem sittlichen Empfinden zu widersprechen, daß Wehrlose und Unschuldige niedergemetzelt werden dürfen, nur weil nirgendwo steht, daß es verboten ist. Augenscheinlich wurde in dieser Angelegenheit häufig ein Rechtfertigungszwang empfunden, wobei die Rechtfertigung gern propagandistische Züge annahm. Beliebt war immer der Vorwand, es handle sich um Vergeltung, im Falle Japans etwa um Vergeltung für die Greuel japanischer Soldaten in China, um Vergeltung für den Angriff auf Pearl Harbor, oder überhaupt um Vergeltung dafür, daß die Achsenmächte den Krieg angefangen hätten. Sehr überzeugend ist das freilich nicht; man sieht nicht recht ein, warum Frauen, Kinder und andere Unbeteiligte in japanischen Städten für das Handeln mancher Soldaten und Politiker hätten büßen sollen. In der Tat dürften volkstümliche Rachegelüste für die Staatsmänner kaum eine Rolle gespielt haben, zumindest nicht in Amerika. Es muß irgendwelche rationalen Beweggründe gegeben haben.

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Zweitens: Es scheint erwiesen zu sein, daß der Einsatz von Atombomben aus rein militärischen Gründen nicht notwendig war. Eine militärische Maßnahme gilt als notwendig, wenn sie zum Erreichen eines bestimmten Zwecks angebracht oder unumgänglich ist. Das Ziel, welches angestrebt wurde, war strategischer Natur (es handelte sich ja auch um strategisches Bombardement), nämlich die Kapitulation Japans. Dafür- oder genauer: dafür allein- waren die Atombomben nicht erforderlich. Admiral Leahy, Vorsitzender des Gremiums der Vereinigten Stabschefs und in dieser Eigenschaft engster militärischer Berater von Präsident Roosevelt und seinem Nachfolger Truman, stellte nach dem Krieg fest: "Ich bin der Ansicht, daß der Einsatz dieser grausamen Waffe in Hiroshima und Nagasaki keine wesentliche Hilfe in unserem Krieg gegen Japan war. Die Japaner waren bereits geschlagen und zur Kapitulation bereit. .. Ich selbst hatte das Gefühl, wir hätten uns dadurch, daß wir die Atombombe als erste einsetzten, auf die moralische Ebene von Barbaren begeben. Ich habe nicht gelernt, auf diese Art Krieg zu führen, und man kann Kriege nicht gewinnen, indem man Frauen und Kinder vernichtet." Eine Anzahl höchster Offiziere äußerte sich ähnlich, und das Bewußtsein war offenbar allgemein verbreitet, daß Japan auch ohne die Atombomben kapituliert hätte. Eine Expertenkommission zur Untersuchung des strategischen Luftkriegs (US Strategie Bornhing Survey) kam kurz nach Kriegsende zu dem Ergebnis, Japan hätte sicher vor dem Ende des Jahres 1945 und mit größter Wahrscheinlichkeit vor November 1945 kapituliert, und zwar auch dann, wenn die Atombomben nicht gefallen wären, wenn Rußland nicht in den Krieg eingetreten und wenn keine Landung auf den japanischen Hauptinseln vorbereitet worden wäre. Das darf man wohl unbesehen als richtig annehmen, trotzdem werden dadurch mehr neue Fragen aufgeworfen als offene Fragen beantwortet. Falls es möglich war, die japanische Kapitulation abzuwarten, warum wurde sie dann nicht einfach abgewartet? Hatten die verantwortlichen Entscheidungsträger auf amerikanischer Seite Grund zur Eile? Wenn die Verantwortlichen in den USA wußten, daß die Atombomben militärisch unnötig waren, warum ließen sie die Bomben trotzdem abwerfen? Und weiter: Der Einsatz von Atombomben stellte nichts anderes dar als den Höhepunkt des Terrorbombardements. Wenn die Atombomben militärisch überflüssig waren, gilt dann dasselbe nicht auch für das konventionelle Terrorbombardement? Die letztere Frage wird man uneingeschränkt bejahen dürfen. Hohe Marineoffiziere, darunter der Oberbefehlshaber Admiral King, vertraten den seestrategisch schlüssigen Standpunkt, Japan lasse sich allein durch die Blockade zum Aufgeben zwingen. Das Niederbrennen japanischer Städte war dafür nicht erforderlich, und die Atombomben waren es ebensowenig. Seit der Eroberung von lwo Jima und Okinawa vermochte man den Blockadegürtel so eng zu ziehen, daß Japan über kurz oder lang erwürgt wurde. Die amerikanische Flotte beschoß die Küste; die Trägerluftwaffe und die landgestützte Luftwaffe erreichten jedes beliebige Ziel; es war möglich, sämtliche Verkehrswege zu unterbrechen, durch Minen, Bomben oder auf andere Weise, so daß die Industrie aus Mangel an Rohstoffen von selbst zusammenbrach und die Bevölkerung ausgehungert wurde. Im Juli 1945, als kaum

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noch Städte übrig waren, die man hätte bombardieren können, wurde der Angriff auf zivile Ziele hintangestellt zugunsten der Bombardierung von Eisenbahnlinien, Flugzeugfabriken und Munitionslagern. Zur Vorbereitung einer Invasion mochte dies nützlich sein; aber wenn man den Aufwand, der vorher für das Zerstören von Städten betrieben wurde, beizeiten auf derartige Ziele gerichtet hätte, namentlich gegen die Anlagen des Land- und Seeverkehrs, so hätte die Erzeugung der Industrie noch schneller und nachhaltiger unterbunden und die Kriegsfähigkeit des Landes noch stärker ausgehöhlt werden können. Als die amerikanische Trägerluftwaffe im Juli die Eisenbahnfähren zwischen Hokkaido und Honschu lahmlegte, wurde damit auch der Kohletransport abgebrochen, was wesentliche Teile der Industrie auf bequemere Weise ausschaltete als das Niederbrennen von Städten und Fabriken. Die Japaner begannen damit, Flugzeuge aus Holz, dazu Treibstoff aus den Wurzeln von Nadelbäumen herzustellen, was jedenfalls zeigt, daß sie keine anderen Rohstoffe mehr hatten. Im Juli wurden die Rationen für Grundnahrungsmittel um 10% gekürzt; aus Mangel an Körnerfrüchten sollten Eicheln zu Reisersatz verarbeitet werden. Bei einer Blockierung der Verkehrswege hätte die städtische Bevölkerung nicht mehr ausreichend mit Lebensmitteln versorgt werden können und wäre bald kriegsmüde oder kriegsunfähig geworden, ohne daß man sie vorher dem Tod überantwortete. Drittens: Wenn es für das Terrorbombardement, namentlich die Atombomben, keine zwingenden militärischen Gründe gab, bleibt nur der Ausweg, entweder ein Fehlverhalten irgendwelcher Art anzunehmen oder nach wohlerwogenen politischen Beweggründen Ausschau zu halten. Letztere lassen sich finden. Politischer Natur war jedenfalls die Entscheidung, an der Forderung nach bedingungsloser Kapitulation festzuhalten, denn diese Form der Kriegsbeendigung war alles andere als selbstverständlich. In Tokio wußte man seit langem, daß das Kaiserreich besiegt war, und hätte mit Freuden einem Verhandlungsfrieden zugestimmt, der es Japan wenigstens erlaubte, das Gesicht zu wahren. Wie die Angebote an Moskau zeigen, richtete man sich in Tokio darauf ein, nicht bloß Südostasien preiszugeben, sondern auch die Mandschurei, was mittelbar beinhaltete, daß man ebenso bereit war, sich aus China zurückzuziehen. Korea und Formosa hätte Japan wohl gern behalten, aber es ist keineswegs ausgeschlossen, daß Tokio sogar darauf verzichtete, falls umgekehrt Amerika die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation fallenließ. Die Regierung in Washington freilich dachte gar nicht daran, in irgendwelche Verhandlungen einzutreten, sondern sie wollte die bedingungslose Kapitulation mit Gewalt durchsetzen, notfalls mit den äußersten militärischen Mitteln. Schon das konventionelle Terrorbombardement ist offenbar von daher zu erklären; jedenfalls hat General Le May immer den Standpunkt bezogen, er wolle mit dem strategischen Bombardement Japan zur Kapitulation zwingen, was er schwerlich ohne das Einverständnis der Luftwaffenführung und der Regierung tun konnte. Wenn die USA Korea und Formosa bei Japan belassen hätten, gegebenenfalls mit der Auflage der Selbstverwaltung, wäre der Friede schon im Frühjahr 1945 erreichbar gewesen, oder sogar noch eher. Wenn aber Japan auf das Gebiet seiner Heimatin-

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seln beschränkt werden sollte, so hätte sich mit großer Wahrscheinlichkeit der Krieg im Sommer 1945 beenden lassen - sofern Amerika auf die bedingungslose Kapitulation verzichtete. Warum geschah es nicht? Die Wurzeln für das Ziel: bedingungslose Kapitulation liegen in der AtlantikCharta. Gemäß diesem Weltfriedensprogramm hatten einerseits eine allgemeine Entwaffnung und andererseits eine Festlegung von Staatsgrenzen entsprechend dem Siedlungsgebiet stattfinden sollen. Im Zuge der militärischen und politischen Kriegsereignisse war dieses Programm immer mehr aufgeweicht und durchlöchert worden; von dem Gedanken der allgemeinen Entwaffnung war schließlich nur noch die Entwaffnung der sogenannten Aggressorstaaten übriggeblieben, also auch Japans. Der Gedanke, Staatsgrenzen und Siedlungsgebiet nach dem Willen der betroffenen Völker in Übereinstimmung zu bringen, war für Deutschland mittlerweile hinfällig geworden; für Japan besagte der Gedanke eine Beschränkung auf den Raum der Heimatinseln. In diesem Sinn legte die Erklärung von Kairo im November 1943 fest, Japan solle alle früheren Eroberungen und Erwerbungen verlieren, in China, im Pazifik und sonstwo, also auf das geschlossene japanische Siedlungsgebiet im Mutterland beschränkt werden. Die militärische Besetzung des japanischen Heimatlandes folgte aus diesem Programm nicht unbedingt, sie würde aber voraussichtlich nicht ausbleiben. Wenn die bedingungslose Kapitulation anders nicht erzwungen werden konnte, dann mußte Japan erobert werden; kam die bedingungslose Kapitulation ohne Eroberung zustande (z. B. durch Atombomben), dann empfahl es sich trotzdem, Japan zu besetzen. Denn Japan sollte auch entwaffnet werden, und dies ließ sich am sichersten gewährleisten, wenn der Sieger im Land stand. Es kam hinzu, daß nach der ursprünglichen Absicht der Atlantik-Charta die alte Machtpolitik hatte beseitigt werden sollen, d. h. das freie Spiel der Macht zwischen einer Anzahl von souveränen Staaten, die selbst und allein über Krieg und Frieden entschieden sowie Politik zum Zweck von Machterhalt oder Machtsteigerung betrieben. An die Stelle der alten Macht- und Gleichgewichtspolitik hatte eine organisierte Völkergemeinschaft treten sollen, letztlich ein Weltstaat, der das freie Recht zu Krieg und Frieden aufhob sowie auf der Grundlage eines erzwingbaren Völkerrechts den allgemeinen Frieden wahrte. Diese Idee war ebenfalls verwässert worden; zwar sollten in Gestalt der Vereinten Nationen Einrichtungen für das Zusammenwirken aller Länder geschaffen werden, aber in dieser Konstruktion war als tragende Säule wieder ein beträchtlicher Rest an alter Macht- und Gleichgewichtspolitik enthalten, indem die Weltpolizisten, eine Art von Weltdirektorium, untereinander ein Gleichgewicht halten mußten. Von der Sowjetunion war schon immer angenommen worden und bestätigte sich gegen Kriegsende mehr und mehr, daß sie einen günstigen Verlauf des Krieges zum Anlaß nehmen würde, ihre eigene Macht zu steigern, indem sie Territorialgewinne machte und andere Länder unter ihre Gewalt oder unter ihren Einfluß brachte. Aus diesem Spiel der Macht sollte Japan herausgenommen werden, es sollte nicht Schaukelpolitik zwischen den Weltpolizisten betreiben können, insbesondere nicht zwischen Rußland und Amerika, und schon gar nicht sollte es in den russischen Einflußbereich fallen. Solche

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III. Das Ende

Einflußbereiche waren tatsächlich im Entstehen, so daß für Japan nichts anderes übrig blieb, als es dem amerikanischen Einflußbereich zuzuweisen. Dies stellte einen weiteren Grund dar, Japan zu besetzen, und zwar durch die Westmächte, hauptsächlich Amerika, aber ohne Mitwirkung Rußlands. Schließlich waren die bedingungslose Kapitulation und die Besetzung Japans auch erforderlich, weil zur propagandistischen Überhöhung der neuen Friedensregelung Strafverfahren gegen wirkliche oder angebliche Kriegsverbrecher geplant wurden, deren man wahrscheinlich nur bei einer Besetzung des Landes habhaft wurde. Außerdem war vorgesehen, in Japan die Demokratie einzuführen, was sich bei einer Besetzung des Landes leichter erzwingen und überwachen ließ. Was mit dem Durchsetzen der Demokratie bezweckt wurde, ist schwer zu deuten, zumal "Demokratie" einen politischen Kampfbegriff darstellt, der so verschwommen ist, daß sich eine befriedigende wissenschaftliche Definition nicht geben läßt. Im übrigen stand das Eingreifen in die inneren Verhältnisse Japans eigentlich im Widerspruch zur Atlantik-Charta, denn diese hatte ausdrücklich jedem Volk das Recht zugestanden, seine Regierungsform selbst zu wählen. Es wiederholten sich nun bestimmte Vorgänge des Ersten Weltkriegs. Die amerikanische Regierung hatte im Jahr 1917 bewußt und mit Absicht das Propagandaschlagwort vom Kampf um die Demokratie in die Welt gesetzt und hatte es für nützlich gehalten, wütende Angriffe gegen den deutschen Kaiser zu richten, gegen den angeblichen deutschen Militarismus sowie gegen die deutsche Verfassung insgesamt (die freilich, was die Rechtsstaatlichkeit betrifft, einen Vergleich mit der amerikanischen Verfassung wohl aushalten konnte). In Wahrheit hatte es sich um ein Ablenkungsmanöver gehandelt mit dem Ziel, einen Sündenbock ausfindig zu machen und den besiegten Kriegsgegner Deutschland leichter in eine neue Friedensordnung einzugliedern, welche freilich das nicht enthielt, was die amerikanische Regierung ursprünglich angestrebt hatte, und vor diesem Hintergrund als mißglückt zu gelten hatte. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs trat ähnliches auf. Die Atlantik-Charta hatte nur die Nazi-Tyrannei vernichten wollen, während es nunmehr hieß, zur Erhaltung des Weltfriedens müßten in Deutschland und Japan der Militarismus ausgerottet sowie die Demokratie eingeführt werden. In Wahrheit war etwas ganz anderes gemeint. Die Vorstellung der Atlantik-Charta, eine einheitliche, befriedete Welt unter amerikanischer Führung zu schaffen, war gescheitert. Statt dessen durfte man sich nun darauf einrichten, daß sich die Sieger des Zweiten Weltkriegs, namentlich die USA und Sowjetrußland, nach dem Krieg in einem machtpolitischen Spannungsverhältnis, wenn nicht gar im offenen Gegensatz gegenübertreten würden. Um die Sowjetunion nicht ein Übergewicht gewinnen zu lassen, mußte dafür gesorgt werden, daß weder Deutschland noch Japan in den Einflußbereich Rußlands gerieten oder auf andere Weise ihr Potential mit dem sowjetischen vereinigten. Das Gespenst des eurasischen Blocks, das seit der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg umgegangen und seitdem immer wieder aufgetreten war, mußte gebannt werden- am besten so, daß ganz Deutschland und Japan in den amerikanischen bzw. westlichen Einflußbereich einbezogen wurden. Bei

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Deutschland war das Gelingen ungewiß, bei Japan ließ sich jenes sehr wohl verwirklichen, zunächst durch die Besetzung und dann durch geeignete weitere Maßnahmen. Die Anhindung einzelner Länder an eine Siegermacht ließ sich verstärken, vielleicht auch dauerhaft machen, indem man die Lebensformen und die Gesellschaftsordnung des Siegers auf das abhängige Land übertrug: im sowjetischen Einflußbereich den Sozialismus, im amerikanischen bzw. westlichen die "Demokratie". Sowohl Deutschland als auch Japan wären imstande gewesen, sich nach der Niederlage aus eigenen Kräften eine angemessene Verfassung zu geben, und so hatte es die Atlantik-Charta ursprünglich ja auch vorgesehen. Aber das zählte jetzt nicht mehr, sondern den besiegten Feindstaaten sollten diejenigen Segnungen der Zivilisation verabreicht werden, die sie geneigt und geeignet machten, sich in Zukunft an die politische Bevormundung zu gewöhnen. Und wie im Ersten Weltkrieg trat auch jetzt wieder die Suche nach einem Sündenbock auf - weniger im Hinblick auf Deutschland, denn Hitler samt seiner Gefolgschaft bildeten eine derart unerträgliche Erscheinung, daß sie in jedem Fall unschädlich gemacht werden mußten, als vielmehr im Hinblick auf Japan, denn dessen Verfassung, namentlich die Institution des Kaisertums, wurde nunmehr in Verbindung mit dem Militarismus gebracht und zur Zielscheibe des propagandistischen Abscheus erhoben. Im Sommer 1945 vertraten 33% der amerikanischen Bevölkerung die Ansicht, man solle den Kaiser umbringen, und daß das Kaisertum in der alten Form nicht weiterbestehen dürfe, stand praktisch für jedermann fest. Von der bedingungslosen Kapitulation, einschließlich der Besetzung Japans, konnte und wollte die amerikanische Regierung also nicht abgehen. Dies allein erklärt freilich noch nicht alles. Die Feststellung, daß Japan wahrscheinlich oder sicher noch im Laufe des Jahres 1945 kapituliert hätte, beschreibt lediglich den militärischen Zustand zwischen dem Kaiserreich und den Westmächten. Für die politischen Entscheidungsträger in Washington war es jedoch von ganz entscheidender Bedeutung, nicht allein den Sieg über Japan zu erringen, sondern den Sieg über Japan so zu erringen, daß die angestrebte neue Weltfriedensordnung, die gegenüber dem ursprünglichen Programm ohnedies schon reichlich verwässert war, nicht vollständig zuschanden gemacht wurde. Das schloß die Regelung aller Verhältnisse in Ostasien in sich, und zwar die Regelung im Sinn amerikanischer Vorstellungen. Vor allem schloß es die Regelung der Verhältnisse im Dreieck zwischen den USA, der Sowjetunion und China in sich, oder, wenn man den Rahmen noch weiter steckt, im Viereck zwischen den USA, Sowjetrußland, China und Japan. Im Mai 1945 gab Stalin den Wunsch zu erkennen, Rußland an der Besetzung Japans zu beteiligen. Wären die USA darauf eingegangen, so hätten sich in Japan voraussichtlich all die Unzuträglichkeiten wiederholt, die in Deutschland vorlagen, bis hin zur Gefahr einer Teilung Japans und der Errichtung eines sowjetischen Marionettenstaates. Ließ sich dies schon in Deutschland nicht verhindern, so sollte es wenigstens in Japan verhindert werden. Was für Japan galt, das galt in ähnlicher Weise für andere Länder, namentlich für China und Korea. Wie vorhin ausgeführt, suchte Tokio im Sommer 1945 durch

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sowjetische Vermittlung zum Frieden zu gelangen und dabei zugleich Rußland gegen die Westmächte auszuspielen. Augenscheinlich wurde eine solche Möglichkeit in Washington mit Sorge betrachtet, denn der neue Präsident Truman suchte sich bis zur Konferenz von Potsdam immer wieder zu vergewissern, ob Stalin denn nun wirklich in den Krieg eintreten würde. Aber selbst wenn Stalin dies tat, waren noch längst nicht alle Sorgen ausgeräumt. Stalin mochte in der Mandschurei angreifen und anschließend den allgemeinen Frieden vorschlagen. Oder Stalin mochte, wenn weder Friedensverhandlungen zustande kamen noch Japan kapitulierte, die Gelegenheit wahrnehmen, seine Truppen weit nach China und Korea hinein vorstoßen zu lassen. Amerika stand dann vor der Wahl, entweder mitanzusehen, wie Rußland sowohl China als auch Korea seinem Machtbereich einverleibte und dort kommunistische Staaten errichtete, was man in Washington ganz gewiß nicht wünschte, oder äußerstenfalls sogar der Sowjetunion den Krieg zu erklären, was man genausowenig wünschte. Der neue amerikanische Außenminister Byrnes hätte es deshalb im Juli 1945 gern gesehen, wenn die Sowjetunion überhaupt nicht in den Krieg gegen Japan eingetreten wäre. In Jalta war vereinbart worden, daß Rußland Häfen in der Mandschurei sowie die Verwaltung der mandschurischen Eisenbahnen erhalten sollte, allerdings gemeinsam mit (National-) China, dem ansonsten die Souveränität in der Mandschurei zustand. Da Tschiang Kai-schek natürlich höchst ungern die Russen auf chinesischem Gebiet sehen würde, mußte er von der amerikanischen Regierung dahin gebracht werden, dem Handel zuzustimmen. Im Sommer 1945 fanden wegen dieser Angelegenheit Verhandlungen zwischen China und Rußland statt. Da Stalin erst nach Abschluß der Verhandlungen in den Krieg eintreten wollte, suchte Außenminister Byrnes im Juli die Verhandlungen zu verschleppen, damit Rußland nicht so bald gegen Japan (bzw. die Mandschurei) losschlagen konnte. Es kam der amerikanischen Regierung also darauf an, der Sowjetunion möglichst wenig in die Hand fallen zu lassen: Japan gar nicht, und von China sowie Korea am liebsten auch nichts. Oder mit anderen Worten: Die Sowjetunion sollte nicht regelrecht vor den Kopf gestoßen oder herausgefordert werden, weil man sie für ein friedliches Nebeneinander der Weltpolizisten in den Vereinten Nationen noch brauchte, aber das sowjetische Ausdehnungsstreben sollte eingedämmt werden. Wie ließ sich dies bewerkstelligen? Allein um die japanische Kapitulation zu erzwingen, waren weder das konventionelle Terrorbombardement noch die Atombomben vonnöten und wahrscheinlich noch nicht einmal die Landungen auf den japanischen Heimatinseln. Der Würgegriff der See- und Luftblockade hätte ausgereicht, denn unter dem militärischen Blickwinkel konnte man das Nachgeben Japans abwarten - sofern man genug Zeit zum Abwarten hatte. Diese Zeit hatte die amerikanische Regierung aus politischen Gründen nicht. Falls die USA die Wirkung der Blockade oder der Invasion abwarteten, gaben sie Tokio eine Galgenfrist für weitere diplomatische Bemühungen um die Sowjetunion, und vor allem gaben sie Stalin die Gelegenheit, in ganz Ostasien Unruhe zu stiften oder große Teile Ostasiens einzusacken. Derartiges ließ sich nur dann verhindern, wenn das unverrück-

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bar festgehaltene Ziel, die bedingungslose Kapitulation Japans, so schnell wie möglich erreicht wurde. Betrachtet man das amerikanische Verhalten unter diesem Blickwinkel, so klären sich alle scheinbaren Widerspruche. Es ist schon öfters vermutet worden, daß sich der Abwurf der Atombomben mittelbar zugleich gegen die Sowjetunion richtete, und das trifft zu. Möglicherweise kam dabei auch die Absicht zur Geltung, der sowjetischen Regierung vor Augen zu führen, über welch fürchterliche Machtmittel die USA nunmehr verfügten, sie dadurch zu beeindrukken und bei anfallenden Streitigkeiten fügsamer zu machen, etwa in Europa. Vor allem aber verfolgte die amerikanische Regierung den Zweck, Japan schnell zur bedingungslosen Kapitulation zu zwingen, bevor die Sowjetunion in Ostasien einen großangelegten Beutezug unternehmen konnte - einen ähnlich großangelegten wie in Europa. Um einerseits Japan zur bedingungslosen Kapitulation nach amerikanischem Willen zu zwingen, und um andererseits Japan schnell zu dieser Form der Unterwerfung zu zwingen, setzte man das Terrorbombardement ins Werk, zunächst das konventionelle, dann dasjenige mit Atombomben. Warum mußte eine Million unschuldiger Zivilisten in japanischen Städten sterben, darunter Frauen und Kinder? Gewiß spielte es eine Rolle, daß die Amerikaner fähig und willens waren, ihre politischen Absichten riicksichtslos durchzusetzen. Aber das ist nicht der eigentliche Grund. Präsident Roosevelt hatte in der AtlantikCharta das Programm für eine befriedete Welt und für die allgemeine Wohlfahrt entrollt, letztlich das Programm für einen Weltstaat Er hatte die alte Macht- und Gleichgewichtspolitik ein für allemal abschaffen wollen, indem er ihr durch die allgemeine Entwaffnung die Grundlage entzog. Dieses Programm war gescheitert; am Ende erhob die alte Machtpolitik wieder genauso ihr wildes Antlitz wie vorher. Wieder wurde um Machtgewinn und Machterhalt gekämpft, wieder wurde um die Errichtung von Einflußzonen gestritten und darum, welche Völker unter wessen Abhängigkeit kommen oder nicht kommen sollten, wieder wurde, wie Roosevelt früher gesagt hatte, in den Herzen der Menschen die Furcht vor Gewalt und Unterwerfung erzeugt. Alle Völker der Welt hätten frei werden sollen: frei in ihrem Siedlungsgebiet, frei in ihrer Kultur und ihrer Geschichte, frei in der Gestaltung ihres Wohlergehens, frei im friedlichen Wettstreit um die Güter des Lebens wie des Geistes. Und jetzt? Jetzt wurden japanische Städte ausradiert, damit die Sowjetunion in Asien nicht ähnliches tun konnte wie in Europa, nämlich einen halben Kontinent unter bolschewistische Gewaltherrschaft bringen. So zeigt sich die wahre Geschichte des Zweiten Weltkriegs, ebenso wie diejenige des Ersten: die Geschichte des tragischen Scheiteros einer großen Idee. Am Ende des Zweiten Weltkriegs standen die Atombomben, abgeworfen auf ein fast wehrloses Land - weil jene große Idee, die Idee des ewigen Friedens, die Idee der organisierten Völkergemeinschaft, seit dem Ersten Weltkrieg nicht wirklich zum Zug gekommen war, weil jene große Idee zwar die Vernunft auf ihrer Seite hat, aber Vernunft augenscheinlich nicht dasjenige ist, was sich mühelos in allen Köpfen ausbreitet. Bereits im September 1944 waren Roosevelt und Churchill übereingekommen, daß eine Atombombe, wenn sie schließlich verfügbar sei, vielleicht gegen Japan

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III. Das Ende

eingesetzt werden könnte, allerdings erst nach reiflicher Überlegung, wobei die Japaner gewarnt werden sollten, das Bombardement werde fortgesetzt, bis Japan kapituliere. Innerhalb der amerikanischen Regierung dürfte die Entscheidung, die neue Waffe zu benützen, im Frühjahr 1945 gefallen sein, als Vizepräsident Truman nach dem Tod Präsident Roosevelts im April dessen Nachfolge antrat, beraten von James F. Byrnes, vorher Direktor des Amtes für Kriegsmobilisierung, der Anfang Juli Außenminister wurde. In den USA wurden zu dieser Zeit zwei Typen von Atombomben entwickelt, wovon einer bis etwa August einsatzreif sein konnte, während für den anderen vorher noch eine Versuchszündung erforderlich war. Diese Versuchszündung wollte man auf amerikanischer Seite abwarten und richtete das eigene politische Verhalten danach ein, vermutlich um sicherzugehen, daß mindestens einer der beiden Typen funktionierte. Bis Anfang August war von jedem Typ je eine Bombe einsatzbereit, die beide abgeworfen werden sollten. Warum beide benützt wurden, ist nicht ganz klar; vielleicht sollte die Schockwirkung erhöht und der Eindruck erweckt werden, das Bombardement könne beliebig fortgesetzt werden (in Wahrheit wurde erst Ende August eine dritte Bombe fertig, weitere konnten in den nächsten Monaten folgen). Als sich im Juli Truman, Stalin und Churchill mit ihrem Gefolge zur Konferenz von Potsdam trafen, erstellten die Vertreter der beiden Westmächte eine Erklärung an die Adresse Japans, in welcher dieses zur bedingungslosen Kapitulation aufgefordert wurde. Nachdem auch Tschiang Kai-schek zugestimmt hatte, erging die Erklärung am 26. Juli als gemeinsame Verlautbarung der USA, Britanniens und Nationalchinas. An der Erklärung ist später bemängelt worden, daß sie dem japanischen Kaiser oder dem Kaiserhaus keine Zusicherung für ihre Erhaltung gab, denn dies, so heißt es, hätte den Entschluß zur Kapitulation beschleunigt oder erleichtert. Rechtzeitig abgegeben, hätte eine solche Zusicherung vielleicht den Einsatz der Atombomben erübrigt. Tatsächlich wurde derartiges in der amerikanischen Regierung erwogen, aber in dieser Form nicht verwirklicht. Das mag ein Fehler gewesen sein oder auch nicht; für die Entscheidungsträger, d. h. Truman und Byrnes, waren offenbar andere Erwägungen maßgeblich. In der genannten Erklärung hieß es, die Besatzungstruppen der Alliierten würden abziehen, nachdem der Militarismus beseitigt sowie die Demokratie errichtet seien, wozu gehöre, daß in Übereinstimmung mit dem frei zum Ausdruck gebrachten japanischen Volkswillen eine verantwortliche, friedliebende Regierung gebildet sei. Das ließ die Möglichkeit offen, daß der Kaiser oder das Kaiserhaus erhalten blieben, sofern dies dem Volkswillen entsprach. In logischer Hinsicht stellte es sogar einen Fortschritt gegenüber einem früheren Entwurf dar, denn dort hatte es geheißen, daß auch eine konstitutionelle Monarchie unter der gegenwärtigen Dynastie erlaubt sei. Verfassungsrechtlich war dies irreführend, denn gemäß der noch gültigen Verfassung besaß Japan bereits eine konstitutionelle Monarchie. Gemeint war mit jener Formel aber eine demokratisierte, d. h. eine parlamentarische Monarchie. Außerdem ließ sich aus jener Formel der Schluß ableiten, der gegenwärtige Kaiser, ein konstitutioneller Monarch, solle verschwinden, um einem anderen Monarchen, einem parlamen-

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tarischen, Platz zu machen. Mit ähnlich unklaren Propagandafloskeln hatte man bereits im Ersten Weltkrieg auf den deutschen Kaiser eingedroschen und damit die Verhältnisse nur verwirrt. Truman war deshalb möglicherweise gut beraten, derartiges nicht zu wiederholen. Die eigentlichen Probleme lagen an anderer Stelle. Die Erklärung an Tokio vom 26. Juli erging im Namen der westlichen Siegermächte und Nationalchinas. Daß die Sowjetunion daran nicht beteiligt war, ließ sich mit formalen Gründen erklären, weil Rußland noch nicht im Krieg stand. Auffällig ist jedoch zweierlei. Unter der Voraussetzung, daß Moskau demnächst am Sieg über Japan mitwirken sollte und mitwirken wollte, wäre es natürlich gewesen, Stalin zum Inhalt der Erklärung wenigstens zu befragen. Wenn man bedenkt, daß die Atlantik-Charta, eine in mancher Hinsicht ähnliche Erklärung, lange vor dem amerikanischen Kriegseintritt erging, war auch eine förmliche Teilhabe Stalins durchaus vorstellbar. Stalin wurde jedoch nicht einmal befragt, sondern nur kurz vorher von der Tatsache in Kenntnis gesetzt. Das darf man wohl als gezielte Unfreundlichkeit betrachten, durch welche ausgedrückt wurde, daß die amerikanische Regierung die Sowjetunion am Sieg über Japan am liebsten überhaupt nicht beteiligen würde und ihr jedenfalls keinen Einfluß auf das künftige Geschick Japans zugestehen wollte. Ebenso auffällig ist das Verhalten der sowjetischen Seite. Etwa gleichzeitig mit der Abgabe der Erklärung erhielt Außenminister Molotow eine Kopie davon. Er versuchte daraufhin sofort, die Abgabe zu verzögern (was freilich nicht gelang). Das läßt zwei Deutungen zu: Entweder war die sowjetische Seite einfach verärgert, weil sie bei der Erklärung übergangen worden war. Oder Moskau versuchte Zeit zu gewinnen, die japanische Kapitulation zu verzögern, um in der Zwischenzeit möglichst große Vorteile in Ostasien zu ergattern. Für letzteres sprechen zwei Umstände. Einerseits war Mitte Juli die Testzündung einer Atombombe in den USA erfolgreich verlaufen, was Truman zum Anlaß nahm, Stalin am 24. Juli mitzuteilen, daß die USA nunmehr eine neue Waffe von ungewöhnlicher Zerstörungskraft besäßen. Stalin, von der Spionage unterrichtet, heuchelte Gleichgültigkeit, doch wird berichtet, daß er anschließend im vertrauten Kreis tobte. Warum dieser Wutausbruch? Er scheint am ehesten verständlich zu sein, wenn man annimmt, Stalin habe erkannt, daß die Amerikaner mit der baldigen Kapitulation Japans den sowjetischen Absichten in Ostasien zuvorkommen wollten. Andererseits liefen zu dieser Zeit noch die vorhin erwähnten chinesischsowjetischen Verhandlungen über die Eisenbahnen und Häfen in der Mandschurei. Stalin selbst und die sowjetische Seite hatten die Lage immer so dargestellt, daß sie erst nach Abschluß der Verhandlungen in den Krieg eintreten wollten, voraussichtlich Mitte August, vielleicht aber noch später. Tatsächlich kamen die Verhandlungen erst am 14. August zum Abschluß -ungefähr eine Woche nach dem Abwurf der Atombomben und mehrere Tage, nachdem Tokio sich am 10. August zur Kapitulation bereiterklärt hatte. Unterdessen hatte aber Stalin schon am 8. August die Kriegserklärung an Japan aussprechen und am 9. August seine Truppen in der Mandschurei angreifen lassen. Warum diese plötzliche Eile? Offenbar sah Stalin 25 Rauh. Zwe1ter Weltkneg 3 Tell

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die Gefahr, daß ihm seine Beute in Ostasien doch noch entgehen könnte. Das betraf nicht bloß die Verwaltung der Eisenbahnen sowie Häfen in der Mandschurei, sondern die Rote Armee marschierte ebenso in Nordkorea ein, außerdem erhob Stalin noch einmal die Forderung, an der Besetzung Japans beteiligt zu werden, was Truman zurückwies. Wäre die Kapitulation Japans nicht so bald erfolgt, dann hätte sich die amerikanische Seite noch auf manch unliebsame Überraschung in Ostasien gefaßt machen dürfen. Zum Beispiel hätte, wie Truman befürchtete, die Sowjetunion als Friedensstifter auftreten und die Verhandlungen so lange verschleppen können, bis Moskau alles erreicht hatte, wonach ihm der Sinn stand. 18 So wurden also Anfang August die beiden Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen. Tokio hatte auf die Kapitulationsaufforderung vom 26. Juli (Potsdamer Erklärung) erwartungsgemäß keine Antwort gegeben - augenscheinlich weil die Regierung abwarten wollte, ob Moskau die Bitte um Friedensvermittlung aufgreifen würde. Nachdem zwischen dem 6. und 9. August sowohl der Einsatz der Atombomben als auch der sowjetische Angriff in der Mandschurei erfolgt war, konnte man sich in Tokio ausrechnen, daß eine sowjetische Friedensvermittlung demnächst nicht stattfinden würde, während unterdessen Japan Gefahr lief, durch weitere amerikanische Angriffe verwüstet zu werden (daß die USA zu der Zeit nur zwei Atombomben besaßen, wußte man nicht). Da sich innerhalb der japanischen Regierung keine einheitliche Meinung über das weitere Verhalten herstellen ließ, tat Kaiser Hirohito bei einer kaiserlichen Konferenz am 10. August den ungewöhnlichen Schritt, persönlich seinen Willen kundzugeben und so in die Entscheidung einzugreifen. Damit wurde es möglich, noch am seihen Tag den Siegermächten auf dem Weg über die Schweiz und Schweden mitzuteilen, Japan sei zur Annahme der Potsdamer Erklärung bereit, allerdings unter der Voraussetzung, daß die Hoheitsrechte des Kaisers als eines souveränen Herrschers nicht beeinträchtigt würden. Das war ein dorniger Vorbehalt, denn Hoheitsrechte als souveräner Herrscher besaß der Kaiser gemäß der gültigen Verfassung, und die Verfassung wünschte man in den USA zumindest weiterzuentwickeln, nämlich in Richtung 18 Zu allen Fragen des Atombombeneinsatzes jetzt die umfassende Aufarbeitung des Schrifttums und Sammlung des Materials bei Alperovitz, Hiroshima, 291 ff., 326 ff., 374, 446 ff. und passim. Vgl. Walker, Decision. Zu den Verlustzahlen des Terrorbombardements Sherry, Air Power, 314 f., 413, Anm. 43. Vgl. Dower, War, 325, Anm. 21. Leahy über Kriegsbeendigung in seinen Memoiren, 441. Das Ergebnis des Strategie Bornhing Survey auch in Feis, Japan, 178 f. Die Erklärung von Kairo 1943 nach Jacobsen, Weg, 323. Zur Unschärfe des Demokratie-Begriffs Sartori, Demokratietheorie. Zur "Demokratisierung" im Ersten Weltkrieg Bd. I dieser Untersuchungen. Die Haltung der amerikanischen Bevölkerung gegenüber dem japanischen Kaiser nach Sigal, Finish, 95. Stalins Wunsch, an der Besetzung Japans beteiligt zu werden, in Lensen, Neutrality, 265. Zu den russisch-chinesischen Verhandlungen über die Mandschurei auch Varg, Closing, 188 ff. Roosevelts und Churchills Vereinbarung über Atombomben 1944 sowie Art und Zahl der Bomben 1945 in Sherwin, World, 284, 231. Quellen zur Potsdamer Konferenz in Dokumente zur Deutschlandpolitik II I I I 2, 1169 ff. und passim; li/ I /3, 1789 und passim. Die Potsdamer Erklärung vom 26. 7. 1945 sowie entsprechende amerikanischeZiele 1944 in Jacobsen, Weg, 431 f., 434 f. Vgl. Iriye, Power, 253 f., 261 ff. Feis, Japan, 94. Zu Stalins Wutausbruch in Potsdam Gromyko, Erinnerungen, 156 ff.

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auf eine parlamentarische Monarchie. Der amerikanische Außenminister Bymes fand einen Ausweg, indem er am 11. August - nach Zustimmung der anderen Siegermächte - der japanischen Regierung mitteilen ließ, vom Augenblick der Kapitulation an würden die Machtbefugnisse des Kaisers und seiner Regierung dem Oberbefehlshaber der Alliierten unterstellt sein. Der Kaiser solle für die Durchführung der Kapitulation Sorge tragen. Die spätere Regierungsform Japans werde, in Übereinstimmung mit der Potsdamer Erklärung, gemäß dem freien Willen des japanischen Volkes errichtet werden. Die Mitteilung von Bymes enthielt gegenüber der Potsdamer Erklärung keine wesentliche Änderung; immerhin sprach sie auch nicht gegen die in Japan vorhandene Vermutung, die Amerikaner würden das Kaiserhaus in der einen oder anderen Form beibehalten. Am 14. August griff Kaiser Hirohito noch einmal in die Willensbildung der Regierung ein, indem er den Wunsch äußerte, auf der Grundlage der Mitteilung von Bymes zu kapitulieren. Am selben 14. August wurde den Siegermächten mitgeteilt, Japan nehme alle Forderungen für die bedingungslose Kapitulation an. Der Krieg war damit im wesentlichen beendet, aber zur Ruhe kam Asien nicht. Keine der Siegermächte außer Amerika hatte gelernt, über den Tellerrand der alten Machtpolitik bzw. des kurzsichtigen Verfolgens eigener Vorteile hinauszublicken, und Amerika erachtete es für nötig, sich den gängigen Gepflogenheiten anzupassen. Lediglich Japan, geschlagen, gedemütigt, doch in seiner Lebenskraft ungebrochen, fand unter amerikanischem Schirm für lange Zeit den Frieden. Am 2. September 1945 wurde in der Bucht von Tokio auf einem amerikanischen Schlachtschiff der formelle Akt der Kapitulation vollzogen, begleitet von der Besetzung des Landes, die für die Amerikaner Vorrang hatte und von ihnen in der Hauptsache selbst durchgeführt wurde. Als besetztes, danach abhängiges und verbündetes Land wurde Japan für die USA zu einem strategischen Sperriegel gegen die Sowjetunion am Pazifik. Die übrigen Völker Ost- und Südostasiens, teils selbständige Staaten, teils Kolonialgebiete, hatten nach den ursprünglichen amerikanischen Vorstellungen allesamt frei und unabhängig werden sollen, gegebenenfalls nach einer Übergangszeit unter treuhänderischer Aufsicht durch die organisierte Völkergemeinschaft der Vereinten Nationen, um sie auf die Selbständigkeit vorzubereiten. So auch Korea, das gemäß der Erklärung von Kairo aus dem Herbst 1943 zur gegebenen Zeit frei und unabhängig werden sollte. Nichts dergleichen geschah; die Völker des östlichen Asien gerieten wieder in die Mühlen der alten Macht- und Gleichgewichtspolitik, sei es im Kampf gegen das Wiederaufleben des Kolonialismus oder sei es, daß sie in die machtpolitische Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und "Demokratie" eingespannt wurden. Für die Durchführung der Kapitulation Japans sowie die Besetzung des japanischen Mutterlandes wurde Mitte August 1945 General Mac Arthur zum obersten alliierten Befehlshaber ernannt, der sich einstweilen noch auf den Philippinen befand. Am 20. August erhielt Tokio von Mac Arthur Anweisung, gegenüber welchem regionalen Oberbefehlshaber der Alliierten die japanischen Streitkräfte, die über Ostasien, Südostasien und die Inseln im Pazifik verstreut waren, die Kapitula25*

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III. Das Ende

tion vorzunehmen hatten. Der Plan hierfür war in den USA entworfen und mit den Verbündeten abgestimmt worden, konnte indes nur unter Reibungen durchgeführt werden. Grundsätzlich lief der Plan darauf hinaus, daß die einzelnen verbündeten Staaten in gewissen Gebieten die japanischen Truppen entwaffneten, was entweder zur Voraussetzung oder zur Folge hatte, daß die betreffenden Staaten die fraglichen Gebiete auch besetzten. Nur wer ein Gebiet besetzte, hatte Aussicht, dort seinen Willen durchzusetzen. Die Kapitulationsregelung beinhaltete daher im Grunde, daß die Konkursmasse des früheren japanischen Reiches unter die vier Hauptverbündeten aufgeteilt wurde (USA, Sowjetunion, China, Großbritannien). Die Besetzung des japanischen Mutterlandes und pazifischer Inseln behielten sich die USA vor. Die Kapitulation japanischer Streitkräfte in der Mandschurei sowie in Nordkorea (nördlich des 38. Breitengrads) sollte gegenüber dem betreffenden sowjetischen Oberbefehlshaber erfolgen. Am 15. August hatte Mac Artbur- sicher mit Billigung Washingtons - den sowjetischen Generalstabschef Antonow aufgefordert, den Vormarsch der Roten Armee anzuhalten. Dies tat die Rote Armee jedoch erst, nachdem sie die Mandschurei, Nordkorea und Teile Nordchinas besetzt hatte. Da nunmehr sowjetische Streitkräfte bereits in Nordkorea standen, die Amerikaner auch nicht rasch genug ausreichende Truppen heranzubringen vermochten, schien es den USA ratsam zu sein, Nordkorea den Russen zu überlassen und sich mit der Besetzung Südkoreas zu begnügen. Wie nicht anders zu erwarten, entstand in der Folgezeit in Nordkorea ein kommunistischer Staat; wenige Jahre später, 1950, brach in Korea wieder der Krieg aus. In China sollten sich die japanischen Truppen den nationalchinesischen Streitkräften Tschiang Kai-scheks ergeben. Um Tschiang Kai-schek gegen die chinesischen Kommunisten sowie gegen die Russen zu unterstützen, stellten die Amerikaner Transportmittel und Truppen bereit, mit deren Hilfe wichtige Orte eingenommen werden konnten, auch in der Mandschurei. Die Sowjetunion nahm dies hin, ließ allerdings die Ausbreitung der chinesischen Kommunisten in der Mandschurei auf dem Land zu und stattete sie wohl auch mit erbeuteten japanischen Waffen aus. Zwar zogen die USA und die Sowjetunion ihre Truppen aus China bzw. der Mandschurei später wieder zurück, doch änderte dies nichts an der Tatsache, daß die chinesischen Kommunisten nunmehr fast ganz Nordchina einschließlich der Mandschurei in der Hand hatten, während der Besitz der großen Städte für Nationalchina eher eine Belastung darstellte, da die Russen die Mandschurei ausgeplündert und die von den Japanern errichtete Industrie abtransportiert hatten. Nachdem der Versuch der Amerikaner gescheitert war, einen Ausgleich herbeizuführen zwischen den verfeindeten Parteien der Kuomintang und der Kommunisten, versank China im Bürgerkrieg, welchen in dem verelendeten Land die Kommunisten für sich entschieden. In Südostasien schließlich sollte die Kapitulation der japanischen Truppen von den Briten entgegengenommen werden, die nichts Eiligeres zu tun hatten, als für das Wiedererrichten der Kolonialherrschaft zu sorgen, nicht nur ihrer eigenen, sondern auch derjenigen der Franzosen und Niederländer. Dies stieß meistens auf den

3. Das Ergebnis

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Widerstand einheimischer Nationalbewegungen, die fallweise auch schon die Unabhängigkeit ihrer Länder ausgerufen hatten, so unter Sukarno in Indonesien oder unter Ho Chi Minh in Vietnam. Erst nach mannigfachen Auseinandersetzungen und Kämpfen konnte in der Folgezeit die Kolonialherrschaft fast überall beseitigt werden. In das Spannungsfeld der Machtpolitik zwischen Sozialismus und "Demokratie" blieb ganz Asien aber auch weiterhin eingebunden. 19

3. Das Ergebnis Für eine vordergründige Betrachtungsweise scheint das Ergebnis des Zweiten Weltkriegs klar am Tag zu liegen. Die Verlierer, die drei Achsenmächte Deutschland, Japan und Italien, erlitten eine vernichtende Niederlage; von den Siegern wurden die beiden wichtigsten, die USA und die Sowjetunion, zu den neuen Supermächten, die riesige Hegemonialräume errichteten und große Teile der Erde unter ihren Einfluß brachten. Die Verlierer wurden aus dem Kreis der größeren Mächte bzw. Großmächte ganz gestrichen; darüber hinaus wurde Deutschland gespalten, der Kuratel der Siegermächte unterstellt und dem deutschen Volk ein wesentlicher Teil seines territorialen Besitzstandes entrissen. Die Hauptsiegermächte, also die Großen Fünf (Amerika, Rußland, Britannien, China, Frankreich), bildeten im Rahmen der Vereinten Nationen eine Art Weltdirektorium; später wurden daraus die Atommächte, die daraufbedacht waren, als einzige entsprechende Waffen zu besitzen, womit sie automatisch jedem Land ohne solche Waffen militärisch überlegen waren und den Rest der Welt beaufsichtigen konnten. Das ist augenscheinlich die politische Ordnung der Erde, wie sie aus dem Zweiten Weltkrieg hervorging und fortan für rund ein halbes Jahrhundert bestand. Aber dieses Bild ist natürlich nicht vollständig. Wie jeder weiß, bestand das Ergebnis des Zweiten Weltkriegs eben nicht darin, daß die Anti-Hitler-Koalition in froher Eintracht die sogenannten Aggressorstaaten bezwang und anschließend die allgemeine Friedfertigkeit ausbrach. Es war gerade nicht so, daß mit der Beseitigung Hitlers und der Unterwerfung der Achsenmächte die Harmonie unter den Menschen einkehrte. Ganz im Gegenteil prallten nun die beiden Supermächte im unverhüllten machtpolitischen Gegensatz aufeinander, der sich bis zu offener Feindschaft steigerte. Der Krieg ging sozusagen in verkleideter Form weiter. Nachdem die USA die Achsenmächte bzw. den Nationalsozialismus niedergeworfen hatten, sahen sie sich sofort der mindestens ebenso großen Gefahr gegenüber, die vom Bolschewismus ausging. Nachdem die Sowjetunion unter ungeheuren Opfern Deutschland niedergerungen hatte, trat der Ausbreitung des Sozialismus sofort das viel stärkere Amerika in den Weg. Die Supermächte sahen Anlaß, sich bis an die 19 Zur japanischen Kapitulation Butow, Surrender, passim. Feis, Japan, 135 ff. und passim. Hattori, Weg. Wetzler, Hirohito. Die japanische Kapitulationsurkunde vom 2. 9. 1945 in Jacobsen, Weg, 435 f. Ferner Iriye, Cold War.

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Zähne zu bewaffnen, um die eigene Machtsphäre zu sichern, um die Ausweitung der gegnerischen Machtsphäre zu verhindem oder um bei günstiger Gelegenheit die eigene auszuweiten. Statt in Ruhe sich am Sieg zu erfreuen und die Früchte des Friedens zu genießen, vergeudeten sie einen Teil des Volkswohlstands für einen mörderischen Rüstungswettlauf. Es entstand der Kalte Krieg, gewissermaßen die Fortsetzung des Zweiten Weltkriegs mit anderen Mitteln, der fast ein halbes Jahrhundert dauerte und mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion endete. Wenngleich es zur atomaren Völkervernichtung oder Menschheitsvernichtung bislang nicht kam, blieb doch der Krieg eine alltägliche Erscheinung: Teils führten ihn die Supermächte selbst, teils die anderen Großmächte, teils die sonstigen souveränen Staaten, deren Zahl im Zuge der Dekolonisation stark anschwoll. Zwar gibt es laut Völkerrecht ein allgemeines Gewaltverbot, aber das kümmert offenbar niemanden - bis auf die ehemaligen Achsenmächte, die unter der Fuchtel der Großmächte gehalten wurden. Was war demnach das Ergebnis des Zweiten Weltkriegs? Jedenfalls nicht dies, daß der Frieden sicherer wurde. Gewiß wurde in Europa der Frieden jahrzehntelang erhalten, aber doch nur deswegen, weil sich dort zwei hochgerüstete Blöcke gegenübertraten, die einander mit der wechselseitigen Auslöschung bedrohten. Sicherer Frieden? Wenn die Menschheit nur knapp der atomaren Selbstzerstörung entrinnt? Wenn militärische Stäbe ganz selbstverständlich den Atomkrieg planen? Wenn unterhalb der atomaren Schwelle jedes beliebige Land jeden beliebigen Krieg anzetteln kann? War dies das Ergebnis des Zweiten Weltkriegs? Über Jahrtausende hinweg waren es die Menschen gewöhnt, daß im Krieg der Sieger seine Macht vergrößerte oder sich bereicherte, der Verlierer an Macht geschmälert oder geschädigt wurde. War dies vollbracht, so dauerte es nicht lange, bis der nächste Krieg stattfand und das Spiel sich wiederholte. Im Zweiten Weltkrieg ereignete sich dasselbe, und nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich daran überhaupt nichts. Der Zweite Weltkrieg war insofern ein absolut sinnloser Krieg, jedenfalls wenn man ihn aus dem Blickwinkel des Fortschritts der gesamten Menschheit betrachtet. Aber da war doch noch etwas anderes! Hieß es denn nicht in der Atlantik-Charta, es solle ein Frieden errichtet werden, der es allen Völkern ermögliche, in ihren eigenen Grenzen in Sicherheit zu leben, und der eine Gewähr dafür biete, daß alle Menschen in allen Ländern ihr Leben frei von Furcht und Not würden genießen können? Und hatten nicht alle Länder der Anti-Hitler-Koalition, alle Mitglieder der Vereinten Nationen, dies als bindend anerkannt? War dies alles von vomherein nur freche Lüge? Schwerlich bei jedem. Roosevelt, der einzige führende Staatsmann des Zweiten Weltkriegs, der über das Verfolgen eigensüchtiger Machtstaatsziele hinaus zukunftweisende Ideen zum Wohl der ganzen Menschheit entwickelte - Roosevelt hatte jene Welt des ewigen Friedens und der allgemeinen Wohlfahrt errichten wollen, wie sie in der Atlantik-Charta umrissen wurde. Damit scheiterte er auf der ganzen Linie, nicht durch eigenes Versagen, sondern durch die Unzulänglichkeit

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anderer. Roosevelt, zwar durch eine Krankheit im mittleren Lebensalter gehbehindert, war dennoch bis in die ersten Kriegsjahre ein kräftiger Mann gewesen, gesund, lebendig und voller Spannkraft. Seit 1944 kränkelte er und verfiel körperlich wie seelisch, wobei die Vermutung naheliegt, die Enttäuschung über sein Scheitern habe ihn zerrieben. Das Kriegsende mußte Roosevelt nicht mehr erleben; er starb im April 1945. Es triumphierten die anderen, Leute vorn Schlage eines Stalin, aber auch Churchill, welche die bolschewistische Gewaltherrschaft im Sinn hatten oder das Wohl des Empire, nicht das Wohl der Menschheit. Und wie das in der Geschichtsschreibung so zu sein pflegt, hat deren Erfolg auch das spätere Bild des Zweiten Weltkriegs geprägt. Gewonnen wurde damit gar nichts. Das Empire zerfiel, und die Sowjetunion zerfiel ebenso. Im Zweiten Weltkrieg wurde die einmalige Chance vertan, in der politischen Entwicklung der Menschheit einen revolutionären Sprung zu bewirken. Es wurde die Chance vertan, nie mehr die Blüte der Jugend auf den Schlachtfeldern zu opfern, es wurde die Chance vertan, Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand zu fördern, es wurde die Chance vertan, der Vernunft zu dienen. Ist das alles so schwer zu begreifen? Ob und wann die Chance wiederkehrt, bleibt ungewiß. Muß man wirklich warten, bis etliche unter den mittlerweile rund 200 souveränen Staaten anfangen, mit Atomwaffen aufeinander einzuschlagen, muß man warten, bis die Erde unbewohnbar wird, bis riesige Wanderungsströme wegen Armut und Übervölkerung einsetzen - muß man wirklich warten, bis die Erde von Katastrophen aller Art geschüttelt wird, ehe die Einsicht reift, daß die Idee des ewigen Friedens und der allgerneinen Wohlfahrt doch nicht so abwegig ist, ehe das Bewußtsein Platz greift, daß die Menschheit, um zu überleben, eine neue politische Organisationsform braucht: den Weltstaat? Oder muß man sich darauf einrichten, daß die Menschen im Falle der Not erst recht nicht ihr Zusammenleben auf eine vernünftig organisierte Grundlage stellen, sondern weiterhin tun, was sie gewöhnt sind, nämlich sich gegenseitig schädigen und umbringen? Was also war das Ergebnis des Zweiten Weltkriegs? Anscheinend in erster Linie die Opfer und Verluste, die er kostete. Ganz genaue Ziffern werden sich wahrscheinlich nicht mehr ermitteln lassen; häufig wird angenommen, die Gesamtzahl der Menschen, die infolge des Krieges auf allen Kontinenten und Meeren den Tod fanden, sei bei einer Größenordnung von 50 Millionen oder mehr gelegen, davon mindestens die Hälfte Zivilisten. Allerdings war der Zweite Weltkrieg nicht der größte MenschenversehEnger des 20. Jahrhunderts. Nach glaubwürdigen Schätzungen dürften für die Verwirklichung des Sozialismus in den betreffenden Ländern des 20. Jahrhunderts an die 100 Millionen Menschen zu Tode gebracht worden sein, hauptsächlich durch inneren Terror. Die Toten des Zweiten Weltkriegs machten ungefähr 2,5% der Weltbevölkerung aus; in Europa erreichte die Zahl der Kriegstoten, bezogen auf die europäische Gesarntbevölkerung, knapp 7%. Die Verluste waren naturgemäß sehr ungleich verteilt; arn stärksten betroffen wurden Rußland, China, Deutschland, Polen und Japan. Für die Verluste unter der Zivilbevölkerung sind vier Hauptursachen namhaft zu machen: Erstens Hunger und Partisa-

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nenkrieg, wie es in Rußland, China und auf dem Balkan der Fall war, wobei sich auf dem Balkan häufig die Partisanen gegenseitig umbrachten. Zweitens die Judenvernichtung, welche die meisten europäischen Länder betraf, arn stärksten Polen und Rußland. Drittens Flucht, Vertreibung und Verschleppung, hauptsächlich die Vertreibung der Deutschen aus dem östlichen Mitteleuropa, aber auch die Verschleppung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen von seiten der Sowjetunion. Schließlich viertens der Bornbenkrieg aus der Luft, dem in Japan und Deutschland vermutlich rund eineinhalb Millionen Menschen zum Opfer fielen (Zivilverluste durch den alliierten Bornbenkrieg gab es übrigens auch in westeuropäischen Ländern). Vor allem durch den Bornbenkrieg entstanden zudem ungeheure Sachschäden, zu deren Behebung später die Amerikaner in ihrem Hegemonialbereich durch Wiederaufbauhilfe beitrugen. Was wurde um den Preis von 50 Millionen Opfern des Zweiten Weltkriegs erreicht? Jedenfalls nichts, was diesen Preis wert wäre. Dabei kann es kaum einem Zweifel unterliegen, daß der Zweite Weltkrieg gar nicht stattgefunden hätte, wenn nach dem Ersten Weltkrieg eine tragfähige Weltfriedensordnung entstanden wäre. Im Zweiten Weltkrieg wurde erneut der Versuch unternommen, eine solche Friedensordnung zu errichten, letztlich einen Weltstaat, und der Versuch scheiterte genauso wie der erste. Nach wie vor bewegt sich das Nebeneinander und Miteinander der Völker oder Staaten in den Bahnen der alten Machtpolitik, nach wie vor sind die Länder willens und fähig, ihre wirklichen oder vermeintlichen Interessen mit Gewalt zu wahren, nach wie vor beschaffen sie sich reichlich Waffen, nach Möglichkeit solche von unvorstellbarer Zerstörungskraft Und wozu das alles? Die Atlantik-Charta wußte eine einfache Lösung: Man gebe jedem Land, was ihm zusteht, und nehme jedem die Waffen. Aber davon ist man weiter entfernt denn je. Es ist nicht die Aufgabe des Historikers, den Propheten zu spielen. Immerhin kann der Historiker Ansätze für zukünftige Entwicklungen in der Vergangenheit aufspüren. Daß im 20. Jahrhundert zweimal der Versuch unternommen wurde, die Grundlagen für einen Weltstaat zu legen, steht fest. Wenn der Versuch zweimal scheiterte, so folgt daraus noch nicht, daß der Versuch immer scheitern muß. Es drängt sich der Eindruck auf, eigentlich müsse doch die Entwicklung in diese Richtung laufen. Daß die Menschheit tagtäglich mehr zusammenwachse, ist ein Gemeinplatz. Da sollte es doch in Gottes Namen möglich sein, dem Zusammenwachsen auch noch eine organisatorische Gestalt zu geben. Ob die Vereinten Nationen in der gegenwärtigen Form sich dafür eignen, darf freilich bezweifelt werden. Für die Gestaltung des internationalen Systems, welches heute ein Weltstaatensystem ist, gibt es zwei Ordnungsprinzipien: das Gleichgewicht und die organisierte Völker- oder Staatengemeinschaft. Man muß sich aber wohl darüber im klaren sein, daß beide Ordnungsprinzipien, wenn sie folgerichtig durchgeführt werden sollen, miteinander unvereinbar sind. Zur Gleichgewichtspolitik gehört begriffsnotwendig, daß die Staaten im bewaffneten Zustand ihre Macht wahren oder sie gegebenenfalls durch den Gebrauch der Waffen vergrößern. Ebenso gehört zur Gleichgewichtspolitik begriffsnotwendig, daß das Machtverhältnis zwischen den

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Ländern durch Gewaltmaßnahmen geformt wird. Umgekehrt gehört zum Ordnungsprinzip der organisierten Volkergemeinschaft bzw. des Weltstaats begriffsnotwendig, daß die einzelnen Länder ihre Macht nicht durch den Besitz oder den Gebrauch von Waffen wahren bzw. vergrößern. Ebenso gehört es begriffsnotwendig zur Idee der organisierten Volkergemeinschaft bzw. des Weltstaats, daß alle Volker dasselbe Recht genießen und daß dieses Recht nicht durch Gewaltmaßnahmen verkürzt werden darf. Der Weltstaat erfordert deshalb eine allgemeine Abrüstung, am besten eine allgemeine Entwaffnung. Der Besitz und der Gebrauch von Waffen sind dann nur noch für Organe der Gemeinschaft oder für die Zwecke der Gemeinschaft statthaft. Ebenso erfordert der Weltstaat, daß das Recht eines jeden Volkes auf seinen territorialen Besitzstand, auf seine Selbstbestimmung, seine Freiheit und seine sonstigen Güter gewahrt wird. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand indes eine eigentümliche Mischform aus beiden Ordnungsprinzipien. Die Vereinten Nationen waren, ähnlich wie der Volkerbund, eine Veranstaltung der Sieger, welche, ähnlich wie jener, nur die alte Macht- und Gleichgewichtspolitik fortsetzte. Eine allgemeine Abrüstung fand ebensowenig statt wie eine Herstellung des gleichen Rechts für alle. Der Weltstaat wird aber wahrscheinlich nur ins Leben treten können, wenn beides erreicht wird. Gegenwärtig scheint die Entwicklung darauf hinauszulaufen, daß die Mitglieder des Weltdirektoriums, also die Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkriegs, ein Weltgleichgewicht errichten, welches nicht mehr, wie zu Zeiten des Kalten Krieges, zweipolig ist, sondern mehrpolig. Damit entsteht ein Zustand auf der Weltebene, wie er in ähnlicher Weise vor 1914 in Europa anzutreffen war. Der Gedanke des Gleichgewichts besagt, daß keine Macht oder Mächtegruppe imstande ist, den anderen ihren Willen aufzuzwingen, sie zu beherrschen. Dieser Zustand wird durch den Besitz, notfalls den Gebrauch von Waffen bewirkt. Die Mitglieder des Weltdirektoriums, die sogenannten Großen Fünf, sind durchwegs im Besitz von Atomwaffen. Manche sind nach ihrem Potential an Wirtschaftskraft, Bevölkerung und sonstiger Leistungsfähigkeit für eine Rolle als Großmacht eigentlich viel zu schwach, aber sie erschleichen sich durch den Besitz einiger Atomwaffen, mit denen sie andere einschüchtern können, den Anschein der Bedeutung. So entsteht ein Weltgleichgewicht mit vier Kraftzentren, nämlich Amerika, Europa, Rußland und China. Die Einigung Europas wird vorangetrieben, um Deutschland an den Westen zu binden und die seit rund einem Jahrhundert drohende Gefahr zu bannen, Deutschland könnte sich an Rußland anschließen. Gleichsam am Rande der Konfiguration, die aus den Mitgliedern des Weltdirektoriums gebildet wird, steht der Rest der Welt; er stört die Konfiguration (noch) nicht, sondern unterliegt dem Einfluß und fallweise den Eingriffen des Weltdirektoriums. Die Lage erinnert verblüffend an die Lage des europäischen Mächtesystems vor dem Ersten Weltkrieg. Nach rund hundert Jahren und zwei Weltkriegen ist man ungefähr wieder da, wo man schon einmal war. Nur ist jetzt alles noch viel schwieriger und gefährlicher geworden, weil es auf der ganzen Erde viel mehr Unruheherde gibt und die Waffen viel schrecklicher geworden sind. Als in Europa vor dem Er-

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sten Weltkrieg das Gleichgewicht zerstört wurde (wohlgemerkt vonseitender Entente), brach der Erste Weltkrieg aus. Sollte das Gleichgewicht auf der Weltebene zerbrechen, so dürfte man den nächsten Weltkrieg am Halse haben. Wie dem abzuhelfen ist, bleibt offen. Die grundlegende Veränderung des Weltdirektoriums könnte eine Lösung sein; das Weltdirektorium müßte dann auf die Verwirklichung der Grundsätze hinarbeiten, die in der Atlantik-Charta umrissen sind: allgemeiner Friede, allgemeine Wohlfahrt, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung. Wie solches zu geschehen hat, kann der Historiker nicht entscheiden; es ist Aufgabe der handelnden Staatsmänner. Aus der Geschichte können sie dabei etwas lernen soweit die Geschichte nicht propagandistisch verformt ist.

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Personenregister Antonescu, Ion, rumänischer Offizier und Politiker, Diktator (1940-44 ), 1941 Marschall 226 Antonow, Alexei, sowjetischer General, Chef der Operationsabteilung im sowjetischen Generalstab (1942-45), 1945 Generalstabschef 384 Amim, Hans-Jürgen von, deutscher General, Oberbefehlshaber der 5. Panzerarmee sowie der Heeresgruppe Afrika (1942-43) 287 Attlee, Clement, britischer Politiker, Vorsitzender der Labour-Party, Lordsiegelbewahrer (1940-42), stellvertretender Premierminister ( 1942-45), Premierminister (1945-51) 161 Badoglio, Pietro, italienischer Marschall, Chef des Oberkommandos der StreitMinisterpräsident kräfte ( 1939-40), (1943-44) 289 Benesch, Eduard, tschechoslowakischer Politiker, Staatspräsident (1935-38, 194548), Präsident der Exilregierung (194045)309 Berle, Adolf A., Abteilungsleiter im amerikanischen Außenministerium (I 938-44) 169,299 f., 312 f., 315 Bismarck, Otto von, preußischer Ministerpräsident (I 862-1890), deutscher Reichskanzler (1871-1890) 142,314 Blaskowitz, Johannes, deutscher General, Oberbefehlshaber der I. Armee ( 194044), der Armeegruppe G (1944) und der Heeresgruppe H (1945) 292, 294-296 Blomberg, Wemer von, deutscher Generalfeldmarschall, Reichswehrminister (193335), Reichskriegsminister und Oberbefehlshaber der Wehrmacht (1935-38) 192

Bock, Fedor von, deutscher Generalfeldmarschall, Oberbefehlshaber von Heeresgruppen (1939-42) 73 f., 76, 78, 80 f., 83, 89 f., 92, 106-108, 120 Bohr, Niels, dänischer Physiker, Atomforscher 299 f. Bormann, Martin, NSDAP-Politiker, Leiter der Parteikanzlei (1941-45), Sekretär des Führers (1943-45) 342 f., 345, 358 Bose, Subhas Chandra, indischer Politiker und Freiheitskämpfer 246, 249 f. Bradley, Omar, amerikanischer General, Oberbefehlshaber einer Armeegruppe (1944-45) 295 Brauchitsch, Walther von, deutscher Generalfeldmarschall, Oberbefehlshaber des Heeres (1938-41) 26, 73 f., 78, 80-86, 238,283,338 Brooke, Alan F., Viscount Alanbrooke, britischer Feldmarschall, Chef des EmpireGeneralstabs (1941-46) 318 Bullitt, William C., amerikanischer Diplomat, Botschafter in Moskau (1933-36) und Paris (1936-40) 167, 300 f., 311 Busch, Ernst, deutscher Generalfeldmarschall, Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte (1943-44) 221, 223 f. Bymes, James F., amerikanischer Politiker, Direktor des Amtes für wirtschaftliche Stabilisierung, dann für Kriegsmobilisierung (1942-45), Außenminister (1945-47) 331,378,380,383 Cadogan, Alexander, britischer Unterstaatssekretär im Foreign Office (1938-46) 165 Canaris, Wilhelm, deutscher Admiral, Chef des Amts Ausland/Abwehr im OKW (1938-44) 339 Chales de Beaulieu, Walter, deutscher Offizier, Stabschef der Panzergruppe 4 ( 194042) 86

424

Personenregister

Churchill, Winston S., britischer Politiker, Marineminister (1911-15, 1939-40), Premierminister (1940-45) 19, 32,148,152, 157, 160-162, 165, 172 f., 175, 177-180, 182-185, 234, 244, 248, 256-258, 278, 280, 283 f., 288, 298-303, 307 f., 311 f., 315,317 f., 320, 322, 327-330, 362, 368, 379 f., 387 Clemenceau, Georges, französischer Ministerpräsident (1906-09, 1917-20) 314 Cripps, Stafford, britischer Politiker, Botschafter in Moskau (1940-42), Lordsiegelbewahrer (1942) 248 Darlan, Francois, französischer Admiral, Oberbefehlshaber der Marine (1939-42), stellvertretender Ministerpräsident ( 194042), Oberbefehlshaber der Streitkräfte 286 Devers, Jacob, amerikanischer General, Oberbefehlshaber einer Armeegruppe (1944-45) 295 Dönitz, Kar!, deutscher Admiral, Befehlshaber der U-Boote (1939-43), Oberbefehlshaber der Marine (1943-45), Reichspräsident (1945) 212, 357-359 Doorman, Kare!, niederländischer Admiral, Befehlshaber einer alliierten Kampfgruppe (1942) 32 f. Eberbach, Heinrich, deutscher General, Befehlshaber der Panzergruppe West ( 1944) 293 Eden, Anthony, britischer Politiker, Außenminister (1935-38, 1940-45) 148, 156161, 164, 167, 255 f., 301, 305, 307, 314, 317-320, 322 Ehrenburg, Ilja, sowjetischer Propagandist 361 Eisenhower, Dwight D., amerikanischer General, Chef der Planungs- bzw. Operationsabteilung des Generalstabs (1942), Oberbefehlshaber wes talliierter Streitkräfte (1942-45), Präsident der USA (1953-61) 170 f., 286, 290, 295-297, 359 f.

Falkenhausen, Alexander von, deutscher General, Militärbefehlshaber in Belgien und Nordfrankreich (1940-44) 243 Fiebig, Martin, deutscher General, 1942/43 Befehlshaber des VIII. Fliegerkorps 127 Fletcher, Frank Jack, amerikanischer Admiral, Befehlshaber von Trägerkampfgruppen (1941-42) 48 f., 52, 56,58 Frank, Hans, NSDAP-Politiker, Generalgouverneur in Polen (1939-45) 236 Frießner, Hans, deutscher General, Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Südukraine (1944) 226 Fritsch, Werner von, deutscher General, Chef der Heeresleitung (1934-35), Oberbefehlshaber des Heeres (1935-38) 283 Fromm, Friedrich, deutscher General, Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres (1939-44) 6, 79, 85 f., 93, 239,340 Gandhi, Mohandas K. (gen. Mahatma), indischer Politiker und Freiheitskämpfer 246, 249 de Gaulle, Charles, französischer General, Gründer und Oberhaupt der freifranzösischen Bewegung (1940-44) 288, 295 Gehlen, Reinhard, deutscher Offizier, Leiter der Generalstabsabteilung Fremde Heere Ost (1942-45) 96 f., 125 Geyr von Schweppenburg, Leo Frhr., deutscher General, Befehlshaber der Panzergruppe West ( 1944) 292 f. Goebbels, Joseph, NSDAP-Politiker, Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda (1933-45) 24, 83, 339, 342 f., 358 Göring, Hermann, NSDAP-Politiker, preußischer Ministerpräsident (1933-45), Reichsluftfahrtminister (1933-45), Oberbefehlshaber der Luftwaffe (1935-45), zahlreiche andere Ämter 83 f., 114, 237, 239, 283, 285, 342 f., 358 Greiffenberg, Hans von, deutscher Generalstabsoffizier 80, 82 Grigg, Percy J., britischer Kriegsminister (1942-45) 319

Personenregister Groves, Leslie R., amerikanischer General, Leiter der Entwicklung von Atombomben 298 Guderian, Heinz, deutscher General, Führer von Panzerverbänden, Generalinspekteur der Panzertruppen (1943-45), Generalstabschef des Heeres (1944-45) 82 f., 89 f., 191, 194-197, 203, 208, 337, 347, 352-357 Halder, Franz, deutscher General, Chef des Generalstabs des Heeres (1938-42) 25, 27, 73-98, 100-103, 105-110, 112-114, 116-120, 124, 126 f., 129, 131, 188, 191, 193,208,228,237-239,284,338 Halifax, Edward F. L. Wood, Viscount H., britischer Außenminister (1938-40), Botschafter in Washington (1941-46) 228 Halsey, William F., amerikanischer Admiral, Oberbefehlshaber im Südpazifik (194244), Oberbefehlshaber der 3. US-Flotte (1944-45) 70,263, 266 f., 273-277 Harris, Arthur, britischer Luftmarschall, Befehlshaber des britischen Bomberkommandos (1942-45) 280 Hausser, Paul, deutscher General und Führer in der Waffen-SS, Kommandeur und Befehlshaber von Verbänden der Waffen-SS und der Wehrmacht (1939-45) 135 Heinrici, Gotthard, deutscher General, Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Weichsel (1945) 357 Heusinger, Adolf, deutscher Offizier, Chef der Operationsabteilung im Generalstab des Heeres (1940-44 ), Generalinspekteur der Bundeswehr (1957-60) 82, 85, 94, 102 Himmler, Heinrich, NSDAP-Politiker, Reichsführer SS ( 1929-45), Chef der deutschen Polizei ( 1936-45), Reichsinnenminister (1943-45) 226, 229, 231, 238 f., 244, 283, 339-344, 356, 358 Hirohito, Kaiser von Japan (1926-89) 382 f. Hirota, Kaki, japanischer Politiker, Ministerpräsident (1936-37) 365

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Hitler, Adolf, Vorsitzender der NSDAP (1921-45 ), deutscher Reichskanzler und Reichspräsident ( 1933/34-45), Diktator passim Ho Chi Minh (eigentlich Nguyen Ai Quoc), vietnamesischer Politiker, Gründer der Befreiungsbewegung Viet-Minh (1941), vietnamesischer Präsident ( 1945-69) 246, 251, 385 Hoepner, Erich, deutscher General, Führer von Panzerverbänden, Widerstandskämpfer 82, 89, 120 Hollidt, Kar) Adolf, deutscher General, Oberbefehlshaber der Armee-Abteilung Hollidt, dann der 6. Armee (1942-44) 136,213 Hopkins, Harry, amerikanischer Handelsminister ( 1938-40), Sonderberater und Sonderbotschafter des Präsidenten Roosevelt (1940-45) 9, 170, 172, 176,305 f., 314 Horthy von Nagybanya, Nikolaus, österreichisch-ungarischer Admiral, Oberbefehlshaber der k.u.k. Flotte (1918), Reichsverweser (Staatsoberhaupt) Ungarns (192044) 243 Hoth, Hermann, deutscher General, Führer von Panzerverbänden (1939-43) 105, 121, 127,208,216 Hube, Hans Valentin, deutscher General, Führer von Panzerverbänden ( 1940-44) 216 Hull, Cordell, Außenminister der USA (1933-44) 156 f., 161 f., 165 f., 305, 307, 316, 320, 325, 328 f., 333 Jebb, Hubert M. Gladwyn, I. Baron Gladwyn, Abteilungsleiter im britischen Außenministerium ( 1942-45), britischer Vertreter bei den Vereinten Nationen (195054) 316 f .. 319 Jeschonnek, Hans, deutscher General, Stabschef der Luftwaffe (1939-43) 197, 207, 218 Jinnah, Mohammed A1i, indisch-moslemischer Politiker, Staatsoberhaupt von Pakistan (1947-48) 246

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Personenregister

Jodl, Alfred, deutscher General, Chef des Wehrmachtführungsamtes bzw. Wehrmachtführungsstabes im OKW (1939-45) 6, 80, 82, 101, 110 f., 119 f., 122, 185, 192, 194, 202, 208, 222, 346 f., 349 f., 355, 360 Kaltenbrunner, Ernst, NSDAP-Politiker, Chef des Reichssicherheitshauptamts (1943-45) 337 Keitel, Wilhelm, deutscher Generalfeldmarschall, Chef des OKW (1938-45) 84, 86, 114, 120, 193 f., 346,360 Kempf, Wemer, deutscher General, Oberbefehlshaber der Armee-Abteilung Kempf (1943) 136,205,208,216 Kesselring, Albert, deutscher Generalfeldmarschall, Oberbefehlshaber der Luftflotte 2 (1940-43 ), Oberbefehlshaber Süd (1941-43), Oberbefehlshaber Südwest ( 1943-45) 285 f., 290, 357 Kimme!, Husband E., amerikanischer Admiral, Oberbefehlshaber der Pazifikflotte (1941) 34 King, Emest J., amerikanischer Admiral, Stabschef der Marine (Chief of Naval Operations, 1942-45) 176, 254, 257, 261 f., 270, 373 King, W. L. Mackenzie, kanadischer Politiker, Ministerpräsident (1935-48) 307, 313,327 Kinzel, Eberhard, deutscher Offizier, Leiter der Generalstabsabteilung Fremde Heere Ost (bis 1942) 96 Klaus, Edgar, Agent der deutschen Abwehr in Stockholm 12 K1eist, Ewald von, deutscher Generalfeldmarschall, Führer von Panzerverbänden, Oberbefehlshaber einer Heeresgruppe (1942-44) 92, 105, 114, 129,213, 216 f. Kluge, Hans von, deutscher Generalfeldmarschall, Oberbefehlshaber von Armeen und Heeresgruppen (1939-44 ), Oberbefehlshaber West (1944) 83, 89 f., 116, 189 f., 194, 197, 207, 209, 221, 239 f., 293 f., 336 Koiso, Kuniaki, japanischer General, Ministerpräsident (1944-45) 273, 365

Konjew, Iwan S., sowjetischer Marschall, Oberbefehlshaber von Fronten bzw. Heeresgruppen (1941-45) 77, 205, 356 f. Konoye, Fumimaro, japanischer Politiker, Ministerpräsident (1937-39, 1940-41) 366 Kreipe, Wemer, deutscher General, Chef des Generalstabs der Luftwaffe (1944) 344 Küchler, Georg von, deutscher Generalfeldmarschall, Oberbefehlshaber von Armeen sowie einer Heeresgruppe (1939-44) 101 f., 216 Kurita, Takeo, japanischer Admiral, Befehlshaber von Flottenverbänden (194244) 274-278 Lanz, Hubert, deutscher General, Oberbefehlshaber der Armee-Abteilung Lanz (1943) 136 Leahy, William D., amerikanischer Admiral, Botschafter in Vichy-Frankreich (194042), Stabschef des Präsidenten (1942-49) 302,306,373 Leeb, Wilhelm Ritter von, deutscher Generalfeldmarschall, Oberbefehlshaber von Heeresgruppen (1939-42) 89, 120 Leigh-Mallory, Trafford, britischer Luftmarschall, Oberbefehlshaber der alliierten Luftstreitkräfte für die Landung in Frankreich (1943-44) 290 Le May, Curtis, amerikanischer General, Befehlshaber von Bomberverbänden (1944-45) 370 f., 374 List, Wilhelm, deutscher Generalfeldmarschall, Oberbefehlshaber von Armeen sowie einer Heeresgruppe (1939-42) 106, 119 f. Löhr, Alexander, deutscher General, Oberbefehlshaber der Luftflotte 4 (1939-42), Oberbefehlshaber Südost (1942-43), Oberbefehlshaber der Heeresgruppe E (1943-45) 226 Mac Arthur, Douglas, amerikanischer General, Oberbefehlshaber im Kommandobereich Südwestpazifik (1942-45), Oberbefehlshaber der Besatzungstruppen in Japan (1945-50) 32-34, 48, 66, 254, 261-

Personenregister 263, 266-268, 270, 272, 274, 276, 367, 383 f. Malik, Jakob, sowjetischer Diplomat, Botschafter in Japan (1942-45), sowjetischer Vertreter bei den Vereinten Nationen (1948-52) 365 Malinowski, Rodion, sowjetischer Marschall, Oberbefehlshaber von Fronten bzw. Heeresgruppen (I 941-45) 226 Manstein, Erich von, deutscher Generalfeldmarschall, Oberbefehlshaber der II. Armee (1941-42), Oberbefehlshaber von Heeresgruppen (1942-44) 102, 128-132, 134-136, 188-190, 194, 196 f .• 204, 207, 209, 212 f., 215-217 Mao Tse-tung, chinesischer Kommunistenführer 252 Marshall, George C.. amerikanischer General, Chef des Generalstabs ( 1939-45), Außenminister (1947-49) 170-172, 174, 176f.,179,184 Matsuoka, Yosuke, japanischer Politiker, Außenminister ( 1940-41) 249 Milch, Erhard, deutscher Generalfeldmarschall, Staatssekretär im Reichsluftfahrtministerium (1933-44) 194 Mikolajczyk, Stanislaw, polnischer Politiker, Ministerpräsident der Exilregierung (I 943-45) 309 Mitscher, Mare A., amerikanischer Admiral, Befehlshaber einer Trägerkampfgruppe (1944-45) 263 Model, Walter, deutscher Generalfeldmarschall, Oberbefehlshaber der 9. Armee ( 1942-44 ), Oberbefehlshaber von Heeresgruppen (1944-45) 190, 197, 204, 216 f., 224 f .. 294-297, 347,349-351 Molotow (eigentlich Skrjabin), Wjatscheslaw M .. sowjetischer Politiker, Vorsitzender des Rates der Volkskommissare (1930-41), Außenminister (1939-49) 13, 165-168, 172, 174 f., 183, 324, 328, 359, 381 Montgomery, Bemard, britischer Feldmarschall, Oberbefehlshaber alliierter und britischer Bodentruppen in Nordwesteuropa (1944-45) 290, 295-297

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Morgan, Frederick, britischer General, Chef des Stabes für den alliierten Oberbefehlshaber Nordwesteuropa (1943-44) 290, 304 f. Morgenthau, Henry, amerikanischer Finanzminister (1934-45) 308, 328-331, 333 Mountbatten, Louis, britischer Admiral, Befehlshaber amphibischer Operationen (1942-43), Oberbefehlshaber Südostasien (1943-46) 173 Mussolini, Benito, italienischer Faschistenführer, Ministerpräsident (1922-43), Diktator 7, 186, 227, 242, 285-287, 289, 333, 358 Nagano, Osami, japanischer Admiral, Chef des Admiralstabs (1941-44) 7, 16 f., 35, 40-42, 46, 267 Nagumo, Chuichi, japanischer Admiral, Befehlshaber von Trägerkampfgruppen (1941-42), Marinebefehlshaber auf den Marianen (I 944) 18, 43 f., 50-63, 69, 270f. Nehru, Jawaharlal, indischer Politiker und Freiheitskämpfer, Ministerpräsident Indiens (1947-64) 246, 249 Nehru, Motilal, indischer Politiker und Freiheitskämpfer 246 Nimitz, Chester W., amerikanischer Admiral, Oberbefehlshaber der Pazifikflotte (ab 1941) und Oberbefehlshaber im Kommandobereich Pazifik (1942-45) 34, 48, 51 f., 66,254,261-263,267,274,276 Nishimura, Shoji, japanischer Admiral, Befehlshaber eines Schlachtschiffverbandes (1944) 275-278 Oshima, Hiroshi, japanischer General, Botschafter in Berlin (1938-45) 10, 20,25 Oster, Hans, deutscher General, Widerstandskämpfer 339 Ozawa, Jisaburo, japanischer Admiral, Befehlshaber von Flottenverbänden (I 94144), Oberbefehlshaber der Vereinigten Flotte (1945) 269 f., 272-276

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Personenregister

Patton, George S., amerikanischer General, Oberbefehlshaber einer Armee (1944-45) 294 Paulus, Friedrich, deutscher Generalfeldmarschall, Oberquartiermeister im Generalstab des Heeres (1940-42), Oberbefehlshaber der 6. Armee (1942-43) 105, 121 f., 127 f., 131 f. Petain, Philippe, französischer Marschall, Staatsoberhaupt ( 1940-44) 286 Raeder, Erich, deutscher Admiral, Oberbefehlshaber der Kriegsmarine (1935-43) 23, 25 Ramsey, Bertram, britischer Admiral, Oberbefehlshaber der alliierten Seestreitkräfte für die Landung in Frankreich (1943-45) 290 Reichenau, Walter von, deutscher Generalfeldmarschall, Oberbefehlshaber von Armeen sowie einer Heeresgruppe (193942)74, 89,92 Reinhardt, Georg Hans, deutscher General, Führer von Panzerverbänden, Oberbefehlshaber einer Armee sowie einer Heeresgruppe (1942-45) 225 Ribbentrop, Joachim von, NSDAP-Politiker, Außenminister (1938-45) 241 f., 337 Richthofen, Wolfram Frhr. von, deutscher Generalfeldmarschall, Oberbefehlshaber von Luftflotten (1942-44) 127 Röhm, Ernst, NSDAP-Politiker, Stabschef der SA (1931-34) 339 Rokossowski, Konstantin K., sowjetischer Marschall, Oberbefehlshaber von Fronten bzw. Heeresgruppen ( 1942-45) 205, 356 f. Rommel, Erwin, deutscher Generalfeldmarschall, Führer von Panzerverbänden, Oberbefehlshaber von Heeresgruppen (1943-44) 95, 285-287, 292-294, 336 Roosevelt, Franklin Delano, Präsident der USA (1933-45) 7, 9-11, 13, 19, 28-30, 138-142, 146-157, 161-168, 170-177, 179, 183-185, 233 f., 245, 247 f., 254258, 262, 279, 298-300, 302-308, 310316, 320-330, 332 f., 359, 362, 370, 373, 379,386 f.

Rundstedt, Gerd von, deutscher Generalfeldmarschall, Oberbefehlshaber von Heeresgruppen ( 1939-41 ), Oberbefehlshaber West (1942-45) 74, 89, 292-294, 346, 349 f. Ruoff, Richard, deutscher General, Oberbefehlshaber der 17. Armee (1942-43) 106 Sauckel, Fritz, NSDAP-Politiker, Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz ( 1942-45) 241 Schaposchnikow, Boris M., sowjetischer Marschall, Generalstabschef ( 1937-40, 1941-42) 77 Schmidt, Arthur, deutscher General, 1942/ 43 Stabschef der 6. Armee 127 Schmundt, Rudolf, deutscher Offizier, Wehrmachtadjutant bei Hitler (1938-44) 80, 193 Schömer, Ferdinand, deutscher Generalfeldmarschall, Oberbefehlshaber von Heeresgruppen (1944-45) 217,357 Schukow, Georgij, sowjetischer Marschall, Generalstabschef ( 1941 ), Oberbefehlshaber an Frontabschnitten (1941-45) 77, 125,201, 356 f. Schwerin von Krosigk, Johann, deutscher Reichsfinanzminister (1932-45) 358 Seyd1itz-Kurzbach, Watther von, deutscher General, Korpsbefehlshaber bei Stalingrad (1942/43) 131 Shigemitsu, Mamoru, japanischer Diplomat, Außenminister (1943-45) 362, 364 Sikorski, Wladislaw, polnischer General und Politiker, Ministerpräsident der Exilregierung (1939-43) 309, 313 Somerville, James, britischer Admiral, Oberbefehlshaber der Indienflotte (I 94244)43 Speer, Albert, Architekt, deutscher Reichsminister für Bewaffnung und Kriegsproduktion (1942-45) 94, 98-100, 117, 194, 215 f., 240, 281 f., 298, 337, 339, 342, 345,351 Spellman, Francis Joseph, Erzbischof von New York (1939-67), Kardinal (seit 1946) 152-154, 162, 179, 304, 307, 310 f.

Personenregister Spruance, Raymond A., amerikanischer Admiral, Befehlshaber einer Trägerkampfgruppe ( 1942), Stabschef des Oberbefehlshabers im Pazifik (1942-43), Oberbefehlshaber der 5. US-Flotte (1943-45) 52, 56, 63, 262 f., 367 Stalin (eigentlich Dschugaschwili), Jossif W., Generalsekretär der KPdSU (192253), sowjetischer Ministerpräsident (1941-53), Diktator 11-13, 24, 90, 116, 125, 137, 152 f., 157-161, 163-165, 167170, 179 f., 183 f., 186, 201, 254, 258, 299 f., 302-304, 306-311, 315-317, 320324, 326-328, 331, 333, 354, 356, 359362, 366, 377 f., 380-382, 387 Stauffenberg, Benhold Schenk Graf von, deutscher Jurist, Widerstandskämpfer 239 Stauffenberg, Claus Schenk Graf von, deutscher Offizier, Stabschef beim Befehlshaber des Ersatzheeres ( 1944), Widerstandskämpfer 238 f. Stimson, Henry L., amerikanischer Politiker, Außenminister (1929-33), Kriegsminister (1940-45) 9, 176, 302, 328-330, 371 Strauß, Adolf, deutscher General, Oberbefehlshaber der 9. Armee (1940-42) 89 Stülpnagel, Kar! Heinrich von, deutscher General, Militärbefehlshaber in Frankreich (1942-44 ), Widerstandskämpfer 239 Sugiyama, Hajime, japanischer General, Chef des Generalstabs ( 1940-44) 16, 35 Sukarno, Achmed, indonesischer Politiker, Gründer der Indonesischen Nationalpartei ( 1927), indonesischer Staatspräsident (1945-70) 246, 385 Suzuki, Kantaro, japanischer Admiral, Ministerpräsident (1945) 365 Timoschenko, Semjon, sowjetischer Marschall, Verteidigungsminister ( 1940-41 ), Oberbefehlshaber an Frontabschnitten (1941-45) 77, 92 Tito (eigentlich Broz), Josip, Generalsekretär der jugoslawischen kommunistischen Partei (1927), Partisanenführer (1941-45), jugoslawischer Ministerpräsident ( 194553) 243

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Todt, Fritz, NSDAP-Politiker, Reichsminister für Bewaffnung und Munition (194042) 6, 240 Togo, Shigenori, japanischer Diplomat, Außenminister (1941-42, 1945) 250, 365 Tojo, Hideki, japanischer General, Kriegsminister (ab 1940) und Ministerpräsident (1941-44 ), Generalstabschef (1944) 7, 35, 250,267,270,273,333 Toyoda, Soemu, japanischer Admiral, Oberbefehlshaber der Vereinigten Flotte (1944-45) 270 f., 274 Tresckow, Henning von, deutscher General, Stabschef der 2. Armee (1943-44), Widerstandskämpfer 239 Truman, Harry S., amerikanischer Politiker, Vizepräsident ( 1945), Präsident ( 1945-53) 163,373,378,380-382 Tschiang Kai-schek, chinesischer Offizier und Politiker, Führer der chinesischen Nationalpartei, Diktator 168, 251-258, 260,378,380,384 Ugaki, Matome, japanischer Admiral, Stabschef des Oberkommandos der Flotte (1941-43 ), Befehlshaber von Flottenverbänden ( 1944-45) 52, 270 f., 276 f. Viktor Emanuel III., König von Italien (1900-46) 289 Wagner, Eduard, deutscher Offizier, Generalquartiermeister im Generalstab des Heeres ( 1940-44), Widerstandskämpfer 85,94,118 Wang Tsching-wei, chinesischer Politiker, Chef einer Regierung in Nanking im japanischen Besatzungsgebiet (1940-44) 250 Warlimont, Walter, deutscher Offizier, Chef der Abteilung Landesverteidigung im Wehrmachtführungsamt bzw. Wehrmachtführungsstab des OKW (1938-41), stellvertretender Chef des Wehrmachtführungsstabs (1942-44) 94, 120, 192, 202, 208

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Personenregister

Wassilewski, Alexander, sowjetischer Marschall, Generalstabschef ( 1942-45) 125 Watutin, Nikolai, sowjetischer General, Oberbefehlshaber von Fronten bzw. Heeresgruppen ( 1942-44) 205 Wedemeyer, Albert C., amerikanischer Offizier, Generalstabstätigkeit ( 1941-43 ), Befehlshaber der amerikanischen Streitkräfte in China ( 1944-46) 171 Weichs, Maximilian Frhr. von, deutscher Generalfeldmarschall, Oberbefehlshaber von Armeen sowie einer Heeresgruppe (1939-43), Oberbefehlshaber Südost (1943-45) 105-108, 121 f., 127-129, 131, 226 Weizsäcker, Ernst von, deutscher Diplomat, Staatssekretär im Auswärtigen Amt (1938-43) 124 Welles, Sumner, Unterstaatssekretär im amerikanischen Außenministerium (1937-43) 138 f., 146, 161, 163, 247 f., 312-316,324

Wenneker, Paul, deutscher Admiral, Marineattachc! in Japan 39 Westphal, Siegfried, deutscher Generalstabsoffizier 95 Wilson, Thomas Woodrow, Präsident der USA (1913-21) 28, 138 f., 141 f., 150, 155, 246 f., 257, 322, 326 f. Winant, John G., amerikanischer Botschafter in London (1941-46) 165 Wlassow, Andrej, sowjetischer General, Gründer einer Russischen Befreiungsarmee 102,244 Yamamoto, lsoroku, japanischer Admiral, Oberbefehlshaber der Vereinigten Flotte (1939-43) 16 f., 37-42, 45-47, 50-52, 56, 59-63, 65, 69, 70 f. Zeitzler, Kurt, deutscher General, Chef des Generalstabs des Heeres (1942-44) 114, 122 f., 126-128, 130 f., 134 f., 189, 194, 198, 207 f., 212, 215,217,223,225