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German Pages 369 [372] Year 1950
A. LANGELÜDDEKE GERICHTLICHE PSYCHIATRIE
GERICHTLICHE PSYCHIATRIE VON
P R O F . DR. A L B R E C H T L A N G E L Ü D D E K E LEITENDER ARZT DER LANDESHEILANSTALT MARBURG A. L.
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WALTER DE G R U Y T E R & CO. vormals G . J. Göschen'sche Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp.
BERLIN W 5 5
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten. Copyright 1950 by WALTER D E GRUYTER & CO. vorm. G. J . Gòschen'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer • Karl J . Trübner • Veit & Comp. Berlin W 35 Archiv-Nr. 5155 50 Printed in Germany. Druck: Thormann & Goetsch, Berlin S W 6 1
Vorwort Das von H o c h e herausgegebene ausgezeichnete Standardwerk über gerichtliche Psychiatrie ist in seiner letzten Auflage 1934 erschienen. Seither sind wesentliche Neuerungen auf dem Gebiet der Rechtsprechung zu verzeichnen, Neuerungen, an denen auch die Psychiatrie erheblich interessiert ist. Es machte sich daher schon seit einer Reihe von Jahren das Bedürfnis nach einer Neubearbeitung des Stoffes geltend, und zwar sowohl bei Psychiatern als auch bei Juristen, die, wie ich in Vorlesungen immer wieder feststellen konnte, das Bedürfnis haben, der Persönlichkeit des Rechtsuchenden gerecht zu werden. Ich hatte daher schon während des Krieges mit Vorarbeiten für eine Neubearbeitung begonnen und habe die Arbeit trotz mancher Schwierigkeiten, die sich aus der Neuordnung des Rechts unmittelbar nach Beendigung der Kampfhandlungen ergaben, fortgesetzt. Im Sommer 1946 lag das Buch im wesentlichen fertig vor, konnte damals aus äußeren Gründen aber noch nicht veröffentlicht werden; ich habe den Stoff später einer nochmaligen Überarbeitung unterzogen. Das Buch ist vorwiegend gedacht für die auf dem Gebiete der Rechtspflege tätigen Ärzte und Juristen. Dem entspricht die Anlage: ich habe in den rechtlichen Teilen die höchstrichterliche Rechtsprechung weitgehend berücksichtigt, so daß, wie ich hoffe, eine schnelle und ausreichende Orientierung darüber möglich ist. Die beiden letzten Teile des Buches — allgemeine und spezielle Psychopathologie — sollen nicht die vorhandenen eingehenden Darstellungen ersetzen; für den ärztlichen Gutachter sind sie nur so weit gedacht, als sie ihm Anhaltspunkte für die aus dem ärztlichen Befunde zu ziehenden rechtlichen Schlüsse geben sollen. Dagegen soll der Jurist sich kurz über die psychopathologischen Erscheinungen und die psychiatrischen Krankheitsbilder orientieren können. Dazu genügte eine knappe, sich auf das Wesentliche beschränkende Darstellung. Daß diese wegen der vielfachen Verwendung von Fach-
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Vorwort
ausdrücken für den Juristen nicht ganz leicht zu lesen sein wird, ließ sich leider nicht vermeiden; ich habe daher zur Erleichterung des Lesens eine Erklärung der wichtigsten Fachausdrücke angeschlossen. Ein Lehrbuch soll im allgemeinen die gesicherten Ergebnisse wiedergeben. Ich habe darüber hinaus, wo es mir nötig erschien, die Problematik berührt und auf Schwächen der Gesetzgebung in offener, aber, wie ich glaube, sachlicher Kritik hingewiesen. Zu danken habe ich für mancherlei Hinweise namentlich von Juristen. Mein Dank gehört weiter meiner Frau für ihre Mithilfe bei der Besorgung der Korrekturen, schließlich aber dem Verlag, der trotz aller äußeren Schwierigkeiten die Geduld nicht verlor. Marburg/Lahn, im Sommer 1950. A. L a n g e l ü d d e k e
Inhalt Seite
Vorwort
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Inhalt
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Abkürzungen
IX Das Strafrecht
Einleitung Der Gutachter und seine Tätigkeit Die Zurechnungsfähigkeit der geistig Abnormen Die verminderte Zurechnungsfähigkeit Die Zurechnungsfähigkeit bei geistig Defekten Die Zurechnungsfähigkeit der Taubstummen Die Maßregeln der Sicherung und Besserung Die strafrechtliche Behandlung der Alkohol- und Suchtdelikte Die Entmannung als Maßnahme der Sicherung und Besserung Die strafrechtliche Behandlung der Jugendlichen Sexuelle Delikte an Geisteskranken Verfall in Siechtum oder in Geisteskrankheit Die Verantwortlichkeit des Irrenarztes und Irrenpflegers
. . . . . .
1 8 14 41 50 56 58 68 81 88 99 103 107
Die Strafprozeßordnung Der Geisteskranke als Zeuge Der Geisteskranke als Angeschuldigter, Angeklagter und Verurteilter
116 120
Bfirgerlidies Recht Juristische Vorbemerkungen Die Geschäftsunfähigkeit Die Entmündigung Die Pflegschaft Geisteskrankheit und Ehe Prozeß- und Eidesfähigkeit Geisteskrankheit und Testierfähigkeit Die Deliktfähigkeit Haftung und Kausalität im bürgerlich-rechtlichen Sinne Kritisches und Vorschläge
128 130 142 161 164 182 184 186 190 202
VIII
Inhalt Allgemeine gerichtliche Psychopathologie
Vorbemerkung Störungen des Störungen des Störungen des Störungen der Störungen des
Seite
206 206 212 217 226 231
Wahrnehmens Gedächtnisses Denkens Gefühle, der Stimmung und der Affekte Trieblebens Spezielle gerichtliche Psychopathologie
Vorbemerkung Angeborene und früh erworbene Schwachsinnszustände (Idiotie, Imbecillität, Debilität) Psychische Störungen nach Hirnverletzungen Die psychischen Störungen infolge von Syphilis Die epidemische Encephalitis Psychische Störungen des höheren Lebensalters und andere organische Hirnerkrankungen Psychische Störungen bei körperlichen Erkrankungen Die psychischen Störungen bei den Generationsvorgängen des Weibes Die psychischen Störungen durch Alkohol Vergiftungen und Suchten Krampfkrankheiten Die Gruppe der Schizophrenien Der manisch-depressive Formenkreis Psychopathische Persönlichkeiten Abnorme Reaktionen und Entwicklungen Erklärung von Fachausdrücken Sachverzeichnis
. . .
243 243 248 253 259 264 271 277 282 292 302 309 321 327 336 342 345
Verzeichnis der besprochenen Paragraphen
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Autorenverzeichnis
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Abkürzungén Achilles-Greif = Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 17. Aufl. 1943. A. Z. Ps. = Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie. BGB. = Bürgerliches Gesetzbuch. Bumke = Handbuch der Geisteskrankheiten, herausgegeben von Bumke. D. J. = Deutsche Justiz. D. J. Z. = Deutsche Juristenzeitung. D. R. = Deutsches Recht. D. Z. g. M. = Deutsche Zeitschrift für die gesamte gerichtliche Medizin. EG. = Ehegesetz von 1946. EG. 1938 = Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und Ehescheidung im Lande Österreich und im übrigen Reich vom 6. VII. 1938. GgG. = Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung. Gürtner = Gürtner, Das kommende Strafrecht. Hoche I, II, III = Handbuch der gerichtlichen Psychiatrie, herausgegeben von Alfred Hoche, I. Aufl. 1901, II. Aufl. 1908, III. Aufl. 1934. HRR. = Höchstrichterliche Rechtsprechung. JGG. = Jugendgerichtsgesetz vom 16. II. 1923. J. W. = Juristische Wochenschrift. L. K. IV. = Leipziger Kommentar, IV. Auflage. M. Kr. B. = Monatsschrift für Kriminalbiologie und Strafrechtsreform. M. Kr. Ps. = Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform. Palandt = Kommentar zum BGB., 5. Aufl. 1942. Ps. neur. Wschr. = Psychiatrisch-neurologische Wochenschrift. RGSt. = Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen. RGZ. = Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen. RJGG. = Reichsjugendgerichtsgesetz vom 6. XI. 1943. RKG. = Entscheidungen des Reichskriegsgerichts. v. Scanzoni = Kommentar zum Ehegesetz von 1938, 2. Aufl. Schönke = Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2. Aufl. 1944. Staudinger I = Kommentar zum BGB., Band I. StGB. = Strafgesetzbuch. StPO. = Strafprozeßordnung. TestG. = Gesetz über die Errichtung von Testamenten und Erbverträgen vom 31. VII. 1938. verm. Z. = verminderte Zurecfanungsfähigkeit. Volkmar — Großdeutsches Eherecht, Kommentar. Warn. Rspr. = Warneyer Rechtsprechung. Z. = Zurechnungsfähigkeit. Zb. Neur = Zentralblatt für die gesamte Neurologie und Psychiatrie. Z. Neur. = Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie. Ziv. Arch. = Archiv für zivilistische Praxis, Neue Folge. ZPO. = Zivilprozeßordnung. Z. St. W. = Zeitschrift für die gesamte Strafreditswissenschaft. ZU. = Zurechnungsunfähigkeit. L a n g e l ü d d e k e , Gerichtliche Psychiatrie.
Einleitung Im Vergleich zur Rechtswissenschaft ist die Psydiiatrie als Wissenschaft noch sehr jung. Ihre eigentliche Entwicklung begann langsam etwa zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Aber erst allmählich wurde sie zu einer naturwissenschaftlichen Disziplin. Noch K a n t war der Meinung, die Behandlung Geisteskranker sei Sache der Philosophen, noch in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war eine moraltheologisdie Betrachtungsweise üblich — man sah in den Geisteskrankheiten Folgen der Sünde — und erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts fand die naturwissenschaftliche Betrachtungsweise Eingang in die Psychiatrie. Mit ihr bahnten sich Fortschritte an, die im Laufe der Zeit dahin führten, daß aus der Vielfalt der Meinungen, der Systeme, sich eine gewisse Einheitlichkeit in der Einteilung und Abgrenzung der Geisteskrankheiten entwickelte, die auch heute noch trotz mancher Auflösungstendenzen zu Recht besteht und jedenfalls eine schnelle und leichte Verständigung ermöglicht1). Man begann klinisch-naturwissenschaftlich zu denken und auch die Psyche des Menschen als etwas vom menschlichen Körper und seinen Funktionen Abhängiges zu begreifen. Aus dieser Denkweise ergab sich jedoch ein gewisser Gegensatz zum Juristen. Dieser war gewohnt, formal-logisch zu denken; jeder Begriff hatte für ihn einen bestimmten Gehalt, ihm war naturwissenschaftliches Denken im allgemeinen ebenso fremd, wie dem Arzt das formal-logische Denken des Juristen. Ein zweiter Gegensatz in der Betrachtimgsweise ergab sich daraus, daß das kriminelle Geschehen von verschiedenen Blickpunkten aus gesehen wurde. Während der Psychiater den Täter in den Vordergrund stellte und von ihm, von seiner Wesensart aus die Tat zu verstehen suchte, war für den Juristen die Tat und deren Erfolg das Wesentliche. Aus dieser Divergenz des Denkens und der Sicht entstanden in früheren Zeiten manche Unstimmigkeiten. Der psychiatrische Sachverständige galt vielfach als ein notwendiges Übel, der seinen schützenden Arm auch da über den Delinquenten hielt, wo es nicht angebracht schien. Dieser Vorwurf war sicher in manchen Fällen berechtigt, kaum jedoch bei w i r k l i c h Sachverständigen. Allmählich nun glichen sich die Gegensätze aus: der Jurist schob mehr und mehr auch den Täter in den Blickpunkt seines Interesses; der Psychiater lernte das formal-logische Denken des Juristen, der Große Verdienste hat sich dabei K r a e p e l i n erworben, den man den L i n n é der Psydiiatrie nennen könnte. L a n g e lüd d e k c , Gerichtliche Psychiatrie.
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Einleitung
letztere das naturwissenschaftliche Denken des Arztes besser bewerten. An die Stelle des früheren Mißtrauens ist ein vertrauensvolles sich gegenseitig befruchtendes Zusammenarbeiten getreten 1 ). Zwei Aufgaben sind es vornehmlich, die der psychiatrische Sachverständige zu erfüllen hat: 1. soll er der Gehilfe des Richters sein; er soll durch sein Gutachten zur Findung des Rechts beitragen. Diese Aufgabe ist die praktisch wichtigere; ihr sollen in erster Linie die folgenden Ausführungen dienen. ,2. soll er die wissenschaftlichen Grundlagen schaffen helfen, auf denen die rechtliche Behandlung der geistig Abnormen aufgebaut werden kann. Kriminalpolitik ist, wie A s c h a f f e n b u r g bemerkt 2 ), ohne psychiatrische Vor- und Mitarbeit nicht denkbar 3 ). Diese wissenschaftliche Arbeit muß, wenn sie erfolgreich sein soll, gemeinsam mit Juristen, Psychologen, Erblichkeitsforschern und Soziologen geschehen. Gegenstand der gerichtlichen Psychiatrie und damit der folgenden Darstellung ist der Mensch; aber nicht der Mensch schlechthin, sondern in seinen Beziehungen zur Rechtspflege. Dabei ist die Zahl der Fragestellungen umfangreicher geworden: Früher war im Strafrecht einzig die Frage der Zurechnungsfähigkeit zu prüfen und für die Beantwortung derselben der Geisteszustand eines Menschen zu einer bestimmten Zeit und seine Auswirkungen für eine bestimmte Tat festzustellen. Heute ist darüber hinaus etwa zu prüfen, ob die öffentliche Sicherheit die Unterbringung eines Zurechnungsunfähigen oder vermindert Zurechnungsfähigen erfordert, eine Frage, die eine vorausschauende Betrachtungsweise nötig macht. Das gleiche gilt für wichtige prognostische Fragen im Jugendgerichtsverfahren und bei der kriminalbiologischen Begutachtung, die hier freilich nur gestreift werden soll. Weniger einschneidend sind die Veränderungen im bürgerlichen Recht; aber auch hier sind Fragen für eine bestimmte Zeit und bestimmte Rechtsgeschäfte (Geschäftsfähigkeit, Prozeßfähigkeit) wie Zukunftsfragen (Entmündigung, Ehescheidung) zu beantworten. Der jeweilige Zustand eines Menschen ist das Ergebnis aus Anlage und Umwelteinflüssen. Beide lassen sich nur begrifflich trennen; in der Wirklichkeit bilden sie ein Ganzes: „denn die Anlage erlangt erst Bedeutung duich ihre Entfaltung an Umwelterlebnissen; was aber als Umwelt erlebt wird, hängt", jedenfalls zu einem großen Teil „von der Anlage der erlebenden Persönlichkeit ab" 4 ). Will man ] ) Das hat u. a. in der Gründung verschiedener forensisch-psychiatrischer Gesellschaften und in der von Juristen und Psychiatern gemeinsam herausgegebenen Monatsschrift für Kriminalbiologie (früher Kriminalpsychologie) seinen Ausdruck gefunden. 2 ) In H o c h e III, S. 2. 3 ) In den Werken mandler Juristen — ich nenne nur M e z g e r s Kriminalpolitik (Stuttgart 1942) und E x n e r s Kriminalbiologie (Hamburg 1943) nimmt die Erörterung psychiatrischer Probleme einen breiten Raum ein. 4) E i n e r , Kriminalbiologie 2. Aufl., S. 23.
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daher einen Menschen richtig würdigen, will man sein Tun verständlich machen, so wird man diese Faktoren herausarbeiten und in ihrer dynamischen Wechselwirkung darstellen müssen. So ist es sdion nicht gleichgültig, aus welchem Volke jemand stammt. Wir wissen, daß die Mordziffern im heißblütigen Italien die der ruhigen Nordländer weit überwiegen, und müssen das nach allen vorliegenden Untersuchungen mit dem Volkscharakter in Verbindung bringen. J a selbst innerhalb Deutschlands sind recht deutliche Unterschiede zwischen der überwiegend nordischen Bevölkerung Nordwestdeutschlands und den Randbezirken vorhanden, die sich nicht allein auf den höheren Alkoholverbrauch der letzteren zurückführen lassen. Im Einzelfall hat freilich die Herkunft kaum einmal etwas zu bedeuten. Viel wichtiger ist die Familie, die erbliche Belastung. H o c h e meint freilich, es werde von Ärzten, Verteidigern und auch Richtern dieser Frage ein übertriebener Wert beigelegt1). Er meint, entweder sei der Mensch gesund, und dann sei es unerheblich, ob seine Mutter oder sein Großvater krank waren. Oder er sei krank; dann sei das Ausmaß seiner Abnormität für unser Gutachten entscheidend, nicht aber die Frage, woher die Krankheit rühre. Diese Ansicht ist nur teilweise richtig, nämlich bei den Fragen, die die Gegenwart oder gar die Vergangenheit betreffen, also etwa bei der Frage nach der Zurechnungsfähigkeit oder der Geschäftsfähigkeit. Schon dabei kann man jedoch an der familiären Belastung nicht vorübergehen. Einmal ist sie für die Diagnose manchmal von ausschlaggebender Bedeutung. Wir denken z. B. an Depressionszustände unklarer Art, bei denen ähnliche Zustände in der Familie oder auch nur das Vorhandensein bestimmt gearteter Persönlichkeiten (syntone Pykniker) die Diagnose wesentlich sicherer stellen lassen, oder an Krämpfe, über die wir uns aus den vorliegenden Berichten kein genaues Bild machen können, .bei denen Epilepsie in der Ascendenz ein wichtiger Baustein für die Erkennung werden kann. Dann aber ist die Wahrscheinlichkeit, daß Menschen aus schwer belasteten Familien selbst abnorm sind, zweifellos größer als bei gesunden Familien. Wird dem Verteidiger oder dem Untersuchungsrichter eine solche Belastung bekannt, so würde ich es für einen unverzeihlichen Fehler halten, wenn man sie als etwas Gleichgültiges betrachten würde. Ich habe jedenfalls in solchen Fällen den Verteidigern stets geraten, eine fachärztliche Untersuchung auch dann anzuregen, wenn ihr Klient selbst nicht grob auffällig war. Wir wissen gar zu gut — und es wird später noch Gelegenheit sein darauf einzugehen —, daß einwandfrei Geisteskranke jahrelang als vielleicht etwas sonderbar, aber doch gesund erscheinen können. Der Gutachter hat dann die Aufgabe, die Bedeutung der erblichen Belastung auf ihr richtiges Maß zurückzuführen. Diese wächst erheblich, sobald es sich um ') Handbuch, 3. Aufl., S.255ff. 1*
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Zukunftsfragen handelt, um das voraussichtliche spätere Verhalten. Wenn es gelingt, dafür aus der ererbten Anlage Anhaltspunkte zu gewinnen, so bedeutet das eine erstrebenswerte Sicherung des eigenen Urteils. Daß für manche Fragen, z. B. für die Aufhebung der Ehe, die erbliche Belastung von ausschlaggebender Bedeutung sein kann, sei einstweilen nur am Rande vermerkt. Der ererbten Anlage, dem Genotypus, steht die Umwelt gegenüber. Wissenschaftlich unterscheidet man eine innere Umwelt von der äußeren. Die innere Umwelt ist im Einzelfall nicht faßbar, spielt auch für unsere Fragen keine Rolle. Dagegen sind die äußeren Umwelteinflüsse von recht erheblicher Bedeutung: Es ist schon nicht gleichgültig, ob die Ehe der Eltern gut ist, oder ob sie durch Zank und Streit beherrscht wird. Das gute oder schlechte Vorbild der Eltern ist ein wesentlicher Umweltfaktor, zumal gerade damit zusammenhängende Erlebnisse das kindliche Gemüt in einer Zeit treffen, wo es am eindrucksfähigsten ist. Erziehung zu Hause und in der Schule, kirchliche Einflüsse, Freundschaften, Lektüre, Kino, Vereine, Beruf (früher Wehrmacht, Arbeitsdienst, Hitler-Jugend), aber audi die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, Krankheiten und Lebensschicksale sind Faktoren, die Beachtung verdienen. Welche Wirkungen so katastrophale Umwälzungen, wie wir sie jetzt erleben, auf die Kriminalität haben, sieht jeder, der mit offenen Augen durch die Welt geht. Sicher erscheint es mir, daß sie die nach dem ersten Weltkriege noch übertreffen werden. Aus der Wechselwirkung zwischen Anlage und Umwelt ergibt sich erst der Mensch, mit dem wir es in der Wirklichkeit zu tun haben (sog. Phaenotypus). Das gilt für den gesunden Menschen, das gilt ebenso für die Abnormen, mit denen es die Psychiatrie zu tun hat. Dabei ist ein kurzer Exkurs darüber notwendig, was wir unter „abnorm" verstehen. Als „normal" bezeichnen wir das menschliche Erleben, Verarbeiten und Handeln, das innerhalb einer uns vorschwebenden Durchschnittsbreite innerhalb einer bestimmten Gesellschaft (Stand, Volk) liegt. Was von dieser Durchschnittsbreite abweicht, nennen wir „abnorm". Diese Begriffe sind, wie wir gleich sehen werden, anfechtbar; ihr Ersatz durch „gesund" und „krank" führt jedoch nicht weiter, weil hier ähnliche Unsicherheiten in der Begriffsbildung obwalten. Zunächst ist an der obigen Formulierung zu bemängeln, daß eine Grenzsetzung zwischen normal und abnorm nicht möglich ist. In der Tat ist es ganz dem Belieben des Untersuchers überlassen, wo er die Grenze zwischen beiden ziehen will. Irgend eine Vereinbarung darüber ist wegen der Flüssigkeit der Grenzen nicht möglich; theoretisch ist es sogar denkbar, alle Menschen als abnorm zu bezeichnen, da es kaum jemanden gibt, der nicht in irgend einer Beziehung von dem gedachten Durchschnitt abweicht. Ein weiterer Mangel dieser Begriffsbestimmung ist, daß er Menschen umfaßt, die wir gewöhnlich als völlig normal anzusehen pflegen, z. B. alle bezüglich ihrer Intelligenz über den Durch-
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schnitt Hinausragenden. Wir müssen daher, wollen wir den praktischen Bedürfnissen gerecht werden, den Begriff des Abnormen auf das Handeln einschränken, und können nun sagen, daß wir es mit denjenigen Menschen zu tun haben, die infolge einer von einem gedachten Durchschnitt abweichenden psychischen Verfassung in irgend einer Weise den Anforderungen des Lebens nicht gewachsen sind. Bei einer so weiten Fassung des Begriffs fallen unter ihn sowohl die anlagebedingten wie die erworbenen Geisteskrankheiten und ebenso die Schwachsinnszustände und die abnormen Persönlichkeiten. Daß bei dem Mangel an festen Grenzen auch zwischen Sachverständigen Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Zuordnung solcher Zustände auftreten können, liegt auf der Hand. Solche Divergenzen werden noch verständlicher, wenn man weiß, daß eine v ö l l i g objektive Beurteilung von Menschen überhaupt immöglich ist, da jede, aber auch jede Erkenntnis eines anderen Menschen von Faktoren abhängig ist, die im Untersucher selbst liegen. Trotzdem sind grobe Meinungsverschiedenheiten zwischen psychiatrischen Sachverständigen doch recht selten, so daß sie praktisch kaum eine Rolle spielen. Die Psychiatrie beschäftigt sich also mit abnormen psychischen Zuständen und Verhaltungsweisen. Da das Psychische nichts für sich Existierendes ist, sondern eine Funktion unseres Körpers, genügt es nicht, nur die p s y c h i s c h e n Ablaufsweisen zu durchmustern; in jedem Falle ist auch eine gründliche körperliche Untersuchung erforderlich, die sich auf den Körperbau, die Funktion der einzelnen Organe und besonders des Nervensystems erstreckt. Erst aus dem körperlichen und psychischen Befunde kann eine Diagnose abgeleitet werden. Von der früheren Ansicht, Geisteskrankheiten seien Gehirnkrankheiten, ist man freilich etwas abgekommen. Sicherlich ist das Gehirn das Organ, das bei den Geisteskrankheiten am meisten beteiligt ist. Aber auch andere Organe haben ihre Bedeutung für das Psychische. So spielen das sog. vegetative Nervensystem (die Lebensnerven) und die endokrinen Drüsen (Schilddrüse, Hoden, Eierstöcke usw.) für das Psychische eine nicht unbedeutende Rolle. Uber die Zusammenhänge im Einzelnen wissen wir freilich noch nicht allzuviel: es gibt Geisteskrankheiten wie etwa die progressive Paralyse oder die lobäre (sog. P i c k sehe) Atrophie, die mit schweren Zerstörungen im Gehirn einhergehen. Bei anderen Geisteskrankheiten, und zwar auch solchen schwerster Art, wie etwa bei den Verblödungszuständen der Schizophrenen, finden wir mit den bisher bekannten Methoden so gut wie keine Veränderungen im Gehirn. Hier steht unsere Forschung noch in den Anfängen1). Uber die körperliche Bedingtheit hinaus folgt das Psychische seiner eigenen Gesetzlichkeit. Hier hat die Psychiatrie enge Berührung mit !) Neuerdings haben Oskar und Cécile V o g t deutliche Zellveränderungen feststellen können. Ärztl. Forschung 1948, H. 7/8.
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der Normalpsychologie. Doch hat sich die in der Regel gelehrte Psychologie für psychiatrische Bedürfnisse als wenig brauchbar erwiesen. Daher haben sich die Psychiater vielfach ihre eigene Psychologie bilden müssen1). Bei der Untersuchung kommt es nun nicht allein darauf an, einen Querschnitt durch den zu untersuchenden Kranken zu legen, d. h. seinen augenblicklichen Zustand festzustellen. Ebenso wichtig ist der Längsschnitt: Wir müssen wissen, woher der Kranke stammt, wie seine Vorfahren beschaffen waren, was er in der Schule, was er im Beruf geleistet hat, ob er früher krank war, wie sich seine körperliche und geistige Entwicklung gestaltet hat, welche Interessen er hatte, welche Umwelteinflüsse auf ihn einwirkten und anderes mehr. Erst aus der kritischen Bewertung von Quer- und Längsschnitt wird sich etwas Endgültiges für unsere Beurteilung ergeben. Geisteskrankheiten, die bei bis dahin gesunden Menschen auftreten, bezeichnen wir als P s y c h o s e n . Grundsätzlich verschieden davon ist, was wir P s y c h o p a t h i e nennen. Darunter verstehen wir charakterliche Abartigkeiten verschiedener Art, die jedoch im Gegensatz zu den Psychosen nicht als wesensfremd erscheinen, sondern den betreffenden Personen von jeher eigentümlich waren. Nicht jeden Abartigen bezeichnen wir als Psychopathen, sondern nur denjenigen, der entweder selbst an seiner Abartigkeit leidet, oder an dessen Abartigkeit andere leiden. Näheres darüber wird namentlich der letzte Teil dieses Buches bringen. Die Mehrzahl der Psychosen hat ä u ß e r e u n d i n n e r e U r s a c h e n . Je nachdem die ersteren oder letzteren überwiegen, bezeichnen wir sie als exogen oder endogen. So beruhen die sogenannten Erbkrankheiten überwiegend auf der ererbten Anlage, sind also endogen; wir wissen jedoch z. B. über die Schizophrenie aus Untersuchungen an eineiigen Zwillingen, daß irgendwelche äußeren, uns bisher nicht bekannten Ursachen hinzukommen müssen, damit die Erkrankung manifest wird. Die verschiedenartigen Alkoholpsychosen (z. B. Delirium tremens, Korsakowpsychose) haben als wesentliche Ursache den übermäßigen Alkoholgenuß, sind daher exogen. Ob jemand jedoch an einer dieser Psychosen erkrankt, hängt von der Widerstandsfähigkeit seines Körpers gegenüber dem Alkohol ab, also von inneren Faktoren. Äußere Ursachen gibt es zahlreiche: Infektionskrankheiten aller Art (z. B. Typhus, Lungenentzündung, Gesichtsrose, Fleckfieber), Erkrankungen innerer Organe (erwähnt seien gewisse Blutkrankheiten und Krebs), Vergiftungen verschiedenster Art (Alkohol, Opium und Am bekanntesten ist die „Medizinische Psychologie* von K r e t s c h m e r, die in zahlreichen Auflagen erschienen ist; sehr wertvoll ist die .Allgemeine Psychopathologie" von Karl J a s p e r s , 4. Aufl., Berlin u. Heidelberg 1946.
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seine Abkömmlinge), Gehirnerkrankungen (Hirnhautentzündungen, Encephalitiden, Hirngeschwülste, Hirnverletzungen). Die wichtigste äußere Ursache ist neben dem Alkohol die Syphilis. Daneben gibt es Psychosen, die durch Einwirkung besonderer Erlebnisse unmittelbar auf das Seelenleben entstehen. Wir bezeichnen sie als psychogene Reaktionen oder als reaktive Psychosen. Dahin gehören z. B. reaktive Depressionszustände, „hysterische" Dämmerzustände, manche Haftpsychosen. Die E r s c h e i n u n g s w e i s e , das Symptombild der einzelnen Erkrankungen hängt nun keineswegs allein von den Ursachen ab. Neben den pathogenetischen Faktoren unterscheiden wir pathoplastische. Wie sich etwa jemand eine Sinnestäuschung zu erklären versucht, hängt von seinem Wissen über die derzeitigen technischen Errungenschaften ab: was der einfache primitive Mensch auf die Einwirkung von Hexen zurückführt, bringt ein anderer mit Radioapparaten in Verbindung. Das Wahnerleben eines klugen hochgebildeten Mannes ist sehr viel reicher als das eines Tagelöhners, die Wahnideen des männlichen Geschlechts sind abwechslungsreicher als die des weiblichen, bei dem erotische Ideen vorherrschen. Das Greisenalter hat eine andere Symptomatologie der Geisteskrankheiten als das reife Alter, und dieses wieder eine andere als die Pubertät. Der V e r l a u f d e r P s y c h o s e n ist recht verschieden. Die reaktiven Psychosen und diejenigen exogenen Psychosen, die nur Begleiterscheinungen anderer, körperlicher Erkrankungen sind, pflegen relativ schnell abzuklingen! andere exogene Psychosen, z. B. die progressive Paralyse, führen, wenn sie nicht rechtzeitig behandelt werden, zu schwerem geistigen Siechtum und schließlich zum Tode. Bei manchen Erkrankungen kann es zu recht guten Besserungen mit leichten oder schwereren Defekten, sogenannten Remissionen, kommen, die lange anhalten können. Derartige Remissionen werden z. B. bei der progressiven Paralyse bei geeigneter Behandlung oft beobachtet. Das manisch-depressive Irresein verläuft periodisch, in Phasen: Zeiten völliger Gesundheit wechseln mit Zeiten des Krankseins ab. Bei der Schizophrenie sprechen wir schließlich von Schüben: durch einen Krankheitsschub wird eine mehr oder weniger deutliche Niveausenkung hervorgerufen, die nach Remissionen von unbestimmter Dauer durch neue Schübe verstärkt werden kann. Im Einzelnen werden wir bei der Darstellung der speziellen gerichtlichen Psychopathologie auf diese Fragen zurückkommen.
Der Gutachter und seine Tätigkeit Der Arzt, der als psychiatrischer Gutachter tätig sein soll — nur dieser interessiert hier —, muß verschiedene Voraussetzungen erfüllen: e i n m a l muß er das Gebiet, auf dem er Gutachten abgeben soll, also die Psychiatrie, auch wirklich beherrschen. Dieser anscheinend so selbstverständlichen Forderung genügen keineswegs alle Ärzte. Man erlebt in dieser Beziehung immer wieder erstaunliche Dinge. Auf dem Gebiete der Psychiatrie glauben auch vielfach Laien, und zu diesen gehören auch die praktischen Ärzte, sachverständig zu sein. Dabei ist die Ausbildung der Studenten auf der Universität in keiner Weise für eine gutachtliche Tätigkeit ausreichend. Man bemüht sich, den Stoff gedächtnismäßig zu bewältigen, sieht in der klinischen Vorlesung auch Kranke; sobald man aber selbst Geisteskranke untersuchen soll, ist man anfangs doch oft recht ratlos. Das ist mir so gegangen, das ist, wie ich mich habe überzeugen können, auch anderen, anerkannt tüchtigen Ärzten so gegangen. Auch meine Erfahrungen bei Prüfungen im Staatsexamen haben mir bestätigt, daß bestenfalls gut angelerntes Wissen vorhanden war, daß aber von einem wirklich verständnisvollen Eindringen in psychiatrische Probleme keine Rede sein kann. Das ist auch gar nicht verwunderlich. Psychiatrisches V e r s t ä n d n i s erwirbt man sich erst durch jahrelanges Bemühen an den Kranken selbst. Dabei pflegt man drei Stadien zu durchlaufen: das erste besteht in einer innerlich noch nicht genügend verarbeiteten Stoffaneignung; da glaubt man schon alles zu wissen und zu können. Im zweiten Stadium setzen die Zweifel ein, es erscheint alles so wenig klar, die Grenzen so fließend, die Bilder so wechselvoll, daß man an seinem eigenen Können verzweifeln möchte. Erst im dritten Stadium lernt man diese Schwierigkeiten zu überwinden, sich Klarheit zu verschaffen, wo Klarheit möglich ist, Grenzfälle als solche zu erkennen, sich selbst aber die nötige innere Sicherheit zu erwerben. Der Nichtfachmann bleibt oft im ersten Stadium stecken; er ist dann als Gutachter gefährlich. Mein Bestreben bei der kurzfristigen Ausbildung etwa für das Kreisarztexamen geht deshalb dahin, dieses Stadium zu überwinden und das zweite des Zweifels zu erreichen. Die z w e i t e Voraussetzung ist, daß der Gutachter sich die juristischen Begriffe zu eigen macht, und daß er lernt, mit diesen zu arbeiten. Das muß in der Form des Gutachtens zu erkennen sein. Die Frage etwa, ob jemand zurechnungsunfähig für eine bestimmte Tat sei, zerfällt in vier Einzelfragen:
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1. ist nämlich die ärztliche Diagnose zu stellen; 2. ist zu untersuchen, wie unter Berücksichtigung der Diagnose der Geisteszustand zur Zeit der Tat war; 3. ist zu fragen, ob dieser Geisteszustand einer der biologischen Voraussetzungen (Bewußtseinsstörung, krankhafte Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche) zuzuordnen ist und 4. ist bejahendenfalls die psychologische Auswirkung dieses Zustandes klarzulegen. In dieser Beziehung lassen auch die fachärztlichen Gutachten noch recht viel zu wünschen übrig; sie behandeln solche Fragen viel zu summarisch. Ich hatte als Mitglied des gerichtsärztlichen Ausschusses der Provinz Hessen-Nassau Gelegenheit, die in der Provinz erstatteten Entmündigungsgutachten zu sehen; den hier gestellten Forderungen genügten diese Gutachten nur ausnahmsweise, obwohl an ihnen, arztlich gesehen, nur wenig auszusetzen war. Es ist aber nötig, daß man sich an den Wortlaut und an den Sinn der rechtlichen Vorschriften hält; nur dann kann der Richter wirklich etwas mit dem Gutachten anfangen, nur auf diese Weise werden sich auch Meinungsverschiedenheiten zwischen Richter und Sachverständigen auf ein Mindestmaß reduzieren lassen. D r i t t e n s muß völlige Objektivität verlangt werden. Daß das ganz gelingt, ist kaum zu erwarten. Niemand kann sich v ö l l i g frei machen von Sympathie und Antipathie1); man muß sich aber b e m ü h e n , das zu tun. Das ist keineswegs immer leicht. Wir Ärzte sind gewohnt zu helfen; das ist unsere schönste Aufgabe. Wenn wir daher einen uns sympathischen Menschen zu begutachten haben, so laufen wir Gefahr, das Gutachten zu seinen Gunsten zu färben. Helfen soll auch der Gutachter, aber nicht dem zu Begutachtenden, sondern dem Richter bei seinem Bestreben, die Wahrheit zu finden und danach Recht zu sprechen. Das ist eine Aufgabe, die gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Gefährdet ist die Objektivität auch bei Privatgutachten. Daher sollte man sich nach Möglichkeit nur vom Gericht als Gutachter bestellen lassen; sehr mit Recht wird von diesem ein von ihm angefordertes Gutachten dem Parteigutachten vorgezogen. Wird dem Facharzt von privater Seite das Ansinnen gestellt, ein Gutachten zu erstatten, so kann er, eventuell auf dem Wege durch den Anwalt, seine Beauftragung durch das Gericht erreichen. Immer wird das nicht gelingen; namentlich in zivilen Streitigkeiten wird man auch privatgrutachtliche Tätigkeit nicht ganz vermeiden können. Wenn man auf seinen Ruf als Gutachter bedacht ist, tut man jedoch gut, sich zu beschränken. S c h l i e ß l i c h ist es erforderlich, daß der Gutachter selbst eine gewisse Freude an seiner Tätigkeit hat. Nur wenn er bereit ist, *) S. dazu L a n g e l ü d d e k e , Zur Psychologie des Psychographierens. Z. f. angew. Psychologie 20, 1922.
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sich die oft recht große Mühe zu machen, die mit der Begutachtung verbunden ist, kann er wirklich etwas leisten. Das Gutachten muß das Notwendige enthalten, aber keinen überflüssigen Ballast. Es soll zunächst das Material aufzählen, auf das es sich stützt (Akten usw.); bei strafrechtlichen Gutachten soll es eine kurze Darstellung der Tat, bei zivilrechtlichen streitigen Verhandlungen auch eine Wiedergabe der verschiedenen Standpunkte enthalten. Notwendig ist auch die Sammlung aller Hinweise auf den Geisteszustand aus den Akten. Dabei vermeide man, soweit es sich um unwesentliche Dinge handelt, das wörtliche umständliche Abschreiben aus den Akten. Das W i c h t i g e gehört wörtlich ins Gutachten, aber auch nur dieses; das Gutachten gewinnt nur dadurch. Es ist selbstverständlich, daß die Gründlichkeit nicht darunter leiden darf. Es sind ferner die eigenen Ermittelungen (Angaben der Angehörigen, Zeugnisse, Beurteilungen durch Arbeitgeber, alte Krankengeschichten), der eigene Befund und die eigenen Beobachtungen anzuführen. Schließlich ist die Stellungnahme des zu Begutachtenden zur vorliegenden Frage wichtig. Auch hierbei kann man bei aller Gründlichkeit sich kurz fassen. Es ist z. B. in strafrechtlichen Gutachten nicht erforderlich, den gesamten Körperbefund ins Gutachten aufzunehmen, wenn dieser völlig normal ist; auch weitläufige Intelligenzprüfungen sind überflüssig bei Menschen, deren gute Intelligenz feststeht. Ich halte es für verfehlt, eine besondere Reihenfolge für die Einzelheiten vorzuschreiben; die Ordnung des Materials kann so oder so geschehen. Man sollte sich nach der Art des Materials und nicht nach einem Schema richten. Natürlich muß eine klare Disposition erkennbar sein. Der Materialsammlung folgt das eigentliche Gutachten, das zunächst die rein ärztliche Klärung des Falles bringen und dann auf Grund dieser Klärung die rechtlichen Fragen behandeln soll. Ganz allgemein ist zu sagen: das Gutachten soll keine mit Fachausdrücken gespickte, gelehrte Arbeit sein, sondern eine auch für den Laien lesbare, verständliche, auf ein praktisches Ziel ausgerichtete Darstellung. Nicht jeder Fall ist völlig zu klären; manchmal bestehen über eine Frage auch wissenschaftliche Meinungsverschiedenheiten. Dann soll man sie dem Richter unterbreiten, soll aber seine eigene Meinung dazu sagen und sie begründen. Auch in zweifelhaften Fällen soll man bei aller Würdigung der Zweifel dem Richter sagen, was man selbst für wahrscheinlich hält. Das schriftliche Gutachten ist, soweit es sich um Strafsachen handelt, etwas vorläufiges, etwas, was dem Richter sagt, wie voraussichtlich die Beurteilung sein wird. In der Regel stimmt das endgültige mündliche Gutachten, das in der Hauptverhandlung erstattet wird, damit überein. Manchmal ist man jedoch auf Grund des Verhaltens des Angeklagten und infolge von Zeugenaussagen gezwungen, sein Gutachten abzuändern. Mit gutem Recht soll daher der Sachverständige von Anfang an der Verhandlung beiwohnen.
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Audi das mündliche Gutachten muß in seiner Ausdrucksweise dem Verständnis der Richter, insbesondere der Laienrichter angepaßt sein. Man kann nicht einfach genug sprechen, wenn Schöffen oder Geschworene zu richten haben. Aber auch der gelehrte Richter ist dankbar, wenn er nicht mit vielen Fachausdrücken, die er nicht versteht, bombardiert wird. Für die Hauptverhandlung lege man sich eine Disposition zurecht, nicht mehr; innerhalb derselben läßt sich alles Notwendige, auch evtl. Neues, das die Verhandlung ergeben hat, unterbringen. Man spreche frei, kurz und so klar, daß Zweifel an der Meinung des Sachverständigen nicht entstehen. Es ist nicht gleichgültig, ob der Sachverständige selbst unsicher erscheint, oder ob er durch seine eigene, gutbegründete Sicherheit überzeugend wirkt. Ein psychiatrisches Gutachten ist eine geistige Leistung, die Wissen und mancherlei besondere Fähigkeiten voraussetzt und oft mit erheblicher Arbeit verbunden ist. Die ärztliche Standeswürde verlangt daher eine angemessene Entlohnung. Auch wenn man berücksichtigt, daß der Sachverständige, namentlich der beamtete Arzt, staatliche Aufgaben zu verrichten hat, ist die Bezahlung oft genug unwürdig1). Eine Neuregelung und Vereinheitlichung der veralteten und zum Teil ungerechten Bestimmungen wäre dringend erwünscht; dabei braucht man sich die manchmal überscharfe Form, in der H o c h e dieses Verlangen gestellt hat, nicht zu eigen zu machen2). Der Sachverständige hat nach Maßgabe der Gebührenordnung Anspruch auf Entschädigung für Zeitversäumnis, auf Erstattung der ihm verursachten Kosten und außerdem auf angemessene Vergütung für seine Mühewaltung (§84 StPO.).
Maßgebend ist dafür die Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige in der Fassung vom 21. Dezember 1925®). Für beamtete Ärzte sind in der Regel besondere Gebührenordnungen vorhanden, deren Sätze in keinem Verhältnis zu der wirklichen Leistung stehen. Bei besonders umfangreichen und schwierigen Gutachten besteht die Möglichkeit, höhere Sätze zu liquidieren, die dann aber vom Regierungspräsidenten als angemessen anerkannt sein müssen. Die für den Psychiater wichtigsten Bestimmungen der Strafprozeßordnung mögen hier kurz angeführt werden. § 73. (1) Die Auswahl der zuzuziehenden Sachverständigen und die Bestimmung ihrer Anzahl erfolgt durch den Richter. (2) Sind für gewisse Arten von Gutachten Sachverständige öffentlich bestellt, so sollen andere Personen nur dann gewählt werden, wenn besondere Umstände es erfordern. Vor Jahren erhielt ich für ein schwieriges Gutachten einen Stundenlohn von 0.50 RM., während mein Schreiber 2.— RM. erhielt. 2 ) M. Kr. Ps. 1933. *) Uber Einzelheiten orientiert die unter besonderer Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung von Paul M e y e r bearbeitete Deutsche Gebührenordnung für Sachverständige (Karl Heymanns Verlag, Berlin).
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§ 74. (1) Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, welche zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Ablehnungsgrund kann jedoch nicht daraus entnommen werden, daß der Sachverständige als Zeuge vernommen worden ist. (2) Das Ablehnungsrecht steht der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu. Die ernannten Sachverständigen sind den zur Ablehnung Berechtigten namhaft zu machen, wenn nicht besondere Umstände entgegenstehen. (3) Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen; der Eid ist als Mittel der Glaubhaftmachung ausgeschlossen. § 75. (1) Der zum Sachverständigen Ernannte hat der Ernennung Folge zu leisten, wenn er zur Erstattung von Gutachten der erforderten Art öffentlich bestellt ist, oder wenn er die Wissenschaft, die Kunst oder das Gewerbe, deren Kenntnis Voraussetzung der Begutachtung ist, öffentlich zum Erwerb ausübt, oder wenn er zu ihrer Ausübung öffentlich bestellt oder ermächtigt ist. (2) Zur Erstattung des Gutachtens ist auch der verpflichtet, welcher sich hierzu vor Gericht bereit erklärt hat. § 76. (1) Dieselben Gründe, welchen einen Zeugen berechtigen, das Zeugnis zu verweigern, berechtigen einen Sachverständigen zur Verweigerung des Gutachtens. Auch aus anderen Gründen kann ein Sachverständiger von der Verpflichtung zur Erstattung des Gutachtens entbunden werden ). (2) Die Vernehmung eines öffentlichen Beamten als Sachverständigen findet nicht statt, wenn die vorgesetzte Behörde des Beamten erklärt, daß die Vernehmung den dienstlichen Interessen Nachteil bereiten würde. § 77. Im Falle des Nichterscheinens oder der Weigerung eines zur Erstattung des Gutachtens verpflichteten Sachverständigen wird dieser zum Ersätze der Kosten und zu einer Ordnungsstrafe in Geld verurteilt. Im Falle wiederholten Ungehorsams kann noch einmal auf eine Ordnungsstrafe erkannt werden. § 79. (1) Der Sachverständige kann nach dem Ermessen des Gerichts vereidigt werden. (2) Der Eid ist nach Erstattung des Gutachtens zu leisten; er geht dahin, daß der Sachverständige das Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen erstattet habe. § 80. (1) Dem Sachverständigen kann auf sein Verlangen zur Vorbereitung des Gutachtens durch Vernehmung von Zeugen oder des Beschuldigten weitere Aufklärung verschafft werden. (2) Zu demselben Zwecke kann ihm gestattet werden, die Akten einzusehen, der Vernehmung von Zeugen oder des Beschuldigten beizuwohnen und an sie unmittelbar Fragen zu stellen. § 82. Im Vorverfahren hängt es von der Anordnung des Richters ab, ob die Sachverständigen ihr Gutachten schriftlich oder mündlich zu erstatten haben. § 83. (1) Der Richter kann eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn er das Gutachten für ungenügend erachtet. (2) Der Richter kann die Begutachtung durch einen anderen Sach]
) Uber das Recht der Zeugnisverweigerung s. Kap. 13.
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verständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist. (3) In wichtigen Fällen kann das Gutachten einer Fachbehörde eingeholt werden. § 85. Soweit zum Beweise vergangener Tatsachen oder Zustände, zu deren Wahrnehmung eine besondere Sachkunde erforderlich war, sachkundige Personen zu vernehmen sind, kommen die Vorschriften über den Zeugenbeweis zur Anwendung.
Diese Bestimmungen bedürfen kaum einer besonderen Erläuterung. Die Frage, wie weit die ärztliche Schweigepflicht zur Verweigerung einer Aussage oder der Gutachtenerstattung berechtigt und evtl. verpflichtet, soll später besprochen werden. Nur zum § 85 ein kurzer Hinweis! Gelegentlich wird der Arzt als sachverständiger Zeuge geladen. Seine Aussage ist dann aber regelmäßig zugleich ein Gutachten, soll der Richter mit der Aussage etwas anfangen können. Daher sollte er darauf dringen, als Sachverständiger gehört zu werden. Das scheint früher manchmal auf Widerstand gestoßen zu sein. Ich habe es ausnahmslos ohne Schwierigkeiten erreicht.
Das Strafrecht Die Zurechnungsfähigkeit der geistig Abnormen Bis zum Ende der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts herrschten in Deutschland fast ausschließlich die sogenannten absoluten Strafreditstheorien, die die Strafe unter dem Einfluß der idealistischen, insbesondere der H e g e l sehen Philosophie metaphysisch zu rechtfertigen suchten. Art und Maß der Strafe sollte sich nach der Schwere der begangenen Straftat und der Schuld richten. Sinn der Strafe war die Vergeltung. Erst durch I h e r i n g und v. L i s z t ist der schon von A n s e l m v o n F e u e r b a c h vertretene Zweckgedanke wieder in den Vordergrund getreten (sog. relative Theorien). Innerhalb der Zweckmäßigkeitserwägungen ging der Streit um Generalpraevention und Spezialpraevention. „Generalpraeventiv" soll die Strafe auf die Gesamtheit der unter einem bestimmten Recht lebenden Menschen wirken; sie soll abschrecken: der Einzelne wird gestraft, damit die anderen an den Ernst der Strafandrohung glauben. „Spezialpraeventiv" soll dagegen die Strafe auf den Einzelnen, den Täter, wirken und ihn von der Begehung weiterer Straftaten abhalten, indem man ihn entweder durch die Strafe erzieht, oder, wenn er nicht besserungsfähig ist, durch sichernde Maßnahmen aus der Gemeinschaft ausscheidet. Der Streit zwischen den verschiedenen Richtungen ist durch das „Gesetz gegen g e f ä h r l i c h e Gewohnheitsverbrecher und über M a ß r e g e l n der S i c h e r u n g und Bess e r u n g " vom 24. XI. 1933 (GgG) im Sinne der sogenannten „Zweispurigkeit der Sanktionen" entschieden worden: die Strafe wird vornehmlich nach der Schwere der Tat und der Schuld bemessen; neben die Vergeltung aber treten Maßnahmen der Sicherung und Besserung, wenn die Strafe allein dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit nicht genügt. Das Gesetz hält, wie der Bericht über die erste Lesung der amtlichen Strafrechtskommission sagt, an dem Grundsatz fest: „Keine Strafe ohne Schuld. Voraussetzung für ein schuldhaftes Verhalten des Täters ist seine Schuldfähigkeit (Zurechnungsfähigkeit) zur Zeit der Tat. Wer zur Zeit der Tat nicht schuldfähig (zurechnungsfähig) ist, ist nicht strafbar." Gegen schuldlose Eingriffe müsse aber die Allgemeinheit geschützt werden; wenn mangels Schuld kein Raum für eine Strafe sei, müsse der Schutz der Allgemeinheit in anderer Weise sicher gestellt werden.
Die Zuredinungsfähigkeit der geistig Abnormen
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Für ein späteres Strafredit hat die Kommission daher als ersten Paragraphen des die Schuldfähigkeit (Zuredinungsfähigkeit) behandelnden Abschnitts folgende Bestimmung vorgeschlagen: „Wer zur Zeit der Tat nicht zurechnungsfähig ist, ist nicht strafbar, aber den besonderen Maßregeln unterworfen, die zum Schutze der Volksgemeinschaft vorgesehen sind." Die Frage nach der Zurechnungsfähigkeit ist nun zweifellos die wichtigste und praktisch bedeutsamste der gerichtlichen Psychiatrie. Es lohnt daher, einen kurzen Blick auf die Entwicklung dieses Begriffes zu werfen 1 ). Im römischen Recht trat Straffreiheit ein, wenn Unfähigkeit zu schuldhaftem Handeln (doli incapacitas) vorlag. Das geschah bei Geisteskrankheiten, von denen drei Arten, furor, mentecaptio und melancholia unterschieden wurden, und bei Kindern bis zum 7. Lebensjahre. Kinder vom 7. bis 14. Lebensjahre wurden bestraft, wenn sie die erforderliche Einsicht besaßen. Das kanonische Recht stimmt damit weitgehend überein. Die „peinliche Gerichtsordnung" Karls V. von 1532 sieht für Kinder bis zu 14 Jahren Straffreiheit oder mildere Bestrafung vor, doch war in besonders schweren Fällen sogar die Todesstrafe zulässig. Straffrei blieb ferner der Geistesgestörte, .der wissentlich seyner Sinne nit hätt". Es fehlt hier aber noch an einer einheitlichen Zusammenfassung der Zustände, die Zurechnungsunfähigkeit bedingen. Auch C a r p z o w ist eine solche Zusammenfassung noch nicht geglückt. Er zählt, in seinem Werke1) überall verstreut, die einzelnen Zustände von Zurechnungsunfähigkeit auf. Er unterscheidet als Geisteskrankheiten den furor, die dementia und die melancholia. Bei der Beurteilung kommt es ihm vorwiegend auf das Fehlen des bewußten verbrecherischen Willens an. In der Folgezeit werden nur langsam gewisse Fortschritte erzielt; noch wird die Frage nach der Zurechnungsfähigkeit gelegentlich abhängig gemacht von der Schwere und dem Erfolg der begangenen Tat, z. B. v o n Q u i s t o r p 3 ) . K o c h 4 ) ordnet die Fälle verminderter Zurechnungsfähigkeit der Fahrlässigkeit (culpa) zu. Im österreichischen Strafgesetz von 1768 werden zwar auch noch einzelne Zustände der Zurechnungsunfähigkeit aufgezählt, doch ist insofern ein Fortschritt unverkennbar, als wenigstens die Tendenz zur Zusammenfassung dieser Zustände hervortritt. Es heißt hier: „Eines Verbrechens können sich all und jede ohne Unterschied des Standes und des Geschlechtes schuldig machen, welche des Gebrauchs ihrer Vernunft und freien Willen haben. Dahingegen jene, welchen es an einem oder anderem mangelt, eines Verbrechens unfähig sind." Im Einzelnen bleibt das jugendliche Alter bis zu 12 Jahren straffrei, bis zu 16 Jahren kann mildere Bestrafung erfolgen. Es wird auch praktisch ein Unterschied zwischen voller Zurechnungs*) Näheres darüber bringt B r e h m , Ps. neur. Wschr. 1941, S. 251 ff. und L ü b b e r s , Die Geschichte der Zurechnungsfähigkeit von Carpzow bis zur Gegenwart. Strafr. Abhandl. Bd. 385. Breslau 1938. a ) Practica nova imperialis Saxoniae rerum criminalium. Wittemberg 1665 (zit. nach B r e h m I.e.). 8 ) Grundsätze des Deutschen peinlichen Rechtes. Leipzig 1783. 4 ) Institutiones iuris criminalis. Jena 1783.
Das Strafrecht
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Unfähigkeit — bei „gänzlicher Gemütsverrückung", bei den Toll- und Unsinnigen — und den vermindert Zurechnungsfähigen gemacht. Mit der Aufklärungszeit setzt dann der Streit über die Frage der Willensfreiheit ein. Ist unser Wille nicht frei, handeln wir, wie wir nach bestimmten uns innewohnenden Gesetzmäßigkeiten handeln m ü s s e n , so kann nicht mehr von Schuld die Rede sein, und ebensowenig wäre es dann möglich, „Vergeltung" und damit Strafe zu fordern. Damit würde schließlich auch der Begriff der Zurechnungsfähigkeit überflüssig werden. „Unsere Gesellschaftsordnung steht und fällt", wie S c h r ö d e r sagt, „mit dem festen Glauben an die Willensfreiheit eines jeden, der nicht notorisch geisteskrank oder schwer geistesschwach ist . . . daran rütteln wollen in dem Sinne des Determinismus heißt gleichzeitig eine ganz neue Ordnung der Dinge fordern" 1 ). In der Tat würde in einem auf dem Boden des Determinismus erwachsenen Strafrecht kein Raum mehr für eine Strafe sein. Reine Zweckmäßigkeitserwägungen müßten es beherrschen. Ein derartiges Recht — schon die Bezeichnung „Strafrecht" wäre dafür verfehlt —• ist bisher nur in Rußland konsequent durchgeführt. In Deutschland hat A n s e l m v. F e u e r b a c h erstmalig den Zweckgedanken in die strafrechtliche Betrachtungsweise eingeführt. Als Anhänger des Determinismus lehnte er folgerichtig die ethische Beurteilung des menschlichen Handelns ab. Mit der Strafandrohung verfolgte er den Zweck, abzuschrecken. Er definiert Zurechnungsfähigkeit als die „Gemütseigenschaft des Übeltäters, vermöge welcher für den vorliegenden Fall der Übertretung in ihm die psychologische Möglichkeit der Wirksamkeit des Strafgesetzes begründet war." Mit anderen Worten war für ihn Zurechnungsunfähigkeit gleichbedeutend mit der Unfähigkeit, sich durch Strafandrohung abschrecken zu lassen. Er war daher auch der Meinung, daß bei geistig Minderwertigen, die nicht ganz zurechnungsunfähig seien, das Strafmaß erhöht werden müsse, um den gewünschten Abschreckungserfolg zu erzielen 2 ). J a r k e ') hat dann zum ersten M a l e die Zustände der Zurechnungsunfähigkeit auf den gemeinsamen Nenner des „Mangels an Willensfreiheit" gebracht. Das Fehlen der Willensfreiheit ist später, bis in die n e u e s t e Zeit hinein, für die Zurechnungsunfähigkeit ein sehr "wesentliches Kriterium gewesen. Freilich sind schon früher modernere Formulierungen erkennbar; so heißt es z. B. im Entwurf zum Preußischen Strafgesetzbuch v o n 1833: „Nur dem k a n n eine Handlung als Verbrechen zugerechnet werden, welcher die Rechtswidrigkeit derselben einzusehen und die Handlung zu unterlassen imstande w a r . " Offenbar unter dem Einfluß H e g e l scher Philosophie ist dann unter Mitwirkung der Königl. wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen, die sich gegen die ursprünglich rein psychologische F a s s u n g des Entwurfs wandte, der § 51 des ) M . K r . P s . 25, 1934, S. 111. Dazu: F e u e r b a c h , Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts. 1805; G r f i n h u t , Anselm von Feuerbach und das Problem der strafrechtlichen Zurechnung. 1922; B u c h e r b e r g e r , Der Zweckgedanke in Anselm von Feuerbachs Lehre von der Zurechnungsfähigkeit. Breslau 1932. 3 ) Lehrbuch des gemeinen Deutschen Strafredits. 1827. 2)
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Strafgesetzbuches von 1871 entstanden, der bis zum Jahre 1933 gültig geblieben ist. Er hatte folgenden Wortlaut: Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem Zustande von Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistestätigkeit befand, durch welchen seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen war.
Sicherlich hatte diese Fassung mancherlei Mängel. Dennoch ließ sich, wie A s c h a f f e n b u r g mit Recht betont, damit arbeiten, wenn Richter und Sachverständige einsichtsvoll waren. Ich habe in einer recht umfangreichen Sachverständigentätigkeit kaum einmal Schwierigkeiten damit gehabt. In seiner neuen, am 1.1.1934 in Kraft getretenen Fassung, die wesentliche Änderungen gebracht hat, lautet der § 51 nunmehr folgendermaßen: Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter zur Zeit der Tat wegen Bewußtseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig ist, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. War die Fähigkeit, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, zur Zeit der Tat aus einem dieser Gründe erheblich vermindert, so kann die Strafe nach den Vorschriften über die Bestrafung des Versuchs gemildert werden.
Gegenüber der früheren Fassung sind mehrere Abweichungen vorhanden: statt der früheren „Bewußtlosigkeit" heißt es jetzt „Bewußtseinsstörung"; als dritte Möglichkeit der Zurechnungsunfähigkeit ist die „Geistesschwäche" hinzugekommen, die sehr anfechtbare „freie Willensbestimmung" ist durch die Einsichts- und Handlungsfähigkeit ersetzt und schließlich ist im zweiten Absatz die verminderte Zurechnungsfähigkeit als etwas Neues hinzugetreten. Darauf wird noch einzugehen sein. Ganz ideal ist die jetzige Fassung noch nicht; zu beanstanden war bis vor wenigen Jahren der Anfang: „eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden". Das führte nämlich dahin, daß der Anstifter eines Verbrechens, der sich einer zurechnungsunfähigen Person bediente, und der Gehilfe straffrei blieben. Das Reichsgericht hat sich früher eindeutig in dieser Richtung ausgesprochen 1 ): „In keinem Falle kann aber eine Verurteilung des Gehilfen eintreten, wenn gegen den Haupttäter . . . Schuldaussehließungsgründe als vorliegend erachtet sind." In der Tat habe ich selbst einmal einen solchen Fall erlebt, und noch 1934 hat A s c h a f f e n b u r g auf solche Möglichkeiten hingewiesen 2 ). Man hat sich zwar bemüht, diesen unbefriedigenden Zustand zu umgehen; insbesondere bot die inzwischen wieder aufgehobene sog. Analogienovelle eine Handhabe in dieser Richtung; doch behielten diese Bemühungen immer etwas Gezwungenes. Dieser Ubelstand ist erst durch die sogenannte StrafrechtsangleichsJ) J.W. 1905, S. 547. s) In H o c h e III, S. 9. Langelüddeke,
Gerichtliche Psychiatrie.
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Das Strafrecht
Verordnung vom 29. V. 1943 und die Durchführungsbestimmungen hierzu vom gleichen Tage abgestellt worden. Nach der Neufassung der §§ 48—50 StGB, kann der Anstifter und der Gehilfe, der einen anderen zu einer „mit Strafe bedrohten Handlung" bestimmt bzw. ihm dabei behilflich ist, nunmehr auch dann bestraft werden, wenn es sich um die Tat eines Zurechnungsunfähigen handelt; es liegt dann zwar keine strafbare, wohl aber eine mit Strafe bedrohte Handlung vor. § 50 StGB, bestimmt dazu noch: Sind mehrere an einer Tat beteiligt, so ist jeder ohne Rücksicht auf die Schuld des anderen nach seiner Schuld strafbar. Bestimmt das Gesetz, daß besondere persönliche Eigenschaften oder Verhältnisse die Strafe schärfen, mildern oder ausschließen, so gilt dies nur für den Täter oder Teilnehmer, bei dem sie vorliegen 1 ).
Trotz dieser klaren Regelung wird es gut sein, auch dem § 51 StGB, einen Wortlaut zu geben, der jeden Irrtum in dieser Beziehung ausschließt. Die amtliche Strafrechtskommission hat daher 1934 folgende Fassung vorgeschlagen: Nicht zurechnungsfähig ist, wer zur Zeit der Tat wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Bewußtseinsstörung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Die jetzige Formulierung des § 51 StGB, folgt der sogenannten gemischten, biologisch-psychologischen Methode, d. h., es müssen zunächst bestimmte biologische Zustände, nämlich Bewußtseinsstörung, krankhafte Störung der Geistestätigkeit oder Geistesschwäche vorliegen. Danach ist weiter zu fragen, ob durch einen dieser Zustände bestimmte psychologische Voraussetzungen erfüllt sind. Erst dann gilt die Zurechnungsfähigkeit als aufgehoben oder erheblich vermindert. Handelt es sich also etwa um einen Täter, der zwar willensschwach ist, dessen Willensschwäche aber auf einer noch nicht als krank zu wertenden Charakteranlage beruht, so besteht für ihn nicht die Möglichkeit der Exculpierung. Jedes Gutachten, das sich über die Zurechnungsfähigkeit aussprechen soll, hat daher verschiedene Fragen zu beantworten. Ich wiederhole sie hier noch einmal kurz*): Zunächst ist der jetzige Geisteszustand des Täters festzustellen, dann der Geisteszustand zur Zeit der Tat. Weiter ist zu erörtern, ob dieser Zustand sich einem der drei genannten biologischen Zustände zuordnen läßt, und es hat schließlich, wenn das zutrifft, sich darüber auszulassen, wieweit durch solchen Zustand die Fähigkeit, das Unerlaubte der x ) In Thüringen sind die §§ 47—50 geändert worden. Der § 50 hat jedoch in seinem Absatz 1 den hier wiedergegebenen Gedanken übernommen. Der Thüringische § 47 enthält in seinem Abs. 2 den sonst gültigen § 47 wörtlich; sein Abs. 1 lautet: Als Täter wird bestraft, wer schuldhaft die strafbare Handlung selbst oder durch einen anderen ausführt, auch wenn der andere rechtmäßig handelt. 2 ) Siehe S. 9.
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Die Zurechnungsfähigkeit der geistig Abnormen
Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, beeinträchtigt war. Erst wenn diese Fragen beantwortet sind, ist das Gutachten als ausreichend anzusehen. Manche Autoren sind der Meinung, daß die Beantwortung der psychologischen Fragen dem Richter überlassen bleiben müsse, daß der Gutachter sich nur darüber zu äußern habe, ob und wieweit die Tathandlung durch psychopathologische Krankheitssymptome beeinflußt werde1). Demgegenüber halte ich es für die Aufgabe des Sachverständigen, daß er seiner Meinung auch über die Zurechnungsfähigkeit klar Ausdruck gibt. Diese Auffassung wird auch von A s c h a f f e n b u r g 2 ) und von F r a n k 3 ) , neuerdings auch vom L e i p z i g e r K o m m e n t a r 4 ) vertreten. Abgesehen von formalen Gründen — der § 51 ist ein einheitliches Ganzes und zerfällt nicht in zwei Teile — sprechen gewichtige praktische Erwägungen für diese Auffassung: Der Richter ist nach oft betonter Meinung schon auf dem Gebiete der normalen Psychologie, erst recht aber, wenn es sich um psychopathologische Fragen handelt, Laie5). Er hat auch gar nicht die Möglichkeit, in einer kurzen Verhandlung, in der er den Täter meistens zum ersten Male, und zwar in einer ganz besonderen Situation sieht, sich wirklich ein zutreffendes Bild von der Persönlichkeit des Täters zu machen. Es gibt gewiß Fälle, die zu beurteilen dem Sachverständigen leicht werden; es gibt aber auch andere Fälle, über die sich auch der Sachverständige erst nach intensiver Beschäftigung mit dem Täter und erst nach Überwindung von mancherlei Zweifel klar wird. Wie soll man das dem Richter so mundgerecht machen, daß keine Mißverständnisse vorkommen, daß er wirklich in jedem Falle die Meinung des Sachverständigen richtig erkennt? Ich halte das auch bei beiderseitigem besten Willen nicht für möglich. Nach meinen Erfahrungen, die in einer mehrere Jahrzehnte umfassenden Gutachtertätigkeit erworben sind, hat der Richter auch geradezu das Bedürfnis, die Ansicht des Sachverständigen über die Frage der Zurechnungsfähigkeit zu erfahren. Er will viel eher Auskunft über Fragen vom Gutachter haben, die dessen Kompetenzen überschreiten, als umgekehrt dessen Zuständigkeit einengen8). Ich bin jedenfalls, obwohl ich stets die Frage nach der Zurechnungsfähigkeit beantwortet habe, niemals „in meine Schranken" zurückgewiesen worden, und glaube, daß der Sache so am besten gedient ist. ) So etwa d e C r i n i s , Gerichtliche Psychiatrie. Berlin 1943, S. 228. ) H o c h e III, S. 8. 3 ) Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. 18. Aufl. 1931. VII, S. 150. 4 ) L.K. IV, Nr. 11 zu §51, S. 379. 5 ) S. W i l m a n n s , Die sogenannte verminderte Zurechnungsfähigkeit. Berlin 1927. 6 ) So bin ich früher wiederholt bei Tötungsdelikten nach der »Überlegung* gefragt worden, und bei der neuen Fassung des § 211 StGB, spielte gelegentlich die Frage nach den Motiven eine Rolle. J
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Der G e i s t e s z u s t a n d zur Zeit der Tat Der Gutachter soll sich über den Geisteszustand z u r Z e i t d e r T a t äußern. Das ist nicht immer leicht. Fast ausnahmslos liegt die Untersuchung des Täters ja viel später als die Tat selbst. In der Regel liegen zwischen ihr und dem Zeitpunkt der Untersuchung Monate, manchmal sogar ein ganzes Jahr und mehr. Es ist selbstverständlich, daß wir bei der Untersuchung zunächst den Geisteszustand zu d i e s e m Zeitpunkt feststellen. Dann aber haben wir zu prüfen, ob der Geisteszustand zur Zeit der Tat ebenso, ähnlich oder ganz anders war. So kann es vorkommen, daß eine manische Phase, ein schizophrener Schub, ein epileptischer Dämmerzustand, ein pathologischer Rauschzustand und anderes mehr zur Zeit der Tat bestanden hat, zur Zeit der Untersuchung jedoch abgeklungen ist. Umgekehrt kann zur Zeit der Untersuchung eine geistige Störung vorhanden sein, etwa eine Haftpsychose, die zur Zeit der Tat noch nicht bestand. In manchen Fällen geben schon die Akten, die man nicht genau genug lesen kann, die nötigen Hinweise. Dabei kann nicht eindringlich genug empfohlen werden, sich nicht auf die laufenden Strafakten zu beschränken, sondern alle irgendwie greifbaren Akten heranzuziehen. Wenn aus den Akten sich ein ausreichendes Bild über den Geisteszustand zur Tatzeit nicht gewinnen läßt, muß man versuchen, aus Mitteilungen von Angehörigen, Bekannten, Arbeitgebern, Amtspersonen (Pfarrer, Lehrer, Bürgermeister) in Verbindung mit den eigenen Angaben des Beschuldigten Anhaltspunkte für die Beurteilung des Geisteszustandes zur Zeit der Tat zu erhalten. Man muß zu diesem Zwecke freilich auch entsprechend eingehende und dem Einzelfall angepaßte Fragen stellen. Dem Laien fällt vielfach das einfache Beschreiben dessen, was er beobachtet hat, ziemlich schwer. Er versucht die von ihm beobachteten Erscheinungen zu deuten, ohne sie im Einzelnen aufzuzählen. Damit ist dem Gutachter aber nicht gedient; ihm kommt es auf das wirklich Beobachtete an; er muß Wert legen auf die einfache Beschreibung von Handlungen, Äußerungen und Verhaltensweisen. Die B e u r t e i l u n g des Beobachteten ist Aufgabe des Sachverständigen. Auch dabei versagt der Laie oft in erstaunlicher Weise: so habe ich es erlebt, daß ein Pfarrer mir einen recht guten Bericht über einen Angeklagten gab, in dem er die Symptome einer Schizophrenie — Beeinträchtigungs-, Verfolgungsideen und Sinnestäuschungen — beschrieb; er hielt diese Symptome aber keineswegs für krankhaft. Lehrer geben oft Auskunft über Begabung und Schulleistungen, übersehen dabei aber nicht selten, daß andere Seiten der Persönlichkeit vielleicht viel wichtiger sind. Am besten wäre es natürlich, wenn der Gutachter mit den Auskunftspersonen selbst sprechen könnte. In wichtigen Fällen, d. h. da, wo die Angaben eines Gewährsmannes von vielleicht ausschlaggebender Bedeutung sind, halte ich es sogar für geboten. In solchen Fällen tut man gut, die richterliche Vernehmung
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des Betreffenden unter Hinzuziehung des Sachverständigen zu beantragen. In anderen Fällen kann man die Auskunftsperson durch einen Richter vernehmen lassen. In der Regel wird es genügen, sich schriftlich oder mündlich Fragen beantworten zu lassen. Dazu drängen schon praktische Erwägungen: Wenn nämlich mehrere weit auseinander wohnende Personen zu vernehmen sind, so erfordern die richterlichen Vernehmungen viel Zeit, und das Verfahren würde sehr verzögert werden. Schließlich sprechen sich Angehörige dem Arzt gegenüber unter vier Augen leichter und offener aus als vor dem Richter. Da solche Auskünfte in der Hauptverhandlung nicht gewertet zu werden braudien, müssen wichtige Gewährsmänner unter Umständen als Zeugen geladen werden. Die b i o l o g i s c h e n V o r a u s s e t z u n g e n . seinsstörung
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Bewußt-
Der Begriff „Bewußtseinsstörung" 1 ) ist an die Stelle des früheren unzweckmäßigen der „Bewußtlosigkeit" getreten. Wer bewußtlos ist, kann natürlich nicht handeln, kann daher auch keine kriminelle Handlung begehen. Tatsächlich ist mit dem Wechsel des Ausdrucks praktisch auch keine sachliche Änderung eingetreten, da „Bewußtlosigkeit" stets als „Bewußtseinstrübung" aufgefaßt worden ist. Was Bewußtsein eigentlich sei, wird von den verschiedenen Autoren in verschiedener Weise ausgedrückt. Man könnte Bewußtsein sehr einfach gleich Fähigkeit psychisch zu erleben setzen. Diese Umschreibung sagt jedoch nicht eigentlich das, was wir wirklich unter Bewußtsein verstehen. Auch der Delirant erlebt ja etwas, er erlebt aber in ganz anderer Weise als der Gesunde. Wenn wir von Bewußtsein sprechen, so meinen wir normales, dem Geistesgesunden eigenes Bewußtsein. T a u s s i g spricht daher von Bewußtsein als „demjenigen normalen, näher nicht definierbaren inneren Zustand, in dem wir ungestört in der f ü r u n s ü b l i c h e n Weise perzipieren und apperzipieren, was um uns herum und in uns vorgeht" 2 ). Wir verstehen unter Bewußtsein einen Zustand, in dem wir in ganz bestimmter Weise erlebensfähig sind, in dem unsere psychischen Funktionen ganz bestimmten Bedingungen genügen: 1. nehmen wir äußere und innere Vorgänge mit einer bestimmten Klarheit und Helligkeit wahr, wobei in dem Wahrnehmungsprozeß schon eine Auswahl, Rangordnung und Gestaltung des Wahrgenommenen, eine determinierende Tendenz am Werke ist. Unter „Klarheit" verstehen wir dabei die Möglichkeit, den wahrgenommenen Inhalt so klar zur Verfügung zu haben, wie die äußere Situation es erlaubt, während „Helligkeit" die Intensität ausdrückt, mit der der Wahrnehmende auf das Wahrgenommene gerichtet ist. 2. muß J
) Näheres bei J a h r r e i ß in B u m k e s Handbuch der Geisteskrankheiten, Bd. I. Berlin 1928. '') Referat im Zb. Neur. 63, 1932, S. 353.
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die innere Kontinuität des Erlebten erhalten sein. 3. ist „Selbstbeherrschung im Sinne der subjektiven Freiheit" zu fordern 1 ). Jede dieser Seiten kann unabhängig von den andern für sich gestört sein. So sind die Klarheit und Helligkeit des Bewußtseins mehr oder weniger stark herabgesetzt in der Müdigkeit, im Schlaf, in deliranten Zuständen. Die Kontinuität ist (bei manchmal erhaltener Klarheit und Helligkeit) in Dämmerzuständen unterbrochen, und zu Störungen des Freiheitsgefühls kann es bei Handlungen kommen, die aus uralten Instinkten oder aus allmählich erworbenen Automatismen heraus entstehen, Handlungen, von denen wir sagen, wir hätten sie unbewußt, d. h. unabsichtlich, ungewollt begangen2). Schwierig ist es oft genug, den Grad der Bewußtseinsstörung richtig einzuschätzen. Von der leichten Müdigkeit bis zum tiefen traumlosen Schlaf, vom Angetrunkensein bis zum sinnlosen Rausch, von der leichten Benommenheit bis zur völligen Bewußtlosigkeit gibt es Übergänge, bei denen die Beeinträchtigung des Klarheits- und Helligkeitsgrades nicht sicher abzuschätzen ist. In solchen Fällen werden sich Meinungsverschiedenheiten je nach der subjektiven Einstellung der Sachverständigen nicht ganz vermeiden lassen; man muß sie in Kauf nehmen, da eine scharfe Abgrenzung nicht möglich ist. Man wird in solchen Fällen nicht nur den äußerlichen Zustand zur Zeit der Tat, sondern auch die Gesamtpersönlichkeit, ihr sonstiges Verhalten, ihre gewöhnliche Reaktionsweise, besondere Erlebnisfaktoren in Rechnung setzen müssen; man wird namentlich bei Affekthandlungen, die mit einer Bewußtseinsstörung einhergehen, das ganze Kräftespiel, das an der kriminellen Handlung beteiligt ist, zu untersuchen haben3). Im Gesetz ist nun von Bewußtseinsstörung schlechthin die Rede. Grundlage für die Schuldausschließung kann also sowohl eine im Bereich des Normalen liegende wie auch eine krankhafte Bewußtseinsstörung sein. Zu den normalen Bewußtseinsstörungen gehören z. B. Übermüdung, Schlaf, Schlaftrunkenheit, Nachtwandeln, hypno!) G r u h l e f ü h r t in seiner schönen Studie ü b e r „Die W e i s e n des Bewußtseins" (Z. N e u r . 131, 1931, S. 78 ff.) noch zwei w e i t e r e Seiten des Bewußtseins an, den Ichgehalt der B e w u ß t s e i n s v o r g ä n g e u n d d a s Selbstbewußtsein. Das letztere k a n n m a n als e i n e n auf d a s eigene Ich gerichteten W a h r n e h m u n g s p r o z e ß charakterisieren; es tritt, w i e G r u h l e selbst sehr richtig b e m e r k t , d a m i t keine n e u e Seite an d e r F u n k t i o n u n s e r e s Seelenlebens zutage. Uber d e n Ichgehalt, als d e s s e n Störungen e r die E n t f r e m d u n g der W a h r n e h m u n g s w e l t , die „gemachten G e d a n k e n " u n d den „Gedankenentzug" ansieht, k ö n n e n hinsichtlich der Z u o r d n u n g zum Bewußtsein Zweifel b e s t e h e n . 2 ) In den Fällen der letzten G r u p p e w e r d e n die V o r a u s s e t z u n g e n des § 51 StGB, freilich k a u m einmal erfüllt sein. 3 ) Es w i r d dabei die dynamische Verbrechensbetrachtung, w i e sie M e z g e r fordert, nützlich sein (M. Kr. Ps. 19, 1928, S. 328; M o d e r n e Strafrechtsprobleme, M a r b u r g e r Akad. Reden Nr. 43; Kriminalpolitik, 2. Aufl., Stuttgart 1942.
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tische Zustände, Affekte. Zu den krankhaften Bewußtseinsstörungen rechnet man in der Regel Fieberdelirien, die abnormen Zustände der Gebärenden, Dämmerzustände und die bei weitem wichtigste, weil häufigste Bewußtseinsstörung, den Alkoholrausch. Im Zustande der Ü b e r m ü d u n g kann es, insbesondere wenn man aus der Tätigkeit heraus für kürzere oder längere Zeit eine Ruhepause einschiebt, zu einer Veränderung des Bewußtseins kommen. Die Sinneseindrücke verlieren an Schärfe und Deutlichkeit, wir hören nur noch ungenau und sind nicht mehr imstande, das Gehörte oder Gelesene zu begreifen; das Denken wird mühevoll, die Gedanken entgleiten uns, wir werden unfähig, uns zu konzentrieren. Wiederum hören wir kurz vor dem Einschlafen Geräusche viel lauter als gewöhnlich. Aber nicht nur der Wahrnehmungsprozeß ist ungenauer, auch die Willensfunktion ist verändert. Jedermann weiß, wie schwer es ist, sich im Zustande der Übermüdung zu einer Tätigkeit aufzuraffen: „Daß Übermüdung die Fähigkeit, den Willen zu beherrschen, herabsetzen oder gar ausschließen kann, entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung" 1 ). In solchen Zuständen kann es zu Unterlassungsdelikten kommen; so kann etwa ein Lokomotivführer ein Signal übersehen, ein Weichensteller versäumen, die Weiche richtig zu bedienen, ein Kraftfahrer kann am Steuer seines Wagens einschlafen und dadurch Unfälle verursachen. Besonders die Langstreckenfahrer auf den eintönigen Reichsautobahnen sind in dieser Beziehung gefährdet. Auch Fehlbeurteilungen von Sinneseindrücken, wenn man nach kurzem Einnicken aufschreckt, können zu Unfällen führen 2 ). Die forensische Bedeutung des S c h l a f e s ist gegenüber der Übermüdung gering. Schon ein altes Wort sagt: „Wer schläft, der sündigt nicht". Die Bewußtseinstrübung ist im Schlaf zweifellos stärker, aber selbst der tiefe, traumlose Schlaf entspricht noch nicht einer völligen Bewußtlosigkeit, wie wir sie etwa nach einer Gehirnr erschütterung oder in tiefer Narkose erleben. Auch der tief Schlafende ist erweckbar, und man kann im Schlaf noch irgend etwas wollen, sich auf etwas einstellen. So kann man etwa zu einer bestimmten Zeit aufwachen; bei der Pflege Schwerkranker hört man auch leise Geräusche, die von diesem ausgehen, während man andere, lautere nicht bemerkt, weil sie nichts mit dem Kranken zu tun haben. Möglich erscheint es, daß jemand im Traum Handlungen begeht, die ihm sonst fremd sind. HRR. 1939, Nr. 1063. Es handelte sich um einen Lokomotivführer, der nach monatelanger Uberbeanspruchung einen Arbeitstag von 14V2 Stunden hinter sich hatte. 2 ) Ich erinnere mich einer Segelfahrt als Student, bei der ich nachts, stark übermüdet, das von selbst laufende Boot steuerte. Ich war dabei eingenickt und hielt, als ich aufschreckte, den Mond für ein mir unbekanntes Seezeichen, und kurz darauf, nachdem er inzwischen höher gestiegen war, für ein Leuchtfeuer.
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Damit kommen wir zur Erscheinung des N a c h t w a n d e i n s (Schlafwandeins, Noctambulismus oder Somnambulismus). Dabei handelt es sich um traumhafte Erlebnisse, die den Schlaf nicht unterbrechen, die aber zu einer sonst ungewöhnlichen motorischen Betätigung führen. In der Regel besteht diese darin, daß der Schläfer aufsteht, irgendwelche harmlosen Hantierungen vornimmt und sich dann wieder hinlegt. Für den Laien am interessantesten und eindrucksvollsten sind sie in der Form der Mondsucht geworden 1 ). Forensisch beschäftigt uns das Nachtwandeln sehr selten. Ein Fall, den ich zu begutachten hatte, sei hier kurz wiedergegeben. Ein 18jähriger Mann, von leicht erregbarem Vater abstammend, in der Schule über Durchschnitt, mit lebhafter Phantasie, litt als Kind unter Nachtwandeln. Das war in den letzten Jahren zwar seltener geworden, doch war er des Nachts einmal aus dem Fenster gesprungen, ein anderes Mal war er über die Hühnerleiter auf den Heuboden geklettert. Am folgenden Tage hatte er nichts davon gewußt. Während seiner Zugehörigkeit zum Reichsarbeitsdienst lag er mit 15 Kameraden auf einem Zimmer. Eines Nachts war er zu einem derselben, mit dem er verfeindet war, ins Bett gestiegen und hatte beischlafähnliche Bewegungen gemacht. Auf Auffordern des anderen, sein Bett zu verlassen, sagte er: „Ich gehe jetzt", bei der zweiten Aufforderung meinte er, er sei am Träumen. Erst bei der dritten Aufforderung verließ er das Bett, erzählte den Vorfall, den er nur zum Teil wiedergeben konnte, den Kameraden. Das Verfahren wurde aus § 51 StGB, eingestellt.
Die S c h l a f t r u n k e n h e i t , die als eine Abart des verzögerten Erwachens angesehen werden kann, spielte in der älteren Literatur eine gewisse Rolle. G u d d e n hat 1905 über die ihm zugänglichen forensischen Fälle in einer verdienstvollen Studie berichtet 2 ). Er sieht das Wesen der Schlaftrunkenheit in einer Verschiebung in der Wiederkehr der Besonnenheit und der Aktionsfähigkeit. Während beim normalen Aufwachen beide sich annähernd gleichzeitig wieder einstellen, kann in gewissen Fällen die Besonnenheit früher als die Aktionsfähigkeit und umgekehrt wiederkehren. Im letztgenannten Falle kann es zu triebhaften Gewalttaten kommen, wenn sich noch Traumvorstellungen mit den realen Sinneswahrnehmungen zu einem trügerischen Gesamtbild der Situation vereinigen ( H o c h e ) , während die Handlungsfähigkeit schon vorhanden ist. G u d d e n spricht dann von Traumtrunkenheit. Delikte dieser Art sind gleichfalls sehr selten. Aus den letzten 10 Jahren habe ich nur einen Fall im Schrifttum gefunden, der von I l l i n g beschrieben ist3). A s c h a f f e n b u r g hat in seiner besonders umfangreichen Gutachtertätigkeit nur einen Fall beobachtet; ich selbst habe keinen gesehen. Die Berichte darüber klingen freilich, wie auch H o c h e meint, vielfach märchenhaft und beschäftigen mehr die Phantasie von Laien als den Psychiater. 2 ) Arch. Psychiatr. 40, S. 999. 3 ) Der deutsche Militärarzt 6, 1941, S. 617.
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Zu den normalen Zuständen mit verändertem Bewußtsein gehört auch die H y p n o s e . Ihre Bewertung hat sich sowohl in der Wissenschaft wie im Gerichtssaal geändert. Während man früher in ihr das Ergebnis eines mehr oder weniger mystischen Vorgangs sah, während man vielfach im Hypnotiseur übernatürliche Kräfte vermutete, bezeichnet man jetzt die Hypnose als „einen Zustand gesteigerter Suggestibilität, der seinerseits hervorgerufen ist durch Erweckung entsprechender Vorstellungen auf dem Wege der Suggestion durch eine zweite Person" 1 ). Um die Suggestion wirksamer zu gestalten, wird durch besondere Methoden das Bewußtsein eingeengt, die Aufmerksamkeit des Hypnotisierten wird auf den Hypnotiseur und seine Suggestion konzentriert. Damit wird jedoch nicht jede freie Willensregung des Hypnotisierten unterbunden, seine Persönlichkeit bleibt intakt, und nichts wird getan, was ihr nicht entspricht. Aus dieser Auffassung, die von fast allen Autoren der letzten Jahrzehnte geteilt wird, ergibt sich, daß zur Ausführung eines Verbrechens durch die Hypnose nur der bestimmt werden kann, der auch ohne Hypnose sich dazu bestimmen lassen würde. Alle Erfahrungen, besonders bei angeblichen Sexualdelikten an Hypnotisierten sprechen dafür, und Versuche, die bisher angestellt sind, um das Gegenteil zu beweisen, sind mißglückt oder nicht beweiskräftig 2 ). Das Thema „Verbrechen in Hypnose" ist durch den Aufsehen erregenden Heidelberger Prozeß W a 11 h e r wieder aufgenommen. L. M a y e r 3 ) hat den Fall eingehend dargestellt und ist zu der Überzeugung gelangt, daß es Waither in langer und komplizierter hypnotischer Dressur gelungen sei, eine junge Frau zu einer Reihe verbrecherischer Handlungen zu bestimmen. Ich halte es für möglich, daß in diesem Falle wirklich die Hypnose an den verbrecherischen Handlungen wesentlich beteiligt war. Für v ö l l i g beweiskräftig halte ich den Fall nicht4). Gelingt der Wahrscheinlichkeitsbeweis für den ursächlichen Zusammenhang von Hypnose und Verbrechen, so ') A s c h a f f e n b u r g in H o c h e III, S. 13. 2 ) Dazu b e s o n d e r s V o r k a s t n e r in B u m k e IV u n d namentlich A r d i . Psychiatr. 73, 1925, S. 461. Dort Literatur. Ähnlich R a e c k e , Zb. N e u r . 53, 1929, S. 145 u n d f r ü h e r H ö p 1 e r und S c h i l d e r , Suggestion u n d Strafrechtswissenschaft, W i e n 1926. Besonders lehrreich in dieser Beziehung sind Versuche, die zwei schwedische Forscher in den letzten J a h r e n angestellt h a b e n . B i l l s t r ö m versuchte in 7 Fällen durch H y p n o t i s i e r u n g verdächtiger Personen Verbrechen aufzuklären, aber immer vergeblich (Zb. Neur. 93, 1939, S. 533), u n d E r i c k s o n k o n n t e nachweisen, daß es trotz ausgefeiltester Versuchstechnik u n d sogar Bindung an den Versuchsleiter nicht gelingt, in H y p n o s e antisoziale und kriminelle H a n d l u n g e n zu erzwingen mit A u s n a h m e d e r j e n i g e n Personen, die d e r a r t i g e H a n d l u n g e n auch o h n e H y p n o s e b e g a n g e n h a b e n w ü r d e n (Zb. N e u r . 96, 1940, S. 151). 3 ) Das Verbrechen in H y p n o s e u n d seine A u f k l ä r u n g s m e t h o d e n . 1937. *) M a y e r zugestimmt h a t L a n g e (M. Kr. B. 29). M. E. berechtigte Zweifel h a t B ü r g e r - P r i n z geäußert; s. dazu die Diskussion mit M a y e r (M. Kr. B. 29, 1938, S. 194, 527 u. 532).
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ist nach dem Grundsatz „in dubio pro reo" Exkulpierung angebracht. Derartige Fälle sind aber so extrem selten, daß sie praktisch bedeutungslos sind. Sie sind daher auch aus dem Gerichtssaal so gut wie verschwunden, während sie in den zwanziger Jahren in den Argumenten mancher Verteidiger noch eine gewisse Rolle spielten. Nötig wäre in jedem Falle, in dem der Einfluß der Hypnose behauptet wird, den angeblich Hypnotisierten psychiatrisch untersuchen zu lassen. Sehr viel häufiger als bei den bisher erwähnten Bewußtseinsstörungen sind kriminelle Handlungen im A f f e k t . Damit wird ein in mehrfacher Beziehung schwieriges Kapitel angeschnitten 1 ). Wir scheiden zunächst alle jene Affekthandlungen aus, die auf dem Boden von Psychosen erwachsen und daher als Symptome derselben dem Begriff der krankhaften Störung der Geistestätigkeit zugeordnet werden können. Dazu gehören die Affekthandlungen der Schizophrenen, Manisch-depressiven, Epileptiker usw. Anders die Affektentladungen der Psychopathen; sie unterscheiden sich von den Affekten Normaler vielleicht durch ihre leichtere Auslösbarkeit oder auch durch ihre Lebhaftigkeit, sind ihnen aber im Prinzip gleichzusetzen. Schon unser alltägliches Dasein mit seinem vielfach gewohnheitsmäßigen Handeln ist irgendwie gefühlserfüllt 2 ). Wir befinden uns in einer bestimmten Stimmung, sind froh, verdrießlich, mißgestimmt, gereizt u. dgl. Unsere Reaktionen den Anforderungen des Tages gegenüber hängen weitgehend von dieser Stimmungslage ab. Manchmal ist es irgend ein besonderes Ereignis, das als Ursache einer vom Gewöhnlichen abweichenden Stimmungslage angesprochen werden kann; vielfach aber wissen wir selbst nicht, weshalb wir gerade so gestimmt sind: mangelhafter Schlaf, Träume, von denen wir nichts mehr wissen, körperliche Vorgänge irgendwelcher Art und anderes mehr mögen dabei mitspielen. Aber nicht nur das! Unser Denken und Handeln ist von Gefühlen, von Wünschen, Befürchtungen und Hoffnungen, von Abneigung und Zuneigung nicht nur begleitet; sie leiten weitgehend unser Denken und sind recht eigentlich die Triebfedern unseres Handelns. Selbst das wissenschaftliche Denken ist keineswegs frei davon, und oft genug ist zuerst der Wunsch da, daß irgend etwas so sein möge, wie wir es sehen, und unser Denken hat dann die Aufgabe, den entsprechenden Beweis dazu zu liefern®). Stimmungslage und die auf ihrer Grundlage sich entwickelnden Gefühle sind nun keineswegs gleichmäßig; sie wechseln nach Art *) Beachtenswert hierzu sind die Ausführungen in Ho c h e III, S. 19ff. und 296 ff. und von M e z g e r und M i k o r e y , M. Kr.B. 29, S. 444 ff. 2 ) Das vielfach mit Gefühl gleichbedeutend gebrauchte Wort „Empfindung" bedeutet im wissenschaftlichen Sprachgebrauch etwas anderes. 3 ) Man denke nur an die unterschiedliche und wechselnde Beurteilung mancher Arzneimittel.
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und Stärke, halten sich aber innerhalb gewisser Grenzen, so daß sie von uns beherrscht werden können. Man kann trotz gereizter Stimmung sich zwingen, anderen gegenüber freundlich zu sein, ja man kann sogar, wenn man sich längere Zeit zur Freundlichkeit zwingt, die eigene Stimmung verbessern und schließlich aus dem Innern heraus freundlich sein. Aus diesem relativen Gleichmaß unseres Gefühlslebens heben sich nun stärkere Schwankungen ab, die wir Affekte nennen. Diese können, wie die Wut, der Zorn, sich ganz akut zu großer Stärke erheben, sie können, wie der Kummer, die Sorge, die Angst, die Freude, allmählich ansteigen. Es handelt sich bei ihnen allen um komplizierte Gebilde, die je nach ihrer Art Lust- oder Unlustgefühle als Hauptbestandteil enthalten, an denen aber auch erregende und deprimierende, spannende und lösende Faktoren beteiligt sind. Forensisch besonders wichtig ist die erregende Komponente. Alle diese Affekte stehen niemals für sich da; sie sind stets an einen bestimmten Inhalt, eine Wahrnehmung, Vorstellung, Erlebnis gebunden: wir freuen uns auf ein Zusammentreffen mit einem guten Freunde oder auf ein leckeres Essen, wir ärgern uns, weil wir den Zug verpaßt oder ein Buch verloren haben, wir geraten in Zorn über eine kränkende Bemerkung. Inhaltleere Affekte gibt es nur in der Abstraktion, niemals jedoch in der Wirklichkeit. Wichtig ist auch, daß sich die Affekte auch körperlich auswirken und daß sie sich wiederum durch körperliches Geschehen beeinflussen lassen: die Aussicht auf ein gutes Essen läßt uns das Wasser im Munde zusammenlaufen, wir werden blaß vor Schreck, rot vor Zorn. Bei stärksten Affekten kann nun die Besonnenheit verloren gehen, und es kann eine Bewußtseinsstörung im Sinne des § 51 StGB, entstehen. Wir sprechen dann von p a t h o l o g i s c h e n A f f e k t e n . Derartige Affektstürme können nicht nur bei groben äußeren Anlässen auftreten; manchmal genügen anscheinend belanglose Kleinigkeiten, nämlich dann, wenn es vorher durch immer wiederholte Reize zu einer Affektstauung gekommen ist. Ein Tropfen genügt dann, um das volle Faß zum Uberlaufen zu bringen. Wie aber soll man solche Affekthandlungen — fast immer handelt es sich um Gewalttaten — vor Gericht beurteilen? Welche Anhaltspunkte hat man, daß der Affekt wirklich so schwer war, daß der Täter als zurechnungsunfähig betrachtet werden muß? Nicht allzu selten wird man ein sicheres Urteil nicht abgeben können; oft genug wird man sich mit einem „wahrscheinlich" begnügen müssen. Sind Zeugen vorhanden, so wird deren Aussage natürlich von größtem Wert sein, vorausgesetzt, daß diese Zeugen nicht selbst so im Affekt waren, daß ihre eigene Wahrnehmungsfähigkeit dadurch beeinträchtigt war. Manchmal aber ist man lediglich auf das angewiesen, was der Täter selbst berichtet. Man denke z. B. an Eifersuchtsszenen, die sich unter vier Augen abspielen. Sehr wichtig für die Beurteilung ist in solchen Fällen die Erinnerung an
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das Vorgefallene. Die Erlebnisse, die wir haben, werden so verarbeitet, daß sie gewissermaßen unser geistiges Besitztum werden. Wir erinnern uns ihrer nach einiger Zeit, wir können sie reproduzieren. Das gelingt nicht immer gleich, oft müssen wir uns erst besinnen, müssen uns die Situation, in der wir das Erlebnis hatten, wieder vergegenwärtigen; es ist vielleicht auch nötig, daß wir von anderen auf Einzelheiten hingewiesen werden, damit das Erlebnis in seiner Gesamtheit wieder auftaucht. In manchen Fällen, z. B. nach einer Gehirnerschütterung oder nach einem epileptischen Anfall weiß nun der Betreffende von dem Unfall, der ihn betroffen hat, und den näheren Umständen, unter denen er zustande gekommen ist, nichts. Epileptiker wissen von ihren Anfällen nur deshalb, weil sie aus einem Zungenbiß oder aus der nachfolgenden Abgeschlagenheit auf den gehabten Anfall schließen. Diese Erinnerungslosigkeit (Amnesie) kann sich sogar auf die vor dem Unfall liegende Zeit erstrecken. So weiß der Verletzte vielleicht nicht mehr, daß er morgens aus dem Hause gegangen ist. Wir nennen das eine retrograde Amnesie. Diese Erinnerungslücke kommt dadurch zustande, daß die Erlebnisse nicht mit dem Selbstbewußtsein verknüpft werden, oder daß die schon vorhandene Verknüpfung durch Gehirnvorgänge wieder gestört wird. Wahrscheinlich ist auch die Bildung von Erinnerungsspuren (Engrammen) im Gehirn, die eine gewisse Zeit und Ruhe benötigt, aufgehoben oder gestört. Auch beim Affektsturm kann es nun zu einer Erinnerungslosigkeit kommen, weil die Verknüpfung zwischen dem Erlebnis und dem Ich nicht zustande gekommen ist. Diese Erinnerungslosigkeit braucht nicht vollständig zu sein; es können einzelne Vorgänge wie Inseln im Gedächtnis erhalten geblieben sein. Jedenfalls sind derartige Erinnerungslücken das wohl wichtigste Kriterium für die Stärke des Affekts. Wie nun aber entscheiden, ob die Erinnerungslücke tatsächlich besteht, oder ob uns der Täter nur belügt? Das ist eine Frage, die mit gutem Recht von jedem Richter erwogen werden muß. Hier wird man nur aus der eingehenden Kenntnis der Gesamtpersönlichkeit des Täters die richtige Antwort finden können. Häufige Widersprüche in den Angaben des Täters über den Umfang seiner Erinnerungsmängel sprechen gegen seine Glaubwürdigkeit. Gewisse Anhaltspunkte wird man weiter aus der Art der Affekthandlung — etwa sinnlose, abrupte Gewalttat, ernster Selbstmordversuch danach —, aus der allmählich sich entwickelnden Affektstauung, aus der eigentlichen Tatsituation schöpfen müssen. Auch das Verhalten des Täters nach der Tat — Selbstanzeige, offenes Geständnis, reaktive Depression oder Versuch, die Schuld von sich abzuschieben — ist von Bedeutung. Jedenfalls bedarf es genauester Berücksichtigung aller körperlichen, seelischen und situativen Umstände, um wenigstens zu einem Wahrscheinlichkeitsergebnis zu kommen. Weil dem so ist, ist es
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auch möglich, daß verschiedene Sachverständige zu einer voneinander abweichenden Beurteilung kommen. H o c h e weist überhaupt die Beurteilung der Affekthandlungen, da es sich nicht um krankhafte Vorgänge handele, dem Richter zu; sie sei nicht Sache des ärztlichen Sachverständigen. Erst die sogenannten pathologischen Affekte sollen nach seiner Meinung der Beurteilung durch den Sachverständigen unterliegen. Sachlich hat H o c h e damit durchaus Recht. Dennoch glaube ich, daß der Sachverständige gut tut, dem Richter auf seine entsprechende Frage die Antwort nicht zu verweigern. Ob der Richter der Ansicht des Sachverständigen folgt oder nicht, muß ihm überlassen werden. In der Regel wird er dem Sachverständigen, der den Täter viel besser kennt als er, und der ihm sein schweres Amt erleichtert, für seine Meinungsäußerung dankbar sein. Nach dem Gesagten kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, daß in manchen Fällen Affekte die Zurechnungsfähigkeit aufheben können, auch wenn es sich um durchaus gesunde Menschen handelt. Darin liegt, wie M e z g e r mit Recht betont, eine gewisse Gefahr für die Rechtsprechung 1 ). Da nämlich die Grenze zu sonstigen außergewöhnlichen affektbetonten Erlebnissen flüssig ist, so ist zu befürchten, daß die Anwendung des § 51 Abs. 1 StGB, eine zu große Ausdehnung erhält. Wollen wir daher das Strafrecht nicht unterminieren 2 ), so werden wir uns in der Anwendung des Abs. 1 des § 51 StGB, bei Affekthandlungen größte Zurückhaltung auferlegen müssen. Neben den bisher besprochenen Bewußtseinsstörungen, die auch bei durchaus gesunden Personen auftreten können, gibt es eine ganze Reihe von Bewußtseinsstörungen auf krankhafter Grundlage. Diese können natürlich ebenso gut dem Begriff der „krankhaften Störung der Geistestätigkeit" untergeordnet werden. Das gilt zunächst für die F i e b e r d e l i r i e n . Diese als solche zu erkennen, ist Sache des Arztes; auch nachträglich dürften sie im allgemeinen keine größeren diagnostischen Schwierigkeiten bereiten. Die a b n o r m e n Z u s t ä n d e d e r G e b ä r e n d e n werden immer wieder mit angeführt, obwohl die Frage, ob sie einmal zur Anwendung des § 51 StGB, führen können, wissenschaftlich nicht einwandfrei geklärt ist. Ein Gutachten der Königl. wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen hatte bei den Vorarbeiten für das jetzt gültige Strafgesetz den Zustand der Gebärenden als einen solchen bezeichnet, der in den Bestimmungen des § 51 berücksichtigt werden müsse. Selbstverständlich sind die Voraussetzungen für eine Exkulpierung gegeben, wenn psychische Störungen, etwa bei Eklampsie, Epilepsie, im Koma vorliegen. Audi eine Ohnmacht im unmittelbaren Anschluß an die Geburt kann wohl einmal zu einer !) M. Kr. B. 29, S. 446. 2 ) M. Kr. B. 29, S. 468.
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Kindestötung führen, ohne daß die Absicht dazu bestand. Zweifelhaft erscheint es, ob bei einer normalen Geburt Zustände auftreten können, die die Exkulpierung erheischen. Innere Erregung, Sorge um die Zukunft, Furcht vor Schande, der sog. Ehrennotstand, Zerwürfnisse mit der Familie, körperliche Schwäche, Blutverlust, heftige Schmerzen können bei unehelichen Müttern sicher einmal einen Zustand herbeiführen, in dem die Gebärende die Selbstbeherrschung verliert. Dazu handelt es sich, wie G u m m e r s b a c h ausführt 1 ), in der Regel um passive Naturen im Gegensatz zu den zielbewußten aktiven Abtreiberinnen. Sehr wichtig ist zu dieser Frage eine umfangreiche Untersuchung, die E1 o 2 ) in Finnland, freilich nur auf Grund der Akten von 415 Fällen von Kindesmord, angestellt hat. Er kommt zu dem Ergebnis, daß zwei Drittel der Täterinnen abnorme Persönlichkeiten (leicht Schwachsinnige und gemütskalte, rohe, aber auch erregbare Psychopathen) waren. Er folgert aus seinen Untersuchungen, daß für eine gesetzliche Privilegierung des Kindesmordes wegen des sog. Ehrennotstandes und der angeblichen seelischen Störung bei der Geburt, für die er niemals Anhaltspunkte fand, keine zwingenden Gründe vorhanden seien. Dieselbe Folgerung hat auch G u m m e r s b a c h gezogen 3 ). Um sachliche Unterlagen für die Frage zu erhalten, wie weit durch alle äußeren und inneren Umstände vorübergehende Bewußtseinstrübungen hervorgerufen werden können, wäre, wie A s c h a f f e n b u r g 4 ) schon seit 1901 gefordert hat, eine genaue Beobachtung der bei normalen ehelichen wie unehelichen Geburten auftretenden Zustände von Erregung usw. durch einen psychiatrisch geschulten Frauenarzt erforderlich. Zu den krankhaften Bewußtseinsstörungen gehören auch die D ä m m e r z u s t ä n d e . Darunter versteht man in der Literatur Verschiedenes. Manche Autoren meinen damit Zustände der mehr oder weniger starken Benommenheit mit erschwerter Auffassung, unklarem, verlangsamten Denken, mangelhafter oder fehlender Orientierung, manchmal mit delirartigen halluzinatorischen Erlebnissen oder illusionären Verkennungen; andere dagegen verstehen darunter zeitlich scharf begrenzte Zustände von „verändertem Bewußtsein ohne auffälliges Hervortreten von Bewußtseinstrübung, Benommenheit oder Inkohärenz" 5 ). Für die letztgenannte Art hat S o l b r i g 6 ) die Bezeichnung „alternierendes Bewußtsein" vorgeschlagen. !) M. Kr.B. 28, 1937, S. 364. Die von G u m m e r s b a c h hier aufgeführten Fälle sind bemerkenswert wegen des nicht selten von Mitleid beeinflußten, sonst aber kaum zu rechtfertigenden Urteils durch Laienrichter. 2 ) Referat im Zb. Neur. 98, 1941, S. 619. 3 ) Wiener med. Wschr. 1938, S. 1151. 4 ) In H o c h e I, S. 29 und III, S. 19. 6 ) J a s p e r s , Allgemeine Psychopathologie. «) Zit. bei G r ü b l e , Z. Neur. 131, S. 84.
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Während die erste Gruppe wegen der Aufdringlichkeit ihrer Symptome keine Schwierigkeiten macht, ist die zweite diagnostisch wie forensisch weniger einfach zu beurteilen, weil solche Zustände nach außen hin nicht besonders aufzufallen brauchen. „Betrachtet man . . . das Benehmen während des Ausnahmezustandes, so ist dies oft völlig klar: er handelt im Besitz seiner bisherigen Kenntnisse usw., oft klug, gewandt und äußerlich ganz korrekt; niemand merkt ihm etwas Besonderes an. Zuweilen aber erscheint er traumhaft verworren, nur Teilfunktionen gelingen ihm gut, aber der gesamte Zusammenhang erscheint u n k l a r . . -1). Dann sehen wohl gute Bekannte, daß der Gesichtsausdruck verändert ist, sie wundern sich über die eine oder andere Äußerung, irgend etwas an der inkriminierten Handlung erscheint auffällig, unzweckmäßig. Wesentlich ist, daß nachher die Erinnerung an das in solchem Zustande Erlebte fehlt. Solche „Dämmerzustände" kommen bei Epilepsie, aber auch etwa bei Hirnverletzten und nach Vergiftungen vor. Ich habe einen derartigen Fall bei Bleivergiftung zu begutachten gehabt, der in diesem Zustande exhibierte 2 ). In diesen Fällen kommt es zu einer Kontinuitätstrennung des Bewußtseins, der Täter lebt während dieser Zeit gewissermaßen ein zweites Dasein. Es ist natürlich, daß es manchmal schwer fällt, das Gericht von der Abnormität eines solchen Zustandes zu überzeugen 3 ). Dabei ist freilich auch zu bedenken, daß nicht selten kriminelle Handlungen mit einem Dämmerzustande entschuldigt werden, während es sich in Wirklichkeit um einfaches Fortlaufen eines Psychopathen oder um durchsichtige Versuche sich herauszulügen handelt. Bei weitem die wichtigste, weil häufigste Form der zu kriminellen Handlungen führenden Bewußtseinsstörungen ist der A l k o h o l r a u s c h . Er soll wegen seiner großen Bedeutung gemeinsam mit anderen Rauschgiften und im Zusammenhang mit den dafür getroffenen besonderen Maßnahmen und Bestimmungen in einem eigenen Kapitel behandelt werden. Hier soll nur darauf hingewiesen werden, daß nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts der übermäßige Genuß geistiger Getränke, auch ohne daß sinnlose Trunkenheit und damit Bewußtlosigkeit vorzuliegen braucht, einen Rauschzustand erzeugen kann, der sich in einer die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Störung des Bewußtseins oder krankhafter Störung der Geistestätigkeit äußert 4 ). J
) G r u h l e , 1. c., S. 83. ) Im Kapitel über Vergiftungen und Suchten ist der Fall kurz beschrieben. ') Eine ganze Anzahl von kurz wiedergegebenen Beispielen epileptischer Dämmerzustände hat K n a p p mitgeteilt (Ardi. Psydiiatr. 111, 1940, S. 322). 4 ) J.W. 1938, S. 2270 u. 2947, D. J. 1938, S. 1760! RKG. 2, 1940, H. 3. 2
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Die k r a n k h a f t e S t ö r u n g der G e i s t e s t ä t i g k e i t und die G e i s t e s s c h w ä c h e Die Begriffe „ k r a n k h a f t e S t ö r u n g d e r G e i s t e s t ä t i g k e i t " und „ G e i s t e s s c h w ä c h e " sollen hier gemeinsam abgehandelt werden, weil, wie wir sehen werden, die Geistesschwäche in der krankhaften Störung der Geistestätigkeit aufgeht und daher eigentlich überflüssig ist. Zur Zeit werden die beiden Begriffe in der Literatur verschieden und keineswegs besonders glücklich voneinander getrennt. A s c h a f f e n b u r g faßt unter Geistesschwäche die verschiedenen Schwachsinnsformen zusammen 1 ), d e C r i n i s meint damit angeborene und erworbene Schwachsinnszustände 2 ). Nach der Begründung sollte durch die Einführung der „Geistesschwäche" sicher gestellt werden, daß auch Grenzzustände geistiger Erkrankung durch das Gesetz erfaßt würden 3 ). Dementsprechend meint das Reichsgericht 4 ), die Geistesschwäche unterscheide sich nur dem Grade, nicht der Art nach von der „krankhaften Störung der Geistestätigkeit". S c h ä f e r ' — - W a g n e r — S c h a f h e u t i e 5 ) setzen den Begriff in Parallele mit dem Begriff der Geistesschwäche im § 6 Abs. 1 BGB. Eine solche quantitative Abstufung hätte jedoch nur Sinn, wenn die verschiedenen Grade verschiedene Rechtsfolgen nach sich ziehen würden, wie es im § 6 BGB. die Begriffe Geisteskrankheit und Geistesschwäche tun. Da das nicht der Fall ist, verliert eine gradweise Abstufung jede Berechtigung. M. E. wäre eine Differenzierung nach folgenden Gesichtspunkten möglich 6 ): Die „krankhafte Störung der Geistestätigkeit" setzt voraus, daß vorher eine normale, nicht gestörte Geistestätigkeit vorhanden war. Man könnte daher diesem Begriff alle jene krankhaften Abartigkeiten unterordnen, die im Laufe des Lebens entstanden sind, also alle Psychosen und die erworbenen Verblödungszustände, z. B. die paralytische Demenz, die P i c k sehe Krankheit, die arteriosklerotischen und senilen Prozesse usw. Unter „Geistesschwäche" dagegen könnte man alle die krankhaften Abartigkeiten verstehen, die von der Geburt oder jedenfalls von frühester Jugend an bestanden. Dazu würden dann also die angeborenen und früh erworbenen Schwachsinnszustände und die schweren Psychopathien zu rechnen sein. Diese Auffassung würde etwa dem entsprechen, was M e z g e r über die krankhafte Störung der Geistestätigkeit in der früheren Fassung des § 51 StGB, gesagt hat 7 ). M e z g e r untersucht den forenIn H o c h e III, S. 33. ») Gerichtliche Psychiatrie S. 211. 3 ) M e z g e r , Grundriß S. 80. 4 ) RGSt. 73, S. 121. 5 ) Gesetz gegen gefährliche G e w o h n h e i t s v e r b r e c h e r usw. Berlin 1934, S. 178. «) S. auch A . Z . Ps. 123, 1944, S. 135s ähnlich K a h n , M. Kr. Ps. 14, 1923, S. 259. ') Persönlichkeit u n d strafrechtliche Zurechnung. München 1926, S. 11.
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sischen Krankheitsbegriff und findet ihn gegensätzlich strukturiert: einmal sei in ihm etwas Neues, der ursprünglichen Persönlichkeit Fremdes zu sehen, und andererseits seien in ihm Zustände enthalten, wie Idiotie, schwere Psychopathie, die nicht persönlichkeitsfremd seien, sondern ganz im Gegenteil das ureigene Wesen der Persönlichkeit darstellten. Er sagt: „Der forensische Krankheitsbegriff umschließt zwei heterogene Bestandteile; er umfaßt auf der einen Seite Zustände und Vorkommnisse, die ihren krankhaften Charakter durch die Abtrennung von der Persönlichkeit des Erkrankten beweisen, und auf der anderen Seite Zustände und Vorkommnisse, die als adäquater Ausdruck der Persönlichkeit diese selbst als krankhaft erscheinen lassen. § 51 StGB, umfaßt sowohl persönlichkeitsfremde exzentrische Taten, wie auch die Taten fremdartiger, exzentrischer, abnormer Persönlichkeiten." Eine solche Unterscheidung wäre sinnvoll; sie hat jedoch auch ihre Nachteile. Geistesschwäche in diesem Sinne wäre nämlich etwas ganz anderes als Geistesschwäche im Sinne des § 6 BGB. Man sollte aber vermeiden, gleichen Ausdrücken einen ganz verschiedenen Sinn unterzulegen. Dadurch, daß die Ausdrücke „Geistesstörung" und „Geisteskrankheit" im Ehegesetz wieder eine andere Bedeutung haben, ist auf dem Gebiete der Begriffsbildung ein recht erhebliches Durcheinander entstanden. Das Bestreben muß aber dahin gehen, die Ausdrucksweise klar und verständlich zu gestalten. Daher bin ich mit zahlreichen Juristen und Psychiatern 1 ) der Meinung, daß die „Geistesschwäche" im § 51 StGB, fortfallen kann. Tatsächlich hat die Strafrechtskommission 1934 auch einen entsprechenden Vorschlag gemacht, der oben (S. 18) wiedergegeben ist. Der Begriff „krankhafte Störung der Geistestätigkeit" ist kein psychiatrischer, sondern ein juristischer Begriff 2 ); er umfaßt nicht nur die Psychosen, er ist nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts viel weiter zu fassen: „Es gehören dazu alle als krankhaft anzusehenden Fälle geistiger und seelischer Abartigkeit dauernder oder vorübergehender Art, die nicht bloße Charaktermängel oder sittliche Schwächen sind. In diesem Sinne zählen auch die verschiedenen Formen der Psychopathie zum Begriff der krankhaften Störung der Geistestätigkeit..." 3 ). Auch die amtliche Begründung zum Ge1) So T ö b b e n (D. Z. g.M. 24, 1935, S. 98), B. M ü l l e r (ebenda, S. 115), E. S c h u l t z e (Deutsches Strafrecht, Neue Folge 2, 1935, S. 34), R i t t e r s h a u s (Ps. neur. Wschr. 1934, S. 3). Von Juristen haben sich u. a. M e z g e r (Deutsches Strafrecht, ein Grundriß. 1938. S. 80), G r a f z u D o h n a (Der Aufbau der Verbrechenslehre 1936, S. 37) und M a y e r (Das Strafredit des Deutschen Volkes 1936, S. 287) gegen die besondere Nennung der Geistesschwäche ausgesprochen. Siehe dazu Kapitel „Kritisches und Vorschläge". 2 ) S c h r o e d e r , Der Nervenarzt 8, 1935, S. 141. Näheres darüber bringt S c h l ä g e r , A. Z. Ps. 123, 1944, S. 112. 3 ) D.R. 1939, S. 987, Nr. 2; RGSt. 73, S. 121. Audi insofern ist die Bestimmung der „Geistesschwäche" als eine dem Grade nach zu unterLangelüddeke,
Gerichtliche Psychiatrie.
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Das Strafrecht
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wohnheitsverbrechergesetz spricht allgemein von Psychopathen, auf die der § 51 StGB, anwendbar sein könne. Tatsächlich umfaßt also der Begriff alles, was irgendwie in erheblicher Weise von der Norm abweicht. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 51 StGB, ist freilich, wie das Reichsgericht in der oben angezogenen Entscheidung betont, das Vorliegen auch einer der psychologischen Voraussetzungen. Die
psychologischen
Voraussetzungen
Mit dem Vorliegen einer der biologischen Voraussetzungen (Bewußtseinsstörung, krankhafte Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche) ist nun keineswegs schon immer die Frage der Zurechnungsfähigkeit entschieden. Zwar exkulpiert nach einer stillen Ubereinkunft eine echte Psychose, sobald ihre Diagnose feststeht oder wenigstens sehr wahrscheinlich ist, ohne weiteres; in diesen Fällen wird allgemein angenommen, daß die psychischen Funktionen in einer für den Gesunden nicht einfühlbaren Weise verändert sind, und daß daher in keinem Falle Zweifel cm der Zurechnungsfähigkeit ausgeschaltet werden können 1 ). Zu diesen Psychosen gehören die sog. endogenen Geisteskrankheiten (Schizophrenie, manischdepressives Irresein), die organischen Gehirnkrankheiten (z. B. progressive Paralyse, manche Formen der Lues cerebri, Demenzzustände bei Hirnarteriosklerose und im Senium), exogene Psychosen bei körperlichen Erkrankungen, Vergiftungen, Fieberdelirien usw., Verwirrtheits- und Dämmerzustände bei allen Formen der Epilepsie. Daneben aber gibt es Abartigkeiten, die fließend vom Gesunden zum Kranken führen; hier kommt die psychologische Fragestellung zu ihrem Recht. Dabei ist z. B. an den Schwachsinn zu denken, der von der noch normalen Dummheit bis zur schwersten Idiotie alle Übergänge zeigt, an Rauschzustände vom „kleinen Schwips" bis zur sinnlosen Betrunkenheit, an Affekthandlungen, an Stimmungsschwankungen der Psychopathen, der Epileptiker u. a. m. In diesen irgendwie zweifelhaften Fällen ist also zu untersuchen, wie es um die Fähigkeit des Täters steht, d a s U n e r l a u b t e der Tat e i n z u s e h e n o d e r n a c h d i e s e r E i n s i c h t zu h a n d e l n . Besitzt er beide Fähigkeiten, so ist er als zurechnungsfähig auch dann anzusehen, wenn eine der biologischen Voraussetzungen gegeben ist2). scheidende Abartigkeit durch das Reichsgericht inkonsequent. Wenn dadurch nämlich die leichteren Formen, die Grenzzustände erfaßt werden sollen, so gehören zweifellos auch die Psychopathen zu ihnen und nicht zu den krankhaften Störungen der Geistestätigkeit. Die Frage der partiellen Zurechnungsfähigkeit wird später besprochen werden. 2 ) RGSt. 73, S. 122; J. W. 1939, S. 87.
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Die Zurechnungsfähigkeit der geistig Abnormen
Zunächst ist die Frage zu klären, was als „unerlaubt" gilt. „Unerlaubt ist", so sagt S c h ö n k e in seinem Kommentar1), „was das Recht oder das Sittengesetz verbietet." Es handelt sich dabei um moralisch Unerlaubtes. Der Begriff ist weiter als der des „Ungesetzlichen", der bis vor Kurzem im Jugendstrafrecht verwendet wurde, und als der des „Unrechts", der in das neue Jugendstrafrecht übernommen und auch für ein zukünftiges Erwachsenenstrafrecht vorgesehen ist. „Unrecht" wird man kurz als ein Verhalten definieren können, das den Interessen der Allgemeinheit widerspricht. Das Recht ist nach P e t e r s 2 ) die Ordnung des sozialen Zusammenlebens. Es kommt darauf an, daß der Jugendliche befähigt ist, das Verwerfliche seines Tuns vom Standpunkt der Rechtsgemeinschaft zu erkennen; er muß in der Lage sein, die Tat aus dem Idibereich herauszuheben und in den Zusammenhang von Volk und Staat zu bringen. Verhältnismäßig einfach ist die Prüfung der Einsichtsfähigkeit. Oft genug ist ihr Vorhandensein schon aus den Akten zu erweisen, aus der Art des Geständnisses sowohl wie aus dem anfänglichen Ableugnen. Auch der Umstand, daß jemand wegen der gleichen Tat schon einmal bestraft war, läßt im Allgemeinen darauf schließen, daß er wußte, daß er Unerlaubtes tat. Es kommt im Übrigen nicht darauf an, daß der Täter zur Zeit der Tat das Unerlaubte derselben wirklich eingesehen hat, sondern nur darauf, daß er die Fähigkeit dazu hatte. Nun kann man sich über die Urteilsfähigkeit eines Menschen mit den in der Psychiatrie üblichen Methoden in der Regel wenigstens ein einigermaßen zutreffendes Bild machen. Die Prüfung geht ja auf den Intellekt, der sich ungefähr gleich bleibt, wenn sich nicht in der Zwischenzeit eine gröbere Demenz entwickelt hat. Freilich muß diese Prüfung mit aller Sorgfalt durchgeführt werden, man darf sich namentlich nicht mit der Prüfung der Schulkenntnisse begnügen, wenn man grobe Irrtümer vermeiden will. Ich hatte vor Jahren einen Mann wegen eines Sittlichkeitsdelikts zu begutachten, der als 15jähriger wegen Schwachsinns exkulpiert war. Damals hatte er gebettelt und Zechprellereien auf das Geheiß seiner schwer psychopathischen Mutter begangen. Es waren damals nur die freilich sehr dürftigen Schulkenntnisse geprüft. Dieser angeblich Schwachsinnige hatte es inzwischen immerhin zum Lektor der englischen Sprache an einer südamerikanischen Universität gebracht.
Namentlich muß man wissen, daß es Hochintelligente gibt, die auf einem Gebiete restlos versagen; ich erinnere an W i l h . S c h m i d t , den Erfinder der Heißdampf-Lokomotive, der als Schlosserlehrling von einer Fachschule wegen mangelhafter Leistungen als ungeeignet !) 2. Aufl., S. 153. 2 ) Kommentar zum RJGG. von 1943, 2. Aufl. Berlin 1944. „Ungesetzlich" ist, was mit Strafe bedroht ist. 3*
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Das Strafrecht
zurückgeschickt wurde. Bekannt ist, daß die Rechenleistungen von Frauen oft recht dürftig sind. So habe ich mich einmal vergeblich bemüht, einer sonst durchaus klugen Studentin klar zu machen, daß man den Bruch '/« auch wie 0,2 schreiben könne. Umgekehrt haben manche Schwachsinnige einzelne gut ausgebildete Fähigkeiten; manche multiplizieren z. B. spielend vierstellige Zahlen im Kopf, andere haben ein erstaunliches Gedächtnis für Daten, wieder andere haben eine gewisse technische Begabung. Aber diese Fähigkeiten ragen wie hohe Bäume aus niedrigem Gestrüpp heraus und dürfen über den allgemeinen Tiefstand ihrer Fähigkeiten und ihres Könnens nicht hinwegtäuschen. In jedem Falle tut man gut, das durch Prüfungen gewonnene Bild durch die im Leben erzielten Leistungen zu kontrollieren. Dann werden Irrtümer nur selten vorkommen. Sehr viel schwerer ist die Feststellung, ob der Täter zur Zeit der Tat die Fähigkeit hatte, nach der vorhandenen Einsicht zu handeln. Diese Fähigkeit bezieht sich auf sein Wollen, das vorwiegend aus seinem Gefühls- und Triebleben seine Impulse erhält. Dabei spielen seelische Vorgänge mit, die einer objektivierenden Prüfung nicht zugänglich sind. Sie sind auch zur Zeit der Untersuchung nicht mehr die gleichen wie zur Zeit der Tat. Wir können sie nur rekonstruieren, indem wir einfühlend und nacherlebend Motive und Entschluß zum kriminellen Handeln zu verstehen versuchen. Die Möglichkeit hierzu hängt aber nicht nur von der Einfühlungsfähigkeit des Untersuchers ab; es kommt auch darauf an, ob zwischen Täter und Gutachter der nötige Kontakt zustande kommt, ob der Täter zum Gutachter Vertrauen gewinnt oder nicht. Insofern haftet den Antworten auf diese Frage ein gewisser Unsicherheitsfaktor an, der aber mit i n Kauf genommen werden muß. Handelt es sich um Psychosen, so sind wir nicht imstande, die innerseelische Situation nachzugestalten. Wir wissen nicht, was eigentlich in solchen Kranken vorgeht. Es gilt daher, wie ich schon oben sagte, als abgemacht, daß die Psychose exkulpiert. Anders bei Psychopathen, Debilen, Angetrunkenen. Hier wird die Beurteilung bis zu einem gewissen Grade von der Einstellung des Sachverständigen abhängen. Wie soll man hier die nötige Sicherheit finden? Es handelt sich ja gerade bei diesen Persönlichkeitstypen oft nicht um persönlichkeitsfremde Taten, sondern gerade um adäquate Handlungen, die im Schwachsinn, in der Besonderheit des Psychopathen ihren eigentlichen Grund haben. Es kommt, wie das Reichsgericht sagt, darauf an, daß der Täter die Fähigkeit hat, die Anreize zur Tat und die ihr entgegenstehenden Hemmungsvorstellungen gegeneinander abzuwägen und danach seinen Willensentschluß zu bilden, dem verbrecherischen Antriebe also die nötigen Hemmungen entgegenzusetzen 1 ). Nun setzt zwar J
) RGSt. 57, S. 76.
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die Prüfung dieser Fähigkeit voraus, daß der Täter nicht nur die Fähigkeit zur Einsicht, sondern die Einsicht selbst in das Unerlaubte seines Tuns besaß 1 ); in der Wirklichkeit lassen sich aber intellektuelle und Willensfaktoren, wenn ich diesen Ausdruck für die Gesamtheit der übrigen zur Handlung drängenden seelischen Vorgänge anwenden darf, nicht voneinander sondern. Überlegungen werden weitgehend von Gefühlsvorgängen beherrscht, namentlich von Wünschen, Haß und Liebe. Niemand ist imstande, sich diesen Einflüssen ganz zu entziehen. Andererseits verhindert gerade die ruhige Überlegung die Verwirklichung von Wünschen krimineller Art. Dieses innige Ineinandergreifen ist von Bedeutung besonders bei Schwachsinnigen, bei denen zwar die Einsicht in das Unerlaubte ihrer Tat vorhanden sein kann, bei denen aber die Intelligenzmängel die Bildung ausreichender Hemmungsvorstellungen verhindern. Es wird auch hier darauf ankommen, aus dem bisherigen Leben des Täters, seiner Entwicklung, seinen Schul- und Berufsleistungen, seinem Ruf, seinen Neigungen und Interessen, seinen etwaigen Krankheiten und seiner Herkunft ein Gesamtbild seiner Persönlichkeit zu gewinnen, und diese Persönlichkeit zur Tat in Beziehung zu setzen. Gerade hierbei spielt die Tat, ihre Ausführung, ihre Vorbereitung und ihre Motivierung eine Rolle2). Damit kommen wir zu einer Neuerung im Gesetz, die, soweit ich sehe, bisher übersehen worden ist. In dem dem Reichstage vorgelegten Entwurf des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund lautete der § 49: „Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem Zustand der Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistestätigkeit befand, durch welchen seine freie Willensbestimmung i n B e z i e h u n g a u f d i e H a n d l u n g ausgeschlossen war." Die Worte „in Beziehung auf die Handlung" waren auf das Verlangen des Sächsischen Landes-Medizinalkollegiums hinzugefügt. Es sollte dadurch das Erfordernis der Kausalverknüpfung von Krankheit und Tat ausdrücklich hervorgehoben werden, „da sonst zu befürchten sei, daß der Nachweis einer allseitigen Ausschließung der freien Willensbestimmung gefordert werden würde und dieser Nachweis in vielen unzweifelhaft zu exkulpierenden Fällen nicht erbracht werden könnte" 3 ). Diese Worte sind bei der dritten Lesung im Reichstage am 23. V. 1870 auf Antrag der Abgeordneten S a l t z w e d e l und Genossen gestrichen. Letzterer begründete den Antrag u. a. damit, daß es sich um eine Bestimmung von unberechenbarer Tragweite handele; denn durch sie werde „der Richter geS c h ä f e r - W a g n e r - S c h a f h e u t l e , 1. c., S. 180. ' bei der Durchschnittsbevölkerung ). Das zweite Urteil vom 3. VII. 1941 betraf die Tochter einer manisch-depressiven Mutter 2 ). Die Beklagte war 30 Jahre alt, erscheinungsbildlich völlig gesund. Die Gefahr, daß Kinder aus dieser Ehe erkrankten, war nur unwesentlich größer als bei der Durchschnittsbevölkerung, so daß gegen die Erzeugung von Kindern keine Bedenken bestanden. Die Erkrankungswahrscheinlichkeit der Beklagten selbst war zwar erheblich größer als beim Durchschnitt (24,4% gegenüber 0,44°/o im Durchschnitt); „scheidet aber eine Gefährdung der Nachkommenschaft aus . . . , so steht die Eigenschaft des einen Eheteils als Träger krankhafter Erbanlagen einem normalen Eheleben nicht ohne weiteres entgegen. Es kann also im Regelfall unbedenklich abgewartet werden, ob die Krankheit manifest wird." Gegen dieses Urteil hat v. S c a n z o n i in einer Bemerkung dazu Bedenken geäußert; er meint, es rücke zu sehr von dem inneren Gedanken der Eheaufhebung ab. Mir scheint dieses Urteil dem individuellen Interesse ebenso gerecht zu werden wie dem Interesse der Gesamtheit. Nimmt man mit L u x e n b u r g e r an, daß 19°/o der Bevölkerung Teilanlagen zur Schizophrenie hat, so bedeutet das, daß solche Teilanlagen in rund 34°/o aller Ehen vorhanden sind3). Dazu kommen noch die Anlagen zu anderen Erbkrankheiten. Die Eheaufhebungen würden ins Uferlose wachsen, wollte man die Anlage allein ohne jede Einschränkung als Eheaufhebungsgrund ansehen. M a s s f e i l e r hat zu dieser Frage ausgeführt, eine sichere Entscheidung sei nur in drei Fällen möglich, nämlich 1. wenn entweder beide Elternteile schizophren seien oder wenn 2. zwar nur ein Elternteil schizophren, der betreffende Ehegatte selbst aber als schizophrenieähnlicher Psychopath oder sonst geistig abnormer Typ anzusehen sei, oder 3. wenn zwar nur ein Elternteil schizophren sei, der betreffende Ehegatte aber schon ein Kind geboren oder, wie man hinzusetzen muß, erzeugt habe, das schizophren oder ein schizophrenieähnlicher Psychopath sei4). Die letztgenannte Möglichkeit wird dabei kaum in Betracht kommen, da die Ehe dann in der Regel mindestens etwa 2 Jahrzehnte besteht und mit weiterer Nachkommenschaft nicht zu rechnen ist. Zu den Anlagen, die zur Aufhebung der Ehe führen können, gehört auch die aus irgendeiner Ursache vorhandene, aber erst während der Ehe erkennbare erhöhte Reaktionsbereitschaft oder ') 158, 2 ) 3 ) d.h. 38% . 4)
Urteil vom 13. X. 1938 (J.W. 1939, S. 106); dazu RGZ. 153, S. 78; S. 268 u. J . W . 1937, S. 616. RGZ. 168, S. 61; D. R. 1941, S. 517. Diese Zahl kommt dadurch zustande, daß in einem Fünftel der Fälle, in rund 4% Anlageträger zusammentreffen; diese 4% sind von abzuziehen. J . W . 1937, S. 616, Anmerk.; ähnlich L i e b n i t z , D. J. 1937, S. 1466.
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Bürgerliches Recht
gesteigerte Vulnerabilität, vorausgesetzt, daß die Reaktionen aus dem Bereich des Normalen deutlich herausfallen 1 ). Der Ausdrude „ b e i v e r s t ä n d i g e r (bzw. r i c h t i g e r ) W ü r d i g u n g d e s W e s e n s d e r E h e " enthält einen objektiven und subjektiven Maßstab. Der objektive Maßstab ist nur aus der allgemeinen Auffassung vom Wesen der Ehe zu gewinnen. Diese unterliegt im Laufe der Zeiten gewissen Wandlungen; sie ist innerhalb derselben Gesellschaft verschieden je nach dem kirchlichen Bekenntnis. In den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts schien es, als ob die Institution der Ehe eine Krise durchmache. Die Ehe erschien in vielen literarischen Produkten als nicht viel mehr als ein sexuelles Verhältnis, das man, sobald man seiner überdrüssig wurde, am besten löste. Selbst von ernst zu nehmenden Männern wurden Vorschläge zur Reform der Ehe gemacht, die praktisch zu einer Auflösung der Ehe überhaupt geführt hätten 2 ). Allen diesen Tendenzen gegenüber hat sich die wirkliche Ehe erhalten 8 ). Wir dürfen heute ihr Wesen etwa so kennzeichnen: Die Ehe ist eine von der Gemeinschaft gewollte und von ihr geschützte, auf gegenseitiger Treue, Liebe und Achtung beruhende dauernde Lebensgemeinschaft zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum Zwecke der Erzeugung von Kindern und ihrer Erziehung zu tüchtigen Menschen 4 ). Der subjektive Maßstab liegt dagegen in der Einstellung gerade des irrenden Ehegatten zu der betreffenden Eigenschaft, zu den betreffenden Umständen. Es ist also zu prüfen, ob gerade ihn diese Eigenschaft, diese Umstände von der Eingehung der Ehe abgehalten haben würden 5 ). Dabei soll jedoch nach der Meinung des Reichsgerichts den allgemeinsittlichen Gesichtspunkten gegenüber den persönlichen Interessen das größere Gewicht zukommen 6 ). Der Absatz 2 des §32 (ebenso §37 EG. von 1938) schränkt die Aufhebungsmöglichkeit gegenüber dem § 1333 BGB. ein: die Aufhebung ist nicht nur dann ausgeschlossen, wenn der irrende Ehe] ) D. R. 1939, S. 1327. Es h a n d e l t e sich u m eine r e a k t i v e geistige Erk r a n k u n g , als d e r e n Ursache G e b u r t eines Kindes, Wechsel d e r Hausangestellten, E r k r a n k u n g des Kindes, V e r s e t z u n g des Klägers a n z u s e h e n w a r e n , Ereignisse also, w i e sie k a u m in einer Ehe ausbleiben. Dazu k a m S e l b s t m o r d n e i g u n g u n d der Umstand, daß die Beklagte w ä h r e n d ihrer geistigen E r k r a n k u n g versucht hatte, ihre b e i d e n Kinder zu töten. Hier w ä r e w o h l auch Scheidung aus § 44 EG. möglich gewesen. ! l Zu e r i n n e r n ist e t w a an die v o n L i n d s e y u n d E v a n s v o r g e schlagene K a m e r a d s c h a f t s e h e (deutsch v o n N u t t , 1928), d e r e n g u t e Absicht nicht zu v e r k e n n e n ist. 3 ) V o n den derzeitigen a b n o r m e n V e r h ä l t n i s s e n darf m a n nicht auf die Institution als solche schließen. 4 ) Diese C h a r a k t e r i s i e r u n g b e r u h t auf v. S c a n z o n i , S. 1, u n d auf e i n e n Vorschlag der A k a d e m i e f ü r deutsches Recht in M ö ß m e r , N e u g e s t a l t u n g des deutschen Ehescheidungsrechts, S. 11. 5 ) V o l k m a r , S. 141 j P a l a n d t , K o m m e n t a r . 6 ) RGZ. 158, S. 268 u. RG. J. W . 1939, S. 106.
Geisteskrankheit und Ehe
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gatte nach Entdeckung seines Irrtums die Ehe bestätigt, sondern auch dann, wenn sie mit Rücksicht auf die bisherige Gestaltung des ehelichen Lebens sittlich nicht gerechtfertigt erscheint. Der Sinn dieser Bestimmung liegt darin, daß sich ein Ehegatte nicht auf einen Aufhebungsgrund soll berufen können, der im Laufe einer langjährigen Ehe seine Bedeutung verloren und in keiner Weise ungünstig auf die Gestaltung der Ehe eingewirkt hat und einwirken wird1). Die Aufhebungsklage ist an eine bestimmte Frist geknüpft, die mit dem Zeitpunkt beginnt, in welchem der Ehegatte den Irrtum oder die Täuschung entdeckt. Diese Frist beträgt jetzt ein Jahr (§ 35; ebenso § 40 EG. 1938), während sie früher nur ein halbes Jahr betrug. Diese Verlängerung entsprach einem allgemeinen Bedürfnis. Neben anderen Gründen spielt bei Geisteskranken noch der Umstand eine Rolle, daß oft genug der gesunde Ehegatte hofft und glaubt, die Krankheit könne sich noch bessern. Das gilt namentlich für bis dahin glückliche Ehen. Es bedarf erst einer durch die Krankheit erzeugten inneren Lösung, bevor sich in solchen Fällen der gesunde Ehegatte entschließt, verstandesmäßigen Erwägungen zu folgen. Selbst die Frist von einem Jahr genügt in vielen Fällen nicht, um diese innere Lösung herbeizuführen 2 ). Nach meinen eigenen Erfahrungen sind daher Ehescheidungsklagen nach § 45 EG. (§ 1569 BGB., § 51 EG. 1938) viel häufiger als Aufhebungsklagen. Wichtig ist die Frage, wann die Frist zu laufen beginnt. Das geschieht keineswegs schon immer mit der Kenntnis allein, daß der andere Ehegatte geisteskrank ist. Wird z. B. die Aufhebungsklage auf das Vorliegen einer Erbkrankheit gestützt, so rechnet die Frist erst von dem Tage, an welchem der klagende Ehegatte erfahren hat, daß es sich um eine Erbkrankheit handelt. Maßgebend ist also, wann der klagende Ehegatte Kenntnis erhält von der persönlichen Eigenschaft oder den Umständen, auf die er seine Klage stützt 3 ). Das ist berechtigt, da der Laie mit großer Zähigkeit äußere Ursachen für die Entstehung von Geisteskrankheiten verantwortlich macht. Man tut gut, über die erfolgte Aufklärung eine Notiz in die Krankengeschichte zu machen. Von den Ehescheidungsgründen interessieren den Psychiater vornehmlich die §§ 44 und 45. Doch scheint es mir zweckmäßig, auch die §§42 und 43, in denen die Ehescheidung wegen Verschuldens behandelt wird, mit anzuführen, weil eine Eheverfehlung auch Voraussetzung des § 44 ist. ') RGZ. 159, S. 183; D. R. 1939, S. 172. ) Eine eigenartige, wohl durch die sakramentale Bedeutung der Ehe in der katholischen Kirche bedingte Stellungnahme fand ich bei dem Ehemann äiner schwer defekten Schizophrenen. Zur Ehescheidung oder -aufhebung konnte er sich nicht entschließen, fragte aber ganz ernst, ob wir Ärzte seine Frau nicht durch eine Spritze von ihrem Leiden erlösen könnten. 3 ) RG. Urteil vom 28. XI. 1938; J. W. 1939, S. 635. 2
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Bürgerliches Recht § 42 (1) Ein Ehegatte kann Scheidung begehren, wenn der andere die Ehe gebrochen hat. (2) Er hat kein Recht auf Scheidung, wenn er dem Ehebruch zustimmt 1 ) oder ihn durch sein Verhalten absichtlich ermöglicht oder erleichtert hat. § 43. Ein Ehegatte kann Scheidung begehren, wenn der andere durch eine schwere Eheverfehlung oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten die Ehe schuldhaft so tief zerrüttet hat, daß die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr erwartet werden kann. Wer selbst eine Verfehlung begangen hat, kann die Scheidung nicht begehren, wenn nach Art seiner Verfehlung, insbesondere wegen des Zusammenhangs der Verfehlung des anderen Ehegatten mit seinem eigenen Verschulden sein Sdieidungsbegehren bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe nicht gerechtfertigt ist. § 44. Ein Ehegatte kann Scheidung begehren, wenn die Ehe infolge eines Verhaltens des anderen Ehegatten, das nicht als Eheverfehlung betrachtet werden kann, weil es auf einer geistigen Störung beruht, so tief zerrüttet ist, daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden kann. § 45. Ein Ehegatte kann Scheidung begehren, wenn der andere geisteskrank ist, die Krankheit einen solchen Grad erreicht hat, daß die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben ist, und eine Wiederherstellung dieser Gemeinschaft nicht erwartet werden kann. § 46 behandelt die Scheidung wegen ansteckender oder ekelerregender Krankheit. § 47. In den Fällen der §§ 44—46 darf die Ehe nicht geschieden werden, wenn das Scheidungsbegehren sittlich nicht gerechtfertigt ist. Dies ist in der Regel dann anzunehmen, wenn die Auflösung der Ehe den anderen Ehegatten außergewöhnlich hart treffen würde. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den Umständen, namentlich auch nach der Dauer der Ehe, dem Lebensalter der Ehegatten und dem Anlaß der Erkrankung.
Nach d e m früheren Scheidungsrecht d e s BGB. konnte e i n e Ehe mit geringen A u s n a h m e n nur geschieden werden, w e n n ein Verschulden vorlag; Zerrüttung war nur dann ein Scheidungsgrund, w e n n s i e schuldhaft herbeigeführt war. Die einzige A u s n a h m e bildete der § 1569 BGB., d e m der jetzige § 45 mit g e w i s s e n A b w e i c h u n g e n entspricht. Im jetzigen Ehegesetz (und e b e n s o im EG. 1938) ist n u n neben das Verschuldungsprinzip gleichberechtigt das Zerrüttungsprinzip getreten. J e d e Ehe ist eine Art Lotteriespiel: m a n merkt erst später, ob man e i n e n Treffer g e z o g e n hat. J e d e Ehe verlangt v o n beiden Ehegatten aber auch den W i l l e n sich anzupassen, Rücksichtnahme auf d e n anderen, Zurückstellen eigener Wünsche. Das fällt manchem schwer, manchem gelingt e s gar nicht. Es k o m m t dann überhaupt nicht zu einer rechten Ehe. Oder aber die zunächst scheinbar glücklichen Ehegatten leben sich allmählich auseinander, w e i l nach d e m A b k ü h l e n der Leidenschaften sich herausstellt, daß d i e ') Gemeint dürfte sein „zugestimmt".
G e i s t e s k r a n k h e i t u n d Ehe
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verschieden gearteten Persönlichkeiten nicht zueinander passen. Solche Ehen, die in Wirklichkeit nur noch Konkubinate sind, sind sowohl vom Standpunkte der Ehegatten wie von dem der Allgemeinheit aus sinnlos. Das neue Gesetz hat dem in den angeführten Bestimmungen und namentlich im § 48 Rechnung getragen. Ohne Verschulden ist nach dem Ehegesetz von 1946 die Ehescheidung in vier Fällen möglich, nämlich dann, wenn 1. ein auf einer geistigen Störung beruhendes Verhalten des einen Ehegatten vorliegt, das ohne diese Störung schuldhaft wäre (§ 44); 2. wenn durch Geisteskrankheit bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind (§45); 3. bei ansteckender oder ekelerregender Krankheit (§ 46) und 4. wenn die Zerrüttung durch dreijährige Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft deutlich geworden ist (§ 48). • Von diesen Möglichkeiten interessieren hier nur die beiden ersten. Der Scheidungsanspruch aus § 44 EG. „setzt ein ehezerrüttendes Verhalten des geistig gestörten Ehegatten voraus, das sich sachlich als schwere Eheverfehlung darstellt. Es genügt nicht, daß die Ehe durch die unmittelbaren Wirkungen der geistigen Störung auf das eheliche Verhältnis, insbesondere eine dadurch bewirkte Beeinträchtigung der geistigen Gemeinschaft der Eheleute zerrüttet worden ist" 1 ). Die Anwendung des §44 EG. setzt weiter voraus, daß ohne die Geistesstörung des beklagten Eheteils Scheidung aus seinem Verschulden erfolgen könnte,- sie entfällt also, wenn im Falle des § 42 EG. die Voraussetzungen des Abs. 2 vorliegen würden 2 ). Aus dem Wortlaut des § 44 ergeben sich für den Sachverständigen drei Fragen, zu denen er gutachtlich Stellung zu nehmen hat: 1. Liegt eine geistige Störung vor? 2. Beruht die objektiv festgestellte Ehe Verfehlung, deren Art das Gericht dem Sachverständigen anzugeben hätte, auf der etwa vorhandenen geistigen Störung? 3. Ist die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft zu erwarten? Um diese Fragen beantworten zu können, müssen wir zunächst wissen, was „geistige Störung" im Sinne des § 44 EG. bedeutet. Die verschiedenen Kommentare neigen dazu, die leichteren Abnormitäten hierher zu rechnen, während sie dem § 45 die schwereren vorbehalten 3 ). So werden erwähnt etwa Hysterie, Suchten verschiedener Art, leichtere Psychopathie, Neurasthenie, Zwangsneurosen, echte Kleptomanie, krankhafte Bigotterie, krankhafte Zanksucht und Eifersucht u. a. Das Reichsgericht versteht darunter „alle geistig !) RGZ. 164, S. 352; RG. D. R. 1940, S. 1885; ähnlich P a 1 a n d t. Die Vora u s s e t z u n g e n sind in o b j e k t i v e r Beziehung dieselben wie in §§ 42 u. 43 (RGZ. 160, S. 305). 2 ) R G . D . R . 1943, S. 1105. 3 ) V o l k m a r , v. S c a n z o n i , P a l a n d t ; dazu auch M e g g e n d o r f e r , Ziv. Ardi. 145, S. 199 ff.
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und seelisch vom Normalen abweichenden Zustände (im Vorstellungs-, Willens- oder Triebleben), die zwangsläufig ein dem gesunden Menschen fremdes Handeln und Unterlassen zur Folge haben und einen solchen Grad aufweisen, daß der beklagte Ehegatte für sein Verhalten nicht verantwortlich oder jedenfalls nicht voll verantwortlich gemacht werden kann" 1 ). Dabei soll es nicht auf bestimmte, diagnostisch abgrenzbare Geisteskrankheiten ankommen, sondern vielmehr auf einzelne abnorme Handlungsweisen, z. B. auch „nervöse Störungen" wie Psychoneurose oder Zwangsneurose. So kann eine Ehe durch den zwangsmäßig auftretenden Wunsch des einen Ehegatten, der andere Ehegatte möge sterben, ihm möge etwas Böses zustoßen, ohne Verschulden zerrüttet werden 2 ). Mir scheint, daß die hier aufgeführten geistigen Abwegigkeiten dadurch ziemlich stark beschnitten werden, daß die Frage der V e r a n t w o r t l i c h k e i t auftaucht. Diese ist zwar im Wortlaut nicht ausdrücklich genannt; es heißt hier lediglich, die Eheverfehlung müsse auf einer geistigen Störung beruhen. Aus der Gegenüberstellung der Uberschriften der beiden Gruppen von Ehescheidungsgründen „Scheidung wegen Verschuldens (EheVerfehlungen)" und „Scheidung aus anderen Gründen" ergibt sich aber, daß in der zweiten Gruppe ein Verschulden nicht vorliegen darf. Das kann bei einer objektiv vorhandenen Eheverfehlung nur dann der Fall sein, wenn der beklagte Ehepartner für seine Handlungsweise nicht verantwortlich zu machen ist. Selbst wenn man sich mit dem Reichsgericht (s. oben) mit einer erheblich verminderten Verantwortlichkeit begnügen will3), so scheiden doch manche der oben aufgeführten Zustände für die Anwendung des § 44 aus. Der Sachverständige wird z. B. bei einer „leichteren Psychopathie" nur volle Verantwortlichkeit annehmen können. Täte er das nicht, würde er sich in Widerspruch mit sich selbst setzen müssen, da er im Strafverfahren unmöglich allen leichteren Psychopathen die Vergünstigung auch nur des § 51 Abs. 2 StGB, zubilligen könnte; er müßte sie sonst der Mehrzahl der Verbrecher überhaupt zugestehen. Wenn daher v. S c a n z o n i meint, die Sachverständigen legten hier immer noch einen zu strengen Maßstab an, so kann ich dieser Auffassung nicht zustimmen4). Das Reichsgericht hat übrigens in einer neueren Entscheidung5) den 1) R G . D . R . 1942, S. 1553; RGZ. 161, S. 106; ähnlich O. L. G. Stettin J . W . 1939, S. 696. 2 ) RGZ. 161, S. 106. 3 ) Das Reichsgericht h a t später mit Recht Z u r e c h n u n g s u n f ä h i g k e i t v e r l a n g t (s. unten). 4 ) A u d i B e r i n g e r (Nervenarzt 11, 1938, S. 554) f o r d e r t mit Recht, d a ß die a b a r t i g e W e s e n s v e r f a s s u n g hochgradig sein müsse; e b e n s o M e g g e n d o r f e r (Fortsdir. N e u r . 11, 1939, S. 12 u. Ziv. A r d i . 145, S. 228). 6 ) RGZ. 163, S. 341; ähnlich R G . D . R . 1939, S. 1327: „Bei der P r ü f u n g des S a d i v e r h a l t s . . . ist zu untersuchen, ob das V e r h a l t e n des b e k l a g t e n Ehegatten eine E h e v e r f e h l u n g darstellen würde, w e n n er d a f ü r verantwortlich -wäre."
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gleichen Standpunkt vertreten. Danach ist ein Verschulden nur dann nicht gegeben, wenn infolge des krankhaften Geisteszustandes die freie Willensbestimmung des Beklagten ausgeschlossen ist, oder wenn mit anderen Worten dem Beklagten die Fähigkeit gefehlt hat einzusehen, daß sein Verhalten geeignet war, die Ehe zu zerrütten, oder aber die Fähigkeit, sein Verhalten nach dieser Einsicht einzurichten. Im übrigen wird durch die Annahme der v o l l e n Verantwortlichkeit die Ehescheidung nicht erschwert, da immer ja eine Eheverfehlung vorliegen muß, die an sich genügt, um die Ehescheidung zu begründen. Freilich reihen sich die §§ 43 und 44 EG. nicht lückenlos aneinander; es sind vielmehr Fälle denkbar, in denen beide nicht anwendbar sind. Das kann dann der Fall sein, wenn die Zurechnungsfähigkeit des beklagten Ehegatten zwar nicht aufgehoben, aber gemindert war. Dann kann die vorhandene Störung der Geistestätigkeit den etwa begangenen Handlungen die Eigenschaft als s c h w e r e Eheverfehlung nehmen und dadurch die Ehescheidung unmöglich machen1). Hier müßte ein Weg gefunden werden, um diese Lücke auszufüllen. Denn es ist klar, daß in solchen Fällen die Zerrüttung der Ehe in gleicher Weise vorhanden ist wie in den Fällen der §§43 und 44; es bedeutet eine unbillige Härte gegenüber dem klagenden Ehegatten, eine solche Ehe weiter bestehen zu lassen. Am einfachsten wäre es wohl, wenn man im § 43 statt „schwere Eheverfehlung" einfach „Eheverfehlung" setzte. Durch die weitere Forderung, daß durch diese Eheverfehlung eine so tiefe Zerrüttung der Ehe eingetreten sein muß, daß die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden kann, ist schon zum Ausdruck gebracht, daß nicht jede Eheverfehlung gemeint ist. Bei Fortlassung des Beiwortes „schwer" käme es aber für die Frage der Ehescheidung nur mehr auf die zerrüttende Wirkung der Eheverfehlung an; die Schuld würde dann eine Frage von sekundärer Bedeutung werden; sie könnte fehlen, vermindert sein oder in vollem Umfange gegeben sein, ohne daß dadurch die Möglichkeit der Scheidung berührt würde. Nach diesen Ausführungen wird sich sagen lassen: Man wird zwar geistige Abartigkeiten der verschiedensten Art in Erwägung ziehen können; die Voraussetzungen des § 44 EG. werden jedoch nur dann erfüllt sein, wenn durch die geistige Abartigkeit die Verantwortlichkeit aufgehoben ist. Daraus ergibt sich zwangsläufig, daß die geistige Störung einen immerhin erheblichen Grad erreicht haben muß. Abgesehen von den leichteren psychotischen Zuständen (Manie, leichtere Formen der Schizophrenie u. dgl.), durch die noch nicht die geistige Gemeinschaft aufgehoben ist, die daher auch nicht die Voraussetzungen des § 45 erfüllen, kommen m. E. nur schwerste i) RGZ. 163, S. 341; 164, S. 248; 169, S. 117 (dort ein instruktives Beispiel); RGR. Kommentar z. BGB., 8. Aufl. Langelüddeke
gerichtliche Psychiatrie.
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Psychopathien und andere b e t r ä c h t l i c h e Abweichungen von der Norm für die Anwendung des § 44 EG. in Frage. Unter „dem Wesen der Ehe entsprechenden L e b e n s g e m e i n s c h a f t " ist nicht dasselbe zu verstehen wie unter „geistiger Gemeinschaft". Es ist die „auf gegenseitiger Treue, Liebe und Achtung beruhende dauernde Lebensgemeinschaft", also nicht ein bloßes äußeres Zusammenleben, sondern ein Leben im Einklang miteinander. Der Begriff der „geistigen Gemeinschaft" ist vom Reichsgericht wiederholt umschrieben. So heißt es in einem Urteil 1 ): „Die geistige Gemeinschaft der Ehegatten äußert sich in der gegenseitigen Anteilnahme an dem, was das geistige Leben der Ehegatten erfüllt, also namentlich an dem körperlichen und geistigen Wohl des anderen Ehegatten und der Kinder, sowie an sonstigen Familienangelegenheiten. Diese Anteilnahme darf aber nicht lediglich eine innerliche, sich auf bloße Gefühlsäußerungen beschränkende sein, sondern muß sich durch Handlungen, die sich als Ausfluß des gemeinsamen Denkens und Fühlens des Ehegatten darstellen, praktisch betätigen . . . " . Die geistige Gemeinschaft ist die Voraussetzung der Lebensgemeinschaft; die letztere umfaßt mehr als die erstere, sie begreift namentlich in höherem Maße als die erstere alle gefühlsmäßigen Bindungen in sich, die in der Ehe mitspielen2). Dabei ist die im Schrifttum kaum berührte Frage zu erörtern, was im Einzelfall „Lebensgemeinschaft" und „geistige Gemeinschaft" zu bedeuten haben 3 ). M. E. haben beide Begriffe einen ganz verschiedenen Inhalt, je nach der Qualität der Ehepartner. Geistige Gemeinschaft mit einem hervorragenden Wissenschaftler etwa ist etwas ganz anderes als mit einem Tagelöhner. Bei diesem wird man nur geringe Ansprüche stellen dürfen, bei jenem dagegen wird man mehr verlangen dürfen als etwa die Sorge um das tägliche Brot. Es handelt sich also um relative Begriffe, die abhängig sind von Faktoren, die in den Ehegatten selbst liegen. Die Frage nun, ob die Wiederherstellung der Lebensgemeinschaft zu erwarten sei, führt zu der anderen Frage, ob bei einer etwa zu erwartenden Heilung der geistigen Störung (z. B. einer manischen Phase) ohne weiteres mit einer solchen zu rechnen sei. Hierüber liegen verschiedene Entscheidungen des Reichsgerichts vor, die diese Frage verneinen 4 ). Ubereinstimmend bringen sie zum Ausdruck, daß zur Zeit der letzten Tatsachenverhandlung die geistige Störung nicht J . W. 1915, S. 785; ähnlich RGZ. 98, S. 296. Ähnlich B e r i n g e r (Nervenarzt Ii, S. 553), der in der Lebensgemeinschaft einen weiteren Begriff sieht, der mehr psychologische Sachverhalte einschließt. 3) Soweit ich sehe, hat nur G r u h l e die gleiche Frage aufgeworfen und in gleichem Sinne beantwortet (in H o c h e III, S. 205). 4) RGZ. 159, S. 317; D. R. 1939, S. 383 u. S. 1072; 1940, S. 2161; 1941, S. 1603. 2)
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mehr zu bestehen brauche, daß es lediglich darauf ankomme, daß die tiefe Zerrüttung noch anhalte und daß sie die Folge der durch die geistige Störung entschuldigten Eheverfehlung sei. Es kommt auch nicht, wie V o l k m a r meint 1 ), darauf an, daß mit einer künftigen Wiederholung des ehewidrigen Verhaltens des beklagten Ehegatten gerechnet werden müsse. Für die Aufstellung eines solchen Erfordernisses bietet weder der Wortlaut noch der Sinn des Gesetzes eine ausreichende Grundlage. Aus der Heilbarkeit der geistigen Störung ist also nicht auf die Heilbarkeit der Ehezerrüttung zu schließen 2 ). Um die Frage, ob die Wiederherstellung der Lebensgemeinschaft wahrscheinlich sei, im Gutachten entscheiden zu können, bedarf es m. E. nicht nur der Kenntnis des zu begutachtenden Ehegatten, sondern auch der Kenntnis des klagenden Ehegatten, dessen Einstellung zum anderen Ehegatten, dessen Fähigkeit, Verfehlungen des beklagten Ehegatten zu verwinden. Die Unheilbarkeit der Zerrüttung kann nicht unter dem Gesichtspunkt verneint werden, daß es Pflicht des klagenden Ehegatten sei, trotz der ihm widerfahrenen Kränkung an der Ehe festzuhalten 3 ). Den klagenden Ehegatten aber kennt der Gutachter in der Regel nicht. Daher wird man gutachtlich diese Frage in manchen Fällen überhaupt nicht beantworten können; man wird nur auf die Heilbarkeit oder Unheilbarkeit der geistigen Störung verweisen können und die Entscheidung dem Richter überlassen müssen, zweckmäßig mit dem Hinweis, daß zur Beantwortung dieser Frage die Kenntnis beider Ehegatten erforderlich sei4). Schließlich sei noch eine kurze Bemerkung über die Trunksucht hier angeschlossen. Beharrliche Trunksucht war und ist auch jetzt noch eine schwere Eheverfehlung 3 ). Nach altem Recht mußte aber der Mißbrauch des Alkohols schuldhaft sein. Diese Feststellung traf vielfach auf Schwierigkeiten. Durch Anwendung des § 44 EG. wird manche durch die Trunksucht des Mannes zerrüttete Ehe geschieden werden können. >) Großdeutsches Eherecht, S. 190. ) v. S c a n z o n i , Scheidung ohne Verschulden, S. 15, und S o m m e r , Dtsch. med. Wschr. 1935, S. 638, der auf ein entsprechendes Urteil des Reichsgerichts vom 4. XII. 1933 verweist; schließlich RGZ. 166, S. 346. 3 ) RGZ. 169, S. 279. 4 ) v. S c a n z o n i schreibt dazu (D. R. 1941, S. 1603, Anm.): „Die Frage, ob die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft erwartet werden kann, ist ja auch von Umständen abhängig, die in der Person des gesunden Ehegatten liegen. S e i n e eheliche Gesinnung und innere Bindung kann durch die aktiven Auswirkungen der geistigen Störung des kranken Teils . . . so vollkommen aufgehoben sein, daß auch die totale, rückfallfreie Genesung des kranken Ehegatten zur Wiederherstellung einer guten, vertrauten Lebensgemeinschaft nicht mehr zu führen vermag.' Dem ist durchaus zuzustimmen. 6 ) So auch das RG. J. W. 1936, S. 376. 2
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Der Wortlaut des § 45 EG.1), der an die Stelle des § 1569 BGB. getreten ist, unterscheidet sich von letzterem in drei Punkten: 1. § 1569 BGB. spricht von „Verfall" in Geisteskrankheit. Daraus konnte man den Schluß ziehen, der betreffende Ehegatte dürfe erst während der Ehe geisteskrank geworden sein, eine Scheidung sei daher nicht möglich, wenn er schon zur Zeit der Eheschließung geisteskrank gewesen sei. Dieser Auffassung, die in der Praxis der Gerichte auch früher schon keine große Rolle spielte — die meisten Gerichte fragten nicht, wann die Erkrankung entstanden sei — ist durch die neue Fassung der Boden entzogen. Es kann nach dem jetzigen Wortlaut nicht mehr zweifelhaft sein, daß der Zeitpunkt der Erkrankung gleichgültig ist. 2. Während früher die Geisteskrankheit mindestens 3 Jahre bestanden haben mußte, bevor die Scheidung möglich wurde, genügt es heute, daß überhaupt eine Geisteskrankheit vorhanden ist. 3. Während früher die Wiederherstellung der geistigen Gemeinschaft a u s g e s c h l o s s e n sein mußte, wird heute nur gefordert, daß sie n i c h t m e h r e r w a r t e t werden kann. Der Sachverständige hat wieder drei Fragen zu beantworten: 1. ob der beklagte Ehegatte an einer Geisteskrankheit leidet; 2. ob die Krankheit einen solchen Grad erreicht hat, daß die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben ist und 3. ob die Wiederherstellung dieser Gemeinschaft nicht zu erwarten ist. Unter G e i s t e s k r a n k h e i t im Sinne dieses Paragraphen sind die schweren Formen seelischer Störung zu verstehen; doch sind die Anforderungen im Laufe der Zeit allmählich geringer geworden. Zunächst verlangte man so schwere Störungen, daß sie praktisch dem „geistigen Tode" gleichkamen; von dieser Forderung ist man, insbesondere in katholischen Gegenden, erst langsam abgegangen. Heute besteht eher die Neigung, den Begriff möglichst weit zu fassen2). Doch gehen die Meinungen über manche krankhaften Geisteszustände in der Praxis offenbar auseinander. Das hängt damit zusammen, daß der Begriff „Geisteskrankheit" öfters der Geisteskrankheit im Sinne des § 6, 1 BGB. gleichgesetzt wird9). Das hat dann zur Folge, daß, wie dort, der medizinische Begriff „Schwachsinn" mit dem juristischen „Geistesschwäche" verwechselt wird. Demgegenüber ist festzustellen: Unter den Begriff „Geisteskrankheit" im Sinne des § 45 EG., der mit dem des § 6, 1 BGB. nichts zu tun hat, fallen alle erheblichen Abweichungen seelischer Art Ebenso der des § 51 EG. von 1938. ) So hat ein Landgericht die Ehe einer pathin geschieden, die unfruchtbar gemacht stähle aus §51 Abs. 2 und § 42 b StGB, in Der Ehemann war kriminell und deshalb hielt daher die geistige Gemeinschaft nicht 3 ) B e r g e n r o t h , J.W. 1938, S. 2707. 2
leicht schwachsinnigen Psychound wegen wiederholter Diebeine Anstalt eingewiesen war. in Sicherungsverwahrung. Ich für aufgehoben.
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von der Norm, sei es des Verstandes-, des Willens- oder des Gefühlslebens; die Störung muß nur so schwer sein, daß die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben und ihre Wiederherstellung nicht zu erwarten ist. Man hat versucht, zwischen der „geistigen Störung" des § 44 und der „Geisteskrankheit" des § 45 EG. Gradunterschiede zu konstruieren; die „geistige Störung" sollte die leichteren, die „Geisteskrankheit" die schwereren Abartigkeiten umfassen. Darauf kann es jedoch nicht ankommen. Die geistige Störung kann in beiden Fällen gleich schwer sein, nur daß im Falle des § 44 ohne ihr Vorhandensein eine Schuld vorliegen würde, im Falle des § 45 dagegen nicht. Ist also beispielsweise ein Paralytiker seiner Ehefrau untreu geworden, so ist seine Ehe aus § 44 zu scheiden; hat er dagegen nichts getan, was ihn schuldig erscheinen läßt, so kann die Ehe nur aus § 45 geschieden werden, vorausgesetzt, daß die geistige Gemeinschaft aufgehoben ist. Das eine Mal wäre die Frage der Verantwortlichkeit, das andere Mal die der geistigen Gemeinschaft das Kriterium. Es ist also eine Abgrenzung der Begriffe „geistige Störung" und „Geisteskrankheit" gar nicht erforderlich; sie ist in der Tat auch gar nicht möglich, da Zurechnungsunfähigkeit, wie sie der § 44 EG. verlangt, gleichfalls eine immerhin ziemlich schwere geistige Störung zur Voraussetzung hat. Wir hatten bei der Besprechung des § 44 EG. gesehen, daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht allein von der Heilbarkeit der Erkrankung abhängt, daß es auch auf den klagenden Ehegatten ankommt, ob dieser die dafür nötigen Voraussetzungen mitbringt. Eine ähnliche Frage taucht nun auch beim § 45 EG. auf. v. S c a n z o n i 1 ) meint, die Unmöglichkeit der Wiederherstellung der geistigen Gemeinschaft könne auch im gesunden Ehegatten begründet sein, „dessen eheliche Gesinnung und innere Bindung durch den Ausbruch der schweren Geisteskrankheit des anderen Teiles so vollkommen aufgehoben sein" könne, „daß auch die Genesung des Kranken zur Wiederherstellung der geistigen Gemeinschaft nicht mehr zu führen" vermöge. Demgegenüber ist m. E. darauf hinzuweisen, daß zwischen den §§ 44 und 45 EG. ein sehr wesentlicher Unterschied besteht, insofern in einem Falle eine nur durch die Geistesstörung entschuldbare Eheverfehlung, im zweiten Falle aber nur eine unverschuldete Krankheit vorliegt. Nehmen wir als Beispiel Folgendes an: Eine Ehefrau erkrankt an einer Manie; in diesem Zustande bringt sie allerlei Behauptungen über ihren Ehemann in Umlauf, die seinen Ruf auf das schwerste gefährden und ihn wenigstens zunächst beruflichen Schwierigkeiten aussetzen. Es ist durchaus verständlich, daß er auch nach Heilung der Manie die gefühlsmäßigen Bindungen zu seiner Ehefrau nicht wieder herstellen kann, daß in ihm ein Stachel sitzen !) Scheidung ohne Verschulden, S. 17; D. R. 1940, S. 753.
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bleibt, mit dem er nicht fertig wird. Ganz anders liegt der Fall, wenn einer der Ehegatten an einer schweren Manie erkrankt, sie in einer Anstalt abwettert und nach geraumer Zeit wieder völlig gesundet. In diesem Falle muß m. E. auch vom gesunden Ehegatten die Treue und Liebe erwartet werden, die zu einer recht verstandenen Ehe gehört. In einem solchen Falle wäre das Scheidungsbegehren sittlich nicht gerechtfertigt; das würde nur dann der Fall sein, wenn der Anstaltsaufenthalt lange Zeit, etwa über 3 Jahre dauern würde, wenn also die Dauer der Trennung dem § 48 EG. entspräche. Entscheidungen höchster Gerichte über diese Frage sind bisher, soweit ich sehe, nicht ergangen.
Prozeß- und Eidesfähigkeit § 52 Abs. 1 ZPO. Eine Person ist insoweit prozeßfähig, als sie sich durch Verträge verpflichten kann.
Demnach ist prozeßunfähig der Geschäftsunfähige, also das Kind unter 7 Jahren, der Geschäftsunfähige aus § 104,2 BGB. und der wegen Geisteskrankheit Entmündigte. Für den letzteren gilt eine Ausnahme: er ist prozeßfähig für die Anfechtungsklage im eigenen Entmündigungsverfahren (§ 664 Abs. 2 ZPO.), vorausgesetzt, daß er nicht zugleich geschäftsunfähig im Sinne des § 104, 2 BGB. ist. Der Minderjährige, der wegen Geistesschwäche, Verschwendung oder Trunksucht Entmündigte ist beschränkt geschäftsfähig. Er ist im allgemeinen prozeßunfähig 1 ), gilt aber in gewissen Fällen als voll geschäftsfähig und damit auch als voll prozeßfähig. Diese Ausnahme gilt zunächst im eigenen Entmündigungsverfahren, ferner wenn der Entmündigte vom gesetzlichen Vertreter mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts ermächtigt ist. In diesem Falle ist der Entmündigte für solche Rechtsgeschäfte unumschränkt geschäftsfähig und damit prozeßfähig, welche der Geschäftsbetrieb mit sich bringt 2 ). Das gleiche gilt für Prozesse solcher Art, die mit einem durch den gesetzlichen Vertreter gebilligten Arbeits- oder Dienstverhältnis zusammenhängen (§§ 112, 113, 114 BGB.). Auch in Ehesachen gilt der in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Ehegatte als prozeßfähig (§ 612 ZPO.). Gelegentlich wird nun der Sachverständige, ohne daß eine Entmündigung vorliegt oder etwa die Feststellung der Geschäftsunfähigkeit getroffen ist, nach der Prozeßfähigkeit einer Person gefragt. Dann kann man folgendes Verfahren einschlagen: man untersucht zunächst, ob generelle Geschäftsunfähigkeit gemäß § 104,2 BGB. vorliegt. Ist das der Fall, ist auch die Prozeßfähigkeit zu verneinen. Damit ist jedoch die gestellte Frage noch nicht ausreichend beantwortet. Es kann nämlich sein, daß die Prozeßführung mit irgend1) O.L. G. Dresden. D. R. 1940, S. 821. 2 ) Ausgenommen davon sind nur solche Rechtsgeschäfte, zu denen der gesetzliche Vertreter der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bedarf.
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welchen wahnhaften Vorstellungen zusammenhängt, die sich nur um einen Komplex drehen, während die übrige Persönlichkeit intakt erscheint. V o r k a s t n e r führt als Beispiel eine Ehescheidungsklage auf Grund eines isolierten Eifersuchtswahnes an1). Ähnliches gilt für manche Querulanten. In solchen Fällen, in denen die Prozeßführung von krankhaften Vorstellungen diktiert und regiert wird, kann die betreffende Person, ohne generell geschäftsunfähig zu sein und ohne daß ein Entmündigungsbedürfnis vorliegen muß, für prozeßunfähig erklärt werden. Das hat zur Folge, daß der Prozeß nur nach Bestellung eines gesetzlichen Vertreters weiter geführt werden kann, der dann die Klage zurückziehen oder auf das Erreichbare beschränken kann. § 53 ZPO. Wird in einem Rechtsstreit eine prozeßfähige Person durch einen Pfleger vertreten, so steht sie für den Rechtsstreit einer nicht prozeßfähigen Person gleich. Der geistig Gebrechliche, der mit seiner Zustimmung einen Pfleger erhalten hat, bleibt an sich geschäftsfähig und prozeßfähig. Hat er aber selbst seinen Pfleger mit der Vertretung in einem Rechtsstreit beauftragt oder vertritt ihn der Pfleger aus anderen Gründen in einem Rechtsstreit, so verliert er für diesen Rechtsstreit — aber nur für diesen — seine Prozeßfähigkeit. Für den Psychiater ist diese Vorschrift ohne größere praktische Bedeutung. Die E i d e s f ä h i g k e i t im bürgerlichen Rechtsstreit ist durch den § 455 ZPO. geregelt. Dieser lautet in der Fassung vom 8. XI. 1933: Ist eine Partei nicht prozeßfähig, so ist vorbehaltlich der Vorschrift in Abs. 2 ihr gesetzlicher Vertreter zu vernehmen. Sind mehrere gesetzliche Vertreter vorhanden, so gilt § 449 entsprechend. Minderjährige, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, sowie Volljährige, die wegen Geistesschwäche, Verschwendung oder Trunksucht entmündigt sind oder unter vorläufige Vormundschaft gestellt sind, können über Tatsachen, die in ihren eigenen Handlungen bestehen oder Gegenstand ihrer Wahrnehmung gewesen sind, vernommen und auch nach § 452 beeidigt werden, wenn das Gericht dies nach den Umständen des Falles für angemessen erachtet. Das Gleiche gilt von einer prozeßfähigen Person, die in dem Rechtsstreit durch einen Pfleger vertreten wird. Danach können Prozeßunfähige nicht vereidigt werden, wohl aber Prozeßbeschränkte. Man sollte mit der Vereidigung auch der wegen Geistesschwäche Entmündigten s e h r zurückhaltend sein; am besten wäre es, man vereidigte geistig Abnorme überhaupt nicht; denn ob ein geistig Abnormer imstande ist, wahrheitsgemäß auszusagen, vermag auch der beste Richter nicht zu beurteilen. Ich habe im strafrechtlichen Teil (S. 116 ff.) schon darauf hingewiesen, daß namentlich leicht Manische, die bei einer Vernehmung vor Gericht durchaus gesund wirken können und deren Aussagen leicht geglaubt wird, weil sie selbst daran glauben und weil ihre innere Überzeugung i) In B u m k e IV, S. 359.
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auf den Richter entsprechend wirkt, vielfach die Tatsachen auf das Gröbste verdrehen. Sie sind geradezu gefährliche Zeugen. Anders liegen die Dinge bei Personen, die wegen Trunksucht entmündigt sind¡ hier bestehen keine nennenswerten Bedenken gegen ihre Vereidigung1).
Geisteskrankheit und Testierfähigkeit Das Erbrecht ist geregelt durch das „Gesetz über die Errichtung von Testamenten und Erbverträgen" vom 31. VII. 1938 (TestG.). Dieses unterscheidet ordentliche und außerordentliche Testamentsformen. Die ordentliche Testamentsform besteht entweder in der Errichtung vor einem Richter oder vor einem Notar (§ 4 Nr. 1, §§ 6—20) oder in einer von dem Erblasser eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Erklärung (§ 4 Nr. 1, §§ 21—22). Daß der Erblasser in der Erklärung angibt, zu welpher Zeit (Tag, Monat und Jahr) und an welchem Orte er sie niedergeschrieben hat, ist nicht notwendig, aber rätlich (§ 21 Nr. 2). Die letztere Form kommt für Minderjährige oder Personen, die Geschriebenes nicht zu lesen vermögen, nicht in Betracht. Daneben sind als außerordentliche Testamentsformen zugelassen die Errichtung vor dem Bürgermeister oder Gutsvorsteher in Gegenwart von zwei Zeugen und die Errichtung durch mündliche Erklärung vor drei Zeugen. Die erstere dieser Möglichkeiten kommt bei Lebensgefahr (§ 23) und Verkehrssperre (§ 24), die zweite bei Verkehrssperre und bei Seereisen (§§ 24—25) in Betracht. Die außerordentlichen Testamentsformen gelten nur für eine beschränkte Zeit (§ 26). Für den Psychiater haben die folgenden Bestimmungen Bedeutung: §1
(1) Der Erblasser kann ein Testament nur persönlich errichten. (2) Ein Minderjähriger kann ein Testament erst errichten, wenn er das 16. Lebensjahr vollendet hat. (3) Der Minderjährige oder ein unter vorläufige Vormundschaft gestellter Volljähriger bedarf zur Errichtung eines Testaments nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters. § 2 (1) Wer entmündigt ist, kann ein Testament nicht errichten. Die Unfähigkeit tritt schon mit der Stellung des Antrags ein, auf Grund dessen die Entmündigung ausgesprochen wird. (2) Wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewußtseinsstörung (z. B. wegen Trunkenheit) nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, kann ein Testament nicht errichten.
§ 3
(1) Hat ein Entmündigter ein Testament errichtet, bevor der Entmündigungsbeschluß unanfechtbar geworden ist, so steht die Entmün!) Ubereinstimmend G r u h l e in H o c h e
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digung der Gültigkeit des Testaments nicht entgegen, wenn der Entmündigte noch vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit stirbt. (2) Hat ein Entmündigter nach der Stellung des Antrags auf Wiederaufhebung der Entmündigung ein Testament errichtet, so steht die Entmündigung der Gültigkeit des Testaments nicht entgegen, wenn die Entmündigung auf Grund des Antrags wieder aufgehoben wird. § 32 (1) Der Erblasser kann ein Testament sowie eine einzelne in einem Testament enthaltene Verfügung jederzeit widerrufen. (2) Die Entmündigung des Erblassers wegen Geistesschwäche, Verschwendung oder Trunksucht steht dem Widerruf eines vor der Entmündigung errichteten Testaments nicht entgegen. Weiter könnte einmal eine Rolle spielen der § 48 (3) Eine Verfügung von Todes wegen ist nichtig, soweit ein anderer den Erblasser durch Ausnutzung seiner Todesnot zu ihrer Errichtung bestimmt hat.
Der § 2 Abs. 2 ist für die Testamentserrichtung an die Stelle der §§ 104 Abs. 2 und 105 BGB. getreten; er bildet gewissermaßen eine Unterart der Geschäftsfähigkeit und ist in m. E. zweckmäßiger Weise dem Wortlaut des § 51 StGB, angeglichen. Daß wegen Geisteskrankheit Entmündigte nicht testierfähig sind, ist selbstverständlich. Fraglich könnte es sein, ob der beschränkt geschäftsfähige Entmündigte ein Testament errichten kann. Das wird durch den § 2 Abs. 1 ausdrücklich verneint. Eine Ausnahme davon macht nur der § 3 Abs. 1, der bestimmt, daß das Testament eines Entmündigten Geltung haben soll, sofern dieser stirbt, bevor der Entmündigungsbeschluß unanfechtbar geworden ist. Das hindert natürlich nicht, das Testament anzufechten mit der Behauptung, der Erblasser sei zur Zeit der Errichtung des Testaments testierunfähig gewesen. Die Testierunfähigkeit muß dann freilich bewiesen werden. Nicht recht klar erscheinen die Bestimmungen des § 1 Abs. 3 und des § 2 Abs. 1. Der unter vorläufiger Vormundschaft stehende Volljährige soll danach der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters zur Errichtung eines Testaments nicht bedürfen,- nach § 2 Abs. 1 ist er jedoch dazu unfähig, da ja vorläufige Vormundschaft nur möglich ist, wenn ein Antrag auf Entmündigung gestellt ist. Man wird annehmen können, daß der unter vorläufiger Vormundschaft stehende Volljährige zwar ein Testament errichten kann, daß dieses aber Gültigkeit erst erlangt, wenn der Antrag auf Entmündigung abgelehnt worden ist. Eine schärfere Fassung wäre hier angebracht. An den Sachverständigen treten im wesentlichen zwei Fragen heran: Einmal soll er sich gutachtlich über den Geisteszustand des verstorbenen Erblassers zur Zeit der Testamentserrichtung äußern. Diese Gutachten sind recht schwierig. Sie stützen sich ja nur auf Berichte von oft genug am Ausgang der Sache interessierten Zeugen. Ich habe schon oben darauf hingewiesen (S. 139), daß in solchen Fällen nicht der Stammtischbruder, sondern die Hausangestellte der bessere Zeuge
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ist. Schriftstücke aus früherer und aus der letzten Zeit, der verständliche oder unverständliche Inhalt des Testaments, die Neigung, sich verwahrlosen zu lassen u. dgl., können Anhaltspunkte für die Begutachtung werden. Die zweite, seltenere Möglichkeit besteht darin, daß der Sachverständige zur Errichtung des Testaments mit herangezogen wird, daß er ein Gutachten über den Erblasser bei dieser Gelegenheit abgibt, um dessen Willen vor jeder späteren Anfechtung zu sichern. Auch dabei sollte man vorsichtig und mit aller Gründlichkeit verfahren; namentlich sollte man die Gründe für etwaige Abweichungen vom Gewöhnlichen aufzuklären suchen. Tatsächlich besteht ja gerade bei der Testamentserrichtung alter Menschen die Gefahr, daß sie sich von Personen, die mit ihnen regelmäßig zu tun haben, nach der einen oder anderen Richtung hin beeinflussen lassen; und sicher werden zahlreiche Testamente vollstreckt, die der Erblasser bei voller geistiger Gesundheit niemals errichtet hätte. K r e u s e r hat vorgeschlagen 1 ), daß bei erheblichen Abweichungen von der gewöhnlichen Erbfolge eine ausführliche Begründung dafür gegeben werden solle, um so eine bessere Grundlage für die etwaige spätere psychiatrische Begutachtung zu schaffen. B u m k e 2) hält diese Forderung vom psychiatrischen Standpunkt aus nicht für so wichtig, daß sie zum psychiatrischen Postulat erhoben werden müßte. Er weist auf die Möglichkeit der rechtzeitigen Entmündigung hin, um die Angehörigen vor unliebsamen Überraschungen zu schützen, betont aber auch, daß von dieser Möglichkeit aus begreiflichen Gründen wenig Gebrauch gemacht wird. Zu gutachtlicher Stellungnahme könnte die Bestimmung des § 48 Abs. 3 Anlaß geben. Was hier unter „Todesnot" gemeint ist, geht weder aus der Begründung hervor, noch läßt sich etwas irgend einer anderen Vorschrift entnehmen. Eine Reichsgerichtsentscheidung darüber habe ich bisher nicht gefunden. Ich halte eine Beschränkung auf die Zeit des „Todeskampfes" nicht für angebracht; die Begrenzung ist jedoch schwierig. Die Bestimmung richtete sich in erster Linie gegen übereifrige Religionsdiener, die durch Drohungen mit Strafen im Jenseits auf Erblasser eingewirkt haben, um Zuwendungen zugunsten kirchlicher Einrichtungen zu erlangen. Wenn man annimmt, daß solche Quälerei bei bettlägerigen Kranken auch schon Wochen vor dem Tode geschehen kann, so wird man nicht zu engherzig sein dürfen. Vielleicht wäre hier eine zeitliche Begrenzung zweckmäßig.
Die Deliktfähigkeit Unter D e l i k t f ä h i g k e i t versteht man di^ Fähigkeit, u n e r l a u b t e H a n d l u n g e n verantwortlich, d. h. schuldhaft zu beJur.-psychiatr. Grenzfragen IV, H. 7/8. ) Gerichtl. Psychiatrie, S. 86.
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gehen. Eine unerlaubte Handlung ist, wie S t a u d i n g e r sagt, die Verletzung des Rechts eines anderen oder, wie v. L i s z t es ausdrückt, jede schuldhafte, rechtswidrige Verletzung fremder, rechtlich geschützter Interessen1). Für derartige unerlaubte Handlungen ist der Täter dem Geschädigten schadenersatzpflichtig, — gleichgültig, ob eine schuldhafte Handlung auch im Sinne des Strafrechts vorliegt oder nicht. Das BGB. setzt eine solche Schadenersatzpflicht nicht für bestimmte unerlaubte Handlungen fest, sondern stellt für die Haftung aus solchen Handlungen allgemeine Regeln auf. Dabei wird der Zweck verfolgt, einerseits den Rechtskreis des Einzelnen gegen widerrechtliche Eingriffe zu schützen2), andererseits die Ersatzpflicht dem Verschulden des Täters anzupassen. Die grundsätzliche Einstellung ergibt sich aus § 823 BGB., der im folgenden Kapitel behandelt werden soll3). Ihm schließen sich einige ergänzende Vorschriften an, die die Schädigung des Kredits oder des beruflichen Fortkommens (§ 824), die Geschlechtsehre (§ 825) und Verstöße gegen die guten Sitten (§ 826) betreffen. Aus den §§ 827 und 828 ergeben sich die Voraussetzungen für die Deliktunfähigkeit. § 827. Wer im Zustande der Bewußtlosigkeit oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustande krankhafter Störung der Geistestätigkeit einem anderen Schaden zufügt, ist für den Schaden nicht verantwortlich. Hat er sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel in einen vorübergehenden Zustand dieser Art versetzt, so ist er für einen Schaden, den er in diesem Zustande widerrechtlich verursacht, in gleicher Weise verantwortlich, wie wenn ihm Fahrlässigkeit zur Last fiele; die Verantwortlichkeit tritt nicht ein, wenn er ohne Verschulden in den Zustand geraten ist. § 828. Wer nicht das 7. Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. Wer das 7., aber nicht das 18. Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wenn er bei Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat. Das gleiche gilt von einem Taubstummen.
Daraus ergibt sich im wesentlichen Folgendes: Kinder unter 7 Jahren gelten als nicht verantwortlich. Jugendliche zwischen 7 und 18 Jahren sind bedingt deliktfähig. Von ihnen wird „ d i e z u r Erkenntnis der V e r a n t w o r t l i c h k e i t erforderlic h e E i n s i c h t " verlangt. Diese Formulierung schließt sich eng an die Fassung des inzwischen außer Kraft gesetzten § 56 StGB, an, der nur die intellektuelle Seite des Täters berücksichtigte, die untere Altersgrenze aber erheblich höher festsetzte. Die Kritik an dieser Fassung hat beim Jugendstrafrecht vor über 20 Jahren zu einer Er1
) Zitiert bei H ü b n e r , Lehrbuch der forensischen Psychiatrie, S. 576 ) A c h i l l e s - G r e i f f , S. 374. ») Wortlaut s. S. 190. 2
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Weiterung, zur Berücksichtigung auch der Willensseite geführt. Insofern ist die Bestimmung des BGB. als veraltet und nicht ausreichend anzusehen. Es wäre sehr zu wünschen, daß auch hier die Entwicklung der Willenseigenschaften berücksichtigt würde. Verlangt wird nicht die Erkenntnis selbst, sondern nur die Einsicht zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit. Eine Entscheidung des Reichsgerichts vom 5. XII. 1902 sagt dazu: „Die Erkenntnis der Verantwortlichkeit erschöpft sich nicht in dem Bewußtsein des Unrechts des widerrechtlichen Eingreifens in eine fremde Rechtssphäre ( P l a n c k Nr. 2 a zu § 828 BGB.), sie erfordert vielmehr auch ein Verständnis der Pflicht, für die Folgen der Handlung einzustehen. Die Erkenntnis der Verantwortlichkeit deckt sich nicht mit der Erkenntnis der Gefährlichkeit der Handlung, aber auch nicht mit der Erkenntnis des dem Mitmenschen zugefügten Unrechts; sie geht vielmehr über beide hinaus" 1 ). In gleicher Weise wie für Jugendliche ist die Deliktfähigkeit der Taubstummen bestimmt; dabei sei daran erinnert, daß als taubstumm im Sinne des Gesetzes nur der von Geburt oder von frühester Jugend an Taubstumme gilt, weil dieser im Gegensatz zum später Ertaubten in seiner geistigen Entwicklung, namentlich in der Bildung abstrakter Begriffe stark gehemmt ist (s. Kap. 6). Die Verantwortlichkeit der Erwachsenen braucht hier nur gestreift zu werden. Die Bestimmungen schließen sich in ihrem ersten Satz eng an die alte Fassung des § 51 StGB. an. W a s darüber zu sagen wäre, ist bei der Besprechung der Zurechnungsfähigkeit und der Geschäftsfähigkeit erörtert und muß dort nachgelesen werden. Die Bestimmungen über die Verantwortlichkeit unter Alkohol oder ähnlichen Mitteln — hierunter kann man zwanglos auch die sog. Rauschgifte subsummieren —- entsprechen dem allgemeinen Rechtsgefühl. Ohne Verschulden können sog. pathologische Rauschzustände, abnorme Alkoholreaktionen entstehen und solche Räusche, die durch äußeren Zwang oder durch Scherz entstehen. Letztere Möglichkeit ist durch Zusatz von Schnaps zu Bier oder Bowle gegeben; einen schweren sinnlosen Rausch sah ich vor nicht allzu langer Zeit, der dadurch entstanden war, daß jemand gezwungen wurde, eine Flasche Kognak auszutrinken. Handlungen waren in diesem Zustande freilich • nicht mehr möglich. Wichtig ist die Beweispflicht in den einzelnen Fällen. Für die NichtVerantwortlichkeit ist der Täter beweispflichtig, der als der Beklagte diese Einwendung macht. Daher genügen nicht Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit; Deliktunfähigkeit kann vielmehr nur angenommen werden, wenn sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorlag. Stellt nun der Kläger die Behauptung auf, der Täter habe sich durch geistige Getränke in einen vorübergehenden Zustand der NichtVerantwortlichkeit gesetzt, so ist er, der Kläger, i) J.W. 1903, S. 25 d. Beilage.
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dafür beweispflichtig; der Beklagte, also der Täter hätte schließlich zu beweisen, daß er ohne sein Verschulden in einen solchen Zustand geraten ist. Ein wegen Geisteskrankheit Entmündigter ist nidit notwendig unfähig, eine unerlaubte Handlung im Rechtssinne zu begehen1). Für die Deliktunfähigkeit wird Ausschluß der freien Willensbestimmung verlangt, eine Voraussetzung, die bei der Entmündigung wegen Geisteskrankheit keine Rolle spielt. § 832. Wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustandes der Beaufsichtigung bedarf, ist zum Ersätze des Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn er seiner Aufsichtspflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde. Die gleiche Verantwortlichkeit trifft denjenigen, welcher die Führung der Aufsicht durch Vertrag übernimmt.
Diese Bestimmung, die unter die „unerlaubten Handlungen" fällt, habe ich hier noch angefügt, weil sie für den Psychiater, insbesondere für Anstaltsleiter besonders wichtig ist. Sie gilt etwa für entwichene Geisteskranke, wenn mangelnde Aufsicht das Entweichen begünstigt hat. Dabei ist freilich der Zustand und die Individualität des Kranken zu berücksichtigen. Die Behandlung unserer Geisteskranken ist allmählicii immer freier geworden; zahlreiche Kranke haben die Möglichkeit, sich frei im Anstaltsgelände zu bewegen; eine gewisse Anzahl hat darüber hinaus auch „Stadtfreiheit", d.h. die Kranken können sich außerhalb der Anstaltsgrenzen frei bewegen. Das gilt namentlich für Kranke, die vor der Entlassung stehen, aber auch für solche, bei denen der Krankheitsprozeß zum Stillstand gekommen ist und bei denen durch einen gewissen Kontakt mit der Außenwelt ein weiteres Sicheinspinnen verhütet werden soll, weiter für manche labile Kranke, die sich im Schutze der Anstalt ordentlich verhalten, während sie in Freiheit versagen u. a. Es ist selbstverständlich, daß jeder einzelne Fall gründlich geprüft werden muß, bevor solche Freiheiten gewährt werden. Unser ganzes Streben geht jedoch dahin, die Aufsicht über die Kranken allmählich immer weniger fühlbar zu machen. Dabei kann, ja, muß es vorkommen, daß trotz ausreichender Aufsicht einmal ein Kranker entweicht, der dann draußen gemeingefährlich wird. Manche Juristen haben für solche Fälle nach meiner Erfahrung nicht allzu viel Verständnis; es geht ihnen in dieser Beziehung ähnlich wie den anderen Laien: bei vielen aufsichtsbedürftigen Kranken sind sie innerlich nicht recht von der Notwendigkeit strenger Aufsicht überzeugt; entweicht aber einmal ein Kranker oder fügt sich selbst einen Schaden zu, dann war die Aufsicht nicht streng genug. Wie man es macht, es ist immer falsch. !) RGZ. 108, S. 87; S t a u d i n g e r I, S. 424.
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Daß auch der Nichtverantwortliche nach Maßgabe seines Könnens zum Schadenersatz herangezogen werden kann (§ 829), daß Eltern, Vormünder, Geschäftsherren dazu herangezogen werden können, wenn der Täter ihrer Aufsicht unterstellt ist (§§ 831, 832), soll nur kurz bemerkt werden.
Haftung und Kausalität in bürgerlich-rechtlichem Sinne § 823 Abs. 1 BGB. lautet: Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersätze des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. § 254. Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersätze sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Dies gilt auch dann, wenn sich das Verschulden des Beschädigten darauf beschränkt, daß er unterlassen hat, . . . den Schaden abzuwenden oder zu mindern . . .
Die hier sich ergebenden Fragen der E r f o l g s h a f t u n g und der K a u s a l i t ä t haben wir bereits im strafrechtlichen Teil kurz berührt; sie sind dort anders zu entscheiden als im bürgerlich-rechtlichen Sinne. Während wir dort nicht so sehr auf den Erfolg der strafbaren Handlung als auf die Beweggründe, die zu ihr führten, Wert legten, kann es nach dem allgemeinen Rechtsgefühl nicht zweifelhaft sein, daß der Schädiger dem Geschädigten ersatzpflichtig ist für den angerichteten Schaden. Neben der Haftung durch Verschulden gibt es eine sog. G e f ä h r d u n g s h a f t u n g , die für Verletzungen etwa beim Betrieb der Eisenbahn, von Kraftwagen usw. in Betracht kommt und neuerdings (durch Gesetz vom 15. VIII. 1943) auch auf „Anlagen zur Fortleitung oder Abgabe von Elektrizität oder Gas" ausgedehnt ist. Der Sinn einer solchen Schadensersatzpflicht ohne Verschulden liegt darin, daß der Geschädigte zwangsläufig, ohne sich ihnen entziehen zu können, den Gefahren der modernen Wirtschaft, insbesondere des modernen Verkehrs ausgesetzt ist1). Dazu kommen schließlich die Ansprüche der Kriegsversehrten, die uns jetzt wieder beschäftigen. Umstritten ist dagegen der K a u s a l z u s a m m e n h a n g . Hier stehen sich die Meinungen über bestimmte Fragen schroff gegenüber. Es kann nicht Aufgabe eines Lehrbuchs sein, den gesamten Fragenkomplex in allen Einzelheiten aufzurollen; zum näheren Studium dieser Fragen muß auf die ausführlicheren Darstellungen verwiesen werden 2 ). ') R e i n h a r d t , Deutsches Recht, 2. Aufl., Marburg 1944, S. 50. ) In Betracht kommen dafür von Ä r z t e n : D a n s a u e r und S c h e l l w o r t h , Neurosenfrage, Ursachenbegriff und Rechtsprechung, Leipzig 1939;. 2
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Vier Beispiele mögen als Grundlage für unsere Ausführungen dienen: 1. Einem Jäger, der seine Jagdflinte fahrlässig entsichert hat, geht versehentlich ein Schuß los, durch den er einen anderen Jäger verletzt. Diesem muß ein Unterschenkel amputiert werden. 2. Einem Manne fällt von einem Bau ein Stein aus geringer Höhe auf den Kopf; normalerweise hätte das keinen Schaden verursacht; unglücklicherweise aber hat der Verletzte eine außergewöhnlich dünne Schädeldecke, so daß ein Schädelbruch und eine Hirnquetschung die Folge ist. 3. Ein Mann erleidet infolge Anfahrens durch ein Auto eine Hirnerschütterung mit einhalbstündiger Bewußtlosigkeit, aber sonst keinerlei Ausfallserscheinungen. Er wird im Krankenhaus behandelt, nach einer gewissen Zeit als völlig hergestellt entlassen. Im Laufe des Entschädigungsverfahrens entwickeln sich allmählich nervöse Störungen, die immer stärker werden und ihn schließlich veranlassen, seine Arbeit einzustellen. 4. Ein Soldat fängt im Anschluß an einen harmlosen Fall auf ebener Erde an zu zittern. Er wird deswegen aus der Wehrmacht entlassen. Abends sitzt er schüttelnd vor einem Konzerthaus und bittet um milde Gaben, die ihm reichlich zufließen. Hinterher geht er, ohne zu schütteln, zum Tanz. Der erste und der letzte der hier kurz skizzierten Fälle sind ohne weiteres leicht zu entscheiden: es ist selbstverständlich, daß im Falle 1 Schadenersatz geleistet werden muß; im Falle 4 dagegen handelt es sich um einen Simulanten, der keinen Schadenersatz verdient, weil kein Schaden vorhanden ist. Sehr viel schwieriger sind die beiden mittleren Fälle zu beurteilen. Zunächst der Fall 2! Hier ist sicher der Fall des Steines auf den Kopf ursächlich für die Verletzung, aber nicht allein. Ohne den Umstand, daß die Schädeldecke abnorm dünn war, wäre eine harmlose Beule die einzige Folge gewesen. Der Arzt ist in solchen Fällen geneigt, vom Normalen auszugehen und zu fragen, wie eine bestimmte schädigende Einwirkung sich unter normalen Verhältnissen geltend gemacht haben würde. Er versucht die schon vor dem Unfall bestehenden anlagemäßig gegebenen oder erworbenen Abartigkeiten dort Schrifttum; Q u e n s e l , Unfallneurose und Rechtsprechung des Reichsgerichts, Leipzig 1940; R e i c h a r d t , Die psychogenen Reaktionen, einschließlich der sogenannten Entschädigungsneurosen, Berlin 1932; S t i e r , Uber die sogenannten Unfallneurosen, Leipzig 1926; von J u r i s t e n : namentlich die von A r e n d t s , C a r l , K n o l l , R o ß b a c h und K l u g verfaßten Beiträge, die unter dem Titel „Rechtswissenschaft, Ursadienbegriff und Neurosenfrage" im Verlag von Thieme 1941 erschienen sind, hier findet man im Anhang auch eine Zusammenstellung aller wichtigen diese Fragen betreffenden. Entscheidungen. Ferner M o s c h e l , Die zivilrechtliche Bedeutung der Rentenneurose, Berlin 1936; W u s s o w , Das Unfallhaftpflichtrecht, 2. Aufl. 1941.
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und die Wirkung des Unfalls gegeneinander abzuwägen. Anders das Reichsgericht! Schon 1910 hat es sich dahin ausgesprochen, daß ein bestimmter tatsächlicher Umstand n i c h t a l l e i n die Ursache einer Schädigung zu sein brauche, um einen Schadenersatzanspruch zu begründen; es genüge der Nachweis, daß er mitwirkte; jeder mitwirkende Umstand habe in diesem Sinne die gleiche kausale Bedeutung, sofern er aus dem Gesamtzusammenhang der Verursachung nicht hinweg gedacht werden könne1). Diese Rechtsauffassung hat das Reichsgericht mit unwesentlichen Schwankungen bis in die letzte Zeit hinein beibehalten. Ganz klar zeigt das eine Entscheidung aus dem Jahre 1942. Danach ist ursächlicher Zusammenhang auch dann in vollem Umfange gegeben, wenn ein Leiden, das später einmal, weil es anlagebedingt ist, in Erscheinung getreten wäre, durch einen Unfall manifest geworden ist2). „Wer unerlaubt gegen einen gesundheitlich anfälligen Menschen handelt, hat kein Recht darauf, so gestellt zu werden, als ob er einen völlig gesunden Menschen verletzt habe3). Der ursächliche Zusammenhang der Handlung des Schädigers mit dem Schaden wird ferner nicht dadurch ausgeschlossen, daß der nämliche Erfolg, der durch die schädigende Handlung eingetreten ist, auch durch ein anderes Ereignis eingetreten wäre, das später bestimmt stattgefunden hätte" (RGZ. 141, 365, 144, 80 u. 384; HRR. 1935, Nr. 1008 u. 1937, Nr. 997). Dem sachverständigen Arzt fällt dieser klaren Einstellung gegenüber die Aufgabe zu, festzustellen, ob überhaupt die angeschuldigte Einwirkung eine mitwirkende Ursache war. Diese Aufgabe ist nicht immer leicht zu erfüllen, weil wir — das liegt in der menschlichen Natur begründet — mit unrichtigen Angaben, die teils wider besseres Wissen, teils gutgläubig abgegeben werden, zu rechnen haben. Wir müssen insofern leider Polizei und Staatsanwalt sein. Das gilt z. B. für Anfälle, die als Unfallfolge behauptet werden. Nicht so selten läßt sich dann feststellen, daß der Anfall nicht Folge, sondern Ursache des Unfalls war; und wenn man genaue Erkundigungen einzieht, erfährt man, daß auch schon vorher Anfälle bestanden haben. Die Schizophrenie wurde noch während des ersten Weltkrieges als Folge einer Dienstbeschädigung angesehen; aus dem zeitlichen Zusammenhang wurde, wie es bei Laien auch jetzt wieder in durchaus begreiflicher Weise geschieht, ein ursächlicher gemacht. Die statistischen Erhebungen der Nachkriegszeit ergaben aber die Haltlosigkeit dieser Annahme. Selbstverständlich kann auch einmal eine progressive Paralyse während des Krieges zum Ausbruch kommen; sie kann auch infolge der erhöhten Aufmerksamkeit, die man dem Unfallverletzten zuwendet, erstmalig nach dem Unfall bemerkt werden. In solchen Fällen wird der rechtzeitig zugezogene Facharzt RGZ. 23, S. 160. ) RGZ. 169, S. 118. 3 ) RGZ. 151, S. 283; 155, S. 41; Seuff. Arch. 95, Nr. 9. 2
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aus der Schwere der nachweisbaren Defektsymptome Schlüsse auf die Dauer der Erkrankung ziehen können, deren Erscheinungen von Angehörigen oft erst spät als krankhaft gewertet werden. Früher spielten die Telefonschädigungen bei der Post eine große Rolle1). Durch den elektrischen Schwachstrom sollten schwere nervöse Erscheinungen bedingt sein. Heute benutzen wir derartige Ströme zu therapeutischen Zwecken, und zwar in einer Stärke, daß Bewußtlosigkeit und epileptiforme Anfälle erzeugt werden, und erzielen damit zweifellos in vielen Fällen wesentliche Besserungen des psychischen Zustandes bei bestimmten Geisteskrankheiten. Es gehört also zu den Aufgaben des Arztes, im Einzelfall aus dem genauen Hergang des Unfalls einerseits und dem Gesundheitszustand des angeblich Geschädigten vor und nach dem Unfall andererseits die Bedeutung des Unfalls oder der angeschuldigten Einwirkung klarzustellen. Diese Klarstellung sollte zunächst ohne Berücksichtigung der Rechtslage, lediglich nach ärztlich-wissenschaftlichen Gesichtspunkten geschehen; von diesem Standpunkt aus ist auch die Frage des ursächlichen Zusammenhangs zu erörtern. Die rechtlichen Folgerungen daraus zu ziehen, kann dann dem Richter überlassen bleiben. Sehr viel größer ist die Diskrepanz der Meinungen zwischen Ärzten und Reichsgericht bei der sog. Unfallneurose, Entschädigungsneurose oder wie sie sonst auch genannt werden mag, die durch den Fall 3 kurz veranschaulicht ist. Es ist zum besseren Verständnis erforderlich, auf die Entstehung solcher Neurosen näher einzugehen und zunächst die ärztliche Auffassung darzulegen. Ein Bauer, der nicht versichert ist, fällt infolge eigenen Verschuldens durch die Luke seines Heubodens auf die Tenne und zieht sich eine Hirnerschütterung zu. Nach einigen Wochen Bettruhe steht er wieder auf und macht bald seine Arbeit wie früher. Irgendwie nennenswerte Beschwerden behält er nicht zurück. Das ist der regelmäßige Verlauf solcher Unfälle bei allen Verletzten, die nicht in irgendeiner Form versichert sind oder anderweitige Ansprüche stellen können2). Mit der Einführung der Unfallversicherung änderte sich nun dieses Bild: in zahlreichen Fällen kam es nicht zur Heilung, sondern es entwickelten sich allerlei Beschwerden; und diese nahmen namentlich dann zu, wenn die Rentengewährung auf Schwierigkeiten stieß, oder wenn die Höhe der bewilligten Rente nicht den gestellten Forderungen entsprach. Die ärztliche Wissenschaft nahm zunächst namentlich unter dem Einfluß des bedeutenden Neurologen O p p e n h e i m an, daß diesen Beschwerden und Erscheinungen irgendwelche körperlichen Veränderungen zugrunde lägen, die mit den vorhandenen Untersuchungsmethoden nur nicht faßbar seien. Dieser Auffassung trat im Laufe der Zeit immer stärker eine andere Ansicht gegenüber, die dahin ging, daß alle diese Beschwerden und Erscheinungen nicht !) S t i e r , 1. c. 2) Es gibt gewisse, aber seltene Ausnahmen. Langelüddeke
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in körperlichen Veränderungen ihren Grund hätten, sondern daß sie rein psychisch bedingt seien, daß sie durch normalpsychologische Motive in Gang gesetzt und in Gang erhalten würden; diese Motive, die in manchen Fällen dem Geschädigten selbst nicht völlig klar zum Bewußtsein kämen, erweckten in ihm die im übrigen völlig unbegründete Vorstellung krank zu sein. Der Kampf der Meinungen wurde erst während des ersten Weltkrieges zugunsten der letztgenannten Ansicht entschieden, und zwar mit aller nur wünschenswerten Eindeutigkeit. Nach Verschüttungen oder Schreck traten in jener Zeit sowohl im deutschen Heere wie in den uns feindlichen Armeen alle möglichen Erscheinungen auf: plötzliche Stummheit, Lähmung von Gliedern, groteske Gehstörungen, veitstanzähnliche Zuckungen, grobes Schütteln des ganzen Körpers, Anfälle u. a. m. Solche Erscheinungen beobachtete man aber nicht bei Schwerverwundeten, die kriegsunbrauchbar wurden, und bei Kriegsgefangenen, auch wenn sie aus schwerstem Trommelfeuer kamen, d. h. bei allen jenen, die nicht mehr gefährdet waren. Die Behandlung brachte auch für alle diese Störungen schnelle Heilung mit rein suggestiven Mitteln (elektrischem Strom, Hypnose u. a.), als angeordnet wurde, daß die sog. Kriegsneurotiker nicht wieder an die Front geschickt werden sollten. Daraus schloß man, daß nicht die angebliche Verschüttung, nicht der Schreck die eigentliche Ursache dieser Neurosen sein könne, daß das eigentliche Motiv dafür vielmehr das Streben sei, aus der Gefahrenzone herauszukommen. Dieses Motiv spielte uneingestanden eine Rolle bei dem im jahrelangen Grabenkampf überbeanspruchten und erschöpften Manne, voll bewußt bei dem Drückeberger, der bereits auf der Fahrt zur Front die Sprache verlor. Die hier gewonnene Erkenntnis erwies sich nun aber auch als besonders wichtig für a l l e Unfallverletzungen. War durch Ingangsetzung neurotischer Beschwerden kein Vorteil zu erreichen, so trat eine Neurose nicht auf; sie trat auch dann nicht auf, wenn die Ansprüche des Geschädigten voll befriedigt wurden, sei es in der Form einer Rente oder durch eine einmalige Abfindung. Erst dann, wenn der Geschädigte mit seinen Forderungen nicht durchdrang, wenn Versicherungs- oder Versorgungsamt sich nicht willfährig zeigte, wenn der Schädiger Widerstand gegen Entschädigungsforderungen leistete 1 ), wurden neurotische Beschwerden entwickelt, manchmal schon in Voraussicht der zu erwartenden Schwierigkeiten vor Beginn des Prozesses, in der Regel mit der Tendenz zur Verschlimmerung während der streitigen Verhandlungen. Dabei trifft an der Entwicklung solcher Neurosen auch viele Ärzte eine Schuld, die nicht rechtzeitig den neurotischen, d. h. zweckbedingten Charakter dieser Symptome erkennen und sie daher nicht rechtzeitig abbiegen und >) So auch W u s s o w , D. R. 1941, S. 2029.
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bekämpfen 1 ). Nicht alle Neurotiker sind übrigens „Entschädigungsneurotiker"; sie allein kommen jedoch rechtlich in Betracht. Daneben gibt es aber auch andere Motive zur „Flucht in die Krankheit"; sehr häufig findet man neurotische Verstärkungen, „psychogene Uberlagerungen" bei solchen Menschen, deren wirklich vorhandenen organisch bedingten Beschwerden nicht die verdiente Anerkennung finden. Bei anderen spielen häusliche Verhältnisse eine Rolle: der auf andere Weise nicht zur erstrebten Geltung Kommende zwingt durch seine „Krankheit" seine Familie, sich ihm zu widmen und macht sich so zum Mittelpunkt derselben. Angst vor Strafe, vor Rache, vor Kriegsdienst sind weitere Motive; Konflikte im Beruf, in der Familie werden auf diese Weise gelöst. Auch die Entschädigungsneurotiker, die allein uns hier zu beschäftigen haben, sind nicht schematisch hinsichtlich ihrer Motive anzusehen: Not, das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit, das beneidete Beispiel erfolgreichen Rentenkampfes, reine Habsucht und andere Strebungen spielen in mannigfachen Schattierungen mit. Die ärztliche Wissenschaft hat aus diesen Erfahrungen den Schluß gezogen, daß der Unfall, die Verletzung, nicht die Ursache der Neurose, sondern nur der äußere Anlaß dazu sei, daß eine Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinne hier nicht vorliege, daß vielmehr eine nur im Psychischen wurzelnde Motivation die Neurose zur Entwicklung bringe 2 ). Der Entschädigungsneurotiker ist, wie S e e l e r t sagt, „in dem Entwicklungsgang seiner Neurose nicht Objekt, sondern Subjekt, der Entschädigungsneurotiker wird von ihr nicht .befallen', sondern seine Subjektivität schafft sie, er w i r k t in dem Entwicklungsgang seiner Neurose a k t i v m i t " ; sie entsteht „aus seiner subjektiven Einstellung zu der Gesamtheit seiner Erlebnisse (im Kreise um den Unfall) und aus seiner psychischen Aktivität innerhalb dieser Einstellung" 3 ). Dabei kann es nicht zweifelhaft sein, daß auch der Unfall eine Bedingung der Neurose, und zwar eine nicht hinwegzudenkende (conditio sine qua non) ist, daß insofern also gewisse Beziehungen zwischen Unfall und Neurose bestehen, ja daß die Neurose unter anderem auch durch ihn determiniert wird 4 ). Diese Determinierung wird jedoch nicht als Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinne aufgefaßt. Die ärztliche Wissenschaft hält demgemäß die Neurosen nicht für entschädigungspflichtig. Sie vertritt diesen Standpunkt auch deshalb, x
) Ich habe es erlebt, daß ein Facharzt für Chirurgie einem schweren Neurotiker als Hirngesdiädigten eine Rente von 100%> gewähren wollte; nervenärztliche Untersuchung hielt er für überflüssig. Ich konnte den Patienten in drei Tagen so weit fördern, daß er ohne weitere ärztliche Behandlung wieder voll arbeitsfähig wurde. 2 ) Nach D a n s a u e r und S c h e l l w o r t h ist Kausalität Determination im objektiven, Motivation Determination im subjektiven Sinne. 3 ) Zit. bei A r e n d t s , I.e. S. 17. 4 ) So auch K l u g in A r e n d t s 1. c., S. 174. 13'
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weil er — was rechtlich freilich ohne Bedeutung ist — im wohlverstandenen Interesse des Geschädigten liegt. Seine Gesundheit und Arbeitsfähigkeit wieder zu erlangen, muß für jeden Verletzten erstrebenswerter sein als im Genuß einer Rente zu leben1). Die R e c h t s p r e c h u n g auf diesem Gebiete ist nun keineswegs einheitlich. Einig ist man sich darüber, daß eine entschädigungspflichtige zur Neurose tendierende Anlage durch eine äußere Verletzung nicht entstehen kann. Dagegen gehen die Rechtsauffassungen des Reichsgerichts einerseits, der Verwaltungsgerichte 2 ) andererseits darüber auseinander, ob und gegebenenfalls welche rechtlich zu entschädigenden Wirkungen ein solches Ereignis (Unfall, Schreck, Verletzung) auf die Anlage ausübt. Das R e i c h s v e r s i c h e r u n g s a m t und das R e i c h s v e r s o r g u n g s g e r i c h t haben sich die ärztlich - wissenschaftliche Auffassung zu eigen gemacht. Das erstere hat in einer grundsätzlichen Entscheidung vom 24. IX. 1926 zu dieser Frage folgendermaßen Stellung genommen3): „Hat die Erwerbsunfähigkeit eines Versicherten ihren Grund lediglich in seiner Vorstellung krank zu sein, oder in mehr oder minder bewußten Wünschen, so ist ein vorangegangener Unfall auch dann nidit eine wesentliche Ursache der Erwerbsunfähigkeit, wenn der Versicherte sich aus Anlaß des Unfalls in den Gedanken krank zu sein, hineingelebt hat, oder wenn die sein Vorstellungsleben beherrschenden Wünsche auf eine Unfallentschädigung abzielen, oder die schädigenden Vorstellungen durch ungünstige Einflüsse des Entschädigungsverfahrens verstärkt worden sind."
Mit dieser Entscheidung ist der Neuanerkennung von Renten bei Unfallneurotikern ein Riegel vorgeschoben. Die Entziehung einer früher gewährten Rente wegen anderweitiger Beurteilung der Sachoder Rechtslage wird vom Reichsversicherungsamt nicht für zulässig gehalten. Die p r i v a t e U n f a l l v e r s i c h e r u n g hat bereits 1920 als Dem Standpunkt mancher Autoren, daß der Neurotiker asozial sei, kann ich mich nicht, wenigstens nicht generell anschließen; er erstrebt ja nur sein vermeintliches Recht. Auch wenn dieses Recht nur ein v o n i h m für richtig Gehaltenes ist, kann ein solches Streben nicht als asozial bezeichnet werden, m. E. selbst dann nicht, wenn man von dem Satze ausgehen wollte, daß Recht sei, was dem Volke nütze, Unrecht, was ihm schade. Ich kann auch der Meinung, es gäbe n u r „schlechtgläubige" Entschädigungsneurotiker nicht zustimmen. M. E. gibt es auch solche, bei denen das „zweckbestimmte Bewußtsein" ( A r e n d t s ) nicht von vornherein vorhanden ist. Es gibt sicher keinen „unbewußten Willen", es gibt aber Strebungen, Wünsche, Triebe, die bei unseren Handlungen eine oft recht bedeutsame Rolle spielen, obwohl wir uns über sie durchaus nicht klar sind; um zur Klarheit über sie zu kommen, bedarf es oft genug einer eindringenden Analyse. 2 ) Mit Ausnahme des Reichswirtschaftsgerkhts. 3 ) Amtliche Nachrichten des RVA, 1926, S. 480, Nr. 3238. Besprochen in der Dtsch. med. Wschr. 1927, S. 416.
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§ 7 Ziffer 4 der allgemeinen Versidierungsbedingungen folgende Bestimmung getroffen: „Für psychische und nervöse Störungen, durch welche im Anschluß an einen Unfall die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt ist, wird eine Entschädigung nur dann gewährt, wenn und soweit diese Störungen auf eine durch den Unfall verursachte organische Erkrankung des Nervensystems oder auf eine im Anschluß an den Unfall neu entstandene Epilepsie zurückzuführen sind." Die I n v a l i d e n - u n d Angestelltenversicherung ist auf Grund eines Gesetzes vom 7. XII. 1933 berechtigt, eine Rente „auch ohne Feststellung einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen des Rentenempfängers" zu entziehen, „wenn eine erneute Prüfung ergibt, daß der Rentenempfänger nicht invalide (berufsunfähig) ist." Im V e r s o r g u n g s w e s e n ist mit Neufestsetzungen für den ersten Weltkrieg nicht mehr zu rechnen. Zweifellos sind damals zahlreiche Kriegsneurotiker zu Unrecht mit einer Rente bedacht worden. Die Entziehung dieser Renten, soweit sie noch bestanden, ist ermöglicht durch eine Entscheidung des Reichsversorgungsgerichts 1 ), nach der „eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse im Sinne des Reichsversorgungsgesetzes § 57 (hier im Sinne der Anerkennung von Hysterie als DB-Folge) auch dann gegeben ist, wenn zwar an den äußeren Erscheinungen sich nichts geändert, sich jedoch die Wesensgrundlage verschoben hat." Ähnlich bestimmt das V. Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Versorgungssachen vom 3. VII. 1934 in Artikel 2: „Rechtskräftige Entscheidungen können von den Verwaltungsbehörden geändert werden, wenn sie, ohne daß eine Veränderung der für die Entscheidung maßgebend gewesenen Verhältnisse eingetreten ist, der Sach- und Rechtslage nicht entsprechen und wenn daher der Bezug der Versorgungsgebührnisse nicht oder nicht in der zugesprochenen Höhe gerechtfertigt ist. Die Änderung einer rechtskräftigen Entscheidung ist nur mit der vorherigen Genehmigung des Reichsarbeitsministers zulässig."
Für die Wehrmacht und den Reichsarbeitsdienst galten nach den Durchführungsbestimmungen zum § 4 Abs. I des Wehrmachtfürsorgeund -Versorgungsgesetzes vom 26. VIII. 1938 (RGBl. I, 1938, S. 1077 und 1293) „als Körperschäden nicht Zustände, die nur in der Vorstellung bestehen oder seelisch bedingt sind." Damit war eine Regelung getroffen, die den ärztlich-wissenschaftlichen Anschauungen entspricht2). Entscheid, des Reichsversorg. Ger. Bd. XII, S. 47, Nr. 31. Zit. nadi A r e n d t s I.e., S. 27. 2 ) Im zweiten Weltkriege ist übrigens die Zahl der Neurotiker viel kleiner gewesen als im ersten; auch die Symptome waren lange nicht so grob wie 1914/18. Es handelte sich ganz überwiegend um „psychogene Überlagerungen": es wurden z.B. bei einem Durchschuß des Unterarms die Muskeln nicht innerviert und dadurch eine Handlähmung vorgetäuscht, m. E. in der Regel nicht absichtlich.
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Dieses Gesetz ist in Hessen mit dem 1. II. 1947 außer Kraft gesetzt. An seine Stelle ist das „Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte" — KBLeistungsgesetz — getreten. Danach erhalten Personen, die durch unmittelbare Kriegseinwirkungen oder anläßlich militärischen oder militärähnlichen Dienstes Gesundheitsschädigungen erlitten haben, Leistungen nach den Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung; die ärztliche Begutachtung richtet sich nach den Bestimmungen derselben. Damit sind Kriegsneurotiker also den Grundsätzen unterstellt, die das Reichsversicherungsamt in Übereinstimmung mit der ärztlichen Wissenschaft entwickelt hat. Dem gegenüber steht die R e c h t s p r e c h u n g d e s R e i c h s g e r i c h t s , der sich das R e i c h s w i r t s c h a f t s g e r i c h t unter gewissen Schwankungen im wesentlichen angeschlossen hat. In Kürze läßt sich darüber Folgendes sagen 1 ): Das Reichsgericht geht in seiner Rechtsprechung von der Lehre des adäquaten Kausalzusammenhangs aus2). Einen Kausalzusammenhang sieht es dann als gegeben an, „wenn- eine Handlung oder Unterlassung im allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung des eingetretenen Erfolges geeignet gewesen ist" 3 ).
Bezüglich der Entschädigungsneurose sagt eine Entscheidung des mit dieser Frage vornehmlich befaßten VI. Senats 4 ): „Wenn die Rentenbegehrungsvorstellungen weder auf organische noch auf psychische durch den Unfall hervorgerufene Veränderungen zurückzuführen sind, die Tatsache des Unfalls vielmehr nur die äußere Veranlassung gewesen ist, aus der heraus die Gedanken des Verletzten sich darauf gerichtet haben, in den Genuß einer Entschädigung zu gelangen, so ist der adäquate Zusammenhang nicht gegeben."
Diese Formulierung scheint zunächst allen ärztlichen Wünschen zu entsprechen; sie hat jedoch in dem Satz: „nur die äußere Veranlassung gewesen ist . . . " einen Haken. Was meint das Reichsgericht mit „äußerer Veranlassung"? Nach den Rechtsgrundsätzen, die das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung befolgt, ist für die Frage, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und den etwa festgestellten nervösen Erscheinungen besteht, entscheidend, ob der Unfall nur der äußere Anlaß der die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigenden Erscheinungen ist, oder ob zwischen dem Unfall und diesen Erscheinungen, *) S. auch S e i f f e r t , D. R. 1939, S. 611. *) Darüber s. auch S. 104; im Strafrecht bevorzugt es die Äquivalenztheorie, nach der j e d e Bedingung ohne Rücksicht auf ihren Wert haftungsbegründende Ursache ist. 3) RGZ. 133, S. 126. 4) J . W . 1932, S. 3330.
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also auch der Entschädigungsneurose ein i n n e r e r Zusammenhang besteht 1 ). Ein i n n e r e r Z u s a m m e n h a n g wird vom Reichsgericht unter verschiedenen Umständen bejaht, so dann, wenn durch einen psychischen Schock oder einen Schreck, den der Verletzte beim Unfall erlitten hat, eine nervöse Störung hervorgerufen oder eine andere vorhandene krankhafte Anlage verstärkt worden ist und wenn darauf, wenn auch im Zusammenwirken mit anderen Umständen die Entschädigungsneurose zurückzuführen ist2). Ferner bei der „Rentenpsychose eines übererregbaren, psychisch-abnormen und nervösen Schwächlings, wenn nämlich bei einem so gearteten Menschen infolge seines durch den Unfall beeinflußten Nerven- oder Seelenzustandes derartige Begehrungsvorstellungen sich aufdrängen und er infolge seines Zustandes sich nicht dessen bewußt wird, daß er die Vorstellung bekämpfen könne und müsse", weiter, wenn eine schon vorhandene krankhafte Anlage durch den Unfall ausgelöst oder verstärkt wird und schließlich, wenn eine Neurose durch die Aufregungen bei der Führung des Entschädigungsprozesses entsteht, wenn entweder die Körperverletzung selbst nervöse Krankheitserscheinungen hervorgerufen hat, die durch die Prozeßaufregungen verschlimmert werden oder wenn diese Aufregungen selbst einen krankhaften Zustand herbeigeführt haben, oder wenn zwar zunächst eine nervöse Erkrankung nicht hervortritt, der allgemeine Krankheitszustand dann aber zu einer nervösen Erschöpfung geführt hat®). Einen nur ä u ß e r e n A n l a ß nimmt das Reichsgericht an, wenn eLwa der Verletzte sich der verhältnismäßig unbedeutenden Unfallfolgen „als eines Mittels zur Erreichung dieses Zieles bedient", oder wenn die Nichterfüllung von unberechtigten Wünschen bei hysterischen oder nervenleidenden Personen einen ungünstigen Einfluß auf ihren Zustand ausübt, oder bei „durch Rentensucht hervorgerufenen Leiden", die „aus dem unberechtigten, allmählich krankhaft gesteigerten Wunsche entstanden sind, wegen des (ohne körperliche Schädigung verlaufenen) Unfalls gleichwohl eine Entschädigung zu erlangen." Weiter wird eine innere Beziehung abgelehnt, wenn die nervösen Erscheinungen nur an das Erleben des Unfalls anknüpfen, „ohne daß dieser gerade in der zutage getretenen Richtung auf die Gesundheit schädlich eingewirkt hätte." Nervöse Störungen, die nach einer Verletzung nicht allmählich wieder verschwinden, sondern sogar im Laufe der Zeit erst in Erscheinung treten, werden als Rentenhysterie nicht als Verletzungsfolge angesehen, da sie ausnahmslos auf Entschädigungsbegehrungsvorstellungen be!
) J.W. 1932, S. 3330. ) z.B. J.W. 1932, S. 3330; G r u c h o t 71, S. 392; J.W. 1936, S. 1356, Nr. 2 und viele andere. Näheres bei A r e n d t s , 1. c., S. 42, Anm. 109—111. 3 ) J. W. 1938, S. 105, Nr. 4; 1936, S. 1356, Nr. 2; D. J. Z. 1932, Sp. 995 u. a. S. A r e n d t s , I.e., S. 42, Anm. 112—114. 2
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ruhen. Schließlich wird die innere Beziehung verneint, wenn der Verletzte aus seiner Charakteranlage heraus (auch aus psychopathischer Veranlagung) „den an sich ohne dauernde Einwirkung gebliebenen Unfall zum Anlaß nähme, Begehrungsvorstellungen nachzuhängen, die er ebensowohl au dl unterdrücken könnte, „oder wenn er nur auf Grund seiner Veranlagung in der irrigen Vorstellung lebt, er sei krank und erwerbsunfähig. Eine Ursache für sich ist die Einwirkung dritter, etwa der Ehefrau 1 ). Es ist hier nicht der Ort, an der Rechtsprechung des Reichsgerichts e i n g e h e n d e Kritik zu üben. Es ist auch selbstverständlich, daß niemand, der die Rechtsprechung des Reichsgerichts kennt, an der sachlichen Einstellung desselben auch nur den geringsten Zweifel haben kann; ebenso sind die von ihm angewandten Rechtsgrundsätze kaum angreifbar. Soviel aber muß gesagt werden, daß vom ärztlichen Standpunkte aus gesehen die „Entschädigungsbegehrungsvorstellungen" als der wesentliche Kern a l l e r dieser Neurosen angesehen werden müssen, und daß neben diesem Kern alles andere praktisch bedeutungslos ist. Diese Einsicht, die längst Gemeingut aller sachverständigen Ärzte ist, hat sich beim Reichsgericht noch nicht durchgesetzt; es hat sich, wie K n o l l sagt, „noch nicht frei gemacht von laienmedizinischen, wissenschaftlich längst überholten Auffassungen und Anschauungen" 2). Allen Schwierigkeiten würde man am besten aus dem Wege gehen, wenn man nach dem Vorschlage von H o c h e gesetzlich bestimmte, d a ß n e r v ö s e S t ö r u n g e n , d i e n a c h e i n e m U n f a l l (oder e i n e r V e r l e t z u n g ) a u f t r e t e n , n i c h t e n t s c h ä d i g t w e r d e n , wenn sie bei einem nichtv e r s i c h e r t e n M e n s c h e n (oder e i n e m s o l c h e n , der k e i n e E n t s c h ä d i g u n g zu e r w a r t e n hat) u n t e r d e n gleichen Umständen nicht aufgetreten sein würden3). Solange eine solche oder ähnliche gesetzliche Bestimmung nicht besteht, hat der Gutachter die oft recht schwierige Aufgabe, in gründlichster Weise alles für die Klärung des Falles Wichtige festzustellen und daraus seine Beurteilung abzuleiten. Ich sage absichtlich „festzustellen", obwohl das eigentlich Aufgabe des Richters wäre. Es handelt sich aber bei dieser ärztlichen Aufgabe um Dinge, die eben nur der Arzt in ihrer Bedeutung erkennen kann. 2 ) J. W. 1906, S. 231, Nr. 15; RGZ. 103, S. 144; 108, S. 225; Entscheid, u. Mitteil, des Reichsvers.-Amts 15, S. 249, Nr. 4; J . W . 1924, S. 464, Nr. 8; HRR. 1928, Nr. 1510; J . W . 1931, S. 3333, Nr. 1; RGZ. 158, S. 34; D. R. 1942, S. 799; A r e n d t s , I.e., S. 31 u. 42, Anm. 101—107; K n o l l , e b e n d o r t , S. 114. 2 ) 1. c., S. 132. 3 ) Zit. v o n B u m k e , Lehrbuch, S. 254; eine a n d e r e Lösung des Problems schlägt W u s s o w (D. R. 1941, S. 2029) vor, der meint, der Schaden sei nicht e r s t a t t u n g s f ä h i g ; m. E. sind seine A u s f ü h r u n g e n jedoch a n g r e i f b a r .
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Eventuell kann bei verschiedenen Möglichkeiten der Richter ihm angeben, welche von ihnen er seinem Gutachten zugrunde legen soll. Der Gutachter hat zunächst zu prüfen, wie die Anlage, der Körperund Geisteszustand des Verletzten vor dem Unfall war; einen Anhalt kann man in vielen Fällen durch Befragen der Krankenkassen erhalten; auch das Arbeitsbuch hat sich bei solchen Gelegenheiten bewährt; man erfuhr aus ihm die Arbeitgeber und konnte von diesen dann manchen wertvollen Fingerzeig erhalten. Die Angaben von Angehörigen pflegen dagegen bei diesen Prozessen wenig brauchbar zu sein; danach war der Verletzte in der Regel vorher „nie krank". Auch die Familienvorgeschichte ist wichtig; man kann aus ihr wenigstens Hinweise auf die Anlage erhalten. Die zweite Frage ist die nach der Art des Unfalls. Diese Feststellungen zu treffen, ist in erster Linie Aufgabe des Richters. Aber auch für den Arzt ist es wichtig zu wissen, wie schwer etwa der schlagende Gegenstand, die Höhe des Falles, die Beschaffenheit des Bodens, auf den der Verletzte fiel, war, mit welchem Körperteil er auffiel, ob er benommen, ohnmächtig, bewußtlos war, wie lange diese Zustände dauerten, ob Erbrechen auftrat, ob Wunden vorhanden waren oder Beulen und wo, ob der Verletzte über Schmerzen klagte, ob er sofort mit der Arbeit aufhörte oder erst noch weiter aibeitete und gegebenenfalls wie lange, ob seine Gesichtsfarbe sich änderte (Schreck) u. dgl. Sodann ist an Hand etwaiger ärztlicher Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Zeugenaussagen die weitere Entwicklung des Zustandes zu verfolgen und eine eigene Untersuchung anzuschließen. Schließlich hat sich das Gutachten selbst über Anlage und Zustand vor der Verletzung, die unmittelbare Wirkung der Verletzung und ihre Folgen auszusprechen, wobei die organischen und die funktionellen Störungen zu würdigen sind, ganz besonders auch die letzteren in ihrer Entstehung und Motivierung, die meist aus der Gesamtheit der Faktoren erschlossen werden muß. Dabei können die oben angeführten Grundsätze des Reichsgerichts als Anhalt dienen, soweit es sich um Prozesse vor den zivilen Gerichten handelt. Bei der Unfallversicherung und den Versorgungsämtern genügt die Feststellung einer Neurose ohne organische Grundlage. Wenige Worte noch zur Frage des Mitverschuldens (§254 BGB.)! Voraussetzung für ein Mitverschulden ist der ursächliche Zusammenhang, da die Prüfung des Mit Verschuldens natürlich nur dann einen Sinn hat, wenn der ursächliche Zusammenhang nachgewiesen ist. Ein Verschulden des Geschädigten liegt u. a. vor, wenn er Maßnahmen unterläßt, die ihm zur Abwehr des Schadens zu Gebote stehen, und deren Ergreifung ihm zuzumuten ist1). Dazu gehört z. B. ärztliche Behandlung, auch die Duldung von Operationen, soweit sie aussichtsreich und nicht mit Lebensgefahr verknüpft sind. Die >) RGZ. 52, S. 351; 100, S. 44.
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Notwendigkeit einer Narkose kann die Ablehnung einer Operation nicht unbedingt entschuldigen. Das gilt namentlich dann, wenn die Operation zur Verhütung einer gefährlichen Verschlimmerung des Leidens erforderlich ist1). Dabei kann es vorkommen, daß der Sachkundige Fehler begeht; für diese hat jedoch auch der Schädiger aufzukommen, es sei denn, daß der Sachkundige, in diesem Falle also der Arzt, grobe Kunstfehler begeht 2 ). Da der Einwand des Mitverschuldens vom Beklagten bewiesen werden muß3), und da dieser Beweis fast immer sehr schwer bei Neurosen zu führen ist, spielt diese Bestimmung des BGB. trotz häufiger Hinweise des Reichsgerichts praktisch kaum eine Rolle. Im Gegensatz zum Versorgungswesen (s. oben) kann eine neue bessere medizinische Erkenntnis dann nicht beachtet werden, wenn im Vorprozeß der ursächliche Zusammenhang, z. B. der Erwerbsunfähigkeit mit einem bestimmten Unfall rechtskräftig festgestellt worden ist4). Dieser Rechtsstandpunkt ist allgemein "anerkannt; gewisse Ausnahmen, die sich auf den § 323 ZPO. stützen, sind möglich, werden aber nur selten Erfolg haben können 6 ).
Kritisches und Vorschläge Eine ganze Reihe kritischer Bemerkungen und entsprechender Vorschläge habe ich bereits in den verschiedenen Kapiteln gemacht 0 ). Hier sollen ergänzend noch einige Fragen besprochen werden, die allgemeinere Bedeutung haben. überblickt man die Gesetzgebung und ihre Auslegung, soweit es sich um psychiatrische Fragen handelt, so fällt immer wieder die Unklarheit auf, mit der insbesondere für Juristen Begriffe wie Geisteskrankheit, Geistesschwäche, krankhafte Störung der Geistestätigkeit usw. verbunden sind. Immer wieder tritt das Bestreben hervor, namentlich die Ausdrücke Geisteskrankheit und Geistesschwäche an dem Sinn zu orientieren, den sie für die Entmündigung haben. So haben wir gefunden, daß „Geistesschwäche* im §51 StGB, gelegentlich als „leichtere Störung" aufgefaßt wurde, und im Eherecht wurde die „geistige Störung" des § 44 wieder als leichtere Störung der schwereren „Geisteskrankheit" des § 45 gegenübergestellt. Es herrscht in dieser Beziehung ein schwer entwirrbares Durcheinander. Für die 1 ) RGZ. 139, S. 131; dagegen liegt kein Mitverschulden vor, wenn eine Operation bei Meinungsverschiedenheiten von Ärzten über den voraussichtlichen Erfolg der Operation abgelehnt wird (RGZ. 129, S. 398). 2 ) RGZ. 140, S. 9. 3 ) RGZ. 159, S. 261. *) RGZ. 129, S. 320; es war hier später eine progressive Paralyse oder Lues cerebri aufgetreten. 5 ) A r e n d t s , 1. c., S. 33. «) z.B. S. 76 (§ 47c StGB.); S. 78 (§ 456b StPO.); S. 160 (§ 6 BGB.); S. 177 (§§ 43, 44 EG.).
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Entmündigung hat B u m k e schon auf diese Schwierigkeit hingewiesen. Er hat für den Entmündigungsparagraphen folgende F a s s u n g vorgeschlagen 1 ): „Entmündigt kann werden, wer seine Angelegenheiten wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche nicht selbst besorgen kann." Dabei sollen beide Ausdrücke ihren gewöhnlichen, j e d e m v e r ständlichen Sinn haben. Geistesschwäche soll also die Schwachsinnszustände umfassen, w ä h r e n d alles andere unter den nur ärztlich zu verstehenden Begriff der „krankhaften Störung der Geistestätigkeit" fallen soll. Das Gericht soll dann entscheiden, ob der Entmündigte als geschäftsunfähig oder als beschränkt geschäftsfähig gelten soll. Das will B u m k e dadurch erreichen, daß dem § 114 BGB. ein zweiter Absatz hinzugefügt w e r d e n soll, für den er folgenden W o r t laut vorschlägt: „Wird jemand wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche entmündigt, so bestimmt das Gericht, ob er geschäftsunfähig oder beschränkt geschäftsfähig sein soll." Dem § 104 Abs. 3 will er folgende Fassung geben: Geschäftsunfähig ist 3. „wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche entmündigt und dabei für geschäftsunfähig erklärt worden ist." Mit diesen Vorschlägen w ü r d e die quantitative Abstufung nicht mehr in den Begriffen der krankhaften Störung der Geistestätigkeit und der Geistesschwäche liegen, sondern aus ihnen h e r a u s g e n o m m e n und an eine andere Stelle v e r l a g e r t sein. Ich w ü r d e es für zweckmäßig halten, ein ähnliches V e r f a h r e n auch auf den übrigen Gebieten anzuwenden. Im Strafverfahren sind die gleichen Ausdrücke schon vorhanden; der § 104 Abs. 2 BGB. w ä r e umzumodeln und dem jetzigen W o r t l a u t des § 51 StGB, anzupassen. M a n könnte ihm e t w a folgende Fassung geben: Geschäftsunfähig ist, 2. wer wegen eines seiner Natur nach nicht vorübergehenden Zustandes krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig ist, die Zweckmäßigkeit (oder Bedeutung) von Rechtsgeschäften zu erkennen oder Aach dieser Erkenntnis zu handeln. § 105 Abs. 2 w ä r e w e i t e r folgendermaßen abzuändern: Nichtig ist auch eine Willenserklärung, die im Zustande der Bewußtseinsstörung oder vorübergehender krankhafter Störung der Geistestätigkeit abgegeben wird, sofern dadurch die Fähigkeit, die Zweckmäßigkeit (oder Bedeutung) der Willenserklärung zu erkennen oder nach dieser Erkenntnis zu handeln, aufgehoben war. Mir scheinen die Ausdrücke „erkennen" und „Erkenntnis" in diesem Falle besser als „einzusehen" und „Einsicht". Daß der Ausdruck „Bewußtseinsstörung" besser ist als „Bewußtlosigkeit", leuchtet wohl !) Z. Akad. dtsch. Recht 2, 1935, S. 167.
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ohne weiteres ein. Die in der bisherigen Fassung vergessene „freie Willensbestimmung" ist auf diese Weise ebenso in den Wortlaut hineingenommen, wie durch das Beiwort „krankhaft" dokumentiert wird, daß nicht jede Geistesstörung gemeint ist. Weiter wäre der erste Satz des § 827 BGB. abzuändern. Idi schlage hierfür vor: Wer im Zustande der Bewußtseinsstörung, der krankhaften Störung der Geistestätigkeit oder der Geistesschwäche, durch den seine Fähigkeit, sein Unrecht einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aufgehoben war, einem andern Schaden zufügt, ist für den Schaden nicht verantwortlich.
Der Ausdruck „Unrecht" ist hier besser am Platze als das „Unerlaubte" oder „Ungesetzliche". Es entspricht außerdem der Fassung des § 3 RJGG., der auch für das Erwachsenenstrafrecht vorgesehen ist. Im § 44 EG. wäre statt: „weil es auf einer geistigen Störung beruht" zu setzen: „ w e i l e s a u f e i n e r Bewußtseinsstörung, einer k r a n k h a f t e n Störung der Geistest ä t i g k e i t o d e r a u f G e i s t e s s c h w ä c h e " beruht und schließlich wäre der § 45 EG. folgendermaßen abzuändern: Ein Ehegatte kann Scheidung begehren, wenn der andere an einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit oder an Geistesschwäche leidet, vorausgesetzt, daß das Leiden einen solchen Grad erreicht hat . . . usw.
Durch diese Änderungen würde erreicht werden, daß in allen Fällen den Begriffen „krankhafte Störung der Geistestätigkeit" und „Geistesschwäche" derselbe Sinn innewohnen würde, der zudem mit den medizinischen und volkstümlichen Ausdrücken übereinstimmen würde. Das würde eine sehr wesentliche Vereinfachung bedeuten und manches Mißverständnis würde vermieden werden können. In allen Fällen könnte man darunter die Gesamtheit der möglichen Störungen, von der Psychopathie an bis zu den schwersten Geisteskrankheiten, von der leichten Debilität bis zur schweren Idiotie verstehen. In den Einzelfällen würde der Grad der erforderlichen Störung durch den Nachsatz festgelegt: Im § 51 StGB., im § 104 Abs. 2 BGB., im § 827 BGB. und im § 44 EG. müßte die Störung einen solchen Grad erreichen, daß die Fähigkeit, das Unerlaubte der Tat, die Zweckmäßigkeit eines Rechtsgeschäfts, das Unrecht einer Schadenszufügung, das Unerlaubte einer ehewidrigen Handlung einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln aufgehoben oder — im § 5 1 , 2 StGB. — erheblich vermindert wäre; im Entmündigungsverfahren käme es auf die Unfähigkeit zur Besorgung der Angelegenheiten an, im Ehescheidungsverfahren auf die Zerrüttung der Ehe (§ 44) und auf die Aufhebung der geistigen Gemeinschaft (§ 45) und die Unwahrscheinlichkeit ihrer Wiederherstellung. Man könnte die Vereinfachung noch weiter treiben, indem man die „Geistesschwäche" überall fortließe und sich darauf einigte, daß
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unter „krankhafter Störung der Geistestätigkeit" auch alle Schwachsinnszustände von den leichtesten bis zu den schwersten Formen zu verstehen sind. Für den Psychiater wäre diese Einbeziehung etwas, was durchaus mit seinen Anschauungen, seinem Denken vereinbar wäre. Ich habe bei der Besprechung des § 51 StGB, derartige Vorschläge schon erwähnt. Der Jurist neigt freilich dazu, die Schwachsinnszustände als etwas Besonderes anzusehen. Ob man den Ausdruck „Geistesschwäche" beläßt oder streicht, hängt also davon ab, ob er für die praktische Handhabung des Gesetzes zweckmäßig ist oder überflüssig erscheint. W e i t e r e Vorschläge habe ich bereits bei der Besprechung der einzelnen Teilgebiete gemacht. Hier möge noch ein Vorschlag wiederholt werden, der nichtkriminelle Rauschgiftsüchtige betrifft. Schon 1927 haben F r a e b und W o 1 f f 4 ) die Meinung vertreten, die Tatsache der Erkrankung an Alkaloidsucht müsse schon die staatliche Berechtigung zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auslösen. Ähnliche Ansichten sind von verschiedenen Autoren, Ärzten wie Juristen, vertreten 2 ). Auch mir scheint es wichtig, für Süchtige eine Meldepflicht und die Möglichkeit einer zwangsweisen Entziehung schon zu einer Zeit zu schaffen, wo sie noch nicht kriminell geworden sind. Es ist hier nicht der Ort, um ins einzelne gehende Vorschläge zu machen. Daß solche Maßnahmen gerade jetzt sehr erwünscht wären, kann kein Einsichtiger bezweifeln. Die straf- und zivilrechtliche Stellungnahme gegen den Rausdigiftmißbrauch, Leipzig 1927, S. 233. 2) Näheres s. L a n g e l ü d d e k e , D. Z. g. M. 27, 1937, S. 290 ff.
Allgemeine gerichtliche Psychopathologie Vorbemerkung Das menschliche Leben in seinen gesamten Äußerungen ist etwas Einheitliches, Ganzes. Das gilt auch für die seelischen Vorgänge; sie werden voll verständlich erst im Zusammenhang mit dem körperlichen Geschehen. Aber auch das einzelne seelische Geschehen, sei es eine Wahrnehmung, sei es eine Stimmung, sei es eine Handlung, ist stets das Ergebnis komplizierter Vorgänge; so ist etwa bei einer Wahrnehmung nicht nur das Sinnesorgan, vermöge dessen wir wahrnehmen, beteiligt, sondern auch unser Denken, Urteilen, Fühlen und die ganze Summe unserer im Laufe des Lebens gewonnenen Erfahrungen. Wenn wir im folgenden daher im psychischen Geschehen Wahrnehmung, Denken, Fühlen usw. einzeln behandeln, so abstrahieren wir absichtlich von den anderen in den Einzelvorgang eingehenden Komponenten. Das geschieht, um die Darstellung zu vereinfachen, aber im vollen Bewußtsein dessen, daß die Wirklichkeit solche Abstraktionen nicht kennt. Im übrigen soll hier nicht etwa die gesamte Psychopathologie abgehandelt werden; sie soll es nur soweit, als das forensische Interesse es verlangt. Es kommt uns auch nicht darauf an, die unerschöpfliche Fülle der Erscheinungen aufzuzeigen. Der Sachverständige wird sich an gründlicheren Werken orientieren müssen. Die folgende Darstellung soll aber gerade auch dem Juristen die Möglichkeit geben, sich wenigstens über die für ihn wichtigsten psychopathologischen Erscheinungen zu unterrichten 1 ).
Störungen des Wahrnehmens Alle Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens sammeln, werden durch die Sinnesorgane vermittelt. Ohne Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und ohne die Reize, die uns durch den Hautund Muskelsinn vermittelt werden, wäre seelisches Leben unmöglich. Aber unsere Sinnesorgane sind keineswegs vollkommen. Auch die für unser seelisches Leben wichtigsten Sinnesorgane: Auge und Ohr geben die sie treffenden Reize nicht immer einwandfrei wie') Für ein eingehenderes Studium ist in erster Linie J a s p e r s , Allgemeine Psychopathologie, 4. Aufl., Berlin u. Heidelberg 1946, zu empfehlen. Außerdem wird man mit Nutzen das Handbuch von B u m k e , die Lehrbücher der Geisteskrankheiten von B u m k e , B l e u l e r , E w a l d , K o l l e , L a n g e - B o s t r o e m , K r a e p e l i n - L a n g e u. a. zu Rate ziehen können.
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der; so gibt es, um nur ein Beispiel zu erwähnen, musikalische Menschen, die Vierteltöne nicht unterscheiden können; auch Rot-GrünBlindheit ist viel häufiger, als man gewöhnlich denkt. Abgesehen davon aber wird die Richtigkeit unserer Wahrnehmungen durch mannigfache verfälschende Einflüsse beeinträchtigt. Es ist zunächst nicht gleichgültig, in welcher Verfassung sich der Beobachter befindet, ob er geistig frisch oder ermüdet ist. Ist das letztere der Fall, so pflegt unsere Auffassung von den Vorgängen ungenauer zu sein; und, worauf schon hier hingewiesen sei, die Erinnerung an das Wahrgenommene verblaßt viel schneller. Es kommt natürlich auch sehr viel darauf an, ob wir irgendeinen Vorgang wirklich aufmerksam verfolgen oder ob wir ihn ohne rechtes Interesse, nur so nebenher in unser Gesichtsfeld bekommen. Verfälschend wirkt auch der Affekt; namentlich die Erwartung bewirkt auch bei Gesunden Täuschungen unserer Sinne, die in ihren Auswirkungen recht grob werden können. W. S t e r n berichtete in seinem Kolleg über folgende Beobachtung 1 ): In einer Vorlesung vor Studenten sagte der Vortragende, er wolle einmal prüfen, wie schnell sich Gerüche ausbreiten. Er öffnete zu diesem Zwecke unter allen Zeichen des Ekels ein Gefäß mit der Aufforderung, sich zu melden, sobald jemand den scheußlichen Geruch bemerke. Nach kurzer Frist meldete sich ein vorn sitzender Hörer; die Zahl derer, die den Geruch bemerkten, wuchs sehr schnell, schließlich war fast das ganze Auditorium von dem Geruch ergriffen, man hielt sich die Nase zu, ja selbst eine Ohnmacht stellte sich ein. — In dem Gefäß befand sich geruchloses Wasser.
Hierbei spielt nicht nur die Erwartung, sondern auch die Massensuggestion eine Rolle; die g e m e i n s a m e Erwartung kann — sie tut es nicht immer — stärker verfälschen, als die Einzelerwartung: der eine g l a u b t etwas zu sehen, der andere sieht es dann schon genau. Andererseits kann gerade das Alleinsein bei nervösen Menschen und ängstlich gespannter Erwartung leichter zu illusionären Verkennungen führen, wenn beruhigende Korrekturen eines Zweiten fehlen. Schließlich aber ist, worauf ich schon hinwies, eine Wahrnehmung nichts für sich Existierendes; sie enthält immer schon etwas Gedankliches, ein Urteilen; sie setzt ein Begreifen voraus, und in der Regel handelt es sich um ein Wiedererkennen. Wir sind beim Wahrnehmen nicht unvoreingenommen, sondern ordnen die Sinneseindrücke, ohne uns im einzelnen Rechenschaft darüber zu geben, in bestimmte, uns bekannte Kategorien ein, oder bringen sie, wenn das nicht geht, in Beziehung zu ähnlichen Eindrücken. Dabei besteht die Tendenz, sie unserer Erfahrung anzupassen. Aus solchen Verfälschungen der Wahrnehmungen einerseits, aus den später zu erörternden Erinnerungsfälschungen andererseits ergeben sich die Ungenauigkeiten und Fehler in der Aussage der *) Ich gebe sie aus der Erinnerung wieder; sie mag sich also in Einzelheiten etwas anders zugetragen haben.
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Zeugen, der Parteien, aber auch des Angeklagten. Die Psychologie der Zeugenaussagen hat sich zu einem umfangreichen Sonderzweig der Psychologie entwickelt 1 ). Sicherlich ist kaum einmal eine umfangreichere Zeugenaussage vollständig richtig. Das Bestreben des vernehmenden Richters muß es sein, seine Vernehmungstechnik so zu gestalten, daß wenigstens möglichst viele Fehlerquellen ausgeschaltet werden. Nach Möglichkeit soll man den Zeugen wenigstens zunächst berichten lassen; der spontane Bericht hat sich im allgemeinen als zuverlässiger erwiesen als ein Verhör. In vielen Fällen ist es freilich schon aus Zeitmangel kaum möglich, die Berichte über sich ergehen zu lassen. Viele Menschen verstehen einfach nicht, eine Sache so darzustellen, wie sie war; sie bringen überall hinein ihre Deutungen, und manche Berichte bestehen nur aus Deutungen. Immerhin ist es praktisch wertvoll, auch in solchen Fällen zunächst einmal berichten zu lassen; man wird aus der Art solcher Berichte schon gewisse Schlüsse auf die Zuverlässigkeit der Aussage ziehen können. Muß der Richter fragen, so darf die Form der Frage die Antwort nicht nahelegen. Man sollte meinen, daß das allmählich Allgemeingut geworden wäre. Das ist jedoch keineswegs so. Ich habe oft genug noch Fragen erlebt von der Form: „Ist nicht...?" oder gar: „Nicht wahr, so war e s . . . ? " und dann kommt die Sachlage, wie sie der Richter sieht. Auch Alternativfragen: „War es so oder so?" sind gefährlich, weil der Zeuge leicht glaubt, eine der beiden Möglichkeiten bejahen zu müssen, während eine dritte oder vierte Möglichkeit gegeben wäre. Auf Einzelheiten einzugehen, würde zu weit führen. Nur eins sei noch angeführt: Kinderaussagen gelten im allgemeinen als weniger zuverlässig als die Aussagen Erwachsener. In dieser Allgemeinheit ist jedoch eine solche Annahme falsch; zehn- oder elfjährige gesunde Jungen sind die besten Zeugen, die es überhaupt gibt. Ihre Beobachtung geht viel mehr ins einzelne als die Erwachsener, die nur das sehen, was ihnen wesentlich erscheint. Mit größter Vorsicht sind dagegen die Aussagen junger Mädchen in der Pubertät und in der Vorpubertät zu verwerten — namentlich, wenn es sich um Sittlichkeitsprozesse handelt 2 ). Dazu kommt die Situation, in der der Aussagende sich vor Gericht befindet. Die dort herrschende, durch den Ernst des Gegenstandes gebotene Würde und Feierlichkeit ruft leicht eine gewisse Befangen1 ) Wesentlich daran beteiligt waren H. G r o ß , W. S t e r n und O. L i p m a n n . Die früher von den beiden Letztgenannten herausgegebene Zeitschrift für angewandte Psychologie enthält zahlreiche Beiträge zu diesem Thema, ebenso die von S t e r n herausgegebenen Beiträge zur Psychologie der Aussage. In neuerer Zeit hat P l a u t (Der Zeuge und seine Aussage im Strafprozeß, Leipzig 1931) diese Frage zusammenfassend behandelt. Dort auch Literaturverzeichnis. 2 ) Dazu namentlich W. S t e r n , Jugendliche Zeugen in Sittlichkeitsprozessen, Leipzig 1926.
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heit hervor, die nicht immer überwunden wird, So kann es leicht vorkommen, daß Zeugen glauben, alles gesagt zu haben, und hinterher fällt ihnen ein, daß sie doch Wichtiges,, was sie unbedingt sagen wollten, vergessen haben. Alle die bisher besprochenen Fälschungen liegen noch durchaus im Bereiche der Norm. Innerhalb derselben beobachten wir aber auch schon Sinnestäuschungen, die wir als i l l u s i o n ä r e V e r k e n n u n g e n zu bezeichnen pflegen. Wenn wir z. B. auf der Straße von weitem einen Bekannten zu sehen glauben, der sich in der Nähe als fremd entpuppt, wenn wir im Dunst der Dämmerung in der Ferne einen Mann sehen, der beim Näherkommen zu einem Baum wird — solchen Täuschungen unterliegen übrigens auch z. B. Hunde — so fallen diese Täuschungen sicher in das Gebiet der Illusionen. Derartige Beobachtungen zeigen, daß es auch hier eine scharfe Grenze nicht gibt. Bevor wir nun die Sinnestäuschungen besprechen, sind einige begriffliche Vorbemerkungen am Platze. Wir unterscheiden zunächst die (normale) W a h r n e h m u n g von der V o r s t e l l u n g . In der Wahrnehmung steht der Gegenstand nach J a s p e r s 1 ) leibhaftig, mit Objektivitätscharakter, in der Vorstellung bildhaftig, mit Subjektivitätscharakter vor uns. Unsere Wahrnehmungen können nun in mannigfacher Weise gestört sein. Zunächst gibt es Intensitätsveränderungen; forensisch am wichtigsten ist wohl die Schmerzunterempfindlichkeit (Analgesie und Hypalgesie) der Hysteriker; auch Qualitätsveränderungen kommen vor (etwa Gelbsehen bei Santoninvergiftung). Bemerkenswert sind auch die Störungen des Raumsinns, die namentlich bei Epileptikern gelegentlich beobachtet werden. Die Gegenstände erscheinen dann abnorm klein (Mikropsie) oder riesengroß (Makropsie), ganz nahe oder weit weg; im Meskalinrausch tritt ein Gefühl der Raumunendlichkeit auf. Schließlich kann auch der Zeitsinn verändert sein: die Ereignisse scheinen abnorm schnell oder umgekehrt abnorm langsam abzulaufen. Viel wichtiger aber als diese, von J a s p e r s als Wahrnehmungsanomalien zusammengefaßten Störungen sind die Erscheinungen, die mit dem gemeinsamen Namen der T r u g w a h r n e h m u n g e n bezeichnet werden: die I l l u s i o n e n , H a l l u z i n a t i o n e n und Pseudohalluzinationen. Unter I l l u s i o n e n verstehen wir Verkennungen von wirklich vorhandenen Gegenständen. Beispiel: Ein an der Wand hängendes Handtuch wird für einen aufgehängten Menschen gehalten. H a l l u z i n a t i o n e n sind sinnlich vollkommen deutliche Wahrnehmungen mit Leibhaftigkeitscharakter im äußeren objektiven Raum, die sich von der normalen Wahrnehmung nur dadurch unterscheiden, daß ihnen eine reale Grundlage, ein äußerer Gegenstand fehlt. Allgemeine Psychopathologie, 4. Aufl., S. 52. Langelüddeke,
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P s e u d o h a l l u z i n a t i o n e n sind lebhafte Phantasievorstellungen mit Bildhaftigkeitscharakter im inneren subjektiven Vorstellungsraum, die unabhängig vom Willen auftreten und von den Kranken wegen ihrer krankhaft gesteigerten Deutlichkeit zuweilen mit wirklichen Wahrnehmungen verwechselt werden. In der Praxis lassen sich diese verschiedenen Arten von Trugwahrnehmungen keineswegs immer sicher scheiden. Abgesehen von den Schwierigkeiten, die man schon vielfach bei der einfachen Feststellung des tatsächlichen Erlebnisses hat, sind offenbar Übergänge zwischen den drei Formen vorhanden. Für sie alle trifft jedoch zu, daß der Kranke, der solchen Täuschungen unterliegt, sie für durchaus real hält, daß ihnen sogar eine unerschütterliche Uberzeugungskraft innewohnen kann, daß ihre Macht auf die Kranken viel größer ist. als der Einfluß normaler Wahrnehmungen. Bei einem etwaigen Widerspruch zwischen krankhaften und normalen Wahrnehmungen wird in der Regel die krankhafte das Übergewicht erlangen. Unter den einzelnen Sinnesgebieten steht das G e h ö r seiner Bedeutung nach weitaus an erster Stelle. Elementare Täuschungen wie Klingen, Klopfen, Rauschen, Glockenläuten treten dabei weit zurück hinter den höher organisierten Sinnestäuschungen, namentlich dem Hören von Worten, von Stimmen. Die Kranken selbst unterscheiden die Stimmen meist von den normalen Wahrnehmungen, was schon daraus hervorgeht, daß sie selbst den Ausdrude „Stimmen" dafür benutzen. Sie hören die Worte laut wie gewöhnliche Sprache oder von fern wie durchs Telefon; es sind Stimmen von Bekannten oder Unbekannten, von Männern oder Frauen, einzelnen oder mehreren. Sie lokalisieren die Stimmen in weite Ferne, in den Keller, in die unmittelbare Umgebung, in die Wand, aber auch in den eigenen Kopf oder in den eigenen Bauch. Manche Kranke hören Stimmen nur bei bestimmten Gelegenheiten, z. B. beim Fließen der Wasserleitung (sog. funktionelle Halluzinationen). Der Inhalt des Gehörten kann freundlich sein; meist aber sind es schimpfende, bedrohliche oder befehlende Stimmen. Eine besondere Form der Gehörstäuschungen ist das G e d a n k e n l a u t w e r d e n , das darin besteht, daß die Kranken ihre eigenen Gedanken hören, als ob sie aus der Außenwelt oder dem eigenen Körper kämen. Derartige Täuschungen führen zu allen möglichen Erklärungsversuchen derselben, die abhängig sind von dem jeweiligen Stande der Technik einerseits, von dem Wissen des Kranken andererseits. Der Hexe des Primitiven steht das Radio des modernen Menschen gegenüber. Den Erklärungen entsprechen dann die Versuche, sich gegen die unzulässigen Beeinflussungen zu schützen. Dazu dienen Wattepfropfen in den Ohren, Wechsel der Wohnung, der manchmal vorübergehend hilft (sehr häufiger Wohnungswechsel ist immer verdächtig auf abnorme Geistesverfassung), Absuchen von Kellern und Böden nach besonderen Apparaten, Eingaben an die Behörden, Anzeigen an die Polizei. Schließlich aber greifen manche Kranke zur
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Selbsthilfe, der dann völlig ahnungslose Menschen zum Opfer fallen können. Forensisch wichtig können auch die „imperativen Stimmen" werden. Ein von C r a m e r erwähnter Fall möge das zeigen 1 ): „Eine erblich nicht belastete, bis dahin immer gesunde 32jährige Arbeiterfrau gerät am 6. Tage nach der 5., mit schweren Blutverlusten verknüpften Entbindung in einen Zustand, in dem ihr die ganze Umgebung rätselhaft, wie verändert vorkommt j es treten immer deutlicher werdende Stimmen auf: ,Du mußt den Kindern den Hals abschneiden', .schneide den Kindern den Hals ab wie den Hühnern*! die Stimmen werden mächtiger, sie beherrschen sie schließlich vollständig, so daß sie nicht mehr widerstehen kann und mit dem großen Küchenmesser den drei Kindern, welchen sie bisher eine liebende Mutter gewesen war, die Hälse durchschneidet."
Immerhin sind manchmal auch diese Stimmen beeinflußbar, wie folgendes eigene Erlebnis zeigt: Einer meiner Kranken antwortete auf meine Frage, was die Stimmen ihm sagten: „Ich soll Sie hinter die Ohren schlagen." Ich sagte ihm darauf, das solle er lieber lassen, ich sei größer und stärker als er, und er würde dabei den kürzeren ziehen. Es geschah auch nichts. Kurz darauf erfuhr ich vom Oberpfleger, daß sich wenige Wochen vorher zwischen einem Medizinalpraktikanten und dem Kranken ein ähnliches Gespräch entwickelt hatte. Der Praktikant hatte ihm aber auf seine Drohung gesagt: „Tun Sie es doch mal!" Das hatte zum Erfolg gehabt, daß der Kranke den überraschten Praktikanten zu Boden geworfen und ihm einige Rippen eingetreten hatte. Nur dem zu Hilfe eilenden Pflegepersonal war es zu danken, daß nichts Schlimmeres passierte.
Sicher spielen derartige Stimmen bei manchen scheinbar unerklärlichen impulsiven Handlungen eine Rolle, übrigens nicht nur bei Körperverletzungen, wo sie am eindrucksvollsten sind, sondern manchmal auch bei Diebstählen, wo die Entscheidung über die Echtheit solcher Stimmen nicht immer ganz leicht fällt, weil sie den eigenen Wünschen und Gedanken des Kranken entsprechen können. Den Gehörstäuschungen gegenüber treten die anderen Sinne an Bedeutung zurück. Echte Halluzinationen auf o p t i s c h e m G e b i e t e sind bei klarem Bewußtsein selten. Sehr viel häufiger sind sie bei Bewußtseinstrübungen verschiedenen Grades, etwa bei Fieberdelirien, beim Delirium tremens der Trinker, bei manchen Vergiftungen, bei epileptischen und hysterischen deliriösen Dämmerzuständen. Sie gehen dabei unscharf in die illusionären Verkennungen und in die Pseudohalluzinationen über. Diese Täuschungen können, wenn auch selten, einmal Anlaß werden zu plötzlichen Gewalthandlungen, wenn der Inhalt irgendwie furchterregend oder gar lebensbedrohlich erscheint, und wenn sie mit hochgradiger Angst verknüpft sind. Bei klarem Bewußtsein kommt es oft zu Personenverkennungen, oder es wird eine Handlung schon so gesehen, wie sie erwartet und gedeutet wird. H o c h e führt als Beispiel an, wie ein ängstlicher ]
) Gerichtliche Psychiatrie, 3. Aufl., S. 21. 14*
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Kranker „sieht", daß seine Frau mit dem Zucker Gift ins Essen schüttet1). Die S t ö r u n g e n d e s G e r u c h s u n d G e s c h m a c k s sind der Beschreibung viel weniger zugänglich wie die der höheren Sinne; wir sind z. B. nicht imstande, jemandem, der den Geruch nicht kennt, begreiflich zu machen, wie Veilchen riechen. Dazu kommt, daß bei diesen einfacheren Sinnesvorgängen eine Entscheidung, ob im Einzelfall eine Illusion oder eine Halluzination vorliegt, kaum einmal möglich ist. Berichte über entsprechende Erlebnisse sind deshalb auch relativ primitiv. Wir hören, daß die Speisen eigenartig schmecken und riechen, daß sie versalzen sind, daß sie Gift enthalten (wobei das schon eine Deutung ist), daß giftige Gase ins Zimmer geleitet werden u. dgl. Die Kranken suchen sich dagegen zu schützen, indem sie die Fensterritzen verkleben, die Schlüssellöcher verstopfen; es ist aber auch verständlich, daß sie mißtrauisch werden, wenn sie es nicht schon sind, nach Feinden suchen und zu falschen Anschuldigungen kommen. A b n o r m e S e n s a t i o n e n d e s K ö r p e r g e f ü h l s sind häufig; wichtig sind insbesondere die der Genitalgegend, die namentlich bei Frauen dahin führen können, daß sie unsittliche Berührungen, aber auch Vergewaltigungen vermuten. Solche Kranken beklagen sich darüber, daß Nacht für Nacht fremde Männer zu ihnen kommen, aber auch der behandelnde Arzt wird nicht selten solcher Handlungen beschuldigt; Ho c h e bemerkt mit Recht, daß hier eine der ärztlichen Berufsgefahren liegt. Auch bei Männern sind solche Sensationen zu beobachten: ihnen wird nachts der Samen „entzogen", es wird mit ihnen onaniert u. ä. Nicht jeder, der an Sinnestäuschungen leidet, ist geisteskrank; erst wenn er ihnen gegenüber kritiklos wird, wenn er sie wie die wirklichen Wahrnehmungen bewertet, wenn sein Handeln durch sie beeinflußt wird, sprechen wir von Geisteskrankheit; gewissen Sinnestäuschungen unterliegt auch der Gesunde. Freilich ist die Stellungnahme zu den Trugwahrnehmungen allein kein Grund, Geisteskrankheit abzulehnen; auch alte Halluzinanten, die zweifellos krank und in ihrer Persönlichkeit verändert sind, lernen bis zu einem gewissen Grade über ihre krankhaften Sinneserlebnisse hinwegzusehen; sie räumen ihnen keinen Einfluß auf ihr Handeln mehr ein, und daß jemand regelmäßig halluziniert, ohne daß zugleich seine Gesamtpersönlichkeit in Mitleidenschaft gezogen würde, kommt wohl kaum vor. Störungen des Gedächtnisses Wenn wir unserem Gedächtnis irgendwelche Wahrnehmungen oder Erlebnisse einverleiben wollen, so sind dazu verschiedene Akte erforderlich: wir müssen das Erlebte a u f f a s s e n , wozu ein be') Ein Beispiel für optische Sinnestäuschungen ist im Kapitel über psychische Störungen durch Alkohol angeführt.
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stimmter Grad der A u f m e r k s a m k e i t gehört, und müssen das Aufgefaßte m e r k e n . Dieses Merken setzt eine M e r k f ä h i g k e i t voraus. Wir nehmen an, daß auf diese Weise in unserem Gehirn irgendwelche Dauerveränderungen erzeugt werden, die wir freilich mit unseren Methoden nicht nachweisen können, daß es zur Fixierung dieser Veränderungen einer gewissen Zeit bedarf, daß die Bereitschaft des Gehirns zur Bildung solcher Veränderungen schwankt, und daß es möglich ist, diesen Gedächtnisspuren (Engrammen) wieder Leben zu verleihen, indem wir das früher einmal Gemerkte wieder reproduzieren, indem wir uns seiner wieder erinnern. Wir unterscheiden dabei die Merkfähigkeit, mittelst deren wir neuen Gedächtnisstoff aufnehmen vom Gedächtnis, das den gesamten Besitz an früher aufgespeicherten Erinnerungen, also all unser Wissen umfaßt. Audi das Gedächtnis des Gesunden ist nun keineswegs treu: .Unsere Erinnerungsbilder", sagt K r e t s c h m e r 1 ) , „liegen nicht wie photographische Klischees fertig in unserem Gehirn, um alsbald, wenn man danach fragt, stereotyp reproduziert zu werden. Was nach einiger Zeit von einer erlebten Szene noch im Gedächtnis vorhanden ist, das sind vielfach nicht mehr als ein paar Reste von optischen, akustischen und taktilen Eindrücken, die schon im Entstehen seinerzeit mit fertigen anderweitigen Vorstellungselementen verschmolzen, bei späterer Wiedergabe oft in großem Umfang aus dem Gesamtvorstellungsschatz der erzählenden Person ergänzt werden, ohne daß dem Erzähler zum Bewußtsein kommt, irgend etwas anderes als feste .beschwörbare' Erinnerungen wiedergegeben zu haben." Mit diesen Worten ist schon das Wesentliche gesagt. Die folgenden Ausführungen können sie nur ergänzen. Das Gedächtnis der verschiedenen Menschen weist große Unterschiede auf: der eine merkt leicht und vergißt schnell, der andere prägt sich mühsam etwas ein, um es dann dauernd zu behalten; der eine hat ein vorzügliches Zahlengedächtnis, der andere kann keine Namen behalten; im ganzen erinnern wir leichter das, was wir in unseren Wissens- und Erfahrungsschatz sinnvoll einordnen können. Das Vergessen hängt von verschiedenen Umständen ab. Was wir gründlich gelernt haben, haftet besser als das nur oberflächlich Angeeignete. Das Gleichgültige wird schneller vergessen als das, was uns interessiert, als namentlich Erlebnisse mit stärkerem affektiven Gehalt. Dabei kommt es auf die Art der Gefühlsbetonung an: .ein glänzender Erfolg und eine schwere Kränkung vergessen sich nicht so leicht", sagt E b b i n g h a u s 2 ) , dagegen verdrängen wir gern Mißerfolge und eigene Verfehlungen 3 ). Dazu kommt, daß wir frühere Erlebnisse allmählich in unserer Erinnerung umgestalten; wir färben sie, nehmen ihnen die ihnen Medizinische Psychologie, 6. Aufl. ) Zit. nach B u m k e , Lehrbuch, S. 39. 3 ) Dazu das selbsterlebte Beispiel S. 117.
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früher tatsächlich anhaftende negative Gefühlsbetonung etwa der Angst und versehen sie mit positiven Gefühlstönen etwa dem Gefühl der Bewährung in Gefahr. Dabei wird das wirklich Erlebte im Sinne dieser optimistischen Akzentverschiebung ergänzt, mit mancherlei Zutaten versehen; und schließlich ist das ursprüngliche Erlebnis kaum noch wiederzuerkennen. Alle die bisher erwähnten Erinnerungsfälschungen sind als durchaus normale Erscheinungen zu werten. Wenn wir nun die forensisch wichtigen Gedächtnisstörungen besprechen, so treffen wir zunächst auf S t ö r u n g e n d e r M e r k f ä h i g k e i t . Wir finden sie bei allen organischen Hirnerkrankungen, die mit einem Abbau der Rindensubstanz einhergehen, also namentlich bei der progressiven Paralyse und den Alterserkrankungen, dazu bei allen Bewußtseinstrübungen. Die Ursache dafür liegt zum Teil in der erschwerten Auffassung (Bewußtseinstrübung), dem Mangel an Interesse (alte Leute), schlechter Aufmerksamkeit. Darüber hinaus muß jedoch auch angenommen werden, daß die Möglichkeit der Engrammbildung im Gehirn herabgesetzt ist. Wir finden eine Merkstörung schon bei alten Leuten, die neue Eindrücke nicht mehr gut behalten und deshalb gern in alten Erinnerungen schwelgen, die um so frühere Zeiten betreffen, je stärker die Störung wird. Sie ist bei der senilen Demenz besonders ausgeprägt. Klinisch wirken sich diese Störungen dahin aus, daß die Orientierung über Ort und Zeit verloren geht. Namentlich das Zeitgedächtnis läßt schnell nach, und zwar pflegen die Kranken zuerst die Jahreszahl zu vergessen, während der Monat und selbst das Datum vielleicht noch gewußt werden. Bei stärkerer Ausprägung gehen auch diese verloren, und die gesamten zeitlichen Verhältnisse werden durcheinander geworfen. Man wird alten Leuten, die derartige Defekte haben, als Angeklagten glauben müssen, daß sie Wesentliches ihrer strafbaren Handlungen vergessen haben. Als Zeugen sind sie dann gefährlich, wenn sie versuchen, ihre Gedächtnislücken durch C o n f a b u l a t i o n e n auszufüllen. Das ist namentlich beim Korsakowschen Symptomenkomplex der Fall, der durch besonders starke Merkfähigkeitsstörungen, durch Neigung zu confabulieren und durch starke Suggestibilität ausgezeichnet ist, vermöge deren es leicht gelingt, die Kranken zu allen möglichen phantastischen Aussagen zu bestimmen. Im allgemeinen sind derartige Confabulationen, die auch bei Paralytikern und Manischen vorkommen, wobei sie durch deren optimistische Stimmungslage begünstigt werden, unschwer zu erkennen. Auch vor Gericht fallen die Kranken sehr bald dadurch auf, daß sie sich in Widersprüche verwickeln oder Unmögliches behaupten. Von diesen Confabulationen sind zu unterscheiden die p s e u d o l o g i s t i s c h e n E r z ä h l u n g e n gewisser Psychopathen1). Diese *) Eine genauere Darstellung findet sich später; die erste Darstellung dieser Typen stammt von D e l b r ü c k , Die pathologische Lüge und die psychisch abnormen Schwindler, Stuttgart 1891.
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sind verschieden zu bewerten: sie sind meist nichts anderes als bewußte Schwindeleien; mit manchen aber geht die Lust am Fabulieren durch, und in ihrer Erinnerung fälscht sich das Erzählte zu wirklich Erlebtem um. Dieses Gemisch von Lüge und Erinnerungsfälschung kann gefährlich werden, wenn irgendein bestimmter Zweck verfolgt wird, wenn Animosität oder Geltungssucht mitspielt. Dann werden sexuelle Attentate, Raubüberfälle, Entführungen, Vergiftungsversuche erfunden und manchmal so glaubhaft begründet, daß es zu Verurteilungen kommt. B u m k e ' j berichtet über einen derartigen Fall aus München, wo die Geschworenen eine von ihrem Dienstmädchen des Giftmordversuchs beschuldigte Frau auf Grund mehrerer ärztlicher Gutachten verurteilten. Gefährlich sind auch die leichteren Fälle dieser Art: sie erfinden keine g r o ß e n Geschichten, verstehen aber sich in ein übertrieben gutes Licht zu setzen, reden von den großen Aufgaben, die sie zu erfüllen haben, vergießen Tränen der Rührung über das fabelhafte Ansehen, das sie deswegen angeblich genießen, und behaupten unter Umständen mit dem Brustton der Uberzeugung und daher oft auch in überzeugender Weise alle möglichen Dinge, wobei sie sehr geschickt Widersprüche überbrücken. Sie sind als Zeugen besonders gefährlich, weil sie in der kurzen Zeit der Verhandlung nicht in ihrer Wesensart erkennbar sind. Sie haben in den politischen Prozessen der letzten Jahre sicher eine unheilvolle Rolle gespielt 2 ). Sind an 'den Confabulationen wie an den pseudologischen Erzählungen Erinnerungsfälschungen beteiligt, so spielen in anderen Fällen G e d ä c h t n i s a u s f ä l l e eine Rolle. Es ist selbstverständlich, daß man für die Zeit einer Bewußtlosigkeit, etwa einer tiefen Ohnmacht, keine Erinnerung hat. Man weiß noch, wie einem schwarz vor Augen wurde und daß man umfiel; aber dann kommt bis zum Wiedererwachen eine Lücke, die ohne weiteres sich dadurch erklärt, daß man während dieser Zeit nichts auffassen und daher auch nichts merken konnte. Anders ist es schon unter der Wirkung starker Schlafmittel. Ich hatte nach dem Aufwachen aus einem Schlaf, den eine mir versehentlich verabfolgte vierfache Maximaldosis von Scopolamin verursacht hatte, eine allerdings dunkle Erinnerung, daß ich irgendwie gefallen sei. Ich war in der Tat aus dem Bett gestiegen und dabei gefallen. Es gibt nun aber Gedächtnisausfälle nach Schädelverletzungen oder Hirnerschütterungen mit Bewußtseinsverlust, nach Erhängungsversuchen, Kohlenoxydvergiftungen, Schlaganfällen usw., die sich über die Zeit der Bewußtlosigkeit hinaus um Stunden, Tage, ja selbst Wochen ausdehnen, so daß der Betroffene also nicht weiß, !
) Lehrbuch, S. 211. t Vom Sondergericht in Marburg wurden daher in allen irgendwie zweifelhaften Fällen auch eingehende Berichte über die Zeugen eingeholt mit dem Ergebnis, daß sich nicht selten das Zeugnis solcher Personen als völlig wertlos erwies. 2
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was v o r der Verletzung passiert ist. Man bezeichnet diese Erscheinung als r e t r o g r a d e A m n e s i e . Ähnliche Beobachtungen sind auch bei epileptischen Anfällen gemacht worden; sie können hier vielleicht auf eine schon vor dem Anfall bestehende Bewußtseinstrübung zurückgeführt werden. Nun erscheint eine retrograde Amnesie nicht wie ein aus dem übrigen Gedächtnisbesitz ausgestanztes Loch; es gibt nach rückwärts vielmehr Übergänge: neben der Zeit des vollständigen Erinnerungsausfalls steht eine Periode mit einzelnen Erinnerungen, die nach rückwärts an Zahl und Deutlichkeit zunehmen. Diese Amnesien sind theoretisch interessant und wichtig: es muß aus ihnen geschlossen werden, daß zum Fixieren von Gedächtnisspuren im Gehirn, zur Bildung von Engrammen eine gewisse Zeit benötigt wird. B u m k e 1 ) berichtet über einen 25jährigen Mann, der sich in suicidaler Absicht einen Gehirnschuß beibrachte. Er hatte keine Erinnerung an die vier Tage der Bewußtlosigkeit und an zwei Tage vor der Tat (in denen die Motive zum Selbstmordversuch lagen); dann folgten nach rückwärts für etwa zwei Wochen Bruchstücke in Gestalt summarischer und traumhafter Eindrücke und endlich nachweislich unsichere und namentlich zeitlich falsch orientierte Erinnerungen noch für die letzten zwei bis drei Jahre. Die forensische Bedeutung der retrograden Amnesien ist namentlich für die Rekonstruktion von Unfällen nicht gering. Wenn etwa jemand über den Hergang eines Autounfalls, bei dem er bewußtlos wurde, nichts weiß, so kann ihm das nicht widerlegt werden, auch dann nicht, wenn er ein Interesse an dem Nichtwissen hat. Ähnliches gilt für Schlägereien. Wenn freilich jemand eine Erinnerungslücke behauptet, die nicht im unmittelbaren Anschluß an den Unfall (oder die Krankheit) vorhanden war, sondern erst später aufgetreten ist, so ist die organische Genese auszuschließen; dann liegt entweder eine psychogene Störung oder Simulation vor. Die Beurteilung der Gedächtnisstörungen Geisteskranker ist nicht immer ganz leicht. Vielfach kommt es zu Erinnerungsfälschungen. Bestimmte Regeln lassen sich dafür nicht aufstellen. Bei Schwachsinnigen ist nicht nur die Merkfähigkeit meist recht gering; sie lügen auch gern obendrein, um irgend etwas zu erreichen. Meist lassen sich ihre Lügereien leicht als solche erkennen. Eine meiner Kranken beschuldigte z. B. einen älteren Pfleger des oft wiederholten Geschlechtsverkehrs mit ihr; es stellte sich sehr schnell heraus, daß ihre Behauptungen völlig unmöglich waren. Sie hoffte auf diese Weise entlassen zu werden. Ein unentwirrbares Gemisch von Wahrheit und Dichtung sind meist die Angaben manischer und hypomanischer Kranker; sie sind daher als Zeugen in der Regel nicht brauchbar. Depressive Kranke neigen zu Selbstbeschuldigungen; manchmal ist an ihnen ein wahrer Kern, der dann aber ins Maßlose übertrieben wird. Paralytiker, namentlich die euphorisch') Lehrbuch, S. 43.
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manischen, sind außerordentlich suggestibel. Viele Angaben Geisteskranker über Mißhandlungen entspringen ihren Verfolgungsideen und Sinnestäuschungen. Von den Angehörigen werden sie oft genug geglaubt. Ist ein Kranker noch in ärztlicher Behandlung oder doch kürzlich gewesen, so ist jedenfalls der behandelnde Arzt hinzu zu ziehen, wenn die Glaubwürdigkeit zu beurteilen ist. Ich habe dabei freilich auch die Erfahrung gemacht, daß ein Arzt, selbst leicht hypomanischer Pykniker, die Glaubwürdigkeit eines manischen Kranken behauptete, weil es ihm in den Kram paßte. Bei abgelaufenen Geisteskrankheiten muß daran gedacht werden, daß die krankhaften Erlebnisse während der Psychose nach Ablauf derselben gern umgemodelt werden; es wird versucht, sie in normalpsychologischer Weise zu deuten. Auch dazu müssen schlechte Behandlung, sexuelle Attentate u. dgl. herhalten. Ganz kurz sei noch auf die Errichtung eines Testaments durch Greise eingegangen. Die Notare begnügen sich in solchen Fällen manchmal mit dem äußeren Eindruck. Die wenigen Fragen, die gestellt werden, werden richtig und sinngemäß beantwortet; das genügt ihnen in der Regel. Der äußere Eindruck täuscht aber. Eine kurze Prüfung namentlich des Zeitbewußtseins (Fragen nach der zeitlichen Einordnung bemerkenswerter Ereignisse der letzten Jahre) würde in vielen Fällen den Verdacht der Testierunfähigkeit aufkommen lassen und dadurch die Möglichkeit geben, diese Frage durch eine fachärztliche Untersuchung zu klären.
Störungen des Denkens Wir unterscheiden f o r m a l e und i n h a l t l i c h e D e n k s t ö r u n g e n . Die ersteren sind forensisch ohne größere Bedeutung; sie sollen trotzdem ganz kurz abgehandelt werden, um dem Juristen das Verständnis psychiatrischer Gutachten zu erleichtern. Unser Denken operiert mit V o r s t e l l u n g e n und B e g r i f f e n . Vorstellungen sind Anschauungsbilder, die sich von den Wahrnehmungen durch ihre Bildhaftigkeit und ihren Subjektivitätscharakter — Wahrnehmungen erscheinen leibhaftig und haben Objektivitätscharakter — unterscheiden. Aus ihnen entstehen im Laufe langer Zeiten Begriffe, die zunächst noch ihre Entstehung aus der Anschauung erkennen lassen, in ihren höchsten und reinsten Formen jedoch schließlich des Anschaulichen gänzlich entkleidet sind. Voraussetzung für eine solche abstrakte Begriffsbildung ist eine hochentwickelte Sprache. Primitive Völker z. B. haben besondere Worte für einen Mann, der steht, einen Mann, der geht, einen Mann, der ißt usw., sie haben aber kein Wort für den Begriff „Mann" schlechthin. Weil ihrer Sprache abstrakte Begriffe fehlen, ist es ihrem Denken unmöglich, sich zu der Höhe des entwickelten Denkens hochkultivierter Völker zu erheben. Es ist jedoch ein Irrtum zu meinen, daß ihnen diese Denkfähigkeit fehle. Gibt man ihnen das Werkzeug
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einer entsprechenden Sprache, so sind auch sie durchaus zu logischbegrifflichem Denken befähigt; es sind dann nur graduelle Unterschiede vorhanden 1 ). Auch das Kind lernt erst langsam mit abstrakten Begriffen umzugehen; kennzeichnend ist die Unfähigkeit dazu für Schwachsinnige, namentlich auf dem Gebiet der Zahlen: sie lösen etwa die Aufgabe: „3 Äpfel plus 5 Äpfel" sofort, dagegen nicht die Aufgabe: „3 plus 5". Unser Denken ist nun ein geordnetes, inneres Handeln, dem als Material Vorstellungen, Begriffe, aber auch wieder Urteile und Gedanken dienen. Es würde zu weit führen, hier auf die Gesetze des Denkens einzugehen. Es mag nur erwähnt werden, daß dabei die sog. Assoziationsgesetze eine Rolle spielen, daß das Auftauchen von Assoziationen von der jeweiligen Konstellation abhängig ist, und daß jedes geordnete Denken eine Aufgabe, ein Ziel hat. Bei der Verfolgung dieses Ziels werden im allgemeinen nur die Vorstellungen und Gedanken zugelassen, die der Erreichung dieses Zieles dienlich sind. Wie das zu erklären ist, wissen wir nicht; wir wissen nur, daß die Auswahl der auftauchenden Vorstellungen usw. nicht in unserem Bewußtsein erfolgt. Wichtig ist, daß affektive Regungen das Denken stark beeinflussen, daß ganz besonders aber unsere Wünsche und unser Wille bei der Zulassung und Ablehnung von Denkmaterial eine maßgebliche Rolle spielen. Auch innerhalb der normalen Breite ist das formale Denken der Menschen recht verschieden: der eine beschränkt sich auf das Wesentliche und weiß es mit wenigen treffenden Worten zu sagen; am anderen Pol der Reihe stehen jene schwer ertragbaren Menschen, bei denen man nach einer halben Stunde immer noch nicht weiß, was sie eigentlich wollen, die tausend belanglose Einzelheiten berichten, bei denen das Wesentliche in den Hintergrund tritt. Der eine denkt schnell, ihm strömen die Gedanken zu; dem anderen fließen sie spärlich und träge. Wir finden solche Arten des Denkens aber auch bei Kranken, wo es pathologisch wirkt, entweder weil die Abartigkeit des Denkens übersteigert erscheint, oder weil der Betreffende früher anders gedacht hat. Scharfe Grenzen gegenüber dem Gesunden gibt es hier nicht. Zunächst findet sich das u m s t ä n d l i c h e Denken bei organischen Hirnerkrankungen. Dabei geht, wie schon gesagt wurde, der Blick für das Wesentliche verloren. Das Ziel wird zwar im Auge behalten, aber Wichtiges und Unwichtiges wird in derselben Breite behandelt; der Kranke kommt nicht vom Fleck. Unter P e r s e v e r a t i o n oder H a f t e n verstehen wir einmal die stete Wiederkehr desselben Gedankens, vor allem aber die fälschlich gegebene gleiche Antwort auf verschiedene Fragen. Beispiel: Dem Kranken werden Bilder von Vögeln gezeigt. Das erste Bild bezeichnet er richtig als Schwan; die folgenden Bilder (Storch, S. dazu R. T h u r n w a l d , Z. f. Psychologie 147, 1940, S. 328.
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Adler usw.) werden auch mit Schwan benannt. Diese Hafttendenz, die bei organischen Defektzuständen, namentlich aber bei der Epilepsie hervortritt, läßt sich im Assoziationsversuch und im R o h r s c h a c h sehen Formdeuteversuch auch in ihren leichteren Formen gut nachweisen. Als S t e r e o t y p i e bezeichnet man gleichförmige, immer wiederholte Bewegungen, sprachliche Äußerungen oder auch gleiche, oft sinnlos erscheinende Gedanken, die ganz unabhängig von der jeweiligen Denksituation sich immer wieder durchsetzen. Wir finden derartige Störungen, die auch im Gesunden vorgezeichnet sind, vornehmlich bei Schizophrenen. Die D e n k h e m m u n g ist das Kennzeichen namentlich der depressiven und melancholischen Zustände. Das Denken fällt in solchen Zuständen ausgesprochen schwer; es bedarf der Anstrengung, um überhaupt zum Ziel zu kommen, das sehr verlangsamt erreicht wird. Dabei pflegt die Vigilität der Aufmerksamkeit und ebenso die Ablenkbarkeit herabgesetzt zu sein. Die W e i t s c h w e i f i g k e i t hat mit der Umständlichkeit gemeinsam, daß bei ihr Wesentliches und Unwesentliches mit der gleichen Liebe behandelt wird. Sie unterscheidet sich von ihr dadurch, daß das Denkziel leicht verloren geht. Sie geht unscharf über in die I d e e n f l u c h t , bei der infolge der erhöhten Vigilität der Aufmerksamkeit und der gesteigerten Ablenkbarkeit die ursprüngliche Denkaufgabe verloren geht, bei der jeder neue Eindruck — und solche Eindrücke und innere Bilder strömen fortgesetzt zu — ein neues Denkziel setzt, das sogleich zugunsten des nächsten wieder aufgegeben wird. Dabei bleibt wenigstens ein äußerer Zusammenh a n g gewahrt. Beispiel1): Ein Kranker wird gefragt: „Wie gehts?" Er antwortet: „Es geht, wie's steht. In welchem Regiment haben Sie gestanden? Herr Oberst ist zu Hause. In meinem Hause, in meiner Klause. Haben Sie Dr. Klaus2) gesehen? Kennen Sie Koch, kennen Sie Virchow? Sie haben wohl Pest oder Cholera? Ach, die schöne Uhrkettel Wie spät ist es?" Die Ideenflucht ist das Kennzeichen manischer Zustände. Gelegentlich findet man die sog. i d e e n f l ü c h t i g e Denkhemmung, bei der gleichzeitig Gedankendrang und Unfähigkeit, einen einzigen zusammenhängenden Gedanken zu fassen, vorhanden sind. Das i n k o h ä r e n t e D e n k e n hat mit dem ideenflüchtigen gemeinsam, daß das Denkziel nicht festgehalten werden kann; das Hauptthema klingt jedoch immer wieder durch. Wir erleben derartiges bei starker Ermüdung. In stärkerer Form tritt es zusammen mit einem Zerfall der Begriffe im Traum und im Zustande der Bewußtseinstrübung auf. Beispiel (Fieberdelir)3): „Denk mal, seit einer halben Stunde war ich 1
) Von L i e p m a n n , zit. von B u m k e , Lehrbuch, S. 49. ) Ein Lustspiel. 3 ) Aus B u m k e , Lehrbuch, S. 56; gekürzt.
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tot; da kam der Pastor und hat mich gestochen. Mein Knochen ist schräg durchschlagen. Ob unser Silberzeug alles verpackt ist? Nun streiten sie wieder alles, ich hatte das neue Testament noch gar nicht gesehen von dem Schwiegervater. Alles tot. Ich möchte meine Kassette mal selbst sehen. Man liegt da unter solchem Drahtbett und wird durchstochen. Uberall sind zerfetzte Fahnen ausgehangen. Mutter, hast Du auch ein warmes Tuch? Ein roher Arbeitsmann hat hier gewaltet statt eines Chirurgen, mein Knochen — dafür will ich Entschädigung haben."
Das z e r f a h r e n e D e n k e n ist ein typisches Symptom der Schizophrenie. Es ist äußerlich vom inkohärenten Denken nicht zu unterscheiden, kommt aber auf andere Weise zustande und wird namentlich in grammatisch geordneter Weise, oft mit lebhaften Gesten und im Brustton der Uberzeugung vorgebracht. Das Denkresultat wird ungewöhnlich und oft logisch falsch, weil die heterogensten Elemente miteinander in völlig gesetzloser Weise verknüpft werden, der Gedankengang an jeder beliebigen Stelle unterbrochen wird. Von den leichteren Formen des s p r u n g h a f t e n D e n k e n s führt eine ununterbrochene Reihe zu den schwersten Formen des Wortsalats.
Beispiel 1 ): „Sie studierter Herr Chefarzt, dürfte ich mit Ihnen ohne Brille unter vier Augen reden? Eine Schachtel Zigaretten kostet jetzt im Kriege 20 Pfennig. Ich würde lachen. In Finsterbergen haben wir einen Tunnel, Herr Chefarzt, geben Sie das zu unter vier Augen? Mit dem Spiegel und dem Wasser. Bier trinken kann ein jeder. Punktieren und dergleichen hängt mit dem Weltuntergang und der Wanduhr zusammen."
Einen Übergang zu den inhaltlichen Denkstörungen bildet das Zwangsdenken!). Westphal definiert: „Zwangsvorstellungen sind Vorstellungen, die, ohne daß ihre normale Gefühlsbetonung das erklärt, unter dem Gefühl des Zwanges in das Bewußtsein treten, sich durch Willensanstrengung nicht verscheuchen lassen und deshalb den Ablauf der Vorstellungen hindern und durchkreuzen, obwohl sie vom Kranken stets als ohne Grund determinierend und meist auch als inhaltlich falsch und als krankhaft anerkannt werden." Wir kennen auch im gesunden Seelenleben solche Vorgänge, etwa als Melodien, die wir nicht wieder loswerden können. Das krankhafte Zwangsdenken entspricht Triebregungen, die nicht restlos verdrängt und mit der moralischen Einstellung des Kranken nicht vereinbar sind. So kann z. B. hinter der Zwangsvorstellung schmutzig zu sein, die abgelehnt wird, aber trotzdem zum Waschen führt, eine tatsächliche oder triebhaft gewünschte moralische Beschmutzung stecken. So wichtig diese Störungen für die Diagnose sind, so gering ist ihre forensische Bedeutung. Sie werden darin bei weitem übertroffen von den i n h a l t l i c h e n D e n k s t ö r u n g e n , die wir als ü b e r w e r t i g e I d e e n und als W a h n i d e e n oder W a h n Aus K l o o s , Grundriß, S. 135; gekürzt. ) Siehe dazu das Kapitel „Psychopathische Persönlichkeiten" unsichere). 2
(Selbst-
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V o r s t e l l u n g e n kennen. Die Ausdrücke „Idee" und „Vorstellung", wie sie herkömmlicherweise gebraucht werden, sind nicht ganz richtig; tatsächlich handelt es sich um wahnhafte Urteile oder Überzeugungen, oder wie man auch sagen kann, um krankhaft entstandene, durch nichts korrigierbare Irrtümer. Gewissermaßen eine Vorform der Wahnideen sind die sog. ü b e r w e r t i g e n I d e e n . Dabei handelt es sich um Überzeugungen mit starker Affektbetonung, die das gesamte Denken des Betroffenen beeinflussen. Wir finden sie auch normalerweise, und zwar überall dort, wo es sich nicht um Wissen, sondern um Glauben handelt, d. h. dort, wo eine Berichtigung durch die Wirklichkeit, durch Beweise nicht möglich ist. Sie spielen eine Rolle im Sektenwesen, im politischen Leben, aber auch bei der Liebe und beim Haß. Der Inhalt solcher Ideen kann richtig sein, er ist aber unbeweisbar; sobald er verwirklicht werden kann, verliert die Idee den Charakter des Abnormen 1 ). Manche dieser überwertigen Ideen können allmählich zu Wahnideen ausgebaut werden; sie mögen anfangs noch einer gewissen Korrektur zugänglich sein, mögen sich auch innerhalb gewisser Grenzen noch verändern (mobile Wahnideen), können aber schließlich in ein festgefügtes System einmünden. Die W a h n i d e e n teilt man nach ihrer Entstehungsweise in zwei große Gruppen: 1. die aus Affekten, aus Erlebnissen, aus Trugwahrnehmungen verständlich hervorgegangenen sekundären Wahnideen, die meist als w a h n h a f t e I d e e n bezeichnet werden, und 2. die sog. primären, echten, psychologisch nicht ableitbaren Wahnideen, die phänomenologisch etwas Letztes sind. Auch sie erfahren allmählich vielfach eine psychologisch verständliche Verarbeitung. Zu der ersten Gruppe der wahnhaften Ideen gehört z. B. der Q u e r u l a n t e n w a h n in seiner überwiegenden Zahl. „Nach irgend einer tatsächlichen oder vermeintlichen Kränkung seines Rechtsbewußtseins versucht der Querulant immer erneut, eine Berichtigung des Unrechts herbeizuführen. Von Behörden, Staatsanwaltschaft, Gerichten, Obergerichten, Ministerien immer erneut abgewiesen, kommt er schließlich zu dem unkorrigierbaren Irrtum, die Richter, die eigenen Anwälte seien bestochen, die Zeugen hätten Meineide geleistet, man unterdrücke ihn, den Kranken, deshalb, weil man nicht Gefahr laufen wolle, den Sumpf der Justiz an die Öffentlichkeit zu bringen" 2 ). Aus depressiver Stimmung heraus entstehen in ähnlicher Weise h y p o c h o n d r i s c h e , K l e i n h e i t s - und V e r s ü n d i g u n g s i d e e n 3 ) , aus der gehobenen Stimmung der Manischen Jl So galt Graf Zeppelin lange Zeit als Träger einer überwertigen Idee oder gar als wahnkrank, bis der Erfolg die Richtigkeit seiner Behauptungen erwies. 2) L a n g e - B o s t r o e m , Lehrbuch, S. 45. 5 ) S. aber unten.
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oder der Paralytiker die freilich meist mobilen G r ö ß e n i d e e n . Der mißtrauische Alte, der etwas verlegt hat und es nicht wieder findet, glaubt bestohlen zu sein; der Paranoide schließt aus Trugwahrnehmungen auf Verfolger und leitet nach dem Motto: „Viel Feind, viel Ehr" wiederum daraus die Überzeugung ab, etwas Besonderes zu sein, und dergleichen mehr. Bei der zweiten Gruppe entsteht der Wahn sozusagen aus dem Nichts; er ist plötzlich da, begünstigt vielfach durch eine besondere Stimmungslage, die W a h n s t i m m u n g : dem Kranken ist unheimlich zu Mute, es liegt etwas in der Luft, alles erscheint verändert, in besonderer Beleuchtung, eine mißtrauische, unbehagliche, unheimliche Spannung erfüllt ihn. In dieser, für den Kranken schwer erträglichen Lage bedeutet jeder bestimmte Gedanke, sei er auch noch so falsch, eine Erleichterung. Doch ist in vielen Fällen diese Wahnstimmung so wenig ausgeprägt, daß nur ganz intensives Befragen des Kranken sie ans Licht bringt; manchmal ist auch die Wahnidee plötzlich da und hat gerade deshalb eine so überzeugende Gewalt. Abgesehen von der Entstehungsweise ist die Wahnidee zu erkennen an der Unmöglichkeit ihres Inhalts und an ihrer Unkorrigierbarkeit. Der Inhalt der Wahnideen ist unmöglich. Viele Laien meinen, daß er ganz unsinnig sein müsse; dadurch unterscheidet er sich jedoch nicht von dem, was auch von anderen, Nichtgeisteskranken geglaubt wird. Der Aberglaube auch Gebildeter leistet in dieser Beziehung manchmal Erstaunliches, oft offenbar aus einem gewissen mystischen Bedürfnis heraus. Es sei nur an das Hellsehen und a n die Materialisationen Verstorbener erinnert, auf die Großkaufleute und ernst zu nehmende Wissenschaftler hereinfielen 1 ). Die Art des Aberglaubens hängt dabei von der Bildung und der sozialen Schicht ab. In primitiveren bäuerlichen Schichten spielt der böse Blick, das „Versehen" von Vieh, Hexerei und Zauberei noch immer eine größere Rolle als man gewöhnlich denkt. Das kann durchaus noch gesund sein. Es ist nicht immer leicht zu entscheiden, ob es sich, um eine in den Bereich des Normalen gehörige abergläubische Meinung oder um eine Wahnidee handelt. Diagnostisch ist in solchen Fällen die Art der Entstehung wichtig. Der Wahn ist schließlich unkorrigierbar. Audi hier ist eine scharfeScheidung gegenüber dem normalen Irrtum oder der noch gesunden abergläubischen Vorstellung kaum zu ziehen. Man versuche einmal,, jemanden, der an Hellsehen glaubt oder an die Fähigkeiten der weisen Frau, Vieh zu verhexen oder zu heilen, von der Unrichtigkeit seiner Meinung zu überzeugen; man wird zunächst alle möglichen, ') Ein Dokument der vorletzten Jahrzehnte ist in dieser Beziehung das. Buch von O 1 d e n , Propheten in deutscher Krise, Rowoldt-Verlag, Berlin 1932. Bemerkenswert ist auch H e n n i n g , Die Entlarvung der Hellseher,, Ztschr. f. Psychologie 80, S. 104.
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nicht stichhaltigen Einwendungen über sich ergehen lassen müssen, und wenn das nicht hilft, deutlicher Ablehnung begegnen. Der Landarzt, der auf diese Weise die Konkurrenz der Dorfalten ausschalten wollte, würde sehr bald erfahren, daß er dabei den kürzeren zieht Dennoch ist die Überzeugungskraft, mit der der Wahnkranke an seine Ideen glaubt, seine innere Sicherheit, viel größer als die des gesunden Aberglaubens. Zweifel an der für ihn unumstößlichen Gewißheit gibt es nicht. Ein gewisser, freilich auch nicht durchgängiger Unterschied besteht darin, daß der Abergläubische mit seinem Glauben zurückhält; er geniert sich damit zu kommen, weil ihm die zu erwartende Kritik anderer peinlich ist. Er möchte seinen Glauben auch nicht erschüttern lassen und er fürchtet, daß das geschehen könnte. Der Wahnkranke dagegen fordert die Kritik gern heraus; er sucht von sich aus zu überzeugen. Freilich gibt es auch hier Kranke, die ihren Wahn jahrelang für sich behalten, nie darüber reden, und andere, die nicht mehr davon sprechen und ihn bei Fragen danach ablehnen. In der Regel ist es nicht schwer, Wahnideen festzustellen und als solche zu erkennen. In manchen Fällen stößt die Differentialdiagnose gegenüber dem noch in die normale Breite gehörigen Glauben (Sekten) und Aberglauben auf Schwierigkeiten, und man wird erst aus der Würdigung der Gesamtpersönlichkeit, ihrem Gewordensein und ihrem gegenwärtigen Zustand zu einer Entscheidung kommen. Das Mittel, um überhaupt zu erfahren, ob eine Wahnidee vorliegt oder nicht, ist die Aussprache. Dabei kommt es auf das Vertrauen des Patienten zum Arzt an. Nach ihrem Inhalt unterscheidet man verschiedene Arten von Wahnideen. Wir besprechen zunächst die d e p r e s s i v e n W a h n i d e e n , die man wieder in m e l a n c h o l i s c h e und h y p o c h o n d r i s c h e Ideen unterteilt. Die m e l a n c h o l i s c h e n W a h n i d e e n entstehen stets auf der Grundlage einer depressiven Stimmungslage; ob sie sich hier sekundär entwickeln, was zweifellos der Fall sein kann, oder ob sie der Depression koordiniert sind, ist nicht immer sicher zu entscheiden. In der Mehrzahl der Fälle trifft m. E. das letztere zu. Wenn z. B. ein Kranker, der eben Besuch von seiner Frau gehabt hat, behauptet, sie sei schon lange tot, so ist eine solche Idee aus der Depression heraus nicht mehr verständlich abzuleiten; man wird annehmen müssen, daß sie neben der Depression primär entstanden ist. Im allgemeinen sind es Ideen der Kleinheit, Minderwertigkeit, Versündigung, Schuldgedanken, Befürchtungen mancherlei Art, z. B. vor Strafe oder Höllenqualen usw., die unter diese Gruppe fallen. Forensisch spielt bei diesen Kranken namentlich der erweiterte Selbstmord eine Rolle, aber auch der Selbstmord allein, wenn er zu Schadenersatzansprüchen seitens der Angehörigen führt. Daß inj erstgenannten Falle Exculpierung geboten ist, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Beim zweiten handelt es sich um die Aufsichts-
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pflicht der Anstalt, des Arztes, des Pflegepersonals. Solche Fälle sind häufiger als man denkt1), und ich habe nicht immer — glücklicherweise nur „nicht immer" — den Eindruck gewonnen, daß die Juristen ausreichendes Verständnis für die Anstaltssituation hatten. Auch bei bester Aufsicht ereignen sich Selbstmorde, die nicht vorhersehbar sind2). Weiter kommen derartige Kranke dadurch mit dem Strafrichter in Berührung, daß sie sich fälschlich aller möglichen Verbrechen bezichtigen, und zwar sowohl' wirklicher, aber von anderen Personen begangener wie solcher, die nur in ihrer Einbildung existieren. Manchmal ist es nicht ganz einfach, diese Selbstbeschuldigungen zu entkräften, wenn es sich z. B. um Steuerhinterziehung, Schwarzhandel o. dgl. handelt. Daß auch zivilrechtlich die Geschäftsfähigkeit stark beeinträchtigt oder aufgehoben ist, liegt auf der Hand. Wichtig ist das für Testamentsänderungen, aber auch für falsche Konkursanmeldungen, Rücktritt von Verträgen u. dgl. Auch die Entmündigung kann geboten sein. Die h y p o c h o n d r i s c h e n W a h n i d e e n betreffen den eigenen Körper, an dem irgendein unheilbares Leiden angenommen wird. Die entsprechenden Ideen reichen von den möglichen Leiden, etwa Krebs, Syphilis, Tuberkulose zu den merkwürdigsten Vorstellungen: die Speisen gehen durch die Speiseröhre unmittelbar in den Mastdarm, die Kranken sind ganz verfault, in ein Tier oder einen Stein verwandelt usw. Forensisch kommt gleichfalls Selbstmord in Betracht; in seltenen Fällen werden andere als Urheber des Leidens angesehen, und es kann einmal zu Angriffen auf sie kommen. Im übrigen gilt das für die melancholischen Wahnideen Gesagte. Für unsere Betrachtungen wichtiger ist die Gruppe der V e r f o l g u n g s i d e e n einschließlich des B e z i e h u n g s w a h n s . Den letzteren veranschaulicht am besten ein Beispiel, das von H o c h e mitgeteilt ist3). „Cand. phil. O., 26 Jahre alt, Onanist. Nach monatelangen allgemeinen Erscheinungen während der Examensarbeiten wachsendes Mißtrauen gegen seine Umgebung; Bekannte, Briefboten, Schaffner grüßen anders oder sehen weg; am Biertisch werden unwahrscheinliche Dinge erzählt, um seine Intelligenz zu prüfen; ein Eisenbahnschaffner macht den anderen auf ihn aufmerksam; die Kellner geben ihm zu viel heraus, um zu zeigen, daß er ein armer Tropf sei, der es nötig habe; am Kegelabend erzählt der Wirt, daß er Kegel mit hohlen Köpfen angeschafft habe, um ihm zu verstehen zu geben, daß er ein ,Hohlkopf' sei; seine Wirtin untersucht sein Bettlaken auf .Onaniespuren; Zeitungen, die er sich bestellt, werden nur teilweise S. auch S. 108 f. ) Beispiel: Ein Friseur, der ein Rasiermesser vorn in der Tasche seiner Jacke trug, ging durch ein Krankenzimmer. Ein Kranker sprang plötzlich aus dem Bett, riß ihm das Rasiermesser aus der Tasche und schnitt sich damit den Hals durch, obwohl eine entschlossene Pflegerin es mit aller Kraft zu verhindern suchte. 3 ) Handbuch III, S. 276. 2
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geliefert, um ihm bestimmte Mitteilungen über ihn, die in den fehlenden Nummern stehen, vorzuenthalten; . . . im Gespräch fallen fortwährend ,Stichworte' aus seinen Briefen usw."
Es sind im allgemeinen mißtrauische Menschen oder solche, die episodisch zu Mißtrauen neigen, die soldien w a h n h a f t e n Deutungen unterliegen: alles, was in der Umgebung geschieht, steht dann in irgendeiner Beziehung zu ihnen, hat irgendeine auf sie bezügliche Bedeutung, die oft gar nicht verständlich erscheint 1 ). Aus dem einfachen Beziehungs- und Bedeutungswahn k a n n sich ein V e r f o l g u n g s w a h n entwickeln. Das kann entweder auf Grund von Sinnestäuschungen geschehen oder aber aus dem Versuch heraus, die Beziehungsideen ursächlich zu erklären. Freilich ist auch das Denken in solchen Fällen nicht als normal anzusehen; es steht unter dem Einfluß stark affektbetonter determinierender Tendenzen. Sinnestäuschungen und W a h n i d e e n sind koordinierte Erscheinungen, die sich gegenseitig stützen und gewissermaßen ihr Material austauschen. In diese Gruppe gehören auch die E i f e r s u c h t s i d e e n und der Q u e r u l a n t e n w a h n (s. oben). Forensisch führen derartige Ideen zu Beleidigungen, falschen Anschuldigungen, aber auch zu gewalttätigen Handlungen bis zu den schwersten Formen derselben. Daß auch einmal zivilrechtliche Folgerungen aus solchen wahnhaften Vorgängen gezogen werden, möge der folgende Fall zeigen: Eine Frau in mittlerem Alter mit einer 14jährigen unehelichen Tochter verklagte einen Oberleutnant der Polizei auf Alimentenzahlung; dieser bestritt die Vaterschaft und überhaupt Geschlechtsverkehr mit der Frau. Es stellte sich folgendes heraus: Die Frau hatte in der fraglichen Zeit in einem Braunschweiger Park nachts einen Fahnenjunker kennengelernt und an Ort und Stelle sogleich intimen Verkehr mit ihm gehabt. Sie wußte weder seinen Namen, noch hatte sie ihn jemals bei Tageslicht gesehen; als sie ihn kennenlernte, war es dunkel. Jetzt, nach über 15 Jahren, war sie Reinmachefrau in der Kaserne der Hamburgischen Polizei geworden. Eines Tages sollte sie das Zimmer des Oberleutnants säubern, der krank im Bett lag. Sie befand sich an jenem Tage in einer eigenartigen, erwartungsvollen Stimmung. „Als ich ins Zimmer ging, wußte ich genau, daß der Oberleutnant derjenige war, der damals mit mir verkehrt hat; und als ich ihn dann sah, hatte ich keinen Zweifel mehr daran, ich erkannte ihn sofort wieder." Der Offizier war in jenen Jahren nie in Braunschweig oder Umgebung gewesen.
Die forensische Beurteilung mancher dieser Formen ist nicht einfach; es ist das Gebiet, auf dem sich der Streit über die partielle Zurechnungsfähigkeit, über die partielle Geschäftsfähigkeit bzw. -Unfähigkeit abspielt. Auch Ehescheidungsfragen spielen eine, wenn auch nicht bedeutende Rolle. Den depressiven stehen die e x p a n s i v e n oder G r ö ß e n i d e e n gegenüber. Sie entwickeln sich meistens, jedoch nicht ') S. audi das Kapitel „Schizophrenie". L a n g e l ö d d e k e , Gerichtliche Psychiatrie.
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immer bei gehobener Stimmungslage. Die Kranken wähnen, besonders reich, mächtig, begabt zu sein. Das führt sie dazu, sich für Gott, den Kaiser von Atlantis, eine Gräfin, für Milliardäre oder große Erfinder zu halten. Einer meiner Kranken war Jesus, Barbarossa und Friedrich der Große zu gleicher Zeit, war am Kreuz gestorben, was ihn aber nicht hinderte wieder zu leben. Eine Begründung für seine Ideen suchte er nicht; daß er das war, was er wähnte, war ihm selbstverständlich; es bedurfte nach seiner Meinung keiner weiteren Erklärung. Dabei empfinden die Kranken nicht den Widerspruch zwischen ihrer Selbsteinschätzung und der Wirklichkeit. Der „Prinz von Hessen", der meint, die hessische Anstalt gehöre ihm, findet nichts dabei, daß er täglich einen Flur der Anstalt säubert. Forensisch stehen zivilreditliche Fragen im Vordergründe, da die Kranken zu unsinnigen Geldausgaben, Geschäften, Geschenken neigen und so in Kürze ihre Familie an den Bettelstab bringen können. Fragen nach der Geschäftsfähigkeit, nach der Entmündigungsreife sind daher häufig. Strafrechtliche Fragen ergeben sich, wenn die vermeintlichen Interessen der Kranken mit anderen kollidieren, oder wenn sonst die Größenideen sie zu irgendwelchen Handlungen treiben: Diebstähle, Amtsanmaßung, Sittlichkeitsdelikte kommen dabei in Betracht. Im ganzen ist zu sagen: Jede einwandfrei nachgewiesene Wahnidee beweist die geistige Erkrankung ihres Trägers. In strafrechtlicher Beziehung ergibt sich daraus in fast allen Fällen Zurechnungsunfähigkeit. Die Beantwortung der zivilrechtlichen Fragen ist einheitlich nicht möglich. Anders zu beurteilen sind die w a h n h a f t e n E i n b i l d u n g e n der Degenerierten, mancher Hysteriker und Psychopathen. Diese verfolgen irgendeinen Zweck und stehen zum Teil dem Schwindel nahe. Sie klingen auch, sobald die Situation sich für den Betreffenden bessert, schnell ab. Namentlich die Haft ist der Boden, auf dem sie entstehen: das Bestreben, sich vor sich selbst zu rechtfertigen, sich in eine andere, bessere Wirklichkeit hineinzuträumen, auf eine Krankenabteilung zu kommen, sind die dabei mitspielenden Motive. Die entwickelten Ideen sind oft stark übertrieben, lassen aber das Motiv meist noch erkennen. Da sie erst nach der Tat, in der Haft, oder infolge einer besonderen Situation auftreten, sind sie forensisch von untergeordneter Bedeutung.
Störungen der Gefühle, der Stimmung und der Affekte1) „Gefühl" im wissenschaftlichen Sinne ist nicht identisch mit dem, was populär darunter verstanden wird. Den sogenannten fünften Sinn, der allmählich in die verschiedenen Sinnesqualitäten für BeDazu Kurt S c h n e i d e r , Pathopsychologie der Gefühle und Triebe. Leipzig 1935.
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rührung, Schmerz, Temperatur, Lagesinn usw. zerlegt ist, rechnen wir unter die Empfindungen. Als Gefühl dagegen bezeichnen wir unsere innere Anteilnahme an den Erlebnissen, unsere subjektive Stellungnahme zu ihnen. Die wissenschaftliche Analyse dieses schwierigen Gebietes steckt noch in den Kinderschuhen. Manche Psychologen wollen alle Gefühle auf ein einziges elementares Gefühlspaar — Lust/Unlust — zurückführen. Ich glaube nicht, daß man damit auskommt. Wenn man nach dem Vorbilde von W. W u n d t exzitierende und deprimierende, spannende und lösende Elementargefühle hinzunimmt, so wird man zwar keineswegs der Vielfalt der Gefühle gerecht, doch erleichtert diese Annahme das Verständnis namentlich der Affekte. Zuzugeben ist, daß jedes Gefühl eine Lust- oder Unlustkomponente enthält. Alle unsere Erlebnisse sind mit irgendwelchen Gefühlen eng verschmolzen; selbst die alltäglichen Verrichtungen sind nur scheinbar gleichgültig; in Wirklichkeit sind sie es nur so lange, als sie unsere Dauergefühle, unsere Stimmung nicht stören, so lange sie in diese hineinpassen. Andererseits beeinflussen unsere Gefühle unsere Wahrnehmungen, unser Denken und namentlich unser Handeln. Sie sind neben den noch zu besprechenden vitalen Trieben die Motoren, die Triebfedern, die unser Handeln bestimmen. Man kann die Gefühle nach verschiedenen Gesichtspunkten einteilen. Wir unterscheiden nach dem Gegenstand, mit dem sie verknüpft sind, sinnliche und geistige Gefühle. Unter den ersteren sind die für die Psychiatrie wichtigsten die sogenannten Vital- oder Gemeingefühle. W u n d t 1 ) sagt darüber: „Man pflegt speziell dasjenige Totalgefühl, das an die äußeren und inneren Tastempfindungen geknüpft ist, als das G e m e i n g e f ü h l zu bezeichnen, indem man es als das Totalgefühl betrachtet, in welchem der gesamte Zustand unseres sinnlichen Wohl- oder Ubelbefindens zum Ausdruck kommt. Unter dem letzteren Gesichtspunkt müssen aber die beiden niederen chemischen Sinne, Geruchs- und Geschmackssinn, ebenfalls dem Empfindungssubstrat des Gemeingefühls zugerechnet werden." Naturwissenschaftlich gesprochen spiegelt das Gemeingefühl den vegetativen Gesamtzustand wieder. Doch gehen auch Empfindungen der höheren Sinne in dieses Gefühl mit ein: ein schöner sonniger Tag beeinflußt das Gemeingefühl in ganz anderer Weise als ein trüber Regentag. Unter dem Begriff der geistigen Gefühle fassen wir alle jene komplexen seelischen Vorgänge und Erlebnisweisen zusammen, die wir etwa als ästhetische Gefühle, Ehrgefühl, Rechtsgefühl, Familiensinn, logische, ethische Gefühle usw. bezeichnen. Das Gemeingefühl pflegt, wenn auch unter leichten Schwankungen, unter normalen Verhältnissen ein gleichmäßig-dauerndes zu sein. Aus ihm erwächst vornehmlich die S t i m m u n g , das heißt die ) Grundriß der Psychologie, 12. Aufl., Leipzig 1914, S. 193. 15*
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dauernde oder wenigstens länger anhaltende Gefühlslage, in der wir uns befinden. Bei Störungen des Gemeingefühls wird daher auch die Stimmung in gleichsinniger Weise verändert. Am deutlichsten tritt das in der depressiven und in der manischen, krankhaft gehobenen Verstimmung hervor. Die höheren Gefühle können nun mangelhaft entwickelt sein; eine geringere Ansprechbarkeit derselben kommt aber auch als erworbener Zustand vor, namentlich bei der Schizophrenie. Versagen der ethischen Gefühle findet man nicht selten als erstes auffallendes Anzeichen organischer Hirnerkrankungen, bei der Paralyse, den arteriosklerotischen und den senilen Geistesstörungen. Namentlich die Sittlichkeitsdelikte solcher Kranker sind die Folge dieses Gefühlsdefekts. Die mangelhafte Entwicklung namentlich der ethischen Gefühle ist häufig bei Schwachsinnigen, die dann leicht kriminell werden. „Moralisch Schwachsinnige", d. h. Menschen mit guter Intelligenz, aber mangelhafter Entwicklung oder gar völligem Fehlen ethischer Gefühle, gibt es wahrscheinlich häufiger, als wir meinen. Sie treten deshalb nicht so sehr hervor, weil sie wegen ihrer guten Intelligenz ihre Mängel geschickt zu verbergen verstehen. Ihre kriminellen Neigungen wissen sie in noch erlaubten Bahnen zu betätigen. Es sind jene kalten Rechner, denen ihre Familie, ihre Mitmenschen völlig gleichgültig sind, die alles nur unter dem Gesichtswinkel ihres Nutzens sehen. Forensisch sind diese Störungen für sich ohne größere Bedeutung. Sie sind wichtig als Symptome beginnender oder schon länger bestehender Geisteskrankheiten und können daher nur von dort aus beurteilt werden. Das gleiche gilt von den abnormen Gefühlserlebnissen, wie sie bei Schizophrenen vorkommen, dem Gefühl des Begnadetseins, des Klarsehens, den abnormen Glücksgefühlen usw. Wichtiger sind die A f f e k t e . Darunter verstehen wir zusammenhängende Gefühlsverläufe, die sich aus den vorausgegangenen und den nachfolgenden Vorgängen als ein eigenartiges Ganzes herausheben, und die im allgemeinen zugleich intensivere Wirkungen auf das Subjekt ausüben 1 ). Eine scharfe Grenze gegenüber den Stimmungen besteht nicht; diesen stehen etwa die Affekte des Kummers, der Sorge, der Freude nahe. Forensisch spielen aber die akuten Unlustaffekte die bei weitem größere Rolle: Schreck, Angst, Zorn, Wut, Verzweiflung. Die Unterschiede in der Bereitschaft, auf irgendwelche Reize mit Affekten zu reagieren, sind bei den verschiedenen Menschen außerordentlich groß. Der normale, harmonische, ausgeglichene Mensch läßt sich auch durch heftige Reize nicht so leicht aus seiner Ruhe bringen. Es bedarf bei ihm schon besonderer Erlebnisse, um sein Blut in Wallung zu versetzen. Auch dann verliert er nicht so leicht W u n d t , 1. c., S. 204. Mit Affektivität meinen wir dagegen die Gesamtheit der gemütlichen Vorgänge, also Gefühle, Stimmungen, Affekte.
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die Selbstbeherrschung. Erleichtert werden starke Reaktionen auch bei ihm durch schwächende Einflüsse wie Alkohol, Überarbeitung, erschöpfende Krankheiten. Bei anderen, namentlich bei den erregbaren Psychopathen, genügen schon verhältnismäßig geringe Reize, um sie in Weißglut zu versetzen; auch Kopfverletzte, manche Epileptiker, viele Manische sind abnorm reizbar. Besondere Beziehungen zur Affektivität hat das vegetative Nervensystem und namentlich manche endokrine Drüsen. So geht die Hypersekretion der Schilddrüse bei der B a s e d o w sehen Krankheit mit Überempfindlichkeit, ihre Unterfunktion mit mangelnder affektiver Reaktionsfähigkeit einher. Auch bei der Dysfunktion anderer Drüsen machen sich Veränderungen der affektiven Ansprechbarkeit bemerkbar; die affektiven Ausschläge stellen eine Art Maßstab für die Widerstandsfähigkeit des Gehirns dar. Jugendliche pflegen stärker zu reagieren als Erwachsene; Affektverbrechen sind daher auch bei älteren Menschen seltener als bei jungen. Freilich gilt diese Regel nicht ausnahmslos: die Hirnarteriosklerose älterer Leute steigert die Reizbarkeit oft beträchtlich; bei ihr und anderen organischen Hirnerkrankungen, namentlich auch der progressiven Paralyse, finden wir besonders oft Affektschwankungen, die wir als Affektinkontinenz bezeichnen. Man kann solche Kranke durch eine geeignete Bemerkung leicht vom Weinen zum Lachen bringen und umgekehrt. Starke Affekte haben entsprechende Wirkung auf den Körper und auf die psychischen Funktionen. Schon auf einfachere Lust- und Unlustgefühle etwa nach Geschmacksreizen lassen sich experimentell Blutverschiebungen innerhalb des Körpers nachweisen, wie namentlich L e h m a n n und W e b e r gezeigt haben. Bei starken Affekten werden sie auch nach außen hin sichtbar: wir werden blaß vor Schreck, rot vor Zorn. Daneben kennen wir alle möglichen anderen körperlichen Erscheinungen; ich erwähne nur heftige Atmung, Herzklopfen, Angstschweiß, Muskelschwäche, Zittern, unfreiwilligen Abgang von Urin oder Kot. Dazu kommen Ausdruckserscheinungen wie Lachen, Weinen, wutverzerrte Gesichter und Gesten aller Art. Ganz besonders wichtig ist, daß die heftigen Affekte die Tendenz haben, sich irgendwie motorisch zu entladen und dadurch zu lösen. Am harmlosesten ist in dieser Beziehung das „aufgeregte" Hin- und Herlaufen oder das „mit der Faust auf den Tisch schlagen"; auch das Schimpfen gehört hierher. Das sind, bildlich gesprochen, Ventile, durch die der überspannte Dampf abgeblasen wird. Die Wirkung ist jedoch bei verschiedenen Menschen nicht gleichartig; was dem einen zur Lösung, zur Entspannung nützlich ist, dient dem anderen dazu, sich erst recht mit Affekt vollzupumpen, zu beladen. Aus beiden Tendenzen heraus kommt es nicht selten zu Delikten der Bedrohung, Beleidigung, des Hausfriedensbruchs, aber auch zu schwersten Gewalttaten. Begünstigt werden derartige Delikte durch die Veränderung der psychischen Funktionen, die als Fassungslosigkeit, Verwirrtheit,
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mehr oder weniger starker Verlust der Besonnenheit und schließlich als sogenannter Schreckstupor sich bemerkbar machen kann. Map hat solche Erscheinungen namentlich bei schweren Erdbeben beobachtet. Sie sind bei den doch ebenso furchtbaren Luftangriffen des letzten Krieges anscheinend viel seltener aufgetreten. Man wird annehmen dürfen, daß bei den letzteren durch die Erwartung eine der Entstehung von schwersten Affektzuständen abträgliche Einstellung erzielt worden ist, daß unerwartete Ereignisse zu schwereren Affektausbrüchen führen. Dabei kommt es dann nicht einmal so sehr auf die Schwere des affektauslösenden Ereignisses an. So könnte ich im Beginn der jetzigen Besetzung bei unerwartet angeordneter Räumung von Wohnungen einen recht weitgehenden Verlust der Besonnenheit beobachten. Das wird nun auch durch andere Erfahrungen bestätigt: Das lange erwartete Hinscheiden eines schwer kranken geliebten Menschen wird bei allen schmerzlichen Gefühlen als Erlösung empfunden, der plötzliche unerwartete Tod desselben Menschen kann einen psychischen Schock auslösen. Ganz allgemein kommt es also nicht allein auf das Erlebnis an, das den Affekt auslöst, sondern auf die gesamte seelische Situation, in der er entsteht. Manchmal löst eine geringfügige Kleinigkeit einen Affekt aus, der zu ihr in gar keinem Verhältnis zu stehen scheint. Prüfen wir die Sachlage näher, so finden wir das, was man als A f f e k t s t a u u n g bezeichnet. Ein Mann etwa, der von seinem Vorgesetzten ständig mit bissigen Bemerkungen, mit kleinen Nadelstichen traktiert wird, dessen Tätigkeit, mag er tun, was er will, immer nur ironisiert wird, sammelt allmählich eine innere Wut in sich auf, die zur Entladung drängt, und schließlich genügt eine Kleinigkeit, um diese Entladung herbeizuführen. Dahin gehört auch der sogenannte Zuchthausknall, dessen Hauptursache die allmählich unerträglich werdende Freiheitsbeschränkung ist. Schließlich gibt es eine A f f e k t v e r z ö g e r u n g , die gleichfalls an einem Beispiel kurz erläutert sein möge: Jemand verliert durch den Tod seine Lebensgefährtin; er scheint ihn gefaßt zu ertragen. In der Tat ist ihm die Größe des Verlustes zunächst gar nicht recht zu Bewußtsein gekommen; erst allmählich fängt er an zu begreifen; und nun packt ihn der Schmerz, die Trauer, das Gefühl der Vereinsamung immer stärker, und ein halbes Jahr später begeht er Selbstmord. Daß Affekte geistesgesunder Menschen zu „Bewußtlosigkeit" im klinischen Sinne führen, ist außerordentlich selten. Dagegen finden wir Bewußtseinstrübungen geringeren und stärkeren Grades, namentlich bei den sogenannten Grenzzuständen, also bei den psychopathischen Persönlichkeiten, aber auch bei Hirnverletzten, Arteriosklerotikern und anderen. Besteht für die Zeit des Affekts Erinnerungslosigkeit oder sind nur einzelne Erinnerungen vorhanden, so sprechen wir von p a t h o l o g i s c h e n A f f e k t e n . Diese sind bereits im strafrechtlichen Teil (S. 27 ff.) gewürdigt, so daß ich mir hier ein erneutes Eingehen auf sie ersparen kann.
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Bei der forensischen Beurteilung der Affekte kommt es zunächst auf die klinische Grundlage an. Handelt es sich um den Affekt eines Geisteskranken, etwa eines Schizophrenen, so ist die Geisteskrankheit für die Beurteilung wichtiger als der Affekt, der dann nur Symptom der Geisteskrankheit ist und als solches zu werten ist. Bei der Epilepsie, für die die Reizbarkeit eine kennzeichnende Charaktereigenschaft ist, wird man zwar nicht ohne weiteres exculpieren, wird aber die pathologische Grundlage besonders bewerten und jedenfalls deshalb eher zur Annahme von Zurechnungsunfähigkeit kommen als bei den Grenzzuständen. Der Nachweis einer Psychopathie als Grundlage des Affekts kann natürlich nicht ohne weiteres zur Exculpierung führen; hier kommt es auf die Stärke des Affekts an. In freilich sehr seltenen Fällen wird man auch bei Psychopathen und selbst bei Normalen einmal Zurechnungsunfähigkeit annehmen müssen. Dabei wird die äußere wie die innere Tatsituation, die Art der Tat (Persönlichkeitsadäquanz), das Verhalten nach der Tat, die Erinnerung (Lücken oder völlige Amnesie), eventuell körperliche Begleiterscheinungen, die übrigens bei verschiedenen Menschen verschieden sind, in Rechnung zu setzen sein. Disponierend wirken Erkrankungen, Erschöpfungszustände und namentlich Alkohol, letzterer besonders in Verbindung mit großer Hitze, Schlägen auf den Kopf oder anderen abnormen Zuständen. Er disponiert jedenfalls besonders zu den pathologischen Affekten. Die krankhaft heiteren Affekte haben kaum strafrechtliche, wohl aber zivilrechtliche Bedeutung. Da ihnen regelmäßig irgendwelche Geisteskrankheiten zugrunde liegen, richtet sich die Beurteilung nach dem Grundleiden.
Störungen des Trieblebens Während man Gefühle als „unmittelbar als angenehm oder unangenehm erlebte p a s s i v e Ichzustände" definieren kann 1 ), haftet den Trieben etwas a k t i v e s an, ein Streben sich zu verwirklichen. Eine strenge Scheidung gegenüber den Gefühlen ist wiederum nicht möglich. All unser Erleben ist irgendwie triebhaft durchsetzt, ohne daß uns das immer klar wird. Unsere Triebe (von K1 a g e s als Triebfedern bezeichnet) bilden die Grundlage unseres Wollens. Aus den zahlreichen Trieben heben sich besonders heraus der S e l b s t e r h a l t u n g s - und der F o r t p f l a n z u n g s t r i e b . Sie sind dem Körper besonders nahe verhaftet; man bezeichnet sie daher auch als l e i b l i c h e oder v i t a l e Triebe. Ihnen gegenüber stellt man die s e e l i s c h e n Triebe, z. B. Streben nach Macht, Geltung, Ehre, Reichtum, aber auch nach Pflichterfüllung, Demut, Reinheit ') K. S c h n e i d e r , Pathopsychologie der Gefühle und Triebe, S. 22. Dabei handelt es sich um den einfachsten, reinsten Typ der Gefühle. Daß in der Regel andere Komponenten damit verknüpft sind, habe ich im vorigen Kapitel schon erwähnt.
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usw. Man könnte diese Triebe als S e l b s t e n t f a l t u n g s t r i e b e zusammenfassen. Für unsere Zwecke sind nur die Triebe wichtig, die sich in Handlungen umsetzen; es sind ganz überwiegend der N a h r u n g s t r i e b und der S e x u a l t r i e b . Die Störungen des Nahrungstriebes sind forensisch ohne nennenswerte Bedeutung. Wir finden abnormen Durst bei manchen Erkrankungen der Hypophyse, auch gelegentlich bei Schizophrenen; Freßgier wird zusammen mit Fehlen des Sättigungsgefühls bei vielen Geisteskranken beobachtet, ebenso aber auch Appetitlosigkeit. Schnelle Gewichtszu- wie -abnahmen sind daher häufig. Abnorme Freßgier kann einmal zu Eigentumsdelikten führen; häufiger geschieht das bei dem qualitativ veränderten Nahrungstrieb der Schwangeren, den sogenannten Gelüsten 1 ). Als eine Veränderung des Nahrungstriebes kann man auch die S u c h t e n ansehen, über die später zu sprechen ist. Von sehr viel größerer forensischer Bedeutung sind die Störungen des G e s c h l e c h t s t r i e b e s , die wir deshalb ausführlicher zu besprechen haben. Ihre Bedeutung für den Psychiater geht schon daraus hervor, daß von 425 aus §§ 42 b und 42 c Eingewiesenen, über die C r e u t z 2 ) berichtet hat, 214 Sittlichkeitsdelikte begangen hatten. Von diesen war der bei weitem größte Teil wegen Unzucht mit Personen unter 14 Jahren verurteilt (§ 176); eine Triebabnormität braucht bei ihnen nicht vorgelegen zu haben. Weiter aber befanden sich unter ihnen 24, die wegen Unzucht mit Männern, zwei, die wegen Unzucht mit Tieren, und 25, die wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verurteilt bzw. untergebracht waren. Der reife Sexualtrieb hat eine verwickelte Geschichte. Ich gebe sie wieder mit den Worten von L a n g e - B o s t r o e m , die in Kürze alles Wesentliche enthalten 8 ): „Dem Kind fehlt eine eigentliche Sexualität noch ganz. Aus der Phase der triebhaften, lustvollen Zuwendung zum eigenen Körper und aus der allgemeinen Zuwendung zum anderen Menschen differenziert sich in der weiteren Pubertätszeit auf seelischem Gebiete über eine oft kaum merkliche Durchgangsperiode der Zuwendung zu etwa gleichaltrigen gleichgeschlechtlichen Genossen eine spezifische Zuwendung zum anderen Geschlecht. Mit den gleichgeschlechtlichen Altersgenossen verbindet den Jugendlichen dann zunehmend die Richtung auf gemeinsame sachliche Ziele. Zugleich, ein wenig später oder nachher, erwachsen aus dem Körper die spezifisch sexuellen Regungen, die anfänglich, noch wenig zielbestimmt, richtungsunklar, den eigenen Körper zum Ziel nehmen können, aber in der Regel sich bald dem anderen Geschlecht zuwenden, vielfach zunächst noch unverbunden M „Freßgier kommt übrigens auch bei geistig gesunden Personen vor, und zwar sowohl bei Fettsüchtigen wie bei mageren Menschen, die schlechte „Futterverwerter" sind. 2 ) A.Z. Ps. 111, 1939, S. 150. 3 ) Lehrbuch der Psychiatrie, S. 20.
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neben jener seelischen Wendung, bis dann beide im gereiften Sexualleben miteinander verschmelzen. Bei diesem komplizierten Entwicklungsgang und den Hemmungen, die der Sexualbetätigung von außen her erwachsen, gibt es zahllose Störungsmöglichkeiten. So kann die sexuelle Erregung sich ganz an den eigenen Körper binden. Audi ohne dies kann sich auf seelischem Niveau jene autoerotisch-narzistische Komponente entwickeln, die manche eitlen egozentrischen Mensdien auszeichnet. Während die gereifte Sexualität den Partner nicht nur als Phantom nimmt, sondern als Geschlechtsgenossen, mit dem die sexuelle Entspannung erstrebt wird, bleibt zahlreichen Mensdien jenes letzte Triebziel versperrt; autoerotische Tendenzen behalten das Übergewicht und führen unter Umständen zu Störungen des Ablaufs der Sexualhandlung, der Libido und der Potenz. Es kann ferner jene Durchgangsperiode der Zuwendung zum Gleichgeschlechtlichen sich verewigen, so daß es zu klarer Homosexualität kommt; es können sich neben den heterosexuellen homosexuelle Strebungen erhalten, ja, in Andeutungen bleiben sie wohl im Hintergrund des Erlebens recht vieler Menschen lebendig; und schließlich gibt es unbedingt klar ausregulierte, ausschließlich auf das andere Geschlecht gerichtete Persönlichkeiten. Auf dem geschilderten Wege gibt es jedoch noch weitere Klippen. Wie der eigene Körper zum Triebziel werden kann, so vermögen auch Umstände, die nur lose und zufällig mit dem Sexualziel zusammenhängen, das eigentliche Ziel zu verdrängen. So kann etwa die sexuelle Entspannung gebunden werden an äußere Umstände, die zufällig die erste sexuelle Erregung begleiteten (Qualität des ersten Partners, seine Kleidung, spezifische Sinnesreize, starke Erregung, notwendige Aggression, beschämende Umstände, körperliche Mißhandlungen usw.), so daß es zu den verschiedensten qualitativen Abirrungen des Sexualtriebes kommt, — allerdings wohl nie ohne eine entsprechende unzureichende Veranlagung. " Die forensisch wichtigsten Verirrungen dieser Art sind der S a d i s m u s , während sein Gegenpol, der M a s o c h i s m u s keine Rolle spielt, die k o n t r ä r e S e x u a l e m p f i n d u n g ( H o m o s e x u a l i t ä t ) , die widernatürliche Unzucht mit Tieren ( S o d o m i e ) und der E x h i b i t i o n i s m u s 1 ) . Ein Wort noch über das „Normale" auf sexuellem Gebiet! Man darf diesen Begriff gerade hier nicht zu eng fassen. Die Unterschiede in der Stärke des Geschlechtstriebes, in der Schnelligkeit seiner Entwicklung und in der Dauer seines Bestehens sind erheblich. Von der frigiden Frau, von dem sexuell bedürfnislosen Manne führt eine ununterbrochene Reihe zu jenen Menschen, deren ganzes Dasein unter der Herrschaft ihrer Sexualtriebe steht. Wir kennen sexuelle ') Uber die sehr seltene Nekrophilie hat R a u c h kürzlich eine lesenswerte Arbeit veröffentlicht (Arch. f. Psych, vereinigt mit Z. Neur. 179, 1947, S. 54).
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Früh- und Spätentwicklung, die zum Teil durch Klima und Rasse bedingt sind. Sexuelle Handlungen von Kindern, masturbatorische Akte in diesem Alter sagen noch nichts über ihre spätere Entwicklung, und andererseits findet man Verzögerungen bis in den Beginn des dritten Lebensjahrzehnts. Auch die Dauer des Geschlechtstriebes ist außerordentlich verschieden; es gibt Männer über 70 Jahre, die regelmäßigen Geschlechtsverkehr für selbstverständlich halten: ich sah Eifersuchtsideen bei einem 78jährigen Manne, der mit seiner 73 Jahre alten Frau noch regelmäßig den Beischlaf ausübte. Auch Schwankungen in der Stärke des Geschlechtstriebes sind häufige Erscheinungen; es gibt jahreszeitliche Schwankungen, die sich in der größeren Geburtenzahl in den Wintermonaten ausprägen, und Schwankungen innerhalb des individuellen Lebens. Alles das fällt noch unter die Norm. Auch die Masturbation in der Pubertät haben wir gelernt als ein normales Übergangsstadium anzusehen. Abartig wird sie erst dann, wenn sie im späteren Leben ausschließlich oder neben dem normalen ehelichen Verkehr ausgeübt wird; selbst da bin ich geneigt, sie in manchen Fällen noch als normale Erscheinung aufzufassen, nämlich überall da, wo die Stärke des Geschlechtstriebes nicht mit der des Geschlechtspartners übereinstimmt. Meist freilich handelt es sich schon um wirkliche Abartigkeiten bei auch sonst abnormen Menschen, wie denn auch Persönlichkeiten, die erheblich von der Norm abweichen, oft Abnormitäten ihres Geschlechtstriebes aufweisen. Der gesunde Erwachsene ist durchaus imstande, den Geschlechtstrieb zu beherrschen. Daß aber ein besonders starker Sexualtrieb leichter zu kriminellen Handlungen drängt als ein schwacher, ist selbstverständlich; ein großer Teil der Unzuchtshandlungen entsteht auf dieser Grundlage. Doch gibt es auch zahlreiche derartige Handlungen bei triebschwachen Individuen; sie sind in der Regel daran kenntlich, daß Kinder als Sexualobjekt gewählt werden. Unter 101 Opfern der Notzucht, über die v . H e n t i g und V i e r n s t e i n berichtet haben 1 ), deren Alter zwischen 2 und 68 Jahren lag, befanden sich 34 Kinder bis zu 10 Jahren, 72 bis zu 14 Jahren. Es sind vielfach Schwachsinnige, aber auch alte Männer, die sich an Kinder heranmachen, weil sie hier auf den geringsten Widerstand stoßen. Zur Kinderschändung führt auch nicht selten der Aberglaube, daß Geschlechtskrankheiten durch Geschlechtsverkehr mit einer Jungfrau geheilt werden können. Diesem Aberglauben sind mindestens früher namentlich auch kleine Kinder zum Opfer gefallen. In manchen Gegenden soll die Sodomie (s. unten) ähnliche Ursachen haben 2 ). Mit S a d i s m u s bezeichnet man die geschlechtliche Verirrung, bei der die Voraussetzung der Befriedigung im Zufügen von Schmerzen liegt. S p r a n g e r berichtet über Prügelexekutionen aus seiner !) Z.Neur. 70, 1921, S. 334. 2 ) H e l l w i g , Vierteljahrsschrift f. gerichtl. Med. 47, 1914, S. 315.
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Schulzeit, die er später deutlich als leicht sadistischer Natur erkannte1). A u c h i m normalen Geschlechtsakt s i n d A n d e u t u n g e n davon öfters zu finden in Form von Saugen, Beißen, festem Zupacken. In seinen abnormen Formen steigert sich diese Neigung über Schlagen, Brennen, Stechen, Schneiden bis zum Lustmord. Gewiß sind derartige Delikte nicht allzuhäufig, aber wegen ihrer Folgen doch so schwerwiegend, daß jeder einzelne Fall zählt. Unter den Mordmotiven ist jedenfalls der Mord aus sadistischen Trieben häufig. R o e s n e r fand unter 187 vollendeten und versuchten Morden 21 Fälle dieser Genese2); davon stammen freilich 9 Morde und 7 Mordversuche von dem Massenmörder Kürten. Beim M a s o c h i s m u s , dem Gegenteil des Sadismus wird sexuelle Befriedigung im Erleiden von Schmerzen erstrebt. Masochistische Regungen finden sich auch bei normalen Frauen angedeutet; bei Männern sind sie seltener, nehmen manchmal groteske Formen an, haben aber keine nennenswerte forensische Bedeutung. Der E x h i b i t i o n i s m u s oder, wie es richtiger heißen sollte, der E x h i b i s m u s , das Zursdiaustellen der Genitalien, ist eine ziemlich häufige Abirrung, deren Bedeutung in der Zahl der alljährlichen Verurteilungen (3000 bis 4000)3) zutage tritt 4 ). Das Exhibieren findet in verschiedenen Formen statt: Bloßes Zeigen des schlaffen oder erigierten Gliedes oder dasselbe mit gleichzeitiger oder nachfolgender Ejakulation oder schließlich Zeigen des erigierten Gliedes mit gleichzeitiger Masturbation. Ob man berechtigt ist, die letzte Form noch als Exhibieren zu bezeichnen, erscheint K o 11 e im Anschluß an R i e s e fraglich; der letztere meint, es handele sich in diesen Fällen nur um eine „in der Öffentlichkeit vollzogene Selbstbefriedigung"; wie zu bemerken ist, eben um eine in der Ö f f e n t l i c h k e i t vollzogene. Der gewöhnliche Onanist scheut die Öffentlichkeit; es muß also doch wohl im Masturbieren vor anderen ein besonderer Reiz liegen. Abgesehen von den Schwachsinnigen, Epileptikern und Geisteskranken sind es fast durchweg abnorme Persönlichkeiten, die zum Exhibismus neigen. Es sind selbstunsichere, schüchterne, unausgeglichene, überempfindliche Menschen mit leicht erregbarer Phantasie und starker Abhängigkeit von Stimmungen. H o c h e sagt mit Recht, daß man häufig den Gesamteindrude von schwächlichen Charakteren habe. Gegenüber diesen abnormen Persönlichkeiten treten die Geisteskranken ganz x ) S p r a n g e r , Psychologie des J u g e n d a l t e r s , 9. Aufl., Leipzig 1927, S. 122. 2 ) M. Kr. B. 29, 1938, S. 213; dazu k a m e n acht Fälle im Anschluß an Sittlichkeitsdelikte, u m eine Anzeige zu v e r h ü t e n , das v e r g e w a l t i g t e O p f e r a m Schreien zu hindern, u m seinen W i d e r s t a n d zu brechen, u m es v o n seinen Q u a l e n zu erlösen. 3 ) Nach H o c h e III, S. 345; 1931 w a r e n es 3100 Personen. *) Eine Z u s a m m e n s t e l l u n g der n e u e r e n Literatur findet m a n bei K o 11 e , Forts dir. d. N e u r . 4, 1932, S. 361.
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zurück. Gesunde unerfahrene junge Männer finden sich gelegentlich unter den Exhibisten; sie versuchen auf diese Weise Anschluß zu gewinnen. Im übrigen ist die Neigung Jugendlicher zu diesem Delikt gering; es handelt sich meist um Männer im reifen Alter mit dem Höhepunkt im vierten Jahrzehnt, während Greise wiederum kaum beteiligt sind. Die Häufigkeit der echten k o n t r ä r e n Sexualempfind u n g ist früher aus propagandistischen Gründen stärk übertrieben; man kann aus den Erfahrungen der Großstadt nicht auf die Allgemeinheit schließen1). Darüber hinaus ist aber gleichgeschlechtliche Betätigung keineswegs identisch mit Homosexualität; vielmehr sind es oft genug verführerische Situationen, besonders unter Alkoholeinfluß, die auch Menschen mit an sich durchaus gesunden Trieben zu anormaler Befriedigung reizen. In gewissen Lagen — ich erinnere an Internate, an die Zeiten der sexuellen Entbehrung der Frontsoldaten — ist die mutuelle Onanie als eine sogar in den Bereich des Normalen gehörige Handlung anzusehen. In den letzten Jahren ist die Diskussion um die Problematik der Homosexualität wieder sehr lebhaft geworden 2 ); es würde zu weit führen, wenn ich an dieser Stelle alle die Fragen, die zur Erörterung stehen, aufrollen würde. Einigermaßen gesichert erscheint mir Folgendes: Es ist selbstverständlich, daß bei der gleichgeschlechtlichen Betätigung Anlage und Umwelteinflüsse mitspielen. Es ist wahrscheinlich, daß es Menschen gibt, deren Anlage von vornherein den Sexualtrieb auf das eigene Geschlecht richten läßt. Ob das im Einzelfall zutrifft, ist kaum mit Sicherheit zu entscheiden, da diese Behauptung von vielen, die sich gleichgeschlechtlich betätigen, zur Rechtfertigung vor sich selbst aufgestellt wird. Am meisten gestützt wird diese Annahme durch die Untersuchungen von L a n g , der statistisch feststellen konnte, daß unter den Vollgeschwistern Homosexueller mehr männliche Individuen sind, als dem Bevölkerungsdurchschnitt entspricht; dieser Befund ist von J e n s c h bestätigt worden. Die beiden Autoren ziehen hieraus den Schluß, daß ein Teil dieser männlichen Geschwister verkappte weibliche Individuen, sog. Umwandlungsmännchen seien. Diese an sich nicht zu bestreitende statistische Feststellung läßt sich freilich auch anders deuten. J. H. S c h u l t z 3 ) weist in einer Bemerkung zu einer entspredienS p r a n g e r , I.e., S. 107, spricht von „Sensationswissensdiaft". ) Erwähnt seien: K l a r e , Homosexualität und Strafrecht, Hamburg 1937; L e m k e , Uber Ursache und strafrechtliche Beurteilung der Homosexualität, Jena 1940. Ferner: Th. L a n g , M. Kr. B. 32, 1941, S. 162; P. S c h r ö d e r , M. Kr. B. 32, S. 241; B ü r g e r - P r i n z , M.Kr. B. 29, 1938, S. 333; 30, 1939, S. 430 u. 449; 32, 1941, S. 32 u. 248; D e u s s e n , Fortschr. d. Erbpathol. 3, 1939, S. 67; J e n s c h , Arch. f. Psychiatrie 112, 1941, S. 527 u. 679. Psychologisch wichtig auch S p r a n g e r , Psychologie des Jugendalters, 5. u. 6. Abschnitt. s ) Z. Nenr. 157, 1937, S. 575. 2
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den Arbeit L ä n g s darauf hin, daß die homosexuelle Tendierung, die er als „Entwicklungsstörung der Liebesfähigkeit" auffaßt, neben anderen Möglichkeiten insbesondere zwei Situationen ihr Entstehen verdanke: einmal der des männlichen Einzelkindes mit der „bösen, kalten Mutter" und dem „guten, weichen Vater". Dadurch komme es zur „FrühVernichtung des Liebeswertes der ,Frau' und zu einer Liebesfestlegung auf die eigene Person und die Person des Vaters und auf die Lebensformel ,Frau schlecht, böse; Mann gut, lieb'." Besonders wichtig ist aber hier sein zweiter Typus, der vom „lieben Brüderchen". „Es handelt sich um Männer, deren Kinderjahre auch häufig bis zur Jugendzeit hinauf durch eine ü b e r w i e g e n d oder rein von Brüdern gebildete Geschwisterr e i h e e n t s c h e i d e n d b e s t i m m t w e r d e n . " Hier vollzieht sich die Bindung an das eigene Geschlecht „durch Umweltsättigung mit Bewunderung, Hilfe, Verstehen, Zärtlichkeit usw. im Nehmen und Geben." Man sieht, auch durch die Arbeit von L a n g ist dieses Problem noch nicht geklärt. Die darüber hinausgehenden Behauptungen von hormonalen Umwandlungen, von endokrinen Störungen sind bisher den Beweis schuldig geblieben 1 ); ebensowenig ist bisher die Vererbbarkeit einer etwa vorhandenen homosexuellen Anlage zu erweisen. Für das Vorkommen endogener Homosexualität spricht die relativ hohe Rückfallziffer bei entmannten Homosexuellen, über die J e n s c h berichtet hat. Richtig ist, daß man bei manchen Homosexuellen — ich benutze das Wort hier der Einfachheit halber für alle sich gleichgeschlechtlich Betätigenden — körperliche Zeichen findet, die sonst dem weiblichen Geschlecht zukommen: glatte Haut, relativ breites Becken, runde Oberschenkel, gerade abgegrenzte Schambehaarung, X-Beine, angedeutete Brüste. Das findet man jedoch auch bei Normalempfindenden; und andererseits sind die maskulinen Männer unter den Homosexuellen ebenso vertreten. Ob wirklich derartige Beziehungen bestehen, ist eine Frage der Statistik, die sich kaum befriedigend lösen läßt, da wir bei den nicht kriminell gewordenen Homosexuellen eine wahre Antwort auf dahin zielende Fragen nicht erwarten können. Bei der großen Mehrzahl der sog. Homosexuellen spielen psychologische Momente die Hauptrolle. H o c h e sagt in der letzten Auflage seines Handbuchs (S. 339): „Die allgemein gültige Tatsache, daß alle Triebe den zugeordneten Vorstellungsinhalt nicht mitbringen, sondern erwerben, läßt es in gewissen Grenzen vom Zufall abhängen, an welche äußeren Eindrücke Triebvorstellungen sich anknüpfen." So ist es psychologisch verständlich, daß auch der Nor') Nach L e m k e sind Fälle, bei denen sich eine endokrine Störung begründen läßt, „in der Minderzahl". „Trotzdem" ist er der Ansicht, daß die „Homosexualität . . . die Auswirkung einer endokrinen Störung" ist. So kann man m. E. nicht argumentieren. Ebensowenig scheint mir sein Fall H. beweiskräftig.
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male s c h e i n b a r zu konträren sexuellen Empfindungen kommt und daß der in seiner Triebrichtung Unsichere durch entsprechende sexuelle Erlebnisse in der konträren Richtung fixiert wird. Auf diese Weise erklärt sich auch am einfachsten das häufige gleichzeitige Vorkommen von homo- und heterosexuellen Neigungen. Tatsächlich sind viele sog. Homosexuelle verheiratet und haben Kinder. Bei Männern, die in älteren Jahren zu homosexuellen Handlungen kommen, ist es auch nicht so selten der Reizhunger, das Ubersättigtsein, das solche Handlungen begünstigt. So sah ich während des letzten Krieges einen bis dahin normal empfindenden, durchaus maskulin gebauten Offizier des Arbeitsdienstes, der, durch das Leben in Paris sexuell übersättigt, anfing, sich an seinen Untergebenen zu vergreifen. Ein umfassendes Geständnis schützte ihn vor der Todesstrafe. Echte Homosexuelle sind durchweg auch abartige Persönlichkeiten. Häufig sind weichliche Züge. Auch die vielgerühmte Freundschaft zwischen Homosexuellen weist solche Züge auf. Man hat öfters den Eindruck einer Schwärmerei wie bei pubertierenden Mädchen j wie bei diesen spielen Eifersucht, Klatschereien, Gehässigkeiten mit1). Forensisch hat sich die Situation insofern geändert, als früher nur Beischlaf oder beischlafähnliche Handlungen bestraft wurden. Seit 1935 wird dagegen „ e i n M a n n , d e r m i t e i n e m a n d e r e n Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unz u c h t m i ß b r a u c h e n l ä ß t " mit Gefängnis bestraft. Insbesondere gehören dahin onanistische Handlungen, unzüchtige Berührungen, z. B. Anfassen des Geschlechtsteils über den Kleidern oder ein Zungenku'ß2). Unzucht mit einem andern treibt, wer den Körper des anderen Mannes als Mittel für die Erregung oder Befriedigung der Geschlechtslust benutzt. Dabei ist eine körperliche Berührung nicht notwendig; es genügt schon das gleichzeitige Onanieren3). Infolge dieser Erweiterung der Strafbarkeit von Handlungen dieser Art ist auch die Zahl der Verurteilten erheblich gestiegen. 1931 sind wegen Vergehens gegen den § 175 StGB. 643 Männer verurteilt4); 1936 dagegen sind unter der Wirkung der neuen Bestimmung 5321 Personen bestraft 6 ). Die gleichgeschlechtliche Betätigung zwischen Frauen ist in Deutschland nicht strafbar 6 ). Ein Wort noch in diesem Zusammenhang über die Jugendlichent '! Mit dieser Darstellung ist natürlich die Problematik der Homosexualität keineswegs erschöpfend wiedergegeben. Sehr anregend ist Hans B l ü h e r , „Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft", wenn, auch manches anfechtbar ist. RGSt. 70, S. 224. 3 ) RGSt. 73, S. 80; J.W. 1939, S. 541; D. J. 1940, S. 404. 4 ) Darunter befinden sich freilich auch die wegen Sodomie Verurteilten; rechtskräftig abgeurteilt wurden 811, darunter 193 wegen Sodomie; 16& davon wurden freigesprochen; schätzungsweise handelte es sich also um etwa 520 Homosexuelle ( K l a r e , I.e., S. 145). 6 ) K o c h , über Sittlichkeitsverbrecher, Leipzig 1940, S. 15. ") In Osterreich ist sie nach § 129 österr. StGB, strafbar.
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Sie sind naturgemäß wegen der Undifferenziertheit und der deshalb bestehenden stärkeren Bestimmbarkeit ihres Geschlechtstriebes besonders gefährdet. Schwärmerische ideale Neigungen zwischen J u gendlichen unter sich bedeuten notwendige Entwicklungsphänomene. Darüber hinausgehende Zärtlichkeiten weisen schon auf eine sexuelle Komponente hin. W e n n es aber erst einmal zu gleichgeschlechtlichen Handlungen gekommen ist, so kann sich im Jugendlichen leicht die Überzeugung festsetzen, daß solches Tun ihm gemäß sei, daß bei ihm eine angeborene Inversion vorliege. Er wird vielleicht danach leben und durch Gewöhnung nicht mehr davon loskommen. S p r a n g e r sagt dazu, daß es kein besseres Mittel gäbe, Invertierte zu züchten, als die Theorie von der angeborenen Inversion. J e d e v o n außen kommende Verführung aber muß in diesem Alter besonders deletär wirken. Mit Recht wird deshalb der Verführer Jugendlicher besonders hart bestraft. Daß homosexuelle Handlungen sich mit sadistischen, masochistischen und anderen Tendenzen verbinden können, bedarf wohl k a u m besonderer Erwähnung. Ich sah einen Herrn aus bester Familie, der besonders von schmutzigen Matrosen gereizt wurde. Ein W o r t schließlich noch zu einer Nebenerscheinung der Homosexualität! Ich meine das Erpressertum. Es gibt eine gewerbsmäßige männliche Prostitution, sogenannte Strichjungen, die strafbare Handlungen anderer auszunutzen verstehen. Finanzieller Ruin oder Selbstmord k a n n die Folge sein. Für die Opfer einer solchen Erpressung ist der § 154 b StPO. bedeutsam. Danach „kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer Tat, deren Offenbarung angedroht worden ist, absehen, wenn nicht eine Sühne w e g e n der Schwere d e r Tat unerläßlich ist." Unter diese Bestimmung dürfte die Mehrzahl der Vergehen gegen den § 175 StGB, fallen 1 ). Psychiatrisch kommen als Täter ganz überwiegend Psychopathen in Betracht, aber auch Schwachsinnige und wiederum manche Psychosen im Beginn der Erkrankung. Besonders gefährdend wirkt der Alkohol. Natürlich ist auch die angeborene Inversion kein Grund zur Exculpierung, obwohl keineswegs die Tragik eines solchen Menschenschicksals verkannt werden soll. Gerade unter den jetzigen Verhältnissen dürfen wir nicht wieder in den Fehler verfallen, der in den zwanziger Jahren gemacht worden ist, daß wir durch zu große Milde der Inversion Vorschub leisten. Hier wie bei j e d e m Verbrechen kann nur die Psychose oder ein ihr gleichwertiger abnormer Zustand wie sinnlose Trunkenheit, Kokainrausch oder dgl. exculpieren. Auch vom Invertierten muß verlangt werden, daß er seine Sexualität beherrscht. Eine von dieser Einstellung, die sich auf das geltende Recht bezieht, verschiedene Frage ist die, ob der § 175 StGB, in seiner jetzigen Form bestehen bleiben soll, ob er abänderungsbedürftig ist, ob m a n In der russischen Zone: „wenn nicht überwiegende Interessen der Stiafrechtspflege die Verfolgung notwendig erscheinen lassen*.
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ihn ganz streichen soll. Die Meinungen darüber sind auseinander gegangen: sowohl für die Beibehaltung als auch für die Abschaffung dieser Strafbestimmung sind gewichtige Stimmen laut geworden 1 ). Ohne auf das Für und Wider im einzelnen einzugehen, möchte ich meine eigene Ansicht dahin präzisieren: Ich halte die Beibehaltung des § 175 a für unbedingt erforderlich; die Bestimmung des § 175 selbst dagegen würde ich fallen lassen. Der erwachsene Mensch muß das Recht haben, über seinen Körper zu verfügen 2 ), soweit er dadurch nicht andere schädigt. Wenn der Selbstmord nicht strafbar ist und ebensowenig der Versuch und die Beihilfe dazu, wobei doch sogar die Vernichtung des eigenen Ich erstrebt wird, ist nicht einzusehen, weshalb eine Handlung unter Strafe gestellt werden soll, die weit geringere Folgen hat. Ich halte es für notwendig, aber auch für ausreichend, die Auswüchse auf diesem Gebiet zu bekämpfen, also die gewerbsmäßige Unzucht und die etwa wieder einsetzende Propaganda; daneben sind natürlich die Jugend und abhängige Personen wirksam zu schützen 3 ). Die l e s b i s c h e L i e b e ( T r i b a d i e ) , d.h. gleichgeschlechtliche Handlungen zwischen Frauen, über deren Umfang noch weniger bekannt ist als über derartige Handlungen zwischen Männern, braucht hier nicht erörtert zu werden, da sie straflos ist und ihre Bestrafung in Deutschland kaum zu erwarten ist. Die S o d o m i e , die widernatürliche Unzucht mit Tieren führt jedes Jahr zu etwa 200 Straffällen in Deutschland. Sie dürfte unter ländlichen Verhältnissen viel häufiger sein, aber nicht immer zur Anzeige kommen. Neben unerfahrenen Jugendlichen sind es besonders Schwachsinnige, die dazu neigen. Neben dem Nahrungs- und Geschlechtstrieb sind noch einige andere Triebe bzw. Handlungen, die Trieben ähnlich sehen, von einer gewissen forensischen Bedeutung: der T r i n k t r i e b ( D i p s o m a n i e ) , der im speziellen Teil abgehandelt wird, der W a n d e r t r i e b ( P o r i o m a n i e ) , der F e u e r t r i e b ( P y r o m a n i e ) und der S t e h l t r i e b ( K l e p t o m a n i e ) . Der W a n d e r t r i e b ( P o r i o m a n i e ) findet sich in der Form des inneren Getriebenseins namentlich bei der Epilepsie (s. dort); viel häufiger ist das Davonlaufen der jugendlichen Psychopathen, das öfter zu kriminellen Handlungen, namentlich Eigentumsvergehen führt, wenn das Geld ausgeht. Es ist aus der besonderen Situation (Angst vor Strafe oder dgl.) oder aus psychologischen Motiven Näheres bei K l a r e a. a. O., S. '73 ff. ) Das gilt nicht für die Abtreibung, da hier ein neues Leben im Entstehen begriffen ist. 3 ) Ähnlich, aber ausführlicher L e ß , Südd. Jur. Ztg. 2, 1947, S. 555. Dazu bemerkenswert eine in einem anderen Zusammenhange ergangene Entscheidung des Landgerichts Konstanz (Südd. Jur. Ztg. 2, 1947, S. 339), in der es heißt: „Als die fundamentalsten Rechte des Menschen sind in der gesamten zivilisierten Welt als offenkundig anerkannt: Das Recht auf das Leben, das Recht auf den eigenen Körper ..." 2
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(Abenteuerlust, Geltungsbedürfnis, Freiheitsdrang) verständlich zu machen. Für die Exculpierung etwaiger strafbarer Handlungen besteht in solchen Fällen kein Grund. Merkwürdig ist der Wandertrieb bei manchen Landstreichern: sie arbeiten ruhig und fleißig und scheinen sich wohl zu fühlen; dann packt sie die Unruhe, und eines Tages gehen sie auf und davon. Audi bei ihnen ist Not und damit Verbrechen nicht selten die Folge ihres unsteten Lebenswandels. Die größte Rolle im Schrifttum spielen der F e u e r t r i e b und der S t e h l t r i e b . Weil man sich in Laienkreisen oft falsche Vorstellungen darüber macht, müssen sie hier kurz abgehandelt werden. Der Begriff des Brandstiftungstriebes stammt schon aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts; O s i a n d e r sprach damals von der „Feuergierde" als von einer Krankheit, H e n k e erfand dazu den Namen Pyromanie; er erblickte in ihr eine Psychose eigener Art. Durch ein Reskript des preußischen Justizministeriums wurde die Feuergier gewissermaßen amtlich anerkannt. Schon 1830 bekämpfte jedoch F l e m m i n g die Anschauung, daß der Brandstiftungstrieb eine Krankheit sei; und nach längerem Hin und Her, bei dem namentlich C a s p e r die Lehre von der Pyromanie als Aberglauben hinstellte, wurde 1851 das erwähnte Reskript wieder aufgehoben. In späterer Zeit hat sich immer mehr die Meinung durchgesetzt, daß es einen solchen isolierten Trieb nicht gibt, es sei denn, daß auch sonst krankhafte Abweichungen psychischer Art vorhanden sind. So hat z. B. der bedeutende Psychiater K r a e p e l i n schon 1886 mit Entschiedenheit die isolierte Stellung eines solchen Triebes abgelehnt, und B i r n b a u m , der sonst geneigt ist, das Pathologische sehr weit zu fassen, bezeichnet ihn als kriminal-psychiatrisches Kunstprodukt. T ö b b e n hat in seiner 1917 erschienenen Monographie „Beiträge zur Psychologie und Psychopathologie der Brandstifter" betont, daß er von keinem einzigen Falle eines isolierten Brandstiftungstriebes Kenntnis habe; die Fälle, in denen Freude am Feuer als Motiv festzustellen sei, seien nicht als Pyromanie zu deuten, es handele sich vielmehr um einen Rückfall in das kindliche Spiel mit dem Feuer, wobei der Alkohol vielfach eine auslösende Rolle spiele. In manchen Fällen ist das Brandstiften mit sexuellen Motiven verknüpft, in anderen Fällen spielt Heimweh eine Rolle. Die Lust am Feuer ist ja eine nicht nur bei Kindern weit verbreitete Eigenschaft; Eltern haben mit ihren Kindern oft ihre Not in dieser Beziehung. Beim Erwachsenen aber haben wir nach anderen Motiven zu fahnden. Nur wenn eine krankhafte Geistesverfassung zur Brandstiftung führt, ist Exculpierung möglich1). Ähnlich steht es mit dem S t e h l t r i e b , der sog. K l e p t o m a n i e 8 ) . Auch sie ist zu Beginn des vorigen Jahrhunderts für N e u e r e Literatur: T ö b b e n , D. Z. g. M. 23, 1934; F i s c h e r , Z. N e u r . 144, 1933; S c h m i d t - L a m b e r g , A. Z. Ps. 98, 1932; M i c h e l , M. Kr. Ps. 25, 1934. 2 ) Dazu namentlich G. S c h m i d t , Zb. N e u r . 92, 1939, S. 1. Langelüddeke,
Gerichtliche Psychiatrie.
Iß
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Allgemeine gerichtliche Psychopathologie
eine selbständige Geisteskrankheit gehalten worden; als solche hat sie, später freilich in der veränderten Form des „impulsiven Irreseins" bis gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts weiter gelebt. Man sah das Krankhafte im Fehlen jeden „vernünftigen Beweggrundes" ( K r a e p e l i n ) und in der Überrumpelung durch die Triebe. Was von Laien als Kleptomanie bezeichnet wird, ist, psychologisch gesehen, uneinheitlich; es ist eigentlich ein soziologischer Tatbestand: der Täter, der es nicht nötig hat zu stehlen, entwendet Gegenstände, die für ihn wertlos sind. Die Motive dafür sind jedoch, sehr verschieden. Einmal ist es die einfache Freude am Besitz, das Habenwollen, das auch dem gewöhnlichen Diebstahl zugrunde liegt, und das eine allgemeine menschliche Eigenschaft ist. Von manchen Autoren (G. H. B e r g m a n n , S c h l e i c h , WagnerJ a u r e g g ) wird sie auf die Lust am „Greifen" zurückgeführt. Bei vielen solchen Handlungen spielt weiter die Lust am Abenteuer die Hauptrolle; das Stehlen wird hier zum Sport. Das Kind im Menschen, dem verbotene Früchte besonders gut schmecken, kommt hier zum Vorschein. In anderen Fällen ist der entwendete Gegenstand oder der Stehlakt selbst Sexualziel; wiederholt sind Fetischisten beschrieben, die schon im Stehlakt sexuelle Spannungsgefühle bekamen, bei denen der Orgasmus meist aber erst kurz nach dem Entwenden ihres Objekts auftrat. Auch masochistische Tendenzen können mitspielen; dabei kann sich im Augenblick des Stehlens Angst und Grauen zu höchster Wollust steigern. Schließlich gibt es gewisse unbestimmte D r a n g z u s t ä n d e , deren triebhafte Unruhe durch irgendeine „Entladungsreaktion", unter anderem durch Stehlen gelöst wird. Derartige Reaktionen sind jedoch selten. Es ist mit ihnen ähnlich wie mit den Entgleisungen Jugendlicher, für die ein Motiv nicht zu finden ist; solche Entgleisungen sind jedoch nur scheinbar Augenblickshandlungen; dahinter steckt eine Mannigfaltigkeit unterirdischer Motivationen 3 ). Auf die Bedeutung der Generationsphasen des Weibes für solche Delikte werden wir später eingehen (S. 279). Forensisch liegt bei all diesen Handlungen, die wir jetzt als überwiegend nicht triebhaft erkannt haben, kein Grund zu milderer Behandlung vor, wenn das Motiv erkennbar ist, und wenn nicht eine besondere Abartigkeit oder gar eine echte Geistesstörung die Ursache ist. Manche Fälle bleiben freilich psychologisch rätselhaft. Hier wird die Beurteilung sich nach dem Grade der Persönlichkeitsfremdheit der Tat zu richten haben. Ganz anders sind gewisse Drangzustände zu beurteilen, die bei Encephalitikern beobachtet werden; auch bei ihnen kommt es manchmal zu plötzlichen unerwarteten Handlungen (sexuelle und andere Angriffe, Diebstähle), für die dann freilich die Verantwortlichkeit aufgehoben ist. Die zivilrechtliche Bedeutung aller dieser Handlungen ist gering. J
) Spranger,
1. c.
Spezielle gerichtliche Psychopathologie Vorbemerkung Die folgenden Ausführungen verfolgen einen doppelten Zweck: einmal sollen sie dem Juristen einen Uberblick über die Fülle der pathologischen Erscheinungen auf dem Gebiete des Seelenlebens geben. Dieser Überblick kann nur das Wesentliche und auch dieses nur stark verkürzt und vereinfacht vermitteln. Er soll dem Juristen helfen, sich über die psychiatrischen Begriffe zu orientieren, ihm die Möglichkeit verschaffen, sich schnell etwa über bestimmte Krankheitszustände ein einigermaßen zutreffendes Bild zu machen. Nicht beabsichtigt ist, ihm mit dieser Darstellung wirklich psychiatrische Kenntnisse im vollen Umfange zu vermitteln. Sie zu erwerben, kann nicht Aufgabe des Juristen sein; das ist vielmehr dem ärztlichen Sachverständigen vorbehalten, der sich die nötigen Kenntnisse in eingehendem Studium der Fachliteratur und in langjähriger Übung und Erfahrung erwerben muß. Zum andern soll die Bedeutung der einzelnen Krankheitszustände für rechtliche Fragen kurz erörtert werden. Auch hier soll und kann nichts Erschöpfendes gesagt werden,- es kann sich dabei nur um Anhaltspunkte, um Richtlinien handeln, die im Einzelfalle sich als brauchbar erweisen können, aber nicht müssen. Die Anordnung geschieht nach dem vom Deutschen Verein für Psychiatrie im April 1933 festgesetzten Diagnosenschema, aus dem einige Gruppen zusammengefaßt behandelt werden sollen.
Angeborene und früh erworbene Schwachsinnszustände (Idiotie, Imbecillität, Debilität)') Die Schwachsinnszustände oder die Gruppe der Oligophrenien, wie K r a e p e l i n sie genannt hat, sind von einem gedachten Durchschnitt abweichende und insofern abnorme Zustände mit Krankheitswert, bei denen die intellektuelle Minderbegabung im Vordergrunde steht. Man unterscheidet der Schwere nach Idiotie, Imbecillität, Debilität, die ohne scharfe Grenzen ineinander über1
) Ausführliche Darstellungen enthalten die gängigen Lehrbücher der Psychiatrie von B l e u l e r und B u m k e ; ferner ist zu verweisen auf S t r o h m a y e r im Handbuch der Psychiatrie von B l i n k e , Bd. X, 1928; W e y g a n d t , Der jugendliche Schwachsinn, Stuttgart 1936, und D u b i t s c h e r , Der Schwachsinn, im Handbuch der Erbkrankheiten von G ü 11, Leipzig 1937. 16*
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gehen; die letztgenannte Form führt über die Beschränktheit und Dummheit, denen man keinen Krankheitswert zuspricht, zu dem normal intelligenten Durchschnittsmenschen. Ihrer Ursache nach zerfallen die Schwachsinnszustände in zahlreiche Gruppen, von denen ein Teil endogen, d. h. anlagebedingt, ein anderer Teil exogen, d. h. umweltbedingt ist. Unter den Umweltfaktoren, die Schwachsinn verursachen können, sind Infektionskrankheiten wie Encephalitis, Meningitis und namentlich die Syphilis, weiter Störungen des Drüsenhaushalts, Gifte und traumatische Schädigungen namentlich durch den Geburtsakt hervorzuheben. Die anlagebedingten Schwachsinnszustände sind, ähnlich wie die verschiedenen Formen der Psychopathie, nichts anderes als Varianten, Spielarten der menschlichen Persönlichkeit. Trotzdem erkennen wir ihnen, sobald der Schwachsinn einen stärkeren Grad erreicht, Krankheitswert zu; kein Sachverständiger wird etwa einem Imbecillen schwereren Ausmaßes den Schutz des § 51 StGB, versagen. Das ist wichtig, weil manche Autoren für die charakterlichen Abweichungen von der Norm, die verschiedenen Formen der Psychopathie, den Krankheitswert prinzipiell ablehnen, weil es sich eben nur um Varianten der menschlichen Persönlichkeit handele. Wir haben diese Frage schon früher (S. 44 ff. u. 149 f.) berührt. Für die forensische Beurteilung spielt die Ätiologie eine durchaus untergeordnete Rolle; viel wichtiger ist das Zustandsbild. Hier ist nun zunächst hervorzuheben, daß der Intelligenzmangel nicht das einzige Symptom zu sein pflegt, das man bei Schwachsinnigen findet, sondern nur eben das Symptom, das am meisten auffällt, das im Vordergrunde steht. Sicher gibt es Schwachsinnige, die charakterlich unauffällig sind; ich denke namentlich an manche Tagelöhnerfamilien auf dem Lande, deren Glieder sich durch regelmäßige und zuverlässige Arbeit und durch anständiges, zufriedenes Verhalten bei mangelhafter Intelligenz auszeichnen. Zahlreiche Schwachsinnige weisen jedoch auch charakterliche Abnormitäten auf, wie wir sie bei den Psychopathen wiederfinden werden. Für den praktischen Gebrauch wird zur leichteren Verständigung die oben genannte Einteilung benutzt. Dabei pflegt man unter Idiotie einen Schwachsinnsgrad zu verstehen, der eine schulische Ausbildung nicht zuläßt, mit einem Intelligenzalter1) bis zu 6 Jahren, als Imbecillität werden Schwachsinnszustände mit einem Intelligenzalter von 6 bis 12 Jahren, als Debilität solche mit einem IntelligenzUnter Intelligenzalter (I. A.) versteht man den Intelligenzgrad, den ein normales Kind in einem bestimmten Lebensalter haben soll; wenn also ein 8jähriges Kind intellektuell nur dasselbe leistet wie ein 6jähriges, so hat es ein Intelligenzalter von 6 Jahren und ist um 2 Jahre zurückgeblieben. Mit Intelligenzquotient (I. Q.) bezeichnet man das Verhältnis vom I. A. zum Lebensalter. Intelligenzquotienten unter 1 sprechen für Unterbegabung, I. Q. über 1 für überdurchschnittliche Begabung. Brauchbar ist der I. Q. jedoch nur im kindlichen Alter bis höchstens zum 16. Jahre.
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alter von 12 bis 16 oder 18 Jahren bezeichnet. Ich habe sdion darauf hingewiesen, daß scharfe Grenzen nicht gezogen werden können. Es ist auch keineswegs so, daß etwa Erwachsene mit einem Intelligenzalter von 5 Jahren einfach 5jährigen Kindern gleichgesetzt werden könnten; sie haben während ihres Lebens Erfahrungen gesammelt, die das 5jährige Kind nicht haben kann. Es sind nicht Kinder, sondern kindliche Erwachsene, mit denen man zu rechnen hat. »Die" Intelligenz setzt sich auch aus verschiedenen Faktoren zusammen, die verschieden entwickelt sein können. So kann es vorkommen, daß bei Normalbegabten oder sogar Hochbegabten einzelne Seiten der Intelligenz mangelhaft entwickelt sind, und andererseits können Schwachsinnige für einzelne Leistungen gut beanlagt sein, z. B. für Musik, für Rechenaufgaben oder Schachspiel. Manche Menschen, die bei theoretischen Aufgaben versagen, besitzen eine gute praktische Intelligenz. Der psychiatrischen Untersuchung erwachsen für die Prüfung der Intelligenz zwei Aufgaben: einmal ist die Leistungsfähigkeit eines Menschen aus seinem Leben abzuleiten. Die Leistungen in der Schule, namentlich aber im Beruf (Art des Berufs, häufiger Stellenwechsel) bilden die wichtigen Fingerzeige in dieser Beziehung; darüber hinaus aber soll der Psychiater auch selbst prüfen, wie die Leistungsfähigkeit des Untersuchten ist, und zwar geht das Bestreben dahin, das in wenigen Stunden zu tun. Wir verwenden zu diesem Zwecke Aufgaben, die gewisse Anforderungen an die Denkfähigkeit, die Urteils- und Kombinationsfähigkeit usw. stellen, und ziehen aus der Art und Weise, wie der Untersudite diese Aufgaben löst und wie er sich bei der Lösung verhält, bestimmte Schlüsse. Ich halte es dabei für unerläßlich, sich nicht mit der schriftlichen Beantwortung von Fragen zu begnügen, sondern in mündlicher Prüfung zu sehen, wie die Antwort zustande kommt, wie der Prüfling auf die Aufgaben reagiert, ob er etwa nach kurzer Überlegung eine klare Antwort gibt oder ob er sofort unklar daher redet und durch vieles Reden sein mangelhaftes Können zu verdecken sucht. Es sind im Laufe der Zeit zahlreiche brauchbare Tests ausgearbeitet worden, die bei ausführlicher Prüfung im Verein mit der praktischen Lebensbewährung ein ausreichendes Urteil über die Intelligenz möglich machen. Erwähnenswert sind besonders die von B o b e r t a g für deutsche Verhältnisse bearbeitete Methode von B i n e t - S i m o n , die auf die Feststellung des Intelligenzalters hinzielt, und das sogenannte psychologische Profil von R o s s o l i m o . Am meisten benutzt werden mehr oder weniger brauchbare Fragebogen, bei denen es im wesentlichen auf die Erfahrung des Prüfenden mit eben diesen Fragen ankommt1). Daneben hat sich mir der Aussageversuch nach J ) Recht brauchbar ist eine Fragensammlung von K l o o s , Anleitung zur Intelligenzprüfung und ihrer Auswertung, Jena 1943. Die Anforderungen, die K l o o s stellt, sind m. E. freilich manchmal reichlich hoch.
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W. S t e r n und der Assoziationsversuch als recht brauchbar erwiesen. Immer wieder muß darauf hingewiesen werden, daß mangelhafte Schulkenntnisse mit normaler Intelligenz und leidliche Schulkenntnisse mit Beschränktheit oder gar mit leichtem Schwachsinn vereinbar sind. Die Anforderungen, die man auch bei durchschnittlich begabten Volksschülern an die Schulkenntnisse stellen kann, sind denkbar gering. Schon vor 1905 wußten, wie R o d e n w a l d t 1 ) an Rekruten eines preußischen Regiments feststellen konnte, nur etwa 40°/or wer Bismarck war, obwohl sie noch alle wohl von ihm gehört hatten. Heute wird man eine zutreffende Antwort auf diese Frage als über dem Durchschnitt liegend bewerten müssen. Nach ihrem Temperament unterscheidet man sehr grob stumpfe, apathische von lebhaften, erregten Formen. Charakterlich können Geltungssucht, Neid, Rachsucht, Haltlosigkeit, Empfindlichkeit, Neigung zum Lügen, Streitsucht und andere Züge in den Vordergrund treten. Sie sind bei Schwachsinnigen um so bedeutungsvoller, als diese den durch solche Eigenschaften gesetzten Strebungen nicht die intellektuellen Hemmungen entgegensetzen können, die dem Normalen zur Verfügung stehen. Strafrechtlich treten die schweren Idiotieformen kaum in Erscheinung. Diese Unglücklichen, die zum Teil nicht einmal das Niveau von intelligenten Tieren erreichen, sind in der Regel in Anstalten untergebracht, in denen sie keine Möglichkeit zu krimineller Betätigung finden. Es ist selbstverständlich, daß sie generell den Schutz des § 51 Abs. 1 StGB, genießen. Gelegentlich werden sie von anderen zur Ausführung von Verbrechen, z. B. Brandstiftung benutzt. Während früher der Anstifter in solchen Fällen straffrei ausging, ist er heute durchaus strafbar. Das Gros der schwachsinnigen Täter wird von Imbecillen und Debilen gestellt. Übereinstimmend wird von allen Autoren der hohe Prozentsatz der Schwachsinnigen unter den Kriminellen hervorgehoben 2 ). Unter 262 in den letzten 8 Jahren von mir begutachteten Kriminellen befanden sich 41 Schwachsinnige, darunter 11 mit stärker hervortretenden psychopathischen Zügen; von diesen habe ich 14 den Schutz des § 51 Abs. 1 StGB. bzw. des § 3 JGG. zugebilligt, 17 den Absatz 2 des § 51, während ich 10 für strafrechtlich zurechnungsfähig erklärt habe. Unter ihnen befanden sich 14 mit Vermögensdelikten, in der Regel Diebstahl, 10 mit Sittlichkeitsdelikten, 3 Brandstifter; je zweimal handelte es sich um Tötungsdelikte oder Mißhandlung, einmal um Widerstand. Dazu kamen 5 Kriegsverbrechen (Fahnenflucht, unerlaubte Entfernung usw.) und 4 politische Delikte. Das stimmt mit den Erfahrungen der übrigen Autoren ungefähr überein. Im Gutachten wird es darauf ankommen, nicht nur den Grad des Monatsschr. f. Psychiatrie 17, Erg.-Heft 1905 ) Nähere Angaben bei Joh. L a n g e in H o c h e III, S. 415f.
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Schwachsinns aufzuzeigen, sondern die Persönlichkeit in ihrer Gesamtheit darzustellen und zu untersuchen, wie gerade die Kombination von ungünstigen Charakterzügen mit Schwachsinn sich praktisch auswirkt. Die Frage nun, bei welchem Schwachsinnsgrad die erheblich verminderte Zurechnungsfähigkeit beginnt, bei welchem sie in Zurechnungsunfähigkeit übergeht, ist eindeutig nicht zu beantworten. Sie hängt auch nicht allein von dem Grad der Abnormität, sondern auch von der Art der Tat ab: ein einmaliger Gelegenheitsdiebstahl ist auch hinsichtlich der Zurechnungsfähigkeit anders zu beurteilen wie ein vorbereiteter schwerer Diebstahl oder wie gar eine Serie von Einbruchdiebstählen. Jener kann in einer dafür günstigen Situation einem plötzlich auftauchenden Wunsche entspringen, dem der Schwachsinnige nicht die nötigen intellektuellen Hem-> mungen entgegensetzen kann; dieser setzt gewisse Überlegungen voraus. Im allgemeinen handelt es sich bei Schwachsinnigen um relativ primitive Delikte, zu komplizierten Betrügereien sind sie nicht imstande. Eine weitere Frage, zu der wir oft Stellung zu nehmen haben, ist die nach der Verwahrungsbedürftigkeit, wenn die Voraussetzungen des § 51 StGB, vorliegen. Zur Beantwortung dieser Frage wird man die praktische Lebensbewährung heranziehen; man wird also zu untersuchen haben, ob das Gesamtverhalten des Schwachsinnigen bisher so war, daß er in der Freiheit Nützliches geleistet hat, ferner, ob er sich nach Verbüßung einer etwaigen Strafe voraussichtlich wieder in die soziale Gemeinschaft einordnen wird. Diese Fragestellung erweist sich auch in jenen Grenzfällen als brauchbar, in denen man sich über die Zubilligung des § 51 Abs. 2 streiten kann. Bei Verwahrungsbedürftigkeit wird man sich leichter zu seiner Anwendung entschließen, um den Schwachsinnigen nach der Strafverbüßung in einer Anstalt unterbringen zu können. Während bei den einfachen Dauerzuständen namentlich der leichteren Schwachsinnsformen eine gewisse Zurückhaltung hinsichtlich der Zuerkennung des § 51 StGB, geboten erscheint, kann man großzügiger sein, wenn zum Schwachsinn andere vorübergehende Beeinträchtigungen des Geisteszustandes treten, z. B. Alkoholwirkung, stärkere Affekte, Stimmungsanomalien. Daß schwachsinnige Jugendliche oft nicht die Voraussetzungen des § 3 RJGG. erfüllen, ist nach dem Gesagten selbstverständlich. Gerade bei ihnen wird man die vielfach verlangsamte Charakterreifung zu berücksichtigen haben. Die Delikte der schwachsinnigen Jugendlichen sind in erster Linie Diebstähle, aber auch Sexualdelikte, namentlich Sodomie (Unzucht mit Tieren), und Brandstiftungen. Die Freude am Feuer ist bei Kindern ja weit verbreitet; sie besteht bei vielen Halberwachsenen noch fort. Auch das gesunde Kind pflegt beim Feueranzünden sich wenig Gedanken über die etwaigen Folgen zu machen; schwachsinnige Kinder übersehen die Folgen noch weniger.
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Bei der Frage nach der Geschäftsfähigkeit ist darauf hinzuweisen, daß gerade für Schwachsinnige die partielle Geschäftsunfähigkeit anerkannt ist. Es kommt also auf die Art der Geschäfte an. Für kompliziertere Verträge wird man die Geschäftsunfähigkeit bejahen müssen, wenn der Schwachsinn einigermaßen greifbar ist. Starke Beeinflußbarkeit, wie man sie bei Schwachsinnigen häufig finden kann, wird dabei in der Richtung der Geschäftsunfähigkeit zu verwerten sein. In allen Fällen, in denen irgendwie schwierigere Geschäfte zu tätigen sind, sollte man Schwachsinnigen entweder einen Pfleger oder, wenn es erforderlich erscheint, einen Vormund geben. Daß hier die Notwendigkeit der Entmündigung von dem Umfang und der Art der Angelegenheit abhängt, habe ich schon oben betont. Schwachsinnige können durchaus gute Ehegatten sein. Scheidungen aus § 44 und 45 EG. sind deshalb nach meinen Erfahrungen selten. Häufiger sind Aufhebungsklagen nach § 32 EG., wenn der andere Ehegatte vor der Ehe den Schwachsinn des Partners nicht bemerkt hat. Liebe macht blind; man glaubt nicht, w i e blind sie macht. Hinzuweisen ist noch auf den Umstand, daß Schwachsinnige leicht der Verführung unterliegen; sie werden gelegentlich zur Ausführung von Verbrechen benutzt, schwachsinnige Frauen werden häufig zum außerehelichen Geschlechtsverkehr mißbraucht. Dann kann im etwaigen Alimentationsverfahren die Frage auftauchen, ob der Schwängerer habe erkennen können und müssen, daß die uneheliche Mutter geistesschwach war. Bei der Beantwortung dieser Frage wird man große Vorsicht walten lassen müssen. Es wird darauf ankommen, wie lange der Schwängerer die Betreffende kennt, und ob die letztere in dem Rufe steht, schwachsinnig zu sein. Geringere Schwachsinnsgrade werden in der Regel nicht als solche gewertet.
Psychische Störungen nach Hirnverletzungen 1 ) Man unterscheidet „gedeckte" und „offene" oder „penetrierende" Hirnverletzungen. Die erstgenannten kommen hauptsächlich bei Verkehrs- und Betriebsunfällen vor, die zweite Gruppe, die mit Eröffnung der Schädelkapsel einhergeht, umfaßt namentlich die Kriegsverletzungen. Unter den gedeckten Kopfverletzungen unterscheidet man nach alter Gewohnheit die H i r n e r s c h ü t t e r u n g (commotio), die H i r n q u e t s c h u n g (contusio) und die H i r n k o m p r e s s i o n . Befriedigender ist eine den anatomischen Befunden besser gerecht werdende Einteilung, die von der reinen Hirnerschütterung Blutungen, Erweichungen, Wasseranreicherungen (Oedem) und direkte J ) Ausführliche Darstellungen stammen von B. P f e i f f e r in B u m k e s Handbuch der Psychiatrie Bd. VII, S c h e i d im gleichen Handbuch, Erg.Bd. I, M a r b u r g , Handbuch der Neurologie von B u m k e - F o e r s t e r .
Psychische Störungen nach Hirnverletzungen
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Verletzungen der Hirnsubstanz abzutrennen sucht. Klinisch lassen sich jedoch weder die Contusion von der Compression, noch die zuletzt genannten Formen einigermaßen sicher unterscheiden; wir wollen sie deshalb hier der Einfachheit halber unter der Bezeichnung Hirnquetschung der Hirnerschütterung gegenüberstellen. Das Hauptsymptom der H i r n e r s c h ü t t e r u n g ist die Bewußtseinstrübung (Benommenheit) bzw. Bewußtlosigkeit, die in vielen Fällen — nicht in allen — von Erbrechen und Pulsverlangsamung begleitet wird. Das Bewußtsein kehrt nach kürzerer oder längerer Zeit über ein Stadium der Benommenheit wieder zur Norm zurück. Gröbere Störungen irgendwelcher Art bleiben bei der einfachen unkomplizierten Hirnerschütterung nicht zurück. Anders bei der H i r n q u e t s c h u n g . Auch diese kann unter dem eben gezeichneten Bilde verlaufen; Blutungen unter die harte Hirnhaut kommen sogar im Anschluß an leichte, ohne Bewußtseinsverlust einhergehende Schädeltraumen vor. Meist ist jedoch von vornherein die Symptomatologie der Hirnquetschung eine viel schwerere. Die Bewußtseinsstörungen halten viel länger an, es lassen sich im Anfang oft irgendwelche neurologischen Störungen nachweisen, und auch die Psyche ist oft genug, wenn auch nicht immer, verändert. Das Vorhandensein psychischer Störungen, die über die einfache Bewußtlosigkeit hinausgehen, spricht jedenfalls fast immer für eine Beteiligung des Gehirns. Selten nach schweren Hirnerschütterungen, häufiger nach Hirnquetschungen treten im Stadium des Erwachens aus der Bewußtlosigkeit vorübergehende Psychosen mit verschiedenartiger Symptomatologie auf, die von K a l b e r l a h beschriebenen Commotionspsychosen: bei deutlichen Auffassung-, Denk- und Merkstörungen glauben die Kranken in ihrem Beruf tätig zu sein oder haben Sinnestäuschungen. Dabei ist ihre Affektlage manchmal nach der zornmütiggereizten, manchmal\nach der euphorisch-heiteren Seite verändert. Die Gedächtnislücken werden vielfach durch Confabulationen ausgefüllt ( K o r s a k o w s c h e r Symptomenkomplex). Auch Dämmerzustände sind nach Hirnverletzungen beschrieben, d. h. Zustände veränderten Bewußtseins, in denen die Kranken in der Lage sind trotz falscher oder mangelnder Orientierung über Raum und Zeit verhältnismäßig geordnet zu handeln, so daß sie unter Umständen gar nicht auffällig werden. Nach Ablauf dieser Störungen bleibt eine Gedächtnislücke, die sich nicht selten auch auf Ereignisse v o r der Verletzung erstreckt (sog. retrograde Amnesie). Die Erscheinungen bei den sog. o f f e n e n , m e i s t d u r c h S c h u ß v e r u r s a c h t e n V e r l e t z u n g e n sind sehr verschieden. Sie hängen ganz davon ab, welche Teile des Gehirns betroffen sind. Sehr viele Hirnschüsse verlaufen tödlich, doch keineswegs alle. Ich habe den Eindruck gewonnen, als sei die Zahl der Hirnverletzten, die am Leben geblieben sind, im letzten Weltkriege sehr viel größer als im ersten Weltkriege. Auch hier sind Störungen wie die oben
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kurz angedeuteten, häufig, d. h. namentlich Bewußtseinsstörungen. Commotionspsychosen sind ebenso selten wie bei den gedeckten Hirnverletzungen. Dagegen sind häufig sog. Herdsymptome, die, wenn auch meist in geringerem Umfange, auch bei Hirnquetschungen wenigstens anfangs nachweisbar sind. Darunter versteht man Ausfälle, die durch Verletzungen bestimmter Hirnteile Zustandekommen, so etwa Lähmungen bei Verletzung der vorderen Zentralwindung, Sensibilitätsstörungen bei Verletzung der hinteren Zentralwindung, Sehstörungen verschiedener Art, wenn der Pol des Hinterhauptlappens betroffen ist, besonders häufig Sprach-, Lese- und Schreibstörungen. Manche dieser Störungen bilden sich von selbst im Laufe einiger Zeit zurück; andere bleiben bestehen; und es gelingt nur sehr mühsam durch langen, dem Einzelfall angepaßten Unterricht, wenigstens eine brauchbare Verständigungsmöglichkeit zu schaffen. Vielfach bleibt eine sog. posttraumatische Hirnleistungsschwäche ( P o p p e l r e u t e r 1 ) zurück: die Auffassung ist erschwert, die Merkfähigkeit, das Gedächtnis für Zurückliegendes herabgesetzt, die Ermüdbarkeit gesteigert; eine gewisse affektive Abstumpfung und eine Herabsetzung der Willensenergie ergänzen das Bild. In unserem Zusammenhang wichtig sind namentlich die Verletzungen des Stirnhirns. Besonders dann, wenn beide Stirnlappen betroffen sind, kommt es zu eigenartigen und sehr eingreifenden Persönlichkeitsveränderungen. Diese Störungen sind von F e u c h t w a n g e r ' ) beschrieben worden: „Was ihnen fehlt, ist einmal die natürliche gefühlsmäßige Stellungnahme zur Außenwelt, die .Wertung' der auf sie einwirkenden Eindrücke, ein Mangel, der sie gleichgültig und gemütsstumpf, unter Umständen taktlos und läppisch erscheinen läßt. Ferner macht sich bei ihnen ein Verlust der Triebkräfte des Willens geltend. Dieser äußert sich in einer Unfähigkeit, die Aufmerksamkeit dauernd und intensiv anzuspannen, in Zerstreutheit, Ablenkbarkeit, Ermüdbarkeit, den Kranken fehlt das zielbewußte Streben, die Planmäßigkeit in der Verfolgung von Lebenszielen, die Entschlußfähigkeit, die Ausdauer und die Selbstbeherrschung. Infolgedessen werden sie triebhaft und hemmungslos oder unselbständig und beeinflußbar." K. S c h n e i d e r 3 ) hat drei Typen von Wesensveränderungen herausgehoben: 1. Typ: euphorisch, redselig, umständlich, aufdringlich, treuherzig; 2. Typ: apathisch, antriebsarm, stumpf, langsam, schwerfällig; 3. Typ: reizbar, mürrisch, explosibel, gewalttätig, undiszipliniert. Mischungen sind häufig. S c h e i d fügt einen freilich seltenen 4. Typ: Umbildung der Persönlichkeit im Sinne der moral insanity an. Auf der Marburger Hirnverletztenabteilung fand B u s e m a n n 4 ) ) ) 3) 4) mit 1
2
Die psychischen Schädigungen durch Kopfschuß im Kriege, 1918. Die Funktion des Stirnhirns, Berlin 1923. Nervenarzt 8, 1935, S. 567. Bisher nicht veröffentlicht. Ich hatte öfter als Disziplinarvorgesetzter diesen Kranken zu tun.
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unter rund 650 Himverletzten 10 Fälle einer Denkstörung, die er als Dementia puerilis bezeichnet, weil das Denken in der Richtung auf das kindliche Denken reduziert erscheint. Das Bedürfnis nach Eingliederung eines Sach- oder Wertverhalts in das Ganze der Erfahrungen und Wertungen ist deutlich herabgesetzt, das Denken und das verantwortliche Handeln leidet unter einem Mangel an Verbindlichkeit. Fehlbehauptungen werden oft confabulös begründet. Die Gesamthaltung ist spielerisch knabenhaft. Hinsichtlich der verletzten Hirnpartien bestand keine Übereinstimmung; gemeinsam war lange Bewußtlosigkeit nach der Verletzung. Auf dem Boden solcher Veränderungen und der mannigfachen Beschwerden der Hirnverletzten kann es zu psychogenen, depressiven und paranoiden Reaktionen kommen. Wichtig ist auch die traumatische Epilepsie. C r e d n e r 1 ) hat an einem fast 2000 freilich wohl nur die schwereren Fälle umfassenden Material ausgerechnet, daß rund die Hälfte (49,5°/o) der offenen Hirnverletzungen zu epileptischen Anfällen führt. In 20°/° der Fälle gilt das auch für die übrigen Schädelverletzungen mit nachgewiesener Hirnschädigung. Dabei wurden überwiegend große generalisierte Anfälle beobachtet, seltener Jacksonanfälle, d. h. solche Anfälle, die erkennbar von einem Herd ausgehen, Absencen, Dämmerzustände und Schwindelerscheinungen. Forensisch 2 ) sind namentlich die Persönlichkeitsveränderungen bei Stirnhirnverletzungen und die traumatische Epilepsie von Bedeutung. Neben Eigentumsdelikten sind Sexualverbrechen, aber auch Beleidigungen, Körperverletzungen, Widerstand zu erwähnen. Besonders hinzuweisen ist auf die Alkoholintoleranz und die Neigung zu pathologischen Rauschzuständen der Hirnverletzten. Die Zurechnungsfähigkeit wird im allgemeinen zu bejahen sein, wenn es sich nur um neurologische Ausfälle — Lähmungen, Sprach-, Sehstörungen usw. — handelt. Auch eine leichte posttraumatische Demenz hebt die Zurechnungsfähigkeit nicht auf, kann sie aber, je nach der Art des Delikts einschränken. Persönlichkeitsveränderungen sind durch sorgfältigen Vergleich mit der Zeit v o r der Verletzung zu objektivieren. Sind dann deutliche Unterschiede vorhanden, waren insbesondere vor der Verletzung kriminelle Neigungen nicht da, so wird man mit der Anwendung des § 51 StGB, großzügig sein können. Nach meinen Erfahrungen im letzten Kriege wird in manchen Fällen nichts anderes übrigbleiben als die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, da Strafen kaum einen Einfluß ausüben. Einzelne dieser Verletzten fielen immer wieder auf durch die Unbekümmertheit, mit der sie gegen die militärischen Vorschriften verstießen. Man hatte das Gefühl, daß Ermahnungen an ihnen abprallten, ohne daß etwa böser Wille vorhanden war. Es war jedes Scham- und Taktgefühl bei 1) Z.Neur. 126, 1930, S. 721. 2 ) S. dazu S. 55.
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ihnen fortgefallen. Bei Alkoholdelikten Hirnverletzter sollte man nicht versäumen, Toleranzversuche anzustellen. S c h o t t k y 1 ) hat vor wenigen Jahren einen Fall von Brandstiftung beschrieben, in dem der Alkoholversuch klärend wirkte. Auch die posttraumatische moral insanity ist als krankhaft zu werten und führt zur Exculpierung. Ebenso schließen epileptische Ausnahmezustände ohne weiteres die Verantwortlichkeit aus. Bei Jugendlichen wirken sich Hirnverletzungen oft noch schwerer aus als bei Erwachsenen. Die geistige und charakterliche Entwicklung kann dadurch erheblich gestört werden. Die Verhältnisse liegen hier ähnlich wie bei der Encephalitis epidemica, die bei Jugendlichen auch schlimmere Auswirkungen hat als bei Erwachsenen. Ob man bei ihnen den § 3 RJGG. oder den § 51 StGB, anwenden kann, hängt von der Lage des einzelnen Falles ab. Gelegentlich ist die Frage zu entscheiden, ob eine Hirnverletzung als schwere Körperverletzung anzusehen sei. Diese Frage ist zu bejahen, wenn Herderscheinungen vorliegen, ebenso aber auch, wenn Persönlichkeitsveränderungen nachweisbar sind. Bei der Wehrmacht wurde j e d e Hirnverletzung, auch die ohne nachweisbare Folgen als schwere Verletzung gerechnet und führte zur Anerkennung mindestens der Versehrtenstufe II; ich halte das nicht für ganz begründet. Es gibt doch eine ganze Reihe Hirnverletzter, denen man überhaupt nichts anmerkt, die ihrem Beruf wie vor der Verletzung nachgehen können. Es kommt dabei m. E. nicht auf den anfänglichen Befund, sondern auf die bleibenden Folgen an; daher sind auch die im akuten Stadium manchmal auftretenden vorübergehenden Geistesstörungen nicht als schwere Körperverletzungen aufzufassen. Die Entmündigung Hirnverletzter sollte man nach Möglichkeit zu vermeiden suchen. Sie sind doch überwiegend Opfer des Krieges, empfinden vielfach schon die Verletzung mit einer gewissen Verbitterung und sehen in der Entmündigung, wenn auch mit Unrecht, eine Entrechtung, unter der sie seelisch leiden. Schwierige Fragen, insofern sie auch unser Mitgefühl beanspruchen, wird uns wahrscheinlich das Ehegesetz stellen. Die Ehe mit einem Schwerverletzten dieser Art stellt an die Partnerin große Anforderungen: Geduld, Gleichmut, Liebe, Entsagung und eine Ehegesinnung werden gefordert, die weit über das Gewöhnliche hinausgehen, die man aber vom Durchschnitt kaum erwarten kann. Dabei hatte ich den Eindruck, daß Hirnverletzte dazu neigen, sozial unter ihnen stehende Partner zu wählen. Ob diese die genannten Eigenschaften aufbringen, ist in vielen Fällen mehr als fraglich. Es wird daher im Laufe der nächsten Jahre wahrscheinlich zu manchen Auf!) A. Z. Ps. 118, 1941, namentlich S. 96 ff. Die v o n ihm verabfolgte Menge — die Getränke entsprachen einer Menge v o n 460 g absolutem Alkohol — ist freilich reichlich heroisch (s. auch S. 71).
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hebungs- und Scheidungsklagen kommen, die sich auf die §§ 32, 44 und 45 EG. stützen. Regeln lassen sich dafür nicht geben. In der Rentenbegutachtung werden Hirnverletzte vielfach falsch eingeschätzt1). Gerade die Leichtverletzten, die keine groben Herdsymptome haben, die daher nach außen nicht als besonders geschädigt auffallen, die aber doch mancherlei Beschwerden haben, neigen zu psychogenen Verstärkungen ihrer Klagen. Als Folge davon werden dann manchmal alle Ansprüche abgelehnt, weil die leichten Schwächezustände, die der psychogenen Übersteigerung zugrunde liegen, nicht bemerkt werden. Die Veränderungen nach Stirnhirnverletzungen werden leicht für hysterisch gehalten. Nur genaueste Untersuchung, bei der das psychologische Experiment Ausschlaggebendes leisten kann, schützt vor solchen Fehlbeurteilungen.
Die psychischen Störungen infolge von Syphilis Die wichtigste hierher gehörige Krankheit und eine der häufigsten Geisteskrankheiten überhaupt ist die p r o g r e s s i v e P a r a l y s e , die von Laien meist fälschlich als Gehirnerweichung bezeichnet wird. Die Ursache dieser Erkrankung ist die Syphilis. Während man früher glaubte, daß es sich um eine Nachkrankheit der Lues ( = Syphilis) handele — man sprach deshalb von „Metalues" —, wissen wir heute, daß es sich um Hirnprozesse handelt, die unmittelbar durch den Erreger der Syphilis, die Spirochaeta pallida, hervorgerufen werden. Die Erkrankung tritt nicht unmittelbar nach der Infektion auf, sondern es vergehen stets einige Jahre, bevor es zur Paralyse kommt. Dieser Zeitraum zwischen Infektion und Ausbruch der Paralyse schwankt zwischen etwa 3 und 45 Jahren: die Mehrzahl der Erkrankungen tritt nach 10 bis 15 Jahren auf. Die Dauer des Intervalls ist in gewisser Weise ahhängig davon, in welchem Alter die Infektion erworben wird. Junge Menschen erkranken in der Regel nach einem längeren Intervall als alte. Das häufigste Ausbruchsalter der progressiven Paralyse liegt um das 40. Lebensjahr herum. Männer erkranken sehr viel häufiger als Frauen. Krankheitserscheinungen treten sowohl auf körperlichen als auch •auf psychischem Gebiet auf. Unter den letzteren ist das wichtigste Symptom, das niemals fehlt, die von H o c h e daher als Achsensymptom bezeichnete fortschreitende Verblödung: Wir finden ungenaue Auffassung, allmähliches Nachlassen der Merkfähigkeit, des •Gedächtnisses, Mängel der Aufmerksamkeit, Verlangsamung und Erschwerung des Denkens, zunehmende Urteilsschwäche und Kritikunfähigkeit den eigenen Handlungen gegenüber. Neben diesen, vor!) Dazu L i n d e n b e r g und P o ppe 1 r e u t e r , Wiener med. Wschr. 1942, II.
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nehmlich auf intellektuellem Gebiete liegenden Mängeln machen sich schon früh gewisse Störungen des Gefühlslebens bemerkbar. Die Kranken werden auffällig durch unerwartete Taktlosigkeiten; so erzählte einer meiner Kranken in Gegenwart seiner Frau und einer anderen Dame ungeniert von sexuellen Erlebnissen, die er mit Eingeborenen auf Madagaskar gehabt hatte. Moralische Hemmungen fallen fort, auftauchende Wünsche auch unsinniger Art werden sofort realisiert. Schließlich ist auch die affektive Ansprechbarkeit verändert: neben zornmütigen Erregungen fällt immer wieder die Leichtigkeit auf, mit der der Affekt zwischen Extremen, zwischen Verzweiflung und Glückseligkeit hin- und herschwanken kann. Ein kleiner Scherz genügt, um den eben noch tiefbedrückten weinenden Kranken zum fröhlichen Lachen zu bewegen. Diese Verblödung kann das einzige psychische Symptom der Erkrankung sein; wir sprechen dann von der „einfach dementen" Form der Paralyse. Sie ist die häufigste Erscheinungsform, in der die Paralyse auftritt. Es können jedoch daneben andere psychische Erscheinungen zur Beobachtung kommen; ja, man kann sagen, daß es kaum ein psychopathologisches Symptom gibt, das bei der Paralyse nicht einmal gefunden werden kann. Obwohl diese Symptome oft sehr viel auffälliger sind als die langsam fortschreitende und daher oft erst sehr spät bemerkte Verblödung, handelt es sich für den Krankheitsverlauf doch nur um Neben- oder — nach der H o c h e sehen Ausdrucksweise — um Randsymptome. Durch sie wird zunächst das Bild der sog. k l a s s i s c h e n P a r a l y s e bestimmt, das anscheinend allmählich seltener geworden ist. Sie ist gekennzeichnet durch Größenideen, die leicht beeinflußbar und steigerungsfähig zu sein pflegen, aber auch durch ihre Maßlosigkeit auffallen. Der Kranke ist dann Kaiser, Gott, verfügt über ungezählte Milliarden, schreibt ohne Bedenken einen Schein aus, durch den er Millionen verschenkt, renommiert mit seinen fabelhaften Körperkräften usw. Bescheidenere Kranke begnügen sich mit geringeren Posten: sie sind General, Direktor der Anstalt, geben Anweisung, den Arzt zu köpfen, alles das in oft strahlender gehobener Laune. Seltener ist eine d e p r e s s i v e Form, bei der die Kranken Wahnideen der Stimmung entsprechenden Inhalts äußern, die wiederum maßlos übertrieben sein können: Sie sind dann tot, haben kein Herz, keinen Magen mehr, sind dem Teufel verfallen, die größten Sünder der Welt, haben die schwersten Verbrechen begangen u. dgl. mehr. Selten ist auch die k a t a t o n - h a l l u z i n a t o r i s c h e Ausprägung der Krankheit; sie scheint in Norddeutschland häufiger zu sein als in Süddeutschland, wir haben sie jedenfalls in Hamburg an einem freilich recht großen Material öfters beobachtet, während sie in München kaum vorkam. Während des ganzen Verlaufs können schlaganfallsähnliche Zu-
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stände und epileptiforme Anfälle bei allen Formen auftreten. Die dabei entstehenden Halbseitenlähmungen bilden sich in der Regel in wenigen Tagen wieder zurück. Treten solche Anfälle häufiger und neben der Verblödung als einziges Symptom auf, so sprechen wir von A n f a l l s p a r a l y s e . Wenn wir auch aus dem Alter des Patienten und den psychischen Symptomen schon gewisse Anhaltspunkte für die Diagnose gewinnen können, so genügen sie doch nicht, die Krankheit sicherzustellen. Verblödungsprozesse, wie sie der progressiven Paralyse eigen sind, werden auch bei schwerer Sklerose der Hirngefäße oder bei der P i c k sehen Krankheit, die im Schwund eines oder mehrerer Hirnlappen besteht, gefunden. Ausschlaggebend für die Erkennung der progressiven Paralyse ist der körperliche Befund. Fast regelmäßig findet man Pupillenstörungen: die Pupillen sind vielfach verschieden weit (Anisokorie), mehr oder weniger verzogen, und die Reaktion auf Lichteinfall wie auf Nahesehen — in beiden Fällen werden die Pupillen normalerweise enger — ist herabgesetzt oder ganz aufgehoben. Fehlen beide Reaktionen, so sprechen wir von absoluter Pupillenstarre; ist die Lichtreaktion allein aufgehoben, bezeichnen wir das als reflektorische Pupillenstarre. Diese Störungen sind im Beginn der Erkrankung freilich oft nur angedeutet oder fehlen in seltenen Fällen noch ganz. Häufig findet man auch leichte Reflexanomalien, Differenzen, Steigerung oder Fehlen der Sehnenreflexe, letzteres meist bei gleichzeitiger Tabes dorsalis, der sog. Rückenmarkschwindsucht. Wichtig sind die Sprach- und Schreibstörungen. Die Sprache wirkt schon im gewöhnlichen Gespräch oft unscharf artikuliert, verwaschen. Prüft man sie, indem man schwierige Worte nachsprechen läßt, so kommt es zu deutlichem Silbenstolpern und zu Auslassungen oder Verdoppelungen. Dabei macht sich oft ein charakteristisches Beben der Mundmuskulatur bemerkbar, während die Gesichtszüge sonst schlaff wirken (Wetterleuchten). Bei fortgeschrittener Erkrankung wird die Sprache zu einem kaum verständlichen Lallen. Auch die Schrift verändert sich mehr und mehr. Die Schriftzüge verlieren an Sicherheit, werden zitterig, das gesamte Schriftbild wird unsauber, die räumliche Aufteilung wird weniger gut, es kommt zu Auslassungen und Verdoppelungen von Buchstaben, Silben und Worten. Diese Störungen machen im Verein mit den psychischen Veränderungen und den Pupillenstörungen die Diagnose schon sehr wahrscheinlich. Endgültige Sicherheit bringt aber erst der serologische Befund. Im Blut sind die für Syphilis spezifischen Reaktionen (W a s s e r m a n n , M e i n i c k e sehe Flockungsreaktion, M ü l l e r sehe Ballungsreaktion) fast immer, in der Rückenmarksflüssigkeit immer positiv, in der letzteren schon bei geringen Liquorportionen (0,2). Dazu findet man in der Rückenmarksflüssigkeit, dem Liquor cerebrospinalis, eine deutliche, wenn auch mäßige Vermehrung der Zellen^
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der Globulingehalt ist erhöht, so daß das Verhältnis Globulin/Albumin, der sog. Eiweißquotient, der normalerweise etwa 0,25 beträgt, auf etwa 1,0 steigt; die Kolloidreaktionen ergeben charakteristische Kurven. Solche Befunde sind nun gelegentlich schon in einem sehr frühen Stadium der Lues zu erheben, ohne daß eine Paralyse vorliegt. Zur Diagnose der progressiven Paralyse ist daher das Zusammentreffen von neurologischen Abweichungen, charakteristischem serologischen Befund und psychischen Störungen erforderlich. Der V e r l a u f der unbehandelten Paralyse ist gekennzeichnet durch ein allmählich zunehmendes körperliches und geistiges Siechtum, das mit ganz wenigen Ausnahmen, in der Regel nach 2 bis 4 Jahren, mit dem Tode endet. Manche Fälle verlaufen sehr viel schneller, in einigen wenigen kommt es zu längerdauerndem Stillstand des Prozesses mit körperlicher und geistiger Erholung. Noch vor wenigen Jahrzehnten war die B e h a n d l u n g der Paralyse praktisch aussichtslos. Es ist das Verdienst W a g n e r J a u r e g g s , hier Wandel geschaffen zu haben. Anknüpfend an alte Erfahrungen, daß mit Fieber verbundene Erkrankungen den Verlauf der Paralyse günstig beeinflußten, versuchte W a g n e r J a u r e g g mit verschiedenen Methoden, Fieber zu erzeugen. Nach Versuchen mit Tuberkulin, abgetöteten Typhusbazillen und chemischen Mitteln impfte er 1917 zuerst einige Kranke mit Malaria. Der Erfolg schien ermutigend. Seit 1919 ist die Malariabehandlung dann in seiner Klinik in Wien, daneben insbesondere in der Hamburger Klinik von W e y g a n d t und M ü h l e n s in einer großen Zahl von Fällen durchgeführt und propagiert worden. Andere Methoden mit Rückfallfieber (Münchener Klinik), Rattenbißfieber und Pyrifer (das einen aus Milch gewonnenen Colistamm enthält) wurden durchgeführt. Die Malariabehandlung hat jedoch ihren Vorrang behauptet. Infolge dieser Behandlung, die jetzt zum Allgemeingut geworden ist, sind bei frischen Erkrankungen praktische Heilungen, bei älteren Fällen immerhin lange anhaltende Besserungen zu erzielen 1 ). Von der progressiven Paralyse sind abzutrennen die Erkrankungen, die unter der Bezeichnung L u e s c e r e b r i zusammengefaßt werden. Bei der Paralyse handelt es sich um einen anatomisch gut gekennzeichneten Prozeß, der zu weitgehendem Untergang der Gehirnzellen und damit zu einer Verschmälerung der Gehirnwindungen hauptsächlich des Stirnhirns, weniger des Scheitel- und Schläfenhirns, am wenigsten der Zentralwindungen und des Hinterhauptlappens führt. Bei der Lues cerebri finden sich Veränderungen an den Blutgefäßen und an den Hirnhäuten; selten sind größere Gummen, d. h. spezifisch syphilitische Neubildungen. Die psychischen und körperlichen Störungen können denen der Paralyse ähnlich sein; in solchen Fällen ist die serologische Untersuchung differentialdiagnostisch ausschlaggebend. In der Regel sind die psychischen l
) Zwei solche Fälle habe ich S. 51 kurz wiedergegeben.
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Erscheinungen sehr viel geringfügiger als bei der Paralyse und ähneln denen bei der Hirnarteriosklerose. Anders zu beurteilen ist die T a b e s d o r s a l i s (sog. Rückenmarksschwindsucht) ; wenn sie nicht mit einer Paralyse vergesellschaftet ist, was gelegentlich vorkommt, fehlen bei ihr psychische Störungen. Forensisch führt die nachgewiesene unbehandelte progressive Paralyse ausnahmslos zur Anwendung des § 51 Abs. 1 StGB. Die Diagnose macht manchmal freilich gewisse Schwierigkeiten. Ich habe oben bereits darauf hingewiesen, daß sich bei manchen Syphilitikern charakteristische serologische Befunde feststellen lassen, ohne daß neurologische oder psychische Abweichungen vorhanden sind. In solchen Fällen muß man sehr vorsichtig mit der Diagnose einer Paralyse sein1). Schwierig kann es sein, die Frage zu entscheiden, ob die Paralyse zur Zeit der Tat schon bestand. Wir bekommen ja den Täter meist erst längere Zeit nach der Tat zur Untersuchung. Hier kann eine genaue Anamnese und der Vergleich der Schrift aufschlußreich sein. Wenn sich aus der Zeit der Tat Schriftstücke finden, die gegen früher Veränderungen (Zittererscheinungen, Auslassungen, Verdoppelungen usw.) aufweisen, so ist daraus fast mit Sicherheit zu schließen, daß die Paralyse auch schon zu jener Zeit bestand. Die Anamnese hätte die Aufgabe, etwaige Persönlichkeitsveränderungen (Taktlosigkeiten, Nachlässigkeiten im Beruf und im Anzug usw.), unter Umständen durch Befragen von Freunden, Mitarbeitern, Verwandten festzustellen. Wichtig ist auch die Art der Tat. Häufig zeigt sie schon auffallende Züge. So entwendete einer meiner Kranken von einem auf dem Bahnsteig stehenden Gepäckwagen einen Koffer vor aller Augen und wurde sofort verhaftet. Diebstähle und Sittlichkeitsverbrechen sind wohl überhaupt die häufigsten Delikte, die bei Paralytikern vorkommen. Wichtig ist auch, ob der Täter bisher unbescholten war. Wenn jemand im Alter von etwa 40 Jahren zum ersten Male kriminell wird, so ist das an sich ja schon auffallend. Stellt sich dann heraus, daß er Paralytiker ist, daß er aber zur Zeit der Tat noch unauffällig war, so wird man trotzdem Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit äußern müssen. Man wird dabei zu bedenken haben, daß der Fortfall von moralischen Hemmungen manchmal das erste Zeichen der beginnenden Paralyse ist, und daß das Delikt für diese erste Veränderung der äußere Ausdrudc ist. Manchem ist übrigens ein solches Delikt recht nützlich geworden, weil es ihn rechtzeitig zum Facharzt führte. Es ist erstaunlich, wie spät oft die geistige Erkrankung als solche von der Umgebung erkannt wird; man scheut Das ist auch wichtig für die Behandlung. Derartige Kranke sprechen oft auf die spezifische Behandlung gut an. Die Malariabehandlung unterschiedslos bei allen Kranken anzuwenden, die einen womöglich unvollständigen positiven Liquorbefund haben, halte ich für falsch. Langelüddeke,
Gerichtliche Psychiatrie.
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sich offenbar, das Kind bei Namen zu nennen, schiebt die Veränderung auf Überarbeitung, besondere Erlebnisse, und versäumt so die beste Zeit für die Behandlung. Leider wird auch von Ärzten die Diagnose oft recht spät gestellt, oder es wird Zeit mit unzulänglichen Behandlungsversuchen vertan. Schwierig ist die strafrechtliche Beurteilung der geheilten oder defektgeheilten Paralytiker. Ich habe diese Frage schon weiter oben (S. 51 f.) behandelt. Hier will ich kurz nur sagen, daß man m. E. von Fall zu Fall entscheiden muß. Alle behandelten Paralytiker für zurechnungsunfähig zu erklären, kann ich mich nicht entschließen. Volle Zurechnungsfähigkeit wird aber wohl nur selten anzunehmen sein. Die kriminellen Neigungen behandelter Paralytiker sind im übrigen nicht groß. A l e x a n d e r und N y s s e n 1 ) fanden unter 164 malariabehandelten Paralytikern nur einen, der kriminell geworden war, J o ß m a n n 2 ) unter 1668 behandelten Paralytikern acht. Man wird daher nur ausnahmsweise diese Frage zu entscheiden haben. Bei der Lues cerebri sind die Verhältnisse ähnlich wie bei der Arteriosklerose des Gehirns. Das Vorhandensein solcher Gefäßveränderungen im Gehirn braucht keineswegs Zurechnungsunfähigkeit zur Folge zu haben; es kommt vielmehr darauf an, ob psychische Veränderungen vorhanden sind, und auf deren Ausmaß. Ein Fall von Unterschlagung bei Paralyse möge hier als Beispiel erwähnt werden. Der Postschaffner W. H., bisher unbestraft, 48 Jahre alt, öffnete mehrere Feldpostsendungen und nahm den Inhalt an sich. Er nahm die Sendungen mit auf den Abort, öffnete sie dort und warf das Packpapier in den Abort oder in einen Mülleimer. Familiengeschichte o. B. Selbst Volksschule, einmal sitzen geblieben. 3 Jahre Malerlehre, dann Gehilfenstellungen, 1925 Meisterprüfung und eigenes Geschäft, das gut ging. Seit 1939 vergeßlich, erzählte Intimitäten aus seiner Ehe. 1940 Geschäft verkauft, weil er nicht mehr damit fertig wurde. Versuchte sich dann als Gefängniswärter; nach 2 Tagen als völlig ungeeignet entlassen: ließ alle Türen offen, gebrauchte einer Hilfsaufseherin gegenüber unflätige Redensarten. Dann zur Post. Dort nicht für voll angesehen. Im April 1941 zu einem Luftschutzkursus nach Seesen geschickt, kam nicht zurück, wurde schließlich in Magdeburg in Schutzhaft genommen und vom Sohne zurückgeholt. Körperlich: Pupillenstörungen, Bewegungen schwerfällig, unsicher, deutliche Sprach- und Schreibstörungen. Serologisch nicht ganz für Paralyse charakteristischer Befund (Eiweißquotient 0,42). Psychisch: mangelhafte Auffassung, deutliche Merkschwäche, war nicht imstande, seine Erlebnisse in Seesen und danach wiederzugeben, deutlich urteilsschwach und stumpf. Diagnose: Trotz etwas atypischen Befundes im Liquor progressive Paralyse. Beurteilung: zurechnungsunfähig nach § 51, 1 StGB.3).
Die Entmündigung hängt vom Umfang der Angelegenheiten ab; wird sie erforderlich, wird man die unbehandelte Paralyse regel') Journ. de Neurol. 29, 1929; Ref. im Zb. Neur. SO, 1929, S. 199. «) A.Z. Ps. 95, 1931, S. 231. *) Pat. wurde behandelt und erheblich gebessert.
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mäßig unter den Begriff der Geisteskrankheit im Sinne des § 6 BGB. unterordnen müssen, während die defektgeheilte Paralyse wohl auch als Geistesschwäche gelten kann. Ausgesprochene Paralytiker sind geschäftsunfähig. Anders liegen die Dinge bei mit Erfolg behandelten Kranken. Bei ihnen wird man gar nicht so selten Geschäftsfähigkeit annehmen müssen; dabei wird es, ähnlich wie beim Schwachsinn, auf die Art des Geschäfts ankommen. Verhältnismäßig häufig ist bei Paralyse die Frage nach der geistigen Gemeinschaft (§ 45 EG.) zu beantworten, immer wohl erst nach mißglücktem Behandlungsversuch. In der Regel ist die geistige Gemeinschaft dann aufgehoben. Die Kranken stehen ihrer Familie, den Sorgen, die damit verbunden sind, meist verständnislos gegenüber. Die sogenannte juvenile Paralyse, die auf dem Boden einer angeborenen Syphilis etwa um das 15. Lebensjahr sich zu entwickeln pflegt, unterliegt der gleichen strafrechtlichen Beurteilung wie die Erkrankung der Erwachsenen. Der durch Lues bedingte Schwachsinn ist wie die anderen Schwachsinnsformen zu behandeln.
Die epidemische Encephalitis Diese Erkrankung ist wahrscheinlich auch früher schon sporadisch in kleineren Epidemien aufgetreten; so ist es möglich, daß die anfangs der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts unter der Bezeichnung „Nona" in Oberitalien beobachteten Fälle mit der Encephalitis epidemica identisch sind. Besondere Bedeutung hat die Erkrankung aber erst gewonnen durch die während des ersten Weltkrieges sich anbahnende Epidemie, die in den Jahren nach dem Kriege ihren Höhepunkt erreichte. F. S t e r n schätzt die Zahl der in Deutschland beobachteten Fälle auf 60 000, von denen nach seiner Meinung 20 000 bis 30 000 Kranke in das chronische Stadium des sog. Parkinsonismus gerieten 1 ). Die ersten Beschreibungen stammen in Deutschland von v. E c o n o m o , in Frankreich von C r u c h e t. Im akuten Stadium, das forensisch keine nennenswerte Bedeutung hat, unterscheidet man drei Hauptformen, die l e t h a r g i s c h e , die h y p e r k i n e t i s c h e und die a m y o s t a t i s c h e . Das Hauptsymptom der sog. E n c e p h a l i t i s l e t h a r g i c a ist die Schlafstörung. Diese kann in einem wochenlang fortgesetzten Schlaf bestehen, aus dem die Kranken aber erweckbar sind, so daß sie Nahrung zu sich nehmen und ihre Bedürfnisse im allgemeinen erx
) Handbuch der Neurologie von B u m k e und F o e r s t e r , Bd. (1936), S. 327. Dort findet man die wohl gründlichste Darstellung Erkrankung mit Ausnahme der psychischen Störungen; diese sind R u n g e im B u m k e sehen Handbuch der Geisteskrankheiten Bd. (1928), S. 537 ff. beschrieben. 17*
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ledigen können, um dann wieder einzuschlafen. In anderen Fällen kommt es zu lange anhaltender Schlaflosigkeit oder zu einer Schlafverschiebung derart, daß die Kranken tagsüber schlafen oder schläfrig sind, während sie nachts unruhig werden. Das gilt namentlich für Kinder. Die Erkrankung entwickelt sich meist aus uncharakteristischen Erscheinungen heraus, wie sie auch bei anderen Infektionskrankheiten zu finden sind. Sie ist fast stets mit Augenmuskellähmungen verbunden. Die sog. h y p e r k i n e t i s c h e n Formen sind gekennzeichnet durch verschiedenartige Störungen der Motorik. In manchen Fällen treten unwillkürliche ausfahrende Zuckungen der Glieder, sog. choreiforme Bewegungen auf, in anderen Dreh- oder Wälzbewegungen oder rhythmische Muskelzuckungen in den verschiedensten Gebieten. Manchmal sind damit heftige Schmerzen verbunden. Diese Form kann sich aus der lethargischen heraus entwickeln und umgekehrt. Die dritte, a m y o s t a t i s c h e Form ist charakterisiert durch eine eigenartige allgemeine Muskelstarre oder durch auffallende Bewegungsarmut, ohne daß etwa Willkürbewegungen unmöglich geworden wären. Die Kranken liegen regungslos im Bette, blicken starr vor sich hin, ihre Stimme ist kraftlos; sie antworten auf Fragen oft erst nach längerer Pause. Das Gesicht wirkt ausdruckslos, maskenartig. Alle Formen können mit psychischen Störungen vergesellschaftet sein: Desorientiertheit, delirartige Bilder, Veränderungen der Affektlage, bei den lethargischen Formen in der Richtung der Gleichgültigkeit, bei den hyperkinetischen Zuständen unlustbetonte, quälende Stimmungslagen. Manchmal werden auch schizophrenieähnliche Bilder beobachtet. Alle diese Störungen können allmählich wieder soweit abklingen, daß es zu praktischen Heilungen kommt. In einer großen Zahl von Fällen jedoch schließt sich ein Zustand an, der als p o s t e n c e p h a l i t i s c h e r P a r k i n s o n i s m u s bezeichnet zu werden pflegt. Dieser Zustand, der chronisch ist, vielfach die Tendenz zur Verschlimmerung zeigt und auch mit gewissen psychischen Störungen einhergeht, ist forensisch viel wichtiger als die akuten Erscheinungen. Er schließt sich meist nicht unmittelbar an das akute Stadium an, sondern wird erst nach einer unter Umständen jahrelang dauernden Periode, in der die Kranken zwar über leichte Beschwerden wie Kopfschmerzen, Leichtermüdbarkeit, leichte Schlafstörungen u. a. klagen, aber doch im ganzen leidlich gesund erscheinen, deutlich sichtbar. Dabei ist die Schwere der akuten Erkrankung für das Auftreten des chronischen Stadiums nicht maßgebend; nicht selten ist sogar die akute Erkrankung so leicht, daß sie später mit Sicherheit sich gar nicht nachweisen läßt, daß die akute Erkrankung für eine starke Erkältung oder für eine Grippe gehalten worden ist.
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Dieses Stadium beginnt meist mit einer leichten Schwäche in einem Arm oder Bein oder mit leichtem Zittern in einem Gliede. Gleichzeitig bemerkt man eine eigentümlich steife Haltung des Nackens und des Schultergürtels. Dabei kann zwar der Arm willkürlich bewegt werden, doch sind die spontanen Bewegungen eingeschränkt; ein für die Diagnose wichtiges Symptom ist das einseitige Fehlen der Pendelbewegungen eines Armes. Bald wird der Gesichtsausdruck des Kranken merkwürdig starr, die Mimik verliert ihre Beweglichkeit, der Körper wird eigenartig steif etwas nach vornübergebeugt gehalten, der Gang wird kleinschrittig, schlürfend; der Patient verliert die Fähigkeit, einmal angefangene Bewegungen abzustoppen; die Sprache wird leise, tonlos, modulationsarm, in schweren Fällen ist sie schließlich kaum noch verständlich. Die Zitterbewegungen werden allmählich stärker; freilich können sie auch fehlen. Dazu kommen vegetative Störungen: Übersekretion der Talgdrüsen, so daß das Gesicht auffallend fettglänzend aussieht (Salbengesicht), der Speichelfluß kann sehr verstärkt sein, so daß der Speichel oft reichlich aus dem Munde fließt. In ausgeprägten Fällen, in denen „der ausdruckslos vor sich hinstarrende Kranke mit seinem fettglänzenden, regungslosen, maskenartigen Gesicht, dem halboffenen Mund, aus dem sich in langen Fäden Speichel reichlich entleert, der vornüber gebeugten, steifen Haltung, der Bewegungsarmut der oberen Extremitäten, dem kleinschrittigen, trippelnden Gang" 1 ) uns entgegentritt, ist die Diagnose mit einem Blick zu stellen; in anderen, wo diese Symptome sich nur andeutungsweise finden, bedarf es genauester Untersuchung. Psychisch wirken diese Kranken gleichfalls verändert: Freilich sind Auffassung, Beobachtungsvermögen, Gedächtnis, Intelligenz meistens intakt oder haben doch keine nennenswerte Einbuße erlitten, doch ist die seelische Regsamkeit stark eingeschränkt; die Kranken verlieren jede Initiative, es fehlt ihnen der Antrieb, ihre innere Anteilnahme, ihre Resonanzfähigkeit hat abgenommen. Seltener finden sich paranoide oder paranoid-halluzinatorische Bilder wie bei der Schizophrenie. Eine andere chronische Form, die namentlich bei Jugendlichen vorkommt, hat äußerlich Ähnlichkeit mit psychöpathischen Störungen. Das am meisten in die Augen fallende Symptom ist der lebhafte, ungehemmte Bewegungsdrang, der, da eine i n t e r e s s i e r t e Zuwendung meistens fehlt, ziel- und richtungslos die Kranken zu dem greifen läßt, was ihnen zufällig unter die Hände gerät. Die Kinder sind in fortgesetzter Bewegung, betätigen sich dauernd irgendwie, wechseln aber immer wieder die Art ihrer Betätigung. Die Stimmungslage kann leicht gehoben, heiter, unbekümmert oder auch gleichgültig, mürrisch, verdrossen, reizbar, unverträglich sein. Dabei kann es zu plötzlichen Gewalthandlungen kommen. Manchmal v. E c o n o m o , Neue deutsche Klinik 3, 1929, S. 128.
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werden jedoch auch Dranghandlungen ohne einen zornmütigen Affekt beobachtet. So sah P e r r i a 1 ) eine Kranke mit derartigen unwiderstehlichen Drangzuständen — impulsive Anfälle nennt er sie — in denen sie ohne jeden äußeren Anlaß andere Menschen (Arzt, Pflegerin, Familienmitglieder, auch geliebte Personen) plötzlich ohrfeigte. Dazu werden die vorher normalen 2 ) Kinder dreist, vorlaut, zudringlich, reagieren nicht auf Ermahnungen oder andere erziehliche Mittel, laufen aus dem Elternhaus, vagabondieren, betteln, stehlen, neigen zu sexuellen Delikten, kurz, sie bieten das Bild unbeeinflußbarer moralischer Verkommenheit. Die Kranken können dabei eine gewisse Einsicht in das Krankhafte ihres Tuns besitzen, das sie selbst als persönlichkeitsfremd empfinden. Die s t r a f r e c h t l i c h e B e d e u t u n g der epidemischen Encephalitis in ihrem a k u t e n S t a d i u m ist gering. Dagegen sind die Kranken im c h r o n i s c h e n S t a d i u m viel stärker gefährdet. Am häufigsten sind wohl Sexualdelikte, mit denen es der Psychiater zu tun bekommt; ihnen folgen Diebstähle. Seltener sind Gewalttätigkeiten, Sachbeschädigungen, Brandstiftungen und andere Delikte. Veränderungen des Geschlechtslebens sind recht häufig. So fand W i s c h 3 ) bei 64 Fällen von Parkinsonismus in 60% der Fälle Störungen der Sexualsphäre und M a z z e i 4 ) sammelte 54 solcher Fälle. W i m m e r ' l fand unter 34 encephalitischen Kriminellen eine erschreckend hohe Zahl von Sexualdelikten. C r e u t z 6 ) hat 1938 über 14 aus § 42 b StGB, in den rheinschen Anstalten untergebrachte Encephalitiker berichtet. Davon hatten sich 9 Sexualdelikte zuschulden kommen lassen. Nach R u n g e , der die ältere Literatur darüber verwenden konnte, ist vorzeitiges Auftreten sexueller Regungen, triebhafte Neigung zu sexueller Betätigung, Neigung zu Masturbation häufig; aber auch Perversionen sind nicht selten. Ich selbst sah bei einem psychopathieähnlichen Zustandsbild Sodomie; ein anderer Kranker, dem äußerlich wenig anzumerken war, versuchte in einem plötzlich auftretenden Drangzustande seine um 25 Jahre ältere Schwiegermutter zu notzüchtigen, mit der er anerkannt schlecht stand. Sehr häufig sind auch Diebstähle. W i m m e r fand sie unter seinen 34 Fällen 17mal, C r e u t z unter 14 Untergebrachten 5mal. Aber auch schwere Gewalttaten kommen vor. So hat L a n g e n 7 ) über einen Postencephalitiker berichtet, der die Idee hatte, er könne durch die Tötung eines Menschen bzw. durch die damit verbundene ') Arch. di Antrop. criminal. 61, 1941; Ref. im Zb. Neur. 100, 1941, S. 240. ) Belastung mit nervösen Erscheinungen ist öfters festgestellt; selbst waren die Kinder nur ausnahmsweise schon vor der Erkrankung auffällig. s ) Zb. Neur. 90,. 1938, S. 75. *) Zb. Neur. 85, 1937, S. 209. ») Acta psychiatr. (Kebenh.) 5, 1930, S. 23; Ref. Zb. Neur. 57, 1930, S. 238. «) A. Z. Ps. 111, 1939, S. 150. ') Z. Neur. 95, 1925, S. 506. a
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Gemütserschütterung von seiner Krankheit geheilt werden; er hat schließlich nach längerem Schwanken gelegentlich eines Spazierganges einen Knaben erwürgt. Auch S t e r t z ' ) berichtet über ein Tötungsdelikt, bei dem ein wesensveränderter Encephalitiker in einem Gemisch von sexueller Erregung, Jähzorn und Wut sein fünfjähriges Pflegekind erwürgte, dann ihm mit dem Küchenmesser die Kehle durchschnitt und ihm weitere tiefe Schnitte beibrachte. Die forensische Beurteilung dieser Fälle ist nicht immer leicht. Die Meinungen gehen auseinander: während der Jurist v. H e n t i g ! ) Zurechnungsfähigkeit im Sinne des Strafgesetzbuches in der Regel für gegeben ansieht, glaubt R e i d 3 ) , generell Zurechnungsunfähigkeit annehmen zu sollen, da es sich sowohl um Persönlichkeitsfremdheit der Tat wie um fremdartige Persönlichkeiten handele. Ob v. H e n t i g heute noch seine früher geäußerte Meinung aufrechterhalten würde, weiß ich nicht. Mir scheint es nötig, von Fall zu Fall die Entscheidung zu treffen. Sicherlich gibt es Postencephalitiker, die in ihrem Wesen so wenig verändert sind, daß man sie für gewisse Delikte verantwortlich machen muß. Einen solchen Fall von zielbewußten Unterschlagungen hat z. B. M o s e r 4 ) beschrieben. In allen Zweifelsfällen tut man gut, zu untersuchen, ob die Tat persönlichkeitsfremd ist, d. h. der Persönlichkeit fremd, wie sie vor der akuten Krankheit bestand. Auch die psychopathieähnlichen Formen sind in dieser Weise zu beurteilen; man kann sie unmöglich wie gewöhnliche Psychopathen behandeln. Es ist doch ein erheblicher Unterschied, ob jemand zeit seines Lebens so war, wie er ist, ob es sich also um angeborene Charaktereigentümlichkeiten handelt, die erziehlichen Einflüssen zugänglich sind, oder ob es sich um etwas aus einer Krankheit Gewordenes handelt, das sich durch Erziehung, auch durch Strafen kaum beeinflussen läßt. Daß dabei auch der Grad des Defektes berücksichtigt werden muß, ist selbstverständlich. Besonders wichtig sind die Drangzustände, die m. E. regelmäßig zur Exculpierung führen sollten. Man muß einmal gesehen haben, wie aus einer kaum beweglichen, steifen, hilflos erscheinenden Kranken plötzlich eine wilde aggressive Furie werden kann, um die Wirkung dieser Zustände richtig einschätzen zu können. Dieser von mir vertretenen mittleren Linie der Zuerkennung von Zurechnungsfähigkeit folgt die Mehrzahl der Autoren 5 ). Der § 3 RJGG. wird nur für die pseudopsychopathischen Zustände der Jugendlichen in Betracht kommen, wenn man es nicht vorzieht, den § 51 StGB, anzuwenden. Hier wird kaum einmal bei sonst Normalen die Einsichtsfrage verneint werden können. Häufiger wird
*) «) 4 ) ')
M. Kr. Ps. 22, 1931, S. 320. M.Kr. Ps. 17, 1926, S. 298. Dtsche Z. f. Nervenheilk. 124, S. 77. Arcti. f. Psychiatrie 91, 1930. Siehe F. S t e r n , 1. c., S. 471.
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man den jugendlichen Delinquenten die Fähigkeit aberkennen müssen, nach der vorhandenen Einsicht zu handeln. Die Geschäftsfähigkeit der Postencephalitiker ist nur ausnahmsweise aufgehoben, da tiefgehende Demenzzustände doch selten sind. Dennoch kann die Antriebsschwäche und die in manchen Fällen enorme Verlangsamung des Denkens so schwer werden, daß man Geschäftsunfähigkeit annehmen muß. Untersuchungen von F. S t e r n ergaben auch, daß schwer parkinsonistische Encephalitiker erheblich weniger Verständnis für ihnen vorgelegte geschäftliche Fragen hatten als die juristisch ungebildete Durchschnittsbevölkerung; sie sind außerdem indolent und unterliegen leichter Suggestionen durch Fremde. Die Entmündigung wird gelegentlich aus ähnlichen Gründen in Frage kommen; meist wird die Entmündigung wegen Geistesschwäche genügen; doch sind auch Fälle denkbar, in denen Geisteskrankheit angenommen werden muß. Ehescheidungen nach § 45 EG. scheinen sehr selten zu sein. Nach F. S t e r n hat nur S t e r t z einen solchen Fall mit atypischer Demenz veröffentlicht; in schweren Fällen wäre sie m. E. sowohl nach § 44 wie § 45 EG. möglich. Aufhebung der Ehe gemäß § 32 EG. wäre vertretbar, wenn sich nach der Eheschließung herausstellt, daß die Krankheit zur Zeit der Eheschließung schon bestanden hat.
Psychische Störungen des höheren Lebensalters und andere organische Hirnerkrankungen Die wichtigsten hierher gehörigen Störungen sind die s e n i l e D e m e n z und die H i r n a r t e r i o s k l e r o s e . Das biologische Alter des Menschen stimmt mit seinem Lebensalter nicht überein; der eine ist mit 60 Jahren schon „ein alter Mann", der andere ist mit 80 Jahren noch geistig rege und zu großen Leistungen fähig. Schließlich aber ereilt uns alle das Schicksal des Abbaus der geistigen Fähigkeiten; und es kommt nur darauf an, ob wir alt genug werden, um diesen Abbau zu erleben. Kennzeichnend auch für das normale Altern ist eine allmähliche Abnahme der Merkfähigkeit, eine gewisse Starrheit des Denkens, Mangel an Wendigkeit und Tatkraft und eine mehr oder weniger' starke Herabsetzung der affektiven Ansprechbarkeit. Neue Ereignisse werden schnell vergessen; Greise leben in Erinnerungen, in umso früheren, je älter sie werden, je deutlicher die Merkschwäche sich ausprägt. Neuen Gedankengängen sind sie nicht mehr zugänglich, sie können aus dem immer enger werdenden eigenen Gedankenkreise nicht heraus, sind aber auch nicht fähig, innerhalb desselben neue Gedanken zu fassen und zu verarbeiten. Sie wollen möglichst in Ruhe gelassen werden, leben ihren mehr oder weniger einfachen Bedürfnissen, werden von schwerwiegenden Ereignissen, wie etwa dem Tod naher Angehöriger, auffallend wenig berührt. Soweit sie geistig noch interessiert sind, wiederholen sie oft das Gesagte, ohne
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es zu merken. Diese Erscheinungen findet man in schwacher Ausprägung auch bei gesunden Greisen. Eine scharfe Grenze zwischen dem, was man noch als normal, und dem, was man schon als krank bezeichnet, gibt es nicht. Man wird in forensischen Gutachten aus Gründen der Gerechtigkeit den Begriff „krankhafte Störung der Geistestätigkeit" möglichst weit fassen. Es ist nun keineswegs immer ganz einfach, die geistigen Mängel eindeutig nachzuweisen. Manchmal läßt sich z. B. im psychologischen Versuch eine nennenswerte Merkschwäche noch nicht deutlich machen; aber die Angehörigen berichten über die Vergeßlichkeit des Kranken, daß er Namen vergißt, Dinge verlegt und nicht weiß, wohin er sie getan hat, über mangelnde Interessen, über leichte Reizbarkeit u. dgl. Diese Symptome können sich nun zu schweren Defekten entwickeln. In solchen Fällen sind die Kranken zeitlich grob desorientiert, sie wissen weder das Datum noch das Jahr (merkwürdigerweise geht das letztere meist zuerst verloren), sie sind sich unklar darüber, ob es Morgen oder Abend ist, ob sie schon gefrühstückt haben, verlangen, wenn sie eben gegessen haben, aufs neue zu essen. Wenn sie von Hause fortgehen, finden sie nicht mehr zurück, vergessen die Straße, verheiratete Frauen auch manchmal ihren durch die Heirat angenommenen Namen, während sie ihren Mädchennamen noch behalten haben. Ihr Interesse, ihr ganzes Denken und Handeln dreht sich um die Befriedigung der einfachsten Bedürfnisse: Essen, Trinken, die Pfeife Tabak, die Zeitung, die sie unter Umständen mehrmals lesen, weil sie ihren Inhalt restlos wieder vergessen haben. Bekommen sie nicht, was sie wollen, werden sie ärgerlich, zornig, schlagen zu, sehen darin irgendwelche Schikane. Manchmal erkennen sie nahe Angehörige nicht mehr; und es bedarf erheblicher Mühe, ihnen klar zu machen, daß die angeblich fremde Dame die eigene Tochter ist, die zu Besuch gekommen ist. Alles, was nicht in den Umkreis ihrer primitiven Lebensbedürfnisse hineingehört, läßt sie unberührt. Dabei werden sie nicht selten schmutzig, ihr Anzug fleckig, sie essen unappetitlich — kurz, aus früher tatkräftigen, regsamen Menschen werden ruinenhafte Gestalten, die nur noch dahindämmern, aber kein eigentlich menschliches Leben mehr führen. Der Pflege machen diese Kranken dadurch Schwierigkeiten, daß sie recht störrisch sein können, daß sie tagsüber gern schlafen, aber nachts unruhig werden, verwirrt umher wandern, ihre Sachen zusammenpacken, fortdrängen usw. Nicht selten begleiten Depressionszustände das Leiden, nicht selten treten auch Beeinträchtigungs- und Verfolgungsideen auf, deren Ursache sinnloser Geiz sein kann. Andere, bei denen die Störung der Merk- und Urteilsfähigkeit noch nicht so ausgeprägt ist, systematisieren ihre Verfolgungsideen, suchen sich mit Sicherheitsschlössern und anderen Maßnahmen zu schützen, krakeelen, querulieren, werden auch wohl einmal tätlich. Der Beginn dieser Verblödungsprozesse liegt meist nach Ablauf
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des 7. Lebensjahrzehnts, manchmal jedoch auch schon früher. Im allgemeinen früher beginnt die a r t e r i o s k l e r o t i s c h e D e m e n z . Sklerotische Veränderungen an den Blutgefäßen treten, wie die Erfahrungen des ersten Weltkrieges gezeigt haben, vielfach schon sehr früh auf; nach dem 40. Lebensjahr sind ihre Anfänge in Form von Starre, Wandverdickungen und gelblichen Einlagerungen (Atheromatose) zuerst an den großen Gefäßen fast stets nachweisbar. Später werden auch die mittleren und kleineren Gefäße befallen, zu denen auch die Gehirngefäße gehören. Bei ausgeprägterer Arteriosklerose kommt es zu Ernährungsstörungen des dagegen sehr empfindlichen Gehirngewebes und dadurch zu kleineren oder größeren Erweichungsherden oder zu Blutungen. Am Zustandekommen solcher Ernährungsstörungen ist das anatomische Substrat, die Kalkeinlagerungen, nicht allein, vielleicht nicht einmal vorwiegend beteiligt; Funktionsstörungen im Gefäßgebiet spielen dabei eine erhebliche Rolle. Neben mancherlei Beschwerden wie Kopfschmerzen, Kopfdruck, Spannungsgefühl, Schwindel, Ohrensausen, Ohnmächten, mangelhaftem Schlaf, erhöhter Ermüdbarkeit treten auch psychische Symptome auf: die Leistungsfähigkeit läßt nach; was sonst spielend bewältigt wurde, kostet nun Mühe und Anstrengung. Die Kranken werden vergeßlich, wichtige Dinge fallen ihnen nicht ein, ihre Stimmung ist niedergeschlagen, hoffnungslos. Dabei werden sie reizbarer, zornmütiger, ärgern sich leichter; zugleich aber werden sie rührseliger und ihr Affekt schlägt leicht von einem Extrem ins andere um; sie werden, wie man das nennt, affektinkontinent. Ein längeres Ausspannen bessert den Zustand, aber doch nur vorübergehend, und allmählich kann es zu schwereren Symptomen, Depressionszuständen mit ängstlicher Färbung, Verarmungs- und Versündigungsideen mit ernsthaften Selbstmordversuchen kommen. Langsam bilden sich Verblödungsprozesse aus, die nicht so gleichmäßig wie bei der senilen Demenz die Gesamtpersönlichkeit ergreifen. Sehr häufig sind kleinere oder größere Schlaganfälle, die ja auch dem Laien gut bekannt sind. Sie führen zu Halbseitenlähmungen und bei Blutungen in die linke Hirnhälfte auch zu Sprachstörungen. Bei kleineren Anfällen dieser Art treten vorübergehende Sprachstörungen, Zwangslachen oder Zwangsweinen und andere Herdsymptome auf. Wichtig sind namentlich auch Verwirrtheitszustände, die im Anschluß an Schlaganfälle in Erscheinung treten können und manchmal ihr einziges Symptom bilden. Hier sei kurz eines Krankheitsbildes gedacht, das wegen des erhöhten Blutdrucks auch jetzt noch vielfach als Arteriosklerose gedeutet wird; ich meine die sogenannte e s s e n t i e l l e H y p e r t o n i e . Bei den reinen Fällen findet man oft eine recht erhebliche Blutdrucksteigerung, ohne daß anatomisch auch nur die allergeringste Sklerosierung der Gefäße feststellbar ist. Freilich führt der lange bestehende Hochdruck im Laufe der Zeit zur Sklerose
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namentlich der kleinen Arterien. Die Erkrankung macht ihre Haupterscheinungen im 6. und 7. Lebensjahrzehnt, ist aber oft schon im 3. Jahrzehnt nachweisbar. Neben mancherlei anderen Beschwerden sind Schwindelanfälle, kurzdauernde Bewußtseinstrübungen, epileptiforme Krämpfe und Schlaganfälle wichtig. Die seelischen Störungen, die meist nur kurz dauern, und prognostisch günstig sind, bestehen namentlich in Dämmerzuständen, Erregungszuständen und vorübergehenden tiefen Depressionen. Die übrigen Formen der altersbedingten Störungen der Geistestätigkeit sollen hier nur der Übersicht halber kurz erwähnt werden. Die P r e s b y o p h r e n i e ist eine Abart der senilen Demenz mit abweichendem anatomischen Befund; jedoch ist Klarheit darüber, ob es sich um ein selbständiges Krankheitsbild handelt, noch nicht gewonnen. Anatomisch hat man dem einfachen Schwund der Rinde bei der senilen Demenz das Auftreten von sog. Drusen (Plaques) im Gehirn gegenübergestellt. Es hat sich jedoch gezeigt, daß scharfe Grenzen nicht vorhanden sind, daß Drusen auch bei der gewöhnlichen senilen Demenz vorkommen, und Krankheitsbilder vom Typ der Presbyophrenie keine Drusen aufzeigen müssen. Auch das klinische Bild wird von den verschiedenen Autoren nicht in gleicher Weise beschrieben. Während K r a e p e l i n darunter schwere Störungen der Merkfähigkeit und des Gedächtnisses bei leidlicher Erhaltung der geistigen Regsamkeit, der Ordnung des Gedankenganges und auch der Urteilsfähigkeit versteht, hebt B l e u l e r die eigenartige Erregung und eine Alteration des Denkens hervor, die über die gewöhnliche Störung hinausgeht. Die Kranken sind immer in einer Scheintätigkeit, kramen fortgsetzt umher, ohne daß etwas Vernünftiges geleistet wird. Im allgemeinen hat man sich wohl der K r a e p e l i n sehen Darstellung angeschlossen 1 ). Während hier also noch manche ungeklärte Fragen vorliegen, ist man sich darüber klar, daß die A l z h e i m e r sehe Krankheit eine Sonderform darstellt. Sie ist häufiger als es nach der darüber vorhandenen Literatur scheinen mag, da sie sicher nicht immer diagnostiziert wird. Anatomisch findet man im Gehirn neben einer ungewöhnlich starken allgemeinen Atrophie starke Drusenbildung und eine Veränderung der Neurofibrillen. Weshalb diese Veränderungen sich manchmal schon im Alter von 30 bis 40 Jahren einstellen, weiß man nicht. Trotz des der senilen Demenz ähnlichen Bildes wird es daher schwer, an einen Zusammenhang mit senilen Rückbildungsvorgängen zu glauben. Nach anfänglichen subjektiven Beschwerden wie Kopfschmerz, Schwindelgefühl, Blutwallungen sind es namentlich Störungen der Merkfähigkeit, des Gedächtnisses und eine Reproduktionsschwäche, die neben Fehlhandlungen auffallen. Später kommt es zu Störungen, die in den Bereich der Aphasie, Apraxie, Agnosie hineingehören. Die Kranken haben WortfindungsschwierigSo das Lehrbuch von L a n g e - B o s t r o e m ,
5. Aufl. 1943.
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keiten, verwechseln Worte, können einfache Handlungen nicht oder nur teilweise ausführen, erkennen Gegenstände nicht. Dabei sind sie räumlich und zeitlich desorientiert, erkennen selbst nahe Angehörige nicht, stehen ihren Defekten anfangs ratlos und ängstlich gegenüber, wahren aber noch relativ lange die äußere Haltung. Mehr oder weniger schnell — die Krankheitsdauer liegt zwischen etwa 4 und 20 Jahren — kommt es dann zu schwersten Verblödungszuständen, in denen die Kranken stumpf umhersitzen oder aber unablässig reiben, wischen, kramen. Sie wiederholen in stereotyper Weise immer die gleichen Worte, die gleichen Handlungen. Einer meiner Kranken schrieb seiner Frau, die er in meinem Auftrag bitten sollte, einmal zu kommen, drei Aktenseiten lang nur den einen, immer wiederholten Satz: „Liebe Frau komm bald." Schließlich kann es auch zu körperlichen Erscheinungen, Reflexstörungen, Muskelspannungen, Kontrakturen kommen. Das Ende ist regelmäßig der Tod, meist durch Lungenentzündung. Die ebenfalls ziemlich seltene P i c k sehe Krankheit ist anatomisch gekennzeichnet durch einfachen Schwund der Rinde und der weißen Substanz, der sich auf bestimmte Hirnteile — in der Regel Stirnoder Schläfenlappen — beschränkt. J e nach dem Sitz der Erkrankung kommt es zu verschiedenen Symptomen. Beim S t i r n h i r n - P i c k treten namentlich der Verlust der Initiative sowie Störungen des intelligenten Verhaltens hervor, während die Auffassung und das Gedächtnis erhalten bleiben. Auch die Schulkenntnisse sind anfangs wenigstens noch gut. Dabei findet man weiter grobe Enthemmungen, die zu kleinen Diebstählen, Takt- und Distanzlosigkeiten führen. Die Patienten werden gleichgültig und nachlässig in der Arbeit, widersprechen zu Hause grob und werden manchmal schamlos. Beim S c h l ä f e l a p p e n - P i e c k steht die sprachliche Erregung im Vordergrunde. Die Kranken antworten auf Fragen mit einem unstillbaren Wortschwall, in dem stehende Redensarten immer wiederkehren. In beiden Fällen ist auch hier das Ende tiefer Blödsinn und der Tod. Die Krankheit befällt vorwiegend das 5. und 6. Lebensjahrzehnt, ist aber auch schon wesentlich früher beobachtet. Schließlich seien hier noch die sog. p r ä s e n i l e n S e e l e n s t ö r u n g e n erwähnt. Unter Praesenium versteht man die Zeit, die zwischen dem Klimakterium der Frau und dem Beginn seniler Veränderungen liegt. Auch bei Männern spricht man von einem Klimakterium virile, dessen Beginn sich noch ungenauer als bei der Frau festsetzen läßt. Es wird vom ersten deutlichen Nachlassen der Leistungen an gerechnet. In dieser Zeit sind Depressionszustände sehr häufig, die oft mit Angst und Erregung einhergehen, hypochondrische Befürchtungen aller Art erkennen lassen und häufig zu sehr ernsten Selbstmordversuchen führen. Wieweit diese Zustände ursächlich mit dem Praesenium zusammenhängen, wieweit sie dem manisch-depressiven Kreise zugehören und nur durch begleitende Arteriosklerose oder durch das beginnende Alter einen organischen
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Anstrich erhalten, ist im Einzelfall schwer zu sagen. Das gleidie gilt für die sog. S p ä t k a t a t o n i e n , die wahrscheinlich zur Gruppe der Schizophrenien gehören. Schließlich entwickeln sich in diesem Alter, oft auf dem Boden sdion vorher sichtbarer Veranlagung p a r a n o i d e P s y c h o s e n mit Wahnideen namentlich in der Richtung der Eifersucht. Wir werden derartige Bilder bei der Besprechung der Schizophrenie noch kennen lernen. Von den übrigen organischen Hirnerkrankungen sei zunächst die C h o r e a H u n t i n g t o n erwähnt. Es handelt sich um ein seltenes dominant vererbliches Leiden mit 50°/o Erkrankungen in der Descendenz. Gesundgebliebene haben dagegen nur gesunde Kinder. Die Erkrankung beginnt in der Regel im mittleren Lebensalter. Im Vordergrunde stehen zunächst die körperlichen Erscheinungen: unwillkürliche, zuckende, ausfahrende, ziellose Bewegungen der Glieder und der Gesichtsmuskulatur, die von zahlreichen Mitbewegungen begleitet sind; dazu treten Gleichgewichtsstörungen. Psychisch kommt es zu einer langsam fortschreitenden Verblödung, zu Störungen der Merkfähigkeit, des Gedächtnisses, des Denkens, der Urteilsfähigkeit und in schweren Fällen zu einer gemütlichen Abstumpfung mit stark egozentrischer Einstellung. Die Stimmung ist vielfach gedrückt oder mürrisch; auch Wahnideen können auftreten. In den HuntingtonFamilien finden sich viele abartige Menschen, namentlich aber können die späteren Kranken schon lange vor dem Ausbruch der eigentlichen Krankheit auffällig werden. Sie sind besonders sexuell stark ansprechbar — bemerkenswert ist die große Kinderzahl solcher Kranken —, zeigen aber auch sonst besondere Züge in Form von Alkoholmißbrauch, Arbeitsunlust, Leichterregbarkeit. Bei Angehörigen von Huntington-Familien ist es oft schwer festzustellen, ob es sieh schon um Kranke handelt oder nur um psychopathieähnliche Vorformen. Ein von mir begutachteter 44jähriger Mann lebte in schwierigsten Verhältnissen. Seine Frau war gestorben, er wohnte mit 6 Kindern in einer selbsterbauten Bretterhütte, in der 2 Betten vorhanden waren. Ihm wurden unsittliche Handlungen an seiner 15jährigen Tochter, mit der er zusammen schlief, zur Last gelegt. Er wurde mir als arbeitswillig, aber ungeschickt, leicht aufbrausend, in letzter Zeit als depressiv verstimmt und innerlich erregt geschildert. Er stammte aus einer Huntington-Familie, doch ließ sich während der Beobachtungszeit eine choreatische Unruhe nicht nachweisen. Es fand sich eine leichte Herabsetzung der intellektuellen Funktionen und gedrückte Stimmungslage. Im schriftlichen Gutachten hatte ich mich für verminderte Zurechnungsfähigkeit ausgesprochen. Erst in der Hauptverhandlung waren zum ersten Mal deutliche choreatische Zuckungen zu beobachten. Daraufhin habe ich Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des bis dahin unbestraften und charakterlich anständigen Mannes geäußert.
Neben dieser wohlcharakterisierten Krankheit gibt es eine Reihe anderer organischer Hirnerkrankungen; wir nennen verschiedene Formen der Encephalitis, die sich an alle möglichen Infektionen, in letzter Zeit namentlich an das Fleckfieber, anschließen, ebenso,
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wenn auch recht selten, nach Pockenimpfung auftreten können. Dazu kommen Gehirnhautentzündungen (Meningitiden) verschiedener Ursachen, die mit Benommenheit, deliranten Störungen und Krämpfen einhergehen können, die multiple Sklerose, die Chorea minor, die Paralysis agitans, Defektzustände mit Athetose und schließlich Hirngeschwülste. Alle diese Erkrankungen können mehr oder weniger starke psychische Veränderungen hervorrufen, die im einzelnen hier nicht besprochen zu werden brauchen, da sie forensisch keine Rolle spielen. Die forensische Bedeutung der eigentlichen Alterserkrankungen dagegen ist beträchtlich, insofern ein relativ hoher Prozentsatz der kriminellen Alten dem Psychiater zugeführt wird. Ganz überwiegend sind es Sittlichkeitsdelikte, mit denen wir es bei ihnen zu tun haben. Unter 43 Alterskranken, die aus § 42 b StGB, untergebracht waren, fand C r e u t z 1 ) 41 Sittlichkeitsverbrecher, je einen Brandstifter und Gewaltverbrecher. Unter meinen Gutachtenfällen der letzten Jahre befinden sich 24 Alterskranke, darunter 13 Sittlichkeitsverbrecher. Dazu kommen 5 politische Verbrechen (Zersetzung der Wehrkraft, Heimtücke), die zur Zeit der C r e u t z sehen Zusammenstellung noch keine Rolle spielten. Im Vordergrunde der Alterskriminalität steht im übrigen die Beleidigung. Dazu kommen Brandstiftung, Hehlerei und Sexualdelikte. E x n e r sieht in der Art dieser Verbrechen das gemeinsame Zeichen der Schwäche2). Bei den senilen Sittlichkeitsverbrechern handelt es sich meist um exhibistische Akte, häufiger noch um unzüchtige Handlungen an Kindern. Erklärt werden diese Delikte durch die Abnahme der geschlechtlichen Leistungsfähigkeit, nicht selten verbunden mit dem Wiederaufflackern der schon erloschenen Libido. Damit pflegt die Abstumpfung der sittlichen Regungen und das Nachlassen der Kritikfähigkeit zusammenzutreffen. Beteiligt sind in der Regel nicht die schwer Verblödeten, sondern die im Beginn der Erkrankung stehenden Kranken, so daß es nicht immer leicht ist, das Gericht von dem krankhaften Zustande des Delinquenten zu überzeugen. Nicht allen wird man den Schutz des § 51 Abs. 1 zubilligen können; doch scheint mir die große Mehrzahl dieser Greise mindestens erheblich in ihrer Zurechnungsfähigkeit beschränkt und dann meistens auch verwahrungsbedürftig zu sein. Die relativ starke Beteiligung der Alterskranken an den politischen Verbrechen (5 unter 46 in meinem Material) hängt wohl mit dem Mangel an Vorsicht einerseits, mit der senilen Geschwätzigkeit, dem Starrsinn und der Rechthaberei der Kranken zusammen. Nur in einem der fünf Fälle mußte ich die Zurechnungsfähigkeit bejahen 5 ). A. Z. Ps. 111, 1939, S. 150. *) Kriminalbiologie 2. Aufl., S. 180. a ) K i h n hat in Jena ähnliche Beobachtungen gemacht. A. Z. Ps. 118, 1941, S. 133.
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Relativ häufig ist bei den Alterskranken die Frage der Geschäftsfähigkeit und der Testierfähigkeit zu prüfen. Entmündigungen sind möglich, meist genügt jedoch die Bestellung eines Pflegers. Ehescheidungen spielen k e i n e Rolle. Die übrigen organischen Hirnerkrankungen unterliegen in foro einer ähnlichen Beurteilung w i e die Alterserkrankungen. Im einzelnen wird es auf den N a c h w e i s v o n seelischen Störungen ankommen. Der Postinspektor Ph. D., 59 Jahre alt, unbestraft, hatte im Laufe eines Jahres rund 1000 Feldpostbriefe unterschlagen und die in ihnen enthaltenen Zigaretten mit Hilfe seiner Tochter verkauft. Allen Kontrollen hatte er verstanden auszuweichen. Als Motiv gab er in der Hauptverhandlung selbst „Habgier" an. Es bestand eine mäßige Arteriosklerose; gröbere psychische Veränderungen traten erst in der Untersuchungshaft hervor, klangen jedoch später wieder ab; sie waren offenbar psychisch bedingt gewesen. Ich habe hier, in Ubereinstimmung mit zwei anderen Psychiatern, volle Zurechnungsfähigkeit angenommen. Der 65 Jahre alte Invalide E. M. war mit 57 und 58 Jahren wegen Sittlichkeitsverbrechens bestraft worden. Jetzt hatte er sich erneut unzüchtige Handlungen an zwei kleinen Mädchen im Alter von 4 und 7 Jahren zuschulden kommen lassen. Er war von jeher ein etwas primitiver, zum Trunk geneigter Mensch, der bei der zweiten Strafsache schon auf das Gericht einen stark gealterten Eindruck gemacht hatte und in der Strafhaft als alter Trottel galt. Jetzt fand sich vorzeitig gealtertes Aussehen, seniler Wackeltremor des Kopfes, zitterige Schrift, deutliche Arteriosklerose, entrundete, träge und unausgiebig reagierende Pupillen. Psychisch wirkte er euphorisch, hoffnungsvoll, fröhlich. Die Merkfähigkeit war deutlich gestört, seine Urteilsfähigkeit geschwächt: er zog in krankhaft optimistischer Weise nur das in Betracht, was in seine Wünsche hineinpaßte. Ith habe eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit angenommen, durch die seine Fähigkeit nach der noch vorhandenen Einsicht zu handeln wahrscheinlich aufgehoben war. Anstaltsunterbringung war in diesem Falle m. E. das einzig Richtige.
Psychische Störungen bei körperlichen Erkrankungen In d i e s e m Abschnitt sollen die Infektionskrankheiten, die Erkrankungen innerer Organe und die Allgemeinerkrankungen kurz besprochen werden, s o w e i t sie mit psychischen Störungen einhergehen. Es würde nun v i e l zu w e i t führen und der forensischen Bedeutung dieser Erkrankungen nicht entsprechen, w o l l t e n wir sie alle einzeln aufzählen. Dazu kommt, daß die hier v o r k o m m e n d e n Störungen, die wir unter der Bezeichnung „symptomatische Psychosen" zusammenzufassen pflegen, sich ähnelnde psychische Symptome aufweisen, w e n n sich diese Symptome auch in ihrer Färbung unterscheiden mögen. K r a e p e l i n glaubte früher auf Grund e x perimental-psychologischer Untersuchungen und der verschiedenen Wirkung v o n Giften (z. B. Alkohol, Kokain, Haschisch, Morphium), daß zu jeder Ursache ganz bestimmte psychische Störungen gehören,
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daß daher bei genauester Analyse der letzteren aus ihnen Rückschlüsse auf die Ursache möglich sein müßten. Dieser Anschauung schien der Umstand recht zu geben, daß der erfahrene Psychiater imstande ist, auf Grund des psychischen Symptomenbildes etwa die Diagnose einer progressiven Paralyse, eines Alkoholdelirs, einer Schizophrenie zu stellen. Man muß sich indessen darüber klar sein, daß dabei nicht so selten Irrtümer vorkommen, und daß, wo wir richtig diagnostizieren, anderweitige Beobachtungen und Erwägungen bei der Erkennung mithelfen. So ist für die Diagnose der progressiven Paralyse vielleicht die Schlaffheit der Gesichtszüge, das leichte Flattern der Mundmuskeln, die durch die Pupillenstarre bedingte eigentümliche Ausdrudesstarre wahrscheinlich das, was uns bei der expansiven Form der Paralyse an diese und nicht an ein manisch-depressives Irresein denken läßt. Beim Alkoholdelir ist es das gerötete, gedunsene Gesicht, vielleicht auch noch der Schnapsgeruch, der uns auf die richtige Fährte führt, bei der Schizophrenie das jugendliche Alter, die gebundene Motorik usw. Es ist das Verdienst von B o n h o e f f e r 1 ) , das Gemeinsame in der psychischen Symptomatik der körperlichen Erkrankungen erkannt und herausgearbeitet zu haben. Er faßte die von ihm gefundenen Symptomgruppen unter der Bezeichnung „ e x o g e n e P r ä d i l e k t i o n s t y p e n " zusammen und stellte als solche auf: Delirien, epileptiforme Erregungen, Dämmerzustände, Halluzinosen, Amentiabilder, bald mehr halluzinatorischen, bald katatonischen, bald inkohärenten Charakters und als Verlaufsformen die hyperästhetisch-emotionellen Schwächezustände und amnestische Phasen von Korsakowschem Gepräge. In den über 30 Jahren, die seither verflossen sind, haben sich die von ihm erarbeiteten Erkenntnisse vertieft, aber im Prinzip nicht geändert 2 ). Man rechnet jetzt zu den akuten exogenen Syndromen die Benommenheit, Delirien, amentielle Zustände, Dämmerzustände, und stellt ihnen die postpsychotischen Zustände — hyperästhetischemotionelle Schwächezustände und amnestische Bilder — gegenüber. S t e r t z hat nun darauf hingewiesen, daß man unter den akuten Symptomen eine weitere Unterscheidung vornehmen kann, und zwar zwischen o b l i g a t e n oder G r u n d s y m p t o m e n und f a k u l t a t i v e n oder a k z e s s o r i s c h e n S y m p t o m e n . Während die obligaten Symptome, zu denen er die Benommenheit und die Delirien rechnet, bei exogenen Schädigungen des Gehirns ganz allgemein auftreten, ja nach seiner Meinung bei genügender Stärke der Schädigung vielleicht sogar auftreten m ü s s e n , k ö n n e n die übrigen Symptome unter besonderen Bedingungen, die uns nicht über Infektionspsychosen. In A s c h a f f e n b u r g s Handbuch 1912 und Arch. f. Psychiatrie 58. 2 ) Die Problemlage ist von S t e r t z 1928 in B u m k e s Handbuch Bd. VII, S. 1 ff. kurz dargestellt; eingehend hat E w a l d die Klinik der exogenen Reaktionsformen im gleichen Bande, S. 14 ff., behandelt.
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näher bekannt sind, in Erscheinung treten, braudien es aber nicht. Sie kommen auch bei solchen Geisteskrankheiten vor, die wir unter die vornehmlich anlagebedingten rechnen. Aus dem Auftreten von Benommenheit und Delirien kann man also mit großer Sicherheit auf äußere Schädlichkeiten als Ursache schließen. Freilich sind alle diese Zustände bei verschiedenen Menschen keineswegs gleich. Das liegt daran, daß jedes Symptom das Ergebnis verschiedener, aus mannigfachen Wurzeln zusammenströmender Komponenten ist, die pathoplastisch wirken, d. h. die Erscheinungsw e i s e des Symptoms irgendwie bestimmen. Zu diesen pathoplastischen Faktoren gehört in erster Linie die präpsychotische Persönlichkeit mit ihren aus Anlage, Entwicklung und Umwelteinflüssen gewordenen Eigenschaften, andererseits Art und Stärke der einwirkenden Schädigung. Auch die Widerstandskraft der einzelnen Organismen ist ja verschieden: so reagieren unter anderem Kinder sehr viel leichter mit Delirien oder auch Krämpfen als Erwachsene; und unter den letzteren befinden sich robuste, widerstandsfähige Naturen und labile mit starker Reaktionsbereitschaft. Die B e n o m m e n h e i t ist eine Bewußtseinstrübung, die verschiedene Stärkegrade annehmen kann. In ihrer leichtesten Form tritt sie als Leichtermüdbarkeit und eingenommener Kopf auf. In allen stärkeren Graden zeigt sich eine Erschwerung der Auffassung trotz besten Willens, Konzentrationsunfähigkeit, Schwerbesinnlichkeit, Hafttendenz, Merkschwäche. Es besteht die Neigung, traumlos einzuschlafen. Die Kranken hören zwar noch, was man ihnen sagt, begreifen aber nicht recht, verstehen nicht den Sinn des Gesagten: sie perzipieren noch, aber sie apperzipieren nicht mehr. Die etwa auftauchenden Gedanken reißen ab, das Denken wird bruchstückhaft, man hat den Eindruck des Dahindämmerns, und dieses kann in schweren Fällen in einen tiefen Schlafzustand oder in die völlige Bewußtlosigkeit etwa des urämischen oder diabetischen Komas übergehen. Anders das D e 1 i r. Hier kommt es nach einem kurzen, oft kaum bemerkten Vorstadium, in dem Unruhegefühle, Überempfindlichkeit gegen Geräusche, Reizbarkeit, Aufgeregtheit mit leichtem Rededrang, Ängstlichkeit und affektive Schwankungen vorherrschen, zu der eigentlich deliranten Phase, in der die Kranken namentlich sehr lebhaften Sinnestäuschungen unterliegen und motorisch unruhig werden. Bei den Sinnestäuschungen handelt es sich meist um phantastische, traumhafte, illusionäre Verkennungen. In Tapetenmuster werden Vorgänge hineingesehen, aus dunklen Ecken kommen Gestalten, ein Handtuch wird für einen erhängten Menschen gehalten u. dgl. Aber auch Halluzinationen optischer wie akustischer Art werden beobachtet. Dabei sind die Kranken zeitlich und örtlich desorientiert, glauben, auf einem Schiff, im Flugzeug, im Wirtshaus zu sein, lassen sich zwar für kurze Augenblicke fixieren, geben dann womöglich sachliche Antworten, können sich sogar kritisch zu ihren Langelüddekc,
Gerichtliche P s y c h i a t r i e .
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Erlebnissen einstellen, um sofort wieder den Kontakt zu verlieren, sobald man sie sich selbst überläßt. Dabei bestellt eine starke motorische Unruhe. Allmählich steigert sich die Unruhe, die Kranken werfen sich im Bett hin und her, sind in ständiger Bewegung, reagieren auf Ansprache nicht mehr, reden fortgesetzt unverständlich lallend vor sich hin. Schließlich läßt die Bewegungsunruhe nach, die Kranken schlafen ein und wachen genesen wieder auf oder sie gehen im Koma zugrunde. Vielfach wird ein hyperästhetisch-emotioneller Schwächezustand mit oder ohne vereinzelte Wahnideen als Nachstadium beobachtet. Die Erscheinungen sind gegen Abend und nachts stärker ausgeprägt als in der Frühe; sie dauern in der Regel wenige Tage, höchstens Wochen1). Unter A m e n t i a verstand man früher ein eigenes Krankheitsbild. Wir wissen jetzt, daß amentielle Zustandsbilder Ausdrude zahlreicher Krankheiten sind. Sie sind gekennzeichnet durch einen eigenartigen Zerfall des Denkens, die Inkohärenz, bei gleichzeitiger Ratlosigkeit. Die Kranken fassen nur bruchstückweise die Vorgänge in der Außenwelt auf, die dann unvereinbar neben traumhaften und wahnhaften Erlebnissen stehen. Daneben sind Sinnestäuschungen und oft lebhafte motorische Unruhe manchmal von katatonem Charakter vorhanden. Das Bewußtsein ist weniger getrübt als im Delir; daher die oft quälende Ratlosigkeit. Die Dauer dieser Zustände beträgt Wochen bis Monate. Am wichtigsten in forensischer Beziehung sind wohl die Dämmerzustände 2 ). In ihnen ist das Bewußtsein verändert, die Wahrnehmungen sind vielfach unklar, durch Affekte verfälscht. Das Denken ist verlangsamt, ähnlich wie bei der Benommenheit. Die Kranken fühlen sich irgendwie bedroht, angegriffen und setzen sich dann gegen den vermeintlichen Gegner zur Wehr. Dabei brauchen sie nicht besonders auffällig zu wirken. Dämmerzustände dauern wenige Stunden bis Tage und enden in der Regel mit Schlaf. Hinterher pflegt Erinnerungslosigkeit zu bestehen. Am seltensten ist die sogenannte H a l l u z i n o s e , die durch das Auftreten lebhafter Gehörstäuschungen mit Angst und wahnhaften Gedankengängen bei erhaltener Besonnenheit charakterisiert ist. Es kann nicht Aufgabe dieses Lehrbuches sein, alle Krankheiten zu besprechen, die mit psychischen Störungen einhergehen können3). In erster Linie werden Störungen der beschriebenen Art bei den Infektionskrankheiten gefunden, auch da mit großen Unterschieden. Am häufigsten sind sie wohl beim Typhus und beim Fleckfieber; aber auch die Gesichtsrose, der Veitstanz (Chorea minor), die Grippe Ein Beispiel für den Inhalt eines Delirs findet sich S. 288. ) Dazu S. 30. 3 ) Bezüglich der Einzelheiten sei auf die Darstellung von E w a l d in B u m k e s Handbuch der Geisteskrankheiten Bd. VII und Erg.-Bd. I verwiesen. 2
Psychische Störungen bei körperlichen Erkrankungen
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gehen gelegentlich mit psychischen Störungen einher und ebenso andere schwer verlaufende Infektionen. In meiner ersten Assistentenzeit beobachtete ich einen Kranken mit Gesichtsrose, der nachts das verschlossene Fenster öffnete, hinausstieg und sich im Hemd auf den nahen Friedhof begab, wo er gespensterhaft herumgeisterte und die Leute erschreckte, bis der Sohn des in der Nähe wohnenden Pfarrers ihn wieder ins Krankenhaus zurückbrachte.
Wichtig erscheint mir, daß psychische Störungen schon im Beginn der Erkrankung auftreten können, bevor diese zur vollen Entwicklung gekommen ist. Das ist namentlich beim Typhus der Fall, wo wir von Initialdelirien sprechen. Neuerdings hat das Fleckfieber besonderes Interesse erregt. Dabei sollen, wie mir berichtet ist, wenn auch selten schon im sogenannten Inkubationsstadium, also in der Zeit zwischen Infektion und Ausbruch der eigentlichen Erkrankung, psychische Auffälligkeiten beobachtet sein. Einen eigenen Fall dieser Art halte ich nicht für unbedingt beweiskräftig. Unter den Allgemeinleiden ragen nach meiner Erfahrung der Krebs und die perniziöse Anämie durch die Häufigkeit seelischer Störungen hervor. Beim Krebs kann es sich um Metastasen im Gehirn handeln, in der Regel sind es aber wohl toxische Produkte, die als Ursache dafür in Betracht kommen. Die Psychosen bei perniziöser Anämie haben nicht selten den Charakter endogener Störungen; ich halte es für möglich, daß diese durch die Blutkrankheit ausgelöst werden. Auch hier können psychische Störungen sich bemerkbar machen, bevor Veränderungen im Blutbild nachweisbar sind. Man nimmt an, daß Blutveränderung, die ziemlich häufige Rückenmarkserkrankung und die Psychose Folge einer bisher noch nicht bekannten Grundkrankheit sind, und unabhängig voneinander auftreten können. Unter den endokrinen und Stoffwechselerkrankungen haben eine gewisse Bedeutung die B a s e d o w s c h e K r a n k h e i t , und der D i a b e t e s m e l l i t u s (Zuckerkrankheit). Die B a s e d o w s c h e K r a n k h e i t , deren wichtigste Symptome Kropf, Glotzaugen, Zittern, Pulsbeschleunigung und Erhöhung des Grundumsatzes sind, geht wohl nur selten in schweren Fällen mit exogenen Psychosen einher; sie kann öfters aber auf manischdepressive Phasen auslösend wirken, und, was forensisch vielleicht am wichtigsten ist, die Kranken — und ebenso die klinisch anders zu beurteilenden konstitutionell Hyperthyreotischen — sind recht stimmungslabil, leicht erregbar und reizbar, so daß es leichter zu Affekthandlungen kommt. Fräulein A. W., 44 Jahre alt, griff in starker Erregung den Ortsbauernführer tätlich an, der eine weitere Abgabe von Kartoffeln von ihr bzw. ihrem Schwager erzwingen wollte. Sie hatte sich schon seit Jahren von dem Ortsbauernführer ungerecht behandelt gefühlt, der nach ihrer Meinung seine Vettern begünstigte, während er ihr nicht genügend Dünger zuteilte und sie auch sonst schikanierte. Die Untersuchung ergab: Früher verständiges ruhiges Mädchen. Mit 37 Jahren Schädelunfall mit Verwirrtheits18*
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zustand, Fußklonus, Babinski, Bruch am oberen Halswirbel. Seitdem ständig aufgeregt, leicht fassungslos, Neigung zu grundlosen Depressionen und Tränenausbrüchen. Körperlich keine neurologischen Abweichungen. Schilddrüse deutlich vergrößert, Puls 120, Grundumsatz erhöht ( + 41%), im Blut starke Vermehrung der großen mononucleären Zellen (13°/o). Ich habe für die im Affekt begangene Tat die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 bejaht.
Der D i a b e t e s m e l l i t u s , auch dem Laien bekannt durdi die Zuckerausscheidung im Urin, ist in zweierlei Beziehung bemerkenswert: einmal findet sich Zuckerausscheidung relativ häufig kombiniert mit endogenen Stimmungsschwankungen — welcher Art der Zusammenhang ist, weiß man noch nicht —, dann aber haben wir durch die Insulinbehandlung die hypoglykämischen Zustände dieser Krankheit kennen gelernt, die durch verringerten Blutzuckergehalt gekennzeichnet sind. Diese Zustände, die durch große Insulingaben künstlich hervorgerufen werden können und für die Therapie der Schizophrenie Bedeutung erlangt haben, können auch bei Gesunden unter besonderen Umständen spontan auftreten und dann zu Dämmerzuständen führen. M a r x 1 ) hat einen derartigen Fall beschrieben, der hier kurz angeführt sei.
31 jähriger Arzt, der den Tag über bis dahin kaum etwas gegessen hatte, fuhr nachmittags gegen V25 zu einer Einladung. Nach 10 Minuten Fahrt packte ihn sein Mitfahrer am Arm und fragte ihn, wo er eigentlich hinführe. Er schrak heftig auf, brachte den Wagen zum Stehen und stellte fest, daß er etwa 5 Minuten lang, für die ihm die Erinnerung fehlte, planund ziellos in der Stadt umhergefahren war und sich nun in entgegengesetzter Richtung von seinem eigentlichen Ziel befand. Er war während dieser Zeit durchaus geschickt durch die belebtesten Straßen der Stadt (Heidelberg?) gefahren, hatte auch die Fahrt mehrmals verlangsamt, war nur durch seinen etwas stieren Blick aufgefallen. Er bemerkte heftigen Heißhunger, feinschlägiges Zittern der Finger mit grobem Wackeltremor der Arme, Schweißausbruch und stärkste Muskelschwäche. Nachdem er mit Mühe sein Ziel erreicht hatte, besserten Tee und reichlich Zucker den Zustand innerhalb weniger Minuten. Klinisch war eine starke Labilität der Blutzuckerkurve nachweisbar. Wäre es während dieses Dämmerzustandes etwa zu einem Autounfall gekommen, so hätte die Zurechnungsfähigkeit verneint werden müssen.
Von den Erkrankungen der Körperorgane führt die Lungenentzündung öfters zu Delirien, die wie die Infektionsdelirien verlaufen. Eine gewisse forensische Bedeutung haben die Herzfehlerpsychosen. Wenn die Herzkraft versagt, wenn es zur Dekompensation, zum Kollaps kommt, treten ängstlich gefärbte deliriöse Störungen nicht so sehr selten auf. Oft sind dann lebhafte Sinnestäuschungen optischer, aber auch akustischer Art vorhanden, manchmal auch Vergiftungsideen mit Nahrungsverweigerung. 1 ) Der Nervenarzt 6, 1933, S. 193; ein anderer mit L a u b e n t h a l gemeinsam veröffentlichter Fall (Nervenarzt 4, 1931, S. 592) mit Brandstiftung im Dämmerzustand ist nicht in gleicher Weise überzeugend! weitere Fälle hat S t u 11 e beschrieben (Dtsdie med. Wschr. 1944, S. 508).
Die psychischen Störungen bei den Generationsvorgängen
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Die forensische Bedeutung aller dieser Störungen ist verhältnismäßig gering. Unter rund 450 Straffälligen, die ich aus meinem Material übersehe, waren es 3, die in das hier behandelte Kapitel fallen. Bei den Herzfehlerpsychosen, die öfters kurz vor dem Tode auftreten, kann die Frage der Testierfähigkeit einmal akut werden. Zur Frage der Geschäftsfähigkeit hatte ich mich bei einem Fall von perniziöser Anämie zu äußern, der hier kurz erwähnt sei: E. K., geb. 1882, erkrankte im Herbst 1931 mit Kribbeln in den Fingern; er konnte schlecht schreiben, konnte auch das Rasiermesser kaum halten, während er schwere Gegenstände noch gut tragen konnte. Seit Anfang 1932 fühlte er sich müde, schlief schlechter, verlor den Humor. Vom Nervenarzt wurde er im Februar 1932 wegen Verdachts auf progressive Paralyse in die Klinik geschickt. Die Untersuchung ergab gelblich-blasse Gesichtsfarbe, blasse Schleimhäute, auffallend glatte Zunge. Blutbefund: Haemoglobin 90%, Rote 2 850 000, Färbeindex 1,6. Anisozytose, Makrozytose, Hyperchromie. Im weißen Blutbild Ubersegmentierung der Leukozyten. Psychisch: anfangs nicht genau zeitlich und örtlich orientiert, äußerte Wahnideen, wollte gegen einen Landrat auf Zahlung von 600 000 Mark klagen, ohne daß er Unterlagen für eine solche Forderung hatte, zeigte deutliche Urteils- und Kritikschwäche. Auf der Abteilung unruhig, behauptete, Millionen zu haben. Trotz Besserung des Blutbefundes und Beruhigung, so daß Entlassung möglich wurde, Entwicklung wahnhafter Ideen: seit Jahren werde gegen ihn gearbeitet, er werde durch üble Nachrede zugrunde gerichtet. Hauptursache sei die Schwester, hinter der aber andere Personen steckten. Unklares, widerspruchsvolles Denken. Der Zustand schwankte: aber auch in besseren Zeiten war K. ganz unberechenbar. Ich habe Geschäftsunfähigkeit bejaht, nachdem die Psychose fast ein Jahr unter Schwankungen bestand und eine Besserung nicht zu erwarten war. Entmündigung wird selten nötig werden; auch die Anwendung des § 45 EG. wird nur ausnahmsweise möglich sein, eher die des § 44 EG.
Die psychischen Störungen bei den Generationsvorgängen des Weibes E w a l d schreibt im B u m k e sehen Handbuch der Geisteskrankheiten: „Man hat früher einmal geglaubt, den Psychosen, die sich im Verlauf des Generations- und Gestationsgeschäftes des Weibes entwickeln, eine Sonderstellung einräumen zu sollen, da die Umwälzungen im Gesamtorganismus während dieser Perioden einen ätiologischen Zusammenhang recht plausibel erscheinen ließen. Das eingehende Studium der Symptomatologie und des Verlaufs, die Herausstellung der großen Krankheitskreise des manisch-melancholischen Irreseins und der Dementia praecox, das tiefere Eindringen in das Wesen der reaktiven, psychogenen Psychosen und die Zusammenfassung aller symptomatischer Psychosen in den exogenen Reaktionsformen hat aber schließlich zu der Erkenntnis geführt, daß
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hier doch wohl eine Überschätzung des ätiologischen Faktors vorlag, daß man ein propter hoc für das post hoc setzte, und so hat die Betrachtung der Generationspsychosen, wenn auch nicht ausschließlich, so doch weitgehend mehr historisches Interesse." In der Tat wirken Schwangerschaft und Wochenbett gelegentlich auslösend auf endogene Psychosen und geben ihnen als pathoplastische Faktoren auch wohl ein besonderes Gepräge — die Schizophrenien haben oft katatone Züge und eine relativ gute Prognose, die Melancholien erscheinen ängstlich erregt, die Manien verworren —; eigene für Schwangerschaft oder Wochenbett charakteristische Psychosen indessen gibt es nicht. Im Wochenbett treten nur, verursacht durch das Wochenbettfieber exogene Psychosen von vorwiegend amentieller Färbung auf, die praktisch für die Rechtspflege kaum eine Bedeutung haben. Viel wichtiger sind die seelischen Abartigkeiten, die vor und während der Menstruation, in der Zeit der Schwangerschaft, bei der Geburt und im Klimakterium auftreten. Sie sollen hier etwas genauer behandelt werden, weil von der Verteidigung, m. E. durchaus mit Recht oft auf diese Störungen hingewiesen wird, weil aber auch ihre forensische Bedeutung leicht überschätzt wird. Die M e n s t r u a t i o n zunächst ist ein durchaus normaler, biologischer Vorgang, der zur Zeit der Geschlechtsreife beim Weibe einsetzt und in einer bestimmten Periodizität mehrere Jahrzehnte hindurch auftritt. Sie dauert in der Regel einige Tage, verläuft in manchen Fällen ohne alle Beschwerden und nervösen Erscheinungen, führt aber bei vielen insbesondere psychopathischen Frauen zu Mißempfindungen, Kopf- und Rückenschmerzen, auf psychischem Gebiet zu erhöhter Reizbarkeit, zu Gefühls- oder Weinkrisen, zu ängstlichen oder depressiven Verstimmungen 1 ), bei manchen auch zu erhöhter Aktivität 2 ). Vielfach machen sich diese psychischen Erscheinungen schon in den Tagen vor dem Einsetzen der Blutung bemerkbar und klingen mit dem Eintritt der Blutung ab. Manche endogenen Psychosen zeigen auch einen der menstruellen Periodizität angepaßten Verlauf. Diese Schwankungen sind, wie Kastrationsergebnisse zeigen, nicht auf Stoffwechselvorgänge (hormonale Ausschüttungen) zu beziehen; sie sind das Ergebnis eines komplizierten Zusammenwirkens verschiedener Faktoren. Dabei ist nicht zu verkennen, daß der Einfluß der Umwelt auf die Bedeutung der Menstruation als Erlebnisfaktor recht erheblich ist: für eine Frau, die sich jedesmal einige Tage ins Bett legen kann, verwöhnt und gepflegt wird, ist die Menstruation ein ganz anderes, viel belangvolleres Erlebnis, als für eine Frau, die gezwungen ist, Der pathologische A n a t o m H e l l e r f a n d u n t e r 70 S e l b s t m ö r d e r i n n e n 25 (36%), die sich zur Zeit d e r M e n s t r u a t i o n getötet hatten. 2 ) Nach einer Umfrage, die B r u s h v e r a n s t a l t e t h a t (Zb. N e u r . 92, 1939, S. 47); ebenso H a u p t m a n n , Arch. f. Psychiatrie 71, 1924.
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ohne Rücksicht auf ihr Befinden zu arbeiten. Audi die Charakteranlage und die konstitutionelle Eigenart spielen zweifellos eine gewisse Rolle dabei; darauf hat H a u p t m a n n ganz besonders hingewiesen. Anscheinend führt nun die menstruelle Ubererregbarkeit zu einer gewissen Steigerung der Kriminalität: Körperverletzungen, Widerstandshandlungen, Brandstiftungen und Diebstähle, vor allem Warenhausdiebstähle sind es, die in engeren Zusammenhang damit gebracht werden. Besonders gefährlich ist die Zeit der Menarche und das Klimakterium, das seine Bezeichnung „die kritischen Jahre" mit Recht trägt. Wie W e i n b e r g 1 ) gezeigt hat, ist die relative Straffälligkeit im Vergleich zu der des männlichen Geschlechts in den Pubertätsjähren von 12 bis 18 um 65% größer als in den folgenden Jahren. Besonders auffällig ist der Unterschied bei den Brandstiftungen. In den Jahren 1896 bis 1904 sind in Deutschland 724 Frauen wegen Brandstiftung verurteilt worden; davon waren 422, d. h. weit über die Hälfte im Alter unter 18 Jahren, während unter den 3102 verurteilten Männern nur 932 (30°/o) unter 18 Jahre alt waren. Aber auch später soll die Menstruation eine das Verbrechen fördernde Wirkung haben. E x n e r 2 ) vermutet, daß in diesem Zustande Reize, die sonst unwirksam bleiben, eine schwer widerstehbare Kraft erlangen. Von 56 Frauen, die in Pariser Magazinen Diebstähle verübten, sollen 63°/o gerade ihre Regel gehabt haben 3 ). Demgegenüber konnte D u b u i s s o n 1901 unter 120 von ihm untersuchten Ladendiebinnen nur 15mal (=12°/o) biologische Phasen wie Menopause, Menstruation oder Schwangerschaft nachweisen 4 ), und L e p p m a n n , der eine besonders große gerichtliche Erfahrung hatte, erwähnt in einem Vortrage über Diebstähle in großen Kaufhäusern die Menstruation nur in einem Falle, bei dem jedoch auch eine Basedowsche Krankheit (vorspringende Augäpfel, Kropf, Gliederzittern) bestand und bei dem L e p p m a n n selbst an „postepileptische" Zustände gedacht hat 5 ). Das sind einander so widersprechende Zahlen, daß man sich fragen muß, wie diese Diskrepanz zu erklären sei. Möglich wäre es, daß L e g r a n d d u S a u l l e eine besondere Auswahl von Ladendiebinnen gehabt hat; wahrscheinlicher ist mir eine andere Erklärung: Ladendiebinnen pflegen charakterlich irgendwie aufJ
) Juristisch-psychiatrische Grenzfragen VI, 1907, S. 11. J Kriminalbiologie, S. 163. 3 ) L e g r a n d d u S a u l l e , zit. nach H o c h e III, S. 249. 4 ) Zit. nadi G. S c h m i d t , Der Stehltrieb oder die Kleptomanie. Zb. Neur. 92, 1939, S. 11; nach einem Referat von G a u p p (M. Kr. B. 1, S. 267) war in mehreren Fällen ein solcher Einfluß dieser Vorgänge nachweisbar. 5 ) Ärztl. Sachverst. Ztg. 1901, S. 5. L e p p m a n n meint, daß bei den in Betracht kommenden Mädchen und Frauen aus dem besseren Mittelstande die Sittlichkeit doch keine so innerlich gefestigte sei, wie es scheinen möchte. Die heutigen Zustände geben ihm'für a l l e Kreise recht 2
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fallende Züge aufzuweisen. Es scheint mir nun sicher, daß das Denken dieser Frauen in verhältnismäßig starkem Grade um die biologischen Vorgänge kreist, und daß sie manches auf diese zurückführen, was damit nichts zu tun hat. Wenn dann in etwas unvorsichtiger Form danach gefragt wird, so sind sie glücklich, eine ihnen plausible Entschuldigung für ihr Tun gefunden zu haben. Was sonst über die Frage des Zusammenhangs zwischen biologischen Phasen und Diebstahl in der Literatur vorhanden ist, sind Einzelbeobachtungen, die nicht einmal immer sehr beweiskräftig sind, und Eindrücke. Nötig wäre eine kritische und unbefangene Prüfung dieser Frage an einem größeren unausgelesenen Material. Eine Umfrage bei zahlreichen Nervenärzten in Amerika ergab, daß die Periode für den Hang zum Stehlen im allgemeinen bedeutungslos ist, daß sie aber bei „neurotischen" Frauen mitunter den Stehltrieb aktiviert 1 ). Dennoch darf man annehmen, daß in einzelnen Fällen einmal die Menstruation eine gewisse Bedeutung hat, daß Frauen während dieser Zeit nicht die sonstige Widerstandskraft gegenüber Begehrungsvorstellungen aufbringen. Ahnlich liegen die Dinge während der S c h w a n g e r s c h a f t . Auch während dieser Zeit, und zwar namentlich zu Beginn der Schwangerschaft besteht neben körperlichen Erscheinungen, von denen das Erbrechen das häufigste ist, öfter eine gewisse Reizbarkeit, Empfindlichkeit, Affektlabilität. In der Regel wird im Laufe der Schwangerschaft die Stimmung ausgeglichener, die Freude über das zu erwartende Kind überwiegt, sobald die Kindesbewegungen fühlbar werden, und lassen andere Bedenken und Sorgen in den Hintergrund treten. Zu Beginn können sich freilich psychogene Depressionen einstellen, wenn das Kind unerwünscht ist, und zwar sowohl bei ehelicher als auch bei außerehelicher Schwängerung. Für kriminelle Handlungen erscheinen wichtig die sogenannten G e l ü s t e , das Verlangen nach besonderen, sonst nicht bevorzugten Speisen; diese Gelüste sollen sich manchmal auch auf glänzende Gegenstände, namentlich Schmuck erstrecken. Man hat in früheren Zeiten die Bedeutung dieser Gelüste sehr überschätzt; so wollte H o f f b a u e r jede Frau, die unter ihrem Einfluß verbrecherische Handlungen beging, exculpieren 2 ); demgegenüber betonte C a s p e r , die Schwangerschaft dürfe nicht zum Freipaß für Vergehen und Verbrechen werden 3 ) und F i s c h e r 4 ) meint, die Bedeutung der Gelüste sei künstlich aufgebauscht. Hier wie bei den menstruellen Störungen kann nach unserer heutigen Auffassung von einer generellen Exculpierung nicht die Rede sein. Es muß vielmehr jeder Einzelfall nach allen Richtungen !) M i d d l e t o n , W. C., Psychol. Clin. 22, 1934; zit. von Zb. Neur. 92, S. 11. 2 ) Neues Archiv des Criminalrechts 1, 1817, S. 612. 3) Gerichtliche Psychiatrie, 1860. 4 ) A. Z. Ps. 61, 1904, S. 333.
Schmidt,
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hin geprüft werden; und nur dann ist die Exculpierung zu rechtfertigen, wenn zur Zeit der Tat wirklich psychische Störungen in einer Stärke nachgewiesen werden können, durch die die Voraussetzungen des § 51 StGB, erfüllt werden. Ob man jeder Frau, die sich in einer physiologischen Phase befindet, Milderungsgründe zubilligen will, wie S e 11 h e i m möchte1), ist eine Frage der Gesetzgebung, nicht des Psychiaters. Zwei einschlägige Beispiele mögen hier ihren Platz finden: Frau N. N., Vater Trinker, mit 41 Jahren an Schlaganfällen gestorben; 2 Schwestern schwer psychopathisch. Selbst gesund, aber während mehrerer Schwangerschaften stark reizbar, aufbrausend, zu heftigsten Affekten geneigt. Am Tage der Tat zu Hause heftige zornige Explosion, fuhr dann in die Stadt, um 2 Gänse zu verkaufen. In einem Militärkasino, wo ihr der Verkauf nicht gelang, sah sie durch eine offene Tür Weißzeug am Boden liegen. Sie packte ohne irgendwelche Scheu 20 Servietten und 2 Tafeltücher in ihren Korb, ging dann zum Geflügelhändler, verkaufte dort ihre Gänse, packte aber 3 geschlachtete Hühner in ihren Korb. Diese bot sie in einem Hotel zum Kauf an, entwendete bei dieser Gelegenheit 22 Kaffeelöffel und nahm schließlich bei einem Kaufmann, wo sie die Hühner gegen Waren tauschte, noch mehrere Kleidungs- und Wäschestücke an sich. Erst in einer Wirtschaft, die sie dann zum Ausruhen aufsuchte, kam ihr der Gedanke, daß sie Unrecht getan habe. Körperlich fand sich außer starken, offenbar psychogenen Schmerzäußerungen bei leisem Druck auf verschiedene Körpersteilen nichts Besonderes; psychisch war sie nach jeder Untersuchung sehr angegriffen und brauchte Stunden oder sogar Tage, um sich zu erholen. F i s c h e r , der diesen Fall berichtet hat 2 ), hat als wahrscheinlich angesehen, daß Willensunfreiheit bei den genannten Handlungen vorlag. Er begründet das mit der Schwere und der Massenhaftigkeit der Diebstähle innerhalb kurzer Zeit bei der bisher unbescholtenen, aber während der Schwangerschaft psychisch veränderten Frau. E. Th., 33 Jahre alt, unbestraft, erbrach im 7. Schwangerschaftsmonat einen im Luftschutzkeller stehenden Schließkorb und stahl daraus eine große Zahl von Wäschestücken. Aus diesen entfernte sie die Namen und ließ ihren Mädchennamen hineinsticken. Familie angeblich o. B. Selbst: Volksschule, Stellungen als Hausangestellte, Fabrikarbeiterin, Kellnerin in Holland und anderes. Kaum Zeugnisse. Erste Ehe zu ihrem Verschulden geschieden, war von vornherein unglücklich. Zweite Ehe seit 1942, glücklich. Sorgen wegen des Kindes aus erster Ehe, das sämtliche Haare verloren hatte, und Schwangerschaft, die ohne gröbere Störungen verlief. Sie war „nervös", während der Schwangerschaft verstärkt, neigte von jeher zum Lügen, wollte mehr scheinen als sie war, hatte früher schon erzählt, daß sie aus einem Geschäft, in dem sie angestellt war, manches mit nach Hause gebracht habe. Erst nach der Begutachtung wurden als Grund für den Diebstahl Schwangerschaftsgelüste geltend gemacht und Veränderungen behauptet, die bei der ersten gründlichen Untersuchung trotz eingehenden Befragens nicht festzustellen gewesen waren. Ich habe in diesem Falle keinen Grund zur Anwendung des § 51 StGB, gesehen.
Uber die a b n o r m e n Z u s t ä n d e d e r G e b ä r e n d e n habe !) M. Kr. Ps. 21, 1930, S. 184. ) Ausführlich in der A. Z. Ps. 61 1904, S. 312.
a
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ich schon oben (S. 29) das Nötige gesagt. Hier möge der Hinweis genügen, daß psychische Störungen, und nur solche rechtfertigen die Anwendung des § 51 StGB., offenbar sehr selten sind. Auch das K l i m a k t e r i u m bedarf nur eines kurzen Hinweises. Wir wissen, daß während dieser Zeit, die in der Regel zwischen dem 4. und 5. Lebensjahrzehnt liegt, mancherlei körperliche und psychische Störungen auftreten können: Hitzegefühle, Wallungen nach dem Kopfe, Kopfschmerzen, Herzangst einerseits, erhöhte Ermüdbarkeit, Gedächtnisstörungen, Unruhe, gesteigerte Empfindlichkeit andererseits. Das zeigt sich in der vermehrten Kriminalität und in ihrer besonderen Art: Hausfriedensbruch, Verletzung der Eidespflicht, Beleidigung, Hehlerei, Bedrohung und Kuppelei erreichen hier ihren Höhepnkt 1 ). Hinsichtlich der strafrechtlichen Beurteilung gilt das oben Gesagte. Zivilrechtlich haben alle diese Zustände kaum praktische Bedeutung; sie könnten höchstens einmal zu Ehekonflikten führen, wenn etwa während der Menstruation Haßgefühle aufträten oder dgl.
Die psychischen Störungen durch Alkohol Auf die kriminogene Wirkung des Alkohols habe ich im strafrechtlichen Teil (S. 68) bereits hingewiesen. An dieser Stelle sind die verschiedenartigen Erscheinungsweisen und Folgen des Alkoholmißbrauchs2) kurz zu schildern und ihre Bedeutung für die praktische Rechtspflege zu würdigen. Wir unterscheiden folgende Formen: a) die akute Alkoholvergiftung, den einfachen Rausch; b) komplizierte, pathologische Räusche; c) die Dipsomanie; d) den chronischen Alkoholismus; e) das Delirium tremens; f) die Alkoholhalluzinose (Alkoholwahnsinn); g) den Eifersuchtswahn der Trinker; h) die Korsakowsche Krankheit; i) andere Folgen: Alkoholepilepsie; Polioencephalitis haemorrhagica superior (W e r n i c k e). a) D e r e i n f a c h e R a u s c h . Schon aus der obigen Aufzählung geht die Mannigfaltigkeit der alkoholischen Störungen hervor. Sie tritt uns aber nicht nur bei der Gesamtheit der Störungen, sondern auch bei den einzelnen Formen immer wieder entgegen. Der Rausch ist bei zwei Menschen nicht dasselbe; j a sogar bei ein und demselben Menschen kann er je nach den äußeren Umständen, nach der jeweiligen Beschaffenheit der körperlichen Verfassung und nach der Art des genossenen Getränkes verschiedene Formen annehmen. Nach E x n e r , Kriminalbiologie, S. 182. ) Ausführliches hierüber mit zahlreichen Beispielen M e g g e n d o r f e r in B u m k e s Handbuch Bd. VII. 2
findet
man
bei
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Wenn daher im folgenden der häufigste Typ des einfachen Rausches geschildert wird, so ist doch nicht zu verkennen, daß es von diesem Typ zahlreiche mehr oder weniger stark abweichende Varianten gibt. Bei nicht gar zu schnellem Trinken kommt man zunächst in das Stadium des Angeregtseins: man fühlt sich behaglich, beschwingt, die Gedanken scheinen schneller zu fließen, gewisse Hemmungen fallen fort, Herz und Mund öffnen sich, ein Gefühl der Kraft, des Könnens, der Zuversicht durchströmt den Trinker. In Wirklichkeit ist freilich schon in diesem Stadium die Auffassung, wie experimentelle Untersuchungen gezeigt haben, erschwert und die Merkleistungen sind ungenau. Im folgenden Stadium des Angeheitertseins verstärken sich die Symptome: die Gedanken werden, wie bei der Manie, nach oberflächlichen Anklängen aneinander gereiht, man kommt vom Hundertsten ins Tausendste, ist nicht mehr imstande, irgendein Problem gründlicher zu erörtern. Dabei ist die Ermüdbarkeit gesteigert, das Urteilen beeinträchtigt. Um so mehr wird jedoch die Richtigkeit der eigenen Meinung betont, gute Gründe werden durch Erheben der Stimme ersetzt; und da jeder sich und seine Meinung zur Geltung bringen möchte, so pflegt es in einer angeheiterten Gesellschaft ziemlich laut herzugehen. In diesem Stadium schwinden die Sorgen, das Wohlgefühl ist gesteigert, der Angeheiterte oder Angetrunkene fühlt sich im Besitz besonderer Kräfte. Schon jetzt ist eine solche Gesellschaft für einen völlig nüchternen einigermaßen anspruchsvollen Menschen schwer erträglich: man fühlt sich abgestoßen von der schalen Oberflächlichkeit und Ideenflüchtigkeit der Unterhaltung, von der Neigung zum Renommieren, zu öden Witzen. Schon aber geht das Angeheitertsein mehr und mehr in die Betrunkenheit über. Die Gespräche werden zusammenhanglos, die Sprache der einzelnen Trinker wird unsicher, schwerfällig, die Gesichtszüge wirken schlaffer, die Beherrschung von Wort und Tat geht verloren. Dabei ist noch vielfach ein Bewegungsdrang vorhanden, der infolge Fehlens der gedanklichen Hemmungen oft genug zu wenn auch harmlosen gesetzwidrigen Handlungen führt: grober Unfug, nächtliche Ruhestörung u. dgl. sind die häufigsten Delikte 1 ). Doch zeigt sich bei manchen schon in diesem Stadium erhöhte Reizbarkeit, Neigung zum Krakeelen und Stänkern, und es kann zu unerfreulichen Kurzschlußhandlungen kommen. Bei weiterem Trinken treten die höheren sittlichen Gefühle zurück, Hemmungen fallen mehr und mehr fort; gleichzeitig macht sich eine zunehmende Lähmung aller Funktionen bemerkbar, die bis zu völliger Bewußtlosigkeit führen kann. Dafür ist namentlich die Unsicherheit der Bewegungen, die lallende Sprache, die sehr ') Während des Krieges war ich als Chef einer Studentenkompagnie dankbar, daß alkoholische Getränke knapp wurden; idi hatte viel weniger zu strafen.
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stark erschwerte Auffassung nach außen hin kennzeichnend. Körperlich fällt das gerötete und oft gedunsene Gesicht und bei der Untersuchung die mangelhafte oder fehlende Lichtreaktion der Pupillen auf. Auf die Gestaltung des Rausches hat offenbar die Persönlichkeit Einfluß; sie färbt ihn und erzeugt die verschiedenen Varianten. Neben dem häufigsten euphorischen Rausch mit Glüdcsgefühl und Neigung zu allgemeiner Verbrüderung findet man den dysphorisdien Rausch, bei dem Gereiztheit, Neigung zu Händeln, Verlust der Selbstbeherrschung das Bild bestimmen. Dazu kommen, wenn auch seltener die stillen Trinker, die wenig sagen, nur dasitzen, ganz unauffällig sind, bis sie plötzlich schwer betrunken unter den Tisch fallen oder einschlafen. Frauen und Kinder sind gegen Alkohol viel weniger widerstandsfähig als Männer. Regelmäßiger Alkoholgenuß steigert zunächst die Widerstandsfähigkeit, bei längerem Mißbrauch, in späterem Alter und bei organischen Hirnerkrankungen und namentlich bei Hirnverletzungen nimmt sie wieder ab. Unter den unter Alkoholwirkung begangenen strafbaren Handlungen nimmt die Körperverletzung den bei weitem ersten Platz ein. Unter den in den Jahren 1926/29 in Bayern begangenen Alkoholdelikten machten sie 52°/o aus. Daneben spielen Beleidigung und Widerstand eine größere Rolle, während Bedrohung, Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Eigentumsvergehen und Sittlichkeitsverbrechen annähernd gleiche Zahlen aufweisen, über die strafrechtliche Beurteilung ist oben (S. 68ff.) das Nötige gesagt. Zivilrechtlich kommt namentlich der § 105 Abs. 2 BGB. in Betracht, evtl. auch § 44 EG. b) D e r k o m p l i z i e r t e ( p a t h o l o g i s c h e ) R a u s c h . Von den bisher behandelten gewöhnlichen Räuschen unterscheidet man andere, die von K r a e p e l i n als „ungewöhnliche" bezeichnet sind, die meist unter der Bezeichnung pathologische Rauschzustände zusammengefaßt werden. Bei ihrem Zustandekommen spielt die persönliche Anlage eine Rolle; daneben wirken äußere Umstände begünstigend. In der Regel handelt es sich um Menschen, die nervös irgendwie anfällig sind, die zu solchen Rauschzuständen neigen, ganz besonders um solche, die zum weiteren Umkreis der Epilepsie gehören; aber auch ganz Gesunde können gelegentlich in auch für sie ungewöhnlicher Weise auf Alkohol reagieren. Besonders gefährdet sind alle organisch Hirnkranken einschließlich der Hirnverletzten, denen aus diesem Grunde nicht ernst genug völlige Abstinenz empfohlen werden muß. Zu den begünstigenden äußeren Faktoren zählen erschöpfende Einflüsse, überstandene Erkrankungen, Übermüdung, mangelhafte Ernährung, seelische Erregungen aller Art. Manchmal genügen schon geringe Mengen Alkohol zur Auslösung solcher Räusche. Am häufigsten sind die von B o n h o e f f e r als e p i l e p t o i d bezeichneten Räusche, die anscheinend gewisse Beziehungen zur Epilepsie haben, meist plötzlich, ohne besondere Vorzeichen, aus
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friedlicher Verfassung heraus einsetzen, mit Verlust der Orientierung, Verkennung der Situation, auch wohl einzelnen Sinnestäuschungen einhergehen und nach kürzerer oder längerer Zeit mit einem tiefen Schlaf und Erinnerungslosigkeit an die fragliche Zeit enden. Daneben sind seltener d e l i r a n t e Räusche und R a u s c h d ä m m e r z u s t ä n d e . Während dieser Zustände kommt es nicht selten zu brutalen Gewalttaten, sinnlosen Erregungen und namentlich auch zu sexuellen Vergehen, meist zu exhibistischen oder zu homosexuellen Handlungen bei sonst anscheinend normal veranlagten Menschen. Ein von mir begutachteter Fall möge hier erwähnt werden: A. A., 24 Jahre alt, Chauffeur, kräftig gebaut, gut beurteilt, sonst durchaus solide, trank nach Arbeitsschluß in der Zeit von 17 bis 23 Uhr in Gesellschaft von Freunden rund 3 Liter Bier. Zwischendurch machten sie Besorgungen, wobei er eine harte Mettwurst kaufte. Abends entstand in einem Lokal ein Streit zwischen dem Wirt und einer anderen Gruppe, •wobei sie die Partei des Wirtes nahmen. Es kam zu einer harmlosen Schlägerei. Kurz darauf riß sich A. auf dem Wege zu einem Café, wo man nach einer Tasse Kaffee Schluß machen wollte, von seinen Freunden los und lief mit so großer Geschwindigkeit fort, daß die anderen ihn nicht einzuholen vermochten und ihn daher laufen ließen. Er lief dann in •eine Nebenstraße und bedrohte dort nach Aussage eines Zeugen diesen mit einem Revolver. Als der Zeuge flüchtete, folgte er ihm, jedoch immer •die Bäume als Deckung benutzend. Der Zeuge lief dann in einen Park und verlor ihn aus den Augen. Es konnte weiter festgestellt werden, daß A. im Park einige Frühbeetfenster zerschlug und dann über einen Zaun in einen Garten stieg. Dort wurde er von einer Frau bemerkt, die ihren Hund auf ihn hetzte; dieser griff aber nicht an und verhielt sich überhaupt auffallend still. A. stieg dann weiter in einen Nebengarten und von dort mit gezücktem Messer in ein offenstehendes Parterrefenster. Ein dort schlafendes japanisches Ehepaar fuhr aus den Betten auf; der Japaner bot A. Geld an, das schlug er ihm jedoch aus der Hand, griff den Japaner an und brachte ihm mit dem Messer eine Verletzung am Rücken bei. Es gelang dem Japaner dann, ihn solange festzuhalten, bis seine Frau mit der Polizei kam, A. festnahm und zur Wache brachte. Dort verfiel er schnell in Schlaf, wußte beim Erwachen von all diesen Erlebnissen seit der Zeit des Fortlaufens nichts. Ein Revolver wurde bei ihm nicht gefunden; angeblich hatte er nie einen besessen. — Ich habe einen pathologischen Rauschzustand angenommen, für den die harmlose Schlägerei die auslösende Ursache war. Als Revolver hat anscheinend die harte Mettwurst gedient, die später dem Hunde vorgeworfen wurde, so daß dessen auffallendes Verhalten sich zwanglos erklärt. Das Verfahren wurde aus § 51 StGB, alter Fassung eingestellt. Der Fall zeigt verschiedene wichtige Anzeichen des pathologischen Rausches: einmal die Art der Auslösung, auf die ich schon hinwies; weiter den für einen Mann dieses Alters und seiner kräftigen Körperkonstitution mäßigen Alkoholgenuß, der sich auf 6 Stunden verteilte; dann den plötzlichen Beginn, die Sicherheit der Motorik den terminalen tiefen Schlaf, das Fehlen der Erinnerung. Der Umstand, daß A. Deckung hinter den Bäumen suchte, deutet darauf
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hin, daß er die Situation wahnhaft verkannte; sein Verhalten gegenüber dem Hunde zeigt nur, daß in solchem Zustande auch anscheinend zweckmäßige Handlungen vorgenommen werden können1). Nicht immer sind die Rauschzustände so ausgeprägt und so sicher zu beurteilen wie der hier beschriebene; manchmal kommt man über eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose nicht hinaus. Hat man als Arzt Gelegenheit, einen so Berauschten zu sehen, so ist die fehlende Pupillenreaktion ein wichtiges Indiz für das Krankhafte des Rausches. Es bedarf keines besonderen Hinweises, daß in solchen Fällen Zurechnungsunfähigkeit gegeben ist. Zivilreditlich könnte die Frage der Deliktfähigkeit, die gleichfalls zu verneinen wäre, aufgeworfen werden. Ich bin gelegentlich auch nach der Eignung zum Kraftwagenführer gefragt worden. Im obigen Falle habe ich sie bejaht, da nach der Persönlichkeit des Täters angenommen werden konnte, daß er in Zukunft abstinent leben werde. c) D i e D i p s o m a n i e . Darunter versteht man die periodisch auftretende triebhafte Sucht zum Trinken auf der Grundlage endogener Verstimmungen. Man hat früher angenommen, daß es sich um zur Epilepsie gehörige Stimmungsschwankungen handele; auch an die Zugehörigkeit mancher Fälle zum manisch-depressiven Irresein hat man gedacht. Nach meinen eigenen Beobachtungen sind es meist Psychopathen, die betroffen werden. Es sind oft nüchterne, solide Menschen, die von Zeit zu Zeit von einer unbezähmbaren Gier nach Alkohol befallen werden. Dann ist kein Halten mehr. Alle Versuche, sie davon abzuhalten, mißlingen, wenn man sie nicht rechtzeitig internieren kann, was kaum einmal möglich ist. Das Interesse der Kranken — sie sind in diesem Zustande in der Tat krank — konzentriert sich in der meist einige Tage dauernden Periode nur auf die Beschaffung des Alkohols. Beruf, Familie, Anstand, Pflicht, Ehrgefühl — alles das versinkt vor dem einen Verlangen nach Alkohol. Getrunken wird alles, was gerade greifbar ist, auch der gemeinste Fusel. Vielfach wettern diese Kranken zu Hause ihre Saufperiode ab; andere sitzen in irgendeiner Kneipe, meist für sich. Die Toleranz gegen Alkohol ist anscheinend oft gesteigert. Nach dem Abklingen des Zustandes setzt meist ein seelischer Katzenjammer mit heftigen Selbstvorwürfen ein, es geht eine Zeitlang gut, manchmal ein halbes Jahr und länger, sie versuchen wieder gut zu machen, was sie beruflich versäumt haben, und dann geht es von neuem los; alles innere Widerstreben hilft nicht, sie unterliegen aufs neue. Strafbare Handlungen kommen während dieser Perioden nur selten vor. Im Einzelfall bedarf es P a r k e s (Zb. Neur. 53, 1929, S. 224) berichtet über einen Mord im pathologischen Rausch. Ein Sachverständiger meinte in der Verhandlung: „Ein mit pathologischer Trunkenheit Behafteter kann ein Automobil oder ein Flugzeug führen oder eine Rede im Parlament halten, ohne daß man ihm etwas anzumerken braucht." Diese Behauptung scheint mir etwas
weit gegangen.
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genauer Untersuchung, ob es sich wirklich um eine endogene Triebhaftigkeit handelt oder ob es nur äußere Gründe sind, die zum Trinken geführt haben, z. B. Lohnzahlung. Freilich werden manchmal auch äußere Ursachen wie Streit mit der Frau angegeben, die aber in Wirklichkeit schon Folge der Verstimmung sind. In allen wirklich echten Fällen halte ich Zurechnungsunfähigkeit für gegeben. Schwierig ist die Frage der Unterbringung nach § 42 b oder 42 c StGB. Man wird dafür die Sachlage im einzelnen sehr gründlich zu prüfen haben; wichtig ist m. E. die Möglichkeit, die Widerstandskraft der Kranken zu heben, wenn es gelingt, eine oder gar zwei Perioden im Schutze der Anstalt ohne Alkohol abzuwettern. Auch die Frage der Entmündigung kann nicht generell entschieden werden. Die Voraussetzungen des § 105 Abs. 2 sind als gegeben anzusehen. d) D e r c h r o n i s c h e A l k o h o l i s m u s . Wird Alkohol regelmäßig in größeren Mengen genossen, so kommt es allmählich zu seelischen und körperlichen Veränderungen, die man unter der Bezeichnung „chronischer Alkoholismus" zusammenfaßt. Die Mengen, die erforderlich sind, um solche Veränderungen hervorzurufen, schwanken in ziemlich weiten Grenzen, je nach der individuellen Widerstandsfähigkeit. Auf körperlichem Gebiet kommt es zu Schädigungen des Herzmuskels, der Leber und zu Magenkatarrhen; besonders häufig sind entzündliche Erscheinungen an den Nervenstämmen (Neuritiden). Bei der Untersuchung fällt auf: das etwas gedunsene, schlaffe Gesicht, die schmutzig-gelbliche Farbe der Skleren, in der die kleinen Blutgefäße deutlich sichtbar sind, die Triefaugen, ferner Druckempfindlichkeit der großen Nervenstämme, nicht selten durch Neuritis bedingte Reflexdifferenzen oder gar Fehlen der Reflexe, Störungen der Pupillenreaktionen bei vielfach entrundeten Pupillen —• in manchen seltenen Fällen so ausgeprägt, daß man von einer Pseudotabes alkoholica sprechen kann —, Zittern der belegten Zunge und der Hände. Das letztere ist morgens meistens am stärksten und oft mit Erbrechen verbunden; beides bessert sich auf erneute Alkoholzufuhr. Biertrinker pflegen aufgeschwemmt, Schnapstrinker magerer zu sein. Auch auf psychischem Gebiet sind erhebliche Schäden zu verzeichnen, die nur deswegen nicht so auffällig werden, weil sie sich allmählich entwickeln. Die geistige Leistungsfähigkeit läßt nach, namentlich die Merkfähigkeit leidet, die Vergeßlichkeit nimmt zu. Dazu verengt sich der Interessenkreis, die Affektivität ändert sich; es kommt zu dem bekannten flachen Trinkerhumor, der vielfach verbunden ist mit einer gewissen Rührseligkeit und Gefühlsduselei. In anderen Fällen ist die Erregbarkeit und Reizbarkeit gesteigert. In schwereren Fällen kommt es über die leichtere Stammtischdemenz zu ausgesprochener Vertrottelung. Die sozialen Auswirkungen sind oft beträchtlich: Arbeitsunlust, Vernachlässigung des Berufs, häufiges Fehlen im Dienst, Gleich-
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gültigkeit gegenüber der Familie, die kein Unterhaltsgeld bekommt, weil alles durch die Kehle geht. Mißhandlungen von Frau und Kindern sind an der Tagesordnung; immer wieder hört man, daß sie vor dem betrunken heimkehrenden Gatten und Vater zu Nachbarn flüchten müssen. Es werden Schulden gemacht, der Hausrat wird versetzt, es kommt schließlich zu kleinen Diebstählen, Zechprellereien, Unterschlagungen, aber auch zu Bettelei und Landstreicherei. Infolge des Verlustes von Takt und Schamgefühl sind auch Sittlichkeitsdelikte nicht so selten, während die Körperverletzung mehr das Delikt des nicht regelmäßig trinkenden Berauschten ist. Im allgemeinen besteht kein Grund für die Annahme von Zurechnungsunfähigkeit, es sei denn, daß ein akuter Rausch vorgelegen hat. Relativ häufig trifft das für die Sittlichkeits- und Roheitsdelikte der Alkoholiker zu. e) D a s D e l i r i u m t r e m e n s . Aus dem chronischen Alkoholismus heraus entwickelt sich namentlich bei Schnapstrinkern das Trinkerdelir. Plötzlich oder nach kürzeren oder längeren Vorboten, abendlicher ängstlicher Unruhe, vereinzelten Sinnestäuschungen entsteht es in voller Ausprägung meist nach erheblichen Trinkexzessen, manchmal auch bei plötzlich erzwungener Abstinenz. Es dauert einige Tage, hat seinen Höhepunkt stets nachts und endet bei günstigem Ausgang mit einem längeren Schlaf. In schwersten Fällen kann es infolge Versagens des Herzens zum Tode führen. Das Delirium tremens besteht in einer starken Unruhe, verbunden mit lebhaften Sinnestäuschungen, illusionären Verkennungen, aber auch echten Halluzinationen meist optischer Art und mit örtlicher und zeitlicher Desorientierung. Dabei besteht meist eine gewisse humorvolle Färbung. Das sehr starke Zittern der Glieder hat dem Delir seinen Namen gegeben, ü b e r die Art der Erlebnisse möge der folgende von mir beobachtete und begutachtete Fall dienen, den M e g g e n d o r f e r veröffentlicht hat 1 ). K. S., Friseur, 40 Jahre alt, hatte am 28. III. 1927 abends gegen 8 Uhr in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs eine Kraftdroschke genommen, mit der er ohne festes Ziel in der Richtung auf einen entfernten Stadtteil fuhr mit der Weisung zu halten, wenn er klopfen werde. Als er nach einer Strecke Fahrt aufgefordert wurde zu zahlen, konnte er das nicht, führte wirre Reden und wurde daher zur Wache gebracht. Dort gab er an, er sei seit 14 Tagen obdachlos; er habe eine Kraftdroschke genommen, um eine Unterkunft zu bekommen. Seine Unterschrift war stark zitterig. In der folgenden Nacht fing er an, in der Arrestzelle zu toben, zog sich nackend aus, versuchte sich die Pulsader zu verletzen, führte irre Reden und wurde daher ins Hafenkrankenhaus gebracht, von wo er mit der Diagnose „Halluzinatorisches Irresein" in die Anstalt Friedrichsberg verlegt wurde. Hier gab er wenige Tage später, nachdem er ausgeschlafen hatte, Folgendes an: Er habe Friseur gelernt, aber seit dem Kriege sein -) In B u m k e s gekürzt.
Handbuch Bd. VIII, S. 243; ich bringe den Fall hier
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Gewerbe nur zeitweise ausgeübt. Er sei nacheinander Postaushelfer, Arbeiter beim Kanalbau und die letzten 3 Jahre Hausdiener in einer Gastwirtschaft gewesen, in der er regelmäßig und erheblich Grog getrunken habe. Vier Wochen vor der Fahrt nach Hamburg habe er sich in Schleswig als Friseur selbständig gemacht, habe während dieser Zeit solide gelebt, habe dann aber die letzten drei Tage ohne richtig zu schlafen, sehr viel getrunken. Weil er sich schämte, wieder nach Hause zu gehen, schlief er in der Nacht vom 24. zum 25. März im Walde, fuhr am 25. III. mit dem Rade bis vor Rendsburg, am 26. III. bis Elmshorn, am 27. III. nach Hamburg. Seit dem 24. III. habe er nichts mehr gegessen. In der Nacht vom 26. zum 27. III. fing es mit Sinnestäuschungen an: „Vor Elmshorn kam ich abends zur Zeit der Dämmerung durch einen Fichtenwald. Ich suchte mir eine nette Stelle aus und wollte dort übernachten, . . . da sah ich auf der Straße so eine Art Köpfe und Gesichter, und als ich genauer hinsah, lachten sie, jedoch nicht hörbar. Auch aus den Fichten sahen Gesichter auf mich herab. Ich bemerkte sogar, daß einer eine Brille trug. . . . Ich stand auf und ging auf die Straße. Da hörte ich, daß sie verabredeten, mich einzufangen." Er meint dann, daß das mit Autos geschehen sollte, und zwar mit dem besonders grellen Licht der Scheinwerfer, in dem er Gestalten sah, die die Straße besetzt hielten. „Da lief ich quer durch den Wald, die Meute der Verfolger, die sich mit Vogelrufen und so weiter verständigten, hinter mir her. Ich wurde eingeholt und vollständig umzingelt; es tat mir aber keiner was." Er sah dann einen Holzhaufen mit einem schneeweißen Bett und mehreren männlichen und weiblichen Gestalten, wurde aufgefordert in ein nahe gelegenes Wasser zu springen, bat aber, lieber erschossen zu werden. „Ich wurde dadurch ängstlich gemacht, daß sich der Boden immer da, wo ich stand, senkte, so daß ich immer wieder meinen Standpunkt änderte." Der eine Mann sagte dann, „er sei Gott und ich ein sündiger Mensch, ich solle die Prüfung bestehen, aber sterben müßte ich doch. Er wollte seine Allmacht durch Himmelsund Geländeverschiebungen beweisen." Gott schuf dann einen Wald, machte aus diesem riesige Wagen, es kamen zahlreiche Tiere, Löwen, Schlangen, Vögel, alle zehnmal so groß wie in Wirklichkeit. Er, S., hörte dann Menschenstimmen, die den Tieren Tierlaute zuriefen, aus dem bläulichen Schimmer der Ferne kam ein riesiger Aal, der mitten durch die Sonne schwamm, usw. Dann kommt eine Zeit, über die S. nichts sagen kann. Er fand sich in Hamburg, anscheinend in der Nähe des Hauptbahnhofes wieder. Er hörte dort eine Stimme, von der er annahm, es sei der liebe Gott. Gott versprach ihm 50 000 Mark und eine Frau, die er heiraten sollte. Davon hörte er auf der Straße schon die Leute reden, die ihn plötzlich alle kannten. Einmal kam Gott mit einem Auto an, das vor dem Hause hielt, in dem seine zukünftige Frau wohnte. Zwei Damen stiegen zu ihm ein. Dann kamen mehrere Lastautos mit Hochzeitsgeschenken, eins mit Schweinen, eins mit Kolonialwaren, eins mit altem GerümpeX. Er habe dann über die Straße gehen wollen; an der Straßenecke hätten vier Autos gestanden. Ein Chauffeur kam ihm entgegen und sagte, er solle einsteigen. Im Auto saß Gott in Menschengestalt schon drin. Er stieg dazu. Dann fuhren sie los, quer durch Hamburg. Der „Betreffende" saß neben ihm. Wenn er hinsah, war er nicht da, aber wenn er nicht hinsah, fühlte er ihn neben sich. Gott zeigte ihm Hamburg in eigenartiger Beleuchtung, alles mit kleinen bunten Laternen. Die Unterhaltung wurde nur mittelst Gedankensprache geführt. Schließlich wollte der Chauffeur Langelüddeke,
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Geld haben. Er, S., habe gesagt, er habe kein Auto genommen, das habe .jener" getan; „jener" sei aber plötzlich verschwunden gewesen; und er sei zur Wache gebracht worden. Auch hier hatte er noch lebhafte Sinnestäuschungen, brachte sich auf Befehl Gottes Verletzungen bei, weil er sein Blut für die Christenheit vergießen sollte. Im Hafenkrankenhaus sah er links neben dem Bett eine Kuh liegen, zu Füßen einen Wolf, unter dem Fenster einen Haufen Schlangen. „Jener", der sich jetzt als Teufel entpuppte, sagte, er (S.) solle ein Kind ermorden, das neben ihm im Bette lag. Er habe aber festgestellt, daß das, was der Teufel für ein Kind hielt, nur Falten im Bettzeug waren. Der Teufel nahm dann zehn Bandwürmer und stedcte sie ihm durch die Rippen in den Körper. Darauf habe er den Teufel fortgejagt, habe gut geschlafen und viel und gut zu essen bekommen. — Das Verfahren wurde auf Grund meines Gutachtens eingestellt. f) D i e A l k o h o l h a l l u z i n o s e ( A l k o h o l w a h n s i n n ) ist sehr viel seltener als das Delir. Es bestehen hier vornehmlich akustische Sinnestäuschungen bei erhaltener Besonnenheit und wahnhafter Verarbeitung des Gehörten. Mancherlei Beobachtungen — geringerer Alkoholmißbrauch, häufigeres Vorkommen auch bei Frauen — sprechen dafür, daß eine endogene Bereitschaft von Bedeutung ist; wahrscheinlich gehört ein Teil mindestens der länger dauernden Erkrankungen zur Schizophrenie. g) D e r E i f e r s u c h t s w a h n d e r T r i n k e r . Hier muß man unterscheiden zwischen der normal verständlichen Eifersucht der Trinker, die ja selbst durch ihr Verhalten eine Entfremdung der Ehefrau herbeiführen, und wirklichen Wahnideen. Bei diesen mag der Alkoholmißbrauch begünstigend wirken; wenn man aber nicht vorschnell alles dem Alkohol zuschiebt, sondern sich die Persönlichkeit der W a h n k r a n k e n vor der eigentlichen Trunksucht ansieht, so kann man fast immer feststellen, daß es sich um von jeher mißtrauische, paranoide Menschen handelt. Bei genauer Untersuchung der Vorgeschichte konnte ich sogar oft genug die Beobachtung machen, daß der Eifersuchtswahn schon vor dem eigentlichen Alkoholmißbrauch bestanden hatte. Sicher scheint es mir jedenfalls zu sein, daß endogene Momente eine wesentliche Rolle dabei spielen. Daß bei diesen Kranken schwere Eifersuchtstaten vorkommen können, bedarf k a u m eines besonderen Hinweises; wohl aber muß gesagt werden, daß auch anscheinend harmlose Kranke dieser Art ganz unerwartet höchst gefährlich werden können. h) D i e K o r s a k o w s c h e K r a n k h e i t . Nach langjährigem Schnapsmißbrauch treten neben stärkeren polyneuritischen Erscheinungen erhebliche Störungen der Merkfähigkeit auf mit starker Suggestibilität und der Neigung, die Gedächtnislücken durch Confabulationen auszufüllen. Die Kranken sind stets stark desorientiert. Solchen Kranken, die schon monatelang sich in einer Anstalt befinden, kann man etwa einreden, man habe am Abend vorher in einer Kneipe mit ihnen gezecht und Brüderschaft getrunken. Die Klinik halten sie für ein Hotel, den Pfleger für einen Kellner, sie bestellen bei ihm zu essen und zu trinken. Daß sie im Hemd im
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Bett liegen, daß andere im gleichen Raum ebenfalls im Bett liegen, hindert sie nicht, solche Meinungen zu äußern. Vielfach wirken sie ausgesprochen ratlos. Meist sind es ältere Männer, die von diesen Störungen betroffen werden, die sich bei längerer Abstinenz zum Teil zurückbilden können, aber doch mit großer Regelmäßigkeit Reste hinterlassen. Dabei geht die Initiative verloren, die Kranken leben meist stumpf und gleichgültig dahin. Zechprellereien sind wohl ihre häufigsten Delikte. i) Von den a n d e r e n Folgen des Alkoholmißb r a u c h s sei die A l k o h o l e p i l e p s i e kurz erwähnt. Auch sie setzt längeren schweren Schnapsmißbrauch voraus. Die schweren epileptiformen Krämpfe treten selten auf. Abstinenz kann zur Heilung führen; eine gewisse psychische Abstumpfung wird freilich meist zurückbleiben. Die von W e r n i c k e beschriebene P o l i o e n c e p h a l i t i s h a e m o r r h a g i c a s u p e r i o r schließlich ist eine meist zum Tode führende Erkrankung, die unter dem klinischen Bilde des Delirs, aber mit schwerster Benommenheit verläuft. Anatomisch finden sich Gefäßveränderungen und Neigung zu Blutungen in der Umgebung der zentralen Hirnhöhlen. Die A l k o h o l k r i m i n a l i t ä t ist von äußeren Faktoren stark abhängig; sie wächst bei günstiger Wirtschaftslage mit ihren besseren Löhnen und der geringeren Arbeitslosigkeit; sie ist abhängig von Trinkgewohnheiten, vom Temperament des betreffenden Volksteils, von der Möglichkeit der Alkoholbeschaffung. In Hamburg standen von 188 Straffällen, deren Gutachten mir noch vorliegen, die Alkoholdelikte, d. h. die Delikte, bei denen der Alkohol die Hauptrolle spielte, mit 29 an zweiter Stelle. In Marburg sind unter 262 Straffällen nur 3 Alkoholdelikte. Wahrscheinlich ist daran die Alkoholknappheit des letzten Krieges schuld. Unter meinen Fällen steht der Zechbetrug an erster Stelle. Dann folgen Körperverletzung und Sittlichkeitsdelikte. Daß das Delir, die Halluzinose, die Korsakowsche Krankheit Zurechnungsunfähigkeit bedingen, braucht nach dem Gesagten kaum noch erwähnt zu werden. Auch die zivilrechtliche Bedeutung des Alkoholmißbrauchs ist groß. Das gilt für die Frage der Geschäftsfähigkeit (§§ 104, 2 u. 105, 2 BGB.), das gilt für die Ehescheidung (§ 44 EG.), das gilt namentlich für die Entmündigung (§ 6 , 3 BGB.). Für Menschen, die nicht mäßig leben können, gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder sie saufen und ruinieren sich und ihre Familie, oder sie leben abstinent; eine Zwischenlösung gibt es bei ihnen nicht. In solchen Fällen muß man die Abstinenz verlangen. Sind die Trinker nicht fähig, aus eigener Kraft dem Alkohol vollständig zu entsagen, so muß man ihnen helfen. Dazu dient u. a. auch die Entmündigung, deren Zweck in den heilbaren Fällen ist, durch eine sachgemäße Entziehungskur die Voraussetzungen für ein vernünftiges Leben zu schaffen, während sie bei den unheilbaren Trinkern nötig ist, um wenigstens ihre Familie zu schützen und sie vor der Verwahrlosung zu bewahren. Man sollte 19*
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zu diesem Zwecke die Entmündigung der Trinker erleichtern; ohne einen sanften Zwang kommt man bei ihnen nicht aus. KorsakowKranke können auch wegen Geistesschwäche oder Geisteskrankheit entmündigt werden. Dasselbe gilt auch für den Eifersuchtswahn der Trinker. Daß hierbei die Stellung unter vorläufige Vormundschaft ein gutes Mittel ist, habe ich früher (S. 151 ff.) bereits erwähnt. Durch das-neue Ehegesetz ist die Scheidung von Trinkerehen in erfreulicher Weise erleichtert worden; auf Grund des § 44 EG. können auch Ehen geschieden werden, die durch die Trunksucht des einen Partners zur Hölle geworden sind, ohne daß den Betreffenden ein eigentliches Verschulden trifft. Die Geschäftsfähigkeit ist je nach der Art der Störung verschieden zu beurteilen. Die Korsakowsche Krankheit schließt sie in allen deutlichen Fällen aus; beim Eifersuchtswahn kommt es auf die Gesamtverfassung an. Delir, Halluzinose und Dipsomanie fallen nicht unter § 104, 2, aber unter § 105, 2 BGB. Pflegschaft kommt nur ausnahmsweise in Betracht.
Vergiftungen und Suchten 1 ) Bei der chronischen Aufnahme von Giften treten in der Regel zwei für die Rausch- und Genußgifte charakteristische Erscheinungen auf: G e w ö h n u n g und S u c h t . Die G e w ö h n u n g besteht darin, daß der Organismus bei regelmäßiger Zufuhr eines Giftes die Fähigkeit gewinnt, immer größere Mengen des Giftes anscheinend reaktionslos zu vertragen. Wir haben schon beim Alkohol darauf hingewiesen, daß der im Trinken Geübte mehr verträgt als der Gelegenheitstrinker, freilich mit der Einschränkung, daß die Verträglichkeit bei schwerem langjährigen Mißbrauch wieder abnimmt. Deutlicher als dort ist die Gewöhnung bei den hier zu besprechenden Giften zu erkennen, wo die wirksame Dosis das zehnfache und mehr der Anfangsdosis erreichen kann. Es kann hier nicht erörtert werden, worauf diese Gewöhnung beruht; Klarheit besteht darüber nicht. Die zweite beim Genuß von Rauschgiften zu beobachtende Erscheinung ist die S u c h t . Wenn man versucht, sich das Zustandekommen einer Giftsucht zu erklären, darf man sich, wie ich glaube, nicht an die physiologischen Vorgänge allein halten; es ist an der Sucht in sehr starkem Maße auch eine seelische Wurzel beteiligt. J ) Ausführlichere Darstellungen gibt es von M e g g e n d o r f e r in B u m k e s Handbuch Bd. VII, 1928; doch sind inzwischen mehrere suchtbildende Mittel auf den Markt gekommen, die ihm noch nicht bekannt waren; weiter sind zu empfehlen: P o h l i s c h und P a n s e , Schlafmittelmißbrauch, Leipzig 1934; H e s s e , Die Rausch- und Genußgifte, Stuttgart 1939. Anregend, wenn auch in vieler Beziehung überholt ist F r a e b und W o ] f f , Die straf- und zivilrechtliche Stellungnahme gegen den Rauschgiftmißbrauch, 1927.
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Das scheint mir aus der Verwendung des Adnexes „sucht" schon hervorzugehen. Abgesehen von einigen medizinischen Ausdrücken wie Schwindsucht, Wassersucht, Gelbsucht, die eine andere Bedeutung haben, sprechen wir von Rachsucht, Klatschsucht, Großmannssucht, Ruhmsucht usw. Wir finden in diesen Bezeichnungen die gleiche mehr oder weniger hemmungslose Begierde nach Befriedigung besonderer Wünsche, nach Erhöhung des Lebensgenusses. Diese Begierde tritt schon bei den harmloseren Suchten gelegentlich deutlich in Erscheinung; es gibt zweifellos eine Nikotinsucht und eine Kaffeesucht; Teesucht ist in Deutschland — abgesehen vielleicht von Ostfriesland — seltener, dürfte aber in England häufiger sein1). Die gleiche Gier nach irgendwelchen Reizen liegt auch den sehr viel gefährlicheren Suchten zugrunde, deren wichtigste wir in diesem Kapitel besprechen wollen. Dieser Auffassung entspricht es, daß es sich bei den Süchtigen fast durchweg um nervöse, hysterische, psychopathische, namentlich willensschwache Menschen handelt, die .weich, stimmungslabil, insuffuzient, dabei oft egoistisch und arrogant sind. Neben diesen von Natur aus Süchtigen gibt es andere, die erst durch den regelmäßigen Gebrauch von Rauschgiften süchtig werden; bei ihnen wird anscheinend durch das Gift die vorher vorhandene Widerstandsfähigkeit herabgesetzt. Wir haben solche Fälle nach dem ersten Weltkriege häufiger gesehen; sie sind auch jetzt zu erwarten. Die Prognose ist bei ihnen besser als bei den anlagemäßig Süchtigen. Im folgenden sollen nur die Suchten besprochen werden, die in Deutschland einige Bedeutung erlangt haben. a) D a s O p i u m u n d s e i n e A b k ö m m l i n g e . Das Opium hat bekanntlich in China, wo das ausländische „Opiumkapital" Gesetze gegen das Gift verhindert hat, in Indien und in Vorderasien weitere Verbreitung gefunden. Das dort übliche Rauchen hatte sich nach dem ersten Weltkriege auch in europäischen Häfen, unter anderen in Hamburg stärker bemerkbar gemacht. Praktisch hat es jedoch kaum Bedeutung erlangt, da in Deutschland ihm das wichtigste Opiumalkaloid, das M o r p h i u m , vorgezogen wird. Dieses zuerst 1806 von S e r t ü r n e r 2 ) hergestellte Mittel hat durch die Möglichkeit, es einzuspritzen, seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts große Bedeutung erlangt: es wirkt als schmerzstillendes Mittel außerordentlich segensreich, zugleich aber hat es wegen der euphorisierenden Wirkung, durch die es manchen als der größte Genuß erscheint, viel Unheil angerichtet. Es hebt die Stimmung bei gleichzeitiger Herabsetzung der Bewegungsantriebe und beseitigt körperliche und seelische Unlustgefühle aller Art. Daß von diesen „Suchten" gesprochen werden darf, geht aus den enormen Preisen hervor, die während des letzten Krieges und nachher im Schwarzhandel für Tabak und Kaffee bezahlt worden sind. 2 ) Nach H e s s e , 1. c., S. 21; M e g g e n d o r f e r macht andere Angaben.
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Keineswegs in allen Fällen ist diese Wirkung von vornherein vorhanden; die erste Spritze erzeugt bei manchen Menschen allerlei unangenehme Sensationen: Durchfall, Erbrechen, aufsteigende Hitze u. a. Andere aber, und diese sind besonders gefährdet, erfahren nur die angenehmen Wirkungen, denen sie dann unter Umständen widerstandslos zum Opfer fallen. Es tritt dann schnelle Gewöhnung an das Mittel ein, die Einzeldosis steigt mehr und mehr an und erreicht das Vielfache der Maximaldosis 1 ). Mengen von 1—3 Gramm am Tage waren früher keine Seltenheit. Jetzt werden infolge der Opiumgesetzgebung solche Mengen kaum einmal erreicht; man sieht daher auch nur ausnahmsweise die ausgemergelten, mit Abszessen übersäten, ruinenhaften Menschen, wie sie M e g g e n d o r f e r noch abgebildet hat 2 ), Die Folgen des Morphiummißbrauchs bestehen einmal in einer Herabsetzung der körperlichen Funktionen: der Ernährungs- und Kräftezustand läßt nach, Appetitmangel macht sich bemerkbar, die Haut wird schlaff, trocken, die Potenz schwindet, die Pupillen werden eng. Psychisch bleiben die intellektuellen Funktionen intakt; die Interessen aber engen sich ganz auf die Beschaffung des Giftes ein. Darüber wird der Beruf, die Familie, der Haushalt vernachlässigt. Um Morphium zu erhalten, fangen die Süchtigen an zu lügen, sie stehlen Rezepte und fälschen solche; süchtige Ärzte pflegen für ihre Patienten Morphium aufzuschreiben, es aber für sich zu verwenden; jedes Mittel ist diesen Süchtigen recht, wenn es um die Beschaffung des Giftes geht. Diese moralische Depravation beschränkt sich jedoch im wesentlichen eben auf die Beschaffung des Mittels. Besonders gefährdet sind naturgemäß die Menschen, die berufsmäßig mit dem Morphium zu tun haben: Ärzte, Apotheker, Krankenschwestern und -pfleger. Neben der Anlage spielen bei ihnen auch äußere Momente mit. Wir sahen während des zweiten Weltkrieges eine bedeutende Zunahme der süchtigen Ärzte, die zum großen Teil zunächst die Mittel benutzten, um der Überbelastung Herr zu werden, dann aber die Herrschaft über sich und das Mittel verloren. Setzt man nun das Morphium ab, so treten unangenehme Entziehungserscheinungen auf; diese waren in früheren Zeiten, wo man allmählich entzog, recht erheblich und wurden von den Kranken stark übertrieben, um den entziehenden Arzt zur Gewährung einer Spritze zu zwingen. Seit wir uns daran gewöhnt haben, plötzlich zu entziehen, sind die Entziehungserscheinungen viel geringer geworden, sind aber doch so stark, daß außerhalb einer geschlossenen Abteilung, in der die Entziehung mit aller Konsequenz durchgeführt werden kann, die völlige Befreiung nur selten gelingt. Sie bestehen in Gähnen, Niesen, Husten, Tränen, Frieren, Schwitzen, Durchfällen >) Die Maximaldosis für einen Tag beträgt 0,1 Gramm. a ) In B u m k e s Handbuch 1. c.
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und einer sehr peinlichen inneren Unruhe. Darüber hinaus gehende Erscheinungen sind seltener. Am schlimmsten ist die Angst vor den Entziehungserscheinungen, die durch übertriebene Schilderungen genährt worden ist. Gerade diese führt oft zu Delikten, wie sie oben genannt sind. Die Prognose der Morphiumsucht richtet sich nach der Persönlichkeit des Kranken. Handelt es sich um einen ausgesprochen Süchtigen, so sind die Aussichten auf eine Dauerheilung schlecht; die meisten verfallen wieder irgendeinem Gift, mit Alkohol fangen sie an, mit Morphium hören sie auf. Wichtig ist die ordnungsmäßige straffe Durchführung der e r s t e n Kur; je gründlicher diese ist, desto besser sind die Aussichten. Wesentlich günstiger ist der Verlauf bei den von B o n h o e f f e r zum Unterschiede zu den Süchtigen so genannten Morphium k r a n k e n , die infolge schmerzhafter Krankheiten sich zwar an das Gift gewöhnt haben, aber nicht eigentlich süchtig sind. Bei der strafrechtlichen Begutachtung hat man Delikte, die mit der Sucht eng zusammenhängen, von solchen zu unterscheiden, die damit nichts zu tun haben. Bei den letztgenannten Delikten hat etwaiger Mißbrauch von Morphium keine die Zurechnungsfähigkeit nennenswert herabsetzende Wirkung. Wenn also nicht andere Gründe für die Anwendung des § 51 StGB, sprechen, sind die entsprechenden Delinquenten als zurechnungsfähig zu bewerten. Handelt es sich um die Beschaffung von Morphium, so würde ich, wenn das Delikt im Morphiumhunger verübt wurde, Zurechnungsunfähigkeit annehmen; das ist freilich selten, da Morphinisten gut vorzusorgen pflegen. In den übrigen Fällen kann man erheblich verminderte Zurechnungsfähigkeit dann bejahen, wenn die Angst vor der Entziehung mitgespielt hat, oder eine erhebliche moralische Depravation eingetreten ist. Einweisung aus § 42 c oder im Falle des Freispruchs aus § 42 b StGB, ist anzustreben. Möglich ist im Falle der Zurechnungsunfähigkeit Verurteilung gemäß § 330 a StGB., die dann auch zur Einweisung aus § 42 c StGB, berechtigt. Die Entmündigung ist bisher leider nur auf dem Umwege über die Geistesschwäche möglich; die dem Morphiummißbrauch zugrunde liegende psychische Abartigkeit kann man im Verein mit den durch den Mißbrauch hervorgerufenen Persönlichkeitsveränderungen durchaus einer Geistesschwäche im Sinne des § 6,1 BGB. gleichsetzen. Leider wird die Entmündigung wohl meistens zu spät kommen 1 ). Geschäftsunfähigkeit wird man kaum einmal bejahen können, da, wie wir schon sagten, die intellektuellen Funktionen durch das Morphium kaum gestört werden, da es auch sonst geschäftliche Tätigkeit nicht hindert. Ehescheidungen sollten nach Möglichkeit erleichtert werden; die Vernachlässigung der beruflichen und der familiären Pflichten wird S. dazu S. 159 f.
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ausreichende Gründe dafür abgeben, die nach § 43 oder 44 EG. beurteilt werden können. G. K., 29 Jahre alt, war seit einer Reihe von Jahren Morphinist, spritzte vielleicht auch nebenher Kokain. In einem Krankenhaus, in dem er sich zur Entziehung befand, entwendete er Kleidungsstücke, versetzte sie und verkaufte den Pfandschein, um sich Morphium kaufen zu können. Tägliche Dosis etwa 1,0 Gramm. Es handelte sich um einen weichen, empfindsamen, launischen Psychopathen mit offener Lungentuberkulose, der stark abgemagert mit blaßgelber Gesichtsfarbe in unsere Behandlung kam. Für sein unter dem Einfluß von Morphiumhunger begangenes Delikt habe ich ihm den Schutz des § 51 StGB, alter Fassung zugebilligt. Patient erholte sich bei uns vorzüglich, nahm an Gewicht erheblich zu. Später hat er sich jedoch das Leben genommen. K. P., 30jähriger Kaufmann, bestellte am 17. XII. 29 in einer Schlächterei Fleischwaren im Werte von fast 30 Mark mit der Angabe, er werde den Betrag am folgenden Tage durch die Bank überweisen; er tat das jedoch nicht, kaufte aber am 24. XII. für weitere 14 Mark Waren mit der bestimmten Zusicherung, er werde beide Beträge überweisen. Auch das geschah nicht. Statt dessen bestellte er am 30. XII. für weitere 50,60 Mark Fleischwaren. Der Bote, der ihm die Ware nur gegen Barzahlung aushändigen sollte, ließ sich von ihm bereden, die Ware ohne Bezahlung dort zu lassen. Ähnliche Delikte hatte er eine ganze Reihe begangen. Der Vater des Vaters war Trinker; die Ehe der Eltern wurde vor seiner Geburt geschieden. Er selbst kam auf der Oberrealschule nicht mit, besuchte deshalb die Realschule, die er mit der Reife für die dritte Klasse verließ. Er lernte dann Kaufmann, wechselte oft die Stellen; seine Angaben darüber waren vielfach nicht glaubhaft. Er neigte zu Aufschneidereien, war der Mutter gegenüber grob, wurde in erster Ehe schuldig geschieden. Vom Gericht wurde er in einer Alimentensache als haltlos, willensschwach und arbeitsscheu bezeichnet. Längst vor Beginn des Morphiummißbrauchs ist von Unterschlagung, Betrug, Leichtsinn, Verantwortungslosigkeit die Rede. Ich habe ihn für die genannten Straftaten für voll verantwortlich erklärt. Bei dem Drogisten P. B. war die Frage zu entscheiden, ob er wegen Geistesschwäche zu entmündigen sei. B., der 1882 geboren war, hatte die Bürgerschule besucht, hatte dann nach vierjähriger Lehrzeit eine Stelle in Schwerin angenommen. Bis 1905 hatte er mehrere Stellen in Schwerin, Hamburg und Pinneberg als Verkäufer gehabt. Damals gemachte Schulden wurden zunächst vom Vater gedeckt. 1904 wurde er zum ersten Mal wegen Betruges und Diebstahls bestraft. Bis 1920 erhielt er weitere 7 Strafen wegen Betruges, Unterschlagung und Diebstahl mit zusammen fast 5 Jahren Gefängnis. In der Zeit von 1905 bis 1924 ließen sich 73 Krankenhaus- und Anstaltsaufenthalte feststellen. Bei der 16. Aufnahme ist zum ersten Male Morphinismus als Diagnose vermerkt (1913); doch war er damals nach eigenen Angaben schon seit Jahren morphiumsüchtig. Er suchte später meistens das Krankenhaus mit der Begründung auf, er wolle eine Entziehungskur machen. In Wirklichkeit verschaffte er sich auf diese Weise kostenlos Morphium. Er erhielt nämlich — in jener Zeit waren langsame Entziehungskuren noch fast überall üblich — anfangs ausreichend Morphium. Sobald aber die Dosis gesenkt wurde, verlangte er seine Entlassung, um am gleichen oder einem der nächsten Tage ein anderes Krankenhaus aufzusuchen; waren die Hamburger Krankenhäuser erschöpft, so ging
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er auf Reisen. So war er, um nur eine derartige Episode anzuführen, im Jahre 1913 vom 10. bis 13. V. im Elisabethkrankenhaus in Berlin, vom 15. bis 17. V. im Diakonissenhaus Bethanien in Berlin, vom 17. V. bis 7. VIII. in der Anstalt Herzberge, vom 9. VIII. bis ? in Güstrow, vom 13. bis 27. VIII. in Schwerin, vom 1. bis 11. IX. in Rostock, vom 11. bis 12. IX. in Scfawaan, vom 13. bis 19. IX. in Teterow, vom 19. IX. bis 15. XII. in Malchin, vom 18. bis 19. XII. in Boitzenburg in Krankenhausbehandlung; und nun kamen wieder die Hamburger Krankenhäuser an die Reihe. Die Diagnose lautete durchweg „Morphinismus" oder „Asthma und Morphinismus". Uber die Jahre 1916/19 ließ sich nichts Sicheres feststellen. Vielfach — ich konnte 29 Fälle nachweisen — war er in verschiedenen Städten noch unterstützt worden; man hatte ihm zum Teil Geld und Morphium gegeben, um ihm die Fahrt nach Jena oder Kiel usw. zu ermöglichen, wohin er angeblich zur Entziehung fahren wollte. Am 20. XII. 1924 kam er auf meine Abteilung nach Hamburg-Friedrichsberg. Wir entzogen ihn abrupt. Körperlich fand sich ein mäßig genährter, gealtert aussehender Mann, dessen Glieder von kleinen Narben übersät waren. Abgesehen von dem weichlichen Gesichtsausdruck und nervösem Zucken der Gesichtsmuskulatur fand sich nichts Besonderes. Psychisch war er orientiert, intellektuell ungestört. Obwohl er angab, bis zu 1,8 Gramm Morphium gespritzt zu haben, konnte er schon am 25. XII. bei der Stationsarbeit mit helfen (die wirkliche Dosis dürfte erheblich niedriger gelegen haben). Er erwies sich als ein haltloser, überaus willensschwacher Psychopath mit Neigung zum Aufschneiden. Mein Gutachten führte aus: Seine Willensschwäche, die durch den Morphiummißbrauch noch gesteigert sei, mache ihn, wie seine Lebensführung beweise, unfähig, seine Angelegenheiten zu besorgen. Er ist wegen Geistesschwäche entmündigt worden.
Seit über 20 Jahren hat die pharmazeutische Industrie eine ganze Reihe anderer Opiumpräparate auf den Markt gebracht. In ihrer Wirkung unterscheiden sie sich mehr dem Grade als der Art nach vom Morphium. Zu nennen sind: Acedicon, Amnesin, Dicodid, Dilaudid, Digimorval, Eukodal, Eumekon, Genomorphin, Heroin, Holopon, Laudanon, Laudopan, Narkophin, Pantopon, Paramorphan, Pavon, Spasmalgin, Trivalin. Unter ihnen nahm früher das H e r o i n eine hervorragende Stellung als Suchtmittel ein; es wurde gern intravenös gespritzt. Jetzt ist es in den Hintergrund getreten. Am meisten wird jetzt wohl das E u k o d a l benutzt. Dicodid wird vielfach in Lungenheilstätten verabfolgt. Nicht unter die deutsche Opiatverordnung fallen das Codein und das Dionin, die als Husten beruhigende Mittel gern verschrieben werden. Sie haben neben der euphorisierenden aber auch die schmerzstillende Wirkung verloren. Ein Mittel herzustellen, das zwar die schmerzstillende aber nicht die euphorisierende Wirkung hat, ist trotz aller Bemühungen bisher nicht gelungen. Die forensische Beurteilung der auf diese Mittel gerichteten Suchten ist die gleiche wie bei der Morphiumsucht. b) D a s K o k a i n . Das Kokain, der wirksame Bestandteil der Blätter des Kokastrauches, die seit Jahrhunderten von den Eingeborenen Südamerikas gekaut wurden, ist um 1860 von N i e m a n n rein dargestellt worden. Um 1880 kam es nach Europa, wo man es
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auf Empfehlung von B e n 11 e y bei der Entziehung von Morphium verwendete, sehr bald aber sah, daß man den Teufel mit Beelzebub ausgetrieben hatte. W e g e n seiner anästhesierenden W i r k u n g fand es Eingang in den Arzeneischatz, konnte aber in den meisten Fällen durch das unschädliche Novokain ersetzt werden; es besitzt jetzt nur noch ein kleines Anwendungsgebiet in der Augenheilkunde. Das Kokain wird vorwiegend gespritzt und geschnupft. W ä h r e n d bis zum Ende des ersten Weltkrieges Kokainisten in Deutschland selten waren, stieg ihre Zahl nach dem Kriege erheblich an, namentlich der Schnupfkokainismus nahm stark zu. Unter dem Einfluß der Opiumgesetzgebung w a r der Verbrauch an Kokain in Deutschland 1937 auf ein Sechstel des Verbrauchs von 1930 zurückgegangen; Kokainsüchtige gehören jetzt zu den Seltenheiten. Wir können uns daher auf kurze Hinweise beschränken 1 ). Wenige Minuten nach dem Genuß des Kokains tritt der ersehnte Rauschzustand mit einem nach außen überströmenden Glücksgefühl, erhöhtem Kraft- und Selbstgefühl ein. Nach etwa einer halben Stunde folgt der Kokainkater mit mancherlei Mißempfindungen. Diese Erscheinungen treten meist erst nach mehrmaligem Kokaingebrauch auf. Bei schweren Räuschen kommt es zu Verwirrtheit, Sinnestäuschungen und w a h n h a f t e n Verkennungen der Situation. Nach längerem Mißbrauch können Delirien auftreten, die euphorisch-halluzinatorischen Charakter (vorwiegend kleinste optische Täuschungen) haben können oder mit einem ängstlich paranoiden Syndrom (vorwiegend optisch-akustisch-taktilen Halluzinationen) einhergehen. In schweren Fällen kommt es zu K o k a i n w a h n s i n n , zu K o r s a k o w - ähnlichen Bildern und zur Kokain p a r a l y s e . Irgendwie nennenswerte Entziehungserscheinungen treten nicht auf, so daß von einem Kokainhunger, entsprechend dem Morphiumhunger nicht gesprochen w e r d e n kann. Strafrechtlich k a n n man mit M e g g e n d o r f e r drei Gruppen von Delikten unterscheiden: 1. den unerlaubten Handel mit Kokain; 2. Straftaten, die auf die Beschaffung des Giftes zielen und 3. Delikte, die unter Kokainwirkung begangen sind. Zu den letzteren gehören namentlich Gewalttätigkeiten und Sittlichkeitsverbrechen. Der dritten Gruppe ist der Schutz des § 51 StGB, zuzubilligen; doch wird man die Frage der actio libera in causa zu erwägen haben, und es wird fast immer die Verurteilung gemäß § 330 a StGB, möglich sein. Für die beiden ersten Gruppen kommt der § 51 StGB, nicht ohne weiteres in Betracht; hier wird man die Gesamtpersönlichkeit im Einzelfall zu werten haben. Kokainisten sind ganz überwiegend schwere Psychopathen, meist aus sozial tiefen Schichten (Zuhälter, Dirnen usw.). Wichtig ist in allen Fällen die Unterbringung in einer entsprechenden Anstalt; da namentlich Schnupfkokainisten Gesellschaft lieben und ') Zur genaueren Orientierung diene J o e l u. F r a n k e l , Der Cocainismus, Berlin 1924 und H. W. M a i e r , Der Cocainismus, Leipzig 1926.
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andere zum gleichen Mißbrauch verführen, ist rigoroses Durchgreifen geboten. Schwerste Kokainisten können geschäftsunfähig werden. Entmündigung wegen Geistesschwäche ist angebracht. Hinsichtlich der Ehescheidung gilt das für die Morphinisten Gesagte. H. B., 26jähriger Apotheker, fiel schon während der Schulzeit durch seine Verlogenheit und seinen Leichtsinn auf. Mit 16 Jahren trat er als Lehrling in die väterliche Apotheke ein, verschwand aber nach einigen Wochen, bis er nach längerer Zeit von der Polizei festgenommen wurde. 1921 war er ein halbes Jahr in einer Apotheke in W., trank dort reichlich, wurde schließlich entlassen. Bei seinem Portgang fand man 1 bis 2 Gramm Morphium in seiner Tasche. Er beendete dann 1923 seine Lehrzeit unter sehr straffer Führung, besuchte 1923/26 die Universität Göttingen, verlor dort jeden moralischen Halt, raffte sich aber unter dem Einfluß eines Mädchens wieder auf und bestand sein Staatsexamen. In der Folgezeit hatte er zahlreiche Stellungen in verschiedenen Städten; fast überall versagte er gröblich und wurde meist nach wenigen Wochen, oft fristlos entlassen. Sehr bald geriet er an Kokain. In einem Rausch stieg er einmal aus seinem Fenster auf ein Verandadach, redete von Freiheitsberaubung, benahm sich sehr theatralisch, war aber motorisch sicher. Später brach er in eine Apotheke ein, stahl Kokain, beging aber auch ohne Kokain Betrügereien. In der Anstalt Göttingen wurde er für zurechnungsfähig erklärt; später war er in Bethel und in der Anstalt Friedrichsberg (1930). Er war hier, wie auch sonst, hemmungs- und disziplinlos, bar jeden Schamgefühls, roh, unstet, neigte zu Stimmungsschwankungen, erschien amoralisch. Bemerkenswert ist, daß er sich mehrere Male, offenbar im Rausch, große tiefe Schnitte in die Arme und Beine beigebracht hat, die ärztliche Behandlung erforderten. Er wurde auf mein Gutachten hin wegen Geistesschwäche entmündigt.
c) D a s D o l a n t i n . Das Dolantin, das erst seit wenigen Jahren in Gebrauch ist, ist ein vorzügliches schmerzstillendes Mittel. Es galt zunächst als völlig harmlos, ist es aber nicht, sondern gehört zu den suchtbildenden Mitteln. Nach den bisher vorliegenden Erfahrungen wirkt es euphorisierend, man fühlt sich befreit, aufgeräumt, behaglich. Bei größeren Dosen kommt es zu Konzentrationsschwäche, zu ausgesprochener Verlangsamung des Denkens, in anderen Fällen zu Ideenflucht, Inkohärenz und Verwirrtheitszuständen mit Personenverkennung und deliriösen Störungen. Ich habe in den letzten Jahren drei Fälle beobachtet, zwei Ärzte und eine Arztfrau. Einer dieser Kranken wirkte bei der Aufnahme stark verlangsamt, so daß zunächst nicht zu entscheiden war, ob es sich nicht um schwere Folgen eines angeblich erlittenen Schädelunfalls handele. Er verkannte, wie sich nachher herausstellte, seine Sprechstundenhilfe, benötigte für eine intravenöse Injektion eine halbe Stunde, hatte gelegentlich epileptiforme Anfälle. Auch in ethischer Beziehung scheint eine gewisse Verwahrlosung einzutreten, das Interesse für die Aufgaben des Lebens, für Beruf und Familie läißt nach. Besondere Entziehungserscheinungen habe ich nicht beobachtet. Alle drei Kranke waren kriminell geworden, alle drei im Bestreben, sich das Mittel zu verschaffen. Die Arztfrau hatte im Laufe von zehn Monaten 625 Rezepte
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über Dolantin ausgestellt, das sie intravenös zu spritzen pflegte. Ob nach der Entziehung psychische Mängel zurückbleiben, wage ich noch nicht zu entscheiden, da in solchen Fällen psychische Auffälligkeiten leicht auf das Gift geschoben werden, die in Wirklichkeit der früheren Persönlichkeit angehören. d) D a s P e r v i t i n ist demgegenüber ein ausgesprochenes Stimulans. Es war anfangs ohne Rezept käuflich und wurde genommen, um Müdigkeit zu beseitigen. Bei kleinen Dosen verschwinden Müdigkeitserscheinungen, das Schlafbedürfnis fällt fort; zugleich findet eine deutliche Enthemmung statt, die sich in gesteigerter Gesprächigkeit und innerer Bewegtheit bis zu leichter Ideenflucht bemerkbar macht. Das Tempo der Auffassung von Gelesenem, des Sprechens und Schreibens ist beschleunigt, die Gefühlsrichtung wird optimistisch, was wieder die Initiative fördert. Das Selbstvertrauen ist erhöht. Der Denkverlauf ist jedoch nicht mehr streng logisch, es kommt zu unbegründeter Hypothesenbildung. Bei chronischem Mißbrauch kann es zu Psychosen mit lebhaften Sinnestäuschungen kommen; dabei werden, ähnlich wie bei Kokain, kleinste optische Täuschungen in großer Zahl erlebt. Zugleich ist eine Steigerung des Bewegungsdranges und der Unrast zu bemerken. Bisher habe ich zwei derartige Fälle zu begutachten gehabt; beide Male handelte es sich um unbedachte Äußerungen politischer Art. Im ersten Falle handelte es sich um eine 48 Jahre alte Frau, die zur Zeit der inkriminierten Handlung sich in einem leicht manischen Zustande befand, der durch Sekt, Phanodorm und Pervitin verstärkt wurde. Der zweite Fall betraf einen 43jährigen Arzt, der auch Eukodalmißbrauch getrieben hatte, der bis zu 48 Tabletten Pervitin am Tage genommen haben wollte. Er hatte in jener Zeit das Gefühl, die Haut an den Fingern sei locker und wachse rapide; er habe deshalb nächtelang an seinen Fingern herumgeschnitten und herumgeknibbelt. Auch seine Schwester habe unter Pervitinwirkung sich die Füße blutig geschnitten. In beiden Fällen erfolgte Exculpierung aus § 51 StGB. Im zweiten Falle war auch die Frage des § 330 a zu prüfen. Das Gericht hat meinem Gutachten entsprechend eine Verurteilung abgelehnt, da zur Zeit der Tat das Mittel in seinen Wirkungen noch zu unbekannt war, als daß Fahrlässigkeit oder Vorsatz angenommen werden konnte.
e) S c h l a f m i t t e l . Die forensische Bedeutung der Schlafmittel ist gering; strafbare Handlungen kommen dabei kaum vor. In einzelnen Fällen kann es jedoch zur Sucht kommen, die dann zivilrechtliche Folgen haben kann. Besonders bemerkenswert in dieser Beziehung ist das P h a n o d o r m , ein Barbitursäurepräparat, als Schlafmittel von vorzüglicher Wirkung. Von manchen Kranken wird es bald nicht nur abends, sondern mehrfach am Tage genommen. Ziel ist dann nicht mehr der Schlaf, sondern der Rausch. Dabei werden die Einzeldosen allmählich immer größer; bis zu 70 Tabletten am Tage hat man beobachtet. Nachdem jetzt Rezeptzwang für das Mittel eingeführt ist, werden derartige Übertreibungen kaum noch vorkommen. Bei chronischem Mißbrauch kommt es namentlich auch
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während der Entziehung, die wegen der Gefahr plötzlichen Versagens des Herzens n i c h t abrupt erfolgen sollte, zu Delirien und epileptiformen Krämpfen. In einem Falle sah ich ein Korsakowähnliches Bild zurückbleiben. Ein Barbitursäurepräparat ist auch das O p t a l i d o n , über das in der Literatur bisher kaum berichtet ist. Nach Mitteilungen der Zentrale für Rauschgiftbekämpfung haben die Prostituierten in Dortmund und Magdeburg das Mittel in größeren Mengen genommen, weil sie danach glänzende Augen bekamen und besonders anziehend wirkten. Ich sah zwei Ärzte, die es nahmen, der eine in Bier, der andere zusammen mit Morphium und ähnlichen Präparaten. Beide waren kriminell geworden (Vergehen gegen das Opiumgesetz usw.). In beiden Fällen hatte ich den Eindruck einer recht erheblichen moralischen Depravation; beim letzten Fall bestanden auch organische Ausfälle und eine auffallende paranoide Einstellung, die möglicherweise Folge des Optalidonmißbrauchs war. K o s m e h l 1 ) hat 1942 mitgeteilt, daß seit 1932 bei der Zentrale zur Bekämpfung von Rauschgiftvergehen 4100 süchtige Rechtsbrecher gemeldet waren, darunter 2384 Morphinisten, 465 Kokainisten, 254 Eukodalsüchtige, 469 Dicodidsüchtige, 260 Opiumsüchtige, 108 Dolantinsüchtige und 84 Pervitinsüditige. Nach dem Stande vom 15. IX. 1942 waren wegen Rauschgiftsucht gerichtlich untergebracht 756 Personen, 544 Männer, 212 Frauen; unter ihnen 200 Ärzte. Von diesen 756 Personen waren 337 in Berlin ansässig. Diese Zahlen zeigen, daß die Suchten trotz der Erfolge bei ihrer Bekämpfung doch noch eine gewisse Bedeutung haben. Während des zweiten Weltkrieges hat die Zahl der Süchtigen erheblich zugenommen: in der Landesheilanstalt Marburg haben wir 1937—1940 2 Süchtige, 1941—1944 dagegen 25 Süchtige behandelt, darunter 18 Ärzte. f) A n d e r e V e r g i f t u n g e n . Vergiftungen mit Kohlenoxyd, Quecksilber, Mangan, Benzindämpfen, Blei können zu Entschädigungsansprüchen führen. Die Darstellung dieser Möglichkeiten würde den Rahmen dieses Buches sprengen; ich muß daher darauf verzichten. Bei Bleivergiftungen kann es zu epileptiformen Ausnahmezuständen (Absencen, Schwindel, Dämmerzuständen) kommen. Ich hatte folgenden Fall dieser Art zu begutachten 2 ): W. P., 40jähriger Malergeselle, schwer belastet, selbst aber früher gesund. Seit 6 Jahren glücklich verheiratet, 2 gesunde Kinder. Sexuell in der Ehe unauffällig. Seit einigen Jahren Verschlechterung des Ernährungszustandes, gelegentlich kolikartige Schmerzen im Leibe. Zeitweise Schwindel, will sich nachts wiederholt in die Zunge gebissen haben, lief manchmal planlos in der Stadt umher. Dreimal in den letzten Jahren wegen exhibistischer Handlungen bestraft, von denen er angeblich nichts wußte. Nun wurde neuerDer sicherheitspolizeiliche Einsatz bei der Bekämpfung der Betäubungsmittelsucht. Vortrag vom 14. X. 1942. 2 ) Zuerst von M e g g e n d o r f e r etwas ausführlicher veröffentlicht in B u m k e s Handbuch Bd. VII, S. 482.
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dings beobachtet, wie er eines Abends auf einem wenig begangenen Wege stand. Er hatte sein Glied in der Hand, rieb daran hin und her und zeigte es vorübergehenden Schulmädchen. Wenn ältere Leute vorbeikamen, schlug er den Mantel übereinander. Eine Frau, die ihn von einem Fenster aus beobachtete, rief ihm zu: „Sie altes Schwein, machen Sie, daß Sie fortkommen!" Da er das nicht beachtete (er war schwerhörig), begoß sie ihn mit Wasser. Er sah sie an, ging dann aber auf die andere Straßenseite, wo er sein Treiben fortsetzte. Ein Polizeibeamter, der ihn festnahm, stellte fest, daß er die Hosen offen hatte, daß er auch die Hand unter dem Mantel in der Gegend des Geschlechtsteils hatte, daß er den letzteren jedoch in der Hose hatte. P. war nüchtern, bestritt alles, gab an, er habe sich wegen Leibschmerzen den Leib gehalten. Die Untersuchung ergab die Zeichen einer Bleivergiftung: Bleisaum und basophile Tüpfelung der roten Blutkörperchen; an der Zunge fand sich eine narbenverdächtige Stelle. P. war ruhig, bescheiden, machte geordnete Angaben, die gut mit denen seiner Frau übereinstimmten. Er schilderte die Schwindelanfälle und Dämmerzustände in glaubwürdiger Weise, so daß ich wegen des eigenartigen Verhaltens bei der Tat mit Wahrscheinlichkeit einen epileptischen Dämmerzustand bei Bleivergiftung annahm und die Voraussetzungen des § 51 StGB, alter Fassung bejahte.
Krampf krankheiten a) D i e g e n u i n e E p i l e p s i e . Unter den verschiedenartigen mit Krämpfen einhergehenden Krankheiten nimmt die g e n u i n e E p i l e p s i e oder e r b l i c h e F a l l s u c h t eine Sonderstellung ein. Sie war bereits dem Altertum unter dem Namen m o r b u s s a c e r bekannt. Ihr Hauptsymptom ist der große K r a m p f a n f a l l : Manchmal nach Vorboten auf den verschiedensten Sinnesgebieten (Aura), meist aber ganz unvermittelt stürzen die Kranken wie vom Blitz getroffen bewußtlos zu Boden. Sie ziehen sich dabei nicht selten ernsthafte Verletzungen zu. Häufig ist dieses Hinfallen von einem eigenartig gepreßten Schrei oder Laut, dem sog. Initialschrei, begleitet. Es tritt dann zunächst eine starke Anspannung der gesamten Muskulatur ein, wobei es meist zu Streckhaltungen kommt; es können aber auch einzelne Glieder langsame steife Beuge- oder Drehbewegungen ausführen. Dieser sog. tonischen Phase folgt ein klonisches Stadium, das durch kurze abrupte, heftige Muskelzuckungen von primitivem Charakter gekennzeichnet ist. Solche Muskelzuckungen können den Rumpf, die Glieder, die Gesichts-, Kau-, Zungen- und Augenmuskeln befallen. Gerät dabei die Zunge zwischen die Zähne, sind mehr oder weniger tiefe Zungenbisse die Folge. Nach einer Gesamtdauer von 1 bis 2 Minuten werden die Zuckungen seltener, mehr schleudernd, und hören dann ganz auf. Während des Krampfes ist die Atmung lange angehalten, die Gesichtsfarbe ist zunächst blaß, wird dann aber blaurot (cyanotisch); mit dem Ende des Anfalls setzt die Atmung vertieft und schnarchend wieder ein und die Gesichtsfarbe wird wieder normal. Die während des ganzen Krampfzustandes bestehende Bewußtlosigkeit geht in
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der Regel in einen tiefen Schlaf über, aus dem die Kranken nach einiger Zeit zerschlagen und müde erwachen. Oft aber schiebt sich zwischen Krampfende und Schlaf ein dämmeriger Verwirrtheitszustand mit getrübtem Bewußtsein, starker Inkohärenz des Denkens, Verkennung der Situation, unsicherer, zielloser Motorik ein, der meist nur wenige Minuten, in manchen Fällen aber auch längere Zeit dauert und sich erst allmählich aufhellt. Während des Anfalls geht häufig Urin, selten Kot ab. Die Pupillen sind weit und reaktionslos. Nach dem Anfall lassen sich oft noch abnorme Reflexe (Babinski usw.) nachweisen. Für den Anfall besteht Erinnerungslosigkeit (Amnesie); die Kranken schließen nur aus ihrem Zerschlagensein, daß sie einen Anfall gehabt haben. Manchmal treten die Anfälle in ganzen Serien auf, ohne daß in der Zwischenzeit das Bewußtsein wieder klar wird (sog. status epilepticus); derartige Anfallshäufungen führen manchmal zum Tode. Dem großen Anfall können Stunden oder Tage dauernde Verstimmungen mit gesteigerter Reizbarkeit, Beklemmungsgefühlen, Übelkeit, Schwindel vorausgehen. Die Aura, die nur Sekunden oder wenige Minuten zu dauern braucht, kann sich auf den verschiedensten Gebieten zeigen: der Kranke sieht Funken, Blitze, Farbflecke, Figuren, er sieht die Gegenstände viel größer oder kleiner als sonst, sehr nahe oder weit fort (einer meiner Kranken sah die Sonne in etwa 200 m Entfernung), er hört Brausen, Knallen, Klingen, Läuten, er hat eigenartige Geruchs- oder Geschmacksempfindungen, Schwindelgefühl, aufsteigende Hitze, Herzangst, er macht Kau- oder Schmatzbewegungen, hat Zittern, Zuckungen usw. 1 ). Nicht immer ist der Anfall voll ausgebildet; er kann sich auf das tonische Stadium und einzelne Zuckungen beschränken, oder es treten, ohne daß es zum Hinfallen kommt, nur Zuckungen in einzelnen Muskelgebieten auf, die, wenn sie sich auf das Gesicht beschränken, wie Grimassen wirken können. Dabei kann das Bewußtsein getrübt oder ganz erloschen sein. Einer meiner Kranken hatte einen Prozeßgegner im Gerichtsgebäude mit dem Stock angegriffen. Er behauptete, er wisse nichts davon, er müsse wohl einen Anfall gehabt haben. In der Hauptverhandlung fragte ich den Geschlagenen nach dem Verhalten des Angeklagten; er berichtete, der Angeklagte habe vorher Fratzen geschnitten. Ich ließ es ihn vormachen, was dem Zeugen gut gelang, und konnte daraufhin sagen, daß es sich um einen gleichen rudimentären Anfall gehandelt habe, wie ich sie wiederholt beim Angeklagten beobachtet hätte. Exculpierung war die Folge.
Diese rudimentären Anfälle, die man als p e t i t m a l im GegenJ
) Bei einem meiner Kranken, der an epileptischen Anfällen nach Kohlenoxydvergiftung litt, begannen die Anfälle mit heftigen choreatischen Zukkungen, bei denen er zu fallen drohte; bei seinen Versuchen, sich zu halten, warf er Tisch und Stühle um, so daß er wie ein Hysteriker wirken konnte; auch mich hat er einmal dabei zu Fall gebracht. Es schlössen sich jedoch typisch epileptiforme Anfälle an dieses Initialstadium an.
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satz zu dem vollausgebildeten g r a n d m a l bezeichnet, führen hinüber zu den sog. A b s e n c e n : die Kranken halten in ihrer Tätigkeit, im Gespräch unvermittelt für einige Sekunden inne, starren mit verändertem Gesichtsausdruck ins Leere, werden blaß und setzen das Gespräch oder ihre Tätigkeit fort, als ob nichts gewesen wäre. Dabei lassen sie fallen, was sie in der Hand halten, machen auch einige zwecklose Bewegungen, geben einige unartikulierte, lallende Laute von sich. Das Bewußtsein ist während dieser Zeit unterbrochen oder doch tiefgreifend getrübt. Neben diesen für die Diagnose unerläßlichen Symptomen sind forensisch besonders wichtig die abnormen psychischen Erscheinungen: es sind die epileptische Wesensveränderung und Demenz, die Verstimmungen und die Dämmerzustände. Die W e s e n s v e r ä n d e r u n g ist zwar theoretisch von der D e m e n z zu trennen, in der Praxis läßt sich jedoch die Unterscheidung nicht immer durchführen. Wir können sie daher gemeinsam abhandeln. Schon in den Familien von Epileptikern beobachtet man immer wieder Persönlichkeitstypen von ganz bestimmtem Gepräge: eigenartig schwung- und phantasielose Menschen, die pedantisch genau ihre Pflicht erfüllen und in ihrem kleinen Kreise, man kann sagen, fast hypersozial wirken. Auch die Kranken selbst gehören oft diesem Typ an, dessen Einzelzüge sich im Laufe der Zeit in einer ganz bestimmten Richtung verstärken. Bei einigermaßen ausgeprägter Wesensänderung sind es schwerfällige, zähflüssige Menschen mit eingeengtem Gesichtskreis, die an einmal gefaßten Gedanken übermäßig haften, nicht davon abzubringen sind, bei denen Auffassung und Denkvorgang verlangsamt ablaufen. Der Epileptiker ist umständlich, weitschweifig, kommt nicht zum Ziel und stellt so an die Geduld des Hörers große Anforderungen. Dabei fehlt ihm der Blick für das Wesentliche; Kleinigkeiten haben für ihn dieselbe Bedeutung wie Wichtiges; ihm fehlt das, was man mit dem Ausdrude „esprit" zu bezeichnen pflegt. Die Stimmung der Epileptiker ist in der Regel leicht euphorisch; er ist mit sich selbst immer zufrieden. Dagegen hat er an anderen viel auszusetzen, bekommt leicht Streit, kann dann unter Umständen zornig und brutal werden. Während er sonst Kleinigkeiten überbewertet, pflegt er seine Anfälle zu bagatellisieren, selbst dann, wenn es sich etwa um Rentenansprüche handelt. Diese Darstellung gibt nur das Wesentliche der epileptischen Persönlichkeit wieder. Andere Züge, wie etwa Bigotterie, die Neigung zu Selbstbeweihräucherung, zu süßlichen Reden usw. sind mehr am Rande zu erwähnen. In schweren Fällen ist auch eine deutliche Abnahme der intellektuellen Funktionen, eine Demenz, nachweisbar. Während es sich hier um einen mehr oder weniger schnell sich verstärkenden Dauerzustand handelt, der in seiner Deutlichkeit bis zu einem gewissen Grade von der Zahl der Anfälle abhängt, sind Verstimmungen und Dämmerzustände vorübergehende Zustände. Die
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V e r s t i m m u n g e n können Stunden bis Wochen dauern und eine recht verschiedene Färbung aufweisen: feierlich ekstatische Gehobenheit, depressive Hemmung, gereizt-explosive Geladenheit. In diesen Zuständen steigern sich die Kranken manchmal wegen irgend einer Kleinigkeit in maßlose Wut hinein, die durch wahnhafte Vorstellungen noch genährt wird. Es kann dann zu groben Gewalttaten kommen. Aus diesen Stimmungen heraus kommt es vielfach auch zu dranghaftem Fortlaufen (Poriomanie), das sich von dem Fortlaufen der Jugendlichen durch das Fehlen einer verständlichen Motivierung unterscheidet. Solche Zustände bilden auch manchmal den Boden dipsomaner Attacken, die wir bereits im Kapitel über den Alkohol besprochen haben. Epileptiker neigen auch zu pathologischen Rauschzuständen. Die Mehrzahl der D ä m m e r z u s t ä n d e schließt sich an Anfälle an. Sie können Stunden, Tage und — selten — Wochen dauern. Sie sind meist gekennzeichnet durch traumhafte Benommenheit, mangelhafte oder falsche Orientierung, Verkennung von Personen und Situationen. Bei manchen Kranken treten dazu deliriöse Erscheinungen, oft mit starker Angst oder auch mit ekstatischen Visionen verbunden. So fühlte sich einer meiner Kranken in diesen Zuständen immer als Gott; er wurde eines Tages von einem Auto angefahren, als er es kraft seiner Allgewalt zum Halten bringen wollte. Neben diesen, manchmal von schizophrenen Zuständen schwer unterscheidbaren Dämmerzuständen, gibt es, wenn auch selten, b e s o n n e n e D ä m m e r z u s t ä n d e , in denen die Kranken äußerlich nicht besonders auffallen, Reisen unternehmen können, in denen sie aber auch unsinnige Geschäfte abschließen und Gewalttaten begehen können. Die genuine Epilepsie hebt sich aus den übrigen Krampfkrankheiten durch ihre Erblichkeit heraus; die Diagnose wird, wenn die Art des Krampfanfalls gesichert ist, was namentlich gegenüber der Hysterie zu geschehen hat, durch den Ausschluß anderer Ursachen gestellt. Darüber hinaus sucht man die Diagnose auch positiv zu sichern. Dazu dient der Körperbau, der bei genuiner Epilepsie überwiegend athletisch oder dysplastisch, selten pyknisch ist, ferner das Lebensalter, in dem die Krankheit beginnt. Anfälle, die vor dem 7. und nach dem 30. Lebensjahr erstmalig auftreten, sind verdächtig auf äußere Ursachen. Wichtig ist natürlich Belastung mit Epilepsie innerhalb der Verwandtschaft, während Schwachsinn nach den Untersuchungen von C o n r a d zwar nicht selten in Epileptikerfamilien vorkommt, aber keine ursächliche Bedeutung hat. Schließlich ist der Nachweis des Haftsyndroms ein wichtiger Baustein für die Diagnosenstellung. b) A n d e r e K r a m p f k r a n k h e i t e n . Es gibt nun eine ganze Reihe von Schädlichkeiten, die gleichfalls zu Krämpfen führen können. Ich erwähne als Beispiel die Lues, Hirngeschwülste, EnceLangelüddeke,
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phalitiden und namentlich Hirnverletzungen. Bei kleinen Kindern genügen schon geringere Schädigungen zur Auslösung von Krämpfen. Wir sprechen in allen diesen Fällen gern von s y m p t o m a t i s c h e r E p i l e p s i e . Es ist jedoch keineswegs so, daß zwischen dieser Gruppe und der genuinen Epilepsie eine scharfe Grenze gezogen werden könnte; auch bei ihr spielt die Anlage, mindestens in einer größeren Zahl von Einzelfällen, eine mehr oder weniger bedeutsame Rolle. Wir können die gesamten Krampfkrankheiten, soweit es sich um epileptiforme Krämpfe der oben geschilderten Art handelt, in einer kontinuierlichen Reihe anordnen, an deren einem Ende gar keine Krampfbereitschaft besteht und nur die äußere Ursache für den Anfall verantwortlich ist, während am anderen Ende nur die Anlage den Ausbruch der Krankheit bestimmt. Die extremen Fälle sind dabei die Ausnahmen; in der Mehrzahl der Fälle wirken Anlage und äußere Ursache zusammen, nur daß die eine oder andere überwiegt 1 ). Auch bei der symptomatischen Epilepsie können die oben beschriebenen psychischen Ausnahmezustände auftreten; im allgemeinen pflegen diese Krankheiten nur nicht die bei der genuinen Epilepsie gewöhnliche, fortschreitende Tendenz zu haben; auch ist die Wesensveränderung in der überwiegenden Zahl der Fälle wenig ausgeprägt oder fehlt ganz. Es würde zu weit führen, wollten wir hier alle Möglichkeiten besprechen. Es sei nur darauf hingewiesen, daß die Anfälle manchmal nicht generalisiert verlaufen, daß sie in einzelnen Fällen in einem bestimmten Gliede anfangen, sich manchmal darauf beschränken oder erst nachträglich allgemein werden (sog. J a c k s o n -Anfälle). Manchmal gibt die Röntgenaufnahme nach Füllung der Hirnhöhlen mit Luft wertvolle diagnostische Hinweise. Mit der Epilepsie hat in der Regel nichts zu tun die P y k n o 1 e p s i e. Bei meist geweckten, lebhaften Kindern, denen man oft eine gewisse nervöse Übererregbarkeit ansieht, kommt es zu Absencen, die 30-, ja 40mal täglich auftreten können, in den Ferien an Zahl meist abnehmen, bei stärkerer Beanspruchung zunehmen. Sie pflegen mit der Pubertät zu schwinden; in manchen Fällen, die später auch mit großen Anfällen einhergehen, handelt es sich um echte Epilepsie. Bei der N a r k o l e p s i e , die gleichfalls nur ausnahmsweise mit Epilepsie etwas zu tun hat, treten Schlafanfälle oder „affektiver Tonusverlust" auf: bei allen möglichen Gelegenheiten, in der Schule, beim Essen, mitten im lebhaften Verkehr einer Stadt 2 ) schlafen diese Näheres über diese Frage hat L u x e n b u r g e r , gestützt insbesondere auf Arbeiten von C o n r a d sehr klar in B u m k e s Handbuch, Erg.Bd., I. Teil, S. 101—113, ausgeführt. 2 ) W. M a i e r hat einen derartigen Fall beschrieben, der von L a n g e in H o c h e III, S. 489, zitiert ist.
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Krampfkrankheiten
Kranken unentrinnbar ein; in anderen Fällen erschlaffen sie nach Aufregungen bis zum Umsinken. T e t a n i s c h e und s p a s p h o p h i l e Anfälle, die gelegentlich mit epileptischen verwechselt werden, haben keine forensische Bedeutung; sie sollen hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden. Strafrechtlich erfüllt der Dauerzustand der Epilepsie keineswegs immer die Voraussetzungen des § 51 StGB. Auch wenn eine gewisse Wesens Veränderung vorhanden ist, haben diese Kranken doch durchaus die Fähigkeit, das Unerlaubte etwa eines Diebstahls einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Nur wenn eine erhebliche Demenz vorhanden ist, wird man sich zur Zuerkennung von Zurechnungsunfähigkeit entschließen. Freilich sind solche Delikte bei Epileptikern wohl nicht gerade sehr häufig. Auch der Krampfanfall, der für die Diagnose von ausschlaggebender Bedeutung ist, ist forensisch ohne größeres Interesse, da die dabei vorhandene totale Bewußtlosigkeit jedes Handeln ausschließt. Weit bedeutsamer sind die epileptischen Verstimmungen und die Dämmerzustände. Sie sind die nicht seltene Ursache von schweren Gewalttaten, von Sittlichkeitsverbrechen, von Brandstiftungen; Tätlichkeits- und Sittlichkeitsdelikte werden auch von den Kindern Epileptischer häufiger begangen als vom Durchschnitt1). Läßt sich für die Zeit der Tat ein Dämmerzustand nachweisen, so besteht kein Zweifel an der Zurechnungsunfähigkeit. Die Exculpierung ist in solchen Fällen selbst dann geboten, wenn vorher Absichten geäußert sind, die in der Tat verwirklicht werden, vorausgesetzt natürlich, daß ein Dämmerzustand wirklich vorlag und nicht nur vorgetäuscht wurde. Diese Möglichkeit ist durchaus gegeben, da gewiegte Kriminelle, namentlich wenn sie Anstaltserfahrung haben, mit Dämmerzuständen ganz gut Bescheid wissen und namentlich die Bedeutung der Amnesie kennen. Im ganzen ist aber das Bestreben, geisteskrank zu erscheinen, viel geringer geworden, seitdem die Kriminellen damit rechnen müssen, auf unbestimmte Zeit in einer Anstalt untergebracht zu werden. Sie ziehen die befristete Strafe vor. W o l l e n b e r g hat in der 2. Auflage des H o c h e sehen Handbuches einen Fall von M o e 1 i wiedergegeben, den auch Joh. L a n g e anführt und der hier Platz finden möge: „Ein 29jähriger Epileptiker bezichtigt seine Ehefrau grundlos der Untreue, steckt seine Papiere zu sich und begibt sich zu der getrennt von ihm lebenden Frau, um sie unter der Androhung, Feuer anzulegen, zur Rückkehr zu bewegen. Die Frau weigert sich; er kehrt in die Wohnung zurück, zündet dort (soweit ihm erinnerlich) die Lampe an und liest in einem Buche. Von da an erlischt die Erinnnerung. K. wurde bewußtlos auf dem brennenden Boden gefunden. Er hatte dort der früher geäußerten Absicht gemäß Feuer angelegt und ein Abbrennen des Dachstuhls verursacht." Ein eigener Fall möge hier angeschlossen werden: ) Luxenburger
I.e., S. 111. 20*
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A. B., 26jähriger Musiker, war während des ersten Weltkrieges hirnverletzt worden und litt seit mehreren Jahren an Anfällen, die schon in früheren Jahren, auch schon im Krankenhause beobachtet waren. Drei Jahre vor der Tat war er in einem Ausnahmezustande aus dem Fenster des dritten Stockes gesprungen und hatte sich dabei eine Zerreißung des Mastdarmes zugezogen. Am Nachmittage vor der Tat hatte er einem Barbier gesagt, er wolle seine Frau erwürgen. Diese gab nach der Tat an, ihr Mann sei geistig nicht normal; er habe sie öfters mißhandelt, so daß sie auf Scheidung geklagt habe; sie habe die Klage aber wieder zurückgezogen. Bei der Tat, die darin bestand, daß er seine Frau nachts aus dem gleichen Fenster stürzte, aus dem er selbst früher gesprungen war, sei er nicht Herr seiner Sinne gewesen. Sie habe in der fraglichen Nacht zuerst eineinhalb Stunden auf seiner Bettkante gesessen, habe sich dann zu ihm gelegt, sei dann aber auf sein Geheiß in ihr Bett gegangen. Er habe gestöhnt, mit den Zähnen geknirscht, sein Gesicht sei ganz rot gewesen, er habe abwechselnd die Zimmerdecke und sie angestiert. Als sie ihn habe beruhigen wollen, habe er sie zu Boden geworfen, sie gewürgt, so daß sie zum Fenster geflüchtet sei und um Hilfe gerufen habe. Sie habe sich — mit den Beinen nach außen — am Fensterkreuz festgehalten. Da habe er ihr die Hände gelöst, so daß sie hinabgestürzt sei. Er wurde sofort festgenommen, konnte aber nicht vernommen werden, da er wirre Reden führte, betete und die Beamten küssen wollte. Während der Beobachtungszeit wurde einmal nachts ein Anfall notiert; am folgenden Morgen war B. nach längerem Schlaf noch etwas benommen, zog plötzlich das Hemd aus, lief fluchtartig aus dem Bett, stellte sich in die Tür zum Nebenraum, rieb seinen Körper mit den Händen, reagierte nicht auf Anruf. Als der Pfleger ihn ins Bett zurückbringen wollte, stieß er mit den Füßen nach ihm, klatschte in die Hände, ließ sich aber nach einigen Minuten zurückbringen und schlief dann gleich fest ein. Er gab an, er habe schon am Tage vor der Tat Angstgefühle und Sausen im Kopf gehabt, es sei ihm gewesen, als werde er im Kino photographiert. Er war von einer etwas aufdringlichen Höflichkeit und Freundlichkeit. An die Vorgänge bei der Tat hatte er keine Erinnerung. Er ist exculpiert worden. Die epileptischen Verstimmungen sind z w e i f e l l o s krankhafte Zustände. Ihre forensische Beurteilung hängt jedoch v o n d e m Grad der Verstimmung und v o n der Art der Tat ab. Handelt e s sich u m e i n e n Menschen, der auch ohne Verstimmung stiehlt, so wird m a n ihn nicht w e g e n e i n e s in einer Verstimmung b e g a n g e n e n Diebstahls für zurechnungsunfähig erklären. Es wird a u d i in d i e s e n Fällen, w i e s o oft, auf die Gesamtlage ankommen. Ich n e i g e dazu, in solchen Fällen lieber einmal im Zweifel zu exculpieren oder w e n i g s t e n s die V o r a u s s e t z u n g e n des § 51 Abs. 2 zu bejahen. Zivilrechtlich spielt die Epilepsie eine recht untergeordnete Rolle. Geschäftsunfähigkeit gemäß § 1 0 4 , 2 BGB. besteht nur ausnahmsw e i s e , nämlich bei schwer w e s e n s v e r ä n d e r t e n dementen Kranken; häufiger kommt w o h l § 105 Abs. 2 BGB. in Betracht. Auch Entmündig u n g w e g e n Geistesschwäche ist selten. Unter über 60 Fällen habe ich nur e i n e n d e s w e g e n zu begutachten gehabt. Pflegschaft ist häufiger angebracht. Die Ehe kann nach § 32 EG. unter Umständen a u f g e h o b e n w e r d e n ;
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das wird jedoch nur möglich sein, wenn einer der Ehepartner selbst an Epilepsie erkrankt, ü b e r den Erbgang der Epilepsie wissen wir bisher nichts Genaueres. Das Familienbild legt nach L u x e n b u r g e r die Annahme der Rezessivität nahe; bewiesen ist sie jedoch in keiner Weise. Ist einer der Eltern krank, so kann man bei den Kindern in 5 bis 8% mit Epilepsie redinen, für die Enkel sind bisher Zahlen nicht bekannt; ihre Erkrankungswahrscheinlichkeit scheint nicht erheblich über der der Durchschnittsbevölkerung zu liegen, die auf etwa 0,3°/o anzusetzen ist. Heiratet also jemand das Kind eines genuinen Epileptikers, so wird er das Risiko einer späteren Erkrankung des Partners auf sich nehmen müssen. Dieses Risiko ist noch geringer als die oben genannte Erkrankungswahrscheinlichkeit, da die Mehrzahl der Erkrankungen schon in jugendlichem Alter vor der Eheschließung manifest wird. Scheidung ist möglich sowohl nach § 43 wie nach § 44 EG. Scheidung gemäß § 45 EG. wird seltener möglich sein, da die Epileptiker meist einen ausgeprägten Familiensinn haben. Sind sie verheiratet, so haben sie meist auch keine geistig anspruchsvollen Ehepartner, so daß die Anforderungen an die geistige Gemeinschaft nicht allzu groß sind. Die Scheidung sollte jedoch nach Möglichkeit erleichtert werden; in der Praxis sind solche Scheidungen sehr selten. Als Zeugen sind Epileptiker nicht sehr brauchbar: wegen ihres Haftens fassen sie nur Teile von Vorgängen auf und übersehen dabei wesentliche Dinge, während sie andere ohne böse Absicht verfälschen.
Die Gruppe der Schizophrenien 1 ) Wenn wir von „der" Schizophrenie sprechen, so muß man sich klar darüber sein, daß das aus Gründen sprachlicher Vereinfachung geschieht. Wissenschaftlich gesehen handelt es sich um eine Gruppe von Krankheiten, deren enge Verwandtschaft sich aus ihrer Erblichkeit und ihrem Verlaufe erweist; es ist jedoch möglich, ja nicht unwahrscheinlich, daß sich der weiteren Forschung voneinander gesonderte klinische Krankheitsbilder erschließen werden, die wir mit den jetzigen Methoden noch nicht voneinander trennen können. Die Schizophrenie ist die bei weitem häufigste Geisteskrankheit; man wird, wenn man auch die vielfach nicht erkannten leichten Formen mit einbezieht, rechnen können, daß etwa 0,5 bis l,0°/o der Bevölkerung erkrankt, soweit sie das Gefährdungsalter erreicht. Schon daraus ergibt sich ihre forensische Bedeutung, die durch die Erfahrung bestätigt wird: unter 450 von mir begutachteten Straffällen, stehen sie mit 54 an zweiter Stelle; unter 403 aus § 42 b und ') Schizophrenie ist synonym mit dem früher gebräuchlicheren Ausdruck .Dementia praecox".
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§ 42 c StGB. Untergebrachten, über die C r e u t z berichtet hat, nehmen sie mit 57 gleichfalls den zweiten Platz ein. Zunächst ist festzustellen, daß es sich bei der Schizophrenie um eine Krankheit (oder um eine Gruppe genetisch und verlaufsmäßig verwandter Krankheiten) handelt. Das heißt: in das Dasein eines bestimmten Menschen tritt etwas Neues, bisher nicht Vorhandenes. Manche Autoren glauben, daß es zwischen Persönlichkeiten bestimmter Eigenart und Krankheit keine scharfe Grenze gibt; demgegenüber bin ich mit Kurt S c h n e i d e r 1 ) der Meinung, daß es hier fließende Grenzen, wie sie etwa beim Schwachsinn oder bei dem noch zu besprechenden manisch-depressiven Irresein existieren, nicht gibt. Dafür spricht unter anderem, daß in nicht geringer Zahl Menschen von der Erkrankung befallen werden, die bis dahin sogenannte schizoide Züge kaum gezeigt haben, bei denen also Gesundheit und Krankheit schroff nebeneinander stehen. Zuzugeben ist freilich, daß es oft schwer ist, den Zeitpunkt des Beginns der Erkrankung festzustellen; diese Feststellung scheitert aber im wesentlichen an der Unmöglichkeit, genaue Angaben über das Leben und das Verhalten des Kranken zu erhalten. Die Forschungen der letzten Jahrzehnte, insbesondere die von R ü d i n und seinen Schülern, unter denen namentlich L u x e n b u r g e r hervorragt, haben über jeden Zweifel bewiesen, daß die Schizophrenie eine Erbkrankheit ist. ü b e r den speziellen Erbgang wissen wir noch nichts Sicheres. Das liegt daran, daß die schizophrene Psychose nach heutiger Auffassung selbst nichts Primäres ist, daß sie vielmehr Ausdruck einer zugrunde liegenden körperlichen Störung, einer sogenannten Somatose ist, über die wir im einzelnen noch zu wenig wissen. Die Vermutung, daß dem so sei, bestand schon seit langer Zeit; die Forschungen der letzten etwa 15 Jahre, die vornehmlich an die Namen G j e s s i n g , G r e v i n g , J a h n und K. F. S c h e i d geknüpft sind, haben dieser Vermutung Wahrscheinlichkeitswert gegeben. Ehe aber völlige Klärung der zur Zeit noch hypothetischen Zusammenhänge erreicht ist, läßt sich auch eine einigermaßen sichere Aussage über den Erbgang nicht machen. Einstweilen müssen wir uns damit begnügen, daß an beträchtlichem Material, das auf das sorgfältigste bearbeitet ist, gewisse Zahlen herausgearbeitet sind, die hier wegen ihrer Bedeutung für die Eheaufhebung kurz angeführt seien: Erbgleiche Zwillinge verhalten sich in rund 70°/o der Fälle der Schizophrenie gegenüber konkordant. Unter den Geschwistern Schizophrener, die von phänotypisch gesunden Eltern abstammen, finden sich etwa 7,5°/o Schizophrene; ist ein Elternteil schizophren, so erkranken 16,4°/o der Kinder, sind beide Eltern schizophren, so ist in 63,4% mit schizophrener Erkrankung der Kinder zu rechnen. Diese Zahlen sinken im weiteren Umkreise Ebenso L u x e n b u r g e r S. 74.
in B u m k e s
Handbucii, Erg.-Bd., I. Teil,
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der Blutsverwandtschaft schnell ab. Ein Schizophrener mit einem gesunden Ehepartner kann mit 3,0°/o schizophrener Enkel, l,8°/o schizophrener Nichten und Neffen rechnen. Zu diesen Zahlen kommt noch eine beträchtliche Zahl schizoider Psychopathen: 32,6°/o bei den Kindern, 13,8°/o bei den Enkeln, 5,1°/« bei den Nichten und Neffen. Der Umstand, daß die Konkordanz bei erbgleichen Zwillingen nur etwa 70°/o beträgt, und daß bei schizophrener Erkrankung beider Eltern nur 63,4°/o der Kinder schizophren werden, beweist, daß die Anlage zur Krankheit sich nicht regelmäßig durchsetzt, daß sie Manifestationsschwankungen unterliegt, daß fördernde und hemmende Umweltfaktoren für den Ausbruch der Krankheit mitbestimmend sind. Auf sie einzugehen, würde hier zu weit führen 1 ). Verwandtschaftliche Beziehungen der Erkrankungen im schizophrenen Erbkreis legt auch der Verlauf nahe. Es ist das bleibende Verdienst des bedeutenden Psychiaters Emil K r a e p e l i n , in zäher klinischer Arbeit den Verlauf zahlreicher, unter verschiedenen Namen laufenden Krankheitsbilder untersucht und ihre Zusammengehörigkeit erkannt zu haben. Er faßte sie unter der Bezeichnung „Dementia praecox" zusammen, die später auf Vorschlag Eugen B l e u l e r s , der sich gleichfalls große Verdienste auf diesem Gebiete erworben hat, durch die praktischere Bezeichnung „Schizophrenie" ersetzt wurde. Bei allen Unterschieden des Verlaufs im einzelnen ist doch überall die gleiche Grundtendenz zu erkennen. Wenn nunmehr die schizophrenen Krankheitsbilder dargestellt werden sollen, so scheint es mir zum leichteren Verständnis zweckmäßig, wenn zunächst eine Form besprochen wird, bei der der Verlauf im Vordergrunde steht. Wir bezeichnen diese symptomarme Form als D e m e n t i a s i m p l e x . Ein Beispiel möge sie veranschaulichen. Eines Abends kam in meine Wohnung ein älterer, etwa 55jähriger Herr mit ausgefransten Hosen, fleckigem Anzug, ungepflegtem, struppigen Vollbart und eckigen, eigentümlich gebundenen Bewegungen, der sich mit modulationsarmer Stimme als Dr. iur. N. vorstellte und den Wunsch äußerte, von Prof. W. und mir ein Gutachten zum Zwecke der Wiederbemündigung zu erhalten. Kurze Zeit danach erhielten wir vom Gericht die Akten mit der gleichen Aufforderung. Die genaue Untersuchung ergab im wesentlichen Folgendes: Dr. N. stammte aus einer wohlhabenden Familie, in der gröbere Auffälligkeiten nicht nachweisbar waren. Er hatte das Gymnasium besucht, hatte rechtzeitig das Abitur gemacht, hatte Jura studiert, das Referendarexamen mit durchaus befriedigendem Erfolge, das Assessorexamen mit einigen Schwierigkeiten, aber rechtzeitig bestanden. Er hatte sich dann als Rechtsanwalt niedergelassen, hatte nach wenigen Jahren diese Tätigkeit jedoch aufgeben müssen, nachdem besondere, uns nicht bekannt gewordene Vorkommnisse die Anwaltkammer zum Einschreiten gezwungen hatte. Er hatte dann von den Zinsen seines Vermögens gelebt, war aber durch mancherlei Extravaganzen aufgefallen, so daß eine Reihe namhafter Ärzte seinetwegen herangezogen wurde. Diese stellten verschiedenartige Diagnosen wie Schwachsinn, moral insanity, Neurasthenie, ') Näheres darüber bei L u x e n b u r g e r 1. c., S. 74 ff.
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Psychopathie und ähnliches. Er hatte sich dann wieder einige Jahre als kaufmännischer Angestellter betätigt, zunächst mit leidlichem Erfolg, hatte dann aber wieder versagt, hatte auch diesen Beruf aufgeben müssen und hatte nach längerer Pause angefangen, sich als Kontrolleur beim Beladen und Entladen von Schiffen (sog. Tallymann) zu betätigen. Aber bald weigerten sich die Schauerleute, unter ihm zu arbeiten, er mußte auch diese Tätigkeit einstellen und wurde nun in einer Hamburger Großreederei, mit deren Leiter er seit seiner Schulzeit bekannt war, aus karitativen Gründen mit primitiven Absdireibarbeiten beschäftigt. Inzwischen war von R a e c k e in Kiel die Diagnose Schizophrenie gestellt worden, und er war entmündigt worden. Als er zu uns kam, war er ein verschrobener Mensch, der sich körperlich verwahrlosen ließ und zu merkwürdig bizarrer Lebensführung neigte, affektiv weitgehend verödet. Er bezeichnete seine Handlungsweisen selbst als krankhaft und verkehrt, was ihn aber nicht hinderte, trotzdem verkehrt zu handeln. Sein Lebensinhalt bestand im Querulieren gegen seine alte Mutter, gegen den Vormund, gegen die Entmündigung. Später wurde er schließlich anstaltspflegebedürftig; die Entmündigung wegen Geistesschwäche mußte in eine solche wegen Geisteskrankheit umgewandelt werden.
An diesem Beispiel ist sehr gut zu erkennen der durchaus normale Anstieg der Lebenskurve (Abitur, Referendarexamen); es folgt eine Zeit, in der der Aufstieg nicht mehr so selbstverständlich verläuft (Assessorexamen, Anwaltstätigkeit), wo die Kurve schon umbiegt; dann aber knickt die Lebenslinie vorzeitig nach unten ab; und es erfolgt nun ein etappenweises Abgleiten über sozial immer untergeordnetere berufliche Tätigkeiten bis zum Ende in einer Anstalt. Das Wesentliche daran ist der vorzeitige Knick in der Lebenskurve und das soziale Abgleiten. Der Knick, dem eine Persönlichkeitsveränderung zugrunde liegt, kann theoretisch während des ganzen Lebens einsetzen; praktisch liegt er gehäuft in der Pubertäts- bzw. Nachpubertätszeit, um dann allmählich an Häufigkeit abzunehmen. In mehr als der Hälfte der Fälle liegt er vor dem 25. Lebensjahr. Er kann sich akut bemerkbar machen, er kann sich schleichend entwickeln, so daß man zunächst kaum etwas davon merkt. Auch das Abgleiten verläuft recht verschieden: in schweren Fällen führt es in einem Zuge mehr oder weniger schnell zu der noch zu besprechenden schizophrenen Verblödung; in anderen Fällen kommt es zu vorübergehenden Stillständen; die Erkrankung verläuft dann, wie wir sagen, in Schüben. In manchen Fällen kommt es zu einer dauernden Stabilisierung der Persönlichkeit auf einem tieferen Niveau. Diese Niveausenkung kann so geringfügig sein, daß sie beruflich keine Konsequenzen nach sich zieht, daß also der gleiche Beruf weiter ausgeübt werden kann. In schätzungsweise 10 bis 20°/o der Fälle läßt sich nach Ablauf des akuten Schubs keine Persönlichkeitsveränderung nachweisen. In den Fällen, in denen der Knick so frühzeitig eintritt, daß die Berufsausbildung noch nicht abgeschlossen ist, sagt man vielfach, der Betroffene habe später nicht gehalten, was er in seiner Jugend versprochen habe. Manchmal wird ein „Nerven-
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Zusammenbruch" für das Versagen angeschuldigt; manchmal sind es neurasthenische Beschwerden, die sich zeitweise bemerkbar machen; — in Wirklichkeit handelt es sich um freilich schwer zu diagnostizierende schizophrene Schübe. In der großen Mehrzahl der Fälle aber kommt es zu deutlichen Veränderungen der Persönlichkeit, zu einer affektiven Verödung und zu mehr oder weniger starkem Zerfall des Denkens. Manche dieser Kranken sind unter den Landstreichern zu finden; die schweren Fälle aber füllen die Anstalten, deren Krankenbestand zu etwa 40°/o aus Schizophrenen besteht; und es gehört zu den erschütterndsten Bildern, die ich kenne, wenn man derartige menschliche Ruinen in größerer Zahl zusammen sieht. Dieser Verlauf, den ich absichtlich zunächst ohne jedes störende Beiwerk geschildert habe, ist nun in der Regel kompliziert durch eigenartige psychische Störungen der verschiedensten Art. Sie sollen hier nur kurz besprochen werden; um ihrer Vielfalt gerecht zu werden, bedarf es einer umfangreicheren Darstellung 1 ). Zunächst sind Trugwahrnehmungen sehr häufig, am häufigsten akustische, aber auch solche auf dem Gebiete des Geschmacks, des Geruchs, des Gemeingefühls, seltener optische. Unter den akustischen Trugwahrnehmungen stehen voran die sogenannten „Stimmen". Die Kranken hören Worte, Sätze, oft beschimpfenden Inhalts; manchmal sind es Stimmen von Bekannten, manchmal von Fremden, immer aber haben sie Leibhaftigkeitscharakter, und die Kranken sind von ihrer Realität fest überzeugt. Die Stimmen kommen von draußen, aus dem Magen, aus der Wand, aus dem Kopfe selbst; das ändert nichts an ihrem Erlebnischarakter. Manchmal werden den Kranken ihre eigenen Gedanken nachgesprochen (Gedankenecho) oder vorgesprochen (Gedankenlautwerden); nicht selten erscheinen ihnen die Stimmen „gemacht", aufgezwungen, ein typisch schizophrenes Erlebnis. Neben diesen echten Halluzinationen kommen sinnlich besonders lebhafte Vorstellungsinhalte vor, die meist irgendwie im Zusammenhang mit den Gedanken der Kranken stehen (Pseudohalluzinationen). Sehr häufig und eindrucksvoll sind auch die Täuschungen auf dem Gebiete der Gemeingefühle: die Kranken fühlen sich gestochen, gebrannt, abgesägt, aufgebläht; es wird an ihren Geschlechtsteilen herumgemacht, Nacht für Nacht werden sie vergewaltigt, die Speisen gehen direkt vom Mund zum After, das Herz leuchtet auf, der Boden hebt und senkt sich, die Kranken fliegen, fühlen sich federleicht u. dgl. Primitiver und weniger abwechselungsreich sind die Geschmacksund Geruchstäuschungen: es riecht nach Gas, nach Kohlendunst, die Speisen schmecken eigenartig, Kohl schmeckt wie Honig u. dgl. Auf optischem Gebiete überwiegen Wahrnehmungsanomalien: Gesichter werden verzerrt, zu schmal, zu breit gesehen, die Umgebung Grundlegend ist B l e u l e r , Dementia praecox Schizophrenien, Leipzig 1911, Franz Deutidee.
oder
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scheint Grimassen zu schneiden — aber auch komplexere Täuschungen werden erlebt. So schildert ein Schizophrener 1 ): „Einmal hatte idl einige Tage den Besuch einer hübschen jungen Dame. Dieselbe machte einen gewissen Eindruck auf m i c h . . . Ein paar Tage später lag ich nachts in meinem Bette . . . da sah ich zu meiner größten Überraschung rechts neben mir den Kopf des betreffenden Mädchens aus dem Bett herausragen, wie wenn es neben mir liegen würde. Es war magisch verklärt, von entzückender Schönheit, ätherisch durchsichtig und in dem fast dunklen Zimmer — auf der Straße brannte in einiger Entfernung eine elektrische Bogenlampe — sanft leuchtend."
Die Kranken sind von diesen Erlebnissen meist stark beeindruckt, namentlich im Beginn der Psychose; später verlieren die Täuschungen an Affektwert, sie werden ruhiger hingenommen. Doch geben sie in manchen Fällen auch in späteren Stadien noch zu lebhaftem Schimpfen Anlaß und sind die Ursache von Gewalttaten, namentlich wenn die Stimmen irgendwelche Befehle erteilen. Bei längerem Bestehen werden sie fast stets wahnhaft verarbeitet; es wird nach dem Urheber geforscht und den Mitteln, durch die der Kranke sich geplagt fühlt. Die Erklärungen hängen ab von den technischen Kenntnissen des Kranken: von der Hexe und dem Zauberer geht der Weg über Magnetismus und Elektrizität zu Röntgenstrahlen und Radio, zu Gedankenlesen und magischen Einwirkungen, Telepathie u. dgl. Man bezeichnet diese Art von Wahnideen als E r k l ä r u n g s w a h n . Diesem sekundären Wahn gegenüber steht ein primäres Wahnerleben, das im Beginn der Erkrankung häufig ist. Aus einer eigenartigen, mit Worten kaum wiederzugebenden gemütlichen Verfassung, der sog. W a h n s t i m m u n g heraus, in der das Gefühl des Unheimlichen, des Verändertseins von Persönlichkeit und Umwelt und eine unbestimmte ratlose Ängstlichkeit vorherrschen, kommt es zu wahnhaften B e d e u t u n g s - und B e z i e h u n g s e r l e b n i s s e n 2 ) . Harmlose Vorgänge haben eine ganz besondere Bedeutung: drei Kohlenstücke, die ein Wagen zufällig vor dem Hause einer Kranken verloren hat, bedeuten, daß ihr Mann um drei Uhr nachts von einer Nebenbuhlerin erwartet wird 8 ). Ein Kranker sieht einen Mann auf der Straße seinen Hut abnehmen; das bedeutet, daß seine Braut einen Unglücksfall erlitten hat. Die Kranken beziehen alles auf sich: was in der Zeitung steht, ist auf sie gemünzt; zwei Männer, die sich auf der Straße unterhalten, machen Bemerkungen über sie; wenn jemand sich räuspert, will er andere auf sie aufmerksam machen usw. Manchmal bleibt es bei der Wahnstimmung, manchmal treten auch Beziehungsideen ohne vorhergehende Wahnstimmung auf, immer aber haben diese Erlebnisse den Charakter absoluter Gewißheit. Häufig sind es kosJ
) J a s p e r s , Allgemeine Psychopathologie 4. Aufl., S. 62. ) J a s p e r s nennt sie Wahnwahrnehmungen, weil die Bedeutung unmittelbar erlebt wird. ') Aus K l o o s , Grundriß der Psychiatrie und Neurologie, 1944. 2
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mische Erlebnisse, wie Weltuntergang und andere religiös gefärbte oder sexuelle Erlebnisse, die in der akuten Phase hervortreten. Dazu kommen S t ö r u n g e n d e s D e n k e n s , die in ihren ausgeprägten Formen als Zerfahrenheit bezeichnet werden. Beziehungslose Gedanken und Gedankenbruchstücke werden zusammengebracht, manche fortgelassen, so daß die Gedanken von einem zum andern zu springen scheinen. Dabei kann es sein, daß die Kranken sich über alltägliche Vorkommnisse noch leidlich verständlich äußern können, so daß sie nach außen hin bei kürzeren Unterhaltungen nicht besonders aufzufallen brauchen; bei näherer Prüfung findet man Andeutungen dieser Denkstörung in fast allen Fällen. Ein Beispiel nach einer phonographischen Aufnahme von B u m k e möge einen ausgeprägten Fall mit schwerem Denkzerfall zeigen 1 ). „Weshalb hat man Sie hierher gebracht?" „Herr Geheimrat, das liegt an dem Parkettfußboden; wenn man richtig zusieht, da ist da Fensterkitt drin. Das hat die Erkältung mitgebracht, und seit der Zeit, daß ich das Schuhzeug untersuche, kriege ich die Spritze." „Sind Sie denn krank?" „Ich bin nicht krank; nun, ich glaube auch nicht, daß die anderen krank sind. Es handelt sich bloß um die ganze Umkrempelei von der Anstalt, mit der Porzellanfabrik, die Teller, die schon vor Christi Geburt gebraucht wurden. Damit, daß jeder, der eben in der Welt ist, der soll sich als Ehrenbürger ausweisen, und wenn er das nicht kann, so kippt er mit dem Kopf um." Vielfach kommt es dabei zu den Erlebnissen des G e d a n k e n e n t z u g s , bei dem aus vermeintlich fremden Einflüssen heraus die Gedanken abreißen, und zu den g e m a c h t e n G e d a n k e n , wobei die Gedanken als von fremder Gewalt aufgedrängt empfunden werden. Bei derartigen Denkstörungen, die sich bis zum „Sprachsalat" steigern können, nimmt es nicht wunder, daß auch in der Sprache und in der Schrift mancherlei Störungen auftreten: manirierter, geschraubter, wie auf Stelzen gehender Stil, eigenartige Redewendungen, Wortneubildungen, mit denen, die Kranken ihre Erlebnisse wiederzugeben versuchen, ganze Geheimsprachen sind die Folge. Dazu sind stereotype Redewendungen häufig, und es kann zum sogenannten Verbigerieren kommen, d. h. zur ständigen Wiederholung einzelner Worte oder Satzbruchstücke. Auch die Schrift kann in Anordnung und in der Form einzelner Buchstaben, in Unterstreichungen und anderen Zeichen Hinweise auf die Erkrankung geben. In der Mehrzahl der Fälle ist jedoch die Schrift nicht besonders auffällig; ja, es können sogar zerfahrene Kranke inhaltlich und formal unauffällige Briefe schreiben. Starken Veränderungen unterliegen auch die A f f e k t i v i t ä t *) Joh. L a n g e in H o c h e III, S. 498; weitere Beispiele S. 220.
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und das H a n d e l n . Zu Beginn der Erkrankung sind qualitativ neue Gefühle und Stimmungen häufig: Gefühle des Grauens, der Verödung, der Vereinsamung, aber auch Gefühle der Begnadung, ekstatische Glücksgefühle u. dgl. treten auf, die sich mit Worten oft schwer wiedergeben lassen. Im weiteren Verlauf aber kommt es meist zu einer mehr oder weniger starken Verödung des Gefühlslebens. Die affektiven Beziehungen zur Umwelt lockern sich allmählich, Eltern und nahe Angehörige werden den Kranken gleichgültig, Ereignisse, die sie sonst in Aufregung versetzt hätten, lassen sie kalt, innerlich unbeteiligt. Dabei kann diese Gleichgültigkeit verschiedene Färbungen annehmen; sie kann einmal als „läppischleere, bizarre und heitere Wurstigkeit", ein anderes Mal als hochmütig-blasierte Unberührbarkeit oder als einfache Stumpfheit erscheinen. Kennzeichnender noch ist die Ambivalenz der Gefühlsströmungen: derselbe Arzt, der als Verfolger glühend gehaßt und bedroht wird, wird freundlicher Unterhaltung gewürdigt; die hochgeborene Fürstin scheut sich nicht, einfache Hausarbeit zu machen, demselben Menschen kann glühender Haß und glühende Liebe gehören. Diese Veränderungen wirken sich schließlich auch im H a n d e l n aus. Oft zeichnen sich die späteren Schizophrenen schon in ihrer präpsychotischen gesunden Zeit dadurch aus, daß sie sich selbst genug sind. Sie leben ein Leben für sich, meiden Verkehr oder suchen ihn wenigstens nicht, verschließen ihre Erlebnisse in sich, haben aber hinter der Fassade der Unberührbarkeit ein reiches Innenleben. Man nennt dieses „Auf - sich - selbst - bezogen - sein" A u t i s m u s . Dieser Autismus ist nun in krankhaft übertriebener Form ein häufiges Symptom bei Schizophrenen, namentlich bei der sog. katatonen Form. Die Kranken sperren sich bewußt von allen äußeren Eindrücken ab, sie kapseln sich ein, legen sich ins Bett, liegen dort fast bewegungslos und scheinen sich um nichts zu kümmern (Stupor), um dann plötzlich und unerwartet aufzustehen, einem anderen Kranken eine Ohrfeige zu geben und sich wieder hinzulegen. Dabei machen sich vielfach kataleptische Erscheinungen bemerkbar: die Kranken halten eine unbequeme Lage, ohne Ermüdungserscheinungen zu zeigen, lange bei, liegen z. B. mit abgehobenem Kopf im Bett. Dem katatonen Stupor gegenüber stehen die katatonen Erregungszustände, die manchmal lebensbedrohliche Heftigkeit annehmen. Auch hier stehen manchmal einander widerstrebende Erscheinungen dicht nebeneinander: derselbe Kranke, der sich gegen alles, was aus ärztlichen Gründen an ihm getan wird, sträubt (Negativismus), führt wiederum alles widerstandslos aus, was ihm aufgetragen wird, selbst wenn es ihm nachteilig ist (Befehlsautomatie). Aber auch die gesamte Motorik erscheint verändert: die natürliche Grazie geht verloren, die Bewegungen werden steif, eckig, abrupt, verlieren ihre Rundung, ihr Rhythmus wird im Sinne des übertriebenen oder des Nivellierens abgewandelt. Die Sprache wirkt
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modulationsarm, hart, das Ausdrucksregister eingeschränkt. Die Gesamtmotorik wirkt geziert, verschroben, maniriert; schon die Art, wie diese Kranken einem die Hand geben, berührt oft eigenartig. Das Bewußtsein ist fast immer klar, die Merkfähigkeit und das Gedächtnis ungestört. Die s c h i z o p h r e n e D e m e n z , die in den verschiedensten Graden und Schattierungen sich entwickelt, wirkt sich in den schlimmsten Fällen in der Abstumpfung oder im Verlust aller gemütlichen Regungen im weitesten Sinne des Wortes aus: völlig gleichgültig gegen alles, was das Leben lebenswert macht, stehen oder sitzen diese Kranken fast regungslos herum, lassen sich in gröbster Weise verwahrlosen. Den Anzug dreckig und fleckig, die Hände tief in den Taschen vergraben, den Tropfen ständig an der Nase, das Wasser aus den Klosettbecken trinkend, womöglich den eignen Kot essend — „leere Menschenhülsen" hat sie H o c h e einmal treffend genannt. Furchtbar und quälend ist dieser Anblick für die Angehörigen, erschütternd auch für den Arzt diese hoffnungslose Geistesnacht. Die hier geschilderten Krankheitserscheinungen, die nur die wichtigsten in der kaum übersehbaren Fülle darstellen, kommen nun keineswegs alle im Einzelfall zur Beobachtung. Gewisse Grundsymptome fehlen selten; wesentlich sind namentlich die Denkstörung, die mehr oder weniger deutliche affektive Verödung, die Wesensveränderung. Nach der im übrigen verschiedenartigen Symptomatologie unterscheidet man verschiedene Formen, die anscheinend vom Lebensalter, in dem die Erkrankung ausbricht, abhängen. a) Die H e b e p h r e n i e ist die Erkrankung, die in oder bald nach der Pubertät einsetzt. Sie ist durch Denkstörung, Änderung der Affektivität und des Willenslebens gekennzeichnet, wobei eine eigenartig leere, läppisch-heitere Grundstimmung vorherrscht. Sinnestäuschungen und Wahnideen sowie katatone Symptome fehlen meistens. Oft imponiert die Störung zunächst als eine Steigerung der Flegeljahre. Manchmal verläuft die Krankheit schleichend (Dementia simplex), oft in Schüben mit immer deutlicher werdender Persönlichkeitsveränderung; die Prognose ist ungünstig. b) Die K a t a t o n i e ist die Erkrankung des 3. Lebensjahrzehnts mit den sog. katatonen Symptomen: Stupor, Erregungszuständen, Negativismus usw. Sinnestäuschungen fehlen selten, ebenso Wahnbildungen. Anfänglich treten oft gute Remissionen auf, doch gibt es auch schnell abwärts führende Formen. c) Die p a r a n o i d e F o r m entwickelt sich meist im 4. Jahrzehnt oder später und ist gekennzeichnet vorwiegend durch lebhafte Halluzinationen und Wahnbildung. Die Prognose ist im allgemeinen günstiger als bei den beiden erstgenannten Formen. d) Schließlich sind hierher auch Wahnkrankheiten zu rechnen, die als P a r a p h r e n i e bezeichnet zu werden pflegen, Krankheiten, die meist in vorgeschrittenem Alter zum Ausbruch kommen, bei
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denen die Wahnbildung durchaus schizophrenen Charakter hat, bei denen aber die Persönlichkeitsveränderung nicht oder erst spät zutage tritt, so daß die Kranken außerhalb ihres Wahnes nicht schizophren wirken. Die Diagnose ist in ausgesprochenen Fällen leicht zu stellen; sie stützt sich auf die psychischen Symptome und die Krankheitsentwicklung, auf das Fehlen von neurologischen Abweichungen und darauf, daß eine eigentliche Ursache nicht nachweisbar ist. Darüber hinaus geben erbliche Belastung und prämorbide Persönlichkeit auch positive Hinweise. Neben völlig normal wirkenden Menschen werden nämlich vielfach solche krank, die durch eine bestimmte Wesensart sich auszeichnen und die wir als schizoid bezeichnen. K r e t s c h m e r ' l hat unter ihnen drei Gruppen hervorgehoben: 1. ungesellige, stille, zurückhaltende, ernsthafte (humorlose), eigenartige Sonderlinge; 2. schüchterne, scheue, feinfühlige, überempfindliche, nervöse, aufgeregte, Natur- und Bücherfreunde; 3. lenksame, gutmütige, brave, gleichmütige, stumpfe, dumme. Diese Gruppen finden sich in mancherlei Mischungsverhältnissen, in einer Skala vom brutalen kalten Egoisten bis zum höchst wertvollen, feinsinnigen Wissenschaftler. Körperlich sind sie in der Regel, die jedoch manche Ausnahmen hat, schlankwüchsig (leptosom oder athletisch). In nicht ausgesprochenen Fällen kann die Diagnose große Schwierigkeiten bereiten. Es bedarf dann der ganzen Kunst der Anamneseerhebung und der psychiatrischen Untersuchungstechnik, um wenigstens eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose begründen zu können. Wie wir schon oben sagten, ist die forensische Bedeutung der Schizophrenie beträchtlich. Strafrechtlich stehen im Vordergrunde Eigentumsvergehen, Sittlichkeitsdelikte, Gewalttätigkeitsverbrechen und politische Delikte2). Bei den Eigentumsvergehen handelt es sich meist um Gelegenheitsdiebstähle oder kleinere Betrügereien, die von Kranken mit schleichendem Verlauf (Heboid) begangen werden; aber auch ausgesprochen Kranken kommt es auf einen Diebstahl nicht an, wenn die Gelegenheit günstig ist. Umfangreiche Betrügereien sind selten; nach L a n g e sollen vereinzelt Hochstapeleien und Heiratsschwindeleien vorkommen. Häufig sind kleine Delikte der Landstreicher, unter denen sich zahlreiche vertrottelte defekte Schizophrene befinden. W i l m a n n s hat 52 Lebensläufe solcher schizophrener Landstreicher zusammengestellt, die „zum Teil ') Körperbau und Charakter, Berlin 1944. 2 ) Von 50 eigenen und 57 von C r e u t z angeführten Fällen hatten je 24 sich Eigentumsvergehen oder Gewalttätigkeitsdelikte, je 22 Sittlichkeitsdelikte oder politische Vergehen zuschulden kommen lassen. Die übrigen verteilen sich auf Beleidigung (6), Sachbeschädigung (2), Brandstiftung (2), Kriegsdelikte (3), Verweigerung von Alimentenzahlung (1), unbefugtes Tragen von Orden (1).
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noch in jugendlichem Alter stehend, z u s a m m e n nidit w e n i g e r als 1836mal, darunter 181mal mit Nachhaft bestraft wurden". Dabei hätte nach g e l t e n d e m Recht die Mehrzahl v o n ihnen exkulpiert werden müssen. Das Berufsverbrechertum hat k e i n e Beziehungen zur Schizophrenie. Die politischen V e r g e h e n häuften sich während des letzten Krieges; e s handelte sich meist u m die Verbreitung abstruser religiöser Ideen, z. T. auch u m ziemlich zerfahrenes Geschwätz, das zur A n z e i g e gebracht wurde. A m wichtigsten aber sind die Gewaltverbrechen. Sie sind v o n Schipkowensky e i n g e h e n d behandelt worden 1 ). Außerdem hat W i l m a n n s eine ganze Reihe v o n Tötungsdelikten, die im Prodromalstadium der Schizoprenie b e g a n g e n waren, zusammengestellt 2 ). Ich selbst sah f o l g e n d e n Fall 3 ): M. W., geb. 1907, tötete am 14. XI. 1938 seine 2V2jährige Tochter Irmgard, die er zärtlich liebte, durch Hammerschläge auf den Kopf. Im Anschluß daran machte er einen ernsthaften Selbstmordversuch. Die Untersuchung hatte folgendes Ergebnis: Der Vater M.s hat anscheinend früher einen schizophrenen Schub durchgemacht; ein Bruder hat sich erschossen, möglicherweise im Beginn einer Schizophrenie. M. selbst besuchte die Bürgerschule in K. mit gutem Erfolg, lernte dann als Elektriker und Klempner, blieb nach beendeter Lehrzeit bis 1933 bei seinem Meister, wechselte dann die Stellung, bestand die Meisterprüfung und kam am 1. VIII. 1938 zu einer großen Firma in der Umgebung von Kassel, wo er als Lehrmeister verwendet werden sollte. 1935 heiratete er; aus der glücklichen Ehe stammte die von ihm getötete Tochter. Charakterlich wird er als ehrgeizig und empfindsam geschildert. Seit dem Frühjahr 1938 erschien er verändert; seine Stimmung schwankte stark zwischen trübsinnig und lustig, er machte Auftraggebern Versprechungen, die allen geschäftlichen Gepflogenheiten widersprachen. Deutlichere Erscheinungen traten sehr bald nach dem Wechsel zur neuen Firma hervor. Dort fiel ihm auf, daß man ihn vielleicht „verdummen" wollte: wenn er allein an schriftlichen Arbeiten saß, ging das Telefon fortgesetzt, und es wurde nach diesem oder jenem gefragt. Es kam ihm auch unheimlich vor, daß ihn Herr R. so von der Seite ansah. Einmal habe Herr R. den Bauführer mit „Herr Baurat" angeredet. Er schloß daraus, Herr R. nehme an, er, W., habe einen Vogel. Dann hörte er Bemerkungen wie „der will nun den Jungen was lernen, dabei muß er alles nach Büchern machen" oder „der will nun Meister sein und hat die Hand in der Hosentasche". Es war ihm schließlich, als ob man Katze und Maus mit ihm spiele. Die Leute machten Gesten, die darauf hindeuteten, daß man ihn nicht für ganz normal halte. Er nahm daher an, die Leute wüßten, daß er geisteskrank sei. Als er einmal in einer Apotheke ein Schlafmittel kaufen wollte, hörte er das Fräulein dort sagen: „das ist er"; da glaubte er, er würde beobachtet oder verfolgt. Manchmal meinte er auch, ihm würden fremde Gedanken aufgedrängt, er hörte seinen Namen rufen usw. In den Tagen vor der Tat hat er sich nach seinen etwas unklaren An3 ) Schizophrenie und Mord, Berlin 1938. ») Z. Neur. 170, 1940, S. 583. 3 ) A.Z. Ps. 115, 1940, S. 356.
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gaben wohl öfters mit Mordgedanken getragen. Ihm war so, als wenn er seine Frau umbringen müßte. Er habe geglaubt, das Kind, er selbst und seine Frau seien nicht richtig. Zwischendurch vergaß er wieder ganz seine Mordgedanken, aber immer wieder tauchten sie auf. Er entschloß sich dann, in ein Krankenhaus zu gehen, und bat seine Frau, einen Koffer zu holen. Das tat sie nicht gleich; dafür brachte das Kind einen Spielkoffer. Da dachte er: das Kind hält zu dir, die Frau will nichts von dir wissen, du mußt das Kind und dich selbst umbringen. In diesem Augenblick glaubte er eine Stimme zu hören, die ihm sagte, er solle sich etwas antun. Da nahm er das Kind, legte es ins Bett und schlug es mit dem schon vorher bereitgelegten Hammer auf den Kopf. Dann schloß er sich im Klosett ein und durchschnitt sich mit einem Rasiermesser, das er gleichfalls schon vorher eingesteckt hatte, die Pulsadern. Die Motivierung wechselte. Einmal gab er an, er habe geglaubt, er sei geistig nicht mehr auf der Höhe, er habe durch seine Tat verhindern wollen, daß sein Kind auch einmal unter Geisteskrankheit leide; ein anderes Mal meinte er, ihm sei so gewesen, als wenn er es machen müßte, und es wäre ein gutes Werk; dann wieder, seine Mutter habe einmal mit einem Juden poussiert, er und sein Kind hätten daher Judenblut in ihren Adern. Alle diese Angaben machte er in weitschweifiger, oft unklarer und verschwommener Weise; affektiv erschien er unbeteiligt. In seinem Verhalten fiel manchmal seine ganz inadäquate Stimmungslage auf; während er im allgemeinen gedrückt erschien, war er plötzlich vergnügt, sang und lachte. Oft stand er längere Zeit an einer Stelle und blickte zu Boden. Dann wieder stand er eine Weile auf einem Bein und drehte sich um sich selbst, machte eigentümliche Bewegungen mit dem Kopf und gab merkwürdige Laute von sich. Später wurde die affektive Abstumpfung deutlicher. — Er wurde als zurechnungsunfähig freigesprochen und einer Anstalt überwiesen. W e n n die D i a g n o s e „Schizophrenie" gestellt ist, s o ist m. E. in j e d e m Falle zu exculpieren, auch in den s o g e n a n n t e n leichten Fällen. Dabei kommt e s nicht auf die M o t i v i e r u n g an, die an sich verständlich sein kann; e s kommt auch nicht auf die Planmäßigkeit an. W o eine Schizophrenie ist, ist schwere krankhafte Störung der Geistestätigkeit, und wir sind nicht imstande, uns in die seelische Situation d e s Täters hineinzuversetzen. W i e der o b e n w i e d e r g e g e b e n e Fall zeigt, ist sich der schizophrene Täter selbst oft über seine M o t i v e nicht im klaren, e s m a g oft ein G e m e n g s e i v o n verständlichen und krankhaften T e n d e n z e n das endgültig Bestimmende sein. W e n n aber jemand verurteilt w e r d e n soll, so muß ihm s e i n e Zurechnungsfähigkeit b e w i e s e n werden, und das k ö n n e n wir in k e i n e m Falle. D e m Richter aber ist anzuraten, sich bei j e d e m schweren Verbrechen bei bis dahin unbestraften Menschen, namentlich dann, w e n n die Motivierung unklar ist oder wechselt, der Hilfe des Psychiaters zu bedienen. Eine Geisteskrankheit v o n der Art der Schizophrenie zu erkennen, ist nicht selten so schwierig, daß der „gesunde Menschenverstand" dazu nicht ausreicht. Schwierig ist die strafrechtliche Beurteilung remittierter oder d e f e k t g e h e i l t e r . Schizophrener; wir haben darüber das Wichtige schon oben (S. 53f.) gehört, so daß wir hier darauf v e r w e i s e n können.
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Zivilrechtlich spielt die Schizophrenie gleichfalls eine bedeutende Rolle. Sowohl die Frage der Geschäftsfähigkeit als auch die der Entmündigung ist öfters zu beantworten. Sichere Schizophrene sind wohl als geschäftsunfähig anzusehen, nicht dagegen Defektgeheilte, wenn der Defekt nicht gar zu groß ist. Hier wird man eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit, wie sie der § 104,2 BGB. verlangt, nicht beweisen oder auch nur wahrscheinlich machen können. Nicht jeder Schizophrene kann entmündigt werden; es kommt dabei j a auch darauf an, ob der Kranke noch imstande ist, seine Angelegenheiten zu besorgen. Besonnene Paranoide oder Paraphrene sind dazu manchmal sehr wohl in der Lage. Ich erinnere midi eines paranoiden Querulanten, der zwar viel prozessierte, aber stets nur geringe Teilbeträge von den ihm angeblich zustehenden Summen einklagte, so daß ihm größere Kosten daraus nicht erwuchsen. Im übrigen ging er seinem Beruf regelmäßig nach, sorgte auch für seine Familie, so daß sich seine Krankheit nur im Prozessieren auswirkte. Ich habe mich damals gegen die Entmündigung ausgesprochen, habe aber vorgeschlagen, ihn für prozeßunfähig zu erklären. Bei den in Anstalten internierten Kranken kommt man in der Regel mit der Bestellung eines Pflegers aus, die sich auch dann ohne Schwierigkeiten durchsetzen läßt, wenn der Kranke seine Zustimmung verweigert. Da er fast immer geschäftsunfähig ist, bedarf es seiner Zustimmung nicht. Sehr häufig sind auch Begutachtungen in Ehescheidungsprozessen. Das Wesentliche hierüber ist im Kapitel über Geisteskrankheit und Ehe erörtert worden.
Der manisch-depressive Formenkreis Unter dieser Bezeichnung fassen wir Stimmungsschwankungen zusammen, die vorwiegend erblich bedingt sind, ohne erkennbaren Grund (endogen) entstehen, im allgemeinen in Phasen verlaufen und grundsätzlich heilbar sind. Wenn diese Schwankungen die Stärke von Psychosen erreichen, sprechen wir von „manisch-depressivem Irresein", während die leichteren endogenen Stimmungsschwankungen unter der Bezeichnung „Cyclothymie" zusammengefaßt zu werden pflegen1). Die in diesem Formenkreis gefundenen Abweichungen gehen aus dem Gesunden ohne scharfe Grenzen, also anders als bei der Schizophrenie, zu jenen schweren Psychosen hin, die am anderen Pol der Reihe stehen 2 ). ') Die Namengebung ist nicht ganz einheitlich. K r e t s c h m e r nennt „ cyclothym" die gesunden Temperamentsvarianten, die manisch-depressiv werden, wenn sie einmal psychisch erkranken. B l e u l e r bezeichnet diese als „synton'i K. S c h n e i d e r lehnt den Ausdruck „manisch-depressives Irresein" ab und verwendet dafür die Bezeichnung „Zyclothymie". 2)K. S c h n e i d e r , Die psychopathischen Persönlichkeiten, 3. Aufl., S. 46 ff., meint freilich, daß auch hier scharfe Grenzen beständen. Langelüddeke,
Gerichtliche Psychiatrie.
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Derartige Psychosen treten innerhalb Deutschlands in verschiedener Häufigkeit auf; die für die Durchschnittsbevölkerung errechnete Häufigkeit von 0,44°/o wird in Nordwestdeutschland sicher nicht annähernd erreicht, in manchen Gegenden Süddeutschlands wahrscheinlich übertroffen. Die Krankheit ist in sozial besser gestellten Schichten häufiger, offenbar weil die gesunden Typen dieses Krankheitskreises es durch Tatkraft und Wendigkeit vorwärtsbringen, über die Ursachen der Krankheit ist bekannt, daß mit Sicherheit die erbliche Anlage die Hauptrolle spielt: Von den Kindern eines Manisch-depressiven erkranken nach den bisherigen Berechnungen 24,1%>, von den Geschwistern 12,7°/o, die Enkel in 3,4%. Zwillingsuntersuchungen haben aber auch hier deutliche Manifestationsschwankungen aufgedeckt1). Man neigt daher in neuerer Zeit auch bei dieser Psychose zu der Annahme einer ihr zugrunde liegenden Somatose. Für eine solche Annahme spricht einmal das häufige Zusammentreffen mit bestimmten körperlichen Anomalien wie Diabetes, Gicht, Fettsucht und Hypertonie, andererseits der Umstand, daß anscheinend Beziehungen zu den Sexualvorgängen bestehen: Depressionszustände häufen sich im Rückbildungsalter, so daß man früher eine besondere Involutionsmelancholie annahm. Bevor diese Somatose aber nicht näher bekannt ist, wird sich etwas Sicheres über den Erbgang nicht aussagen lassen; was darüber bekannt ist, ist hypothetisch und nur an der Psychose orientiert. Die manisch-depressive Psychose kennt im wesentlichen drei Symptomenbilder: die D e p r e s s i o n , die M a n i e und M i s c h zustände. Die D e p r e s s i o n ist gekennzeichnet durch unbegründete Traurigkeit und Hemmung. In leichteren Fällen handelt es sich nicht eigentlich um eine traurige Verstimmung; es fehlt aber den Kranken die Fähigkeit, sich zu freuen oder zu einer bejahenden Lebenseinstellung. Es erscheint ihnen alles schal, freudlos, ihr Gefühl schwingt nicht mit, Angehörige, Beruf, Liebhabereien werden ihnen gleichgültig. In allen schweren Fällen aber herrscht eine deutliche Traurigkeit vor, die vielfach mit einem Angstgefühl verbunden ist, das irgendwie im Körperlichen verwurzelt erscheint. Man sieht den Kranken diese schwere unüberwindbare Traurigkeit am Gesichtsausdruck ohne weiteres an. In schweren Fällen kann sie sich bis zur Verzweiflung steigern. Zugleich besteht eine ausgesprochene Hemmung und zwar sowohl im Denken wie auf motorischem Gebiet. Die Kranken liegen fast regungslos im Bett, jede Bewegung macht ihnen Mühe; spricht man sie an, erhält man kaum eine Antwort, obwohl man an den Bewegungen der Lippen sieht, wie der Kranke sich um Antwort bemüht. Auch sein Denken ist gehemmt: er kann dem Gespräch nicht folgen, hat keine eigenen Einfälle, benötigt für einen Brief, den er Nach L u x e n b u r g e r , 1. c., S. 70.
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sonst in einer halben Stunde schrieb, einen ganzen Tag. Dazu sind auch die Antriebe gehemmt; es fehlt den Kranken jeder Schwung. Dieser Zustand führt oft zu wahnhaften Vorstellungen. Die Kranken suchen in ihrem eigenen Erleben nach der Ursache ihrer Verstimmung, machen sich Selbstvorwürfe, die zu schweren Selbstbeschuldigungen führen können, oder sie suchen bei sich irgendeine Krankheit und entwickeln hypochondrische Vorstellungen, die manchmal groteske Formen annehmen (schon tot, ohne Magen und Darm usw.), oder sie machen sich übertriebene Sorgen um ihre Zukunft, um die Lebensmöglichkeiten ihrer Familie und dergleichen. Vorwürfe hört der Melancholische auch aus Äußerungen anderer heraus, die er dann in seinem Sinne umändert und auf sich bezieht. Selten sind echte Halluzinationen. Die Depression zeigt charakteristische Tagesschwankungen; sie ist morgens am tiefsten, gegen Abend sind die Kranken am zugänglichsten und aufgeschlossensten. Körperlich ist bemerkenswert: der schlechte Schlaf, der Mangel an Appetit, die träge Verdauung und die oft erhebliche Gewichtsabnahme. Freundliche Träume und Gewichtszunahmen sind vielfach die ersten Zeichen der Besserung. Bei der M a n i e herrschen die umgekehrten Vorzeichen: überströmendes Lebensgefühl, natürliche strahlende Heiterkeit, oft aber auch leicht entzündbare Gereiztheit und Zorn kennzeichnen das Bild. Wegen der erhöhten Selbsteinschätzung kommt es öfters zu Größenideen, zur Uberschätzung der eigenen Fähigkeiten, aber auch der Vermögensverhältnisse und so zu unsinnigem Verwirtschaften von angesammelten Ersparnissen bis zum Ruin gutgehender Geschäfte. Begünstigt werden derartige Vorkommnisse durch die E n t h e m m u n g , die auf dem Gebiete des Denkens als I d e e n f l u c h t sich bemerkbar macht. Die Kranken halten den Leitgedanken nicht fest, kommen vom Hundertsten ins Tausendste, knüpfen dabei an Äußerlichkeiten, an Wortklänge an, schieben oberflächliche Witze ein, verlieren schließlich ganz den Faden. In leichteren Fällen wirken sie weitschweifig, vermischen Wichtiges mit vielen belanglosen Nebengedanken, müssen immer wieder „zur Sache" ermahnt werden. Auch in ihrer Motorik sind sie übertrieben geschäftig, können nicht stillsitzen, tun immer etwas anderes. Sie sind sofort mit allen bekannt und gut Freund, freilich um sich bei nächster Gelegenheit mit ihnen zu verkrachen. Sie mischen sich in alles ein, reden bei der Visite dazwischen, sind oft ausgesprochen taktlos. In ihrem Zimmer herrscht meist tolle Unordnung. Im allgemeinen sind Manische gutmütig, einfach; doch gibt es unter ihnen unangenehme Querulanten und Besserwisser. Körperlich fühlen sich diese Kranken gesund und besonders leistungsfähig. Leichteste Kranke dieser Art sind es in der Tat: die ihnen zuströmenden Gedanken und die gesteigerte Arbeitslust können sie zu wertvoller Tätigkeit befähigen. 21*
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In den M i s c h z u s t ä n d e n vereinigen sich depressive und manische Züge. Besonders häufig sind die e r r e g t e D e p r e s s i o n ( M e l a n c h o l i a a g i t a t a ) , deren Krankheitsbild außerordentlich schwere Formen annehmen kann, und der m a n i s c h e S t u p o r , bei dem die Kranken ausgesprochen heiter, aber doch gehemmt, fast bewegungslos im Bett liegen. Diese Zustände sind als Ubergänge häufig, kommen aber auch für sich vor. Daneben gibt es atypische manisch-depressive Phasen, die hier aber nicht besonders behandelt werden sollen. Der V e r l a u f d e r K r a n k h e i t ist außerordentlich wechselnd. Hs kann bei einer einmaligen manischen oder depressiven Phase bleiben, sie können sich in größeren, dann meist allmählich kürzer werdenden Abständen wiederholen, es kann zu einem fortgesetzten Wechsel zwischen manischen und depressiven Phasen kommen, es gibt schließlich chronische Manien und lange Jahre anhaltende Depressionszustände. Manche Kranke haben nur manische oder nur depressive Verstimmungen — die letzteren sind überhaupt häufiger — es kann aber auch ein regelloser Wechsel zwischen beiden, untermischt mit leichten hypomanischen und hypodepressiven Zeiten kommen. L a n g e 1 ) fand an großem Material 14°/« chronisch-zirkuläre, 12°/o einmalige Erkrankungen; die übrigen verliefen in mehreren Phasen, davon 17% mit mehr als drei Phasen. Die erste Phase liegt meist im 3. bis 5. Lebensjahrzehnt, bei Männern nach unseren Beobachtungen selten vor dem 20. Lebensjahre, bei Frauen, bei denen die Erkrankung überhaupt häufiger ist, öfters. Bei Frauen beginnt ein großer Hundertsatz — in 168 eigenen Fällen sind es 25°/o — im Alter von 40 bis 50 Jahren, also im Klimakterium. Die Dauer der einzelnen Phasen ist gleichfalls sehr verschieden. Die melancholischen Phasen halten im Durchschnitt länger an als die manischen; sie dauern in der Regel etwa 6 bis 9 Monate. Leichtere Fälle können schneller verlaufen, schwere können sich über Jahre erstrecken. Bei ersten Phasen in jugendlichem Alter ist die Prognose günstig; sie wird bei Wiederholung schlechter, ebenso in höherem Alter, wo die Mischung mit Alterserscheinungen sich ungünstig auswirkt. Die D i a g n o s e ist in ausgeprägten Fällen leicht zu stellen; in leichten Fällen ist die Abgrenzung von psychopathisdien Dauerkonstitutionen nicht immer einfach, während die Unterscheidung von reaktiven Depressionen meist unschwer gelingt. In atypischen Fällen kann die Differentialdiagnose gegenüber der Schizophrenie schwer sein. Gestützt wird sie durch den körperlichen Habitus. Wie K r e t s c h m e r festgestellt hat, und diese Feststellung hat allen Nachprüfungen standgehalten, sind vorwiegend sog. Pykniker, d. h. L a n g e - B o s t r o e m , Lehrbuch der Psychiatrie, 5. Aufl., S. 210.
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Fettwüdisige mit ganz bestimmten Merkmalen 1 ), Anlageträger. Auch das Temperament der Manisch-Depressiven hat in gesunden Zeiten seine ganz besondere Art. K r e t s c h m e r kennzeichnet sie als gesellig, gutmütig, freundlich, gemütlich, manchmal mehr heiter, humorvoll, lebhaft, hitzig, manchmal mehr still, ruhig, schwernehmend, weich. Im allgemeinen sind es mehr auf das Praktische gerichtete, oft auch künstlerische Naturen. Die forensische Bedeutung des manisch-depressiven Formenkreises ist geringer als die der Schizophrenie. Nach den Feststellungen von S c h w a b 2 ) sind Pykniker unter den frühkriminellen Gewohnheitsverbrechern nur in ganz geringem Umfange vertreten; überhaupt liegt ihre Kriminalität unter der Zahl, die ihrem Vorkommen in der Durchschnittsbevölkerung entspricht. Bei Depressionszuständen ist vornehmlich mit erweitertem Selbstmord zu rechnen, bei dem zwar die Angehörigen getötet werden, der depressiv Verstimmte aber aus irgendwelchen Gründen am Leben bleibt. Der Selbstmord ist überhaupt d i e Gefahr bei diesen Kranken; ihn zu verhindern, gehört mit zu den Hauptaufgaben der Anstaltsbehandlung. Von 92 manisch-depressiven Männern, die 1904 bis 1913 in der Landesheilanstalt Marburg behandelt und inzwischen gestorben waren, hatten 23 (25°/o) Selbstmord verübt, von 172 gestorbenen Frauen 18 (10,5°/o). Ist die Diagnose sicher gestellt, so liegt natürlich Zurechnungsunfähigkeit vor. Im übrigen sind es nur vereinzelte Unterlassungsdelikte, die zur Beurteilung kommen; ich sah einmal einen solchen Fall, in dem der schwer gehemmte Kranke es nicht fertig gebracht hatte, eine Steueramnestie auszunutzen. Dagegen ist mit unbegründeten Selbstanschuldigungen zu rechnen. Wenn es sich dabei um ungeheuerliche Verbrechen handelt, so ist es nicht schwer, den krankhaften Ursprung der Selbstanschuldigung plausibel zu machen; manchmal handelt es sich aber um angebliche Delikte, die durchaus im Bereich der Möglichkeit liegen. Dann muß der Tatbestand natürlich zuerst festgestellt werden, bevor zur Frage der Zurechnungsfähigkeit Stellung genommen werden kann. Häufiger sind Delikte von manischen oder hypomanischen Kranken. Hier wird es natürlich darauf ankommen, den Geisteszustand zur Zeit der Tat festzustellen. Unter 18 Fällen dieser Art, die ich zu begutachten hatte, habe ich 6 für strafrechtlich verantwortlich erklärt, 4 für vermindert zurechnungsfähig, 8 für zurechnungsunfähig. Unter den letzteren befanden sich 4 mit politischen Delikten. Im übrigen standen Eigentumsvergehen und Sittlichkeitsdelikte im 1 ) Zum pyknisdien Körperbau gehören Leibeshöhlen mit Neigung zum Fettansatz bauch, bei relativ zierlichen Gliedmaßen. hoch, das Gesicht breit (breite Schildform, Glatzen sind häufig. s ) M.Kr.B. 32, 1941.
große Umfangsentwidclung der am Rumpf, besonders zum FettDer Schädel ist lang und nicht Fünfeckform). Große spiegelnde
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Vordergrunde, überhaupt scheinen Menschen aus diesem Formenkreis ganz besonders zu betrügerischen Handlungen zu neigen, wozu sie ihre Wendigkeit, ihre schnelle Entschlußkraft, ihre Fähigkeit zu blenden ganz besonders geeignet macht. Unter den hyperthymen Persönlichkeiten dieses Kreises findet man manchmal auch ausgesprochen rechthaberische Querulanten mit stark ausgeprägtem Rechtsgefühl, deren Beurteilung und Behandlung recht schwierig sein kann. Recht bedenklich sind manische und hypomanische Kranke als Zeugen; sie beobachten zwar vieles, neigen aber dazu, das Wahrgenommene umzudeuten und kommen so zu einer oft schiefen, ja manchmal geradezu falschen Beurteilung und Darstellung der Sachlage, die Wahres und Falsches in unentwirrbarem Durcheinander enthält. Jedenfalls ist auf die Aussage eines solchen Kranken allein eine Verurteilung wohl nur in seltenen Fällen möglich. Die Geschäftsfähigkeit ausgesprochen manischer Kranker ist als aufgehoben anzusehen; auch bei schwer Depressiven würde ich Geschäftsunfähigkeit annehmen. Beidemal kann es recht schwer sein, im Einzelfall die Grenze zu bestimmen, von der an die Geschäftsunfähigkeit beginnt; über sie kann es naturgemäß zu Meinungsverschiedenheiten kommen. Bei kürzeren Phasen ist auch zu überlegen, ob nicht die Anwendung des § 105, 2 BGB. am Platze ist. Die Entmündigung ist in allen den Fällen anzuraten, in denen häufige Phasen oder chronische Zustände zu beobachten sind. Besonders gefährdet sind Kranke, die zwischen deutlich manischen Phasen gesunde Intervalle haben, in denen sie durchaus tüchtig arbeiten, ihre Geschäfte erledigen, ja, beruflich vorwärts kommen können. Alle diese Errungenschaften werden durch die neue Phase in Frage gestellt, ja meistens untergraben und vernichtet. Um das zu vermeiden, ist die Entmündigung, unter Umständen wegen Geisteskrankheit, zweckmäßig, ja notwendig. Durch sie werden schwierige Prozesse mit unsicherem Ausgang vermieden, man kann namentlich den Kranken auch bei den ersten Anzeichen einer neuen Erkrankung sicher unterbringen und so wenigstens der Familie die nötigen Existenzmittel erhalten. Dem verständlichen Bestreben der Kranken, während der gesunden Zeiten wieder bemündigt zu werden, wird man mit guten Gründen, leider nicht immer mit Erfolg, entgegentreten müssen. Bei vereinzelten Phasen ist Pflegschaft angebracht, wenn irgendwelche Angelegenheiten zu erledigen sind. Im Eherecht wird man einer Aufhebung der Ehe nur zustimmen können, wenn die Erkrankung beim Ehepartner selbst erkennbar wird; in diesem Falle ist die Gefahr für die Nachkommenschaft beträchtlich. Dagegen genügt die Erkrankung eines der Eltern nicht; nur bei einer Erkrankung beider Eltern oder eines erbgleichen Zwillings wird die Gefahr auch für den Ehepartner so groß, daß die Aufhebung sich rechtfertigen läßt, ö f t e r s dürfte die Scheidung aus § 44 EG. möglich sein, und zwar auch dann, wenn die Wiederherstellung der geistigen Gesundheit zu erwarten ist. Manische Kranke
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schlagen leicht über die Stränge; ihr Verhalten kann die eheliche Gesinnung des gesunden Ehepartners so beeinträchtigen, daß dem letzteren die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr möglich ist. Scheidung gemäß § 45 EG. ist dagegen nur in seltenen chronischen oder schnell rezidivierenden Fällen möglich.
Psychopathische Persönlichkeiten 1 ) Das Problem der Psychopathen haben wir schon mehrfach berühren müssen (S. 42 ff. u. 149 f.); sie spielen in der forensischen Psychiatrie eine überragende Rolle, weil sie die bei weitem größte Zahl aller Gutachtenfälle ausmachen 2 ). Wir stellen hier noch einmal das Wichtigste zusammen. Psychopathen sind abnorme Persönlichkeiten. Abnorme Persönlichkeiten sind nach der Definition von Kurt S c h n e i d e r angeborene „Variationen, Abweichungen von einer uns vorschwebenden, aber nicht näher bestimmbaren Durchschnittsbreite menschlicher Persönlichkeiten". Der Ausdruck „abnorm" hat hier also nicht die Bedeutung von „krank"; er besagt lediglich, daß jemand in irgendeiner seelischen Beziehung von einem gedachten Durchschnitt abweicht. Er kann dabei durchaus gesund sein, wie etwa ein Schwarzhaariger in einer blonden Bevölkerung von dieser abweicht und insofern zwar abnorm, aber keineswegs deswegen krank ist3). Nicht alle abnormen Persönlichkeiten sind psychopathisch, sondern nur die, „die an ihrer Abnormität leiden oder unter deren Abnormität die Gesellschaft leidet". Zu dieser Begriffsbestimmung ist zu bemerken: Unter „Persönlichkeit" verstehen wir hier die Gesamtheit menschlichen Fühlens und Strebens ohne Berücksichtigung der intellektuellen Funktionen (Auffassungsgabe, Gedächtnisanlagen, besondere Begabungen, Denkfähigkeit); daß das intellektuelle Niveau auch für die Ausbildung der Persönlichkeit in dem hier gemeinten Sinne von Bedeutung ist, braucht dabei nicht besonders betont zu werden. Der Begriff „abnorme Persönlichkeit" kann sehr weit, er kann auch sehr eng gefaßt werden. Bei genauer Untersuchung wird man bei jedem Menschen die eine oder andere Abweichung von einer gedachten Norm feststellen können; man könnte also bei extremer Ausweitung des *) Hierzu namentlich K. S c h n e i d e r , Die psydiopathisdien Persönlichkeiten, 1934. 2 ) Von meinen 450 strafrechtlichen Gutachten betreffen 182 Psychopathen; dazu kommen weitere 35, die mit Schwachsinn und Suchten (außer Alkohol) kombiniert sind. 3 ) J a s p e r s hat recht, wenn er sagt, daß „abnorm" nie eine tatsächliche Feststellung sei, sondern eine Bewertung von verschiedenen möglichen Gesichtspunkten aus: Arterhaltung, Lebensglück, Leistung usw. (Allgem. Psychopathologie, 2. Aufl., S. 315).
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Begriffs sagen, j e d e r Mensch sei irgendwie abnorm. Mit anderen Worten: es kommt darauf an, wie weit wir die „Durchschnittsbreite" der als normal gedachten menschlichen Persönlichkeiten ansetzen wollen. Sobald wir das versuchen, werden wir uns bewußt, daß die Grenze, die wir zwischen normal und abnorm gedanklich ziehen können, in der Wirklichkeit ganz von dem subjektiven Ermessen des Beurteilers abhängt. Sie ist durchaus willkürlich. Auch die Einführung einer wertenden Betrachtungsweise neben der rein quantitativen, die hier verwendet wird, würde an dieser Willkür wenig oder nichts ändern, da jede Wertung wieder vom Standpunkt des Beurteilers abhängt. Der Revolutionär z. B. gilt dem einen als verehrungswürdige Persönlichkeit, dem andern als Lump. Ebenso willkürlich ist es, wenn aus der Fülle der abnormen Persönlichkeiten diejenigen herausgesondert werden, die an ihrer Abnormität leiden oder an deren Abnormität die Gesellschaft leidet. S c h n e i d e r hat diese Auswahl aus praktischen Gründen getroffen: es sind diejenigen abnormen Persönlichkeiten, mit denen der Psychiater berufsmäßig zu tun hat. Dazu kommt ein weiteres Kriterium. Es muß sich um eine a n g e b o r e n e Dauerverfassung handeln. In der Mehrzahl der Fälle wird eine abnorme Persönlichkeits a n 1 a g e vorhanden sein; es ist jedoch möglich, und praktisch ist diese Frage nicht zu entscheiden, daß schon vor der Geburt den Organismus irgendeine Schädlichkeit trifft, deren Folge die abnorme Persönlichkeitsgestaltung ist. Daher sprechen wir nicht von ererbtem, sondern von angeborenem Persönlidikeitsgefüge. Auszuschalten sind daher die der Psychopathie ähnlichen Zustände nach Schizophrenie, nach Encephalitis epidemica, die auch eine andere forensische Beurteilung erfordern. Schließlich ist die Psychopathie eine Dauerverfassung, etwas, was während des Lebens konstant bleibt, wenn man von der natürlichen Entwicklung absieht. Die aus dieser Dauerverfassung entspringenden Reaktionen und krankhaften Entwicklungen werden wir erst im nächsten Kapitel besprechen. Man pflegt nun der leichteren Verständigung halber die Psychopathen in eine Reihe von Typen einzuteilen. Solche Typen lassen sich von verschiedenen Gesichtspunkten aufstellen. So hat G r u h l e eine charakterologisdie Typenlehre aus gewissen Grundeigenschaften psychopathischer Persönlichkeiten abgeleitet, andere Autoren haben dabei mit verschiedenen Schichten, in denen die seelischen Vorgänge ablaufen sollen, gearbeitet. K r e t s c h m e r und E w a l d haben dynamische Typologien aus den verschiedenen Verarbeitungsweisen von Erlebnissen aufgebaut, und schließlich hat K r e t s c h m e r seine bekannte Konstitutionstypologie geschaffen. So wertvoll alle diese Versuche sind, am brauchbarsten für unsere Zwecke hat sich die systemlose Typendarstellung K. S c h n e i d e r s erwiesen, der wir hier deshalb folgen wollen. S c h n e i d e r unterscheidet je nach den am meisten hervor-
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tretenden Eigenschaften 10 Gruppen von Psychopathen, die sich natürlich vielfach überschneiden. Es gibt hier keine scharfen Grenzen; das hervorstechende Merkmal ist als Namensträger gewählt. Es kann mit zahlreichen anderen kombiniert sein. S c h n e i d e r bezeichnet seine Typen als hyperthymische, depressive, selbstunsichere, fanatische, geltungsbedürftige, stimmungslabile, explosible, gemütlose, willenlose und asthenische Psychopathen. Wir bringen sie hier nur, soweit sie forensische Bedeutung haben. 1. H y p e r t h y m i s c h e P s y c h o p a t h e n . Die ausgeglichenen Hyperthymiker sind „fröhliche, nicht selten gütige, betriebsame, nach außen tätige Menschen von unverwüstlichem, durch keine Erfahrung umstoßbaren Optimismus. Aufs innigste hängt damit zusammen, daß sie der Tiefe und Gründlichkeit meist entbehren, unkritisch, unvorsichtig, selbstsicher, leicht bestimmbar und nicht sehr zuverlässig zu sein pflegen" 1 ). Sie gehören in ihrer reinen Form zumeist dem cyclothymen Formenkreise an; sie sind auch meistens Pykniker. In der gesunden Durchschnittsbreite sind sie von K r e t s c h m e r als „geschwätzig Heitere" und „tatkräftige Praktiker" geschildert. Als abnorme Varianten hat er insbesondere den „flott hypomanischen Typ" und den „lästigen Krakeeler" beschrieben. Besonders die letzteren sind oft unbequeme Querulanten; sie lassen sich infolge ihres gehobenen Selbstgefühls nichts gefallen, verbeißen sich aber nicht auf eine Sache. Anders wird es, wenn eine schizoide Komponente dazukommt; die Reihe der „Pseudoquerulanten" geht dann in die der echten fanatischen Querulanten über. Manche Hyperthymiker erscheinen auch haltlos, weil sie sich leicht zu mancherlei Tun hinreißen oder beeinflussen lassen; sie neigen zu Geselligkeit und zum Alkohol und kommen deswegen leicht in Konflikte. Auf Grund ihres Temperaments neigen sie auch zum Renommieren und zum Lügen; in der Kombination mit Schwachsinn kann sich ihre Kritiklosigkeit besonders bemerkbar machen. Unter den Hyperthymen finden sich durchaus wertvolle Persönlichkeiten, aber auch Kriminelle. Beleidigungen, Alkoholdelikte, in der Verbindung mit Neigung zum Aufschneiden und Lügen, Betrügereien und Hochstapelei sind die vorwiegend bei ihnen vorkommenden Delikte. 2. Unter den S e l b s t u n s i c h e r e n sind die sog. Z w a n g s k r a n k e n oder A n a n k a s t e n , wie K. S c h n e i d e r sie nennt, forensisch von Bedeutung, nicht weil sie infolge ihrer Zwangsvorstellungen kriminell werden, sondern weil unwiderstehlicher Zwang öfters als Entschuldigung für Delikte angegeben wird. Es handelt sich um Menschen, bei denen gedankliche Bewußtseinsinhalte mit dem Erlebnis des subjektiven Zwanges auftreten und sich nicht verdrängen lassen, obwohl sie in der Ruhe als unsinnig erkannt werden ( S c h n e i d e r ) . Handlungen, die als Folge solcher Gedanken 4 S c h n e i d e r , 1. c., S. 51.
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auftreten, heißen Z w a n g s h a n d l u n g e n , Befürchtungen, die zu Unterlassungen führen, P h o b i e n . Es ist jedoch bis heute kein Fall bekannt geworden, in dem Zwangsvorstellungen kriminelle Handlungen ausgelöst hätten ( B u m k e ) 1 ) . Man wird daher solchen Behauptungen gegenüber, die namentlich von Sexualverbrechern gern vorgebracht werden, äußerste Skepsis walten lassen müssen. Wir können von einem weiteren Eingehen auf dieses interessante, aber schwierige Gebiet absehen. 3. Wichtiger sind die f a n a t i s c h e n P s y c h o p a t h e n ( K r a e p e 1 i n nennt sie Verbohrte). S c h n e i d e r unterscheidet Kampffanatiker, d. h. Menschen, die ihre überwertige Idee aktiv vertreten, von den „matten" Fanatikern, die mit den ersteren „das extrem einseitige Uberwerten, das Verfechten und Zurschautragen einer Idee gemeinsam haben, aber dabei doch weniger aktiv sind" und auch seltener Angelegenheiten vertreten, deren Inhalt offensichtlich persönlicher Art ist. Dazu gehören einzelne Sektierer, Volksbeglücker und Friedensapostel, „Menschen mit nach außen vertretenen überwertigen Ideen oft phantastischer, überspannter, wirklichkeitsfremder Art". Meist sind sie äußerlich schon an ihrer Kleidung, der Haartracht, der salbungsvollen Sprache zu erkennen. Forensisch wichtiger ist die Gruppe der Kampffanatiker, Menschen, die in zähem, verbissenem Trotz irgendeine Idee, meist mit offensichtlich persönlichem Inhalt verfolgen. Häufig liegt ihrem Verhalten ein wirkliches ihnen zugefügtes Unrecht zugrunde; es ist der „Konflikt des machtlosen Einzelnen mit der allmächtigen Ordnung der Gesellschaft", der die Entwicklung des Querulantentums begünstigt. Es sind sthenische Naturen „mit einer heimlichen Wunde, einem asthenischen Pfahl im Fleisch". Bei den Kampffanatikern handelt es sich vorwiegend um Männer im gereiften Alter; Frauen sind stärker an den matten Fanatikern als erotisch gebundene Anhängerinnen beteiligt. Dieser Anhang, der in der äußeren Erscheinung dem „Herrn und Meister" zu entsprechen pflegt, ist manchmal recht beträchtlich; so erhielt der von R e i ß beschriebene, freilich überwiegend hyperthyme, stark geltungssüchtige Apostel L o u i s H ä u s s e r bei der Reichspräsidentenwahl des Jahres 1925 über 26 000 Stimmen. Beziehungen zu anderen Psychopathentypen sind häufig: durchweg fast findet man ein mehr oder weniger ausgeprägtes Geltungsbedürfnis; Kampffanatiker sind auch oft explosibel. Differentialdiagnostisch kommen namentlich paranoide, zur Schizophrenie gehörige Psychosen in Betracht, von denen sie sich durch die erhaltene gemütliche Ansprechbarkeit, oft auch durch die Art der ersten Wahnbildung unterscheiden. Zur Begutachtung kommen diese Typen, namentlich die Kampffanatiker, weil sie durch ihre fortgesetzten Quengeleien lästig ]
) Lehrbuch, 4. Aufl., S. 184.
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werden, so daß Entmündigungsanträge die Folge sind. Strafrechtlich sind es Beleidigungsklagen, gelegentlich auch Gewaltakte, die sie vor Gericht führen. 4. G e l t u n g s b e d ü r f t i g e P s y c h o p a t h e n . Das Geltungsbedürfnis ist ein weit verbreiteter Charakterzug. In der Breite der Norm tritt es auf als das Bedürfnis nach Anerkennung des wirklich Geleisteten; abnorm wird es, wenn ein Mißverhältnis zwischen Anspruch und Leistung auftritt. Dann wird die Bedeutung der eigenen Leistung über Gebühr hervorgehoben, die guten Beziehungen zu einflußreichen Leuten betont, die Stellung des Vaters, die Begabung der Kinder wird ins rechte Licht gerückt. Hier ist schon angedeutet vorhanden, was den Grundzug aller Geltungsbedürftigen bildet: vor sich und anderen mehr zu scheinen, als man ist. „An Stelle des ursprünglichen echten Erlebens mit seinem natürlichen Ausdruck tritt ein gemachtes, geschauspielertes, erzwungenes Erleben; aber nicht bewußt .gemacht', sondern mit der F ä h i g k e i t (der eigentlich hysterischen Begabung) g a n z im eigenen Theater zu leben, im Augenblick g a n z dabei zu sein, daher mit dem Schein des Echten" . . . „Um sich ihrer Bedeutung gewiß zu sein", müssen sie „immer eine R o l l e spielen, sie suchen sich überall interessant zu machen, selbst auf Kosten ihres Rufes und ihrer Ehre; sie sind unglücklich, wenn sie auch nur kurze Zeit unbeachtet, unbeteiligt sind, weil sie sich sofort ihrer Leere bewußt werden" 1 ). Diese Rolle spielen sie nun in verschiedener Weise: durch exzentrisches Wesen, durch selbstgefälliges Aufschneiden, übertreiben, Prahlen und namentlich durch pseudologische Erfindungen. Dieser Typ, der auffallendste unter ihnen, verfügt über eine gewisse Einbildungskraft und Aktivität. Während der reine Phantast den Wert der Welt für sich verfälscht, verfälscht der Pseudologist seinen Wert für die Umwelt 2 ). Diese Menschen spielen oft mit unleugbarem Geschick ihre Rollen. So sah L a n g e einen Sdilosser, der, nachdem er durch vorgetäuschte, glänzend nachgeahmte epileptische Anfälle sich die nötige Krankenhauserfahrung angeeignet hatte, schließlich als Arzt auftrat, als solcher vertretungsweise ein Krankenhaus leitete, sich dann in einer Mittelstadt niederließ und dort monatelang am Stammtisch mit dem Kreisarzt und den Ärzten einer Heil- und Pflegeanstalt zusammensaß, bis ihn schließlich, nachdem er morphinsüchtig geworden war, sein Schicksal ereilte 3 ). Ich selbst sah während des letzten Krieges zwei angebliche Medizinstudenten in höherem Semester. Der eine hatte in München auf Grund gefälschter Zeugnisse studiert, hatte sogar Kolleggeldbefreiung erhalten, hatte später an einer Frauenklinik famuliert und trat auch in dem von mir geleiteten Reservelazarett als Examenskandidat auf, bis er mir in einer gegen ihn laufenden Disziplinarsache durch seinen eigentümlich verschrobenen Stil ') J a s p e r s , Allgemeine Psychopathologie, 2. Aufl. 1920, S. 314. ) K r o n f e l d , zitiert bei S c h n e i d e r , 1. c. 3 ) L a n g e - B o s t r o e m , Lehrbuch, S. 227.
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und seine nicht ganz einwandfreie Beherrschung der deutschen Grammatik auffiel. Er war schon vorher mit 18 Monaten Gefängnis wegen seiner Schwindeleien bestraft worden. Der zweite, ein Drogist, war ein intelligenter Junge, der in einem anderen Lazarett schon kleine Operationen selbständig ausgeführt hatte und der auch bei uns brauchbare neurologische Befunde lieferte, bis der Verdacht, daß er sich an Rauschgiften vergreife, uns zu einer Nachprüfung veranlaßte. Eine sehr schöne Beobachtung stammt von G ö r i n g 1 ) : ein Mann aus krimineller und psychopathischer Familie verstand es ausgezeichnet, Krankheiten zu simulieren; er spielte Graf und Erzherzog, beging besonders Darlehnsschwindeleien, reiste einmal mit seinen Gläubigern nach Wien, wo er ihnen in der Hofburg weinend die Zimmer zeigte, in denen er früher angeblich gewohnt hatte. Auch als «päpstlicher Dogmatiker" und als Oberleutnant bei einer Kontrollversammlung trat er auf. Schließlich sei ein Fall von B u m k e 2 ) angeführt: Der Herausgeber der ersten deutschen Zeitschrift für Kriminalanthropologie hatte ohne jeden geldlichen Vorteil als ,Dr. iur. et phil.' ein Jahr lang neben den Arbeiten der hervorragendsten Juristen und Kriminalanthropologen gute eigene Kritiken veröffentlicht, bis herauskam, daß er bis dahin nur in seiner Eigenschaft als Strafgefangener mit der Rechtspflege in Berührung gestanden hatte.
Manche Autoren, so A s c h a f f e n b u r g , J a s p e r s , Z i e h e n , meinen, daß diese Menschen selbst ihre Lüge glauben. Nach meinen Erfahrungen dürfte das kaum einmal vorkommen; in manchen Fällen mag es jedoch nahe heranreichen. Der oben erwähnte Patient G ö r i n g s sagte: „Wenn ich ein Erzherzog bin, dann bekomme ich schon die Haltung, da mache ich nichts fälsch, da wache ich als Erzherzog auf, und gehe ich schlafen, da glaube ich fest, daß ich einer bin." In der Mehrzahl der Fälle dürfte K r a e p e l i n recht haben, wenn er sagt: „Die Kranken wissen wohl, daß sie den Boden der Wirklichkeit verlassen, aber aus Lust am Fabulieren spinnen sie ihren Stoff eifrig weiter, ohne sich über ihr Treiben Rechenschaft zu geben.* „Es ist", wie S c h n e i d e r sagt, „in der Tat wie bei spielenden Kindern — es ist eigentlich sinnlos, hier zu fragen, ob sie .glauben', daß sie Mutter, Lehrer oder Soldat sind." In vielen Fällen wird nun die Fähigkeit, geschickt zu lügen, zu kriminellen Handlungen ausgenützt: Betrügereien und Schwindeleien von der Zechprellerei über den Heiratsschwindel bis zur Hochstapelei sind die diesen Menschen adäquaten Delikte. Meist handelt es sich um Männer; es sind jedoch auch Frauen beteiligt, die durch falsche Anschuldigungen, namentlich durch phantasievolle Erzählungen von Verführungen und Entführungen gefährlich werden können. Auch Selbstbezichtigungen kommen vor. 5. S t i m m u n g s l a b i l e P s y c h o p a t h e n sind Menschen mit einer „periodischen, endogen getragenen Neigung zu gesteigerten und vermehrten depressiven Reaktionen, und zwar von mürrischer und gereizter Art". Während beim Normalen der gleichmäßige Stima
Z. Neur. 1, 1910, S. 251. ) Lehrbuch, S. 212.
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mungshintergrund, aus dem heraus alle gemütlichen Regungen entstehen und zu dem sie wieder zurückschwingen, Kennzeichen der gereiften Persönlichkeit ist, unterliegt die Stimmung dieser Psychopathen Veränderungen, die aus ihrem Erleben nicht ableitbar sind. Die Folge davon ist, daß an manchen Tagen minimale Reize eine überstarke Reaktion auslösen können, während an anderen Tagen alles ertragen wird. Auf der Grundlage solcher Stimmungsschwankungen kommt es dann zum Fortlaufen, zu periodischen Trinkexzessen (Dipsomanie), zu sachlich unbegründetem Aufgeben der Stellung, zu unsteter Lebensführung, bei explosiblen Stimmungslabilen zu Affekthandlungen usw. Manche Autoren nehmen Beziehungen zur Epilepsie an und sprechen von epileptoiden Psychopathen. Sicher kann das Fortlaufen und das Periodentrinken Symptom einer Epilepsie sein; in vielen Fällen ist jedoch nichts von Verwandtschaft zu bemerken. Forensisch sind Affekthandlungen, und beim Fortlaufen Gelegenheitsdiebstähle zu erwarten. 6. E x p l o s i b l e P s y c h o p a t h e n . Dieser Typ ist anscheinend in Süddeutschland häufiger als in Nordwestdeutschland. Unter den in der Münchener Klinik beobachteten Psychopathen zählte K r a e p e 1 i n ein Drittel Erregbare, wie er sie nennt, unter ihnen mehr Frauen als Männer. Unter den letzteren waren die Hälfte Alkoholiker. In Hamburg schien mir ihr Anteil an den Psychopathen wesentlich geringer zu sein. Bei sonst durchaus verschiedener Charakteranlage werden diese Menschen durch ihre Unfähigkeit, ihre Erregungen zu dämpfen, durch ihre Entladungsbereitschaft nach außen zusammengehalten. Sie brausen schon beim geringsten Anlaß auf, schlagen ohne jede Überlegung zu, werfen Sachen kaputt, machen in ihrer Wut auch Selbstmordversuche. Man bezeichnet ihre Art der Reaktion als „Kurzschlußhandlung". Meistens handelt es sich um jüngere Menschen, die deswegen in Behandlung kommen; dabei spielt der Alkohol, der gerade bei ihnen besonders schädlich ist, eine Rolle. Auch hysterische Krampfanfälle werden nicht selten bei ihnen beobachtet. Beleidigungen, Sachbeschädigung, Widerstand, Körperverletzung sind die für sie typischen Delikte. Besondere Schwierigkeiten hatten diese Menschen bei der Wehrmacht, wo sie sich durch Achtungsverletzung, Gehorsamsverweigerung, tätliche Angriffe gegen Vorgesetzte, namentlich unter Alkoholwirkung, strafbar machten. Sie sind auch in der Ehe schwierig und oft ungeeignet zur Erziehung von Kindern. 7. G e m ü t l o s e P s y c h o p a t h e n . Diese Gruppe ist forensisch besonders wichtig, weil sie die aktiven Gewohnheitsverbrecher enthält. Die gemütliche Ansprechbarkeit der Menschen ist sehr verschieden: es gibt Menschen, die außerordentlich leicht ansprechen, die gleich mit jedermann gut Freund sind, sich leicht für alles mögliche begeistern — die Nachhaltigkeit der Begeisterung pflegt dann
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nicht allzu groß zu sein —; es gibt andere, die schwerer warm werden, denen die Strohfeuerbegeisterung fremd ist, die aber, wo sie sich packen lassen, dauernde gemütliche Beziehungen aufrecht erhalten; anderen fehlt jede Möglichkeit, gemütlich mitzuschwingen; es sind „freud- und humorlose, eiskalte Verstandes- und Willensmenschen" ( B u m k e ) , die ihre keineswegs immer egoistischen Ziele rücksichtslos verfolgen und meist auch erreichen; und es gibt schließlich Menschen, denen jedes Gefühl für gut und böse, für Ehre und Schande, für Strafe und Belohnung abgeht. Diese beiden Gruppen nennt S c h n e i d e r gemütlos. In ihnen sind die G e s e l l s c h a f t s f e i n d e K r a e p e l i n s enthalten und das, was man auch als m o r a l i s c h e n S c h w a c h s i n n , als m o r a l i n s a n i t y bezeichnet. Es liegt bei ihnen ein ausgesprochener Defekt vor; dabei kann die Intelligenz durchaus normal sein, häufiger liegt jedoch gleichzeitig ein mehr oder weniger deutlicher Schwachsinn vor. Diese seelische Mißbildung pflegt sich schon in verhältnismäßig frühem Alter bemerkbar zu machen: es sind die Kinder, die gern Tiere quälen, die die Schule schwänzen, die keine Freunde haben, weil sie sich in eine Gemeinschaft schlecht oder gar nicht einfügen können, weil sie Geschwister und Kameraden, wo sie können, verspotten und schädigen. Freilich muß man gerade bei der Beurteilung von Kindern vorsichtig sein, da fast alle Kinder aus Unverständnis oder aus Neugier grausam sein können. Sie kennen noch keine altruistischen Gefühle. „Alles das ist Schwindel und Getue", sagte ein junger Mann aus gutem Hause zu B u m k e , „die Leute machen sich nur etwas vor; kein Mensch handelt außer aus Egoismus; auch meine Eltern denken nicht daran, mich liebzuhaben; sie wollen nur damit protzen, wenn aus mir etwas wird." Diese Menschen sind meist schwer erziehbar; vielfach kommen sie in Fürsorgeerziehung, werden früh kriminell und oft rückfällig. Auch Strafen machen keinen Eindruck auf sie. Roheitsdelikte, Eigentumsvergehen aller Art, Kapitalverbrechen sind bei ihnen häufig. 8. Forensisch wichtig sind schließlich noch die W i l l e n l o s e n oder, wie sie meistens genannt werden, die H a l t l o s e n . Diese Menschen sind wie das Rohr im Winde: sie unterliegen jedem Einfluß von außen und von innen; sie leisten weder Verführungen durch andere noch ihren eigenen Wünschen Widerstand und sind deshalb in hohem Grade unzuverlässig. In Anstalten sind sie leicht lenkbar, musterhaft, oft gute Arbeiter; doch fehlt es ihnen an Ausdauer. Vor allen Schwierigkeiten versagen sie; schon den Anforderungen des taglichen Lebens sind sie nicht gewachsen. Auch guten Einflüssen sind sie zugänglich, Umweltfaktoren sind für sie von besonderer Wichtigkeit. Doch tritt die Beeinflußbarkeit nach der ungünstigen Seite, ihr ständiges und immer wiederholtes Versagen stärker hervor. Man sieht sie meist in jüngeren Jahren; mit zunehmendem Alter tritt eine Nachreife ein, so daß sie im Alter über etwa 30 Jahren seltener werden. Wenn es gelingt, sie ohne gröbere
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Entgleisungen bis dahin durchzubringen, hat man gewonnenes Spiel. Man findet diese Typen vielfach mit anderen kombiniert. Willensschwach sind öfters die Hyperthymiker, manchmal auch die Explosiblen, die Stimmungslabilen und insbesondere die pseudologischen Geltungsbedürftigen. Außerordentlich leicht verfallen sie dem Alkohol; werden sie nach längerem Anstaltsaufenthalt entlassen, so enden sie gelegentlich schon in der ersten Kneipe, an der sie voibeikommen. Audi das Zusammentreffen mit Intelligenzmängeln ist häufig; das erschwert ihr Leben, weil sie die jeweilige Situation nicht richtig beurteilen und weil ihnen Gegenmotive, die dem Intelligenten zur Verfügung stehen, fehlen. Sie sind im allgemeinen, mindestens in ihrer reinen Form, keine aktiven Verbrecher; doch sind sie oft Mittäter; Diebstähle, Betrügereien, Unterschlagungen sind bei ihnen die häufigsten Delikte. über die V e r a n t w o r t l i c h k e i t der Psychopathen sagt Kurt S c h n e i d e r , da psychopathische Persönlichkeiten keine kranken Menschen, sondern diarakterologische Spielarten seien, könne eine Exculpierung grundsätzlich nicht stattfinden, es sei denn, daß Kombinationen mit höheren Schwachsinnsgraden oder Bewußtseinstrübungen vorlägen. Dieser Standpunkt, dem, soweit ich sehe, wohl alle ernst zu nehmenden Psychiater zustimmen, ist auch der meinige. Die Frage ist nur: kann man den Absatz 2 des § 51 StGB, anwenden? W i l m a n n s meint, daß nicht verminderte Zurechnungsfähigkeit, sondern volle Zurechnungsfähigkeit bei verminderter Schuld vorliege. Ich habe zu dieser Frage bereits früher (S. 42 ff.) Stellung genommen und kann daher auf die dortigen Ausführungen verweisen. Als Ergebnis derselben will ich hier nur kurz wiederholen, daß nach meiner Uberzeugung manche dieser charakterlichen Abartigkeiten so schwer sind, daß man ihnen Krankheitswert im Sinne des Gesetzes zuerkennen kann und muß 1 ). Eine andere Frage ist, ob man aus der Zubilligung des § 51 Abs. 2 StGB, eine Strafmilderung ableiten soll. Das sollte man bei den Erstverbrechern tun, vorausgesetzt, daß es sich um Delikte handelt, die mit der Möglichkeit einer späteren besseren Führung rechnen lassen. Uberall da jedoch, wo mit einer solchen Besserung nicht zu rechnen ist, namentlich also bei den gemütlosen Gewohnheitsverbrechern, wäre Milde verfehlt; hier muß man die Sicherung der Allgemeinheit in den Vordergrund stellen. Psychopathische Verbrecher, die im gewöhnlichen Strafvollzug gehalten werden können, sind besser in Sicherungsverwahrung unterzubringen als in Heil- oder Pflegeanstalten 2 ). Anders sind die vielfach auf psychopathischer Grundlage erwachsenen abnormen seelischen Reaktionen zu beurteilen, die im nächsten Kapitel besprochen werden sollen. Eine dem Einzelfall angepaßte 1 ) Die Wehrmacht kannte eine „seelische Abartigkeit mit Krankheitswert", bei der Wehrdienstunfähigkeit angenommen wurde.
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) Siehe dazu S. 66 f.
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Beurteilung verdienen auch die schwachsinnigen Psychopathen, die Affekthandlungen, die sich ins Krankhafte steigern können und zu Bewußtseinsstörungen führen können, die unter Alkoholwirkung begangenen Delikte und schließlich Vergehen, die mit körperlichen Krankheiten erschöpfender Art in Zusammenhang gebracht werden können. Auch der seelisch Rüstige reagiert unter dem Einfluß solcher Erkrankungen anders; namentlich sind Affekthandlungen in solchen Zuständen häufiger1). Daß Pseudologisten als Zeugen unbrauchbar sind, bedarf keiner näheren Begründung; aber auch andere Typen verfügen oft über nur geringe Selbstkritik, so daß ihre Aussage recht fehlerhaft sein kann. Das muß von Fall zu Fall entschieden werden. Die Geschäftsfähigkeit von Psychopathen ohne gleichzeitigen erheblichen Schwachsinn ist nie aufgehoben; höchstens kommen vorübergehende Störungen im Sinne des § 105,2 BGB. in Betracht. Dagegen ist öfters die Entmündigung geboten. Sie ist nützlich für manche Hyperthymiker, Geltungsbedürftige, Stimmungslabile und namentlich für die Willenlosen (Haltlosen). Bei den letzteren tut man gut, die Entmündigung schon vor dem Erreichen der Altersgrenze durchzuführen; sie wird dann weniger unangenehm empfunden. Für eine etwaige Auflösung der Ehe spielt die Psychopathie sicherlich eine überragende Rolle; doch hat der Psychiater nur ausnahmsweise damit zu tun. Die Aufhebung der Ehe aus § 32 EG. scheint mir in manchen Fällen möglich, die Anwendung des § 44 EG. dagegen nur in Verbindung mit Alkohol oder dergleichen. Eine Scheidung gemäß § 45 EG. kommt m. E. nicht in Betracht.
Abnorme Reaktionen und Entwicklungen Auf der Grundlage psychopathischer Persönlichkeitsstrukturen entstehen manchmal bei besonderen Erlebnissen verständliche, aber in ihrer Qualität, Intensität und Dauer über das Gewöhnliche hinausgehende und daher abnorme Reaktionen, die in seltenen Fällen zu systematischer Wahnbildung führen können. Auch der Gesunde wird durch schmerzliche Erlebnisse in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt, auch der in sich geschlossene Mensch wird, wenn er sich irgendwie blamiert hat, ein beschämendes Gefühl haben. Solche Erlebnisse werden nun von psychopathischen Persönlichkeiten in verschiedener Weise verarbeitet. Depressive Psychopathen reagieren auf traurige Erlebnisse mit Verstimmungen, die nach Intensität und Dauer weit über das gewöhnliche Maß hinausgehen; aber auch andere Typen reagieren auf unliebsame Erlebnisse, etwa Enttäuschungen im Beruf, in der Ehe mit Depressionen, die namentlich bei Geltungsbedürftigen ]) Ich konnte das an mir selbst nach einer eingreifenden Operation beobachten.
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mit demonstrativen Zügen gemischt sind. Nicht selten sind dann Selbstmordversuche, die jedoch nicht ernst gemeint sind. Selten kommt es zu kriminellen Handlungen.
Ich sah eine Frau, die mit einem ordentlichen aber einfachen Manne verheiratet war, der ihrem Geltungsbedürfnis nicht genügte und der ihre Tätigkeit nicht so anerkannte, wie sie das erwartete und beanspruchte. In einer unecht wirkenden Depression beschloß sie, sich das Leben zu nehmen, kaufte zu diesem Zwecke eine Pistole, die sie, da man ihr zunächst eine Schreckschußpistole gegeben hatte, gegen eine andere umtauschte. Eines Morgens trat sie damit ins Zimmer, in dem ihr Mann Zeitung lesend saß, um sich in seiner Gegenwart zu erschießen. Als sie ihn sah, packte sie jedoch der Zorn, und sie gab aus nächster Nähe einen Schuß auf ihn ab, der auch traf, aber keinen nennenswerten Schaden anrichtete. weil auch diese Pistole kein allzugefährliches Instrument war.
Dieser Fall, der manche theaterhafte Züge aufwies, führt uns zu den h y s t e r i s c h e n R e a k t i o n e n . Früher sprach man von einer Krankheit „Hysterie". Eine solche in sich abgeschlossene Krankheit gibt es jedoch nicht. Durch seelische Erlebnisse werden körperliche Vorgänge mehr oder weniger beeinflußt. Wenn jemand etwa beim Anblick der ersten Operation ohnmächtig wird, so ist das lediglich seelisch bedingt; wir sprechen aber in einem solchen Falle nicht von hysterischer, sondern von psychogener Reaktion. Hysterisch nennen wir es dagegen, wenn jemand, der infolge eines Schreckens zitterte, dieses Zittern fortsetzt, etwa um eine Entschädigung zu erhalten. Bei der hysterischen Reaktion spielt also eine Tendenz, die Verfolgung eines Zweckes eine Rolle. Um etwas zu erreichen, und sei es auch nur zur Befriedigung seines Geltungsbedürfnisses, macht der Betreffende sich und anderen Theater vor. Am bekanntesten ist der h y s t e r i s c h e A n f a l l . Dieser unterscheidet sich vom epileptischen Anfall in vieler Beziehung: er beginnt nach Gemütserregungen irgendwelcher Art, stets in Gegenwart anderer; der Kranke steigert sich allmählich in ihn hinein, er fällt vorsichtig, ohne sich zu verletzen, zu Boden. Die krampfhaften Bewegungen haben nicht den primitiven Charakter des epileptischen Anfalls; sie bestehen in Umsichschlagen, Strampeln, Sichaufbäumen (arc de cercle), Wälzen usw. Häufig muß der Kranke festgehalten werden. Die Gesichtsfarbe ist gerötet. Das Bewußtsein bleibt erhalten, ist höchstens getrübt. Die Dauer der Anfälle beträgt selten nur wenige Minuten, in der Regel längere Zeit, manchmal Stunden. Die Pupillenreaktion ist erhalten, pathologische Reflexe fehlen. Der Anfall endet wegen Erschöpfung oder mit theatralischem Aufwachen. Hinterher wird er vom Kranken in seiner Bedeutung übertrieben. Während man beim epileptischen Anfall den Eindruck eines unbeeinflußbar ablaufenden Naturereignisses hat, wirkt der hysterische Anfall zweckbedingt, theaterhaft. Außer dem Anfall werden alle möglichen körperlichen Erscheinungen wie Erbrechen, Zittern, Einnässen, Lähmungen u. a. mehr produziert; zu solchen Reaktionen gehören schließlich hysterische Langelflddeke,
Gerichtliche Psychiatrie.
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Delirien und Dämerzustände. Diese Zustände geben nur recht selten Anlaß zu psychiatrischer Begutachtung. Früher sah man sie öfters einmal in der Haft auftreten; der Hinweis, daß verminderte Zurechnungsfähigkeit einen Anstaltsaufenthalt von unbestimmter Dauer nach sich ziehen könne, bringt derartige Erscheinungen fast immer sehr schnell zum Schwinden, da eine befristete Strafe meist vorgezogen wird. Es gibt jedoch, wenn auch selten, Zustände dieser Art, bei denen wegen stärkster Beteiligung des Affekts das Bewußtsein getrübt sein kann. J a c o b i 1 ) hat einen 25jährigen Mann beschrieben, bei dem im Anschluß an eine spiritistische Sitzung, in der er aufregende Nadirichten erhielt, ein hysterischer Dämmerzustand auftrat. J a c o b i lehnte es ab, diesen Zustand als Körperverletzung oder Verfall in Geisteskrankheit zu beurteilen; das Wesentliche für das Zustandekommen des Dämmerzustandes sei die neuropathische Konstitution, die spiritistische Sitzung sei nur als auslösendes Moment zu werten. Forensisch wichtiger sind die paranoischen Reaktionen und Entwicklungen 2 ), weniger wegen ihrer Häufigkeit, die nur gering ist, als wegen des beträchtlichen Aufwandes an Zeit, Geduld und Arbeitskraft, die jeder einzelne Fall erfordert. Es handelt sich um den Q u e r u l a n t e n w a h n und den sogenannten s e n s i t i v e n B e z i e h u n g s w a h n . Wir beginnen mit dem letzteren als mit dem forensisch weniger wichtigen. Es handelt sich dabei um weiche, skrupelhafte, schwerlebige Menschen, die bei einer gewissen Selbstunsicherheit doch wieder einen lebhaften Ehrgeiz und eine hohe Selbsteinschätzung haben, eindrucksfähige Menschen, die ihre Erlebnisse nachhaltig verarbeiten, aber unfähig sind, sie nach außen abzureagieren. Kleine Verfehlungen harmloser Art, namentlich Onanie, die erotischen Wünsche alternder Mädchen, dienstliche Versehen führen zu Selbstvorwürfen. Das Gefühl der beschämenden Insuffizienz läßt sie Vorgänge in der engeren und weiteren Umgebung auf sich beziehen; allmählich entwickelt sich daraus ein systematisierter Wahn, der jedoch vor anderen sorgfältig verborgen wird, bis eines Tages die Affektstauung durchbrochen wird und es zu Handlungen kommt, die den Kranken zum Arzt oder — in seltenen Fällen —• vor das Gericht führen. Am bekanntesten ist der Fall des Hauptlehrers W a g n e r geworden, den G a u p p beschrieben hat'). W a g n e r h a t t e sich im Alter v o n 27 J a h r e n , o h n e daß j e m a n d e t w a s d a v o n ahnte, sodomistisch v e r g a n g e n . Unter h e f t i g e n Gewissensbissen ent1) D. Z. g . M . 6, 1925, S. 248. 2 ) Siehe dazu namentlich K o 11 e , Die p r i m ä r e Verrücktheit, Leipzig 1931 u n d A r d i . Psychiatrie 95, 1931. Ferner K r e t s c h m e r , Der sensitive Bez i e h u n g s w a h n , 2. Aufl., Berlin 1927; Joh. L a n g e , Die P a r a n o i a f r a g e in A s c h a f f e n b u r g s Handbuch, 1927. ä ) Zur Psychologie des M a s s e n m o r d e s , Berlin 1914; f e r n e r Z. N e u r . 60, 1920 und 69, 1921, J a h r b ü c h e r der C h a r a k t e r o l o g i e 2, 1926, S. 199.
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wickelte sich bei ihm im Anschluß an die Tat ein Beziehungswahn: er glaubte sich beobachtet, verlacht und verhöhnt, lebte in ständiger Angt, verhaftet zu werden. Eine Versetzung brachte kurze Besserung; doch hörten die quälenden Gedanken nicht auf. In einem „grauenvollen Produkt von Selbstverdammnis, Verzweiflung, Haß und Rachsucht", die auf dem Wahne beruhten, daß die Mühlhäuser Bürger in schadenfrohem Spott und Hohn von seiner Untat nach der neuen Stelle berichtet hätten, entschloß er sich, seine Familie und seine vermeintlichen Feinde zu vernichten, über 6 Jahre trug er diesen Plan mit sich herum, bis er ihn im Jahre 1913, 12 Jahre nach seiner Verfehlung, ausführte. Er brachte zunächst Frau und Kinder um, fuhr dann nach Mühlhausen, steckte das Dorf an mehreren Stellen in Brand und erschoß von den herauslaufenden Bewohnern 8, während er 12 schwer verletzte. Erst dann gelang es, ihn zu überwältigen. Jetzt erst wurde seine Erkrankung bemerkt, die zu seiner Exculpierung führte.
Im allgemeinen ist die sthenische Komponente bei Sensitivparanoikern weniger ausgeprägt. Sie führt uns hinüber zum Q u e r u l a n t e n w a h n , der sich gerade durch sthenische Züge auszeichnet. Die Grenzen dieser Erkrankung gegenüber dem Gesunden sind durchaus fließend. Audi unter gesunden Menschen gibt es rechthaberische und kampflustige Vertreter. In der Tat hat man das Gefühl der Genugtuung und der Steigerung der Selbsteinschätzung, wenn man irgend etwas gegen Widerstand, namentlich von höheren Instanzen durchgesetzt hat. Manchen macht es auch Spaß, Prozesse zu führen. Bei den Querulanten sind diese Eigenschaften mit anderen gekoppelt: sie sind kampfeslustig, selbstbewußt und aktiv, halsstarrig, fanatisch, unbelehrbar, dialektisch gewandt, aber zugleich verwundbar. „Ein übertriebenes Ehr- und Rechtsgefühl gibt ihnen gesetzmäßig das Stichwort zum Kampf" (B u m k e). Dieser Kampf kann sich auf verschiedenen Gebieten abspielen: ein im Dienst erlittenes Unrecht, ein abgeschlagenes Rentenbegehren, ein Eingriff der Stadtverwaltung, ein Unterliegen im Rechtsstreit kann ihn heraufbeschwören. In leichteren Fällen werden alle Instanzen durchlaufen, vielleicht kommt von Zeit zu Zeit eine Eingabe, mit deren abschlägiger Bescheidung die Sache für eine Weile erledigt ist. In anderen Fällen aber entwickelt sich rasch die unerschütterliche Überzeugung im Recht zu sein, und aus dem immer vorhandenen Gefühl für das eigene Recht dann auch der Wille, diesem Recht auf jeden Fall zum Siege zu verhelfen. Dieses Ziel wird mit Verbissenheit verfolgt und schließlich zum eigentlichen Lebensinhalt. Dabei kontrastiert das Gefühl für das eigene Recht in merkwürdiger Weise mit völliger Verständnislosigkeit für das Recht anderer. Auch Gesunde sind manchmal mit Entscheidungen der Gerichte nicht einverstanden, sie haben ein gewisses Mißtrauen, ob sie auch wirklich ihr Recht finden werden. D i e s e Menschen aber sehen in Urteilen, die ihnen nicht zusagen, sehr bald Methode und Absicht: man will sie schädigen, vernichten, Richter und Anwälte sind bestochen, der eigene Rechtsanwalt versteht nichts, er befolgt nicht die Instruktionen, die man 22-
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Spezielle gerichtliche Psychopathologie
ihm gibt, er ist mit den anderen im Komplott. Ein Wechsel des Anwalts führt auch zu nichts; wenn die Klagen erfolglos bleiben, so weitet sich das Komplott, es werden Angehörige, Zeugen, Gerichte bis zu den höchsten Instanzen einbezogen. Da man sich nicht alles gefallen lassen kann, da es nach Korruption stinkt, muß man mit der Faust auf den Tisch schlagen, den Leuten einmal eindeutig die Wahrheit sagen, ihnen die Maske vom Gesicht reißen; das führt dann zu Beleidigungen, zu Klagen gegen sie, zu Verurteilungen, die nun wieder als schweres Unrecht empfunden werden. Außerhalb des Wahnes ist das Denken und Urteilen dieser Kranken durchaus sachlich und verständig, so daß sie gesund erscheinen können, soweit es sich eben nicht um ihre Rechtssache handelt. Die forensische Beurteilung ist außerordentlich schwierig. Handelt es sich um querulierende Psychopathen, so wird man den § 51 StGB, nicht anwenden können. Doch sind die Grenzen zur Wahnbildung fließend, und bei diesen auf der Grenze stehenden Querulanten wird auch der Sachverständige in seinem Urteil oft schwanken. In meine Überlegungen spielt in solchen Fällen, die glücklicherweise nicht sehr häufig sind, die Frage der Behandlung hinein. Hat es einen Sinn, einen solchen Menschen ins Gefängnis zu schicken? Wird ihn eine Strafe von weiteren Verfehlungen abhalten? Oder erscheint es zweckmäßiger, ihn in einer Anstalt unterzubringen und zu versuchen, ihn dort zu beruhigen? Ist das letztere der Fall, so pflege ich mich für die Anwendung des § 51 StGB, zu entscheiden, dann natürlich auch für die Einweisung gemäß § 42 b StGB. Daß bei ausgesprochenem Wahn Zurechnungsunfähigkeit vorliegt, ist selbstverständlich. Ganz besondere Verhältnisse liegen vor, wenn es sich nicht um Delikte handelt, die mit dem Wahn des Kranken zusammenhängen, wenn also etwa ein Mann, der früher wiederholt Diebstähle begangen hat, der später an Querulantenwahn erkrankt ist, in altgewohnter Weise wieder stiehlt. Diese Menschen sind es, die das Problem der partiellen Zurechnungsfähigkeit auftauchen ließen, das im allgemeinen Teil bereits behandelt worden ist (S. 39 ff.). Dort ist auch ein von B o n h o e f f e r berichteter Fall erwähnt. Gerade beim Querulantenwahn, der das nicht unmittelbar mit der Sache zusammenhängende Denken frei läßt, scheint mir die Annahme einer partiellen Zurechnungsfähigkeit durchaus möglich. Bei dieser Sachlage kann auch Geschäftsunfähigkeit nicht immer bejaht werden; es kann jemand seinem Beruf, seinen wirtschaftlichen Geschäften in durchaus einwandfreier Weise gerecht werden; er kann alles, was damit zusammenhängt, klar, nüchtern, überlegt regeln; er versagt nur, sobald es sich um „seine Rechtssache" handelt. Dabei kann dann die Frage der partiellen Geschäftsunfähigkeit aufgeworfen werden. In manchen Fällen ist die Entmündigung erforderlich, damit der Kranke nicht seine wirtschaftliche Existenz zerstört. Freilich gibt
Abnorme Reaktionen und Entwicklungen
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die Entmündigung auch wieder Stoff für die Ausbildung des Wahns. Mit einer Pflegschaft kommt man jedoch in solchen Fällen nicht aus. Zur Ehescheidung oder -aufhebung führt der Querulantenwahn höchst selten. In der Mehrzahl der Fälle ist der Ehepartner, meistens die Ehefrau, induziert und vom Recht des andern ebenso überzeugt wie dieser selbst. In den wenigen Fällen, in denen es anders ist, in denen die Ehefrau blutenden Herzens und ohne irgend etwas dagegen tun zu können, mit ansehen muß, wie der Kranke sich immer tiefer in seine Ideen verstrickt, kommt es höchstens dann zu einer Scheidungsklage, wenn die Ehefrau (oder der Ehemann) mit in das Wahnsystem einbezogen wird. Daß in solchen Fällen von einer geistigen Gemeinschaft nicht mehr die Rede sein kann, liegt auf der Hand. Ich habe aber bisher einen solchen Fall noch nicht erlebt.
Erklärung von Fachausdrücken Ursachenlehre, auch einfach Ursache. Unfähigkeit zu erkennen, obwohl die Sinnesorgane intakt sind. Eiweißart. Albumin Erinnerungslosigkeit, Erinnerungslücke ¡ retrograde A. Amnesie Erinnerungslücke, die auch eine vor dem die A. auslösenden Ereignis liegende Zeitspanne umfaßt, schmerzlos machend, schmerzherabsetzend. anästhesierend Vorgesdiidtite. Anamnese Unfähigkeit zu sprechen, obwohl die Muskeln etc. inAphasie takt sind. Apraxie Unfähigkeit zu handeln, obwohl die Muskulatur intakt ist. Schwund. Atrophie ein dem epileptischen Anfall öfters vorausgehendes Aura kurzes Stadium mit allerlei Sensationen auf verschiedenen Sinnesgebieten. heißen Gewebe, die zu basischen Anilinfarbstoffen eine basophil besondere Affinität haben. Veitstanz; Ch. minor auf infektiöser Grundlage, Ch. Chorea maior oder Huntington auf erblicher Grundlage. Commotio (cerebri) Hirnerschütterung. Contusio (cerebri) Hirnquetschung. Debilität leichter Grad von Schwachsinn. Dépravation Verschlechterung, Absinken (der Moral), periodisch auftretender Trinktrieb, Dipsomanie vom harmonischen Körperbau abweichend. dysplastisch Hirnentzündung. Encephalitis Encéphalographie Röntgenaufnahme des Gehirns nach vorheriger Luftfüllung der Hirnhöhlen. Eklampsie gefährliche Komplikation der Schwangerschaft mit epilepsieähnlichen Anfällen, endogen anlagebedingt. endokrin mit den sog. innersekretorischen Drüsen zusammenhängend. Engramm hypothetische Erinnerungsspur im Gehirn, epileptoid epilepsieähnlich, erethisch reizbar. exhibieren, Exhibition sexuelle Befriedigung suchen durch Zeigen der Geschlechtsteile, exogen umweltbedingt. Genotypus Erbbild, Bezeichnung für die Gesamtheit der in einem Organismus vorhandenen Erbeinheiten. Aetiologie Agnosie
Erklärung von Fachausdrücken
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Tragezeit, Schwangerschaft. Eiweißart. Trugwahrnehmung mit Leibhaftigkeitscharakter, aber ohne reale Grundlage. psychische Erkrankung, bei der lebhafte SinnestäuschunHalluzinose gen im Vordergrunde stehen, aber im Gegensatz zum Delir ohne Bewußtseinstrübung. Form der Psychopathie; auch noch im Bereich des GeHyperthymie sunden liegende Vorform der Manie, hyperthyreotisch mit Uberfunktion der Schilddrüse, Hypertonie erhöhter Blutdruck, hypoglykämisch mit unternormalem Blutzuckergehalt, schwerer Schwachsinn. Idiotie aus realen Wahrnehmungen durch Umbildung entstanIllusion dene Trugwahrnehmung, mittelschwerer Schwachsinn, Imbecillität unzusammenhängender Gedankenablauf. Inkohärenz Rückbildung, Rückbildungsalter, Involution bezeichnet einen Zustand innerer Spannung. kataton Stehltrieb. Kleptomanie sind Körper, die keine wirkliche Lösung bilden können, Kolloide namentlich Eiweißkörper. schwere Bewußtseinstrübung im Gefolge der Eklampsie, Koma der Urämie, der Zuckerkrankheit. Korsakow-Syndrom Symptomenkomplex, bestehend aus schwerer Störung der Merkfähigkeit, Neigung die Erinnerungslücken durch Confabulatiohen auszufüllen, und Nervenentzündungen. Ursache ist meistens schwerer Alkoholmißbrauch. leptosom schlankwüchsiger Körperbautyp. lobär (von lobus, der Lappen) einen Lappen betreffend. Lumbalpunktion Punktion des Rückgrats in der sog. Lendengegend zwecks Entnahme von Rückenmarksflüssigkeit. Menarche Zeit der ersten Menstruation. Meningitis Hirnhautentzündung. Menopause Aufhören der Menstruation. Metastasen von einem primären Krankheitsherd ausgehende Krankheitsableger in anderen Organen, z. B. bei Krebs. Noctambulismus Nachtwandeln. Oedem Wasseranreicherung in der Haut, paranoid wahnkrankähnlich. Paraphrenie eine zur Gruppe der Schizophrenie gehörige Wahnkrankheit mit äußerlich geordnetem Verhalten, pathogenetisch für die Krankheit ursächlich. pathoplastisch das Erscheinungsbild der Krankheit beeinflussend. Perseveration Haften an Vorstellungen. Phaenotypus Erscheinungsbild (s. dazu Genotypus). Poriomanie Wandertrieb. Prodromalstadium die dem Ausbruch einer Krankheit, insbesondere einer Infektionskrankheit unmittelbar vorhergehende Zeitspanne. Gestation Globulin Halluzination
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Erklärung von Fachausdrücken
voraussichtliche Entwicklung der Krankheit oder der Kriminalität. Pseudologisten Psychopathen mit Neigung zu phantastischen Lügereien, psychisch bedingt. psychogen rundlicher Körperbautyp mit Neigung zu Fettansatz. pyknisch Feuertrieb. Pyromanie Besserung. Remission überdeckter Vererbungsmodus im Gegensatz zum domiRezessivität nanten. Schizophrenie große Gruppe bestimmter Geisteskrankheiten. Sklera Augeniederhaut (das Weiße im Auge). Somatose körperliche Erkrankung im Gegensatz zur Psychose, der seelischen Erkrankung. Somnambulismus Schlafwandeln. spasmophile Anfälle auf bestimmte Gebiete, z. B. Kehlkopf, Lungen etc. beschränkte tonische Krämpfe. Suboccipitalpunktion Punktion des Rückgrats unmittelbar unter dem Schädel zwecks Entnahme von Rückenmarks- und Gehirnwasser. Syndrom Gruppe mehrerer bestimmter Symptome. synton harmonisch, ausgeglichen. Tabes dorsalis spätsyphilitische Rückenmarkserkrankung. Tetanie Erkrankung der Nebenschilddrüse. tetanische Anfälle tonische Krämpfe in einzelnen Muskelgebieten. Tonus (tonisch) Spannungszustand der Muskulatur. torpide gefühllos-gleichgültig. toxisch giftig. Trauma Verletzung. traumatisch durch eine Verletzung (Unfall, Schlag, Stoß) bedingt. Veitstanz Erkrankung bestimmter Hirnkerne, charakterisiert durch unkoordinierte, ausfahrende Bewegungen (s. Chorea), versatil beweglich, im Verhalten wechselnd. Prognose
Sachverzeichnis Abartige, charakterlich — Jugendliche 95 Aberglaube und Wahnidee 222 Abnorm 4, 327; —e Reaktionen und Entwicklungen 336 Absence 304 Abstinenz 77 Actio libera in causa beim Rausch 73, bei Suchten 75 Adäquanztheorie 104 Äquivalenztheorie 104 Äther 74 Affekt 26, 226; körperliche Symptome bei —en 27; Erinnerung bei —en 28; Wirkung von —en auf die Wahrnehmung 207; pathologischer — 26, 230 Affekthandlung 26; forensische Beurteilung der — 27, 231 Affektlabilität 229, 253 Affektstauung 27, 230 Affektsturm 28 Affektverzögerung 230 Alkohol, psychische Störungen durch —
282
Alkoholdelikte, Art der — 284; Entscheidungen des RG. bei —n 70; Häufigkeit der — 68; — und Hirnverletzung 251; strafrechtliche Behandlung der — 68 Alkoholepilepsie 282, 291 Alkoholmißbrauch, Geschäftsunfähigkeit bei — 138, 292 Alkoholhalluzinose 282, 290 Alkoholismus chronicus 282, 287 Alkoholrausch 31, 68, 282; pathologischer — 284; pathologischer Rausch und Deliktfähigkeit 188 Alkoholreaktion, abnorme 188 Alkohol versuche 71, 252 Allgemeine gerichtliche Psychopathologie 206 Altersgrenzen bei Jugendlichen 94 Alterskriminalität 270 Altersvormundschaft 129
Alzheimersche Krankheit 267 Amnesie bei Affekten 28; retrograde — 216 Amentia 274 Anämie, psychische Störungen bei perniciöser — 275 Analogienovelle 17 Anankasten 329 Anfechtung eines Rechtsgeschäftes 130; —sklage Entmündigter 158 Angelegenheiten 144, 162 Angestelltenversicherung 197 Anlage 2; — zu Geisteskrankheiten als persönliche Eigenschaft 168; — -Umweltproblem 98; —Verbrecher 97 Antrag auf Beobachtung 121 Anstifter 18 Arbeitshaus, Unterbringung in einem — 59 Arrest, Jugend— 90 Arteriosklerose des Gehirns 34, 264 Arzneimittelmißbrauch 74 Asoziale in Heil- und Pflegeanstalten 66
Assoziationsversuch 219 Asyl, Unterbringung in einem — 59 Auffassung 212 Aufhebung der Ehe 166; Frist zur Einleitung der Eheaufhebungsklage 173; — der Entmündigung 159 Aufgabe des Sachverständigen 2 Aufmerksamkeit 212 Aufschub der Maßregeln der Besserung und Sicherung 62 Augenblicke, lichte 138 Aussage von Kindern 208; —Psychologie 208; Einflüsse auf die — 207 Aussetzung des Entmündigungsverfahrens 157; — der Strafe bei Süchtigen 78; bedingte — der Unterbringung 62; bei Süchtigen 78 Auswahl der Anstalt 67
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Sachverzeichnis
Basedowsche Krankheit 229, 275 Begehrungsvorstellungen 199 Belastung, erbliche 3 Benommenheit 273 Beobachtung, kriminalbiologische 91, 97 f.; psychiatrische — 121 Berufsausbildung jugendlicher Strafgefangener 91 Berufsausübung, Verbot der — 60, 80 Berufsgeheimnis 110 Berufsvormund 79, 159 Besorgung der Angelegenheiten 144 Besserung, Maßnahmen der Sicherung und — 58; für Jugendliche 90 Betrunkene Frauen, sexuelle Delikte an —n 102 Bettler 59, 62 Bewahrungsgesetz 98 Beweislast 133, 188 Bewußtlose, sexuelle Delikte an —n 100, 102 Bewußtlosigkeit 17, 21, 102, 134; — bei Hirnerschütterving 249 Bewußtsein 21 Bewußtseinsstörung 17, 21; — bei Affekten 18; — bei Alkoholrausch 31; — bei Dämmerzuständen 30; — bei Fieberdelirien 29; — bei Geburten 29; — bei Hirnerschütterung 249; — bei Hypnose 25; — bei Nachtwandeln 24; — bei Schlaftrunkenheit 24 Beziehungswahn 224; sensitiver— 338 BGB. 128 Biologische Voraussetzungen im § 51 StGB. 18, 21 Bleivergiftung 302; Dämmerzustand bei — 302 Blindheit, Pflegschaft bei — 161 Borstalschule 88 Bürgerliches Recht 128 Chorea Huntington 269; — minor 270 Commotio cerebri 248 Commotionspsychose 249 Compressio cerebri 248 Confabulationen 214 Contusio cerebri 248 Dämmerzustand 30, 34, 274; — bei Bleivergiftung 302; — bei Epilepsie 305
Dauer der Unterbringung 59, 79 Debilität 36, 244 Delikte, sexuelle — an Geisteskranken 99; — an betrunkenen Frauen 102; — an Bewußtlosen 100, 103 Deliktfähigkeit 128, 186; — Jugendlicher 187; — von Kindern 187; — Taubstummer 187; — und Entmündigung 189; — und Rauschzustände 188
Deliranter Rausch 285 Delirium 29, 273; Fieber— 29, 34; — tremens 282, 288 Dementia simplex 311 Demenz, epileptische 304; senile — 34, 264 Denken, Störungen des —s 217; Denkhemmung 219; ideenflüchtige Denkhemmung 219; inkohärentes — 219; sprunghaftes — 219; umständr liches — 218; zerfahrenes — 219; Zwangs— 220 Depression 322 Depressive Wahnideen 223 Depravation, moralische bei Suchten 75 Diabetes mellitus 275 Dicodid 297 Dipsomanie 240, 282, 286, 333 Dolantin 74; —sucht 299 Dranghandlungen 262 Drangzustände 242, 263 Duldung von Operationen 201 Dummheit 34 Ehe und psychische Störungen 164; Aufhebung der — 167; Nichtigkeit der — 167; Scheidung der 173; Wesen der — 172 Ehefähigkeit 128 Ehegesetze 164 Ehemündigkeit 129 Ehescheidung 166; — ohne Verschulden 174; — bei Hirnverletzten 252; — bei progressiver Paralyse 259 Eheschließung und Geschäftsunfähigkeit 164; — und beschränkte Geschäftsfähigkeit 165 Eheverfehlung, Verantwortlichkeit bei — 176 Ehrennotstand 30 Eidesfähigkeit Geisteskranker 116, 182
Sachverzeichnis Eifersuchtsszene 27 Eifersuchtswahn 225; — der Trinker 282, 290; Prozeßfähigkeit bei — 183 Eigenschaften, persönliche 168 Einsichtsfähigkeit 34, 93 Einstellung, vorläufige — des Verfahrens 123 Eklampsie 29 Encephalitis epidemica 259; Drangzustände bei — 242, 262, 263; Ehescheidung bei — 264; Formen der — 259; Geschäftsfähigkeit bei — 262; strafrechtliche Beurteilung der — 54, 263; Zurechnungsfähigkeit bei — 263 f. Enthaltsamkeitsvereine 77, 157 Entlassung Geisteskranker 109 Entmannung 61, 81; — in anderen Ländern 81; Erfolge der — 82, 86; Folgen der — 84; Indikation zur — 87; Resozialisierung bei — 84, 86 Entmündigung 142; wegen Geistesschwäche und Geisteskrankheit 142; wegen Trunksucht 79, 151; wegen Verschwendung 150; — und Deliktfähigkeit 189; — und Eheschließung 165; — Alterskranker 271; — Gehirnverletzter 252; — von Psychopathen 149; — bei progressiver Paralyse 258; — von Querulanten 149; — von Schwachsinnigen 248; — von Süchtigen 79, 159; — von Verbrechern 143; Voraussetzungen der — 144; Vorschlag für Neuformulierung 203; Wiederaufhebung der —. 159 Entmündigungverfahren 154; Anfechtungsklage 158; Aussetzung des —s 157 Entnahme von Blut usw. 122 Entschuldigung 90 Entweichungen Geisteskranker 108 Entwicklung, abnorme 336; — der Sexualität 232 Entziehungsanstalt, Unterbringung in einer — 59, 75; Voraussetzungen dafür 75 Epidemische Encephalitis s. Encephalitis
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Epilepsie 29, 302; traumatische — 106; Anfälle bei — 302; Dämmerzustände bei — 305; Demenz bei — 304; Geschäftsunfähigkeit bei — 137; Stimmungsschwankungen bei — 34; strafrechtliche Bewertung der — 307; Verstimmungen bei — 305, 308; Wesensveränderung bei — 304; epileptoider Rausch 284 Erbliche Belastung 3 Erbrecht 184 Erfolgshaftung 104, 190 Erfolgsverbrechen 104 Erinnerung 27 Erinnerungsfälschungen 207, 213 Erinnerungslosigkeit bei Affekt 28 Erinnerungsmängel 116 Erpressertum 239 Erwartung, Einfluß der — auf die Wahrnehmung 207 Erziehungsmaßregeln 89, 90 Essentielle Hypertonie 266 Eukodal 74, 297 Exhibitionismus 233, 235, 270 Expansive Ideen 225 Experiment, psychologisches 71 Explosive Psychopathen 333 Fallsucht, erbliche 302 Familie 3 Fanatiker 330 Fieberdelirien 29 Fleckfieber, Encephalitis nach — 269 Fortlaufen 240; — bei Epilepsie 305 Fortpflanzungstrieb 231 Freßgier 232 Frist der Eheaufhebungsklage 173 Frühkriminalität 98 Frühkriminelle 90, 96 Frühreife Jugendliche 90, 96 Fürsorgeerziehung 90 Gebärende, abnorme Zustände der —n 29, 281 Gebrechlichkeit, Pflegschaft bei — 161 Gedächtnis, Störungen des —ses 213 Gedächtnisausfall 215 Gedankenlautwerden 210 Gefährdung der öffentlichen Sicherheit 64 Gefühl 26; Störungen des —s 226 Gehilfe 18; — des Arztes 104
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Sachverzeichnis
Gehirnarteriosklerose 264 Gehirnerweichung 253 Gehirnerschütterung 106, 248 Gehirngeschwülste 270 Gehirnhautentzündung 270 Gehirnkontusion 106, 248 Gehirnkrankheiten 34, 264 Gehirnsyphilis 256; strafrechtliche Bewertung der — 258 Gehirnverletzung 106, 248; — der Jugendlichen 252; Dämmerzustand bei — 31; Ehe bei — 252; Entmündigung bei — 252; Rentenbegutachtung bei — 253; strafrechtliche Beurteilung der — 50, 55, 251 Gehörstäuschungen 210 Geisteskranke als Angeklagte 120; als Angeschuldigte 120; als Anzeiger von Verbrechen 119; als Verurteilte 120 ff.; als Zeugen 116; Entlassung von —n 109; Entweichungen von —n 108; einstweilige Unterbringung von —n 123; sexuelle Delikte an — 99 Geisteskrankheit (BGB.) 32, 147, 202; (EG.) 33, 180, 202; als persönliche Eigenschaft 168; endogene — 34; Verfall in — 103, 124 Geistesschwäche (BGB.) 32, 147, 202f.; (StGB.) 17, 32, 33, 202 f. Geistestätigkeit, krankhafte Störung der — (§ 51 StGB.) 17, 32, 202 Geisteszustand zur Zeit der Tat 20 Geistiges Gebrechen 161 Geistige Gemeinschaft 178; Wiederherstellung der — 180 f. Geistige Störung (EG.) 33, 202 Geldbuße 90 Geltungssüchtige 331 Gelüste der Schwangeren 232, 280 Gemeingefährlichkeit 64 Gemeingefühl 227 Gemütlose 333 Generationspsychose 277 Genotypus 4, 169 Gerichtliche Psychopathologie, allgemeine 206 ff.; spezielle — 243 ff. Geruchstäuschungen 212 Geschäftsfähigkeit 129; partielle — 41, 137, 225; — bei Alterskranken 271; bei progressiver Paralyse 259
Geschäftsfähigkeit, beschränkte und Eidesfähigkeit 183; — und Eheschließung 165; — und Prozeßfähigkeit 182; — und Testierfähigkeit 184; Rechte bei — 142; Wirkung der — 140 Geschäftsunfähigkeit 128, 130; partielle — 137; Bedingungen der — 132; Entwicklung der Formulierung der— 131; — bei Epilepsie 137; bei Paranoia 138; bei Psychopathie 137; bei Schwachsinn 137, 248; Rechte bei — 141; — und Eidesfähigkeit 183; — und Eheschließung 164; — und Entmündigung 203; — und Prozeßfähigkeit 182; — und Psychose 136; — und Testierfähigkeit 184; — und Verständigung 164; Wirkung der — 140 Geschlechtstrieb, Störungen des —s 232 Geschmackstäuschungen 212 Gesellschaftsfeinde 334 Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher 14, 33, 47, 58 Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte 197 Gewerbe, Verbot der Ausübung eines — s 60
Gewohnheitsverbrecher 14, 33, 47, 63 Gewöhnung an Gifte 292 Gifte 292 Glaubwürdigkeit von Geisteskranken 116, 216; von Zeugen 119 Grenzzustände 32 Größenideen 222, 225 Gutachten, Anforderung an — 8, 18; — über Kranke an Privatpersonen 114 Gutachter 8 Haftendes Denken 218 Haftung 190 Halberwachsene 91, 98 Halluzinationen 209; — des Gehörs 210; funktionelle — 210 Halluzinose 274 Haltlose Psychopathen 334 Handlungen, unerlaubte 128 Handlungsfähigkeit 128 Heil- und Pflegeanstalt, Unterbringung in einer — 58 Heimweh 241
Sachverzeichnis Heroin 279 Hirn (s. Gehirn) Homosexualität 236 Hyperthyme Psychopathen 329 Hypertonie, essentielle 266 Hypnose, forensische Bedeutung der — 25; Wesen der — 25 Hypnotisierte, sexuelle Angriffe auf — 103 Hypochondrische Ideen 221 Hysterie 337; hysterische Anfälle 337; hysterische Reaktion 337 Ideen, Größen— 222, 225; hypochondrische — 221, 223; Kleinheits— 221; Versündigungs— 221; überwertige — 221; wahnhafte — 221; Wahn— 220 Ideenflucht 219 Ideenflüchtige Denkhemmung 219 Idiotie 34, 243 Illusionen 209 Illusionäre Verkennungen 209 Imbecillität 243 Imperative Stimmen 210 Infektionskrankheiten 271 Inkohärentes Denken 219 Invalidenversicherung 197 Inversion, Invertierte 236 Irrenarzt, Verantwortlichkeit des —es 107 Irrenpfleger, Verantwortlichkeit des —s 107 Irrtum über persönliche Eigenschaften des Ehepartners 167 Jackson-Anfall 306 Jugendarrest 90 Jugendgefängnis 90 Jugendgericht 90 Jugendgerichtshilfe 89 Jugendgerichtsgesetz (JGG.) v. 16. 2. 1923: 89 Jugendliche 88; asoziale — 99; Berufsausbildung der —n 91; charakterlich abartige — 95; frühreife — 96; unerziehbare — 99; verwahrloste — 99; — Schwachsinnige 247; Kriminalität der—n 93; strafrechtliche Behandlung der —n 88; strafrechtliche Behandlung der —n im Ausland 88; — Schwerverbrecher 90, 95; Wandertrieb bei —n 240
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Jugendpsychologie 97 Jugendrichter 90 Jugendstaatsanwalt 89 Jugendstrafrecht 89 Juvenile Paralyse 259 Kausalität 104, 190 Kausalzusammenhang 104 Kinderaussagen 208 Kleinheitsideen 221 Kleptomanie 241 Klimakterium 278, 282; — virile 268 Kokain 74, 97; —mißbrauch 297; — -paralyse 298; —Wahnsinn 298; Korsakow ähnliche Bilder bei — 298; strafrechtliche Bewertung des —mißbrauchs 299 Koma 29, 273 Komplizierter Rausch 284 Konträre Sexualempfindung 233, 236 Körperbeschädigte, Gesetz über Leistungen an — 198 Körpergefühl, Störungen des —s 212 Körperliche Erkrankungen, psychische Störungen bei — 271 Körperverletzung 109 Korsakowsche Krankheit 282, 290; Korsakow ähnliche Bilder bei Kokainmißbrauch 298 Krampfanfall 302 Krampfkrankheiten 302 Krankengeschichte, Verleihung von —n 114 Krankhafte Störung der Geistestätigkeit 17, 32 Krankheitsbegriff, forensischer 32 Krebs, psychische Störungen bei — 275 Kriegsneurotiker 194 Kriminalbiologische Untersuchung 91, 97 Kriminalität der Alterskranken 270; — bei Encephalitis epid. 262; — Jugendlicher 93; — im Klimakterium 282; — bei progressiver Paralyse 257; — bei Schwachsinn 246 Kriminalpolitik, Bedeutung der Entmannung für die — 82 Kritisches 202 Ladendiebinnen und Menstruation 279 Landstreicher, Wandertrieb bei —n 241 Lästige Querulanten 66
350
Sachverzeichnis
Lebensgemeinschaft, dem Wesen der Ehe entsprechende 178j Wiederherstellung der — 178 Leibliche Triebe 231 Lichte Augenblicke 138 Lues cerebri 34, 256; strafrechtliche Bewertung der — 258 Lügen 216; pathologische — 214 Lumbalpunktion 122 Manie 323 Manisch-depressives Irresein 34, 321; Diagnose 324; Depression bei — 322; Erbprognose bei — 322; Ehescheidung bei — 326; Entmündigung bei — 326; Geschäftsfähigkeit bei — 326; Häufigkeit des —s 322; Selbstmordgefahr bei — 325; Verantwortlichkeit bei — 325; Verlauf des —s 324 Manischer Stupor 324 Maßnahmen der Sicherung und Besserung 58; — bei Jugendlichen 90 Masochismus 233; — mit homosexuellen Handlungen 239 Melancholia agitata 324 Melancholische Ideen 223 Menarche 279 Meningitis 270 Menstruation, Kriminalität bei der — 278; psychische Störungen bei der — 278 Merkfähigkeit 213; Störungen der — 214 Minderjährige, Rechte der —n 129 Mischzustände, manisch-depressive 324 Mitverschulden 190, 201 Mondsucht 24 Moralische Depravation bei Suchten 75, 294 Moral insanity 228, 334 Moralischer Schwachsinn 228, 334 Morphinkranke 295 Morphium 74, 293; —hunger 75 Morphiummißbrauch 293; Delikte bei — 294; Entziehungserscheinungen bei — 294; Prognose des —s 295; strafrechtliche Bewertung des —s 295; Symptome bei — 293 Motivation bei Neurosen 194 Müdigkeit 22 Multiple Sklerose 270
Nachtwandeln 24 Nahrungstrieb 232 Narkolepsie 306 Narkose, Duldung der — 202; sexuelle Delikte an Narkotisierten 103 Nekrophilie 233 Neurose 105, 193; Rechtsprechung bei — 196 Nichtigkeit 130; — der Ehe 167 Nichtigkeitserklärungen 138 Noctambulismus 24 öffentliche Sicherheit, Gefährdung der — 65 Operation, Duldung einer — 201 Opium und seine Abkömmlinge 293 Optalidon 74, 301 Pantopon 74 Paralyse, progressive 34, 253; Behandlung der — 256; Diagnose der — 255; Ehescheidung bei — 259; Entmündigung bei — 258; Geschäftsfähigkeit bei — 259; Formen der — 254 f.; Kriminalität bei — 257t strafrechtliche Bewertung der Behandelten — 50; Verlauf der — 256 Paralysis agitans 270 Paranoia, Geschäftsfähigkeit bei — 138 Paranoische Entwicklung 338; — Psychosen im Präsenium 268; — Reaktion 338 Parkinsonismus 260 Partielle Geschäftsfähigkeit 41, 137„ 225; — Geschäftsunfähigkeit 41, 225; — Zurechnungsfähigkeit 38, 225; — Zurechnungsunfähigkeit 38 Pathologischer Affekt 27, 230; — Rausch 69, 284; — Rausch und Deliktfähigkeit 188 Perseveration 218 Persönliche Eigenschaft 167 Per vitin 74; —sucht 300 Petit mal 303 Pflegerbestellung 126 Pflegschaft 161 Pflichten für Jugendliche 90; — für Süchtige 79; — für Trinker 79 Phänotypus 3, 169 Phanodorm 74; —sucht 300 Phobie 330
Sachverzeichnis Picksche Krankheit 268 Polioencephalitis haemorrhagica superior 282, 291 Poriomanie 240 Präsenile Seelenstörung 268 Presbyophrenie 267 Primitive Völker 217 Prognose bei jugendlichen Verbrechern 97 Prostitution, männliche 239 Prozeßfähigkeit 182; bei Eifersuchtswahn 183; bei Querulanten 183 Pseudohalluzinationen 209 Pseudologisten 214, 331; — als Zeugen 118 Psychische Störungen und Ehe 164; — bei körperlichen Erkrankungen 271 Psychogene Störungen 106 Psychologie der Aussage 208; medizinische — 6; normale — 6 Psychologisches Experiment 68, 71 Psychologische Voraussetzungen des §51 StGB.: 34 Psychopathen 327; explosible — 333; fanatische — 330; geltungsbedürftige — 331; gemütlose — 333; haltlose — 334; hyperthymische — 329; moralisch-schwachsinnige — 334; selbstunsichere — 329; stimmungslabile — 332; willenlose — 334; — als Zeugen 336 Psychopathie 6, 33, 327; Eheauflösung bei — 336; Entmündigung bei — 149, 336; Geschäftsfähigkeit bei — 137, 336; strafrechtliche Bewertung der — 42, 335 Psychopathologie 6; allgemeine gerichtliche — 206; spezielle gerichtliche — 243 Psychose 6, 34; Geschäftsunfähigkeit bei — 137; Verlauf der —n 7 Pyknolepsie 306 Pyromanie 241 Querulanten 66, 329; Eheauflösung bei — 341; Entmündigung von — 149, 340; Geschäftsfähigkeit der — 340; Pflegschaft bei — 163, 341; Prozeßfähigkeit der — 183; strafrechtliche Beurteilung der — 340; —wahn 221, 225, 339
351
Rauchverbot 90 Rausch, Alkohol— 31, 34, 282; pathologischer — 70, 284; Rauschdämmerzustand 285 Rauschgiftsucht 292; Delikte bei — 301; Entmündigung wegen — 159, 295; strafrechtliche Behandlung der — 59, 68, 74, 79, 295; Unterbringung wegen — 301 Reaktionen, abnorme 336 Reaktionsbereitschaft, erhöhte — als Eheaufhebungsgrund 171 Recht, bürgerliches 128; Straf— 14 Rechtsfähigkeit 128 Rechtsgefühl, Entwicklung des —s 92 Rechtsgeschäfte 128 Reichsgericht, Rechtsprechung des —s bei Neurosen 198 Reichsjugendgerichtsgesetz (RJGG.) 89 Reichsversicherungsamt, Rechtsprechung des —s bei Neurosen 196 Reichsversorgungsgericht, Rechtsprechung des —s bei Neurosen 196 Reichs Verweisung 61 Reichswirtschaftsgericht, Rechtsprechung des —s bei Neurosen 198 Rentenbegutachtung Hirnverletzter 253 Retrograde Amnesie 215 Rorschachscher Formdeutversuch 219 Rückenmarksschwindsucht 257 Sachverständige, Aufgabe des —n 2; Bezahlung des —n 11 Sadismus 233; mit homosexuellen Handlungen 239 Schadenersatzpflicht 187 Scheidung der Ehe 173 Schizophrenie 34, 309; Dementia Simplex 311; Diagnose der — 318; Erblichkeit der — 310; Erbprognose der — 310; forensische Bedeutung der — 318; Häufigkeit der — 309; Hebephrenie 317; Katatonie 317; paranoide Form der — 317; Paraphrenie 317; strafrechtliche Beurteilung der — 318; strafrechtliche Beurteilung der defekt geheilten Schizophrenen 50, 53; Symptomatologie der — 313; Verlaufsformen der — 317; zivilrechtliche Beurteilung der — 321
352
Sachverzeichnis
Schlaf, forensische Bedeutung des —s 23 Schlafmittel 300 Schlaftrunkenheit 24 Schlafwandeln 24 Schwachsinn 34, 43, 244; Ehe bei — 248; Entmündigung bei — 248; Geschäftsfähigkeit bei — 137, 189; Kriminalität bei — 246; rechtliche Bewertung des —s 246 Schwangerschaft, Gelüste bei — 232, 280; psychische Störungen während der — 277, 280 Schweigepflicht 110 Schwerverbrecher, jugendliche 90 Seelische Triebe 231 Sehen, Störungen des —s 211 Selbstbeschuldigung 216, 224 Selbstentfaltungstrieb 231 Selbsterhaltungstrieb 231 Selbstmord in Anstalten 109, 223; — bei Manisch-depressiven 109 Selbstunsichere 329 Senile Demenz 34, 44, 264 Sensitiver Beziehungswahn 338 Sexualempfindung, konträre 233, 236 Sexualität, Entwicklung der — 232 Sexualtrieb 232 Sexuelle Delikte an betrunkenen Frauen 102; an Bewußtlosen 99; an Geisteskranken 99; an Willenlosen 99; — als Zeichen von Gefühlsdefekten 228 Sicherheit, Gefährdung der öffentlichen — 65 Sicherung, Maßnahmen der — und Besserung 57, 58; bei Jugendlichen 90 Sicherungsverwahrung 59 Siechtum, Verfall in — 103 Sinnestäuschungen 209 Simulation 215 Sitten, Verstoß gegen die guten — 1 4 0 Sittlichkeitsverbrecher, Entmannung gefährlicher — 61, 81 Sodomie 233, 240 Somnambulismus 24 Spasmophile Anfälle 307 Spätkatatonie 268 Stereotypes Denken 219 Stimmenhören 210
Stimmung 26; Schwankungen der — 27; Störungen der — 228 Stimmungslabile Psychopathen 332 Störungen der Affekte 229; — des Denkens 217; — des Gedächtnisses 212; — der Gefühle 226; — des Gehörs 210; — des Geruchs 212; — des Geschmacks 212; — der Merkfähigkeit 214; — des Sehens 211; — der Stimmung 229; — der Triebe 201; — des Wahrnehmens 207 Störung, krankhafte — der Geistestätigkeit 17, 32 Strafaussetzung bei Süchtigen 78 Strafdauer 90; unbestimmte — 90 Strafmakel, Auslöschung des —s 91 Strafmilderung bei §51 Abs. 2 StGB. 48 Strafprozeßordnung 116 Strafrecht 14 Strafrechtliche Behandlung Jugendlicher 88 Strafrechtsangleichsverordnung 17 Strafregister, Tilgung der Strafe im — 91 Strafvollstreckung bei Jugendlichen 89 Strafvollzug 90 Strichjungen 239 Stummheit, Pflegschaft bei — 161 Suchten 232, 292; Delikte bei — 301; Unterbringung wegen — 301 Suchtdelikte, strafrechtliche Behandlung der — 59, 68, 74 Süchtige, Entmündigung der —n 79, 159; Unterbringung der —n 59, 75, 205, 301 Symptome 7 Symptomatische Epilepsie 306; — Psychosen 271 Syphilis 253 Tabes dorsalis 257 Tatverbrechen 104 Taubheit, Pflegschaft bei — 161 Taubstumme 56; Charakterisierung 57; Deliktfähigkeit 187; Pflegschaft 161; Zurechnungsfähigkeit 56 Täuschungen, Sinnes— 209 Temporäre Zurechnungsfähigkeit 29 Testament 129, 184; Errichtung eines —s durch Greise 217
Sachverzeichnis Testierfähigkeit 128, 184; der Alterskranken 271 j — und Entmündigung 185 Tetanisdie Anfälle 237 Todesnot 185, 186 Todesstrafe 48 Traumatische Epilepsie 107 Trieb, Feuer— 241; Stehl— 241; Wander— 240; Störungen der —e 231 Trinker, Eifersuchtswahn der — 282, 290; Entmündigung der — 79, 151; Unterbringung der — 59, 75 Trinkerfürsorge 151 Trinkerheilanstalt, Unterbringung in einer — 59, 75; Voraussetzungen dafür 75 Trinktrieb 240 (s. Dipsomanie) Trugwahrnehmungen 209 Trunksucht 152; als Eheverfehlung 179; Verantwortlichkeit bei — 68 Übermüdung 22 überwertige Ideen 221 Umwelt 2; — Einflüsse bei Jugendlichen 98 Unerlaubt (Begriff) 35; —e Handlungen 128 Unerziehbare Jugendliche 99 Unfall 191 Unfallneurose 193 Unfallversicherung 197 Ungesetzlich (Begriff) 35 Unrecht (Begriff) 35, 93 Unterbringung in einem Arbeitshaus 59; in einem Asyl 59; in einer Heil- oder Pflegeanstalt 58, 63, 90, 123; in einer Trinkerheilanstalt oder Entziehungsanstalt 59, 75; bedingte Aussetzung der — 60, 78; Dauer der — 60, 79; Voraussetzungen der — 64 Untersuchung, kriminalbiologische 91 Unzucht, gewerbsmäßige 59 Vagabunden 62 Verantwortlichkeit des Irrenarztes 107; — des Irrenpflegers 107; — Jugendlicher 88, 93; — bei Eheverfehlungen 176 Verbot der Ausübung eines Gewerbes 60; der Berufsausübung 60 Verdrängung 213 Vereidigung 116 Langelüddeke,
Gerichtliche Psychiatrie.
353
Verfahren, Wiederaufnahme des Entmündigungs—s 159; des Strafverfahrens 126 Verfall in Geisteskrankheit 104, 124, 180; — in Siechtum 104 Verfälschung der Erinnerung 207; — der Wahrnehmungen 207 Verfolgungsideen 224 Vergiftungen 34, 292 ff. Verhandlungsfähigkeit Geisteskranker 123 Verlauf der Psychosen 7 Verleihung von Krankengeschichten an Behörden usw. 114 Veröffentlichungen 114 Verordnung über jugendliche Schwerverbrecher 95 Verschulden als Ehescheidungsgrund 174 Verschuldungsprinzip 174 Verstandesreife 118 Verstandesschwäche 118 Verständigung 162 Verstimmung bei Epilepsie 305, 308 Verstoß gegen die guten Sitten 140 Versündigungsideen 221 Vertrag 130 Verwarnung 90 Verwirrtheitszustände 34 Vitalgefühle 174 Vitale Triebe 231 Volkscharakter, Einfluß des —s 3 Vollzug der Freiheitsentziehung 62 Voraussetzungen, biologische des § 51 StGB.: 21; psychologische — des §51 StGB.: 34 Vorläufige Einstellung des Verfahrens 123; — Unterbringung Geisteskranker 123; — Vormundschaft 79, 151, 157 Vormund 158; Berufs— 79, 158 Vormundschaftsbehörde 151 Vormundschaftsgericht 158, 162 Vorschläge 202 Vorstellungen 209 Wahnhafte Einbildungen 226 Wahnideen 221; Beziehungs— 224; depressive — 223; Größen— 222, 225; hypochondrische — 224; melancholische — 223 Wahnstimmung 222 23
354
Sachverzeichnis
Wahrnehmen, Störungen des —s 206 Wahrnehmung 209 Warenhausdiebinnen und Menstruation 279 Weitschweifigkeit 219 Wesen der Ehe 172, 178 Wesensveränderung bei Epilepsie 304 Wiederaufhebung der Entmündigung 159, 166 Wiederaufnahme des Verfahrens 126 Wiedergutmachung eines Schadens 90 Wiederherstellung der geistigen Gemeinschaft 180; — der Lebensgemeinschaft 178 Willenlose, sexuelle Delikte an —n 99 102; — Psychopathen 334 Willenlosigkeit 102 Willensbestimmung, freie 17 Willenserklärung 129 Willensfähigkeit 36 Wirtschaftsverbot 90 Wochenbett, psychische Störungen im — 278 Wortsalat 220
Zerfahrenes Denken 220 Zerrüttung der Ehe als Scheidungsgrund 175 Zerrüttungsprinzip 175 Zeuge, Geisteskranke als —n 116; Psychopathen als —n 336 Zeugnisverweigerung 110 Zuchthausknall 230 Zuchtmittel 90 Zuckerkrankheit, psychische Störungen bei — 276 Zurechnungsfähigkeit 14; — bei Affekten 27; — bei Alkoholräuschen 68; Entwicklung des Begriffs der — 15; partielle — 38, 225; verminderte — 41; Zwischenstufen 49 Zurechnungsunfähigkeit, partielle (temporäre) 38 Zwangsdenken 220 Zwangshandlungen 330 Zwangskranke 329 Zweckgedanke 16
Verzeichnis der besprochenen Paragraphen Die Seitenzahl der wörtlichen Anführung ist fett gedruckt. Strafgesetzbuch
346: 108
20 a: 59, 63, 66 36 Z. 1: 61 42 a: 58, 63, 81 42 b: 59, 63 ff., 78, 108, 123, 125, 232, 262, 270, 286, 295, 340 4 2 c : 59, 63, 75,'232,'286, 295
347:
42 d: 59 42 e: 59, 63 4 2 f : 59, 79 42 g: 60 42 h: 60, 79 42 i: 60 4 2 k : 61, 81 421: 60 42 m: 61
20: 59 20 a: 59 2 0 b : 59 55: 59 42 i: 60
AI
RR
f a n D61' 6 6 4ö: lo 49: 18 50: 18 51: 17, 59, 64, 72, 93, 123, 124, 131, 202, 246, 247, 252, 257, 258, 263, 270, 281, 285, 295, 298, 300, 302, 307, 318, 325, 340 58 (in Thüringen 55): 56, 59 59: 101 121: 108 Z. 2: 99 175 : 82, 238, 240 175 a: 240 176 Z. 2: 100, 232 177: 100, 103 178: 100 222: 109 223:
103
224:
225: 104 228: 104 2 2 9 : 104 230= 10» 300= 330 a: 59, 72, 75, 295, 298, 300 330 b: 80
108
361: 59
Gesetz über die A n w e n d u n g des Strafg e s e t z b u c h e s in T h ü r i n g e n
Strafprozeßordnung 53: 110 5 9 :
1 1 8
60 Z. 1: 118 61: 118
66 c: 118 73: 11, 120 74. 12 75. 12 76! 12 77. n 73' i 2 7 9 .' 1 2 so:' 12 8 0 a : 61 _ 120 81: 113, 121 81 a: 122 82- 12 83: 12 84:
U
85: 13 126 a Abs. 1: 61, 67, 123 154 b: 239 170: i2i 205: 123 246 a: 61 359: 126 361: 126 363: 126 366 Z. 1: 126 23*
356
Verzeichnis der besprochenen Paragraphen 113 Z. 1: 141, 182 114 140, 182, 203 131 140 138 139 254 190, 201 823 187, 190 824 187 825 187 826 187 827 187, 203 828 187, 188 829 190 831 190 832 189, 190 839 144 1626 129 1676 142 1882 129 1906 151, 157 1910 161, 164 1915 162 1918 162 1919 162 1920 162
366 Z. 2: 127 371: 127 429 a: 61, 67 453: 124, 125 455: 124, 125 456: 124, 125 456 b: 62, 67, 78 456 c: 62 461: 124, 125 463 a: 125 Reichsjugendgerichtsgesetz 1: 89 3: 89, 93, 204, 247, 252 4—18: 90 20: 63, 80, 90, 98 47: 80, 91 64: 91 65: 91 66: 91 69: 91 70: 91 71: 91 74: 91 über
Verordnung jugendliche Schwerverbrecher
1: 95 Bürgerliches 1: 2: 3: 6:
Gesetzbuch
128 129 129 32, 46, 79, 142, 143, 144, 147, 150, 151, 152, 153, 159, 160, 203, 248, 252, 258, 264, 271, 291, 295, 299, 308, 321, 326 8: 141 104: 131, 135, 136, 137, 161, 182, 203, 259, 264, 271, 291, 292, 299, 308, 321, 326 105 Z. 1: 140 105 Z. 2: 134, 135, 136, 137, 138, 185, 203, 284, 287, 291, 292, 308, 106: 129, 140 107: 141 108: 141 110: 141 112: 141, 182
148, 180, 287,
185, 295,
167, 326
Gesetz über die E r r i c h t u n g von T e s t a m e n t e n und Erbv e r t r ä g e n (TestG.) 1: 129, 184, 185 2: 142, 184, 185 3: 184, 185 4: 184 6—20: 184 21—22: 184 23 184 24 184 25 184 26 184 32 142, 185 48 185, 186 Zivilprozeßordnung 51: 142 52: 142, 182 53: 183 323: 202 393: 129 455: 183 473: 142 612: 142, 182 645: 154
Verzeichnis der besprochenen Paragraphen 154, 154 155 155 155 156 156 141, 158 158 141, 159 154 157 154,
158
158 159
157
E h e g e s e t z v o m 23. 2. 46 3: 165 18: 165, 167
32: 33: 35: 42: 43: 44:
167, 167, 167, 174, 174, 174, 253, 326
168, 168 173 175 177, 175, 264,
357
169, 248, 264, 308, 326
296, 309 177, 179, 181, 204, 248, 277, 284, 292, 296, 309,
45: 173, 174, 175, 177, 180, 181, 204. 248, 253, 259, 264, 277, 309, 327 46: 174, 175 47: 174 48: 175 Reichsärzteverordnung 13: 110 85: 110
Autorenverzeichnis Adiilles-Greiff 187 Alexander u. Nissen 258 Anz 165 Arendts 105, 191, 195 ff. Aschaffenburg 2, 17, 19, 24, 25, 30, 32, 38, 40, 41, 51, 52, 54, 57, 58, 65, 70, 74, 75, 79, 99, 100, 102, 108, 114, 119, 124, 132, 332 Aschenbrenner 67 Becker 68, 81 Bentley 298 Bergenroth 180 Bergmann 242 Beringer 41, 46, 124, 138, 154, 170, 176, 178 Berze 38 Billström 25 Binet-Simon 245 Birnbaum 45, 241 Bleuler, E. 40, 50, 52, 54, 206, 243, 267, 311, 313, 321 Blüher 238 Bobertag 245 Bonhoeffer 40, 272, 284, 295, 340 Bostroem 46, 52; Lange-Bostroem 206, 221, 232, 267, 324, 331 Braun 46 Brehm 15, 49 Bresler 92 Brush 278 Buchenberger 16 Bumke, O. 25, 40, 45, 147, 154, 163, 186, 200, 203, 206, 213, 215, 216, 219, 243, 315, 330, 332, 334, 339 Bürger-Prinz 25, 46, 75, 97, 236 Busemann 250 Carl 191 Carpzow 15 Casper 241, 280 Cohn 154 Conrad 305, 306 Cosack 136 Cramer 211 Credner 251
Creutz 45, 67, 232, 262, 270, 310, 318 de Crinis 19, 32, 69 Cruchet 259 Dansauer u. Sdiellworth 190, 195 Delbrück 214 Derkmann 164 Deussen 236 Deuticke 313 Dohna, Graf zu 33 Dubitscher 87, 243 Dubuisson 279 Ebbinghaus 213 Ebermayer 110, 113, 115 v. Economo 259, 261 Elbel 69 Elo 30 Enneccerus 137 Erickson 25 Evans 172 Ewald 272, 274, 277, 328 Exner 2, 63, 68, 88, 93, 95, 97, 98, 270, 279, 282 Falkmann 140 Feuditwanger 250 Feuerbadi, A . v. 14, 16 Finger 42 Fischer 241, 280, 281 Flemming 241 Fraeb 159; u. W o l f f 205, 292 Francke 92 Frank 19, 99 Fraenkel, Joel u. — 298 Frommer 85, 86 Fürstner 39 Gaupp 41, 138, 279, 338 Gjessing 310 Göring 332 Gregor 98 Greiff-Achilles 187 Greving 310 Grohs, H. 208 Groos 50 v. Gruber 164
Autorenverzeichnis G r u h l e 22, 30, 31, 137, 138, 139, 141, 149, 178, 184, 328 G r ü n h u t 16 G r u d i o t 199 G u d d e n 24 Gummersbach 30 G ü r t n e r 46, 76, 78 G ü t t 243-, Rüdin-Ruttke 170 H a f t e r 99 H a r t m a n n 79, 143, 150 H a u p t m a n n 278 H e g e l 14, 16 Heindl 58, 63 Heller 278 Hellwig 234 H e n k e 241 H e n n i n g 222 v. Hentich 124, 234, 263 H e s s e 292, 293 v. d. H e y d t 64, 69 Hitzig 39 Ho che 3, 11, 19, 24, 29, 92, 200, 211, 212, 224, 235, 237, 253, 317 H o f f b a u e r 280 H o m b u r g e r 42 Höpler 25 H ü b n e r 102, 103, 113, 135, 187 H ü r t e n 67 I h e r i n g 14 Illing 24 J a c o b i 338 J a h n 310 J a h r r e i s 21 Jarcke 16 J a s p e r s 6, 30, 206, 209, 314, 327, 331, 332 J a e n s d i 81, 85, 87, 236, 237 J o e l u. F r a e n k e l 298 J o ö 50 J o s m a n n 258 Kahl 41 K a h n 32, 40, 54 Kalberlah 249 Kant 1 Kihn 50, 270 Klages 231 Klare 236, 238, 240 Kleist 43 Klieneberger 43 Kloos 220, 245, 314
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Klug 191, 195 K n a p p 31 Knoll 105, 191, 200 Koch 15 Koch 238 Kolle 81, 83, 235, 338 Koller 69 Kosmehl 301 Kraepelin, E. 1, 68, 164, 206, 241, 242, 243, 267, 271, 284, 311, 330, 332, 333, 334 Kretschmer 6, 43, 138, 213, 318, 321, 324, 325, 328, 329, 338 Kreuser 186 Kronfeld 331 Kümmerlein 94 Lang 236, 237 Lange, J o h . 25, 45, 49, 73, 75, 81, 85, 87, 88, 206, 221, 232, 246, 306, 307, 315, 318, 324, 331, 338 Lange-Bostroem 206, 221, 232, 267, 324, 331 Lange-Eichbaum 44 L a n g e l ü d d e k e 9, 45, 47, 49, 64, 79, 81, 84, 109, 160, 205, 318 Langen 262 Laubenthal, M a r x u. — 276 Lautier 41 Legrand du Saulle 279 Lehmann 229 Leibbrand 158 Lemke 236, 237 Lehs 240 Leppmann 124, 279 Liebnitz 170, 171 Liepmann 219 Lindenberg 253 Lindsay 172 Lipmann, O. 208 v. Liszt 14, 58, 187 Löwe 121 Lübbers 15 Luxenburger 170, 171, 306, 307, 309, 310, 311, 322 Maier, H. W . 298 Maier, W . 306 M a k o w s k y 67 M a n s e r 47 M a r b u r g 248 M a r x 276; — u. Laubenthal 276 Maßfeiler 170, 171
360
Autorenverzeiciinis
Mayer, L. 25 Mayer (Jur.) 33 Mazzei 262 Meinhof 170 Meggendorfer 68, 70, 154, 159, 169, 175, 176, 282, 288, 292, 293, 294, 298, 301 Meyer, P. 11 Meywerk 81, 84, 85, 86, 97 Mezger 2, 22, 26, 29, 32, 37, 41, 42, 46, 52, 63, 67, 68, 73, 88, 94, 95, 96, 104 Michel 241 Middleton 280 Mikorey 26, 68 Moeli 307 Moschel 191 Moser 263 Mößmer 172 Mugdan 140 Mühlens 256 Müller, B. 33 Müller-Heß 75 Niedenthai 54 Niemann 297 Nitsche 170 Nyssen, Alexander u. — 258 Olden 222 Olshausen 102 Oppenheim 193 Oslander 241 Paech 110 Palandt 138, 151, 155, 172, 175 Panse, Pohlisdi u. — 292 Parkes 286 Parzinger 89 Perria 262 Peters 35, 91, 92, 94, 98 Pfeifer, B. 248 Pick 32 Pittard 85 Planck 188 Plaut 208 Pohlisch u. Panse 292 Poppelreuter 250, 253 Preiser 48 Quentin u. Sieverts 88 Quensel 191 Quistorp 15
Radbruch 43 Raecke 25, 312 Rauch 179, 233 Reidiardt 191 Reid 263 Reinhardt 190 Reiß 330 Riese 180 Rietzsch 78 Rittershaus 33 Rodenwaldt 246 Rodewald 87 Rosenberg 121 Roesner 235 Roßbach 191 Rossolimo 245 Rücker 46 Rüdin 164, 310; Gütt Ruttke 170 Rümelin 38 Runge 259, 262 170 Ruttke, Gütt-Rüdin Salinger 50 Saltzwedel 37 Sand 81, 82, 85 v. Scanzoni 165, 167, 171, 172, 175, 176, 179, 181 Schaefer-Wagner-Schafheutle 32, 37, 46, 64, 76 Schafheutie, Sdiaefer-Wagner 32, 37, 46, 64, 76 Scheid 248, 250, 310 Schellworth, Dansauer u. — 190, 195 Schiedt 97 Schilder 25 Schipkowensky 319 Schlaeger 33 Schleich 242 Schmidt, E. 110, 111, 113 Schmidt, G. 241, 279 Schmidt, W. 35 Schmidt 99, 280 Sdimidt-Lamberg 241 Schneider, C. 50 Schneider, Kurt 43, 45, 46, 227, 231, 250, 310, 321, 327, 328, 329, 330, 332, 334, 335 Schönke 35, 56, 74, 76, 99, 102 Schottky 67, 70, 252 Schroeder, P. 16, 33, 67, 236 Schultz, J . H. 236 Schultze, E. 33, 46, 79, 106, 129, 131, 136, 144
361
Autorenverzeichnis Sdxwaab 97 Schwab 325 Schwellnus 55 Scbwinge 104 Seelert 195 Seelig 38 Seiffert 198 Sellheim 281 Sertürner 293 Sieverts 46, 89 Sieverts, Quentin u. — 89 Skalweit 46 Solbrig 30 Sommer 179 Spranger 92, 234, 235, 236, 238, 242 Staudinger 128, 129, 130, 135, 139, 143, 151, 155, 158, 162, 163, 187, 189 Steinwallner 78, 81, 164 Stern, F. 259, 263, 264 Stern, W. 120, 207, 208, 246 Stertz 54, 263, 264, 272 Stier 191, 193 Stock 47 Sträußler 50 Striehn 81 Strohmayer 243 Stutte 276 Sutermeister 57 Taussig 21 Thurnwald 218 Többen 33, 70, 73, 79, 241 Trembur 110 Trumpp 164 Trunk 54 Tuczek 39
Laagelüddeke
Gerichtliche Psychiatrie.
Viernstein 234 Villinger 99, 159 Vogt, C. 5 Vogt, O. 5 Vorkastner 25, 40, 101, 102, 113, 114, 119, 124, 135, 137, 138, 144, 162, 183 Volkmar 167, 172, 175, 179 Wagner-Schaefer-Schafheutle 32, 37, 46, 64, 76 Wagner-Jauregg 242, 256 Weber 229 Weiler 45 Weinberg 279 Welzel 73 Wernicke 291 Westphal 220 Wetzel 38, 40 Weygandt 164, 243, 256 Wiethold 88 Wilmanns 19, 42, 43, 49, 99, 143, 318, 319, 335 Wimmer 262 Wisch 262 Wißmann 43 Wolf 81, 83, 84 Wolff, Fraeb u. — 205, 292 Wölfle 42, 46 Wollenberg 39, 307 Wundt 227, 228 Wussow 191, 194, 200 Xingas 81 Ziehen, Th. 39, 41, 332
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