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German Pages 172 [170] Year 2020
Daniela Dueck
Geographie in der antiken Welt Mit einem Kapitel von Kai Brodersen Aus dem Englischen von Kai Brodersen
Englische Originalausgabe: »Geography in Classical Antiquity« © Cambridge University Press 2012
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Die Buchhandelsausgabe erscheint beim Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt/Mainz ISBN 978-3-8053-4610-8 www.zabern.de Einbandabbildung: Ausschnitt aus der Ptolemäischen Weltkarte – Holzschnitt, koloriert. Aus: Atlas der Alten Welt nach Claudius Ptolemäus, Geographia, Rom, 1478, Nachdruck (?), Strassburg 1513. Maps C.1.d.9 © akg-images / British Library Einbandgestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt am Main
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978–3–534–26254–0 (für Mitglieder der WBG) eBook (epub): 978–3–534–26255–7 (für Mitglieder der WBG) eBook (PDF): 978–3–8053–4685–6 (Buchhandel) eBook (epub): 978–3–8053–4686–3 (Buchhandel)
Inhaltsverzeichnis Kapitel I: Einführung 7 1. Überblick und Darstellungsziel 7 2. Formate, Kontexte und Terminologien 3. Geographie und Politik 18 4. Griechische und römische Geographie
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Kapitel II: Beschreibende Geographie 29 1. Mythos, Epos und Dichtung 29 2. Die historiographische Tradition 45 3. Reiseberichte und Wundererzählungen 63 Kapitel III: Wissenschaftliche Geographie 81 1. Formen und Größen 81 2. Die Theorie der Klima-Zonen und die Ethno-Geographie 3. Die Lokalisierung von Koordinaten 104 Kapitel IV: Kartographie 115 1. Eine vorindustrielle Welt 115 2. Beschreibende und wissenschaftliche Kartographie 3. Karten im Dienst des Staates? 123 Kapitel V: Geographie in der Praxis 127 1. Die Verbindung zwischen Erfahrung und Text 2. Geographisches Allgemeinwissen 134 Anhang 139 Anmerkungen 139 Zeittafel 148 Literaturverzeichnis 153 Abbildungsnachweis und Dank Register 167
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1. Überblick und Darstellungsziel
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Kapitel I Einführung 1. Überblick und Darstellungsziel Heute kann man bequem zu Hause bleiben und mit einem einzigen Mausklick einen ausführlichen Blick auf irgendeine Straßenecke in einer Stadt auf der anderen Seite der Welt werfen, ein Flussdelta in einem entfernten Kontinent untersuchen oder die Dimensionen eines Hunderte von Kilometern entfernten Berges in Erfahrung bringen. In der Antike – einem Zeitalter, in dem die Menschen selten ihren Geburtsort verließen – waren die Horizonte hingegen schmal und durch unbekannte und furchterregende Gebiete begrenzt, und die Messinstrumente waren einfach: Wie konnten die Menschen da entdecken, dass die Erde rund ist? Wie schätzten sie ihre Größe? Wie suchten Händler und Siedler nach neuen Territorien in unbekannten Gebieten? Wie konnten sich Feldherren mit Armeen aus Griechenland in den Iran oder nach Indien aufmachen? Die Griechen und Römer taten all dies und mehr und brachten Leistungen hervor, die auf vielerlei Weise noch heute die Grundlage unserer eigenen geographischen Vorstellungen bilden. Geographie – wörtlich eine in Schrift oder Zeichnung (graphe) gefasste Beschreibung der Erde (ge) – entsteht immer und überall aus dem Bewusstsein des Menschen von seiner eigenen Umgebung, aus Begegnungen mit fremden Ländern und Völkern und – wie jeder menschliche Wissensbereich – aus der puren Wissbegierde und dem Wunsch, beobachtete Phänomene zu verstehen. Diese drei Motive – Bewusstsein, Begegnungen und Wissbegierde – müssen bereits in den frühen Perioden der Formung griechischer kultureller Bildung bestanden und in unterschiedlicher Weise die ganze Antike hindurch angedauert haben. Griechische Untersuchungen von Landschaften und der Umwelt und ein Interesse an fernen Gebieten und an Ideen über die Form der Erde gab es bereits lange, bevor diese Probleme als eine Disziplin anerkannt wurden.
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I Einführung
Den Menschen der Antike fehlte nicht nur eine klare Definition der Geographie1 als Disziplin, es gab auch keine Geographen und geographischen Werke im Sinne spezialisierter Autoren und Werke mit klaren spezifischen Eigenschaften und Qualifikationen. Geographische Themen erschienen vielmehr in fast jedem literarischen Genre: Werke, die exklusiv und bewusst geographischen Problemen gewidmet sind, konnten in Prosa oder in Versen geschrieben sein, konnten die Welt als Ganzes oder ein kleines Gebiet auf der Welt behandeln, oder konnten sich entweder mit Konzepten oder mit Berechnungen befassen (siehe Kapitel I 2). Für Autoren von ‹Geographien› waren keine besonderen Sachkenntnisse erforderlich: Dichter, Historiker, Reisende und Philosophen befassten sich alle mit geographischen Gegebenheiten. Auch wurde in der Ausbildung von Kindern und Jugendlichen der griechischen und römischen oberen Schichten Geographie nicht um ihretwillen studiert: Geometrie und Astronomie bildeten einen Teil der höheren Bildung, doch nur im Zusammenhang mit Homer als eine Mischung von Fakten und Fiktionen oder als Kulisse für historische Ereignisse, hauptsächlich Kriege.2 Trotz dieses Fehlens einer antiken Fachdisziplin Geographie können die Wörter ‹Geographie› und ‹geographisch› bei modernen Diskussionen über die klassischen Begriffe von Raum, Landschaft und Umwelt nicht vermieden werden. Dieser Gebrauch muss aber genauer gefasst oder in den Zusammenhängen modifiziert werden, in denen die Gefahr der Zweideutigkeit besteht, und dem Leser muss zugemutet werden, zwischen dem modernen und dem antiken Konzept zu unterscheiden. Wie andere Forschungsgebiete in der Antike wurden geographische Schriften von einem beschränkten sozialen Kreis erzeugt und gelesen. Man musste des Lesens und Schreibens kundig sein, um Berichte über Reiseerfahrungen zu verfassen, und man musste gut gebildet sein, um wissenschaftliche Theorien und Beobachtungen zu diskutieren. Fortgeschrittene mathematische und astronomische Sachkenntnisse waren besonders in den wissenschaftlichen und kartographischen Zweigen der Geographie erforderlich. Und waren die Werke schließlich vollendet, mussten sie sowohl physisch (durch Abschriften) als auch kognitiv (mit Lese- und Schreibkundigkeit) zugänglich sein, um in Wort oder (sofern Graphiken dazugehörten) Bild verbreitet zu werden. Auch wenn es schwierig ist, die Situation genau zu bewerten, scheint das Ausmaß von geographischen Kenntnissen unter dem ungebildeten Volk beschränkt gewesen zu sein (siehe Kapitel V 2). Mündliche Berichte – etwa durch Händler und Soldaten – oder öffentliche Denkmäler wie Inschriften und Skulpturen müssen zwar einem breiten Publikum zugänglich gewesen sein, doch schufen selbst diese wahrscheinlich nur
1. Überblick und Darstellungsziel
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amorphe Ideen von entfernten Ländern und Nationen, nicht aber ein zusammenhängendes Konzept von der Welt. Für die gewöhnliche Person war diese Ignoranz wahrscheinlich nicht von großer Bedeutung. Anders lag die Sache bei einem militärischen Führer oder einem Händler, wenn er keine Idee hatte, wo er war, wohin er ging, wie lange sein Weg oder seine Fahrt dauern würde und welche Bedingungen er am Ziel vorfinden würde. Drei historische Hauptprozesse beeinflussten die Entwicklung der Geographie in der klassischen Antike: erstens die griechische ‹Kolonisation› der Archaischen Periode (8. – 6. Jh. v. Chr.), zweitens die Feldzüge Alexanders des Großen und die Expansion der griechischen Welt nach Osten (4. Jh. v. Chr.), und drittens die Konsolidierung des Römischen Reiches, insbesondere in der Zeit des Kaisers Augustus, aber auch unter den Kaisern Claudius und Traian (1. Jh. n. Chr.). Alle drei Prozesse förderten die militärische Expansion sowie die Kenntnis über zuvor unbekannte Gebiete der Welt und eine bessere Bekanntschaft mit den näher gelegenen. Diese drei Wellen führten zur Dokumentation von neuen Erfahrungen, brachten neue Gattungen hervor und verstärkten Tendenzen innerhalb der Entwicklung der Geographie. Dies bedeutet nicht, dass in anderen Perioden das Interesse an Geographie stagnierte oder gar zurückging. Wie wir sehen werden, waren geistige Prozesse dieser Art in der ganzen Antike konstant. Aber die Ausweitung der Horizonte beeinflusste – was nicht überrascht – direkt das Ausmaß der Kenntnisse über die Welt, schuf aber zugleich intellektuelle Probleme und neue Lösungen für alte Probleme. Dieses Buch bietet eine kurze Einführung in die antike griechische und römische Geographie von ihren bekannten Anfängen im Archaischen Zeitalter bis ins späte Römische Reich.3 Wir wollen einen Überblick über die erhaltene Literatur bieten, um das Ausmaß der antiken geographischen Kenntnisse bei sich ändernden Grenzen und sich erweiternden Horizonten im Blick auf die ursprünglichen Zusammenhänge und Formate geographischer Belege und Darbietungen vorzustellen. Wegen der besonderen Natur antiker geographischer Quellen wird hier nicht chronologische Abfolge als primäres Aufbaukriterium genutzt. Vielmehr wird die nachfolgende Darlegung in drei den antiken Ansätzen entsprechende Gruppen eingeteilt: 1. der beschreibende, wörtliche und literarische Ansatz, 2. die wissenschaftliche, mathematisch-exakte Methode, 3. die (karto)graphische, visuelle Technik. Dabei überlappen sich gelegentlich die einzelnen Abschnitte eines Kapitels chronologisch mit denjenigen eines anderen, das zeitgleiche Transforma-
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tionen und Entwicklungen in einem anderen Kontext präsentiert. Außerdem sind einige Texte und Autoren für mehr als einen Zusammenhang wichtig und werden nach Bedarf im Anschluss an die jeweilige Erörterung angeführt. Obwohl die verbalen, beschreibenden Arten der literarischen Geographie (Kapitel II) sich in der Methode grundsätzlich vom mathematischen und wissenschaftlichen Ansatz (Kapitel III) unterschieden, waren sie nicht unbedingt reine Fiktionen. Da sie sich hauptsächlich in Form von geographischen Exkursen innerhalb historiographischer Werke entwickelten, lieferten sie das ‹wahre› Bild von Örtlichkeiten oder belegten Ereignissen; es ist daher angemessen anzunehmen, dass sie einem breiteren Publikum zugänglich waren als Werke mit einem streng wissenschaftlichen Ansatz. Wissenschaft begann mit den naturkundlichen Diskussionen der vorsokratischen Philosophen, die Theorien über die Struktur und Essenz des Weltalls und die natürliche Gestalt der Welt boten – einschließlich ihrer Form, Größe, Grenzen und Bewohnerschaft. Auf diese Grundlagen baute die mathematische Geographie auf, die versuchte, die Erde durch die genaue Berechnung zu definieren. Der wissenschaftliche Ansatz erzeugte nicht nur schriftliche Aufzeichnungen, sondern ebnete auch den Weg für erste Versuche, Teile der Welt graphisch zu präsentieren (Kapitel IV). Mehrere Elemente sollten das Rückgrat der antiken Geographie bilden. Deren Wahrnehmung wird durch den Vergleich mit parallelen Erfahrungen und Methoden der modernen Geographie geschärft:4 Alltagsbezug: Geographische Interessen entstanden in der griechischen Welt aus täglichen Bedürfnissen. Weil die Griechen rings um das Mittelmeer und das Schwarze Meer lebten und sich für Krieg und Handel auf den Seetransport verließen, brauchten sie Information über Seewege und fremde Länder. Ähnlich versorgte Geographie die Römer mit Details, die zu militärischen Zwecken und Verwaltungsaufgaben notwendig waren, während der wachsende Verkehr von Menschen und Waren eine Nachfrage nach genauer Reiseinformation schuf. Im Unterschied zu den meist akademischen und theoretischen Interessen der modernen Geographie war die antike Geographie direkt mit dem täglichen Leben verbunden und beruhte nicht auf Forschungen hochqualifizierter ‹Geographen›, sondern auf den Erfahrungen von gewöhnlichen Augenzeugen. Konzepte: Jeder Wissensbereich spiegelt größere geistige Entwicklungen wider, und die antike Geographie bildet keine Ausnahme davon. Beispiele hierfür sind die aufkommende Theorie einer runden, nicht flachen Erde, ein neues Verständnis der Beziehung zwischen Land und Meer sowie Fra-
1. Überblick und Darstellungsziel
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gen der Ethno-Geographie, die das Verhältnis von Klima und Charakter betonten. Menschliche Dimension: Im Unterschied zu modernen Geographen, die sich für alle Teile des Globus interessieren, untersuchten die Menschen der Antike nur bewohnte Gebiete. Unbewohnte Regionen oder Wüsten wurden nicht erfasst und nicht dokumentiert, so dass sie aus dem Rahmen der bekannten Welt fielen. Andere Kontinente als Europa, Asien und Afrika wurden nicht gesucht, und in bekannten Gebieten wuchs das Ausmaß von Kenntnissen nur infolge demographischen Wachstums und militärischer Eroberung an.5 Zwar wurden einige Versuche unternommen, unbekannte Gebiete zu erforschen, und die natürliche Wissbegierde reizte die Einbildungskraft. Aber im Allgemeinen galten Gebiete am Rand der bekannten Welt nicht nur als gefährlich und furchterregend, sondern auch als unbedeutend, da sie nur leeres Land ohne menschliche Bewohner waren. So bezeichneten die Griechen nach Herodot – und später die Römer – die Welt als oikumene (‹bewohnt›), womit sie die menschliche Dimension als Ort der Wohnung (oikia) einbezogen und unbewohnte Weltteile, hypothetische Landmassen und den Ozean, der die oikumene umfasste, ausschlossen. Technik: Die moderne Geographie nutzt (etwa seit dem Ersten Weltkrieg) Luftaufnahmen, Satellitenbilder und geographische Informationssysteme (GIS) und nutzt eine genaue quantitative Methodik, die auf Karten und Statistiken beruht.6 Die Griechen und Römer verließen sich in erster Linie auf Sinneseindrücke und logische Beweisführung und beförderten gelegentlich ihr Verstehen mit wohldurchdachten wörtlichen Berichten. Ihre Methoden und Instrumente waren einfach,7 aber das hinderte sie nicht daran, eindrucksvolle wissenschaftliche Durchbrüche zu erreichen. Die Geschichte der antiken Geographie ist daher teilweise ein Überblick über wissenschaftliche Methodiken und zeigt, wie auch bei Nutzung primitiver Werkzeuge elaborierte Berechnungen ausgeführt wurden. Das Verständnis der geographischen Konzepte und Praktiken in der Antike ist aus mehreren Gründen wichtig. Der einfachste ist der sprachliche und toponymische Beitrag der Antike zur modernen Fachsprache: Begriffe wie ‹Europa›, ‹Atlantik› und ‹Klima› haben alle griechische Ursprünge. Wichtiger freilich ist, dass die Menschen der Antike die Fundamente für die moderne Wissenschaft im Allgemeinen und für die moderne Geographie im Besonderen schufen. Indem sie Fragen zum ersten Mal stellten und indem sie Probleme analysierten und Berechnungen und Taxonomien lieferten, befassten sie sich mit Themen, die Geographen noch heute beschäftigen.
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I Einführung
Trotz der Einfachheit ihrer Instrumente versuchten die Griechen und die Römer, ihre Welt zu erforschen, sie zu vermessen und ihre natürlichen und menschlichen Phänomene zu verstehen. Zudem ist es einfach auch lohnend zu untersuchen, wie geographische Vorstellungen in vormodernen Gesellschaften funktionierten und welche spezifischen Interessen und Tätigkeiten die antike Geographie umfasste. Dieses einleitende Kapitel führt in zwei allgemeine Themen ein, die von einer bestimmten Zeit, einem Ort oder einer Gattung unabhängig, aber für das Verstehen der antiken Geographie notwendig sind. Das erste (Kapitel I 3) behandelt die Frage, wie sich geographische Diskussionen, die Entwicklung von Gattungen und der Fortschritt von Kenntnissen zur Expansion und Eroberung in verschiedenen Perioden verhalten; anders gesagt behandelt es die Natur der Verbindung zwischen der Politik der Expansion und den geographischen Kenntnissen und Vorstellungen. Dieses Problem ist eng mit dem zweiten verbunden (Kapitel I 4), einem Vergleich der griechischen und der römischen Geographie. Oft wird die Auffassung vertreten, dass in den kulturellen und geistigen Bereichen Rom Griechenland folgte. Aber gilt dies auch hinsichtlich der Geographie? Dieses Buch erwähnt notwendigerweise viele Namen, Autoren und Werke. Es liegt dennoch außerhalb seiner Zielsetzung, alle einschlägigen Belege zu behandeln. Unsere Absicht ist vielmehr, soweit möglich ein zusammenhängendes Panorama unseres Themas zu präsentieren und die Haupttendenzen und Richtungen hervorzuheben.
2. Formate, Kontexte und Terminologien Dass jede Untersuchung der griechischen und römischen Gesellschaft von den beschränkten erhaltenen Quellen abhängt, ist weithin bekannt. Zwar können einige Fragen zur antiken Geographie mit Bezug sowohl auf schriftliche Quellen als auch auf archäologische Zeugnisse beantwortet werden, doch ist man zumeist allein auf die schriftliche Dokumentation einschließlich Inschriften angewiesen. Zudem bedeuteten, wie schon oben bemerkt, die besondere Entwicklung des Wissensgebiets und die Tatsache, dass Geographie direkt mit der sozialen und politischen Erfahrung verbunden war, dass es keine eigenständige Gattung geographischen Schrifttums gab, sondern dass geographische Informationen in verschiedenen literarischen Stilen und Kontexten erscheinen. Überall in der Antike wurde literarischen Werken, die sich mit geographischen Problemen befassen, eine Vielfalt von Benennungen und Titeln bei-
2. Formate, Kontexte und Terminologien
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gefügt. Die jeweiligen Bezeichnungen spiegelten im Allgemeinen Inhalt und Struktur des Werks wider, doch gab es keine standardisierte Terminologie. Wie wir sehen werden, verwechselten die Menschen der Antike selbst manchmal Titel und Formate, doch sollte uns das nicht davon abhalten zu versuchen, eine grundlegende Terminologie zur Beschreibung schriftlicher geographischer Aufzeichnungen zu bestimmen. Es folgt daher ein kurzer Abriss von Gattungen und literarischen Formaten, die mit der antiken Geographie verbunden sind, und zwar so sortiert, dass sie von einfachen Listen bis zu ausgearbeiteten umfänglichen Beschreibungen fortschreiten. periploi:8 Die griechische Zivilisation begann in der Ägäis und breitete sich aus demographischen und wirtschaftlichen Gründen an die Westküste Kleinasiens, nach Sizilien und Süditalien, weiter westlich nach Südfrankreich, Südostspanien und Nordafrika sowie rings um das Schwarze Meer aus. Seewege und die Seefahrt waren zentrale Bestandteile des täglichen Lebens und für Handel und Erkundungsfahrten notwendig. Wegen der Sicherheit und besseren Orientierung war die Navigation gewöhnlich auf Routen entlang der Küstenlinien beschränkt. Diese Gewohnheit wurde die Grundlage für eine Gattung schriftlicher Berichte in der Form von Listen, die gemäß des Ablaufs einer Fahrt entlang einer Küstenlinie sortiert sind und Hafen-Namen, Entfernungen, Richtungen und grundlegende lokale Information enthalten. Solche Kataloge wurden als periploi bekannt (Singular periplus, ‹Umfahrung›). Diese Aufzeichnungen präsentierten üblicherweise praktische Informationen über Stätten an den Seewegen, gewöhnlich entlang von Küsten oder Flussufern. Die periploi erwähnen Stätten also gemäß der Anordnung auf der Route, einschließlich der Entfernungen zwischen ihnen, die häufig als Zahlen von Fahrttagen beschrieben wurden. Zu diesen grundlegenden Angaben wurden gelegentlich weitere Informationen hinzugefügt, etwa zur lokalen Topographie, zur Geschichte und zu den ansässigen Völkerschaften. Eingeschlossen waren gelegentlich auch Hinweise auf das Binnenland, die über eine bloße Aufzählung von schiffbaren Flüssen hinausgingen. Beschreibungen des Umrisses von Inseln standen meist am Ende solcher Überblicke. Diese praktischen Daten, zunächst unter Seeleuten nur mündlich weitergegeben, wurden also in schriftlicher Form niedergelegt, um künftigen Reisenden – vorwiegend Siedlern und Händlern – zu helfen. Was auf einst tatsächliche Fahrtberichte zurückging, wurde so zum organisatorischen Grundsatz für Texte, die nicht auf solchen Fahrten beruhten. Allmählich gewannen periploi auch eine beschreibende Dimension, da sie Verweise auf Flora und Fauna, auf von Menschen geschaffene Denkmäler und auf ethnographische Merkmale umfassten (Kapitel II 3).
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itinerarium:9 Wie die griechischen periploi, deren organisatorischer Stil aus der linearen Anordnung von Fahrten entlang der Küstenlinien abgeleitet war, versorgte das lateinische itinerarium (von iter ‹Weg›) Reisende – einschließlich Soldaten – mit der katalogisierten Information über Stationen und Entfernungen entlang der römischen Routen. Der massive Ausbau des römischen Staates am Ende der Republik und insbesondere seit dem Augusteischen Zeitalter machte Verwaltungsanpassungen notwendig, die den Abgesandten aus dem Machtzentrum in Rom einen leichteren Zugang zu entfernten Teilen des Reiches erlaubten. Zu diesem Zwecke schufen die Römer ein wohldurchdachtes und effizientes Straßen- und Transportsystem (den cursus publicus), zuerst in Italien und dann in verschiedenen Teilen Europas, Asiens und des Nahen Ostens.10 Dieses Straßennetz wurde die lineare Grundlage für die römischen itineraria und später für christliche Pilgerfahrt-Berichte und -Führer (Kapitel II 3). periëgesis und periodos ges: Das Interesse am Binnenland kam besonders in der hellenistischen Periode als Folge der besseren Möglichkeiten des Reisens und der wachsenden Wissbegierde über neue Länder und Völker auf. Erschöpfende geographische Überblicke, die Hinweise auf solche Gebiete umfassten, wurden später als periëgeseis (‹Umher-Führungen›) bezeichnet; sie boten weit mehr als bloße Listen. Vielmehr beinhalteten diese Prosa- oder Vers-Schriften Überblicke über Landschaften und Regionen, Flora und Fauna sowie Angaben zu den jeweiligen Bewohnerschaften, deren Erscheinungsbild und deren Sitten und Gebräuchen. Ein eng verwandter Begriff für solche Überblicke war periodos (‹Umher-Gang›) im Sinne einer Reisebeschreibung. Das Wort erscheint meistens im Ausdruck periodos ges, der für eine Beschreibung der ganzen Welt, nicht aber eines einzelnen Gebiets auf der Welt verwendet wird. chorographia: Detaillierte Beschreibungen kleinerer Gebiete oder spezieller Länder kamen größtenteils im hellenistischen Zeitalter auf. Der übliche Begriff für solche Überblicke war chorographia, die Beschreibung einer chora (‹Land, Gebiet›), im Gegensatz zu geographia, der Beschreibung der ganzen Welt.11 Werke wie Persika (Ktesias) und Indika (Ktesias und Megasthenes) gehören in diese Kategorie. Der Begriff chorographia kann aber auch gebraucht werden, um die Beschreibung eines speziellen Gebiets innerhalb des breiteren Zusammenhangs einer universalen Geographie zu bezeichnen, etwa im Fall der Regionalüberblicke in einzelnen Büchern der Geographie des Strabon zu beziehen (Kapitel II 1).
2. Formate, Kontexte und Terminologien
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Topographische und ethnographische Informationen wurden auch in Exkursen der hauptsächlich chronologisch geordneten und erzählenden historischen Werke geboten.12 Der Schwerpunkt solcher Werke lag natürlich auf politischen und militärischen Ereignissen und den daran beteiligten Personen. Doch machte die Bewertung solcher Ereignisse – und besonders strategischer Manöver – häufig eine Vertrautheit mit den räumlichen und menschlichen Verhältnissen der Szene erforderlich. Die Notwendigkeit der Kenntnis von Orten, Topographie, Toponymen und Entfernungen bedeutete so, dass geographische Erörterungen für die Historiographie und verwandte Gattungen grundsätzliche Bedeutung erlangten. Den Standard dafür setzte Herodot, indem er in seinen Historien ausführliche Beschreibungen von Gebieten unter persischer Herrschaft wie Ägypten, Indien und Skythien bot. Solche Exkurse wurden ein wichtiges Kennzeichen späterer historischer Darstellungen, etwa derer von Thukydides, Polybios, Sallust und Tacitus. Oft übernahmen geographische Exkurse dieser Art den lakonischen Stil früher periploi und periodoi, wobei sie die Persönlichkeiten und den Geschmack der einzelnen Autoren widerspiegelten. Weil geographische Exkurse eine entscheidende Rolle beim Voranbringen der Erzählung spielten, waren sie häufig geradezu notwendig und in das Vorhaben integriert (zu Einzelheiten siehe Kapitel II 2). Moderne Gelehrte haben versucht, eine antike geographische ProsaGattung zu bestimmen. Felix Jacoby glaubte, dass alle antiken Prosa-Texte eine einzige literarische Grundlage hatten, aus denen sich in evolutionärer Weise die Untergattungen entwickelten. Jacoby definierte Historiographie allgemein als einen literarischen Stil, der alle Formen der nicht-fiktionalen Prosa einschloss, und verwies darauf, dass der Inhalt und die organisatorischen Grundsätze von historiographischen und geographischen Werken einander sehr ähnlich seien.13 Ein anderer verbreiteter Ansatz sieht Historiographie und Geographie als getrennte Gattungen, von denen die eine den Hintergrund für die andere bietet.14 Dieser Analyse zufolge waren geographische und ethnographische Abschnitte innerhalb historiographischer Werke bloße Exkurse ohne eine Verbindung zum Hauptbericht. Allerdings sind keine bedeutenden Unterschiede in den grammatischen Konstruktionen und dem Vokabular der Historiographie, ihrer geographischen Exkurse und davon unabhängiger Werke der beschreibenden Geographie zu erkennen. Deshalb muss man den breiteren Zusammenhang solcher Exkurse sowie die Zielsetzung des Autors für jedes Werk gesondert betrachten. Ist das geographische Material nur eine stilistische Variation der Hauptlinie des Berichts? Könnte man es aus dem Haupttext herausschneiden, ohne dessen Bedeutung zu verändern? Inwieweit ist ein einzelner Exkurs ein integrierter
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und notwendiger Teil des Ganzen? Antworten auf solche Fragen müssen für jedes Werk einzeln gesucht werden. Schließlich muss kurz etwas über Bereiche der antiken Literatur gesagt werden, die weder in ihrer Zielsetzung noch in ihrem Hauptgegenstand ‹geographisch› sind, die aber geographische Gedanken und Informationen einschließen. Eine ‹geographische Lektüre›15 macht etwa auf zahlreiche einschlägige, aber verstreute Passagen in der griechischen Tragödie und Komödie und im römischen Epos aufmerksam (Kapitel II 1). Wie unten erörtert werden soll, gibt es in den Schriften der Antike viele Stile und Kontexte für die Überlieferung geographischer Fragen. Es scheint keine Regeln zu geben und kein Konsens bestanden zu haben, und selbst wenn spätere Autoren gelegentlich ihre Vorgänger kritisieren, war eine breite Wahl von Formaten verfügbar, um Kenntnisse und Ideen zu präsentieren. Das wird aus der Ansage Strabons über seine Absicht bei der Beschreibung Griechenlands deutlich: Dies haben zuerst Homer und dann auch mehrere andere Autoren behandelt, teils eigens unter Titeln wie «Häfen» oder Periploi oder Periodoi ges oder dergleichen – worin auch das Griechische enthalten ist –, teils indem sie in der allgemeinen Geschichtsschreibung gesondert die Topographie der Kontinente darstellten, wie Ephoros und Polybios das getan haben. Andere haben in das Gebiet der Physik und der Mathematik auch Einiges dieser Art mit einbezogen, wie Poseidonios und Hipparchos. (Strabon 8.1.1)
Die verschiedenen Stile und Themen, die mit der Geographie verbunden sind, können auch anhand der Wege ihrer Überlieferung von der Antike in die Moderne eingeteilt werden. So gibt es einige archäologische Zeugnisse, etwa die Personifikationen von Völkerschaften im Sebasteion von Aphrodisias (in der heutigen Türkei),16 und inschriftliche Belege, vom nur mit fünf Wörtern beschriebenen Meilenstein bis zur kolossalen Liste von Toponymen und Entfernungen auf dem Stadiasmus Lyciae (siehe S. 132 f.). Papyri bewahren Fragmente sonst nicht erhaltener Texte, ebenso sind viele ‹geographische› Bruchstücke in Sammlungen der Überreste von sonst nicht bewahrten griechischen und römischen Historikern und tragischen und komischen Dichtern erhalten.17 Schließlich verdanken wir einige Kenntnisse der mittelalterlichen Überlieferung von Texten in Prosa und Dichtung und von Bildern, etwa die späteren Rekonstruktionen der Karten des Ptolemaios oder der Tabula Peutingeriana (siehe S. 121 und Abb. 1).
2. Formate, Kontexte und Terminologien
Abb. 1: Tabula Peutingeriana (Wien, Nationalbibliothek), Segment 4 (Ausschnitt): Italien mit der Stadt Rom.
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3. Geographie und Politik Antike Staatsangelegenheiten waren mit geographischen Fragen eng verbunden.18 So wurden Feldzüge durch die Ausweitung der geographischen Horizonte angeregt und benötigten für die erfolgreiche Durchführung verlässliche geographische Informationen. Zugleich verbesserten diplomatische und militärische Erfolge die geographischen Kenntnisse und erweiterten sowohl physisch als auch begrifflich die Grenzen der bekannten Welt. Es ist deshalb kein Zufall, dass die Geschichte der Geographie in der Antike häufig mit Eroberungen verbunden wird. Allgemein gesagt nährten Geographie und Politik sich gegenseitig. Die erste systematische griechische Beschreibung von Ländern und Nationen entstand im 5. Jahrhundert v. Chr. aus dem Wunsch Herodots, das Ausmaß des persischen Reiches zu beschreiben. Dieses Riesenreich setzte ihn in Erstaunen; es umfasste ja – aus einem griechischen Blickwinkel – unbekannte Völkerschaften. Das Projekt des Beschreibens machte es erstmals notwendig, systematische Informationen über Inder, Skythen, Ägypter, Äthiopier und ihre Länder zu bieten. Die Verbindung von politischer Expansion und geographischen Kenntnissen wird zum Beispiel offenkundig in Herodots Darstellung, wie Dareios I. den Verlauf des Indus-Flusses untersuchen lassen wollte (Herodot 4.44). Indem er Skylax von Karyanda mit dem Auftrag entsandte, stromabwärts zu fahren, brachte der König die 30monatige Fahrt auf dieser Route über den Indischen Ozean ins Rote Meer und bis nach Ägypten in Erfahrung. Er eroberte dann Indien und sein Meer. Außerdem ließ Dareios überall im persischen Reich das Straßensystem verbessern und ermöglichte es so seinen Amtsträgern, aber auch Reisenden wie Herodot und späteren Autoren, geographische Informationen in ihre Darstellungen einzubeziehen (zu diesen Königsstraßen siehe Kapitel V 1). Eine weitere bedeutende, nichtgriechische politische Kraft war Karthago (im heutigen Tunesien), das die Seewege im westlichen Mittelmeer kontrollierte. Der Beitrag Karthagos zur antiken Geographie ist wichtig, weil die Griechen die karthagischen Leistungen bewunderten und ihre Aufzeichnungen bewahrten, indem sie diese bereits bald ins Griechische übersetzten (siehe Kapitel II). Der Tradition zufolge soll um 500 v. Chr. der Karthager Hanno mit einer großen Expedition von Karthago durch die Straße von Gibraltar entlang der afrikanischen Atlantikküste bis in die Regionen gegenüber der Kanarischen Inseln gelangt sein und unterwegs karthagische Kolonien gegründet haben. Sein Zeitgenosse Himilko unternahm ein vergleichbares Abenteuer entlang der Atlantikküste Nordeuropas. In beiden
3. Geographie und Politik
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Fällen zeigt sich dasselbe Muster: Eine Kombination von Befähigung, Bedürfnis und Wissbegierde veranlasste wirtschaftliche und militärische Kräfte, ihre geographischen Kenntnisse in der Hoffnung auf materiellen Gewinn, besonders auf Waren und Land, zu vergrößern. Innerhalb der griechischen Welt kommen erste Anzeichen für eine Beziehung zwischen Politik und Geographie auf, als Interessen erscheinen, die über eine einzelne polis hinaus gehen. Die Athener, die im Attischen Seebund ein Bündnis führten, in dem sich mehrere poleis nach der Schlacht von Mykale 479 v. Chr. gegen die Perser verbündet hatten, gründeten mehrere Ansiedlungen und Garnisonen im Ägäis-Gebiet. Die Lage dieser Siedlungen war kein Zufall. Selbst wenn der offizielle Vorwand lokaler Streit oder das Misstrauen erweckende Verhalten der einheimischen Bevölkerung waren, enthüllt die Wahl der Stätten einen geopolitischen Gesichtspunkt: Skyros (476 v. Chr.), eine Insel im Zentrum des Ägäischen Meeres; Karystos (472 v. Chr.), eine polis an der Südspitze der Insel Euboia gegenüber von Attika; Naxos (um 468 v. Chr.), eine Insel in der südlichen, und Thasos (463 v. Chr.), eine Insel in der nördlichen Ägäis – alle diese Punkte waren strategisch wichtig und erleichterten die Kontrolle des Ägäis-Gebiets. Es kann kaum Zweifel daran bestehen, dass die Athener und ihre Anführer eine Route der für die Seefahrt wichtigen Orte im Sinne hatten und dass sie sich der strategischen Vorteile dieser Punkte bewusst waren.19 Dies ist vielleicht nicht überraschend: Solche geographischen Fortschritte können der seinerzeit schon alten Bekanntschaft athenischer Seeleute mit der Ägäis zugeschrieben werden. Die Kolonial-Horizonte der Archaischen Periode und die kommerziellen Unternehmungen der Griechen hatten bereits vor langer Zeit die Ägäis zum ‹Hinterhof› Griechenlands werden lassen. Auch archäologische Belege aus frühen Heiligtümern deuten darauf hin, dass die neuen athenischen Ansiedlungen und Garnisonen an Plätzen gegründet wurden, die einen Zugang zu wirtschaftlichen und insbesondere landwirtschaftlichen Ressourcen und zu freundlichen Küsten boten und dabei einen ‹religiösen› Raum bildeten, der frühe geographische Kenntnisse widerspiegelte.20 Der Umfang geographischer Kenntnisse von Festland-Griechen schloss wahrscheinlich die Ägäis und die Kykladen-Inseln, Kreta und die Westküste Kleinasiens ein. Zugleich gibt es Hinweise auf die Grenzen der geographischen Horizonte und auf die Unkenntnis von Gebieten außerhalb den Grenzen der Ägäis. So zeigt Thukydides (6.1.2; 7.44), dass die meisten gewöhnlichen Athener die Topographie Siziliens nicht kannten und sich deshalb übernahmen, als sie sich dafür entschieden, auf der Insel einzufallen. Diese Beispiele belegen, dass vor dem 5. Jahrhundert v. Chr. geographische Kenntnisse in ihrem Umfang noch beschränkt waren
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und dass in einigen Fällen diese Unkenntnis auch politische Entscheidungen betraf. In den Jahrzehnten nach dem Peloponnesischen Krieg, der mit dem Ende der athenischen Überlegenheit über die griechischen Gebiete im Mittelmeerraum schloss, spielten geographische Daten und Ideen in den Werken verschiedener Gelehrter wie Aristoteles, Ephoros und Timaios weiterhin eine Rolle. In jener Zeit bis zum Erscheinen der makedonischen Herrschaft gab es keine stabile Vorherrschaft in der griechischen Welt, und die gegenseitige Beziehung zwischen politischen Vorhaben und geographischen Ideen war weniger auffallend. Geographische Diskussionen wurden allerdings dennoch nicht vernachlässigt. Dann aber erzeugten die Feldzüge Alexanders des Großen eines der sichtbarsten Zeugnisse in der Weltgeschichte für die Beziehung zwischen Geographie und Politik. Unter Alexander kam es nicht nur zu einer Expansion von beispiellosem Umfang, sondern zum ersten Mal zu einer absichtlichen und aktiven Suche nach neuen Horizonten. Während die Sehnsüchte von Alexanders Vater Philipp II., soweit man sie beurteilen kann, sich auf benachbarte Länder beschränkt zu haben scheinen, wandte Alexander seinen Blick zu fernen Horizonten, selbst wenn diese nachgerade phantastisch schienen. Es ist schwierig, in der Geschichte Alexanders des Großen Fakten und Fiktionen zu trennen, weil die späteren Leistungen des Königs zur Schaffung einer Figur mit starken mythischen Obertönen beitrugen. Doch kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Unternehmungen Alexanders eng mit geographischer Erkundung verbunden waren. Er erreichte entfernte Punkte, von denen einige vor seiner Zeit von den Griechen gar nicht besucht worden waren, es sei denn sporadisch von Einzelpersonen. Einige antike Quellen präsentieren sogar das Image eines Königs, der seinen Wunsch nach politischer Macht mit wissenschaftlichen Interessen verband, und stellen ihn als König dar, der nicht nur erobern, sondern auch beobachten und lernen wollte und der deshalb seinen Leuten auftrug, die Eigenarten von unbekannten Gebieten zu registrieren.21 Sei dem, wie es sei: Diese Aufzeichnungen wurden zu einen eindrucksvollen Corpus von Belegen – selbst wenn sie gelegentlich übertrieben waren – über menschliche Gewohnheiten, Flora und Fauna, Topographie und Klima. Sowohl zu Lebzeiten Alexanders des Großen als auch später wurde die Geschichte seiner Leistungen ausgeweitet und durch geographische Mittel übertrieben. Es war zum Beispiel bereits in der Antike bekannt, dass Stätten ‹verlegt› worden waren, um den Erfolg Alexanders noch eindrucksvoller werden zu lassen:
3. Geographie und Politik
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Und auch wenn in dem, was zu seinem Ruhm erzählt wird, alle sich einig sind, dann waren dessen Erfinder doch mehr auf Schmeichelei als auf Wahrheit bedachte Leute, wie zum Beispiel damit, dass sie den Kaukasos von den Bergen oberhalb von Kolchis und dem Schwarzen Meer nach den indischen Bergen und dem ihnen benachbarten östlichen Meer verlegten … (Strabon 11.5.5)
Geographie wurde hier zu politischen Zwecken eingesetzt, um zum großartigen Image des Königs beizutragen. Als Alexander den oberen Indus-Fluss (im heutigen Pakistan) erreichte, weigerten sich seine Soldaten, noch weiter nach Osten zu ziehen: Sie waren müde und konnten kein klares Ziel erkennen. Ob Alexander selbst immer wusste, wohin er zog, ist schwierig zu klären. Anscheinend wurde der König getrieben von einem intensiven Drang, zu unbekannten Grenzen der oikumene zu ziehen; vielleicht war er durch die mythischen Züge des Herakles beeinflusst, der angeblich sein Vorfahr war, und durch die Züge der assyrischen Königin Semiramis.22 Ein paar Jahrzehnte später stellte das Wachstum des römischen Staates, beginnend mit den militärischen Erfolgen und Landgewinnen aus den Punischen Kriegen gegen Karthago, Rom auf die Bühne der Weltmächte. Die Annexion Siziliens am Ende des Ersten Punischen Krieges (241 v. Chr.) erweiterte die römische Macht außerhalb der italienischen Halbinsel, und so kam (wie im Fall anderer Reiche sowohl zuvor als auch später) ‹der Appetit beim Essen›. Dieses Wachstum beruhte auch auf der römischen Bereitschaft, kulturelle Elemente der hellenistischen Welt – einschließlich eines intellektuellen Interesses an Geographie – zu absorbieren.23 Rom wurde bald zur Herrin über alle Gebiete rings um das Mittelmeer, das später als ‹unser Meer› (mare nostrum) beschrieben wurde (z. B. Plinius, Naturkunde 6.142).24 Dieses schnelle und beispiellose Phänomen verlangte eine Erklärung, und mehrere antike Gelehrte – größtenteils Griechen – versuchten, eine solche anzubieten. Polybios (6.11–42), der die römische Expansion im frühen 2. Jahrhundert v. Chr. selbst erlebte, meinte, Roms Mischverfassung und effiziente Armee seien die Basis für seine Macht gewesen.25 Etwa 150 Jahre später, als das Römische Reich unter Augustus größer war als je zuvor, bot Strabon (6.4.1) eine geographische Erklärung an: Rom beherrsche die Welt, weil es in ihrem Zentrum liege, und die natürlichen Charakterzüge der Stadt prädestinierten sie zur Herrschaft.26 Geographische Vorteile und politische Macht wurden so direkt verbunden. Auch wenn sich moderne Interpretationen der Motivationen für die römische Expansion voneinander unterscheiden, ist offenbar, dass die Republik immer mehr von individuellen Politikern abhängig war, deren
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I Einführung
persönliches Streben nach Weltherrschaft eine bedeutende Rolle im Anwachsen der Macht Roms spielte. In diesem Zeitalter der Expansion wurde die geographische Bedeutung der Eroberung in geographischen cognomina (Beinamen) ausgedrückt:27 Eine Gruppe von lateinischen cognomina wurde aus geographischen Begriffen gebildet, meist Völkern, Stämmen, Gebieten und Städten, ferner auch Bergen und Flüssen. Schon im 6. Jahrhundert v. Chr. registrierten die cognomina des römischen Adels die Herkunftsorte ihrer Träger, und zu jener Zeit gab es noch keine Beispiele für Beinamen, die auf fremde Völkerschaften verwiesen. Vom 3. Jahrhundert v. Chr. an, als Eroberungen bedeutend wurden, wurden cognomina auch auf eroberte Städte und Völker zurückgeführt, freilich nur in der Adelsschicht. Dies waren Ehren-cognomina, die Siegern beigegeben wurden, etwa Africanus, Asiaticus, Macedonicus, Ponticus und Balearicus. Die geographische Bedeutung von Eroberungen förderte so die weitere Expansion, indem sie zur politischen Reputation der einzelnen Amtsträger beitrug. Gnaeus Pompeius, Gaius Iulius Caesar und Augustus strebten – jeder auf seine eigene Weise – danach, Gebiete zu erobern, die nie zuvor erreicht worden waren.28 Die Idee von Rom als dominierender Weltmacht fand häufig ihren Ausdruck in der Literatur, die den römischen Staat als den Herrscher des ganzen Erdkreises (orbis terrarum) und als Eroberer aller Völkerschaften bezeichnete.29 Zugleich strebten einzelne Führungspersönlichkeiten danach, das Staatsgebiet zusammen mit ihrem eigenen Ruhm zu erweitern. Ihre Bestrebungen wurden dabei oft bewusst von den legendären Eroberungen Alexanders des Großen abgeleitet.30 So werden in den Quellen die Feldzüge des Gnaeus Pompeius im Osten mit einer beispiellosen und sogar übertriebenen Terminologie beschrieben, die seine außergewöhnlichen geographischen Leistungen betont:31 Auf vorangetragenen Tafeln waren die Länder und Völker verzeichnet, über die er triumphierte. Es waren die folgenden: Pontos, Armenien, Paphlagonien, Kappadokien, Medien, Kolchis, die Iberer, die Albaner, Syrien, Kilikien, Mesopotamien, Phönizien und Palästina, Judäa, Arabien und die Gesamtheit der Seeräuber. … In diesen Ländern waren nicht weniger als 1000 feste Burgen und nicht viel weniger als 900 Städte erobert worden, die Zahl der genommenen Seeräuberschiffe betrug 800, die der neu angelegten Städte 39. … Den höchsten Gipfel des Ruhmes aber, den noch niemals ein Römer erreicht hatte, bezeichnete es, dass er seinen dritten Triumph über den dritten Erdteil feierte, denn Männer, die dreimal triumphierten, hatte es schon andere vor ihm gegeben. Er aber, der den ersten Triumph über Afrika, den zweiten über Europa und nun diesen letzten über Asien einher führte, schien mit seinen drei Triumphen gewissermaßen die ganze bewohnte Erde unter sein Joch gezwungen zu haben. (Plutarch, Pompeius 45)
3. Geographie und Politik
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Auch Gaius Iulius Caesar strebte danach, den Römern neue Horizonte zu eröffnen, wie aus seiner Darstellung des Krieges in Gallien offenbar ist, und Augustus brachte in seinem Tatenbericht (Res Gestae 25–33) ausdrücklich dieselbe Idee vor, wenn er etwa angab: Bei allen Provinzen des römischen Volkes, denen Völkerschaften benachbart waren, die unserem Spruch nicht gehorchten, habe ich die Grenzen erweitert. … Meine Flotte segelte über den Ozean von der Mündung des Rheins weg in östliche Gegenden bis zu den Ländern der Kimbern, wohin weder zu Lande noch zu Wasser irgendein Römer bis zu diesem Zeitpunkt je gelangt war. (Augustus, Res Gestae 26)
Die Kaiser nach Augustus verfolgten ähnliche Ideen. Nach seinem Britannien-Feldzug 43 n. Chr. setzte Claudius (mit dem Beinamen ‹Britannicus›) auf den Giebel des Palasts eine Meereskrone neben die Stadtkrone als Zeichen dafür, dass er den Ozean überquert und gleichsam unterworfen hatte (Sueton, Claudius 17), während Traian (‹Dacicus›) zur Feier seiner Siege über Dakien (101–106 n. Chr.) eine kolossale Säule auf dem Forum aufstellte, deren Reliefband seine Feldzüge darstellte. Solche Gefühle hatte bereits im 1. Jahrhundert v. Chr. der Historiker Dionysios von Halikarnassos beeindruckt kommentiert: Der Staat der Römer gebietet, soweit sie nicht unzugänglich ist und von Menschen bewohnt wird, der ganzen Erde, beherrscht das ganze Meer, nicht nur das innerhalb der Säulen des Herakles, sondern auch den Ozean, soweit er schiffbar ist, und machte – nach der Kunde aller Zeiten – zuerst und allein den Aufgang und Niedergang (der Sonne) zu den Grenzen seines Reiches. … Seitdem die Stadt Rom ihre Herrschaft über den ganzen Erdkreis auszudehnen sich erkühnt …, hat sie kein Volk mehr – weder unter den Barbaren noch unter den Griechen – zum Gegner. … Es ist kein einziges Volk, das ihr die allgemeine Obergewalt streitig macht. (Dionysios von Halikarnassos, Römische Altertümer 1.3.3–5)
Diese gewaltigen Eroberungen erzeugten zusammen mit der ‹Befriedung› feindlicher Völkerschaften und der Ausrottung der Piraterie den ‹römischen Frieden› (pax Romana) ein Riesenreich, dessen Grenzen sich mit denen der oikumene überlappten.32 Diese geopolitische Wirklichkeit wurde weiter genutzt, um politische Absichten durchzusetzen. Römische Dichter besonders der Augusteischen Zeit hatten besondere Freude und Stolz bei der Aufzählung unterworfener Völker und fremdartiger neuer Toponyme. Auf diese Weise drückten sie ihr Entzücken über das Wachstum und die Stärkung des Reiches aus, das direkt mit dem Charakter des Kaisers verbunden wurde, während geographische Namen eine emotionale Wirkung
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auf das Publikum entfalteten.33 Außerdem spielte das geographische Vokabular im öffentlichen Diskurs eine Rolle: Personifizierungen von überwundenen Nationen auf Denkmälern wie Triumphbögen und Münzen und Inschriften mit Listen von Gebieten und Stämmen spiegelten die Erfolge des Reiches und förderten das Prestige einzelner Männer, aber auch den Ruhm und den Stolz des römischen Volkes. In der Antike scheinen politische Erfolge mit Bezug auf die territoriale Expansion und auf die Zahl unterworfener Personen bewertet worden zu sein. Ruhm erlangte man durch die Expansion von räumlichen Grenzen, insbesondere für die Eroberung von bewohntem oder fruchtbarem Land, das Landwirtschaft und Siedlungen ermöglichte. Selbst wenn Namen von Nationen und Stämmen genannt wurden, scheinen sie für natürliche Räume zu stehen. Augustus (in seinem Tatenbericht) und andere römische Führungspersönlichkeiten prahlten nicht mit der Zahl überwundener Personen, sondern – wenn sie überhaupt Gefangene erwähnten – mit deren Rang: Je höher gestellt die Kriegsgefangenen waren, desto großartiger war der Erfolg. Ferne Völkerschaften – insbesondere diejenigen an den Rändern der Welt (Inder, Britannier, Skythen) zählten als besonders wertvolle Erfolge, und exotische und fremde Namen, Gewohnheiten und Naturphänomene erhöhten die Aura außerordentlicher Leistungen. Zum Schluss: Sobald geographische Horizonte erweitert werden, wird Wissbegierde befriedigt, aber auch geweckt. Diese treibende Kraft wird besonders in kriegerischen Gesellschaften, die zur politischen und territorialen Expansion neigen, zum Motor für die Erweiterung der Macht: Das Wissen von einem Gebiet schafft den Willen, es zu erobern, und die Eroberung eines Gebiets erhöht das Wissen über es. ‹Wissen ist Macht›, und dies in einem ganz praktischen Sinn, weil geographisches Wissen militärische Siege und Eroberungen erleichtert, aber auch geistige Wirkung hat: Geographische Kenntnisse schaffen mächtige Herrscher, weil sie zu Propaganda-Zwecken genutzt werden und so zur weiteren Ausdehnung der Macht beitragen.
4. Griechische und römische Geographie Geographie beschäftigte griechische und römische Autoren von unterschiedlichem sozialen, intellektuellen und politischen Status. Im Allgemeinen waren diese Männer sowohl hoch gebildet als auch neugierig, doch gab es einen klaren Unterschied zwischen Aristoteles als griechischem Wissenschaftler, Skylax von Karyanda als hellenisiertem Reisenden aus Karien,
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Gaius Iulius Caesar als römischem Eroberer und Pomponius Mela als römischem Gelehrten. Diese Unterscheidung hängt zwar nicht bloß davon ab, ob diese Autoren auf Griechisch oder Lateinisch schrieben, doch stellt sich die Frage nach dem eventuellen Ausmaß des Unterschieds zwischen der griechischen und der römischen Geographie. Eine Antwort auf diese Frage oder zumindest eine Erläuterung kann man in den sozialen und politischen Zusammenhängen von geographischen Interessen an der griechischen und römischen Gesellschaft suchen – mit dem Vorbehalt, dass beide Gesellschaften unterschiedliche Perioden und Phasen durchliefen. Auch wenn man eine allzu grobe Vereinfachung vermeiden sollte, sind einige allgemeine Tendenzen offenbar. Rom übernahm bewusst und absichtlich einige grundlegende Bestandteile der griechischen Kultur, etwa Literatur und Kunst, und hielt sich an griechische Vorbilder, wenn es griechische Leistungen nachahmte. Darin war die Geographie keine Ausnahme: Die Römer nahmen griechische Traditionen sowohl stilistisch als auch begrifflich an. Strabon kommentiert, dass römische Autoren allgemein ‹Nachahmer der Griechen› seien und das, ‹was sie berichten, bloß von den Griechen übertragen› (3.4.19). Die Geschichte der antiken Geographie beginnt zweifellos mit der griechischen Geographie und wird mehrere Jahrhunderte lang von griechischen Autoren beherrscht. Aber waren die Römer bloße Bewahrer literarischer und begrifflicher Traditionen? Den Schlüssel zur Antwort auf diese Frage bieten die verschiedenen politischen und sozialen Verhältnisse in den beiden Kulturen, die ihre jeweiligen Weltanschauungen beeinflussten. Allgemein gesagt bestimmte das sich ändernde Paradigma einer kleineren Welt, die auf lokale, am Meer gelegene Gemeinschaften im Gegensatz zu einem größeren Landreich beruhte, wie Geographie begriffen wurde und funktionierte. Es scheint auch selbstverständlich zu sein, dass die Geographie in einem imperialen Kontext andere Dinge sucht und beschreibt als in der Zeit der Archaischen Kolonisation oder während der Feldzüge Alexanders des Großen. Griechen strebten danach, Seewege zu dokumentieren und Küstenhorizonte in erster Linie für Handelszwecke zu erweitern. Die wichtigsten Wege zum Erwerb neuer geographischer Informationen waren Erkundungen durch Händler, die häufig von nichtgriechischen Königen und Herrschern angeregt und unterstützt wurden: Ägypter (Necho II. förderte die Phönizier), Karthager (Hanno und Himilko) oder Perser (Dareios I. förderte Skylax von Karyanda). Wissensdrang allein bildete auch die Basis für einige wissenschaftliche – typischerweise griechische – Vorhaben, angefangen mit den vorsokratischen Philosophen. Astronomische Berechnungen und mathematische Schlussfolgerungen, die sich auf Geographie bezogen, waren
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dementsprechend fast ausschließlich Produkte des griechischen Geistes und wurden dann von späteren römischen Autoren imitiert und überliefert. Rom förderte seinerseits die Verbindung von Geographie und Krieg. Man nahm an, dass die Topographie einen Einfluss auf die Strategie haben müsse und dass geographische Kenntnisse eine erfolgreiche Kriegführung unterstützten, und förderte deshalb die geographische Dokumentation, um die Orientierung im Raum zu verbessern.34 Griechische Historiker (Herodot, Thukydides, Polybios) hatten bereits einschlägige geographische Angaben in ihre Darstellungen einbezogen, um Taktiken auf dem Schlachtfeld zu erklären und künftige militärische Führer zu bilden. Dasselbe Muster herrschte in der römischen Historiographie etwa des Sallust vor. Aber die Römer mit ihrer Betonung der Praxis verbesserten diese Tendenz, indem sie nachträglich erstellte akademische Analysen durch die aktuelle Bewertung ersetzten, etwa in Caesars Bellum Gallicum. Es gibt sowohl bei Cornelius Nepos als auch bei Marcus Tullius Cicero Hinweise auf ein früheres Interesse an eher theoretischen geographischen Abhandlungen, die Maße und Beschreibungen verschiedener Weltregionen betrafen.35 Das Werk des Cornelius Nepos fand anscheinend jedoch keine weite Verbreitung, und Cicero gab sein Projekt aus Angst vor der griechischen Kritik gleich ganz auf. Was wirklich vom römischen Interesse an geographischen Problemen erhalten blieb, zeigt, dass sich die Römer weniger für die reine Wissenschaft interessierten, als vielmehr neue geographische Informationen hauptsächlich durch militärische Eroberungen erwarben. Sie begnügten sich meist mit bloßen itineraria, um Orte und Entfernungen aufzuzeichnen. Der Gebrauch der Geographie für politische Zwecke bedarf einiger Überlegungen. Wie schon bemerkt wurde, spielte die Geographie in römischen Kreisen eine bedeutende Rolle, in der sich römische Sehnsüchte und Leistungen widerspiegelten. Tatsächlich waren einige wichtige geographische Werke in griechischer Sprache (etwa die von Strabon oder Dionysios von Alexandreia) so voll von römischer politischer Orientierung, dass die Einordnung dieser Werke als ‹griechische Geographien› fast sinnlos ist. Halten wir fest: Die Beziehung zwischen praktischen Bedürfnissen und literarischer Geographie bestimmte den Grad des Interesses in beiden Gesellschaften, doch gibt es keine klare Art und Weise, antike Werke, die mit der Geographie verbunden sind, als ‹griechisch› oder ‹römisch› zu bewerten; viele ‹neutrale› Texte haben keine besondere zeitliche oder politische Relevanz. Vielleicht kann man aber vorsichtig sagen, dass sich die Griechen zumindest in den früheren Perioden häufig für Küsten (einschließlich derjenigen außerhalb des Mittelmeeres), für das westliche Mittelmeer und für Seewege im Allgemeinen interessierten, wohingegen den Römern beson-
4. Griechische und römische Geographie
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ders am Binnenland, an Grenzterritorien und an den Ländern am Rand der bekannten Welt insbesondere in Nordeuropa und Ostasien gelegen war. Auch die Fragen, die von den Kulturen gestellt wurden, waren verschieden. Die Griechen wollten Größe und Form von Ländern sowie Details von Reisewegen, von lokalen Waren und von Charakterzügen der Bewohner verschiedener Orte wissen. Die Römer neigten dazu, nach Entfernungen, nach Topographie und nach ausländischen Völkerschaften zu fragen, also nach Angaben, die zu einer besseren Orientierung im Raum beitrugen. Schließlich scheint Geographie für jede der beiden Gruppen etwas unterschiedlichen, freilich nicht völlig abweichenden Absichten gedient zu haben: Für die Griechen zielte die Navigation in erster Linie auf den Handel und die wissenschaftliche Erkundung, wohingegen für die Römer Landwege hauptsächlich administrative und militärische Zwecke erfüllten.36
1. Mythos, Epos und Dichtung
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Kapitel II Beschreibende Geographie 1. Mythos, Epos und Dichtung Die vorgeschichtlichen Tontafeln, die Texte in der sogenannten „Linear-BSchrift“ bewahren, und archäologische Zeugnisse belegen die Natur der geographischen Wahrnehmung in der Mykenischen Kultur.37 Die „Pylische Geographie“ aus dem Südwesten der Peloponnes umfasst Listen von Toponymen, die von Norden nach Süden angeordnet sind und so zeigen, dass die Mykener über grundlegende Raumvorstellungen verfügten und zu einer systematischen Konzeptualisierung ihrer Umwelt in der Lage waren. Einen solideren Ausgangspunkt für die Geschichte der antiken Geographie bieten jedoch, wie die Menschen der Antike selbst bemerkten, die frühesten literarischen Zeugnisse aus der griechischen Welt: die homerischen Epen (um 700 v. Chr.). Die Darlegung geographischer Probleme war keineswegs der Prosa-Literatur vorbehalten. Zahlreiche geographische Details, Konzepte und Beschreibungen erscheinen in der griechischen und lateinischen Dichtung. Im folgenden Abschnitt soll gezeigt werden, wie frühe Mythen, die zunächst mündlich überliefert worden waren, in neue poetische Muster geformt wurden, wobei sie Erinnerungen an geographische Situationen vorheriger Generationen bewahrten. So sind diese Mythen wichtige Zeugnisse für jede Untersuchung der antiken Geographie. Ein anderes Untersuchungsgebiet, das mit den Verbindungen zwischen Dichtung und Geographie zu tun hat, ist die Betrachtung der gelegentlich gleichsam nebenbei wiedergegebenen geographischen Angaben, die in poetischen Gattungen wie Epos und Drama bewahrt sind. Am wichtigsten und merkwürdigsten jedoch sind griechische und römische poetische Gattungen, die sich ganz geographischen Themen widmen. Wie wir weiter unten zeigen werden, verwendete sogar die wissenschaftliche Geographie poetische Ausdrücke. Eine Übersicht über die Zeugnisse aus poetischen Mythen, beiläufigen geographischen Hinweisen in der Dichtung und vollständig erhaltenen Texten zeigt,
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II Beschreibende Geographie
dass Gedichte in verschiedenen Epochen eine konsistente Weltanschauung offenbaren. Unter Aufnahme früherer mündlicher Traditionen bewahrten die Epen Ilias und Odyssee Vorstellungen von der Orientierung im Raum, Angaben zu wirklichen Land- und Seereisen, Aufzeichnungen von frühen Toponymen und Echos von ethnographischen Begriffen.38 Wegen all dieser Angaben wurde Homer, der als Autor jener Epen galt, später als ‹der Begründer der Geographie› bezeichnet (Strabon 1.1.2), und seine geographischen Konzepte sowie die informativen Einzelheiten blieben die gesamte Antike hindurch von Bedeutung, ja spielten bei vielen geographischen Diskussionen eine entscheidende Rolle.39 Zusätzlich zu den Anspielungen auf frühe Topographien, ethnographische Merkmale und Toponyme bieten mehrere beiläufige Angaben in Ilias und Odyssee die Basis dafür, die geographische Weltanschauung des Autors und seines Zeitalters zu rekonstruieren. Die wohldurchdachte lebhafte Szene, die vom Schmiede-Gott Hephaistos auf dem göttlichen Schild des Achilleus (Ilias 18.468–617) wiedergegeben wird, zeichnet das geschlossene Bild einer breiten Vielfalt menschlicher Verhaltensweisen und Tätigkeiten: eine Hochzeit, einen Prozess, einen Kampf, landwirtschaftliche Arbeit und Tanz.40 All dies findet in zwei Städten statt, die auf festem Boden liegen und von dem Wasser des auf dem Rand des Schildes gezeichneten Ozeans umgeben sind. Manche Passagen in der Odyssee deuten auf das gleiche Bild von der Welt als großer runder Insel in einem unbegrenzten Ozean hin, „welchem doch alle Ström’, und alle Fluten des Meeres, / alle Quellen der Erd’, und sprudelnde Brunnen entfließen“ (Ilias 21.195–196). Das Bild vom festen Boden, der vom Ozean umgeben ist, erscheint in derselben Zeit auch in dem Hesiod zugeschriebenen Werk Schild des Herakles (314–317) und hatte die ganze Antike hindurch Bestand, auch noch, als die Größe der bekannten Welt wuchs und ihre wirklichen Formen besser bekannt wurden (siehe Kapitel III 1).41 Eine andere Passage bei Homer von geographischer Bedeutung – und zwar in diesem Fall durch die Bewahrung lokaler Informationen – ist der sogenannte ‹Schiffskatalog› in der Ilias (2.493–877):42 Hier sind die Streitkräfte der Achaier gegen Troia nach ihrer regionalen Herkunft verzeichnet, einschließlich Listen von Städten und einigen Epitheta, die kurze geographische und insbesondere topographische Informationen enthalten. So heißt es etwa über die Boioter, dass sie unter anderem „die felsige Aulis bewohnten, / Schoinos auch, und Skolos, und weit die Höh’n Eteonos, / dann Thespeia, und Graia, und weit die Au’n Mykalessos; / … die dann Arne bewohnt voll Weinhöh’n, auch die Mideia, / auch die heilige Nissa, und fern
1. Mythos, Epos und Dichtung
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Anthedon, die Grenzstadt“ (Ilias 2.494–508). Der Wert dieses Katalogs liegt in den Toponymen, die er bewahrt, aber auch darin, wie er sie in geographische Einheiten organisiert, die in einer bestimmten Anordnung benannt werden. Dies zeigt, dass der Autor und die Traditionen, die er bewahrte, stabile Kenntnisse der naturräumlichen, demographischen und politischen Situation dieser Gebiete hatten. Die Verse bieten ein geordnetes geographisches Bild, das für spätere Autoren wie Polybios und Strabon ein Gerüst für ihre eigenen geographischen Überblicke anbot.43 Derselbe Katalog schließt auch toponymische ‹Fossilien› ein, also Namen von Städten und Gebieten, die später zerstört wurden, etwa Eutresis in Boiotien, Krisa in Phokis oder Dorion und Pylos in Messenien.44 Wegen der geographischen (topographischen und ethnographischen) Bedeutung des ‹Schiffskatalogs› wurden die Werke von antiken Gelehrten wie Demetrios von Skepsis und Apollodoros von Athen, die ihn untersuchten, ihrerseits zu bedeutenden Quellen für spätere Geographen wie Strabon. Die geographischen Horizonte des homerischen Zeitalters sind auch in den Teilen des Werkes deutlich, die den Irrfahrten des Odysseus gewidmet sind. Dieser griechische Held macht eine abenteuerliche Reise von Troia im westlichen Kleinasien in seine Heimat Ithaka im Adriatischen Meer. Neben legendären Elementen bezieht sich die Geschichte anscheinend auch auf wirkliche Landschaften und Seewege. Das Publikum hört von Inseln wie Zakynthos (Odyssee 9.24) und Kythera (Odyssee 9.81) und kann eine Vorstellung von der wirklichen Orientierung der Seefahrer bekommen, wenn es auf Bemerkungen wie die folgende achtet: „Endlich kam auch zu uns Menelaos, der bräunlich Gelockte, / als wir in Lesbos noch ratschlagten wegen der Laufbahn: / ob wir oberhalb der bergigen Chios die Heimfahrt / lenkten auf Psyria zu, und jene zur Linken behielten; / oder unter Chios, am Fuße des stürmischen Mimas“ (Odyssee 3.168–172). Es gibt außerdem einen Bericht über die Heimfahrt des Menelaos nach dem Kriegsende, bei der jener vom Wind nach Ägypten verschlagen wird. Menelaos fasst sein sieben Jahre währendes Abenteuer wie folgt zusammen: „… nach vielen Leiden und Irren / bracht’ ich ihn in den Schiffen im achten Jahre zur Heimat; / ward nach Kypros vorher, nach Phoinike gestürmt und Aigyptos, / sah die Aithiopen, Sidonier dann und Erember, / Libya selbst …“ (Odyssee 4.81–85). Dieser Bericht verwirrte antike Gelehrte, von denen einige vermuteten, dass Menelaos einen periplus, eine Fahrt entlang der afrikanischen Küste, machte und dabei vielleicht um den ganzen Kontinent herum fuhr und sogar Indien erreichte (Strabon 1.2.31). Die homerischen Epen können also herangezogen werden, um die allgemeinen Grenzen der geographischen Kenntnisse zu bewerten, außerhalb
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II Beschreibende Geographie
derer mythische Begrifflichkeiten vorherrschten. Schließlich machte die eigentliche Geographie dem Mythos Platz, und man kann fast die „mentalen Karten“ erfassen, außerhalb derer die Informationen vage wurden. Der eigentliche geographische Rahmen der homerischen Epen scheint die folgenden Gebiete zu umfassen: das Festland Griechenlands, die Ägäischen Inseln, die Westküste Kleinasiens, Kreta und Ägypten. In die weitere mythische Gegend gehören Äthiopien, das Gebiet des Schwarzen Meeres und der Westteil des Mittelmeers. Die Welt der Epen ist also recht schmal. Eine ähnliche Grenzlinie zwischen der eigentlichen und der mythischen Geographie kann man in anderen poetischen Korpora entdecken. Wie die homerischen Epen bewahren Hesiods Werke Theogonie sowie Werke und Tage geographische Begriffe, obwohl sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht beabsichtigten, sich direkt mit geographischen Themen zu befassen.45 Hesiod drückte das Konzept des die Welt umgebenden Ozeans aus, indem er von der Ähnlichkeit zwischen diesem und dem Rand der Welt sprach (Werke und Tage 167–171), und zählte verschiedene Flüsse sowohl in Europa als auch in Asien als Nachkommen des Ozeans auf (Theogonie 357– 359). Ein anderes frühes Epos, die Arimaspea des Aristeas von Prokonnesos, verband geographische Ideen mit mythischen Bestandteilen; sie beruhten auf den Reisen seines Autors.46 Die Einzelheiten nennt Herodot: Es sagte Aristeas … in seinem epischen Gedicht, er sei zu den Issedonen als phoibolamptos (von der Ekstase des Gottes Phoibos Apollon Ergriffener) gekommen; über den Issedonen aber wohnten die Arimaspen, einäugige Männer, über diesen die Gold bewachenden Greifen, und darüber die Hyperboreër, die bis ans Meer reichten. … Bei diesem Land, über das dieser logos zu sprechen begonnen hat, weiß niemand sicher, was oberhalb von ihm ist. Von niemandem, der angibt, es aus eigener Anschauung zu kennen, kann ich es erfahren, denn auch Aristeas, den ich kurz zuvor erwähnt habe, hat, als er seine epischen Verse verfasste, nicht behauptet, er sei weiter gekommen als bis zu den Issedonen, sondern hat über das, was oberhalb ist, nach dem Hörensagen gesprochen, wobei er angab, es seien die Issedonen, die dies gesagt hätten. (Herodot 4.13.1 und 16.1)
Wohl um 675 v. Chr. bereiste Aristeas die Regionen nördlich des Schwarzen Meeres jenseits der Skythen und erreichte das Gebiet des Asowschen Meeres. Selbst wenn wir hier eine Erörterung der geographischen und ethnographischen Bedeutung jedes Details übergehen, scheint die Darstellung die tatsächliche Verteilung der bewohnbaren Fläche jenes Gebietes widerzuspiegeln, indem sie einen schrittweisen Übergang der Bevölkerung von der Nähe in die Ferne und von wirklichen zu legendären (den einäugigen Arimaspen und den Gold bewachenden Greifen) angibt. Die am weitesten entfernte
1. Mythos, Epos und Dichtung
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Völkerschaft, die der Bericht erwähnt, ist die der – nach ihrer Lage jenseits des Nordwinds Boreas bezeichneten – ‹Hyperboreër›, deren Gebiet bis an das Meer reiche, also bis an den äußersten Nordrand des Ozeans. Aristeas erwähnt auch eine hohe Bergkette, die in der Finsternis liege und von Schnee bedeckt sei; jenseits von ihr wohnten die Hyperboreër. Diese hohen Gipfel wurden als Kaukasus, in der späteren geographischen Tradition als Rhipaien-Gebirge bezeichnet; die ganze Antike hindurch markierten sie den nördlichen Rand der Landmasse der Erde (siehe Kapitel III 1). Die Hyperboreër erscheinen wiederholt in der antiken Dichtung und Prosa und werden als gesegnet, gesund, glücklich und gerecht beschrieben.47 So wurden sie zu einem utopischen Symbol für den fernen Norden. In diesem Sinn spielten sie dieselbe Rolle wie andere mysteriöse und nur teilweise bekannte Gebiete an den Rändern der Welt – wie die Inseln der Seligen, Elysium und das ferne Thule. Der griechische Geschichtsschreiber Diodor bietet eine ausführliche Beschreibung der Hyperboreër (2.47.1–6), die auf einem früheren Überblick durch Hekataios von Abdera basiert. Laut Diodor bewohnen die Hyperboreër eine Insel von der Größe Siziliens, die im Ozean jenseits von Gallien gelegen ist. Auf dieser fruchtbaren und klimatisch begünstigten Insel scheint der Mond besonders nah zu sein. Die Einwohner sind freundlich, beten den Gott Apollon an und werden von den Boreaden beherrscht, die Nachkommen des Boreas sind. Diodor erwähnt auch einen frühen Hyperboreër namens Abaris, der Griechenland besuchte und mit den Einwohnern von Delos Freundschaft schloss. Die Mischung aus Mythos und Wahrheit im frühen Epos ist eng damit verbunden, wie frühe Mythen – selbst wenn sie nur aus späteren schriftlichen Versionen bekannt sind – Stücke von wirklichen Tatsachen und Konzepten einschließlich geographischer Begriffe bewahren. Die folgenden Beispiele sollen dieses Phänomen illustrieren. Gemäß der Tradition täuschte Prometheus den Göttervater Zeus, indem er ihn mit einem Trick dafür gewann, die ungenießbaren Teile von Opferfleisch zu essen; er habe, so heißt es weiter, dann das Feuer gestohlen, um es der Menschheit zu geben. Für dieses Verhalten wurde er bestraft, indem er an einen Felsen am Rand der Welt gekettet wurde, wo seine Leber ständig vom Adler des Zeus angefressen wurde (Hesiod, Theogonie 521–531). Der körperliche Schmerz war unerträglich, und die Strafe schloss auch jeden Kontakt mit Menschen aus; die Entferntheit des Felsens war also ein wesentlicher Teil der Geschichte. Die Angaben der Quellen zur Lokalisierung von Prometheus’ Felsen sind nicht einheitlich, sondern je nach den geographischen Ansichten und Kenntnissen der Autoren, die sich mit der Tradition beschäftigten, verschieden. Die Prometheus-Geschichte musste am Rand der Welt spielen,
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II Beschreibende Geographie
aber weil die geographischen Kenntnisse mit der Zeit zunahmen, weiteten sich Horizonte und der Rand der Welt entsprechend aus. Nachdem zunächst Prometheus’ Felsen in den Bergen des Kaukasus angesiedelt wurde, änderte sich sein geographischer Ort in der mentalen Geographie und wurde schließlich bis nach Indien verlegt.48 Auch Perseus zog bis zu den Außengrenzen der bekannten Welt. Polydektes, der König von Seriphos, hatte ihn mit dem Auftrag ausgesandt, Medusa zu enthaupten, deren Blick alle Besucher erstarren ließ. Aber bevor Perseus dieser Gefahr gegenüberstand, musste er die Wohnstätte der Medusa und der beiden anderen Gorgonen ausfindig machen: „Auch der Gorgonen Geschlecht, jenseits des Okeanos wohnend, / hart an der Grenze der Nacht, bei den singenden Hesperiden“ (Hesiod, Theogonie 274–275). In verschiedenen Versionen läuft der Held zu äußersten geographischen Punkten oder besucht Charaktere, von denen bekannt war, dass sie an den Rändern der Erde wohnen: die Hesperiden, die Graien, Atlas und sogar die Hyperboreër. Diese Beziehung zwischen Mythos und Geographie spiegelt sich auch in späteren toponymischen Traditionen. Plinius der Ältere zitiert zum Beispiel Xenophon von Lampsakos zum Thema der Gorgaden-Inseln, die zwei Tagesreisen vor der Westküste Afrikas lagen und „früher die Wohnstätte der Gorgonen“ waren (Naturkunde 6.200).49 Der Mythos von Herakles nahm ebenfalls auf Besuche an vielen Orten Bezug, einschließlich der Ränder der Welt. Um für den Mord an seinen Kindern zu büßen, musste Herakles zwölf Taten vollbringen, die ihm von seinem Feind und Rivalen um den Thron von Argos, Eurystheus, auferlegt wurden. Sechs Taten fanden auf der Peloponnes statt: in Nemea (der nemeïsche Löwe), in Lerna (die lernaiische Hydra), auf dem Berg Keryneia (die keryneïsche Hirschkuh), auf dem Berg Erymanthos (der erymanthische Eber), in Elis (die Augias-Ställe) und am Stymphalos-See in Arkadien (die stymphalischen Vögel). Zwei weitere wurden in Kreta (der kretische Stier) und in Thrakien (die Stuten des Diomedes) ausgeführt, eine in der Unterwelt (Kerberos). Die anderen drei Taten des Herakles brachten ihn an die Ränder der Welt, wie sie zur Zeit des Mythos gedacht wurden. Zunächst musste er den Gürtel der Hippolyte, der Königin der Amazonen, stehlen; dieser Stamm von Kriegerinnen stand in der Mythologie für eine Gruppe von Außenseiterinnen, und zwar sowohl in ihren kulturellen Normen als auch in ihrer geographischen Lage,50 die an verschiedenen Orten auf allen drei Kontinenten lokalisiert, aber immer an den Rändern der Erde vermutet wurden: jenseits von Troia und in Thrakien (Homer, Ilias 3.186– 189; 6.186), in Skythien oder Sarmatien (Herodot 4.110), in Themiskyra in der Nähe des Flusses Thermodon (Aischylos, Der gefesselte Prometheus 723–
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725), in Libyen (Diodor 3.52–55), am Fluss Tanais (Plinius d. Ä., Naturkunde 6.19), in der Nähe der Kaspischen Tore (Kleitarchos bei Strabon 11.5.4) und im fernen Osten oder Westen der Welt (Diodor 3.52–55). Es ist bezeichnend, dass laut der hellenistischen Tradition Alexander der Große von Makedonien die Königin der Amazonen jenseits des Flusses Iaxartes (des heutigen Syr-Darya in Kasachstan) traf – und auch auf diese Weise durch die übertriebene Geographie als ein legendärer Held gezeichnet wurde.51 Sodann musste Herakles die Rinder des Geryon hüten, eines monströsen Riesen, der den Westrand der Welt auf der Insel Erytheia bewohnte (was ‹rot› nach der Farbe des Sonnenuntergangs bedeutet). Diese Insel, die später mit einer der Inseln vor Gades (dem heutigen Cádiz in Spanien) identifiziert wurde (Strabon 3.2.11; Pomponius Mela 3.47), liegt am Westrand des Mittelmeers nahe einer nach Herakles selbst benannten Stätte: den Säulen des Herakles (die Straße von Gibraltar; siehe Kapitel III 1). In derselben Nachbarschaft musste der Held Äpfel von Bäumen im Garten der Hesperiden (der Töchter des Hesperos, also des ‹Abends›) sammeln. Antike Traditionen lokalisierten die Wohnstätte dieser Nymphen entweder nahe dem Ort, wo Atlas das Himmelsgewölbe trug – nämlich am westafrikanischen Rand der Welt (dem heutigen Atlas-Gebirge in Marokko) – oder auf einer entfernten Insel irgendwo im Atlantischen Ozean außerhalb der Säulen. Herakles machte sich auch an einen anderen Rand der bekannten Welt auf, als er Prometheus von seinem unveränderlichen Schmerz befreite, indem er den Adler des Zeus tötete. Schließlich schloss sich Herakles dem Zug der Argonauten an, deren Abenteuer das Zentrum eines anderen umfangreichen Mythos von geographischer Bedeutung waren. Iason, der einzige überlebende Nachkomme des Königs Aison von Iolkos, erhielt von Pelias, dem Halbbruder seines Vaters, der den Thron für sich forderte, den Auftrag, das Goldene Vlies von Kolchis an der fernen Ostküste des Schwarzen Meeres zu holen. Zusammen mit einer großen Gruppe von Helden segelte er auf dem Schiff Argo weite Strecken durch das östliche Mittelmeer und auf europäischen Hauptflüssen. Die umfassendste erhaltene Version dieser Abenteuer sind die Argonautika des Apollonios von Rhodos aus dem 3. Jahrhundert v. Chr.52 Dieses Epos in vier Büchern ist voll von Hinweisen auf eine wirkliche Seefahrt und schließt zahlreiche Beschreibungen von Landschaften und Völkern ein. Apollonios von Rhodos zeichnet den Weg nach Kolchis durch das Ägäische Meer ins Schwarze Meer entlang seiner südlichen Küste nach (Bücher 1–2); dieser Weg war in der Zeit des Apollonios hauptsächlich durch Fahrtenberichte (periploi, siehe Kapitel II 3) bekannt, wie aus der im Epos verwendeten Terminologie deutlich wird:
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Von dort fuhren sie weiter, vorbei an Meliboia, wobei sie das windgepeitschte Gestade mieden. An dem ganz in der Nähe gelegenen Homole, das sie bereits seit dem frühen Morgen sahen, fuhren sie vorbei; auch sollten sie sehr schnell die Strömungen des Flusses Amyros hinter sich lassen. Von dort erblickten sie Eurymenai und die viel durchtosten Klüfte von Ossa und Olymp, dann aber erreichten sie die Hügel von Pallene, hoch über dem Kanastrischen Kap, und fuhren mit dem Wehen des Windes die Nacht über weiter. Am Morgen tauchte vor den Seefahrern der thrakische Berg Athos auf, der mit dem Schatten seiner höchsten Spitze bis Lemnos reicht – und zwar bis Myrine –, das so weit entfernt liegt, wie ein gut ausgerüstetes Lastschiff bis Mittag zurücklegen kann. (Apollonios von Rhodos, Argonautika 1.592–604)
Eine der dramatischsten Szenen im Epos ist die Begegnung der Argonauten mit den Symplegades, den ‹zusammenschlagenden› Felsen (Apollonios von Rhodos, Argonautika 1.549–604), die im Epos des Apollonios mit dem Kyaneïschen (‹blauen›) Felsen am Eingang in den Bosporus identifiziert werden (Apollonios von Rhodos, Argonautika 1.3; 2.770; 4.1003).53 Legendäre Elemente und geographische Wirklichkeit überschneiden sich hier ebenso, wobei sie in poetischer Weise die Schwierigkeit illustrieren, die Meerengen des Schwarzen Meeres zu durchfahren. Apollonios übernahm jedoch auch vorhandene populäre Geschichten von ähnlichen Gefahren für Seeleute, etwa die von den ‹Planktai›, den ‹Wandernden Felsen› (Homer, Odyssee 12.59– 72) und von Skylla und Charybdis (Homer, Odyssee 12.85–110), die von anderen Autoren als Felsen verstanden (und so ‹rationalisiert›) wurden (Ovid, Metamorphosen 14.73–74). Das vierte Buch von Apollonios’ Epos beschreibt Iasons Heimfahrt auf einem ganz anderen Weg, nämlich durch den Ister (die Donau), den Po und die Rhone ins Mittelmeer, weiter nach Kreta, mit einem Halt in Nordafrika und schließlich der Ankunft in Iolkos in Thessalien. Diese sonst kaum bekannte Route schloss exotische und fabelhafte Elemente ein, die an die Abenteuer des Odysseus in der Odyssee erinnern. Der geistige Hintergrund des Apollonios von Rhodos – er war der Leiter der Bibliothek von Alexandreia – gewährte ihm eine doppelte Inspiration: das Vorbild Homers und die wissenschaftliche Geographie. Die römische Entsprechung zum Epos des Apollonios von Rhodos waren die lateinischen Argonautica, die Gaius Valerius Flaccus in Rom um 80 n. Chr. schuf.54 Unter dem offenkundigen Einfluss des Apollonios bot Flac-
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cus einen Einblick in die aktualisierte Geographie, indem er auf Toponyme und Ethnonyme anspielte, die im Epos des Apollonios nicht erwähnt worden waren, etwa besonders weit entfernte Punkte wie der indische Fluss Choaspes (5.602) oder das Alani genannte Volk, das nördlich vom Kaspischen Meer lebte (6.42). Es ist also offenbar, dass antike Traditionen früher Mythen immer auch Echos des zeitgenössischen Verstehens des geographischen Charakters der Welt sind und Hinweise auf reale Schiffsfahrten bewahren. Es gibt mehrere Weisen, diese Verbindung zwischen Mythen und geographischer Information zu erklären. Mythen gewannen häufig an Plausibilität, wenn sie echte geographische Daten umfassten. Aus einer anderen Perspektive brachte die Verbindung von mythischer Vergangenheit mit bestimmten Stätten diesen – insbesondere wenn sie erst vor kurzem entdeckt worden waren – Prestige, indem neue Daten in alte Ordnungen von Kenntnissen integriert wurden.55 Wer einen Mythos hörte oder las, wird wahrscheinlich erfreut gewesen sein, vertraute Orte innerhalb chronologisch und sozial entfernter Geschichten zu erkennen. Die griechische Landschaft wurde mit mythischen Ereignissen bereichert, und die moderne Untersuchung früher Traditionen und ihrer Varianten ist selbst dann, wenn legendäre Elemente beteiligt sind, von Bedeutung dafür, Belege für die Ursprünge der antiken geographischen Erkundungen und des antiken geographischen Bewusstseins zu sammeln. Frühe Mythen wurden in erster Linie in der Dichtung präsentiert. Auch später, als die Rücksichtnahme auf die mündliche Tradition und das Gedächtnis für die Wahl von metrischen Gattungen weniger wichtig geworden waren, wählten einige Autoren aber weiterhin Dichtung als Medium für geographische Zwecke. Dieses Phänomen unterscheidet sich von geographischen Anspielungen in den traditionellen poetischen Werken, in denen zufällig geographische Angaben – selbst wenn sie von Bedeutung sind – im Vers erscheinen. In solchen Fällen war die Dichtung das Hauptanliegen, und geographische Spuren dienten als Schmuck oder Verzierung – und lieferten geographische Informationen nur nebenher (siehe unten S. 41 ff.). Die Natur der poetischen Geographie, die aus einer modernen Perspektive ungewöhnlich zu sein scheint, muss etwas ausführlicher dargelegt werden. Eine anonyme geographische Dichtung in iambischen Trimetern, die um 100 v. Chr. dem König von Bithynien, Nikomedes III. Euergetes, gewidmet wurde, haben antike Gelehrte unterschiedlichen hypothetischen Autoren zugeschrieben.56 Wie bei anderen sowohl praktischen als auch intellektuellen Vorhaben zeigt sich hierin ein Hinweis auf einen Monarchen, der geographische Forschung förderte. Der Dichter offenbart, dass er das Versmaß wegen seiner Kürze und Klarheit wählte. Nach einigen einleiten-
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den Worten, einschließlich einer Widmung an den „göttlichsten König Nikomedes“ (Vers 2) beginnen die erhaltenen 980 Verse mit einem Abschnitt über Europa (139–873), gefolgt von einem über Asien (874–980). Der Autor identifiziert seine schriftlichen Quellen – hauptsächlich Ephoros, Timaios und Eratosthenes (114–127) – und betont auch seine eigenen Reisen in Griechenland, Kleinasien, Italien, Sizilien, Libyen und Karthago (129–136). Der erste in diesem Überblick erwähnte Ort ist Mainake (nahe dem heutigen Malaga in Spanien), eine Gründung von Massalia (Marseille), und der letzte das Gebiet um den Fluss Sangarios (dem heutigen Sakarya in der Türkei) an der Küste des Schwarzen Meeres. Die Schlussabschnitte, die wahrscheinlich die nördliche Küste Afrikas einschlossen, sind nicht erhalten. Ungefähr zu derselben Zeit (um 100–87 v. Chr.) schuf ein gewisser Dionysios, Sohn des Kalliphon, vielleicht von Athen, eine Beschreibung Griechenlands in iambischen Trimetern.57 Die ersten 23 Verse des Gedichtes, das einem sonst unbekannten Theophrastos gewidmet ist, offenbaren den Namen des Autors in einem Akrostichon. Dionysios verlässt sich ganz besonders auf die Geographen Apollodoros von Athen und Artemidoros von Ephesos sowie auf einen sonst unbekannten athenischen Historiker namens Philetas. Erhalten sind nur 150 Verse, darunter eine in der periplus-Tradition gehaltene Beschreibung der Küsten rings um Griechenland, um die Ägäischen Inseln und um Kreta, wobei Entfernungen sowohl im StadionMaß als auch in Reisetagen angegeben werden. Die allgemeine Tendenz, Dichtung mit geographischen Inhalten zu verbinden, ist in mehreren anderen Texten aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. offenbar. Alexandros von Ephesos (75–45 v. Chr.) mit dem Beinamen ‹Lychnos› (‹Lampe›) hinterließ „epische Dichtung, in der er nicht nur die Himmelserscheinungen behandelt, sondern auch die Erdteile beschreibt, jeden in einem besonderen Gedicht“ (Strabon 14.1.25).58 Andere Quellen zeigen, dass sich Alexander auf drei Kontinente bezog, was auf ein Gedicht in drei Teilen hinweist. Die Wahl der poetischen Gattung war anscheinend flexibel. Geographische Inhalte wurden auch von lateinischen Autoren mit der poetischen Form verbunden. Publius Terentius Varro Atacinus (82–30 v. Chr.) schuf (neben anderen Werken, darunter einer lateinischen Übersetzung der Argonautika des Apollonios von Rhodos) eine didaktische Chorographia in drei Büchern;59 darin beschrieb er die drei Kontinente, wobei er die Küstenlinien und die Flora betonte. Er zog auch die Astronomie heran, um genaue Lokalisierungen festzulegen und klimatische Besonderheiten zu erklären. Im 2. Jahrhundert n. Chr. diente Dionysios von Alexandreia unter Kaiser Hadrian als Direktor der kaiserlichen Bibliotheken in Rom und als für die
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kaiserliche Korrespondenz und Diplomatie zuständiger Sekretär. Dionysios schuf ein poetisches Lied von der Welt in 1187 Hexameter-Versen; er bezog seinen Stoff hauptsächlich aus Eratosthenes, entnahm aber auch Abschnitte aus dem früheren Gedicht des Alexandros ‹Lychnos›. Auch er bot seinen Namen und eine Widmung an Kaiser Hadrian in Akrosticha. Das Werk, das die ganze Welt – einschließlich der drei Kontinente und des Ozeans – beschreibt, brachte Dionysios den Beinamen periëgetes ein, ‹Autor einer periëgesis›.60 Eine Probe des Gedichtes, das sich auf Asien bezieht, illustriert die Kombination von genauer geographischer Information (zu Formen, Positionen und Toponymen) mit poetischer Sprache: Willst du Asias Bild: Hinstreckt es den anderen beiden Vesten sich lang, als die Hälfte der Erde des Kegels Gestalt gleich, hin sich ziehend allmählich zum äußersten Winkel des Aufgangs. Dorten stehen auch Säulen, geweiht Dionysos von Theben, nahe der äußersten Grenz’ und an des Okeanos Strömung in den Gebirgen der Inder, den letzten der Erde, wo Ganges rollt sein weißes Gewässer hinab zur Nysäischen Eb’ne. (Dionysios von Alexandreia 620–626)
Die wichtige Stellung des Dionysios in Rom und die Widmung des Werkes an Kaiser Hadrian zeigen, wie schwierig eine klare Aufteilung zwischen ‹griechischen› und ‹römischen› Geographien zumindest in der römischen Kaiserzeit ist (siehe Kapitel I 4). Zweihundert Jahre später übersetzte Postumius Rufius Festus Avienus von Volsinii (340–380 n. Chr.) das Gedicht des Dionysios ins Lateinische als Descriptio Orbis Terrae, von der 1394 Hexameter-Verse erhalten sind. Avienus schuf auch ein eigenes iambisches Gedicht mit dem Titel Ora Maritima (‹Meeresküsten›) in der Form eines periplus, der die Küste von Massalia (Marseille) bis Gades (Cádiz) beschreibt.61 Avienus bietet (ab Vers 82) eine lange Angabe zu seinen Vorlagen – von Hekataios von Milet, Herodot und Thukydides zu sonst recht unbekannten Autoren wie Bakoris von Rhodos und Kleon von Sizilien. Diese Tatsache zeigt zusammen mit dem Inhalt seines Gedichtes, dass Avienus frühere Informationen sammelte und keine neue Tatsachen hinzufügte. Sein Beitrag liegt daher hauptsächlich in seiner Auswahl des Materials, die von seinen persönlichen Kenntnissen, seiner wissenschaftlichen Ausrichtung und seinen Übersetzungsfertigkeiten bestimmt war. Gedichte dieser Art boten keine irgendwie revolutionäre Einstellung zur Geographie und schlossen auch keine bemerkenswerte neue Information ein. Tatsächlich waren sie in der Anordnung, im Aufbau und im Detail recht
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traditionell. Ihre Einzigartigkeit liegt anscheinend in dem poetischen Format, aber angesichts der zahlreichen hellenistischen und römischen Beispiele für dieses Phänomen war auch dies vielleicht nicht so außergewöhnlich. In allen diesen Fällen müssen die Autoren eine Wahl zwischen Prosa und Dichtung getroffen haben; sie hätten es sich dabei mehr oder weniger bequem machen und den beschreibenden Stil der historiographischen Tradition verwenden und weiter entwickeln können (siehe Kapitel II 2). Stattdessen wählten sie das Genre der poetischen Geographie, was uns heute weniger einleuchtend erscheint. Aus unserem Blickwinkel ist es überraschend, dass Dichtung auf einem Feld verwendet wurde, das sachliche Genauigkeit ohne exzessive Information – ganz zu schweigen von sprachlichem Zierrat – benötigt. Das scheint noch mehr bei der mathematischen Geographie zu gelten. Doch auch hierbei zogen es – wie oben zur hellenistischen und römischen Zeit gezeigt worden ist – einige Autoren vor, geographische Daten in Dichtung zu präsentieren. Dies waren nicht einfach sporadische Verweisungen auf geographische Dinge, die in der Dichtung im Vorübergehen erscheinen, sondern vollständige Texte (gewöhnlich in Hexametern oder Iamben), die sich ganz auf die Geographie konzentrierten. Man könnte behaupten, dass das gewählte Thema der Schwerpunkt solcher Gedichte war und dass die Autoren deshalb in erster Linie als ‹Geographen› zu gelten haben, während das metrische Format bloß eine Form der Präsentation war, die zur Verzierung des Stils oder als Attraktion für das Lesepublikum gedacht war. Aber es gibt Parallelfälle von technischen und didaktischen Themen, die in einem poetischen Format besprochenen werden: Astronomie durch Arat und Manilius, Philosophie durch Epikur und Lucretius; Landwirtschaft durch Hesiod und Vergil.62 Wie diese anderen Autoren scheinen Pausanias von Damaskos, die beiden Dionysioi, Alexandros ‹Lychnos›, Varro und Avienus Dichtung wegen der damit verbundenen literarischen Herausforderung für sie selbst und für ihre Leserschaft gewählt zu haben, vielleicht auch, weil die poetische Form einen gewissen Unterhaltungswert hatte und Geographie damit für einen Teil ihres Lesepublikums leichter verdaulich machte. Man wird diese Autoren deshalb am besten als Dichter verstehen müssen, die sich der Herausforderung stellten, besonders komplizierte Themen in Verse zu bringen, und die diese Fähigkeit dazu nutzten, ihre literarische Sachkenntnis zur Schau zu stellen. Wieder einmal scheint es, dass es keine Entsprechung zwischen geographischem Inhalt und einer dafür einschlägigen Gattung gab; trotz der Existenz zahlreicher – vielleicht gar der Mehrheit – geographischer Texte in Prosa war es offenkundig akzeptabel, Dichtung mit geographischen Inhalten zu verbinden.
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In der Wahl, die jene Autoren trafen, und in ihren Interessen unterschieden sie sich grundsätzlich von Dichtern, die geographische Information nur sporadisch verwendeten. Dennoch wurden unabhängig von den Absichten der Dichter viele geographische Daten in andere poetische Korpora einbezogen.63 Man hatte bereits das Potenzial bemerkt, geographische Zusammenhänge in der Dichtung zu verwenden. Alexandros Polyhistor zum Beispiel schuf eine Abhandlung Über die von Alkman erwähnten Stätten (FGrHist 273 F 95–96), während Strabon häufig poetische Verse wegen ihrer geographischen Bedeutung zitierte.64 Einige Beispiele sollen dies illustrieren. Wie der Titel des (verlorenen) Werkes von Alexandros über den Dichter Alkman andeutet, konnte man den geographischen Wert von Dichtung einfach durch ihre Verweise auf Stätten und Völkerschaften abschätzen, wodurch die Dichtung für einen bestimmten Zeitpunkt Muster von Toponymen und die Grenzen geographischer Erkenntnis offenbart, insbesondere, wenn sie seltene Namen erwähnt. Dichter können auch die dem Vers inhärente deskriptive Wesensart und seinen poetischen Wortreichtum nutzen, um Landschaften zu beschreiben oder Entfernungen zu illustrieren, indem sie sich der Technik der ekphrasis, der ‹ausführlichen Beschreibung›, bedienen. Wenngleich Genauigkeit nicht notwendigerweise die Hauptabsicht vieler Dichter ist, zeigen einige Beispiele das geographische Potenzial in der Dichtung. Das erste ist um 600 v. Chr. von Alkaios, der über den Fluss Hebros (den heutigen Maritsa in Bulgarien) schreibt: Hebros, schönster sämtlicher Ströme, brausest durch die Fluren Thrakiens und ergießt dich in des Meeres wallende, düstre Fluten, nahe bei Ainos. (Alkaios Frg. 45 in Lobel und Page 1955)
Das zweite ist von Pindar über den Vulkan Ätna auf Sizilien: … und, himmlische Säule, umfängt ihn der schneeige Ätna, das Jahr durch Amme scharfen Gestöbers. Lauterste Quellen aus seinen Schlünden des unnahbaren Feuers speit jener, indessen die Flüsse am Tag gießen aus den Glutenstrom des Rauchs. In Nächten aber die Flamme sich wälzend, purpurne, trägt in des Meeres tiefen Abgrund die Felsen tosend. (Pindar, Pythische Oden 1.20–24)
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Auch das griechische Drama – sowohl Tragödie als auch Komödie – schloss gelegentlich geographische Tatsachen ein, die häufig mit der Phantasie vermischt wurden. Dies hat zwei Folgen: Die Datierung eines Dramas kann manchmal durch die Analyse begründet werden, wie die einbezogenen Fragmente geographischer Beschreibungen den Stand der geographischen Erkenntnis zu einem bestimmten Zeitpunkt widerspiegeln, und die geographischen Angaben, die in anders datierten Dramen eingeschlossen sind, können dazu beitragen, geographische Begriffe und das Ausmaß der Expansion zu dem Zeitpunkt der Entstehung des Werkes zu rekonstruieren.65 Insbesondere im hellenistischen Alexandreia wurde eine literarische Neigung für den Einbezug geographischer Verweise in der Dichtung entwickelt, um spezifische Vorstellungen zu vermitteln oder das Werk mit archaischen Toponymen auszuschmücken. Solche Konventionen schlossen Beschreibungen (ekphraseis) von Landschaften zu dekorativen Zwecken ein.66 Römische Dichter imitierten diese Tendenzen aus Alexandreia, und ihre Gedichte offenbaren künstlerisches Entzücken beim Verwenden früherer griechischer poetischer Namen – etwa Thynus für Bithynien (Catull 25.7) oder der Cytaeis für die Leute von Kolchis (Properz 2.4.7) – sowie Ausdruck römischen Stolzes in Anspielungen auf kürzlich erworbene Gebiete mit Toponymen und Ethnonymen neuerdings unterworfener Nationen wie der Britanni (Lucretius 6.1106) oder der (chinesischen) Serer (Vergil, Georgica 2.121).67 Mehr als das poetische Genre (Epik, Lyrik oder Drama) beeinflusste die politische und soziale Umgebung, in der die Gedichte entstanden, die Natur ihrer geographischen Hinweise. So spiegelt römische Dichtung, selbst wenn sie auf einem stilistischen Niveau griechischen Vorbildern antwortet, Realien und Ideen aus ihrer eigenen Zeit. Catull etwa (Carmina 11) bittet seine Freunde, seiner Herrin eine Nachricht zu übermitteln und beschreibt, um die Loyalität seiner Freunde zu demonstrieren, wie sie ihn zu den entferntesten Teilen der Welt begleiten würden; er nutzt dabei geographische Termini, die kürzlich von Rom eroberte Gebiete beschreiben: Furius, Aurelius, ihr Gefährten des Catull, reist er zu den fernen Indern auch, wo weit die östliche Brandung tost, den Strand überrollend; zu den sanften Arabern, den Hyrkanern, Sagern und den parthischen Bogenschützen; meerwärts, wo der siebengeteilte Nil die Fluten verfärbt hat;
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oder wenn er über die hohen Alpen schreitet, Caesars mächtiges Werk sich anschaut und den Rhein, die schaurige See, am Rand der Welt die Britannier … (Catull, Carmina 11, 1–11)
Dies ist ein klarer Fall dafür, wie sich die geographische Wirklichkeit in einem nichtgeographischen Zusammenhang spiegeln kann. Römische Dichter neigten dazu, Namen von entfernten Ländern und fremden Völkern einzufügen, um Eroberungen zu feiern, aber auch, um ihre Werke zu schmücken. Außerdem erlaubte ihnen diese Praxis, ihre Gelehrsamkeit zu demonstrieren, indem sie frühere griechische Konventionen des Einbezugs geographischer Namen imitierten und zugleich auf neueroberte Gebiete des Römischen Reiches hinwiesen.68 Diese Neigungen sind dann besonders offenbar, wenn Kriege geführt oder individuelle Siege gefeiert wurden. Bei solchen Gelegenheiten vermochten Dichter den Reiz zu spiegeln, den Raum und Distanzen hervorrufen können, indem sie auf entfernte Toponyme und Ethnonyme anspielten oder indem sie ihre dichterische Freiheit dazu nutzten, phantastische Elemente hinzuzufügen. Vergil, Horaz, Properz, Ovid und Seneca reagierten auf je besondere politische Entwicklungen, die eine geographische Bedeutung hatten – etwa der Feldzug des Lucullus im Gebiet jenseits des Euphrat (Plutarch, Lucullus 24.4–8), die Unternehmungen des Gnaeus Pompeius im Kaukasus und am Kaspischen Meer (Cassius Dio 37.1.5) und die Siege des Augustus.69 In seiner Aeneis nimmt Vergil bewusst und absichtlich ganze Passagen der Dichtung Homers auf und imitiert sie; so bietet er in Katalogform Listen von römischen Vorfahren und ihren Rivalen, den ansässigen Latinern, und beschreibt den Triumphzug auf dem Schild des Aeneas, den Vulcanus schmiedet. Dabei gibt Vergil dieser Beschreibung zeitgenössische geographische Obertöne: … ihn grüßt der unzählbare Strom der Besiegten, alle verschieden an Tracht und Gestalt, an Waffen und Rede. Afrer sodann, den Schwarm der gürtellosen Nomaden, Leleger, Karer zumal und das Bognervolk der Gelonen, formte der Schmied, schon floss mit sachteren Wellen der Euphrat, dann die Moriner vom Rand der Welt, die trotzigen Daker, der zwiehörnige Rhein und der Brückenzertrümm’rer Araxes. (Vergil, Aeneis 8.722–728)
In ähnlicher Weise gibt Vergil, wenn er Aeneas seinen Vater Anchises in der Unterwelt treffen lässt, dem alten Mann die Möglichkeit, das geographische Ausmaß des künftigen Reiches in der Zeit von Augustus zu offenbaren, ein-
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schließlich der Völker und Stätten in zahlreichen entfernten Teilen der Welt (Vergil, Aeneis 6.792–805).70 Dieselbe augusteische Atmosphäre der beispiellosen politischen und geographischen Leistung ist in den Gedichten von Horaz offenkundig: Bewundernd blickt auf dich der bisher nie besiegte Kantabrer, der Meder und der Inder, auf dich der flüchtige Skythe, du stets bereiter Schützer Italiens und der Herrin Roma. Es hört auf dich der Nil, der seine Quelle verbirgt, die untere Donau, der reißende Tigris; es hört auf dich der Ozean mit allen seinen Ungeheuern, der gegen das ferne Britannien brandet; es hören auf dich die Länder Galliens, das den Tod nicht fürchtet, und des harten Spaniens, und die mordbegierigen Sygambrer senken ihre Waffen und verehren dich. (Horaz, Carmina 4.14.41–52)
So auch Ovid: Oder gilt es wohl mehr, über See die Briten gebändigt, siegreiche Schiffe dann auch durch des Nilstroms sieben papyrustragende Arme geführt, die empörten Numider, König Iuba vom Kinyps und das, Mithridates’ Namen zu tragen, stolz sich brüstende Pontos dem Volk der Quiriten gewonnen, viele Triumphe verdient und manche gefeiert zu haben, als des Mannes Vater zu sein, durch des Regiment ihr Götter der Menschen Geschlecht so überschwänglich gesegnet? (Ovid, Metamorphosen 15.752–759)
Es ist also offenbar, dass geographische Informationen, besonders in der Form von Namen von Stätten und Völkerschaften, von den Dichtern wegen der exotischen Verzierung ihrer Werke und im Falle der römischen Dichter des 1. Jahrhunderts v. Chr. wohl wegen ihrer ideologischen Bedeutung genutzt wurden, die sich in geographischen Angaben zeigt. Es ist schwer zu sagen, wie viele dieser Namen von der Leserschaft wirklich identifiziert und im Geiste verortet werden konnten. Autoren können durchaus angenommen haben, dass ihr Publikum solche Namen in gewisser Weise (etwa an Ton, Bedeutung oder Lokalisierung) erkannten, aber es ist ebenso möglich, dass genaue Kenntnisse gar nicht erforderlich waren, um die gewünschte Wirkung der Ehrfurcht und Erregung zu erreichen –
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und dass der Klang eines fremden Namens an und für sich ausreichte, um ein starkes Bild zu schaffen. Eine Kombination von Fakten und Fiktionen charakterisierte die frühen populären Mythen. Die Angst vor dem Unbekannten und die Betonung des Muts der legendären Helden machte die Nutzung geographischer Namen zur Betonung dramatischer Elemente wichtig. In einigen Perioden der Antike wurden im Umfeld militärischer Ereignisse mit weiteren geographischen Horizonten ‹neuere Mythen› geschaffen; man denke etwa an die Legenden, die sich um die Person Alexanders des Großen rankten und an die mythische Atmosphäre, die manche römische Eroberung umgab. In dem Zeitalter aber, in dem die frühesten Mythen gebildet wurden, erschienen zwei andere Typen der geographischen Darlegung: ausschließlich sachliche Berichte von Küstenreisen (periploi) einerseits und die Überlegungen der Vorsokratiker andererseits, welche die Grundlage für jede Art von Geographie mit wissenschaftlichem Anspruch legen sollten (siehe Kapitel III).
2. Die historiographische Tradition Jedes Ereignis im Weltall geschieht an einem bestimmten Punkt in Zeit und Raum, und beide Dimensionen – die chronologische und die physische – sind für das Verständnis und die Definition solcher Ereignisse notwendig, seien sie persönlicher oder staatlicher Art. Nur wenn man weiß, wann und wo etwas stattfand, kann man es völlig einordnen. Das erklärt die Ausbildung eines Hauptzweigs der Geographie innerhalb des historiographischen Rahmens.71 Es wird allgemein anerkannt, dass schriftliche Geschichtswerke in der Antike auf einfachen, zuvor schon bestehenden chronologischen und genealogischen Listen beruhen. Diese Listen, die von Logographen und Chronisten zusammengestellt worden waren, verwandelten sich allmählich in Geschichtswerke, indem sie umfangreicher und in Bezug auf den literarischen Stil und bei der Untersuchung von Ursachen und Wirkung besser wurden. Eine parallele Entwicklung kann man in der Geographie verfolgen: Grundlegende Bausteine der praktischen, katalogartigen Information schufen das Fundament für Texte, die sowohl im Umfang als auch intellektuell reicher waren. Die Evolution dieses Zweigs der beschreibenden Geographie hängt so von früheren Prototypen ab und ist eng mit der Historiographie verbunden (siehe auch Kapitel I 2). Der Eckstein für die nahe begriffliche und literarische Verbindung zwischen Geschichte und Geographie wird im ersten zusammenhängenden historiographischen Werk gelegt, dem des Herodot von Halikarnassos (um
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484 – um 428 v. Chr.). Herodot selbst bezieht sich freilich wiederholt auf seinen Vorgänger, Hekataios von Milet, der ein halbes Jahrhundert zuvor eine Kompilation geschaffen hatte, die man als die Wurzel der beschreibenden Geographie ansehen kann. Hekataios (um 550 – 490 v. Chr.) bereiste Griechenland, Kleinasien, Gebiete am Schwarzen Meer und Ägypten und schuf ein Werk mit dem traditionellen Titel periodos ges (‹Umfahrung der Erde›) oder periëgesis (‹Umwanderung›).72 Es bot eine Liste von Küstenstätten, Details zu den eingeschlagenen Richtungen, lokale Mythologie und Ethnographie sowie topographische Bemerkungen, etwa zur Lage von Flüssen, Bergen und Meeresbuchten. Das Werk hielt an einer geographischen Ordnung entlang der Küsten fest und umfasste zwei Bücher, eines über Europa und eines über Asien; Hekataios erkannte Afrika (Libyen) nicht als einen eigenen Kontinent an und schloss seine Eindrücke von Ägypten in seinen Überblick über Asien ein. Die meisten erhaltenen Fragmente des Werkes werden durch kurze Einträge in den Ethnika, dem geographischen Lexikon des Stephanos von Byzantion aus dem 6. Jahrhundert n. Chr. bewahrt. So zum Beispiel: Sikane: eine polis in Iberien; so Hekataios in ‹Europa› Kyllandos: eine polis in Karien; so Hekataios in ‹Asien› Kathelia: eine polis nahe Karthago; so Hekataios in ‹Asien› (Hekataios, FGrHist 1 F 45, 250 und 338a)
Die periëgesis des Hekataios vereinigte also die Anordnung, Gruppierung und knappe Beschreibung von einzelnen Orten. Herodot führte diese Beiträge weiter, indem er Hekataios’ Vorbild sowohl im ganz praktischen Sinne – auch er bereiste Ägypten – als auch intellektuell nacheiferte.73 Um den Konflikt zwischen der griechischen Welt und dem persischen Reich in den ersten Jahrzehnten des 5. Jahrhunderts v. Chr. zu erklären, versuchte Herodot zum ersten Mal, sich geographischen und ethnographischen Themen systematisch zu nähern. Im Unterschied zu früheren periploi, die sowohl in ihren Absichten als auch in ihren Ursprüngen praktisch waren (siehe Kapitel II 3), strebte Herodot in erster Linie danach, den Krieg zu dokumentieren, der bestimmte Griechen zum Schutz ihrer Heimat gegen die Expansionspläne des persischen Königs vereinigte. Der breite Ansatz Herodots bedeutete, dass er einige Jahrhunderte zurückging, um zu erklären, ‹aus welchem Grund sie einander bekämpften› (1.1), und dass er versuchte, Ereignisse vor den breitestmöglichen geographischen und ethnographischen Hintergrund zu setzen. Das persische Reich umfasste zu jener Zeit viele Gebiete und Völker und benötigte eine entsprechend große Breite bei
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der Beschreibung. So bot Herodot nicht nur eine beispiellose Menge an Einzelheiten; auch die Notwendigkeit, solche Informationen zu arrangieren und zu ordnen, war etwas wirklich Neues. Herodot wollte seinem Publikum eine umfassende Vorstellung von der Größe des persischen Reiches und von der Vielfalt seiner Einwohner geben. Dem entsprechend widmete er vier seiner neun Bücher diesem Ziel und beschrieb systematisch die verschiedenen persischen Satrapien (Verwaltungsbezirke) mitsamt der Natur der Länder und ihrer Einwohner. Das Material wird dabei im Allgemeinen jeweils in derselben Ordnung präsentiert: erstens die natürlichen Charakterzüge des Landes einschließlich seiner Topographie, seines Klimas und der es kennzeichnenden Fauna und Flora, zweitens Details über die Bewohner einschließlich ihres Ursprungs und ihrer Gewohnheiten hinsichtlich Nahrung, Ehe und Geschlechtsverkehr, sozialer Gruppierungen, Kleidung, Tod und Begräbnis. Die Mischung von Konzepten in Herodots Werk erlaubt es, seinen Ansatz als ein Produkt von zwei sich ergänzenden Tendenzen zu behandeln: von archaischer mythisch-epischer Geographie und von Anfängen der wissenschaftlich-empirischen Geographie. In Herodots Werk ist auch erstmals der Begriff oikumene (‹bewohnte Welt›) belegt, und der Autor behandelt das bewohnte Land als Synonym für die Welt (zum Beispiel 3.106). In der gesamten Entwicklung der antiken Geographie blieben die naturräumlichen Grenzen der Erde untrennbar mit den demographischen Grenzen der Bewohnbarkeit verbunden.74 Herodot modifizierte das homerische Konzept einer Welt, die aus dem vom Ozean umgebenen Land besteht, und behauptete stattdessen, dass Wüsten die oikumene begrenzten und erst jenseits von diesen das Wasser des alles umgebenden Ozeans folge (implizit zum Beispiel 4.18). Herodots Ansatz diente späteren Historikern, die geographische Faktoren nicht ignorieren konnten oder wollten, als Inspiration. Solche Autoren entwickelten jedoch die Technik weiter und fügten Schattierungen und Betonungen hinzu, die zu ihren eigenen Absichten und zu ihrer wissenschaftlichen Persönlichkeit passten. Es ist nicht sinnvoll, alle griechischen und römischen Historiker aufzuzählen, deren Werk geographische Aspekte berührt, doch verdienen manche von ihnen wegen ihres persönlichen Ansatzes und der von ihnen der Gattung hinzugefügten Neuerungen besondere Erwähnung. Thukydides etwa widmete zwar nie eigene Abteilungen seines Geschichtswerks besonderen geographischen Angaben, nahm sie aber als untrennbaren sachlichen Teil der historischen Zeugnisse in seinen Text auf.75 Wie Herodot konzentrierte sich Thukydides auf einen Krieg – hier den so genannten Peloponnesischen Krieg zwischen Athen und Sparta sowie deren jeweiligen Verbündeten –, aber er war einer der ersten Autoren,
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der geographische Elemente mit verschiedenen menschlichen Phänomenen zu verbinden wusste:76 Der Wohlstand von Korinth war eine Folge der Lage des Ortes auf einer Landenge (1.13.5), die Fahrt durch die Straße von Messina war gefährlich (4.24.5), und der Anlage von Pylos lagen taktische Rücksichten zugrunde (4.3.2–3). Thukydides scheint an einer ausführlichen räumlichen und geographischen Beschreibung nicht interessiert zu sein; er verwendet solche Daten nur für kurze erklärende Exkurse. Der folgende Abschnitt ist außergewöhnlich und beweist, dass Thukydides wusste, wie man solches Material darbietet, selbst wenn er dies im Allgemeinen nicht tat: Der Acheloos … fließt oben an Stratos vorbei und ergießt sich bei Oiniadai, wo er die Umgebungen versumpft, ins Meer … Auch von den Echinaden-Inseln liegen die meisten Oiniadai gegenüber dicht an der Mündung des Acheloos, so dass der mächtige Strom immer anschüttet; manche der Inseln sind schon verlandet, und es steht zu erwarten, dass es in nicht zu ferner Zeit ihnen allen so geht, denn die Strömung ist breit und stark und voller Strudel und die Inseln dicht beieinander und wirken miteinander wie Staudämme für den Schutt, da sie regellos und nicht in Reihen liegen und nirgends das Wasser geraden Durchfluss ins Meer findet. Sie sind unbewohnt und nicht groß. (Thukydides 2.102.2–4)
Andererseits präsentiert Thukydides wie Herodot Griechenland als eine vertraute Umgebung, die von – im Vergleich mit anderen Teilen der Welt – gewöhnlichen Leuten bewohnt wird. Jene Fremden waren weniger bekannt und für den Historiker weniger wichtig, der eine andere Art von Beschreibung brauchte. Die Anabasis des Xenophon bietet eine ausführliche Schilderung von Reisen in einem historiographischen Rahmen.77 Xenophon, der die geschilderten Ereignisse selbst erlebt hatte, beschreibt den Marsch einer Gruppe von griechischen Söldnern, die 401 v. Chr. im Herzen des persischen Reiches gestrandet waren. Seine Absicht war es, der Leserschaft die Details der Topographie und der Routen dieser außergewöhnlichen Reise zurück in die griechische Welt zu schildern:78 Von dort zogen sie durch das Land der Chalyber, in sieben Tagesmärschen 50 Parasangen. … Sie trugen Leinenkoller, die bis an den Unterleib reichten, an Stelle der Panzerflügel hatten sie fest zusammengedrehte Filzstreifen. … Von dort kamen sie zum Harpasos, einem vier Plethren breiten Fluss. Von da zogen sie durch das Land der Skythen in vier Tagesmärschen 20 Parasangen über ebenes Land … Von dort zogen sie in vier Tagesmärschen 20 Parasangen zu einer großen, reichen und dicht bevölkerten Stadt, die Gymnais genannt wurde … (Xenophon, Anabasis 4.7.15–19)
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Ein anderer Grieche, der den Osten tatsächlich besuchte und auch dort blieb, war Ktesias von Knidos (Anfang des 4. Jh.s v. Chr.). Seine Position als Leibarzt des persischen Königs Artaxerxes II. erlaubte ihm, Teile des persischen Reiches aus erster Hand zu beobachten, und lieferte den Hintergrund für seine literarischen Werke.79 Ktesias schuf ein Werk mit dem Titel Persika, in dem er die persische Geschichte einschließlich einiger geographischer und ethnographischer Angaben beschrieb – darunter (heute verlorene) Listen von Orten und Entfernungen im persischen Reich. Andere geographisch bedeutende Werke waren seine Indika und ein periplus. Weil Persien und Indien aus griechischer Perspektive exotische Gegenden waren, wurden viele Details in den Werken des Ktesias als Wunder oder sogar als ganz unglaublich angesehen. Diese Ansicht wurde durch Übertreibungen verstärkt, ebenso durch einfache Missverständnisse und sich daraus ergebende falsche Beschreibungen von ungewöhnlichen Sehenswürdigkeiten. Ein paar Jahrzehnte später, in der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr., schuf Ephoros von Kyme zwei originelle Beiträge zur beschreibenden Geographie.80 Er arrangierte sein 30 Bücher umfassendes Geschichtswerk nach geographischen Regionen (Griechenland, Sizilien, Persien und Makedonien)81 und widmete die Bücher 4 und 5 einem geographischen Überblick über die oikumene. Die Neuheit war, dass an die Stelle geographischer Exzerpte innerhalb eines historiographischen Überblicks, wie sie Herodot eingefügt hatte, das relevante geographische Material in je eigenen Büchern konzentriert wurde, die sich mit Europa (Buch 4) und mit Asien (Buch 5) befassten. Nur Fragmente von Ephoros’ Werk sind erhalten, aber diese literarischen Mittel scheinen ihm erlaubt zu haben, mehr Einzelheiten anzubieten und sich mit weiteren Fragen zu befassen, ohne den Leser von seinem primären Interesse an einem historiographischen Überblick abzulenken. Sowohl Herodot als auch Ephoros erkannten die Bedeutung geographischer Kenntnisse an, auch wenn sie unterschiedliche Ansätze wählten. Eine Entwicklung, die ganz wörtlich die Welt veränderte und dabei auch die antike Geographie betraf, war die militärische und politische Unternehmung Alexanders des Großen von Makedonien.82 Die gewaltigen Eroberungen Alexanders eröffneten neue intellektuelle Horizonte; manche antike Quellen schlagen sogar vor, dass dies nicht ein Nebenprodukt, sondern das Ziel eines von dem hoch gebildeten Monarchen ausgedachten Plans war. Alexander bereitete großartige Strategien und gut trainierte Armeen vor, nahm aber auch eine große Entourage mit, zu der Gelehrte gehörten, die während des Feldzugs alles irgendwie Interessante und jedes Naturphänomen dokumentieren sollten. Allerdings sind an diesem Image einer ‹wissenschaftlichen Schirmherrschaft› Alexanders des Großen Zweifel ange-
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bracht worden; fraglich nämlich scheint, ob diese Aufzeichnungen wirklich vorab systematisch geplant waren oder ob Alexanders Prestige erst später von den Gelehrten dazu verwendet wurde, die damit die Bedeutung ihrer eigenen Bemühungen größer darzustellen versuchten.83 Allerdings ist das aktive Streben des Königs, auch seine eigenen geistigen Horizonte zu erweitern, indem er schriftliche Aufzeichnungen über wirkliche Erfahrungen förderte, nicht völlig verfehlt dargestellt. Neben Aufzeichnungen von einer Schifffahrt durch den Indus-Fluss bis nach Persien (siehe Kapitel II 3) war der Hauptbeitrag der Alexander-Historiker zur beschreibenden Geographie die Dokumentation von exotischen lokalen Merkmalen, besonders in östlichen Gebieten wie Indien, und ihre Einbeziehung von geographischen Informationen, um den König zu verherrlichen, selbst wenn das einen Verzicht auf die aufrichtige Wahrheit einschloss:84 Und auch wenn in dem, was zu seinem Ruhm erzählt wird, alle sich einig sind, dann waren dessen Erfinder doch mehr auf Schmeichelei als auf Wahrheit bedachte Leute. Wie zum Beispiel damit, dass sie den Kaukasus von den Bergen oberhalb von Kolchis und dem Schwarzen Meer nach den indischen Bergen und dem ihnen benachbarten östlichen Meer verlegten. Waren es jene mehr als 30.000 Stadien von Indien entfernten Berge am Schwarzen Meer, welche die Griechen Kaukasus nannten, … weil diese Berge die letzten waren, die man damals im Osten kannte? (Strabon 11.5.5)
Das hellenistische Zeitalter erbte von Alexander eine besonders im Osten viel größer gewordene Welt. Die Eroberungen Alexanders weckten auch geistiges Interesse und wahrscheinlich auch populäre Wissbegierde über Landschaften und Einwohner von fremden Ländern.85 Der Fokus neuer Abhandlungen wandte sich entsprechend einzelnen Ländern zu, die nicht als Teil einer universalen Geschichte, sondern in je einzelnen Monographien behandelt werden konnten. Stilistisch blieben diese Werke der beschreibenden Tradition der Geographie verhaftet. Das Interesse konzentrierte sich daher auf kleinere regionale Geschichten, die Angaben zur lokalen Geographie einschlossen und das einführten, was bald chorographia genannt wurde, geographische Beschreibung eines bestimmten Gebiets (chora) innerhalb der oikumene. Diese Entwicklung wurde durch unabhängige Initiativen hellenistischer Monarchen verstärkt, ihre politische und wirtschaftliche Macht zu fördern, indem sie die physischen und intellektuellen Horizonte erweiterten.86 In Ägypten bot Ptolemaios I. um 300 v. Chr. dem Hekataios von Abdera seine Unterstützung bei der Erstellung seiner Aigyptiaka an, in denen die Geo-
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graphie des Landes und die Gewohnheiten seiner Bewohner beschrieben wurden. Hekataios schuf auch ein eigenes Werk, das sich mit der halbmythischen nördlichen Völkerschaft der Hyperboreër befasste.87 In ähnlicher Weise wurden in zwei aufeinander folgenden Generationen Werke über Indien geschaffen: Um 304 v. Chr. wurde Megasthenes als Botschafter des Seleukos I. Nikator an den Hof des Sandrokottos, des Königs von Palimbothra im östlichen Indien, entsandt; und Deimachos diente als Botschafter des Erben von Seleukos I., des Antiochos I. Soter, am Hof des Sohnes von Sandrokottos, des Königs Allitrochadas von Palimbothra. Sowohl Megasthenes als auch Deimachos schrieben ihre Eindrücke nieder und berichteten über die Forschungen, die sie in indischen Angelegenheiten durchführten.88 Megasthenes schuf vier Bücher, in denen er Indiens Geographie, Fauna und Flora, aber auch die sozialen Strukturen und Sitten der Einwohner des Landes und ihre Geschichte beschrieb.89 Dies war das erste direkte schriftliche Zeugnis einer Person aus dem Westen, die das Ganges-Tal besucht hatte. Megasthenes vermischte seine eigenen Erfahrungen, Gespräche mit indischen Gelehrten vor Ort und Details aus früheren griechischen Aufzeichnungen; diese Mischung wurde von späteren Autoren manchmal mit Geringschätzung betrachtet: Ganz besonderes Misstrauen aber verdienen Deimachos und Megasthenes, sind sie es doch, die von ‹Entokoites› (In-den-Ohren-Schläfern) berichten, von ‹Astomoi› (Mund- und Nasenlosen) sowie von ‹Monophthalmoi› (Einäugigen), ‹Makroskeleis› (Langbeinigen) und ‹Opisthodaktyloi› (Rückzehigen) … (Strabon 2.1.9)
Das nur noch in Fragmenten erhaltene Werk des Megasthenes bewahrt dennoch unschätzbare Informationen; das Werk des Deimachos ist ganz verloren. Während sich der Hellenismus im Osten ausbreitete, expandierte Rom infolge der Punischen Kriege allmählich in Gebiete außerhalb der italienischen Halbinsel. Mit dieser zunehmenden Macht konfrontiert, versuchte Polybios zu erklären, wie Rom so schnell zu wachsen vermocht hatte. Zu diesem Zweck schuf er seine Historien, wenngleich er sich auch mit Geographie befasste, die er als einen wesentlichen Bestandteil der Historiographie betrachtete:90 Die pragmatische Geschichtsschreibung ist dreiteilig. Der erste Teil ist das fleißige Studium schriftlicher Quellen und die Bereitstellung und Sichtung des aus ihnen gewonnenen Materials; der zweite befasst sich mit den geographischen und topographischen Voraussetzungen des historischen Geschehens: man muss
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sich ein Bild machen von der Lage der Städte, Flüsse, Häfen, von dem Gelände, überhaupt von den örtlichen Besonderheiten zu Lande wie zur See und von den Entfernungen zwischen den verschiedenen Punkte; der dritte hat die politischen Ereignisse zum Gegenstand. (Polybios 12.25e.1)
Diese Wahrnehmung bezog sich insbesondere auf die Beschreibung von Kämpfen: Die genaue Beschreibung des Geländes darf man bei keinem Vorgang, am wenigsten aber bei kriegerischen Ereignissen, außer Acht lassen, noch darf man versäumen, als Orientierungspunkte bald Häfen, Meere, Inseln zu benutzen, bald wieder Tempel, Berge, Länder und andere feste geographische Begriffe, schließlich die verschiedenen Himmelsgegenden, die ja in gleicher Weise für alle Menschen gelten. (Polybios 5.21.6).
Polybios hatte sowohl praktische als auch geistige Qualifikationen, die es ihm ermöglichten, einen umfassenden geographischen Überblick zu gewinnen. Erstens war er weit gereist, hatte sich Scipio Aemilianus angeschlossen, seinem römischen Herrn, der sein Freund geworden war und den er auf Reisen nach Spanien, nach Gallien, in die Alpen und nach Afrika begleitete. Außerdem unterstützte Scipio eine Flotte, die es Polybios erlaubte, eine Entdeckungsfahrt nach Afrika zu unternehmen (Plinius, Naturkunde 5.9). Polybios war auch in der Astronomie und Geometrie qualifiziert und schuf (heute verlorene) geographische Werke wie Über die Bewohner des Äquatorialgebiets (34.1.7) und periplus. Mit diesen Haltungen ging Polybios auch in seinem Geschichtswerk an geographische Themen heran. Am wahrscheinlichsten ist, dass er in dieser Beziehung Ephoros folgte; auch er nämlich entschied sich dafür, geographische Exkurse im allgemeinen Erzählfluss seines Werk zu reduzieren (wenn auch nicht ganz wegzulassen) und dafür eine eigene Abteilung geographischen Themen zu widmen, um seinen Lesern zu helfen, die weiteren Fragen im Hintergrund zu verstehen: Wir übergehen diese Dinge nicht deshalb, weil wir der Meinung wären, sie gingen die Geschichte nichts an, sondern erstens, weil wir die Erzählung nicht bei jeder Gelegenheit unterbrechen und den interessierten Leser nicht von dem eigentlichen Gegenstand unseres Geschichtswerks ablenken wollen, zweitens, weil wir es für richtig halten, sie nicht bruchstückweise und im Vorübergehen zu erwähnen, sondern diesen Fragen den ihnen zukommenden Ort und Zeitpunkt zuzuweisen und dann, soweit wir es vermögen, die Wahrheit darüber zu berichten. (Polybios 3.57.4–5)
Polybios sammelte dementsprechend all diese Informationen im Buch 34 seiner Historien. Das Buch ist heute verloren, aber es gibt beachtliche Belege
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zu seinem Inhalt und zu Polybios’ Ansatz bei der Behandlung traditioneller geographischer Themen. Als der mit der Idee der pragmatischen Geschichte am meisten verbundene Historiker konzentrierte sich Polybios weniger auf geographische Theorien und wissenschaftliche Berechnungen; er fokussierte seine Arbeit stattdessen auf die Informationen, die für seinen intendierten Leserkreis von Interesse waren, hauptsächlich Tatsachen über ferne Orte. Buch 34 enthielt deshalb eine systematische Übersicht der oikumene und eine detaillierte Beschreibung (chorographia) von Europa und Afrika als den beiden für die Punischen Kriege wichtigen Kontinenten. Praktische Angaben zu Entfernungen und Topographie betonend, kritisierte Polybios seine Vorgänger, die sich nur mit der theoretischen Geographie befasst hatten. Er wies Homer in der Tradition der griechischen Geographie eine hohe Bedeutung zu und verwendete sowohl die Ilias als auch die Odyssee für geographische Angaben. Ein bedeutender Teil seiner Erörterungen galt der Lokalisierung der Orte, zu denen Odysseus auf seinen Irrfahrten geraten war. Ein anderes Thema war der Charakter des Klimas, zu dem Polybios eine Aufteilung des Erdballs in sechs statt fünf Zonen vorschlug (siehe Kapitel III 2). Ein zentraler Autor in der Tradition der beschreibenden Geographie war Poseidonios von Apameia.91 Poseidonios war in erster Linie Philosoph und hatte als solcher ein besonders breites intellektuelles Spektrum und ein Interesse an der Erklärung von Naturphänomenen. Er überblickte deshalb einige Probleme in der physischen (wissenschaftlichen) Geographie, zum Beispiel die Gezeiten oder vulkanische Ereignisse. Die erhaltenen Zeugnisse weisen darauf hin, dass in der Antike eine Kombination von wissenschaftlichen und beschreibenden Kompetenzen in einer Person selten zu finden war. Gelehrte neigten gewöhnlich entweder in Richtung Mathematik und versanken ganz in quantitativen Themen (siehe Kapitel III) – oder sie widmeten sich dem beschreibenden Zweig der Geographie, oft nach oder gleichzeitig mit einer Karriere als Historiker.92 Poseidonios offenbarte seine vielfachen Interessen in seinem Werk Über den Ozean und in seiner Berechnung des Umfangs der Erde. Er leistete auch mehrere innovative Beiträge zur Geographie. Der erste wollte sich der Analyse des geographischen Raums durch seine Strukturen nähern, indem er mit größeren Einheiten begann und sich zu den kleineren bewegte: Breitenzonen, dann Kontinente, dann Länder, Gebiete und Städte. Diese gleichsam umgekehrte Pyramide von geographischen Strukturen ersetzte das traditionelle geradlinige Konzept des periplus. Zweitens behandelte Poseidonios Zeit als einen wichtigen Faktor in der Transformation der physischen und der Human-Geographie.
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Diese Idee erscheint auch bei Strabon, der in dieser Beziehung vielleicht von Poseidonios beeinflusst war: Trotzdem hat jemand, der eine Umwanderung (periodos) der Erde schreibt, die Pflicht, nicht nur das jetzt Bestehende zu berichten, sondern auch einiges von dem Ehemaligen, besonders, wenn es berühmt ist. (Strabon 6.1.2)
Poseidonios betonte so die zyklische Dynamik von Gezeiten und das zeitliche Element in demographischen Veränderungen, die durch Auswanderung und Krieg verursacht werden. Drittens versuchte er, allgemeine, wiederholte Systeme der Wirkung von Naturphänomenen festzustellen, um so theoretische Modelle schaffen zu können. Poseidonios war durch seinen neugierigen, wissbegierigen Geist motiviert und stützte einige seiner Beobachtungen auf seine umfassenden Reisen in Spanien, Gallien und Italien sowie im Osten. Im Verlauf von mehr als vier Jahrhunderten variierte die beschreibende Geographie (im Unterschied zur mathematischen und kartographischen Geographie) besonders in ihrer ‹historiographischen› Form in drei Parametern: 1. Fokus: Beschreibung von Gebieten innerhalb eines auf die ganze oikumene bezogenen Raums versus Chorographien innerhalb von einzelnen Ländern gewidmeten Monographien; 2. Literarische Position: Abteilungen mit verschiedenen Detailgraden innerhalb der historiographischen Darstellungen versus getrennte kompositorische Einheiten, die allein geographischen Fragen gewidmet sind; 3. Wahrnehmung des Raumes: lineare Abfolge versus flächige Wiedergabe des Raums. Diese Formen erzeugten die folgende Generation von beschreibenden Geographien, von denen jede ihre eigene Agenda hatte (auch wenn die in der Historiographie eingebettete Geographie bis zur Spätantike Bestand hatte). Strabon von Amaseia,93 geboren in Pontos in Kleinasien um 64 v. Chr., bereiste als Erwachsener mindestens Alexandreia, einige Teile Griechenlands und Rom. Strabon schrieb zunächst ein historiographisches Werk (oder deren mehrere), in dem er versuchte, einige Kapitel der Weltgeschichte einschließlich der Taten Alexanders des Großen zu überblicken. Erst später, vielleicht im zweiten Jahrzehnt des 1. Jahrhunderts n. Chr., schuf er sein magnum opus, die Geographie (Geographika). Auch er hatte also einen historiographischen Hintergrund, drückte aber sein geographisches Interesse in einer eigenständigen und weit ausführlicheren Darstellung aus.
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Die Geographie Strabons umfasst 17 Bücher und überblickt die ganze Welt, die zu seiner Zeit bekannt war. Sie beginnt mit der iberischen Halbinsel, erfasst dann das Mittelmeer (Europa, Asien und Afrika) und endet im nordwestlichen Afrika. Das Werk ist nach den Regionen aufgeteilt: Bücher 1–2:
Einleitende Bemerkungen zur Geographie, zu Geographen, zu den Hauptrichtungen in der wissenschaftlichen und beschreibenden Geographie und zur Kritik an den Vorgängern Buch 3: Iberien und die nahe gelegenen Inseln Buch 4: Gallien, Britannien, Irland, Thule und die Alpen Bücher 5–6: Italien, Sizilien sowie die Inseln zwischen Sizilien und Nordafrika Buch 7: Germanische Stämme, Pannonien, Illyrien, Makedonien und Thrakien Bücher 8–10: Griechenland Bücher 11–14: Kleinasien Buch 15: Indien und Persien Buch 16: Mesopotamien, Syrien, Phönizien, Iudäa, Persischer Golf und Arabien Buch 17: Ägypten, Äthiopien und Libyen
Strabon folgt der beschreibenden Tradition, schließt also lokale Details bezüglich Topographie, Flora und Fauna, Grenzen, Gestalt sowohl von Grenzlinien als auch von Landschaften, Mythologie, Geschichte und Ethnographie ein. Der Wert seiner Geographie liegt in ihrem breiten Ansatz, ihre Neuartigkeit darin, dass sie eine Beschreibung der ganzen Welt (also nicht nur lokale Geographie und Chorographie) unternimmt und nicht der Historiographie unterworfen ist. Das Werk bewahrt auch viele Reste von verlorenen Geographien und summiert gleichsam Jahrhunderte von geographischen Traditionen. Obwohl sich Strabon als nicht an wissenschaftlicher Geographie interessiert bezeichnete, widmete er einen bedeutenden Teil der ersten zwei Bücher der Zusammenstellung von wissenschaftlichen Ergebnissen und Ideen, die vor ihm erreicht worden waren. Auch konnte er einige Probleme am Rande der Wissenschaft in seinem kompletten Überblick nicht völlig ignorieren.94 So wurde seine Geographie gewissermaßen zu einem enzyklopädischen Beitrag, der Angaben aller Art enthält. Eine andere wichtige Eigenschaft der Geographie Strabons ist, dass sein geographischer Überblick die politische Wirklichkeit seiner Zeit widerspiegelt. Er lebte im 1. Jahrhundert v. Chr., als sich Rom unter Augustus als eine Weltmacht einrichtete, und absorbierte diese neue Situation. Er verweist auf die Bewunderung seiner Generation für Augustus, der ‹wie ein Vater› regierte (6.4.2), und betont die Verbindung von Politik und Geographie, wo-
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bei er die Grenzen der oikumene mit den Grenzen des Römischen Reiches gleichsetzt: Die Vorherrschaft der Römer und der Parther hat den Heutigen einen großen Zuwachs an Kenntnissen dieser Art gebracht, ebenso wie … denen, die nach dem Feldzug Alexanders lebten. (Strabon 1.2.1)
Mehr oder weniger gleichzeitig schuf König Iuba II. von Mauretanien und Libyen (um 50 v. Chr. – 23 n. Chr.) seinen eigenen Beitrag zur politischen und wissenschaftlichen Welt des 1. Jahrhunderts n. Chr. Iuba wurde 46 v. Chr. im Triumphzug des Gaius Iulius Caesar über Afrika als Gefangener mitgeführt.95 Er wuchs dann im Haus der Octavia auf, erhielt das römische Bürgerrecht und wurde ein Freund und Klient des Augustus. Nach hellenistischen Grundprinzipien ausgebildet, wurde Iuba ein fruchtbarer Autor, der sich für viele Themen einschließlich Theater, Malerei, Geschichte und Geographie interessierte. Iuba wurde schließlich König von Mauretanien und förderte dort die Gelehrsamkeit, indem er eine Bibliothek gründete und Entdeckungsreisen initiierte (siehe Kapitel II 3). Seine geographische Forschung schloss Informationen ein, die er dem Marcus Vipsanius Agrippa für dessen eigenes geographisches Projekt sandte, außerdem einen Kommentar zum Fahrtenbericht des Karthagers Hanno und drei ethnographische Regionalwerke (Libyka, Assyriaka und Arabika). Die Werke sind verloren, doch sind die meisten Fragmente in der Naturkunde des älteren Plinius bewahrt, wie ein Beispiel veranschaulichen soll: Iuba hat über die Fortunaten-Inseln folgende Untersuchungen angestellt: Sie lagen auch südwestlich, von den Purpur-Inseln 625 Meilen entfernt, so dass man erst 250 Meilen nach Westen zu steuern habe und dann 375 nach Osten. Die erste heiße Ombrios und weise keine Spur von Gebäuden auf; sie habe in den Bergen einen Sumpf und dem Narthex ähnliche Baume, aus denen man einen Saft presse … Die zweite Insel werde Iunonia genannt; auf ihr sei nur ein kleiner, aus Stein erbauter Tempel. In ihrer Nachbarschaft (lagen) noch eine andere, kleinere Insel mit demselben Namen, dann Capraria, voll von großen Eidechsen. In ihrem Gesichtskreis liege Ninguaria, welche diesen Namen wegen des beständigen Schnees erhalten habe, voll von Nebel. Die ihr nächste, Canaria, werde so nach der Vielzahl ungewöhnlich großer Hunde genannt – von diesen sind zwei dem Iuba zugeführt worden –; es seien dort Spuren von Gebäuden zu sehen. Während aber alle an Obst und Geflügel aller Art Überfluss hatten, habe diese auch an datteltragenden Palmen und Pinien-Nüssen Überfluss; es gebe (hier) auch viel Honig, außerdem entstünden Papyrus und Silurus in den Flüssen. Diese würden aber von den Tieren gefährdet, die beständig ausgeworfen würden und so vermoderten. (Plinius, Naturkunde 6.203–205)
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Der beschreibende Zweig der Geographie wich also von der historiographischen Tradition ab. Geographische Exkurse innerhalb von historiographischen Werken gab es noch bis in die Spätantike (etwa bei Cassius Dio auf Griechisch und bei Ammianus Marcellinus auf Lateinisch), aber einige beschreibende Geographien wurden ohne einen historiographischen Zusammenhang geschaffen. Die Wurzeln der beschreibenden Geographie lagen in der historiographischen Tradition, in der Wahl des Vokabulars, im Versuch, ausführliche Berichte über das anzubieten, was man gesehen hatte, und in der Aufmerksamkeit, die man der Beschreibung selbst widmete. Als sich dann aber der Stil von diesem Zusammenhang löste, fügten Autoren ihre eigenen je individuellen Akzente hinzu. Noch handelte es sich um literarische Prosa, aber der Fokus änderte sich, weil das geographische Thema in den Vordergrund rückte. Wie bei anderen literarischen Gattungen übernahmen römische Autoren historiographischer Überblicke griechische Konventionen und schlossen geographische Exkurse in ihr Werk ein. Sallust etwa widmete in seinem Buch über den Krieg mit Iugurtha drei Kapitel (17–19) Land und Leuten Nordafrikas, dem Schauplatz des Krieges.96 Weil sich Sallust mit einem speziellen Thema befasste und damit den universalen Ansatz des Polybios nicht teilte, spielte Geographie in seinem Buch eine weniger wichtige Rolle; er führt den Abschnitt als einen allein aufgrund der Konvention erforderlichen Exkurs ein: Es scheint notwendig zu sein, die Geographie Afrikas kurz darzustellen und diejenigen Völker zu streifen, mit denen wir Krieg führten oder die uns in Freundschaft verbunden waren. Aber ich könnte kaum etwas Verbürgtes über die Gegenden und die Stämme berichten, zu denen wegen der Hitze, wegen der unwirtlichen Gegend oder wegen der Wüsten kaum je ein Mensch gelangt. Das Übrige will ich möglichst kurz abhandeln. (Sallust, Iugurtha 17.1–2)
Dieser Exkurs kann einen zusätzlichen Zweck haben: die Hervorhebung der Beziehung zwischen den Naturbedingungen des Ortes und dem Charakter seiner rauen, zähen, ungezähmten Bewohner. Wie Herodot in seiner Darstellung des Konflikts zwischen Asien und Europa während der Perserkriege deutete Sallust damit an, dass der Konflikt zwischen Italien und Afrika für einen Konflikt zwischen Zivilisation und Barbarei steht. Gaius Iulius Caesar bietet eine einzigartige Vielfalt der beschreibenden Geographie, die seine Perspektive als die eines militärischen Befehlshabers widerspiegelt.97 Im Unterschied zu Historikern, die Informationen aus schriftlichen Quellen sammelten, schrieb Caesar über seine eigenen Erfahrungen im Feld, wofür er einen kurzen, pointierten Stil nutzte. In seinem
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Werk über den Gallischen Krieg bezieht er sich wiederholt auf topographische und ethnographische Verhältnisse einschließlich Entfernungen in den Gebieten, die er besetzte oder umging; damit deutet er an, dass erfolgreiche militärische Handlungen die geographischen Kenntnisse erweiterten. Der berühmte Anfangssatz des Werkes (Bellum Gallicum 1.1) ist rein geographisch: „Ganz Gallien ist in drei Teile geteilt.“ Der folgende Abschnitt beschreibt das Territorium genauer: Das helvetische Gebiet stieß auf allen Seiten an natürliche Grenzen. Auf der einen Seite war es der außerordentlich tiefe und breite Rhein, der die Grenze zwischen dem helvetischen und germanischen Gebiet bildet, auf der anderen Seite erhob sich zwischen den Helvetiern und den Sequanern das steile Gebirge des Jura, und endlich grenzten auf der dritten Seite der Genfer See und die Rhone das helvetische Gebiet gegen unsere Provinz ab. (Caesar, Bellum Gallicum 1.2.3)
Diese Bemerkungen (‹tief›, ‹breit›, ‹steil›) verdeutlichen die Perspektive eines Augenzeugen der Topographie. Sie offenbaren ein Bewusstsein für die Grenzen, die durch die natürliche Topographie bestimmt werden: durch Flüsse, durch einen See oder durch ein Gebirge. Die Passage endet mit einer Erklärung des politischen und sozialen Verhaltens der Einwohner: Die Helvetier wurden in ihrem Territorium durch die Natur selbst beschränkt, was sie dazu herausforderte und anspornte, militärische Unternehmungen zu beginnen, die dann zum römischen Eingreifen führten. Dieser Abschnitt enthält also mehrere wichtige Begriffe der Geopolitik in dem Sinne, dass Geographie als Einfluss auf politische Entwicklungen gedeutet wird. Am Ende seines Lebens, im Alter von 76 Jahren, präsentierte Kaiser Augustus öffentlich eine Aufstellung seiner Taten in den so genannten Res Gestae. Hier werden durchweg Toponyme als Markierungen für seinen großen Einfluss auf Weltangelegenheiten herangezogen (§ 26–33).98 Das Dokument verwendet also die geographische Fachsprache, um seine Botschaft zu vermitteln. Ein Beispiel: Bei allen Provinzen des römischen Volkes … habe ich die Grenzen erweitert … Die gallischen und spanischen Provinzen und ebenso Germanien habe ich befriedet – ein Gebiet, welches durch den Ozean von Gades bis zur Mündung der Elbe umschlossen wird. Die Alpen ließ ich von der Gegend nahe der Adria bis zum Tyrrhenischen Meer besetzen … Die Kimbern, Charyden und Semnonen sowie andere germanische Völkerschaften dieses Gebietes erbaten durch Gesandte meine und des römischen Volkes Freundschaft. Auf meinen Befehl und unter meinen Auspizien wurden etwa zur selben Zeit zwei Heere gegen Äthio-
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pien und Arabien geführt … In Äthiopien gelangte man bis zur Stadt Nabata, der Meroë benachbart ist. In Arabien rückte das Heer vor bis ins Gebiet der Sabäer zu dem Ort Mariba. (Augustus, Res Gestae 26)
Anders als die dokumentarische historiographische Orientierung von Caesar und Augustus nutzte der Geograph Pomponius Mela (um 37–41 n. Chr.) für seinen geographischen Überblick über die Welt den beschreibenden Stil.99 Die Benennung des Werks als Chorographia ist freilich überraschend, da eine chorographia eigentlich die gesonderte Darstellung einer besonderen Region der Welt bezeichnet. Deutlich wird also, dass es noch keine allgemein gültige Terminologie für solche Werke gab. Die Zielsetzung des Pomponius Mela war der Strabons vergleichbar: Er wollte die ganze Welt beschreiben (vgl. Abb. 2). Aber die Größe der Werke und sein Detaillierungsgrad sind sehr verschieden: Pomponius Melas Werk ist weit kondensierter und beschränkter als die Geographie Strabons. Buch 1 überblickt die Gebiete von den Säulen des Herakles entlang der Küste Nordafrikas bis nach Kleinasien. Buch 2 beginnt mit Skythien und Thrakien und kehrt dann durch Europa zurück zu den Säulen; die Inseln werden (ab 2.97) gesondert beschrieben. Buch 3 behandelt die Außenküsten der oikumene, beginnend bei den Säulen und dann entlang den Küsten der iberischen Halbinsel. Pomponius Mela verbindet Mythos und Geographie, etwa wenn er angibt, dass der nördliche Rand der Welt wegen der goldschützenden Greifen unbewohnbar sei (2.1). Er bewahrt auch verschiedene Arten von Daten zur Angabe von Entfernungen: Tagesreisen (2.6), Stadien (1.67) und römische Meilen (2.4). Ein paar Jahrzehnte später schuf Publius Cornelius Tacitus (um 55–120 n. Chr.) zwei Monographien mit starken ethnographischen und geographischen Schwerpunkten. In seinem Agricola bietet Tacitus einen Überblick über die Eroberungen seines Schwiegervaters Gnaeus Iulius Agricola, der als römischer Statthalter in Britannien wirkte. Das Werk umfasst Abschnitte über den naturräumlichen Charakter Britanniens und seiner Bewohner (Agricola 10–12) und betont die Existenz von neuen geographischen Horizonten: Die Küste des entferntesten Meeres umsegelte damals (unter Agricola) zum ersten Mal eine römische Flotte und bestätigte damit, dass Britannien eine Insel ist; gleichzeitig entdeckte sie bis dahin unbekannte Inseln, die Orkaden (Orkneys) heißen, und unterwarf sie. (Tacitus, Agricola 10.4)
Das Ergebnis, das auf früheren Quellen sowohl von Griechen (Pytheas) als auch Römern (Caesar) beruhte, schließt traditionelle geographische Themen ein: Land, Leute, Klima und Wunder (siehe Kapitel II 3). Auch Tacitus’
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Abb. 2: Weltkarte des Guillaume Fillastre (1417) in einem Codex mit dem Text des Pomponius Mela (Initiale im Codex Reims BM 1321, fol 13r).
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Germania hat einen offen ethnographischen Fokus, indem sie Natur und Gewohnheiten der germanischen Stämme mit einer Mischung aus Bewunderung für ihre einfache, bescheidene Art und Vorbehalten gegenüber ihren kriegerischen Gewohnheiten beschreibt: Ganz nahe bei den Chatten wohnen am Rhein, der nun schon ein festes Bett hat und damit eine ausreichende Grenze bilden kann, die Usiper und Tenkterer. Die Tenkterer zeichnen sich über die gewohnte Kriegstüchtigkeit hinaus durch ihre Fertigkeit in der Reitkunst aus. (Tacitus, Germania 32)
Tacitus bietet auch in seinen historiographischen Werken gelegentlich geographische Informationen. Die berühmteste von diesen ist der ethnographische Exkurs über die Juden und Iudäa in den Historien (5.2–13), in dem er sich mit traditionellen ethnographischen Themen befasst, aber lokale Charakterzüge nicht so mit dem ethnischen Charakter verbindet, wie er dies bei anderen Völkerschaften tut.100 Ein wichtiges enzyklopädisches Werk mit starkem geographischen Interesse ist die Naturkunde (Naturalis Historia) des älteren Plinius (um 23–79 n. Chr.).101 Es handelt sich um eine umfangreiche Kompilation, die in 37 Büchern die natürliche Welt, nicht aber speziell die Geographie behandelt. Allerdings nehmen mehrere Bücher offenkundig geographische Themen auf: Buch 2 behandelt Kosmologie, Astronomie und Geologie und die Bücher 3 bis 6 bieten einen geographischen Überblick über die bekannte Welt (Buch 3 zu Hispanien, Italien und Sizilien; Buch 4 zu Germanien, den britischen Inseln, Griechenland, den Gebieten am Schwarzen Meer und den Skythen; Buch 5 zu Afrika einschließlich Ägypten, Syrien, Iudäa, Kleinasien und Zypern; Buch 6 zu Äthiopien, Arabien, dem Kaspischen Meer, Babylonien, Indien und China). Auch einige Abschnitte anderer Bücher, die Tieren (8–11) und Pflanzen (12–19) gewidmet sind, schließen lokale Beschreibungen ein. Weil Plinius zahlreiche Quellen benutzte, bewahrt sein Werk viele Bruchstücke von verlorenen Geographien, und seine Zusammenfassung von ihnen bietet eine nützliche Kompilation ihrer Themen. Die Karriere des Plinius prägte seine Interessen und das gelehrte Werk, das er hervorbrachte. Geboren in eine wohlhabende Familie in Novum Comum (Como) in Norditalien, erhielt er eine umfassende Ausbildung in Rom und diente als Anwalt in Hispanien, Afrika und im Rheinland. Er war auch Mitglied des Beraterkreises von Kaiser Vespasian und widmete sein Hauptwerk Vespasians Sohn und Nachfolger Titus. Seine Karriere ermöglichte Plinius, nach Afrika und Hispanien und vielleicht anderswohin zu kommen; diese Eindrücke werden sein Interesse beeinflusst haben, auch wenn er nie seine persönlichen Erfahrungen anspricht. Plinius verließ sich
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auf zahlreiche Quellen, die am Anfang seiner Enzyklopädie aufgezählt werden. Am Anfang von Buch 3 offenbart er auch seinen Patriotismus, wenn er Europa als ‹Nährmutter des über alle Völker siegreichen Volkes› und ‹weitaus schönstes der Länder› bezeichnet (3.5). In seinen eher geographischen Abschnitten folgt Plinius dem deskriptiven Stil, und seine Naturkunde kann als eine lange beschreibende Liste, ein Inventar von natürlichen Phänomenen definiert werden. Ein Beispiel für seinen Ansatz in der topographischen Beschreibung ist sein Bild des AtlasGebirges in Afrika: Man berichtet, dass sich dieser Atlas mitten aus den Sandwüsten bis in den Himmel erhebe, rau und wüst dort, wo er sich zu den Küsten des Ozeans neigt, dem er den Namen verlieh, aber auch schattig und bewaldet und durch das Hervorsprudeln von Quellen bewässert dort, wo er nach Afrika hin schaut; Früchte aller Arten wachsen dort von selbst, so dass der Genusssucht niemals die Sättigung fehlt. (Plinius, Naturkunde 5.6)
Ein anderes Beispiel, in dem Plinius die Gebiete am Schwarzen Meer beschreibt, zeigt, wie er ethnographisches Material behandelt: Die übrigen Küsten haben rohe Völkerschaften inne: die Melanchlainer und die Koraxer in der Kolcher-Stadt Dioskurias am Fluss Anthemos, die jetzt verlassen ist, aber einst so berühmt war, dass Timosthenes angibt, es kämen dort 300 Nationen verschiedener Sprache von den Gebirgen herab zusammen; auch später noch wurden dort von 130 Dolmetschern unseres Volkes Geschäfte durchgeführt. (Plinius, Naturkunde 6.15)
Betrachten wir schließlich noch einen spätantiken Autor, der nach Jahrhunderten der beschreibenden Konvention wieder die traditionelle herodoteische Behandlung geographischer Probleme innerhalb der Historiographie aufnahm: Ammianus Marcellinus (um 330–391 n. Chr.), ein Grieche, der auf Lateinisch in einem Exkurs (23.6.1–86) die 18 Provinzen des persischen Königreiches und ihre Charakterzüge einschließlich der Flüsse, Entfernungen, Ortsnamen, markanter Sehenswürdigkeiten und eines Überblicks über die Gewohnheiten der Bevölkerungen bietet. Diese Abteilung seines Werkes beschreibt er nur als einen ‹raschen Exkurs› (excessus celer) (23.6.1), also mit einer Terminologie, die zum Aufkommen geographischer Exkurse als Ergänzungen größerer historiographischer Berichte zurückkehrt. Von ihren herodoteischen Anfängen an hing die Geographie an ihren historiographischen Eltern, oder eher ihren älteren Geschwistern (siehe Kapitel I 2). Herodot und seine Nachfolger begriffen, dass topographische und ethnographische Informationen für das Verstehen historischer Ereignisse
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und insbesondere für die Beschreibung des Verlaufs von Schlachten notwendig waren. Die erhebliche Bedeutung solcher Exkurse und die ausführliche, erweiterte literarische Bemühung, die ihnen manchmal zuteil wurde, weisen darauf hin, dass die Tendenz mancher moderner Gelehrten, ethnogeographische Abschnitte in der Historiographie als bloße Exkurse oder allenfalls als Hilfskapitel zu behandeln, fehl geht; die Tatsache, dass diese Abschnitte nicht das eigentliche Ziel der jeweiligen Werke waren, in die sie eingebettet wurden, mindert ihre Bedeutung nicht. Solche beschreibenden geographischen Abschnitte wurden allmählich unabhängig; zuerst als getrennte Abteilungen innerhalb eines größeren Werkes (Ephoros, Polybios), dann als unabhängige Werke, die geographischen Problemen gewidmet sind, aber am historiographischen beschreibenden Stil festhalten. Dieser ‹Stil› übernahm die wissenschaftliche Praxis von genauen Berechnungen und auf Logik gründenden ausführlichen Theorien gerade nicht. Auch übernahm er nicht die metrische Form und metaphorische Sprache der Dichtung oder den katalogartigen Ansatz der periploi und itineraria. Wie in der Historiographie wird eine Vielzahl von Wörtern genutzt, um so genau wie möglich das Erscheinungsbild der Topographie, die Gestalt von nahen und fernen Landschaften oder das zivilisierte beziehungsweise wilde Verhalten ihrer Bewohner zu schildern. All diese Details mussten dem Publikum durch Worte – ohne Bilder, Diagramme oder gar Karten – präsentiert werden, einem Publikum, das in einer Welt lebte, die von dem beschriebenen Gebiet grundverschieden war. Dieser Zweig der antiken Geographie fand mit vielen seiner Eigenschaften seine Fortsetzung in mittelalterlichen geographischen Werken.102
3. Reiseberichte und Wundererzählungen Wir haben gesehen, dass geographische und ethnographische Ideen und Tatsachen in frühe Mythen integriert wurden und ein bedeutender Teil der Dichtung aller antiken Zeitalter waren. Zugleich absorbierte und überlieferte die historiographische Tradition von Anfang an geographische Informationen als Teil ihres breiten Ansatzes eines Verstehens der menschlichen Existenz in der Welt. Alle diese Informationswege waren entweder mit der direkten, praktischen Bekanntschaft mit Gebieten rings um die Welt verbunden103 oder wurden in besonderen Aufzeichnungen von wirklichen Reisen übermittelt. Der folgende Abschnitt will keine umfassende Darstellung des Reisens in der Antike in allen seinen Aspekten (Ausmaß, Mittel, Absichten) bieten; vielmehr versucht er, die Verbindungen zwischen der Prä-
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senz von Griechen und Römern in verschiedenen Gebieten der Welt und der schriftlichen Überlieferung ihrer Eindrücke zu bewerten. Begegnungen mit fremden Orten und Völkern weckten Neugier und Bewunderung und lieferten neue Erkenntnisse für eine Reihe von Texten, die sich mit ungewöhnlichen oder erstaunlichen Phänomenen befassten. Das Thema des Reisens steht so mit einem wachsenden Interesse am Paradoxen und Wunderbaren in Verbindung. Die griechischen Mythen beschrieben mehrere sagenhafte Reisen mythischer Reisender: Der wahnsinnig gewordene Gott Dionysos wanderte durch ganz Asien und insbesondere durch Indien, Herakles suchte die Ränder der Welt auf, wo er einen Teil seiner Arbeiten erledigte, die Suche der Argonauten nach dem Goldenen Vlies brachte sie durch große Teile Osteuropas, und Odysseus durchquerte auf seinem Weg von Troia nach Ithaka weite Bereiche des Mittelmeers. Dies alles waren legendäre Reisen, die erstaunliche Erfahrungen umfassten und deren geographischer Hintergrund die Realien ihrer jeweiligen Epoche widerspiegelte (Kapitel II 1). Es gab auch eigentliche Forschungsreisen, sowohl durch praktische Bedürfnisse als auch durch echte Wissbegierde veranlasst; diese brachten ihre eigene charakteristische Art der Datenaufzeichnung mit sich.104 Solche Reisen reizten auch die Einbildungskraft des Publikums und kamen offenbar dem Geschmack eines breiten Leserkreises entgegen. Aus einer modernen kritischen Perspektive stehen solche Aufzeichnungen historischer Reisen auf einem festeren Fakten-Fundament als Mythen. In der Antike schlossen diese Berichte drei Haupttypen der Dokumentation ein: periploi, itineraria und ausführliche Berichte über Reiseerfahrungen; alle drei Arten verbinden sich zu den entstehenden Kompilationen von Wundererzählungen und Kuriositäten-Schilderungen. Da das Reisen zu praktischen – hauptsächlich kommerziellen und militärischen – Zwecken in der Archaischen Periode und später in der griechischen Welt zu einer Alltagserfahrung wurde, nahm das Bedürfnis nach genauen, zuverlässigen, auf die Kenntnisse von erfahrenen Seeleuten gegründeten Informationen zu (Kapitel V). Aller Wahrscheinlichkeit nach wurden Ratschläge im Allgemeinen mündlich weitergegeben, doch entstanden auch schriftliche Informationen, mit einer Kombination von erworbenen Kenntnissen und dem Bedürfnis nach der Information, die dann die periploi hervorbrachte (Kapitel I 2). Die erhaltenen Belege für diese Gattung konzentrieren sich alle auf spezielle, zu den geographischen Horizonten der Zeit passende Meere: das Innere Meer (Mittelmeer) und die Küsten des Äußeren Meeres (Atlantischer Ozean), den Pontos Euxeinos (Schwarzes Meer) und die südlichen Meere
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(Rotes Meer, Persischer Golf und Indischer Ozean, die manchmal insgesamt als ‹Rotes Meer› bezeichnet werden).105 Der früheste bekannte periplus gehört ins 6. Jahrhundert v. Chr. und wird einem Griechen aus Massalia (Marseille) zugeschrieben. Der Name des Autors ist verloren, aber Teile seines Werkes waren Quelle für die Ora Maritima (Meeresküsten) des Avienus (4. Jh. n. Chr.). Der periplus beschrieb offenbar die Küste mindestens von Massalia bis Tartessos in Spanien,106 was vielleicht einen Handelsweg widerspiegelt. Weitere Beweise für die Bedeutung des Hafens von Massalia sind der Bericht eines gewissen Euthymenes, der im 6. Jahrhundert v. Chr. die Westküste Afrikas erforschte und (vielleicht schriftlich) einige sonderbare – und irrige – geographische Einblicke anbot: Euthymenes von Massalia berichtet als Augenzeuge: „Ich fuhr“, sagt er, „auf dem Atlantischen Ozean. Von dort fließt der Nil ab, mächtiger, solange die Zeit der Etesien dauert. Da nämlich wird das Meer unter dem Druck der Winde heraus getrieben. Haben sie sich gelegt, kommt auch das Meer zur Ruhe, und der herabfließende Nil hat daher auch eine geringere Wassermenge. Übrigens hat das Meer einen süßen Geschmack und Tiere, die denen im Nil ähnlich sind.“ (Seneca, Naturwissenschaftliche Untersuchungen 4.2.22)
Euthymenes war zu dem Schluss gekommen, dass der Nil in Ägypten mit dem Fluss verbunden war, den er am Atlantik gesehen hatte (der freilich wohl die Mündung des Senegal-Flusses war). Da die Kenntnis des Mittelmeers allmählich zunahm, wurden Forschungsreisen zu weiter entfernten Gebieten unternommen. Diese Reisen zielten auf die Erforschung unbekannter Gebiete und das Sammeln nützlicher Informationen. Auch sie brachten schriftliche Berichte hervor, die manchmal als periploi bezeichnet wurden, auch wenn sie in einigen Fällen zusätzliche beschreibende Angaben enthielten und gelegentlich die persönliche und emotionale Perspektive ihrer Autoren betonten oder auch exotische und übertriebene Angaben machten. Selbst wenn sie ungenaue oder wundersame Informationen enthielten, die ihre Zuverlässigkeit und so ihre praktische Nützlichkeit minderten, boten solche periploi einige Informationen über allgemeine Bedingungen in sonst unbekannten Gebieten. Reisen dieser Art galten häufig dem Bestreben, Kontinente zu umfahren und entfernte Gebiete zu erforschen, damit man so kürzere Wege zu anderen Ländern entdecken, neues Land für die Kolonisation finden oder fremde Gebiete erobern konnte. Häufig förderten deshalb Könige solche Entdeckungsreisen, indem sie finanzielle Unterstützung boten – und damit das Bestreben verbanden, ihr Reich zu erweitern. Solche Beteiligung erhöhte auch das Prestige eines Monarchen, selbst wenn die tatsächlichen Ergeb-
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nisse beschränkt blieben.107 Nicht zuletzt werden auch pure Wissbegierde und Abenteuerlust eine Rolle gespielt haben. Die Hauptakteure in den frühesten Reisen der Erforschung waren weder Griechen noch Römer, sondern Ägypter, Phönizier, Karthager und Perser. Diese Völkerschaften waren in der frühen Geschichte der Mittelmeerwelt dominierende politische Kräfte, und als solche kontrollierten sie die Seewege und begannen mit dem Ausbau geographischer Kenntnisse. Diese Forschungen wurden freilich fast ausschließlich durch die schriftliche Überlieferung der Griechen und Römer bekannt. Diese Reisen haben für die Geschichte der antiken Geographie eine zweifache Bedeutung: Sie erweiterten die geographischen Horizonte ihrer Zeiten, und die schriftliche Dokumentation solcher Reisen steht für einen wichtigen Zweig der beschreibenden Geographie. Laut Herodot (4.42) war es König Necho II. von Ägypten (um 600 v. Chr.), der als erster beweisen wollte, dass Afrika von Wasser umgeben ist. Necho begann angeblich108 damit, einen Kanal vom Nil zum arabischen Golf graben zu lassen, dann entsandte er eine phönizische Expeditionsgruppe, um vom Roten Meer nach Süden mit der Absicht zu segeln, Libyen im Uhrzeigersinn zu umfahren, also schließlich durch die Straße von Gibraltar zur Mittelmeerküste Ägyptens zurückzukehren. Die Seeleute vollbrachten diese Mission und berichteten, dass sie während ihrer dreijährigen Reise jeden Herbst an einer afrikanischen Küste anlandeten, dort Getreide aussäten und ernteten und bis zum Frühjahr blieben. Sie berichteten auch, dass für sie bei der Umfahrung Afrikas die Sonne auf ihrer rechten Seite stand. Herodot hielt diese Bemerkung für unglaubhaft, doch kann gerade sie die Wahrheit der Geschichte andeuten, da für Seeleute, die auf der Südhalbkugel nach Westen segeln, die Sonne tatsächlich im Norden des Schiffes steht. Herodot liefert auch Informationen über andere Entdeckungsreisen: Von Asien ist der Großteil durch Dareios bekannt geworden, der wissen wollte, wo der Fluss Indos … ins Meer mündet. Er schickte auf Schiffen Männer aus, denen er zutraute, die Wahrheit zu sagen, und zwar unter anderen auch Skylax, einen Mann aus Karyanda. Die fuhren von der Stadt Kaspatyros (heute Multan in Pakistan) und dem Land der Paktyer los, flussabwärts in Richtung Morgenröte und Sonnenaufgang zum Meer, auf dem Meer aber fuhren sie in Richtung Abend, und im 30. Monat kommen sie zu eben demselben Ort, von dem aus der König der Ägypter die Phönizier, von denen ich vorhin sprach, zur Umfahrung Libyens losschickte … (Herodot 4.44,1–2)
Dieser Kapitän Skylax aus Karien (um 519–516 v. Chr.) schrieb seine Erfahrungen nieder.109 Zwei Jahrhunderte nach seinen Abenteuern erschien
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ein anderer periplus unter dem Namen des Skylax, doch konzentriert sich diese aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. stammende Kompilation früherer Informationen auf das Mittelmeer und das Schwarze Meer110 und spiegelt die karthagische Vorherrschaft über das Meer und die Häfen im westlichen Mittelmeer wider. Karthago, das an einem zentralen Ort an der Nordküste Afrikas (im heutigen Tunesien) gelegen ist, wurde zu einer dominierende Seemacht. Politische und wirtschaftliche Interessen regten mehrere Karthager an, Entdeckungsreisen außerhalb des Mittelmeeres durchzuführen. Um 500 v. Chr. verließen zwei Expeditionen Karthago und fuhren durch die Straße von Gibraltar. Eine, die unter der Führung des Hanno stand, segelte nach Süden entlang der afrikanischen Küste, die andere, die Himilko leitete, nach Norden entlang der europäischen Küste. Einige Details der Entdeckungsreise von Hanno sind aus einer griechischen Teilübersetzung seiner Aufzeichnungen bekannt, die wohl im 4. Jahrhundert v. Chr. entstanden ist.111 Hanno segelte mit 60 Schiffen mit dem Ziel, das westliche Afrika zu erforschen und neue karthagische Kolonien zu gründen. Die Schiffe segelten nur tagsüber und verloren die Küste nie aus dem Blick. Hanno gründete mehrere karthagische Ansiedlungen entlang der Küste des heutigen Marokko von Tanger bis zum Kap Juby (Cabo Jubi) direkt östlich von den Kanarischen Inseln. Die Seeleute sahen sowohl auf der afrikanischen Küste als auch auf den Kanarischen Inseln vulkanische Aktivitäten und stießen auf fremdartige Wesen, wie am Schluss des Berichtes steht: Dort lag eine weitere Insel, voll von wilden Menschen. Es waren überwiegend Weiber, die am ganzen Körper dicht behaart waren; die Dolmetscher nannten sie gorillai112 … Wir töteten sie, zogen ihnen die Haut ab und brachten die Bälge nach Karthago mit. Dann segelten wir von da aus nicht mehr weiter voran, da unsere Lebensmittelvorräte zur Neige gingen. (Hanno 18)
Die viermonatige Reise des Himilko führte über Gades (Cádiz in Spanien) entlang der iberischen Küste zu den Kassiterides, den ‹Zinninseln› (wohl den Scilly Islands oder Cornwall). Die Informationen über seine Reise sind nur durch Berichte aus zweiter Hand erhalten, da seine ursprüngliche Schilderung und spätere Übersetzungen verloren gingen.113 Die nächste bekannte Forschungsreise wurde von den Persern gestartet, die versuchten, Afrika zu umsegeln. Laut Herodot (4.43) bestrafte Xerxes (Perserkönig 486–465 v. Chr.) den Sataspes, einen persischen Edelmann, der die Tochter eines anderen Aristokraten vergewaltigt hatte, damit, dass er ihn zur Übernahme dieser Mission zwang. Die Fahrt ging gegen den Uhrzeigersinn von der Mittelmeerküste Ägyptens und durch die Straße von
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Gibraltar nach Süden; Sataspes kam mit seiner ägyptischen Mannschaft an Kap Soloeis (Kap Spartel in Marokko) vorbei und segelte viele Monate nach Süden. Als Sataspes jedoch sah, dass das Meer endlos schien, kehrte er um – und wurde, da er seine Mission nicht vollendet hatte, von Xerxes gekreuzigt. Immerhin hatte er aber einige Begegnungen an der afrikanischen Küste beschrieben, allerdings anscheinend mündlich; es gibt jedenfalls keine Belege für eine schriftliche Dokumentation. Im 5. Jahrhundert v. Chr. wurden periploi geschaffen, die verschiedene Küstenabschnitte beschreiben. Diese beruhten im Allgemeinen auf einer Zusammenstellung der täglichen Erfahrungen von Seeleuten, waren also nicht das Ergebnis einer bestimmten Erkundungsfahrt. Avienus erwähnt mehrere für sein Werk Ora Maritima (82 ff.) wichtige Quellen, darunter eine Reihe solcher periploi aus dem 5. Jahrhundert v. Chr.: Damastes von Sigeion, der den arabischen Golf für einen Binnensee hielt,114 Euktemon von Athen, der sich in erster Linie für Astronomie interessierte, aber auch Gebiete im westlichen Mittelmeer beschrieb; Phileas von Athen, der die Rhone als Grenze zwischen Europa und Libyen betrachtete, und Bakoris von Rhodos, der einen periplus unbekannten Umfangs schuf. Am Anfang des 4. Jahrhunderts v. Chr. schrieb Ktesias von Knidos (neben seinen Geschichten von Persien und Indien) eine Abhandlung, die als periodos, periëgesis oder periplus bezeichnet war und Asien, Libyen und Italien zum Gegenstand hatte.115 Auch wenn nur wenig von diesem erhalten ist, bleibt deutlich, dass die Gattung in jener Zeit in Blüte stand. Die Eroberungen Alexanders des Großen erweiterten nicht nur die griechischen Kenntnisse über die Kontinente, sondern auch die Horizonte zur See. Auf Befehl Alexanders (Arrian, Indika 20.1–2) unternahm Nearchos von Kreta eine Fahrt auf dem Seeweg von Indien nach Susa am Euphrat und ließ dabei genaue Informationen über die Küsten, Häfen, Golfe und Städte aufzeichnen. Nearchos und Onesikritos zeichneten die Fahrt des Nearchos den Indus hinab durch den Persischen Golf zum Euphrat auf.116 Der Bericht beschreibt den ersten Besuch von Griechen in Tylos (dem heutigen Bahrain): Dies erhielt Alexander als Bericht teils von Archias, der, mit einem Dreißigruderer zur Erkundung des Seewegs längs der Küste nach Arabien ausgesandt, bis nach Tylos kam, jedoch nicht weiterzufahren wagte, teils von Androsthenes, der mit einem anderen Dreißigruderer ausgeschickt worden und ein Stück weit an der Arabischen Festlandsküste entlang gefahren war. Am weitesten von allen Expeditionen aber kam Hiëron aus Soloi, der Schiffssteuermann, auch er auf einem von Alexander zur Verfügung gestellten Dreißigruderer. Er hatte den Auftrag, um die ganze arabische Halbinsel herum und den Arabischen Golf vor Ägypten
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bis nach Heropolis zu fahren, doch wagte auch er sich nicht weit vor, wenngleich er ein gutes Stück an der arabischen Küste entlang segelte. Er kehrte um und meldete, die Landmasse der Halbinsel sei ungeheuer, nicht viel kleiner als Indien; eine Landspitze rage weit ins Große Meer hinaus. (Arrian, Anabasis. 7.20.7–8)
Die Entdeckungsreise stieß auf außergewöhnliche Phänomene: Nearchos berichtet, dass sie, nachdem sie von Kyiza (im heutigen Pakistan) abgefahren waren, bei Tagesanbruch gesehen hätten, wie Wasser aus dem Meer nach oben geblasen wurde, wie durch die Gewalt einer Windhose hochgerissen. Als sie erschrocken die Lotsen gefragt hätten, was das sei und wodurch diese Erscheinung entstehe, hätten diese geantwortet, dass Wale bei der Wanderung durch das Meer Wasser nach oben bliesen. Den erschreckten Seeleuten seien die Ruder aus den Händen gefallen … (Arrian, Indika 30.2–3)
Ungefähr zur selben Zeit segelte ein berühmter Reisender, dessen Berichte bereits in der Antike umstritten waren, in den Nordatlantik.117 Pytheas von Massalia (Marseille) (fl. [s. S. 148] um 310–306 v. Chr.) schrieb seine Eindrücke in seinem Werk Über den Ozean auf, das mehr als ein periplus war und auch astronomische Beobachtungen umfasste, die späteren Gelehrten wie Hipparchos bei ihren Berechnungen von Breiten dienten (Kapitel III 3). Pytheas bot praktische Instruktionen für Fernhändler, die im nördlichen Ozean – auch in zuvor unerforschten Gebieten – Handel treiben wollten. Seine Fahrt, die wahrscheinlich mindestens zwei Jahre dauerte, begann in Massalia, passierte die Straße von Gibraltar und führte über Gades (Cádiz) nach Norden bis zum Kap Ortegal (Ortigueira in Spanien), zur Loire, zur Insel von Uxisame (Ouessant in Frankreich) bis nach Belerium (Cornwall). Pytheas war wahrscheinlich der erste Grieche, der Britannien umsegelte und sein Klima und seine Einwohner beschrieb. Noch weiter nach Norden segelnd, sah er eine Insel, die er Thule nannte (Island oder Shetland),118 sowie andere Inseln, die Bernstein im Überfluss hatten. Weil Pytheas zuvor unbekannte Gebiete besucht und ungewöhnliche natürliche und menschliche Phänomene beschrieben hatte, stellten einige antike Autoren seine Zuverlässigkeit in Frage und hielten ihn für einen Lügner (so Strabon 1.4.3). Aber mehrere Angaben in seinen Beschreibungen – einschließlich seiner Beobachtungen von typischen astronomischen Phänomenen im Norden – zeigen, dass er wohl tatsächlich bis zu den Shetland-Inseln segelte und vielleicht auch die Küste Islands von weitem sah. Im hellenistischen Zeitalter waren lokale Herrscher oder ihre Agenten üblicherweise an Forschungsreisen zur See beteiligt. Ophelas (320–310 v. Chr.) war ein Herrscher von Kyrene, der einen periplus von der Atlanti-
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schen Küste Afrikas zusammenstellte (Strabon 17.3.3). Patrokles, ein Admiral des Königs Seleukos I., führte um 284 v. Chr. eine Forschungsreise im Kaspischen Meer durch,119 während Demodamas, ein Militärbefehlshaber unter Seleukos I. und seinem Sohn und Nachfolger Antiochos I., den Iaxartes durchquerte (Plinius, Naturkunde 6.49). Der Seeraum zwischen Afrika und Indien interessierte die Menschen der Antike wahrscheinlich am meisten, weil die Wege nach Osten für den Handel mit Gewürzen und Weihrauch notwendig waren.120 Von den Ptolemäern, den hellenistischen Königen Ägyptens, gefördert, schuf Agatharchides von Knidos (200–140 v. Chr.) einen Periplus des Erythraiischen (‹Roten›) Meeres, der in seinem Überblick die Aktivitäten der Ptolemäer im Roten Meer, die geographischen Bedingungen im oberen Nil-Tal und ethnische Muster an der afrikanischen Küste des Roten Meers und der Küste Arabiens umfasste.121 Ptolemaios VIII., der von 145 bis 116 v. Chr. in Ägypten herrschte, wurde durch ein ungewöhnliches Ereignis dazu gebracht, eine Entdeckungsreise zu entsenden, um den Seeweg zwischen Indien und Ägypten zu erforschen: Ein indischer Matrose war allein und halb tot auf einem Schiff im arabischen Golf gefunden und dem König gebracht worden. Ptolemaios reagierte darauf, indem er Eudoxos von Kyzikos auf eine Forschungsmission schickte.122 Bei seiner Rückkehr nach Ägypten wurde Eudoxos südlich von Äthiopien vom Wind abgetrieben und fand dort den pferdegestaltigen Bug eines Schiffes aus Gades, das jenseits des Lixos-Flusses (Loukkos in Marokko) gesegelt, aber nie zurückgekommen war. Er schloss daraus, dass es möglich sein müsse, Afrika zu umsegeln, und versuchte mit einer großen Mannschaft diese Fahrt von Kyzikos aus zu unternehmen. Allerdings erlitt er Schiffbruch, woraufhin er einen zweiten Versuch unternahm, von dem er jedoch nie zurückkehrte. Die Versuche des Eudoxos standen also mit der Suche nach dem Seeweg von Ägypten nach Indien in Verbindung, wo er wahrscheinlich dem Monsun und nicht der Küste folgte und also die Umfahrung Afrikas von Westen nach Osten unternahm. Um 100 v. Chr. schuf ein anderer hellenistischer Gelehrter aus Kleinasien ein deskriptives geographisches Werk: Artemidoros von Ephesos beschrieb die ganze Welt in elf Büchern, von denen nur Fragmente erhalten sind, die etwa fünf Jahrhunderte später Markianos von Herakleia anfertigte.123 Das Werk des Artemidoros folgte der allgemeinen Form des periplus, umfasst Berechnungen von topographischen Maßen und ist entsprechend den drei Kontinenten in drei Abschnitte eingeteilt. Artemidoros verließ sich auf seine eigenen Reisen und auf die Schriften des Agatharchides (Kapitel II 3), des Megasthenes und der Alexander-Historiker. Seine Bedeutung liegt allenfalls in seiner Rolle als Informationsquelle für spätere Geographen, aber
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vor wenigen Jahren wurde das Interesse an seinem Werk durch die Entdeckung einer drei Meter langen, mit seinem Namen in Verbindung gebrachten Papyrus-Rolle geweckt.124 Einige Gelehrte haben vorgeschlagen, dass der dort aufgezeichnete Text einen Teil von Artemidoros’ sonst verlorenem Werk bewahrt und dass der Papyrus zudem Exzerpte aus den allgemeinen Bemerkungen des Artemidoros zur Geographie als einem Zweig der Philosophie sowie den Anfang seines Überblicks über Iberien enthält. Andere weisen die Identifizierung hauptsächlich aus sprachlichen Gründen zurück. Von besonderer Bedeutung sind die Zeichnungen, die der Papyrus bewahrt, größtenteils Tiere und Körperteile, vielleicht aber auch die Skizze eines Flussdeltas. Wenn die Zeichnungen echt sind, wären sie der älteste auf Papyrus erhaltene Beleg für ein Kartendiagramm (Kapitel IV). Ein paar Jahre nach Artemidoros schuf Xenophon von Lampsakos (100– 60 v. Chr.) einen periplus der Küste Nordeuropas und Westeuropas, in dem er sich mit Baltia wahrscheinlich auch auf Skandinavien bezieht: Xenophon von Lampsakos erzählt, dass sich (in der Entfernung) einer dreitägigen Seereise vor der Küste der Skythen die Insel Baltia von unermesslicher Größe befinde; Pytheas nennt dieselbe Insel Basileia. Man berichtet auch von den Oionen, auf denen angeblich die Bewohner von Vogeleiern und Hafer leben, von anderen, auf denen Menschen mit Pferdefüßen geboren werden sollen, Hippopoden genannt, und von anderen (Inseln) der Panotier, auf denen die Bewohner ihre sonst nackten Körper durch ihre übergroßen Ohren völlig bedecken sollen. (Plinius, Naturkunde 4.95)
Auch wenn sich viele hellenistische periploi mit besonders entlegenen Gebieten befassen, ging das Interesse an näher gelegenen Meeren nicht zurück. Im 1. Jahrhundert v. Chr. schuf Menippos von Pergamon einen periplus des Inneren Meers (Mittelmeers) in mindestens drei Büchern und vielleicht einem vierten über das Schwarze Meer.125 Das Werk ist durch Auszüge bekannt, die gegen Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. Markianos von Herakleia anfertigte. Die Betonung der Schifffahrt ist in dem Werk durch seine Bezugnahmen auf Küsten, Häfen und die Entfernungen zwischen Küstenpunkten deutlich. Ein anderer periplus, der einem unbekannten Griechen aus dem römischen Ägypten zugeschrieben wird, ist der Periplus Maris Erythraei, den man in die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. datiert.126 Der Text beruht auf der persönlichen Erfahrung des Autors und befasst sich mit zwei Haupthandelswegen, die sich beide auf die Südwest- und Nordostmonsune verlassen. Der eine Weg ist die afrikanische Route von den ägyptischen Häfen am Roten Meer durch dessen südliche Meerenge zum Golf von Aden und
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entlang der Ostküste Afrikas zum Gebiet des heutigen Tansania, der andere Weg ist die arabische oder indische Route, die ebenfalls von den ägyptischen Häfen am Roten Meer durch seine südliche Meerenge verläuft, dann aber entlang der südlichen Küste Arabiens zum Nordwesten Indiens oder durch das offene Meer des Indischen Ozeans zum Südwesten Indiens. Der periplus betont Informationen, die für Händler von Bedeutung sind, etwa zu günstigen Häfen, interessanten Handelsgütern und zum Grad der Freundlichkeit der lokalen Einwohner. Auch werden verschiedene andere Details zur lokalen Geschichte, Physik, Botanik und Bevölkerung geboten; die Sprache ist dabei technisch, aber einfach; die Absicht des Dokumentes scheint der praktische, nicht der intellektuelle Nutzen zu sein. Ein Jahrhundert später schuf Lucius Flavius Arrianus von Nikomedeia (Arrian, 120–170 n. Chr.) eine Aufzeichnung von Handelswegen entlang den Küsten des Schwarzen Meeres.127 Sein periplus ist bewusst als Brief an Kaiser Hadrian gestaltet, dem praktische Informationen über die Gebiete rings um das Schwarze Meer angeboten werden. Die Stellung Arrians als Statthalter von Kappadokien sowie sein Zugang zu früheren Quellen ermöglichten ihm, in seinem Überblick Angaben über Entfernungen und sichere Häfen an der Küste von Trapezus bis Sebastopolis zu machen. Freilich besteht ein Unterschied im Detaillierungsgrad zwischen dem genaueren Abschnitt zur Süd- und Ostseite des Meeres einer- und dem zur nördlichen Küste andererseits. Schließlich ist Markianos von Herakleia (um 400 n. Chr.) wegen seiner Zusammenfassungen von geographischen Abhandlungen früherer Autoren – wie Artemidoros und Menippos – zu nennen. Er schuf auch einen eigenen Periplus des Äußeren Meeres, der fast vollständig erhalten ist.128 Das erste Buch beschreibt die Küsten des Arabischen Golfs und des Indischen Ozeans einschließlich des Persischen Golfs bis zum Chinesischen Meer, das zweite die Küsten des Atlantischen Ozeans von Spanien nach Britannien. Dieser Überblick über die historischen Verhältnisse von Forschungsreisen und ihren schriftlichen Aufzeichnungen als periploi macht verständlich, dass Griechen dieses Wissensgebiet auch noch in der Zeit der Blüte des Römischen Reiches beherrschten (Menippos, Arrian, Markianos). Recht wenige Römer erweiterten das Wissen um die Weltmeere; immerhin anführen kann man die Erforschung Britanniens durch Agricola, die Tacitus beschreibt, oder Strabons Verweis auf einen gewissen Publius Crassus, der die Kassiterides (Zinninseln) besuchte und damit „allen, die Lust dazu hatten, das Zeichen gab, fortan mit vollem Einsatz dieses Meer zu befahren, obwohl es größer ist als das Meer, das Britannien vom Festland trennt“ (Strabon 3.5.11).
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Bisher haben wir uns mit Seereisen und den Aufzeichnungen darüber befasst, doch in der ganzen Antike unternahmen die Menschen auch Reisen zu Land; gelegentlich wurden auch diese Erfahrungen aufgezeichnet. So schuf im 1. Jahrhundert v. Chr. Isidoros von Charax für die Fernhändler eine systematische Aufstellung der Karawanen-Route von Zeugma nach Indien.129 In diesen so genannten Stathmoi Parthikoi (Parthische Stationen) verzeichnete Isidoros die Namen von Stationen, ihre Abfolge auf dem Weg und die Entfernungen zwischen ihnen. Er bezog auch einige exotische Details ein, etwa eine Darstellung der Perlenfischerei im Persischen Golf. Ein ähnlich systematischer schriftlicher Ansatz über Landwege wurde von den Römern übernommen. In dem Maß, in dem das Reich expandierte, musste das Verwaltungszentrum in Rom im Stande sein, mit allen seinen unterworfenen Territorien effiziente Verbindungen aufrechtzuerhalten. Allmählich wurde ein umfassendes Straßensystem für den offiziellen Gebrauch geschaffen (cursus publicus).130 Doch zogen auch andere über Land: Soldaten, Bürger auf dem Weg zu Abstimmungen in Rom, Händler und sogar Touristen. Freilich verfügten nur einige wenige Personen in jener Zeit über die erforderliche Muße und die notwendigen Finanzmittel für solche Reisen. So prahlen etwa Historiker und ihre Kollegen, die geographische Abhandlungen schufen, häufig mit dem Ausmaß ihrer Reisen, weil Autopsie als beste Form von Beleg galt. Ägypten wurde nachgerade ein ‹Muss› auf der Reiseliste von Historikern und anderen Gelehrten.131 Das effiziente System von Reichsstraßen überall im Imperium erlaubte die Erstellung von schriftlichen Aufzeichnungen über Landrouten und Entfernungen, womit Reisen erleichtert wurden. Solche so genannten itineraria waren ein einzigartig römisches Phänomen.132 Ein itinerarium adnotatum (‹kommentiertes itinerarium›) bot eine Liste von Ortsnamen und den Entfernungen zwischen ihnen. Auf diese Weise konnte ein Reisender herausfinden, wohin die Reise ging, und konnte die Entfernung zu seinem Ziel abschätzen, die in Reisetage übersetzt werden konnte. Dieser Präsentationsstil ermöglichte es freilich nur, entlang einer vorhandenen Route zwischen zwei Punkten zu reisen, und bot keine Alternativen oder Umwege an. Die Feststellung der kürzesten Entfernungen zwischen zwei Punkten waren beim Reisen in der Antike wenig sinnvoll, vielmehr ging es um den besten, günstigsten und dabei relativ kürzesten Weg zu einem Ort. Ein itinerarium pictum (‹gemaltes itinerarium›) übersetzte wahrscheinlich solche räumlichen und toponymischen Informationen in eine graphische Form (Kapitel IV). Mehrere itineraria adnotata sind bekannt, die alle in der Hochzeit des Römischen Reiches geschrieben sind. Das Itinerarium Antoninum (3. Jh. n. Chr.) ist eine nach Regionen geordnete Sammlung von Reiserouten durch
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die Provinzen im ganzen Reich.133 Es beginnt an den Säulen des Herakles und schildert die Regionen vom nördlichen Afrika bis nach Europa. Nicht alle Gebiete wurden dabei in demselben Detaillierungsgrad beschrieben. Oft bietet der Text Aufzeichnungen über Ballungen von Straßen und Stätten, die mit zentralen Orten wie Rom, Mailand oder London verbunden waren. Anderenorts, so bei Inseln, liefert er unabhängige Schilderungen. Die Sammlung umfasst auch Seereiserouten mit Listen von Küstenpunkten (periploi). Andere itineraria befassten sich mit Reisen zu besonderen Zielen. Um 320 n. Chr. schilderte Theophanes von Hermupolis seine Reisen nach Antiocheia und zurück.134 Der Text ist zwar auf Griechisch geschrieben, nennt die Entfernungen aber in römischen Meilen und spiegelt das römische Straßennetz des 4. Jahrhunderts n. Chr. wider. Das anonyme Itinerarium Burdigalense (auch Itinerarium Hierosolymitanum genannt) aus dem Jahr 333 n. Chr. beschreibt eine Pilgerfahrt ‹von Burdigala (Bordeaux) nach Hierosolyma (Jerusalem) und von Herakleia nach Mailand über Valona und Rom›.135 Distanzen werden in gallischen Leugen (leuga, etwa 2,2 km) gemessen, angegeben werden Pferdewechselstationen (mutationes), Übernachtungsstationen (mansiones), Städte (civitates) und gelegentlich weitere Merkmale. Das Werk beginnt so: Stadt Burdigala (Bordeaux), wo der Fluss Garonna (Garonne) ist, den der Ozean auf plus minus 100 Leugen steigen und fallen lässt – Pferdewechselstation Stomatas 7 Leugen – Pferdewechselstation Sirione 9 Leugen – Stadt Vasatas 9 Leugen – Pferdewechselstation Drei Bäume 5 Leugen … Das sind von Burdigala bis Arlate (Arles) 372 Meilen, 30 Pferdewechselstationen, 11 Übernachtungsstationen. … Stadt Dea Vocontiorum (Luc) 16 Meilen – Übernachtungsstation Luco 12 Meilen – Pferdewechselstation Vologatis 9 Meilen. Von dort aus besteigt man den Berg Gaura. … Übernachtungsstation Catorigas 12 Meilen – Übernachtungsstation Ebreduno 16 Meilen. Dort beginnen die Alpes Cottiae (Meeralpen mit dem Monte Viso). (Itinerarium Burdigalense 1 nach Donner (2002) 43–44)
Itineraria verzeichneten Informationen über Routen, die auch in entfernten Provinzen Teil des regulären Reichsstraßensystems waren. Es gibt auch einige Hinweise darauf, dass die Römer Forschungsreisen zu Land unternahmen, wenngleich diese fast immer mit politischen Zielen von Eroberung oder Diplomatie verbunden waren. Über Aelius Gallus, den römischen Präfekten Ägyptens von 26 bis 24 v. Chr., heißt es etwa: Ihn hatte Caesar Augustus geschickt, um sich sowohl über diese als auch über die äthiopischen Völker und Gegenden zu orientieren … Aber er wurde betrogen von Syllaios, dem Verweser der Nabatäer, der versprochen hatte, den Weg zu weisen, alles zur Verfügung zu stellen und in allem zu helfen, in Wirklichkeit aber
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alles mit böser Absicht tat: er gab weder zur See noch zu Land sichere Wege an, sondern setzte das Heer unwegsamem Gelände, Umwegen, Gegenden, in denen es an Allem fehlte, und hafenlosen Küsten mit wilder Brandung aus, die unter Wasser voller Riffe oder seicht waren … (Strabon 16.4.22–23)
Gallus verband bei seiner Expedition Flotten- und Infanterie-Abteilungen, scheiterte aber mit seiner Mission, da die Männer in den äußersten topographischen und klimatischen Bedingungen des Gebiets umkamen: Die Hitze quälte die Soldaten mit Erschöpfung, Hunger und Durst; viele erkrankten an Skorbut und waren gezwungen, sich auf lokale Führer zu verlassen, die sie aber verrieten und so weitere Verluste verursachten. Ein anderes Gebiet, das zu Land – vielleicht auf Kamelen – erforscht wurde, war die Sahara,136 die von mehreren Römern durchquert wurde, darunter Lucius Cornelius Balbus, der 19 v. Chr. den Sahara-Stamm der Garamanten besiegte: Von diesen an zieht sich in einer weiten Entfernung von Osten nach Westen ein Berg, der von den Unsrigen der ‹Schwarze› [Ater] genannt wird, weil er von Natur wie verbrannt oder durch die Glut der Sonne versengt aussieht. Jenseits davon sind Wüsten, dann Thelge, eine Stadt der Garamanten, und ebenso Dedris mit einer Quelle, die von Mittag bis Mitternacht mit siedendem und in ebenso vielen Stunden bis Mittag mit eiskaltem Wasser fließt, sowie die sehr berühmte Hauptstadt der Garamanten Garama; über sie alle siegten die römischen Waffen und triumphierte Cornelius Balbus. … Bemerkenswert ist auch noch der Umstand, dass unsere Autoren über die oben erwähnten, von ihm eroberten Städte berichtet haben und dass er selbst bei seinem Triumph neben Cidamus und Garama die Namen und Bilder aller anderen Stämme und Städte mitgeführt habe, die in folgender Reihenfolge vorbeimarschierten: die Stadt Tabudium, das Volk Niteris, die Stadt Miglis Gemella, das Volk oder die Stadt der Bubeies, das Volk Enipi, die Stadt Tuben, der Berg namens Niger, (das Volk) der Nitibres, die Stadt Rapsa, das Volk Viscera, die Stadt Decri, der Fluss Nathabur, die Stadt Thapsagum, das Volk Tamiagi, die Stadt Boin, die Stadt Pege, der Fluss Dasibari, dann die aufeinander folgenden Städte Baracum, Bulba, Alasit, Galsa, Balla, Maxalla und Cizama, der Berg Gyri, auf dem Edelsteine entstehen, wie die voran getragene Inschrift verkündete … (Plinius, Naturkunde 5.35–37)
Schließlich kamen die Römer bis nach China, wo sie Kontakte mit den lokalen Seres aufnahmen.137 Diese ‹Seidenleute› (sericus bedeutet ‹aus Seide›) „sind zwar ein sanftes Volk, insofern aber den Wilden ähnlich, als sie den Umgang mit den übrigen Sterblichen vermeiden und den Warentausch abwarten“ (Plinius, Naturkunde 6.54). Trotz dieses ungünstigen Eindrucks trieben die Römer mit den Chinesen Handel und hatten schon zu Augustus’ Zeiten Kontakte mit dem dortigen Hof:
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II Beschreibende Geographie
Im Westen und Süden waren die Völker befriedet, auch im Norden, wenn auch nur zwischen Rhein und Donau, und ebenso im Osten zwischen Kyros und Euphrat. Anschließend spürten trotzdem auch jene übrigen, die keine Verpflichtungen gegenüber unserem Reich besaßen, die Größe des römischen Volkes und verehrten es als Sieger über die Völker. Denn einerseits schickten auch die Skythen Gesandte, andererseits baten die Sarmaten um Freundschaft. Sogar die Serer und die unmittelbar unter der Sonne lebenden Inder, die zusammen mit Edelsteinen und Perlen auch Elefanten unter ihren Geschenken mitführten, rechneten nichts stärker als die Dauer ihrer Reise als Ehrenerweisung an – vier Jahre lang waren sie unterwegs gewesen; und bereits die Hautfarbe der Menschen verriet, dass sie von einem anderen Himmelsbereich kamen. (Florus 2.34.61–62)
Als ein Teil der Tradition von Reiseaufzeichnungen, wenn auch in einem viel ausführlicheren beschreibenden Stil, schuf Pausanias von Magnesia in Kleinasien um 180 n. Chr. seine periëgesis Hellados (Rundgang durch Griechenland), in der er seine weiten Reisen im Verlauf von 20 Jahren vor allem über das griechische Festland darlegte.138 Bei seinen Reisen zwischen poleis und Heiligtümern auf dem Festland schuf Pausanias peinlich genaue Listen dessen, was er sah, einschließlich besonderer lokaler Artefakte, Traditionen und Kulten. Vor oder nach diesen Besuchen studierte er auf der Suche nach Informationen zu diesen Stätten ältere Werke, insbesondere über ihre Geschichte und mythischen Traditionen. Diese Informationen verband er dann mit seinen Listen. Das Ergebnis ist keine Aufzeichnung eines einfachen, naiven Reisenden, sondern ein Werk mit bedeutenden literarischen Ambitionen, das von griechischen Geistestraditionen beeinflusst ist und auf sie reagiert. Pausanias will künftige Reisende informieren und betonte dementsprechend den Gesichtspunkt eines Reisenden mehr als den eines Geographen; besonderes Augenmerk richtet er auf Kunstwerke und Denkmäler: Das sind die bemerkenswertesten Stätten für jemanden, der den Rundgang in der Altis (in Olympia) nach meinen Angaben macht. Wenn man aber rechts vom Leonidaion zum großen Altar (des Zeus) auf dem Weg rechts gelangen will, hat man folgende beachtenswerte Dinge … (Pausanias 6.17.1)
Der Überblick, der in zehn ausführliche Bücher aufgeteilt ist, von denen jedes einer Region in Griechenland gewidmet ist, bietet freilich auch Blicke auf topographische Eigenschaften, die auf den Hintergrund eines periplus verweisen, etwa Andeutungen wie: „Von den griechischen Inseln ist Aigina am schwierigsten zu erreichen, weil sie von versunkenen Felsen und aufstrebenden Riffen umgeben ist“ (2.29.6).
3. Reiseberichte und Wundererzählungen
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Das Hauptstrukturierungsprinzip von Pausanias’ Werk sind seine Reisen, und zahlreiche Abschnitte seines Berichts stellen eine Art itinerarium dar, das Angaben zu Wegen von einer Stätte zur nächsten verzeichnet. Diese Eigenschaften scheinen jedoch bloß den Rahmen für den eigentlichen Inhalt zu bieten: einen breiten Überblick über die lokale Kunst und Geschichte Griechenlands. Pausanias war wohl zu Fuß unterwegs und besuchte viele Stätten, weil er sie aus früheren Texten als wichtig und bedeutend kannte. Tatsächlich besuchte er einige von ihnen sogar mehr als einmal. Seine Reisen können so als eine Art gelehrter Pilgerfahrt interpretiert werden, die einer bewusst gestalteten Reiseroute folgt, wenn auch nicht notwendigerweise mit einer genauen übergreifenden Zielsetzung. Das Ergebnis ist ein umfassendes Werk, das zahlreiche Einzelheiten enthält, aus denen die Darstellungskunst des Autors hervorgeht, die aber auch – und dies ist für unsere Erörterung am wichtigsten – den längsten und ausführlichsten Bericht aus der Antike über Erfahrungen einer Person als Reisender widerspiegeln. Das Reisen über Land und Meer wurde allmählich leichter, da es verschiedene Arten von Zusammenstellungen älterer und auch von Reisenden gewonnener Informationen gab. Zugleich waren (und sind) Reiseberichte oft von Übertreibung gekennzeichnet, die auf einer Art Ehrfurcht vor fremden Orten und auf ungewöhnlichen Erfahrungen gründet. Begegnungen mit exotischen Ländern und fremden Menschen weckten bei den Reisenden und ihrem Publikum zu Hause Neugier – ein Phänomen, das im hellenistischen Zeitalter wahrscheinlich als Folge des Alexanderzuges seinen Höhepunkt erreichte und ein lebhaftes Interesse an Wunderdingen als solchen hervorbrachte. Im 3. Jahrhundert v. Chr. kam ein neues literarisches Phänomen auf: Sammlungen von Wundergeschichten, die aus Werken zur Geschichte, zur Geographie und zur Naturkunde exzerpiert sind.139 Autoren kompilierten Wundergeschichten (griechisch thaumata, lateinisch mirabilia), die manchmal als paradoxa – also der Erwartung (doxa) widersprechend – bezeichnet werden. Diese Kompilationen verzeichneten unerwartete Eigenschaften in der Natur (exotische Tiere, außergewöhnliche Pflanzen, merkwürdige Flüsse oder Quellen) oder erstaunliche Details des menschlichen Lebens (etwa unregelmäßige Physiologie oder fremdartige Sitten und Gebräuche); dabei befassten sie sich aber immer mit der wirklichen Welt. Die Beziehung zwischen Paradoxographie (der Beschreibung von paradoxa) und Geographie war eng: Die Wunder in den paradoxographischen Zusammenstellungen wurden häufig geographischen – sowohl beschreibenden als auch wissenschaftlichen – Werken entnommen; einige dieser Werke bewahren deshalb auch geographische Informationen aus der An-
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tike. Zudem schlossen Beschreibungen insbesondere von unbekannten Ländern und Regionen notwendigerweise fremde und ungewöhnliche Merkmale ein, die für thaumata und mirabilia grundlegend waren. Einige dieser Kompilationen waren nach geographischen Gesichtspunkten sortiert. Kallimachos, den man als Vater der paradoxographischen Tradition bezeichnet, stellte eine Sammlung von Wundern zusammen, die, soweit wir sehen können, nach sechs geographischen Gebieten sortiert war: Zentralund Nordgriechenland, Peloponnes, Thrakien, Italien, Libyen und Asien.140 Die Autoren paradoxographischer Werke wollten ihre Sammlungen Phänomene einschließen lassen, die man beobachtet hatte und über die berichtet worden war, da diese sonst nicht als Wunder, sondern als Phantasien betrachtet würden. Ihre Sammlungen beruhten deshalb größtenteils auf vorhandenen Werken oder gelegentlich auch auf den persönlichen Erfahrungen der Autoren, und es war wichtig, für jede Tatsache einen Beleg zu nennen (ganz anders als in der Historiographie, in der solche Verweise nicht üblich waren). Die Geschichten wurden entweder im Versmaß oder in Prosa meist nach vier Grundsätzen angeordnet: Geographisch (etwa die ‹Wunder in Indien›), thematisch (etwa zoologische paradoxa), alphabetisch und nach den Quellenschriften. Geographische und ethnographische Kuriositäten waren im frühen geographischen Schrifttum ein Standardbestandteil und in der ganzen Antike – etwa bei Herodot, Aristoteles und Ktesias – üblich. Einige Themen blieben als Naturwunder oder außergewöhnliche Phänomene in Erinnerung.141 Ein solches Thema, das zahlreiche Autoren verwirrte, war die Frage nach der Quelle des Nil und nach dem Grund für seine jährliche Überschwemmung. Man sah diese als Wunder an, weil der Fluss alljährlich ohne sichtbare Ursache anschwoll. Mehrere Erklärungen (die Pomponius Mela 1.53 zusammenfasst) wurden angeboten: die Schneeschmelze in den Bergen Äthiopiens, die sich mit der Jahreszeit ändernde Distanz zwischen Erde und Sonne, die bei geringerer Entfernung einen Teil des Flusses austrocknete, die etesischen Winde, die Regenwolken über der Flussquelle bildeten, und schädliche Winde, die den Abfluss des Wassers blockierten.142 Auch Beschreibungen fremder Völkerschaften mit außergewöhnlichem Äußeren oder ungewöhnlichen Sitten und Gebräuchen waren in der Paradoxographie üblich; so die gorillai in Afrika (Hanno, siehe oben S. 67), die Kynokephaloi (Hundeköpfigen), die Skiapoden in Indien, die sich mit ihren großen Füßen beschatten (Ktesias und Megasthenes), und die Fisch- und Schildkrötenesser an der Küste des Roten Meeres (Strabon). Wie die hellenistischen Vorgänger zielte die römische Paradoxographie auf Intellektuelle, die nach Exzerpten suchen, um sie in anderen literari-
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schen Werken zu verwenden, sowie auf ein breiteres Publikum, das sich für natürliche Phänomene und menschliche Sitten und Gebräuche in fernen und unbekannten Gebieten interessierte.143 Doch fügten der römische Kontext und die Atmosphäre zur Hochzeit des Römischen Reiches ein besonderes Interesse an Monstrositäten und Missbildungen der Natur hinzu: Den Blemyern fehlen die Köpfe; ihr Gesicht ist auf der Brust. (Pomponius Mela 1.48) Diese (Satyrn) sind sehr flinke Lebewesen, die bald auf allen Vieren, bald in Menschengestalt aufrecht laufen können. (Plinius, Naturkunde 7.24)
Die Kaiser verwendeten mirabilia aus fern gelegenen Gebieten als Symbol für ihre Überlegenheit. In solchen Zusammenhängen kam den Rändern der Erde – etwa Indien und Nordeuropa – besondere Bedeutung zu, da diese Gebiete reich an Missbildungen und natürlichen Kuriositäten waren. Besonders Afrika wurde als ein wirres Gebiet betrachtet, das von monströsen Tieren und Völkern bewohnt sei. Gaius Iulius Solinus (wohl um 300 n. Chr.) schuf seine Collectanea Rerum Mirabilium (Sammlung von wunderbaren Dingen) hauptsächlich anhand von Angaben bei Pomponius Mela und Plinius dem Älteren. Er kondensierte dabei Plinius’ Text und begann nach einem Überblick über die römische Geschichte seit ihren Anfängen seine Beschreibung der Welt mit Italien, was seine eigenen ideologischen Betonungen erhellt. Solinus war an mirabilia, also ungewöhnlichen natürlichen und menschlichen Phänomenen, besonders gelegen; dabei wählte er einen Modus der Beschreibung, der sich von dem seiner Vorläufer unterschied. Während Pomponius Mela und Plinius noch am linearen Modus der Darstellung festhielten, also im periplus-Modell das Material entlang von Küstenlinien anordneten, ging Solinus dazu über, ganze Gebiete als Flächen zu beschreiben, indem er das Konzept der plaga (‹Gebiet› oder ‹Zone›) nutzte, um Raumeinheiten auf der Erde zu definieren. Er baute diese Form der Beschreibung aus, indem er für jedes Gebiet auf die Nachbargebiete verwies und Richtungen hinzufügte; auch führte er den Gebrauch der Begriffe mediterraneus (‹Mittelmeer›) und oriens (‹Orient›) für die Gebiete ein, die wir noch heute so bezeichnen.144 Dieser neue Ansatz ist vielleicht mit der Entwicklung der Kartographie verbunden (Kapitel IV). All das gab seinem Werk jedenfalls einen einzigartigen Ton und gewann ihm einen breiten Leserkreis im Mittelalter; über 350 Abschriften sind erhalten. Diese Übersicht über antike Reiseberichte und Wundererzählungen weist darauf hin, dass es keine einheitliche Form für die Wahrnehmung von
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II Beschreibende Geographie
Bewegung oder Raum gab. Reisebeschreibungen und Paradoxographien entstanden aus den Begegnungen mit fremden Ländern und haben beide Anteil daran, dass man heute frühe geographische Kenntnisse und Wahrnehmungen rekonstruieren kann. Dabei sind ihre Ansätze recht verschieden. Im Allgemeinen stellen Reiseberichte – gleich ob zu Land oder zur See – den tatsächlichen linearen Verlauf der Reisen dar und nutzen diesen zur Anordnung der Beschreibung. Darüber hinaus wird die Wahl der Methode des Überblicks und wurden die Betonungen innerhalb des Werkes aus der Erfahrung des Autors gespeist, aus seiner literarischen Haltung und seinem wissenschaftlichen Hintergrund. Paradoxographien betonen demgegenüber natürliche Phänomene von geographischer Bedeutung, nicht aber eine regelmäßige räumliche oder lineare Beschreibung fremder Orte. Was alle in diesem Abschnitt besprochenen Werke gemeinsam haben, ist ihr besonderes Augenmerk auf kürzlich entdeckte Gebiete und markante Erkundungen. Frühes Reisen fand hauptsächlich zur See statt und war mit dem Erreichen neuer Horizonte an den entferntesten Teilen der drei Kontinente verbunden, einschließlich der südlichen Küsten Afrikas, der nördlichen Küsten Europas und des Indischen Ozeans. Die Griechen und Römer erfuhren so schließlich von Inseln außerhalb des unmittelbaren Umrisses der drei Kontinente: Britannien, Skandinavien, Island, die Kanarischen Inseln und Sri Lanka gerieten auf diese Weise in ihr Blickfeld.145 Diese Expansion der Horizonte zur See wurde durch ein allmähliches Wachstum der Horizonte bei Landreisen – etwa durch zuvor unerforschte Gebiete wie die Sahara, den Punjab und China – ergänzt. So wurde die geographische Reichweite der antiken Welt erweitert: von Island bis nach China und vom Norden des Kaspischen Meeres bis nach Sansibar oder Guinea.
1. Formen und Größen
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Kapitel III Wissenschaftliche Geographie 1. Formen und Größen Unser mentales Bild der Welt beruht immer auf einer Kombination von wirklichen geographischen Kenntnissen und Einbildungskraft, also auf einer Mischung von direkt erfahrenem und abstrakt imaginiertem Raum. In der Antike, als ferne Gebiete noch unzugänglich waren, spielten legendäre Elemente eine größere Rolle. Aber nachdem Reisen und Eroberungen die direkte Bekanntschaft mit fernen Grenzen vermehrt hatten, begannen feste, auf Augenschein beruhende Tatsachen genauere Berichte und Theorien zu unterstützen. Frühe Vorstellungen von der Welt verbanden gelegentlich Mythen mit Tatsachen, die auf Erfahrung gründeten. Zur gleichen Zeit kam in der archaischen Zeit (7.–6. Jh. v. Chr.) ein rationalistischer Ansatz für das Verstehen des Weltalls und der Welt auf. Man suchte nach wissenschaftlichen Erklärungen, die sich auf Sinneseindrücke und logische Schlussfolgerungen gründeten, und erzeugte so den mathematischen Zweig der Geographie: die wissenschaftliche Geographie. Dieser Ansatz wurde später die gesamte Antike hindurch neben dem beschreibenden gepflegt. Wie im vorherigen Kapitel gezeigt wurde, schreckte die beschreibende Geographie nicht davor zurück, erstaunliche und paradoxe Situationen in einer Art zu betrachten, die im Widerspruch zum wissenschaftlichen Denken stand. Das sachliche Fundament beider Zweige wurde freilich mit dem Wachstum der direkten Kenntnis über entfernte Gebiete immer belastbarer. Wie schon bemerkt, verwendete der beschreibende Zweig der antiken Geographie Wörter, die größtenteils von der direkten Erfahrung gekennzeichnet sind, um so geographische Tatsachen und Ideen zu vermitteln. Weil Wörter die Mittel zum Zweck waren, mussten Beschreibungen häufig recht ausführlich ausfallen, um die Natur der fraglichen Gebiete oder die Erscheinungsform einzelner Landschaften mitzuteilen. Die wissenschaftliche oder mathematische Geographie verwendete hingegen andere Methodiken und
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III Wissenschaftliche Geographie
zielte wahrscheinlich auf ein anderes Publikum. Dennoch beschäftigte sie sich mit ähnlichen Problemen, in erster Linie mit der Erörterung lokaler Charakterzüge unter Betonung der Erklärung von Naturphänomenen. Dieser ‹wissenschaftliche› Ansatz wandte Wissenschaft nicht im modernen Sinn an, also nicht im Sinne einer systematischen und kontrollierten Methodik, die auf Beobachtung und Experiment gegründet ist und auf eine organisierte Menge an Kenntnissen zielt. In diesem Sinn war die antike Geographie nie ‹wissenschaftlich›. Sie nutzte aber mathematische Methoden und Prämissen, die auf der Sinneswahrnehmung beruhten, und verwendete logische Argumente, um die so gewonnenen Rückschlüsse in zusammenhängenden Theorien bezüglich der Form und Größe der Welt und ihrer Teile zu präsentieren: Kontinente, Gebiete, Meere und Flüsse. Sie verwendete Messmethoden zur Bestimmung geographischer Eigenschaften wie Umfänge und Höhen und bot Definitionen von allgemeinen Regeln und Erklärungen für natürliche Phänomene wie Überschwemmungen, Gezeiten, Vulkanausbrüche und ethnische Unterschiede an. Mathematische oder wissenschaftliche Geographie nutzte also Zahlen und Berechnungen, um ihre Ziele zu erreichen, wohingegen der kartographische Zweig, der sich auf wissenschaftliche Schlussfolgerungen verließ, graphische Mittel verwendete, um seine Beobachtungen auszudrücken (Kapitel IV). Die frühe griechische Kosmologie behandelte die materielle Zusammensetzung des Weltalls als Ganzes einschließlich des Teils der Erde, auf dem die Menschheit wohnt. Das homerische Konzept der Welt war eine flache Scheibe, auf der ein kreisförmiges Land vom unbegrenzten und deshalb unbestimmten und furchterregenden Ozean umgeben war. Die vorsokratischen Philosophen besprachen die materielle Natur der Erde, und ihre Ideen waren der Ausgangspunkt für die Diskussionen der wissenschaftlichen Geographie. Anaximandros von Miletos (um 580–545 v. Chr.) und Anaxagoras von Klazomenai (um 480–428 v. Chr.) hielten die Welt für einen konkaven Kreis,146 Pythagoras (um 570–495 v. Chr.) und Parmenides von Elea (um 520–450 v. Chr.) postulierten hingegen allein aufgrund theoretischer Überlegungen, dass die Erde kugelförmig sein müsse; dies wurde bald zur Grundannahme der griechischen Kosmologie.147 Herodot hielt allerdings an der Idee von der Welt als einer flachen Scheibe fest, wie sich aus seiner Bemerkung ergibt, dass die Hitze in Indien am Morgen am größten war und zum Abend hin abnahm (Herodot 3.104). Indien sah man traditionell als am Ostrand der bewohnten Welt gelegen an; es wurde angenommen, dass die Sonne im Osten am Morgen der oikumene am nächsten war und allmählich weiter gen Westen zog, während sich die Luft beruhigte. Sogar zur Zeit des Aristoteles gab es keinen Konsens über die Welt:
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In derselben Weise differieren auch die Meinungen hinsichtlich ihrer Gestalt. Die einen halten sie für kugelig, die anderen für flach und trommelförmig; als Beweis führen diese an, dass die Sonne bei Untergang und Aufgang einen geraden und keinen gebotenen Rand bildet, wenn sie hinter der Erde verschwindet, als ob der Rand kreislinig werden müsste, wenn die Erde eine Kugel wäre. (Aristoteles, Vom Himmel 2.13, 293b34–294a4).
An anderer Stelle legen aber die Sinneseindrücke einen anderen Rückschluss nahe: Dabei sieht man doch, dass überall in der uns bekannten oikumene der Horizont je nach unserer Ortsveränderung beweglich ist, weil eben die Erdoberfläche konvex, Teil einer Kugel ist. (Aristoteles, Meteorologie 2.5, 365a30–32)
Zu Beginn des 3. Jahrhunderts v. Chr. kehrte Epikur zu den Ideen des Anaximenes zurück, dass der Sonnenuntergang hinter entfernten, hohen, am Rand der flachen Erde gelegenen Bergen stattfinde. Dies bildete den Hintergrund für die erweiterte Erörterung der Kugelgestalt der Erde durch Dikaiarchos, die astronomische Beweise einschloss, um zu zeigen, dass von verschiedenen südlichen oder nördlichen Punkten auf der Erde verschiedene Sterne sichtbar waren.148 Danach war allgemein anerkannt, dass die Erde eine Kugel ist. Sobald diese Form der Welt mehr oder weniger definiert und akzeptiert war, wurden Anstrengungen unternommen, um ihre Größe festzustellen, zunächst durch eine allgemeine Abschätzung, dann durch genaue Berechnung.149 Für diesen Zweck waren definierte Standards erforderlich, damit Länge und Entfernung gemessen werden konnten. Wie also wurden Entfernungen zwischen Punkten und schließlich große Distanzen gemessen? Autoren, die Reiseberichte nutzten, beschreiben Entfernungen in erster Linie durch die Zeit, die man für eine Reise von einem Platz bis zum nächsten benötigte. Solche Definitionen waren ungenau und gelegentlich übertrieben, so zum Beispiel die Bemerkung des Nestor, das Meer, das sich nach Afrika ausstreckt, sei so gewaltig groß, dass Vögel ein Jahr bräuchten, um dorthin zu fliegen (Homer, Odyssee 3.321). Dennoch konnten solche Angaben wenigstens den Anschein von Präzision wecken, etwa die Angabe, die Schifffahrt zur Insel Pharos vor der Küste Ägyptens benötige von dort aus einen ganzen Tag (Homer, Odyssee 4.354–357). Diese Methoden der Bewertung herrschten auch später in angeblich genaueren Aufzeichnungen vor. So schreibt etwa Herodot: „…von da (Kilikien) nach Sinope am Pontos Euxeinos (d. h. am Schwarzen Meer) sind es auf geradem Weg fünf Tage für einen wohl gerüsteten Reisenden“ (2.34.2). Später schätzte Eratosthenes von Kyrene, der erfolgreich den Kreisumfang der Erde berechnete (siehe unten
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III Wissenschaftliche Geographie
S. 85 f.), die Entfernung von Alexandreia nach Syene in Ägypten anhand der Zeit, die eine Kamelkarawane für den Weg zwischen den zwei Punkten benötigte. Alle diese Urteile waren notwendigerweise Schätzungen, weil sie subjektiv waren und von Wetterbedingungen, der Größe des Schiffes und der Zahl der Seeleute (wenn die Fahrt auf dem Seeweg stattfand) beziehungsweise (bei Landreisen) den Transportmitteln abhing, je nachdem, ob man zu Fuß, zu Pferd, mit Kamelen oder auf Wagen unterwegs war. Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen dem Messen von kürzeren und längeren Entfernungen ist von Bedeutung. Während man kurze Entfernungen durch Abschreiten messen konnte (die Fachleute wurden bematistai, ‹Schrittzähler› genannt), war es viel schwieriger, längere Distanzen zu messen, wenn der Weg zwischen zwei Punkten indirekt verlief oder es gar keinen Weg gab, etwa für den Versuch, die Entfernung zwischen Susa und Rom zu ermitteln oder die Größe von großen geographischen Einheiten zu berechnen. Längere Entfernungen wurden deshalb im Allgemeinen berechnet, indem man kürzere Distanzen addierte, was natürlich nur ungefähre Zahlen erzeugte. Die bematistai ermittelten die tatsächlichen Maße, indem sie Schritte zählten und die Entfernung auf dieser Grundlage berechneten. Ein griechisches Stadion entspricht 600 griechischen Fuß.150 Die Länge des Fußmaßes war zu verschiedenen Zeiten und Orten in Griechenland unterschiedlich, weshalb die moderne Deutung antiker Entfernungen von der jeweiligen Umsetzung dieses Maßes abhängt. Um eine ungefähre Vorstellung von der Länge eines Stadion zu geben, kann man festhalten: Auf der Grundlage des attischen Fuß – etwa 29,6 Zentimeter – entspricht es ungefähr 178 Metern; es sind auch etwas längere Strecken als Stadion bezeichnet worden. Die Römer passten das griechische System an, indem sie Doppelschritte (passus) verwendeten und Entfernungen in Einheiten von 1000 Doppelschritten als ‹Meile› (milia passuum, ‹tausend Doppelschritte›) maßen.151 Eine römische Meile bestand aus 5000 römischen Fuß und war also knapp 1500 Meter lang. Für die Umrechnung zwischen griechischen und römischen Standards nahm man acht Stadien für eine römische Meile an (Strabon 7.7.4). Herodot stellt insofern eine Übergangsphase zwischen der älteren und der neueren Methode dar, wenn er angibt, dass eine eintägige Reise 150 Stadien entsprach (Herodot 5.53). Antike begriffliche wie auch mathematische Bewertungen der Form und Größe der Welt hingen zudem im Wesentlichen davon ab, wie das Wort ‹Welt› interpretiert wurde. Die Erde könnte als ein Körper verstanden werden, der sowohl aus dem Land als auch aus Wasser besteht, oder aber als das Land allein, das in der Antike mit der bewohnten Welt (oikumene) gleich-
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gesetzt wurde. Eine grundlegende Vorbedingung für die Bestimmung der Größe oder der Form eines Gegenstands ist die Definition seiner Grenzen oder der Grenzen der jeweils zu messenden Teile. Allgemeine Begriffe über die Gestalt der Welt betrafen also auch die Versuche, ihre Größe genau zu berechnen.152 So erwog etwa Aristoteles die Möglichkeit, dass der Atlantische Ozean mit dem Indischen Meer in Verbindung stehe und dass die Entfernung zwischen den beiden nicht besonders groß sei: Als Beweis führen sie etwa die Elefanten an, nämlich dass diese Tiere sich an jenen beiden äußersten Enden finden, offenbar, weil jene äußersten Orte durch ihren Zusammenhang dazu geeignet sind. Die Mathematiker endlich, welche die Größe des Umfangs zu berechnen suchen, nehmen ungefähr 400 000 Stadien an. Aus solchen Argumenten ergibt sich nicht nur, dass die Erde kugelförmig sein muss, sondern auch, dass sie im Verhältnis zu den anderen Gestirnen nicht groß ist. (Aristoteles, Vom Himmel 2.14, 298a13-b20).
Anders als Platon, der in seiner Atlantis-Legende (siehe unten S. 90 f.) einen unbegrenzten Ozean annahm, dachte Aristoteles an einen kleineren Globus und einen kleineren Atlantischen Ozean. Er bot die Zahl von 400 000 Stadien für den Kreisumfang der Welt an, ohne seine Methode der Berechnung zu erläutern. Ein paar Jahre später, um 305 v. Chr., schätzte Aristoteles’ Schüler Dikaiarchos, dessen Forschung von den hellenistischen Königen Lysimachos und Ptolemaios I. gefördert worden war, den Kreisumfang der Erde auf 300 000 Stadien.153 Archimedes (um 287–212 v. Chr.) kam auf 3 000 000 (!) Stadien, doch war dies bloß eine Vermutung und eine Arbeitshypothese im Zusammenhang mit seinen Forschungen zum Ausdruck von extrem großen Zahlen.154 Der erste belegte systematische Versuch, den Kreisumfang der kugelförmigen Erde zu berechnen, ist der des Eratosthenes von Kyrene (um 276–195 v. Chr.).155 Eratosthenes war Leiter der Bibliothek in Alexandreia und fruchtbarer und begeisterter Wissenschaftler, der sich an vielen Erkenntnisbereichen einschließlich Dichtung, Astronomie und Geographie beteiligte. Er war wohl auch der erste, der das Wort geographia verwendete, um eine Beschreibung der Welt zu bezeichnen. Über seinen Versuch, den Kreisumfang der Erde zu berechnen, berichtet der Astronom Kleomedes in seiner im 2. Jahrhundert n. Chr. entstandenen Abhandlung Über die Kreisbewegung der Gestirne:156 Über die Größe der Erde bestehen bei den Physikern verschiedene Auffassungen. Besser als die übrigen sind die von Poseidonios und Eratosthenes. Eratosthenes schließt durch geometrische Betrachtungen auf die Größe der Erde, die Betrach-
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tung des Poseidonios aber ist einfacher. Jeder von ihnen gelangt auf Grund gewisser Voraussetzungen durch Schlussfolgerungen zu seinen Ergebnissen. (Kleomedes, Über die Kreisbewegung der Gestirne 1.10)
Eratosthenes erklärte in seinem verlorenen Werk Über das Maß der Erde, das wahrscheinlich nicht Teil seiner Geographika war, Methoden und Schlussfolgerungen. Er nahm an, dass Alexandreia und Syene (das heutige Assuan in Ägypten) auf demselben Längengrad liegen und dass sie 5000 Stadien voneinander entfernt seien; zur Sommersonnenwende (am 21. Juni) stehe die Sonne mittags über Syene im Zenit, während der Schatten, der an demselben Tag von einem gnomon (Schattenstab) in Alexandreia auf die Horizontale falle, den Winkel des Sonnenlichts zur Oberfläche der Erdeerkennen lasse, der etwa 1/50 eines Vollkreises (7° 12’ von 360°) entspreche. Daraus schätzte Eratosthenes den Kreisumfang der Erde auf das Fünfzigfache dieses Abstands von 5000 Stadien, also auf 250 000 Stadien. Je nach der Länge des von Eratosthenes zugrunde gelegten Stadion-Maßes entspricht dies etwa 40 000 Kilometern und kommt damit dem tatsächlichen Umfang (40 075 Kilometer am Äquator, 40 008 Kilometer an den Längengraden) nahe.157 Zweihundert Jahre später wandte Poseidonios von Apameia eine ähnliche Methode an. Er ging davon aus, dass Rhodos und Alexandreia auf demselben Längengrad liegen und 5000 Stadien voneinander entfernt seien; dann stellte er fest, dass der Kanopos-Stern, der in Alexandria in einem Höhenwinkel von 1/48 eines Vollkreises (7° 30’) erscheint, in Rhodos den Horizont berühre. Er schloss daraus, dass der Kreisumfang der Erde das 48fache von 5000 Stadien, also 240 000 Stadien messe; später verringerte er allerdings diese Angabe auf 180 000 Stadien, wohl weil er die Entfernung zwischen Alexandreia und Rhodos neu bestimmte. Es ist dieses letztere, kleinere Maß, das in der Antike (etwa von Claudius Ptolemäus) und später akzeptiert wurde und der Grund dafür gewesen sein mag, dass Christoph Kolumbus in der Annahme, der Globus sei zu klein für einen unbekannten Kontinent, Amerika mit Indien verwechselte. Ein anderes Problem, das ständig die Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Geographie beanspruchte, bezog sich auf die Gestalt und die Größe des Festlandes auf der Erde, also der oikumene. Bevor wir diese Details behandeln, müssen wir uns den antiken Ideen von der Lage der oikumene auf dem Globus (nachdem die Kugelgestalt allgemein akzeptiert war)158 und dem allgemeinen Schema ihrer Gestalt zuwenden. Die Form der oikumene stellte man sich gewöhnlich symmetrisch – allgemein rund oder länglich – mit ordentlichen Rändern vor. In der Vorstellung der homerischen und ar-
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chaischen Zeit bildete der Ozean die Grenzen; Herodot stellte sich dort vielmehr Wüsten vor.159 Die Idee von einem die Welt umgebenden Ozean hatte die ganze Antike hindurch Bestand, doch wurde das Bild verfeinert, wie zum Beispiel Pomponius Mela zeigt: (Die bewohnte Welt) ist völlig vom Ozean umgeben und nimmt aus ihm vier Meere auf: eines im Norden (das Kaspische Meer), im Süden zwei (das Persische und Arabische/Rote Meer), das vierte im Westen (das Mittelmeer). (Pomponius Mela 1.5)
Auch für das Land gab es Vorstellungen von einem festen und symmetrischen Rahmen.160 Die verschiedenen Schemata der Grenzen der oikumene schlossen dabei in einer Mischung von Wirklichkeit und Phantasie einige unveränderliche Elemente ein: Wüsten, Berge (den Kaukasus im Osten, die Pyrenäen im Westen, die Rhipaien im Norden, die äthiopischen Hochländer im Süden), Völkerschaften (die Inder im Osten, die Kelten im Westen, die Skythen im Norden, die Äthiopier im Süden) und Inseln (Thule im Norden, Kerne und die Kanarischen Inseln im Westen, Taprobane [Sri Lanka] im Südosten).161 Die Symmetrie als ästhetisches Kriterium für die mentale Erfassung der Welt zeigt sich auch in Ideen, die etwa Herodot und Polybios vertreten. Herodot (4.50) stellt sich die zwei großen nördlichen und südlichen Flüsse in der Welt – den Ister (die Donau) und den Nil – als symmetrisch gegenüberliegend vor, was eine logische und natürliche Ordnung impliziert. Dieses Bild passte zu ästhetischen Idealen und erleichterte auch das Verstehen durch das Publikum. Mit Rücksicht auf die (unten behandelte) Klimatologie über den Norden im Unterschied zum Süden nahm Herodot zudem an, wenn es denn wirklich Hyperboreër (‹Leute jenseits des Nordens›) gebe, müsse es auch Hypernotier (‹Leute jenseits des Südens›) geben (4.36).162 Ähnliche Hinweise gibt es bei Polybios (16.29.5) zur symmetrischen Lage und parallelen Funktion der Meerengen an den Säulen des Herakles zum Atlantik und denen im Osten des Mittelmeers zum Schwarzen Meer. Die Säulen des Herakles, die auf beiden Seiten der Straße von Gibraltar die Spitzen der Kontinente Europa und Afrika markierten, waren ein wichtiger geographischer Bezugspunkt, da sie den Westrand des Mittelmeeres kennzeichneten und seinen einzigen Ausgang zum furchterregenden und mysteriösen Ozean bildeten. Die Säulen standen für eine Grenze und ein Tor zwischen der inneren, sicheren und bekannten Welt einerseits und der äußeren, gefährlichen und unbekannten andererseits.163 Sie kommen deshalb in jedem Bericht über den Versuch einer Umsegelung Afrikas oder Nordeuropas vor. Ein Überlieferungsstrang weist darauf hin, dass Herakles in die
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III Wissenschaftliche Geographie
Küsten des vorher geschlossenen Mittelmeeres eine Kerbe einschnitt.164 Eine andere, genau entgegengesetzte Version behauptete, dass Herakles eine vorhandene Öffnung einengte, um Ungeheuer und andere Gefahren abzuhalten.165 Ähnlich wurde gesagt, dass Dionysos bei seinen Wanderungen durch die Welt am Rand der Erde in Indien Säulen aufstellte.166 Zusätzlich zu festen symmetrischen oder sonst ausbalancierten Rändern, die man sich vorstellte, hatte die bewohnte Welt ein Zentrum. Gemäß einem wohlbekannten Mythos sandte Zeus gleichzeitig zwei Adler von den Ost- und Westrändern der Welt aus, die sich in Delphi trafen.167 Dort war also der Nabel (omphalos) der Welt,168 und der Platz galt nicht nur aus religiösen Gründen, sondern auch wegen seiner geometrischen, von den Enden der bekannten Welt gleich weit entfernten Position als zentral. Eine ähnliche Idee zeigt sich in der römischen Tradition vom umbilicus urbis Romae (‹Nabel der Stadt Rom›) – symbolisch hatte sich das Zentrum der Welt eben nach Rom bewegt.169 Dass sich mit der Zeit die Größe und Gestalt der oikumene änderte, weil Kenntnisse über zuvor unbekannte Gebiete und Grenzen zunahmen, versteht sich. Beide Parameter hingen dabei von der Definition von Grenzen ab, was in der Antike mit der Möglichkeit verbunden wurde, dass man die bewohnte Landmasse umfahren konnte: Am meisten wird das Land vom Meer gezeichnet und gestaltet, das Buchten, Becken und Sunde, und ebenso Landengen, Halbinseln und Landspitzen bildet; es helfen ihm dabei auch die Flüsse und die Gebirge. (Strabon 2.5.17)
Die Vermischung von Tatsache und Einbildungskraft, die manchmal auf Rücksichten der Symmetrie oder anderen theoretischen Ideen beruht, erzeugte zur allgemeinen Form der oikumene mehrere Vorschläge:170 Die Menschen der Antike zeichneten die oikumene als Runde, und betrachteten Griechenland als das Zentrum und Delphi in seiner Mitte, den Bauchnabel der Erde enthaltend. Es war Demokritos, ein sehr erfahrener Mann, der als erster sah, dass die Erde länglich war, eine Länge habend, die anderthalbfach größer ist als ihre Breite. (Agathemeros, Abriss der Geographie 2)
Strabon präsentierte ein weiter verfeinertes und malerisches Bild von der Form der oikumene, die er mit einem Umhang oder einem Mantel (chlamys) vergleicht: So hat denn die bewohnte Welt eine chlamys-ähnliche Gestalt … Man muss sich also ein Rechteck denken, in das die chlamys-ähnliche Gestalt so eingezeichnet ist, dass die Länge der Länge entspricht und die größte ihr gleich ist, und die Breite der Breite … (Strabon 2.5.14)
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Autoren, die einer länglichen Form der bewohnten Welt zustimmten, waren sich über ihre Größe uneins. Die Maße der Welt wurden auf drei unterschiedliche Weisen ausgedrückt: Man konnte das Verhältnis zwischen Länge und Breite anzeigen, die Dimensionen in Stadien beschreiben oder die Größe durch Winkelgrade bezeichnen. Aristoteles bot das folgende Schema an, das Größe, Form und Situation auf dem Globus vereinigt: Das Verhältnis der Distanzen zwischen den Säulen des Herakles und Indien, zwischen Äthiopien und der Maiotis (dem Asowschen Meer) oder dem äußersten Skythien ist nämlich größer als 5 : 3 … andererseits ist jenseits Indiens beziehungsweise der Säulen des Herakles der Zusammenhang, der die ganze oikumene geschlossen sein ließe, des Meeres wegen nicht vorhanden. (Aristoteles, Meteorologie 2.5, 362b21–30).
Dikaiarchos deutete demgegenüber ein Verhältnis 3 : 2 an, während Eratosthenes die Länge der oikumene mit etwa einem Drittel des von ihm berechneten Vollkreises angab (Strabon 1.4.5). Poseidonios schlug die Hälfte des von ihm berechneten Vollkreises vor (Strabon 2.3.6). Claudius Ptolemäus schließlich nahm an, die Ost-West-Länge der bekannten Welt betrage 180° oder zwölf Stunden, während ihre Nord-Süd-Breite 90 ° betrage, genau ein Viertel des Umfangs.171 Claudius Ptolemäus (um 90–168 n. Chr.) war ein griechischer Gelehrter im römischen Ägypten, der verschiedene Themen der Mathematik, Astronomie und Geographie erforschte.172 Er nahm Jahrhunderte der geographischen Diskussion – sowohl der beschreibenden als auch der wissenschaftlichen – auf und schuf zwei Hauptwerke von geographischer Bedeutung: Almagest und Geographie. Das erstgenannte Werk ist eine astronomische Abhandlung, die sich mit der Bewegung von Planeten, Sternen und anderen astronomischen Körpern befasst. Die Hauptabsicht des Ptolemäus in seiner Geographie war demgegenüber eine Reihe von Tafeln mit genauen Listen von numerischen Koordinaten als Basis für eine graphische Karte (Kapitel III 3 und 4). Er bot keine neuen Einsichten oder wissenschaftliche Durchbrüche und verließ sich speziell auf die (heute verlorenen) Werke des Marinos von Tyros. Uns bewahrt er Informationen, die sonst verloren sind, und seine Leistung, die Daten zu einem zusammenhängenden Ganzen zu verbinden, hatte auf die Wissenschaft und Geographie bis zur Renaissance großen Einfluss. Die allgemeine Annahme war, dass die bewohnte Welt größtenteils auf der Nordhalbkugel des Globus liege, wobei ihre nördlichen Ränder den kalten Nordpol und ihre südlichen die heißen Gebiete des Äquators berühren. Claudius Ptolemäus bot eine genauere Positionierung an. Er zeigte,
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dass der Globus durch den Äquator und durch einen Meridian, der durch beide Pole führt, in vier gleich große Viertel geteilt werde und dass die oikumene in dem einen der beiden Viertel liege, das nach Süden durch den Äquator, nach Norden durch den Nordpol und nach Osten und Westen durch den Meridian-Kreis beschränkt ist. Er gab sodann die äußersten Punkte auf allen vier Enden an: Thule im Norden, Aigisumba (südlich der Sahara) und Kap Prason (an der Ostküste Afrikas) im Süden, die Inseln der Seligen (die Kanarischen Inseln) im Westen und China im Osten (Geographie 1.8). Indem sie die kugelförmige Gestalt der Welt und die angenommene Größe der oikumene darauf akzeptierten, fragten sich einige Theoretiker, ob es auf dem Globus andere oikoumenai oder unbewohnte Kontinente gebe. Der Ozean erregte unter den Menschen der Antike besondere Wissbegierde, weil er unermesslich und unbegrenzt war. Dieser Mangel an festen Kenntnissen brachte den Mythos von Atlantis hervor, den Platon in seinen Dialogen Timaios und Kritias präsentiert. Gemäß dieser Geschichte war Atlantis einst ein starkes Königreich, „größer als Libyen und Asien zusammen“, und hatte Krieg gegen die Menschen am Mittelmeer geführt, war dann aber ins Meer versunken und für immer verschwunden. Die angenommene Größe von Atlantis deutet Platons Vorstellung von der enormen Größe des Ozeans an. Heute überlegen manche, ob die Legende Platons an einen wirklichen frühen, heute versunkenen Kontinent erinnert oder aber eine fiktive Utopie ist, die zur Unterstützung der philosophischen und ethischen Vorstellungen des Philosophen geschaffen wurde. Jedenfalls reizte Atlantis die Einbildungskraft von Generationen, die immer wieder nach der verlorenen Landmasse suchten, sei es in Form eines festen Kontinents (Amerika) oder eines versunkenen Gebietes (das man mit Unterwasserforschungen zu entdecken versuchte). In einem anderen Zusammenhang lässt Platon den Sokrates einem Bewusstsein von Horizonten Ausdruck verleihen, die weiter sind als diejenigen, die man sehen kann: Dann glaube ich auch, dass die Erde sehr groß sei und dass wir, die vom Phasis (Rioni im heutigen Georgien) bis an die Säulen des Herakles reichen, nur an einem sehr kleinen Teil, wie Ameisen oder Frösche um einen Sumpf, um das Meer herum wohnen, viele andere aber anderwärts an vielen solchen Orten … (Platon, Phaidon 109a–b)
Platons Motivation für die Erfindung von Atlantis war vielleicht rein ethisch, doch Aristoteles verließ sich in seiner Vermutung, die bewohnte Welt müsse eine Parallele auf der südlichen Halbkugel haben, auf das äs-
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Abb. 3: Die Lage der vier oikoumenai auf dem Globus des Krates von Mallos.
thetische Kriterium der Symmetrie: „Es gibt zwei bewohnbare Abschnitte auf der Oberfläche der Erde, denjenigen, in dem wir bis zum oberen Pol leben, und den anderen zum Südpol hin. Dies sind die einzigen bewohnbaren Regionen“ (Aristoteles, Meteorologie 2.5, 362a32-b6). Krates von Mallos nahm theoretische Hypothesen, die keineswegs auf der wirklichen Erfahrung beruhten, als Ausgangspunkt und zielte darauf, die homerischen Epen zu deuten, als er um 150 v. Chr. ein symmetrisches Schema eines Erdballs präsentierte, der vier durch zwei sich schneidende Gürtel des Ozeans getrennte oikoumenai enthält (siehe Abb. 3). Diese waren die bekannte oikumene mit ihren drei Kontinenten auf der Nordhalbkugel, das Land der Antoikoi (‹die gegenüber Wohnenden›) gegenüber der oikumene auf der Südhalbkugel, das Land der Perioikoi (‹die herum wohnen›) auf der anderen Seite der Nordhalbkugel gegenüber der oikumene auf dem Westteil des Erdballs, und das Land der Antipodes (‹Gegenfüßler›) dazu gegenüber auf der Südhalbkugel.173 Plinius der Ältere förderte diese Idee und schlug vor, dass der ganze Erdball bewohnt sei, einschließlich der Antipoden, was freilich ein neues Problem darstellte:
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Ein gewaltiger Streit herrscht hier zwischen der Gelehrsamkeit und Volksmeinung, einerseits, dass die Erde überall von Menschen bewohnt sei und diese sich einander die Füße zukehren, dass alle als einen ähnlichen Scheitelpunkt den Himmel über sich haben und man auf ähnliche Weise überall in ihrer Mitte stehe. Jene fragt andererseits, warum unsere Antipoden nicht herabfallen, als ob sie sich nicht aus berechtigtem Grunde auch wundern müssten, warum wir nicht herabfallen. (Plinius, Naturkunde 2.161)
Solche Ideen blieben rein akademisch und wurden von Intellektuellen erdacht, die wissenschaftliche Prämissen und Schlussfolgerungen erforschten. Zur gleichen Zeit reizten sie jedoch auch die populäre Phantasie. Der jüngere Seneca artikulierte in seiner Tragödie Medea eine Vorstellung, die seinerzeit phantastisch war, heute aber fast prophetisch zu sein scheint: Kein Markstein verbleibt. In Neuland verlegt nun manch eine Stadt ihrer Mauern Ring. Nichts lässt, wo es war, die erschlossene Welt. Das eisige Nass des Araxes schlürft der Inder, es trinkt der Perser bereits aus Elbe und Rhein. Es wird kommen die Zeit, wenn die Jahre vergeh’n, wo des Ozeans Strom den Erdenring sprengt und ein riesiges Land sich weithin erstreckt, wo Tethys enthüllt, was an Räumen sie barg – das Ende der Welt ist Thule nicht mehr. (Seneca, Medea 369–379)
Engen wir unseren Blickwinkel ein und betrachten wir nun die geographischen Aufteilungen innerhalb der oikumene. Die Griechen kannten drei Kontinente innerhalb der bewohnten Welt an: zuerst Europa und Asien, dann Libyen (d. h. Afrika).174 Hypothesen über andere Kontinente außerhalb des Ozeans – etwa Platons Atlantis – waren bloße Phantasien. Wie entwickelte sich die Vorstellung von den Kontinenten?175 Die grundlegende Unterscheidung, die bereits in den frühesten griechischen Quellen erscheint, ist die zwischen Land und Meer (z. B. Homer, Ilias 1.485 und Odyssee 3.90). Diese Unterscheidung wurde dann verfeinert, um eine Differenzierung zwischen Festland und Inseln einzuschließen, worin sich ein gedachter Gegensatz von Landverbindung und Isolierung spiegelt.176 Die Verleihung besonderer Namen für die größeren Landmassen führte schließlich zur Bezeichnung der drei Kontinente, welche die Menschen der Antike kannten. Es gab im Wesentlichen nichts, was einen Kontinent im Vergleich mit jeder anderen topographischen Einheit, insbesondere mit großen In-
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seln wie Sizilien, Kreta oder Euboia, besonders auszeichnete. So, wie Inseln Namen hatten, trugen auch Kontinente Namen und waren geographisch durch topographische Eigenschaften definiert, die ihre Grenzen kennzeichneten, selbst wenn es gelegentlich Streit über die genaue Lage dieser Grenzen gab. Über die genauen Grenzen eines Kontinents bestand Uneinigkeit, vor allem weil sich einige Autoren früherer geologischer Situationen bewusst waren. So erklärte zum Beispiel Gaius Acilius (fl. 155 v. Chr.), ein römischer, auf Griechisch schreibender Historiker, dass Sizilien in der Vorgeschichte ein Teil des Festlandes gewesen sei, dass es aber eine Flut abgetrennt habe.177 Und auch als die Aufteilung dann von Dauer war, gab es verschiedene Methoden, um die Grenzen zwischen Kontinenten zu definieren. Das einfachste bezog sich auf topographische Eigenschaften, die natürliche Grenzen – insbesondere Flüsse – bildeten: Zwischen Nil und Tanais (Don) liegt Asien, seine Lage aber fällt der Himmelsrichtung nach zwischen Sommersonnenaufgang und Mittag. Libyen liegt zwischen dem Nil und den Säulen des Herakles, der Himmelsrichtung nach gen Mittag und weiter gen Wintersonnenuntergang bis zum Untergang bei Tagundnachtgleiche, der in die Gegen der Säulen des Herakles fällt. … Europa aber liegt diesen beiden in nördlicher Richtung gegenüber, eine zusammenhängende Landmasse, die sich von Sonnenaufgang bis zum -untergang erstreckt. Der Hauptteil mit der größten Tiefe ins Binnenland hinein liegt unmittelbar unter den Gestirnen des Bären, zwischen dem Tanais- und dem Narbo-Fluss, der gegen Westen nicht weit entfernt ist von Massalia und den Mündungen der Rhone, durch welche sich diese in das Sardinische Meer ergießt. … Der übrige Teil Europas von dem vorgenannten (Pyrenäen-)Gebirge an gen Sonnenuntergang und bis zu den Säulen des Herakles wird von unserem und dem äußeren Meer umschlossen, und zwar heißt der Teil, der sich längs des Mittelländischen Meeres bis zu den Säulen des Herakles hinzieht, Iberien, der am äußeren, großen Meer dagegen führt keinen gemeinsamen Namen, weil er erst neuerdings entdeckt ist. (Polybios 3.37.2–10)
Der Begriff mediterraneus, ‹zwischen Ländern liegend›, wird als substantiviertes Adjektiv erstmals von Solinus (23.14) auf das Mittelmeer angewandt (siehe oben S. 79). Davor gebrauchten die Griechen mehrere Begriffe für diese Wassermasse, etwa ‹Inneres Meer› im Gegensatz zum Äußeren Meer des Ozeans. Die Römer verwendeten den Begriff mare nostrum (‹unser Meer›) oder den Plural ‹unsere Meere›, um verschiedene Golfe und Erweiterungen einzuschließen, was eine neue politische Wirklichkeit widerspiegelte.178 Hekataios von Milet teilte seine periodos ges in zwei Bücher ein, je eines für die beiden Kontinente Europa und Asien, und fügte seine Beschreibung
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Ägyptens dem Buch über Asien hinzu. In seiner Zeit, gegen Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr., gab es noch keine definierte Identität für den dritten Kontinent. Im 5. Jahrhundert hingegen waren die drei Kontinente dann allgemein anerkannt, und es wurde in geographischen Werken sowohl in Prosa als auch in der Dichtung üblich, den Kontinenten je eigene literarische Einheiten zu widmen. Noch im 1. Jahrhundert v. Chr. bietet allerdings Marcus Terentius Varro Atacinus eine Aufteilung der Kontinente der bewohnten Welt in Europa und Asien, auch wenn er diese Aufteilung auf astronomische Berechnungen stützt, von denen die unregelmäßigen Grenzen des Landes und Wassers ignoriert wurden: „Die Erde wird in Asien und Europa geteilt, weil Asien zur Mittag-Sonne und zum Südwind, Europa zum Großen Bären und zum Nordwind liegt“ (Varro, De Lingua Latina 5.3.1). Einstweilen definierte Sallust mit Rücksicht auf seinen thematischen Schwerpunkt die Grenzen Afrikas wie folgt: Bei der Einteilung der Erde hat man zumeist Afrika als dritten Erdteil aufgefasst; selten spricht man nur von Asien und Europa und rechnet dabei Afrika zu Europa. Afrika hat folgende Grenzen: im Westen die Meerenge zwischen dem Mittelmeer und dem Atlantischen Ozean, im Osten eine breite Senke, welche die Einwohner ‹Katabathmos› nennen. (Sallust, Iugurtha 17.3–4)
Eine Einigkeit über die Außenkontur der oikumene brauchte für ihre Entwicklung Zeit. Dies zeigt sich in der sich ändernden geographischen Definition des Kaspischen Meeres, das von Aristoteles (Aristoteles, Meteorologie 2.1, 354a3–4) noch als geschlossen angesehen wurde, dann aber in der Zeit Alexanders des Großen als ein Golf des Ozeans betrachtet wurde. Tatsächlich behaupteten nämlich die Männer Alexanders, das Kaspische Meer sei auch mit dem Indischen Ozean verbunden (Arrian, Anabasis 5.26). Ein weiterer Hinweis auf frühere Phasen der Definition der Konturen der bewohnten Welt findet sich in der Anmerkung des Eratosthenes, ein gewisser Damastes habe gemeint, der Arabische Golf (also das Rote Meer) sei ein See (Strabon 1.3.1). Bezüglich des Ausmaßes der Landmasse glaubte Claudius Ptolemäus, Asien schließe an seiner Ostgrenze ein unbekanntes Gebiet ein und China erstrecke sich weiter zu einem südlichen (lateinisch australis) Land. Die Definition der Grenzen von Kontinenten war nur ein Problem, die Bestimmung ihrer Größe und Gestalt ein anderes. Auch diese Frage war umstritten, und Herodot zögerte nicht, seinen Zweifel über einige periodoi ges Ausdruck zu verleihen:
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Ich wundere mich also über diejenigen, die Libyen, Asien und Europa abgrenzen und einteilen, denn nicht gering sind die Unterschiede zwischen diesen. In der Länge kommt nämlich Europa beiden zusammen gleich, und in der Breite scheint es mir gar wert, jene mit ihm zu vergleichen. Libyen macht es nämlich offenbar, dass es von Meer umgeben ist – außer an dem Stück von ihm, wo es an Asien angrenzt. (Herodot 4.42.1–2)
Noch später blieben bestimmte Teile der Welt, speziell – was nicht überrascht – entfernte Teile besonders gestaltlos. Das führte zu gelegentlich kuriosen Schlussfolgerungen: Ktesias von Knidos sagt, dass das Land der Inder dem übrigen Asien gleich sei, und irrt wie Onesikritos, der es für den dritten Teil der ganzen Erde hält. (Arrian, Indika 3.6)
Komplizierter als das Abschätzen der Größe flacher Territorien war die Bestimmung von Höhen, besonders einzelner Berge. Als der Mythos noch an der Geographie beteiligt war, galten einige Berge als außerhalb der menschlichen Reichweite und deshalb unvermessbar. Es gab Berge, die so hoch waren, dass ihr Gipfel unsichtbar war, wie etwa der Olymp oder das AtlasGebirge (Herodot 4.184). Aber der Wunsch nach Genauigkeit förderte Versuche der Berechnung und brachte einige nützliche Ergebnisse hervor.179 Die ältere Methode verwendete einen gnomon, einen Schattenstab, dessen Schattenlänge man bei Sonnenuntergang östlich des Berges und bei Sonnenaufgang westlich davon maß. Der gnomon und sein Schatten schufen damit ein rechtwinkliges Dreieck, das man zu dem Dreieck in Bezug setzte, das der Berg als Schatten warf; geometrische Axiome bezüglich ähnlicher Dreiecke ermöglichten dann die Berechnung der unbekannten Seite, also der Höhe des Berges.180 Um 305 v. Chr. bot Dikaiarchos von Messana (Messina) eine noch genauere Methode an, indem er die rechtwinklige Spiegelung des Lichtes nutzte. Schließlich verbesserte Eratosthenes die Methode des Dikaiarchos durch die Verwendung einer so genannten Dioptra.181 Auch hier beeinflussten freilich theoretische Überlegungen und insbesondere die Rücksichtnahme auf die Symmetrie das Verständnis der Höhen. Poseidonios behauptete zum Beispiel, dass der höchste Berg auf der Erde ebenso hoch sei wie der tiefste Ort. Da angenommen wurde, dass die maximale Tiefe des Meeres 15 Stadien betrage, musste der höchste Berg 15 Stadien hoch sein.182 Unabhängig von der verwendeten Methode waren alle antiken Maße von Bergen bloße Annäherungen und Schätzungen; ja, ganz exakte Messungen sind erst heutzutage durch den Einsatz der Satellitentechnologie möglich ge-
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worden. Zahlenangaben wurden gerundet, Maße nicht vom Meeresspiegel aus gemessen und Berechnungen je nach dem genauen Punkt geändert, von dem aus eine Bergspitze ins Visier genommen wurde; auch war die Größe des verwendeten Stadionmaßes uneinheitlich. Dementsprechend ist es schwierig, die Genauigkeit von antiken Höhenmaßen zu bewerten oder verschiedene Angaben zur Höhe ein und desselben Berges zu vergleichen. Berghöhen spielen auch bei den Diskussionen über die kugelförmige Gestalt der Erde eine Rolle: War diese wegen der Vorsprünge der höchsten Berge weniger kugelförmig? Versuche, sie zu messen, zeigten freilich, dass die Höhe der Berge in Bezug auf die gesamte Größe des Erdballs unwesentlich war: Im Vergleich mit der großen Größe der Erde reicht der Vorsprung von Bergen nicht aus, um sie ihrer kugelförmigen Form zu berauben oder auf ihre kugelförmige Form basierte Maße ungültig zu machen. Denn Eratosthenes zeigt, dass die senkrechte Distanz von den höchsten Bergspitzen bis zu den niedrigsten Gebieten zehn Stadien beträgt. (Simplikios, Kommentar zu Aristoteles’ Vom Himmel 549.32–550.4).
Die Meerestiefe wurde durch Schätzungen bestimmt, die auf dem Absinken schwerer, an Taue gebundener Gegenstände beruhte, wie etwa Plinius berichtet: Die größte Tiefe des Meeres gibt Fabianus mit 15 Stadien an. Nach anderen soll im Pontus, dem Lande der Koraxer gegenüber …, ungefähr 300 Stadien vom Lande entfernt die Tiefe des Wassers unermesslich sein, da man dort niemals einen Grund gefunden habe. (Plinius, Naturkunde 2.224)
Eine wichtige Eigenschaft der antiken Geographie war die Wiedergabe spezifischer Einheiten durch die Beschreibung und Definition ihrer Formen. Für diesen Zweck verwendeten Autoren Formbilder, von denen sie annahmen, dass sie ihren Lesern vertraut waren, und verglichen topographische oder räumliche Eigenarten mit diesen Formen. Diese Gewohnheit führte zu einer Reihe von geographischen Metaphern.183 Die Beschreibung von Formen verließ sich auf eine mentale Bildvorstellung, und das alleinige Werkzeug des Beschreibenden war eine ‹verbale Kartographie›. Formen von topographischen und geographischen Einheiten wurden mit anderen ähnlichen Formen verglichen. Darunter finden sich zuerst geometrische Bilder: Sizilien wurde als Dreieck bezeichnet (Polybios 1.42.3), Indien als Rhombus (Strabon 2.1.22) und Gallia Narbonensis als Parallelogramm (Strabon 4.1.3). Auch verschiedene nichtgeometrische Formen wurden für die Beschreibungen verwendet, etwa Körperteile, Tiere, Pflanze, Kleidungsstücke, Möbel und Waffen:
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Der Umkreis des gesamten (Schwarzen) Meeres misst etwa 25 000 Stadien. Manche vergleiche die Form dieses Umkreises mit einem gespannten skythischen Bogen, indem sie die Sehne mit der sogenannten rechten Seite des Pontos gleichsetzen … und den Rest mit dem Horn des Bogens, das eine doppelte Biegung hat, oben eine rundere, unten eine geradere. (Strabon 2.5.22)
Einige moderne Analysen antiker griechischer und römischer räumlicher (nicht nur linearer) Rahmen für die verschiedenen Teile des Universums, des Globus, der oikumene und der Kontinente wenden moderne Ideen von Raumkonzepten an.184 Man hat auch versucht, aus den erhaltenen Quellen bestimmte Raummodelle zu rekonstruieren, die geographische Weltbilder der Antike beeinflusst haben können. Dabei nimmt man an, dass bestimmte kulturelle Paradigmen Raumkonzepte schufen, mit denen ein Mensch seine Umwelt bestimmt, beobachtet, versteht und beschreibt. Das soll nicht besagen, dass die Griechen oder die Römer über ein vorgeplantes und allgemeingültiges Modell der Welt und ihrer Bestandteile verfügten, wohl aber, dass es möglich ist, bei der Betrachtung verschiedener Phasen geographischer Darstellungen in der Antike bestimmten Paradigmen zu folgen, durch die der Raum (etwa die runde und symmetrische, vom Ozean umgebene ‹Insel› der oikumene) beschrieben wird. Wie wir gesehen haben, werden beschreibende und wissenschaftliche Geographie verbunden, um eine zusammenhängende verbale Beschreibung von Stätten zu bieten, die von der Umwelt des Publikums oft weit entfernt waren. Mathematik und insbesondere Astronomie unterstützten die antiken geographischen Vorhaben, indem sie Methoden anboten, die Lage von Orten auf dem Globus zu definieren (Kapitel III 3).
2. Die Theorie der Klima-Zonen und die Ethno-Geographie Die Griechen und die Römer interessierten sich für die Welt, soweit sie bewohnt war. Verlassene Gebiete fanden weder in schriftlichen Aufzeichnungen in den verschiedenen geographischen Gattungen – einschließlich der wissenschaftlichen – noch beim Vorschlag von Entdeckungsreisen Berücksichtigung. Das hatte politische Implikationen, da annektierte Länder in den meisten Fällen bewohnt waren. Die Autoren erörtern dann stets diese Fremden, wobei sie Gefühle von Bewunderung bis Anwiderung ausdrücken, und schildern Bestandteile des täglichen Lebens der jeweiligen Völker. In der modernen Aufteilung der akademischen Disziplinen würden diese
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Themen zur Humangeographie oder Anthropologie gerechnet werden; in der Antike hingegen galten sie als integraler Bestandteil der geographischen Beschreibung in allen ihren Formaten und Gattungen. Die Hauptverbindung zur Geographie war die frühe Überzeugung, dass lokale Bedingungen und die Umwelt den menschlichen Charakter beeinflussen. So war man der Überzeugung, dass extremes (heißes oder kaltes) Wetter eine besondere Wildheit der Menschen mit sich brachte und auch die Hautfarbe, den Haartyp und die Körpergröße beeinflusste. Auf diese Weise gab es eine deterministische Begriffskorrelation zwischen der Lage bestimmter Menschengruppen auf dem Globus und ihrem politischen, wirtschaftlichen und sogar ethischen Verhalten.185 Dieser Idee wurde dann in der Theorie von den Klima-Zonen eine Form gegeben.186 Seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. waren sich die Griechen nicht nur jahreszeitlicher Klima-Differenzen, sondern auch regionaler Unterschiede bewusst. Man bildete eine Begriffskorrelation zwischen Klima und anderen lokalen Merkmalen wie Fauna, Flora und menschlichem Äußeren und Verhalten. Diese Verbindung wurde durch Versuche, die Situation von bestimmten Gebieten auf dem Globus mit lokalen menschlichen und natürlichen Charakterzügen zu verbinden, in ein festes Schema überführt. Im Laufe der Zeit führte die Fähigkeit, die Lage eines Ortes genau zu bestimmen, indem man Breitengrade heranzog, zu einem systematischeren Bild. Herodot beschrieb die äußerste Kälte im nördlichen, von den Skythen bewohnten Gebiet: „Harte Winter hat dieses ganze aufgezählte Gebiet, und zwar so, dass dort acht Monate lang ganz unerträglicher Frost besteht; … das Meer gefriert und der ganze kimmerische Bosporos“ (4.28.1). Noch härtere Bedingungen nahm man weiter im Norden an: Über das Gebiet oberhalb, zum Nordwind hin, sagen sie, jenseits des Landes derer, die über ihnen wohnen, sei es nicht möglich, noch weiter zu sehen und auch nicht, voranzukommen vor lauter ausgeschütteten Federn; voller Federn nämlich seien sowohl Erde als auch Luft, und diese seien es, die den Blick versperrten. … Wer schon einmal aus der Nähe dichten Schneefall gesehen hat, weiß, was ich sage, denn der Schnee gleicht Federn. Und weil dieser Winter diese Art hat, ist der zum Nordwind gewandte Teil dieses Festlands nicht bewohnt. (Herodot 4.7.3 und 4.31.2)
Eine ähnliche Verbindung von extremer Witterung (in diesem Fall Hitze) mit beschränkten oder gar keinen menschlichen Wohnstätten nahm man auch im Zusammenhang mit den Ostteilen der oikumene an (Herodot 3.104). So verstand man extreme Wetterbedingungen als Ursache dafür,
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Polare Zone Arktischer Wendekreis Gemäßigte Zone Wendekreis des Krebses Glühheiße Zone Äquator Glühheiße Zone Wendekreis des Steinbocks Gemäßigte Zone Antarktischer Wendekreis Polare Zone
Abb. 4: Die fünf Klima-Zonen.
dass ganze Regionen unbewohnt und unwegsam waren, was bedeutete, dass es – im Verständnis des 5. Jahrhunderts v. Chr. – eine dreiseitige Verbindung zwischen einem Ort auf der Erde, seinem Klima und seiner Bewohnbarkeit gab. Parmenides von Eleia verband die Beziehung von Klima und Bewohnbarkeit mit dem Konzept einer kugelförmigen Erde, womit er wissenschaftliche Überlegungen in dieses Thema einführte. Er gab fünf Klima-Zonen auf dem Globus an. Diese waren durch den sich ändernden Winkel zwischen der Sonne und der Erde bestimmt und liefen um den ganzen Globus parallel zum Äquator herum. Die fünf Zonen waren eine glühheiße Zone, die den Äquator umfasst und durch äußerst heiße Witterung bestimmt ist, zwei polare oder arktische Zonen, die an die Polen des Erdballs liegen und durch das äußerst kalte Wetter charakterisiert sind, sowie zwei Zonen zwischen diesen und der glühheißen Zone auf den beiden Halbkugeln, für die ein gemäßigtes Klima kennzeichnend ist (siehe Abb. 4). Parmenides behauptete, dass die glühheiße Zone wegen der direkten Einstrahlung der Sonne unbewohnt sei, welche den Menschen dort das Überleben nicht erlaube. Zweieinhalb Jahrhunderte später fügte Strabon hinzu, dass Poseidonios diesen Zonen ethnische Identifizierungen gab und die glühheiße Zone als äthiopische, die arktischen Zonen als skytho-keltische und die gemäßigte Zone als Zwischenzone bezeichnete (Strabon 2.3.1). Auch wenn die Grundidee von mit dem Klima verbundenen Breitenzonen seit Parmenides akzeptiert worden war, gab es keinen Konsens über die Anzahl dieser Zonen. Freilich war dies größtenteils nur ein semantischer
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Unterschied. So sprach sich Polybios für sechs Zonen aus, während Eratosthenes, Poseidonios und Strabon an der Fünfzahl festhielten: Polybios macht sechs Zonen: zwei unter den arktischen Kreisen liegende, zwei zwischen diesen und den Wendekreisen (und zwei zwischen den Wendekreisen) und dem Äquator. Nun hat die Fünfteilung meines Erachtens sowohl eine physische als eine geographische Bedeutung. Eine physische, weil sie sich sowohl auf die Himmelserscheinungen als auch auf das Klima bezieht. Auf die Himmelserscheinungen, weil … auch unsere Wahrnehmung der Himmelskörper bestimmt wird … (Strabon 2.3.1)
Das griechische Wort klima bedeutet ‹Neigung› und wurde speziell für die angenommene Neigung der Erde im Bezug zu den Polen verwendet. Regionale Unterschiede im Wetter wurden so mit dem Konzept von klimatischen Zonen verbunden. Wegen der theoretischen Fehler beim Messen von Breitengraden waren die klimata keine mathematischen Linien, sondern breite Streifen, die sich von Osten nach Westen über die oikumene hinzogen. Dies ermöglichte Aristoteles in seinen Meteorologika die folgende Einsicht bezüglich des Klimas, der Bewohnbarkeit und der Ordnung der Welt: Nun kennen wir aber die oikumene der Breite nach bis hin zu den unbewohnten Gebieten, wo es auf der einen Seite wegen der Kälte, auf der anderen wegen der Hitze keine Menschen mehr gibt; andererseits ist jenseits Indiens beziehungsweise der Säulen des Herakles der Zusammenhang, der die ganze oikumene geschlossen sein ließe, des Meeres wegen nicht vorhanden. (Aristoteles, Meteorologie 2.5, 362b26–30)
Die theoretische Skizze von Parmenides bot ein Schema des Erdballs (und nicht nur der oikumene auf ihm) in einer symmetrischen Anordnung. Das war der Begriffshintergrund für die Annahme der Existenz einer zweiten oikumene in der parallelen gemäßigten Zone auf der Südhalbkugel (Kapitel III 1): Die mittlere Zone macht Gluthitze unsicher, die beiden äußersten Frost; die übrigen sind bewohnbar und haben die gleichen Jahreszeiten, wenn auch nicht in gleicher Weise. Die eine bewohnen die Antichthonen, die andere wir. Die genaue Lage jener Zone ist wegen der Gluthitze der dazwischen liegenden Gegend nicht bekannt, von derjenigen der unseren jedoch muss man sprechen. (Pomponius Mela 1.4)
Klima und Position auf dem Globus bezogen auch eine Verbindung zwischen Wetterbedingungen und der Gestalt von Pflanzen, Tieren und Menschen ein:
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Die Tiere sind auch verschieden nach den Gegenden. Denn so wie manche in einigen Ländern gar nicht vorkommen, so bleiben sie in manchen auch körperlich zurück, leben nicht so lange und wollen nicht gedeihen … Vielfach ist auch der Wärmewechsel schuld. So sind in Illyrien, Thrakien und Epeiros die Esel klein, im Kelten- und Skythenland fehlen sie ganz, weil diese Länder einen bösen Winter haben … (Aristoteles, Tierkunde 8.28, 605b22 – 606b5).
Bereits in einem Werk aus dem 5. Jahrhundert v. Chr., das der Ärzteschule des Hippokrates zugeschrieben wird, findet sich die Aussage, dass die Gesundheit von Menschen durch ihren Wohnort verändert werden kann: Wer der ärztlichen Kunst in der richtigen Weise nachgehen will, der muss folgendes tun: Erstens muss er über die Jahreszeiten und über die Wirkungen nachdenken, die von jeder einzelnen ausgehen können … Ferner muss er sich über die Winde Gedanken machen … Wenn also jemand in eine Stadt kommt, die er nicht kennt, so muss er sich genau überlegen, wie ihre Lage zu den Winden und zum Aufgang der Sonne ist. (Hippokrates, Über die Umwelt 1.1–5)
Diese Begriffe deuteten an, dass sich die körperliche Natur der Menschen von Ort zu Ort änderte. Strabon zitiert die Erklärung des Poseidonios für die gleichförmige typische Physiognomie von Menschen und Tieren in wärmeren Zonen: Diese Zonen hätten nämlich etwas ihnen Eigentümliches: Sie seien ausgesprochen dürr und sandig und trügen nichts außer Silphion und gewissen feurigen Früchten, die ganz verbrannt sind … denn es gebe in der Nähe keine Gebirge, an die die Wolken stoßen und Regen bringen könnten, und es flössen auch keine Flüsse hindurch; daher würden die Lebewesen dort auch mit Kraushaar, krausen Hörnern, vorgeschobenen Lippen und stumpfen Nasen geboren: denn ihre Enden zogen sich zusammen. (Strabon 2.2.3)
Dementsprechend glaubten einige Griechen im 5. Jahrhundert v. Chr. an eine enge Beziehung zwischen dem Äußeren, dem Verhalten, der Gesundheit und den lokalen natürlichen Bedingungen. Der aristotelische Ansatz erweiterte den Einfluss des Klimas auf andere menschliche Qualitäten: Die Völker der kalten Regionen und jene in Europa sind von tapferem Charakter, stehen aber an Intelligenz und Kunstfertigkeit zurück; also sind sie vorzugsweise frei, aber ohne staatliche Organisation, und ohne über die Nachbarn herrschen zu können. Die Völker Asiens dagegen sind intelligent und künstlerisch begabt, aber kraftlos, und leben darum als Untertanen und Knechte. Das griechische Volk wohnt gewissermaßen in der Mitte zwischen beiden und hat darum an
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beiden Charakteren Anteil. Denn es ist energisch und intelligent. So ist es frei, hat die beste Staatsverfassung und die Fähigkeit, über alle zu herrschen, wenn es einen einzigen Staat bilden würde. (Aristoteles, Politik 7.6, 1327b24–36)
Es scheint also ein deterministischer Begriff vorgeherrscht zu haben, der behauptete, dass die Umgebung Menschen und ihre Qualitäten formte. Dies führte zu ethnischen Stereotypen, die auf das Klima und die Geographie Bezug nahmen und eine Art rassistischen Ansatz implizierten.187 Zwar wurden solche Ansichten auch eingeschränkt, doch umfassten sie auch Elemente der ethnographischen Definition. Bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. bestand der Begriff einer Zweiteilung zwischen Griechen und Nichtgriechen.188 Die Letzteren wurden barbaroi genannt, und zwar nicht notwendigerweise in einem abschätzigen Sinn; einige nichtgriechische Völkerschaften wurden sogar wegen ihres Verstands und ihrer Kraft bewundert, etwa die Perser und die Ägypter.189 Der Ursprung des Begriffes barbaroi war einigen antiken Autoren zufolge lautmalerisch und gab die verzerrte Artikulation des Griechischen durch Nichtgriechen wieder. Mit der Zeit wurden diesem ethnischen Beinamen jedoch andere Begriffsnuancen hinzugefügt, darunter Rohheit, Einfachheit und Armut. Das physische Äußere von Fremden war das erste, was griechische und römische Besucher bemerkten, und es rief eine Vielfalt von Gefühlen hervor, darunter Angst, Ehrfurcht oder Belustigung. Charakterzüge wurden manchmal übertrieben und häufig in Sammlungen von thaumata oder mirabilia eingeschlossen. Das Konzept und die Terminologie des Barbarischen im Gegensatz zur Kultur sind somit ein Schlüssel zum Verständnis der antiken Ethno-Geographie. Diese alte Vorstellung von einer ethnischen Aufteilung der Welt in zwei grundverschiedene Teile wurde allmählich modifiziert, weil sich ein Bewusstsein von sich ändernden Graden ‹barbarischer› Charakterzüge weiter verbreitete. So entstand eine Art Skala, auf der theoretisch jede menschliche Gruppe eingeordnet werden konnte. Dies erklärt Begriffe wie ‹Halbbarbaren› (Demetrios von Skepsis bei Strabon 13.1.5) und ‹Mischbarbaren› (Ephoros bei Strabon 14.5.23). Die Skala selbst umfasste mehrere Bestandteile, vorwiegend die Natur des bewohnten Gebiets (Küste oder Ebene, fruchtbar oder felsig, rau, entlegen und unfruchtbar), die Lebensweise der Leute (Bauern und Händler oder Krieger und Piraten) und ihre sozialen Gewohnheiten (Menschenfreundlichkeit, Recht und Ordnung oder Zügellosigkeit, Aggression und Grausamkeit).190 Die Römer waren Fremden gegenüber eher aufgeschlossen als die Griechen.191 Dies war wohl das Ergebnis der Expansion ihres Reiches, das Ge-
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biete umfasste, die sich sowohl in der Topographie als auch im Klima und in der Bevölkerung unterschieden. In Rom war es nichts Seltenes, Menschen mit dunkler Hautfarbe oder ethnischen Gewändern zu sehen, und einige dieser Personen waren sogar römische Bürger. Dennoch hielt die grundlegende Unterscheidung zwischen Barbaren und Nichtbarbaren die ganze Antike hindurch an. Dieser Ansatz wird durch die Worte Strabons etwas ausbalanciert, der in der multikulturellen Welt des Römischen Reiches lebte. Nach einer Kritik an Poseidonios’ Betonung der klimatischen Faktoren (2.3.7) behauptet Strabon, dass Charakterzüge, die von Umweltbedingungen abhängen, geändert werden können: Die Römer haben viele Völker übernommen, die ihrer Natur nach unzivilisiert waren infolge ihrer Umwelt – die entweder rau oder hafenlos oder kalt oder aus anderen Gründen schlecht bewohnbar war –, haben die Kontaktlosen miteinander in Kontakt gebracht und den Wilden beigebracht, in einem geordneten Gemeinwesen zu leben. (Strabon 2.5.26)
Dieser These zufolge können Völkerschaften trotz ihres Ortes und unabhängig vom Wetter in ihrem Land zivilisiert werden. Klima und Topographie waren so ein notwendiger und wichtiger Teil der Beschreibung von Umgebungen und neuen Gebieten, aber sie machten den nationalen Charakter nicht irreversibel. Dass Klimaunterschiede und ihre Verbindung mit dem Ort auf dem Globus verschiedene praktische Entscheidungen beeinflussten, war die Überzeugung etwa des Vitruvius (De Architectura 6.1.1–12), der angibt, dass in einem Gebiet die Gebäudetypen vom dortigen Klima und damit von der geographischen Breite (inclinatio mundi) abhingen, während Vegetius (1.2) damit Typen von Soldaten und ihren Körperbau verbindet. In solchen Diskussionen wurden gewöhnlich Unterschiede zwischen Norden und Süden gemacht, was den Einbezug der geographischen Breite impliziert. In einem etwas eklektischen Ansatz, der früheren geographischen Traditionen verhaftet ist, verband Strabon mehrere Konzepte über den Aufbau der Welt und vereinigte vier Elemente darin: die Grenze der Bewohnbarkeit, die Grenze der bekannten Welt, die Grenze der gemäßigten Zone und deren südlichste Breite. Da wir nun aber wiederum wissen, dass das Zimtland (Süd-Äthiopien) das letzte bewohnte Land im Süden ist …, bildet der durch dieses Land gezogene Parallel den Anfang der gemäßigten Zone und der oikumene. (Strabon 2.1.13)
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Dies impliziert eine vollständige Identifizierung dieser Parameter und ihrer Lokalisierung: Die Bewohnbarkeit endet, wo die gemäßigte Zone aufhört. Für Gelehrte, die sich allein für die oikumene interessieren, kennzeichnet dieser Punkt auch das Ende der Welt, und derselbe Ort war zudem mit der südlichsten Breite der oikumene identisch. In diesem System wurde der mittlere Punkt der bewohnten Welt auch als die Mitte in Bezug auf einen ganz anderen Begriffsrahmen betrachtet, aber politische Rücksichten führten zu einer Verlegung des Zentrums – ursprünglich war es Griechenland, später aber nahm Italien diesen Platz ein: In Italien haben die Stämme in beiderlei Hinsicht, sowohl in den Gliedern ihrer Leiber wie in der ihrer Tapferkeit entsprechenden Geisteskraft, das vollkommenste Mischverhältnis … Italien hat in der Mitte zwischen Nord und Süd durch die Mischung aus beiden Teilen ausgeglichene und unübertroffene, gute Eigenschaften. So bricht es durch seine staatsmännische Klugheit den kriegerischen Mut der Barbaren, durch die Kraft seiner Arme die Pläne der Südvölker. So hat die göttliche Vorsehung die Bürger des Römischen Reiches in einen ausgezeichneten und gemäßigten Himmelsstrich gesetzt, auf dass das römische Volk die Welt beherrsche. (Vitruv, De Architectura 6.1.11)
3. Die Lokalisierung von Koordinaten In den frühen Stufen der griechischen Zivilisation brachten Reisen – sei es zur See, sei es zu Land – manchmal schriftliche Dokumentationen über die Lokalisierung eines Ortes zu Gunsten zukünftiger Reisender – Händler, Soldaten und Touristen – mit sich. Mehrere Parameter wurden bei diesen Aufzeichnungen verwendet, um einen Ort zu bestimmen.192 Grundlegend war die Abfolge von Stätten auf einer (vorzugsweise linearen) Route, etwa an einer Küste, einem Fluss, einer Bergkette oder einer Straße. Diese Form der Angabe benötigte die Festlegung eines Ausgangspunkts, mit dem alle weiteren Stätten in Verbindung standen. Diese Methode war eine Konstante in griechischen und lateinischen Berichten von der Frühzeit bis in die Spätantike. So sollte in periploi eine allgemeine Formel anzeigen, dass etwa „als nächstes die Stadt Hyops kommt, dann als nächstes der Fluss Lesuros“;193 ebenso bei itineraria, die definitionsgemäß Stätten gemäß ihrer Anordnung auf bestimmten Wegen verzeichneten (Kapitel II 3). Dieselbe Methode wurde in weiter ausgearbeiteten Beschreibungen verwendet, von denen viele periploi als Quellen nutzten, wie etwa Pomponius Mela: „Fährt man aber längs der Küste, kommt als nächstes von Vervaria aus ein Fels, der die
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Pyrenäen in die hohe See hinaus fortsetzt, dann kommt der Ticis-Fluss bei Rhoda, dann Clodianum bei Emporiae und dann der Zeus-Berg“ (2.89). Ein anderes grundlegendes Mittel der Lokalisierung bestand in der Bestimmung von Entfernungen, die in Zeiteinheiten – gewöhnlich der Zahl von Reisetagen zur See oder zu Land – ausgedrückt wurden (Kapitel III 1). Dies war freilich ein variabler, subjektiver Parameter, der vom Reisemittel, der Geschwindigkeit und den Wetterbedingungen abhing. In einigen Fällen wurde auch die Richtung der Reise angezeigt, was eine nähere Bestimmung ermöglichte. Die erste Orientierung wurde dadurch gegeben, dass man sich auf ein geographisches oder topographisches Merkmal bezog, etwa auf einen Berg oder eine Insel. Beispiele bieten Sophokles – „Danach zur Rechten wirst du das ganze Land von Oinotria finden, den Tyrrhenischen Golf und das Land Ligustike“ (Frg. 598 Radt) – und Strabon: „Wenn man von der Stadt (Rhodos) mit der Insel rechts lossegelt, kommt man zuerst nach Lindos …“ (14.2.11). Auch astronomische Eigenschaften, im Allgemeinen die Sonne, trugen dazu bei, die Bewegungsrichtung festzuhalten, da Reisen sowohl zu Land als auch auf dem Meer gewöhnlich bei Tag unternommen wurden. Die Aufzeichnungen des Hanno (siehe oben S. 67) erwähnen etwa: „Von hier aus fuhren wir zwölf Tage lang in Richtung Mittagssonne, immer entlang der Küste“ (11). Allmählich wurden feste Himmelsrichtungen etabliert, und spätestens im 5. Jahrhundert v. Chr. wurden mehrere Begriffe für Aussagen zur Orientierung genutzt.194 Ein Satz von Begriffen, die mit der Bewegung der Sonne verbunden sind, beziehen sich auf den Osten als anatole (‹Aufgang›, lateinisch oriens), auf den Westen als dysis (‹Untergang›, lateinisch occidens) und auf die Position der Sonne zu Mittag (mesembria) als Süden.195 So wurden vier Haupthimmelsrichtungen etabliert: Wo die Sonne aufgeht, nennt man es Osten oder Sonnenaufgang, wo sie sinkt, Westen oder Untergang, wo sie entlangläuft, Süden, auf der gegenüberliegenden Seite Norden. (Pomponius Mela 1.3)
Ähnlich wurden die Wörter für ‹Morgen› (eos) und ‹Abend› (hespera) synonym für Osten beziehungsweise Westen verwendet.196 Auch die schon bei Homer beschriebenen Winde, die mit besonderen Orten verbunden waren, dienten als Metaphern für Himmelsrichtungen. So waren Boreas (lateinisch Aquilo) der Norden, Notos (lateinisch Auster) Süden, Apeliotes oder Euros (lateinisch Eurus) Osten und Zephyrus (lateinisch Favonius) Westen. Vitruv beschrieb den (erhaltenen) Turm der Winde in Athen, den um 100 v. Chr. der griechische Astronom Andronikos von Kyrrhos geschaffen hatte und der an seinen acht Seiten Bilder der Winde bot, die jeweils eine besondere
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Richtung anzeigten (De Archtitectura 1.6.4–13). Lateinische Texte verwendeten auch die sieben Sterne des Großen Bären oder Großen Wagens (Septentriones) als Synonym für den Norden, so etwa Caesar (Bellum Gallicum 4.20.1).197 In allen diesen Fällen weisen die Begriffe nur allgemein in eine Richtung und sind nicht genau. Sie dienten Seeleuten und Reisenden, nicht aber Landvermessern oder geographischen Theoretikern, doch selbst für die erstgenannte Gruppe boten sie, wenn etwa Nebel herrschte oder Wolken den Himmel bedeckten und die Sonne oder Mond und Sterne verbargen, keine zuverlässige objektive Weise, die Himmelsrichtung festzustellen. Dies war insbesondere für Seeleute ein Problem, die Schwierigkeiten hatten, sich ohne topographische Marksteine im offenen Meer zu orientieren und daher im Allgemeinen entlang der Küste segelten. Das letzte Mittel, eine Stätte – außer durch Angaben zu ihrer relativen Lage, ihrer Entfernung von einem bestimmten Ort und ihrer Richtung von dort aus – zu identifizieren, bestand in ihrem Namen und einer markanten Eigenschaft, etwa der Qualität des Hafens, einer eigenartigen Topographie, einer lokalen Handelsware oder einem ethnographischen Charakterzug. Die Kombination aller dieser Orientierungselemente ermöglichte eine genauere, wenn auch keine exakte Bestimmung des Ortes. Alle fünf Eigenschaften – Ordnung, Entfernung, Richtung, Toponym und lokale Charakterzüge – wurden die ganze Antike hindurch verwendet, gewannen aber allmählich einen objektiveren Charakter. Dieser Fortschritt zu einem immer zuverlässigeren und besser bestimmten System geschah durch die Einführung von Standards und von Instrumenten, mit denen man Entfernungen und Richtung bestimmen konnte. Wir haben bereits die griechischen und römischen Methoden der Entfernungsmessung vorgestellt (Kapitel III 1); zu zeigen ist noch, wie man Richtungen und genauere Koordinaten bestimmen konnte. Dieses Problem führt zur Verbindung von Astronomie und Geographie, weil antike Astronomen grundsätzliche Beiträge zur Festlegung von Koordinaten auf dem Globus schufen, insbesondere durch die Kombination von sich schneidenden Breiten- und Längengraden. Die systematische mathematische Analyse von Theorien und Beobachtungen begann in der hellenistischen Periode, speziell mit Eratosthenes, der im ptolemäischen Alexandreia wirkte. Neben seinem Hauptbeitrag zur Berechnung des Kreisumfangs der Erde (Kapitel III 1) registrierte Eratosthenes Daten für die Festlegung von Linien auf dem Globus, die auf ein grundlegendes Raster hinausliefen, das man zumindest im Geist über die oikumene legen konnte. Dikaiarchos von Messana verfeinerte einige der Be-
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griffe seines Vorgängers. Aber es war der Astronom Hipparchos von Nikaia (um 190–126 v. Chr.), der die Diskussion entscheidend voranbrachte, vorwiegend in seinem Werk Gegen die Geographie des Eratosthenes, von dem Teile in der Geographie Strabons bewahrt sind.198 Das Ergebnis seiner Forschungen bildete die Basis für die Theorien und Daten in den Werken Almagest und Geographie des Claudius Ptolemäus. Wie also überlagerten sich Astronomie und Geographie? Die Grundidee bestand darin, die Veränderung in der Größe von Schatten zu beobachten, die an verschiedenen Punkten auf dem Globus durch Gegenstände geworfen werden. Das war ein Spiegel der sich unterscheidenden Positionen der Sonne, die ihre Strahlen in unterschiedlichen Winkeln auf unterschiedliche Orte der Erde warf. So ermöglichte es die relative Länge von Schatten, die Position auf dem Globus zu berechnen. Wegen seiner Genauigkeit wurde für solche Berechnungen ein gnomon (Schattenstab) an ein und demselben Tag benutzt, insbesondere an einem Tag, der astronomisch als Äquinoktium definiert werden konnte:199 Der Schatten des gnomon hat zur Zeit der Tag- und Nachtgleiche eine andere Länge in Athen, eine andere in Alexandreia, eine andere in Rom, eine davon verschiedene in Placentia (heute Piacenza) und an den übrigen Orten des Erdkreises. (Vitruv, De Architecura 9.1.1)
Ein anderes Mittel der Berechnung, das auch mit der relativen Position von Sonne und Erde verbunden ist, bezog die verschiedenen Tageslängen an verschiedenen Plätzen auf der Erde ein. Das Maß des Schattens und die Beobachtung von verschiedenen Tageslängen wurden so zur Basis einer systematischen Idee von Breitengraden, also von Linien oder Gebieten, die sich parallel zum Äquator von Osten nach Westen rund um den Globus zogen. Der Äquator (griechisch isemerion, lateinisch aequinoctialis circulus) war eine imaginäre Linie auf der Oberfläche der Erde überall dort, wo – wie der antike Begriff jeweils andeutet – Tag und Nacht von gleicher Dauer waren. Der Äquator war von beiden Polen gleich weit entfernt und teilte die Erde in eine nördliche und eine südliche Halbkugel. Breitengrade (griechisch paralleloi) waren mentale Parallellinien zum Äquator, jeweils in einem spezifischen Winkel in Bezug auf die Sonne gelegen. Folgerichtig nahm man an, dass unterschiedliche Breitengrade unterschiedliche Wetterbedingungen aufwiesen. Die moderne Astronomie verdeutlicht, dass die Sonne im Zenit200 nur an solchen Orten auf dem Globus stehen kann, die zwischen 23° 30’ nördlicher und südlicher Breite liegen (dies sind die Wendekreise des Krebses und des Steinbocks) und dass die Mitternachtssonne nur nördlich oder südlich von 66° 30’ Breite auf beiden Halbkugeln (Polarkreise) erscheinen kann.
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Wie bemerkt, konnte die geographische Breite durch die Beobachtung von mehreren astronomischen, miteinander verbundenen Phänomenen gemessen werden:201 1. Aufgang und Untergang der Sonne und bestimmter Sternbilder, die von ihrer Winkelposition in Bezug auf den Globus abhängen, sind für alle Orte auf demselben Breitengrad ähnlich. Solche Beobachtungen lassen sich am besten bei der Sonnenwende machen (im Sommer am 20./21. Juni, im Winter am 21./22. Dezember), wenn die Neigung der Erde am meisten der Sonne zugewandt beziehungsweise von ihr abgewandt ist und die Tage daher am längsten beziehungsweise am kürzesten sind.202 2. Der Winkel zwischen der Position der Sonne über dem Horizont am Mittag der Sommersonnenwende und der Oberfläche der Erde wurde entweder durch die einfache Beobachtung geschätzt oder besser berechnet, indem man das Verhältnis zwischen der Größe eines gnomon und der Größe seines Schattens maß; identische Ergebnisse für verschiedene Plätze bedeuteten, dass sie auf derselben Breite gelegen waren. 3. Das sich ändernde Verhältnis zwischen der Tages- und Nachtlänge. Alle drei Faktoren hingen von der Position des Beobachters auf dem Globus ab und änderten sich, wenn der Beobachter sich nach Süden oder Norden bewegte, also zu einem anderen Breitengrad kam. Diese Maße ermöglichten einem Beobachter, seine Entfernung vom Äquator zu berechnen, vorausgesetzt, dass er den Kreisumfang des Erdballs kannte. In allen Fällen waren die geographischen Parallelen freilich recht theoretisch, weil es unmöglich war, sie mit absoluter Genauigkeit zu messen. Pytheas von Massalia (Marseille), der eine Erkundungsfahrt nach Nordeuropa machte (Kapitel II 3), beobachtete, als er nach Norden kam, die sich ändernde Länge des Tages und verband seine Beobachtungen mit der Höhe der Sonne über dem Horizont. Hipparchos zog diese Daten heran und berechnete mit ihnen die Breitengrade. So hatte etwa Pytheas das Verhältnis eines gnomon zu seinem Schatten in Massalia am Mittag der Sommersonnenwende als 41,8 : 120 bestimmt; dies entspricht einem Winkel 19° 12’, der einer Breite von 42° 42’ gleichkommt – ein der Realität recht naher Wert (43° 18’ 0” N). Bald wurde ein System von Parallelen geschaffen, das die Wahrnehmung der oikumene insgesamt beeinflusste: Hipparchos und andere vermuten, dass der Parallelkreis durch den Borysthenes (Dnjepr) identisch ist mit dem durch Britannien. Sie schließen das daraus, dass auch der durch Byzanz mit dem durch Massalia (Marseille) identisch ist:
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Dasselbe Verhältnis des Gnomons zu seinem Schatten, das er für Massalia angegeben hat, hat nämlich auch Hipparchos, wie er (Pytheas) sagt, zu dem gleichnamigen Zeitpunkt in Byzanz gefunden. (Strabon 1.4.4)
Die Standardmethode zur Bestimmung des Breitengrades war also die Messung des Sonnenstands am längsten Tag im Jahr. „Alle diese Phänomene sind dem Auge sogar eines Laien offensichtlich und benötigen keine mathematische Notation“ (Strabon 2.1.18). Seitdem die Griechen und Römer Äquinoktialstunden verwendeten, verfügten sie über einen VergleichsStandard, wenn sie die Stunden des längsten Tag maßen: So geschieht es, dass durch die unterschiedliche Zunahme der Tagesdauer der längste Tag in Meroë 12 Äquinoktialstunden und 8 Teile einer Stunde beträgt, in Alexandreia aber 14, in Italien 15 und in Britannien 17 … (Plinius, Naturkunde 2.186)
Das Ergebnis ist zum Beispiel in den Aufzeichnungen des Claudius Ptolemäus offenbar, die eine Grundlage für eine graphische Karte schaffen sollten: Der erste Parallelkreis hat eine Differenz (in der Dauer des längsten Tages) gegenüber dem Äquator von ¼ Stunde und – auf dem Meridian gemessen – einen Abstand von 4° 15’, wie die geometrischen Herleitungen recht genau zeigen. Der zweite Parallelkreis hat eine Differenz von ½ Stunde … Der vierte Parallelkreis hat eine Differenz von 1 Stunde … und geht durch Meroë (Äthiopien). Der zehnte Parallelkreis hat eine Differenz von 2 ½Stunden … und geht durch Rhodos. Der einundzwanzigste Parallelkreis hat eine Differenz von 8 Stunden … und geht durch Thule. … Es solle aber auch der Breitenkreis, der das südliche Ende (der Oikumene) begrenzt, gezeichnet werden, und zwar in demselben Abstand vom Äquator nach Süden, wie Meroë nach Norden entfernt ist. (Ptolemäus, Geographie 1.23).
Gemäß diesem Schema beginnt das bewohnte Gebiet der Welt im vierten Parallelkreis (Breitengrad) bei Meroë, endet im einundzwanzigsten, der durch Thule geht. Diese zwei Linien sind die Grenzen der oikumene, soweit sie zur Zeit des Claudius Ptolemäus bekannt war, nämlich Äthiopien im Süden und die Shetland-Inseln im Norden. Allerdings gab es einige Schwankungen in diesem grundlegenden System der Breitengrade (das noch heute akzeptiert wird). So setzte Dikaiarchos von Messana eine vom Äquator verschiedene Hauptbreite an; seine Idee
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war, diese mentale Hauptlinie nicht ins Zentrum des Erdballs zu legen, der für Astronomen interessanter war als für Geographen, sondern in das Zentrum der oikumene, die bekanntlich nur auf der Nordhalbkugel lag: Dikaiarchos teilt die Erde nicht durch Wasser, sondern durch eine Linie von den Säulen (des Herakles) durch Sardinien, Sizilien, die Peloponnes, Ionien, Karien, Lykien, Pamphylien, Kilikien und den Tauros-Berg bis zu den Bergen von Imaios (Himalaja). Er nennt den Norden und den Süden in Bezug auf diese Plätze. (Agathemeros, Abriss der Geographie 5)
Indem er einen ‹nullten› Breitengrad einführte, förderte Dikaiarchos die Vorstellung, dass das Mittelmeer das Zentrum der kugelförmigen Erde bildete.203 Eratosthenes erweiterte das Konzept des Dikaiarchos, indem er eine Reihe von fünf zusätzlichen Parallelen hinzufügte.204 Für diese Maße, besonders für die nördlichen Breiten, verließ er sich auf die astronomischen Beobachtungen des Pytheas von Massalia. Diese Breitengrade des Eratosthenes wurden von Hipparchos und schließlich von Claudius Ptolemäus (im Almagest) übernommen. Hipparchos formte grundlegende Beobachtungsmethoden (Schatten und Tageslicht) in ein genaues System um. Er unterteilte das Bild des Eratosthenes für den Kreisumfang der Erde (siehe oben S. 86) in 360° und setzte parallele Streifen von 700 Stadien ein.205 Außerdem erstreckte sich sein System von Breiten über den ganzen Globus einschließlich der Gebiete außerhalb des beobachtbaren Gebietes. Eratosthenes verließ sich nur auf Beobachtungen von zugänglichen Stätten, die seine Reihe von Breitengraden beschränkten. Hipparchos hingegen nutzte Rechenverfahren und konnte deshalb auch für unzugängliche Plätze Daten erzeugen. Wegen der größeren Spanne seiner theoretisch konstruierten Breiten konnte Hipparchos die fünf Hauptparallelen des Eratosthenes ausbreiten, um ein Raster zu erlangen, das den ganzen Globus umspannte. Selbst in der Zeit des Claudius Ptolemäus blieb diese Idee freilich rein theoretisch. Die Berechnungen des Hipparchos bildeten wahrscheinlich die Basis für die Listen des Claudius Ptolemäus, die auch die Breite in Graden ausdrückten. Aber der Ausdruck von Parallelen durch die Tageslänge (also in Stundenmaßen) blieb wegen der Konsistenz mit der klassischen Tradition bis in die Renaissance erhalten. Breiten bestimmen die Position von Stätten auf dem Globus durch Verweis auf einen einzigen Parameter. Für eine genauere Definition waren aber auch Längengrade (Meridiane) erforderlich: Meridiane sind solche Kreise, die von Pol zu Pol gehen und über den Scheitel des Beobachters hinweggehen. Die Pole sind für alle Beobachtungsorte die gleichen;
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der Punkt über dem Scheitel des Beobachters dagegen hängt von der Lage des Beobachtungsstandortes ab. Daher lassen sich unendlich viele Meridiane konstruieren. (Kleomedes, Über die Kreisbewegung der Gestirne 1.10)
Diese Meridiankreise oder Längengrade werden in der Wissenschaft als die Winkelentfernung auf der Erdoberfläche östlich oder westlich des Nullmeridians definiert und gemessen. Heute läuft der Nullmeridian, dem der Wert 0° zugewiesen ist, durch Greenwich in England. In der Antike war der von Claudius Ptolemäus definierte Nullmeridian als durch die Inseln der Seligen (die Kanarischen Inseln) verlaufend definiert; der Satz von Längengraden erstreckte sich von dort nur nach Osten, um die oikumene (nicht aber den ganzen Globus) zu überdecken. Von der Theorie zur Praxis: Man kann den Längengrad bestimmen, wenn man den Zeitunterschied zwischen zwei Punkten, die ost-westlich voneinander liegen, berechnet, indem man die scheinbare Bewegung der Sonne über den Himmel für die Berechnung nutzt. In der Antike gab es allerdings keine praktischen Mittel zur Bestimmung des Längengrades, weil es keine Möglichkeit gab, die genaue Zeit gleichzeitig an verschiedenen Orten zu bestimmen. Die Griechen verwendeten deshalb Reisedaten und schätzten Entfernungen entlang der Breitengrade. Das System des Eratosthenes, das auf solchen Schätzungen beruhte, zeigte einen Hauptmeridian, der von Süden nach Norden verläuft: Meroë – Byzantion – Borysthenes. Obwohl sich Eratosthenes der Tatsache bewusst war, dass diese Linie ungenau war, behandelte er sie als Gerade. Auch Hipparchos konnte die Länge nicht bestimmen, obwohl er von den theoretischen Mitteln wusste, nämlich dem Zeitunterschied zwischen den verschiedenen Orten: Als Alexander der Große seinen Sieg bei Arbela (im heutigen Irak) erfocht, soll sich der Mond in der zweiten Nachtstunde verfinstert haben, in Sizilien aber schon bei seinem Aufgang. Die Sonnenfinsternis, welche sich vor wenigen Jahren unter den Konsuln Vipstanus und Fonteius am Tag vor den Kalenden des Mai (30. April 59 n. Chr.) ereignete, sah man in Kampanien zwischen der siebten und achten Tagesstunde, während Corbulo als Feldherr in Armenien sie, wie er sagt, zwischen der zehnten und elften Tagesstunde gesehen hat: So zeigt oder verbirgt die Erde durch ihre Kugelgestalt dem einen dies, dem anderen jenes. Wäre die Erde eine ebene Fläche, so müsste nämlich den Menschen alles zur gleichen Zeit sichtbar sein … (Plinius, Naturkunde 2.180)
Die Sonnenfinsternis in der Zeit Alexanders des Großen wurde in Arbela und in Karthago mit einem dreistündigen Zeitunterschied beobachtet, was Hipparchos in 45 Längengrade übersetzte. Hipparchos wusste dies, hielt diese Methode jedoch für ungenügend genau. Er plante, ein ganzes Raster
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zu schaffen, das auf genauen mathematischen Berechnungen, nicht auf bloßen Schätzungen beruhte, doch vollendete er dieses Projekt nicht. Zusätzlich zur Aufteilung der bewohnten Welt in Kontinente, die offenkundig, wenn auch etwas umstritten, auf der Grundlage von natürlichen Gegebenheiten gemacht worden war (Kapitel III 1), unternahm Eratosthenes mehrere Versuche, andere Unterteilungen anzubieten, um so eine graphische Karte der Welt zu schaffen. Er teilte die oikumene in vier Teile ein, indem er zwei sich schneidende Hauptlinien für die Breite und die Länge schuf. Für die Breite wählte er den Meridian durch Alexandreia, Rhodos und Karien und schuf so eine Ost-West-Aufteilung; dann stellte er das Mittelmeer, das Tauros-Gebirge und den Ganges-Fluss als Punkte auf einer Geraden vor und schuf damit eine Nord-Süd-Aufteilung.206 Eine andere Idee bestand darin, die Landmasse in zufällige Quadrate einzuteilen, die Eratosthenes ‹Siegel› (sphragides) nannte. Die genaueste Weise, einen Punkt auf dem Globus zu bestimmen, ist die Angabe der Breite und der Länge, also eines orthogonalen Koordinatenpaars. Heute liefert das globale Positionierungssystem (GPS) genaue Informationen dieser Art, doch schon in der Antike beruhten die notwendigen Daten in der Anzeige der Länge (in Graden) und Breite (in Stunden des längsten Tages oder in Graden). Unter Heranziehung dieser beiden Angaben konnte Claudius Ptolemäus eine Liste von Tausenden von Ortsnamen mit ihren Koordinaten erstellen. Diese beruhten nicht auf Beobachtungen und waren auch nicht jeweils einzeln vermessen, sondern aus der Entfernung zu besser bekannten Plätzen geschätzt, die freilich selbst häufig ungenau bestimmt waren. Die Hauptabsicht des Claudius Ptolemäus in seiner Geographie war es, eine Reihe von Tabellen mit genauen Listen von numerischen Koordinaten als Grundlage für graphische Karten zu schaffen (Kapitel IV).207 Das Werk ist folgendermaßen aufgebaut: Buch 1 gibt eine Zusammenfassung der technischen Probleme, eine Kugel auf einer Fläche kartographisch darzustellen, die Bücher 2 bis 7 bieten eine umfassende Liste von Koordinaten von Stätten, Buch 8 schließlich umfasst eine Beschreibung der daraus resultierenden Karten. Ein Beispiel der Liste von Orten, die mit Gallia Lugdunensis verbunden sind, mag dies veranschaulichen: Nach der Liger-Mündung 17° 40’ Brivates-Hafen 17° 40’ Herius-Mündung 17° Vidana-Hafen 16° 30’ Kap Gabeneum 15° 15’ (Ptolemäus, Geographie 2.8.1)
48° 30’ 48° 45’ 49° 15’ 49° 40’ 49° 45’
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Auf diese Weise also kennzeichnete Ptolemäus geographische Eigenschaften, die als Punkte markiert waren, etwa Städte, Flussmündungen und Berggipfel; damit unterließ er es, lineare Merkmale wie Küsten, Grenzen, Kanäle und Gebirgsketten anzuzeigen. Das System erlaubte dabei auch eine Übersetzung in Entfernungen: Ferner ist es so möglich, auch die Stadienzahlen der anderen Distanzen ohne Streckenmessung zu ermitteln, auch wenn sie nicht durchwegs gerade sind und nicht auf demselben Meridian oder Parallelkreis verlaufen. Es müssen nur die Hauptrichtung (der betreffenden Strecke) und die Polhöhen der Endpunkte genau bestimmt werden. Denn aus dem Verhältnis des die betreffende Strecke umspannenden Bogensegments zum Großkreis kann auch die Stadienzahl (der gesuchten Strecke) aus der bekannten Stadienzahl des gesamten Erdumfangs mühelos berechnet werden. (Ptolemäus, Geographie 1.3.5)
Dieses Raster ermöglichte schließlich auch eine wissenschaftlichere Definition der Lage der oikumene auf dem Globus: Ihre größte Breite wird bezeichnet von der durch den Nil gezogenen Linie, die ihren Anfang bei dem Parallelkreis durch das Zimtland und die Insel der ägyptischen Flüchtlinge nimmt und bis zu dem Parallelkreis durch Iërne reicht, und die Länge von der senkrecht zu ihr gezogenen Linie, die von Westen über die Säulen (des Herakles) und den Sizilischen Sund bis ins Rhodische Meer und zum Issischen Golf reicht und an dem Tauros entlang läuft, der Asien in zwei Hälften teilt und am östlichen Meer zwischen den Indern und den Skythen oberhalb der Baktriane endet. Man muss sich also ein Rechteck denken. (Strabon 2.5.14)
Das Konzept eines theoretischen Rasters auf dem Globus stand in einem direkten Zusammenhang mit dem Versuch, graphische Darstellungen der Welt zu erzeugen. Wir wenden uns deshalb nun der Kartographie in der Antike zu.
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Kapitel IV Kartographie Von Kai Brodersen
1. Eine vorindustrielle Welt 1986 wurden im Grab eines Militärbefehlshabers aus der Zeit um 239 v. Chr. sieben Karten entdeckt, die mit Tinte auf dünne Holztafeln gezeichnet waren; sie stellen eine kleine Region im Maßstab von etwa 1 : 300 000 dar. Bereits 1973 hatte die Ausgrabung eines Herrschergrabs von 168 v. Chr. die Karte eines größeren Gebietes ans Licht gebracht; auf ihr waren im Maßstab von etwa 1 : 180 000 Ebenen, Berge, Flüsse, Straßen und Orte mit standardisierten Symbolen und mit ihren Namen verzeichnet. Dasselbe Grab bewahrte eine andere Karte, die ein Detail desselben Gebietes im Maßstab von etwa 1 : 100 000 mit Lagern und Verteidigungslinien darbot. Zu ihren Lebzeiten hatten der Befehlshaber und der Herrscher also offensichtlich Zugriff auf maßstäbliche Karten gehabt, die für sie so wichtig waren, dass sie mit ihnen zusammen begraben wurden. Aus derselben Zeit haben wir auch literarische Belege für den Gebrauch von Karten. So berichtet ein historisches Werk aus dem 2./1. Jahrhundert v. Chr., dass 227 v. Chr. der Sohn eines Herrschers einem Mann befahl, einen benachbarten Dynasten zu töten. Um in die Nähe seines beabsichtigten Opfers zu kommen, gab der Mörder vor, dem Dynasten eine Landkarte als Geschenk seines Herrn übergeben zu wollen. Er gewann Zugang zu dem Mann und war so im Stande, in der aufgerollten Karte einen Dolch zu verbergen, mit dem er zustach. Das Opfer freilich überlebte und gründete seine eigene Dynastie. Zwanzig Jahre später, 207 v. Chr., wurde deren Hauptstadt angegriffen, und obwohl die Soldaten den Palast hätten plündern können, interessierten sie sich nur für das Verwaltungszentrum mit seinem Archiv und seinen Landkarten. Dies führte schließlich zur Bildung einer neuen Dynastie, die bis 9 n. Chr. Bestand haben sollte.208 Die vormoderne Welt,209 der diese Artefakte und Geschichten gehören, ist nicht die Griechenlands und Roms. Vielmehr fanden die eben beschrie-
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benen Ereignisse im alten China statt; es gibt keine vergleichbaren Beispiele aus der antiken Mittelmeerwelt. Ist dieser Mangel an Belegen aus der klassischen Welt bloß ein Zufall? Oder ist es Folge einer Eigenschaft des vormodernen Europas, in dem ‹Hochkultur› nur eine dünne ‹Glasur› bildet, wie Patricia Crone in ihrer Studie über (nichtantike) vorindustrielle Gesellschaften feststellt: Ein gebildeter Mann konnte über riesige Entfernungen reisen und immer dieselbe Hochsprache sprechen, im selben Ideensystem diskutieren … Doch diese überregionale Kultur erreichte keine vertikale Tiefe. … Diese eigenartige Kombination von großer räumlicher Ausdehnung und einer dünnen Oberfläche hängt wiederum mit den Kommunikationsformen in der vorindustriellen Welt zusammen und ist im Zusammenhang mit der herrschenden Knappheit, aber auch mit anderen politischen Faktoren zu sehen. (Crone (1992) 105)
Diese Eigenschaften können auch in der griechisch-römischen Welt beobachtet werden. Wie in den vorherigen Kapiteln gezeigt wurde, reisten in der klassischen Antike ‹gebildete› Menschen in der Tat ‹über riesige Entfernungen› in Raum und Zeit, um wissenschaftliche Fragen zur Geographie zu diskutieren. Sie kommunizierten in derselben ‹Hochsprache› – Griechisch – und diskutierten ‹im selben Ideensystem›. Diese ‹überregionale Kultur› erreichte freilich ‹keine vertikale Tiefe›, weshalb die vorhergehenden Kapitel einen deutlichen Unterschied zwischen beschreibender Geographie mit ihrer breiten Wirkung einerseits und mathematischer oder ‹wissenschaftlicher› Geographie andererseits machen, für die eine solche Wirkung weder angestrebt noch gar erreicht wurde. Die Gründe dafür liegen in der beschränkten Anzahl wissenschaftlicher geographischer Studien, aber auch den ‹Kommunikationsformen› und der ‹herrschenden Knappheit› und anderen ‹politischen Faktoren›. All das ist auch in der Geschichte der Kartographie offenbar (der moderne Begriff kombiniert die griechischen Worte chartes, ‹Tafel›, und graphein, ‹schreiben› oder ‹zeichnen›). Landkarten als eine besondere Form, geographische Kenntnisse mitzuteilen, sind zweidimensionale Darstellungen von Teilen der Oberfläche der Erde. Was also wissen wir über die Kartographie der Antike? Es muss sogleich festgehalten werden, dass wir nur wenige zeitgenössische Belege für griechisch-römische Karten haben. In der modernen Welt erlauben die ‹Kommunikationsformen›, Texten und Graphiken zu bewahren, zu überliefern und auch noch nach langer Zeit zu nutzen. In der vormodernen Welt stand demgegenüber allenfalls eine Reihe von Kopien zur Verfügung, die im Laufe der Jahrhunderte auf organischem und also nicht haltbarem Material erstellt worden waren. Während dies für Texte praktikabel war, von
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denen vielfache Kopien durch Mitschriften von Diktaten geschaffen werden konnten, war dies bei Graphiken nicht möglich, deren Kopien wohl unvermeidlich zunehmend verfälscht wurden. Kopien von Kopien von Kopien müssen wohl weit von einem Original abgewichen sein, was die Seltenheit von wissenschaftlichen Abbildungen aus der antiken Welt erklärt.210 Methoden für die genaue Reproduktion und schließlich den Druck von Karten in ausreichenden Mengen, die einen breiten Zugang zu kartographischen Kenntnissen ermöglichen, also ‹vertikale Tiefe› erreichen, sind tatsächlich erst in der Neuzeit verfügbar geworden. Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern führte nicht zur Vervielfältigung von Karten. Erst die Erfindung des Steindruckverfahrens durch Alois Senefelder 1796 und der innovative Einsatz dieses Verfahrens für den massenhaften Druck von (zumal farbigen) Graphiken im 19. Jahrhundert ermöglichte die Vervielfältigung von Karten in großer Stückzahl. Erst damit war der allgemeine Zugang zu genauen Karten möglich, was übrigens eine der Voraussetzungen für die Einführung der Geographie als Schulfach, für die Erfindung von Schulatlanten gegen Ende des 19. Jahrhunderts und für die ‹vertikale Tiefe› kartographischer Information bei fast allen Mitgliedern von Industriegesellschaften seit dem Ende des 19. Jahrhunderts war. Jede Annahme, dass Karten in der vorindustriellen Welt weit verfügbar waren, ist anachronistisch. Dennoch konnten (und können) viele moderne Schulatlanten der Versuchung nicht widerstehen, antike Karten zu ‹rekonstruieren› und dabei moderne Kenntnisse über die Form der Landmassen der Erde mit Daten aus antiken Texten zu verbinden. Gerade das 19. Jahrhundert sah viele solcher ‹Rekonstruktionen›,211 aber selbst der neueste große Atlas der antiken Welt, der die Enzyklopädie Der Neue Pauly begleitet, präsentiert angebliche ‹Rekonstruktionen› der Weltkarten des Hekataios, Herodot, Eratosthenes und Claudius Ptolemäus.212 Solche ‹Rekonstruktionen› tragen eine Vielzahl moderner Konzepte in die antiken Daten hinein: Norden liegt oben, die Formen von Küstenlinien, für die keine antiken Beschreibungen verfügbar sind, werden den heute aus dem Kartenbild vertrauten angeglichen (so erscheint Italien in Form eines ‹Stiefels› – eine moderne Vorstellung, die der antiken Welt unbekannt war),213 oder es wird Farbe verwendet, um die Kontinente und das Meer zu kennzeichnen. Es gibt keine Belege für den Gebrauch solcher Formen der Darstellung in antiken Karten, und das vorliegende Buch präsentiert deshalb auch (bis auf Abb. 3) bewusst keine solche ‹Rekonstruktion›. Ja, es gibt sogar die Versuchung, über ‹Rekonstruktionen› hinauszugehen und antike Karten zu erfinden – also zu fälschen. Etwa in jeder Generation wird eine neue ‹Entdeckung› solch einer Karte bekannt gegeben, dann aber als Fälschung entlarvt, weil sie entweder ein gemeiner Spaß zum Ärgern ei-
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nes Gelehrten oder der Wissenschaft war oder ein ahnungsloses Publikum um Geld prellen wollte. ‹Die früheste griechische Karte, die in irgendeiner Form auf uns gekommen ist, und die erste physische Reliefkarte›214 wurde 1967 auf ionischen Münzen des 4. Jahrhunderts v. Chr. ‹entdeckt› (was ihren Marktwert in den Kreisen moderner Sammler sehr steigerte). Allerdings ist das Münzbild nicht einheitlich und zeigt wohl eher Wellen oder vielleicht Seeungeheuer; sogar die ‹Entdeckerin› dieser ‹Karten› bezweifelte später, dass sie als solche interpretiert werden könnten.215 Die ‹älteste originale Weltkarte›216 wurde dann wieder auf einer Goldmünze ‹gefunden›, die zur Zeit des Kaisers Augustus datiert ist und Europa, Asien und Afrika darstellt; sie wurde später als Fälschung entlarvt.217 ‹Die älteste jemals in Europa entdeckte geographische Karte›218 wurde 2005 auf einer Scherbe ‹gefunden› und zeigte angeblich eine ‹Karte› der ‹Ferse› Italiens; sie wurde jedoch bald als Fälschung entlarvt, die einen prominenten Archäologen in Verlegenheit bringen sollte.219 Dasselbe traf auf einen Plan der römischen Ansiedlung in Aguntum zu, der während Ausgrabungen gefunden worden war220 und sich bald als Schabernack von Studenten des Ausgräbers herausstellte.221 Als ‹eine der wenigen erhaltenen geographischen Karten aus der vor-augusteischen Zeit›222 (tatsächlich gibt es gar keine) wurde ein Stück Sandstein präsentiert, dessen Umriss Gallien (oder eher dem heutigen Frankreich) entsprach und sofort in der monumentalen History of Cartography publiziert, aber später ebenfalls als Fälschung demaskiert wurde.223 Es ist wahrscheinlich der Wunsch mancher Gelehrter, greifbare Beweise für die Existenz von Karten in der antiken Welt zu finden, die zu peinlicher Gutgläubigkeit gegenüber solchen Falschmeldungen und Fälschungen geführt hat.
2. Beschreibende und wissenschaftliche Kartographie Während es keine Überreste von griechischen oder römischen wissenschaftlichen Karten gibt, sind einige maßstäbliche Pläne von kleinen Landstücken erhalten. Antike Baupläne wenden gewöhnlich einen sehr großen Maßstab (wenn nicht gar 1 : 1) an,224 und es war natürlich möglich, vorhandene Strukturen zu messen und ihre topographischen Beziehungen auf einem solchen Plan wiederzugeben. So sind mehrere großmaßstäbliche Pläne von Grabstätten an der Via Appia erhalten.225 Der bemerkenswerteste Plan dieser Art ist die so genannte Forma Urbis Romae (so ihr moderner Name), ein Plan des Zentrums Roms, der um 200 n. Chr. geschaffen wurde und von dem mehr als 100 Fragmente erhalten sind.226 Die Forma Urbis fasst wahrscheinlich mehrere Einzelpläne zusammen und weist daher keinen völlig gleich-
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förmigen Maßstab und auch keine einheitliche Orientierung auf; sie bietet ein eindrucksvolles Bild der Topographie des Stadtzentrums der antiken Weltstadt Rom.227 Im flachen Gebieten mit wenigen Gebäuden erlaubten die Instrumente von Landvermessern, Geraden und rechte Winkel auf dem Land selbst einzutragen.228 Landwirtschaftlich genutztes Gebiet, das typischerweise nach Überflutungen (so regelmäßig im Nildelta) oder nach Urbarmachung oder Eroberung genutzt werden sollte, konnte auf diese Weise aufgeteilt werden; auch ließen sich so die Eigentumsverhältnisse aufzeichnen und Steuern erheben. Solche Aufzeichnungen waren gewöhnlich Texte, die jedem Landstück (centuria) eine eindeutige Bezeichnung zuwiesen, indem die Entfernung von den decumanus- und den cardo-Linien registriert wurde, die sich im Zentrum des Territoriums in einem rechten Winkel schnitten: Von der 35. centuria rechts des decumanus und der 47. jenseits des cardo (gibt es) für Lucius Terebintius, Sohn des Lucius, aus der Tribus Pollia, 66 2/3 iugera, für Gaius Numisius, Sohn des Gaius, aus der Tribus Sellatina 66 2/3 iugera, und für Publius Tarquinius, Sohn des Gnaeus, aus der Tribus Terentina 66 2/3 iugera. (Hyginus Gromaticus, Constitutio limitum p. 201 L = p. 164 Th)
Die Aufzeichnung der Lage eines solchen Landstücks in einem graphischen Plan hat gegenüber der in einem Text keinen unmittelbaren funktionellen Vorteil, kann aber verwendet werden, um die Lageverhältnisse einzelner Landstücke noch anschaulicher zu machen. Eine kleine Bronzetafel aus Lacimurga in Spanien (Abb. 5), die 1990 veröffentlicht wurde,229 zeigt eine
Abb. 5: Aufzeichnung der Lage und Größe von Grundstücken auf einer Bronzetafel aus Lacimurga in Spanien.
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solche Veranschaulichung und demonstriert, dass das Konzept des Maßstabs für diesen Typ von Graphik irrelevant ist: Die individuellen Landstücke umfassen dieselbe Fläche, nämlich CCLXXV (275) Einheiten, wie der eingeschriebene Text zeigt, sind aber in ganz unterschiedlichen Formen und Größen dargestellt. In Arausio (Orange) in Frankreich wurde die lokale Verteilung von centuriae in mehreren großen Inschriften gezeigt, auf denen die individuellen Landstücke in ihrer richtigen topographischen Position (nicht ganz maßstäblich) auf einem Plan dargestellt ist; zugleich ist aber ihre jeweilige Lage auch in der Form ‹rechts/links decumanus› und ‹diesseits/jenseits des cardo› eingetragen.230 Was die Kartierung ganzer Regionen, nicht nur kleiner Landstücke, Stadtpläne und centuriae betrifft, wurde der Raum, der auf dem Meer oder zu Land von Soldaten, Händlern, Botschaftern oder Pilgern durchquert werden konnte, üblicherweise in linearer Form entlang von Routen in periplus und itinerarium, also in Textform dargestellt; graphische Formen sind selten. Die wenigen erhaltenen Beispiele gehören in Zusammenhänge, bei denen es um Repräsentation ging. So schmückt eine Liste von Stationen auf dem Landweg von Gades (Cádiz) nach Rom vier silberne Becher aus Vicarello (2. Jahrhundert n. Chr.), die wohl ein wertvolles Souvenir sind.231 Soldaten, die am Hadrianswall in Britannien Dienst getan hatten, präsentierten eine Liste der Namen von Stationen an dieser Linie oberhalb der Graphik einer zinnenbekrönten Mauer (Abb. 6).232 Einige Stationen entlang der Küste des Schwarzen Meeres sind auf einem einzigartigen kreisförmigen Ledergegenstand – vielleicht einem Prunkschild – aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. verzeichnet, der in Dura Europos
Abb. 6: Eine Liste der Namen von Stationen am (zinnenbekrönt dargestellten) ‹Hadrianswall› auf einem Gefäß.
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gefunden wurde.233 Die teilweise oder allumfassende Echtheit des kürzlich veröffentlichten ‹Artemidoros-Papyrus›,234 der geographische Texte, eine diagrammatische und anscheinend unfertige (jedenfalls keine Topoynme angebende) Karte und Bilder von Tieren sowie menschlichen Körperteilen bietet (siehe oben S. 70 f.) ist noch umstritten, ebenso das Potenzial dieses Fundes für die Geschichte der Kartographie.235 Viel besser bekannt ist die so genannte Tabula Peutingeriana, eine im Wesentlichen diagrammatische, nicht maßstäbliche Darstellung der topographischen Beziehung von Stationen entlang von Wegen im Römischen Reich. Die Tabula verbindet ein Weg-Diagramm mit Toponymen und Informationen über Entfernungen sowie graphischen Elementen. Erhalten ist nur ein Manuskript aus dem 12. Jahrhundert, das im 16. Jahrhundert im Besitz des Humanisten Peutinger war und nach diesem benannt wird. Da wir keine antiken Parallelen haben, können wir keine sicheren Schlüsse über das Äußere eines möglichen antiken Originals ziehen; es ist freilich die plausible These vertreten worden, dass die Tabula die Kopie einer späten römischen Karte von ähnlichem Erscheinungsbild ist.236 Sowohl Pläne von Landstücken, Städten oder centuriae als auch Regionalkarten visualisieren Daten, die in der beschreibenden Geographie regelmäßig nur in Texten präsentiert werden, und ermöglichen so ihre Nutzung im Alltag. Für die größten von Karten erfassbaren Gebiete – die Kontinente der oikumene oder gar des ganzen Globus – ist die beschreibende Geographie von keinem unmittelbaren Nutzen. Eine Szene in der Komödie Die Wolken des Aristophanes, die 423 v. Chr. in Athen aufgeführt wurde, verdeutlicht dies; es spricht der Bauer Strepsiades (S) mit einem Jünger (J) des gelehrten Sokrates: S: J: S: J: S: J: S: J: S:
Bei allen Göttern, sag, was ist dann das? Astronomie, mein Freund! Und dieses da? Geometrie. Wofür ist das denn gut? Um Land zu messen. Wie, verlostes Land? Land überhaupt, das Erdreich. Ganz charmant! Das ist doch was fürs Volk, erklecklich, praktisch! J: Hier ist die ganze Erde (periodos): Siehst du hier Athen? S: Das soll Athen sein? Glaub ich nicht! Wo sitzt denn da nur ein einz’ger Richter? J: Verlass dich drauf, hier siehst du Attika!
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S: Wo sind denn meine Landsleut’ in Kikynna? J: Da drinnen stecken sie! – Sieh her, daneben liegt auch Euboia, hier, lang hingestreckt. S: Ich weiß schon: Wir und Perikles streckten’s hin. – Wo ist denn Lakedaimon (Sparta)? J: Wo? Da hier! S: So nah bei uns? Studiert doch ernstlich drauf, dass ihr es von uns wegschafft – möglichst weit! J: Du Narr, das geht nicht. S: Ei so geht zum Teufel! (Aristophanes, Wolken 200–217)
Strepsiades ist nur mit ‹Karten› vertraut, die ein kleines Landstück wiedergeben, während der Jünger einen periodos, eine graphische Darstellung der Welt vorstellt, zu der er exklusiven Zugang in der gelehrten Schule des Sokrates hat. Karten werden also in einem wissenschaftlichen Zusammenhang erwähnt, doch können wir nicht wissen, wie sie zu jener Zeit aussahen. Auch können wir nicht sagen, woraus die hier gezeigte Karte gemacht war, ob sie (zumindest grob) maßstäblich war, wie Küstenlinien, Regionen, Städte und ihr Territorium und Plätze (wie Kikynna) markiert waren, und ob die Karte auch Flüsse, Bergketten, Grenzen und Straßen zeigte. Zufällig wissen wir von Theophrastos (einem Schüler des Aristoteles, der seinerseits ein Schüler Platons war, der wiederum ein Schüler des Sokrates war), dass er in seinem Testament ‹Tafeln› erwähnte, auf denen ‹die periodoi der Welt› verzeichnet waren (Diogenes Laërtios 5.51). Diese Anekdote demonstriert sowohl die Einzigartigkeit solcher ‹Karten› als auch die Tatsache, dass – in den Worten von Patricia Crone (siehe oben S. 116) – ‹ein gebildeter Mann über riesige Entfernungen› auch in der Zeit ‹reisen und immer dieselbe Hochsprache sprechen, im selben Ideensystem diskutieren› konnte. Der Schüler des Sokrates lädt uns in den Bereich der wissenschaftlichen Kartographie ein. Das Nachdenken über die Form der Welt und über die Art und Weise, die Ergebnisse solcher Überlegungen in einer graphischen Form wiederzugeben, ist seit dem Anfang der griechischen Historiographie und Ethno-Geographie bekannt: Ich lache, wenn ich sehe, wie viele ihre periodoi ges aufzeichnen, aber keiner mit Verstand bei der Ausführung: Sie schreiben, der Okeanos fließe rings um die Erde und sei kreisrund wie mit einem Zirkel, und sie machen Asien Europa gleich. Mit wenigen Worten will ich die Größe jeden Teiles offenbaren und wie er für die Darstellung beschaffen ist. (Herodot 4.36.2).
3. Karten im Dienst des Staates?
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In Kapitel III haben wir die Belege für die wissenschaftliche Geographie behandelt, einschließlich des Gebrauchs von graphischen Formen der Präsentation und der Interpretation von Daten. Keine der Karten, auf die in der Literatur verwiesen wird, ist erhalten, und vermeintliche ‹Rekonstruktionen› (siehe oben S. 117) verlassen sich notwendigerweise auf Annahmen, für die alle antiken Zeugnisse fehlen. Die wichtigste Zusammenstellung für die Konstruktion einer Karte hat samt Instruktionen zu ihrer Erstellung Claudius Ptolemäus im 2. Jahrhundert n. Chr. geschaffen (Kapitel III 2);237 die frühesten erhaltenen Karten, die auf seinen Daten beruhen, sind allerdings erst ein Jahrtausend später entstanden.
3. Karten im Dienst des Staates? Fragen wir schließlich, ob es ‹Karten im Dienst des Staates› gab, wie eine Kapitelüberschrift in der monumentalen History of Cartography formuliert.238 Eine von Herodot berichtete Geschichte scheint dies anzudeuten: Aristagoras, der Alleinherrscher von Milet, kam also nach Sparta, als Kleomenes die Herrschaft innehatte. Mit diesem kam er zu einer Unterredung zusammen, wobei er, wie die Lakedaimonier erzählen, eine Tafel aus Erz bei sich hatte, auf der eine periodos der gesamten Erde, das ganze Meer und alle Flüsse eingraviert waren. … „Sie leben in unmittelbarer Nachbarschaft nebeneinander, wie ich zeigen werde: Neben den Ioniern hier leben die Lyder, Bewohner eines fruchtbaren Landes und im Besitz großer Mengen an Silber.“ Dies sagte er, indem er auf die periodos zeigte, die er auf eine Tafel eingeritzt bei sich zu tragen pflegte. „Neben den Lydern aber“, so führte Aristagoras weiter aus, „leben die Phryger hier in Richtung Morgen, an Schafen und Ernteerträgen die Reichsten von allen, die ich kenne. Angrenzend an die Phryger leben die Kappadokier, die wir Syrier nennen. Grenznachbarn dieser sind die Kiliker, welche die Gegend bis zu demjenigen Meer hin bewohnen, in dem hier die Insel Zypern liegt. Sie zahlen dem König einen jährlichen Tribut von 500 Talenten. Angrenzend an die Kiliker leben die Armenier hier, auch diese reich an Schafen, Nachbarn der Armenier aber sind die Matiener, die dieses Land hier bewohnen. An diese grenzt hier das Land Kissien, in dem am Fluss Choaspes jenes bekannte Susa liegt, wo der Großkönig lebt und wo es auch die Schatzhäuser gibt …“ Als aber der festgesetzte Tag für die Antwort gekommen war und sie sich am vereinbarten Ort getroffen hatten, fragte Kleomenes den Aristagoras, wie viele Tage man bräuchte, um vom Meer der Ionier zum Großkönig zu gelangen. (Herodot 5.49.1–50.1)
Im Jahr 499 v. Chr. verwendete Aristagoras, der über Milet in Kleinasien herrschte, eine periodos der ganzen Welt, um den König der Lakedaimonier
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(Spartaner), Kleomenes, dafür zu gewinnen, sich Milet beim Krieg gegen den Perserkönig anzuschließen. Herodot stellt dar, wie Aristagoras wiederholt (‹hier›) auf die Tafel deutet, aber über das hinausgeht, was auf der Karte verzeichnet ist, indem er den Reichtum einzelner Völkerschaften erklärt. Die von Aristagoras verwendete periodos ist nicht erhalten – alles, was wir wissen, ist, dass sie auf einer Tafel aus Erz ‹eingraviert› war, die Länder und ihre Bewohner, das Meer und in ihm die Insel Zypern und die Stadt verzeichnete. Auch wissen wir nicht, ob die Darstellung zumindest grob maßstäblich war, wie Küstenlinien, Gebiete und Städte markiert waren und ob Flüsse, Bergketten, Grenzen und Straßen dargestellt waren. In unserem Zusammenhang ist aber jedenfalls bemerkenswert, dass Aristagoras die graphische Darstellung nicht dafür verwendet, mehr zu erklären, als ihm eine Liste erlaubt hätte, und dass auch der spartanische König nicht mehr versteht als dies: Seine Antwort bezieht sich auf die periodos, als ob sie nur die Reiseroute wiedergäbe, wenn er schlicht nach der Gesamtentfernung fragt – und es dann ablehnt, sich dem Marsch von Milet nach Susa anzuschließen. Wie verhält es sich mit Karten, die zu repräsentativen Zwecken ‹im Dienst des Staates› standen? Neu eroberte Gebiete wurden in Rom regelmäßig in Triumphumzügen präsentiert, freilich nicht mit Karten, sondern mit Inschriften „auf voran getragenen Tafeln“, auf denen die eroberten „Länder und Völker verzeichnet“ waren (Plutarch, Pompeius 45; s. o. S. 22).239 Keine klaren Kenntnisse haben wir über ein vieldiskutiertes vermutetes Objekt: die sogenannte Karte des Agrippa. In seiner einflussreichen Studie Augustus und die Macht der Bilder schreibt der Archäologe Paul Zanker: Auch die Weltkarte, die im Auftrag des Agrippa erarbeitet worden war, und die Augustus später in der Porticus Vipsania anbringen ließ …, diente der Unterhaltung der flanierenden Menge. Sie sollte dem Volk eine Vorstellung seines Reiches geben … Man denke nur an die wirkungsvollen Marmorkarten des Imperium Romanum, die Mussolini auf den römischen Ruinen entlang der ehemaligen Via del Impero hat anbringen lassen. (Zanker (1984) 148)
Wie Mussolini wird Agrippa, die ‹rechte Hand› des Augustus, häufig als Urheber einer ‹Karte› bezeichnet, die im Zentrum Roms gezeigt wurde. Mussolini hatte 1936 fünf Karten auf großen Marmortafeln eingravieren lassen, um das Wachstum des Römischen Reiches und die neue italienische Eroberung Äthiopiens zu zeigen (diese letzte Karte ist heute nicht mehr zu sehen); von einer ‹Karte› des Agrippa ist nichts erhalten. Es gibt keine Belege für ihre Gestalt, weshalb in der Forschung unterschiedliche Thesen vertreten wurden: Sie sei ein Globus gewesen oder aber eine flache Karte, als Mosaik, Malerei, gravierte Bronzetafel oder in Marmor ausgeführt gewesen.240 Ihre
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Form wird als kreisförmig, oval oder rechteckig angenommen.241 Für ihre Größe führt man 6 bis 10 Meter Höhe an, aber auch 9 Meter Breite und 18 Meter Höhe, 24 Meter Breite und – auf einer Basis von 5 Metern Höhe – 12 Meter Höhe (der diese These vertretende Gelehrte fügt hinzu, dass die Bedenken kurzsichtiger Zeitgenossen für Leute mit gesunden Augen wegfielen, die Details auch in 17 Meter Höhe erkennen könnten) oder 75 Meter Breite, aber nur 4,5 Meter Höhe.242 Auch zur Orientierung hat man unterschiedliche These vertreten: Oben auf der Karte sei Osten, Süden oder aber Norden gewesen.243 Als Design der ‹Karte› dachte man an Ähnlichkeiten mit der Tabula Peutingeriana, eine mittelalterlichen Mappamundi und eine frühneuzeitliche Portulan-Karte.244 Solche völlig unvereinbaren Thesen demonstrieren unsere Schwierigkeit, sich eine ‹Karte› im augusteischen Rom vorzustellen. Wir dürfen uns sogar fragen, ob es sich überhaupt um eine Karte handelte, da alle antiken Belege mit der Annahme vereinbar sind, dass Agrippa eine monumentale Inschrift mit detaillierten geographischen Angaben schuf;245 Augustus’ Eroberung der Alpen wurde schließlich ebenfalls durch eine große Inschrift gefeiert.246 Auch die Eroberung von Lykien im Jahr 43 n. Chr. präsentierte man nicht mit einer Karte, sondern mit einer (kürzlich entdeckten) monumentalen Inschrift (Kapitel V 1).247 Vielleicht vergegenwärtigte auch Agrippa die Größe des Reiches in einer solchen Inschrift; jedenfalls aber ist es ein Anachronismus, uns an die „wirkungsvollen Marmorkarten des Imperium Romanum“ denken zu lassen, „die Mussolini auf den römischen Ruinen entlang der ehemaligen Via del Impero hat anbringen lassen“. Es fehlen also aus der klassischen248 griechischen und römischen Welt Belege für die Art von Karten und ihre Nutzung, wie wir sie für das antike China kennen. Argumente e silentio, aus dem Schweigen der Quellen, sind freilich gefährlich, denn im Laufe der Jahrtausende sind viele Belege verloren gegangen. Die Präsentation von geographischen Daten in periploi und itineraria (Kapitel II) wird aber nicht nur Individuen, sondern auch dem ‹Staat› genützt haben. Immerhin präsentieren eigentliche Karten eine Vielzahl redundanter Informationen, die der Benutzer auf das für ihn Wesentliche reduzieren muss – was heute dank Satellitennavigation (‹Navi›) Maschinen ermöglichen, die dem Benutzer das günstigste itinerarium präsentieren. Wie andere vorindustrielle Gesellschaften, die Patricia Crone (siehe oben S. 116) untersucht hat, kam also auch die griechisch-römische Welt im Allgemeinen ohne Karten aus. Die beschreibende Geographie verließ sich auf Texte, und auch der wissenschaftliche Diskurs, der ‹riesige Entfernungen› in Raum und Zeit umfasste, verließ sich in erster Linie auf Texte, die
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‹immer dieselbe Hochsprache› nutzten, die ‹im selben Ideensystem› Bestand hatten und die man weit effizienter und genauer als Graphiken wieder und wieder kopieren konnte. Wie in anderen vormodernen Gesellschaften erreichte diese ‹überregionale Kultur› freilich ‹keine vertikale Tiefe›: Die Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse an ein breiteres Publikum galt als unnötig und wurde nicht erreicht. Wissenschaftliche Debatten über die Geographie blieben dem Publikum so unverständlich wie der periodos des Aristagoras dem Kleomenes oder wie der periodos in der Schule des Sokrates dem Bauern Strepsiades. Die antike Entdeckung der Dampfkraft führte nicht zum Gebrauch von Dampfmaschinen, und wissenschaftliche Kenntnisse zur Kartographie schufen keine Karten ‹im Dienst des Staates›. Manchmal fragt man sich, welche Folgen andere ‹Kommunikationsformen› bei der Verbreitung von wissenschaftlichen Kenntnissen gehabt haben könnten.
1. Die Verbindung zwischen Erfahrung und Text
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Kapitel V Geographie in der Praxis 1. Die Verbindung zwischen Erfahrung und Text Überall in der klassischen Antike waren Menschen auf Reisen. Händler waren auf Küstenfahrten rings um das Mittelmeer unterwegs, Amtsträger bereisten in der Blütezeit des Römischen Reiches das Land zu Verwaltungszwecken, Pilger machten sich auf den Weg zu Orten von religiöser und kultureller Bedeutung, wohlhabende Intellektuelle bereisten als Touristen Athen oder Ägypten und militärische Expeditionen wie der Zug Athens nach Sizilien 415 v. Chr. oder die römischen Feldzüge nach Britannien (Caesar 55 und 54 v. Chr.) und nach Afrika (Tiberius 17 n. Chr.) verbanden Land- und Seereisen. Vielfältig also war die Bewegung von Personen und Gruppen hinsichtlich der Transportmittel, der Absichten, des Umfangs und der Verschriftlichung der Erfahrungen. Die Menschen der Antike, speziell die Griechen, waren bei intellektuellen, geographischen und wissenschaftlichen Unternehmungen Pioniere: Sie machten sich mit ihrer Welt durch Reisen und durch wissenschaftliche Vermutungen vertraut und präsentierten die Ergebnisse schließlich in literarischer Form. Am Anfang stand das Reisen. Die griechische Zivilisation wuchs in Ansiedlungen auf Inseln oder in Küstennähe rings um das Mittelmeer an dessen europäischen, asiatischen und afrikanischen Küsten und an der Küste des Schwarzen Meeres. Diese Situation erforderte ständige Seefahrten zum Kauf und Austausch von Waren sowie zur Deckung kultureller und gesellschaftlicher Bedürfnisse. Die Schifffahrt wurde so zum integralen Bestandteil des täglichen Lebens und machte den Weg frei für weitere, eigens geplante Reisen, die schließlich zur Bekanntschaft mit neuen Gebieten führten. Die Seekriegführung, die gegen Ende des 7. Jahrhunderts aufgekommen war, entwickelte sich im 5. Jahrhundert v. Chr. als Antwort auf die persischen Invasionen weiter. All diese Absichten setzten eine Vertrautheit mit Seewegen, Häfen, der Küstentopographie und anderen örtlichen Gegebenheiten voraus, was für Händler und Krieger grundlegend war. Auch
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V Geographie in der Praxis
Reisen unternahm man, wenn auch weniger häufig, als Pilger zu Orakeln und Heiligtümern, als Tourist und aus intellektuellem Interesse. Auch Landreisen dienten all diesen Zwecken, und in der Glanzzeit des Römischen Reiches machten große Feldzüge und der ständige Verwaltungsverkehr die Nutzung von gepflasterten Straßen überall im Reich erforderlich. Praktische Bedürfnisse waren dabei die grundlegende Motivationen für das Reisen. Einschlägige Informationen waren notwendig und nützlich und wurden so zur Grundlage für die geographischen Kenntnisse der Menschen in der Antike. Reisen standen zur Geographie gleichsam in einer Verbindung auf Gegenseitigkeit, weil sie notwendige Informationen sowohl benötigten als auch bereitstellten. Sie wurden damit auch die Basis für den beschreibenden und den wissenschaftlichen Zweig der Geographie, denn wenn man nicht an einem Ort ist, kann man ihn kaum beschreiben oder vermessen – ganz zu schweigen von theoretischen Überlegungen über das Maß des Kreisumfangs des Erdballs. Mehrere Vorbedingungen bestimmten den Umfang antiker Schifffahrt und beeinflussten Versuche, zur See neue Regionen zu entdecken. Erstens beschränkte die auf praktischen Erfahrungen beruhende Annahme, dass es nur drei Kontinente – Europa, Asien und Libyen (Afrika) – gebe, solche Versuche auf die Erforschung des Ausmaßes dieser Landmassen (Kapitel III 1). Wegen des verbreiteten Glaubens an einen unbegrenzten, die Welt umgebenden Ozean war man nicht darauf aus, über das offene Meer zum mysteriösen ozeanischen Horizont zu segeln. Zweitens war das Mittelmeer für die meisten Einwohner der bekannten Welt in der Antike das Meer schlechthin: für die Einwohner der Nordküste Afrikas, für die Griechen an der Westküste Kleinasiens, auf den Inseln und auf dem griechischen Festland, und für die Phönizier.249 Später galt dasselbe für die Römer, die diese Gebiete besetzten und das Mittelmeer als ihr eigenes Meer (mare nostrum, ‹unser Meer›) ansahen. Die einzige Verbindung zum äußeren Ozean gab es bei den Säulen des Herakles, also der Meerenge von Gibraltar, während die Meerengen am Hellespont eine Verbindung zum kleineren, aber immer noch gewaltigen Schwarzen Meer boten. Abenteuerliche Erkundungsfahren wurden deshalb größtenteils jenseits der Säulen des Herakles durchgeführt und wandten sich dann entweder nach Süden, entlang der Küsten Afrikas, oder nach Norden, entlang der Küste Europas. Andere, etwas spätere Entdeckungsreisen galten dem südlichen Ozean, vorwiegend entlang der Seewege zwischen Afrika und Indien. Eine dritte Vorbedingung bestand darin, dass Fahrten über das offene Meer selbst im inneren und relativ sicheren Mittelmeer tatsächlich gefähr-
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lich waren. Mehrere Punkte galten als besonders riskant, so Kap Malea am Südostende der Peloponnes, wo ständige Winde und Strömungen den Seeleuten große Schwierigkeiten bereiteten.250 In manchen Fällen führte ein Sturm dazu, dass ein nicht mehr steuerbares Schiff an unbekannte Küsten geriet und seine Besatzung so geographische Entdeckungen machte. Als etwa ein Schiff des Kolaios von Samos versuchte, von der Insel Platea in Libyen (dem heutigen Bomba) nach Ägypten zu segeln, wurde es durch Winde quer über das ganze Mittelmeer durch die Säulen des Herakles bis Tartessos (an der Südküste Spaniens) verschlagen (Herodot 4.152), und Quintus Metellus Celer behauptete, dass ihm als Prokonsul von Gallien 62 v. Chr. Inder vorgestellt wurden, die angaben, dass sie aus indischen Gewässern bis an die Küsten Germaniens geraten waren, woraus man schloss, dass das Meer zwischen beiden Regionen nicht von Landmassen unterbrochen war (Pomponius Mela 3.45). Freilich gingen solche Abenteuer meist schlecht aus. Echos anderer furchterregender Stätten waren die legendären zusammenschlagenden Felsen (Symplegaden) am Bosporos oder die Ungeheuer Skylla und Charybdis in der Nähe Siziliens. Diese Mischung aus Wirklichkeit und Phantasie spiegelt die Tatsache, dass Seeleute die Wetterbedingungen nicht voraussagen und Strömungen nicht vorausberechnen konnten, weshalb es sicherer war, stets in Sichtweite der Küste zu segeln. Auf diese Weise war es auch möglich, sich abends auszuschiffen und Ausrüstung und Versorgungsgüter zu laden; allerdings machte dieses Verfahren die Strecken erheblich länger, als eine (theoretische) Gerade zwischen zwei Punkten gewesen wäre. Auch Entdeckungsreisen außerhalb des Mittelmeeres blieben in der Nähe der Küste und waren damit tatsächlich im Allgemeinen Küstenfahrten. Zudem waren Seereisen auf den lichten Tag und auf die günstige Jahreszeit – gewöhnlich Mai bis Oktober – beschränkt.251 Neben diesen natürlichen Hindernissen (Topographie, Tageslicht und Wetter) machten manchmal Piraten den Seefahrern Schwierigkeiten. Trotz dieser Hindernisse erweiterten die Handelswege sowie aktive Forschungen die antiken Meereshorizonte erheblich. Es ist daher möglich, das Ausmaß der antiken Kenntnisse über die Küstenhorizonte und Meere zu bewerten. Diese schlossen das Mittelmeer in seinem gesamten Umfang einschließlich seiner Inseln ein, ebenso das Schwarze Meer, die Westküste Afrikas bis zum Niger-Delta am Golf von Guinea, sodann Südskandinavien, Island und Britannien mit Schottland, das Kaspische und einige Teile des nördlichen Meeres sowie den Ozean nördlich der imaginären Linie von Sansibar in Afrika nach Kap Komorin (bei Kanyakumari) an der Südspitze Indiens einschließlich der beiden Meeresbuchten des Roten Meers und des Arabisch-Persischen Golfs.252
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V Geographie in der Praxis
Dass periploi in der Praxis verwendet wurden, zeigt ein kurzes Gedicht des Krinagoras von Mytilene, in dem er sich an Menippos wendet: Fertig zur Überfahrt nach Italien bin ich. Besuchen möchte ich Freunde, denn fern weile ich ihnen schon lang. Aber ich brauche noch einen Schiffsreiseführer, der sicher zu den Kykladen und nach Scheria kundig mich weist. Hilf mir doch, lieber Menippos: Du schreibest die „Rundfahrt zu Schiffe“ (periplus) fachmännisch nieder und kennst Länder und Meere genau! (Krinagoras: Anthologia Palatina 9.559)
Der Dichter bezieht sich auf eine mythische Insel, nämlich Scheria,253 nach Homer (Odyssee 6.8) die Heimat der Phaiaken, die hier im Zusammenhang mit den Kykladen genannt wird (aber vielleicht das heutige Korfu ist).254 Der Gebrauch eines periplus für eine geplante Reise und die Möglichkeit, ihn in schriftlicher Form von einem Kundigen zu erhalten, sind deutlich, und selbst wenn die geographischen Angaben darin mythische Inseln nennen und also unzulänglich sind, galten sie als praktisch von Nutzen. Expeditionen zur See gingen ähnlichen Reisen zu Land voraus, da letztere länger und zeitaufwändiger, vor allem aber gefährlicher und furchterregender waren. Systematische Aufzeichnungen von Landwegen kommen daher recht spät in der Form von itineraria auf. An bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten wurde ein Straßennetz geschaffen. Dieses System diente vor allem der Verwaltung von Mächten wie dem Perser- und dem Römischen Reich und schloss Posten an festen Distanzen ein, um Reisen zu ermöglichen. Die persische Königsstraße, von der Herodot (5.52) berichtet, wies Stationen (stathmoi) und Gasthöfe insbesondere für die Verwalter des Königs auf. Diese Stationen waren eine Tagesreise (5 Parasangen oder 150 Stadien) voneinander entfernt gelegen, womit es auch möglich wurde, Entfernungen anhand der Zahl von Stationen auf der Straße zwischen zwei Punkten zu bestimmen. Der bekannte Marsch der griechischen Söldner, den Xenophon in seiner Anabasis beschreibt, zeigt die Nutzung dieser Stationen: Die Länge des Weges, den sie von Ephesos in Ionien bis zur Schlacht zurückgelegt hatten, betrug 93 Tagesmärsche, 535 Parasangen, 16 500 Stadien; vom Schlachtfeld bis nach Babylon sollen es 360 Stadien gewesen sein. (Xenophon, Anabasis 2.2.6)255
Die Anabasis des Xenophon und die Aufzeichnungen des Zuges Alexanders des Großen beziehen sich auf Stationen (stathmoi) an Straßen. Diese Sta-
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tionen entstanden an den persischen Königsstraßen, wo Gasthöfe oder Stallungen in bekannten Distanzen sowohl Menschen als auch Tieren Erfrischung und Rast ermöglichten. Bei Herodot wird die Distanz zwischen solchen Stationen mit einer Tagesreise gleichgesetzt. Den systematischen Aufzeichnungen von Entfernungen gehen Listen von Wegen in der Form von itineraria voraus. Neben schriftlichen Verzeichnissen in periploi oder itineraria, die nur einer begrenzten Zahl von Menschen zugänglich und hauptsächlich für die Planung einer Reise hilfreich waren, gab es andere Hilfsmittel wie Meilensteine (milliaria) entlang der öffentlichen Straßen, die Reisenden halfen, sich zurechtzufinden.256 Die Römer systematisierten diesen Grundsatz und stellten an ihren Straßen in regelmäßiger Entfernung solche Steine auf, um die Entfernung zwischen Punkten auf einem geraden Weg anzuzeigen. Dies erleichterte die Ortsbestimmung, wie Polybios zeigt: Von Emporion bis zum Narbo sind es etwa 600 Stadien, von hier bis zum RhoneÜbergang etwa 16000, denn diese Strecke ist jetzt durch die Römer abgeschritten und von acht zu acht Stadien durch Meilensteine genau bezeichnet. (Polybios 3.39.8)
Wie wurden die tatsächlichen Maßangaben für die Reisehandbücher gewonnen? Man begann mit der älteren Methode einer Abschätzung der Reisezeit, doch wurden später genauere Methoden und Ergebnisse zum Standard.257 Die Vermessung von Land war zunächst wohl aus dem rechtlichen Bedürfnis entstanden, private Gebiete genau zu definieren. Laut Strabon begann die Geometrie (wörtlich ‹Landvermessung›) in Ägypten: Weil die Grenzen zwischen privaten Feldern wegen der jährlichen Nilschwemme ständig unklar wurden, war alljährlich wieder eine Definition der Maße erforderlich (Strabon 16.2.24 und 17.1.3). In römischen Zeiten wurde die Vermessung ein oft mit der Errichtung von Militärlagern verbundener Beruf. Soldaten fungierten als finitor (von finis, ‹Grenze›), gromaticus (von groma, ‹Vermessungsgerät›), mensor (‹Vermesser›), agrimensor (‹Landvermesser›) oder decempedator (‹Zehn-Fuß-Mann› nach der Vermessung in Fuß).258 Auch für Reisewege zur See oder zu Land wurden Entfernungen berechnet, und zwar nicht zum Zweck theoretischer Datenerhebung. Dies bedeutete, dass in den meisten Fällen jemand den Weg unter Berücksichtigung der jeweiligen topographischen Bedingungen, also nicht auf dem denkbar kürzesten Weg, tatsächlich abschritt und vermaß. Es bestand also ein grundsätzlicher Unterschied zwischen der Messung kürzerer und längerer
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V Geographie in der Praxis
Distanzen: Während man kürzere Entfernungen durch Abschreiten messen konnte, war die Messung längerer Strecken weit komplizierter, insbesondere wenn die Route zwischen zwei Punkten nicht direkt verlief oder es (etwa zwischen Susa und Rom) gar keine solche Route gab, ebenso die Berechnung der Maße von großen geographischen Einheiten. Größere Entfernungen wurden gewöhnlich durch die Addition kürzerer Strecken berechnet, was zu recht ungenauen Ergebnissen führte. Alexander der Große hatte in seiner Mannschaft besondere Vermesser, bematistai (‹Schrittzähler›) genannt (siehe Kapitel III 1), darunter Baiton, der seine Aufzeichnungen in seinem (verlorenen) Werk Stationen (stathmoi) des Alexanderzugs dokumentierte (Athenaios 10, 442 B). Solche Schrittzähler waren mit Entfernungen befasst, die man bereits überwunden hatte, nicht mit den noch ausstehenden. Eine spätere Aufzeichnung von Stationen für den Gebrauch von Händlern schuf im 1. Jahrhundert v. Chr. Isidoros von Charax mit seinen Stathmoi Parthikoi.259 Darin stellte er eine ausführliche Liste von Stätten entlang der Karawanenroute von Zeugma (in der modernen Türkei) nach Indien bereit, in der Entfernungen in Schoinoi verzeichnet waren.260 Ein Aspekt der Systematisierung bei der Aufzeichnung von Entfernungen war die Vereinbarung von festen Bezugspunkten.261 Die ‹Tore› des Kaspischen Meeres an der Straßenkreuzung in der Nähe seines südlichen Ausgangs waren im ganzen Persischen Reich der Bezugspunkt für Straßen und Entfernungen.262 In Athen errichtete 522 v. Chr. Peisistratos, der Enkel des gleichnamigen Tyrannen von Athen, auf der Agora den Altar für die Zwölf Götter, der als Zentrum des Straßennetzes in Attika galt.263 Auch im Zentrum des augusteischen Rom – und wahrscheinlich als ein Teil des allgemeinen geographischen Bewusstseins des Zeitalters – wurde ein ‹Goldener Meilenstein› (milliarium aureum) errichtet, von dem aus man alle Straßen in Italien ausgehen ließ und vermaß. Dieses Denkmal war ein Symbol für Rom als Zentrum; nur sein Fundament ist erhalten.264 Inschriften auf größeren Steinen, die als Meilensteine fungierten, wurden vor allem im nordwestlichen Europa und in Afrika gefunden.265 In Tongern (Belgien) etwa steht ein großer, um 200 n. Chr. zu datierender achteckiger Steinblock, auf dem Listen von Stationen und Entfernungen entlang mehrerer Straßen verzeichnet sind, die am Aufstellungsort des Steins zusammentrafen.266 Ein Monument dieser Art ist der 1993 entdeckte Stadiasmus Lyciae, der nach der Eroberung Lykiens 43 n. Chr. durch Kaiser Claudius in Patara errichtet wurde.267 Quintus Veranius, der Statthalter von Lykien, ließ das Monument auf einer rechteckigen Basis errichten; es war 5,50 Meter hoch,
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1,60 Meter breit und 2,35 Meter tief und an drei seiner vier Seiten auf Griechisch beschriftet; oben auf dem Monument stand vielleicht eine Reiterstatue des Kaisers. Die Vorderseite umfasste eine Lobrede auf Kaiser Claudius, die beiden anderen Seiten verzeichneten eine Beschreibung des Straßennetzes der Provinz in der Form von Reiserouten, die alle in Patara anfangen, Stationen verzeichnen und Distanzen in griechischen Stadien angeben. Ein solches Monument war öffentlich zugänglich und muss auch auf analphabetische Betrachter großen Eindruck gemacht haben. Distanzen zur See wurden nicht als solche berechnet, weil Fahrten über das offene Meer selten waren. Da vielmehr die Küstenschifffahrt die Regel war, wurden Entfernungen anhand der Distanzen an der Küstenlinie bestimmt. Agatharchides, der Autor des Periplus des Erythraiischen (‹Roten›) Meeres (siehe oben S. 71 f.), benannte Entfernungen für näherliegende und ihm besser bekannte Gewässer in Stadien und für entferntere in dromoi (‹Läufen›). Ein dromos war die Entfernung, die man zur See an einem lichten Tag zurücklegen konnte.268 Allmählich wurden auch entfernte Küsten außerhalb der oikumene, etwa in Westafrika, Britannien, Nordeuropa und Taprobane (Sri Lanka) bekannt und vermessen und der Umfang des Erdballs berechnet. Es blieb aber die allgemeine Überzeugung, dass der Ozean außerhalb der menschlichen Reichweite lag und deshalb grenzenlos und unberechenbar war.269 Die Definition der Form und die Berechnung der Größe von spezifischen topographischen Merkmalen waren für genaue geographische Berichte, vor allem aber zu militärischen Zwecken notwendig. Der Erfolg oder Misserfolg eines Angriffs zur See oder zu Land konnte von der Fähigkeit abhängen, die Größe des Gebietes zu bewerten, das für einen Durchzug oder eine Besetzung vorgesehen war. Grundlegende Kenntnisse der Maße waren für einen erfolgreichen Feldzug entscheidend: War eine Wassermasse ein See, ein Meer oder ein Ozean? Würde man für die Durchquerung zwei Stunden, zwei Tage oder zwei Monate benötigen? Nach solchen Informationen zu suchen, entsprach zudem dem griechischen Gefallen an Genauigkeit. Wie also konnte man Einzelheiten zur Größe und Form von geographischen Eigenschaften ermitteln und präsentieren, wenn es sich etwa um Inseln, Berge, Ebenen und Regionen mit einer je eigenen politischen Identität handelte? Ausgangspunkt für diesen Prozess war die Fähigkeit, das vollständige Bild zu begreifen, also im Fall einer Insel diese zu umfahren oder bei einem Landgebiet seine Grenzen zu erreichen. Sobald einer Einheit mentale Grenzen zugeteilt worden waren, unternahm man Versuche, ihre Größe und – was eine komplizierte Aufgabe war – ihre Form einem Publikum ohne jedes
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V Geographie in der Praxis
graphische Hilfsmittel zu erklären. Die Größe wurde entlang markanter Linien gemessen, deren Maße man gewöhnlich mit einfachen Verfahren auf einer mehr oder weniger flachen Ebene aufnahm, wobei man hauptsächlich Schritte zählte oder einfache Messgeräte einsetzte. Praktische Bedürfnisse, deren Befriedigung von technischen Geräten unterstützt wurde, stimulierten so die Nachfrage nach genaueren geographischen Aufzeichnungen. Zugleich konnte die geographische Dokumentation die praktische Orientierung im Feld unterstützen. Dies war eine der Prämissen Strabons bei der Erstellung seiner Geographie, die sich als eine pragmatische Zusammenstellung nicht nur an Gelehrte mit einem akademischen Interesse an der Geographie, sondern auch an Politiker und Feldherren mit ihrem Bedürfnis nach Information über fremde Länder wandte (Strabon 1.1.17). Wie wir bereits betont haben (Kapitel IV), sind keine dinglichen Überreste von Karten aus der klassischen Antike erhalten; auch Hinweise auf graphische Darstellungen (Strepsiades bei Aristophanes, Aristagoras bei Herodot) geben kaum Informationen zu ihrer Gestalt. Auch gibt es kaum Zeugnisse dafür, dass ein Feldherr mit einem itinerarium, periplus oder periodos ges in der Hand unterwegs war. Dennoch können wir annehmen, dass einige Tatsachen und Ideen über fremde Länder verfügbar waren und dass Männer, zu deren Aufgaben häufige Reisen gehörten, sich im Voraus grob über ihr Ziel und den Weg dorthin informieren konnten.
2. Geographisches Allgemeinwissen Aller Wahrscheinlichkeit nach kannten die griechischen und römischen Menschen ihre unmittelbare Nachbarschaft, ihre Stadt und vielleicht auch einige Routen von ihrer Wohnung aus oder (je nach Abstammung, Beruf und Zeitalter) gar andere Städte und fremde Länder. Abgesehen von dieser täglichen praktischen Erfahrung hatten sie wahrscheinlich nur vage Kenntnisse von entfernteren Orten und fremden Völkern. Wie wir gesehen haben, gab es viele verschiedene Arten geographischer Texte, die sich in der Gattung, der Absicht und dem Inhalt unterschieden, aber fast immer nur an einen eher kleinen Teil der Bevölkerung gerichtet und nur diesem verfügbar waren, vor allem natürlich denen, die des Lesens und Schreibens kundig waren, und insbesondere den Intellektuellen. Neben diesen Informationswegen, von denen die antiken geographischen Vorstellungen geprägt wurden, gab es freilich auch andere, die einem breiten Publikum verfügbar waren: Das einfache Volk konnte Einzelheiten hören und Bilder geographischen Inhalts – etwa fremdartige Gesichter oder Kleidungsstücke, aber auch
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außergewöhnliche Bauwerke wie die Pyramiden in Ägypten – sehen. Obwohl das Athen des 5. Jahrhunderts v. Chr. sich vom republikanischen Rom in seiner Politik, seinen sozioökonomischen Bedingungen, seiner Mentalität und seinen geographischen Kenntnissen unterschied, müssen volkstümliche Kenntnisse der Geographie auf ähnliche Weise überall in der Antike absorbiert worden sein. Wie viel wusste das breitere Publikum? Was war seine Vorstellung von der Welt? Und inwieweit konnte es exotische Stätten, Völkerschaften und Natureigenschaften mental verorten? Auf diese Fragen kann man keine klare Antwort geben. Wegen des Mangels an aussagekräftigen Belegen ist es auch unmöglich, Unterschiede im Grad geographischen Allgemeinwissens bei verschiedenen Teilen innerhalb der größeren Gruppe gewöhnlicher Menschen zu bewerten: Männer versus Frauen, Stadtbewohner versus Landleute, Bürger versus Fremde, allgemein Interessierte versus Personen, die in Schifffahrt, Handel und Militärwesen über besondere geographische Erfahrung verfügten oder verfügen mussten. Hinweise auf das Ausmaß des geographischen Bewusstseins in der einfachen Bevölkerung können aber wohl eher volkstümlichen Texten entnommen werden. An ein Publikum gerichtete Reden waren in der Antike oft ein Hauptmerkmal des politischen und administrativen Lebens. So wurden etwa im demokratischen Athen solche Reden an alle Bürger der Stadt gerichtet; die Hörerschaft umfasste dabei Männer von ganz unterschiedlichem wirtschaftlichen und sozialen Status. Da die Redner danach strebten, die Menge für eine bestimmte Maßnahme zu gewinnen, wollten sie mit ihrem Publikum klar kommunizieren und sicherstellen, dass verstanden wurde, was sie sagten. Einige der so dargelegten Probleme bezogen sich direkt auf geographische Daten, etwa wenn es um militärische Unternehmungen an speziellen Kriegsschauplätzen ging. Thukydides zeigt die Unwissenheit der gewöhnlichen Athener über die geographischen Bedingungen in Sizilien (6.1.2), doch setzten athenische Redner häufig Toponyme ein. So nimmt Andokides auf athenische Sehnsüchte, die Inseln Lemnos, Skyros und Imbros wiederzugewinnen, Bezug (Über den Frieden mit Sparta 3.14). Aber wussten seine Zuhörer alle genau, was auf dem Spiel stand? Das Publikum von Tragödien und Komödien im Theater war mehr oder weniger identisch mit der Bürgerschaft. Es umfasste dementsprechend auch einige Analphabeten, die den Vorstellungen folgen und ihren Inhalt ebenso verstehen konnten wie gebildetere Leute. Wahrscheinlich kamen überwiegend Städter, nicht aber Landbewohner, in das Theater, doch konnten alle Zuschauer in einer Tragödie des Aischylos hören:
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V Geographie in der Praxis
An einem fernen Erdstrich sind wir angelangt, im Skythenland, in menschenleerer Einsamkeit. (Aischylos, Der gefesselte Prometheus 1–2)
Sie konnten dann vielleicht die Grenzen der Erde mit den Skythen identifizieren, auch wenn sie nie einen Skythen getroffen hatten und deren Land auch nicht mental verorten konnten.270 Mit Bezug auf Gebiete, die für die Griechen vertrauter waren, fügte Aristophanes den folgenden Spruch in eine seiner Komödien ein: Aber wenn Wölfe dereinst und schwärzliche Krähen zusammen wohnen inmitten des Raums, der Sikyon trennt von Korinthos. (Aristophanes, Vögel 967–968)
Das bedeutete „nie und nirgends“, aber um das zu verstehen, musste man wissen, dass Korinth und Sikyon Nachbarn waren und dass es zwischen ihren Gebieten gar keinen Raum gab. Eine ähnliche Integration von geographischen Daten zeigt sich in römischen Stücken und in Reden vor der Volksversammlung. Aber in allen diesen Fällen ist es schwierig, die Zahl von Zuhörern oder Zuschauern abzuschätzen und Vermutungen darüber anzustellen, was sie auffassten, woran sie sich erinnerten und wie sie verstanden, was sie hörten und sahen. Alles, was wir einschätzen können, sind die Informationen, die der Menge präsentiert wurden, und die Absicht der Künstler und Redner, das jeweilige Publikum zu beeindrucken. Freilich kann die Annahme eines Dramatikers oder eines Redners, sein Publikum werde bestimmte geographische Details verstehen, irregeleitet gewesen sein. Zudem konnte man auch unbekannte Toponyme verwenden, um das Publikum zu verwirren, oder damit spielen, dass ein Publikum bestimmte Orte gerade nicht erkennen konnte. Schließlich werden zwei Menschen, die ein und dieselbe Aufführung oder Rede verfolgten, verschiedene Eindrücke mitgenommen haben. Trotz dieser Einschränkungen kann man einige allgemeine Schlüsse auf die geographische Allgemeinbildung ziehen, wenn man andere Belege wie etwa Sprichworte heranzieht. Diese stehen definitionsgemäß für volkstümliche Erfahrung und Volksweisheit. Während Reden und Dramen offenbaren, was Leute wissen konnten oder von welchen geographischen Grenzen die Autoren angenommen haben mögen, dass sie einer Menge bekannt seien, bieten Sprichwörter die Möglichkeit der Einsicht in das, was das Volk wusste und ausdrückte. So können sprichwörtliche Ausdrücke Erfahrungen aus erster Hand widerspiegeln, die von gewöhnlichen Leuten erworben waren, die etwa als Seeleute oder Soldaten herumkamen und ihrer Familie und
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ihren Freunden zu Hause ihre Eindrücke vermitteln wollten. Wir können nicht voraussetzen, dass alle oder auch nur die meisten Menschen bei solchen Sprichwörtern die Hinweise auf einen Ort völlig verstehen konnten, aber selbst wenn sie nicht sagen konnten, wo genau eine bestimmte polis oder ein spezielles ethnos zu verorten war, konnten sie sich zumindest einen Begriff von den Charakterzügen von Stätten oder von der Atmosphäre machen, die mit ihnen verbunden war – und gerade dies scheint ihre mentale Welt größer gemacht zu haben. Drei Beispiele – griechische wie lateinische – können dies veranschaulichen: Der griechische Ausdruck „Du wohnst in Keskos“ (Keskon oikeis)271 verweist darauf, dass es jemandem an Scharfsinn mangelt; Keskos war nämlich ein entlegener unbekannter Ort in Pamphylien. Auch für diejenigen, die mit der genauen Ortslage nicht vertraut waren, bot das Sprichwort eine grundlegende geographische Information: Es gibt einen Platz namens Keskos; Keskos ist entlegen. Das lateinische Idiom ‹Tagus aurifer›, ‹goldtragender Tagus› bezieht sich auf einen Fluss auf der Iberischen Halbinsel (den heutigen Tajo/Tejo), der wegen seines Goldes berühmt war.272 Ultima Thule schließlich verweist auf den äußersten Norden. Man muss nicht im Stande sein, diese Stätten auf einem Globus zu finden, um einige geographische Vorstellungen über sie aufzunehmen – und man muss erst recht nicht vor Ort gewesen sein. Schließlich waren sichtbare Artefakte ein wichtiges Medium, das für das Publikum ohne irgendwelche intellektuellen Voraussetzungen zugänglich war. In gewisser Hinsicht waren solche Denkmäler noch besser zugänglich als Reden und Dramen, weil sie ohne Sprache auskamen. Beispiele für diese Art von Belegen sind die Statuen mit Personifikationen von Völkerschaften, die in Aphrodisias (im kleinasiatischen Karien) in einem Heiligtum aufgestellt sind, darunter eine Kriegerin mit entblößter Brust unter dem Knie eines römischen Soldaten, die als ‹Britannia› bezeichnet ist, 273 sind ethnische und geographische Verkörperungen auf römischen Triumphdenkmälern wie der Parther auf dem Brustpanzer der berühmten Augustusstatue aus Prima Porta oder die Daker auf der Traianssäule in Rom, sind die Darstellungen fremder Gefangener auf dem Konstantins-Bogen in Rom274 oder das so genannte Nilmosaik aus Pompeii, das ein Bild jener fremden Landschaft bietet.275 Sogar die oben erwähnten Meilensteine konnten also auf Passanten, selbst auf Analphabeten, eine „geographische Wirkung“ haben. Kehren wir schließlich zu den am Anfang des Buches gestellten Fragen zurück: Wie konnten die Menschen der Antike entdecken, dass die Erde rund war? Wie schätzten sie ihre Größe? Wie suchten Händler und Siedler nach neuen Territorien in unbekannten Gebieten? Wie konnten sich Feld-
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V Geographie in der Praxis
herren mit Armeen aus Griechenland in den Iran oder nach Indien aufmachen? Tatsächlich haben die Griechen und Römer in der klassischen Antike all dies getan, getrieben von einer Kombination aus Notwendigkeit und Wissbegierde; sie setzten dabei auf Versuch und Irrtum (es gab ja erfolglose militärische Unternehmungen und Entdeckungsreisen, die wegen der geographischen Unerfahrenheit scheiterten), auf technische, wenn auch einfache Lösungen und Werkzeuge und auf gut geplante Reisen. All dies ermöglichte es diesen vormodernen Gesellschaften, neue Gebiete zu erkunden und ihre Erfahrungen und Gedanken schriftlich zu überliefern.
Anmerkungen
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Das Adjektiv geographikos ist nicht vor Eratosthenes (3. Jh. v. Chr.) belegt, siehe Liddell, Scott und Jones (1968) s. v. geographikos. Marrou (1957); Rawson (1985); Morgan (1998) bes. 33–39. Auch Geschichte wurde nicht als eigene Disziplin unterrichtet. Zum geographischen Allgemeinwissen siehe Kap. V 2. Übersichten zur antiken Geographie, die freilich teils veraltet sind und teils nur Teilbereiche behandeln, bieten Bunbury (1883); Tozer (1897); Warmington (1934); Thomson (1948); Van Paassen (1957); Aujac (1975); Pédech (1976); Dion (1977); Prontera (1983); Jacob (1991); Olshausen (1991); Cordano (1992). Zur Geographie in anderen vormodernen Gesellschaften siehe Raaflaub und Talbert (2010). Cary (1949). Cosgrove (2008). Lewis (2001); Cuomo (2007). Janni (1984); Dilke (1985) 130–144; Prontera (1992); Burian (2000); Brodersen (2003) 172–194; González Ponce (2008). Brodersen (2001) bes. 12–14; Salway (2001) bes. 32–43; Brodersen (2003) 165–190. Casson (1978); Kolb (2001). Siehe die Definitionen bei Strabon 2.5.13 und Ptolemäus, Geographie 1.1, die auch bezüglich Umfang und Einzelheiten Unterschiede implizieren. Dies mag erklären, weshalb das die ganze Welt behandelnde Werk des Pomponius Mela – eigentlich ein periodos ges – als chorographia bezeichnet wird. Pothou (2009) bes. 19–27 und 49–71. Schepens (1997) und insbesondere Clarke (1999) 1–77. Eine Zusammenstellung von Werken, die zwischen Historiographie und Geographie fallen, bietet Prontera (1984) 198–199. Nicolet (1988). Smith (1988). Die zwei Sammlungen von Texten der ‹kleineren› Geographen sind GGM – Müller (1855– 1861) und GLM – Riese (1878); Diller (1952) bietet weitergehende Untersuchungen. Die Bezeichnung als ‹kleiner› bezieht sich nur auf die Anzahl und den Umfang der erhaltenen Fragmente; tatsächlich waren manche dieser ‹kleineren› Geographen von großer Bedeutung, etwa Hipparchos oder Eratosthenes. Mehrere Projekte sollen die veralteten Sammlungen ersetzen, darunter die Fragmente der griechischen Historiker, Abt. V, die Reihe Les géographes grecs – siehe Marcotte (2002) –, die von G. Shipley geplante Sammlung Selected Greek Geographers – siehe vorerst Shipley (2007) – sowie Einzelausgaben, siehe z. B. Marcotte (1990); Brodersen (1994a); Cappelletto (2003); Korenjak (2003).
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Cary (1949). Constantakopoulou (2007); siehe auch die imperialistische Ideologie in Aischylos’ Eumeniden: Futo Kennedy (2006). Boardman (1991); De Polignac (1996). Siehe jedoch die Einwände von Romm (1989b) und die hier folgende Erörterung. Sulimani (2005). Momigliano (1979). Burr (1932); zur Bedeutung und Rolle des Mittelmeeres siehe Cary (1949) 1–36; Horden und Purcell (2000); Abulafia (2011). Eisen und Brodersen (2012). Eine ähnliche Verbindung von Roms gewaltigen Eroberungen mit seiner Militärmaschine sieht Vegetius, De Re Militari 1.1. Ähnlich Vitruv, De Architectura, 6.1.11. Kajanto (1965) 43–53. Brunt (1978); Nicolet (1988). Cicero, Philippica 4.14–15; Pro Murena 22. Michel (1967); Weippert (1972). Östenberg (2009). Zur römischen Vorstellung und Praxis der Grenzziehung siehe Wheeler (1954); Isaac (1992); Braund (1996); Whittaker (2000); Talbert (2005). Mayer (1986); Grant (2000). Isaac (1996); Elton (2004); anders Syme (1988), der annimmt, dass Niederlagen nicht Folgen des Fehlens geographischer Informationen waren, sondern auf andere Faktoren wie ungünstiges Gelände, zu großes Selbstvertrauen oder Verrat zurückgingen. Allerdings waren den Römern die meisten Gebiete vor der Eroberung unbekannt, so dass es besonderer Erkundungen bedurfte, siehe Austin und Rankov (1995); Bertrand (1997). Zu Nepos siehe Geiger (1985) 76–77; Cicero, Atticus-Briefe 2.6.1. Dies soll nicht besagen, dass es keine griechischen Landexpeditionen und Erkundungen gab und keine römischen Handelsfahrten zur See. Bennet (1999). Ballabriga (1986); Ballabriga (1998); Romm (1992) 172–214; Dickie (1995). Biraschi (2005). Hardie (1985); Clay (1992) 132–137. Romm (1992) 11–13. Hope Simpson und Lazenby (1970); Visser (1997). Polybios in Buch 34 und Strabon v. a. in den Büchern 8–10 zu Griechenland. Hope Simpson und Lazenby (1970) 153–154. Clay (1992). Bolton (1962); die Fragmente dort 207–214. Herodot 4.32–36; Pindar, Pythische Oden 10.29–46; Pindar, Isthmische Oden 6.23; Romm (1989a); Dillery (1998). Strabon 11.5.5 und 15.1.8; siehe Finkelberg (1998). Die Gorgaden-Inseln sind wahrscheinlich die kapverdischen Inseln. Hardwick (1990); Blok (1995) bes. 83–104. Plinius, Naturkunde 6.49; Plutarch, Alexander 46; Stoneman (1994); Baynham (2001). Delage (1930); Pearson (1938); Harder (1994); Piot (2000); Meyer (2008). Vgl. Bacon (1931) zu den orphischen Argonautika aus dem 5. Jh. n. Chr. Nishimura-Jensen (2000).
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Zissos (2008). Schon zuvor hatte Marcus Terentius Varro Atacinus Apollonios’ Argonautika ins Lateinische übertragen. Bickerman (1952); Veyne (1987). Zu Pseudo-Skymnos (GGM I 196–237) siehe Diller (1952) 165–176; Marcotte (1990) 40–44; Marcotte (2002); Korenjak (2003). Zu Dionysios Sohn des Kalliphon (GGM I 238–243) siehe Marcotte (1990). Zu Alexandros ‹Lychnos› siehe Lloyd-Jones und Parsons (1981) bes. Frg. 23–38. Zu Varro siehe Courtney (1993) 247–253. Zu Dionysios von Alexandreia (GGM II103–176) siehe Jacob (1990); Brodersen (1994a); Bowie (2004); Hunter (2004); Amato (2005). Zu Avienus (GGM II 177–189) siehe Holder (1965). Harder u. a. (2009); Taub (2009). Beispiele aus der griechischen Dichtung bietet Warmington (1934) 77–81. Dueck (2005a). Hall (1987); Finkelberg (1998); Bonnafé (2000); Futo Kennedy (2006). Krevans (1983) bes. 204–212 zu Theokrit. Mayer (1986). Meyer (1961); Thomas (1982); Syme (1987); Grant (2000). Hardie (1986); Syme (1987); Nicolet (1988); Dueck (2003). Vergils Beschreibung der in unterschiedliche Regionen aufgeteilten Unterwelt spiegelt seine geographische Raumvorstellung wider, siehe Feldherr (1999). Clarke (1999) 1–77; Merrills (2005); Dench (2007); Engels (2007); Purves (2010). Die geographischen Fragmente des Hekataios sind in FGrHist 1 F 37–357 gesammelt: F 37–194 zu Europa; F 195–299 zu Asien; F 300–324 zu Ägypten; F 32–328 zu Äthiopien, F 329–357 zu Libyen. Siehe auch Caspari (1910). Hekataios schuf angeblich auch eine verbesserte und vergrößerte Version der ‹Karte› des Anaximandros. Gould (1989) bes. 86–109; Romm (1989a); Romm (1998); Romm (2006); Rood (2006). Zu Herodots Reisen siehe etwa Lisler (1980); Brown (1988); Montiglio (2000); Montiglio (2006) sowie die skeptische Haltung von Armayor (1978); Armayor (1980a); Armayor (1980b); Armayor (1985). Die Ränder der Welt wurden oft mit denselben Völkerschaften in Verbindung gebracht und nach deren Lage bestimmt, siehe Kapitel III 1. Pearson (1939); Sieveking (1964); Funke und Haake (2006); Pothou (2009) 49–71. Siehe die Erörterung der deterministischen Klimatheorie in Kap. III. Manfredi (1986); Baslez (1995). Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass Alexander der Große für seinen Feldzug Xenophons Anabasis nutzte, siehe McGroarty (2006). FGrHist 688; Lenfant (2004); Lenfant (2011). FGrHist 70; Barber (1935). Drews (1963). Geus (2003). Romm (1989b). Brown (1949); Pearson (1960); Aerts (1994). Fraser (1972) bes. I 520–553 („Geographical Writing“). Zur königlichen Förderung von Erkundungsfahrten siehe Kap. III 3. FGrHist 264 F 7–14; Dillery (1998). Auch Ptolemaios II. entsandte laut Plinius, Naturkunde 6.58, einen gewissen Dionysios nach Indien. FGrHist 715; Brown (1955); Brown (1957); Majumdar (1958); Bosworth (1996).
142 90 91 92
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Anhang
Walbank (1948); Pédech (1956); Clarke (1999) 77–128. FGrHist 87; Edelstein und Kidd (1972); Pédech (1974); Clarke (1999) 129–192. Weder Polybios noch Strabon wandten sich ganz von wissenschaftlichen Fragen ab, doch tendierten sie insgesamt eher zum literarisch-beschreibenden als zum mathematischwissenschaftlichen Ansatz. Clarke (1999) 193–336; Dueck (2000). Strabo, 1.1.14; 2.5.2; 2.5.34; Aujac (1966); Dueck (2000). FGrHist 275; Roller (2003); Roller (2004). Scanlon (1988); Green (1993). Krebs (2006). Nicolet (1988). Brodersen (1994b); Romer (1998); Batty (2000). Bloch (2000). Detlefsen (1909); Shaw (1981); Beagon (1992); Healy (1999); Murphy (2004); Evans (2005). Lozovsky (2000); Merrills (2005). Cary (1949). Allgemeine Darstellungen von Reisen in der Antike bieten u. a. Hyde (1947); Wheeler (1954) 119–207; Casson (1971); Casson (1978); Casson (1989) 11–44; Casson (1994); Ellis und Kidner (2004); Roller (2006). Zur euphemistischen Beschreibung des Meeres als ‹gastlich› (euxeinos) siehe Strabon 1.2.10 und 7.3.6. Zur vielfältigen Bedeutung des Mittelmeeres siehe Cary (1949) 1–36; Horden und Purcell (2000); Abulafia (2011). Bereits früher hatte Aristeas von Prokonnesos seine Fahrten in einem Gedicht geschildert, siehe Kap. II 1. Zum Propagandawert solcher Unternehmungen siehe Lloyd (1977) zu Necho. Eine skeptische Ansicht vertritt Lloyd (1977). FGrHist 709; Panchenko (1998); Panchenko (2003). GGM I 15–96; Lipinski (2004) 337–434. GGM I 1–14; Picard (1982); Lipinski (2004) 435–475; Roller (2006) 129–132. Zu den „gorillai“ siehe Brodersen (2002). Siehe vor allem Plinius, Naturkunde 2.169a; Avienus, Ora Maritima 117–129; 380–389; 402–415. FGrHist 5. FGrHist 688 F 55–59; F 74 (Flüsse), F 73 (Berge). Plinius, Naturkunde 6.96–100; Brown (1949) 105–124; Pearson (1960). Roseman (1994); Cunliffe (2003); Roller (2006) 57–91. Wijsman (1998). FGrHist 712 F 1–8; Plinius, Naturkunde 6.58. Rougé (1988). Burstein (1989). Strabon 2.3.4; Thiel (1966). GGM I 574–576. Canfora (2007); Gallazi u. a. (2008); Brodersen und Elsner (2009). GGM I.563–573; Diller (1952) 147–164. Casson (1989) 283–291. GGM 1.370–401; Marenghi (1958); Stadter (1980) 32–41; Silberman (1993); Silberman (1995). GGM 1.515–562.
Anmerkungen 129 130 131 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157
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143
GGM 1.244–256; FGrHist 781; Schoff (1914); Chaumont (1984). Casson (1978); Davies (1998). Siehe z. B. Diodor 1.69.3–4; 1.96.1–2; Ball (1942); Montiglio (2000); Montiglio (2006). Brodersen (2001); Salway (2001). Spätere Texte bei Geyer u. a. (1965). Siehe auch die Darlegung des Einsatzes bei Isaac (1996). Salway (2001) bes. 39–43; Talbert (2007). Matthews (2006). Bowman (1998). Desanges (1964); Mauny (2002). Frühere Kenntnis belegt bereits Herodot 2.181–185; siehe auch Carpenter (1956). Thorley (1971); Leslie und Gardiner (1996); Hill (2009). Habicht (1985); Arafat (1996); Elsner (2001); Pretzler (2004); Hutton (2005); Pretzler (2005); Pretzler (2007). Die Texte hat Giannini (1966) gesammelt. Vgl. Jacob (1983); Schepens und Delcroix (1996); Hardie (2009). Giannini (1966) 15–20. Zu schwimmenden Felsen und Inseln siehe Nishimura-Jensen (2000). Euthymenes von Massalia FGrHist 647 F 1.5 sah, wie oben bemerkt, als Nilquelle einen Fluss in Westafrika (Senegal) an. Evans (1999). Brodersen (2011); Brodersen (2013). Weerakkody (1997). Panchenko (1997). Solmsen (1960); Heidel (1976); Rescher (2005). Heidel (1976) 113–121; Keyser (2001) 361–365. Diller (1949); Evans (1998) 63–66; Lewis (2001) 143–156. Siehe die ausführliche Erörterung bei Pothecary (1995). Herodot erwähnt auch das äyptische schoinos- und das persische parasangai-Maß (2.6; 5.53); gallische Leugen werden in manchen römischen itineraria verwendet; siehe S. 74. Evans (1998) 63–66. Keyser (2001) 361–365. Archimedes, Psammites 1. Berger (1880); Geus (2002) bes. 260–288; Geus (2004); Nicastro (2008); Roller (2010). Zu Kleomedes siehe Bowen und Todd (2004). Engels (1985). Manche Quellen geben als Eratosthenes’ Zahl 252.000 Stadien an, was der üblichen Einteilung des Kreises in 60 Teile entgegenkam; siehe Evans (1998) 65; Nicastro (2008). Die These einer flachen Scheibe oder eines konkaven Runds setzt das trockene Land wie eine Insel mit gleichen Abständen zu den Rändern in die Mitte. Romm (1992) 33–40. Heidel (1976); Romm (1992). Berge: Aristoteles, Meteor. 1.13, 350a28-b14. Völkerschaften: Ephoros FGrHist 70 F 30. Hartog (2001); Romm (1989a). Romm (1992) 15–17. Plinius, Naturkunde 3.4; Seneca, Hercules Furens 235–238; Seneca, Hercules Oetaeus 1240. Diodor 4.18.5; Strabon 3.5.2–6; Pomponius Mela 1.27. Apollodor, Bibliothek 2.29; Strabon 3.5.6. Strabon 9.3.6; Pausanias 10.16.3.
144
Anhang
168 Vergleichbare Auffassungen gibt es zum Felsen auf dem Tempelberg in Jerusalem und zur Ka’aba in Mekka. 169 Brodersen (1996/97). 170 Zu Agathemeros siehe Diller (1975). 171 Claudius Ptolemäus, Almagest 2.1; Riley (1995) bes. 230–236. 172 Aujac (1993) 49–64; Riley (1995); Berggren und Jones (2000). 173 Dilke (1985) 36–37. 174 Die Namen der Kontinente gingen (wie viele andere antike Namen von Meeren, Regionen und Orten – Atlantik, Ägäis, Peloponnes) auf mythische Charaktere zurück, siehe Philipp (1936). Allgemein zu den Einteilungen siehe Romm (2010), speziell zu Afrika siehe Zimmermann (1999). 175 Constantakopoulou (2007) 10–19. 176 Hierzu siehe Horden und Purcell (2000). 177 FGrHist 813 F 13 und Pomponius Mela 2.115. 178 Vgl. z. B. Pomponius Mela 1.6; 1.13; siehe Horden und Purcell (2000); Abulafia (2011). 179 Cajori (1929); Lewis (2001) 157–166. 180 Thales soll seine Methode zur Bestimmung der Höhe der Pyramiden in Ägypten eingesetzt haben: Plinius, Naturkunde 36.82; Diogenes Laërtios 1.27. 181 Fortenbaugh und Schütrumpf (2001); Keyser (2001); Lewis (2001) 267–270. 182 Poseidonios Frg. 288 Theiler. 183 Clarke (1999); Dueck (2005b). 184 Janni (1984); Romm (1992); Horden und Purcell (2000); Brodersen (2003); Cosgrove (2008); Purves (2010); Brodersen (2010). 185 Siehe als frühes griechisches Beispiel Hippokrates, Von der Umwelt 12–14 und als spätes römisches Beispiel Vegetius, De Re Militari, 1.2. 186 Sanderson (1999); Romm (2010). 187 Isaac (2004). 188 Cunliffe (1988); Hall (1989); Coleman (1997); Cartledge (1993); Cartledge (2001); Malkin (2001); Harrison (2002). 189 Zur Einstellung gegenüber bestimmten Völkerschaften siehe Isaac (2004) 253–491. 190 Thollard (1987). 191 Burns (2003); Isaac (2004). 192 Kompasse wurden erst später erfunden; siehe Aczel (2005). 193 Hekataios von Milet FGrHist 1 F 48. 194 Siehe auch Nakassis (2004). 195 Beispiele: Herodot 1.6; 4.8; Thukydides 2.96; Polybios 1.42.5; 2.14.4. Der entsprechende lateinische Betriff für ‹Süden› war meridies; siehe z. B. Cato, De Agricultura 1.3. 196 Siehe z. B. Herodot 1.82; 2.8; Thukydides 6.2. 197 Im alten Ägypten und in der biblischen Welt wurden Details der lokalen Topographie und Geographie benutzt, um Richtungen anzuzeigen, etwa „flussaufwärts“ oder „flussabwärts“, „zum Meer hin“, „zur Wüste Negev hin“. In anderen vormodernen Gesellschaften Ostasiens oder Amerikas wurden Richtungen manchmal mit Farben bezeichnet: Dixon (1899); De Boer (2005). 198 Dicks (1960). 199 Evans (1998) 27–31 und 59–63. 200 Als Zenit wird der direkt senkrecht über einem bestimmten Ort gelegene Punkt bezeichnet (siehe oben S. 86). 201 Diller (1934). Man kann auch anhand des jeweiligen Längengrads die Entfernung zwischen zwei Orten messen, deren Breitengrad (etwa am Äquator) bekannt ist.
Anmerkungen
145
202 Wenn man den lichten Tag in zwölf gleiche Teile aufteilt, variiert die Länge dieser Stunden mit der Jahreszeit. Eine Äquinoktialstunde nimmt die Stundenlänge zur Tag- und Nachtgleiche, also am 20./21. März und 22./23. September als Grundlage. Die Griechen nutzten für die astronomischen Berechnungen Äquinoktialstunden. 203 Heidel (1976) 111–113; Keyser (2001) 365–368. 204 Shcheglov (2006). 205 Shcheglov (2005). Erst in der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. übernahmen die griechischen Astronomen das 360°-System von den Babyloniern; siehe Lewis (2001) 40–41. 206 Dilke (1985) 55–66. 207 Riley (1995) bes. 230–236; Berggren und Jones (2000). 208 239 v. Chr.: Yee (1994) 37–38. 168 v. Chr.: Bulling (1978); Hsu (1978); Hsu (1984). Geschichten: Watson (1961) 125–126; vgl. Brodersen (2003) 139–140. 209 Raaflaub und Talbert (2010). 210 Stückelberger (1994). 211 Siehe z. B. Smith und Grove (1872); Bunbury (1883); Sieglin (1893); Miller (1898). 212 Wittke u. a. (2007) 4–5 erkennen zwar das Problem von ‹Rekonstruktionen› an, bieten sie dann aber dennoch. 213 Bertrand (1989). 214 Johnston (1967). 215 Dilke (1988) 92. 216 Miller (1895) 131. 217 Brodersen (2003) 77. 218 Gomarasca (2009) 21 in einem Kapitel über ‹Meilensteine der Kartographiegeschichte›. 219 Yntema (2006); Brodersen (2010) 835. 220 Alzinger (1977). 221 Brein (1980). 222 Dilke (1987) 207 mit Abbildung. 223 Brodersen (2003) 143. 224 Haselberger (1994) und (in Vorb.). 225 Heisel (1993). 226 Siehe http://formaurbis.stanford.edu [1.4.2013] (mit Bibliographie). Eine neuere Deutung bei Trimble (2007). Ein ähnliches, aber nicht verwandtes Fragment hat Conticello de’ Spagnolis (1984) 15 fig. 7 publiziert. 227 Brodersen (2003) 235. 228 Campbell (1996); Campbell (2000). 229 Sáez Fernández (1990) 207. Das Fragment misst 8,6 cm x 5,6 cm. – Zum Unterschied zwischen solchen Plänen und der topographischen Realität siehe Cuomo (2007) 109. 230 CIL XII 1244; Piganiol (1962). 231 CIL XI 3281–3284. 232 AE 1950, 56 aus Amiens, CIL VII 1291 = RIB II 2, 2415.53 aus Rudge, Britannia 2004, 344 aus den Staffordshire Moorlands. 233 Dura Parchment 9 = AE 1925, 123 = Codex Paris suppl. gr. 13542 V; siehe Cumont (1926) I 261 ff.; Arnaud (1989). 234 Gallazzi u. a. (2008); vgl. Brodersen und Elsner (2009). 235 Vgl. Beard (2006) 1: „It seems pretty clear that it was a rather dull route-plan of some area of Spain (which area is not entirely certain), marking major roads and rivers, places along them and the distances between. It is not, in other words, what people have called the ‹missing link› in ancient cartography, the start of map-making in the modern sense.“ 236 Vgl. Salway (2005) und zuletzt Talbert (2010), anders Albu (2005).
146 237 238 239 240 241 242 243 244
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Anhang
Stückelberger (2007). Dilke (1987). Östenberg (2009) und oben Kap. I 3. Globus: Levi (1987) 17; Mosaik, Gemälde, Gravur: Urlichs (1876) 8; Ritschl (1877) 768; Torelli (1982) 120. Kreisförmig: Mommsen (1908) 306. Oval: Kiessling (1914) 891. Rechteckig: Kubitschek (1919) 2110; Bowersock (1983) 167. 6 bis 10 m: Klotz (1931) 41; 9 m x 18 m: Tierney (1962) 152; 24 m x 12 m: Müllenhoff (1875) 194; 4,5 m x 75 m: Grilli (1989) 140 f. Osten: Miller (1898) 147. Süden: Partsch (1907) 1058. Norden: Dilke (1987) 208. Tabula: Mommsen (1908) 306; Bowersock (1983) 167; Talbert (2010). Mappamundi: Philippi (1880). Harvey (1991) 21 hält die angelsächsische ‹Cotton Map› (British Library, London) für einen ‹direkten Abkömmling›. Portulan: Grosjean (1977) 18. Brodersen (2003) 273. Anders Arnaud (2007–8). Weitere Literatur bei Talbert (2012) und Rathmann (2013). CIL V 7817 (La Turbie); Plinius, Naturkunde 3.136. Sahin und Adak (2007); siehe auch Kap. V. Erst 297 n. Chr. nennt der Redner Eumenius (XII Panegyrici Latini 9[4].20.2) einen orbis depictus als Innovation in einer Schule, siehe Brodersen (2003) 106–107, die wohl spätantike Demensuratio Provinciarum, deren Text Brodersen (1996) bietet, ist hingegen nicht auf eine Karte zu beziehen, siehe Brodersen (2003) 273. Zur Leistung des Solinus siehe Brodersen (2011). Platons Sokrates (Phaidon 109b; siehe oben S. 90) veranschaulicht dies mit dem Bild von Ameisen und Fröschen an einem Teich. Vgl. Purcell (2003). Homer, Odyssee 3.286–292; Herodot 7.186; Diodor 13.64.6; Vergil, Aeneis 5.192–193. Dies führte zu dem (bei Strabon 8.6.20 belegten) Sprichwort: „Hast Maleai du umschifft, vergiss die Heimfahrt dann!“. Casson (1971) 270–273. Mangel an Belegen für eine Umfahrung Arabiens: Salles (1988). Pocock (1957). Pocock (1957). Diese Passage wird oft als Einschub angesehen, doch ist dies für unsere Fragestellung unerheblich. Salway (2001); Laurence (2004). Lewis (2001) 19–22. Lewis (2001) bes. 120–139; Cuomo (2007) 107–113. Text: GGM I 244–256; FGrHist 781; Schoff (1914). Schoinoi sind eine ursprünglich ägyptische Maßeinheit, die von den Griechen übernommen wurde. Vgl. das Million-Monument in Konstantinopel im 4. Jh. n. Chr. Standish (1970). Thukydides 6.54.6; Herodot 2.7. Brodersen (1996/97). Zu sogenannten ‹Agrippa-Karte› siehe Kap. IV. Brodersen (2001), 13–14; Salway (2001) 55–56CIL XIII 9158; Brodersen (2003) 181 (mit Abb.). SEG 44 (1994) 1205; Sahin und Adak (2007). Casson (1989) 278–282. Siehe auch Vitruv, De Architectura 10.9.5–7 zu einem Messgerät für Entfernungen zur See. Heidel (1976); Romm (1992).
Anmerkungen
147
270 Die sogenannten skythischen Bogenschützen, die in Athen eine Art Polizei bildeten, stammten wahrscheinlich nicht aus dem Skythenland. 271 Leutsch und Schneidewin (1839) 99. 272 Otto (1890) 340; 348. 273 Smith (1988). 274 Holliday (1997); Beard (2009). Triumphzüge konnten ‹geographische Emotionen› auch durch die Zurschaustellung von Gefangenen und Beute erregen; siehe Östenberg (2009). 275 Versluys (2002).
148
Anhang
Zeittafel Mit fl. (floruit, „er blühte“) wird die Hauptschaffenszeit eines Autors beschrieben. Zeit
Autor
Text
Ereignisse
v. Chr. 17. – 13. Jh.
Linear B (‚Pylische Geographie‘)
8. Jh.
[Homer] (um 700)
Ilias und Odyssee
Beginn der griechischen ‚Kolonisation‘ im Mittelmeer- und Schwarzmeergebiet
7. Jh.
Aristeas von Prokonnesos (um 675)
Arimaspea
Aristeas bereist das Gebiet nördlich des Schwarzen Meers bis zum Asowschen Meer
6. Jh.
• Erste Periploi • um 600 Necho II. von Ägypten • Periplus von Massa- lässt einen Kanal vom Nil zum lia Arabischen Golf graben und entsendet eine phönizische Expedition zur Umfahrung Afrikas • Euthymenes erkundet die Westküste Afrikas Skylax von Karyanda (um 515)
Hekataios von Milet (um 550 – 490)
5. Jh.
• Periplus der Stätten • um 515 Skylax von Karyanda wird außerhalb der von Dareios I. den Indus hinab zur Säulen des Herakles Umfahrung Arabiens entsandt • periodos ges • um 500 Hanno von Karthago fährt entlang der Atlantikküste Afrikas periodos ges oder • um 500 Himilko von Karthago periëgesis fährt entlang der Atlantikküste Europas
Herodot von Halikarnassos (um 484 – um 428)
Historien
[Hippokrates] (469 – 399)
Über die Umwelt
Ktesias von Knidos (spätes 5. Jh.)
• Persika • Indika • Periplus
• Xerxes entsendet Sataspes zur Umfahrung Afrikas • Der Attische Seebund beherrscht die Ägäis
Zeittafel
149
Zeit
Autor
Text
Ereignisse
4. Jh.
Xenophon (um 428 – um 354)
Anabasis
Ephoros von Kyme (um 405 – 330)
Historien
Nearchos von Kreta (um 360 – 295)
• Beschreibung Indiens • Periplus seiner Fahrt
• um 401 Griechische Söldner ziehen aus dem Inneren Kleinasiens in die griechische Welt • Feldzüge Alexanders d. Gr. • Nearchos von Kreta fährt von Indien zum Persischen Golf • Pytheas erkundet den Nordatlantik
Onesikritos von Astypalaia (um 360 – 290)
Beschreibung Indiens
Megasthenes (um 350 – 290)
Indika
Ophelas von Kyrene (fl. um 320 – 310)
Periplus der Atlantikküste Afrikas
Pytheas von Massalia (fl. um 310 – 306)
Über den Okeanos
Pseudo-Skylax
Periplus des Mittelund des Schwarzen Meeres Griechische Teilübersetzung von Hannos Werk
3. Jh.
Dikaiarchos von Messana (340 – 290)
periodos ges
Hekataios von Abdera Aigyptiaka (um 323 – 290) Apollonios von Rhodos (um 295 – um 246)
Argonautika
Eratosthenes von Kyrene (um 276 – 195)
• Geographika • Über die Vermessung der Erde
Polybios (um 200 – 118)
• Historien • Über die Lebensbedingungen in der Äquatorialregion
• um 284 Patrokles, ein Flottenbefehlshaber unter Seleukos I., erkundet das Kaspische Meer • Demodamas, ein Befehlshaber unter Seleukos I. und Antiochos I., überschreitet den Iaxartes • 241 Ende des Ersten Punischen Krieges, Rom annektiert Sizilien
150
Anhang
Zeit
Autor
Text
2. Jh.
Agatharchides von Knidos (um 200 – 140)
Periplus des Roten Meeres
Hipparchos von Nikaia (um 190 – 126) Artemidoros von Ephesus (um 100) 1. Jh.
Ereignisse
• um 150 Krates von Mallos präsentiert in Pergamon seinen Globus mit vier oikoumenai • Ptolemaios VIII. entsendet Gegen die Geographie Eudoxos von Kyzikos zur Erkundes Eratosthenes dung der Route zwischen Ägypten und Indien; Versuch einer Umfahrung Afrikas Weltbeschreibung
Pseudo-Skymnos
Geographie (in jam- • 26 – 24 Aelius Gallus, der römische bischen Trimetern), Statthalter in Ägypten, erkundet gewidmet dem Niko- Arabien und Äthiopien medes von Bithynien • 19 L. Cornelius Balbus besiegt den (um 100) Wüstenstamm der Garamanten
Poseidonios von Apameia (um 135 – um 50)
Über den Okeanos
Dionysios Sohn des Kalliphon (um 100 – 87)
Beschreibung Griechenlands
Xenophon von Lampsakos (100 – 60)
Periplus der Küsten Nord- und Westeuropas
Gaius Iulius Caesar (100 – 44)
Gallischer Krieg
Publius Terentius Varro Atacinus (82 – 30)
• Argonautica • Chorographia
Alexandros ‚Lychnos‘ von Ephesos (75 – 45)
Geographische Epen
Marcus Vipsanius Agrippa (um 64 – 12)
Geographische commentarii
Menippos von Pergamon (fl. um 20)
Periplus des inneren (Mittel-)Meeres
Isidoros von Charax (um 40 – 1)
Stathmoi Parthikoi
Zeittafel
Zeit
Autor
Text
151
Ereignisse
n. Chr. 1. Jh.
Strabon von Amaseia Geographie (64 v. Chr. – 23 n. Chr.) Iuba II. von Mauretanien (um 50 v. Chr. – 23 n. Chr.)
• • • •
Libyaka Assyriaka Arabika Kommentar zu Hanno
• Konsolidierung des Römischen Reichs unter Augustus • 43 Claudius’ Britannien – Feldzug
Augustus Res Gestae (63 v. Chr. – 14 n. Chr.) Pomponius Mela (fl. 43/44)
Chorographia Stadiasmus Provinciae Lyciae (um 43)
Plinius d. Ä. (um 23 – 79)
Naturkunde
[Anonymus] (Mitte 1. Jh.)
Periplus Maris Erythraei
Gaius Valerius Flaccus Argonautica (fl. 80 – 92)
2. Jh.
Publius Cornelius Tacitus (um 55 – 120)
• • • •
Agricola Germania Historiae Annales
Claudius Ptolemäus (um 90 – 168)
• Almagest • Geographie
Dionysios von Alexandreia (fl. 130 – 138)
Weltbeschreibung (in Hexametern)
Arrian (120 – 170)
Periplus des Schwarzen Meeres
Pausanias von Magnesia (fl. um 150 – 180)
Periëgesis Hellados
Forma Urbis Romae (um 200)
101 – 106 Kaiser Traian erobert Dakien
152
Anhang
Zeit
Autor
Text
3. Jh.
Gaius Iunius Solinus (fl. um 300)
Collectanea Rerum Memorabilium Tabula Peutingeriana (um 300?) Itinerarium Antoninum
4. Jh.
6. Jh.
Theophanes von Hermupolis (fl. um 320)
Itinerarium von und nach Antiocheia
[Anonymus]
Itinerarium Burdigalense (um 333)
Postumius Rufius Festus Avienus (340 – 380)
• Descriptio Orbis Terrae • Ora Maritima
Markianos von Herakleia (fl. um 400)
Periplus des äußeren Meeres
Stephanos von Byzantion
Ethnika
Ereignisse
153
Literaturverzeichnis Abkürzungen AE – L’Année Épigraphique CIL – Corpus Inscriptionum Latinarum FGrHist – Fragmente der griechischen Historiker: Jacoby (1923–1958) GGM – Geographi Graeci Minores: Müller (1855–1861) GLM – Geographi Latini Minores: Riese (1878) RE – Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft RIB – Roman Inscriptions of Britain SEG – Supplementum Epigraphicum Graecum
Quellenzitate Die meisten Zitate aus antiken Quellen werden unter Heranziehung und gegebenenfalls Bearbeitung der im Folgendenden aufgeführten Übersetzungen wiedergeben. Agathemeros, Hekataios, Hyginus Gromaticus, Simplikios u. a. sind für diesen Band neu übersetzt. Aischylos, Werke, übers. v. D. Ebener, Berlin und Weimar 2. Aufl. 1987 Alkaios, Griechische Lyrik, übers. v. D. Ebener, Berlin und Weimar 2. Aufl. 1980 Apollonios von Rhodos, Das Argonautenepos, übers. v. R. Glei und St. Natzel-Glei, 2 Bde. Darmstadt 1996 Aristophanes, Komödien, übers. v. L. Seeger, in der Ausgabe v. H.-J. Newiger, Antike Komödien Bd. 1, München 1976 Aristoteles, Meteorologie u. a., übers. v. H. Strohm, 2. Aufl. Berlin 1979; Politik, übers. v. O. Gigon Zürich 2. Aufl. 1971; Tierkunde, übers. v. P. Gohlke, Paderborn 1949; Vom Himmel u. a., übers. v. O. Gigon, Zürich 1950. Arrian, Der Alexanderzug / Indische Geschichte, übers. v. G. Wirth und O. Hinüber, München und Zürich 1985 Augustus. Res gestae, übers. v. E. Weber, Düsseldorf 2004 Caesar, Bellum Gallicum, übers. v. M. Deißmann, Stuttgart 1980 Catull, Gedichte, übers. v. V. Ebersbach, Leipzig 1974 Dionysios von Halikarnassos, Werke, übers. v. G. J. Schaller, Stuttgart 1827–1838 Dionysios von Alexandreia, Das Lied von der Welt, übers. v. G. G. Bredow und K. Brodersen, Hildesheim 1994 Florus, Römische Geschichte, übers. v. G. Laser, Darmstadt 2005 Hanno, Fahrtenbericht, übers. v. K. Bayer, in: Plinius, Naturkunde V (s. u.), 337–353 Herodot, Historien, Buch 2 und 4, übers. v. K. Brodersen, Stuttgart 2005 bzw. 2013; Buch 5 übers. v. Chr. Ley-Hutton, hg. v. K. Brodersen, Stuttgart 2013 Hesiod, Werke, übers. v. J. H. Voß, in der Ausgabe Tübingen 1911 Hippokrates, Über die Umwelt, übers. v. H. Diller, Berlin 1970 Homer, Ilias und Odyssee, übers. v. J. H. Voß, in der Ausgabe München 2002 Horaz, Oden und Epoden, übers. v. W. Richter und F. Weitz, Darmstadt 2010 Itinerarium Burdigalense, übers. v. H. Donner, Pilgerfahrt ins Heilige Land, 2. Aufl. Stuttgart 2002, 35–67 Kleomedes, Die Kreisbewegung der Gestirne, übers. v. A. Czwalina, Leipzig 1927
154
Anhang
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Abbildungsnachweis und Dank Abb. 1: http://soltdm.com/sources/mss/tp/tp_0.htm. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Österreichischen Nationalbibliothek (Wien). Abb. 2: Bibliothèque Municipal, Reims. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Bibliothek. Abb. 5: Publiziert von P. Sáez Fernández, „Estudio sobre una inscripción catastral colindante con Lacimurga.“ Habis 21 (1990) 205–227, spez. 207 (Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Pedro Sáez Fernandez). Abb. 6: Nach S. S. Frere und R. S. O. Tomlin, The Roman Inscriptions of Britain. Bd. II 2, Far Thrupp, Stroud and Wolfeboro Falls 1991, S. 56 (Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Trustees of the Haverfield Bequest). Die englische Ausgabe dieses Buches erschien in der Reihe Key Themes of Ancient History bei Cambridge University Press (CUP) 2012 und wurde von der Kritik rasch und freundlich aufgenommen (vgl. Richard Talbert, Bryn Mawr Classical Review 2012; Serena Bianchetti, Sehepunkte 2013; Georgia L. Irby, Ancient History Bulletin Online Review 2013). Wir danken Michael Sharp für seine Initiative und für die Geduld bei deren Umsetzung, Paul Cartledge und Peter Garnsey für ihre sorgfältige Betreuung des Bandes, den für uns anonymen Gutachtern von CUP sowie Joseph Geiger, Douglas Olson und Tal Relles-Shorer für wertvolle Hinweise und Harald Baulig für die engagierte Betreuung der deutschen Ausgabe. Bar Ilan / Erfurt, im Februar 2013
Daniela Dueck / Kai Brodersen
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Register Acilius, Gaius ~ 93 Ägypten ~ 66, s. auch Nil Aelius Gallus ~ 74 f. Äquator ~ 107 Ätna ~ 41 Africanus ~ 22 Agatharchides von Knidos ~ 70 Agathemeros, Abriss der Geographie 2 ~ 88; 5 ~ 110 Agrippa ~ 56, 124 f. Aguntum ~ 118 Aigina ~ 76 Aischylos, Eumeniden ~ 140; Der gefesselte Prometheus 1–2 ~ 135 f.; 723–725 ~ 34 f. Alexander Polyhistor ~ 41 Alexander d.Gr. ~ 9, 20 ff., 35, 45, 49 f., 53, 68, 94, 111, 130, 141 Alexandreia ~ 84, 86 Alexandros von Ephesos „Lychnos“ ~ 38 ff. Alkaios, Fragment 45 ~ 41 Almagest s. Ptolemäus Amazonen ~ 34 Ammianus Marcellinus ~ 57, 62; Historien 23.6.1–86 ~ 62 Anaxagoras von Klazomenai ~ 82 Anaximandros von Milet ~ 82 Andokides, Über den Frieden mit Sparta 3.14 ~ 135 Andronikos von Kyrrhos ~ 105 Antiochos I. ~ 51 Antipodes ~ 91 Antoikioi ~ 91 Aphrodisias, Sebasteion ~ 16, 137 Apollodoros von Athen ~ 31, 38 Apollonios von Rhodos ~ 35 f., 38; Argonautika 1.3 ~ 36; 1.549–604 ~ 36; 1.592–604 ~ 36; 2.770 ~ 36; 4.1003 ~ 36 Arat ~ 40 Arausio ~ 119 Archimedes, Psammites 1 ~ 143 Argonauten ~ 35 ff., 64 Arimaspen ~ 32 Aristagoras ~ 123 f. Aristeas von Prokonnesos, Arimaspea ~ 32 Aristophanes, Vögel 967–968 ~ 136; Wolken 200–217 ~ 121 f.
Aristoteles ~ 20; Vom Himmel 2.13, 293b34–294a4 ~ 83; 2.14, 298a13–b20 ~ 85; Meteorologie 1.15, 350a28–b14 ~ 143; 2.1, 354a3–4 ~ 94; 2.5, 362a32–b6 ~ 91; 2.5, 362b21–30 ~ 89; 2.5, 362b26–30 ~ 100; 2.5, 365a30–32 ~ 83; Politik 7.6, 1327b24–36 ~ 101 f.; Tierkunde 8.28, 605b22–606b5 ~ 101 Arrian ~ 72; Anabasis 5.26 ~ 94; 7.20.7–8 ~ 68 f.; Indika 3.6 ~ 95; 20.1–2 ~ 68; 30.2–3 ~ 69 Artaxerxes II. ~ 49 Artemidoros von Ephesos ~ 38, 70 f., 121 Astronomie ~ 106 f. Athen ~ 19, 105, 132 Atlantis ~ 85, 90 f. Atlas–Gebirge ~ 34 f., 62 Attischer Seebund ~ 19 Augustus ~ 9, 22, 24, 43, 55 f., 58 f., 124 f., 137; Res Gestae 26 ~ 23, 58 f. Avienus ~ 39, 65; Ora Maritima 82 ff. ~ 68 Baiton ~ 132 Bakoris von Rhodos ~ 39, 68 Baltia ~ 71 Barbaren ~ 102 Baupläne ~ 118 f. Beinamen s. cognomina bematistai ~ 84, 132 Berghöhen ~ 95 f. Bordeaux s. Burdigala Breitengrade ~ 107 f. Britannien ~ 23, 44, 59 f., 80, 127 Burdigala ~ 74 Cadiz s. Gades Caesar ~ 22 f., 25 f., 56 ff.; Bellum Gallicum 1.1 ~ 58; 1.2.3 ~ 58; 4.201. ~ 106 Cassius Dio ~ 57; Historien 37.1.5 ~ 43 Catull, Carmina 11,1–11 ~ 42 f.; 25.7 ~ 42 Ceylon s. Taprobane Charybdis ~ 36, 129 China ~ 75 f., 80, 94, 115; s. auch Serer chlamys ~ 88 chorographia ~ 14, 50; s. auch Pomponius Mela
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Anhang
Cicero ~ 26; Atticus–Briefe 2.6.1 ~ 140; Philippica 4.14–15 ~ 140; Pro Murena 22 ~ 140 Claudius (Kaiser) ~ 9, 23, 133 Claudius Ptolemaios s. Ptolemäus cognomina ~ 22 Cornelius Balbus, Lucius ~ 75 Cornelius Nepos ~ 26 Cornelius Tacitus, Publius s. Tacitus cursus publicus ~ 14, 73 Daker ~ 23, 43 Damastes von Sigeion ~ 68, 94 Dareios I. ~ 25 Deimachos ~ 51 Delos ~ 33 Demensuratio Provinciarum ~ 146 Demetrios von Skepsis ~ 31,102 Demodamas ~ 70 Demokritos ~ 88 Dikaiarchos von Messana ~ 83, 85, 105 ff., 109 f. Diodor, Bibliothek 1.69.3–4 ~ 143; 1.96.1–2 ~ 143; 2.47.1–6 ~ 33; 3.52–55 ~ 35 Diogenes Laërtios, Viten 5.51 ~ 122 Dionysios Sohn des Kalliphon ~ 38 Dionysios von Alexandreia ~ 26, 38 f.; Lied von der Welt 620–626 ~ 39 Dionysios, Entsandter des Ptolemaios II. ~ 141 Dionysos (Gott) ~ 64 Don s. Tanais Donau ~ 36, 44 Dura–Europos ~ 120 f. ekphrasis ~ 41 Ephoros von Kyme ~ 20, 38, 40, 49, 102; Fragment 30 ~ 143 Epikur ~ 83 Eratosthenes von Kyrene ~ 38, 83, 85 f., 106, 110 ff., 117, 139 Erdkreis s. orbis terrarum Erymanthos ~ 34 Erytheia ~ 35 Eumenius (XII Panegyr. Lat. 9[4]), Rede 20.2 ~ 146 Euphrat ~ 43 Euthymenes von Massalia ~ 65; Fragment 1.5 ~ 143
Fälschungen ~ 117 f. Festus Avienus, Rufius s. Avienus Flaccus s. Valerius Flaccus Florus 2.34.61–62 ~ 76 Forma Urbis Romae ~ 118 f. Gades ~ 35, 39, 67 Gallien ~ 44 Geographie ~ 7 f. (Begriff), 14 (Werktitel) Gibraltar s. Säulen des Herakles Globus s. Kugelgestalt gnomon ~ 95, 107 Goldener Meilenstein s. milliarium aureum Goldenes Vlies s. Argonauten Gorgaden ~ 34 Gorgonen ~ 34 gorillai ~ 67, 142 Graien ~ 34 Greifen ~ 32 Gromatiker ~ 119 Hadrian ~ 38 f.; Hadrianswall ~ 120 Hanno ~ 18, 25, 56, 67, 78; Periplus 11 ~ 105; 18 ~ 67 Hebros–Fluss ~ 41 Hekataios von Abdera ~ 33 Hekataios von Milet ~ 39, 46, 93 f., 116; Fragment 45, 250, 338a ~ 46 Herakles ~ 21, 34 f., 64, 87 f.; s. auch Säulen des Herakles Herodot ~ 15, 18, 26, 39, 45 f., 62, 117; Historien 1.1 ~ 46; 2.6 ~ 143; 2.34.2 ~ 83; 3.104 ~ 82; 3.104 ~ 98; 3.106 ~ 47; 4.7.3 ~ 98; 4.13.1 ~ 32; 4.13.6 ~ 32; 4.110 ~ 34; 4.152 ~ 129; 4.18 ~ 47; 4.28.1 ~ 98; 4.31.2 ~ 98; 4.36.2 ~ 122; 4.42 ~ 66; 4.42.1–2 ~ 94 f.; 4.43 ~ 67; 4.44 ~ 18; 4.44.1–2 ~ 66; 4.50 ~ 87; 4.184 ~ 95; 5.49.1–50.1 ~ 123; 5.52 ~ 130; 5.53 ~ 143; 5.53 ~ 84 Hesiod ~ 32, 40; Schild des Herakles 314–317 ~ 29; Theogonie 274–275 ~ 34; 357–359 ~ 32; 521–531 ~ 33; Werke und Tage 167–171 ~ 32 Hesperiden ~ 34 f. Himilko ~ 18 f., 25, 67 Himmelsrichtungen ~ 105 ff. Hipparchos von Nikaia ~ 107 f., 110 ff. Hippokrates, Über die Umwelt 1.1–5 ~ 101 Hippolyte (Amazone) ~ 34
Register Historiographie ~ 15, 45 ff. Homer ~ 29 ff., 53, 82 f.; Ilias 1.485 ~ 92; 2.492–877 ~ 30; 2.494–508 ~ 30 f.; 3.186–189 ~ 34; 6.186 ~ 34; 18.468–617 ~ 30; Odyssee 3.90 ~ 92; 3.168–172 ~ 31; 3.321 ~ 83; 4.81–85 ~ 31; 4.354–357 ~ 83; 6.8 ~ 130; 9.24 ~ 31; 9.81 ~ 31; 12.59–72 ~ 36; 12.85–110 ~ 36 Horaz, Carmina 4.14.41–52 ~ 44 Hyginus Gromaticus, Constitutio Limitum p. 201 L. ~ 119 Hyperboreer ~ 33 f., 51, 87 Iason s. Argonauten Ilias s. Homer Ilion s. Troia Indien ~ 18, 21, 44, 49, 51, 82; s. auch Indika Indika ~ 14; s. auch Arrian Inseln der Seligen ~ 33; s. auch Kanarische Inseln Iolkos ~ 36 Isidoros von Charax ~ 73, 132 Ister s. Donau Ithaka ~ 31 itinerarium ~ 14, 26, 73, 125, 130 f., itinerarium adnotatum und pictum 73 Itinerarium Antoninum ~ 73 Itinerarium Burdigalense 1 ~ 74 Itinerarium Hierosolymitanum s. Itinerarium Burdigalense Iudäa ~ 61 Iugurtha ~ 57 Iulius Caesar, Gaius s. Caesar Iulius Solinus, Gaius s. Solinus Kallimachos ~ 78 Kanarische Insel ~ 87, 111 Karthago ~ 18 f., 25, 66 f. Kartographie ~ 115 ff. Karystos ~ 19 Kaspische Tore ~ 35 Kaspisches Meer ~ 43 Kaukasus ~ 34, 43 Keryneia ~ 34 Keskos ~ 137 Kimbern ~ 23 Kleitarchos ~ 35 Kleomedes, Über die Kreisbewegung der Gestirne 1.10 ~ 85 f.; 110 f.
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Kleon von Sizilien ~ 39 Klima–Zonen ~ 96 ff. Kolaios von Samos ~ 129 Kolchis ~ 35 Kolonisation ~ 9 Kolumbus ~ 86 Komödie ~ 16 Konstantinsbogen ~ 137 Koordinaten ~ 104 ff. Krates von Mallos ~ 91 Kreta ~ 34, 36 Krinagoras, Anthologia Palatina 9.559 ~ 131 Ktesias von Knidos ~ 14, 49, 68 Kugelgestalt der Erde ~ 83 f., 90, 99 Kyaneïsche Felsen ~ 36 Kythera ~ 31 Lacimurga ~ 119 f. Längengrade ~ 110 f. Landvermessung ~ 119, 131 Lerna ~ 34 Lesbos ~ 31 Lesen und Schreiben ~ 8, 137 Libyen ~ 35 Linear B ~ 29 Lucretius ~ 40; De rerum natura 6.1106 ~ 42 Makedonien ~ 20, 22 Manilius ~ 40 mare nostrum ~ 21, 93, 128 Markianos von Herakleia ~ 70 ff. Marseille s. Massalia Massalia ~ 38 f., 65 Maßstab ~ 119 f. Medusa ~ 34 Meerestiefe ~ 95 f. Megasthenes ~ 14, 51 Meile ~ 84 Meilensteine ~ 131, 132 f., 137, s. auch milliarium aureum Mela s. Pomponius Mela Menelaos ~ 31 Menippos von Pergamon ~ 71 Messinstrumente ~ 11 f. Metaphern ~ 96 milliarium aureum ~ 132 Mimas ~ 31 Mischverfassung ~ 21 Münzen ~ 24
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Anhang
Mussolini ~ 124 f. Mykenische Kultur ~ 29 Nabel der Welt s. omphalos Naxos ~ 19 Nearchos ~ 68 Necho II. ~ 25, 66 Nemea ~ 34 Nepos s. Cornelius Nepos Nikomedes III. ~ 37 Nil ~ 44, 66, 78, 93, 131, 137 Numider ~ 44 Odyssee s. Homer oikumene ~ 11, 47, 86 ff., 96 ff. omphalos ~ 88 Onesikritos ~ 68 Ophelas von Kyrene ~ 69 f. Orange s. Aurausio orbis terrarum ~ 22 Orphische Argonautika ~ 140 Ovid, Metamorphosen 14.73–74 ~ 36; 15.752–759 ~ 44 Ozean ~ 30, 32, 53, 65 Paradoxographie ~ 77 ff. Parallelkreise ~ 109 Parmenides von Elea ~ 82, 100 Patara s. Stadiasmus Lyciae Patrokles ~ 70 Pausanias 76 f.; Periegesis 2.29.6 ~ 76; 6.17.1 ~ 76 Pausanias von Damaskos ~ 40 pax Romana ~ 23 Peisistratos ~ 132 Peloponnesischer Krieg ~ 20 periëgesis ~ 14, 46; s. auch Pausanias Perioikoi ~ 91 periodos ~ 14 ff., 46, 123 f. periplus (Pl.: periploi) ~ 13, 15 f., 31, 35, 39, 46, 64 f., 125, 130 Periplus Maris Erythraei ~ 71 f., 133 Perser ~ 18, 25, 49, 66 f., 127, 130 f.; s. auch Persika Perseus ~ 34 Persika ~ 14 Personifikationen ~ 137 Phaiaken ~ 130 Phileas von Athen ~ 38, 68
Pilgerfahrten ~ 74 Pindar, Isthmische Oden 6.23 ~ 140; Pythische Oden 1,20–24 ~ 41; 10.29–46 ~ 140 Piraten ~ 23 Planktai ~ 36 Platon, Phaidon 109a-b ~ 90, 146 Plinius d.Ä. ~ 61 f.; Naturkunde 2.161 ~ 91 f.; 2.180 ~ 111; 2.186 ~ 109; 2.224 ~ 96; 3.5 ~ 62; 4.95 ~ 71: 5.6 ~ 62; 5.9 ~ 52; 5.35–37 ~ 75; 6.15 ~ 62; 6.19 ~ 35; 6.49 ~ 70, 140; 6.54 ~ 75; 6.58 ~ 141; 6.142 ~ 21; 6.200 ~ 34; 6.203–205 ~ 56; 7.24 ~ 79 Plutarch, Alexander 46 ~ 140; Lucullus 24.4–8 ~ 43; Pompeius 45 ~ 22, 124 Polybios ~ 15, 26, 31, 51 f., 100; Historien 1.42.3 ~ 96; 3.37.2–10 ~ 93; 3.39.8 ~ 130; 3.57.4–5 ~ 52; 5.21.6 ~ 52; 6.11–42 ~ 21; 12.25e.1 ~ 51 f.; 16.29.5 ~ 87; 34.1.7 ~ 52 Pompeii ~ 137 Pompeius, Gnaeus ~ 22 f. Pomponius Mela 25, 59f; Chorographia 1.3 ~ 105; 1.4 ~ 100; 1.5 ~ 87; 1.48 ~ 79; 1.53 ~ 78; 2.89 ~ 104 f.; 3.45 ~ 129, 3.47 ~ 35 Ponticus ~ 22 Pontos ~ 44, 62, 64 Poseidonios von Apameia ~ 53 f., 86, 96, 101 Prometheus ~ 33 ff. Properz, Carmina 2.4.7 ~ 42 Psyria ~ 31 Ptolemaios I. ~ 50, 85 Ptolemaios II. ~ 141 Ptolemaios VII. ~ 70 Ptolemaios, Claudius s. Ptolemäus Ptolemäus, Claudius ~ 86, 89, 107, 109 ff., 117, 123; Geographie 1.1 ~ 139; 1.3.5 ~ 113; 1.8 ~ 90; 1.23 ~ 109; 2.8.1 ~ 112 Pylos: Pylische Geographie ~ 29, 31 Pythagoras ~ 82 Pytheas von Massalia ~ 59, 69, 108, 110 Reiseberichte ~ 63 ff. Rhein ~ 23, 43 Rhipaien–Gebirge ~ 33 Rotes Meer ~ 65 f., 70 ff. Säulen des Herakles ~ 35, 87 f. Sahara ~ 75 Sallust ~ 15, 26, 57; Iugurtha 17.1–2 ~ 57; 17.3–4 ~ 94
Register Sarmatien ~ 34 Sataspes ~ 67 Satyrn ~ 79 Scheibengestalt der Erde ~ 82, 143 Schiffskatalog in Homers Ilias ~ 30 f. Schild des Hephaistos ~ 30 Schwarzes Meer s. Pontos Scipio Aemilianus ~ 52 Seleukos I. ~ 51, 70 Semiramis ~ 21 Seneca, Medea 369–279 ~ 92; Naturwissenschaftliche Untersuchungen 4.2.22 ~ 65 Serer ~ 42 Sizilien ~ 19, 21, 93, 127, 135 Skylax von Karyanda ~ 24 f., 66 f. Skylla ~ 36, 129 Skymnos (Pseudo–Skymnos) ~ 37 f. Skyros ~ 19 Skythen ~ 34, 48, 147 Solinus ~ 79; Collectanea 23.14 ~ 93 Sonnenfinsternis ~ 111 Sophokles, Fragment 598 ~ 105 Sprichwörter ~ 136 f. Sri Lanka s. Taprobane Stadiasmus Lyciae ~ 16, 125, 132 f. Stadion ~ 84 Strabon ~ 14, 26, 31, 41; Geographie 1.1.2 ~ 30; 1.2.1 ~ 56; 1.2.10 ~ 142; 1.2.31 ~ 31; 1.3.1 ~ 94; 1.4.3 ~ 69; 1.4.4 ~ 108 f.; 2.1.9 ~ 51; 2.1.13 ~ 103; 2.1.18 ~ 109; 2.1.22 ~ 96; 2.2.3 ~ 101; 2.3.1 ~ 99 f.; 2.3.7 ~ 103; 2.4.22 ~ 96; 2.5.17 ~ 88; 2.5.13 ~ 139; 2.5.14 ~ 88, 113; 2.5.26 ~ 103; 3.2.11 ~ 35; 3.4.19 ~ 26; 3.5.11 ~ 72; 4.1.3 ~ 95; 6.1.2 ~ 54 ff.; 6.4.1 ~ 21; 7.3.6 ~ 142; 7.7.4 ~ 84; 8.1.1 ~ 16; 11.4.5 ~ 35; 11.5.5 ~ 21, 50, 140; 13.1.5 ~ 102; 14.1.25 ~ 38; 14.2.11 ~ 105; 14.5.23 ~ 102; 15.1.8 ~ 140; 16.2.24 ~ 131; 16.4.22–23 ~ 74 f.; 17.1.3 ~ 131; 17.3.3 ~ 70 Stymphalos–See ~ 34 Sueton, Claudius 17 ~ 23 Syene ~ 84, 86 Symplegaden ~ 36, 129 Tabula Peutingeriana ~ 16 f., 121, 125 Tacitus ~ 15, 59; Agricola 10.4 ~ 59; Germania ~ 61, Historien 5.2–13 ~ 61 Tagus ~ 137
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Tanais (Don) ~ 35, 93 Taprobane ~ 87 Tejo s. Tagus Terentius Varro Atacinus, Publius s. Varro Thales ~ 144 Thasos ~ 19 Themiskyra ~ 34 Theophanes von Hermopolis ~ 74 Theophrastos ~ 122 Thermodon ~ 34 Thrakien ~ 34 Thukydides ~ 15, 26, 37 ff.; Historien 1.13.5 ~ 48; 2.103.2–4 ~ 48; 4.3.2–3 ~ 48; 4.24.5 ~ 48; 6.1.2 ~ 19, 135; 7.44 ~ 19 Thule ~ 33, 87, 137 Tigris ~ 44 Timaios ~ 20, 38 Titus (Kaiser) ~ 61 Tragödie ~ 16 Traian ~ 9, 23; Traianssäule ~ 23, 137 Triumphbögen ~ 24 Troia ~ 31, 34 Tropaeum Alpium ~ 125 Tullius Cicero, Marcus s. Cicero Turm der Winde in Athen ~ 105 Tylos ~ 68 umbilicus ~ 88 Valerius Flaccus ~ 36 f.; Argonautica 5.602 ~ 37; 6.42 ~ 37 Varro ~ 38, 94, 141; De Lingua Latina 5.3.1 ~ 94 Vegetius 1.2 ~ 103; De re militari 1.1 ~ 140 Vergil ~ 40; Aeneis 6.792–805 ~ 44; 8.722–728 ~ 43; Georgica 2.121 ~ 42 Vespasian ~ 61 Vicarello–Becher ~ 120 Vipsanius Agrippa, Marcus s. Agrippa Vitruv, De Architectura 1.6.4–13 ~ 105 f.; 6.1.1–12 ~ 103; 6.1.11 ~ 104, 138; 9.1.1 ~ 105 Vorsokratiker ~ 10, 25, 82 Wendekreise ~ 107 f. Wundergeschichten s. Paradoxographie Xenophon von Lampsakos ~ 34, 71
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Anhang
Xenophon ~ 48; Anabasis 2.2.6 ~ 130; 4.7.15–19 ~ 48 Xerxes ~ 67 Zakynthos ~ 31 Zenit ~ 86, 107 Zimtland ~ 103 Zinninseln ~ 67 Zonen s. Klima–Zonen Zwölfgötteraltar (Athen) ~ 132
Informationen Zum Buch In der Antike gab es nur wenige technische Hilfsmittel – und diese Instrumente waren einfach. Und trotzdem haben die Menschen herausgefunden, dass die Erde rund ist. Wie konnten sie ihre Größe schätzen? Wie konnten Feldherren wie Alexander der Große ihre Heere über tausende von Kilometern in vollkommen unbekannte Welten führen? Oder Händler und Siedler nach neuen Orten suchen? Daniela Dueck geht dem Wissen über die Grenzen der Welt in griechischer und römischer Zeit auf den Grund und bietet einen Gesamtüberblick über die geographischen Kenntnisse dieser Epoche. So legt sie die Entwicklung des »räumlichen« Denkens dar und erklärt wie die Erde geographisch vermessen wurde, Landkarten aussahen und was Reisende von fremden Ländern und Völkern wussten.
Informationen Zur Autorin Daniela Dueck wurde mit einer Arbeit über den antiken Geographen Strabo promoviert. Heute ist sie Professorin für Geschichte und Classical Studies an der Bar-Ilan University in Israel. Die antike Geographie zählt zu ihren Spezialgebieten.