Generationen Wohnen: Neue Konzepte für Architektur und soziale Interaktion 9783955532628, 9783955532611

Alter(n)sgerechtes Planen und Bauen Der (sozio-)demografische Wandel gehört zu den großen gesellschaftlichen Herausfor

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German Pages 136 Year 2015

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000_GenerationenWohnen
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Generationen Wohnen: Neue Konzepte für Architektur und soziale Interaktion
 9783955532628, 9783955532611

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Christiane Feuerstein Christiane Feuerstein Franziska Leeb Franziska Leeb

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GenerationenWohnen GenerationenWohnen Neue Konzepte für Architektur Neue Konzepte für Architektur und soziale Interaktion und soziale Interaktion

1818

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GenerationenWohnen

Christiane Feuerstein Franziska Leeb

65

GenerationenWohnen Neue Konzepte für Architektur und soziale Interaktion

18

6

Impressum

Autoren: Christiane Feuerstein (Essay und Projektteil), Franziska Leeb (Projektteil) Redaktion | Lektorat: Cornelia Hellstern (Projektleitung), Heike Messemer, Eva Schönbrunner Redaktionelle Mitarbeit: Samay Claro, Katinka Johanning, Nina Müller, Jana Rackwitz Zeichnungen: Ralph Donhauser, Kai Meyer Umschlag und Gestaltungskonzept: Kai Meyer Herstellung | DTP: Roswitha Siegler Reproduktion: ludwig:media, Zell am See Druck und Bindung: Kösel GmbH & Co. KG, Altusried-Krugzell © 2015, erste Auflage DETAIL – Institut für internationale Architektur-Dokumentation GmbH & Co. KG, München  |  www.detail.de ISBN 978-3-95553-261-1 (Print) ISBN 978-3-95553-262-8 (E-Book) ISBN 978-3-95553-263-5 (Bundle)

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Zeichnungen, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlag: Die Linien zeigen die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland anhand der Jahre 1910, 1960, 2005 und der Schätzung für 2050. Die Zahlen 6, 18, 65 verweisen auf einen durchschnittlichen Lebenslauf mit den Altersgrenzen für Schulpflicht, Volljährigkeit und Renteneintritt.

Die für dieses Buch verwendeten FSC-zertifizierten Papiere werden aus Fasern hergestellt, die nachweislich aus umwelt- und sozialverträglicher Herkunft stammen.

Inhalt

6

Vorwort

8 Alternsgerecht statt altersgerecht 10

Generationen: älter werden und alt sein

12

Wohn- und Haushaltsformen im Wandel

19

Demografie und Strukturwandel

25

Alternsgerecht wohnen

38

Optionsräume gestalten

48 Hausgemeinschaften – gemeinsam wohnen 50 56

Selbstverwaltetes Wohnen und Hausgemeinschaften Projektbeispiele – Umbau 57 61 62

66

Mehrgenerationenhaus Lebensort Vielfalt, Berlin Solinsieme, St. Gallen Siedlung Heizenholz, Zürich

Projektbeispiele – Neubau 67 71 73 75

Mehrgenerationenhaus Giesserei, Winterthur Gemeinschaftswohnhaus Kanzlei-Seen, Winterthur Hausgemeinschaft Ruggächern 55+, Zürich Wohn- und Gewerbebau Kalkbreite, Zürich

80 Nachbarschaften – Wohnen im Quartier 82

Generationengerechte Siedlungen und Quartiere

88

Projektbeispiele – Umbau 89 90 98 99

100

Projektbeispiele – Neubau 101 106 108 114 117 121

128

Modernisierung von Großsiedlungen Mariengrün, Berlin – Neue Wohnumfelder in Großsiedlungen Hochhaus der Generationen, Ludwigshafen Siedlung Buchheimer Weg, Köln-Ostheim

mehr als wohnen, Zürich Wohnprojekte der Genossenschaft wagnis »Am Ackermannbogen«, München Mehrgenerationen-Siedlung Oase 22, Wien Messequartier Graz HafenCity Hamburg: Wohnhaus am Kaiserkai | Harbour Hall, Hamburg Stiftung Alterswohnungen: Siedlung Frieden | Siedlung Köschenrüti | Siedlung Krone Altstetten, Zürich

Anhang 128 132 134 134 135 136

Komponenten generationengerechter Konzepte Literatur Normen, Richtlinien Bildnachweis Autorenviten | Dank Partner

6

GenerationenWohnen

Vorwort Den Begriff »Generationen« bestimmen Demografen durch den Altersabstand zwischen zwei Generationen bzw. durch die durchschnittliche Altersdifferenz zwischen Eltern und ihren Kindern. Gemeinsamkeiten innerhalb einer Generation entstehen durch das kollektive Erleben des jeweiligen zeithistorischen Kontexts. Die Chronologisierung des Lebenslaufs und die Entstehungsgeschichte der sozialen Sicherungssysteme waren eng mit der Verbreitung der Erwerbsarbeit verknüpft. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand ein System von Rechten und Pflichten, das sich – unabhängig von individuellen Fähigkeiten und Ressourcen – am kalendarischen Alter orientierte (siehe »Generationen: älter werden und alt sein«, S. 10ff.). Die Durchsetzung der Erwerbsarbeit als Folge der industriellen Revolution veränderte auch die Formen der Haushaltsführung und führte zur Trennung von Arbeits- und Wohnort. In einem Prozess der Ein- und Ausgrenzung von Tätig-

keiten und Personen übernahmen städtische Versorgungsstrukturen viele bis dahin in den Haushalt integrierte Tätigkeiten (siehe »Wohnund Haushaltsformen im Wandel«, S. 12). Gegenwärtig erfährt die Veränderung von Lebensverhältnissen durch den sozioökonomischen Strukturwandel, mit dem die demografische Alterung in komplexer Weise verknüpft ist, eine extreme Beschleunigung. Die regional sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialräumlichen Konsequenzen dieser Entwicklung sind im Alltag vor allem auf der Ebene von Kommunen und Wohnquartieren spürbar (siehe »Demografie und Strukturwandel«, S. 19ff.). Als Folge dieses tiefgreifenden Strukturwandels entstehen vielfältige Lebens-, Wohn- und Haushaltsformen mit fließenden Grenzen zwischen »Arbeiten«, »Wohnen« und »Versorgen«. Die altersgruppenspezifischen Einrichtungen der sozialen Infrastruktur beginnen sich in ein Netzwerk alternsgerechter Unterstützung zu verwan-

Reykjavik

Helsinki Oslo

Tallinn

Stockholm

Riga Kopenhagen

Vilnius

Dublin

London

Amsterdam

Warschau

Berlin

Brüssel Luxemburg Paris Bern

Prag Bratislava Wien Budapest Ljubljana Zagreb

Bukarest Sofia

Madrid

Rom

Podgorica Skopje

Ankara

Lissabon Athen Nikosia Valletta

Abb. 1

Vorwort

deln. Die neuen Lebensmodelle und veränderte Nutzungsangebote erfordern im Wohn- und Siedlungsbau – neben der Entwicklung neuer Wohntypologien und der kleinräumige Verknüpfung verschiedener Wohn- und Betreuungsangebote im Wohnquartier – auch ein innovatives Flächenmanagement (siehe »Alternsgerecht wohnen«, S. 25ff.). Die Wohnung und ihre unmittelbare Umgebung sollten so geplant und gestaltet werden, dass sie auch bei gesundheitlichen Einschränkungen ein eigenständiges und eigenverantwortliches Leben ermöglichen. Damit eröffnen sich neue Wege der Gestaltung – sowohl in Bezug auf die Vielfältigkeit der angebotenen Nutzung als auch in Bezug auf die räumliche Organisation (siehe »Optionsräume gestalten«, S.  38ff.).

Architekten, Stadtplanern und Sozialwissenschaftlern, betrachtet er wesentliche Aspekte des Wohnens im soziodemografischen Wandel aus unterschiedlichen Perspektiven. Dabei wird deutlich: Produktive Schnittstellen von Architektur und sozialer Interaktion können Impulse zu neuen, kreativen Denkweisen geben. Die Auswahl der im Anschluss vorgestellten Projekte – von der Hausgemeinschaft bis zum ganzen Quartier, im Bestand wie im Neubau – macht deutlich, wie zukunftsweisende Wohnkonzepte ökonomische, soziale und ökologische Rahmenbedingungen berücksichtigen und unterschiedliche soziale Gruppen integrieren (siehe »Hausgemeinschaften – gemeinsam wohnen«, S. 50ff. und »Nachbarschaften – wohnen im Quartier«, S. 82ff.). Sie zeigen auch, dass eine erfolgreiche Umsetzung theoretisch gut durchdachter Konzepte nicht nur von baulichen und stadtplanerischen Kriterien abhängt, sondern auch vom Besiedelungsmanagement – und vor allem von den jeweils handelnden Personen und den begleitenden Moderationsprozessen.

Der einführende Essay zeigt zunächst in einem kurzen historischen Rückblick, wie sich Wohnund Haushaltsformen in einem komplexen Prozess soziokultureller und technologischer Veränderungen im Lauf der Zeit weiterentwickelten. Ergänzt um zahlreiche Interviews mit

Reykjavik

Helsinki Oslo

Tallinn

Stockholm

Riga Kopenhagen

Vilnius

Dublin

London

Amsterdam

Abb. 1 jugendliche (unter 25 Jahren) und ältere (über 65 Jahren) Bevölkerung in Europa im Jahr 2014

Warschau

Berlin

Brüssel Luxembourg

Prag Bratislava

Paris Wien Bern

Budapest

Ljubljana

0,1 0,5 Bukarest

1

2

5

Bevölkerung in Millionen

Zagreb Sofia Madrid

Rom

Podgorica

Skopje

Ankara

Anteil der Bevölkerung: unter 25 Jahre

Lissabon 24 28 32 36

Athen Nikosia

[%]

über 65 Jahre

Valletta 12 15 18 21

[%]

7

Schwerin

Hamburg

Bremen

Hannover Magdeburg Bielefeld

Essen

Halle S.

Dortmund

Düsseldorf Kassel Erfurt Köln Bonn

Alternsgerecht statt altersgerecht Mannheim Saarbrücken

Nürnberg

Berlin Potsdam

10 Generationen: älter werden und alt sein 10

Alter als gesellschaftlich definierte Lebensphase

11

Älter werden als Prozess

12 Wohn- und Haushaltsformen im Wandel 12

Haushaltsformen und wohnungsbezogene Versorgungsstrukturen 14 16

17

Das »Einküchenhaus«: Zentralisierung der Hauswirtschaft Funktionale Grundrissgestaltung

Familienhaushalt und generationenspezifische Angebote 17 18

Das Wiener Versorgungshaus Der Karl-Marx-Hof: Wohnungsergänzungs- und Gemeinschaftseinrichtungen

19 Demografie und Strukturwandel 20

Leipzig

22

Dresden

Parallelität von wachsenden und schrumpfenden Regionen: Wer kommt? Wer geht? Alternde Orte 23 24

Alternde Orte: generationengerechte Konzepte Lokal und partizipativ Lösungen entwickeln – Kommentar von Martin zur Nedden

Chemnitz 25 Alternsgerecht wohnen 25

Netzwerke der Unterstützung in allen Lebenslagen 28

30

Wandel der Lebens- und Wohnformen 32

34

Die Zukunft liegt im Quartier – Interview mit Ursula Kremer-Preiß

Wohnungsmarkt: Nachfrage und Angebot – Interview mit Maria Theresia Krings-Heckemeier

Strukturelle Wohnraumanpassung 36

»ready – vorbereitet für altengerechtes Wohnen« – Interview mit Thomas Jocher

38 Optionsräume gestalten 38

Integrierende Gesamtkonzepte: Nutzungsvielfalt

40

Barrierefreiheit und Universal Design 40 42

45

Raum anders denken – Interview mit Ursula Fuss Universal Design ist eine Haltung – Interview mit Eckhard Feddersen

Erschließung: Kommunikations- und Begegnungsräume 46

Freiraumgestaltung: differenzierte Angebote und Partizipation – Interview mit Maria Auböck

10

Alternsgerecht statt altersgerecht

Generationen: älter werden und alt sein Alle wollen alt werden – aber niemand möchte alt sein. Wenn in Medien und in der Wissenschaft über die Konsequenzen des demografischen Wandels diskutiert wird, ist oft von »älteren Menschen« die Rede – doch wie alt ist »älter«? Aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen sind bereits Vierzigjährige »alt«. Der Begriff »Altern« beschreibt das individuelle Altern einer Person als ein biologisch-physiologisches, überall in der Natur vorkommendes Lebensprinzip, während der Begriff »Alter« eine durch soziale Arrangements hergestellte und von gesellschaftlichen Vorstellungen geprägte Lebensphase bezeichnet. Alter als gesellschaftlich definierte Lebensphase Da »Alter« eine soziokulturelle Konstruktion ist, unterlag sie einem historischen Wandel. In der vorindustriellen Gesellschaft waren Lebenssituation und sozialer Status von der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Personenoder Interessensverband geprägt. »Hilfe und Unterstützungsbereitschaft ist unter älteren Gesellschaftsbedingungen idealerweise zentrale Dimension lebenslanger Gegenseitigkeitsverhältnisse. Die kleinen Netze, Kooperationen aller Art, Gewerke, Gutsherrschaften, Nachbarschaft, Familie stellen in der Regel das Überleben aller sicher, aber auch nicht mehr: Geben und Nehmen.«1 Um lebenslang geknüpfte Reziprozitätsbeziehungen aufrechterhalten zu können,

1 2 3 4

Göckenjan 2000, S. 299 ebd. S. 305 Vgl. Ehmer 1990, S. 132 Kohli 1985, S. 24

Abb. 1

wurden im Adel und im wohlhabenden Bürgertum Vermögen, Ämter und Positionen in der Regel erst nach dem Tod weitergegeben. In der Landwirtschaft gab es mit Ausnahme des »Ausgedinge« – mit dem in einigen Regionen die Versorgung des Altbauern rechtlich geregelt wurde – kaum standardisierte Regeln für Generationenwechsel und Besitzübergabe. »Alte Leute werden behandelt, wie es ihrem persönlichen Status und ihrer Schichtzugehörigkeit zukommt. Alter, jedenfalls soweit es den konventionellen Leistungs- und Verhaltensanforderungen entspricht, ist weder privilegiert noch stigmatisiert. Alter in der vorsozialpolitischen Zeit ist weder automatisch mit Hilfe- noch mit Unfähigkeitsassoziationen belegt. Die Alten sind keine eigene soziale Kategorie.«2 Da es – abgesehen von den Unterstützungsleistungen ständischer Körperschaften wie z. B. der Zünfte – kaum übergeordnete Sozialgebilde zur Entlastung der privaten Haushalte gab, entstand für Personen in lohnabhängigen Arbeitsverhältnissen, wie die im Haushalt lebenden Knechte, Mägde oder Gehilfen, mit dem Verlust der Arbeitskraft eine prekäre Situation. Sie waren, wie die frühen Statistiken des städtischen Armenwesens belegen, vor allem im Alter oftmals von Armut und Wohnungslosigkeit betroffen. Als nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs (1648) die große Zahl zurückkehrender, einkommensloser Soldaten europaweit zu einem gesellschaftlich drängenden Problem wurde, begann man in allen großen europäischen Hauptstädten

Generationen: Älter werden und alt sein

0

6 Kindheit /Jugend

18 Berufsleben

65

Jahre

Rente/Pension

Abb. 2

mit dem Bau von Invalidenhäusern, wie dem nach den Plänen von Libéral Bruant und Jules Hardouin-Mansart zwischen 1670 und 1676 errichteten Hôtel des Invalides in Paris. Invalidenhäuser waren große, in der Tradition des Armenhauses stehende, zentralstaatliche Einrichtungen, deren Gesamtkonzeption durch weitläufige Innenhöfe geprägt war. In Anbetracht der großen Zahl Unterstützungsbedürftiger waren jedoch Baumaßnahmen allein nicht ausreichend, sodass man dazu überging, Geldbeträge an invalide Soldaten auszuzahlen, deren Höhe sich an der geleisteten Dienstzeit orientierte, nicht aber am Alter. Dieses zunächst für Angehörige des Militärs entwickelte Unterstützungssystem wurde zum Vorbild für die Pensionsregelungen der in der zivilen Verwaltung tätigen Beamten, deren Zahl durch den Aufbau zentraler Behörden in der Zeit des Absolutismus stetig zunahm. Trotz eines quantitativen und qualitativen Ausbaus der Pensionsversicherungssysteme im 19. Jahrhundert blieb die Existenzsicherung im Fall reduzierter Arbeitskraft für große Bevölkerungsgruppen bis zur Begründung einer gesetzlichen Pflichtversicherung durch das deutsche Reichsgesetz über die Invaliditäts- und Alterssicherung der Arbeiter (1889) ungelöst. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die in den 1950er- bis zum Beginn der 1970er-Jahre durchgeführten Rentenreformen dazu beigetragen, eine individuell unterschiedlich lange Lebensperiode in eine für viele Bevölkerungsgruppen gleich lange Lebensphase zu verwandeln. Erstmals in der Geschichte wurde das »Alter« als eine von der Erwerbsarbeit entlastete Lebensphase nicht nur für Privilegierte, sondern für die Mehrheit der Bevölkerung zu einer realistischen Perspektive,3 und auch das Einkommensniveau und die materielle Lage vieler älterer Personen verbesserten sich erheblich. Die steigende Lebenserwartung und ein sinkendes Berufsaustrittsalter haben inzwischen dazu beigetragen, dass die Lebensphase »Alter« zu einem Lebensabschnitt erheblicher Dauer geworden ist. Die wiederholten Rentenreformen waren in den westlichen Wohlfahrtsstaaten von der Einführung eines Systems altersabhängiger Rechte und

Pflichten begleitet. So wurden nicht nur Schulpflicht und Rentenbezug an kalendarische Altersgrenzen gebunden, sondern auch altersbezogene Beförderungs- und Schutzregelungen auf dem Arbeitsmarkt, straf- und zivilrechtliche Verantwortung, das aktive und passive Wahlrecht oder verschiedene Berechtigungssysteme, z. B. für Fahrkartenermäßigungen etc. – ganz unabhängig von der individuellen Bedürftigkeit der Person. Die historische Entwicklung der Chronologisierung des Lebenslaufs bildet die Grundlage für aktuelle Veränderungen, die durch eine wieder zunehmende Individualisierung der Lebensläufe gekennzeichnet sind. »Obwohl die neue Form des Lebenslaufs in dieser Hinsicht somit wieder stärker der vormodernen zu ähneln beginnt, bedeutet sie strukturell etwas anderes.«4 Das Erreichen des gesetzlichen Rentenalters verliert inzwischen nicht nur für Selbstständige, Künstler oder Politiker, sondern vor dem Hintergrund immer diskontinuierlicherer Erwerbsbiografien auch für andere Bevölkerungsgruppen seine Bedeutung als Zäsur im Lebenslauf (siehe »Demografie und Strukturwandel«, S. 19ff.). Älter werden als Prozess Der Prozess des »Alterns« ist kontextabhängig, da Gesundheit und Leistungsfähigkeit von vielfältigen, sich gegenseitig verstärkenden Faktoren bestimmt werden. Daher bestehen nicht nur zwischen Personen unterschiedlicher Altersgruppen, sondern auch zwischen Personen derselben Altersgruppe erhebliche Unterschiede in der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit. Individuelle Unterschiede in der sozioökonomischen Lebenssituation werden mit zunehmendem Alter ebenso weitergeführt wie Unterschiede im Bildungsniveau oder soziale, kulturelle und politische Interessen. Je weniger eine Person auf finanzielle, soziale und kulturelle Ressourcen zurückgreifen kann, umso schwieriger wird es für sie, individuelle Einschränkungen auszugleichen, und desto wichtiger wird es, das Alltagshandeln durch unterstützende Angebote und eine anregende Gestaltung im räumlich-sozialen Kontext zu erleichtern.

11

12

Alternsgerecht statt altersgerecht

Der Anteil der Ein-PersonenHaushalte ist zwischen 1991 und 2011 um

In Stadtstaaten wie Berlin, Hamburg und Bremen ist rund jeder

gestiegen.

Haushalt ein Ein-Personen-Haushalt.

Die allgemeine Verbesserung der Lebensumstände sowie Fortschritte in der Medizin verlängern nicht nur die Lebenszeit (siehe »Demografie und Strukturwandel«, S. 19ff.), sondern tragen auch dazu bei, dass die Zahl der bei guter Gesundheit verbrachten Lebensjahre ebenfalls zunimmt. Dennoch steigt, vor allem bei den Hochaltrigen, d. h. den über 85-Jährigen, die Wahrscheinlichkeit, an Demenz und anderen Krankheiten zu erkranken. Oftmals leiden Personen im hohen Alter an mehreren Krankheiten gleichzeitig (Multimorbidität). Um angemessen auf die Heterogenität der Lebenslagen zu reagieren, wird inzwischen der Interaktion zwischen Mensch und Umwelt im Alterungsprozess zunehmend mehr Beachtung

geschenkt. Die soziale, räumliche und technische Umwelt kann sich vorteilhaft, aber auch nachteilig auf Kompetenzen, Gesundheit und Wohlbefinden im Alter auswirken. Wenn es gelingt, die sich verändernden persönlichen Ressourcen und Bedürfnisse in Einklang mit den Anforderungen und Angeboten der Umwelt zu bringen, wirkt sich dies positiv aus (Abb. 5). Die in den letzten Jahren entstandenen Forschungs- und Pilotprojekte betrachten eine gesundheitsförderliche Umweltgestaltung als eine Querschnittsaufgabe, die weit über den Gesundheitsbereich hinausgeht und andere Ressorts wie Stadtplanung, Verkehr und Freiraumplanung mit einbezieht (siehe »Optionsräume gestalten«, S. 38ff.).

Von 39,9 Millionen privaten Haushalten sind

Ein-Personen-Haushalte. Abb. 3

Wohn- und Haushaltsformen im Wandel

‡ Gebäude ‡ Garten / Hof

Abb. 4

Die im Lauf der Zeit kulturell unterschiedlich geprägten Formen des Zusammenlebens – vom mittelalterlichen Haushalt der Handwerker bis zum städtischen Konsumentenhaushalt des 20. Jahrhunderts – spiegeln sich in der Gestaltung der Wohnhäuser, den Erschließungssystemen und der Raumorganisation wider. »Wenn man die Geschichte des Wohnens als Geschichte der Ausgrenzung und der Eingrenzung von Funktionen und Personen begreift, so ist sie ohne ihr Pendant, die Entwicklung der Organisation der Stadt als ganzer, nicht darzustellen.«5 Die Stadt bildet somit einen spezifischen räumlichen und sozialen Kontext, der – bei aller Varianz (west-)europäischer Städte – durch typologische Gemeinsamkeiten in der Haushaltsführung charakterisiert ist.

Haushaltsformen und wohnungsbezogene Versorgungsstrukturen Der Begriff »das Ganze Haus« beschreibt die in der alteuropäischen Gesellschaft dominierende Einheit von Wirtschaften und Haushalten an einem Ort, die alle Lebensbezüge einschloss und durch enge ökonomische, soziale und räumliche Verflechtungen gekennzeichnet war. Arbeit, Erholung, Schlafen, Essen und Beten fanden in denselben Räumen unter einem Dach statt. Da es in den vorindustriellen Handwerker- und Krämerhaushalten keine klare Trennung zwischen reproduktiven (den Haushalt erhaltenden) und produktiven Tätigkeiten (z. B. Herstellung von Waren für einen Markt) gab, waren die räumlichen Grenzen zwischen der Werkstatt oder dem

we

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Wohnsituation

e n s la g e Leb

Die Trennung des Lebenszusammenhangs der Arbeits- und Wohngemeinschaft des »Ganzen Hauses«, der verwandte und nicht verwandte Mitglieder einschloss, begann im 18. Jahrhundert mit der Entstehung der Berufsheere und dem Ausbau der Verwaltungen. Die stetig wachsende Zahl der Hofbediensteten, -beamten, -handwerker und Offiziere mit ihren Familien konnte nun nicht mehr im Residenzschloss und seinen Nebengebäuden untergebracht werden. Die aufgrund der Trennung von Arbeits- und Wohnort erforderliche Schaffung neuen Wohnraums unterstützte das Wachstum der größeren und kleineren Residenzstädte. Als eigenständige neue Wohnform entstand das städtische Mietshaus mit Etagenwohnungen. Da zunächst oftmals nur einzelne Wohnräume und nicht abgeschlossene Wohnungen vermietet wurden, war die bis dahin übliche Erschließung der Räume durch Verbindungstüren für diese neue, individuelle Nutzung ungeeignet. Um zusätzlich einen ungestörten Zugang zu einzelnen Räumen zu ermöglichen, entstand der Vorraum bzw. der Korridor, oft ohne räumlichen Abschluss zum Treppenhaus. Ein frühes Beispiel für diese neue Form der Grundrissbildung ist das 1730 erbaute Bürgerhaus in der Großen Brüdergasse 19 in Dresden (Abb. 6). Die großzügigen, repräsentativen Räume, die der Kommunikation und der Geselligkeit dienten, waren zur Straße hin orientiert. In der Mitte befand sich der Salon, links und rechts davon das Zimmer für die Dame bzw. den Herrn. Der Zugang erfolgte über einen als Vorsaal bezeichneten Raum. Die übrigen, privateren Räume sowie die Küche und die Räume für das Personal gruppierten sich im hinteren Bereich der Wohnung um einen Lichthof. Die Entstehung des städtischen Mietshauses trug nicht nur zu einer Verdichtung der baulichen Struktur der Stadt bei, sondern veränderte auch die Beziehungsstrukturen der Bewohner. Die ständischen Bindungen, die das soziale Leben der mittelalterlichen Stadt geprägt hatten, ver-

loren an Bedeutung. »Der Einzelne sollte sich, so die idealisierte Vorstellung, zum selbstverantwortlichen und frei handelnden Subjekt entwickeln. Die gesellschaftlichen Veränderungen und Individualisierungsprozesse mündeten in eine Neukonzeption des Familienbegriffs, der eine deutliche Trennung der öffentlichen von der privaten Sphäre voraussetzte.«6 In den bürgerlichen Haushalten trennte sich der Wirtschaftsbetrieb von dem privaten Haushalt, in dem allerdings auch weiterhin familienfremde Personen, wie Bedienstete oder Hauslehrer und Gouvernanten, wohnten. Sie wurden aber, auch wenn sie wie die Hauslehrer oftmals noch an dem gemeinsamen Tisch Platz nehmen durften, immer seltener noch zur »engeren Familie« gerechnet. Ihre Schlafkammern lagen meist im hinteren Bereich der Wohnung, in der Nähe der Gesindekammern und der Küche. Auch die Kinder erhielten einen eigenen Wohnbereich mit speziellen Möbeln und Spielgeräten, der sich ebenfalls in diesem Teil der Wohnung befand. Mit der Entstehung neuer funktional und sozial determinierter Räume wurde eine grundlegende Erneuerung der Grundrisskonzeption erforderlich. Das Prinzip der Addition von ähnlichen oder gleichwertigen Räumen wurde durch eine ihrer zweckgebundenen Nutzung entsprechende Hierarchisierung der Wohnräume abgelöst. Die raumgeometrische Voraussetzung dafür war die Durchsetzung des Flurs als Verteilerraum. Das Erschließungssystem, das in der multifunktional organisierten Raumaufteilung eine untergeordnete Rolle spielte, wurde zu einem die Gebäudestruktur prägenden Element. In seinem Entwurf für ein bürgerliches Wohngebäude mit Seiten- und Hinterhof von 1826 verbindet Karl Friedrich Schinkel die verschiedenen Trakte durch einen langen, L-förmigen Flur, um Durchgangszimmer zu vermeiden (Abb. 7, S. 14). Sowohl die in den Ecken liegende Haupttreppe als auch die Nebentreppe des Dienstbotentrakts werden ausschließlich von oben belichtet, sodass sämtliche Räume mit Tageslicht versorgt werden.

13

ue

Kontor und den übrigen Räumen fließend. In vielen Regionen bildete die im Erdgeschoss liegende, oftmals zweigeschossige Diele als Erschließungs- und Arbeitsraum das Zentrum des Hauses. Zum Haus gehörten häufig nicht nur ein Nutzgarten, sondern auch räumlich abgesetzte Neben- und Hintergebäude, in denen neben Familienangehörigen und Gesinde manchmal auch sogenannte Inwohner, Mieter, lebten (Abb. 4). Eine Funktionsentlastung des Haushalts durch städtische Infrastrukturen oder übergeordnete Sozialgebilde, wie z. B. die Zünfte, gab es in den vorindustriellen Städten nur in einem sehr geringen Umfang (siehe »Generationen: älter werden und alt sein«, S. 10ff.).

baulic he Um

Wohn- und Haushaltsformen im Wandel

soz iale Umwelt

Abb. 5

Abb. 3 Ein-Personen-Haushalte in Deutschland (2001) Abb. 4 Entwicklungsgeschichte der Grundstücksbebauung einer städtischen Parzelle Abb. 5 Die Wohnsituation beeinflussende Faktoren Abb. 6 Grundriss eines Bürgerhauses, Große Brüdergasse 19, Dresden

5 Häußermann / Siebel 1996, S. 20 6 Kuhn 2007, S. 70

Im Zuge der Etablierung maschineller Produktionsweisen, wie z. B. der Einführung der ersten mechanischen Webstühle, und der Durchsetzung der Lohnarbeit wurde auch in den handwerklichen Betrieben das Arbeitsverhältnis von persönlichen, außerhalb des Produktionsprozesses liegenden Bindungen unabhängig. Mit der Auflösung hausrechtlicher Arbeitsverhältnisse und der damit zusammenhängenden räumlichen Trennung von Erwerbsarbeit und Haushalt verließen die nicht verwandtschaftlich verbundenen Personen das Haus: die Knechte, Mägde, Gehilfen oder Tagelöhner mit der Entstehung formeller, beruflich-organisierter Arbeit und das Abb. 6

14

Alternsgerecht statt altersgerecht

Das »Einküchenhaus«: Zentralisierung der Hauswirtschaft Die Kollektivierung von Hauswirtschaft wurde um 1900 von verschiedenen Reformbewegungen als eine Möglichkeit der Neuordnung von Gesellschaft und Familie diskutiert. Die aus der Typologie des städtischen Mietshauses entwickelten »Einküchenhäuser« verstanden sich als ein Alternativmodell städtisch-kooperativer Lebens- und Wohnkultur. Das organisatorische Grundprinzip war eine Kombination aus einzelnen, kleinen Apartements oder Familienwohnungen in den oberen Geschossen und zentralen Serviceeinrichtungen, wie Großküche und Zentralwaschküche, im Erd- und Untergeschoss. Zur technischen Ausstattung gehörten Zentralheizung, Warmwasserversorgung, Müllschlucker und Zentralstaubsauger. Vergemeinschaftung und Zentralisierung sollten einen Komfort ermöglichen, den man sich auf der Ebene des Einzelhaushalts nicht hätte leisten können. Zu den ersten in Europa umgesetzten Projekten gehört das 1903 erbaute »Service Haus« in Kopenhagen. Die Wohnungen des fünfgeschossigen Mietshauses hatten keine Küche, sondern einen Anrichteraum mit Haustelefon und einem hinter einer Tapetentür liegenden, elektrisch betriebenen Speiseaufzug, der mit der im Untergeschoss gelegenen Zentralküche verbunden war. Weitere Modelle des Servicewohnens wurden in den 1920er- und 1930er-Jahren mit unterschiedlicher Zielsetzung – gelebte Gemeinschaft oder individueller Effizienzgewinn in der Haushaltsführung – entwickelt.

Gesinde, die Köche, Diener und Zofen mit der außerhäuslichen Organisation personengebundener Dienstleistungen. Dadurch veränderten sich auch die Rollen, Aufgaben und Beziehungen der verbleibenden Haushaltsmitglieder. Die bisher oft als Mitbewohner in den Haushalten des traditionellen Kleingewerbes lebenden unselbstständigen Arbeitskräfte mussten nun als Lohnarbeiter ihre Unterkünfte auf dem freien, fast ausschließlich privatwirtschaftlich organisierten Wohnungsmarkt suchen. Um der – durch die freigesetzten Arbeitskräfte und Zuwanderung ausgelösten – periodisch wiederkehrenden Wohnungsknappheit zu begegnen, begann in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Umgestaltung und planmäßige Erweiterung zahlreicher bestehender europäischer Städte: In Wien wurden 1857 die Befestigungsanlagen um die Altstadt abgerissen und 1865 an gleicher Stelle die Ringstraße eröffnet, um eine Verbindung zu den wachsenden Vorstädten zu ermög-

Abb. 7 Grundriss eines Wohngebäudes mit Seiten- und Hinterhof, 1826, Karl Friedrich Schinkel Abb. 8 Grundriss eines Mietshauses in der Birkenstraße 49, Berlin (D) 1872 Abb. 7

lichen. In Paris wurde zwischen 1853 und 1869 das Stadtbild nach den Plänen des Präfekten Baron Georges-Eugène Haussmann radikal umgestaltet. Entlang der neu geschaffenen Boulevards entstand ein neuer Gebäudetyp: das Pariser Mietshaus, mit Geschäften im Erdgeschoss, gleichen Wohnungsgrundrissen in den drei Hauptgeschossen und zwei Dachgeschossen. »Die uniforme Fassade dieses Hauses von 1860 umfasst eine lebendige Einheit, in der die verschiedensten Funktionen des täglichen Lebens miteinander vermischt werden. Das Geschäft im Erdgeschoss dehnt sich oft ins Mezzanin aus, in das die Arbeitsräume der Gewerbebetriebe verlegt wurden. Die drei Hauptgeschosse gehören den Wohlhabenden. Die Dachgeschosse sind überfüllte Slums.«7 Die Fassade – noch Teil des privaten Baublocks, aber öffentlich sichtbar – wird zur Schnittstelle, zur Grenze zwischen dem öffentlichen Raum der Straße und dem privaten Raum der Wohnung.

Wohn- und Haushaltsformen im Wandel

In Berlin trat 1862 der von James Hobrecht verfasste Fluchtlinienplan für die Erweiterung von der Residenz- zur Großstadt in Kraft. Der weit über das damalige Stadtgebiet hinausgehende Plan definierte den Verlauf der Straßen und unterteilte die noch unbebauten Grundstücke in rechtwinklige Baublöcke. Er enthielt jedoch keine weitergehenden Vorschriften zur Parzellengröße, zur maximalen Bebaubarkeit oder zur Art der Nutzung. Die baulichen Beschränkungen orientierten sich an den Wenderadien der damaligen Löschfahrzeuge und der Höhe der gebräuchlichen Feuerleitern, aus denen sich eine maximale Bebauung mit sechs Geschossen ergab. Von privaten Bauherren und sogenannten Terraingesellschaften errichtet, entstanden an den Straßenfronten mehr oder weniger repräsentative Vorderhäuser, denen dann drei, vier oder auch mehr eng bebaute Hinterhöfe folgten. Damit entstand auf demselben Grundstück eine Vielfalt unterschiedlicher Wohnungsgrößen und -typen. Aus den ungleichen Wohnverhältnissen und -qualitäten ergab sich eine sozialräumliche Polarität zwischen dem Vorderhaus und den hinteren Gebäuden. Von Hobrecht gibt es eine Beschreibung der Alltagsbeziehungen in den neu entstehenden Etagenhäusern, in denen »die Kinder aus den Kellerwohnungen in die Freischule über denselben Hausflur [gehen] wie diejenigen des Rats oder Kaufmanns auf dem Weg nach dem Gymnasium. Schusters Wilhelm aus der Mansarde und die alte bettlägerige Frau Schulz im Hinterhaus, deren Tochter durch Nähen oder Putzarbeiten den notdürftigen Lebensunterhalt besorgt, werden in dem 1. Stock bekannte Persönlichkeiten. Hier ist ein Teller Suppe zur Stärkung bei Krankheit, da ein Kleidungsstück, dort die wirksame Hilfe zur Erlangung freien Unterrichts oder dergleichen, und alles das, was sich als das Resultat der gemütlichen Beziehungen zwischen den gleichgearteten und wenn auch noch so verschieden situierten Bewohnern herausstellt, eine Hilfe, welche ihren veredelnden Einfluss auf den Geber ausübt.«8

Die soziale Hierarchie war, bedingt durch die unterschiedlichen Raumhöhen der einzelnen Stockwerke, bereits an der Fassade ablesbar. Das Etagen- oder Mietshaus wurde – in unterschiedlichen Varianten, in denen sich die ökonomische Situation und der soziale Status ihrer Bewohner spiegeln – zur bestimmenden Gebäudetypologie der gründerzeitlichen Stadt. Die Wohnbedingungen waren in den meisten Städten durch eine extreme soziale Ungleichheit gekennzeichnet. Den bürgerlichen Etagenwohnhäusern in den Wohnvierteln der wohlhabenderen Bevölkerung standen die »Mietskasernen« der rasch wachsenden Arbeiterbezirke gegenüber. Hinter den einheitlichen, mit vorgefertigten Zierelementen dekorierten Straßenfronten befanden sich nun auch in den Vorderhäusern Kleinwohnungen, wie z. B. in dem 1872 im Berliner Arbeiterbezirk Moabit errichteten Mietshaus. Hier lagen die Einzimmerwohnungen ungetrennt an einem Korridor (Abb. 8). Die durchgehenden langen Flure, an denen auf der einen Seite nur Wohnräume und auf der anderen Seite weitere Zimmer und Küchen angeordnet waren, machten einen räumlichen Abschluss zwischen den einzelnen Wohnungen unmöglich. Der Grundriss eines frühen Mietshauses ist durch den alles dominierenden Flur für den Architekturhistoriker Julius Posener daher kaum von dem Grundriss einer Militärkaserne zu unterscheiden. Er führt die Anfänge des Etagenwohnhauses mit mehreren Mietparteien daher nicht nur auf Karl Friedrich Schinkels Entwürfe bürgerlicher Mietshäuser zurück, sondern auch auf Friedrich II. und dessen umfangreichen Bau von Kasernen. In ihnen lebten nicht nur Junggesellen, sondern auch Soldaten mit ihren Familien. »Sie sind also der Vorläufer der Mietskaserne; und der Name ist somit nichts Zufälliges. Der Unterschied zwischen einer Mietskaserne und einer militärischen Kaserne ist in der Tat einfach der, dass man als Soldat einquartiert war, während man als Bewohner der Mietskaserne Miete zahlen musste.«9

7 Giedion 1965, S. 458 8 Zitat nach Häußermann / Siebel 1996, S. 79 9 Posener 1982, S. 40 Abb. 8

15

16

Alternsgerecht statt altersgerecht

Funktionale Grundrissgestaltung Die in den 1920er-Jahren in Anbetracht der großen Wohnungsnot entwickelten unterschiedlichen Wohnungstypologien sollten nicht nur zur Verbesserung der Wohnbedingungen beitragen, sondern auch – durch niedrige Baukosten, eine Ökonomisierung der Baumaßnahmen sowie einen reduzierten Flächenbedarf – dazu, dass die Menschen sie sich leisten konnten. Ziel war es, durch räumliche und arbeitstechnische Ordnungsversuche, wie der Zonierung der Wohnung in die unterschiedlichen Funktionsbereiche Wohnen (Wohnzimmer, Küche, Balkon) und Schlafen bzw. Körperpflege (Schlafzimmer, Bad) eine Reduktion von Flächen durch kompakte Grundrisslösungen zu erreichen. Die Prinzipien des Taylorismus, dessen ursprüngliches Ziel die Optimierung von Arbeitsabläufen in der Industrie war, wurden auf den Wohnungsgrundriss übertragen. Studien von Bewegungs- und Funktionsabläufen sollten vor allem in der Küche dabei helfen, hauswirtschaftliche Arbeitsabläufe zu rationalisieren. Die von Margarete Schütte-Lihotzky entwickelte »Frankfurter Küche« wurde zum Vorbild vieler Einbauküchen. Man versuchte, eine den Bedingungen der Industrialisierung und Urbanisierung angemessene Form der Haushaltswirtschaft zu finden.

Abb. 9

Abb. 9 Grundrisse einer üblichen und einer verbesserten Stockwerkswohnung mit eingetragenen Laufwegen, Bruno Taut, 1924 Abb. 10 Altersspezifische Infrastruktur Abb. 11 Lageplan, Wiener Versorgungshaus in Lainz

Der rasche Anstieg der Bevölkerungszahlen und die Zunahme der Haushalte erforderten nicht nur die Schaffung neuem Wohnraums, sondern außerdem ergänzende Ver- und Entsorgungseinrichtungen. Viele Leistungen, wie z. B. die Versorgung mit frischem Wasser und Energie oder die Entsorgung von Abwässern und Abfällen, konnten nicht mehr auf der Ebene eines Einzelhaushalts erbracht werden. Auch die in den 1860er-Jahren begonnene Debatte über die Zusammenhänge zwischen Abfall- sowie Abwasserbeseitigung, Trinkwasserversorgung und Infektionskrankheiten wie Cholera und Typhus unterstützte den Bau unterirdischer Wasserversorgungs- und Abwassersysteme, die die offenen Abwasserkanäle ersetzten. Mit dem Anschlusszwang an Wasserversorgung und Kanalisation wurden die bis dahin im einfachen Wohnungsbau üblichen gemeinschaftlichen Abortanlagen durch den flächendeckenden Einbau von Toiletten auf den Etagen ersetzt. Die Übernahme vieler Aufgaben und Funktionen des privaten Haushalts durch zentral organisierte Versorgungsstrukturen, wie z. B. Gasanstalten, Wasser-

und Elektrizitätswerke, Schlachthöfe, Badeanstalten, Brauereien oder Großmärkte, förderte die Entstehung des privaten städtischen Konsumentenhaushalts. Unter den industriellen Arbeitsbedingungen und in Anbetracht der beengten und häufig überbelegten Wohnungen war eine zeitintensive Haushaltsführung gar nicht möglich. Die Herstellung von Kleidung und die Erzeugung von Lebensmitteln übernahmen zunehmend Betriebe der Textil- und Nahrungsmittelindustrie. Die beengten Wohnverhältnisse erschwerten auch die Betreuung von Kindern und die Pflege kranker oder hilfsbedürftiger Personen. So entwickelten sich aus den bestehenden, altersunspezifischen Einrichtungen des städtischen Armenwesens in einem Prozess der Differenzierung und Spezialisierung altersspezifische Einrichtungen wie z. B. das Wiener Versorgungsheim Lainz. Damit hatte sich die Pflege aus dem Kontext des privaten Haushalts gelöst und war zu einer personenbezogenen Dienstleistung geworden.

Wohn- und Haushaltsformen im Wandel

Familienhaushalt und generationenspezifische Angebote Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich die räumliche Trennung von Erwerbsarbeit und Wohnen weiter fort. »Die soziale Einheit des Wohnens, der Haushalt als Gruppe der zusammen wirtschaftenden und zusammen wohnenden Personen, wird mit der Familie gleichgesetzt: Mehrpersonenhaushalte gelten als Familienhaushalte.«10 Die Kleinfamilie wurde, vor allem im öffentlich geförderten Wohnungsbau, zum Idealtypus – ihre vermeintlichen Wohnbedürfnisse wurden in zum Teil noch heute gültigen Standards, Gesetzen, Förderrichtlinien und Finanzierungsbestimmungen institutionalisiert. Wohnen wurde im Gegensatz zu der in einem Betrieb organisierten Arbeit dem neu entstehenden Bereich der Freizeit zugeordnet. Damit hatten sich »die vier Merkmale des Idealtypus modernen Wohnens – die Zweigenerationenfamilie als soziale Einheit, die Trennung von Wohnen und beruflicher Arbeit, die Polarität von Privatheit und Öffentlichkeit und die individuelle Aneignung durch Kauf oder Miete – […] in einem Prozess der Nivellierung von Differenzen zwischen sozialen Gruppen, regionalen Kulturen und zwischen Stadt und Land weitgehend durchgesetzt.«11

0

6

18

Kindheit /Jugend

1

2

Berufsleben

Der weitere Ausbau der sozialen Sicherungssysteme war – den kalendarischen Zäsuren des Lebenslaufs entsprechend – begleitet vom Ausbau altersspezifischer Unterstützungs- und Versorgungsstrukturen (Abb. 10), die ihren räumlich-organisatorischen Ausdruck in eigenen baulichen Typologien, wie Kindergärten und Schulen oder Alten- und Pflegeheimen, fanden. Sie wurden nun nicht mehr wie das Wiener Versorgungshaus Lainz an der Wende zum 20. Jahrhundert als zentral-organisierte, bauliche Großstrukturen in die städtische Struktur integriert, sondern dezentral als Wohnfolgeeinrichtungen in neu entstehende Siedlungsgebiete (siehe »Mariengrün, Berlin«, S. 90ff.). Die noch von den Ideen der CIAM (Congrès Internationaux d’Architecture Moderne) aus den 1920er- und 1930er-Jahren beeinflussten städtebaulichen Konzepte sahen eine klare Trennung der Funktionen vor. Die Konzentration von Wohnungen sollte große Freiflächen mit Erholungs- und Bildungseinrichtungen ermöglichen. Im Zentrum der Anlagen befanden sich, wie in Marienfelde-Süd, Geschäfte für den täglichen Bedarf und Einrichtungen der sozialen und die Gesundheitsversorgung betreffenden Infrastruktur, die vor allem dem Bedarf von Familien entsprachen.

65

10 Häußermann / Siebel 1996, S. 17 11 ebd. 1996, S. 19

Jahre

Rente/Pension

3

mobile Pflege

SeniorenPflegeheim wohnheim

1 Krippe / Kindergarten 2 Grundschule 3 weiterführende Schule

Abb. 10

Das Wiener Versorgungshaus Nachdem die bestehenden Einrichtungen der städtischen Wiener Armenversorgung die wachsende Zahl wohnungsloser älterer Personen nicht mehr bewältigen konnten, wurde 1899 eine administrative Reorganisation des kommunalen Armenwesens durchgeführt. Drei Jahre später, 1902, begann man am südwestlichen Stadtrand mit dem Bau eines neuen Versorgungshauses mit etwa 2000 Betten. Die nach den Plänen des Stadtbauamts unter der Leitung des Vizebaudirektors Rudolf Helmreich und des Stadtarchitekten Johann Scheiringer erbaute und 1907 fertiggestellte Anlage wurde im Pavillonsystem errichtet. Zu dessen wesentlichen Vorzügen gehörten die vielfältigen Möglichkeiten der Differenzierung nach sozialen wie auch gesundheitlichen Kriterien: zum einen hinsichtlich der Bewohner selbst, zum anderen im Hinblick auf das Raumangebot und die Ausstattung.

Abb. 11

17

18

Alternsgerecht statt altersgerecht

Der Karl-Marx-Hof: Wohnungsergänzungs- und Gemeinschaftseinrichtungen

Abb. 12

Die »Gemeindebauten des Roten Wien«, große Hausanlagen wie der Karl-Marx-Hof mit oft mehr als 1000 Wohnungen, unterschieden sich mit ihren zentralen großen, grünen Höfen bereits in ihrer städtebaulichen Konzeption von der gründerzeitlichen Blockrandbebauung und ihren dicht verbauten Innenhöfen. Die Wohnungen in den Wiener Arbeitermietskasernen, die »Zinshäuser«, wurden durch lange Gänge erschlossen, an denen sich jeweils auch eine »Bassena« (Wasserentnahmestelle) befand. Im Gegensatz zu diesen viergeschossigen Gangküchenhäusern wurden in den Gemeindebauten maximal vier Wohnungen pro Geschoss erschlossen. An die Stelle der Gangküche traten natürlich belichtete und belüftete Küchen, zu deren Standardausstattung eine Spüle mit Fließwasser gehörte. In Ergänzung zu den relativ kleinen, einfach ausgestatten Wohnungen, in deren Wohnungsverband sich ein Vorraum, zwei bewohnbare Zimmer und eigenes WC, aber kein Bad oder Dusche befanden, entstanden in den Wohnanlagen – entsprechend den gesellschaftsreformerischen Überlegungen der Sozialdemokraten – vielfältige gemeinschaftliche Einrichtungen. Zu diesen gehörten u. a. Zentralwaschküchen, Badeeinrichtungen, Einrichtungen zur Kinderbetreuung, Vortragssäle, städtische Bibliotheken, Vereinslokale, Ambulatorien sowie Praxen zur medizinischen Versorgung und Geschäftslokale.

Abb. 12 Grundriss Karl-Marx-Hof, Wien (A) 1930, Karl Ehn Abb. 13 Die Anlage bot Wohnraum für ca. 5500 Bewohner. Karl-Marx-Hof, Wien (A) 1930, Karl Ehn Abb. 14 Bevölkerungsentwicklung in Deutschland Abb. 15 durchschnittliche Lebenserwartung von Männern und Frauen zum Zeitpunkt der Geburt in Deutschland

Abb. 13

12 Glaser 2009, S. 64 13 Kruse / Wahl 2007, S. 16 14 Gemittelter Durchschnitt von Männern und Frauen. Datenquelle: Statistisches Bundesamt BiB 2015

Parallel zu den Prozessen der räumlichen Ausgrenzung von Funktionen und Personen aus dem Haushalt fand ein Prozess der Eingrenzung statt. Bestimmte, vor allem die Körperlichkeit und Emotionalität betreffende Verhaltensweisen, wurden aus dem öffentlichen Leben zurückgedrängt und in den privaten Bereich der Wohnung verlagert. Die Wohnungstür wurde zur Schwelle, die die Privatheit und Intimität der Familie vor Dritten schützt. Mit der Reduktion der Haushaltsmitglieder auf unmittelbar miteinander verwandte Personen und der Intensivierung, Emotionalisierung und Intimisierung der innerfamiliären Beziehungen veränderte sich auch das Schamverhalten. Körperlichkeit wurde den Blicken entzogen. Bad und Schlafzimmer als eigene Raumkategorien entstanden, womit sich die Tendenz zur Separierung von Funktionen auch innerhalb der Wohnung fortgesetzt hatte.

Heute stellt die zunehmende Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort die strikte Trennung von Erwerbsarbeit und Wohnen wieder infrage. Die Wohnung bzw. das Wohnhaus verlieren ihren ausschließlich privaten Charakter und gewinnen als Orte des vermehrten Aufenthalts an Bedeutung. »Der Wohnraum erhält erneut vielfältige öffentliche und private Funktionen: Arbeitsplatz und Erholung, Rückzug, sozialer Austausch, Kontakte, Sicherheit sowie Identitätsstabilisierung. Unser Wohnen wird wieder zum Ort gemischter Tätigkeiten [...]«.12 Die Wohnung wird, nicht nur für Ältere, sondern auch für andere, wie beruflich Selbstständige, (temporär) Erwerbslose etc., zum räumlichen, lebensweltlichen Mittelpunkt, von dem aus einerseits Teilhabe und Interaktion erfolgen und der andererseits aber auch ein Rückzugsraum vor ungewünschten Einflüssen der Außenwelt ist.

Demografie und Strukturwandel

19

Demografie und Strukturwandel Für breite Bevölkerungsschichten in Europa wurde erst mit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Lebensphase Alter zu einem selbstverständlich erwartbaren Teil der eigenen Biografie (Abb. 15). Zunächst ging der Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung vor allem auf den Rückgang der Säuglingssterblichkeit und von Infektionskrankheiten, wie z. B. Tuberkulose, zurück. Diesen ersten demografischen Übergang ermöglichte eine Gesundheits- und Sozial- bzw. Wohnbaupolitik, die im medizinischen Bereich Verbesserungen in der Hygiene und im Wohnungsbau die Beseitigung gesundheitsschädlicher Wohnbedingungen unterstützte (siehe »Wohn- und Haushaltsformen im Wandel«, S. 13ff.). Der zweite, Mitte des 20. Jahrhunderts beginnende demografische Übergang ist vor allem eine Folge medizinisch-technischer Weiterentwicklungen, wie komplizierter Operationstechnologien, sowie einer fortschreitenden Verbesserung der Lebensumstände (Ernährung, Wohnverhältnisse) als Folge der allgemeinen Wohlstandsentwicklung. Dadurch können, zumindest in den wohlhabenderen Ländern, biologisch-physiologische Verluste immer besser ausgeglichen werden. Es besteht jedoch die Gefahr, »dass eine neue Form sozialer Ungleichheit entsteht – nämlich zwischen jenen Menschen, die dem Stand der Medizin entsprechende Therapien bezahlen können, und jenen, die dazu nicht in der Lage sind.«13 Der Trend zur längeren Lebenszeit trägt dazu bei, dass im 20. und 21. Jahrhundert erstmals weltweit, vor allem im Norden, ganze Gesellschaften altern (demografischer Wandel). Die Alterung einer Bevölkerung ist ein vielschichtiger Prozess, der die Relation der Altersgruppen zueinander verändert: Der Anteil jüngerer Altersgruppen sinkt, der älterer steigt an (Abb. 14). Daher wird sich das Medianalter, das die Bevölkerung in eine jüngere und eine ältere Hälfte teilt, von heute (2015) 46,65 Jahre auf 50,25 Jahre im Jahr 2035 erhöhen.14 Einen besonderen Zuwachs wird die Altersgruppe 80 plus verzeich-

nen, deren Anteil sich bis zum Jahr 2040 verdoppeln wird. Doch nicht nur die zunehmende Lebenserwartung, sondern auch der Rückgang der Geburtenraten (Fertilität) sowie eine rückläufige Zuwanderung von – meist jüngeren – Personen aus dem Ausland tragen zur Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung eines Landes bei. Im Allgemeinen sind es jahrzehntelange Prozesse, die sich auf die Bevölkerungsdynamik auswirken, doch können auch singuläre Ereignisse wie der Fall des Eisernen Vorhangs, der Krieg in Ex-Jugoslawien oder die Wiedervereinigung Deutschlands demografisch Einfluss nehmen. Nach dem Fall der Berliner Mauer zogen ca. zwei Millionen Menschen vom Osten Deutschlands in den Westen. Das hat nicht nur zu einem extremen Bevölkerungsschwund in den neuen Bundesländern geführt, sondern auch zu großen altersstrukturellen Veränderungen der verbleibenden Bevölkerung beigetragen. Von den Konsequenzen des Strukturwandels besonders betroffen war das Bundesland Sachsen-Anhalt, eines der ehemaligen industriellen Zentren der DDR. Nach der Wende prägten Arbeitslosigkeit, Abwanderung und Leerstand viele Ortsbilder. Um auf die Problematik dieser »Schrumpfenden Städte« aufmerksam zu machen, stellte das gleichnamige Initiativprojekt der Kulturstiftung des Bundes unter der Leitung von Philipp Oswalt in Kooperation mit der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, der Stiftung Bauhaus Dessau und der Zeitschrift ARCH+ am Beispiel der Region Halle/Leipzig die ostdeutsche Entwicklung in einen internationalen Zusammenhang. Die von 2002 bis 2010 veranstaltete Internationale Bauaustellung (IBA) – Stadtumbau Sachsen-Anhalt, an der insgesamt 19 Städte beteiligt waren, befasste sich ebenfalls mit den städtischen Konsequenzen des demografischen Wandels, entwickelte neue Perspektiven und erprobte beispielhaft neue Werkzeuge des Stadtumbaus. In einem breiten Spektrum von Projek77,72

68,30 55,97 Männer

35,58 1871–1881

Frauen

1924 –1926

1974 –1976

2010 – 2012

38,45 58,82 74,81

Abb. 15

82,80

65

18

6 800 600

300

300

600 800

Bevölkerungszahl in Tausend ‡ 1910 Abb. 14

‡ 1950

‡ 2011

‡ 2030

‡ 2060

20

Alternsgerecht statt altersgerecht

Abb. 16

Abb. 16 »Entdecke die L ere!«, »Sehbrücke am Trainingspfad des Sehens«, Projekt im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Stadtumbau Sachsen-Anhalt, Halberstadt (D) 2007, chezweitz & roseapple Abb. 17 Martin-Luther-Geburtshaus-Ensemble, Eisleben (D) 2007, Springer Architekten Abb. 18 Entwicklung der jugendlichen (unter 25 Jahre) und älteren (über 65 Jahre) Bevölkerung in Deutschland 2012 und 2030

15 Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 2014, S. 37 16 ebd. S. 15

ten, wie z. B. dem »Trainingspfad des Sehens«, thematisierte das Szenografiebüro chezweitz den Leerstand in Halberstadt. Gemeinsam mit dem Kulturwissenschaftler Martin Peschken (TU Braunschweig) rückten sie sowohl die positiven als auch die negativen Aspekte der Leere und deren Potenzial als nutzbarer Stadtraum ins öffentliche Bewusstsein. Die ehemalige Bischofsstadt hatte nach dem Zweiten Weltkrieg durch eine großangelegte Abrissaktion den größten Teil ihrer historischen Bebauung verloren. Künstlerische und performative Interaktionen, wie Vorlese-, Klang- und Filmpicknicks, machten diese leeren Orte zu einem Experimentierfeld der Wahrnehmung. Ein Stadtplan ermutigte die Besucher zu Spaziergängen durch die Stadt und lud mit einfachen Aufgabenstellungen zum Entdecken der Leere ein (Abb. 16). Auch in anderen kleinen und mittleren Städten Deutschlands, wie der ehemaligen Bergarbeiterstadt Eisleben, deren Bevölkerung abnimmt, sind die Konsequenzen des Strukturwandels im Alltag deutlich spürbar. In der zum Weltkulturerbe ernannten Altstadt stehen viele Häuser leer. Ausgehend von der Geschichte des Orts – der Geburtsstadt Martin Luthers – entwickelten die Bewohner im Rahmen der IBA gemeinsam mit Stadtplanern, Architekten sowie Vertretern aus Politik und Verwaltung ein Konzept zur Belebung der Altstadt. Denn es braucht mehr als eine bauliche Sanierung – der ganze Ort muss sich »neu erfinden«. Punktueller Abriss macht Platz für Balkone, Gärten, Stellplätze und kurze Wege für die Bewohner und erhöht damit die Lebensqualität in der Altstadt. Strategische Neubauten, wie das 2007 eröffnete Besucherzentrum neben Luthers Geburtshaus, sowie das 2013 denkmalgerecht sanierte Sterbehaus Luthers und touristische Attraktionen wie der Lutherweg tragen dazu bei, die Stadt auch für Besucher attraktiv zu machen (Abb. 17). Parallelität von wachsenden und schrumpfenden Regionen: Wer kommt? Wer geht? Alterung und Abnahme der Bevölkerung sind aber nur zwei der drei demografischen Haupttrends. Der dritte betrifft die vielfältiger werdenden Formen des Zusammenlebens – als Folge des aktuellen, in den 1970er-Jahren begonnenen Strukturwandels aber auch der internationalen Migration. Innovationen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglichen inzwischen mit ihrer zeitgleichen Präsenz von Daten und Informationen neue, standortunabhängigere Formen der Produktion. Zu den vielfältigen Konsequenzen dieser Veränderung gehört unter anderem die Reduktion

Abb. 17

bzw. Verlagerung der industriellen Produktion in außereuropäische Länder. Gleichzeitig erfordern die neuen Produktionsbedingungen von den Beschäftigten eine erhöhte Flexibilität und tragen somit zu einer Abnahme der Nine-tofive-Jobs bei. Diskontinuierliche Lebensläufe lösen die lineare Arbeitsbiografie mit ihrer Dreiteilung des Lebenslauf in Lernen /Ausbildung, Arbeiten/Erwerbstätigkeit und Erholen/Ruhestand ab. Die veränderten Formen der Organisation von Arbeit (sozioökonomischer Wandel) tragen nicht nur zur Entstehung neuer Haushalts- und Lebensformen (soziodemografischer Wandel) und zur Veränderung der Alltagskultur (soziokultureller Wandel) bei, sondern beschleunigen auch die Verlagerung von Produktionsstandorten. Strukturstarke Kommunen und moderne Dienstleistungs- und Forschungsstandorte mit umfangreichen Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten sowie einer guten Versorgungslage ziehen vor allem Personen in der Erwerbs- und Familienphase an. Sie profitieren in ihrer Bevölkerungsentwicklung also nicht nur von den Wanderungsgewinnen, sondern haben auch ein natürliches Bevölkerungswachstum zu verzeichnen, denn anders als noch bis zur Jahrtausendwende bleiben inzwischen immer mehr Familien in der Stadt. »Während der Anteil von Kindern und Jugendlichen an der Bevölkerung Deutschlands insgesamt zurückgeht, konzentrieren diese sich nun stärker auf die städtischen Regionen. 2010 machten Kinder im Alter von 6 bis 18 Jahren in städtischen Kreisen 12,3 % der Bevölkerung aus, im dünnbesiedelten ländlichen Raum lediglich 11,1 %. «15 Nicht zuletzt dieser Zuzug jüngerer Menschen in die Städte führt umgekehrt zu einer Abnahme der Bevölkerung in geografisch peripheren, strukturschwachen, oft ehemals monoindustriell geprägten Gebieten und im ländlichen Raum, wo Arbeitsplätze rar und das Bildungs- wie auch das Kulturangebot sehr reduziert sind. Denn viele wachsende Städte gewinnen »die zugewanderte Bevölkerung vor allem auf Kosten anderer Kommunen, also durch innerdeutsche Wanderungen. Von der internationalen Zuwanderung profitieren hauptsächlich die Großstädte.«16 Zurück bleiben ältere und weniger gut ausgebildete Bevölkerungsgruppen (Abb. 18). Die Region verliert an Attraktivität und ist nicht nur mit Abwanderung, sondern vor allem auch mit fehlendem Zuzug konfrontiert. Eine Entwicklung, die durch eine schwierige Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln noch verstärkt wird. Es gibt hierbei sich wechselseitig beeinflussende Faktoren wie beispielsweise eine unzureichende Auslastung der Schulinfrastruktur.

Demografie und Strukturwandel

2012

2035 Kiel

Kiel

Rostock

Rostock

Schwerin

Hamburg

Schwerin

Hamburg

Bremen

Bremen

Berlin

Berlin Hannover

Hannover Potsdam

Magdeburg

Potsdam

Magdeburg

Bielefeld

Bielefeld Cottbus

Cottbus Essen

Halle/S.

Dortmund

Essen

Düsseldorf

Leipzig

Kassel

Leipzig

Kassel

Erfurt

Köln

Halle/S.

Dortmund

Düsseldorf

Chemnitz

Erfurt

Köln

Dresden

Chemnitz

Dresden

Bonn

Bonn

Wiesbaden

Frankfurt/M.

Wiesbaden

Nürnberg

Mannheim

Saarbrücken

Frankfurt/M.

Mainz

Mainz

Nürnberg

Mannheim

Saarbrücken

Stuttgart

Stuttgart

Ulm

Ulm

München

München

Freiburg i.Br.

Freiburg i.Br.

50 100 200

500

Bevölkerung in Tausend Anteil der Bevölkerung: unter 25 Jahre

2012

17 19 21 23

2035

[%]

über 65 Jahre Kiel

Kiel Rostock

Rostock

Schwerin

Hamburg

Bremen

21 24 27 30

Schwerin

Hamburg

Bremen

Berlin

Berlin

Hannover

Hannover Potsdam

Magdeburg

Potsdam

Magdeburg

Bielefeld

Bielefeld Cottbus

Essen

Halle/S.

Dortmund

Düsseldorf

Chemnitz

Dresden

Erfurt

Köln

Chemnitz

Bonn

Wiesbaden

Frankfurt/M.

Wiesbaden

Mainz

Saarbrücken

Nürnberg

Mannheim

Saarbrücken

Nürnberg

Mannheim

Stuttgart

Ulm

Ulm

München Freiburg i. Br.

Frankfurt/M.

Mainz

Stuttgart

Abb. 18

Leipzig

Kassel

Erfurt

Bonn

Halle/S.

Dortmund

Düsseldorf

Leipzig

Kassel Köln

Cottbus Essen

München Freiburg i.Br.

Dresden

[%]

21

22

Alternsgerecht statt altersgerecht

Die Schließung oder Zusammenlegung von Schulstandorten führt nicht nur zu einer Einschränkung des Bildungsangebots, sondern auch zu rückläufigen Nutzerzahlen im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und damit zu einer Reduzierung des Angebots. Die öffentliche Erreichbarkeit von Infrastruktureinrichtungen und Angeboten der kommerziellen Nahversorgung verschlechtert sich. Die bereits bestehende Parallelität von Regionen mit großem Bevölkerungswachstum und solchen mit Bevölkerungsverlusten wird sich somit in Zukunft weiter verstärken (Abb. 19). Alternde Orte Mit dem Fortzug gut ausgebildeter und mobiler Personengruppen gehen die Zukunftspotenziale – Bevölkerungswachstum ebenso wie Wirtschaftswachstum – einer Stadt oder Region verloren. Gerade strukturschwache Regionen und ländliche Gemeinden stehen vor vielen Herausforderungen zur gleichen Zeit: Sinkende kommunale Einnahmen als unmittelbare Folge abnehmender Einwohnerzahlen und einer meist insgesamt schwierigen wirtschaftlichen Entwicklung stehen einem gesteigerten Investitionsbedarf gegenüber (siehe »Lokal und partizipativ Lösungen entwickeln – Kommentar von Martin zur Nedden«, S. 24).

Alternde Orte brauchen daher nicht nur neue Perspektiven, sondern auch neue Mobilitätskonzepte – denn nur wer mobil ist, kann Dienstleistungen erreichen, Freizeitangebote wahrnehmen oder soziale Beziehungen pflegen. Gerade in peripheren Regionen mit abnehmenden Bevölkerungszahlen ist es notwendig, neue Angebote mit flexiblen Bedienformen im Personennahverkehr zu entwickeln, die eine bedarfsgerechte Befriedigung unterschiedlicher Mobilitätsbedürfnisse ermöglichen. Flexible Angebote, wie z. B. der Rufbus, der auf eine starre Linienführung und einen fixen Zeitplan verzichtet, ermöglichen eine individuelle Routengestaltung. Sie lassen sich in verkehrsmittelübergreifende (multimodale) Systeme integrieren, in denen das für die jeweiligen Bedürfnisse und wirtschaftlichen Möglichkeiten jeweils am besten geeignete Verkehrsmittel »zum Zuge« kommt (siehe »Bahnhof in Lamprechtshausen«, S. 23). Ebenso wichtig ist es, Möglichkeiten zur sozialen Teilhabe und zur Gesundheitsversorgung zu schaffen (siehe »Bürgergemeinschaft von Eichstetten«, S. 23). Auch im Bereich des Wohnens und des Wohnumfelds besteht ein zum Teil erheblicher Anpassungsbedarf. Das Dorf Tiedolo zeigt, dass auch Kommunen, die in der Vergangenheit Bevölkerung verloren haben, durch intelligente Konzepte wieder zu attraktiven Orten werden können (siehe »Laboratorio Anziani in Tiedoli,« S. 23).

DK

Kiel Rostock

Schweri n

Hamburg

großräumige Bevölkerungsdynamik

Bremen

PL

deutliche Abnahme

Berli n Hannove r

NL

Potsdam

Magdeburg

Stabilität oder Zunahme Bielefel d

Cottbus Esse n

Alterung

Halle/S .

Dortmund

Düsseldor f

Leipzi g

Kasse l Erfur t

Köln

starke Abnahme der Schulpflichtigen

Chemnit z

Bonn

B

massive Zunahme der Hochbetagten

Wiesbade n

Frankfurt/M .

CZ

Mainz

L

Internationalisierung Saarbrücke n

Nürnber g

Mannhei m

stark F

Stuttgart

sehr stark Ulm

München Freiburg i.Br .

Abb. 19 Komponenten des demografischen Wandels in den kommenden Jahrzehnten

CH

100 km Abb. 19

A

Dresde n

Demografie und Strukturwandel

23

Alternde Orte: generationengerechte Konzepte Bahnhof in Lamprechtshausen Gerade einkommensschwache, aber auch ganz junge und ganz alte Personen, die noch nicht bzw. nicht mehr über ein Auto verfügen, sind auf öffentliche Verkehrsmittel oder den nichtmotorisierten Individualverkehr (zu Fuß, mit dem Fahrrad) angewiesen. Vor allem in ländlichen Regionen führt daher ein eingeschränktes Angebot an ÖPNV zu einer Minderung des Aktivitätsniveaus. Doch es geht auch anders: An der Endstation der Salzburger Lokalbahn entstand 2012 durch Zusammenlegung von Bahndepot und Station ein attraktiver, barrierefreier neuer Bahnhof (udo heinrich architekten). Während anderswo Lokalbahnhöfe verwahrlosen, Nebenbahnen eingestellt werden und unwirtliche Zustände in den Stationen sowie schlechte Verbindungen die Bevölkerung von der Schiene auf die Straße zwingen, wurde hier der Bahnhof nicht nur zum Anreizgeber für den Umstieg auf den öffentlichen Verkeh, sondern auch zum Inkubator der Siedlungsentwicklung in Bahnhofsnähe. Abb. 20

Ein Dorf übernimmt den Generationenvertrag – die Bürgergemeinschaft von Eichstetten Der langjährige Bürgermeister des südbadischen Winzerdorfs Eichstätten am Kaiserstuhl, Gerhard Kriechle, erkannte bereits in den 1990er-Jahren, dass durch den allmählichen Rückgang der Bevölkerung in dem ca. 3000 Einwohner zählenden Ort eine Versorgungslücke entstehen würde. Denn es fehlte familiäres Pflegepotenzial, doch die Mehrheit der älteren Bevölkerung wollte weder den Ort verlassen noch in eine spezielle Seniorenwohnanlage ziehen. Er sah in einer Bürgerkommune das Ideal einer Gemeinschaft, in der die Bürger wieder Verantwortung füreinander übernehmen. Statt auf die Familie, deren Form und Bedeutung sich in den vergangen Jahren stetig verändert hat, sollte die soziale Verantwortung auf das Dorf als nächstgrößere soziale Einheit übertragen werden. Dafür braucht es Strukturen, und so wurde, nach langjähriger Überzeugungsarbeit, 1998 der Verein Bürgergemeinschaft Eichstetten e. V. gegründet, dem inzwischen ca. 500 Mitglieder angehören. Der Verein betreut das Bürgerbüro als Anlaufstelle, organisiert Nachbarschaftshilfe und übernimmt morgens sowie mittags die Kernzeitbetreuung der Schulkinder. Er ist der Betreuungsträger der Wohngruppe Schwanenhof mit 16 barrierefreien Wohnungen, die mitten im Dorf gegenüber von Kirche und Rathaus liegt. Diese Einrichtungen werden seit 2008 durch die in Kooperation mit einer kirchlichen Sozialstation betriebene Pflegewohngruppe Adlergarten für pflegebedürftige und demenziell erkrankte Einwohner ergänzt. Im Bundeswettbewerb »Zukunftsfähige Kommunen« wurde Eichstetten im Jahr 2003 ausgezeichnet.

Abb. 21

Abb. 20 Bahnhof Lamprechtshausen (A) 2012, udo heinrich architekten Abb. 21 Luftbild von Eichstetten (D) Abb. 22 renovierte Häuser in Tiedoli (I)

»Laboratorio Anziani« in Tiedoli Im Jahr 2002 entstand in Tiedoli in der norditalienischen Emilia-Romagna ein Pilotprojekt, bei dem man eine adäquate und finanzierbare Betreuung älterer Menschen mit einem wirtschaftlichen Aufschwung für die junge Generation verbinden wollte. In dem nur noch dreißig Einwohner zählenden Ort war die Landwirtschaft die einzige Verdienstmöglichkeit. Der Initiator des Projekts und frühere Sozialdezernent der Stadt Parma versammelte alle Beteiligten an einem Tisch und schuf unter dem Titel »Laboratorio Anziani« eine organisatorische Struktur für das Projekt. Im Zentrum des Orts, gegenüber der Kirche, wurden vier leerstehende Gebäude renoviert und zu einem Komplex mit mehreren Wohneinheiten und einer Pflegestation für ältere Menschen, die sich allein nicht mehr selbst versorgen können, ausgebaut. Jeder Bewohner lebt entsprechend ihren persönlichen Vorlieben und entscheidet individuell über die in Anspruch genommene Betreuung. Der Verbleib der Älteren und der »Pronto-Bus«, der den Ort mit der nächstgelegenen Stadt verbindet, macht Tiedoli auch wieder für jüngere Generationen attraktiv. Viele von ihnen kaufen verlassene Häuser und renovieren sie, um nach der Pensionierung dort einzuziehen. Ein Agriturismo, ein landwirtschaftlicher Betrieb mit Schafzucht und Gästezimmern, ist Teil des Mikrokosmos, der in der benachteiligten Region ein wichtiges Zeichen setzt.

Abb. 22

24

Alternsgerecht statt altersgerecht

Lokal und partizipativ Lösungen entwickeln Der Stadtplaner Martin zur Nedden ist Geschäftsführer und Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Instituts für Urbanistik in Berlin sowie Honorarprofessor für Stadtentwicklung und Regionalplanung an der Fakultät Architektur und Sozialwissenschaften der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig. Kommentar von Martin zur Nedden

Wie bei anderen Aspekten gesellschaftlicher Veränderungen manifestieren sich auch die Konsequenzen der Veränderung der Altersstrukturen vor allem auf der kommunalen Ebene. Das Ziel, eine alternsgerechte Stadt zu schaffen, bedarf zu seiner Umsetzung angesichts der komplexen Wirkungszusammenhänge mit den übrigen Handlungsfeldern der Stadtentwicklung (z. B. Wohnungspolitik, Verkehr, Gestaltung des öffentlichen Raums, aber auch Bildungs- und Kulturangebote) interdisziplinären Denkens und Handelns. Ein Konzept für eine alternsgerechte Stadt kann nur als Bestandteil eines integrierten Stadtentwicklungskonzepts wirklich erfolgreich sein. Dies gilt sowohl für die Maßstabsebene Gesamtstadt als auch für das Quartier. Bei der Erstellung eines solchen Konzepts müssen sowohl alle betroffenen Verwaltungsbereiche beteiligt als auch die Akteure des Wohnungsmarkts und Vertreter von Senioreninteressen eingebunden sein. Gerade die Quartiersebene ist zur Gewährleistung von Alternsgerechtigkeit von außerordentlicher Bedeutung. Hier sind, oft über Jahrzehnte, intensive soziale Beziehungen entstanden. Daher sollten wesentliche Elemente der Daseinsvorsorge wie zum Beispiel die Nahversorgung vorhanden sein. Städte sind in hohem Maß abhängig von den Setzungen übergeordneter Ebenen. Wesentliche Rahmenbedingungen können sie nicht oder nur in geringem Maß beeinflussen. Das Spektrum reicht von der Festsetzung der Höhe der Altersversorgung über Regularien zum Gesundheitssystem bis hin zur Definition von Standards, die ihrerseits wiederum Bestandteile finanzieller Förderprogramme sein können. Solange die Finanzausstattung der Kommunen nicht adäquat in Relation zu den ihnen übertragenen Aufgaben ausgestaltet ist, spielen gerade Förderprogramme von Bund und Ländern eine zentrale Rolle, wenn es gelingen soll, das Ziel der Alternsgerechtigkeit Realität werden zu lassen. Angesichts der zunehmenden Unterschiede der jeweiligen örtlichen Entwicklungen zwischen Regionen, zwischen Städten und den Quartieren in den Städten gibt es auch für die alternsgerechte Stadt keine Patentrezepte. Demzufolge müssen Förderprogramme, aber auch technische Regelwerke im Hinblick auf eine größere Flexibilität weiterentwickelt werden. Die Kommunen sollten – in sehr viel höherem Maß, als es heute möglich ist – in den Stand versetzt werden, eigenverantwortlich örtlich angepasste, spezifische Lösungen zu erarbeiten. Darüber hinaus kann dadurch auch das Entstehen neuer Lösungsansätze erleichtert werden. So definiert DIN 18 040 zwar ein durchaus wünschenswertes Ideal der Barrierefreiheit, doch können in vielen Fällen auch einfache Maßnahmen mit geringeren Kosten die Alternsgerechtigkeit, z. B. von Wohnungen, nennenswert verbessern. Mehr Möglichkeit zur Flexibilität vor Ort unterstützt darüber hinaus die Einbindung der Bürgerschaft. Damit wird deren Kreativität besser genutzt und so ihr Engagement gefördert. Dies kann bis zur Übertragung der Kompetenz zur Entscheidung über die Verwendung finanzieller Mittel gehen. Im Rahmen des Förderprogramms »Aktive Stadt- und Ortsteilzentren« hat man mit der Einrichtung sogenannter Verfügungsfonds im Fördergebiet, bei denen die Mittelverteilung durch ein Quartiersgremium erfolgt, in vielen Städten sehr gute Erfahrungen gemacht. Auch für die alternsgerechte Stadt sind integrierte Herangehensweisen auf allen Ebenen, lokalspezifische Lösungen ermöglichende Regularien, die Einbindung aller relevanten Akteure, insbesondere der Bürgerschaft, sowie Offenheit gegenüber neuen Ansätzen wichtige Voraussetzungen für den Erfolg. «

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Alternsgerecht wohnen Neue Modelle der Versorgung und der Pflege älterer Personen beziehen vermehrt das Wohnumfeld mit ein und lassen ein Netzwerk der Unterstützung entstehen, von dem auch andere Generationen profitieren können. Die Pluralisierung der Lebensformen und die Singularisierung der Haushalte tragen dazu bei, dass in allen Lebensphasen neue Formen der Alltagsorganisation entstehen. Die strukturellen Anpassungsmaßnahmen, sowohl im Wohnungsbestand als auch im Neubau, betreffen nicht nur die bauliche Substanz, sondern integrieren vielfältige Wohnund Unterstützungsangebote und schaffen niedrigschwellige soziale Treffpunkte im wohnungsnahen Umfeld. Netzwerke der Unterstützung in allen Lebenslagen In den westlichen Wohlfahrtsstaaten waren es zunächst überwiegend staatliche oder städtische Institutionen bzw. Organisationen, die die Betreuung von kranken, älteren und behinderten Personen in stationären und teilstationären Einrichtungen, wie Pflegeheimen oder Tagesstätten, sowie die ambulante Versorgung durch professionelle Pflegedienstleister übernahmen. Die demografische Alterung und eine zunehmende Professionalisierung der Pflege- und Gesundheitsberufe tragen momentan zu einem tiefgreifenden Wandel im gesamten Gesundheits- und Sozialsystem bei. Dieser Sektor ent-

wickelt sich mehr und mehr zu einem segmentierten Markt mit neuen Anbietern und einem breiten Spektrum von Wohn- und Pflegeangeboten. Diese Entwicklung wird von einem Paradigmenwechsel in den Konzepten der Unterstützung und Pflege begleitet. Im Gegensatz zu früheren Pflegemodellen, die sich überwiegend an Defiziten wie eingeschränkten sensorischen und motorischen Fähigkeiten orientierten (Defizitmodell), stellen aktuelle Konzepte die Förderung von Fähigkeiten und die Erweiterung bzw. Wiederherstellung von Kompetenzen (z. B. nach einem Schlaganfall) in den Mittelpunkt und betonen das Recht auf Selbstbestimmung (Kompetenzmodell). Diese neue, stärker klientenbezogene Herangehensweise erfordert neue Konzepte der räumlichen Organisation und verändert die Anforderungen an die architektonisch-bauliche Struktur und die Gestaltung.

Abb. 23 Abb. 23 Pflegewohnheim Donaustadt, Wien (A) 2014, Delugan Meissl Associated Architects Abb. 24 Aufenthaltsraum im Pflegewohnheim Donaustadt, Wien (A) 2014, Delugan Meissl Associated Architects

Mehr und mehr der bestehenden Einrichtungen modifizieren ihre Konzepte und Gebäude. So entstanden z. B. in Wien seit 2010 eine Reihe neuer, wie geriatrische Spezialkliniken ausgestattete Pflegewohnhäuser17, deren Gestaltung durch eine wohnliche Atmosphäre charakterisiert ist. Im Bezirk Donaustadt bauten Delugan Meissl Associated Architects ein bereits in den 1970erJahren errichtetes Geriatriezentrum so um, dass zwar ein Großteil der baulichen Substanz erhalten blieb, Organisation und Gestaltung jedoch

17 Leeb 2009 Abb. 24

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ganz aktuellen Erfordernissen entsprechen. In den Aufenthaltsräumen, die unterschiedliche Blickbeziehungen ermöglichen, sind wohnzimmerähnliche Situationen entstanden (Abb. 23, 24, S. 25).

Abb. 26

18 Kremer-Preiß 2014 a, S. 32ff. 19 Eine Übersicht über die unterschiedlichen Projekte gibt z. B. die Webseite www.wohnprojekte-portal.de.

Das breite Spektrum unterschiedlicher Pflegeund Wohnangebote hat auch die Architektur jener Pflegeeinrichtungen verändert, die lange Zeit funktional am Krankenhausbau orientiert waren (siehe »Wohn- und Haushaltsformen im Wandel«, S. 13ff.). Die Seniorenresidenz Spirgarten in Zürich beispielsweise empfängt ihre Besucher wie ein Hotel: Das Gebäude übernimmt eine städtebauliche Vermittlerrolle in der aus unterschiedlichen Epochen stammenden Bebauung. Ein gefasster Vorplatz leitet in einen holzverkleideten Empfangsbereich mit Rezeption, Café und Kaminzimmer. Das Café, mit dem die Öffentlichkeit ins Haus geholt wird, und gemeinschaftlich genutzte Bereiche tragen zu einer abwechslungsreichen Gestaltung des alltäglichen Lebens der Bewohner bei (Abb. 25, 26). Auch für schwerkranke Personen, die z. B. an Demenz leiden, wurden mittlerweile Wohn- und Pflegekonzepte entwickelt, die Vertrautheit schaffen und sich um die Gestaltung eines möglichst »normalen« Tagesablaufs bemühen. Im Kompetenzzentrum »Beraten – Wohnen – Pflegen« im oberfränkischen Forchheim leben 95 Menschen mit Demenz in Gemeinschaften von je zwölf Bewohnern. Die Wohngruppen können sowohl als autarke Einheiten bewohnt als auch entsprechend dem steigenden Pflegebedarf betreut werden (Abb. 29, S. 29).

Formensprache und Farbgestaltung des Wohnhochhauses »De Plussenburgh« mit 104 rollstuhlgerechten Wohnungen lassen keinen Rückschluss darauf zu, dass hinter der auffälligen Fassade Wohnungen liegen, die sich an eine ältere Zielgruppe wenden. Das Gebäude liegt zentral in der Rotterdamer Trabantenstadt Ijsselmonde in der Nähe eines bestehenden Einkaufszentrums. Es ist mit einem Schwesternheim verbunden, das medizinische Versorgung und Hilfspersonal stellt. Ein geschwungener, gut begeh- und befahrbarer Weg führt bis zu einer Wasserfläche, wo sich unter dem aufgeständerten Baukörper ein Gemeinschaftsraum befindet (Abb. 27). Doch nicht immer muss eine Fassade so spektakulär gestaltet sein. Die Seniorenresidenz Multengut bei Bern lässt sich in ihrer Außengestaltung nicht von einem »normalen« Wohnbau unterscheiden. Rote deckenhohe Schränke, die auf den Balkonen Privatsphäre schaffen, und blau gekennzeichnete Treppenhäuser, die die Orientierung erleichtern sollen, gliedern die Fassade (Abb. 28). Diese Bauten stehen exemplarisch für viele andere und zeigen, wie Pflegeimmobilien in ihrer Gestaltung Wohnbauten immer ähnlicher werden, sich mehr und mehr kleinräumig in der Stadt verteilen und ins Stadtbild integrieren. Ausgelöst durch Kritik an der Vereinsamung und Fremdbestimmung in institutionellen Wohnformen wie dem Alters- oder Pflegeheim, gab es in den 1980er-Jahren im Wohnungsbau die ersten Pionierprojekte, die speziell älteren Menschen eine Wohnalternative anbieten wollten.

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Es entstanden gemeinschaftlich orientierte Wohnprojekte, die älteren Personen ein eigenständiges Wohnen mit sozialer Vernetzung ermöglichen sollten. Dazu gehörten von Bewohnern selbst initiierte und organisierte Vorhaben ebenso (siehe »Wohnen – Kultur – Integration«, S. 53) wie Projekte von Wohlfahrtsträgern oder Wohnungsunternehmen. Zu den Ersten dieser trägerinitiierten Projekte gehört das vom Wohnungsunternehmen Sozialbau Kempten (Allgäu) gemeinsam mit dem Wohnbund e. V. (Verband zur Förderung wohnpolitischer Initiativen) entwickelte Projekt »Integriertes Wohnen« (IWO) in Kempten. Es entstand als eines der 21 geförderten Modellvorhaben des Forschungsprogramms Ex perimenteller Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt) im Rahmen des Forschungsfelds »Ältere Menschen und ihr Wohnquartier« (siehe »Das Quartier als Handlungsebene«, S. 82). Da bereits frühzeitig mit der Suche nach Bewohnern begonnen wurde, waren diese maßgeblich in der Planungsphase beteiligt und lernten sich schon vor dem Bezug der Wohnungen kennen. Das breite Spektrum an unterschiedlichen Wohn- und Eigentumsformen ermöglicht eine soziale und altersbezogene Vielfalt. Die 65 Wohnungen werden ergänzt durch eine betreute Behindertenwohngruppe, eine Tagespflegestation sowie ein Café und einen Gemeinschaftsraum. Die Sozialbau Kempten unterstützt das Nachbarschaftsleben aktiv durch gemeinschaftsfördernde Maßnahmen und organisiert mit der zum Unternehmen gehörenden gemeinnützigen Stiftung »Wohnhilfe« Unterstützungsangebote, die auch älteren oder behinderten Mietern und

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Eigentümern den Verbleib im vertrauten Umfeld möglich machen. Aus diesen Pionierprojekten sind inzwischen vielfältige, sogenannte besondere oder alternative Wohnformen für Ältere entstanden, zu deren Förderung in den letzten Jahren unterschiedliche Initiativen gestartet wurden. In der 2014 von der Wüstenrot Stiftung und dem Kuratorium Deutsche Altershilfe herausgegebenen Publikation »Wohnatlas – Rahmenbedingungen der Bundesländer beim Wohnen im Alter«18 nahmen die Autoren folgende Systematisierung besonderer Wohnformen vor und definiert sie wie folgt: • Gemeinschaftliches Wohnen/Mehrgenerationenwohnen/generationenübergreifendes Wohnen19: Die begriffliche Vielfalt entspricht der Vielfalt der Konzepte, die sich aufgrund ihrer definitorischen Uneinheitlichkeit schwer fassen lassen. Häufig sind es selbstorganisierte Projekte – altershomogen, aber auch generationenübergreifend –, an denen die Bewohner sowohl in der Planung als auch an der Umsetzung beteiligt sind. Das gemeinschaftliche Leben wird selbst organisiert und man unterstützt sich gegenseitig mit kleinen Hilfeleistungen im Alltag. • Betreutes Wohnen für Senioren: Mit dem Begriff »Betreutes Wohnen« werden seit dem Beginn der 1990er-Jahre unterschiedliche Konzepte zusammengefasst, die ältere Personen in ihrer eigenständigen Haushalts- und Lebensführung unterstützen. Die Bewohner leben in einer weitgehend oder ganz barrierefreien Wohnung innerhalb einer Wohnanlage oder in der Nähe eines Pflegeheims. Das Woh-

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Abb. 27 Abb. 25 holzverkleideter Empfangsbereich, Seniorenresidenz, Zürich (CH) 2006, Miller & Maranta Abb. 26 Vorplatz als Abschluss einer Fußgängerzone, Seniorenresidenz, Zürich (CH) 2006, Miller & Maranta Abb. 27 Wohnhochhaus, Rotterdam (NL) 2006, Arons en Gelauff architecten Abb. 28 Seniorenresidenz Multengut, Basel (CH) 2004, Burkhalter Sumi Architekten

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nen ist mit einem Dienstleistungsangebot verknüpft, für das eine Betreuungspauschale zu zahlen ist. Je nach Konzept kann zwischen Grund- und Wahlleistungen unterschieden werden. Da es damals keine eindeutigen Definitionskriterien gab, haben zunächst einzelne Bundesländer, als Erstes 1995 Baden-Württemberg, ein Qualitätssiegel eingeführt. Auch die Einführung der bundesweiten DIN 77 800 »Betreutes Seniorenwohnen« im Jahr 2006 sollte zur Qualitätssicherung dieses Wohnangebots beitragen. Der wesentliche Unterschied zu einer häuslichen Betreuung durch ambulante Dienste liegt in der Bereitstellung eines barrierefreien Wohnraums und einer höheren Sicherheit durch die angebotenen Grundleistungen. • Ambulant betreute Pflege-Wohngemeinschaf-

ten: Als Alternative zu einem Pflegeheim finden ambulant betreute Pflege-Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz oder anderen schweren Erkrankungen als Rundum-die-Uhr-Versorgungsmodelle eine zunehmende Verbreitung. Sechs bis acht Unterstützungsbedürftige leben in einem gemeinsamen Haushalt, der von Betreuungskräften organisiert wird, die auch das Gruppenleben moderieren. Gemeinsam genutzt werden Wohnküche, Wohnraum und unter Umständen auch Sanitäranlagen. Je nach Größe und Konzept steht jedem Bewohner ein eigenes Zimmer oder Apartment zur Verfügung. Diese Kombination bietet als ambulante Wohnform ein hohes Maß sowohl an Alltagsnormalität und Selbstbestimmung als auch an Versorgungssicherheit.

Die Zukunft liegt im Quartier In den letzten Jahren sind in den verschiedenen Bundesländern unterschiedliche Ansätze zur Förderung altersgerechter Wohnformen entstanden. Ursula Kremer-Preiß, Sozialwissenschaftlerin und Leiterin des Bereichs Wohnen und Quartier beim Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA), leitete das vom KDA und der Wüstenrot Stiftung initiierte Kooperationsprojekt »Wohnatlas – Rahmenbedingungen der Bundesländer beim Wohnen im Alter«. Interview mit Ursula Kremer-Preiß

Was zeichnet ein altersgerechtes Wohnangebot aus? Es geht nicht nur ums Bauen, sondern um die Entwicklung ganzheitlicher Konzepte. Die bedarfsgerechte Wohnung ist ein ganz wesentlicher Baustein, doch ist ein generationengerechtes, unterstützendes Wohnumfeld mit einer guten sozialen Infrastruktur, wohnbegleitenden Hilfeund Pflegeangeboten, einer ortsnahen Beratung und vielfältigen Begegnungsangeboten ebenso wichtig. Wie groß ist das bestehende Angebot? Lässt sich das quantifizieren? Da ein altersgerechtes Wohnangebot aus zwei Komponenten besteht – einer weitgehend barrierefreien Wohnung und Angeboten im Wohnumfeld –, ist das vorhandene Angebot schwer in Zahlen zu erfassen. Der Anteil von weitgehend barrierefreien Wohnungen im Wohnungsbestand lässt sich auf der Basis von Schätzzahlen annähernd quantifizieren. Zu den Angeboten im Wohnumfeld, wie z. B. der Erreichbarkeit der kommerziellen oder der die Gesundheitsversorgung betreffenden Infrastruktur, gibt es Einzelstudien, nicht zuletzt weil eine Versorgungssituation immer nur in ihrem lokalen Kontext betrachtet werden kann.

Abb. 29 »Kompetenzzentrum Beraten – Wohnen – Pflegen«, Forchheim (D) 2013, Feddersen Architekten

Dennoch beinhaltet Ihre Studie auch Schätzungen zum Bedarf an weitgehend barrierefreien Wohnungen? Entscheidend ist es, eine bedarfsgerechte Situation vor Ort zu schaffen. Wenn Sie eine weitgehend barrierefreie Wohnung benötigen, nützt es nichts, wenn davon zwar 1,4 Millionen bundesweit existieren, sich aber keine von diesen in ihrem unmittelbaren Umfeld befindet. Auch besteht nicht bei allen älteren Menschen ein Bedarf an barrierefreien Wohnungen, doch sollte für in ihrer Mobilität eingeschränkte Personen ein bedarfsgerechtes Wohnangebot zur Verfügung stehen. Um diese Situation zu verbessern, wurden zur Beratung politischer Gremien die folgenden Zahlen erhoben: Derzeit sind bundesweit 22,6 % der Bewohner von Seniorenhaushalten in ihrer Mobilität eingeschränkt, dies entspricht in etwa einem Bedarf von hochgerechnet 2,5 Millionen weitgehend barrierefreien Wohnungen. Damit ergibt sich bei einem aktuellen Bestand von 1,4 Millionen eine Versorgungslücke von 1,1 Millionen Wohneinheiten, wobei sich jedoch länderspezifisch große Diskrepanzen zeigen.

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Welche zukunftsträchtigen Strategien sollten in den einzelnen Bundesländern verfolgt werden? Um zukünftigen Herausforderungen begegnen zu können, sollte eine Gesamtstrategie für das Politikfeld »Wohnen im Alter« folgende Elemente umfassen: Das Thema muss kontinuierlich und systematisch bearbeitet werden. Dabei steht eine ressortübergreifende Zusammenarbeit im Vordergrund. Es ist eine gemeinsame Gestaltungsaufgabe, an der möglichst viele Akteure der Zivilgesellschaft zu beteiligen sind. Da das Thema nicht als isolierte bauliche Aufgabe begriffen werden darf, sind integrierende Ansätze besonders zu fördern. Das in vielen Modellvorhaben gesammelte Wissen ist für gezielte Strukturveränderungen zu nutzen. Und nicht zuletzt gilt es, flexibel zu bleiben und Experimentierspielräume zu öffnen und zu nutzen. Mit welchen Maßnahmen lassen sich diese Strategien im Bereich des Wohnens umsetzen? Zu den drei wichtigsten Maßnahmen gehört die Verankerung des Themas der Barrierefreiheit in den Bauordnungen der einzelnen Bundesländer und in deren Förderrichtlinien. Derzeit werden die in der Musterbauordnung formulierten Anforderungen zum barrierefreien Bauen in den jeweiligen Bauordnungen sehr unterschiedlich umgesetzt. Mit der Einhaltung barrierefreier Standards als Grundlage für die Inanspruchnahme von Fördermitteln können vor allem im sozialen Wohnungsbau entsprechende Wohnungen geschaffen werden. Mit dieser Maßnahme wurden z. B. in Nordrhein-Westphalen in den letzten Jahren ca. 100 000 barrierefreie Wohnungen geschaffen. Für die Umsetzung ist Wissen erforderlich und hier fehlt es, trotz einer Vielzahl von Informationsbroschüren, noch immer an passgenauen Informationsangeboten für die unterschiedlichen Zielgruppen, wie Handwerker, Kommunen und Wohnungsunternehmen, aber auch Architekten. Gibt es Grenzen altersgerechter Wohnkonzepte? Wann braucht es spezielle Pflegeeinrichtungen? Natürlich gibt es Grenzen. Hochgradig demenziell Erkrankte ohne Angehörige können nicht allein leben und benötigen eine 24-Stunden-Betreuung. Aber viele körperlich erkrankte Personen könnten durchaus auch in einer entsprechend adaptierten Wohnumgebung unterstützt werden. Es ist immer ein Balanceakt zwischen Versorgungssicherheit und Selbstbestimmung. Es gibt Pflege- und Wohnformen, die viel Versorgungssicherheit und weniger Möglichkeiten der Selbstbestimmung bieten, und umgekehrt. Das ist eine individuelle Entscheidung. Welche ist für Sie die Wohnform der Zukunft? Wohnen ist immer ganzheitlich zu betrachten. Es gibt nicht »die Wohnform« der Zukunft. An die Stelle standardisierter Lösungen müssen Konzepte treten, die sich an unterschiedlichen Bedarfslagen orientieren. Zudem liegt die Zukunft im Quartier. Bei Quartierskonzepten geht es darum, die Lebensräume an den jeweiligen Bedarf der Unterstützungsbedürftigen anzupassen, neue Formen der Solidarität zu finden und die Potenziale eines Orts zu aktivieren. «

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Kindheit /Jugend

Berufsleben

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Jahre

Rente/Pension

Wohnung mit Unterstützung

Geriatisches Krankenhaus

Case Management Betreute Wohngemeinschaft Schulcampus mit Kindergarten und Nachmittagsbetreuung

Akutmedizin Geriatisches Tageszentrum

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20 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2011 b, S. 25 21 Gädker/Sinning/Thalheim 2012, S. 14 22 Vgl. ebd., S. 15 24 Jonuschat/Henseling 2012, S. 10

Inzwischen wird der Begriff »Altersgerecht Wohnen« sehr viel weiter gefasst und beinhaltet nicht nur eine weitgehend barrierefreie bzw. -reduzierte Wohnung, sondern auch ein solches Wohnumfeld, die ortsnahe Verfügbarkeit wesentlicher Infrastruktureinrichtungen sowie soziale und pflegerische Unterstützungsangebote.20 Eindeutige Abgrenzungen zwischen Sonderwohnformen für ältere Personen und »normalem« Wohnen werden somit schwieriger, nicht zuletzt weil parallel im Bereich der traditionellen Pflege eine umfangreiche Angebotserweiterung stattgefunden hat, um auf immer unterschiedlichere Anforderungen und Wünsche zu reagieren. Mit der zunehmend komplexen Verknüpfung von Pflege- und Wohnungswirtschaft entwickelt sich nun aus der altersgerechten Infrastruktur des 20. Jahrhunderts mit ihren großen, zentral organisierten Einrichtungen ein Netzwerk alterNsgerechter Unterstützung (Abb. 30). Von einem weniger altersabhängigen Pflegeverständnis, das nicht ausschließlich auf ältere, gebrechliche Personen fokussiert ist, sondern auch die Behinderten- und Krankenpflege einbezieht, und einem unterstützenden Wohnumfeld mit vielfältigen Serviceeinrichtungen können alle Generationen profitieren.

Wandel der Lebens- und Wohnformen Die Abnahme struktureller Kontinuitäten in der Erwerbsbiografie (siehe »Demografie und Strukturwandel«, S. 19ff.) trägt dazu bei, dass auch in anderen Lebensbereichen bisher gewohnte Muster und gesellschaftliche Übereinkünfte, über die Art zu leben, infrage gestellt werden. Tradierte Lebensformen wie die Kleinfamilie werden vielfältiger, Art und Intensität sozialer und familiärer Beziehungen verändern sich und tragen dazu bei, dass auch stabile Wohnbiografien seltener werden. Diese Pluralisierung der Familienformen betrifft gegenwärtig vor allem die Jahrgänge bis zum mittleren Erwachsenalter. Bei den heutigen Mittvierzigern ist der Anteil der Wiederverheirateten bzw. der in nichtehelichen Partnerschaften Lebenden ebenso gestiegen wie jener der Kinderlosen. In der Gruppe der heute 70- bis 85-Jährigen gibt es, wie die Auswertung des Deutschen Alterssurveys zeigt, einen hohen Anteil Verheirateter, da sich in der Nachkriegsgeneration die Geschlechterverhältnisse allmählich angenähert haben. »Es ist jedoch davon auszugehen, dass es sich bei dieser Homogenisierung der Haushalts- und Familienformen um ein vorübergehendes Phänomen handelt. Die

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Vielfalt an Lebensformen, welche die Gruppe der Mittvierziger heute ausmachen, werden zum Teil auch auf spätere Lebensphasen übertragen und damit zukünftig zu einer Pluralisierung der Lebensformen im Alter beitragen.«21 Doch gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede im Familienstand und in der Lebensform, die sich mit zunehmendem Alter verstärken. Da Frauen noch immer eine etwas höhere Lebenserwartung als Männer haben und die Mehrheit der Männer mit jüngeren Frauen verheiratet ist, ist der Anteil alleinstehender Frauen deutlich höher. 2009 waren 20 % der 65- bis 69-jährigen Frauen verwitwet, aber nur 5 % der gleichaltrigen Männer.22 Frauen leben daher öfter als Männer allein oder in einer Einrichtung für Ältere. Die Differenzierung von Lebensstilen und kulturellen Milieus verändert die Struktur der privaten Haushalte. Die Zahl der Drei- und Mehrpersonenhaushalte wird in Zukunft ab- und jene der Ein- und Zweipersonenhaushalte zunehmen (Abb. 31). Dieser Trend zur Singularisierung wird sich auch deshalb fortsetzen, weil immer weniger Kinder in junge Haushalte hineingeboren werden, »sodass auch immer weniger größere Haushalte ›nachwachsen‹. So wird die Nachfrage auf den Wohnungsmärkten immer weniger von größeren und immer mehr von kleineren Haushalten getragen.«23

Nachbarschaft Abb. 31

Mit der Zunahme kleinerer Haushalte werden integrierte Ortslagen, urbane Zentren und Siedlungskerne für alle Generationen als Wohnorte attraktiv. Die Auswirkungen allgemeiner Trends auf die Wohnungsmärkte müssen regional differenziert betrachtet werden, da viele Faktoren zu berücksichtigen sind. Dazu zählen u. a. die Altersstruktur der Bevölkerung oder die arbeitsmarktorientierte Zu- und Abwanderung sowie die unterschiedlichen Strukturen der lokalen Wohnungsmärkte mit ihren Anteilen an Geschosswohnungen bzw. Ein- und Zweifamilienhäusern (siehe »Wohnungsmarkt: Nachfrage und Angebot – Interview mit Maria Theresia Krings-Heckemeier«, S. 32f.). Diese quantitativen Veränderungen sind begleitet von einer zunehmenden Pluralisierung der Lebensstile, die klare Aussagen über zukünftige Wohnwünsche und -erfordernisse erschwert, denn die »Ausnahme wird immer mehr zur Regel und Typologien etwa nach Milieus oder Schichten weniger entscheidend.«24 Die Beziehungen zwischen Lebenslage und Lebensstil sowie zwischen Wohnungsnachfrage und Standortentscheidungen werden somit immer komplexer und sind nicht nur von der Wohnung und ihrer Ausstattung bestimmt, sondern in zunehmendem Maß von raumstrukturellen Merkmalen im Wohnumfeld.

vertikale Organisation der Hausgemeinschaft

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Abb. 30 Differenzierung der Versorgungsstrukturen Abb. 31 alternsgerechte Wohnformen

Wohngemeinschaft

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Wohnungsmarkt: Nachfrage und Angebot Der soziodemografische Wandel, abnehmende Bevölkerungszahlen, die Pluralisierung der Lebensstile und die Singularisierung der Haushalte haben gravierende Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt. Klare Aussagen über zukünftige Wohnwünsche und -erfordernisse sind immer schwieriger zu treffen. Angesichts der zunehmenden Diversität der Lebens- und Wohnformen wird es ebenso komplizierter, Wohnungstypologien zu erstellen, die sich an bestimmten Milieus oder Schichten orientieren. Maria Theresia Krings-Heckemeier, Vorstandsvorsitzende des unabhängigen wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Beratungsinstituts empirica in Berlin, verfolgt den Wandel am Wohnungsmarkt schon seit der Gründung des Instituts im Jahr 1990. Interview mit Maria Theresia Krings-Heckemeier

Wie wirkt sich der demografische Wandel auf den Wohnungsmarkt aus? Der soziodemografische Wandel wirkt sich auf den lokalen Wohnungsmärkten in Bezug auf Miet- und Kaufpreise, Wohnangebote und Nachfrage ganz unterschiedlich aus, da er regional sehr unterschiedlich und ungleichzeitig verläuft. Während in den wirtschaftsdynamischen Regionen eine zusätzliche Wohnungsnachfrage besteht, gibt es in den strukturschwachen Regionen mit einer hohen Abwanderung bereits seit Jahren zunehmend Leerstände und damit ein Überangebot an Wohnungen. Die mit zurückgehender Nachfrage sinkenden Mieterträge und steigenden Betriebskosten erschweren den Erhalt der Gebäude und machen sowohl aus ökonomischen als auch aus ökologischen Gründen eine Gegensteuerung erforderlich. Auch die Wohninfrastruktur muss den rückgängigen Bevölkerungszahlen und der veränderten Nachfrage angepasst werden. Zu den Verlierern der aktuellen Entwicklung am Wohnungsmarkt gehören sozial und wirtschaftlich benachteiligte, immobile Bevölkerungsgruppen, die sich nur schwer selbst mit Wohnraum versorgen können. Über innovative, gemeinschaftlich orientierte Wohnformen wird in den Medien viel berichtet. Wie kompatibel sind sie mit einem ebenfalls häufig diskutierten, die Individualität betonenden Lebensstil? Es gibt sowohl auf Individualität ausgerichtete Wohnangebote wie auch zunehmend mehr gemeinschaftliche Wohnformen. Wer gern individuell leben möchte, sollte keine gemeinschaftsorientierte Wohnform wählen. Bei diesen Projekten gibt es zwar auch die Möglichkeit, die Privatsphäre zu pflegen, aber Gemeinschaft steht bei diesen Projekten im Vordergrund. Was sind die häufigsten Motivationen für das Interesse an gemeinschaftlich orientierten Wohnformen? Die Verringerung der Zahl der Haushaltsmitglieder führt zu einer erhöhten ökonomischen Belastung des einzelnen Haushalts, da sich die Relation zwischen den für Erwerb und Erhalt der Wohnung notwendigen Kosten und der Anzahl der Personen, auf die sich diese Kosten verteilen, verschlechtert. Ähnliches gilt auch für andere Konsumgüter und Dienstleistungen, die in einem Haushalt gemeinschaftlich genutzt werden. Deshalb ist für eine Untersuchung der Konsumnachfrageentwicklung nicht die Bevölkerungszahl, sondern die Gesamtzahl der Haushalte wesentlich. Wenn mit der zunehmenden Singularisierung nur noch eine Person in einem Haushalt lebt, wird man sich in Zukunft vermehrt an den Pro-Kopf-Einkommen orientieren müssen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat 2011 daraufhin gewiesen, dass die Einschätzung des zukünftigen Verlaufs des Pro-Kopf-Einkommens eher verhalten sein wird. Es gibt daher auch durchaus ökonomische Gründe, welche die unterschiedlichen Modelle des Teilens und gemeinsamen Nutzens in allen Altersgruppen interessant machen. Für gemeinschaftliche Wohnformen interessieren sich insbesondere Ältere, aber auch Familien. Ältere wollen nicht im Alter einsam leben. Nicht die gegenseitige Hilfe, sondern die Vermeidung der Einsamkeit steht in der Regel im Vordergrund. Familien haben Interesse an gemeinschaftlichen Wohnformen, weil sich auf diese Weise der Alltag besser organisieren lässt, wenn z. B. die Bewohner die Kinder abwechselnd in die Kita oder in die Schule bringen bzw. von dort abholen. Werden altershomogene oder generationenübergreifende Wohnformen stärker nachgefragt? Gibt es hier Unterschiede zwischen den einzelnen Altersgruppen? Beide Wohnformen – sowohl altershomogene wie auch generationenübergreifende – werden nachgefragt. Der Bedarf ist in allen Generationen etwa gleich hoch.

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Handelt es sich hier um bundesweite Trends oder gibt es regionale Unterschiede? In der Zwischenzeit handelt es sich bei den gemeinschaftlichen Wohnformen um bundesweite Trends. Vorreiter waren Tübingen und Freiburg. Heute findet man auch im ländlichen Raum gemeinschaftliche Wohnformen. Um nur ein Beispiel zu nennen: In Külz, einem Dorf im Hunsrück, wurde in einem zentral gelegenen Haus eine Seniorenwohngruppe eingerichtet, die auch über eine virtuelle Wohngemeinschaft verfügt, deren Kommunikationsplattform sich im Internet befindet. Wie sieht es aus mit der Wohnmobilität? »Alte Bäume verpflanzt man nicht« – ist das heute noch richtig? Immer häufiger ist ein Wechsel in der Lebensphase oder in der Beziehung auch mit einem Ortswechsel verbunden. Die Wohnmobilität wird daher – und dies nicht nur in jungen Jahren – voraussichtlich zunehmen. Denn immer öfter geben auch Ältere ein Haus auf, das ihrem Lebensalltag nicht mehr entspricht, und ziehen in eine Wohnung, die sie weniger durch Haus- und Gartenarbeit belastet, und an Standorte, die ihnen eine bessere Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben ermöglichen. Da bestehende Wohnungen (unabhängig von Miete oder Eigentum) häufig preisgünstiger sind als neue, kann mangelnde Nachfrage nach neuen Wohnungen nicht immer als ein Zeichen von mangelndem Interesse interpretiert werden, sondern kann auch ein Hinweis auf fehlende kostengünstige Angebote sein. Wie reagieren die Wohnungsmärkte auf das zunehmende Interesse? Gibt es neue Akteure? Der Wunsch nach größerer Selbstverantwortung und Mitbestimmung bei der persönlichen Wohnumgebung oder nach gemeinschaftlichen Wohnformen lässt sich nur bedingt in den aktuellen rechtlichen und räumlichen Strukturen des Miet- und Eigentumswohnungssektors umsetzen. Neue Eigentumsformen, wie Baugemeinschaften, Wohngruppen und die Neugründung oder Umstrukturierung von Genossenschaften, gewinnen daher an Bedeutung. In den Großstädten wie beispielsweise in Berlin gibt es auch Investoren, die sich um gemeinschaftliche Wohnformen kümmern. Die Miete ist bei diesen Projekten in der Regel etwas höher, weil z. B. Gemeinschaftsräume integriert werden. Wie werden sich generationenübergreifende Wohnformen weiterentwickeln? Gibt es bevorzugte bauliche Typologien? Bei den gemeinschaftlichen Wohnformen überwiegt der Geschosswohnungsbau. Mir ist nur ein Beispiel bekannt, das Wohnquartier St. Leonhards Garten in Braunschweig, bei dem es sich um eine gemeinschaftliche Wohnform mit Einfamilienhäusern handelt. Welchen Rat würden Sie Architekten geben? Was sollten sie in Zukunft bei der Planung und Umsetzung von Projekten besonders berücksichtigen? Wenn es sich um gemeinschaftliche Wohnformen bzw. Baugruppen handelt, dann müssen Architekten wissen, dass der Zeitaufwand größer ist als bei der Planung eines »normalen« Wohnangebots. Da die Baugruppen den Planungsprozess beeinflussen wollen, ist es bei den meisten gemeinschaftlichen Wohnprojekten in der Zwischenzeit so, dass die Architekten nicht die Gruppenberater sind. Es gibt speziell ausgebildete Architekten bzw. sonstige Akteure, die den Planungsgruppenprozess begleiten. «

Abb. 32 Bauherrengemeinschaft Loretto, Innenhof, Tübingen (D) 2006, Freiraumplanung: frei raum concept Abb. 33 Klimahülle als Spielfläche und Kommunikationsraum, Wohnanlage Holzstraße Linz (A) 1999, Herzog & Partner Abb. 32

Abb. 33

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06:00 Uhr

23:00 Uhr

1980

2013

Arbeit

Arbeit

Freizeit

Freizeit

Arbeit

Freizeit

Arbeit

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Abb. 34 neue Zeitmuster der Alltagsorganisation Abb. 35 Grundriss einer barrierefrei adaptierten Wohnung, Maßstab 1:200, Frankfurt am Main (D) 2011, Ursula Fuss

Flexibler organisierte Arbeitsverhältnisse und komplexere Lebensformen führen zu neuen Zeitmustern in der Alltagsorganisation – anders als in der Industriegesellschaft, in der immer gleich getaktete Arbeitstage, aber auch Ladenöffnungszeiten den Tag durch einen gleichmäßigen Rhythmus von jeweils acht Stunden für die Tätigkeiten des Schlafens, Arbeitens und Wohnens strukturierten. In allen Generationen verändern sich die Zeitverwendungsbudgets, weil Aktivitäten, die bisher in einer raum-zeitlichen Kontinuität organisiert waren – nämlich an einem Ort, in einem Unternehmen, in einem Arbeitsverhältnis, in einer Lebensbeziehung – zerlegt und neu organisiert werden25 (Abb. 34). Damit lassen sich auch Wohnbedürfnisse nicht mehr in Abgrenzung zur außer Haus stattfindenden Berufstätigkeit oder Ausbildung definieren. Die Grenzen zwischen den Lebensbereichen »Arbeiten«, »Wohnen« und »Freizeit« werden fließender, denn nur diese Form der Flexibilisierung ermöglicht es, auch das Privatleben effektiv zu organisieren und zu optimieren. In vielen Arbeitsverhältnissen erwartet man, sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht, eine hohe Flexibilität. Daher wird auch im Bereich des Wohnens und den das Wohnen begleitenden Dienstleistungen eine »Standardisierung von Leistungen den gegenwärtig sich ausdifferenzierenden Bedürfnissen und Nachfragen immer weniger gerecht.«26 So entsteht nicht nur seitens der älteren Bevölkerung ein Bedarf an finanzierbaren Angeboten, die die Organisation des privaten Haushalts erleichtern oder die Pflege von Kontakten und Netzwerken unterstützen. Auch Jüngere haben aufgrund einer zunehmenden Mehrfachbelastung in Beruf und Familie einen immer komplexeren Alltag zu bewältigen und sind deshalb auf auf wohnungsnahe Versorgungsstrukturen und kurze Wege angewiesen, die eine rasche Erledigung der vielfältigen Aufgaben ermöglichen. Parallel

zu dieser Entwicklung werden auch soziale Netzwerke im unmittelbaren Wohnumfeld wichtiger. Mit der »Aufwertung von Nachbarschaftsbeziehungen gewinnen überschaubare Kleinstrukturen an Attraktivität.«27 Um die zunehmende Komplexität des Alltags zu bewältigen, ist ein unterstützendes Wohnumfeld für alle Generationen attraktiv. Strukturelle Wohnraumanpassung »Anders als gewohnt« erfordert sowohl im Wohnungsbestand als auch im Neubau strukturelle Anpassungsmaßnahmen, die nicht ausschließlich die bauliche Ebene betreffen, sondern auch das Wohnumfeld einbeziehen. Da in Deutschland vor allem die Zahl der Haushalte mit über 65-jährigen Personen ansteigen wird, sind deren Bedürfnisse besonders zu berücksichtigen. Betrachtet man nicht nur die mittelfristige Perspektive bis zum Jahr 2030, sondern die langfristige bis zum Jahr 2050, ergeben sich zwei unterschiedliche Bedarfslagen. Mittelfristig, bis 2030, wird – vor allem bei Personen in der nachberuflichen Phase – der Bedarf an Wohnformen zunehmen, die durch unterschiedliche, frei wählbare Formen von Gemeinschaft der Vereinsamung entgegenwirken und durch niedrigschwellige Angebote die Selbstständigkeit unterstützen. Parallel dazu wird mit der in den nächsten 40 Jahren zunehmenden Zahl Hochaltriger der Bedarf an Wohnformen, die Personen mit schwerwiegenden körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen nicht nur eine umfassende Hilfe anbieten, sondern sie auch in ihrer Selbstbestimmung unterstützen, kontinuierlich zunehmen und langfristig (bis 2050) besonders hoch sein.28 Gerade ältere Personen wohnen – aufgrund der langen Wohndauer – häufig in nicht mehr zeitgemäß ausgestatteten und schwer zugänglichen

Alternsgerecht wohnen

Wohnungen, da im Haus ein Lift fehlt oder nur im Zwischengeschoss hält. Diese Ausstattungsmängel gefährden eine eigenständige Haushaltsführung und erzeugen einen Unterstützungsbedarf,29 der durch ambulante Dienste nur zum Teil ausgeglichen werden kann. Wenige Wohnungen sind tatsächlich altersgerecht und erfüllen die im Bericht »Wohnen im Alter« definierten baulichen Mindestkriterien. Diese sind erfüllt, wenn zumindest »der Zugang zur Wohnung möglichst barrierefrei gestaltet ist, innerhalb der Wohnung oder zum Balkon/zur Terrasse keine Stufen und Schwellen zu überwinden sind, die Türen im Sanitärbereich eine ausreichende Breite haben, im Sanitärbereich ausreichende Bewegungsflächen vorherrschen, eine bodengleiche Dusche zur Verfügung steht.«30 Es braucht Impulse, um Kommunen und Eigentümer für die Umgestaltung von Wohnhäusern und Infrastruktureinrichtungen zu interessieren. Einige Wohnungsunternehmen mit großen Immobilienbeständen haben diese Notwendigkeit bereits erkannt, bestehende Siedlungsstrukturen und Wohnungsbestände zu sichern und weiterzuentwickeln, und damit begonnen, Konzepte zur Anpassung an aktuelle Wohnbedürfnisse zu erarbeiten und umzusetzen. Bei der Modernisierung großer Siedlungen geht es um strukturelle Maßnahmen, deren Ziel eine qualitative Verbesserung der Wohnsituation ist, z. B. durch Anpassungsmaßnahmen im Bereich der Bäder, aber auch durch die Ergänzung von Balkonen oder eine neue Gestaltung des Freiraums. Oft verbinden Wohnbaugesellschaften die Umsetzung von Verbesserungsmaßnahmen mit energetischen Sanierungen und sozialen Angeboten zur Förderung nachbarschaftlicher Beziehungen (siehe »Mariengrün, Berlin«, S. 90ff. und »Generationengerechte Quartiersentwicklung«, S. 82ff.).

35

Die Wohnraumanpassung soll zur Verbesserung der persönliche Lebens- und Wohnqualität des jeweiligen Bewohners beitragen und orientiert sich daher an dessen spezifischen Bedürfnissen. Zu möglichen Maßnahmen gehören die Beseitigung von Barrieren aller Art, die Reorganisation der Wohnung (wozu auch ein Wohnungstausch oder eine Wohnungsverkleinerung gehören können) sowie kleinere Alltagserleichterungen (z. B. bei der Kücheneinrichtung, niedrigere Fenstergriffe etc.) oder die Integration von neuen Technologien, die den Wohnkomfort erhöhen. Viele dieser kleineren bis mittleren baulich-technischen Eingriffe können auch von selbstnutzenden Eigentümern von Wohnungen bzw. Häusern durchgeführt werden. Flexible Wohnkonzepte, die unterschiedliche Typologien wie Mini-Apartments, Maisonettewohnungen, Penthouses oder Familienwohnungen geschickt kombinieren, sprechen Personen in unterschiedlichen Lebensphasen an und können damit zur Entstehung von generationenübergreifenden Nachbarschaften beitragen. Bei ihrer Anordnung ist darauf zu achten, dass unterschiedliche Bedürfnisse nach Ruhe und Ordnung berücksichtigt werden, da diese leicht zur Ursache von Konflikten werden können. Gerade im Wohnungsneubau können Gebäude nicht nur von Beginn barrierefrei ausgeführt werden, sondern auch strukturell in Bezug auf Gebäudeorganisation und -erschließung so konzipiert sein, dass sie mit einfachen Adaptionsmöglichkeiten ein breites Spektrum unterschiedlicher Nutzungen ermöglichen. Größe und Zuschnitt von Wohnungen lassen sich durch leicht veränderbare Grundrisse variieren und mit einfachen Mitteln an die jeweiligen Lebensphasen und die wechselnden Bedürfnisse von Bewohnern anpassen (siehe »ready – vorbereitet für altengerechtes Wohnen – Interview mit Thomas Jocher«, S. 36f.).

25 Vgl. Feuerstein 2014 26 Häußermann 2009 27 Rohr-Zänker 2006, S. 115 28 Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2011 b, S. 22 29 Vgl. Feuerstein 2008 30 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2011 b, S. 11 Abb. 35

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Alternsgerecht statt altersgerecht

»ready – vorbereitet für altengerechtes Wohnen« Die Erfordernisse altengerechten Wohnens und die Möglichkeiten eines anpassbaren Wohnungsbaus werden viel diskutiert. Fragen des zeitgemäßen Wohnungsbaus beschäftigen den Architekten und Stadtplaner Professor Thomas Jocher, der 1991 gemeinsam mit Dietrich Fink in München das Architekturbüro Fink+Jocher gründete, seit Langem. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung möchte mit der Reihe »Zukunft Bauen: Forschung für die Praxis« den Wissenstransfer zwischen Theorie und Praxis durch Projekte im Bereich der angewandten Bauforschung unterstützen und beauftragte das von Thomas Jocher seit 1997 geleitete Institut für Wohnen und Entwerfen an der Universität Stuttgart mit dem Forschungsprojekt »ready – vorbereitet für altengerechtes Wohnen«.31 Interview mit Thomas Jocher

Was hat Sie dazu bewegt, sich mit altengerechtem Wohnen eingehend zu befassen? Wir leben in glücklichen Zeiten. Noch nie sind so viele Menschen so alt geworden. Während jedoch die Anpassung des Wohnungsbestands an die Bedürfnisse älterer Personen mit hohen Kosten verbunden ist, ließen sich viele Anforderungen kostengünstig und effizient im Wohnungsneubau umsetzen. Doch bauen wir die richtigen Wohnungen, die geeignet sind, Menschen ein Leben lang aufzunehmen? In Deutschland werden mehr Menschen älter, als neue Wohnungen gebaut werden. Wir müssten daher jede neue Wohnung altengerecht planen, denn gerade im Neubau kann man die veränderten Anforderungen kostengünstig umsetzen. In den Medien, den Jurys und an den Universitäten wird viel über altengerechtes Bauen diskutiert und nicht alles, was sich Architekten ausdenken, entspricht auch den tatsächlichen Bedürfnissen der Nutzer, wie z. B. offene Laubengänge, die im Winter zu selten geräumt werden, oder zum Laubengang hin orientierte Fenster, die zu einer Kommunikation einladen, die nicht immer erwünscht ist. Ziel des Forschungsprojekts war es daher, einen für die Wohnungswirtschaft geeigneten Maßnahmenkatalog mit praktikablen Standards zu erstellen. Wir wollten wissen, wie neue Wohnungen gebaut sein müssen, damit sie in einer alternden Gesellschaft zukunftsfähig sind. Wie haben Sie sich der Aufgabe genähert? Wir wollten das Thema nicht ausschließlich auf einer theoretischen Ebene diskutieren, sondern bei der Entwicklung des Katalogs von Fakten ausgehen. In einem ersten Schritt wurden daher die konkreten, bei einer Planung zu berücksichtigenden Bedürfnisse älterer Personen ermittelt. Betrachtet man die Ergebnisse der qualitativen Interviews, so lässt sich zusammenfassend feststellen, dass eine die Eigenständigkeit im Alltag fördernde bauliche Ausstattung ein wesentlicher Faktor der Wohnzufriedenheit ist. Aber auch Komfort und Sicherheit werden im Alter wichtiger. Denn ältere Personen können z. B. eine aufgrund eines fehlenden oder schwer bedienbaren Sonnenschutzes überhitzte Wohnung nicht mehr so einfach verlassen, wenn ihr Bewegungsradius durch Mobilitätseinschränkungen reduziert ist. Ein weiterer relevanter Faktor für die Umsetzung von Maßnahmen sind die Kosten. Daher wollten wir nicht nur die Perspektive der Nutzer erfragen, sondern auch die Perspektive der Wohnungswirtschaft miteinbeziehen. Mit dem Ziel, Impulse für innovative bauliche, aber auch grundrisstypologische Lösungen zu erhalten, wurden in einer standardisierten, quantitativen Befragung bundesweit Wohnungsunternehmen nicht nur nach ihren bisherigen Erfahrungen befragt, sondern auch nach ihren Plänen für die Zukunft. So beabsichtigen viele der befragten Unternehmen, in Zukunft ihre Neubauten möglichst altengerecht, d. h. annähernd barrierefrei zu errichten. Diese empirischen Untersuchungen, vergleichenden Projektanalysen, Interviews und Diskussionen mit Experten sowie Exkursionen zu zwölf ausgewählten deutschen Projekten wurden durch die Analyse von vier Best-Practice-Beispielen aus Dänemark, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz ergänzt. Denn wir wollten wissen, welche Erfahrungen in anderen Ländern gemacht werden.

31 www.readyhome.de

Was ist die Erkenntnis aus dieser internationalen Zusammenschau? Ein Vorreiter im altengerechten Bauen ist aus meiner Sicht die Schweiz. In Deutschland legt DIN 18 040 (Barrierefreies Bauen) die Messlatte so hoch, dass viele versuchen, darunter durchzutauchen. Wir planen stur nur nach der DIN, dabei ist ein kleiner Lift oft besser als gar keiner. Setzt man die Ziele aber zu hoch, kommt man häufig in Konflikte bei der Umsetzbarkeit. In der Schweiz steckt man sich aus meiner Sicht realistischere Ziele, die dann auch tatsächlich einge-

Alternsgerecht wohnen

halten werden. Dort soll jede Wohnung für einen Rollstuhlfahrer besuchsgeeignet sein, was gemäß der Schweizer Norm SIA 500 einer Wohnung entspricht, die für einen Rollstuhlfahrer zugänglich und bei Bedarf mit der Hilfe Dritter nutzbar oder einfach anpassbar ist. Der stufenund schwellenlose Zugang zu Wohnraum und Bad muss baulich vorbereitet sein. Aus dem Forschungsbericht wird ersichtlich, wie viele Details es zu berücksichtigen gilt, um Gebäude »ready« zu machen. Können Sie die wichtigsten Aspekte nennen? Das Forschungsprojekt hat sich ganz explizit mit den Bedürfnissen älterer Personen beschäftigt. Doch wenn man Gebäude den folgenden fünf Grundregeln – den fünf großen A – entsprechend plant, entspricht dies nicht nur den Bedürfnissen der Älteren, sondern passt auch für Jüngere: »A1 absatzfrei« steht für eine schwellenfreie Erschließung außerhalb und innerhalb des Gebäudes, aber auch für die gemeinschaftlich genutzten Räume innerhalb der Wohnung. »A2 ausreichend groß« steht für großzügige Bewegungsflächen in allen Bereichen innerhalb der Wohnung sowie ausreichend breite Türen und Flure. »A3 anpassbar« steht für vorbereitet, sowohl in der Erschließung, die den späteren Einbau eines Aufzugs oder die Montage eines zweiten Handlaufs ermöglicht, als auch in den einzelnen Wohnungen. Hier wird im Bad bereits eine bodengleiche Dusche vorgesehen, sodass die Badewanne nur noch zu entfernen ist. Das WC ist für einen seitlichen Transfer geeignet und der Waschtisch so angeordnet, dass er im Bedarfsfall leicht unterfahrbar ist. Eine räumliche Öffnung der Küche zum Essplatz kann ohne großen Aufwand nachträglich hergestellt werden. »A4 attraktiv« und sicher steht für geradläufige Treppen mit einem bequemen Steigungsverhältnis, für Wohnungsfenster mit geringer Brüstungshöhe, einen einfach zu regelnden Sonnenschutz und Sicherungsmaßnahmen gegen Einbruch bei Türen und Fenstern. »A5 automatisiert« steht für geringen Kraftaufwand zur Bedienung von Fenstern und Türen sowie automatisierte Türen bei den Hauptzugängen (Hauseingang und Tiefagarage). Entscheidend ist, dass die Wohnung altengerecht vorbereitet – »ready« – ist und erst im individuellen Bedarfsfall angepasst wird. Das ist ein bisschen wie beim Auto, das für den hoffentlich nie eintretenden Unfall vorbereitet ist und daher eine gewisse Technikausstattung aufweist. Wir haben sozusagen den Airbag für Wohnungen entwickelt. Und wie hoch sind die Investitionskosten? Um flexibel auf die unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten des Einzelnen zu reagieren, haben wir drei unterschiedliche Standards – »ready basic«, »ready standard« und »ready comfort« entwickelt. Bei den in der Variante »ready basic« definierten Mindeststandards liegen die Mehrkosten bei wenigen Prozent der Baukosten, denn der Maßnahmenkatalog wurde für jede der Ausführungsvarianten entsprechend angepasst. Mit »ready standard« und »ready comfort« steigert sich der Umfang der vorzubereitenden bzw. umzusetzenden Maßnahmen. Die Staffelung der Maßnahmen soll dazu beitragen, möglichst viele Wohnungen in einer – wenn auch einfachen – Ausführung »ready« zu gestalten, denn es geht auch um einen haushälterischen Umgang mit den Ressourcen. »Ready« – ein schöner Begriff, wie kamen Sie darauf? »Ready« heißt vorbereitet sein. Keiner weiß, was ihm morgen passiert. Es geht um einfache Vorsorge. Wichtig ist es, zwischen Maßnahmen zu unterscheiden, die von Beginn an gegeben sein müssen, und Elementen, die später leicht nachgerüstet werden können. Einfache Dinge sind im Nachhinein anpassbar, doch eine Tür macht man später nicht einfach breiter, ebenso wenig ein Fenster einfach tiefer. Anders als die Begriffe »alten- oder behindertengerecht«, die mitunter als stigmatisierend empfunden werden, ist »ready« ein wertneutraler Begriff, der die Akzeptanz der Maßnahmen bei potenziellen Nutzern erleichtert. Apropos Akzeptanz: Welche Erfahrungen haben Sie mit Auftraggebern gemacht, wenn Sie auf das Thema zu sprechen kamen? Ich erlebe immer wieder, dass bei der Planung die jungen Familien noch nicht ans Älterwerden denken. Die meisten Bauherren hören zwar sehr interessiert zu, doch wenn es dann um die wenn auch geringen Mehrkosten geht, denken viele noch nicht an die ferne Zukunft, sondern setzen lieber Wünsche um, die ihren aktuellen Bedürfnissen entsprechen. Hier ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. «

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Alternsgerecht statt altersgerecht

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Wohnung: Wohngemeinschaft

Abb. 36

Im Diskurs um den zunehmenden Unterstützungsbedarf aufgrund der demografischen Alterung sind »Selbstständigkeit« und »Autonomie der Lebensführung« Schlüsselbegriffe, deren Inhalte jedoch nicht allgemein verbindlich definiert sind. »Die Forderung nach Autonomie hat eine anhaltende Tradition in der Behindertenhilfe und bedeutet dort, dass Menschen mit Behinderung in die Situation gesetzt sein sollen, selbst darüber zu befinden, wie sie leben möchten.«32 Die Fähigkeit, persönliche Angelegenheiten nach eigenem Ermessen zu regeln, gehört zu den wesentlichen Kriterien der Pflegeversicherung bei der Feststellung des individuellen Pflegebedarfs. Im Bereich des Wohnens zählt dazu die eigenständige Führung eines Haushalts. Sie wird daran gemessen, wie gut die mit dem Wohnen verbundenen Tätigkeiten – Einkaufen, das eigenständige Zubereiten von Mahlzeiten, Körperpflege, Wäschepflege, Wohnungsreinigung (leichte Putzarbeiten, Fensterputzen, Staubsaugen etc.) – ohne Unterstützung bewältigt werden können. Doch nicht nur verlorene oder nie entwickelte Fähigkeiten, wie z. B. Einschränkungen der motorischen Bewegung oder der Wahrnehmung, gefährden die persönliche Selbstbestimmung, sondern auch fehlende ökonomische und soziale Ressourcen, die für die Selbsthilfe nötig sind. Die soziale und bauliche Umwelt kann daher gerade in Lebensphasen, in denen Personen besonders vulnerabel sind, persönliche Einschränkungen kompensieren, sie aber auch verstärken (Abb. E2). Eine Wohnung, deren

Abb. 36 Konzept der gestuften Öffentlichkeiten Abb. 37 Tagespflegezentrum, Kamigyo (J) 2000, Toshiaki Kawai Abb. 38 empfohlene Entfernungen für Nahversorgungs- und Dienstleistungseinrichtungen Abb. 39 Alltagsmobilität: Verkehrsbeziehungen zwischen den verschiedenen Aktivitäten Abb. 40 Generationenhaus, Stuttgart (D) 2001, Kohlhoff & Kohlhoff Abb. 37

Ausstattung die Haushaltsführung und die persönliche Körperpflege erleichtert, unterstützt auch in schwierigen Situationen eine eigenständige Lebensführung. Je eingeschränkter die Aktionsradien einer Person werden, desto wichtiger sind die räumlichsozialen Qualitäten des Wohnumfelds (siehe »Nachbarschaft – ein soziales Konstrukt –Interview mit Birgit Wolter«, S. 83f.). Wohnungsbezogene Dienstleistungen und die räumliche Nähe zu Angeboten der sozialen, kommerziellen und die Gesundheitsversorgung betreffenden Infrastruktur sowie zu öffentlichen Verkehrsmitteln vermitteln Sicherheit durch eine bedarfsgerechte Unterstützung. Dies erfordert eine integrierte Betrachtung des Wohnens, die neben der Wohnung auch das Wohnumfeld sowie die sozialen Netze und Nachbarschaften einbezieht (Abb. 36). Integrierende Gesamtkonzepte: Nutzungsvielfalt Bestandteil einer nachhaltigen Quartiersentwicklung ist daher auch »der Aufbau und die Sicherung bezahlbarer Zugänglichkeit insbesondere zu Bildungs-, Kultur-, Gesundheits-, Versorgungs-, Freizeit- und Serviceeinrichtungen auf Quartiersebene, die all den Bewohnergruppen eine gleichberechtigte Teilhabe am städtischen Leben ermöglichen, die sich über den Markt aus eigener Kraft nicht in angemessener Weise versorgen können.«33 (siehe »Generationengerechte Quartiersentwicklung«, S. 82ff.)

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In einer alternden Gesellschaft gehören dazu auch Unterstützungsangebote für die ältere Bevölkerung, wie zum Beispiel Tagespflegezentren. In Japan, das gemeinsam mit Deutschland zu den ältesten Gesellschaften der Welt zählt, werden solche Einrichtungen, wie z. B. das Tagespflegezentrum für alte Menschen in Kamigyo (Kyoto), in historische Stadtviertel integriert. Natürliche Materialien und eine zweigeschossige Glasfassade, die eine räumliche Verbindung zum Innenhof schafft, erzeugen eine warme, wohnliche Atmosphäre (Abb. 37). Einrichtungen dieser Art tragen zu einer kleinteiligen Nutzungsmischung im Quartier bei, die »als Schlüsselbaustein für urbane Vielfalt, Lebendigkeit, Sicherheit und soziale Qualitäten des öffentlichen Raums«34 gilt. Nutzungsmischungen können horizontal auf der Ebene des Erdgeschosses im Block oder Quartier organisiert sein, aber auch vertikal innerhalb eines Gebäudes – ihre jeweilige Ausgestaltung ist individuell vor Ort, und soweit möglich, im Austausch mit Betroffenen und Nutzern zu erarbeiten. Das Konzept, unterschiedliche Nutzergruppen nicht voneinander zu trennen, bestimmte auch die Gestaltung des Generationenhauses im Stuttgarter Westen, das als neues Quartierszentrum vielfältige Nutzungen vereint. In dem fünfgeschossigen Gebäude sind neben Beratungsstellen, einem Café und einer Kinderta-

Abb. 39

gesstätte auch zehn Seniorenwohngemeinschaften untergebracht (Abb. 40).

32 Netzwerk: Soziales neu gestalten 2009, S. 25 33 Harlander 2013 a, S. 51 34 Harlander 2013 b, S. 114

Eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt sozialer Beziehungen und die Wahrnehmung unterschiedlicher Interessen ist die Möglichkeit, Aktivitäten außerhalb der Wohnung auszuüben. Dafür braucht es Anreize und Anlässe, die Wohnung zu verlassen, denn das Mobilitätsverhalten wird durch den Zweck von Wegen bestimmt (Abb. 39). Nicht nur Motivationen und Ziele wie Arbeits- oder Ausbildungsplatz, Supermarkt, Restaurants, Freizeitaktivitäten oder Arztbesuchen variieren in den unterschiedlichen Lebensphasen, sondern auch die Anzahl der täglich zurückgelegten Wege. Obwohl mit zunehmendem Alter die Zahl der zurückgelegten Wege meist abnimmt, bleiben die zu Fuß zurückgelegten Distanzen relativ konstant. Je weniger Nahversorgungseinrichtungen zu Fuß erreichbar sind (Abb. 38), desto schwieriger wird es, die Versorgung des eigenen Haushalts aufrechtzuerhalten. Daher wird – auch wenn die Entwicklung technischer Hilfsmittel und neuer Kommunikationsmöglichkeiten zur Kompensation vieler gesundheitlicher Einschränkungen beitragen kann – eine barrierefrei gestaltete Umwelt, die die unterschiedlichen Bedürfnisse von verschiedenen Nutzern berücksichtigt, auch in Zukunft unerlässlich bleiben. Abb. 40

40

Alternsgerecht statt altersgerecht

Raum anders denken »Der kurze Weg zum Glück: universell – individuell – alltagstauglich – barrierefrei« übertitelt die Frankfurter Architektin und Sachverständige für barrierefreies Planen Ursula Fuss viele ihrer Vorträge. Seit einem Unfall nutzt sie einen Rollstuhl und betrachtet die gebaute Umwelt mit anderen Augen als zuvor. Dabei entdeckte sie neue und unkonventionelle Möglichkeiten des Entwerfens, manche visionär, manche realistisch – ist ihr doch unkonventionelles Denken schon seit ihrem Studium bei Peter Cook an der Städelschule vertraut. Hotels als Orte, in denen man Neues entdecken will, gehören zur ihren Lieblingsaufgaben. Interview mit Ursula Fuss

Das bewusste und reflektierte Wahrnehmen unserer räumlichen Umwelt ist eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung neuer gestalterischer Konzepte. Inwiefern hat sich Ihre persönliche Wahrnehmung seit dem Unfall verändert? Barrierefreiheit wird oft mit Behinderung und Unfähigkeit assoziiert. Dies geschieht in Unkenntnis der vielfältigen Fähigkeiten, mit denen Menschen verlorene oder auch nie vorhanden gewesene Fertigkeiten, wie z. B. das Sehvermögen, kompensieren können. Das Wissen um diese Kompensationsmöglichkeiten ist aber grundlegend für eine adäquate Gestaltung unserer Umwelt. Die ständigen Weiterentwicklungen in der Medizintechnik eröffnen neue Möglichkeiten der Mobilität und verändern funktionale Zusammenhänge sowie Handlungsabläufe. In meiner Arbeit erlebe ich oft, wie wichtig es ist, standardisierte Abläufe und alltägliche Situationen zu hinterfragen. Hier liegt ein großes Potenzial für die Entwicklung neuer Entwurfs- und Gestaltungskonzepte. Gerade im Thema Erschließung steckt ein ungeheures architektonisches Potenzial; gibt es doch so unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten der unterschiedlichen Erschließungselemente Treppe – Rampe – Lift. Auf die Gestaltung unserer zwischenmenschlichen Beziehungen wirkt sich auch aus, wie wir einander wahrnehmen. Wie sind Ihre Erfahrungen? Als Architekten sollten wir uns darüber Gedanken machen, wie ein Raum auf seinen Nutzer wirkt. Eine Gestaltung mit einem Überangebot an vom Nutzer nicht benötigten Hilfsmitteln wie z. B. Haltegriffe etc. erzeugt ein Gefühl zugeschriebener Unfähigkeit. Eine Architektur hingegen, die räumliche Angebote der Unterstützung macht, z. B. Stellflächen, auf denen man sich bei Bedarf auch abstützen kann, ermöglicht eine unterschiedliche, den individuellen Bedürfnissen des jeweiligen Nutzers entsprechende Aneignung des Raums und führt damit zu einer hohen Akzeptanz. Für das persönliche Selbstbewusstsein ist es aber mindestens ebenso wichtig, wie die anderen jemanden im architektonischen Raum wahrnehmen. Dabei spielt Gestaltung eine große Rolle. Dazu ein Beispiel: Das Benutzen einer Hebebühne ist für alle Beteiligten unangenehm. Für den Benutzer, da er wie auf einem Präsentierteller herausgehoben wird und unfreiwillig zur Schau

Abb. 41 a

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gestellt wird. Für andere Besucher, da sie den Benutzer als hilfsbedürftig wahrnehmen und sich betroffen fühlen. Auf einer technischen Ebene ist das Problem gelöst, doch das Selbstbewusstsein des Nutzers wird geschwächt und soziale Teilhabe in der Folge vermieden. Eine Hebebühne ist immer eine schlechte und nie eine architektonische Lösung. Gerade bei der Erschließung ist das Thema eines barrierefreien Zugangs von Anfang an mitzudenken. Prinzipiell sollten alle, z. B. bei einem Museumsbesuch, den gleichen Eingang benutzen können. Doch gerade bei historischen Gebäuden kann es schwierig sein, den Haupteingang barrierefrei zu adaptieren. Ein zweiter, gleichberechtigt gestalteter Zugang in das Gebäude, den auch Familien mit Kinderwagen oder die Nutzer von Rollatoren verwenden, kann hier eine gute Lösung sein. Nur sollte er eben nicht wie ein »barrierefreier Hintereingang« gestaltet sein, bei dem einem alle anderen Besucher entgegenkommen, die sich ganz unbewusst die Frage stellen, woher derjenige kommme. Um dann im nächsten Moment festzustellen: ach ja, die Person ist behindert. Die Selbstverständlichkeit des Verschiedenseins geht somit verloren. Eine ganz andere Situation ist im Unterschied dazu das Warten auf einen Aufzug, vor dem alle gleichberechtigt in einer Schlange stehen und miteinander kommunizieren. Das klingt sehr überzeugend, doch lässt sich das immer so einfach umsetzen? Eine gute funktionale Erschließung bietet vielfältige Funktionsbereiche an. Häufig wird über die Neigung von Rampen diskutiert – ist diese zu steil, wirkt eine Nutzung auf den Beobachter nur noch anstrengend und damit nicht erstrebenswert. Eine Rampe mit z. B. 5 % Steigung ermöglicht hingegen vielen Rollstuhlfahrern und Begleitern eine mühelose Benutzung. Plötzlich wirkt es leicht, spielerisch; vielleicht macht es sogar Spaß, die Höhendifferenz zu überwinden. Die unterschiedlichen Eindrücke haben auch auf die Gestaltung der persönlichen Begegnung Einfluss. Architektur sensibilisiert, ohne den erhobenen Zeigefinger zu nutzen. An diesem Punkt wird gern eingewendet, solche Lösungen brauchten ja so viel Platz. Doch auch dies ist wieder eine Frage der Gestaltung. Werden Bereiche so konzipiert, dass sich Funktionen oder Bewegungsflächen überlagern, sodass z. B. die Rampe auch gleichzeitig ein Aufenthaltsraum ist, werden Länge und Fläche gleich ganz anders wahrgenommen. Das funktioniert auch im Innenraum. Bei dem gemeinsam mit der Firma Samsung entwickelten Hotelbad ohne Barrieren habe ich nachgewiesen, dass bei einer entsprechend Planung ein barrierefrei gestaltetes Bad nicht größer ist als ein übliches Standardbad. Aber warum wird selten so geplant? Um sinnvoll planen zu können, braucht man Wissen. Daran fehlt es oft! Wir dürfen diese »gefühlte Hilfsbedürftigkeit« nicht noch weiter kultivieren, sondern müssen architektonische Räume entwickeln, die allen eine gemeinsame Nutzung gewährleisten. Architektur kann das. Architekten auch. Wissen entsteht durch Kommunikation. Architekten sind visuelle Menschen, sie lesen keine langen wissenschaftliche Berichte, sondern lernen lieber visuell, auf Reisen, auf Exkursionen – und entwickeln daraus ihre Architektur. Die emotionale Wahrnehmung eines jeden Architekten ist eine eigene, aus der sich die unterschiedlichen architektonischen Gestaltungsansätze ergeben. Gute Beispiele inspirieren Architekten, diese greifen Ideen auf, entwickeln sie weiter und öffnen sich für ein Thema. Negative Beispiele, die z. B. an Krankheit und Versehrtheit erinnern, sind problematisch, sie erzeugen unangenehme Gefühle, und Architekten, aber auch andere Personen wenden sich vom Thema ab. Es ist noch viel Forschung notwendig und vor allem eine bessere Verankerung in der Lehre. Das Thema muss vom ersten Strich an mitgedacht werden, nicht erst am Ende, wenn der Entwurf schon fertig ist. Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Wir müssen in der Architektur wieder bereit sein, experimenteller zu arbeiten, denn nur durch Versuch und manchmal leider auch Irrtum kommen wir schrittweise weiter. Es wird nie »die eine universelle Lösung« geben – deshalb locker bleiben und fröhlicher werden. Architektur hat sich immer nur weiterentwickelt, indem Unbekanntes erprobt wurde. Neue funktionale Anforderungen haben immer wieder dazu beigetragen, neue Architektursprachen zu entwickeln. Das gilt nicht nur für Beispiele wie den Bau von Hochhäusern, der nur durch das Erschließungselement Aufzug möglich wurde, sondern auch für eine barrierefrei gestaltete Umwelt. Hierin liegt eine Chance, die die Architektur ergreifen sollte. «

Abb. 41 a Hotelbad, das erst auf den zweiten Blick barrierefrei ist, Ursula Fuss mit Samsung SDI Abb. 41 b Grundriss, Maßstab 1:50

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Alternsgerecht statt altersgerecht

Barrierefreiheit und Universal Design

35 Zitiert nach: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit 2014, S. 15 36 Vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit 2014

In der 2002 von der Bauministerkonferenz für Deutschland erarbeiteten Musterbauordnung (zuletzt 2012 geändert) wurde in §2 (9) der Begriff »Barrierefreiheit« definiert: »Barrierefrei sind bauliche Anlagen, soweit sie für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.«35 Obwohl die Musterbauordnung die Grundlage für die jeweiligen Landesbauordnungen ist, unterscheiden sich die Paragrafen zur Barrierefreiheit in den einzelnen Bundesländern erheblich. Dies betrifft beispielsweise die Anwendungsbereiche oder die Aussagen zum unverhältnismäßigen Mehraufwand, die vor

allem im Bestand Abweichungen ermöglichen sollen.36 Um allen Personen, unabhängig von ihren persönlichen Voraussetzungen, eine möglichst gleichberechtigte Zugänglichkeit und Nutzung von Gebäuden zu ermöglichen, wurden in Normen, wie DIN 18 040 in Deutschland, ÖNORM B 1400 in Österreich und SIA 500 in der Schweiz, aber auch in vielen weiteren Richtlinien und Regelwerken Handlungsempfehlungen und technische Ausführungsstandards definiert. Eine gute Gestaltung, die – auf jeder Maßstabsebene – möglichst viele Nutzergruppen unterschiedlichen Alters ein- und möglichst wenige ausschließt, ist auch das Ziel des amerikanischen Universal Designs.

Universal Design ist eine Haltung Bereits in den 1970er- und 1980er-Jahren, während seiner Zeit als Assistent an der TU Berlin, befasste sich Architekt Eckhard Feddersen, der 1973 sein Büro in Berlin gründete, mit dem Thema »Bauen für Menschen mit Behinderungen«. Heute ist er als Referent, Gutachter und Publizist tätig. Interview mit Eckhard Feddersen

Was hat Sie damals motiviert, sich mit dem Thema Barrierefreiheit zu beschäftigen? Der Begriff »barrierefrei« stand in den 1970er-Jahren für eine radikale Forderung nach gesellschaftlicher Veränderung. Man macht sich heute keinen Begriff mehr davon, wie wenig damals auf die Bedürfnisse von Menschen mit Einschränkungen geachtet wurde. Bilder von Altenheimen in den 1960er-Jahren zeigen, welch langer Weg bis heute zurückgelegt wurde. Nicht zuletzt aufgrund der vielfältigen Bemühungen von Behindertenverbänden sind viele gesetzliche Bestimmungen entstanden, die dazu beitragen, dass im Planungsalltag immer mehr darauf geachtet wird, Barrieren zu reduzieren. Doch damals steckte das Thema noch in den Kinderschuhen. Inzwischen sehen Sie den Begriff etwas kritischer, warum? Barrieren sind Schranken, die – nicht nur im Raum, sondern auch in den Gedanken – den Blick verstellen. Ein anderer, umfassenderer, inklusiver und vor allem auch emotionalerer Begriff ist daher notwendig. Es gilt, eine Perspektive einzunehmen, die nicht von Einschränkungen bestimmter Gruppen von Menschen ausgeht. Schließlich braucht jeder von uns irgendwann eine Umgebung, die ihn in irgendeiner Form unterstützt. Dies gilt ganz besonders für eine älter werdende Gesellschaft, für die es mehr braucht als die Erfüllung von Regeln zur Barrierefreiheit. Dies nicht zuletzt, weil die Vorgaben für Menschen mit spezifischen Behinderungen mit den Bedürfnissen älterer Menschen nicht immer übereinstimmt und ihre lückenlose Umsetzung die Errichtungskosten und damit auch die Mieten in die Höhe treibt. Behindertenverbände werfen mir deshalb manchmal vor, dass ich Gesetze aufweiche, die ich vorher mit gefordert habe, doch hinkt gerade im Städtebau nach wie vor die Realität den Forderungen weit hinterher; nicht zuletzt weil die Forderungen auf diesem Gebiet überzogen waren. Aber ganz ohne Regeln geht es auch nicht? Es ist eine schwierige Situation entstanden: Einerseits benötigen wir klare Normen und eindeutige Handlungsanweisungen, andererseits erweisen sich diese zunehmend als ein Erschwernis für ein pragmatisches Handeln im Alltag. Die Forderung nach Behinderungsfreiheit ist somit oft auch ein Verhinderungsmittel geworden. Barrierereduzierung als Ziel zu formulieren erscheint mir daher realistischer. Es ist besser, etwas weniger Vollkommenes zu haben als das ideale Ganze zu verlangen, das stets auf der Ebene der Forderung bleibt. Das Bessere kann der Feind des Guten sein.

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Und wo sehen Sie einen Ausweg aus diesem Dilemma? Universal Design steht für ein sehr offenes Prinzip, dessen begriffliche Auslegung für jede Situation neu zu definieren ist. Es ist ein vielschichtiger Begriff, unter den auch hochspezifische Lösungen fallen können, da es unzählige individuelle Bedingungen und Anforderungen gibt. Grundprinzip ist eine gut erschlossene Umwelt. Das bedeutet zum Beispiel, dass Wohnungen, die in einem nicht per Aufzug erreichbaren Zwischengeschoss liegen, inakzeptabel sind, die Größe eines Lifts aber flexibler gehandhabt werden könnte. Sie sprechen damit ein derzeit sehr kontrovers diskutiertes Thema an. Gerade im Wohnungsbestand, in dem ja viele Ältere leben und in dem daher der größte Anpassungsbedarf besteht, führen standardisierte Vorgaben häufig zu Konflikten. Wie sähe hier eine Lösung im Sinne des Universal Designs aus? Wir stehen hier vor einer großen gesellschaftlichen Aufgabe. Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland mehr als 2 Millionen Wohnungen angepasst werden müssen, um der steigenden Zahl von älteren Menschen gerecht werden zu können. Besonders die Badezimmer sind meist nicht für ein komfortables Wohnen im Alter geeignet. Gemeinsam mit Professor Fritz Frenkler vom Lehrstuhl für Industrial Design an der TU München, der iF Universal Design & Service GmbH und Partnern aus der Industrie hat mein Büro daher eine multidisziplinäre Forschungsgruppe initiiert. Ziel des Projekts war es, pragmatische Lösungen für den generationengerechten Umbau kleiner Bestandsbäder zu erarbeiten. Die Ideen wurden im Forschungslabor des Lehrstuhls zusammengeführt und durch verschiedene Nutzergruppen – besonders auch ältere Menschen – überprüft. Im Sinne des Universal Designs wird dabei nach anwendungsbezogenen Lösungen gesucht, die Menschen aller Altersgruppen mehr Komfort bieten und die Wohnqualität erhöhen. Und was raten Sie Ihren Kollegen? Statt einer festen »Norm«alität, die von den stets gleichen und leicht überprüfbaren Qualitätsstandards bestimmt ist, braucht es eine Offenheit, die räumliche Vielfalt und eine Architektur mit sinnlichen Qualitäten garantiert und die nie die Alltagstauglichkeit aus dem Fokus verliert. Altersspezifische Wohnangebote sind der falsche Weg. Eine »gute« Architektur integriert alle. «

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Abb. 42 Forschungsprojekt für einen generationengerechten Badumbau, Grundriss vorher – nachher, Maßstab 1:50, Feddersen Architekten

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Alternsgerecht statt altersgerecht

Abb. 43 Abb. 43 Das grafische Leitsystem in den Aufzügen erleichtert die Orientierung: Jedem Stockwerk entspricht ein Symbol, das je nach Wohngruppe in Gelb, Hellgrün oder Dunkelgrün gefärbt ist. »Torre Julia«, betreute Sozialwohnungen für Senioren, Barcelona (E) 2011, Pau Vidal, Sergi Pons, Ricard Galiana Abb. 44 großzügige Treppenanlage mit serpentinenartiger Rampenstruktur, AachenMünchener Direktionsgebäude, Aachen (D) 2010, kadawittfeldarchitektur Abb. 45 300 m lange, barrierefreie Rampe zum Festspielgelände im Römersteinbruch, St. Margarethen (A) 2009, AllesWirdGut Architektur Abb. 46 zentrale dreigeschossige Eingangshalle, Altenzentrum in Maienfeld (CH) 2011, Arbeitsgemeinschaft Isler Gysel/bhend.klammer

Es ist eine in den 1970er-Jahren in den USA entstandene Gestaltungsstrategie, die, unabhängig von Bildung, Wohlstand und Alter, die eigenständige Lebensführung eines Menschen in den Vordergrund stellt und das Leben aller Menschen durch gute Gestaltung vereinfachen will. Das Center for Universal Design der New York State University hat 1997 sieben Prinzipien des Universal Designs formuliert:37 1. breite Nutzbarkeit: Das Design ist für Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten von Nutzen (und auf dem Markt absetzbar). 2. Flexibilität im Gebrauch: Das Design unterstützt unterschiedliche individuelle Vorlieben und Möglichkeiten. 3. einfache und intuitive Handhabung: Die Bedienbarkeit ist einfach und intuitiv, unabhängig von der Erfahrung, den Kenntnissen, den Sprachfähigkeiten oder der momentanen Konzentration des Nutzers. 4. sensorische Wahrnehmbarkeit von Informationen: Das Design gewährleistet die gute Wahrnehmbarkeit notwendiger Informationen, unabhängig von der Umgebung oder von den sensorischen Fähigkeiten der Benutzer. 5. Fehlertoleranz: Das Design minimiert Risiken und negative Konsequenzen zufälliger oder unbeabsichtigter Aktionen. 6. geringer körperlicher Kraftaufwand: Das Design kann effizient, komfortabel und mit einem Minimum von Ermüdung genutzt werden.

Abb. 44

7. Erreichbarkeit und Zugänglichkeit: Zugänglichkeit, Erreichbarkeit und Bedienbarkeit sind unabhängig von der Größe des Benutzers, seiner Haltung oder Beweglichkeit durch ausreichenden Platz bzw. angemessene Größe/Höhe gewährleistet. Mit dem Verzicht auf die Anpassung des Designs an die spezifischen Bedürfnisse einzelner Zielgruppen und seiner Fokussierung auf grundlegende menschliche Bedürfnisse nimmt das Universal Design eine Gegenposition zur funktionellen Vorgehensweise des Industriezeitalters ein, die alle spezifischen Zielgruppen durch eine entsprechende standardisierte Lösung befriedigte. Gegenstände und Gebäude wurden damals mit Blick auf ihre jeweiligen Verwendungszwecke optimiert und ließen durch ihre Form und Abmessungen kaum eine andere Nutzung zu. Universal Design dagegen steht für eine Gestaltung, in der vielfältige Wahlmöglichkeiten eine Anpassung an individuelle Bedürfnisse erlauben und trägt damit zu einer Reduzierung von Ausgrenzung und Stigmatisierung bei (siehe »Universal Design ist eine Haltung – Interview mit Eckhard Feddersen«, S. 42f.). Gute Architektur integriert – und so orientiert sich die Architektin Ursula Fuss an Bewegungsund Handlungsabläufen, um nach dem Motto »easy to use« unauffällig unterstützende Elemente in ihre Entwürfe zu integrieren. Sie verwandelt einen handelsüblichen Stützgriff in einen Stützschrank, dessen Schubladen zugleich als Stauraum verwendet werden können. Denn Menschen brauchen nicht nur funktionale, son-

Optionsräume gestalten

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Abb. 45

dern auch schöne Räume, die alle Sinne ansprechen (siehe »Raum anders denken – Interview mit Ursula Fuss«, S. 40f.). Erschließung: Kommunikations- und Begegnungsräume Die Aufhebung der Trennung von Erschließungsund Nutzflächen fördert spontane Begegnungen und den Austausch von Ideen. Mit einer »nach innen verlegten« Topografie modellieren SANAA im Rolex Learning Center der EPFL in Lausanne eine sanft geschwungene Bildungslandschaft, die allen einen gleichwertigen Zugang verschafft. In Aachen schafft eine großzügige, 20 m breite Freitreppe mit Zwischenpodesten eine fußläufige Verbindung zwischen Hauptbahnhof und Dom. Eine serpentinenartige Rampenstruktur durchzieht die Treppenanlage und ermöglicht Fahrrädern, Kinderwagen und Rollstühlen eine problemlose Durchwegung (Abb. 44). Überwindbare Barrieren können auch eine Herausforderung sein. Kinder erleben die Bewältigung von Hindernissen als eine für ihre Entwicklung wichtige Erfolgserfahrung. Auch ältere oder mobilitätseingeschränkte Personen profitieren von angemessenen Hürden. Beispielsweise animiert im »Torre Julia« in Barcelona das offene Treppenhaus zu körperlicher Bewegung. Die Zwischenpodeste fungieren wie Aussichtsplattformen, auf denen man gern eine Pause einlegt. Die Orientierung im Gebäude wird ganz unkompliziert durch die farbige Kennzeichnung (gelb, hellgrün oder dunkelgrün) der Wohngruppen erleichtert (Abb. 43). Aber nicht nur Treppen können zum Erlebnisraum werden. Im Festspielgelände im Römersteinbruch in St. Margarethen im Burgenland leitet eine 330 m lange, barrierefreie Rampe den Besucher im großzügigen Zickzackkurs weit über Felsen und Einschnitte hinunter zum 19 m tiefer gelegenen Festspielgelände. Kehren, von

denen aus man die skulpturale Qualität des Projekts am besten überblicken kann, laden zum Verweilen ein (Abb. 45). Gut funktionierende Sozialräume entstehen vor allem dann, wenn sie zur Aneignung und kreativen Selbstgestaltung einladen. In der Wohnanlage Holzstraße in Linz verwandelt eine Klimahülle die Erschließungsbereiche in einen witterungsgeschützten Spiel- und Kommunikationsraum. Das mit Bank und Baum an einen Dorfplatz erinnernde Atrium im Seniorenzentrum Ravensburg lädt ebenso zum Verweilen ein wie die dreigeschossige, polygonale Eingangshalle des Alterszentrums in Maienfeld. In dem über mehrere große Oberlichter belichteten Raum befindet sich die Cafeteria – ein sozialer Treffpunkt, der auch bei Veranstaltungen genutzt wird und gleichzeitig als Mittagstisch für den Tageshort der benachbarten Schule dient (Abb. 46).

37 Zitiert nach: Internationales Design Zentrum Berlin 2008, S. 123ff. 38 Harlander 2013, S. 51

Abb. 46

»Generell erfährt der öffentliche Raum als Erweiterungsfläche des privaten Wohnens, als Erholungsfläche und als Kommunikations- und Begegnungsraum für Menschen aller Altersgruppen heute wieder eine starke wachsende Beachtung.«38 Halböffentliche Innenhöfe, Erdgeschosszonen, aber auch temporär zwischengenutzte Lückengrundstücke und Brachen gewinnen als Zonen des Übergangs zwischen innen und außen, von privat und öffentlich an Bedeutung (siehe »Freiraum: differenzierte Angebote und Partizipation Interview mit Maria Auböck«, S. 46f.). Im Tübinger Lorettoviertel bilden die halbprivaten Spiel- und Kommunikations-Innenhöfe eine solche Zone transitorischen Übergangs (Abb. 33, S. 33). Eine Möglichkeit, den Stadtraum für alle Generationen – Kinder wie Ältere – wiederzugewinnen, ist das Konzept des Shared Space. Für ein positives Erleben von Mobilität sind nicht die

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Alternsgerecht statt altersgerecht

zurückgelegten Kilometer entscheidend, sondern die Wahlmöglichkeiten zwischen Zielpunkten, Routen und Verkehrsmitteln. Das vom niederländischen Verkehrsplaner Hans Monderman mitentwickelte Konzept geht davon aus, dass der Straßenraum nicht entsprechend der unterschiedlichen Geschwindigkeit der verschiedenen Verkehrsteilnehmer durch Trennung der Verkehrswege in Fahrbahn, Radweg und Gehsteig optimiert werden muss, um Konflikte zu vermeiden, sondern von allen als gemeinsame Verkehrsfläche genutzt werden kann (Abb. 47). Das Paradoxon »Unsicherheit schafft Sicherheit« steht für die Idee, dass ein Weniger an Regeln zu einem Mehr an Kommunikation und erhöhter Achtsamkeit und damit letztendlich zu Sicherheit im Verkehrsgeschehen führt.

Abb. 47

Im Rahmen eines von der EU geförderten Projekts wurde für die Stadt Bohmte in Niedersachsen vom Architekturbüro ASTOC in Kooperation mit den niederländischen Landschaftsarchitekten bosch slabbers und den Verkehrsplanern Diepens en Okkema nach diesen Prinzipien der öffentliche Raum mit niveaugleichen Verkehrsflächen und ohne Verkehrszeichen neu gestaltet. Die Autofahrer müssen sich nun ohne die gewohnten Hinweisschilder orientieren und fahren daher automatisch langsamer. Doch nicht nur Kinder, Ältere und Personen mit Sinneseinschränkungen in jedem Lebensalter profitierten von der Neugestaltung, auch die Geschäftsleute im Zentrum. Die Umgestaltung hat den Platzcharakter betont und damit die Aufenthaltsqualität erhöht.

Freiraumgestaltung: differenzierte Angebote und Partizipation Von einer attraktiven Freiraumgestaltung profitieren alle, nicht nur Personen mit einem reduzierten Bewegungsradius. Eine intelligente Konzeption der Flächen zwischen den Gebäuden trägt dazu bei, Nutzungskonflikte zu reduzieren und die Begegnung und den Austausch innerhalb der Bewohnerschaft und auch zwischen den Generationen zu fördern. Maria Auböck, Landschaftsarchitektin in Wien (Atelier Auböck + Kárász gemeinsam mit János Kárász) und Professorin für »Gestalten im Freiraum« an der Akademie der Bildenden Künste in München, verfügt über langjährige Erfahrung in der Freiraumplanung von Wohnsiedlungen. Interview mit Maria Auböck

39 Vgl. Alexander 2010

Was gilt es bei der städtebaulichen Konfiguration des Freiraums einer Wohnhausanlage oder eines ganzen Quartiers im Hinblick auf seine generationenübergreifende Eignung zu beachten? Alte Menschen verlassen ihre Wohnräume anlassbezogen, wenn es »etwas zu tun gibt« oder kleinräumliche, örtlich markante Treffpunkte informelle Begegnungen versprechen. Die »Pattern Language«39 des Architekten und Architekturtheoretikers Christopher Alexander bietet beispielsweise viele Hinweise auf Freiraumkonfigurationen, die entweder Begegnungen fördern oder im Gegensatz dazu der Aufenthaltsqualität abträglich sind. So schaffen Fehlstellungen der Baukörper kalte und windige Ecken, überdimensionierte Wegachsen ohne Sitzgelegenheiten provozieren Unübersichtlichkeiten. Es ist daher zu beachten, dass die Zugangsbereiche überschaubar und z. B. mit Bänken akzentuiert sind, das erleichtert die Orientierung und fördert Kontakte. Freiraum kann nicht überall allen Bewohnerbedürfnissen gerecht werden. Das wird beliebig. Empfehlenswert und viel spannender ist es, verschiedene Angebote schwerpunktmäßig zu verteilen. So sind z. B. Spielwege in einer großen Wohnanlage auch als Verbindungen nützlich, bieten aber – wie eine Perlenkette – Abwechslungsreichtum. Wie vermeidet man Nutzungskonflikte zwischen den Generationen? Wohlüberlegte Orte der Ruhe und Orte der Bewegung entzerren Nutzungskonflikte. Dazu drei Beispiele: Stille Orte müssen kleinteilig gestaltet, gut besonnt und durch Hausmauern geschützt werden. Speziell mit Spielgerät eingerichtete Kleinkinderspielplätze mit direktem Sichtbezug zu Altenwohnungen bieten Chancen der sozialen Kontrolle. Und laute, belebte verkehrsreiche Straßenecken können attraktive Skateboardtreffs und Jugendspielplätze werden, weil diese Gruppe »in Aktion« gesehen werden will. Jede dieser Konstellationen ist sorgfältig auf Kompatibilität zu prüfen, bevor die Umsetzung zum Experiment wird. Zumeist geht es gar nicht um die Lebensalter, sondern um divergierende Aktivitäten, z. B. zwischen den Interessen von Radfahrern und Kleinkindern! Wir haben diese Ansprüche auch in »Laut & Leise-Plänen« von Wohnanlagen dargestellt und analysiert, um den Auftraggebern und Planungskollegen die Gefährdungen durch Nutzungskonflikte zu erklären.

Optionsräume gestalten

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Welche Rolle spielt die Beziehung zwischen Innen- und Außenraum? Worauf ist hierbei vor allem im Hinblick auf ältere Menschen zu achten? Die Blickkontakte aus der Wohnung – von innen nach außen – sind eminent wichtig. Ein Balkon oder eine Loggia, wo man Wind und Wetter beobachten kann, ist eine wichtige Ergänzung. Noch besser werden Wintergärten mit Schiebewänden genutzt, die Pflanzenpflege wird hier zu einer persönlichen Aufgabe. Die Schwellenbereiche Treppenhaus, Vorplatz und die Angebote der Erdgeschosszonen müssen leicht überschaubar sein, aber differenzierte Angebote des Sitzens, Lagerns, Beobachtens bieten. Im Außenraum beeinflusst der Sonnenstand und der Aspekt der Jahreszeiten, Wind und Wetter viele Eindrücke, die alte Menschen im Alltag intensiv spüren. Tischbeete können den Bewohnern die Pflanzenpflege erleichtern. Große Treppenhäuser und erweiterte Flurbereiche können Gelegenheiten der Begegnung bieten und begrünte Orte werden, die auch von älteren Menschen leicht zu pflegen sind: Wir haben mehrfach Innenraumbegrünungen bei solchen Raumangeboten geschaffen und gemerkt, wie schnell und gern diese »informellen Zwischenstationen« genutzt werden. Gerade für ältere Menschen ist es aus gesundheitlichen Gründen wichtig, sich zu bewegen. Wie kann man dazu stimulierend beitragen? Die Aufforderung zur Mobilität kommt am besten über Anlässe, Freundschaften, Angebote. Das können Selbsterntegärten sein, die im Wohnhof gemeinsam gemanagt werden, oder Sportangebote wie Tischtennis etc., die von den Mietern verantwortet werden. Erwachsene und ältere Menschen wollen an Joggingparcours und Fitnessgeräten nicht direkt beobachtet werden – wir stellen diese nicht an die Vorderseiten der Wohngebäude, sondern z. B. auf das Dach. Welche Erfahrungen haben Sie mit der Beteiligung der Bewohner und Bewohnerinnen bei der Entwicklung der Außenräume gemacht (und gegebenenfalls auch bei der laufenden Nutzung)? Wir haben bei vielen Wohnanlagen vor Beginn der Baustelle bereits die Beteiligung der Bewohner bei der Entwicklung der Außenräume moderiert, Vorschläge übernommen und diskutiert. Oft wird die Entwicklung der Außenräume dadurch reichhaltiger und spannender. Viele Bewohnervorschläge waren aber auch nicht realisierbar, weil Laien nicht alle Konsequenzen kennen können. Die besten Kooperationen machten wir mit jungen Müttern, die sich für das Management der Kinderspielplätze einsetzten, und älteren Mietern, z. B. pensionierten Gärtnerinnen und Gärtnern, die mit professioneller Pflanzenkenntnis die Planung der Außenräume unterstützt haben. Im Betrieb gibt es unterschiedlichste Erfahrungen in der Pflege der Freiräume und damit wie sehr die Bewohner die Gartenpflege begleiten oder sogar aktiv übernehmen. Dies hängt auch mit den Rechtsbegriffen der Wohnbauträger zusammen: Darf ein Mieter den Rasen mähen? Die Anonymität großer Projekte lässt solche Interventionen selten zu, manchmal gibt es Einzelkämpfer, die durchaus beträchtliches Engagement zeigen. In kleineren Wohnhauseinheiten kennen sich die Bewohner schnell, da ist die Gartenbetreuung eine tolle Chance für eine gute Hausgemeinschaft. Was ist im Hinblick auf die Wartung und Pflege unbedingt zu beachten? Am Stadtrand und in den Außenbezirken spielt heute nicht nur die Gartenpflege, sondern auch die Abfallbeseitigung und Bekämpfung von Ungeziefer eine Rolle. Die groben Arbeiten (wie Jahrespflege der Wege, Baumschnitt, Müllabfuhr etc.) wird von den Bauträgern an Firmen vergeben. In manchen Anlagen haben wir Kompostplätze und Mietergärten initiiert, damit sich die Bewohner gemeinsam in der Gartenpflege engagieren. Wir mussten feststellen, dass das Engagement für kurzfristige Aktionen und gemeinsame Veranstaltungen sehr einfach gelingen kann. Die langfristige Betreuung ist aber nur möglich, wenn die Hausgemeinschaft einen starken Zusammenhalt und Nachbarschaftshilfe bietet. Es wäre schlecht, wenn sich Menschen durch die Pflanzenbetreuung überfordert fühlten. In Wien bieten zum Beispiel Tageszentren für Senioren betreute Gartenarbeit an. Wie wir auch anhand der Tischbeete, die wir in einem Demenzgarten in einem Wiener Geriatriezentrum angelegt haben, merken, hängt es sehr vom Engagement der jeweiligen Betreuungspersonen ab, wie sehr diese auch genutzt werden. Jedenfalls ist es uns sehr wichtig, das alternsgerechte Planen zu entwickeln – jedes unserer Projekte hat dazu neue Erkenntnisse gebracht. «

Abb. 47 Shared Space, Exhibition Road, London (GB) Abb. 48 Indoor-Garten im Erschließungsbereich eines Wohnhauses als Ort der Begegnung, Wien (A) 2011, ARTEC Architekten, Indoor-Garten: Atelier Auböck + Kárász

Abb. 48

Hausgemeinschaften – gemeinsam wohnen

50 Selbstverwaltetes Wohnen und Hausgemeinschaften 50 50

Innovationen brauchen Räume Hausgemeinschaften heute 52

53

Gutes Miteinander braucht gutes Nebeneinander – Interview mit Karin Weiss

Proportionalität von Gemeinschafts- zu Individualflächen 53 54 55

»Wohnen – Kultur – Integration« Historische Beginenhöfe Wohnprojekte B.R.O.T.

56 Projektbeispiele – Umbau 57

Mehrgenerationenhaus Lebensort Vielfalt, Berlin 58 60

Alt und anders? – Kommentar von Marcel de Groot Vertrauen ist das Wichtigste … – Kommentar von Ulrich Schop

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Solinsieme, St. Gallen

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Siedlung Heizenholz, Zürich

66 Projektbeispiele – Neubau 67

Mehrgenerationenhaus Giesserei, Winterthur

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Gemeinschaftswohnhaus Kanzlei-Seen, Winterthur

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Hausgemeinschaft Ruggächern 55+, Zürich

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Wohn- und Gewerbebau Kalkbreite, Zürich 78

Ein neues Stück Stadt: gemeinsam Visionen umsetzen – Beitrag von Sabine Wolf

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Hausgemeinschaften – gemeinsam wohnen

Selbstverwaltetes Wohnen und Hausgemeinschaften

individuelle Wohnungen

In den 1970er- und 1980er-Jahren war das Recht auf Selbstbestimmung eine zentrale Forderung unterschiedlichster Emanzipationsbewegungen (wie z. B. Frauen, Homosexuelle, Behinderte). In selbstorganisierten Kommunen, Wohngemeinschaften und »Kinderläden« (heute Elterninitiativen) wurden neue Formen der Alltagsorganisation und des Zusammenlebens erprobt. Damals wie heute geht es vielen Initiatoren gemeinschaftlicher und selbstorganisierter Wohnprojekte nicht ausschließlich um die Realisierung persönlicher Wohnwünsche, sondern immer auch um gesellschaftspolitisches Engagement. Eine tragfähige Basis gemeinschaftlicher Wohnformen bilden gleiche Werte und ähnliche Vorstellungen über die gelebte Alltagskultur. Innovationen brauchen Räume

gemeinsam, genutzte Räume

Hausgemeinschaft

Abb. 1

Abb. 1 In einer Hausgemeinschaft teilen sich individuelle Haushalte gemeinschaftlich genutzte Räume Abb. 2 vertikale (a) und horizontale (b) Organisation einer Hausgemeinschaft

Ein Haus oder eine Siedlung, in der für jede Fläche die Nutzung genau vorgegeben und definiert ist, bietet kaum Freiraum für innovative Ideen. Katalysator für Neues kann z. B. ein leerstehendes, sanierungsbedürftiges Haus sein. In den 1970er- und 1980er-Jahren wurden aus der Gründerzeit stammende Häuser von verschiedenen Gruppen adaptiert und so zu Experimentierfeldern neuer Lebens- und Wohnformen. So entstand beispielsweise in Hamburg – aus Protesten gegen die entwürdigende Unterbringung älterer Personen in Hamburger Pflegeheimen – der Verein »Graue Panther Hamburg e. V. Altenselbsthilfe«, zu dessen zentralen Anliegen die Förderung von Selbstverantwortung und selbstbestimmtem Handeln gehört, unabhängig vom Alter.1 Als gelebte Utopie und Alternative zum Heim war die Entwicklung von und das Leben in solchen Wohnprojekten integraler Bestandteil der Vereinsarbeit. Den Anfang machte das Haus in der Lerchenstraße, in dessen acht Wohnungen 1986 Bewohnern im Alter zwischen eineinhalb und neunzig Jahren einzogen. »Eigenverantwortung und Solidarität sind hier nicht nur Schlagworte, sondern gelebte Grundsätze. Sie ersetzen die geschriebene Hausordnung.«2 Weitere Projekte folgten mit der Wohn-Pflege-Hausgemeinschaft in St. Georg (1993) und der Hausgemeinschaft Alt und Jung in Hamburg-Harburg (1995). Die Realisierung von Wohnraum für Gruppen, deren Lebensvorstellungen nicht zu den Richtlinien des konventionellen Wohnbaus passten, war in dieser Zeit auch in vielen anderen euro-

päischen Städten ein Thema. So gab es in Zürich für Paare mit und ohne Trauschein, für Wohngemeinschaften, für Alte und Junge – somit für alle, die nicht in die strengen Reglements unbeweglicher Verwaltungsapparate traditioneller Genossenschaften passten – kaum kostengünstige Wohnangebote. Um Raum für andere Lebensformen zu schaffen, entstanden in den 1980er-Jahren neue Genossenschaften, wie die WOGENO (Wohngenossenschaft selbstverwalteter Hausgemeinschaften, 1981) in Zürich oder die Gesewo (Genossenschaft für selbstverwaltetes Wohnen, 1984) in Winterthur, die den Anspruch erhoben, den idealistischen Geist genossenschaftlicher Solidarität wiederzubeleben. Selbstbestimmung und Autonomie waren und sind wichtig, sodass im Unterschied zu anderen Wohnbaugenossenschaften jedes Haus bzw. jede Wohnanlage in Form eines autonomen Hausvereins selbst verwaltet wird. »Diskussionen und Konflikte lassen sich bei diesem System nicht vermeiden, aber das schadet im Grunde nicht. Denn dank der Selbstverwaltung, durch gemeinsame Entscheidungen genauso wie durch gemeinsame Feste, entsteht die Hausgemeinschaft.«3 Inzwischen hat sich, nicht nur in der Schweiz, das Selbstverständnis traditioneller Genossenschaften und anderer gemeinnütziger Wohnbauträger gewandelt. Sie ermöglichen heute ihren Mitgliedern ein Spektrum unterschiedlich weitreichender Formen der Mitgestaltung und Mitsprache. Hausgemeinschaften heute Hausgemeinschaften, als Teil einer Genossenschaft oder als (Mit-)Eigentumsmodell, ermöglichen gemeinschaftliches Wohnen in einer selbstgewählten Nachbarschaft und respektieren zugleich den Wunsch nach Privatsphäre. Während »konventionelle« Nachbarschaften Zufallsgemeinschaften sind, in denen der eine aus- oder der andere einzieht, ist eine Hausgemeinschaft zugleich eine Wahlgemeinschaft, die sich – in ganz unterschiedlichem Ausmaß – dem Prinzip der Gegenseitigkeit verpflichtet fühlt. Die Motive der Bewohner sind vielfältig: Manche haben bereits früher einmal in einer Wohngemeinschaft gelebt, dann in einer Familie und interessieren sich nun für an die aktuelle Lebenssituation angepasste Modelle gemeinschaftlichen Wohnens. Andere suchen in der nachbe-

Selbstverwaltetes Wohnen und Hausgemeinschaften

ruflichen Phase nach neuen, sinnstiftenden Betätigungsfeldern und einem anregenden Wohnumfeld, das es erleichtert, Kontakte zu knüpfen und zu erhalten. Diese Wohnform spricht auch ältere Personen an, die ihr Leben mit größtmöglicher Selbstbestimmung weiterführen möchten und sich wechselseitige Unterstützung wünschen, um anderen und sich selbst den Alltag zu erleichtern. So vielfältig wie die Motive, so verschieden sind auch die Bewohner. Es gibt altershomogene Hausgemeinschaften genauso wie generationenübergreifende, die sich ganz bewusst bemühen, Bewohner unterschiedlichen Lebensalters zu integrieren. Mit dem zunehmenden Interesse an dieser Wohnform sind inzwischen nicht mehr nur künftige Bewohner Initiatoren (»Bottom-up«Modell4), sondern auch kommunale Behörden, gemeinnützige Wohnbauträger, Genossenschaften oder institutionelle Anleger (»Top-down«Modell). Mit diesen neuen Akteuren sind parallel zu dem ursprünglichen Modell einer Hausgemeinschaft als eigenständige organisatorische Einheit (siehe »Solinsieme, St. Gallen«, S. 61) weitere Organisationsformen entstanden, die ebenfalls als Hausgemeinschaften bezeichnet werden. Oftmals geht hier die Initiative auf eine Genossenschaft zurück, die eine Hausgemeinschaft als eigenständiges Element innerhalb einer sonst konventionell organisierten Siedlung (siehe »Hausgemeinschaft Ruggächern 55+, Zürich«, S. 73f.) oder einen Hausverein in eine genossenschaftliche Organisationsstruktur inte-

griert (siehe »Gemeinschaftswohnhaus KanzleiSeen, Winterthur«, S. 71f.). Im Wohnen drückt sich Selbstbestimmung auch durch Mitbestimmung und Selbstverwaltung aus, die ganz unterschiedlich organisiert werden können (siehe »Gutes Miteinander braucht gutes Nebeneinander – Interview mit Karin Weiss«, S. 52). Nicht zuletzt in Abhängigkeit von der gewählten Rechtsform des Projekts, z. B. Genossenschaft, Verein oder (Mit-)Eigentümergemeinschaft ergeben sich unterschiedliche Verwaltungs- und Verantwortungsbereiche. Die Möglichkeiten der Bewohnerpartizipation sind daher projektspezifisch sehr unterschiedlich. In ihrer 2009 erschienen Studie5 über Hausgemeinschaften im genossenschaftlichen Kontext weisen Marco Glockner und Susanne Gysi darauf hin, dass es für den Erfolg eines solchen Vorhabens wichtig ist, bereits zu Beginn zu klären, welche Formen der Mitwirkung und Mitentscheidung möglich und gewünscht sind. Mit dem Begriff »Bewohnerpartizipation« werden unterschiedliche Beteiligungsformen in den Projektphasen zusammengefasst. In der Planungs- und Realisierungsphase lässt sich zwischen dem Mitgestaltungsrecht, d. h. der konsultativen Beteiligung des Einzelnen an baulicharchitektonischen Entscheidungsprozessen z. B. bei der Gestaltung der Gemeinschafts- und Freiräume, und dem Mitspracherecht unterscheiden. Letzteres meint die Beteiligung an rechtlich-organisatorischen Entscheidungsprozessen sowohl in der Planungs- und Realisierungs- als auch in der Nutzungsphase, z. B.

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Abb. 2

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1 »Die grauen Panther Hamburg e. V. Altenselbsthilfe« distanzieren sich ganz klar von der Partei »Die Grauen«, die lediglich die Interessen der alten Menschen vertritt (siehe Presseerklärung vom 6. Juli 1989, publiziert in: Kopfstand; Zeitschrift Graue Panther e. V., 1989, S. 24) 2 Becker, Gerd D. (1989): Alt+Jung unter einem Dach. In: Kopfstand, Zeitschrift Graue Panther e. V., S. 20 3 Caduff 2000, S. 21 4 Als Top-down (engl. von oben nach unten) und Bottom-up (engl. von unten nach oben) werden zwei in Prozessen entgegengesetzte Wirkrichtungen bezeichnet, die in verschiedenen Sinnzusammenhängen für Analyse- oder Syntheserichtungen verwendet werden. Top-down geht vom Abstrakten, Allgemeinen und Übergeordneten schrittweise hin zum Konkreten, Speziellen und Untergeordneten. Bottom-up bezeichnet die umgekehrte Richtung. 5 Glockner 2009, S. 11

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Hausgemeinschaften – gemeinsam wohnen

Gutes Miteinander braucht gutes Nebeneinander Geben und Nehmen – Gegenseitigkeitsbeziehungen sind ein wichtiges konstituierendes Element von Hausgemeinschaften. Teilen, ein altes Prinzip, erfährt in den heutigen Diskussionen über Shared Economy eine neue Aktualität. Karin Weiss, stellvertretende Geschäftsführerin der Age-Stiftung in Zürich, begleitet seit vielen Jahren von der Stiftung geförderte Projekte. Interview mit Karin Weiss

Hausgemeinschaften, Selbstverwaltung, partizipative Prozesse und Alter – Lust oder Frust? Potenzieller Frust, wenn man sich an idealisierten Bildern und sozialromantischen Vorstellungen orientiert. Lust, wenn man auf die wichtigen, lebensnahen Faktoren achtet, z. B. die mit zunehmendem Alter meist abnehmende körperliche und psychische Belastbarkeit. Wenn diese Faktoren von Anfang an in die Planungsprozesse einbezogen werden, entsteht meist ein gutes Gefühl von Zufriedenheit. Die Erfahrung zeigt, dass Partizipation einen klaren Gestaltungs- und Mitspracherahmen braucht. Grundrisse und andere Pläne können viele Menschen beispielsweise nur schwer interpretieren. Daher ist es gut, sie zu einem Zeitpunkt miteinzubeziehen, zu dem sie die räumliche Situation dreidimensional erfassen können. Ein Rohbau, bei dem man bereits erste Sitzproben machen kann, bietet eine gute Gelegenheit, bereits vor dem Bezug Bewohner für Arbeitsgruppen zu motivieren. Sie haben schon viele private und trägerinitiierte Hausgemeinschaften begleitet. Gibt es eine optimale Projektgröße? Auf lange Sicht gesehen, haben vor allem Hausgemeinschaften Erfolgschancen, die nicht zu klein und nicht zu altershomogen sind. Bei weniger als ca. 12 Parteien ist es für neu Zuziehende oft schwierig, sich einzufügen. Ideal sind 12 bis ca. 25 Wohnungen. Bei dieser Größe lassen sich Nähe und Distanz besser regulieren, nicht jedes Zerwürfnis muss thematisiert werden. Ein gutes Miteinander braucht ein gutes Nebeneinander, denn zu viel Miteinander kann auch anstrengend sein. Nicht alle müssen etwas tun, es braucht auch diejenigen, die die Aktivitäten der anderen konsumieren.

6 Beim »Green New Deal« handelt es sich um Konjunkturprogramme, die auf einen strukturellen Umbau der Wirtschaft gerichtet sind mit dem Ziel, diese anzukurbeln und gleichzeitig den Klimawandel bzw. drohende Ressourcenengpässe zu mindern. Der Begriff des »Green New Deal« verweist auf den von US-Präsident Roosevelt in den 1930er-Jahren entworfenen »New Deal«, ein öffentlich finanziertes Konjunkturpaket zur Überwindung der damaligen Weltwirtschaftskrise.

Über die Möglichkeiten einer sozial, ökologisch und ökonomisch verantwortbaren Wohnraumversorgung wird viel diskutiert. Was ist aus Ihrer Sicht besonders wichtig? Zivilgesellschaftliches Engagement und Freiwilligkeit werden gerne als unendliche Ressourcen behandelt – eine fragwürdige Annahme, nicht nur vor dem Hintergrund der Mehrfachbelastung vieler Bürger und Bürgerinnen. Heute stehen Frauen wie Männer im mittleren Alter vor der Herausforderung, Karriere und Beruf sowie die Versorgung von Kindern und von gebrechlich werdenden Eltern unter einen Hut zu bringen. Zeitsouveränität und Existenzsicherung – als Basis für soziales Engagement im familiären, nachbarschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Rahmen – sind zentrale Begriffe in den GreenNew-Deal-Bewegungen6, die eine ökosoziale Marktwirtschaft propagieren. Das von der AgeStiftung geförderte Projekt Giesserei Winterthur z. B. hat im Rahmen des genossenschaftlichen Selbstverwaltungsvertrags zur Regelung der Eigenleistung versuchsweise eine Zeitbank eingeführt, in der die für die Gemeinschaft zu erbringenden Leistungen erfasst werden. Auch einige Städte in der Schweiz haben bereits Rückstellungen für Zeitkonten und Zeitkaufmodelle geschaffen. Solange diese Modelle in Bereichen umgesetzt werden, in denen es ohnehin üblich ist, für Dienstleistungen zu zahlen – wie Haare waschen oder PC einrichten –, sind die sozialen Konsequenzen einer zahlenden Nachbarschaftshilfe noch überschaubar. Doch was passiert, wenn ich plötzlich auch für kleine Gefälligkeiten zahle, die man als guter Nachbar ohnehin tun würde? Wenn ich für die Begleitung ins Kino zahlen muss, dann finde ich das problematisch. Es verändert unsere Beziehungen, wenn wir ständig an den Return on Investment denken. Unsere Lebensbedingungen sind hybrid geworden, die Trennung zwischen Berufs- und Privatleben wird zunehmend unschärfer. Wir sollten damit nicht unreflektiert umgehen, sondern stattdessen einen Diskurs darüber führen, was es braucht, um zu neuen Formen und zu einem neuen Verständnis von gelebter Nachbarschaft zu kommen. Projekte, in denen im Rahmen partizipativer Prozesse anhand von ganz konkreten Tätigkeiten die Fragen von Geben und Nehmen in einer Gemeinschaft ausgehandelt werden, leisten einen wichtigen Beitrag zu diesem Diskurs. «

Selbstverwaltetes Wohnen und Hausgemeinschaften

über Umfang, Ausmaß und Abgeltung von Eigenleistungen. Die Verantwortung und letzte Entscheidungsgewalt bleiben dem Projektträger vorbehalten. Das Mitbestimmungsrecht von Genossenschaftlern bezieht sich in der Regel auf grundsätzliche Entscheidungen über Planungs-, Bau- und Erneuerungsvorhaben, die dann für die Projektträgerschaft/Genossenschaft bindend sind. In der Nutzungsphase ist zwischen der Mitverwaltung (Teilselbstverwaltung) und der Förderung gemeinschaftlicher Aktivitäten zu unterscheiden. Mitverwaltung bedeutet die Beteiligung der Bewohner an den rechtlichorganisatorischen Entscheidungs- und Handlungsprozessen, wobei für den Einzelnen, aber auch die Gemeinschaft nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten bestehen. Dies kann ganz unterschiedliche Bereiche von der Hausreinigung über die Nutzung gemeinschaftlicher Räume etc. betreffen. Bei der Förderung gemeinschaftlicher Aktivitäten hingegen werden den Bewoh-

nern vom Projektträger geeignete organisatorische Plattformen zu deren Umsetzung zur Verfügung gestellt. Dies kann vom schwarzen Brett bis zum Intranet einer Siedlung reichen. Je nach Größe und Komplexität des Planungsvorhabens kommt der Moderation des Mitwirkungsprozesses über die Bezugsphase hinaus eine entscheidende Bedeutung zu. Proportionalität von Gemeinschafts- zu Individualflächen Das Gelingen eines gemeinschaftlichen Projekts und die emotionale Qualität des Beziehungsgeflechts liegen in der Verantwortung der Bewohner. Doch das architektonisch-räumliche Umfeld kann durch eine entsprechende Gestaltung der Grundrisse und der Raumorganisation Möglichkeiten der Begegnung, aber auch des Rückzugs schaffen, und damit zur Entstehung und Erhaltung von Beziehungen beitragen.

»Wohnen – Kultur – Integration« Wohnheim Sargfabrik, Wien (A) 1996, BKK-2 Unzufrieden mit den Angeboten des Wohnungsmarkts im Wien der 1980er-Jahre, gründete eine Gruppe von knapp 40 Personen gemeinsam mit den Architekten vom »Bau-Künstler-Kollektiv« (später BKK-2 bzw. BKK-3) den »Verein für integrative Lebensgestaltung«. Ziel wares, ein Wohnmodell zu erschaffen, das im Gegensatz zu den marktüblichen, auf Kleinfamilien ausgerichteten Wohnungen Raum für unterschiedliche Lebensmodelle und gemeinschaftliches Zusammenleben bieten sollte. »Wohnen – Kultur – Integration« lauten die Schlagworte, die das facettenreiche, gemeinsam geplante, errichtete und betriebene Wohnprojekt übertiteln. Auf dem Areal der größten Sargtischlerei der österreichisch-ungarischen Monarchie entstand neben 112 Wohneinheiten auch ein Kinderhaus, in dem ein dreigruppiger Kindergarten und ein Hort betrieben werden. Außerdem gibt es ein Restaurant mit Bar, ein Kulturhaus und ein Badehaus, die mit ihren Angeboten auch externen Besuchern offenstehen. Die Kombination aus Stahlbeton- und Leichtbauweise lässt es zu, Zwischenwände problemlos zu verändern, und so variable Wohneinheiten für verschiedene Lebensformen und deren Anforderungen zu ermöglichen. Ein Hof mit Biotop, Spielplatz und Wiese, weitläufige Dachgärten und offene Laubengänge bieten ein vielfältig nutzbares Angebot an Freiräumen. Um all das umsetzen zu können, wurde das Projekt als Wohnheim konzipiert und öffentlich gefördert. Auf diese Weise ließen sich einige einengende Vorgaben der Wiener Bauordnung und Wohnbauförderung umgehen. So war es z. B. möglich, auf eine Garage zu verzichten, was mit Car-Sharing-Plätzen und Stellflächen für Fahrräder kompensiert wurde, und ebenso auf Vorräume zu den Wohnungen, was Budget für die Finanzierung zahlreicher Gemeinschaftseinrichtungen freiwerden ließ. Auch die teilweise luxuriösen Raumhöhen von 5 m waren nur deshalb möglich, weil dafür anderswo die Mindestmaße von 2,50 m unterschritten werden durften. Die in signifikantem Orange gestrichene Anlage, in der nur noch der Name und der erhalten gebliebene Schornstein an die Vorgeschichte des Areals erinnern, wurde rasch über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Schon vier Jahre nach ihrer Fertigstellung wurde im Jahr 2000 in unmittelbarer Nachbarschaft die Miss Sargfabrik eröffnet. In diesem kleineren Wohnheim an der Missindorfstraße entwickelten die Architekten das Konzept der Ur-Sargfabrik weiter und ergänzten es durch neue Angebote wie eine Bibliothek, einen Partyraum und einen Clubraum für Jugendliche.

Abb. 3

Abb. 3 Restaurant in der Sargfabrik, Wien (A)1996, BKK-2

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Hausgemeinschaften – gemeinsam wohnen

Eine Hausgemeinschaft besteht in der Regel aus einzelnen, in sich abgeschlossenen Wohnungen unterschiedlicher Größe und einem oder mehreren Gemeinschaftsräumen. Dieser oftmals multifunktional genutzte Raum kann durch Fitness- oder Wellnessräume, spezielle Hobbywerkstätten oder auch eine Bibliothek ergänzt werden. Die Proportionalität von Gemeinschaftszu Individualflächen wird einerseits durch die Projektgröße und die Anzahl der Bewohner bestimmt, andererseits durch ökonomische Aspekte wie die finanziellen Möglichkeiten der Hausgemeinschaft. Frequenz und Nutzung der Räume werden auch durch deren Positionierung und der bis ins Detail durchdachten Ausstattung bestimmt. Natürliche Belichtung, eine attraktive Gestaltung sowie großzügige Bewegungsflächen erhöhen die Aufenthaltsqualität horizontaler und vertikaler Erschließungszonen und verwandeln sie in Orte spontaner Begegnung und Kommunikation. Das in den letzten Jahren in der Schweiz entstandene Clusterwohnen (siehe »Siedlung Heizenholz, Zürich«, S. 62ff.), benannt nach dem englischen Wort für Gruppe, ist ein Hybrid aus Haus- und Wohngemeinschaft. Im Cluster ist im Vergleich zur Hausgemeinschaft der Anteil

der privat nutzbaren Flächen zugunsten großzügiger, offen gestalteter Gemeinschaftsflächen reduziert, die je nach Bedarf für unterschiedliche Aktivitäten genutzt werden können. Das gemeinsame Zentrum bildet meist eine große, offene Küche mit einem Essbereich, an dem alle Bewohner Platz finden. Umgekehrt ermöglichen die aus ein bis zwei Zimmern bestehenden und mit einer kleinen Nasszelle sowie einer Kochgelegenheit ausgestatteten Wohneinheiten mehr Privatheit und Unabhängigkeit als die Zimmer in einer reinen Wohngemeinschaft. Eine weitere Besonderheit des Clusterwohnens liegt in der Abfolge der Räume, die das zufällige Zusammentreffen der Bewohner im Alltag fördert, da die einzelnen Etagen und auch die privaten Bereiche ausschließlich über die gemeinschaftlich genutzten Bereiche betreten werden können (siehe »Gemeinschaftswohnhaus Kanzlei-Seen, Winterthur«, S. 71f.). Gemeinschaften verändern sich im Laufe der Zeit – anpassbare bauliche Strukturen erleichtern solche Veränderungen. Das Wohnangebot kann nicht nur durch eine adaptierbare Grundrissgestaltung oder vielfältige Kombinationsmöglichkeiten von Räumen und Wohnungsteilen, sondern auch durch nutzungsneutrale Räume erweitert werden.

Historische Beginenhöfe

Abb. 4

Abb. 4 Beginenhof in Leuven (BE) Abb. 5 offenes Treppenhaus, Wohnhaus in WienHernals (A)1990, Ottokar Uhl Abb. 6 individuell gestaltete Fassade, Wohnhaus in Wien-Hernals (A)1990, Ottokar Uhl

Das selbstbestimmte Zusammenleben in Frauengemeinschaften hat eine bis ins 12. Jahrhundert zurückreichende Tradition. Seit Mitte der 1980er-Jahre erinnern in verschiedenen deutschen Städten neu gegründete Fraueninitiativen in ihrer Namensgebung an die im Mittelalter zunächst in Flandern entstandene Beginenkultur und orientieren sich in ihren Konzepten an der frühen Unabhängigkeit der Gemeinschaften. Die Beginen, meist alleinstehende Frauen und Witwen unterschiedlichen Vermögens und Standes, lebten in christlich orientierten, ordensähnlichen Hausgemeinschaften unter der Leitung einer von der Gemeinschaft gewählten Meisterin nach eigenständigen Regeln, die sich von den kirchenrechtlichen Reglements der damaligen Klöster unterschieden. Da die Beginen nur ein Gelübde auf Zeit ablegten, war es ihnen gestattet, wieder aus der Gemeinschaft auszutreten, zu heiraten und ein bürgerliches Leben zu führen. Basis der finanziellen Unabhängigkeit der Wohn- und Arbeitsgemeinschaften waren Schenkungen, Erbschaften, Eigenvermögen, Verpachtung, aber auch die Erwerbstätigkeit der Frauen, zu der karitative Dienste ebenso gehörten wie z. B. die Herstellung hochwertiger Tuchwaren. Die mittelalterlichen Beginenhöfe bestanden aus kleinen Wohnhäusern, einer Kapelle, oft einem größeren Haus für die Beginenmeisterin mit einem Versammlungsraum sowie Nebengebäuden, die sich um einen als Nutz- oder Ziergarten oder als Grünanlage gestalteten Innenhof gruppieren. Die Anlagen waren durch Mauern klar von der sie umgebenden Stadt abgegrenzt. Während die historischen Beginenhöfe wie z. B. der in Leuven zum Weltkulturerbe erklärt und heute von ausländischen Forschern und Studierenden der Katholischen Universität bewohnt werden, lebt die Idee einer lebendigen Nachbarschaft, in der Frauen jeden Alters solidarisch zusammenleben, in den Wohnprojekten des Beginenwerks e. V. in Berlin weiter fort.

Selbstverwaltetes Wohnen und Hausgemeinschaften

Wohnprojekte B.R.O.T. B.R.O.T. (Beten-Reden-Offensein-Teilen), Wien (A) seit 1989, Architekt Ottokar Uhl Lange bevor das Label »Generationenwohnen« erfunden wurde, entstand in einer Pfarrei im Wiener Gemeindebezirk Hernals die Idee für ein Haus, in dem ältere und jüngere Menschen, Familien und Alleinstehende zusammenleben und sich gegenseitig unterstützen. Mittels Flugblättern, Inseraten und Mundpropaganda wurden Interessenten für das Projekt gesucht. Der 1987 gegründete gemeinnützige Verein B.R.O.T. errichtete mit finanzieller Unterstützung der Wiener Wohnbauförderung 1988 ein Wohnheim. Gemeinsam mit dem Architekten Ottokar Uhl wurden in einem partizipativen Prozess mit großem Engagement 26 Wohneinheiten für die Mitglieder des Vereins sowie sechs Gästewohnungen geschaffen. Entsprechend dem Motto »Jeder darf, keiner muss« wird die Individualität der einzelnen Gruppenmitglieder bereits an der Fassade sichtbar, da jeder der Bewohner Mitgestaltungsmöglichkeiten bei seinen Fenstern hatte. Ein großzügig gestalteter Eingangsbereich, ein offenes Treppenhaus, unterschiedlich nutzbare Gemeinschaftsräume, eine Kapelle, ein begrünter Innenhof und vor allem die allen zugängliche Dachterrasse bieten Raum für unterschiedliche Formen der Begegnung und Kommunikation. Das Engagement des Vereins wurde 1991 mit dem Bauherrenpreis der Zentralvereinigung der Architekten ausgezeichnet. In der vom Gedanken christlicher Spiritualität geprägten Gemeinschaft leben Alleinstehende, Paare und Familien mit ihren Kindern. Sie sind Menschen unterschiedlichen Alters, kultureller Herkunft und körperlicher und geistiger Verfassung. Manche von ihnen wohnen auf Dauer dort, andere auf Zeit, denn die Gästewohnungen werden übergangsweise Menschen zur Verfügung gestellt, die aus einer schwierigen Lebenssituation kommen und wieder in ein eigenständiges Leben finden wollen. Der Verein hat seine Arbeit im Lauf der Jahre verstetigt und einen Dachverband gegründet, der die Realisierung weiterer Projekte unterstützt. Im Jahr 2010 wurde am südlichen Stadtrand von Wien das Projekt B.R.O.T.-Kalksburg eröffnet. Insgesamt 57 Wohnungen verteilen sich auf ein saniertes Wohnhaus des Jesuitenordens und drei Neubauten. Geplant wurde es ebenso wie das jüngste, Ende 2014 fertiggestellte Gemeinschaftswohnprojekt des Verbands in der Seestadt Aspern von Architekt Franz Kuzmich, einem ehemaligen Mitarbeiter von Ottokar Uhl. Das 40 Einheiten umfassende Gebäude im neuen Wiener Stadtteil auf dem ehemaligen Flugfeld Aspern entstand auf einem Baufeld, das die Stadt Wien sechs Baugruppen zur Verfügung stellte, deren Konzepte im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens von einer Fachjury ausgewählt wurden.

Abb. 6

Abb. 5

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Hausgemeinschaften – gemeinsam wohnen

Umbau

Umbau  Lebensort Vielfalt

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Mehrgenerationenhaus Lebensort Vielfalt, Berlin Architekten: roedig.schop architekten, Berlin Auftraggeber: Psychosoziales Zentrum für Schwule e. V. / Schwulenberatung Berlin gGmbH Fertigstellung Umbau: 2012 Gesamtnutzfläche: ca. 2800 m² Wohneinheiten: 24 Mietwohnungen plus eine Pflege-Wohngemeinschaft für acht Männer Weitere Nutzungen: Kiezcafé, Empfang, Gruppenräume, Bibliothek, Büroräume der Schwulenberatung; spezielle Angebote für ältere Menschen: Demenz-WG, Pflegedienst rund um die Uhr

Abb. 1 Lageplan, Maßstab 1:5000 Abb. 2 Die neuen Balkone betonen den darunterliegenden Hauseingang.

In Berlin-Charlottenburg entstand im Rahmen des Umbau eines 1938 errichteten Wohn- und Geschäftshauses ein ehrenamtlich initiiertes, professionell organisiertes und selbstbestimmt konzipiertes Modellprojekt mit der Hauptzielgruppe schwule, ältere Männer. Es beherbergt neben privaten Apartments, einer Pflege-Wohngemeinschaft und mehreren Gemeinschaftsräumen auch das allgemein zugängliche Kultur-Café »Wilde Oscar« sowie eine psychosoziale Beratungsstelle für Homosexuelle und eine Bibliothek. Alle Wohnungen sind barrierefrei zugänglich. Zwei der insgesamt 24 zwischen 35 m2 und 85 m2 großen 1- und 2-Zimmer-Wohnungen sind rollstuhlgerecht und weitere 13 barrierefrei ausgestattet. Das mehrfach umgebaute Gebäude wurde nach 1951 als Kinderheim und -tagesstätte genutzt, die wiederum 1988 in ein »Haus der Familie« verwandelt wurde. Die Architekten legten für den neuerlichen Umbau zunächst die bestehende Trag- und Erschließungsstruktur frei, um anschließend die Grundrisse möglichst optimal für die neuen Funktionen organisieren zu können. Die behutsam eingefügten modernen Elemente an der Straßenfassade des Gebäudes berücksichtigen den historischen Bestand und die Struktur der gründerzeitlichen denkmalAbb. 1

Abb. 2

58

Hausgemeinschaften – gemeinsam wohnen

geschützten Gebäude in der Nachbarschaft. Die Balkone betonen den darunterliegenden Hauseingang zu den Wohnungen, der sich damit nach außen in seiner Anmutung klar vom Zugang zu Café und Beratungsstelle im Erdgeschoss unterscheidet. Eine große Gaube, die sich über fast die gesamte Fassadenlänge erstreckt, strukturiert das Dach. Kommunikation und Rückzugsmöglichkeiten spiegeln sich auch im Grundriss wider. In den oberen Geschossen erschließen breite, innenliegende Laubengänge die Wohnungen. Die zu Laubengängen ausgerichteten Küchenfenster ermöglichen Bewohnern, die sich aufgrund von körperlichen Einschränkungen hauptsächlich in der Wohnung aufhalten, eine Kontaktaufnahme mit den Vorübergehenden.

‡ Wohnen ‡ Demenz-WG

‡ Café ‡ Erschließung

‡ Schwulenberatung

Abb. 3

Abb. 3 innenliegender Laubengang Abb. 4 Axonometrie mit Nutzung Abb. 5 Grundrisse, Maßstab 1:400 Abb. 6 Auch zum Innenhof hin erhielten die Wohnungen neue Balkone.

3. Obergeschoss

4. Obergeschoss

Dachgeschoss

Erdgeschoss

1. Obergeschoss

2. Obergeschoss

Abb. 4

Alt und anders? »Gay not grey« lautet der Titel einer jährlich stattfindenden Modenschau – eines der vielen Projekte, die die Schwulenberatung Berlin unterstützt. Die professionell organisierte Beratungsstelle hat ihre Wurzeln in der homosexuellen Emanzipationsbewegung der 1970er-Jahre, als ein offener Umgang mit dem Thema Homosexualität noch weitgehend undenkbar war. 1981 war es noch schwierig, die Post davon zu überzeugen, den Begriff »Schwulenberatung« als Adresseintrag ins Telefonbuch aufzunehmen. Homosexualität wurde mit Krankheit gleichgesetzt und erst zu Beginn der 1990er-Jahre aus den Diagnoseschlüsseln der WHO gestrichen. Der Homosexualität unter Strafe stellende § 175 StGB wurde in der Bundesrepublik Deutschland 1969 reformiert, jedoch erst 1994 ganz aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Kommentar von Marcel de Groot

Marcel de Groot, Geschäftsführer der Schwulenberatung Berlin, über Notwendigkeit und Akzeptanz des von ihm initiierten Wohnprojekts Lebensort Vielfalt: »Auch wenn inzwischen die allgemeine Haltung toleranter geworden ist und Berlin einen bekennenden homosexuellen Bürgermeister hatte, ist für viele eine latente Diskriminierung heute dennoch im Alltag spürbar. Das Gefühl, anders zu sein, ausgegrenzt zu werden, und die psychische

Umbau  Lebensort Vielfalt

Last und Angst, entdeckt zu werden, haben es besonders Homosexuellen der heutigen Generation 65+ schwer gemacht, ihre sexuelle Identität zu leben, und sie damit in ein Doppelleben oder gar in die soziale Isolation getrieben. Sie befürchten, dass sich in den bestehenden Einrichtungen der Altenpflege das Verheimlichen fortsetzt, sie Bilder von früheren Lebenspartnern verstecken müssen und Fragen nach Kindern und Enkeln nicht entsprechend beantworten können. In diesem Kontext versteht sich das Projekt als ein geschützter Raum – doch sollte kein Ghetto entstehen, sondern ein Ort, an dem die Perspektive gedreht wird: Wir sind eine Einrichtung speziell für schwule Männer, aber heterosexuelle Männer und Frauen sind genauso willkommen. Um eine heterogene Mischung der Bewohner zu erreichen, wurden die Wohnungen nach einem zuvor festgelegten Verhältnis vergeben: 20 % sind für jüngere schwule Männer reserviert, weitere 20 % für Frauen und 60 % für Schwule über 54 Jahre. Derzeit ist der jüngste Bewohner 31 Jahre alt, der älteste 86. Vier Wohnungen sind Personen in ökonomisch prekären Situationen vorbehalten. Die in das Projekt integrierte Pflege-Wohngemeinschaft wird – unterstützt durch einen Mitarbeiter der Schwulenberatung Berlin – vom ambulanten Pflegedienst Cura Domo betreut. Die Erfahrungen aus dem Wohnprojekt fließen in das Forschungsprojekt GLESA – Gleichgeschlechtliche Lebensweisen und Selbstbestimmung im Alter ein. Diese Untersuchung der Alice Salomon Hochschule in Berlin basiert auf einer heteronormativitätskritischen Theorie und soll zur Entwicklung neuer, milieusensibler, Ansätze in der Altenarbeit beitragen. Die anfängliche Skepsis hat sich gelegt, der Lebensort Vielfalt ist ein Erfolgsprojekt. Alle 33 Bewohner würden sofort wieder einziehen, 300 Bewerber stehen auf der Warteliste. Trotz dieser hohen Nachfrage betrachtet sich das Projekt als Zwischenstufe auf dem Weg zum eigentlichen Ziel: der Förderung gesamtgesellschaftlicher Toleranz gegenüber Minderheiten, egal welcher Art. «

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3. Obergeschoss (Bestand)

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3. Obergeschoss (nach Umbau)

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Wohngemeinschaft barrierefreie 1-Zimmer-Wohnung barrierefreie 2-Zimmer-Wohnung rollstuhlgerechte Wohnung

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Hausgemeinschaften – gemeinsam wohnen

Abb. 7 Im Dachgeschoss befinden sich fünf Maisonettewohnungen. Abb. 7

Vertrauen ist das Wichtigste … Die Diplomarbeit von Ulrich Schop von roedig.schop.architekten an der TU Berlin mit dem Entwurf eines Zentrums für Schwule und Lesben in Berlin und die langjährigen Erfahrungen der Architekten im Umgang mit Baugruppen legten die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Auftraggebern und Architekten. Kommentar von Ulrich Schop

Ulrich Schop berichtet über die Entscheidungsstrukturen: »Um mit den unterschiedlichen Anforderungen und Interessen angemessenen umzugehen, ist eine klare Verteilung der Aufgaben und der Rollen unabdingbar, gerade bei Projekten mit einem Verein als Auftraggeber, dessen Entscheidungsfindung durch seine Mitglieder und den Vorstand geprägt ist. Es war daher für uns bemerkenswert, dass es mit Marcel de Groot lediglich einen konkreten Ansprechpartner und Auftraggeber gab, der letztendlich die Verantwortung für alle Entscheidungen auf Seiten des Bauherrn übernahm. Da es sich um Mietwohnungen handelt und eine langfristige Belegung sichergestellt werden musste, waren die Mitsprachemöglichkeiten der künftigen Mieter – auch um die Kosten im Blick zu halten – begrenzt. «

Umbau  Solinsieme

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Solinsieme, St. Gallen Architektur: Archplan, St. Gallen Auftraggeber: »Solinsieme« Genossenschaft für neue Wohnform, St. Gallen Fertigstellung: 2002 Gesamtnutzfläche: 1467 m2 Wohneinheiten: 17 Wohnungen Weitere Nutzungen: Ateliers, Gästezimmer Ein brachliegendes Textilindustriegebäude aus dem 19. Jahrhundert, vier Frauen über fünfzig und zwei Architekten: Was mit einer Idee und einer glücklichen Konstellation im Jahr 1999 begann, ist auch heute noch eine der erfolgreichsten Umsetzungen des Konzepts einer Hausgemeinschaft in der nachfamiliären Lebensphase. Erdacht von dieser kleinen Initiativgruppe, entstanden in einem umgebauten Stickereigebäude 17 unterschiedliche Kleinlofts für Alleinstehende und Paare, deren Grundausbau bewusst einfach gehalten wurde, um den Erwerb der Wohnungen auch für nicht mehr berufstätige Personen erschwinglich zu halten. Die einzelnen Wohnungen haben die 22 Bewohner als Eigentum erworben, die Gemeinschaftsräume gehören der Genossenschaft, an der alle Bewohner beteiligt sind. 20 % der gesamten Nutzfläche stehen der Gemeinschaft zur Verfügung. Der nah am Eingang gelegene Gemeinschaftsraum mit Bar und Teeküche dient nicht nur als interner Begegnungsort, sondern wird auch für größere Veranstaltungen genutzt. Zwei Ateliers, ein Gästezimmer, eine Gemeinschaftsterrasse, Kellerräume und Waschküche ergänzen das Angebot. Die vorgelagerte Stahlkonstruktion im Süden ist Teil der Erschließung und zugleich ein luftiger und begrünter Aufenthaltsort. Auf private Parkplätze wurde verzichtet, man begnügt sich in der zentrumsnahen Lage mit drei Stellplätzen für Besucher und Carsharing. Die Zugänge zum Haus und zu den einzelnen Wohnungen sind barrierefrei ausgeführt. Die Wohnungen selbst lassen sich bei Bedarf mit moderatem Aufwand nachrüsten. Ihre Größe ist mit 55–93 m² maßvoll. Durch die 3,80 m Raumhöhe des Bestands wirken sie großzügig. Das Bad steht, verpackt in eine kompakte, 2,20 m hohe Leichtbaubox, wie ein Möbel im Raum. Diese Bauweise erleichtert im Fall des Falles den Austausch gegen ein barrierefreies Bad. Bereits bei der Grundrissgestaltung und Farbgebung von Boden, Küchenelementen und Sanitärräumen hatten die Bewohner ein Mitspracherecht. Den Bewohnern sind sowohl die Chancen als auch die Risiken des Lebens in einer Hausgemeinschaft bewusst – eine gute Voraussetzung für das Gelingen. Recht offen benennt die Genossenschaft auch Konfliktpotenzial, das sich gar nicht so sehr von dem in einer Familie unterscheidet: Verschiedene Auffassungen von Ordnung, unterschiedliches Engagement für die Gemeinschaft, die Diskussion über Anschaffungen und finanzielle Ressourcen sowie das Erkennen und Austragen von Konflikten an sich. »Wir sind keine Therapiegruppe«, sagt eine der Initiatorinnen. Daher ist es wichtig, dass neben den baulichen Voraussetzungen, die Privatheit ebenso gestatten wie geplante und zufällige Begegnungen, auch menschlich die Chemie stimmt.

Abb. 8

Abb. 9 Abb. 8 Grundriss, Maßstab 1:500 Abb. 9 Solo + insieme (ital.): Jeder für sich und doch zusammen. In der ehemaligen Stickerei leben 22 Personen in einer Hausgemeinschaft. Abb. 10 Ausbau Dachgeschoss

Abb. 10

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Hausgemeinschaften – gemeinsam wohnen

Siedlung Heizenholz, Zürich Architekten: Adrian Streich Architekten AG, Zürich Landschaftsarchitekten: Schmid Landschaftsarchitekten GmbH, Zürich Auftraggeber: Bau- und Wohngenossenschaft Kraftwerk1, Zürich Grundstücksfläche: 4060 m² Gesamtnutzfläche: 4025 m2 Fertigstellung: 2011 Wohneinheiten: 22 Wohneinheiten à 38–156 m², 2 Wohngemeinschaften à 253 m2, 2 Clusterwohnungen à 330 m² Gemeinschaftseinrichtungen: Gemeinschaftsraum »Salle Commune«, Ateliers, Hobbyräume, Musikraum, Büroraum, Bibliothek, Konsumdepot, Gästezimmer

Abb. 1

Abb. 2

»Kraftwerk1 tritt in ökologischer und sozialer Hinsicht als Pionierin und als Innovatorin auf. Bestehende und neue Projekte der Genossenschaft sollen aktuell gültige Standards übertreffen, Neues erproben, neue Wege aufzeigen und neue Standards vorbereiten«, heißt es in der 2014 verabschiedeten Strategie, in der die Bau- und Wohngenossenschaft Kraftwerk1 nach der Realisierung zweier gut angenommener Projekte eine Handlungsanleitung und Ziele für die nächsten zehn Jahre formulierte. Die Verbindung von selbstbestimmtem Wohnen und Arbeiten, soziale wie ökologische Anliegen und die Förderung der Gemeinschaft stehen im Fokus der 1995 gegründeten, in der Zürcher Jugendbewegung der 1980er-Jahre wurzelnden Genossenschaft. Schon ihr erstes Projekt, die 2001 bezogene Siedlung Hardturm in Zürich West, galt vielen weiteren ökosozialen Wohnprojekten als Vorbild. Die Eins im Genossenschaftsnamen weist bereits darauf hin, dass es nicht bei einer Siedlung bleiben sollte. So steht inzwischen das Ziel, bis 2024 die sechste Siedlung umzusetzen. Die zehn Jahre nach der Siedlung Hardturm fertiggestellte Siedlung Heizenholz baut auf den Erfahrungen der Pioniersiedlung auf. Sie ist ein Lebens- und Wohnort für verschiedene Generationen, im Speziellen auch für Menschen in der nachfamiliären Phase. Mit einer Vielzahl an Wohnungstypen kann sie den Bedürfnissen einer möglichst stark durchmischten Bewohnerschaft entsprechen. Die bereits in den 1970er-Jahren erbaute Jugendsiedlung Heizenholz (Architekt Wolfgang Stäger) befindet sich im Stadtteil Höngg. Während ein Teil der am Waldrand gelegenen Siedlung saniert wurde und weiterhin als Wohn- und Tageszentrum für Kinder und Jugendliche genutzt wird, stellte die Stiftung Zürcher Kinder- und Jugendheime der Genossenschaft Kraftwerk1 ein 4000 m2 großes Grundstück mit zwei mehrgeschossigen Bestandsbauten für

Abb. 3

Umbau  Siedlung Heizenholz

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Abb. 1 Lageplan, Maßstab 1:3000 Abb. 2 Axonometrie Bestand mit integriertem Neubau Abb. 3 Die beiden östlichen Häuser der Siedlung Heizenholz aus den 1970er-Jahren wurden mit einem Neubau zu einem Gebäude verbunden. Abb. 4 Die »Terrasse Commune«, eine vorgelagerte Veranda, verbindet Bestand und Neubau über alle Geschosse. Abb. 5 Grundriss Erdgeschoss, Maßstab 1:400 Abb. 4

61 Jahre im Baurecht1 zur Verfügung. Die Planungskommission der Genossenschaft formulierte unter Beteiligung von Interessenten und potenziellen Bewohnern das Raumprogramm. Darüberhinaus beteiligte sich eine Gruppe von fünfzig bis hundert Personen aktiv am Prozess und begleitete das Projekt bis zur Fertigstellung. Das gemeinsam erarbeitete Programm war Grundlage für die Ausschreibung eines Studienauftrags an fünf Architekturbüros. Künftige Bewohner hatten im Zuge der Jurierung die Möglichkeit, ihre Meinungen einzubringen. Die Jury entschied sich für den Vorschlag von Adrian Streich Architekten, der vorsah, die zwei bestehenden identischen Häuser auf winkelförmigem Grundriss mit einem neuen Bauteil zu einer Einheit zu verweben. Dem Erweiterungsbau vorgelagert ist eine geräumige Veranda, die »Terrasse Commune«, die Bestand und Neubau sowie alle Geschosse über Treppen miteinander verbindet. Sie ist sowohl privater Außenraum für die unmittelbar angrenzenden Wohnungen als

1 »Salle Commune« – Gemeinschaftsraum mit Küche 2 1-Zimmer-Wohnung 3 4,5-Zimmer-Wohnung 4 Atelier / Büro

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Abb. 5

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Hausgemeinschaften – gemeinsam wohnen

Abb. 6

auch allgemein zugänglicher Treffpunkt für die Bewohnerschaft. Nachdem sie nur Sekundärerschließung und kein Fluchtweg ist, kann sie frei möbliert werden, was der Aufenthaltsqualität zuträglich ist. Zudem öffnen sich zur Terrasse hin die Aufenthalts- und Gemeinschaftsbereiche der Wohnungen. Sämtliche Schlafzimmer hingegen liegen von der Terrasse möglichst weit entfernt in den zum Waldrand hin orientierten Gebäudeseiten. Weil der Altbestand integriert werden musste, war der Anspruch auf Barrierefreiheit nur mit kleineren Kompromissen einlösbar. Eine Kleinwohnung und ein Teil der Terrasse sind daher mit Rollstuhl nicht zugänglich, könnten aber mithilfe einer mobilen Rampe erreicht werden. Während es in der Siedlung Hardturm nur wenige Kleinwohnungen gibt, erfüllte man im Heizenholz die steigende Nachfrage nach kleineren Einheiten mit zehn 1- bis 2,5-Zimmer-Wohnungen, um auch ältere Menschen anzusprechen. Zusätzlich zu weiteren zwölf Wohnungen, die als konventionelle Familienwohnungen strukturiert sind, gibt es zwei Wohngemeinschaften mit zehn Zimmern und zwei sogenannte Clusterwohnungen mit 330 m2 Wohnfläche (siehe »Proportionalität von Gemeinschafts- zu Individualflächen«, S. 55). Ihre Bewohner teilen sich eine große Küche mit Essbereich, ein Wohnzimmer, ein Bad und einen abtrennbaren Arbeitsbereich. Die rund 30 bis 50 m2 großen Individualbereiche verfügen über ein bis zwei Zimmer, eine Kochnische und eine Sanitärzelle mit Dusche. Sämtliche Wohnungen wurden unter den Genossenschaftsmitgliedern ausgeschrieben. Um Mitglied zu werden, sind eine Beitrittserklärung sowie die Zeichnung eines Genossenschaftsanteils von 500 Schweizer Franken erforderlich. Engagement bereits in der Planungsphase erhöhte die Chance auf einen Mietvertrag. Mit 120 m2 bei insgesamt rund 3000 m2 Wohnfläche ist der Anteil an Gemeinschaftsflächen verhältnismäßig hoch und die Kosten für diese Flächen machen rund drei Prozent der Miete aus. Auch aus ökonomischen Gründen ist es daher wichtig, dass diese Räume genutzt werden und unter Umständen auch an externe Nutzer vermietet werden können. Im obersten Geschoss steht den Mietern ein Gästezimmer zur Verfügung, im Untergeschoss ein Probe- und Hobbyraum. In einem Lagerraum wurde das sogenannte Konsumdepot zur Vorratshaltung unverderblicher Lebensmittel eingerichtet. Die Entnahme wird per Strichliste dokumentiert, einmal pro Monat wird abgerechnet. Im Erdgeschoss dient die große »Salle Commune« als Versammlungsort und Raum für Feste. Zweimal pro Woche bieten hier zudem Bewohnerinnen einen günstigen Mittagstisch an. Die Außenräume sind mit einem Vorplatz und einer naturbelassenen Wiese hinter dem Haus großzügig bemessen. Zu den Außenbereichen des benachbarten Wohn- und Tageszentrums gibt es keine Abgrenzung, was das Gefühl des nachbarschaftlichen Zusammenlebens über das eigene Grundstück hinaus erweitert.

Abb. 6 Einweihungsfest 2012 vor der »Terrasse Commune« Abb. 7 Die Schlafzimmer liegen an der zur Blumenwiese und dem Waldrand orientierten Gebäuderückseite. Abb. 8 Blick von der »Terrasse Commune« in den Wohnraum Abb. 9 Essbereich einer Clusterwohnung mit Gemeinschaftsküche Abb. 10 Grundriss 2. Obergeschoss, Maßstab 1:400 Abb. 7

Umbau  Siedlung Heizenholz

Abb. 8

Abb. 9

Da es keinen Hausmeister gibt, ist ein großes Maß an Eigeninitiative erforderlich, die in kleinen Arbeitsgruppen geleistet wird. Zweimal pro Jahr finden Aktionstage statt, an denen das gesamte Haus geputzt wird – als Lohn gibt es ein abschließendes gemeinsames Essen. Lediglich öffentliche Wege und die Haustechnik werden professionell betreut. Für Anschaffungen zugunsten des Wohnumfelds ebenso wie für kulturelle oder soziale Aktivitäten steht ein Budget zur Verfügung, finanziert aus dem monatlich mit der Miete bezahlten, einkommensabhängigen »Spiritbeitrag«, aus dem auch ein Solidaritätsfonds gespeist wird. Wie der drei Jahre nach Besiedelung vorgelegten Begleitstudie2 der Age-Stiftung zu entnehmen ist, wirkt sich der professionell organisierte Partizipationsprozess weiterhin positiv auf den Siedlungsalltag aus. Die Hausgemeinschaft kann über vieles eigenständig entscheiden und ist damit auch in die Verantwortung genommen. Zuständigkeiten sind klar definiert, das Mitmachen ist zwar gewünscht, aber kein Muss. Darin liegt wohl ebenso das Geheimnis für ein gedeihliches Zusammenleben wie darin, dass es statt eines Kontrollsystems eine funktionierende, lösungsorientierte Konfliktkultur gibt. Das Gelingen des Projekts Siedlung Heizenholz ist wohl auch durch eine gute Portion Antidogmatismus begründet, mit der sich die Bewohnerschaft auf das Miteinander der Generationen eingelassen hat.

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Clusterwohnung 2,5-Zimmer-Wohnung »Terrasse Commune« Wohngemeinschaft mit 10 Zimmern

Abb. 10

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1 Mit Baurecht wird das vom Grundeigentümer für bestimmte Zeit (mindestens 10 und höchstens 99 Jahre) eingeräumte Recht, auf einem Grundstück ein Bauwerk zu errichten und zu erhalten, bezeichnet. 2 Hoffmann, Marco; Huber, Andreas: Begleitstudie Kraftwerk1 Heizenholz, Zürich 2014 www.age-stiftung.ch/uploads/media/Schlussbericht_2009_00028.pdf (Stand: 28.07.2015)

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Hausgemeinschaften – gemeinsam wohnen

Hausgemeinschaften – gemeinsam wohnen

Neubau

Neubau  Mehrgenerationenhaus Giesserei

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Mehrgenerationenhaus Giesserei, Winterthur Architekten: Galli Rudolf Architekten, Zürich Auftraggeber: Gesewo, Genossenschaft für selbstverwaltetes Wohnen, Winterthur Grundstücksfläche: 11 037 m² Gesamtnutzfläche: 16 974 m² Fertigstellung: 2013 Wohneinheiten: 155 Wohnungen (über 40 verschiedene Typen von 1,5- bis 7-Zimmer-Wohnungen), Wohngemeinschaft mit neun Zimmern, elf »Jokerzimmer« mit 26–36 m2 Gemeinschaftseinrichtungen: Saal, Gemeinschaftsraum mit Küche, Bewohnertreff »Pantoffelbar«, drei Werkstätten, acht Waschküchen im UG, zwei »Waschbars« als kommunikative Treffpunkte im EG (keine Waschmaschinen in den Wohnungen) Weitere Nutzungen: Gastronomie, Büro- und Gewerbeflächen, Tageszentrum für Hirnverletzte, Kindergarten Das Mehrgenerationenhaus Giesserei ist Teil der neu errichteten selbstverwalteten Siedlung der Schweiz, die im Osten des Stadtzentrums von Winterthur auf einem ehemaligen Industrieareal entstand. Mit 155 Wohnungen ist es das bislang größte Projekt der Genossenschaft für selbstverwaltetes Wohnen (Gesewo), die 1992 ihre erste Hausgemeinschaft in Betrieb nahm und von da an kontinuierlich expandierte. Die Gesewo versteht sich als »logistisches Zentrum« für die unter ihrem Dach versammelten Hausgemeinschaften, die sich so weit wie möglich selbstverantwortlich organisieren. Altersdurchmischung und ein aktives Zusammenleben der Generationen sowie umfassende Nachhaltigkeit stehen im Fokus der sozial und ökologisch ambitionierten Siedlung inmitten des Stadtentwicklungsgebiets Neuhegi. Hervorgegangen ist sie aus der Idee eines Mehrgenerationenprojekts in Holzbauweise für etwa 25 Parteien des Architekten Hans Suter aus Winterthur. Als er im Jahr 2005 per Inserat Mitstreiter suchte, fand sich eine Gruppe von ambitionierten Interessierten, die sich zu einem Hausverein zusammenschlossen. Dieser bekam schließlich 2006 mit der Genossenschaft Gesewo einen Partner für die Entwicklung und Errichtung.

Abb. 2

Abb. 1 Lageplan, Maßstab 1:7500 Abb. 2 von der Blockrandbebauung umgebener begrünter Innenhof

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Hausgemeinschaften – gemeinsam wohnen

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Die Suche nach einem zentral gelegenen, erschwinglichen Grundstück für ihr Vorhaben verlief zunächst ohne Erfolg. Als sich auf dem Giesserei-Areal eine von der Stadt für »innovatives Wohnen« vorgesehene Parzelle anbot, für die das Mehrgenerationenkonzept passend schien, wagten sich die Akteure an die Realisierung. Sie stellte sowohl den Hausverein als auch die Genossenschaft, die damit ihren Wohnungsbestand mehr als verdoppelte, vor neue Herausforderungen. Ein Team aus Vertretern beider Seiten erarbeitete fortan das inhaltliche und räumliche Programm und wählte 2009 im Zuge eines Projektwettbewerbs, zu dem zwölf Architekturbüros geladen waren, den Entwurf »E la nave va« von Galli Rudolf Architekten aus. »Das Schiff losfahren zu lassen« – der von Fellini entlehnte Filmtitel beschreibt treffend das Abenteuer, auf das sich alle Beteiligten einließen. Mit Menschen aller Altersgruppen und unterschiedlicher Herkunft ein Wohnprojekt zu starten, das im Wohnalltag die aktive Mitarbeit jedes Einzelnen verlangt, mag ein visionäres und auch riskantes Unterfangen sein. Die Größe des Projekts bot aber auch Chancen in Hinblick auf Effizienz, eine größere Durchmischung, variantenreichere Raumangebote außerhalb der Wohnungen und höhere Ressourcen an mitarbeitenden Freiwilligen. Auch wenn der Masterplan auch eine Blockbildung mit mehreren Höfen zugelassen hätte, entschieden sich die Architekten für einen großen Hof und eine umschließende Bebauung mit sechs Geschossen an den Längsseiten und zwei Geschossen an den Stirnseiten. Der Baukörper

Restaurant Fahrradständer Bibliothek Fahrradgeschäft Gemeinschaftspraxis »Waschbar« Pflege-Wohngruppe Infodesk 6-Zimmer-Maisonettewohnung 5-Zimmer-Maisonettewohnung Kindertagesstätte Werkstatt öffentliche Toilette 4,5-Zimmer-Wohnung 3,5-Zimmer-Wohnung Tageszentrum für Hirnverletzte Musikzentrum Atelier/2-Zimmer-Maisonettewohnung Saal a

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ist zum öffentlichen Raum hin mehrfach durchlässig, wodurch informelle fußläufige Verbindungen zum städtischen Straßennetz und zu benachbarten Gebäuden entstehen. Die überhöhten Erdgeschosse sind gemeinschaftlichen und gewerblichen Nutzungen vorbehalten. In den darüberliegenden Wohngeschossen setzten die Architekten auf eine einfache modulare Grundstruktur, die es gestattet, flexibel auf verschiedene Bedürfnisse zu reagieren. Die über 40 Grundrisstypen wurden bewusst auf allen Geschossen durchmischt angeordnet. Mit elf zusätzlich anmietbaren sogenannten Jokerzimmern kann zeitweiser Mehrbedarf an Raum gedeckt werden. Rund 20 % der Wohnungen sind von Stadt und Kanton subventioniert. Sie liegen im ersten bis dritten Obergeschoss und weisen den gleichen Standard auf wie alle anderen Wohnungen. Nach Osten und Westen ist ein außenliegendes vor- und zurückspringendes Loggienband vorgelagert, das den Wohnraum erweitert. Die Wohnungen eines Geschosses entlang der Fassade sind somit horizontal miteinander verbunden, wodurch nachbarliche Kontakte gefördert und Besuche auf kurzen Wegen ermöglicht werden. Rücksprünge der Balkonbänder stellen optisch Abb. 7

aa

bb Abb. 5

Abb. 3 Ansicht von Nordosten Abb. 4 Grundriss EG, Maßstab 1:750 Abb. 5 Schnitte, Maßstab 1:750 Abb. 6 Ansicht von Norden Abb. 7 Der zweigeschossige Saal ist über Schiebefenster direkt mit dem Hof verbunden. Abb. 6

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Hausgemeinschaften – gemeinsam wohnen

Abb. 8 Die Sonnenschutzelemente lassen sich vor der Brüstungsverkleidung frei verschieben. Abb. 9 vor- und zurückspringendes Balkonband Abb. 10 Wohn-/Essbereich mit Küche

1 Minergie-Eco ist ein im Jahr 1998 in der Schweiz eingeführter Standard für energieeffiziente Gebäude. Das Zertifikat kann nicht nur Neubauten, sondern auch modernisierten Gebäuden verliehen werden. Zu den Standards siehe: www.minergie.ch Abb. 8

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Abb. 10

vertikale Verbindungen her. Indem den einzelnen Ebenen der äußeren Hülle unterschiedliche Farben zugeordnet werden – Weiß für die Außenwände, Hellgrün an Fassadenrücksprüngen und Schiebeläden, Rot für die äußerste Brüstungschicht –, entsteht ein lebendiges Fassadenbild. Wohnungen und Außenraum sind barrierefrei, lediglich die Engstellen der Loggien sind für Rollstühle etwas zu schmal geraten. Das Angebot in der Erdgeschosszone ist mannigfaltig. Es reicht von verschiedenen Gemeinschaftsräumen, einer Kindertagesstätte sowie einem Restaurant über diverse Läden und Dienstleistungsbetriebe, eine Außenstelle der Stadtbibliothek bis hin zu Künstlerateliers. Für eine ebenso vorgesehene Pflege-Wohngruppe konnte jedoch bislang kein Betreiber gefunden werden. Ganz im Sinne des nachhaltigen Siedlungskonzepts ist die Anzahl der Autoparkplätze auf rund 50 beschränkt, wohingegen aber 580 Fahrrad-Abstellplätze geschaffen wurden, davon rund 300 in der Tiefgarage. Im Attikageschoss steht der Hausgemeinschaft die »Pantoffelbar« als einladender Treffpunkt mit Terrasse zur Verfügung. Das Bauprogramm basiert auf einer komplexen Wohnungs- und Nutzungsdurchmischung in einem Holzbau mit Minergie-P-Eco-Standard1. Gleichermaßen ambitioniert ist das basisdemokratische Konzept der Hausgemeinschaft; die Wartung des Hauses und zahlreiche administrative Aufgaben übernimmt sie in Eigenleistung. Die »Ämtliliste« umfasst von der Reinigung der Gemeinschafts- und Allgemeinflächen über Kontroll- und Instandhaltungsarbeiten bis hin zur Veranstaltungsorganisation mehr als hundert Positionen, für die es Freiwillige braucht. Jede erwachsene Person verpflichtet sich, pro Jahr 36 Stunden für die Gemeinschaft zu erbringen. Diese werden in einer internetbasierten Zeitbank erfasst, innerhalb derer auch Stunden getauscht werden können. Wer die Arbeitsstunden nicht leisten kann oder will, kann diese Stunden monetär abgelten – was wiederum dem Budget der Gemeinschaft zugutekommt. Zudem können zu viel geleistete Stunden an andere verschenkt werden. Der Hausverein, der auch ein Vorschlags- und Mitspracherecht bei der Mieterauswahl hat, finanziert sich im Wesentlichen aus der Unterhaltspauschale, die von der Genossenschaft zur Verfügung gestellt wird. Da in der selbstverwalteten Siedlung ein Großteil der Arbeiten durch die Bewohner erledigt wird, verbleibt ein Betrag für gemeinschaftliche Aktivitäten und Anschaffungen in der gemeinsamen Kasse.

Neubau  Gemeinschaftswohnhaus Kanzlei-Seen

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Gemeinschaftswohnhaus Kanzlei-Seen, Winterthur Architekten: Haerle Hubacher Architekten, Zürich Auftraggeber: Gesewo, Genossenschaft für gemeinschaftliches Wohnen, Winterthur Grundstücksfläche: 1300 m2 Gesamtnutzfläche: 1330 m2 Wohneinheiten: 16 Fertigstellung: 2010 Ursprünglich hatten der Hausverein und die Genossenschaft Gesewo das Projekt als selbstverwaltete »Hausgemeinschaft 50plus« konzipiert, in der 16 bis 20 Personen zwischen 50 und 75 Jahren zusammenleben sollten. Das viergeschossige Haus mit seiner hellgrauen Holzfassade und den gartenseitig umlaufenden Balkonen ging aus einem geladenen Wettbewerb unter fünf Architekturbüros hervor. Mit Kleinwohnungen, die sich um großzügige Gemeinschaftsbereiche gruppieren, entstand eine sich über vier Geschosse erstreckende Clusterwohnung. Die 38 bis 66 m2 großen Individualeinheiten sind mit kleiner Küchenzeile und Sanitärzelle ausgestattet. Auf den fast 400 m2 gemeinschaftlicher Fläche – was etwa 33 % der gesamten Nettowohnfläche entspricht – werden unter anderem eine große Küche, ein Wellnessbad, eine Büroarbeitsnische und eine Fitnessecke angeboten. Auch ein zumietbares Gästezimmer steht zur Verfügung. Das Haus ist zudem rollstuhlgerecht und so gestaltet, dass auch für Menschen mit einem eingeschränkten Bewegungsradius abwechslungsreiche Aufenthaltsmöglichkeiten gegeben sind sowie durch die raumhohen Fenster auch bei Bettlägerigkeit der Blick ins Freie ermöglicht wird. Die Hausgemeinschaft durchlief in den ersten Jahren ihres Bestehens mehrere Konflikte, die unter anderem aus divergierenden Vorstellungen über den konkreten Wohnalltag resultierten. In der Zwischenzeit erfolgte eine Neuausrichtung des Projekts als »Clusterwohnen für Erwachsene«, das nun mit einer stärkeren organisatorischen Begleitung durch die der Geschäftsstelle der Genossenschaft einhergeht.2

Abb. 12

2 Hoffmann, Marco; Huber, Andreas: Begleitstudie Hausgemeinschaft 50plus Kanzlei-Seen. Zürich 2014 Abb. 11 Lageplan, Maßstab 1:5000 Abb. 12 Brüstungsbänder aus hölzernen, grau gestrichenen Lamellen fassen den Baukörper als äußere Fassadenschicht.

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Hausgemeinschaften – gemeinsam wohnen

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Abb. 13 Schnitt, Maßstab 1:400 Abb. 14 Die großzügige Erschließungszone wird gemeinschaftlich genutzt. Abb. 15 Wohneinheit mit Küchenzeile Abb. 16 Grundrisse, Maßstab 1:400 1. OG

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Gemeinschaftsbereiche 1 Küche 2 Aufenthaltsraum 3 Büro 4 Gästezimmer 5 Spielecke 6 Fitness 7 Malatelier 8 Veranstaltungsraum

Neubau  Hausgemeinschaft Ruggächern 55+

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Hausgemeinschaft Ruggächern 55+, Zürich Architekten: Baumschlager Eberle, Vaduz Auftraggeber: Allgemeine Baugenossenschaft Zürich (ABZ) Fertigstellung: 2007 Bruttogeschossfläche: 3897 m2 Wohneinheiten: 34 2,5- und 3,5-Zimmer-Wohnungen Gemeinschaftseinrichtungen: Gemeinschaftsraum mit Küche, Bibliotheks- und Sitzecke, Computerraum, Fitnessraum, Wellnessraum, Gästezimmer Weitere Nutzungen: Waschsalon, Trockenräume, Fahrradraum, individuell mietbare Atelierräume Fünf Zeilenbauten, die das Areal an den Rändern abschirmen, und neun Punkthäuser bilden die Wohnanlage Ruggächern in einem Neubauquartier in Zürich-Affoltern. Die roten Klinkerfassaden der kompakten Häuser und das weitläufige Grün des terrassierten, parkartigen Geländes sorgen für eine hochwertige und elegante Anmutung. In einen der Riegel am östlichen Siedlungsrand integrierte die Allgemeine Baugenossenschaft Zürich (ABZ) erstmals ein innovatives Angebot für ein selbstbestimmtes, gemeinschaftsorientiertes Wohnen in der zweiten Lebenshälfte in eine genossenschaftliche Siedlung. Die Mitglieder der Hausgemeinschaft wurden von der ABZ bereits vor dem Bezug in die Detailkonzipierung der 34 Wohneinheiten zu 2,5 und 3,5 Zimmern einbezogen. Nachbarschaftshilfe und gegenseitige Unterstützung im Wohnalltag gehören zu den zentralen Zielsetzungen des Projekts, das seiner Bewohnerschaft ein verlässliches soziales Netz und Kontakte bieten soll. Konkret sieht das Hausreglement eine Freiwilligenarbeit von wöchentlich zwei bis vier Stunden vor. Da Berufstätige wenig Zeit für gemeinschaftliches Engagement haben, wurde mittlerweile die untere Altersgrenze für die Bewohner auf 60 Jahre angehoben. Der Einsatz für die Gemeinschaft kann in Form von Mitarbeit in der jährlich gewählten Hauskommission eingebracht werden, in der Betreuung von Gemeinschaftsraum, Bibliothek, Fitness-

Abb. 17 Lageplan, Maßstab 1:15 000 Abb. 18 Eine parkartige Landschaft umgibt die Punkthäuser.

Abb. 17

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Hausgemeinschaften – gemeinsam wohnen

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Abb. 19 Geschossweise versetzte Fenster verleihen der zweischaligen Klinkerfassade Charakter. Abb. 20 Grundrisse, Maßstab 1:750

3 Gloor, Daniela; Meier, Hanna: Schlussbericht der Evaluation »Hausgemeinschaft 55+ Ruggächern«. Ein innovatives Wohnprojekt der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich ABZ. Auswertung der Erfahrungen 2004 – 2010: Projektierung, Umsetzung und Nutzung. SchinznachDorf 2010 (online veröffentlicht)

raum, Waschküche oder Gästeappartement – was auf einer eher symbolischen Ebene auch geringfügig monetär belohnt wird – oder als nachbarschaftliche Hilfeleistung jedweder Art. Auf diese Weise stehen Ressourcen zur Verfügung, die den Alltag erleichtern und im besten Fall einen langen Verbleib in der eigenen Wohnung erlauben. Damit gehen aber auch hohe Erwartungen einher, die in der Praxis nicht immer leicht zu erfüllen sind. So wird beispielsweise die Einhaltung des Arbeitspensums nicht streng kontrolliert. Die Zufriedenheit – sowohl mit der Qualität der Wohnungen als auch mit dem sozialen Miteinander – ist jedoch sehr groß. Als wichtige Erfolgsfaktoren benennt der vom Bundesamt für Wohnungswesen beauftragte Evaluationsbericht3 die frühzeitige Einbindung der Mitglieder der Hausgemeinschaft, die dadurch schon im ersten Jahr zu einem hohen Maß an Selbstorganisation befähigt waren, sowie die ständige professionelle Begleitung des Projekts durch die ABZ und das kontinuierlich große Engagement von Kerngruppen.

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Lobby Foyer Gästezimmer Sprudelwanne Pflege Gemeinschaftsraum Küche Trockenraum Waschküche Atelier Fitnessraum 2,5-Zimmer-Wohnung 3,5-Zimmer-Wohnung

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1. bis 4. Obergeschoss

Neubau  Wohn- und Gewerbebau Kalkbreite

Wohn- und Gewerbebau Kalkbreite, Zürich Architekt: Müller Sigrist Architekten, Zürich Auftraggeber: Genossenschaft Kalkbreite, Zürich Grundstücksfläche: 6350 m2 Hauptnutzfläche: insgesamt 13 226 m2 (7811 m2 Wohnen, 4784 m2 Gewerbe und Kultur, 631 m2 Gemeinschaftsflächen) Fertigstellung: 2014 Wohneinheiten: 55 Genossenschafts-Mietwohnungen mit 97 Wohneinheiten unterschiedlichen Typs (z. B. 1 und 1,5-Zimmer-Wohnungen zusammengefasst in 3 Clusterwohnungen, jeweils um einen Gemeinschaftsraum gruppiert; 2,5- bis 4,5-Zimmer-Wohnungen; Großhaushalt, Zusammenschluss aus 21 Einzelwohnungen mit Gemeinschaftsraum und bewirteter Küche; Großwohnungen bis 17 Zimmer für Wohngemeinschaften), 9 zumietbare Jokerzimmer, 11 Pensionszimmer Gemeinschaftseinrichtungen: Innenhof, Dachterrassen, 4 nutzungsoffene »Schöpfe« (überdachte, abschließbare Räume im Freien), Rue intérieure, Halle, Waschsalons, Cafeteria, 7 Sitzungsräume, Gemeinschaftsbüros, Werkstätten, Sauna, Musikübungsraum Weitere Nutzungen: Straßenbahndepot, Gewerbeflächen, Gastronomie, Kino, Läden, Praxen, Kita, Geburtshaus etc. Spezielle Angebote: Betriebsteam »Drehscheibe« (Rezeption) mit Serviceangebot für Bewohner/Gewerbetreibende/Nutzer

Abb. 1 Lageplan, Maßstab 1:5000 Abb. 2 Blick auf den Innenhof

2 1 3

Auf dem innerstädtisch gut erschlossenen Grundstück Kalkbreite besteht seit 1882 ein Straßenbahndepot. Als die Züricher Verkehrsbetriebe dessen Erneuerung und die Stadt den Grundstücksverkauf planten, initiierten die Anwohner 2006 – unterstützt durch lokale Medien – einen öffentlichen Workshop unter dem Titel »Ein neues Stück Stadt«. Die Idee dabei war, in einem Gebäudekomplex das Depot und Wohneinheiten zusammen unterzubringen. Um die Umsetzung dieser gemeinsam entwickelten Zukunftsperspektive zu unterstützen, wurde der Verein Kalkbreite gegründet, aus dem wenig später die neue Genossenschaft Kalkbreite hervorging. Im Herbst 2007 sprach die Stadt Zürich der jungen Genossenschaft das Baurecht zu. Gemeinsam lobten sie, wie im Züricher Baurecht üblich, einen Architekturwettbewerb aus, den das Züricher Büro Müller Sigrist Architekten gewann. Basis des Wettbewerbs war die zuvor von Anwohnern und Fachleuten partizipativ entwickelte Vision eines ökologisch geplanten Quartiers mit begrüntem Innenhof, Photovoltaikanlage,

Abb. 2

Abb. 1 1 Rosengarten (Bestandsgebäude) 2 Zugang Freitreppe zum Innenhof 3 Innenhof

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Hausgemeinschaften – gemeinsam wohnen

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3. Obergeschoss

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Freitreppe Innenhof Kindertagesstätte Geburtshaus / Wochenbettwohnung Sitzungsraum »Flex« Gemeinschaftsbüro Rue intérieure Cafeteria Eingangshalle / Rezeption Waschsalon Pension Ess- / Wohnraum Großhaushalt Wohnungen Großhaushalt Jokerzimmer Clusterwohnungen Cluster-Gemeinschaftsraum Clusterwohnungen im Großhaushalt Gemeinschaftsraum »Box« Dachgarten

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2. Obergeschoss Abb. 5

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Neubau  Wohn- und Gewerbebau Kalkbreite

Wärmerückgewinnung, Grundwasserpumpe etc. Zudem war das Ziel, einen lebendigen Ort zu schaffen mit viel Raum für neue Wohnkonzepte und Lebensmodelle sowie innovativem, kleinteiligem Gewerbe bei einem Verhältnis von etwa 60 % Wohnen zu 40 % Gewerbe. So sind in dem Komplex u. a. Clusterwohnungen, Wohnungen für Großhaushalte und eine Pension untergebracht sowie ein Geburtshaus, eine Wochenbettwohnung und eine Kindertagesstätte. Im Erdgeschoss, Mezzanin und im ersten Obergeschoss befindet sich – u. a umgeben von Läden, Büros, Praxen und Kino – das sanierte Straßenbahndepot. Auf dessen Dach ist auf Höhe des zweiten Obergeschosses ein begrünter Innenhof angelegt. Ihn umgibt eine sich über drei Seiten erstreckende blockrandartige abgetreppte Bebauung mit bis zu fünf Ebenen. Die darin angeordneten Wohnungen weisen einen durchschnittlichen Wohnflächenanteil von 32 m2 pro Person auf. Für sie ist eine folgendermaßen zu errechnende Mindestbelegung vorgeschrieben: Anzahl der Zimmer minus 1 = Anzahl der Bewohner. Als Ergänzung zum privaten Raum wartet ein breites Angebot gemeinschaftlich genutzter Bereiche und im gesamten Gebäude verteilter, für begrenzte Zeit zumietbarer Jokerzimmer auf. Ein Raster aus Stahlbetonstützen ermöglicht auch in Zukunft eine flexible Anordnung unterschiedlicher Nutzungen und eine freie Einteilbarkeit der Geschossflächen. Erschlossen wird der Komplex von außen über eine breite Freitreppe, die vom Straßenniveau hinauf zum Innenhof führt. Im Inneren durchzieht die Rue intérieure beginnend in der Eingangshalle des zweiten Obergeschosses das Gebäude in seiner Höhe. Sie dient als zentraler Erschließungsflur und kommunikativer Raum zugleich.

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Jokerzimmer WG Einpersonenhaushalt Zweipersonenhaushalt Alleinerziehender Haushalt Familienhaushalt WG mit Kindern

Abb. 6

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Abb. 3 Rue intérieure mit Blick in das Foyer Abb. 4 Skizze Gewerbe- und Dienstleistungsmix Abb. 5 Grundrisse, Maßstab 1:1200 Abb. 6 Aufteilung Wohnformen Abb. 7 Cluster-Gemeinschaftsraum mit Blick in das darüberliegende Malatelier

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6. Obergeschoss

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4. Obergeschoss Abb. 7

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Hausgemeinschaften – gemeinsam wohnen

Abb. 8

Ein neues Stück Stadt: gemeinsam Visionen umsetzen Die Stadtplanerin und Landschaftsarchitektin Sabine Wolf ist Chefredakteurin der Schweizer Zeitschrift für Landschaftsarchitektur anthos und Mitglied der Geschäftsleitung der Genossenschaft Kalkbreite. In ihrer Arbeit verbindet sie theoretisches Wissen mit praktischer Umsetzung. Beitrag von Sabine Wolf

Abb. 9

4 Generische Partizipation (lat. gignere, »hervorbringen«) beschreibt eine lokal verankerte, prozesshafte, breit abgestützte Projektentwicklung, bei der das Projekt erst durch die Beteiligung Vieler entsteht, die ihr Wissen, ihre Bedürfnisse, Erwartungen und Visionen einbringen.

Von Anfang an wichtig für die Genossenschaft und ihre Arbeitsweise prägend war die intensive und breite Partizipation der künftigen potenziellen Nutzer durch alle Projektphasen – Planung, Realisierung, Aufbau und Betrieb. Das prozesshafte Vorgehen, eine »Planungskultur der Vielen«, mag ein gewisses Wagnis bergen angesichts der Ungewissheit des Ausgangs, doch sie schafft von Anfang an eine gemeinsame Vision und gegenseitige Akzeptanz. Bei dieser »generischen Partizipation«4 wird die gemeinsame Auseinandersetzung mit künftigen Wohn-, Arbeits- und Lebensmodellen zur eigentlichen gestalterischen Kraft. Diese Form bedarfsbasierter Projektentwicklung fördert nicht nur an den Ort angepasste, maßgeschneiderte und zukunftsfähige Konzepte. Sie leistet aufgrund ihrer breiten Abstimmung zugleich auch die Einbettung in einen größeren gesellschaftlichen und örtlichen Kontext. Nicht spektakuläre Autorenprojekte sind gesucht, sondern Lösungen, die auf die Bedürfnisse der künftigen Nutzer eingehen. Dass die Genossenschaft Kalkbreite mit dieser Planungskultur nicht allein ist – und auch nicht die erste war –, ist ein entscheidender Standortvorteil von Zürich. Die Genossenschaften Dreieck, Karthago und Kraftwerk1 haben dies bereits seit den 1990er-Jahren in ihren Projekten verfolgt, ebenso wie später die Genossenschaft »mehr als wohnen«. Auch die lange Tradition des genossenschaftlichen Wohnungsbaus in Zürich hat Pfade geebnet und neue Möglichkeiten eröffnet; die städtische Grundstücksvergabe im Baurecht sowie die klaren und professionellen Rahmenbedingungen für Genossenschaften sind etablierte Instrumente, ohne die das Projekt nicht hätte Wirklichkeit werden können. Die Kalkbreite wurde bewusst »konventionell« und ohne General- oder Totalunternehmer gebaut. Das erfordert seitens der Bauträgerschaft viel Wissen und Disziplin, sichert aber viele Freiheiten. Denn damit können Kosten fokussierter gesteuert und Spar- sowie Ausgabenpotenziale auf andere Weise diskutiert werden. Dies ermöglicht eine kostengünstige Bauweise ebenso wie bezahlbare Wohn- und Gewerbemieten und zudem unterschiedliche Angebote für die Hausgemeinschaft, wie eine Cafeteria, nutzungsoffene Flächen und attraktive Außenräume. Die Genossenschaft Kalkbreite hat heute fast 1200 Mitglieder und realisiert mit dem ebenfalls im Züricher Zentrum gelegenen »Zollhaus« derzeit ihr zweites Projekt. «

Neubau  Wohn- und Gewerbebau Kalkbreite

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Abb. 8 8,5-Zimmer-Maisonettewohnung Abb. 9 Innenhof auf dem Dach der Straßenbahnhalle Abb. 10 Grundrisse Wohnungsbeispiele, Maßstab 1:400 Abb. 11 Rue intérieure mit Blick in eine Küche

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Jokerzimmer 27,1 m2 1-Zimmer-Wohnung Cluster 3: 29,4 m2 1,5-Zimmer-Wohnung Cluster 3: 46,1 m2 1,5-Zimmer-Wohnung Cluster 1: 47,6 m2 Gemeinschaftsraum Cluster 3: 39,5 m2 3-Zimmer-Wohnung: 61,2 m2 2,5-Zimmer-Wohnung: 63,9 m2 3-Zimmer-Wohnung: 64,9 m2 2,5-Zimmer-Maisonettewohnung: 96,8 m2 3,5-Zimmer-Wohnung: 64,4 m2 5,5-Zimmer-Wohnung: 125,9 m2 4,5-Zimmer-Wohnung: 94,6 m2 WG Großhaushalt: 9,5-Zimmer-Wohnung: 253 m2

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Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

82 Generationengerechte Siedlungen und Quartiere 82

Das Quartier als Handlungsebene 83 86 86 87

Nachbarschaft, ein soziales Konstrukt – Interview mit Birgit Wolter Mehrgenerationenquartier Johanniskirchgärten, Essen-Altenessen Bielefelder Modell – Wohnen mit Versorgungssicherheit Betreute Wohnzone Moerwijk, Den Haag

88 Projektbeispiele – Umbau 89

Modernisierung von Großsiedlungen

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Mariengrün, Berlin – Neue Wohnumfelder in Großsiedlungen 96

Großsiedlungen im demografischen Wandel – Kommentar von Martina Buhtz

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Hochhaus der Generationen, Ludwigshafen

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Siedlung Buchheimer Weg, Köln-Ostheim

100 Projektbeispiele – Neubau 101

mehr als wohnen, Zürich

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Wohnprojekte der Genossenschaft wagnis Am Ackermannbogen, München

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Mehrgenerationen-Siedlung Oase 22, Wien

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Messequartier Graz

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HafenCity Hamburg 118 119 120

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HafenCity: Stimulierung nachbarschaftlicher Prozesse durch räumliche Impulse – Kommentar von Marcus Menzl HafenCity: Wohnhaus am Kaiserkai HafenCity: Harbour Hall

Stiftung Alterswohnungen, Zürich 122 125 126

Siedlung Frieden Siedlung Köschenrüti Siedlung Krone Altstetten

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Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

Generationengerechte Siedlungen und Quartiere »Die Bedeutung des Stadtquartiers als Ort integrierter Gestaltung steigt in dem Maße, wie die segregierten Stadträume der industriellen Moderne durch die tiefgreifenden Veränderungen der Arbeitswelt ihre Funktionalität und Attraktivität verlieren.«1 Quartier, ein zurzeit häufig verwendeter Begriff, ist – im Gegensatz zu den durch politische und administrative Zuständigkeiten definierten Wahl-, Schul- oder statistischen Zählbezirken mit eindeutigen geografischen Grenzen – ein sehr offener Begriff. Der ehemalige Professor für Städtebau und Siedlungswesen, Dieter Frick, liefert folgende Definition: »Das Quartier ist vor allem Ort der alltäglichen, laufend vorkommenden Tätigkeiten, Ereignisse und Besorgungen von Mitgliedern der privaten Haushalte und Arbeitsstätten.«2 Die Begrenzungen beziehen sich auf die spezifischen Aktionsradien der Einwohner und die Reichweite konsumbezogener Einrichtungen sowie der sozialen und die Gesundheitsversorgung betreffenden Infrastruktur. In der Diskussion um eine nachhaltige Stadtentwicklung und -umbau wird das Quartier zu einer immer wichtigeren Interventionsebene: »Der Quartiersansatz beruht auf einem integrativen Blick, bei dem Bauliches, soziale Beziehungen und Kultur zusammenkommen. Er richtet sich in erster Linie auf den Bestand, seine Möglichkeiten und Anforderungen.«3 Das Quartier als Handlungsebene

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Zu Beginn der 1990er-Jahre wurden erstmals die Auswirkungen des demografischen Wandels auf unterschiedliche räumliche Gebietstypen – Altbauquartiere, Wohnsiedlungen sowie das Land bzw. das Umland von Städten – wissenschaftlich untersucht. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung initiierte das Programm Experimenteller Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt) mit dem Forschungsfeld »Ältere Menschen und ihr Wohnquartier« (1989–1995). Ziel war dabei, die sozialräumliche Umwelt der Wohnung, des Wohnumfelds und des Wohnquartiers an die Anforderungen älterer Menschen anzupassen. Entgegen der damals vorherrschenden Sichtweise – das Leben im Altersheim war eine etablierte und selbstverständliche Wohnform – stand der Begriff »Quartier« für eine programmatisch neue Sicht, die die eigenständige Lebensführung und die gleichberechtigte Teilhabe Älterer in den Fokus rückte.

Um deren Lebensqualität am Wohnort zu sichern und zu verbessern, entwickelte man ganzheitliche und fachübergreifende Konzepte, die in 21 wissenschaftlich begleiteten Modellvorhaben des ExWoSt-Forschungsfelds erprobt wurden. In Abhängigkeit von den unterschiedlichen Gebietstypen verknüpften die Projekte bauliche und soziale Maßnahmen (siehe »Netzwerke der Unterstützung in allen Lebenslagen«, S. 27). Dieser ganzheitliche Ansatz einer integrierten Quartiersentwicklung wurde mit dem 1999 gestarteten Bund-Länder-Programm »Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt« weiterverfolgt (seit 2012: Programm »Soziale Stadt – Investitionen im Quartier«). Zuvor waren bereits auf Bundes- und Landesebene verschiedene Initiativen zur Entwicklung neuer und integrativer Handlungsansätze begonnen worden. Dabei werden als Reaktion auf die zunehmende sozialräumliche Polarisierung für Stadtteile mit komplexen Problemlagen integrative und ressortübergreifende Handlungsansätze entwickelt und umgesetzt. Grundlage für gezielte Eingriffe sind die Sozial- und Wirtschaftsstruktur, der bauliche Zustand sowie die Qualität von Wohnungen und die Ausstattung mit sozialer und kultureller Infrastruktur. Im Fokus des Programms stehen die Gebietstypen innerstädtische oder innenstadtnahe (Altbau-) Quartiere sowie Großwohnsiedlungen, die zumeist am Stadtrand liegen. Die 2002 bzw. 2004 gestarteten Programme »Stadtumbau Ost« bzw. »Stadtumbau West« unterstützen gezielt Städte, die vom demografischen und wirtschaftlichen Strukturwandel betroffen sind (siehe »Demografie und Strukturwandel«, S. 19ff.). Das ExWoSt-Forschungsfeld »Innovationen für familien- und altengerechte Stadtquartiere« (2005–2010) stellt die Anforderungen von Bevölkerungsgruppen wie Familien und älteren Personen in den Fokus, für die das wohnungsnahe Umfeld von besonderer Bedeutung ist. Themenschwerpunkte der insgesamt 27 geförderten Modellvorhaben sind »Gemeinschaftseinrichtungen im Quartier«, »Gestaltung urbaner Freiräume« und »Attraktives Wohnen im Quartier«. In den innovativen Projekten wurde ein breites Spektrum unterschiedlicher Konzepte verfolgt. Die gesammelten Erfahrungen wurden in Finanzierungs- und Angebotsbausteinen zusammengefasst. So können anderen Akteuren – seien es Kommunen, Initiativen, Wohnungsunternehmen oder private Unternehmen – Impulse für die Entwicklung und Umsetzung familien- und

Generationengerechte Siedlungen und Quartiere

altengerechter Quartiere gegeben sowie die Übertragbarkeit der Erfahrungen auf Probleme in ähnlichen stadt- und sozialräumlichen Kontexten (siehe »Hochhaus der Generationen, Ludwigshafen«, S. 98) erleichtert werden. 30 Fallstudien und Gutachten zum praxisgerechten Einsatz neuer Technologien und Beispiele aus dem europäischen Ausland ergänzen die Ergebnisse aus den Modellvorhaben.4 In der Wohnungswirtschaft waren es zunächst kleinere Genossenschaften, in deren Unternehmensphilosophie soziale Verantwortung historisch fest verankert war (siehe »Selbstverwaltetes Wohnen und Hausgemeinschaften«, S. 50ff.). Ende der 1980er-Jahre begannen sie Konzepte für den Verbleib ihrer älter werdenden Mitglieder zu entwickeln und sich selbst in der Gemeinwesenarbeit5 zu engagieren. Die Bielefelder Baugenossenschaft »Freie Scholle« gehörte zu den ersten, die eigene quartiersbezogene Wohn- und Betreuungsangebote für ihre Mitglieder aufbauten, und 1989 richtete sie die erste eigene Kurzzeitpflegeinheit für Genossenschaftsmitglieder ein. Ein Jahr später wurde in Bielefeld mit dem Verein »Freie Scholle Nachbarschaftshilfe e. V.« ein genossenschaftseigener mobiler Dienst aufgebaut. Inzwischen passen immer mehr Wohnungsunternehmen den eigenen Wohnungsbestand an veränderte Nachfrageprofile an. So erweitern sie ihr Angebotsspektrum – oftmals in Kooperation mit Dienstleistern aus dem Bereich der Gemeinwesenarbeit oder der Pflege – um wohnbegleitende Dienstleistungen und soziales Management und tragen damit zu einer differenzierten nahräumlichen Versorgung im Quartier bei.

Bei der Gestaltung des Wohnumfelds sind die unterschiedlichen Bedürfnisse der einzelnen Lebensphasen zu berücksichtigen. Eine Kombination von altersspezifischen Einrichtungen und generationenübergreifenden Angeboten bietet allen Generationen die Möglichkeit der autonomen Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben (siehe »Komponenten generationengerechter Konzepte«, S. 128ff.). Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) nennt folgende Angebotsbausteine generationenübergreifender Quartiere:6 • differenziertes Wohnangebot • gemeinschaftlich orientierte Wohnprojekte oder Hausgemeinschaften mit dem Zweck, neue Organisationsstrukturen zu bilden (siehe »Hausgemeinschaften heute«, S. 50ff.). • professionelle und nachbarschaftliche Angebote wohnungsnaher Dienstleistungen • Quartiersbezogene Freizeit- und Bildungsangebote in generationsübergreifenden Gemeinschaftseinrichtungen • Treffpunkte und Kommunikationsräume wie Cafés, Sitzstufen und Bänke im öffentlichen Raum • Stadtteilfeste, Flohmärkte und andere Veranstaltungen • Gestaltung der Freiräume als nutzungsoffene und gruppenspezifische Aufenthaltsräume (Abb. 2) Wichtig ist die Vielfalt unterschiedlicher Angebote, nichts sollte zu einem Dogma gemacht werden. Generationenübergreifendes Wohnen setzt »nicht voraus, dass alle Generationen unter

Abb. 2 Abb. 1 a innerstädtisches Quartier, Maßstab 1:7500 Abb. 1 b Quartier am Stadtrand, Maßstab 1:7500 Abb. 2 Altstadtsanierung in Banyoles (E) 2008, MiAS Arquitectes

1 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2007, S. 118 2 Frick 2006, S. 72 3 Steffen/Baumann/Fritz 2007, S. 41 4 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2010c; Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2009 5 Gemeinwesenarbeit ist eine sozialräumlich orientierte Form der sozialen Arbeit. In ihrem Fokus stehen nicht einzelne Individuen oder bestimmte Zielgruppen, sondern das soziale Gefüge eines Quartiers, mit dem Ziel, die Lebensqualität aller Bewohner zu erhöhen. 6 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2010c, S. 22ff.

Nachbarschaft – ein soziales Konstrukt Die Etablierung sozialer Netzwerke in einem Stadtquartier oder einer Wohnsiedlung setzt voraus, dass es für Einzelne und Gruppen Möglichkeiten gibt, sich ihre räumliche Umwelt durch konkretes Handeln anzueignen. Birgit Wolter, Architektin und Vorstandsmitglied des Instituts für Gerontologische Forschung e. V., beschäftigt sich in vielen Forschungsprojekten und Publikationen mit Fragen der Raumwahrnehmung und der Sozialraumforschung. Was bedeutet Nachbarschaft, was ist eine Nachbarschaft? Man kann nicht von »der« Nachbarschaft sprechen. Nachbarschaft hat individuelle Grenzen, die jeder Bewohner anders definiert. Nachbarschaft hat eine räumliche und eine soziale Dimension. Räumlich ist sie durch die an die Wohnung angrenzenden öffentlichen und halböffentlichen Räume, Wege und Orte, das Wohnumfeld, definiert. Zur sozialen Dimension gehören die Personen im Wohnumfeld, mit denen man den Wohnalltag teilt. Das können, entsprechend der individuell erlebten Größe der Nachbarschaft, die Hausgemeinschaft oder auch die Bewohner angrenzender Straßen oder die gesamte Wohnsiedlung sein. Was ist der Unterschied zwischen einer Nachbarschaft und einem nachbarschaftlichen Netz? Nachbarschaftliche Netze sind ein Geflecht sozialer Beziehungen von Personen, die in räumlicher Nähe zueinander wohnen. Häufig sind diese Beziehungen von Reziprozität bestimmt und

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Interview mit Birgit Wolter

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Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

enthalten – neben dem sozialen Austausch – auch funktionale Dimensionen wie kleine gegenseitige Hilfen. Freundschaften können entstehen, doch oft wird eine gewisse soziale Distanz gewahrt. Nachbarschaftliche Netze können viel. Was sie aber sicher nicht können, ist professionelle Unterstützung und Hilfe ersetzen. Die Grenzen nachbarschaftlicher Beziehungen sind meistens unausgesprochen, aber darum nicht weniger wirksam. Gut funktionierende Nachbarschaftsbeziehungen bilden ein fein austariertes System von Geben und Nehmen.

Abb. 3

Abb. 3 Wohnbebauung in Hamburg (D), LAN Architecture Abb. 4 schematische Zeichnung der Laternen mit Bewegungsmeldern im Stadtpark Dessau (D) 2009, realities:united Abb. 5 Laternen mit Bewegungsmeldern, Stadtpark Dessau (D) 2009, realities:united

Für wen sind nachbarschaftliche Kontakte besonders wichtig? Wer profitiert von nachbarschaftlichen Netzwerken? Nachbarschaftliche Kontakte sind besonders wichtig für alle Personen, deren Mobilität eingeschränkt ist und deren Alltag daher weitgehend im Quartier stattfindet. Dazu gehören Kinder, Personen mit eingeschränkter Gesundheit, Pflegebedürftige und häufig auch deren pflegende Angehörige, aber auch Menschen mit geringen ökonomischen, kulturellen und sozialen Ressourcen. Gerade vulnerable, ressourcenschwache Personen brauchen eine gute Nachbarschaft und eine förderliche Wohnumwelt in einem gesunden, weitgehend barrierefreien und sicheren Umfeld. Zu einem förderlichen Umfeld gehören auf die Bedürfnisse der Bewohner abgestimmte Versorgungs- und Unterstützungsstrukturen, die von Konsummöglichkeiten oder Freizeitangeboten bis hin zu Unterstützungs- oder Facharztangeboten eine breite Vielfalt beinhalten, sowie attraktiv gestaltete Orte, die Begegnungsmöglichkeiten im öffentlichen Raum bieten. Wie unterstützt man die Etablierung nachbarschaftlicher Netze? Das Wichtigste sind Orte, an denen Nachbarn sich treffen können. Jedoch nicht unbedingt in Form klassischer Begegnungsstätten, sondern vor allem öffentlich zugängliche Orte, an denen man sich gern aufhält. Orte, die nachbarschaftliche Aktivitäten wie Festefeiern oder Gärtnern ermöglichen. Auch das Aushandeln gemeinsamer Entscheidungen, z. B. über die Verwendung von Geldern aus einem Quartiersbudget oder die Gestaltung von Räumen, unterstützt das Entstehen und den Erhalt nachbarschaftlicher Netze. In schwierigen Nachbarschaften, in denen sich unterschiedliche sozioökonomische Probleme überlagern, kann ein aktives Nachbarschaftsmanagement die Entstehung nachbarschaftlicher Netzwerke begleiten. Das kann ein Handlungsfeld der professionellen sozialen Arbeit sein, doch können auch andere Akteure wie beispielsweise Einzelhändler oder Vertreter von Religionsgemeinschaften eine Multiplikatorenrolle übernehmen. Welche strukturellen Rahmenbedingungen braucht es für einen langfristigen Erfolg? Da sind viele Akteure gefragt. Die Kommunen oder die Wohnbaugesellschaften müssen in die Pflege der öffentlichen Räume und der Infrastruktur investieren. Für Bewohner ist es wichtig, dass ihr Quartier als Teil des städtischen Ganzen behandelt und wertgeschätzt wird. Nachbarschaftliche Netzwerke wachsen langsam, belastbare Beziehungen entstehen häufig erst durch langjähriges Zusammenleben in einer Nachbarschaft. Die Vernetzung der zentralen, vor Ort tätigen Akteure, wie Wohnungsunternehmen, soziale Träger, Kirchen, Vereine oder der Einzelhändler, kann Entstehung und Erhalt tragfähiger nachbarschaftlicher Strukturen unterstützen und Synergieeffekte für das Quartier und die Beteiligten generieren. Eine Beteiligung der Bewohnerschaft in Anwohnergremien, Stadtteilforen, Projektbeiräten oder bei der Verwaltung von Quartierfonds bietet die Möglichkeit, Defizite und Probleme in einer Nachbarschaft frühzeitig zu erkennen und diesen zielorientiert zu begegnen. Was können Architekten dazu beitragen? Viel – indem sie attraktive Räume schaffen, Orte, an denen man sich gern aufhält, Orte mit unterschiedlichen räumlichen Qualitäten, die in feinen Abstufungen zwischen halböffentlichen und öffentlichen Räumen vermitteln. Öffentliche Räume sollten Nutzungsangebote für unterschiedliche Interessen bereithalten. Ebenso wichtig wie die Orte selbst ist deren Zugänglichkeit. Dabei müssen sowohl bauliche als auch soziale Barrieren vermieden werden. Die Räume sollten nicht aufgrund ihrer Unübersichtlichkeit als Angsträume wirken. Ein gutes Beleuchtungskonzept, eine hohe Qualität von Oberflächen, die geeignete Verteilung von Sitzmöbeln oder die durchdachte Planung von Raum- und Sichtachsen erhöhen die Aufenthaltsqualität. Damit eine Nachbarschaft sich entfalten kann, ist die Gestaltung der öffentlichen Räume als Orte des sozialen Austauschs von elementarer Bedeutung. «

Generationengerechte Siedlungen und Quartiere

einem Dach wohnen. Oft wird die ›Nähe auf Distanz‹ bevorzugt und über gemeinsame Aufenthalts- und Trefforte die Begegnung ermöglicht.«7 Gerade bei räumlich und finanziell begrenzten Ressourcen unterstützen innovative Gestaltungsansätze Synergien und ermöglichen eine flexible Nutzung:8 • funktionale und gestalterische Verbindung von Wohnnachbarschaften, Freiräumen und Gemeinschaftseinrichtungen • Sichtbezüge zu belebten Orten oder durch mit Bewegungsmeldern versehene interaktive Beleuchtungskonzepte (Abb. 4 und 5). • Freiräumliche oder gebäudebezogene Trennungen als räumliche Voraussetzungen für die Entstehung von Nähe und Distanz zwischen den Generationen • multifunktionale Gestaltung von z. B. Stadtmöbeln zum Sitzen, Liegen und Bespielen • Intelligente Buchungs- und Schließsysteme, elektronisch gesteuerte Zugangssysteme für zeitlich befristete Zugänge für bestimmte Räume Die Umsetzung integrierter Quartierskonzepte ist ein fortlaufender Prozess, der eine Zusammenarbeit lokaler Akteure erfordert. Dazu gehören Kommunen, Wohnungsunternehmen, soziale Träger und bürgerschaftliche Initiativen. Ebenso gilt es die unterschiedlichen Herangehensweisen der einzelnen Akteure und die ver-

Abb. 4

Abb. 5

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schiedenen Interessenslagen zu berücksichtigen. Das BMVBS empfiehlt daher u. a. folgende Aspekte in der Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren zu beachten:9 • gemeinsame Definition verbindlicher Zielvereinbarungen • professionelle Begleitung des Prozesses zur Sicherstellung von Transparenz und Kontinuität in der Projektabwicklung • Entwicklung vielfältiger Beteiligungskonzepte und -instrumente, um unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen • Schlüsselpersonen als Multiplikatoren, um in Stadtteilen oder Siedlungen einen möglichst großen Kreis Interessierter zu erreichen • Erhöhung der Nachhaltigkeit des Projekts durch Entwicklung von Strategien zur Verstetigung sozialer Prozesse über das Projektende hinaus, z. B. durch den Aufbau von Netzwerken, Vereinen, Beiräten etc. Die Erfahrungen aus den Projekten zeigen, dass »auch ein wenig Risikobereitschaft dazu[gehört], neue, kooperative Wege zu gehen. Es bedeutet, gewohnte Verfahrensabläufe in Frage zu stellen, Entscheidungs- und Gestaltungsmacht mit anderen zu teilen und sich auf den Weg zu machen, auch wenn noch nicht ganz klar ist, wo man ankommt.«10 Die folgenden Projekte verbinden planerische Kompetenz mit sozialer Moderation und entwickeln neue stadträumliche Typologien, die flexible Raumangebote mit vielseitigen Gebrauchsoptionen verbinden.

7 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2010 c, S. 111 8 ebd., S. 25ff. 9 ebd., S. 31ff. 10 ebd., S. 30

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Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

Mehrgenerationenquartier Johanniskirchgärten, Essen-Altenessen Viele der in den 1940er- und 1950er-Jahren erbauten Siedlungen sind von kleinen Wohnungsgrößen und einer geringen Varianz an Wohnungstypen geprägt, die heutigen Bedürfnissen nicht mehr entsprechen. Das Wohnungsunternehmen VIVAWEST entschloss sich 2007 zu einem Teilrückbau der aus den 1940er-Jahren stammenden Wohnungsbeständen in Essen, um für ein abwechslungsreiches Wohnraumangebot Platz zu schaffen. In bislang drei Neubauabschnitten entstanden 99 Wohneinheiten für verschiedene Alters- und Zielgruppen. Senioren, junge Familien, Paare und Singles leben nun in unmittelbarer Nachbarschaft. Die Wohnungen im Erdgeschoss verfügen über eine Terrasse oder einen eigenen Garten, in den oberen Stockwerken erweitern Balkone den Wohnraum. Der autofreie und grüne Innenhof wurde zu einem lebendigen Treffpunkt der Generationen weiterentwickelt. Im vierten und letzten Bauabschnitt entstehen nun 10 weitere zweigeschossige Häuser.

Abb. 6

Abb. 7

Bielefelder Modell – Wohnen mit Versorgungssicherheit In Bielefeld baute die Baugenossenschaft »Freie Scholle« schon 1988 die erste eigene Altenberatung und -betreuung eines bundesdeutschen Wohnungsunternehmens auf (siehe »Das Quartier als Handlungsebene«, S. 82). Das größte Bielefelder Wohnungsunternehmen, die 1950 gegründete und sich im mehrheitlichen Besitz der Kommune befindende »Bielefelder Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft« (BGW), folgte dem Beispiel und entwickelte in den 1990er-Jahren gemeinsam mit dem ambulanten Pflegedienst »Alt und Jung e. V.« sowie der Stadt ein Wohnangebot, das »Bielefelder Modell«. Es erfüllt das Bedürfnis der älteren und unterstützungsbedürftigen Mieter nach Versorgungssicherheit sowie sozialen Kontakten. Integriert in bestehende Wohnquartiere, werden altersgerechte Wohnungen mit einer quartiersbezogenen Organisation von Pflegedienstleistungen, zu der auch eine 24-Stunden-Bereitschaft gehört, kombiniert. Alle Mieter können im Bedarfsfall die Serviceangebote des Kooperationspartners in Anspruch nehmen, wobei für die Bereitstellung – anders als beim Betreuten Wohnen üblich – keine Pauschale erhoben wird. Nachdem 1996 ein erstes Projekt umgesetzt wurde, folgten Kooperationen mit weiteren Pflegedienstleistern in anderen Stadtteilen. Die Kommunalpolitik unterstützt die Wohn- und Betreuungsangebote durch entsprechende Rahmenbedingungen wie die Mitfinanzierung der Gemeinwesenarbeit oder eine quartiersbezogene Sozial- und Stadtplanung. Das Modell dient mittlerweile auch anderen Städten als Vorbild. Zentrales Element in den Quartieren ist ein Servicestützpunkt, der mit einem ganztägig geöffneten Wohncafé eine räumliche Einheit bildet. Er übernimmt sowohl die Versorgung der Bewohner in den barrierefreien Wohnungen des jeweiligen Standorts als auch in den weiteren BGWWohnungen in einem Umkreis von ca. 500 m. Die Angebote umfassen neben Pflegedienstleistungen auch niedrigschwellige Hilfen, soziale Unterstützung und Maßnahmen zur Förderung des Gemeinwesens. Da der Immobilienbestand der Gesellschaft über das ganze Stadtgebiet verteilt ist, gibt es in Bielefeld inzwischen viele solcher kleinen »Quartiere im Quartier«.

Generationengerechte Siedlungen und Quartiere

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Betreute Wohnzone Moerwijk, Den Haag Die Stichting Architectenonderzoek Gebouwen Gezondheidszorg (STAGG), ein Zusammenschluss einer Gruppe von Architekten und Stadtplanern, erstellte erstmals 1995 Richtlinien für betreute Wohnzonen (woonzorgzones) für ältere Personen. Ziel der Stiftung ist, ihnen durch Unterstützung im direkten Wohnumfeld eine vom familiären Kontext unabhängige, eigenständige Lebensführung zu ermöglichen. Diese Wohnzonen wurden in Wohnservicesiedlungen oder -quartiere (woonservicewijken) umbenannt, da sich inzwischen die Pflege- und Serviceangebote an die gesamte Quartiersbevölkerung richten. Im Zentrum eines weitgehend barrierefrei gestalteten Quartiers mit ca. 10 000 Einwohnern befindet sich jeweils ein Pflege- und Wohnzentrum, dessen Unterstützungsangebot in Radien von 150 bis 500 m organisiert ist. Die sehr allgemein gehaltenen Richtlinien der STAGG müssen den jeweiligen baulichen und finanziellen Möglichkeiten des Orts angepasst und von allen im Quartier beteiligten Akteuren gleichermaßen getragen werden. Um auf die überproportionale Zunahme der Zahl älterer Bewohner in Wohnungsbeständen mit einem hohen Anteil nicht mehr zeitgemäß ausgestatteter Wohnungen zu reagieren, wurde im Den Haager Stadtteil Zuidwest / Escamp – mit ca. 113 000 Einwohnern eine der größten Nachkriegssiedlungen der Niederlande – im Jahr 2000 erstmals in eine bestehende Wohnsiedlung eine betreute Wohnzone integriert.11 Lokaler Träger ist die Stichting Woonzorgzone Moerwjik und seit 2007 die Stichting Woonservicewijken Escamp, die aus insgesamt 14 verschiedenen Parteien besteht, zu denen verschiedene Wohnbaugesellschaften, Pflegeeinrichtungen und -dienstleister sowie eine eigene Stiftung für das Gemeinwohl gehören. Barrierefreie Fußgängerrouten verbinden die Wohn- und Pflegezentren, die es auch Bewohnern aus der Nachbarschaft ermöglichen, Pflege- und Serviceangebote wahrzunehmen. So hat das Zentrum Strijp-Waterhof gemeinsam mit der Wohnbaugesellschaft Haag Wonen in einem benachbarten Gebäude 150 Wohnungen errichtet, in denen die (Pflege-)Dienstleistungen dem individuellen Bedarf der einzelnen Bewohner entsprechend organisiert werden. Das bereits bestehende Zentrum Polanenhof wurde modernisiert und bietet für Personen mit unterschiedlich hohem Unterstützungsbedarf ein breites Spektrum an Wohnangeboten. Kinderhort und Restaurant wurden zu wichtigen Schnittstellen zwischen Pflegezentrum und Quartier. Die Angebote der Pflegeeinrichtungen werden durch vielfältige, von der Stiftung MOOI Escamp in Kooperation mit den Wohnbaugesellschaften organisierte soziale Aktivitäten ergänzt. Nachdem gegenseitiges Unverständnis zu Konflikten zwischen Älteren und Jugendlichen geführt hatte, wurden z. B. die sogenannten Treppenhausgespräche über die Gestaltung des alltäglichen Lebens organisiert, um gegenseitigen Respekt aller Bewohnergruppen zu fördern.

Abb. 8

11 Harnack / Schluchter 2009, S. 118

Abb. 6 Lageplane Bestand und Neubau, Wohnanlage, Essen (D) Abb. 7 Wohnanlage, Essen (D) Abb. 8 Piktogramm der Wohnzone Moerwijjk Abb. 9 Lageplan, Moerwijjk, Den Haag (NL) Abb. 9

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Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

Umbau

Umbau  Modernisierung von Großsiedlungen

Modernisierung von Großsiedlungen In den 1960er- und 1970er-Jahren wurde in Ost- und Westdeutschland der Bau von Großsiedlungen mittels vorgefertigter Elemente zur favorisierten Variante im Wohnungsbau. In peripheren Lagen, abseits der städtischen Zentren, entstanden die durch eine vielgeschossige, relativ homogene Bebauung und großzügige Grünräume geprägten Wohnanlagen als eigenständige Stadtteile. Im Gegensatz zu den damals noch unsanierten Wohnungen in den gründerzeitlichen Häusern verfügten die Wohnungen der Großsiedlungen über eine zeitgemäße Ausstattung (Zentralheizung, Einbauküchen, Sanitärräume), effizient organisierte Grundrisse, wohnungseigene Freibereiche wie Balkone oder Terrassen sowie eine gute Belichtung und Besonnung. Im Hinblick auf die Einrichtungen der Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur, der Finanzierungskonzepte, aber auch der Bewohner bestanden zwischen den Großsiedlungen in Ost und West allerdings markante Unterschiede (siehe »Großsiedlungen im demografischen Wandel – Kommentar von Martina Buhtz«, S. 96f.). In Westdeutschland kamen Großsiedlungen schon bald wegen ihrer architektonisch und städtebaulich wenig differenzierten Gestaltung sowie ihrer unzureichenden sozialen und kommerziellen Infrastruktur, aber auch wegen bautechnischer Mängel in die Kritik. Die Diskussion über einen vor allem an funktionalen Aspekten orientierten Städtebau entzündete sich international an Büchern wie »The Death and Life of Great American Cities« von Jane Jacobs (1961; dt. 1963) oder, in Deutschland, an dem Buch des Psychoanalytikers Alexander Mitscherlich »Die Unwirtlichkeit unserer Städte« (1965). Sie leiteten einen Paradigmenwechsel in der Stadtplanung ein, der mit einer verstärkten Auseinandersetzung mit historischer Architektur und ihrer Neubewertung einherging. Die damit verbundene Neubewertung des gründerzeitlichen Wohnungsbestands führte in vielen Städten zu umfangreichen Sanierungsprogrammen. Bei Errichtung der Großsiedlungen – gleichermaßen in Ost und West – bezogen die Wohnungen vor allem Paare in der Phase der Familiengründung oder Familien, was der am Leitbild »Kleinfamilie« orientierten Konzeption entsprach. Inzwischen sind die Bewohner älter geworden und die Kinder ausgezogen, sodass es heute aufgrund des Besiedlungszyklus in fast allen Siedlungen einen hohen Anteil älterer Bewohner gibt. Der sozioökonomische Strukturwandel (siehe »Demografie und Strukturwandel«, S. 19ff.) sowie der Wegzug finanziell und räumlich mobiler Haushalte trugen in vielen dieser Großsiedlungen zur sozialen Segregation und dem Verbleib von zumeist sozioökonomisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen bei. Zur sozialen Stabilisierung der Quartiere wurden im Rahmen verschiedener Stadtumbauprogramme unterschiedliche Strategien entwickelt, die den ortsspezifischen Kontext berücksichtigen (vgl. »Generationengerechte Siedlungen und Quartiere«, S. 82). In Städten mit rückläufigen Bevölkerungszahlen kommt es in Folge einer sinkenden Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt in Großsiedlungen vermehrt zu Leerständen. Die Reduktion von Gebäudehöhen und Teilabbrüche können dazu beitragen diese in kleinräumig gegliederte Wohnanlagen zu transformieren. Wenn mittel- oder langfristig eine bauliche Nachnutzung von Rückbauflächen ökonomisch nicht sinnvoll erscheint, sind Konzepte für gemeinschaftlich nutzbare Freiräume eine Möglichkeit, neue Begegnungs- und Identifikationspunkte zu schaffen. In wachsenden Regionen hingegen haben zuziehende Haushalte oftmals andere Lebensvorstellungen als die gemeinsam mit dem Quartier älter gewordenen Bewohner, was zu Nachbarschaftskonflikten führen kann. Die Wohnungsunternehmen stehen hier vor einer doppelten Herausforderung: Zum einen möchte man für die älteren Bewohner, die auf das vertraute Umfeld nicht verzichten wollen, aber etwas mehr Unterstützung im Alltag benötigen, Angebote schaffen, zum anderen auch Familien einen attraktiven Wohnraum anbieten. Großsiedlungen müssen somit gleichzeitig alters- und familiengerecht gestaltet sein. Die Einheitlichkeit der Bauweise ermöglicht es, Umbaukonzepte, die sich als tragfähig erwiesen haben, mit einem geringen Planungsaufwand auf andere Siedlungen zu übertragen. Dies gilt für die Außenraumgestaltung, die Implementierung neuer Wohnformen, die Ergänzung sozialer Infrastruktur sowie die Anpassung von Sanitärräumen (Abb. 42, S. 43).

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Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

Mariengrün, Berlin – Neue Wohnumfelder in Großsiedlungen Architekten/Auftraggeber Modernisierung: degewo, Berlin Außenraumgestaltung: bgmr, Becker Giseke Mohren Richard Landschaftsarchitekten, Berlin Fertigstellung Modernisierung: 2016 Grundstücksfläche: 15 ha Gesamtnutzfläche: 166 047 m2 Wohneinheiten: 2538 Wohnungen in 12 Wohngebäuden Gemeinschaftseinrichtungen: Nachbarschaftstreffpunkt »Altes Waschhaus« Weitere Nutzungen im Quartier: Nahversorgungszentrum, Kindergarten, Grundschule und Oberschule Spezielle Angebote: Concierge-Service, Betreutes Wohnen In West-Berlin wurden im Rahmen von Wohnungsbauprogrammen zu Beginn der 1960er-Jahre mehrere Großsiedlungen, zu denen nicht nur die Gropiusstadt und das Märkische Viertel gehörten, sondern auch die Großsiedlung Marienfelde-Süd errichtet. Dafür beauftragte das Stadtplanungsamt Tempelhof 1965 den Architekten und Stadtplaner Hans Bandel, der mit Walter Gropius am Bau der Gropiusstadt beteiligt war, mit der Erarbeitung eines städtebaulichen Konzepts. Das Zentrum der am südlichen Stadtrand liegenden Anlage bilden ein abgewinkelter Gebäudekomplex mit 9- bis 15-geschossigen Wohngebäuden, eine Geschäftszone und als markantes städtebauliches Element ein 28-geschossiges, von Manfred J. Hinrichs entworfenes Hochhaus (baugleich mit dem Hochhaus Zwickauer Damm 12 in der Gropiusstadt). Wohnscheiben mit sechs bis sieben Stockwerken bilden den Übergang zur Stadtrandsiedlung mit Einfamilienhäusern. Die ursprünglich bis nach Marienfelde geplante Verlängerung der U-Bahnlinie 9

Abb. 1 Bau der Siedlung zwischen 1968 und 1974 Abb. 2 Lageplan, Maßstab 1:5000 Abb. 3 Blick auf die modernisierten Häuser der Siedlung

Abb. 1

Abb. 2

Umbau  Mariengrün

Abb. 3

wurde nie realisiert, sodass die Siedlung bis heute nur über Buslinien mit dem öffentlichen Verkehr erreichbar ist. Eine umfangreiche Analyse des Bestands, die das kommunale Berliner Wohnungsunternehmen degewo 2009 begonnene hatte, zeigte, dass Mängel der technischen Ausstattung im Gebäudebestand hohe Betriebskosten erzeugten. Zudem führten ein hohes Durchschnittsalter der Bewohner sowie eine starke Fluktuation der Mieter zu steigendem Leerstand. Für die Modernisierung der Großsiedlung wurde daher ein Konzept entwickelt, das ökologische, ökonomische und soziale Aspekte vereinte (Abb. 4, S. 92). Es sah sowohl eine bauliche Adaption des Bestands mit Maßnahmen zur Verbesserung der energetischen und technischen Qualität der Gebäude als auch Maßnahmen zum Aufbau professioneller und informeller sozialer Netze vor. Ziel war es, den Bewohnern in allen Lebensphasen eine hohe Wohnqualität zu bieten. Zu den zwischen 2011 und 2016 umgesetzten Maßnahmen gehörten im Rahmen der technischen und energetischen Modernisierung u. a. die Errichtung von zwei Blockheizkraftwerken und die Fassadendämmung mit einem Wärmedämmverbundsystem. Im Bereich Ökologie wurde ein Konzept für ressourceneffizientes Wassermanagement entwickelt. Um eine umweltfreundliche Versickerung des Regenwassers zu ermöglichen, fand in Teilbereichen ein sogenanntes Mulden-Rigolen-System bei der Neugestaltung der Außenbereiche Verwendung. Mit diesen Maßnahmen konnten die Abwassergebühr und damit die Betriebskosten gesenkt werden. Eine prägende Rolle in der sozialen Entwicklung des Quartiers spielt das Stadtteilmanagement, zu dessen wichtigsten Aufgaben die Vernetzung der unterschiedlichen Akteure im Quartier gehört. Zudem hält es Kontakt zu den Mietern und Vereinen, ist im Quartiersrat vertreten und konzipiert Projekte zur Förderung der Quartiersentwicklung. Dazu zählt der von der degewo initiierte Bildungsverbund, der Kindergärten, Schulen und Kultureinrichtungen miteinander vernetzt und mit der Nachbarschaft zusammenbringt, oder das Urban-Gardening-Projekt »Garten der Länder«. Basis für die Modernisierung der Wohnungen war das Konzept der Projektentwickler CENTACON, das unterschiedlichen Zielgruppen in verschiedenen Lebensphasen ein passendes Wohnungsangebot bietet. So ordneten sie den einzelnen Gebäuden unter Berücksichtigung ihrer Lage im Quartier und der vorhandenen Wohnungstypologie Zielgruppen, wie Senioren, Alleinerziehende, »Starterfamilien« (jüngere Paare mit einem Kind oder Kinderwunsch) und »Ausbaufamilien« (Familien mit ein oder zwei Kindern) zu. Auch passten sie den unmittelbar an das Gebäude anschließenden Freibereich entsprechend den Bedürfnissen der jeweiligen Zielgruppe an, z. B. befinden sich Kleinkinderspielplätze in unmittelbarer Nähe der Häuser für »Starterfamilien« oder Fitnessgeräte in der Nähe der für Senioren vorgesehenen Gebäude. Das 28-geschossige Hochhaus beherbergt nun Wohneinheiten für Senioren, da es bereits über Aufzüge und einen Concierge-Service verfügte; doch können auch Personen, die nicht zu dieser

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92

Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

Alltagstauglichkeit demografischer Wandel

Identität Imagegewinn

Wege und Plätze

Aktivitäten

Spielplätze

besondere Orte

entwässerte Rasenflächen

grüne Freiräume

Verbindungen

Gehölzstruktur / Bäume

Abb. 4

Nachhaltigkeit Stadt im Klimawandel

Umgang mit versiegelten Flächen / Dachflächen

Umbau  Mariengrün

Abb. 5

Zielgruppe gehören, einziehen. In anderen Gebäuden wurden Wohnungsgrundrisse an zeitgemäße Anforderungen angepasst und offene Wohnküchen geschaffen. Darüber hinaus bietet das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk (EJF) am Tirschenreuther Ring Betreutes Wohnen an. Ein ergänzender Neubau mit 52 Wohnungen in den Größen von 38 bis 112 m² erweitert die bestehenden Wohnungstypologien. Zudem soll an der Stelle eines der bisherigen Parkhäuser ein weiterer Wohnungsneubau entstehen. Die Modernisierung der Anlage zeigt sich für Bewohner und Besucher auch in der Neugestaltung der Außenanlagen, deren Landschaftsgestaltung sich an drei Leitbildern orientierte (Abb. 7, S. 94): Die Optimierung des Leitbilds »Basisgrün« zielte auf die Stärkung der Alltagstauglichkeit der Freiflächen. Eine funktionale, nachhaltige und generationsübergreifende, auf alle Nutzergruppen bezogene Gestaltung sollte neue Standards im Wohnumfeld setzen. Unter dem Leitbild »Ressourceneffizienz« wurden Teile der bestehenden Regenwasserkanalisation durch oberflächig wirksame Versickerungsflächen ersetzt. Zentrale Herausforderung der Freiraumgestaltung aber war die Stärkung des Quartiers als Identitätsraum unter dem in verschiedene Unterthemen gegliederten Leitbild »Mariengrün« (Abb. 8, S. 94). Unter dem Motto »starke Nachbarschaften« vollzog sich z. B. die Weiterentwicklung von auf Wohnhausgruppen bezogene Gemeinschaftsflächen in unterschiedlichen Lagen zu Bewohnertreffpunkten. So entstanden alltagsbezogene Orte, die sich durch ihre Nähe zu den Eingangsbereichen und eine Verschränkung unterschiedlicher Nutzungsangebote (Spielorte für Kinder und Jugendliche, Sitzplätze für Gruppen, Fitnessgeräte für Senioren u. a.) auszeichnen.

Abb. 4 Anforderungen bei der Quartiersentwicklung Abb. 5 Gemüsegarten der Bewohner Abb. 6 einer der neuen Spielplätze im Quartier Abb. 6

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Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

Basisgrün Alltagstauglichkeit

Mariengrün Identität und soziale Verankerung

Ressourceneffizienz Nachhaltigkeit

• • • •

• • • •

• • • •

Sicherheit und Orientierung »Design for all« – Nutzbarkeit für alle qualitätvolle Gestaltung Funktionalität und Nachhaltigkeit

schöne Orte fit und aktiv Landschaftsboulevard starke Nachbarschaften

Abb. 7

Abb. 8

schöne Orte

fit und aktiv

Landschaftsboulevard

starke Nachbarschaften

ressourceneffizientes Wassermanagement klimaangepasste Freiräume Wohnkomfort im Klimawandel behutsame Bestandsentwicklung

Umbau  Mariengrün

Abb. 9

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Abb. 10

200 65

640 Waldsassener Straße 33–49 Tirschenreuther Ring 10–14

Übersichtsplan

r 15

1500

65

65

65

MARIENGRÜN Nis si sinis adi di do lestiur sa nonsed quiation con con p rat repere

2300

900

namAcit lit rehenis molup tatio. Fere ende ssit au tem aut eatus nam rem quiat quo veliquides estibe rat. Dus cus. Bus dent am explis dunturior a volenim

Hausbeschilderung

usanda volut et quia deliquibus.

900

Waldsassener Straße 33 + 35

350

300 50

700

Abb. 11

Darüber hinaus galt es, den Schwung der baulichen Umgestaltung für die Investition in »schöne Orte« zu nutzen. Mit der Initiierung eines interkulturellen Gartens, der Aufwertung eines öffentlichen Quartiersplatzes, der Neuordnung des platzartigen Eingangsbereichs am höchsten Gebäude der Siedlung sowie der Neuplanung einer zentralen Spiel- und Erlebnisfläche erfolgte die sukzessive Realisierung der Schwerpunktprojekte. Das Freiraumkonzept entwickelte den bereits bestehenden parkähnlichen Charakter der Außenanlagen weiter. Dies sollte auch im neuen Namen zum Ausdruck kommen – aus »Marienfelde-Süd« wurde »Mariengrün«. Es galt, den Außenraum als Begegnungsraum zu qualifizieren und die Bereitschaft der Bewohner zu nutzen, außerhalb der eigenen Wohnung aktiv zu werden. So profitieren die ersten realisierten Maßnahmen nicht nur atmosphärisch von bereits im Bestand angelegten, intensiv genutzten Mietergärten. Die Umsetzung des Außenraumkonzepts gestaltete sich stufenweise anhand einzelner Projekte. Neben den Freiraumprojekten stand die Neuordnung der Erschließungsflächen im Fokus der Neugestaltung. Die Überarbeitung des Wegesystems sowie eine neue Beschilderung mit Wegweisern und Hauskennzeichnungen trug wesentlich zur Erleichterung der Orientierung bei. (Abb. 9–11) Auch bei der Umgestaltung der Straßen galt es, die Bedeutung als Begegnungsraum zu stärken und monofunktionale Festlegungen aufzulösen. Die ehemals in Fahrbahn und Gehwegbereich getrennten Erschließungsstraßen bilden nun gemeinschaftlich genutzte Wohnstraßen. Da die Befahrung lediglich dem Anlieferverkehr sowie Rettungs- und Müllfahrzeugen vorbehalten ist, bieten sich auch hier vielfältige neue Nutzungsmöglichkeiten (Fahrradfahren, Rollsportarten, sonstige spielerische Nutzungen). Für die Fahrzeuge der Anwohner stehen zwei Parkhäuser zur Verfügung. Bei den Spiel- und Gemeinschaftsflächen wurden Pflanzungen, die Barrieren bildeten, entfernt, wodurch gut einsehbare, einladende Aufenthaltsbereiche entstanden.

Abb. 7 die drei Leitbilder Abb. 8 Unterthemen des Leitbilds »Mariengrün« Abb. 9 Neugestaltung der Hauseingänge Abb. 10 große Hausnummern erleichtern die Orientierung Abb. 11 neue Beschilderung, Maßstab 1:50

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Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

Abb. 12

Auch die Eingangsbereiche zu den einzelnen Häusern erfuhren eine Umgestaltung. So wurden Stellflächen für Kinderwagen und Rollatoren geschaffen sowie im Außenbereich Fahrradbügel angebracht. Viele der inzwischen umgesetzten Details formulierten die Bewohner als Veränderungswünsche in einem Workshop, der zu Beginn der Planung in Abstimmung mit dem Kundenzentrum stattfand. Zu den als verbesserungswürdig erachteten Bereichen gehörten u. a. eine lückenhafte Außenbeleuchtung, die fehlende Wegestruktur, eine monotone Gestaltung der Spielplätze, fehlende Abstellflächen für Kinderwagen und Rollatoren, aber auch eine unzureichende Beschilderung der Hauseingänge. Die Umgestaltung der Freiräume wurde auch als Chance genutzt, um das Verantwortungsbewusstsein und die Mitwirkungsbereitschaft der Bewohner zu fördern. Die aktive Beteiligung der Bewohner am Planungsprozess schaffte hierfür eine gute Voraussetzung.

Großsiedlungen im demografischen Wandel Martina Buhtz ist Soziologin und Geschäftsführerin des Instituts für Stadtplanung und Sozialforschung Weeber+Partner in Berlin und beschäftigt sich mit sozialer Stadtentwicklung. Kommentar von Martina Buhtz

Bis heute polarisieren Großsiedlungen vor allem die Fachwelt, aber nicht nur sie. Zu hohe Dichte, zu wenig differenzierte Wohnungsangebote und unzureichende Nutzungsmischung meinen die einen, Andere dagegen schätzen die großzügigen Grün- und Freiflächen, das Angebot an bezahlbaren Wohnungen mit gutem Standard und die oft nahen Versorgungsmöglichkeiten. Befragungen der Bewohnerschaft ergeben oft ein sehr eindeutiges Votum: Die Wohnzufriedenheit ist mehrheitlich hoch, vor allem bei jenen, die schon lange dort wohnen. Aber auch neu zugezogene junge Familien schätzen das Wohnen in der Großsiedlung. Mit rund 60 000 Wohnungen befindet sich die größte unter den europäischen Großsiedlungen in Berlin Marzahn. Sie entstand in den 1970er- bis 1980er-Jahren im damals neu geschaffenen Bezirk Marzahn im Osten Berlins. Errichtet in industrieller Bauweise und in unterschiedlichen Abschnitten, prägen überwiegend durchgrünte Zeilenbauten mit 11 und Wohnhochhäuser mit bis zu 22 Geschossen die Siedlungsstruktur. Im unmittelbar angrenzenden, einst dörflich geprägten Hellersdorf entstand als Stadterweiterung in den 1980er-Jahren eine weitere Großsiedlung mit 42 000 Wohnungen in mehrheitlich sechsgeschossigen Zeilenbauten. Mit insgesamt über 100 000 Wohnungen haben diese Großsiedlungen einen erheblichen Anteil am Berliner Wohnungsbestand und bieten rund 254 000 Menschen ein bezahlbares Zuhause. Die Großsiedlungen im Osten Deutschlands wurden vor allem gebaut, um dem großen Wohnungsmangel in der DDR zu begegnen. Als Folge davon hat heute fast jede ostdeutsche Stadt eine kleinere oder größere Siedlung dieser Art. Anders als in den westdeutschen Großsiedlun-

Umbau  Großsiedlungen im demografischen Wandel

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gen, die im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus entstanden, bezogen in Marzahn vor allem junge Familien mit Kindern, unabhängig vom Einkommen und aus allen gesellschaftlichen Schichten, die neu gebauten Wohnungen. Insofern wiesen die Siedlungen einerseits recht homogene Altersstrukturen auf, waren aber andererseits sozialstrukturell relativ durchmischt. Die ähnlichen familiären Lebenslagen und der gemeinsame neue Wohnort verbanden und führten zu vielfältigen, wenn auch nicht immer konfliktfreien nachbarschaftlichen Beziehungen. Bewohner unterstützten sich bei der Kinderbetreuung, fanden sich zusammen, um die gerade in der Anfangszeit noch tristen Freiflächen zu begrünen und zu pflegen, oder hatten einen gemeinsamen Weg zum Arbeitsort, der dann meist »in der Stadt« lag und häufig mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt wurde. Viele dieser langjährigen und intakten Nachbarschaftsbeziehungen bestehen auch noch heute, sind neben der Wohnung ein wichtiger Bindungsfaktor und tragen zur sozialen Stabilität bei. Nach der deutschen Wiedervereinigung differenzierte sich der Wohnungsmarkt im Osten durch Neubau erheblich aus. Zugleich wurden weite Teile des Wohnungsbestands in den Großsiedlungen umfassend modernisiert. Dennoch zog ein beträchtlicher Ant eil der Bewohnerschaft aus der Großsiedlung fort, folgte dem neuen Arbeitsort, kaufte das ersehnte Einfamilienhaus oder bezog eine der neuen Mietwohnungen in einem anderen Berliner Bezirk. Auch die inzwischen erwachsenen Kinder verließen die Siedlung und gründeten andernorts einen eigenen Haushalt. Insgesamt verlor Marzahn-Hellersdorf in der Zeit von 1991 bis 2010 über 45 000 Einwohner. Seit 2011 steigt jedoch ihre Zahl wieder, denn vom Einwohnerzuwachs Berlins profitiert auch Marzahn. Nach der Wende zogen auch Familien mit relativ geringen Einkommen zu, darunter viele Spätaussiedler, sodass sich die sozialen Strukturen insgesamt veränderten. Noch deutlicher ist der demografische Wandel zu spüren. Die für Großsiedlungen typische »demografische Welle« hinterlässt ihre Spuren, denn die einzelnen Quartiere »altern« nacheinander entsprechend ihrer Besiedlungszeit. Sowohl für die städtebauliche als auch die soziale Entwicklung ergeben sich daraus umfassende Anpassungs- und Interventionserfordernisse. So entstanden neue, altersgerechte Wohnformen und mehr Pflege- und Betreuungsangebote. In drei Quartieren von Marzahn-Hellersdorf wurden Quartiersmanagements eingerichtet, die gemeinsam mit der Bewohnerschaft, der Verwaltung und den Wohnungsunternehmen Strategien und Projekte entwickeln, um Nachbarschaften zu stärken. Die Umsetzung gemeinsam entwickelter Vorhaben und Projekte wird durch Fördermittel aus dem Bund-Länder-Programm »Soziale Stadt« unterstützt. So entstand beispielsweise im Quartier Mehrower Allee in Marzahn u. a. ein sogenannter Hochzeitspark: Über 200 Bäume haben interessierte Bewohner oder Gäste dort auf einer Brachfläche gepflanzt, als Erinnerung an eine Hochzeit, Geburt oder ein anderes wichtiges Familienereignis. Junge Wohnungssuchende können zudem einen »Wohnführerschein« machen. Vor allem benachteiligte Jugendliche lernen dabei, worauf zu achten ist, wenn man eine Wohnung mietet, und welche Rechte und Pflichten damit verbunden sind. Diese Quartiersmanagementverfahren bewähren sich sehr, denn sie tragen wesentlich dazu bei, soziale Netzwerke und ehrenamtliches Engagement zu stärken und so auch die Zukunftsfähigkeit der Großsiedlungen als wichtige Wohnstandorte zu sichern. «

Abb. 14

Abb. 12 Spielplatz mit überdachter Sitzgelegenheit Abb. 13 Wohnhochhäuser an der Allee der Kosmonauten Abb. 14 Ausblick aus einem ehemaligen Kinderzimmer in der Siedlung Mahrzahn während der Abbrucharbeiten Abb. 13

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Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

Hochhaus der Generationen, Ludwigshafen Architekten: Albert Speer (1967–1970) / Grünenwald + Heyl.Architekten, Karlsruhe (Vorentwurf Modernisierung) / beck - brandl - engel architekten + ingenieure, Bad Dürkheim (Umsetzung Modernisierung) Auftraggeber: BASF Wohnen + Bauen GmbH (ehemals LUWOGE GmbH), Ludwigshafen Fertigstellung Modernisierung: 2008 Grundstücksfläche: 5126 m2 Gesamtnutzfläche: 4499 m2 Wohneinheiten: 12 betreute Wohnungen, 10 altersgerechte Wohnungen, 24 »klassische« Wohnungen Gemeinschaftseinrichtungen: Bewohnertreff Sonstige Nutzungen: ambulantes Hilfs- und Pflegeangebot

Abb. 15 Luftbild des Stadtteils Pfingstweide Abb. 16 Grundriss 2. Obergeschoss, Maßstab 1:500 Abb. 17 Luftbild des neu bebauten Teils der Siedlung Buchheimer Weg Abb. 18 historische Luftbildaufnahme der Siedlung Buchheimer Weg Abb. 19 Lageplan Bestand und Neubauten, Buchheimer Weg, Maßstab 1:6000 Abb. 15 1 3-ZimmerWohnung 2 1-ZimmerWohnung 3 1,5-ZimmerWohnung 4 Waschküche 5 Gemeinschaftsraum

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Abb. 16

1 Empirica AG (Hrsg.): Wohnen im Alter in Ludwigshafen. Wohnungsmarktanalyse für die Stadt Ludwigshafen und für die Wohnungsmarktregion. Berlin 2015, S. 29

Der im Norden Ludwighafens gelegene, durch den Geschosswohnungsbau der 1970er-Jahre geprägte Stadtteil Pfingstweide war »mit Leerständen und einem zunehmend schlechten Image konfrontiert.«1 Um dem zu begegnen und die Bewohner stärker in den Stadtteil zu integrieren, wurde 2008 neben vielen weiteren Maßnahmen ein neues Wohnmodell für MehrgenerationenWohnen – das Haus Noah – erarbeitet. Das Wohnungsunternehmen BASF Wohnen + Bauen (ehemals LUWOGE) entwickelte in Zusammenarbeit mit der BauWohnberatung Karlsruhe das Projekt »Allen gerechtes Wohnen in der Pfingstweide«, das als eine der geförderten Modellmaßnahmen im ExWoSt-Forschungsfeld »Innovationen für familien- und altengerechte Stadtquartiere« realisiert wurde. Ein differenziertes Stockwerkskonzept soll mit einer Mischung aus baulichen und sozialen Maßnahmen die gegenseitige nachbarschaftliche Unterstützung fördern. Im Erdgeschoss befinden sich ein Bewohnertreff, ein Conciergebereich und das Büro einer Netzwerkerin, die nachbarschaftliche und professionelle Hilfe koordiniert. Darüber entstanden, dem Stockwerkskonzept folgend, im ersten und zweiten Obergeschoss großzügige, sich über beide Etagen erstreckende Gemeinschaftsräume und zwölf Wohnungen, die zu einer vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) betreuten Stockwerksgemeinschaft gehören. Zum umfangreichen ambulanten Hilfs- und Pflegeangebot, das bei Bedarf auch von den übrigen Bewohnern in Anspruch genommen werden kann, gehört auch ein 24-Stunden-Hausnotruf. Im Gegensatz zu der vom DRK begleiteten und moderierten Wohngemeinschaft, organisieren Bewohner einer weiteren Stockwerksgemeinschaft das Miteinander in zehn barrierefreien Wohnungen und Gemeinschaftsräumen inklusive Küche, selbst. Die übrigen 24 Wohnungen sind »klassische« Miet- bzw. Eigentumswohnungen, deren Bewohner jedoch die Möglichkeit haben, jederzeit an den gemeinschaftlichen Tätigkeiten teilzunehmen.

Umbau  Pfingsweide und Buchheimer Weg

Siedlung Buchheimer Weg, Köln-Ostheim Architekten: ASTOC Architects and Planners, Köln Freiraumplanung: urbane gestalt johannes böttger landschaftsarchitekten, Köln Autraggeber: GAG Immobilien AG, Köln Fertigstellung: 2012 Brutto-Grundfläche: 51 600 m2 Wohneinheiten: 434 Gemeinschaftseinrichtungen: Mietercafé, Kindertagesstätte, Wohnheim für Menschen mit Behinderung, Wohngruppe für Demenzkranke Sonstige Nutzungen: quartiersnahe Büronutzungen

Als zwischen 1954 und 1958 die Gemeinnützige Aktiengesellschaft für Wohnungsbau (GAG) die Siedlung Buchheimer Weg am östlichen Rand Kölns errichtete, musste schnell und preiswert gebaut werden. Die Wohnungen waren klein – Wohnküche, zwei Zimmer, Bad – und mit einer Kohleheizung einfach ausgestattet. Mit wachsendem Wohlstand stiegen jedoch auch die Ansprüche, und 50 Jahre später waren nicht nur Grundrissgestaltung und Wohnungsausstattung veraltet, sondern auch die Bausubstanz in einem so schlechten Zustand, dass eine Sanierung ökonomisch nicht mehr rentabel war. Im Rahmen eines Siedlungsneubaus entschied man sich für das Konzept der bestandsersetzenden, viergeschossigen Neubauten. Der Umbau der Siedlungsstruktur ermöglichte eine effizientere Nutzung der Gesamtfläche mit einer Erhöhung der Zahl der Wohnungen um 25 %. Zugleich blieb der Wohnraum auch für niedrige Einkommensgruppen bezahlbar. Durch ein sensibles Umzugsmanagement war es möglich, dass ein Großteil der früheren Bewohner wieder in die neuen, barrierefreien 1- bis 4-Zimmer-Wohnungen (50 – 90 m²) mit Balkonen und bodentiefen Fenstern eingezogen ist. Ein Wohnheim für Menschen mit Behinderung und eine Wohngruppe für Demenzkranke erweitern das Spektrum der angebotenen Wohnformen. Mit ihrem leichten Knick und ihren pastelligen Grüntönen haben die Häuser eine visuell markante, erfrischende Anmutung. Die entstandenen Zwischenräume, die zum Sitzen, Spielen oder Gärtnern genutzt werden können, sowie das Mietercafé sind von Jung und Alt häufig genutzte Treffpunkte in der Siedlung, in die auch eine Kindertagesstätte integriert ist.

Abb. 17

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Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

Neubau

Neubau  mehr als wohnen

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mehr als wohnen, Zürich Städtebauliches Konzept: Arbeitsgemeinschaft Futurafrosch und Duplex Architekten, Zürich Architekten: Futurafrosch, Duplex Architekten, Müller Sigrist Architekten, Miroslav Šik, pool Architekten, Zürich Auftraggeber: Baugenossenschaft mehr als wohnen, Zürich Grundstücksfläche: 40 000 m2 Gesamtnutzfläche: 48 000 m2 Fertigstellung: 2015 Wohneinheiten: rund 400 Genossenschafts-Mietwohnungen unterschiedlichen Typs (Familien-, Alters- und Singlewohnungen sowie Wohngemeinschaften und Clusterwohnungen), davon ein Fünftel staatlich subventioniert, zwei sozialpädagogische Wohngruppen für Kinder und Jugendliche Gemeinschaftseinrichtungen: selbstverwaltete Allmendräume, Gemeinschaftsgarten, Waschküchen, Trockenräume Weitere Nutzungen im Quartier: Gewerbeflächen, Gastronomie, Gästehaus mit 20 Zimmern, 34 Atelierplätze für Menschen mit mehrfacher Beeinträchtigung Spezielle Angebote: Rezeption mit Serviceangebot, auf Nachbarschaftsleistungen basierend mehr als wohnen – der Titel ist Programm. Die experimentelle Siedlung auf dem Hunziker Areal in Zürich Nord soll neue Standards für den Wohnbau setzen und vor allem mehr sein als nur ein Konglomerat architektonisch ansprechender, gut ausgestatteter Wohnbauten. So ist sie von Beginn an als lebendiger, mit Gewerbeflächen durchmischter Stadtteil für alle Generationen und Bevölkerungsschichten konzipiert, der sich zudem den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft1 verpflichtet. Kurzum: ein wegweisendes Wohnprojekt, an dem die Genossenschaftsidee für die Zukunft weiterentwickelt wird. Wohnbaugenossenschaften sind in der Stadt Zürich traditionell wichtige Träger des gemeinnützigen Wohnungsbaus und nehmen eine zentrale Rolle in der Stadtentwicklung ein. Anlässlich

Abb. 1

1 Das energiepolitische Konzept der 2000-WattGesellschaft wurde in den 1990er-Jahren an der ETH Zürich entwickelt. Ihm zufolge sollte der Energiebedarf jedes Erdenbewohners einer durchschnittlichen Leistung von nicht mehr als 2000 Watt entsprechen. Als erste Gemeinde hat die Stadt Zürich die 2000-Watt-Gesellschaft verbindlich in ihrer Gemeindeordnung festgeschrieben. Abb. 1 Lageplan, Maßstab 1:2500

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Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

Subtraktionsprinzip

Adressen

Akzente

Fassadengliederung

Abb. 2a

des Jubiläums »100 Jahre gemeinnütziger Wohnungsbau« im Jahr 2007 fand der offene Ideenwettbewerb »Wie wohnen wir morgen?« statt. Aus ihm ging die vom Architekturbüro Futurafrosch verfasste Publikation »Kodex oder ein Handbuch zur Qualitätssicherung im zukünftigen Wohnungsbau« als Sieger hervor. Hierin wurden Bausteine städtischer Lebensqualität abseits üblicher Regularien formuliert. Die zwei jungen Architektinnen Sabine Frei und Kornelia Gysel lenken dabei auf den Maßstabsebenen Wohnung, Quartier und Stadt den Blick auf Phänomene und Qualitäten, die der Aufmerksamkeit traditioneller architektonischer und städtebaulicher Entwurfsverfahren strukturbedingt entgehen. Der Ideenwettbewerb gab den Anlass zur Gründung der Baugenossenschaft »mehr als wohnen«, zu der sich über 50 bereits bestehende Genossenschaften zusammenschlossen, um gemeinsam auf dem Hunziker Areal in Zürich-Nord eine gleichnamige Siedlung zu entwickeln und visionäre Ideen zu erproben, die für kleinere Genossenschaften in der Regel zu riskant sind. Aus dem 2008/09 folgenden Projektwettbewerb für die Bebauung des Geländes der ehemaligen Betonwarenfabrik zwischen den Quartieren Schwamendingen und Leutschenbach ging abermals Futurafrosch mit Duplex Architekten siegreich hervor. Federführend projektierten sie gemeinsam mit Müller Sigrist Architekten, dem Architekturbüro Miroslav Šik und pool Architekten die aus dreizehn Einzelgebäuden bestehende Siedlung. Dem Wettbewerb folgte eine längere Dialogphase, in der die Projektbeteiligten Fragen zur Optimierung der Gebäude und ihrer Umgebung partnerschaftlich verhandelten. Dass sich trotz der unterschiedlichen Architektenhandschriften und der großen Varianz an Wohnungstypen und Nutzungen die Siedlung als bemerkenswert homogenes und harmonisches Ensemble präsentiert, ist dem Regelwerk »Häuser im Dialog« zu verdanken, das die Architektenteams ergänzend zu den geltenden Bebauungsvorschriften als städtebauliche Leitlinie für die Siedlung erarbeitet haben. Darin ist das maximale Gebäudevolumen definiert, das Ausmaß von Hof- und Fassadeneinschnitten zur besseren Belichtung der bis zu 32 m tiefen Gebäude festgelegt und eine dreiteilige horizontale Gebäudegliederung mit erkennbarer Ausbildung von Sockelbereich und Dachabschluss ebenso vorgegeben wie die Lage der verschiedenen Nutzungen (Abb. 2). Ressourcenschonung spielt nicht nur bei Errichtung und Erhaltung der Gebäude eine Rolle, vielmehr ist auch die Bewohnerschaft dazu angehalten, durch ein entsprechendes Konsumund Mobilitätsverhalten dazu beizutragen. Der Verzicht auf ein eigenes Auto ist obligatorisch, sofern es nicht aus beruflichen oder gesundheitlichen Gründen lebensnotwendig ist. Die Anzahl der Personen, die in einer Wohnung leben, soll der Anzahl der Individualzimmer entsprechen oder diese übersteigen. Sobald im Lauf eines Mietverhältnisses eine Wohnung geringer belegt ist, wird ein genossenschaftlicher Unterbelegungsbeitrag erhoben. In der ständig besetzten Rezeption können die Bewohner Dienstleistungen anbieten und tauschen. Es besteht die Möglichkeit, ein vielfältiges Angebot an Gemeinschaftsräumen und Flächen im Freien, den sogenannten Allmenden wahrzunehmen und selbst Gemüse anzupflanzen. Ihre Nutzung wird partizipativ verhandelt. Um die Versorgung und Belebung des Quartiers zu gewährleisten, befinden sich mit einer Ausnahme in allen Häusern auch Gewerbeflächen. Alle Mieter sind zugleich Genossenschafter und damit verpflichtet, Anteilkapital zu zeichnen. Zudem zahlen sie monatlich einen geringen Beitrag in einen Solidaritäts- und GemeinschaftsAbb. 3

Neubau  mehr als wohnen

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Laden Atelier Mobilitätsstation Restaurant Atelier öffentlich

Laden

Laden

Laden

Gewerbe

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Gewerbe

Kita

Stadt Land

Gewerbe Atelier

Bibliothek Atelier

Restaurant

Gewerbe

Nutzungsverteilung Abb. 2 b

fonds ein, aus dem Projekte und Aktivitäten finanziert werden oder individuelle Unterstützung gewährt wird. Mitbestimmung ist garantiert, darüber hinausgehende freiwillige Mitarbeit als Beitrag für die Gemeinschaft ist erwünscht. »Wir wollen ein selbstbestimmtes, gemeinschaftsorientiertes Zusammenleben verschiedenster Menschen und Gruppierungen fördern, die bereit sind, einen Beitrag zum nachhaltigen Wohnen zu leisten«, heißt es im Reglement der Genossenschaft. Die kompakten Wohnhäuser sind überwiegend um zentral gelegene, von oben belichtete Erschließungskerne angeordnet, an die sich Nebenräume wie Garderoben, Sanitär- und Abstellräume anschließen. Nach außen hin orientiert liegen die Wohn- und Schlafbereiche. Um Tageslicht über die Fassaden in die Tiefe der Gebäude zu leiten, wurde mit überhohen oder doppelgeschossigen Wohnräumen gearbeitet. Ein Beispiel hierfür ist das in monolithischer Bauweise aus Dämmbeton errichtete Haus von pool Architekten im Zentrum des neuen Quartiers. Da die Grundrisse in den Ebenen versetzt sind, entstehen doppelgeschossige Raumkeile, durch die Tageslicht in die hinteren Bereiche der Zimmer fällt (Abb. 9 und 10, S. 105). Im Gebäude von Futurafrosch zur Hagenholzstrasse und zum Quartiersplatz hin spiegelt sich die zweiseitige Orientierung in der Organisation des Hauses (Abb. 4). So sind die gewerblichen Nutzungen im Erdgeschoss zur Straße ausgerichtet. In den Obergeschossen reihen sich straßenseitig dicht an dicht Zimmer in standardisierten Größen und in der Mittelzone minimale Nassräume. Zum Quartiersplatz hin öffnen sich die Wohnräume auf die Terrassenanlage mit übergroßen Balkonen, die als zusätzliches Zimmer im Freien die kompakten Wohnungsgrößen kompensieren.

Abb. 2 a Schematische Darstellung der Regeln und Prinzipien aus dem Regelwerk »Häuser im Dialog«, das das kantonale Planungs- und Baugesetz sowie die kommunale Bau- und Zonenordnung ergänzt. Abb. 2 b Prinzip der Nutzungsverteilung und Anordnung von privaten und öffentlichen Zonen in einzelnen Gebäuden (links) und im Quartier (rechts) Abb. 3 Bauzaun um die Baustelle Abb. 4 Haus Hagensholzstrasse 106, Futurafrosch, Grundriss Regelgeschoss, Maßstab 1:400

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zumietbares Arbeitszimmer 4,5-Zimmer-Wohnung 2,5-Zimmer-Wohnung 3,5-Zimmer-Wohnung 5,5-Zimmer-Wohnung

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Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

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1 1-Zimmer-Wohnung / Studio 2 5,5-Zimmer-Wohnung 3 4,5-Zimmer-Wohnung 4 3,5-Zimmer-Wohnung 5 6,5-Zimmer-Wohnung 6 Bastelraum 7 Kinderwagenraum

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Abb. 5

Abb. 5 Genossenschaftsstrasse 16, Duplex Architekten, Grundriss, Maßstab 1:400 Abb. 6 Treppenhaus, Genossenschaftsstrasse 16, Duplex Architekten Abb. 7 Dialogweg 6, Duplex Architekten, Grundriss, Maßstab 1:400 Abb. 8 Einblick in einen gemeinschaftlichen Wohnbereich (a), einen 2-Zimmer-»Satellit« (b) und eine Gemeinschaftsküche (c), Dialogweg 6, Duplex Architekten Abb. 9 Genossenschaftsstrasse 13, pool Architekten, Grundriss, Maßstab 1:400 Abb. 10 Doppelgeschossige Raumkeile leiten Tageslicht in die tiefen Grundrisse. Haus G, pool Architekten Abb. 6

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Foyer Garderobe Büro 2-Zimmer-»Satellit« 1-Zimmer-»Satellit«

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Küche / Essbereich Wohnbereich Abstellraum Waschküche Trockenraum Abb. 8 b

Das Wohnungsangebot ist ausgesprochen vielfältig und reicht von Studios über Mehrzimmerwohnungen bis zu den als Satellitenwohnungen bezeichneten Clusterwohnungen mit 9 bis 13 Zimmern. Elf dieser Wohnungen beherbergt z. B. das Haus im Dialogweg 6 von Duplex Architekten (Abb. 7). Hier gruppieren sich die einzelnen Satelliten, die jeweils mit einer kleinen Küchenzeile sowie mit Dusche und WC ausgestattet sind, um die gemeinschaftlich genutzten Räume. Sie werden von der Genossenschaft an Vereine vermietet, die wiederum die einzelnen Zimmer und Gemeinschaftsflächenanteile an ihre Mitglieder vermieten und das Zusammenleben in der Gemeinschaft selbstständig organisieren. Sozialpädagogische Wohngruppen für Kinder und Jugendliche sowie Wohnangebote für Studierende ergänzen das Angebot. Um eine möglichst ausgewogene soziale Durchmischung sicherzustellen, wurden auf den Bewerbungsbögen für die Wohnungen Einkommen, Herkunft und familiäre Verhältnisse abgefragt. Zur Überprüfung der Zielsetzung anhand der Mieterdaten wird ein webbasiertes Tool eingesetzt.

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Abb. 8 c

Fahrrad- / Kinderwagenraum Abstellraum 4,5-Zimmer-Wohnung Zusatzzimmer 12,5-Zimmer-Maisonette-Wohnung Küche / Essbereich Wohnbereich Abstellraum

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Abb. 9

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Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

Wohnprojekte der Genossenschaft wagnis Am Ackermannbogen, München Architekten: A2Architekten (Stefan Lautner, Reiner Roth), Freising (2005 und 2014); Zwischenräume Architekten, München (2006) Auftraggeber: Wohnbaugenossenschaft wagnis eG Fertigstellung: 2005 (wagnis 1)/2006 (wagnis 2)/2014 (wagnis 4) Gesamtnutzfläche: 7381 m2 (wagnis 1)/3351 m2 (wagnis 2)/4229 m2 (wagnis 4) Wohneinheiten: 92 (wagnis 1)/45 (wagnis 2)/53 (wagnis 4) Gemeinschaftseinrichtungen: Gemeinschaftsräume, Café, Backshop, Nachbarschaftsbörse, Gästeappartments, Arbeitsräume, Praxisräume und Pflegestützpunkt

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Das Bemühen, ein neues Quartier zu schaffen, zeichnet auch die drei Wohnanlagen der im Jahr 2000 gegründeten Genossenschaft wagnis in München-Schwabing aus. Hier entstand seit 2001 in der Nähe des Olympiaparks auf einem ehemaligen Kasernen- und Exerziergelände das neue Wohnquartier »Am Ackermannbogen« mit etwa 2250 Wohnungen, 550 Arbeitsplätzen, Kindertagesstätten, Schulen und Geschäften. Bei der Vergabe wurden Baugruppen und Baugemeinschaften besonders berücksichtigt, wobei mit der neu gegründeten Wohnbaugenossenschaft wagnis, deren Name für »Wohnen und Arbeiten in Gemeinschaft, nachbarschaftlich, innovativ und selbstbestimmt« steht, das genossenschaftliche Bauen eine Wiederbelebung erfuhr. Wagnis legt insbesondere Wert auf immaterielle Aspekte, wie gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Stiftung kultureller Identität, Partizipationsmöglichkeiten und eine möglichst breite soziale Durchmischung der Bewohnerschaft. Insgesamt drei Projekte errichtete sie auf dem Areal (Projekt wagnis 3 in München Riem), beginnend mit dem Gründungsprojekt wagnis 1 der A2Architekten. Es folgte das von Zwischenräume Architekten geplante Haus Olymp (wagnis 2) mit 45 Wohnungen, einem 63 m2 großen Gemeinschaftsraum mit vorgelagertem Spielplatz, einer Dachterrasse und einem Gemeinschaftsgarten. 2014 wurde schließlich eine ebenfalls von den A2Architekten konzipierte Wohnanlage an der Petra-Kelly-Straße fertiggestellt. In drei über Laubengänge miteinander verbundenen Häusern sind 53 Wohnungen als große Hausgemeinschaft organisiert. An

Abb. 11

2 ExWoSt = Experimenteller Wohnungs- und Städtebau, Forschungsprogramm des Bundesministeriums für Verkehr, Bauen und Stadtentwicklung 3 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hrsg.): Stadtquartiere für Jung und Alt. Bilanz zum ExWoSt-Forschungsfeld »Innovationen für familien- und altengerechte Stadtquartiere«. 2010 d, S. 27 Abb. 12

Neubau  Wohnprojekte der Genossenschaft wagnis

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Photovoltaik Hochbeete, barrierefrei Gewächshaus Dachgarten Erdbeerwiese 4-Zimmer-Wohnung 2-Zimmer-Wohnung 3,5-Zimmer-Wohnung

Abb. 13

den Laubengängen angelagerte Nischen und Aufenthaltsbereiche fördern Begegnungen ebenso wie der gemeinsame Dachgarten und der Innenhof mit Apfelhain. Ein zum Quartiersplatz hin orientierter Veranstaltungsraum und ein Musikraum im Keller ergänzen das Angebot für die Gemeinschaft. Bereits beim Gründungsprojekt wagnis 1 konnten die Bewohner ihre Vorstellungen in Plenen und Arbeitsgruppen einbringen, was die Entstehung von Freundschaften und nachbarschaftlichen Netzwerken förderte. Vier Baukörper, bestehend aus einem fünfgeschossigen Riegel, zwei kleineren Wohnzeilen und einem Punkthaus, bilden ein Ensemble und beherbergen insgesamt 92 Wohnungen. Ein Café, Büros und Gästeapartments ergänzen das Wohnangebot. Gemeinschaftsräume, -terrassen und -gärten bieten dem sozialen Miteinander viel Raum. Die Obergeschosse des großen Wohnriegels im Westen werden über Laubengänge erschlossen, die durch terrassenartige Erweiterungen im Bereich der Treppenhäuser eine wichtige Begegnungszone bilden. Zudem bot sich den Bewohnern in der zum Quartiersplatz als Filter vorgelagerten Gerüststruktur die Möglichkeit, zusätzlich zu den weniger exponierten Balkonen an der Westseite auf Wunsch auch hier einen Balkon zu integrieren, der einen breiten Überblick über das Geschehen auf dem Platz bietet. Dort wurde der neben dem Café gelegene, zweigeschossige Durchgang mit Bühnentechnik ausgerüstet zur »Kulturpassage Schwabing«, einem Veranstaltungsort für Musik und darstellende Kunst. Im Alltag dient die Passage als witterungsgeschützter Spielplatz im Freien. Eine wesentliche Rolle kommt der Nachbarschaftsbörse zu, die mit verschiedenen Angeboten den Aufbau sozialer Netzwerke innerhalb des Quartiers fördert. Träger dieser Einrichtung ist ein gemeinnütziger, ursprünglich von Mitgliedern der Genossenschaft gegründeter Verein, der in der Zwischenzeit mehrere dezentrale Gemeinschaftsräume verwaltet und mit mehr als 300 Mitgliedern über das wagnis-Projekt hinaus Quartiersarbeit leistet und bürgerschaftliches Engagement unterstützt. Die mit dem ersten wagnis-Wohnprojekt entstandene Nachbarschaftsbörse ist eines von neun Modellvorhaben zum Themenschwerpunkt Gemeinschaftseinrichtungen im Rahmen des ExWoSt-Forschungsfelds2 »Innovationen für familien- und altengerechte Stadtquartiere« (siehe »Generationengerechte Siedlungen und Quartiere«, S. 82ff.). »Das Projekt verdeutlicht, welch große Herausforderung es ist, mit selbsttragenden Strukturen eine professionelle Koordination nachbarschaftlichen Engagements zu organisieren und mehrere dezentral gelegene Gemeinschaftsräume für das Quartier zu ›bespielen‹. Auch mit überdurchschnittlich engagementbereiten Akteuren ist eine stark nachbarschaftsorientierte Quartiersentwicklung kein Selbstläufer und bedarf eines fortwährend hohen Einsatzes aller Beteiligten«, heißt es dazu in der 2010 erschienenen Bilanz.3

Abb. 11 Lageplan, Maßstab 1:2000 Abb. 12 Wohnprojekt wagnis 2: Im Erdgeschoss befindet sich ein Gemeinschaftsraum mit vorgelagertem Spielplatz, auf dem Dach eine Gemeinschaftsterrasse. Abb. 13 Wohnprojekt wagnis 4: genutzte Dachflächen, Maßstab 1:750 Abb. 14 Wohnprojekt wagnis 4: Das Wohnprojekt in drei über Laubengänge verbundenen Häusern ist als selbstverwaltete Hausgemeinschaft organisiert. Abb. 15 Wohnprojekt wagnis 4: Die Bewohner waren beim Bau der Dachterrasse aktiv beteiligt.

Abb. 14

Abb. 15

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 Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

Mehrgenerationen-Siedlung Oase 22, Wien Städtebau: studio uek (Katharina Urbanek, Benni Eder, Theresa Krenn), Wien Architekten: studio uek mit Pesendorfer ZT GmbH, Wien (Bauteil 1); ARGE Köb&Pollak/ Alexander Schmoeger, Wien (Bauteil 2); g.o.y.a. – group of young architects, Wien (Bauteil 3) Auftraggeber: GESIBA – Gemeinnützige Siedlungs- und Bauaktiengesellschaft, Wien (Bauteil 1); BUWOG – Bauen und Wohnen Gesellschaft m.b.H., Wien (Bauteil 2); ÖSW – Österreichisches Siedlungswerk, Gemeinnützige Wohnungsaktiengesellschaft, Wien (Bauteil 3) Freiraumplanung: rajek barosch landschaftsarchitektur, Wien (Bauteil 1 und 2); Joachim Kräftner, Wien (Bauteil 2) Grundstücksfläche: 25 755 m² Gesamtnutzfläche: 27 400 m² Fertigstellung: 2013 Wohneinheiten: 319 Mietwohnungen, davon 30 betreubare Wohnungen und 3 Wohngemeinschaften Gemeinschaftseinrichtungen: Spiel- und Festraum, Gemeinschaftsräume, Bücherbox, drei Wintergärten, sechs Waschküchen, Fahrradwerkstatt, anmietbare Lounge, Sommerküche, Kletterwand, Dachweg »Skywalk« mit Dachterrassen, Pflanzbeeten und Laufstrecke Weitere Nutzungen: geriatrisches Tageszentrum, Hausbetreuungszentrum GESIBA, Stadtteilbüro der Caritas, Bewegungs-Center (betreut vom Sportdachverband Arbeitsgemeinschaft für Sport und Körperkultur in Österreich, ASKÖ) Spezielle Angebote: Partizipationskonzept und Quartiersmanagement, Hausbetreuung vor Ort, mobile Pflege und Betreuung

»Suburbanist«

»Insulaner«

»Centropist« Abb. 1

Abb. 2

Neubau  Mehrgenerationen-Siedlung Oase 22

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Abb. 1 Darstellung unterschiedlicher Nutzertypen Abb. 2 Lageplan, Maßstab 1:6000 Abb. 3 Freitreppen stellen eine direkte Verbindung zum Hof her. Abb. 4 Axonometrie mit Gemeinschaftseinrichtungen und Erschließungen Abb. 3

Auf dem ehemaligen Betriebsgelände eines Stahlbauunternehmens entstand in Wien-Stadlau auf 140 000 m2 seit 2011 eine neue »Stadt in der Stadt«. Die Herausforderungen an den neuen Stadtteil bestanden zum einen in seiner Integration in das heterogene, von einem Mix aus den Resten alter Vorstadtstrukturen, Großwohnanlagen, Industriearealen, Kleingartensiedlungen und gärtnerisch genutzten Flächen geprägte Gebiet. Zum anderen sollte für alle Generationen und vielfältige Lebensstile geeignetes Siedlungsgebiet geschaffen werden.

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Ein Herzstück des Areals ist der Wohnpark OASE 22, dessen städtebauliches Konzept Gegenstand des 2007 ausgelobten Wettbewerbs EUROPAN 9 für junge Architekten aus ganz Europa zum Thema »Europäische Urbanität – Nachhaltige Stadt und öffentliche Räume« war. Als Siegerprojekt ging der Beitrag »Swobodas go Neustadlau – Zehn Häuser für ein Halleluja« von studio uek hervor. Ihr Konzept einer mäandernden, immer wieder durchbrochenen Randbebauung, die das Siedlungsareal von 25 755 m2 mit der Umgebung verzahnt, strukturiert die Großform abwechslungsreich und ermöglicht die Ausgestaltung von Freiräumen unterschiedlichen

Kinderwagen- und Fahrradraum nutzungsoffener Gemeinschaftsraum geriatrisches Tageszentrum Hausbetreuung Fahrradwerkstatt Kinderspielraum Waschküche anmietbare Lounge Bewegungs-Center Kletterwand Quartiersmanagement Spiel- und Veranstaltungsraum Mieterbeete Kinderspielplatz Sommerküche Brücke Sonnendeck

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 Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

‡ Bauteil 1: studio uek ‡ Bauteil 2: ARGE Köb&Pollak /Alexander Schmoeger ‡ Bauteil 3: g.o.y.a.

Abb. 5

Abb. 6

Abb. 5 Übersicht über die Bauabschnitte Abb. 6 Blick auf die großzügigen Freiflächen Abb. 7 Erschließungsräume bieten Gelegenheit für zwanglose Begegnungen und Kommunikation. Abb. 8 Grundrissausschnitt, Maßstab 1:400, studio uek Abb. 9 Bauteil studio uek

Abb. 7

Charakters. Die großzügigen Flächen im Hof gestatten eine Mehrfachnutzung und die Aneignung durch unterschiedliche Bewohnergruppen. Lineare Elemente in Form von Betonmauern unterschiedlicher Höhe strukturieren den Raum, übernehmen Leitfunktion und sind zugleich Sitzmöbel. Frei begehbare ebene Flächen mit unterschiedlichen Oberflächen lassen barrierefrei mannigfaltige Wegerelationen zu. Verbindungsbrücken zwischen den einzelnen Häusern sowie Freitreppen, die von der Dachebene in den Hof hinunterführen, fördern die Interaktion zwischen den Bewohnern der einzelnen Bauteile und gewährleisten die Zugänglichkeit der auf alle Geschosse verteilten Gemeinschaftsräume sowie der Dachgärten. »Wohnen für alle, in allen Lebenslagen« lautet das Motto der Wohnsiedlung, in der überwiegend Familien mit kleineren Kindern sowie ältere Personen in den betreubaren Wohnungen leben. Für eine mehrjährige Startphase übernimmt ein Quartiersmanagement bauteilübergreifend das soziale Management des Wohnparks, um die Entwicklung einer lebendigen Nachbarschaft zu stimulieren. Die Notwendigkeit einer begleitenden Moderation für eine nachbarschaftliche Nutzung dieses vielfältigen gemeinschaftlichen Raumangebots war bereits im Wettbewerbsbeitrag formuliert. Nach der Wohnungsübergabe wurde im Frühjahr 2013 zudem ein bauteilübergreifendes Bewohnerforum ins Leben gerufen. Bei den monatlichen Treffen gibt es Gelegenheit, miteinander in Kontakt zu treten und Belange der Nachbarschaft in der Runde zu diskutieren. Hier werden gemeinsam Entscheidungen getroffen sowie konkrete Aktivitäten in der Anlage entwickelt und geplant. Wie die bisherigen Erfahrungen zeigen, kann das Quartiersmanagement im Zusammenspiel mit einer Hausbetreuung vor Ort viele Probleme abfedern. Zusätzlich trägt ein selbstverwaltetes Online-Forum entscheidend zu einer offenen Kommunikationskultur innerhalb der Anlage bei und erleichtert den Austausch zwischen den Bewohnern. Bewährt hat sich auch die Vielzahl der Gemeinschaftsräume, für die im Bewohnerforum Nutzungsszenarien gefunden und in Vereinbarungen festgehalten wurden. Nach Ablauf der moderierten Phase soll dies die zukünftige Selbstorganisation erleichtern.

Neubau  Mehrgenerationen-Siedlung Oase 22

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Abb. 8

studio uek konkretisierte nach dem Wettbewerbsgewinn mit dem Bauträger GESIBA im Westen des Baufelds einen Bauteil mit 171 Wohnungen sowie ein geriatrisches Tageszentrum. In der Anlage finden sich 57 verschiedene Wohnungstypen – von der Kleinwohnung bis zur großen Familienwohnung. Insgesamt 30 Wohnungen werden von der Caritas als »betreubares Wohnen« geführt. Zudem legten die Architekten eine stadträumliche Struktur für das übrige Projektgebiet fest, die Gebäudefluchten, -tiefen und -einschnitte definierte. Damit wurde in Hinblick auf den 2008 für das Areal ausgelobten Bauträgerwettbewerb1 sichergestellt, dass sich die Bebauung der einzelnen Baulose zu einem differenzierten gemeinsamen Ganzen fügt. Die innerhalb der projektierten Architektur vorgegebenen Strukturen sollten eine Vielfalt an Angeboten und Aktivitäten im Sinne eines positiven Zusammenlebens ermöglichen. Im Wesentlichen konnte umgesetzt werden, was die jungen Architekten im Wettbewerb formuliert hatten. Die in den Erdgeschosszonen von den Architekten vorgeschlagenen Geschäfte und Gastronomiebetriebe mussten jedoch entfallen, weil sie das Projektmanagement des neuen Stadtteils in benachbarten Projekten vorsah. Stattdessen fanden im Wohnpark OASE 22 soziale Nutzungen wie ein Hausbetreuungszentrum, ein Büro der Caritas, ein Tageszentrum für Senioren des Fonds Soziales Wien sowie verschiedene Gemeinschaftsräume ihren Platz. Die 30 betreubaren 1- bis 2-Zimmer-Wohnungen sind barrierefrei ausgestattet und werden vorwiegend durch den im zweiten Obergeschoss an der Gebäudeaußenseite gelegenen, mit Sitzbänken ausgestatteten Wohngang erschlossen; die ihnen zugeordneten Abstellräume befinden sich zum Teil im gleichen Geschoss.

Abb. 9

1 In Wien wurden 1995 im geförderten Wohnbau Bauträgerwettbewerbe eingeführt, die der wohnfonds_wien, der städtische Fonds für Wohnbau und Stadterneuerung, auslobt. Bauträger und Architekten entwickeln dafür gemeinsam mit Experten die Realisierungskonzepte für ausgelobte Bauplätze. Die Bauträger der von einer interdisziplinären Fachjury prämierten Projekte erwerben die Bauplätze mit der Verpflichtung, die jurierten Projekte zu realisieren. Die Konzepte haben die in einem 4-Säulen-Modell formulierten Qualitäten in den Bereichen Ökonomie, soziale Nachhaltigkeit (seit 2009), Architektur und Ökologie zu berücksichtigen.

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 Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

Abb. 10

Über den Bauträgerwettbewerb kamen zwei weitere Architekturbüros ins Team der OASE 22. Der Bauteil BOA von Köb&Pollak/Alexander Schmoeger liegt am nordöstlichen Abschluss der schleifenförmigen Bebauung an einem der Hauptzugänge. Alle 64 Wohnungen sind durchgesteckt und weisen eine hohe Varianz an Typen auf. Das Spektrum reicht von Kleinstwohnungen über Maisonettes bis zu Wohngemeinschaften. Letztere bestehen aus jeweils drei Einheiten à 45 m2 mit Miniküche und eigenem Bad sowie einem großen gemeinschaftlichen Wohnraum. Im Süden erweitern herausgeschobene Kuben die Wohnräume. Sie öffnen sich über ein Aussichtsfenster zum Hof sowie teils zu den privaten Loggien. Im Erdgeschoss wurde eine Fahrradwerkstatt eingerichtet. Das Team g.o.y.a. legte in seinem Abschnitt besonderes Augenmerk auf freizeitorientiertes Wohnen. So ist in einer der »Schluchten« zwischen den Bauteilen eine Kletterwand installiert und hofseitig im Erdgeschoss ein vom Sportdachverband ASKÖ betriebenes Bewegungs-Center eingerichtet. Auf dem Dach befindet sich eine mit Sportbelag ausgeführte Laufstrecke. Die 85 Wohnungen mit Größen zwischen 53 und 130 m2 – darunter Maisonette- und Loftwohnungen – erfüllen die Bedürfnisse von Single-, Paar- und Familienhaushalten. Den zweigeschossigen »Reihenhaustypen« im südlichen Gebäuderiegel sind Gärten vorgelagert, die Loftwohnungen im Mitteltrakt verfügen über Terrassen, alle anderen Einheiten über Loggien und /oder Balkone.

Abb. 11

Neubau  Mehrgenerationen-Siedlung Oase 22

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Abb. 12

Abb. 10 Jede Wohnung verfügt über einen Erker und einen Balkon. Köb&Pollak /Alexander Schmoeger Abb. 11 Grundrissausschnitt, Maßstab 1:400, Köb&Pollak /Alexander Schmoeger Abb. 12 Grundrissausschnitt, Maßstab 1:400, g.o.y.a Abb. 13 Auskragende »Balkonboxen«gliedern die Fassade. g.o.y.a. Abb. 13

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 Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

Messequartier Graz Architekt: Markus Pernthaler, Graz Auftraggeber: ENW – Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft m.b.H, Graz Grundstücksfläche: 17 351 m² (Bauteil 1) / 4890 m² (Bauteil 2) / 4735 m² (Bauteil 3) Gesamtnutzfläche: 20 300 m² (Bauteil 1) / 7300 m² (Bauteil 2) / 5800 m² (Bauteil 3) Fertigstellung: 2011 / 2015 / 2017 Wohneinheiten: Bauteil 1: 149 geförderte Miet- und Eigentumswohnungen, 21 betreute Seniorenwohnungen, 5300 m² Dienstleistungsfläche, Studentenwohnheim mit insgesamt 97 Einbettzimmern in Wohngemeinschaften Bauteil 2: 75 Mietkaufwohnungen, 1600 m² Ambulatorium Pro Mente Bauteil 3: 64 Wohneinheiten, 660 m² SOS-Kinderdorf Gemeinschaftseinrichtungen: Schwimmbad, Sauna Weitere Nutzungen im Quartier: Gastronomie, Büro- und Gewerbeflächen, Kindergarten, Kinderkrippe, Arztpraxen, Post Shop, Betreutes Wohnen – Lebenshilfe Spezielle Angebote: mobile Dienstleistungen für Seniorenwohnungen Die Mehrgenerationen-Wohnanlage entstand im Übergang von der Kernstadt in die Peripherie auf dem Areal eines ehemaligen Vergnügungsparks im Zuge der Umstrukturierung der benachbarten Messe Graz. Die u-förmige, über 200 m lange Großstruktur – in einem zweiten und dritten Bauabschnitt wird sie durch eine weitere, gegenläufig angeordnete ergänzt – bildet eine Klammer zwischen der von biedermeierlichen Vorstadthäusern geprägten Münzgrabenstraße im Osten und dem Messegelände im Westen. Zudem überbrückt sie einen Geländesprung in Höhe von etwa zwei Stockwerken. Ein Steg verbindet im Bereich dieses Geländesprungs alle Bauabschnitte auf Höhe des Erdgeschosses. Gebäudeknicke, Aufständerungen und Niveauunterschiede schaffen Differenzierungen im Außenraum, interessante Perspektiven und unterschiedliche Freiräume. Die gesamte Anlage zeichnet sich durch ihren Abwechslungsreichtum

1

Abb. 1

2 3

Abb. 1 Ostansicht des Kopfbaus, der ein Studentenwohnhaus beherbergt. Abb. 2 Lageplan, Maßstab 1:8000 Abb. 3 Gebäudeknicke und Niveausprünge sorgen für Vielfalt im Außenraum. Abb. 4 Aufständerungen und ein Verbindungssteg erlauben eine interne Durchlässigkeit. Freiräume sowie Fassaden sind abwechslungsreich gestaltet und schaffen kleinteilige Strukturen innerhalb des großen Volumens.

1 Bauteil 1 2 Bauteil 2 3 Bauteil 3 Abb. 2

Neubau  Messequartier Graz

Abb. 3

sowohl formal als auch hinsichtlich des Raumprogramms aus. Die horizontale Schichtung in eine öffentliche, von Wohnnutzung frei gehaltene Sockelzone, eine private Mittelzone mit Wohnungen und ein gemeinschaftlich genutztes Dach spiegelt sich klar am Baukörper wider. Alle Wohnungen sind nach Süden und Südosten hin orientiert. Erschlossen werden sie über an den Knicken angeordnete Treppenhäuser und von den Wohnungen abgesetzte Laubengänge. Ein »Vorhang« aus Lochblechlamellen gibt nicht nur Witterungsschutz, sondern wirkt auch als visueller Filter zu den privaten Loggien und Balkonen. Das Wohnungsangebot ist breit gefächert: Neben geförderten Ein- bis Mehrzimmerwohnungen mit jeweils vielfältig nutzbaren, zwei Meter tiefen Balkonen und Loggien werden auch 21 betreute Wohnungen für ein bis zwei Personen angeboten. Sie stehen für Menschen über 60 zur Verfügung und werden nur mit einem zusätzlich zu buchenden Betreuungspaket vergeben, dessen Kosten dem Einkommen der Mieter entsprechend gestaffelt sind. Enthalten sind darin ein Notruftelefon sowie die Leistungen der wochentags im Haus anwesenden Wohnbetreuerin, die gemeinsame Aktivitäten – auch mit dem im Messequartier ansässigen Studentenheim oder dem Kindergarten – organisiert, mindestens einmal pro Woche ein Gedächtnis- und Bewegungstraining anbietet und die bei Abwesenheit der Bewohner auch das Blumengießen oder Entleeren des Briefkastens übernimmt. Je nach Bedarf können zusätzliche Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen wie Essenszustellung oder Krankenpflege gebucht werden. Den Kopfbau an der Münzgrabenstraße nimmt das Studentenwohnhaus ein, in dem 97 Einbettzimmer in hauptsächlich Vierer-Wohngemeinschaften organisiert sind. Neben der sozialen Durchmischung im Wohnbereich ist auch eine ausreichende Anzahl an Arbeitsplätzen unerlässlich für ein lebendiges Quartier. Daher sind hier auch unterschiedlich genutzte Büro- und Gewerbeflächen in die Anlage integriert. Nicht nur die soziale, sondern auch die ökologische Nachhaltigkeit steht im Messequartier im Fokus. So ist die Anlage gut an das öffentliche Verkehrsnetz sowie direkt an das Radwegenetz angebunden. Zudem kann sie nahezu Passivhausqualität, HFKW- und PVC-Freiheit, Verwendung emissionsarmer, lösemittelfreier Baustoffe im Innenausbau und Solarenergie vorweisen. Abb. 4

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 Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

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Wohnungen Studentenwohnungen Betreutes Wohnen Laubengang Lichthof Yoga und Sport Büros Café Fitnesscenter Verbindungssteg Piazza

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Regelgeschoss

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Erdgeschoss Abb. 6

Abb. 5 Auf dem Dach bietet ein Schwimmbad mit Holzterrasse ein außergewöhnliches Freizeitangebot. Abb. 6 Grundrisse, Maßstab 1:1000

Neubau  HafenCity

HafenCity Hamburg Die HafenCity Hamburg, eines der größten europäischen innerstädtischen Entwicklungsprojekte, ist ein Beispiel für nachhaltige Stadtentwicklung. Bereits in den 1990er-Jahren entstanden erste Ideen zur Umgestaltung des Areals. Als vielleicht erstes Zeichen für den Wandel stellte der Senat 1991 die Speicherstadt einschließlich ihrer Fleete, Brücken und Zollgebäude unter Denkmalschutz. In den Jahren nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde der Hafen wieder zum Entwicklungsmotor der Stadt, zugleich benötigte Hamburg attraktive Grundstücke in Citylage. So begann die Stadt Mitte der 1990er-Jahre damit, innenstadtnahe und nicht mehr hafenbezogen genutzte Flächen in ihr Eigentum zu bringen. Nach der Ankündigung des Projekts HafenCity übertrug die Stadt diese Flächen der neu gegründeten Gesellschaft für Hafen- und Standortentwicklung mbH (GHS), später umbenannt in HafenCity Hamburg GmbH, und beauftragte diese 100%ige Tochter der Stadt Hamburg mit der Verwaltung der Flächen und der Entwicklung des Areals zu einem neuen Innenstadt-Stadtteil. Bereits die ersten Vorstudien machten klar, dass kein monofunktionales Quartier für Büroarbeitsplätze entstehen sollte. Ziel war ein vielfältiger, gemischter Stadtteil, der Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Kultur und Tourismus als zusammengehörige Teile eines Ganzen betrachtet. Im April 1999 wurden aus 175 internationalen Bewerbern acht konkurrierende Teams für den städtebaulichen Ideenwettbewerb ausgewählt. Den ersten Preis teilten sich das deutschniederländische Team Kees Christiaanse, Astoc Architects and Planners und hamburgplan (bestehend aus den Büros Schweger + Partner, BPHL Architekten von Bassewitz, Patschan, Hupertz, Limbrock und Kontor Freiraumplanung Möller und Tradowsky). Der im Februar 2000 beschlossene Masterplan ist ein zusammenfassendes und beschreibendes Planwerk, zu dessen wesentlichen Vorgaben die Entwicklung differenzierter Quartiere gehört. In der zuerst fertiggestellten westlichen Hafencity war es das Ziel, durch eine möglichst kleinteilige Grundstücksvergabe zu einer lebendigen und gemischten Nachbarschaft beizutragen.

Abb. 1 Magellan-Terrassen Abb. 1

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Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

HafenCity: Stimulierung nachbarschaftlicher Prozesse durch räumliche Impulse Marcus Menzl ist Stadtsoziologe und bei der HafenCity Hamburg GmbH verantwortlich für Fragen der sozialen Entwicklung des neuen Stadtteils. Kommentar von Marcus Menzl

Über das Verhältnis von baulichen Strukturen und sozialen Prozessen ist schon viel geschrieben worden. Das Spektrum der Positionen ist breit: Überspitzt formuliert reicht es von der Überzeugung, bestimmte soziale Prozesse herbeibauen zu können, bis hin zu der Haltung, die einen direkten Einfluss der baulichen Gegebenheiten auf soziale Nutzungsmuster und Beziehungen abstreitet. Wie so oft liegt die Wahrheit wohl irgendwo zwischen diesen Extremen, was sich am Beispiel der HafenCity in Hamburg zeigen lässt. Auf einer 157 ha großen ehemaligen Hafen- und Industriefläche südlich der traditionellen Hamburger Innenstadt entsteht seit dem Jahr 2000 ein neuer Stadtteil. Im Jahr 2030 werden hier 12 000 Menschen wohnen und 45 000 Beschäftigte ihrer Arbeit nachgehen. Die ersten Bewohner zogen in den Jahren 2005 und 2006 in das neu bebaute Gebiet, das damals noch eine ganze Reihe von alltagspraktischen Herausforderungen bereithielt: kein Supermarkt, keine soziale Infrastruktur, kein unmittelbarer Anschluss an den ÖPNV, auch für Hamburger Verhältnisse ungewohnt raue klimatische Bedingungen, die direkte Konfrontation mit der Gefahr von Sturmfluten, dazu viel Baulärm und zahlreiche Besucher auf Erkundungstour in der Terra incognita des früheren Hafengebiets. Dennoch oder vielleicht auch gerade wegen dieser Rahmenbedingungen, die manche Bewohner als Zumutung sahen, andere als Chance zur Mitgestaltung interpretierten, entwickelten sich sehr rasch intensive soziale Beziehungen zwischen den Nachbarn. Das Wohnen in dieser besonderen Konstellation verband: Man empfand sich als Pionier in einer abenteuerlichen Mission und das Verlangen, sich darüber auszutauschen, sowie die Bereitschaft, sie kreativ auszugestalten, waren ausgesprochen groß. Um eine solche günstige atmosphärische Ausgangssituation tatsächlich in lebendige nachbarschaftliche Beziehungen und Projekte zu überführen, sind jedoch noch zwei weitere Faktoren vonnöten: Personen, die Lust haben, Aktivitäten anzuschieben und sich in ihrem Wohnumfeld zu engagieren, und inspirierende Räumlichkeiten. In der HafenCity waren schon in der Anfangsphase beide Aspekte gegeben, sodass Projekte entstanden, die mit geringer Zutrittsschwelle nachbarschaftlich interessierte Menschen zusammenbrachten, die Identifikation mit der neuen Wohnkonstellation stärkten und die Bildung neuer Netzwerke und Projektideen stimulierten. Entscheidend ist dabei nicht unbedingt nur die architektonische Gestalt dieser Räumlichkeiten, sondern insbesondere auch die Möglichkeit, über diese Flächen verfügen, sie sich aneignen und in kreativer Weise für eigene Projekte nutzen zu können. Ohne derartige »Möglichkeitsräume« hätte die Aufbruchstimmung der Bewohner der ersten Stunde nicht die identitätsbildenden Initiativen hervorgebracht, die bis heute das nachbarschaftliche Leben in der HafenCity prägen. «

Abb. 2

Abb. 2

Neubau  HafenCity

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1 Wohnhaus am Kaiserkai 2 Harbour Hall

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Abb. 2 Aufteilung in Teilgebiete mit ganz unterschiedlichen Charakteristika Abb. 3 Lageplan, Maßstab 1:10 000 Abb. 4 Die beiden 2006 bezogenen Häuser waren die ersten Genossenschaftswohnungen in der HafenCity. Abb. 5 Grundriss 2. Obergeschoss, Maßstab 1:750 Abb. 3

HafenCity: Wohnhaus am Kaiserkai Architektur: pfp architekten, Hamburg Auftraggeber: Gemeinnützige Baugenossenschaft Bergedorf-Bille eG, Hamburg Fertigstellung: 2006 Grundstücksfläche: 2650 m2 Wohnfläche: 4100 m2 Wohneinheiten: 42 Mietwohnungen Sonstige Nutzungen: Gemeinschaftsraum Die Baugenossenschaft Bergedorf-Bille war das erste Unternehmen, das einen Genossenschaftsbau in der HafenCity realisierte. Zwei im Winkel zueinander stehende Einzelhäuser begrenzen einen gemeinsamen Hof. Es gibt keine Luxusapartments, sondern 42 Mietwohnungen mit flexiblen Grundrissen, die unterschiedlichen Wohnbedürfnissen gerecht werden. Während die Häuser zu den Nachbarbauten mit schlichten Lochfassaden eher geschlossen wirken, öffnen sie sich zum Hof und zum Wasser mit geschosshoch verglasten Loggien, denen Holzlamellen Schatten spenden. Allen Bewohnern steht im Erdgeschoss ein Gemeinschaftsraum zur Verfügung, den der Stadtsoziologe Marcus Menzl als zentrales Element für die Entwicklung des Stadtteils sieht: »Der von der Genossenschaft als sozialer Treffpunkt konzipierte Gemeinschaftsraum entwickelte sich schnell zur Keimzelle des nachbarschaftlichen Lebens der jungen HafenCity. Bewohner organisierten einen monatlichen Nachbarschaftstreff mit Vorträgen und Diskussionsrunden. Doch auch Spieleabende, Gymnastikrunden und das gemeinsame Mitfiebern bei Fußballübertragungen wurden bald zur Regel. Insbesondere aber erleichterte es der Raum den Nachbarn, weitergehende Initiativen zur sozialen Ausgestaltung des Stadtteils zu entwickeln: Im Gemeinschaftsraum wurden der lokale Sportverein gegründet oder Projekte wie ein Anwohnertrödelmarkt, eine Nikolausfeier und diverse Stadtteilfeste vorbereitet. Nicht zuletzt bot dieser Raum den Bewohnern die Möglichkeit, den Stadtteilverein Netzwerk HafenCity e. V. zu konzipieren, zu gründen und seither mit zahlreichen Arbeitsgruppen und Aktivitäten zu betreiben.« Der Erfolg dieser Anlage ermunterte die Genossenschaft zu weiterem Engagement in der HafenCity. So wird zum Beispiel 2015 am Lohsepark ein weiterer Wohnbau mit Kita, Gewerbeflächen und Gemeinschaftsraum entstehen. Die 58 familientauglichen Wohnungen, von den 15 öffentlich gefördert werden, planen Böge Lindner K2 Architekten.

Abb. 4

Abb. 5

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Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

HafenCity: Harbour Hall Architekten: APB. Architekten BDA, Hamburg Auftraggeber: DDS Unternehmen für Eigenheim- und Wohnungsbau GmbH Fertigstellung: 2006 Grundstücksfläche: 950 m2 Gesamtnutzfläche: 6650 m2 Wohneinheiten: 31 Lofts Die Lage des Gebäudes zwischen Hafenbecken und Speicherstadt veranlasste die Architekten zu einer baulichen Reminiszenz an Hamburgs Wasserstraßen, die Fleete. Anstatt den Raum zwischen zwei an Speicherbauten erinnernden Wohntrakten mit Wasser zu fluten, schufen sie eine transparente Mittelhalle mit Luftkissendach und einem Gewirk aus Treppen und Stegen. Dieser attraktive Binnenraum fördert nachbarschaftliche Begegnungen und ist über kleine, in die Halle auskragende Erker von den Wohnungen einsehbar. Menzl bewertet das Treppenhaus in der Harbour Hall als Ort des sozialen Lebens, denn »das ungewöhnlich großzügige Treppenhaus inspirierte die Bewohner zur Umwidmung dieser Verkehrsfläche zu einem Veranstaltungsort. Den Auftakt bildeten Konzerte im Treppenhaus: Nachbarn aus dem Gebäude selbst wie auch aus dem näheren Umfeld kamen zusammen, genossen die Akustik des besonderen Raums und tauschten sich über ihre neue Wohnsituation aus. Der Erfolg dieser Initiative motivierte einige Nachbarn zur Gründung des Vereins Kunstkompanie e. V., der den Anspruch hat, über das Treppenhaus hinaus den Stadtteil durch temporäre Initiativen oder Veranstaltungen in verschiedenen öffentlichen oder halböffentlichen Räumen in ein neues Licht zu rücken und auf diese Weise kulturell zu beleben. Das Treppenhaus bewährte sich auch in den Folgejahren als Ort sozialen Lebens, etwa bei der Veranstaltung von Nachbarschaftsfesten.« Die dem Backsteinbau vorgelagerten umlaufenden Balkone sind von allen Wohnräumen zugänglich und fungieren als gut genutzte Wohnraumerweiterung mit Blick auf den Sandtorhafen. Abb. 6 Abb. 6 Mittelhalle mit Treppen und Stegen Abb. 7 umlaufende Balkone mit Blick auf den Sandtorhafen

Abb. 7

Neubau  Stiftung Alterswohnungen

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Unabhängig und kostengünstig: Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich (SAW) Die Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich (SAW) wurde 1950 unter dem Namen »Wohnungsfürsorge für betagte Einwohner« gegründet und bietet kostengünstige, altersgerechte Wohnungen mit alltagsnahen, sozialen und pflegerischen Dienstleistungen an. Das Angebot richtet sich an Personen ab 60 Jahren und ermöglicht ein selbstbestimmtes, selbständiges Leben in der eigenen Wohnung bis ins hohe Alter. Das Durchschnittsalter der rund 2140 Mieter beträgt 78 Jahre. Aktuell befinden sich im Bestand der Stiftung 34 Siedlungen mit 2011 Wohnungen in allen Zürcher Stadtkreisen. Rund 80 % der Alterswohnungen sind subventioniert, wobei sich deren Miete nach den Vorgaben der kantonalen Wohnbauförderung richtet. Bestandteil der Mietkosten sind Grundleistungen, die der allgemeinen Sicherheit, der Wohnqualität und der Entlastung im Alltag dienen. Ergänzende Angebote wie Pflegedienstleistungen oder hauswirtschaftliche Hilfe können bei Bedarf bezogen werden. Die Stiftung vermietet in erster Linie Wohnungen an Personen mit geringen Einkommen. Um der stetig wachsenden Nachfrage an Alterswohnungen nachzukommen, entwickelte sie 2005 eine umfassende Baustrategie. Mit einem vielfältigen Neubauund Sanierungsprogramm erweitert sie nachhaltig ihre Angebote und trägt den veränderten Bedürfnissen der Senioren Rechnung. Der Bestand an 1-Zimmer-Wohnungen wurde von 70 auf 30 % reduziert und wird künftig maximal 15 bis 20 % betragen. Der Architekt Peter Kessinger ist in der Geschäftsleitung der SAW für die Weiterentwicklung der Baustrategie verantwortlich. Neben der Modernisierung des Bestands zählen für ihn Fragen der Kostenoptimierung zu den großen Herausforderungen, um weiterhin kostengünstige und attraktive Wohnungen für ältere Menschen bereitstellen zu können: »Was die Typologie der Alterswohnung angeht, ist das zentrale Thema, die Unabhängigkeit im Alter möglichst lang aufrechtzuerhalten. Baulich stellen wir seit jeher gute, zeitgemäße Wohnungen zur Verfügung. In unserer Pioniersiedlung Espenhof gab es in den 1950er-Jahren lediglich Gemeinschaftsbäder. Heute hat jede Neubauwohnung der SAW ein rollstuhlgerechtes Bad mit schwellenloser Dusche. Ebenso entsprechen die Einbauküchen aktuellen Standards. Die Stiftung schreibt jedes Bauprojekt als Architekturwettbewerb aus. Das unterstreicht einerseits den Anspruch an die Architektur und andererseits an die hohe Wohnqualität.« 2 Unteraffoltern Seebach Riedenhalden

Felsenrain

Grünwald

1 Hirzenbach

Frankental Waldgarten Sydefädeli

Werdhölzli

Helen Keller

Schaffhauserplatz Grünau 3

Letten Sihlquai

Feldblume Hardau

Buchlern Espenhof

Irchel

Scheuchzerstrasse Konradstrasse Feldstrasse

Erikastrasse

Gladbachstrasse Karl der Grosse Gattikerstrasse Seefeldstrasse

Friesenberg

Dufourstrasse

1 Siedlung Frieden 2 Siedlung Köschenrüti 3 Siedlung Krone Altstetten

Rebwies (Zollikon) Neubühl

bestehende Siedlung Neubauprojekt

Abb. 1

Mittelleimbach

Abb. 1 Die SAW betreut in Zürich insgesamt 33 bestehende Siedlungen. Drei befinden sich zur Zeit im Bau.

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Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

SAW: Siedlung Frieden Architekten: pool Architekten, Zürich Auftraggeber: Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich (SAW) Freiraumplanung: Appert & Zwahlen, Cham Grundstücksfläche: zwei Parzellen à 6000 m2 und 3000 m2 Gesamtnutzfläche: 7123 m2 Fertigstellung: 2013 Wohneinheiten: 93 Alterswohnungen mit 2 bis 3,5 Zimmern (45–89 m2) Gemeinschaftseinrichtungen: vier Gemeinschaftsräume, Wellnessbad, Waschküche Weitere Nutzungen: »Spitex«-Büro (»spitalexterne Hilfe und Pflege«), Kinderkrippe, ElternKind-Zentrum, Café, Hausmeisterwerkstatt Spezielle Angebote: alltagsnahe soziale und pflegerische Dienstleistungen, 24-StundenBereitschaftsdienst Der in den 2000er-Jahren stark gewachsene Stadtteil Affoltern im Norden von Zürich vollzog eine Transformation vom einst ländlich und industriell geprägten Vorort zum urbanen Wohngebiet. Die Siedlung Frieden wurde zu einem neuen lokalen Zentrum, in dem neben Alterswohnungen und den dazugehörigen Infrastrukturen auch eine Kinderkrippe, ein Eltern-Kind-Zentrum und ein Café untergebracht sind. pool Architekten erstellten drei Baukörper an der Wehntalerstrasse und einen weiteren an der Riedenhaldenstrasse mit insgesamt 93 Alterswohnungen, die sorgfältig in den städtebaulichen Kontext eingewebt wurden. Der Siedlungsteil an der Wehntalerstrasse entwickelt sich um einen öffentlichen Platz im Anschluss an das Restaurant »Frieden«, das noch an den alten Dorfkern erinnert und mit diesem ein Ensemble aus zwei Epochen bildet. Die Siedlungsstruktur ist durchlässig und stellt mit ihrem Netz an Wegen und Plätzen Verbindungen zu den angrenzenden Quartiersteilen in der durchgrünten Umgebung her. Der öffentliche Raum und daran angelaAbb. 2

Abb. 2 erweiterte Sockelzonen im Erdgeschoss mit vorwiegend öffentlichen Nutzungen Abb. 3 Lageplan, Maßstab 1:4000 Abb. 4 Grundriss Erdgeschoss mit Umgriff, Maßstab 1:750 Abb. 5 Die in der Höhe gestaffelten Baukörper erlauben freie Durchblicke in alle Richtungen. Abb. 3

Neubau  Siedlung Frieden

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Abb. 4

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zentraler Platz Spielwiese Büro / Lager »Spitex«-Betreuungsstützpunkt Wellnessbad Fahrrad-/Rollstuhlraum Büro / Werkstatt / Lager Waschküche Gartenzimmer Gemeinschaftsraum Gruppenraum Krippe Halle Kinderwagen Spielhof Küche Büro Krippe Café / Treffpunkt Bewegungsraum Kinderraum Ludothek Büro / Anlaufstelle Eltern-Kind-Zentrum Restaurant »Frieden« (Bestand)

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Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

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2. Obergeschoss

Dachgeschoss

3. Obergeschoss

Abb. 6

Abb. 6 Schnitt und Grundrisse, Maßstab 1:750 Abb. 7 Schnitte, Maßstab 1:750 Abb. 8 Eingangsbereich mit einfarbigen Fliesen Abb. 9 Warme Farbtöne dominieren in den Gemeinschaftsbereichen. Signaletik: Bringolf Irion Vögeli, Zürich

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Abb. 7

gerte publikumsintensive Nutzungen – wie die Kinderbetreuungseinrichtungen und das Café – sind in den ausladenden Sockelzonen untergebracht und klar von den Wohnungen in den Obergeschossen abgetrennt. Die unterschiedliche Charakteristik von öffentlichen und privaten Bereichen wird auch durch die Gestaltung der Oberflächen unterstrichen: Während Klinkerriemchen in der Sockelzone den Wänden eine robuste Haut verleihen, sorgt weißer Kratzputz an den Fassaden der Wohngeschosse für eine wohnliche Note. Eingangszonen mit Sitzgelegenheiten, an die unmittelbar die Waschküchen angrenzen, fördern Begegnungen und erleichtern die Kontakte, ohne ein zu enges Miteinander zu erzwingen.

Abb. 8

Die für ältere Menschen ausgelegten Wohnungen sind über Eck angeordnet und damit nicht nur gut mit Tageslicht versorgt, sondern bieten zudem Ausblicke in verschiedene Richtungen. Dies bringt insbesondere für weniger mobile Personen eine wichtige, die Wohnqualität erhöhende Abwechslung mit sich. Bei nur vier Wohnungstypen werden in den Punkthäusern durch Spiegelung der Grundrisse acht verschiedene Grundrissvarianten erzielt. Ein beidseitig nutzbares Schrankmöbel mit integrierten Schiebetüren zoniert die Grundrisse und ermöglicht eine Abtrennung der Schlafzimmer. Die auskragenden Balkone, deren mäandernde Anordnung ein Resultat der gespiegelten Grundrisse ist, bieten einen fast loggienartigen, geräumigen Außenraum, der von Wohn- und Schlafraum gleichermaßen zu betreten ist. Einen wichtigen Beitrag zum angenehmen Ambiente in der Siedlung leisten Farb- und Materialwahl. So gestaltete die Künstlerin Yasmina Belhassan Muster aus einfarbigen Fliesen in warmen Farbtönen in den gemeinschaftlichen Bereichen. Ein auch von ihr erworfenes Ornament findet sich sowohl auf dem metallenen Sichtschutz im Zugangsbereich des Kindergartens als auch auf den Markisen der Balkone und hat hierdurch identitätsstiftenden und gemeinschaftsbildenden Charakter.

Abb. 9

Neubau  Siedlung Köschenrüti

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SAW: Siedlung Köschenrüti Architekten: Bob Gysin + Partner BGP Architekten, Zürich Auftraggeber: Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich (SAW) Fertigstellung: 2014 Grundstücksfläche: 11 826 m2 Gesamtnutzfläche: 6336 m2 Wohneinheiten: 90 Alterswohnungen mit 2 bis 3,5 Zimmern (45–80 m2), 2 Pflege-Wohngruppen Weitere Nutzungen: »Spitex«-Büro (»spitalexterne Hilfe und Pflege«), Gemeinschaftsräume, Wellnessbad, Hausmeisterwerkstatt, Waschküche Spezielle Angebote: alltagsnahe soziale und pflegerische Dienstleistungen, 24-StundenBereitschaftsdienst Die Siedlung Köschenrüti im Quartier Seebach im Norden Zürichs beherbergt 90 Alterswohnungen der SAW sowie zwei Pflege-Wohngruppen für demenzkranke Menschen der Pflegezentren der Stadt Zürich (PZZ) in zwei winkelförmigen Baukörpern, die einen naturnah gestalteten Freiraum umschließen. Bei den die hohen ökologischen und energetischen Anforderungen des Minergie-Eco-Labels erfüllenden Gebäuden wurde durchwegs auf Reduktion gesetzt: nicht nur im Hinblick auf Energieverbrauch und die Umweltauswirkungen der verwendeten Materialien und Baustoffe, sondern auch beim Flächenverbrauch. Während in anderen neuen Alterssiedlungen Kleineinheiten mit weniger als 50 m2 die Ausnahme sind, beträgt in Köschenrüti ihr Anteil 40 %. Bei aller Beschränkung in der Fläche wurde bei der Planung der Wohnungen sowohl auf höchstmögliche Großzügigkeit als auch auf das Vorhandensein eines zweiten abgeschlossenen Raums Wert gelegt. Loggia oder Terrasse sind jeweils von Wohn- und Schlafzimmer aus zugänglich. Die rollstuhlgerechten Bäder wurden aus Gründen der Qualitäts- und Kostenoptimierung und Bauzeitersparnis als vorfabrizierte, fertig ausgebaute Nasszellen eingesetzt. Die allgemeinen Erschließungsbereiche charakterisiert eine Abfolge von engen und weiten Räumen. Ausgestattet mit Sitzgelegenheiten, von denen sich die Aussicht durch die großen Fensterflächen genießen lässt, bieten sie abwechslungsreiche Aufenthalts- und Begegnungszonen außerhalb der privaten vier Wände.

Abb. 10 Grundriss 2. Obergeschoss, Maßstab 1:1000 Abb. 11 Lageplan, Maßstab 1:8000 Abb. 12 Die Gebäudehöhen variieren zwischen drei und vier Geschossen. Abb. 13 Flure als Begegnungszonen

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Nachbarschaften – Wohnen im Quartier

SAW: Siedlung Krone Altstetten Architekten: von Ballmoos Krucker Architekten, Zürich Auftraggeber: Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich (SAW) Fertigstellung: 2011 Gesamtnutzfläche: 3224 m2 Wohneinheiten: 52 Alterswohnungen, 41 2-Zimmer-Wohnungen (55 m2), 11 3-ZimmerWohnungen (70 m2) Weitere Nutzungen: Gemeinschaftsraum, »Spitex«-Büro (spitalexterne Hilfe und Pflege), Hausmeister-Werkstatt, Wellnessbad, Waschküche Spezielle Angebote: alltagsnahe soziale und pflegerische Dienstleistungen, 24-StundenBereitschaftsdienst

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Abb. 14

Abb. 14 Lageplan, Maßstab 1:2500 Abb. 15 Wohn- und Schlafzimmer sind nach Süden ausgerichtet. Abb. 16 Schnitte, Maßstab 1:750 Abb. 17 Grundrisse, Maßstab 1:750 Abb. 18 geräumiger Balkon mit Blick über die Stadt Abb. 19 Erschließung über Laubengänge mit angrenzenden Wohnküchen Abb. 15

Neubau  Siedlung Krone Altstetten

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Abb. 16

Abb. 18

Die Siedlung ist Teil einer segmentierten, L-förmigen Bebauung, die neben 52 Alterswohnungen auch 42 Eigentumswohnungen eines privaten Bauträgers beherbergt. Dieselbe Architektursprache für beide Wohnformen betont die Einbindung des Altenwohnens in das Umfeld ganz besonders. Namensgebend für diese Neubausiedlung der SAW ist der benachbarte Gasthof »Krone«. Die Bebauung lässt dem denkmalgeschützten Ensemble aus Gasthaus und angrenzender Scheune Raum. So wurde die Freifläche mit Gastgarten und Kinderspielwiese zu einem attraktiven Ort der Begegnung im Zentrum des Stadtquartiers. Einer der Zugänge zur Alterssiedlung führt z. B. ganz nach der Devise »Begegnungen ermöglichen, aber nicht erzwingen« am Spielplatz vorbei. Das Eingangsfoyer liegt sowohl von der Straße als auch vom Hof zugänglich in einem niedrigen Zwischentrakt, der auch die Gemeinschaftseinrichtungen aufnimmt. Die Alterswohnungen werden über parkseitig gelegene Laubengänge erschlossen, die mit Brücken von den Wohnungen abgesetzt sind. In den nach Süden orientierten 2- und 3-ZimmerWohnungen (55 und 70 m2) bildet das Entree mit Essküche und Wohnbereich ein großzügiges Raumkontinuum. Ein verschiebbarer Schrank erlaubt eine individuelle Zonierung des Eingangsbereichs. Die mit Wandschränken ausgestatteten polygonalen Balkone sind sowohl vom Wohnbereich als auch vom Schlafzimmer aus begehbar. Eine große Schiebetür trennt diese beiden Räume bei Bedarf. 6

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1. Obergeschoss a

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Alterswohnungen Eigentumswohnungen Restaurant »Krone« Eingang Veranstaltungsraum Wellnessbad Wäscheannahme Waschküche »Spitex«-Büro

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Erdgeschoss Abb. 17

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Anhang

Komponenten generationengerechter Konzepte Generationengerechte Konzepte fokussieren nicht einzelne Handlungsfelder, sondern führen, einem integrativen Ansatz folgend, planerische, bauliche, soziale und unter Umständen auch pflegerische Aspekte unter Berücksichtigung der jeweilige Gebäude- und Siedlungstypologie (z. B. innerstädtisches Altbauquartier, Geschosswohnungsbau der 1950er- und 1960er-Jahre, Großwohnsiedlung der 1960er- und 1970er-Jahre oder Einfamilienhaussiedlungen) und der speziellen Bedürfnisse der Bewohner zu einem ortsspezifischen Konzept zusammen. Zu den einzelnen angesprochenen Punkten und den Planungsanforderungen des barrierefreien Bauens gibt es eine umfangreiche Literatur (siehe Literaturverzeichnis, S. 132f.). Teilbereiche

Bausteine

Handlungsfeld Wohnung Raumkonzept / Grundrissgestaltung

flexible, variable Anordnung der Räume (z. B. durch mögliche Zusammenlegung von Räumen, Raumverbindungen, Funktionstausch, Umorganisation der Nutzungen etc.) großzügige Aktionsradien (z. B. durch die Überlagerung von Bewegungsflächen) unterschiedliche Bewegungsabläufe berücksichtigende Anordung der Funktionsbereiche Anpassungsfähigkeit (durch möglichst geringfügige bauliche Maßnahmen) an wechselnde Bedürfnisse ausreichende Bewegungsflächen in allen Räumen (z. B. für eine zweite Person im Bad bei Unterstützungsbedarf in der Körperpflege) Zusammenfassen wesentlicher Wohnbereiche auf einer Ebene (bei Einfamilienhäusern oder mehrgeschossigen Wohnungen) unabhängige, kleine eigene Wohneinheit für heranwachsende Kinder, Gäste oder auch Pflegepersonal

Ausstattung

zeitgemäße Grundausstattung (Heizung und Sanitär) gut erreichbare und leicht zu öffnende Fenster gute Erreichbarkeit von Bedienelementen (Klingel, Steckdosen, Türgriffe, Türdrücker etc.) schwellenlose Wohnungseingangstür (z. B. absenkbare Bodendichtungen) Verwendung von Schiebe- oder Raumspartüren anstelle von Drehtüren (Innentüren) begeh- und befahrbare Schränke für Kleider, Wäsche und Geräte Optimierung der Möblierung (z. B. durch adaptierbare Küchensysteme, die bei Bedarf über eine unterfahrbare Arbeitsfläche und Spüle verfügen) leicht demontierbare Sanitärmöbel (z. B. Badewanne) anstatt fix mit dem Baukörper verbundener Elemente individuelle Wohnungsanpassung an besondere Bedürfnisse der Bewohner unter Berücksichtigung individueller Greifweiten und -höhen, reduzierter Muskelkraft etc. (z. B. Haltegriffe, Beleuchtung, zusätzliche Sitzflächen etc.) Einsatz neuer Technologien (z. B. Überhitzungsschutz bei Elektrogeräten, automatisches Abschalten von Geräten beim Verlassen der Wohnung)

Freibereich

schwellenlose Erreichbarkeit von Balkon, Loggia, Terrasse (Teil-)Überdachung und Witterungsschutz gegen Sonne, Wind und Regen Mindestgröße für einen Essplatz und Wendefläche Privatsphäre (optische Trennung)

Handlungsfeld Gebäude Hauseingang

barrierefrei erreichbarer, stufenloser Eingang ausreichende Beleuchtung (evtl. mit Bewegungsmelder, ausreichende Beleuchtungsintervalle) Witterungsschutz (z. B. Vordach) gut identifizierbarer Hauseingang gut lesbare Hausnummern- und Klingelbeschriftung durch Verwendung entsprechend großer Schrifttypen, die auch bei Dunkelheit gut lesbar sind, evtl. auch kontrastierende Farbgestaltung ausreichende Bewegungsflächen bodengleiche Schmutzfänger (um Stolperstellen zu vermeiden) Begegnungsmöglichkeiten im Eingangsbereich (z. B. durch Sitzmöglichkeiten) ausreichend breite, leicht bedienbare Eingangstüren (z. B. bedienfreundliche Türdrücker und -griffe, automatisierte Türantriebssysteme etc.) ausreichende Abstellflächen für das temporäre Abstellen von Fahrrädern, Kinderwagen oder Gehhilfen im Eingangsbereich Ablageflächen (z. B. für Einkaufstaschen)

Komponenten generationengerechter Konzepte

Teilbereiche

Bausteine

Erschließung: Treppenhaus, Flur, Lift

großzügige Erschließungsflächen und -wege (nicht auf gesetzliche Mindestmaße reduziert)

129

Informationstafel, Anschlagbrett etc. gut erreichbare Lichtschalter (bzw. Bewegungsmelder und ausreichende Beleuchtungsintervalle) stufenlose Erreichbarkeit des Lifts, der eine barrierefreie Erschließung aller Wohnungen ermöglicht ausreichende Bewegungsflächen vor den Wohnungseingangstüren angenehme Steigungsverhältnisse für eine sichere und bequeme Benutzung der Treppe (zur Förderung von Bewegung) Rampen eignen sich aufgrund des hohen Platzbedarfs nur zur Überwindung kleiner Höhenunterschiede. Treppenlifte (ggf. mit Rollstuhlplattform): Da es hier zu Fluchtwegeinschränkungen/-überschneidungen kommen kann, ist im Bestand der Platzbedarf zu prüfen bzw. im Neubau entsprechend einzuplanen. Hubplattformen können als Sonderaufzug halbgeschossig versetzte Wohnungen erschließen. Maßnahmen zur leichteren Orientierung (Stockwerksbezeichnungen etc.) Integration von Ruhe- oder Sitzmöglichkeiten in die Gestaltung Handläufe (griffsicher, evtl. beidseitig)

Nebenräume

gute Erreichbarkeit von Lager- und Abstellräumen, Müllraum etc. Abstellmöglichkeit für Rollstühle, Fahrräder, Rollatoren etc. Steckdose zum Laden der Batterie eines Elektrorollstuhls Wasch- und Trockenräume: Geräte auf einem Sockel in gut bedienbarer Höhe

soziale Interaktion / Service

Gemeinschaftsräume sollten an frequentierten und leicht zugänglichen Stellen platziert und attraktiv ausgestattet sein. Räume zur gemeinsamen Nutzung: multifunktionaler Aufenthaltsraum für Veranstaltungen, Cafeteria, Leseraum, Spielzimmer, Computerraum, Musikzimmer, Werkstatt oder Bastelraum etc. Gründung von Stockwerksgemeinschaften Gästewohnung gemeinschaftlich genutzte Dachterrassen Concierge / Hausmeister Verbesserung des Serviceangebots der Verwaltung Umzugsmanagement

Handlungsfeld Wohnumfeld und Quartier unterschiedliche Wohnangebote für verschiedene Zielgruppen

Vielfalt der Wohnungstypen und -größen erschwingliche / finanzierbare Wohnangebote unterschiedliche Wohnformen (z. B. Betreutes Wohnen, Wohngemeinschaften etc.) unterschiedliche Arten der Raumorganisation für alternative Formen des Zusammenlebens (z. B. Wohngemeinschaften)

Wohnraumanpassung

flexible Anpassungsmöglichkeiten an individuelle Bedürfnisse

Wohnberatung

Beratung bei individuellen und strukturellen Anpassungsmaßnahmen

soziale Infrastruktur

zentrale Beratungsstelle zur Koordination und Vermittlung von Diensten

kostengünstige Angebote zur Freizeitgestaltung

gesundheitsfördernde Freizeit- und Sportangebote für alle Altersgruppen (Fitnessclub etc.) Bildungsangebote quartiersbezogene Gemeinschafts- und Kultureinrichtungen altersübergreifende Sportangebote zur gezielten Verbesserung von Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit und Koordination Mittagstisch, der unter Umständen auch die Serviceleistung eines mobilen Essensdiensts ersetzen könnte und damit zugleich auch soziale Kontakte ermöglicht Spielangebote für unterschiedliche Altersgruppen (z. B. Ballspiel-, Kleinkinderspielplätze, Skaterbahn etc.), die teilweise auch bei Schlechtwetter genutzt werden können (überdachte Spielräume) Nachbarschaftsbibliothek Selbsthilfe- und Recyclingwerkstätten

130

Anhang

Teilbereiche

Bausteine

Förderung von Netzwerken gegenseitiger Unterstützung

Gründung von Nachbarschafts- und Bewohnervereinen für die Übernahme von ehrenamtlichen Arbeiten und Hilfsdiensten Unterstützung gemeinschaftlicher Wohnformen Betätigungsangebote für ehrenamtliches Engagement (z. B. Besuchsdienste, Unterstützung für andere, Organisation von Nachbarschaftsfesten, Gartenpflege etc.) »Nachbarschaftsläden«, die von Nutzervereinen entsprechend den Bedürfnissen der Bewohner betrieben werden Differenzierte Hilfs-, Betreuungs- und Pflegeangebote im Wohnquartier ermöglichen in temporären Krisen oder auch bei langfristigem Unterstützungsbedarf den Verbleib unterstützungsbedürftiger Personen unterschiedlicher Altersgruppen im bekannten unmittelbaren Wohnumfeld.

hauswirtschaftliche Unterstützungsleistungen und Alltagshilfsdienste

Angebot an haushaltsnahen Dienstleistungen (z. B. Wohnungsreinigung, Kleinreparaturen, Gartenpflege, Einkauf, Wäscheservice etc.), die von unterschiedlichen Akteuren angeboten und erbracht werden können (z. B. als erweiterte Hausmeistertätigkeit)

pflegerische Unterstützungsleistungen

Angebot an unterschiedlicher, bedarfsorientierter Hilfe und Pflege durch lokal tätige ambulante Pflegedienste »Pflegekerne« im Quartier (Sicherstellung von Tag-und-Nacht-Präsenz), z. B. Pflegevereine, deren Büro direkt in das Quartier integriert ist Integration von ambulant betreuten Pflegewohngruppen Integration von stationären Pflegeangeboten und geriatrischen Tageszentren

sonstige Unterstützungsleistungen

Begleitdienste (z. B. bei Behördengängen etc.)

Handlungsfeld öffentlicher Raum und Freiflächengestaltung Freiflächengestaltung

differenzierte und kleinteilige Gestaltung der Räume, die zum Aufenthalt und zur Bewegung im Freien anregt Mietergärten bzw. Gemeinschaftsbeete Möglichkeiten zur sozialen Interaktion (z. B. kleiner Pavillon) vielfältige Aktivitäts- und Ruhemöglichkeiten

visuelle Orientierung

Signale und Informationen entsprechend ihrer Wichtigkeit abstufen (Alarm- und Warnsignale, Informationen für Entscheidungen, unterstützende Informationen)

Beleuchtung

ausreichende, blendfreie und attraktiv gestaltete Beleuchtung für die visuelle Orientierung und für das subjektive Sicherheitsgefühl

sichere Fußwegverbindungen

Differenzierung zwischen Haupt- und Nebenwegen: Bei den Hauptwegen ist auf eine überschaubare, leicht erfassbare Wegeführung und -breite (für zwei Kinderwagen, Rollstühle, Rollatoren etc.) zu achten. möglichst geringe Quergefälle ebene und (auch bei Nässe) rutschfeste Beläge und Oberflächen Gehwege dürfen nicht durch parkende Fahrzeuge verstellt werden. Kombinationen aus Rampen und Treppen zur Bewältigung von Niveauunterschieden taktile Bereichsdifferenzierung durch unterschiedliche Strukturen und Texturen keine Hindernisse in Kopf- oder Brusthöhe, die mit einem Langstock nicht erfassbar sind (z. B. Werbeschilder, Briefkästen etc.)

Sitz- und Verweilmöglichkeiten

Treffpunkte und Kommunikationsräume sollten barrierefrei erreichbar sein. ausreichende Anzahl unterschiedlicher Sitz- und Verweilmöglichkeiten (z. B. Bänke, Mauern, Wände zum Anlehnen etc.) mit unterschiedlichen Standortqualitäten Sitzmöglichkeiten mit Tischen, die für Gruppenaktivitäten (z. B. Kartenspiele) geeignet sind öffentlich nutzbare, barrierefrei gestaltete Toilletten

Stellflächen für PKW, Fahrräder etc.

Besucherparkplätze ausreichend Fahrradabstellplätze reservierte Parkplätze für mobile Dienste (ggf. für mehrere Hauseingänge zusammengefasst)

Komponenten generationengerechter Konzepte

131

Handlungsfeld Mobilität Querungsmöglichkeiten im Straßenraum

Standortwahl: Abstimmung der Querungshilfen auf die Hauptwegeverbindungen im Quartier zur Vermeidung von Umwegen oberirdische Querungshilfen (z. B. Mittelinseln) zur Erleichterung der Überquerung stark befahrener, mehrspuriger Straßen Verbesserung der Querungsmöglichkeiten für Fußgänger und Radfahrer durch Ampelregelungen mit kürzeren Wartezeiten für Fußgänger und /oder längeren Räumzeiten für Fußgänger

öffentliche Verkehrsmittel (ÖPNV)

Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel sollten nahe gelegen (max. 300 m von der Wohnung bis zur Haltestelle) sein. stufenlose Zugangswege zu Haltestellen und Bahnsteigen Nutzungserleichterungen für bewegungseingeschränkte Personen (z. B. Niederflurfahrzeuge, Fahrstühle, automatische Türöffner und Rolltreppen) Witterungsschutz und Sitzmöglichkeit an der Haltestelle Übersichtliche und leicht erfassbare Informations- und Serviceangebote, da die Automatisierung des öffentlichen Verkehrs die Orientierung und Nutzung von Verkehrsmitteln (Fahrscheinkauf, Fahrplanlesen, Kennzeichnung von Bahnsteigen und Zügen etc.) erschwert. Zu einer guten Verfügbarkeit gehört auch die Taktung des ÖPNV und die Fahrpreisgestaltung (Fahrpreisvergünstigungen etc.).

Radverkehrinfrastruktur

gute Anbindung an das Radwegenetz

Handlungsfeld Mobilität und Nahversorgung Dienstleistungsangebot, das sich an dem konkreten Bedarf orientiert

Fahrradvermietung und -reparaturservice (auch für Elektrofahrräder) Autovermietungs- und Carsharingangebote Organisation von Transporten (z. B. Möbel etc.)

kommerzielle Infrastruktur (Versorgungsangebote von Gütern und Dienstleistungen in fußläufiger Entfernung)

Einzelhandelskonzepte zur Sicherung der Nahversorgung, da die Konzentration des Einzelhandels auf zentrale Standorte und die Zunahme überregional agierender Lebensmittelketten vor allem in den Gemeinden des ländlichen Raums, in kleineren Ortschaften im suburbanen Umfeld größerer Städte, aber auch in Stadtquartieren zu Versorgungslücken führt. Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs (Lebensmittelgeschäfte, Drogerie, Apotheke, Bank etc.) in fußläufig erreichbarer Umgebung (ca. 300 – 500 m) Güter und Dienstleistungen des wöchentlichen Bedarfs im Umkreis von ca. 1000 m Bring- und Lieferdienste von örtlichen Geschäften bzw. Warenlisten zur Bestellung (per Telefon, Fax, E-Mail) Zusammenschluss mehrerer Geschäfte zu Ladengemeinschaften Vernetzung von mehreren Dienstleistungen in einem Gebäude als zentraler Anlaufpunkt (Dienstleistungszentrum)

132

Anhang

Literatur

Alexander, Christopher u. a.: Eine Muster-Sprache – A Pattern Language. Städte – Gebäude – Konstruktionen. Wien 2010 Baumann, Dorothee u. a.: Wohnen 50 plus: Neue Qualitäten – Anforderungen – Fakten – Beispiele. Tübingen 2010 Becker, Annette u.a. (Hrsg.): Netzwerk Wohnen. Network Living. Architektur für Generationen. Architecture for All Generations. München 2013 Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung (Hrsg.): Stadt für alle Lebensalter. Wo deutsche Kommunen im demografischen Wandel stehen und warum sie altersfreundlich werden müssen. Berlin 2014 Bertelsmann Stiftung: Perspektiven für das Wohnen im Alter. Handlungsempfehlungen des Beirates »Leben und Wohnen im Alter« der Bertelsmann Stiftung. 2005 Bertelsmann Stiftung und Kuratorium Deutsche Altershilfe: Leben und Wohnen im Alter. Werkstatt-Wettbewerb Quartier. Bedarfsgerechte Wohnmodelle für die Zukunft. Dokumentation der ausgezeichneten Beiträge. Gütersloh 2005 Bertelsmann Stiftung und Kuratorium Deutsche Altershilfe: Leben und Wohnen im Alter. Ambulant betreute Wohngruppen. Arbeitshilfe für Initiatoren. Köln 2006 Beyerle, Mariette: Weiterbauen. Wohneigentum im Alter neu nutzen. Hrsg. von der Age-Stiftung. Basel 2010 http://www.weiterbauen.info/die-idee. Vorbemerkung Hans-Werner Wahl Bombach, Stefanie u. a.: Leitfaden zur Erstellung altersgerechter integrierter Konzepte in Kommunen. Berlin 2013 Bohn, Felix: Altersgerechte Wohnbauten. Planungsrichtlinien. Hrsg. von der Schweizer Fachstelle für behindertengerechtes Bauen. Zürich 2014 Böhme, Christa; Franke, Thomas; Wolter, Birgit: Alternsgerechte Quartiersentwicklung. Vorschläge für ein stadt(teil)entwicklungspolitisches Leitkonzept. In: PLANERIN 4/2014, S. 54–56 Brasse, Barbara; Klingeisen, Michael; Schirmer, Ulla: Alt sein – aber nicht allein. Neue Wohnkultur für Jung und Alt. Münster 1993 Brech, Joachim; Klingeisen, Michael; Schmidt, Peter; Späth, Martin: Integriertes Wohnen – Ein Modell für sozialen Wohnungsbau. Darmstadt 1994 Breuer, Bernd; Fuhrich, Manfred: Ältere Menschen und ihr Wohnquartier – Modellvorhaben des experimentellen Wohnungs- und Städtebaus. Bonn/Bad Godesberg 1991 Bucher, Hansjörg; Schlömer, Claus; Lackmann, Gregor: Die Bevölkerungsentwicklung in den Kreisen der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1990 und 2020. Informationen zur Raumentwicklung. Heft 3-4/2004 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Leitfaden Barrierefreies Bauen, Berlin 2014 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hrsg.): Stadtquartiere für Jung und Alt. Das ExWoSt-Forschungsfeld »Innovationen für familienund altengerechte Stadtquartiere«. Bonn 2007 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hrsg.): Stadtquartiere für Jung und Alt. Europäische Fallstudien. Sondergutachten im Rahmen des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus Forschungsfeld »Innovationen für familien- und altengerechte Stadtquartiere«. Werkstatt: Praxis. Heft 63/2009

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Literatur

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in Zeiten des längeren Lebens – Bestandsaufnahme und Perspektiven. Bericht 2009 Steffen, Gabriele; Baumann, Dorothee; Fritz, Antje: Attraktive Stadtquartiere für das Leben im Alter. Hrsg. von Weeber + Partner Institut für Stadtplanung und Sozialforschung. Stuttgart 2007 Steffen, Gabriele; Weeber, Rotraut; Baumann, Dorothee; Turan, Murat: Neue Qualitäten. Wohnen 50 plus. Anforderungen – Fakten – Beispiele. Hrsg. von Weeber + Partner Institut für Stadtplanung und Sozialforschung. Tübingen 2010 Wolter, Birgit: Beteiligung älterer Menschen in der Quartiersentwicklung. In: Lebensphase Alter gestalten – Gesund und aktiv älter werden. Forschung und Praxis der Gesundheitsförderung. Hrsg. von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Bd. 45. Köln 2013, S. 110 –116

134

Anhang

Normen, Richtlinien

Die EU hat für eine Anzahl von Produkten Richtlinien erlassen, um insbesondere Sicherheit und Gesundheit der Anwender zu gewährleisten. Diese Richtlinien müssen in den Mitgliedsstaaten in verbindliche Gesetze und Verordnungen umgesetzt werden. Die Richtlinien selbst enthalten keine technischen Details, sondern nur verbindliche grundlegende Anforderungen. Die technischen Werte dafür sind in zugeordneten technischen Regeln und in Form von europaweit harmonisierten Normen (EN-Normen) festgelegt. Allgemein stellen technische Regeln Arbeitshinweise und Hilfsmittel für den Arbeitsalltag dar. Sie sind keine Rechtsvorschriften, sondern geben Entscheidungshilfen, bilden eine Richtschnur für einwandfreies technisches Vorgehen und /oder konkretisieren Inhalte von Verordnungen. Grundsätzlich steht die Anwendung der technischen Regeln jedermann frei. Erst wenn diese in Gesetzen, Verordnungen oder Vorschriften vorgesehen sind, werden sie rechtsverbindlich (z. B. im Baurecht) – oder wenn vertraglich die Verbindlichkeit einzelner Normen zwischen den Vertragspartnern festgelegt wird. Zu den technischen Regeln gehören u. a. DIN-Normen, VDI-Richtlinien und die als Regeln der Technik bezeichneten Werke (z. B. Technische Regeln für Gefahrstoffe TRGS). Die Normen unterscheiden sich in Produkt-, Anwendungs- und Prüfnormen. Oftmals beziehen sie sich nur auf eine spezifische Material- oder Produktgruppe. Diesen Normen liegen entsprechende Prüf- und Rechenmethoden für die jeweiligen Materialien zugrunde. Grundsätzlich gilt immer die neueste Version einer Norm, die dem Stand der Technik entsprechen soll. Eine neue oder überarbeitete Norm wird in Form eines Normentwurfs öffentlich zur Diskussion gestellt, um später als Norm verabschiedet zu werden. Welchen Ursprung und Einflussbereich eine Norm hat, lässt sich aus ihrer Bezeichnung ersehen: DIN plus Zählnummer (z. B. DIN 4108) besitzt überwiegend nationale Bedeutung (Entwürfe werden mit E und Vornormen mit V gekennzeichnet). Bei DIN EN plus Zählnummer (z. B. DIN EN 335) handelt es sich um die deutsche Ausgabe einer europäischen Norm, die unverändert von der europäischen Normungsorganisation CEN übernommen wurde. Bei DIN EN ISO (z. B. DIN EN ISO 13 786) spiegelt sich der nationale, europäische und weltweite Einflussbereich wider. Auf Grundlage einer Norm der internationalen Normungsorganisation ISO wurde eine europäische Norm erarbeitet, die als DIN-Norm übernommen wurde. Bei DIN ISO (z. B. DIN ISO 2424) handelt es sich um eine unveränderte Übernahme einer Norm der ISO als nationale Norm. Die nachfolgende Zusammenstellung ist eine Auswahl von Verordnungen, Richtlinien und Normen, die den Stand der Technik wiedergibt (August 2015). Verbindlich sind immer nur die Normblätter mit dem neuesten Ausgabedatum des DIN (Deutsches Institut für Normung e. V.).

Deutschland DIN 18 040-1 Barrierefreies Bauen. Planungsgrundlagen. Teil 1: Öffentlich zugängliche Gebäude. 2010-10 DIN 18 040-2 Barrierefreies Bauen. Planungsgrundlagen. Teil 2: Wohnungen. 2011-09

Bildnachweis

DIN 18 040-3 Barrierefreies Bauen. Planungsgrundlagen. Teil 3: Öffentlicher Verkehrs- und Freiraum. 2014-12 DIN 18 034 Spielplätze und Freiräume zum Spielen – Anforderungen für Planung, Bau und Betrieb. 2009-12 DIN 32 975 Gestaltung visueller Informationen im öffentlichen Raum zur barrierefreien Nutzung. 2009-12 DIN 32 984 Bodenindikatoren im öffentlichen Raum. 2011-10 DIN 32 984 Berichtigung 1. Bodenindikatoren im öffentlichen Raum. 2012-10 DIN 32986. Taktile Schriften und Beschriftungen – Anforderungen an die Darstellung und Anbringung von Braille- und erhabener Profilschrift 2015-01 DIN 77 800 Qualitätsanforderungen an Anbieter der Wohnform »Betreutes Wohnen für ältere Menschen«. 2006-09 DIN ISO 3864-3 Grafische Symbole – Sicherheitsfarben und Sicherheitszeichen. Teil 3: Gestaltungsgrundlagen für grafische Symbole zur Anwendung in Sicherheitszeichen. 2012-11 DIN-Fachbericht 124 Gestaltung barrierefreier Produkte. 2002 DIN SPEC 91 280 Technikunterstütztes Leben (AAL) – Klassifikation von Dienstleistungen für Technikunterstütztes Leben im Bereich der Wohnung und des direkten Wohnumfelds. 2012-09 VDI 6000 Richtlinienreihe »Ausstattung von und mit Sanitärräumen« VDI 6008 Blatt 1 Barrierefreie Lebensräume – Allgemeine Anforderungen und Planungsgrundlagen VDI 6008 Blatt 2: Barrierefreie Lebensräume – Möglichkeiten der Sanitärtechnik. 2012-12

Schweiz SIA 500 Hindernisfreie Bauten. 01-2013 SN EN 12 464-1 Licht und Beleuchtung – Beleuchtung von Arbeitsstätten. Teil 1: Arbeitsstätten in Innenräumen. 2013-06 SN EN 81-70/A1, Sicherheitsregeln für die Konstruktion und den Einbau von Aufzügen – Besondere Anwendungen für Personen- und Lastenaufzüge – Teil 70: Zugänglichkeit von Aufzügen für Personen einschließlich Personen mit Behinderungen. 2014-12 Richtlinie der Schweizer Lichtgesellschaft (SLG) 104:2014 d Alters- und sehbehindertengerechte Beleuchtung im Innenraum

Österreich ÖNORM B 1600 Barrierefreies Bauen. Planungsgrundsätze. 2013-01 ÖNORM B 2607 Spielplätze – Planungsgrundlagen. 2014-07 ÖNORM EN 81-70 Zugänglichkeit von Aufzügen für Personen einschließlich Personen mit Behinderungen. 2005-05 ÖNORM V 2102-1 Technische Hilfen für sehbehinderte und blinde Menschen – Taktile Bodeninformationen. 2003-06 ÖNORM V 2105 Technische Hilfen für sehbehinderte und blinde Menschen – Tastbare Beschriftungen und Informationssysteme. 2011-11

Allen, die durch Überlassung ihrer Bildvorlagen, durch Erteilung von Reproduktionserlaubnis und durch Auskünfte am Zustandekommen des Buches mitgewirkt haben, sagen die Autoren und der Verlag aufrichtigen Dank. Sämtliche Zeichnungen in diesem Werk sind eigens angefertigt. Fotos, zu denen kein Fotograf genannt ist, sind Autoren- bzw. Architektenaufnahmen, Werkfotos oder stammen aus dem Archiv der Zeitschrift DETAIL. Trotz intensiven Bemühens konnten wir einige Urheber der Abbildungen nicht ermitteln, die Urheberrechte sind jedoch gewahrt. Wir bitten in diesen Fällen um entsprechende Nachricht. Die Zahlen beziehen sich auf die Abbildungsnummern.

Umschlag: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden

Vorwort S. 8/9, Abb. 1 BBSR Bonn (Volker Schmidt-Seiwert). Datenbasis: laufende Raumbeobachtung Europa/ räumliche Grundlage: Regionen NUTS 2 2010

Essay S. 10 Abb. 1 Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kunstgeschichte, Münster S. 12, Abb. 3 Quelle: Statistisches Bundesamt: Alleinlebende in Deutschland – Ergebnisse des Mikrozensus 2011. Wiesbaden 2012, S. 12, 13 S. 13, Abb. 6 aus: Harlander, Tilman (Hrsg.): Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven. Ludwigsburg/München 2007, S. 72 S. 14, Abb. 7 aus: Posener 1982, S. 43 S. 15, Abb. 8 aus: Posener 1982, S. 45 S. 16, Abb. 9 aus: Faller, Peter: Der Wohnungsgrundriss. München 2002. S. 17 S. 18, Abb. 12 aus: Reppé, Susanne: Der Karl-MarxHof – Geschichte eines Gemeindebaus und seiner Bewohner. Wien 1993, S.34 S. 18, Abb. 13 aus: Architekturzentrum Wien (Hrsg.): Architektur in Österreich. Basel/Boston/Berlin 2006 S. 19, Abb. 14, 15 Statistisches Bundesamt, Wiesbaden S. 20, Abb. 16 Doreen Ritzau, Dessau-Rosslau S. 20, Abb. 17 Bernd Hiepe, Berlin S. 21, Abb. 18 BBSR Bonn (Claus Schlömer, Volker Schmidt-Seiwert). Datenbasis: laufende Raumbeobachtung des BBSR-ROP/räumliche Grundlage: Kreise 2012 S. 22, Abb. 19 BBSR Bonn (Thomas Pütz, Claus Schlömer). BBSR-Bevölkerungsprognose 2009 –2030/ROP S. 23, Abb. 21 Ballonteam Norbert Blau S. 23, Abb. 22 Wolfgang Krammer S. 25, Abb. 23, 24 Herta Hurnaus, Wien S. 26, Abb. 25, 26 Ruedi Walti, Basel S. 27, Abb. 27 Rob Hoekstra, Kalmthout S. 29, Abb. 29 Gerhard Hagen/poolima, Bamberg S. 33, Abb. 32 frei raum concept S. 33, Abb. 33 Tilman Harlander, Stuttgart S. 38, Abb. 37 Hiroyuki Hirai, Tokio S. 39, Abb. 38 nach: Kreuzer 2008, S. 88

Normen, Richtlinien | Bildnachweis | Autorenviten | Dank

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Autorenviten

S. 39, Abb. 40 Wolfram Janzer/artur, Essen S. 40, Abb. 41 a Samsung SDI/Visualisierung: renderwerkstatt.at S. 44, Abb. 44 Jens Kirchner, Düsseldorf S. 45, Abb. 45 Herta Hurnaus, Wien S. 46, Abb. 47 Olivia Woodhouse S. 47, Abb. 48 Auböck + Kárász, Wien

Hausgemeinschaften – gemeinsam Wohnen S. 53, Abb. 3 Hertha Hurnaus, Wien S. 54, Abb. 4 Gfreihalter/Wikipedia S. 55, Abb. 5 Margheritta Spiluttini, Wien S. 55, Abb. 6 Martin Putschögl S. 57, Abb. 2 roedig.schop S. 58, Abb. 3 roedig.schop S. 59, Abb. 6 roedig.schop S. 60, Abb. 7 roedig.schop S. 61, Abb. 9, 10 A&W Studios/Urs Welter S. 62, Abb. 3 Michael Egloff, Zürich S. 63, Abb. 4 Roger Frei, Zürich S. 64, Abb. 6 Katrin Simonett, Zürich S. 64, Abb. 7 Michael Egloff, Zürich S. 65, Abb. 8, 9 Michael Egloff, Zürich S. 67, Abb. 2 Hannes Henz, Zürich S. 68, Abb. 3 Hannes Henz, Zürich S. 69, Abb. 6 Hannes Henz, Zürich S. 69, Abb. 7 Kurt Lampart S. 70, Abb. 8, 9, 10 Hannes Henz, Zürich S. 71, Abb. 12 Andreas Gabriel, München S. 72, Abb. 13, 14 Andreas Gabriel, München S. 73, Abb. 18 Eduard Hueber Archphoto Inc. NY S. 74, Abb. 19 Eduard Hueber Archphoto Inc. NY S. 75, Abb. 2 Martin Stollwerk, Zürich S. 76, Abb. 3 Martin Stollwerk, Zürich S. 76, Abb. 4 Genossenschaft Kalkbreite, Zürich S. 77, Abb. 6 Genossenschaft Kalkbreite, Zürich S. 77, Abb. 7 Claudia Fuchs, München S. 78, Abb. 8, 9 Volker Schopp S. 79, Abb. 11 Martin Stollwerk, Zürich

Nachbarschaften – Wohnen im Quartier S. 83, Abb. 2 Adrià Goula Sardà, Barcelona S. 84, Abb. 3 Baroquine, Katrin Arfmann 2013 S. 85, Abb. 4, 5 realities:united, Berlin S. 86, Abb. 7 Claudia Dreyße, Dortmund S. 87, Abb. 9 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2009, S. 116 S. 90, Abb. 1 degewo S. 90, Abb. 2 Zeichnung/degewo S. 91, Abb. 3 Tina Merkau S. 92, Abb. 5, 6 Lichtschwärmer/Christo Libuda S. 95, Abb. 9, 10 Lichtschwärmer/Christo Libuda S. 96, Abb. 12 Lichtschwärmer/Christo Libuda S. 97, Abb. 13 Lotse/Wikipedia S. 97, Abb. 14 Jens Rötzsch S. 99, Abb. 17 Bilderbuch Köln/abracus S. 102, 103, Abb. 2 aus: Arbeitsgemeinschaft Futurafrosch und Duplex Architekten, Zürich, und baugenossenschaft mehr als wohnen: Häuser im Dialog. Zürich 2010, S. 12,13, 26 S. 102, Abb. 3 Kafi Freitag, www.mehralskunst.ch

S. 104, Abb. 6 Ursula Meisser, Zürich S. 105, Abb. 8a, b, c Johannes Marburg, Genf S. 105, Abb. 10 Andrea Helbling, Arazebra, Zürich S. 106, Abb. 12 Wohnbaugenossenschaft wagnis eG S. 107, Abb. 14, 15 Rudolf Hassenstein, München S. 109, Abb. 3 Wolfgang Thaler, Wien S. 110, Abb. 6, 7 Wolfgang Thaler, Wien S. 111, Abb. 9 Wolfgang Thaler, Wien S. 112, Abb. 10 Wolfgang Thaler, Wien S. 113, Abb. 13 g.o.y.a. Ziviltechniker GmbH S. 114, Abb. 1 Paul Ott, Graz S. 115, Abb. 3, 4 Paul Ott, Graz S. 116, Abb. 5 Paul Ott, Graz S. 117, Abb. 1 ELBE&FLUT, Quelle: HafenCity Hamburg GmbH S. 118, Abb. 2 Illustration: Michael Korol, Quelle: HafenCity Hamburg GmbH S. 119, Abb. 4 ELBE&FLUT/Thomas Hampel S. 120, Abb. 6 Oliver Christ S. 120, Abb. 7 APB. Architekten S. 121, Abb. 1 Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich S. 122, Abb. 2 Thomas Madlener, München S. 123, Abb. 5 Thomas Madlener, München S. 124, Abb. 8, 9 Andrea Helbling, Arazebra, Zürich S. 125, Abb. 12, 13 Dominique Marc Wehrli, La Chaux-de-Fonds S. 126, Abb. 15 Georg Aerni, Zürich S. 127, Abb. 18, 19 Georg Aerni, Zürich

Christiane Feuerstein Christiane Feuerstein ist Architektin in Wien und arbeitet an Projekten, Publikationen, Vorträgen und Ausstellungen zu Themen des Wohnbaus, der Stadterneuerung, der Quartiersplanung und den Konsequenzen des soziodemografischen Wandels für Architektur und Städtebau. 1999–2003 Lehrtätigkeit an der Universität für angewandte Kunst in Wien, seit 2005 als Lehrbeauftragte an der FH Joanneum in Graz.

Franziska Leeb Franziska Leeb ist freiberufliche Architekturpublizistin und -vermittlerin in Wien. Regelmäßig Beiträge in Fachmedien, Konzeption und Moderation von Symposien, Workshops etc. 1996–2003 Mitarbeiterin bei der Tageszeitung »Der Standard«, seit 2006 Architekturkritiken für das »Spectrum« der Tageszeitung »Die Presse«, freie Mitarbeiterin bei architektur.aktuell. Seit 2015 Chefredakteurin der Zeitschrift KONstruktiv.

Dank Wir danken allen Gesprächs- und Interviewpartnern, sowie den Bewohnerinnen und Bewohnern, die mit ihren Erfahrungen, Hinweisen und Statements wesentlich zur Entstehung dieser Publikation beigetragen haben. Für die Erstellung der Karten zur demografischen Entwicklung in Europa und Deutschland (Seite 8/9, 21/22) danken wir Volker Schmidt-Seiwert vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Dem Team des DETAIL Verlags München danken wir für die anregenden Diskussionen, dem kritischen Blick und das große Engagement bei der Erstellung des Buchs.

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Anhang

Partner

Autoren und Verlag danken den folgenden Partnern für die Förderung der Publikation: