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German Pages 176 [166] Year 2013
Klaus Bartels
Geflügelte Worte aus der Antike Woher sie kommen und was sie bedeuten
Die Kolumnen dieser Sammlung sind grösstenteils zuvor unter der Rubrik „Geflügelte Worte“ in der Zeitsri „Antike Welt“ ersienen. Mit Ausnahme der Zitate auf Seite 28 f. (Horaz / Golo Mann), Seite 123 (Carmina Burana / Carl Fiser) und Seite 124 f. (Horaz / Christoph Martin Wieland) stammen die Übersetzungen vom Verfasser.
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Meiner Frau Annee unicae optimae
Zugvögel aus der Antike Geflügelte Worte, zumal diese von weither uns zugeflogenen Zugvögel aus der Antike, sind allemal ihrem Nistplatz entflogene Worte; sie tragen kein Ringlein am Fuss, auf dem ihre „Stelle“ mit Autor und Werk, Bu und Kapitel, Paragraph und Vers punktgenau verzeinet wäre. Wer seine Rede nit ab ovo beginnen, sondern glei in medias res gehen will, denkt nit daran und sert si nit darum, dass er mit diesem „ab ovo“ und diesem „in medias res“ Horazens poetise Epistel „Über die Poetik“ zitiert; wer ein Diskussionsvotum mit einem taktvoll lateinis iffrierten „Si tacuisses …“ quiiert, denkt nit daran, dass dieser Zwisenruf dem Spätwerk des gelehrten Boëthius, dem „Trost der Philosophie“, und einem grausam harten Psyo-Test auf stoise Unersüerlikeit entflogen ist. Viele dieser geflügelten Worte haben si früh aus ihren ursprünglien Bezügen gelöst und in einem langen Zitiergebrau neue, o allgemeinere Bedeutung angenommen. Catos ständig wiederholtes „Ceterum censeo …“ ist heute, mehr als zwei Jahrtausende na dem Untergang Karthagos, zum Wort für jedwede unbeirrbare Beharrlikeit geworden; Horazens epikureiser Imperativ „Carpe diem!“ findet si allenthalben au jenseits aller Horazkennersa im Sinne jedweden gegenwartsfrohen Lebensgenusses zitiert. Bei einem „Heureka!“ denkt maner no an Arimedes – aber was hae der geniale Gelehrte damals eigentli gefunden, was war das für ein Geistesblitz, der ihn „nat“ aus dem Bad na Hause stürmen liess? 7
Die hier gesammelten, grösstenteils zuvor in der Zeitsri „Antike Welt“ ersienenen Kolumnen zitieren die geflügelten Worte mitsamt ihrem „Kontext“ im bustäblien und im weiteren Sinne; sie betraten die Nistplätze und besreiben die Flugrouten, sie bezeinen die Rastplätze und verfolgen die vielerlei Irrflüge und Federwesel. Juvenals Empfehlung für ein vernüniges, reueloses Beten, „dass da sei ein gesunder Geist in einem gesunden Leib“, hat si auf der Berliner Hasenheide zu der fris-fromm-fröhli-freien Turnerdevise „Mens sana in corpore sano“ gemausert; Senecas biere Sulkritik „Nit für das Leben, sondern für die Sule lernen wir“ hat si in ebendieser Sule in die söne Sulmoral „Non solae, sed vitae discimus“ verkehrt. Au das vielzitierte „Alea iacta est“ ist derart verquer in die Irre geflogen; Caesars Ruf am Rubikon bedeutet ja gar nit „Der Würfel ist gefallen“, wie er durweg verdolmetst wird; er deutet vielmehr auf das unwiderruflie Wagnis des Wurfs. Ausgewählt ist das Interessante, Beziehungsreie, Gesits- und Gesitenträtige, au einiges Jüngere und weniger Geläufige. Die Texte der „Antike Welt“-Kolumnen sind für die Buausgabe nomals durgesehen und vielfa erweitert worden. Die bis heute auf grieis zitierten geflügelten Worte „Heureka!“ und „Panta rhei“ sind unter diesem grieisen Titel präsentiert und in die alphabetise Folge eingereiht, die übrigen unter ihrer jeweils „geflügelten“ lateinisen oder deutsen Version. Das Register verzeinet die sämtlien unter eigenem Titel besproenen oder im Vorübergehen angesproenen Worte mitsamt den übrigen mehr oder weniger geläufigen Versionen. Die Stellennaweise sind im Anhang zusammengestellt. Dem traditionsreien Verlag Philipp von Zabern und seinem Leiter Dr. phil. Jürgen Kron gilt hier aufs neue der grosse Dank des Autors für das treue verlegerise Engagement und die anspreende Bugestaltung. Zu dem Naslagewerk des 8
„Veni vidi vici“ hat si mit der Sammlung dieser 49 Kolumnen zu einzelnen Worten ein eigentlies „Lese“-Bu gesellt. „Si, quod adest, gratum iuvat …“: So hat Horaz seinen Sutzgo Merkur einmal um glülies Gedeihen für seine Herden im Sabinisen gebeten (vgl. Seite 124), und unter dieser so sönen wie sliten Condicio darf der Kilberger Ornithophilologe zu guter Letzt au diesen „Geflügelten Worten“ einen glülien Flug und viele „Birdwater“ wünsen. Kilberg am Zürisee, 15. Mai 2013
Klaus Bartels
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Inhalt Ab ovo …, in medias res Alea iacta est Amicorum communia sunt omnia Ars latet arte sua Aurea mediocritas Carpe diem! Ceterum censeo … Citius, altius, fortius Der springende Punkt Dimidium facti, qui coepit, habet Dominus providebit Dulce est desipere in loco E pluribus unum Erkenne di selbst! Et tu, Brute? Gib mir einen Punkt, wo i stehen kann … Habent sua fata libelli Hannibal ante portas Heureka! Homo homini lupus Homo sum, humani nil a me alienum puto I weiss, dass i nits weiss In hoc signo vinces Labor omnia vincit Manum de tabula! Nulla dies sine linea! Suster, bleib bei deinem Leisten! Mens sana in corpore sano
13 16 19 22 25 28 31 34 37 40 43 46 49 52 55 58 61 64 67 70 73 76 79 82 85
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Na uns die Sintflut! Natura non facit saltus Noli turbare circulos meos! Nomen est omen Non solae, sed vitae discimus Omnia mea mecum porto Panta rhei Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes Quis custodit custodes? Principiis obsta! Quod non fecerunt barbari, fecerunt Barberini Rota Fortunae Si, quod adest, gratum iuvat … Si tacuisses … Tempora tempore tempera! Ubi bene, ibi patria Urbi et orbi Ut moriens viveret, vixit ut moriturus Vare, redde legiones! Veni, vidi, vici Vita brevis, ars longa
118 121 124 127 130 133 136 139 142 145 148
Lebensdaten der zitierten Autoren
151
Stellennaweise
155
Register der geflügelten Worte
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91 94 97 100 103 106 109 112 115
Ab ovo …, in medias res
Wo, wann und wie hat der Trojanise Krieg angefangen? Mit der Ausfahrt der grieisen Floe von Aulis und ihrer Landung vor Troja, als Protesilaos als erster an Land sprang? Mit der Entführung der Helena, als Paris ihr auf der Insel Kythera begegnete und sie ihm na Troja folgte? Mit dem Parisurteil, als die Liebesgöin dem trojanisen Königssohn die sönste Frau verspra und Paris sie dafür zur Miss Olymp erwählte? Auf der Hozeit des Peleus und der Thetis, als die Streitgöin Eris den goldenen Zankapfel mit der Aufsri „Der Sönsten“ in den Göersaal warf? Oder no viel früher, mit der Einkehr des Göervaters Zeus bei der spartanisen Königin Leda und der Geburt der Helena – denn wie häe es ohne diese Miss World zum Krieg um ebendiese Miss World kommen sollen? In seinem poetisen Lehrbrief „Über die Poetik“ rühmt Horaz „ihn, der nits ungesit anpat“, den grossen Homer: Der lasse den Trojanisen Krieg nit umständli „von dem Zwillings-Ei her“ seinen Anfang nehmen – „… nec gemino bellum Troianum orditur ab ovo …“ –, sondern eile immer dem Ausgang entgegen und reisse den Hörer „mienhinein in die Dinge“ mit si fort, nit anders, als wenn diese son bekannt wären – „… semper ad eventum festinat et in medias res / non secus ac notas auditorem rapit …“ Das „Zwillings-Ei“ deutet auf die Geburt der Helena: Der Verwandlungskünstler Zeus war in Swanengestalt zu Leda gekommen; diese hae darauf, zoologis duraus stimmig, zwei Swanen-Eier geboren oder sagen wir do ruhig: gelegt, und aus dem einen Ei waren die Zwillinge Kastor und Polydeukes geslüp, aus dem anderen die namals so söne, viel umworbene Helena. Zweiflern zeigte man in Sparta, im Tempel der Leukippiden, ein soles „Ei der Leda“; no im 2. Jahrhundert n. Chr. hat Pausanias es 13
dort mit allerlei Bändern umwielt an der Dee aufgehängt gesehen. Ja, wahrhaig: Häe Homer den Krieg um Troja derart „gemino … ab ovo“, von diesem Zwillings-Ei der Leda an, von einer Episode zur anderen besingen wollen und häe er seine Hörer nit eilends mit dem Fluss der Erzählung „in medias res“, „mittenhinein in die Dinge“, mit si fortgerissen, er wäre kaum je zu seinem tragisen Epos vom Zorn des Ailleus im zehnten, letzten Kriegsjahr durgekommen. Ein spätantiker Metriker namens Atilius Fortunatianus bezeugt uns, dass Horazens bildhae Wendung im Laufe der Jahrhunderte au jenseits aller poetisen und rhetorisen Kunstregeln in dem allgemeinen Sinne „von Anfang an“ geläufig geworden war: „Altius et ab ovo mihi, quod aiunt, repetenda res est“, ru er si selbst zurü: „I muss weiter ausholen und vom Ei an, wie man sagt, die Sae darlegen“. Seither sind diese beiden geflügelten Worte, dieses „ab ovo“ und das bei Horaz glei darauf folgende „in medias res“, ihrem poetisen Biotop vollends entflogen. Wenn heute ein Redner die beruhigende Zusierung voraussit, er wolle nit „ab ovo“, sozusagen mit der Ersaffung der Welt, beginnen, sondern glei „in medias res“ gehen, glei zur Sae kommen, so heisst das no lange nit, dass er seine Vortragskünste an Horazens „Ars poetica“ gesult hat. Aber es ist do hübs zu sehen, wie diese beiden aus dem gleien Nistplatz, dem gleien Horazisen Zwillings-Ei, aufgeflogenen Worte einander im rhetorisen Zitiergebrau einer Captatio benevolentiae, einer „Vereinnahmung des Wohlwollens“ der Hörersa, so nah geblieben sind. Wir haben hier mit dem alten Grieen Homer und dem alten Römer Horaz ganz unhorazis „ab ovo“ angefangen; Kurt Tuolsky geht in seinen „Ratslägen für einen sleten Redner“ gut horazis „in medias res“: „Fang nie mit dem Anfang an, sondern immer drei Meilen vor dem Anfang! Etwa so: ,Meine Damen und meine Herren! Bevor i zum Thema des 14
heutigen Abends komme, lassen Sie mi Ihnen kurz …‘ Fang immer bei den alten Römern an und gib stets, wovon du au sprist, die gesitlien Hintergründe der Sae. … Du hast ganz ret: Man versteht es ja sonst nit, wer kann denn das alles verstehen, ohne die gesitlien Hintergründe … sehr ritig! … Paul Lindau hat einmal einen dieser gefürteten Hozeitstoaste so angefangen: ,I komme zum Sluss.‘“ Au wir kommen hier zum Sluss und merken nur no ganz kurz an, dass ein zweites gleifalls geflügeltes und gleifalls Horazises „ab ovo“, das dem ersten wie ein Ei dem anderen ähnli sieht, mit diesem Swanen-Ei der Leda nits, rein gar nits zu saffen hat, ausser dass es au da um einen Anfang geht. Bei diesem zweiten „ab ovo …“, „vom Ei an …“, heisst die Fortsetzung über den Verssprung hinweg „… usque ad mala“, „… bis zu den Äpfeln“, und dieses zweite geflügelte Wort verweist einfa auf ein langes Lukullises Menu vom ersten bis zum letzten Gang, will bedeuten: auf irgendeine lange Gesite vom Anfang bis zu ihrem Slusspunkt.
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Alea iacta est
Im Morgengrauen des 11. Januar 49 v. Chr. ist der Rubikon an der Adriaküste halbwegs zwisen Ravenna und Rimini zum spriwörtlien Fluss of No Return geworden. Das smale Flüssen markierte die Grenze zwisen Caesars galliser Provinz und dem freien Italien und an diesem Tag zuglei die Grenze zwisen kaltem Matpoker und heissem Bürgerkrieg. Am 7. Januar 49 v. Chr. hae der Senat das senatus consultum ultimum, den „äussersten Senatsbesluss“, gegen Caesar verhängt: „Die Konsuln … mögen sehen, dass der Staat keinen Saden nehme.“ Diese Narit erreite Caesar in Ravenna wohl am 10. Januar. Der Caesarenbiograph Sueton beritet: „Nadem Caesar die Kohorten unverzügli heimli vorausgesit hae, besute er, um keinen Verdat zu erregen, seinbar müssig ein öffentlies Sauspiel, betratete die Pläne zu einer Gladiatorensule, die er bauen wollte, und widmete si wie gewohnt einem Essen in grossem Kreis. Dann, na Sonnenuntergang, liess er Maultiere aus einer nahen Mühle vor einen Wagen spannen und slug mit kleinerem Gefolge einen versteten Seitenweg ein. Da er die Liter hae lösen lassen, kam er vom Wege ab; na langem Umherirren fand er endli gegen Morgen, als si ein Führer fand, auf smalsten Trampelpfaden zu Fuss wieder hinaus. Als Caesar die am Rubikon haltenden Kohorten erreite, verharrte er einen Augenbli, und indem er überslug, wele Umwälzungen er da auslöse, wandte er si zu den Näststehenden: ,Selbst jetzt‘, sagte er, ,können wir no zurü; do wenn wir dieses Brüen da übersrien haben, wird fortan alles mit den Waffen auszufeten sein.‘“ Sueton verklärt die Szene dur die Wundererseinung eines unversehens am Ufer auretenden über Mensenmass 16
grossen Flötenspielers, der einem Signaltrompeter die Tuba entreisst und siegverheissend mit einem kräigen Trompetenstoss zum anderen Ufer hinübersreitet: „Darauf rief Caesar: ,Gehen wir, wohin die Zeien der Göer und das Unret der Feinde uns rufen: Iacta alea est (esto)! – Geworfen ist (sei) der Würfel!‘“ Au Plutar verweilt in seiner Caesarbiographie bei diesem Augenbli der Entseidung: „Als Caesar den Rubicon erreite, kamen ihn Bedenken an; er stand nun unmielbar vor der ungeheuren Tat, und ihn swindelte vor der Grösse des Wagnisses. Er liess den Zug anhalten; lange überdate er, in si selbst versunken, sweigend seine Entseidung, das Für und Wider abwägend, und wendete seine Entslüsse in dieser Zeit no viele Male hin und her. Lange erörterte er sie au mit den Freunden in seinem Gefolge und überslug, wieviel Unglü für die Mensheit von diesem Sri ausgehen werde, und weles Urteil darüber sie der Nawelt wohl hinterlassen würden. Sliessli riss er si mit einer leidensalien Aufwallung von den Bedenken los, dem Kommenden entgegen, und spra das Wort all jener, die si auf ungewisse Sisale und Wagnisse einlassen: ,Anerríphtho kýbos!‘ – ,Aufgeworfen sei der Würfel!‘“ Mit diesem Wort zitierte Caesar einen geflügelten Halbvers seines Lieblingsditers Menander, und dies, wie Plutar in seiner Biographie des Pompeius ausdrüli festhält, im grieisen Original. Um das Wort ret zu verstehen, müssen wir uns den Wandel des Würfelgestus vor Augen stellen: Wir werfen den Würfel ohne viel Theater aus der Hand auf den Tis; der mielalterlie Landsknet swenkte ihn im Knobelbeer herum, knallte ihn damit auf den Spieltis und hob sliessli den Beer auf; der antike Würfelspieler warf den Würfel ho in die Lu auf, so dass das Auge seinem Auffliegen und Herabfallen no gespannt folgen konnte. Dur Sueton ist Caesars Ruf in lateiniser und in deutser Version zum geflügelten Wort geworden, do dies in arger Entstellung, Verflaung und Verkehrung. Die Entstellung betri 17
den Wortlaut: Die genaue lateinise Übersetzung des grieisen Ausrufs müsste ja sta des bei Sueton überlieferten „Iacta alea est“, „Geworfen ist der Würfel“, ritig „Iacta alea esto!“, „Geworfen sei der Würfel!“, lauten; so hat Erasmus in seiner Basler Sueton-Ausgabe von 1518 die Überlieferung beritigt. Die Verflaung betri die Wortstellung: In unserem Zitiergebrau hat si die Suetonise, dem Grieisen nagebildete Version „Iacta alea est (esto)!“, „Geworfen ist (sei) der Würfel!“, zu einem spannungslosen „Alea iacta est“, „Der Würfel ist geworfen“, abgeflat. Und die Verkehrung betri die Übersetzung: Wider das simpelste Sullatein, wona das lateinise Verb iacere, iacio, ieci, iactum „werfen“ und nit „fallen“ bedeutet, hat si im Deutsen sta des korrekten „… ist (sei) geworfen“ die plaerdings false, das einprägsame Bild verfälsende Version „Der Würfel ist gefallen“ durgesetzt. Menanders Vers und Caesars Ruf meinen ja nit die unabänderlie Entseidung des Zufalls über die Eins und die Ses, über Seitern und Gelingen, die bustäbli mit dem Würfel „fällt“, sondern die voraufgehende geradeso unwiderruflie, aber ganz und gar nit zufällige Entseidung des Spielers für das Wagnis des Wurfs, für das Spiel mit dem Glü. Das Wort gilt dem Moment, da der Spieler den Würfel aus seiner Hand entlässt, da er das Wagnis des Wurfs nit mehr zurünehmen kann. Gefallen sind die Würfel, die Caesar im Morgengrauen jenes 11. Januar 49 v. Chr. dort am Rubikon bis an die Sterne ho emporgeworfen hat, erst Jahre später in den Bürgerkriegsslaten bei Pharsalus, Thapsus und Munda, und einer no an den Iden des März 44 v. Chr.
Vgl. die beiden anderen Caesarworte „Veni, vidi, vici“, unten Seite 145, und „Et tu, Brute?“, unten Seite 55. 18
Amicorum communia sunt omnia
Auf die Frage, was ein Freund sei, soll Aristoteles einmal erwidert haben: „Eine einzige Seele, die in zwei Körpern wohnt.“ Da klingt ein grieises Spriwort an, das Aristoteles au in den Freundsasbüern seiner „Nikomaisen Ethik“ mehrfa zitiert: Ein Freund sei ein „állos“ oder ein „héteros autós“, ein „anderes“ oder ein „zweites Selbst“, oder, wie es im Lateinisen heisst, ein „alter ego“, ein „zweites I“. Dieser alten Formel steht in der Antike ein entspreendes, fast möte man sagen: befreundetes Spriwort zur Seite. Auf grieis lautet es „Koiná ta ton phílon“, „Gemeinsam, Gemeingut ist, was Freunden gehört“, auf lateinis „Amicorum communia sunt omnia“, „Was Freunden gehört, ist alles gemeinsam, alles Gemeingut“, und die deutse Version ist hier ausnahmsweise einmal die knappste und kargste von allen: „Freundesgut Gemeingut“. Der Freund ein „zweites I“, unter Freunden „alles Gemeingut“: Das verhält si zueinander wie das Sein zum Haben. Das erste dieser knappen Worte hebt die Grenze dessen auf, was einer ist: die Sranke zwisen dem unverweselbaren I und dem ebenso unverweselbaren Du; das zweite hebt die Grenze dessen auf, was einer hat: die Sranke zwisen dem unantastbaren Mein und dem ebenso unantastbaren Dein. Kein Wunder, dass zumal die zweite dieser paradoxen Freundsasformeln über alles Persönlie hinaus au politise Brisanz gewonnen hat, in der Antike in Platons Staatsutopie mit ihrer son damals anstössigen Güter-, Frauen- und Kindergemeinsa und in der Gegenwart im marxistis-leninistisen Kommunismus des 20. Jahrhunderts mit ihren volkseigenen Betrieben. In seinem „Phaidros“ hat Platon dieses „Koiná ta ton phílon“, „Gemeingut ist, was Freunden gehört“, zum wegweisenden 19
Slusswort des Dialogs gemat; in seinem letzten Werk, den späten „Gesetzen“, hat er es als ein altehrwürdiges Spriwort und als ein massgebendes Leitwort für seinen utopisen Staatsentwurf ins Feld geführt: „Der vorzügliste Staat ist der, und die vorzügliste Verfassung und die vorzüglisten Gesetze bestehen dort, wo immer das seit alters geläufige Wort im ganzen Staat so weit irgend mögli zur Tat geworden ist: Man sagt do, dass wirkli und wahrhaig gemeinsam ist, was Freunden gehört.“ Über die Menandrise Komödie der „Adelphoí“, der „Brüder“, und ihre lateinise Version, die Terenzisen „Adelphoe“, ist das bereits im Grieisen geflügelte Wort um die Mie des 2. Jahrhunderts v. Chr. den Römern zugeflogen. Da beklagt si der eine Bruder, der autoritäre Demea, bei dem anderen, dem liberalen Micio, über die – wie er meint – ungebührlie Einmisung des Bruders in die – wie der wieder meint – allzu strenge Erziehung seines Sohnes: „Wenn i mi nit um deinen Sohn kümmere, dann kümmere du di au nit um meinen!“, und Micio pariert den Hieb mit der entwaffnenden Parade: „Das ist do ein altes Spriwort: dass unter Freunden alles Gemeingut ist – communia esse amicorum inter se omnia.“ Die reie Zitiergesite dieses weitherzigen Wortes, die in der römisen Welt mit diesem Komödienzitat beginnt und über die klassisen Philosophen Cicero und Seneca bis zu den spätantiken Kirenvätern Ambrosius und Hieronymus hinüberreit, gipfelt in der frühen Neuzeit in den Erasmianisen „Adagia“. Son in der ersten, im Säkularjahr 1500 in Paris ersienenen Ausgabe seiner stupenden Zitatensammlung, die in der Folge zu gut drei und sliessli zu gut vier „Adagiorum Chiliades“, „Zitaten-Tausendsaen“, anwasen sollte, hat Erasmus das altehrwürdige Spriwort als ein „glüverheissendes Zeien“ zum Eröffnungswort erhoben: „Amicorum communia sunt omnia, Unter Freunden ist alles gemeinsam, ist alles Gemeingut: Kein anderes Spriwort stiet 20
so viel Heilsames, und keines wird so viel gerühmt wie dieses; darum will i meine Sammlung mit ihm als einem glüverheissenden Omen beginnen. Wäre dieses Wort so fest in unseren Herzen verwurzelt, wie es uns allen loer und leit über die Lippen kommt, wahrhaig: Von dem grössten Teil der Übel wäre unser Leben dann entlastet.“
Vgl. „Homo sum, humani nil a me alienum puto“, unten Seite 73. 21
Ars latet arte sua
In der kleinen Kunstgesite am Ende seiner grossen „Naturgesite“ sildert Plinius der Ältere einen denkwürdigen Malerwestreit zwisen den grossen Meistern Zeuxis und Parrhasios, der zuglei ein Westreit der Kunst mit der Natur ist. Als Zeuxis sein Wekampfstü enthüllt, kommen die Vögel geflogen, um an seinen gemalten Trauben zu pien. Stolzgeswellt fordert er seinen Kollegen auf, do endli den Vorhang vor seinem Wekampfstü wegzuziehen, da trump Parrhasios auf: der Vorhang sei ja nur gemalt und sei eben sein Wekampfstü. „Et besämt“ gibt Zeuxis si geslagen: Er selbst habe ja nur die Vögel, sein Konkurrent dagegen einen Zungenossen getäust. Von der klassisen Antike bis in die Renaissance und zur Trompe-l’œil-Malerei der späteren Neuzeit ist der Westreit der Kunst mit der Natur ein stehendes, immer wieder variiertes Thema geblieben. In der zauberhaen Legende von Pygmalion, dem Künstler, der si in seine elfenbeinerne Mädenstatue verliebt und mit seiner Liebe das Kunstwerk zum Leben erwet, hat Ovid die klassise Formel für dieses Widerspiel von Kunst und Natur geprägt. „Mit wunderbarer Kunst und glülier Hand“, „mira feliciter arte“, sagt er da, habe Pygmalion das Elfenbein gebildet und ihm eine Gestalt verliehen, „wie eine Frau von Natur keine gesaffen werden kann“, „qua femina nasci nulla potest“, und weiter: „Ganz einem wirklien Mäden gleit sie; du glaubst fast, sie lebe, ja sie wolle, verböte die Seu es nit, eben si rühren …“ Und darauf folgt das so grossartig slite Wort, das der Leser der Legende nur zu leit überliest und do, sobald er das heim22
lie Verstespiel der Kunst in eben dieser selben Kunst einmal erfasst hat, nit leit wieder vergisst: „Ars adeo latet arte sua“, „So tief verbirgt si die Kunst dur ihre eigene Kunst“, und wir mögen zuglei verstehen: „… in ihrer eigenen Kunst“. „Du glaubst fast, sie lebe …“: Da denkt der Freund Vergils an die „weier gebildeten atmenden Bronzen“, „spirantia mollius aera“, und die „lebendigen dem Marmor abgewonnenen Mienen“, „vivos … vultus“, die der alte Anises in seiner prophetisen Rede im 6. Bu der „Aeneis“ den grieisen Künstlern zuerkennt, und da denkt der Freund von Roms spreenden Steinen zuglei an Raffaels Grabinsri im Pantheon. Da heisst es zunäst in Prosa: „cuius spirante(i)s prope imagines si contemplere, naturae atque artis foedus facile inspexeris“, „wenn du seine nahezu atmenden Bilder betratest, kannst du ein Bündnis der Natur und der Kunst leit daraus ersehen“, und darauf folgt Pietro Bembos Epigramm, das dieses „Bündnis“ überrasend ins Grandiose und Fatale übersteigert: „ILLE HIC EST RAPHAEL TIMUIT QUO SOSPITE VINCI RERUM MAGNA PARENS ET MORIENTE MORI „Der hier: Raffael ist’s, der die Söpfernatur, da er lebte, fürten liess seinen Sieg, und da er starb, ihren Tod.“ In diesem Spiegelkabine von Natur und Kunst, in dem Sein und Sein si verwirrli hinüber und herüber spiegeln, gibt si au die kosmetise Kunst ein Stelldiein. Im drien, dem sönen Geslet gewidmeten Bu seines „Leitfadens für Liebende“ besliesst Ovid den Katalog der vielerlei kunstvoll arrangierten Frisuren mit einem geradeso kunstvoll arrangierten Derangement: „Au vernalässigt steht das Haar vielen: O glaubst du, es liege so no von gestern, do nein: Eben erst ist es gekämmt. Zufall seine die Kunst – Ars casu similis …“ 23
Und dazu fügt si zu guter Letzt die rhetorise Kunstregel, die der Rhetorikprofessor Quintilian in seinem klassisen Lehrbu der Redekunst speziell für das Plädoyer vor Gerit empfiehlt. Gerade mane stilistis und rhythmis aufs Sorgfältigste ausgefeilte und memorierte Partien solle der Redner so täusend unsier, so raffiniert stoend vortragen, als wären sie aus dem Stegreif gesproen: „Es soll ganz so wirken, als seien wir no im Nadenken begriffen, als suten wir die Worte erst no, die wir do perfekt formuliert und memoriert mitgebrat haben.“
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Aurea mediocritas
„Ritiger lebst du, Licinius, wenn du weder auf das hohe Meer ständig hinausdrängst no, während du zagha vor den Stürmen sauderst, allzu nah di herandrängst ans tüise Ufer. Wer das goldene Mielmass wertsätzt, bleibt sier weitab vom Verfall eines herabgekommenen Hauses, weitab, nütern, von einem den Neid erregenden Königspalast“, „Auream quisquis mediocritatem diligit, tutus caret obsoleti sordibus tecti, caret invidenda sobrius aula.“ Ein Bild aus der Seefahrt, von Klippen und Stürmen, ein anderes Bild von Hüe und Palast; ohne Umsweife rät Horaz einem – uns nit weiter bekannten – Licinius glei zu Anfang dieser Ode, dieses Liedes, zu einem „ritigeren Leben“ zwisen den Extremen, zu einem mileren Kurs zwisen raushaem Hohinaus-Wollen und zaghaem Si-Zurünehmen. „Medio tutissimus ibis“, wird Ovid etwas später den Sonnengo seinen Sohn Phaëthon mahnen lassen, als der si anheisig mat, den Sonnenwagen zu lenken: „In der Mie gehst du am siersten.“ Wie in dem vielzitierten „Carpe diem“, so hat Horaz in der spannungsreien, zugespitzten Prägung „Aurea mediocritas“ einen traditionsträtigen, bedeutungssweren grieisen Gedanken aufgenommen und leitbeflügelt in den siebenten Zitatenhimmel aufsteigen lassen. Zwei jahrhundertealte lakonis knapp gefasste Sprüe der Sieben Weisen waren da vorausgeflogen: das unter dem Namen eines Kleobulos von Lindos auf Rhodos laufende „Métron áriston!“, „Das – rete – Mass ist 25
das Beste!“, und das meist dem Athener Solon zugesriebene „Medén ágan!“, „Nits zu sehr, nits im Übermass!“ Ein drittes, zwei Jahrhunderte jüngeres Wort zu Ehren der Mie sei hier no angeführt. Im 4. Jahrhundert v. Chr., auf halber Stree zwisen den Sieben Weisen und Horaz, hat Aristoteles als erster zwisen den „Reien“ und den „Armen“ einen drien Stand der „Mileren“ bezeinet und diesen bis heute so benannten „Mielstand“ als den eigentli staatstragenden Stand gewürdigt: „Die im Überfluss von allen Glüsgütern leben, von Stärke, Reitum, Freunden und anderen solen Gütern, sind weder willens no fähig, si einer Herrsa zu fügen … Die dagegen im Übermass Mangel leiden an alledem, sind allzu unterwürfig. So sind die einen nit fähig, irgendeine Herrsa auszuüben, sondern allenfalls, si einer knetenden Herrsa zu unterwerfen, die anderen nit fähig, si irgendeiner Herrsa zu fügen, sondern allenfalls, eine herrise Herrsa auszuüben. Daraus kann nur ein Staat von Kneten und Herren werden, nit einer von freien Bürgern, nur ein Staat, in dem die einen mit Missgunst und Neid, die anderen mit Geringsätzung auf die Gegenseite sehen … Daraus geht klar hervor, dass die beste Bürgersa diejenige ist, die si über einen breiten Mielstand erstret …“ „Öer“, fährt Horaz in jener strenggebauten, bilderreien Ode fort, „wird die gewaltige Pinie von den Stürmen gesüttelt, horagende Türme fallen mit swererem Fall zu Boden, und die Blitze treffen die hösten Spitzen der Berge. Es erho in widrigen, es fürtet in glülien Zeiten das andere Gesi ein gut im voraus gerüstetes Herz. … Nit, wenn es jetzt slet steht, muss es au später so sein. … In bedrängter Lebenslage zeige di mutvoll und tapfer; weise wirst du, als ebenderselbe, bei allzu günstigem Winde die swellenden Segel einziehen.“ Das lateinise Adjektiv mediocris und die daraus gewonnene mediocritas haben nits Herabsetzendes an si, sie bezeinen 26
eine unentsiedene Mielstellung zwisen dem einen und dem anderen oder ein angemessenes Mielmass zwisen einem Zuviel und einem Zuwenig. Sade, dass unsere Fremdwörter „medioker“ und „Mediokrität“ und ihre Lehnübersetzungen „mielmässig“ und „Mielmässigkeit“ ins Absätzige abgeglien sind; selbst der Höhenflug dieser klassisen „Aurea mediocritas“, genau: dieser „Goldenen Mielmässigkeit“, hat das deutse Wort davor nit bewahren können. Der spätantike Rhetor und Diter Ausonius sprit einmal beiläufig von einer „temperata et, quae vocatur, aurea … mediocritas“, einem „ausgeglienen und, wie es genannt wird, goldenen Mielmass“, und bezeugt damit die spriwörtlie Geläufigkeit der Horazisen Prägung. In der neuzeitlien Umgangssprae ist aus dem „goldenen Mielmass“ zwisen den entgegengesetzten Extremen von „Hüe“ und „Palast“ das ansaulie Bild eines „goldenen Mielwegs“ geworden. Da hat wohl die bekannte lehrhae Legende von Herakles am Seidewege hineingewirkt; do hier weist kein Wegweiser hüben die breite, verloende Strasse zum Laster und drüben den steilen, steinigen Weg zur Tugend hinüber; den „goldenen Mielweg“ des „goldenen Mielmasses“ müssen wir allemal selbst neu suen und finden.
Vgl. „Si, quod adest, gratum iuvat …“, unten Seite 124. 27
Carpe diem!
Im späten 5. Jahrhundert v. Chr. hat der Sophist Antiphon als erster dazu aufgerufen, das Leben im Heute zu leben: „Es gibt Mensen, die das gegenwärtige Leben nit leben, sondern si mit viel Eifer erst no darauf vorbereiten, als ob sie irgendein anderes küniges Leben leben sollten, nit dieses gegenwärtige, und währenddessen geht unvermerkt die Zeit vorüber.“ In der Folge haben si die Epikureisen Lebenskünstler den lebensfrohen Appell des alten Sophisten zu eigen gemat, und im späten 1. Jahrhundert v. Chr. hat der Römer Horaz dem Leben im Hier und Heute die kurze, anspreende Ode gewidmet, aus deren Slussvers si das geflügelte „Carpe diem“ in die hösten Sphären des Zitatenhimmels aufgeswungen hat: „Tu ne quaesieris, scire nefas, quem mihi, quem tibi finem di dederint, Leuconoe, nec Babylonios temptaris numeros. Ut melius, quidquid erit, pati. Seu plures hiemes seu tribuit Iuppiter ultimam, quae nunc oppositis debilitat pumicibus mare Tyrrhenum: Sapias, vina liques, et spatio brevi spem longam reseces. Dum loquimur, fugerit invida aetas: Carpe diem quam minimum credula postero.“ Golo Mann hat das Gedit im Versmass übersetzt: „Niemals frage du na, Wissen bringt Flu, wann denn wohl mir, wohl dir Göer den Tod bestimmt, Leuconoë, au babylonise Zahlen lass unversut. Besser ist’s do, sisalergeben zu sein. 28
Ob der Winter no viel Jupiter senkt oder den letzten au, der dem Tyrrhenisen Meer rings um den Fels eben die Wasser wühlt: Du sei weise, mein Kind, pflege den Wein, gib in der kurzen Frist langer Hoffnung nit Raum. Reden wir no, flütet die neidise Zeit für immer davon. Freue di heut. Traue dem Morgen kaum.“ Dort ein unwirtlies Draussen, wo si die anbrandenden Wogen an den ausgehöhlten Uferfelsen breen, hier ein geborgenes Drinnen, wo Horaz bei einer – uns nit weiter bekannten – Leuconoë zu Gast weilt. Ein knapper Hinweis deutet auf den Wein und das Sieb, ihn durzuseihen; alles Übrige bleibt im Dunkeln. Ist da Liebe im Spiel? Wer weiss; vielleit deutet das fein verbindende „quem mihi, quem tibi …“ am Anfang au nur auf das gemeinsame Mensenlos. Wie der Bli der beiden aus dieser geborgenen Zweisamkeit bei einem Beer Wein auf die raue Brandung und das graue, unruhige Meer hinausgeht, so sweifen die Gedanken der Frau in eine dunkle, ungewisse Zukun hinaus, die au die „babylonisen Zahlen“ der Winkelastrologen nit erhellen können. Ihren Sorgen und Ängsten gilt das Wort des Diters: at asklepiadeise Langverse mit ihren jeweils drei kurzen Versgliedern. Ein entspreend kurz angebundener Ton zieht si da von dem brüsk einsetzenden „Tu ne quaesieris …“, „Du frage nit …“, über ein fast unwilliges „Ut melius …“, „Wieviel besser ist’s do …“, und ein besänigendes „Sapias …“, „Sei do vernünig …“, bis zu unserem knappen, aufmunternden „Carpe diem!“, wörtli am ehesten: „Ergreif den Tag!“, hindur. Die Botsa ist deutli: die im eigentlien Wortsinne „vorhandene“, handgreifli gegebene Glüsance des gegenwärtigen Tages nit an ungewisse, irrliternde Zukunsängste oder Zukunsträume zu verlieren. Aber wie das übersetzen? Das 29
lateinise carpere, das eigentli das „Pflüen“ von Blüten und Früten bezeinet, do öer au wie hier für ein entsiedenes Zugreifen gebraut wird, verströmt no einen Hau von Blütendu. Aber der ist im Deutsen nit wohl einzufangen; ein pseudo-treues „Pflüe den Tag!“ wäre do allzu künstli. Der in seinen – wenigen – Horazübersetzungen sonst so wortgetreue Golo Mann nimmt si hier die Freiheit, aus allem „Pflüen“ und „Greifen“ vollends auszubreen, und sreibt getrost „Freue di heut!“ Er hat es getroffen. Ein halbes Jahrtausend na dem Sophisten Antiphon hat der Moralist Seneca das alte Paradox des an die Zukun verlorenen Lebens zur gesliffenen Pointe eines Briefes gemat: „An vielen Mensen ist das Leben son vorübergegangen, während sie no die Ausrüstung für dieses Leben zusammensuten. Mustere sie einzeln jeden für si, betrate sie alle miteinander: Da ist keiner, dessen Leben nit aufs Morgen blite. Was daran Übles sei, fragst du? Ein unendlies. Denn diese Mensen leben ja gar nit, sondern haben nur erst vor zu leben. Alles sieben sie auf. Selbst wenn wir alle Kräe anspannten, liefe das Leben uns denno davon; jetzt aber läu es, während wir säumen, gleisam wie ein fremdes an uns vorüber und wird am letzten Tag beendet, an jedem verloren – nunc vero cunctantes quasi aliena transcurrit et ultimo die finitur, omni perit.“
Vgl. „Tempora tempore tempera!“, unten Seite 130. 30
Ceterum censeo …
„Ceterum censeo …“: War da nit etwas mit Karthago und dem alten Zensor Cato? Ja, allerdings: Als 17jähriger hae dieser Cato im 2. Punisen Krieg erlebt, wie Hannibal in den Slaten am Trasimenisen See und bei Cannae 217 und 216 v. Chr. „das italise Land zerfleiste und quälte“, als 82jähriger war er wohl 152 v. Chr. an der Spitze einer Senatsdelegation na Karthago gekommen, um einen kriegerisen Konflikt der unter Kuratel gestellten Erzfeindin mit dem Numiderkönig Massinissa zu sliten. Es war sein erster Augensein in der na dem römisen Sieg bei Zama 202 v. Chr. bedrohli wieder erstarkten Stadt. Son vorher hae Cato si für einen drien und letzten Punisen Krieg ausgesproen; nun plädierte er umso entsiedener, umso hartnäiger für ein rases, hartes Eingreifen. Plinius der Ältere und Plutar in seiner Biographie beriten von einem effektvollen Gag: Wie versehentli habe Cato im Senat, als er seine Toga zurüslug, ein paar frise Feigen fallen lassen und den verwunderten Senatoren zugerufen: „Lasst eu das sagen: Erst vor drei Tagen sind diese Feigen in Karthago gepflüt worden; so nahe haben wir den Feind vor unseren Mauern!“ Catos politiser Gegenspieler Publius Cornelius Scipio Nasica, der gleifalls an jener Senatsdelegation na Karthago teilgenommen hae, mate dagegen geltend, die Legitimation für einen „gereten“ Krieg gegen Karthago sei no nit gegeben. Plutar bezeinet als den wahren Grund des Widersprus, Scipio Nasica habe dem Frevelmut, der „Hybris“, des von seinem Erfolg verwöhnten, über die Stränge slagenden eigenen Volkes mit dem Fortbestand der mätigen Rivalin jenseits des Mielmeers einen „zütigenden Zaum“ anlegen wollen. 31
Wie mehrfa beritet, fügte Cato bei der Umfrage in Senat, ganz glei, worum es gerade ging, seinem Votum regelmässig no den Zusatzantrag bei, dass Karthago nit bestehen bleiben dürfe. Und Scipio spielte mit: Im Gegenzug hängte au er, wenn die Reihe an ihn kam, seinem Votum zum Traktandum regelmässig no den Gegenantrag an, dass Karthago allzeit fortbestehen solle. Plutar zitiert Catos Zusatzantrag in grieiser Version: „Dokeí de moi kai Karedóna me eínai“, „I stimme aber au dafür, dass Karthago nit bestehen bleiben darf“. Und bei dem etwas jüngeren Gesitssreiber Florus lesen wir: „In unversöhnliem Hass erklärte Cato immer wieder, Karthago müsse zerstört werden, und dies regelmässig au, wenn über etwas anderes beraten wurde“, „Inexpiabili odio delendam esse Carthaginem, et cum de alio consuleretur, pronuntiabat“. Das wirkte: 149 v. Chr., kurz vor Catos Tod, erklärte Rom der alten Rivalin den Krieg, und drei Jahre später, 146 v. Chr., wurde die Stadt vollständig zerstört. Das geflügelte „Ceterum censeo Carthaginem esse delendam“ ist uns so nit zugeflogen; es ist eine Rekonstruktion oder, um im Bild zu bleiben, eine Rüzütung. Das vorausgesite „Ceterum …“, „Im Übrigen …“, erinnert daran, dass es si hier um einen stereotypen, an irgendeinen anderen Antrag zu irgendeiner anderen Sae angehängten Zusatzantrag handelte, und das Plutarise, im grieisen Polit-Jargon geläufige „Dokeí moi …“, wörtli: „Es seint mir …, I stimme dafür …“, in dem Plutarisen Zitat führte zu dem entspreenden im römisen Senat gebräulien „Censeo …“, „I sätze …, I stimme dafür …“ Mit diesem „Ceterum censeo …“ vorneweg liess si Cato nun au im lateinisen Originalton zitieren. In den Lateinsulen des 19. und 20. Jahrhunderts ist dieses „Ceterum censeo Carthaginem esse delendam“ seither wie das jüngere, möglierweise eigens für den Sulgebrau ausgeprägte „De gustibus non est disputandum“ zum Standardbeispiel für das berütigt swierige Gerundivum geworden. Aber seinen Aufstieg zum geläufigen, ja geflügelten Zitat und seine Auf32
nahme in den Bümannsen „Zitatensatz des deutsen Volkes“ von 1864 verdankte dieses Wort wohl nit nur einem weitreienden, weitherzigen Mitgefühl mit dem unversöhnlien Hass des alten Dikopfes und Starrkopfes auf die Erbfeindin und Erzfeindin Karthago, sondern zuglei einem heimli mitswingenden, unausgesproenen Bezug auf eine näherliegende, zeitgenössise Erbfeindsa und Erzfeindsa. Da ist es do tröstli, dass si dieses „Ceterum censeo …“ im gegenwärtigen Zitiergebrau weitgehend von seinem ursprünglien ominösen Bezug auf den Untergang Karthagos gelöst hat. „Mein, dein, sein Ceterum censeo“: So spreen wir heute – nunmehr ganz ohne Pünkten fürs Weggelassene – von einem beharrli verfotenen, immer und immer wieder vorgebraten Postulat. Wer denkt da no an den alten Cato? Die beiden so ohrenfällig aneinander anklingenden Wörter „Ceterum censeo“ repräsentieren zwar gerade nit das antike Original, sondern ledigli die neuzeitlie Rekonstruktion. Aber derart zur Chiffre einer unbeirrbaren Beharrlikeit verkürzt und von seinem altrömisen historisen Ballast befreit, hat dieses geflügelte Wort nun erst ret die besten Chancen für weitere unbeswerte Höhenflüge.
Vgl. „Hannibal ante portas!“, unten Seite 64. 33
Citius, altius, fortius
Die Szene spielt im Sommer 480 v. Chr., wenige Tage na dem Opfertod des Spartanerkönigs Leonidas und seiner Dreihundert bei den Thermopylen. Herodot beritet: „Das Landheer unter Xerxes mate si eben auf den Mars; da kamen Überläufer aus Arkadien, ein paar Leute, die einen Lebensunterhalt suten und si nützli maen wollten. Die Perser führten sie unter die Augen des Königs, und einer befragte sie vor aller Ohren über die Grieen, was die jetzt maten. Die erwiderten, sie feierten die Olympisen Spiele und sauten dem Wekampf der Athleten und der Viergespanne zu. Der fragte weiter, was denn dort für ein Siegespreis ausgesetzt sei, um den sie strien. Die nannten den Kranz vom Ölbaum, der dort vergeben wird. Da spra Tritantaimes, ein Veer des Xerxes, ein hoedles Wort und zog si damit vom König den Vorwurf der Feigheit zu. Denn als er hörte, dass der Siegespreis dort ein Kranz ist und nit Geldeswert, hielt er es nit länger aus zu sweigen; zu dem Kriegstreiber Mardonios gewendet, rief er: ,Wehe, Mardonios, gegen was für Männer hast du uns in den Krieg geführt: die nit um Geldeswert den Wekampf austragen, sondern um den Rang des Besten!‘“ Nit um Geldeswert, einzig um den Rang des Besten – und zumal um den des Snellsten, der den Spielen jeweils seinen Namen geben dure –: Es ist ein urgrieises Selbstverständnis, das Herodot den edlen Perser, den Feind und „Barbaren“, hier mit Sreen erkennen und ausspreen lässt. Wer will, mag nun Verbindungen slagen: zurü in die Frühzeit der Olympisen Spiele zu dem einstmals geflügelten Homerisen Mahnwort: „Immer der Beste zu sein und hervorzuragen vor andern“, oder voraus zu den Spielen der Moderne, zu dem heute vielzitierten Moo der Olympisen Bewegung „Citius, altius, fortius“. 34
Das ist, so lateinis lapidar, so rhetoris raffiniert das Moo daherkommt, do erst neuzeitlien Ursprungs. Im März 1891 hae der sportbegeisterte Dominikanerpater Henri Didon an seinem Albertus-Magnus-Kolleg in Arcueil nahe Paris einen Sulsportverein gegründet und ihm den flammenden Appell „Citius, altius, fortius!“, „Sneller, höher, stärker!“, aufs Banner gesrieben, und der Begründer der Olympisen Bewegung Pierre de Coubertin, zu der Zeit Generalsekretär der „Union des Sociétés Françaises de Sports Athlétiques“, trug die Flamme weiter. Er hae damals jene Vereinsgründung angeregt und selbst die ersten Wekämpfe geleitet, und auf seinen Vorslag hin erhob der Gründungskongress des Internationalen Olympisen Komitees, der im Juni 1894 in der Pariser Sorbonne tagte, in seiner Slusssitzung dieses ohrenfällige „Citius, altius, fortius!“ mit seinen drei gleigewitigen, glei ausklingenden Worten zum Moo der Olympisen Bewegung. Es sind, notabene, Adverbien im Komparativ, und hinter ihnen stehen vielerlei ungesriebene Imperative: Lauf sneller, spring höher … Bei dem drien Glied, dem „fortius“, das im klassisen Latein „tapferer“ bedeutet, geraten wir in ein Dilemma. Dafür ist im deutsen Zitiergebrau anstelle eines vagen, allgemeinen „stärker“ ein frisweg erfundenes „weiter“ geläufig geworden, als sei da na Welauf und Hosprung do no an Weitsprung und Weitwurf zu denken. So kann Henri Didon es nit gemeint haben. Vielleit, ja wahrseinli ist da no eine anderes geflügeltes Wort im Spiel. Gewiss kannte dieser sportbegeisterte Humanist so gut wie der alte Turnvater Jahn die Juvenalise Satire, aus deren Sluss son Jahrzehnte zuvor das vielzitierte Turnermoo „Mens sana in corpore sano“, „Ein gesunder Geist in einem gesunden Leib“, aufgeflogen war. Da geht es freili nit ums Turnen, sondern um Gebetswünse – darum, was einer si vernünigerweise von den Göern wünsen solle –, und da nennt der römise Diter unmielbar na den allemal sinnvollen Wünsen eines „gesunden Geistes“ und eines „gesunden Lei35
bes“ zu guter Letzt no einen drien, vollends sinnvollen Gebetswuns. „Fortem posce animum!“, heisst es da: „Bie um eine tapfere Seele!“, eine Seele, die den Sreen des Todes nit kennt – „mortis terrore carentem“ –, die jedwede Anstrengung und Belastung zu ertragen vermag, die si von keinem Zorn, keinem Begehren hinreissen lässt und die Aufgaben und „Arbeiten“ des Leistungsmensen Herkules höher sätzt als alle Genüsse des Luxusmensen Sardanapal. Sollte dieses Juvenalise „Fortem posce animum!“ Henri Didons „fortius“ inspiriert haben, sollte sein „fortius“ in diesem stoisen, Herkulisen Sinne tatsäli „tapferer, unersüerlier“ bedeuten, und sind wir damit unversehens wieder ganz nahe bei jener eingangs gesilderten Herodoteisen Episode?
Vgl. „Mens sana in corpore sano“, unten Seite 88. 36
Der springende Punkt
„… und spra die geflügelten Worte“: Aus diesem Homerisen und dann Vossisen Verssluss hat Georg Bümann seinen trefflien Butitel „Geflügelte Worte“ gewonnen, und wie der Titel dieses „Zitatensatzes des deutsen Volkes“ selbst, so haben si die Saren der darin versammelten bildha sogenannten „geflügelten“ Worte durweg von einem literarisen Nistplatz in den Zitatenhimmel aufgeswungen. Aber eines von den vielen ist do au ganz unbildli, wie es si für derlei Federvieh gehört, aus einem ritigen Vogel-Ei ausgekroen oder vielmehr aus einem unausgebrüteten, ledigli während dreier Tage angebrüteten Hühner-Ei aufgeflogen: Das ist das lateinise „Punctum saliens“, der heute meist auf deuts zitierte „springende Punkt“. Der „springende Punkt“ ist einem grieisen ExzellenzZentrum, dem Forsungslabor des Aristoteles, entsprungen. In seiner „Tierkunde“ besreibt der grosse Zoologe – oder einer seiner Süler – die Entwilung des Kükens im Ei; da heisst es am Anfang: „Bei den Vögeln verläu die Entwilung aus dem Ei bei allen Arten auf die gleie Weise, nur die Brutzeiten bis zum Ausslüpfen sind versieden lang. Bei den Hühnern tri die Entwilung erstmals na Ablauf von drei Tagen und Näten in Erseinung, bei den grösseren Vögeln na längerer, bei den kleineren na kürzerer Zeit. Zu dieser Zeit … erseint, nur eben so gross wie ein Punkt, blutrot im Weissen, das Herz. Dieser Punkt springt – Túto de to semeíon pedái – und bewegt si wie ein belebtes Wesen …“ Es kann nit verwundern, dass der grosse Zoologe diesen springenden Punkt, dieses erste Zeien des keimenden Lebens, soglei als das slagende Herz angesproen hat. Anders als 37
Platon hat Aristoteles das Zentrum des Lebens nit zuoberst im Hirn, sondern zuinnerst im Herzen gesut. In seiner Sri „Über die Teile – die Organe – der Tiere“, einer Vergleienden Morphologie, besreibt er das Herz als ein ganz besonderes Organ: als das Zentrum aller Lebensfunktionen von Ernährung und Fortpflanzung bis hinauf zum Empfinden und Denken und zuglei als den Sitz der lebenserhaltenden Wärme. Es bedürfe ja, erklärt Aristoteles dort, „gleisam eines Herdes, in dem die Lebensglut der Natur verwahrt liegen kann, und dies wohlgesützt“, und glei darauf nennt er dieses zentrale Zentrum des Lebens mit einem Bild, das zuvor Platon für das Hirn gebraut hae, „sozusagen die Akropolis des Körpers“. In der Aristotelisen „Tierkunde“ finden wir die weitere Entwilung des Hühner-Embryos von jener ersten Lebensregung an mit frappierender Genauigkeit besrieben: die vom Herzen ausgehenden verslungenen Adern, die Herausbildung des anfangs übergrossen Kopfes, das Hervortreten der „aufgeblasenen“ Augen, die ins Gelbe hinüberführende „Nabelsnur“, die allmählie Bildung der inneren Organe und sliessli die Lage des fertig bebrüteten Kükens in seiner Hülle. „Um den zwanzigsten Tag lässt es bereits einen Laut hören und bewegt si in seiner Hülle, wenn man das Ei aufslägt und das Küken berührt …“ Für die in jenem Forsungsprojekt eingesetzten Hühnereier und -embryonen war die Entwilung na jenem drien Tag und spätestens na diesem zwanzigsten Tag abgeslossen; aber dafür ist aus diesen Tag für Tag serienweise aufgeslagenen Eiern ein geflügeltes Wort aufgeflogen. Aus dem Aristotelisen Berit „Dieser Punkt springt …“ und der lateinisen Übersetzung des Theodoros Gaza von 1476 „Quod punctum salit …“ meinen wir neben den ersten Herzslägen des dreitägigen Hühner-Embryos no das erregte Herzklopfen des glülien Entdeers herauszuhören. Bald darauf, im zweiten, 1610 in Frankfurt ersienenen Band seiner gelehrten „Ornithologia“ sprit der Bologneser Sammler Ulisse Aldrovandi 38
erstmals geradezu von einem „Punctum saliens“, dem „springenden Punkt, in dem der Philosoph – Aristoteles – das Herz erkannt hat“. Das Wort hat in der Folge zunäst in seinem eigentlien Sinne Verbreitung gefunden, über die Fawissensa hinaus und bis in die hohe Ditung hinauf: In seiner Elegie „Der Genius“ rühmt Siller das „grosse Gesetz, das oben im Sonnenlauf waltet / und verborgen im Ei reget den hüpfenden Punkt“. Seither ist dieses „Punctum saliens“ seinem angestammten zoologisen Biotop vollends entsprungen. Wer denkt bei einem „springenden Punkt“ no an ein Hühner-Ei? Der Anwalt oder der Politiker, der heute seine Argumente Pro und Contra mit dem Beamer auf die Leinwand projiziert und mit dem Laserpointer auf den einen „springenden Punkt“, dieses eine slagende Argument verweist, versteht darunter allenfalls den soundsovielten „Punkt“ seiner Beweisführung. Da hat dieser alte, bis heute springlebendige Punkt einen dreifaen Salto aus dem zoologisen Forsungslabor in die forensise oder politise Arena vollführt: von dem springenden Punkt im Ei, „blutrot im Weissen“, aus dem einmal ein slagendes, poendes Hühnerherz werden sollte, zu dem springenden Punkt auf der weissen Leinwand, der hüben oder drüben im Wortsinne ausslaggebend in die Waagsale springt.
Vgl. „Natura non facit saltus“, unten Seite 94. 39
Dimidium facti, qui coepit, habet
„Das Witigste, meine i, von allem im Mensenleben ist die Erziehung und die Bildung. Denn wenn einer bei einer Sae, weler au immer, den Anfang ritig gemat hat, so wird aller Voraussit na au das Ende ritig herauskommen. So ist es ja au mit dem Boden: Weler Art Samen einer hineingesät hat, soler Art Früte darf er davon erwarten. Und wenn einer in einen jungen Mensen eine gute Erziehung und Bildung hineingesät hat, so lebt das üppig fort und grünt und blüht das ganze Leben hindur, und weder Wolkenbrüe no Dürrezeiten können das je zunite maen.“ Als der Sophist Antiphon im späten 5. Jahrhundert v. Chr. diese Sätze srieb, hae er wohl das grieise Spriwort vom Anfang als der Häle des Ganzen im Hinterkopf, das erstmals in Platons späten „Gesetzen“ bezeugt ist: „Der Anfang, so heisst es do in einem unserer Spriwörter, sei son die Häle des ganzen Werkes, und wenn einer gut angefangen hat, spenden wir dem alle regelmässig hohes Lob. Und tatsäli ist das sogar, wie mir seint, no mehr als die Häle, und einem gelungenen Anfang hat no niemand Lob genug spenden können.“ Da spielt von fern her ein vielzitierter Vers des Hesiod hinein. In seinen „Tagwerken“ ereifert si der alte Diter über seinen Bruder Perses, der ihn bei der Teilung des väterlien Erbes übervorteilt habe, und über die bestelien Riter, die in diesem Erbstreit willfährig Ret gesproen häen: „Diese Toren! Sie wissen ja nit, um wieviel die Häle mehr ist als das Ganze!“ Er meint es in dem Sinne: „Weniger wäre mehr gewesen!“ Die beiden spriwörtli geläufigen Worte vom Anfang, von der Häle und dem Ganzen moten zu einer simplen Slussfolgerung verloen: Wenn der Anfang – na dem alten 40
Spriwort – son die Häle des Ganzen ist und die Häle – na Hesiod – mehr als eben nur die Häle, ja sogar mehr als das Ganze, dann ist – mit Platon – au der Anfang bereits mehr als die Häle des Ganzen. Entspreend gesteigert hat Aristoteles das Paradox in der Einleitung zu seiner „Nikomaisen Ethik“ zitiert; dort geht es um die grundlegenden Prinzipien, die „Anfänge“, der Wissensa: „Die Anfänge geben einen starken Ausslag für alles Folgende; man meint ja, der Anfang sei mehr als die Häle des Ganzen …“ Dur Horaz ist das grieise Spriwort au in lateiniser Version zum geflügelten Wort geworden, nun nit mehr in sliter Prosa, sondern in Gestalt eines Fünf-SestelHexameters: „Dimidium facti, qui coepit, habet“, wörtli: „Die Häle des Getanen – des Werkes – hat, wer angefangen hat“. In einem seiner lebensklugen poetisen „Briefe“ mahnt Horaz den jungen Lollius Maximus, si wider alle Plagen von Habgier und Genusssut, Hektik und Erslaffung, Stress und Burnout mit Lebensweisheit und Vernun zu wappnen, und das besser heute als morgen: „Wie kommt das: Ein Stäuben, das dein Auge verletzt, wisst glei du heraus; do wenn etwas dir die Seele zerfrisst, versiebst du die Heilung ein Jahr lang? Halb hat das Werk son getan, der anfängt …“ Auf die rhetorise Frage und die spriwörtlie Mahnung folgt dann, über den Verssprung hinweg, no ein kräiger Stoss in die Rippen: „… Sapere aude, / incipe! …“, „ … Wag’s, sei vernünig! Fang einmal an! Wer die Stunde, ritig zu leben, hinaussiebt, ist wie der Tölpel, der wartet, bis der Fluss abfliesst: Do der strömt wirbelnd dahin und wird so no in alle Ewigkeit strömen.“ 41
Der Anfang ist son die Häle des Werkes: So sagt es die spriwörtlie grieise Lebensregel und so wieder das geflügelte Horazise Diterwort für die erste Häle aller sweren Dinge, die einer nit gern auf si nimmt und am liebsten gar nit erst anpat. Im 4. Jahrhundert n. Chr. hat si der gallo-römise Rhetor und Diter Ausonius des Spriworts vom Anfang, der Häle und dem Ganzen no einmal angenommen und si in seiner Vaterstadt Burdigala – do wohl bei einem Glas Bordeaux – zu diesem fröhlien Patentrezept für die zweite Häle inspirieren lassen: „Incipe! Dimidium facti est coepisse. Superfit dimidium: rursum hoc incipe et efficies!“, „Fang nur erst an! Das ist son die Häle des Werkes. Es bleibt dir no eine Häle. So fang no einmal an, und du hast’s!“
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Dominus providebit
Es heisst ja, man solle eine Münze dreimal umdrehen, ehe man sie ausgibt. Das ist in jedem Fall ein guter Rat, und erst ret für die gewitige Sweizer Fünf-Franken-Münze. Beim ersten Dreh erinnert si einer vielleit an das Aha-Erlebnis des Sokrates im Supermarkt: „Wie viele Dinge gibt es do, die i nit braue!“ und beim zweiten an die Catonise Massregel, alles irgendwie Entbehrlie sei son mit der geringsten Münze zu teuer bezahlt. Und wer dann beim drien Dreh no an die Vögel unter dem Himmel und die Lilien auf dem Felde denkt, die nit säen und nit ernten, nit spinnen und nit weben – „und Go ernährt sie do“ –, findet auf diesem silbernen Sweizer Fünffränkler unversehens eine kräige Bestärkung. DOMINUS PROVIDEBIT steht da ringsum auf dem Rand gesrieben: „Der Herr wird vorsorgen.“ Es braut gute Augen, die in kapitalen Leern ausgeprägte, o arg abgestossene Legende zu entziffern, und einigen Spürsinn, ihrer Herkun nazugehen. Die geflügelte Devise ist uns aus dem 1. Bu Mose zugeflogen, aus dem Berit vom Opfer Abrahams. Dort lesen wir in der neuen Zürer Bibel: „Dann nahm Abraham das Holz für das Brandopfer und lud es seinem Sohn Isaak auf. Er selbst nahm das Feuer und das Messer in die Hand. So gingen die beiden miteinander. Da spra Isaak zu seinem Vater Abraham: Vater! Er spra: Hier bin i, mein Sohn. Er spra: Sieh, hier ist das Feuer und das Holz. Wo aber ist das Lamm für das Brandopfer? Abraham spra: Go selbst wird si das Lamm für das Brandopfer ausersehen, mein Sohn. So gingen die beiden miteinander.“ Die wortgetreue Übersetzung aus dem Hebräisen lässt den ursprünglien Nistplatz des geflügelten Wortes kaum mehr erkennen. Dessen Flugroute führt über die lateinise Bibel der 43
Spätantike und des Mielalters, die sogenannte Vulgata, die „im Volk Verbreitete“; dort lautet die Erwiderung Abrahams: „Deus providebit sibi victimam holocausti …“, Wort für Wort übersetzt: „Go wird für si ein Opfer für das Brandopfer vorsehen …“ Spätestens in der frühen Neuzeit haben si die Worte „Deus providebit“ von den beiden darauf folgenden Objekten und überhaupt von dieser Opferszene gelöst und konnten fortan in dem allgemeinen Sinne „Go wird vorsorgen“ für ein unbedingtes Govertrauen stehen. Die stoise providentia, die gölie „Voraussit“ oder „Vorsehung“, mag dabei Pate gestanden haben. Die geläufigere Variante „Dominus providebit“ begegnet zuerst als Wahlspru Kaiser Maximilians II. (1564–1576), und gegen Ende des 16. Jahrhunderts erseint sie in der EmblemataSammlung des Joaim Camerarius aus dem Jahre 1596 in einem überrasenden neuen Bezug: mit dem Bild eines herrserlien, die Flügel spreitenden Adlers, der si über eine Erdkugel beugt, und einem Epigramm, einem Distion, das diese „Vorsorge“ und Fürsorge von dem gölien Herrn auf den kaiserlien Herrser überträgt. „Et laetae simul et tristis provisio sortis, / inprimis virtus principe digna viro est“, erklärt der Begleitspru: „Sowohl für ein freudiges als au für ein trauriges Gesi Vorsorge zu treffen, ist eine Tugend, die zuvörderst einem herrserlien Manne würdig ansteht“. Thomas-Mann-Freunde erinnern si hier der Insri „Anno / Dominus providebit / 1758“, die über dem Eingang des Buddenbrookhauses an der Lübeer Mengstrasse steht, und helvetise Spöer des Sprues „Hominum confusione et Dei providentia Helvetia regitur“, der nit über dem Eingang des Bundeshauses am Berner Bundesplatz steht: „Dur die Verwirrung der Mensen und die Voraussit Goes wird Helvetien regiert.“ Seit 1888 findet si die lateinise Legende DOMINUS PROVIDEBIT im Verein mit dreizehn Sternen auf dem smalen Rand des Sweizer Fünf-Franken-Stüs, das heisst: Sie „findet 44
si“ dort eigentli nit; man muss sie son suen. Aber wer sie glüli gefunden und entziffert und dabei den im Dialekt liebevoll so genannten „Fünfliber“, diesen einstigen „Fünfpfünder“, no ein paar Mal umgedreht hat, mag im Sinne dieses biblisen Wortes die alten Heiden Sokrates und Cato vergessen, no einmal an die Vögel unter dem Himmel und die Lilien auf dem Felde denken – und dann die so tröstli spreende Münze sorglos aus dem Fenster werfen oder auf die Theke knallen.
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Dulce est desipere in loco
„Der jüngere Scipio Africanus und sein Freund Laelius mit dem Ehrennamen Sapiens, ,der Weise‘, sollen mit dem Satirenditer Lucilius so eng vertraut und befreundet gewesen sein, dass dieser einmal, während Laelius im Kreis um die drei Liegen des Speisezimmers vor ihm davonsprang, über ihn her kam und ihm mit der zusammengedrehten Serviee in der Hand, als ob er ihm augenblili eins damit versetzen wollte, najagte …“ Man reibt si die Augen; do so heisst es wirkli: „… ut quodam tempore Laelio circum lectos triclinii fugienti Lucilius superveniens cum obtorta mappa quasi feriturus sequeretur“. Darf das sein, kann das sein? Dass ehrenwerte Römer, gestandene Männer, si bei der abendlien Cena übermütig wie die kleinen Buben eine wilde Verfolgungsjagd sozusagen über Tis und Bänke liefern? Wo bleibt da die „gewitige“ gravitas, wo die „würdevolle“ dignitas dieser „Herren der Welt“, des „Stamms in der Toga“? Ja, so ist es verbürgt: Horaz hat in seinen „Satiren“ mit vergnügliem Augenzwinkern auf die offenbar bekannte tolle Szene angespielt, und Jacobus Cruquius, der im späteren 16. Jahrhundert die Werke des Horaz herausgab und erklärte, hat sie in handsrilien alten, seither versollenen Kommentaren besrieben gefunden und des reenden Zitats gewürdigt. Nit in den da kommentierten frühen Satirenversen, sondern in einer späten Ode, einer zwisen Ernst und Serz pendelnden Einladung aufs Land, hat Horaz die Sentenz geprägt, die im Sinne einer derart übermütigen Ausgelassenheit zum geflügelten Wort werden sollte. „Lass do einmal alle deine Gesäe, alles Gewinnstreben ruhen“, ru der Diter seinen Gast dort fröhli auf, um dann no das rete Rezept zu empfehlen: „Misce stultitiam consiliis brevem: / Dulce est desipere in 46
loco“, auf deuts, wenn wir au der Übersetzung hier einmal die Zügel siessen lassen: „Mise einen Suss kurze, kurzsitige Torheit in dein kluges, umsitiges Planen: Süss, eine köstlie Lust ist es, einmal alle Vernun fahren zu lassen, wenn es am Platze ist.“ Als Horaz seine Ode in diesem Überrasungscotail von Torheit und Klugheit gipfeln liess, hae er wohl au das eine oder andere grieise Diterwort im Hinterkopf. Am Ende seiner Sri „Über die Ruhe der Seele“ zitiert Seneca einen nit namentli genannten grieisen Diter mit der Sentenz: „Zu maner Zeit ist au verrüt zu spielen eine Lust“, in seiner lateinisen Version: „Aliquando et insanire iucundum est“, und ein einslägiges Fragment des Komödienditers Menander erklärt: „Nit überall kommt das Vernünige zupass; / au wohl mit andern rasen muss man hie und da …“ Von ebenjenem jüngeren Scipio und ebenjenem Laelius, der da vor dem servieenswingenden Satiriker Lucilius über Tis und Bänke „fliehend“ Reissaus nimmt, lässt Cicero in seiner Sri „Über den Redner“ den Star-Redner Crassus entspreend Loeres beriten: „O habe i’s so von meinem Swiegervater gehört, wenn der wieder von seinem Swiegervater spra: Wie dieser Laelius regelmässig mit Scipio den Sommer auf dem Land verbrate und wie die beiden da – sier unglaubli – alle Male wieder zu Kindern wurden, wenn sie aus der Stadt wie aus Fesseln aufs Land hinausgeflogen waren. I wage es kaum zu sagen von so grossen Männern, aber geradeso pflegt er es zu erzählen: Museln und Meersneen häen sie am Strand von Caieta und Laurentum aufgelesen, als ihr täglies Vergnügen, und si überhaupt zu jedweder Loerung des Geistes und jedweder Spielerei herabgelassen.“ In der spätantiken Sammlung „Distia Catonis“, „Zweizeiler Catos“, einem unter dem Namen des lebensklugen altrömisen Zensors laufenden, in Mielalter und Renaissance vielgelesenen Vademecum volkstümlier Spruweisheiten, finden wir 47
Horazens lyrise Verse in das Spriwort-Versmass zweier episer Hexameter umgegossen: „Insipiens esto, cum tempus postulat ipsum, stultitiam simulare loco prudentia summa est“, „Lass au einmal alle Vernun fahren, wenn der Augenbli selbst es fordert; seinbar Torheit anzunehmen, wenn es am Platze ist: das ist höste Klugheit“.
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E pluribus unum
Homerise „geflügelte“ oder eher „gefiederte Worte“ fliegen vom Mund des Spreenden, soweit die Stimmgewalt reit, zum Ohr des Hörenden; Bümannse „Geflügelte Worte“ fliegen dur die Jahrhunderte und Jahrtausende von einem Zitierenden zum anderen. Das lateinise „E pluribus unum“, „Aus Mehreren Eines“, auf dem Grossen Siegel der Vereinigten Staaten aus dem Jahre 1782 ist auf seine besondere Weise beflügelt: Ein flügelswingender Weisskopfseeadler hält das Sriband im Snabel, das mit der Legende „E pluribus unum“ über ihm im Winde flaert, und die dreizehn Sterne über seinem Kopf, die dreizehn Pfeile und die dreizehn Lorbeerbläer in seinen Fängen stehen für die „Mehreren“ der 13 neuenglisen Kolonien, die damals zu „Einem“ wurden. Jeden Augenbli, so seint es, wird er si in die Lüe swingen und die stolze Botsa in die Welt hinaus tragen, und mit der Leitwährung des US-Dollars hat dieses Leitwort seither ja tatsäli weltweite Verbreitung gefunden: Jeder Greenba präsentiert auf seinem grünen Rüen beide Seiten dieses Grossen Siegels. Die drei lateinisen Worte auf dem Sriband atmen den Geist der Augusteisen Zeit, als der ganze Orbis terrarum, der ganze „Kreis der Länder“ rings um das Mielmeer, und überhaupt die ganze Oikuméne, die ganze „besiedelte Welt“ bis weit na Asien hinein, unter Roms Führung zu einem einzigen Staats- und Reisgebilde zusammenzuwasen sien. Aber dieses so lateinis lapidare „E pluribus unum“ auf dem Siegel der damals aus den dreizehn Kolonien „Vereinigten Staaten“ ist do kein klassises Zitat; es stammt, so treffli es zu einem pointierten Hexameter-Verssluss taugte, nit aus der Vergilisen „Aeneis“, es steht auf keiner römisen Münze und auf keinem römisen Triumphbogen, und es findet si au no 49
nit unter den vielen hundert Moi der frühneuzeitlien Emblematik, der Sinnbildkunst der Renaissance und des Baro. Anders steht es um die beiden Sprüe auf der Rüseite des Siegels, die auf der Dollarnote zur Linken abgebildet ist. In den wieder drei Worten „Novus ordo s(a)eclorum“, „Eine neue Reihe der Zeitalter“, unter der standfesten Pyramide von vorerst dreizehn Steinreihen klingt unverkennbar der Anfang der Vergilisen 4. Ekloge an, in dem der prophetise Diter im Jahre 40 v. Chr. mit hohem Pathos die Wiederkehr des Goldenen Zeitalters ankündigte. „Magnus ab integro saeclorum nascitur ordo; / … iam nova progenies caelo demiitur alto“, heisst es da: „Die grosse Reihe der Zeitalter wird von neuem geboren; … jetzt wird ein neues Geslet vom hohen Himmel herabgesandt.“ Die Wiederkehr der Goldenen Zeit: das war die mythise Formel für das damals mit Roms Weltherrsa nahe erwartete Ende der Kriege und den Einzug eines dauernden weltweiten Friedens. Die Jahreszahl MDCCLXXVI am Fuss der Pyramide bezeinet das Jahr, in dem die dreizehn Kolonien – am 4. Juli 1776 – si no Jahre vor dem Beginn der Französisen Revolution von der britisen Krone unabhängig erklärten. Sie liefert den Slüssel für diesen neuzeitlien „Neubeginn der Zeiten“ und zuglei für die zwei änigmatisen Worte „Annuit coeptis“ am Himmel darüber. Im 9. Bu seiner „Aeneis“ lässt Vergil – mit einem Selbstzitat aus den „Georgica“ – den Sohn des Aeneas, den jungen Ascanius, vor seinem ersten Pfeilsuss auf einen feindlien Rutuler den Göervater anrufen: „Iuppiter omnipotens, audacibus adnue coeptis!“, „Allmätiger Jupiter, nie dem kühnen Beginnen zu!“ In dem Grossen Siegel ist dieses „kühne Beginnen“ auf den ersten „Pfeilsuss“ der dreizehn neuenglisen Kolonien auf das Muerland übertragen: Über der unvollendeten Pyramide wat anstelle des Kapitolinisen Göttervaters das wae Auge Goes oder der gölien Vorsehung im Strahlenkranz, und in der Legende „Annuit coeptis“ darüber ist aus dem Gebetswuns des jungen Ascanius ein stolzer Sie50
gesruf geworden: „Er hat dem Beginnen zugenit!“ Und hierna kann, wer will, au in dem Pfeilbündel und dem Lorbeerzweig auf der Vorderseite des Siegels no ein Zitat dieser Vergilisen Szene erkennen. Angesits dieser Vergilisen Zitate und Bezüge mag einem zu jenem „Aus Mehreren Eines“ no ein späterer Anklang in den Sinn kommen. Bald na der Plünderung Roms dur Alari im Jahre 410 n. Chr. hat Rutilius Namatianus der Augusteisen Romidee no eine letzte hymnise Ausprägung gegeben. Da heisst es am Anfang einer beziehungsreien Versreihe: „Fecisti patriam diversis gentibus unam, / … Urbem fecisti, quod prius orbis erat“, „Vaterland hast du vielerlei Völkern ein einz’ges gesaffen, / … Du hast gesaffen zur Stadt, was einst gewesen die Welt“. „E pluribus unum“: Haben die Gründungsväter der USA in der Euphorie ihres epoemaenden, wahrha historisen „Neubeginns“ mit diesem „E pluribus unum“ von der aktuellen Einheit Neuenglands auf jene Augusteise Einheit des Erdkreises zurüdeuten wollen?
Vgl. „Urbi et orbi“, unten Seite 136. 51
Erkenne di selbst!
„Gnóthi seautón!“, „Nosce te ipsum!“, „Erkenne di selbst!“: In drei Spraen, im grieisen Original und in lateiniser und deutser Version, ist der Jahrtausende alte, aufs Äusserste verknappte Aufruf zur Selbsterkenntnis bei uns zum geflügelten Wort geworden. Der Tragiker Ion von Chios ist für diesen Delphisen Weisheitsspru, der den Mensen an sein allseits begrenztes Mensenmass gemahnt, unser ältester Gewährsmann, genau: Er hat den Spru im späteren 5. Jahrhundert v. Chr., in Perikleiser Zeit, in einer – uns verlorenen – Tragödie angeführt, und mehr als fünf Jahrhunderte später hat Plutar das frühe Zitat no einmal zitiert: „,Erkenn’ di selbst!‘: Das Wort ist nit so gross; das Werk so gross, dass Zeus als einz’ger si darauf versteht.“ Platon weist das Wort den Sieben Weisen zu. In seinem „Protagoras“ bezeinet er die Sieben – er nennt Thales von Milet, Piakos von Mytilene, Bias von Priëne, den Athener Solon, Kleobulos von Lindos, Myson von Chen und den Spartaner Chilon – als Meister der treffenden, „slagenden“ kurzen Worte und als frühe „Philosophen“, „Wahrheitssuer“: „Diese Sieben Weisen haben do, als sie einmal zusammenkamen, dem Apollon eine Erstlingsgabe ihrer Weisheit in den Tempel in Delphi gestiet, eben diese Insrien, die jetzt alle rühmen und preisen: das ,Erkenne di selbst!‘ und das ,Nits im Übermass!‘ Weswegen sage i das? Weil dies die Art der Alten war, Philosophie zu treiben: ein wortkarges Spreen, wie die Spartaner es pflegten …“ No im 2. Jahrhundert n. Chr. hat Pausanias die beiden Insrien in der Vorhalle des Delphisen Apollontempels gesehen; mit Berufung auf Platon bezeinet 52
au er sie in seiner „Besreibung Grieenlands“ als Weihegaben der Sieben Weisen. In einem anderen Platonisen Dialog, im „Charmides“, ist dieses „Erkenne di selbst!“ zum wegweisenden Leitwort geworden. Da will der junge Charmides, dieser Liebling der Chariten, die Kardinaltugend der sophrosýne – wortwörtli verdolmetst: des „heilen Denkens“, im Deutsen gewöhnli: der „Besonnenheit“ – eben als ein soles „Si-Erkennen“ verstehen: „Denn in diesem Sinne seint mir die Insri dort geweiht zu sein: als der Willkommensgruss des Goes an die dort Eintretenden anstelle des üblien ,Chaíre!‘, ,Freue di!‘ Das soll do wohl heissen, dass dieses Grusswort ,Freue di!‘ nit das Ritige sei und dass wir einander nit dazu aufrufen sollten, sondern vielmehr dazu, besonnen zu sein. So also sprit der Go die in sein Heiligtum Eintretenden an, duraus anders als wir Mensen, und im Sinne eines solen Willkommensgrusses hat der Weihende die Insri dort geweiht, wie mir seint. Er meint: Jedem Einzelnen dort Eintretenden ru der Go nits anderes als ein soles ,Sei besonnen!‘ zu. Er sagt es freili, als der Sehergo, der er ist, nit so geradeheraus, sondern in einem Rätsel; denn das ,Erkenne di selbst!‘ und das ,Sei besonnen!‘ ist ja do ein und dasselbe …“ So hat die Antike den Delphisen Imperativ dieses „Erkenne di selbst!“ durweg au später verstanden: als einen Aufruf zu einem „besonnenen“, das Mensenmass wahrenden „heilen Denken“, als einen Bannspru wider die Hybris der Selbstübersätzung und Selbstvergöerung. Seit jenem frühen Tragikerzitat und diesen Platonzitaten sind die beiden Delphisen Insrien viele Male zitiert worden. In Plutars Biographie des Pompeius findet si die Mahnung dieses „Erkenne di selbst!“ einmal raffiniert ins Paradoxe gewendet. Im Zuge seiner glanzvollen Operation gegen die Piraten im westlien und östlien Mielmeer im Jahre 67 v. Chr. staete Pompeius „der Grosse“ der stolzen Stadt Athen sozusagen im Vorübergehen einen Blitzbesu ab: Er kam, liess si sehen und ging. Die 53
Athener begrüssten ihn am Stador mit zwei Insritafeln. Als er kam, konnte er auf der Aussenseite wohl son den Absiedsgruss lesen: „Wir ersehnten di, wir verehrten di; jetzt sahen wir di, nun geleiten wir di.“ Als er ging, las er auf der Innenseite einen zweiten, nit ganz so simplen Gruss: „Je mehr du dir bewusst bist, ein Mens zu sein, desto eher bist du ein Go.“
Vgl. „I weiss, dass i nits weiss“, unten Seite 76. 54
Et tu, Brute?
Man hat si nit darum gesert, dass Sueton die Authentizität des geflügelten, lateinis und deuts zitierten „Et tu, Brute?“, „Au du, Brutus?“, in seiner Caesarbiographie ausdrüli in Abrede stellt: „Und so wurde er von dreiundzwanzig Hieben durbohrt, wobei er nur auf den ersten Stoss hin ein einziges Stöhnen, ohne ein Wort, verlauten liess – wenn au mane überliefert haben, er habe seinem Sützling Marcus Brutus, als der auf ihn eindrang, auf grieis zugerufen: ,Kai sy, téknon?‘, ,Au du, mein Junge?‘“ Anderthalb Jahrhunderte na den „Iden des März“ ist das wohl nie gesagte letzte Wort hier erstmals angeführt, und dur dieses Zitat ist es in der Folge neben dem durweg missdeuteten „Alea iacta est“ und dem brillant gesliffenen „Veni vidi vici“ als dries Caesarwort in unseren Zitatensatz eingegangen. Zu sehr entspra dieses tief enäuste „Au du, mein Junge?“ einem menslien Mitgefühl, zu treffend markierte es den Höhepunkt der dramatisen Szene im Saal des Pompeiustheaters, als dass Suetons Gegendarstellung es häe vergessen maen können. Plutar, dem wir die paendste, offenbar einem Augenzeugenberit folgende Silderung des Aentats verdanken, erwähnt das Wort nit: „Als Caesar den Sitzungssaal betrat, erhoben si die versammelten Senatoren ehrerbietig von ihren Plätzen. Die Männer um Brutus aber umstellten teils von hinten Caesars Sessel, teils gingen sie ihm entgegen, als wollten sie die Fürsprae des Tullius Cimber unterstützen, der für seinen verbannten Bruder um Gnade bat, und diese trugen ihre Bien tatsäli no vor, während sie ihn zu seinem Sessel geleiteten. Wie Caesar dann – son im Sitzen – ihre vereinte Fürsprae rundheraus ablehnte und sliessli, als sie ihn gewaltsamer 55
bedrängten, jeden einzeln brüsk zurüwies, pate Tullius mit beiden Händen seine Toga und riss sie ihm vom Hals: Das war das verabredete Zeien zur Tat. Als erster slug Casca mit dem Dol zu und verwundete Caesar am Hals; do war der Hieb nit tödli, er ging nit einmal tief – Casca war höst erregt, wie natürli im ersten Augenbli eines so grossen Wagnisses –, so dass Caesar si no umwenden und den Dol erreien und festhalten konnte. Fast gleizeitig riefen sie, der Getroffene auf lateinis: ,Sändlier Casca, was tust du?‘, der Zuslagende auf grieis, zu seinem Bruder gewendet: ,Bruder, hilf!‘ Das war der Anfang. Die nit eingeweihten Senatoren pate Sreen und Sauder angesits der Tat; sie wagten weder zu fliehen no den Verswörern zu wehren, ja nit einmal einen Laut auszustossen. Die zum Mord Gerüsteten aber zeigten nun jeder die blanke Waffe. Caesar war rings umstellt; wohin er den Bli au wenden mote, überall hae er zustossende Klingen vor Gesit und Augen, war er unter ihrer aller Hieben wie ein wildes Tier ins Netz heillos verstrit in ihrer aller Hände; denn sie alle – so haen sie si versworen – sollten ihr Opfer treffen und die Mordtat kosten. So brate denn au Brutus ihm einen Sti bei, einen einzigen, in die Leiste. Von einigen wird beritet, gegen die anderen Verswörer habe er si no zur Wehr gesetzt, sei hierhin und dorthin ausgewien und habe laut gesrien; do als er dann au Brutus mit gezütem Dol vor si sah, habe er die Toga über den Kopf gezogen und si den Hieben preisgegeben. Sei es dur Zufall, sei es mit Absit, wurde er dabei zu der Marmorbasis abgedrängt, auf der das Standbild des Pompeius steht, und viel Blut spritzte auf die Statue, so dass es sien, als vollziehe Pompeius selbst das Strafgerit an seinem alten Bürgerkriegsgegner, der da zu seinen Füssen am Boden lag und si unter seinen vielen Wunden im Todeskampf wand.“ Da ist das Wort zum Bild, das Bild zum Wort geworden: „… als er dann au Brutus mit gezütem Dol vor si sah, habe 56
er die Toga über den Kopf gezogen und si den Hieben preisgegeben.“ Man kann verstehen, dass dieser spreende Gestus der Selbstaufgabe zu dem dort hineingeheimnisten Zuruf „Au du, mein Junge?“ geführt hat, sei es mit einem Fragezeien der Enäusung, sei es mit einem Ausrufezeien der Empörung. Na der Slat bei Pharsalus 48 v. Chr. hae Caesar den fünfzehn Jahre jüngeren Marcus Brutus, der si im Bürgerkrieg zunäst auf die Seite des Pompeius geslagen hae, auf dessen Bie hin begnadigt, ihn aufs Liebenswürdigste empfangen und in seinen engeren Freundeskreis gezogen; in der Folge hae er ihn für dieses Jahr 44 v. Chr. zum Prätor wählen lassen und für das Jahr 41 v. Chr. zum Konsul vorgesehen. „Kai sy, téknon?“, „Et tu, Brute?“, „Au du, Brutus?“: Wie die älteren Berite, die Sueton in seiner Caesarbiographie zitiert, dem römisen Dictator ein grieises Wort in den Mund gelegt haben, so lässt Shakespeare ihn auf der englisen Bühne dieses eine affektgeladene, um seines Affektes willen geflügelte Wort lateinis rufen: „Et tu, Brute! Then fall, Caesar!“
Vgl. die beiden anderen Caesarworte „Alea iacta est“, oben Seite 16, und „Veni, vidi, vici“, unten Seite 145. 57
Gib mir einen Punkt, wo i stehen kann …
Irgendwann um die Mie des 3. Jahrhunderts v. Chr., zur Glanzzeit König Hierons II., ist das Wergelände von Syrakus einmal zum Sauplatz eines spektakulären Events geworden. Der geniale Mathematiker und ingeniöse Masinenbauer Arimedes demonstrierte dort – wir denken uns: vor dem König und seinem Gefolge auf der Ehrentribüne und Hunderten von Saulustigen ringsum – sein physikalises Postulat von den kleinen Kräen und den langen Wegen, das heute zum Einmaleins der klassisen Physik gehört und als die „Goldene Regel der Meanik“ bekannt ist. Wir lesen davon bei Plutar, in der Biographie des Marcus Claudius Marcellus, der es bei der Belagerung der Stadt im 2. Punisen Krieg mit diesem „geometrisen Briareos“, diesem „mathematisen Hunderthänder“, zu tun bekam: „Arimedes, der mit Hieron verwandt und befreundet war, hae diesem gesrieben, es sei mögli, mit jeder gegebenen Kra jede gegebene Last von der Stelle zu bewegen. In jugendliem Überswang habe er dabei, sagt man, auf die Stärke seiner These bauend erklärt: Wenn er eine zweite Erde häe, könnte er diese hier von ihrem Ort bewegen, wenn er auf jene andere hinübergehe. Als Hieron si darüber verwunderte und ihn aufforderte, das Postulat ins Werk zu setzen und zu zeigen, wie irgendeine grosse Last von einer kleinen Kra bewegt werde, liess Arimedes einen Dreimaster aus der königlien Floe, der mit grosser Mühe und von vielen Händen an Land gezogen war, vollständig bemannen und mit der gewöhnlien Frat beladen. Er selbst nahm ein Stü seitab Platz; duraus nit mit Anstrengung, sondern lässig mit der Hand das Ende 58
eines Flasenzuges swingend zog er das Siff zu si heran, und das lief darauf gla und ohne Anstoss, als glie es durs Meer, auf ihn zu.“ Soweit Plutars Berit. Wer weiss, weles „Ende eines Flasenzuges“, was für eine Kurbel, Arimedes da so „lässig mit der Hand“ geswungen hat? Vermutli bildete der Flasenzug nur die Verbindung zwisen dem Siff und einer haushohen Untersetzungsmasinerie mit mätigen Sneenund Zahnradgetrieben, und natürli ist das auf Rollen gelagerte Siff nur im Sneentempo und nur eine kurze Stree auf Arimedes – oder einen fleissig fort und fort kurbelnden Sklaven – „zugelaufen“. Zwisen Arimedes und Plutar liegen gut drei Jahrhunderte. Wieder ein Jahrhundert später beritet Athenaios von einem riesigen Luxussiff „Syrakusia“ und seinem zunäst unmögli seinenden Stapellauf, den Arimedes dann do mit verblüffend einfaen Mieln bewerkstelligt habe. Von diesem Tage an, soll Hieron damals gerufen haben, müsse man Arimedes alles, was er sage, glauben. Wer weiss, wie diese beiden legendären Arimedisen Kurbeleien zusammenhängen: Vielleit hat si der Stapellauf dieser „Syrakusia“ ja im Nahinein an jene Physik-Demo angeslossen; vielleit, und eher, ist unsere Physik-Demo ja umgekehrt zuglei mit dieser „Syrakusia“ vom Stapel gelaufen … Wie au immer: Das „in jugendliem Überswang“ gesproene, angesits eines geozentrisen Weltbilds ohne Erdumlauf, ohne Erddrehung grandios übersteigerte Wort vom „die-Erde-Bewegen“ taugt als Moo gleierweise für die eine wie die andere Szene. Plutar, im späten 1. oder frühen 2. Jahrhundert n. Chr. unser ältester Gewährsmann, grei eine damals offenbar verbreitete Fassung des Arimedisen Postulats auf und siebt ein erklärendes „wenn er auf jene andere (Erde) hinübergehe“ na. Die heute geflügelte Fassung, im Grieisen „Dos moi pu sto, kai kinó ten gen“, derart slit übersetzt: „Gib mir (einen Ort), wo i stehen kann, und i 59
bewege die Erde“, oder drastis übersteigert: „… und i hebe die Welt aus den Angeln“, begegnet erstmals bei dem Mathematiker Pappos von Alexandreia um 300 n. Chr., darauf leit abgewandelt – „(Einen Ort,) auf den i (hinüber-) treten kann, und i bewege die Erde“ – bei dem spätantiken Aristoteleskommentator Simplikios und später wiederum leit abgewandelt bei dem byzantinisen Philologen Tzetzes. Das kühne, bustäbli „weltbewegende“ Postulat wird heute einzig no in seiner deutsen Version, und in der drastisen Fassung, zitiert. Anders als im Falle des gleifalls Arimedisen „Heúreka!“ ist das grieise Original im allgemeinen Zitiergebrau nit geläufig geworden, und zu einer verbreiteten lateinisen Version des Arimedisen Postulats ist es merkwürdigerweise nit gekommen. Aber in der vollends eingebürgerten „Dosis“, der (Medikamenten-) „Gabe“, in den urverwandten Wörtern „mir“ und „stehen“, im grieisen Retortenwort „Kino“ – so na den „bewegten“ Bildern – und in der „Geographie“, der „Erdbesreibung“, finden wir in unserem modernen Euro-Wortsatz hinreiend viele trifeste Standorte, um au die originale grieise Fassung Wort für Wort aus den Angeln zu heben: „Dos moi pu sto, kai kinó ten gen“, „Gib mir, wo i stehe, und i bewege die Erde“.
Vgl. die beiden anderen Worte des Arimedes „Heureka!“, unten Seite 67, und „Noli turbare circulos meos“, unten Seite 97. 60
Habent sua fata libelli
„Habent sua fata libelli“, „Sie haben ihre je eigenen Sisale, die Bülein“: Das gilt, wie für die vielen hier so liebevoll angesproenen „Bülein“ mit ihren vielerlei Lesesisalen, so für die vielen daraus aufgeflogenen Zitate mit ihren vielerlei Zitiersisalen, und ebendieses geflügelte Wort ist dafür ein so interessantes wie reizvolles Beispiel. Es stammt aus einer längst vergessenen Sri des spätantiken Philologen und Metrikers Terentianus Maurus „Über die Silben“ im episen Versmass, die der Autor prätenziöserweise selbst in epise Verse gekleidet hat; im Jahre 1493 ist sie in der italienisen BenediktinerAbtei S. Colombano bei Bobbio in der Provinz Piacenza wieder aufgefunden worden. Im Nawort hae Terentianus, wie die rhetorise Kunst es empfiehlt, die zu erwartende herbe Kollegenkritik vorweggenommen: Vielleit werde einer dieser Kritikaster nit anstehen zu sagen, das Bu mae allzu viele Worte; vielleit werde ein „weit Verdienstvollerer“ meinen, es bringe do nur wenig Neues – er selbst habe son weit mehr gefunden; vielleit werde ein träger und ungeduldiger Geist es für allzu dunkel, allzu swer verständli halten: „Forsitan hunc aliquis verbosum dicere librum non dubitet; forsan multo praestantior alter pauca reperta putet, cum plura invenerit ipse. Deses et impatiens nimis haec obscura putabit.“ Und nadem er so genüssli vier Verse weit ausgeholt hat, slägt er mit dem fünen zu: „Pro captu lectoris habent sua fata libelli“, „Je na der Fassungskra des Lesers haben sie ihre Sisale, die Bülein“. Er meint es im Sinne des Litenberg61
sen Aphorismus: „Wenn ein Bu und ein Kopf zusammenstossen und es klingt hohl, ist das allemal im Bu?“ Na der Erstausgabe der Terentianisen Sri im Jahre 1497 moten die Humanisten des 16. Jahrhunderts, die späten Kollegen und damit Konsorten, „Sisalsgenossen, Leidensgenossen“, jenes Terentianus Maurus, das gelehrte Zitat auf manerlei unliebsame, eitle Bemesserei münzen, und die Kenner unter si au ohne den Klartext jenes „Pro captu lectoris …“, dafür mit einem fröhlien Augenzwinkern. Seit der Renaissance ist jenes Bülein „Über die Silben“ zum zweiten Mal der Vergessenheit verfallen. Nit so das geflügelte „Habent sua fata libelli“; das hae si bald, seiner ursprünglien besonderen Bezüge beraubt – oder eher: davon befreit – zu seiner heute geläufigen allgemeinen Bedeutung gemausert und leitbeflügelt in den Zitatenhimmel aufgeswungen. In der Verkürzung auf die zweite Vershäle, ohne das voraufgehende „Pro captu lectoris …“, gewann das nun an die erste Stelle geratene „Habent …“ ein besonderes Gewit, und so zitieren wir das Wort heute in dem sisalsträtigen Sinne: „Ja, sie haben ihre je eigenen Sisale, die Büer“ – nunmehr ohne fröhlies Augenzwinkern, dafür mit bedeutender Sisalsmiene. „Habent sua fata libelli“: Das ist zum geflügelten Hoffnungsoder Trostspru geworden für alle um ihre „Bülein“ und ihr daran geknüpes Rühmlein besorgten Autorinnen und Autoren und entspreend, mutatis mutandis, für Verlegerinnen und Verleger, Buhändlerinnen und Buhändler. Im Jahre 1888, bei der Einweihung des Deutsen Buhändlerhauses in Leipzig, hat der Wappenzeiner Emil Döpler das Wort zur beziehungsreien Devise des Börsenvereins des Deutsen Buhandels erhoben. So, wie wir die hintersinnige, hinterhältige Pointe jenes antikisen Kollegen Terentianus Maurus heute verstehen und zitieren, ist sie da ja genau am reten Ort. Aber von seiner Herkun her taugte dieses geflügelte „Habent sua fata libelli“ do eher zum selbstironisen Moo einer lite62
rarisen oder wissensalien Rezensionszeitsri, in der die „weit verdienstvolleren“ Autoren und Gelehrten, die selbst son sehr viel mehr gefunden haben, die mit allzu vielen Worten und wenig Neuem daherkommenden, allzu dunklen und swer verständlien Bülein ihrer weniger verdienstvollen Kollegen kunstgeret zerrupfen.
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Hannibal ante portas
„Hannibal vor den Toren!“: Polybios und na ihm Livius sildern den Sreen in Rom, als die erste Narit von der katastrophalen Niederlage am Trasimenisen See im Jahre 217 v. Chr. eintraf und der Prätor am Abend der „in ungeheurem Sreen“ auf dem Forum zusammengeströmten Menge bekanntgeben musste: „Wir sind in einer grossen Slat besiegt worden.“ Tagelang harrte eine Menge von Frauen und Männern an den Stadoren aus, die vom Slatfeld ein paar Tagemärse tiberaufwärts Zurükehrenden na ihren Verwandten zu befragen. Hannibal zog an der sutzlos ihm preisgegebenen Hauptstadt vorüber, dur Umbrien und das Picenum na Apulien hinüber, und selbst na seinem vollkommenen Sieg bei Cannae im folgenden Jahre 216 v. Chr. wagte der Karthager nit, Rom selbst anzugreifen. „Vincere scis, Hannibal, victoria uti nescis“, soll der karthagise Vize-Feldherr Maharbal dem Sieger damals vorgehalten haben: „Zu siegen verstehst du, Hannibal, den Sieg zu nutzen nit“. Von einem Sreensruf „Hannibal vor den Toren!“, der si na jener Slat am Trasimenisen See wie ein Lauffeuer in den Stadtquartieren verbreitet häe, ist in jenen Kriegsberiten nits zu lesen. Die vielzitierte Wendung findet si erst mehr als anderthalb Jahrhunderte später bei Cicero, zweimal, und beidemal in der übertragenen Bedeutung eines unmielbar drohenden Notstands. So einmal in einer philosophisen Sri, in einer kritisen Auslassung zur Lebensfremdheit der reinen stoisen Lehre: „Gesetzt, ein Stoiker häe in der Volksversammlung zu reden: Wenn Hannibal an die Tore gekommen wäre – si Hannibal ad portas venisset – und bereits einen Wurfspiess über die Mauer gesleudert häe, sollte dieser Stoiker dann etwa in Abrede stellen, dass es ein Übel sei, in Gefangen64
sa zu geraten, in die Sklaverei verkau zu werden, getötet zu werden, seine Vaterstadt zu verlieren?“ Und so nomals in der 1. Philippisen Rede gegen Antonius; dort verwahrt si Cicero mit grotesker ironiser Übertreibung gegen die heige Kritik des Konsuls an seinem Fernbleiben von der Senatssitzung am Tag zuvor, am 1. August, damals no Quintilis, 44 v. Chr.: „War i denn der einzige, der fehlte? … Ging es denn um eine so bedeutende Sae, dass man au die Kranken häe herbeikarren müssen? Hannibal, glaube i, war an den Toren – Hannibal, credo, erat ad portas –, oder es wurde über den Frieden mit Pyrrhus verhandelt …“ Wir wissen nit, ob die Wendung von „Hannibal an den Toren“ erst dur Cicero oder son früher zum stehenden Bild für einen äussersten Notstand geworden ist. In Augusteiser Zeit ist sie bei Livius no zweimal zu ihrem ursprünglien historisen Bezug zurügekehrt. Na dem Untergang des iberisen, mit Rom verbündeten Sagunt anderthalb Jahre vor jener Slat am Trasimenisen See, lesen wir da, häen Trauer und Mitleid mit den so smähli hingeslateten Bundesgenossen, Sam über die unterlassene Hilfeleistung, Zorn auf die karthagisen Angreifer und Furt um das Ganze des Staates die Senatoren so mätig ergriffen, „velut si iam ad portas hostis esset“, „wie wenn der Feind son an den Toren wäre“. Und ein andermal erseint die Wendung dann au in ihrem eigentlien Sinne und mit der Nennung des karthagisen Heerführers: „Cum Hannibal ad portas esset …“, „Als Hannibal an den Toren war …“ Aber an dieser Stelle geht es nit um Rom: Da steht Hannibal nit vor den Toren der Hauptstadt am Tiber, sondern – na der Slat von Cannae – vor den Mauern des kampanisen Nola. Es ist swer zu sagen, aus weler der zitierten Stellen, aus der Ciceronisen Sri „Über das höste Gut und das grösste Übel“ oder vielleit do eher aus dem Livianisen Gesitswerk, das geflügelte „Hannibal ante portas“, „Hannibal vor den Toren“ sliessli aufgeflogen ist. Aber woher au 65
immer: Au viele Jahrhunderte na Hannibal und viele hundert Meilen entfernt von Rom haben die vielerlei uns überall und allezeit ins Haus stehenden Bedrängungen und Bedrohungen diesem alten „… ante portas“ unzählige neue Anknüpfungspunkte geboten – bis hin zu Loriots „Papa ante portas“. Nehmen wir’s als gutes Omen für alle weiteren am Zukunshorizont heraufziehenden Fälle eines solen „… ante portas“: Tatsäli und leibhaig ist der gefürtete Karthager vor Roms Toren nie ersienen.
Vgl. „Ceterum censeo …“, oben Seite 31. 66
Heureka!
Bei Plutar lesen wir, wie der geniale Arimedes über seinen geometrisen Problemen das Essen und Trinken und überhaupt jede leiblie Sorge und Pflege vergass und, wenn Freunde ihn einmal ins Bad gesleppt haen, selbst dort no Kreise und Linien in das Salböl auf seinem Körper zei nete. Und Vitruv sildert, wie dieser syrakusanise Eierkopf einmal, im Bad von einem Geistesblitz getroffen, „nat, wie er war“, mit dem wiederholten Freudenruf „Heúreka! Heúreka!“, „I hab’s gefunden! I hab’s gefunden!“, quer dur die Stadt na Hause stürmte. Was für ein Bild! Si non è vero, è ben trovato. Die spritzige Szene spielt um die Mie des 3. Jahrhunderts v. Chr.; der sonst so troene römise Aritekt hat sie zwei Jahrhunderte später als erster gesildert. Auf der Höhe seiner Mat, lesen wir da, weihte König Hieron II. von Syrakus den Göern einen massiven goldenen Kranz. Aufs Gramm genau hae er dem Goldsmied das edle Metall dafür geliefert, und aufs Gramm genau hae der Goldsmied daraus das Kunstwerk gefertigt. Do bald na der Weihung des Kranzes ging eine Anzeige ein, der Mann habe einen Teil des Goldes unterslagen und dur Silber im gleien Gewit ersetzt. Der Verdat war nit leit zu klären; denn der Künstler häe die Legierung leit mit reinem Gold überziehen können, und kultise Rüsiten verboten jeden Eingriff in die Weihegabe. In seiner Verlegenheit bat König Hieron den mit ihm befreundeten – und na Plutar sogar verwandten – Arimedes, si der heiklen Sae anzunehmen. Vitruv fährt fort: „Zufällig zu der Zeit, in der er si mit dieser Sae besäigte, kam Arimedes in ein öffentlies Bad, und wie er dort in die Wanne stieg, bemerkte er, dass gerade soviel von dem Badewasser über den Rand überfloss, wieviel 67
von seinem Körper in das Wasser eintaute. Diese Beobatung wies ihm den Weg zur Lösung des Problems, und so hielt er si mit Baden und Salben nit länger auf, sondern sprang ausser si vor Freude aus der Wanne, und während er so, nat wie er war, na Hause eilte, verkündete er überall mit lauter Stimme, er habe gefunden, was er sue. Denn im Laufen rief er immer wieder auf grieis ,Heúreka! Heúreka!‘, ,I hab’s gefunden! I hab’s gefunden!‘“ Offenbar wusste man in Syrakus, worum es dabei ging – oder Arimedes meinte, jeder müsse es do wissen. Darauf sildert Vitruv, wie der Gelehrte sein Aha-Erlebnis von der Badewanne soglei in peinli genaue Messungen umsetzte: Er besae si zunäst je einen Goldbarren und einen Silberbarren von genau dem gleien Gewit wie jener den Göern geweihte Kranz. Dann füllte er eine grosse Wanne randvoll mit Wasser, senkte den Silberbarren hinein, hob ihn wieder heraus und mass, indem er das Gefäss wieder randvoll füllte, die Menge des übergeflossenen Wassers. Dieses Verfahren wiederholte er mit dem Goldbarren und sliessli mit dem Weihekranz selbst. Es zeigte si, dass der Kranz weniger Wasser als der Silberbarren verdrängte, aber mehr als der Goldbarren, und aus dem Verhältnis der drei Messwerte konnte Arimedes wiederum aufs Gramm genau erre nen, wieviel Gold der betrügerise Goldsmied beiseite gebrat und wieviel Silber er der Legierung beigemist hae. Plutar zitiert den Freudenruf in einer seiner kleinen Srien, um die hohe Entdeerfreude des Gelehrten gegen die vergleisweise niederen Gaumen- und Liebesfreuden der Lebensgeniesser abzusetzen: Man habe do weder je von irgendeinem Slemmer gehört, der mit dem Ruf „I hab’s geslür!“ wie ein Irrer dur die Stadt gelaufen, no von irgendeinem Liebestollen, der mit dem Ruf „I hab sie geküsst!“ so herumgelaufen wäre – obwohl es von beiderlei Lüstlingen do Tausende und Abertausende gegeben habe und no gebe. 68
Seither ist der Entdeerruf „Heureka!“ dur Vitruv zu einem vielzitierten, ja dem auf grieis meistzitierten geflügelten Wort geworden. Im Jahre 1849 kam das Wort neben einer voll gerüsteten Athene, einem goldsürfenden Goldgräber und einem traubensleenden Grizzlybären auf das Grosse Siegel von Kalifornien, das in diesem legendären Goldgräberjahr als der 31. Bundesstaat Aufnahme in die Vereinigten Staaten gefunden hae, und wurde in der Folge zum Namen einer neu gegründeten Hafenstadt im Norden des Staates. Unzählige Erfindungen und Entwilungen jeder Art empfehlen si mit diesem „Heureka!“, von einem meanisen Automaten zur Komposition lateiniser Hexameter bis zu jüngst patentierten Produkten der modernen Nanotenologie. Kein Halbprofil wird da versmäht: Mit seinem Vorderteil hat das Wort für einen landwirtsalien Heuwender namens „Heureka“ herhalten, mit seinem Hinterteil für ein Online-Portal des Börsenvereins des Deutsen Buhandels namens „Libreka“ posieren müssen. An Jean Tinguély’s klappernder, raernder „Eureka“-Masine, die seit 1967 in Züri am Zürisee steht, häe der ingeniöse alte Mathematiker und Masinenbauer wohl seine besondere Freude gehabt. „,Eureka‘ heisst die Masine“, erklärt si der Künstler in einem Brief an den Ornithophilologen, „von dem Moment an, da i ,das wie sie aussehen sollte‘ gefunden oder gespürt hae: nämli rostig & provokant …“
Vgl. die beiden anderen Worte des Arimedes „Gib mir einen Punkt, wo i stehen kann, und i bewege die Erde“, oben Seite 58, und „Noli turbare circulos meos“, unten Seite 97. 69
Homo homini lupus
„Wie liebenswert ist der Mens, wenn er ein Mens ist!“, sagt ein feiner Menandervers, der in der Antike so geläufig kursierte wie in jüngerer Zeit das geflügelte „Homo homini lupus“ für den „wölfisen“ Unmensen am Gegenpol des Menslien. Die lateinis lapidare Prägung ist aus einer vergleisweise harmlosen Plautinisen Komödienszene aufgeflogen, aus einem lautstarken Wortwesel zwisen einem Kaufmann und einem ihm unbekannten Sklaven. Der Kaufmann empört si: „Du, ein Sklave, willst einen freien Mensen beleidigen?“ Darauf verweist der Sklave auf den Mensen im Sklaven: „I bin ein Mens so gut wie du!“, „Tam ego homo sum quam tu!“, und darauf deutet der Kaufmann wieder auf den Wolf im Mensen: „Ein Wolf ist ein Mens für einen Mensen, nit ein Mens, wenn einer nit weiss, was für einer der andere ist“, „Lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit non novit“. Seneca hat das Bild des reissenden Unmensen mehrfa einprägsam vor Augen gerufen, so in einem seiner ersten „Briefe an Lucilius“, wo er mit Abseu von den Zweikämpfen zum Tode Verurteilter sprit, mit denen man im Amphitheater die Miagspause füllte: „Am Vormiag werden die Mensen den Löwen und Bären, am Miag den Zusauern, ihren Artgenossen – spectatoribus, suis – vorgeworfen …“ Und so wieder in einem späten Brief, wo er wohl son das grausame Wüten Neros gegen den Verswörerkreis um Gaius Calpurnius Piso im Jahre 65 n. Chr. im Bli hat und sein Saudern vor den Abgründen des Unmenslien im Mensen in eine streng gegliederte literarise Form bannt: „Wozu nimmst du di in At vor Gefahren, die dir vielleit begegnen können, aber vielleit au nit begegnen? Eine Feuersbrunst meine i, einen Hauseinsturz, andere Un70
glüsfälle, die uns zustossen, nit uns auflauern. Auf sole Gefahren vielmehr habe At, solen geh aus dem Weg, die uns beobaten, die uns herausgreifen. Eher selten sind Unglüsfälle, so swer sie au sind, einen Siru erleiden, mit dem Wagen umstürzen: Vom Mensen droht dem Mensen eine alltäglie Gefahr – ab homine homini coidianum periculum. Dagegen mae di zum Kampf bereit; darauf rite dein gespanntes Augenmerk. Kein Übel ist verbreiteter, keines hartnäiger, keines trügeriser. Und ein Seesturm droht erst no, bevor er losbrit; Gebäude knistern und knaen erst no, bevor sie einstürzen; der Rau kündigt eine Feuersbrunst im voraus an: Heimtüis ist vom Mensen das Verderben – subita est ex homine pernicies –, und um so sorgfältiger tarnt es si, je näher es herankommt. Du irrst, wenn du den Mienen derer traust, die dir gegenübertreten: Von Mensen haben sie die Truggestalt, die Wesensart von Raubtieren – hominum effigies habent, animos ferarum –, mit dem einzigen Untersied, dass bei diesen das Verderben nur beim ersten Angriff droht: Die sie dabei unbehelligt lassen, denen spüren sie nit na. Einzig die Not ist es ja, die diese Tiere zum Reissen und Töten treibt; dur den Hunger oder dur die Furt sehen sie si zum Kampf gezwungen: Einen Mensen befriedigt es, einen Mensen zu verderben – homini perdere hominem libet.“ Das Grieise hat dem so „liebenswerten“ eigentli „menslien“ Mensen das Adjektiv ap-ánthropos für ein der Mensenart fremdes, von ihr „ab“-weiendes Wesen gegenübergestellt; das Lateinise hat das geradezu negierende Adjektiv in-humanus für ein menslier Art zuwiderlaufendes „un-menslies“ Denken und Handeln gebildet. Das grieise Wort ist vollkommen in Vergessenheit geraten, das lateinise ist in unseren Euro-Wortsatz eingegangen. Ein Jahrhundert na Seneca hat Kaiser Marc Aurel in seinen „Worten an si selbst“ jenes seltene, zuerst und fast einzig in einem 71
Sophoklesfragment bezeugte grieise apánthropos wieder aufgenommen und eine knappe, strikte Regel für die Selbstbehauptung des Mensen gegenüber derlei aus der Art slagenden „Unmensen“ festgehalten: „Sieh zu, dass du gegenüber den Unmensen nit das Gleie empfindest wie die Unmensen gegenüber den Mensen.“
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Homo sum, humani nil a me alienum puto
Nabarsaen mit ihren mehr oder weniger freundlien Begegnungen und ihren kürzer oder länger dauernden Streitigkeiten sind ein altes, unersöpflies Thema. Unendlie Fernsehserien von den klassisen englisen „Neighbours“ bis zu allerlei „So-und-so-Strassen“ leben davon. Am Anfang steht da eine Menandrise Komödie mit dem zungenbreerisen Titel „Heautón timorúmenos“, Wort für Wort übersetzt: „Der Siselbst-Strafende“. Die Komödie spielt unter Nabarn in einem kleinen aisen Dorf und zuglei unter Nabarn in der damals neu entdeten und benannten grossen, weiten oikuméne (ge), der von Mensen „bewohnten Erde, bewohnten Welt“. Das grieise Original, das Menander um 300 v. Chr. in Athen aufgeführt hat, ist verloren; wir lesen das Stü in der lateinisen Version, die der Wahlrömer Terenz mit dem Beinamen Afer, der „Afrikaner“, im Jahre 163 v. Chr. in Rom auf die Bühne gebrat hat. Da plat si in der Eingangsszene ein neu zugezogener, offenkundig duraus vermögender Mann – er heisst Menedemos – son früh am Tag mit saurer Gartenarbeit ab. Das deutet in der Antike nit etwa auf Liebe zu allem, was da grünt und blüht, sondern auf eine swere Seelenkrise. Sein Nabar – er heisst Chremes – hat das eine Zeitlang mit Besorgnis angesehen; sliessli sprit er den Mann über den Gartenzaun hinweg an: Warum er si denn Tag für Tag so abplae? Er habe das, bei seinem sönen Besitz, do gewiss nit nötig; er tue das do gewiss nit zu seinem Vergnügen … Der andere reagiert verletzt und verletzend: „Chreme, tantumne ab re tua est otii tibi, / aliena ut cures – ea, quae nil ad te ainent?“, „Chremes, 73
hast du denn mit deinen eigenen Dingen so wenig zu tun, dass du di um fremde kümmern kannst – um Dinge, die di do gar nits angehen?“ Do der Ausfall verfängt nit; der Nabar pariert den Hieb mit jenem seither viel zitierten, viel missbrauten „Homo sum, humani nil a me alienum puto“, „I bin ein Mens, nits Menslies – nits, was Mensen betri – nenne i mir fremd“. Das „Eigene“ und das „Fremde“ sind da zu Hieb- und Stiwörtern geworden: Der eine zieht die Grenze zwisen Mein und Dein fein säuberli dem Gartenzaun entlang; der andere zählt unter Mensen alles irgendwie „Menslie“ do allemal zum „Eigenen“. Wir stehen da an einer heiklen Grenzseide im menslien Miteinander-Umgehen: an der Grenze zwisen mitmenslier Teilnahme und aufdringliem SiEinmisen oder, anders herum gesehen, zwisen taktvoller Zurühaltung und unmensliem Beiseitesauen. In dieser Menandrisen Komödie meint das Dorf die Welt, werden die aisen Nabarn zu globalen Nabarn. Weit über die Gemeinsa der Grieen hinaus hae Alexanders Siegeszug dur Asien die Gemeinsa der Mensen überhaupt in den Bli gerüt. „Gerade wenn es einen weit hinaus in die Fremde verslagen hat“, sagt Aristoteles damals am Anfang der Freundsasbüer seiner „Nikomaisen Ethik“, „kann er leit erkennen, wie nah vertraut jeder Mens jedem Mensen ist und wie sehr ein Freund“. Zur gleien Zeit ru Epikur, der Philosoph der Lebensfreude und der Mensenliebe, in einem seiner sonst so abgeklärten Aphorismen enthusiastis aus: „Die Freundsa tanzt ihren frohen Reigen dur alle Länder, alle Völker und lädt uns alle ein, do endli aufzuwaen zum Lobpreis des Lebens“, und milerweile tanzt diese Freundsa aller Länder, aller Völker ja wirkli in Satellitengestalt ihren frohen Reigen um den ganzen Globus. No nie zuvor haben die Mensen in aller Welt so bustäbli unmielbar an Glü und Unglü, Freude und Trauer aller ihrer Mitmensen teilnehmen, no 74
nie zuvor so unmielbar ihre Verantwortung für das Tun und Leiden aller ihrer Mitmensen wahrnehmen können. Auf den Swingen dieser weltumspannenden Freundsa ist unser Komödienvers bereits in der Antike zum geflügelten Wort geworden. Fast sieben Jahrhunderte na der Uraufführung jenes „Si-selbst-Strafenden“ bezeugt der Kirenvater Augustin, „ganze Theater voll dummer, ungebildeter Leute“ – er meint: ganz normaler Leute – häen bei diesem „Homo sum, humani nil a me alienum puto“ auf offener Szene Beifall geklatst: So „natürli“ sei es, dass „kein Mens si nit als den Nästen jedes beliebigen anderen Mensen“ verstehe. Wenn heute freiheitlie Politiker bei diesen oder jenen politisen Antipoden die Respektierung der Mensenrete anmahnen, so stehen Protest und Appell unter dem Zeien dieses mehr als zwei Jahrtausende alten Komödienverses, und für die Tätigkeit global engagierter Hilfsorganisationen vom „Roten Kreuz“ bis zu „Amnesty International“ wäre dieses slite Wort „I bin ein Mens, nits Menslies – nits, was Mensen betri – nenne i mir fremd“ bis heute ein treffender Leitspru.
Vgl. „Amicorum communia sunt omnia“, oben Seite 19, und „Na uns die Sintflut!“, unten Seite 91. 75
I weiss, dass i nits weiss
Ein Paradox ist ein typis grieiser Denkanstoss: einer, wo das Denken anstösst, und zuglei einer, der zum Denken anstösst. Das grieise Kopfstü para- bedeutet „daneben-“, die dóxa bezeinet eine „Annahme“; ein parádoxon ist eine Behauptung, die „neben“ der allgemeinen „Annahme“ liegt, ja ihr herausfordernd widersprit. Das vielzitierte – und erst in unserem geflügelten Wort derart spitz pointierte – Sokratise Bekenntnis „I weiss, dass i nits weiss“ ist ein soles Paradox: Wie kann einer si dazu bekennen, dass er nits wisse, und zuglei dazu, dass er do immerhin dieses Eine wisse, dass er nits wisse? Ist das etwa „nits“? In seiner fiktiven, erst Jahre na dem Prozess gesriebenen „Verteidigungsrede des Sokrates“ lässt Platon den auf Tod und Leben Angeklagten beriten, wie der Sokrates-Fan Chairephon das Delphise Orakel befragte, ob irgendjemand „weiser“ – sophóteros – sei als Sokrates, wie der Sehergo Apollon darauf erwiderte, niemand sei weiser, und wie der unverho so ho gerühmte Sokrates si darüber verwunderte: „Was will der Go wohl sagen, und wie ist sein Rätsel zu lösen? I bin mir do nit bewusst, dass i irgendwie weise wäre, weder im Grossen no im Kleinen. Was will er nun sagen, wenn er erklärt, dass i der Weiseste sei?“ Was heisst da „weise, weiser, der Weiseste“? Das Bedeutungsspektrum des grieisen sophós reit von jeder Art handwerklier oder anderer Fakenntnisse bis zu der Lebensweisheit der Delphisen Mahnung „Erkenne di selbst!“ hinüber. Do um derlei Fakenntnisse dieses und jenes Faspezialisten geht es hier nit, vielmehr um ein alles Fawissen übersteigendes Wertewissen von Gut und Slet, Rühmli und Verätli. Platon sildert, wie Sokrates das Rätsel des Goes zu lösen sut: 76
„I ging zu einem von denen, die allgemein als weise angesehen waren, um dort, wenn irgendwo, das Orakel zu widerlegen … Als i den nun prüe – mit Namen braue i ihn nit zu nennen; es war einer von den Politikern, bei dem es mir so erging … –, gewann i den Eindru, dass dieser Mann wohl weise zu sein sien, vielen anderen Leuten und zuvörderst si selbst, es aber nit war. Und darauf versute i, ihm zu zeigen, dass er ledigli glaubte, weise zu sein, es aber nit war … Bei mir selbst aber mate i im Fortgehen diese Renung auf: Im Verglei zu diesem Mensen jedenfalls bin i der Weisere: Denn anseinend weiss ja keiner von uns beiden irgendetwas Sönes und Gutes; aber dieser Mann glaubt, etwas zu wissen, obwohl er do nits weiss; i dagegen, wie i nun nits weiss, glaube au nit, etwas zu wissen. Offenbar bin i im Verglei zu diesem Mensen nun do um ebendieses kleine Bissen weiser: dass i, was i nit weiss, au nit zu wissen glaube.“ Die Wiederholung dieses Weisheitstests in der politisen und der kulturellen Szene führt regelmässig zu dem gleien Ergebnis, und au bei den kompetentesten Faleuten findet Sokrates jeweils nur das „tenise“ Fawissen, das hier nit gefragt ist. Sliessli kommt dieser wissende Nitswisser zu dem weisen Fazit: „Offenkundig ist, ihr Männer, tatsäli einzig der Go weise und will mit seinem Orakelspru dieses kundtun: dass alle menslie Weisheit nur wenig wert ist, ja so gut wie nits. Und offensitli gebraut er meinen Namen dazu nur im Sinne eines Exempels, wie wenn er sagte: Derjenige von eu, ihr Mensen, ist der Weiseste, der wie dieser Sokrates erkannt hat, dass er in Wahrheit nits wert ist in Hinsit auf die Weisheit.“ Mit leiter Hand und feiner Ironie hat Platon die beharrlie Sokratise Wahrheits- und Wertesue in dieser fiktiven Verteidigungsrede unmielbar auf jenen rätselhaen, herausfordernden Delphisen Orakelspru zurügeführt, und am Ende seint die paradoxe Sokratise Selbsterkenntnis „I weiss, 77
dass i nits weiss“ geradezu auf den – in der Rede nit zitierten – Delphisen Imperativ „Erkenne di selbst!“ zu erwidern. Tatsäli ist dieser Aufruf, mit dem Apollon die Besuer des Heiligtums in der Vorhalle seines Tempels begrüsste und an die allseitige Begrenztheit des Menslien gemahnte, ja der eine Slüssel zu all diesen paradoxen Verhältnissen von Wissen und Nit-Wissen. Ein Jahrhundert später hat Epikur dem Sokratisen Dialog und der seither weltweit fortgesetzten unendlien Wertediskussion über Gut und Slet, Rühmli und Verätli ein weiteres Paradox gewidmet: In einer solen „philologisen“ – das heisst hier: auf den Logos, auf das vernünige Wort vertrauenden – Wahrheits- und Wertesue trage „der Verlierer den grösseren Gewinn davon: in dem Masse, in dem er hinzugelernt hat“.
Vgl. „Erkenne di selbst!“, oben Seite 52. 78
In hoc signo vinces
Am 28. Oktober des Jahres 312 n. Chr. hat Kaiser Konstantin, später der „Grosse“, seinen Rivalen Maxentius vor den Toren Roms vernitend geslagen; sein Sieg an der Milvisen Brüe war der Auakt zur Christianisierung der römisen Welt, die no in ebenjenem 4. Jahrhundert dur Kaiser Theodosius I. ihren Absluss finden sollte. Zwei Zeitgenossen, der Kirenvater Laktanz und der Kirenhistoriker Eusebios, beriten von Träumen und Visionen im Vorfeld der Slat. Laktanz sprit nur von einem Traum: Konstantin sei im Slaf gemahnt worden, das „himmlise Zeien Goes“, „caeleste signum Dei“, das Christusmonogramm aus den grieisen Bustaben Chi – in der Form unseres X – und Rho – in der Form unseres P – auf die Silde seiner Soldaten zu setzen. „Mit diesem Zeien gewappnet“, „quo signo armatus“, habe das Heer darauf zu den Waffen gegriffen, bustäbli, ganz unbildli „bustäbli“ im Zeien Christi. Eusebios sildert zunäst eine Kreuzesvision: „Um die Miagsstunden, als der Tag si son neigte, habe Konstantin, so sagte er, vor seinen Augen, vor si am Himmel, ein über der Sonne aufragendes, aus Lit gebildetes Siegeszeien in Form eines Kreuzes erblit, und ein Srizug sei daran angebrat gewesen, der sagte: ,Tútoi níka!‘, ,Mit diesem Zeien siege!‘ Erstaunen und Ersreen angesits dieser Vision sei über ihn gekommen und über die ganze Marskolonne, die ihm zu irgendeiner Unternehmung folgte und zum Augenzeugen dieser Wundererseinung wurde. Er habe si lange nit erklären können, sagte er, was für eine Erseinung das sei. Während er no darüber nasann und vieles hin und her überlegte, kam die Nat herauf und nahm ihn in Besitz. Da sei ihm, während er slief, Christus, der Sohn Goes, mit dem am Himmel er79
sienenen Zeien vor Augen getreten und habe ihn aufgefordert, si ein Abbild jenes am Himmel gesehenen Zeiens zu maen und es als einen Sutzsild gegen die Angriffe der Feinde zu gebrauen. Zuglei mit Tagesanbru stand er auf und offenbarte seinen Freunden die mysteriöse Traumerseinung. Und darauf rief er Goldsmiede und Edelsteinsleifer zusammen, setzte si selbst in ihre Mie, erklärte ihnen die Gestalt des Zeiens und beauragte sie, es in Gold und Edelsteinen nazubilden.“ Im Ansluss hieran besreibt Eusebios das ristlie Feldzeien, wie Konstantin es in der Folge gegen seine Feinde ins Feld führte und wie es bis weit in die byzantinise Zeit hinein gebräuli blieb: Ein „mit Gold umkleideter hoher Speersa“ bildete mit einer Querstange ein Kreuz. An seinem oberen Ende war ein „aus Edelsteinen und Gold geflotener Kranz“ angebrat, und zwei grieise Bustaben darin, ein Chi – in der Form eines X – und ein Rho – in der Form eines P – deuteten auf den Namen Christi, „wobei das P genau in der Mie von dem X durkreuzt wurde“. Von der Querstange hing ein prätig mit Goldfäden durwirktes, mit Edelsteinen besetztes quadratises Banner herab, und der Hauptsa trug ein goldenes Brustbild des „gogeliebten Kaisers“. In jener Slat an der Milvisen Brüe im Herbst des Jahres 312 n. Chr. hat man es gewiss bei dem sliten, aus den beiden srägen Strien und dem senkreten Stri mit der P-Sleife daran gebildeten Feldzeien Christi auf den Silden der Soldaten belassen. Ein zukunsträtiges Zeien und ein siegverheissendes Wort sind daraus hervorgegangen: Das au bei Laktanz besriebene Christusmonogramm ist vielfa no mit einem vierten, waagereten Stri zu einem Kreuzessymbol und einem vollends geometris strengen Christussymbol ergänzt worden, und die bei Eusebios auf grieis und im Modus eines ermutigenden Imperativs angeführte gölie Siegesverheissung „Tútoi níka!“ ist in der 80
lateinisen Version „Hoc signo vinces“ oder o au „In hoc signo vinces“, „In diesem Zeien wirst du siegen“, zum geflügelten Wort geworden. Wie Konstantin selbst diesen wahrha „historisen“ Matkampf im Zeien des neuen ristlien Goes damals erlebt haben mag, was und wie der Kaiser mehr als ein Jahrzehnt später auf dem Konzil von Nicaea seinem glühenden Verehrer darüber beritet haben mag, und sliessli: warum Eusebios diesen herrlien Legendenstoff einzig in seine Biographie des Kaisers und nit in seine Kirengesite eingebrat hat – das ist ein weites Feld. Die Ehreninsri auf dem bald na der Slat vollendeten Konstantinsbogen neben dem Kolosseum deutet mit der gebotenen Zurühaltung, do unmissverständli auf den Beistand des ristlien Goes. Sie widmet dem Sieger, Kaiser „Konstantin dem Grössten“, den Bogen, „weil er dur Eingebung der Gölikeit, dur die Grösse seines Geistes im Verein mit seinem Heer den Staat ebenso an dem Tyrannen wie an dessen ganzem Anhang zur gleien Zeit mit gereten Waffen gerät hat – quod instinctu divinitatis, mentis magnitudine cum exercitu suo tam de tyranno quam de omni eius factione uno tempore iustis rem publicam ultus est armis“.
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Labor omnia vincit
Mimikry: So nennen es die Zoologen mit einem anglogrieisen Retortenwort, wenn si im Tierrei eine harmlose, ihren Feinden wehrlos ausgesetzte Spezies an das augenfällige Erseinungsbild einer anderen, gefürteten oder do gemiedenen Spezies anpasst und damit zu besseren Überlebensancen kommt. Die harmlosen Hornissenswärmer haben daher ihren Namen. Bei dem vielzitierten „Labor omnia vincit“ haben wir es mit einem solen Fall von Mimikry unter geflügelten Worten zu tun. Am Anfang seiner „Georgica“, eines Lehrgedits von Segen und Mühsal des bäuerlien Lebens, sildert Vergil den Übergang vom paradiesisen Goldenen Weltalter unter Saturns Regiment zu den kargeren, härteren Weltaltern unter Jupiters Herrsa. Vergil versteht diesen Wandel von der Goldenen zur Eisernen Zeit nit wie der grieise Mythos – und dann wieder Ovid in seinen „Metamorphosen“ – im Sinne einer elenden Verarmung und Verderbnis, sondern als eine Herausforderung: Erst mit dem Versiegen der üppigen Frutbarkeit, erst mit der Nötigung zu Arbeit und Anstrengung habe der Mens si vollends zum Mensen, zum ingeniösen Homo faber bilden können: „… Er, der Vater, wollte es selbst, dass des Landbaus Weg nit leit sei; als erster setzte er Kunst ein, die Äer umzubreen, und säre mit Sorgen die sterblien Herzen, duldete nit, dass sein Rei in Altersträgheit erstarre. … Er erst gab den swarzen Slangen verderblies Gi bei, hiess auf Raub ausgehen die Wölfe, die Wogen si heben, süelte ab von den Bläern den Honig, entrüte das Feuer, liess die weithin in Strömen fliessenden Weine versiegen: 82
dass die Erfahrung erfinderis vielerlei Künste si saffe, na und na, und in Furen die Halme der Kornfrut erzeuge, dass aus den Adern des Kiesels verborgenes Feuer sie slage. Damals spürten die Flüsse zuerst den Einbaum von Erle, gab der Siffer zuerst den Sternen Zahlen und Namen, nannte Plejaden sie, Hyaden, den leutenden Bären. Damals erfand man, das wilde Getier mit Slingen zu fangen, Vögel mit Leim zu täusen, mit Hunden den Wald zu umstellen. Son slägt einer, das Wurfnetz sleudernd, den Strom und versenkt es bis auf den Grund; durs Meer sleppt ein andrer die triefenden Leinen. Damals kamen das starrende Eisen, die kreisende Säge – denn die ersten nahmen no Keile, die Seite zu spalten –, damals die vielerlei Künste auf. Mühsal eroberte alles, unersäli, und swer in der Notzeit drüende Armut.“ „Mühsal eroberte alles, gewann Herrsa über alles, unersäli, unaualtsam“: Mit diesen Worten zieht der Diter hier die Summe aus der Vielzahl der Exempel, und aus diesem absliessenden „Labor omnia vicit / improbus“ ist in der Folge das spriwörtli zitierte „Labor omnia vincit“ hervorgegangen. In dem unseinbaren Federwesel von dem Perfekt „… vicit“, „… eroberte alles“, zu dem Präsens „… vincit“, „… bezwingt, bewältigt alles“, fassen wir die Mimikry im Wörterrei, die aus dem gelehrten Zitat ein geflügeltes Wort werden liess. Im frühen 5. Jahrhundert n. Chr. verzeinet Macrobius eine Reihe „spriwörtli in aller Munde“ geläufiger Vergilworte. Darin erseint unser Zitat an drier Stelle, unmielbar hinter dem nahe anklingenden „Omnia vincit Amor“, „Alles bezwingt die Liebe“, und hier bereits in dem gleien spriwörtlien Präsens „Labor omnia vincit“ und dem gleierweise spriwörtlien Sinne „Anstrengung bezwingt alles“. Zu der Zeit war die 83
täusende Anpassung des einen Zitats an das andere offenbar son längst vollzogen. Wir wissen nit, wo, wann und wie si jenes ursprünglie Vergilise „Labor omnia vicit“ damals zum geflügelten Leitwort des Homo Herculeus, des eisenharten Leistungsmensen, gemausert hat. Wahrseinli hat die literarise höhere Sule des „Grammaticus“ mit ihrer fleissigen Vergillektüre kräig dazu beigetragen; au in der neuzeitlien Lateinsule zählt dieses „Labor omnia vincit“ ja zum eisernen Bestand moralis wie grammatis doppelt beispielhaer Beispielsätze. Bei Georg Bümann hat die Verkehrung des „vicit“ zum „vincit“ au das folgende „improbus“ ergriffen; er übersetzt sein geflügeltes „Labor omnia vincit / improbus“ wider alles Sullatein mit der simplen Sulmoral „Unablässige Arbeit besiegt alles.“ Aber wo und wann au immer si dieses neu gedeutete, neu befiederte Vergilwort aus jener Würdigung des Eisernen Weltalters in den hohen Zitatenhimmel aufgeswungen hat: Jenes sozusagen naturaliter geflügelte „Omnia vincit Amor“ hat es mit hinaufgetragen; da hat der eine Allbezwinger, der himmlise Amor, dem anderen Allbezwinger, dem erdensweren labor, augenzwinkernd seine Flügel ausgeliehen.
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Manum de tabula! Nulla dies sine linea! Suster, bleib bei deinem Leisten!
Die grieisen Maler der klassisen Zeit malten Trauben, bei denen Amsel, Drossel, Fink und Star in Saren angeflogen kamen, um daran zu pien, und Vögel, die selbst ein Zunkollege für leibhaige Traubenpier häe halten können. Drei geflügelte Worte haben si von der Staffelei des Apelles in Ephesos tatsäli in den hohen Zitatenhimmel aufgeswungen. Alle drei haben auf ihrem Flug dur die Jahrtausende die enzyklopädise „Naturgesite“ des älteren Plinius zu ihrem Rastplatz gemat und darin ihr grieises gegen ein lateinises Gefieder eingetaust. Zu der Zeit, im 1. Jahrhundert n. Chr. und vier Jahrhunderte na Apelles, waren sie son längst dem Maler- und überhaupt dem Künstleratelier entflogen und zu allgemeinen Lebensregeln geworden. In der anekdotenreien kleinen Kunstgesite im 35. Bu jener grossen „Naturgesite“ stellt Plinius den berühmten Ephesisen Maler dem kaum minder berühmten Zun- und Zeitgenossen Protogenes von Rhodos gegenüber: „No einen anderen Ruhmestitel – neben der áris, der „Anmut“ – nahm Apelles für si in Anspru, als er einmal ein Werk des Protogenes bewunderte, das eine sier unermesslie Mühsal und eine übermässig ängstlie Sorgfalt erkennen liess. Alles Übrige, sagte er da, sei bei ihm allenfalls glei gut wie bei Protogenes, oder bei jenem sogar besser, do in diesem einen Punkte sei er dem Protogenes voraus: dass er zur reten Zeit die Hand von der Tafel zu nehmen wisse – quod manum de tabula sciret tollere –, na der beherzigenswerten Regel, dass allzu grosse Sorgfalt o au saden könne.“ 85
Glei im Ansluss hieran beritet diese kleine Kunstgesite von einem Werkstabesu des Apelles bei Protogenes und ihrem freundsalien Künstlerwestreit um den feinsten Pinselstri, wobei Protogenes eine feine Linie des Apelles mit einer no feineren und Apelles diese Linie des Protogenes wieder mit einer nomals feineren miendur teilte. Die grosse, sonst leere Tafel mit den drei „fast unsitbaren“ Linien darauf ist erst auf Rhodos und dann in Rom no lange zur Sau gestellt worden. Die vergnüglie Anekdote gibt das Stiwort zu einem zweiten geflügelten Wort: „Apelles hae es si zur ständigen Gewohnheit gemat, niemals einen Tag so vollständig mit Alltagsgesäen zu belegen, dass er nit wenigstens mit dem Ziehen einer Linie seine Kunst übte – ut non lineam ducendo exerceret artem –, was dur ihn zum Spriwort wurde.“ Wir wissen nit, wie diese – ursprüngli do wohl grieise und offenbar geläufige – spriwörtlie Wendung gelautet hat, und au nit, wo und wann es zu der geflügelten Version „Nulla dies sine linea“, „Kein Tag (verstreie) ohne eine Linie“, gekommen ist. Aus dem gleien Anekdotennest im 35. Bu der Plinianisen „Naturgesite“ ist nun no das drie dieser geflügelten, der Malerei entflogenen Apelles-Worte aufgeflogen, die Mahnung „Ne sutor supra crepidam!“, die wir heute eher in der deutsen Version „Suster, bleib bei deinem Leisten!“ zitieren. Au hier geht es um die Kunst, im reten Augenbli aufzuhören, nun nit mit dem Malen, sondern mit dem Mäkeln: „Ebendieser Apelles pflegte die fertigen Gemälde vor seinem Atelier für die Vorüberkommenden auszustellen; er selbst horte dann, hinter der Staffelei verborgen, auf die Mängel, die da etwa vermerkt würden, da er das einfae Volk als den genaueren Kunstriter höher sätzte als si selbst. Einmal sei er, erzählt man, von einem Suster kritisiert worden, weil er bei den Suhen innen eine Öse zuwenig gemalt habe. Als dem Mann, der am nästen Tag no einmal vorbeikam, die prompte Beritigung des 86
Fehlers in den Kopf stieg und er nun no an dem Bein darüber etwas auszusetzen fand, soll Apelles aufgebrat hinter seiner Staffelei hervorgesaut und ihm diesen Tadel verwiesen haben: Über den Suh hinaus solle ein Suster nit urteilen – ne supra crepidam sutor iudicaret –, was dann ebenfalls zum Spriwort wurde.“ Nit „supra crepidam“, nit „über den Suh hinaus“: Da verwahrt si der Künstler gegen die Kritik von unten. Plutar hat uns in seinen Anekdotensammlungen ein köstlies Gegenstü hierzu überliefert; da verwahrt si der Künstler, in diesem Fall ein Musiker, gegen die Kritik von oben: „Als König Philipp von Makedonien, der Vater Alexanders des Grossen, bei einer Tafelgesellsa einem Harfenvirtuosen einen Kunstfehler naweisen und si im Einzelnen darüber auslassen wollte, wie die Saiten anzuslagen seien, erwiderte der Harfenspieler: ,Mögest du do niemals, hoher König, so tief herabkommen, dass du di auf derlei Dinge einmal besser als i verstehen müsstest!‘“
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Mens sana in corpore sano
Am Zürer Heimplatz stehen das Sauspielhaus, das Kunsthaus und eine alte Turnhalle einander im Dreie gegenüber. Die Stäen der Sönen Künste laden stumm zum Eintri ein; die Turnhalle sprit den Vorübergehenden an, und das in klassisem Latein. „Non est vir fortis, qui laborem fugit“, steht da zur Reten gesrieben: „Das ist kein tapferer Mann, der die Anstrengung seut.“ Das klingt na Seneca, und das ist au Seneca. Und zur Linken heisst es, wie wir es an einer solen Turnhallenwand aus dem 19. Jahrhundert unfehlbar erwarten: „Sit mens sana in corpore sano“, „Es sei ein gesunder Geist in einem gesunden Leib“. So, mit diesem kleinen Wörten „Sit …“, „Es sei …“, vorneweg, lässt der Spru seinen ursprünglien Sinn eben no durseinen. Aber so oder so: Eigentli gehörte dieses geflügelte „Mens sana in corpore sano“ do eher an eine Kirenwand als an eine Turnhallenfront. Das fris-fromm-fröhli-freie Turnerlatein stammt von dem Satiriker Juvenal, aus dem frühen 2. Jahrhundert n. Chr. In seiner 10. Satire erörtert der römise Diter des Langen und Breiten die klassise Frage, welerart die „wahren Güter“ seien, die ein Mens si vernünigerweise für sein Leben wünsen könne, um die er vernünigerweise zu den Göern beten solle. An lebensnahen Exempeln demonstriert Juvenal, dass ein Glüsfall nit unbedingt Glü, ein Unglüsfall nit unbedingt Unglü bringen müsse. Kurzsitig wie wir sind, könnten wir do nie im Voraus wissen, weles vermeintlie Glü unversehens zu unserem Unglü ausslage, weles vermeintlie Unglü si als ein unverhoes Glü erweise. Da wünse si einer aufs Geratewohl, eine Ehe einzugehen und Söhne aufzuziehen; aber die Göer sähen voraus, was für eine unerquilie Frau ihm da womögli ins Haus 88
stehe, was für unerfreulie Söhne er da womögli grosszuziehen häe. Wenn wir die Göer nur maen liessen, würden sie uns Mensen fürsorgli vor unseren töriten Wünsen bewahren. „Aber dass du do um irgendetwas biest und dafür dieses oder jenes kleine Opfer gelobst“, lenkt Juvenal am Ende ein, „so magst du beten, dass da sei ein gesunder Geist in einem gesunden Leib – orandum est, ut sit mens sana in corpore sano“. Das also war des Pudels Kern: nit ein Fitness- und Wellnessprogramm für Leib und Seele, sondern ein lebensweiser Rat für ein reueloses Beten. Im frühen 19. Jahrhundert ist der einprägsame Vers aus der Enge der tintenklesenden Lateinsule in die Weite der Berliner Hasenheide ausgebroen. Dort hae Turnvater Jahn im Jahre 1811 seinen ersten Turnplatz eröffnet, und von diesen Turnplätzen aus hat Juvenals Satirenvers in der Folge den Aufswung in Bümanns „Zitatensatz des deutsen Volkes“ gesa: als der Leitspru der deuts-nationalen Turnbewegung, als Devise der allerorten neugegründeten Turnvereine. Fortan galt die Botsa nit mehr den frommen Betern, sondern den strammen Turnern, und die warfen alsbald die klärende und eben darum störende Einleitung „orandum est, ut sit …“, „so magst du beten, dass da sei“, zum alten Latein und srieben ledigli no die blossen Slagwörter „Mens sana in corpore sano“ auf ihre Fahnen. „Ein gesunder Geist in einem gesunden Leib“: Das ist beides ja nit zu veraten, aber wie ist da das Prädikat zu denken? „Wohne“? „Wohnt“? Das blieb fortan in der Swebe, und bald mote es seinen, als könne ein gesunder Geist einzig in einem gesunden Turnerleib ein Zuhause finden, ja als lasse ein an Re und Barren gesundeter Leib sliessli au eine kranke Seele mit gesunden. Juvenals Satire war damit no nit an ihr Ende gekommen. Unmielbar na diesem „… mens sana in corpore sano“ nennt Juvenal no einen drien, offenbar hösten Gebetswuns. „Fortem posce animum!“, ru er seine Hörer und Leser dort auf: „Bie um eine tapfere Seele!“, eine Seele, die keinerlei Todesfurt kennt und no die letzte Lebensstree als Gesenk be89
tratet, die jede no so swere Mühsal – „quoscumque labores“ – zu ertragen vermag, die keiner Zornesregung, keiner Begehrlikeit verfällt und die sliessli an dem legendären Seidewege die mühseligen, gefahrvollen „Arbeiten“ – „aerumnas … saevosque labores“ – des Herkules eher wählte als die weilien Liebes- und Tafelgenüsse eines Sardanapal. Diesem drien Gebetswuns, diesem „Fortem posce animum!“, sind dann keine Flügel mehr gewasen. Aber in der Verkappung jenes Seneca-Zitates „Non est vir fortis, qui laborem fugit“, „Das ist kein tapferer Mann, der die Anstrengung seut“, hat er si dann do no irgendwie per pedes zu seinen geflügelten Geswistern an den Zürer Heimplatz durgeslagen. Ein gesunder Geist, ein gesunder Leib und eine tapfere Seele: Als wären sie nie getrennt gewesen, stehen die drei risikolosen Gebetswünse aus Juvenals 10. Satire an dieser Turnhallenwand wieder vereint beieinander, und dies auf gerahmten Insritafeln und in goldgefassten Leern. Freili: Au zu diesem Drien, dieser „tapferen Seele“, geht es hier nit wie bei Juvenal übers Beten, au nit wie bei Seneca über die Philosophie, sondern über Re und Barren.
Vgl. „Citius, altius, fortius“, oben Seite 34. 90
Na uns die Sintflut!
„Na uns die Sintflut!“: dieser geflügelte Ruf deutet auf die gogesandte vierzig Tage und vierzig Näte andauernde, selbst die hösten Berge bedeende Regenflut des Alten Testaments, die einzig den gereten Noah und seine drei Söhne und ihre Frauen samt den paarweise in die Are verbraten Tieren überleben liess. Aber dahinter steht ein geradeso geflügeltes „Na uns der Weltbrand!“ der grieisen und römisen Welt; da ist im Zuge eines jahrtausendelangen Zitiergebraus ein grieiser „Weltbrand“, der na der Lehre der stoisen Kosmologie die Welt jeweils vergehen und neu erstehen liess, in ristlier Zeit dur die biblise Sintflut abgelöst worden. Dur Cicero und den Kaiserbiographen Sueton hat der alte Ruf in der neuen Bildlikeit nomals Verbreitung gefunden. In Ciceros Sri „Über das höste Gut und das grösste Übel“ umreisst der jüngere Cato die stoise Idee einer weltumspannenden Völker- und Mensheitsgemeinsa; dabei erstret er die Verantwortlikeit aller Mensen für alle Mitlebenden au auf alle zukünigen Generationen: „… Und da ja der berütigte Spru derer als unmensli und geradezu verbreeris gilt, die sagen, sie häen nits dagegen, dass na ihrem Tode über alle Länder der Weltbrand hereinbree – was man dann gern mit dem geläufigen grieisen Vers verkündet –, so tri gewiss au die umgekehrte Verpflitung zu: dass wir au für die Mensen, die in Zukun einmal leben werden, um ihrer selbst willen Vorsorge treffen müssen.“ Der „geläufige grieise Vers“, do wohl ein Tragödienvers, begegnet uns no mehrfa in einem derart „unmenslien, verbreerisen“ Zusammenhang. Seneca hat ihn in seiner Sri „Über die Milde“ dem anderen mensenveratenden Tragikerzitat „Oderint, dum metuant!“, „Mögen sie mi 91
hassen, wenn sie mi nur fürten!“, an die Seite gestellt; Sueton verknüp ihn in seiner Nero-Biographie mit der verheerenden Brandkatastrophe, die im Jahre 64 n. Chr. viele Quartiere Roms in Su und Ase legte, und dem damals umlaufenden Argwohn, Nero selbst habe die Stadt niederbrennen lassen, um Raum für seinen Riesenpalast, sein „Goldenes Haus“, zu saffen. Bei Sueton finden wir erstmals den grieisen Wortlaut: „Als jemand in einer Gespräsrunde sagte ,Emú thanóntos gaía mithéto pyrí‘, ,Wenn i gestorben bin, mag die Erde im Feuer vergehen!‘, warf Nero ein: ,Meinetwegen au son, während i no lebe – emú zóntos –, und offenkundig handelte er so au.“ In ähnli üblem Zusammenhang erklärt später Dio Cassius, Kaiser Tiberius habe den grieisen Vers „Wenn i gestorben bin, mag die Erde im Feuer vergehen“ vielfa zitiert; öer habe Tiberius au den alten Priamos glüli gepriesen, weil der beim Brande Trojas zuglei mit seinem Königrei und seiner Vaterstadt untergegangen sei. Im Ansluss an diesen geläufigen Vers hat der fleissige Sammler Johannes Stobaios in seiner spätantiken „Blütenlese“ no den darauf folgenden angeführt: „Udén mélei moi; tamá gar kalós éei“, „Keinen Deut kümmert mi das, denn um das Meine steht es gut“, und derart abgerundet, in si abgeslossen sind die beiden Verse, als bildeten sie ein eigenständiges Epigramm, sliessli no in die mielalterlie „Anthologia Palatina“ eingegangen: „Na meinem Tod geh nur die Welt in Flammen auf; das sert mi nit, das Meine ist ja gut bestellt.“ Wir wissen nit, von welem grieisen Tragiker und aus weler Tragödie das Verspaar stammt, und erst ret nit, wer sie dort gesproen hat. Das geflügelte Wort war seinem Nistplatz wohl son längst entflogen, als es Jahrhunderte später bei Cicero und Seneca, Nero und Sueton, Dio Cassius und Stobaios seine Rastplätze fand. 92
In der Antike hae das Bild des Weltbrandes mythisen und dann kosmologisen Bezug. Hesiod sprit einmal von einer unter den Blitzen des Göervaters Zeus „weithin in gölier Glut brennenden, dahinsmelzenden Erde“; Heraklit und später die Stoiker spreen von einem alles vertilgenden, in kosmisen Zeiträumen jeweils si entzündenden und wieder verlösenden Urfeuer. In der Gegenwart, angesits des nit verblassenden Menetekels von Hiroshima und Nagasaki und immer neuer ökologiser Katastrophenszenarien, gewinnen jene alten Bilder neues Leben, zeigt der Ruf „Na uns der Weltbrand!“, „Na uns die Sintflut!“ erst ret „unmenslie, verbreerise“ Züge. Umso dringlier sprit uns heute die frappierend aktuelle stoise Umkehrung an, die wir bei Cicero lesen: „… dass wir au für die Generationen, die in Zukun einmal leben werden, um ihrer selbst willen Vorsorge treffen müssen“, „… etiam iis, qui aliquando futuri sint, esse propter ipsos consulendum“.
Vgl. „Homo sum, humani nil a me alienum puto“, oben Seite 73. 93
Natura non facit saltus
Einen blutroten „springenden Punkt“ im Eiweiss eines drei Tage lang im Forsungslabor seiner Sule angebrüteten Hühner-Eies hat Aristoteles als das erste Anzeien des keimenden Lebens und die erste Ausprägung des pulsierenden Herzens gedeutet. Aber sonst gilt für ihn: „Die Natur mat keine Sprünge“ – wenn er selbst durweg au nur von „kleinen Srien“ und „kontinuierlien Übergängen“ gesproen hat und dieses Gegenbild eines unvermielten „Sprungs“ erst Jahrhunderte später auommt. Der grosse „Sekretär der Natur“ hat seinen Gegenstand in eine Folge von Stufen gegliedert, die von den vier „unbeseelten“ Elementen bis zum vernunbegabten Mensen hinaufreit. Über den Elementen Erde, Wasser, Lu und Feuer stehen da zunäst die fest auf dem Meeresgrund und dem Land angewasenen Pflanzen, die ledigli über die einfasten Lebensfunktionen von Ernährung und Fortpflanzung verfügen; darauf folgen die laufenden und krieenden, fliegenden und swimmenden Tiere, die si vor den Pflanzen dur Fortbewegung und Sinneswahrnehmung auszeinen; zuoberst, im hösten Rang, steht als einziger der mit seinem aufreten Gang am Oben und Unten des Kosmos orientierte Mens, dem Aristoteles einmal geradezu „gölie Natur“ und „gölies Wesen“ zusreibt. Innerhalb dieser vielfa abgestuen Scala naturae hat Aristoteles immer wieder auf einzelne Tier- und Pflanzengestalten verwiesen, die zwisen den Gaungen stehen und zuglei beiden und keiner der beiden angehören. Insbesondere hat er zwisen Tierrei und Pflanzenrei einen stetigen Übergang postuliert; er gebraut dafür das grieise Fawort syneés, synéeia, das in der lateinisen Lehnübersetzung „konti94
nuierli, Kontinuität“ bei uns fortlebt: „Von den unbeseelten Elementen geht die Natur derart in kleinen Srien zu den Tieren über, so dass dur diese Kontinuität – synéeia – jeweils verborgen bleibt, weler Seite der Grenzberei und die Mie dazwisen zugehört. Denn na den unbeseelten Elementen sind die Pflanzen das näste, und au bei diesen unterseidet si die eine Gaung von der anderen dadur, dass sie mehr am Leben teilzuhaben seint. Im Ganzen erseint das Pflanzenrei gegenüber den unbeseelten Elementen fast son wie beseelt, gegenüber dem Tierrei dagegen wie unbeseelt. Der Übergang von den Pflanzen zu den Tieren ist entspreend kontinuierli – syneés –, wie vorher gesagt war. Denn bei einigen im Meer lebenden Gaungen könnte man im Zweifel sein, ob es eher Tiere oder Pflanzen sind …“ So besreibt Aristoteles diese „Kontinuität“ in seiner „Tierkunde“, und so nomals in seiner Vergleienden Morphologie der Tiere: „Die Austern unterseiden si in ihrer Natur nur geringfügig von den Pflanzen; indessen kommen sie dem Leben der Tiere näher als die Swämme, denn diese haben ganz und gar nur die Lebensfähigkeit einer Pflanze. Die Natur geht nämli so kontinuierli – syneós – von den unbeseelten Elementen über die Pflanzen – die zwar am Leben, aber no nit am Leben der Tiere teilhaben – zu den Tieren über, dass si die einen nur ganz geringfügig von den anderen zu unterseiden seinen, weil sie einander so nahe sind …“ Im 2. Jahrhundert n. Chr. hat der gelehrte Essayist Maximos von Tyros diese „Stufenleiter der Natur“ über die Mensen hinaus bis zu den Göern hinauf erstret; er sprit von vermielnden „Dämonen“ zwisen den sterblien Mensen und den unsterblien Göern und verweist dazu auf entspreende Übergänge im Rei des Organisen: „Au hier springt die Natur nit mit einem Mal von einem zum anderen über.“ Erstmals in diesem Zusammenhang begegnet hier das Bild eines unvermielten „Sprungs“, und vielleit war es dieser Satz, der sliessli im frühen 17. Jahrhundert zu der geläu95
figen lateinisen Version „Natura non facit saltum“, „Die Natur mat keinen Sprung“, und in der Mie des 18. Jahrhunderts bei Carl von Linné zu der geflügelten Fassung „… non facit saltus“, „… mat keine Sprünge“, geführt hat. Milerweile sind die moderne Physik mit ihren Quantensprüngen und die moderne Genetik mit ihren Mutationen der Natur auf die Slie und bustäbli auf die Sprünge gekommen. Irgendwann, irgendwo in der brodelnden Ursuppe, stellen wir uns vor, ist da irgendein springender Punkt in einem Eiweiss-Molekül im eigentlien Sinne des Wortes zum „Ursprung“ des Lebens geworden, und so ist es seither viele, viele Jahrmillionen hindur von einem kleinen Sprung zum anderen, von einer Ausprägung des Lebens zur anderen fortgegangen. Von jenen vielen „kleinen Srien“ zu diesen vielen kleinen Sprüngen ist es ja wieder, wenn überhaupt, nur ein kleiner Sri; was die „Kontinuität“ und die vielerlei „kontinuierlien Übergänge“ im Rei des Lebenden betri, sind die alte Aristotelise und die moderne Lebenswissensa nahe beieinander.
Vgl. „Der springende Punkt“, oben Seite 37. 96
Noli turbare circulos meos!
Viele Monate lang hae si die grieise Metropole Syrakus im 2. Punisen Krieg mit der spektakulären Kriegsmasinerie aus dem Tenopark des Arimedes gegen die überlegene römise Belagerungsstreitmat unter Marcus Claudius Marcellus behaupten können. Als die Stadt im Jahre 212 v. Chr. sliessli fiel, fand der geniale Mathematiker und ingeniöse Masinenbauer in den Wirren der Plünderung den Tod, dies bezeugtermassen zur grossen Betrübnis des römisen Feldherrn, der das Leben des weit über seine Vaterstadt hinaus berühmten Arimedes hae sonen wollen. Immerhin hat der Sieger für ein würdiges Begräbnis des grossen Gelehrten Sorge getragen. Mit unverhohlenem Stolz sildert Cicero in seinen „Tuskulanisen Gespräen“, wie er als junger Quaestor das mit den Figuren von Kugel, Kegel und Zylinder und einem Epigramm bezeinete, völlig in Vergessenheit geratene Grabmal wiederentdete. In seiner Biographie des Marcellus gibt Plutar mehrere Versionen vom Tod des Arimedes wieder: „Arimedes war gerade, mit si allein, in die Betratung einer geometrisen Zeinung vertie. Derart mit seinen Gedanken und allen Sinnen seiner Wissensa hingegeben, hae er weder den Angriff der römisen Belagerer no ihr Eindringen in die Stadt bemerkt. Als plötzli ein Legionär auf ihn zu trat und ihn aufforderte, ihm zu Marcellus zu folgen, wollte er dem nit Folge leisten, ehe er sein Problem gelöst und den Beweis abgeslossen habe. Da pate den Legionär die Wut; er zog sein Swert und tötete ihn.“ Na einer anderen Version sei der Soldat soglei mit gezütem Swert vor ihn hin getreten, um ihn zu töten, und habe keinen Aufsub dulden wollen; na einer drien, stärker abweienden Version sei Arimedes mit seinen 97
golden glänzenden astronomisen Instrumenten zu Marcellus geeilt und auf dem Wege dorthin dur beutelüsterne Soldaten zu Tode gekommen. Wer weiss, was Arimedes damals wohl no hae sagen können – und wer das damals allenfalls no häe hören und uns überliefern können. Unser ältester Gewährsmann für den Tod des Arimedes, der Historiker Livius, lässt den Gelehrten über sein Zeienbre und seine in feinsten „pulvis“, feinsten Sand- oder Glas-„Staub“, gezeineten Figuren gebeugt sterben, erwähnt aber nits von einer Gegenwehr oder irgendeinem Gegenwort des grossen Gelehrten. Au Plutar, der do ein besonderer Freund anekdotiser Apophthegmata war, sagt nits von einem letzten Wort. Ein soles finden wir in der Antike erst mehrere Jahrhunderte na dem Tod des Arimedes unter den „Denkwürdigen Taten und Worten“, die der fleissige Sammler Valerius Maximus im früheren 1. Jahrhundert n. Chr. zum praktisen Zitiergebrau zusammengestellt hat. Da kann der in seine geometrisen Konstruktionen Versunkene, von dem plündernden Legionär mit gezütem Swert Aufgesrete, während er seine Hände sützend über die in den „Staub“ gezogenen Linien ausstret – „protecto manibus pulvere“ – eben no rufen: „Noli, obsecro, istum disturbare!“, „I beswöre di: Bring mir den nit dureinander!“ Wahr oder do wohl eher ben trovato: Das war gewiss ein „denkwürdiges“ Wort im Sinne jenes Valerius Maximus, do keines, das im Sinne Georg Bümanns so leit häe flügge werden können; mit dem inständig bienden „obsecro“ und erst ret mit dem hinweisenden „istum“, „den da“, war es zu sehr in die dramatise Silderung des Gesehens eingebunden. Wir wissen nit, wer wann wo – do wohl erst in der Neuzeit – den antikisen „Staub“ dur die darein gezeineten „Kreise“ ersetzt und dieses beswörende, hoerregte „Noli, obsecro, istum disturbare!“ zu dem namals geflügelten „Noli turbare circulos meos!“ herabgestimmt hat. War’s ein Sammler letzter Worte, der es eigenständig, kurz und bündig braute? War’s 98
ein Sulmeister auf der Sue na einem klassisen Beispielsatz für den mit Noli …, „Wolle nit …“, verneinten Imperativ? Wie au immer – so aus dem syntaktisen Zusammenhang herausgelöst liess si das Wort nun „ohne Weiteres“ zitieren. In der Folge ist dieses Arimedise oder eher PseudoArimedise „Noli turbare circulos meos!“ seinem ursprünglien Biotop vollends entflogen. Die Neuzeit kannte das Zeienbre nit mehr, auf dem der antike Mathematiker seine Kreise und Linien mit spitzem Zirkel und Griffel in feinsten Sand- oder Glas-„Staub“ zeinete. So hat si das geflügelte Wort no einmal gemausert, haben si die geometrisen „Kreise“ allmähli in imaginäre Lebens- und Wirkungskreise verwandelt. Wer heute einem Konkurrenten ein lateinis iffriertes „Noli turbare circulos meos!“ an den Kopf wir, sagt in unverblümtem deutsem Klartext: „Komm mir ja nit in die Quere!“, und au die geläufige deutse Version „Störe meine Kreise nit!“ lässt uns nit mehr an geometrise Figuren, sondern eher an röhrende Platzhirse und abgestete Brunreviere denken. Wer hat au je von einer geometrisen Figur gehört, die si von einem römisen Legionär oder sonstwem häe „stören“ lassen?
Vgl. die beiden anderen Worte des Arimedes „Gib mir einen Punkt, wo i stehen kann, und i bewege die Erde“, oben Seite 58, und „Heureka!“, oben Seite 67. 99
Nomen est omen
„Nomen est omen“, „Der Name ist ein Omen“: Ohrenfälliger, augenfälliger könnte man nit sagen, dass der Name einer Person oder eines Ortes ein gutes oder sletes Vorzeien sei, seine Glü oder Unglü verheissende Vorbedeutung habe; in diesen lateinisen Worten nomen und omen trägt der „Name“ seine „Vorbedeutung“ ja bustäbli in si. Das Wortspiel begegnet erstmals in einer römisen Komödie, im „Perser“ des Plautus. Da will der Sklave Toxilus den Kuppler Dordalus überreden, ein angebli aus Persien ihm eben zugekommenes Mäden zu kaufen. Als der Kuppler die vermeintlie Orientalin na ihrem Namen fragt, erwidert sie mit verloendem Bezug, in ihrer Heimat habe sie den Namen Lucris gehabt, und Toxilus doppelt soglei na: „Nomen atque omen quantivis iam est preti“, „Der Name und seine Vorbedeutung ist allein son jeden Preis wert“. Im Lateinisen bedeutet das Wort lucrum „Gewinn“; der Name Lucris versprit „lukrative“ Gesäe. Zum geläufigen Zitat, etwa gar in der heute geflügelten Fassung „Nomen est omen“, ist das Wortspiel in der Antike nit geworden. Aber mit den Namen ist es den Römern, wie überhaupt mit jedwedem Vorzeien, seit alters ernst gewesen. Bei der alljährlien Verpatung der Staatssteuern standen die Fisereirete auf dem Lucrinus lacus, dem Lucriner See bei Baiae, um des gewinnverheissenden Namens willen regelmässig an erster Stelle, und bei der Aushebung der Rekruten setzten die Konsuln jeweils einen Namen vom Slage eines „Slaginhaufen“, etwa einen „kravollen“ Valerius, einen „reenden“ Salvius oder einen „standhaen“ Statorius, obenan auf die Liste. Tacitus bezeugt, bei der Neuweihung des im Dreikaiserjahr 69 n. Chr. niedergebrannten Kapitolinisen Tempels im folgenden Jahr habe man den Vestalinnen Soldaten, die „glübringende Na100
men“, „fausta nomina“, trugen, mit fruragenden Zweigen in den Händen voransreiten lassen. Wie man ein überrasendes gutes Vorzeien annehmen, ein sletes geistesgegenwärtig ablehnen konnte, so liess si ein Name, der Übles bedeutete, allenfalls gegen einen besseren austausen. Der alten Samniterstadt Maleventum, deren – samnitiser – Name lateinis gedeutet eine „üble Ankun“ verhiess, verpassten die römisen Eroberer „um des guten Omens willen“ kurzerhand den ins Gegenteil verkehrten neuen Namen Beneventum, heute Benevento; damit entbot sie ihren neuen Herren fortan ein glüverheissendes Benvenuto. Entspreend erhielt die grieise Hafenstadt Epidamnos, deren Name für römise Ohren das Slimmste befürten liess, den unverfänglien neuen Namen Dyrrhaion, heute Durres: Ein grieises epi- bedeutet „auf … zu“, das lateinise Wort damnum „Saden“, und weler Kapitän steuert son gern auf einen Zielhafen namens Totalsaden zu? Au im Namen ihrer eigenen Stadt Roma entdeten die Römer ein verheissungsvolles Omen. Rüwärts gelesen, als Amor, bedeutete er „Liebe“, grieis verstanden, als Rhóme, bedeutete er „Stärke“. Das doppelte Omen in beiden Kulturspraen der klassisen Antike deutete zurü auf die beiden mythisen Stammgöer Venus, die Muer des Aeneas, und Mars, den Vater des Romulus, und zuglei voraus auf die welthistorise Mission dieses „Hauptes der Welt“, mit Vergils Versen: „… dem Frieden eine Ordnung aufzuprägen, die Unterworfenen zu sonen und die Überheblien niederzuwerfen“. In einem raffinierten Epigramm hat Papst Urban VIII. dieses doppelte Omen neu gedeutet und ins Christlie gewendet; darin hat die Ewige Stadt das erste, die ristlie Liebe das letzte Wort: „Roma, sibi quondam quae robore subdidit orbem, Argivo robur nomine significat. Obsita tunc tenebris taurino polluit aras sanguine, cum faceret sacra nefanda Iovi. 101
Vertit ab his mentem, cultus exosa deorum, et veri floret relligione Dei. Si nomen vertas, amor est: Ut congruit! Illi nam pius in populos cuncta subegit amor.“ „Rom, das dur seine Stärke si einst die Welt unterjote, zeigt, liest du grieis das Wort, ,Stärke‘ im Namen son an. Tief umnatet beflete mit Stierblut Rom die Altäre, einst, als es Jupiter no rulose Opfer gebrat. Davon hat Rom si bekehrt, verwerfend die Kulte der Göer, und nun blüht es im Dienst Goes, des einzigen, neu. Kehrst den Namen du um, heisst er ,Liebe‘: wie treffend! Es war ja Liebe zur Welt, die der Stadt untertan mate die Welt.“
Vgl. „Urbi et orbi“, unten Seite 136. 102
Non solae, sed vitae discimus
„Auf die vielgestellte Frage, was die Knaben lernen sollten, erwiderte Aristipp: ,Was sie, wenn sie Männer geworden sind, einmal werden brauen können.‘“ In der Zeit der grieisen Sophistik, im 4. Jahrhundert v. Chr., hae der Edelkyniker Aristipp von Kyrene das zukunsträtige Thema von „Sule“ und „Leben“ kräig angeslagen, und vier Jahrhunderte später, im 1. Jahrhundert n. Chr., hat der Römer Seneca dieses Thema in seinen späten „Briefen an Lucilius“ mehrmals wieder aufgegriffen und die praktise Lebensklugheit gegen eine unnütze Sulweisheit ausgespielt. In einem dieser Briefe ritet si sein bissiger Sarkasmus zunäst gegen die mathematisen Wissensaen: „Der Landvermesser lehrt mi, meinen Grundbesitz zu vermessen, sta dass er mi lehrte zu ermessen, wieviel einem Mensen genug ist. Er lehrt mi zu zählen und mat meine Finger der Habgier dienstbar, sta dass er mi lehrte, dass alle diese Berenungen zu nits führen: dass der kein glülierer Mens ist, dessen väterlies Erbe die Vermögensverwalter strapaziert, ja no mehr: Wieviel Überflüssiges der besitzt, der zum unglülisten Mensen würde, wenn er, wieviel er besitzt, einmal selbst berenen sollte. Was nützt es mir zu wissen, wie i ein Stüen Land in soundso viele Teile teilen kann, wenn i nit weiss, wie i es mit meinem Bruder teilen soll? … Der Landvermesser lehrt mi, nits von meinen Ländereien einzubüssen; aber i will vielmehr lernen, wie i diese alle miteinander heiter gestimmt verlieren kann. … Wel grossartige Wissensa! Du verstehst di darauf, Kreise und Kugeln zu vermessen, du beherrsst die Kunst, jede gegebene Figur in ein Quadrat zu verwandeln; du weisst die Abstände der Gestirne voneinander zu benennen; nits gibt es, was nit 103
unter deine Massstäbe fiele. Wenn du ein Meister deiner Kunst bist, so miss des Mensen Seele aus: Sage, wie riesengross sie ist; sage, wie winzigklein sie ist. Du weisst, was eine gerade Linie ist; aber was nützt es dir, wenn du nit weisst, was im Leben das Gerade ist?“ Später im gleien Brief geht Seneca nit minder streng mit den Literaten, ihren Bildungssüten und ihren Faquerelen ins Gerit: „Meinst du etwa, der Prunksütige sei zu tadeln, der lauter Überflüssiges zu diesem und jenem Gebrau ansa und in seinem Haus einen Festzug kostbarer Prunkstüe aufführt, der Bildungssütige dagegen nit zu tadeln, der bis zum letzten Winkel seiner Seele vollgestop ist mit überflüssigem Bildungshausrat? Mehr wissen zu wollen, als genug ist, ist eine Form der Unbeherrstheit. Warum? Weil diese masslose Bildungssut die Mensen aufdringli, geswätzig, rüsitslos, selbstgefällig mat und sie son darum nit mehr das Notwendige lernen lässt, weil sie so viel Überflüssiges gelernt haben. Viertausend Burollen hat der Philologe Didymos vollgesrieben. Er könnte mir son leid tun, wenn er so viel Überflüssiges au nur gelesen häe. In diesen Büern werden Fragen wie diese erörtert: aus weler von sieben Städten Homer gestammt habe, oder: wer die wahre Muer des Aeneas gewesen sei, oder: ob Anakreon mehr der Wollust oder der Trunksut gefrönt habe, oder: ob Sappho eine Dirne gewesen sei, und anderes der Art – Dinge, die du auf der Stelle wieder verlernen müsstest, wenn du sie zufällig irgendwo aufgesnappt häest. Geh jetzt und sage no, das Leben sei nit lang! … Mit grossem Aufwand an eigener Lebenszeit, mit grosser Belästigung für fremde Ohren wird dieser Ruhmestitel erkau: ,Was für ein belesener Mens!‘ Seien wir do mit diesem einfaeren Titel zufrieden: ,Was für ein vernüniger Mens!‘“ Die Spannung zwisen Lebensklugheit und Sulweisheit, Lebenskunst und Sulbildung hat Seneca nit losgelassen. Im fulminanten Sluss eines späteren Briefes brit seine aufge104
staute Frustration über die bildungsbeflissene, lebensfremde Philosophensule seiner Zeit no einmal kräig dur. Seinbar ernstha hat Seneca si auf ein von Lucilius aufgeworfenes ausgesproen akademises Problem eingelassen, um dann plötzli abzubreen: „Spielsteine sind es, die wir da herumsieben. An überflüssigen Fragestellungen stump si unser Sarfsinn ab; derlei Erörterungen helfen uns ja nit, vernünig zu leben, sondern nur, gelehrt zu reden. Offener zu Tage liegt die Lebensklugheit, ja sagen wir’s geradeheraus: Es wäre besser, wir nutzten unsere Geistesbildung zu einer vernünigen Geisteshaltung. Aber wie wir alles Übrige an Überflüssiges verswenden, so au die Philosophie selbst. Geradeso wie an der Sut na allem anderen, so kranken wir an einer masslosen Sut au na Gelehrsamkeit: Nit für das Leben, sondern für die Sule lernen wir – Non vitae, sed solae discimus.“ Wir wissen, wie die Lateinsule des 19. Jahrhunderts mit diesem bierbösen Verdikt fertiggeworden ist: Sie hat es fröhli in sein gerades Gegenteil verkehrt: „Nit für die Sule, sondern für das Leben lernen wir“, „Non solae, sed vitae discimus“, es so in goldenen Leern übers Sulportal und swarz auf weiss in Bümanns „Zitatensatz des deutsen Volkes“ gesetzt und sliessli no – sier ist sier – zum obligaten Sulbeispiel für den Dativ der a-Deklination erniedrigt. Das alles zusammen hält au die bissigste Seneca-Pointe nit aus.
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Omnia mea mecum porto
Au im grossen, weiten Rei der geflügelten Worte gibt es hie und da ein Kuusjunges: ein Wort, das die Überlieferung bald dem einen, bald dem anderen Feldherrn oder Philosophen in den Mund – oder sagen wir hier: ins Nest – gelegt hat. Das vielzitierte „Omnia mea mecum porto“, „Alles, was mein ist, trage i bei mir“, ist ein soles Kuusjunges, und son unser ältester Gewährsmann Cicero, der es im 1. Jahrhundert v. Chr. als das Wort eines „alten Weisen“ bezeugt, weiss nit so ret, wem es gehört. Er zitiert es in seinen „Paradoxa der Stoiker“ als ein paradoxes Paradigma der Unabhängigkeit des auf si selbst gestellten Mensen von allen äusseren Gütern: „I jedenfalls werde niemals zugeben, dass einer ,Güter‘ verloren hat, wenn er sein Vieh oder seinen Hausrat verloren hat, und immer wieder muss i jenen alten Weisen rühmen – i denke, es war Bias, der unter die Sieben gezählt wird. Der Feind hae seine Vaterstadt Priëne eingenommen, und die Bürger maten si auf die Flut. Wie nun die Übrigen von ihrem Hab und Gut, soviel sie nur konnten, mitnahmen und einer ihn aufforderte, das gleie zu tun, erwiderte er: ,Aber das tue i ja: I trage do alles bei mir, was mein ist – Ego vero … facio; nam omnia mecum porto mea.‘“ Da wird dieser spriwörtli weise Bias, wie er na der Einnahme seiner Vaterstadt im Flütlingstre zwisen hobepaten Wagen unbeswert dahingeht, zum einprägsamen Bild der autarken, wörtli: „si selbst genügenden“ Person. Hier haben wir es ja nit mit dem nabarlien Mein und Dein zu tun, wo das Türsild den Eigentümer, der Gartenzaun die Grenze bezeinet; hier geht es um die Abgrenzung des innersten, eigensten Selbst eines Mensen von allem äusseren Drum und Dran. Und so, wie die Grieen und im Besonderen 106
die Stoiker es verstanden, verläu diese Grenze zwisen Mein und Nit-Mein nit nur diesseits von Hab und Gut, sondern au diesseits von Leib und Leben. Ein Jahrhundert später finden wir unser Kuus-Wort bei Seneca wieder, nun im Munde des megarisen Philosophen Stilpon, des Verfeters einer vor-stoisen apátheia, „Unempfindlikeit“. Da sreitet der Philosoph na dem Fall der Vaterstadt und dem Verlust von Frau und Kindern „allein und denno glüli“ aus der Feuersbrunst hervor. Der Sieger, König Demetrios I. mit dem Beinamen Poliorketes, drastis wörtli: der „Städteknaer“, tri ihm entgegen und gibt ihm mit der zynisen Frage, ob er etwas verloren habe, die Vorlage zu der hierna vollends paradoxen Erwiderung „Omnia bona mea mecum sunt“, „Alle meine Güter sind bei mir“. Ein trutziges Lutherlied fällt da mit ein: „Nehmen sie den Leib, / Gut, Ehr, Kind und Weib, / lass fahren dahin, / sie haben’s kein Gewinn …“ Stois hin, ristli her: Ist sol eine gegen alle Verluste stahlhart gepanzerte „Unempfindlikeit“ überhaupt no mensli? Eine drie Spiegelung dieser Anekdote von Mein und NitMein, Verlust und Unverlierbarkeit lesen wir im frühen 2. Jahrhundert n. Chr. bei Plutar, in der Biographie ebenjenes Demetrios Poliorketes, und nun in grieiser Sprae und ais gesalzen. Au diese Version spielt vor dem Hintergrund der Einnahme und Plünderung von Megara, au hier treten der Feldherr und der Philosoph einander gegenüber; do hier bleiben Mord und Totslag, Brand und Verderben ausser Betrat. Nadem der Sieger die Stadt grossmütig für frei erklärt hat, erinnert er si des Philosophen Stilpon, von dem man wusste, dass er dort still zurügezogen seinen Lebensabend verbrate; er lässt ihn zu si kommen und vergewissert si, dass keiner seiner Soldaten ihm etwas von dem Seinen weggetragen habe. „Keiner“, erwidert Stilpon; „i habe jedenfalls keinen gesehen, der mir meine Philosophie aus dem Hause gesleppt häe“. 107
Drei Nistplätze, drei Kuusjunge, und niemand kann sagen, wer dieses – je nadem – so unmensli „unempfindlie“ oder so übermensli unersüerlie Wort zuerst gesproen oder au erfunden hat. Wozu au? Dieses geflügelte, seinem ursprünglien Nistplatz früh entflogene „Omnia mea mecum porto“, „Alles, was mein ist, trage i bei mir“, ist ja au selbst geradeso autark, geradeso „si selbst genug“, wie jener alte weise Bias von Priëne und der nit ganz so alte Stilpon von Megara; es trägt ja au selbst, ohne einen bestimmten historisen Hintergrund und ohne einen verlässli verbürgten Urheber, seine ganze Botsa „bei si“.
Vgl. „Ubi bene, ibi patria“, unten Seite 133. 108
Panta rhei
Ein exotiser Paradiesvogel hat si auf dem Bug des jüngsten Zürisee-Siffes niedergelassen: PANTA RHEI steht da in goldenen Leern gesrieben. Er trägt kein Ringlein am Fuss, aber das „rh“ verrät es: Er kommt zwei, drei Jahrtausende weit aus der grieisen Welt. Das Wörten pánta heisst „alle Dinge, alles“; da denken wir etwa an den son spätantiken – erstmals bei Kaiser Julianus Apostata auretenden – „Pantomimen“, der mit seinen spreenden Gesten „alles naahmt“, oder an das junge „Panorama“, in dem man ringsherum „alles sieht“. Das grieise Verb rhein bedeutet „fliessen“; aber der Gedanke, der da soglei zum „Rhein“ hinüberspringt, ist do zu sön, um wahr zu sein: Der Name des Flusses ist keltisen Ursprungs und verdankt sein „rh“ ledigli der Überlieferung dur grieise Historiker und Geographen. „Pánta rhei“, „Alles fliesst“: Das Wort geht auf den „dunklen“, vielfa in rätselhaen Paradoxen spreenden Philosophen Heraklit zurü, der um 500 v. Chr. im ionisen Ephesos gelebt hat. Sein Werk ist im Ganzen verloren; aber zahlreie Zitate, zahlreie Fragmente zeugen von der Bildkra seiner Sprae. „Heraklit sagt einmal“, lesen wir bei Platon, „dass alles weit und nits bleibt, und indem er die Welt mit dem Dahinströmen eines Flusses vergleit, sagt er, dass du nit zweimal in denselben Fluss steigen kannst.“ Ein später Namensveer des alten Philosophen hat uns den originalen Wortlaut überliefert: „Potamoís tois autoís embaínomen te kai uk embaínomen, eímen te kai uk eímen, „In dieselben Flüsse steigen wir – und steigen wir nit; wir sind es – und wir sind es nit“. Da war dem grieisen – hier ganz und gar nit „dunklen“ – Denker ein erfrisendes Bad im Fluss zum erhellenden Bild der Welt geworden. Der Fluss hat seinen Namen, seine 109
Quelle, seinen gewundenen Lauf, seine Mündung und damit seine Identität, seine „Selbigkeit“; und do strömt immer wieder neues Wasser heran und vorüber: Er ist derselbe – und er ist es nit. Und darauf wendet si der Bli des Badenden vom Äusseren ins Innere zurü: Au der Mens, der in diesen Strom für eine Weile eintaut, hat ja seine Identität, seine „Selbigkeit“, und heutzutage sogar seine Identitätskarte mit Namen, Passbild und Geburtsdatum, und do ist au er in fortwährendem Wandel begriffen: Er ist derselbe – und er ist es nit. Wir wissen nit, wer wann und wo diesem einprägsamen Bild die aufs Äusserste verknappte, seither geflügelte Formel „Pánta rhei“ abgewonnen hat. Aristotelise Etikeierungen der Heraklitisen Lehre, wie „dass alles … beständig im Werden und im Fliessen sei“, haben dazu die Vorlage gegeben. Unter den vergleisweise seltenen Zugvögeln aus grieisen Biotopen ist dieses „Pánta rhei“ heute eines der meistzitierten und neben dem Arimedisen Freudenruf „Heúreka!“, „I hab’s gefunden!“, fast das einzige no geläufig im Original zitierte, und zu guter Letzt hat dieses Wort nun no das bildungspolitise Kunststü fertiggebrat, dass jedes Kindergartenkind rings um den Zürisee neben seinem obligaten Frühfranzösis und Frühenglis neuerdings au zwei Worte Frühgrieis kennt. Alles, alles fliesst. In Züri figuriert das geflügelte Wort zweimal im Telefonbu: einmal mit dem Kleidergesä „Panta Rhei Textil GmbH“, wo man den Namen auf die vor der Tür vorüberfliessende Limmat und zuglei auf die von Saison zu Saison weselnden Modeströmungen bezieht, und nomals mit der PR-Agentur „Panta Rhei pr GmbH“, wo man auf die allzeit hinüber und herüber fliessenden Kommunikationsströme verweist – und darauf, dass die Abkürzung PR für „Public Relations“ dort zuglei für ebendieses „Pánta rhei“ stehe. Und nun das Siff: Aus vierzehnhundert teils vielfa unterstützten Namensvorslägen hat die siebenköpfige Jury der Zürisee-Sifffahrtsgesellsa – alles „Leute, die wirk110
li mit allen zehn Zehen im wirklien Leben stehen“ – einstimmig das ein einziges Mal (und nit von dem hier sreibenden Ornithophilologen) eingereite „Pánta rhei“ gewählt. Das topmoderne Siff zeigt die Zürer und die Sweizer Flagge, nit zu vergessen den Zürisee-Wimpel; do mit seinem spreenden Namen fährt es zuglei unter dem Zeien dieses Heraklitisen Jahrtausendworts. „Pánta rhei“, „Alles fliesst“: Unter diesem Moo mag maner Passagier beim Bli in die vorübergleitenden Wellen seine Gedanken zurüsweifen lassen: in die Jahrhunderte und Jahrtausende unseres geistigen Europa, in die Jahre und Jahrzehnte eines Mensenlebens. Sind wir wirkli, wie Saison-Abonnement und Identitätskarte unbestreitbar ausweisen, als ebendieselben, allzeit dieselben, in das neue Siff gestiegen? Und steigen wir wirkli, na der Rundfahrt seeaufwärts, seeabwärts und na all den Gedanken jahraufwärts, jahrabwärts am Ende als „ebendieselben“ wieder aus? Oder sind wir, gut Heraklitis, eben darin immerfort dieselben, dass wir niemals ganz dieselben bleiben?
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Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes
„Danaer“, „Danaossöhne,“ heissen die alten Grieen vor Troja in den Homerisen Gediten, so na dem mythisen Heroen Danaos, dem Vater der unseligen Danaïden mit ihrem bodenlosen Fass und ihrem unendlien Wassersöpfen, und „Danaergesenk“, „grieises Gesenk“, heisst eines, das dem Besenkten alles andere als Freude mat, ja nits als Unglü ins Haus bringt. Das Wort geht auf das Ende des zehnjährigen Trojanisen Kriegs und ein Vergilzitat zurü; das erste sole „Danaergesenk“ war das neuerdings wieder vielzitierte Trojanise Pferd, mit dem die Grieen im zehnten Kriegsjahr die Trojaner dazu braten, ihre so lange vergebli berannten Mauern mit eigener Hand einzureissen und die Feinde unter Freuden- und Siegesgesrei in die Stadt einzuholen. Wir lesen davon im zweiten Bu der Vergilisen „Aeneis“. Die Grieen haen si zum Sein auf die Insel Tenedos zurügezogen und am Strand vor Troja das monströse hölzerne Riesenpferd zurügelassen, das Odysseus ersonnen und der ingeniöse Epeios erbaut hae; diese beiden und sieben weitere grieise Heroen haen si in seinem hohlen Bau verstet. Während die Trojaner jubelnd das verlassene Siffslager durstreifen und das kolossale Pferd bestaunen – einer rät son, es in die Stadt hinein- und auf die Burg hinaufzuziehen –, eilt der Apollonpriester Laokoon mit dem Ruf herbei, der seither zur Chiffre eines tiefen Urmisstrauens geworden ist: „Equo ne credite, Teucri! Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes!“, „Traut dem Pferd nit, Trojaner! Was es au ist, i fürte die Grieen, selbst wenn sie Gesenke bringen!“ Lao112
koons Lanze bleibt ziernd in der Flanke des Pferdes steen, und die Höhlung erwidert mit einem ominösen Dröhnen und Stöhnen. Da sleppt man einen in der Nähe versteten, von dem berütigt „listenreien“ Odysseus instruierten Grieen herbei, der die Kriegslist vollends ins Werk setzen sollte. Mit einem ausgeklügelten Lügengebäude gewinnt er das Mitleid und das Vertrauen der Trojaner, um sliessli den Clou auszuspielen: Das hölzerne Pferd sei eine Sühnegabe der Grieen für die Göin Athene und eigens darum so riesengross gebaut, dass es niemals na Troja hinein gelangen und den Feinden Glü und Segen spenden könne. Das fein gesponnene Lügengespinst findet soglei eine wundersame Bestätigung; zwei ungeheure Slangen kommen vom Meer heran, streben auf Laokoon zu und slingen ihre suppigen Leiber um den seinbaren Frevler und seine Söhne. Die bereits in der Antike vielbewunderte, im Jahre 1506 wiederentdete Laokoongruppe in den Vatikanisen Museen stellt uns die Szene drastis vor Augen. Und nun kommt es, wie es kommen muss: Ohne weiteres Bedenken reisst man eine Brese in die Stadtmauer und zieht das unheilträtige Pferd unter heiligen Gesängen zur Burg empor. Während die Trojaner siegestrunken den Abzug der Feinde und das Ende des Krieges feiern, seilen si die neun Grieen aus dem Bau des Pferdes ab und öffnen den im Sutz der Nat von der Insel Tenedos zurügekehrten Kampfgenossen die Tore; was folgt, ist „überall grausiger Jammer, überall Sreen und vielhundertfa das Bild des Todes“. So erzählt es der aus Troja entkommene, vor Karthago im Seesturm geseiterte Aeneas am Hofe der Königin Dido, und jetzt, drei Jahrtausende später, sind anstelle dieser heimtüisen Grieen geradeso heimtüise „Trojaner“ los. Sie sind unversehens aus Gustav Swabs „Sagen des klassisen Altertums“ ausgebroen und maen allenthalben unsere söne neue Computerwelt unsier. Sie stürmen in finsterer Nat die Festungsmauern unserer Festplaen und sleien si in die 113
Satzkammern unserer Dateien ein; sie spähen im Nanosekundentakt unsere Harddisks aus und maen si vor Morgengrauen mit ihrer gigabytesweren Diebesbeute wieder davon, und das, ohne dass der arglose Homo computans in seinem nätlierweile eingesalteten Ruhezustand das Geringste davon merkte. „Trojaner“? Da ist das Trojanise Pferd, so seint es, dem alten Lug und Trug verhaet geblieben: Einst hae es seine Insassen als blinde Passagiere in das mythise Troja eingesleppt, und jetzt hat es sie mit falsen Pässen in den modernen Wortsatz eingesleust. Son Plautus hat einmal von einer „Trojanisen List“, son Cicero einmal von einem „Trojanisen Pferd“ gesproen; aber in Wahrheit ist diese List ja eine grieise List, dieses Pferd ja ein grieises Pferd gewesen, und erst ret sind seine mythisen Insassen wie Odysseus und Epeios und die sieben anderen ja eben nit Trojaner, sondern allesamt Grieen gewesen. Aber sei’s drum: Die falsen Pässe und Passwörter gehören hier wohl zum Metier.
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Quis custodit custodes? Principiis obsta!
Warum er Satiren sreibe, fragt Juvenal am Anfang seiner 1. Satire und lässt zur drastisen Illustration seiner Antwort glei eine ganze Reihe krasser Hauptstadt-Typen vor seinen Lesern vorbeiparadieren: „Cum …, cum …, cum …“, „Wenn …, wenn …, wenn …“ – ja, wenn ständig derart Läerlies und Widerlies, derart Abstossendes und Empörendes vor Augen stehe, „difficile est saturam non scribere“, „dann fällt es swer, die Satire nit zu sreiben“. Und ein paar Dutzend Verse später, nadem eine weitere Parade derart inspirierender Zeitgenossen im Hexametersri vorübergezogen ist, setzt er in fröhlier Selbstironie zum Sluss no eins drauf: „Si natura negat, facit indignatio versum …“, „Wenn die Natur es versagt, mat die Empörung den Vers, / wie sie es eben vermag, wie i oder au Cluvienus“ – da bekommt am Sluss ein zeitgenössiser Diterkollege no eine spöise Erwähnung ab. Juvenals Empörung speziell über das weiblie Geslet ist offenbar beträtli und entspreend produktiv gewesen: Über mehr als seshundert Verse hinweg stellt der Satiriker in seinem 6. Stü, der höst inkorrekterweise sogenannten „Weibersatire“, in srillen Tönen und grellen Farben die in der Männerwelt seiner Zeit berütigten Fehler und Laster des „swaen“ Geslets an den Pranger. Ungefähr auf halber Stree seiner loeren Bilderfolge lässt er si auf das unendlie Thema der ehelien Treue oder hier, versteht si, Untreue ein. „Sieb den Riegel vor, sperre sie ein!“, lässt er si da na bewährtem Muster der Rhetorensule eine Steilvorlage geben, um den guten Rat soglei über den Verssprung hinweg ins Aus zu siessen: „Sed quis custodiet ipsos / custodes? …“, 115
„Aber wer wat dann über die Wäter / selbst? Das Weibsbild ist slau und mat mit denen den Anfang!“ Georg Bümann hat die hintersinnige Frage, hinter der ja glei die näste na den Wätern dieser Wäter hervorsaut, no nit unter seine „Geflügelten Worte“ gezählt. Aber seither sind ihr do Flügel gewasen, und der Zitiergebrau hat sie no zugespitzt: das anknüpfende „sed“ abgestossen, das Futur dur ein zeitloses Präsens ersetzt, das „ipsos“ ausgelassen. Und während im Hexameter die Hebungen und Senkungen auf die stammverwandten Wörter „custodiet“ und „custodes“ no versieden verteilt waren und das vorweggenommene „ipsos“ am Verssluss die Pointe der „custodes“ am Versanfang vorbereitete, fällt das Paradox der überwaten Überwaer in dem prosaisen, auf die drei tragenden Worte verkürzten „Quis custodit custodes?“ erst ret irritierend ins Ohr. Jenes eingangs angeführte „Difficile est saturam non scribere“ ist wie das nagelegte „Si natura negat, facit indignatio versum“ seinem ursprünglien Juvenalisen Biotop einer provokativen Gesellsaskritik bis heute nahe geblieben. Nit so dieses hintergründige „Quis custodit custodes?“; das ist neuerdings aus der amourösen Sphäre der Liebesgöin Venus in die finanzund wirtsaspolitise Sphäre des Merkur, aus der loeren Satire in die Leitartikel und Kommentare übergeweselt. „Quis custodit custodes?“ – das heisst heute im Klartext: „Wer beaufsitigt die Aufsitsbehörden?“ oder „Wer kontrolliert die Kontrollinstanzen?“ Auf der gleien Route wie dieses Juvenalise „Quis custodit custodes?“ ist neuerdings ein anderes geflügeltes Wort, der Ovidise Warnruf „Principiis obsta!“, „Den Anfängen wehre!“, aus der erotisen in die politise Sphäre übergeweselt. In seinem reizvollen Lehrgedit „Heilmiel gegen die Liebe“, dieser poetisen Hausapotheke gegen Liebessmerz und Liebesqual, lehrt Ovid als erste und höste Vorsitsmassregel:
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„Was es au sei, das du liebst: Sieh di um mit rasem Besinnen, und entzieh deinen Hals, ehe es lastet, dem Jo! Glei den Anfängen wehre! Zu spät kommen heilende Miel, wenn si dur langen Verzug festsetzt das Übel und mehrt.“ Aber wer sut heute bei Ovid no Lebens- oder Liebeshilfe? „Principiis obsta!“ – das mahnt heute in den Medien zu unbeirrbarer Prinzipientreue, ja zu unnasitiger Nulltoleranz. Da sind zwei pointierte Worte aus der römisen erotisen Szene zu sarf gesliffenen Hieb- und Stiworten im politisen Diskurs geworden; von ihren ursprünglien Sinnbezügen, von Liebessmerz und Eifersut, klingt ihnen da kein Seufzer na.
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Quod non fecerunt barbari, fecerunt Barberini
In der Vorhalle des Pantheon in Rom, seit 608 n. Chr. der Kire S. Maria ad Martyres, drängen si die Touristengruppen um ihre polygloen Ciceroni. Ob italienis oder englis, französis oder deuts: Früher oder später deuten sie ins Dagebälk hinauf und zitieren sie unfehlbar das geflügelte Wort, das da oben seinen ewigen Nistplatz hat, den bekanntesten Spovers, der je an der spreenden Statue des „Pasquino“ angeheftet war: „Quod non fecerunt barbari, fecerunt Barberini“, „Was die Barbaren nit getan haben, das haben die Barberini getan“. Der bierböse, in allen Spraen gleierweise ohrenfällige Vers ist auf Papst Urban VIII. aus der Familie der Barberini gemünzt. Im Jahre 1632 hae Urban VIII. die massive bronzene, über alle Unbill der Völkerwanderungszeit hinweg erhaltene Kasseendee in der Vorhalle des Pantheon abnehmen und zu weiterer Verwertung einsmelzen lassen. Aus einem Teil des kostbaren Materials liess er die vier gedrehten Bronzesäulen für Gian Lorenzo Berninis Altarbaldain über dem Apostelgrab in der Peterskire giessen, aus dem übrigen Teil eine stalie Serie von atzig Gesützen, die vier der Engelsburg in den vier Himmelsritungen vorgelagerten Bastionen damit zu bestüen. Ein „barbariser“ Vandalenakt? Papst Urban VIII. selbst hat es anders gesehen, und sauten jene mundfertigen Ciceroni nur einmal hinter si zu der stolzen lateinisen Insri hinauf, die der Papst damals – wohl in Erwiderung auf derlei bierböse Spoverse – an der Rüwand der Vorhalle links der mätigen Flügeltür hat anbringen lassen, so könnten sie ihren staunenden Zuhörern eine ganz andere Sit der Dinge, und dies aus erster Hand, verdolmetsen: 118
URBANUS VIII PONT(ifex) MAX(imus) VETUSTAS AHENEI (!) LACUNARIS RELIQUIAS IN VATICANAS COLUMNAS ET BELLICA TORMENTA CONFLAVIT UT DECORA INUTILIA ET IPSI PROPE FAMAE IGNOTA FIERENT IN VATICANO TEMPLO APOSTOLICI SEPULCHRI ORNAMENTA IN HADRIANA ARCE INSTRUMENTA PUBLICAE SECURITATIS ANNO DOMINI MDCXXXII PONTIF(icatus) IX „Papst Urban VIII. hat der bronzenen Kasseendee alte Überreste zu den Vatikanisen Säulen und zu kriegerisen Gesützen eingesmolzen, dass der unnütze und nahezu der Fama selbst unbekannte Zierat werde im Vatikanisen Tempel zu Smustüen des Apostolisen Grabes, in der Hadrianisen Burg zu Werkzeugen der öffentlien Sierheit, im Jahre des Herrn 1632, seines Pontifikats 9.“ So betratet, erseint die viel gesoltene „Barbarei“ dieses Maffeo Barberini vielmehr als ein sinnvolles Recycling alter „reliquiae“, alter „Hinterlassensaen“. Wie ein Jahrtausend zuvor Papst Bonifatius IV. ebendieses Pantheon, diesen heidnisen „Allgöertempel“, neu zur Kire S. Maria ad Martyres geweiht hae, wie ein halbes Jahrhundert zuvor Sixtus V. die herrenlos herumstehenden und herumliegenden Obelisken neu unter das Zeien des Kreuzes gestellt hae, geradeso mote nun Papst Urban VIII. diesen „unnützen, kaum der allwissenden Fama selbst bekannten Zierat“ in den Dienst der ristlien Sae stellen. Immerhin leistete der Papst dem Pantheon no eine klingende Genugtuung: Er stiete der Kire ein Gloengeläute und liess dazu zwisen Vorhalle und Rotunde zwei Türmen 119
erriten, die man bald als die „Eselsohren des Bernini“ verspoete, und überdies versah er die Vorhalle mit einem neuen – nun hölzernen – Dagebälk. Davon beritet die Insri auf der anderen Seite der Flügeltür: „Das Pantheon, dieses im ganzen Erdkreis hoberühmte Bauwerk, das von Agrippa, dem Swiegersohn des Augustus, ungläubig dem Jupiter und den übrigen erlogenen Göern, von Papst Bonifatius IV. der Goesmuer und den heiligen Märtyrern Christi gläubig geweiht worden ist, hat Papst Urban VIII. mit zwei zum Gebrau von Gloen dienlien Türmen ausgesmüt und mit einem neuen Dagebälk ausgestaet im Jahre des Herrn 1632, seines Pontifikats 9.“
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Rota Fortunae
Die legendenha ausgesmüte Gesite des sagenha reien Lyderkönigs Kroisos ist dur Herodot zum Paradigma der tragisen Verknüpfung von Aufstieg und Verblendung, Sturz und später Erkenntnis geworden. Wenn er gegen die Perser zu Felde ziehe, werde er ein grosses Rei zerslagen: So hae das Delphise Orakel ihn auf seine Anfrage besieden, und im Vertrauen auf diesen Göerspru war Kroisos gegen den Perserkönig Kyros in den Krieg gezogen und hae sein eigenes grosses Rei zerslagen. Vierzehn Jahre hae Kroisos über das westlie Kleinasien bis zum Halysfluss geherrst, vierzehn Tage war er von Kyros in seiner Hauptstadt Sardes belagert worden, und sliessli, im Angesit des Todes, hae er die Mahnung des weisen Atheners Solon verstanden, dass man bei jeder Sae „auf das Ende sauen“ müsse, wie sie einmal ausgehen werde, und darum kein Mensenleben vor seinem Ende vollends glüli preisen könne. Über ein Ovidzitat ist daraus ein lapidares lateinises Wort aufgeflogen: „Nemo ante mortem beatus est“, „Niemand ist vor seinem Tode glüli“. Im Fortgang seines Gesitswerks, nadem Kyros no zum Herrn über das alte Babylon und sein Perserrei zu einem neuen „Weltrei“ aufgestiegen ist, lässt Herodot den gestürzten Lyderkönig seinerseits zum weisen Warner des übermätigen Perserkönigs werden. Da geht es, viele Jahre später, um den persisen Feldzug gegen das Nomadenvolk der Massageten östli des Kaspisen Meeres, in dem Kyros einen elenden Tod finden sollte. Kroisos nimmt an dem persisen Kronrat teil; die eindringlie mitmenslie Mahnrede, die er seinem strategisen Ratslag voraussit, gipfelt in dem einprägsamen Bild eines fortwährenden „Kreislaufs der Mensendinge“, eines fortgesetzten Wesels von Aufstieg und Sturz: 121
„Mein König, i habe es dir au früher son gesagt: Da Zeus mi dir in die Hand gegeben hat, will i, wo immer i ein Seitern sehe für dein Haus, es na Kräen abzuwenden suen. Meine Leiden – pathémata –, so unerfreuli sie waren, sind mir zu Lehren – mathémata – geworden. Wenn du etwa wähnst, selbst unsterbli zu sein und über ebensol ein Heer zu gebieten, so wäre es sinnlos, dass i dir meine Meinung darlegte. Wenn du dir aber bewusst bist, dass du selbst ein Mens bist und über ebensole andere gebietest, so lass dir dieses hier als erstes sagen: Es gibt einen Kreislauf der Mensendinge, der lässt mit seinem Umlauf nit zu, dass immer dieselben im Glü sind.“ „Pathémata – mathémata“, „Leiden – Lehren“: Ähnli – mit der Wendung „páthei máthos“ – hae son der Tragiker Aisylos mit den Worten gespielt. In dieser Rede unter dem Zeien des Delphisen „Erkenne di selbst!“ meinen wir no einmal den weisen Athener Solon spreen zu hören, und wie einst dessen Mahnung, „auf das Ende zu sauen“, kein Gehör gefunden hae, so stösst jetzt au dieses Mahnwort, an den Wesel zu denken, auf taube Ohren. Im Mielalter ist das Herodoteise Bild vom „Kreislauf der Mensendinge“ au bustäbli zum ansaulien Bild geworden: Über der Galluspforte des Basler Münsters zeigt eine steinerne „Rota Fortunae“ aus dem späten 12. Jahrhundert ses auf den Speien dieses „Glüsrads“ auf- und absteigende, thronende und stürzende Königsgestalten, und eine farbige Miniatur im „Lustgarten“ der Herrad von Landsperg aus dem gleien 12. Jahrhundert hat gar die Präzision einer tenisen Zeinung: Da ist die Ase des sesspeiigen Rades mit den ses Herrsergestalten darauf waageret in zwei Astgabeln gelagert, und die Glüsgöin zur Linken swingt mit Mat die Kurbel. Die Aufsri auf der Ase lautet: „Sicut rota volvitur, sic mundus instabili cursu variatur“, „So wie das Rad si dreht, so wandelt si die Welt in unstetem Lauf“, und die Beisrien zu den ses Königsgestal122
ten erinnern an gereimte Verse aus den „Carmina Burana“, in Carl Fisers Übersetzung: „Fortunae rota volvitur: Descendo minoratus; alter in altum tollitur; nimis exaltatus rex sedet in vertice – caveat ruinam! Nam sub axe legimus Hecubam reginam.“
„Das Glüsrad reisst in rasem Lauf Fallende ins Dunkel, einen andern trägt’s hinauf: Hell im Litgefunkel thront der König in der Höh – wird des Sturzes inne! Unterm Rad liegt Hecuba, eh’dem Königinne!“
Ein einzelner Vers derselben „Carmina Burana“ fasst den Umlauf dieses sesspeiigen „Glüsrads“ lapidar in ses lateinise Worte und ses daktylise Versfüsse: „Regnabo; regno; regnavi; sum sine regno“, „Herrsen werd’ i; i herrse; i herrste; i bin ohne Herrsa“.
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Si, quod adest, gratum iuvat …
Glüli über das Landhaus samt Landgut im Sabinisen, das Maecenas ihm gesenkt hat, beginnt Horaz seine köstlie Satire von städtiser Hetze und ländlier Musse mit einem Dank- und Wunsgebet an „Majas Sohn“ Merkur, den Go des rührigen Handels und Wandels, aber au des unverhoen Finderglüs. Von einem Satzfund im Aer lässt Horaz eine unruhige Seele da träumen, und mien in den Text hat er selbst einen Satz hineingeheimnist. Da heisst es, in Christoph Martin Wielands klassiser Übersetzung: „… Mir ist wohl, i bie weiter nits, o Majens Sohn, als dass du mir erhaltest, was du gabst. Wofern i nit mein Gut dur böse Künste vergrössert habe, nit dur Torheit und Verswendung verringern werde; wenn in meine Seele kein Wuns wie dieser kommt: ,O möte do, mein Feld zu runden, no der Winkel dort hinzu si fügen!‘ – oder: ,Wenn mi do mein gutes Glü auf einen Topf voll Geld wie jenen Mietling stossen liesse, der mit dem gefundnen Satze das zuvor um Lohn gepflügte Land erkaue und als Eigentum, von Herkuls Gnaden, baute‘: Kurz, wenn i mi, was da ist, freuen lasse – Si, quod adest, gratum iuvat –, so höre nur dies einzige Gebet: Lass meine Herden, o Merkur, mein Feld, und alles andre feer werden, nur 124
nit meinen Witz, und bleibe, wie bisher, mein grosser Sutzpatron!“ Da wünst si der eine das zunäst angrenzende „Winkelen“, wie Horaz so hübs sagt, das seinem „Äeren“ eben no gefehlt hat, der andere einen Satzfund: Allerweltswünse, Jedermannswünse, Wünse einer zeitlosen Zeitgenossensa. Horaz weist derlei weitausgreifende Wunsphantasien von vornherein von si, und in sliten Worten, die man leit überliest, setzt er ihnen die Zauberformel seines eigenen in si ruhenden Glüs entgegen: „Si, quod adest, gratum iuvat …“, „Wenn i mi, was da ist, freuen lasse …“, wie Wieland mit Auszeinung des unseinbaren Haupt- und Herzworts übersetzt, oder au, Wort für Wort: „Wenn, was da ist, den Dankbaren beglüt …“ Das lateinise Adjektiv gratus und das Verb iuvare sind zwei Wörter aus dem interessanten Spiegelkabine des Sulvokabulars. Für das Adjektiv gratus verzeinet das lateinise Sulvokabular die Bedeutungen 1. „willkommen“, 2. „dankbar“, und für das Verb iuvare die Bedeutungen 1. „helfen“, 2. „erfreuen“. Erstens oder zweitens, und jeweils das, was passt? Nein, erstens und zweitens, und das in jedem Fall! Im Lateinisen fallen die beiden nur seinbar versiedenen Bedeutungen zusammen: Da deuten die gratia und dieses gratus auf ein und dasselbe Erfreuende, das im Geben und Danken hinüber und herüber geht, und da bezeugt dieses iuvare, dass HilfeLeisten allemal zuglei Freude-Stien und Freude-Stien allemal zuglei Hilfe-Leisten bedeutet. Es sind sehr menslie Verhältnisse, die das Lateinise da jeweils in eins zusammensieht, und es ist vielleit kein Zufall, dass diese beiden so urmenslien Wörter hier bei Horaz so Wort an Wort beisammenstehen. „Si, quod adest, gratum iuvat …“, „Wenn das, was da ist, was ,vorhanden‘ ist, einen dankbar und glüli mat …“: Das ist ein geheimes Slüsselwort für Aussteiger, für Aussteiger aus der un125
endlien Glüsspirale von Wunserfüllung und Wunserweung, neuer Wunserfüllung und neuer Wunserweung. Gut zwei Jahrhunderte vor Horaz hae Epikur den damals no jungen Gedanken in einen gesliffenen Aphorismus gefasst: „Man soll nit die vorhandenen Dinge beleidigen dur das Verlangen na den nit vorhandenen, sondern daran denken, dass au diese einmal zum sehnli Gewünsten gehört haben.“ Und knapp zwei Jahrhunderte na Horaz hat Kaiser Marc Aurel die Epikureise Maxime in seinen Worten „An si selbst“ no einmal zugespitzt: „Nit an die nit vorhandenen Dinge denken, als ob sie son da wären, sondern von den vorhandenen die meistgebrauten herausgreifen und in Hinbli auf sie si vergegenwärtigen, wie sehnli sie gewünst würden, wenn sie nit vorhanden wären.“
Vgl. „Aurea mediocritas“, oben Seite 25. 126
Si tacuisses …
Das kurz abgebroene „Si tacuisses …“ sprit vom Sweigen und lässt glei selbst das Sweigen spreen: „Wenn du geswiegen häest …“, oder au: „Wenn du do nur geswiegen häest …!“ Das sagt man einem Freund ins Ohr oder wir es einem Widerpart an den Kopf, wenn dieser oder jener si mit einer töriten Äusserung eine peinlie Blösse gegeben hat. Ein Wort, das einmal dem Homerisen „Gehege der Zähne“ entflohen ist, lässt si nit einfa wieder einfangen und einsperren; da kann man nur no einen Irrealis der Vergangenheit hinterdreinsien. Der Sulgebrau der Lehrbüer, der allemal ordentlie, vollständige Sätze braut, hat dem Bedingungssatz „Si tacuisses …“, dem Musterbeispiel eines solen Irrealis, eine entspreend irreale Ergänzung verpasst: „… philosophus fuisses / philosophus mansisses“, „… wärst du ein Philosoph gewesen / ein Philosoph geblieben“. Aber wieso sollte einer, der sweigt, damit glei ein Philosoph sein oder gar bleiben? Reden ist Silber, Sweigen ist Gold, sagt der Volksmund, aber lebt die Philosophie nit gerade vom Reden und vom Dialog? Das geflügelte Wort ist dem einzig erhaltenen, im Gefängnis gesriebenen Werk des Boëthius, dem „Trost der Philosophie“, entflogen. Der Spreende bleibt an der Stelle ein namenloser Quidam, und au der von ihm Angesproene bleibt unbenannt; aber dessen Rolle eines eitlen Grossspreers und Kleindenkers ist bezeinet, und mit ihr kommt die Gegenrolle des „Philosophen“ ins Spiel. „Hör dir an“, heisst es dort, „wie herrli da einmal ein Spovogel die Leitfertigkeit soler Anmassung verhohnepipelt hat. Der hae einem Bursen, der si nit um der Übung wahrer Lebenstugend, sondern um eitler Geltungssut willen den falsen Titel eines Philosophen 127
zugelegt hae, mit wüsten Smähreden zugesetzt und hinzugefügt, er werde glei wissen, ob jener ein Philosoph sei – wenn er nämli die ihm angeworfenen Beleidigungen gelassen und geduldig ertrage. Der andere nahm eine kleine Weile Geduld an; sliessli fragte er, als setze er si über die empfangenen Smähungen geringsätzig hinweg: ,Siehst du jetzt endli ein, dass i ein Philosoph bin?‘ Da erwiderte der erste, unübertreffli bissig: ,I hae es eben einsehen wollen, wenn du geswiegen häest‘ – ,Intellexeram, si tacuisses‘.“ Wir wissen nit, ob der so „unübertreffli bissige“, hier namenlos zitierte Spöer einmal einen Namen hae oder ob Boëthius diesen Psyo-Test auf Selbstsierheit und Selbstbeherrsung frei erfunden hat. Do eines ist deutli: Hier geht es nit um törites Daherreden und tiefsinniges Sweigen, sondern um die spriwörtlie „stoise Ruhe“ des wahrhaften Philosophen, die nit ins Wanken zu bringende „Unersüerlikeit“ des stoisen Weisen. Und so überrasend die Pointe da am Ende zupat, so raffiniert ist sie vorbereitet: Eben damit, dass dieser Pseudo-Philosoph seinen angemassten Philosophenrang na allem Dulden und Sweigen no expressis verbis bestätigt haben möte, verrät er seine mangelnde Unersüerlikeit, und der Indikativ „Intellexeram“, „I hae es eben eingesehen“, anstelle des irrealen Konjunktivs „Intellexissem“, „I häe es eingesehen“, lässt ihn grausam spüren, wie knapp er diese Bestätigung verpasst hat. Boëthius und sein Hauptwerk „Trost der Philosophie“, dieses letzte grosse literarise und philosophise Vermätnis der Antike an das lateinise Mielalter, ist in der Neuzeit in den Hintergrund getreten. Umso leiter hat si die fulminante Slusspointe dieses „… si tacuisses!“ aus der längst in Vergessenheit geratenen Anekdote lösen und allenthalben im Alltäglien, weitab von aller Grossspreerei und aller Philosophie, neue Bezüge finden können. Die allgemeine mieilsame Mensennatur, die si so gern ohne viel Bedenken frisweg aussprit und nit jedes Wort auf die Goldwaage legt, hat dem 128
lateinisen Wort und seiner deutsen Version in allen drei Personen kräige Flügel verliehen. Wie o können wir das so durkonjugieren: „Si tacuissem, si tacuisses, si tacuisset …“, „Wenn i, wenn du, wenn der geswiegen häe …“, und wie leit verstehen wir im Deutsen dieses lateinise „Si …“, dieses bedingende „Wenn …“, dann im Sinne eines irrealen, unerfüllt gebliebenen Wunses: „Wenn i, wenn du, wenn die do nur geswiegen häe!“ Und gegebenenfalls hört man einer, der sein Herz allzu loer auf der Zunge getragen hat, do lieber ein fein verslüsseltes lateinises „Si tacuisses …!“ als unverhüllten, groben deutsen Klartext.
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Tempora tempore tempera!
In Sils Baselgia im oberen Engadin, auf halber Stree zwisen Julierpass und Maloja, wo es auf der smalen Landbrüe zwisen Silvaplaner-See und Silser-See na Sils Maria hinübergeht, lädt die traditionsreie Pensiun Chasté nahe der Halbinsel Chasté den Reisenden zu gastlier Einkehr ein, und das zu zweierlei Kost. Da findet der hungrige, durstige Wanderer in der getäferten Arvenstube aus dem späten 16. Jahrhundert neben der leiblien Nahrung vor si auf dem Tis, dem Bündnerteller und dem Glas Veltliner, an der Dee über si no eine geistige Nahrung der besonderen Art: drei in das Deentäfer eingesniene lateinise Sprüe. Zwei Jahreszahlen datieren die Stube, ein Geburtstag: „1573 Federicus die 3 Februarii nat(us)“, „1573 Federicus am 3. Tag des Februar geboren“, und ein glei darauf folgendes Todesjahr: „1574 Bartolomeus Fedricus“. Sta des Todestages und eines „gestorben“ folgen da vier glei anlautende lateinise Worte: „Ibimus, ibitis – ibitis, ibunt“. Es ist der Plural einer simplen Konjugationsreihe: „Wir werden gehen, ihr werdet gehen, sie werden gehen.“ Aber hier läu die Formenreihe nit sulmässig heruntergesnurrt von der 1. zur 3. Person dur; hier ist mit der Wiederholung der 2. Person ein kurzes Innehalten eingesaltet: „Wir werden gehen, ihr werdet gehen – ihr werdet gehen, sie werden gehen.“ Glei neben der Pensiun Chasté steht die alte „Basilika“, die Kire, die dem Ortsteil Sils Baselgia den Namen gegeben hat. Wie o mag der Pfarrer dieser „Basilika“ seinen Lateinsülern diese Formen vorgesproen haben, wie o mag er seine Süler so abgehört haben, bis die lateinise Litanei ihn auf einmal unvermielt anspra, ihm auf einmal etwas bedeutete. So, mögen wir uns denken, ist aus der eintönigen, gleigültigen Konjugationsübung Ibo, ibis, ibit; 130
ibimus, ibitis, ibunt dieses denkbar slite, eindringlie Memento mori geworden: Wir werden einmal gehen, aber denkt daran: Au ihr werdet einmal gehen; ihr werdet gehen, aber tröstet eu: Sie, sie alle, werden einmal gehen. Zu Geburt und Tod, Lebensanfang und Lebensende, fügt si der zweite Spru: „Tempora tempore tempera“. Au ein gestandener Lateiner mag si angesits dieser zweiten in die Arvendee eingesnienen Insri die Augen reiben und si fragen, ob das drie Glas Veltliner ihn jetzt dreifa sehen lässt. Der ohrenfällige Gleiklang der drei Wörter erinnert an Caesars brillante Siegesbotsa „Veni, vidi, vici“. Einzig die Vokale weseln; das Substantiv tempus, „Zeit“, mit dem Genitiv temporis und dem Plural tempora und das stammverwandte Verb temperare, „mässigen, zügeln“, umspielen einander. Und so raffiniert die Prägung, so rätselha ist die Botsa: „Mässige, zügle die Zeiten dur die Zeit“? Der drie und kürzeste Spru glei daneben, das geflügelte „Festina lente!“, wortwörtli übersetzt „Eile gemäli!“, in der spriwörtlien gereimten Version „Eile mit Weile“, weist den Weg zur Lösung. Es ist die lateinise Version der paradoxen grieisen Maxime „Speúde bradéos!“, die Sueton als ein Lieblingswort des Kaisers Augustus anführt. Da mag einem Freund soler klassiser Zitate anderes Geflügeltes in den Sinn kommen: das Vergilise „Sed fugit interea, fugit inreparabile tempus“, „Aber es flieht unterdes, es flieht die unwiederbringlie Zeit“, oder die Horazise „… innumerabilis / annorum series et fuga temporum“, die „unabzählbare Reihe der Jahre“ und die flütig dahingaloppierende „Flut der Zeiten“. „Tempora tempore tempera“, „Mässige, zügle die Zeiten dur die Zeit!“, das will uns wohl sagen: Lege dieser dahinstürmenden Quadriga Zügel an, indem du jeden einzelnen Tag, jede einzelne Stunde, jeden einzelnen Augenbli ergreifst, erfüllst, erlebst. Vom Oberengadin, dem „Da der Welt“, na Rom, zum „Haupt der Welt“. Dort trägt die Fassade eines 1926 „im fünen Jahr na der Erneuerung der Rutenbündel“ erriteten Hauses 131
an der Piazza Barberini, am Anfang der Via Viorio Veneto, ein kunterbuntes Sammelsurium lateiniser Sprüe zur Sau, darunter neben einem tröstlien „Roma lenta, quia aeterna“, „Rom ist langsam, weil es ewig ist“, und einem töriten „Mulier oboediens regit virum“, „Eine gehorsame Frau regiert den Mann“, au dieses seltene, weder geläufige no gar geflügelte „Tempora tempore tempera!“ Wer weiss, wo diese raffinierte Prägung einmal ihren Ursprung hae, woher und wie sie damals an jene Arvenholzdee in der Pensiun Chasté in Sils Maria und später an diese Hausfassade an der Via Viorio Veneto in Rom gekommen ist? Derlei einprägsame Prägungen, glei ob geflügelt oder wie diese ungeflügelt, gehen ihre eigenen verborgenen Wege, fliegen ihre eigenen verborgenen Routen.
Vgl. „Carpe diem!“, oben Seite 28, und „Veni, vidi, vici“, unten Seite 145. 132
Ubi bene, ibi patria
Ein Griee der klassisen Zeit nannte si mit Namen, Vatersnamen und Bürgerort, also etwa: „Sokrates, Sohn des Sophroniskos, von Athen“. Wo immer er lebte zwisen der Strasse von Gibraltar, den „Säulen des Herakles“, und der Strasse von Kerts im Osten der Krim, verstand er si als Bürger seines Stadtstaats, als polítes seiner Polis. Die hübs erfundene Anekdote, die den berütigt bissigen „Hund“ Diogenes von Sinope auf die Allerweltsfrage, von wo er sei, nur das eine frisgeprägte Wort „Kosmopolítes!“, „Weltbürger!“, zurüknurren lässt, markiert die Wende zu den neuen Horizonten der Alexanderzeit im späteren 4. Jahrhundert v. Chr. und der folgenden hellenistisen Zeit – sit venia verbo: zu einer ersten „Globalisierung“ der antiken Welt. Der Nistplatz des geflügelten „Ubi bene, ibi patria“ im Athener Dionysostheater ist no ein Jahrhundert älter. In einer Aristophanisen Komödie, dem im Jahre 388 v. Chr. aufgeführten „Plutos“, „Reitum“, kommt der Göerbote Hermes völlig abgerissen vom Olymp herab und biet den Sklaven Karion um ein Stü Brot und Fleis und gastlie Aufnahme. Als Karion verwundert fragt, ob er denn wirkli die Olympisen Göer verlassen und „hier unten“ bleiben wolle, ja: ob er sol ein „Überlaufen“ denn für eine ehrenwerte Sae halte, erklärt der weitgereiste Göerbote ungerührt, in Athen seien die Verhältnisse nun einmal unvergleili besser, und dann mit einer gediegenen, ausgeprägten Sentenz, als wär’s ein Klassikerzitat: „Patrís gar estin pas’, hin’ an práei tis eu“, „Vaterland ist do jedes, wo immer es einem gut geht“. Aristophanes hat seinen „Überläufer“ Hermes hier tatsäli eine längst spriwörtlie Euripideise Sentenz aufgreifen lassen. Ein Fragment aus dem „Phaëthon“ des Euripides 133
sagt, „… hos pantaú ge patrís he bóskusa ge“, „… wie do überall das Land, das einen ernährt, zum Vaterland wird“, und ein anderes aus einer nit genannten Euripideisen Tragödie verkündet: „… hápasa de thon andrí gennaíoi patrís“, „… und jedes Land wird einem tütigen Mann zum Vaterland“. Ein drier soler – vielleit gleifalls Euripideiser – Vers findet si in einer unter dem Namen des Menander laufenden Sentenzensammlung: „Toi gar kalós prássonti pása ge patrís“, „Für den, dem es gut geht, ist jedes Land do Vaterland“. Jahrhunderte später nehmen wir die Spur dieser grieisen Sentenz auf der römisen Bühne wieder auf. In seinen „Tuskulanisen Gespräen“ zitiert Cicero den mythisen Teucer, den Bruder des Aiax, mit dem Satz „Patria est, ubicumque est bene“, „Vaterland ist, wo immer es einem gut geht“. Cicero nennt einzig die spreende Person; offenbar war das Wort, gewiss ein Zitat aus dem um die Mie des 2. Jahrhunderts v. Chr. in Rom aufgeführten „Teucer“ des Pacuvius, inzwisen au im Lateinisen geläufig geworden. Seneca zitiert das Wort no einmal; irgendwann später – wir wissen nit, wann und wo – hat es si zu der aufs Äusserste verkürzten, auf die vier tragenden Worte gestellten Formel „Ubi bene, ibi patria“ zusammengezogen. Die söne neue kosmopolitise Weltoffenheit unter dem Zeien jenes hingeknurrten „Kosmopolites!“ hae ihre Kehrseite in einer sozusagen plutopolitisen Weltläufigkeit des zeitgenössisen Jetsets. Eine andere – und eher wahre – Anekdote stellt dem vaterlandslosen Rusa-Philosophen Diogenes einen geradeso ungebundenen ionisen Playboy in pratvollem Outfit – und, mögen wir ergänzen, mit gehörigem Gefolge von Bedienten und Jagdhunden – zur Seite: „Chrysipp erzählt, ein superreier junger Mann aus dem leitlebigen Ionien sei auf der Athener Agora in einem Purpurgewand mit goldenem Saum aufgetreten, und als einer ihn fragte, woher er komme, habe er geantwortet, er habe Vermögen.“ Fast möte man da übersetzen: „… er habe Kredit“ 134
und si vorstellen, wie dieser mega-reie junge Ionier dazu seine goldene Kreditkarte swenkte. Grieis oder lateinis, spriwörtlie Sentenz oder lapidare Formel: Snöde Unverbindlikeit und stolze Unabhängigkeit liegen in diesem Wort von der Ubiquität des Vaterlandes nahe beieinander. Einmal hat es zwisen diesem „Ubi bene, ibi patria“ und dem gleifalls geflügelten „Omnia mea mecum porto“, „Alles, was mein ist, trage i bei mir“, eine Vogelhozeit gegeben, und dabei ist ein Spru herausgekommen, der wohl au Flügel verdient häe: „Vir bonus, quocumque it, patriam suam secum fert; omnia sua animus eius custodit“, „Ein aufreter Mann trägt, wohin immer er geht – oder gehen muss –, sein eigenes Vaterland mit si; sein Inneres birgt alles, was sein ist“. Thomas Mann hat dem Gedanken no eine besondere Wendung verliehen, als er bei seiner Ankun in New York im Februar 1938 den am Pier versammelten Reportern freimütig erklärte: „Wo i bin, ist Deutsland.“
Vgl. „Omnia mea mecum porto“, oben Seite 106. 135
Urbi et orbi
Alljährli zu Ostern und zu Weihnaten erteilt der Papst von der Loggia der Peterskire herab „Urbi et orbi“, „der Stadt und dem Weltkreis“, seinen bisöflien und päpstlien Segen. Die Gesite der bedeutungsträtigen Segensformel reit weit über das Papsum in die Antike zurü: Spätestens seit Ciceroniser Zeit hat das ohrenfällige, ungezwungene Wortspiel die Urbs aeterna, die „Ewige Stadt“, inmien der antiken Welt mit dem Orbis terrarum, dem „Kreis der Länder“, rings um das Mielmeer verbunden, und seit Augusteiser Zeit deutete es stolz auf die Herrsa der einen Stadt Rom, des Caput mundi, des „Hauptes der Welt“, über einen „Erdkreis“, der für die Antike slethin der Weltkreis war. Nomen est omen: In den deklinierten Fällen klingen die beiden lateinisen Wörter urbis / orbis, urbi / orbi, urbem / orbem, urbe / orbe so stimmig überein, als sei diese Stadt seit eh und je zur Weltherrsa und ihre Sprae zur Weltsprae ausersehen gewesen: Da liegt jeweils nur ein einziger Bustabe, der eine und der andere dunkle Vokal, zwisen der „Stadt“ und der „Welt“. Soweit wir sehen, hat Cicero in der Spätzeit der Republik den zukunsträtigen Anklang als erster rhetoris wirksam ausgespielt; in seiner 1. Rede gegen Catilina aus seinem Konsulatsjahr 63 v. Chr. brandmarkt er die Verswörer um den Staatsfeind in effektvoller Steigerung als Leute, „qui de huius urbis atque adeo de orbis terrarum exitio cogitent“, „die es auf den Untergang dieser Stadt, ja des ganzen Erdkreises abgesehen haben“. Ernstere, welthistorise Bezüge hat das Wortspiel erst mit dem Ende der Bürgerkriege, erst in Augusteiser Zeit gewonnen. Mit loerer Hand, wie sein amouröser Lehrstoff es gebietet, grei Ovid den verführerisen Gleiklang in seiner „Liebesfibel“ auf. Dort empfiehlt er den jungen Römern eine 136
eben eingeweihte Arena für spektakuläre Seekriegsgefete zuglei als Arena für stillere Liebesgeplänkel; er sliesst mit der Pointe: „Nempe ab utroque mari iuvenes, ab utroque puellae venere, atque ingens orbis in urbe fuit“, „Kamen aus West und Ost do die jungen Männer und Mäden, Nord und Süd: In der Stadt fand si versammelt die Welt“. In seinem poetisen Festkalender, unter dem Fest des Grenzsteingoes Terminus am 23. Februar, spielt Ovid no einmal mit dem gleien Anklang, und hier, wieder im pointierten Slussvers, ist aus der reizvollen Anspielung auf die Weltgeltung Roms unverhüllter Klartext geworden: „Gentibus est aliis tellus data limite certo; Romanae spatium est urbis et orbis idem“, „Anderen Völkern ist Raum in gemessenen Grenzen gegeben; für das römise fällt Stadtkreis und Weltkreis in eins“. Zu der Zeit erstrete si das römise Rei ja tatsäli von der Mündung des Rheins bis zu den Katarakten des Nils, von der Strasse von Gibraltar bis an die Ostküste des Mielmeers, von den Küstenländern Nordafrikas bis zu Hellespont und Bosporus. Der ganze weite „Kreis der Länder“, soweit der Horizont der Antike reite, sien si in diesem ersten wirklien und wahrhaen „Weltrei“ zu einer einzigen Kosmopolis, neudeuts oder eigentli neulateinis: zu einem einzigen Global Village, zusammenzuziehen. No wenige Jahre na der Plünderung und Brandsatzung Roms dur den Westgotenkönig Alari im Jahre 410 n. Chr. konnte Rutilius Namatianus, der Stadtpräfekt des Jahres 414, die Stadtgöin Roma in grotesker Überhöhung hymnis dafür rühmen:
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„Fecisti patriam diversis gentibus unam … Urbem fecisti, quod prius orbis erat“, „Vaterland hast du vielerlei Völkern ein einz’ges gesaffen … Du hast gesaffen zur Stadt, was einst gewesen die Welt“. Inzwisen war die Reihe der Kaiser in Rom son unvermerkt von der Reihe der Päpste abgelöst worden, die inskünig „der Stadt und der Welt“ mit der Formel „Urbi et orbi“ ihren österlien und weihnatlien Segen spenden sollten. In ebenjenen Jahren hat der ristlie Historiker Orosius das bedeutungsträtige Wortspiel wie selbstverständli aus seinen alten Augusteisen in neue ristlie Bezüge übergeführt, wenn er in der Einleitung seines Gesitswerks ankündigt: „I werde Gesite sreiben von der Gründung der Welt bis zur Gründung der Stadt – ab orbe condito usque ad urbem conditam –, von da bis zum Prinzipat des Kaisers Augustus und zur Geburt Christi, von wo an die Herrsa über die Welt unter der Regierungsgewalt der Stadt verblieben ist – ex quo sub potestate urbis orbis mansit imperium.“
Vgl. „Nomen est omen“, oben Seite 100. 138
Ut moriens viveret, vixit ut moriturus
„Wir Toten, wir Toten, sind grössere Heere …“, beginnt C. F. Meyers „Chor der Toten“, und dahinter stehen römise Erinnerungen. Der Grabdenkmäler in den Kiren der Ewigen Stadt ist wahrhaig „Legion“. Viele Insrien rühmen wortrei die Tugenden der Verstorbenen, verzeinen ihre Ämter und Würden, bekunden anrührend die Trauer der Hinterbliebenen; do hie und da, selten genug, blitzt in diesen Grabinsrien ein gesliffener Diamant auf. So in der spätantiken Basilika S. Sabina auf der Höhe des Aventin; wer dort im reten Seitensiff na vorne geht und nit nur für die karolingisen Chorsranken mit ihrem langobardisen Reliefsmu Augen hat, liest an dem Grabmonument sräg gegenüber dem Lesepult in kapitalen Leern an der Front des Sarkophags diese ses Worte: UT MORIENS VIVERET VIXIT UT MORITURUS Zwei Worte vom Sterben, zwei vom Leben, vielleit bedeutungsvoll über Kreuz gestellt, zweimal das Wörten ut, einmal in seiner finalen „aufs Ende sauenden“, einmal in vergleiender Bedeutung. „Le Latin“, hat Voltaire einmal erklärt, „est plus propre au style lapidaire que les langues modernes, à cause de leurs verbes auxiliaires qui allongent une inscription et qui l’énervent“, und diese ja au unbildli lapidare Insri ist dafür die augenseinliste, treffliste Bestätigung. Im Lateinisen stehen da zweimal drei, dreimal zwei strenggefügte Worte nebeneinander und übereinander; in der neuen Sprae klappern mehr als doppelt so viele hintereinander her: „Dass er, wenn er sterbe, lebe, lebte er wie einer, der sterben werde.“ Die 139
eigentlie Grabinsri an der Wand unter dem Sarkophag nennt den Toten, den aus der spanisen Provinz von Valencia gebürtigen, am 7. September 1483 im Alter von sezig Jahren in Rom verstorbenen Kardinal Auxias de Podio, und rühmt seine diplomatisen Verdienste als Gesandter erst der spanisen Könige und dann Papst Sixtus’ IV. In Rom spreen die Steine vielfa au untereinander, von einem Hügel zum anderen. Eine weniger augenfällige, ein Jahrhundert jüngere Grabinsri in S. Maria in Aracoeli auf dem Kapitol seint die in S. Sabina auf dem Aventin aufzugreifen und abzuwandeln, ja ihr Raffinement no überbieten zu wollen. Sie steht dort im reten Seitensiff vorn rets, am Durgang zum Kapitolsplatz hinunter, und sie gilt einem am 21. April 1585 im Alter von 84 Jahren verstorbenen Julianus Valentinus, einem „Mann für alle Stunden – omnium horarum viro“, der von der Philosophie und den Mensendingen, wie es da heisst, „seinen ehrenwerten Absied genommen hae“ und „jetzt erst fühlte, dass er lebe, da er für Go lebte und für si selbst – tunc vivere se demum sensit, cum Deo vixit et sibi“. Die Insri sliesst mit einem barsen, wiederum so ret lateinis-lapidaren Zuruf an den eiligen Rompilger, der hier dur den Seitenausgang vom „Altar des Himmels“ son wieder in die irdise Sphäre hinabsteigen möte: SISTE GRADUM VIATOR SI PROBUS ES MORERE VICTURUS SI IMPROBUS ES VIVE MORITURUS „Halt ein den Sri! Wenn du ein Guter bist …; wenn du ein Übler bist …“: Da mag si der so unvermielt Angehaltene, so herausfordernd Angesproene fragen, weler dieser beiden hier zur Auswahl angebotenen Absiedsgrüsse ihm wohl gelten könne. Die beiden letzten Worte „vive moriturus“ erinnern an jenes „vixit ut moriturus“ in S. Sabina. Aber hier treibt das dem „moriturus“ zur Seite gestellte Partizip Futur „victurus“, das 140
sowohl zu dem Verb vivere, „leben“, als au zu dem Verb vincere, „siegen“, gehören kann, das paradoxe Widerspiel vom Leben und Sterben und nun au dem Sieg über den Tod vollends auf die Spitze: „Halt ein den Sri, Reisender! Wenn du ein Guter bist, stirb als einer, der siegen – und zuglei: der leben – wird; wenn du ein Übler bist, lebe fort als einer, der sterben wird!“ Jenes strenggefügte „Ut moriens viveret, vixit ut moriturus“, das die Delphise Todesgewissheit des „Erkenne di selbst!“ in der ristlien Heils- und Lebenserwartung auebt, hat erstaunli wenig Beatung gefunden. Ein vereinzeltes, au wieder leit zum Du, zur Ansprae an den Vorüberkommenden, abgewandeltes Zitat ist dem Sreibenden kürzli weitab vom Haupt der Welt in seiner Grossvaterstadt, der „grauen Stadt am Meer“, begegnet, auf einer an der Nordwand der Husumer Marienkire angebraten Grabplae. Die zu Lebzeiten aufgesetzte, na dem Tod nit mehr datierte Grabinsri des Husumer Patriziers Joaim Danwerth und seiner Ehefrau Clara Luthen aus dem 17. Jahrhundert endet na manerlei die Grablege betreffenden juristisen Kautelen unvermielt mit dem Zuruf: „Ut moriens vivas, vive ut moriturus!“, „Dass du, wenn du stirbst, lebest, lebe wie einer, der sterben wird!“ Da ist der grossartige Grabspru, den wir hier zum geflügelten Wort honoris causa erheben, vor drei, vier Jahrhunderten offenbar son einmal, und ganz inkognito, von seinem Nistplatz auf dem Aventin in den hohen Norden ausgeflogen.
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Vare, redde legiones!
Drei swarze, tiefswarze Unheilsvögel mit hängenden Flügeln und zerzaustem Gefieder markieren so wortkarg wie kunstlos die smerzlisten Rüsläge der römisen Gesite: ein verätli zwisen den Zähnen hervorgestossenes „Vae victis“, „Wehe den Besiegten!“, der srilltönende Sreensruf „Hannibal ante portas!“, „Hannibal vor den Toren!“, und sliessli das in heller Verzweiflung laut hinausgesriene „Vare, redde legiones!“, wie wir das Wort na Joseph Victor von Seffels Studentenlied „Als die Römer fre geworden“ aus der Mie des 19. Jahrhunderts zitieren: „Als die Römer fre geworden, zogen sie na Deutslands Norden; vorne mit Trompetensall ri der Generalfeldmarsall Herr Quinctilius Varus …“ Ein paar Strophen weiter, „als das Morden war zu Ende“, hat die Sreensbotsa von der Katastrophe im Teutoburger Wald Kaiser Augustus „beim Miagsmahl“, „im Kaisersaal“ ereilt: „Erst blieb ihm vor jähem Sreen ein Stü Pfau im Halse steen; dann geriet er ausser si und srie: ,Varus, säme di! Redde legiones!‘“ Im Frühjahr 7 n. Chr. hae Publius Quin(c)tilius Varus das Oberkommando über die Rheinarmee übernommen; im Herbst 142
9 n. Chr. erli er auf dem Rümars mit drei Legionen von der Weser an den Rhein die vernitende Niederlage, mit der sein Name in die Gesite eingegangen ist. Mehrere Germanenstämme unter Führung des Cheruskerfürsten Arminius griffen die weit auseinandergezogene Marskolonne in unwegsamem Gelände überrasend an. In einer dreitägigen Slat, eher einem Slaten, wurden die drei Legionen samt ihren Hilfstruppen gänzli aufgerieben; Varus selbst gab si den Tod. Die Taciteise Ortsangabe „nit weit vom Teutoburgiensis saltus“ ist erst in der Neuzeit auf den Teutoburger Wald übertragen worden, und in der Folge hat das kolossale „Hermannsdenkmal“ dort im Teutoburger Wald, bei Detmold, seinen Standort gefunden. Jüngste Vermutungen lokalisieren die Varusslat nördli von Osnabrü. Sueton lässt die Verzweiflung des Augustus über die Katastrophe, die „fast das Ende des Reies häe bedeuten können“, in der vielzitierten Anrufung des unglülien, allzu unbesorgten Feldherrn gipfeln: „… Als die Narit vom Verlust der drei Legionen und sämtlier Hilfstruppen und vom Tode des Varus und seiner Legionskommandeure eintraf, liess Augustus in der ganzen Stadt Waposten aufziehen, um irgendwele Unruhe gar nit erst auommen zu lassen, und verlängerte die Amtszeit der Provinzstahalter, um die Bundesgenossen dur erfahrene und ihnen vertraute Männer betreut zu wissen. Au gelobte er ,Grosse Spiele‘ für Jupiter Optimus Maximus, wenn die Gesie des Reies nur erst eine Wendung zum Besseren genommen häen … Man beritet, Augustus sei von der Katastrophe derart verwirrt und verstört worden, dass er mehrere Monate lang seinen Bart und sein Haar habe wasen lassen, ja dass er manes Mal seinen Kopf gegen die Türflügel geslagen und dazu laut gesrien habe: ,Quintilius Varus, gib mir meine Legionen wieder! – Quintili Vare, legiones redde!‘ Den Tag der verlorenen Slat soll er alljährli als einen Tag der Trauer und des Totengedenkens begangen haben.“ 143
Auf seinem Sommerfeldzug des Jahres 15 n. Chr. sute der Kommandeur der Rheinarmee Germanicus den Sauplatz der Varusslat auf, um den Gefallenen die letzte Ehre zu erweisen. Tacitus sildert die makabre Szenerie: „Überall auf dem Feld weiss gebleite Gebeine, wie sie geflohen waren, wie sie standgehalten haen, weit verstreut oder dit gehäu; dabei lagen Brustüe von Gesossen, Gliedmassen von Pferden, dazu ringsum an Baumstümpfe angeheete Sädel. … Und die Überlebenden dieser Niederlage beriteten, hier seien die Legionskommandeure gefallen, dort die Legionsadler geraubt worden, und weiter, wo dem Varus die erste Wunde beigebrat worden sei, wo er von seiner Hand und dur seinen eigenen Hieb den Tod gefunden habe …“ Die letzte, nun wahrha „historise“ Katastrophe der Ewigen Stadt, die Plünderung und Brandsatzung dur den Westgotenkönig Alari im Jahre 410 n. Chr., ist mit keinem geflügelten Aufsrei bezeinet. Dafür ist aus der Romhymne, mit der Rutilius Namatianus sieben Jahre später dieses jüngste Desaster zu überwinden und die Vergilise Verheissung eines „Reies ohne Ende“ zu bekräigen sute, no ein prätiger Paradiesvogel aufgeflogen. Da sprit der Stadtpräfekt des Jahres 414 n. Chr. der swer gedemütigten Romgöin mit der Erinnerung an jene früheren swarzen Tage Trost und Zuversit zu; er sliesst: „Illud te reparat, quod cetera regna resolvit: Ordo renascendi est crescere posse malis“, „Eben das ritet di auf, was andere Reie zu Fall bringt: Das ist dir Wiedergeburt, wasen zu können im Sturz“. Über ein rundes Jahrtausend hinweg ist der Ewigen Stadt in diesen Versen bustäbli ihre „Renaissance“ verheissen.
Vgl. „Hannibal ante portas!“, oben Seite 64. 144
Veni, vidi, vici
„Veni, vidi, vici“: Kein anderes lateinises geflügeltes Wort fällt lautli und rhythmis so strenggefügt und zuglei so gefällig ins Ohr, kein anderes kommt so typis lateinis lapidar und zuglei so gesliffen elegant daher. Drei gleisilbige, glei anlautende, glei auslautende gleie Perfektformen, drei unverbundene gleigewitige Ein-Wort-Sätze, dazu die Steigerung vom „Kommen“ zum „Sehen“ und sliessli zum „Siegen“: Raffinierter, artistiser lässt si mit der Sprae und den Wörtern, mit den Lauten und den Rhythmen, selbst im Lateinisen nit spielen. Was ist dagegen ein „I kam, i sah, i siegte“? Auf dem Rüweg von seinem Feldzug na Ägypten und seiner Liebsa mit Kleopatra hat Julius Caesar Anfang August 47 v. Chr. im Nordosten Kleinasiens König Pharnakes II. von Bosporos, den Sohn des grossen Mithradates von Pontos, bustäbli en passant, im Vorüberziehen vernitend geslagen und damit einen neuen Pontisen Krieg im ersten Aufflammen erstit. Von seinem Herrsasgebiet, der Krim, her war Pharnakes im Herbst 48 v. Chr. an der Nordküste Kleinasiens gelandet, hae grosse Teile des alten Königreis Pontos in seine Gewalt gebrat und wollte bereits dur Bithynien weiter na Westen vordringen, als eine Erhebung seines Stahalters Asandros ihn zu der pontisen Tempelstadt Zela, dem heutigen Zile, südöstli von Amaseia, dem heutigen Amasya, zurürief. Dort kam es am 2. August 47 v. Chr. überrasend zur Slat. Am 1. August hae Caesar sein Feldlager nur fünf Meilen vom Lager des Feindes entfernt aufgeslagen, und no in der Nat hae er auf einem Hügel unmielbar gegenüber ein zweites Lager nur eine Meile entfernt zu befestigen begon145
nen. Als Pharnakes im ersten Morgengrauen die Römer so nah vor si mit Sanzarbeit besäigt sah, stellte er unverzügli seine Truppen auf und führte sie hangabwärts und wieder hangaufwärts in den Kampf – so sehr wider alle taktise Vernun, dass Caesar das Ausrüen der Feinde zunäst für blosses Imponiergehabe hielt und si dann zu sleuniger Improvisation gezwungen sah. No am gleien Morgen, binnen vier Stunden, war die Slat für Caesar entsieden, das Heer des Feindes vernitet und sein Lager eingenommen. Pharnakes selbst konnte mit tausend Reitern an die Küste na Sinope entkommen und in sein Bosporanises Rei auf die Krim übersetzen; dort fand er im Krieg gegen Asandros den Tod. Caesars Siegesmeldung „Veni, vidi, vici“ flog in Rom, wie Plutar vermerkt, zunäst dem vertrauten Freund Gaius Matius zu. Hae der brillante Blitzsieg, der den Krieg an seinem ersten Tag entsied, den Sieger zu dem entspreend brillanten Blitzwort inspiriert, oder hae da ein längst vorgeprägtes Wort nur auf seinen Tag, seinen Sieg gewartet? Eine spriwörtli geläufige grieise Sentenz, deren Ursprung si nit weiter naweisen lässt, mag das Muster vorgegeben haben: „Die Welt ist eine Bühne, das Leben ein Auri: Du kamst, du sahst, du gingst – élthes, eídes, apélthes.“ Bei seinem Pontisen Triumph im folgenden Jahr liess Caesar, wie Sueton bezeugt, sta wie übli einer Vielzahl triumphaler Transparente nur ein einziges mit den drei Wörtern VENI VIDI VICI vorantragen; das Riesenraster der dreimal vier Bustaben wird si einprägsam genug dargestellt haben. Plutar zitiert das Wort in seiner – grieis gesriebenen – Caesarbiographie in grieiser Version, versäumt aber nit, auf den Gleiklang und die „eindrusvolle Knappheit“ des lateinisen Originals hinzuweisen. Der grieise Gesitssreiber Dio Cassius spielt darauf an: Caesar sei auf diesen Sieg wie auf keinen anderen stolz gewesen, „weil er am gleien Tag und zur gleien Stunde dem Feind nahe kam, ihn 146
sah und besiegte“; der römise (Kriegs-) Gesitssreiber Florus sprit von einem „Blitzsieg“, in dem Caesar „in ein und demselben Augenbli kam, zuslug, abzog – uno eodemque momento venit, percussit, abscessit“, und legt dem Sieger die groteske Überhöhung in den Mund, der Feind sei „eher besiegt als gesehen gewesen – ante hostem victum esse quam visum“. Kein Wunder, dass dieses „Veni, vidi, vici“ seither siegverkündend, siegverheissend um die Welt geflogen ist. Die strenge Fügung reizte immer wieder zu allerlei Adaptationen: Na seinem Sieg über die Türken 1683 vor Wien erklärte der polnise König Johann Sobieski: „I kam, i sah, und Go siegte“; 1993 lief eine Spasskampagne für die Wahl von Vicco von Bülow alias Loriot zum deutsen Bundespräsidenten unter dem Moo „Veni vidi Vicco“; kürzli warb eine Immobilienfirma für ein topmodernes Centre Administratif in Lausanne-Vidy mit dem Blifang „Veni Vidy City“. In fröhlien englisen Versen, mit denen der junge Theodor Mommsen seinem Freund Heinri Brunn in Rom zu seinen Fortsrien im Englisen gratulierte, ist Caesars Triumphruf zum Überrasungsreimwort geworden: „You may repeat the words too, whi he / to Rome wrote: Veni, vidi, vici.“
Vgl. die beiden anderen Caesarworte „Alea iacta est“, oben Seite 16, und „Et tu, Brute?“, oben Seite 55. 147
Vita brevis, ars longa
„A Go! Die Kunst ist lang, / und kurz ist unser Leben …“ Der Stossseufzer, den der bemühte Famulus Wagner „im Slafroe und der Natmütze“ aus Faustens engem Studierzimmer in Goes weiten Himmel sit, hat Gesite. Es ist der weither über die Jahrtausende hinweg strahlende Anfang der Hippokratisen „Aphorismen“ und in dieser ersten „Abgrenzung“ der ärztlien Kunst wieder der Anfang eines so sliten wie grossartigen im Ganzen fünfgliedrigen Sprues: „Das Leben ist kurz, die Kunst lang, der Kairos flütig, der Versu gefährli, die Entseidung swer“, „Ho bíos braýs, he de téne makré, ho de kairós oxýs, he de peíra sphaleré, he de krísis alepé“. Der strenggebaute, aufs Äusserste verknappte Spru deutet auf die Verantwortung des Arztes, die Unauslernbarkeit seiner „Kunst“, seiner Wissensa, und die Entseidungsswere seines Tuns und Lassens. Das drie Glied sprit vom „Kairos“, den es einzig auf grieis gibt: Das ist der nur zu ras versäumte rete Augenbli, in dem gelingen kann, was vorher no nit und naher nit mehr gelingt. Der Bildhauer Lysipp hat ihm einen Haarsopf an der Stirn und einen kahlen Hinterkopf gegeben: Man muss ihn „am Sopfe paen“; wer zu spät kommt, hat das Nasehen. Ein hellenistiser Rhetor namens Demetrios zitiert die fünf unverbunden aufgereihten Glieder dieses Aphorismus als das Musterbeispiel eines „troenen“, wortkargen Stils; do so „troen“ sie hier aufeinander folgen, so bündig und slüssig steigern sie si von der Unzulänglikeit aller menslien Wissensa bis zur Verantwortungslast der Entseidung hinauf. Nitsdestoweniger haben si die ersten beiden Glieder son in der Antike – wir wissen nit, wann und dur wen – von den folgenden dreien abgelöst und damit ihren besonderen 148
Bezug auf die ärztlie Kunst verloren. Seneca hat sie am Anfang seiner Sri „Über die Kürze des Lebens“ angeführt: „Daher ja der bekannte Ausruf des grössten aller Ärzte, das Leben sei kurz, lang die Kunst – vitam brevem esse, longam artem“; Lukian hat sie – und wieder nur sie – der Titelfigur seines „Hermotimos“ in den Mund gelegt. Dur Seneca und mehr no dur die lateinisen Versionen dieser „Aphorismen“ ist der son im Grieisen „troene“ Spru vom kurzen Leben und der langen „Kunst“ in der vollends „troenen“ lateinisen Fassung „Vita brevis, ars longa“ zum geflügelten Wort geworden, und aus der Eingangsszene des „Faust“ ist er no einmal in unseren klassisen Zitatensatz eingegangen, nun in gereimten iambisen Versen und mit einem lamentierenden „A Go!“ vorneweg. Bis in die Goethezeit hinein sind diese Hippokratisen „Aphorismen“ in zahlreien Übersetzungen, Ausgaben und Auflagen verbreitet gewesen. Der frisexaminierte Regimentsmedicus Friedri Siller hat in ihnen das Moo für seine „Räuber“ gefunden: „Quae medicamenta non sanant, ferrum sanat; quae ferrum non sanat, ignis sanat“, „Was Medikamente nit heilen, heilt das Eisen; was das Eisen nit heilt, heilt das Feuer“. Und no 1818 hat ein „Königli-Würembergiser Oberamtsarzt“ eine – unfreiwillig komise – Übersetzung in deutsen Iamben ganz ernstha unter dem Titel „Bibel für Ärzte“ publizieren können: „Was Hippokrates in seinen Aphorismen sagte, bleibt ewig wahr, … so wahr und ewig die Gesetze der menslien Natur sind …“ Seither sind diese Hippokratisen „Aphorismen“ völlig in Vergessenheit geraten, ist daraus fast einzig no dieses weitab ins Allgemeine entflogene „Vita brevis, ars longa“ in Erinnerung geblieben. Nadem der Ballast der drei weiteren Glieder – „der Augenbli flütig, der Versu gefährli, die Entseidung swer“ – abgeworfen und damit der besondere Bezug auf die ärztlie Kunst aufgehoben war, liessen si diese beiden ersten Glieder nun treffli auf jede menslie „Kunst“, jede Lehre 149
und jedes Handwerk, jede Bildende und musise Kunst und jede Wissensa beziehen und entspreend o zitieren. Aber vielleit, ja wahrseinli hat just dieses vielzitierte Wort do sein Teil dazu beigetragen, dass wir von der Medizin wie von keiner anderen Wissensa bis heute als einer „Kunst“, der ärztlien „Kunst“, spreen können.
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Lebensdaten der zitierten Autoren Aisylos: grieiser Tragiker, geb. 525 / 524, gest. 456 / 455 v. Chr. Ambrosius: lateiniser Kirenvater, geb. 333 / 334 oder 339 / 340, gest. 397 n. Chr. Anthologia Palatina: eine Sammlung grieiser Epigramme, so benannt na einer um 980 n. Chr. entstandenen Handsri in Heidelberg Antiphon „der Sophist“: grieiser Sophist, zweite Häle des 5. Jahrhunderts v. Chr., vielleit identis mit dem gleinamigen aisen Redner, geb. um 480, gest. 411 v. Chr. Atilius Fortunatianus: römiser Grammatiker und Metriker, spätere Kaiserzeit Aristophanes: grieiser Komödienditer, Hauptvertreter der „Alten Komödie“, geb. um 450, gest. um 385 v. Chr. Aristoteles: grieiser Philosoph, Begründer der Philosophensule des „Peripatos“, der „Wandelhalle“, geb. 384, gest. 322 v. Chr. Athenaios von Naukratis: grieiser Literat, Verfasser eines zitatenreien „Sophistensymposiums“, 2. Jahrhundert n. Chr. Augustin: lateiniser Kirenvater, geb. 354, gest. 430 n. Chr. Ausonius (Decimus Magnus Ausonius): römiser Rhetor und Diter, geb. um 310, gest. um 395 n. Chr. Boëthius (Anicius Manlius Torquatus Severinus Boëthius): vielseitig gelehrter hoher Magistrat am Hof Theoderis des Grossen, geb. um 480, gest. 524 n. Chr. Carmina Burana: eine Sammlung lateiniser Vagantenlieder aus dem 12. und 13. Jahrhundert, so benannt na einer im 13. Jahrhundert entstandenen Handsri aus Benediktbeuern Cassius Dio: siehe Dio Cassius Cato der Ältere (Marcus Porcius Cato Censorius): römiser Politiker, geb. 234, gest. 149 v. Chr. Cicero (Marcus Tullius Cicero): römiser Politiker, Redner und Philosoph, geb. 106, gest. 43 v. Chr. 151
Demetrios, grieiser Rhetor, Verfasser einer Sri „Über den Stil“, 4. / 3. Jahrhundert v. Chr. Dio Cassius Cocceianus: grieiser Historiker, geb. 155 / 165, gest. um 235 n. Chr. Diodor (Diodorus Siculus): grieiser Historiker, 1. Jahrhundert v. Chr. Diogenes Laërtios: Verfasser einer zitatenreien Sammlung von Biographien grieiser Philosophen, erste Häle des 3. Jahrhunderts n. Chr. Diogenes „der Hund“: grieiser „alternativer“ Philosoph, Begründer der kynisen Philosophie, geb. um 400, gest. um 325 v. Chr. Distia Catonis („Zweizeiler Catos“): eine spätantike, unter dem Namen des alten Cato Censorius laufende Sprusammlung Epikur: grieiser Philosoph, Begründer der Philosophensule des „Gartens“, geb. 341, gest. 270 v. Chr. Euripides: grieiser Tragiker, geb. 485 / 480, gest. 406 v. Chr. Eusebios: grieiser Kirenhistoriker, geb. um 260, gest. 339 n. Chr. Festus (Sextus Pompeius Festus): römiser Grammatiker, Verfasser eines Auszugs aus einer Sri des Verrius Flaccus über Wortbedeutungen, 2. Jahrhundert n. Chr. Florus (Lucius Annaeus Florus): römiser Historiker, 2. Jahrhundert n. Chr. Heraklit: grieiser Philosoph, geb. um 540, gest. um 480 v. Chr. Herodot: grieiser Historiker, mit Ciceros Ruhmesprädikat der „Vater der Gesitssreibung“, geb. um 485, gest. na 430 v. Chr. Hesiod: grieiser episer Diter, um 700 v. Chr. Hieronymus: lateiniser Kirenvater, geb. um 345, gest. 419 / 420 n. Chr. Hippokrates: grieiser Arzt, Begründer der medizinisen Wissensa, geb. um 460, gest. um 370 v. Chr. Homer: grieiser episer Diter, Areget der europäisen Literatur, 8. Jahrhundert v. Chr. Horaz (Quintus Horatius Flaccus): römiser Satiriker und Lyriker, geb. 65, gest. 8 v. Chr. Ion von Chios: grieiser Tragiker, geb. 490 / 480, gest. 422 / 421 v. Chr. Juvenal (Decimus Iunius Iuvenalis): römiser Satiriker, geb. um 60, gest. um 130 n. Chr. Laktanz: lateiniser Kirenvater, 3. / 4. Jahrhundert n. Chr. Livius (Titus Livius): römiser Historiker, geb. 64 oder 59 v. Chr., gest. 17 n. Chr. Lukian: grieiser Redner und Satiriker, geb. um 120, gest. na 180 n. Chr. 152
Macrobius (Ambrosius Theodosius Macrobius): römiser Literat, Verfasser eines gelehrten „Saturnalien“-Symposiums, 4. / 5. Jahrhundert n. Chr. Marc Aurel (Marcus Aurelius Antoninus): römiser Kaiser 161–180 n. Chr., geb. 121, gest. 180 n. Chr. Maximos von Tyros: grieiser Philosoph, 2. Jahrhundert n. Chr. Menander: grieiser Komödienditer, Hauptvertreter der „Neuen Komödie“, geb. 342 / 341, gest. 292 / 290 v. Chr. Menandri Sententiae: aus einer Sammlung von Menanderversen hervorgegangene, in der Folge vielfa erweiterte Sprusammlung Namatian (Rutilius Claudius Namatianus): römiser episer Diter, Präfekt der Stadt Rom 414 n. Chr. Orosius (Paulus Orosius): römiser ristlier Historiker, 4. / 5. Jahrhundert n. Chr. Ovid (Publius Ovidius Naso): römiser elegiser und episer Diter, geb. 43 v. Chr., gest. um 17 n. Chr. Pappos von Alexandria: grieiser Mathematiker, 2. / 3. Jahrhundert n. Chr. Pausanias: Verfasser einer Besreibung Grieenlands, 2. Jahrhundert n. Chr. Platon: grieiser Philosoph, Begründer der Philosophensule der „Akademie“, geb. 428 / 427, gest. 348 / 347 v. Chr. Plautus (Titus Maccius Plautus): römiser Komödienditer, geb. um 250, gest. 184 v. Chr. Plinius (Gaius Plinius Secundus) der Ältere: römiser Gelehrter, Verfasser einer enzyklopädisen „Naturgesite“, geb. 23 / 24, gest. 79 n. Chr. Plutar: grieiser Biograph grosser Grieen und Römer und vielseitig gelehrter Literat, geb. um 45, gest. na 120 n. Chr. Polybios: grieiser Historiker, geb. um 200, gest. um 120 v. Chr. Proklos: grieiser Philosoph, Neuplatoniker, geb. 412, gest. 485 n. Chr. Quintilian (Marcus Fabius Quintilianus): römiser Rhetor, Verfasser des klassisen Lehrbus der Rhetorik, geb. um 35, gest. um 95 n. Chr. Rutilius Namatianus: siehe Namatian Seneca (Lucius Annaeus Seneca): römiser Philosoph und Tragödienditer, geb. um 4 v. Chr., gest. 65 n. Chr. Simplikios (Simplicius): grieiser Philosoph, Neuplatoniker, 6. Jahrhundert n. Chr. Sokrates: grieiser Philosoph, Areget der Ethik, geb. um 470, gest. 399 v. Chr. 153
Sophokles: grieiser Tragiker, geb. 497 / 496, gest. 406 / 405 v. Chr. Stobaios (Ioannes von Stoboi): grieiser Literat, Verfasser einer „Anthologie“ der grieisen Literatur, 5. Jahrhundert n. Chr. Sueton (Gaius Suetonius Tranquillus): Biograph der römisen Kaiser von Caesar bis Domitian, geb. um 70 n. Chr., Sekretär Hadrians um 120 n. Chr. Tacitus (Publius Cornelius Tacitus): römiser Historiker, geb. um 55, gest. um 120 n. Chr. Terentianus Maurus: römiser Grammatiker und Metriker, 2. / 3. Jahrhundert n. Chr. Terenz (Publius Terentius Afer): römiser Komödienditer, geb. um 190, gest. 159 v. Chr. Tzetzes (Ioannes Tzetzes): grieiser Grammatiker, 12. Jahrhundert Valerius Maximus: römiser Literat, Verfasser einer Sammlung „Denkwürdiger Taten und Worte“, erste Häle des 1. Jahrhunderts n. Chr. Varro (Marcus Terentius Varro): vielseitiger römiser Gelehrter, geb. 116, gest. 27 v. Chr. Vergil (Publius Vergilius Maro): römiser bukoliser und episer Diter, geb. 70, gest. 19 v. Chr. Vitruv: römiser Aritekt, Verfasser des klassisen Lehrbus der Aritektur, 1. Jahrhundert v. Chr.
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Stellennachweise 13 Ab ovo …, in medias res: Horaz, De arte poetica 140 ff., das geflügelte Wort: 147 f. – Das „Ei der Leda“ in Sparta: Pausanias, Führer dur Grieenland 3, 16, 1 – Atilius Fortunatianus, Ars metrica, in: Keil, Grammatici Latini, Band VI, Seite 278, Zeile 13 f. – „Ab ovo / usque ad mala“: Horaz, Satiren 1, 3, 6 f. 16 Alea iacta est: Sueton, Caesar 31 f. – Plutar, Caesar 32, 5 ff., vgl. Pompeius 60, 4 – Menander, Arrhephoros, Fragment 59, 4 Körte 19 Amicorum communia sunt omnia: „Eine einzige Seele, die in zwei Körpern wohnt“: Aristoteles bei Diogenes Laërtios, Leben und Lehre der Philosophen 5, 20 – Der Freund ein „zweites Selbst“: Aristoteles, Nikomaise Ethik 9, 4. 1166 a 31 f. und 9, 9. 1169 b 6 f., ein „zweites I“: Cicero, Briefe an Freunde 7, 5, 1 – „Gemeingut ist, was Freunden gehört“: Platon, Phaidros 279 c und Gesetze 5. 739 b f. – Menander, Adelphoi, Fragment 10 Körte; Terenz, Adelphoe 802 ff. – Ambrosius, De viduis 1, 4 – Hieronymus, Apologia adversus libros Rufini 3, 39. 485 B – Erasmus, Adagiorum Chiliades 1, 1, 1 22 Ars latet arte sua: Der Malerwestreit zwisen Zeuxis und Parrhasios: Plinius der Ältere, Naturgesite 35, 64 f. – Die Pygmalionlegende: Ovid, Metamorphosen 10, 243 ff., „… Ars adeo latet arte sua“: 252 – Vergil, Aeneis 6, 847 f. – Raffaels Grabinsri: Roms spreende Steine, Nr. 4.6 – Ovid, Ars amatoria 3, 153 ff. – Quintilian, Institutio oratoria 11, 2, 47 25 Aurea mediocritas: Horaz, Oden 2, 10, das geflügelte Wort: Vers 5 – „Medio tutissimus ibis“: Ovid, Metamorphosen 2, 137 – „Carpe diem“: Horaz, Oden 1, 11, 8 – Die Sprüe der Sieben Weisen: bei DielsKranz, Fragmente der Vorsokratiker, Band I, Seite 63 – Aristoteles, Politise Srien 4, 11. 1295 b 13 ff. – Ausonius, Dankrede an Kaiser Gratian für das Konsulat 6, 28 28 Carpe diem!: Antiphon der Sophist, Fragment 53 a Diels-Kranz – Horaz, Oden 1, 11, das geflügelte Wort: Vers 8. Die Übersetzung: Horaz, Zwölf Oden. Deutse Übertragungen von Golo Mann, Privatdru, Wolfsgarten 1977; dazu: Klaus Bartels, „Seria haec ludi155
bria“: Diese ernsten Spielereien. Ein Hinweis auf Golo Manns Horazübertragungen, in: Die Familie Mann in Kilberg, hrsg. von Thomas Spreer u. a., Züri 2000, Seite 166 ff. – Seneca, Briefe an Lucilius 45, 12 f. 31 Ceterum censeo …: Der 17jährige Cato im Punisen Krieg: Plutar, Marcus Cato 1, 8 – „Cum … Hannibal terram Italiam laceraret atque vexaret“: Cato, Fragmente der Reden, Seite 55, Zeile 8 Jordan; Fragment 142 Sblendorio Cugusi – Die frisen Feigen im Senat: Plinius der Ältere, Naturgesite 15, 74 f., und Plutar, Marcus Cato 27, 1 – Die Zusatzanträge: Plutar, Marcus Cato 27, 2 f., und Diodor, Bibliothek 34 / 35, 33, 3; „… delendam esse Carthaginem …“: Florus, Epitoma de Tito Livio 1, 31, 4; vgl. Plinius der Ältere, Naturgesite 15, 74 34 Citius, altius, fortius: Herodot, Gesite 8, 26 – „Immer der Beste zu sein und hervorzuragen vor andern“: Homer, Ilias 6, 208 – Citius, altius, fortius: Olympic Charta vom 8. Juli 2011, Kapitel 1.10 – „… orandum est, ut sit mens sana in corpore sano. / Fortem posce animum!“: Juvenal, Satiren 10, 356 f. 37 Der springende Punkt: „Bei den Vögeln verläu die Entwilung aus dem Ei …“: Aristoteles, Historia animalium 6, 3. 561 a 4 ff., „Dieser Punkt springt …“: 561 a 12, „Um den zwanzigsten Tag …“: 561 b 27 f. – Das Herz als Zentrum der Lebenswärme, als die „Akropolis des Körpers“: Aristoteles, De partibus animalium 3, 7. 670 a 22 ff.; vgl. Platon, Timaios 70 a – „Punctum saliens“: Ulisse Aldrovandi, Ornithologia, Frankfurt / Main 1610, Band II, Bu 14, Kapitel 1, Seite 101, linke Spalte, Zeile 14 ff., und rete Spalte, Zeile 66 ff. – Friedri Siller, Der Genius, Vers 19 f. 40 Dimidium facti, qui coepit, habet: Antiphon der Sophist, Fragment 60 Diels-Kranz – Platon, Gesetze 6. 753 e f. – Hesiod, Tagwerke 40, zitiert bei Platon, Staat 5. 466 c und Gesetze 3. 690 e – Aristoteles, Nikomaise Ethik 1, 7. 1098 b 6 f. – Horaz, Episteln 1, 2, 37 ff., das geflügelte Wort: 40 – Ausonius, Epigramme 15 43 Dominus providebit: Sokrates im Supermarkt: bei Diogenes Laërtios, Leben und Lehre der Philosophen 2, 25 – Die Catonise Massregel: Plutar, Marcus Cato 4, 6 – Die Vögel unter dem Himmel, die Lilien auf dem Felde: Evangelium na Lukas 12, 24 ff. – Abraham und Isaak: 1. Bu Mose 22, 6 ff. – „Et laetae simul et tristis provisio sortis …“: Henkel / Söne, Emblemata, Spalte 760 – „Hominum confusione et Dei providentia Helvetia regitur“: Die Herkun des Sprues ist nit nagewiesen. 156
46 Dulce est desipere in loco: Jacobus Cruquius zu Horaz, Satiren 2, 1, 71 ff. – „Misce stultitiam consiliis brevem: / Dulce est desipere in loco“: Horaz, Oden 4, 12, 27 f. – Seneca, De tranquillitate animi 17, 10 – Menander, Polumenoi, Fragment 354 Körte – Cicero, De oratore 2, 22 – Distia Catonis 2, 18 (Seite 120 Boas) 49 E pluribus unum: „Magnus ab integro saeclorum nascitur ordo …“: Vergil, Bucolica 4, 5 ff. – „… audacibus adnue coeptis“: Vergil, Aeneis 9, 625, vgl. Georgica 1, 40 – „Fecisti patriam diversis gentibus unam …“: Rutilius Namatianus, De reditu suo 1, 63 ff. 52 Erkenne di selbst!: Ion von Chios, Fragment 55 Nau, bei Plutar, Consolatio ad Apollonium 28. 116 D – Platon, Protagoras 343 a f. und Charmides 164 d ff. – Pausanias, Führer dur Grieenland 10, 24, 1 – Plutar, Pompeius 27, 4 f. 55 Et tu, Brute?: Sueton, Caesar 82, 2; vgl. Dio Cassius, Römise Gesite 44, 19, 5 – Plutar, Caesar 66, 5 ff. – Shakespeare, Julius Caesar, 3. Akt, 1. Szene 58 Gib mir einen Punkt, wo i stehen kann: Plutar, Marcellus 14, 12 ff., der „geometrise Briareos“: 17, 2 – Athenaios, Deipnosophistai 5, 206 d ff., und Proklos, Kommentar zum 1. Bu der „Elemente“ des Euklid, Prologus II, Seite 63 Friedlein – Pappos, Collectio 8, 19, Seite 1060, Zeile 3 f. Hults – Simplikios, Kommentar zur „Physik“ des Aristoteles, in: Commentaria in Aristotelem Graeca, Band X, Seite 1110, Zeile 5 – Tzetzes, Historiarum variarum iliades 2, 35, 130 und 3, 66, 62 61 Habent sua fata libelli: Terentianus Maurus, De lieris, syllabis et metris 1282 ff., das geflügelte Wort: 1286 – Georg Christoph Litenberg, Sudelbüer D 399, vgl. E 215 64 Hannibal ante portas: Die Sreensnarit von der Niederlage am Trasimenisen See: Polybios, Gesite 3, 85, 7 ff., und Livius, Ab urbe condita 22, 7, 6 ff. – „Vincere scis, Hannibal, victoria uti nescis“: Livius 22, 51, 4 – „… si Hannibal ad portas venisset“: Cicero, De finibus bonorum et malorum 4, 22 – „Hannibal, credo, erat ad portas“: Cicero, 1. Philippise Rede 11 – „… velut si iam ad portas hostis esset“: Livius 21, 16, 2; „Cum Hannibal ad portas esset …“: Livius 23, 16, 2 67 Heureka!: Plutar, Marcellus 17, 11, die Verwandtsa des Arimedes mit Hieron: 14, 12 – „Heureka! Heureka!“: Vitruv, De aritectura 9, Vorrede 9 ff., das geflügelte Wort: 10 – Der Slemmer, der Liebestolle: Plutar, Non posse suaviter vivi secundum Epicurum 11, 1094 C – Jean Tinguély, in einem Brief an den Verfasser vom 15. März 1969, Neue Zürer Zeitung, 14. Mai 2012, Nr. 111, Seite 15 157
70 Homo homini lupus: Menander, Fragment 484 Körte – Plautus, Asinaria 477 ff., das geflügelte Wort: 495 – Die öffentlien Hinritungen im Amphitheater: Seneca, Briefe an Lucilius 7, 2 ff. – „Wozu nimmst du di in At vor Gefahren …“: Seneca, Briefe an Lucilius 103, 1 f. – Apánthropos, „Unmens“: Sophokles, Fragment 916 Nau, und Marc Aurel, An si selbst 7, 65 73 Homo sum, humani nil a me alienum puto: Terenz, Heauton timorumenos 53 ff., das geflügelte Wort: 77 – Aristoteles, Nikomaise Ethik 8, 1. 1155 a 21 f. – Epikur, Vatikanise Sprusammlung 52 – Augustin, Briefe 155, 14 76 I weiss, dass i nits weiss: Platon, Apologie des Sokrates 21 a ff., „Offenkundig ist … tatsäli einzig der Go weise …“: 23 a f. – Epikur, Vatikanise Sprusammlung 74 79 In hoc signo vinces: Laktanz, De mortibus persecutorum 44, 5 f. – Eusebios, De vita Constantini 28, 2 ff. – Die Insri auf dem Konstantinsbogen: Roms spreende Steine, Nr. 2.14 82 Labor omnia vincit: Vergil, Georgica 1, 121 ff., das geflügelte Wort: 145 f. – Macrobius, Saturnalien 5, 16, 7 – „Omnia vincit Amor“: Vergil, Bucolica 10, 69 – Georg Bümann, Geflügelte Worte, Jubiläumsausgabe, Berlin 1964, Seite 513 85 Manum de tabula! Nulla dies sine linea! Suster, bleib bei deinem Leisten!: „… quod manum de tabula sciret tollere“: Plinius der Ältere, Naturgesite 35, 80 – Der Künstlerwestreit um die feinste Linie: 35, 81 ff., „… ut non lineam ducendo exerceret artem“: 35, 84 – „… ne supra crepidam sutor iudicaret“: 35, 84 f. – König Philipp von Makedonien und der Harfenspieler: Plutar, Aussprüe von Königen und Feldherrn 179 B 88 Mens sana in corpore sano: „Non est vir fortis ac strenuus, qui laborem fugit“: Seneca, Briefe an Lucilius 22, 7 – Juvenal, Satiren 10, 346 ff., das geflügelte Wort: 356 91 Na uns die Sintflut!: Cicero, De finibus bonorum et malorum 3, 64 – Der „geläufige grieise Vers“: bei Seneca, De clementia 2, 2, 2, und Sueton, Nero 38, 1, in: Nau, Tragicorum Graecorum Fragmenta, Adespota („herrenlose“ Fragmente) 513 – Dio Cassius, Römise Gesite 58, 23, 4 – Stobaios, Anthologie 2, 7, 13 – Anthologia Palatina 7, 704 – Die „weithin in gölier Glut brennende, dahinsmelzende Erde“: Hesiod, Theogonie 861 f. – Das immer wieder „si entzündende und wieder verlösende Urfeuer“: Heraklit, Fragment 30 Diels-Kranz 94 Natura non facit saltus: Der „springende Punkt“: Aristoteles, His158
toria animalium 6, 3. 561 a 4 ff. – Aristoteles der „Sekretär der Natur“: Eusebios, Praeparatio evangelica 15, 9, 9. 810 a – Die „gölie Natur“ des Mensen: Aristoteles, De partibus animalium 4, 10. 686 a 27 f. – Die „kontinuierlien Übergänge“: Aristoteles, Historia animalium 8, 1. 588 b 4 ff. und De partibus animalium 4, 5. 681 a 10 ff. – Das Bild des Sprungs: Maximos von Tyros, Philosophumena 9, 4; zu den vermielnden „Dämonen“ vgl. Platon, Symposion 202 d ff. – Carl von Linné, Philosophia botanica (1751), Nr. 77 97 Noli turbare circulos meos!: Die Wiederentdeung des Grabmals des Arimedes: Cicero, Tuskulanise Gespräe 5, 64 ff. – Der Tod des Arimedes: Plutar, Marcellus 19, 8 ff., und Livius, Ab urbe condita 25, 31, 9 f. – „Noli, obsecro, istum disturbare!“: Valerius Maximus, Facta et dicta memorabilia 8, 7, Externa 7 100 Nomen est omen: Plautus, Persa 625 – Der Lucriner See, die spreenden Rekrutennamen: Cicero, De divinatione 1, 102; Festus, De verborum significatu … cum Pauli epitome, Seite 108, Zeile 24 ff. Lindsay – Die „glübringenden Namen“ bei der Neuweihung des Kapitolinisen Tempels: Tacitus, Historien 4, 53, 2 – Die Neubenennung von Maleventum und Epidamnos: Plinius der Ältere, Naturgesite 3, 105 und 145 – „… dem Frieden eine Ordnung aufzuprägen …“: Vergil, Aeneis 6, 852 f. 103 Non solae, sed vitae discimus: Aristipp bei Diogenes Laërtios, Leben und Lehre der Philosophen 2, 80 – Senecas Kritik an Wissensa und Bildungssut: Briefe an Lucilius 88, 10 ff. und 36 ff. – „Spielsteine sind es, die wir da herumsieben …“: Briefe an Lucilius 106, 11 f., das geflügelte Wort: 12 106 Omnia mea mecum porto: Cicero, Paradoxa Stoicorum 1, 8 – Seneca, Briefe an Lucilius 9, 18 f. – Plutar, Demetrios 9, 9 109 Panta rhei: „Heraklit sagt einmal, dass alles weit und nits bleibt …“: Platon, Kratylos 402 a – „In dieselben Flüsse steigen wir und steigen wir nit …“: Heraklit, Fragment 49 a Diels-Kranz, bei Herakleitos (einem späten Namensveer), Allegorien 24 – Aristoteles, De caelo 3, 1. 298 b 29 f. – „Leute, die wirkli mit allen zehn Zehen im wirklien Leben stehen“: Christian Morgenstern, Die wirkli praktisen Leute 112 Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes: Vergil, Aeneis 2, 13 ff., das geflügelte Wort: 49; „Überall grausiger Jammer …“: 2, 368 f. 115 Quis custodit custodes? Principiis obsta!: „Difficile est saturam non scribere“: Juvenal, Satiren 1, 30; „Si natura negat …“: 1, 79 f. – „Sed quis 159
custodiet ipsos / custodes?“: Juvenal, Satiren 6, 347 f. – „Principiis obsta!“: Ovid, Remedia amoris 89 ff., das geflügelte Wort: 91 118 Quod non fecerunt barbari, fecerunt Barberini: Roms spreende Steine, Nr. 4.4 121 Rota Fortunae: Solons Mahnung: Herodot, Gesite 1, 32, „auf das Ende sauen“: 1, 32, 9; das Delphise Orakel, Kroisos werde „ein grosses Rei zerslagen“: 1, 53, 3 – „Nemo ante mortem beatus est“: na Ovid, Metamorphosen 3, 135 ff. – Der „Kreislauf der Mensendinge“: Herodot, Gesite 1, 207, 1 f. – „Páthei máthos“: Aisylos, Agamemnon 177 – „Fortunae rota volvitur …“: Carmina Burana 16, 3. Strophe (Übersetzung: Carl Fiser) und 18 a 124 Si, quod adest, gratum iuvat …: Horaz, Satiren 2, 6, 4 ff., „Si, quod adest, gratum iuvat …“: Vers 13 (Übersetzung: Christoph Martin Wieland) – Epikur, Vatikanise Sprusammlung 35 – Marc Aurel, An si selbst 7, 27, 1 127 Si tacuisses …: Boëthius, Consolatio philosophiae 2, 7, 20 130 Tempora tempore tempera!: „Veni, vidi, vici“: Sueton, Caesar 37, 2 – „Festina lente“, die lateinise Version des grieisen „Speúde bradéos“: Sueton, Augustus 25, 4 – „Sed fugit interea …“: Vergil, Georgica 3, 284 – „… innumerabilis / annorum series …“: Horaz, Oden 3, 30, 4 f. – Das Sammelsurium lateiniser Sprüe an der Via Viorio Veneto: Roms spreende Steine, Nr. 8.3 133 Ubi bene, ibi patria: „Kosmopolítes“: Diogenes von Sinope bei Diogenes Laërtios, Leben und Lehre der Philosophen 6, 63– Aristophanes, Plutos 1151 – Euripides, Fragmente 777 und 1047 Nau – Menandri Sententiae, Vers 735 Jäkel – „Patria est, ubicumque est bene“: bei Cicero, Tuskulanise Gespräe 5, 108, und Seneca, De remediis fortuitorum 8, 2, in: Ribbe, Tragicorum Romanorum Fragmenta, Adespota („herrenlose“ Fragmente), Vers 92 – Der ionise Playboy: Athenaios, Deipnosophistai 4. 159 d – „Vir bonus, quocumque it, patriam suam secum fert“: PseudoVarro, Sentenzen 36 136 Urbi et orbi: Cicero, 1. Rede gegen Catilina 9 – Ovid, Ars amatoria 1, 173 f.; Fasti 2, 683 f. – Rutilius Namatianus, De reditu suo 1, 63 ff. – Orosius, Historia adversus paganos 1, 1, 14 139 Ut moriens viveret, vixit ut moriturus: Roms spreende Steine, Nr. 12.5 142 Vare, redde legiones!: „Vae victis“: Livius, Ab urbe condita 5, 48, 9 – „Hannibal ad portas“: na Cicero, De finibus bonorum et malorum 4, 22 und 1. Philippise Rede 11; Livius, Ab urbe condita 21, 16, 2 – 160
„Quintili Vare, legiones redde“: Sueton, Augustus 23 – Der Teutoburgiensis saltus: Tacitus, Annalen 1, 60, 5; Germanicus am Sauplatz der Varusslat: Annalen 1, 61 – „Illud te reparat, quod cetera regna resolvit …“: Rutilius Namatianus, De reditu suo 1, 139 f. 145 Veni, vidi, vici: Das Drei-Wörter-Transparent im Pontisen Triumph: Sueton, Caesar 37, 2 – Die Siegesmeldung an Gaius Matius: Plutar, Caesar 50, 3 f. – „Die Welt ist eine Bühne …“: in: LeutsSneidewin, Paroemiographi Graeci, Band II, Seite 556 – Dio Cassius, Römise Gesite 42, 48, 1 – Florus, Epitoma de Tito Livio 2, 13, 63 – Lothar Wiert, Theodor Mommsen, Band I (1959), Seite 538 148 Vita brevis, ars longa: Goethe, Faust 558 ff. – Hippokrates, Aphorismen 1, 1 – Demetrios, De elocutione 4 und 238 – Seneca, De brevitate vitae 1, 1 – Lukian, Hermotimos 1 und 63 – Das Moo der „Räuber“: Hippokrates, Aphorismen 7, 87 – Benedikt von Wagemann, Bibel der Ärzte oder: Die Aphorismen des Hippokrates, Reutlingen und Leipzig 1818
Abgekürzt zitierte Sammelwerke: Diels-Kranz: Die Fragmente der Vorsokratiker, grieis und deuts, von Hermann Diels, 8. Auflage, herausgegeben von Walther Kranz, 3 Bände, Berlin 1956 Henkel / Söne: Emblemata. Handbu zur Sinnbildkunst des 16. und 17. Jahrhunderts, herausgegeben von Arthur Henkel und Albret Söne, Stugart und Weimar 1967; ergänzte Neuausgabe 1976; Tasenausgabe 1996 Nau: Tragicorum Graecorum Fragmenta, herausgegeben von August Nau, 2. Auflage 1889, Nadru Hildesheim 1964 Roms spreende Steine. Insrien aus zwei Jahrtausenden, gesammelt, übersetzt und erläutert von Klaus Bartels, 4. durgesehene und ergänzte Auflage, Mainz 2012 161
Stellennaweise zu weiteren geflügelten Worten: Das soeben in 14., wiederum ergänzter Auflage ersienene Naslagewerk „Veni, vidi vici“ des gleien Autors, im gleien Verlag, bringt in der dafür gebotenen knappen Form Übersetzungen, Stellennaweise und Erläuterungen zur Prägungs- und Zitiergesite von weiteren über fünfzig grieisen und über vierhundert lateinisen geflügelten Worten, dazu Erklärungen zu rund dreihundert Stü „Kleingeflügel“ von „Ad acta“ bis „Vice versa“.
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Register der geflügelten Worte Ab ovo …, in medias res 13 Ab ovo usque ad mala 15 Alea iacta est 16 Aliquando et insanire iucundum est 47 Alles bezwingt die Liebe 83 f. Alles fliesst 109 Alles, was mein ist, trage i bei mir 106 Alter ego 19 Amicorum communia sunt omnia 19 Annuit coeptis 50 f. … ante portas 64 Ars latet arte sua 22 Au du, Brutus? 55 Auf das Ende sauen 121 Aurea mediocritas 25 Aus Mehreren Eines 49 Carpe diem! 28 Ceterum censeo … 31 Citius, altius, fortius 34 Das goldene Mielmass 25 Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang 148 Das Mass ist das Beste 25 f. Das Rad der Fortuna 121 Den Anfängen wehre! 116 f. Der Anfang ist die Häle des Ganzen 40 Der Herr wird vorsorgen 43 Der Mens ist dem Mensen ein Wolf 70 Der Name ist ein Omen 100 Der springende Punkt 37 Der Stadt (Rom) und dem Weltkreis 136 163
Der Würfel ist gefallen 16 Die Büer haben ihre Sisale 61 Die Häle des Ganzen hat, wer angefangen hat 40 Die Häle ist mehr als das Ganze 40 Die Hand von der Tafel! 85 Die Kunst ist lang, und kurz ist unser Leben 148 Die Kunst verbirgt si dur ihre Kunst 22 Die Natur mat keine Sprünge 94 Difficile est satiram non scribere 115 Dimidium facti, qui coepit, habet 40 Dominus providebit 43 Dos moi pu sto, kai kinó ten gen 58 Dulce est desipere in loco 46 Eile mit Weile 131 Ein gesunder Geist in einem gesunden Leib 88 Ein zweites I 19 E pluribus unum 49 Ergreif den Tag! 28 Erkenne di selbst! 52 Es gibt einen Kreislauf der Mensendinge … 121 f. Es ist swer, da keine Satire zu sreiben 115 Et tu, Brute? 55 Fecisti patriam diversis gentibus unam … 51, 137 f. Festina lente! 131 Freundesgut Gemeingut 19 Geflügelte Worte 37 Geniesse den Tag! 28 Gib mir einen Punkt, wo i stehen kann … 58 Gib mir meine Legionen wieder! 142 Glüsrad 121 Gnóthi seautón! 52 Goldenes Mielmass 25 Habent sua fata libelli 61 Hannibal ante portas 64 Heureka! 67 Ho bíos braýs, he de té ne makré 148 164
Hoc signo vinces 79 Hominum confusione et Dei providentia Helvetia regitur 44 Homo homini lupus 70 Homo sum, humani nil a me alienum puto 73 Humani nil a me alienum puto 73 I bin ein Mens, nits Menslies nenne i mir fremd 73 I fürte die Danaer, au wenn sie Gesenke bringen 112 I hab’s gefunden! 67 I kam, i sah, i siegte 145 I weiss, dass i nits weiss 76 Immer der Beste zu sein und hervorzuragen vor andern 34 Im Übrigen stimme i dafür … 31 In diesem Zeien wirst du siegen 79 In hoc signo vinces 79 In medias res 13 Kein Tag ohne eine Linie! 86 Koiná ta ton phílon 19 Kreislauf der Mensendinge 121 f. Labor omnia vincit 82 Legiones redde! 142 Leiden – Lehren 122 Manum de tabula! 85 Medén ágan! 26, 52 Medio tutissimus ibis 25 Mens sana in corpore sano 88 Métron áriston 25 f. Misce stultitiam consiliis brevem … 46 f. Mögen sie mi hassen, wenn sie mi nur fürten! 91 f. Mühsal bewältigt alles 82 Na uns die Sintflut! 91 Natura non facit saltus 94 Nemo ante mortem beatus est 121 Ne sutor supra crepidam! 86 f. Nit für die Sule, für das Leben lernen wir 103 Nits im Übermass! 26, 52 165
Nits Menslies nenne i mir fremd 73 Niemand ist vor seinem Tode glüli 121 Noli turbare circulos meos! 97 Nomen est omen 100 Non est vir fortis, qui laborem fugit 88, 90 Non solae, sed vitae discimus 103 Nosce te ipsum! 52 Novus ordo saeclorum 50 Nulla dies sine linea! 86 Oderint, dum metuant! 91 f. Omnia mea mecum porto 106 Omnia vincit Amor 83 f. Orandum est, ut sit mens sana in corpore sano 88 Ordo renascendi est crescere posse malis 144 Panta rhei 109 Pathémata – mathémata 122 Patria est, ubicumque est bene 134 Principiis obsta! 116 f. Pro captu lectoris habent sua fata libelli 61 Punctum saliens 37 Quae medicamenta non sanant, ferrum sanat … 149 Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes 112 Quis custodit custodes? 115 Quod non fecerunt barbari, fecerunt Barberini 118 Rad der Fortuna 121 Redde legiones! 142 Rota Fortunae 121 Sapere aude 41 Sneller, höher, weiter 34 Suster, bleib bei deinem Leisten! 86 f. Sed fugit interea, fugit inreparabile tempus 131 Si natura negat, facit indignatio versum 115 Si, quod adest, gratum iuvat … 124 Si tacuisses … 127 Sit mens sana in corpore sano 88 166
Speúde bradéos 131 Springender Punkt 37 Störe meine Kreise nit! 97 Tempora tempore tempera! 130 Timeo Danaos et dona ferentes 112 Tútoi níka! 79 Ubi bene, ibi patria 133 Unter Freunden ist alles gemeinsam 19 Urbi et orbi 136 Ut moriens viveret, vixit ut moriturus 139 Vae victis! 142 Vare, redde legiones! 142 Varus, gib mir meine Legionen wieder! 142 Veni, vidi, vici 145 Vincere scis, Hannibal, victoria uti nescis 64 Vita brevis, ars longa 148 Vom Ei bis zu den Äpfeln 15 Vom Ei (der Leda) an 13 … vor den Toren 64 Was die Barbaren nit getan haben … 118 Was es au ist, i fürte die Danaer … 112 Was Medikamente nit heilen, heilt das Eisen … 149 Wehe den Besiegten! 142 Wehre den Anfängen! 116 f. Wenn die Natur es versagt, mat die Empörung den Vers 115 Wenn du geswiegen häest … 127 Wer überwat die Überwaer? 115 Wie liebenswert ist der Mens, wenn er ein Mens ist! 70 Wo es einem gut geht, da ist das Vaterland 133 Zu siegen verstehst du, Hannibal, den Sieg zu nutzen nit 64 Zweites I 19
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Informationen Zum Buch Ein »Heureka!«, ein »Erkenne dich selbst!«, ein »Carpe diem!« oder ein »Ceterum censeo«: jeder kennt diese geflügelten Worte – aber wer weiss, woher sie kommen? Viele sind ihrem Ursprung vollends entflogen: Caesars »Alea iacta est« meinte durchaus nicht, dass da ein Würfel »gefallen« sei; die Turnerdevise »Mens sana in corpore sano« war ein Ratschlag für ein reueloses Beten; das »Non scholae, sed vitae discimus« ist vollends in sein Gegenteil verkehrt. In 49 Beiträgen zu speziell interessanten Worten führt Klaus Bartels seine Leser hier »ad fontes«, er präsentiert die vergessenen Nistplätze dieser Zugvögel aus der Antike und verfolgt ihre Flugrouten in die Gegenwart. Zu seinem Nachschlagewerk »Veni vidi vici« gesellt sich hier ein »Lesebuch« voller aufschlussreicher Durchblicke und vergnüglicher Aha-Erlebnisse, ein Buch für alle Freunde der Antike – und gerade für solche, die nicht fliessend lateinisch träumen.
Informationen Zum Autor Klaus Bartels, geboren 1936 in Hannover, lebt seit 1963 in Kilchberg am Zürichsee. Studium der Klassischen Philologie und der Philosophie in Tübingen, München und London, Promotion bei Wolfgang Schadewaldt. Redaktion des »Lexikons der AltenWelt« (1965), mehrjährige Verlagstätigkeit bei Artemis und Heimeran, Herausgabe der Buchreihen »Lebendige Antike« und »Dialog mit der Antike«. 1966/67 Junior Fellow des »Center for Hellenic Studies«, Harvard University. Langjährige Lehrtätigkeit an der Kantonsschule Zürich. Klaus Bartels ist Autor jahrzehntelang laufender Zeitungsrubriken in der »Neuen Zürcher Zeitung« u.a.; zehn »Streiflichter«- und »Wortgeschichten«-Sammlungen – zuletzt »Die Sau im Porzellan laden« (2008) – und die Zitatensammlung »Jahrtausendworte – in die Gegenwart gesprochen«(2011) sind daraus hervorgegangen. Für eine runde Tausendschaft seiner Kolumnen, für seine Standardwerke »Veni vidi vici« (14. Auflage 2013) und »Roms sprechendeSteine« (4. Auflage 2012)wurde er 2004 mit dem Jahrespreis der »Stiftung für Abendländische Ethik und Kultur« ausgezeichnet.