Gastfreundschaft in der Antike und im frühen Christentum 3534183835, 9783534183838

Im antiken Griechenland genoss der Reisende außerhalb seiner Heimat keinen Rechtsschutz. Er stand aber unter dem Schutz

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German Pages [226] Year 2005

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Table of contents :
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Inhalt
Vorwort
I. Grundhaltungen
1. Die Urangst vor dem Fremden
2. Der Gast, ein indoeuropäisches Erbwort
3. Die ethische Viererregel
4. Xenos, ein Fremdwort im Griechischen
5. Alttestamentliche Beispiele orientalischer Gastregeln
II. Gastfreunde bei Homer
III. Griechisch-römische Gastfreundschaft in historischer Zeit
1. Private Gäste und Gastgeber
Theoretische Grundzüge
Gastfreundschaft der Reichen
Arme als Gastgeber
Sýmbolon, das Erkennungszeichen
Verletzung der Gastfreundschaft
Der Gastfreund im Privatrecht
Gastfreunde machen Politik
2. Gastfreundschaft von Staaten und Gemeinschaften
Grundregeln
Die Theorodokía
Die Proxenía
Mahlgemeinschaften der Vereine
Römische Staatsgäste (hospitium publicum)
Das Patronat
Der Staat und ungebetene Gäste
Die Parochie
Militärische Einquartierung (hospitium militare)
Gastlichkeit jüdischer Gemeinden
3. Der Straßenverkehr und die Rastorte
Im Orient
Der cursus publicus im Imperium Romanum
4. Das Gastgewerbe
Die Frühzeit im Orient
Griechisches Gastwirtsgewerbe
Römische Wirte und Wirtshäuser
IV. Das christliche Altertum
1. Das auszufüllende Defizit
2. Das Neue Testament
3. Der griechische Beitrag
4. Der Geist frühchristlicher Gastlichkeit
Im Osten
Im Westen
5. Das Xenodocheion
Wort und Sache
Die Ausbreitung der Xenodochien im Osten
Die Übernahme im Westen
V. Gewerbliche Wirtshäuser seit der Spätantike
Anhang
Die Geschichte des Wortes Xenodocheion
Zwei Gedichte auf das Xenodocheion
Abkürzungen
Anmerkungen
Register
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Gastfreundschaft in der Antike und im frühen Christentum
 3534183835, 9783534183838

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Otto Hiltbrunner Gastfreundschaft in der Antike und im frühen Christentum

Otto Hiltbrunner

Gastfreundschaft in der Antike und im frühen Christentum

Wissenschaftliche Buchgesellschaft

Einbandgestaltung: Peter Lohse, Büttelborn. Einbandabbildung: Rotfigurige Vasenmalerei aus Apulien (4. Jh. v. Chr.). Foto: akg-images.

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2005 by Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-darmstadt.de

ISBN 3-534-18383-5

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundhaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Urangst vor dem Fremden . . . . . . . . . . . 2. Der Gast, ein indoeuropäisches Erbwort . . . . . . 3. Die ethische Viererregel . . . . . . . . . . . . . . . 4. Xenos, ein Fremdwort im Griechischen . . . . . . . 5. Alttestamentliche Beispiele orientalischer Gastregeln II. Gastfreunde bei Homer

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III. Griechisch-römische Gastfreundschaft in historischer Zeit 1. Private Gäste und Gastgeber . . . . . . . . . . . . . Theoretische Grundzüge . . . . . . . . . . . . . . . Gastfreundschaft der Reichen . . . . . . . . . . . . . Arme als Gastgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sy´ mbolon, das Erkennungszeichen . . . . . . . . . . Verletzung der Gastfreundschaft . . . . . . . . . . . Der Gastfreund im Privatrecht . . . . . . . . . . . . Gastfreunde machen Politik . . . . . . . . . . . . . 2. Gastfreundschaft von Staaten und Gemeinschaften . . Grundregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Theorodokía . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Proxenía . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mahlgemeinschaften der Vereine . . . . . . . . . . . Römische Staatsgäste (hospitium publicum) . . . . . Das Patronat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Staat und ungebetene Gäste . . . . . . . . . . . Die Parochie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Militärische Einquartierung (hospitium militare) . . . Gastlichkeit jüdischer Gemeinden . . . . . . . . . . . 3. Der Straßenverkehr und die Rastorte . . . . . . . . . Im Orient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der cursus publicus im Imperium Romanum . . . . . 4. Das Gastgewerbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Frühzeit im Orient . . . . . . . . . . . . . . . . Griechisches Gastwirtsgewerbe . . . . . . . . . . . . Römische Wirte und Wirtshäuser . . . . . . . . . . .

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Inhalt

IV. Das christliche Altertum . . . . . . . . . . . . 1. Das auszufüllende Defizit . . . . . . . . . . 2. Das Neue Testament . . . . . . . . . . . . 3. Der griechische Beitrag . . . . . . . . . . . 4. Der Geist frühchristlicher Gastlichkeit . . . Im Osten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Im Westen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das Xenodocheion . . . . . . . . . . . . . Wort und Sache . . . . . . . . . . . . . . . Die Ausbreitung der Xenodochien im Osten Die Übernahme im Westen . . . . . . . . . V. Gewerbliche Wirtshäuser seit der Spätantike Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Geschichte des Wortes Xenodocheion Zwei Gedichte auf das Xenodocheion . Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . Register

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Vorwort Das Buch ist entstanden aus dem Wunsch, meine zu Aspekten der Gastlichkeit und des Gastgewerbes in Festschriften und Lexika verstreuten Beiträge zu einer Gesamtdarstellung zusammenzufassen, die nicht nur Fachspezialisten interessieren könnte. Denn soweit ich sehe ist der Versuch, eine Geschichte der Gastlichkeit im Altertum zu schreiben, in neuerer Zeit nicht unternommen worden, obwohl es an wissenschaftlichen Arbeiten zu Einzelfragen keineswegs mangelt. Die Verbundenheit der Gastfreunde und ihre gegenseitige Beistandsbereitschaft prägt ganz wesentlich das gesellschaftliche Leben, während das Gastgewerbe im Schatten steht. Die Geschichte dieses Teils der antiken Sozialkultur soll dargestellt werden für die Zeit von Homer bis ins 7. nachchristliche Jahrhundert und für den Raum Europas und der byzantinischen Ostländer. Ich halte es für wichtig, als Zeugen die Originaltexte in Übersetzung sprechen zu lassen; sie geben ein lebendigeres Bild als nur ein Referat es vermöchte. Dass durch den reicheren Schatz an Texten aus christlicher Zeit dieser Abschnitt an Umfang zugenommen hat, ist deswegen nicht unerwünscht, weil gerade hier ein weithin unbekanntes Feld zu bestellen ist. Selbst manche Altertumswissenschaftler verbinden mit dem griechischen Wort Xenodocheion keinen oder einen falschen Begriff. Wenigen ist bewusst, dass es als die Urform des Hospitals im Alltag der Spätantike einen nicht weniger wichtigen Platz eingenommen hat als das Krankenhaus bei uns heute. Ich verzichte darauf, dem Buch eine Bibliographie anzufügen: Die Literaturangaben sind leicht zugänglich in meinen Artikeln über Gastfreundschaft, Herberge und Krankenhaus im ›Reallexikon für Antike und Christentum‹. Auf seither erschienene Publikationen verweise ich in den Anmerkungen. Das Buch widme ich dem Andenken an meine treue Helferin und Ehefrau Barbara. Herbst 2004

Otto Hiltbrunner

I. Grundhaltungen 1. Die Urangst vor dem Fremden Die Begegnung mit dem Fremden ist eine Ausnahmesituation. Der Mensch ist von Anfang an auf die Gemeinschaft mit anderen Menschen angewiesen. Doch sie findet in geschlossenen Gruppen statt, deren Keimzelle die Familie ist. Damit diese über den Tod des Einzelnen hinaus fortlebt, bedarf es eines zweiten Menschen anderen Geschlechts. Das Kind ist schon sogleich nach seiner Geburt auf nährende Fürsorge und Pflege durch freundliche Menschenhände angewiesen, und von Menschen lernt der heranwachsende Mensch, was er zum Leben braucht. Mit Recht sagt Augustinus1: Die Grundlage für menschliches Leben wäre dahin, wenn es sich zeigte, dass es nicht Gottes Wille wäre, sein Wort dem Menschen durch Menschen mitzuteilen, und er alles, was nach seinem Wunsch den Menschen zu lernen aufgegeben wird, vom Himmel her durch Engel verkünden ließe. Innerhalb der Gruppe werden ebenso die für diese Gruppe spezifischen Verhaltensnormen entwickelt wie die Vorstellung von magisch-religiösen Mächten, die das Heil der Gemeinschaft bewirken. Doch dieser Gewähr für die Existenz bietende Schatz an Wissen und Glauben muss vor Störung gehütet werden. Wird die Abgeschirmtheit der Gruppe, beispielsweise durch Heirat mit Frauen aus einer anderen Gruppe, durchbrochen, dann darf dies nur geschehen unter besonderen Vorsichtsmaßregeln, die zur Integrierung des Fremden führen. In noch dünn besiedelten Gebieten ist die Konfrontation mit einem Fremden ein seltenes und aufregendes Ereignis, auf das man reagieren muss. Zwei Entscheidungen sind möglich: entweder Philoxenie, das heißt dass im Unbekannten ein Stück artverwandten Wesens vermutet wird, zu dem man in friedlich-freundschaftliche Beziehung treten kann, oder aber Xenophobie, eine Angst, aufgrund deren man meint, einen gefährlichen Eindringling abwehren zu müssen. Schon in Rudeln des Tierreichs sind beide Möglichkeiten gegeben. Zuweilen wird ein vereinzeltes Jungtier angenommen, zumeist freilich wird der nicht zum Verbund gehörige Artgenosse abgewiesen. Menschen handeln differenzierter, es fließen vielerlei Überlegungen ein. Frauen aus Stämmen, deren Tüchtigkeit bekannt ist, werden sogar geraubt, weil man sich davon eine Steigerung der eigenen Qualitäten verspricht. Medizinmänner, Schmiede, Trommler und Musiker, Schamanen, alle, deren besondere Fertigkeiten der eigenen Gruppe Nutzen bringen, sind erwünscht. Vorsichtige Vorbehalte hat man gegenüber Händ-

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I. Grundhaltungen

lern, Bettlern und Schutzflehenden. Denn der Fremde bringt seine eigenen magischen Potenzen mit; die lassen Befleckung, Verseuchung und Tod befürchten, nicht unberechtigt, wenn man beispielsweise an das schnelle Aussterben der einheimischen Bewohner der von Kolumbus entdeckten amerikanischen Inseln denkt. Ihnen fehlte die Immunabwehr gegen die von den Europäern mitgebrachten Krankheitserreger, an welche die Eindringlinge längst gewöhnt waren. Von vornherein verdächtig ist der Fremde, der allein daherkommt. Hat er sich aus seiner doch ebenfalls geschlossenen Gruppe gelöst und sich auf den Weg in die Fremde, mit dem althochdeutschen Wort ins „Elend“ begeben, weil er verstoßen wurde, weil er sich mit einem Fluch beladen hatte? Wenn schon die Angehörigen seiner eigenen Gruppe ihn nicht unter sich dulden wollten, dann hat die Gruppe, zu der er unbekannt hinkommt, umso triftigeren Grund, seine Unheil bringende Berührung zu meiden. Er ist friedlos, da ihn das innerhalb seiner Herkunftsgruppe geltende Recht nicht mehr schützt, er aber als Außenstehender an den Rechten, die in der neuen Gruppe nur für deren eigene Angehörige gelten, keinen Anteil haben kann. Die völlige Schutzlosigkeit des fremden Ankömmlings lässt die Entscheidung einfach erscheinen, solange man sich der eigenen Überlegenheit völlig sicher ist: Der Fremde wird getötet oder sonstwie eliminiert. Die Selbstgewissheit kann so groß sein, dass überhaupt nur Angehörige des eigenen Volkes als Menschen angesehen werden. So gilt das altägyptische Wort pirom (Mensch) nur für Ägypter. Doch es regen sich Zweifel. Man kennt die Kräfte nicht, die der Fremde verborgen mit sich trägt. Stehen ihm mächtige Geister bei, dann würden sie seine Tötung oder auch bloß schlechte Behandlung rächen. Der Schaden, den man abwenden will, würde die eigene Gemeinschaft also erst recht treffen. Wie, wenn der Unbekannte gar ein Gott wäre? Die Theoxenie, die Einkehr des Gottes bei den Menschen, ist ein uraltes in vielen Kulturkreisen verbreitetes Wandermotiv. Im Altnordischen ist Odin der unheimliche Wanderer, im Griechischen gibt Homer der Vorstellung Ausdruck in den Odysseeversen (17,485–487): Auch wohl Götter in der Gestalt von aus anderem Volke stammenden Fremden, vielfältig sich wandelnd, wandern oft umher durch die Stadtgemeinden hin und üben Aufsicht über Frevelmut und Wohlverhalten der Menschen. Alle diese Theoxenie-Erzählungen haben ein didaktisches Ziel: Warnung davor, die mit dem Fremden möglicherweise verbündete Macht zu verkennen, und Mahnung, ihn vorsichtshalber freundlich zu behandeln. Doch die Gefühle, die bei der Ankunft des Fremden ausgelöst werden, bleiben zwiespältig, Das Sittengebot, in die religiöse Dimension erhoben durch den Glauben, dass ein oberster Gott – bei den Griechen Zeus – die

1. Die Urangst vor dem Fremden

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Fremden schirmt, verlangt Achtung. Dennoch bleibt die Ehrerbietung, die man ihnen äußerlich erweist, innerlich verbunden mit der Angst vor der Ungewissheit, vor dem Unheimlichen. Sogar der Bettler, dessen Schwäche so offensichtlich ist, dass man ihn für harmlos halten darf, kann sich nicht allein auf den Beschützer Zeus berufen, er muss deutlich Zeichen seiner Unterordnung setzen. Der Flüchtling muss durch eine zeremonielle Reinigung von dem Fluch, den er mitbringt, entsühnt werden, bevor er im Haus bleiben darf. Eine extreme Form der Distanzierung zeigt ein von Herodot (4,196) überlieferter Bericht karthagischer Kauffahrer über ihre Geschäfte an der von der Zivilisation des Mittelmeerraums unberührten Westküste Afrikas: Wenn sie bei ihnen ankommen und die Schiffsfracht ausgeladen haben, stellen sie die Ware in einer Reihe längs des Küstensaums hin, steigen wieder aufs Schiff und geben ein Rauchsignal. Wenn die Eingeborenen den Rauch sehen, kommen sie ans Meer, legen als Gegenwert für die Waren Gold hin und gehen wieder zurück von den Waren weg. Die Karthager steigen aus und schauen nach, und wenn ihnen das Gold dem Wert der Waren zu entsprechen scheint, nehmen sie es an sich und fahren davon, wenn aber nicht entsprechend, steigen sie wieder aufs Schiff und bleiben sitzen. Jene aber kommen herbei und bringen noch anderes Gold zu dem hinzu, das sie schon hingelegt hatten, so lange, bis sie die Händler überzeugen. Keine von beiden Seiten, sagen sie, erlaube sich ein Unrecht. Denn weder sie selber rührten etwas von dem Gold an, bevor der volle Gegenwert der Waren ausgeglichen war, noch rührten jene an die Waren, bevor die Händler das Gold genommen hätten. So wird jeder Personenkontakt vermieden. Doch diese übersteigerte Vorsicht bleibt eine Ausnahme. Der Wille zur Kommunikation überwindet in aller Regel die Bedenken und Hemmungen. Mit dazu bei trägt eine natürliche Neugier. Man will von dem Ankömmling nicht nur erfahren, wer er ist, sondern auch, was er erlebt hat, was in der Welt draußen vorgeht, was dort anders ist. Der Vorsicht der Gastgeber muss das Verhalten des Ankommenden entsprechen. Will er unter dem Dach des ihn aufnehmenden gastlichen Hauses bleiben und in den Kreis der Hausbewohner aufgenommen werden, muss er Beweise dafür liefern, dass von seiner Seite nichts Böses zu befürchten steht. Die Frist, die Fremdheit gänzlich abzulegen, ist kurz bemessen. Zwei Tage Gast, vom dritten Tag an Hausgenosse ist ein altgermanischer Rechtssatz, der auch anderswo ähnlich befolgt wird und unter anderem bedeutet, dass der Neuaufgenommene nach zwei Tagen zu den täglich zu verrichtenden Arbeiten mit herangezogen wird. Wie alle anderen Hausgenossen unterstellt er sich dem Oberhaupt der Familie und dem Häuptling der Gruppe, fügt sich den hier

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I. Grundhaltungen

geltenden Bräuchen und Gesetzen und verzichtet darauf, seinen eigenen Willen gegen seine Gastgeber geltend machen zu wollen. Entscheidend ist der Akt, mit dem der Ankömmling die Unterwerfung vollzieht. Symbolisch legt er seine Waffe nicht bloß nieder, sondern überreicht sie förmlich dem Gastgeber. Der wird dadurch zum Gastherrn. Die slawischen Sprachen haben mit ihrem Wort für „Herr“, gospod, den sprachlichen Ausdruck für das Verhältnis am reinsten bewahrt: gospod ist zusammengesetzt aus altbulgarisch gosti, das in germanischen Sprachen erscheint als gotisch gasts, altnordisch gestr, althochdeutsch gast. Ob das slawische Wort direkt als Erbwort aus dem Indoeuropäischen anzusehen sei oder als Entlehnung aus dem Germanischen, kann offen bleiben. Im Altlatein hat hostis noch die Bedeutung Gast. In der zweiten Silbe des slawischen gospod, -pod, steckt der Begriff der Macht und Herrschaftsgewalt, der sich in der Stammsilbe von lateinisch potestas und potentia wiederfindet, auch in lateinisch possum (ich kann), das aus potis sum (ich bin mächtig) zusammengezogen ist. Dem Gastherrn steht es zu, die Geschenke des Gastes entgegenzunehmen. Er ist es, der die Riten vollzieht, mit denen ein Schuldbefleckter entsühnt wird, damit seine Nähe, seine Berührung, niemandem mehr schaden kann. Wenn dem Gast Hände und Füße gewaschen werden, bevor man sich mit ihm zum gemeinsamen Mahl niederlässt, ist das nicht bloß eine gebotene Erfrischung des Wanderers von den Mühen seines Weges, sondern zugleich ein Rest der rituellen Reinigungszeremonie. Das anschließende Gespräch, bei dem man Namen, Herkunft und Lebensumstände des Gastes erfährt, dient dazu, ihm seine Fremdheit zu nehmen. Die Stufen der Integration haben meist ihre streng geregelte Abfolge, von der nicht abgewichen wird. Höchster Grad in der Stufenleiter ist die Blutsbrüderschaft, durch die er zum Vollmitglied der aufnehmenden Gruppe wird. Der Gastherr übernimmt die unbedingte Pflicht zum Schutz des Gastes. Solange dieser sich im Hause befindet, ist er unantastbar und muss gegen jeden Angreifer von außen verteidigt werden, eine höchst unangenehme Aufgabe dann, wenn der Ankömmling etwa von Bluträchern verfolgt wird. Im alten Orient geht der Schutz des Gastes sogar dem Schutz der eigenen Familienangehörigen vor. Stirbt der Gast, so ist der Gastherr zwar sein Erbe. Doch zugleich obliegt ihm die Pflicht, ihn an demjenigen zu rächen, der seinen Tod verschuldet hat. Begeht der Gast seinerseits gegenüber einem Außenstehenden ein Unrecht, fällt die Verantwortung auf den Gastherrn, genauso, als ob ein Familienangehöriger die Tat begangen hätte. Die Stellung des Gastgebers gegenüber seinem Gast entspricht somit weitgehend der Stellung des Familienoberhauptes gegenüber Frauen, Kindern und Gesinde.

2. Der Gast, ein indoeuropäisches Erbwort

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2. Der Gast, ein indoeuropäisches Erbwort Die indoeuropäische Urform ghostis wird im Latein zu hostis, im Germanischen zu gast. Weder für die Germanen noch die ältesten Latiner können aus der Frühzeit literarische Quellen näheren Aufschluss geben. Zwar kennt man im Mittelmeerraum den Bernstein von der Ostseeküste, aber keinen Fernhändler, der ihn aus dem Norden nach Rom gebracht hätte. Der Handel, der zu Reisen Anlass gab und damit auch zu den meisten Nachrichten über Beherbergung von Fremden führen kann, lief als Zwischenhandel über mehrere jeweils örtliche Kontakte an einzelnen Standorten. Sowohl Germanen wie Altlatiner waren sesshafte Bauern, die nicht selber auf weite Reisen gingen, sondern die Händler zu sich kommen ließen. Und die meisten Kontakte mit fernher kommenden Fremden waren während jener Zeiten ohnehin kriegerischer Art ohne jeden Bezug zur Gastlichkeit. Das bekannteste und wichtigste Zeugnis über Germanen ist das des Tacitus (Germania 21): Kein anderes Volk pflegt mit größerer Hingabe gemeinsame Feste und gastliches Leben. Einen Menschen, sei es wer wolle, von der Tür seines Hauses wegzuweisen gilt als gottlos. Je nach seinem Vermögen ist jeder bestrebt, die leckersten Bissen aufzutischen. Ist es damit zu Ende, wird der, der eben noch der Gastgeber war, zum Wegweiser und Begleiter zu einem neuen Wirt. Ohne eingeladen zu sein suchen sie das nächstgelegene Haus auf. Auch da ergeht es ihnen nicht anders; mit gleicher Freundlichkeit werden sie willkommen geheißen. Bekannt oder unbekannt, in Bezug auf das Gastrecht macht da niemand einen Unterschied. Wenn einer beim Abschied sich etwas, was ihm gefällt, zum Geschenk wünscht, gebietet die Sitte, es ihm zu gewähren, und umgekehrt hat auch der Gastgeber dieselbe Freiheit, sich ein Geschenk zu wünschen. Das SichBeschenken macht ihnen Freude, aber weder rechnet der Geber seine Gabe an noch wird man durch die Annahme verpflichtet. Niemand darf von einer Tendenzschrift aus dem Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts – Tacitus stellt sozialkritisch der Dekadenz Roms das Leben eines unverdorbenen Naturvolks gegenüber – in allen Einzelheiten zutreffende Zeugnisse erwarten. Tacitus bezieht die Farben seines Gemäldes indirekt aus der philosophischen Weltbetrachtung des Griechen Poseidonios, der im ersten vorchristlichen Jahrhundert in solcher Sicht Kelten und Germanen beschrieben hatte.2 Caesar, auch er nicht unbeeinflusst von Poseidonios, widmet in seiner Beschreibung der Germanen (Bellum Gallicum 6,23,9) ihrer Gastlichkeit nur eine kurze Erwähnung: Gewalt zu üben gegen einen Gast halten sie für Frevel. Leute, die aus welchem Grunde es auch sei als Schutzsuchende zu ihnen kommen, verteidigen sie gegen Miss-

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I. Grundhaltungen

handlungen und betrachten sie als unverletzlich. Ihnen stehen die Häuser aller offen und es wird ihnen Unterhalt gewährt. Erinnerung an Altgermanisches hat sich neben den zeitgenössischen römisch-griechischen Texten auch noch über ein Jahrtausend später in den Liedern der Edda erhalten. Zum Empfang des Fremden lehrt das Havamal3: Heil den Gebern! Ein Gast trat ein. Sagt, wo er sitzen soll! Nicht behaglich hat’s, wer auf dem Holz sein Glück versuchen soll. Feuer braucht, wer fernher kam, an den Knien kalt; Gewand und Speise der Wanderer braucht, der übers Hochland hinzog. Wasser braucht, wer zur Bewirtung kommt, Tischgruß und Trockentuch, gute Meinung, wenn’s vergönnt ihm wird, Antwort und Aufhorchen. An die Dreitageregel für das Verbleiben erinnern die folgenden Verse4: Gehn soll man, nicht als Gast weilen stets an einem Ort. Der Liebe wird leid, wenn lange beim andern auf der Bank er bleibt. Häufig begegnet in den Eddaliedern das Motiv von der Einkehr des Gottes. Neben dem unerkannten Odin verlangt auch Thor gastliche Bewirtung. Das Bild germanischer Gastfreundlichkeit weist auf eine mit anderen Völkern indoeuropäischer Sprache gemeinsame Tradition. Durch sie unterscheiden sie sich dem Wesen nach von einer anderen, ungastlichen Verhaltensweise, wie sie beispielsweise Herodot (4,76,1) den Skythen zuschreibt; sie sind ganz und gar fremdenfeindlich. Von den Kelten gibt der Historiker Diodor (5,28,5) den Bericht des Poseidonios wieder: Sie laden auch die Fremden zu ihren Schmäusen ein und befragen sie nach dem Essen, wer sie seien und wessen sie bedürften. Die Keltiberer Spaniens werden gerühmt (5,34,1): Die zu ihnen kommenden Fremden bitten sie um die Ehre, bei ihnen ihre Wohnung zu nehmen, und sie wetteifern miteinander in der Gastfreundlichkeit. Diejenigen, mit denen die Fremden mitgehen, preisen sie und glauben, dass ihnen die Götter ihre Gunst erweisen. Als höchst auffällig wird vermerkt (Stobaios 4,2 p. 156,1), dass bei ihnen denjenigen, der einen fremden Gast umgebracht hat, eine schimpflichere Strafe trifft als den Mörder eines Mitbürgers; im ersten Fall ist die Strafe der Tod, im anderen die Verbannung. In Rom hat sich im Zeitraum vom 4. zum 3. Jahrhundert v. Chr. die Bedeutung des Wortes hostis gewandelt. In der Zeit vorher war der hostis ein Nichtrömer, der als Fremder zwar nicht die Rechte eines römischen Bürgers hatte, aber friedlich in Rom leben und seinen Geschäften nachgehen konnte. In der Zeit danach hatte sich die Bedeutung verengt auf den Fremden, der von außen her die Römer als Feind bedrohte, und das veranlasste nun die römischen Gelehrten zu Erklärungen, wie das Wort in den alten Texten, besonders im Zwölftafelgesetz, zu verstehen sei. Ihr berühmtester, M. Terentius Varro, schreibt (de lingua latina 5,3): Viele Wörter bedeuten

2. Der Gast, ein indoeuropäisches Erbwort

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jetzt etwas anderes als zuvor, zum Beispiel hostis. Denn einst bezeichnete man mit diesem Wort den Ausländer (peregrinus), der nach seinen eigenen heimatlichen Rechten lebte, jetzt aber denjenigen, den man damals perduellis (Kriegsfeind; duellum ist die alte Wortform für bellum) nannte. Ihm folgt sein Zeitgenosse Cicero (de officiis 1,37), der auch gleich zwei Beispiele aus dem Zwölftafelgesetz anführt. Das erste (Tafel 2,2) betrifft die Pflicht des Erscheinens vor Gericht. Ein bereits festgesetzter Gerichtstermin mit einem Ausländer (status dies cum hoste) dient als Entschuldigungsgrund und hebt einen neuen Termin vor dem römischen Richter auf. Denn das fremde Recht wird als gleichrangig dem römischen geachtet (S. Pomponius Festus bemerkt unter dem Stichwort status dies: hostes … erant pari iure cum populo Romano), und der Fremde, der seine Ansprüche nicht nach römischem Recht geltend machen darf, kann es nach seinem heimatlichen Recht tun. Das zweite (Tafel 6,4) handelt von der Garantie. Gegenüber einem Nichtbürger behält der römische Bürger für alle Zeit ohne Verjährung die rechtliche Macht, den Eigentumsanspruch an seiner in den Besitz des Fremden gelangten Sache geltend zu machen. Das römische Recht schützt den Anspruch des eigenen Bürgers, dem Fremden wird die Ersitzung (usu capio) versagt. Dies sind die zwei bekannten Stellen, an denen hostis in den 12 Tafeln bezeugt ist; wo sonst bei bloß inhaltlicher Wiedergabe des 12-Tafel-Rechts hostis für den Landesfeind gebraucht wird (Tafel 9,5), liegt nicht mehr der originale Wortlaut vor. Neben den Sätzen des zivilen Rechts der 12 Tafeln überliefert S. Pomponius Festus unter dem Stichwort exesto eine Vorschrift des Kultrechts. Der Amtsdiener ruft vor Beginn einer Opferhandlung: Ein hostis, ein Gefesselter, eine Frau, ein Mädchen soll fernbleiben. Das Verbot ist ein uraltes Erbstück der Kultgenossenschaft. Ein Fremder hat andere Götter und würde den Kult der Gemeindegenossen stören. Gerade der Kult mit seinen Tabus ist ein besonders empfindlicher Bereich, weil man magische Wirkungen fürchtet, die von dem Fremden mit oder ohne dessen Willen ausgehen. Die Aufnahme des Gastes in den eigenen Haushalt ist ein Entgegenkommen, das als Gegenleistung vom Gast den vollen Verzicht darauf fordert, seine Kräfte gegen das Wohl der Hausgenossen wirken zu lassen. Der Fremde hat sich dem Hausherrn freiwillig (oder, wenn er als Sklave ins Haus kommt, unter Zwang) unterzuordnen. Genau diesen Sachverhalt gibt die lateinische Sprache wieder, indem sie den Gastgeber hospes nennt. Das Wort entspricht in der Zusammensetung seiner zwei Glieder, hostiund poti-, genau dem schon erwähnten slawischen Wort gospod und bedeutet denjenigen, der Gewalt hat über den Fremden.5 Fürs Altlatein ist somit auszugehen von einem antithetischen Begriffspaar: einerseits hostis, der Fremde, der zum freundlich Aufgenommenen

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I. Grundhaltungen

wird, andererseits hospes, der aufnehmende Gastgeber in seiner Eigenschaft als Familienoberhaupt und Gastherr. Erst unter dem Einfluss der griechischen Kultur, wo im Wort xenos die beiden Aspekte, wie noch im Einzelnen zu zeigen sein wird, nicht geschieden werden, geht das Lateinische dazu über, hospes gleicherweise für den Gast und für den Gastgeber zu verwenden. Die alte Bedeutung von hostis als Bezeichnung für den friedlichen Fremden, den Gast, wird so von hospes übernommen. Für hostis bleibt nur der Restbestand übrig, die verengte Bedeutung von hostis als Feind des römischen Volkes. Verfeindete Römer untereinander können nie hostes, sondern bloß „Nichtfreunde“ (inimici) werden. Zum hostis wird ein Römer nur, wenn er als Hochverräter durch Senatsbeschluss ausgebürgert und damit zum Fremden und Staatsfeind erklärt wird.

3. Die ethische Viererregel Was in Rom deutlich zu beobachten ist, ist der Übergang von Sittengeboten, die aus einer im tiefsten Grunde religiös begründeten Tradition befolgt werden, in geregeltes Recht der Bürgergemeinde. Der Übergang vollzieht sich nicht plötzlich. Die indoeuropäische Sprachgruppe weist Vorstufen auf in Regeln, die in besonderer Weise den Gast betreffen und neben anderen Vorschriften stehen wie der Verpflichtung, Tote zu bestatten oder die Eltern zu ehren. Sie gehören einem Urbestand an, der verwurzelt ist im Glauben an heilsnotwendige Verhaltensnormen, die nicht erst wie die Staatsgesetze von Menschen gesetzt worden sind. Der Berliner Indogermanist Wilhelm Schulze hat in seinen dritten Beiträgen zur Wort- und Sittengeschichte6 darauf hingewiesen, wie überall in den Texten von Altindien bis Island die humane Grundregel aufscheint, in deren Befolgung jedem Menschen, der darum bittet, vier Dinge gewährt werden sollen: Wasser, Feuer, Auskunft über den Weg und Obdach. Er zieht den Schluss, diese Regel müsse schon der gemeinsamen Urzeit angehört haben. Die Gastregel erscheint in drei Formen: Einmal positiv als Sittengebot, sodann negativ in Fluchformeln gegen den die Sitte Missachtenden und drittens als gesetzliche Strafe für Verbrechen, die den Täter aus der Gesellschaft der Menschen ausschließen. Meist werden dabei nicht ausführlich alle vier Dinge genannt, weil doch der Einheimische selten in die Lage kommt, nach dem Weg fragen zu müssen; hingegen war zur Bitte um Feuer in einer Zeit, als dessen Anzünden noch viel Mühe bereitete, und zur Bitte um Wasser recht häufig auch unter Nachbarn Anlass; beiden kam zudem hoher Symbolwert zu. Um die Sittenregel geht es, wenn Sokrates sich gegen den Vorwurf, zu

3. Die ethische Viererregel

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wenig hilfsbereit zu sein, entschuldigt: Wenn du zu mir kämest um Feuer und sich bei mir im Hause keines fände, und wenn ich dich dann anderswohin geleitete, woher du es bekommen könntest, würdest du mir keinen Vorwurf machen, und wenn ich dich auf deine Bitte um Wasser hin, das ich selber nicht hätte, zum Wasser hinführte, dann, das weiß ich, würdest du auch deswegen mir nichts vorwerfen.7 Cicero spricht in seinem Werk ›Über die Pflichten‹ (1,52) von den Werten, die gemeinsamer Besitz aller Menschen sind und auf denen die menschliche Gesellschaft gegründet ist, und er zitiert dafür Verse des Dichters Ennius, der das Zeigen des Weges subtil mit dem Bild des weitergereichten Feuers verbindet: Wer freundlich dem Verirrten den Weg weist, handelt so, als ob er ihm ein Licht von seinem Lichte anzünde. Es leuchtet ihm selber nicht weniger, obwohl er es jenem angezündet hat. Dazu Cicero: Mit dem einen Beispiel lehrt er in vollkommener Weise, dass, was ohne Einbuße weitergegeben werden kann, einem jeden, selbst einem Unbekannten, gegeben werden muss. Dazu gehören die allbekannten Gemeingüter: Niemandem das frei fließende Wasser verwehren, Feuer vom Feuer nehmen lassen, wenn einer es wünscht, einem Ratsuchenden ehrlichen Rat geben, alles Dinge, die den Empfängern helfen und dem Geber nicht schwer fallen. Ebenda erwähnt Cicero (3,54) auch die sprichwörtlichen Verfluchungsformeln, die in Athen dem urzeitlichen Heros und Kultstifter Buzyges zugeschrieben wurden. Von ihnen werden in den griechischen Quellen8 drei genannt, die gegen die Verweigerer von Wasser, Feuer und Wegweisung. An vierter Stelle erscheint das Obdach bei dem Komödiendichter Diphilos;9 er lässt einen Schmarotzer reden, der eingeladen werden möchte und den Fluch auspricht über alle, die jemanden daran hindern, in seinem Haus ein Gastmahl auszurichten. Als schwerste Strafe lässt Euripides (Orestes 46–50) durch das Volk von Argos über den Muttermörder Orestes und seine Helferin Elektra Folgendes verhängen: Sie werden nicht in den Häusern und am Feuerherd aufgenommen und niemand darf mit ihnen sprechen; ein verschärfendes Urteil zur Steinigung harrt noch der Abstimmung in einer Volkversammlung. In Athen findet der gottverhasste Orestes, den zuvor niemand freiwillig aufgenommen hatte, eine mildere Behandlung: Obdach, aber in völliger Isolation (Iphig. Taur. 947–957). In Rom trifft das Verbot von Obdach, Wasser und Feuer den Verbrecher, dessen Schuld so schwer wiegt, dass er zur Strafe aus der römischen Bürgergemeinschaft ausgeschlossen wird. Cicero nennt an einer Stelle (de domo 78) diese drei Ausschlüsse; zumeist ist verkürzend die Rede vom Verbot der eindrücklichsten Symbole, Wasser und Feuer, in der formellen aqua et igni interdictio (Rechtsspruch, der vom Wasser und Feuer aus-

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I. Grundhaltungen

schließt). So steht es auch noch bei dem kaiserzeitlichen Juristen Julius Paulus10, für den es nur noch eine Erinnerung an ältestes Recht der Republik ist.

4. Xenos, ein Fremdwort im Griechischen Die Griechen, durch ihre Sprache dem indoeuropäischen Kreis zugehörig, haben bei ihrer Einwanderung aus dem Binnenland zu den Küsten und Inseln des Mittelmeers von der überlegenen Kultur, die sie dort antrafen, eine Menge von Sachen und Wörtern übernommen. Dazu gehört unter anderem das Wort xenos für den Gast. Alle Versuche, xenos etymologisch mit ghostis zu verknüpfen, sind misslungen. Das Erbwort Gast ist in der Sprache der Griechen schon früh verloren gegangen. Bis ins 20. Jahrhundert war es Homer, von dem man die älteste Wortform xeinos (entstanden aus xenwos) kannte. Die Entdeckung und Entzifferung von Tafeln in Silbenschrift aus der von Homer besungenen Vorzeit hat in der Form ke-se-nuwo ein Zeugnis beigebracht, das noch ins zweite Jahrtausend v. Chr. zurückreicht. Wir wissen jetzt mit Gewissheit, dass die Übernahme des Fremdworts schon sehr bald nach der Einwanderung stattgefunden hat. Was wir nicht kennen, ist die Sprache, aus der xenos entlehnt wurde. Sie muss im Ostmittelmeerraum heimisch gewesen sein und offenbar einen Begriffsinhalt geboten haben, der den Einwanderern nützlicher vorkam als das, was sie mitbrachten. Was war das Neue? Im alten Orient spielen von jeher neben Bauern und Nomaden die Händler eine wichtige Rolle, die mit ihren Esel- und später Kamelkarawanen von weither ihre Waren in die Städte bringen. Ihr Weg führt sie oft tagelang durch Wüsten, in denen ein Mensch nicht überlebt, wenn er nicht für sich und seine Tiere in Oasen Obdach und Versorgung findet. Die Natur des Landes macht Arabien zur Wiege der Gastfreundschaft in einer Tradition, die sich aus vorislamischer Zeit bis in die Gegenwart fortsetzt. Auch hier geht es zuallererst um ein Sittengebot, in der Grundmotivation nicht anders als in dem schon betrachteten Kulturkreis. Gastfreundschaft (diya¯fa, qira¯) ist eine Ehrenpflicht, die Freigebigkeit gegenüber dem Gast (daif) geht bis zur Verschwendung. Dichter vergleichen den großzügigen Gastgeber mit der Regenwolke oder dem Meer, verständlich in einem Land, in dem Wasser die köstlichste Gabe ist. Wer nicht in den schändlichen Ruf eines Geizhalses geraten will, wartet die Gäste nicht einfach ab, er sucht sie. Bei Nacht werden weithin sichtbare Feuer angezündet, um den Fremden den Weg zu den Zelten anzuzeigen; das Gebell der Hunde um den Lagerplatz soll sie einladen. Auch der Ärmste entzieht sich nicht der Pflicht. Vor dem Stadttor trifft der aus der Wüste kom-

4. Xenos, ein Fremdwort im Griechischen

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mende Prophet Elias auf eine Brennholz sammelnde arme Witwe.11 Er bittet um einen Schluck Wasser. Auf seinen weiteren Wunsch nach einem Stück Brot antwortet sie, sie habe nichts mehr als eine Handvoll Mehl und einen letzten Tropfen Öl; die wolle sie mit ihm und ihrem Sohn teilen und dann Hungers sterben. Gott lohnt ihre Gastfreundlichkeit mit einem Wunder: Der Mehltopf wird von jetzt an immer voll bleiben und das Öl in der Flasche nicht weniger werden. Die Witwe hat nach der im Orient herrschenden Sitte gehandelt, die nicht allein unter den Beduinen, sondern ebenso in den Städten gilt. Kein Unterschied wird bei der Person des Gastes gemacht, jeder ist willkommen und es ist unschicklich, ihn sogleich zu fragen, wer er sei, woher er komme und was er für ein Ziel habe. Deutlich unterscheidet sich allerdings Altägypten. Hier ist es nicht die Wüste, sondern der Uferstreifen am Nil, der das Verhalten der Anwohner prägt. Als Mitmenschen trifft man weniger mit dem Ankömmling aus der Fremde zusammen als mit dem der Hilfe bedürftigen Landsmann. Die Regeln sind daher stärker vom Mitleid motiviert als vom Wunsch nach Kommunikation. So lehrt der Schreiber Anii um 1400 v. Chr. seinen Sohn: Iss nicht Brot, wenn ein anderer Mangel leidet und du ihm nicht die Hand mit dem Brote reichst. Oft wiederholt erscheint die Formel des Totenlobs: Ich habe dem Hungernden Brot gegeben und dem Dürstenden Wasser (oder Bier), dem Nackten Kleider, dem Schifflosen eine Fähre. Wenn es in der Lehre des Amenenope heißt: Weise nicht den Fremden von deinem Ölkrug ab; so verdoppelt er sich vor deinen Brüdern. Gott liebt den, der den Geringen erfreut, mehr als den, der den Vornehmen ehrt, so ist mit dem Fremden zunächst wohl der nicht zum eigenen Haushalt Gehörende gemeint. Aber die Integrationskraft der überlegenen Kultur Ägyptens war in der Frühzeit stark genug, um auch Ausländer einzugliedern. „Gastarbeiter“, zumeist als Söldner in den ägyptischen Heeren und als Beamte wie der Israelit Joseph am Hof des Pharao, wurden, wenn sie sich in Sitten und Lebensweise des Landes einfügten, nicht als Fremde abgelehnt. Sogar die libyschen und äthiopischen Herrscherdynastien wurden nicht als drückende Fremdherrschaft empfunden. Als fremd blieb isoliert, wer auf seiner nicht ägyptischen Lebensform bestand, wie es die Israeliten mit der Verwerfung der ägyptischen tiergestaltigen Gottheiten taten. Daher antwortet Moses (Gen. 2,26) auf das Verlangen des Pharao, sie sollten ihrem Gott opfern: Das kann nicht geschehen, denn dann würden wir die Götzen der Ägypter unserem Gott opfern. Wenn wir das, was die Ägypter verehren, vor ihren Augen schlachten, werden sie uns steinigen. Die grundsätzlich tolerante Haltung gegenüber Fremden änderte sich, als mit Griechen und Persern den Ägyptern nicht integrationswillige Vertreter eigenständiger Hochkulturen gegenüber traten. Der Pharao Psammetich I. hat im 7. Jahr-

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I. Grundhaltungen

hundert v. Chr. griechische Söldner angeworben, als er das Land nach langen Abwehrkämpfen gegen Herrscher aus Nubien und Syrien im saitischen Reich einigte, und er gestattete die Gründung von Naukratis im Nildelta als Kolonie der griechischen Stadt Milet. Doch das Statut, das Naukratis im 6. Jahrhundert durch den als Griechenfreund bekannten Pharao Amasis erhielt, verlieh der milesischen Niederlassung zwar ein Monopol für den Handel mit den Griechen, hielt aber zugleich streng die Fremden vom Landesinneren fern, so dass in der griechischen Literatur Ägypten mit dem Schlagwort Xenelasía (Fremdenvertreibung) verbunden wurde. Dass dann doch der Grieche Herodot das Land bereisen und beschreiben konnte, war nur möglich, weil es zu jener Zeit unter der Herrschaft der Perser stand. Frühestens aus der Perserzeit, eher wohl aus der ihr folgenden Zeit unter den makedonischen Ptolemäern, stammt das Demotische Weisheitsbuch (Papyrus Insinger), in dem Gott mit den Worten gepriesen wird: Er lässt den Fremdling, der von auswärts kommt, wie die Einheimischen leben. Da wirkt eine altägyptische Einstellung fort, aber derselbe Text warnt davor, die Heimat zu verlassen, und schildert das Ungemach, das ein Ägypter in der Fremde, rechtlos und auf Mitleid angewiesen, erdulden muss. Handelstransporte finden in Ägypten mit Schiffen auf dem Nil statt. Der Händler übernachtet auf seinem Kahn oder im Freien am Uferstreifen, er ist nicht auf Obdach bei Gastgebern angewiesen. Das erklärt die Ausnahmestellung Ägyptens. Was für die Xenía (Gastfreundschaft) in Griechenland vorbildhaft gewirkt hat, waren die Karawanenhandel treibenden Völker des Ostens. Handel ist auf die Institution der Gastfreundschaft angewiesen. Denn wer den gesicherten Aufenthaltsort bei seinem Stamm verlässt, ist schutzlos. Auf seinem Weg ist er Überfällen und Plünderungen ausgesetzt, wird Opfer von Blutrache, wenn sie von irgendeinem Angehörigen seines Stammes gefordert wird, stets in der Gefahr, in der Wüste einsam zu verderben. In die gleiche Lage konnte jeder geraten, wenn er zu reisen genötigt war, und wer jetzt Gastgeber war, konnte bald einmal seinerseits auf die Gastfreundschaft des anderen angewiesen sein. Es musste daher feste Regeln des Gastrechts geben. Sobald der Schutz suchende Fremde die Zeltstricke berührt hatte oder von dem Angebot an Speise und Trank gekostet, eine Bittformel gesprochen hatte, war der Gastherr verantwortlich für seine Unverletztheit und hatte ihn vor Verfolgern zu schützen, selbst wenn er dadurch selber in äußerste Gefahr geriet. Die Garantie bezog auch das Eigentum mit ein. Der Gastgeber durfte ebenso wenig sich an dem vergreifen, was der Fremde eingebracht hatte, wie der Gast am Eigentum des Schutzherrn. Starb allerdings der Gast im Hause des Gastgebers, war dieser sein Erbe. Schon früh war das Gastrecht so institutionalisiert, dass es nicht bloß im Verhältnis zwischen Einzelpersonen galt, son-

4. Xenos, ein Fremdwort im Griechischen

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dern zwischen Stämmen und Völkern vertraglich abgeschlossen werden konnte. Die nicht israelitischen Einwohner im Lande Israel werden mit dem Wort für Gast (ger = arabisch g˘a¯r) bezeichnet und sind als Mitglieder dieser Gruppe geschützt. Als Mohammed mit seinen Anhängern den eigenen Stamm in Mekka verließ, um nach Medina auszuwandern, schloss er vorher einen Schutzvertrag mit den dortigen zwei arabischen Stämmen ab. Ein frühes Beispiel für ein Zusammentreffen der Händler aus Mesopotamien mit einer sesshaft bäuerlichen Bevölkerung im Hochland Kleinasiens gibt schon zu Beginn des 2. Jahrtausends v. Chr. die dortige Handelsniederlassung der Assyrer in der Stadt Kanes in Kappadokien. Sie steht unter assyrischer Verwaltung und assyrischem Recht, eine eigene Stadt vor den Mauern der inneren Stadt der Einheimischen. Deren Fürst begnügt sich mit der Erhebung der von den Eselkarawanen der Assyrer zu entrichtenden Zölle.12 In einer solchen Kontaktzone muss die Übernahme des Wortes und des Begriffs xenos durch die Griechen stattgefunden haben. Sie waren vor ihrer Einwanderung Ackerbauern und Hirten gewesen, haben sich aber gelehrig der neuen maritimen Umgebung angepasst. Doch bis sie zu einem Volk von Seefahrern wurden, dauerte es eine Übergangszeit, während der ein Zustand eintrat, wie er ähnlich in Kanes zu sehen ist. Den Seehandel im Mittelmeer beherrschten die Phönizier mit ihren Faktoreien in den Häfen. Am mächtigsten wurde Karthago, allerdings erst zu einer Zeit gegründet, als auch die Griechen schon im Seehandel aktiv wurden mit Hauptrichtung zum Schwarzen Meer, während die Phönizier von Karthago aus, bald im Wettstreit mit den Etruskern, im Westmittelmeer so stark dominierten, dass die Römer erst viel später als die Griechen mit dem Handel zur See beginnen konnten. Sie haben das ererbte Wort hospes bis in die Zeit der kriegerischen Auseinandersetzung mit den Karthagern in seiner ursprünglichen, auf den Gastgeber beschränkten Bedeutung bewahrt; die Griechen dagegen, die viel früher in regen Handelsverkehr eintraten, haben mit der Landnahme alsbald auch den doppelgesichtigen Begriff xenos und das Wort übernommen. Denn für den Handelsaustausch taugt ein Verhältnis, in dem der Gast dem Gastherrn deutlich untergeordnet ist und seiner Hausgewalt untersteht, nicht. Vielmehr ist eine unentbehrliche Voraussetzung das Prinzip der Gegenseitigkeit. Der Kaufmann muss sich darauf verlassen können, vom Geschäftspartner aufgenommen zu werden, und nimmt ihn seinerseits bei sich auf, wenn er in Geschäften zu ihm kommt. Der Unterschied zwischen dem Aufnehmenden und dem Aufgenommenen ist damit keine Dauerqualität mehr, die Rollen wechseln. Entscheidend ist vielmehr die Teilhabe an einem fest geregelten und für beide verbindlichen Dauerverhältnis gleichberechtigter

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I. Grundhaltungen

Partner, das auf jederzeitige Wiederholbarkeit angelegt sein muss. Da ist es zweckmäßig, die Partner, welche einander gegenüber dieselben Rechte und Pflichten haben, mit demselben Wort zu bezeichnen. Xenos ist dieses Wort. Es könnte, wie so vieles andere auch, dem Vokabular, das die einwandernden Griechen neu aufnahmen, über die minoischen Kreter vermittelt sein, die bis zu den katastrophalen Seebeben des 15. Jahrhunderts v. Chr. eine große Seehandelsmacht waren; doch minoisch ist das Wort nicht. Phönizisch gleichfalls nicht; seine Herkunft liegt im Dunkeln. Der von ihm ausgedrückte Sachverhalt jedenfalls ist das, was den östlichen Handelsverkehr von dem durch indoeuropäische Tradition bestimmten Wortgebrauch im westlichen Europa unterscheidet. Und der Sachverhalt ist so wichtig, dass auch die Römer, sobald sie sich vom latinischen Bauernvolk zur Handelsnation entwickelten, die alten Wortbedeutungen von hostis und hospes preisgaben und hospes zu einem Synonym des griechischen xenos werden ließen. Nicht das Wort xenos selbst entlehnten sie, wohl aber dessen Bedeutung: hospes ist ein Musterfall dessen, was wir Bedeutungslehnwort nennen. Bedeutungslehnwörter klingen ebenso wie Fremdwörter immer ein wenig vornehmer, und das wirkt in der weiteren Wortgeschichte. Als den gewerblichen Herbergswirten ihre in republikanischer Zeit allein übliche lateinische Bezeichnung caupo zu gering vorkam, verbesserten sie ihr Image, indem sie sich hospes nannten.

5. Alttestamentliche Beispiele orientalischer Gastregeln Die bekanntesten Beispiele für vorbildliche Erfüllung wie für verabscheuenswerte Verletzung des Gastrechts bietet das Alte Testament. Abraham (Genesis 18) hat sein Zelt in der Nähe von Hebron beim Hain Mamre aufgeschlagen. In der Mittagshitze sieht er drei Männer, eilt ihnen entgegen, neigt sich ehrerbietig und bittet sie, seine Einladung anzunehmen. Er verspricht zum Empfang die Fußwaschung und Brot, zu essen unter dem Schatten des Baumes. Seine Frau weist er an, frisches Brot zu bereiten, eilt zur Herde und lässt ein Kalb schlachten. Brot, Butter, Milch und der Braten werden den Gästen zu ihrer Ehre gereicht. Diese kennen seinen größten Wunsch; sie fragen nach seiner Frau und verheißen ihm, er werde, wenn sie ihn übers Jahr wieder besuchen kämen, mit ihr den ersehnten Sohn haben, der den Fortbestand seines Stammes sichert. Nach dieser Segenshoffnung gibt Abraham ihnen zum Abschied das Geleit. Abrahams Neffe Lot (Genesis 19) wohnt in der Stadt Sodom. Er wartet am Stadttor und bittet die abends ankommenden zwei Fremden, in seinem

5. Alttestamentliche Beispiele

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Haus über Nacht zu bleiben. Auch hier die ehrerbietige Verneigung und das Angebot der Fußwaschung. Die Fremden lehnen zunächst ab; doch weil wegen der sündigen Einwohner der Stadt eine Übernachtung unter freiem Himmel zu gefährlich ist, geben sie dem Drängen Lots nach. Er lässt frisches Brot backen und bewirtet sie. Vor der Nachtruhe belagern die Sodomiter das Haus und fordern die Herausgabe der Gäste, um sie zu vergewaltigen. Lot muss sie schützen; er geht so weit, an ihrer Stelle seine zwei jungfräulichen Töchter anzubieten. Darauf bedrohen die Sodomiter Lot selber, der als Fremder in der Stadt lebt. Die Gäste, es sind Engel mit übernatürlicher Macht, ziehen Lot ins Haus zurück, und die Tür bleibt den Anstürmenden verschlossen. Zum Dank für seine bis zum Äußersten bereite Erfüllung der Gastgeberpflicht wird Lot mit den Seinen gerettet. Die Gäste geben ihm den Rat, zu fliehen, bevor die Stadt zur Strafe vernichtet wird. Eine Parallele zur Lot-Geschichte stellt der Bericht von der Schandtat der Benjaminiter dar (Richter 19). Ein Levit mit seinem Weib ist bei Einbruch der Nacht noch unterwegs. Sein Diener schlägt vor, die nächstgelegene Stadt der Jebusiter aufzusuchen. Der Herr lehnt ab: Nicht kehre ich ein in die Stadt von Fremden, die nicht den Söhnen Israels gehört. Sie ziehen weiter zur Stadt Gibea, wo ihnen aber die Bürger, Angehörige des Stammes Benjamin, das Obdach verweigern. Ein vom Feld heimkehrender Greis vom Stamme Ephraim, der als Nichtbürger in Gibea wohnt, findet den Leviten vor dem Tor und nimmt ihn auf, nach gebotener Sitte mit Fußwaschung, Bewirtung und Fütterung der Lastesel. Auch hier bestürmen die Benjaminiten das Haus und verlangen die Freigabe des Gastes, auch ihnen wird die Auslieferung der Tochter des Gastgebers angeboten. In der Not gibt schließlich der Gast sein Weib heraus. Er findet sie am Morgen geschändet und tot auf der Schwelle vor der Tür. Die Strafe ist ein Rachefeldzug aller übrigen Stämme Israels gegen den Stamm Benjamin. Auf der Brautfahrt für Abrahams Sohn Isaak (Genesis 24) bittet der Führer der Karawane die Wasser holende Rebekka um einen Trunk. Er wird allen, auch den Tieren, gewährt, ebenso das Obdach, die übliche Fußwaschung und das Essen, nachdem der Brautwerber darum gebeten hat, sein Anliegen vorzutragen, und Brautgaben sowie Gastgeschenke überreicht hat. Unter besonderen Umständen (Genesis 43) findet die Begegnung Josephs in Ägypten mit seinen ihn nicht erkennenden Brüdern statt, weil dabei ägyptische und israelitische Verhaltensregeln zusammenstoßen. Josephs Hausverwalter empfängt die fremden Händler, die angeben, Korn kaufen zu wollen, mit Obdach für Menschen und Lastesel und mit Fußwaschung. Als Joseph kommt, werden die mitgebrachten Geschenke überreicht, er

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I. Grundhaltungen

wiederum erkundigt sich nach dem Vater der Reisenden. Das Essen jedoch muss getrennt stattfinden. Die ägyptischen Diener dürfen nur getrennt von den Fremden aus Kanaan essen, der Israelit Joseph, der zugleich Bevollmächtigter des ägyptischen Herrschers ist, speist allein, und die isolierte Gruppe der angekommenen Fremden wird abseits bewirtet; doch es werden ihnen Speisen vom Tisch Josephs als Ehrengaben hinübergeschickt. Es finden sich in den exemplarischen Erzählungen des Alten Testaments wieder dieselben Wahrzeichen des gesitteten Umgangs mit dem Fremden, wie sie die Viererregel enthält. Zur Erwähnung des Feuers fehlt der Anlass. Wasser dient als Trunk und, soweit nicht der Wassermangel in der Wüste entgegensteht, zur Fußwaschung, die im Orient bis heute als symbolische Handlung üblich ist, während in nördlichen Gegenden der Wanderer normalerweise seine Fußbekleidung nicht ablegt. Der biblische Erzähler verzichtet nicht darauf, obwohl in der Wüste Wasser ein höchst kostbares Gut ist. Das Geleit beim Abschied ist ein vollgültiger Ersatz für die Weisung des Weges. Obdach wird nicht erst auf Bitten des Fremden gewährt; die Initiative geht oft vom Gastgeber aus, der damit Ehre vor den Menschen und göttliches Wohlwollen gewinnt. Äußerst wichtig ist die bis ins Extrem gesteigerte Schutzpflicht des Hausherrn für seinen Gast. Es ist kein Zufall, dass sich der verräterische Mord eines Gastgebers am Gast nicht zwischen Israeliten abspielt, sondern zwischen kanaanitischen Stämmen, begangen von einer Frau (Richter 4,17–22): Sisara, der Feldherr des Kanaaniterkönigs Iabis, vernichtend geschlagen von dem israelitischen Heerführer Barak, entfloh zu Fuß in die Hütte der Jaël, der Frau des Kineiten Aber. Denn es bestand Frieden zwischen Iabis und dem Hause des Kineiten Aber. Und Jaël trat heraus zum Empfang des Sisara und sprach zu ihm: Geh beiseite, mein Herr, beiseite zu mir her, fürchte dich nicht! Und er ging abseits zu ihr in ihre Hütte, und sie versteckte ihn in ihrem Wandvorhang aus Tierfellen. Und Sisara bat sie: Gib mir etwas Wasser zu trinken, ich bin durstig geworden. Und sie machte den Milchschlauch auf und gab ihm zu trinken; dann deckte sie sein Gesicht zu. Und er sagte zu ihr: Stelle dich an die Tür der Hütte, und wenn es sein sollte, dass einer zu dir kommt und dich fragt mit den Worten: Ist da ein Mann?, dann wirst du sagen: Es ist keiner da. Und sie deckte ihn zu mit dem Fellvorhang. Dann nahm Jaël, die Frau Abers, den Türriegel der Hütte und fasste den Schmiedehammer in ihre Hand; dann schlich sie leise zu ihm hinein, schlug ihm den Riegelstab durch die Schläfen, durch und durch bis in den Boden, und er krümmte sich zwischen ihren Knien, hauchte sein Leben aus und starb. Und siehe, da war Barak auf der Verfolgung Sisaras, und Jaël trat heraus, um ihn zu begrüßen, und sprach zu ihm: Komm her, und ich zeige dir den Mann, den du suchst. In ihrem Siegeslied feiert die Prophetin Debora

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(Richter 5,24) Jaël als Heldin, weil ihre Tat den gefährlichen Feind Israels beseitigt hat. Das Alte Testament stellt in diesem Fall die Schuldfrage nicht. Die fremdstämmige Mörderin Jaël ist auch nicht vergleichbar mit der israelitischen Mörderin und Heldin Judith. Judith ist nicht die Gastgeberin, sie opfert sich auf für ihr bedrängtes Volk, und ihr Opfer, der Feldherr Holofernes, verschuldet selbst seinen Tod, weil er die Feindin nicht zurückweist, sondern, geblendet von seiner Leidenschaft, sie zu sich einlässt. Zur alttestamentlichen Gastlichkeit gehört auch die Bewirtung mit Brot und Speisen. Sie geht über die Viererregel, die ausnahmslos für alle gilt, hinaus, denn sie ist abhängig von der Leistungsfähigkeit des Gastgebers. Doch kommt gerade dem Brot in der Gastsitte eine hohe Symbolkraft zu, die es bis heute bewahrt, als ein Zeichen der über das unumgänglich Nötige hinausgehenden Menschenliebe. Bemerkenswert ist die deutliche Abstufung in Grade der Nähe. Die Sprache unterscheidet klar zwischen dem ausgegrenzten Fremden, nakri oder zar, mit dem man nichts gemeinsam hat, und dem mitten unter den Israeliten wohnenden ger, dem Niederlassung und manche Rechte eines friedlichen Einwohners zustehen. Dabei betrachten sich die Nachkommen eines jeden der zwölf Söhne Jakobs als eigenständige Sippe. Im Bewusstsein dieser Abstufung weigert sich der Levit (Richter 19,12), eine nicht israelitische Stadt überhaupt zu betreten, in der Stadt eines anderen israelitischen Stammes, des Stamms Benjamin, erwartet er gastliche Aufnahme, wird aber enttäuscht, sogar Opfer von Ausschreitungen. Die fremdenfeindliche Abschottung verhärtet sich nach der Erfahrung des babylonischen Exils. Noch in der Apostelgeschichte (10, 28) ist der Apostel Petrus sich bewusst, ein jüdisches Gebot zu übertreten, als er zu dem römischen Centurio Cornelius gerufen wird: Ihr wisst, sagt er zu den im Haus Versammelten, dass es einem Juden verboten ist, sich mit einem Heiden näher einzulassen oder zu ihm ins Haus zu gehen. In hellenistischer Zeit warnt das Buch Sirach (11,35): Nimm einen Fremden zu dir ins Haus und das Durcheinander ist da. Du bist nicht mehr Herr im eigenen Hause. Gewarnt wird aber ebenso vor der entgegengesetzten Situation des Obdachsuchenden (29,24 ff.): Von Haus zu Haus ziehen, das ist ein böses Leben, und wo du bloß mitwohnst, darfst du deinen Mund nicht aufmachen. Du wirst die Leute speisen und tränken ohne Dank und dir obendrein noch bittere Worte anhören müssen: Komm her, wenn du schon hier bei uns wohnst, deck den Tisch, und wenn du was dabei hast, gib die Leckerbissen her. Oder: Pack dich, Fremder, mach Platz für einen Würdigeren als du! Oder: Mein Bruder kommt zu Besuch, ich brauche das Haus. Schwer drückt es einen Mann, der Verstand hat, dass ihm das Obdach vorgeworfen wird.

II. Gastfreunde bei Homer In den Gedichten Homers wird zum ersten Mal in allen Einzelheiten die Gastfreundschaft (xenía) sichtbar als eine Institution, die in einem überörtlichen Netzsystem eine ganze Gesellschaftsschicht umfasst und verbindet. Gegenseitigkeit ist seine Grundlage. Homer hebt sie in der Odyssee (4,33 ff.) ausdrücklich hervor, als er die Ankunft des Nestor-Sohnes Peisistratos und des Odysseus-Sohnes Telemachos bei Menelaos, dem König von Lakedaimon, beschreibt. Der Diener meldet dem gerade das Hochzeitsmahl seiner zwei Kinder feiernden König die Ankunft eines Wagens mit zwei Fremden und fragt, ob er sie weiter schicken solle. Menelaos tadelt, wie er so etwas bloß fragen könne: Wir beide haben doch fürwahr ausgiebig die Gastlichkeit anderer Menschen genossen, bevor wir hierher gekommen sind; möge uns Zeus nur auch in Zukunft vor Not verschonen. Also spanne die Pferde der Fremden aus und führe sie sodann herein, dass sie mit uns bewirtet werden. Die Tiere werden in den Stall gebracht und gefüttert, die Gäste gebadet, danach gesalbt und festlich gekleidet. An der Tafel werden ihnen nach der Handwaschung die Speisen vorgesetzt, und Menelaos begrüßt sie (4,60–61): Greift zu, ihr beiden, und lasst es euch schmecken! Dann, wenn ihr euch am Mahle gesättigt habt, wollen wir euch fragen, wer ihr seid. Erst nach einer längeren Rede des Königs, als dieser und die Königin schon vermuten, der Gast sei Telemachos, ergreift der ältere der beiden Gäste das Wort und stellt sich und Telemachos vor. Das Schweigen des jüngeren erklärt er (4,158–160): Er ist verständig und empfindet es als unanständig, kaum angekommen sogleich vor dir mit Reden herauszuplatzen. In der ganzen Szene bleibt selbstverständliche Voraussetzung, dass die beiden Jünglinge Edelleute sind. Die Verpflichtung der Gegenseitigkeit, wie sie der Inbegriff von xenía ist, kann nur von denen erfüllt werden, denen es ihr Reichtum gestattet. Zwar fällt man nach Verlust des Besitzes nicht sogleich aus dem Kreis der Berechtigten heraus. Doch man muss vorher geraume Zeit der Adelsgesellschaft angehört haben, innerhalb deren das Gebot der Gastfreundschaft gilt. Es sind Angehörige dieser Klasse, die auf Reisen gehen, denn Reisen sind beschwerlich und nicht ungefährlich. Dem einfachen Bauer oder Hirten fehlen die Mittel dazu, er bleibt ortsgebunden und verlässt kaum jemals aus freien Stücken seine engere Heimat. Um sich ihren Lebensunterhalt in der Fremde zu holen, ziehen nur Bettelleute umher und bei Homer die Rhapsoden, die an den Höfen der Adligen ihre Lieder und Epen vortragen. Als der Held Odysseus in der Gestalt eines Bettlers im Palast von Itha-

II. Gastfreunde bei Homer

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ka erscheint, denkt niemand daran, ihm mehr als einige Almosen, und selbst die nicht unbestritten, zu gönnen. Erst nachdem es ihm gelingt, indem er Nachrichten über den Verbleib des verschollen geglaubten Odysseus verspricht, ein Gespräch mit der Herrin Penelope zu erlangen und sich vor ihr als kretischer Königssohn ausgibt, ordnet Penelope an, ihm die Füße zu waschen (19,356 ff.). Jetzt wird er als Gast behandelt. Was Voraussetzung ist für die Rolle des Gastes, gilt ebenso für die des Gastgebers. Den Sauhirten Eumaios, der den heimkehrenden Odysseus, ohne ihn zu erkennen, als einen mittellosen Flüchtling beherbergt, macht der Dichter Homer zu einem in seiner Kindheit von phönizischen Räubern entführten Königssohn (15,412–484), der nach Ithaka als Sklave verkauft wurde. Denn edle Art ist nach den Vorstellungen der frühgriechischen Adelsgesellschaft, wie sie noch Pindar lehrt, angeboren, nicht anerzogen. Homers Zuhörer, selbst alles Angehörige dieser Gesellschaft, würden einem Sauhirten edles Handeln nicht ohne weiteres zutrauen; es wird glaubhaft gemacht durch eine adelige Abstammung. Sogar unter Göttern wird xenía nur von gleich zu gleich geübt. Weil Hephaistos nach seinem Sturz aus dem Himmel von der Meeresgöttin Thetis aufgenommen worden ist, ist er ihr Gastfreund, empfängt sie in seinem Haus und erfüllt ihr ihre Wünsche (Ilias 18,387 ff.). Über die Stammes- und Ortsgrenzen hinweg sind die Adelsfamilien miteinander durch Heiraten verbunden und die xenía kommt hinzu, um zusätzlich die Bindung untereinander zu verstärken. Es ist darum nicht bloß wichtig, die Namen der eigenen Vorfahren und Verwandten zu kennen und imstande zu sein, sie dort, wo man gastliche Aufnahme finden will, aufzuzählen, sondern auch über die Gastfreunde gut Bescheid zu wissen. Die Gastgeschenke (xénia), die den Eltern und Vorfahren ins Haus gebracht wurden, sind in den Gemächern aufgestellt, und schon die Kinder merken sich die Namen der Geber. Mit einem solchen Wissen ausgestattet darf man auf Reisen damit rechnen, von Ort zu Ort gastliche Aufnahme zu finden. Bei größeren Gastgeschenken, die man nicht mitführen kann, genügt es, den Namen des berühmten Stifters zu nennen; je mehr Gaben von Helden ein Haus aufweisen kann, je weiter die Gastfreundbeziehungen in alle Welt reichen, desto angesehener ist das Geschlecht. Kleinere xénia, z. B. einen Ring, kann man bei sich tragen und sich damit ausweisen. Homer gebraucht nie das Wort Symbolon (siehe unten S. 43), Bezeichnung für das Vorzeigestück, mit dem sich Personen aus in Freundschaft verbundenen Geschlechtern beim ersten Treffen miteinander bekannt machen. Das Fehlen des Wortes will nicht besagen, es habe auch die Sache in der von Homer besungenen Vorzeit nicht gegeben, nämlich die Hälften eines auseinander gebrochenen Knochens oder Holzes, von denen jeder Beteiligte

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II. Gastfreunde bei Homer

die eine mitbringt. Das genaue Nachprüfen, ob die Bruchflächen zweier kleiner Gegenstände exakt aufeinander passen, ist eine ganz und gar unheroische Handlung. Unter homerischen Helden muss das Wort genügen. Der Dichter hat gut daran getan, die Begegnung zweier großer Herren nicht mit solchen Kleinigkeiten zu belasten. Doch das Recht der Gastfreundschaft ist vererbbar und auf Freunde übertragbar, die man seinem Gastfreund anempfiehlt, indem man ihm bestätigende Zeichen mitgibt. Xeinos patroios (Gastfreund vom Vater her) ist ein Wort, das fällt, wenn sich Kämpfer bei Homer gegenübertreten und als Gastfreunde erkennen. Es gibt Ausnahmesituationen. Die eine ist das Zusammentreffen mit Barbaren, die keine Regeln der Gastfreundschaft kennen.Wenn alle anderen Mittel versagen, versucht man unter Berufung auf die Götter, ob sie Angst vor deren Macht empfinden. So geht Odysseus vor, als er mit seinen Gefährten in die Höhle des wilden Kyklopen Polyphemos eingedrungen ist (Od. 9,269 ff.). Polyphem erweist sich sofort, als er die Fremden sieht, als einer, der keine Sittenregel kennt, indem er gleich fragt: Wer seid ihr? Odysseus stellt sich und seine Leute vor und unterstreicht seine Bitte mit den Worten: Doch scheue, bester Mann, die Götter. Schutzflehende sind wir, und Zeus xenios ist der rächende Beschützer der Schutzsuchenden und der Fremden, er, der den heilig zu achtenden Fremden beisteht. Der Menschenfresser erwidert darauf mit in griechischen Ohren lästerlichen Reden: Ein Narr bist du, Fremder, oder von weither bist du gekommen, dass du mich aufforderst, Götter zu fürchten oder zu achten. Wir Kyklopen kümmern uns um keinen Zeus und keine Götter, weil wir ja bei weitem die Stärkeren sind. Die Verachtung des heiligen Sittengebots (themis) charakterisiert den Unmenschen. In einer besonderen Situation befindet sich der Schutzflehende (hiketes) auch da, wo griechisches Gastrecht gilt. Denn ein einmal begründetes Gastfreundverhältnis geht für beide Seiten weit über den Anspruch auf Beherbergung hinaus. Es verpflichtet ganz allgemein zu freundschaftlichem Verhalten bei jeder Art von Begegnung. Sogar wenn sich Gastfreunde oder ihre Nachkommen im Krieg als Feinde gegenüber stehen, soll die Gastfreundschaft ihr Verhalten bestimmen. Leuchtendes Vorbild ist die IliasSzene (6,119 ff.), in der Homer den Griechen Diomedes und den Lykier Glaukos aufeinander treffen lässt. Diomedes fragt vor dem Kampf den ihm unbekannten Gegner, wer er sei, und Glaukos berichtet die Geschichte seiner edlen Vorfahren. Daraus erkennt Diomedes, dass ihre Großväter Gastfreunde waren. Er hat als Knabe das in der Familie gehütete Gastgeschenk des Bellerophontes, des Ahnherrn des Glaukos, mit eigenen Augen gesehen. Die beiden sind also Erbgastfreunde (xeinoi patroioi). Zum Zeichen der fortwährenden Freundschaft schlägt Diomedes vor, ihre Rüstungen zu

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tauschen. Sie steigen von den Streitwagen herab und reichen sich die Hände. Da wiederum nahm Zeus dem Glaukos die Besinnung, so dass er an den Tydeus-Sohn Diomedes seine Rüstung im Tausch hergab, die goldene gegen eine aus Bronze, hundert Rinder wert gegen eine im Wert von neunen. Es gehört zur Adelsethik, dass der ungleiche Wert der Gaben großzügig übersehen wird; nur der Dichter nimmt es aus der Sicht seiner anderen Gesellschaftschicht wahr. Dem Schutzflehenden, der sich nicht auf ein bestehendes Gastrechtsverhältnis berufen kann, kommt keine derartige Rücksicht zugute. Wenn er auf dem Schlachtfeld mit der üblichen Geste die Knie des Siegers umfasst, erfährt er keine Gnade. Als Menelaos bereit ist, dem Adrastos das Leben zu schenken, ruft Agamemnon ihn zur Ordnung und verbietet ihm die unangebrachte Weichheit. Der Gefangene wird getötet (Ilias 6,45 ff.). In der Ilias wird keiner von all den schutzflehenden Kämpfern erhört. Nur unbewaffnete Feinde werden zuweilen am Leben gelassen und als Sklaven verkauft (21,100 ff.). In der Odyssee (14,276 ff.) berichtet zwar Odysseus, er sei als Anführer eines Beutezugs gegen Ägypten nach verlorenem Kampf vom König begnadigt und vor den rachedurstigen Ägyptern in Schutz genommen worden: Aber jener hielt sie davon ab; er scheute den Zorn des Zeus xenios, der böse Taten aufs Schwerste verübelt. Doch die ganze Geschichte ist von Odysseus bloß erlogen. In der Schlacht macht der Sieger von seinem Willkürrecht rücksichtslos Gebrauch. Eine glückliche Aussicht hat der Schutzflehende erst, wenn er das Haus des um Hilfe Angegangenen betreten hat. Damit ist er Gast geworden und kann von nun an nicht mehr ohne Verletzung von Sitte und Götterwille abgewiesen werden. Der Platz am Hausherd, dem heiligsten Ort im Hause, gibt ihm höchste Sicherheit. Homers Ilias beginnt mit dem Götterzorn, ausgelöst durch Agamemnons unfreundliche Behandlung des Priesters Chryses, der vor ihm bittend erscheint, um seine gefangene Tochter loszukaufen. Der Anspruch des Bittstellers wird noch verstärkt durch seine Priesterwürde. Doch gegen den Rat aller anderen Griechenfürsten weist Agamemnon ihn mit schnöden Drohungen ab. Der aus dem Haus gejagte Apollonpriester bittet seinen Gott, die Griechen für seine Tränen büßen zu lassen. Der Heilgott Apollon sendet eine Seuche, welche zwar Agamemnon zum Nachgeben zwingt, aber ihn in Streit mit Achilleus bringt, mit dem das tausendfache Leid beginnt, das der Dichter in den ersten Versen als das Thema seines Gedichts angekündigt hat. Er beendet das Epos mit einer versöhnlichen Szene als vorbildliches Gegenstück richtigen Verhaltens: Achilleus achtet und erhört den unter göttlichem Schutz in sein Zelt gelangten Troerkönig Priamos. Er hebt den Knieenden mit eigener Hand auf, nimmt die Gaben, die er als Lösegeschenk mitbringt, an und gibt ihm den

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toten Sohn Hektor heraus. Er ehrt ihn mit den symbolischen Zeichen der Gastfreundschaft, indem er seine Pferde und Maultiere versorgen lässt, ihm einen Sitz anbietet, gemeinsam mit ihm isst und ihm samt seinem Gefolge das Nachtlager herzurichten befiehlt. Damit erfüllt er die Gebote des Zeus xenios. Homer vergleicht das erste Auftreten des Priamos vor Achilleus ausdrücklich mit dem Erscheinen eines Schutzflehenden im Hause (Ilias 24,480 ff.): Wie wenn schwere Schuld einen Mann geschlagen hat, der in seiner Heimat einen Menschen getötet hat und zu einem fremden Stamm entkommen ist ins Haus eines reichen Mannes, und erschrecktes Staunen erfasst alle, die ihn erblicken. Das sakrale Recht macht keinen Unterschied zwischen dem ungewollten Verursacher eines Todes und dem Mörder; beide sind schuldbefleckt und Träger eines Fluches, der sich ansteckend auf ihre Umgebung überträgt. Deshalb werden sie aus ihrer Gemeinschaft ausgestoßen und als Flüchtige überall gemieden. Gelingt es dem Fluchbeladenen dennoch, unter das Dach eines Hauses zu kommen, wird der Hausherr ihn rituell von der Befleckung reinigen und ihn als Gast aufnehmen. So ist auch Phoinix, flüchtig vor der Versuchung, zum Mörder seines ihm zürnenden Vaters zu werden, Hausgenosse des Peleus und Erzieher von dessen Sohn Achilleus geworden (Ilias 9,447 ff.). Das Haus ist Schutzzone. Während des Zuges der Sieben gegen Theben kommt Tydeus als Gesandter in den thebanischen Königspalast (Ilias 4,384 ff.). Gesandten und Herolden steht das Gastrecht in besonderem Maße zu. So teilt Tydeus dort als Tischgenosse die Mahlzeiten und in Wettkämpfen mit den edlen Thebanern bleibt er stets Sieger. Das ärgert die Unterlegenen; aber erst als er das Haus verlassen hat und den Heimweg antritt, fallen sie ihrer fünfzig aus dem Hinterhalt über ihn her. Ihn im Hause zu töten wäre ein noch viel verabscheuenswürdigeres Verbrechen gewesen. Iphitos, dem Odysseus im Palast der Orsilochos begegnet war (Odyssee 21,15 ff.), als sie beide in Verfolgung von Viehdiebstählen unterwegs waren, bekam es mit Herakles zu tun, der ihn als einen Gast im Hause totschlug und die geraubten Pferde behielt. Herakles traute der Mythos schreckliche Gewalttaten zu; aber Homer hebt doch eigens hervor, er habe mit dem Mord am Gast im eigenen Haus eine unerhört grausame Freveltat begangen, weder das strafende Auge der Götter achtend noch den Tisch, den er selber ihm zum Mahl vorgesetzt hatte. Proitos (Ilias 6,167 ff.) ist vorsichtiger. Obwohl er den verleumdeten Gast Bellerophon des Ehebruchs mit seiner Frau für schuldig hält, tötet er ihn nicht im Hause. Er schickt ihn mit einem Brief zu seinem Gastfreund ins ferne Lykien. Der Brief fordert den Empfänger auf, den Überbringer zu töten. Doch der Lykier bewirtet den Gast erst neun Tage lang, bevor er ihn nach seinem Auftrag fragt, und als er den ausgehändigten Brief gelesen hat,

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scheut er vor dem Mord im Hause zurück. Er schickt den Gast auf gefährliche Abenteuer, die Bellerophon alle übersteht, worauf der König von Lykien ihn zu seinem Schwiegersohn macht. Die Grundregel, die dem Fremden einen Gastrechtsanspruch von drei Tagen gewährt, wird bei Homer ständig überschritten. Seine Gastgeber rechnen es sich zur Ehre an, einen Gast über längere Zeit bei sich zu halten. Darin zeigt sich ebenso wie in der Zahl der im Haus aufbewahrten Gastgeschenke der Reichtum und das Ansehen des Gastherrn. Oineus hält Bellerophon zwanzig Tage bei sich zurück (Ilias 6,217), Menelaos bittet Telemachos, bis zum elften oder zwölften Tag zu bleiben (Odyssee 4,588), Aiolos bewirtet Odysseus einen ganzen Monat, um sich alles, was er wissen will, berichten zu lassen (Odyssee 10,14). Der Gastgeber darf nämlich vom weit gereisten Gast eine ausführliche Erzählung interessanter Begebenheiten als Gegenleistung erwarten. Eine Verlegenheit bereitet es, wenn sich ein Mittelloser einstellt. Zwar schützt Zeus xenios Fremde und Bettler (xeinoi te ptochoi te) in gleicher Weise (Odyssee 6,207 f.; 14,57 f.), doch unter Menschen wird mit unterschiedlichem Maß gemessen. Wie aber erkennt man, ob der Fremde ein durch widrige Umstände in Not geratener Edelmann ist oder bloß ein ganz gewöhnlicher Bettler? Es gehört dazu eine Unterscheidungsgabe, die auf innerer Wesensverwandtschaft beruht: Der Edle erkennt den Edlen. Der nackte Schiffbrüchige Odysseus (6,135 ff.) versetzt bei seinem Auftritt zwar die Mägde in Schrecken, die Königstochter Nausikaa jedoch erkennt seinen Rang (6,187): Fremder, weil du weder einem gemeinen noch einem geistesverwirrten Manne gleichst … Odysseus tut deshalb keine Fehlbitte, wird gekleidet und in den Palast geleitet. Auch der Sauhirt Eumaios (Homer nennt ihn göttergleich [dios], mit demselben Prädikat versehen wie Odysseus selbst) vermutet in Odysseus, als dieser sich in Lumpen gekleidet seiner Hütte nähert, einen Unglücklichen, den er nach der Bewirtung bittet, ihm zu sagen, woher er komme und welche Kümmernisse er erlitten habe (14,47). Als Gegenstück zu dem edelgesinnten armen Gastgeber Eumaios zeichnet Homer den vornehmen Junker Antinoos, einen überheblichen Verächter guter Sitte, der im Hause des Odysseus schmarotzt (17,414 ff.). Der durchschaut zwar, anders als der lautere Eumaios, die Lügengeschichte von dem gescheiterten Beutezug gegen Ägypten, der nach Vorgabe des Erzählers Odysseus mit der Versklavung des jetzt hier als Bettler dastehenden Anführers geendet habe. Er verkennt aber die wahre Situation, beschimpft Odysseus und wirft ihm einen Schemel an den Kopf. Als der so Beleidigte den Antinoos auf die Rache der die Fremden beschützenden Götter hinzuweisen wagt und einen Fluch ausspricht, werden sogar die Genossen des Antinoos bestürzt und tadeln den Bruch der

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Sitte (17,481 ff.): Antinoos, das war nicht gut, auf den armen Herumstreicher zu werfen! Unseliger, wie, wenn er vielleicht gar ein Überirdischer ist? Auch Götter wandern, von fernher kommenden Fremden gleichend, in vielerlei Gestalt durch die Städte um Aufsicht zu führen über Frevelmut und Wohlverhalten der Menschen. Das wechselseitige Verhalten von Gastfreunden außerhalb des häuslichen Bereichs unterliegt keinen festen Regeln, es ist die Nachwirkung des in einem Hause geschlossenen Bundes. Doch man erweist einander hilfreiche Dienste und Gefälligkeiten jeder Art. Glaukos macht es Hektor zum Vorwurf, dass er die Leiche des Gastfreundes Sarpedon nicht aus dem Schlachtgetümmel geborgen habe (Ilias 17,150 f.). Der Gastfreund Eetion kauft den in Sklaverei geratenen Priamos-Sohn Lykaon frei (Ilias 21,42 ff.). Das mit der Gastfreundschaft bei Homer verbundene Zeremoniell schildert der Dichter am ausführlichsten anlässlich der Ankunft des Odysseus am Hofe des Phaiakenkönigs Alkinoos. Der Schutzflehende naht sich dem thronenden Königspaar, umschlingt bittend die Knie der Königin, spricht Segenswünsche für den König, dessen Haus und Volk, und lässt sich dann am Herd, der geheiligten Stätte, nieder. Da Alkinoos kein absoluter Monarch und das Aufnahmegesuch eine Angelegenheit ist, die das Volk betrifft, ergreift nicht er, sondern der älteste seiner Ritter das Wort und tritt für die Aufnahme des Gastes ein. Daraufhin begrüßt Alkinoos den Gast, indem er ihn bei der Hand fasst und ihn zu einem silbernen Sessel hinführt. Es wird ihm das Wasser zum Waschen der Hände gereicht, dann wird er mit Speise und Trank bewirtet. Gemeinsam bringen alle dem Zeus xenios ein Trankopfer dar. An sich wäre jetzt die Erkundigung nach Namen und Herkunft des Fremden zu erwarten. Anders als der Barbar Polyphem, der als Erstes sofort mit dieser Frage unhöflich vorprescht, wahrt der Phaiakenkönig ein Übermaß an taktvoller Zurückhaltung bis zum andern Tag. Nur die Königin, die sieht, dass der Fremde Kleider trägt, die ihm ihre Tochter Nausikaa geschenkt hatte, stellt die Frage, wer er sei, woher er komme und wer ihm die Kleider gegeben habe. Die beiden letzten Fragen beantwortet der Fremde, und es beginnt ein langes Gespräch, so dass die erste Frage, als man müde zum Schlafen geht, noch offen bleibt. Am folgenden Tag wird zu Ehren des Gastes ein großes Fest gefeiert mit Opfern, sportlichen Wettkämpfen und als Höhepunkt den Vorträgen des Sängers Demodokos, der auch die griechischen Helden vor Troia besingt. Beim Anhören der schweren Leiden, an denen er selbst mit teilhatte, kann Odysseus seine Tränen nicht zurückhalten, und jetzt ist es das Mitleid, das den König Alkinoos bewegt, zartfühlend die Frage zu stellen. Er gebietet dem Sänger, einzuhalten (8,542): damit wir alle in gleicher Weise uns freuen, nicht allein der Gastgeber, sondern auch der Gast. So entsteht der schöne-

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re Einklang. Denn des Gastes, des zu ehrenden, wegen ist all das aufgeboten, das Geleit in die Heimat und die Freundesgaben, die wir ihm gerne schenken. Wert wie ein Bruder ist der Gast und der Schutzflehende für einen Menschen, wenn er auch nur im Geringsten ein fühlendes Herz hat. Darum verhehle mir auch du nicht länger mit vorsichtiger Schlauheit, was ich dich frage. Ein Missklang käme in unser Fest, wenn du nicht redest. Sag, mit welchem Namen nannten dich in der Heimat Vater und Mutter und die Bewohner deiner Stadt und des Landes ringsum? Jetzt gibt der Fremde sein Geheimnis preis: Er ist Odysseus. Es folgt, vom Dichter durch das Hinausschieben der Enthüllung bewusst aufgespart, die mit Spannung erwartete Erzählung des Gastes von seinen Irrfahrten. Das ist sein Beitrag, den die Gastgeber erwarten, und sein Dank. Am Tag des Abschieds wird dem Zeus xenios geopfert, ein Mahl gefeiert mit Segenswünschen des Odysseus für die Gastgeber, die ihn mit reichen Gastgeschenken zu Schiff nach Ithaka bringen.

III. Griechisch-römische Gastfreundschaft in historischer Zeit 1. Private Gäste und Gastgeber Theoretische Grundzüge Sowohl in Griechenland wie, seit Rom im 3. Jahrhundert v. Chr. sich verstärkt der griechischen Kultur geöffnet hat, im römischen Imperium orientiert man sich an den aus Homer bekannten Normen. Noch im 4. Jahrhundert n. Chr. zitiert der Kaiser Julian Homer und fordert seine heidnischen Anhänger auf, sich nach dessen Vorbild zu richten und damit der christlichen Wohltätigkeit etwas Ebenbürtiges entgegen zu setzen.13 Schon Hesiod, neben Homer der früheste griechische Dichter, stellt denjenigen, der einen Schutzflehenden oder einen Fremden übel behandelt, auf dieselbe Stufe wie den, der sich durch Raub und Betrug bereichert, der das Weib seines Bruders schändet, Waisen übervorteilt, den alten Vater beschimpft (Erga 327 ff.). Im klassischen Athen versetzt der Komödiendichter Aristophanes den, der sich gegen den Gast vergeht, an die erste Stelle unter den Verdammten, die auf dem Weg zur Hölle in Sumpf und Kot stehen, noch vor den Kinderschändern, die die Missbrauchten um den versprochenen Lohn betrügen, vor denen, die ihre Mutter verdreschen und den Vater ins Gesicht schlagen, und vor den Meineidigen (Frösche 147). Die Gastfreundlichkeit ist ein Kennzeichen, an dem man den zivilisierten Menschen erkennt und misst. Sie wird zu einem Hauptthema der Sozialethik. Die Stoiker definieren sie als die Kunst des Umgangs mit Gästen, und als solche stellt sie der Christ Klemens von Alexandria unter den Oberbegriff der Agape, der Nächstenliebe. Besondere Aufmerksamkeit widmet ihr die Schule des Aristoteles: Gastfreundlichkeit gehört ebenso wie die Liebe zum Schönen zu den begleitenden Tugenden des freigesinnten Menschen, den seine Liberalität (Eleutheriótes) vor aller Kleinlichkeit bewahrt (Ps. Aristot. peri areton 1250 b 34). In die Gedankenwelt der philosophischen Erbauungstraktate hellenistischer Zeit gehört auch ein dem Charondas, einem sizilischen Gesetzgeber aus früher Zeit, zugeschriebene Vorschrift: jeden Fremden, der in seiner Heimat geachtet ist, auch den eigenen Bräuchen des Gastlandes entsprechend mit freundlichen Segenswünschen und wie zum Hause gehörig aufzunehmen und wieder zu verabschieden im Gedanken an Zeus xenios, der bei allen als ein gemeinsamer Gott wohnt und ein Wächter ist über Fremdenfreundlichkeit und Fremdenhass (Stobaios 4,2 p. 151). Wie es der Ordnung nach beim Empfang in der Praxis zuzuge-

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hen hat, darüber macht sich bei Plautus (Bacch. 183–188) der Sklave Chrysalus lustig; um dem Bekannten lange Reden zu ersparen, spielt er das Ganze als Monolog ab: Du freust dich über mein Kommen. Ich glaub es dir. Du versprichst gastliche Aufnahme und ein Abendessen, wie es sich gehört, wenn jemand aus fernem Land anreist. Ich sage mein Kommen zu und richte dir einen herzlichen Gruß von deinem Freund aus. Du fragst mich, wo der sei. Ich: Er lebt. Du: Es geht ihm gewiss gut? Und jetzt die überraschende Pointe: Genau das wollte ich dich fragen. Griechischen Lehren der Stoiker und der Aristoteliker schließt sich der Römer Cicero an. Ungastlichkeit definiert er (Tusc. 4,27) als eine die Vernunft überwältigende, tief eingewurzelte und verhärtete falsche Vorstellung, dass man den Kontakt mit einem Fremden unbedingt vermeiden müsse. Ein Mann, der in der Gesellschaft Anerkennung finden will, ist zu entsprechender Repräsentation verpflichtet, freilich so, dass nicht das Haus, das er bauen lässt, den Besitzer ehrt, sondern der Herr das Haus: Er soll nicht an seine persönlichen Bedürfnisse denken, sondern an die anderer, das heißt, dass man für Geräumigkeit sorgen muss im Hause eines vornehmen Mannes, wo viele Gäste aufzunehmen sind und eine Menge von Personen jeglicher Art Zutritt finden soll (off. 1,139). Ausdrücklich auf den Aristoteles-Schüler Theophrast beruft er sich, wenn er der Gastfreundschaft hohe politische Bedeutung beimisst: Mit Recht hat Theophrast die Gastfreundschaft gerühmt. Es bringt hohe Ehre, meine ich, wenn die Häuser vornehmer Persönlichkeiten vornehmen Gästen offen stehen. Es hebt auch das Ansehen des Staates, wenn Fremde in unserer Stadt auf ein solches Entgegenkommen zählen dürfen. Für jemanden, der mit ehrbaren Mitteln politischen Einfluss zu gewinnen wünscht, ist es von unschätzbarem Wert, durch seine Gastfreunde in auswärtigen Staaten Einfluss und Beziehungen zu haben. Theophrast schreibt, Kimon habe in Athen sich auch gegenüber den Bürgern seines Stimmbezirks gastfrei gezeigt. Er habe angeordnet und den Verwaltern seiner Güter eingeschärft, jedem Lakiaden, der in einem seiner Landhäuser einkehre, solle alles geboten werden (off. 2,64).

Gastfreundschaft der Reichen Als der Syrakusaner Chromios bei dem Dichter Pindar das Festlied zur Feier seines Sieges in den Nemeischen Spielen bestellt hatte, sang der Dichter (Nem. 1,19–24): Ich stehe am Tor zur Halle eines gastfreundlichen Mannes, ein wohlklingendes Lied singend. Dort ist mir die Tafel geschmückt zu einem dem festlichen Anlass gemäßen Mahl. Die Gemächer sind wohlvertraut damit, oft fremde Gäste zu empfangen. Dann lässt er

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III. Griechisch-römische Gastfreundschaft

den Auftraggeber sprechen (31–33): Ich bin nicht darauf erpicht, großen Reichtum im Haus zu besitzen und ihn versteckt zu halten, sondern es mir mit dem, was ich habe, gut gehen zu lassen und mir einen guten Namen zu machen, großzügig gegenüber Freunden. Denn Hand in Hand gehen die Erwartungen der vielgeplagten Menschen. Zu einem reichen und angesehenen Mann gehört ganz selbstverständlich ein gastfreies Haus. Sokrates führt bei Xenophon (Oikonomikos 2,5) die Standespflichten eines reichen Mannes in der Reihenfolge ihres Gewichtes an: Auf die an erster Stelle stehenden reichlichen Opfer für die Götter folgt sogleich die splendide Gastfreundschaft für viele Gäste. Sie steht noch vor den Leistungen für den Staat (Leiturgiai) und die Mitbürger. Das Ansehen, das ein Mann in der Öffentlichkeit genießt, hängt nicht zuletzt ab von der Zahl seiner Gastfreunde. Durch sie dringt sein Ruf über die Grenzen seiner Heimatstadt hinaus in die ganze Welt, überall dorthin, woher seine Besucher kommen. Freilich sind diese, dem Gegenseitigkeitsprinzip in der Gastfreundschaft zufolge, in aller Regel seine Standesgenossen. Von einer seltenen Ausnahme berichtet Herodot (6,127): Der Tyrann Kleisthenes von Sikyon wünschte sich den edelsten aller Griechen zum Schwiegersohn und lud alle Bewerber um die Tochter Agariste an seinen Hof. Unter ihnen befand sich Laphanes aus der Stadt Paion, von dessen Ahnherrn Euphorion man sich in der Heimat Arkadien erzählte, er habe einst die Dioskuren, die Zeus-Söhne Kastor und Pollux, in seinem Haus zu Gast gehabt und habe von da an alle Menschen gastlich bei sich aufgenommen. Euphorion bleibt aber dabei ein Xenodókos, ein Reicher, der unentgeltlich Gastfreundschaft gewährt, keineswegs gleichzusetzen mit einem Pandokeús, dem Wirt, der zwar jedermann, aber nur gegen Bezahlung, aufnimmt. Euphorion beweist eine Großzügigkeit, die sich sonst selbst der Allerreichste nicht leisten kann, und es ist das unüberbietbare und kaum vorstellbare Höchstmaß, wenn jemand in dieser Weise alle gastfrei hält. Neben der Anzahl ist für das Prestige vor allem der Rang der Beherbergten wichtig. Im gesellschaftskritischen Roman des Petronius (Sat. 77,5) prahlt der eitle Freigelassene und Parvenu Trimalchio mit der Pracht seines Palastes. Unter den aufgezählten Räumen ist das Prunkstück der Gästetrakt, er bietet Platz für hundert Gäste. Und überhaupt, wenn Scaurus hierher gekommen ist, hat der nirgendwo lieber zu Gast sein wollen, und hat doch in Strandnähe eine vom Vater her begründete Gastfreundschaft. Dass es ihm gelungen ist, den mit der Familie des vornehmen Herrn aus Rom bisher verbundenen Gastfreund auszustechen, und Scaurus es vorgezogen hat, Gast Trimalchios zu sein, darauf ist dieser mächtig stolz. Denn die höchst unschickliche und kränkende Hintansetzung eines alten Gastfreunds durch Scaurus ist ihm ein Beweis seines eigenen sozialen Aufstiegs.

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Die in sagenhafter Vorzeit liegende Gastfreundschaft eines Euphorion und die der homerischen Adeligen wird in den demokratischen Staaten von den politisch und gesellschaftlich führenden Familien als unverzichtbare Tradition weiter gepflegt. Ganz in diesem Sinne schreibt der athenische Gesetzgeber und Dichter Solon, und der athenische Aristokrat und Philosoph Platon zitiert wörtlich seine Verse (Lysis 212 E), wo es um die Gegenseitigkeit in der Freundesbeziehung geht: Glücklich, wer liebe Kinder um sich hat und einhufige Pferde und Hunde zur Jagd und einen Gast aus der Fremde. In seinem Dialog Protagoras lässt Platon das Gespräch stattfinden im Haus des Kallias, wo der berühmte Sophist aus Abdera gleichzeitig mit anderen berühmten Philosophen wie Hippias aus Elis und Prodikos von Kos während ihres Aufenthalts in Athen Wohnung gefunden hatte und wo sich nun die gesamte lernbegierige Gesellschaft der Stadt zusammenfand. Kallias, der Stiefsohn des Perikles, war der reichste Mann Athens, von den Komödiendichtern Aristophanes und Eupolis verspottet als Verschwender, von Gelehrten und Künstlern hochverehrt als Mäzen. Jeder Winkel des Hauses, bemerkt Platon (315 D), war für die Gäste in Anspruch genommen: Prodikos hielt sich in einer Kammer auf, die vorher Hipponikos (der Vater des Kallias) als Vorratsraum benutzt hatte. Jetzt aber hatte Kallias der Menge der einkehrenden Fremden wegen auch diese ausräumen lassen und zur Unterbringung seiner Gäste hergerichtet. Auch der Sokrates-Jünger Xenophon wählt das Stadthaus des Kallias zum Schauplatz seines „Symposion“. Wenn man den Zeugnissen der Späteren glaubt, war allerdings Kallias am Ende seines Lebens finanziell völlig ruiniert. Er und die es ihm gleichtuenden Reichen begünstigten das Aufkommen der „Parasiten“, einer Klasse von Leuten, die ganz davon lebten, von ihnen eingeladen zu werden und sich an ihrem Tisch satt zu essen. Der Parasit wird alsbald zu einer Typenfigur in den Komödien, mit denen er als beliebte Lachnummer von Athen nach Rom wanderte und in den Stücken des Plautus und Terenz das Publikum erheiterte. Im Gegensatz zu dem Brauch, dass unter Gleichgestellten jeder Teilnehmer zum gemeinsamen Mahl einen eigenen Beitrag (Symbolé) mitbringt, benimmt sich der Parasit as´ymbolos, er hat außer seinen Witzen nichts zu bieten und wird freigehalten. Heißhungrig und immer durstig muss er sich jedoch zuvor mit Bitten und Schmeicheleien die Einladung auf der Straße erbetteln und wird oft enttäuscht, was er wiederum mit übersteigerten Verwünschungen quittiert. Der Komödiendichter Diphilos (Frg. 73,7) gibt die Einstellung des Parasiten treffend wieder mit der Parodie einer Stelle, die angeblich aus einer Tragödie des Euripides stammt: Euripides liebte die Parasiten, spricht er doch: Denn ein Mann, der alles zum Leben hat und nicht mindestens drei

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III. Griechisch-römische Gastfreundschaft

Parasiten freihält, der sei verdammt, Heimkehr in seine Vaterstadt bleib ewig ihm versagt. Das Gegenstück zum Parasiten, der Prahler (Alazón), erscheint zwar in den uns überlieferten Komödien nicht in der vorgespiegelten Rolle des vornehmen Gastgebers, doch kennt sehr wohl die Prosaliteratur eine dieser Figuren. In seinen „Charakterbildern“ beschließt der aristotelische Philosoph Theophrast die Schilderung des Alazon mit der Pointe (23,9): Er wohnt in einem Miethaus, behauptet aber gegenüber allen, die seine Verhältnisse nicht kennen, es sei das Haus seiner Väter. Nur habe er die Absicht, es zu verkaufen, denn für seine vielen Gäste erweise es sich längst als viel zu klein. Eine ausführlich erzählte Szene bietet – aus unbekannter griechischer Quelle ins Lateinische übertragen – die so genannte Rhetorik an Herennius (4,50,63 f.): Zufällig kommen Gastfreunde daher, die der Mann früher einmal, als er in der Fremde großspurig aufgetreten war, eingeladen hatte. Natürlich gerät er in nicht geringe Verlegenheit, aber er bleibt seiner Natur treu. Oh, wunderschön, dass ihr kommt, sagt er, aber ihr hättet noch besser getan, hättet ihr mich gleich in meinem Stadtpalais aufgesucht. – Das hätten wir schon getan, antworten sie, wenn wir bloß gewusst hätten, wo es denn steht. – Ist doch ganz leicht zu finden, von jedem Stadttor her. Aber kommt nur gleich mit mir. – Unterwegs flunkert er ihnen alles Mögliche vor, erkundigt sich, wie bei ihnen die Ernte auf den Feldern stehe. Er könne leider nicht aufs Land fahren, denn sein Landhaus sei abgebrannt und er wage sich noch nicht an den Neubau. Doch auf dem Gut in Tusculum, da habe er sich blindlings in das Abenteuer gestürzt und angefangen, es auf den alten Grundmauern wieder zu erstellen. Unter solchen Reden kommen sie zu einem Haus, in dem man gerade Vorbereitungen trifft für eine Vereinsfeier an diesem Abend. Da er mit dem Hausherrn bekannt ist, lässt man ihn mit seinen Begleitern ein. – Hier wohne ich, sagt er zu ihnen, inspiziert das aufgestellte Tafelsilber, die Decken auf den Polstern und spricht herablassend seine Zufriedenheit aus. Auf einmal eilt ein junger Diener herbei und fragt ihn laut und vernehmlich, ob er jetzt gehen wolle, der Herr werde gleich hier sein. – Ach so, gibt er zur Antwort. Nun, meine Freunde, wir wollen uns verabschieden. Mein Bruder ist eben von seinem Falernergut angereist, ich möchte ihn begrüßen gehen. Aber kommt, bitte, heute abend zum Essen, um fünf. – Die so Eingeladenen entfernen sich. Der Prahler macht sich schnell aus dem Staube in seine Mietwohnung. Um fünf erscheinen, wie abgemacht, die fremden Gäste, sie fragen nach ihrem Bekannten. Bald merken sie, wem das Haus wirklich gehört. Sie ernten Gelächter und Spott und müssen im Wirtshaus ein Nachtquartier suchen. Anderntags begegnet ihnen der Mensch auf der Straße. Sie berichten, was geschehen, stellen ihn zur Rede, machen ihm

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Vorwürfe. Er aber behauptet, sie hätten sich wohl an einer ähnlichen Straßenkreuzung geirrt und seien um eine ganze Gasse zu weit gegangen. (Die Straßen antiker Städte waren nicht ausgeschildert und die Häuser trugen keine Nummern. Das machte einem Ortsfremden die Orientierung schwierig. Auch im Roman des Petronius [Satyricon 6,7 und 79,1–7] findet Encolpius das Gasthaus nur schwer wieder, in dem er sich einquartiert hat.) Er habe seinerseits bis spät in die Nacht hinein gewartet, obwohl ihm doch der Arzt jede Anstrengung verboten habe. Inzwischen hatte er seinen Sklaven herumgeschickt, er solle auf Pump Geschirr, Decken und ein paar Leute zur Bedienung organisieren. Der nicht ungeschickte Diener hatte es mit viel schönen Worten tatsächlich fertig gebracht. Jetzt führte er die Gastfreunde in seine Wohnung. Das große Palais, sagt er, habe ich einem guten Bekannten zur Verfügung gestellt für seine Hochzeitsfeier. Plötzlich platzt der Sklave herein mit der Nachricht, das Tafelsilber werde zurückverlangt. Dem Verleiher waren einige Zweifel aufgestiegen. – Unverschämtheit, ruft der Mensch, das Palais habe ich ihm überlassen, die ganze Dienerschaft, jetzt will er auch noch das Silber! Doch meinetwegen, obwohl ich Gäste habe, er soll’s nehmen. Wir können es uns auch mit einfachem Tongeschirr gemütlich machen. Während in der Komödie der Parasit zur Figur eines Hanswurst gestempelt ist, malt die Tragödie den freundlichen Gastgeber in den leuchtendsten Farben als Vorbild. In der ›Alkestis‹ des Euripides tut der thessalische Fürst Admetos das Äußerste, um von seinem Gastfreund Herakles alles fern zu halten, was ihn betrüben könnte. Herakles sieht das Haus in tiefer Trauer und will anderswo Unterkunft suchen, doch Admet nötigt ihn zu bleiben und verheimlicht ihm, dass es seine eigene Gattin Alkestis ist, deren Tod man beweint. Der Gast soll unbekümmert Speise und Trank genießen, kein Laut der Totenklage darf zu den Gästezimmern dringen. Dem sich über sein Verhalten wundernden Chor entgegnet Admet: Mein Unglück wäre um nichts geringer, ich aber wäre ein schlechter Gastgeber. Zu allem Übel käme noch das andere hinzu, dass mein Haus in den Ruf der Ungastlichkeit geriete. Ich dagegen fände in diesem Mann hier den besten Gastfreund, wenn ich je einmal in das dürstende Land Argos zu ihm (Herakles) käme. Und als der Chor ihn fragt, warum er denn einem nach seinen eigenen Worten so vortrefflichen Freund den Schicksalsschlag verheimliche, rechtfertigt er sich: Niemals hätte er das Haus betreten wollen, hätte er etwas von meinem Leid erahnt. Es ist nicht die Art meines Hauses, Gastfreunde zu verscheuchen und ihnen die Ehre zu verweigern. Als Herakles dann wieder die Bühne betritt, vom Wein angeheitert und festlich bekränzt, den vergrämten Diener tadelt und von ihm die Wahrheit erfährt, ist er erschüttert von so viel Edelmut und dem Gast erwiesener Rücksicht. Er,

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III. Griechisch-römische Gastfreundschaft

der unbesiegte Sohn des Zeus, eilt dem Leichenzug nach und nimmt dem Tod seine Beute ab; die wieder ins Leben zurückgeholte Alkestis ist sein Gastgeschenk an Admet. Auch in der Alltagswelt der Komödie geht das, was der Gastgeber seinem Gast zuliebe tut, gelegentlich weit über das Maß hinaus. Der Hausherr Periplectomenus im ›Miles gloriosus‹ (Der Maulheld) des Plautus bricht die Trennwand zum Nachbarhaus durch, damit sein Gast, der junge Athener Pleusicles, heimlich mit seinem vom Nachbarn, dem Titelhelden, aus Athen entführten Mädchen zusammenkommen kann. Die Handlung der Verwechslungskomödie lebt davon, dass die Personen über das Mauerloch unbemerkt den Ort wechseln. Der Gastgeber begeht mit dem Durchbrechen der Mauer (Toichorychia) eine Straftat, die das attische Recht ausdrücklich mit Todesstrafe bedroht. Doch als der Gast seine Befürchtung ausspricht, damit die Großzügigkeit des Hausherrn überfordert zu haben, bekommt er die folgenden Lehren über Gastfreundschaft zu hören (672–677): Du bist ein Tor! Was man an Kosten hat für ein böses Weib oder für einen Feind, das sind echte Kosten. Aber was man für einen rechten Gast, für einen Freund aufwendet, das ist Gewinn, und ebenso, was man an Kosten für den Dienst der Götter aufwendet, ist für den verständigen Mann ein Nutzen. Dank der Macht der Götter habe ich genug, um dich bei mir als einen Gastfreund anständig aufzunehmen. Iss, trink, gönne dir mit mir das Vergnügen und füll dir dein Herz mit Freude! Doch der Gast Pleusicles kennt die üblichen Gegenargumente (740–747): Es ist mir wirklich schon beinah zu viel, was ich dir an Aufwand zugemutet habe. Denn kein Gast kann bei einem noch so guten Freund einkehren, dass er nicht, wenn er drei Tage lang geblieben ist, allmählich unerwünscht würde. Ist er aber erst einmal zehn Tage lang geblieben, dann ist’s eine ganze Ilias von Konflikten. Und wenn selbst der Hausherr nichts dagegen hat, so murren doch die Sklaven. Der römische Architekt Vitruv geht in seiner Beschreibung eines griechischen, vom römischen Atriumhaus sich unterscheidenden großen Stadthauses auf die Unterbringung der Gastfreunde ein (6,7,4): Links und rechts vom Peristyl, dem großen Männersaal, werden kleine Behausungen gebaut mit eigenen Eingangstüren, bequemen Speise- und Schlafräumen, damit die ankommenden Gäste nicht in den Peristylen, sondern in diesen Gastwohnungen untergebracht werden. Denn sobald die Griechen von feinerer Lebensart und reich genug waren, pflegten sie für eintreffende Gäste Speise- und Schlafzimmer einzurichten, sowie Kammern mit Vorrat, und am ersten Tage pflegten sie sie zur Tafel zu laden, am folgenden schickten sie ihnen Geflügel, Eier, Gemüse, Obst und sonstige Erzeugnisse des Landbaus auf ihre Zimmer. Darum nannten die Maler, wenn sie das, was man

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den Gästen überbringen ließ, in ihren Stillleben malten, Xénia (Gastgeschenke). Auf diese Weise fühlten sich die Herrschaften im gastlichen Hause nicht wie Fremde, weil sie in diesen Gastwohnungen die Freigebigkeit des Gastgebers genossen, aber doch für sich bleiben konnten.

Arme als Gastgeber In der Literatur ist die von Armen geübte Gastlichkeit ein beliebter Gegenstand, gerade weil sie selten und besonders rühmenswert erscheint und überall in der Welt die Herzen rührt. Homers gastfreundlicher Sauhirt Eumaios hat zahlreiche Nachfolger, Menschen, die mit dem Wenigen, was sie haben, andern ihre selbstlose Menschenliebe schenken. Wie bei Homer belohnt sie oft das Schicksal damit, dass sie ohne es zu wissen einen besonders ausgezeichneten Gast bewirten und in Verbindung mit dessen berühmtem Namen ins Gedächtnis der Nachwelt eingehen. Der alexandrinische Dichter Kallimachos hat zwei solche Gestalten durch seine Verse unsterblich gemacht. Molorchos, ein Hirt von Kleonai bei Nemea, arm an Besitz, aber reich an Herzenswärme, will für Herakles, der vor dem Kampf mit dem Nemeischen Löwen bei ihm einkehrt, seinen einzigen Widder opfern (Aitia frg. 54–59). Herakles bittet ihn, das Opfer erst nach dem Ausgang des Abenteuers darzubringen, sei es nach seiner Rückkehr als Dank für den Sieg oder zum Totengedenken. Das hochbetagte Mütterchen Hekale, das vor keinem Wanderer sein Holzhäuschen verschlossen hält, macht Kallimachos zur Titelheldin eines Kleinepos (frg. 230–377). Hekale, die arm ist, doch einmal bessere Tage gesehen hat, nimmt einen vom Gewitterregen durchnässten, frierenden Jüngling unter ihr Dach auf, wäscht ihm die Füße mit warmem Wasser, teilt mit ihm ihr kärgliches Mahl, bereitet ihm dann ein einfaches Nachtlager und zieht sich selber zum Schlaf in einen hinteren Winkel zurück. Der junge Mann ist der Königssohn Theseus, der zum Kampf mit dem Marathonischen Stier ausgezogen ist. Als Theseus nach dem Sieg zurückkehrt, um sich zu erkennen zu geben und zu bedanken, ist die gute Alte gestorben. Er kann nur noch dafür sorgen, dass das Andenken an sie und ihre gastfreundliche Hütte nie mehr vergessen wird. Manche Züge der kallimacheischen Dichtung klingen noch in Ovids Erzählung von Philemon und Baukis nach (Metamorphosen 8,618–724). Die unerkannten Gäste dieses greisen Ehepaars erweisen sich als die Götter Juppiter und Merkur, die auf Erden wandeln, um die Herzen der Menschen zu prüfen. Tausend Hartherzige haben sie gefunden, bis die beiden Alten ihnen ein freundliches Obdach in ihrer strohgedeckten Hütte und

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eine schlichte, mit liebevoller Sorgfalt zubereitete Mahlzeit anbieten. Ein Wunder offenbart die überirdische Herkunft der am wackligen Tische die einfachen Speisen genießenden Fremden: Die Holzbecher, aus denen man trinkt, werden nie leer. Die erschrockenen Gastgeber werden von den Göttern beruhigt, und zum Lohn werden sie von der strafenden Sintflut verschont, welche die Ungastlichen in der Ebene austilgt. Die Hütte verwandelt sich in einen Tempel. Nachdem die Götter ihren Wirten auch noch einen Wunsch freistellen, erbitten sich die beiden Alten, gemeinsam in diesem Tempel den Göttern bis an ihr Lebensende dienen und gemeinsam sterben zu dürfen. Am Ende eines glücklichen Zusammenlebens werden die zwei Gerechten in nebeneinander stehende heilige Bäume verwandelt. Sie sind Gastfreunde der Götter geworden und erfahren die Gegenseitigkeit: Die Freunde der Götter sollen Götter sein und die, die sie geehrt haben, sollen geehrt werden. In dieser Metamorphosen-Geschichte ist die Gastlichkeit der Armen verbunden mit dem weit verbreiteten Wandermotiv von der Einkehr eines Gottes bei den Sterblichen. Ovid hat sich eine solche Theoxenie noch zweimal zum Thema gewählt in seinen ›Fasti‹ (Stiftungssagen der Feste des römischen Kalenders). Auf der Suche nach ihrer entführten Tochter Proserpina begegnet die Göttin Ceres in Eleusis dem Keleus, der gerade aus dem Wald mit gesammelten Beeren und einem Bündel Brennholz auf dem Rücken zu seiner Hütte unterwegs ist. Sein ihn begleitendes Töchterchen spricht die am Wegesrand rastende Ceres an, und der Vater lädt sie freundlich ein, ihm in sein kleines Häuschen zu folgen. Als die Göttin, verwandelt in die Gestalt einer abgehärmten Mutter, ihre Ablehnung begründet mit der Trauer um die geraubte Tochter, weinen der alte Mann und das Mädchen mit ihr, und Keleus nutzt geschickt die Gelegenheit, sie umzustimmen mit den Worten: So wahr dir die Tochter, deren Verlust du beklagst, gerettet sei, steh auf und verschmähe nicht das Dach meiner armen Hütte. Ceres geht also mit, rührt zwar die angebotenen Speisen, gestockte Ziegenmilch, Honig und Obst, nicht an, erweist sich aber dankbar. Sie pflegt Triptolemos, den kranken Sohn der Wirtsleute, und verleiht ihm die Gabe, als Erster der Menschheit den Segen des Ackerbaus zu überbringen (4,507–562). Die andere Erzählung berichtet von dem alten Hyrieus, der ein winziges Stück Land sein Eigen nannte. Als er abends vor seinem Häuschen stand, sah er drei Wanderer und redete sie an: Der Weg ist noch weit und es bleibt nicht mehr lange hell. Meine Tür steht für Fremde immer offen. Als er das Angebot wiederholte, traten die drei ein, ohne sich als Juppiter, Neptun und Merkur erkennen zu geben. Hyrieus macht das Feuer an, wärmt Bohnen und Gemüse auf und reicht den Wein zur Begrüßung. Da

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verplappert sich Neptun, der den reihum gehenden Becher als Erster geleert hat, mit dem Ausruf: Und jetzt ist die Reihe zu trinken an Juppiter. Nun weiß der erschrockene Alte, wer seine Gäste sind. Er schlachtet seinen einzigen Stier zum Festbraten, holt seinen besten Wein und richtet das Lager für das Mahl, indem er über dem ausgebreiteten Flussschilf ein Tuch ausbreitet, auf dem die Gäste liegend Platz nehmen. Zum Dank sagen sie ihm die Erfüllung eines Wunsches zu. Der alte kinderlose Witwer wünscht sich einen Sohn, den die Götter ohne eine Mutter durch Zauber erschaffen. Die motivische Verbindung der Gastfreundlichkeit der Armen mit der Einkehr von Göttern oder Heroen gehört der Sphäre des Mythos an und ist spezifisch ein Gegenstand der Poesie. Realer ist die Gastfreundschaft der Reichen, doch auch sie ist, wie das Beispiel der euripideischen Alkestis zeigt, der poetischen Überhöhung fähig. Der Dichter, dessen Urbild, der Rhapsode Homer, von Hof zu Hof zieht und mit seinen Gesängen fürstliche Zuhörer im Herzen rühren will, findet in der Gastlichkeit einen dazu hervorragend geeigneten Stoff. Er ist ja selber als Künstler zu Gast und es gilt für ihn das geflügelte Wort: Von selbst ziehen die Guten zu den Tischen der Guten (das heißt der Fürsten).

Symbolon, ´ das Erkennungszeichen Wie zu Homers Zeiten gilt das einmal begründete Verhältnis der Gastfreunde auf Dauer und ist übertragbar auf die andern Familienmitglieder und auf Freunde, die von den Partnern aneinander empfohlen werden. Bei dem vergrößerten Personenkreis werden die Erkennungszeichen, griechisch symbola, lateinisch tesserae hospitales, immer wichtiger. Mit ihnen weist sich der Ankommende, wenn er dem Gastgeber noch nicht von früher her bekannt ist, als berechtigter Gastfreund aus. Die primitive Form des auseinander gebrochenen Knöchelches, von dem jeder Partner eine Hälfte bei sich behält, so dass, wenn die Teile wieder aneinander gefügt werden, das Zusammenpassen als Beweis dient, diese Urform des Symbolon wird mehr und mehr durch gefälligere Stücke ersetzt: Marken, die das gleiche Zeichen tragen, aus dauerhaftem Material, zum Beispiel Elfenbein, Metall, Knochen mit eingeritzten Figuren. Beliebt ist die Form einer Hand oder zweier ineinander gelegter Hände, eines Tierkopfes, besonders die Gestalt eines Delphins, des freundlichen Geleiters der seefahrenden Fernhändler. Symbola heißen schließlich auch Schrifttäfelchen mit den Namen der Gastfreunde; sie sind die kürzeste Form des Empfehlungsschreibens, doch das Wort symbolon („das Zusammenfügbare“) hat hier seinen wörtlichen Sinn verloren.

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III. Griechisch-römische Gastfreundschaft

Üblicherweise bringt der Ankommende seine Erkennungsmarke mit und der ihn Aufnehmende hat sie bei sich im Hause. Es gibt Ausnahmen. In der Tragödie ›Medea‹ lässt Euripides den Jason seiner verstoßenen Frau Unterstützung auf der Flucht anbieten mit den Worten (613): Ich bin bereit, Symbola an meine Gastfreunde zu senden, die dir freundlich helfen werden. Er weiß voraus, was Medea antworten wird (616): Nie würde ich deine Gastfreunde in Anspruch nehmen wollen. Ihre Weigerung macht es Jason unmöglich, ihr die Erkennungszeichen mitzugeben, er kann sie nur im Voraus überbringen lassen. Die Symbola haben also die Aufgabe von Empfehlungsbriefen. Eine andere Situation ergibt sich, wenn der Gastgeber außer Haus angetroffen wird. Das zeigt eine Szene aus dem ›Poenulus‹ des Plautus (1044 ff.). Der Karthager Hanno kommt in die Stadt Kalydon auf der Suche nach seinen von Seeräubern entführten Töchtern und Agorastokles, dem Sohn seines verstorbenen Gastfreundes, dessen Symbolon er auf die Reise mitgenommen hat. Er trifft einen jungen Mann und fragt ihn, ob er in der Stadt einen Altersgenossen namens Agorastokles kenne. Der Angesprochene erklärt, der sei er selber. Darauf Hanno: Wenn dem so ist, lass uns, bitte, die Freundschaftsmarke vergleichen. Hier habe ich die meine mitgebracht. – Lass sehn! Zeig sie her! Sie ist genau gleich wie die, die ich zu Hause habe. – Oh mein Gastfreund, sei mir vielmals gegrüßt! Denn dein Vater Antidamas war mir von meinem Vater her ein Gastfreund. Was ich hier habe, ist die Marke der Freundschaft mit ihm. – Dann wirst du also hier bei mir als Gast wohnen. Denn ich entziehe mich nicht der Gastgeberpflicht und habe nichts gegen Karthago. Bin ich doch dort geboren. – Mögen die Götter dir alles gewähren, was du wünschest! Was du nicht sagst! Wie kommt es denn, dass du in Karthago geboren bist? Du hattest doch hier einen Aetoler zum Vater. – Ich bin von dort geraubt worden. Hier hat mich Antidamas, dein Gastfreund, gekauft, und der hat mich als Sohn adoptiert. – Er war selber gleichfalls ein Adoptivsohn des Demarchus. Aber nichts mehr von mir; ich komme wieder auf dich zurück. Sag mir, hast du irgend eine Erinnerung an die Namen deiner Eltern? – An Vater und Mutter. – Dann nenne sie mir, ob ich sie vielleicht kenne und sie mit mir verwandt sind. – Ampsigura war meine Mutter, Jahon der Vater. – Ach, wie sehr wünschte ich dir, dass dein Vater und die Mutter noch lebten. – Sind sie gestorben? – Leider, zu meinem großen Kummer. Deine Mutter Ampsigura war nämlich meine Base von Mutterseite, und dein Vater, der war mein Vetter, Sohn meines Onkels. Der hat mich, als er starb, zu seinem Erben eingesetzt. Dass ich ihn durch den Tod verloren habe, das tut mir besonders weh. Doch wenn es so ist und du Jahons Sohn bist, dann musst du an deiner linken Hand ein Zeichen haben, das dir der

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Biss eines Affen, mit dem du als Kind spieltest, hinterlassen hat. Zeig her, lass mich sehen, mach die Hand auf! Da ist’s! – Sei gegrüßt, lieber Onkel! – Und du, sei gegrüßt, Agorastokles! Hanno führt auf seiner Reise die Ausweismarke mit sich, Agorastokles lässt die seine, weil er sich in seinem Alltag bewegt, zu Hause. Er kann Hannos Marke als echt erkennen. Hanno dagegen braucht, weil der Dichter den jungen Mann nicht von der Szene wegschicken kann, damit er von Hause seine Marke hole, ein anderes Erkennungszeichen, die Bissnarbe. Mit der Gastfreundmarke aber verbindet sich die Identifikation der ganzen Verwandtschaft. Auch das Gegenstück findet sich bei Plautus. Die Hausherrin, aufs Schwerste gekränkt durch den Verrat, den der junge Liebhaber an ihr und ihrer Tochter begangen hat, wirft diesen aus dem Haus mit den Worten (Cistellaria 503): Hier bei uns hast du jetzt, Alcesimarchus, die Freundschaftsmarke zerbrochen. Der vor den Augen des Schuldigen symbolisch vollzogene Akt des Zerbrechens des Zeichens ist die radikalste und unwiderrufliche Form der Aufkündigung. Von den erhaltenen Stücken sind bemerkenswert: Ein Elfenbeintäfelchen aus dem einst karthagischen Westsizilien, dessen Text besagt, der Karthager Imylch habe mit dem Griechen Lyson Gastfreundschaft geschlossen (IG 14,279). Eine Bronzehand aus dem mit der griechischen Kolonie Massalia (Marseille) Handel treibenden Südgallien trägt die Inschrift (IG 14,2432): Symbolon gegenüber den Velauniern (einem Keltenstamm). Ein römischer Widderkopf aus Bronze (CIL I2,23) trägt die Beschriftung: Atilies Saranes, die Söhne des Gaius und des Marcus, sie gilt also als Ausweis für die Angehörigen von zwei Linien der Adelsfamilie, in der man den Namen Atilius Sarranus führt. Ein kleiner halbierter bronzener Widderkopf aus dem marsischen Gebiet Italiens ist mit dem Wort hospes ausdrücklich als Freundschaftsmarke gekennzeichnet (CIL I2,1764; die beiden Namen des Römers Titus Manlius Titi filius und des Marsers Titus Staiodius N. sind beigefügt. Die Gestalt eines Delphins hat die eherne Ausweismarke, die den Bürgern von Fundi ihre Gastfreundschaft mit dem römischen Konsul Marcus Claudius bezeugt (CIL I2,611); hier übernimmt der Römer eine Schirmherrschaft über eine ihm in Clientelschaft verbundene Stadtgemeinde, ein Patronat (vgl. unten S. 85). Ebenfalls Delphingestalt haben die Bronzemarke mit dem Namen des Aulus Hostilius Mancinus, eines Römers aus consularischer Familie (CIL I2,828), und die durch die Beschriftung hospitium fecit quom Elaudorianis eindeutig als Gastfreundschaftszeichen sich erweisende spanische Marke; der Text besagt: Er (der auf dem nicht erhaltenen Gegenstück Genannte) hat Gastfreundschaft geschlossen mit den Angehörigen des Elaudus (CIL I2,2825).

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III. Griechisch-römische Gastfreundschaft

Verletzung der Gastfreundschaft Die Gastfreundschaft steht unter dem Schutz der Götter. Von ihnen und nicht einem von Menschen eingeführten Gesetz wird ihre Verletzung gestraft, sie ist eine verabscheuenswerte Verfehlung gegen ein für alle Menschen bindendes Grundgebot (griechisch themis), nicht gegen das Gesetz (griechisch nomos) oder das Recht (griechisch dike), die in jedem Volk verschieden sein und von Fall zu Fall zu anderem Urteil führen können.14 Dem griechischen Zeus xenios entspricht in Rom der Juppiter hospitalis, der aber keinen offiziellen Kult hat. Mehr römischer Religiosität entspricht die Mehrzahl der di hospitales, die recht oft als Hüter der Gastfreundschaft angerufen werden,15 auch sie sind keine Gottheiten des Staatskultes. Die Hausgötter (Lares) übernehmen zwar die Rolle von di hospitales, sind ihnen aber nicht gleichzusetzen, sondern haben einen weiteren Aufgabenkreis und genießen eine eigene Verehrung mit Opfergaben. Erst in der späten Kaiserzeit weiht ein Kohortenpräfekt in Britannien einen Altar für Juppiter, di deaeque hospitales und die Penaten zum Dank für seine Errettung (CIL VII,237). Schon das ruhende Verhältnis verbietet jeden unfreundlichen Akt. Besonders schwer aber wiegt der Bruch, sei es vonseiten des Gastgebers oder vonseiten des bei ihm wohnenden Gastes, wenn die Gastfreundschaft aktuell ausgeübt wird und wenn die Freunde einander leibhaft gegenüberstehen. Nach der Eroberung Troias verschonen die Sieger, wie Livius im ersten Satz seines Geschichtswerkes schreibt, nur zwei Troianer, Aeneas und Antenor, auf Grund ihres von alters her bestehenden Rechtes der Gastfreundschaft. Beide finden dann in Italien nach dem Willen der Götter eine neue Heimat. Wie bei Homer gilt, dass nicht einmal der Krieg ein privates Gastverhältnis aufhebt. Livius widmet der exemplarischen Darstellung solcher Vertragstreue eine Erzählung aus dem Hannibalkrieg (25,18): Der Campaner Badius war ein Gastfreund des Römers Titus Quinctius Crispinus, ihm verbunden durch engste Freundschaftsbande. Ihre Gemeinsamkeit war noch gewachsen, weil Badius einst, vor dem Abfall Capuas, in Rom krank geworden und im Haus des Crispinus mit aller Liebe und Hingabe gepflegt worden war. Dieser Badius kam jetzt heraus zu den Vorposten, die vor dem Tor des römischen Lagers Wache hielten, und verlangte, man solle den Crispinus rufen. Als das dem Crispinus mitgeteilt worden war, ging der in der Meinung, es werde ein freundschaftliches und vertrauliches Gespräch gesucht, und die Erinnerung an das private Gastrecht bestehe fort, auch wenn die staatlichen Verträge gebrochen seien, ein Stück weit vor die römischen Posten hinaus. Als sie einander ansichtig wurden,

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rief Badius: Ich fordere dich, Crispinus, zum Kampf heraus. Auf, zu Pferd, und schicken wir die andern weg. Lass sehen, wer im Streit der Überlegene ist. Darauf Crispinus: Weder mir noch dir fehlt es an Feinden, bei denen wir unsere Tapferkeit beweisen können. Ich werde, auch wenn du mir in der Schlacht begegnen solltest, ausweichen, damit ich nicht meine Hand besudle mit dem Mord am Gastfreund. Damit kehrte er ihm den Rücken und wollte weggehen. Doch jetzt geriet der Campaner erst recht in Wut, schalt ihn einen Weichling und Feigling und warf ihm, der keine Schuld trug, Beleidigungen an den Kopf, die eher er selber verdient hätte. Er sei ein Gastfreund-Feind, ein Heuchler, der vorgebe, einen zu schonen, von dem er genau wisse, er sei ihm nicht gewachsen. Wenn er noch nicht ganz begriffen habe, dass mit dem Bruch der staatlichen Bündnisse auch zugleich die privaten Rechtsbeziehungen zerrissen seien, so kündige er, der Campaner Badius, dem Römer Titus Quinctius Crispinus in aller Form und so laut, dass beide Heere es hören könnten, die Gastfreundschaft auf. Es gebe nichts Gemeinsames mehr zwischen ihnen, keine Rede von Bund zwischen Feind und Feind, ihm, der gekommen sei, um gegen seine Heimatstadt und ihre heiligen Stätten, staatliche wie private, Krieg zu führen. Wenn er ein Mann sei, solle er zum Zweikampf antreten. Crispinus hielt sich lange zurück. Doch seine Kameraden drängten ihn, er solle sich die Schimpfreden des Campaners nicht ungerächt gefallen lassen. So wartete er also nur noch so lange, als er die Vorgesetzten um Erlaubnis gefragt hatte, ob sie ihm mit Sondergenehmigung gegen den feindlichen Herausforderer zu kämpfen gestatteten. Nach erteilter Zustimmung griff er zu seinen Waffen, stieg zu Pferd und forderte Badius unter Aufruf seines Namens zum Kampf heraus. Der zögerte keinen Augenblick. Mit gespornten Pferden ritten sie gegeneinander an. Crispinus verwundete über den Schildrand hinweg den Badius mit seiner Lanze an der linken Schulter, und als dieser verwundet herabsank, sprang er über ihm vom Pferd, um ihm zu Fuß den Rest zu geben. Doch bevor Badius niedergemacht werden konnte, ließ er Schild und Pferd im Stich und flüchtete zu den Seinen. Crispinus wurde, indem er seine ruhmvollen Beutestücke, das erbeutete Pferd und den blutbespritzten Schild, vorzeigte, unter lautem Beifall und Glückwünschen vor die Consuln geleitet und erhielt auch dort eine spezielle Belobigung und Ehrengaben. Valerius Maximus (5,1,3) hat die Geschichte in seine Sammlung denkwürdiger Begebenheiten übernommen und lässt den Römer sagen: Dein Verbrechen möge es sein, dass du einen Gastfreund hast morden wollen, aber dass du als mein Gastfreund getötet wirst, das wirst du mir nicht als mein Verbrechen aufladen. Livius steht für die allgemein anerkannte Unverbrüchlichkeit. Eine gegenteilige Wertung ist ungewöhnlich. Sie findet sich bei Cornelius Nepos.

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III. Griechisch-römische Gastfreundschaft

In der Biographie des athenischen Feldherrn Timotheos (4,3) erzählt er, unter den Gastfreunden, die eigens angereist seien, um dem Angeklagten in Athen Prozessbeistand zu leisten, habe sich auch der thessalische Tyrann Jason von Pherai befunden. Dennoch habe in einem von den Athenern gegen Jason beschlossenen Krieg Timotheos das Heer gegen ihn angeführt. Er habe die Rechte des Vaterlandes für heiliger gehalten als die der Gastfreundschaft. Dieser angebliche Kriegszug ist unhistorisch, erfunden, um den Patriotismus des Helden über alle Maßen gesteigert erscheinen zu lassen. Ein anderer Aspekt zeigt sich in der Verantwortung des Gastgebers für Wohlergehen und Unversehrtheit seines Gastes. Der römerfreundliche Sohn des Calavius, in dessen Haus Hannibal in Capua wohnt, gibt den Plan auf, diesen gefährlichsten Feind Roms zu ermorden, weil der Vater ihn beschwört, nicht den Tisch des Gastmahls mit dem Blut des Gastes zu beflecken (Livius 23,8 f.). Piso, das Haupt der Verschwörung gegen den Kaiser Nero, weigert sich, seine Villa zum Ort der Ermordung des Kaisers werden zu lassen. Wäre der getötete Gast auch ein noch so schlechter Herrscher, der Mord bliebe als unauslöschlicher Makel am Gastgeber haften (Tacitus, Annales 15,52,1). Der Vorwurf des Mordes steht versteckt hinter dem bitter ironischen Kompliment des Horaz an die Hexe Canidia: Du hast ein Herz für deine Gäste (Epode 17,49); der Dichter spielt damit auf einen in ihrem Hause verübten Ritualmord an, den er ihr in einem früheren Gedicht (Epode 5) nachgesagt hatte. Dem Gast wird kaum je ein Mord am Gastgeber zugetraut, doch er hat seinerseits nicht nur alles zu unterlassen, was dem Gastgeber schaden könnte, sondern ihm, soweit er es vermag, in Treue beizustehen. Es charakterisiert ein vollendetes Paar von Schurken, wenn in der Komödie ›Rudens‹ des Plautus (883 f.) der Gast seinen Gastgeber, den Kuppler, zu einem fehlgeschlagenen Betrug angestiftet hat, diesen aber in dem Augenblick im Stich lässt, wo der zur Rechenschaft gezogene und vor Gericht geschleppte Kuppler an seinen Beistand appelliert: Gastfreund! – Ich bin dein Gastfreund nicht! Fort mit deiner Gastfreundschaft! – So missachtest du mich? Nur zum Spott besinnt er sich am Schluss auf seine Pflicht (890 f.): Ich will gehen, um ihm Fürsprecher zu sein. Will mal sehen, ob ich ihm dazu verhelfe, dass er schneller verurteilt wird. Keinesfalls darf ein Gast den Gastgeber, bei dem er zuvor zu wohnen pflegte, wechseln und anderswo am Ort seine Unterkunft suchen. Er würde durch solche Handlung den früheren Gastfreund aufs Schwerste kränken und ihn bei den Leuten in den Ruf eines schlechten Gastgebers bringen, was dem Verlust des gesellschaftlichen Ansehens gleichkäme. Caesar, der in Verona den Vater des Dichters Catull zum Gastfreund hatte,

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nahm, auch nachdem der Sohn ihn mit Schmähversen schwer beleidigt hatte, demonstrativ weiterhin bei jenem Quartier, sooft er nach Verona kam, und lud den Dichter noch am selben Tage, an dem dieser Abbitte geleistet hatte, an seine Tafel (Sueton, Julius 33). Sogar der vom Ankläger Cicero als skrupellos geschilderte Verres bleibt, obwohl er sich gern bei einem andern Bürger, dessen Tochter er begehrt, ins Haus setzen möchte, bei seinem Quartiergeber Janitor wohnen, als dieser, weil er nicht als schlechter Gastgeber dastehen will, ihn anfleht zu bleiben, und Verres keinen ausreichenden Vorwand findet, das Verhältnis zu lösen (II 1,64). Derselbe Verres scheut sich allerdings nicht, als er die Macht eines Statthalters von Sizilien besitzt, dem angesehensten Mann von Himera, Sthenius, die Gastfreundschaft aufzukündigen, weil dieser ihn hinderte, aus der Stadt Kunstwerke zu rauben. Sthenius muss nach Rom flüchten, um nicht von Verres in einem widerrechtlichen Verfahren zum Tod verurteilt zu werden. Sogar der eigene Vater schämt sich des Verhaltens seines Sohnes und sucht die Affäre aus der Welt zu schaffen. Der Vorfall bildet später einen der gravierendsten Anklagepunkte in der Rede des Cicero gegen Verres (II 2, 89–101). Eine witzige Schilderung der vielen Misslichkeiten, die ein Gast in Kauf nehmen muss, wenn er die mancherlei gebotenen Rücksichten beachtet, gibt Apuleius in seinem Roman ›Metamorphosen‹ (1,21–26 und 2,2–5). Lucius erfährt an der ersten Schenke beim Stadttor, dass sein Empfehlungsschreiben ihn an den Geizhals Milo in einem ärmlichen Hause verweist. Selbstverständlich klopft er dennoch dort an, wird von der einzigen Magd zunächst als Pfandleihkunde angesprochen, dann aber dem Herrn gemeldet und empfangen. Milo ist gerade beim Essen, der angekommene Gast wird an ein leeres Tischchen gesetzt. Nachdem der Hausherr das Empfehlungsschreiben gelesen hat, muss die Hausfrau ihm ihren Sitz als den Ehrenplatz einräumen, der Gastgeber weist ihm mit höflichen Worten ein Zimmer an, in dem keine Stühle und nur wenig andere Möbel stehen, aus Angst vor Dieben, wie Milo entschuldigend sagt. Das Bad muss Lucius außer Haus aufsuchen. Als er, immer noch hungrig, zurückkommt, bittet ihn die Magd zum Hausherrn. Doch statt des erwarteten Essens verwickelt ihn dieser in ein endloses Gespräch, erkundigt sich nach allen Dingen so lange, bis der Gast vor Erschöpfung nicht mehr zu sprechen vermag. Am andern Tag wird er auf einem Spaziergang in der Stadt überraschend von einem alten Ehepaar erkannt. Die Frau, deren Reichtum schon an ihrem Goldschmuck erkennbar ist, erweist sich als seine Tante und lädt ihn in ihr sehr schönes Haus ein. Aber Lucius weiß, was sich gehört: Das sei ferne von mir, liebe Tante, dass ich meinen Gastfreund Milo ohne ernsten Grund zur Klage verlasse! Doch gewiss, soweit es ohne Verletzung meiner Pflich-

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III. Griechisch-römische Gastfreundschaft

ten geschehen kann, will ich mein Möglichstes tun. Sooft sich wieder ein Anlass zur Reise hierher ergibt, werde ich nie versäumen, bei dir einzukehren. Zu einem kurzen Besuch betritt er immerhin das Haus seiner Tante, dessen Pracht der Dichter in höchsten Tönen vorführt. Die um ihn besorgte Tante warnt ihn auch vor dem Weggehen vor der Frau seines Gastgebers Milo, einer berüchtigten Meisterhexe. Gerade damit allerdings reizt sie die Neugier des Lucius, die ihm dann zum Verderben wird. Hannibal hatte, nachdem er in seiner besiegten Heimat nicht mehr leben konnte, schutzflehend beim König Prusias in Bithynien Zuflucht gefunden. Als seinem Gastgeber jede Möglichkeit genommen war, die römische Aufforderung, den Gast auszuliefern, zurückzuweisen, war Hannibals Selbstmord das, was ein sich korrekt verhaltender Gast dem Gastgeber an Rücksicht schuldete: Er ersparte dem König die unauslöschliche Schande des Gastverrats.

Der Gastfreund im Privatrecht Anders als in Asien mit seinen Großreichen waren die Stadtstaaten im frühen Griechenland und ebenso im frühen Italien auf jeweils kleine Territorien beschränkt. Das erschwerte den Handelsverkehr. Denn der Nachbarstaat war schon Ausland, ein Gebiet, auf dem anderes Recht, andere Gesetze galten und nach Beginn der Geldwirtschaft auch andere Münzen. Sicherheit gewährte nur das Recht der Heimat; die hörte auf, sobald deren Grenzen überschritten wurden. Am fremden Ort konnte ein Kaufmann weder einen säumigen Schuldner noch einen Dieb verklagen. Auf See herrschte sogar völlige Rechtlosigkeit. Außerhalb des Heimathafens gab es kein Gesetz mehr, es wog nur noch die Gewalt des Stärkeren. Seeräuberei war gefährlich, aber straflos. In Homers Odyssee fragt der alterfahrene König Nestor seine neu angekommenen Gäste ganz unverblümt (3,71–74): Wer seid ihr, Fremde? Woher fahrt ihr über die nassen Pfade des Meeres? Treibt ihr Handelsgeschäfte oder kreuzt ihr aufs Geratewohl umher auf der See wie die Räuber, die umhersegelnd ihr eigenes Leben wagen und den Menschen aus anderen Ländern Böses bringen? Es waren zu Nestors Zeiten vor allem die Phönizier, die von Tyros und Sidon im Libanon bis nach Gades in Spanien mit allen Küsten Handel trieben. Ihre Schiffe mussten zur Verteidigung gerüstet sein; aber trafen sie auf ein Schiff, das nach guter Beute aussah, taugten ihre Waffen ebenso wohl zum Angriff. So konnten sie in den angelaufenen Häfen sowohl Beutestücke wie auch gefangen genommene Menschen als Sklaven zum Kauf anbieten. Spielte sich der Seeraub in einem friedlosen Raum ab, war das Faustrecht zu Lande noch folgenschwerer. Denn hier wurde der Anspruch eines

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Bürgers der Nachbarstadt verletzt, und das forderte Wiedergutmachung und löste eine Reihe von Kriegen aus. Nestor berichtet in der Ilias (11,698–702) von einem solchen vergeltenden Zugriff: Auch ihm (dem König Neleus von Pylos) wurde großer Schadenersatz geschuldet im heiligen Elis, vier preisgekrönte Rennpferde mitsamt dem Wagen, die zu einem Wettkampf gekommen waren. Um einen Dreifuß als Preis sollten sie laufen. Die jedoch nahm der Landesfürst Augeias in Beschlag für sich und schickte den um seine Rosse jammernden Wagenlenker dorthin zurück, woher er gekommen war. Der nach dem Ortsrecht gegen einen Fremden nicht verbotene Zugriff des Machthabers wurde Ursache zu einem Feldzug der Leute von Pylos gegen Elis. Unter Führung des Königssohnes Nestor holten sie sich ganze Herden von Rindern, Schafen und vor allem Pferden als Beute, und alle, die aus früheren Diebstählen Rückforderungen an Elis hatten, wurden zur Verteilung eingeladen. Die Eleer aber rückten mit Heeresmacht an; sie erlitten gerechterweise eine blutige Niederlage. Die Zuhörer, die dem diese Erzählung Nestors von seinen Heldentaten vortragenden Sänger lauschten, müssen die Tat des Eleers Augeias, welche die Unheilskette auslöste, als besonders schnöde empfunden haben. Denn in Elis liegt Olympia, und während der gesamthellenischen Festspiele war der „heilige Friede“ ausgerufen und allen teilnehmenden Griechen die Unversehrtheit ihrer Person und ihrer Habe zugesichert. Zwar hatte es zu Nestors Zeit die Olympischen Spiele mit ihren Wagenrennen noch nicht gegeben, aber die Hörer der Ilias nahmen das Geschehnis aus der Sicht ihrer eigenen Zeit wahr. Was Augeias getan hatte, war ein Beispiel dessen, was in der griechischen Sprache sylan hieß, der Zugriff auf die Person und das Wegnehmen der Sache eines Fremden, der außerhalb seines eigenen Landes rechtlos war. Der im Beispiel von Nestor geübte gewaltsame Rückgriff drohte nicht nur dem Schädiger selbst; sylan war erlaubt gegen jeden seiner Mitbürger, alle Angehörigen des Stammes hafteten für die ausstehende Schuld des einen. Mit solcher Rechtlosigkeit, die jeden Handel über die engen Stadtgrenzen hinaus zum gefährlichen Abenteuer machte, konnten sich gerade die griechischen Kleinstaaten auf Dauer nicht abfinden. Sie konnten ohne einen geregelten Verkehr mit den Nachbarn wirtschaftlich nicht bestehen. Man schloss also Verträge, in denen man sich gegenseitig Asylia, Nichtberaubung, zusicherte.16 Das Wort Asyl lebt bis heute fort, wenngleich unter Veränderung und Erweiterung seines Bedeutungsinhaltes. In griechischer Sprache ist ásylos eine Eigenschaft, die Personen und Sachen beigelegt wird, denen ein rechtlicher Schutz vor Zugriff zugesichert ist. Das Wort bezeichnet nicht als Substantiv einen Ort, an dem jedermann

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vor Zugriff gesichert wäre. Wenn der Dichter Euripides Medea fragen lässt, wo sie als Mörderin ein schützendes Land (ge asylos [Med.387]) finden könnte, ist ein Ort gemeint, an dem sie für ihre eigene Person vor Rächern geschützt würde, nicht ein Ort, an dem jedermann unantastbar bliebe, es sich also um eine Eigenschaft handelte, die dem Ort als solchem zukäme. Zwar kann kein Staat allein Sicherheit über die Grenzen seines eigenen Staatsgebiets hinaus garantieren, und so ist der Schutz von Personen und Sachen auch örtlich begrenzt. Jedoch kann der Bereich ausgedehnt werden, indem zwei oder mehrere Staaten sich gegenseitig durch Abkommen verpflichten. Beispielsweise beruht der Schutz für Besucher der vier gesamtgriechischen Festspiele in Olympia, Delphi, Korinth und Nemea auf Vereinbarung aller beteiligten Staaten. Er wird einerseits am Festort in Bestätigung seiner sakralen Asylia zugesichert, anderseits gilt er für den einzelnen Reisenden auf seinem Weg durch die Staaten zum Festort; bei einer Seefahrt wird er aber erst wirksam mit dem Einlaufen des Schiffes in einen Hafen der Staaten. Neben dem staatsrechtlichen Schutz wirkt bei den Festspielen der sakrale mit. Doch auch bei den Heiligtümern schützt das Tabu zunächst Götterbilder, Bauten, heilige Bäume vor Beraubung (Hierosylia) und Personen deswegen, weil sie innerhalb des Heiligtums als Hilfesuchende und Schutzbefohlene Gäste der Gottheiten geworden sind. Auf diese Weise wird der abgegrenzte Bezirk des Heiligtums als Ort verstanden, dessen sakrale Asylia rechtlich anerkannt ist, und Städte und Tempel lassen ihr ganzes Territorium zum geheiligten Bezirk mit Asylia erklären. Es geschieht durchaus zu ihrem Nutzen, denn aus ihrer Heimat Verbannte bringen in der Regel genügend Vermögenswerte mit, um da als vornehme Gäste zu leben. In Rom und in lateinischer Sprache bezeichnet dann das Substantiv Asylum von Anfang an einen Ort, eine Fluchtstätte für jedermann. Das Asyl des Romulus wird gegründet zum Zweck, Siedler anzulocken für den Aufbau der neuen Stadt. Doch auch noch im Römischen Reich beschränkt sich das Asyl auf die Garantie der Unversehrtheit, ohne irgendeine darüber hinausgehende Unterstützung der geschützten Personen vonseiten des Asylgebers. Asylia gewährt passiven Rechtsschutz nur jeweils auf dem Gebiet der Vertragsstaaten. Bis weit in die historische Zeit hinein bleibt die Wegnahme fremden Eigentums auf hoher See, also Piraterie, straffrei. Im 5. Jahrhundert v. Chr. bestimmt ein Staatsvertrag zwischen Oianthea und Chaleion, zweier Handelsstädte am Golf von Korinth17: Fremde Güter vom Meer weg fortzunehmen unterliegt keinen Repressalien, ausgenommen aus dem Stadthafen. Erst Großmächte wie der Athenische Seebund und später das römische Imperium sind imstande gewesen, den Kampf gegen Seeräu-

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ber einigermaßen wirksam zu führen. Doch auch zu Lande verbietet der negative Begriff Asylia, Nicht-Beraubung, zwar die Tat und sieht die Bestrafung des Täters vor, gibt aber dem Fremden kein selbständiges aktives Klagerecht. Ein Rechtsstreit entsteht immer dann, wenn der eine Kontrahent den Zugriff als eine seiner Meinung nach rechtmäßige Pfändung vornimmt, der Gegner aber sich dagegen im Rückgriff wehrt. Der eben genannte Vertrag schützt die fremden Händler mit der Vorschrift: Den Fremden soll der Oiantheier nicht aus dem Gebiet von Chaleion noch der Chaleier aus dem Gebiet von Oianthea gewaltsam wegführen noch seine Habe, wenn er etwas beschlagnahmt. Gegen den Beschlagnahmenden Beschlagnahme auszuüben, ist straffrei. Der Streit muss also vor dem Gericht entschieden werden, und zwar jeweils am Ort der Wegnahme, nicht am Wohnort des Pfändenden, sei es, dass der in Oianthea Wohnende in Chaleion pfändet oder der in Chaleion Wohnende in Oianthea. Fremdes Gut auf See wegzuführen, ist asylon, das heißt, es unterliegt nicht den Regeln des sylan. Weder der Raub noch das Rückholen des Geraubten auf See wird geahndet, ausgenommen aus dem Hafen der betreffenden Stadt, was so viel heißt: Wird das Raubgut als Eigentum eines Bürgers einer der Vertragstädte erkannt, unterliegt es der rückgreifenden Beschlagnahme. Unrechtmäßige Beschlagnahme – es gibt also auch ein berechtigtes sylan! – wird belegt mit einer Strafe, deren Höhe vertraglich in beiden Städten gleich angesetzt ist: Vier Drachmen; wenn er das Pfand länger als zehn Tage behält, dann schuldet er den anderthalbfachen Betrag von dem, was er an sich genommen hat. Ein Bürger der Stadt muss für den Fremden bei allen Rechtshandlungen eintreten und vor Gericht für ihn sprechen. Diesen Beistand leistet der Próxenos; er ist als Stadtbürger legitimiert, die Klage vorzubringen und die Interessen des Ausländers für ihn wahrzunehmen. Er hütet für den Fremden Vermögenswerte, die dieser bei einer Abreise in seinem Gewahrsam zurückgelassen hat. Ein solches Depot spiegelt in der Komödie ›Bacchides‹ des Plautus ein schlauer Sklave seinem Herrn vor, um ihm weiszumachen, warum er das Geld nicht nach Athen mitbringt, welches aus Ephesus hergeholt werden sollte (250 ff.). Der alte Nicobulus fragt, ob sein Sohn von dem Gastfreund Archidemides das Geld bekommen habe. Der Sklave Chrysalus (253): Was? Gastfreund nennst du ihn, deinen Feind! … Zuerst hat er sich auf Ausflüchte verlegt, er sei dir keine drei Pfennige schuldig. Sogleich holte Mnesilochus (der Sohn des Alten, der in Wirklichkeit das Geld leichtfertig durchgebracht hat) unseren alten Gastfreund, den alten Pelagon, als Beistand herzu. In dessen Gegenwart zeigte er dem Kerl auf der Stelle das Symbolon vor, das du selber ihm mitgegeben hattest, damit er es ihm vor-

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weisen könne. … Der aber fährt fort zu behaupten, es sei gefälscht, es sei nicht das echte Symbolon. Nachdem sie schließlich vor Gericht die Zahlung erreicht hätten, habe er, der schlaue Sklave, vor der Ausfahrt aus dem Hafen ein verdächtiges Schiff beobachtet (289 ff.): Als wir aus dem Hafen ausfahren, verfolgen uns die Leute mit dem Ruderboot, schneller als Vögel und Winde! Weil ich merke, was da gespielt werden soll, haben wir unser Schiff sofort gestoppt. Nachdem sie uns still halten sehen, fangen sie an, im Hafen mit ihrem Boot Runden zu drehen. … Wir ziehen uns wieder in den Hafen zurück. … Wir halten gleich anschließend Rat. Am nächsten Tag tragen wir das ganze Geld fort, vor ihren Augen, offen sichtbar, damit sie wissen sollten, was geschah. … Traurig, weil sie uns geradewegs vom Hafen mit dem Geld weggehen sehen, ziehen sie sogleich ihr Boot an Land und lassen die Köpfe hängen. Wir dagegen haben das ganze Geld hinterlegt bei Theotimus; der ist dort der Priester der Artemis von Ephesus, … der Sohn des Megalobulus, derzeit der bei den Ephesiern beliebteste Mann von ganz Ephesus. Nicobulus äußert sich besorgt, aber der Sklave beruhigt ihn (312 f.): Nein, es ist doch direkt im Artemis-Tempel verwahrt. Dort steht es unter staatlicher Obhut. Damit kommt ein zweiter Aspekt der Asylia ins Spiel, der keinen Bezug zur Gastfreundschaft hat, die Heiligkeit des Tempels als eines durch religiöses Tabu vor jedem Zugriff geschützten Ortes. In der Tat haben antike Städte ihren Staatsschatz im Tempel aufbewahrt, und unter entsprechenden Umständen konnte wohl auch ein Privatmann den besonderen Schutz eines solchen Ortes nutzen. Der alte Gastfreund Pelagon, den Mnesilochus in der Lügengeschichte herbeiruft und der ihn dann vor dem ephesischen Gericht vertritt und die Durchsetzung seiner Geldforderung erstreitet, tut dies in seiner Eigenschaft als Próxenos der Familie des Atheners. Häufiger als eine Proxenie für Privatpersonen erscheint in den erhaltenen Zeugnissen der Próxenos, den ein auswärtiger Staat offiziell bestellt dazu, seine Staatsinteressen am Ort zu vertreten und sich der Angelegenheiten aller seiner sich am fremden Ort aufhaltenden Bürger anzunehmen. Von ihm wird im Rahmen der staatlichen Gastfreundschaft näher zu reden sein (siehe unten S. 69). Die Stadt Oianthea, deren Vertrag aus der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. eben betrachtet wurde, hatte schon zu Beginn des 6. Jahrhunderts ihren Proxenos auf der Insel Kerkyra (Korfu; IG IX 1, 867). Ebenso wichtig wie die Fürsprecher für die Fremden waren die Richter. Die Fremdengerichtsbarkeit regelt Streitigkeiten zwischen Fremden und Einheimischen und zwischen zwei ortsfremden Parteien. In Griechenstädten, die ihre Auslandsbeziehungen geregelt haben, sind für solche Streitigkeiten eigene Behörden eingesetzt, die Xenodíkai (zu unterscheiden von

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den Xenokrítai, von auswärts beigezogenen Richtern). Xenodíkai sind inschriftlich oft bezeugt, zum Beispiel in Ämterlisten aus Athen,18 im Rechtshilfevertrag zwischen Athen und Troizen,19 in dem Beschluss über die Vereinigung der phokischen Städte Medeon und Stiris20 und anderwärts öfter. Auch die das Gesetz über das Verfahren in Fällen strittiger Beschlagnahme (sylan) enthaltende Bronzetafel von Oianthea führt im Anschluss ein weiteres Gesetz an zur Regelung des Falles, dass die zwei Fremdenrichter (Xenodíkai) sich nicht auf eine gemeinsame Entscheidung einigen. Dann darf der Fremde, der Klage führt, Geschworene benennen, ausgenommen seinen staatlichen Proxenos und seinen privaten Gastfreund, Männer von bestem Ruf, und zwar, wenn der Streitwert eine Mine oder mehr beträgt, fünfzehn, wenn weniger, neun an der Zahl. Der Proxenos wird ebenso wie der ausdrücklich von ihm unterschiedene private Gastfreund (Idióxenos) vom Verfahren ausgeschlossen, weil sie ja gebunden sind, in jedem Fall die Partei ihres Schutzbefohlenen zu vertreten, und somit als befangen gelten. Ein weiteres Gesetz auf derselben Tafel belegt den Proxenos, wenn er trügt (gemeint ist wohl kaum die Falschaussage zugunsten des Mandanten, sondern der Parteiverrat zu dessen Schaden), mit einer Buße in Höhe des zweifachen Streitwerts. In Rom ist für Rechtsstreitigkeiten eines Römers mit Peregrini oder von Peregrini untereinander, das heißt mit Angehörigen solcher fremder Staaten, mit denen Rom entweder einen Rechtshilfevertrag geschlossen oder ihnen als Unterworfenen die faire Behandlung (fides) zugesagt hat, für das Grundlageverfahren (in iure) der Fremdenmagistrat (praetor peregrinus) zuständig.21 Hat er die Rechtsfrage beantwortet, geht der Fall zur Entscheidung an das Gericht der Recuperatores. In klassischer Zeit scheint der Fremde die Prozessfähigkeit vor dem Recuperatorengericht selbst besessen zu haben; doch blieb es üblich, dass es ein römischer Gastfreund als Patronus übernahm, seine Sache zu führen. Doch auch außerhalb Roms kann ein Römer die Rolle eines Gastfreundes übernehmen: Cornelius Gallus, der erste Statthalter Ägyptens, das zu einer dem Kaiser Augustus direkt unterstehenden Provinz geworden war, nennt sich in einer inschriftlichen Proklamation Proxenos des Königs von Äthiopien.22

Gastfreunde machen Politik Private Gastfreundschaften einflussreicher Bürger mit Herrschern fremder Staaten wirkten sich oft politisch aus, da diese Bürger in der Rolle von Proxenoi am Ort die Interessen ihres fremden Gastfreundes zu vertreten hatten. Herodot (6,125) erzählt die legendäre Geschichte, wie das im frü-

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hen Athen führende Geschlecht der Alkmeoniden zu seinem Reichtum gekommen sei. Der Athener Alkmeon leistet den lydischen Gesandten des Königs Kroisos, die sich auf dem Weg zum Orakel von Delphi in der Stadt Athen aufhalten, jede erdenkliche Hilfe. Als die Gesandten nach ihrer Rückkehr dem König darüber berichten, lädt Kroisos den Alkmeon zu sich nach Sardes ein und bietet ihm als Gastgeschenk soviel Gold an, als er am Leibe tragen könne. Der Beschenkte macht von dem Angebot ausgiebigsten Gebrauch und wird so der reichste Mann Athens. Von der Gründungssage der Königsdynastie der Battiaden in Kyrene erzählt Herodot (4,154) folgende Variante. Der Stadtkönig Etearchos in der kretischen Stadt Oaxos lädt einen sich in der Stadt aufhaltenden Kaufmann Themison von der Insel Thera (Santorin) als seinen Gastfreund zu sich ein und nimmt ihm beim Gastmahl den Schwur ab, alles zu tun, worum er ihn bitten werde. Nach dem Eid übergibt er ihm seine von der Stiefmutter verleumdete Tochter mit dem Auftrag, sie während seiner Heimfahrt auf See über Bord zu werfen. Themison, empört darüber, wie man ihn mit dem Schwur über das geplante Verbrechen getäuscht hat, kündigt die Gastfreundschaft auf und tut dem Eid in der Weise Genüge, dass er auf seiner Fahrt das Mädchen mit einem Strick gesichert ins Meer tauchen und wieder hochziehen lässt. In Thera gibt er sie einem angesehenen Bürger zur Nebenfrau, und sie wird die Mutter des Battos, des ersten Königs der von Thera aus gegründeten Kolonie Kyrene. Auch die Geschichte der für Athen so wichtigen Kolonisation an der thrakischen Küste hat Herodot (6,34 ff.) mit einem legendären Zug ausgestattet. Im 6. Jahrhundert v. Chr. hatten dort der athenische Tyrann Peisistratos und der ihm an Adel ebenbürtige Miltiades ihre Besitzungen. Miltiades soll dorthin als Städtegründer gerufen worden sein, und zwar von Häuptlingen aus dem thrakischen Stamm der auf der Chersones (der Halbinsel Gallipoli) ansässigen Dolonker. Sie hatten beim Orakel in Delphi um Rat gefragt im Krieg mit einem Nachbarstamm, und das Orakel hatte sie beschieden, sie sollten sich den als Helfer holen, der ihnen als Erster auf ihrem Heimweg gastliche Aufnahme anböte. Ohne im Land der Phoker und Boioter einen Gastgeber gefunden zu haben, kamen sie nach Athen. Der reiche Miltiades – ein Viergespann aus seinem Stall hatte das Rennen in Olympia gewonnen – saß eben am Eingang seines Hauses, und als er die Gruppe der fremdländisch gekleideten und ihre Lanzen tragenden Männer vorüberziehen sah, rief er sie zu sich und bot ihnen Obdach und Bewirtung an. Die Gäste offenbarten ihm den Orakelspruch und baten ihn, er möge ihnen zuliebe dem Gott Folge leisten. Dem Miltiades kam die Aufforderung sehr gelegen; er wollte lieber in Thrakien der Konkurrent des Peisistratos sein als in Athen nach ihm der Zweite. Nachdem er noch eine Be-

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stätigung von Delphi eingeholt hatte, warb er Freiwillige aus Athen an, ihn als Siedler zu begleiten, und schiffte sich mit den Dolonkern ein zur Fahrt in den Norden. Als Herrscher sicherte er die Halbinsel durch einen Schutzwall vor Angriffen, geriet dann aber im Lauf einer Fehde in Gefangenschaft der Lampsakener auf dem asiatischen Ufer gegenüber. Da retteten ihn seine freundschaftlichen Beziehungen zum Lyderkönig Kroisos. Kroisos befahl der Stadt Lampsakos, den Miltiades unverzüglich freizulassen, sonst werde er sie so gründlich dem Erdboden gleichmachen, dass aus dem Wurzelstock der abgesägten Fichte nichts mehr aufwachsen werde (mit Anspielung darauf, dass die Stadt vor ihrer Besiedlung durch die Griechen eine Ortschaft mit dem Namen Pityusa, „Fichtenstadt“, gewesen war). Nachdem Miltiades kinderlos gestorben war, blieb die Chersones im Besitz der athenischen Adelsfamilie. Dass die Rolle der Gastfreundschaft in den Berichten Herodots durchaus eine Realität nachbildet, das zeigt die Vielzahl der später bezeugten Beziehungen von Stadtbürgern mit Fürsten. Platon nennt im Dialog ›Menon‹ (78 D) den reichen thessalischen Söldnergeneral Menon einen Gastfreund des Perserkönigs vom Vater her, mit leiser Anspielung auf die unermesslichen Schätze des Großkönigs. Thessalien stand in den Perserkriegen auf Seiten der Perser; die Annahme, schon der Vater Menons habe mit Xerxes im Verhältnis eines Gastfreundes gestanden, ist also durchaus wahrscheinlich. Eine allerdings vielleicht nur vorgespielte Gastfreundschaft eines Atheners mit dem Perserkönig liegt einer Gerichtsrede des Lysias zugrunde (19,25–27). Der Athener hatte dem von Lysias in einem Finanzprozess verteidigten Aristophanes als Pfand für ein Darlehen eine goldene Schale angeboten, angeblich ein Symbolon des Königs von Persien. Gestützt auf die so nachgewiesene Gastfreundsbeziehung zum reichsten Herrscher erwartete er glänzende Geschäfte und würde den Kredit mit hohen Zinsen zurückzahlen können. Aristophanes lehnte das Geschäft ab. Demosthenes greift in der Kranzrede seinen politischen Gegner, den Makedonenfreund Aischines, an (51): Er sei nicht, wie er sage, Gastfreund der Könige Philipp und Alexander, sondern deren bezahlter Knecht. In seinem Hause hätten sich die makedonischen Abgesandten in Athen einquartiert (82), die dann als Feinde aus der Stadt gewiesen wurden. Wie eine Reihe von Gastfreundschaften den Lebenslauf eines Mannes bestimmen, zeigt die Kurzbiographie des Atheners Xenophon (Diogenes Laërtios 2,50–51). Der Boioter mit Namen Proxenos, ein Freund Xenophons, der sich in Sardes am Hof des Königsbruders Kyros aufhält, wo er Gastfreund und Vertrauter des Kyros geworden ist, schreibt Xenophon eine Einladung, von Athen nach Sardes zu kommen. Dort wird auch er

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Gastfreund des Kyros, und er begleitet Kyros und Proxenos auf dem Feldzug gegen den regierenden Großkönig. Nach dem Tod der beiden führt Xenophon die griechische Söldnertruppe zurück und übergibt deren Rest in Pergamon dem Heerführer Thibron, der sie für seinen König, den Spartaner Agesilaos, in Sold nimmt. Dadurch schließt Xenophon Gastfreundschaft mit Agesilaos. Er gerät deswegen in Konflikt mit seiner Heimat Athen, was zu seiner Verbannung als Landesverräter führt. Doch dank seiner nach den Worten des Biographen überaus guten Beziehung zu Agesilaos verhilft der König ihm zu einem angenehmen Wohnsitz im spartanischen Einflussbereich. Zu der privaten Gastfreundschaft mit dem König kommt noch die Ernennung zum staatlichen Proxenos der Spartaner hinzu. Nach rund zwei Jahrzehnten und dem Niedergang der spartanischen Macht wird Xenophon durch Krieg aus seinem Landgut Skillus vertrieben, wird aber von den Athenern wieder aufgenommen und als Mitbürger anerkannt. Eroberer bedienen sich nicht selten ihrer Gastfreunde, um mit deren Hilfe eine Stadt oder ein Land einzunehmen. Pausanias nennt in seinem Reiseführer durch Griechenland zwei Beispiele von solchen Verrätern (7,10,2–3): Der Eleer Xenias versuchte Elis an die Lakedämonier und deren König Agis zu verraten, und die so genannten Freunde des Nysandros ließen keinen Augenblick ungenutzt verstreichen bei dem Unternehmen, ihre eigenen Vaterstädte dem Nysandros in die Hände zu spielen. Der sizilische Historiker Diodor berichtet den Beginn der Befreiung Siziliens vom Joch der Karthager (20,31,4): Xenodikos, der Feldherr von Akragas, rückte unverzüglich gegen Gela vor und durch einige persönliche Gastfreunde bei Nacht eingelassen bemächtigte er sich der Stadt. Hochpolitisch sind naturgemäß private Gastfreundschaften von Herrscherfamilien untereinander, wie zum Beispiel zwischen König Hieron von Syrakus und König Pyrrhos von Epiros (Pausanias 6,12,3), der zugleich mit der Gastfreundschaft auch noch eine Heiratsverbindung seines Sohnes mit einer Tochter des Pyrrhos herbeiführte. Auch Privatpersonen stehen zuweilen Königen an Bedeutung gleich, und Könige bemühen sich aus politischen Gründen, sie zu Gastfreunden zu gewinnen. Deshalb erhält der in Gefangenschaft geratene Sohn des römischen Staatsmanns Scipio eine Vorzugsbehandlung von Seiten des Königs Antiochos. Nach den Worten des Livius (37,34,7) hätte er nicht besser aufgenommen werden können, wenn der Friedenszustand mit dem römischen Staat fortbestände und der König privat ein Gastfreundverhältnis mit den Scipionen unterhielte. Eine solche Kombination staatlicher und privater Bindungen ist keineswegs ungewöhnlich. Die Gesandten von Rhodos bedauern es in ihrer Rede vor dem Senat in Rom (Livius 37,54,5 nach Poly-

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bios 21,22,6), dass ihr Inselstaat ausgerechnet zum König von Pergamon in einen politischen Interessenkonflikt geraten sei, zu dem sowohl privat von Seiten einzelner Bürger wie auch, was besonders ins Gewicht fällt, eine offizielle Gastfreundschaft unseres Staates besteht. In der Römerzeit nehmen vor allem die Gastfreundschaften zwischen den Honoratioren griechischer Städte und dem römischen Statthalter einen politischen Charakter an, der sie in die Nähe des durch ein hospitium publicum zwischen der Stadtgemeinde und einem einflussreichen Römer abgeschlossenen Patronatsverhältnisses (s. u. S. 85) rückt. Cicero empfiehlt seinem Bruder hierbei größte Zurückhaltung (ad Quintum fratrem 1,1,16): Ihnen allen soll man, sage ich, insgesamt mit großzügiger Offenheit begegnen, aber nur mit jeweils den Besten Gastfreundschaft und Interessenverbindungen eingehen. Zwar wird der private Gastfreund (Idióxenos) ausdrücklich von dem staatlich zum Schutzvogt seiner Bürger im Ausland bestellten Próxenos unterschieden, und in der Prozessordnung von Oianthea (siehe oben S. 55) werden beide gesondert genannt und als Geschworene ausgeschlossen. Dass aber beide Funktionen in einer Person vereinigt werden, so wie Xenophon sowohl Idioxenos des Spartanerkönigs als auch Proxenos des spartanischen Bundesstaates war, ist nicht ungewöhnlich. Wie Xenophon war der von Pausanias (7,10,2) Landesverräter genannte Eleer Xenias privat ein Gastfreund des Königs Agis und ein Proxenos des Staates der Lakedämonier, als er mit den Aristokraten einen Umsturz der Demokratie versuchte (Pausanias 3,8,4). In unseren Quellen wird eine solche Doppelfunktion meist nicht ausdrücklich hervorgehoben, doch legt die persönliche Gastfreundschaft mit einem Herrscher ein zugleich ausgeübtes staatliches Mandat nahe. Wenn der athenische Gegner des Demosthenes, Aischines, in seinem Hause die makedonischen Gesandten aufnimmt, tut er das in offizieller Eigenschaft für den Staat Makedonien, nicht bloß auf Grund eines privaten Verhältnisses zu dessen Herrscher Philipp. In der historischen Entwicklung steht am Anfang die private Gastfreundbeziehung. Bei Homer ist es selbstverständlich der Herrscher persönlich, an den der Fremde sich mit der Bitte um Aufnahme wendet. Die Unterscheidung zwischen privater und staatlicher Sphäre ist auch später in den Monarchien nicht so eindeutig möglich wie in Demokratien und Republiken. Wo es die Sache erfordert, unterscheiden nicht nur die griechischen Autoren zwischen privater Xenía und staatlicher Proxenia; auch der Römer Livius (30,13,11) lässt den gefangenen Numiderkönig vor seinem Gastfreund, dem Feldherrn Scipio, bekennen, er habe nicht bloß gegen das private Gastrecht (hospitia privata), sondern auch gegen die staatlichen Bündnispflichten (publica foedera) gehandelt. Allerdings sind in der Ausgestaltung

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der zwischenstaatlichen Beziehungen Griechen und Römer unterschiedliche Wege gegangen, die deutlich werden in den Übersetzungen des in drei Sprachen abgefassten Textes der Inschrift, die der erste Präfekt der kaiserlichen Provinz Ägypten, Cornelius Gallus, im Jahr 29 v. Chr. auf der Nil-Insel Philae an der Grenze zu Nubien aufstellen ließ. Im griechischen Text22 erscheint die Rechtsstellung des Nubiers in sehr viel harmloserem Licht: nachdem ich vom König die Proxenia erhalten habe. Die harte römische Sicht der Dinge zeigt der lateinische Text (CIL III 14147,8): nachdem der König unter Schutz genommen war (rege in tutelam recepto), was nichts anderes heißt als das Nubische Reich sei ein Vasallenstaat Roms geworden. Beides war ein großmäuliger Schwindel, entlarvt, als wenige Jahre später nach Süden vordringende römische Truppen geschlagen und Philae von den Nubiern besetzt wurde.

2. Gastfreundschaft von Staaten und Gemeinschaften Grundregeln Platon hat im 12. Buch seiner Gesetze (952 D–953 E) einen Entwurf von Gesetzen über die Aufnahme von Fremden vorgelegt. Er unterscheidet vier Arten von Fremden. Als Erstes geht es um den Kaufmann, der alljährlich übers Meer kommt, um Gewinn bringenden Handel zu treiben. Diesen sollen die dafür eingesetzten Beamten auf Marktplätzen, in Häfen und staatlichen Gebäuden außerhalb der Stadt, aber in Stadtnähe aufnehmen, wobei sie darauf achten, dass keiner von solchen Fremden neue Sitten einführt, und sie sollen ihre Rechtsangelegenheiten in geordneter Folge zur Verhandlung bringen, indem sie so viel wie nötig, aber so wenig als möglich mit ihnen verkehren. Der zweite ist mit seinen Augen im wahrsten Sinne ein Zuschauer und mit seinen Ohren empfänglich für alle musischen Darbietungen. Für jeden solchen muss es nahe den Tempeln Raststätten geben, eingerichtet zur freundlichen Beherbergung fremder Menschen, und es müssen sich Priester und Tempeldiener ihrer annehmen und für ihre Bedürfnisse sorgen so lange, bis sie nach angemessener Verweildauer gesehen und gehört haben, weswegen sie gekommen waren, und wieder abreisen ohne einen Schaden weder angerichtet noch erlitten zu haben. Richter für sie sollen die Priester sein, wenn einer jemandem von ihnen Schaden zufügt oder ein Gast einem anderen in all den Fällen, deren Streitwert unter 50 Drachmen liegt; wenn jedoch eine größere Forderung gegen sie erhoben wird, soll das Verfahren in diesen Fällen bei den Marktaufsehern liegen. An dritter Stelle muss man einen Fremden von Staats wegen aufnehmen,

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der zu einem Staatsgeschäft aus einem anderen Land gekommen ist. Ihn haben ausschließlich Heerführer, Reiterkommandeure und Fußtruppenkommandeure zu sich ins Haus zu nehmen, und die Bewirtung solcher Personen darf unter Mitwirkung der Prytanen allein von demjenigen durchgeführt werden, bei dem eine von diesen Personen als Gastfreund seine Wohnung bezogen hat. Der vierte, wenn je einer kommt, dann zwar selten, aber wenn er also kommt als ein Gegenbesuch für die Beobachter, die wir von uns aus in fremde Länder geschickt haben, dann soll ein solcher Besucher aus fernem Land erstens nicht jünger als fünfzig sein, überdies die Absicht haben, etwas Schönes kennen zu lernen, was an Schönheit das übertrifft, was es in anderen Städten gibt, oder seinerseits etwas Derartiges in einer anderen Stadt vorzuzeigen. Ein jeder solcher soll allezeit, ohne dass es einer Einladung bedarf, zu den Türen der Reichen und Weisen gehen, weil er selber ein solcher ist. Von den vier Gruppen des platonischen Idealprogramms hat nur weniges eine Entsprechung im wirklichen Leben. In Athen gab es bis ins 4. Jahrhundert v. Chr. die Behörde der Nautodikai, die Streitsachen fremder Kaufleute innerhalb eines Monats zu entscheiden hatte. Um die eigenen Bürger, wenn sie als Kaufleute in fremde Länder reisten, kümmerten sich die dortigen Vertreter ihrer Heimatstaaten, die Proxenoi. Die staatlichen Herbergen, in denen nach Platons Anweisung die Fremden unter Kontrolle der örtlichen Polizei unterzubringen wären, hat es im klassischen Griechenland und Rom so nicht gegeben. Dass das Problem zu seiner Zeit durchaus aktuell war, zeigen die noch konkreteren Vorschläge von Platons Zeitgenossen Xenophon (Poroi 3,12): Bei gegebenem Anlass wäre es sehr gut, für die Seefahrer Herbergen in Hafennähe zu bauen, zusätzlich zu den bestehenden (das heißt privaten gewerblichen). Gut wäre es, auch für die Händler geeignete Räume zu Kauf und Verkauf einzurichten und für die von auswärts Kommenden staatliche Herbergen. Wenn auch für die Marktfahrer Unterkunfts- und Verkaufslokale eingerichtet werden könnten im Piraeus ebenso wie in der Stadt, wäre das gleichzeitig eine Verschönerung des Stadtbildes und es ergäben sich daraus viele zusätzlichen Einnahmequellen. Die Unterkunftshäuser in den griechischen Hafenstädten gehörten den Kaufmannsgilden der ausländischen Herkunftsstädte. Seit Delos durch seinen im Jahr 166 v. Chr. errichteten Freihafen als wichtigster Umschlagsplatz des Ostens den Hafen von Rhodos verdrängte, richteten dort die Seehandelsgesellschaften ihre Häuser ein, am bekanntesten die PoseidoniastenGilde aus Berytos (Beirut) und die sich nach dem Schutzgott der Kaufleute Mercurius (griechisch Hermes) Mercuriales nennenden Italiker. In Korinth dürfte wohl die große Halle an der Südseite der Agora mit ihren Läden,

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Magazinen, Brunnen und Kanalisation ebenso von ausländischen wie von ortsansässigen Kaufleuten genutzt worden sein. Auf die für den Handel wichtigen Staatsverträge, die Ein- und Ausfuhr und Hafenrechte regelten, geht Platon nicht ein. Ein Beispiel für die Frühzeit gibt der von Polybios (3,22–26) ins Jahr 508 v. Chr. angesetzte Vertrag zwischen Rom und Karthago. Im Gebiet der Kleinen Syrte südlich von Karthago waren die Häfen für römische Händler gesperrt, im karthagischen Teil Siziliens galt Gleichberechtigung. Geschäfte bedurften zur Gültigkeit der Mitwirkung eines Herolds oder Schreibers; dann übernahm der Staat die Bürgschaft für die Zahlung. Das Handelsrecht galt für die beiden Städte und ihre Untertanengebiete; außerhalb der Zuständigkeit lag zum Beispiel der rege Handel der Karthager mit den Etruskern, von deren Städten aus Waren weiter nach Rom gelangen konnten. Dem römischen Seefahrer, der durch Sturm oder Feinde gezwungen war, in einem verbotenen Hafen zu landen, gewährten die Karthager ein Notrecht, zu erwerben, was man benötigte, um das Schiff flottzumachen, oder für Opfer. Er darf sonst nichts weiter weder kaufen noch verkaufen und muss binnen fünf Tagen wieder auslaufen. In Verträgen, die eine Freundschaft zweier Orte vereinbarten, wurde das Versagen der gastlichen Aufnahme sogar mit Geldstrafen geahndet. Der Schiedsspruch, mit dem die Argeier um die Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. einen Streit der kretischen Städte Tylissos und Knossos beilegten, bestimmt23: Wenn sie aber keine Gastfreundschaft gewähren, soll der Rat sogleich eine Strafe von 10 Stateren den Kosmoi (Behörden von Knossos) auferlegen, und der Knossier entsprechend in Tylissos. Der Vertrag der ostlokrischen Stadt Naryka mit dem Geschlechterverband der Aianteioi bestimmt,24 die Gastleistungen nicht zu vergessen, wenn einer gemäß dem Gastvertrag von der Gemeinde Naryka kommt. Wenn sie aber unterlassen werden, dann soll der Gemeindevorsteher 15 Drachmen Buße zahlen. Wenn der Gemeindevorsteher in einem Prozess verurteilt wird, soll er 300 Drachmen zahlen. Der Kläger in der Gastvertragssache soll straffrei bleiben. Die zwischenstaatlichen Freundschaftsverträge enthalten selbst keine Bestimmung darüber, welcher Richter im Fall einer Klage die vertragliche Buße verhängen darf. Zur Vermeidung der Parteilichkeit ist es unerlässlich, dass es nur ein Neutraler aus einem Drittstaat sein kann, keinesfalls der Bürger eines der Vertragsstaaten. Der Gemeinde, in der der Prozess geführt werden sollte, oblag es also, einen Beschluss zu fassen, auf Grund dessen ein Gesandter abgeschickt wurde mit der Bitte an die entsendende Stadt, einen angesehenen und bewährten Mann als Richter abzuordnen, ein Vorgang, der freilich nirgends auf einer Inschrift festgehalten worden ist. Nur

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nachträglich dankt eine Ehreninschrift des 3.–2. Jahrhunderts v. Chr. in Eretria (SEG 11 [1950] 468) den Spartanern für die Entsendung von Richtern, die ihrer und unserer Stadt würdig waren. Der abgeordnete „fremde Richter“ war samt seinem Sekretär (grammateús) am Gerichtsort für die Dauer seiner Tätigkeit Staatsgast, betreut von einem Ortsbürger, dem Dikastagogós, und untergebracht in einem staatlichen Gästehaus. Ein „Gästehaus der Römer und Richter“ ist im 2. Jahrhundert v. Chr. in Sparta bezeugt.25 In Tegea hat ein Richter aus Mantinea 60 Tage gewohnt.26 Die Richter selbst nannte man „Richter aus fremdem Land“ (dikastái apó tes xénes) in der Inschrift von Adramytteion27 aus dem Jahr 106 v. Chr. oder „abgesandte Richter“; die Bezeichnung Xenokrites (Fremdrichter) ist nicht streng technisch geworden.28 Die besorgte Furcht vor Bestechlichkeit und Befangenheit einheimischer Richter war groß. Kaiser Augustus gewährt in seinem Edikt für die Kyrenaika (SEG 9 [1938] 8) den Griechen mit Ausnahme von Kapitalverbrechen in allen Prozessen griechische Richter, aber nur, wenn nicht der Beklagte oder Angeklagte als Richter römische Bürger zu haben verlangt, und von den griechischen Richtern soll keiner aus demselben Ort wie eine der Parteien kommen. Hohes Ansehen genießen das Amt des den Staat als Gastgeber repräsentierenden Dikastagogos ebenso wie der fremde Richter als Gast und Person besonderen Vertrauens. Im Theater von Sparta sind zahlreiche Ehreninschriften aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. gefunden worden, in denen jeweils alle Ehrenstellen aufgeführt werden, die der Geehrte in seinem Leben bekleidet hat. Die Rolle des Dikastagogos aus Asien (SEG 11 [1954] 493) und des Dikastagogos zur Zeit des Onasikleidas (ebda. 496) darf unter den Ehrungen nicht fehlen. Sie haben den Gastrichtern das Geleit gegeben und sie, wie in Sparta üblich, diskret überwacht. Besonders ehrenvoll ist es, Betreuer fremder Richter in Sparta und selber Richter im Ausland gewesen zu sein, wie Eudokimos (ebda. 471) Dikastagogos aus Samos, Xenokrites nach Alabanda. Das meiste freilich blieb der privaten Initiative und der privaten Gastfreundschaft überlassen. Der staatlichen Regelung entzog sich auch weitgehend die vierte Gruppe, die der Gelehrten und Künstler, für die Platon außer der Altersgrenze keine andere Beschränkung kennt. Es bleibt die zweite Gruppe, die Besucher von heiligen Orten und Festen, wozu in Athen die Theateraufführungen gehören. Für sie sorgten auf ihren Reisen die Theorodokoi (siehe unten S. 65); diese waren nicht, wie Platon vorschreibt, nur Priester und Tempeldiener, sondern vor allem vermögende Bürger. Die dritte Gruppe, die in Staatsgeschäften Reisenden, waren Gäste der Proxenoi, und wiederum waren diese nicht ausschließlich Heeresoffiziere. Andererseits lässt Platon manche Gruppen unberücksichtigt. So nah-

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men zum Beispiel die Bürger von Kolonien, wenn sie in die Mutterstadt reisten, eine bevorrechtete Sonderstellung ein. Sie hatten bei der Gründung ihrer Stadt die Götter und deren Kulte aus der Mutterstadt mitgenommen. Darum hatten sie bei vorübergehender Rückkehr das Recht, an den heimischen Kulten teilzunehmen, von denen andere Fremde streng ausgeschlossen blieben. Dasselbe Recht galt auch umgekehrt, wenn ein Bürger der Mutterstadt die Tochterstadt besuchte und dort am politischen Leben teilnehmen und Ämter bekleiden wollte. Muster einer solchen Regelung ist der Staatsvertrag zwischen der Mutterstadt Milet und der milesischen Kolonie Olbia an der Nordküste des Schwarzen Meeres.29 Gleichstellung mit den bürgerlichen Rechten der Ortsbürger (Isopoliteia), das Recht, auf fremdem Territorium Grund zu erwerben und dort im eigenen Haus zu wohnen (Enktesis), und das Recht, mit Ortsbürgerinnen eine vollgültige und das Vollbürgerrecht der Kinder sichernde Ehe zu schließen (Epigamia), konnten zwar durch Staatsverträge auch mit fremden Staaten vereinbart werden, waren aber Kolonisten in ihrer Mutterstadt leichter zugänglich. Im Übrigen werden Bürger befreundeter Staaten insgesamt, ohne dass sie eine Sonderstellung als Theorodokoi oder Proxenoi innehaben, zu einem gegenseitig freundschaftlichen Verhalten verpflichtet. Die Verträge zwischen Milet und Knossos und zwischen Delphi und Pellana30 legen rechtsverbindlich fest, dass, wer wissentlich einen Bürger der befreundeten Stadt als Sklaven kauft, ihn unverzüglich und ohne Entschädigung freilassen muss. In einer Schul-Deklamation (Seneca, Controversiae 10,5) wird ein fiktiver Fall angenommen: Der athenische Maler Parrhasios hat einen Bürger der befreundeten Stadt Olynth als Sklaven gekauft, nachdem König Philipp von Makedonien Olynth erobert und die Einwohner versklavt hatte. Er benutzt in Athen den Sklaven als Modell für ein Gemälde des gefolterten Prometheus. Der gefolterte Sklave stirbt. Der Rhetor Cestius Pius lässt den Parrhasius zu seiner Rechtfertigung sagen: Ich habe ihn gekauft und hält ihm als Ankläger entgegen: Nein, wenn du ein Athener bist, hast du ihn freigekauft. Den olynthischen Sklaven lässt er, bevor ihm die Ketten angelegt werden, zuversichtlich erklären, er habe doch keinen Grund zur Flucht: Wäre ich zu einem andern Gebieter gekommen, dann wäre ich geflohen, und zwar nach Athen. Das rührende Vertrauen des Opfers auf die Schutzfunktion der Städtefreundschaft steht in Kontrast zur Gefühlskälte des Täters, der sich für berechtigt hält, mit dem, was er gekauft hat, nach Gutdünken zu verfahren.

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Die Theorodokía Nicht nur die Besucher der vier großen gemeingriechischen Spiele, sondern auch die der zahlreichen lokalen Feste waren viel auf Reisen. Die Festspielorte sandten ihrerseits ihre Boten in die Städte, um die Besucher einzuladen. Beide Gruppen, Besucher und zum Besuch einladende Boten, wurden Theoroí genannt, und für ihre Unterkunft sorgten die Theorodókoi genannten Gastgeber. Sie hatten keinen geringen Anteil am Reiseverkehr in Griechenland: Unter den von Platon (siehe oben S. 60) genannten Gruppen stehen die Theoroí gleich nach den Handelsleuten an zweiter Stelle. Wie die im Wettstreit an den Spielen Auftretenden standen auch die Theoroí unter besonderem Schutz der Götter und durften auf ihrer Fahrt zum oder vom Spielort nicht gehindert oder verletzt werden. Dieses Gebot wurde nicht bloß in Griechenland geachtet. Livius (1,9) schildert den Raub der Sabinerinnen nach Art eines griechischen Festes. Romulus schickt Boten mit der Einladung in die Nachbarstädte. Die Festbesucher werden in die Häuser der Theorodokoi aufgenommen (invitati hospitaliter per domos). Nach dem Überfall führen die Väter der geraubten Töchter Klage wegen des Verbrechens der verletzten Gastfreundschaft, und sie rufen den Gott Neptunus an, zu dessen Festfeier sie gekommen seien, nachdem man sie wider göttliches Recht und wider Treu und Glauben betrogen habe (incusantes violati hospitii scelus deumque invocantes, cuius ad sollemne ludosque per fas ac fidem decepti venissent). Die Theoroi zu beherbergen galt als eine Ehre, und die Städte übertrugen dieses Amt den angesehensten unter ihren Bürgern. Daneben konnten Theoroi aber auch bei Gastfreunden Aufnahme finden, die sie am Reiseziel schon selbst kannten oder bei solchen, die die aussendende Heimatstadt am Zielort ernannt hatte. Es gab Verzeichnisse, auf denen zu jedem Ort die Namen der dort ansässigen Theorodokoi angegeben waren. Eine solche Liste bietet eine Inschrift aus dem Festspielort Nemea.31 Am anschaulichsten ist das Bild, das der von den Theoren handelnde Teil eines Beschlusses der Aitoler bietet, nachdem der König Eumenes von Pergamon sie im Jahr 182 v. Chr. zu dem von ihm veranstalteten Fest der Nikephoria eingeladen hatte.32 Der Amphiktyonenrat beschließt, Theoren nach Pergamon zu entsenden, weil das Opferfest für Athene Nikephoros (die Siegbringende) stattfindet. Die Anordnungen für die Aussendung soll der jeweils geschäftsführende Stratege treffen. Für die Theoren, welche die Wettspiele der Nikephoria ankünden, sollen die Städte eine jede Theorodokoi aus der Reihe ihrer eigenen Bürger einsetzen und es sollen darüber die Amtsleute aus den einzelnen Städten den Strategen oder dem zu den Pythischen (das heißt Delphischen) Spielen bestimmten Proxenos Meldung erstatten. Wir

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gewähren Waffenruhe und alle Gastleistungen, wie sie auch den die Olympischen Spiele ankündigenden Theoren gewährt werden. Der Stratege und die anderen Beamten sollen dafür Sorge treffen, dass die Olympischen Spiele akzeptiert werden, der heilige Ort unverletzt bleibt, die Theorodokoi eingesetzt werden und die übrigen im Beschluss getroffenen Maßnahmen eingehalten werden. (Beschlossen ist auch,) die Theoren zu ehren: Perses, Sohn des Dionysios aus Syrakus, Theolytos, Sohn des Ariston aus Aigina, Ktesippos, Sohn des Demetrios aus Pergamon, und dass ihnen der Titel Proxenos und Wohltäter der Aitoler verliehen wird. Dass dieselbe Person zugleich Proxenos und Theorodokos wird, ist an Festspielorten üblich. In Argos, wo man zu Ehren des Zeus die Nemeischen Spiele und zu Ehren der Hera die Heraia feierte, ehrte man die Gesandten aus Pellantion, die gekommen waren, um für den Beistand der Argeier in Kriegsnot zu danken, indem man sie und ihre Nachkommen in die Liste aufnahm mit den gleichen Rechten wie die anderen Proxenoi und Thearodokoi.33 Dass man die die Einladung überbringenden Theoren zu Proxenoi ernannte, hatte ein praktisches Ziel: Als Proxenoi wurden sie die Gastgeber für die künftigen Besucher des Festes. Die Behörden des Veranstaltungsortes mussten als Gemeinde Vorsorge treffen. Delphi sichert den Theoren von der Insel Skiathos34 zu: Ein Hestiatórion, Brennholz, Essig und Salz. Zu den Theoxénia (Feiern des Opferschmauses) gibt man ihnen die Stücke vom Opferfleisch der Tiere, die sie hergebracht haben und von denen Priester und Tempeldiener ihren Anteil empfangen haben. Sie werden gebraten und im Hestiatórion, dem für das Festmahl zugewiesenen Lokal, verzehrt. Als Ehrenrechte gewährt man den Theoren von Skiathos außerdem ein bevorrechtigtes Klagerecht beim Gericht und den Schutz der Asylia. Eine Verordnung über die Behandlung der zum Fest nach Delphi abgesandten Vertreter der Insel Andros35 regelte ebenfalls deren Ansprüche auf die Verpflegung, die ihnen von den Delphern offiziell gereicht wurde. Was diese Inschrift weiter über die „drei Häuser“ sagte, ist in dem zerstörten Schriftzustand nicht erkennbar. Waren sie zur Unterbringung der Festgesandten bestimmt? Es wurde im Lauf der Zeit nötig, an viel besuchten Orten solche Unterkünfte zu errichten. Denn an den sehr berühmten Spielorten reichte die Zahl der Theorodokoi nicht für alle Besucher und die Delegationen der eingeladenen Städte. In der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. wurde in Olympia ein großes Gebäude (74 × 80 m mit einem Innenhof von ca. 30 × 30 m) zur Unterbringung und Speisung der vornehmeren Festgäste errichtet. Den Stifter nennt eine Inschrift, die einst über den Säulen des Eingangs angebracht war: Leonides, Sohn des Leotes aus Naxos. An sich wäre die Sorge für die Festbesucher den Bürgern des Ortes, den Eleern, obgelegen, und

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Pausanias, der im 2. Jahrhundert n. Chr. Olympia besucht hat, schreibt denn auch in seinem Reisehandbuch (5,15,2) das Leonidaion irrtümlich einem Einheimischen zu. Zu seiner Zeit war das Leonidaion durch zwei Umbauten verändert. Schon bald nach der Fertigstellung des Hauses hatte die arkadische und mit Elis befreundete Stadt Psophis dem olympischen Zeus eine Ehrenstatue des Erbauers Leonides geweiht, deren Basis erhalten ist und auf deren Inschrift Pausanias (6,16,5) den Leonides als Naxier bezeichnet fand. Weil er aber den wie die vielen anderen durch Statuen Geehrten für einen Wettkampfsieger hielt, setzte er ihn nicht in Beziehung zum Leonidaion. Dass überhaupt ein Grieche aus der fernen Insel Naxos und eine Stadt aus Arkadien sich zur Unterstützung der Festbesucher in Olympia der Theorodokia annahmen, beweist den hohen Rang dieser Spiele im Bewusstsein aller griechischen Stämme. Einen vornehmen Festbesucher noch vor der Erbauung des Leonidaion erwähnt Xenophon (Anabasis 5,3,7). In seinem Haus in Skillus an der Straße von Sparta nach Olympia nicht weit vom Festort und dem ZeusTempel erhielt er den Besuch des Oberpriesters des Artemis-Tempels von Ephesos, eines nicht weniger berühmten Heiligtums. Er war unterwegs als Festgesandter der Epheser zu den Olympischen Spielen und brachte bei dieser Gelegenheit das Geld mit, das Xenophon nach der Rückkehr vom Perserfeldzug im Tempel zu Ephesos hinterlegt hatte. Xenophon baute mit dem wieder erhaltenen Geld ein Tempelchen der Artemis in einem Hain, wo die Leute von Skillus ein jährliches Fest feierten und von dem aus die nach Olympia strebenden Wanderer in einer guten Wegstunde ihr Ziel erreichen konnten. Nahe beim Leonidaion wurde eine Inschrift gefunden mit einem Beschluss des Akarnanischen Städtebundes. Es geht darin um die Wiederaufnahme der Festspiele beim Apollon-Tempel von Aktion. Die ausrichtende Stadt Anaktorion war zu sehr verarmt und vereinbarte deshalb in einem Vertrag (wohl 216 v. Chr.) mit dem Städtebund, dass die Gesamtheit der Akarnanen an den Kosten beteiligt würden. Von dem Stein, auf dem die Urkunde öffentlich in Anaktorion aufgestellt war, wurde zur Sicherheit eine Zweitschrift in Olympia aufgestellt, welches das erhaltene Exemplar ist.36 Im Vertrag wird ein Heleneion erwähnt, sicher kein Tempel, sondern eher ein Haus zur Unterbringung der Ehrengäste, ähnlich dem Leonidaion in Olympia. Bei der Regelung der Kostenverteilung zwischen der Hafenstadt Anaktorion und dem Bund erhalten wir wichtigen Aufschluss über jene Festbesucher, die nicht als delegierte Vertreter ihrer Heimatstädte, sondern aus eigenem Antrieb kamen. Für sie gab es Lagerplätze (Parembolai), wo sie nach Herkunftsorten gemeinsam, unter freiem Himmel oder in Zelten, kampierten. Außer dem Fest fand zugleich ein Markt statt, auf

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dem sie sich mit allem, was sie brauchten, versorgen konnten. Mit dem Geld, das sie dabei ließen, trugen sie zu den für die Ausrichtung des Festes nötigen Einnahmen bei. Denn die Händler zahlten Standgebühren (Agorastikón) und Umsatzsteuer von den verkauften Waren (Epónion). Weitere Einkünfte flossen aus der Quelle der Hafensteuer (2%), die während der Festzeit reichlicher sprudelte, und der etwa zehnmal höheren Steuer für den Verkauf von Menschen (Sómata) auf dem Sklavenmarkt. Was die Steuerbeamten – nach dem Fünfzigstel des Warenwerts, den sie kassierten, „Fünfziger“ genannt – und die Marktaufseher (Agoranomoi) einnahmen, teilten sich vertragsgemäß Stadt und Bund je zur Hälfte. Die Agoranomen hatten auch für genügend frisches Trinkwasser zu sorgen. Vorschriften über den Markt für die Besucher der Mysterien von Andania enthält gleichfalls ein Gesetz der Behörden von Messenien.37 Die Ausgräber haben auch in Olympia reichliche Brunnen gefunden, und die Römer haben die Wasserleitungen noch weiter ausgebaut. Ein voll organisiertes Festspielwesen wie das der Pythischen Spiele in Delphi durfte sich nicht mit den Anlagen am Ort selbst begnügen. Die in der delphischen Amphiktyonie verbündeten Staaten wurden nicht allein am Unterhalt der Bauten in Delphi beteiligt, sondern hatten vor allem auch die Zugangswege instand zu halten, die durch ihr Gebiet nach Delphi führten. Die leider nur lückenhaft lesbare Inschrift38 nennt Straßen und Brücken, deren Benutzbarkeit sicherzustellen zu den den Bundesstaaten obliegenden Pflichten gehörte. Literarisch bezeugt ist durch Thukydides (3,68,3) eine Fremdenherberge für die Besucher des Hera-Tempels bei Plataiai. Die boiotische Stadt hatte sich den belagernden Spartanern im Jahr 426 v. Chr. ergeben, und die mit ihnen verbündeten Thebaner vernichteten die besiegte Rivalin endgültig. Nachdem sie die ganze Stadt bis auf die Grundmauern niedergerissen hatten, bauten sie aus den Steinen beim Hera-Tempel eine Fremdenherberge von 200 Fuß im Quadrat, die überall rings um den Innenhof Wohnräume aufwies im unteren und oberen Stock, und verwendeten dazu die Sparren und die Türen der Platäer, und aus dem, was sich sonst noch innerhalb der Stadtmauer fand, Bronze und Eisen, fertigten sie Bettgestelle und weihten das Gebäude der Hera. Bei dem Tempel hatten die umliegenden Städte ihr regelmäßig wiederkehrendes Frühlingsfest der Göttin Hera vom Berg Kithairon gefeiert. Dadurch ist der Grund für den Herbergsbau gegeben: Weil die Theoren in der zerstörten Stadt kein Obdach mehr finden konnten, musste für sie eigens ein Haus gebaut werden. Noch im christlichen 4. Jahrhundert erwähnt Kaiser Julian der Abtrünnige eine zu einem ehemaligen Tempel gehörende Herberge (Brief 79). Er lobt den Bischof Pelagios von Ilion dafür, dass er heidnische Bauwerke

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nicht zerstört habe. Nur von der Herberge habe er sich Steine geholt. Da es keine heidnischen Feste mehr am Ort gab, war die nicht mehr genutzte Tempelherberge zum Abbruch frei. Ähnliche Bauten wie das Leonidaion von Olympia gab es auch bei Tempeln, die nicht der Festspiele wegen besucht wurden, sondern deren Besuch den Heilgöttern Apollon, Asklepios oder, wie in Oropos, Amphiaraos galt. Die Besucher waren also nicht Theoren, Anlass ihrer Reise war die Hoffnung, durch den Tempelschlaf in der heiligen Halle vom Gott Hilfe in ihren Leiden zu erlangen. Der Asklepios-Tempel in Nähe der Stadt Epidauros war mit Kuranlagen verbunden, zu denen neben heiligen Quellen und Hainen auch ein Theater und das Gästehaus gehörten. Dieses hat einen quadratischen Grundriss von 77 × 77 m. Der Bau setzt sich zusammen aus vier Quadraten mit je einem Innenhof, auf den hin sich die je 18 Zimmer öffnen. Nimmt man eine zweistöckige Anlage an, standen somit 144 Räume zur Verfügung. Sie dienten nur dem Aufenthalt, eine Krankenbehandlung fand hier nicht statt. Die Gäste konnten in der Herberge die Zeit verbringen, bis in der Tempelhalle für sie ein Platz frei wurde zur Inkubation, dem Schlaf, in dem der im Traum erscheinende Gott die ersehnte Hilfe brachte.

Die Proxenía39 Der griechische Próxenos vertritt am Ort, wo er sich aufhält, die Interessen eines fremden Ortes und die der von dort kommenden Bürger. Was ihn vom Berufskonsul moderner Zeit unterscheidet, ist der Umstand, dass er nicht als Beamter des auswärtigen Dienstes aus dem Ausland an den Ort seiner Tätigkeit gesandt wird. Die grundsätzliche Rechtlosigkeit auf fremdem Territorium ließe eine Ausübung der Proxenie durch einen solchen Abgesandten nicht zu. Der Proxenos muss ein vollberechtigter Bürger der Stadt sein, in der er wohnt, ein Mann, der an allen Rechts- und Staatsgeschäften, sogar an den für Fremde unzugänglichen Kulten der Stadtgötter teilnehmen darf. Nur so ist es ihm möglich, sich mit Erfolg für die Belange von Fremden einzusetzen.40 Im Allgemeinen gehen persönliche Freundschaftsdienste für Leute aus fremden Landen voraus, die eine gute Beziehung herstellen. Wenn die Kontakte Aufmerksamkeit wecken und sich das Bestehen einer „Anlaufstelle“ herumspricht, dann werden ihn die Behörden im Namen der Stadt, der er sich nützlich erwiesen hat, bitten, die Ehre der Ernennung zu ihrem Proxenos anzunehmen. Es versteht sich von selbst, dass man sich dabei einen möglichst einflussreichen Vertreter aussucht, in demokratischen Staaten den politisch führenden Mann, in Monarchien den Tyrannen oder den König. Grundsätzlich hindert nichts,

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dass diese angesehene Person (principem auctoritate et opibus) auch eine Frau sein darf, so zum Beispiel die delphische Bürgerin Praxo, Proxenos des makedonischen Königshauses, bei der Harpalos, ein Feldherr des Königs Perseus, die drei Attentäter einquartiert, welche im Jahr 172 v. Chr. den König Eumenes von Pergamon ermorden sollen (Livius 42,15,3). Als Dank werden dem Proxenos für den Fall, dass er selber auf einer Reise in die Stadt kommt, für die er sich an seinem Heimatort einsetzt, besondere Vorrechte eingeräumt. Von praktischer Bedeutung war vor allem die Befreiung von Abgaben für Ein- und Ausfuhr von Waren und anderen Fremdensteuern (Atéleia). Denn nicht selten hatte der Proxenos Besitzungen oder Geschäftsniederlassungen in der Fremde, die mit den Grund zu seinen dorthin bestehenden Verbindungen gelegt hatten. Es kam ihm zustatten, wenn Personen und Sachen nicht mit Abgaben belastet wurden. Das Recht, ein Grundstück und ein Haus zu erwerben (Enktesis), konnte eigens verliehen werden. Selbst im Kriegsfall wurden seine Besitzungen auf Grund des ihm zustehenden Asylrechtes nicht enteignet und er selbst, falls er ergriffen wurde, nicht als Gefangener behandelt. Denn das dem Verhältnis der Gastfreundschaft eigene Gegenseitigkeitsprinzip erfordert, dass ihm in gleichem Maße, wie er gegeben hat, gebend vergolten wird. Auf Gastfreundschaftssitte weist auch das oft verliehene Ehrenrecht der Speisung auf Staatskosten im Amtshaus. In Athen konnte sich ein in seiner Heimat für Athen als Proxenos wirkender Nichtathener, ohne durch einen Athener vertreten zu werden, selbst direkt an die oberste Instanz der Fremdengerichtsbarkeit wenden. Es war dies der Archon Polemarchos, der „Kriegsminister“, und der altherkömmliche Titel zeigt noch, dass in ursprünglicher Sicht ein Fremder eben als Feind gegolten hatte. An anderen Orten entspricht dieser Gunst das Recht auf bevorzugten Zugang zur Sitzung des Rates als Erster nach der Verhandlung über heilige Dinge.41 Das religiöse Tabu war die letzte für jeden Fremden unüberwindbare Grenze. Es ist eine seltene Ausnahme, dass eine Gemeinde einen in ihr wohnhaften Ausländer zu ihrem Proxenos ernennt. Es geschah unter besonderen Voraussetzungen im Falle des Syrakusaners Timon, Sohn des Nymphodoros, der auf der Insel Delos wohnte und dort Proxenos wurde (IG XI 4,759). Timon war Chef eines überregional tätigen Bankhauses und mit seinen Geschäftsverbindungen im Seehandel gewiss in der Lage, auch in Syrakus die Interessen des Hafens Delos zu vertreten ohne ständig dort zu wohnen, wie es ein Proxenos der Delier eigentlich müsste. Nicht zu den üblichen Ehrungen gehört das Gedenken an einen toten Proxenos. In der Frühzeit der staatlichen Proxenie (6. Jahrhundert v. Chr.) hat die Gemeinde auf Kerkyra (Korfu) ihrem Proxenos und Freund Menekrates von Oiantea, der auf einer Seereise umgekommen war, ein Denkmal

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gesetzt (IG IX 1 Nr. 867). Es zeigt, dass auch im staatlichen Bereich persönliche Freundesbindungen bestanden. Von der Obrigkeit des Ortes, an dem er für die Belange von Ausländern eintrat, bedurfte der Proxenos dazu keiner eigenen Erlaubnis; er tat es mit dem Recht eines freien Bürgers der Stadt, in der er wohnte. Es gab kein für alle Fremden zuständiges „Ausländeramt“, dessen Amtsträger in den demokratischen Staaten vom Volk hätten gewählt werden müssen. Von der Gemeinde bestellt wurden allerdings die Richter (Xenodíkai) in den Prozessen, vor denen der Proxenos als Rechtsbeistand (Prostátes) für den Ausländer auftrat. Herodot (6,57) erwähnt als Besonderheit, in Sparta habe den Königen das Recht zugestanden, Proxenoi zu ernennen. Das ist wohl so zu erklären, dass die mit Sparta in Verbindung tretenden Staaten zunächst im König selbst den geeigneten Vertreter sahen, an den sie ihre Wünsche zu richten hatten, der König jedoch die Aufgabe an von ihm ernannte Männer delegierte. Seit der Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. war es Spartanern verboten, außerhalb Spartas zu wohnen oder ohne besonderen Staatsauftrag ins Ausland zu reisen. Die wirtschaftliche und kulturelle Abschottung des Lebens in Sparta bewirkte, dass sich die Haltung gegenüber Fremden deutlich von der anderwärts unterschied. Fremde kamen nach Sparta kaum als Kaufleute, sondern fast nur als Gesandte von Staaten. Entsprechend oblag den von Sparta in ausländischen Gemeinden ernannten Proxenoi vor allem die Beherbergung spartanischer Unterhändler bei zwischenstaatlichen Verhandlungen. So war es auch, als der Hauptmann eines spartanischen Trupps im Jahr 378 auf eigene Faust einen Überfall auf den athenischen Hafen Piräus versuchte (Xenophon, Hellenika 5,4,22): Als Gesandte der Lakedämonier befanden sich gerade Etymokles, Aristolochos und Okyllos in Athen bei ihrem Proxenos Kallias. Als dies gemeldet wurde, nahmen sie die Athener fest und stellten sie unter Bewachung, weil sie der Mitwisserschaft verdächtigt wurden. Die drei verteidigten sich: Sie wären doch wohl kaum so dumm gewesen, wenn sie gewusst hätten, dass der Piräus überfallen würde, dass sie sich selber in der Stadt der Verhaftung ausgesetzt hätten, und das im Haus des Proxenos, da, wo man sie sofort hätte finden müssen. Das genügte, die Athener zur Freilassung zu bewegen; es war einleuchtend, dass Gesandte Spartas nirgendwo sonst als beim Proxenos sein konnten. Im 5. Jahrhundert hatte das Amt des Proxenos der Spartaner bei der Familie des Alkibiades gelegen, und Alkibiades hatte es zu erneuern versucht, indem er sich für spartanische Kriegsgefangene einsetzte. Er fühlte sich schwer beleidigt, als die spartanischen Unterhändler bei den Friedensverhandlungen im Jahr 421 es vorzogen, sich an seinen innenpolitischen Konkurrenten Nikias zu halten (Thukydides 5,43,2. 6,89,2. Plutarch, Alkib.14).

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Von der Stadt, in der er als Bürger wohnt, erhält der Proxenos keinerlei Vergünstigungen. Er muss unter den Mitbürgern also eine so angesehene und gefestigte Stellung einnehmen, dass er sich auch in einem Konflikt der Interessen seiner Heimatstadt mit denen des von ihm vertretenen ausländischen Staates zu behaupten vermag; er genießt das Vertrauen beider Seiten. Immerhin ist er für seine Heimatstadt ein geeigneter Unterhändler. Mit einem solchen Auftrag spricht Kallias als athenischer Gesandter zu den Spartanern (Xenophon, Hellenika 6,3,4): Eure Proxenie habe nicht nur ich inne, sondern der Vater meines Vaters hat sie mir als Familientradition hinterlassen. Ich will euch daher ganz offen sagen, wie es um das Verhältnis der Stadt zu uns steht. Sie wählt uns, wenn Krieg ist, zum Heerführer, wenn sie aber Ruhe wünscht, schickt sie uns als Friedensboten. Auch ich bin zweimal gekommen, um einen Krieg zu beenden, und in beiden Gesandtschaften habe ich Frieden für euch und uns zustande gebracht. Jetzt bin ich zum drittenmal da … Ein Interessenkonflikt entsteht leicht dann, wenn in einer Stadt die Parteien miteinander streiten. Aus Mytilene meldeten im Jahr 428 v. Chr. die Athen verbundenen Proxenoi, dass die spartafreundliche Partei Vorbereitungen träfe für die Loslösung der Insel Lesbos vom Athenischen Seebund (Thukydides 3,2,3). Das damit ausgelöste kriegerische Vorgehen Athens endete mit der Hinrichtung der Spartafreunde. Es hätte bei anderem Kriegsausgang die Proxenoi ihr Leben gekostet. Für solche Fälle, in denen das Wirken des Proxenos von seinen Mitbürgern als Verrat der eigenen Stadt angesehen wurde und er diese als Verbannter verlassen musste, sicherte ihm der von ihm vertretene Staat Aufnahme und Schutz (Asphaleia und Asylia) zu. Oft ging man noch darüber hinaus und verlieh dem Proxenos das Bürgerrecht, von dem er im Falle der Verbannung aus der Heimat Gebrauch machen konnte. Obwohl eine Doppelbürgerschaft dem Grundgedanken der Proxenie zuwiderlief – man kann ja nicht sein eigener Gastfreund sein –, scheint sie in der Praxis kaum Schwierigkeiten bereitet zu haben. Erst spät hielt man es für nötig, zwischen Vollbürgerrecht und dem üblicherweise auf Grund der Proxenia und als Ehrung verliehenen Bürgerrecht zu unterscheiden.42 Dennoch blieb das Risiko bestehen, dass ein Proxenos nicht mehr Gelegenheit fand, seinen Wohnsitz rechtzeitig zu verlassen, so dass ihm der seitens der Auftraggeber zugesicherte Schutz nicht half. Den Proxenos Athens in der Stadt Karystos auf Euboia ließ König Philipp von Makedonien hinrichten, obwohl Athen dreimal durch Gesandtschaften interveniert und seine Überstellung verlangt hatte; sie waren mit Worten hingehalten worden. Nicht einmal der Tote wurde zur Bestattung freigegeben (Ps.Demosthenes 7,38). Die Ernennung zum Proxenos wurde ähnlich wie ein Staatsvertrag in

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der Gemeinde, die den Beschluss fasste, durch eine öffentlich aufgestellte Inschrift auf Stein oder Bronze bekannt gemacht. Wenn der so Geehrte es wünschte, durfte er auch an seinem Wohnort die erlangte Würde auf gleiche Weise allen bekannt geben. Es war eine begehrte Auszeichnung, die sich manche Leute einiges kosten ließen. Das versuchte die in Finanznot geratene Stadt Oropos auszunutzen. Sie stellte in Aussicht, diejenigen sollten ihre Proxenoi werden, die ein mit 10% zu verzinsendes Darlehen von 1 Talent hergäben. Die als Zeichnungsliste werbende Inschrift (IG VII 4263) brachte es freilich nur auf einen einzigen Namen. Von der Kleinstadt Pladasa in Karien empfing ein Geldgeber aus Plataiai alle Ehrungen, die sie zu vergeben hatte43: Die Stadt der Pladaseer hat beschlossen, dass dem Kratippos, Sohn des Polyon, aus Plataiai, der ihr Wohltäter geworden ist und von einem Darlehen, das sie ihm schuldeten, 210 Gold-Alexanderstücke nachgelassen hat, ihm und seinen Nachkommen verliehen sein soll: die Proxenia, die Euergesia (Titel des Wohltäters), das Bürgerrecht, das Recht der Niederlassung mit Grunderwerb und Teilhabe an allem, gleichgestellt einem Pladaseer. Ein Bankkredit ist in der Zeit gegen 260 v. Chr. auch in Eretria Grund für die Ernennung des Makedonen Proteas zum Proxenos.44 Die Zusammenfassung aller Proxenoi in den verschiedenen Städten, mit denen man solche Beziehungen unterhielt, in öffentlichen Listen bot den in Geschäften Reisenden die leicht zugängliche Information darüber, an wen sie sich in der Fremde würden wenden können. Das würde am besten erreicht durch eine alphabetische Anordnung nach den Namen der Orte. Doch der ursprüngliche Zweck der Listen war ein archivarischer: Die Liste der Proxenoi des Heiligtums von Delphi45 führt die Proxenoi in der Reihenfolge des Ernennungsjahres auf während des Zeitraums von 197 bis 175 v. Chr. Denn die Ernennungsbeschlüsse wurden zunächst einzeln aufgezeichnet. Der Text konnte zum Beispiel lauten (IG XII 9,187A, Eretria im Jahr 411 v. Chr.): Der Rat hat beschlossen: Der Tarentiner Hegelochos soll Proxenos und Wohltäter sein, er selber und seine Söhne, und es soll ein Recht auf Speisung sein für ihn und die Söhne, wenn sie sich hier aufhalten, und Steuerbefreiung und Anspruch auf Ehrensitz bei den Veranstaltungen, weil sie mitgeholfen haben bei der Befreiung der Stadt von Athen. Der Text konnte eine eigene Vorschrift über die Veröffentlichung enthalten, zum Beispiel46: Der Gemeindeverbund von Pythion hat beschlossen, Xenokles als seinen Wohltäter zu belobigen und ihm und seinem Geschlecht die Proxenia und das Bürgerrecht zu verleihen, freie Einund Ausfuhr und Sicherheit in Krieg und Frieden und Abgabenfreiheit, dass dieser Beschluss aufgezeichnet wird auf eine Steinsäule und aufgestellt im Heiligtum des Delphischen Apollon, damit er für jeden, der will, zu sehen sei. Die Kosten dafür zahlt der Kassenführer der Gemeinde.

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Die sehr häufige Koppelung des mit Pflichten und Rechten verbundenen Titels eines Proxenos mit dem reinen Ehrentitel des Euergetes (Wohltäters) ist Zeichen einer zunehmenden Tendenz, auch das Amt des Proxenos als eine in erster Linie der Ehrung des Ernannten dienende Auszeichnung zu werten. Wenn eine Stadt mehrere Proxenoi am gleichen Ort hatte oder eine Person für eine Mehrzahl von Städten Proxenos war, trat die Amtstätigkeit zuweilen in den Hintergrund und es wurde mit dem Titel der Eitelkeit geschmeichelt. Doch darf ein solches Urteil nicht verallgemeinert werden. Sogar noch im 1. Jahrhundert v. Chr. bezeugen zwei Inschriften für Dionysodoros,47 der auf der Insel Thasos als Proxenos für die Stadt Lampsakos am Hellespont und für die Inselhauptstadt Rhodos, weit auseinander liegende Seehandelsplätze, tätig war, durch Einzelangaben über seine Verdienste, dass er sich voll zu beider Wohl eingesetzt hat. Sicherlich jedoch geht es um einen reinen Ehrentitel, wenn Rat und Volk von Buthrotos die Proxenia nicht allein dem Moschidas aus Kerkyra und seinem Sohn Ariston, sondern zugleich auch noch seiner Ehefrau Lyso zuerkennen.48 Mit der Zeit hat sich ein Formulartext herausgebildet, der alle ProxeniaBeschlüsse einander sehr ähnlich aussehen lässt. Als typisch kann eine Inschrift aus Buthrotos gelten, deren übersetzter Text lautet49: Tauriskos der Cherrier Stratege der Prasaiboi, Sosandros Drymios der Vorsitzende, Diogenes, Sohn des Philotas, Bürger von Buthrotos, Antragsteller. Betrifft: Proxenia für Lasthenes, Sohn des Eunomos, aus Knossos. Begründung des Antrags: Dieser habe sowohl ihm wie allen, die nach Knossos gekommen sind, viel Nützliches erwiesen. Der Rat und die Volkversammlung der Prasaiboi hat beschlossen: Lasthenes, Sohn des Eunomos, soll Proxenos sein, er selbst und seine Nachkommen, und es soll ihm und seinen Nachkommen das Recht zustehen, Grund und Haus zu besitzen im Gebiet Prasaibia und Freiheit von Steuern und Abgaben und Sicherheit für ihre Personen und für ihr Eigentum in Kriegs- und Friedenszeiten und alle übrigen Ehrenrechte, wie sie auch für die andern Proxenoi und Wohltäter geschrieben stehen. Weitere Zusätze konnten das Grundformular beliebig ergänzen. Die Formelhaftigkeit der Proxenie-Beschlüsse ist bei der Ergänzung der auf dem Stein oft nur bruchstückweise lesbaren Texte sehr hilfreich; wenige lesbare Buchstaben genügen dem Epigraphiker, das Wort zu finden, das an der Stelle gestanden haben muss. Wenn man eine Proxenia mit nichtgriechischen Staaten schließen wollte, war der dort herrschende König der geeignete Partner, so zum Beispiel im Verhältnis zu den Makedonen, bevor es unter Philipp II. unfreundlich wurde. Eine Besonderheit weist die große Inschrift auf, die vor der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. die Athener zu Ehren des Königs Straton auf-

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stellten (IG II2 141). Straton, der Herrscher der phönizischen Hauptstadt Sidon, war eine der höchstrangigen Personen am Hof des persischen Großkönigs, für die Außenpolitik Athens ein sehr wichtiger Verbindungsmann zum Perserreich. So gehört denn die Proxenia zu den ihm zuerkannten Titeln. Da aber der Verkehr durch wechselnde Botschafter vor sich geht, werden, was sich in andern Proxenia-Verträgen erübrigt, Symbola ausgetauscht, mit denen sich die Verhandlungsbevollmächtigten ausweisen: Es soll der Rat Symbola ausfertigen zum Verkehr mit dem König der Sidonier, damit das Volk der Athener Bescheid weiß, wenn der König der Sidonier jemanden sendet, um die Stadt um etwas zu ersuchen, und der König der Sidonier Bescheid weiß, wenn das Volk der Athener jemanden zu ihm schickt. Es soll aber auch derjenige, der vom König der Sidonier kommt, zum Gastmahl ins Prytaneion (Ratsstube) eingeladen werden auf den folgenden Tag. Es folgen die Abgabenfreiheit für Händler aus Sidon und andere Bestimmungen. Nach dem gescheiterten Aufstand von Stratons Nachfolger gegen die Perser blieb Sidon zwar nicht mehr durch seine Könige, wohl aber als Seehandelsmacht für Athen wichtig. Eine Urkunde aus der Zeit vor der Eroberung durch Alexander den Großen (332) bezieht sich auf einen Sidonier Apollonides, Sohn des Demetrios. Nach dessen Ehrung durch einen goldenen Kranz fährt der Text fort (IG II2 343): und er soll zum Proxenos und Wohltäter des Volkes der Athener ernannt sein, er und seine Nachkommen. Es soll ihm zustehen das Niederlassungsrecht mit Haus und Grund gemäß dem Gesetz. Der Schreiber des Rates soll diesen Beschluss auf einer steinernen Platte aufzeichnen und ihn auf der Akropolis aufstellen. Zum Schluss folgt die Anweisung der Kosten an den Kämmerer. Die Institution der Proxenia wird nach griechischem Vorbild übernommen für Verhältnisse, in denen beide Parteien Nichtgriechen sind. Der Karthager in der Armee Hannibals ist von Staats wegen Freund und Proxenos der Saguntiner (publice Saguntinis amicus atque hospes) und überbringt ihnen das letzte Friedensangebot Hannibals (Livius 21,12,6), wobei er sich auf das Alter des von ihm vertretenen Amtes (13,2 pro vetusto hospitio) berufen kann.

Mahlgemeinschaften der Vereine Gastlichkeit ist auch ein wichtiges Bindeglied unter Nachbarn und Mitbürgern. Wenn in einem griechischen Haus geschlachtet wurde, galt es als Anstandspflicht, den Nachbarn einen Anteil vom Opferfleisch zu überbringen. Eine Ausnahme machte nur das Opfer an die Göttin des Hausherdes, Hestia; von dem ihr dargebrachten Opfer durfte nichts das Haus verlassen.

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Das Sprichwort Er opfert der Hestia brandmarkte deshalb einen üblen Geizhals. Seit frühesten Zeiten dienten gemeinsame Feste der Bürger, stets im Rahmen des Kultes von Göttern, dazu, Zusammengehörigkeit zu demonstrieren. In der Odyssee trifft Telemachos zu Beginn des dritten Buches bei seiner Ankunft in Pylos alle Pylier am Strand versammelt zum Fest des Landesgottes Poseidon. Solche allgemeinen Feste mit einer großen Zahl von teilnehmenden Bürgern konnten immer nur an Plätzen unter freiem Himmel stattfinden. Für das Beisammensein von Bürgergruppen jedoch gab es Räume in eigenen dafür bestimmten Gebäuden. Wie in unseren Sprachen das Wort Club konnte das griechische Wort Hetairía den Verein oder das Vereinslokal bezeichnen. Die Vereinigungen unterlagen in den jeweiligen Staaten unterschiedlichen Regeln. Unerbittliche Strenge herrschte in Sparta, wo die männlichen Vollbürger, die relativ kleine Zahl der Spartiaten, verpflichtet waren, sich jeden Abend zum gemeinsamen Mahl, dem Syssition (in der dorischen Landessprache Spartas Phidition), einzufinden. Das Essen begann mit der schwarzen Suppe, Fleischstücken im gekochten Blut des geopferten Tieres. Danach wurde das verzehrt, was jeder aus dem Ertrag seiner Güter mitzubringen hatte, die von den ihm untergebenen Heloten bewirtschaftet wurden. Die Teilnehmer versammelten sich in je einem Männersaal (Andreion) zu kleinen Gruppen von Eidgenossen (Enómotoi), die in Kriegszeiten zugleich die kleinsten Kampfeinheiten des Fußheeres bildeten. Ihre kleine Zahl ermöglichte eine genaue Anwesenheitskontrolle. Wenn der Gruppenführer (Enomotárchos) die Abwesenheit meldete, verlor der säumige Spartiate seine bürgerlichen Vorrechte. Die harte Disziplin hatte der Gesetzgeber Lykurg zum Zweck kriegerischer Ertüchtigung eingeführt. Der von Athenaios (4,15) zitierte Spott eines Sybariten, der nach seiner Anwesenheit in Sparta den heldenhaften Kampfesmut der Spartaner damit begründet hatte, dass jeder vernünftige Mensch den Tod einem solchen Leben vieltausendmal vorziehe, traf ins Schwarze. Die Führungsschicht in den Städten Kretas, dorischen Stammes wie die Spartaner, folgte ähnlichen Regeln, jedoch weit weniger streng. Neben dem Andreion, wo die Herrenbünde (Hetairiai) ihre Festmähler abhielten, gab es ein Koimeterion (Schlafsaal), in welchem Gäste aus den Nachbargemeinden nach den gemeinsamen Abenden bleiben konnten. Jede Hetairia hatte ihren Vorsteher (Archon), dem beim Mahl der vierfache Anteil zustand. Für den Aufwand hatten auch in Kreta die untertänigen Landbewohner, die Nicht-Hetairoi, aufzukommen. Außer den durch staatliche Satzung verordneten Vereinigungen, die in der dorischen Herrenschicht dem Ziel der Machterhaltung dienten, gab es

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überall in Griechenland viele Arten von Vereinen. Anders als im römischen Imperium, wo Vereinsgründungen dem starken Misstrauen der Staatsorgane begegneten und die Korporationen überwacht wurden, waren Vereine in griechischen Städten im Rahmen der Gesetze frei. Aristoteles (Nikomachische Ethik 8,11) führt aus, dass alle Vereinigungen ähnlich den politischen Parteien als befreundete Interessengruppen gemeinsam etwas ihnen Nutzbringendes anstreben und sich etwas für sie Lebensnotwendiges zu verschaffen suchen. Zweckverbände wie zum Beispiel die der Seeleute verfolgen allerdings nur ihre naheliegenden Teilziele, nicht die übergeordneten der Politik. Einige Vereine entstehen offensichtlich zum Zweck des Vergnügens, so die Mitgliedschaft in Kultvereinen (Thiasoi) und Geselligkeitsvereinen (Eranoi). Denn diese haben zum Gegenstand Opferfeste und geselliges Zusammensein. … Und wenn sie Opfer schlachten und sich um die Altäre scharen, wo sie den Göttern Verehrung erweisen, so verschaffen sie sich selber eine mit Vergnügen verbundene Erholung. Ist es doch erwiesen, dass ursprünglich die Opferfeste und Zusammenkünfte nach dem Einbringen der Ernte als Erstlingsopfergaben stattgefunden haben. Denn gerade während dieser Tage hatten die Leute freie Zeit dafür. Die meisten griechischen Vereine waren Kultvereine von Verehrern einer Gottheit, nach der sie sich Poseidoniasten, Aphrodisiasten oder ähnlich nennen konnten. Das Fleisch der Opfertiere wurde in einem Festschmaus (Thoine) gemeinsam verzehrt. Um die Beschaffung brauchte sich der Teilnehmer an einem Thiasos nicht zu kümmern. Xenophon bemerkt in seiner Schrift über die Verfassung Athens (2,9), man nehme Rücksicht darauf, dass nicht jeder Arme in der Lage wäre, die Kosten aufzubringen. Also bringt die Gemeinde die vielen Tiere bei, die man opfert. Das Volk aber ist es, das den Schmaus genießt und das Opferfleisch untereinander austeilt. Bei Vereinen nach der Art eines Eranos hingegen erbrachte jedes Mitglied seinen Beitrag. Ort der Feiern war üblicherweise und bei Großveranstaltungen der heilige Bezirk um den Tempel. Mancherorts standen aber auch Festsäle bereit. Beim Hera-Tempel von Argos gab es ein Gebäude, dessen zweischiffige Säulenhallen auf drei Seiten einen Hof umschlossen. Auf der Nordseite gab es einen Trakt mit drei Zimmern und in jedem Zimmer standen zwölf Liegebetten für die Gäste des Festmahls. Teilnehmen durfte an diesem Ort ein Kreis von auserwählten Würdenträgern.50 Beim viel besuchten Artemis-Heiligtum auf der Insel Delos erwähnt Herodot (4,35) einen Speisesaal (Hestiatorion) der Bewohner der Insel Keos; dort feierten also die Festgesandten, wenn sie nach Delos kamen. In Troizen hatten die in die Mysterien der Großen Mutter Eingeweihten ihren eigenen Versammlungs- und Festraum.51 Auch ein Verein (Koinón) in Lindos auf Rhodos besaß nach inschriftlichem Zeugnis mehrere Versammlungsräume (Oikete-

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ria).52 Auf derselben Insel ordnete die Stadt Ialysos die Aufstellung von drei Tafeln mit ihrem Kultgesetz an. Die zweite sollte oberhalb des Festhauses (Hestiatorion) ihren Platz finden.53 Großzügig war eine Stiftung des Euphrosynos und seiner Gemahlin in Mantinea54: Sie haben die bis auf den Grund daniederliegenden Tempel wieder aufgebaut und den Speisesälen weitere Säle sowie Versammlungsräume hinzugefügt, womit sie nicht nur den Göttern ihre Ehrerbietung erwiesen, sondern auch den Platz verschönt haben. Einen andern Stifter nennt eine Inschrift von Chalkis auf Euboia55: Zum Dank für die ehrenvolle Ernennung zum Tempelvorsteher (Neokóros) hat Aurelius Hermodorus mehrere Bauwerke erstellen lassen, darunter einen Speisesaal mit drei Liegebetten (triclinon deipnisterion); der Zugang führt durch einen der Göttin würdigen prächtigen Garten. Der Geograph Strabo erwähnt als besondere Sehenswürdigkeit auf der Insel Tenos das große Poseidon-Heiligtum (10,5,11): Darin sind große Festsäle angelegt, ein Zeichen dafür, dass sich eine Vielzahl von Besuchern ansammelt, die völlig der Zahl der Stadtbewohner, die mit ihnen zusammen das Poseidonopfer feiern, entspricht. Dass es bei Feiern des Weingottes Bacchus auch gelegentlich zu Tumulten kam, zeigen die Statuten des Vereins der Iobakchoi im Athen des 2. Jahrhunderts n. Chr.56 Der Ordnungshüter schlägt Randalierer mit dem Thyrsos-Stab, dem Symbol des Gottes. Wer aber vom Schlag mit dem Thyrsos berührt wird, der hat auf den vom Priester oder dem Vereinsvorsteher ausgesprochenen Verweis hin das Hestiatorion zu verlassen.

Römische Staatsgäste (hospitium publicum) In der Gastfreundschaft zwischen Privatpersonen sind die Römer dem griechischen Vorbild gefolgt, wie die Freundschaften römischer Bürger mit den Campanern Badius (siehe oben S. 46) und Calavius (siehe oben S. 48) zeigen. Das früheste fürs Jahr 393 v. Chr. bezeugte staatliche Gastfreundschaftsverhältnis hat noch den Charakter der griechischen Proxenia. Der griechische Geschichtsschreiber Diodor (14,93,4 f.) berichtet nach älteren Quellen, vor der Eroberung der Stadt Veii habe der römische Dictator Camillus dem Gott Apollo für seinen Beistand ein Zehntel der Beute zu stiften gelobt. Zur Erfüllung des Gelübdes fertigte man einen goldenen Mischkrug an, den eine von drei angesehenen Senatoren geführte Festgesandtschaft zum Tempel nach Delphi bringen sollte. Ihr Schiff wurde noch vor der Durchfahrt durch die Meerenge von Messina von Seeräubern aus der Insel Lipari überfallen. Die Gesandten sollten mitsamt den Beutestücken als Sklaven verkauft werden. Als aber Timasitheos, der oberste Beamte

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(Strategos) der Insel, den Sachverhalt erfuhr, rettete er die Festgesandten, gab ihnen die goldenen Gegenstände zurück und sorgte dafür, dass sie nach Delphi kamen. Die Überbringer des Mischkrugs stellten diesen im Schatzhaus der Griechenkolonie Massalia auf und kehrten nach Rom zurück. Deswegen fasste das Volk der Römer auf ihren Bericht von dem Edelmut des Timasitheos hin sogleich einen Ehrenbeschluss für ihn unter Verleihung des Rechtes auf Beherbergung als Staatsgast (hospitium publicum). Und noch 137 Jahre danach, als Rom Lipari den Karthagern abgenommen hatte, gewährte man den Nachkommen des Timasitheos Steuerfreiheit und erklärte sie zu freien Bürgern ihrer Insel. Ähnlich erzählt der römische Historiker Livius (5,28,2–5) die Begebenheit. Die Freiheit, die eine so alte und unsicher überlieferte Geschichte dem Erzähler gestattet, hat nach ihnen der Grieche Plutarch voll genutzt und den Geschmack seiner Leser befriedigt. Seine Theoren lässt er am Rande des Todes schweben, ein erstes Mal in einem gewaltigen Seesturm, ein zweites Mal, als die Liparier, die bei ihm nicht Seeräuber sind, das in der Flaute liegen gebliebene, festlich geschmückte Staatsschiff der römischen Kriegsmarine (die freilich erst über ein Jahrhundert später von Stapel lief) für ein Piratenschiff halten und das sie ohne viel Federlesens gleich mit Mann und Maus versenken wollen. Mit flehentlichen Bitten retten die Römer ihr Leben und stehen dann auf dem Markt von Lipari zur Versteigerung. Nur mit größter Mühe gelingt es dem edlen und reichen Strategen Timasitheos, die beutegierige Menge unter Hinweis auf den Schutz, der den zum Gott Apollon reisenden Theoren gebührt, zu beschwichtigen. Seine Großmut ist grenzenlos. Er lässt auf eigene Kosten Schiffe klarmachen, begleitet die Theoren und ist mit anwesend bei der Aufstellung der Weihgaben in Delphi. Die Ernennung zum römischen Staatsgastfreund wird, weil wenig emotional, von Plutarch kurz abgetan: Timasitheos empfängt die gebührenden Ehren. Kern der Geschichte bleibt: Timasitheos wird zum Dank für seine Römern geleistete Hilfe vom römischen Staat zum Proxenos, in lateinischer Sprache hospes publicus, ernannt. Livius betont die Gegenseitigkeit der Gastfreundschaft: Dem Haus für Staatsgäste (publicum hospitium), in dem Timasitheos die Römer in Lipari unterbringt, entspricht das hospitium in Rom und die damit verbundenen Ehrengaben (dona publice data). Woraus diese Ehrengaben nach herkömmlicher Sitte bestehen, erfahren wir aus einer Inschrift, welche den offiziellen Text eines Senatsbeschlusses aus dem Jahr 78 v. Chr. zugunsten dreier Schiffskapitäne wiedergibt, die Rom im Bundesgenossenkrieg wertvolle Dienste geleistet hatten. Asklepiades von Klazomenai, Polystratos von Karystos und Meniskos von Milet werden als „Freunde des römischen Volkes“ (amici populi Romani) mit einer Reihe von erblichen Privilegien in ihren Rom unterworfenen Heimat-

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städten ausgestattet. In Rom erhalten sie unter anderm das Recht, sich mit ihren Anliegen unmittelbar an den Senat zu wenden. Der Quaestor urbanus wird beauftragt, für sie das Geschenk nach Vorschrift (munus ex formula) sowie locum lautiaque in Auftrag zu geben und zuzustellen (CIL I2 588,8 = 26 f. des griechischen Paralleltextes). Diese Dinge, munus = griechisch xénia (Ehrengabe), loca = griechisch topos (Unterkunft) und lautia = paroché (Unterhalt), bilden zusammen die einem Staatsgast (hospes publicus) nach geltender Ordnung zustehenden Leistungen. Etymologisch nicht sicher zu deuten ist das letzte der drei Wörter. Es erscheint immer nur in der genannten Formel in fester Verbindung mit loca. Der Sinn wird durch das entsprechende griechische Wort gesichert. Schon die Römer der frühen Kaiserzeit waren bei der Frage nach Herkunft und genauem Sinn auf Vermutungen angewiesen, spätere verwendeten das Wort nur, um ihre gelehrte Kenntnis längst vergessener altrömischer Sprache zu beweisen. Dass es ursprünglich dautia gelautet habe, ist vermutlich erdacht, um eine Verbindung mit dem Wort dare (schenken) zu konstruieren. Wahrscheinlicher ist die Verbindung mit lautus (elegant), was besonders beim silbernen Tafelgeschirr mit erlesenen Speisen und beim Mobiliar gerühmt wird. Bei Livius erscheint das Wort öfter, zum Beispiel in der Erwähnung eines Senatsbeschlusses, demgemäß der mazedonische Höfling Onesimus, nachdem er vergeblich versucht hatte, seinen König Perseus vom Krieg gegen Rom abzuhalten, und schließlich zu den Römern übergegangen war, in die Liste der Bundesgenossen des römischen Volkes (socii populi Romani) aufgenommen wird. Aus diesem Anlass werden ihm locus und lautia, Unterkunft und Unterhalt als Staatsgast in Rom, sowie ein Stück Staatsgrund und ein Haus in Tarent geschenkt und der Praetor C. Decimius mit dem Vollzug der Verfügung beauftragt. Dienste, wie sie zu den Aufgaben eines Proxenos gehören, konnte Onesimus, nachdem er aus seiner Heimat geflohen war, nicht leisten; es handelte sich um einen als Dank verliehenen Ehrentitel. Die Symbole „Unterkunft“ und „Unterhalt“, ihrer Herkunft nach der Proxenia zugehörig, konnten auf Freundschaftsverhältnisse im weiteren Sinn übertragen werden, wie sie in den offiziellen Titeln amicus populi Romani (Freund des römischen Volkes) und socius populi Romani (Bundesgenosse des römischen Volkes) zum Ausdruck kommen. Ganz besonders gehören loca und lautia zu den Leistungen, die grundsätzlich Gesandten zustehen, die von auswärtigen Staaten an den Senat von Rom gelangen. Bei Livius (42,26,5) machen sich Illyrier geradezu als Spione verdächtig, weil sie auf die Frage, warum sie denn, wenn sie sich als Gesandte ausgäben, nicht beim Magistrat gemeldet hätten, um nach bestehendem Brauch loca und lautia zu erhalten, keine plausible Antwort geben können. Seit dem Erstarken der römischen Republik war die Behandlung aus-

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wärtiger Gesandtschaften genau differenziert geregelt. Stand man noch im Krieg, durften die Friedensunterhändler des Feindes die geheiligte Stadtgrenze (pomerium) nicht überschreiten. Als Quartier wurde ihnen ein außerhalb, am Marsfeld, errichtetes staatliches Gebäude, die villa publica, angewiesen, dazu locus und lautia, aber keine munera. Verhandelt wurde gleichfalls außerhalb, in dem Tempel der Kriegsgöttin Bellona. So wurde (Livius 33,24,5) mit den Gesandten Philipps V. von Makedonien verfahren, als sie in Rom erschienen, um das Friedensdiktat entgegenzunehmen. Wie anders zur selben Zeit Gesandte verbündeter Staaten behandelt wurden, zeigt anschaulich der Bericht des Livius (30,17) vom Ende des Hannibal-Krieges im Jahr 203 v. Chr. Zuerst werden die Gesandten des befreundeten Königs Massinissa empfangen und vom Praetor in den Senat geleitet. Dort tragen sie ihre Glückwünsche zum Sieg vor, bitten um die Anerkennung der numidischen Königswürde des übergelaufenen Massinissa und um Freilassung der vor dem Seitenwechsel in römische Gefangenschaft geratenen Numider. Der Senat gewährt die Bitten und beschließt folgende Ehrengaben: Für den König zwei purpurne Feldherrnmäntel samt Goldfibeln, zwei Tunicae mit breiten Purpurstreifen, zwei Pferde, geschmückt mit Phalerae, je zwei Reiterrüstungen mit Panzer und Zelte mit Einrichtung, das heißt die Ausstattung eines ein Heer kommandierenden Consuls. Von den Gesandten erhält jeder ein Geldgeschenk von 5000 Sesterzen, ihre Begleiter 1000 Sesterzen, dazu die Gesandten zwei Kleider, die Begleiter und die entlassenen numidischen Gefangenen jeder eines. Dazu für die Gesandten die übliche Dreiheit: Freihaltung als Gäste, Unterkunft (loca), Unterhalt (lautia). Danach (30,21,12) erscheint die Gesandtschaft der um Frieden bittenden Karthager. Auf die Kunde von ihrer Landung im Hafen von Puteoli wird ihnen ein Offizier aus dem Stab Scipios entgegengeschickt, unter dessen Überwachung sie bis vor Rom geleitet werden. Sie dürfen Rom nicht betreten, erhalten hospitium in der villa publica und eine Senatsanhörung im Bellona-Tempel. Auf Antrag des Senators M. Valerius Laevinus werden sie wie Spione unter Bewachung zu ihren Schiffen zurückgebracht und ausgewiesen. Für besonders zu ehrende Gesandte wird den üblichen Leistungen eine weitere hinzugefügt. Attalus, der Bruder des Königs Eumenes von Pergamon, erhält (Livius 35,23,11) im Jahr 192 v. Chr. freies Haus (aedes liberae), locus, lautia und munera. Das ist ein hoher Vertrauensbeweis: Locus bedeutet Wohnung für den Gast eines vornehmen Römers, womit der Gast doch einer gewissen Kontrolle unterliegt; aedes liberae bedeutet kostenloses Wohnen in einem von niemand anderem benutzten Haus, in dem der Gesandte sich völlig frei bewegen kann. Locus ist weiter nötig für die übrigen Gesandtschaftsmitglieder. Eine ähnliche Bevorzugung genießt (Livius

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42,6,11) Apollonius, der Gesandte des für den bevorstehenden Mazedonienkrieg wichtigen Verbündeten König Antiochos: Man schickt ihm eine Gabe (munus) von 100 000 Sesterzen, außergewöhnlich hoch, gewährt freies Haus als Gastwohnung und kostenfreien Aufenthalt (sumptus ersetzt hier das Wort lautia). Einen anderen Vertrauensbeweis berichtet Livius (28,39,19–21). Gesandte der aus der Hand der Karthager wieder befreiten spanischen Stadt Sagunt kommen im Jahr 205 v. Chr. zur Danksagung nach Rom, erhalten locus, lautia und munus, bitten aber darüber hinaus, eine Besichtigungsreise durch die jetzt wieder von Rom beherrschten Teile Italiens machen zu dürfen. Rom stellt ihnen Führer und schickt Empfehlungsschreiben an die Städte mit der Bitte, die Spanier freundlich aufzunehmen. Die römischen Schriftsteller vermelden ein weiteres Beispiel aus grauer Vorzeit, wenige Jahre nach dem Fall des Timasitheos von Lipari. Nachdem die Gallier, die Rom erstürmt hatten, abgezogen waren und wieder eine staatliche Ordnung einkehrte, stellte der Diktator Camillus im Senat den Antrag (Livius 5,50,3): Mit den Bürgern der Stadt Caere solle von Staats wegen ein Gastverhältnis begründet werden, weil sie die heiligen Insignien des römischen Staates und die Priester bei sich aufgenommen hätten und es durch diese Asylgewährung ihrer Bürger möglich gemacht hätten, den Kult der unsterblichen Götter ohne Unterbrechung fortzuführen. Das hospitium publicum der Caeriten wurde in der Folge weiter ausgedehnt: Caere wurde von Rom als erster Stadt der Status eines municipium verliehen, das heißt, dass seine Bürger das römische Bürgerrecht erhielten, allerdings ohne Stimmrecht in den römischen Volksversammlungen (Gellius 16,13,7). Der Rückschluss, das hospitium publicum hätte jeden einzelnen Caeritaner berechtigt, in Rom alle Vergünstigungen eines Staatsgastes zu beanspruchen, wäre wirklichkeitsfremd. Das Gastrecht galt für Vertreter ihrer Stadt mit offiziellem Auftrag. Bereits in der Sicht, wie die Schriftsteller der späten Republik und der Kaiserzeit über die ältesten Beispiele des hospitium publicum berichten, wird deutlich, was dieses von der griechischen Proxenia unterscheidet. Das ganze Gewicht liegt auf den Ehren, welche die Staatsgäste in Rom erfahren zum Dank für gute Dienste in der Vergangenheit. Dass sie Rom solche Dienste in Zukunft leisten, tritt in den Hintergrund. Griechische Staaten begegneten einander trotz Verschiedenheit der realen Machtverhältnisse grundsätzlich als gleiche, selbständige Partner. Für sie lag der Zweck der Proxenia gerade darin, dass ihre Bürger im fremden Gastland einen Freund vorfanden, der für ihre Belange auch in Zukunft eintreten werde. Dankesbezeugungen für diesen Freund waren eine sekundäre Folge seines erfolgreichen Eintretens.

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Im römischen Imperium lagen die Dinge anders. Rom war seit der Zeit, in der es eine römische Literatur gab, die überhaupt über historische Ereignisse berichten konnte, so stark, dass es die Ansprüche seiner Bürger aus eigener Kraft durchzusetzen vermochte. Welcher Einwohner einer Stadt im Machtbereich Roms hätte es wohl gewagt, seine Tür einem römischen Amtsträger zu verschließen, der über die Mittel verfügte, sie im Fall einer Weigerung mit Gewalt zu öffnen? Das übermächtige Rom belohnte dankend gute Dienste, aber seine Interessen nahm es in eigener Zuständigkeit wahr. Das Wort hospes besagt etwas Verschiedenes, je nachdem, ob es von Rom verliehen wurde oder von einem auswärtigen Staat an einen Römer. Von Rom verliehen war es ein reiner Ehrentitel, real allenfalls die mit ihm verbundenen Ehrenrechte. In historischer Zeit wurde der Titel hospes allein eher selten vergeben; es war üblich, dem zu Ehrenden gleich den noch höheren Titel amicus populi Romani (Freund des römischen Volkes) zuzuerkennen. In solcher Kombination beruft sich der Häduerfürst Diviciacus vor Caesar (Bellum Gallicum 1,31,7) auf die Gastfreundschaft und Freundschaft des römischen Staates (populi Romani hospitium atque amicitia). Noch vom griechischen Verständnis der Proxenia gingen die orientalischen Könige aus, die ihre Söhne zur Erziehung nach Rom schickten. Es sollten gegenseitige Freundschaftsbeziehungen geschlossen werden zwischen den kommenden Generationen römischer Politiker und den Herrscherhäusern des Ostens. Livius (42,19,3–6) berichtet zum Jahr 172 v. Chr.: Gesandte des Ariarathes, des Königs von Kappadokien, dessen Land, das zwischen dem Machtbereich des Syrers Antiochos des Großen und dem Pergamenischen Reich des Römerfreundes Eumenes lag, auf Roms Wohlwollen angewiesen war, brachten bei ihrer Ankunft in Rom das Kind des Königs mit. Ihre Botschaft war, der König habe seinen Sohn zur Erziehung nach Rom geschickt, damit er schon von klein auf vertraut werde mit den Gepflogenheiten und der Mentalität der Römer. Er bitte, sie möchten ihn nicht bloß unter der privaten Obhut seiner Gastgeber belassen, sondern ihm auch staatliche Aufsicht und eine Art Vormundschaft angedeihen lassen. Die Gesandtschaft wurde vom Senat freundlich aufgenommen. Man beschloss, der Praetor Sicinius solle ein Haus zur Einrichtung anmieten, in dem der Prinz und sein Gefolge königlich wohnen könnten. Fünf Jahre danach stellte auch der König Prusias II. von Bithynien seinen zehnjährigen Sohn und Thronfolger in Rom vor, als er die offiziellen Glückwünsche zu Roms Sieg über den Makedonenkönig Perseus überbrachte. Livius breitet die Szene aus zum Prachtgemälde eines Staatsempfangs nach allen protokollarischen Regeln (45,44,3–21). Empfangschef ist der Quaestor L. Cornelius Scipio, der im Auftrag des Senats die

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großzügig ausgestatteten Räume anmietet, in denen der König mit seinem Gefolge wohnen soll, und ihm nach Capua entgegenreist. Nachdem er ihn dort begrüßt hat, bleibt er an seiner Seite und übernimmt nach der Ankunft in Rom die Stadtführung. Der König begibt sich unter großer Anteilnahme des Publikums vom Stadttor aus aufs Forum und zum Amtslokal des Stadtpraetors Q. Cassius Longinus, der ihm anbietet, noch am selben Tage eine Senatssitzung einzuberufen. Der König bittet um zwei Tage Aufschub, weil er zunächst die Tempel der römischen Götter und seine Gastfreunde und Freunde auf einem Rundgang durch die Stadt besuchen möchte. Am dritten Tage findet der feierliche Empfang im Senat statt. In seiner Ansprache beginnt der König mit den Siegesglückwünschen, nicht ohne seine eigenen Verdienste am erfolgreichen Kriegsausgang hervorzuheben, bittet um die Erlaubnis, große Dankopfer an den kapitolinischen Juppiter und die Fortuna in Praeneste zu veranstalten, und schließt einige Wünsche für sich selbst an: Erneuerung des Bündnisses und Rückgabe eines Territoriums, das ihm vom König Antiochos abgenommen und jetzt ohne Erlaubnis Roms von den Galatern besetzt sei. Zum Schluss stellt er seinen Sohn als Kronprinz vor und empfiehlt ihn dem Wohlwollen des Senats. Es folgen kurze anerkennende Ansprachen derjenigen Senatsmitglieder, die im Krieg ein Kommando geführt hatten. Die Wünsche des Königs werden in der Verhandlung erfüllt mit Ausnahme der Gebietsansprüche, in deren Hinsicht man ihn mit der Zusage wohlwollender Prüfung abspeist, was einer höflichen Ablehnung gleichkommt. Dagegen versichert man ihn der Huld für den Kronprinzen und verweist auf das leuchtende Beispiel römischer Fürsorge für Königssöhne, das man beim ägyptischen Königshaus der Ptolemäer gegeben habe. (Die römische Intervention hatte kurz zuvor den Syrer Antiochos daran gehindert, das Reich der zerstrittenen Knabenkönige zu annektieren.) Nach Schluss der Veranstaltung wird angeordnet, dem König Gastgeschenke in einem bestimmten Geldwert und 50 Pfund Silbergeschirr zu geben, ein Geschenk auch an den Prinzen. Die Opfertiere und übrigen Opfergaben für die vorgesehenen Feiern in Rom und Praeneste sollten vom römischen Staat gestellt werden, wie es auch bei römischen Beamten üblich war. Damit wollte man offenbar jedes Risiko, dass ein Opfer aus einem Mangel der rituellen Reinheit den Zorn der Götter auf Rom herabriefe, vermeiden. Zur Heimfahrt stellte man dem König 20 Schiffe der Flotte in Brundisium zum Geleit. Bis zur Abfahrt der Schiffe sollte L. Cornelius Scipio dem König nicht von der Seite weichen und alle Kosten für ihn und sein Gefolge übernehmen. Der König lehnte dankend die für seine Person vorgesehenen Geschenke ab, gab aber seinem Sohn die Erlaubnis zur Annahme. Der Staatsbesuch dauerte dreißig Tage. Livius verschweigt nicht, dass der Grieche Polybios die ganze Szene sehr viel kri-

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tischer gesehen hat; er wirft dem Prusias eine Kriecherei vor, die jede königliche Würde vermissen lasse. Es ist auch nicht zu übersehen, dass die Überstellung von Königssöhnen nach Rom einer Stellung von Geiseln für Wohlverhalten gegenüber römischer Herrschaft gleichkam und von Rom so verstanden wurde.

Das Patronat Das Verhalten der orientalischen Herrscher zielte darauf ab, römische Politiker als Gastfreunde und Proxenoi zu gewinnen, führte aber unter den höchst unterschiedlichen realen Machtverhältnissen zu einer Abhängigkeit als Klientelstaat. Die griechische Proxenia beruht auf der Vorstellung gegenseitiger Freundschaft gleicher Partner. Das staatliche hospitium in römischer Sicht ist ein väterliches Verhältnis; der Römer als Patronus ist wie ein Vater (pater) zwar zur ehrlichen Fürsorge verpflichtet, hat aber auch, ähnlich dem Hausvater (pater familias) die Gewalt über alle, die ihm als seine Schützlinge unterstellt sind. In der Formel stehen die Wörter in der Reihenfolge patronus et hospes. Das zeigt, worauf es ankam. Als Sueton in der Biographie des Kaisers Augustus (17,2) erwähnt, der Herrscher habe den Bürgern von Bononia (Bologna) den Treue-Eid auf seine Partei, den er während des Machtkampfes mit Antonius von allen Bewohnern Italiens forderte, deswegen erlassen, weil ihre Stadt von alters her mit der Familie des Antonius im Gastfreundverhältnis gestanden habe, nennt er dieses Verhältnis schlichtweg clientela (Abhängigkeit). Wer in Rom von Senat und Volk etwas erreichen wollte, brauchte einen einflussreichen Fürsprecher, möglichst ein Mitglied des Senats. Das römische hospitium publicum gestaltete sich also nach dem Vorbild der Klientelschaft. So wie ein freier römischer Bürger sich als cliens an einen Mächtigen anschloss, dadurch von seinem patronus Unterstützung für seinen Lebensunterhalt erwarten durfte und ihm voll ergeben zudiente, zum Beispiel mit seiner Stimme bei Wahlen, aber auch sein Ansehen mehrte durch die obligate Morgenvisite, so suchten die Städte im Reich, die municipia, coloniae und liberae civitates, einen Patronus in Rom für sich zu gewinnen, indem sie ihn zu ihrem hospes ernannten. (Liberae civitates waren „freie Städte“, in denen Rom eine stadteigene Verwaltung duldete, die nicht dem Statthalter unterstellt war, deren Umfang jedoch sehr wohl vom Willen Roms abhing.) Dem Galaterkönig Deiotarus kam als Patronus der Redner Cicero zu Hilfe, als er von seinem nach dem Thron begierigen Neffen angeklagt war, er habe seinen Gast Caesar ermorden lassen wollen, und eben Caesar der Richter im Prozess war. Cicero spielt in seiner Verteidigungsrede (8–10) mit allen Nuancen der privaten und staatlichen Gast-

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freundschaft: Ich appelliere an deine rechte Hand, die du als sein Gast dem König Deiotarus, deinem Gastgeber, gereicht hast. … Du hast den Wunsch gehabt, in sein Haus zu gehen, die alte Gastfreundschaft zu erneuern. … Du hast ihm jede Angst genommen, hast ihn als Gastfreund anerkannt, ihn auf seinem Königsthron belassen. Dokumentiert werden solche Patronatsverhältnisse durch die den griechischen Symbola entsprechenden tesserae hospitales, beschriftete Stücke, vornehmlich aus Metall, oft in Form von Medaillen, wie sie auch unter privaten Gastfreunden üblich blieben. Sie sind aus dem letzten vorchristlichen Jahrhundert und der Kaiserzeit überaus zahlreich erhalten. Weil nur ein Römer ein hospes publicus im Sinne eines Städtepatrons sein konnte, war die tessera zugleich ein Beweismittel für den Besitz des römischen Bürgerrechts. Cicero hat es benutzt als Verteidiger des Cornelius Balbus. Balbus, ein Bürger der spanischen Stadt Gades, hatte vom Feldherrn Pompeius das römische Bürgerrecht erhalten; daraufhin hatte ihn die Stadt Gades zu ihrem hospes in Rom ernannt. Als später das Bürgerrecht angezweifelt wurde, plädierte Cicero (Balb. 41): Schon vor langer Zeit, behaupte ich, hat die Stadt Gades mit Balbus auf Beschluss des Gemeinderates ein hospitium geschlossen. Ich werde die tessera vorweisen! Ansehnlicher als diese tragbaren Ausweismarken und für die große Öffentlichkeit bestimmt waren die tabulae hospitales, Inschriften auf Steinoder Bronzetafeln, mit denen die Ernennung zum patronus und hospes bekundet wurde und die zu Ehren des Ernannten, oft zusammen mit seiner Statue, im Eingangsbereich seines Hauses oder in einem städtischen Gebäude aufgestellt wurden. Während für die kleinen Ausweismarken tessera hospitalis die übliche Bezeichnung war, wurde sehr viel seltener von tabulae hospitales gesprochen. Man nannte sie tabulae patronatûs, erst in der verkommenen Sprache des 4. nachchristlichen Jahrhunderts auch in Verbindung mit einem Adjektiv tabulae patrocinales oder patrociniae. Da schlägt das spezifisch Römische durch: Das Verhältnis war mit hospitium ungenau bezeichnet, es war genau besagt ein patrocinium. Bei der tessera hospitalis ist man dem Vorbild griechischer Gastfreundschaft näher geblieben: Es gibt nur einen einzigen späten Beleg für eine tessera patronatûs, gar keinen für eine tessera patrocinalis. Die Wahl zum hospes der Stadt erfolgt durch den Gemeinderat, und zwar mit einfacher Stimmenmehrheit, wie das Recht der südspanischen Stadt Urso (Osuna) festhält (131): Ein Beschluss, durch den jemand, Senator des römischen Volkes oder Senatorensohn, zum hospes der Kolonie ernannt wird, mit dem ein Gastfreundverhältnis zustande kommt beziehungsweise eine tessera hospitalis ausgefertigt wird, darf nicht ins Stadtarchiv kommen, wenn er nicht durch schriftliche Abstimmung mit Stim-

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menmehrheit der Stadträte zustande gekommen ist, und es einen Mann betrifft, der zum Zeitpunkt, in dem über ihn ein Antrag gestellt, beraten und ein Gemeinderatsbeschluss gefasst wird, als Privatmann ohne oberhoheitliche Amtsgewalt (sine imperio) in Italien lebt. Mit einer gleichlautenden Vorschrift regelt das Stadtgesetz (130) eigens die Wahl zum patronus, für die aber eine Dreiviertelmehrheit nötig ist. Worin bei im Wesentlichen gleichen Funktionen die graduelle Abstufung zwischen dem Patronat und dem Hospitium besteht, wird aus diesem Text nicht ersichtlich. Der Patron oder Gastfreund nimmt die Wahl als eine Ehrung an. Der Vertragsabschluss zwischen ihm und der Gemeinde wird in der Urkunde mit stereotypen Formeln ausgedrückt: hospitium fecit (oder iunxit, renovavit) cum … oder tesseram hospitalem fecit cum … Man kann beides kombinieren: hospitium tesseramque hospitalem cum (Name) fecit, zu deutsch: A hat Gastfreundschaft und Gast-Symbolon geschlossen mit B. Ob in diesen Formeln der Patron als Subjekt A auftritt oder die ernennende Gemeinde, ist freigestellt; häufiger ist es die Gemeinde, von der dem römischen Schirmherrn die Würde angetragen wird, zum Beispiel (CIL II 2960 aus dem Jahr 185 n. Chr.): res publica Pampelonensis cum P. Sempronio Taurino Damanitano liberis posterisque eius hospitium iunxit eumque sibi civem et patronum cooptavit (die Gemeinde Pamplona hat mit P. S. T. D. und seinen Kindern und Nachkommen Gastfreundschaft geschlossen und ihn zum Mitbürger und Schirmherrn erwählt). Die umgekehrte Formulierung drückt einen hohen Geltungsanspruch des Römers aus, der nicht den Beschluss der Gemeinde, sondern seine huldvolle Annahme der angetragenen Würde als das Ausschlaggebende ansieht, z. B. CIL II 1343 aus dem Jahr 5 n. Chr.: Q. Marius Balbus hat mit Senat und Volk von … Gastfreundschaft geschlossen und sie und ihre Kinder und Nachkommen unter seine Schutzbefohlenen und Klienten (in fidem clientelamque) aufgenommen. Das klingt, wenn auch wohl nicht so streng gemeint, wie die Amtssprache des Feldherrn, der den Besiegten nach der bedingungslosen Kapitulation – in fidem recipit – Gnade gewährt. Balbus erwartet selbstverständlich von seinen „Gastfreunden“ rückhaltlose Ergebenheit. Zu welcher Unterwürfigkeit Gemeinden fähig waren, zeigt ein Beschluss des Stadtrates von Ferentinum zu Ehren eines der prominentesten Männer um 101 n. Chr., T. Pomponius Bassus (CIL VI 1492). Er war als Freund Kaiser Traians zum Präsidenten einer Wohltätigkeitsstiftung für die Jugend ernannt worden, und die Ferentinaten hofften, dass ein Mann von so hohen Verdiensten unserem Municipium Beistand leisten werde. Der Antrag lautet daher: Es möge die Versammlung beschließen, Abgesandte aus unserem Senat zu schicken an den hochgeachteten Senator Titus Pomponius Bassus, die von ihm durch ihre Bitten erwirken sollen, er möge allergnädigst ge-

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währen, unser Municipium in die Klientelschaft seines hohen Hauses aufzunehmen, und gestatten, sich zu unserem Patronus wählen zu lassen, und dass darüber hinaus eine tabula hospitalis, beschriftet mit diesem Beschluss, in seinem Haus aufgestellt stehen dürfe. Immerhin trug ein Städtepatronat zum gesellschaftlichen Ansehen des Patronus bei. Diesem Zweck diente die für viele sichtbare Tafel im Hause oder die Aufstellung der Tafel zusammen mit der Ehrenstatue vor dem Rathaus oder in den Wandelgängen am Forum in Praeneste (CIL XIV 2924). Oft gab eine besondere Verbundenheit der Gemeinde mit der Person oder den Nachkommen des zu Wählenden den Grund, ihn vorzuschlagen. Marcellus war der Eroberer von Syrakus, und das veranlasste sizilische Städte, Träger seines Namens zu ihren Patronen zu wählen. Pompeius hatte einen siegreichen Feldzug in Spanien geführt und wurde deshalb Patron zahlreicher spanischer Städte. Für Caesar war das ein Grund, nach dem Sieg über die Pompeianer ausgediente Soldaten seiner eigenen Heere dort als Kolonisten anzusiedeln, so dass die Städte zur Colonia Julia wurden. Im Falle der Stadt Urso, deren oben erwähntes neues Stadtrecht nach Caesars Wünschen gestaltet war, wäre Caesar, hätten ihn nicht die Dolche der Mörder getroffen, hospes und patronus der Kolonie geworden. Über das gesellschaftliche Ansehen hinaus bedeuteten die Städtepatronate für römische Politiker eine Stütze ihrer Macht. Es war erstrebenswert, mehrere Patronate auf seine Person zu vereinigen. Ihrerseits hatten die Städte im Reich oft mehrere Patrone in Rom. Die Zahl wuchs durch die Sitte, Statthalter, wenn sie sich nicht während ihrer Verwaltung unbeliebt gemacht hatten, zum Dank zu patroni et hospites zu ernennen. Das uferte so sehr aus, dass Kaiser Augustus im Jahr 11 n. Chr. alle Ehrenbeschlüsse von Provinzbewohnern für römische Verwaltungsbeamte während ihrer Amtszeit und 60 Tage nach ihrem Abgang verbot (Cassius Dio 56,25,6). Wie sehr das Patronat seinen ureigentlichen Sinn verlieren und zur bloßen Ehrenbezeugung entleert werden konnte, zeigt der einer Statue beigegebene Wortlaut (CIL X 1815): Dem Tannonius Boionius Chrysanthius, dem hervorragenden Knaben, von Geburt an Patron des Senats und Volkes, seines ausgezeichneten Verdienstes halber.

Der Staat und ungebetene Gäste Je mehr eine Stadt wächst, desto stärker wird der Zuzug von Fremden, die niemanden dort kennen; und niemand wäre bereit, sie als Gast aufzunehmen. Von Seiten der Stadt wiederum nimmt die Vorsicht zu gegenüber

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Fremden, die entweder gänzlich unbekannt sind oder die man für nicht freundlich gesinnt, wenn nicht gar für gefährlich hält. Seine Befürchtungen äußert in der Komödie ›Amphitruo‹ des Plautus (153–162) der Sklave Sosia. Er ist zwar kein Fremder; doch weil er tief in der Nacht ankommt, wo ihn niemand erkennen wird, steht ihm das Gleiche bevor, wie wenn er es wäre: Welcher andere Mensch ist wohl so tollkühn, so verwegen wie ich, der ich weiß, wie es die Halbstarken treiben und dennoch zu dieser nächtlichen Stunde mutterseelenallein unterwegs bin! Was tun, wenn die Polizei mich aufgreift und in den Kerker sperrt? Von da holt man mich dann am andern Morgen hervor wie aus einem Speiseschrank zum Weichklopfen. Man wird mir kaum erlauben, den Mund aufzumachen und meine Sache zu erklären, noch werde ich an meinem Herrn eine Hilfe haben. Keiner wird da sein, nein, alle werden dafür sein, ich sei ein strafwürdiger Verbrecher, der’s nicht besser verdient, und dann hämmern acht kräftige Burschen auf mich Elenden los, als wäre ich ein Amboss. So wird man mich, den Ankömmling aus der Fremde, auf Staatskosten einquartieren! Es sind, obwohl der Schauplatz der Komödie das griechische Theben ist, ohne Zweifel römische Verhältnisse, die Plautus zugrunde legt: Die Polizei sind die römischen Tresviri capitales und deren Büttel. In der Kaiserzeit waren es die Vigiles, deren Praefekt zuständig war für Brandstifter, Einbrecher, Diebe, Räuber und Hehler. Ihre Truppe, hervorgegangen aus den Nachtwächtern, machte weiterhin die Kontrollgänge in den nächtlichen Straßen. Die Behandlung des Fremden war dadurch bestimmt, dass die Römer besonders zur Ausgrenzung neigten. Die Grenze war ein Zentralbegriff in ihrer Denkweise. Sogar ihre Götter waren, anders als bei den Griechen, nach ursprünglich römischer Vorstellung die Herren einer fremden Welt, von der sie ihre eigene unterschieden, mit den Göttern aber durch die staatliche Behörde der Pontifices eine Beziehung („Brücke“ = pons) herstellten. Es war eine Kunst der sozusagen guten Pflege der außenpolitischen Beziehungen zur Götterwelt, die den Römern eine Kenntnis des Götterwillens verschaffte und es ihnen erlaubte, stets durch gewissenhafte Erfüllung den Frieden mit den Göttern (pax deum) zu bewahren. Dass sie unter den Menschen die genauesten Beobachter des Götterwillens (religiosissimi mortales) waren, sicherte den Römern seitens der Götter eine Bevorzugung vor allen andern Völkern; darauf beruhte nach der Ideologie der augusteischen Zeit ihre Stellung als Weltmacht. Fremdes wurde als Störfaktor empfunden. Wenn die soziale Ordnung Roms in Unruhe geriet, schoben die Römer gern die Schuld Einflüssen aus der Fremde zu, so zum Beispiel, als durch die lange Dauer des Hannibal-Krieges der Aberglaube überhand nahm (Livius 25,1,6): Eine solche Angstpsychose, die größtenteils von auswärts hereingebracht wurde, befiel die Bürgerschaft, so dass

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es aussah, als wären entweder die Menschen oder die Götter auf einmal ganz andere geworden. Seinen Bericht über den Bacchanalien-Skandal, der im Jahr 186 v. Chr. den Staat erschütterte und nur mit Massenhinrichtungen beendet werden konnte, begleitet Livius mit der Feststellung (39,9,1): Dieses katastrophale Unheil ist wie eine ansteckende Seuche aus Etrurien nach Rom eingedrungen. Nach der Überlieferung hatte schon Romulus, als er die Stadt gründete, durch Ziehen einer Furche (sulcus) den Bereich, in dem die Bürger in friedlicher Ordnung (ius) leben sollten, von dem Draußen abgeschirmt, wo unbekannte gefährliche Mächte drohten. Die damit festgelegte sakrale Stadtgrenze (pomerium) durfte von niemand draußen überschritten werden, da sonst möglicherweise Frieden und Heil der Römer gefährdet gewesen wäre. Kein bewaffnetes Heer, auch kein römisches, durfte einziehen; das Marsfeld, auf dem die Musterung des Heervolks stattfand, lag außerhalb des Pomeriums, ebenso die Tempel des Feuergottes Vulcanus und der Kriegsgöttin Bellona. Hätte man Gesandte eines Feindstaates, die zu Friedensverhandlungen nach Rom kamen, in die Innenstadt eingelassen, wäre eine strikte religiöse Vorschrift gebrochen worden. Allerdings besaßen begüterte Römer, die man hätte beauftragen können, Gastgeber für sie zu sein, jeder sein Landhaus (villa) außerhalb der Stadtgrenze. Doch die Pflichten der Gastfreundschaft hätten sie unvermeidbar in den Verdacht gebracht, den Feind zu begünstigen. Die unzumutbare Pflichtenkollision wurde vermieden, wenn der Staat selber der Eigentümer der villa war, in der die Gesandten zu Gast weilten. Diese villa publica stand auf dem Marsfeld außerhalb des Pomerium, und hier empfingen die Gesandten die ihnen zustehenden Leistungen: loca et lautia (siehe oben S. 80). Während Gesandte befreundeter Staaten ihre Anliegen im Senatssaal (curia) innerhalb der Stadt vortragen durften, begaben sich die Senatoren zur Anhörung feindlicher Gesandtschaften aufs Marsfeld in den Tempel der Bellona. Die folgenden Diskussionen über Annahme oder Ablehnung der Friedensvorschläge fanden in Abwesenheit der feindlichen Gesandten in einer internen Senatssitzung in der städtischen Curia statt (Polybios 18,42,2). Man grenzte sich also strikt ab und beschränkte sich auf das vom Gesandtenrecht gebotene Minimum. Zu den Dingen, die einem hospes, selbst dem feindlichen, unter allen Umständen zustehen, gehört die notwendige Pflege während einer Krankheit und die ehrenvolle Bestattung, wenn er stirbt. Die Könige Syphax von Numidien und Perseus von Makedonien, die nach verlorenen Kriegen ihr Leben in römischer Staatshaft in Villen in Tibur und Alba beschlossen, erhielten feierliche Staatsbegräbnisse (Valerius Maximus 5,1,1 bc). Schwierig war die Lage eines Ankömmlings, wenn er selber im Zweifel

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sein musste, ob er als Freund oder Feind angesehen würde. Bei auswärtigen Thronstreitigkeiten innerhalb einer mit Rom befreundeten Dynastie vermied es der Senat, sich vorzeitig für die eine Partei einzusetzen. Valerius Maximus gibt für eine solche Situation ein Beispiel (5,1,1 f): Der König Ptolemaios (VI. Philometor) war, von seinem jüngeren Bruder vertrieben, Hilfe suchend mit ganz wenigen Sklaven zerlumpt nach Rom gekommen und hatte sich in die Obhut eines Malers aus Alexandria begeben. Als das dem Senat gemeldet wurde, ließ man den jungen Mann kommen und entschuldigte sich mit ausgesuchter Höflichkeit, weil man ihm nicht, wie von jeher der Brauch, einen Quaestor zum Empfang entgegengeschickt und ihn in das staatliche Gästehaus aufgenommen habe. Das, sagte man, sei nicht aus Geringschätzung geschehen, sondern eine Folge seiner unerwarteten und heimlichen Ankunft. Man geleitete ihn geradewegs vom Senatssaal in das staatliche Gästehaus und ermutigte ihn, seine schäbigen Kleider abzulegen und um eine Senatsaudienz zu bitten. Darüber hinaus trug man Sorge, dass ihm durch den Quaestor täglich seine Gastgeschenke gebracht wurden.

Die Parochie Das Wort hospes ist ambivalent. Eine erstrebenswerte Ehre war hospes, wenn damit der Titel eines Städtepatrons gemeint war. Ganz anders, wenn der hospes ein Quartiergeber war, der vom Staat verpflichtet wurde, einen römischen Amtsträger in sein Haus aufzunehmen, was viel mehr eine Last als ein Ehre bedeutete. So konnte Cicero (De divinatione 79) zugespitzt sagen, der Galaterkönig Deiotarus habe Caesar zur selben Zeit als Feind (hostis) und als Gast (hospes) in seinem Hause gesehen. Rom respektierte, wenn man den Historikern glauben darf, das Gastrecht von Ausländern gewissenhafter als manche griechischen Städte, aus denen Gastrechtsverletzungen berichtet wurden. Aber es besaß die Macht, seinerseits von unterworfenen oder verbündeten Gemeinden, den Munizipien und Kolonien mit unnachsichtiger Strenge zu fordern, dass römische Amtspersonen und Heeresangehörige von ihnen gastlich aufgenommen und versorgt wurden. Der zur Aufnahme gezwungene hospes, speziell parochus oder xenoparochus genannt, versah die Pflichten des Gastgebers als unentgeltliches Ehrenamt im Auftrag des verantwortlichen Gemeinderates.57 Die Ratsmitglieder hatten dafür zu sorgen, dass geeignete Gastgeber zur Verfügung standen, und wurden bei Beschwerden zur Rechenschaft gezogen. Kein vermögender Bürger durfte sich der Aufnahmepflicht entziehen. Der Zwang unterschied die Rolle eines Parochus von der freiwillig und als Ehrenpflicht übernommenen Rolle des Gastfreundes oder

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des Proxenos. Indessen war es durchaus möglich, dass ein angesehener Bürger eines römischen Munizipiums in seinem Verhältnis zu Rom Parochus und zugleich im Verhältnis zu hellenistisch-griechischen Königen Proxenos war. So zum Beispiel Remmius, von dem Livius (42,17,3) aus dem Jahr 172 v. Chr. berichtet: Remmius war der erste Mann in Brundisium. Er nahm in seinem Haus auf römische Feldherrn und Gesandte, aber auch hochrangige, vor allem königliche Persönlichkeiten aus auswärtigen Ländern als Gäste. Dadurch hatte er auch, ohne dessen Anwesenheit, Beziehungen zum Makedonenkönig Perseus gehabt. Schon früh kam es zu empörenden Missbräuchen von Seiten der Anspruchsberechtigten. Im Jahr 190 v. Chr. wirft der Mahner zu altrömischer Zucht Cato dem gewesenen Konsul Thermus vor (Gellius 10,3,17): Er hat behauptet, vom Gemeinderat sei nur mangelhaft für sein Essen gesorgt worden. Er hat befohlen, ihnen die Kleider herunterzureißen und sie auszupeitschen. Und die Büttel haben Stadträte ausgepeitscht vor den Augen einer entsetzten Menge. Kein Tyrann hat je so etwas zu tun gewagt! Dass so etwas angetan wird anständigen Leuten aus gutem Hause mit guten Manieren! Wo bleibt da das Bündnis, wo die ihnen von unseren Vorfahren zugesicherte Garantie? Sogar Sklaven murren über ungerechte Körperstrafen. Was, glaubt ihr, haben jene Männer, Leute aus besten Familien, Leute von ausgezeichnetem Rang, in ihrem Herzen gefühlt und werden es ihr Leben lang fühlen? Einen weiteren Fall zitiert Gellius (10,3,3) aus einer Rede des Volkstribunen C. Gracchus. Die Frau des in der Stadt eben ankommenden Konsuls wünscht im Männerbad zu baden; es wird darauf von den dort Badenden geräumt. Die Frau beklagt sich bei ihrem Mann, das Bad sei ihr nicht schnell genug übergeben worden und nicht sauber genug gewesen. Darauf hin wird ein Pfahl auf dem Hauptplatz errichtet, der vornehmste Mann der Stadt, M. Marius, daran festgebunden; es werden ihm die Kleider vom Leib gerissen, er wird ausgepeitscht. Als man in der Stadt Cales davon hört, hat man dort ein Verbot erlassen, kein Bürger dürfe das Bad benutzen zur Zeit der Anwesenheit eines römischen Beamten. In Ferentinum hat aus gleichem Grund unser Praetor die örtlichen Quaestoren festnehmen lassen. Der eine stürzte sich von der Mauer, der andere wurde erwischt und ausgepeitscht. Schon acht Jahre vor seiner Anklage gegen Thermus war Cato als Statthalter in Sardinien scharf gegen Ausbeutung und Überforderung eingeschritten. Livius (32,27,4) schreibt: Zinswucherer wurden von der Insel verjagt und die Ausgaben, welche die Bundesgenossen für den Aufwand der Praetoren bisher zu leisten hatten, beschnitten oder gestrichen. Vielleicht ist Cato der Urheber der Lex Porcia, auf die sich die Lex Antonia de

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Termessibus (2,14–17) beruft: Kein Magistrat … darf befehlen, ihm mehr zu geben oder zur Verfügung zu stellen oder den Provinzbewohnern wegzunehmen, als wozu sie gemäß der Lex Porcia … verpflichtet sind. Der erste der von Gellius angeführten Fälle macht zumindest die Chronologie unglaubwürdig, wenn Livius (42,1,7–12) behauptet, vor dem Jahr 173 v. Chr. seien noch keine solchen Forderungen vorgekommen. Als erster habe sie der Konsul Postumius Albinus eingeführt aus Verärgerung, weil er vorher bei einem privaten Besuch in Praeneste sich nicht ehrerbietig genug behandelt gefühlt habe. Das ließ er die Bürger, bevor er jetzt als Konsul von Rom nach Campanien reiste, spüren und befahl, der Magistrat habe ihm zum Empfang entgegenzukommen, die Gemeinde habe das Haus für seinen Aufenthalt bereitzustellen und die Lasttiere hätten zu seiner Abreise bereitzustehen. Vor diesem Konsul hat niemand mit irgendetwas den Verbündeten Lasten oder Kosten verursacht. Darum wurden ja die Amtsträger mit Maultieren, Zelten und allem, was zum Krieg gebraucht wird, ausgerüstet, damit sie nichts derart von den Verbündeten requirierten. Sie hatten ihre persönlichen Gastfreundschaftsbeziehungen; sie pflegten sie entgegenkommend und großzügig, und ihre Häuser standen stets in Rom den Gastfreunden offen, bei denen sie ihrerseits einzukehren gewohnt waren. Nur Gesandte, wenn sie plötzlich irgendwohin geschickt wurden, requirierten dann und wann mal ein Tier an den Durchreiseorten; mehr brauchten die Bundesgenossen für römische Beamte nicht auszugeben. Die Rache eines Consuls, die, selbst wenn berechtigt, doch nicht im Amt hätte gestillt werden dürfen, und das allzu zurückhaltende oder ängstliche Schweigen der Praenestiner war der Präzedenzfall für die Beamten, nun von Tag zu Tag härtere Requisitionen vorzunehmen. Die skandalösen Fälle von Machtmissbrauch waren römisch, die Institution der Parochie selbst nicht. Sie bestand ähnlich in Ägypten, mit dem Rom seit 273 v. Chr. durch wechselseitige Gesandtschaften nähere Beziehungen unterhielt, die sich infolge der Haltung der Ägypter in Roms größter Not während des Hannibal-Krieges freundschaftlich entwickelt hatten. Im Jahr 168 hatten sie zur völligen Abhängigkeit Ägyptens von Rom geführt. Zeugnis von der Verpflichtung in Ägypten gibt die bekannte doppelsprachige (ägyptisch-griechisch) Inschrift, in der sich die Priester des IsisTempels auf der Nil-Insel Philae beim König Ptolemaios VIII. (146–116) beschweren58: Weil die nach Philae anreisenden Militärpersonen, Thebarchen, königlichen Schreiber, Polizeioffiziere und alle die anderen Verwaltungsbeamten, die sie begleitenden Amtsdiener und die übrigen Begleitpersonen uns zwingen, gegen unseren Willen ihre Aufenthaltskosten zu tragen, und es infolgedessen dazu kommt, dass der Tempel Verluste erleidet und wir in Gefahr kommen, nicht mehr das für die gewohnten Speise-

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opfer und Trankopfer für Euch und Eure Kinder Nötige aufzubringen, bitten wir Eure allerhöchsten Gottheiten, wenn es Euch recht scheint, dem Mitglied Eures Hofstaates und Sekretär Numenios aufzutragen, dem Lochos, Eurem Beamten und Strategen der Thebais, zu schreiben, uns nicht beschwerlich zu sein mit diesen Lasten und niemand anderem zu erlauben, selbiges zu tun, und für uns die diesbezüglichen amtlichen Verfügungen zu erlassen und in diesen uns zu gestatten, einen Denkstein aufzustellen, auf dem wir den uns von Euch in dieser Sache erwiesenen Gnadenerweis aufzeichnen werden, damit durch die Inschrift Eure Wohltat in ewigem Andenken bleibe für alle Zeit. Was hier mit dem Wort Parusia (Aufenthalt) bezeichnet wird, entspricht in der Sache der Pflichtleistung, die römischen parochi abgefordert wird. Von den zahlreichen Vorwürfen der Beamtenwillkür gegen Untertanen, die Cicero in seinen Reden gegen Verres erhoben hat, sei nur einer erwähnt (II 1,63–69). Verres lässt sich vom Provinzstatthalter die Stelle eines Legaten zuweisen, kommt in die griechische Stadt Lampsakos und wird einem Quartiergeber namens Janitor als Gast zugeteilt, seine Gefolgsleute bei anderen Gastgebern. Verres gibt wie gewohnt seinen Leuten den Auftrag, sich in der Stadt nach schönen Mädchen umzusehen, derentwegen es sich lohnen könnte, den Aufenthalt etwas zu verlängern. Sein Spürhund Rubrius meldet ihm bald, es gebe da einen Philodamos, unbestreitbar der an Adel, Ehre, Reichtum und Ansehen erste Mann in Lampsakos. Der habe eine Tochter, die, weil noch unverheiratet, bei ihrem Vater wohne, ein wunderschönes Weib; aber sie gelte als ein Muster von Keuschheit und Anstand. Verres ist sofort Feuer und Flamme, ohne dass weder er noch Rubrius das Mädchen überhaupt je gesehen haben. Er erklärt seinem Hausherrn sogleich, er wolle zu Philodamos umziehen. Der Quartiergeber Janitor, ohne den Grund zu ahnen, aber in Furcht vor der eigenen Blamage, gibt sich alle Mühe, ihn zum Bleiben zu bewegen. Verres, dem kein plausibler Grund einfällt, den Gastgeber zu verlassen, sucht einen andern Weg für seine schändliche Absicht. Sein Liebling, sein Helfer und Mitwisser in allen Dingen, Rubrius, sei zu wenig komfortabel untergebracht; er befiehlt, ihn bei Philodamos einzuweisen. Als das dem Philodamos mitgeteilt wird, eilt er, noch ohne zu wissen, welches Unheil ihm und den Seinen bevorsteht, sogleich zu Verres. Er macht geltend, das sei nicht seine Aufgabe. Obwohl er verpflichtet sei, die Gastgeberrolle zu übernehmen, so seien es doch Praetoren und Consuln, aber nicht die Gehilfen von Dienstreisenden, die er üblicherweise beherberge. Verres schlägt alle Einwände in den Wind; er befiehlt, mit Gewalt Rubrius einzuquartieren bei dem Mann, der gar nicht zur Aufnahme verpflichtet war. Nachdem er sein Recht nicht hatte durchsetzen können, sucht Philodamos, der als großzügigster und römer-

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freundlichster Gastgeber bekannt war, das Gesicht zu wahren; es sollte nicht heißen, er habe Rubrius unwillkommen in sein Haus eingelassen. Er richtet zum Empfang ein prächtiges Gastmahl aus und schickt seinen Sohn derweil zu einem seiner Freunde, damit die Römer ungestört feiern können. Rubrius lädt seine Kumpane ein, und Verres gibt ihnen allen die Anweisung dafür, worum es ihm geht. Als Rubrius merkt, dass die ausgelassene Stimmung auf ihrem Höhepunkt angekommen ist, sagt er: Ich bitte dich, Philodamos, warum lässest du nicht deine Tochter zu uns hereinrufen? Der, ein so hochgestellter Mann, so ehrwürdig an Jahren und der Vater, ist starr vor Schreck über die Rede des unverschämten Kerls. Aber Rubrius lässt nicht locker. Um überhaupt etwas darauf zu entgegnen, erklärt ihm Philodamos, es sei unter Griechen nicht Brauch, dass Frauen an Gelagen von Männern teilnähmen. Da schreit einer von der Partie: Das dürfen wir nicht hinnehmen! Her mit dem Weib! Und im selben Augenblick gibt Rubrius seinen Sklaven den Befehl, die Türen zu schließen und selber an allen Ausgängen Wache zu stehen. Als Philodamos begreift, dass es um die Vergewaltigung seiner Tochter geht, ruft er seine Sklaven zu sich; er befiehlt ihnen, ohne Rücksicht auf seine eigene Person die Tochter zu schützen. Einer solle weglaufen und dem Sohn das Unglück melden. Unterdessen Lärm im ganzen Haus. In seinem eigenen Hause wird der vornehme und hochangesehene Mann zwischen Sklaven des Rubrius und den seinigen hin- und hergezerrt, jeder packt zu, zum Schluss wird Philodamos von Rubrius eigenhändig mit heißem Wasser überschüttet. Der Sohn eilt heran, dem Vater beizustehen, und in gleicher Absicht strömen alle Lampsakener nachts zum Haus herbei. Dabei kommt ein Lictor des Verres, Cornelius, der von Rubrius für die Entführung des Mädchens auf Posten gestellt war, ums Leben. Einige Sklaven werden verwundet, Rubrius selbst wird im Getümmel verletzt. Tags darauf findet eine Volksversammlung statt, und trotz der Befürchtung, in Rom könnten des Aufruhrs wegen Strafaktionen gegen die Stadt verhängt werden, rotten sich die Bürger vor der Unterkunft des Verres zusammen. In Lampsakos ansässigen Römern gelingt es, die Empörten zur Ruhe zu bringen: Es sei ein geringerer Fehler, einen einzelnen Verbrecher zu schonen, als einen römischen Legaten nicht zu schonen. So die dramatische und von der Sicht des Anklägers gefärbte Schilderung Ciceros. Das Argument, das er dem Philodamos in den Mund legt, in seinem Hause würden nach Gewohnheitsrecht nur Praetoren und Consuln beherbergt, bleibt bei Verres wirkungslos. Die delegierte Amtsgewalt eines römischen Statthalters gestattete ihm volle Ermessensfreiheit, wen aus seinem Gefolge er wem zuwies. Auch der Caesaranhänger Marcus Antonius missbrauchte seine Macht, indem er nach dem Zeugnis des Biographen Plutarch (9,8) Straßenhuren und orientalische Harfenspielerinnen aus sei-

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nem Gefolge in die Häuser anständiger Bürger und Bürgerinnen einquartierte; er selbst zog es vor, weil ihm unterwegs jedes Haus zu wenig fein schien, Luxuszelte aufzuschlagen. Noch in der Kaiserzeit lässt Petronius (Satyricon 85,1) den Winkelpoeten Eumolpus renommieren: Als ich vom Quaestor in seinem Gefolge mit Dienstbesoldung in die Provinz Asia mitgeführt wurde, bekam ich Quartier in Pergamon zugewiesen … Die anschließende Geschichte spielt, erdichtet oder nicht, in einem sehr gepflegten Haushalt. Als Cicero im Jahr 51 v. Chr. selbst Statthalter der Provinz Kilikien wird, verzichtet er bewusst darauf, vom Recht der Parochie Gebrauch zu machen. Während eines zehntägigen Aufenthalts auf der Durchreise in Athen wohnt er als Gastfreund bei dem Philosophen Aristos, sein im Gefolge mitreisender Bruder Quintus bei Xenon, einem Gastfreund des Freundes Atticus (ad Atticum 5,10,5). In Kleinasien unterwegs schreibt er auf der Fahrt von Synnada nach Philomelium an Atticus (5,16,2–3): Du sollst wissen: Sehnlichst erwartet sind wir in einer verlorenen und auf ewig völlig ruinierten Provinz angekommen, … Dennoch sind die verelendeten Städte erleichtert darüber, dass keine Ausgaben anfallen, weder für uns noch für unsere Legaten, unseren Quaestor oder sonst wen. Du sollst wissen: Wir verzichten nicht nur auf das Heu (für die Tiere) und auf das, was auf Grund des Julischen Gesetzes zu liefern ist, sondern nehmen nicht einmal Brennholz an. Außer vier Liegebetten und ein Dach überm Kopf nimmt keiner etwas entgegen, vielerorts nicht einmal das Obdach, und zumeist bleiben wir im Zelt. … Die Leute leben förmlich auf, nachdem sie die Gerechtigkeit, Genügsamkeit und Milde deines Freundes Cicero erkannt haben, die alle ihre Erwartungen übertroffen hat. Das erwähnte Gesetz hatte Julius Caesar in seinem Consulat (59 v. Chr.) durchgesetzt, um der Korruption der senatorischen Provinzstatthalter entgegenzutreten, deren Auswüchse blühende Landschaften zu ausgezehrten Wüsten machten. Die Leistungen, welche die Provinzbewohner unentgeltlich für durchreisende Staatsbeauftragte zu erbringen hatten, waren: Obdach, Wasser, Feuerung, Salz und Heu für die Reit- und Lasttiere. Das erfahren wir aus Horazens Beschreibung der Dienstreise, auf der er Maecenas von Rom nach Brundisium begleitete (sat.1,5,45–46): Ein kleines Landhaus an der Brücke nach Campanien hat uns Obdach geboten und, was Parochi schuldig sind, Holz und Salz. Ganz ist es auch Cicero nicht gelungen, seine ideale Absicht durchzuhalten. Einer seiner Legaten, so klagt er (ad Atticum 5,21,5), hat ein einziges Mal an einem Tag, nicht wie andere bei jeder Gelegenheit, die Rechte, die ihm nach der Lex Julia zustanden, in Anspruch genommen. Außer ihm, einmalig, hat niemand etwas angenommen. So muss ich nun seinetwegen

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eine Ausnahme machen bei meiner Feststellung, es sei kein Heller an Belastungen vorgekommen. Diesen Schandfleck verdanke ich unserem Freund Q. Titinius (der hatte ihm den Legaten empfohlen). Im gleichen Brief (7) rühmt Cicero sich weiter, während seiner bisherigen Statthalterschaft habe keine Stadt schriftliche Anforderungen von ihm oder einen Zwangsgast zu sehen bekommen. Die Winterzeit war jedes Jahr mit solchen Zahlungsbefehlen belastet gewesen. Vermögende Städte hatten, um keine Soldaten ins Winterquartier aufnehmen zu müssen, große Summen gezahlt, die Leute aus Cypern 200 attische Talente. Von dieser Insel, ich sage es ohne Übertreibung, sondern ganz den Tatsachen entsprechend, wird kein Heller ausgegeben werden, der in meine Kasse flösse. Ciceros und Caesars Zeitgenosse, der jüngere Cato, verhielt sich ebenfalls in seinen Forderungen maßvoll nach dem Zeugnis seines Biographen Plutarch (12,3–6): Er schickte bei Tagesanbruch seinen Bäcker und seinen Koch voraus an den Ort, wo er die Nacht zuzubringen gedachte. Diese betraten die Stadt in aller Bescheidenheit und Stille, und wenn kein Gastfreund am Ort ansässig war, bereiteten sie ihm ein Unterkommen im Wirtshaus vor. Nur wo es kein Wirtshaus gab, wandten sie sich an die Stadtbehörden und machten den Anspruch auf Quartier geltend, nahmen aber vorlieb mit dem, was man ihnen anbot. Solch ungewohnte Anspruchslosigkeit hatte zur Folge, dass Cato da und dort respektlos behandelt wurde, was ihn zu dem scharfen Tadel herausforderte: Ihr elenden Burschen! Ändert euch mit eurer Ungastlichkeit! Nicht alle, die zu euch kommen, werden so sein wie Cato. Entwaffnet durch Zuvorkommenheit ihr Herrentum, denn sie warten nur auf einen Vorwand, um sich mit Gewalt zu nehmen, was ihr nicht gutwillig hergebt. Zum Missbrauch verführte ganz besonders die gegen Ende der Republik oft genutzte legatio libera. Nach Bewilligung der Stelle durch den Senat entscheidet der Inhaber der Provinzstatthalterschaft selbst über die personelle Besetzung seiner Verwaltungsstellen. Ein Legatus bekommt normalerweise eine bestimmte Aufgabe zugewiesen, er reist als Gesandter, um Verhandlungen in Provinzangelegenheiten zu führen, oder einfach, um seinen Statthalter bei der Durchführung der Verwaltungsaufgaben zu unterstützen. In der legatio libera (freien Abordnung) wird jedoch die Definition der Aufgabe offen gelassen. Der Legat genießt dann für sich und sein Gefolge auf seinen Reisen alle Vorteile wie kostenfreie Beförderung, Quartier und Unterhalt, Ersatz der Reisekosten (viaticum), reist aber nur in seinem eigenen Interesse. Cicero hat in seinem Konsulat versucht, diese von Angehörigen des Senatorenstandes ausgenützte Bevorteilung ganz zu verbieten, stieß aber auf den Einspruch eines Volkstribunen und erreichte lediglich die Befristung

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der legatio libera auf ein Jahr. Vier Jahre später erklärte er selbst in der Verteidigungsrede für den angeklagten Provinzstatthalter Flaccus (86) die legationes liberae für rechtmäßig, fügte allerdings hinzu, dass sie den Provinzbewohnern Anlass zu Beschwerden gäben. Caesar griff die Sache erneut auf und schloss gesetzlich die Verlängerung der Jahresfrist aus. Ein Vierteljahr nach Caesars Ermordung schreibt Cicero an seinen Freund Atticus (15,11,4): Zu deiner Information: Dolabella (Ciceros Schwiegersohn und neuernannter Statthalter von Syrien) hat mich zu seinem Legaten ernannt am 3. des Monats. Nachricht kam gestern nachmittags. „Zur Erfüllung eines Gelübdes“, was dir ebenso wenig wie mir gefallen hat. War es doch ein Unsinn, ein Gelübde, das ich getan hätte für den Fall, dass die Republik Bestand hätte, jetzt, nachdem sie untergegangen ist, erfüllen zu wollen. Und doch meine ich: liberae legationes sind durch das Julische Gesetz an die bestimmte Frist gebunden, und die kann nicht ohne weiteres verlängert werden. Da ist mir denn doch diese Form der legatio angenehm, so dass man nach Belieben ein- und ausreisen kann; das ist jetzt zusätzlich für mich verfügt. Schön ist jedenfalls die fünfjährige freie Benutzung dieser Berechtigung. Man hatte also die Befristung auf ein Jahr umgangen, indem man Cicero nicht eine zweckfreie legatio libera gewährte, sondern pro forma eine Zweckbestimmung angab. Dann nämlich galt die legatio für die volle fünfjährige Amtsdauer des Statthalters. In der Kaiserzeit war man bestrebt, krasse Missbräuche abzustellen. Aber der Senat behielt das Recht, seinen Mitgliedern eine legatio libera zu bewilligen und übte es gegen den Willen des Kaisers Tiberius aus (Sueton, Tib. 31). Sie war noch im unter Kaiser Hadrian festgeschriebenen Praetorischen Edikt vorgesehen, und Ulpian bemerkt dazu in seinem Kommentar (Digesta 50,7,15): Wer mit einer libera legatio auf Reisen ist, tut es rechtlich gesehen nicht im Staatsauftrag. Denn er reist nicht im staatlichen Interesse, sondern in seinem eigenen. Immer noch bedeutet die Parochie eine schwere Last. Statthalter und Amtsträger dürfen nicht mehr als kleine Gastgeschenke annehmen. Im ersten seiner zehn Bücher ›Über das Amt des Proconsuls‹ zitiert der Jurist Ulpian aus einem Schreiben des Kaisers Septimius Severus (Digesta 1,16,6,3): Es gibt ein altes Sprichwort: Weder alles noch zu jeder Zeit noch von jedem. Es wäre inhuman, von niemanden etwas anzunehmen, aber es unterschiedslos zu tun, wäre höchst unwürdig, und alles, das wäre Raffgier. Das Verbot, Geschenke oder Vergünstigungen anzunehmen und über den Alltagsbedarf hinaus etwas zu kaufen, betrifft nicht die kleinen Freundschaftsgaben; doch die dürfen nicht den Umfang von regulären Abgaben (munera) erreichen. Nicht ernst gemeint ist es, wenn der Quaestor, der bei einem Staatsemp-

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fang (vgl. o. S. 83 f.) dem Staatsgast als offizieller Begleiter beigeordnet wird, parochus genannt wird. Er trägt ja nicht den Aufwand aus seinem Privatvermögen, sondern handelt für den Staat. Es ist Cicero, der im Jahr 45 v. Chr. seinem vertrauten Freund Atticus mit spöttischem Unterton schreibt (13,2,2): Ariarathes, der Kronprinz des Ariobarzanes, kommt nach Rom. Er will sich, vermute ich, bei Caesar ein Königreich einkaufen, denn so wie’s im Augenblick steht, weiß er nicht, wo er seinen Fuß auf einen Fleck eigenen Bodens stellen könnte. Unser Freund Sestius, der Staats-Fremdenführer (parochus publicus), hat ihn total an seine Hand genommen. Mir ganz recht, aber weil mich durch die Großzügigkeit, die ich seinen Brüdern erwiesen habe, manches mit ihm verbindet, lade ich ihn brieflich ein, mich zu besuchen. Schon die Verpflichtung, jeden mit staatlicher Erlaubnis Reisenden im Haus aufzunehmen und zu bewirten, war von allem Weiteren abgesehen bedrückend und führt dazu, dass Bürger sich entschlossen, Gemeindeherbergen zu errichten. Plinius der Jüngere erzählt im 1. Jahrhundert n. Chr. in seiner Briefsammlung (9,33) die Geschichte eines zahmen Delphins, dessen zutrauliches Spiel Zuschauer in die nordafrikanische Stadt Hippo gelockt habe. Es strömten zu dem Schauspiel alle Magistraten herbei, durch deren Ankunft und Aufenthalt die bescheidenen Mittel der Gemeindebürger von neuen Ausgaben aufgezehrt wurden. Zum Schluss verlor der ganze Ort seine Ruhe und Abgeschiedenheit. Man beschloss, den Delphin ohne Aufsehen umzubringen und alle halfen mit. Plinius der Ältere (nat. 9,26) spricht bei Erwähnung des Vorfalls ausdrücklich von rechtswidrigem Verhalten der Machtpersonen gegen ihre Gastgeber (iniuriae potestatum in hospitales) als Ursache der Verzweiflungstat. Im lykischen Arneai stifteten im Jahr 101–102 n. Chr. ein Bürger und seine Frau 3000 Denare für den Umbau des Gymnasions in ein Gästehaus der Gemeinde.59 Das Gymnasion war der Stolz griechischer Städte, Mittelpunkt des kulturellen Lebens; dass man es aufgab, zeigt, wie viel den Leuten daran lag, im eigenen Haus unbehelligt zu leben. Zu Beginn des 3. Jahrhunderts n. Chr. bestätigt der Legat des Proconsuls von Syrien den Bürgern von Phanai60: Wenn jemand, Militär- oder auch Privatperson, mit Gewaltanwendung sich bei euch einquartiert, werdet ihr, wenn ihr es mir meldet, Rechtsschutz erhalten. Denn weder schuldet ihr eine Sammelabgabe für die Fremden, und weil ihr ein gemeindeeigenes Gästehaus habt, könnt ihr nicht gezwungen werden, Einquartierung in eure Häuser aufzunehmen. Diesen Erlass stellt sichtbar an einem Platz eures Bezirkshauptortes auf, damit niemand sich auf Unkenntnis berufen kann. Ob das hospitium an der ihrer landschaftlichen Schönheit wegen vom jüngeren Plinius gerühmten Clitumnus-Quelle (Brief 8,8) eine Parochie

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war, lässt sich nicht sicher sagen. Jedenfalls ist sie hier keine drückende Last gewesen; die Worte Das Bad bieten die Bürger von Hispellum, denen der Kaiser Augustus den Platz geschenkt hat, unentgeltlich an, und sie bieten auch die Unterkunft können besagen, dass das kaiserliche Geschenk auch die laufenden Unterhaltskosten mit umfasste. Dass jedoch sogar ein Thermalbad nicht überall ein Glück für die Anwohner bedeutet, zeigt die im Jahr 238 n. Chr. beim Kaiser eingereichte Beschwerde der Bürger von Skaptoparai in Thrakien.61 Sie nähmen zwar römische Beamte pflichtgemäß auf, wehrten sich aber gegen die Inanspruchnahme durch Unberechtigte. Sie müssten den Ort verlassen und ihre Häuser leer stehen lassen, wenn die Plage nicht aufhörte. Eine extreme Belastung trat ein, wenn bei Truppenbewegungen ganze Armeeteile Quartier forderten. Plinius setzt in seiner Lobrede auf den Kaiser Traian (paneg. 20,3–4) den Anmarsch des Traian nach Rom zur Thronbesteigung tendenziös in Gegensatz zu den Übergriffen der Truppen des Kaisers Domitian auf dessen Feldzug gegen die Germanen: Es kam zu keinen Protesten bei der Requirierung von Wagen, nicht zu überzogenen Ansprüchen bei der Wahl der Unterkünfte, die Lebensmittellieferungen unterschieden sich nicht von dem, was alle Übrigen bekamen. Dazu die Begleiter, allzeit bereit und diszipliniert. Man hätte meinen können, ein großer Heerführer oder eben ein Mann wie du befinde sich auf dem Weg zu seinen Armeen, so sehr gab es keinen oder doch so gut wie keinen Unterschied zwischen dem regierenden (Nerva) und dem zukünftigen Kaiser. Wie ganz anders noch vor kurzem der Durchzug des anderen Herrschers! Wenn das denn ein Durchzug war und nicht vielmehr ein Raubzug, als die Besetzung der Quartiere erzwungen und links und rechts vom Wege alles in Schutt und Asche gelegt wurde, als ob eine Naturkatastrophe oder eben jene Barbaren, vor denen er die Flucht ergriff, eingefallen wären. Man musste den Provinzen erst durch Zureden erklären, das sei der Weg eines Domitian gewesen, nicht der eines Fürsten. Ungerechte Übergriffe bei Militärbewegungen kamen auch später immer wieder vor. Um 212–213 antwortet Caracalla auf eine Klage der Bewohner der kaiserlichen Domäne Takina in Phrygien62: Mein Verwalter und Freigelassener wird alle Vorsorge treffen, dass die angeblich den mächtigen Prokonsuln vorauseilenden Soldaten euch nicht behelligen und beim Ausschweifen aus den Städten nicht die Ländereien verwüsten. An ihn wendet euch bezüglich der Bezahlung für jede Meile bei Wagentransporten und die rechtzeitige Rückgabe der ohne jeden Mietvertrag requirierten Zugochsen.

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Militärische Einquartierung (hospitium militare) Die Unterbringung von Soldaten römischer Heere berührte zur Zeit der Republik die Städte nur wenig. Die Truppe ruhte und nächtigte in Feldlagern. Nur wenn das Heer sich nach verlorener Schlacht, auf einem fluchtartigen Rückzug oder bei Meuterei auflöste, suchten und fanden Soldaten einzeln Aufnahme in der Stadt. Während der ersten drei Jahrhunderte der Kaiserzeit war die Truppe an den Reichsgrenzen in festen Lagern stationiert. Die bei diesen Lagern entstehenden Zivilstädte blieben vom Lagerbereich durch Wall und gesicherte Tore getrennt. Erst als im Laufe der Völkerwanderung der Limes an der Reichsgrenze zusammenbrach und die festen Lager überrannt oder aufgegeben wurden, ging die Kriegführung wieder mehr in einen Bewegungskrieg über. Daraus ergab sich öfter die Notwendigkeit, Truppen in Städten einzuquartieren, und dafür genügten die bisherigen Regeln der Unterbringung bei Parochi nicht mehr. Die der neuen Lage entsprechenden Gesetze sind gesammelt in den Rechtskodifikationen der Zeit, vor allem dem Codex Theodosianus (438 n. Chr.) und dem Codex Justinianus. Unter militia wird hier der gesamte Staatsdienst, sowohl der zivile wie der im engeren Sinne militärische, verstanden. Der Staatsdiener hat Anspruch darauf, dass ihm der zur Aufnahme Verpflichtete den dritten Teil seines Hauses überlässt. Ein Quartiermeister kommt als Erster in den Ort und schreibt die Namen der aufzunehmenden Soldaten an die Haustüren. Sie zu löschen wird als Urkundenfälschung bestraft.63 Seine Dienstgradbezeichnung mensor oder metator (Vermesser) hat der Quartiermacher beibehalten aus seiner früheren Aufgabe, geometrisch die Einteilung eines Feldlagers vorzunehmen, und auch das von ihm angewiesene Quartier führt die alte Bezeichnung metatum. Nach einem Gesetz aus dem Jahr 39864 werden drei Anteile festgelegt. Zuerst darf der Aufnehmende einen Anteil wählen, den er für sich behält. Dann kommt der Aufzunehmende zum Zug und wählt seinen Teil. Der übrig bleibende dritte Teil verbleibt wieder dem Aufnehmenden. Nur die Offiziere und Beamten der obersten Ränge vom vir illustris an aufwärts dürfen von ihrem Quartiergeber die Hälfte des Hauses fordern; diese vornehmeren Häuser sind so geräumig, dass dem Besitzer noch genügend Platz verbleibt. Nicht verlangt werden darf, was über das Obdach hinaus geht. Denn die Verpflegung wird aus den staatlichen Magazinen der annona geliefert. Ausdrücklich schließen die Gesetze65 die Stellung von Polstern, Öl und Holz aus. Beamte und Offiziere unter dem Rang von illustres dürfen auch kein eigenes Bad beanspruchen.66 Der Gesetzgeber ist sich bewusst, dass die unter Zwang zu duldende Einquartierung eine lästige Zumutung ist. Ein begrenzter Personenkreis wird daher, wie es in geringerem Umfang schon bei der Paro-

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chie eingeführt war, durch Privileg freigestellt: Das Kaiserhaus selbst mit allen seinen Besitztümern, sodann die höchsten Würdenträger des Staates mit ihren Familien für das von ihnen selbst bewohnte Haus, die Consulares im Rang von Patricii sogar für drei Häuser, einfache Consulares für zwei, was allerdings nur zu Lebzeiten des Amtsinhabers gilt. Privilegiert sind weiter die Senatoren, die fabricenses (Leiter der für die Armee arbeitenden Staatsbetriebe), die archiatri (Hauptärzte), Professoren der Sprache und Literatur, Philosophie und der Naturwissenschaften sowie der Malerei.67 Ein Gesetz aus dem Jahr 343 privilegiert auch die Kleriker der christlichen Kirchen68: Niemand soll euch und eure Diener zu neuen Aufgaben verpflichten, sondern ihr sollt euch der Freistellung erfreuen. Überdies werdet ihr auch keine Zwangsgäste aufzunehmen brauchen. Das gilt für die staatliche Einquartierung; das kirchliche Gebot der Gastlichkeit gilt in besonderem Maße gerade für sie, und mit den Hospizen, in denen sie für Notleidende aller Art sorgen, erfüllen sie eine vom Staat geförderte neue Aufgabe. Nicht belegt werden dürfen Läden, in denen Waren zum Verkauf lagern. Nur wenn in dem zugewiesenen Hausdrittel kein Stall vorhanden ist, kann je nach den gegebenen Umständen Platz für Tiere in einem solchen Laden abgezweigt werden. Wie in Kirchen ist auch in jüdischen Synagogen Einquartierung verboten, ebenso im Amtslokal der ordentlichen Richter. Die spätrömisch-byzantinische Gesetzgebung schafft zur Regelung der Völkerwanderung die Grundlage für die Ansiedlung der fremden Völker auf dem Boden des Imperiums, der ihnen als Verbündete (foederati) angewiesen wurde. Sie gelten als Hilfstruppen des Kaisers, so dass sie gemäß den Gesetzen des Militärgastrechts (hospitium militare) auf die römischen Hausbesitzer verteilt werden. Demnach erhalten sie Anspruch auf ein Drittel an Haus und Grund, das ihnen abzutreten ist. Der Römer bleibt der rechtliche Eigentümer und der eingewiesene Zwangsgast hat an seinem Drittel nur die Nutzung. Wo wie im ostgotischen Königreich des Theoderich im Verkehr mit Römern die römische Rechtsordnung durchgesetzt wird, duldet man keine Anarchie. Der Gotenkönig verfügt69: Wenn ein Nichtrömer das Anwesen eines Römers seit der Zeit, als wir nach Gottes Willen die Wasser des Sontius (Isonzo) überschritten haben und seit uns das Reich Italiens aufgenommen hat, ohne den von einem Einweisungsbefugten unterschriebenen Zettel eigenmächtig in Besitz genommen hat, soll er es dem früheren Besitzer ohne jeden Verzug zurückerstatten. Wenn es sich aber herausstellt, dass er vor der besagten Zeit sich in den Besitz gesetzt hat, weil dann nachweisbar die dreißigjährige Verjährungsfrist im Wege steht, befehlen wir, dass die Beschwerde des Klägers nicht weiter verfolgt wird. In einem Schreiben an den römischen Senat70 rühmt er die Ver-

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dienste des Liberius, der, einst ein treuer Gefolgsmann des von Theoderich besiegten Feindes Odoaker, sich mit gleicher Treue als Praefectus praetorii im Dienst Theoderichs bewährt hat: Mit Freude erwähnen wir, wie er bei der Einweisung in die Drittteile zwischen Römern und Goten nicht nur die Besitztümer miteinander verbunden hat, sondern auch die Herzen. Denn obwohl Menschen sich in zu großer Nähe gewöhnlich aneinander stoßen, erweist es sich, dass bei ihnen der gemeinsame Besitz der Landgüter zur Quelle der Eintracht geworden ist. So ist eingetreten, dass beide Völker während ihres Zusammenlebens sich auch zu einem gemeinsamen Wollen vereint haben. Wahrhaft etwas Neues und ganz und gar Rühmliches ist geschehen! Durch die Aufteilung des Bodens ist eine Freundschaft der Besitzer zusammengewachsen. Durch den Verlust wurde die Freundschaft zwischen den Völkern gemehrt und, weil er einen Teil des Bodens bekam, ist ein Verteidiger dieses Bodens gewonnen worden, so dass die Sicherheit des Besitztums garantiert wird. Das Bild, das die Kanzlei Theoderichs malt, ist gewiss im Sinne der Integrations- und Versöhnungspolitik geschönt. In dem Maße als die Stämme der Völkerwanderung sesshaft wurden, verwandelte sich nach und nach die Lage zu ihren Gunsten. Weitergehende Bestimmungen der nationalen Volksrechte lösten die Regeln des römischen hospitium militare ab, und auch Goten, Franken, Burgunder, Langobarden konnten durch Ersitzung, Kauf und andere Rechtsakte zu wirklichen Eigentümern des Bodens werden.

Gastlichkeit jüdischer Gemeinden Mit der zunehmenden Zahl von Juden in der Diaspora wuchs das Bedürfnis, die vielen aus fremden Ländern nach Jerusalem kommenden Pilger unterzubringen. Hier taten sich vermögende Bürger hervor wie Theodotos, der in einer Inschrift aus dem ersten Drittel des 1. Jahrhunderts (der Zeit Christi) sich seiner Stiftung rühmt71: Theodotos, Sohn des Vettenos, Priester und Synagogenvorsteher, Sohn eines Synagogenvorstehers und Enkel eines Synagogenvorstehers, hat diese Synagoge erbauen lassen zur Lesung des Gesetzes und zur Lehre der Gebote, und dazu das Gästehaus und die Aufenthaltsräume und die verfügbaren Brunnenanlagen, eine Unterkunft für die Ankömmlinge aus der Fremde, die es wünschen, wozu seine Väter, die Ältesten und Simonides den Grundstein gelegt haben. Ein weiteres Beispiel solcher Gastfreundlichkeit gegenüber den zur Feier des Pessach-Festes nach Jerusalem kommenden Gläubigen stellt der Abendmahlssaal der Evangelien (Marc. 14,4. Luc. 22,11) dar. Er befindet sich im Obergeschoss (Anagaion) des Privathauses eines frommen Bürgers

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und ist mit Teppichen ausgelegt. Dass er mit dem Wort katályma als Herberge, nicht bloß als Speisesaal (deipnetérion) bezeichnet wird, bedeutet, dass die Gäste dort nicht nur das Mahl feiern durften, sondern auch über Nacht hätten bleiben können. Im Orient bedarf es dazu keiner besonderen Möblierung; es genügen Decken und Kissen. Das Lukasevangelium fügt dem Bericht, Jesus habe sich mit den Jüngern nach dem Mahl zum Ölberg begeben, die Worte (22,39) hinzu: wie es der Brauch war. Das klingt wie eine eigene Begründung dafür, dass sie nicht im Haus des Gastgebers geblieben sind. Der Wechsel vom Ort des Mahls zu einem anderen für die Übernachtung ist ein speziell für das Pessach geltender Brauch. Private Initiative wirkt zusammen mit der Gemeinschaft in nicht zu trennender Weise. Evangelien, Apostelgeschichte und Briefe des Neuen Testaments nennen die Namen vieler Gastgeber,72 ohne dass gesagt wird, ob sie ganz privat oder auch im Namen der Glaubensgemeinde ihr Haus offen halten; die persönliche gastfreundliche Gesinnung ist das, worauf es ankommt. Die Stifter und die Gemeinden führen die Tradition zurück auf das große Vorbild der Gastfreundlichkeit Abrahams. Eine extreme Form erreicht sie bei der Gütergemeinschaft der Essener, wie sie Josephus (Bellum Jud. 2,124–125) beschreibt: Den von auswärts kommenden Sektenbrüdern steht alles zur Verfügung, was sie haben, gleich wie wenn es das ihrige wäre, und bei Menschen, die sie noch nie zuvor gesehen haben, gehen sie ins Haus wie bei besten Vertrauten. Deswegen reisen sie in die Fremde ohne überhaupt irgendetwas mitzunehmen, allerdings bewaffnet gegen Räuber. In jeder Stadt ist ein Fürsorger bestimmt, der ihre Regel besonders an den Fremden auszuüben hat, indem er ihnen Kleidung besorgt und was sie sonst noch brauchen. … Weder Kleider noch Schuhe wechseln sie, bevor das alte nicht völlig zerrissen oder mit der Zeit verbraucht ist. Die Qumran-Texte haben das von Josephus gezeichnete bekannte Bild der Verhältnisse in Palästina während der Zeit zwischen den Makkabäer-Kriegen und der Zerstörung Jerusalems bestätigt. Außerhalb Palästinas ist ein Haus des 1. Jahrhunderts v. Chr. auf der Insel Delos als Synagoge erklärt worden. Die Annahme stützt sich auf am Ort gefundene Inschriften mit einer Weihung an den allerhöchsten Gott.73 Das kann jüdisch sein, schließt aber eine andere Deutung nicht völlig aus. Kaufleute aus den Ländern des Orients waren an dem Handelsplatz zahlreich niedergelassen. Die von den Ausgräbern vorgefundenen Gebäudereste sind nicht unähnlich den Haussynagogen späterer Zeit. Durch das Wohnhaus gelangt der Besucher in einen Vorhof, hinter dem erst der Versammlungsraum liegt. Im Wohntrakt könnte die Wohnung des Synagogenvorstehers gelegen haben, während weitere Räume reisenden Glaubensgenossen dienen konnten. Die besterhaltene und in ihrer Zweckbestimmung

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gesicherte Anlage ist die Synagoge der römisch-persischen Grenzstadt Dura-Europos.74 Hier überquerte die Hauptstraße von Kleinasien nach Babylon den Euphrat. Die Stadt ist im Jahr 272 verlassen worden, nachdem der Strom seinen Lauf verändert hatte und der Ort nach den Gebietsverlusten der Römer und der Eroberung durch die Perser im Jahr 256 nun nicht mehr die Brücken- und Grenzstation war, an der die Karawanen Halt machten. Das Gebäude zeigt also den Zustand einer älteren Anlage im 2. und einer jüngeren im 3. Jahrhundert n. Chr. Auch hier führt der Zugang zum Betsaal durch ein Privathaus, das die Räume für die Schule und die Gäste enthielt. Nicht erhalten ist das Gebäude, von dem eine Inschrift aus dem Ende des 3. Jahrhunderts n. Chr. in der makedonischen Stadt Stoboi mit den folgenden Worten spricht75: Tiberios Polycharmos mit Zunamen Achyrios, der Vater der Synagoge in Stoboi, der Vorsteher der gesamten städtischen Judengemeinde, hat zum Zweck des Gebets die Räume für den geheiligten Ort und den Speisesaal mit dem Viersäulen-Umgang aus seinem eigenen Vermögen gestiftet ohne überhaupt irgendeinen Zuschuss seitens des Gottesvolkes anzurühren. Aber die uneingeschränkte Verfügung über das ganze obere Stockwerk und das Eigentum soll ich, Blandius Tiberius Polycharmos, und meine Erben lebenslänglich behalten. Wer irgendetwas Neues einführen will entgegen dem, was von mir verfügt worden ist, der soll an den Patriarchen 250 000 Denare zahlen müssen. Den Unterhalt des Ziegeldaches im oberen Stockwerk haben ich und meine Erben zu tragen. In dem Triclinium mit dem kleinen Peristylhof konnten die gemeinsamen Mahlzeiten am Vorabend des Sabbats und der Feiertage stattfinden, aber über Nacht auch Reisende untergebracht werden.76 Öfter wurden schon bestehende Synagogen durch den Anbau von Beherbergungsräumen nachträglich erweitert. Die Synagoge der Hafenstadt Ostia, eine Basilika, ist im 4. Jahrhundert erweitert worden um einen großen Raum mit breiten Liegebänken auf zwei Seiten. Mit einem Streit um die hospitia einer Synagoge in Palermo beschäftigt sich Papst Gregor I. in einem Schreiben des Jahres 598 (9,38): Vor geraumer Zeit haben wir unserem Bruder und Mitbischof Victor geschrieben, er solle, weil Angehörige der Judengemeinde sich in einer uns zugeleiteten Bittschrift beklagt hatten, in der Stadt Palermo gelegene Synagogen samt den zugehörigen Gästehäusern seien von ihm ohne Rechtsgrund beschlagnahmt worden, sich davon zurückhalten, diese Bauten zu weihen, so lange, bis man habe klären können, ob die Beschlagnahme rechtmäßig geschehen sei. Victor hat der ihm übermittelten Weisung des Papstes keine Folge geleistet, worauf dieser jetzt dessen Vorgesetzten anweist, den Streit definitiv zu beenden: Wir befehlen, dass, weil eine einmal geweihte Sache

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den Juden nicht wieder zurückgegeben werden kann, du dafür sorgen sollst, dass unser oben genannter Bruder und Mitbischof den Preis bezahlen muss, so hoch, wie von unseren Söhnen, dem hochedlen Patricius Venantius und dem Abt Urbicus der Wert der Synagogen selbst mit den Gästehäusern, die anliegen oder mit ihren Mauern direkt zusammengebaut sind, und den umliegenden Gärten geschätzt sein wird. Noch im europäischen Mittelalter ist die bauliche Verbindung des Versammlungs- und Gebetsraumes der Synagoge mit der Schule für die Gesetzeslehre und dem Gästehaus für Durchreisende nicht ungewöhnlich.

3. Der Straßenverkehr und die Rastorte Im Orient Selbst im Vorderen Orient, wo die Gastlichkeit so eingewurzelte Sitte ist, dass sie bis heute einen viel breiteren Raum im Alltagsleben einnimmt als im europäischen Westen, reichte sie nicht aus, bei regem Handelsverkehr alle Bedürfnisse zu erfüllen. Nicht nur, dass die Wege lange Strecken durch unbesiedelte Wüsten führten, die es in Europa so nicht gibt, auch an besiedelten Orten waren die Ansässigen überfordert, wenn es galt, ganze Karawanen unterzubringen und zu versorgen. Hier mussten schon sehr früh die regionalen Fürsten und die überregionalen Herrscher von Großreichen, denen allen der Handelsverkehr durch Zölle Einnahmen brachte, das Nötige tun. Sie vor allem, aber auch reiche Handelsherren als Stifter, errichteten Herbergen und geschützte Plätze zur Rast und Nachtruhe der Reisenden. Neben diesen Anlagen, in den Turksprachen als Han oder, größer und komfortabler, Karawansarai bezeichnet, spielten gewerbliche Wirte, die gegen Bezahlung Quartier, Essen und Trinken anboten, eine geringere und wenig geachtete Rolle. Darin unterscheidet sich der Orient von Westeuropa, wo es nichts gab, was einem Han gleichkam, und wo sich darum die Wirte einen festen Platz, allerdings in der unteren sozialen Schicht, sichern konnten. Bei den Ausgrabungen von Kültepe, der alten assyrischen Handelsniederlassung (Karum) Kanes im hethitischen Kleinasien am Fluss Halys (siehe oben S. 21), ist der Bericht eines Reisenden aus dem 20. Jahrhundert v. Chr. gefunden worden. Er reiste mit einer Eselkarawane aus Assyrien, die in den Herbergstationen (wabartum) mit ihren Waren und Tieren übernachtete. Er klagt über die Unfreundlichkeit seiner Reisegefährten: Dann ließen sie mich nicht mit ihnen in das ‘Haus der Gastfreunde’. Allein übernachtete ich im Rinderstall. Das Wort, mit dem das ‘Haus der Gastfreun-

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de’ bezeichnet wird, bedeutet an anderen Stellen im Plural einen Militärposten an der Handelsstraße. Die Doppelfunkion, in der Wachtposten und Herberge vereint sind, begegnet auch später und in anderen Gegenden recht oft; Karawanenwege waren ein verlockendes Ziel Beute machender Räuber, denen die Landesherren entgegentreten mussten. Aus anderen Keilschrifttexten sind Abrechnungen über Reisekosten bekannt. Sie schwanken in der Höhe stark zwischen einem Viertel und vierzig Sikel. Die Unterkunft allein war meist unentgeltlich; die Verpflegung aber mussten die Reisenden kaufen, und mit den Wegezöllen kam eine Summe zusammen. Berühmt ist für das 5. Jahrhundert v. Chr. die Beschreibung der Staatsstraßen im Reich der Perser durch den Griechen Herodot (5,52–54). Die Straße führt in 90 Tagereisen von durchschnittlich je 27 km von Sardes im anatolischen Lydien nach der Königsresidenz Susa im mesopotamischen Tiefland. Sie verläuft, wie Herodot sagt, durch bewohntes und sicheres, das heißt militärisch überwachtes Gebiet, und am Ziel jeder Etappe findet man einen königlichen Rastort mit prachtvoll eingerichteter Unterkunft. Denn sie ist in erster Linie dazu bestimmt, dem König und den königlichen Kurieren ein schnelles und bequemes Fortkommen zu ermöglichen, wie es die Verwaltung eines Großreiches erfordert. In dieser Funktion ist sie Vorbild geworden für die Reichspost im ägyptischen Ptolemäerreich und für den cursus publicus im römischen Kaiserreich (siehe unten S. 109). In Asien hat die Institution den Wechsel der staatlichen Herrschaften überdauert, und noch im 13. Jahrhundert hat Marco Polo auf seiner Reise durch die Mongolei nach China die Poststationen bewundert. In Ägypten führte schon im 19. Jahrhundert v. Chr. ein Handelsweg von der befestigten Handelsniederlassung Kerma im Süden beim dritten Katarakt östlich des Nils durch Wüstengebiet in sechs Tagemärschen zum zweiten Katarakt, von dem an der Nil schiffbar wurde. Westlich ging ein Weg zur Oase Selime, von wo aus die Karawanen nach Norden bis zum ersten Katarakt gelangten. In der Wüste gab es Brunnen an den Rastplätzen. Auch die Karawanenwege vom oberen Niltal durch die Wüste bis zu den Häfen am Roten Meer waren durch angelegte Wasserstellen passierbar gemacht. Im 1. Jahrhundert n. Chr. berichtet Plinius der Ältere (6,102) von Rasthäusern (mansiones) an den Wasserstellen der Straße von Koptos zum Rotmeerhafen Berenike. Die Rasthäuser an der vom Kaiser Hadrian angelegten neuen Straße von Antinoupolis zum Roten Meer rühmt eine Bauinschrift aus dem Jahr 137 n. Chr. Von Nordägypten führte eine uralte Handels- und Heeresstraße nach Norden durch Palästina und über den Pass von Megiddo weiter nach Syrien und Kleinasien. Unter dem Pharao Sethos I. (1319–1304) wurde die Strecke von der ägyptischen Grenzfes-

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tung Tjaru (in der Gegend des heutigen El-Kantara) durch die Sinaiwüste bis Raphia in Palästina erneut gesichert mit Festungstürmen an allen Wasserstellen; die bildliche Darstellung auf einer Mauer des Tempels von Karnak zeigt einen zinnenbewehrten Turm und einen Teich mit Bäumen. Ausführlich beschreibt Plinius der Ältere (12,52 und 63–65) die Weihrauchstraße, auf der der kostbare Aromastoff von Südarabien zur Hafenstadt Gaza gelangte: In der Mitte Arabiens liegt das Land der Sabäer mit der Hauptstadt Sabota auf einem hohen Berge, von wo der Weihrauch produzierende Landstrich, Sariba genannt, acht Karawanenstationen entfernt ist. … Der gesammelte Weihrauch wird auf Kamelen nach Sabota zusammengebracht, wo dazu nur ein einziges Stadttor geöffnet ist. Vom Weg abzuweichen haben die Könige zum todeswürdigen Verbrechen erklärt. Dort nehmen die Priester den Zehnten für ihren Gott, den sie Sabis nennen, und zwar nach Scheffelmaß, nicht nach Gewicht. Vorher zu verkaufen ist verboten. Daraus werden die öffentlichen Ausgaben bestritten. Denn an einer bestimmten Zahl von Tagen gibt der Gott für seine Gäste ein freigebiges Festessen. Exportiert werden darf nur durch das Land der Gebanniter, und so wird auch an deren König Wegzoll entrichtet. Ihre Hauptstadt Thomna ist von Gaza, der Stadt an unserer Küste in Judäa, 2 437 500 Doppelschritte (3610 km) entfernt. Die Strecke wird unterteilt in 65 Herbergen für Kamele. Dabei fallen fette Spesen an, die an Priester und königliche Schreiber zu zahlen sind. Doch außer diesen bereichern sich noch Wärter und königliche Leibwächter und Torhüter und Diener. Man zahlt schon überall, wo ein Weg geht, mal für Wasser, mal für Kamelfutter oder für Übernachtung und allerlei Wegetaxen, so dass bis zu unserer Küste an Kosten pro Kamel 688 Denare auflaufen, und dann ist nochmals an die römischen Zolleinnehmer zu zahlen. Darum hat das Pfund Weihrauch erster Qualität einen Preis von sechs Denaren, zweite Qualität fünf, dritte drei. Die israelitischen Städte der späten Königszeit haben vermutlich Gästehäuser für ihre Besucher gehabt. Im Westturm der Stadtmauer von Debir sind sechs Räume von dem Archäologen W. F. Albright aufgrund der Kleinfunde als Herbergen für fremde Kaufleute gedeutet worden. In einer weiträumigen Anlage an der Straße durch den Negev, der bis in nachchristliche Zeit nicht Wüste, sondern bewässertes Kulturland war, hat W. Zimmerli eine Karawanenherberge erkennen wollen unter Hinweis auf die im Alten Testament (II Paralipomena 26,10) erwähnten Bauten des Königs Ussia. In der Genesis wird erzählt (42,27 und 43,21), dass die Söhne Jakobs auf der Rückkehr aus Ägypten mit ihrer Eselkarawane nächtigten. Das hebräische Wort für den Ort, malo¯n, bedeutet nur „Ort zum Übernachten“ und lässt offen, wie dieser Ort beschaffen war. Es kann ein um-

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zäunter Lagerplatz mit Wasserstelle unter freiem Himmel gemeint sein, so wie wahrscheinlich der Platz, an dem Moses mit seiner Familie auf dem Weg von Midian nach Ägypten in der Sinaiwüste lagert (Exodus 4,24). F. Delitzsch stimmt in seinem Genesis-Kommentar (1887) mit der lateinischen Übersetzung des Hieronymus und der deutschen Luthers überein, aber entgegen seinem Vorgänger C. F. Keil ist er für eine Karawanenherberge eingetreten. Eine bergende Ruhestätte wünscht sich der Prophet Jeremia, wenn er klagt (9,1) in Luthers Übersetzung: Ah, das ich eine Herberge hette in der Wüsten, so wolt ich mein Volck verlassen und von jnen ziehen.

Der cursus publicus im Imperium Romanum77 Die persischen Großkönige haben einen entscheidenden Schritt getan, indem sie das Netz der Straßen und Herbergen, das bis dahin vor allem den Transporten von Handelswaren gedient hatte, ganz entschieden zum Instrument der Verwaltung und Beherrschung eines Großreichs machten. Hauptziel war nicht mehr, Händler in die Städte zu ziehen, ihnen Zölle abzunehmen, die Einwohner am Geschäft teilnehmen zu lassen und deren Wohlstand zu mehren. Handelskarawanen brauchten Sicherheit und friedliche Ruhe. Für den staatlichen Kurierdienst wurde ein neues Erfordernis wichtiger: die Schnelligkeit, mit der die Befehle des Herrschers zu den Untertanen und die Nachrichten aus dem Reich an den Hof gelangten. Heere mussten rasch ihren Einsatzort erreichen. Daneben hatten die Straßen auch die langsameren Transporte großer Warenmengen für staatliche und militärische Zwecke aufzunehmen. Der Einsatz als Instrument der Reichsverwaltung nach persischem Vorbild bewährte sich im voll durchorganisierten cursus publicus des römischen Imperiums. Nach Rom vermittelt war die Institution über Ägypten. Als Ägypten im 6. Jahrhundert v. Chr. Teil des Perserreiches wurde, wurde es in die Organisation der Staatspost einbezogen und behielt sie unter den auf Alexander den Großen folgenden Ptolemäer-Königen bei. Nach dem Journal einer Poststelle78 passierten dort um 255 v. Chr. regelmässig zwei Eilkurse täglich in beide Richtungen. Stationsbeamte nahmen von den Transportbegleitern die Briefbeutel (kylistoí; wie der Name besagt, waren es, der Rollenform der Schriftstücke entsprechend, zylinderförmige Boxen) entgegen, ließen den Eingang buchen und übergaben sie nach Ausgangsbuchung einem für die andere Strecke eingesetzten Transporteur zur Weiterbeförderung. Dienststellenleiter waren zu diesem Amt verpflichtete Grundbesitzer, mit deren in der Nähe gelegenem Grundstück die Last verbunden blieb.

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Seit Ägypten nach dem Tod Kleopatras (30 v. Chr.) als kaiserliche Provinz von einem Praefekten regiert wurde, hat die römische Verwaltung das Verkehrswesen zunächst als eine begleitende Form der Parochie verstanden, wie die Erlasse zeigen. Das Edikt, das Germanicus, der Adoptivsohn des Kaisers Tiberius, auf seiner Ägyptenreise im Jahre 19 n. Chr. erließ,79 befiehlt, dass weder ein Schiff von irgendwem noch ein Gespann in Beschlag genommen wird, es sei denn auf Anordnung meines Freundes und Sekretärs Baebius, noch auch Einquartierungen requiriert werden. Gegebenenfalls wird Baebius nach Recht und Billigkeit die Quartiere verteilen. Und ich verordne, dass bezüglich der zwangsverpflichteten (angareuoménon) Schiffe und Spanntiere die Entlohnung gemäß meinem Tarif zu zahlen ist. Das aus dem Persischen übernommene angareúein (zwangsweise zu Transportleistungen heranziehen) geht aus dem Griechischen des Ptolemäer-Reiches in der Form angariare ins Latein über, ebenso wie das Substantiv angareía lateinisch als angaria für Transportmittel (Tiere oder Wagen) erscheint. Ein Edikt des Praefekten L. Aemilius Rectus verbietet im Jahr 42 Soldaten und Waffenträgern ohne Sondererlaubnis (diploma) willkürliche Forderungen80: Niemandem soll erlaubt sein, die Dorfbewohner zu Transportleistungen heranzuziehen noch Wegzehrung oder andere Dinge unbezahlt zu fordern ohne eine von mir ausgestellte Bewilligung. Wenig später, im Jahr 49, nimmt ein Erlass des Vergilius Capito Bezug auf Verfügungen des früheren Statthalters M. Magius Maximus aus augusteischer Zeit81: Ich befehle, dass die in den Regierungsbezirken (nomoi) durchreisenden Soldaten, Reiter, Garden, Centurionen, Tribunen und alle weiteren Dienstgrade nichts beschlagnahmen oder requirieren (angareúein), wenn nicht die Betreffenden meine schriftliche Bewilligung haben, und dass sie als Durchreisende nur auf Obdach Anspruch haben und keiner etwas fordern darf, was über das von Maximus festgelegte hinausgeht. In den Ostprovinzen außerhalb Ägyptens regelte man das Transportwesen ebenfalls in Erweiterung der für Staatsreisende geltenden ParochieBestimmungen. In einer Verfügung, die an die Stadt Sagalassos, an der Straße vom westlichen Taurusgebirge am Weg zur Küste gelegen, gerichtet ist, bezieht sich der Statthalter auf Edikte, in denen Augustus und Tiberius die entschädigungslose Requirierung von Wagen verboten haben.82 Die Sagalasser sind zwar verpflichtet, den Durchreisenden zwischen Kormasa und Konana die nötigen Wagen und Zugtiere zu stellen, aber in auf je zehn begrenzter Zahl und gegen tarifliche Bezahlung, je 10 Sesterzen pro Wagen und Tarifabschnitt, 4 pro Maultier, 2 pro Esel. Ausführlich wird dann der Kreis der Berechtigten und der Umfang ihrer Anrechte festgelegt: Die Be-

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rechtigung steht nicht jedermann zu, sondern: dem kaiserlichen Prokurator und seinem Sohn bis zu 10 Wagen, beziehungsweise für je einen Wagen 3 Muli oder statt einem Maultier 2 Esel, die sie gleichzeitig nutzen können gegen Bezahlung des Tarifpreises, ferner den Militärpersonen und Inhabern einer Bewilligung (diploma) und den von anderen Provinzen kommenden durchreisenden Militärangehörigen in der Weise, dass einem römischen Senator maximal 10 Wagen, pro Wagen 3 Muli oder statt einem Maultier 2 Esel zustehen, wofür sie nach Tarif zu zahlen haben. Einem in kaiserlichem Dienst stehenden römischen Ritter sind zu stellen 3 Wagen, beziehungsweise pro Wagen 3 Muli oder statt einem Maultier 2 Esel zu denselben Bedingungen. Wenn jemand mehr verlangt, soll er sie zu den Bedingungen des Vermieters privat anmieten. Für einen Centurio: ein Wagen, 3 Muli oder 6 Esel zu denselben Bedingungen. Denen, die zu ihrem Profit oder zum Privatgebrauch Getreide oder Handelsware transportieren, soll nach meinem Willen nichts gewährt werden und niemandem etwas für Freigelassene, Sklaven oder Zugtiere, weder seinen eigenen noch denen seiner Angehörigen. Obdach muss allen Mitgliedern unseres Stabes und den im Staatsdienst Tätigen aus allen Provinzen und den kaiserlichen Freigelassenen, Sklaven und Zugtieren gratis gewährt werden in der Weise, dass sie darüber hinaus keine weiteren Gratisleistungen gegen den Willen der Gastgeber beanspruchen dürfen. Der für die kontingentierten Nutzungsrechte angesetzte Tarifpreis ist nur sinnvoll, wenn er erheblich unter dem bei freier Vermietung üblichen Preis liegt.83 Schon im 2. Jahrhundert konnte der Rhetor Aelius Aristides in seiner Lobrede auf Rom84 das Wege- und Stationennetz des Cursus publicus mit den Worten feiern: Das Homerwort ‘Die Erde aber ist allen gemeinsam’ habt ihr durch die Tat verwirklicht. Denn ihr habt die ganze von Menschen bewohnte Welt vermessen, mit Brücken aller Art Flüsse überquert, Einschnitte in Berge gelegt, damit sie für Pferdewagen befahrbar werden, in menschenleeren Landstrichen eine Menge Poststationen errichtet und allen Völkern mit Wohlstand und Ordnung die Kultur gebracht. Während der ersten Jahrhunderte der Kaiserzeit wurden immer mehr Einzelheiten geregelt. Einen festen Fahrplan mit bestimmten Verkehrszeiten hat es auch später nie gegeben. Lange Zeit wurden die Zwangsleistungen (angariae) jeweils nach Bedarf in Anspruch genommen. Unterkunft und die gesetzlichen Grundleistungen von Wasser, Brennholz, Salz und Heu für die Tiere standen den mit staatlicher evectio Reisenden ohnehin zu. Die evectio enthielt die Anweisung der an den Wechsel- und Ruhestätten zu stellenden Tiere und Wagen beziehungsweise Schiffe. Unentgeltliche Verpflegung (annona) musste zusätzlich in eigener Anweisung (diploma) vermerkt werden.

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Die Verpflichtungen der Parochie wirkten fort. Da der Ausbau der Infrastruktur nur allmählich vorankam, blieb es vielerorts dabei, dass die Bevölkerung der anliegenden Ortschaften die nötigen Leistungen zu erbringen hatte. Von der prunkvollen Reise des Perserprinzen Tiridates an den Hof Neros, zu Lande, weil er zu Schiff das den Persern heilige Wasser verunreinigt hätte, bemerkt Plinius der Ältere (30,16) kurz und vielsagend, sie sei für die Provinzen drückend gewesen. Im Jahr 159–160 bitten die Einwohner von Dagi in Moesien,85 Mitleid zu haben mit uns armen dienstpflichtigen Leuten und uns eine entsprechende Urkunde auszustellen, und dass wir aufgrund deiner Gnade und der Urkunde in unserem Dorf bleiben können und nicht umsiedeln an einen anderen Ort … Weil wir ein Dorf haben an der Staatsstraße, werden wir erdrückt von den staatlichen Verpflichtungen und den Angarien. Sie berufen sich auf den Präzedenzfall in einer andern Straßengemeinde, die bereits eine Bittschrift eingereicht hat. Vom Kaiser Antoninus Pius erhoffen sie ein Entgegenkommen. Eine besonders schwere Last war der Bau und Unterhalt der Stationshäuser. Zwar konnten die einmaligen Baukosten vom Staat übernommen werden. Das war wohl der Fall bei den tabernae und praetoria, die auf Anordnung Neros der Statthalter von Thrakien an den Militärstraßen bauen ließ (CIL III 6123). Unter Traian bezeugt eine Inschrift an der Via Sebaste von Iconium (Konya) zur Küste nach Antiocheia (Antakya)86: Der Umbrer Q. Orfitasius Aufidius, propraetorischer Legat des Kaisers, hat die taberna mit einem Säulenvorhof neu errichtet. Ähnlich eine Inschrift des Kaisers Mark Aurel aus dem Jahr 175–17687: M. Aurelius … hat die wegen Überalterung baufälligen Rasthäuser (stabula) von Grund auf auf seine Kosten wieder hergestellt. Dass er die Kostenübernahme eigens hervorhebt, zeigt, dass sie eben keineswegs selbstverständlich war, sondern oft den Anwohnern zugemutet wurde, wie ohnehin die späteren Unterhaltskosten. Wenn allerdings die Straßenführung es nötig machte, auf freiem Felde eine Station ganz neu einzurichten, musste man den Bürgern der nächstgelegenen Stadt entgegenkommen, um sie dazu zu bewegen, sich an dem Projekt zu beteiligen. Bei der Neugründung eines Handelsplatzes (emporion) Pizos im Rahmen des Ausbaus des Straßennetzes in Thrakien zwischen Hadrianopel und Philippopel88 ordnet Kaiser Septimius Severus an, dass als Ortsvorsteher Ratsmitglieder der nächstliegenden Stadt dorthin zu entsenden seien. Ihnen wird zugesichert Steuerbefreiung (aneisphoria) bezüglich der städtischen Lieferungsverpflichtungen für Getreide, militärischer Schutz, Erlass der Pflicht zur Stellung von Zugtieren (angaria), und Dienstwohnungen (praetoria). Über die Gebäude, damit deren laufender Unterhalt auf Dauer gesichert sei, verfüge ich, dass die Ortsvorsteher und die Stationsvorsteher von den Curatoren (epimeletai) die Stationsgebäude und

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die Bäder voll und ganz übernehmen, das heißt bezüglich des Bauwerkes und der dekorativen Einbauten und des Mobiliars, die sie den Nachfolgern schriftlich im übernommenen Zustand zu übergeben haben. Die Curatoren sind hier nicht Inhaber eines staatlichen Amtes, sondern von der Stadtgemeinde mit persönlicher Verantwortung beauftragte Bürger.89 Jeweils am Ende einer Tagereise fand der Reisende eine mansio vor, eine Herberge zur Übernachtung, wo auch neue Pferde und Zugtiere in vorgeschriebener Zahl in den Ställen standen. Je nach der Beschaffenheit des Weges betrugen die Abstände zwischen den mansiones ungefähr 30 km, selten mehr. Zwischen zwei mansiones waren zwei bis drei mutationes eingerichtet, die nur dem Wechsel der Tiere dienten, aber keine Bleibe boten. Der Sicherung wegen stand neben den Herbergs- und Stallbauten ein Militärposten (statio); er war so wichtig, dass das Wort statio für die ganze Anlage stehen konnte. An militärischen Durchgangsstraßen hatte der Posten den Rang eines Praetoriums, wo während eines Feldzuges die Kommandozentrale untergebracht werden konnte (CIL III 6123). Die Wachmannschaft (beneficiarii) hatte ihr eigenes Gebäude, getrennt von Poststelle und Rasthaus, während die beiden Letzteren durchaus verbunden sein konnten. Die mansiones standen an den Straßen außerhalb der Städte, oft in Form eines Hufeisens, zwischen dessen zur Straße gerichteten Seitenarmen die Wagen stationiert wurden. Doch waren die Gebäude je nach den Regionen und den örtlichen Gegebenheiten sehr verschieden. Im Orient mit seinen alten Karawanenwegen nutzte man selbstverständlich alte Anlagen, wo man sie vorfand. Ein gutes Beispiel bietet ein 1893 vom französischen Konsul in Bagdad entdeckter Han an der Straße von Edessa (heute Urfa in der Osttürkei) nach Batna in der Osroëne. Für die Tiere sind drei Höhlen im Fels mit Krippen in Form von in die Wände geschlagenen Trögen ausgebaut. Als Herberge dienten den Menschen gemauerte Schlafzellen vor den Grotten. Hoch über dem Eingang steht auf der Felswand die Inschrift,90 in der der in Edessa residierende römische Statthalter der Osroëne erklärt, er habe das Mauerwerk am Weg nach Batna wieder aufbauen lassen und an diesem Platz eine Herberge (pandocheion), einen Ziehbrunnen und Höhlen herrichten lassen, damit die Durchreisenden Abkühlung und Erholung fänden. Die in den Gesetzbüchern unter den Kaisern Theodosius II. (Codex Theodosianus vom Jahr 438) und Justinianus (Codex Justinianus und Digesta) gesammelten Verordnungen und Rechtsweisungen gestatten Einblicke in Einzelheiten. In der Staatspost, dem Cursus publicus, unterschied man nun zwei Dienste: 1. die Eilpost (cursus velox), in welcher berittene Kuriere Nachrichten überbrachten und Personen von besonders anerkannter Wichtigkeit in von Pferden gezogenen Wagen reisten, und 2. die gewöhnliche

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Post (cursus clavularis), welche mit von Ochsengespannen gezogenen Wagen dem Staat gehörende Waren beförderte, vor allem die von den Steuerpflichtigen auf eigenen Fahrzeugen angelieferten Naturalsteuern zu den Hauptsammelstellen und die Armeelieferungen, aber auch Personen, deren Reise gemächlich vonstatten gehen sollte, zum Beispiel Gesandtschaften an den Kaiserhof. Die Postvorsteher hatten nicht nur die Unterbringung und Bewirtung der Reisenden zu gewährleisten und für einen Stallmeister (stabularius) und Stallknechte (muliones) zu sorgen, sondern waren dafür verantwortlich, dass den Berechtigten die ihnen zustehende Zahl von Tieren zugewiesen wurde und die von der vorigen Station mitgebrachten Tiere wieder an ihren Heimatstandort zurückgebracht wurden. Sie hießen nicht Wirte (hospites), sondern mancipes (Unternehmer). Die Bezeichnung manceps lässt darauf schließen, dass in früher Zeit die Bewerber das Gewinn versprechende Amt vom Staat als Pächter erhielten: Staatsaufgaben wie das Einziehen von Steuern, der Betrieb von Salinen, Bergwerken u. ä. wurden von jeher in Pacht vergeben. Ähnlich gab es Unternehmer für den Unterhalt der Staatsstraßen. Von der Bewirtung der Reisenden, vor allem mit der Vermietung der Pferde und Zugochsen, war ein Geschäft zu erwarten. Doch im gesetzlich geregelten cursus publicus seit dem 4. Jahrhundert war das eine höchst unsichere Hoffnung. Dem manceps ist es erlaubt (Cod. Theod. 6,29,9,1) auf eigenes Risiko angekaufte gesunde und für den cursus publicus taugliche Tiere zu stellen, für die er selber die Sorge trägt. Wo die Städte sich durch Geldzahlung von ihrer Stellungspflicht freigekauft haben, bleibt ihm gar nichts anderes übrig. Er betreibt ein Verleihgeschäft, das ihn leicht zum armen Mann machen kann. Der Posten des manceps einer mansio war eines der unbeliebtesten unter all den Ämtern, zu deren Übernahme die vermögenden Stadtbürger vom Gesetz gezwungen wurden. Wenn die Stadträte (decuriones), weil sie für den Steuereingang der ganzen Stadt hafteten, bis über die Leistungsgrenze belastet waren, setzte man ersatzweise an ihrer Stelle auch freigestellte Beamte der staatlichen Büros (officiales) ein. Der Stationsleiter durfte nie länger als höchstens dreißig Tage von der Poststation fern bleiben; er war in jedem Falle, auch wenn er vielleicht über Nacht in seinem Haus in der nahe gelegenen Stadt schlief, voll für den ordnungsgemäßen Ablauf des Betriebs verantwortlich. In einer Inschrift aus dem Jahr 226 (CIL VI 31338) bezeichnen sich die mancipes et iunctores iumentarii (Stationsleiter und Schirrmeister) als agentes sub cura praefecti vehiculorum (tätig unter der Geschäftsführung des Vorstehers der Transportmittel). Seit Augustus bis zur Regierung Diocletians hieß der Verkehrsminister Praefectus vehiculorum. Die Neuordnung des Cursus publicus unter Kaiser Constantin dem Großen unterstell-

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te das Transportwesen direkt dem Praefectus praetorio, dem Ersten nach dem Kaiser, und dem Magister officiorum, dem die Dienstaufsicht mit Hilfe der den Kurier- und Nachrichtendienst versehenden Agentes in rebus und der Curiosi (Geheimpolizei) oblag. In deren Namen ernannten die örtlichen Statthalter in der Rolle von Praepositi cursus publici die mancipes. Die Dienstaufgaben waren vielfältig. Zwar war bis zum Jahr 365 für den cursus clavularis ein eigener manceps neben dem für den cursus velox zuständigen vorgesehen, doch konnte der dann mehrere Stationen verwalten. Danach war für jede Station ein eigener Vorsteher bestellt, der Vorgesetzter des gesamten Personals der Station war. Seine Leute hatten die Gebäude und den Fuhrpark instand zu halten, die Gäste und die Tiere zu versorgen, Wagner hatten die gebrochenen Räder zu ersetzen, Tierärzte zu Schaden gekommene Tiere zu pflegen, in der fabrica hämmerten die Schmiede. Die Stallknechte (muliones) hatten auch alle Reisen zu begleiten und die zur Station gehörenden Tiere unverzüglich zurückzubringen. An den mansiones mussten die Naturalsteuern (annona), das heißt vor allem Getreide, abgeliefert und von da in die staatlichen Speicher weiterbefördert werden. Für die Kontrolle schrieb das Gesetz (Cod. Just. 10,72,9) vor: Wir haben befohlen, überall in den Poststationen und in jeder Stadt Hohlmaße (modii, zu 8,754 Liter) aus Kupfer oder Stein aufzustellen zusammen mit Sechszehntelmaßen (sextarii zu 0,547 Liter) und Gewichten, damit jeder Zinsschuldner, wenn ihm die Maße von allen sichtbar vor Augen stehen, wissen kann, wieviel er den Einnehmern abzuliefern hat, mit der Folge, dass ein Einnehmer, wenn er meint, die festgesetzte Menge der angesammelten Maße und Sexter oder der Gewichte überschreiten zu dürfen, wissen muss, dass er entsprechend bestraft wird. Nach Beseitigung der gegen das Gemeinwohl bisher vorgekommenen Missbräuche verordnen wir, dass von Korn 2%, von Gerste 2 1/2 %, von Wein und Speck 5% an die Einnehmer abzuliefern sind. Streng reglementiert war der Zeitplan (Cod. Just. 12,51): Transporte sollen zu den üblichen Stationsaufenthalten eine Frist von zwei Tagen bewilligt bekommen. Eine Ausnahme wird nur gemacht für Transporte der Tiere, die der Kaiser zu den als Volksbelustigung gegebenen Zirkusspielen und Pferderennen braucht: Grundsätzlich niemandem sollen sie samt seinem notwendigen Begleitpersonal gewährt werden außer denen, die Tiere und Pferde begleiten, welche für den kaiserlichen Bedarf benötigt werden; diesen jedoch soll, wenn sie abgeschickt werden, in den Transportbegleitpapieren 5 Tage eingetragen werden, so dass niemand Gelegenheit erhält, über diese Zeit hinaus an einem ihm beliebigen Ort zu verweilen. Eingeschränkt war die zugelassene Transportlast (Cod. Theod. 8,5,17): Wir werden nicht gestatten, dass Fahrzeuge mit über 1000 Pfund Last be-

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laden werden. Entsprechend sollen Reiter sich damit begnügen, dass wir ihnen erlauben, 30 Pfund auf ihren Pferden mitzuführen. Alles, was nachweislich über das Maß hinausgeht, soll zum Schaden des Übertreters konfisziert werden. Damit grundsätzlich der Gebrauch von Fahrzeugen, die über die Norm groß sind, abgestellt wird, beschließen wir die Sanktion, dass jeder Wagenbauer, der sich herausnimmt, ein Fahrzeug größer als die von uns vorgeschriebene Norm zu bauen, wissen soll, dass ihn unnachsichtig, wenn er ein freier Mann ist, die Strafe der Verbannung, wenn er Sklave ist, die lebenslängliche Zuchthausstrafe im Bergwerk erwartet. Weitere Gesetze ergänzen die Vorschrift dahingehend, dass auf je einem Wagen nicht mehr als zwei bis drei Personen zur Bewachung des Transportgutes mitfahren dürfen. Später (Cod. Just. 12,50,12) wird für Pferde eine höhere Last, 60 Pfund für Sattel und Zaumzeug, 60 für den Mantelsack zugelassen, für in den amtsüblichen Säcken einzulieferndes Gold sogar 100 Pfund. Dem Übertreter wird der Sattel in Stücke gehackt, der Mantelsack verfällt dem Fiscus. Die Zahl der Pferde, die an einem Tag von einer Station abgingen, war auf fünf begrenzt (Cod. Theod. 8,5,35; sie wurde später erhöht), und dem Stationsvorsteher drohte, wenn er eine Überschreitung der Zahl zuließ, einjährige Verbannung. Ebenso galt eine Begrenzung für die Zahl der abgehenden Wagen. All diese und viele andere Vorschriften hatte ein Postmeister genauestens einzuhalten. Er war weit mehr als nur der Gastwirt einer Herberge für Postreisende. Die Erlaubnis zur Benutzung der Staatspost, die evectio in der schriftlichen Form eines diploma, wurde bis ins 2. Jahrhundert nur vom Kaiser selbst, danach auch von seinen Vertretern, dem Praefectus praetorio und dem Magister officiorum, erteilt, nur ausnahmsweise von anderen höchsten Regierungsstellen. Die Empfänger blieben stets ein sehr kleiner Kreis: hohe Würdenträger, militärische Kommandeure, Leute des Geheimdienstes. Selbst Provinzstatthaltern stand nur zur Antrittsreise an ihren Dienstort der cursus publicus zur Verfügung. Spätere Dienstfahrten innerhalb ihrer Provinz hatten sie und die ihnen unterstehenden Personen mit aus ihrem eigenen Etat bezahlten Wagen und Zugtieren durchzuführen, durften aber Verpflegung und Stallung in den mansiones benutzen. Keinesfalls war es ihnen erlaubt, selbst diplomata auszustellen. Plinius der Jüngere schreibt als Statthalter von Bithynien ums Jahr 112 (epist. 10,120) an Kaiser Traian: Bis zu diesem Tag, Majestät, habe ich niemandem aus Gefälligkeit ein diploma gewährt und habe niemanden ausgeschickt, es sei denn in einer dich, den Herrscher, betreffenden Angelegenheit. Diese von mir ständig eingehaltene Kontinuität hat jetzt ein Notfall unterbrochen. Meiner

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Frau, die auf die Nachricht vom Tod ihres Großvaters schnellstens zu dessen Schwester, ihrer Großtante, reisen wollte, die Erlaubnis zu verweigern, habe ich nicht übers Herz gebracht, zumal doch die Freude über eine solche Hilfe darauf beruht, dass sie schnell kommt, und ich mir gewiss war, du würdest den Grund dieser aus Pietät unternommenen Reise gutheißen. Der Kaiser hat in seiner Antwort zugestimmt, dass Plinius, wenn er einen Antrag gestellt und die kaiserliche Genehmigung abgewartet hätte, damit sicher habe rechnen dürfen, somit zum Vorgriff auf die seiner Amtsstelle übergebenen diplomata berechtigt gewesen sei. An anderer Stelle seiner Korrespondenz mit dem Statthalter (10,46) antwortet Traian: Diplomata, deren Frist abgelaufen ist, dürfen nicht in Gebrauch gelangen. Darum mache ich es mir zu einer vorrangigen Pflicht, an alle Dienstorte neue diplomata zu versenden, bevor man feststellen kann, dass der Vorrat ausgegangen ist. Spätere Kaiser sind Traians Beispiel gefolgt. Julianus sah sich im Jahr 362 genötigt, erneut einzuschärfen, dass es Statthaltern nicht erlaubt sei, Fahrerlaubnisse selbst auszustellen oder anzufordern; er bot an, jährlich ein kleines Kontingent von ihm vorsorglich ausgefertigter Bewilligungen zur Verfügung zu stellen. In der späten Kaiserzeit war es durchaus üblich, prominenten Persönlichkeiten, auch ohne dass sie ein Regierungsamt bekleideten, evectiones auf Vorrat auszustellen. Symmachus, der führende Mann im römischen Senat, bedankt sich (epist. 1,21) bei dem befreundeten Dichter Ausonius, der 378 Praefectus praetorio im Reichsteil Gallien geworden war, für die Ausstellung von vier evectiones, die ihm höchst gelegen kämen für die Auftragsreisen seiner Leute. Bewilligungen erhielt er auch, als er im Jahr 399 Leute nach Spanien schickte, um von dort Rennpferde einzukaufen für die Spiele, die sein Sohn aus Anlass des Antritts seines Praetoramtes ausrichten wollte (epist. 4,7. 7,48.9,22.9,25). Dass der christliche Kaiser Constantius II. (337–361) im Bestreben, den Kult nach seinen Vorstellungen einheitlich zu regeln, Scharen von Bischöfen mit dem cursus publicus kreuz und quer zu ihren Synoden herumreisen ließ und dadurch das Transportwesen lahmlegte, tadelt der Historiker Ammianus (21,16,18). Doch schon seit Kaiser Constantin die Kirche anerkannt hatte, galten von ihm angeordnete Konzilsreisen der Bischöfe als Reisen im Staatsdienst. Den Text eines an den Bischof von Syrakus gerichteten Aktenstückes aus seiner Kanzlei hat Eusebios in seine Kirchengeschichte aufgenommen (10,5,23 zum Jahr 314): Wir haben befohlen, dass zum 1. August eine Bischofsversammlung in Arles stattfinde, und angeordnet, dir zu schreiben: Du sollst von Labronianus, dem Conrector von Sizilien, ein Fahrzeug der Staatspost erhalten. Mit dir nehmen sollst du zwei Personen aus der 2. Richterklasse, deren Auswahl du selbst treffen darfst, sowie drei Diener hinzunehmen, die euch unterwegs behilflich sein kön-

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nen. Zum bezeichneten Tage finde dich am oben genannten Ort ein. Dagegen sind die evectiones publicae Constantins für die afrikanischen Bischöfe, die der Bischof Optatus von Mileve seiner Schrift zum Donatistenstreit beigefügt hat (Appendix 3 und 8), höchstwahrscheinlich spätere Fälschungen. Der Tribun der im ägyptischen Memphis stationierten 5. makedonischen Legion kann den vier Leibgardisten, die er im Jahr 399 zur Osterfeier des Kaisers nach Konstantinopel schickt, keine evectio erteilen, weiß sich aber zu helfen (Corpus epist. lat. 234). Sein Schreiben richtet sich an die Vorsteher der Getreidespeicher und die staatlichen Gebühreneinnehmer mit der Bitte, den vieren wie alle Jahre Verpflegung für vier Tiere und die gewohnte Unterkunft zu gewähren. Damit ist die Reise eine interne Militärsache.91 In mehreren Briefen des Kaisers Julianus an Leute, die er, um sie kennen zu lernen, an seinen Hof nach Konstantinopel einlädt, wird ein Wagen der Staatspost gewährt.92 Dem Rhetor Eustochios, der an der Consularfeier teilnehmen soll, schreibt er: Befördern wird dich die Staatspost mit einem Wagen und einem Zusatzpferd. Ein Zusatzpferd erhält auch der von Julians Vorgänger als Häretiker verbannte Aëtios, den Julian amnestiert und in sein Feldlager bestellt. Darüber hinausgehende Freundlichkeit widerfährt dem Philosophen Eustathios; ihm schreibt Julian: Zu Diensten stehen wird dir die Staatspost, wenn du einen Wagen und zwei Beipferde in Anspruch nehmen willst. Mit Rücksicht auf seine angegriffene Gesundheit sagt ihm danach (Brief 35 = 9 Weis) der Kaiser jede Bequemlichkeit auch für die Rückreise zu. Doch der verwöhnte Gast kommt ihm zuvor und tritt die Rückreise nicht mit dem langsamen Postwagen an. Er schreibt dem Kaiser (36 = 9a Weis): Welch ein Glück, dass mich die Erlaubnis zu spät erreicht hat. Anstatt mit Zittern und Bangen in einem Wagen der Staatspost dahinzuzockeln, unter betrunkene Maultiertreiber und Maultiere zu geraten, die vor lauter Nichtstun und Überfütterung – um mit Homer zu sprechen – zu nichts mehr taugen als an der Krippe Gerste zu fressen, anstatt unter Staubwolken wüstes Geschrei und Peitschenknallen zu ertragen, hatte ich das Vergnügen, in aller Ruhe dahinzuziehen auf einer von Bäumen überdachten schattigen Straße, an der es viele Brunnen gab und Raststätten, wie geschaffen, um zwischen den Beschwerlichkeiten der Reise ein Weilchen auszuruhen, auf dass mir eine Rast gegönnt wäre in frischer Luft, umgeben vom Schatten der Platanen und Zypressen, den Phaidros oder ein anderes Werk Platons in Händen … Mit Platon und Homer – einem nur aus der Ilias bekannten Wort – zitiert er die Lieblingsautoren des Kaisers. Gegenüber einem Posthalter fiel es den Mächtigen nicht schwer, Ansprüche zu stellen, die über das Erlaubte hinausgingen. Gab dieser dem Druck

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nach, konnte er der Strafe kaum entgehen. Freilich drohte auch den Reisenden das Gesetz mit Strafen; Cod. Just. 12,50,3 bestimmt: Vorlage der Reiseerlaubnis ist von allen zu fordern, und unter keinen Umständen dürfen weder Statthalter noch Aufseher des cursus publicus die Weiterreise gestatten, bevor sie den Streckenplan der Genehmigung eingesehen haben. Wenn jemand glaubt, sich weigern zu dürfen, und dabei ertappt wird, ohne Erlaubnis zu reisen oder über die in der Erlaubnis enthaltene Zeit hinaus die Staatspost zu nutzen, dann ist der Betreffende an Ort und Stelle festzunehmen. Handelt es sich um einen Würdenträger, ist sein Name dem Praefectus praetorio und dem Chef des Hofamtes (magister officiorum) zu melden. Gegen die Übrigen ist sofortige Ahndung je nach seinem Stand und militärischen Rang zu vollstrecken. Der Codex Theodosianus (8,5,22) fügt hinzu, dass niemand ein zusätzliches Beipferd oder ein Gepäckpferd ungestraft erhalten oder ungestraft zu verlangen sich erdreisten soll, es sei denn, dass es mit dringender Begründung auf kaiserlichen Wunsch der Chef des Hofamtes in der Bewilligung zusätzlich vermerkt hat. Mit rigoroser Strenge verfügte Kaiser Julianus im Jahr 362 (Cod. Theod. 8,5,14 pr.): Wer entgegen unserer eigenhändigen Verfügung glaubt, mehr Pferde in Anspruch nehmen zu dürfen als die Erlaubnis enthält, gilt als Kapitalverbrecher, und wenn in einer zwingenden Notsituation die Verhaftung unterbleibt, muss sein Name dem Kaiser gemeldet werden. Der Schleichhandel mit den so raren Bewilligungen wird ebenso untersagt wie der mit entwendeten Tieren des cursus publicus (Cod. Theod. 8,5,4 und Cod. Just. 12,50,10): Unter Androhung schwerster bitterer Strafe verbieten wir Geschäfte mit evectiones und auch Kaufangebote von Tieren aus Staatseigentum, wofür sowohl Käufer wie Verkäufer zur Rechenschaft gezogen werden. Ein Gesetz aus dem Jahr 395 (Cod. Just. 12,50,15) verfügt: Wer glaubt, ein Pferd auch bloß über eine einzige Pferdewechselstation hinaus weiter verbringen zu dürfen, soll den vierfachen Preis der über die Station hinaus entführten Tiere an die Kasse des Fiscus zahlen. Der Codex Theodosianus (8,5,24) handelt von dem Streit, der entsteht, wenn in der Station die für eine Wagenfuhre nötigen Zugtiere unterwegs und nicht verfügbar sind. Der Reisende verlangt, man solle die vorhandenen, aber für den Schnellverkehr bestimmten Pferde einspannen. Der Posthalter hat das auf jeden Fall zu verhindern und den Reisenden so lange zum Bleiben zu zwingen, bis die Zugtiere, mit denen er die Fahrt fortsetzen kann, wieder zurück sind. Ein solches Gesetz legt offen, in welch benachteiligter Position sich der manceps befindet. Es ist überaus fraglich, ob es ihm gelingt, die Vorschrift gegenüber einem großen Herrn durchzusetzen, zumal dieser wohl Wege

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findet, sich der vom Gesetz angedrohten Sanktion zu entziehen. Der Herr kann ihn, wenn er nicht nachgeben will, seine Macht spüren lassen. Die meisten Gesetze sind in der Absicht erlassen, einen Missbrauch abzustellen. Die Ängste eines Posthalters in solcher Situation zeigt erschütternd eine Episode aus der Biographie der heiligen Melania der Jüngeren. Sie hatte auf ihre unermesslichen Reichtümer verzichtet, um in völliger Armut als Dienerin Christi zu leben. Im Jahr 436 trat sie eine Reise von Jerusalem nach Konstantinopel an, um ihren Onkel Volusianus zu besuchen, der nach dem Ausscheiden aus dem höchsten Staatsamt (Praefectus praetorio) als Gesandter des West-Kaisers an den Hof Ostroms geschickt wurde. Als an den Hof eingeladene Angehörige des Hochadels erhielt die Fünfzigjährige selbstverständlich die Erlaubnis zur Benutzung des cursus publicus. Der in ihrem Gefolge mitreisende Priester und Biograph schreibt (Vita 52): Als wir in Tripolis (Küstenstadt im Nordlibanon) angekommen waren, wohnten wir im Martyrion des heiligen Leontios. (Mit den Märtyrerkirchen waren Herbergen für Pilger verbunden.) Weil wir unserer viele waren, die ohne einen Erlaubnisschein mit ihr reisten, zeigte sich der Posthalter sehr widerspenstig bezüglich der Abfertigung der benötigten Zugtiere. Er hieß Messala. Die Heilige war darob sehr traurig; sie verharrte im Gebet und ohne Schlaf bei den Reliquien des Märtyrers Leontios vom Abend an, bis dass die Tiere da waren. Als wir von da abreisten und sieben Meilen, mehr oder weniger, zurückgelegt hatten, da holte uns besagter Postmeister ein, völlig durcheinander, und fragte: Wo ist der Priester? Ich, der wenig Erfahrung mit Reisen hatte, fürchtete schon, er sei gekommen, um uns die Tiere wieder auszuspannen, fragte also, als ich herbei kam, nach dem Grund seiner Aufregung. Er entgegnete: Ich flehe um die Gnade, die hohe Dame zu sehen. Als er vorgelassen wurde, fiel er nieder, umklammerte ihre Füße und überströmte sie mit seinen Tränen. Dann begann er: Verzeih mir, Dienerin Christi, dass ich, weil ich deine erhabene Heiligkeit nicht kannte, so lange Umstände gemacht habe, die Tiere zu stellen. Nachdem sie erwidert hatte: Gott wird dich segnen, mein Sohn, dafür, dass du sie überhaupt gestellt hast, da zog er sogleich drei Münzen hervor, die ich ihm als Erkenntlichkeit für seine Dienste gegeben hatte, und bat mich, sie von ihm zurückzunehmen. Auf meine Weigerung begann er der Heiligen zu bekennen: Die ganze Nacht über sind ich und deine Dienerin, mein Weib, vom heiligen Leontios schwer heimgesucht worden. Darauf sind wir beide gleich nach dem Aufstehen zum Martyrion gelaufen, konnten euch aber nicht mehr antreffen. Darauf ist sie, die nicht so weit laufen konnte, zurückgegangen, ich aber habe euch eingeholt und bitte um euer Gebet für uns beide, dass der allmächtige Gott uns gnädig sein möge.

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Die Rechtsunsicherheit war schlimm. So war es ein Trost, dass das Amt eines Posthalters befristet war, ursprünglich auf ein Jahr, später auf fünf Jahre. Hatte er diese überstanden und womöglich die Tiere vollzählig und die mansiones in gutem Zustand seinem Nachfolger übergeben (Symmachus, epist. 2,27), wurde er zum Abschied mit dem Titel perfectissimus belohnt, mit dem eine Freistellung von der Übernahme ähnlicher Zwangsämter verbunden war (Cod. Theod. 8,7,36). Auch die nicht zum Amt des manceps herangezogenen Bürger der anliegenden Städte litten unter den Auflagen, Tiere, Proviant und Unterhalt der Gebäude zu gewährleisten. Mit der Zusage von Erleichterungen konnten Herrscher viel an Popularität gewinnen. Nerva ließ ein Münze prägen mit der Umschrift: vehiculatione Italiae remissa (aus Anlass der für Italien erlassenen Staatspost); die Erleichterung konnte nicht Bestand haben und wurde schon bald von seinem Nachfolger Traian zurückgenommen. In die Reihe der Kaiser, die auf solche Weise den Untertanen entgegenkamen, reihte sich Julian der Abtrünnige ein. Er stellte den auf Sardinien entbehrlichen cursus velox ein und ließ nur den langsameren Transportdienst für die Fuhren zu den Häfen bestehen (Cod. Theod. 8,5,16). Das Gesetz trat erst nach seinem Tod in Kraft. Eine noch zu seinen Lebzeiten verwirklichte Maßnahme bezeugt eine Inschrift (CIL V 8987), die bei Concordia, einer wichtigen Poststation Venetiens an der Straße von Italien nach Illyrien, gefunden wurde: Der Kaiser Julianus hat den Provinzbewohnern die Last abgenommen und befohlen, dass die Post mit staatlichen Pferden unter Verkürzung der Abstände des Pferdewechsels stattfinde. (Das hier verwendete Wort cursus fiscalis bedeutet, dass die Pferde aus Mitteln der Staatskasse angekauft und nicht als Naturalabgabe von den Bürgern zu stellen waren.) Eine Entlastung bedeutete es ferner, wenn die Baulast für die Gebäude nicht den Städten aufgebürdet blieb. Hohe Würdenträger sicherten sich gemeinnützig Ruhm und Nachruhm dadurch, dass sie Stationsherbergen stifteten, zum Beispiel CIL X 1774 (ums Jahr 380 an der Via Cassia): Der Senator Valerius Anthidius in Vertretung des Praetoriums-Praefekten hat das Rasthaus (stabulum), damit nicht länger die Tiere der Staatspost durch Überanstrengung auf der langen Strecke zugrunde gerichtet würden, geplant, beschlossen, gebaut und eingeweiht. CIL X 7200 (bei den Thermen von Selinunt [Sciacca in Sizilien], gegen 350): Die Senatoren Vitrasius Orfitus und Flavius Dulcitius, Consulare der Provinz Sizilien haben mit tatkräftiger Unterstützung durch Flavius Valerianus, den kaiserlichen Oberpostdirektor, die Poststation von Grund auf errichtet. Die Ortslage der Poststationen und Rasthäuser richtete sich allein nach den Verkehrsrouten und den regelmäßigen Abständen von Tagesstrecken.

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III. Griechisch-römische Gastfreundschaft

Gerade an unwirtlichen, öden Orten waren die mansiones besonders nötig. Das unterscheidet sie von den einladenden tabernae in den Städten und den Annehmlichkeiten verheißenden deversoria auf den Landgütern. Gregor von Nazianz, dem im Jahr 372 der abgelegene Platz Sasima als Bischofssitz zugewiesen wurde, beklagt sich im Gedicht ›Über sein Leben‹ bitter über seine Abschiebung93: Es gibt eine Station mitten an der Landstraße durch Kappadokien, wo der Weg sich dreifach gabelt, ein Ort ohne Wasser, ohne Grün, völlig kulturlos, ein abscheulich verwünschtes winziges Drecknest. Alles hier lauter Staub, Lärm, Wagen, Jammern und Stöhnen, Steuereintreiber, Erpressungen, Bauernfängerei, die Leute allesamt nur Fremde und Herumtreiber. Das ist die Gemeinde meines Sprengels, Sasima, über solches Gesindel hat mich der von fünfzig Landbischöfen geradezu umdrängte Metropolit gesetzt! Bravo! Doch eben diese weltabgeschiedenen Straßenherbergen boten der heiligen Melania auf ihrer Rückkehr vom Hof in Konstantinopel zur Osterfeier nach Jerusalem im Jahre 437 ihr rettendes Dach (Vita 56): Zu jener Zeit herrschte ein so überaus strenger Winter, dass uns die Bischöfe in Galatien und Kappadokien versicherten, sie hätten noch nie einen solchen Schneefall gesehen. Wir setzten unseren Weg den ganzen Tag über im Schneesturm ohne Unterbrechung fort, ohne dass wir den Boden vor uns oder einen Berg hätten mit den Augen erkennen können, bis auf die Herbergen (pandocheia. Das Wort, das sonst nur für Wirtshäuser gebraucht wird, steht im Orient auch für mansiones), in denen wir abends unterkamen. Während ein dauernder Aufenthalt an einer einsamen Poststation von einem gebildeten Mann als Zumutung empfunden wird, wissen Durchreisende die Bequemlickeit der Staatspost durchaus zu schätzen. Gregor von Nyssa rät (epist. 2) von der Wallfahrt nach Jerusalem ab. Die Schamlosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber dem Laster in den gewerblichen Wirtshäusern und Unterkünften Kleinasiens seien besonders für Frauen gefährlich, und eine Ortsveränderung bringe niemanden Gott näher; besser sei es, die Herberge seiner Seele dafür zu bereiten, dass Gott darin wohnen könne. Er selber habe es auf seiner Fahrt nach Jerusalem besser gehabt (2,13): Weil der allerchristlichste Kaiser die Bequemlichkeit der Reise mit der Staatspost gewährte, kam ich nicht in die Zwangslage, das zu erleben, was wir bei anderen haben sehen müssen. Der Wagen diente als Kirche und Kloster, in dem wir auf der gesamten Fahrt Psalmen sangen und fasteten. Ein Jahrhundert nach den beiden kappadokischen Gregorii schildert Sidonius Apollinaris, Spross einer der vornehmsten Familien Galliens, seine Reise nach Rom im Jahr 467 (epist. 1,5): Beim Verlassen unserer RhoneStadt (Lyon) durfte ich, weil an den Kaiserhof geladen, die Staatspost be-

4. Das Gastgewerbe

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nutzen, und sie führte mich durch Wohnorte von Bekannten und Verwandten, wo denn, wenn die Reise langsam voranging, daran nicht der Mangel an Zugtieren Schuld trug, sondern die Vielzahl der Freunde. … So näherte man sich den Alpenpässen. Der Anstieg verging mir wie im Flug, und zwischen den links und rechts drohenden steilen Abgründen war eine Straße gebahnt, indem man die Schneemassen zu einem Hohlweg ausgegraben hatte. Die Reise führte dann durch die Po-Ebene nach Ravenna, auf dem Fluss mit den zum cursus publicus gehörenden Schiffen, und weiter nach Rom, wobei Sidonius auch hier nicht in den mansiones übernachtete, sondern Besuche in der jeweiligen Umgebung machte. Auch das angemietete deversorium, in dem er nach der Ankunft in Rom einkehrte, dürfte den gehobenen Ansprüchen des Aristokraten entsprochen haben. Von der römischen Staatspost haben nicht die Organisation als Ganzes, wohl aber einzelne Teile den Untergang des Weströmischen Reiches überlebt. Noch zu Beginn der Karolingerzeit um 700 bietet das Formelbuch des Marculf (11) ein Musterformular, das für die Kanzlei, die das diploma ausstellte, bestimmt war. Nach dessen Streichliste konnten den zum Hof reisenden Gesandtschaften die für ihre evectio in Betracht kommenden Lebensmittel, Reisebedarf, Reit- und Zugpferde sowie Heu und Einstreu zu deren Stallung gewährt werden. Bis heute lebt das auf das Persische zurückgehende postalische Fachwort paraveredus für das Reisepferd in dem deutschen Wort Pferd fort, ursprünglich unterschieden vom Streitpferd, für das man das germanische Wort Ross beibehielt.

4. Das Gastgewerbe Die Frühzeit im Orient Dem hohen Rang der Gastfreundlichkeit als göttliches Gebot steht entgegen die Verachtung des Wirtes, der von seinen Gästen Bezahlung annimmt. Was für den guten Menschen Ehrenpflicht ist, ist auf Seite des anderen Verletzung des Anstandes. Es hat Wirte, die von den Einnahmen aus der Bedienung ihrer Gäste lebten, schon in frühester Zeit gegeben, und die in den Keilschrifttexten aufgeführten Reisespesen dürften nicht nur Wegzölle und Wegzehrung enthalten, sondern auch Ausgaben, die bei der Rast für Obdach, Essen, Trinken und Viehfutter entstanden sind. Doch Nachrichten über Wirte sind in der Literatur überaus spärlich. Sie standen so tief, dass man sie selten überhaupt der Erwähnung wert erachtete. Der Rolle, die sie in der sagenhaften Frühgeschichte Israels spielt, weil sie zur Eroberung Jerichos beitrug, verdankt es die Wirtin Rahab, ins Alte

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Testament Eingang gefunden zu haben (Jos. 2,1–21. 6,17–25). Sie wird die Hure genannt, denn während des ganzen Altertums verstand es sich von selbst, dass eine Wirtin und weibliche Bedienungen den Gästen für ihr Geld auch sexuelle Dienste anboten. Bei ihr kehren die jungen Männer ein, die der Feldherr Josua als Spione in die Stadt schickt. Der Stadtherr sendet seine Leute, um die Fremden zu verhaften; es ist also allgemein bekannt, dass im Haus einer Frau solchen Rufes Fremde nächtigen. Das Haus liegt, wie es sich für Wirtshäuser gehört, nahe beim Tor an der Stadtmauer. Das ist Voraussetzung dafür, dass Rahab die Männer, nachdem sie sie verleugnet und versteckt hat, an einem Seil über die Mauer hinunterlassen und heil entfliehen lassen kann. Zuvor hat sie den Kundschaftern die eidliche Zusage abgenommen, sie und ihre Familie zu verschonen, was dann nach der Eroberung Jerichos von den Israeliten auch eingehalten wird. Die Gestalt der Rahab, der vor Gott gerechten Hure (Hebr. 11,31. Jak. 2,25) lebt im Gedächtnis unauslöschlich fort. Auf die Wirte wird sodann das Bild gedeutet, mit dem der Prophet Isaia (1,22) die Verderbnis Jerusalems anschaulich macht. Der hebräische Text besagt in wörtlicher Übersetzung: Dein Wein ist vermischt. Eines der vielen Laster, die den Wirten zugeschrieben werden, ist die Weinpantscherei. So übersetzt denn die griechische Septuaginta verdeutlichend: Deine Wirte mischen den Wein mit Wasser. Die christlichen Kirchenväter seit Gregor von Nazianz haben dann diese Stelle in Verbindung gebracht mit der Stelle im 2. Korintherbrief (2,17), an der Paulus die Verfälscher des Gottesworts rügt mit dem Vorwurf, sie trieben es wie weinfälschende Wirte (kapeleúontes). Der einzige Wirt, der im Neuen Testament vorkommt, ist der Wirt in Jericho, bei dem im Gleichnis der barmherzige Samariter (Lukas 10, 30–36) seinen verwundeten Schützling notgedrungen unterbringt, weil es in der antiken Welt keine Krankenhäuser gibt und ein Samariter in Jericho keinen Gastfreund hat. Er versorgt den Kranken, und weil er am andern Tag weiterziehen muss, gibt er dem Wirt zwei Denare für die Pflege während seiner Abwesenheit und das Versprechen, auf dem Rückweg allfällige Mehraufwendungen zu bezahlen. Erst wenn man den miserablen Ruf der Wirte im Altertum bedenkt, tritt die Lehre des Gleichnisses voll zutage: Der Gerechte übt Barmherzigkeit unter allen Umständen. Wenn es nicht anders möglich ist, handelt er sogar auf das wahrscheinliche Risiko hin, dass die gut gemeinte Hilfe veruntreut wird, eher, als dass er gar nichts täte. Spätere Bibelerklärer haben aus den veränderten Verhältnissen ihrer eigenen Zeit heraus oft das Wirtshausmilieu in den biblischen Text hineingedeutet. Schon Josephus sieht in der Rahab von Jericho nicht mehr die

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Hure, sondern eine ganz gewöhnliche Wirtin mit einem Wirtshaus, wie man es im 1. Jahrhundert n. Chr. kannte (Antiquitates 5,7–13). Hieronymus übersetzt das hebräische Wort für den Lagerplatz der Nachtruhe, malôn, mit deversorium (Einkehr), was im Latein auch für eine Wirtsherberge steht.

Griechisches Gastwirtsgewerbe Die griechische Sprache unterscheidet scharf zwischen dem Xenodóchos, dem Gastfreund und freigebigen Gastgeber, und dem Pandocheús, dem gewerblichen Wirt, der jeden (pan-), nicht nur seine ausgewählten Gastfreunde, aufnimmt. Jener edle Euphorion, von dem Herodot (6,127) berichtet, er habe, nachdem ihm die Zeus-Söhne die Ehre erwiesen hätten, in seinem Haus zu Gast zu sein, von da an alle Menschen (pantas anthropous) als Gäste aufgenommen, ist mit seiner Großzügigkeit beileibe kein Pandokeus. Das Wort Pandokeus gilt ausdrücklich nur für den gegen Bezahlung tätigen Wirt, der sein Geschäft daraus macht, alle ohne Ausnahme aufzunehmen; auf einen Euphorion angewandt wäre es eine schwere Beleidigung. In solcher Absicht wurde es auch wirklich verwendet. Im Jahr 477 v. Chr. schmähte der Dichter Timokreon von Rhodos den ihm verhassten athenischen Politiker Themistokles, der auf dem Isthmos in Korinth ein Gastmahl für seine Anhänger gegeben hatte, mit den Versen: Auf dem Isthmos hat er den Kneipenwirt gespielt (epandókeue), klebrig eigennützig, indem er kaltes Fleisch spendierte. Sie aber aßen und wünschten: Keine Stimme für Themistokles! Die Geringschätzung trifft nicht bloß den Wirt, ebenso seine Gäste. Die bei ihm einkehren, zählen zum gemeinen Volk. In seiner Areopag-Rede sagt Isokrates (49), in früheren Zeiten hätte nicht einmal ein ordentlicher Haussklave sich unterstanden, in einer Wirtsstube zu essen oder zu trinken. Athenaios (13,21) zitiert einen Ausspruch des attischen Redners Hypereides: Die Richter des Areopags hätten einem, der in einer Wirtsstube sein Frühstück einnahm, den Zugang zum Areopag verweigert. Ein Reisender, der etwas auf sich hält, nimmt nur im äußersten Notfall, in einsamen Gegenden, wo er selbst keinen Gastfreund kennt oder jemanden zu finden vermöchte, der ihn auf Empfehlung von Freunden aufnähme, mit einer Wirtsherberge vorlieb. Der athenische Redner und Politiker Aischines (2,97) will seinen Parteifeind Demosthenes herabsetzen mit der Behauptung: Niemand wollte mit ihm gemeinsam essen und unterwegs auf der Reise, wo es möglich war, mit ihm im gleichen Wirtshaus einkehren. Sie hatten beide zu den zehn Mitgliedern einer athenischen Gesandtschaft gehört, und Aischines klagt (2,21): Auf der ganzen Reise waren wir ge-

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zwungen, den Demosthenes zu ertragen, diesen unausstehlichen Klotz von Mensch. Aus dieser vorangegangenen abschätzigen Bemerkung wird klar, wie die Weigerung des gemeinsamen Wohnens im Wirtshaus gemeint war. Aus dem Wirtshaus versucht man wo möglich zu einem privaten Gastfreund überzuwechseln, selbst wenn man den erst suchen muss. So halten es der Dichter Eumolpus und seine Spießgesellen (Petronius, Satyricon 124,2): Wir kamen nach Kroton, wo wir, zunächst in einem kleinen Gasthof aufgenommen, am nächsten Tag ein luxuriöseres Haus suchten. Sie tun es, indem sie sich als reiche Fremde ausgeben und mit dieser Hochstapelei Erbschleicher ködern. Angehörige der oberen und mittleren Gesellschaftsschicht waren insgesamt in die institutionelle Gastfreundschaft (xenodochía) eingebunden. Mit ihnen konnte ein Pandokeus nicht rechnen, er war auf Kunden aus der unteren Schicht angewiesen. Dem Publikum entsprach denn auch der meist üble Zustand der Lokale. Aristophanes zeichnet das Milieu, wenn er in Vers 114 der Komödie ›Die Frösche‹ den Gott Dionysos sich bei Herakles, der schon einmal in die Unterwelt gefahren ist und den Weg kennt, erkundigen lässt nach den Häfen, Bäckereien, Bordellen, Rastplätzen, Weggabelungen, Brunnen, Straßen, Städten, Wirtshäusern und Wirtinnen, bei denen es die wenigsten Wanzen gibt. Auf seiner Reise begegnet Dionysos als Herakles verkleidet den Wirtinnen wirklich (549–576); sie wollen ihn, weil der hungrige Herakles sie einst arm gefressen hatte, als wieder erkannten Zechpreller verklagen und rufen jede nach ihrem athenischen Schutzherrn (Prostates). Denn als Frauen und Nichtbürgerinnen können sie nicht selbst das Gericht anrufen. Für eine Athenerin oder einen athenischen Bürger wäre das verrufene Wirtsgewerbe undenkbar. Wie später im römischen Recht gelten Wirte als ehrlos; mit Weibspersonen, die in einem solchen Gewerbe sitzen oder sich verkaufen, ist in Athen keine anerkannte Ehe möglich (Ps. Demosthenes 59,67). Theophrast zeichnet in seinen ›Charakterbilder‹ den würdelosen Außenseiter mit den Worten (6,5): Er wäre sogar bereit, das Gewerbe eines Wirts, eines Bordellhalters oder Steuervogts auszuüben und kein noch so schimpfliches Treiben für unter seiner Würde zu halten. Sogar als Mörder führt der Stoiker Chrysippos in einer Gruselgeschichte einen Pandokeus vor (Stoicorum veterum frg. 2,1205): In Megara kehrte ein Mann ein, der einen mit Goldstücken gefüllten Gürtel mitführte. Der Wirt nun, der den späten Ankömmling aufgenommen hatte, ermordete ihn, weil er auf das Gold schielte. Dann schickte er sich an, ihn auf einem Müllkarren wegzuschaffen, indem er den Getöteten unter dem Abfall versteckte. Der Geist des Toten jedoch erscheint einem Bürger von Megara, erzählt, was er erlitten habe, von wem, wie er weggebracht werden solle und an welchem Stadttor. Der nahm den Bericht nicht für eine

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bloße Einbildung, stand noch im Finstern vor Tage auf, wachte am Tor, hielt die Fuhre auf und entdeckte den Leichnam. Das Opfer wurde begraben, der Mörder bestraft. Es war eine Wandergeschichte, die in der ganzen Welt weiter verbreitet wurde. Auch lateinische Autoren haben sie aufgegriffen und die schlecht begründete Einschaltung des Entdeckers verbessert. Bei Cicero (De divinatione 1,57) ist sie um rührende Züge bereichert: Als zwei Freunde aus Arkadien auf ihrer gemeinsamen Reise nach Megara gekommen waren, kehrte der eine bei einem Wirt ein, der andere bei einem Gastfreund. Nachdem sie gegessen hatten und schlafen gegangen waren, erschien mitten in der Nacht dem, der beim Gastfreund übernachtete, der andere im Traum und flehte ihn an, ihm zu Hilfe zu kommen. Der Wirt sei dabei, ihn zu ermorden. Im ersten Augenblick sprang er, vom Traum erschreckt, aus dem Bett. Dann fasste er sich, überlegte, die Erscheinung habe nichts zu bedeuten, und legte sich wieder hin. Da, als er wieder eingeschlafen war, erschien ihm die Gestalt des Freundes wieder und bat, weil er ihm, als er noch lebte, nicht zu Hilfe gekommen sei, möge er wenigstens seinen Tod nicht ungerächt lassen. Er sei als Toter vom Wirt auf einen Karren geladen, und oben darauf Abfall geschüttet worden. Er fordere ihn auf, morgen früh am Stadttor zu sein, bevor der Karren die Stadt verlassen könne. Durch diesen Traum jetzt überzeugt stellte er sich am Morgen dem Mann, als der mit dem Ochsenkarren daherkam, in den Weg und fragte ihn, was er auf seinem Wagen habe. Der ergriff erschrocken die Flucht. Der Leichnam wurde hervorgeholt, der Wirt, nachdem die Tat ans Licht gekommen war, bekam seine Strafe. Noch unter dem Pandokeus steht freilich der Kápelos, der nicht Obdach und Verpflegung anzubieten hat, sondern bloß einen Ausschank betreibt oder Kleinkram verkauft. Platon schlägt in seinen ›Gesetze‹ (11, 919 E) für dieses Gewerbe (kapeleía) sogar Strafen vor: Wer sich an dem eines Freien unwürdigen Schankgewerbe beteiligt, gegen den soll jeder, der will, Strafantrag stellen, weil er seine Familie in Schande bringt. Wenn er als einer erfunden wird, der durch sein unehrenhaftes Gewerbe seinen väterlichen Herd beschmutzt, so soll er ein Jahr gefangen gehalten werden und sich fortan von solcher Tätigkeit fernhalten. Wird er rückfällig, dann zwei Jahre, und nach jeder neuen Festnahme soll jedesmal fortwirkend die Haftdauer verdoppelt werden. Zweites Gesetz: Es muss ein Metöke (niedergelassener Fremder) oder Ausländer sein, wer Wirt werden will. Der dritte Absatz des Gesetzes regelt die strengen sittlichen Qualifikationsbedingungen für die Zulassung und die Gewerbeaufsicht durch die Gesetzeswächter. Auch Platon erkennt durchaus die Nützlichkeit von Gasthäusern. Sie wären dann vertretbar, meint er, wenn mit ihnen kein maßloses Gewinn-

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streben verbunden wäre (918 D): Die Mehrzahl der Menschen, obschon es erlaubt wäre, einen mäßigen Gewinn zu erzielen, entscheidet sich dafür, unersättlich viel zu verdienen. Deswegen sind alle Erwerbsarten, die mit Kleinhandel, Großhandel und Gastwirtschaft zu tun haben, in Verruf geraten und unterliegen der übelsten Nachrede. Wenn nun jemand, was niemals geschehen möge und auch nie geschehen wird – es ist lächerlich, es auszusprechen, soll aber doch gesagt sein –, im ganzen Land die tüchtigsten Männer dazu auf einige Zeit verpflichten könnte, Gastwirte oder Krämer oder etwas dergleichen zu sein, oder sogar Frauen durch einen Schicksalsschlag gezwungen wären, einen solchen Erwerbszweig zu ergreifen, dann könnten wir wohl sehen, wie freundlich und liebenswert jedes derartige Gewerbe ist. … Wenn aber heutzutage jemand zu gewerblichen Zwecken an einsamen Orten, die von allen Seiten her nur über lange Wege zu erreichen sind, Häuser hinbaut, um Menschen, die gar keine andere Wahl mehr haben, in willkommenen Unterkünften zu beherbergen, oder Leuten, die von der Wut stürmischen Wetters gepeitscht werden, zwar eine ruhige warme Stube anbietet oder bei Gluthitze einen kühlen Platz zur Erholung, hinterher aber sich herausstellt, dass er sie nicht wie gute Freunde aufgenommen hat und ihnen nach dem Empfang Freundesgaben darreicht, sondern sie wie in seine Hände gefallene persönliche Feinde nur gegen ein unmäßig hohes, ungerechtes und sündhaft teures Lösegeld wieder freilässt, dann ist es eben das und ähnliches fehlerhaftes Verhalten bei allen solchen Gewerbsunternehmen, was die Hilfe in der Not ins Gerede gebracht hat. Dagegen also muss der Gesetzgeber in allen Fällen einschneidende Maßnahmen treffen. Was im 2. Jahrhundert n. Chr. ein vornehmer Reisender, der mit Dienerschaft und das große Gepäck tragenden Tieren in den Balkanländern und in Kleinasien unterwegs war, in Wirtsherbergen erlebte, schildert Aelius Aristides, der berühmteste Rhetor seiner Zeit. Die angegriffene Gesundheit, unter der er dauernd litt, erhöhte seine Empfindlicheit. Vom Hellespont herkommend suchte er auf dem Weg zur Adria und weiter nach Rom nach Überquerung des Hebros-Stromes, auf dem noch Eisschollen trieben, die Via Egnatia zu erreichen. Er klagt94: Mangelhaftigkeit der Unterkünfte und von den Zimmerdecken ergoss sich mehr Wasser herab als draußen vom Himmel herunter. Und zu all dem eine Hetze, ein Rennen, wegen des plötzlich eingetretenen schlechten Wetters, verbunden mit einer Überanstrengung, bei der die Körperkräfte versagen mussten. Es überholten uns, ohne Übertreibung, nicht einmal die Meldereiter der Poststationen. Dabei ließen sich die meisten der Leute im Haus mit der Weiterreise alle Zeit. Ich hingegen musste sogar selber nach Führern suchen, wo sie für den Weg nötig waren, und auch das gelang nicht so ohne weiteres. Denn man muss-

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te die Leute wie Wilde, die davonliefen, geradezu herbeischleppen, teils mit guten Worten, bisweilen auch, indem man sie mit Gewalt packte. Zur Sommerzeit tritt er eine Fahrt von Smyrna in Richtung Pergamon erst nach der mittäglichen Hitze an95, so dass wir ziemlich genau bei Sonnenuntergang bei der Herberge vor dem Hermos-Fluss eintreffen. Ich war unschlüssig, was ich tun solle. Aber da ich, nachdem ich einen Schritt hinein getan hatte, weder die Erbärmlichkeit der Zimmer erträglich fand noch Abhilfe möglich war, weil man das Gepäck voraus geschickt hatte, entschied ich mich, man solle weiter ziehen. … Schon spät abends kam ich nach Larissa, und es war mir ganz recht, dass die Wagen nicht aufgehalten worden waren und es an Herbergen auch nichts Besseres gab als die vorherigen, sondern dass es sich als unvermeidlich erwies, die Reise fortzusetzen und durchzuhalten. Es war schon Mitternacht oder später, als wir in Kyme ankamen. Alles war zugesperrt, und ich war’s sehr zufrieden. Nachdem ich meine Gefährten, die mich vom Ort weg begleiteten, aufgefordert hatte, auch noch bis zum Schluss auszuharren, zogen wir zum Tor hinaus. Es war kühl und ziemlich feucht, so dass man das Bedürfnis nach Wärme empfand. Und so ungefähr um den ersten Hahnenschrei komme ich zum Ziel nach Myrina und sehe da meine Leute vor einer der Herbergen in voller Reisebereitschaft stehen, weil auch sie, wie sie sagten, nichts mehr geöffnet vorgefunden hatten. Es stand aber auf dem Vorplatz vor dem Wirtshauseingang eine Liege. Die trugen wir hin und her. Das war unsere Beschäftigung; aber wo sie auch hingestellt wurde, überall war sie unbequem. Wir klopften an die Tür, es schien nichts belegt zu sein, weder mit Gästen noch sonst jemandem; kein Mensch hörte uns. Erst nach langem Suchen fanden wir eine Gelegenheit, in die Kammer von jemanden zu kommen, der Bescheid wusste. Aber durch die verdammte Schlamperei des Portiers war das Feuer ausgegangen und es war sonst überhaupt niemand da. Wir gingen hinein im Finstern und tasteten uns mit den Händen voran, ohne etwas zu sehen oder selbst gesehen zu werden. Bis aber das Feuer hergerichtet war und ich daran gehen wollte, mich des Herbeigebrachten zu erfreuen und an seiner Nähe zu wärmen,96 da ging auch schon der Morgenstern auf und das Tageslicht brach an. Es sind ganz wenige anerkennende Stimmen, die der Vielzahl der Kritiker gegenüberstehen. Das angenehme Gasthaus erscheint selten als Realität, meistens imaginär im Gleichnis. Der Philosoph Demokrit (Vorsokratiker 68 B 230) vergleicht im Bild ein Leben ohne Feste einer langen Landstraße ohne Gasthaus. Der Philosoph Epiktet (Diss. 2,23,36 f.) mahnt zu Beginn des 2. Jahrhundert n. Chr., sich im Streben nach dem Lebensziel nicht ablenken zu lassen: Wie wenn jemand, der zur Fahrt in seine Heimat aufbricht, auf der Reise einkehrt in ein schönes Gasthaus und, weil es ihm

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gefällt, darin wohnen bliebe: Mensch, du hast dein Ziel vergessen! Nicht in dieses Gasthaus wolltest du doch reisen, sondern durch es hindurch. … Wie viel andere gemütliche Gasthäuser gibt’s, … aber eben nur als Durchgangsstation. In seinem ›Handbüchlein der Moral‹ (11) wandelt er das Bild ab: alle irdischen Güter sind uns nur geliehen, wir sollen sie so ansehen wie Reisende eine Herberge. Unsicher ist dagegen ein Zeugnis, das man als eine Stimme für wirklich existente Wirtshäuser verstanden hat. Der Geograph Strabo schildert (17,1,17) das ausgelassene Treiben der Ausflügler am Kanal des Kanopos nahe der hellenistisch-ägyptischen Großstadt Alexandria um die Zeit der Jahrtausendwende. Der Strom der Städter mischt sich mit der Lustbarkeit derer, die am Ufer des Kanopos wohnliche Häuser (katagogás) haben. Da können schwerlich Gastwirtschaften gemeint sein, vielmehr dürfte es sich um Villen der reichen Alexandriner handeln, in denen sie ihre Freizeit verbringen und persönliche Freunde als Gäste einladen konnten, das griechische Gegenstück zu den deversoria vornehmer Römer (siehe unten S. 131 f.). Fast vier Jahrhunderte später beschreibt der Historiker Ammianus (22,16,14) den gleichen Ort ganz ähnlich und spricht in lateinischer Sprache mit dem ebenso doppeldeutigen Wort von diversoria laeta. Trotz dieser Lage der Überlieferung entspricht ohne Zweifel die Statistik der positiven und negativen Wertungen in den literarischen Zeugnissen nicht voll den wahren Verhältnissen. Jedermann erwartet zwar angenehme Bewirtung, aber Anlässe, überhaupt zu schreiben, gibt der Ärger über Mängel. Von den Kunden der Wirte, einfachen Leuten, haben zudem die wenigsten ein Schriftzeugnis hinterlassen, viele sind Analphabeten gewesen. Zu Wort kommt die andere Seite. Platon spricht aus der Sicht des Aristokraten, die Schriftsteller insgesamt sind Vertreter der gebildeten Schicht. Schuld am verwahrlosten Zustand der Wirtshäuser tragen auch nicht allein die Wirte, sondern gleichfalls die unordentlichen Gäste. Im hellenistischen Ägypten des 2. Jahrhunderts v. Chr. hat das Wirtshaus eines Dorfes Verbrechern als Unterschlupf gedient (Pap. Tebtunis 230), in welchem sie sich auch bis in die Nacht hielten. So drangen wir ein, und nachdem wir seiner (des Anführers) habhaft geworden waren, haben wir ihn dem Vorsteher und Polizeikommandanten Herakleides übergeben mit seinen zwei zerschlissenen Kleidern, einem Waffenrock, Helm und Filz.

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Römische Wirte und Wirtshäuser Dem Unterschied zwischen Xenodochos und Pandokeus in der gesellschaftlichen Wertschätzung bei den Griechen entspricht im Rom der republikanischen Zeit die Unterscheidung zwischen hospes (Gastgeber im gastfreundschaftlichen Verkehr) und caupo oder, mit vulgärer Aussprache, copo (Wirt und Krämer), dazu für die Wirtin das Wort caupona oder copa. Perfidus (Betrüger) ist das übliche Beiwort, das man mit caupo verbindet (Horaz, Sat. 1,1,29). Die Verachtung dessen, der davon leben muss, gegen Entgelt Dienste für andere zu verrichten, war in Rom fest eingewurzelt. Sogar ein durch gewerblichen Erfolg erlangter Reichtum löschte den Makel nicht aus. So versteht sich Martials empörter Spott über Emporkömmlinge (Epigr. 3,59): Ein reich gewordener Schuster hat dir, Kulturstadt Bologna, ein Gladiatorenspiel gestiftet, ein Walker eines in Modena. Jetzt frag ich mich: Wo stiftet das nächste ein Wirt? In der absteigenden Rangfolge der Gewerbetreibenden steht der Wirt an allerletzter Stelle. Sueton (Nero 27,3) prangert die Ausschweifungen des Kaisers Nero an in der Schilderung seiner Bootspartien: An den Stränden und Ufern wurden in Abständen Wirtsbuden aufgestellt, die dadurch auffielen, dass sie ein Büffet anboten und ehrbare Matronen sich in aufreizenden Posen davor hinstellten und die Rolle von Wirtinnen spielten, die von da und von dort einluden, bei ihnen zu landen. Tiefer kann eine Frau von Stande kaum absteigen, als wenn sie die Rolle einer Wirtin spielt. Das Wirtshaus heißt entweder nach dem Betreiber caupona oder nach der Art des Gebäudes taberna. Taberna bezeichnet im Gegensatz zum Wohnhaus in weitestem Sinn ein Geschäftslokal, eine Werkstatt; eindeutig zum Wirtshaus wird eine taberna erst durch einen spezifischen Zusatz: Eine taberna vinaria ist ein Ausschank, eine taberna deversoria eine Einkehr, die auch Räume zur Übernachtung anzubieten hat. Eine taberna meritoria ist eine, deren Wirt Geld verdienen will und von den Gästen Bezahlung fordert, was für Schenken und Herbergen gleicherweise zutrifft. Die Adjektive werden aber zumeist weggelassen, so dass die spezielle Qualität der taberna aus dem Zusammenhang zu erschließen ist und oft fraglich bleibt. Als Isidor von Pelusion den in der Apostelgeschichte vor der Ankunft des Paulus in Rom genannten Ortsnamen Tres tabernae erläutert (epist. 1,337), verwendet er als griechische Äquivalente sowohl Pandocheion wie auch Kapeleion. Ein caupo kann gleichbedeutend tabernarius genannt werden und die taberna als Lokal caupona. In höherer Kategorie mehrdeutig ist ebenfalls die Bezeichnung deversorium (Einkehr). Das kann ein Gasthof sein, vorwiegend an Landstraßen, während die tabernae und cauponae mehrheitlich, die popinae (Speise-

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restaurants) und ganeae (Garküchen) fast durchwegs in den Städten angesiedelt sind. Doch es gibt die „Einkehr“ auch im Rahmen der privaten Gastfreundschaft. Vornehme Römer leisten sich einen Zweitsitz oder mehrere deversoria als Raststätten auf Reisen für sich und als Orte, wohin sie ihre Freunde einladen. Cicero erwähnt sie öfter in seinen Briefen, zum Beispiel nach einem kurzen Aufenthalt bei dem Freund Macula (ad familiares 6,19): Sein Falernerweingut ist mir immer willkommen erschienen für eine Einkehr, wenn nur unter seinem Dach genügend Platz ist für meine Begleitung; im Übrigen gefällt mir der Ort nicht schlecht. Doch darum werde ich dein Petriner Haus nicht auslassen, denn jenes Landgut und seine schöne Umgebung laden zum Verweilen ein, nicht bloß zur Einkehr. Bei seinem Freund Cornificius (ebda. 12,20) beschwert er sich, weil du mein bescheidenes deversoriolum bei Sinuessa verschmäht hast. Die mir so zugefügte Schmach kannst du nur mit deinem Besuch im Haus bei Cumae und bei Pompei wieder ganz gutmachen. Über ein Jahrhundert später bedankt sich Plinius der Jüngere bei seiner Schwiegermutter (epist. 1,4): Welche Fülle des Angebots auf deinen Gütern in Ocriculum, in Narnia, in Carsulae, in Perusium; in Narnia war sogar das Bad bereit! … Beim Hercules, ich fühle mich auf meinen eigenen nicht so zu Hause wie auf den deinen, mit nur einem Unterschied: Noch freundlicher und beflissener empfangen mich deine Leute als die meinen. So wird es vielleicht auch dir ergehen, wenn du einmal bei uns einkehrst, was du hoffentlich bald tust. Das ist das deversorium, das mit lobenden Worten gepriesen wird, „hochwillkommen“ (Cicero, de oratore 2,234), „prächtig und elegant“ (Apuleius, met. 5,1). Gerne wird es als Bild verwendet, wenn zum Beispiel Cicero den alten Cato (84) sagen lässt: Ich scheide aus dem Leben wie aus einer Herberge, nicht aus meinem Hause. Denn die Natur hat es uns gegeben als ein deversorium zum vorübergehenden Aufenthalt, nicht, um darin dauernd zu wohnen. Ganz anders tönt es, wenn im bildlichen Vergleich das gewerbliche meritorium deversorium herangezogen wird, etwa wenn Cicero ein Haus, das zu ausschweifenden Gelagen missbraucht wird, einem Wirtshaus gleichsetzt (Philippica 2,104): Varro hatte sich jenes Obdach ausersehen als Einkehr für seine Studien, nicht als Absteigequartier für eure Exzesse (studiorum, non libidinum deversorium). Seneca (epist. 89,21) denkt wohl an gewerbliche Hotels, wenn er klagt: Überall, wo Thermalquellen sprudeln, werden sich neue Herbergen der Verschwendungssucht (deversoria luxuriae) erheben. Doch während hier einmal der Luxus getadelt wird, erhalten die deversoria der Wirte in aller Regel Attribute wie „schmutzig“, Ort „der Laster, der Liederlichkeit, der Ausgelassenheit“. Standespersonen führen auf ihren Reisen vorsorglich ihr eigenes Essgeschirr, das „Reisesilber (argentum viatorium)“ und die übrigen nötigsten Dinge im Gepäck

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mit. Es ist ein schwerer Affront, wenn die Gesandten der Rhodier, denen Rom gram ist, weil ihr Staat die Teilnahme am Krieg gegen Makedonien 168 v. Chr. verweigert hatte, nun nicht wie üblich in der Villa publica als Staatsgäste wohnen dürfen. Sie kommen außerhalb der Stadt zur Not auf eigene Kosten in einem armseligen deversorium unter und beklagen sich (Livius 45,22,2): Aus einer schäbigen Herberge, wo man schließlich für unser Geld noch bereit war, uns aufzunehmen, weil man uns, als ob wir Feinde wären, angewiesen hatte, außerhalb der Stadt zu bleiben, kommen wir in diesem traurigen Aufzug in den römischen Senat, wir, die Rhodier! Auch unter den Speiselokalen, den popinae, gab es Luxusrestaurants, in denen man auf Sofas gelagert von den köstlichen Gerichten nur das beste Stück kostete, wie ein von Gellius (15,8,2) zitierter Zeitgenosse Ciceros anprangert: Die Meister der Hotelküche und des Lebensstils behaupten, kein Diner sei exquisit, wenn nicht, sobald es am besten schmeckt, abgetragen wird und eine andere, noch bessere und reichlichere Köstlichkeit als nächster Gang serviert wird. Das ist die popina dives, von der Martial (5,44,10) spricht, die ambitiosa popina Senecas (ad Helviam 10,3). Doch die meisten popinae sind einfache kleine Gaststätten, deren Küchenrauch von den Gästen hingenommen wird, die des beengten Raumes wegen nur auf Stühlen sitzen (sellariola popina: Martial 5,70,3). Die nach der Straße hin offenen Geschäfte streben deswegen an, sich in den Raum der Straße hinein auszudehnen. Dem gebot eine Konstitution des Kaisers Domitian Einhalt, was Martial (7,61,8) mit den Versen begrüßte: Nicht fuchtelt blind in der dicht gedrängten Menge der Passanten das Rasiermesser oder nimmt die rauchgeschwärzte popina ganze Straßenzüge in Beschlag. Jetzt halten sich Frisör, Wirt, Koch und Metzger an ihre Grenzen. Jetzt ist Rom wieder Rom, eben noch war es eine große taberna. Dass Speiserestaurants nicht in das gern gerühmte ursprüngliche Bild altrömischer häuslicher Genügsamkeit passten, zeigt das Wort popina selbst: Seine Lautform weist auf Entlehnung aus dem oskisch-umbrischen Dialekt; die phonetisch entsprechende lateinische Form wäre coquina, „Küche“. Besonders den Oskern wurde eine Neigung zu Luxus und Ausschweifung nachgesagt, was dem Verfechter altrömischer Sittenstrenge Cato Anlass zu einem heftigen Protest gab (Plinius, nat. hist. 29,14): Die Griechen nennen uns andauernd Barbaren und noch schimpflicher als andere ziehen sie uns mit der Bezeichnung Opikoi (Osker) in den Schmutz. Später versuchte man dem schlechten Ruf der popinae verbal abzuhelfen, indem man dem Wort einen vornehmen griechischen Ursprung zuschrieb (Isidor, Etymologiae 15,42): Es müsste eigentlich propina (zu griech. propinein „zutrinken“ und peina „Hunger“) heissen, und popina sei nur eine Sprachverderbnis.

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Unter den Häusern, in denen Gäste wohnen und übernachten können, ist am häufigsten das stabulum anzutreffen, im Rang niedriger als das deversorium. In engerer Bedeutung bezeichnet das Wort einen Stall, als Wirtshaus eine Herberge, in der ein Reisender Wagen und Zug- und Reittiere unterstellen kann. Der Wirt (stabularius) und die Wirtin (stabularia) sind um nichts angesehener als ein tabernarius oder caupo, das Milieu nicht feiner. Im Stadtinnern sind stabula seltener zu finden, denn in den Gassen kam man nur zu Fuß voran. Ein Edikt des Kaisers Claudius (Sueton, Claud. 25,2) verordnete: Verkehrsteilnehmer dürfen Städte in Italien nur zu Fuß oder mit Tragsesseln oder Sänften passieren. Infolgedessen richteten sich die stabula in Nähe der Stadttore und an der Mauer ein; an den Landstraßen war die Standortwahl frei. Erst später gingen die Wörter hospitium aus dem Bereich der Gastfreundschaft und mansio von den Stationen der Staatspost in die Sprache des Gastgewerbes über. Dem Wirt traut man das Schlimmste zu. Als Kuppler, dessen weibliche Bedienungen jedem Gast zu Willen sind, gilt er ohnehin. Er stiehlt, betrügt, verfälscht den Wein. Das praetorische Edikt erlegt ihm ausdrücklich die Haftung für die vom Gast eingebrachten Sachen auf; diese Bestimmung hält der Jurist Ulpian (Digesta 4,9,1,1) deswegen für unverzichtbar, weil er sonst Gelegenheit hätte zum Schaden seiner Gäste, mit Dieben gemeinsame Sache zu machen, wie sie es auch jetzt nicht lassen können. Die Haftung obliegt dem Wirt selbst, nicht den untergeordneten Dienstkräften (ebda. 5). Darüber hinaus werden ihm schwerste Verbrechen angelastet. Geldgier treibt ihn zu Verrat und Mord. Plutarch berichtet in der Biographie des Marius (44,1), der Redner Antonius habe vor der Verfolgung durch seinen mächtigen Feind Marius bei einem Freund Unterschlupf gefunden. Der schickt seinen Sklaven, vom Wirt in der Nähe Wein zu holen für seinen Gast. Der tabernarius wundert sich, weil der Sklave des armen Mannes eine bessere Sorte verlangt als sonst, und der Sklave plaudert aus, der Wein sei für den hohen Gast Antonius bestimmt. Der Wirt, gottlos und gemein, wie er ist, läuft sogleich hin, um sich den Verräterlohn zu holen. Im 2. Jahrhundert liefert der Leibarzt des Kaisers Marcus Aurelius, der berühmte Galenos, in seinen Diätratschlägen folgende Beweisführung97: Das Fleisch der Schweine gleicht dem Menschenfleisch. Wir wissen ja doch, dass viele Wirte und Metzger überführt worden sind, Menschenfleisch als Schweinefleisch verkauft zu haben, wobei keiner von denen, die es aßen, irgendeinen Unterschied bemerkt hat. Aber ich habe sogar zuverlässige Leute erzählen hören, sie hätten in einem Wirtshaus eine köstliche Sauce mit zartestem Fleisch gegessen. Als sie schon satt gewesen seien, hätten sie darin das Glied eines Fingers vorn beim Nagel gefunden, und voller

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Angst, die Leute im Wirtshaus, die solches gewohnt seien, würden auch sie auffressen, seien sie schnellstens hinaus gelaufen und hätten sich, nachdem sie das Gegessene erbrochen hatten, auf den Weg gemacht. Und, wie sie berichteten, seien die Personen in dem Wirtshaus bald danach überführt worden, dass sie Menschen geschlachtet hatten. Daraus könne man folgerichtig schließen, auch Schweineblut sei ganz ähnlich beschaffen wie das von Menschen. Denselben Beweis wiederholt Galen in seiner Schrift über die Qualität von Lebensmitteln98 mit dem Hinweis, die betrogenen Esser hätten weder im Geschmack noch im Geruch einen Unterschied bemerkt und keinen Verdacht geschöpft. Dem Zeugnis Galens ist ein ganz anderes Gewicht beizumessen als den weithin verbreiteten Kriminalgeschichten (siehe oben S. 126 f.). Da handelte es sich um Fälle, die man zwar den Wirten zutraute, aber mit mehr oder weniger Phantasie erfand und ausschmückte. Zu finden waren sie vor allem in rhetorischen Übungsbüchern als konstruierte Musterfälle, an denen Gerichtsredner ihre Kunst der geschickten Darstellung üben konnten. Als schwer zu klärender Indizienprozess liegt die Mordgeschichte bei Cicero vor (de inventione 2,14): Jemand kommt unterwegs mit einem anderen ins Gespräch, der mit einer beträchtlichen Summe Geldes zum Markt fährt. Sie haben denselben Weg, kehren zusammen in ein Wirtshaus ein und beziehen nach dem Essen gemeinsam ein Zimmer. Der Wirt schleicht sich, nachdem beide tief schlafen, ein, zieht das Schwert, das der eine neben sich liegen hat, tötet damit den anderen, dessen Geld er stiehlt, steckt dann das blutige Schwert zurück in die Scheide und entfernt sich unbemerkt. Früh vor Sonnenaufgang erhebt sich der Überlebende, versucht mehrmals den Begleiter mit lautem Anruf zu wecken und, als das vergeblich bleibt, nimmt er an, dieser wolle weiter schlafen. Sobald der Wirt seine Abreise bemerkt, schlägt er Alarm und verfolgt zusammen mit anderen Hausgästen den angeblichen Mörder. Sie holen ihn ein, vor den Zeugen zieht ihm der Wirt sein Schwert aus der Scheide. Es ist blutbefleckt. Vor dem Richter stehen sich die Anklage des Mordes und die Unschuldsbeteuerung des Schwertbesitzers gegenüber. Hier soll also der Redner eine Probe seiner Fähigkeit als Verteidiger in einer fiktiven, fast aussichtslosen Sache ablegen. Der Arzt Galen jedoch führt einen Beweis, dessen Glaubhaftigkeit von der Realität der ihn begründenden Argumente abhängt. Das Gesetz spricht den Wirten die Ehrenrechte ab. Ein Erlass aus dem Jahr 380 (Cod. Theod. 7,13,8) zählt sie auf unter denen, die vom Soldatendienst ausgeschlossen sind: weder ein aus einer caupona Hergeholter noch aus den Diensten in den berüchtigten tabernae oder aus den Reihen der Köche, Bäcker oder derer, welche die Verächtlichkeit ihres niedrigen

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Standes von der Armee ausschließt, noch auch Personen aus Strafanstalten. Wie die gleichfalls ehrlosen Schauspieler haben sie kein Recht auf Sitzplätze im Theater, Circus und bei öffentlichen Veranstaltungen (Cod. Theod. 15,13,1). Ehrverlust (infamia) trifft nicht nur den Bordellhalter, sondern auch den Wirt, der dieses Geschäft nebenbei betreibt, indem er sein Personal anhält, den Gästen zu Willen zu sein (Digesta 3,2,4,2). Wirtinnen waren der Magie verdächtig. Apuleius beginnt seinen Eselroman (met. 1,7–19) mit der grässlichen Geschichte einer von zwei Wirtinnen verübten tödlichen Zauberei. Harmloser ist die Wahrsagekunst, die man ihnen als Hexen zuschrieb. Der Kaiser Diocletian soll öfter erzählt haben,99 in einer Kneipe in Gallien, wo er als Soldat stationiert gewesen sei, habe ihm die Wirtin beim Bezahlen der Rechnung seine Knauserei vorgehalten. Er habe zum Spaß entgegnet: Spendabel werde ich erst als Imperator. Die Wirtin habe ihn zurechtgewiesen: Das sei kein Spaß, er werde Imperator sein. Und die Voraussage habe sich erfüllt. Allgemeiner Grund der Verachtung, der alle Wirtinnen und das weibliche Personal insgesamt belastete, war die Prostitution. Scherzend bezeugt es die Inschrift von Aesernia (CIL IX 2689), ein fiktiver Dialog über die Wirtsrechnung: Wirt, zahlen! – Du hast ein Sechstel (= Halbliter) Wein und Brot, 1 As; das Essen, 2 As, – Einverstanden! – Das Mädchen, 8 As. – Auch in Ordnung! – Das Heu für den Maulesel, 2 As. – Der verdammte Esel bringt mich noch an den Bettelstab! Das Vergnügen mit der Kellnerin ist ihm weit mehr wert als seine übrige Zeche, nur beim Esel geizt er. Die Ehegesetze des Kaisers Augustus versagten Ehen freigeborener römischer Bürger mit ehemaligen Prostituierten oder Wirtinnen die Anerkennung, und der Jurist Ulpian erläutert die Vorschrift (Digesta 23,2,43): Öffentlich gegen Bezahlung tätig sein bezieht sich nicht nur auf eine Frau, die sich im Bordell prostituiert, sondern auch auf den Fall, dass eine, wie üblich, in einem Wirtshaus (in taberna cauponia) oder einer taberna anderer Art ihre Keuschheit nicht bewahrt. Öffentlich ist zu verstehen im Sinne von für jedermann ohne Unterscheidung, das heißt also, nicht, wenn eine Frau sich mit Ehebrechern oder Liebhabern einlässt, sondern nur, wenn sie die Prostitution beruflich ausübt. … Nicht allein die, welche gewerbsmäßige Prostitution ausübt, sondern auch die, welche sie ausgeübt hat, ist vom Gesetz betroffen. Denn die Schande ist nicht getilgt dadurch, dass sie später unterblieben ist. Keine Nachsicht wird derjenigen gewährt, die unter dem Vorwand der Armut ein schändliches Leben geführt hat. Kuppelei betreiben ist nicht geringer zu verurteilen als mit seinem eigenen Leib Geld verdienen. Kupplerinnen nennen wir nämlich diejenigen, die weibliche Personen zum Gelderwerb als Prostituierte anbieten. … Wenn die Betreiberin eines Wirtshauses in diesem Prostituierte unter dem Vorwand beschäftigt,

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es handle sich um Bedienungspersonal, so fallen nach unserer Definition auch diese unter den Begriff der Kupplerin. Wirte und Wirtinnen waren selten gebürtige Römer. Wenn sie römische Namen tragen, tun sie es als Freigelassene. Unter den Ausländern überwiegen die Orientalen, vor allem die wenig geachteten Syrer. Lucilius, der Begründer der literarischen Satire, erwähnt in einer Reisebeschreibung (frg. 128 Marx) eine caupona Syra. Unter dem Namen Vergils ist eine Kleinelegie überliefert, in der in verführerischen Farben die Genüsse aufgezählt werden, zu denen eine copa Syrisca betrunken, mit einer orientalischen Binde auf dem Kopf, den Gast in ihre rauchige taberna hineinlockt und dazu einen Bauchtanz vorführt. Auf einer Inschrift in Syrakus (IG XIV 24) hat ein Gast eine freundliche Erinnerung festgehalten: Decomia, du gute syrische Wirtin, lebe wohl! Unfreundlicher entrüstet sich der Satiriker Juvenal (8,159–162) darüber, dass ein römischer Konsul Stammgast ist bei dem parfümtriefenden Syrophoeniker in dessen popina am Idumäer-Tor, wohin er sich nur nachts ungesehen zu kutschieren traut. Großes Lob ertönt dann, wenn es der Wirt und Gatte selber ist, der seiner Frau mit der Grabschrift ein ewiges Andenken bewahren will (CIL XIV 3709): In diesem Grabe ruht Amemome, die weitum bekannte popinaria, derentwegen viele Gäste nach Tivoli gekommen sind. Für Angehörige der guten Gesellschaft gilt Wirtshausbesuch als moralisch verwerflich. Der Jurist Ulpian (Digesta 4,8,21,11) nennt die popina als Beispiel eines Ortes, an den hinzugehen man sich unter Berufung auf seine Standesehre berechtigt weigern darf; einer Vorladung zu einem Schiedstermin nicht zu folgen ist dann kein schuldhaftes Versäumnis. Es ist eine schwerste Beleidigung, wenn Cicero seinem politischen Feind Piso den Vorwurf ins Gesicht schleudert (in Pis. 18): Du, ein Konsul, herausgezerrt aus dem Dämmerlicht einer popina, zusammen mit jener geschorenen Tänzerin. Den Grad der Beschimpfung ermisst man daran, dass auch die geschorene Tänzerin niemand anderes ist als Gabinius, Pisos Mitconsul, der zum Weib und zur Hure erniedrigt wird. Dem Marcus Antonius hält Cicero (Philipp. 13,24) vor, ohne die Gunst Caesars wäre er ein Niemand geblieben, der sein ganzes Leben in Bordellen, Wirtshäusern, mit Würfelspiel und Wein zugebracht hätte. Der Historiker Sallust, der in seinen Schriften die Sittenstrenge der alten Römer preist, aber selber ein Luxusleben führt, muss sich von seinem Kritiker Lenaeus (Sueton, gramm. 15) eine Tirade von Schimpfwörtern gefallen lassen, beginnend mit Lüstling, Schlemmer und gipfelnd mit popino (Wirtshäusler). Unter den Verführungen, die einem unverdorbenen jungen Mann in der Großstadt drohen, sieht Seneca (ad Marciam 22,2) das Wirtshaus: Sie sind ganz der popina und der Baucheslust verfallen und denken an nichts weiter als: was esse,

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was trinke ich? Als Beweis für die frühe Verderbnis des Kaisers Nero führt Sueton (Nero 16,1) seine jugendliche Gewohnheit an, sich nach Anbruch der Nacht mit einer Kappe verkleidet in den popinae herumzutreiben, Passanten in den Gassen zusammenzuschlagen, Läden (tabernas) aufzubrechen und zu plündern. Über den späteren Kaiser Vitellius empört er sich (7,2 f.), er sei nach seiner Ernennung zum Befehlshaber der Legionen am Rhein so hoch verschuldet gewesen, dass er sein Haus in Rom vermieten und Frau und Kinder in einer Mietsherberge habe unterbringen müssen, um das Geld für die Reise aufzubringen. Unterwegs habe er sich mit gemeinen Soldaten angebiedert, sie, wenn sie ihm begegneten, umarmt und geküsst. In den Unterkünften und Einkehren sei er hemmungslos so vertraulich mit Maultiertreibern und Reisenden umgegangen, dass er morgens einen jeden gefragt habe, ob sie schon gefrühstückt hätten, und selber rülpste, um zu zeigen, er habe es schon getan. Ein Tugendbold schwört dagegen (Petron, Sat. 140,14), er habe noch nie in eine Taberne auch bloß hineingeschaut. Auf Scherzverse, in denen der Freund Florus dem Kaiser Hadrian erklärt, er möchte nicht das strapaziöse Leben eines Kaisers teilen, hält ihm dieser gleichfalls scherzend sein im Vergleich geradezu liederliches Leben vor (Historia Augusta, Hadr. 16,4): Ich will nicht Florus sein, von einer taberna zur andern laufen, in popinae mich verkriechen. Die Redensart in popina latere, „sich im Wirtshaus versteckt halten“ (Seneca, de providentia 5,4) kennzeichnet eine nichtsnutzige Lebensweise. Bei späteren Kaiserbiographen wird der Vorwurf zum gängigen Klischee des Tadels. Aurelius Victor (33,6) wirft Gallienus vor, er habe, während Rom vom Sturm der Völkerwanderung und Pest heimgesucht wurde, selber als Gast in popinae und Garküchen sich mit Zuhältern und Weinwirten gemein gemacht. Verus, dem Mitkaiser des mit Lob bedachten Marcus Aurelius, wird nachgesagt (Historia Augusta, Verus 4,5–6), er sei in Syrien den Ausschweifungen so sehr verfallen, dass er nach seiner Rückkehr sich in seinem Palast eine popina eingerichtet habe, in die er nach der Tafel bei Marcus eingekehrt sei und sich von allem möglichen Gesindel habe bedienen lassen. Er habe, so werde berichtet, die ganze Nacht beim Würfelspiel durchgebracht, … er habe es an Lastern Caligula, Nero und Vitellius gleichtun wollen, dass er nachts in Tabernen und Bordellen herumgezogen sei mit verhülltem Kopf und einem gewöhnlichen Reise-Kapuzenmantel, habe incognito mit Trickdieben gezecht, sich in Schlägereien eingelassen, und oft sei er mit blau geschlagenem Gesicht heimgekommen oder in den Tabernen trotz Verkleidung erkannt worden. Er machte sich auch den Spaß, mit den größten Münzen in den Wirtsstuben nach den Trinkkrügen zu werfen und sie zu zertrümmern. Dass unter den angeblichen Vorgängern auch der Kaiser Gaius (Caligula) genannt wird, dem bei all seinem

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Despotismus nie ein Hang zu Wirtshäusern nachgesagt worden war, zeigt unverkennbar, wie der Vorwurf zum konventionellen Teil der Herrscherschelte erstarrt war. Der Kaiser Septimius Severus sah durch das Herumtreiben der Soldaten in den Wirtshäusern an ihren Standorten in Gallien die Disziplin schwer gefährdet und schrieb an den Befehlshaber (Historia Augusta, Pescennius 3,9): Deine Soldaten lungern herum, die Tribunen gehen mitten am Tag ins Bad, als Esslokal dienen ihnen die popinae, als Schlafraum die Bordelle (meritoria). Der mit dem Wirtshaus verbundene Ruf der Unsittlichkeit hinderte allerdings römische Senatoren nicht daran, an den nahe bei ihren Gütern vorüber führenden Landstraßen tabernae einzurichten, die sie von ihren Sklaven bewirtschaften ließen, so dass ihnen der Landbesitz eine zusätzliche Rendite einbrachte. Neben der landwirtschaftlichen Nutzung sei, meint Varro (rust. 1,2,23), solcher Gewinn nicht zu verachten: Wenn ein Grundstück längs der Straße liegt und der Platz für Reisende günstig, dann empfiehlt sich der Bau von tabernae deversoriae. Das Entgelt, das für Zimmer und Stall zu zahlen war, hieß nach seinem Zeugnis locarium (ling. 5,15). Da auch Grabstätten nie im Stadtgebiet, sondern an den Ausfallstraßen angelegt waren, wurden sogar auf dem zu ihnen gehörenden Grund tabernae eingerichtet, die keineswegs bloße Schankwirtschaften, sondern Häuser von ansehnlicher Größe waren. Die Inschrift zu einer Grabstiftung für die Eltern des römischen Ritters Domitius Veronicianus (CIL VI 31852) nennt tabernae, drei an der Zahl, die links und rechts ans Grabmal anschließen (…) und die Zimmer, die über den tabernae sind. Die Grabanlage ist auch bestimmt für die männlichen und weiblichen Freigelassenen und deren Nachkommen, solange der Name unseres Geschlechts fortbesteht. Ob die Zimmer (habitationes) im oberen Stock Gästezimmer waren oder vielleicht die Wohnung der Freigelassenen, denen zu ihrer Lebenszeit die Bewirtung in den tabernae oblag, bleibt offen. Einer Familiengrabanlage gilt auch die Inschrift CIL VI 36262 für die Familie und deren Freigelassene mit dem Namen Rebrius. Der lückenhaft erhaltene Text nennt ebenfalls tabernae, Gebäude und Umfassungsmauer des Parks, darüber hinaus eine Herberge mit Stall (stabulum). Solche tabernae an den Straßen waren markante Fixpunkte des Verkehrs und wurden zu festen Ortsnamen, die nicht selten den Namen ihres ersten Eigentümers über lange Zeit bewahrten, wie Festus (p. 45) erwähnt: Caediciae tabernae an der Via Appia sind nach dem Namen des Eigentümers benannt.100 Auch Stationen der Staatspost erhielten oft ihren Namen von dem gewerblichen Gasthof am Platz. Die Erlaubnis zur Nutzung der Staatspost (evectio), an Personen vergeben, die in staatswichtigen Geschäften reisten, bezog sich auf den Transport; zur Anweisung von Verköstigung bedurfte es eines eige-

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nen Vermerks im Pass (diploma). Gewöhnliche Reisende blieben in jedem Fall auf Wirte angewiesen, die Bezahlung verlangten. Die Stationsvorsteher (mancipes), die zu den Honoratioren der Städte gehörten, als deren Bürger sie zu Übernahme ihres Amtes zwangsverpflichtet worden waren, konnten als Standespersonen unmöglich die Bedienung solcher Gäste übernehmen. Doch kein Gesetz hinderte sie, mittels ihrer Sklaven und Freigelassenen ein Wirtsgewerbe ausüben zu lassen oder es einem freien tabernarius in Pacht zu geben. Neben den staatlichen mansiones standen stabula (gewerbliche Gasthöfe) und tabernae für die Reisenden, die ohne evectio ankamen. Auch in den Städten waren die Eigentümer der tabernae, cauponae und popinae oft reiche Bürger, nicht selten dem Stand der Ritter oder gar Senatoren zugehörig, welche die Wirtschaften von ihren Sklaven oder Freigelassenen führen ließen. In Pompei verpachteten die Besitzer von Häusern, die durch das Erdbeben im Jahr 62 beschädigt waren und die sie nicht mehr selbst bewohnen wollten, die Räume als Warenlager oder Wirtsbetriebe. Wirten und Wirtinnen fehlte meist das Geld zum Erwerb eines Hauses. Dem Gesetz, das die Wirte zur Ehrlosigkeit (infamia) verurteilte, war nicht der Unternehmer und Eigentümer verfallen, sondern der von ihm beauftragte Betreiber (institor). Zwar haftete nach praetorischem Recht der Auftraggeber für die Geschäfte seines Angestellten, doch war eine Bestrafung des geschäftsführenden Wirts, der von einem Eigentümer in Ritterrang verteidigt wurde, nur schwer durchzusetzen (Plinius, nat. hist. 33,32). Die Gesetze über den Ehrverlust hatten manch unerwartete Konsequenzen. So konnte zwar die Eigentümerin eines Wirtshauses des Ehebruchs angeklagt werden, nicht hingegen die Betreiberin, denn wo eine gesetzlich anerkannte Ehe gar nicht möglich ist, kann sie auch nicht gebrochen werden (Cod. Theod. 9,7,1). Ein Gesetz des Kaisers Constantin des Großen aus dem Jahr 336 (Cod. Theod. 4,6,3) bedrohte jene Senatoren und hohen Beamten mit Infamie, welche ihre Söhne von Wirtinnen oder Wirtstöchtern, die nur Bastarde und nicht erbberechtigt sein konnten, zu legitimieren versuchten. Ein Fremder, der in eine ihm noch nicht genauer bekannte Stadt kam, tat gut daran, am Stadtrand sein Quartier zu suchen, wo die stabula (siehe oben S. 134) ihn erwarteten. In der Komödie des Plautus (Pseudolus 658) gibt der zu Pferd angereiste Offiziersbursche dem Sklaven, mit dem er verhandelt, sein Adresse an: Ich logiere vor dem Tor, von hier aus in der dritten taberna. Im Stadtinnern konnte ein Fremder, wenn er gezecht hatte, auf dem nächtlichen Rückweg durch unbekannte finstere Gassen es schwer haben, in seine Herberge zurückzufinden. Martial erwähnt in den Epigrammen einen verstauchten Fuß (8,75) und einen Treppensturz (11,82). Die tabernae, cauponae und popinae, die im Stadtinnern besonders in der Nähe von viel begangenen Plätzen, am Forum, bei Bädern, beim Theater

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in großer Dichte vorhanden waren, zählten mehr auf das städtische Publikum. Es gab zum Beispiel in Pompei ungefähr sechsmal so viele Ausschankund Speiselokale wie Häuser, die Übernachtung anzubieten hatten.101 Die Ausstattung der Gästezimmer war üblicherweise recht dürftig. Petronius (Sat. 92.95) und Apuleius (met. 1,11–17) nennen ein mit Gurten umwickeltes Bettgestell einfachster Art (grabatus) und einen hölzernen Kerzenständer, der bei einer Schlägerei als Waffe dienen kann. Plinius (nat. hist. 16,158) erwähnt, dass als Füllung für Kissen und Zudecken in den cauponae statt Federn die Büschel von pflanzlichen Haaren verwendet wurden, wie sie auf den Stängeln des Schilfrohrs wachsen. Die pompeianische Inschrift CIL IV 4957 bemängelt das Fehlen des Nachttopfs. Einfache Schenken unterscheiden sich von den feineren dadurch, dass man nicht bei Tische liegend zechen konnte; es gab nur Stühle (Martial 5,70,3). Ein Gast konnte sich nicht darauf verlassen, jederzeit wieder Zutritt in sein Zimmer zu haben. Was sich bei der Rückkehr der Eingeladenen vom Gastmahl des Trimalchio in ihr Schlafquartier nach der Schilderung des Petronius (Sat. 79) begibt, ist freilich ungewöhnlich und sicherlich eine Ausnahme. In finsterer Nacht sind sie lange auf der Suche durch die Gassen geirrt. Wir kamen indessen nicht minder ins Schwitzen, auch nachdem wir endlich zur Herberge (stabulum) hingefunden hatten. Denn die alte Wärterin, die sich selber zusammen mit Herbergsgästen lange genug besoffen hatte, hätte es nicht einmal gespürt, wenn man sie mit einer Fackel angezündet hätte. Und vielleicht hätten wir die Nacht auf der Türschwelle verbringen müssen, wäre da nicht der Buchhalter des Trimalchio großspurig mit seinem Wagen vorbeigekommen. Der machte also nicht lange Federlesens, brach die Herbergstür auf und ließ uns durch sie ins Haus ein. Der Wirt seinerseits muss aufpassen, nicht von seinen Herbergsgästen geprellt zu werden. Die abenteuerlichen Personen im Roman des Petronius haben in ihrem Zimmer alles auf den Kopf gestellt (95), als der Wirt mit einem Teil des Essens daherkommt. Bei dem grausigen Anblick der sich am Boden Wälzenden schreit er: Sagt mal, seid ihr besoffen oder Ausreißer oder beides zusammen? Wer hat das Bettgestell da hochgestellt oder was soll die ganze Diebsvorbereitung? Beim Hercules, weil ihr das Zimmer nicht bezahlen wollt, habt ihr im Sinn gehabt, bei Nacht das Weite zu suchen! Aber nicht ungestraft! Ich werde es euch schon zeigen: der Häuserblock hier gehört nicht einer alten schwachen Witwe, sondern dem Marcus Manicius. – Was, schreit da Eumolpus, du wagst es, uns zu drohen? Es kommt zu einer handgreiflichen Szene. Das Hotelpersonal läuft zusammen und eine Menge angetrunkener Gäste, Köche und Hausinsassen fallen vor dem Zimmer, in dem sich Encolpius inzwischen eingeschlossen hat, über

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Eumolpus her, den schließlich nur der bei seinem Abendessen aufgestörte Hausverwalter aus der Schlägerei rettet. Es folgt dann noch eine Hausdurchsuchung nach dem als vermisst gemeldeten Lustknaben Giton, in deren Verlauf der Polizeisklave das verriegelte Türschloss mit der Axt aufbricht. Auch wenn man die Abenteuer eines Romans, wie man sie ähnlich bei Cervantes lesen könnte, nicht der Wirklichkeit des Alltags gleichsetzen darf, zeigen sie doch sehr wohl die Vorstellung, die man sich vom Wirtshausmilieu machte. Begreiflicherweise haben sich nicht alle Wirte mit ihrer kläglichen Situation abgefunden. Im Streben nach sozialem Aufstieg mussten sie sich zum Vorbild nehmen, wie im System der Gastfreundschaft ein Gastgeber zu seinen Gästen stand. Begünstigt wurde ihr Ehrgeiz durch die deutlich gestiegene Mobilität der Bevölkerung im sich ausdehnenden römischen Imperium. Die Zahl der Reisenden vermehrte sich, die es bezahlen konnten, wenn ihnen für mehr Geld ein besseres Angebot zur Wahl stand, und die verbesserte Leistung brachte dem Wirt höheren Gewinn. Die Hebung des Anspruchs fand zuerst ihren Ausdruck in der Sprache. Dem Betreiber eines Gasthofs mit Übernachtungsangebot und Stallungen für Pferde und Wagen fiel es leicht, das übliche Wort stabulum gegen das vornehmere deversorium auszutauschen. Deversorium hat, seit es einem überhaupt in lateinischen Texten begegnet, von jeher auch einen gewerblichen Hotelbetrieb bezeichnen können. Anders standen die Wirte da, die nur einen Ausschank oder ein Restaurant (popina) anzubieten hatten. Denn in der Zeit der römischen Republik war die Bezeichnung hospes dem Gastfreund vorbehalten, das heißt dem Gastgeber und den Gästen, die er sich nach seiner Wahl einlud. Dank dem Umstand, dass gerade im 1. Jahrhundert v. Chr. die literarischen und inschriftlichen Quellen reichlicher zu fließen beginnen, lässt sich der Übergang, wenn nicht in der Sache, so doch im Wort, im Einzelnen verfolgen. Noch im 2. Jahrhundert v. Chr. haben es die Zuhörer als Witz belacht, wenn Plautus in der Komödie ›Der Karthager‹ (Poenulus 685) einen Kuppler seinen Kunden als Gastfreund zu Gastfreund (hospes hospitem) umwerben lässt. Aus der Anlage des Stückes wissen sie, dass der Kuppler nur darauf aus ist, dem vermeintlichen Fremden sein Geld abzunehmen, dass sein hospitium ein Bordell ist, dass die verlogenen Worte eines Wirtes nur etwas in einer lächerlichen Übertreibung vorspiegeln sollen. Noch über ein Jahrhundert später, im Jahr 66 v. Chr., wirkt es als Pointe, wenn Cicero in der Rede für Cluentius (163) einen gegnerischen Zeugen mit den hochtrabenden Worten ein Mann mit vielen Gästen (hominem multorum hospitum) vorführt, um gleich danach damit herauszurücken, dass es sich um den Wirt einer taberna an der Via Latina handelt, der „Mann der vielen Gäste“ also kein vornehmer Gastgeber, sondern

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nichts weiter ist als eine wörtliche Umsetzung des griechischen Wortes pandokeus, der verächtlichen Bezeichnung des Kneipenwirts. Cicero bietet hier ein Beispiel für die Theorie der Rhetorik, dass ein überraschender Kontrast Lachen auszulösen vermag. Von da an verbreitet sich schnell die Mode, Wirtshäuser in der Reklame als hospitia anzupreisen. So wie die schmeichelnde Anrede hospes an den Gast der Werbung dient, so erhöht der Wirt, der sich „Gastgeber“ (hospes) nennt, sein eigenes Ansehen. In der Beschreibung der Reise von Rom nach Brundisium, die Horaz 37 v. Chr. im Gefolge des Maecenas mitmachte, erwähnt er (sat. 1,5) verschiedene Unterkünfte. Die „bescheidene Herberge“ (hospitium modicum) in den Albanerbergen (Vs. 2) ist, wie das Attribut zeigt, ein gewerbliches deversorium. Die Wirte (caupones) in Forum Appi (Vs. 4) geben wenig zu teuer her. Die Häuser des Mittagessens beim Feronia-Tempel und die Übernachtungen in Anxur und Formiae beschreibt Horaz nicht näher. An der Grenzbrücke von Latium nach Campanien macht man Gebrauch vom Recht der Parochie, dem Anspruch auf Obdach und Grundversorgung für Staatsreisende. An den Caudinischen Pässen rastet man nicht in den cauponae, sondern genießt die Gastfreundschaft in der oberhalb gelegenen reich ausgestatteten Villa des Cocceius. Weiter im Süden werden die Unterkünfte dürftiger. Der hospes bei Benevent ist zweifellos ein Tabernenwirt, der mit vornehmen Gästen nicht gerechnet hat und deshalb nur magere Drosseln anbieten kann. Als er sie brät, geht seine alte Küche beinahe in Flammen auf. Beim Löschen denken die Gäste weniger an das Haus als ans Essen, ohne das sie hungrig bleiben müssten. Einen privaten Gastgeber hätte Horaz nicht mit einer so drastischen Schilderung der primitiven Umstände gekränkt; das eine Mal, wo Horaz (Vs. 71) diesen Wirt hospes nennt, ist sicherlich als scherzhafte Übertreibung gemeint. Das Landhaus (villa), das als nächste Station die im Bergland völlig erschöpften Reisenden aufnimmt, ist nicht mit Sicherheit zu qualifizieren. Privates Notquartier? Dass der reisende Horaz dort die Nacht mit einem Mädchen zu schlafen hofft, das seine Zusage nicht einhält, spricht eher für eine caupona. Ein scherzendes Spiel mit dem Doppelsinn ist es, wenn Horaz (sat. 2,6,107) in der Fabel, in welcher die Stadtmaus ihren Freund, die Landmaus, zu sich zu Gast bittet, also Gastgeber im alten Sinn ist, sie dann aber zur Bedienung aufgeschürzt herumeilen lässt, so dass sie sich wie ein Wirt benimmt: die Wortverbindung succinctus hospes (aufgeschürzter Gastgeber) wird so zum Widerspruch in sich. Zwar schreibt noch um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. Seneca (benef. 1,14,1): Niemand glaubt, er sei der Gastfreund (hospes) eines Herbergswirts (stabularius) oder eines Schankwirts (copo). Doch in der In-

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schrift (CIL IV 4957), mit der sich die Gäste einer Wirtsherberge im 79 n. Chr. untergegangenen Pompei über das Fehlen des Nachttopfs beschweren, nennen sie ganz selbstverständlich den Wirt hospes, und der syrophönikische Wirt der popina bei Iuvenal (8,161) begrüßt den vornehmen Stammgast in der unterwürfigen Haltung eines popinarius, heißt aber hospes. Die tabernarii haben sich mit dem Versuch, ihren Ruf zu verbessern, indem sie sich den respektablen Namen beilegten, durchgesetzt. Im 4. Jahrhundert lehrt das astrologische Handbuch des Firmicus Maternus (4,21,6), Venus, wenn sie bei der Geburt ungünstig stehe, prädestiniere zu einem niedrigen Gewerbe wie hospites, popinarii, tabernarii, auch Myrrhenverkäufer und Blumenbinder. Die hospites sind demnach feinere Wirte, in der absteigenden Reihe stehen sie zuoberst. Entsprechend werden die Wirtshäuser zu hospitia. In Pompei macht die Inschrift CIL IV 807 Reklame: Hier gibt es eine Mietunterkunft (hospitium locatur): Triclinium mit drei Liegebetten. Gemeint sind nicht Schlafbetten, sondern Möbel des Speisesaals. Da der Zustand des Hauses vor der Zerstörung nicht zu erkennen ist, bleibt freilich ungewiss, ob mit locatur die Vermietung von Zimmern an Gäste oder die Verpachtung des renovierungsbedürftigen Hotels gemeint ist. Der Fundzusammenhang legt das Letztere nahe. Der Sinn des Wortes hospitium schwankt in diesem Zusammenhang zwischen „Dienstleistung des Wirtes“ und „Haus der Bewirtung“. Apuleius zum Beispiel, in dessen Roman viel von Wirtshäusern, meist stabulum genannt, die Rede ist, bezeichnet mit hospitium eindeutig das Haus, in das der Erzähler seinen Freund führt (1,7), wogegen man zweifeln kann, ob das „Obdach des Wirtshauses (hospitium stabuli)“, in dem die Gruppe Aufnahme findet, nur das Haus näher spezifiziert oder die Funktion des Hauses meint (9,4). Dienstleistungen verspricht die Werbung eines Wirts bei Lyon (CIL XIII 2031), der sich im Verein mit Göttern empfiehlt, deren Bilder vielleicht die Inschrift über dem Eingang umrahmten: Merkur verspricht hier Geschäftsgewinn, Apollo Gesundheit, Septumanus Beherbergung mit Mahlzeit (hospitium cum prandio). Wer hier einkehrt, wird sich danach wohler fühlen. Gast, sieh genau hin, wo du bleiben willst. Dem Wirt Septumanus, der sein Tun mit dem Wirken von Göttern in eine Reihe stellt, gebricht es nicht an Selbstbewusstsein. Überall ist die Absicht erkennbar, mit dem ursprünglich der Gastfreundschaft vorbehaltenen Wort das Wirtsgewerbe aufzuwerten. Das gelang am besten an den Überlandstraßen und in Ausflugsorten wie Tibur (Tivoli), wo auch besser gestellte Leute Wirtshäuser aufsuchten, die in ihrem Stadtleben anständigere Alternativen vorgezogen hätten. In den Städten dagegen kam die Hauptkundschaft der Wirte nach wie vor aus den unteren

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Klassen, und auf die hin richteten sie sich aus. Ammian beschreibt in seinem Gemälde des Niedergangs der Stadt Rom (14,6,25) das Los der Armen: Aus der Menge der Leute in niedrigen und ärmsten Verhältnissen bringen manche die ganze Nacht in Weinschenken zu, nicht wenige verkriechen sich unter den überdachten Schattengebern der Theater … oder sie ergeben sich streitsüchtig dem Würfelspiel, indem sie dazu mit grässlichem Geräusch schnarrend die Luft durch ihre rauhen Nasen einziehen. Wenn man den Anpreisungen Glauben schenkt, wurde das Angebot mancherorts tatsächlich verbessert, besonders in den Tabernen, die investitionsbereiten Eigentümern von Landgütern gehörten. Die Inschrift CIL XIV 4015 kündigt an: In diesem Gut der Aurelia Faustiniana gibt es ein Bad. Man badet mit städtischem Komfort und es wird jede Bequemlichkeit geboten. Fast wörtlich ähnlich lautet die Inschrift CIL XI 721. Es handelt sich offensichtlich um einen stereotypen Reklametext, mit dem auch für an den Straßen gelegene Thermalbäder (CIL XIII 1926) geworben wurde. Im Gebiet der schon vor der endgültigen Zerstörung erdbebengeschädigten Stadt Pompei suchte eine Eigentümerin für ihren Betrieb einen Pächter (CIL IV 1136): Auf dem Gut der Julia, Tochter des Sp. Felix, werden verpachtet das Bad Venerium et Nongentum, Tabernen, Läden, Wirtsstuben, von den nächsten Iden bis zu den 6. Iden des August, das heißt für laufende 5 Jahre. Die Nongenti (Neunhundert) sind vermutlich ein exklusiver Kundenkreis, mit dem auf die Vornehmheit des Lokals hingewiesen werden soll. Luxuriös eingerichtete Betriebe brachten entsprechend höhere Gewinne, der Preis richtet sich nach dem, was der Kunde zu zahlen bereit ist, wie Seneca (benef. 6,15,7) ausführt: Wie viel wert ist dir in einsamer Gegend ein Gasthaus, bei Regen ein Dach, bei Kälte ein Bad oder ein Feuer? Doch ich weiß, zu welchem Preis ich diese Dinge einhandle, wenn ich eine Einkehr dafür bekomme. Die Dinge, die ein solcher Wirt anzubieten hat, sind zumeist nur die Grundbedürfnisse, und wenn man die in der Inschrift von Aesernia (siehe oben S. 136) vorkommenden Preise betrachtet, waren sie niedrig. Hohen Ansprüchen gerecht werdende Hotels blieben in der Minderzahl. Das, was man allgemein anzutreffen erwarten durfte, reichte nicht aus, das soziale Ansehen der Wirte zu heben. Doch auch ein Luxusbad wie Baiae war nicht nach jedermanns Geschmack; Seneca (epist. 51,3–4) sagt, der Ort sei zur „Herberge der Laster (deversorium vitiorum)“ geworden, und indem er Betrunkene an den Strandpromenaden, Saufgelage auf den Booten, Orchesterlärm an den Teichen u.s.w. beschreibt, erklärt er: So wenig wie in einem Quartier von Henkern möchte ich mitten unter Wirtshäusern wohnen. Dass Reklame nicht allein mit Inschriften, sondern auch durch Ausschreien gemacht wurde, bestätigt wiederum Seneca (epist. 56,2), der im Straßenlärm von Baiae alle Inhaber

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von Gastwirtschaften ihre Ware in einer charakteristischen Tonlage anbieten hört. Die Speisekarte war auf einer Bronzetafel zu lesen, was die Inschrift CIL XII 5732 sogar in Versen kundtut: Höre, Wanderer, tritt gefälligst ein! Es gibt eine Bronzetafel dir Auskunft über alles. Das Angebot an Getränken und Speisen unterschied sich sehr nach dem Rang des Geschäftes. Die einfachsten Gassenschenken in den Städten bereiteten nur warmes Wasser, mit dem sie das am häufigsten begehrte Getränk, mit warmem Wasser gemischten Wein, verkauften. In Pompei begegnet man solchen nach der Straße hin offenen Bars überaus oft; sie haben wenig mehr aufzuweisen als einen steinernen Schanktisch, in dessen Schenkel ein von unten befeuerter Wasserkessel eingelassen ist. Die Ausgräber pflegen derartige Schenken mit dem Wort Thermipolium zu bezeichnen, das in der Zusammensetzung aus griechisch thermos (warm) und po¯lein (verkaufen) den Begriff genau ausdrückt. Das Wort hat freilich den Nachteil, dass es allein in den Komödien des Plautus vorkommt. In keinem bekannten griechischen Text ist ein Wort Thermopo¯ lion zu finden. Man kann allenfalls vermuten, es sei aus den griechischsprachigen Städten Süditaliens, von wo nur spärliche Schriftzeugnisse der Lokalsprache vorliegen, nach Rom gelangt. Mindestens ebensogut ist bei einem sich an phantasievollen Wortschöpfungen freuenden Dichter wie Plautus denkbar, dass er das Wort schlicht erfunden hat, um seinen in Griechenland spielenden Stücken einen griechischen Anstrich zu geben. Jedenfalls gibt er an einer Stelle (Trinummus 1113 f.) zusammen mit thermipolium noch eine weitere Probe seiner Lust am Spiel mit neuen Wörtern, wenn er einem Sklaven die Selbstanklage in den Mund legt: Reicht es denn nicht, dass du im thermipolium deinen Ring vergessen hast, nachdem du deine Gurgel mit Warmwein gelabt (thermopotasti) hast! Ein Verb thermopotare, aus griechisch thermos und lateinisch potare (tränken) hybrid zusammengesetzt, hat es außer der Augenblicksbildung an dieser Stelle ganz sicher nie mehr gegeben. Thermipolium freilich müsste Plautus so gut gefallen haben, dass er diesen Einfall noch mehrmals angebracht hat. Fest steht, dass nach dem 184 v. Chr. gestorbenen Dichter Plautus niemand wieder von einem thermipolium gesprochen hat, bis die Archäologen der Neuzeit das Wort aufgegriffen haben. Plautus verwendet es ausschließlich im Hinblick auf das Trinken von Warmwein. Dass im Thermipolium auch noch warme Speisen angeboten worden wären, ist eine Vermutung, die durch nichts gestützt wird, ist allerdings nicht schlechtweg ausgeschlossen, weil die solches verbietenden Luxusgesetze erst aus der Zeit nach 184 v. Chr. datiert sind. Zur Zeit des Untergangs von Pompei galt eine Verordnung Kaiser Vespasians, die allen Garküchen keine andern Speisen als Bohnen und Erbsen zu verkaufen gestattete (Dio Cassius 65,10,3). Irreführend ist es auf jeden Fall, wenn in

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modernen Publikationen sogar höherrangige Gastwirtsbetriebe bis zum Hotel als Thermipolien bezeichnet werden. Noch im 1. Jahrhundert n. Chr. wohnten viele ärmere Stadtbewohner in winzigen Schlafstellen ohne eigene Kochgelegenheit. Sie konnten sich an der Schenke mit Warmwasser zum Anrühren ihres Breis versorgen. Wer Trinkwein wünschte, verlangte caldum, wer calda verlangte, bekam warmes Wasser. Frigidum oder frigdum, mit kaltem Wasser gespritzter Wein, war wenig gefragt. Das in allen Wirtshäusern am häufigsten ausgeschenkte Getränk war der Wein, im keltischen Gallien auch Bier. Dem Abscheu des kultivierten mediterranen Menschen vor dem Gerstengebräu gab der spätere Kaiser Julianus, als er von 355 bis 360 die Legionen in Gallien befehligte, in einem Epigramm (Anthologia graeca 9,368) Ausdruck, in dem er den Gott des Rausches auf homerische Art als einen anredet, der sich als falscher Gastfreund naht. Wer und woher bist du, ‘Dionysos’? Wahrlich, beim echten Bakchus, mich gehst du nichts an, ich kenne nur den Sohn des Zeus. Jener duftet nach Nektar, du stinkst nach Bock. Dich haben doch wohl die Kelten mangels Trauben aus Ähren erzeugt, darum müsstest du ‘Demetrios’ (Sohn der Demeter) heißen und nicht ‘Dionysos’ (Sohn des Zeus). Beschriftungen der Flaschen und Trinkgefäße geben ein Bild von den Trinkgewohnheiten. So tragen die beiden Teile einer irdenen Doppelflasche (CIL XIII 10018,7) in Paris die Inschriften: Wirtin, füll die Flasche auf mit Bier (ospita, reple lagona cervesa) und Wirt, hast du Würzwein? – Ja. – Füll nach, gib her (copo, condı¯tum habes? – est. – reple, da). Gewürzter Wein war nach Ausweis der Inschriften der am häufigsten gewünschte, so zum Beispiel CIL XIII 10018,131 Schenk mir, Wirt, Würzwein ein (mitte mi, copo, condı¯tum) oder ebenda 157: Füll mich nach, Wirt, mit Würzwein (reple me, copo, condı¯ti). Nur ausnahmsweise wird ungemischter Wein bestellt (ebenda 158): Füll mich nach Wirt, mit reinem Wein (reple me, copo, meri). Bessere Lokale führen außer dem gewöhnlichen Landwein mehrere andere Sorten. Die Inschrift der Wirtin Hedone in Pompei (CIL IV 1679) wirbt mit den Worten: Für ein As bekommt man hier zu trinken, wenn du einen Zweier zahlst, wirst du Besseren trinken, wenn du vier auslegst, wirst du Falernerwein trinken. Auch griechische Weine waren in Italien und überall im Römischen Reich unschwer zu haben. Die Unterwasser-Archäologie hat zahllose Weinamphoren aus gesunkenen Schiffen geborgen und gezeigt, welch wichtige Rolle der überseeische Weinhandel spielte. Den Grad der Mischung brauchte man nicht dem Wirt zu überlassen, sondern konnte ihn nach eigenem Geschmack bestimmen. Zwar befiehlt die Inschrift auf einem Becher (CIL XIII 10018,120): Misch, Wirt (misce, copo). Doch in der pompeianischen Inschrift CIL IV 1291 bestellt der Gast nach: Wirt, bitte, ein

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bisschen kühles Wasser (da fridam pusillum). Allerdings sagte man auch damals schon den Wirten nach (Petronius, Sat.39,13), sie seien im Sternzeichen des Wassermanns geboren, und Martial (1,56) spottet nach einer verregneten Weinlese: Selbst wenn du es möchtest, könntest du jetzt, Wirt, keinen ungewässerten Wein mehr verkaufen. Nur Ravenna, wo zwischen den Sümpfen der Po-Mündungen und dem Meer trinkbares Wasser rar und teuer war, machte nach Martials Meinung (3,52) eine Ausnahme: Ein schlauer Wirt hat mich kürzlich in Ravenna sauber erwischt. Ich bestelle einen gemischten Wein, er verkaufte mir einen puren. Auch die Bewirtung mit Speisen unterschied sich sehr nach der Art des Hauses. In den Herbergen an den Reisewegen vom Typ des stabulum war es durchaus üblich, dass die Reisenden ihre eigene Verpflegung und ihr Essgeschirr mitbrachten. Man nahm sogar das Risiko in Kauf, unterwegs ausgeraubt zu werden (Juvenal 10,19 f.): Magst du auch nur weniges an Geschirr aus schlichtem Silber mitführen, wenn du nachts unterwegs bist, wirst du dich vor Schwertern und Spießen fürchten. Ungewöhnlich war es freilich, damit zu prunken. Plutarch (Antonios 9,8) vermerkt, Antonius (der Caesaranhänger) habe Missstimmung erregt, weil er auf seinen Reisen goldene Trinkschalen wie in feierlicher Prozession habe einhertragen lassen. Die Wirte hatten oft nicht vorrätig, was die Gäste wünschten. So wie es der Reisegesellschaft des Horaz (sat. 1,5,72; siehe oben S. 143) erging, war es schon seinem dichterischen Vorbild Lucilius auf der Fahrt nach Sizilien ergangen (frg. 128–133 Marx): Bei der Wirtin am Kap des Palinurus gab es weder eine Auster noch billigere Muscheln und keine Spargel. Die mitgebrachten Speisen konnten sich die Gäste selber zubereiten oder sie dem Wirt zur Zubereitung übergeben. In dem deversorium, in dem sich Encolpius und Ascyltus (Petron, Sat. 16,1) eingemietet haben, ist es der sie begleitende Ephebe Giton, der ihnen das Abendessen zubereitet. In der späteren Herberge (92,1–3) ist es die Wirtin, die das fürs Essen Bestellte kocht hatte, und Giton, der es serviert. Anders ging es zu in den Restaurants von der Art der popinae. Sie suchte man der Kunst ihres Kochs wegen auf. Was die bescheidene taberna der syrischen Wirtin (Copa 17–22) zu bieten hat, sind ländliche Genüsse: Frischkäse, der in Binsenkörbchen abtropft, wachsgelbe Pflaumen, Kastanien, rotbackige Äpfel, tiefdunkle Maulbeeren, Trauben, eine am Binsenstrick hangende Gurke. Dazu passt der gärende junge Wein, die rauschende Quelle, der Garten und die Blumen, die Musik, der Priapus mit der Sichel aus Weidenholz als Schutzgott am Eingang. Der Gast fordert am Schluss (37) Wein und Würfel: Das Würfelspiel ist das beliebteste Vergnügen der Gäste in den Tabernen. Wandmalereien in Pompei zeigen Spieler und Spieltische.

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Nicht nur im Lokal wurden Getränke und Speisen genossen. Dass man sich aus der kleinen taberna den Wein nach Hause holte, war eine Selbstverständlichkeit; die meisten tabernarii konnten gar nicht den Platz für viele Gäste anbieten. Der Freund des Marius, der seinen Sklaven zum Weinholen in die taberna schickte, ist schon (oben S. 134) erwähnt worden. Doch auch popinarii, die in ihrem Haus über Speisesäle verfügten, verkauften Mahlzeiten über die Straße. Bei Horaz (sat. 2,4,62) erklärt ein Meisterkoch, für einen verstimmten Magen sei Salat nicht bekömmlich, es wäre sogar besser, aus einer schmutzigen popina heiße Würstchen herzuholen. Es ist eben dieses Ladengeschäft mit Wein und Lebensmitteln, was den caupo nicht nur Wirt, sondern zugleich Kleinkrämer sein lässt. Die zahlreichen Berichte von durchzechten Nächten lassen es begreiflich erscheinen, dass Versuche, die Öffnungszeiten der Lokale zu beschränken, wenig Erfolg hatten. Unter Kaiser Valentinianus I. ordnete der Stadtpraefekt von Rom, Ampelius, an, keine Weinschenke dürfe vor der vierten Stunde (Spätvormittag) öffnen und niemand das warme Wasser für die einfachen Leute zubereiten. Bis zur vorgeschriebenen Tageszeit dürften die Händler kein gekochtes Fleisch zum Verkauf anbieten, und kein angesehener Bürger dürfe sich essend in der Öffentlichkeit blicken lassen. Ammian (28,4,4) fügt dem Bericht über diese Maßnahme bedauernd hinzu, sie sei allgemein missachtet worden. Die Nachrichten über die von Wirten geforderten Preise sind so spärlich und beziehen sich auf so völlig verschiedene Zeitumstände, dass sie keine allgemeine Aussage zulassen. Am frühesten äußert sich im 2. Jahrhundert v. Chr. der Historiker Polybios (2,15,5) über den Überfluss der landwirtschaftlichen Erträge in der Poebene. Er hat überaus niedrige Preise zur Folge: Wie wohlfeil und reichlich das zum Leben Notwendige im Einzelfall zu haben ist, kann man sehr klar an folgendem Beispiel sehen. Die durchs Land Reisenden nehmen ihren Aufenthalt in den Wirtshäusern ohne etwas über die Einzelleistungen zu vereinbaren, sondern fragen, was der Wirt pro Person bekomme. In der Regel berechnen die Wirte dem Herbergsgast dafür, dass er ausreichend alles erhält, was er braucht, einen halben As. Das ist so viel wie ein viertel Obelos. Nur selten gehen sie darüber hinaus. Das Staunen des Polybios beweist, dass er von seiner griechischen Heimat her viel höhere Preise und Abrechnung nach Einzelposten gewohnt war und die Verhältnisse im keltischen Norditalien als Ausnahme ansah. In der pompeianischen taberna der Wirtin Hedone (CIL IV 1679) kostet allein schon der billigste Wein ein As, und in der kaiserzeitlichen Inschrift von Aesernia (siehe oben S. 136) werden ganz selbstverständlich Einzelleistungen abgerechnet. Wirtshausnamen und Embleme waren nützliche Orientierungshilfen,

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zumal es in den Städten weder Straßenschilder noch Hausnummern gab. Beliebt waren Bezeichnungen aus bestimmten Begriffsgruppen: Tiernamen: „Elefant, Kamel, Adler, Pfau, Löwe, Hahn“. Dinge, die auf Reisen gebraucht werden: „Rad, Schwert“. Personen aus volkstümlichen Erzählungen: „Die sieben Brüder, Die vier Schwestern“. Götter und Heroen: „Diana, Pollux“. Bekannte Herbergen haben dem Ort, an dem sie standen, seinen Namen gegeben. Häufiger geschah es, dass umgekehrt Herbergen nach ihrem Standort genannt wurden, zum Beispiel Ad aras, Ad Dianam, wenn ein Heiligtum Wahrzeichen des Ortes war, Ad morum (Zum Maulbeerbaum), Ad pirum (Zum Birnbaum), wenn es ein auffälliger Baum war, Ad turrem, wenn ein Turm das Bild beherrschte. Nach den Inschriften sind es die Wirtshausnamen, die Zeugnis ablegen von der Verbreitung der gewerblichen Wirtshäuser in allen Gegenden des römischen Imperiums.102 Wie andere Gewerbszweige schlossen sich die Wirte zur Vertretung ihrer gemeinsamen Interessen und zu gegenseitiger Unterstützung in lokalen Verbänden zusammen. Darauf darf man aus Inschriften schließen wie CIL V 7907, auf der im Jahr 181 n. Chr. die tabernarii der Stadt Salinae (in den Seealpen im Hinterland von Nizza) dem Bürgermeister, ihrem Patronus, gemeinsam ihren Dank bezeugen. Auch in CIL VIII 9409 und 21066 setzen Wirte ihrem Patronus Sextus Valerius ein Denkmal für seine Verdienste um ihren Berufsstand. In CIL XIV 2793 hält ein reicher Freigelassener, der Seidenhändler Epaphroditus, nachdem er in Gabii an der Straße von Rom nach Praeneste einen Tempel der Venus-Aphrodite gestiftet hatte, die Empfänger der Geschenke fest, die er anlässlich der Tempelweihe verteilt hat. Unter ihnen werden die tabernarii genannt, die ihr Geschäft innerhalb der Stadtmauern betreiben. Ähnlich wie die neben ihnen aufgeführten Seviri Augustales (ein Verein von Freigelassenen für den Kaiserkult) haben die ortansässigen Wirte offenbar eine Korporation gebildet. Eine solche Vereinigung ist Voraussetzung dafür, dass sie sich mit einer gemeinsamen Petition an den Kaiser wenden können, wie die Historia Augusta (Alexander Severus 49,6) berichtet: Als die Christen ein Grundstück, das Staatsgrund gewesen war, in Besitz genommen hatten und die Gastwirte (popinarii) behaupteten, es gehöre ihnen, entschied der Kaiser, es sei besser, wenn da, wie auch immer, ein Gott verehrt werde, als dass man ihn den Wirten ausliefere. Wie sah das Gebäude eines römischen Wirtshauses aus? Der archäologische Ausgräber hat es schwer, aus Mauerresten ein Wirtshaus zu erkennen; der Grundriss der Architektur unterscheidet sich nicht von dem der Wohnhäuser und Wohnblöcke (insulae), in denen eine taberna mit eingerichtet wurde. Sicheres Anzeichen eines Wirtshauses ist der gemauerte Schanktisch. Er steht meist mit seiner Längsseite links vom Eingang. In ihn einge-

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mauert sind die Kessel für Getränke und Speisen, in seiner Front eine Feuerungsnische, so dass warmes Wasser bereitstand und Speisen warm gehalten werden konnten. Inschriften, Wandmalereien und Bodenmosaike verraten gleichfalls den Zweck des Gebäudes. Weitere Hinweise geben Küchengeräte, Trinkgeschirr, Krüge, Vorratsgefäße. Treppenähnliche Stellagen hinter dem Schanktisch dienten zum Aufstellen der Krüge. Obere Stockwerke sind selten erhalten geblieben, doch weisen Treppenansätze und Balkonvorsprünge im Mauerwerk auf sie hin. In sehr vielen Fällen reichen jedoch die vorgefundenen Mauerreste zu einer sicheren Identifikation nicht hin. Es ist davon auszugehen, dass Wirtshäuser in den Städten zahlreicher waren als nachzuweisen ist. Die Ausgrabungsstätten unterscheiden sich in ihrer Aussage. Pompei und Herculaneum zeigen das Bild eines Zustandes zu bestimmter Zeit, die vom Erdbeben im Jahr 62 beschädigten und im Jahr 79 endgültig untergegangenen Städte. Es waren ruhige Kleinstädte in einer schönen Gegend, wo reiche Römer gerne ihre Luxusvillen (deversoria) hinbauten und wo ein fruchtbares Umland ein angenehmes Leben gestattete. Anders sind die Verhältnisse an den Orten mit regem überregionalen Geschäftsverkehr. Wichtige Ausgrabungsstätten dieser Art sind die Rom versorgenden Hafenplätze Puteoli und Ostia. Hier ist eine sich über Jahrhunderte hinziehende Entwicklung zu verfolgen. Es ist mit Umbauten zu rechnen, durch die ehemalige Bürgerhäuser zu Hotels (deversoria) verändert wurden. Ein Beispiel für solchen Wechsel bietet in Ostia die so genannte caupona del pavone (Hotel zum Pfauen, benannt nach einem Wandbild). Die Bebauung des Platzes selbst kann sich ändern, wie zum Beispiel bei der so genannten taberna dell’invidioso („Zum Neidhammel“, benannt nach einem Bodenmosaik mit der Inschrift invidiosos). Zwar war da der Boden, in dem karthagisch-sardische Münzen aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. gefunden worden sind, schon früh bebaut. Doch die taberna steht in der Straßenecke eines Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. als Neubau errichteten Häuserblocks (insula). Das Bild der Wirtshäuser in Pompei hat Kleberg103 so anschaulich gezeichnet, dass seinen Ausführungen wenig Neues hinzuzufügen wäre. Unter dem Gesichtspunkt geschichtlicher Entwicklung möge daher die Aufmerksamkeit auf Puteoli und Ostia gerichtet werden. Die Abwanderung des Überseehandels von Puteoli in das aufblühende romnahe Ostia und den langsamen Niedergang Ostias in der Spätantike seit dem 3. Jahrhundert n. Chr. haben die Wirte zu spüren bekommen, deren Gäste nicht wie in Pompei überwiegend die Stadtbewohner selbst waren, sondern viele Seeleute und Fernhändler. So wie an dem von Handelsschiffen oft angelaufenen Sammelpunkt in

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der Ägäis, dem auf Betreiben Roms eingerichteten Freihafen Delos (siehe oben S. 61), Kaufmannsvereinigungen ihre Gasthäuser mit Konferenzsälen und Lagerräumen unterhielten, bezeugen auch in Puteoli Inschriften die Niederlassungen solcher Gilden von Händlern levantinischer Städte, jeweils vereint unter dem Kult des Gottes (Baal) ihrer libanesischen Heimat. In einer Inschrift zu Ehren des Kaisers Traian (CIL X 1634) nennen sich die Verehrer des Juppiter von Heliopolis (Baalbek) aus Berytus (Beirut), die in Puteoli niedergelassen sind. Sie besaßen ein Grundstück, dessen Besitzrecht durch die Inschrift CIL X 1579 bekannt gemacht wird: Dieses Grundstück von 7000 Morgen mit zugehöriger Zisterne und tabernae ist rechtmäßiges Eigentum derer, die der Kultgenossenschaft der Heliopolitaner angehören oder angehören werden, und das Zugangsrecht durch die Tore und auf den Wegen dieses Grundstücks soll denen zustehen, welche die Voraussetzung erfüllen, nicht beharrlich gegen die Satzung und vereinbarte Regeln dieser Korporation zu verstoßen. Der letzte Satz soll wahrscheinlich abtrünnigen Landsleuten die Möglichkeit offen halten, bei Reue vor dem Tod noch eine Grabstätte auf diesem Areal zu erhalten. Außer den Verehrern des auch noch in CIL X 1578 genannten Baals von Baalbek gab es eine Gruppe, die sich im Kult des Juppiter Optimus Maximus von Damaskus vereinte (CIL X 1576). Stifter der Inschrift CIL X 1797 sind die Kaufherren, die mit Alexandria, Kleinasien und Syrien Handel treiben. Schon im 2. Jahrhundert v. Chr. heißt Puteoli bei dem Dichter Lucilius (frg. 123 Marx) „Klein-Delos“. Vom Seehandel der Puteolaner spricht Cicero in seiner Anklage gegen Verres (2,5,154): Anwesend ist ganz Puteoli. In größter Zahl sind sie zu diesem Gerichtstermin erschienen, die Kaufleute, reiche und hochangesehene Männer. … Wenn ich den P. Granius als Zeugen vorführe, der aussagen kann, seine Freigelassenen (Leiter von Handelsagenturen) seien von dir hingerichtet worden, der von dir sein Schiff und seine Waren zurückfordern kann, dann widerlege mich doch, wenn du kannst! Es geht um Verbrechen des Statthalters Verres in Sizilien, dessen Hafen Syrakus eine Zwischenstation auf dem Schiffsweg vom Orient nach Puteoli war. Noch der Apostel Paulus reiste als Gefangener von Palästina über Syrakus und Puteoli nach Rom. Wenn die Kornspeicher von Puteoli dein wären ist geradezu sprichwörtlich für gewaltigen Reichtum (Cicero, de finibus 2,84). Ein Gastfreund Ciceros war C. Vestorius, der ein Bankhaus in Puteoli leitete. Von ihm schreibt er scherzend dem gemeinsamen Freund Atticus, seine Philosophie bestehe darin, dass er sehr gut zu rechnen verstehe (14,12,3). Der römische Bankier C. Rabirius Postumus ließ, nachdem er als Begleiter des vertriebenen und mit Hilfe der in Syrien stehenden Legionen zurückgeführten Ptolemäerkönigs nach Alexandria gereist war und dort die Rückzahlung seiner dem König gewähr-

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ten Kredite schonungslos eintrieb, einen ganzen Schiffszug mit ägyptischen Waren an sein Handelshaus in Puteoli abgehen. Cicero, sein Verteidiger in einem Prozess dieser Geschäfte wegen, stellt ihn, nicht eben glaubwürdig, als völlig ruinierten Mann hin (40): Es sind Schiffe des Postumus in Puteoli eingelaufen, man hat von Waren gehört und sie gesehen. – Trug und Schein! Schreibpapyrus, Leinen, Glaswaren, damit sind zwar die Schiffe voll geladen gewesen, aber sie haben nicht einmal die Transportkosten eingebracht. Diese puteolanische Handelsflotte, das damalige Gerede, das Herumlaufen und die Wichtigtuerei der Seeleute und die dem Postumus übel gesinnten, neidischen Leute, die sich einbildeten, er habe einen Haufen Geld: all das hat uns einen Sommer lang – nicht länger – mit diesem Geschwätz die Ohren vollgestopft. Was die fremden Matrosen von der Ladung der Schiffe, den Schätzen Ägyptens, ausplauderten, heizte die Stimmung in der Hafenstadt an; nach Cicero nur Seemannsgarn. Seit unter Augustus Ägypten kaiserliche Provinz geworden und die dortige Getreideernte zur Grundlage der Brotversorgung Roms gemacht worden war, kam alljährlich die alexandrinische Flotte nach Puteoli. Ihre Ankunft war für die Stadt das große Ereignis. Seneca beginnt damit den Brief 77 seiner Sammlung: Heute sind unerwartet Schiffe aus Alexandria eingelaufen, die man jeweils vorausfahren lässt und die die Ankunft der nachfolgenden Flotte ankündigen, die so genannten Nachrichtenschiffe. Ihr Anblick löst große Freude aus; das ganze Volk von Puteoli sammelt sich auf der Mole, und allein schon nach der Art der Segel macht man trotz der Vielzahl der Schiffe die alexandrinischen aus. Denn nur ihnen ist es (nach der Passage von Capri) erlaubt, das Topsegel zu hissen, das auf hoher See alle aufgezogen haben. … In dem allgemeinen Durcheinander derer, die es so eilig hatten zur Küste zu laufen, habe ich meine Bequemlichkeit richtig genossen; hatte ich es doch überhaupt nicht eilig zu erfahren, was in den Briefen steht, die ich von meinen Leuten bekommen werde. Seneca hatte Besitzungen in Ägypten; die Post, die ihm nicht eilig schien, waren die jährlichen Geschäftsberichte seiner Gutsverwalter. Die Getreideversorgung (annona) war für Rom so wichtig, dass Nero einen Kanal von Puteoli direkt bis an die Tibermündung plante, was an den technischen Schwierigkeiten des Geländes schon im Ansatz scheiterte. Der übliche Transportweg folgte nicht der Küste, sondern erreichte Rom über die im Binnenland verlaufende Via Appia, die seit dem Jahr 85 n. Chr. bequemer über eine von Puteoli direkt nördlich geführte Anschlussstraße (Via Domitiana) erreicht wurde. Exportiert wurde über Puteoli vor allem Wein und Öl. Obwohl die schöne Landschaft nahe dem Golf von Neapel zum Bau von Ferienvillen reicher Herren Anlass gab, bot Puteoli doch das Bild einer Stadt mit aus aller Welt gemischter Bevölkerung. Da waren Unruhen nicht

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selten. Im Jahr 58 n. Chr. musste, nachdem Steine geflogen und das Abbrennen von Häusern angedroht war, eine Praetorianerkohorte die Ruhe herstellen (Tacitus, ann. 13,48). Auf die Lebensverhältnisse einer Hafenstadt müssen die Gastwirtschaften eingerichtet gewesen sein. Wir wissen über sie wenig. Weil das Stadtgebiet ständig dicht besiedelt und immer wieder neu überbaut wurde, ist von alten Mauern wenig übrig und freie Ausgrabungsflächen gibt es nicht. Im Nordwestteil ist eine Häuserzeile von acht Räumen mit Tonnengewölben freigelegt. Man konnte sie von einem längs laufenden Korridor her betreten. Mindestens eine dieser tabernae ist nach Ausweis der von Gästen auf dem Verputz hinterlassenen Graffiti eine Wirtstaberne gewesen.104 Sehr viel reichlichere Information ist zu gewinnen in Ostia, dessen Hafen in republikanischer Zeit für das nur ca. 30 km entfernte Rom weit geringere Bedeutung gehabt hatte als Puteoli. Das änderte sich durch die Hafenbauten der Kaiser Claudius und Traian; Letzterer fügte im Jahr 104 dem versandenden Hafen des Claudius seinen neuen Portus Romae hinzu. Die Handelsströme flossen jetzt immer mehr über Ostia. Von der Stimmung in Puteoli zeugt ein Gesuch der Niederlassung der Tyrier an ihre phönizische Mutterstadt Tyros.105 Sie führen aus, ihre statio stehe, wie allbekannt, im Vergleich mit den anderen am Ort an Ausstattung und Größe an der Spitze. Ihren Unterhalt hätten bisher die in Puteoli niedergelassenen Tyrier getragen, sie seien viele und wohlhabende Leute gewesen. Jetzt aber sei ihre Zahl auf wenige gesunken, und darum bäten sie um eine finanzielle Unterstützung zur Erfüllung ihrer Kultverpflichtungen. Auch die Verehrer des in Puteoli mehrfach bezeugten Baal von Heliopolis findet man jetzt in Ostia wieder. Der in Ostia begrabene Gaionas, der als angesehener Bürger sogar ein öffentliches Amt in Rom bekleidete und dem Kaiser Commodus so nahe stand, dass er in Inschriften in Ostia und in Rom106 die Huldigung an seinen Gott von Heliopolis zugleich mit Heilswünschen für den Kaiser verbindet, könnte ein Handelsherr gewesen sein, der seinen ein Jahrhundert vorher in Puteoli gelegenen Firmenhauptsitz jetzt in Ostia hatte. Im 4. Jahrhundert beschleunigte sich der Niedergang, und zu Beginn des Mittelalters war Ostia Ödland. Dadurch sind Ausgrabungen von Flächen möglich, und sie gestatten Einblick in die Lebensumstände der spätantiken Stadt. Hermansen107 zählt 38 im Stadtgebiet als Wirtshäuser identifizierbare Gebäude aller Größenordnungen vom Ausschank bis zum Stadthotel. Am Markt stand die vermutlich älteste taberna der Stadt. Nachdem Ostia unter Claudius einen Aquädukt erhalten hatte, bekam die Schenke einen neuen Tresen mit Frischwasser. In einem andern Lokal am Cardo maximus, einer Hauptstraße, gab es neben der wie üblich hinter dem

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Schanktisch befindlichen dreistufigen Abstellwand für die Krüge in der Mauer ein Loch, durch welches man das Wasser aus einem ungefähr 1,60 m tiefen Ziehbrunnen heraufzog. Auf der Straße zum Fischmarkt gab es eine Reihe von Tabernen mit einem davorliegenden Säulengang, der im 3. Jahrhundert auf Kosten des Verkehrs durch eine Mauer in die Innenräume der tabernae einbezogen wurde. Die Bar des Fortunatus haben die Ausgräber nach ihrem Mosaikboden benannt: Der Wirt hat seinen Namen mit schwarzen Mosaiksteinchen in den hellen Bodenbelag einschreiben lassen und lädt dazu, soweit der verstümmelte Text erkennen lässt, den Gast ein: Trink den Wein, nach dem du dürstest. Die Silben des Wortes bibe (trink) sind in der Weise eines Piktogramms durch einen zwischen bi und be stehenden Kelch getrennt. Eine Szene aus einer Hafenschenke stellt das Relief auf dem Sarkophag eines Wirtes dar: Zwei Gäste sitzen rechts im Bild auf der Wandbank vor dem Tisch. Der eine streckt seine Hand aus nach der lang gewandeten Kellnerin, die ihm den Becher entgegenbringt, während unten am Tisch ein Hündchen bettelnd Männchen macht. Links im Bild steht der Tresen mit Speisetopf und Krug, unten die Feuerungsnische, oben im Hintergrund das Stufengestell mit den Humpen.108 Durstig wurde man nicht nur auf Seefahrt, sondern auch im Bad. Tabernen gab es im Thermengebäude selbst, ringsum in der Umgebung, und auch ambulante Getränkeverkäufer brachten den Badegästen das Gewünschte. In dem mehrstöckigen Blockbau des Bades zu den Sieben Weisen ist allerdings die Bar einer Erweiterung der Thermenanlage zum Opfer gefallen und zu einem Umkleideraum umgebaut worden. Die Wandmalereien aus der Zeit Traians zeigen sehr ungeniert sieben Männer auf der Latrine sitzend, und die weisen Ratschläge, die ihnen die beigeschriebenen Texte in den Mund legen, sind zu solchem Orte passend, zum Beispiel Still furzen rät der Heimlichtuer Chilon. Ähnliches lassen die aus der Tradition als die sieben alten Weisen bekannten Gestalten hören; die Stimmung in der taberna muss recht locker gewesen sein. Das Restaurant (popina) ist in Ostia gut vertreten durch ein Lokal in bester Lage an der Porta marina. Es wird benannt nach einem Bodenmosaik mit zwei Boxern und dem darüber gesetzten Namen Alexander Helix, was vielleicht nicht der Name des Wirtes, sondern der einer gefeierten Sportgröße ist. Das Haus ist ein Bau des 3. Jahrhunderts mit zwei sehr geräumigen und aufwendig eingerichteten Wirtsstuben, in der Mitte der ersten ein offenes Wasserbecken, großflächige Bodenmosaike (ägyptische Tänzer und Venus mit Knabe), auf weißem Grund schwarz gerahmt. Die zweite Stube dürfte der Essraum gewesen sein. Die Vereinigungen von Berufsgenossen hatten ihre Klubhäuser. Im so genannten Thermipolium an der Dianastraße trafen sich die Gondolieri

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III. Griechisch-römische Gastfreundschaft

(lenuncularii). Zu den beiden Seiten nach dem Haupteingang gibt es Wandbänke. Der Schanktisch hatte an beiden Enden Wasserbecken mit einer Zuleitung aus Bleirohren. Über dem marmornen Abstelltisch an der Ostwand zeigen die Wandmalereien Glasbecher auf Glasteller, Messer, Weintrauben, Gemüse, Laubranken, jedoch keine Fleischspeise, für die das gesetzliche Verbot galt. Westlich liegt die Küche. Der hintere Hauptraum hat Zugang zu einem Innenhof mit Springbrunnen. Am Gebäude der Stadtwache (Vigiles) gab es für die dort Stationierten drei kleinere Bars auf der Straßenseite. Im schwarzen Mosaikboden der ersten stand in weißen Buchstaben in Griechisch zu lesen: Proklos hat mich gemacht. Im dunklen Mosaik der mittleren war ein weißer Kelch zu sehen und derselbe Text ausführlicher in Latein: Proclus, Angehöriger der Truppe (miles cohortis), hat mich gemacht auf seine Kosten. Der Mosaikboden der dritten ist weiß mit dem gerahmten Bild eines Kelchs in Schwarz. Der Stifter Proklus war sicherlich nicht zugleich Wirt; wenn die Kohorte der Vigiles der Eigentümer war, hatte sie einen Wirt oder mehrere als Pächter eingestellt. Ein Hotel war die so genannte Casa delle volte dipinte. Es gibt zwei Eingänge und längs einem Korridor eine Reihe von Einzelzimmern mit Türen. Auf beiden Etagen gab es Bad und Latrine; dazu Gelegenheiten für die eigene Zubereitung von Speisen durch die Gäste. Dem verhältnismäßig kleinen Tabernenraum (4.35 x 3,71 m) gibt ein gedeckter Brunnen eine besondere Note. Ein anderer Hotelbau, ebenfalls aus der Zeit Kaiser Hadrians, ist das Haus des Pfauen (caupona del pavone), benannt nach einem Wandbild im Lararium, dem kleinen Raum für die Hausgötter. Auch die Malereien in den anderen Räumen haben ernsthafte Thematik mit Bezügen zum Dionysoskult; sie sind bei einem Umbau im 3. Jahrhundert zum Teil zerstört worden.109 Das Haus ist wohl erst durch diesen Umbau zum Wirtshaus geworden. Es hatte mehrere Stockwerke, wie aus den erhaltenen Unterteilen der nach oben führenden Treppen zu erschließen ist. Die Tabernae und der Essraum befinden sich im hinteren Teil des Gebäudes, nicht, wie bei einfachen Weinschenken, vorn an der Straße. Ein Hausgarten mit Wand-Eckbank lädt nach dem Essen zum Verweilen ein.

IV. Das christliche Altertum 1. Das auszufüllende Defizit Dem Grundkonzept der antiken Gastfreundschaft haften zwei wesentliche Schwächen an. Die Verpflichtung der Gegenseitigkeit benachteiligte alle die Armen, die nicht die Mittel besaßen, materiell durch die Tat das Empfangene zu erwidern. Sodann hatte sich zwar der Begriff Philanthropia aus der ursprünglich engeren Vorstellung einer gnädigen Herablassung des Gottes zu den Menschen, dann eines Höheren zu den sozial niedriger Gestellten, zur Regel allgemeiner Freundlichkeit im Umgang der Menschen miteinander ausgeweitet. Von dieser unbegrenzt für jeden anständigen Menschen moralisch verbindlichen Haltung unterschied sich aber der Begriff der Xenía, der Gastfreundschaft, dadurch, dass diese einer ausdrücklichen Willenserklärung der Gastfreunde bedurfte. Gastfreundschaft ist ihrem Wesen nach selektiv. Der Gastgeber wählt den Gast, den er einlädt, aus, der Gast geht mit der Annahme der Einladung eine fortdauernde Verbindung mit dem Gastgeber ein. Für die Haus- und Geschlechtergemeinschaft handelt das Oberhaupt und der Ahnherr. Gastfreundschaft unter größeren Verbänden gibt es nur in der starren Bindung formulierter Verträge. Keine Regel ohne Ausnahme. Die Stimme des Herzens blieb auch im Altertum nie völlig stumm. Regungen des Mitleids und der Menschlichkeit füllten immer wieder einmal die Lücken, welche die Gastfreundschaft offen ließ. Die Literatur ist reich an Beispielen von Gastgebern, die großherzig ihre Gastlichkeit auch denen erweisen, welche niemals selber Gastgeber werden können. Dabei ist freilich zu bedenken, dass sie eben deshalb überhaupt erwähnt wurden, weil sie rühmenswerte Ausnahmen darstellten. Ein bloß der Regel genügendes Verhalten verdient keine Nennung. Der Schluss auf eine allgemeine Bereitschaft zur Menschenliebe trügt. Wie zwiespältig das Verhalten von Staaten in vertragslosen Ausnahmesituationen sein konnte, zeigt der Bericht Xenophons über das Schicksal seines Söldnerheeres, das nach der Niederlage in Persien auf dem europäischen Festland angekommenen war. Ohne Sold und ausgehungert dringen die Desperados in die Stadt Byzanz ein, deren Einwohner eine Plünderung befürchten müssen. Die das Stadtregiment führenden Spartaner reagieren nicht einheitlich. Der Flottenkommandant Anaxibios lässt, nachdem es gelungen ist, das Gros der Truppe durch Versprechungen aus der Stadt abzuziehen, die Tore schließen und bekannt machen, wer noch innerhalb der

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IV. Das christliche Altertum

Mauern erwischt würde, solle als Sklave verkauft werden (Anabasis 7,1,36). Der vor seiner Ablösung stehende Stadtkommandant Kleandros, mit dem Xenophon Gastfreundschaft geschlossen hat (7,1,8), handelt dem entgegen, so dass Anaxibios sich an dessen Nachfolger Aristarchos wendet (7,2,6): Anaxibios schickt dem Aristarchos die Order, alle, die er von den Söldnern der Kyrosarmee in Byzanz noch zurückgeblieben vorfände, als Sklaven zu verkaufen. Kleandros aber hatte keinen verkauft, sondern hatte aus Barmherzigkeit veranlasst, die Kranken zu pflegen und zwangsweise sie in die Häuser aufzunehmen. Aristarchos hingegen hat sogleich nach seiner Ankunft mindestens vierhundert als Sklaven verkauft. Bei zivilen Katastrophen, wenn die Opfer unbewaffnet waren und nicht die Angst vor gewaltsamer Selbsthilfe mitspielte, fiel spontane Hilfsbereitschaft leichter. Tacitus (ann. 4,62 f.) berichtet vom Einsturz der Holzkonstruktion eines überfüllten Amphitheaters in der Stadt Fidenae im Jahr 27 n. Chr. Der Ort war von Rom aus zu Fuß in knapp zwei Stunden zu erreichen. So hatte das Schauspiel viele angezogen. Die Zahl der Verletzten und Toten gibt Tacitus mit zusammen fünfzigtausend an, der zweite Berichterstatter Sueton die der Toten mit über zwanzigtausend. Doch selbst wenn diese Schätzungen zu hoch gegriffen sind, überstieg die Zahl der Opfer bei weitem die Einwohnerzahl des kleinen Vorortes. Tacitus schließt mit den Worten: Aber unter dem unmittelbaren Eindruck des Unglücks öffneten sich die Häuser der vornehmen Bürger, Heilmittel und Ärzte wurden von allen Seiten zur Verfügung gestellt, und es glich die Stadt in jenen Tagen, obwohl traurig anzusehen, dem verpflichtenden Vorbild der Menschen in alter Zeit, die nach großen Schlachten sich der Verwundeten mit Spenden und mit Pflege annahmen. Man sieht aus seinen Worten, dass es damals selbst in der nahen Großstadt Rom kein Krankenhaus gab, in dem die Verletzten hätten Aufnahme finden können. Was Tacitus hier von früherer Hilfsbereitschaft nach historischen Schlachten schreibt, zeichnet ein verklärtes Idealbild. Die Wirklichkeit war grausam. Wie erbittert die Griechen zu kämpfen gewohnt seien, schildert der Perserfeldherr Mardonios seinem Großkönig (Herodot 7,9,2): Nachdem sie sich das schönste und ebenste freie Feld ausgesucht haben, treten sie dort so zur Schlacht an, dass sie auch als Sieger mit schwersten Verlusten heimziehen. Von den Besiegten will ich erst gar nicht reden, sie sind total vernichtet. Es muss auffallen, dass antike Geschichtsschreiber am Ende ihrer Schlachtenberichte zwar die Zahlen der Gefallenen und der Gefangenen angeben, jedoch kaum je die der Verwundeten. Beispiel für dieses Schweigen ist der Bericht des Polybios (3,117) von der Schlacht bei Cannae. Für Verwundete wurde nicht gesorgt, wenn sie nicht in den Häusern naher

1. Das auszufüllende Defizit

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Städte von mitleidigen Bürgern gastlich aufgenommen wurden, wofür Xenophon (Anabasis 7,2,6) das eben genannte Beispiel anführt. In Gefangenschaft ließ man Verwundete unversorgt sterben (zum Beispiel Thukydides 7,87,2). Polybios führt in seiner Liste neben Toten und Gefangenen noch diejenigen auf, die durch Flucht in die benachbarten Städte entkommen waren. Unter ihnen befanden sich die leichter Verletzten. Nur ihnen, 370 Reitern und etwa dreitausend Mann Fußvolk, einem winzigen Rest, verglichen mit den siebzigtausend Toten und den zehntausend Gefangenen, glückte die Zuflucht in befreundete Städte. Die Schwerverwundeten blieben auf dem Schlachtfeld zurück und sind den Toten zuzuzählen. Auch wenn ein Krieg ohne großes Blutvergießen ausging, war die Lage von Hilfesuchenden höchst ungewiss. Nach der schmählichen Kapitulation des römischen Heeres an den Caudinischen Pässen im Jahre 321 v. Chr. blieb den Römern, entwaffnet und halbnackt laufen gelassen, nur der Weg in die nächste Stadt, Capua, übrig. Livius schreibt (9,6,4–7): Obwohl sie noch vor Einbruch der Nacht bis nach Capua hätten kommen können, lagerten sie, im Ungewissen über die Treue der Verbündeten (nur die Oberschicht stand fest auf römischer Seite, und im Hinblick auf sie waren die Capuaner römische Bürger ohne Stimmrecht) und weil das Schamgefühl sie hemmte, nicht weit von Capua ihre abgezehrten Leiber, denen es an allem fehlte, am Straßenrand auf bloßem Boden. Als die Kunde davon nach Capua gelangte, siegte das berechtigte Mitleid mit den Verbündeten über den den Capuanern angeborenen stolzen Eigensinn. Unverzüglich schickten sie in entgegenkommender Großmut den Consuln die Abzeichen ihrer Würde, den Lictoren die Rutenbündel mit Amtsbeil, ferner Waffen, Pferde, Kleider und Verpflegung für die Soldaten. Und beim Einzug in Capua zog ihnen der gesamte Senat und das Volk entgegen und leisteten ihnen alle gebührenden Dienste der Gastfreundschaft und erfüllten ihre Verpflichtungen seitens der einzelnen Bürger ebenso wie seitens der Stadt. Der philosophische Gedanke an gleiche Grundrechte aller Menschen wurde getragen von jener Bildungsschicht, die in den Schriften zu Wort kommt. Den Alltag bestimmte eine deutlich abgestufte Klassengesellschaft, in der Wohlwollen oder Hartherzigkeit der Oberen gegenüber den Untersten beliebig und willkürlich war. Beispielhaft ist das von Sueton (Claudius 25,2) erwähnte Kaiseredikt des Jahres 47 n. Chr.: Nachdem manche ihre kranken und altersschwachen Sklaven, weil ihnen ihre Pflege lästig war, auf der Aesculapinsel ausgesetzt hatten, ordnete er (Kaiser Claudius) an, alle Ausgesetzten sollten frei sein und, wenn sie wieder gesund geworden wären, nicht wieder unter die Gewalt ihres Herrn zurückfallen. Sollte aber jemand es vorziehen, einen Sklaven gleich zu töten statt ihn auszusetzen, falle er unter Mordanklage. Auf der Tiberinsel befand sich das römische

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IV. Das christliche Altertum

Heiligtum des Arztgottes Aesculapius, ein Ableger des Asklepios-Kultes von Epidauros. Kranke suchten hier Heilung durch die Wunderwirkung des ihnen im Traum erscheinenden Gottes. Ihr Leben aber konnten diejenigen, deren sich die Besitzer durch Aussetzung entledigt hatten, nur als Bettler fristen. Die ihnen von Kaisers Gnaden geschenkte Freiheit gewährte nicht das römische, sondern nur das nachrangige latinische Bürgerrecht, weil sie nicht gemäß der vom Herrn in der gesetzlichen Form vollzogenen Vorschrift des römischen Rechts entstanden war. Es bedurfte einer grundlegenden Änderung des sozialen Bewusstseins, um die verbreitete Gefühllosigkeit der Besitzenden gegen die Armen zu überwinden. Der Wandel wird beispielhaft sichtbar in dem Gesetz des christlichen Kaisers Justinian (Codex Just. 7,6,1,3), mit dem er das beschränkte latinische Bürgerrecht in eine einheitliche Freiheit aller römischen Bürger überleitete: Wir wissen, dass auch dies in der alten Latinität durch ein Edikt des Kaisers Claudius eingeführt worden ist, dass, wenn jemand seinen an schwerer Krankheit leidenden Sklaven aus seinem Haus auf die Straße gesetzt hat, ohne sich selber um ihn zu kümmern noch ihn einem andern in Pflege zu geben, obwohl ihm die Möglichkeit freistand, wenn er schon nicht selbst imstande war, ihn zu pflegen, ihn ins Pflegeheim zu schicken (das es allerdings unter den heidnischen Kaisern noch gar nicht gab!) oder ihm auf eine ihm zumutbare Weise behilflich zu sein, dass dann ein solcher Sklave nach früherem Recht im latinischen Bürgerrecht verblieb, und demzufolge der Nachlass des Sklaven, den er hilflos zum Sterben ausgesetzt hatte, bei dessen Tod wieder an ihn fiel. Darum soll ein solcher Sklave, der von seinem Herrn in Wirklichkeit widerwillig und nur zwangsweise die Freiheit geschenkt bekommen hat, auf der Stelle römischer Bürger sein, und seinem ehemaligen Besitzer soll der Zugang zu den Rechten eines Patronus (dem gegenüber der Freigelassene als Klient verpflichtet bliebe, ihm das Erbe zu hinterlassen) nicht länger gestattet sein. Somit soll er von der Person und vom Vermögen dessen, den er aus seinem Haus und aus seinem Dienst durch öffentliche Erklärung verstoßen hat, ohne selber für ihn zu sorgen noch ihn einem andern zur Fürsorge zu übergeben noch ihn in das christliche Pflegeheim zu schicken noch ihm die übliche Altersunterstützung zu zahlen, auf jede Weise geschieden sein, sowohl während der ganzen Lebenszeit des Freigelassenen als auch wenn er stirbt, und auch noch, nachdem er schon längst verstorben ist. Justinians Gesetz kann (Originaltext oder später eingeflickter Zusatz?) auf das Pflegeheim, den christlichen Xenón, verweisen. Zur Zeit des Claudius bestand diese Alternative noch nicht. Doch auch das Volk, über das Justinian herrschte, war ein anderes. Das waren nicht mehr allein die Nachkommen der Bürger Roms, die sich erhaben fühlten über die Unter-

2. Das Neue Testament

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tanen von eroberten Provinzen; es waren jetzt alle gleicherweise einer monarchischen Verwaltung gehorchende Untertanen verschiedenster Herkunft. Fremde, barbari, hießen jetzt nur noch die Menschen außerhalb der Reichsgrenzen, unterschieden nicht mehr durch die lateinische Sprache – denn im Neuen Rom, wie Konstantinopel genannt wird, spricht man griechisch –, sondern durch die Zivilisation. Der Dichter Prudentius hat es zu Beginn des 5. Jahrhunderts ausgesprochen (contra Symmachum 2,816 f.): So weit entfernt voneinander ist Römertum und Barbarentum wie Vierfüßler von Zweifüßlern oder wie Stumme von Redenden. Wenn er sodann eine ebenso tief trennende Kluft zwischen Christen und Anhängern des alten Heidentums feststellt, überträgt er polemisierend den Zwiespalt auf die Menschen innerhalb des Römischen Reiches. Der von ihm bekämpfte Senator Symmachus war im Sinne der stoischen Philosophie für das Ideal der gemeinsamen Grundnatur aller Menschen eingetreten, Prudentius verwirft alle Toleranz als törichten Irrweg. Er spricht damit genau im Geiste der neu angebrochenen Zeit: Was der Gesellschaft ihre neue Struktur gibt, ist das Christentum. Die Bevölkerung des Römischen Reiches ist geschieden in Heiden und Christen. Alle anderen sozialen Unterschiede, mag deren Kluft auch noch so tief sein, sind nachrangig.110

2. Das Neue Testament In der Gestalt des Gastes erscheint Christus selbst (Matth. 25,35–40): Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gereicht. Ich war ein Fremder, und ihr habt mich als Gast aufgenommen. … Was ihr einem von meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan. Denen, die so gehandelt haben, wird das ewige Leben verheißen, denen, die all das verweigert haben, droht die Hölle. Die Identifikation mit dem Herrn gilt auch für die Sendboten der Verkündigung (Joh. 13,20): Wer einen aufnimmt, den ich sende, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat. Hier wird Gott selbst zum Gast, wie schon im Alten Testament Gott bei Abraham eingekehrt ist. Auch die neutestamentliche Gastfreundschaft ist ein gegenseitiges Verhältnis, denn am Jüngsten Tag werden die Gerechten Gäste Gottes sein (Luk. 22,30): So dass ihr esst und trinkt an meinem Tische in meinem Reich. Gegenseitigkeit betont auch die Johannes-Offenbarung (3,20): Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hört und die Tür öffnet, werde ich zu ihm hineingehen und mit ihm das Mahl halten, und er mit mir. Wer siegt, dem werde ich geben, dass er mit mir auf meinem Throne sitzt.

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IV. Das christliche Altertum

Die Apostelbriefe werden nicht müde, unaufhörlich die Gastfreundlichkeit zu empfehlen. In besonderer Weise verpflichten zu ihr die kirchlichen Ämter. Der Leiter einer Gemeinde, später der Bischof, muss gastfreundlich sein (I Tim. 3,2). Zur Gemeindewitwe erwählt wird eine Frau nur dann, wenn sie neben anderen Voraussetzungen auch ihre Gastfreundlichkeit bewiesen hat (I Tim. 5,10). Die Mahnungen, die Dinge, deren man zum Leben bedarf, mit den Heiligen zu teilen in eifriger Übung der Gastfreundschaft (Röm. 12,13), Seid gastfreundlich zueinander ohne Murren (I Petr. 4,9) und Vergesst nicht die Gastlichkeit, denn dank ihrer haben manche, ohne es zu wissen, Engel zu Gast gehabt (Hebr. 13,2) ergehen an alle Christen. Sie richten sich an die Gastgeber, doch auch den Empfängern wird ein entsprechendes Verhalten nahe gelegt. Der Apostel Paulus stellt die Gastfreundschaft so hoch, dass er die Bedenken, eine Einladung ins Haus von Heiden anzunehmen und dort nach dem jüdischen Gesetz verbotene Speisen zu genießen, verwirft. Die Rücksicht auf den anderen steht höher als die eigenen Skrupel (I Kor. 10,24–28), und man darf den Gastgeber nicht kränken, indem man zurückweist, was er dem Gast zu essen vorsetzt. Auf seinem irdischen Weg als Verkünder der göttlichen Botschaft hat Jesus keinen festen Ort, an dem er sein Haupt zur Ruhe betten könnte (Matth. 8,20). Im Verhalten gegenüber dem Unbehausten zeigt sich die wahre Gesinnung eines Menschen. Sie ist der Grund für die Rechtfertigung vor Gott (Luk. 7,44–47): Du siehst diese Frau. Ich bin in dein Haus gekommen. Du hast mir kein Wasser über meine Füße gegeben. Sie aber hat mit ihren Tränen meine Füße benetzt und sie mit ihren Haaren getrocknet. Einen Kuss hast du mir nicht gegeben. Sie aber hat, seit ich hereingekommen bin, nicht davon abgelassen, meine Füße zu küssen. Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt. Sie hat mit Balsam meine Füße gesalbt. Zum Lohn dafür, sage ich dir, sind ihr ihre vielen Sünden vergeben, weil sie viel Liebe bekundet hat. Der als Zöllner verachtete Zacchaeus erfährt so sein Heil (Luk. 19,5–9). Der Lohn wird selbst dem nicht versagt, der nicht Christus anhängt, sondern sich unaufrichtig als Exorzist anmaßt, im Namen Christi Dämonen auszutreiben. Den sich beklagenden Jüngern wird gesagt (Mark. 9,41): Wer euch einen Becher Wasser zu trinken gibt auf meinen Namen hin, weil ihr zu Christus gehört, wahrlich, ich sage euch, er wird seines Lohnes nicht verlustig gehen. Die Apostel erhalten genaue Anweisung, sich auf ihren Missionswegen allein darauf zu verlassen, gastliche Aufnahme zu finden (Matth. 10,9–14): Besorgt euch nicht Gold und Silber oder Kupfer in euren Gürtel noch eine Tasche auf den Weg noch zwei Leibröcke, weder Schuhe noch einen Stab. Denn dem Arbeiter gebührt sein Unterhalt. In der Stadt oder dem Dorf, in

3. Der griechische Beitrag

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das ihr hinkommt, erkundigt euch, wer am Ort Ansehen genießt. Und dort bleibt bis zum Abschied. Beim Betreten des Hauses entbietet ihm euren Gruß. Und wenn das Haus dieses Friedensgrußes würdig ist, dann soll euer Friede über es kommen. Wenn es nicht würdig ist, dann soll euer Friede zu euch zurückkehren. Und wenn jemand euch nicht aufnimmt und euer Wort nicht hören will, dann geht fort aus jenem Haus oder jener Stadt und schüttelt den Staub von euren Füßen. Dass der Apostel Paulus sich an diese Regel auf seinen Reisen gehalten hat, bezeugen vielfach die Apostelgeschichte und seine Briefe, die er mit Empfehlungen schließt, seine Gehilfen freundlich aufzunehmen. Dass dagegen auch verstoßen wurde, tadelt der 3. Johannesbrief. Nachdem der Adressat Gaius für die Treue gelobt worden ist, die er gegen Mitbrüder, auch die aus der Fremde, geübt hat, beklagt sich der Briefschreiber über einen Diotrephes, der selbst nicht Brüder bei sich aufnimmt und die, welche dazu willens wären, davon abhält und sie aus der Gemeinde ausstößt (10).

3. Der griechische Beitrag Schon der Umstand, dass das Neue Testament in der damaligen Weltsprache, der griechischen, niedergeschrieben wurde, öffnete griechischer Sichtweise ein Tor. Insbesondere waren es Platonismus, Stoa und deren Sozialethik – mit der christlichen Lehre weithin kompatibel –, die dem Bild vom Christentum zu schärfer gezeichneten Konturen verhalfen. Die Vereinigung der beiden zunächst voneinander unabhängigen Ströme verlieh dem Christentum die Kraft, die antike Welt so zu verändern, dass sie unaufhaltsam und über die bisherigen Grenzen hinaus zu einer christlichen Welt wurde. Die Gastfreundschaft trug ganz wesentlich zu dieser Dynamik bei. Die ersten Christen übernahmen aus dem palästinensischen Judentum die Abgrenzung ihrer Agape (Nächstenliebe) gegen die heidnische Philanthropia. Menschenliebe unter der Bezeichnung Philanthropia stieß auf entschiedene Ablehnung, seit Philanthropia zu einem Schlagwort im Herrschaftsprogramm der hellenistischen Gottkönige geworden war. Sie präsentierten sich ihren Untertanen als Wohltäter (Euergetai) und Menschenfreunde (Philanthropoi) und forderten als Gegenleistung Verehrung als leibhaft erschienene Götter im Herrscherkult und Loyalität (Eunoia). Die unter der Losung Philanthropia betriebene Zwangshellenisierung der Juden in Palästina hatte im Makkabäeraufstand erbitterte Abwehr ausgelöst. Von da an lehnten glaubenstreue Juden das Wort Philanthropia für Menschenliebe voller Abscheu ab mit der Folge, dass sie nun ihrerseits den Heiden als Misanthropen, „Feinde des Menschengeschlechts“ galten, ein

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IV. Das christliche Altertum

Vorurteil, das auf die Christen übertragen wurde (Tacitus, Ann. 15,44). Das Neue Testament kennt das Wort Philanthropia nur entweder in seiner ursprünglichen Bedeutung als Liebe Gottes zu den Menschen (Titusbrief 3,4) oder als heidnische Benehmensweise. Denn in der Bedeutung des freundlichen Verhaltens gegen Mitmenschen wird Philanthropia ausschließlich Heiden zugeschrieben (Apostelgesch. 27,3.28,2). Die unter Christen geübte Menschenliebe heißt nicht Philanthropia, sondern Philadelphia (Bruderliebe). Erst die Philosophie des Platonismus und der Stoa bewirkt seit dem Ende des 2. Jahrhunderts den Ausgleich des unterschiedlichen Sprachgebrauchs. Der erste Anstoß kam aus Alexandreia, wo schon in apostolischer Zeit der jüdisch-griechische Philosoph Philon, in der Diaspora abweichend vom palästinensischen Sprachtabu, die Philanthropia als Menschheitsideal und Moses als deren Vorbild gepriesen hatte. Bahnbrechend wurde dann der christliche Philosoph Klemens von Alexandreia. Er zitiert wiederholt das Christus zugeschriebene Herrenwort: Du hast deinen Bruder gesehen: Du hast deinen Gott gesehen. Ausführlich definiert er die Fremdenliebe als eine Form der christlichen Agape (Strom. 2,41, 3–42,1): Nah verbunden mit der Agape ist die Fremdenliebe (Philoxenia), sozusagen eine durch Übung gewonnene Kunst im Umgang mit Fremden. Fremde, das sind die, denen das Weltliche fremd ist. … Fremdenliebe hat also zu tun mit dem, was nützlich ist für Fremde; Fremde aber sind die Fremden als Gäste, und als Gäste sind sie Freunde, als fremde Brüder. ‘Mein lieber Bruder’ heißt es bei Homer. Sowohl die Menschenliebe (Philanthropia), die ein liebender Umgang mit Menschen ist, durch den wiederum die Liebesgemeinschaft (Philostorgia) entsteht, wie auch die Philostorgia, die eine Art von durch Übung erlangte Kunst in der Hinwendung zu Freunden oder Angehörigen ist, sind begleitende Formen der Agape, insofern als der wahrhafte Mensch der uns innewohnende geistige Mensch ist. Bruderliebe ist Menschenliebe zu denen, die mit uns im gemeinsamen Besitz desselben Geistes sind. In der Paulinischen Anweisung (I Kor. 10,24–28) sieht Klemens den stoischen Leitgedanken der Koinonia, des alle Menschen Verbindenden, verwirklicht (Paidagogos 2,10,1): Wenn einer von den Ungläubigen uns einlädt und wir uns entschließen, hinzugehen – denn es ist ja gut, sich nicht gemein zu machen mit zuchtlos lebenden Leuten –, dann fordert er (Paulus) uns auf, alles, was uns vorgesetzt wird, zu essen, ohne etwas aus Gewissensbedenken zurückzuweisen, ebenso wie er uns geraten hat, beim Einkauf auf dem Markt nicht überängstlich zu sein. … Die Gäste sollen mit essen von dem, was aufgetischt ist, so wie es sich für einen Christen ziemt, indem sie dem, der sie eingeladen hat, Ehre erweisen in der harmlosen und mit Appetit genießenden Freude des geselligen Zusammenseins.

4. Der Geist frühchristlicher Gastlichkeit

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Das Gastmahl ist ihm als eine Sitte, die als gemeinsames Erbe Philosophisches und Christliches verbindet, so wichtig, dass er (Paidagogos 2,53–55) ausführliche Anweisungen für das Wohlverhalten gibt. Anknüpfend an I Kor. 11,17 ff. beginnt er mit der Abmahnung von Streitgesprächen: Wenn das Liebesmahl (Agape) der Grund ist, zu den Bewirtungen zusammenzukommen, das Ziel des Gastmahls, die freundliche Gesinnung gegenüber den Mitmenschen zu zeigen, wenn das Liebesmahl begleitet ist von Essen und Trinken, wie sollte man dann nicht vernünftig miteinander reden? … Wenn wir zusammenkommen im Streben nach Freundschaft untereinander, was schüren wir dann Streitereien wegen Spottreden? Schweigen ist besser als zu widersprechen und Unwissenheit als Fehler zu kritisieren. Es folgt eine weitere Reihe von gesellschaftlichen Benehmensregeln. Auch hier liest man Ähnliches bei dem Stoiker Epiktet (Encheiridion 33,3), der warnt vor überflüssigen Reden in Gesellschaften, vor allem nicht über Leute, weder lobend noch tadelnd oder mit vergleichenden Urteilen.

4. Der Geist frühchristlicher Gastlichkeit Im Osten Welch hoher Rang der Gastfreundlichkeit unter den christlichen Tugenden beigemessen wird, geht aus der Vielzahl der Zeugen ebenso hervor wie aus dem Platz, den sie in den Schriften einnimmt. Der erste Clemensbrief beginnt sogleich mit dem Lob der Empfänger, der Gemeinde von Korinth, ihrer allerorts gerühmten Gastlichkeit wegen (1,2). Glaube und Gastfreundlichkeit sind es, die Abraham (10,7), Lot (11,1) und die Hure Rahab (12,1) zu Vorbildern machen und um derentwillen sie von Gott belohnt wurden. Der lange Lasterkatalog (35,5) setzt an den Schluss als die schwerste aller Verfehlungen die Ungastlichkeit. Unter den Schriften des Bischofs Meliton von Sardes führt Eusebios in seiner Kirchengeschichte (4,26,2) eine spezielle Abhandlung ›Über die Gastfreundschaft‹ auf. An diesem gemeinsamen Zug erkennt man die Christen (Aristeides, Apologie 15,7): Wenn sie einen Fremden sehen, führen sie ihn hinein unter ihr Dach und freuen sich über ihn wie über einen wirklichen Bruder. Die in den Gemeinden gesammelten Spenden kommen, wie Justin in seiner an den Kaiser Antoninus Pius gerichteten Apologie (1,67) darlegt, neben Witwen, Kranken, Armen, Gefangenen auch den vorübergehend am Ort verweilenden Fremden zugute. Der Kreis ist durch die Apostelbriefe vorgegeben und die Pflicht wird im ›Hirten des Hermas‹ (mand. 8,10) wiederholt ans Herz gelegt, ebenso, dass diese Pflicht besonders den Bischöfen obliegt (sim.

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IV. Das christliche Altertum

9,27,2): Auf dem zehnten Berge genießen die Seligkeit im Schatten von Bäumen Bischöfe und Gastgeber, alle, die freundlich allezeit die Diener Gottes ohne ihr Herz zu verschließen in ihre Häuser aufgenommen haben.111 Schon von Anbeginn zeigt sich, dass unterschiedslos geübte Wohltätigkeit in Gefahr läuft, missbraucht zu werden. Noch wird nicht ein Empfehlungsschreiben der Herkunftgemeinde zur Bedingung gemacht. Aber es werden feste Regeln für die Aufnahme der Ankömmlinge aufgestellt. Pseudopropheten, die mit frommen Sprüchen sich auf Kosten der Gastgeber nur ein bequemes Leben verschaffen, sollen als Christemporoi (Händler mit der Ware „Christus“) entlarvt werden. Die Lehrordnung (Didache 12–13) ordnet an: Jeder, der im Namen des Herrn kommt, soll aufgenommen werden, und dann sollt ihr ihn auf die Probe stellen und daraus erkennen. … Ist der Ankommende ein Vorüberreisender, so helft ihm, so viel ihr vermögt. Er wird bei euch nicht länger bleiben als zwei bis drei Tage, wenn nötig. Will er aber bei euch sesshaft werden, soll er, wenn er ein Handwerker ist, arbeiten und damit sein Essen verdienen. Versteht er kein Handwerk, dann sorgt nach eurem Ermessen dafür, wie er ohne Müßiggang als Christ unter euch leben kann. Wenn er dazu nicht bereit ist, dann ist er ein Christverkäufer. Nehmt euch vor so jemandem in Acht! Jeder wahrhafte Prophet, der sich bei euch niederlassen will, ist seinen Unterhalt wert. … Darum sollt ihr alle Erstlinge von dem, was in Keller und Tenne, bei Rindern und Schafen erzeugt wird, nehmen und sie den Propheten geben. … Wenn ihr keinen Propheten bei euch habt, so gebt sie den Armen. Regeln für den ehrenden Empfang stellt die Apostellehre (Didascalia apostolorum 29–30 p. 47 Tidner) auf: Wenn ein Mann oder eine Frau von höherem weltlichen Rang, während du auf dem Bischofsstuhl sitzest, daherkommt, sei es ein Fremder oder aus dem Ort, dann sollst du, der Bischof, nicht aus Rücksicht auf das Ansehen der Personen deinen Dienst in der Verkündung des Gotteswortes unterbrechen und für ihn Sessel aufstellen lassen. Wenn aber kein Platz da ist, dann soll einer, der brüderliche Ehrerbietung und Liebe im Herzen trägt und ein ehrenhafter Mann ist, aufstehen, ihm seinen Platz anbieten und selber stehen. Wenn aber Jüngere sitzen bleiben und ein älterer Mann oder eine alte Frau aufsteht und ihren Platz anbietet, dann sieh du, Diakon, zur Sache. Was die Jüngeren angeht, sorge dafür, dass sie aufstehen und dass die sitzen kann, die Platz gemacht hat. Die Unfolgsamen werden auf die hintersten Plätze verwiesen. Wenn Arme oder Pilger keinen Platz finden, soll sogar der Bischof seinen Platz zur Verfügung stellen und selber auf dem Boden sitzen. Im Ägypten des 4. Jahrhunderts, als nicht mehr die Auseinandersetzung mit Heiden, sondern die Behandlung begegnender Christen zum Haupt-

4. Der Geist frühchristlicher Gastlichkeit

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anliegen geworden ist, lauten die Ratschläge des Mönchsvaters Isaias (Patrologia gr. 40,1110): Wenn du im gastlichen Haus von einem deiner Mitbrüder aufgenommen bist, dann sollst du als Fremder ihm nicht etwas vorschreiben und dich zum Herrn aufspielen wollen. Der Rat für den Gastgeber lautet: Wenn ein fremder Bruder sich bei dir einstellt, begrüße ihn mit froher Miene, umarme ihn und nimm ihm freudig das Bündel, das er trägt, mit eigener Hand ab. Beim Abschied handle wieder entsprechend. Deine Begrüßung geschehe mit Herzlichkeit und Gottesfurcht, ohne dass er sich brüskiert fühlt. Hüte dich davor, ihm überflüssige Fragen zu stellen, und lade ihn zum Gebet ein. Nachher, wenn er sich niedergesetzt hat, erkundige dich, wie es ihm gehe, nicht mehr, sondern biete ihm irgendein kleines Buch zum Lesen an. Ist er aber müde vom Weg, sorge dafür, dass er ausruhen kann, und wasche ihm die Füße. Wenn er ungebührliche Reden führt, weise ihn liebevoll zurecht, indem du sagst: Verzeih mir, ich bin empfindlich und kann solche Dinge nicht vertragen. Ist er ein Armer und trägt schmutzige Kleider, dann wasche du sie. Ist er ein Herumtreiber, der den Leuten eitle Sprüche vorpredigt, und du hast rechtgläubige Christen bei dir im Haus, dann führ ihn nicht vor, sondern zeige dein Bedauern mit ihm. … Ist es aber ein Bruder und wünscht um Gottes willen bei dir beherbergt zu werden, dann wende nicht dein Antlitz von ihm ab, sondern nimm ihn mit Freuden auf und führe ihn in den Kreis der Gläubigen ein, die bei dir zu Gast sind. Ist es ein Bettler, lass ihn nicht ohne Gabe von dir ziehen. Ein Gepäckstück, das er zur Aufbewahrung mitgebracht hat, darf man nur in seiner Anwesenheit öffnen. Auch wenn man selber auf Reisen ist, soll man als Gast sich nicht neugierig im Haus umsehen, Fenster aufmachen oder ein Buch aufrollen. Wem der Gastgeber vor seinem Weggehen etwas aufträgt, der soll es gewissenhaft erfüllen. Sandalen soll man im Hause ablegen und nur unterwegs tragen. Wie hoch die Gastfreundlichkeit bei den ägyptischen Christen stand, zeigt ein Wort des Bischofs Athanasius in der Lebensbeschreibung des Eremiten Antonius (17,7 Bartelink). Er mahnt, nicht nach vergänglichen Gütern zu streben, sondern nach denen, die wir in die Ewigkeit mitnehmen können. Von ihnen stellt er eine Reihe von zehn auf, beginnend mit den vier Kardinaltugenden. Sie gipfelt am Ende mit der Fremdenliebe (Philoxenia). Diese Güter, sagt er, werden uns vorauseilen und uns die gastliche Aufnahme vorbereiten im Land der Sanftmütigen. An Christus den heilenden Arzt, der unsern Augen zum richtigen Sehen verhilft, erinnert ein dem Mönch Euagrius zugeschriebener Spruch (14, Patrologia gr. 40,1269): Ein Fremder und ein Armer sind die Augensalbe Gottes. Das Gebot der Gastfreundlichkeit bereitete indessen den Einsiedlermönchen nicht geringe Schwierigkeiten. Hatten sie sich doch deswegen in die

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Wüste zurückgezogen, um sich weltabgeschieden in Kontemplation und Askese ganz Gott zu weihen. Besucher störten sie in der von ihnen gewollten Lebensweise, und die Überwindung des eigenen Willens aus Nächstenliebe stellte sie auf eine harte Probe. Cassian fragt in seinen ›Conlationes‹ (Gesprächen mit Mönchen) 1,12, wie es denn überhaupt möglich sei, als Mönch sich niemals von der Meditation ablenken zu lassen durch den Gedanken an die Ankunft eines Bruders oder die Freundlichkeit, die man Pilgern und Besuchern schuldig sei, und der befragte Mönch bekräftigt, es komme einem Ehebruch gleich, auch nur einen Augenblick sich von der Betrachtung Christi abzuwenden. Er überwindet den Rigorismus (2,26): Wir müssen das Maß bei der Speise einhalten und zugleich Gastfreundlichkeit ausüben und uns den Brüdern im Namen der Bruderliebe mit Zuspruch zuwenden, wenn sie zu uns kommen. Denn es wäre völlig unverständlich, wenn man einen Bruder, und das heißt so viel wie Christus, zu Tische lädt und nicht mit ihm gemeinsam das Essen einnimmt oder sich ganz von der Mahlzeit fernhält. Es geschieht in der Weise, dass der Mönch von den zwei kleinen Broten, die seine Tagesration bilden, morgens eines bis zum Abend zurücklegt, damit, wenn sich ein Gast einfindet, er etwas hat, was er mit ihm zusammen verzehren kann. Die Frage, ob es erlaubt sei, dem Gast zuliebe das Fasten zu brechen, wird immer wieder gestellt und entschieden bejaht. Ein Einsiedler, der sich vor einem Mönchsvater rühmt112: Auf meinem Herd ist Gras gewachsen, erhält die Antwort: Du hast die Gastfreundlichkeit von dir vertrieben. Eine andere Geschichte113: Einige Väter suchten einst den Vater Joseph auf, um ihn zu befragen über die Art, Brüder zu empfangen, die zu ihnen kämen. Joseph hatte, das vorausahnend, links und rechts von ihm Stühle aufstellen lassen und bat sie, sich hinzusetzen. Dann ging er in seine Zelle und kam zurück, mit alten Lumpen bekleidet. Darauf ging er nochmals weg und zog die feinen Sachen an, die er früher getragen hatte. Dann fragte er die Erstaunten: Ihr habt mich gesehen. War ich ein anderer in den Lumpen? Sie antworteten: Nein. Er fragte weiter: Und war ich weniger im besseren Kleid? – Nein. – So sollen wir es halten: Wenn Brüder zugegen sind, sollen wir sie mit Freuden aufnehmen; wenn wir wieder allein sind, dann ist es für uns Zeit, zu trauern. Es gilt auch bei den Frommen der Umgebung bestehende Erwartungen zu korrigieren.114 Vater Moses bekommt in der Karwoche Besucher aus Ägypten und bewirtet sie mit einem Brei, den er für sie kocht. Nachbarn hatten Rauch aufsteigen gesehen und meldeten den Klerikern: Moses hat das Fastengebot gebrochen und bei sich im Haus gekocht. Die Kleriker sagen zu: Wenn er kommt, werden wir ihn zur Rede stellen. Als sie ihn am Samstag in Begleitung vieler Gäste kommen sehen, erklären sie vor allen

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Leuten: Vater Moses, Menschengebot hast du gebrochen, aber Gottes Gebot hast du mit Mut und Kraft festgehalten. Cassian will auf seiner Reise die Lebensweise der Mönche kennen lernen und stellt Unterschiede fest (inst. 5,24). In Palästina lässt man den Ankömmling mit dem Essen warten bis zur in der Mönchsregel vorgeschriebenen Zeit. In Ägypten ist der Gast ein Grund, mit Ausnahme von Mittwoch und Freitag das Fasten sogleich zu brechen. Ein Alter rechtfertigt den Brauch: Fasten gibt es bei mir immer. Aber euch, die ich alsbald wieder ziehen lassen muss, werde ich nicht ständig bei mir behalten können. Fasten ist ein zwar nützliches, aber doch freiwilliges Opfer. Das Werk der Liebe zu erfüllen jedoch, das ist ein unerlässliches Gebot. Gedanken zur Psychologie der Gastfreundschaft äußert der Mönchsvater Neilos115: Die Werke der Hände werden wir einbringen in den Schatz der Fremdenliebe. Nicht als ob wir den Brüdern eine Gnade erwiesen, wollen wir ihnen die Hand zum Gruße reichen, sondern wie wenn wir zur Abzahlung einer Zinsschuld verpflichtet wären, sollen wir sie kniefällig bitten, unsere Gäste zu werden, so wie es Lot vorgemacht hat. Manche sind in schwer begreiflicher Weise so stolz auf ihre Gastgeberehre, dass sie ihre Einladung nicht als Bitte, sondern mit zudringlicher Überheblichkeit vorbringen und sich dann, wenn der Angesprochene ablehnt, von ihm beleidigt fühlen. Überhebliche Blindheit macht aus dem Gebot eine Sünde. Umgekehrt kann auch die Absicht, dem Bruder nicht durch Zudringlichkeit lästig zu sein, missverstanden werden, so dass es dem Fremden vorkommt, er habe auf deiner Seite überhaupt kein Zeichen der Fremdenliebe vorgefunden. Es gilt, das rechte Wort zu finden. Alle die kennen die Süße der Fremdenliebe, die um ihretwillen im fremden Land als Gäste aufgenommen worden sind, wenn nach dem Willkomm auch noch ein gutes Wort den liebevollen Tisch bereitet, das zu Herzen geht. Doch die Dämonen versuchen das gute Werk zu vereiteln, indem sie in die innersten Gedanken einflüstern: Plag dich ab, bewirte Gäste, wozu? Bloß um dir den Ruf eines edlen Menschen zu verschaffen? Aus der Vorstellung des edlen Scheins säen sie nach und nach das Unkraut der Bosheit. Oder sie wollen die Fremdenbeherbergung nur als reine Belästigung verstanden wissen. Manche Wüstenmönche legten eigens, um ihre Besucher bewirten zu können, ein Gärtchen an. Von Antonius berichtet es sein Biograph Athanasius (50,7): Er hatte sich, weil die Besucher zu viele wurden, weiter hinein in die Wüste verzogen. Doch als er sah, dass wieder welche daherkamen, baute er sogar ein ganz wenig Gemüse an, damit der Ankommende eine kleine Erfrischung erhielte nach jener mühsamen Reise. Von dem greisen Pachomios, der in seinem Kloster den Mönchen streng untersagt hatte, mit

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fremden Mönchen eines anderen Klosters gemeinsam zu essen, und ihnen gebot, bei Tisch ihr Haupt mit der Kapuze zu verhüllen, damit nicht einer dem andern beim Essen zusähe oder mit ihm spräche (Vita 22),116 weiß der Biograph (69–73): Zur Essenszeit bereitete er selbst den Tisch für die Brüder und leistete ihnen die gewohnten Dienste. Er pflanzte in den Gärtchen sogar Gemüse, das er eigenhändig begoss. Man konnte ihn, wenn jemand an der Tür klopfte, bereitwillig Rede und Antwort stehen sehen. Die dem Fremden erwiesene Liebe ist dem Wüstenmönch eine Gelegenheit, in Demut den eigenen Willen dem Willen Gottes unterzuordnen und den Widerwillen gegen die Störung des gewohnten Tagesablaufs zu überwinden. Die Sprüche der Väter bekräftigen das mit einer Reihe von Beispielen.117 Ein Besucher hat befürchtet, in der zweiten Fastenwoche vor verschlossener Tür zu stehen und erhält die Antwort: Wir haben nicht gelernt, die hölzerne Tür zuzumachen, sondern vielmehr liegt uns daran, die Tür der Zunge geschlossen zu wahren. Wer sich entschuldigt dafür, dass er die Ruhe gestört habe, wird belehrt: Meine Regel lautet, dich in Gastfreundschaft zu empfangen und in Frieden ziehen zu lassen. Auf die besorgte Frage der Brüder aus dem nahen Kloster, ob es für ihn nicht ärgerlich sei, außer der Zeit mit ihnen zu essen, entgegnet der Eremit: Das ist mir ein Grund zum Ärger, wenn ich meinem Eigenwillen nachgegeben habe. Und ein Eremit, der aus Freude über die Ankunft der Brüder sein Fasten unterbricht, erklärt es mit den Worten: Fasten findet seinen Lohn. Doch wer aus Liebe isst, erfüllt gleich zwei Gebote: Er hat seinen eigenen Willen überwunden und hat das Gebot erfüllt, indem er Brüder bewirtet. Das wird durch ein Wunder bestätigt: Ein weiser Alter bietet in seinem an der Straße gelegenen Haus den aus der Wüste vorüberwandernden Eremiten zu jeder Zeit eine gastliche Erquickung an. Einer von ihnen lehnt ab mit der Begründung: Ich faste. Der Alte lässt nicht nach und schlägt vor, was der Eremit nicht ablehnen kann, gemeinsam zu beten, und zwar unter dem Baum neben der Hütte. Auf wessen Gebet der Baum sich neigt, dessen Wort soll gelten. Der Eremit betet, es rührt sich nichts. Kaum aber hat der Alte seine Knie gebeugt, beugt sich auch der Baum. Ihre überzeugende Kraft entfaltet die Fremdenliebe, wenn sie sich steigert zur Feindesliebe (5,13,11): Ein weitbekannter führender Manichäer wird in der Wüste vom Einbruch der Nacht überrascht. Nur die Hütte eines rechtgläubigen Alten ist nahe, verzweifelnd wagt er anzuklopfen. Der Alte öffnet, erkennt ihn und empfängt ihn herzlich, fordert ihn zum Gebet auf, bewirtet ihn und richtet ihm einen Platz zum Schlafen ein. Am andern Morgen fällt ihm der Manichäer zu Füßen und wird sein Schüler. Umso empörender wirkt Fremdenfeindlichkeit, wenn sie gerade von Mönchen verübt wird. Isidor von Pelusion118 beschwert sich beim Kloster

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seiner Stadt. Ankommende haben ihm berichtet, sie hätten am heiterhellen Mittag erschöpft von Hitze und Durst unter dem Vordach Schatten gesucht. Da seien sie an den von euch mit dem Amt der Menschenfreundlichkeit Beauftragten geraten, der eher ein Hund oder menschenfeindlicher Wolf ist, und der sie mit unablässigen Schlägen vertrieben hat. Wenn manche ohne es zu merken Himmelsboten bewirtet haben, ihr betreibt, und nicht ohne es zu merken, sondern wohlwissend, die Vertreibung von Himmelsboten! Ein Vorwurf der Ungastlichkeit gehört zu den auslösenden Motiven einer schweren Krise in der Kirchengeschichte. Ums Jahr 400, so berichtet der Biograph des Bischofs Johannes Chrysostomos,119 beklagte sich der unerwartet in Konstantinopel eintreffende Bischof Akakios von Beroia, er habe, wie er behauptete, kein komfortables Quartier gefunden. Darob schwer gekränkt, schäumte er vor Zorn, er sei von Johannes missachtet worden, und drohte: Die Suppe will ich ihm versalzen! Akakios zählt von da an zu den Feinden, die die Absetzung und Verbannung des Johannes betreiben. Johannes selbst, von dem der Kirchenhistoriker Theodoret120 sagt: Woher rührte, wenn du’s von uns wissen willst, die Berühmtheit des Johannes? Von seiner Gastfreundlichkeit! Wer war gastfreundlicher als Johannes!, trug zur Verschärfung der Gegensätze bei. Zwar gewährte er den aus Ägypten ihres Glaubens wegen vertriebenen Mönchen aus Rücksicht auf den sie verfolgenden Bischof Theophilos von Alexandreia nur ein Unterkommen zur Ruhe, aber selbst nichts, was sie zum Unterhalt benötigten. Das besorgten Gott (und ihrem Bischof) ergebene Frauen, und die Mönche selbst trugen durch eigene Arbeit ihr Teil bei. Dennoch hatte Johannes mit Theophilos einen Feind mehr. Am Bischofstisch des Johannes waren Gäste selten (Palladios, Dial. 12): Er aß meist allein. Tischgenossen haben die Gewohnheit, wenn man nicht mit ihnen schmaust und die Kehle nässt und in sinnloses Gelächter ausbricht, die schlichte Freundesrunde hinterher zum Gespött zu machen. Nicht die Reichen, sondern die Armen soll man zu Tische laden und, wenn es sich als nötig erweist, Heilige in einer Notlage zu Gast holen. Damit sollen nicht die guten Grundsätze der Väter abgewertet werden, am allerwenigsten die der Gastfreundlichkeit. Doch besser als Speisung ist die Belehrung: Die Priester sollen in Konstantinopel, wo es genug Gastgeber gibt, vor allem das Wort verkünden, sonst sind sie die Wirte, die den Wein verwässern (vgl. oben S. 124). Christus hat, nicht in der Stadt, sondern in der Wüste, die Fünftausend nicht nur gespeist, sondern gelehrt, und er hat nicht kurzzeitig für den Leib, sondern auf Dauer für die Seele gesorgt. Darum sollen wir nicht unter Preisgabe des Glaubens und der anderen Werte die Gastmähler schön finden, denn dann unterscheiden wir uns in

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nichts von den Krämern und Wirten, die die Ränder der Landstraßen mit ihren Tabernen verbauen, und das eben deswegen, aus Gewinnsucht. In seinem Kommentar zur Apostelgeschichte macht Chrysostomos zu den Worten Sie führten uns zu einem Jünger, bei dem wir unterkommen sollten (21,16–17) folgende Ausführungen121: Auf ihrer Reise zur Glaubensverkündigung sind sie bei der Gemeinde zu Gast, jetzt aber bei einem Jünger aus der Frühzeit. … Da wird wohl einer sagen: Wenn auch mir jemand den Paulus als Gast zubrächte, wie bereitwillig und mit wie großer Freude hätte ich es getan! – Sieh, es ist dir möglich, sogar den Herrn des Paulus als Gast aufzunehmen, und du willst nicht. … Wer einen mächtigen großen Herrn aufnimmt, tut es oft auch aus Eitelkeit. Wie anders Abraham! Der saß da in der Mittagshitze im fremden Land, wo ihm als einem Fremden kein Fußbreit Boden gehörte, und bewirtete Fremde, selbst ein Fremder. Was sind wir, die wir keine Fremden aufnehmen, doch noch viel fremder als er! Ähnlich führt er im Kommentar zum 1. Korintherbrief 20,6122 aus: Wenn du einen hohen und weltberühmten Herrn zu Gast hast, dann geschieht das nicht aus reinem Mitleid, sondern es fällt auf dich oft ein Gutteil von eitler Ruhmsucht. Wenn dann von dem Eingeladenen auch noch Gegendienste verlangt werden, so schändet das die Gegenseitigkeit der Fremdenliebe, wenn man sie in solcher Gesinnung ausübt. Er fordert im Kommentar zum Hebräerbrief 13,2 eine klare Unterscheidung der Begriffe123: Die Bibel sagt nicht: Vergesst nicht die Gastaufnahme (Xenodochia), sondern die Fremdenliebe (Philoxenia). Das heißt: Nehmt nicht bloß Gäste auf, sondern tut es mit Liebe zu euren fremden Gästen. Ein Gegenbeispiel zur auf eigenen Vorteil bedachten Gastaufnahme steht in der Apostelgeschichte 28,7, wozu Chrysostomos sagt124: Sieh, da ist wieder ein anderer Gastfreund, Publius, reich und über alle Mittel verfügend. Ohne das Unglück selber gesehen zu haben, aus reinem Mitleid, nimmt er die Schiffbrüchigen auf und sorgt für ihre Pflege. Da ergibt es sich, ohne dass Paulus darum gebeten würde, dass er ihm spontan die freundliche Aufnahme vergilt, indem er durch sein Gebet den kranken Vater heilt. Den mäkelnden Ungastlichen aber wird im Kommentar zum 2. Korintherbrief 19,4 gesagt125: Die Witwe von Sarepta hat ja, sagt man, den Propheten gesehen und nur das hat ihren Eifer bewirkt, der sie berühmt gemacht hat. – Und ihr? Seht ihr nicht abertausende von Heiligen, sogar den Herrn des Propheten? Und auch das macht euch nicht gastfreundlich! Noch kurz bevor er auf der Reise ins Exil stirbt, schreibt Chrysostomos an Olympias, seine Gönnerin und Stifterin wohltätiger Anstalten126: Bauern und Handwerker waren es, welche die von den Machthabern Vertriebenen aufnahmen und sie auf jegliche Weise unterstützten, Purpurhänd-

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lerinnen, Zeltmacher, Gerber, die in den äußersten Randbezirken der Städte wohnten, an Strand und Meer. Oft haben sie nicht einmal gewagt, sich in der Stadt blicken zu lassen, und wenn sie es selbst wagten, so wagten es doch ihre Gastgeber nicht. In den Predigten legt Chrysostomos immer wieder den Zuhörern die Gastfreundlichkeit ans Herz und lässt deren Vorbilder in leuchtenden Farben erstrahlen. Schon als junger Priester in Antiocheia hat er in seiner ersten Predigt seinen Bischof Flavianus gepriesen127: Er, der das Haus so voll und ganz den von überall her um der Wahrheit willen Verfolgten geöffnet hat, geradeso als ob er sein Elternhaus von seinen Vorfahren nur dazu geerbt hätte, um es aus Fürsorgepflicht Fremden anzubieten, nimmt sie nicht nur auf, sondern umsorgt und pflegt sie auf vielfältige Weise, so dass ich nicht weiß, darf ich noch von seinem Haus reden oder muss ich vielmehr sagen, sein Haus sei das Haus der Fremden. Doch gerade deswegen, meine ich, muss man es als sein Haus ansehen, weil es ein Haus der Fremden ist. Denn was wir für uns selber besitzen, kann uns genommen werden. Was wir für die Armen besitzen, gehört uns für alle Zeit, und Gott vergilt es hundertfach. In dem Zyklus von 67 Predigten zur Genesis verweilt Chrysostomos mehrere Tage bei den Beispielen der Gastfreundlichkeit, beginnend mit Abraham128: So ernst hat er die Fremdenliebe genommen, dass er es nicht zuließ, einem andern von seinen Leuten dieses Jagdrevier zu überlassen. Obschon er 318 Knechte hatte, setzte er sich, ein Greis in vorgerücktem Alter, – er war hundertjährig – neben seiner Tür hin. Manche tun das Gegenteil, sie suchen Begegnungen sogar mit den Anwohnern zu vermeiden, um nicht ohne es zu wollen zu einer Einladung gezwungen zu sein. Abraham aber saß da in glühender Mittagshitze, weil er wusste, dass dann Fremde besonders Hilfe brauchen. Er fragte nicht lang, ob bekannt oder unbekannt, denn nicht solch überflüssige Neugier heißt Gastfreundschaft, sondern den Vorübergehenden teilnehmen zu lassen an seiner häuslichen Atmosphäre der Herzensgüte. Und weil er das Fischernetz seiner Fremdenliebe ausspannte, wurde er auch für würdig erfunden, den Allherrscher samt seinen Engeln zu Gast zu haben. … Was, wenn er gefragt hätte, wer sie denn seien? Am folgenden Tag fährt der Prediger fort129: Gestern lief unsere Rede ganz auf die Fremdenliebe hinaus. Heute nun soll die gastfreundliche Witwe von Sarepta unsere Betrachtung zu ihrem Ende führen. Nach der Geschichte von Elias und der Witwe schließt er mit der Aufforderung: Folgen wir also dem Beispiel ihrer Fremdenliebe, und niemand soll in Zukunft Armut zum Vorwand nehmen! In einer späteren Predigt zu Elias und der Witwe130 hebt er auch hier wie bei Abraham die besonderen Umstände hervor: Elias war nicht nur ein Fremder aus einem anderen Volk, er war

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sogar selber derjenige, der den Hunger herbeiführte! … Welche Steigerung der Fremdenliebe kann man sich darüber hinaus sonst noch vorstellen? Wer sein letztes Hemd verschenkt, kann wieder eines bekommen. Aber die Witwe, die den letzten Bissen hergibt, hat für sich und die Kinder nur noch den Tod vor Augen. In der Predigt über Lazarus131 wird dem Reichen, als er Lazarus in Abrahams Schoß sieht, seine Fremdenfeindlichkeit als Schuld bewusst. Jener machte Jagd auf die Vorübergehenden und zog sie hinein in sein Haus. Dieser aber hatte sogar für den, der schon drinnen war, keinen Blick übrig und rannte an der Vorbedingung des Heils glatt vorbei. Der so ausführlich zu Wort gekommene Johannes Chrysostomos ist nur ein Beispiel für die allgemein verbreitete hohe Wertschätzung der Philoxenia in der Kirche seiner Zeit. Sogar sein Feind Akakios steht ihm darin nicht nach. Von ihm berichtet der Kirchenhistoriker Sozomenos (7,28, 2–3): Einen Beweis höchster Vollkommenheit gab er, indem er die ganze Zeit über die bischöfliche Herberge (Katagogion) geöffnet ließ, so dass es zur Essenszeit ebenso wie zur Schlafenszeit den Fremden wie den Stadtbürgern ohne Bedenken möglich schien, ihn zu sehen. Darüber wundere ich mich sehr. Denn entweder lebte er so, dass er ständig voller Vertrauen blieb, oder er hatte sich das ausgedacht, um der natürlichen Neigung zur Nachlässigkeit vorzubeugen, damit er, immer in der Erwartung, von unerwartet Hereinkommenden überrascht zu werden, unter ständiger Überwachung nicht seine Bischofspflichten versäume, sondern voll Eifer seine Aufgaben erfülle. Ähnliches weiß Augustinus (Confessiones 6,3,3) von seinem Lehrer, dem Mailänder Bischof Ambrosius, zu erzählen: wenn wir dort waren. Niemanden war ja der Zutritt verwehrt noch war es üblich, dass ein ankommender Besucher ihm vorher angemeldet wurde. Damit sind wir bei der lateinischen Westkirche angelangt, in der der Gastfreundlichkeit (hospitalitas) ein nicht geringerer Rang beigemessen wurde.

Im Westen Während in Rom eine genügend große Zahl von griechisch Sprechenden oder passiv Verstehenden die vom Osten her sich verbreitende christliche Gemeinschaft noch längere Zeit zu tragen vermochte, waren die Christengemeinden Nordafrikas früh auf die lateinische Sprache verwiesen. Mit Tertullian tritt dort gegen Ende des 2. Jahrhunderts ein streitbarer Vertreter der Christenheit lateinischer Sprache auf. Er ist es, der sprachschöpferisch die Terminologie der christlichen Sondersprache ins Latein überträgt. Im Bereich der Gastlichkeit bedarf es keiner neu gebildeter Äquivalente. Für die

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Aufnahme des Fremden und deren Ort (Xenodochía) gibt es das Wort hospitium, für die dazu bereite Gesinnung (Philoxenía) hatte schon Cicero vom Adjektiv hospitalis das Substantiv hospitalitas gebildet, ein Wort, das erst jetzt häufiger gebraucht zu werden beginnt. Tertullian scheint dessen Seltenheit noch empfunden zu haben, wenn er (praescr. 20,8) die Einheit der Christenheit trotz der Unterschiede in den von den zwölf Aposteln gegründeten Kirchen bewiesen sieht durch das gemeinsame Band des Friedens, den gemeinsamen Brudernamen und die contesseratio hospitalitatis (die miteinander ausgetauschten Ausweismarken der Gastfreundschaft; vgl. oben S. 86). Sowohl das Verb contesserare für das Austauschen der tesserae hospitales wie das davon abgeleitete Substantiv contesseratio sind einmalige von Tertullian kühn erfundene Neuwörter, was den noch ungewöhnlichen Klang von hospitalitas kräftig herausstreicht. In der Verfolgungszeit vor der Anerkennung der Reichskirche durch Kaiser Constantin den Großen ist es das Hauptanliegen, die Unterschiede zwischen Christen und Heiden deutlich herauszustellen. Im ›Apologeticum‹ führt Tertullian eine lange Reihe von Verhaltensweisen an, in denen Christen die Heiden übertreffen, darunter auch (46,16): Wenn ich in Hinsicht auf Verlässlichkeit vergleichen wollte: Anaxagoras hat seinen Gastfreunden das, was sie bei ihm hinterlegt hatten, abgeleugnet; ein Christ wird sogar außer Haus verlässlich genannt. Der Tod eines Märtyrers für Gott (anim. 55) endet nicht im allgemeinen Nichts: Er wird in einer anderen und allein für ihn bestimmten Wohnung (privato hospitio) aufgenommen. Erkenne daraus den Unterschied im Tod zwischen einem Heiden und einem Gläubigen! Die Ehe einer Christin mit einem Heiden ist verwerflich deswegen, weil der Ehemann ihr die Ausübung der christlichen Werke nicht erlauben würde (uxor. 2,4,3): Wenn ein pilgernder Bruder kommt, was fände er für ein Obdach im fremden Hause? Wenn sie ein Almosen reichen will, sind Speicher und Speisekammer zugesperrt. Lactanz (inst. 6,12,3–23) wendet sich scharf gegen das von Cicero in Nachfolge des Aristoteles-Schülers Theophrast vertretene Verständnis vom Nutzen der Gastfreundschaft (s. oben S. 35). Es ist heidnisch und widerspricht christlicher Moral. Denn die Heiden laden vornehme Gäste ein und rechnen mit Gegendiensten. Gäste der Christen jedoch sind die Armen, die Fremden, denen uneigennützig geholfen wird. Du möchtest, ruft Lactanz (6,12,12) aus, als gerecht und menschlich und gastlich gelten, da du doch auf deinen Nutzen bedacht bist. … Wie kann man da behaupten, dass solche den Vorteil suchende Gastfreundlichkeit nicht eine Schlechtigkeit sei? Christen erwarten keine Gegenleistung; der Gipfel der frommen Werke, die Bestattung von Fremden und Armen, schließt sie geradezu aus.

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Der Bischof Cyprian von Carthago tritt mit seinem Beispiel dafür ein, selbst unter den widrigsten Umständen der Verfolgung die Gastfreundlichkeit nicht zu unterlassen. Er nimmt sie als seine Bischofspflicht so ernst, dass er in einem Schreiben aus seinem Fluchtversteck (epist. 7,2) dem vertrauten Helfer ans Herz legt, neben der Fürsorge für Witwen, Kranke und Arme nicht die Pilger zu vergessen: Aber auch den Fremden, wenn sie bedürftig sind, verschafft das, was sie brauchen, aus meinem eigenen Guthaben, das ich bei unserem Mitpriester Rogatianus hinterlegt habe. Eben von diesem als Märtyrer gestorbenen Rogatianus schreibt er (epist. 6,4): Er hat im Kerker für euch die erste Herberge bereitet und ist gewissermaßen euch auch jetzt vorangegangen als euer Quartiermacher. Erst in der Zeit freier Entfaltung nach dem Edikt des Kaisers Constantin werden im lateinischen Westen vermehrt und ausführlicher Betrachtungen über Wesen, Grund und Sinn der Gastfreundlichkeit angestellt. Hauptzeugen sind die Bischöfe Ambrosius von Mailand und Augustinus von Hippo, neben ihnen der gelehrte Bibelübersetzer Hieronymus. In seiner christlichen Umformung der ciceronischen Pflichtenlehre empfiehlt Ambrosius seinen Klerikern die Gastfreundlichkeit mit den Worten (off. 2,103–107): In ihr tritt die Menschlichkeit nach außen in Erscheinung, so dass der Fremde nicht ohne Obdach bleibt, liebevoll aufgenommen wird, dass sich ihm bei seiner Ankunft die Türe öffnet. Es dient sehr dem Ansehen vor aller Welt, wenn Fremde in Ehren aufgenommen werden, ihnen nicht die freundliche Einladung an den gastlichen Tisch versagt bleibt, man ihnen entgegeneilt mit großherzigem Anerbieten, wenn man sogar Ausschau hält nach ankommenden Fremden. Das Argument Ciceros, dass der Gastgeber Ansehen vor der Welt gewinnt, ist für Ambrosius nicht, wie für Lactanz, ohne Wert. Es wird mit dem beispielhaften Verhalten von Abraham und Lot zusammen gesehen. Doch im Folgenden gebührt auch für ihn der uneigennützigen Menschenliebe der Vorrang: Es gehört sich also, gastfreundlich, freigebig und gerecht zu sein, nicht zu begehren, was dem anderen gehört. … Alle gastfreundlichen Dienste müssen freilich mit Liebe zu allen Menschen ohne Unterschied angeboten werden. Doch den Gerechten muss eine reichliche Ehrerbietung erwiesen werden. Nachdem das mit Matth. 10,41 begründet ist, wird der himmlische Lohn, nicht wie bei Cicero der irdische Gegendienst, angesprochen: So großen Dank erwirbt sich bei Gott die Gastfreundlichkeit, dass nicht einmal ein Schluck kühlen Wassers bei ihm ohne den Lohn der Vergeltung bleibt. Wieder werden Abraham und Lot als Beispiele dafür zitiert, verbunden mit Matth. 25,36: Woher kannst du wissen, ob nicht auch du, wenn du einen Menschen aufnimmst, Christus aufnimmst? Es ist möglich, dass im fremden Gast Christus ist, weil Christus im Armen ist, wie er selbst sagt.

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Bei den lateinischen Kirchenvätern wird wie bei den Griechen immer wieder Bezug genommen auf die Vorbilder des Alten Testaments, vor allem Abrahams. So nutzt auch Ambrosius seinen Traktat über Abraham, um einen Exkurs über Gastfreundschaft einzufügen (1,5,32): Jetzt werden wir auch von seiner Gastfreundlichkeit sprechen. Sie ist eine hoch über das Mittelmaß erhabene Tugend. Daher hat auch der Apostel Paulus gelehrt, sie müsse als Erste bei einem Bischof vorausgesetzt werden gemäß der doppelten Weisung der Heiligen Schrift (I Tim. 3,2 und Tit. 1,7), so dass er für die Ankommenden da ist, ihnen entgegeneilt, ihre Reisewege erkundet und schon bei ihnen ist, bevor sie nach ihm suchen, und sie, wenn sie vorüberziehen, zu sich nötigt. Abraham saß vor seiner Tür, saß da zur Mittagsstunde; wenn andere Siesta hielten, war er auf der Suche nach Spuren anreisender Fremder. … Lerne daraus, wie rastlos du sein solltest, um einen Gast zuvorkommend abzufangen! Gut ist die Gastlichkeit. … Alle sind wir als zeitweilige Einwohner dieser Welt Fremde, nur auf Zeit haben wir ein Gastrecht, bald ziehen wir wieder fort. Nehmen wir uns in Acht, damit, wenn wir hartherzig oder gleichgültig gewesen sind in unserem Verhalten bei der Aufnahme von Fremden, nicht auch uns nach dem Ende unseres Lebenslaufes die Herberge der Heiligen verwehrt wird. … Nicht Luxus erwartet der Gast von dir, sondern Freundlichkeit, nicht eine reich besetzte Tafel, sondern ein ganz gewöhnliches Essen. Das Beispiel der Patriarchen des Alten Testaments dient ihm regelmäßig dazu, die Aufforderung zur Gastlichkeit mit der Zusage himmlischen Lohns zu verknüpfen (epist. extra coll. 14,105 [CSEL 82,10,3]): Liebt die Gastfreundlichkeit! … Auch du kannst Engel zu Gast haben, wenn du Ankommenden deine Gastfreundschaft anbietest. Was soll ich (außer Abraham und Lot) noch Rahab anführen, die durch solchen Dienst das Heil gewonnen hat? Von den reisenden Glaubensboten wird gesagt (in Luc. 6,66): Den Aposteln wird der Friedensauftrag gegeben, sie sollen Frieden bringen, Beständigkeit wahren, die Rechte gastlicher Verbundenheit vor Verletzung behüten. Es liegt einem Verkünder des Himmelreichs fern, von Haus zu Haus zu laufen und die Regeln der unverletzlichen Gastfreundschaft zu ändern; sondern ebenso, wie es für richtig erachtet wird, für Gastlichkeit Dank zu erweisen, wird ihnen auch geboten, wenn sie nicht willkommen geheißen werden, den Staub abzuschütteln und die Stadt zu verlassen. Dadurch wird gelehrt, dass der Lohn der Gastfreundschaft die Erstattung eines hohen Gutes ist, dass wir den Gastgebern nicht nur den Frieden bringen, sondern dass sogar Sünden getilgt werden. Nicht ohne Bedacht, wird angeordnet, soll das Haus ausgewählt werden, das die Apostel betreten, damit kein Grund gegeben sei, das gastliche Haus zu wechseln und das Band der Freundschaft zu zerreißen. Dennoch wird nicht dem Aufnehmen-

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den dieselbe Vorsicht bei der Aufnahme nahe gelegt, damit nicht, wenn er sich den Gast auswählt, die Bereitschaft zur Gastlichkeit selbst darunter leidet. Dass Gastfreundlichkeit spontan und von Herzen kommen soll, legt Ambrosius im Brief 62,2 (CSEL 82,10,2) nahe: Lehre, dass man aus freiem Willen Gastgeber sein soll und nicht bloß, weil es zwingend geboten ist, damit man nicht in der Art, wie Gastlichkeit angeboten wird, seine ungastliche Gesinnung verrät und mitten unter der Aufnahme eines Gastes dadurch, dass man ihn kränkt, der Dank verloren geht, sondern damit das Pflänzchen der Dankbarkeit gepflegt werde durch die Art des Entgegenkommens und einen Dienst der Mitmenschlichkeit. Man will von dir ja nicht reiche Geschenke, sondern bereitwillige Handreichungen, voller Frieden und verbindender Eintracht. Im Traktat über die Witwe von Sarepta (1,4 f.) greift Ambrosius auf ein altbekanntes Sprichwort zurück: Wenn schon von den Heiden einer gesagt hat, Freunden müssten alle Dinge gemeinsam gehören, um wie viel mehr dann Brüdern und Schwestern! Es ist unserer Gastfreundlichkeit keine irgendwie vorgeschriebene Grenze gesetzt. Die irdischen Güter sind für alle da; daraus ergibt sich, dass wir sie den Gästen anbieten, denn auch wir selber sind Gäste dieser Welt. Ein Höchstmaß sieht Ambrosius im Opfermut des Priesters Abimelech, der den von Saul verfolgten David aufgenommen hat und dafür mit dem Tode bestraft worden ist (in Luc. 5,35): David ging in das Haus des Priesters Abimelech, und obschon ihm die Gefahr des Todes vor Augen steht, lehnt dieser den Gast nicht ab, weist der Edelmut des heiligen Priesters den Flüchtling nicht zurück. So freundlich ist Gastfreundschaft, dass wir freudig die andern drohenden Gefahren auf uns übernehmen. Die Lehren des Ambrosius macht sich Augustinus im Amt des Bischofs zur Regel seiner Lebensführung. Sein Biograph Possidius (Vita 22,2–6) berichtet: An seiner Tafel ging es einfach und sparsam zu, gab es doch auf ihr Kraut und Hülsenfrüchte, bisweilen den Gästen zuliebe und mit Rücksicht auf Kranke auch Fleisch, immer allerdings Wein. … Immer gewährte er seine Gastlichkeit, und besonders bei Tisch schätzte er Schriftlesung und ein Gespräch darüber mehr als Schwelgerei und Trinken. Weiter hatte er gegen die unter Menschen verbreitete Unsitte auf den Tisch folgende Verse schreiben lassen: Wer es liebt, mit seinen Reden die Lebensart von Abwesenden zu schmähen, soll wissen: Seine Lebensart gehört nicht an diesen Tisch. Auf diese Weise also ermahnte er jeden Tischgenossen, seine Zunge vor überflüssigem und schädlichen Tratsch zu hüten. Possidius vermerkt weiter (Vita 27,4), Augustinus habe sich an den Rat des Ambrosius (vgl. off. 1,86) gehalten, an seinem Wohnort keiner Einladung zu einem Gastmahl zu folgen.

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Augustinus selbst sagt von seiner Hausordnung (serm. 355,2): Ich habe gesehen, dass ein Bischof die Pflicht hat, ständig einem jeden, der ankommt oder durchreist, seine Menschenliebe zu bezeigen. Hätte ein Bischof das unterlassen, würde man ihn unmenschlich heißen. Als im Jahr 411 ein angeordnetes Streitgespräch mit den Donatisten in die Fastenzeit nach Pfingsten fällt, ordnet er eine Unterbrechung des Fastens an (serm. 357,5): Was sind wir unseren Brüdern schuldig, die wir im Namen unseres göttlichen Herrn Christus, unseres Arztes, empfangen, um sie zu kurieren und zu heilen? Ihm bringen wir unser Opfer für ihre Heilung dar und maßen uns nicht die heilenden Hände des Arztes an! … Dem Herrn wollen wir unsere Ergebung widmen, den Brüdern unsere Liebe. … Lasst uns Gastlichkeit üben! Häufiger als sein Lehrer Ambrosius legt Augustinus seinem Lob der Gastlichkeit das Neue Testament mit seinen Beispielen zugrunde. Die Hospitalitas fügt sich ein in den Rahmen eines seiner zentralen Gedanken: Es ist Gottes Wille, dass die Menschen, aufeinander angewiesen, eine Gemeinschaft bilden. Christus ist Mensch geworden, um sie durch seine Mitmenschlichkeit in brüderlicher Liebe zum Heil zu führen, ihr Lehrer als Mensch, ihr Vorbild als Mensch (siehe oben S. 9). In diesem Sinne führt Augustinus (serm. 239,2 ff.) aus: Er, der Herr des Himmels, wollte ein Gast sein auf Erden, ein Fremder in dieser Welt, er, durch den die Welt erschaffen worden ist! Er hat sich herabgelassen, Gast zu sein, damit du, wenn du ihn aufnimmst, einen Segen empfangen sollst, nicht weil er etwas ermangelt hat, als er als Gast zu uns eingegangen ist. Gott könnte den Menschen alles Nötige schenken, so wie Elias von einem Raben gespeist wurde, aber er schickt Elias zur Witwe: Wenn Gott seinem Diener ohne menschliche Hilfeleistung immer das Brot spendete, wie käme dann die Witwe zu ihrem Lohn? … Oft macht Gott seinen Diener, den er ernähren könnte, deswegen arm, damit er menschliche Wohltäter findet. … Niemand soll sich erhaben fühlen, weil er einen Gast aufnimmt: Christus ist der Gast gewesen, der Aufgenommene ist mehr wert als der Aufnehmende! … Vielleicht fehlt dir mehr als ihm, vielleicht ist der, den du aufnimmst, ein Gerechter. Er bedarf des Brotes, du der Wahrheit, ihm fehlt ein Dach, dir der Himmel, ihm fehlt es an Geld, dir an Gerechtigkeit. … Dass also jener Arme gastlich aufgenommen worden ist, weil er arm war, das war eine Auszeichnung des Gastgebers, nicht eine Notlage des Bedürftigen. … Vielleicht sagst du zu dir selbst: Wie glücklich sind doch die, denen es vergönnt war, Christus zu beherbergen! Ach, hätte ich doch damals gelebt! Wäre ich bloß einer von jenen zwei Jüngern gewesen, die er auf ihrem Weg angetroffen hat. – Sei nur du auf dem Weg, Christus wird dir als Gast nicht fehlen! An die Emmaus-Jünger erinnert er auch in den

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Sermones 235,3 und 236,3: Sie luden ihn zu Gaste. Es hatte ja den Anschein, als ob der Herr in die Ferne ziehen wolle, sie aber hielten ihn fest. … Halte den Gast fest, wenn du den Erlöser erkennen willst! Was der Unglaube ihnen geraubt hatte, das brachte ihnen die Gastfreundlichkeit wieder zurück. Darum also offenbarte sich ihnen der Herr im Brotbrechen. … Er geht mit ihnen ins Haus, wird ihr Gast, und er, der während der ganzen Wanderschaft nicht erkannt worden war, wird beim Brotbrechen erkannt. … Wisst ihr denn nicht, dass, wenn ihr einen Christen als Gast aufgenommen habt, ihr den Herrn selbst aufnehmt? … Darum also, wenn ein Christ einen Christen als Gast aufnimmt, dienen die Glieder eines Leibes den übrigen Gliedern und es freut sich das Haupt und sieht es so an, als sei es ihm gegeben, was einem seiner Glieder geschenkt worden ist. Den Gedanken führt Sermo 171,3 f. weiter unter Bezug auf Lukas 10,38 ff.: Wer von uns vermag es mit Worten ganz auszudrücken, welch hohes Gut es ist, den Heiligen in Gastfreundlichkeit zu dienen? Und wenn schon jedem Heiligen schlechthin, um wie viel mehr dem Haupte und den wichtigsten Gliedern, Christus und den Aposteln! Sagt nicht ein jeder von euch, der diese gute Tugend der Gastfreundlichkeit besitzt, wenn er hört, was Martha getan hat, im Stillen zu sich selbst: Wie selig, wie glücklich war sie, der es vergönnt war, den Herrn zu Gast zu haben, deren Gastfreunde die Apostel geworden sind, als sie noch im Fleische wandelten. Augustinus erklärt dann das Verhältnis der tätigen Martha zu ihrer dem Herrn zuhörenden Schwester Maria: Wenn Maria das bessere Teil gewählt hat, das ihr nicht genommen werden wird, so hat Martha zwar das gewählt, was ihr genommen werden wird: Gewiss, jedem Menschen, der den Heiligen für ihr leibliches Wohl nötige Dienste leistet, dem wird das, was er tut, genommen werden. Wem dient er, wenn nicht einem Hungernden und Dürstenden? Doch die wird es in der Ewigkeit nicht geben. Wem soll denn Speise gereicht werden, wo niemand hungert? Wem ein Obdach bereitet, wo niemand ein Fremder ist? Weggenommen sein wird die Mühe, doch es wird gegeben werden der verdiente Lohn. Das ewige Leben ist, und damit nimmt Augustinus einen schon in der heidnischen Philosophie oft ausgesprochenen Gedanken auf, die wahre Heimat. Wir sind auf Erden nur Gast (serm. 111,2,2): Erkennt das Wesen der Gastfreundschaft. Durch sie ist man zu Gott ans Ziel gelangt. Du nimmst einen Gast auf, mit dem auch du ein und denselben Weg gehst. Denn wir alle sind nur als Pilger unterwegs. Eben der ist ein Christ, der erkennt, dass er in seinem Hause und in seiner Vaterstadt ein Fremder ist. Denn unsere Heimat ist droben, dort werden wir keine Fremden sein. Hier aber und in seinem Haus ist ein jeder nur Gast. Wäre er nicht Gast, würde er auch nicht von hier hinübergehen. Wenn er aber hinübergehen will, ist er Gast. Doch er hinterlässt

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sein Haus seinen Kindern, als Gast andern Gästen. Wie das? Wenn du in einer Wirtsherberge wärest, würdest du dann nicht, sobald ein anderer kommt, ausziehen? … Wenn wir alle hinübergehen, so wollen wir aber doch etwas wirken, was nicht dahingehen kann, damit wir, wenn wir hinübergegangen und an jenem Ort angelangt sind, von dem weg wir nicht mehr weiter hinübergehen, unsere guten Werke dort vorfinden. Augustins Zeitgenosse, der streitbare Gelehrte Hieronymus, wendet sich kritisch gegen mangelnde Bereitschaft seitens der Bischöfe. In seinem Kommentar zum Titusbrief, wo die negativen und positiven Voraussetzungen für ein Kirchenamt aufgeführt werden, bemerkt er132: Vor allem wird einem zukünftigen Bischof die Gastlichkeit zur Pflicht gemacht, … dessen Haus eine gemeinsame Herberge für alle sein soll. Wenn ein Laie einen oder zwei oder einige wenige bei sich aufnimmt, wird er der Verpflichtung zur Gastfreundlichkeit Genüge tun, ein Bischof aber, wenn er nicht alle aufnimmt, handelt unmenschlich.133 … Wahrlich, man kann derzeit beobachten, was vorausgesagt ist (Das Kommen des Antichrist, 1. Joh. 2,18), dass in sehr vielen Städten Bischöfe und Priester, sobald sie Laien sehen, die gastfreundlich und liebevoll gegenüber guten Menschen sind, voll Neid aufbegehren, sie exkommunizieren und aus der Kirche verstoßen, ganz so, als ob es ihnen nicht erlaubt wäre, etwas zu tun, was der Bischof nicht tut, und als ob das Vorhandensein solcher Laien einer Verurteilung der Priester gleichkäme. In seinen Ratschlägen an den Neupriester Nepotianus (epist. 52,5,3) mahnt Hieronymus, ein Priester solle im Laufe seines Lebens nie mehr besitzen als zu dem Zeitpunkt, an dem er sein Priesteramt angetreten habe: An deinem bescheidenen Tisch sollen Arme und Pilger sitzen und mitten unter ihnen Christus als Gast. Einen Geschäfte machenden Kleriker, der aus einem Armen zu einem Reichen geworden ist, aus einem Unbekannten zu einer Berühmtheit, den meide wie die Pest!. Gastfreundlichkeit ist fortwährend eines der Hauptanliegen geblieben über die Zeit der großen Kirchenväter hinaus. Im Jahr 585 beschließen die zum gallischen Konzil von Mâcon versammelten Bischöfe134 unter Berufung auf das Vorbild Christi und der Apostel: Darum soll ein jeder von uns nicht nur sich selber, sondern auch die Gemüter der Gläubigen zu solchem Tun anhalten, damit sie bei Gott durch Werke der Barmherzigkeit für unsere Sünden Fürbitter sein und uns mit ihm durch wahre Gastfreundlichkeit versöhnen können. Zur Zeit Karls des Großen formuliert die Kirchenversammlung von Tours, der Stadt des gallischen Hauptheiligen Martin, im Jahr 813 kurz und bündig135: Pilger und Arme sollen Tischgenossen der Bischöfe sein, mit denen gemeinsam sie nicht bloß mit leiblicher, sondern auch geistlicher Speise sich stärken sollen.

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5. Das Xenodocheion Wort und Sache Nach den vielen Zeugnissen spiritueller Gastfreundschaftsgesinnung wendet sich der Blick dem zu, was aus diesem Geiste geschaffen worden ist, Institutionen, die aus unserer europäischen Zivilisation und deren weltweiten Abkömmlingen nicht wegzudenken sind, freilich ohne dass die Allgemeinheit sich dieser Herkunft bewusst wäre. Mit dem Ende der Verfolgungszeit stand es den Christen frei, öffentlich sichtbar aufzutreten, ohne befürchten zu müssen, dass ihre Bauten von den Heiden sogleich zerstört worden wären. Die gegenseitigen Besuche unter den Gemeinden wurden häufiger und besondere Stätten, vor allem Rom und Jerusalem, wurden vermehrt zum Ziel von Pilgern, die von weit her kamen und lange unterwegs waren. Die Häuser der Bischöfe und gastfreundlicher Laien, die ihnen Obdach gewährten, waren bald dem Andrang nicht mehr gewachsen. Die in üblem Rufe stehenden Wirtsherbergen aber galten noch mehr als schon den Heiden den frommen Christen als Lasterhöhlen. Noch Augustinus (Civitas Dei 18,18) nimmt Anlass, sich mit dem Gerücht auseinander zu setzen, in Hexenkünsten erfahrene Herbergswirtinnen in Italien würden den Reisenden im Käse ein Mittel verabreichen, das sie in Zugochsen verwandele. Ohne ihren menschlichen Verstand zu verlieren müssten diese dann ihnen die nötigen Waren herbeikarren, bis sie nach getaner Arbeit ihre Menschengestalt zurückerhielten. Schon die Apostolischen Canones leiten aus der Ankündigung der Exkommunikation (42.43), falls Inhaber kirchlicher Ämter und Laien nicht von Würfelspiel und Trunksucht lassen wollen, ein spezielles Wirtshausverbot ab (54): Wenn ein Kleriker dabei betroffen wird, dass er in einem Wirtshaus isst, soll er ausgeschlossen werden, ausgenommen dann, wenn sie unterwegs aus zwingender Not in einem Pandocheion einkehren. Spätere Konzilien verschärften das Verbot mehrfach (Laodikeia can. 24; Hippo im Jahr 393 can. 26 = Carthago can. 40) und untersagten, mit Ausnahme von Notfällen auf Reisen, sogar das Betreten des Lokals in der Absicht, zu essen oder zu trinken. In der syrischen Kirche wird ausdrücklich die Übernachtung einbezogen.136 Auffallend ist, dass einem Christen nicht verwehrt wird, selbst das Gewerbe eines Gastwirts auszuüben. Die Traditio apostolica nennt in dem ausführlichen Katalog der Tätigkeiten, die dem verboten sind, der in eine Christengemeinde aufgenommen werden möchte, nur die des Bordellwirtes und die Prostitution, nicht aber gänzlich das Wirtsgewerbe. Es gab wohl Grund zu der Annahme, ein Christ könne sein Haus so führen, dass es

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nicht in den Strudel der Verderbnis hineingerissen werde. In Rom hat im Jahr 584 eine Christin ein Grab errichtet für sich und ihren Mann (CIL VI 9919), wo in Frieden ruht ihr Mann Urbanus, geehrten Standes, Gastwirt. Der Titel vir honestus steht Angehörigen der Stadtaristokratie zu und ist wohl der Pietät der hinterbliebenen Witwe in der Titelinflation des 6. Jahrhunderts zuzurechnen. Erst das 6. ökumenische Konzil in Konstantinopel, Trullanum genannt, weil die Sitzungen im Kuppelsaal des Kaiserpalastes, dem Trullos, stattfanden, erließ im Jahr 681 ein Verbot für Inhaber von Kirchenämtern (can. 9): Keinem Kleriker sei erlaubt, einen Wirtsbetrieb zu führen. Wenn es ihm schon nicht gestattet ist, ein Wirtshaus zu betreten, um wie viel mehr dann, andere Leute im Wirtshaus zu bedienen und ihnen Dinge darzureichen, die er selber gar nicht besitzen darf! Wenn jemand solches tut, soll er davon ablassen oder er wird abgesetzt. Noch lange Zeit waren es besonders aus dem Orient Zugewanderte, die das verachtete Gewerbe betrieben. Die Vita des irischen Wandermönchs Columban (1,21 Monum. Germ. hist., Script. rer. Meroving. 4 p. 94) berichtet von einer Syrerin, der im frühen 7. Jahrhundert die Boten des aus dem Frankenreich verbannten Columban begegnen, die sich auf dem Rückweg von der Stadt Orléans, wo ihnen aus Furcht vor dem Herzog niemand Proviant abgeben wollte, zu ihren Zelten an der Loire befinden. Sie bietet Hilfe an: Kommt, ihr Herren, in das Quartier eurer Dienerin und nehmt mit, was ihr braucht. Denn auch ich bin eine Fremde aus fernem Lande im Osten. Freudig kehren die Mönche bei ihr ein und ruhen aus, während die Tabernaria die für die zahlreiche Gesellschaft Columbans benötigte Verpflegung herbeischafft. Ihr blinder Mann lässt sich auf den Rat der Mönche zu Columban ins Lager führen, wo gerade einer der Begleiter über das Gebot der Gastfreundschaft gegen Fremde predigt. Durch das Gebet Columbans erlangt der Syrer sein Augenlicht wieder. Seit dem 5. Jahrhundert war die städtische Bevölkerung mehrheitlich christlich; ein offen bekanntes Heidentum brachte schwere Nachteile. Doch die Christlichkeit der Wirte änderte nichts an dem typischen Bild, das die Literatur wie gewohnt von dem üblen Zustand ihrer Wirtshäuser zeichnet. Der gallische hohe Adelige und Bischof Sidonius Apollinaris malt in einem seiner Briefe (8,11,3), mit dem er in Versen einem Dichterfreund durch die Muse Thalia seinen überraschenden Besuch ankündet, aus, was ihm bevorstünde, falls die Freunde ihm nach so plötzlicher Ankunft kein Obdach bieten könnten. Die Botin Thalia wird aufgefordert (Vs. 37–54): Doch wenn sie mir das Obdach versagen, weil das Haus schon voller Gäste ist, dann geh gleich weiter zur Pforte des bischöflichen Palastes, küsse die Hand des heiligmäßigen Gallicinus und bitte um die Anweisung eines bescheidenen freien Zimmerchens für kurze Zeit, damit nicht, wenn

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ich vor verschlossenen Türen auf der Straße stehe, ich betrübten Sinnes mich den von Wein triefenden Wirtshäusern zuwenden muss und, mir immer wieder beide Nasenlöcher zuhaltend, stöhne über den Rauch aus der Küche, wo von Quendelduft ausströmenden Strängen zwischen je zwei Knoten eine rote Wurst baumelt137 oder wo Dunstwolken zusammen mit dem Dampf aus den Töpfen aufsteigen, während die Teller klappern. Wenn hier ein Festtag erst einmal die rauhen Kehlen gelockert hat und laut die grausig schönen Balladen der Bänkelsänger erklingen, dann, ja dann werde ich, angeregt von der Muse des weinseligen Gastes, noch barbarischer als sie, meinerseits euch Lieder flüstern, wie ihr sie eher verdient habt. Es mussten also andere Wege gesucht werden, Christen auf ihren Reisen vor den Gefahren solcher Herbergen zu bewahren. Die Initiative ging von Privatpersonen aus, die in der Tradition der Leiturgia, der Verpflichtung der Reichen, für das Gemeinwohl nützliche Werke zu stiften, und im Geiste christlicher Bruderliebe Stationen zur Aufnahme von Pilgern einrichteten. Sie unterstützten damit die Bischöfe bei ihren Aufgaben der Gastfreundschaft. Die Einrichtung war neu. Die jüdischen Synagogenherbergen sind nicht vergleichbar, weil sie stets Teil der Synagogen waren, nicht eigenständige Anstalten. Die christlichen Herbergen stehen neben den Kirchen, meist ohne bauliche Verbindung mit dem Kirchengebäude, freilich unter Aufsicht des Bischofs. Distanzieren wollte man sich deutlich vom Pandocheion und dessen üblem Ruf. Die Pilger sollten unentgeltlich wie Brüder in Ehren als Gastfreunde (Xenoi) aufgenommen sein. Das drückte der neue Name Xenodocheion aus. Das Wort gehört zu jenen Zusammensetzungen, die aus ihren Bestandteilen zu verschiedenen Zeiten unter verschiedenen Umständen mehrfach neu gebildet werden können. In der Tat begegnet das Wort ein einziges Mal vorher in heidnischer Umgebung im 2. Jahrhundert n. Chr.: Im Traumbuch des Artemidoros (1,4) erscheint ein „Xenodocheion zum Kamel“. Anscheinend hat hier ein Wirt, ähnlich den römischen Wirten, die ihre Caupona zum Hospitium verbal aufwerteten, im Bestreben, von der Bezeichnung Pandocheion in eine vornehmere Kategorie aufzusteigen, das Wort erfunden. Die Neuerung stieß auf den feststehenden Sprachgebrauch, nach dem der gewerbliche Wirt eben Pandokeus, Xenodochos dagegen der private Gastgeber war. Entsprechend durfte das gewerbliche Gasthaus nur Pandocheion, nicht Xenodocheion heißen. Dem vereinzelten Vorstoß ist daher keine Nachfolge beschieden gewesen.138 Die zweite Wortschöpfung, die der Christen, hatte zum Ziel nicht ein besseres Pandocheion, sondern das Gegenteil des Pandocheion, durch die

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Unentgeltlichkeit der Speisung und Beherbergung und die Brüderlichkeit klar abgehoben. Wie die neue Institution selbst wurde auch das sie bezeichnende Wort als neu empfunden. Augustinus (in evang. Joh. 97,4) spricht von einem novum nomen: So wie der Name „Christen“ in Antiochia erstmals entstanden sei, sind danach auch Xenodochien und Monasterien mit den neu gebildeten Namen benannt worden; die Sachen selbst (das heißt die Beherbergung von Glaubensbrüdern und die Mönchsgemeinschaften) existierten auch vor ihren Namen. Ein drittes Mal neu erfunden wurde das Wort im Neugriechischen, als nach der Befreiung von der Türkenherrschaft im 19. Jahrhundert der Fremdenverkehr in Griechenland begann. Xenodocheion ist das neugriechische Wort für Hotel. Im Byzantinischen Reich bevorzugte man neben Xenodocheion das kürzere Wort Xenón, ein Wort, das von jeher den Raum bezeichnet hatte, in dem der private Gast untergebracht wurde. Das frühere Wort für den privaten Gastgeber, Xenodóchos, erhielt eine neue Bedeutung: Vorsteher eines Xenodocheion. Im Orient, wo man mit der Karawanenherberge, dem Han, von alters her eine öffentlich zugängliche und unentgeltliche Unterkunft, allerdings bei Selbstversorgung, geboten bekam, die griechisch Pandocheion hieß, nahm man die Unterscheidung nicht genau; dort können auch christliche Pilgerherbergen Pandocheia genannt werden. Das griechische Wort für Karawanenherberge und das damit verbundene Warenlager ist, vermittelt durch das aus Pandocheion im Arabischen zu Fonduq gewordene Wort, über die Sprache des Seehandels im Mittelalter nach Europa gelangt, zum Beispiel im Fondaco dei tedeschi, der Handelsniederlassung und Warenlager der Deutschen in Venedig. Im lateinischen Abendland ist das Wort Xenodocheion als Fremdwort Xenodochium übernommen worden, nicht dagegen Xenón. Als rein lateinische Übersetzungslehnwörter dienten hospitium und seit dem 6. Jahrhundert hospitale. Die beiden sind dann im Mittelalter begrifflich unterschieden worden: Hospitium wurde für die vornehme Gastlichkeit gebraucht, Hospitale, oft mit dem Zusatz pauperum et peregrinorum, für die Armen- und Pilgerherberge und schließlich weiter eingeengt auf das Krankenhaus. So ist das Wort hospitale heute in den Ländern romanischer Sprache gebräuchlich: Italienisch ospedale, französisch hôpital (das mittelalterliche hôtel-Dieu entspricht mehr einem Pflegeheim). Das Fremdwort Xenodochium war seit dem 9. Jahrhundert schon nicht mehr gebräuchlich. Die Gründer der ersten Xenodocheia schlossen eine Lücke in den sozialen Lebensverhältnissen. Ihr Erfolg übertraf alle Hoffnungen. Die Häuser zogen in den Städten nicht nur Durchreisende an. Arme und Bedürftige jeder Art nutzten das Hilfsangebot, und sie wurden, der karitativen

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Grundidee getreu, nicht abgewiesen. Sind die Xenodocheia in ihrer Urform noch gemischte Anstalten für alle Arten von Hilfesuchenden, entwickeln sich alsbald Sonderformen: Pilgerhaus (Xenodocheion), Krankenhaus (Nosokomeion), Armenhaus (Ptochotropheion), Aussätzigenspital (Lobotropheion), Altersheim (Gerokomeion), Witwenheim (Cherotropheion), Waisenhaus (Orphanotropheion), Findelheim (Brephotropheion). Als Oberbegriff für alle diese Anstaltsformen wurde gerne das Wort Xenón verwendet. Am stärksten nachgewirkt hat zweifellos das Nosokomeion, die Urform des heutigen Krankenhauses in der Tradition des europäischen Mittelalters, Vorbild des Bimaristan in der persischen, dann islamischen Welt. Hier war die Lücke besonders empfindlich zu spüren. Rein technisch waren alle Voraussetzungen schon zuvor erfüllt. In den festen Militärlagern an den Reichsgrenzen hatte es überall seit augusteischer Zeit Krankenstationen (Valetudinaria) gegeben, in denen den Militärärzten alle erdachten Mittel für die Pflege der Soldaten zur Verfügung standen. Sie waren eingerichtet worden nach dem Vorbild der Krankenreviere in großen Sklavenhaushalten und Gladiatorenkasernen, wo man sich die Leute, deren Tod oder Invalidität einen materiellen Verlust bedeutet hätte, zu erhalten bestrebt war. Diesem Ursprung entsprechend waren die Valetudinaria des Heeres ausschließlich den Heeresangehörigen vorbehalten und für die Allgemeinheit unzugänglich. Erst die jetzt neu hinzukommende Motivation der christlichen Nächstenliebe öffnete den Weg zum für jedermann offenen und hilfsbereiten Krankenhaus. (Für dessen Frühgeschichte verweise ich auf meinen Artikel ›Krankenhaus‹ im ›Reallexikon für Antike und Christentum‹ und die dort bis zum Jahr 2000 angegebene Spezialliteratur.) Der gastlichen Aufnahme von Fremden dient das Xenodocheion in Gestalt der Pilgerherberge. Der Ansturm war so groß, dass man doch, um die Distanz von den Pandocheia als Brutstätten der Verderbnis zu wahren, genauer darauf achtete, rechtgläubige Christen und nicht jeden Landstreicher aufzunehmen. Schon früher hatte es kirchliche Empfehlungsschreiben für reisende Brüder gegeben. Die Canones apostolici in der lateinischen Übersetzung des Dionysius Exiguus (Turner I 1 p. 13) bestimmen (Nr. 13), dass keiner der Gläubigen aufgenommen werde ohne Empfehlungsbriefe. Wenn ein Kleriker oder Laie aus der Gemeinde ausgeschlossen oder der Gemeinde angehörend in eine andere Stadt reist und aufgenommen wird ohne Empfehlungsbriefe, dann soll sowohl der Aufnehmende wie der Aufgenommene aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Das Konzil von Chalkedon im Jahr 451 führt dann im Canon 11 sogar eine Abstufung ein: Wir haben beschlossen: Alle Armen und Hilfsbedürftigen, die eine genehmigte Reise antreten, sollen nur mit kirchlichen Friedensbriefen empfohlen werden und

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nicht mit Beistandsbriefen, weil Beistandsbriefe ausschließlich für Standespersonen (honoratiores) zulässig sind. Nur die Beistandsbriefe (systatikai) geben einen formellen Anspruch. Eine in spätlateinischen Sprachschwulst des 7. Jahrhunderts ausufernde Mustervorlage eines Empfehlungsschreibens findet sich in den Formulae Marculfi (II 49): Unserem Herrn, dem rechtgläubigen von Gott eingesetzten Papst des römischen Apostolischen Stuhles und allen apostolischen Herren und Vätern, den Äbten und gottgeweihten Frauen in den Klöstern, ebenso Ihren Exzellenzen den Patricii, Herzögen, Grafen und allen denen, die den Geboten der gottgegebenen christlichen Religion folgen, wage ich N.N., der geringste aller Sünder, im Namen des Herrn meinen Gruß zu entbieten. Da der gegenwärtige Überbringer N.N., vom göttlichen Lichtstrahl erleuchtet, nicht, wie es viele tun, zu einer Vergnügungsreise, sondern um Gottes Namen willen, die Strapazen und Mühen des Weges gering achtend, um sein Gebet verrichten zu dürfen die Schwelle der heiligen Apostel des Herrn, Petrus und Paulus, zu besuchen begehrt, bittet er, ein kleines Schreiben meiner Niedrigkeit möge ihn Eurer Hoheit und Gewogenheit empfehlen, durch welches ich, der Geringste von allen, gleichsam zu Füßen eines jeden von Euch hingestreckt, untertänigst zu bitten wage, dass Ihr für mich Geringsten ein Gebet halten lassen möget und den Obgenannten auf seinem Herweg und, so Gott es gewährt hat, auf seinem Heimweg im Namen des Herrn in gewohnter Gottesliebe als einen Euch Empfohlenen aufnehmen möget und es Euch angelegen sein lasset, ihm das, was er braucht, zukommen zu lassen, auf dass Ihr Euren reichen Lohn zu empfangen verdient von Ihm, der gesagt hat, dass Ihm erfüllt werde alles, was jemand an seinen Armen getan haben werde. Häretiker fanden keinen Zugang. So hielt man es schon seit frühen Zeiten, entsprechend der Anweisung im zweiten Johannesbrief des Neuen Testaments (10): Wenn jemand zu euch kommt und nicht diese Lehre (Christi) vertritt, nehmt ihn nicht ins Haus auf und heißt ihn nicht willkommen. Die legendären Acta Archelai (4,4 f.) berichten, der Bote des Mani sei auf seiner Reise aus Persien überall abgewiesen worden, weil er keinen bekannten Namen als Empfehlung habe nennen können. Das Kloster der Römerin Paula in Bethlehem, in dem ihr Lehrer aus den Jahren in Rom, der heilige Hieronymus, wohnte, war kein Xenodocheion, übte aber Gastfreundschaft nach altherkömmlicher Weise. Hieronymus schreibt dem früheren Freund Rufinus, mit dem er sich wegen Glaubensfragen zerstritten hatte139: Uns ist die Gastfreundlichkeit im Kloster Herzenssache und wir heißen mit froher, menschliche Zuwendung ausdrückender Miene jeden willkommen, der uns besucht. Scheuen wir uns doch davor, dass Maria

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und Joseph keinen Raum in der Herberge fänden. … Allein Häretiker nehmen wir nicht auf, die, die ihr allein bei euch aufnehmt! Schließlich haben wir uns vorgenommen, den Ankommenden die Füße zu waschen, nicht, sie erst über ihre guten oder schlechten Verdienste zu verhören. Erst spät, am Ende des 6. Jahrhunderts, wird von einer Verfügung des westgotisch-spanischen Bischofs von Merida, Massona, berichtet, er habe angeordnet,140 in dem von ihm gegründeten Xenodocheion sei jedermann, ob frei oder Sklave, Christ oder Jude, aufzunehmen.

Die Ausbreitung der Xenodochien im Osten Gegen Ende des 4. Jahrhunderts begegnen einem allerorts unterschiedliche Gruppen von Gründern. Neben den privaten Stiftungen standen kirchliche Xenodochien der Klöster und der Bischöfe. Schon die Regel des bald nach 320 von Pachomios in Ägypten gegründeten Klosters, das erste, in dem Mönche in Gemeinschaft und nicht als Einsiedler lebten, schreibt ein Xenodocheion vor. Den anstrengenden und entsagungsvollen Dienst an den Gästen in der Klosterherberge machte Pachomios zum Prüfstein für Bewerber um die Aufnahme in die Mönchsgemeinschaft. Cassian (inst. 4,7) berichtet über das Vorgehen bei der Bewerbung in den ägyptischen Klöstern: Wenn einer angenommen, geprüft und mit dem Mönchshabit eingekleidet worden ist, ist ihm noch nicht sogleich erlaubt, in die Mönchsgemeinschaft eingegliedert zu werden, sondern er wird einem Senior unterstellt, der abseits, nicht weit vom Klostereingang entfernt, wohnt und dem die Sorge für Pilger und ankommende Gäste aufgetragen ist und der ihnen seine ganze liebende Empfangsbereitschaft und Menschenfreundlichkeit zuwendet. Wenn der Bewerber an diesem Platz ein volles Jahr lang gedient hat und ohne jegliche Klage seinen Knechtsdienst an den Gästen verrichtet hat, dann wird er nach dieser ersten Lehrzeit in Demut und geduldiger Ausdauer daraufhin als Anwärter auf die Aufnahme in die Mönchsgemeinschaft einem anderen Senior (dem Novizenmeister) zugeteilt. Unter den Bischöfen hat Basileios vor den Toren seiner Bischofsstadt Kaisareia in Kappadokien nach der Jahrhundertmitte einen Komplex von wohltätigen Anstalten gegründet, den sein Freund Gregor von Nazianz als eine „neue Stadt“ und ein Wunder der Menschenliebe und Armenfürsorge gepriesen hat.141 Verschiedenen Zwecken dienten je eigene Häuser, darunter Werkstätten zur beruflichen Ausbildung. Basileios selbst spricht (Brief 94) bescheiden von Herbergen für fremde Gäste. In der Klosterregel des Basileios, der fast alle Klöster des Ostens folgten, war ein Xenodocheion vorgeschrieben. Doch im Gegensatz zur Pachomios-Regel, die darauf angelegt

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ist, Fremde in gesonderten Räumen von der Mönchsgemeinschaft fern zu halten und nur dem mit dem Amt des Xenodochos betrauten Bruder den Kontakt gestattet, will Basileios den Brüdern so viel wie möglich den Anlass geben, Mönchtum und Askese mit dem Geist der Nächstenliebe zu vereinen. Krankenpflege gehört ausdrücklich dazu. Die Anstalten in Kaisareia wirkten als Vorbild für zahllose weitere Stiftungen. Schon früher bezeugt ist eine bischöfliche Gründung des Eustathios in Sebasteia, deren Leitung der Bischof dem Priester Aërios anvertraute. Eine wichtige Stelle nehmen neben den privaten und kirchlichen Gründungen die Xenodochien ein, die vom Kaiserhaus und seinen Angehörigen ausgingen. Die Regierenden erkannten sehr schnell, dass karitative Anstalten ein Mittel waren, die zu Unruhen bereiten Massen der städtischen Armen aus der Not, die ihnen Grund zum Aufruhr gab, herauszuführen. Das Fehlen von Krankenhäusern für Menschen, die außer Stande waren einen Arzt zu bezahlen, ließ besonders die Nosokomeia als eine Neuerung erscheinen, die bald unentbehrlich war. Sie wurde zugleich Wahrzeichen einer das Heidentum hinter sich lassenden christlichen Welt. Die Legende hat manche der reichen Xenodochien-Stifter senatorischen Ranges der Gruppe der heiligen Anargyroi zugesellt, der Ärzte, die Arme ohne Bezahlung heilten. Das war nicht historische Wahrheit, entsprang aber im Abstand von Generationen dem Gefühl der Dankbarkeit für die Wohltäter und für die Wende der Zeiten. Vergleicht man die Zahl der erhaltenen Bauinschriften privater Kirchenstiftungen mit der der von Privatpersonen gestifteten Xenodochien, fällt die Letztere höher aus. Es liegen dafür zwei vermutliche Gründe nahe. Der erste Grund ist wohl der Reiz, etwas Neues zu beginnen, was vorher so noch niemand gekannt hatte. Anders als Kirchen füllte das Xenodocheion ein Vakuum und die Empfänger der Wohltat beteten für den Stifter. Zweitens berührte gewiss die Stifter der Wunsch, selbst oder in ihren Nachkommen zu dem Werk weiterhin ein Wort mitreden zu haben. Der Bischof führte zwar die geistliche Oberaufsicht, war aber an die Stiftungsurkunde gebunden und verpflichtet, hinsichtlich der Organisation den Willen des Stifters zu achten und gegen Widerstände durchzusetzen. Zwar erforderte der laufende Unterhalt eines Xenodocheions den Einsatz beträchtlicher Mittel, die in der Regel von den Erträgen zugewiesener Ländereien aufgebracht wurden. Für die Eigenkirchen, wie sie einem vereinzelt schon begegnen, reichte dagegen der Bedarf eines Priesters. Der Nutzen, den das Xenodocheion für die Gesellschaft gebracht hatte, wurde sogar von den noch heidnisch gebliebenen Teilen der Reichsbevölkerung erkannt. Doch ebenso sichtbare Mängel in der zur Macht gelangten Kirche trübten das Bild. Sehr viele noch unentschiedenen theologischen

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Probleme führten zu internen Streitereien. Das Bibelwort (Joh. 10,16) Es wird eine Herde und ein Hirt sein wurde von Vertretern der jeweiligen Richtung missdeutet als eine Zwangsverpflichtung für jedermann, sich ihrer Lehre anzuschließen und andere Glaubensüberzeugungen zu bekämpfen. Da der Kaiser als apostelgleicher Stellvertreter Christi galt, wurde auch das Kaiserhaus in die Richtungskämpfe hineingezogen. Constantin stand für die Theologie des von ihm geleiteten Konzils von Nikaia, sein Nachfolger Constantius begünstigte die dort unterlegenen Arianer. Auch im Staat wurden erbarmungslose Machtkämpfe geführt. Der Nachfolger des Constantius, Julianus, war als Kind knapp dem Massaker entkommen, bei dem nach Constantins Tod dessen Brüder mitsamt den Familien, unter ihnen Julians Vater, ermordet worden waren. Auch Bischöfe intrigierten mit List, Lug und Trug gegeneinander in höchst unchristlicher Weise. Der ängstlich misstrauische Constantius hielt den heranwachsenden Julianus von allem fern, was ihn zur Thronfolge hätte qualifizieren können. Gegenstand seiner Ausbildung waren Homer und die klassischen griechischen Dichter und Philosophen, die Lehrer Vertreter der Rückschau auf die Glanzzeit hellenischer Kultur. War es da zu verwundern, dass Julianus, sobald er sich den ihn überwachenden Agenten des Constantius entziehen konnte, sich dem Idealbild einer den Unzulänglichkeiten der Gegenwart entrückten Vergangenheit zuwandte und, angewidert vom Alltag, in den auch die Kirche verstrickt war, zum Heidentum zurückkehrte? In seiner Idealwelt strahlte die göttliche Sonne von Hellas und triumphierte leuchtend über alle Niedrigkeit. Als er nach dem Tod des Constantius die Macht zu Änderungen erhielt, traf er energisch die geeigneten Maßnahmen. Der Historiker Ammianus (22,5,4) sagt in richtiger Einschätzung seiner Beweggründe: Er wusste aus Erfahrung, keine wilden Tiere seien den Menschen so gefährlich wie die meisten Christen sich gegenseitig todfeind. Nur deshalb habe er ihnen als Kaiser volle Religionsfreiheit zugesichert, weil er glaubte, von ihrem zerstrittenen, sich selbst zerfleischenden Haufen nichts zu befürchten zu haben. In das negative Bild der Christen, die Julian verächtlich Galiläer nannte, passten die Xenodochien freilich nicht. Ihre Erfolgsgeschichte hatte Julianus in ihren Anfängen während der Jugendjahre in Konstantinopel und Nikomedeia miterlebt und er war nicht so blind, dass er ihren Nutzen verkannt hätte. Sie stellten aber eine ungeheuer wirksame Werbung für das von ihm verabscheute Christentum dar. Sie zu verbieten wäre unsinnig gewesen. Einziges Gegenmittel war, sie zu überbieten. Das geschah durch einen Erlass an Arsakios, den Oberpriester von Galatien (epist. 84 Bidez = 39 Weis): Das Hellenentum gedeiht noch nicht nach Wunsch. Schuld sind wir selber, seine Anhänger. Denn was an den Göttern liegt, ist herrlich und

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groß, übertrifft alles, was man wünschen, alles, was man hoffen darf – möge Adrasteia unseren Worten gnädig sein! Dass in kurzer Zeit eine so gewaltige, so grundlegende Veränderung eintreten werde, das hat sich bis vor kurzem noch niemand vorstellen können. Was nun? Glauben wir, das reiche aus? Sehen wir denn nicht: Am meisten zur Ausbreitung der Gottlosigkeit hat die Menschenfreundlichkeit gegen Fremde, die Fürsorge für die Gräber der Toten und die geheuchelte Ehrbarkeit des Lebenswandels mit beigetragen. Jedes davon, meine ich, muss von uns, und zwar in Wahrheit, geübt werden. Und es genügt nicht, wenn allein du so jemand bist, nein, allesamt, alle, die Priester sind, überall in Galatien, bring sie zum Erröten oder ermahne sie zu ihrer Pflicht, oder setze sie aus ihrer Priesterstelle ab, falls sie nicht mitsamt ihren Frauen, Kindern und Dienern sich zu den Göttern bekehren, sondern es zulassen, dass ihre Dienerschaft, ihre Söhne, ihre galiläischen Eheweiber sich gegen die Götter versündigen, Gottlosigkeit über die Gottesfurcht stellen! Sodann mache ihnen klar, dass ein Priester nicht im Theater herumlungert, nicht im Wirtshaus saufen, kein schmutziges und verrufenes Gewerbe betreiben soll. Fügen sie sich, dann bezeige ihnen Anerkennung; wer sich weigert, den wirf hinaus! Richte Xenodocheia ein in einer jeden Stadt, so viele wie möglich, damit die Fremden in den Genuss von Menschenfreundlichkeit von unserer Seite kommen, nicht bloß unsere eigenen Leute, nein, auch die andern, ein jeder, der es haben will. Geldmittel, an denen es dir nicht fehlen soll, sind von mir vorgeplant. Ich habe angeordnet, dass geliefert werden pro Jahr für ganz Galatien 30 000 Scheffel Weizen und 60 000 Sexter Wein. Davon ist ein Fünftel bestimmt zur Verwendung für diejenigen Armen, die bei den Priestern als Dienstwillige gemeldet sind, der Rest für die Fremden und die, welche um eine Unterstützung von uns bitten. Denn es ist eine Schande: Von den Juden geht kein Einziger betteln, die gottlosen Galiläer unterstützen zu ihren eigenen Leuten hinzu auch noch die unseren, nur die unseren stehen ohne jede Hilfe von unserer Seite da. Lehre die Anhänger des Hellenentums (das heißt Heidentums), ihren Beitrag zu leisten für solche Aufgaben, und die hellenischen Dörfer, den Göttern die Ersterträge ihrer Früchte als Opfer darzubringen, gewöhne die hellenisch Gesinnten an gute Werke solcher Art, indem du sie darüber belehrst, dass das von alters her bei uns der Brauch gewesen ist. Lässt ja doch schon der Dichter Homer den Eumaios sagen: ‘Fremder, es schickt sich nicht für mich, auch wenn ein Geringerer käme als du, einen Gast nicht zu ehren. Von Zeus gesandt sind sie alle, Fremde und Bettler. Die kleine Gabe kommt mir von Herzen.’ Also dürfen wir nicht das Gute, was von uns kommt, leichtfertig vernachlässigen und es anderen überlassen, die es rivalisierend vollbringen, ja noch schlimmer, das den Göttern gefällige fromme Handeln mit Füßen treten.

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Wenn ich erfahre, dass du dich diesen Anweisungen entsprechend verhältst, werde ich voller Freude sein. Kein volles Jahr nach diesem Brief war Kaiser Julianus tot, gefallen auf seinem Feldzug gegen die Perser. Damit war sein Versuch zur Rettung einer heidnischen Lebensordnung gescheitert. Wenn die in seinem Brief angekündigten Maßnahmen zur Einrichtung heidnischer Xenodochien überhaupt angelaufen waren, sind sie wirkungslos geblieben. Es ist auch keine Schließung christlicher Wohltätigkeitsanstalten bekannt, die von Julianus befohlen worden wäre. Zwar nennt die Kirchengeschichte des Sozomenos (5,15,4) unter den Gründen, die Julianus für die Absetzung des Bischofs Eleusios in der Handelsstadt Kyzikos am Marmarameer anführte, er habe Witwenheime eingerichtet und Häuser von gottgeweihten Jungfrauen gegründet. Doch da Julianus in seinem Brief an Arsakios ausdrücklich wünschte, in seinen Xenodocheia sollten alle, nicht nur Heiden, aufgenommen werden, hätten bestehende Anstalten, allerdings unter heidnischer Leitung, weiter bestehen können, wenn es zum Wechsel gekommen wäre. Das Witwenheim von Kyzikos hat offenbar sein Vorbild in der nahen Hauptstadt gehabt. In Konstantinopel soll nach der Überlieferung142 die Mutter des Kaisers Constantin, die heilige Helena, zusammen mit ihrer kaiserlichen Residenz das Altersheim Psomatheas gegründet haben, eine der ältesten vom Kaiserhaus ausgegangenen Stiftungen. Von den Senatoren, die dem Kaiser Constantin nach seinem Sieg in die an den Bosporus verlegte neue Hauptstadt folgten, welche im Jahr 330 offiziell zum „anderen Rom“ erhoben wurde, nennt der Codex Justinianus (1,3,34 pr.) als Vorbild aller Gründer von Xenodocheia den Zoticus. Bei der Bestätigung aller Privilegien, die von früheren Kaisern und Justinian selbst den kirchlichen und wohltätigen Instituten, die dem Priester und Waisenvater Nikon unterstanden, verliehen wurden, verweist der Gesetzgeber auf Zoticus seligsten Angedenkens, der, wie man sagt, vor Zeiten diese Art frommen Dienstes erdacht hat. Um den historischen Kern des Namens hatten sich, wie der Text andeutet, schon zu Justinians Zeit die Legenden gerankt: Kaiser Constantin habe dem Zoticus Geld zum Kauf von Perlen geschenkt. Doch Zoticus habe damit am der Stadt gegenüber liegenden Ufer, oberhalb der heutigen Galatabrücke, eine Pflegestätte für Aussätzige errichtet. Unter Constantins Nachfolger, dem Arianer Constantius, habe Zoticus für seine orthodoxe Glaubenstreue das Martyrium erlitten. Zur Sühne habe Constantius an Stelle der Zelte ein Haus bauen lassen. So erzählt ein Menologion im 11. Jahrhundert. Historisch zuverlässiger dürfte eine Verfügung des 565 bis 578 regierenden Justinus II. sein, gemäß der das Leprosenhaus aus Einkünften des Waisenhauses bei der Kirche Peter und Paul mit zu finanzieren sei. Der Vorsteher der auf diese

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Weise verbundenen Anstalten führt von da an den Titel Orphanotróphos (Waisenvater). Die nach Bränden mehrmals wieder aufgebaute Anstalt existierte noch im 11. Jahrhundert. Damals gab Kaiser Manuel dort ein Beispiel, indem er mit eigenen Händen Krankendienste versah. Zu den aus Rom übergesiedelten Gründern zählte man auch einen Mann mit dem Namen des biblischen Helden Sampson. Er soll mit dem Kaiserhaus verwandt gewesen sein. In Konstantinopel habe der Senator ein schlichtes Haus für alle kranken Armen offen gehalten und habe sie unentgeltlich als Arzt geheilt. Zum Lohn für eine am Kaiser Justinian vollbrachte Wunderheilung habe ihm der Kaiser, als er die Hagia-Sophia-Kirche erbauen ließ, auch den nach Sampson benannten und von diesem geleiteten Xenon gebaut. Hier hat die Phantasie nicht nur die durch zwei Jahrhunderte getrennten Zeiten Constantins und Justinians verschmolzen, sondern auch die sozialen Grenzen übersprungen. Denn kein Römer konnte sich einen Senator wirklich als Arzt vorstellen: Ein Senator lebte vom Ertrag seiner Güter, Ärzte leisteten Dienste gegen Bezahlung, was sie deklassierte. Dass auch Sampson wie Zoticus unentgeltlich wirkte, überdeckte nur notdürftig die Kluft. Als die Legende sich bildete, stand der Bau Justinians aus dem Jahre 564. Mit ihm hatte der Kaiser das während der Revolte des Jahres 532 abgebrannte Xenodocheion als Prachtbau neu errichtet. Der zu Justinians Zeit schreibende Historiker Prokop143 weiss aber noch von einem Bau in früheren Zeiten und beschreibt den neuen als eine gemischte Anstalt, in der auch Todkranke während ihrer letzten Tage Pflege fanden. Es waren sogar Klageweiber für das Begräbnis auf dem zur Anstalt gehörenden Friedhof bereitgestellt. Die Krankenfürsorge zur Zeit Justinians gestattete es der Legende, Sampson den Anargyroi zuzurechnen, deren feststehende Zahl Zwölf in Anlehnung an die Zahl der Apostel regional mit verschiedenen Namen aufgefüllt wurde. Immer dabei waren die Arztheiligen Kosmas und Damian. Auf diese Weise konnte in der Legende Sampson zum Arzt werden. Doch der Vorsteher des Sampson trug stets den Titel Xenodochos und die Anstalt hieß Xenodocheion oder Xenon, nie Nosokomeion (Krankenhaus). Das Gebäude stand an einem der besten Plätze der Stadt zwischen der Hauptkirche Hagia Sophia und der Eirene-Kirche. Der Vorsteher des Sampson ging in der Palmsonntagsprozession als ranghöchster aller Xenodochoi dem Xenodochos des Eubulos voran, wie das Zeremonienbuch des Kaisers Konstantinos Porphyrogennetos im 10. Jahrhundert berichtet (1,41). Als Dritter in der nach dem Gründungsjahr der Anstalten gestaffelten Rangfolge folgte der Xenodochos der Eirene-Kirche in Perama. Sie alle waren hohe kirchliche Würdenträger. Menas stieg im Jahr 536 vom Xenodochos des Sampson zum Patriarchen von Konstantinopel auf, Paulos um 519 vom Xenodochos des Eubulos zum Patriarchen von Antiocheia.

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Bereits in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts gab es in Konstantinopel eine Vielzahl von Xenodochien und spezialisierten Anstalten. Sie mehrten sich während der über tausendjährigen Geschichte des Byzantinischen Reiches ständig, zumal bestehende Anstalten rechtens nicht untergehen durften. Denn nach altrömisch ererbtem Grundsatz blieb, was einmal der Gottheit gehörte, für immer unantastbar menschlichem Zugriff entzogen. Und Xenodochien waren rechtlich piae causae, gottgeweiht. Kriegerische Ereignisse, Brände, Erdbeben und andere Katastrophen machten zwar öfter den Schutz zunichte, aber manche Anstalten überdauerten Jahrhunderte, vor allem dank dem ausgedehnten Grundbesitz, dessen Erträge die hohen Kosten deckten. Im byzantinischen Staat war freilich jeglicher Grundbesitz der Steuer unterworfen. Doch angesehenen Anstalten gelang es zumeist, eine kaiserliche Urkunde, nach dem Goldsiegel Chrysobull genannt, zu erwirken, die Steuerfreiheit gewährte und dann als kostbarer Schatz gehütet wurde. Die Finanzen verwaltete der Oikonomos der Anstalt. Am Anfang stehen in Konstantinopel die Gründungen durch Laien, die ihr Vermögen den Armen zuwendeten und ihr Leben dem Dienst an ihnen als Stadtmönche widmeten. Von Klostergemeinschaften ausgehende und mit einem Kloster zusammen gegründete Xenodochien folgten später; das älteste in der Hauptstadt bekannte, das des Dalmatos, wurde im Jahr 382 gegründet. Bischöfe und Klöster pflegten von ihren Einkünften einen Zehnten ihrem Xenodocheion zuzuwenden. Die Stiftungen, deren Gründung nicht selbst von einem Kloster ausging, waren nach dem Stifterwillen mit einem Kloster verbunden, das jedoch sein Eigenleben führte. Kranke Mönche wurden nicht mit den Insassen des Krankenhauses zusammengelegt, sondern in einem Infirmarium innerhalb des Klosters gepflegt. Alle piae causae (griechisch eusebeis oikoi) unterstanden der Oberaufsicht des örtlichen Bischofs. Doch hatte dieser den Stifterwillen zu achten und dafür zu sorgen, dass ihm nachgekommen wurde, so wie er in der Gründungsurkunde, dem Typikon, festgeschrieben war. Typika sind erst seit dem 9. Jahrhundert erhalten geblieben; es darf jedoch für die vorangegangenen Zeiten ein ähnlicher Inhalt vermutet werden. Am besten bekannt ist die Stiftungsurkunde des im Jahr 1136 vom Kaiser Johannes II. Komnenos gegründeten Pantokrator (Allherrscher Christus).144 Dieser Xenon war ein Krankenhaus mit 50 Normalbetten, 6 Extrabetten mit einem Loch in der Matratze für dauernd Bettlägrige und 5 Notbetten. Dem Nosokomos (Verwaltungsdirektor) unterstanden die Wirtschaftsbetriebe; die Oberaufsicht über die Finanzen und das Personal, 16 Ärzte und 44 Pfleger führte der Oikonomos. Zwei Chefärzte und zwei Oberärzte, assistiert von so ge-

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nannten Perissoi (Überzähligen) wechselten monatlich im Dienst ab, so dass sie zwischenzeitlich eine Privatpraxis in der Stadt führen konnten. In der chirurgischen Station mit zehn Betten wirkten zwei Chirurgen und ein Bruchschneider, in der internen gab es 8 Betten und einen Augenarzt, in der Frauenabteilung zwölf Betten und eine eigene Ärztin; die zwei allgemeinen Stationen hatten je zehn Betten. Eine Ambulanz war besetzt mit zwei Internisten, zwei Chirurgen und acht Assistenten, die Apotheke mit fünf Apothekern. Alle trugen Anstaltskleidung, in den Farben unterschieden für Ärzte, Apotheker, Pfleger und Patienten. In einer Ärzteschule unter einem Rektor wurde der medizinische Nachwuchs ausgebildet. Küche, Mühle und Bäckerei, Wäscherei und Walkerei, Fuhrpark, Kupferschmiede, Wagnerei und Küferei sicherten die Selbstversorgung. Das ganze Personal vom Chefarzt bis zum Pförtner und zum Abflussreiniger bestand aus lauter Laien (Nichtmönchen). In den zwei Kapellen wirkten zwei Weltgeistliche und zwei Lektoren. Obwohl die Klostergüter die wirtschaftliche Last trugen, Nosokomos und Oikonomos also Mönche sein mussten, oblag den Mönchen im geistlichen Dienst nur das Totenamt und die Gedächtnisfeiern. Dem Abt oblag am Gründonnerstag an den Patienten die zeremonielle Fußwaschung. Mit der Großzügigkeit dieser kaiserlichen Stiftung konnten sich die Xenone der Frühzeit nicht messen. Die Grundidee war aber die gleiche. Alle Heilungen in den auf Krankenpflege ausgerichteten Xenonen schrieb man Christus zu. Die Behandlungsweise jedoch war die der weltlichen Heilkunst des Hippokrates und Galenos. Wer immer noch auf Wunderheilungen nach Art der heidnischen Asklepios-Heiligtümer vertraute, dem bot in Konstantinopel die nach dem Arztheiligen Kosmas genannte Kirche, das Kosmidion, eine Alternative. In ihrer Vorhalle legten sich die Kranken nieder und erwarteten im Traum die Hilfe des Kosmas und seines Gefährten Damian, die bei den Christen die Stelle der Arztgottheiten Apollon, Asklepios und Hygieia übernommen hatten. Eine Beherbergung fand da nicht statt. Ein Gelähmter soll sieben Monate in der Vorhalle ohne jede Pflege gelegen haben. Das Kosmidion war eine Kirche, kein Xenodocheion. Gegründet wurde es im Jahre 439 von einem kaiserlichen Hofbeamten Paulinos. Bischöfliche Institute wie die, welche Johannes Chrysostomos, zwischen 398 und 404 Patriarch von Konstantinopel, dort gründete, waren vorwiegend Nosokomeia. Palladios schreibt darüber145: Bei Überprüfung der Rechnungen für den bischöflichen Haushalt findet er einen ungewöhnlich hohen Aufwand und befiehlt, diese Kosten einzusparen und sie dem Nosokomeion zukommen zu lassen. Mit den Überschüssen gründet er weitere Nosokomeia und macht zwei fromme Priester zu deren Vorständen, dazu

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ferner Ärzte, Köche und rechtschaffene Arbeiter unverheirateten Standes zu Hilfskräften, so dass vorüberreisende und krank gewordene Fremde Pflege erhielten, und das um des guten Werkes willen zur Ehre Christi, des Erretters. Der Text lässt deutlich erkennen, wie sehr man sich immer dessen bewusst blieb, dass das Krankenhaus seinen Ursprung in der Pilgerherberge hatte. Nochmals kommt Palladios zurück auf die Sparmaßnahmen, die den Patriarchen beim an Luxus gewöhnten Klerus der Hauptstadt unbeliebt machten (13): Es wäre ungehörig gewesen, die Speisen der Kranken und auf milde Gaben Angewiesenen zu verschwenden für die Unersättlichkeit der Gesunden. Dann wären alle Aufgaben der Kirche, darunter die Sorge für Witwen, der Beistand für Jungfrauen, die Versorgung der an Krankheit Leidenden ungetan geblieben. Eine direkte Verbindung zwischen den fast gleichzeitig stattfindenden Xenodochiengründungen in Ägypten und in Konstantinopel ist zunächst nicht erkennbar. Es scheint, die im Jahr 313 eingeleitete Freiheit, öffentlich aufzutreten, habe überall latent bestehende Tendenzen in sichtbare Werke umgesetzt. In der Folgezeit waren die Xenodochien in Ägypten überwiegend klösterlich. Fremde wurden bis zu einer Woche als Gäste behandelt; wenn sie länger blieben, zog man sie mit zu Arbeiten heran. Spezialisierte Anstalten wie Nosokomeia entstanden in Ägypten und Palästina erst durch die Vorbilder Konstantinopel und Antiocheia sowie Kaisareia, wo Basileios seine Neue Stadt gründete. Anders als im Mittelalter die Klöster der Zisterzienser die Einsamkeit suchten, wurden die basilianischen Klöster des Ostens gerade an den Verkehrsstraßen und in den an Pilgerwegen gelegenen Städten gebaut, um den Pilgern und Reisenden zu dienen. Wallfahrten und Pilger sind auch der Grund, weswegen neben der Hauptstadt Konstantinopel Jerusalem die höchste Zahl von bekannten Xenodochien aufzuweisen hat. Man blieb allerdings längere Zeit bei den alten Formen der Gastfreundschaft. Die Pilgerin Egeria genießt auf ihrer Ende des 4. oder Anfang des 5. Jahrhunderts unternommenen Reise die Gastfreundlichkeit von Bischöfen, Klöstern und Eremiten, wohnt öfter in mansiones des cursus publicus, wofür sie offenbar eine kaiserliche Sondererlaubnis bekommen hatte, erwähnt jedoch in ihrem Reisebericht in Jerusalem zwar viele Kirchen und heilige Stätten, aber kein Xenodocheion. Das liegt wohl nicht bloß daran, dass sie es als vornehme Standesperson nicht brauchte. Im frühen 5. Jahrhundert gibt es am Osttor eine Anstalt des Chorepiskopos Passarion für Arme und Kranke. Der aus Konstantinopel geflüchtete iberische Königssohn Petrus – er war dort am Kaiserhof als Geisel festgehalten worden – gründete beim Davidsturm ein Kloster, dessen Xenodocheion in Ermangelung der dafür nötigen Mittel bald aufgegeben werden musste. Erst die Kaiserin Eudokia, die Gemahlin von Theo-

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dosios II., die ihr Alter vom Jahr 442 an in Jerusalem verbrachte, leitete eine rege Bautätigkeit ein und gründete unter ihren Stiftungen Ptocheia und Altersheime. Zur Zeit Justinians trat dann der heilige Sabas als Xenodochiengründer auf. Er bewog bei einer Audienz in Konstantinopel den Kaiser, für erkrankte Jerusalem-Pilger ein Nosokomeion mit hundert Betten zu stiften, das dann bei der Ausführung auf 200 Betten erweitert wurde. Ebenso geschickt warb Theodosios, der Archimandrit aller Klöster im Bereich Jerusalems, um Stiftungsgelder. Von drei seiner Häuser war eines bestimmt für pflegebedürftige Mönche, eines für Weltleute, die ihre Pflegekosten bezahlen konnten, und eines für Arme. Zu den Bauten, die Kaiser Justinianus in seinem eigenen Namen errichten ließ, zählte ein Erholungsheim (Anapausterion) für kranke Arme bei der Neuen Marienkirche. Das ›Itinerarium Antonini Placentini‹ berichtet im 6. Jahrhundert von Xenones für Männer und für Frauen, einem Pilger- und Krankenhaus mit über dreitausend Betten, sicherlich gewaltig übertrieben. Außerhalb Jerusalems waren Xenodochien an fast allen von Pilgern besuchten Stätten des Heiligen Landes anzutreffen. Ein viel begangener Wallfahrtsweg führte von Antiocheia durch die nordsyrischen Berge zur Säule des Symeon Stylites, des ersten und berühmtesten Säulenheiligen. Bei einem Überfall auf einen Wallfahrerzug syrischer Mönche sollen 350 von ihnen getötet worden sein. Von zwei der vielen Herbergen sind Reste mit auf das zwanzigste Jahr nach dem Tod des Heiligen, das heißt 479, datierten Inschriften erhalten. Sie bezeichnen die Herbergen nach syrischem Sprachgebrauch als Pand(ocheion). Am Ziel der Wallfahrt wurde Ende des 5. Jahrhunderts über der Säule eine Kirche errichtet, deren Reste bis heute Bewunderung wecken, dazu Kloster und Herbergen. Größte am Weg erhaltene Ruine ist die an eine Kirche angebaute Herberge von Turmanin. Am Patriarchatssitz Antiocheia hatte Johannes Chrysostomos, bevor er 398 nach Konstantinopel geholt wurde, für die Heime gesorgt. Nach der Zerstörung durch den Eroberungszug der Perser im Jahr 540 kümmerte sich Kaiser Justinian um den Wiederaufbau. Sein Xenon wies, für Männer und Frauen getrennt, zwei Häuser auf und war finanziell mit einem großzügigen Jahresbudget von viertausend Solidi abgesichert. In Alexandria rühmte man besonders die Stiftungen des Patriarchen Johannes des Barmherzigen (610–619). In ihnen erhielten alle Insassen zur unentgeltlichen Pflege hinzu ein Almosen in Geld, alles aus den Einkünften der Kirche, die Flüchtlinge aus dem 610 von den Persern eroberten Syrien ebenso wie die Frauen, für deren Niederkunft er in den sieben Stadtquartieren Entbindungsheime einrichten ließ. Den zögerlichen Anfang der Xenodochiengründungen im palästinen-

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sisch-syrischen Raum empfanden später Lebende offenbar als beschämend. Unter den Canones, mit denen die 20 echten Beschlüsse des ersten Konzils von Nikaia erweitert wurden, bestimmt der Canon 70: dass in allen Städten ein besonderer Ort für Fremde, Kranke und Arme eingerichtet werde mit der Bezeichnung Xenodocheion, und dass der Bischof einen der in der Wüste wohnenden Brüder auswähle und ihn zum Vorsteher mache. Der soll für Betten sorgen und alles, was für Kranke und Arme vonnöten ist. Reicht jedoch der Besitz des Xenodocheions dafür nicht aus, soll er zu jeder Zeit und von allen Christen Beiträge einsammeln. Mit dem Konzilsjahr 325 wäre man sogar Konstantinopel zuvorgekommen. Die Fälschung verrät sich schon durch den Umstand, dass Kollekten für den Erhalt von Xenodochien sonst nirgendwo jemals angeordnet worden sind. Die Neuerung strahlte weit wirksam in den asiatischen Raum hinein aus. Von dem Epizentrum der Basileias in Kaisareia brachte der Patriarch Narses, ein Schüler des Bischofs Basileios, noch im 4. Jahrhundert die Xenodochien nach Armenien, ins Gebiet der heutigen Osttürkei. Noch weiter östlich, im heutigen Westgeorgien, gründete zu Beginn des 5. Jahrhunderts die iberische Königinwitwe Bardukia Kirchen und Xenodochien. Die kirchlichen Streitigkeiten zwischen den orthodoxen Bekennern der zwei Naturen Christi und den Monophysiten des Ostens, die nur die Gottnatur gelten ließen, behinderten die Ausbreitung nicht. Im Gegenteil. Als die nestorianischen Christen in Edessa ihres Glaubens wegen ins Perserreich auswandern mussten, führten sie dem in Persien anerkannten, von der byzantinischen Orthodoxie getrennten Christentum neue Impulse zu. Edessa, das heutige Urfa in der Osttürkei, war durch berühmte Xenodochien des Bischofs Rabbula bekannt. Eine Lobrede auf ihn zollt ihm hohes Lob146: Die in seiner Seele brennende Liebe zu den Armen zeigte er ganz besonders an dem Hospital der Stadt. … Er sonderte bestimmte Grundstücke von den Kirchengütern aus, damit von ihren Einkünften die notwendigen Ausgaben bestritten würden. Dies wurde die Veranlassung, dass dann viele ihre Güter und Besitzungen dem Hospitale vermachten, so dass die festen Einkünfte desselben jährlich auf tausend Denare stiegen, mit welchen die von ihm geleitete Verwaltung den Kranken Pflege und den Gesunden Unterstützung zuteil werden ließ. Auch der Verwöhnteste würde sich nicht geekelt haben die verschiedenen Speisen zu essen, welche den Kranken durch seine fürsorglichen Befehle zubereitet wurden. Man konnte unmöglich an irgendeiner Vernachlässigung erkennen, dass hier Kranke und Verwundete lagen, da zufolge seiner Anordnungen die größte Sorgfalt und Reinlichkeit herrschte. Die Betten boten durch die feinen darüber ausgebreiteten Decken einen freundlichen Anblick dar und man konnte weder inwendig noch auswendig schmutziges oder abgenutztes Bettzeug sehen.

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Zu Vorgesetzten ernannte er gläubige und für solche Zwecke wahrhaft eifrige Diakone mit der Beihilfe frommer und liebevoller Ordensbrüder, damit nur das Wohl der Leidenden ohne Nebenabsichten gefördert werde. Ähnliche Einrichtungen traf er auch in dem Hospitale für Frauen, welches vor seiner Zeit noch gar nicht bestand, sondern erst zufolge seiner Anordnung alsbald mit den Steinen von vier auf seinen Befehl in Edessa zerstörten Götzen-Tempeln erbaut wurde. Er setzte … auch dieser Anstalt eine bewährte Diakonissin vor, unterstützt von Nonnen, welche fromm und erfolgreich den Pflegedienst versahen. Zu dem Aussätzigenheim außerhalb der Stadt bemerkt der Lobredner: Er beauftragte einen zuverlässigen Diakon, bei ihnen zu wohnen mit eifrigen Ordensbrüdern. … Lebensunterhalt wurde ihnen regelmäßig auf Kosten der Kirche aus der Stadt herausgebracht. Vor der Mitte des 5. Jahrhunderts hatte der Bischof Sˇabho¯rbara¯z, einer der Märtyrer der Verfolgung im persischen Karkha¯ , das erste bekannte Xenodocheion im Persischen Reich der Sasanidenkönige gebaut, in welchem Kranke, Bedrängte, Arme und Bedürftige Aufnahme und Erquickung finden, und er schenkte dem Hause einen bestimmten Besitz zum Lohn für die darin befindlichen Ärzte und zur Bestreitung der für die Patienten dienenden Dinge.147 Die zugewanderten Gelehrten der Schule von Edessa brachten in Persien einen Aufschwung der syrisch-christlichen Theologie in Nisibis und der Medizin in G˘ondiˇsapur. Dem großen Sasanidenherrscher Chosrau I. (531– 579) verdankten die Mediziner eine tatkräftige Förderung. Bald gab es von Christen geleitete Hospitäler in allen größeren Städten des Reiches. Die Araber konnten das Erbe nach dem Ende der Sasanidenherrschaft übernehmen und unter der persischen Bezeichnung Bimaristan entstanden die Krankenhäuser der islamischen Welt. Bis ins 10. Jahrhundert waren deren ärztliche Leiter noch überwiegend Christen. Der Oberhirte der Christen im Kalifat von Bagdad, Timotheos I. (780–823), auch er ein Krankenhausgründer, betrieb sehr entschieden die Mission in Innerasien. Seine Missionare waren Priester und Ärzte in einer Person; das machte sie höchst erfolgreich. Grabinschriften vom Issyk-kul mit den Titeln Oikonomos und Wohltätigkeitsvorsteher zeugen von entsprechenden Einrichtungen. Baureste gibt es nicht, denn die Krankenpflege geschah in den bei den mongolischen Nomaden üblichen Jurten.148

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Die Übernahme im Westen Im Gegensatz zum Siegeszug im Osten, der das Xenodocheion vorübergehend sogar bis nach China brachte, stieß die Verbreitung im lateinischen Westen bald auf Hindernisse. Zwar fanden sich in Rom Persönlichkeiten aus den im Staate führenden Kreisen, von der Botschaft christlicher Nächstenliebe ergriffen, zu Stiftungen bereit. Hieronymus lobt in einem Brief aus Bethlehem, mit dem er im Jahr 397 den Senator und Patricius Pammachius über den Tod von dessen Gattin, Paulina, einer Tochter der Gönnerin des Hieronymus, tröstet (66,11): Ich höre, du hast im Hafen der Stadt Rom ein Xenodochium errichtet und ein Reis vom Baume Abrahams am Gestade Italiens gepflanzt. Er vergleicht ihn weiter mit dem Ahnherrn der Römer, Aeneas, der nach der Landung an der Tibermündung den Hunger der Gefährten stillte, und fährt fort: Du baust auf unsere kleine Wohnstatt sozusagen das Haus des Brotes (Übersetzung von Beth-lehem) und stillst den lange dauernden Hunger durch unverhoffte Sättigung. … Als erster unter den Mönchen (der Adressat war einer der Stadtmönche, die neben ihren Pflichten im öffentlichen Leben Askese übten, ohne einem Kloster anzugehören) folgst du in der ersten der Städte dem ersten der biblischen Väter (Abraham). Auch Abraham war reich, so reich, dass er sofort ein Heer von auserlesenen jungen Männern aufstellen konnte und vier Könige, vor denen fünf andere geflohen waren, bei Dan einholte und sie vernichtete. Und dennoch, nachdem er oft Gastfreundschaft geübt hatte, und gewürdigt wurde, Gott als Gast zu empfangen, während er meinte, es seien bloß Menschen, die er nicht abwies, gebot er nicht etwa seinen Knechten und Mägden die Gäste zu bedienen und minderte den Wert der guten Tat, indem er sie durch andere verrichten ließ. Nein, so als ob er einen kostbaren Fund getan hätte, widmete er sich persönlich mit seiner Frau Sara dem Werk der Nächstenliebe. Persönlich wusch er ihre Füße, persönlich trug er das gemästete Kalb auf seinen Schultern von der Herde herbei, wartete wie ein Diener den Gästen beim Mahle auf und tischte, selber zu fasten bereit, die von Saras Hand zubereiteten Speisen auf. In einem späteren Brief (77,10) ergänzt Hieronymus das Bild: Pammachius ist der Erbe seiner Frau und andere sind die eigentlichen Besitzer der Erbschaft. Zu ihren Lebzeiten eiferten Mann und Frau, wer von ihnen in Roms Hafen das Zelt Abrahams errichten werde, wer den andern an Menschenliebe überträfe. Beide haben gewonnen und beide sind übertroffen worden, beide bekennen sich als Sieger und Besiegte, da doch beide vollendet haben, was der andere gewünscht hat. … Gesagt, getan. Man kauft das gastliche Haus, und die Menge strömt zu dem Hause hin. … Die Meere führen die Menschen heran, welche das Land in seine Obhut neh-

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men kann, Rom entsendet die eiligen Seefahrer, die am freundlichen Strand Bequemlichkeit finden. Hieronymus vergleicht die Stifter mit dem Publius, der in der Apostelgeschichte den schiffbrüchigen Paulus aufgenommen hat: Was der an einem einzigen Menschen, an einem einzigen Schiff getan hat, das tun diese immer wieder und für viel mehr Menschen. Nicht nur die Not der Armen wird gelindert, sondern bereitwillig hat die Freigebigkeit allen, auch Bemittelten, etwas zu bieten. Von dem Xenodochium im Hafen Roms hat unterschiedslos die ganze Welt gehört, im Sommer hat Britannia erfahren, was die Ägypter und Parther schon im Frühjahr gewusst haben. Ausgräber haben geglaubt, in der Neustadt Portus an dem von Kaiser Traian als Ersatz für den verlandenden Hafen von Ostia ausgebauten Portus Romanus Mauerreste des Xenodochiums gefunden zu haben. Die Zuweisung stützte sich auf einen Brunnen im Hof mit der Inschrift: Nahe, wer dürstend begehrt von dem strömenden Nasse zu schlürfen. Der Vers begegnet später wieder, aber als allegorische Aufforderung zum Lesen in Bibelhandschriften. Die Vermutung, er habe ursprünglich in wörtlichem Sinne für den Brunnen des Xenodochiums gegolten und sei seiner allgemeinen Bekanntheit wegen umgedeutet worden, ist aber wohl zu schön, um wahr zu sein. Der Hieronymus-Brief, dem das Zitat über Pammachius entnommen ist, ist dem Andenken an die zweite bedeutende Gründung im Rom jener Zeit gewidmet. Aus dem Kreise der Damen, deren Bibelstudium Hieronymus geleitet hatte, war Fabiola ihm ins Heilige Land gefolgt, dann aber, als ein Einfall von Nomaden aus dem Norden (Hieronymus spricht von Hunnenscharen) das Land unsicher machte, nach Rom zurückgekehrt. Auf Wunsch des Freundes Oceanus würdigt Hieronymus die Verstorbene in einem Rückblick (77,6): Nach einem bewegten Leben voll schwerer Schicksalsschläge wandte sie sich der Askese zu. Ihr ganzes Vermögen, das sie flüssig machen konnte – es war, dem Rang ihrer Familie entsprechend, sehr groß –, zerschlug und verkaufte sie und legte es, zu Geld gemacht, an zum Nutzen der Armen. Als Erste von allen (in Rom) richtete sie ein Nosokomium ein, um darin die auf den Straßen aufgesammelten Kranken aufzunehmen und die von Entkräftung und Hunger geschwächten Glieder der Unglücklichen gesund zu pflegen. Soll ich jetzt die vielerlei Leiden der Leute beschreiben? Verstümmelte Nasen, ausgeschlagene Augen, von Brand halb verweste Füße, blutlos blasse Hände, aufgetriebene Bäuche, abgemagerte Oberschenkel, geschwollene Unterschenkel und Würmer, die im ausgemergelten und faulenden Fleisch wimmelten? Wie oft hat sie Gelbsüchtige und vor lauter Dreck Starrende selber auf eigenen Schultern getragen! Wie oft hat sie den eitrigen Ausfluss von Wunden gewaschen, die ein anderer nicht einmal anzuschauen sich getraut hätte! Mit eigener Hand

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hat sie ihnen Essen eingegeben, hat sie einem noch atmenden Sterbenden einen Trank eingeflößt. Ich kenne viele reiche Fromme, die, weil sich ihnen der Magen umdreht, solche Mitleidsdienste durch fremde Angestellte verrichten lassen, die barmherzig sind mit dem Geldbeutel, nicht mit Handanlegen. Die in den letzten Jahren des 4. Jahrhunderts nach dem Vorbild des Ostens entstandenen Xenones der Fabiola und des Pammachius in und nahe Rom haben die Plünderung der Stadt im Jahre 410 durch die Goten Alarichs vermutlich nicht überstanden. Nach diesem einschneidenden Ereignis gibt es keine Kunde mehr von ihnen. Besser vom Schicksal begünstigt waren die Gründungen in Campanien. Dort hatte Paulinus, Sohn eines Aristokraten aus Bordeaux in höchsten Staatsämtern und selber zu hohen Würden bestimmt, als sehr junger Mann das Amt eines consularischen Statthalters von Campanien als erste Stufe seiner Karriere bekleidet. Erfüllt von Verehrung für den Heiligen seiner Residenzstadt Nola, den Märtyrer Felix, blieb er dem Ort lebenslang verbunden. Als er Jahre später zur Enttäuschung seines Lehrers, des als Prinzenerzieher zum Konsul erhobenen Dichters Ausonius, und aller Freunde der weltlichen Laufbahn entsagte und Bischof von Nola wurde, schilderte er seinen Werdegang mit Anrede an den heiligen Felix (Carmen 21,374–395): Du hast meinen Lebensweg gelenkt, dass ich in jungen Jahren die mit sechs Fasces ausgezeichnete Statthalterschaft bekleidete. Von deiner Hand in rechter Bahn geleitet und vor Unheil bewahrt bin ich rein geblieben von der Schuld, einen Menschen zum Tod verurteilen zu müssen. … Schon damals habe ich in einer durch das Amt vorausbestimmten Bindung meinen einstmals zu begründenden Wohnsitz in der Region Campaniens festgelegt, du hast den Grund gelegt für die künftige Stätte deines Dieners, als du in einer Eingebung ohne Worte mir die Aufgabe erteilt hast, es müsse der zu deinem Märtyrergrab hinführende Weg befestigt und gepflastert werden und es solle, verbunden mit deiner Basilika in einem langen Trakt ein Heim sich erheben, unter dessen Dach die erste Dienstleistung zum Nutzen von Bedürftigen stattgefunden hat. Später dann ist das Heim verdoppelt worden und um ein neu gebautes Haus gewachsen, das heute noch die Gastgeberin bleibt für unsere Wohnräume. Ein Untergeschoss mit einem Säulengang davor dient armen Kranken, welches uns, die wir das darüber gesetzte Stockwerk bewohnen, trägt, nachdem gastliche Räume als Last darauf gelegt worden sind. Es vermittelt uns eine für unsere Seelenwunden heilsame Gemeinschaft mit den Mittellosen auf die Weise, dass wir unter einem Dach wohnend uns gegenseitig Freundesdienste leisten: Jene stützen durch ihr Gebet die Fundamente unseres Heils, wir pflegen den Leib unserer mittellosen Mitbrüder mit dem ihnen gewährten Obdach.

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Während des Besuches der aus reichsten Senatorenkreisen stammenden Melania (der jüngeren) um 402–403 dienten die Zimmer des neueren Xenodochiums den vornehmen Gästen; die armen Pilger waren im alten untergebracht (epist. 29,13): Unsere bescheidene Behausung, die mit dem Speisesaal von einem einzigen durch dazwischen liegende kleine Gastzimmer unterbrochenen Säulengang über Bodenhöhe emporgehoben sich ziemlich lang hinstreckt, hat, als wäre sie von Gott dem Herrn gnädig erweitert worden, nicht nur der großen Zahl der sie (Melania) begleitenden heiligen Jungfrauen, sondern auch der Schar ihrer reichen Angehörigen engen, aber dennoch ausreichenden Raum geboten. … Und nicht lärmten von gegenüber die Gäste in der zur genannten Basilika gehörenden Unterkunft, obschon sie ganz anderen Sinnes waren, dagegen (so dass sie die frommen Gesänge gestört hätten), sondern auch bei ihnen richtete sich gottesfürchtiges Maßhalten nach der von unserem Gottesdienst erforderten Stille. Ungefähr zur selben Zeit fügt das Gedicht 27 (Vs. 395–402) eine Einzelheit hinzu: Sieh in der Höhe die (…) Wohnräume, Zimmer, in die gute Leute in geziemender Weise einziehen sollen, die hierher das Verlangen zu beten zur gebührenden Verehrung des heiligen Felix geführt hat und nicht der Gedanke ans Trinken. Denn der Speisesaal, sozusagen mit dem geweihten Kirchengebäude durch Balken verbunden, blickt von den Fenstern droben auf den geschützten Altar, unter dessen Tisch im Innern die Heiligenreliquien ihren Platz haben. Bald danach brennt das eine Hospiz (das ältere), das den noch weiter betriebenen Bauplänen nur im Wege stand, ab (Carmen 28, 142–148): Wir befürchteten schon, unzählige Gebäudeschäden festzustellen beim Gedanken an den ungeheuren Schreck und das Feuer. Doch alsbald nach der Besichtigung legte sich die Furcht. Wir stellen fest: Nichts war niedergebrannt, ausgenommen, was ohnehin verbrennen sollte, und von jenen zwei Hospizen war nur das eine in Flammen aufgegangen, was unsere Hand, wenn es nicht das Feuer weggeräumt hätte, würde weggeräumt haben. Zwar sind wenige Jahre später die gotischen Eroberer an Nola nicht vorübergezogen. In der Einleitung seines 21. Gedichts dankt Paulinus seinem Schutzheiligen nach überstandener Gefahr. Auf seine Fürbitte habe Gott den Fortbestand des Römischen Reiches gewährt und bewirkt, dass die schon vor den Toren Roms lagernden Goten vertrieben, Untergang und Gefangenschaft sich gegen sie selbst gewendet hätten, die dem Römischen Reich das Ende hätten bereiten wollen. Augustinus schreibt am Anfang seines ›Gottesstaats‹ (1,10): Unser Freund Paulinus, der Bischof von Nola, von einem der Reichsten freiwillig zum Ärmsten geworden, aber heilig in vollstem Maße, hat, wie wir danach von ihm selbst erfahren haben, als die

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Barbaren auch Nola verwüsteten und als er selbst von ihnen gefangen gehalten wurde, in seinem Herzen gebetet: Herr, lass mich nicht gekreuzigt werden wegen Gold und Silber. Wo alles ist, was mein war, du weisst es! Er, seine Kirche und Xenodochien kamen davon, weil die Plünderer nichts fanden, was sich für sie gelohnt hätte. Das Jahr 410 veränderte radikal die wirtschaftliche Lage in Westeuropa, das im 5. Jahrhundert von immer wieder neuen Beutezügen der Völkerwanderung gebrandschatzt wurde. Es gab keine reichen Stifter mehr. Nur in Nordafrika, wohin viele sich nach Verlust ihres Vermögens retteten, konnte der Bischof Augustinus noch kurze Zeit für die Gründung von Xenodochien wirken. In einer Predigt (serm. 356,10) erwähnt er eine auf seinen Rat hin erfolgte Gründung durch den Priester Leporius. Mit der Eroberung Nordafrikas durch die Vandalen und dem Tod Augustins in seiner belagerten Bischofsstadt fand im Jahr 430 auch hier die Entwicklung ein jähes Ende. Die Anhänger der römischen Kirche wurden verfolgt, die Sieger, arianische Christen, dachten im Westen nicht an Hospizgründungen. Den Flüchtlingen, die aus dem von den Vandalen im Jahr 455 erneut geplünderten Rom in Carthago eintrafen, konnte der dortige Bischof nur notdürftig improvisierte Hilfe leisten (Victor von Vita 1,25 f.): Unter ihnen befand sich eine nicht geringe Zahl von Kranken, die der selige Bischof in jedem Einzelfall der Reihe nach in Begleitung von Ärzten besuchte und mit Lebensmitteln versorgte, damit nach Prüfung des Pulses in seiner Gegenwart das, was einer brauchte, gegeben werde. … Sogar nachts fuhr er fort, von Bett zu Bett zu eilen und nachzufragen, wie es einem jeden gehe. Er starb, bevor ihn die Arianer verhaften konnten. Während das 5. Jahrhundert im byzantinischen Osten eine Blütezeit der Xenodochien wurde, war man im lateinischen Westen froh, Reste bewahren zu können. In den Brandruinen des römischen Palastes, den einst die jüngere Melania mit ihrem Ehemann bewohnt hatte, bevor sie beide Armut und Askese wählten, errichtete ein überlebender Verwandter, Valerius (diesen Namen hatte auch Melanias Vater getragen), ein Xenodochium. Papst Gregor I. erwähnt dieses Xenodochium Valerii in zwei Briefen, mit denen er den Beteiligten die Beilegung eines langen Rechtsstreits zwischen dem Abt eines sizilianischen Klosters und dem Vorsteher des römischen Xenodochiums bekundete.149 Bei der um 398 begonnenen Veräußerung des Besitzes war anscheinend nicht ausreichend geklärt worden, welchem Teil einige Latifundien auf Sizilien zuzurechnen seien. Nach zweihundert Jahren konnte der Papst die gütliche Einigung bestätigen. Auf ein weiteres Xenodochium im Rom des 5. Jahrhunderts hat eine 1950 gefundene Inschrift geführt.150 Sie besteht aus drei griechischen Disticha; das Ende eines jeden der sechs Verse ist abgebrochen, was die Deu-

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tung schwierig macht. Klar sind im ersten Distichon die Worte: Als willkommener Freund siehst du mich hier, Faustus …, Roms Xenodochos, und im Schlussvers: Besingen mit Lobpreis (Hymnen) wirst du den Faustus. Diesen Faustus hat man zunächst für einen Wirt gehalten, der Besucher aus dem nahen Circus Flaminius anlocken wollte. Vor dem Irrtum hätte schon der hochliterarische Stil der griechischen Verse bewahren müssen; von solcher Reklame wären römische Circusbesucher nicht ansprechbar gewesen. Mit dem Verlangen nach hymnischem Lob hätte ein gewerblicher Wirt bloß Spott geerntet. Die Archäologin und Historikerin M. Guarducci hat 1970 den richtigen Weg gewiesen.151 Faustus, unter dessen Bild die Inschrift stand, ist kein anderer als der Stadtpraefekt und spätere Konsul, der sich auch auf einer schon früher in örtlicher Nähe gefundenen, den Kaisern Honorius und Theodosius II. gewidmeten lateinischen Bauinschrift genannt hat152: Anicius Acilius Glabrio Faustus, Senator und Stadtpraefekt, hat das durch einen unglücklichen Schicksalsschlag zerstörte (Gebäude) in seiner ehemaligen Gestalt (wieder hergestellt). Faustus leitete in seinem Amt in den Jahren 421–423 Restaurierungsarbeiten in der zerstörten Stadt, und auch das Xenodochium, als dessen Xenodochos er auftritt, ist wahrscheinlich aus einer Ruine erstanden. Weil man sich noch der griechischen Herkunft dieser Art von christlichen Anstalten voll bewusst war, wählte man für die den Namensgeber ehrende Inschrift die griechische Hochsprache. Ende 6. Jahrhundert erwähnt Papst Gregor I. (epist. 9,8) das Xenodochium Anichiorum unter Leitung des Diakons Florentius. Zur Zeit Karls des Großen führt der Liber pontificalis ein Oratorium der heiligen Lucia auf, das gelegen ist im so genannten Xenodochium Anichiorum. Die Nachkommen aus dem römischen Adelsgeschlecht der Anicii haben also das Werk des Faustus erhalten und der Name, den die Römer würdigten – besonders seit der arianische Gotenkönig Theoderich die ihm als Führer der Katholiken verdächtigen Anicier Boëthius und Symmachus hatte hinrichten lassen –, hat weiter an dem Xenodochium gehaftet. Das Werk lebte, nun nicht mehr als Xenodochium, aber doch als Oratorium Sanctae Luciae im Mittelalter fort. Das erste wieder in Rom neu entstandene Xenodochium, dessen Gründungszeit feststeht, wurde nicht von einem begüterten Römer des Westens, sondern von dem oströmischen General Belisar während seines Feldzuges gegen die Goten in Italien (538–540) gestiftet. Anstalten mit Sonderbestimmung gab es sehr wenige. Gregor II. (715–731) richtete ein Altersheim (Gerokomium) ein, Papst Sergius II. (844–847) wandelte ein früheres Waisenhaus (Orphanotropheum) in eine Sängerschule (Schola cantorum) um. Außerhalb Roms gehörten zum Kirchengut Anstalten auf Sizilien. Eine Papsturkunde (Pelagius I., 558–560) weist den Bischof von

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IV. Das christliche Altertum

Catania an, einen Priester zum Abt eines Klosters und Xenodochiums einzusetzen. Papst Gregor I. (590–604) trifft in seinen Briefen öfter Anordnungen über Xenodochien oder Ptochia (Armenhäuser) auf Sizilien und Sardinien. Gegen Ende des 6. Jahrhunderts stabilisiert sich die Lage. Nach und nach wird nun ganz Westeuropa ebenfalls mit einem dichten Netz von Hospizen überzogen, allerdings überwiegend kleinen Herbergen, meist mit zwölf Betten nach der Zahl der Apostel. Es war keine Ausnahme, dass zwei oder gar mehr Menschen sich mit einem Bett begnügen mussten. Größere Institute sind selten bezeugt und es fehlen die Typika, die wie bei den Xenodochien des Ostens Aufschluss über die wirkliche Bettenzahl geben könnten. Das älteste richtete der burgundische Bischof Caesarius († 542) in Arles ein (Vita 1,20): Er nahm sich ganz besonders der Kranken an, stand ihnen bei und bestimmte für sie ein sehr geräumiges Haus, in dem sie ungestört von Lärm die Möglichkeit haben sollten, die Messe in der Basilica mit anzuhören. Er sorgte für Betten, Liegen, die nötigen Betriebsausgaben samt Personal, das Pflegedienst und ärztliche Behandlung übernehmen konnte. In dem Xenodochium, das der Frankenkönig Childebert I. und seine Gemahlin Vulthrogotho wenige Jahre zuvor nach dem Sieg über die Burgunder gegründet hatten, garantierte das Konzil von Orléans im Jahre 549 unter anderem die Pflege der Kranken, die Zahl der Plätze und die Beherbergung von Pilgern. Gegen Ende des 6. Jahrhunderts gründete der Bischof Massona in Merida, dem Emerita der Römerzeit und jetzt wichtigen Zentrum des Westgotischen Reiches von Toledo, sein schon erwähntes (siehe oben S. 188) für jedermann zugängliches Xenodochium. Pfleger und Ärzte sollten nach seinem Willen herumgehen und die Kranken von den Straßen holen. Betten mit Decken und ausgesuchte Krankenkost waren bereitgestellt und das Spital mit reichen Einkünften aus Kirchengütern ausgestattet. Spezialisierung war im Westen weit weniger üblich als im Osten; zumeist fanden sich Kranke, Alte und Pilger in einem Heim zusammen. Eine Ausnahme bildeten die Häuser für Aussätzige. Sie standen stets außerhalb der Stadtmauer. Wer bereit war, in ihnen Pflegedienste zu verrichten, bewies höchsten Opfersinn. Lepra war allerdings in Westeuropa weniger verbreitet als im Osten; erst die Kreuzzüge führten zu einer starken Zunahme der Krankheit. Immerhin legt das Konzil von Orléans im Jahr 549 den Bischöfen im Canon 29 besonders die Sorge um die Leprosenhäuser nahe. Und der Geschichtsschreiber Gregor von Tours bezeugt im 6. Jahrhundert (gloria confessorum 86) ein Xenodochium leprosorum vor den Toren von Chalon-sur Saône.

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Damals beginnt im Merowinger-Reich die Loslösung von der bischöflichen Oberaufsicht. Eine Urkunde des Papstes Gregor I. (epist. 13,7) vom Jahr 602 für das Xenodochium Francorum, einer Stiftung der mächtigsten und blutigsten Herrscherin des 6. Jahrhunderts, der Frankenkönigin Brunhilde, bestätigt dem Abt des Klosters vor der Stadt Autun, Senator, die vermögensrechtliche und organisatorische Exemtion vom Bischof. Die Abtwahl liegt einvernehmlich mit dem Konvent der Mönche beim König, der Abt darf nie zugleich Bischof sein. Ein weiterer Schritt wird getan nach dem Sieg der Franken über die Langobarden: Im Jahr 790 erklärt Pipin alle Klöster und Xenodochien in Italien zum Königsgut. Die erstarkenden freien Städte gründen ihre Heilig-Geist-Spitäler unter eigener städtischer Verwaltung. Mit der Reformation enden in den nichtkatholischen Ländern die Pilgerfahrten und die Pilgerherbergen. Doch Krankenhäuser, Altersund Pflegeheime bleiben geistliche Anstalten.

V. Gewerbliche Wirtshäuser seit der Spätantike Die Benedictus-Regel (53,13) unterscheidet zwei Arten von Gästen: Ganz besonders für die Aufnahme von Armen und Pilgern soll aufmerksam gesorgt werden, weil eben in ihnen Christus aufgenommen wird. Denn die Furcht, die von Reichen ausgeht, fordert von selbst, dass man ihr Respekt erweist. Dem entspricht der frühkarolingische Klosterplan von St. Gallen.153 Er sieht vor: erstens ein Hospitium für vornehme Gäste, das heißt Personen, die man als Freunde und Förderer oder als geistliche oder weltliche Würdenträger aufnahm, jedenfalls nicht, um ihnen vor allem christliche Nächstenliebe zu erweisen; zweitens ein Hospitale pauperum für zwölf Personen, die zu arm waren, als dass man sie für ihre Unterbringung hätte bezahlen lassen. Intern gab es noch Zellen für Gastmönche und das Infirmarium für erkrankte Mitglieder der eigenen Klostergemeinschaft. Dass ein bedeutendes Kloster nicht mehr als zwölf Betten für die Pilger und Armen bereithielt, zeigt die Nachwirkung der im Vergleich mit den Xenodochien des byzantinischen Ostens sehr beschränkten Möglichkeiten im Abendland. Der arme Pilger wusste, dass er vielleicht in der schon übervollen Herberge keinen Platz mehr finden könnte. Er hatte sich zu begnügen mit dem, was ihm geschenkt wurde und durfte von vornherein keinerlei Ansprüche auf Komfort stellen. Es war nicht jedermanns Sache, das Bett mit einem Unbekannten, möglicherweise an einer ansteckenden Seuche Leidenden, zu teilen. Die Folge war, dass, wer es sich leisten konnte, die gewerbliche Wirtsherberge vorzog. Den Wirten haftete in ihrer Mehrzahl immer noch der gleiche schlechte Ruf an, und die Wirtsunterkünfte waren so unzulänglich wie ehedem. Doch der Umstand, dass bei zunehmendem Reiseverkehr auch das Angebot von Gastfreundschaft bei befreundeten Gastgebern nicht mehr ausreichte, brachte zahlungskräftige Reisende immer öfter in die Lage, gewerbliche Wirtshäuser aufsuchen zu müssen. Den Wirten ihrerseits eröffnete sich die Gelegenheit, mit den besseren Verdienstmöglichkeiten mehr und mehr die Qualität der Leistung zu steigern. Die Pilger waren durchaus nicht alle arm. Die in den Pyrenäen von den Jakobspilgern so gefürchteten Räuber hatten es darauf abgesehen, dass ihre Opfer Geld und geldwerte Dinge mitführten. Gastwirte fanden in Pilgern genug zahlende Gäste. Weibliche Pilger, die meist nur in Frauenklöstern unentgeltlich unterkommen konnten, waren noch mehr als Männer auf Gastwirtinnen angewiesen; nur wenige große Hospize verfügten über zwei getrennte Schlafräume für Männer und Frauen. Die Zahl von Reisen-

V. Gewerbliche Wirtshäuser seit der Spätantike

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den, die nicht als Pilger, sondern in Geschäften unterwegs waren, wuchs ständig. Auf sie konnten die gewerblichen Wirte rechnen, ebenso mit Ortsansässigen, die nicht nur zum Vergnügen eine Taberne aufsuchten. Sie war der Treffpunkt für Geschäfte und Besprechungen, sogar Gerichtsverhandlungen. Schriftliche Verträge wurden von den Notaren gewöhnlich in der Wirtsstube beurkundet. Am Ende der fortschreitenden Entwicklung zählt der tüchtige Wirt in der Neuzeit zu den Honoratioren des Ortes und der Gast legt seinerseits Wert darauf, nicht mit einem Herbergsinsassen verwechselt zu werden. Schon im 15. Jahrhundert gibt es reiche Wirte und Gasthöfe mit einem ausgezeichneten weithin bekannten Ruf, daneben freilich noch sehr viele arme, die nach wie vor einfache Schenken und erbärmliche Nachtquartiere anzubieten haben. Noch längst nicht überall kann ein Reisender gewiss sein, ein gehobenen Ansprüchen genügendes Quartier vorzufinden. Selbst ein vornehmer Gast wie der berühmte Gelehrte Erasmus von Rotterdam klagt in seinen Briefen am Ende des 15. Jahrhunderts über schlechte Herbergen. Wie im Altertum sind oft die Eigentümer von Wirtshäusern in andern einträglichen und angesehenen Berufen tätig und die Wirte ihre Pächter oder Angestellte. Die örtliche Obrigkeit, in der da und dort ein Wirt zu finden ist, erlässt Gasthausordnungen. Deutlich anders als im Abendland verläuft die Entwicklung im Osten. Die Tradition großzügig ausgestatteter Stiftungen wird im Byzantinischen Reich fortgeführt und von der Spiritualität der Ostkirche genährt. Daher bleibt in jenen Ländern, die nicht unter Türkenherrschaft geraten, eine Bereitschaft zur freigebigen Gastlichkeit erhalten. Doch auch die islamische Eroberung führt gerade in dieser Hinsicht nicht zu einem völligen Bruch. Denn in Bewahrung uralten Brauches ist im Islam die gastliche Beherbergung des Fremden eine von der Religion zwingend gebotene Ehrenpflicht, nicht bloß ein Soll, sondern ein Muss. Dementsprechend steht im gesellschaftlichen Alltag die private Gastfreundschaft an erster Stelle; ein gewerblicher Gastwirt wartet zwar überall auf mit Speise und Trank, aber das gewerbsmäßige Angebot von Unterkünften bleibt äußerst dürftig. Außerhalb der großen Städte blieb es dabei bis ins 20. Jahrhundert. Als Lord Byron im Jahr 1809 in das unter türkischer Herrschaft stehende Athen kam, fand er in der ganzen Stadt kein westlichen Vorstellungen entsprechendes Hotel vor. Er bezog eine private Unterkunft bei Frau Tarsia Macri, der Witwe eines englischen Vizekonsuls und Mutter dreier Töchter. Verse, in denen der griechenbegeisterte Dichter die Anmut der Jüngsten, eines zwölfjährigen Mädchens, pries, brachten ihn in Verlegenheit. Das Wort Liebe wurde im Griechischen anders verstanden als es der englische Romantiker gemeint hatte. Die Mutter, die ihr Töchterchen schon als zu-

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V. Gewerbliche Wirtshäuser seit der Spätantike

künftige Gemahlin des Lords sah, wartete vergeblich auf die landesüblichen Geschenke an die Brauteltern. Byron entzog sich der ihm peinlichen Situation im August 1810. Das Kloster der Kapuziner war im Athen der orthodoxen Griechen und der Muslime ein Stück Westeuropa, Schule für Söhne westlicher Ausländer und für den von dort kommenden Reisenden der Ort, an dem er eine ihm gemäße Unterkunft fand. Ein früherer Reisegefährte hatte ihm die Wohngelegenheit empfohlen; das Kloster war ein Anbau rund um das antike Lysikrates-Denkmal. Die Geschichte zeigt, mit welchen Schwierigkeiten damals ein Orientreisender zu rechnen hatte. Erst mit den Bayern, die mit König Otto ins Land kamen, beginnt die Hotellerie in Griechenland. Es muss bei dieser knappen Skizzierung bleiben. In der Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Mittelalters harren noch viele offene Fragen näherer Untersuchung. Für das Gastgewerbe des Abendlands sind die Entwicklungslinien übersichtlich dargestellt von H. C. Peyer: ›Von der Gastfreundschaft zum Gasthaus, Studien zur Gastlichkeit im Mittelalter‹. Hannover 1987 (Monumenta Germaniae Historica, Schriften 31) in dem Kapitel „Aufkommen der bezahlten Gastlichkeit“ S. 51–76.

Anhang Die Geschichte des Wortes Xenodocheion Schon in der Sprache der klassischen Zeit sind die Begriffe im Vokabular deutlich getrennt. Der gewerbliche Gastwirt (pandokeús) strebt nach Gewinn. Er braucht die Einnahme für seinen Lebensunterhalt. Jedem, der willens ist, für seine Dienstleistung zu bezahlen, bietet er sich an. Sein Haus als Herberge (pandokeíon) ist der Gäste wegen da. Er selbst bewohnt es mit, um ihnen zu dienen, doch braucht er nicht der Hauseigentümer zu sein. Das Verb, das seine Tätigkeit bezeichnet, heißt pandokeúein, nie xenodokeín. Anders der xenodókos. Er lädt Freunde zur Bewirtung in sein Haus ein; sind es Fremde, so werden sie eben durch die Einladung zu Gastfreunden und werden vom Gastgeber freigehalten. Er handelt schenkend aus freundlichem Gebersinn, und was er damit tut, heißt xenodokeín. Seine Gäste bewirtet er im eigenen Haus. Dafür gibt es ein Gästezimmer (xenón), im Palaste eines Reichen mehrere davon. Aber auch der reichste xenodókos kommt nicht auf den Gedanken, außer Haus ein eigenes Gebäude für seine Gäste zu errichten. Ein solches Gebäude gibt es in klassischer Zeit nirgendwo, ebenso wenig wie in der Sprache dieser Zeit ein Wort xenodokeíon für die nicht existierende Sache. Die Situation ändert sich in christlicher Zeit. Der eigentliche Xenodóchos ist Christus selbst, der den Bedürftigen seine milden Gaben schenkt. Im Haus ist er als Gastgeber spirituell stets gegenwärtig. Doch real ist das Gebäude eigens errichtet für die darin wohnenden und als Freunde und Gäste Christi betreuten Insassen. Ein solches den Gästen zuliebe erbautes eigenes Haus hat es bisher, wie gezeigt, in der heidnischen Welt nicht gegeben. Die neue Sache bedarf eines neuen Wortes; es heißt xenodocheíon. Das Xenodocheion ist ein weiteres zu christlichem Dienst bestimmtes Bauwerk, aber etwas anderes als die Kirche. Um die Wortbildung xenodokeíon im Traumbuch des Artemidoros (1,4), einem Werk des 2. Jahrhunderts n. Chr., zu bewerten, ist es nötig, das Wort im Zusammenhang der Traumerzählung zu betrachten. Der Träumende wähnt sich verfolgt vom Totenfährmann Charon, dessen Zorn er gereizt hat. Er flieht, so schnell ihn die Füße tragen, und findet Unterschlupf in einem Xenodokeion, das den Namen Kamel trägt. Er verriegelt die Zimmertür, und der verfolgende Todesdämon verschwindet. Aber auf seinem Oberschenkel wächst Gras. Der Traum erfüllt sich auf folgende Weise: Beim Einsturz des Hauses kommt der Mann mit dem Leben davon, aber sein Schenkel wird zertrümmert. So ist er zwar dem Tod entronnen, aber Charon hat sich an den Beinen gerächt, dank denen er seiner Verfolgung entkommen war. Dass die Herberge zum Kamel benannt war, deutete auf die Gefahr. Denn das Kamel, dessen Name etymologisch aus kámptein (beugen) und méros (Schenkel) gedeutet wird, das r als l ausgesprochen, knickt, um seine Höhe beim Beladen zu verkürzen, seine Beine ein. Und eine Sache, über die Gras wächst, ist unbrauchbar geworden. Der Traum hat also auf den Schenkelbruch und seine Folgen hingedeutet.

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Anhang

Die Geschichte, die Artemidor nach seiner Quelle erzählt, spielt im Orient. Der Name des Gewährsmanns Euenos, den er für die Etymologie von Kamel nennt, führt nicht weiter, denn Euenos ist kaum identisch mit dem Elegiker gleichen Namens. Der Autor weiß, wie es beim Beladen eines Kamels zugeht. Das braucht er nicht aus eigener Anschauung zu kennen, doch es ist für die spitzfindige Konstruktion der Traumdeutung unentbehrlich und die Traummantik als solche ist orientalisch. Damit gerät man in einen Sprachraum, in dem das Griechische nicht einheimische Muttersprache ist, sondern als weltsprachliches Superstrat fungiert. Beim angelernten Wortgebrauch aber wirken sich etymologische Elemente stärker aus in der Weise, dass der Sprecher als etymologisches Konstrukt zwar mögliche, aber im Mutterland nicht gebräuchliche Anwendungen nutzt. Rein formal hindert nichts, ein aus xenos und déchesthai (aufnehmen) gebildetes Wort auch auf eine gewerbliche Fremdenaufnahme zu beziehen. In einem derartigen Sprachmilieu werden die im Mutterland geltenden Differenzierungen der Begriffe unscharf. Andererseits gut belegt ist, dass im Orient Karawanenherbergen, die bei Eigenversorgung allen (pan-)kostenlose Unterkunft anbieten, als Pandocheia bezeichnet werden. Für die lokal-umgangssprachlich weite Verbreitung dieses Wortes zeugt die Übernahme ins Arabische in der Wortform Fonduq. Im Mutterland gibt es diese Art von Herberge nicht und Pandocheion ist dort nichts anderes als das gewerbliche Wirtshaus. Sprachbewusste Autoren im Osten vermeiden für Unterkünfte nach Art der kostenlosen orientalischen Herbergen, um der Verwechslung zu entgehen, deren umgangssprachliche Bezeichnung als Pandocheion und bevorzugen für sie die hochsprachlichen Wörter Katályma und Katagógion. Dass bei der Namengebung der Wunsch nach Aufwertung auch eine Rolle spielte, ist eine durch den parallelen späteren Vorgang im Lateinischen, wo aus der caupona ein hospitium wurde, eine nahe liegende Vermutung. Auch im Lateinischen geht die literarische Bezeugung des Vorgangs der inschriftlichen und emblematischen voraus. Der Artemidor-Stelle folgen keine Inschriften oder Wirtshauszeichen nach, sie bleibt alleinstehend. Indessen wäre die Wortbildung als solche selbst dann möglich, wenn der Wortschöpfer sich gar nicht bewusst gewesen wäre, mit xenodocheion ein vornehmeres Wort zu erfinden. Keinesfalls jedoch taugt seine einmalige Wortschöpfung als Argument für die Existenz eines Gebäudes mit ähnlicher Zweckbestimmung wie dann das christliche Xenodocheion bereits in der heidnischen Umwelt des 2. nachchristlichen Jahrhunderts oder früher. Man hat an der Artemidor-Stelle nur die Wahl zwischen „gewerbliches Wirtshaus“ oder „Karawanenherberge“. Den singulären Charakter des Wortgebrauchs bei Artemidor hat H. Bolkestein in seiner Akademieabhandlung ›Xenon, Gastverbleijf, Pelgremsherberg, Armhuis‹ (Amsterdam 1937) verkannt und wiederholt ihn in seinem umfassenden Werk ›Wohltätigkeit und Armenpflege im vorchristlichen Altertum‹ (Utrecht 1939). Der Irrtum hat Schule gemacht, zum Beispiel bei H. Hunger, ›Reich der neuen Mitte‹ (Graz 1965) S. 175, wo unter den in Gesetzen Justinians aufgezählten neugebildeten Wörtern für soziale Anstalten Xenodocheion zur Ausnahme (das heißt nicht Neubildung) erklärt wird.154 Es ist höchst unwahrscheinlich, dass den Redakteuren des ›Codex Justinianus‹ das Vorkommen des Wortes im Traumbuch Artemidors bekannt gewesen wäre, noch dazu in einer anderen, in der von ihnen beabsichtigten

Zwei Gedichte auf das Xenodocheion

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Zusammenstellung von neuen Begriffen völlig unpassenden Bedeutung. In ihre Aufzählung christlicher sozialer Anstalten konnten sie es unbedenklich aufnehmen, es war als Wort ebenso neu wie alle andern. Dass an Stelle von Xenodocheion oft das kürzere Wort Xenon verwendet wird, das in der Bedeutung „Raum zur Unterbringung von Gästen“ in der nicht gewerblichen Gastfreundschaft von jeher gebräuchlich war, berechtigt nicht zu dem Rückschluss, auch Xenodocheion sei ein altes Wort. Das oben S. 185 angeführte Zeugnis Augustins, „novum nomen“, muss ernst genommen werden. Irreführend sind die Wörterbücher, welche die Bedeutung aus den etymologischen Komponenten erschließen, zum Beispiel Liddell-Scott: place for strangers to lodge in, und dann zur Bedeutung inn fortschreiten, danach aber lauter Belegstellen anführen, an denen Xenodocheion entgegen dem behaupteten Sinn nicht ein Gasthaus, sondern eine soziale Anstalt bezeichnet. Ähnlich die älteren deutschen Wörterbücher von Passow und Pape: „Gaststube, Wirtshaus“. Es rächt sich, wenn die Belege nicht am Ort ihres Vorkommens nachgeprüft werden. Im Xenodocheion sind nie ausschließlich Fremde, sondern stets auch Arme vom Ort aufgenommen worden. Die xenoi sind nicht Fremde als zahlende Wirtshausgäste, sondern Gäste um Christi willen.

Zwei Gedichte auf das Xenodocheion Tretet heran an dieses gastfreundliche Dach, ihr Wanderer, die ihr von Mühen erschöpft seid. Nehmt von meinen Gastgeschenken, von dem ersehnten Brot, das das Herz ernährt, von dem süßen Getränk, das reichlich fließt, und von den Bedeckungen, die die Kälte fernhalten. Deswegen gab sie mir, dem Theophrastos, Freunde, von seinen glückverheißenden Gaben mein Herr Christus, der Reichtum verströmende. Ihr aber lobet ihn als Welternährer und vergeltet mir nur mit einem Gebet, dass ich dort auf gastfreundliche Weise in Abrahams Schoß gelangen kann. (griechisch von Theodoros Studites [759–826], Abt des Studion-Klosters bei Konstantinopel)155 Offen steht euch dieses Haus, mit bescheidenen Mitteln errichtet, und doch dient es dem Wohl gar vieler Menschen darin. Sich deiner Knechte erbarmend schau Gott vom Himmel hernieder, scheuche aus ihm alles Leid, bringe dem Hause nur Freud. Wahrheit und Zucht erfüll’ es und fromme und redliche Treue, heiliger Glaube sei nah, fern jede schändliche Tat. Speise soll finden, wer hungert, der Dürstende Trank und der Fremde sei als Gast hier geehrt, Kleidung erhalte, wer nackt.

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Anhang Ruhe der Müde, der Kranke Heilung, Trost der Betrübte finde ein jeder für sich, allen sei hilfreich dies Haus. Allen, die hier verweilen schenk’ Gott im Himmel die Gnade, dass es dem Heimischen steh offen und dir auch, dem Gast. Bruderliebe und Liebe zu Gott soll immerdar herrschen. Dies sei der leitende Spruch, der alles Gute vereint. So Gott will sei künftig nur Glück und Segen beschieden, Neid und Tücke sei stets hier verschlossen die Tür. Redlichkeit lenke den Sinn, auf ihr soll gründen der Wohlstand, fern bleib’ Hunger und Durst, meilenweit ferne von hier. Du, der du hier anklopfst, gedenke betend, so bitt’ ich Theudulfs. Er hat das Haus mit Gottes Hilfe erbaut.

(lateinisch von Theodulf [† 821], Höfling Karls des Großen, Abt von Fleury und Bischof von Orléans)156

Abkürzungen CIL CSEL IG OGIS RE SEG SIG

Corpus inscriptionum Latinarum. Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinorum. Inscriptiones Graecae. W. Dittenberger, Orientis graeci inscriptiones selectae. Leipzig 1903–1905. Pauly’s Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. 1893–1980. Supplementum epigraphicum graecum. 1923 ff. W. Dittenberger, Sylloge inscriptionum Graecarum. 3. Aufl. Leipzig 1915– 1919.

Anmerkungen De doctrina christiana 1 prolog. 9–13. Ed. Norden, Die germanische Urgeschichte in Tacitus Germania. Berlin 1920, 130–170. 3 Die Edda, übertragen von F. Genzmer. Jena 1933, S. 103. 4 Edda (Anm. 3) S. 106. 5 Zur Kontroverse über die Etymologie: O. Hiltbrunner, Hostis und Xenos. In: Festschr. F. K. Dörner. Leiden 1978, Bd. 1,424 ff. 6 Kleine Schriften. Göttingen 1933, 189–210, bes. 202–206. 7 Xenophon, Oikonomikos 2,15. 8 Appendix proverbiorum 1,61. 9 Frg. 62 ed. Kassel-Austin, Poetae comici graeci, Vol. 5. 10 Sententiae 5,29,1 his antea in perpetuum aqua et igni interdicebatur. 11 III Reg. 17,8–16. 12 Vgl. H. Müller-Karpe, Grundzüge früher Menschheitsgeschichte Bd. 2,57 f. und 63 f. 13 Vgl. den Text oben S. 190–192. 1 2

Anmerkungen

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14 Grundsätzliches zu den Begriffen bei A. Lesky, Wertdenken in der frühen griechischen Dichtung. In: Gesammelte Schriften (Bern 1966) S. 486–492. Die ältere Wertordnung der Gastfreundschaft siegt über das Gesetz des Staates und wird zum Frieden stiftenden Instrument, wenn die führenden Männer im Konflikt sie höher achten als die Interessen, die zu vertreten ihr Staatsamt sie verpflichtete: G. Herman, Ritualised friendship and the Greek city (Cambridge 1987) S. 41–58. 15 Thesaurus linguae Latinae 6, 3033,82–3034,1. 16 E. Schlesinger, Die griechische Asylie. Diss. Gießen 1933. Art. Sylan. In: K. Latte, Kleine Schriften zu Religion, Recht, Literatur und Sprache der Griechen und Römer. München 1968, 416–419 = RE IVA 1,1035–1039. 17 H. Bengtson – H. H. Schmitt, Die Staatsverträge der Altertums. Bd. 2, 2. Aufl. München 1975. Bd. 3, München 1969. Darin Bd. 2 Nr. 146 mit Übersetzung und weiterer Literatur zu sylan. 18 IG I2 342,38. 343,89. II/III2 144 Aa 8. i 8. 19 IG II/III2 46 A 11.27. B 31. 20 IG IX 1,32,38. 21 M. Kaser, Das römische Zivilprozessrecht. München 1966, 125. 22 OGIS Nr. 654,7. 23 Staatsverträge 2 (Anm. 17) Nr. 148 b 14. 24 Staatsverträge 3 (Anm. 17) Nr. 472. 25 E. Ziebarth, Zum „Gasthaus der Römer und Richter“ in Sparta. Rheinisches Museum 64 (1909) 335 f. 26 L. Robert, Les juges étrangers dans la cité grecque. In: Xenion, Festschr. P. J. Zepos I (Athen 1973) 765–782, darin 768. 27 Die einschlägigen Zeilen bei D. Nörr, Richter aus der Fremde. Index 26 (1998) 72. 28 Das Wort Xenokrites ist doppeldeutig. Der erste Teil xeno- kann sowohl als Objekt verstanden werden, also „Richter in Angelegenheiten von Fremden“, als auch als Subjekt; dann ist der Richter selber ein Auswärtiger. In der römischen Gerichtsbarkeit im griechischen Osten während der frühen Kaiserzeit entsprechen die Xenokritai fast immer den recuperatores, die auch für Forderungen und Klagen gegen Fremde zuständig sind, zugleich aber selbst meist nicht den örtlichen Richterkollegien angehören. Die spärlichen Stellen, an denen das Wort vorkommt, lassen viele Fragen offen. Vgl. D. Nörr, Zu den Xenokriten (Rekuperatoren) in der römischen Provinzialgerichtsbarkeit, in: W. Eck (Hrsg.), Lokale Autonomie und römische Ordnungsmacht. München 1999, 257–301; dort weitere Literatur. 29 Staatsverträge 3 (Anm. 17) Nr. 408. 30 Staatsverträge 3 Nr. 482,18–25 und Nr. 558 I B 6 f. 31 SEG 36 (1986) Nr. 331. 32 SIG 629. 33 Staatsverträge 3 (Anm. 17) Nr. 419,27 ff. 34 Corpus inscr. Delph. 1 (1977) Nr. 13, 24–32. 35 Corpus inscr. Delph. 1 (1977) Nr. 7. 36 Ch. Habicht, Eine Urkunde des akarnanischen Bundes. Hermes 85 (1957) 86–122. 37 SIG 736, 99–103.

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Anhang

Corpus inscr. Delph. 1 (1977) Nr. 10, 40–43. Ch. Marek. Die Proxenie. Frankfurt a. M. 1984. 40 Näheres in den Artikeln der RE: F. Gschnitzer, Proxenos (Suppl.-Bd. 13, 629–730). E. Berneker, Xenias graphe (IX A 2, 1442–1479). 41 So die Inschrift von Eretria Nr. 2 bei D. Knoepfler, Décrets érétriens de proxénie et de citoyenneté. Lausanne 2001, p. 47; vgl. p. 94 n.IV Zeilen 9 f. 42 Gschnitzer (Anm. 40) Sp. 721,45. Ein Mittelweg war die Gleichberechtigung mit den Bürgern (Isopoliteia). Ihren Proxenoi in Delphi gaben die Athener ums Jahr 450 ausdrücklich die Zusicherung (IG I3 27): Wenn jemand in den Staaten, in denen die Athener die Macht haben, einen von ihnen tötet, soll eine Strafverfolgung stattfinden, wie wenn ein Athener getötet worden wäre. Vgl. die Bemerkungen von Knoepfler (Anm. 41) S. 116 f. zur Inschr. n.5, in der Eretria dem Makedonen Apollodoros gleichzeitig Proxenie und Bürgerrecht verleiht, dies schon Ende 4. Jahrhundert v. Chr. (zur Datierung S. 117). 43 SEG 40 (1990) 196. 44 Knoepfler (Anm. 41) S. 298 ff. 45 SIG 2 Nr. 585. 46 SEG 36 (1986) 532. 47 Chr. Dunant – J. Pouilloux, Recherches sur l’histoire et les cultes de Thasos 2 (1958) Nr. 171–172. 48 SEG 38 (1988) 464. 49 P. Cabanes, La communauté des Prasaiboi. In: Bouthrotos, Epigrafia romana in area adriatica. Macerata 1998, 17–37. Vgl. SEG 28 (1978) 480. Allgemein zur Prozedur der Beschlussfassung und der schriftlichen Formulierung: Peter J. Rhodes – David M. Lewis, The Decrees of the Greek States. Oxford 1997. 50 A. Frickenhaus, Griechische Banketthäuser. Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 32 (1917) 114–133, darin S. 121. 51 E. Ziebarth, Das griechische Vereinswesen. Leipzig 1896, S. 41. 52 Ziebarth (Anm. 51) S. 158. 53 SIG 338,16. 54 SIG 783,36. 55 SIG 898,10. 56 SIG 1109,140. 57 Ein griechisch-lateinisches Wort parochia ist nicht bezeugt. Griechisch ist paroché (Leistungspflicht). Da das Wort hospes seiner vielseitigen Bedeutung wegen dem Bedürfnis nach einem präzisen technischen Begriff nicht genügte, führte man im Lateinischen für hospes im Sinn von „zwangsverpflichteter Gastgeber“ das Wort parochus ein. Im Griechischen war parochos nicht gebräuchlich; es steht später nur im römischen Wortsinn, ebenso wie paróchion „Gästehaus einer Gemeinde“. Somit scheint es sich bei parochus und xenoparochus um lateinische Fremdwortbildungen unter Verwendung griechischer Komponenten zu handeln. 58 OGIS Nr. 139. 59 Tituli Asiae minoris 2,3 Nr. 759. 60 OGIS Nr. 609. 61 SIG Nr. 888. 62 SEG 37 (1987) 1186. 38 39

Anmerkungen

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Cod. Theod. 7,8,4 = Cod. Just. 12,40,1. Cod. Theod. 7,8,5 = Cod. Just. 12,40,2. 65 Cod. Theod. 7,9,1–3 Cod. Just. 12,41,1. 66 Cod. Theod. 7,11,1 f. 67 Charisius, Digesta 50,4,18,30. Cod. Just. 12,40,8. 68 Cod. Just. 1,3,1. 69 Cassiodorus, Variae 1,18,2. 70 Cassiodorus, Variae 2,16,5. 71 SEG 8 (1930) 170. L. H. Vincent, Découverte de la „synagogue des affranchis“ à Jérusalem. Revue biblique 30 (1931) 247–277. 72 D. Gorce, Art. Gastfreundschaft. Reallexikon für Antike und Christentum 8 (1972) 1105–1107. 73 Inscr. de Delos Nr. 2328–2333. R. Cagnat, Le commerce et la propagation des religions dans le monde romain. In: Conférences faites au Musée Guimet 31 (1909) 131 ff. Zweifel äußert A. Plassard in Mélanges Maurice Holleaux (Paris 1913) p. 201–215. 74 C. H. Kraeling, The synagogue. In: The excavations at Dura-Europos, Final report 8,1 (New Haven 1956). 75 M. Hengel, Die Synagogeninschrift von Stobi. Zeitschr. für neutestamentliche Wissenschaft 57 (1966) 145–183. 76 Zeugnisse aus Texten des späteren Judentums hat gesammelt der Rabbiner S. Klein, Das Fremdenhaus der Synagoge. Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 76 (1932). 77 A. Kolb, Transport und Nachrichtentransfer im römischen Reich. Berlin 2000 (Klio, Beih. N.F. 2). 78 F. Preisigke, Die ptolemäische Staatspost. Klio 7 (1907) 241–277. 79 Hunt, Select Papyri 2,211. 80 Pap. Lond. 1171 verso (Bd. 3,107). 81 OGIS Nr. 665. 82 Année épigraphique 1976 Nr. 653. 83 Ausführlich sind verschiedene Aspekte des Edikts von Sagalassos behandelt bei Kolb (Anm. 77) S. 55 ff. 80. 84 R. Klein, Die Romrede des Aelius Aristides. Darmstadt 1983. 85 SEG 19 (1963) 476. 86 Année épigraphique 1979 Nr. 620. 87 Année épigraphique 1961 Nr. 318. Dazu D. Tsontchev, La voie romaine Philippopolis-Sub Radice. Latomus 18 (1959) 154–170, darin 160–163 mit Abb. 88 SIG 880. 89 W. Langhammer, Die rechtliche und soziale Stellung der Magistratus municipales und der Decuriones. Wiesbaden 1973, 163–165. 178 f. 90 Bulletin de correspondance hellénique 20, 395 f. Mit neuer Lesung und Ergänzungen SEG 36 (1986) 1277. 91 Vgl. den Kommentar von P. Cugusi zur Stelle. 92 Briefe 32.34.35.41.46 Bidez = 7.8.9.28 Weis. 93 Chr. Jungck, Gregor von Nazianz, De vita sua. Text, Übersetzung und Kommentar. Heidelberg 1974. Verse 439–448, Kommentar S. 171. 63 64

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Anhang

94 Orat. 48,65 Keil. Übersetzung und Kommentar: H. O. Schröder, Heidelberg 1986, S. 58. 95 Orat. 51,2–8 Keil. Übersetzung und Kommentar: Schröder (Anm. 94). 96 Die fehlerhafte Übersetzung „trinken“ bei Schröder beruht auf Verwechslung der Verben pino (trinken) und piezo (nah heranrücken). 97 De simplicibus medicamentis 10,2 (Vol. 12 p. 254,3–6 Kühn). 98 3,1 (Vol. 6 p. 663,3–6 Kühn). 99 Historia Augusta, Carus 14,2. 100 Zu tabernae als Ortsnamen: T. Kleberg, Hôtels, restaurants et cabarets dans l’antiquité romaine. Uppsala 1957, S. 63–73. Eine verkürzte deutsche Ausgabe des für die römischen Wirtshäuser grundlegenden Werkes: In den Wirtshäusern und Weinstuben des antiken Rom. Berlin 1963 (Lebendiges Altertum 12). Im Folgenden wird nach den Seiten der französischsprachigen Originalausgabe zitiert. 101 Verteilungsplan bei Kleberg (Anm. 100) S. 49. 102 Zu den Wirtshausnamen s. Kleberg (Anm. 100) S. 65–66, 72–73. 103 Kleberg (Anm. 100) S. 32–36 (Hotel), 36–43 (Restaurant). 104 P. Sommalla, Forma e urbanistica di Pozzuoli romana. Napoli 1980, p. 21– 24. 105 OGIS Nr. 595. 106 CIL XIV 24 und VI 420. Zum Amt des Cistiber vgl. die Anm. zu H. Dessau, Inscriptiones latinae selectae, Nr. 398. 107 G. Hermansen, Ostia. Edmonton 1981, S. 125–205. 108 W. Crous, Isola sacra. Die Antike 19 (1943) S. 30–62, darin Abb. 23 auf S. 59. 109 C. Gasparri, Le pitture della caupona del Pavone. Roma 1970 (Monumenti della pittura antica scoperti in Italia III 4,4). 110 Auf die Verschiedenheit des Verständnisses von Gastfreundschaft im Altertum und in der Neuzeit hingewiesen hat schon der Rechtshistoriker R. v. Ihering, Gastfreundschaft im Altertum. Deutsche Rundschau 51 (1887) 357–397. 111 Vgl. zur Stelle N. Brox, Der Hirt des Hermas. Göttingen 1991 (Kommentar zu den Apostolischen Vätern 7) S. 453. 112 Vitae patrum 5,10,94 (Patrologia latina 73,929 f.). 113 Vitae patrum (Anm. 112) 5,13,1. 114 Vitae patrum (Anm. 112) 5,13,4. 115 Neilos ad Eulogium 25 ff. (Patrologia graeca 79, 1125–1129). 116 Die Vita ist vollständig nur in der lateinischen Übersetzung des Dionysius Exiguus bekannt. Die Ausgabe von Van Cranenburgh (Subsidia hagiographica 46 (1969) enthält auch die griechischen Bruchstücke. 117 Vitae patrum (Anm. 112) 5,3,5–10. 118 Briefe 1,150 (Patrologia graeca 78, 284 B). 119 Palladios, Dialogos 6–7 (Sources chrétiennes 341). 120 Bei Photios, Bibliotheca p. 508. 121 45,3 (Patrologia graeca 60,318). 122 Patrologia graeca 60, 109. 123 Patrologia graeca 63, 227. 124 Kommentar 54,1 (Patrologia graeca 60, 374). 125 Patrologia graeca 60,534.

Anmerkungen

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Brief 7,5 b (Sources chrétiennes 13 bis, 154). Serm. 8 in Genesin 1,4 (Patrologia graeca 54,585). 128 41,3 (Patrologia graeca 53,378). 129 42,6–7 (Patrologia graeca 54,393 f.). 130 8–9 (Patrologia graeca 51,346). 131 2,5 (Patrologia graeca 48,988). 132 Patrologia latina 26, 568 A. 133 Dieser eindrücklich geprägte Satz ist als geflügeltes Wort in der weit verbreiteten Schrift Isidors von Sevilla über die Kirchenämter (eccl. off. 2,5,17) zitiert und hat kirchenrechtliche Geltung beansprucht durch Canon 9 des Konzils von Aachen im Jahre 816. 134 Monumenta Germaniae Historica, Concilia 1 p. 169, 12 ff. 135 Monumenta Germaniae Historica, Concilia 2 p. 287, 20. 136 A. Vööbus, Syric and Arabic documents regarding legislation relative to Syrian ascetism. Stockholm 1960, p. 42. The Statutes of the School of Nisibis. Stockholm 1962, p. 99. 137 Die Würste sind aufgehängt, eingeflochten in Zöpfe; die verdickten Stellen werden parodierend in poetischem Bild mit dem Wort für Perlen (bacae) in einer Kette bezeichnet. 138 S. Anhang „Die Geschichte des Wortes Xenodocheion“ unten S. 211ff. 139 Adv. Rufinum 3,17 (Corpus Christianorum Ser. lat. 79,89). 140 L. A. García Moreno, Prosopografía del reino visigodo de Toledo (Salamanca 1974) 166–169 Nr. 435. 141 Reden 43,63 (Patrologia graeca 36,577). 142 Pseudo-Kodinos, Patria 3,5 (Scriptores Originum Constantinopolitanarum 2,216 Preger). Zur Streitfrage, ob die von Gregor von Nazianz getroffene Feststellung (oratio 4,111 f.), Julianus habe das christliche Xenodocheion nachgeahmt, zu Recht bestehe, sind die frühesten Xenone in der Hauptstadt wichtig. 143 Über die Bauten 1,2, 14–15. 144 Text mit französischer Übersetzung: P. Gautier, Revue des études byzantines 32 (1974) S. 26–131. 145 Dialogos 5 (Sources chrétiennes 341) 122 p. 133–139. 146 G. Bickell, Ausgewählte Schriften der syrischen Kirchenväter Aphraates, Rabulas und Isaak von Ninive (1874) S. 165–211 (Bibl. der Kirchenväter 38), darin S. 205 f. 147 G. Hoffmann, Auszüge aus syrischen Akten persischer Märtyrer. Leipzig 1880, S. 50. 148 Ausführlicher: O. Hiltbrunner, Die gesellschaftliche Stellung der Ärzte und ihre Rolle bei der Ausbreitung des frühen Christentums nach Asien. Alvarium, Festschr. Ch. Gnilka (= Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsband 33), Münster 2002, S. 197–204. 149 Epist. 9,67 und 9,83 (Corpus Christianorum Ser. lat. 140 A, p. 623 und 637). Zum Namensgeber vgl. Pietri, Prosopographie chrétienne du Bas-Empire 2 Italie 2, unter Valerius 4. 150 Inscr. graecae urbis Romae 1 Nr. 69; auch bei Guarducci (Anm. 151). 151 M. Guarducci, L’epigramma greco di Fausto e le nuove scoperte in Campo 126 127

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Marzio. Rendiconti 42 (Atti della Pontificia Accademia romana di archeologia, ser. 3, Roma 1969–70), S. 219–243. 152 CIL VI 1676. Bibliographie dazu und den folgenden auf ihn sich beziehenden Inschriften 1677 und 1678: CIL VI 8,3 p. 4731 f. 153 K. Hecht, Der St. Galler Klosterplan. Sigmaringen 1983. 154 Von Hunger in seinem Byz. Institut an der Universität Wien angeregt, folgen die wichtigen Arbeiten von E. Kislinger, Gastgewerbe und Beherbergung in frühbyzantinischer Zeit (Diss. Wien 1982) und R. Volk, Gesundheitswesen und Wohltätigkeit im Spiegel der byzantinischen Klostertypika (Miscellanea byz. Monacensia 28, 1983). 155 Übersetzung von P. Speck in: Theodoros Studites, Jamben auf verschiedene Gegenstände. Berlin 1968, Nr. 29. Zu Vers 3 bis 6: Die drei Gaben werden im Griechischen bewusst mit liturgienahen Worten bezeichnet. – Zum Schluss: „auf gastfreundliche Weise“: Der Gedanke ist, dass der Gastwirt auf Erden im Himmel selbst Gast ist und bewirtet wird (Speck), oder „zum Lohn für mein gastfreundliches Verhalten“ (Hiltbrunner). 156 Lat. Text: Monumenta Germaniae Historica, Poetae medii aevi I, p. 554 f.

Register

Abraham 22. 104. 161. 165. 173. 176 f. 200 Aegypten, alt 10. 19 f. 23. 107 Aegypten, ptolemäisch 84. 93. 109. 152 f. Aegypten, röm. 110. 167 ff. 196 Aelius Aristides 111. 128 f. Aesernia 136. 145. 149 Aischines 57. 59. 125 Alexandria 130. 152 f. 197 Alkibiades 71 Altersheim (Gerokomeion) 186. 192. 197. 205 Ambrosius 174. 176 ff. Ammianus 117. 130. 145. 149. 190 Anargyroi 189. 193 Angaria 110. 111 f. Antonius, Marcus 85. 95 f. 137. 148 Antonius (Mönch) 167. 169 Apuleius 49. 132. 136. 141 Araber 18. 20 f. 108. 185. 199 Aristophanes 34. 126 Aristoteles 77 Aristoteliker 34 f. Armenhaus (Ptocheion) 186. 197. 206 Armenien 198 Artemidoros 184. 211 f. Asklepios-Heiligtümer 69. 160. 195 Assyrer 21 Asyl 51 ff. 66. 70. 72 Ateleia (Steuerfreiheit) 70. 73 Athanasius 167. 169 Athen 55 ff. 61. 64. 70 f. 72. 74 f. 78 Augustinus 9. 174. 178 ff. 182. 185. 203 f. Augustus 63. 85. 88. 136 Aussätzigenhaus (Lobotropheion) 186. 206 Basileios 188. 196. 198 Benediktiner-Regel 208 Berytos (Beirut) 61. 152 Bettler 31

Bier 147 Bimaristan 186. 199 Buzyges 17 Byron (Lord) 209 f. Caere 82 Caesar 13. 49. 88. 96 Caesarius von Arles 206 Canones apostolici 182. 186 Cassian 168. 169 Cato d. Ältere 92. 132. 133 Cato d. Jüngere 97 Catull 48 f. Caupo, caupona 131 ff. 143. 147 Chaleion 52 f. Chrysippos 126 Chrysostomos 171 ff. 195 Cicero 15. 17. 35. 49. 59. 85. 91. 94 ff. 127. 132. 135. 137. 142. 152 f. 176 Claudius (Kaiser) 134. 154. 159 f. Clemensbrief 165 Clientela 85 ff. Columban 183 Constantin (Kaiser) 117. 140. 192 Constantius II. (Kaiser) 117. 175. 190 Cyprian 176 Delos 61. 64. 70. 77. 98. 152 Delphi 52. 66. 68. 70. 73. 78 f. Demokrit 129 Demosthenes 57. 72. 125. 126 Deversorium 122. 125. 130 ff. 142 Didache 166 Didaskalia 166 Dikastagogos 63 Dio Cassius 88. 146 Diocletian (Kaiser) 136 Diodor 14. 58. 78 Diphilos 17. 37 Domitian (Kaiser) 100 Dreitageregel 11. 14. 31 Dura-Europos 105

222

Register

Elias und die Witwe 19. 172. 173. 178. 179 Empfehlungsbrief 186 f. Enktesis 64. 70 Epigamia 64 Epiktet 129 f. 165 Eranos 77 Erbgastfreund 28 Eretria 63. 73 Essener 104 Eudokia (Kaiserin) 196 f. Euergetes 74. 163 Euphorion 36 f. 125 Euripides 17. 37. 39. 44. 52 Eusebios 117. 165 Eustathios (Platoniker) 118 Evectio 111. 116 ff. 139 f. Fabiola 201 f. Faustus, Glabrio 205 Festus 15. 139 Findelhaus (Brephotropheion) 186 Firmicus Maternus 144 Fremde Richter 62 f. Fußwaschung 12. 22 f. 24. 27. 195. 200 Galen (Arzt) 134 f. Gallus, Cornelius 55. 60 Gellius, Aulus 82. 92 f. 133 Georgien 195 Germanen 13 f. Germanicus 110 Gondisapur 199 Gregor I. (Papst) 105. 204. 205. 206 Gregor von Nazianz 122. 124. 188 Gregor von Nyssa 122 Gregor von Tours 206 Hadrian (Kaiser) 138 Hannibal 48. 50. 75 Heratempel 68. 77 Hermas, Hirte des 165 f. Herodot 11. 14. 20. 36. 55 f. 71. 77. 107. 125. 158 Hesiod 34 Hestiatorion 66. 77 Hieronymus 181. 187. 200 f.

Homer 10. 18. 26 ff. 41. 50 f. 76. 118. 164. 191 Horaz 48. 96. 143. 148 Hospes 15 f. 21 f. 75. 85 f. 90. 91. 131. 142 f. Hospitale 185. 208 Hospitalitas 175. 179 Hospitium 134. 143. 144. 175. 185. 208. 212 Hostis 12. 14 f. 22. 91 Hypereides 125 Idioxenos 55. 59 Isaias (Mönch) 167 Isidor von Pelusion 131. 170 f. Isidor von Sevilla 133 Isokrates 125 Isopoliteia 64 Israeliten 19. 22 ff. 108 Jerusalem 103. 120. 122. 196 f. Johannes der Barmherzige 197 Juden 25. 103 ff. 163 Julian (Kaiser) 34. 68. 117. 118 f. 121. 190 ff. Justinianus (Codex) 101. 113. 192 Justinianus (Kaiser) 160. 193. 197 Juvenal 137. 144. 148 Kallias 37. 71 f. Kallimachos 41 Kapelos, Kapeleion 127. 131 Kartagogion, Katalyma 212 Karthager 11. 21. 44 f. 62 Kelten 13 f. Kimon 35 Klemens von Alexandria 34. 164 f. Kosmas 193. 195 Kosmidion 195 Krankenhaus s. Nosokomeion Krankenstation s. Valetudinarium Kroisos 56. 57 Kyrene 56. 63 Lactanz 175 Lampsakos 57. 74. 94 ff. Lautia 80 f. 82. 90

Register Legatio libera 97 f. Leonidaion 66 f. Livius 46 ff. 58 f. 65. 70. 75. 79. 80 ff. 89 f. 92 f. 133. 159 Lucilius 137. 148. 152 Lysias 57 Magister officiorum 115. 116. 119 Manceps 114 ff. 140 Mansio 113 ff. 134. 196 Marculfi formulae 123. 187 Marcus Aurelius s. Mark Aurel Mark Aurel (Kaiser) 112. 138 Martial 133. 140 f. 148 Massona 188. 206 Melania 120. 122. 203. 204 Metatum 101 Milet 20. 64 Miltiades 56 f. Mönchs-Viten 168 ff. Mutationes 113 Naryka 62 Naukratis 20 Nautodikai 61 Neilos (Mönch) 169 Nemea 52. 65 Nepos 47 f. Nero (Kaiser) 131. 138. 153 Nerva (Kaiser) 100. 121 Nosokomeion 186. 189. 193 f. 195 ff. 201 Nosokomos 194 f. Oianthea 52 f. 55. 59 Oikonomos 194 f. 199 Olympia 51. 52. 66 f. Oropos 69. 73 Ostia 105. 151. 154 ff. 200 f. Ovid 41 ff. Pachomios 169. 188 Palladios 195 f. Pammachius 200 f. Pandocheion (-dok-) 113. 122. 131. 182. 184 ff. 197. 211 Pandocheus (-dok-) 36. 125 ff. 131. 143. 184. 211

223

Parasiten 37 f. 39 Paraveredus 123 Parochie 91. 96. 143 Parochus 91 f. 99 Patronus 55. 85 ff. 160 Paulinus von Nola 202 ff. Pausanias 58. 59. 67 Peregrinus 15. 55 Pergamon 65. 70. 81 Persien 20. 107. 112. 198 f. Petronius 36. 39. 96. 126. 138. 141 f. 148 Petrus der Iberer 196 Philanthropia 157. 163 f. Philon von Alexandria 164 Philoxenia 9. 164. 172. 174 Phönizier 21. 50. 75 Pindar 27. 35 f. Plataiai 68. 73 Platon 37. 57 ff. 127 f. Plautus 35. 37. 40. 44 f. 48. 53 f. 89. 140. 142. 146 Plinius der Ältere 99. 108. 112. 140. 141 Plinius der Jüngere 99 f. 116 f. 132 Plutarch 79. 95. 97. 134. 148 Polybios 58 f. 62. 77 f. 90. 149. 158 Pomerium 81. 90 Pompei 140 f. 144 ff. Popina 133. 137 ff. 148 Poseidonios 13 Praefectus praetorio 115 ff. Praefectus vehiculorum 114 Praetorium 112 f. Prokop 193 Prostates 71. 126 Proxenos (Amt) 53 ff. 58. 59. 61. 66. 69 ff. 85 Proxenos (Name) 57 Prudentius 161 Puteoli 151 ff. Rabbula (Bischof) 198 Rabirius Postumus 152 f. Rahab 123. 165. 177 Rhodos 58. 61. 74. 77. 133 Sabas 197 Sagalassos 110 f.

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Register

Sallust 137 Samariter 124 Sampson 193 Seneca 132 f. 137 f. 143. 145. 153 Seneca der Ältere 64 Septimius Severus (Kaiser) 98. 139 Sidon 50. 75 Sidonius Apollinaris 122. 183 Sokrates 16 f. 36 Solon 37 Sozomenos 174. 192 Sparta 63. 71 f. 76 Staatsgast 78 ff. Stabularius 114. 134. 143 Stabulum 121. 134. 139 f. 142. 148 Statio 113. 154 Stoboi 105 Stoiker 35. 163 Strabo 78. 130 Sueton 49. 85. 98. 134. 137 f. 159 Sylan 51 ff. Symbolon 27. 43 ff. 86 Symmachus 117 Synagogen 103 ff. 184 Syrakus 70. 88. 137. 152 Syrer 137. 183

Theoros 65 ff. 79 Theoxenie 10. 14. 42 f. Thermipolium 146. 155 Thukydides 68. 71. 159 Tibur (Tivoli) 137. 144 Timokreon 125 Timotheos I. (Bischof) 199 Traditio apostolica 182 Traian (Kaiser) 116 f. 121. 154 Typikon 144. 206 Tyros 50. 154

Taberna 112. 122. 131 ff. Tabernarius 131. 140. 150 Tabula hospitalis 86 Tacitus 13. 48. 154. 158 Tertullian 174 Tessera hospitalis 43. 86 Themis 28. 46 Themistokles 125 Theoderich 102 f. 205 Theodoret 171 Theodoros Studites 213 Theodosianus Codex 113. 115 ff. 135. 140 Theodosios (Mönch) 197 Theodosius II. (Kaiser) 113. 196 f. Theodulf 213 f. Theophilos (Bischof) 171 Theophrast 35. 38. 126. 175 Theorodokos 64. 65 ff.

Waisenhaus (Orphanotropheion) 186. 205 Witwenheim (Cherotropheion) 186

Ulpian 98. 134. 136. 137 Urso 86 f. 88 Valerius Maximus 47. 90 Valetudinarium 186 Varro 14. 132 Vergil (Copa) 137. 148 Verres 94. 152 Verus (Kaiser) 138 Victor von Vita 204 Vigiles 89. 156 Villa publica 81. 90 Vitellius (Kaiser) 138 Vitruv 40

Xénia (Gastgeschenke) 27. 41. 80. 98 Xenodikai 54 f. 71 Xenodocheion 184 ff. 211 ff. Xenodochos (-dok-) 125. 184 f. 193. 205. 211 Xenokrites 55. 62 f. Xenoparochus 91 Xenophon 36. 57. 59. 61. 67. 71. 72. 77. 157. 159 Xenos (Wort) 18. 21. 22. 212. 213 Zeus xenios 10. 28. 33. 46 Zoticus 192 12-Tafel-Recht 15