Fuldaer Studien Neue Folge [Reprint 2019 ed.]
 9783486753752, 9783486753745

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Sitzungsberichte der

Bayerischen Akademie der Wissenschaften Philosophisch-philologische und historische Klasse Jahrgang 1927, 2. Abhandlung

FULDAER STUDIEN N E U E FOLGE von

Paul Lehmann

Vorgetragen am 1 4 . Mai 1 9 2 7

München 1927 Verlag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in Kommission des Vorlags II. Oldeubourg München

Das eine Ziel, das ich mir seit meinen Studentenjahren gesteckt habe und doch im Laufe von über 20 Jahren nur mit großen Unterbrechungen verfolgen konnte: Fulda in seiner hervorragenden Bedeutung für die Schriftgeschichte, für die Uberlieferung alter Literatur, für das gesamte Unterrichtswesen und das geistige wie künstlerische Schaffen im karolingisch - ottonischen Zeitalter darzustellen, ist mir auch jetzt nicht in schnellem Lauf zu erreichen möglich. Es scheint mir angebracht und nützlich zu sein, daß ich einige der Probleme, die für Fulda gelöst oder doch wenigstens mit festem Griffe angepackt werden müssen, in einer Folge von Studien erörtere, von denen ich die erste Reihe vor zwei Jahren 1 ) vorzutragen mir gestattete. Die Fortsetzung, die ich heute biete, zeigt in ihrem ersten Abschnitte an einem einzelnen Texte, wie fest die geistige Tätigkeit in Fulda mit den Bildungsbestrebungen Karls des Großen verknüpft ist, gibt sodann neue Aufschlüsse über die Wirkungen eines Werkes, das der fruchtbarste Schriftsteller der hessischen Abtei, Hrabanus Maurus, verfaßt hat. Ehe ich nun meine Ergebnisse mitteile, möchte ich auch an dieser Stelle der N o t g e m e i n s c h a f t der deutschen Wissenschaft für ihre Förderung meiner Arbeiten und dem gelehrten Präfekten der Vatikanischen Bibliothek, Monsignore G. M e r c a t i , für die Erleichterungen danken, die er mir bei meinem Aufenthalt in Rom während der letzten Wochen gewährt hat.

Sitzungaber. d. Bayer. Akademie d.Wiss., philos.-philol. u. hist. Klasse Jahrgang 1925, 3. Abhandlung. 1*

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2. Abhandlung: P. Lehmann

I. KAROLUS MAGNUS DE LITTERIS COLENDIS. Wenn wir uns die Frage vorlegen, wie es kam, daß Fulda schon wenige Jahrzehnte nach seiner Gründung eines der reichsten und regsamsten Zentren im deutschen Bildungswesen war, so können wir das gleich mit dem längst bekannten Uberwiegen des angelsächsischen Einflusses beantworten. Von Bonifatius an wirkt dieser rund ein Jahrhundert und prägt sich unter anderem schon äußerlich in der nachdrücklichen Pflege der angelsächsischen Schrift auf deutschem Boden aus. Es war keine leere Höflichkeit, als ich im März 1925 in London meinem angelsächsischen Auditorium den festen Zusammenhang des Fuldaer Scriptoriums mit dem insularen Schrifttum durch meine Darlegungen und eine große Zahl von Lichtbildern zeigte. Ich verschwieg auch nicht, daß ebensoviel Ruhm wie den angelsächsischen Lehrmeistern den gelehrigen deutschen Schülern gebührt und daß wir über den angelsächsischen Beziehungen die mannigfachen Verbindungen Fuldas mit Frankreich, Italien und deutschen Stätten nicht vergessen dürfen, daß König Karl „den seit Bonifatius übermächtigen angelsächsischen Einfluß durch eigene fränkische Inzucht zurückzudämmen" versucht hat 1 ). Symptomatisch ist unter anderem das frühzeitige Auftreten karolingischer kontinentaler Minuskel in den angelsächsisch angelegten Annales Fuldenses antiquissimi. In die Erscheinung tritt der geistige Austausch zwischen dem hessischen Kloster und dem linksrheinischen deutschen und französischen Gebiet vornehmlich seit Baugulf, der von 779—802 die Abtswürde innehatte. Die Schilderung seines Lebens durch den Mönch Bruun-Candidus ist leider nicht auf uns gekommen, und die oft wiederholte Nachricht, in Wolfenbüttel läge ein Vergilcodex von Baugulfs eigener Hand, hat sich als unrichtig herausgestellt. Dagegen wissen wir, daß es Abt Baugulf war, der 794 oder bald danach den jungen Mainfranken Einhart 'propter singularitatem capacitatis et intelligentiae' an den Hof König Karls des Großen schickte, wo er bald eine Zierde des Gelehrtenkreises, M. Tangl in der Vorrede der Übersetzung von Kaiser Karls Leben von Einhart: Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit. 2. Gesamtausgabe. XVI (1920), S. V i f .

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ein Liebling des Herrschers und seiner Umgebung wurde. Die Sendung Einharts zu Karl war von großer historiographischer Bedeutung. Wäre der Schüler. Fuldas in der Heimat geblieben, hätten wir schwerlich die köstliche Lebensbeschreibung Karls erhalten, an der wir uns noch heute erfreuen. Demselben Abte Baugulf, der den jungen Einhart an den Hof schickte, hat König Karl ein Schreiben gesandt, das als 'Epistola de litteris colendis' zu den Hauptdokumenten der Bemühungen des großen Fürsten um den Unterricht in seinem Reiche gehört 1 ). Karl spricht darin von seiner und seiner Getreuen Erwägungen, daß es nützlich wäre, wenn man in den Klöstern außer der Ordenszucht und einem gottgefälligen Lebenswandel sich mit Gottes Hilfe der Pflege der Wissenschaften widmete, daß, wie die monastischen Vorschriften ehrbare Sitten anstrebten, anhaltender Fleiß im Lernen und Lehren Ordnung und Schmuck in die Sprache brächte, daß ihm jedoch in den letzten Jahren nicht selten Schreiben zugegangen wären, die zwar Frömmigkeit und tüchtigen Sinn bewiesen, aber eine rohe Sprech- und Schreibweise offenbarten. In der Furcht, daß bei dem Mangel an sprachlichem, schriftstellerischem Können es auch oftmals an der Einsicht und dem richtigen Verständnis der Heiligen Schriften fehle, wünsche er, daß das Studium nicht vernachlässigt würde. Da sich in der Bibel rhetorische Figuren, Tropen und dergleichen fänden, so sei es zur Erfassung des Sinnes erforderlich, daß man vollkommen wissenschaftlich geschult sei. Zu diesem Werke aber solle man nur solche Männer nehmen, die den Willen und die Fähigkeit etwas zu lernen hätten und die auch von dem Wunsche durchdrungen wären, andere zu belehren. Schon im 17. Jahrhundert gedruckt 4 ), im 19. von Philipp Jaffe ), Karl Boretius 4 ) herausgegeben, hat das Sendschreiben 3

Vgl. beispielsweise A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands. II3- 4 (1912) S. 192; G. Schnürer, Kirche und Kultur im Mittelalter. I (1924) S. 376. B. v. Simson in den Jahrbüchern des Fränkischen Reiches unter Karl dem Großen. II (1883) S. 566 ff. 2 ) Durch J. Sirmond in den Concilia antiqua Galliae. II 121; J. Mabillon in den Annales ordinis s. Benedicti. II 278 (ed. Lucensis II 260) u. a. 3 ) Bibliotheca rerum Germanicarum. IV (1867) p. 343 sqq. 4 ) MG. Legum Sectio II, tom. I (1881) p. 79.

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2. Abhandlung: P. Lehmann

dazu gedient, das energische Streben Karls nach besserer Bildung der Geistlichen seines Reiches zu illustrieren. Mau pflegt aus dem veröffentlichten Texte, der auch ins Deutsche übersetzt worden ist 1 ), herauszulesen, daß Karl den Brief an alle Metropoliten, Bischöfe und Abte des Flankenreiches habe ergehen lassen 2 ), mußte aber bisher bemerken, daß er nur in der Ausfertigung an Baugulf, den Abt des exempten Benediktinerstiftes Fulda, erhalten sei und zwar in einer einzigen Metzer Abschrift des 11. oder gar 12. Jahrhunderts, jetzt Metz, Stadtbibliothek Ms. 226 (E. 19 aus St. Arnulf). Unleugbar gibt es Fälle einmaliger Uberlieferung genug, auch aus der Zeit und Umgebung Karls des Großen. Gleichwohl habe ich immer Bedenken, wenn man von einem Codex unicus spricht, zumal jedoch bei einem Schriftstück, das als offizieller Erlaß an viele geistliche Würdenträger des weiten Frankenreiches geschickt sein soll. Als ich zu Beginn des letzten Wintersemesters die 'Epistola de litteris colendis' in meinem Seminar interpretieren ließ, unterließ ich es deshalb nicht, weitere Nachforschungen anzuregen, und hatte dann nach wenigen Wochen halb durch Zufall selbst das Glück, den Metzer Codex aus seiner Isolierung zu befreien. Mein amerikanischer Mitschüler und Freund E. A. Lowe schickte mir zur Begutachtung aus Oxford das Manuskript einer von ihm verfaßten Abhandlung und beschrieb darin eine aus Würzburg stammende frühkarolingische Handschrift, die ernstlich eine Würdigung durch den erfahrenen Palaeographen Lowe verdient hat. Ich wußte von diesem Codex Laudianus Mise. 126 seit 1905. Enthält die Hs. doch unter anderem ein noch unveröffentlichtes Bücherverzeichnis vom ausgehenden 8. Jahrhundert, auf das mich zuerst Ludwig Traube, dann Ludwig Bertalot, Eduard Sievers und andere Gelehrte aufmerksam machten. Immer wieder mußte ich den Freunden der alten Bibliothekskataloge antworten, daß eine, ja mehrere Abschriften gerade dieser Bücherliste seit Bestehen der Kommission für die Herausgabe der mittelalterlichen Bibliothekskataloge und der Schweiz bei unserem Material ruhten. Eine ins einzelne gehende Beschreibung erhielt ich allerdings erst 1

) Johannes Bühler, Klosterleben im deutschen Mittelalter, Leipzig 1921, S. 90 ff. Um einige schwierige Stellen hat sich B. gedrückt. 2 ) Vgl. beispielsweise M. Tangl im Neuen Archiv. XLI (1917) S. 31.

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jetzt durch E. A. Lowe und erfuhr so sehr spät, daß auf der ersten Seite nicht, wie man mir früher mitgeteilt hatte, ein interesseloser abgeschabter Text geistlichen Inhalts ohne größeren ßeiz, sondern das berühmte Sendschreiben Karls des Großen steht. Lowe hatte f ü r den Brief kein sonderliches Interesse und meinte anfangs, es würde sich nicht verlohnen, eine Photographie davon machen zu lassen. Ich ließ mich jedoch nicht abschrecken und bestellte bei der Bodleiana eine möglichst gute Aufnahme und war ganz und gar nicht enttäuscht, als ich sie erhielt. Denn, obwohl die Seite stark durch Feuchtigkeit, Schmutz und Abnutzung gelitten hat, ist der Brieftext im wesentlichen zu erkennen. Man sieht 33 Zeilen mit angelsächsischer Minuskel Mitteldeutschlands vom Ende des 8. Jahrhunderts. Nach dem W o r t e discurrat sind auf der 33. Zeile ein paar W ö r t e r radiert, die nicht zum Brief gehört zu haben scheinen. Auch was auf der 36. Zeile steht, ist nur eine alte Federprobe. Nachdem wir die 33 Textzeilen des Laudianus entziffert haben, brauchen wir uns nun nicht mehr ausschließlich auf den viel jüngeren Metensis zu verlassen, sondern haben einen viel älteren und nicht immer mit dem bisher bekannten Wortlaut übereinstimmenden Zeugen zur Verfügung, der in die Zeit sehr bald nach Erlaß des Schreibens — der Brief ist abgesandt, als Baugulf bereits Abt und Karl noch nicht Kaiser war, also frühestens 780 und spätestens 800, die Schriftzüge der in Frage kommenden Seite des Laudianus stammen wohl noch aus dem 8. Jahrhundert — und außerdem f ü h r t uns diese Handschrift ganz in die N ä h e des Empfängers Baugulf. Denn der Oxforder Codex hat einstmals bei St. Kilian in Würzburg gelegen und bezeugt auch durch Angaben in der von ihm gebotenen Bücherliste den Bücherverkehr zwischen W ü r z b u r g und Fulda, kann sogar in Fulda selbst kopiert worden sein. Ich veröffentliche nun im Folgenden den genauen, außer mir von meinem Schüler stud. B. Bischoff geprüften Wortlaut des Laudianus. In gebrochene Klammern eingeschlossen sind alle die Buchstaben, Silben und Wörter, die keine hinreichenden Spuren mehr hinterlassen haben, aber mit einiger Zuverlässigkeit dank dem Text des Metensis erschlossen werden können. Alle Abweichungen der Metzer Handschrift nach der Wiedergabe von Jaffe und Boretius sind unter dem Text gegeben.

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2. Abhandlung: P. Lehmann

(K)arolus, gra(tia Dei rex Francorum et Langobardorum ac patricius Roma)norum, (Baugu)lf(o abbati | (nec) non et omni congrega(tioni, fidelibus oratoribus nostris,) in (omnipoten)tis Dei nomine am(ab)il(em direximus) | salutem. 5 Notum igitur si | inveniantur, nulli dubium, quod ea unusquisque legens tanto citius spiritaliter intell(igit), qu(anto) ] prius in litteraturae magisterio io plenius instructus fuerit. Tales vero ad hoc (o)pus viri (e)li(gantur,) | qui et voluntatem et possibilitatem discendi et desiderium habeant alios instruendi. Et ho(c totum) | ea intentione agatur, qua devotione a nobis praecipitur (vielleicht ursprünglich Operamus enim vos, sicut d(ecet '5 praecipietur, das e radiert). ecclesiae milites,) et (interi)us devotos et exterius doctos, castos bene vivendo et scolasticos bene lo(quendo, ut, quicunque) | vos propter nomen Domini (et sanctae) conversationis nobilitatem ad videndum expetierit, sicut (de as)pectu j vestro aedificetur (vi)s(u>s, ita quoque de sapientia vestra, quam in legendo {verb, aus in- 2) tellegendo) seu canta(ndo) perciperit, | instruatur audit(us> et, qui ad videndum solummodo venerat, visione (et) auditione | instructus, omnipotenti Domino gratias agendo gaudens recedat. Hoc ut (fier)et, o(r>tam(ur) (oder optamus), | ut nullus monachorum foras monasterio iudiciaria teneat neque per (p)l(aci)ta et mallos | dis- 25 currat. 1 in sanctarum M. 2 quod] quia M. 4 hortamur M. 6 negligere M. 7 mysteria M. enim] autem M nach Boretius, enim nach Jaffé. paginis M. 8 flgurae fehlt M. caetera Boretius. 9 dubium est Boretius. 10 spiritualiter M. intellegit M. litteraturae] litterarum Boretius. 13 totum Jaffé, tantum Boretius. 15 optamus enim M. 16 ecclesiae fehlt bei Jaffé. castosque M. 17 scholasticos Boretius. 19 edificatur M. 21 perceperit M. instruatur — 22 auditione fehlt M. 23 redeat M, danach noch der Satz Huius itaque epistolae exemplaria ad omnes suffragantes tuosque eoepiscopos et per universa monasteria dirigi non neglegas, ai gratiam nostram habere vis. 23 ff. Hoc — ortamur, ut fehlt M. 24 Et nullus M. 25 iuditiaria M. tenea