Friedrich Schiller und die Demokratie [1 ed.] 9783428531257, 9783428131259

Wie hat sich Schiller zur Demokratie verhalten? Obgleich politische und staatsrechtliche Debatten das Aufklärungszeitalt

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German Pages 211 [212] Year 2009

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Friedrich Schiller und die Demokratie [1 ed.]
 9783428531257, 9783428131259

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Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Band 81

Friedrich Schiller und die Demokratie Von Matthias Tresselt

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

MATTHIAS TRESSELT

Friedrich Schiller und die Demokratie

Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Herausgegeben von Wo l f g a n g G r a f Vi t z t h u m in Gemeinschaft mit M a r t i n H e c k e l, K a r l - H e r m a n n K ä s t n e r Fe r d i n a n d K i r c h h o f, H a n s v o n M a n g o l d t M a r t i n N e t t e s h e i m, T h o m a s O p p e r m a n n G ü n t e r P ü t t n e r, B a r b a r a R e m m e r t Michael Ronellenf itsch, Christian Seiler sämtlich in Tübingen

Band 81

Friedrich Schiller und die Demokratie Von Matthias Tresselt

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen hat diese Arbeit im Wintersemester 2008/2009 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 21 Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-6061 ISBN 978-3-428-13125-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Fçr IldikÕ Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2008/2009 von der Juristischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Ein ganz herzlicher Dank gilt zunächst meinem Doktorvater Prof. Dr. Wolfgang Graf Vitzthum, LL.M, für die Betreuung der Arbeit und deren Aufnahme in die Schriftenreihe. Er hat diese Untersuchung mit viel Zuspruch begleitet und stand mir stets mit wertvollen Ratschlägen zur Seite. Meinen straffen Arbeitszeitplan hat er vorbehaltlos unterstützt. Für die angenehme und lehrreiche Zeit an seinem Lehrstuhl möchte ich mich ebenfalls herzlich bei ihm bedanken. Herrn Prof. Dr. Martin Nettesheim danke ich für die sehr rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Ein weiterer Dank gebührt Herrn Prof. Dr. Greiner für stets hilfreiche Anregungen, vor allem während der Anfangsphase der Arbeit. Ferner danke ich der Landesgraduiertenstiftung Baden-Württemberg, die die Anfertigung der Arbeit durch ein großzügiges Promotionsstipendium unterstützt hat. Ebenso bin ich der Landesbank Baden-Württemberg für die Förderung der Drucklegung durch einen Druckkostenzuschuss verbunden. Von ganzem Herzen danke ich meinen Eltern, die mich während des Studiums und der Promotionszeit in jeder Hinsicht unterstützt haben. Ihrem Rückhalt kann und konnte ich mir stets sicher sein. Mein ganz besonderer Dank schließlich gilt meiner Ehefrau Ildikó, die mir während der gesamten Zeit zur Seite stand und deren Vertrauen in mich mir stets die nötige Kraft gab. Ebenso weiß ich es sehr zu schätzen, dass sie die mühevolle Arbeit des Korrekturlesens übernommen hat. Sie trägt einen außerordentlichen Anteil am Gelingen dieser Arbeit. Ihr ist die Arbeit gewidmet. Matthias Tresselt

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fragestellung und Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Kapitel Die Substanz der Demokratie: Sicherheit, Selbstbestimmung und Menschenrechte I.

II.

Sicherheit als Ausgangspunkt des Staatsdenkens: Staatsgewalt als Mindestbedingung einer demokratischen Gesellschaftsordnung in den Räubern . . . . 1. Das staatsrechtliche Thema der Räuber: Anarchie oder Verfassungsordnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Räubermotiv als Symbol fehlender Staatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schillers Abneigung gegenüber der anarchistischen Denkart Franz Moors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Selbstjustiz Karl Moors als verfehlte Strategie der Staatsverbesserung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Staatlichkeit und Staatsgewalt als Mindestbedingung einer demokratischen Gesellschaftsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstbestimmung als Staats- und Regierungszweck: Die Ausbildung aller menschlichen Kräfte in der Gesetzgebung des Lykurgus und Solon . . . . . . . . 1. Die Frage nach der „Glückseligkeit“ als Staatsaufgabe im Zeitalter des Absolutismus in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Glückseligkeit“ als Staatszweck im deutschen Territorialabsolutismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Naturrecht, Polizei- und Kameralwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kritische Stimmen in Literatur und Publizistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schillers Kritik am Polizei- und Wohlfahrtsstaat: Beispiele aus den Räubern, Kabale und Liebe und Don Karlos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einzelne Aspekte von Schillers Kritik am Bevormundungsstaat . . . . . b) Generalkritik am Staatszweck „Glückseligkeit“: Don Karlos . . . . . . . 3. Das Gegenmodell: Gründung und Regierung einer menschlichen Gesellschaftsordnung in der Gesetzgebung des Lykurgus und Solon . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis a) Die Gründung einer humanistischen Gesellschaftsordnung . . . . . . . . . b) Die Regierung eines humanistischen Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die demokratische Komponente des humanistischen Staatsgedankens . .

III.

Menschen- und Bürgerrechte: Freiheitsschutz als Kern einer demokratischen Gesellschaftsordnung in Don Karlos und in Maria Stuart . . . . . . . . . . . 1. Die Bürger- und Menschenrechte am Ende des 18. Jahrhunderts: Verfassungsrechtliche Tendenzen, rechtsliterarische Strömungen . . . . . . . . . . . . . 2. Achtung der Menschenwürde, Freiheits- und Gleichheitsrechte des Bürgers im Don Karlos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Menschenwürde als Ausgangspunkt des anthropozentrischen Staatsdenkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Meinungs- und Pressefreiheit: „Gedankenfreiheit“ als Forderung nach Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Religions- und Gewissensfreiheit: „Gedankenfreiheit“ als Toleranzforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Rechte des Bürgers in gerichtlichen Verfahren: Maria Stuart . . . . . . a) Rechte des Inhaftierten: Maria Stuarts Gefangenschaft und die Verletzung des Gastrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prozessuale Rechte des Angeklagten: Maria und der Hochverratsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mögliche Rechtfertigungen für Elisabeths Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Grundrechtssicherung: Die Forderung nach Gesetzesbindung und Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Der Konflikt zwischen Humanität und Todesstrafe . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Kapitel Die Struktur der Demokratie: Möglichkeiten, Voraussetzungen und Durchsetzung IV.

Demokratie als Möglichkeit: Der Weg zu einer funktionierenden Demokratie in Schillers Tragödien von den Räubern bis zum Wilhelm Tell . . . . . . . . . 1. Demokratie als Staats- und Herrschaftsform am Ende des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Mehrheitskritik in Schillers Tragödien als verfehltes Indiz einer „antidemokratischen“ Haltung Schillers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Forderung nach Gleichheit vor dem Gesetz in Schillers frühen Dichtungen als Ausdruck einer demokratischen Gesinnung . . . . . . . . . . . . a) Karl Moors Umverteilungsstrategie in den Räubern . . . . . . . . . . . . . . . b) Privilegienfrage und Standesunterschiede in Kabale und Liebe . . . . . c) Die „gleich ehrwürdge(n) Rechte“ der Bürger im Don Karlos . . . . . . 4. Politische Teilhabe an der staatlichen Willensbildung: Don Karlos . . . . . 5. Illustration einer funktionierenden Demokratie im Wilhelm Tell . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis V.

VI.

Voraussetzungen der Demokratie: Die juristischen und ethischen Vorbedingungen der Demokratie in den historischen und theoretischen Schriften vom Abfall der Niederlande bis zu den Briefen über die Ästhetische Erziehung des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die juristischen Voraussetzungen der Demokratie: Repräsentation und Unabhängigkeit der Abgeordneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unabhängigkeit der Volksvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die ethische Voraussetzung der Demokratie: Politische Mündigkeit . . . . a) Die Notwendigkeit und historische Eingebundenheit der politischen Mündigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Herstellung der politischen Mündigkeit durch ästhetische Erziehung des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die ästhetische Erziehung im Prozess der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . 3. Demokratie als Idealform einer zukünftigen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . Durchsetzung der Demokratie: Das Widerstandsrecht im Wilhelm Tell . . . . . 1. Schillers Revolutionskritik als Ausgangspunkt für das Tell-Drama . . . . . . 2. Die Zulässigkeit des gewaltsamen Widerstands im Wilhelm Tell: Widerstand als Notwehr- und Menschenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Rütli-Bund als Möglichkeit einer leidenschaftslosen Erhebung . . . . . 4. Der Rechtsfortschritt im Wilhelm Tell als historisches Gegenmodell zur französischen Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Kapitel Die Universalität der Demokratie: Europäertum und Völkerrechtsdenken VII. Europäertum: Europäische Identität und europäischer Frieden . . . . . . . . . . . . . 1. Schiller im Spannungsfeld von Nation und Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schiller als Nationaldichter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schiller als Kulturpatriot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Europäische Identität: Kulturelle Vielfalt und politische Freiheit . . . . . . . a) Kulturelle Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Europäische Freiheit und Menschenrechte als wesentliche Bestandteile einer europäischen Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sicherung der europäischen Idee durch eine europäische Friedensordnung: Geschichte des Dreißigjährigen Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Europa als politische Schicksalsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Gleichgewicht der Mächte als wichtigste Voraussetzung für den europäischen Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis c) Manifestation des europäischen Gleichgewichts durch stabile völkerrechtliche Verträge: Prager Frieden 1635 – Westfälischer Frieden 1648 152

VIII. Völkerrechtsdenken: Humanitäres Kriegsrecht und soldatischer Gehorsam . . 1. Schiller als Vertreter eines humanitären Völkerrechts: Wallensteins Lager, Jungfrau von Orleans, Dreißigjähriger Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Verrechtlichung des Krieges: Wallensteins Lager und die Parallele zu den Räubern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mitleid und Menschlichkeit im Krieg: Johannas Kriegsbegegnungen in der Jungfrau von Orleans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Regeln der Kriegsführung: Die kaiserlichen Generäle und Gustav Adolf im Dreißigjährigen Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Grenzen soldatischer Gehorsamspflicht: Wallenstein als historische und dramatische Figur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anklage und Urteil: Wallensteins Ungehorsam als Hochverrat an der kaiserlichen Krone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Vertrag zwischen Wallenstein und Kaiser Ferdinand II. als Rechtfertigungsgrund? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Friedenspläne Wallensteins als Rechtfertigungsgrund? . . . . . . . . . d) Vorrang der charismatischen Soldatenordnung vor der dynastischen Kaiserordnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Gerechtigkeit für Wallenstein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Schluss: Zusammenfassung, Würdigung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Primärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tertiärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

Einleitung 1. Fragestellung und Ziel der Untersuchung Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit dem demokratischen Staatsdenken im dramatischen und historiografischen Werk Friedrich Schillers (1759–1805). Sie möchte die Demokratie-Bezüge in Schillers Werk1 vor den historischen Hintergründen des deutschen Territorialabsolutismus und der französischen Revolution darstellen und anhand eines modernen Ideenbegriffs der Demokratie bewerten. Anlass der Arbeit war die Erkenntnis, dass die Rechts- und Staatsphilosophie Schillers in der Sekundärliteratur bisher nicht unter dem Leitbegriff „Demokratie“ zusammengefasst wurde. Soweit ersichtlich, liegt tatsächlich keine staatsrechtliche Arbeit vor, die sich dem Werk Friedrich Schillers aus demokratietheoretischer Sicht genähert hätte.2 Vielmehr ist im rechts- und literaturwissenschaftlichen Schrifttum die Ansicht herrschend, Schiller sei kein „Demokrat“ im modernen Sinn gewesen, er habe Demokratie als Staatsform und als Idee abgelehnt.3 Einschlägige Stellungnahmen haben deshalb versucht, sich dem Staatsdenken rein deskriptiv zu nähern und das Schillersche Werk unter dem Begriff des „Staates“ oder des „Rechts“ abzuhandeln.4 Andere Untersuchungen vermei1 Schillers Werke werden nach Band und Seite zitiert nach der Ausgabe von Alt/ Maier/Riedel (Hrsg.), Friedrich Schiller: Sämtliche Werke in 5 Bänden. Auf der Grundlage der Textedition von Herbert G. Göpfert, München 2004. 2 Vgl. aus der neueren staatsrechtlichen Sekundärliteratur (beispielhaft): Ebert, Schiller und das Recht, in: Schiller im Gespräch der Wissenschaften, hrsg. v. Manger u. a., Heidelberg 2005, S. 139 ff.; Limbach, Schiller und das Recht, in: Ott (Hrsg.), Marbacher Schillerreden, Marbach am Neckar 2001; Lingelbach, Friedrich Schiller und sein Staatsverständnis, in: Staat und Recht, 10/1984, S. 842 ff.; Lüderssen, „. . . dass nicht der Nutzen des Staates Euch als Gerechtigkeit erscheine“, Schiller und das Recht, Frankfurt a. M. u. a. 2005. 3 Vgl. etwa Halberstam, Of Grace and Dignity in Law: A Tribute to Friedrich Schiller, in: Hinderer (Hrsg.), Friedrich Schiller und der Weg in die Moderne, Würzburg 2006, S. 205 ff. (205: „Schiller was not a democrat in the modern sense of the word“); Muschg, Die Tragödie der Freiheit, in: Schiller. Reden im Gedenkjahr 1959, Stuttgart 1961, S. 218 ff. (237). Der Titel der Abhandlung von Krauss, Schiller als Demokrat, in: Grenzboten 3/1886, S. 145 ff. ist wegen des dort verwendeten (politisierten) Demokratiebegriffs irreführend. 4 Vgl. z. B. Blaese, Schillers Staats- und Rechtsdenken, in: Kunst und Recht, Festgabe für Hans Fehr, Karlsruhe 1948, S. 49 ff.; Gerland, Schiller und das Recht, Rede bei der Universität Jena veranstalteten Feier des Jahrestages der Gründung des Deutschen Reiches gehalten am 18. Januar 1933, in: Jenaer akademische Reden, S. 1 ff.; Greulich, Recht und Staat in Schillers Werken, Köln 1961; Suppanz, Person und Staat

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Einleitung

den die „Neutralität“ des Staats- und Rechtsbegriffs und gehen davon aus, das Staatsdenken Schillers sei ideengeschichtlich auf Basis des Republikbegriffs zu deuten.5 Dass sowohl die Schiller- als auch die Demokratieforschung bisher nicht auf die Forschungslücke reagiert haben, scheint bemerkenswert: erstens aufgrund der nahe liegenden Verbindungen zwischen Schiller und der historischen Demokratiedebatte. Diese spielte in der politischen und staatsrechtlichen Diskussion des Aufklärungszeitalters – insbesondere vor dem Hintergrund der französischen Revolution und der Erhebung des „Dritten Standes“ zum „Souverän“, eine bedeutende Rolle im zeitgenössischen Denken.6 Wie sich Schiller zu ihr verhalten hat, muss bereits deswegen interessieren, weil über den Erkenntniswert des Schillerschen Staats- und Rechtsdenken – wie die ausgiebige Beschäftigung belegt – kein Streit besteht. Zweitens finden sich in Schillers Werk bereits „prima facie“ gewisse Bezüge zum Thema Demokratie. Das betrifft z. B. die Schilderung der eidgenössischen Selbstverwaltung im Wilhelm Tell oder die Auseinandersetzung mit der athenischen Demokratie in der Gesetzgebung des Lykurgus und Solon. Diese ersten Anhaltspunkte lassen erwarten, dass bei intensiverer Befassung mit Schillers Werk ein Gesamtbild seines demokratischen Denkens erkennbar wird.7 Drittens haben die bisherigen Versuche, Schillers Staats- und Rechtsdenken anhand der Topoi „Staat“, „Recht“ oder „Republik“ zu beschreiben, nicht vollauf überzeugen können. Vor allem die quellenhistorische Perspektive, die Schillers Staatsdenken auf Basis des von ihm selbst verwendeten Republikbegriffs zu deuten sucht, sieht sich mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass die Begriffe „Republik“ oder „republikanische Freiheit“ in der zweiten Lebenshälfte des Dichters eine zunehmend negative Färbung erhalten, bis sie letztlich nicht mehr auftauchen.8 Damit fehlt aber der unmittelbare Bein Schillers Dramenfragmenten. Zur literarischen Rekonstruktion eines problematischen Verhältnisses, Tübingen 2000; Zwick, Die Rechtsidee bei Schiller, Heidelberg 1950. 5 Vgl. etwa Hayfa, Der „republikanische“ Gedanke in Freiheitsdramen und -gedichten aus dem Umkreis des späten Schiller, Frankfurt a. M. 1974; Hinderer, Republik oder Monarchie? Anmerkungen zu Schillers politischer Denkungsart, in: Literatur in der Demokratie. Für Walter Jens zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Wilfried Barner u. a., München 1983, S. 305 ff.; Schröder, Freundschaft und Politik, Friedrich Schillers republikanisches Ideal, in: Castrum Peregrini 2003, S. 27 ff. 6 Vgl. hierzu Raumer, Deutschland um 1800 – Krise und Neugestaltung 1789–1815, in: ders./Bolzenhart, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Wiesbaden 1980; Valjavec, Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland, 1770–1815, Düsseldorf 1978 (Erstausg. Kronberg 1951); Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Erster Band, 1700–1815, München 1987. 7 Wilhelm Tell (= II, 913 ff.); Gesetzgebung des Lykurgus und Solon (= IV, 805 ff., 818 ff. – zu Solon). 8 In einem Brief an Goethe vom 19. Januar 1798 spricht Schiller nochmals von „republikanischer Freiheit“, freilich ohne eine bestimmte Staatsform ins Auge zu fassen. – Schillers Briefe und Entwürfe werden zitiert nach Oellers u. a. (Hrsg.), Schillers

Einleitung

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zug des Republikbegriffs zur Wallenstein-Trilogie, zur Maria Stuart und zum Wilhelm Tell – aus staatsrechtlicher Perspektive bedeutende Tragödien. Angesichts der historischen Demokratiedebatte, den erkennbaren Demokratiebezügen in Schillers Werk und vor dem Hintergrund seines bisher unvollständig beschriebenen Staatsdenkens, möchte die vorliegende Untersuchung einen Beitrag leisten, um die als Versäumnis empfundene Forschungslücke ein Stück weit zu schließen. 2. Methode Methodisch ist zu klären, welcher Demokratiebegriff der Arbeit zugrunde liegt und welche Werke auf Grundlage des verwendeten Demokratieverständnisses untersucht werden sollen. Für die vorliegende Untersuchung soll ein entpolitisierter Ideenbegriff Demokratie verwendet werden. Entpolitisiert bedeutet, dass sich der Demokratiebegriff von parteipolitischen Vereinnahmungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts distanziert, die „Demokratie“ als Bewegungs- und Tendenzbegriff gebrauchten. Seit dem „radikaldemokratischen“ Umsturz durch die französischen Revolutionäre in Paris gewann der Demokratiebegriff in der politischen Publizistik eine überwiegend negative Konnotation.9 Ein „Demokrat“ war kein Vertreter einer bestimmten Regierungsform, sondern ein Revolutionär, der mit jakobinischen Rechtsdenken in Verbindung gebracht wird. Synonyme Bezeichnungen waren z. B. „Jakobiner“, „Patriot“ oder „Sansculotte“. In Weimar prägte vor allem Wieland10 den Begriff „demokratisieren“ und meint damit eine revolutionäre Bewegung, die unter Bruch mit dem Gewachsenen eine auf Volkssouveränität beruhende Neuordnung schaffen wollte – gegen den Willen der Regierenden und notfalls mit revolutionärer Gewalt. „Demokrat“ wurde zu einem Schimpf- und Scheltwort der Revolutionsgegner – Schiller gebraucht es selten11 –, das nicht nur in Deutschland, sondern auch im angelsächsischen Rechtsraum seine pejorative Note bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts Werke, Nationalausgabe (NA), Bände 23 bis 40, begr. v. Julius Petersen, hrsg. im Auftrag der Stiftung Weimarer Klassik und des Schiller-Nationalmuseums Marbach, Weimar 1943 ff., hier: NA 29, 189. 9 Vor der französischen Revolution wurde der Demokratiebegriff offenbar nicht abwertend gebraucht. Dies zeigt z. B. die neutrale Formulierung Justis, der drei Jahrzehnte vor den Revolutionsereignissen eine moderne Demokratidefinition liefert: „Ein freyer Staat, in welchem das gesammelte Volk die oberste Gewalt besitzet und dieselbe, theils in seinen Versammlungen, theils durch seine Magistrate, oder Minister ausübt, das ist der Begriff von einer Demokratie“, vgl. J. H. G. v. Justi, Natur und Wesen des Staaten, Mitau 1771 (erstmals 1759), §§ 83 ff., S. 190. 10 C. M. Wieland, Kosmopolitische Adresse an die französische Nationalversammlung (1790), in: Reemtsma (Hrsg.), Politische Schriften II, S. 27 ff. 11 In einem Brief an Körner vom 29. November 1802 schreibt Schiller über Herder, dieser habe sich immer als „gröbster Demokrat“ herausgelassen und wolle „sich nun in den Adel drängen“ (= NA 31, 177).

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beibehielt. Edmund Burke kennzeichnete die Demokratie deshalb als das „schamloseste aller politischen Ungeheuer“. Nur selten am Ende des 18. Jahrhunderts, etwa bei Eberhard, Posse und Campe, fand sich der Demokratiebegriff in einer nicht parteipolitisch verwendeten Bedeutung.12 Vor dem begriffsgeschichtlichen Hintergrund wird die Notwendigkeit eines entpolitisierten Demokratiebegriffs deutlich. Er trägt zum einen dazu bei, Schillers Staatsdenken unverzerrt, sachlich und textgestützt zu rezipieren. Zum anderen kann er verhindern, politische Auseinandersetzungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts in der heutigen Sekundärliteratur zu wiederholen – eine Gefahr, die sich in der Wirkungsgeschichte Schillers durchgehend realisiert hat.13 Dass Schillers demokratisches Staatsdenken vor dem Hintergrund eines entpolitisierten Demokratiebegriffs bewertet werden soll, bedeutet nicht, die Untersuchung nähere sich Schillers Werk, ohne dessen historische Eingebundenheit zu berücksichtigen. Das Demokratieverständnis Schillers wird vielmehr in den geschichtlichen Kontext eingeordnet, d.h. auf Grundlage der geistigen und politischen Strömungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts dargestellt. Erst durch den Vergleich zum zeitgenössischen Aufklärungsdenken und zu den historischen Herausforderungen durch den Territorialabsolutismus in Deutschland und die Französische Revolution werden das Schillersche Werk und die Modernität seines Denkens begreiflich. Die Arbeit enthält deshalb sowohl Vergleiche zu den Aufklärungskodifikationen in Frankreich, Nordamerika und Deutschland als auch zu den Werken solcher Staatsdenker, die Schillers Denken beeinflussten und mit denen sich der Dichter intensiv auseinandersetzte.14 Der hier verfolgte Ansatz unterscheidet sich von anderen Arbeiten, die eine ahistorische Interpretationsmethode wählen und den Text – in der Tradition ei12 Vgl. zur Begriffsgeschichte Graubard, Democracy, in: Wiener (Hrsg.), Dictionary of the History of Ideas, mehrere Bände (zit.: DHI), hier Band 1, New York 1968, S. 652 ff. (660 ff.); Klippel, Staat und Souveränität, in: GGr VI, S. 125; Koselleck, Demokratie, in: GGr I, S. 848 ff.; Maier, Demokratie, in: GGr I, S. 854 ff.; ders., Demokratie, in: HWP II, S. 50 ff. (53). 13 Vgl. z. B. den Satz aus der Schiller-Biographie Benno v. Wieses: „Er [Schiller] gehört auf die Seite des älteren humanen Liberalismus, der den Staat nur als ein Werkzeug für den Menschen verstand, nicht jedoch auf die Seite der Volkssouveränität und eines wie auch immer begründeten Staatsabsolutismus und Staatssozialismus. Es scheint absurd, diesen Tatbestand gegenüber der Fülle der Zeugnisse leugnen zu wollen“, vgl. Wiese, Schiller, S. 451. Wiese verwendet die Begriffe „Volkssouveränität“ und „Staatsabsolutismus“ synonymisch und nimmt dabei offenbar auf Rousseaus Wendung Bezug, der Einzelne könne gezwungen werden „frei zu sein“, wenn es die volonté générale gebiete. Deshalb leugnet er die Einflüsse Rousseaus auf Schiller und stellt ihn ausschließlich in die Traditionslinie Montesquieus (und Wielands). Hier wird also nachträglich die Politisierung der beiden französischen Staatsdenker während der Revolutionszeit auf das Schillersche Werk übertragen. 14 Zu den literarischen Einflüssen der europäischen Aufklärung auf Schillers Denken vgl. die Nachweise und Stellungnahmen im Hauptteil der Arbeit.

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niger „Law and Literature“-Autoren – als philosophische Inspirationsquelle verstehen, den Text also auf sich „wirken“ lassen, um aus ihm ein „bestimmtes Werturteil“ hervorzubringen.15 Aus methodologischer Sicht kritisch zu bewerten ist vor allem die in der US-Amerikanischen Literatur vertretene Strömungsrichtung „Law as Literature“. Sie handhabt Recht wie Literatur, um rechtliche Regeln und Institutionen möglichst offen und konkret als Kulturphänomen zu bewerten. Einzelne Methoden (narrative, rhetorische und dekonstruktivistische Kritik) sollen dazu dienen, aus den generalisierenden Bindungen an Texte herauszukommen und sich an das anzunähern, was der Einzelfall „wirklich“ erfordere.16 Problematisch ist „Law as Literature“, weil Gesetzesinterpretation trotz mancher Objektivierungstendenzen (objektiv-teleologische Auslegung) nicht vom „Autor“ des Textes (Parlament, Gesetzgeber) unabhängig, sondern an dessen Willen rückgebunden ist. Zudem besitzt die narrativ-dekonstruktivistische Auslegungsmethode tendenziell rechtsauflösenden Charakter.17 Die vorliegende Untersuchung soll nicht nur von Politisierungen des Revolutionszeitalters freigehalten und in den geschichtlichen Kontext eingeordnet werden, sie möchte vor allem einen Ideenbegriff der Demokratie zur Grundlage der Arbeit machen. Es soll danach gefragt werden, was das „Wesen“ moderner Demokratien ausmacht, welche Merkmale „westliche“18 Demokratien konstituieren („aquis démocratique“) und welchen gegenwärtigen Herausforderungen sich moderne Demokratien stellen müssen.19 Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass es drei Elemente sind, die zum „Wesenskern“ westlicher Demokratien gehören. Das erste konstitutive Element moderner Demokratien ist der Rechts- und Freiheitsschutz der Bürger. Er wird hier verstanden als die „Substanz“ westlicher Demokratien. Dieser Rechts- und Freiheitsschutz vollzieht sich in zwei Schritten: In einem ersten Schritt geht es um die Garantie der Selbstbestimmung 15

Vgl. Lüderssen, Schiller und das Recht, S. 97 ff. Vgl. Binder/Weisberg, Literary Criticism of Law, Princeton 2000, Preface, S. IX und Introduction, S. 3, zu den Tendenzen vgl. auch Freeman/ Lewis, Law and Literature, Current legal issues, Vol. 2, New York 1999; Ward, Law and Literature, Possibilities and Perspectives, Cambridge 1995, S. 15 ff. 17 Zur Kritik vgl. auch Posner, Law and Literature, A Misunderstood Relation, 1. Aufl., Cambridge u. a. 1988 (bes. S. 209 ff.). 18 Der Begriff „westlich“ wurde in der deutschen Nachkriegwissenschaft vor allem von E. Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, Stuttgart 1964, geprägt. Früher findet er sich bereits bei E. Troeltsch, Naturrecht und Humanität in der Weltpolitik, 1923; hier soll der Terminus verwendet werden, um gegenüber den jungen Demokratien der „3. und 4. Generation“ abzugrenzen (etwa Südkorea, Polen u. a.). 19 Zum Forschungsstand der international vergleichenden Demokratieforschung vgl. z. B. McFaul, The Fourth Wave of Democracy and Dictatorship, in: World Politics 2002, S. 212 ff.; S. Huntington, The Third Wave, Democratization in the late Twentieth Century, University of Oklahoma Press 1991; M. G. Schmidt, Demokratietheorien, Opladen 2000; Vanhanen, Democratization, London 2003. 16

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des Individuums und der sich aus ihr ergebenden Grundrechte der individuellen Würde (Schutz der Menschenwürde, der Persönlichkeit und der Privatsphäre, Justizgrundrechte).20 Auf diesem Fundament aufbauend gewährleisten westliche Demokratien – in einem zweiten Schritt – „politische“ Grundrechte des Bürgers, d.h. Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie Religions- und Gewissensfreiheit (Kommunikationsfreiheiten).21 Leitend für diese Einsicht sind zweierlei: Zum einen, dass die Ursprünge moderner Demokratien in dem auf Selbstbestimmung des Bürgers ausgerichteten Freiheitsdenkens der Spätaufklärung zu suchen sind. Die „bürgerliche Selbständigkeit“, die Kant dem Staatswesen als apriorisch vorgegeben ansah und seine Erkenntnis, dass der Staatsbürger, „keinem anderen Gesetze zu gehorchen“ habe, als „zu welchem er seine Bestimmung gegeben hat“ sind die historischen Anknüpfungspunkte für heutige Demokratien.22 Die Fähigkeit des Bürgers zu eigener, freier und verantwortungsvoller Entscheidung sowie die Anerkennung dieser Fähigkeit durch die Mitbürger sind bei Kant grundlegende Forderungen des Staatsrechts. Der Einzelne und nicht eine künstliche Verfasstheit („Volk“, „Nation“ o. ä.) steht daher am Beginn einer Demokratie: „In Wahrheit geht alle Staatsgewalt vom einzelnen, vom Individuum aus“ (Haverkate). In der Demokratie des Grundgesetzes äußert sich die Bezugnahme auf die Selbstbestimmung des Individuums als Grundlage der Demokratie in Art. 1 GG und dem dort normierten Schutz der Menschenwürde.23 20 Vgl. BVerfGE 44, 125 ff. (142): die „Idee der freien Selbstbestimmung aller Bürger“ sei der Ausgangspunkt der Demokratie; s. auch BVerfGE 65, 1 ff. (43); Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HStR II 2004, § 24 Rn. 36; Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1965, S. 24 ff.; Di Fabio, Demokratie im System des Grundgesetzes, in: FS Badura 2004, S. 77 ff. (ebd.); Harrison, Democracy, in: Craig (Hrsg.), Routledge Encyclopedia of Philosophy, London u. a. 1998, mehrere Bände (zit.: REP), hier Band 2, S. 867 ff. (868). 21 Vgl. grundlegend (in Bezug auf die Meinungsfreiheit) BVerfGE 7, 198 ff. (208) – Lüth; Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HStR II 2004, § 24 Rn. 37 ff.; Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1. Aufl., Neuwied 1961; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 159 ff., 272; Hoffmann-Riem, Mediendemokratie als rechtliche Herausforderung, in: Der Staat 42 (2003), S. 193 ff.; Klöpfer, Öffentliche Meinung, Massenmedien, in: HStR III 2005, § 42 Rn. 11 ff.; Kriele, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, in: VVDStRL 29 (1970), S. 65 ff.; Luhmann, Öffentliche Meinung, in: Politische Vierteljahresschrift (PVS) 11 (1970), S. 2 ff.; Schmidt-Jorzig, Meinungs- und Informationsfreiheit, in: HStR VI 1989, § 141 Rn. 1 ff.; Simson, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, in: VVDStRL 29 (1970), S. 6 ff. 22 Vgl. I. Kant, Metaphysik der Sitten (zit. nach der Reclam-Ausgabe, Stuttgart 2007), § 46, S. 171. 23 Vgl. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HStR II 2004, § 24 Rn. 36 („Individualistisch-liberale Wurzel der Demokratie“); Haverkate, Verfassungslehre, S. 331; Link, Menschenrechte und bürgerliche Freiheit, Zum Grundrechtsdenken im Aufklärungszeitalter, in: Gerhard Leibholz u. a. (Hrsg.), Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung, Festschrift für Willi Geiger zum 65. Geburtstag, Tübingen 1974, S. 277 ff. (298).

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Zum anderen ist der Grad des Rechts- und Freiheitsschutzes eines Staates ein empirisches Abgrenzungskriterium gegenüber totalitären, nichtdemokratischen Staaten. Besonders die doppelte Diktaturerfahrung im geteilten Nachkriegsdeutschland macht deutlich, dass es eine Demokratie ohne Grundrechte nicht geben kann. Weder in der „Führerdiktatur“ noch in der Realverfassung der DDR existierte ein verfassungsrechtlicher Schutz der Persönlichkeit oder ein Schutz vor willkürlicher Verhaftung.24 In diesen „geschlossenen Systemen“ (Hesse) waren auch die Kommunikationsfreiheiten eine unbekannte Größe. „Öffentlichkeit“ als gesellschaftliches Kontrollprinzip und „Pluralismus“ als Motor geschichtlichen Fortschritts wurden ersetzt durch totalitäre Staatsideologien – unter Berufung auf „Führer“, „Volk“ oder „Partei“. Die Kommunikationsfreiheiten werden daher oftmals als die entscheidende Front betrachtet, an der sich Demokratien von Nicht-Demokratien scheiden: „Keines dieser Rechte kann effektiv sein ohne freie Meinungsäußerung [. . .] Keines dieser Rechte gibt es, so verstanden, in einer Despotie oder sogenannten Volksrepublik. Aber es gibt sie in jeder Demokratie. Das ist der Prüfstein, auf den die wechselseitigen Behauptungen über demokratische oder nicht-demokratische Zustände aufgetragen werden müssen“ (Simson).25 Zweitens geht der hier zugrunde gelegte Ideenbegriff der Demokratie davon aus, dass „westlichen“ Demokratien eine bestimmte „Struktur“ zugrunde liegt. Diese Struktur ist gekennzeichnet durch ein Moment der Gleichheit. Das bedeutet nicht nur Gleichheit vor dem Gesetz als formale Rechtsgleichheit, sondern darüber hinaus auch „politische Gleichheit“ der „Staatsbürger“.26 Politische Gleichheit bedeutet gleiche Teilhabe der Staatsbürger an Herrschaft und äußert sich in westlichen Demokratien durch ein allgemeines und gleiches Wahlrecht. Trotz unterschiedlicher Ausgestaltung der Wahlverfahren in den einzelnen Staaten kommt diese allgemeine Staatsbürger-Gleichheit in allen Wahlsystemen zum Ausdruck: Das Wahlrecht gilt ohne Abstufungen oder Privilegien und differen24 Vgl. hierzu Herzog, Art. 20 Rn. 40 ff. (I), Rn. 2, 107 (II), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Juni 1978); Schmitt-Glaeser, Die grundrechtliche Freiheit des Bürgers zur Mitwirkung an der Willensbildung, in: HStR III 2005, § 38 Rn. 4; Starck, Grundrechtliche und demokratische Freiheitsidee, in: HStR III 2005, § 33 Rn. 4 ff., 13; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 128, 272 und grundlegend Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt a. M. 1955. 25 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 159; Kriele, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, S. 65 ff.; Simson, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, S. 7. 26 Vgl. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HStR II, 2004, § 24 Rn. 41 ff.; Di Fabio, Demokratie im System des Grundgesetzes, in: FS Badura 2004, S. 79 ff.; Herzog, Art. 20 Rn. 6 (II), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Juni 1978); P. Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: HStR V 2000, § 124 Rn. 184 ff.; Kriele, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, S. 61 ff.; Leibholz, Zum Begriff und Wesen der Demokratie, in: ders., Strukturprobleme der modernen Demokratie, 3. Aufl., Frankfurt 1974, S. 142 ff. (147 ff.).

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ziert nicht nach Verdienst, Würde, Erfahrung oder Bildung. Zur formalen Rechtsgleichheit gesellt sich in westlichen Demokratien eine formale Wahlrechtsgleichheit. 27 Zur „Struktur“ der Demokratie gehört auch ihre Flexibilität und Offenheit gegenüber verschiedenen Möglichkeiten der staatlichen Organisation. Es gehört zum „Wesen“ der Demokratie, dass sie unterschiedlich ausgestaltet werden kann. Deswegen ist z. B. die „freiheitlich demokratische Grundordnung“28 des Grundgesetzes nur eine unter vielen konkurrierenden Demokratiekonzepten. Das zeigt der Vergleich zu anderen kontinentaleuropäischen Staaten oder der US-amerikanischen Demokratie. Unterschiede ergeben sich beispielsweise im Hinblick auf die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive, also im Vergleich zwischen der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes und den präsidentiellen Demokratien Frankreichs und der USA oder der Referendumsdemokratie der Schweiz – ein Unterschied, der sich in der Verfassungswirklichkeit des Grundgesetzes vor allem beim Streitkräfteeinsatz bemerkbar macht. Ebenso können die föderalen Strukturen moderner Demokratien unterschiedlich ausgeprägt sein. In den USA werden die Völker der Gliedstaaten durch direkt gewählte Vertreter und in Österreich durch von den Landesparlamenten gewählte Vertreter repräsentiert, in der Bundesrepublik dagegen durch Vertreter der Landesregierungen. Im Übrigen ist bereits auf Grundgesetzebene umstritten, welche Einzelmerkmale zum „Typuskern“ oder nur zu den „Randzonen“ des „entwicklungsoffenen“29 Demokratieprinzips des Grundgesetzes gehören.30 Letztlich wird die „Struktur“ der Demokratie von der Erkenntnis begeleitet, dass der moderne Staat von „Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann“ (Böckenförde). Demokratischen Verfassungsordnungen liegen vorpositive Werte zugrunde, die sie selbst nicht erschaffen und deren Inhalt sie nur ansatzweise steuern können. Montesquieu spricht vom Prinzip der „Tugend“, das sich in Republiken (Demokratien und Aristokratien) verwirklichen müsse, um die Staatsform am Leben zu erhalten. Es gehört also zur „Struktur“ der 27 Vgl. Zur Wahlrechtsgleichheit in der Bundesrepublik vgl. BVerfGE 1, 14 ff. (33; 20, 56 ff. (98 ff.); Pieroth, Art. 38 Rn. 6 ff., in: Jarass/Pieroth; Schnapp, Rn. 13 zu Art. 20, in: Münch/Kunig, GGK I; Stern, Staatsrecht I, § 18, S. 595. 28 Vgl. Art. 10 Abs. 2, 11 Abs. 2, 18, 21 Abs. 2, 87a Abs. 4 und 91 Abs. 1 GG; hierzu BVerfGE 2, 1 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 128; Stern, Staatsrecht I, § 16, S. 555 ff. 29 BVerfGE 107, 59 ff. (91). 30 Vgl. zu den unterschiedlichen Ausprägungen moderner Demokratien Lavaux, Les grandes démocraties contemporaines, 3. Aufl., Paris 2004; G. Schmidt, Geschichtliche Entwicklungslinien der Demokratie, in: Bauer u. a. (Hrsg.), Demokratie in Europa, Tübingen 2005, S. 21 ff. (27 ff.); Sommermann, Demokratiekonzepte im Vergleich, in: Demokratie in Europa, S. 191 ff. (208 ff.); Steffani, Parlamentarische und präsidentielle Demokratie, Opladen 1979.

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Demokratie, dass sie ihre „Substanz“ – Selbstbestimmung und Teilnahmerechte – in außerrechtlichen Institutionen (Kirche, Schule, Medien, Kunst, etc.) abbilden muss, um einer möglichen Radikalisierung der Gesellschaft vorzubeugen.31 Neben den Fragen nach der Substanz und der Struktur der Demokratie gehört als drittes Element die „Universalität“ der Demokratie zum „aquis démocratique“ und damit zum „Wesenskern“ moderner Demokratien. Universalität bedeutet, dass sich westliche Demokratien in der heutigen „post-etatistischen Ära“ (Vitzthum) neuen Herausforderungen stellen müssen. Demokratie ist der zentrale Verfassungs- und Ideenbegriff moderner Gesellschaften und unterliegt deshalb einem permanenten Problem- und Anschauungswandel. In der rechtswissenschaftlichen Diskussion des späten 18. Jahrhunderts stand etwa die Frage im Vordergrund, ob die „Mitwirkung des Staatsbürgers bei der Regierung“ (E. F. Klein, A. L. Schlözer) innerhalb eines bestimmten Staates in Betracht komme.32 Die politischen Umstände zwangen dazu, die Frage der politischen Gleichheit auf einzelstaatlicher Ebene zu diskutieren. Demgegenüber fokussiert sich die heutige Debatte – nach Bewältigung der „deutschen Frage“33 – auf die internationalen Verflechtungen moderner Demokratien. Im völker- und europarechtlichen Kontext bleibt weiterhin relevant, wie sich die Demokratien der einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zum „Gesamtstaat“, also zum europäischen „Staatenverbund“ verhalten. Angesichts des oft beobachteten „Demokratiedefizits“ der Europäischen Union (und der internationalen Völkerrechtsgemeinschaft) interessiert vor allem, ob sich die Legitimationsfrage neu stellt, d.h. ob Entscheidungsprozesse auf europäischer (und auf internationaler) Ebene nur dann legitim bleiben, wenn sie „von unten“ legitimiert werden oder ob nach dem „output“ und der Leistung für den Bürger gefragt werden muss.34 31 Vgl. Montesquieu, De l’esprit des lois, III/3, S. 120 (Reclam-Ausgabe): „In einem Volksstaat aber, ist eine zusätzliche Triebkraft nötig: die Tugend“ (Montesquieus Hervorhebung). Vgl. zudem Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HStR II, 2004, § 24 Rn. 74 ff.; ders., Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: HStR III, 2005, § 34 Rn. 48 ff.; ähnlich Kägi, Rechtsstaat und Demokratie, in: FS Giacometti, S. 107 ff. (138 ff.); vgl. auch Robe, Politische Kultur und der kulturelle Aspekt von politischer Wirklichkeit, in: Bergschlosser u. a. (Hrsg.), Politische Kultur in Deutschland, S. 39, 41; Sommermann, Demokratiekonzepte im Vergleich, in: Demokratie in Europa, S. 191 ff. (210 ff.). 32 Vgl. zur Diskussion bei V.1. 33 Vgl. grundlegend Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1965; Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, 7. Aufl., Stuttgart u. a. 1979 (Erstausg. 1964). 34 Vgl. zum Problemkreis vor allem Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, Konstanz 1970 (bes. S. 21 ff.); ders., Regieren in Europa. Effektiv und demokratisch? Frankfurt a. M. 1999; nach den Kosten der Demokratie fragt Simson, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, in: VVDStRL 29 (1970), S. 3 ff. (10 ff.); vgl. zum Ganzen auch Abromeit, Wozu braucht man Demokratie? Die postnationale Herausforderung der Demokratietheorie, Opladen 2002; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 163 ff.; Nettesheim, Demokratisierung der EU und Europäisie-

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Der völkerrechtliche Zusammenhang betrifft demgegenüber vor allem zwei Aspekte: Der erste Forschungsschwerpunkt liegt auf der Frage, wie die internationale Friedenssicherung im Konflikt zwischen Demokratien mit Nichtdemokratien gelingen kann.35 Der zweite Forschungsaspekt dreht sich um das Problem, ob aus vertraglichen Bestimmungen des Völkerrechts ein Individualanspruch auf Demokratie abgeleitet und ggf. verwirklicht werden kann.36 Die Werkauswahl konzentriert sich auf das dramatische und historiographische Werk Schillers. Im Vordergrund stehen die Geschichtsdramen (Don Karlos, Wallenstein, Maria Stuart, Jungfrau von Orleans, Wilhelm Tell) und die großen Geschichtsschriften (Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs, Abfall der Niederlande) sowie die historische Vorlesung Gesetzgebung des Lykurgus und Solon. Zudem werden die Augustenburger Briefe und die Briefe über die Ästhetische Erziehung des Menschen berücksichtigt, ohne deren Verarbeitung eine Studie über Schillers demokratisches Denken unvollkommen bleiben müsste. Die Werkauswahl ging von der Erkenntnis aus, dass sich Historiographie und historische Dichtung gegenseitig ergänzen und sich aus ihnen der Kern des Schillerschen Staatsdenkens filtrieren lässt. Insbesondere die Tragödien sind, wie Humboldt formuliert, „ein getreuer Abdruck seiner ganzen geistigen Wirklichkeit“ und stehen deshalb im Mittelpunkt der Arbeit. Sie verbinden die private Handlung mit der „öffentlichen“ Sache und greifen aktuelle politische Probleme auf.37 3. Gang der Darstellung Der Gang der Darstellung folgt einem systematischen Aufbau und orientiert sich an dem hier verwendeten Ideenbegriff der Demokratie. Der systematische rung der Demokratietheorie, in: Bauer u. a. (Hrsg.), Demokratie in Europa, Tübingen 2005, S. 143 ff. m.w. N. – Zu den Herausforderungen der „post-etatistischen Ära“ vgl. ausführlich Vitzthum, Der Staat der Staatengemeinschaft, Paderborn u. a. 2006. 35 Die Frage stellt sich nicht erst seit „9/11“ und dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus, vgl. hierzu etwa Fox/Nolte, Intolerant Democracies, in: Harvard International Law Journal 1995, S. 1 ff.; Vitzthum, Krieg und Frieden im Völkerrecht, in: ders. u. a. (Hrsg.), Die Kunst des Friedenschließens, Stuttgart 1985, S. 12 ff. (48 ff.). 36 Vgl. hierzu Franck, The Emerging Right to Democratic Governance, in: American Journal of International Law 1992, S. 46 ff.; dazu auch Bauer, Der völkerrechtliche Anspruch auf Demokratie, Frankfurt 1998; Fielding, Taking the Next Step in the Development of New Human Rights: The Emerging Right of Humanitarian Assistance to Restore Democracy, S. 329 ff. 37 W. v. Humboldt, Über Schiller und den Gang seiner Geistesentwicklung, in: Briefwechsel zwischen Schiller und W. v. Humboldt, hrsg. v. W. v. Humboldt, Stuttgart u. a. 1830, S. 11; zur „Öffentlichkeit“ in Schillers Tragödien vgl. Alt, Schiller I, S. 266 ff., Borchmeyer, Tragödie und Öffentlichkeit, München 1973; Johnston, Schillers politische Welt, in: Koopmann (Hrsg.), Schiller Handbuch, Hamburg 1998, S. 44 ff.

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Aufbau äußert sich darin, dass die Abschnitte I.–VIII. jeweils ein bestimmtes zeitgenössisches Problem der Staatsrechtslehre aufwerfen und dessen Verarbeitung in Schillers Werk darstellen. Dieser systematische Aufbau der Einzelabschnitte ist eingefügt in drei Großkapitel, die gemäß dem hier formulierten Demokratiebegriff das Demokratieverständnis Schiller erhellen sollen. Das erste Kapitel befasst sich mit der „Substanz“ der Demokratie: Diese ist nur in einem geordneten Staatswesen mit Gewaltmonopol des Staates denkbar (I.), beruht auf der Selbstbestimmung des Bürgers (II.), garantiert Kommunikationsfreiheiten und sichert die Freiheitsrechte durch gerichtliche Verfahren (III.). Das zweite Kapitel baut auf den Erkenntnissen des ersten Kapitels auf und versucht die „Struktur“ der Demokratie in Schillers Werk aufzuzeigen: Es soll nach den Möglichkeiten der bürgerlichen Partizipation am staatlichen Willensbildungsprozess (IV.), den Voraussetzungen der Demokratie als Staats- und Herrschaftsform (V.) sowie nach der praktischen Durchsetzbarkeit der Demokratie (VI.) gefragt werden. Das dritte Kapitel greift die „Universalität“ der Demokratie auf und fragt nach den europäischen (VII.) und den völkerrechtlichen (VIII.) Bezügen in Schillers Werk.

1. Kapitel

Die Substanz der Demokratie: Sicherheit, Selbstbestimmung und Menschenrechte I. Sicherheit als Ausgangspunkt des Staatsdenkens: Staatsgewalt als Mindestbedingung einer demokratischen Gesellschaftsordnung in den Räubern 1. Das staatsrechtliche Thema der Räuber: Anarchie oder Verfassungsordnung? Eine demokratische Gesellschaftsordnung ist nur denkbar, wenn der Staat den zur Verwirklichung der Demokratie notwendigen Freiheitsraum des Bürgers zu garantieren vermag. Er muss die Bürger vor Übergriffen Dritter, d.h. vor inneren und äußeren Feinden schützen, um Grundrechtsgebrauch möglich zu machen. Dieser primäre Staatszweck einer Gesellschaftsordnung, die Ordnungsfunktion des Staates, zielt demnach auf Schutz der Rechtsunterworfenen vor Kriminalität (Strafrecht), vor Verletzungen des Eigentums (Zivilrecht) und vor Fremdherrschaft (Öffentliches Recht).1 Das Gegenmodell einer auf Sicherheit bedachten Staatsordnung wäre eine anarchische Freiheitsordnung2, in der, wie Schiller formuliert, „keine Ordnung gilt mehr und keine Zucht“. Schillers Räuber (1782), die am Anfang seines dichterischen Schaffens stehen, greifen diesen Widerstreit zwischen Anarchie und Ordnung auf. Am Beginn von Schillers Staatsdenken steht damit die Frage, ob sich die Menschen in einer nach rechtlichen Regeln funktionieren Gesellschaftsform zusammenschließen oder ob sie ihre Organisation von der Zufälligkeit der natürlichen Kräfteverteilung unter den Menschen abhängig machen sollen. Nur die erste Option führt zu einem Gesetzesstaat, den Schiller als die 1 Grundlegend zur Ordnungsfunktion des Staates im modernen Staatsdenken vgl. T. Hobbes, Leviathan (1651), in: Bergstraesser/Oberndörfer, Klassiker des Staatsphilosophie, Stuttgart 1962, S. 173 ff.; vgl. dazu Chwaszcza, Thomas Hobbes, in: Klassiker des politischen Denkens, Band 1, 2. Aufl., München 2004, S. 209 ff. (223 ff.); Gansland, Hobbes, in: Mittelstraß (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie (EPW), Band II, S. 117 ff. (118); Tuck, Hobbes, Freiburg 2004, S. 103 ff.; Zippelius, Geschichte der Staatsideen, 10. Aufl., München 2003, S. 92. 2 Zur Anarchie als (unerwünschtes) Gegenmodell der demokratischen Staats- und Verfassungsordnung vgl. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit: zwischen Anarchie und Leviathan, Tübingen 1984; Leisner, Die Demokratische Anarchie, Berlin 1982.

I. Sicherheit als Ausgangspunkt des Staatsdenkens

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„objektive und gleichsam kanonische Form“ definiert, in der sich „die Mannigfaltigkeit der Subjekte zu vereinigen trachtet“.3 Die Räuber bieten Anlass, das Stück als Bejahung von Anarchie und Ordnungslosigkeit zu deuten. Revolutionär ist z. B. die dramaturgische Inszenierung Schillers. Er verletzt Tabus der Aufführungstechnik und der Rhetorik. Sexualakte werden beschrieben, triumphierende Sprachgewalt beherrscht den Räuberhauptmann, jakobinische Floskeln werden in die Dialoge gestreut und die Theatralik mit ständigem Aufstampfen und Fäusteschwingen ist überaus wild und energisch.4 Die Räuber wirken auf den Zuschauer anarchisch, wie bereits die Reaktionen auf die Urraufführung am 13. Januar 1782 gezeigt haben: „Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füße, heisere Aufschreie im Zuschauerraume! [. . .] Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung bricht“5. Entsprechend würdigten auch die französischen Revolutionäre Schillers Stück und verliehen dem „Publiciste allemand“ am 26. August 1792 die Ehrenbürgerschaft – einen Titel, den Schiller noch nach seiner Nobilitierung trägt.6 Auch das Räubermotiv7 scheint darauf hinzudeuten, dass es sich um ein Drama aus der „Ideengeschichte der Anarchie“ (Haney) bzw. um eine „Revolution der Anarchie“ (Gerland) handelt – die Räuber als eine vom gesellschaftlichen Zustand ausgegrenzte Gruppe, die wegen ihrer Zurückversetzung in den natürlichen Zustand an soziale Normen nicht gebunden sei.8 Karl Moor erscheint, wie Robin Hood, als Sozialrebell, dessen Kampf gegen Ungerechtigkeit heroische Züge gewinnt. Vor diesem Hintergrund läge die Annahme nahe,

3 Wallensteins Lager (= II, 284); Ästhetische Erziehung (= V, 577). In der Rechtslehre Immanuel Kants findet sich eine ganz ähnliche Staatsdefinition wie in der Ästhetischen Erziehung: „Ein Staat (civitas) ist die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen“, vgl. I. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, § 45, S. 169. 4 Vgl. zur Aufführungstechnik Alt, Schiller I, S. 285; Brittnacher, Die Räuber, in: Koopmann, S. 326 ff. (ebd.); Johnston, Schillers politische Welt, in: Koopmann, S. 44 ff. (49). 5 Zit. nach Alt, Schiller I, S. 282; vgl. zur Wirkung der Räuber auch Sautermeister, Die Räuber, in: Luserke-Jaqui (Hrsg.), Schiller Handbuch, S. 8 ff. 6 Zu Schillers französischer Staatsbürgerschaft vgl. Alt, Ästhetische Revolution, fremder Staat, ferne Nation. Schiller und die Politik, in: Literaturkritik 2005, Nr. 1; Hecker, Friedrich v. Schillers französische Staatsangehörigkeit, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1990, S. 1955 ff.; Raulff, Schiller, der Enthusiasmus, die Historie, in: Hinderer (Hrsg.), Schiller und der Weg in die Moderne, Würzburg 2006, S. 325 ff. (ebd.). 7 Zum Motiv des „Outlaw“ in den Räubern vgl. Brittnacher, Die Räuber, in: Koopmann, S. 344 ff.; Sauermeister, Die Räuber, in: Luserke-Jaqui, S. 36. 8 Vgl. Gerland, Schiller und die Revolution, in: ARSP 1934/35, S. 173 ff. (176); Haney, Recht und Gerechtigkeit bei Schiller, in: ARSP 2005, S. 307 ff. (320); vgl. auch Raulff, Schiller, der Enthusiasmus, die Historie, S. 328.

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1. Kap.: Die Substanz der Demokratie

Schiller respektiere rechtsfreie Räume und verleugne in seinem Erstlingswerk den Staatsgedanken.9 2. Das Räubermotiv als Symbol fehlender Staatlichkeit Dennoch sind die Räuber nicht als Glorifizierung des Räuber- und Vagantenwesens zu interpretieren, sondern als Wunsch des Künstlers zu verstehen, eine funktionierende Staatsordnung möge das Zusammenleben der Menschen ordnen und ihre Beziehungen regeln. Das zeigt zunächst das bereits angesprochene Räubermotiv, das von Schiller in einer doppelten Bedeutung verwendet wird. Zum einen ist es Symbol der Ausgrenzung und Benachteiligung: „Du trittst hier gleichsam aus dem Kreise der Menschheit“, droht Karl Moor dem zur Räuberbande stoßenden Kosinsky (III/2). Der Räuberhauptmann verdeutlicht dem Neuling die Renegaten- und Außenseiterrolle, die ihn erwartet. Schiller greift das Modell des Außenseitertums bewusst auf, um die Rolle der sozial Geächteten und in Armut Lebenden, derjenigen, „die die Welt ausstößt“, in den Mittelpunkt seines Stücks zu rücken. Er macht damit aufmerksam auf die weitgehende Rechtlosstellung von Unter- und Randgruppen – Zigeunern, Gauklern, fahrendem Volk, die im dicht besiedelten Süddeutschland am Ende des 18. Jahrhunderts zur gesellschaftlichen Realität gehörte.10 Zum anderen, und das ist entscheidend, versteht Schiller das Räubermotiv als Zeichen staatlicher Hilflosigkeit gegenüber stetig wachsender Kriminalität. Diese Komponente des Räubermotivs ist ebenfalls der sozialen Wirklichkeit geschuldet – eine „Kopie der wirklichen Welt“ will Schiller auf die Bühne bringen, wie er in der Vorrede zu den Räubern dem Publikum erläutert. Das Räubermotiv greift daher das spezielle Phänomen vagabundierender Räuberbanden im 18. Jahrhundert auf. Vor allem in Süd- und Mitteldeutschland und im Rheingebiet formieren sich Außenseitergruppen (Handwerker, Krämer, Spediteure, kleinbürgerliche Subalterne etc.), die nicht zur neuen „bürgerlichen“ Schicht gehören und vom weiteren sozialen Abstieg bedroht sind. Der zunehmenden Kriminalisierung können die Polizeiunternehmungen wegen organisatorischer Män9 In diese Richtung tendenziell Das Räuberbuch, Die Rolle der Literaturwissenschaft in der Ideologie des deutschen Bürgertums am Beispiel von Schillers „Die Räuber“, Frankfurt a. M. 1974, S. 46, 54 u. ö.; Williams, The ambivalences in the plays of the young Schiller about contemporary Germany, in: Lutz (Hrsg.), Deutsches Bürgertum und literarische Intelligenz 1750–1800, Stuttgart 1974, S. 1 ff. (57 u. ö.). 10 Die Räuber (= I, 556); Selbstbesprechung der Räuber (= I, 622); vgl. Alt, Schiller I, S. 24; Sautermeister, in Luserke-Jaqui (Hrsg.), Schiller Handbuch, S. 7; – zur Vagantenpopulation im Süden und Südwesten Deutschlands im 18. Jahrhundert vgl. Lange, Räuber und Gauner ganz privat: Räuberbanden und die Justiz im 18. und frühen 19. Jahrhundert, Marburg 2007; Küther, Räuber und Gauner in Deutschland: das organisierte Bandenwesen im 18. und frühen 19. Jahrhundert, Göttingen 1976; Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 174 ff.

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gel nur ungenügend Einhalt gebieten. Deshalb folgt der zunächst heroisierenden Verklärung der Räuberbanden bald die Furcht der Bevölkerung vor Übergriffen (Schinderhannes, Hiesel-Bande).11 Auch Karl Moors Räuberbande, je länger sie lebt und überdauert, zeigt die Machtlosigkeit eines überforderten Polizeiapparates. Karl Moor hat einen „Staat im Staat“ gegründet, der mit aller Gewalt der monarchischen Autorität trotzt und einer eigenen Räuber-Gesetzgebung folgt: „Mein Geist dürstet nach Taten, mein Atem nach Freiheit, – Mörder, Räuber! – mit diesem Wort war das Gesetz unter meine Füße gerollt.“12

Diese Machtlosigkeit des Staates gegenüber den vagabundierenden Räubern hält Schiller für sehr bedenklich. Bereits die Formulierung Karls, dass das Gesetz unter seine Füße gerollt sei, kann man als zweifelhafte Anspielung auf eine anarchische Freiheit begreifen, die im Widerspruch zur Gesetzesherrschaft steht. In der zeitgenössischen Rechtswissenschaft heißt es z. B. bei J. F. Pfeiffer, der Bürger sei „allenthalben frey [. . .] wo Gesetze regieren und allenthalben Sclave, wo der Regent die Gesetze unter die Füsse tritt, und ungestraft ungerecht seyn kann“. Schillers Zweifel äußern sich aber vor allem in der drastischen Schilderung der Gewalttaten, die jene „äußerst unmoralischen Jaunerhorden“ im Namen der Selbstjustiz begehen. Schiller führt dem Zuschauer die Folgen der „Mordbrenner“ unmittelbar vor Augen. Als Roller, einer der Räuber aus Karl Moors Räuberbande, gefangen gesetzt wird, retten Karl und seine Gefolgslosleute den Verurteilten vor dem Schafott, indem sie weite Teile einer ganzen Stadt verwüsten (II/3). Bei der Befreiungsaktion Rollers zählt Schufterle über 83 Tote.13 3. Schillers Abneigung gegenüber der anarchistischen Denkart Franz Moors Ein Argument gegen die hier vertretene These, Schiller befürworte die staatliche Ordnung in den Räubern, könnte sich auf den ersten Blick aus dem anarchisch-egoistischen Verhalten Franz Moors ergeben. Der vernachlässigte Bruder von Karl ist Repräsentant einer anarchischen Ordnung, die auf dem Prinzip „jeder gegen jeden“ beruht.14 In der Expositionsszene der Räuber (I/1) stellt 11 Vgl. zu den Räuberbanden und der Machtlosigkeit der Verwaltung Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 176 ff. 12 Vorrede (= I, 485); Die Räuber (= I, 515). Vgl. Alt, Schiller I, S. 296. 13 Selbstbesprechung der Räuber (= I, 622); Die Räuber (= I, 546; 550 ff. und 565 – zum Terminus „Mordbrenner“). Vgl. zur Roller-Episode Luserke-Jaqui, Schiller, S. 47; Scherpe, Räuber, in: Hinderer 1979, S. 26 ff. – Zum Zitat im Text: J. F. v. Pfeiffer, Grundriß der wahren und falschen Staatskunst, Berlin 1778–79, Band 1, S. 65 ff. 14 Vgl. hierzu Alt, Schiller I, S. 290 ff.; Brittnacher, Die Räuber, in: Koopmann (Hrsg.), Schiller Handbuch, Stuttgart 1998, S. 326 ff. (337 ff.); Grätz, Familien-Bande. Die Räuber, in: Sasse, Günter (Hrsg.), Schiller. Werkinterpretationen, Heidelberg 2005,

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1. Kap.: Die Substanz der Demokratie

Franz in seinem Monolog die Grundzüge einer materialistischen Lebensphilosophie vor: „Schwimme, wer schwimmen kann, und wer zu plump ist, geh unter! [. . .] Jeder hat gleiches Recht zum Größten und Kleinsten, Anspruch wird an Anspruch, Trieb an Trieb und Kraft an Kraft zernichtet. Das Recht wohnet beim Überwältiger, und die Schranken unserer Kraft sind unsere Gesetze.“

Allerdings entspricht Franz’ Philosophie nicht der Position Schillers. Vielmehr wendet sich der Selbstrezensent Schiller scharf gegen die „abscheuliche Philosophie“ Franzens, die er als Dramatiker den Lehren französischer Materialisten (La Mettrie, Helvetius, D’Holbach) entnommen hat. Bereits in seiner Karlsschulschrift die Theosophie des Julius bezeichnete er die französischen Naturphilosophen als „gefährliche Denker“, die mit „allem Aufwande des Scharfsinns und des Genies den Eigennutz ausschmücken, und zu einem Systeme veredeln“. Ohne Bezugnahme auf die materialistische Naturlehre, aber mit derselben Antipathie gegen das freie Spiel der natürlichen Kräfte schreibt Schiller in seiner ästhetischen Erziehung, die freilich erst etliche Jahre nach den Räubern erscheint: „Dieser Naturstaat“, also „jeder politische Körper“, der „seine Einrichtung ursprünglich von Kräften, nicht von Gesetzen ableitet“, widerspreche dem „moralischen Menschen“.15 Schiller lässt den Anarchisten Franz Moor daher nicht auf der Bühne auftreten, um dessen Handlungen zu rechtfertigen. Die Figur des Franz Moor dient Schiller vielmehr dazu, die Ursachen eines verfehlten Egoismus zu veranschaulichen. Den Grund für Franz’ Materialismus verortet Schiller in der familiären Zurücksetzung gegenüber dem Bruder. Franz ist im Vergleich zu Karl auf allen Gebieten benachteiligt: die Vaterliebe wird Franz willkürlich entzogen, er ist von Natur aus hässlich („von allen Menschensorten das Scheußliche auf einen S. 11 ff. (19 ff.); Schings, Schillers „Räuber“: Ein Experiment des Universalhasses, in: Wittkowski (Hrsg.), Friedrich Schiller. Kunst, Humanität und Politik in der späten Aufklärung, Tübingen 1982, S. 1 ff. (17 ff.). 15 Die Räuber (= I, 500); Selbstbesprechung der Räuber (= I, 626); Theosophie des Julius (= V, 350); Ästhetische Erziehung (= V, 575). Vgl. zur kritischen Haltung Schillers gegenüber der Philosophie Franzens und zur Begegnung mit dem frz. Materialismus auf der Karlsschule Alt, Schiller I, S. 123 ff., 291; Brittnacher, Die Räuber, S. 337 ff.; Grätz, Familien-Bande, S. 18 ff.; Riedel, Die Aufklärung und das Unbewusste, Die Inversionen des Franz Moor, in: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft (JDSG) 1993, S. 198 ff. (202 ff., 207 ff.); Schings, Schillers „Räuber“, S. 17 ff.; – Zur Philosophie des frz. Materialismus vgl. Gansland, Materialismus, französischer, in: EPW II, S. 792 ff.; Lorenz, Helvetius, Holbach, in: EPW II, S. 71 ff., 120 ff., Regenbogen/Meyer (Hrsg.), Wörterbuch der Philosophischen Begriffe (WPB), Hamburg 2005, S. 399 ff. („Materialismus“); Russel, Denker des Abendlandes, S. 322 ff.; Störig, Kleine Weltgeschichte der Philosophie, S. 256 ff.; Wolters, La Mettrie, in: EPW II, S. 533 ff. Kennzeichnend für den Materialismus sind v. a. die offene Kritik am Papismus und die Vorstellung, dass der Mensch nur dem egoistischen Trieb nach Bedürfnisbefriedigung folgt.

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Haufen geworfen“), ganz im Gegenteil zu seinem Bruder, der vor Stärke, Schönheit und Heldenmut strahlt. Franz ist aufgrund seiner äußerlichen Mängel erfolglos in der Liebe zum anderen Geschlecht, seine Annäherungsversuche (Amalia) misslingen (III/1). Letztlich leidet er unter dem Zufall, nicht der Erstgeborene zu sein und verliert daher jedes Erbrecht am väterlichen Besitz. Franz Moor kann daher zu Beginn des Stücks (I/1) zutreffend feststellen, er habe „große Rechte, über die Natur ungehalten zu sein“: „Frisch also! mutig ans Werk! – Ich will alles um mich her ausrotten, was mich einschränkt, daß ich nicht Herr bin. Herr muß ich sein, daß ich das mit Gewalt ertrotze, wozu mir die Liebenswürdigkeit gebricht.“

Franz ist deshalb nicht nur Täter, er gewinnt auch Züge des Opfers. Erst die ungleiche Verteilung von Lebenschancen innerhalb der Familie – ein Widerspruch zur Aufklärung führt ihn zu seinem Destruktionswahn und zu seiner Herrschsucht. Die „Spuren der ersten Erziehung“, wie Schiller in der Selbstbesprechung festhält, sind in ihm „unvertilgbar“. Daraus wird ersichtlich, dass Schiller die Bedeutung der dramatischen Figur weniger in ihrer Anarchiesymbolik sieht, sondern als psychologischen Versuch versteht, der die Konsequenzen einer unaufgeklärten Erziehung vor Augen führen soll. Der Charakter und die Lebensphilosophie Franz’ können somit nicht herangezogen werden, um eine Nähe Schillers zu anarchistischem Gedankengut zu begründen.16 4. Die Selbstjustiz Karl Moors als verfehlte Strategie der Staatsverbesserung Der Gedanke, Schillers Räubern liege der unerfüllte Wunsch des Dichters nach einer staatlichen Schutzordnung zugrunde, rechtfertigt sich vor allem durch Schillers Haltung gegenüber seinem Helden Karl Moor. Sie ist von Zuund Abneigung gegenüber Karls Streben geprägt. Schillers Zuneigung äußert sich dort, wo es um die Ziele des Räuberhauptmanns und seine Beweggründe für sein Räuberdasein geht. Karl möchte, ebenso wie Schiller, die aus den Fugen geratene, die „mißhandelte Ordnung“ wiederherstellen. Für Karl geht es

16 Die Räuber (= I, 500, 502); Selbstbesprechung (= I, 627); zur verfehlten Erziehung Franz Moors Hinderer, Die Räuber, in: ders., Schillers Dramen, S. 11 ff. (35 ff.); Martini, Die feindlichen Brüder. Zum Problem des gesellschaftlichen Dramas von J. A. Leisewitz, F. M. Klinger und F. Schiller, in: JDSG 1972, S. 208 ff. (247); Sautermeister, Die Räuber, in: Luserke-Jaqui, S. 26 ff. – Generell zur Thematik der vernachlässigten Aufklärung in den Räubern vgl. Borchmeyer, Die Tragödie vom verlorenen Vater. Der Dramatiker Schiller und die Aufklärung – Das Beispiel der „Räuber“, in: Brandt, Helmut (Hrsg.), Friedrich Schiller, Angebot und Diskurs. Zugänge, Dichtung, Zeitgenossenschaft, Berlin und Weimar, 1987, S. 160 ff. (162 ff.); Brittnacher, Die Räuber, S. 332 ff. – Zum Monolog Franzens Luserke-Jaqui, Schiller, S. 45; Wiese, Schiller, S. 146 ff., 152, 164.

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dabei um die Wiederherstellung der väterlichen Familienordnung, für Schiller um die Regeneration der landesväterlich geprägten Verfassungsordnung.17 Anlass für Karls „Universalhaß gegen das ganze Menschengeschlecht“ sind, ähnlich wie bei Franz, der Zusammenbruch der familiären Ordnung und der Liebesentzug des Vaters. Nachdem der alte Graf Moor seinem erstgeborenen Sohn Karl das Erbe und seine väterliche Zuneigung entzieht, schwingt Karl sich aus verletzter Vaterliebe zum Räuberhauptmann auf: „Ich habe keinen Vater mehr, ich habe keine Liebe mehr, und Blut und Tod soll mich vergessen lehren, daß mir jemals etwas teuer war!“

Schiller ist hingegen enttäuscht über die landesväterliche Verfassungsordnung, deren Gesetzesverletzungen er nicht länger hinnehmen möchte. Die Beschwerde Karls, dass das „Gesetz“ zum „Schneckengang verdorben“ habe, was „Adlerflug geworden wäre“, ist Ausdruck von Schillers Enttäuschung. Unter dem „Gesetz“, das Karl anruft, versteht Schiller das despotische Gesetz der Landesfürsten. Es bezieht sich auf seine Gegenwart und den Absolutismus in Württemberg unter Herzog Karl Eugen. Das absolutistische Streben des Landesvaters nach unumschränkter Macht in seiner mittleren Regierungsphase (1752– 1770) dient Schiller als Vorlage für seine Anklage der rechtlichen und sozialen Missstände.18 Andererseits zeigt Schiller seine Abneigung gegenüber Karl als Räuberhauptmann, wo es um die Mittel geht, die Karl Moor einsetzt, um die Schutzordnung wiederherzustellen. Schiller rechtfertigt seinen Helden nicht mehr, sobald Karl Selbstjustiz und gewalttätigen Widerstand übt. Karls Gräueltaten als Räuberhauptmann bleiben für Schiller Verbrechen, auch wenn sie im Namen einer gerechten Sache begangen werden. Dies gilt umso mehr, als sich die Raubattacken nicht nur gegen Schuldige richten, sondern auch Unschuldige treffen. Karl Moor versucht zwar die „Kollateralschäden“ so gering wie möglich zu halten. Er ist entsetzt, als er nach der Befreiung Rollers (s. oben) von getöteten Kindern, Greisen und Kranken hört, und verstößt sogar Schufterle, den Urheber dieses Exzesses, aus der Räuberbande. Karl unterscheidet zwischen gerechtem und ungerechtem Mord, zwischen gerechtfertigter Befreiung und ungerechtfer17 Die Räuber (= I, 617). Vgl. Brittnacher, Die Räuber, in: Koopmann, S. 335; Grätz, Familien-Bande. S. 32 ff.; Wiese, Schiller, S. 148 ff. 18 Selbstbesprechung der Räuber (= I, 624); Die Räuber (= I, 504, 515); vgl. Alt, Schiller I, S. 295; Golz, Der mäandrische Weg des Karl Moor: Schillers „Räuber“, in: Dahnke/Leistner (Hrsg.), Schiller. Das dramatische Werk in Einzelinterpretationen, Leipzig 1982, S. 10 ff. (14 ff.); Grätz, Familien-Bande, S. 32 ff. – Vgl. zur mittleren Regierungsphase Herzog Karl Eugens Decker-Hauff, Herzog Karl Eugen von Württemberg, in: Rinker/Setzler (Hrsg.), Die Geschichte Baden-Württembergs, Stuttgart 1986, S. 164; Mertens, in: Schaab/Schwarzmaier (Hrsg.), Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte, II. Band, Stuttgart 1995, S. 157; Storz, Herzog Karl Eugen, in: Uhland (Hrsg.), 900 Jahre Haus Württemberg, S. 254 ff.

I. Sicherheit als Ausgangspunkt des Staatsdenkens

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tigter Brutalität. Aber dennoch muss er sich die Taten als Räuberhauptmann zurechnen lassen. Im anschließenden Selbstgespräch sieht er letztlich selbst ein, dass die Unbeherrschbarkeit des Tatgeschehens seine eigene „Schande“ ist. Eine Rechtfertigung der Taten findet daher nicht statt.19 In der Schlussszene des Stücks (V/2)20 wird besonders deutlich, dass Schiller Karls Versuch missbilligt, „Gesetze durch Gesetzlosigkeit aufrecht zu halten“. Karl erfährt eine Läuterung und gibt zu, sein Vorhaben sei eine „eitle Kinderei“ gewesen. Ihm wird bewusst, dass Selbstjustiz nicht zu mehr Gerechtigkeit führt, sondern im Gegenteil das Unrecht sogar verdoppelt: „Meinet ihr wohl gar, eine Todsünde werde das Äquivalent gegen Todsünden sein, meinet ihr, die Harmonie der Welt werde durch diesen gottlosen Mißlaut gewinnen?“

Die Gefahr für die Ordnung erscheint ihm so groß, dass er die Auflösung der Gesellschaft befürchtet, sollte Selbstjustiz zu einem allgemeinen Prinzip erhoben werden: „da steh ich am Rand eines entsetzlichen Lebens, und erfahre nun mit Zähnklappern und Heulen, daß zwei Menschen wie ich den ganzen Bau der sittlichen Welt zugrund richten würden.“

Um die Ordnung wiederherzustellen, übergibt sich Karl daher folgerichtig in die „Hände der Justiz“. Damit bekräftigt sich Schillers ablehnendes Urteil gegenüber Karls gewalttätigem Widerstand. In der Selbstjustiz Karl Moors erkennt Schiller eine verfehlte Strategie der Staatsverbesserung. Die Staatsgewalt ist als physische Ordnung zu akzeptieren.21 5. Staatlichkeit und Staatsgewalt als Mindestbedingung einer demokratischen Gesellschaftsordnung Insgesamt wird deutlich, dass Schiller sich in den Räubern nicht für Anarchie, sondern für eine staatliche Schutzordnung einsetzt, die ein friedliches Zusammenleben der Bürger im Inneren und Äußeren gewährleistet. Die Ordnungsund Sicherheitsfunktion, der primäre Staatszweck, wird betont und seine Not19 Die Räuber (= I, 547 ff. – Hervorhebung v. Schiller). Wie hier Borchmeyer, Die Tragödie vom verlorenen Vater, S. 172; vgl. auch Grätz, Familien-Bande, S. 29, 39; Häffner, Widerstandsrecht bei Schiller, Mannheim 2005, S. 95. 20 Zur Psychologie der vieldiskutierten Schlussszene vgl. Golz, Der mäandrische Weg des Karl Moor, S. 39 ff.; Lüderssen, Schiller und das Recht, S. 103; Riedel, Die Aufklärung und das Unbewusste, S. 211 ff. 21 Die Räuber (= I, 616 ff.); vgl. Blaese, Schillers Staats- und Rechtsdenken, S. 63 ff.; Gerland, Schiller und das Recht, S. 11 ff.; Haney, Recht und Gerechtigkeit bei Schiller, S. 319 ff.; Lingelbach, Friedrich Schiller und sein Staatsverständnis, S. 844; Scherpe, Räuber, in: Hinderer, Schillers Dramen 1979, S. 29 ff.; I. E. auch Greulich, Recht und Staat in Schillers Werken, S. 71 und Wiese, Schiller, S. 167 (Respektierung der göttlichen Ordnung).

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1. Kap.: Die Substanz der Demokratie

wendigkeit wird am Negativbeispiel der Selbstjustiz illustriert. Dieser Ordnungsgedanke bleibt in Schillers Werk stets präsent und wird, wie bei Humboldt22, als Zwischenschritt zu einer freiheitlichen und demokratischen Verfassungsordnung vorausgesetzt.23 II. Selbstbestimmung als Staats- und Regierungszweck: Die Ausbildung aller menschlichen Kräfte in der Gesetzgebung des Lykurgus und Solon 1. Die Frage nach der „Glückseligkeit“ als Staatsaufgabe im Zeitalter des Absolutismus in Deutschland a) „Glückseligkeit“ als Staatszweck im deutschen Territorialabsolutismus Eine der umstrittensten Rechtsfragen in der Rechtsliteratur und in der politischen Publizistik des 18. Jahrhunderts betrifft den Umfang der absolutistischen Staatstätigkeit und die Frage, ob es einen fürstlichen Anspruch geben kann, für die „Glückseligkeit“ der Untertanen zu sorgen. Schiller hat zu dieser Frage im Sinne humanistischen Staatsdenkens Stellung bezogen und sich gegen einen wohlfahrtstaatlichen Staatszweck ausgesprochen. Seine konträre Idee, individuellen und kulturellen Fortschritt durch die Förderung des Individuums zu schaffen, kann freilich nur vor dem Hintergrund der politischen und geistigen Strömungen sachgerecht dargestellt und bewertet werden. In politischer Hinsicht sind vor allem die Stärkung des Staatsgedankens und die Zentralisierung der Machtbefugnisse beim Souverän festzustellen. Im Mittelpunkt dieser Entwicklung stehen die deutschen Territorialfürsten, die – begünstigt durch den Fortschrittsdruck seit dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs und durch Säkularisierung vormals kirchlicher Aufgaben – eine immer unab22 Humboldt geht ebenfalls davon, dass ohne innere und äußere Sicherheit keine Freiheit möglich ist. Er formuliert in einer Wendung, die auch von Schiller stammen könnte: „Ohne Sicherheit vermag der Mensch weder seine Kräfte auszubilden noch die Früchte derselben zu genießen; denn ohne Sicherheit ist keine Freiheit. Es ist aber zugleich etwas, das der Mensch sich selbst allein nicht verschaffen kann“, vgl. W. v. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen (1792), in: Klenner (Hrsg.), Menschenbildung und Staatsverfassung, Texte zur Rechtsphilosophie, Berlin/Freiburg 1994, S. 74; dazu Petersen, Wilhelm von Humboldts Rechtsphilosophie, 2. Aufl., Berlin 2007, S. 83 ff., 90 ff. – Das ist auch die Position des heutigen Verfassungs- und Staatsdenkens vgl. etwa Isensee, Staatsaufgaben, in: HStR IV 2006, § 73, Rn. 7 (unter Bezugnahme auf Humboldt in Fn. 18); ähnlich auch Herzog, Ziele, Vorbehalte und Grenzen der Staatstätigkeit, in: HStR IV 2006, § 72 Rn. 4 (unter Bezugnahme auf G. Jellinek) und Rn. 23 ff. 23 Zur Durchgängigkeit des Ordnungsgedankens und zum steigenden „Legalismus“ Schillers vgl. etwa Alt, Schiller I, S. 301; Blaese, Schillers Staats- und Rechtsdenken, S. 63; Gerland, Schiller und das Recht, S. 10; William Witte, Law and the social order in Schiller’s thought, S. 288 ff.

II. Selbstbestimmung als Staats- und Regierungszweck

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hängigere Stellung vom Reich und von den Landständen gewinnen (Absolutismus1). Die Souveräne der Einzelstaaten führen den Amtsgedanken ein, schaffen zentrale Behörden und modernere Verwaltungsstrukturen. Steuer-, Militär- und Gerichtsverwaltung werden ausgebaut, stehende Heere eingeführt und Universitäten gegründet, um die wachsende Nachfrage nach Staatsdienern kompensieren zu können.2 Verwaltungsrechtlich werden die neu entstandenen Aufgaben durch eine Vielzahl von Landespolizeiordnungen umgesetzt. In Ergänzung zu den Reichspolizeiverordnungen regeln die Polizeiordnungen der Länder Sachverhalte in allen Bereichen des Staatslebens. Diese betreffen Regelungen in Wirtschaft und Gewerbe (Handwerk, Arbeitswesen, Regelung des Marktes), staatlicher Fürsorge (Bettel- und Armenwesen), Strafrecht und insbesondere im Bereich bürgerlicher Moral und Sitte („christliche Zucht und Ehrbarkeit“). Die Sittengesetze umfassen Kleiderordnungen, Luxusverbote, Fluch- und Schwörverbote, sie richten sich gegen Alkoholkonsum, enthalten Regeln bei Ehe- und Vormundschaftssachen, sie halten zum Kirchgang und zum Erlernen des Katechismus an.3 b) Naturrecht, Polizei- und Kameralwissenschaften Die Rechtswissenschaften, insbesondere die neu entstehenden, vom Naturrecht geprägten Polizei- und Kameralwissenschaften dienen überwiegend als politische Theorie des Absolutismus. Allerdings verschiebt sich in der Rechtslehre die Gewichtung gegen Ausgang des 18. Jahrhunderts allmählich hin zu mehr bürgerlicher Freiheit. Konkret sind drei Strömungen zu beobachten: Das ältere Naturrecht (Pufendorf, Wolff, Thomasius) betont zwar den Individualitätsgedanken des Menschen im Naturzustand (status naturalis), gewährt aber noch keine 1 Zum Begriff: „absolutus“ („lösgelöst“) bezeichnet die unumschränkte Macht (pouvoir absolu) des Souveräns, der von den Bindungen des Lehnsrechts und der Gesetze befreit ist. Die Idee einer losgelösten Machtstellung des Herrschers findet sich bereits im römischen Recht. Bei Ulpian heißt es: „Princeps legibus solutus est“. Vgl. Blasche, Absolutismus, in: EPW I, S. 35 ff. (Stichwort „Absolutismus“); WPB, S. 7 („Absolutismus“); Wesel, Rechtsgeschichte, 2. Aufl., München 2000, Rn. 243. 2 Vgl. zur Entwicklung Mayer, Die Ältere Deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 2. Aufl., München 1980, S. 85 ff.; Valjavec, Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland 1770–1815, Kronberg 1978 (unveränderte Neuausgabe des Erstdrucks von 1951), S. 19 ff., Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Band I, 1700– 1815, München 1987, S. 57 ff., 220 ff., 236; Wesel, Rechtsgeschichte, Rn. 242; – Speziell zur Säkularisation Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 44, 46. 3 Vgl. Knemeyer, Polizei, in: Brunner u. a. (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe (GGr), Band 4, Stuttgart 1978, S. 875 ff.; Mayer, Deutsche Staats- und Verwaltungslehre, S. 82 ff. (mit dem Hinweis auf extreme Praktiken bei Polizeiordnungen vor der Fürstenherrschaft im Absolutismus); Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts I, S. 370; Wesel, Rechtgeschichte, Rz. 245; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht Baden-Württemberg, 5. Aufl. Heidelberg 2002, S. 6.

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1. Kap.: Die Substanz der Demokratie

konkreten Freiheitsrechte. Im Verhältnis zwischen Herrscher und Untertanen „hat die Obrigkeit Freyheit denen Unterthanen zu befehlen, was sie thun und lassen sollen, und die Unterthanen müssen der Obrigkeit gehorchen“ (Wolff). Der Herrscher wird im älteren Naturrecht nur moralisch an die Fundamentalgesetze (leges fundamentales) gebunden, individuelle Freiheitsrechte, verstanden als Abwehrrechte gegen den Staat, können die Untertanen jedoch im bürgerlichen Zustand (status civilis) nicht geltend machen.4 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (ca. 1750–1780) vertritt die Mehrzahl der rechtswissenschaftlichen Autoren, dass die Rechtsunterworfenen von ihren „natürlichen Freiheiten“ im Naturzustand einige im bürgerlichen Zustand behalten. Es entsteht also erstmals eine Sphäre im Staat, die von Herrschaft ausgespart ist. Allerdings wird der Freiheitsgebrauch durch den Staatszweck eingeschränkt und ist von ihm abhängig. Da der Staatszweck in der „Beförderung der gemeinschaftlichen Glückseligkeit“ (Justi) besteht, wird der Inhalt der Freiheit vom Souverän bestimmt und führt zur Ausdehnung obrigkeitlicher Tätigkeit. Abwehransprüche, die rechtlich durchsetzbar wären, gibt es nicht: „Daß aber ein Untertan diese Rechte mit Zwang gegen die Majestät ausüben könne, ist der Staatsverfassung zuwider“ (Scheidemantel).5 Da individuelle Freiheit im status civilis aber als Denkmöglichkeit besteht, verlangen einige Stimmen in der Spätphase des Jahrhunderts (ca. 1780–1800) die konsequente Umsetzung des bürgerlichen Freiheitsgedankens. Unter dem steigenden Einfluss von Locke wird die salus publica als Staatszweck von einigen Teilen des Schrifttums entweder ganz zurückgedrängt oder zumindest auf manchen Gebieten (Wirtschaft und Handel) verworfen und sukzessive durch bürgerliche und handelsrechtliche Freiheiten ersetzt.6

4 Chr. Wolff, Vernünfftige Gedancken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen, 5. Aufl. Frankfurt und Leipzig 1740, S. 459 ff.; zum älteren Naturrecht vgl. Kleinheyer/Schröder, Deutsche und Europäische Juristen aus neuen Jahrhunderten, 4. Aufl., Heidelberg 1996, S. 452 (zu Chr. Wolff); Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte im deutschen Naturrecht des 18. Jahrhunderts, Paderborn 1976, S. 48 ff.; Schlumbohm, Freiheit. Die Anfänge der bürgerlichen Emanzipationsbewegung in Deutschland im Spiegel ihres Leitwortes (ca. 1760–ca. 1800), Düsseldorf 1975, S. 87; Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts I, S. 276 ff.; E. Wolf, Große Rechtsdenker, Tübingen 1963, S. 311 ff. (zu Pufendorf), 371 ff. (zu Thomasius). 5 J. H. G. v. Justi, Grundsätze der Policey-Wissenschaft, Göttingen 1756, § 7; ders., Kurzer systematischer Grundriß aller Oeconomischen und Cameralwissenschaften, 1759, § 2; H. G. Scheidemantel, Das allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, Jena 1775, S. 211; s. auch J. v. Sonnenfels, Politische Abhandlungen, Wien 1777, S. 91; zur Entwicklung vgl. Klippel, Politische Freiheit, S. 59 ff., 92 ff.; Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts I, S. 378 ff. 6 s. etwa K. F. Bahrdt, Rechte und Obliegenheiten der Regenten und Unterthanen, Riga 1792, S. 74: „Glückseligkeit“ dürfe nicht „das direkte Augenmerk des Regenten werden“; J. A. Eberhard, Ueber die Freyheit des Bürgers und die Principien der Regierungsformen, in: ders., Vermischte Schriften, 1. Teil, Halle 1784, S. 8: bürgerliche

II. Selbstbestimmung als Staats- und Regierungszweck

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c) Kritische Stimmen in Literatur und Publizistik Eine wirksame Beschränkung des Staatszwecks auf die Sicherheit der Bürger vor inneren und äußeren Feinden gelingt Kant in seiner Rechtslehre (1797). In Ansehung der Glückseligkeit könne kein „allgemeiner Grundsatz für Gesetze angegeben werden“. Der Staatszweck sei nicht das allgemeine Beste, sondern der „Zustand der größten Übereinstimmung mit Rechtsprinzipien“.7 Auch Lessing („Bemäntelung der Tyrannei“) und vor allem Humboldt (1792) hatten Bedenken, individuelle Rechte über die Idee des Wohlfahrtsstaats einschränken zu wollen. Wie Kant spricht sich Humboldt daher gegen Sittenverbesserung durch den Staat und die Beschränkung auf den Sicherheitszweck aus: „Der Staat enthalte sich aller Sorgfalt für den positiven Wohlstand der Bürger und gehe keinen Schritt weiter, als zu ihrer Sicherstellung gegen sich selbst und gegen auswärtige Feinde notwendig ist; zu keinem andren Endzwecke beschränke er ihre Freiheit.“8

2. Schillers Kritik am Polizei- und Wohlfahrtsstaat: Beispiele aus den Räubern, Kabale und Liebe und Don Karlos a) Einzelne Aspekte von Schillers Kritik am Bevormundungsstaat Ebenso wie Kant und Humboldt kritisiert Schiller die Legitimation staatlicher Eingriffe durch den Topos der Glückseligkeit. Anders als Kant und in Übereinstimmung mit Humboldt betont er bei seiner Argumentation nicht das formale Rechtsprinzip, sondern sucht darüber hinaus nach dem richtigen Inhalt der Staatsordnung. Der „Zweck der Menschheit“ als Gegenprinzip zu staatlicher

Freiheit bestehe als das „Recht, in Ansehung der Handlungen, die nicht durch die Gesetze des Staates bestimmt sind, zu thun und zu lassen, was mir dünkt“; J. F. v. Pfeiffer, Grundriß der wahren und falschen Staatskunst, Berlin 1778–79, Band 1, S. 22: „bürgerliche Freyheit bestehet in dem Rechte, dasjenige zu thun, was die Gesetze erlauben“. S. zu weiteren Stimmen aus dem aufgeklärten Schrifttum (Schlettwein, Schlözer, Zinzendorf u. a.) Klippel, Politische Freiheit, S. 131 ff.; Schlumbohm, Freiheit, S. 89; Valjavec, Politische Strömungen, S. 60 ff., 397 ff. 7 I. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, § 49, S. 176. Gegen das Glückseligkeitsdenken wendet sich auch die Formulierung, die „väterliche“ Regierung sei die „am meisten despotische unter allen (Bürger als Kinder zu behandeln)“, § 49, S. 174. Vgl. zu Kants Auffassung Koslowski, Gesellschaft und Staat, Stuttgart 1982, S. 192 ff.; Niebling, Das Staatsrecht in der Rechtslehre Kants, Tübingen 2005, S. 94 ff.; Schlumbohm, Freiheit, S. 88; Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts I, S. 325 ff. 8 W. v. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen (1792), in: Menschenbildung und Staatsverfassung, Texte zur Rechtsphilosophie, hrsg. v. Klenner, Hermann, Berlin/Freiburg 1994, S. 68. Vgl. hierzu Petersen, Wilhelm von Humboldts Rechtsphilosophie, S. 65 ff.; Spitta, Die Staatsidee Wilhelm von Humboldts, Berlin 2004, S. 72 ff.

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1. Kap.: Die Substanz der Demokratie

Freiheitsverwirklichung soll Ausgangspunkt jeder vernünftigen Verfassung sein.9 Diesen Gedanken hat er an verschiedenen Stellen in seinem Werk ausgeführt und veranschaulicht. Die großen Dichtungen der jungen Jahre (1782–1787) sind von der Zurückhaltung gegenüber staatlicher Bevormundungspolitik geprägt. In den Räubern zeigt sich die Abwehr des absolutistischen Staatszwecks in der Kriminalisierungsgefahr durch die Polizeiordnungen, wie im Gespräch zwischen den Räubern Spiegelberg und Razman deutlich wird (II/3).10 Spiegelberg beschwert sich über die „einreißende Pest der Polizeiverbesserungen“. Er instruiert seinen Räuberkollegen, wie er vorgehen soll, um neue Mitglieder für die Räuberbande zu werben. Er solle „Kaffeehäuser, Bordelle, Wirtshäuser“ aufsuchen und nach jenen „fünf Prozent“ Ausschau halten, die auf die „Regierung“ schimpfen, sich über ihre „Physiognomie“ oder die „Pest der Polizeiverbesserungen“ ereifern. Spiegelberg glaubt, dass jene Bevölkerungsschichten, die der Gängelung durch die Polizeiordnungen überdrüssig sind, als Rekrutierungsklientel für die Räuberbande besonders geeignet sind. Schiller erschließt damit den Zusammenhang zwischen staatlicher Überregulierung (Sittengesetze und Strafnormen) und der Gefahr, weite Teile der Bevölkerung zu kriminalisieren. Wie realistisch diese Einschätzung ist, zeigt sich an dem Umstand, dass die Vielzahl der Landespolizeiordnungen bereits für kleinere Vergehen, selbst im Bereich von Moral und Sitte, hohe Bußgelder vorsahen. Die sozialkritische Schärfe, mit der Schiller „ruinierte Krämer, rejizierte Magister und Schreiber aus den schwäbischen Provinzen“ zu Räubern werden lässt, illustriert seine Abneigung gegenüber der stetig anwachsenden Fülle polizeilicher Regulierung.11 Auch in Kabale und Liebe bringt Schiller seine allgemeine Kritik an der extremen Praxis der Polizeiordnungen zum Ausdruck und konkretisiert sie im Hinblick auf die Sittenregeln zu Ehe und Familie. Der Präsident „am Hof eines deutschen Fürsten“ beschuldigt Musikus Miller, „Kuppler“ einer Missheirat zwischen seinem adligen Sohn Ferdinand und dem bürgerlichen Mädchen Luise zu sein (II/6). Um die Mesalliance zu verhindern, erscheint er mit Gerichtsdienern 9 Gesetzgebung des Lykurgus und Solon (= IV, 805 ff., 815: „Zweck der Menschheit“); zum humanistisch-anthropozentrischen Staatsdenken Schillers vgl. Blaese, Schillers Staats- und Rechtsdenken, S. 49 ff. (52 ff.); Ebert, Schiller und das Recht, in: Schiller im Gespräch der Wissenschaften, S. 139 ff. (159); Eder, Schiller als Historiker, in: Koopmann, S. 695; Gerland, Schiller und das Recht, S. 1 ff. (22, 27 ff.); Hinderer, Republik oder Monarchie? in: FS Jens, S. 305 ff. (306 ff.); Lingelbach, Friedrich Schiller und sein Staatsverständnis, in: Staat und Recht, Nr. 10/1984, S. 842 ff. (845); Suppanz, Person und Staat in Schillers Dramenfragmenten, S. 6; Wiese, Schiller, S. 346 ff. 10 Vgl. zu den strengen Rechtsfolgen der Polizeiordnungen Mayer, Deutsche Staatsund Verwaltungslehre, S. 82 ff. 11 Die Räuber (= I, 536, 539). Vgl. auch Alt, Schiller I, S. 295 (in Bezug auf Karl Moor); Schmid, Schillers „Räuber“, S. 837 ff.

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im Gefolge vor der Wohnung Millers und versucht, ins Häusliche der Familie einzudringen. Miller möchte dem Verfolgungsanspruch des Präsidenten eine Grenze ziehen: „Euer Exzellenz schalten und walten im Land. Das ist meine Stube.“ Der Präsident will Miller daraufhin verhaften lassen, was nur durch das Eingreifen Ferdinands gegenüber den Gerichtsdienern verhindert werden kann (II/7). Schiller zeigt hier deutlich, dass selbst die Intimsphäre und das Hausrecht des Bürgers von staatlicher Reglementierung nicht verschont bleiben. Der Staat, der durch den Präsidenten vertreten wird, unterscheidet nicht zwischen privater und öffentlicher Sphäre. Entscheidungsinstanz in familiären Angelegenheiten ist daher der Präsident, der Miller an die Kompetenzverteilung erinnern muss: „Hast du vergessen, daß ich die Schwelle bin, worüber du springen oder den Hals brechen mußt?“12 Mit der aufgehobenen Trennung zwischen privatem und öffentlichem Lebensraum hebt Schiller die typischen Kennzeichen absolutistischer Herrschaftspolitik kritisch hervor: Polizei- und Verwaltungsrecht sind Mittel der Sozialdisziplinierung der Bürger, wobei ein Verstoß gegen ständische Regeln hart bestraft wird („Zuchthaus“). Zudem übt der Fürst eine patriarchalische Herrschaft aus und wird damit in Analogie zum Hausvater der Vater und Behüter des „Ganzen Hauses“ und ist als Patriarch berechtigt, Sitte und Moral nach väterlichen Prinzipien durchzusetzen.13 Schillers ablehnendes Urteil gegenüber polizeilicher Bevormundung äußert sich auch in seiner Kritik staatlicher Erziehung. Das paternalistische Erziehungsprogramm Herzog Karl Eugens14 hat Schiller auf der Karlsschule selbst erlebt und kritisch reflektiert, z. B. in der Ankündigung zur Rheinischen Thalia 1784.15 In der Theaterschrift Was kann eine gute stehende Schaubühne eigent12 Kabale und Liebe (= I, 795 ff.). Vgl. hierzu Greulich, Recht und Staat in Schillers Werken, Köln 1961, S. 74; Koopmann, Kabale und Liebe, in: Koopmann, S. 372 ff. 13 Kabale und Liebe (= I, 796). Vgl. hierzu Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts I, S. 277; Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 224 ff. 14 Zum Selbstverständnis der herzoglichen Erziehungspolitik vgl. etwa die Rede des Tübinger Staatsrechtslehrers und Geheimrats G. D. Hoffmann (1719–1780) zum Jahresfest der Karlsschule im Dezember 1773: die „oberste Vormundschaft des Fürsten und Regenten“ sei ein „herrlicher Teil der Majestät und Landeshoheit“ und beinhalte deshalb „seiner jungen und minderjährigen Untertanen Bestes [. . .] teils mittelbar, [. . .] teils aber auch in denen wichtigsten Vorfällen, unmittelbar zu besorgen“ (zitiert nach Buchwald, Schiller, S. 124 ff.). 15 Die „Pflanzschule“ Karl Eugens habe seinem künstlerischen Freiheitsdrang widersprochen: „Ein seltsamer Mißverstand der Natur hat mich in meinem Geburtsort zum Dichter verurteilt. Neigung für die Poesie beleidigte die Gesetze des Instituts, worin ich erzogen ward, und widersprach dem Plan seines Stifters. Acht Jahre rang mein Enthusiasmus mit der militärischen Regel; aber Leidenschaft für die Dichtkunst ist feurig und stark, wie die erste Liebe. Was sie ersticken soll, fachte sie an.“ (= NA 22, 93). Charlotte von Lengefeld notiert über ihren Besuch 1783 an der Militärakade-

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lich wirken? von 1784 schlägt er vor, die „Irrtümer der Erziehung“ und deren „unglückliche Schlachtopfer“ der Satire preiszugeben. Die erzieherischen Folgen „eigensinniger Maximen“ und „falscher Begriffe“ will er auf die Bühne bringen, um das Schicksal des „zarten Schößling“, der „systematisch zugrund“ gerichtet wird, dem Publikum zu demonstrieren: „Der gegenwärtig herrschende Kitzel, mit Gottes Geschöpfen Christmarkt zu spielen, diese berühmte Raserei, Menschen zu drechseln und es Deukalion gleichzutun (mit dem Unterschied freilich, daß man aus Menschen nunmehr Steine macht, wie jener aus Steinen Menschen), verdiente es mehr als jede andere Ausschweifung der Vernunft, den Geißel der Satire zu fühlen.“

Schiller dürfte hier nicht nur seine eigenen Erfahrungen reflektiert, sondern generell auf die staatliche Erziehungspolitik der Landesfürsten Bezug genommen haben. Der Ausbau von Schulen und Universitäten stand unter dem Primat, Nachwuchs für die Staatsdienertätigkeit zu rekrutieren. Die neu entstandene „Nachfrage“ an staatlichen Wohlfahrtsdiensten konnte nur durch die Erweiterung des Verwaltungs- und Justizapparats befriedigt werden.16 b) Generalkritik am Staatszweck „Glückseligkeit“: Don Karlos Schiller kritisiert also an verschiedenen Stellen seiner Schriften die staatlichen Eingriffe in die Privatsphäre der Bürger. Explizit gegen den Staatszweck der „Glückseligkeit“ und des „allgemeinen Besten“ richtet er sich im Don Karlos (1787). In der Audienzszene zwischen Marquis Posa und König Philipp II. nimmt er direkten Bezug auf die aktuelle Staatszweckdebatte (III/10). Bereits der Eingangsdialog veranschaulicht den Widerspruch der Staatsauffassungen. Das monarchische Herrschaftsgefühl kollidiert mit dem bürgerlichen Selbstbewusstsein des Marquis:

mie: „der Künstler [. . .] fühlte die Last dieser Einrichtung als ein tyrannisches Verhältnis“. Ihr war deshalb „nicht wohl zumute, Menschen wie Drahtpuppen behandelt zu sehen“ (zitiert nach Alt, Schiller I, S. 86; Buchwald, Schiller, S. 232). – Freilich hat Schiller seine Karlsschulzeit rückblickend ambivalent bewertet. Unter die kritischen Töne mischen sich Worte sachlichen Abwägens. Schiller lobt später vor allem die Vorzüge der Karlsschule als Bildungsinstitut: „Außer den beträchtlichen Revenuen, welche Stuttgardt daraus zog, hat dieses Institut ungemein viel Kenntnisse, artistisches und wissenschaftliches Interesse unter den hiesigen Einwohnern verbreitet, da nicht nur die Lehrer der Academie eine sehr beträchtliche Zahl unter denselben ausmachen, sondern auch die mehresten Subalternen und Mittleren Stellen durch academische Zöglinge besetzt sind“, vgl. Brief an Körner vom 17. März 1794 (= NA 26, 349). 16 Schaubühnenrede (= V, 829); s. hierzu Buchwald, Schiller, 245 und Wolgast, Schiller und die Fürsten, in: Aurnhammer u. a. (Hrsg.), Schiller und die höfische Welt, S. 9. Schiller greift seine Erziehungskritik in der Gesetzgebung wieder auf. Dort im Zusammenhang mit der spartanischen Kindererziehung (= IV, 816). – Vgl. zu den Motiven für die Universitätsgründungen Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 258 ff.

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„KÖNIG. Ich bin nicht gesonnen, In meiner Diener Schuld zu stehn – Erbittet Euch eine Gnade. MARQUIS. Ich genieße die Gesetze. KÖNIG. Dies Recht hat auch der Mörder. MARQUIS. Wieviel mehr Der gute Bürger! – Sire, ich bin zufrieden.“

Der König kann sich Glück seiner Untertanen nur als Werk fürstlicher Wohltätigkeit vorstellen. Posa muss deshalb seine Bürgerautonomie und sein Streben nach persönlicher Vervollkommnung gegen Philipp verteidigen. Er wendet sich kurz darauf nochmals gegen das Vormundschaftsrecht des Königs: „Mich wählen Sie nicht, Sire, Glückseligkeit, Die Sie uns prägen, auszustreun. Ich muß Mich weigern, diese Stempel auszugeben.“

Bereits in diesen kurzen Dialogen kommt das Wesentliche der aktuellen Diskussion zur Sprache. Der König spricht zunächst von „Gnade“, einem in der aufklärerischen Literatur sehr umstrittenen Begriff. Beccaria und Kant lehnen ein Gnadenrecht des Souveräns ab, da die Willkürlichkeit des Gnadenrechts der Allgemeinheit des Rechtsbegriffs widerspreche. Gnade beinhalte ungleiche Verteilung von Rechten und Chancen, die in einer auf rechtsstaatlichen Grundsätzen basierenden Verfassungsordnung abzulehnen sei. Da der Widerspruch zwischen Gnadenrecht und Gleichheit vor dem Gesetz nicht sofort offensichtlich werde, meint Kant das Gnadenrecht sei „wohl unter allen Rechten des Souveräns das schlüpfrigste“.17 Schiller nimmt Bezug auf diese Debatte, indem er der „Gnade“ des Königs die „Gesetze“ entgegenstellt und Posa diese Art von „Glückseligkeit“ ablehnen lässt. Damit wird auch deutlich, dass „Gnade“ hier nicht als Barmherzigkeit, sondern als Bevormundung verstanden wird. Es geht hier nicht um Straferlass gegenüber einem Bittenden, also um „Begnadigung“, vielmehr um eine „Rechtswohltat“, also um jene Gnade, die der Fürst anbietet, um den Diener durch Wohltätigkeit an sich zu binden und sich für geleistete Dienste erkenntlich zu zeigen („Ihr machtet um meine Krone Euch verdient“).18 17 Don Karlos (= II, 118 ff., 121). C. Beccaria, Dei delitti e delle pene (1764), XLVI, S. 175 ff.; I. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, Allgemeine Anmerkung E II, S. 199 ff. (eine Ausnahme macht Kant im Falle eines gegen den Souverän gerichteten ,crimen laesae maiestatis‘). – Vgl. zum Gnadenrecht Radbruch, Rechtsphilosophie, 2. Aufl., Heidelberg 2003 (hrsg. v. Dreier/Paulson), S. 163 ff.; Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, 3. Aufl., München 1998, Rn. 233. 18 Don Karlos (= II, 118). Von der wohltätigen Ausübung des Gnadenrechts macht auch der französische König in der Jungfrau von Orleans Gebrauch: „Gedankt sei allen, die für uns gefochten, und allen, die uns widerstanden, sei Verziehn, denn Gnade hat uns Gott erzeigt, Und unser erstes Königswort sei – Gnade!“ (= II, 788). Dagegen

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1. Kap.: Die Substanz der Demokratie

Die Diskrepanz zwischen bürgerlichem Freiheitsideal und staatlicher „Glückseligkeit“ kommt auch in der unterschiedlichen Benennung der Rechtsunterworfenen zum Ausdruck. Posa ist für Philipp ein „Diener“, also ein Untertan, während sich der Marquis selbst als „Bürger“ bezeichnet. Als Untertan hat der Rechtsunterworfene im spanischen Absolutismus keinerlei Freiheitsrechte, sondern nur Pflichten gegenüber dem Souverän. Philipp vertritt das veraltete Verständnis eines aus der mittelalterlichen Ständeordnung überführten Untertanenverbands. Demgegenüber versteht sich der Marquis als Bürger (civis) und wird damit zum Vertreter „bürgerlicher“ Freiheit, wie sie die Spätaufklärung begreift. Über die „natürliche“ Freiheit hinaus verlangt Posa Abwehrrechte gegen den Staat, die individuelle Glücksverwirklichung garantieren. Mehrfach widersteht Posa daher dem Wunsch des Königs, er solle sich dem Hofstaat anschließen („Ich kann nicht Fürstendiener sein“); der auf Gehorsambefolgung ausgerichtete Absolutismus Philipps konvergiert nicht mit dem bürgerlichen Selbstverständnis des Malteserritters.19 Posas Abwehrhaltung gegen Philipps Wohltätigkeitsdenken zeigt sich auch an der Formulierung, er „genieße die Gesetze“. Gesetzesgenuss meint Abwehrfreiheit, Freiheit vor staatlicher Sittenverbesserung und Sozialdisziplinierung. Ganz ähnlich wie Schiller formuliert der aufgeklärte Naturrechtler Pfeiffer: „bürgerliche Freyheit bestehet in dem Rechte, dasjenige zu thun, was die Gesetze erlauben“. Ebenso schreibt Montesquieu, den Schiller während der Arbeit am Don Karlos ausführlich studierte: „Freiheit ist das Recht, all das zu machen, was die Gesetze gestatten.“ Bei Montesquieu wird die „Freiheit“ („liberté politique“) freilich durch das „équilibre des pouvoirs“ abgesichert und rechtsstaatlich umgesetzt. Schiller deutet mit seinem Zitat auf die Sicherungsfunktion der Gesetze für die „liberté politique“ und die dahinterstehende Gewaltenbalance. Philipp hingegen sieht in den „Gesetzen“ nur den Hobbes’schen Sanktionsmechanismus gegenüber dem Untertan. Bürgerliche Freiheit ist abhängig vom absolutistischen Staatszweck und nur als majestätisch bestimmte Freiheit in Gestalt der allgemeinen „Glückseligkeit“ denkbar.20 wird an anderen Stellen die Barmherzigkeit des Gnadenrechts betont. Etwa im Verbrecher aus verlorener Ehre („Es ist Gnade, um was ich flehe“ – V, 31), in der Maria Stuart („Sie hat der Gnade königliches Recht. Sie muß es brauchen, unerträglich ists, Wenn sie den strengen Lauf läßt dem Gesetze!“ – II, 582) oder auch im Wilhelm Tell („Barmherzigkeit, Herr Landvogt! Gnade! Gnade!“ – II, 1009). Zum Gnadenrecht bei Schiller vgl. auch Gerland, Schiller und das Recht, S. 21; Neymayr, Macht, Recht, Schuld. Konfliktdramaturgie und Absolutismuskritik in Schillers Trauerspiel Maria Stuart, in Sasse (Hrsg.), Schiller. Werkinterpretationen, S. 105 ff. (118). 19 Don Karlos (= II, 119, 120). Vgl. zum Bürgerbegriff und seiner Entwicklung Riedel, Bürger, in: GGr I, S. 683 ff.; Stolleis, Untertan – Bürger – Staatsbürger, Bemerkungen zur juristischen Terminologie im späten 18. Jahrhundert Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit, Frankfurt, 1. Aufl. 1990, S. 298 ff.; Vierhaus, Politisches Bewusstsein in Deutschland vor 1789, in: Der Staat 6 (1967), S. 175 ff.; ders., Bürger und Bürgerlichkeit im Zeitalter der Aufklärung, Heidelberg 1981.

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3. Das Gegenmodell: Gründung und Regierung einer menschlichen Gesellschaftsordnung in der Gesetzgebung des Lykurgus und Solon a) Die Gründung einer humanistischen Gesellschaftsordnung Wie bereits angedeutet, erschöpft sich Schillers Staatsdenken nicht in der ablehnenden Haltung gegenüber dem Staatszweck des „allgemeinen Besten“. Er entwirft vielmehr ein positives Gegenbild, in dem er alles Staatshandeln unter die Maxime stellt, den Menschheitszweck zu fördern. In der Gesetzgebung des Lykurgus und Solon (1790) hat er diesen Humanitätsgedanken theoretisch formuliert und vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Gesetzgebungen der Spartaner und Athener herausgearbeitet. Seine theoretische Schrift ist dabei keine bloße Beschreibung der politischen Verhältnisse der Antike, sondern setzt sich mit der Regierungstätigkeit Lykurgs und Solon kritisch auseinander. Aus Schillers Kommentierung ergibt sich, dass der „Zweck der Menschheit“ sowohl bei der Staatsgründung als auch bei der laufenden Regierungstätigkeit zu beachten ist.21 Schiller beschreibt zunächst die Gesetzgebung des Lykurgus in Sparta. Er hält sich eng an die Berichterstattung Plutarchs22 und schildert die zeitliche Abfolge der Gesetzesanordnungen: zunächst die Einführung des Senats, dann ökonomische Maßnahmen wie Vergemeinschaftung des Eigentums, Beschlagnahme allen Grundbesitzes und Einführung einer eigenen Silberwährung. Schiller berichtet auch über die erzieherischen Maßnahmen, etwa die Pflicht, Mahlzeiten gemeinsam einzunehmen (Syssitien), Lykurgs Luxusverbote, die staatliche Kindererziehung sowie den Umgang der Spartaner mit ihren Sklaven. Schiller meint, alle Maßnahmen Lykurgs seien in sich konsequent gewesen, da Lykurg einen „in sich selbst gegründeten, unzerstörbaren Staat“ angestrebt hätte. Die Regierungsanordnungen hätten jedoch von vornherein den falschen Staatszweck

20 J. F. v. Pfeiffer (s. bereits oben Fn. 6); an anderer Stelle: der Bürger ist „allenthalben frey [. . .] wo die Gesetze regieren, und allenthalben Sclave, wo der Regent die Gesetze unter die Füsse tritt, und ungestraft ungerecht seyn kann“ (Grundriß der wahren und falschen Staatskunst, Berlin 1778–79, Band 1, S. 65 ff.). Vgl. hierzu Klippel, Politische Freiheit, S. 65, 70; Montesquieu, De l’esprit des lois (1748), 11. Buch, S. 214; vgl. zu Montesquieu Selmer, Gewaltenteilung, in: HRG I, S. 1642 ff. (1645). – Im Übrigen vgl. auch Posas Vorgriff auf die frz. Menschenrechtserklärung von 1789: „Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet“ (Art. 4) bzw. „niemand darf genötigt werden, zu tun, was das Gesetz nicht anordnet“ (Art. 5). 21 Gesetzgebung (= IV, 815); zur Gesetzgebung vgl. Alt, Schiller I, S. 618 ff.; Eder, Schiller als Historiker, in: Koopmann, S. 694 ff.; Wiese, Schiller, S. 346 ff. 22 s. Plutarch, Grosse Griechen und Römer, Band I, Zürich und Stuttgart 1954 (eingeleitet und übersetzt von Konrat Ziegler), S. 125 ff. (Lykurg), S. 211 ff. (Solon).

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1. Kap.: Die Substanz der Demokratie

verfolgt. Seiner Darstellung folgt das zusammenfassende Urteil, das sich von der positiven Bewertung Plutarchs distanziert:23 „Alles darf dem Besten des Staates zum Opfer gebracht werden, nur dasjenige nicht, dem der Staat selbst nur als Mittel dient. Der Staat ist niemals Zweck, er ist nur wichtig als eine Bedingung, unter welcher der Zweck der Menschheit erfüllt werden kann, und dieser Zweck der Menschheit ist kein andrer als Ausbildung aller Kräfte des Menschen, Fortschreitung.“24

Der eigentliche Staatszweck, neben der Herstellung formaler Sicherheit im Inneren und Äußeren, besteht daher, wie bei Humboldt25, in der „Ausbildung aller menschlichen Kräfte“. Dieser „Zweck der Menschheit“ ist ein allgemeines Staatsziel, das der Souverän eines Staates als oberste Maxime bei der Staatsgründung zu beachten hat. Der erste Gesetzgeber ist demnach an die Vorgabe gebunden, einen humanistischen Gesellschaftsvertrag zu entwerfen und die Organisation des Staates entsprechend einzurichten. Konkret bedeutet das ein liberales Verfassungsgefüge mit bürgerlichen Freiheitsgarantien, Verfahrensrechten und rechtlicher Gleichstellung aller Gesellschaftsmitglieder (auch der Sklaven) – all jene Werte, die Lykurg ablehnte.26 23 Plutarch nennt die Einführung der gemeinsamen Mahlzeiten durch Lykurg „seinen dritten und besten politischen Schachzug“, um der „Üppigkeit noch mehr zu Leibe zu gehen“. Über die Gesamtheit der gesetzgeberischen Maßnahmen fasst Plutarch zusammen: „In dem allen ist keine Spur von Ungerechtigkeit und Habsucht zu entdecken, die manche den Gesetzen Lykurgs vorwerfen, daß sie nämlich zwar gut wären für die Erziehung zur Tapferkeit, aber unzulänglich für die Gerechtigkeit“. S. Plutarch, Große Griechen und Römer, S. 136, 160. 24 Gesetzgebung (= IV, 805 ff., 815). In der Jenaer Antrittsvorlesung von 1789 heißt es ganz ähnlich: „aber eine Bestimmung teilen Sie alle [die Menschen] auf gleiche Weise miteinander, diejenige, welche Sie auf die Welt mitbrachten – sich als Menschen auszubilden“ (= IV, 750). Und in einem Brief an Caroline v. Beulwitz vom 27. November 1788: „Der Staat ist nur eine Wirkung der Menschenkraft, nur ein Gedankenwerk, aber der Mensch ist die Quelle der Kraft selbst, und der Schöpfer des Gedankens“ (= NA, 25, 147); vgl. dazu auch Wiese, Schiller, S. 456. 25 Vgl. W. v. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen (1792), in: Menschenbildung und Staatsverfassung, Texte zur Rechtsphilosophie, hrsg. v. Klenner, Hermann, Berlin/Freiburg 1994, S. 39 (u. ö.): „Der wahre Zweck des Menschen [. . .] ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen. Zu dieser Bildung ist Freiheit die erste und unerläßlichle Bedingung. Allein außer der Freiheit erfordert die Entwicklung der menschlichen Kräfte noch etwas anderes, obgleich mit der Freiheit eng verbundenes: Mannigfaltigkeit der Situationen. Auch der freieste und unabhängigste Mensch, in eine einförmige Lage versetzt, bildet sich minder aus.“ Vgl. zum Staatszweck bei Humboldt Petersen, Wilhelm von Humboldts Rechtsphilosophie, 2. Aufl., Berlin 2007, S. 41 ff.; Spitta, Die Staatsidee Wilhelm von Humboldts, Berlin 2004, S. 65 ff. 26 Vgl. auch Blaese, Schillers Staats- und Rechtsdenken, S. 52; Düsing, Friedrich Schiller, Über die Ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, Text, Materialien, Kommentar, München/Wien 1981, S. 50; Ebert, Schiller und das Recht, S. 159; Gerland, Schiller und das Recht, S. 22; Wiese, Schiller, S. 456. – S. auch Schiller Epigramm Die beste Staatsverfassung: „Diese nur kann ich dafür er-

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Schiller verlangt, alle „politische[n] Anstalten“ am humanitären Staatszweck zu messen. Dabei versteht er sein Prinzip als inhaltliche Vorgabe an die verfassungsgebende Gewalt. Formelle Aspekte der Staatsorganisation, so glaubt Schiller, müssten sich nach dem Prinzip „Form folgt Funktion“ von selbst ergeben. Allein der menschenrechtliche Geist der Staatsgründung bleibt entscheidend: „Hindert eine Staatsverfassung, daß alle Kräfte, die im Menschen liegen, sich entwickeln, hindert sie die Fortschreitung des Geistes, so ist sie verwerflich und schädlich, sie mag übrigens noch so durchdacht und in ihrer Art noch so vollkommen sein.“

Schiller will gewährleisten, dass sein humanistisches Staatsziel nicht durch formelle Verfassungsklauseln im Detail entkräftet oder insgesamt unterlaufen wird. Das ist im Hinblick auf die Staatsverfassung Spartas verständlich, weil diese in rein formeller Hinsicht ein „Meisterstück der Staats- und Menschenkunde“ darstellte. Schiller gesteht selbst, „daß nichts Zweckmäßigeres, nichts durchdachter“ war als die Lykurgische Staatsverfassung. Da aber die Lykurgische Verfassung gegen den „Zweck der Menschheit“ verstieß, musste sie eine „tiefe Missbilligung“ erfahren. Staatliche Allgegenwart, fehlende Privatsphäre, staatliche Trennung von Kind und Eltern, kultureller Verfall sowie Sklavenhaltung sind die prägenden Merkmale der spartanischen Verfassung, die Schiller missbilligt und als Folge des inhumanen Staatszwecks begreift. Das lykurgische Sparta dient Schiller somit als abschreckendes Beispiel einer vollkommenen Diktatur.27 b) Die Regierung eines humanistischen Staates Schillers Forderung, die „Ausbildung der menschlichen Kräfte“ zu befördern, trifft nicht nur auf den Staatsgründungsakt des ersten Gesetzgebers zu. Vielmehr hat sich der Staatszweck ständig zu aktualisieren und muss als Regierungskennen, die jedem erleichtert, Gut zu denken, doch nie, daß er so denke, bedarf.“ (= I, 248) 27 Gesetzgebung (= IV, 814 ff.). Schiller fasst zusammen: „In dem spartanischen Gesetzbuche selbst wurde der gefährliche Grundsatz gepredigt, Menschen als Mittel und nicht als Zweck zu betrachten – dadurch wurden die Grundveste des Naturrechts und der Sittlichkeit gesetzmäßig eingerissen. Die ganze Moralität wurde preisgegeben, um etwas zu erhalten, das doch nur als ein Mittel zu dieser Moralität einen Wert haben kann.“ (= IV, 816). – Die Gesetzgebung bietet eine präzise Beschreibung eines diktatorischen Unrechtsstaats. Das erste Flugblatt der Weißen Rose (Flugblatt Nr. 1, Juni 1942) zitiert Schiller aus der spartanischen Gesetzgebung sehr ausführlich. Die Verfasser sahen in der antiken Diktatur den Hitler-Staat gespiegelt, s. auch Alt, Schiller I, S. 620. Tatsächlich galt die spartanische Staatsorganisation als Vorbild für die Ideologie des Dritten Reiches. Vgl. aus der zeitgenössischen Literatur J. Littell, Die Wohlgesinnten (Roman), Berlin 2008 (dt. Ausgabe); vgl. auch Lützeler, Identität und Gleichgewicht: Schiller und Europa, in: Lützeler (Hrsg.), Kontinentalisierung, Das Europa der Schriftsteller, Bielefeld 2007, S. 49 ff. (54 m.w. N.).

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1. Kap.: Die Substanz der Demokratie

grundsatz die laufenden Staatsgeschäfte beherrschen. Demnach muss nicht nur der Souverän, sondern auch der Regent stets darauf bedacht sein, das anthropozentrische Staatsziel zu verwirklichen. Insoweit enthält die Gesetzgebung einen konkreten Regierungsauftrag: Die vom Souverän angewiesene Regierung muss stets analysieren, ob sie die ihr gegebenen Prinzipien einhält oder hinter den Vorgaben zurückgefallen ist.28 Schiller deutet an, wie dieser Regierungsauftrag umzusetzen sei. Er geht davon aus, am persönlichen und kulturellen Reifegrad der jeweiligen Gesellschaft könne der Gesetzgeber den Entwicklungsstand der ganzen Rechtsordnung ablesen.29 Ein Staat, der ein hohes kulturelles Niveau erreicht hat – wie Athen (dort blühten „alle Tugenden“, „alle Gewerbe und Künste“) – erfüllt seinen humanistischen Regierungsauftrag erfolgreich. Demgegenüber bleiben Staaten mit niedriger oder kaum vorhandener kultureller Blüte – wie Sparta („keine Künstler, keine Dichter, keine Denker, keine Weltbürger“) – hinter dem Humanitätsideal zurück. Der Gesetzgeber kann demnach seine eigene rechtsstaatliche Leistung am kulturellen Fortschritt der Gesellschaft und der Tugendhaftigkeit der einzelnen Bürger messen. Das bedeutet, er muss seine Regierungsarbeit stets prüfen, anpassen und neu formulieren. Er ist verpflichtet, seine Gesetze als provisorische Lösungen zu begreifen.30 Schiller entwirft damit – seiner aufgeklärten Geisteshaltung entsprechend einen dynamischen Staat, der sich an neue Entwicklungen anpasst und die Notwendigkeit zur Veränderung begreift. Diese Forderung, für die griechischen Regierungen ausgesprochen, bezieht sich auch auf seine eigene Zeit. Es ist letztlich die im Don Karlos ausgesprochene Forderung Posas gegenüber Philipp II., 28

Vgl. Blaese, Schillers Staats- und Rechtsdenken, S. 52; Wiese, Schiller, S. 348. Gesetzgebung (= IV, 833): „Der Charakter eines ganzen Volkes ist der treueste Abdruck seiner Gesetze und also auch der sicherste Richter ihres Werts oder Unwerts.“ In einem Brief an den Augustenburger vom 13. Juli 1793 heißt es ganz ähnlich: „nur der Karakter der Bürger erschafft und erhält den Staat, und macht politische und bürgerliche Freiheit möglich [. . .] weil sich keine Verfassung erdenken lässt, die von der Gesinnung der Bürger unabhängig wäre.“ (= NA 26, 264 u. 265). s. auch Hinderer, Republik oder Monarchie?, S. 306. 30 Gesetzgebung (= IV, 833); vgl. auch Wiese, Schiller, S. 347. Den Zusammenhang zwischen bürgerlicher Freiheit und kultureller Blüte hatte Schiller auch in den Briefen über Don Karlos geäußert. Die „Verbreitung reinerer, sanfterer Humanität“, also die „höchstmögliche Freiheit der Individuen“ geht unmittelbar einher, mit des „Staates höchster Blüte“ und bildet zusammen den „vollendetsten Zustand der Menschheit“ (= II, 251). Das philosophische Gespräche aus dem Geisterseher verdeutlicht wiederum den umgekehrten Zusammenhang zwischen Despotie und kulturellem Verfall: „Der Despot ist das unnützlichste Geschöpf in seinen Staaten, weil er durch Furcht und Sorge die tätigsten Kräfte bindet und die schöpferische Freude erstickt. Sein ganzes Dasein ist eine fürchterliche Negative; und wenn er gar an das edelste, heiligste Leben greift und die Freiheit des Denkens zerstöret – hunderttausend tätige Menschen ersetzen in einem Jahrhunderte nicht, was ein Hildebrand, ein Philipp von Spanien in wenig Jahren verwüsteten“ (Geisterseher = V, 168). 29

II. Selbstbestimmung als Staats- und Regierungszweck

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„Europens Königen“ voranzuschreiten, um sich dem Aufklärungszug, der in „vollem Laufe rollt“, anzuschließen. Wäre der König der Forderung gefolgt, hätte er – ganz im Sinne des dynamischen Regierungsgedankens aus der Gesetzgebung – ein Beispiel für selbst gewählten Fortschritt geboten.31 4. Die demokratische Komponente des humanistischen Staatsgedankens Schillers Idee einer menschlichen Verfassungsordnung steht im Widerspruch zum politischen Geist des Absolutismus. Im Einklang mit Stimmen aus der jüngeren Naturrechtslehre und den zeitgenössischen Aufklärern wie Lessing, Kant und Humboldt verwirft er die staatliche Wohltätigkeitsidee und setzt ihr ein liberales Verfassungsziel entgegen. Privater Schonraum soll gewahrt bleiben, um die individuellen Glücksvorstellungen der Einzelmitglieder zu garantieren und den kulturellen Fortschritt des Gesamtstaates zu befördern. Dieses Konzept individueller Selbstentfaltung erinnert zwar an die „Pursuit of Happiness“-Formel der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776, steht aber in einer anderen als der amerikanischen Traditionslinie. Schiller betont, der Staatszweck sei die „Ausbildung“ der menschlichen Kräfte. Ihm geht es nicht nur um Glücksstreben, sondern auch um „Bildung“ des Bürgers. Er verfolgt das humanistische Ziel, den Menschen an ein höheres Kulturniveau heranzuführen. Schillers Staatszwecklehre ordnet sich ein, in die humanistische Tradition eines Petrarca (1304–1387) und Erasmus (1465–1536) sowie in die Geisteskultur des „uomo universale“ Ciceros und Senecas. Im Unterschied zum klassischen und zum Renaissance-Humanismus geht es bei Schiller nicht um rhetorische oder antiklerikale Bildung, sondern vor allem um die Umsetzung der politischen Forderungen der Aufklärung. Schiller kann daher, zusammen mit Humboldt und Herder, als Vertreter eines Neuhumanismus der Aufklärung verstanden werden.32 Freilich ist zu beachten, dass Schillers Staatszwecklehre die Forderung nach einem „schwachen Staat“ enthält, deren Realisierung im Angesicht der Modernisierungsaufgaben des ausgehenden 18. Jahrhunderts auf praktische Hindernisse stoßen musste. Gegen die liberalen Staatsideen der Aufklärer wird deshalb

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Don Karlos (= II, 125, 126). Vgl. zur historischen Entwicklung des Humanismus und zum „Neuhumanismus“ der Aufklärung Bödeker, Menschheit, in: GGr III, S. 1079 ff.; Chen, Neuhumanismus und neuhumanistische Bildungskonzeption von Lessing bis Goethe, München 1991; Förster, Humanismus, in: EEPW II, S. 560 ff.; Lorenz, Humanismus, in: EPW II, S. 137 ff.; Menze, Humanismus, in: HWP III, S. 1217 ff. (ebd.); Regenbogen/Meyer, WPG, S. 295 ff. (Stichworte „Humanität“, „Humanismus“); Störig, Kleine Weltgeschichte der Philosophie, S. 196; Thomas, Schillers Einfluß auf die Bildungsphilosophie des Neuhumanismus, Stuttgart 1993; Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 214 ff. 32

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oftmals eingewandt, sie seien zumindest in ihrer Zeit realitätsfern gewesen.33 Allerdings zu bedenken, dass selbst der Reformabsolutismus34, der in den verschiedenen Staaten unterschiedlich ausgeprägt war, nur eine begrenzte Erfolgsbilanz aufwies. Außerhalb Österreichs und Preußens scheint die monarchische Reformbewegung weitestgehend versäumt worden zu sein.35 Das lag nicht nur an mangelnden Fähigkeiten, sondern auch am fehlenden Willen der Regenten, die zum Gutteil darauf bedacht waren, mithilfe „guter Policey“, den Status quo zu erhalten. Z. B. widmete sich Herzog Karl Eugen moderneren Vorhaben erst nachdem er im Kampf mit den Landständen unterlag und nach dem Erbvergleich 1770 keine Chance auf erneuten Machtzuwachs sah. Im Vordergrund stand für ihn der politische Machtkampf, bei dem er vor willkürlichen Verhaftungen (J. J. Moser, Schubart) nicht zurückschreckte.36 Zudem kann man die Schwächung der repräsentativen Elemente durch die monarchische Reformpolitik als historische Vorbelastung für den deutschen Parlamentarismus begreifen, der sich in Deutschland weitaus schleppender entwickelte als in England oder Frankreich. Die Idee der bürgerlichen Gesellschaft war demgegenüber Garant von Privatinitiative und Selbststeuerung und führte über individuellen Freiheitsgebrauch zu „des Staates höchster Blüte“ (Briefe über Don Karlos) und bereitete den Weg in die moderne Demokratie des Grundgesetzes. Zudem, so argumentiert Schiller, wird allein die bürgerliche Freiheit dem „Zweck der Menschheit“ gerecht. Abseits aller Nützlichkeitserwägungen will er dem menschlichen „Genie“ ein Schaffensraum eröffnen, der Selbstverwirklichung und Gesellschaftsfortschritt garantiert.37 33 Zu entsprechenden Einwänden vgl. Maier, Ältere Staats- und Verwaltungslehre, S. 201 ff.; Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts I, S. 385; Valjevec, Politische Strömungen, S. 56 ff.; Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 238 ff. 34 Vgl. zum aufgeklärten Absolutismus Hartung, in: Aretin (Hrsg.), Der Aufgeklärte Absolutismus, Köln 1974, S. 11 ff.; Liebel, Der aufgeklärte Absolutismus und die Gesellschaftskrise in Deutschland im 18. Jhrd., in: Hubatsch (Hrsg.), Absolutismus, Darmstadt 1973, S. 488 ff.; Russel, Denker des Abendlandes, Bindlach 2005, S. 317; Wesel, Rechtsgeschichte, Rn. 262, 265. 35 Zu den Reformmaßnahmen in Preußen (Abschaffung der Folter) unter Friedrich II. vgl. Schmöckel, Humanität und Staatsraison, Die Abschaffung der Folter in Europa und die Entwicklung des gemeinen Strafprozeß- und Beweisrechts seit dem hohen Mittelalter, Köln/Wien 2000, S. 19 ff.; Störig, Kleine Weltgeschichte der Philosophie, Stuttgart/Hamburg 1961, S. 263. 36 Vgl. zu Herzog Karl Eugen und der Entwicklung in Württemberg Decker-Hauff, Herzog Karl Eugen von Württemberg, in: Rinker/Setzler (Hrsg.), Die Geschichte Baden-Württembergs, Stuttgart 1986, S. 165; Landesarchivdirektion Baden-Württemberg (Hrsg.), Das Land Baden-Württemberg, Amtliche Beschreibung nach Kreisen und Gemeinden, Band I, S. 195; Mertens, in: Schaab/Schwarzmaier (Hrsg.), Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte, II. Band, Stuttgart 1995, S. 158; Storz, Herzog Karl Eugen, in: Uhland (Hrsg.), 900 Jahre Haus Württemberg, S. 258; Thümmel, Württemberg, in: HRG V, S. 1551 ff. (1559). 37 Vgl. zur Diskussion Demel, Vom aufgeklärten Reformstaat zum bürokratischen Staatsabsolutismus, München 1993, S. 57 ff.; Fraenkel, Historische Vorbelastungen

III. Menschen- und Bürgerrechte

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III. Menschen- und Bürgerrechte: Freiheitsschutz als Kern einer demokratischen Gesellschaftsordnung in Don Karlos und in Maria Stuart 1. Die Bürger- und Menschenrechte am Ende des 18. Jahrhunderts: Verfassungsrechtliche Tendenzen, rechtsliterarische Strömungen Schillers Streben, den „Zweck der Menschheit“ gegen die absolutistische Staatsidee durchzusetzen, äußert sich in der Forderung nach Menschen-, Freiheits- und Gleichheitsrechten. Mit der dichterischen Verarbeitung des Menschenrechtsgedankens knüpft Schiller an erste politische Erfolge in der Verfassungswirklichkeit an: In Nordamerika finden sich in der Virginia Bill of Rights vom 12. Juni 1776 und in der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten vom 4. Juli 1776 „angeborene“ („inherent“) bzw. „unveräußerliche“ („unalienable“) Rechte des Menschen erstmals in der Verfassungsgeschichte verstanden als individuelle Abwehrrechte gegen den Staat. Im gleichen Sinn formuliert die französische Erklärung der Menschen und Bürgerrechte vom 26. August 1789, der Endzweck aller politischen Vereinigungen sei die Erhaltung der „natürlichen und unveräußerlichen“ Menschenrechte.1 Im Gegensatz zur menschenrechtsfreundlichen Entwicklung außerhalb Deutschlands enthält das Preußische Allgemeine Landrecht (1794) keine Bestimmungen, denen der Charakter liberaler Freiheitsrechte zuzuschreiben wäre. Zwar konzediert die Einleitung: „Die allgemeinen Rechte des Menschen gründen sich auf die natürliche Freyheit, sein eigenes Wohl, ohne Kränkung der Rechte des Andern, suchen und befördern zu können“, doch können die allgemeinen Rechte des Menschen nur „in den gesetzmäßigen Schranken“ ausgeübt werden und treten bei Kollision mit dem Gemeinwohl hinter diesem zurück.2 Grundrechte in ihrer Staatsgerichtheit entstedes deutschen Parlamentarismus, in: ders., Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 13 ff.; Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts I, S. 371; Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 225, 236 ff., 254, 360. 1 Vgl. Virgina Bill of Rights, Art. 1, in: Franz (Hrsg.), Staatsverfassungen, Eine Sammlung wichtiger Verfassungen der Vergangenheit und Gegenwart in Urtext und Übersetzung, München 1950, S. 6; The Declaration of Independence, in: T. L. Jordan (Hrsg.), The U.S. Constitution, Naperville 2007, S. 59; Präambel, Declaration de l’homme et de citoyen, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, München 2003, S. 250. Zu beachten ist der Unterschied zwischen den „schwachen“ Menschenrechten der frz. Erklärung und den „harten“ Grundrechten der amerikanischen Verfassung. Letztere waren von Beginn an justiziabel und geeignet, der staatlichen Macht Grenzen zu setzen („judicial review“). Vgl. hierzu Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika, 1987, S. 345 ff.; Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, Frankfurt a. M. 1961, S. 206 ff.; Starck, Die philosophischen Grundlagen der Menschenrechte, in: FS Badura 2004, S. 553 ff. (568 ff.) 2 Vgl. ALR, Einleitung §§ 74, 83, 88, in: Hattenhauer/Bernert, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, 3. Aufl., Berlin 1996, S. 59 ff. Freilich ist umstritten, ob den Bestimmungen des ALR eine grundrechtsfreundliche Position entnommen werden kann; dafür: Conrad, Die geistigen Grundlagen des Allgemeinen Landrechts

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hen in Deutschland erst im süddeutschen Konstitutionalismus, allerdings nicht als Menschenrechte, sondern als „Rechte der Staatsbürger“ oder „Rechte der Landeszugehörigen“. Der Terminus „Menschenrechte“ taucht erst wieder im Entwurf zur Paulskirchenverfassung (1848) auf und findet letztlich erst im Grundgesetz begrifflichen Eingang in eine deutsche Verfassung.3 In der deutschen Rechtswissenschaft und Publizistik überwiegen in den letzten zwei Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts fortschrittlichere Tendenzen. Allerdings kannte das ältere Naturrecht noch keine „unveräußerlichen“ (iura inalienabilia), sondern nur „angeborene“ Menschenrechte (iura connata). Die angeborenen Rechte des Naturzustands können durch Vertrag aufgehoben werden und bestehen daher, trotz Hervorhebungen der „natürlichen“ Freiheiten, nicht als subjektive Abwehrrechte im bürgerlichen Zustand.4 In den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts entstehen in der Rechtsliteratur erstmals Menschenrechtskataloge mit Absolutheitsanspruch. Mehrere Autoren betonen, im Einklang mit weiten Teilen der politischen Publizistik, die Rechte des Menschen seien „unveräußerlich“, „unbedingt“, „unverlierbar“ oder „unabänderlich“. Eine Abänderbarkeit der Menschenrechte widerspräche dem Selbstzweck der Persönlichkeit: „Über die Menschenrechte kann kein Vertrag geschlossen werden, weil ich mit ihnen das Recht, einen Vertrag zu schließen, verliere“ (Erhard). Bei dieser Betrachtung haben anders lautende Gesellschaftsverträge keine Gültigkeit und sind nichtig. Allerdings geht ein anderer Teil der Rechtsliteratur davon aus, die „Urrechte“ seien derivative Rechte und könnten daher vertraglich aufgehoben werden. Sie stimmen aber der Auffassung zu, dass etwa die Sklaverei weder mit dem Natur- noch mit dem gesellschaftlichen Zustand vereinbar ist.5 für die preußischen Staaten von 1794, Köln/Opladen 1958, S. 35 ff. („Art von Grundrechtskatalog“); Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848, Stuttgart 1967, S. 31 („Grundrechtliche Ansätze“); dagegen: Kleinheyer, Grundrechte, in: GGr II, S. 1061 ff.; Klippel, Politische Freiheit, S. 170; Oestreich, Geschichte der Menschenrechte, S. 45; im Überblick Würtenberger, Von der Aufklärung zum Vormärz, in: HGR I, § 2 Rn. 11 ff. 3 Vgl. zur Verfassungsgeschichte Kleinheyer, Grundrechte, in: GGr II, S. 1061 ff.; ders., Menschenrechte, in: HRG I, S. 1843 ff.; Klippel, Politische Freiheit, S. 170; Kriele, Zur Geschichte der Grund- und Menschenrechte, in: FS Scupin, S. 187 ff.; Oestreich, Geschichte der Menschenrechte, S. 45; Wesel, Rechtsgeschichte, Rn. 266, 272. 4 Vgl. Kleinheyer, in: GGr, S. 1057 ff.; Klippel, Politische Freiheit, S. 72 ff.; Kriele, in FS Scupin, 187 ff. (194); Schlumbohm, Freiheit, S. 84; Freilich ist umstritten, ob das ältere Naturrecht bereits unabtretbare Menschenrechte (iura inalienabilia) kannte. Für diese Sichtweise s. etwa O. v. Gierke, Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien, 5. Aufl., Aalen 1958, S. 346 ff.; die h. M. lehnt diese Auffassung jedoch zu Recht ab. Gegen sie spricht z. B., dass Chr. Wolff eine vertraglich begründete Sklaverei für zulässig hält (s. hierzu Kleinheyer/Schröder, Deutsche und Europäische Juristen, S. 451).

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Bei Schiller sind die Menschenrechte wie in der französischen Aufklärung und der progressiven Strömung der deutschen Rechtswissenschaft ebenfalls „unveräußerlich“, „unzerbrechlich“, „unverlierbar“ oder „geheiligt“. Die „heiligen“ Rechte des Menschen tauchen sowohl in den dramatischen als auch in den theoretischen Schriften auf und sind nicht nur als begriffliche Annäherung an die Idee der Unabänderbarkeit der Menschenrechte zu verstehen; die Menschenrechte sind vielmehr juristisch durchsetzbar und legitimieren zum Widerstand. Im Don Karlos deutet Posa diese Berechtigung bereits an. Sollte der König nicht von sich aus zu einer gemäßigten Gesetzgebung übergehen, werde der Mensch aus des „langen Schlummers Bande“ ausbrechen, um „sein geheiligt Recht“ wiederzufordern. In die Tat umgesetzt werden die „ewgen Rechte“ im Wilhelm Tell. Die Selbsthilfe des Rütli-Bundes versteht Schiller als naturrechtlich begründetes Menschenrecht gegen „Tyrannenmacht“. Auch Tell beruft sich auf die „heilige Natur“, um sein Notwehrrecht zu begründen. Die natürlichen Menschenrechte sind bei Schiller daher immer unveräußerliche, juristisch durchsetzbare Rechte.6 Im Übrigen trifft auf Schillers Werk der Gedanke des „Menschenrechtskatalogs“ ebenfalls zu. Schiller hat im Don Karlos (1787) und in der Maria Stuart (1800) eine Ersatzkodifikation aufgestellt, in der er zwei Bereiche hervorhebt, die für die individuelle Grundrechtsausübung und die politische Teilhabe der Bürger von Bedeutung sind. Im Don Karlos sind dies die Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Religions- und Gewissensfreiheit, ohne deren Gewährleistung eine demokratische Öffentlichkeit nicht gesichert werden kann. Die Meinungsfreiheit bereitet das Forum, in dem sich der politische Willensbildungsprozess gestaltet, die religiöse Toleranz sichert diese nach außen gerichtete politische Freiheit ab, indem sie dem Individuum ein vor staatlichen Eingriffen geschütztes forum internum anbietet. In der Maria Stuart beschreibt Schiller den Schutz vor willkürlicher Verhaftung (Habeas Corpus) sowie die Wahrung von Justizgrundrechten und er stellt sich gegen die Todesstrafe. Damit stehen die Grundrechte der individuellen Würde im Vordergrund, die gerade im Strafprozessrecht ihre freiheitssichernde Funktion erfüllen.

5 J. B. Erhard, Über das Recht des Volks zu einer Revolution (1795), in: ders., Schriften (hrsg. v. Haasis, München 1970), S. 33; vgl. zur Entwicklung im Naturrecht Klippel, Politische Freiheit, S. 126 ff.; Schlumbohm, Freiheit, S. 85, 111 ff.; E. Wolf, Das Problem der Naturrechtslehre, S. 151 ff. 6 Don Karlos (= II, 125); Wilhelm Tell (= II, 959 (Vs. 1275 ff.); 1025); s. auch Brief an den Augustenburger vom 13. Juli 1793 (= NA 26, 262 „heilige Menschenrechte“); Ästhetische Briefe (= V, 579: „unverlierbare Rechte“). Wie hier (im Hinblick auf Wilhelm Tell) vgl. vorerst nur Foi Schillers Wilhelm Tell: Menschenrechte, Menschenwürde und die Würde der Frauen, in: (45) JDSG 2001, S. 193 ff. (203); Schneider, Wilhelm Tell, S. 134 Fn. 15; Waider, Zur Lehre vom Widerstandsrecht, S. 396.

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2. Achtung der Menschenwürde, Freiheits- und Gleichheitsrechte des Bürgers im Don Karlos a) Die Menschenwürde als Ausgangspunkt des anthropozentrischen Staatsdenkens Im Don Karlos wird der humanistische Gedanke, der Mensch besitze gewisse unveräußerliche Rechte, in eine Forderung nach konkreten Grundrechten umgesetzt. In der Audienzszene (III/10), in der sich Marquis Posa und der König gegenübertreten, wehrt sich Posa nicht nur gegen die Bevormundungspolitik des spanischen Absolutismus (s. oben II.2.), er entwirft darüber hinaus ein umfassendes, an Rousseau7 und Montesquieu8 geschultes Programm von Freiheitsund Gleichheitsrechten. Ausgehend von der Menschenwürde stellt Schiller ein „kühnes Traumbild eines neuen Staates“ vor, das die gesammelten Gedanken der Aufklärung vereinigt.9 Die anthropozentrische Grundhaltung in Schillers Gesetzgebung des Lykurgus und Solon erhebt den Menschen zum höchsten und wertvollsten Wesen der Staatsverfassung. Nicht der Staat, das Individuum steht am Anfang von Schillers Staatsdenken (s. oben II.3.). Daran anknüpfend fordert Schillers Marquis Posa von Philipp II., die Menschenwürde zu respektieren und sein Staatshandeln an ihr auszurichten.10 Für Posa steht fest, dass Philipp die Würde des Menschen bei seiner Gesetzgebung ignoriert und nicht als angeborene Eigenschaft des In-

7 Bsp. für Rousseau: In seinem Staat, so der König, blühe „des Bürgers Glück in nie bewölktem Frieden“ (= II, 124); ein Hinweis auf die Ordnung des Hobbes’schen Sicherheitsstaates, den Posa mit Zeilen aus Rousseaus Contrat Social beantwortet. Der königliche „Friede“, so Posa, gleiche der „Ruhe eines Kirchhofs“ (s. Rousseau, Contrat Social, I/4, S. 10). Posas Kritik an der unumschränkten Souveränität kommt auch in dem Moment zum Ausdruck, als Posa den Missbrauch des Souveräns andeutet: „Ehmals gab’s einen Herrn, weil ihn Gesetze brauchten; jetzt giebt’s Gesetze, weil der Herr sie braucht“ (Erstausgabe, Leipzig 1787 – NA 6, 183). Die Wendung lässt sich ebenfalls auf Rousseau zurückführen. Sie stammt aus seinem „Discours de l’inégalité“, vgl. hierzu Alt, Schiller I, S. 448; Böckmann, Schillers Don Karlos, S. 40 ff.; Safranski, S. 253. 8 Bsp. für Montesquieu: Posa Betonung der „Tugend“ als Gegensatz zur Prinzip der „Ehre“ der spanischen Monarchie („Sie müssen vor jeder Tugend zittern“ – II, 126), in den Briefen über Don Karlos spricht Schiller von „republikanische(n) Tugenden“ (= II, 252). Vgl. Montsquieu, De l’esprit des lois, III/3, III/5, S. 120 ff., 124 ff. Vgl. hierzu Düsing, „Das kühne Traumbild eines neuen Staates“, Die Utopie in Schillers Don Karlos, in: FS Irmscher 1994, S. 194 ff. (198); Schröder, Freundschaft und Politik, in: Castrum Peregrini 2003, S. 27 ff. (34). 9 Don Karlos (= II, 173). 10 Zum Menschenwürdeaspekt im Don Karlos vgl. Gerland, Schiller und das Recht, S. 14 ff.); Greulich, Recht und Staat in Schillers Werken, S. 80 ff.; Schings, Die Brüder des Marquis Posa, Schiller und der Geheimbund der Illuminaten, Tübingen 1996, S. 117 ff.

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dividuums begreift. Allerdings scheint es, als rechtfertige Posa die Position des Königs: „MARQUIS. Ich höre, Sire, wie klein, Wie niedrig Sie von Menschenwürde denken, Selbst in des freien Mannes Sprache nur Den Kunstgriff eines Schmeichlers sehen, und Mir deucht, ich weiß, wer Sie dazu berechtigt. Die Menschen zwangen Sie dazu; die haben Freiwillig ihres Adels sich begeben, Freiwillig sich auf diese niedre Stufe Herabgestellt [. . .] Wie könnten Sie in dieser traurigen Verstümmlung – Menschen ehren? KÖNIG. Etwas Wahres Find ich in diesen Worten.“

Die Menschenwürde erscheint hier als veräußerbares Recht, dessen sich die Menschen durch Gesellschaftsvertrag „freiwillig“ entledigen können, um sich in „Ketten“ dem Willen des Leviathans hinzugeben, wobei der Hobbes’sche Ordnungsstaat, wie die Zustimmung des Königs verrät, durch Philipp personifiziert wird. Posa setzt aber zu einer überraschenden Wende an: „Aber schade! Da Sie den Menschen aus des Schöpfers Hand In Ihrer Hände Werk verwandelten Und dieser neugegoßnen Kreatur Zum Gott sich gaben – da versahen Sie’s In etwas nur: Sie blieben selbst noch Mensch – Mensch aus des Schöpfers Hand. Sie fuhren fort, Als Sterblicher zu leiden, zu begehren; Sie brauchen Mitgefühl – und einem Gott Kann man nur opfern – zittern – zu ihm beten! Bereuenswerter Tausch! Unselige Verdrehung der Natur! – Da Sie den Menschen Zu Ihrem Saitenspiel herunterstürzten, Wer teilt mit Ihnen Harmonie?“

Philipps Selbstüberhöhung zu einem gottähnlichen Wesen hat zur Leugnung der eigenen Menschlichkeit geführt. Der König hat übersehen, dass die eigene Menschlichkeit davon abhängt, wie er seinen Mitmenschen gegenübertritt.11 Damit legt Posa den Kantischen Zusammenhang offen, der bestimmt, dass die Würde des Menschen bereits deshalb zu respektieren sei, weil jeder Mensch für sich selbst die Achtung der eigenen Würde verlangt. Weil die Menschen im gesellschaftlichen Zustand in eine kommunikative Beziehung zueinander treten und weil jeder auf die Wahrung der eigenen Personalität vertraut, ergibt sich 11 Don Karlos (= II, 122 ff.). Zur Kritik der Aufklärungsliteratur am Bild des Fürsten als „Übermensch“ vgl. Bödeker, Menschheit, in: GGr III, S. 1085 ff.

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bereits aus Eigeninteresse das folgerichtige Postulat, auch die Würde des Gegenübers zu achten und zu schützen.12 Für den König bedeutet das, er muss erst die Würde des „Schmeichlers“ anerkennen, um sich selbst als menschliches Wesen zu akzeptieren. Andererseits geht mit der Selbsterkenntnis und dem Wunsch nach menschlicher „Harmonie“ die Konsequenz einher, auch jedes andere Gesellschaftsmitglied in seiner Personalität zu achten. Diesen wechselseitigen Zusammenhang hat Schiller auch in den Ästhetischen Briefen beschrieben: „Mit seiner Menschenwürde unbekannt, ist er [der Mensch] weit entfernt, sie in andern zu ehren, und der eignen wilden Gier sich bewußt, fürchtet er sie in jedem Geschöpf, das ihm ähnlich sieht. Nie erblickt er andre in sich, nur sich in andern, und die Gesellschaft, anstatt ihn zur Gattung auszudehnen, schließt ihn nur enger und enger in sein Individuum ein.“13

In den Ästhetischen Briefen ist die Menschenwürde, wie bei Kant, notwendige Folge der Vergesellschaftung. Solange der Mensch noch im „Zustand roher Natur“ verharrt, hat er noch keinen Begriff von Menschenwürde, er kann sie folglich auch nicht „ehren“. Sobald er allerdings vom rohen Subjekt zum moralischen Wesen emporsteigt, wird er der Personalität seiner Mitmenschen gewahr. Die Achtung der Menschenwürde wird damit zur notwendigen Bedingung von Sozialität, d.h. Menschenwürde bildet bei Schiller wie bei Kant einen Wert an sich und entsteht nicht durch Leistung.14 Dass Schiller die Achtung der Menschenwürde nicht nur als philosophische, sondern als verfassungsrechtliche Notwendigkeit begreift, zeigt sich in der Rede Posas, wenn der Marquis in die Zukunft blickt und die „sanfteren Jahrhunderte“ anklingen lässt. In jener Zeit, so glaubt Posa vorhersehen zu können, wird der „Staat mit seinen Kindern geizen“ und „die Notwendigkeit wird menschlich sein“. Unter „Notwendigkeit“ versteht Schiller dasjenige, was das Staatsinteresse erfordert. Er begreift Notwendigkeit, wie in Maria Stuart besonders deutlich wird15, als Synonym für Staatsräson. Eine richtig verstandene Staatsräson 12 Vgl. I. Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, § 38, S. 354 ff.: „Ein jeder Mensch hat rechtmäßigen Anspruch auf Achtung von seinen Nebenmenschen, und wechselseitig ist er dazu auch gegen jeden anderen verbunden [. . .] Gleichwie er sich also selbst für keinen Preis weggeben kann“, so ist er „verbunden, die Würde der Menschheit an jedem anderen Menschen praktisch anzuerkennen“; zu Kant vgl. Häberle, die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: HStR II 2004, § 22 Rn. 34; Kondylis, Würde, in: GGr VII, S. 666 ff.; Schild, Würde, in: HRG V, S. 1539 ff. (1543); Stern, Staatsrecht III/1, § 58, S. 7 ff.; Vitzthum, Die Menschenwürde als Verfassungsbegriff, in: Juristenzeitung (JZ) 1985, S. 201 ff. (205 ff.). 13 Ästhetische Briefe (= V, 646 ff.). 14 Vgl. zur Diskussion, ob Menschenwürde als Wert (wie bei Kant und Schiller) oder als Leistung (Luhmann, Podlech) zu begreifen sei, vgl. Häberle die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: HStR II 2004, § 22 Rn. 43 ff.; Vitzthum, Die Menschenwürde als Verfassungsbegriff, in: JZ 1985, S. 205 ff. 15 Der Begriff der „Notwendigkeit“, verstanden als Zugeständnis an die Zwänge der Realpolitik, taucht mehrmals auf, s. Maria Stuart (= II, 592, 599, 656).

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besteht also darin, „menschlich“ zu sein. Aus der Wendung von der „menschlichen Notwendigkeit“ spricht daher ein geläutertes, umgekehrtes Verständnis der Staatsräson, das sich vom machiavellistischen Begriffsinhalt ablöst. Wie in der Gesetzgebung des Lykurgus und Solon muss der Souverän den „Zweck der Menschheit“ zur Grundlage seiner Entscheidungen machen.16 Die „Notwendigkeit“ zeigt noch einen weiteren Aspekt. Sie steht nicht nur als Synonym für den Begriff der Staatsräson, sondern auch als Platzhalter für „Gesetz“ oder „Verfassung“. Das bedeutet in den „sanfteren Jahrhunderten“ orientieren sich die formellen Gesetze am allgemeinen Staatszweck, den Menschen und seine Kräfte zu fördern. Der Terminus von der „menschlichen Notwendigkeit“ erfüllt damit eine weitere Funktion: Er setzt in Anknüpfung an Lockes Freiheitsbegriff („where there is no law, there is no freedom“) der Ausübung von Herrschaftsgewalt legale Grenzen. Die „Maiestät“ ist nicht wie bei manchen Naturrechtlern „allein den göttlichen Befehlen“ (Scheidemantel) unterworfen, sondern ist an das Recht selbst gebunden. Achtung der Menschenwürde bleibt nicht nur moralisches Postulat an den Herrscher, das dieser im Zweifel zu ignorieren berechtigt ist, sondern verlangt die Umsetzung des humanistischen Appells in konkreten Gesetzen, die ihrerseits Ausdruck bürgerlicher Freiheit sind. Die Würde des Menschen bleibt damit kein Abstraktum wie in der christlichen Lehre, nicht nur ein universeller Wert, sondern wird durch das säkularisierte Verständnis von Würde zu einem echten Rechtstitel gegen staatliche Gewalt.17 b) Meinungs- und Pressefreiheit: „Gedankenfreiheit“ als Forderung nach Öffentlichkeit Im Verlauf des Dialogs zwischen Posa und König glaubt der Marquis allmählich an eine Chance, den König zu politischen Reformen überreden zu können. Er wirbt um Vertrauen, erhebt Philipp zum „Muster des Ewigen und Wahren“, 16 Don Karlos (= II, 124); Gesetzgebung (= IV, 815); zur Staatsräson vgl. grundlegend N. Machiavelli, Der Fürst (1527), in: Bergstraesser/Oberndorfer, S. 108 ff.; zu Machiavellis Herrscherlehre Ganslandt, Machiavelli, in: EWP II, S. 732 ff. (733); Münkler, Niccolò Machiavelli, in: Klassiker des politischen Denkens, Band I, S. 119 ff. (128 ff.); ders., Im Namen des Staates, Frankfurt a. M. 1987; Störig, Kleine Weltgeschichte der Philosophie, Stuttgart 1961, S. 202; Wesel, Rechtsgeschichte, Rn. 243; Zippelius, Geschichte der Staatsideen, S. 83 ff., 88 ff. 17 Don Karlos (= II, 122, 124, 173); J. Locke, Two Treatises of Government (1690), II, § 56; H. G. Scheidemantel, Das Staatsrecht nach der Vernunft und den Sitten der vornehmsten Völker betrachtet, 1770–73, Band 1, S. 116; – zu Lockes Freiheitsbegriff vgl. Adomeit, Rechts- und Staatsphilosophie II, S. 64 ff.; Euchner, John Locke, in: Klassiker des politischen Denkens, Band 2, S. 15 ff. (19 ff.); Zippelius, Geschichte der Staatsideen, S. 118 ff.; vgl. zu Scheidemantel Klippel, Politische Freiheit, S. 55 ff., 66. – Zur Säkularisierung der Menschenwürde im 18. Jahrhundert vgl. Bödeker, Menschheit, in: GGr III, S. 1082 ff.; Kondylis, Würde, in: GGr VII, S. 666 ff.

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1. Kap.: Die Substanz der Demokratie

wirft sich ihm zu Füßen und fordert ihn schließlich auf, Gedankenfreiheit zu gewähren: „Gehn Sie Europens Königen voran. Ein Federzug von dieser Hand, und neu Erschaffen wird die Erde. Geben Sie Gedankenfreiheit.“

Posas Forderung versteht Schiller als Ausdruck eines umfassenden Menschenrechts, als Meinungs- und Pressefreiheit einerseits und als Religions- und Gewissensfreiheit andererseits. „Gedankenfreiheit“18 steht damit stellvertretend für einen Menschenrechtskanon, der mehr bedeutet als die Abneigung gegen Staatsbeglückung und wohlfahrtstaatliche Bevormundung.19 Meinungs- und Pressefreiheit als Voraussetzung für schriftstellerisches Schaffen und als notwendige Bedingung für eine kritische Öffentlichkeit fordern auch die meisten der aufgeklärten Zeitgenossen Schillers. Kant glaubt, „die Freiheit zu denken“ sei „das einzige Kleinod, das uns bei allen bürgerlichen Lasten noch übrig bleibt und wodurch allein wider alle Übel dieses Zustandes noch Rat geschafft werden kann“. Dass Kant die Denkfreiheit „wider“ den aktuellen Zustand anführt, zeugt von tiefem Vertrauen in die Vernunft des Menschen und die Wirkkraft der „Feder“. Die Bedeutung des frei vorgetragenen Gedankens für den gesellschaftlichen Fortschritt betont auch Wieland. Die „Freiheit der Presse“ bezeichnet er – ebenso wie die „Denkfreiheit“ als das „dermalige wahre Palladium der Menschheit, von dessen Erhaltung alle Hoffnung einer bessern Zukunft abhängt“.20 Teile des rechtswissenschaftlichen Schrifttums waren ähnlich fortschrittlich und forderten z. B. „Sprech-, Schreib- und Preßfreyheit“ bzw. „Religionsfreyheit“ (Bardt) sowie Gewissensfreyheit“ (Schaumann).21 18 Zur Ethymologie des Begriffs: Bereits Voltaire behandelt in seinem Dictionnaire philosophique (1765) das Stichwort ,Liberté de penser‘ in einer besonderen Rubrik. Ebenso verfahren d’Alembert und Diderot im neunten Band ihrer Encyclopédie, vgl. Alt, Schiller I, S. 449; Böckmann, Gedankenfreiheit, in: HWP III, S. 63 ff.; Johnston, Schillers politische Welt, in: Koopmann, S. 45. 19 Don Karlos (= II, 126); vgl. Greulich, Recht und Staat, S. 80; Klöpfer, Verfassungsdenken in Schiller „Don Carlos“, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2006, S. 560 ff. (562 ff.); Mönig, Despotismus und Freiheit. Don Karlos, in: Günter Sasse (Hrsg.), Schiller. Werkinterpretationen, Heidelberg 2005, S. 57 ff. (70 ff.). – Zur Bedeutung der „Gedankenfreiheit“ als Meinungs- und Pressefreiheit vgl. Luserke-Jaqui, Don Karlos, in: ders., S. 104; Schings, Die Brüder des Marquis Posa, S. 120, Fn. 65. 20 Vgl. I. Kant, Was heißt: sich im Denken orientieren? (1786), in: Weischedel (Hrsg.), Band III, S. 267 ff.; C. M. Wieland, Das Geheimnis der Kosmopoliten (1788), in: Reemtsma (Hrsg.), Politische Schriften I, S. 325 ff. (345); vgl. zu Kant und Wieland Schings, Die Brüder des Marquis Posa, S. 120 Fn. 65; Schlumbohm, Freiheit, S. 114; Valjavec, Politische Strömungen, S. 134, 401. 21 Vgl. K. F. Bahrdt, Rechte und Obliegenheiten der Regenten und Unterthanen, Riga 1792, S. 251 ff.; C. G. Schaumann, Versuch eines neuen Systems des natürlichen Rechts, Halle 1796, S. 166, 229, 280); vgl. hierzu Klippel, Politische Freiheit, S. 123;

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Vor diesem Hintergrund gewinnt die „Gedankenfreiheit“ ein demokratisches Element: Als Synonym für Meinungs- und Pressefreiheit verlangt sie einen Raum öffentlicher Kommunikation, der vor staatlichem Zugriff und Zensur geschützt bleibt. Gedankenfreiheit wird somit zur Forderung nach „Öffentlichkeit“ und Transparenz und übernimmt eine Kontroll- und Aufklärungsfunktion innerhalb der Gesellschaft. Denk- und Pressefreiheit sind die Einwirkungsmöglichkeiten der bürgerlichen Intellektuellen, um die Aufklärung des Volkes, der Souveräne und Staatsdiener voranzutreiben. Wirksamer Meinungsdruck und öffentliche Debatten sollen politisch-sozialen Fortschritt bewirken.22 Dass Schiller mit der „Gedankenfreiheit“ gerade diesen Bereich einer kritischen Öffentlichkeit anspricht, zeigt sich vor allem durch den Kontrast zwischen der auf Transparenz und Öffentlichkeit angelegten Meinungsfreiheit und der von öffentlicher Kontrolle abgeschirmten Macht des König und der geheim tagenden Inquisitionsgerichte. Philipp agiert außerhalb der Öffentlichkeit, er ist vom Volk und von der öffentlichen Meinung abgeschirmt. Distanz wahrt er durch das „drückende Zeremoniell“ am Hof, diese „unnatürliche Scheidewand zwischen König und Volk“ (Abfall der Niederlande), die das Rollengefälle zwischen Herrscher und Beherrschten ständig aktualisiert. Philipp und seine Politik bleiben unnahbar und verkörpern damit das Gegenteil von Transparenz und Öffentlichkeit. Generell existiert im spanischen Königreich Philipps keine öffentliche Meinung, die den Anspruch auf intellektuelle Aufklärung erheben könnte. Das Volk ist im Stück nur als rebellische Masse präsent, nachdem Karlos verhaftet wurde: „Das Volk will ihn lebendig sehen oder ganz Madrid in Flammen aufgehn lassen.“ Gezeigt wird hier die Öffentlichkeit der „Straße“, also die Gefahr des „Pöbels“. Das Forum einer aufgeklärten Meinungsöffentlichkeit wird dagegen nicht illustriert, da es im Widerspruch zur unaufgeklärten Monarchie Spaniens stünde.23 Ebenso, wie der König sich der Öffentlichkeit entzieht, bleibt der Großinquisitor, als Vertreter der Geistlichkeit, eine unbekannte Gestalt, die auf Anonymität und Heimlichkeit bedacht ist (V/10). Die Anonymität scheint umso bedenkLink, Menschenrechte und bürgerliche Freiheit, in: FS Geiger, S. 277 ff. (283 – zu Svarez und Pütter). 22 Vgl. hierzu Schlumbohm, Freiheit, S. 114 ff.; Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 326 ff. – Vgl. ausführlich zur zunehmenden Verdichtung der öffentlichen Kommunikation durch neue politische Journale, Periodika, Zeitungen und Zeitschriften Valjavec, Politische Strömungen, S. 90 ff.; Wehler a. a. O., S. 304 ff. – s. zur Bedeutung der Meinungsfreiheit und der durch sie geschaffenen Öffentlichkeit für die Demokratie BVerfGE 7, 198 ff. (208) – Lüth: Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist „als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte“, es ist „in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt“. Vgl. hierzu auch oben Einleitung (2.). 23 Abfall der Niederlande (= IV, 71); Don Karlos (= II, 197 ff.). – Zum höfischen Zeremoniell im Don Karlos vgl. Beyer, in: Aurnhammer u. a., Schiller und die höfische Welt, S. 373 ff.; Kiesel, ,Bei Hof, bei Höll‘, S. 243 ff.

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licher, als der König sein „Richteramt“ in die Hände des Großinquisitors legt. Nicht Philipp trifft am Ende die politische Entscheidung, sondern der Vertreter der Inquisition. Damit wird die ohnehin auf Verschleierung ausgerichtete Hofpolitik noch undurchsichtiger und verliert jeden Bezug zur Öffentlichkeit.24 In der Forderung nach Transparenz liegt auch eine Verbindung zwischen Don Karlos und Maria Stuart. Die fehlende Öffentlichkeit am englischen Hof zeigt sich am deutlichsten im Verhalten Elisabeths. Die Königin muss eine Entscheidung treffen – Maria freilassen oder hinrichten, fürchtet aber die öffentliche Meinung. Einerseits verlangt die Staatsräson den Tod der Rivalin, andererseits verletzt die Hinrichtung der schottischen Königin das Rechtsempfinden der englischen Bürger. Elisabeth bliebe in der öffentlichen Meinung eine gefühllose Regentin. Angesichts dieser Ausweglosigkeit versucht sie die Verantwortung auf einen unerfahrenen Staatssekretär zu delegieren (IV/11). Sie händigt Davison das Hinrichtungsurteil aus, lässt ihn aber über ihre Befehle im Unklaren: „DAVISON. [. . .] Was soll mit diesem Blutbefehl geschehn? ELISABETH. – Sein Name spricht es aus. DAVISON. So willst du, daß er gleich vollzogen werde? ELISABETH (zögernd). Das sag ich nicht, und zittre, es zu denken. DAVISON. Du willst, daß ich ihn länger noch bewahre? ELISABETH (schnell). Auf Eure Gefahr! Ihr haftet für die Folgen. DAVISON. Ich? Heilger Gott!“

Nach Marias Hinrichtung wird Davisons Haftung tatsächlich eingelöst. Elisabeth ist zornig über die Meldung des Vollzugs und lässt den Staatssekretär für längere Zeit in den Tower einkerkern. Problematisch ist an dieser Verfahrensweise nicht nur, dass Elisabeth Verantwortung von sich weist, sondern auch die Absicht, formelle Rechtsregeln zu umgehen. Für die Ausfertigung des Befehls wählt sie nicht den Amtsweg – der Hinrichtungsbefehl hätte durch den Lordkanzler und das Großsiegel ausgefertigt werden müssen, sondern gibt einen geheimen Befehl. Wie bereits im Dialog zwischen Leicester und Mortimer („Handelt öffentlich“) zeigt und kritisiert Schiller die fehlende Transparenz staatlicher Entscheidungen. Er setzt sich für erkennbares Handeln ein, um politische Entscheidungsprozesse der Kontrolle durch die öffentliche Meinung zu unterwerfen.25 24 Don Karlos (= II, 210 ff., 215). Zur Anonymität der kirchlichen Macht und zur Figur des Großinquisitors s. Alt, Schiller I, S. 457; Lamport, Schiller and the ,European Community‘, S. 437; Oellers, Schiller und die Religion, in: Hinderer, Friedrich Schiller und der Weg in die Moderne, Würzburg 2006, S. 165 ff. (183 ff.). 25 Maria Stuart (= II, 611, 659). Vgl. Alt, Schiller II, S. 504; v. Ingen, Macht und Gewissen: Schillers Maria Stuart, in: Wittkowski (Hrsg.), Verantwortung und Utopie, S. 283 ff. (ebd.); Neymayr, Macht, Recht, Schuld. Konfliktdramaturgie und Absolutismuskritik in Schillers Trauerspiel Maria Stuart, in: Sasse (Hrsg.), Schiller. Werkinter-

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c) Religions- und Gewissensfreiheit: „Gedankenfreiheit“ als Toleranzforderung Die von Posa geforderte „Gedankenfreiheit“ verkörpert mehr als Meinungsund Pressefreiheit. Gedankenfreiheit, das allgemeine „Losungswort“ der Aufklärung, steht vor allem für Toleranz in Religionsdingen. Sie beinhaltet Kritik an der Kirche und den starren Dogmen des Katholizismus. Ebenso wie Fichte26 („unveräußerliches Menschenrecht“) und Humboldt27 („freier Untersuchungsgeist“) verlangt Schiller eine allgemeine Religionsduldung und spricht den Kirchen jegliches physisches Zwangsmittel ab. Damit fordert er ein Menschenrecht auf Religions- und Gewissensfreiheit.28 Schiller illustriert die Notwendigkeit freier Gewissens- und Geistestätigkeit, in dem er das spanische Königreich nicht als Monarchie, sondern – wie Sparta – in den Farben eines „geistlichen, politischen und häuslichen Despotismus“ (Karlosbriefe, Hervorhebung v. Schiller) zeichnet. Die geistliche Despotie tritt auf in Gestalt des Großinquisitors („Wozu Menschen?“), die politische wird durch Philipp und seinen Überwachungsstaat vertreten („Die Luft, Das Licht um uns ist Philipps Kreatur, Die tauben Wände stehn in seinem Solde“). Der häusliche Despotismus, der auf das Sozialleben aller Gesellschaftsmitglieder ausstrahlt, zeigt sich sowohl an Karlos’ „knechtische(r) Erziehung“ als auch an pretationen, S. 105 ff. (112 ff.). – Zu den historischen Gegebenheiten des Hinrichtungsbefehls vgl. Klein, Elisabeth und ihre Zeit, S. 119 ff.; Ritter, Die Neugestaltung Deutschlands und Europas im 16. Jahrhundert, Ulm 1967 (erstmals Berlin 1950), S. 338; S. Zweig, Maria Stuart, S. 438 ff. 26 Vgl. J. G. Fichte, Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europens, die sie bisher unterdrückten, 1793, in: ders., Sämtliche Werke VI, Leipzig 1844, S. 3 ff. 27 W. v. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen (1792), in: Menschenbildung und Staatsverfassung, S. 90 ff. 28 Vgl. Böckmann, Schillers Don Karlos, in: Wittkowski 1982, S. 38; Klöpfer, NJW 2006, S. 560 ff. (563); Koopmann, Don Karlos, in: Hinderer (Hrsg.), Schillers Dramen 2006, S. 159 ff. (198); Schings, Die Brüder des Marquis Posa, S. 103 ff.; den speziellen Begriff „Gewissensfreiheit“ als Synonym für Religionsfreiheit verwendet Schiller explizit im Abfall der Niederlande (s. z. B. IV, 102) und den Briefen über Don Karlos (= II, 229). Daran zeigt sich, dass die „Gedankenfreiheit“ als allgemeiner Begriff weiter gefasst ist und sowohl Meinungs- und Religionsfreiheit bedeuten kann. Im Übrigen spricht Schiller in Abgrenzung zur „Gedankenfreiheit“ von „Gedankenknechtschaft“, wenn er die Gerichte der Inquisition charakterisiert. – Zur Geschichte der Gewissensund Religionsfreiheit vgl. v. Campenhausen, Religionsfreiheit, in: HStR VI, § 136 Rn. 25; Kriele, Zur Geschichte der Grund- und Menschenrechte, in: Achterberg (Hrsg.), Öffentliches Recht und Politik, Festschrift für Hans Ulrich Scupin zum 70. Geburtstag, Berlin 1973, S. 187 ff.; gelegentlich wird die Religionsfreiheit als das erste und älteste Menschenrecht bezeichnet (s. G. Jellinek, Die Erklärung der Menschenund Bürgerrecht, 3. Aufl. 1919, S. 56). So spricht z. B. die frz. Menschenrechtserklärung von einem der „wertvollsten Menschenrechte“ (Art. 11). Jellineks These wird im modernen Schrifttum allerdings als zu einseitig abgelehnt, s. etwa Bernhard, Grundrechte, in: HRG I, S. 1843 ff. (1845); Kriele a. a. O.

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der Unterhaltung zwischen Mondekar und Eboli (I/3), die das öffentliche Schauspiel der Menschenverbrennung („Autodafé“) verharmlosen („Es sind ja Ketzer, die man brennen sieht.“). Dieser Despotismus, so folgert Posa im Gespräch mit dem König, führe zur Flucht der Wissenschaften und Künste nach England: „Mit offnen Mutterarmen Empfängt die Fliehenden Elisabeth, Und fruchtbar blüht durch Künste unsres Landes Britannien.“

Schiller legt damit den Zusammenhang zwischen religiöser Intoleranz und kultureller Verarmung offen, um die Notwendigkeit geistiger Toleranz für den allgemeinen Fortschritt kenntlich zu machen. Im Abfall der Niederlande fasst er diese Position zusammen: „Das gemeinschaftliche Ziel des Despotismus und des Priestertums ist die Einförmigkeit, und die Einförmigkeit ist ein notwendiges Hülfsmittel der menschlichen Armut und Beschränkung“.29 Schillers Toleranzforderung bedeutet Emanzipation von kirchlicher Autorität, d.h. weltliche Lehren sollen religiös-kirchliche Meinungen ablösen und Verbrei29 Briefe über Don Karlos (= II, 255); Don Karlos (= II, 19, 22, 56, 125, 213); Abfall der Niederlande (= IV, 79); vgl. hierzu Jöns, Das Problem der Macht in Schillers Dramen von den ,Räubern‘ bis zum ,Wallenstein‘, in: Conrady (Hrsg.), Deutsche Literatur zur Zeit der Klassik, Stuttgart 1977, S. 76 ff. (83 ff.); Mönig, Despotismus und Freiheit. Don Karlos, in: Günter Sasse (Hrsg.), Schiller. Werkinterpretationen, Heidelberg 2005, S. 57 ff. (62 ff.); Schillers Einschätzung der spanischen Despotie – die antikatholische Tendenz ist weitestgehend von Abbé Saint-Reals „Histoire de Dom Karlos“ (1672) geprägt (s. II, 1093) – verträgt sich mit dem heutigen Spanienbild des 16. Jahrhunderts allerdings nur teilweise. Richtig ist zwar, dass die spanische Wirtschaft nach der Hochzeit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit dem Regierungsantritt Philipp II. einen unaufhaltsamen Niedergang erlebte. Dem politischen und wirtschaftlichen Abstieg steht jedoch das Erblühen der spanischen Kunst und Literatur gegenüber („Goldenes Jahrhundert“ – Siglo de Oro). Die spanische Spätscholastik wird zur Grundlage des modernen Natur- und Völkerrechts (Vitoria, Suarez), Dichtung (Cervantes, de la Barca, Gracián) und Malerei (Murillo, Velázquez, El Greco) erreichen ihre Blütezeit. Vgl. allgemein zum Siglo de Oro Bernecker/Pietschmann, Geschichte Spaniens, 4. Aufl. 2005, S. 132 ff.; Holeczek/Liehr, in: Spanien-Ploetz, 3. Aufl. 2004, S. 94 ff. Zum spanischen Völkerrecht s. Vitzthum, in: ders., Völkerrecht, Rn. 99; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, S. 163 ff. – Entscheidend bleibt jedoch, dass Schiller die Notwendigkeit einer beweglichen Staatsordnung betont. Erst durch das freie Spiel der Kräfte wird kultureller Fortschritt und Partizipation am staatlichen Willensbildungsprozess möglich. Die Bedeutung dieses Zusammenhangs wird gerade durch die Starrheit Philipps verdeutlicht. Schiller droht mit dem historischen Argument, die nicht gegebene „Gedankenfreiheit“ habe den niederländischen Befreiungskampf, der letztlich zum Erfolg führte, zusätzlich befeuert. Philipp hätte also aus Eigeninteresse, reformerischen Ehrgeiz zeigen müssen. Es liegt nahe, dass Schiller als Vorbild für monarchische Reformen an Friedrich II. von Preußen dachte. Parallel zum Erscheinen des Don Karlos spielt Schiller mit dem Gedanken, eine Historiographie über Friedrich II., den „größten Mann seines Jahrhunderts“, zu schreiben, um dem Monarchen ein „würdiges Denkmal zu stiften“ (= NA 19/1, 383).

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tung finden. Diese Loslösung ist für Schiller nur bei einer strikten Trennung von Staat und Kirche möglich. Wie bereits angesprochen, trifft der Großinquisitor am Ende des Stücks die Entscheidung, was mit Karlos zu geschehen hat, und der König fügt sich in die Autorität der Inquisition. Die Abhängigkeit der spanischen Politik von der Macht der Kirche wird zu Beginn des Auftritts (V/ 10) deutlich, als der Großinquisitor sich als „Lehrer“ Philipps (und seines Vaters) ausgibt, der seinem „Schüler“ Rat geben und die Regeln der Staatskunst nochmals einschärfen muss: „Wozu Menschen? Menschen sind Für Sie nur Zahlen, weiter nichts. Muß ich Die Elemente der Monarchenkunst Mit meinem grauen Schüler überhören?“

Dass die Verknüpfung von Staat und Kirche zu unmenschlichen Folgen führt und eine humane Gesellschaft deshalb nur möglich wird, wenn religiöser und weltlicher Bereich getrennt sind, hatte Schiller im Abfall der Niederlande explizit geäußert. Über die Kirchengläubigkeit Philipps II. schreibt Schiller: „Zwei Begriffe, sein Ich, und was über diesem Ich war, füllten seinen dürftigen Geist aus. Egoismus und Religion sind der Inhalt und die Überschrift seines ganzen Lebens. Er war König und Christ, und war beides schlecht, weil er beides vereinigen wollte.“30

Humboldt hatte ebenfalls vertreten, der Staat müsse sich aus allen Religionsangelegenheiten heraushalten. Denn er ergreife notwendigerweise Partei und begünstige gewisse Meinungen. Es bestehe daher immer ein „gewisses die Freiheit einengendes Übergewicht der Vorstellungsart des Staats.“ Schiller ist mit Humboldt also insofern einig: Eine Verbindung von Staat und Kirche führe immer zur „Einförmigkeit“ der Vorstellungen und wirke sich negativ auf den kulturellen Fortschritt aus. Im Unterschied zu Humboldt befürchtet er dabei allerdings nicht das Übergewicht des Staates, sondern die Lenkungsmacht der Kirche. Im Don Karlos ist die katholische Inquisition die letzte Instanz, die das Staatsgeschehen lenkt und den Monarchen zu einem Handlanger kirchlicher Interessen degradiert. Aufgrund dieser Zuspitzung müssen Toleranz und Gewissensfreiheit als zwingende Notwendigkeit einer bürgerlichen Gesellschaft erscheinen: „Nichts ist natürlicher als der Übergang bürgerlicher Freiheit in Gewissensfreiheit.“31 30 Don Karlos (= II, 210, 213); Abfall der Niederlande (= IV, 78 – Schillers eigene Hervorhebungen). 31 Abfall der Niederlande (= IV, 65); s. auch Schillers Merciers Übersetzung: „Man hätte sich gegen den Monarchen vergangen, sobald man sich von der Formel seines Glaubens entfernte. Eine solche Tyrannei des Gewissens – die schlimmste aller schlimmen Regierungsformen – wollte Philipp in seinen Staaten errichten“ (= IV, 8); W. v. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen (1792), in: Menschenbildung und Staatsverfassung, S. 93. Zu Humboldt s. auch Schlumbohm, Freiheit, S. 121.

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3. Die Rechte des Bürgers in gerichtlichen Verfahren: Maria Stuart a) Rechte des Inhaftierten: Maria Stuarts Gefangenschaft und die Verletzung des Gastrechts Neben Freiheits- und Gleichheitsrechten behandelt Schiller auch die Rechte des Bürgers in gerichtlichen Verfahren und bei Inhaftierungen. Die Tragödie Maria Stuart greift diese Themen auf und erörtert Marias Gefangennahme vor dem Hintergrund einer juristisch unklaren Thronfolge32. Der erste Akt des Trauerspiels (I/1–8) setzt sich intensiv mit den Rechtsbrüchen Elisabeths und der englischen Gerichte während Marias Gefangennahme und Prozess auseinander. Die Expositionsszenen des Dramas bieten deshalb eine Übersicht über Schillers prozessuales Rechtsverständnis. Dabei zeigt sich, dass Schiller die Gefangennahme Marias als Völkerrechtsbruch versteht und ihr im Gerichtsverfahren verschiedene Angeklagtenrechte zuspricht (b). Das Handeln Elisabeths rechtfertigt er nicht (c).33 Schiller hält die langjährige Gefangennahme Marias auf Schloss Fotheringhay für unberechtigt und wertet sie als völkerrechtswidrigen Akt.34 Bereits in der ersten Szene macht Kennedy, die Amme Marias, in ihrem Streitgespräch mit Paulet (I/1) auf die Umstände aufmerksam, die dazu geführt haben, dass sich Maria „wider Völkerrecht und Königswürde gefangen sieht“. Als Exilsuchende35, die bei der „Verwandten Schutz zu suchen kam“, wird sie in „enger 32 Elisabeth erhebt Anspruch auf den englischen Thron als Tochter von Anna Boleyn und Heinrich VIII. Problematisch ist ihre Legitimation, da Heinrich VIII. bei Eingehung der Ehe mit Anna Boleyn noch nicht durch kirchlichen Dispens von seiner ersten Ehefrau, Katharina von Aragon, geschieden war. Das dadurch verlorene Thronfolgerecht gestand Heinrich VIII. seiner Tochter Elisabeth erst wieder in seinem Testament zu, um die legitimen Ansprüche der schottisch-katholischen Linie Stuart (Maria stammt aus dem „hohen Hause Tudor“, s. II, 567) abzuwehren, sodass eine ungeklärte Rechtslage entstand. Vgl. hierzu Maurer, Kleine Geschichte Schottlands, Stuttgart 2008, S. 101 ff. (zu weiteren Hintergründen); Ritter, Die Neugestaltung Deutschlands und Europas im 16. Jahrhundert, S. 288. 33 Vgl. zum Folgenden Borchmeyer, Tragödie und Öffentlichkeit, S. 195 ff.; Foi, Recht, Macht und Legitimation in Schillers Dramen. Am Beispiel Maria Stuart, in: Hinderer, Walter (Hrsg.), Friedrich Schiller und der Weg in die Moderne, Würzburg 2006, 227 ff. (239 ff.); Ingen, Macht und Gewissen: Schillers Maria Stuart, in: Wittkowski (Hrsg.), Verantwortung und Utopie, 283 ff. (287 ff.); Lüderssen, Schiller und das Recht, S. 172 ff.; Neymeyr, Macht, Recht, Schuld. Konfliktdramaturgie und Absolutismuskritik in Schillers Trauerspiel Maria Stuart, in: Sasse (Hrsg.), Schiller. Werkinterpretationen, S. 105 ff. (118 ff.). 34 Vgl. auch Neymayr, Macht, Recht, Schuld, S. 122 ff. 35 Die historischen Quellen berichten, dass Maria, die seit 1561 in Schottland regierte, nach einem gegen sie gerichteten, von Elisabeth unterstützen Adelsaufstand im Jahr 1568 nach England floh, um Exil zu suchen. Sogleich nach ihrer Ankunft versicherte man sich ihrer Person und verbrachte sie zunächst nach Tutbury, wo sie unter der Obhut des Grafen Shrewsbury stand. Erst 1586 siedelt sie nach Fotheringhay über, nachdem der Prozess wegen Verschwörung gegen die englische Krone gegen sie eröff-

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Kerkerhaft“ gefangen gehalten. Darin sieht nicht nur Kennedy, sondern auch Maria eine Verletzung des „heiligen Gastrechts“. In der Prozessszene mit Lord Burleigh (I/7), in der sich Maria gegen den anklagenden Großschatzmeister nachträglich verteidigt, spricht sie die Völkerrechtsverletzung deutlich an: „Mylord, man hält mich hier Gefangen wider alle Völkerrechte. Nicht mit dem Schwerte kam ich in dies Land, Ich kam herein, als eine Bittende, Das heilge Gastrecht fodernd, in den Arm Der blutsverwandten Königin mich werfend – Und so ergriff mich die Gewalt, bereitete Mir Ketten, wo ich Schutz gehofft.“

Schiller stellt Maria als Schutzsuchende dar, die ohne kriegerische Absicht in England um Asyl gebeten hat und steht damit im Einklang mit den meisten seiner historischen Quellen.36 Die völkerrechtliche Argumentation äußert sich noch an weiteren Stellen des Dramas. Sie wird durch unterschiedliche Personen vorgetragen, wodurch Schillers Nähe zur ihr weiter beglaubigt wird. Z. B. beklagt sich der französische Botschafter Aubespine vor seiner erzwungenen Abreise (IV/2) über „dieses Land, Wo man der Völker Recht mit Füßen tritt“. Allerdings bezieht er sich in der konkreten Situation nicht auf die Inhaftierung Marias, sondern auf die Verletzung des Gesandtenrechts. Burleigh hat den Diplomaten als „Reichsverräter“ bezichtigt und Aubespine das „Recht der Abgesandten“ abgesprochen, das seine Grenze an den tatsächlichen Machtverhältnissen findet. Aubespine muss resignierend zur Kenntnis nehmen, dass er in England, wo man „mit Verträgen spielt“, weder für sich noch für Maria etwas ausrichten kann.37 net wurde. Ihre Gefangenschaft dauerte insgesamt 19 Jahre. Im Drama bleibt die Dauer der Gefangenschaft jedoch offen. Vgl. hierzu die Anmerkungen bei II, 1260 und NA 9, 358. 36 Maria Stuart (= II, 554). Schiller hat sich über die historischen Begebenheiten, die dynastischen Konflikte und über Marias Prozess aus verschiedenen Quellen informiert. Die wichtigsten Schriften, auf die er zurückgreift, sind Camdens Annales rerum anglicarum (London 1615), Robertsons Geschichte Schottlands (dt. 1762), Humes Geschichte von England (dt. 1770 u. 1771) und De Rapin Thoyrras Histoire d’Angeleterre (1733). s. zu den Quellen II, 1262 und Alt, Schiller II, S. 494 ff.; besonders zu Camden vgl. Ingen, Macht und Gewissen, S. 286. Bei Robertson ist die hiesige Argumentation Marias vor Gericht wiedergegeben, die Schiller fast wörtlich übernimmt: „Seit meiner Ankunft in England hat man mich als Gefangene bewacht. Die Gesetze dieses Reiches haben mir nie einen Schutz geleistet.“ Vgl. die Anmerkungen bei NA 9, 365. 37 Maria Stuart (= II, 637). Die von Aubespine angesprochene Verletzung des völkerrechtlichen Gesandtenrechts taucht in Schillers Werk an verschiedenen Stellen auf, z. B. im Abfall der Niederlande im Kapitel über die Belagerung von Valenciennes unter Noircarmes. Die Gesandten der Stadt wurden von Noircarmes nach Schillers Ansicht „gegen alle Gesetze des Völkerrechts“ in Fesseln geschlagen und gefangen genommen (= IV, 243).

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Konnte man Kennedy, Maria und dem französischen Abgesandten bei ihrer Bewertung der Rechtslage Parteilichkeit unterstellen, so ist dies spätestens bei Elisabeth nicht mehr der Fall. Auch sie ist sich bewusst, ihre rechtlichen Befugnisse überschritten zu haben. Das wird in der direkten Auseinandersetzung mit Maria (III/4) deutlich. Zunächst wiederholt Maria ihre rechtliche Argumentation, die sie bereits gegenüber Burleigh vorgebracht hatte, und konfrontiert nun Elisabeth persönlich: „Und Ihr habt als Gefangne mich gehalten, Ich kam zu Euch als eine Bittende, Und Ihr, des Gastrechts heilige Gesetze, Der Völker heilig Recht in mir verhöhnend, Schloßt mich in Kerkermauern ein.“

Elisabeth gesteht daraufhin: „Was ist mir Blutsverwandtschaft, Völkerrecht?“. Sie begründet ihre Gleichgültigkeit gegenüber Völker- und Gastrecht mit der Notwendigkeit ihres Handelns: „Welches Pfand gewährte mir für Euch, Wenn ich großmütig Eure Bande löste? Mit welchem Schloß verwahr ich Eure Treue, Das nicht Sankt Peters Schlüssel öffnen kann? Gewalt nur ist die einzge Sicherheit.“

Sie misstraut Maria und hofft, die Ansprüche der schottischen Königin auf den englischen Thron mit Gewalt abzuwehren. Nicht über Recht, sondern über Macht und Notwendigkeit versucht sich Elisabeth bei der Inhaftierung Marias zu legitimieren. Maria hat diese Zwangslage Elisabeths schon früh erkannt und schließt ihre völkerrechtliche Argumentation gegenüber Burleigh (I/7) mit der Erkenntnis: „Denn nicht vom Rechte, von Gewalt allein Ist zwischen mir und Engelland die Rede.“38

Der Völkerrechtsbruch wird damit offenkundig und führt auf Seiten Marias zu einem Notwehrrecht gegen ihre Gefangennahme. Diplomatische Bemühungen zur Befreiung sind daher nach Marias Ansicht gerechtfertigt: „Ein heilig Zwangsrecht üb ich aus, da ich Aus diesen Banden strebe, Macht mit Macht, Abwende, alle Staaten dieses Weltteils Zu meinem Schutz aufrühre und bewege.“

Maria hofft auf die Unterstützung katholischer Nationen, insbesondere Frankreichs und Spaniens, um der Obhut Elisabeths zu entkommen. Die Mittel beschränkt sie dabei auf alles, was in einem „guten Krieg Recht ist und ritter38 Maria Stuart (= II, 624 ff., 625, 637, 580). Vgl. hierzu Alt, Schiller II, S. 501 (Maria sei aus „politischen Gründen“ interniert); Neymayr, Macht, Recht, Schuld, S. 124 ff.

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lich“. Ihr Ziel ist also nicht die heimliche Befreiung, die Mortimer später hinter ihrem Rücken ersinnt, sondern die Chance auf eine Freilassung, die sie politischem Druck verdankt. Sie ist der festen Überzeugung, „der freie Wille der Elisabeth allein“, also ein Gnadenakt, könne sie aus der Haft retten. Maria setzt auf persönliche Kommunikation und politisches Verhandlungsgeschick, um sich gegen den Rechtsbruch Elisabeths zu wehren.39 Dass Elisabeth ihrer Konkurrentin das „heilige Gastrecht“ nicht gewährt, ist vor allem deshalb problematisch, weil sie Maria damit von der englischen Rechtsordnung ausschließt. Im Altertum konnte der Fremde seiner prinzipiellen Rechtlosstellung im Ausland nur entgehen, indem er sich dem Schutz eines „Gastfreundes“ anvertraute. Damit wurde aus dem „hostis“ ein „hospes“, der durch die private Gastfreundschaft seine Rechtlosigkeit mildern konnte. Elisabeth behandelt Maria als „hostis“ und verweigert Maria den Schutz der englischen Gesetze. Im Ergebnis stellt sie die schottische Königin damit schlechter als ausländische Kaufleute und Händler, denen durch Art. 41 der Magna Charta Schutz gewährt wurde, solange sie sich an die Gesetze hielten. Rechtlich trennt sie von den unterprivilegierten Fremden (fahrendes Volk, Gaukler, Vertreter unehrlicher Berufe) nur der Umstand, dass sie auf Schloss Fotheringhay immerhin gegen Übergriffe Dritter geschützt („honourable custody“) und nicht etwa dem „Wildfang“ ausgesetzt ist, wie er z. B. in den deutschen Staaten des Mittelalters praktiziert wurde. Würde Elisabeth das Fremdenrecht dagegen anerkennen – wie es ihre Pflicht ist, da England mit Schottland nicht im Krieg steht, dann müssten Maria alle Gewährleistungen zustehen, die nach englischem Recht ein Staatsmann in Anspruch nehmen darf. Das betrifft vor allem die Habeas-Corpus-Rechte der Magna Charta, wonach kein „freier Mann“ verhaftet oder gefangen gehalten werden darf, es sei denn „auf Grund gesetzlichen Urteilsspruchs von seinesgleichen oder auf Grund des Landesrechts“. Im nachelisabethanischen Zeitalter wurden die Habeas-Corpus-Rechte nochmals verstärkt – Petition of Rights von 1628, Habeas-Corpus-Akte von 1679, um willkürliche Verhaftungen des Königs weitestgehend auszuschließen. Da Maria ohne richterliches Urteil gefangen gehalten wird, liegt eine Verletzung des Richtervorbehalts vor, unabhängig davon, ob man ihre Rechtssituation am elisabethanischen Rechtszustand oder an der Gesetzeslage in Schillers Gegenwart misst. Damit wird deutlich, dass Maria ein verfassungsrechtliches Justizgrundrecht verweigert wird. Der Verstoß wiegt umso schwerer, als die Habeas-Corpus-Formel als „Mutter aller Grundrechte“ (Kriele) vor allem im angelsächsischen Rechtskreis, im Gegensatz zu Deutschland, eine hervorgehobene Stellung einnimmt. Entsprechend formuliert Coke: „No man can be taken, arrested, attached, or imprisoned, but by due process of law and according to the law of the land“. Mit Zustimmung wird Schiller daher zur Kenntnis genommen haben, dass der 39

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Schutz vor willkürlicher Verhaftung in die französische Bürger- und Menschenrechtserklärung vom 26. August 1789 (Art. 7) aufgenommen wurde.40 b) Prozessuale Rechte des Angeklagten: Maria und der Hochverratsprozess Nicht nur die Gefangennahme Marias, auch ihr Prozess wegen Hochverrats wird von Schiller kritisch begutachtet. In der Verteidigungsszene (I/7), in der sich Maria mit juristischen Argumenten gegen den Vorwurf rechtfertigt, sie habe zu einem Mordkomplott (Babington-Verschwörung) gegen Elisabeth angestiftet, wird deutlich, welche Angeklagtenrechte Maria vorenthalten wurden. Außerdem zeigt die strafprozessual bedenkliche Verfahrensweise des englischen Gerichts, dass es sich letztlich um einen Schauprozess gehandelt hat, dessen Ausgang durch den politischen Willen Elisabeths vorherbestimmt war.41 Der erste Einwand, den Maria erhebt, betrifft die Besetzung des Gerichts. Sie rügt die fehlende Legitimität des aus vierzig Mitgliedern und fünf Oberrichtern bestehenden Gerichts. Als Königin sei sie der Jurisdiktion des Gremiums nicht unterworfen: „Verordnet ist im englischen Gesetz, Daß jeder Angeklagte durch Geschworne Von seinesgleichen soll gerichtet werden. Wer in der Committee ist meinesgleichen? Nur Könige sind meine Peers.“

Dem Protest, nur Standesgenossen dürften übereinander Gericht halten, fügt sie hinzu, dass sie als „freie Königin des Auslands“ den englischen Gesetzen 40 Vgl. zur Geschichte des Fremdenrechts Frisch, Fremdenrecht, in: Strupp/Schlochauer I, 1924, S. 330 ff.; Köhler, Fremde, in: HRG I, S. 1266 ff. (1266); Schnitzler, Fremdenrecht, in: Strupp/Schlochauer I, 1960, S. 566 ff. (ebd.); Thieme, Fremdenrecht, in: HRG I, S. 1270 ff. (1271); Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, 1994, S. 105, 160, 191. – Zur Habeas Corpus Formel, ihrer Entwicklung und der englischen Rechtstradition vgl. Bernhard, Grundrechte, in: HRG I, S. 1843 ff. (1848 ff.); Holzhauer, Haftbefehl, in: HRG I, S. 1894 ff. (1896); Knauer, gesetzlicher Richter, in: HRG I, S. 1620 ff. (1621, 1623); Kriele, Zur Geschichte der Grund- und Menschenrechte, in: Achterberg (Hrsg.), Öffentliches Recht und Politik, Festschrift für Hans Ulrich Scupin zum 70. Geburtstag, Berlin 1973, S. 187 ff. (202 ff.). – Zur Einordnung der historischen Gefangennahme als Rechtsbruch s. z. B. S. Zweig, Maria Stuart, Reutlingen 1981 (Erstdruck Leipzig 1935), S. 337 ff., 430. 41 Vgl. Alt, Schiller II, S. 500; Henkel, Wie Schiller Königinnen reden lässt, Zur Szene III/4 in der Maria Stuart, in: Aurnhammer (Hrsg.), Schiller und die höfische Welt, Tübingen 1990, S. 399; Lamport, Krise und Legitimationsanspruch, Maria Stuart als Geschichtstragödie, in: Zeitschrift für Deutsche Philologie, S. 134 ff. (141); Lüderssen, Schiller und das Recht, S. 174 ff.; Neymayr, Macht, Recht, Schuld, S. 122; Safranski, Schiller, S. 177; Sautermeister, Maria Stuart, in: Hinderer, Schillers Dramen 2006, S. 280 ff. (316 ff.). – Zur Babington-Verschwörung und zum geschichtlichen Justizprozess vgl. Klein, Elisabeth und ihre Zeit, S. 115 ff., 118 ff.; S. Zweig, Maria Stuart, S. 395 ff., S. 421 ff.

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nicht unterworfen sei. Im Übrigen scheint bereits die Existenz der Sonderkommission bedenklich. Anlass für die Petition of Right von 1628 war die Beschwerde des englischen Parlaments, der König sende außerordentliche Kommissionen aus, um unter dem Vorwand des Kriegsrechts politisch missliebige Persönlichkeiten beseitigen zu lassen. Daraus wurde die Konsequenz gezogen, diese Kommissionen für alle Zeiten aufzuheben: „that the aforesaid commissions for proceeding by martial laws be revoked and annulled“. Auch im deutschen Absolutismus war die Einsetzung außerordentlicher Kommissionen eine von mehreren Techniken, sich mittels eines Machtspruchs unliebsamer politischer Gegner zu entledigen. Somit ist bereits die Verhandlung des Prozesses vor einem englischen Ausnahmegericht rechtlich zweifelhaft.42 Zweitens bezweifelt Maria die Unabhängigkeit der Richter. Die Befangenheit zeige sich am konfessionellen Unterschied zwischen Richtern und Angeklagten. Maria als „Papistin“ werde von „Protestanten“ gerichtet. Auch bestünden Zweifel an der persönlichen Integrität des „hohen Adel Englands“. Dieser würde „gleich feil mit den erkäuflichen Gemeinen, Gesetze prägen und verrufen“. Käuflichkeit, Wankelmut und Unterwerfung unter die Staatsräson unterstellt Maria ihren Richtern.43 Drittens seien ihr, entgegen englischen Gesetzen, elementare Angeklagtenrechte vorenthalten worden. Durch Tücke habe man sie verleitet, vor dem Gericht zu erscheinen, „ohne Anwalts Hülfe“ und ohne Möglichkeit, sich auf eine Verteidigung vorzubereiten. Gegen „schlaugefaßte schwere Klagepunkte“ hätte man sie aus dem „Gedächtnis Rede stehen lassen“. Zudem habe man Zeugen in ihrer Abwesenheit vernommen, ohne ihr ein Fragerecht einzuräumen: „Das sind zwei Zeugen, die noch beide leben! Man stelle sie mir gegenüber, lasse sie Ihr Zeugnis mir ins Antlitz wiederholen! Warum mir eine Gunst, ein Recht verweigern, Das man dem Mörder nicht versagt? Ich weiß Aus Talbots Munde, meines vorgen Hüters, Daß unter dieser nämlichen Regierung Ein Reichsschluß durchgegangen, der befiehlt, Den Kläger dem Beklagten vorzustellen.“

42 Maria Stuart (= II, 573). Marias Argument, nur Könige seien ihre „Peers“ findet Schiller in Robertsons Überlieferung des Prozesses: „Wenn man Gericht über mich halten will: so können nur Prinzen meine Peers sein“ (s. NA 9, 365 und S. Zweig, Maria Stuart, S. 423). – Zu den außerordentlichen Kommissionen als fürstliche Machttechnik s. Knauer, Gesetzlicher Richter, in: HRG I, S. 1620 ff. (1622 ff.). 43 Maria Stuart (= II, 575 ff.). Schiller dürfte hier von seinen Quellen abgewichen sein. Unter den vierzig Kommissaren befanden sich, entgegen Marias Ansicht, auch katholische Edelleute. Zudem ist die Bestechlichkeit der Gerichtskommissare historisch nicht verbürgt.

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1. Kap.: Die Substanz der Demokratie

Wie sehr Marias Verteidigungsrede Schillers eigene Meinung reflektiert, zeigt sich nicht nur an der Quellenechtheit dieser Stelle, sondern auch an der Überzeugung Paulets, des Bewachers Marias, der Burleigh mit den Ungereimtheiten der gerichtlichen Beweisführung konfrontiert: „PAULET. [. . .] Es sind Unziemlichkeiten vorgegangen In diesem Rechtstreit, wenn ichs sagen darf. Man hätte diesen Babington und Tichburn Ihr in Person vorführen, ihre Schreiber Ihr gegenüberstellen sollen. BURLEIGH (schnell). Nein! Nein, Ritter Paulet! Das war nicht zu wagen. Zu groß ist ihre Macht auf die Gemüter Und ihrer Tränen weibliche Gewalt. Ihr Schreiber Kurl, ständ er ihr gegenüber, Käm es dazu, das Wort nun auszusprechen, An dem ihr Leben hängt – er würde zaghaft Zurückziehn, sein Geständnis widerrufen.“44

Die Verletzungen der Beweiserhebungs- und Verteidigungsrechte, die dem Hochverratsurteil vorausgingen, sind für Schiller daher bereits auf Basis damaliger englischer Gesetze nicht hinnehmbar. Er schildert den Prozess als Fall der Staatsräson, in dem, wie Maria bemerkt, die „Macht allein, nicht die Gerechtigkeit geübt“ wurde.45 c) Mögliche Rechtfertigungen für Elisabeths Urteil Obwohl Schiller im ersten Akt Partei zugunsten Marias ergreift und Gefangennahme und Prozess der schottischen Königin als Machtspruch Elisabeths versteht, gibt es im Schrifttum Versuche, Elisabeths hartes Durchgreifen gegen Maria zu rechtfertigen.46 Eine Ansicht geht davon aus, Maria sei zulässiger44 Maria Stuart (= II, 557 ff., 575 ff., 578 ff. u. 581). Über die Verletzung des Beweiserhebungsrechts heißt es bei Hume und Rapin: „Die Klausel in einer Akte des dreizehnten Jahres der Königin war etwas Neues, daß nämlich die drei benannten Arten des Verrats durch zwei Zeugen müßten bewiesen werden, die man mit dem Verbrecher zusammenstellte. Aber Maria ward nicht nach dieser Akte verhört.“ s. die Anmerkungen bei NA 9, 367 und S. Zweig, Maria Stuart, S. 424 ff. 45 Maria Stuart (= II, 580). Auch Kennedy geht von einem Machtspruch Elisabeths aus: „Nicht Englands Parlament ist Euer Richter. Macht ists, die Euch hier unterdrückt“ (= II, 562). Im Übrigen ist neben der rechtlichen Argumentation auch die historische Staatspraxis zu beachten, nach der es nicht legitim war, eine Fürstin töten zu lassen. Deshalb rechnet Maria auch gar nicht damit, hingerichtet zu werden („Sie könnte es wagen, mein gekröntes Haupt Schmachvoll auf einen Henkerblock zu legen?“ = II, 569). Vgl. hierzu Ingen, Macht und Gewissen, S. 292 ff.; Klein, Elisabeth I. und ihre Zeit, S. 119; S. Zweig, Maria Stuart, S. 420. 46 s. Ingen, Macht und Gewissen, S. 287; Lüderssen, Schiller und das Recht, S. 178 ff. – Zum Safety Act vgl. S. Zweig, Maria Stuart, S. 392 ff.

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weise auf Grundlage eines parlamentarischen Gesetzes verurteilt worden. Der Act for Queens Safety von 1585 habe Elisabeth vor weiteren Anschlägen schützen wollen und biete die rechtliche Handhabe für Marias Verurteilung. Außerdem habe das Gericht an die Echtheit der Zeugen und die Richtigkeit der Beweise geglaubt.47 Gegen diese historische Argumentation ist einzuwenden, dass auf Basis des dramatischen Textes, die „Akte vom vergangenen Jahr“, wie Maria den Safety Act nennt, als verfassungswidriges Maßnahmegesetz eingeordnet wird. Maria argumentiert: „Ich zweifle nicht, daß ein Gesetz, ausdrücklich Auf mich gemacht, verfaßt, mich zu verderben, Sich gegen mich wird brauchen lassen.“

Maria spielt darauf an, dass der Safety Act demjenigen jeden Anspruch auf die englische Krone absprach, zu dessen Gunsten die Königin ermordet oder eine Invasion unternommen würde. Es handelt sich um ein Einzelfallgesetz, das offensichtlich auf Maria gemünzt war, um ihre „legale Ermordung“ (Stefan Zweig) vorzubereiten. Schiller geht daher im Einklang mit seiner Heldin von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes aus.48 Was die Echtheit der Beweise betrifft, gab es auch innerhalb des Adelsgerichts (wenige) Stimmen, die an der Schuld Marias und an der Klarheit der Beweislage zweifelten. Ungeachtet dieser historischen Zweifel lässt sich anhand des Schillerschen Textes nicht behaupten, die Gerichtskommission sei von der Schuld Marias überzeugt gewesen. Vielmehr gehen nicht nur Maria, sondern auch ihr Ankläger Burleigh, wie oben schon gezeigt, davon aus, dass eine Zeugenvernehmung den Prozess zu einem politisch unerwünschten Ende hätte bringen können. Eben deshalb ist Burleigh sich gewiss: „Zu beweisen wärs doch nicht.“49 Neben der juristischen wird auch auf eine politische Rechtfertigung Elisabeths hingewiesen. Elisabeth sei nicht nur an das gerichtliche Urteil gebunden gewesen, sie habe sich auch dem Volkswillen beugen müssen, der die Tötung Marias verlangt habe.50 Diese Argumentation geht zum einen davon aus, die elisabethanische Monarchie habe die Unabhängigkeit der Gerichte gesichert. Andernfalls ist die behauptete Bindung Elisabeths an das Gerichtsurteil nicht denkbar. Zum anderen liegt ihr der Gedanke zugrunde, das Volk hätte ihr, etwa in Form eines parlamentarischen Gesetzes, den bindenden Auftrag erteilt, Ma47

Ingen, Macht und Gewissen, S. 287. Maria Stuart (= II, 577). Wie hier Neymayr, Macht, Recht, Schuld, S. 122; Lüderssen, Schiller und das Recht, S. 177; zur historischen Einordnung s. die Anmerkungen bei NA 9, 366; S. Zweig, Maria Stuart, S. 392 ff., 398. 49 Maria Stuart (= II, 581 ff.). 50 Ingen, Macht und Gewissen, S. 287. 48

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1. Kap.: Die Substanz der Demokratie

rias Exekution zu betreiben. Dies entspräche einer Bindung Elisabeths an die Legislative. Im Ergebnis wäre Elisabeth bei dieser Sichtweise frei von Willkür und Machtsicherung. Oder wie Leicester formuliert: „Englands Gesetz, nicht der Monarchin Wille, Verurteilt die Maria“. Dieses Regentenbild, das einer sehr gemäßigten Herrscherin, entwirft Schiller jedoch nicht. Zwar verfolgt Elisabeth nicht den Absolutismus eines Philipp II. im Don Karlos oder der deutschen Territorialfürsten, die Schiller in den Räubern und Kabale und Liebe kritisiert. Schließlich ist der Einfluss des Volks und des Parlaments in der konstitutionellen Monarchie Englands nicht zu leugnen.51 Von dem Hinweis Kents, der „Pöbel“ fordere das „Haupt der Stuart“, fühlt sich Elisabeth in die Ecke gedrängt: „Wie? Soll mir Zwang geschehen?“. Und auch Burleigh mahnt die Königin an ihre Verpflichtung gegenüber dem Volk: „Gehorche der Stimme des Volks, sie ist die Stimme Gottes.“ Auch kurz vor ihrer endgültigen Entscheidung über das Schicksal Marias sieht sich Elisabeth mit dem Volkswillen konfrontiert: „Die Meinung muß ich ehren, um das Lob Der Menge buhlen, einem Pöbel muß ichs Recht machen, dem der Gaukler nur gefällt.“

Dennoch können all diese Hinweise im Text auf eine mögliche Bindung Elisabeths an Parlamentsgesetz und Volksmeinung nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Königin im Ergebnis eine freie, ungebundene Entscheidung trifft.52 Elisabeth gibt in Wirklichkeit nur vor, sie sei abhängig von der Gewalt anderer. Sie möchte den Schein wahren und ihren Machtspruch verschleiern, um in der Bevölkerung nicht als brutale, mordende Regentin wahrgenommen zu werden. Sie zögert also nicht aus rechtstaatlichen Gründen, sondern weil sie einen Ansehensverlust vermeiden und ihr Gewissen so weit wie möglich rein halten möchte. Deshalb überreicht sie das Todesurteil dem unerfahrenen Davison, ohne eine klare Anweisung zur Vollstreckung zu geben [s. oben 2.b)]. Sie möchte zwar das Ergebnis, versucht aber ihre Unrechtshandlung zu kaschieren, indem sie die Verantwortung auf den Staatssekretär delegiert (IV/11). Die Verstellungs- und Verschleierungstaktik Elisabeths ändert jedoch nichts an den wahren Machtverhältnissen, die Shrewsbury auf den Punkt bringt: „Wer kann dich zwingen? Du bist Herrscherin, Hier gilt es deine Majestät zu zeigen!“ 51 Zur Stellung des Parlaments unter Elisabeth („King in Parliament“) und in der englischen Verfassungsgeschichte vgl. Elton, The Parliament of England: 1559–1581, Cambridge 1986; Fryde (Hrsg.), Historical studies of the English Parliament, Cambrigde 1970; Klein, Elisabeth I. und ihre Zeit, S. 21; Klippel, Staat und Souveränität, in: GGr VI, S. 121; Loughlin, Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Großbritannien, in: IPE I, § 4 Rn. 7 ff.; Sayles, The function of the medieval Parliament of England, London 1988; Welker, Volkssouveränität, in: HRG V, S. 1006 ff. (1008). 52 Maria Stuart (= II, 599, 650 ff. u. 655); wie hier Borchmeyer, Tragödie und Öffentlichkeit, S. 195 ff.; Neymayr, Macht, Recht, Schuld, S. 124 ff.

III. Menschen- und Bürgerrechte

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Am Ende ihres Entscheidungsmonologs (IV/10) folgt sie Shrewsbury Logik. Hier zeigt sie das einzige Mal ihre wahre Gesinnung und offenbart, dass sie aus Angst vor Marias Thronanspruch eine Willkür- und keine gebundene Entscheidung zu treffen hat: „Nein, diese Furcht soll endigen! Ihr Haupt soll fallen. Ich will Frieden haben! – Sie ist die Furie meines Lebens! [. . .] Ist sie aus den Lebendigen vertilgt, Frei bin ich, wie die Luft auf den Gebirgen.“

Elisabeths Entscheidungsmonolog zeigt, dass nicht das Kommissionsgericht, sondern die Königin die wahre Richterin über Maria ist.53 d) Grundrechtssicherung: Die Forderung nach Gesetzesbindung und Gewaltenteilung Ein letzter Rechtfertigungsversuch bedient sich der Rechtsfigur des Staatsnotstands. Er entbinde die Königin streckenweise von gesetzlichen Regeln und legitimiere das Selbsterhaltungsinteresse der elisabethanischen Monarchie.54 Aber auch dieser Gedanke der „Notwendigkeit“ kann nicht durchgreifen. Die Idee des Staatsnotstands lebt von der Vorstellung, Schiller akzeptiere rechtsfreie Räume und billige, dass Elisabeth sich über das Recht hinwegsetze. Nur das Gegenteil kann richtig sein: Schillers Maria Stuart liest sich als Forderung, Staatsgewalt an Gesetz und Recht zu binden, selbst in Notsituationen. In der Tragödie gelten bereits die Gesetze der Aufklärungskodifikationen in Amerika und Frankreich, also etwa die Verfassung von Massachusetts von 1780, die verlangt: „Government of laws, and not of men“ – ebenso, wie die französische Menschenrechtserklärung in Art. 2 vorsieht, dass der „Zweck jedes Gemeinwesens“ die „Erhaltung“ der natürlichen Menschenrechte sei. Das bedeutet, dass die Grenzen der Rechtsausübung durch das Gesetz gewährleistet werden sollen. Eine andere Auffassung hätte den Widerspruch aufzulösen, dass sich Schiller in der Frage der dynastischen Legitimität der konkurrierenden Erbfolgeansprüche jedweder Wertung enthält, die Rechtfertigung Elisabeths über das Kriterium des Staatsnotstandes jedoch im Ergebnis den königlichen Anspruch Elisabeths bejahen müsste. Entscheidend bleibt, dass Schiller hier gerade den Zusammenhang zwischen fehlender Gesetzesbindung und Verletzung bürgerlicher Rechte aufzeigen möchte und damit einen unmittelbar demokratischen Wesenszug verrät: „Der demokratische Staat unterscheidet sich vom absolutistischen dadurch, daß er 53 Maria Stuart (= II, 656 ff.); vgl. Borchmeyer, Tragödie und Öffentlichkeit, S. 196. Zum Entscheidungsmonolog s. Lamport, Krise und Legitimationsanspruch, S. 135; Leistner, Leiden und Läuterung: „Maria Stuart“, in: Dahnke/Leistner, S. 182. 54 Lüderssen, Schiller und das Recht, S. 178 ff.

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1. Kap.: Die Substanz der Demokratie

nicht auf die Tugend und Einsicht des Machthabers, sondern auf rechtliche Institutionen vertraut“ (Kriele).55 Schiller geht mit seiner Tragödie sogar über die Forderung nach Gesetzesbindung hinaus und verlangt eine Gewaltenbalance der verschiedenen Kräfte innerhalb des Staatskörpers, wie sie erstmals in der amerikanischen Verfassung von 1787 ausgearbeitet oder etwa in der französischen Menschenrechtserklärung im Anschluss an Montesquieu niedergelegt wurde: „Eine Gesellschaft, in der weder die Gewährleistung der Rechte gesichert noch die Trennung der Gewalten bestimmt ist, hat keine Verfassung“ (Art. 16). Die Besonderheit der Maria Stuart im Gegensatz zu früheren Dramen liegt darin, dass Schiller die Einhaltung, also Durchsetzung der Justizgrundrechte dort fordert, wo sie gesetzlich bereits vorhanden sind. Die Habeas-Corpus-Rechte und die Prozessrechte sind in der englischen Verfassung und in den Parlamentsgesetzen niedergelegt und verbürgt. Trotz der gesetzlichen Zusicherung ist aber eine Rechtsverletzung durch den Regenten möglich, während z. B. im deutschen Absolutismus aufgrund der rückschrittlichen Rechtslage, vor allem beim Schutz vor willkürlicher Verhaftung, gar keine Rechtsverletzung, sondern nur eine moralische Verfehlung in Betracht käme. Die Verwirklichung „guter Justiz“ durch den Monarchen war nur an natürliche und göttliche Fundamentalgesetze gebunden, die keine juristischen Konsequenzen hatten. Herzog Karl Eugen musste J. J. Mosers zwar aufgrund eines Richterspruchs freilassen (Erbvergleich), aber vor allem deshalb, weil er landständische Rechte verletzt und damit die staatsinterne Kompetenzverteilung verletzt hatte. Verhaftungen anderer Bürger (Rieger, Schubart) blieben indes juristisch folgenlos. Demgegenüber sind in England entsprechende Grenzen der Herrschergewalt bereits gesetzlich festgeschrieben. Das bedeutet: Erst weil in der Maria Stuart materieller Rechtstitel und prozessuale Durchsetzbarkeit auseinanderfallen, rückt die Frage nach einer weitergehenden konstitutionellen Grundrechtssicherung in den Vordergrund. Trotz vorhandener Garantien besteht die Gefahr von Machtsprüchen und der Vernachlässigung von „guter Justiz“ durch den Regenten. Nur durch das Prinzip der Gewaltenbalance können entsprechende Missbräuche daher wirksam vermieden werden. Deshalb legt Schil-

55 So i. E. auch Neymayr, Macht, Recht, Schuld, S. 120 ff.; tendenziell auch Sautermeister, Maria Stuart, in: Hinderer, Schillers Dramen 2006, S. 317. – Zu Schillers Forderung nach Gesetzesbindung im Rahmen seiner Absolutismuskritik der frühen Dramen vgl. Kiesel, ,Bei Hof, bei Höll‘, S. 240 ff. – Zu den Textzitaten s. Art. 30 Massachusetts Declaration of Rights von 1780, in: Schwartz, The Bill of Rights: A Documentary History, Band 1, New York u. a. 1971, S. 339, 344; Art. 2 Declaration de l’homme et de citoyen von 1789, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 251 (zur Gesetzesbindung in den Aufklärungskodifikationen vgl. Stolleis, Rechtsstaat, in: HRG IV, S. 367 ff.); Kriele, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, in: VVDStRL 29 (1970), S. 66 (zur Notwendigkeit konstitutioneller Grundrechtssicherung für eine funktionierende Demokratie vgl. auch Starck, Grundrechtliche und demokratische Freiheitsidee, in: HStR III 2005, § 33 Rn. 11 und oben Einleitung (2.)).

III. Menschen- und Bürgerrechte

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ler der schottischen Königin Gedanken aus Montesquieus Gewaltenteilungslehre in den Mund: „Wehe Dem armen Opfer, wenn derselbe Mund, Der das Gesetz gab, auch das Urteil spricht!“

Montesquieu hatte im England-Kapitel seiner Schrift („De l’esprit des lois“) die Grundsätze niedergelegt, um dem „Mißbrauch der Macht“, der von der menschlichen Natur unzertrennlich sei, „Schranken“ zu setzen. Dazu bedarf es sowohl einer Trennung von „obrigkeitlicher Körperschaft“ und „gesetzgebender Gewalt“ sowie einer unabhängigen Justizgewalt, die von der „gesetzgebenden und vollziehenden getrennt ist“. Gerade Letzteres ist in Maria Stuart nicht der Fall, da Elisabeth Gesetzgeber und Richter in einer Person ist. Sie ist der „Mund“, ebenfalls eine wörtliche Anspielung auf Montesquieu („la bouche de loi“), der das Urteil spricht. Im Drama deutet Schiller folglich an, dass Gewaltenbalance ein sich vom Monarchenwillen emanzipierendes Parlament und vor allem eine von der Staatsräson unabhängige Justiz erfordert.56 Schillers rechtstaatliche Forderung nach Gesetzesbindung und Gewaltenteilung ist nicht nur in Maria Stuart, sondern auch in anderen Dramen und in seinen theoretischen Schriften präsent. Den Gedanken der Gewaltenteilung greift er z. B. im Wilhelm Tell auf. In der Rütli-Szene (II/2) zeigt sich seine Nähe zu Montesquieus Ideen: der Beschluss, dass Schwyz „im Rat, Uri im Felde“ führen solle, entspricht der Trennung von judikativer und exekutiver Gewalt. Die Forderung nach Gesetzesbindung tritt dagegen in der Gesetzgebung des Lykurgus und Solon offen zutage. Über Solons Gesetzgebung resümiert Schiller: „Bewundernswert bleibt mir immer der Geist, der den Solon bei seiner Gesetzgebung beseelte, der Geist der gesunden und echten Staatskunst, die das Grundprinzipium, worauf alle Staaten ruhen müssen, nie aus den Augen verlor: sich selbst die Gesetze zu geben, denen man gehorchen soll.“57

Letztlich geben die Augustenburger Briefe einen zwar mittelbaren, aber doch zusammenfassenden Hinweis auf Schillers staatsorganisatorisches Verständnis. 56 Maria Stuart (= II, 577); Montesquieu, De l’esprit de lois, 1748, 11. Buch § 6, S. 216 ff.; s. auch Bergstraesser/Oberndörfer, Klassiker der Staatsphilosophie, S. 238 ff.; Hoerster, Klassische Texte der Staatsphilosophie, 5. Aufl., München 1987, S. 181 ff.; – zur Gewaltenteilung in der Maria Stuart s. Borchmeyer, Tragödie und Öffentlichkeit, S. 196; Lüderssen, Schiller und das Recht, S. 177; vgl. hierzu auch Alt, Schiller II, S. 501; – zu Montesquieus Gewaltenteilungslehre vgl. Adomeit, Rechts- und Staatsphilosophie II, 2. Aufl., Heidelberg 2002, S. 70 ff.; Falk, in: Maier/Denzer (Hrsg.), Klassiker des politischen Denkens, Band 2, 5. Aufl., München 2001, S. 41 ff. (52 ff.); Ottman, Geschichte des politischen Denkens, Band 3, Stuttgart/Weimar 2006, S. 448 ff.; Störig, Kleine Weltgeschichte der Philosophie, Stuttgart/Hamburg 1961, S. 250 ff.; Zippelius, Geschichte der Staatsideen, S. 122 ff. 57 Wilhelm Tell (= II, 954); dazu Alt, Schiller II, S. 573; Gesetzgebung (= IV, 832).

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1. Kap.: Die Substanz der Demokratie

Schiller stellt hier seine Idee vor, eine „Staatsverbesserung“ bedürfe reifer Staatsbürger und müsse daher bei der Veredelung des menschlichen Charakters ansetzen. Jede Staatsverfassung sei nämlich auf den „Karakter der Bürger“ angewiesen; dieser erschaffe und erhalte den Staat. Der Dichter ist der Ansicht, dass selbst die „vollkommenste Verfassung“ nicht genüge, um den Staat am Leben zu erhalten, da auch sie den Menschen zur Ausführung übergeben werden müsse. Schiller versteht unter der „vollkommenen Verfassung“, er nennt sie auch die „Monarchie der Vernunft“, eine Rechtsordnung mit Gewaltenteilung und Gesetzesbindung. Das zeigt z. B. auch ein Brief an C. v. Beulwitz und C. v. Lengefeld vom 4. Dezember 1788, in dem es über Montesquieus heißt: „Er ist daher recht dazu gemacht, um studirt zu werden. Da seine Gegenstände die wichtigsten und die eines denkenden Menschen am würdigsten sind (denn was ist den Menschen wichtiger als die glücklichste Verfaßung der Gesellschaft, in der alle unsere Kräfte zum Treiben gebracht werden sollen), deshalb gehört er mit Recht unter die kostbarsten Schätze der Litteratur“. Die Kunst setzt für Schiller also da an, wo eine „vollkommene Verfassung“ mit Gewaltenbalance und Gesetzesbindung aufhört. Deshalb, so schreibt er im Brief an den Augustenburger, wolle er „auf ewig von den Musen Abschied“ nehmen, sobald „der Mensch als Selbstzweck“ respektiert werde und „das Gesetz auf den Thron erhoben“ worden ist. Das thronende Gesetz als Verfassungsprinzip, die Bindung der Exekutivgewalt an Recht und Gesetz, diese Forderungen aus den Augustenburger Briefen gelten auch für Maria Stuart.58 e) Der Konflikt zwischen Humanität und Todesstrafe Schillers Tragödie berührt nicht nur Fragen des strafprozessualen Verfahrens, sie beschäftigt sich auch mit der Höhe des Strafmaßes und der Art der Strafvollstreckung. Angesichts Marias Todesurteil und ihrer Hinrichtung stellt sich die Frage, wie Schiller auf Basis seiner Humanitätslehre zur Todesstrafe steht.59 Die Frage ist vor allem deshalb aktuell, weil die Todesstrafe in den meisten deutschen Staaten gesetzlich festgeschrieben und zum Teil noch öffentlich vollzogen wird. Das Preußische Allgemeine Landrecht sieht zwar weitgehend Freiheitsstrafen vor, bestraft aber mittelalterlich bei schweren Verbrechen. Ein Mörder soll „mit der Strafe des Rades von oben“ belegt werden, der Hochverräter „mit der härtesten und schreckhaftesten Leibes- und Lebensstrafe hingerichtet werden.“ Der Totschlag wird mit dem Schwert bestraft, eine vergleichsweise humane Vollstreckungsmethode. Auch das bayerische StGB von 1813 und die 58 Brief an C. v. Beulwitz und C. v. Lengefeld vom 4. Dezember 1788 (= NA 25, 153); Brief an Friedrich Christian von Augustenburg vom 9. Februar 1793 (= NA 26, 261 ff., 264). – Zum „Mensch als Selbstzweck“ und Schillers Menschenwürdekonzeption s. bereits oben 2.a). 59 Vgl. hierzu bisher nur Foi, Recht, Macht und Legitimation, S. 239 ff.

III. Menschen- und Bürgerrechte

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österreichische Josephina kennen die Todesstrafe, wobei sie in Österreich nur in wenigen Fällen (Standrecht) zur Anwendung kommt. Da spätere Abschaffungsversuche scheiterten (§ 9 der Grundrechte des deutschen Volkes vom 27.12. 1848, Beratung des StGB für den Norddeutschen Bund), wurde die Todesstrafe endgültig für alle deutsche Staaten durch Art. 102 GG abgeschafft.60 Die Frage nach der Abschaffung der Todesstrafe war innerhalb der Aufklärungsliteratur umstritten. Gegner der Todesstrafe finden sich in der deutschen Publizistik, z. B. im „Neuen Deutschen Zuschauer“. Fichte, Humboldt, Rotteck, Sieveking und Schleiermacher lehnen sie ebenfalls ab. Die Gegner berufen sich größtenteils auf Beccaria, dessen „Dei delitti e delle pene“ (1764) mehrmals vor 1789 ins Deutsche übersetzt wurde. Unter die Befürworter der Todesstrafe gesellen sich dagegen nicht nur Territorialfürsten wie Friedrich II., auch Kant hält die Theorie Beccarias für „Sophisterei und Rechtsverdrehung“ und Goethe schreibt in seiner Dissertation von 1771, freilich ohne Beccarias Werk zu kennen: „Poenae capitales non abrogandae“. Auch in späteren Jahren hält Goethe an der Notwendigkeit der Todesstrafe fest. Dort, wo sie einmal abgeschafft werde, könne man sie wieder „zurückrufen“.61 Schiller nimmt in dieser Diskussion Stellung zugunsten der Gegner der Todesstrafe.62 Allerdings lässt sich Maria Stuart noch keine eindeutige Aussage über Schillers Position entnehmen, die Interpretationsmöglichkeiten sind hier zu vielfältig. Zwar ist es zutreffend, dass bei Elisabeth im Anschluss an die Hin-

60 ALR §§ 93, 806, 826 II 20; vgl. Meurer, Todesstrafe, in: HRG V, S. 264 ff. (269); Rüping, Strafrechtsgeschichte, Rn. 212; Wesel, Rechtsgeschichte, Rn. 266. 61 s. insb. C. Beccaria, Dei dellitti e delle pene, XXVIII, S. 123 ff. und W. v. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, in: Menschenbildung und Staatsverfassung, S. 168 ff.; andererseits I. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, Allgemeine Anmerkung E. I., S. 191 ff.; zu den unterschiedlichen Auffassungen Kants und Beccarias vgl. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, Rn. 1623 ff.; Radbruch, Rechtsphilosophie, § 23; zu Goethe vgl. Friede, Die Todesstrafe bei Goethe, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW) 1968, S. 385 ff. Insgesamt zu den Tendenzen im Schrifttum s. Kaufmann, Todesstrafe, in: Staatslexikon V, S. 482 ff. (ebd.); Meurer, Todesstrafe, in: HRG V, S. 269; Rüping, Strafrechtsgeschichte Rn. 211; Valjavec, Politische Strömungen, S. 410. 62 So auch tendenziell Foi, Recht, Macht und Legitimation, S. 239 ff. Vgl. generell zur Hinrichtungsszene in Maria Stuart (V/10) Alt, Schiller II, S. 505. Die Hinrichtung wird mit Rücksicht auf das aristotelische Grausamkeitsverbot nicht optisch, sondern nur akustisch geschildert. Graf Leicester, der die Hinrichtung aus einem anderen Zimmer anhören muss, bedeutet die Unmöglichkeit der szenischen Darstellung mit den Worten: „Mich faßt der Hölle Grauen, Ich kann, ich kann das Schreckliche nicht schauen“ (II, 678). Damit ist die Grausamkeit der Hinrichtung jedoch hinreichend artikuliert und erschließt Parallelen zur Praxis öffentlicher Hinrichtungen, die seit dem Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert fortdauert. Vgl. hierzu Kaufmann, Strafe, Strafrecht, in: HRG IV, S. 2011 ff. (2016); Meurer, Todesstrafe, in: HRG V, S. 264 ff. (267); Rüping, Strafrechtsgeschichte, Rn. 212.

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1. Kap.: Die Substanz der Demokratie

richtung ein Makel verbleibt. Shrewsburys ironische Worte: „Lebe, herrsche glücklich! Die Gegnerin ist tot“ klingen nach einer moralischen Verurteilung Elisabeths. Entsprechend kann Koopmann in seinem Kommentar zu Schillers Werken feststellen: „die Hinrichtung Marias ist mit einem moralischen Freispruch gekoppelt, der Sieg Elisabeths mit einem moralischen Schuldspruch“. Ob Elisabeths unmoralischer Sieg, den sie dem Todesurteil verdankt, Schillers Kritik an der Todesstrafe begründen kann, bleibt allerdings fraglich. Dass sie sich im konkreten Fall unverhältnismäßiger Mittel bedient, muss noch nicht die Verwerfung des Mittels als solches bedeuten. Schiller geißelt in erster Linie die „böse Absicht“ Elisabeths. Hingegen ist die Todesstrafe im elisabethanischen Zeitalter gesetzliche Folge eines Hochverrats an der englischen Krone und gehört zur üblichen Strafrechtspraxis.63 Vielmehr könnte man sogar den Umstand, dass Maria den Hinrichtungsbefehl am Ende ihres Leidenswegs akzeptiert, als Beleg für die Berechtigung des Todesurteils deuten. Maria glaubt, im bevorstehenden Tod ihre Würde zurückzugewinnen: „Die Krone fühl ich wieder auf dem Haupt, Den würdgen Stolz in meiner edeln Seele!“. In stoischer Ruhe stellt sie sich dem weltlichen Gericht, um ihren Tod als Erlösung und Gottesbegegnung zu begreifen: „Nun endlich naht, daß meine Bande fallen, Mein Kerker aufgeht, und die frohe Seele sich Auf Engelsflügeln schwingt zur ewgen Freiheit.“

Da ihre Erlösung konsequente Folge des Todesurteils ist, könnte Marias Wunsch nach Bestrafung – sie fühlt sich schuldig für die Beihilfe am Mord ihres zweiten Ehemanns (I/4) – als gerechte Vergeltung gedeutet werden. Allerdings ist fraglich, ob dieses „passive Strafbedürfnis“64 auf Seiten der Todgeweihten ein Bestrafungsrecht auf Seiten des Staates konstituiert. Dagegen spricht aus rechtsstaatlicher Sicht, dass dies nicht ohne Austausch der Schuldgründe möglich wäre. Maria würde im Ergebnis für ein Verbrechen bestraft, dass sie zwar vor Gott, nicht aber vor dem Strafgesetz begangen hat. Diese Spiritualisierung des Schuldgrundes widerspräche Schillers grundsätzlichem Anliegen, in seiner Tragödie die Gefahren aufzuzeigen, die durch eine willkürliche Strafjustiz drohen. Wäre der Vollzug eines Todesurteils unter Berufung auf den göttlichen Willen möglich, verlören die Strafgesetze ihre praktische Gültigkeit. Im Ergebnis läge ein Verstoß gegen das von Anselm Feuerbach beinahe zeitgleich mit dem Erscheinen der Maria Stuart aufgestellte Gesetzlichkeitsprinzip vor: „nulla poene sine lege“65. Maria versöhnt sich daher allein mit der göttlichen, nicht mit der juristischen Ordnung. Ihr Tod bedeutet eine freiwillige Le63 Maria Stuart (= II, 685). s. Koopmann, Schiller II, S. 58; ähnlich auch Guthke, Maria Stuart, in: Koopmann, S. 415 ff. (426); Ingen, Macht und Gewissen, S. 301. 64 Lüderssen, Schiller und das Recht, S. 182. 65 Zu Feuerbach s. Wesel, Rechtsgeschichte, Rn. 288.

III. Menschen- und Bürgerrechte

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benshingabe, die der Staat durch Hinrichtungsbefehl gar nicht erzwingen kann, da ihm der Zugang zur Moralität seiner Bürger verschlossen bleibt. Insgesamt lässt sich in Maria Stuart somit noch keine klare Stellungnahme Schillers im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der Todesstrafe erkennen.66 Deutlichere Stellungnahmen zur Frage der Todesstrafe finden sich in Schillers historischer Vorlesung Gesetzgebung des Lykurgus und Solon und in seiner Erzählung der Verbrecher aus verlorener Ehre. In der Gesetzgebung setzt sich Schiller mit den historischen Strafgesetzen Drakos auseinander und kritisiert den absoluten Strafzweck der drakonischen Gesetze. Drako hatte in Athen für alle Verbrechen die Todesstrafe eingeführt, er strafte „ohne Unterschied mit dem Tode, den Müßiggang wie den Mord, den Diebstahl eines Kohls oder eines Schafs wie den Hochverrat und die Mordbrennerei“. Schiller bemängelt an den harten Strafen, dass sie gegen die „heiligen Gefühle und Rechte der Menschheit“ verstoßen, weil sie nur „begangenes Übel“ bestraften, aber sich nicht darum bekümmerten, die „Quellen desselben zu verstopfen und die Menschen zu verbessern.“ Drako setzte nur auf „Schrecken“, der einzige Zweck der Strafe bestand in der Vergeltung des begangenen Unrechts. Schiller setzt demgegenüber auf Besserung des Straftäters, auf Resozialisierung. Deshalb hält er die Idee, den Menschen mit dem Tode zu bestrafen, für widersprüchlich: „Einen Menschen aus den Lebendigen vertilgen, weil er etwas Böses begangen hat, heißt ebensoviel als einen Baum umhauen, weil eine seiner Früchte faul ist.“

Anders gewendet: der Rechtsstaat verleugne seine eigenen Grundlage, wenn er seine Mitglieder töte.67 Den Gedanken der Resozialisierung hat Schiller ebenfalls deutlich in seiner Erzählung Der Verbrecher aus verlorener Ehre zum Ausdruck gebracht. Der Bericht über das Schicksal des „Sonnenwirts“ Christian Wolf, der nach mehreren Aufenthalten im Zuchthaus zum Hauptmann einer Räuberbande wird, handelt von den Fragen nach einem angemessenen Strafmaß, nach dem richtigen Strafzweck und den Bedingungen des Strafvollzugs.68 Schiller kritisiert die grausamen und hohen Zuchthausstrafen im 18. Jahrhundert und die Bedingungen in den Zuchthäusern. Die gängige Praxis der Strafverhängung und insbesondere des Strafvollzugs missachteten nach Schillers Ansicht die menschliche Seite des 66 Maria Stuart (= II, 666 ff.); zu Marias Erhabenheit und Versöhnung mit der göttlichen Ordnung vgl. Alt, Schiller II, S. 506 ff.; Leistner, in: Dahnke/Leistner, S. 177; Luserke-Jaqui, Schiller, S. 309 ff.; Neymayr, Macht, Recht, Schuld, S. 132 ff.; Gerland, Schiller und das Recht, S. 17 sowie Greulich, Recht und Staat bei Schiller, S. 138 betonen, Schiller wolle zeigen, dass kein Verbrechen im Hinblick auf das sittliche (göttliche) Gesetz ungesühnt bleibe. 67 Gesetzgebung (= IV, 820). s. auch Foi, Recht, Macht und Legitimation, S. 240. 68 Verbrecher aus verlorener Ehre (= V, 13 ff.). Erstdruck 1786 unter dem Titel Verbrecher aus Infamie, eine wahre Geschichte; unter geändertem Titel 1792 erschienen. Vorliegend wird nach der Ausgabe von 1792 zitiert.

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1. Kap.: Die Substanz der Demokratie

Straftäters. Auch der Verbrecher bleibe Mensch, sei kein „Geschöpf einer anderen Gattung, dessen Blut anders umläuft als das unsrige“. Deshalb, so lässt sich aus der Erzählung folgern, sei die Persönlichkeit des Täters auch bei der Strafverhängung und der anschließenden Vollstreckung zu beachten: „Die Richter sahen in das Buch der Gesetze, aber nicht einer in die Gemütsverfassung des Beklagten“. Schiller fordert Resozialisierung der Täter, um die Rückkehr in die Gesellschaft zu ermöglichen, die ihn durch Vorurteile ausgestoßen hat. Diese Rückkehr wird dem Sonnenwirt unmöglich gemacht, selbst die Kinder demütigen ihn nach seiner Rückkehr aus dem Gefängnis („Der Knabe meidet mich [. . .] wie ein schändliches Tier“). Schiller glaubt, dass eine Resozialisierung möglich gewesen wäre („ob er wirklich ohne Rettung für den Körper des Staats verloren war?“), wenn sich die Bedingungen im Gefängnis – das Zuchthaus ist selbst ein Hort des Verbrechens – änderten und die Vorurteile der Mitmenschen allmählich verschwänden. In diesem Konzept der Resozialisierung ist für die Todesstrafe konsequenterweise kein Platz. Es kann nur gelingen, wenn der zu bessernde Straftäter einen „Lebendvollzug“ antritt.69 Neben dem Resozialisierungsargument greift Schiller in der Gesetzgebung noch einen weiteren Aspekt auf. Er schildert die fehlende Abschreckungswirkung von Drakos Gesetzen und der Todesstrafe. Das athenische Volk konnte sich nach seiner Meinung unmöglich unter ein „solches Joch“ beugen. Die Folge der überhöhten Strafen war Regellosigkeit, es trat ein Zustand ein, „als wenn Athen gar kein Gesetz gehabt hätte“. Im Ergebnis regierte die „traurigste Anarchie“. Schiller bezweifelt demnach, zumindest im Hinblick auf das athenische Volk, die Tauglichkeit der Todesstrafe, um die Staatsbürger zu normgerechtem Verhalten zu bewegen. Im Gegenteil, die übertriebene Härte führte dazu, dass der Normbefehl die Bürger überhaupt nicht mehr erreichte. Der berechtigte Kern von Drakos Gesetzen – Rechtsgüterschutz – verlor sich im Bewusstsein der Bevölkerung. Schiller glaubt also nicht an die Abschreckungswirkung der Todesstrafe.70 69 Verbrecher (= V, 13, 15, 17, 19). – Zu den strafrechtlichen Fragen und dem Prinzip der Resozialisierung im Verbrecher aus verlorener Ehre vgl. Foi, Recht, Macht und Legitimation, S. 241; Halberstam, Of Grace and Dignity in Law: A Tribute to Friedrich Schiller, in: Hinderer, Schiller und die Moderne 2006, S. 205 ff. (206); Kräupl, Verbrechen, Justiz und Strafe bei Schiller, Neue Justiz 1986, S. 409 ff.; Limbach, Friedrich Schillers Seelenkunde vom Verbrechen, in: Hinderer, Schiller und die Moderne 2006, S. 221 ff.; Schmidhäuser, Verbrechen und Strafe, 2. Aufl., München 1996, S. 1 ff.; E. Wolf, Vom Wesen des Rechts in deutscher Dichtung. Hölderlin/Stifter/Hebel/Droste, Frankfurt 1944, S. 246 ff. (alle – bis auf Foi – ohne den Hinweis auf die Unvereinbarkeit des Resozialisierungsgedankens mit der Todesstrafe). – s. zu den Zuchthausstrafen und den Gefängnisbedingungen im 18. Jahrhundert, die sich erst unter dem Einfluss John Howards und Voltaires allmählich verbessern: Rüping, Strafrechtsgeschichte, Rn. 261; Valjavec, Politische Strömungen, S. 56, 408; Wesel, Rechtsgeschichte, Rn. 260, 266. 70 Gesetzgebung (= IV, 821 ff.).

III. Menschen- und Bürgerrechte

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Schiller begründet seine Ablehnung der Todesstrafe demnach sowohl ethisch als auch kriminalpolitisch. In ethischer Hinsicht hält er die Todesstrafe für mit der Würde des Menschen unvereinbar, da jedem Straftäter die Möglichkeit in Aussicht gestellt werden müsse, in die Gesellschaft zurückzukehren. Damit wendet er sich im Einklang mit Beccaria gegen den Talionsgedanken („Auge um Auge, Zahn um Zahn“), den Kant als das entscheidende Merkmal seiner absoluten Straftheorie herausstellt: „Nur das Wiedervergeltungsrecht (ius talionis) [. . .] kann die Qualität und Quantität der Strafe bestimmt angeben“. Für Schiller kann der Vergeltungsgedanke, dass Gleiches mit Gleichem vergolten werde, deshalb nicht überzeugen, weil Leben ein unverzichtbares Rechtsgut ist. Eine selbstmörderische Einwilligung in die Todesstrafe kann im Gesellschaftsvertrag nicht geschehen, da das Leben ein „unveräußerliches“ Menschenrecht darstellt und eine entsprechende Einwilligung sittenwidrig und damit nichtig wäre. Das weitere Argument Kants, die Würde des Menschen verbiete dem Staat, durch zweckmäßige Strafe den straffälligen Menschen als Mittel zu politischen Zielen anderer Menschen zu gebrauchen, benutzt Schiller in umgekehrter Richtung. Die Würde des Menschen gebiete gerade die Resozialisierung, da auch der Straffällige einen Anspruch verdiene, als Person anerkannt und geachtet zu werden. In kriminalpolitischer Hinsicht glaubt er zwar, dass die Bevölkerung vor dem Straftäter geschützt werden müsse, er bezweifelt jedoch die generalpräventive Kraft des Strafgesetzes, andere Tatgeneigte von der Tatbegehung abzuhalten. Drako hatte mit seinen Gesetzen die Normtreue der Bürger gerade nicht befestigt. Im Ergebnis vertritt Schiller demnach eine relative Straftheorie, die sich auf Spezialprävention (Schutz der Bevölkerung und Besserung des Täters) beschränkt. Die Todesstrafe ist mit diesem Konzept unvereinbar.71

71 Vgl. C. Beccaria, dei delitti e delle pene, XXVIII, S. 124 ff.; I. Kant, Rechtslehre, Allgemeine Anmerkung E. I., S. 193; zur Diskussion und zum Talionsrecht bei Kant vgl. Kaufmann, Talion, in: HRG V, S. 114 ff.; ders., Strafe, Strafrecht, in: HRG IV, S. 2011 ff. (2024 – dort auch zum Inselbeispiel Kants); Meurer, Todesstrafe, in: HRG, S. 264 ff. (269); Radbruch, Rechtsphilosophie, §§ 22, 23. – Zur ethischen und kriminalpolitischen Bewertung der Todesstrafe s. Kaufmann, Todesstrafe, in: Staatslexikon, S. 483 ff.; Lewandowski, Die Todesstrafe in der Aufklärung, Bonn 1960. – Vgl. zu den absoluten und relativen Straftheorien Kaufmann a. a. O.; Naucke, Straftheorie, Strafzweck, in: HRG V, S. 1 ff.; Radbruch a. a. O.; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, 4. Aufl., München 2006, § 3, S. 64 ff. – Zum Resozialisierungsgedanken in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vgl. BVerfGE 45, 187 ff. – Lebenslange Freiheitsstrafe. Der Kern der Menschenwürde werde getroffen, wenn der Verurteilte ungeachtet der Entwicklung seiner Persönlichkeit jegliche Hoffnung, seine Freiheit wiederzuerlangen, aufgeben müsse (245). Vgl. hierzu Kunig, Rn. 36 zu Art. 1, in: Münch/Kunig, GGK I, 4. Aufl. 1992; Stuckenberg, in: Menzel (Hrsg.), Verfassungsrechtsprechung, Tübingen 2000, S. 272 ff.

2. Kapitel

Die Struktur der Demokratie: Möglichkeiten, Voraussetzungen und Durchsetzung IV. Demokratie als Möglichkeit: Der Weg zu einer funktionierenden Demokratie in Schillers Tragödien von den Räubern bis zum Wilhelm Tell 1. Demokratie als Staats- und Herrschaftsform am Ende des 18. Jahrhunderts Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts tauchen erstmals demokratische Strömungen auf, die sich in der Verfassungsrealität einiger großer Staaten manifestieren. In Amerika bestimmt die Virginia Bill of Rights von 1776 „that all power is vested in and consequently derived from the people“. Das Volk als Urheber der Souveränität, von dem alle anderen Gewalten abgeleitet sind, wird auch in der US-amerikanischen Verfassung von 1787 zum Gründer einer Rechtsordnung: „we the people of the United States [. . .] do ordain and establish this Constitution for the United States“. In Frankreich ist ebenfalls die „Nation“ der „Ursprung aller Souveränität“, wie die französische Menschenrechtserklärung von 1789 bestimmt und sie bleibt es auch in der französischen Verfassung von 1791, dort allerdings ohne allgemeines Wahlrecht, vielmehr mit Zensuswahlrecht und Vetorecht des Königs. Die Konsularverfassung von 1799 tendiert unter Napoleons Einfluss zurück zur monarchischen Gewalt, da die Exekutive Initiativrecht für Gesetzgebung und Haushalt erhält. Der Gedanke der Volkssouveränität wird zurückgedrängt, wodurch sich die Verfassungsrealität den deutschen Verhältnissen annähert, da im Reich und in den Ländern das monarchische Regierungsprinzip trotz – oder gerade wegen – der Revolution weiter Bestand hat. Eine Gegengewalt zu den Monarchen bilden die Landstände in den einzelnen Territorialstaaten, die sich zwar zum Teil als Repräsentanten des Volkes verstehen, jedoch vor allem ihre privilegierte Stellung im Verfassungsgefüge „nach unten hin“ verteidigen.1 1 Vgl. Virgina Bill of Rights, Art. 2; The Constituion of the United Staates, Preamble, beides in: Franz (Hrsg.), Staatsverfassungen, S. 6, 11; Declaration de l’homme et de citoyen, Art. 3, in: Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, München 2003, S. 251. – Vgl. zur Verfassungsgeschichte Schmale, Recht und Verfassung: Von der alten Monarchie zur Republik, in: Ploetz, Die Französische Revolution, S. 157 ff.; Welker, Volkssouveränität, in: HRG V, S. 1006 ff. (1009). – Zur Entwicklung in

IV. Demokratie als Möglichkeit

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Gegenüber diesen politischen Bewegungen verhält sich die geistige Entwicklung in den deutschen Staaten recht unterschiedlich, ist aber überwiegend demokratiekritisch geprägt. Progressive Stimmen im staatsrechtlichen Schrifttum fordern immerhin die „Mitwirkung der Staatsbürger bei der Regierung“ (E. F. Klein, Schlözer); der Bürger ist „Teilnehmer des Staatskörpers“ (Scheidmantel) oder erhält „Anteil an Beschlüssen“ (Rehberg). Mitwirkung bedeutet, dass die Souveränität beim Monarchen verbleibt und für die männlichen und besitzenden Bürger Möglichkeiten politischer Teilnahme (durch Wahlen) bestehen. Einige wenige, wie etwa Schillers Brieffreund J. B. Erhardt, fordern „radikaldemokratische“ Reformen Rousseau’scher Prägung und setzen sich für die Gleichstellung der Frau ein (z. B. J. A. Bergk). Andere Intellektuelle, z. B. Kant, gehen einen Mittelweg und versuchen, repräsentative Elemente in ein „republikanisches“ Verfassungsmodell einzubauen. Dadurch bleibt die Monarchie als Regierungsform möglich, ohne die politische Partizipation der Bürger zu unterdrücken. Der Begriff „politische Freiheit“ wird zwar als Schlagwort gebraucht und in Abgrenzung zur „bürgerlichen Freiheit“ verwendet, kann aber unterschiedlich interpretiert werden, größtenteils im Sinne einer beschränkten Teilnahmemöglichkeit am demokratischen Willensbildungsprozess.2 2. Die Mehrheitskritik in Schillers Tragödien als verfehltes Indiz einer „antidemokratischen“ Haltung Schillers Schillers Haltung zur zeitgenössischen Demokratiedebatte kann nur angemessen beurteilt werden, wenn man versucht, die dramatischen und theoretischen Schriften als Einheit zu begreifen. Erst in der Zusammenschau beider Literaturgattungen, die sich gegenseitig ergänzen und erklären, lässt sich Schillers Demokratieverständnis zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammenfügen. Die Sekundärliteratur, die sich bisher skeptisch darüber geäußert hat, ob Schiller als

Deutschland und der Repräsentation durch die Landstände s. Brenner, Das Prinzip Parlamentarismus, in: HStR III, § 44 Rn. 11; Hofmann, Repräsentation. Studien zur Wortund Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, Berlin 1974, S. 342 ff.; Podlech, Repräsentation, in: GGr V, S. 509 ff. (528); Reiter, Repräsentation, in: HRG IV, S. 904 ff. (907). 2 Zur geistigen Entwicklung in Deutschland vgl. Koselleck, Demokratie, in: GGr I, S. 848 ff.; Link, Menschenrechte und bürgerliche Freiheit, Zum Grundrechtsdenken im Aufklärungszeitalter, in: Gerhard Leibholz u. a. (Hrsg.), Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung, Festschrift für Willi Geiger zum 65. Geburtstag, Tübingen 1974, S. 277 ff. (297); Schlumbohm, Freiheit, S. 133 ff. Stolleis, Untertan – Bürger – Staatsbürger, Bemerkungen zur juristischen Terminologie im späten 18. Jahrhundert, in: Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit, Frankfurt, 1. Aufl. 1990, S. 298 ff. (307 ff.); ders., Geschichte des Öffentlichen Rechts I, S. 325 ff.; Valjavec, Politische Strömungen, S. 215 ff. – Zur Begriffsvielfalt der „politischen Freiheit“ vgl. Klippel, politische Freiheit, S. 150 ff.; Schlumbohm a. a. O.; Stolleis, Untertan – Bürger – Staatsbürger, S. 318 ff.

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2. Kap.: Die Struktur der Demokratie

demokratischer Denker im „modernen“ Sinn zu begreifen sei,3 stützt ihre ablehnende Ansicht im Wesentlichen auf die in Schillers Tragödien an manchen Stellen angedeutete Kritik am Mehrheitsprinzip. Es scheint jedoch fraglich, ob die angeführten Quellennachweise in ihrer Bedeutung für den konkreten Textzusammenhang und für das Gesamtwerk überbewertet wurden. Das gilt etwa für die Ratsszenen in Maria Stuart (II/3 und IV/6–IV/9) und den Ratschlag Talbots an Elisabeth, nicht „Stimmenmehrheit“ sei des „Rechtes Probe“. Nach Ansicht Talbots, solle die Königin nicht dem „Dringen“ des Volkes auf eine rasche Hinrichtung Marias nachgeben.4 Talbots mehrheitskritische Äußerung drückt jedoch weder ein bestimmtes Staatsprogramm aus, noch kann sie Schiller als eigene Idee geistig zugerechnet werden. Vielmehr erscheinen Mehrheitsprinzip und Volkswille in den Beratungsszenen nur als ein Mittel für Elisabeth und ihre Berater, um die eigene politische Position argumentativ zu unterfüttern. Deshalb können sich neben Talbot auch Leicester und Burleigh auf den Volkswillen berufen („Gehorche der Stimme des Volks, sie ist die Stimme Gottes“), obwohl die drei Berater unterschiedliche Auffassungen vertreten. Durch die rollenspezifischen Äußerungen wird das Volk in Maria Stuart zur „Verhandlungsmasse“ der Staatsräson, es ist nur eine austauschbare Größe im Interessenspiel Elisabeths. Richtigerweise lässt sich daher aus den Ratsszenen keine antidemokratische Haltung Schillers herauslesen. Es wäre sogar umgekehrt zu fragen, ob dem Leser durch die Scharfzeichnung des elisabethanischen Absolutismus nahe gelegt wird, das Modell der Volkssouveränität als Alternative zu der von Rechtsbrüchen geprägten Monarchie Englands in Betracht zu ziehen.5 Ebenfalls demokratiekritisch scheint auf den ersten Blick die Tierfabelszene (II/8) in der Verschwörung des Fiesko zu Genua. Fiesko betont in seiner Rede vor dem Genuesischen Volk, dass dort, wo sich die „Mehrheit“ durchsetzt, meist der „Dummen mehr denn der Klugen“ und der „Feigen mehr denn der Streitbaren“ zu finden seien. Fiesko schlägt daher vor, dass Volk solle nur „einem Oberhaupt“ huldigen und sich für eine Monarchie mit ihm an der Spitze entscheiden. Dass die Bürger Fieskos Plänen zustimmen, bedeutet jedoch nicht, Schiller zeige in der Tierfabelszene seine Distanz zur Demokratie. Fieskos Rede darf nicht als Ideenprogramm Schillers oder gar als Forderung für ein „aufgeklärten Despotismus“ (Gerland) missverstanden werden. Die Szene verdeutlicht vielmehr die Absicht Fieskos, sich mit allen Mitteln zum neuen Staatsoberhaupt 3

s. oben Einleitung (1.). Maria Stuart (= II, 592). Vgl. zu den Ratsszenen Alt, Schiller II, S. 501 ff.; Hayfa, Der „republikanische“ Gedanke in Freiheitsdramen, S. 223; Lamport, Krise und Legitimationsanspruch, Maria Stuart als Geschichtstragödie, in: Zeitschrift für Deutsche Philologie 1990, S. 134 ff. (138 ff.). 5 Maria Stuart (= II, 651); wie hier Sautermeister, Maria Stuart, in: Hinderer (Hrsg.), Schillers Dramen, Interpretationen, Stuttgart 2006, S. 280 ff. (319 ff.). 4

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Genuas aufzuschwingen. Die Tierfabel benutzt er aus Kalkül, um einen Putsch gegen den regierenden Dogen Andreas Doria vorzubereiten und das Volk auf seine Seite zu bringen. Im Vordergrund steht ein persönliches, kein ideelles Motiv.6 Im Übrigen wirkt sich auch die in Schillers Texten vorkommende Kritik am Aufstand der „Volksmasse“ virulent auf die Auslegung des Gesamtwerkes aus. Bei der Interpretation wird zu wenig zwischen Revolutions- und Demokratiekritik unterschieden. Schillers Skepsis gegenüber den französischen Revolutionsereignissen – formuliert in den Augustenburger Briefen, den Briefen über die Ästhetische Erziehung des Menschen und im Lied von der Glocke, ist nicht mit Demokratiekritik zu verwechseln. Dass Schiller die revolutionäre Erhebung der „Massen“ nicht gutheißt, verdeutlicht vielmehr, wie sehr der Dichter auf staatliche Reformen setzt, um politische Ziele umzusetzen. Die Revolutionskritik richtet sich gegen die Art und Weise der Staatsverbesserung und nicht gegen eine bestimmte Regierungsform oder einen bestimmten Verfassungsinhalt. Wenn die „Wohlfahrt“ im Lied von der Glocke „nicht gedeihn“ kann, weil sich die „Völker selbst befrein“, dann bleibt die Frage nach der „Wohlfahrt“ gerade offen, während allein die Selbstbefreiung, also der gewaltsame Umsturz verworfen wird.7 Bereits diese kurzen Beispiele zeigen, dass die auf den ersten Blick demokratiekritisch erscheinenden Äußerungen im Schillerschen Werk nicht auf eine generell ablehnende Haltung des Dichters schließen lassen. Bemerkenswert ist, dass weite Teile des Schrifttums die figuren- und rollenspezifisch geäußerte Mehrheitskritik zwar als solche erkennen, aus dieser Erkenntnis aber keine weitergehenden Schlüsse in Richtung auf eine positivere Haltung des Dichters zur Demokratie ableiten möchten. Diese Unbeweglichkeit verwundert nicht nur im Hinblick auf die Vielzahl möglicher „Gegenbeweise“ (Don Karlos, Wilhelm Tell), sondern vor allem, weil sie auf eine als überwunden geglaubte Interpretations- und Aneignungsmethode zurückweist. Die Schillerrezeption hat bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts (zumindest teilweise) eine Forschungsentwicklung unterstützt, die Schiller-Zitate in geflügelte Worte verwandelte und damit das Werk aus dem geschichtlichen und kontextuellen Zusammenhang herauslöste. Das Anliegen der neueren Schillerforschung besteht darin, diese popularwissenschaftliche Traditionslinie zu durchbrechen, um Schillers Dialektik im historischen und systematischen Gesamtzusammenhang zu begreifen. Im Hinblick auf die demokratie- und mehrheitskritischen Textstellen scheint demgegenüber nach wie vor die popularwissenschaftliche Rezeptionslinie präsent zu sein 6 Fiesko (= I, 680 ff.); wie hier Alt, Schiller I, S. 338 ff.; zur Gegenansicht vgl. Gerland, Schiller und das Recht, S. 12. 7 Lied von der Glocke (= I, 439). Zu den Missverständnissen vgl. Oellers, Bürger von Frankreich – Schiller und die Französische Revolution, in: Staskova (Hrsg.), Friedrich Schiller und Europa, Heidelberg 2007, S. 13 ff.

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– freilich mit dem Unterschied, dass Schiller nicht wie in der frühen Forschung populistisch idealisiert wird. Stellen aus Maria Stuart („Nicht Stimmenmehrheit ist des Rechtes Probe“ – II, 591), Demetrius („Was ist die Mehrheit? – III, 24) oder Die Verschwörung des Fiesko („Der Dummen mehr denn der Klugen“ – I, 680) werden implementiert zu „Teekannensprüchen“ (Heiner Müller) und dadurch in ihrer programmatischen Reichweite überschätzt. Sie verstellen den Weg für neue Interpretationen.8 3. Die Forderung nach Gleichheit vor dem Gesetz in Schillers frühen Dichtungen als Ausdruck einer demokratischen Gesinnung a) Karl Moors Umverteilungsstrategie in den Räubern Die Mehrheitskritik in Schillers Tragödien scheint demnach ein verfehltes Indiz für eine „antidemokratische“ Haltung Schillers zu sein. Gegen die im Schrifttum geäußerten Bedenken spricht auch, dass Schiller in seinen frühen Dichtungen rechtliche Gleichheit für alle Gesellschaftsmitglieder fordert und damit einen ersten Schritt im Hinblick auf die Struktur der Demokratie zurücklegt. Die Forderung nach Gleichheit vor dem Gesetz erheben bereits die Räuber.9 Es wurde schon darauf hingewiesen, dass Schiller das Räubermotiv in seinem Erstlingswerk nicht nur als Zeichen fehlender Staatlichkeit, sondern auch als Symbol der Ausgrenzung und Benachteilung verwendet.10 Schillers Hoffnung, soziale Ausgrenzung und Benachteiligung durch rechtliche Gleichstellung zu überwinden, wird besonders deutlich, als Spiegelberg über die Taten Karls berichtet, die er im Namen der „Gerechtigkeit“ begangen hat (II/3).11 Schiller spricht dabei drei spezielle Themenkreise an: Erstens die unter Herzog Karl Eugen vernachlässigten Bildungs- und Berufsreformen. Den „Bankerott der Ju8 Vgl. zur frühen Forschungsliteratur Koopmann, Forschungsgeschichte, in: ders., Schiller Handbuch, Hamburg 1998, S. 809 ff. (813 ff.). Er lässt die ernsthafte Schillerforschung mit Benno v. Wieses Schillerbiographie von 1959 einsetzen. Wieses Arbeit habe erstmals versucht, den „Mißbrauch“ und die „fatale Popularität“ der frühen Forschung abzuschütteln, um sie durch eine Darstellung zu ersetzen, die den „notwendigen inneren Zusammenhang(s)“ der unterschiedlichen Werkbereiche auffängt (S. 815). – Vgl. zur Forschungstendenz, Schiller-Zitate in „Teekannensprüche“ zu verwandeln Alt, Ästhetische Revolution, fremder Staat, ferne Nation. Schiller und die Politik, in: literaturkritik.de, Januar 2005, Nr. 1 (abrufbar unter http://www.literaturkritik.de/pub lic/rezension. php?rez_id=7745&ausgabe=200501); Ruppelt, Schiller im Nationalsozialistischen Deutschland, Stuttgart 1979, S. 14 ff. 9 Dass sich in den Räubern das Problem der rechtlichen Ungleichheit äußert, hat Schiller im unterdrückten Bogen B selbst verraten („verfluchte Ungleichheit in der Welt“ – NA 3, 248); dazu Scherpe, Räuber, in: Hinderer, Schillers Dramen 1979, S. 9 ff. (10 ff., 23 ff.). 10 s. oben II.2. 11 Zu Karls Taten im Namen der „Gerechtigkeit“ vgl. Kiesel, ,Bei Hof, bei Höll‘, S. 78 ff.; Luserke-Jaqui, Schiller, S. 46 ff.; Wiese, Schiller, S. 151.

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gend“ hatte Schiller bereits in seinem Gedicht Die schlimmen Monarchen beklagt. Er greift diesen Aspekt in den Räubern wieder auf, indem er Karl Moor „arme Jungen von Hoffnung“ studieren lässt – eine Ersatzhandlung des Räubers für die fehlende Unterstützung des Staates.12 Zweitens spielt Schiller auf die Adelsvorrechte im ausgehenden 18. Jahrhundert an.13 Anlass sind die „Pfiffe“ eines Advokaten, der einem „reichen Graf“ verhalf, einen Gerichtsprozess „von einer Million“ durchzusetzen. Darin erblickt Karl Moor einen Verstoß gegen die „Gerechtigkeit“ und tötet den Advokaten. Schiller deutet die Privilegien an, die dem Adel auf dem Gebiet der Rechtspflege zukamen. Im Gegensatz zu Bürger und Bauer hatte der Adel Anspruch darauf, im eigenen Haus vernommen zu werden, bei Gerichtsterminen war er schriftlich vorzuladen, er konnte nur auf Befehl des Landesherrn in ein öffentliches Gefängnis verbracht werden. Zudem wurde er von der Folter verschont, bekam ein leichteres Strafmaß und konnte Strafen durch Geldzahlung ablösen. Schiller wendet sich hier insbesondere gegen die Austauschbarkeit der Sanktionen und den Ablösungsgedanken. Gerade weil der Unbemittelte den Rechtsweg nicht in gleicher Weise beschreiten kann wie der ökonomisch bessergestellte Adel, verlangt Karl Moor das Geld wieder heraus („dein Geld, Kanaille!“).14 Drittens reflektiert Schiller die unterprivilegierte Stellung der Bauern im feudalistischen Wirtschaftssystem. Spiegelberg berichtet, wie Karl Moor einen „Landjunker“ schröpft, der seine „Bauren wie das Vieh abschindet“. Damit greift Schiller bewusst einen aktuellen Diskurs über Bauernrechte auf, in dem konservative Exponenten den Bauernstand oftmals als „viehisches Volk“ beschimpften. Umstritten war vor allem die persönliche Stellung der Bauern, die im Westen des Reichs immerhin durch den Status des „Minderfreien“, in Ostdeutschland jedoch durch die „Erbuntertänigkeit“ gekennzeichnet war. Das Abschinden, das Karl Moor verurteilt, wehrt sich gegen die Erbuntertänigkeit, da diese zumeist mit Frondiensten, anderweitigen Gewerbeverboten und der Polizeigewalt des Ritters („Landjunker“) über den Bauern verbunden war (Patrimonialgerichtsbarkeit).15 12

Die Räuber (= I, 541); Die Schlimmen Monarchen (= I, 107; Rz. 100 ff.). Vgl. hierzu Klippel, Politische Freiheit, S. 162; Link, Menschenrechte und bürgerliche Freiheit, S. 287; Schlumbohm, Freiheit, S. 93 ff.; Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 155 ff. 14 Vgl. zu den Vorteilen des Adels vor Gericht Kaufmann, Strafe, Strafrecht, in: HRG IV, S. 2011 ff. (2015 ff.); Valjavec, Politische Strömungen, S. 223; Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 143 ff. 15 Zur Debatte um die Stellung des Bauern vgl. Valjavec, Politische Strömungen, S. 49, 103, 211. – Speziell zur Erbuntertänigkeit im 18. Jahrhundert und im Preußischen Allgemeinen Landrecht s. ALR §§ 1 ff., §§ 133 ff., §§ 147 ff. II 7, in: Hattenhauer/Bernert, S. 10 ff.; 443 ff.; vgl. auch Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 4. Aufl., Heidelberg 2004, Rn. 1607 ff.; Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 161 ff. 13

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b) Privilegienfrage und Standesunterschiede in Kabale und Liebe In Kabale und Liebe greift Schiller die allgemeine Gleichheitsforderung aus den Räubern auf und illustriert die Standesunterschiede zwischen Adel und Bürgertum am Beispiel der Vermählung zwischen Luise und Ferdinand. Wiederum wird die Frage nach Abschaffung gesetzlicher Privilegien für den Adelsstand gestellt, die auch von anderen Aufklärern (Kant, Fichte, Schlözer u. a.) in den Vordergrund gerückt wurde.16 Den juristischen Hintergrund für das bürgerliche Trauerspiel bilden vor allem zwei gesetzliche Regelungsbereiche, die zur Verfestigung der Standesunterschiede im 18. Jahrhundert geführt haben: zum einen die polizeilichen Kleiderund Luxusverbote, deren Missachtung mit hohen Geldbußen versehen wurde.17 Zum anderen das Eherecht und die Ebenbürtigkeitsvorschriften, die als schärfster Ausdruck sozialer Ungleichheit begriffen werden können. Sie sind die eigentlichen „Schranken des Unterschieds“, die Luise so verhasst sind. Eine unebenbürtige Ehe mit Ferdinand wäre zwar prinzipiell möglich (morganatische Ehe), sie hätte jedoch erhebliche Konsequenzen für das Ehepaar und deren Kinder. Die Abkömmlinge wären im Falle dieser Missheirat von Rang und Adelsprädikat, Erbfolge und Stiftsfähigkeit ausgeschlossen. Im Hinblick auf Titel, Rang und Vermögensrechte könnten zwar gewisse Erleichterungen vereinbart werden, der Ausschluss von Rang und Adelsprädikat für Luise und mögliche Kinder wäre jedoch nicht aufhebbar. Die Kinder folgten vielmehr der „ärgeren Hand“, d.h. dem Elternteil des niederen Standes. Misst man die Eheschließung darüber hinaus an den Vorgaben des Preußischen Allgemeinen Landrechts – das im Gegensatz zu den liberalen Gesetzgebungen in England und Frankreich eine weitere Verschärfung des Eherechts vorsah, dann wäre die Mesalliance zwischen Ferdinand und Luise von vornherein nichtig und dürfte vom Richter aufgehoben werden.18

16 Kant meint ein „angeerbter Adel“ sei ein „Gedankending ohne alle Realität“. Diese „Anomalie“ solle der Staat freilich erst allmählich wieder aufheben, nachdem die öffentliche Meinung von der einzigen natürlichen Gliederung eines Staates in Souverän und Volk überzeugt sei, vgl. I. Kant, Über den Gemeinspruch, in: Vorländer (Hrsg.), Kleinere Schriften, S. 88 ff.; ähnlich möchte Fichte die „Aufhebung“ aller Begünstigungen ganz „allmählich“ erfolgen lassen, s. J. G. Fichte, Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, 14. Vorlesung, in: ders., Gesammelte Werke VII, Leipzig 1845, S. 198 ff.; vgl. im Übrigen A. L. Schlözer, Allgemeines Statsrecht und Stats-VerfassungsLere, Göttingen 1793, S. 102: „Die Regenten sind nicht da, um ein Teilchen zu begünstigen, sondern um die Nation zu beglücken.“ 17 Zu den Kleidungs- und Luxusverboten s. Mayer, Ältere Deutsche Staats- und Verwaltungslehre, S. 82 ff.; Knemeyer, Polizei, in: GGr, S. 880. – Vgl. auch oben II.1.b). 18 Kabale und Liebe (= I, 765); ALR §§ 30–33 II 1, in: Hattenhauer/Bernert, S. 352 ff. Zu den Ebenbürtigkeitsvorschriften vgl. Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 146 ff.

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Vor dem Hintergrund dieser nicht nur juristisch abgesicherten, sondern auch weitgehend gesellschaftlich akzeptierten Ständeschranken ist fraglich, ob Kabale und Liebe die Forderung nach deren Überwindung zu entnehmen ist. Betrachtet man das Ende des Stücks, dann bleibt die Ständeordnung zunächst einmal gestärkt zurück: Luise fügt sich trotz anfänglicher Hoffnung (I/3) in das überkommene Rollenmodell und hält die Regeln des Standes für nicht überwindbar. Gegenüber Ferdinand offenbart sie ihre Resignation: „Doch! man verliert ja nur, was man besessen hat, und dein Herz gehört deinem Stande – Mein Anspruch war Kirchenraub, und schauernd geb ich ihn auf.“ Sie beugt sich ihrem bürgerlich-christlichen Rechtssinn und dem gleichgerichteten Willen ihres Vaters und will dem „Bündnis entsagen, das die Fugen der Bürgerwelt auseinandertreiben, und die allgemeine ewige Ordnung zugrund stürzen würde“. Die alte Vater- und Standesordnung bleibt in Luises Weltbild herrschend.19 Demgegenüber fühlt sich Ferdinand an die gegebene Ständeordnung nicht gebunden, er strebt danach, sie „von oben her“ zu überwinden und glaubt fest an die Möglichkeit einer Vermählung: „Die Vermählung ist fürchterlich – aber ewig!“. Leitend für seinen Entschluss, die Liaison mit allen Mitteln herzustellen, ist sowohl seine Liebe zu Luise („Riesenwerk meiner Liebe“) als auch der Hass auf den despotischen Vater, dessen Nachfolge er nicht antreten möchte: „Feierlich entsage ich hier einem Erbe, das mich nur an einen abscheulichen Vater erinnert“. Ferdinand fühlt sich der patriarchalischen Ordnung nicht verpflichtet, in seinem Freiheitsstreben spiegelt sich daher die Vorstellung, benachteiligende Rechtsregeln und Ebenbürtigkeitsvorschriften abzuschaffen.20 Freilich schafft es Ferdinand nicht, seine Ansprüche Realität werden zu lassen. Blind vor Eifersucht („Tod und Rache“) wird er Opfer der höfischen Intrige seines Vaters und glaubt aufgrund gefälschter Beweise an eine Beziehung Luises zu Hofmarschall von Kalb. Er vergiftet die Geliebte (V/7), erfährt kurz vor ihrem Tod aber, dass sein Vater hinter der „Büberei“ steckt und will sich an ihm rächen. In der letzten Szene (V/8) folgt Ferdinand dem Schicksal Luises und richtet sich selbst. Zuvor klagt er jedoch den Präsidenten und Wurm als „Mörder“ Luises an, woraufhin beide verhaftet werden („Jetzt euer Gefangener!“). Trotz der Verhaftung steht am Ende der Befund, dass Ferdinand mit seinem Anspruch gescheitert ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass Schiller sich mit der gegebenen Ordnung abfindet. Vielmehr steht Ferdinand für den Versuch, sich über die Ungleichheit der Ständeordnung hinwegzusetzen, wobei er, wie bereits Karl Moor und später Marquis Posa, an seiner Leidenschaft und Über19 Kabale und Liebe (= I, 809); vgl. Alt, Schiller I, S. 361; Michelsen, Ordnung und Eigensinn, Über Schillers Kabale und Liebe, in: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 1984, S. 198 ff. (201 ff.); Koopmann, Kabale und Liebe, in: Koopmann, S. 374 ff. 20 Kabale und Liebe (= I, 773, 792); vgl. hierzu Michelsen, Ordnung und Eigensinn, S. 203 ff., 212 ff.

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heblichkeit zu Fall kommt. Unverhältnismäßigkeit und übereifriges Handeln, die Intrige wäre leicht zu durchschauen gewesen, diskreditieren seine Mittel, nicht aber sein Ziel, die „Gesetze der Menschheit“ gegen die „Mode“ der Standesregeln zu verteidigen. Nur sein Übereifer und seine Leidenschaft führen dazu, dass Ferdinand den Anspruch, die „eisernen Ketten des Vorurteils“ zu brechen, am Ende nicht einlösen kann.21 Für diese Auffassung spricht auch, dass Ferdinand im historischen Kontext, trotz seines Geburtsadels, als der eigentliche Vertreter einer sich formierenden Bürgerschicht angesehen werden kann. Luise und ihre Eltern hingegen, also die Hauptpersonen des „bürgerlichen“ Trauerspiels, sind keine „Bürger“ im Sinne einer sich emanzipierenden Bildungsschicht (Beamte, Pfarrer, Professoren, Juristen, Unternehmer u. a.). Das zeigt sich etwa an der Abneigung Millers gegenüber dem Lesen von weltlicher Literatur (I/1).22 Seiner Tochter möchte er verbieten, die „höllische Pestilenzküche“ der „Bellatristen“ zu probieren. Diese hielte nur „überhimmlische Alfanzereien“ parat, bedrohe das „Handvoll Christentum“, das ihm noch verblieben sei und deswegen gebe es nur eine angemessene Lösung: „Ins Feuer sag ich“. Der Bildungsmangel und Millers Toleranzverbot haben gefährliche Folgen für die Familie und sind mitverantwortlich für deren Zerstörung. Miller reizt nicht nur den Präsidenten, bis dieser den Untergang der Familie beschließt (II/6), er lässt sich auch von Ferdinands Goldgeschenk blenden und kann deshalb den Tod seiner Tochter nicht verhindern (V/ 5–6). Luise lässt sich aus Furcht vor einem „Kriminalprozeß“ – ein Begriff, den sie mangels Bildung noch nie gehört hat – für die Intrigen des Präsidenten instrumentalisieren. Gegenüber Ferdinand deckt sie nicht auf, dass die Beweise gefälscht sind, weil sie sich an den von Wurm abgenommenen Schweigeeid gebunden fühlt. Sie rechtfertigt damit ungewollt die Geringschätzung des Präsidenten und seines Sekretärs: „PRÄSIDENT. Einen Eid? Was wird ein Eid fruchten, Dummkopf? WURM. Nichts bei uns, gnädiger Herr. Bei dieser Menschenart alles.“

Die Beschränktheit der kleinbürgerlichen Familie widerspricht vor allem Schillers immer wieder formulierter Bildungsidee einer sich innerlich frei ent-

21 Kabale und Liebe (= I, 784, 789, 792, 818, 858); vgl. zum Leidenschaftsmensch Ferdinand Alt, Schiller I, S. 71 ff.; Guthke, Kabale und Liebe, in: Hinderer (Hrsg.), Schillers Dramen, S. 129 ff., 137 ff. – Zu seinen Zielen s. Luserke, Schiller, S. 131 („allgemeine Menschenrechte und soziale Gleichheit“); Michelsen, Ordnung und Eigensinn, S. 199 („Menschenrechte“). 22 Zu Millers unaufgeklärten Gesinnungen in Kabale und Liebe vgl. Alt, Schiller I, S. 360 ff.; Guthke, Kabale und Liebe, S. 105 ff. (106 ff.); Gruenter, Despotismus und Empfindsamkeit, Zu Schillers Kabale und Liebe, in: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 1981, S. 207 ff. (222 ff.); Luserke, Schiller, S. 122. – Vgl. zum Bildungsbürger des 18. Jahrhunderts Vierhaus, Deutschland im 18. Jahrhundert, S. 16, 19 ff.; Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 210 ff.

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faltenden Persönlichkeit. Dieser Gedanke äußert sich nicht erst in den ästhetischen Schriften der 1790er Jahre; schon in der Schaubühnenrede23 (1785) übernimmt die Bühne bereits die „ganze Aufklärung des Verstands“, bemüht sich um „sittliche Bildung“ und ist „Wegweiser durch das bürgerliche Leben“. Vor dem Bildungshintergrund erscheinen damit Luise und Miller, im Gegensatz zum Sympathieträger Ferdinand, als die Angeklagten des Stücks, die nicht bereit sind, die Überwindung der Standesschranken zu wagen.24 Für die gesellschaftskritische Deutung des Trauerspiels spricht auch die revolutionäre Wirkung von Schillers Hofkritik. Sie ist gegen den selbst nicht auftretenden Herzog gerichtet, wobei sich das Stück nicht nur auf Karl Eugen, sondern generell auf den Absolutismus deutscher Territorialfürsten bezieht.25 Schiller kritisiert die Regierungsepoche im Hinblick auf die Lasterhaftigkeit und die Rechtswillkür der Herzöge. Auf den absolutistischen Fürsten als Lasterfigur spielt z. B. die Mätressenwirtschaft am Hof des Präsidenten an. Lady Milford beklagt die „Wollust der Großen der Welt“, diese sei die „nimmersatte Hyäne“, die verderblichen Einfluss auf die Regierungspolitik habe. Unter dem „furchtbaren Zepter“ einiger „Pariserinnen“ habe das Volk bluten müssen. Neben der Mätressenwirtschaft kommen sowohl die Jagdleidenschaft Herzog Karl Eugens („Bärenhatz“) als auch die unseriöse Geldpolitik („Landeswucher“, „ungeheure Pressung des Landes“) zur Sprache. Die Rechtswillkür der Territorialfürsten ist Gegenstand der Kammerdienerszene26 (II/2), die auf die herrschende Praxis der 23

Zur Bildungsidee in der Schaubühnenrede vgl. Riedel, Schriften zum Theater, zur Bildenden Kunst vor 1790, in: Koopmann, S. 563 ff. 24 Kabale und Liebe (= 758, 802, 812); Schaubühnenrede (V, 821, 825, 828); I. E. wie hier Auerbach, Musikus Miller, in: ders., Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, Bern 1949, S. 382 ff. (389); Korff, Geist der Goethezeit, Band 1, 7. Aufl., Leipzig 1964, S. 207; Müller, Schillers Kabale und Liebe als Höhepunkt seines Jugendwerkes, in: ders., Wirklichkeit und Klassik. Beiträge zur Deutschen Literaturgeschichte von Lessing bis Heine, Berlin 1955, S. 121 (128, 137); ebenfalls die Kritik am Bürgertum herausstellend Koopmann, Kabale und Liebe, in: Koopmann, S. 375 ff.; Luserke, Schiller, S. 133; a. A. Michelsen, Ordnung und Eigensinn, S. 214 ff.; wohl auch Wiese, Schiller, S. 213 (Bindung Luises an die väterliche Ordnung sei eine „positive Seite ihres Charakters“). 25 Zu den zeitgeschichtlichen Bezügen in Kabale und Liebe vgl. Alt, Schiller I, S. 46 ff., 359; Gruenter, Despotismus und Empfindsamkeit, S. 215 ff.; Kiesel, „Bei Hof, bei Höll“, S. 237 ff.: Das Personenverzeichnis berichtet, Präsident von Walter lebe „am Hof eines deutschen Fürsten“ (= I, 756); an diesem Hof wird die „große Opera Dido“ (= I, 803) gespielt, ein Stück von Jomelli, das Herzog Karl Eugen in Stuttgart oft aufführen ließ. Der Verkauf der Landeskinder nach Amerika (II/2) bezieht sich entweder auf den Landgraf von Hessen, der 17.000 Söldner nach Nordamerika schickte oder auf den Herzog von Braunschweig, der knapp 6.000 Mann entsandte. 26 Bei vielen zeitgenössischen Aufführungen verzichtete man auf die Kammerdiener-Szene, da sie das Maß staatlicher Toleranz überschritt. In Frankfurt wurde erstmals am 3. Mai 1784 eine abgemilderte Fassung und zu Beginn der 90er Jahre in Berlin eine nahezu unzensierte Darbietung gezeigt, vgl. Alt, Schiller I, S. 353. – Vgl. zu weiterer Monarchen- und Absolutismuskritik Schillers frühe Gedichte Der Venus-

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Subsidienverträge anspielt. Der Kammerdiener überbringt Lady Milford die Botschaft, dass „siebentausend Landskinder nach Amerika fort“ seien. Vor der Abreise habe der „gnädigste Landesherr“ die Söldner, unter ihnen auch Greise und „Graubärte“, auf dem Paradeplatz aufmarschieren lassen. Einige „Maulaffen“ seien niedergeschossen worden und hätten „heulende Waisen“ und „wütende Mütter“ zurückgelassen.27 Die Lasterhaftigkeit und Rechtswillkür der Monarchie wirken sich im Trauerspiel auf die Gemütsverfassung der Familie aus. Miller imitiert die vorgegebene Ordnung und neigt daher gegenüber seiner Familie ebenso zur Despotie wie der Landesherr. Das illustriert vor allem der harte Umgang Millers mit seiner Tochter. Der Absolutismus des Herzogs scheint in die „Seele des Bürgers“ (Koopmann) hineinzuregieren. Schiller zeigt, dass der Bereich der höfischen Intrige („Kabale“) und der bürgerlichen Sphäre („Liebe“) nicht streng voneinander geschieden sind. Die deutliche Monarchenkritik überträgt ihre revolutionäre Wirkung auf den Ständekonflikt.28 c) Die „gleich ehrwürdge(n) Rechte“ der Bürger im Don Karlos Schiller betont im Don Karlos mit Posas Ruf nach „Gedankenfreiheit“ die abwehrrechtliche Komponente der Freiheitsgrundrechte, die den Bürger vor unberechtigten Staatseingriffen in seinen Privatbereich schützen.29 Darüber hinaus verlangt er wie in den Räubern und in Kabale und Liebe Gleichheit vor dem Gesetz, Abschaffung der Privilegien und Stände und somit rechtliche Gleichstellung aller Bürger.30

wagen (= I, 18 ff.); Der Eroberer (= I, 12 ff.); Die schlimmen Monarchen: (= I, 104 ff.). 27 Kabale und Liebe (= I, 766, 781, 784, 786, 787). Vgl. hierzu Alt, Schiller, S. 37, 359, 364 ff.; Buchwald, Schiller, S. 238; Gruenter, Despotismus und Empfindsamkeit, S. 215 ff. – Zu den Soldatenverkäufen vgl. Decker-Hauff, Herzog Karl Eugen von Württemberg, in: Rinker/Setzler (Hrsg.), Die Geschichte Baden-Württembergs, Stuttgart 1986, S. 63; Knapp, Der Soldatenhandel deutscher Fürsten nach Amerika, Berlin 1864; Mertens, in: Schaab/Schwarzmaier (Hrsg.), Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte, II. Band, Stuttgart 1995, S. 157; Storz, Karl Eugen, Der Fürst und das „alte gute Recht“, Stuttgart 1981, S. 58 ff.; ders., Herzog Karl Eugen, in: Uhland (Hrsg.), 900 Jahre Haus Württemberg, S. 246 ff.; Valjavec, Politische Strömungen, S. 48 ff., 108 ff., 405 ff.; Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 245 ff. 28 Vgl. Koopmann, Kabale und Liebe, in: Koopmann, S. 375; s. auch Buchwald, Schiller, S. 238. – Zur revolutionären Wirkung des Stücks s. Gruenter, Despotismus und Empfindsamkeit, S. 210. 29 Vgl. oben III.2. 30 Vgl. hierzu Alt, Schiller I, S. 449 ff.; Halberstam, Of Grace and Dignity in Law: A Tribute to Friedrich Schiller, in: Hinderer (Hrsg.), Friedrich Schiller und der Weg in die Moderne, Würzburg 2006, S. 205 ff. (206); Klöpfer, NJW 2006, S. 560 ff. (563); Schings, Die Brüder des Marquis Posa, S. 119.

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Anders als in den Räubern und Kabale und Liebe ergibt sich diese Forderung nicht aus der Tragödienhandlung und der konkreten sozialen Situation, in der die Figuren agieren. Sie wird in Posas Rede vor dem König vielmehr als Idee vorgestellt. Diese Idee spricht der Marquis mehrmals an – „Bürgerglück“ ließe sich mit „Fürstengröße“ vereinen; der König solle von „Millionen Königen ein König“ werden – um sie allmählich zu einer Forderung zu steigern: „Stellen Sie der Menschheit Verlornen Adel wieder her. Der Bürger Sei wiederum, was er zuvor gewesen, Der Krone Zweck – ihn binde keine Pflicht Als seiner Brüder gleich ehrwürdge Rechte.“

Schiller greift der Kantischen Definition des Gleichheitssatzes vor, wenn er Posa davon ausgehen lässt, den Bürger „binde kein Pflicht“ außer den gleich ehrwürdigen Rechte seiner Mitmenschen. Kants Forderung nach Gleichheit vor dem Gesetz ergibt sich aus dem formalen Rechtsprinzip und der Vorstellung, der Staat habe nur die innere und äußere Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Die apriorischen Voraussetzungen des Staates sind deshalb die „Freiheit jedes Gliedes der Sozietät, als Menschen“ und die „Gleichheit desselben mit jedem anderen, als Untertan“. Privilegien zugunsten bestimmter Glieder der Gesellschaft versteht Kant folglich als „Anomalien“, da sie dem formellen Gleichheitsprinzip widersprechen. Eine Bindung besteht für den Bürger also nur insoweit, als er die Freiheitsrechte des anderen zu respektieren hat. Nur die „ehrwürdge(n) Rechte“, wie Posa formuliert, binden den Freiheitsgebrauch des Bürgers.31 Schiller betont nicht nur das formale Rechtsprinzip, er nimmt auch auf die gleichen Rechte der „Brüder“ Bezug. Die Betonung der fraternité32 ist ein weiteres Indiz für die Nähe Posas zum allgemeinen Gleichheitsgedanken, wie er sich zunächst in den Parolen der französischen Revolutionäre äußerte und schließlich in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (Art. 1) manifestierte. Auf die Brüderlichkeit beruft sich auch Karlos im Gespräch mit Posa (I/9), um die freundschaftliche Verbundenheit zweier Gleichgesinnter auszudrücken. Die soziale „Gleichheit“, die Posa vom König fordert, taucht hier als Gleichheit unter Freunden auf: „CARLOS. [. . .] Dies brüderliche Du betrügt mein Ohr, Mein Herz mit süßen Ahndungen von Gleichheit. 31 I. Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, in: Vorländer (Hrsg.), I. Kant, Kleinere Schriften zur Geschichtsphilosophie und Politik, S. 87; eine ähnliche Stellungnahme zum Gleichheitssatz findet sich auch in der Rechtslehre, § 46 („Bürgerliche Gleichheit“), S. 171; vgl. hierzu Niebling, Das Staatsrecht in der Rechtslehre Kants, S. 122 ff.; Stolleis, Untertan – Bürger – Staatsbürger, S. 320. 32 Vgl. hierzu Schieder, Brüderlichkeit, in: GGr I, S. 565 ff.

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2. Kap.: Die Struktur der Demokratie – Keinen Einwurf- Was du sagen willst, errat ich. Dir ist es Kleinigkeit, ich weiß – doch mir, Dem Königssohne, ist es viel. Willst du Mein Bruder sein? MARQUIS. Dein Bruder!“

Karlos versteht die Verbrüderung als „Vorrecht der Vertraulichkeit“, das er als Königssohn nach den Regeln höfischer Etikette nicht berechtigt wäre, in Anspruch zu nehmen. Karlos durchbricht die geltende Hierarchie und begibt sich auf die niedrigere Standesebene des Marquis („deinesgleichen“). Im Don Karlos wird daher die fraternité sowohl auf privater als auch auf politischer Basis eingefordert.33 In Anlehnung an das französische Verständnis von Gleichheit geht Schiller damit über die Vorstellungen deutscher Gesetzgeber hinaus. Das Preußische Allgemeine Landrecht (1794) festigte im Gegensatz zur französischen Rechtsentwicklung die real existierenden Standesunterschiede, ohne einen Fortschritt zu bringen. Zwar heißt es eingangs, dass die „Unterthanen als freie Bürger des Staats“ angesehen werden. Dies gilt jedoch ausdrücklich nur „außer der Beziehung auf das Gut, zu welchem sie geschlagen sind“. Bereits in der Einleitung findet sich der Hinweis auf die „Rechte des Menschen“, die „durch seinen Stand“ entstehen und damit neben die allgemeinen Rechte treten. Die Gleichheitsforderung Posas wurde daher im Allgemeinen Landrecht nicht umgesetzt.34 4. Politische Teilhabe an der staatlichen Willensbildung: Don Karlos Fraglich ist, ob die „gleich ehrwürdge(n) Rechte“ der Rechtsunterworfenen mehr bedeuten als formale Rechtsgleichheit und ob Schiller im Don Karlos einen Mitbestimmungsanspruch des „Staatsbürgers“ formuliert. Posa fordert vom König, er solle der „Menschheit verlornen Adel“, also das natürliche Menschenrecht „wiederherstellen“.35 Schiller beruft sich auf den Rousseau’schen Naturzustand, in dem alle Menschen gleich und mit gleichen Rechten ausgestattet sind. Diesen ursprünglichen Schöpfungszustand solle der König „wiederherstellen“. Philipp II. wird also aufgefordert, die natürlichen Rechte der Menschen aus dem status naturalis in den status civilis zu übertragen. Da in der Aufklärungsliteratur des ausgehenden 18. Jahrhunderts umstritten war, ob tatsächlich alle 33 Don Karlos (= I, 44); hierzu Klöpfer, NJW 2006, S. 560 ff. (563 ff.); Schings, Die Brüder des Marquis Posa, S. 120. Vgl. im Übrigen Art. 1 der Declaration de l’homme et de citoyen, in: Willoweit/Seif, S. 251: „Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es. Die gesellschaftlichen Unterschiede dürfen nur im gemeinen Nutzen begründet sein.“ 34 Vgl. ALR, Einleitung §§ 82, 84; § 147 II 7, in: Hattenhauer/Bernert, S. 60, 444; vgl. hierzu Schlubohm, Freiheit, S. 100; Wesel, Rechtsgeschichte, Rn. 266. 35 Don Karlos (= II, 127).

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angeborenen Rechte als Staatsbürgerrechte weiter bestehen können,36 fragt sich, welche Qualität die wiederhergestellten Rechte im Don Karlos besitzen. Da sich Schiller sowohl Montesquieu als auch Rousseau als Hauptquelle bedient, sind zwei Interpretationen denkbar. Montesquieu glaubt, der natürliche Gleichheitszustand werde im status civilis durch die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz und die Allgemeingültigkeit des Gesetzes für alle Rechtsunterworfenen realisiert. Die natürlichen Rechte werden durch die Gleichheit vor dem Gesetz zurückgeholt: „Zwar kommen im Naturzustand die Menschen in Gleichheit zur Welt, doch können sie nicht darin verbleiben. Durch die Gesellschaft verlieren sie ihre Gleichheit. Erst durch die Gesetze werden sie wieder gleich.“ Im Sinne Montesquieus würde Posa den „verlornen“ Adel der Natur wiederherstellen, sodass den Bürger nur die gleichen Rechte seiner „Brüder“ einzuschränken vermögen. Diese einzige „Pflicht“, den Rechtskreis der Mitbürger zu respektieren, bedeutete die Herstellung eines formalen Rechtsprinzips, erschöpfte sich also in der Forderung nach Gleichheit vor dem Gesetz.37 Rousseau unterscheidet dagegen zwischen der Gleichheit als „citoyen“ (égalité civile) und der Gleichheit vor dem Gesetz und durch das Gesetz (égalité légitime). Die Rechte des „citoyen“ sind politische Teilhaberechte des Rechtsunterworfenen, die über die Abwehrfreiheiten des „Bürgers“ oder die reine Pflichtenstellung des „Untertans“ hinausgehen. Diese Staatsbürgerrechte sind aus dem Naturzustand in den Gesellschaftszustand übertragbar. Die Wendung Posas, die verlorene Freiheit müsse der König „wiederherstellen“, konnte Schiller daher nicht nur bei Montesquieu, sondern in entscheidend abgewandelter Form auch bei Rousseau finden: „denn da es [das Volk] seine Freiheit durch dasselbe Recht wiedererlangt, das sie ihm geraubt, ist es entweder berechtigt, sie sich zurückzuholen, oder man hatte keinerlei Recht, sie ihm wegzunehmen“.38 Der „citoyen“ mit politischen Teilhaberechten findet sich auch bei Kant in Form des „Staatsbürgers“. Im Gemeinspruch definiert Kant: „derjenige nun, welcher das Stimmrecht in dieser Gesetzgebung hat, heißt Bürger (citoyen, d.i. Staatsbürger, nicht Stadtbürger, bourgois). Die dazu erforderliche Qualität ist, außer der natür36

Vgl. oben III.1. Don Karlos (= II, 126); Montesquieu, De l’esprit de lois, VIII/3; S. 187; s. zu Montesquieus Gleichheitssatz Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 1958, 33 ff. In seiner Antrittsvorlesung weist Schiller ganz ähnlich wie im Don Karlos daraufhin, dass die Gleichheit vor dem Gesetz den Verlust der natürlichen Gleichheit kompensiert: „Die Gleichheit, die er durch seinen Eintritt in die Gesellschaft verlor, hat er wiedergewonnen durch weise Gesetze. Von dem blinden Zwange des Zufalls und der Not hat er sich unter die sanftere Herrschaft der Verträge geflüchtet und die Freiheit des Raubtiers hingegeben, um die edlere Freiheit des Menschen zu retten“ (= IV, 756). 38 J. J. Rousseau, Contrat Social, I/1 und I/7, S. 6, 19 ff. Zum „citoyen“ bei Rousseau s. Dann, Gleichheit, in: GGr II, S. 1016; Ehlers, Der Widerspruch zwischen Mensch und Bürger bei Rousseau, Göttingen 2004, S. 33 ff. 37

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lichen (daß es kein Kind, kein Weis sei), die einzige: daß er sein eigener Herr (sui iuris) sei, mithin irgend ein Eigentum habe [. . .] welches ihn ernährt“.39 Zweierlei spricht dafür, dass in Posas Rede der „Staatsbürger“ mit Mitbestimmungsrechten in der Gesetzgebung gemeint ist. Zum einen die wiederholte Betonung des Naturzustands und der natürlichen Rechte des Menschen. Mehrmals verweist Posa auf die natürliche Kraft der Schöpfung: „Sehen Sie sich um In seiner herrlichen Natur! Auf Freiheit Ist sie gegründet – und wie reich ist sie Durch Freiheit! Er, der große Schöpfer, wirft In einen Tropfen Tau den Wurm, und läßt Noch in den toten Räumen der Verwesung Die Willkür sich ergetzen – Ihre Schöpfung, Wie eng und arm!“

Zwar lässt sich aus der Hervorhebung der natürlichen Rechte noch nicht schließen, ob und mit welchem Inhalt diese in den status civilis „rettbar“ sind. Allerdings zeigt die Verbindung von „Freiheit“ und „herrlicher Natur“ Parallelen zu Rousseaus Verständnis des Naturzustands und weist damit auch auf Rousseaus „égalité civile“ im bürgerlichen Zustand.40 Zudem deutet Schiller die Überlegenheit eines politischen Systems an, das sich an den natürlichen Gleichheitsrechten der „Schöpfung“ orientiert. Philipps Monarchie, so Posa, sei im Gegensatz zur „herrlichen Natur“ nur „eng und arm“. Offenbar möchte Schiller darauf hinweisen, dass eine Rechtsordnung, die die natürliche Gleichheit der Menschen respektiert, den Rahmen bietet, in dem freie Unternehmertätigkeit und soziale Mobilität möglich werden sowie geistige Güter nach dem Prinzip freier Konkurrenz ausgetauscht werden. Der Respekt vor der natürlichen Gleichheit aller ist demnach ein wirtschaftliches und kulturelles Fortschrittsprinzip, welches eine „enge und arme“ Gesellschaft zu verhindern weiß.41

39 I. Kant, Über den Gemeinspruch, in: Vorländer (Hrsg.), Kleinere Schriften, S. 92 ff.; vgl. auch Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, § 46, S. 171; vgl. zum „Staatsbürger“ Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, S. 79 ff.; Stolleis, Untertan – Bürger – Staatsbürger, S. 320; Weinacht, „Staatsbürger“, zur Geschichte und Kritik eines politischen Begriffs, in: Der Staat 8 (1969), S. 41 ff.; Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 209 ff. 40 Don Karlos (= II, 126). Generell kann festgehalten werden, dass Schillers aus Rousseaus Staatslehre vor allem das Argument der natürlichen Gleichheit übernimmt. Vgl. z. B. das Gedicht Die Worte des Glaubens, das Rousseaus Worte aus der Exposition des „Contrat Social“ beinahe wörtlich aufnimmt: „Der Mensch ist frey geschaffen, ist frey, Und würd er in Ketten geboren“ (= I, 214). Bei Rousseau lautet der Satz: „Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten“, s. J. J. Rousseau, Contrat Social, I/1, S. 5. Vgl. hierzu Alt, Schiller I, S. 450. 41 Vgl. auch Schlumbohm, Freiheit, S. 83.

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Zweitens spricht für die Auslegung, Schiller fordere im Don Karlos politische Mitbestimmung der Bürger, eine Parallele zum Wilhelm Tell: die Fähigkeit der Eidgenossen zur Selbstregierung beruht auf der Naturverbundenheit der Einwohner. Das „Idyllische“ der Szenerie – es wird besonders im 1. Aufzug dargestellt – wirkt sich auf die politische Mündigkeit der Bürger aus. Ähnlich wie bei Rousseau ist die Verbundenheit der Eidgenossen zur „herrlichen Natur“ der Ausgangspunkt für eine regional mögliche Demokratie. Die „auf Freiheit“ gegründete Natur in Posas Rede weist voraus, auf die eidgenössische Freiheit im Wilhelm Tell.42 Dass sich Schiller im Don Karlos für die Mitbestimmung der Bürger in politischen Angelegenheiten einsetzt, bedeutet nicht, dass er das Prinzip der „Volkssouveränität“ zur Geltung bringen möchte. Zwischen der demokratischen Mitwirkung und der Souveränität des Volkes muss unterschieden werden – auch Rousseau trennt die Begriffe „Demokratie“ und „Volkssouveränität“.43 Erst recht nicht möchte Schiller Rousseaus „volonté générale“ umgesetzt wissen. In einem Brief an Körner vom 23. Februar 179344 distanziert er sich von dem Gedanken Rousseaus, der Einzelne könne durch den Gesamtwillen aller gezwungen werden, frei zu sein.45 Gemeint ist vielmehr „Mitwirkung der Staatsbürger bei der Regierung“ (A. L. Schlözer) bzw. die generelle „Fähigkeit der Stimmgebung“ als „aktiver Staatsbürger“ (Kant). Don Karlos enthält demnach zwar nicht die Forderung nach allgemeiner politischer Gleichheit, zielt aber auf die demokratische Mitwirkung der Staatsbürger an der staatlichen Willensbildung.46

42 Zur „Idylle“ im Wilhelm Tell vgl. Kaiser, Idylle und Revolution, Schiller „Wilhelm Tell“, in: Deutsche Literatur und Französische Revolution, Göttingen 1974, S. 87 ff. – Zu Rousseaus Staatsformenlehre s. J. J. Rousseau, Contrat Social, III/3, S. 70 ff. (die „demokratische Regierung“ eigne sich vor allem für „kleine Staaten“; Rousseau dachte an die Schweiz und an Korsika). 43 s. J. J. Rousseau, Contra Social, II/1,2 und III/4, S. 27 ff., 72 ff. Zur Problematik, „Demokratie“ mit der Rousseau’schen „Volkssouveränität“ gleichzusetzen, vgl. Haverkate, Verfassungslehre, S. 335 ff.; Kägi, Rechtsstaat und Demokratie, in: FS Giacometti, S. 107 ff. (108 ff.); Kriele, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, in: VVDStRL 29 (1970), S. 46 ff. (53 ff.); Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 26 ff. 44 „Die Schönheit [. . .] betracht alle Dinge als Selbstzwecke [. . .] In der aesthetischen Welt ist jedes Naturwesen ein freier Bürger, der mit dem Edelsten gleiche Rechte hat, und nicht einmal um des Ganzen willen darf gezwungen werden [. . .]“ (= NA 26, 212); dazu Borchmeyer, Friedrich Schiller oder die Chance der Freiheit, in: Staskova (Hrsg.), Schiller und Europa, S. 59 ff. (79). 45 s. J. J. Rousseau, Contrat Social, IV/2, S. 114 ff. Problematisch deshalb Klöpfer, Verfassungsdenken im Don Karlos, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2006, S. 560 ff. (564: „Gedanke der Volkssouveränität“). 46 Zu den demokratischen Ansätzen im Don Karlos vgl. Alt, Schiller I, S. 448 („verfassungsgestützte Regierungsform“ mit „Rat oder Parlament“); Schings, Die Brüder des Marquis Posa, S. 119 („Umrisse einer demokratischen Staatsform“).

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2. Kap.: Die Struktur der Demokratie

5. Illustration einer funktionierenden Demokratie im Wilhelm Tell Am Ende des Don Karlos deutet sich an, dass die demokratischen Forderungen Posas in der spanischen Monarchie des 16. Jahrhunderts keine Chance auf Realisierung haben. Angesichts der Uneinsichtigkeit des Königs muss der Marquis zur Kenntnis nehmen: „Das Jahrhundert Ist meinem Ideal nicht reif. Ich lebe Ein Bürger derer, welche kommen werden.“47

Die Vertagung des demokratischen Gedankens in fernere Jahrhunderte ist nicht nur bei Schillers Posa präsent, sie findet vor allem nach der französischen Revolution vermehrt Anhänger. Görres formuliert 1798: „daß das Jahrhundert für die Einführung der demokratischen Form noch nicht erschienen ist“. Und Arndt schreibt beinahe wortgleich: „Alle Staaten, auch die noch keine Demokratie sind, werden von Jahrhundert zu Jahrhundert mehr demokratisch werden“.48 In Wilhelm Tell, Schillers letztem vollendeten Drama, haben sich die Idealvorstellung Posas und die demokratischen Hoffnungen Arndts und Görres’ verwirklicht: das Schauspiel entwirft das Panorama einer funktionierenden Demokratie, in der mündige Staatsbürger von ihrem politischen Gestaltungsrecht zum Nutzen des Staatsganzen Gebrauch machen. Adel, Bürger und Bauern versöhnen sich – sie sind sich „einig“, der Adel schwört den „Bürgereid“ – und partizipieren in gleicher Weise am demokratischen Willensbildungsprozess.49 Die staatsrechtliche Besonderheit der eidgenössischen Demokratie ist gekennzeichnet von der reichsunmittelbaren Stellung der „alten Schweizer“ gegenüber dem Kaiser. In der Rütli-Szene (II/2) berichtet Stauffacher über den Ursprung und die Geschichte der kantonalen Gesellschaftsstruktur. Er erläutert, dass drei Elemente die Reichsunmittelbarkeit prägen: Erstens sind die Schweizer weitgehend nur gegenüber dem Kaiser lehenspflichtig, können teilweise aber auch Lehen der Reichsvasallen annehmen. Zweitens sind sie zu „edelm Waffendienst“ verpflichtet und müssen im Kriegsfall Truppen zur Verteidigung des Reiches entsenden. Im Gegenzug erhalten sie „des Reiches Schutz und Schirm“. Drittens ist ihre Gerichtsbarkeit weitgehend unabhängig vom Reich. Nur der „höchste Blutbann“, die äußerste Gerichtsgewalt, die über Leben und Tod entscheidet, steht dem Kaiser zu. Diese Kompetenz übt der Kaiser nicht persönlich aus, sondern lässt sich durch einen seiner adligen Reichsvasallen vertreten. Die

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Don Karlos (= II, 121). Zu Görres und Arndt s. Koselleck, Demokratie, in: GGr I, S. 852 ff. 49 Wilhelm Tell (= II, 998, 999). Zur demokratischen Praxis im Wilhelm Tell vgl. Alt, Schiller II, S. 573; Schneider, Wilhelm Tell, S. 120. 48

IV. Demokratie als Möglichkeit

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äußerste Gerichtskompetenz wurde von den Schweizern immer anerkannt, da sie „schlicht und klar“ ausgeübt wurde.50 Alle weiteren Aufgaben erledigen die Schweizer in eigener Angelegenheit. Über den Regierungsmodus der „Väter“ meint Stauffacher: „Daheim regierten sie sich fröhlich selbst Nach altem Brauch und eigenem Gesetz.“

Das Recht der Selbstverwaltung ist der eigentliche Freiheitskern der föderal organisierten Kantone. Es veranschaulicht, dass die Schweizer trotz der feudalen Reichsstruktur zur demokratischen Praxis fähig und willens sind. Obwohl sie verfassungsrechtlich in das Reich eingegliedert sind, zeichnet sich die eidgenössische Regierungsform durch „freie Selbstbestimmung aller Bürger“ (BVerfG) aus. Die staatsrechtliche Struktur der Urkantone ist daher vergleichbar mit heutigen Gebietskörperschaften (Gemeinden), deren Bedeutung für die Struktur der Demokratie immer wieder betont wird.51 Dass es sich bei der Selbstverwaltung der Urkantone um eine Illustration allgemeiner politischer Gleichheit handelt, zeigt die Stellung der Frauen. Zwar bleiben alle Frauen (auch Berta) im Hausfrauenstatus verhaftet, sie überwinden ihr traditionelles Rollenbild aber, indem sie politischen Einfluss nehmen. Das zeigt sich vor allem noch vor Beginn des Widerstands gegen die habsburgischen Landvögte. Repräsentativ ist das Gespräch zwischen Stauffacher und seiner Frau (I/2). Gertrud kennt die politischen Verhältnisse der Urkantone und weiß Bescheid, wie es um „des Landes Wohl“ bestellt ist. Sie rät Stauffacher mit Verbündeten „still zu Rate“ zu gehen und wird damit zur Urheberin des Rütli-Bundes. Sie ist sogar bereit zum Waffendienst und will wie ihr Mann notfalls „tapfer fechtend sterben“. Auch Berta spielt eine entscheidende Rolle bei der Organisation des Widerstands. Sie kann Rudenz überreden, sich von Habsburg zu trennen und auf die Seite der Urkantone zu wechseln („Steh zu deinem Volk“). Später versucht sie Gessler vom Unrecht des Apfelschusses zu überzeu-

50 Vgl. zur reichsunmittelbaren Stellung der Schweizer Reinhardt, Geschichte der Schweiz, S. 11 ff.; Waider, Zur Lehre vom Widerstandsrecht, S. 391 ff. Zu den Rechten des Königs zählen im Übrigen noch einige Zollrechte, die Rudenz im Gespräch mit Attinghausen erwähnt (II/1). 51 Wilhelm Tell (= II, 957 ff.). Zur Bedeutung der Selbstverwaltung für die demokratische Praxis vgl. etwa die Präambel der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung vom 15.10.1985, in der kommunale Gebietskörperschaften als „eine der wesentlichen Grundlagen der demokratischen Staatsform“ bezeichnet werden. Aus der Literatur vgl. Gassner, Gemeindefreiheit als Rettung Europas. Grundlinien einer ethischen Geschichtsauffassung, Basel 1943; jetzt auch Blickle, Kommunalismus. Skizzen einer gesellschaftlichen Organisationsform, 2 Bände, München 2000. – Zum Textzitat: BVerfGE 44, 125 ff. (142).

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2. Kap.: Die Struktur der Demokratie

gen. Von den teilnahmslos Umstehenden ist sie eine der Wenigen, die es wagt, dem Landvogt ernsthaft die Stirn zu bieten (III/3).52 Mit der Schilderung politisch gleichberechtigter Frauen geht Schiller über die zeitgenössischen Vorstellungen hinaus. Zwar bekannte sich die Declaration de l’homme et de citoyen von 1789 in Art. 1 zur allgemeinen Gleichheit der Menschen, jedoch waren von der Rechtsgewährleistung einige gesellschaftliche Gruppen ausgeschlossen. Die Rechtsgleichheit der Frauen war aus Art. 1 nicht ableitbar.53 Bei Kant war die Rechtsgleichheit der Frauen nur als „passive“ Gleichheit denkbar. Stimmrecht in der Gesetzgebung („aktive Glieder“) konnte „alles Frauenzimmer“ jedoch nicht besitzen. Im Wilhelm Tell äußert sich demgegenüber ein emanzipiertes Geschlechterverständnis. Anders als bei Kant sind die Frauen „aktive Glieder“ des Staates.54 Die Illustration einer funktionierenden Demokratie im Wilhelm Tell bedeutet zum einen, dass Schiller Demokratie, verstanden als „Selbstbestimmung aller Bürger“, als eine mögliche Form der staatlichen Organisation betrachtete. Im Unterschied zu allen anderen Tragödien endet das Tell-Drama nicht mit dem Scheitern der Handelnden. Am Ende steht ein erfolgreicher Widerstand gegen die österreichische Hegemonialmacht. Die eidgenössische Demokratie scheint daher nicht nur eine mögliche, sondern auch die angestrebte Form der staatlichen Organisation zu sein. Zum anderen widerspricht die Darstellung im Wilhelm Tell der oftmals geäußerten Meinung, Schiller habe nach den Erfahrungen mit den französischen Revolutionsereignissen eine mehr und mehr legalistische Position eingenommen, die letztlich dazu geführt habe, sich von demokratischen Prozessen zu distanzieren. Betrachtet man die Bearbeitung staatsrechtlicher Stoffe im dramatischen Werk ergibt sich vielmehr ein optimistischeres Bild. Die frühen Dichtungen fordern allgemeine Rechtsgleichheit der Bürger, die im Don Karlos zu einer Forderung nach politischer Mitbestimmung ausgebaut und im Wilhelm Tell als allgemeine politische Gleichheit praktiziert wird.

52 Wilhelm Tell (= II, 923 ff., 973, 981 ff.). Zur Stellung der Frauen im Wilhelm Tell vgl. Schneider, Wilhelm Tell, S. 122. 53 Vgl. Schmale, Recht und Verfassung: Von der alten Monarchie zur Republik, in: Ploetz, Die Französische Revolution, S. 157 ff. (163 ff.). 54 Vgl. I. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, § 46, S. 171 ff.; dazu Roellecke, Das ganze Volk, in: FS Badura 2004, S. 456.

V. Voraussetzungen der Demokratie

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V. Voraussetzungen der Demokratie: Die juristischen und ethischen Vorbedingungen der Demokratie in den historischen und theoretischen Schriften vom Abfall der Niederlande bis zu den Briefen über die Ästhetische Erziehung des Menschen 1. Die juristischen Voraussetzungen der Demokratie: Repräsentation und Unabhängigkeit der Abgeordneten a) Repräsentation Die bisherigen Überlegungen haben ergeben, dass sich Schiller Demokratie als Staats- und Regierungsform vorstellen konnte und politische Gleichheit der Bürger als das in der Geschichte anzustrebende Ziel betrachtete. Dies wurde schrittweise anhand der dramatischen Werke gezeigt, ohne auf die theoretischen Schriften Schillers näher einzugehen. Dadurch blieb bisher offen, welche juristischen und ethischen Bedingungen an die Realisierbarkeit der Demokratie geknüpft sind. Diese Frage stellt sich notwendigerweise, da der Dichter im Rahmen der Tragödie offene Entwürfe vorstellen kann, ohne diese wissenschaftlich begründen zu müssen. Wenn Posa im Don Karlos die Mitbestimmung der Staatsbürger fordert, dann braucht er nicht erläutern, ob diese Mitbestimmung in unmittelbarer Abstimmung, parlamentarisch oder in einem Mischsystem aus Elementen der unmittelbaren und repräsentativen Demokratie stattfinden soll. Genauso kann im Wilhelm Tell politische Gleichheit als „Idylle“ vorgestellt werden, ohne dass die Frage beantwortet wäre, ob sich die Einwohner der Urkantone durch besondere moralische oder politische Fähigkeiten auszeichnen, die die Möglichkeit der Demokratie in der Schweiz als zufälligen Einzelfall erscheinen lässt. Erst wenn diese juristischen und ethischen Vorfragen gelöst sind, kann bewertet werden, ob Schiller die „Struktur“ der Demokratie erfasst und verarbeitet hat. Die Beantwortung der Fragen soll im Folgenden auf Basis der historischen und ästhetischen Schriften erfolgen. Zu berücksichtigen sind insbesondere die Gesetzgebung des Lykurgus und Solon, der Abfall der Niederlande von der spanischen Regierung und die Briefe über die Ästhetische Erziehung des Menschen. In der Zusammenschau ergeben sie ein schlüssiges Bild der „Struktur“ der Demokratie als Staats- und Regierungsform. Das erste strukturelle Problem, das Schiller in der Gesetzgebung identifiziert, handelt von der Technik und dem Ablauf von Volksversammlungen. Vor dem Hintergrund aktueller politischer Entwicklungen und Diskussionen in der Aufklärungsliteratur kommen für Schiller grundsätzlich zwei Konzepte in Betracht: direkte Demokratie unter Einbindung des gesamten Volkes oder repräsentative Demokratie mit Abgeordnetensystem. Diesen Streitpunkt hatte bereits die französische Nationalversammlung unter Rückgriff auf die unterschiedlichen Positionen Rousseaus und Montesquieus zu entscheiden. Rousseau war Gegner der Repräsentation, da er sie für nicht vereinbar mit dem Absolutheitsanspruch der

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2. Kap.: Die Struktur der Demokratie

„volonté générale“ hielt: „Die Souveränität kann [. . .] nicht veräußert [. . .] und nicht vertreten werden; sie besteht wesentlich im Gemeinwillen, und der Wille kann nicht vertreten werden.“ Das Volk bleibe berechtigt, zu jeder beliebigen Zeit zusammenzutreten, um Gesetze zu erlassen oder die mit der Regierung Beauftragten abzusetzen. Das Plebiszit, der Volksentscheid, sei unter jeder Regierung die letzte Instanz. Es ist deutlich erkennbar, dass Rousseau den Gedanken des Plebiszits aus der Perspektive der Verhältnisse eines Stadtstaates konzipiert. Deshalb schlug er in seinem Gutachten zur Beurteilung der Staatsverfassung Korsikas eine plebiszitäre Regierungsform vor.1 Montesquieu kann sich Demokratie dagegen nur als repräsentative vorstellen. In „großen Staaten“ sei es „unmöglich“ das Volk selbst entscheiden zu lassen, in kleinen sei dies „mit vielen Mißhelligkeiten“ verbunden. Zudem bestehe der große Vorteil der Repräsentanten darin, dass sie fähig seien, die Angelegenheiten zu verhandeln, während das Volk hierzu keinesfalls „geschickt“ sei. Im Übrigen dürften die Repräsentanten, ausgenommen sind jene, die im Zustand der „Niedrigkeit“ („bassesse“) leben, von ihren Wählern nur eine „allgemeine Anweisung“ erhalten, keine für jede „besondere“ Angelegenheit, also kein imperatives Mandat.2 Die französische Verfassung folgt dem Modell Montesquieus, ebenso, wie sich die amerikanische Verfassung bereits zur „representative democracy“ bekannt und das englische Prinzip des „King in Parliament“ durch ein präsidentielles System abgelöst hatte.3 Vor diesem Hintergrund entscheidet sich Schiller für das Prinzip der Repräsentation, wie sich bei der Auseinandersetzung mit der athenischen Demokratie unter Solon zeigt. In der Gesetzgebung kritisiert er die unmittelbare Demokratie des griechischen Gesetzgebers: „Man hat dem Solon zum Vorwurf gemacht, daß er dem Volk zu große Gewalt gegeben habe, und dieser Vorwurf ist nicht ungegründet. Indem er eine Klippe, die Oligarchie, zu sehr vermied, ist er einer andern, der Anarchie, zu nahe gekommen.“

Schiller löst das Problem der „Anarchie“, die großen Versammlungen innewohne, mit einer Beschränkung der Teilnehmerzahl an Parlamentsentscheidun1 Vgl. Rousseau, Contrat Social, II/1 und insb. III/15, S. 27 ff., 102 ff.; zur „ irréprésentabilité “ bei Rousseau s. Grimm, Repräsentation, in: Staatslexikon IV, S. 878 ff. (879); Haller, Repräsentation, in: HWP VIII, S. 790 ff. (819); Maier, in: Maier/Denzer (Hrsg.), Klassiker des politischen Denkens, Band 2, 5. Aufl., München 2001, S. 69; Podlech, Repräsentation, in: GGr V, S. 521; Zippelius, Geschichte der Staatsideen, S. 107. 2 Vgl. Montesquieu, De l’esprit des lois, XI/6, S. 219 ff.; s. auch Bergstraesser/ Oberndörfer, S. 241 ff.; zu Montesquieu vgl. Falk, in Maier/Denzer a. a. O., S. 52; Podlech, Repräsentation, in: GGr V, S. 520. 3 Zur Verfassungsentwicklung in Frankreich, England und Amerika vgl. Hofmann, Repräsentation, S. 338 ff., 406 ff.; Podlech, Repräsentation, in: GGr V, S. 522 ff.; Reiter, Repräsentation, in: HRG IV, S. 908 ff.

V. Voraussetzungen der Demokratie

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gen. Im Falle Athens wäre aus Schillers Sicht eine Entscheidung durch Repräsentanten die vernünftigere, weniger anarchische Lösung gewesen: „Die Übel, welche von einer Demokratie unzertrennlich sind, tumultarische und leidenschaftliche Entscheidungen und der Geist der Faktion, konnten freilich in Athen nicht vermieden werden – aber diese Übel sind doch weit mehr der Form, die er [Solon] wählte, als dem Wesen der Demokratie zuzuschreiben. Er fehlte dann sehr, daß er das Volk nicht durch Repräsentanten, sondern in Person entscheiden ließ.“4

Demokratie hält Schiller für ein tragfähiges Regierungsprinzip, jedoch unter der Voraussetzung, dass die Unordnung („Anarchie“) großer Versammlungen durch Repräsentation vermieden werde. Schiller argumentiert also mit dem Argument der technischen Unmöglichkeit, unmittelbarer Demokratie. Dabei unterscheidet er nicht wie Montesquieu zwischen großen und kleinen Staaten, da er selbst für den kleinen Stadtstaat Athen ein repräsentatives Regierungssystem vorschlägt. Repräsentation erscheint vielmehr als ein allgemeines Effizienzprinzip, das sich dadurch auszeichnet, den Volkswillen in einem bestimmten Verfahren zu formen. Es bedarf bestimmter Repräsentativorgane, um die Handlungsfähigkeit des Staatskörpers zu gewährleisten, die ein „Plébiscite de tous les jours“ nicht leisten kann. Ähnlich hatte auch Sieyès Repräsentation als Mittel begriffen, die Wirksamkeit des politischen Systems durch Arbeitsteilung und Kondensierung politischer Willensbildung zu steigern. Freilich war seine Idee auf die Verwirklichung der „volonté générale“ gerichtet, ein bei Schiller nicht vorkommendes Motiv.5 Wie dieses Effizienzprinzip konkret gestaltet werden kann, um die „Anarchie“ parlamentarischer Versammlungen auf ein vertretbares Maß zu begrenzen, zeigt Schillers Kommentar im Abfall der Niederlande über Zusammensetzung und Aufgaben des Brüsseler Staatsrats. Schiller beschreibt, dass die Geschäftsordnung des Staatsrats vorsah, Beschlüsse nicht nur im Plenum zu fassen, sondern auch im „engern Ausschuß“, der sog. „Konsulta“. Der „Konsulta“ gehörten neben dem Statthalter noch drei Adlige an. Eine Entscheidung in diesem kleinen Gremium war in drei Fällen möglich: erstens, wenn die Statthalterin merkte, dass sich die Räte durch „Faktionen“ teilten, oder zweitens, wenn im Vorfeld der Sitzung Absprachen getroffen wurden, drittens, bei Gefahr im Verzug. Schiller hält die Verkürzung parlamentarischer Rechte durch die „Konsulta“ für eine gelungene Regelung: Selbst die „republikanische Freiheit“ und 4

Gesetzgebung (= IV, 831, 832; s. auch 825 ff. – Hervorhebung v. Schiller). Vgl. zu Sieyès Haller, Repräsentation, in: HWP VIII, S. 819; Hofmann, Repräsentation, S. 406 ff.; Podlech, Repräsentation, in: GGr V, S. 525. – Zum Effizienzgedanken und zur Rationalitätssteigerung repräsentativer Demokratien vgl. Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: HStR III, 2005, § 34 Rn. 4, 9, 12; Leibholz, Zum Begriff und Wesen der Demokratie, in: ders., Strukturprobleme der modernen Demokratie, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1974, S. 142 ff. (145); Sommermann, Demokratiekonzepte im Vergleich, in: Demokratie in Europa, S. 211; Welker, Volkssouveränität, in: HRG V, S. 1006 ff. (1007). 5

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2. Kap.: Die Struktur der Demokratie

die „vernünftigste Staatskunst“ könne sie dulden. Er begründet seine Ansicht wiederum mit den Nachteilen „großer Versammlungen“, bei denen die „Menge der Hörer“ keinen Ratschluss zulasse, der die notwendige „Nüchternheit“ und „Reife“ aufweise. Nur in einem „engern Zirkel, wenn die Mitglieder gut gewählt sind“, könnten sachliche Entscheidungen getroffen werden.6 Schiller spricht zwei organisatorische Elemente an, die im Zeichen effektiver Regierungsfähigkeit stehen. Zum einen wendet er sich gegen parlamentarische Fraktionen – parallel sprach sich James Madison in den Federalist Papers (Nr. 10) gegen das „Übel“ der Parteiung („faction“) aus,7 da Schiller von einer Gruppenbildung die Verschleppung des parlamentarischen Prozesses erwartet. Das Gegenprinzip wären demnach ständig wechselnde Mehr- und Minderheiten, ohne feste Regierungs- und Oppositionsparteien sowie eine freie Stellung des Abgeordneten. Ebenso wie Montesquieu hält Schiller ein imperatives Mandat für unzulässig, geht aber gleichzeitig noch einen Schritt weiter, indem er sich ganz allgemein gegen den „Geist der Faktion“ zur Wehr setzt.8 Zum anderen hält er eine Entscheidung der „Konsulta“ bei Gefahr im Verzug für notwendig. Damit spricht er sich für eine effektive Kompetenzverteilung zwischen Parlament und Regierung aus. Welche Fälle dabei „unter Gefahr im Verzug“ zu subsumieren sind, veranschaulicht Schiller in seinem Bericht über die Belagerung der Stadt Antwerpen in den Jahren 1584 und 1585. Er kritisiert die Unschlüssigkeit des Stadtrates während der Belagerung durch den Prinzen von Parma. Den Stadtrat von Antwerpen zeigt Schiller als handlungsunfähigen Regierungskörper, der von der Zwietracht der Parteien beherrscht wird: „Die Regierung der Stadt war in allzu viele Hände verteilt und der stürmischen Menge ein viel zu großer Anteil daran gegeben, als daß man mit Ruhe überlegen, mit Einsicht wählen und mit Festigkeit ausführen konnte.“

Die Betonung liegt hier auf dem Begriff der „Festigkeit“, die den Beschlüssen des Bürgergremiums fehlte. Antwerpen ist in Schillers Bericht von feindlichen Truppen umringt, die Wälle und Befestigungen brechen, man beratschlagt bereits über Kapitulation und Übergabe der Stadt an den Prinzen von Parma. In dieser Notsituation fordert Schiller ein kluges Krisenmanagement, das nur die Exekutive übernehmen könne, da allein sie in der Lage sei, eine „heilsame 6

Abfall der Niederlande (= IV, 106 ff.). Vgl. zu Madison Cooke (Hrsg.), The Federalist, 1989, Nr. 10 v. 22.11.1787, S. 56 ff. (61 ff.); Gröschner, Die Republik, in: HStR II 2004, § 23 Rn. 32; s. auch Gebhardt, „The Federalist“, in: Klassiker des politischen Denkens I, S. 73 ff. 8 Abfall der Niederlande (= IV, 105 ff.). Zur historischen Debatte im 18. Jahrhundert um Fraktions- und Gruppenbildung im Parlament Jäger, Mehrheit, in: GGr III, S. 1033. – Vgl. zur Stellung des Abgeordneten und dem Problem des imperativen Mandats (auch aus heutiger Sicht) Klein, Status des Abgeordneten, in: HStR III, § 51 Rn. 2 ff., 14 ff.; Kunig, Politische Willensbildung in der Gesellschaft, in: HStR III, § 40 Rn. 86; Zeh, Gliederung und Organe des Bundestages, in: HStR III, § 52 Rn. 15. 7

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Maßregel“ für die Rettung der Stadt zu erarbeiten. Schiller hält es für notwendig, dass sich bei einem allgemeinen Notstand, einer Staatskrise oder einem Unglücksfall die Ausführungskompetenz von der Legislative auf die Exekutive verschiebt (Im Notstand „schlägt die Stunde der Exekutive“9). Das ist vor dem Hintergrund heutiger Verfassungs- und Verwaltungsvorschriften bereits sehr modern gedacht.10 Der Effektivitätsgedanke wird von Schiller ergänzt durch ein materielles Abstimmungsprinzip. Repräsentation soll nicht nur durch Fraktionsverbot und effektive Kompetenzverteilung verwirklicht werden, sondern auch durch die Idee, nur den „Besten“ und Fähigsten sollte die Gesetzgebung anvertraut werden. Das zeigt sich nicht nur in den historischen Schriften, auch die Rütli-Szene im Wilhelm Tell deutet auf den Gedanken der Ephorenverantwortung. Auf dem Rütli lässt Schiller nicht das ganze Volk auftreten, sondern dreiunddreißig Vertreter der Kantone Schwyz, Uri und Unterwalden. Sie sind berechtigt für die „Landsgemeinde“ zu entscheiden: „Wir stehen hier statt einer Landsgemeinde Und können gelten für ein ganzes Volk.“

Da die Anwesenden für ein ganzes Volk „gelten“ ist der demokratische Legitimationszusammenhang hergestellt. Die gefassten Beschlüsse sind für das ganze Volk bindend und können ihm zugerechnet werden. Entscheidend ist dabei, dass nicht zufällig ausgewählte Landsleute auf dem Rütli vertreten sind, sondern die „Besten“: „Ist gleich die Zahl nicht voll, das Herz ist hier des ganzen Volks, die Besten sind zugegen.“

Die Vorstellung, nur die „Besten“ eines Gemeinwesens seien zur Repräsentation befugt, betont Schiller auch in den historischen Schriften. Einmal müssen die Mitglieder, wie im Falle der „Konsulta“, „gut gewählt“ sein, um eine handlungsfähige Regierung zu sichern, wobei diese Wahl nur auf „erleuchtete 9 Zur „Stunde der Exekutive“ vgl. auch Carl Schmitts Diktum: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“; dazu Hofmann, „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“, in: Müßig (Hrsg.), Konstitutionalismus und Verfassungskonflikt, S. 269 ff. 10 Abfall der Niederlande (= IV, 316 ff., 333). Zu Kompetenzübertragungen auf die Exekutive in Notstandssituationen aus heutiger Sicht vgl. Art. 11 Abs. 2, 87a Abs. 4, 91 GG (innerer Notstand), Art. 87a Abs. 1–3, 115a ff. GG (Verteidigungsfall) oder auch die Gemeindeordnungen der Bundesländer, die bei „dringenden Angelegenheiten“ eine Eilfallkompetenz des Bürgermeisters vorsehen (z. B. § 43 Abs. 4 GemO BW). – Vgl. zur Diskussion um den Not- und Ausnahmezustand im Grundgesetz Böckenförde, Der verdrängte Ausnahmezustand, in: NJW 1978, S. 1881 ff.; Lübbe-Wolf, Rechtsstaat und Ausnahmerecht, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen (ZParlf) 1980, S. 110 ff.; Kirchhof, Die Zulässigkeit des Einsatzes staatlicher Gewalt in Ausnahmesituationen, in: same titel, Heidelberg 1976, S. 83 ff.; vgl. auch Folz, Staatsnotstand und Notstandsrecht, Saarbrücken 1962; Krenzler, An den Grenzen der Notstandsverfassung, Berlin 1974.

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Köpfe“ fallen dürfe. Ein andermal sind es die „Ephoren“, die im spartanischen Senat das Gleichgewicht zwischen König und Volk herstellen und damit eine legitime Machtausübung durch den Senat garantieren. Die „Besten“ einer Gemeinschaft tragen bei Schiller, wie auch bei Montesquieu, immer entscheidende Verantwortung, entweder als Volksvertreter einer Selbstverwaltung, wie in der Schweiz, oder als Ausschussmitglieder einer Zentralregierung, wie in den Niederlanden, letztlich auch als Senatoren in einem monarchisch geprägten Stadtstaat, wie in Sparta.11 Fraglich bleibt, wer unter die Kategorie der „Ephoren“ und „erleuchteten Köpfe“ zu fassen ist. Zumeist handelt es sich um kleinere Gremien herausragender Persönlichkeiten. Auf dem Rütli sind insbesondere die Anführer der Urkantone gemeint, Stauffacher, Walter Fürst und Melchthal. Sie genießen großes Ansehen in der Bevölkerung, wie Melchthals Bericht über die Mobilisierung des Volkes in Unterwalden bezeugt. Obwohl die „Hirten“ und „graden Seelen“ nicht selbst an der Versammlung teilnehmen können, schwören sie zu tun, was den Anführern „Recht würde dünken“ und ihnen „bis in den Tod zu folgen“. Tendenziell zählen zu den Besten daher die Edelleute der Schweizer Urkantone. Auch im Abfall der Niederlande sind Wilhelm von Oranien, Graf Egmont und Graf von Hoorne die treibenden Kräfte des Unabhängigkeitskampfes gegen die spanische Fremdherrschaft. Trotz der mehrfachen Betonung der „Nation“ und des Hinweises Schillers, dass nirgends die „Volksstimme eine so unfehlbare Richterin der Regierung“ sei, liegt der Erfolg der Rebellion nicht in den Händen des Volkes, sondern im Kriegs- und Verhandlungsgeschick des niederländischen Hochadels. Der Geusenbund, dem sich nach und nach „Menschen aus allen Klassen und Ständen“ anschließen, ist das Werk einer zunächst kleinen, sechsköpfigen Verschwörergruppe, zu der Graf Ludwig von Nassau – Wilhelms Bruder – sowie Heinrich von Brederode und Graf Karl von Mansfeld gehören.12 Handlungsverantwortung bekommen daher bei Schiller vor allem kleinere Gremien, deren Mitglieder „gut gewählt“ sind. In den Dramen liegt die Ephorenverantwortung zumeist sogar nur in einer Hand, d.h., der Einzelne „reprä-

11 Wilhelm Tell (= II, 954); Abfall der Niederlande (= IV, 106); Gesetzgebung (= IV, 806). – Zur Repräsentation im Wilhelm Tell vgl. auch Schneider, Wilhelm Tell, S. 110; Thalheim, Notwendigkeit und Rechtlichkeit der Selbsthilfe in Schillers „Wilhelm Tell“, S. 216 ff. (221); Waider, Zur Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes nach Schillers „Wilhelm Tell“, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW) 1968, S. 389 ff. (404); Waldecker, Das Problem des politischen Mordes in Schillers Tell. Eine Umdeutung, in: Zeitschrift für Öffentliches Recht (ZÖR) 1926, S. 47 ff. (67); demgegenüber spricht Kaiser, Idylle und Revolution, Schillers Wilhelm Tell, in: Deutsche Literatur und Französische Revolution, S. 78 ff. (105) von „unmittelbarer“ Demokratie. 12 Wilhelm Tell (= II, 951); Abfall der Niederlande (= IV, 134 ff. – zur „Nation“; IV, 177 – zum Geusenbund). Zur Ephohrenverantwortung im Abfall der Niederlande vgl. Eder, in: Koopmann, S. 665, 668 ff., 671.

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sentiert“ das Volk (Fiesko, Posa, Wallenstein, Tell). Obwohl der Einzelne wegen seiner Triebanfälligkeit den guten Ausgang der Handlungen nicht garantieren kann, und zumeist mit seinem Vorhaben scheitert, bekommt er dennoch bei „Gefahr im Verzug“ die Verantwortung übertragen. Denn seine persönlichen und intellektuellen Fähigkeiten können immerhin eine Wahrscheinlichkeit in Richtung auf das Sittlich-Gute angeben. Somit wird der Einzelne, nicht die „Masse“ zum Träger des geschichtlichen Prozesses.13 Die Verantwortung des Einzelnen zeigt sich zum Beispiel in der Verschwörung des Fiesko zu Genua. Der Staatsstreich des Grafen von Lavagna gewinnt seine Kraft allein aus dem Handeln Fieskos. Die Genueser wollen ihm die Verantwortung für einen Umsturz übertragen, was Fiesko zu Beginn mehrfach (I/7, II/5) ablehnt, da er seine eigene Verschwörung plant (II/7). In der Szene mit den zwölf Handwerkern (II/8) – die Handwerker repräsentieren das Genuesische Volk – überredet Fiesko die Anwesenden, ihn zum neuen Regenten Genuas zu erheben: „Es ergeht erwünscht. Volk und Senat wider Doria. Volk und Senat für Fiesko“. Dieser Szene kann man trotz der Verführungskunst Fieskos den Charakter einer Wahl zusprechen. In Robertsons Geschichte Karls V. fand Schiller die entsprechende Passage, in der Doria dem Volk überlässt, die neue Regierungsform festzulegen. Zwölf Personen wurden nach Robertsons Bericht ausgesucht, um eine neue „Regierungsform für die Republik zu entwerfen“. Freilich hängt die Legitimation Fieskos von seiner republikanischen Gesinnung ab, es handelt sich um eine Machtdelegation unter Republikvorbehalt. Zunächst spielt Fiesko noch mit dem Gedanken, den Volksauftrag wunschgemäß umzusetzen: „Geh unter Tyrann! Sei frei, Genua, und ich (sanft geschmolzen) dein glücklichster Bürger!“. Kurz darauf, nach innerem Kampf („Republikaner Fiesko? Herzog Fiesko?“), steht jedoch sein Entschluss fest, sich mit „Monarchenkraft“ zum neuen Alleinherrscher Genuas aufzuschwingen (III/2). Dementsprechend wird er zum unumschränkten Anführer der Verschwörergruppe („Subordination!“), dem es in kurzer Zeit gelingt, einen organisierten Umsturzplan aufzustellen. Er hat Söldner im Ausland angeworben (II/15, III/4) und kann die heimischen Nobili überreden, ihn bei seinem Vorhaben zu unterstützen (IV/6: „Wollen Sie folgen? Ich bin bereit, Sie zu führen“). Kraft seiner persönlichen Fertigkeiten – bereits äußerlich erinnert Fiesko an einen geborenen Herrscher im Sinne von Machiavellis „vertù“ –, seiner Beredsamkeit und seinem 13 Die Vorliebe für das „große Individuum“ in Schillers jungen Jahren ist geprägt von den geistigen Einflüssen des Karlsschullehrers Abel (und dessen „Genie-Rede“) sowie von der Plutarch-Lektüre auf der Karlsschule. Besonders beeindruckt war Schiller von Brutus, dessen Tatkraft und Stärke sich in vielen Tragödienfiguren widerspiegelt. Vgl. zur Heroisierung und zum Brutusideal z. B. die Vorrede zu den Räubern (= I, 484 ff.) und das Brutus-Lied in den Räubern (= I, 589 ff.); nicht nur Karl Moor auch Fiesko ist ein „Brutus“ (= I, 737); genauso gleicht Wilhelm von Oranien einem „zweiten Brutus“ (Abfall der Niederlande – IV, 36). Zum Brutus-Motiv vgl. Hayfa, Der „republikanische“ Gedanke in Freiheitsdramen, S. 223 ff.

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taktischen Geschick wird Fiesko zum Usurpator, der Volk, Bürger und Adel um sich schart.14 Dass Fiesko sich als Demagoge, Usurpator und Verräter der Republik entpuppt, der am Ende von den Verteidigern der Republik gestürzt wird, ändert freilich nichts an der Tatsache, dass nur er in der Lage ist, zu handeln. Die gesellschaftlichen Kräfte haben die Verantwortung auf ihn übertragen, weil sie keine entsprechende Alternative anbieten können. Das Volk ist zu wankelmütig, wie die Figur des Mohren Hassan belegt, und noch politisch unmündig, es braucht „seinen Mann“ (II/8). Am Hervortreten des Einzelnen aus der Masse zeigt sich sehr deutlich Schillers „Cäsarismus“ der Jugendjahre, der wie in den Räubern vor allem durch die Bewunderung antiker Helden geprägt ist und im Fiesko seinen erneuten Ausdruck findet – eine Tendenz, die durch Abels GenieRede auf der Karlsschule und das Geniedenken des Sturm-und-Dranges zusätzlich unterstützt wird.15 Die Bewunderung für das große Individuum wirkt auch noch im Don Karlos fort. Der Malteserritter Marquis Posa kann einen Widerstand organisieren, indem er eine Dreierallianz aus ihm, Karlos und der Königin schmiedet, die sich zum Ziel nimmt, Flandern von der spanischen Herrschaft zu befreien. Wie im Fiesko hat der Held einen organisierten Plan erarbeitet, dem selbst der Gegner Respekt zollen muss: „Der Entwurf ist teuflisch, aber wahrlich – göttlich.“ Posa profitiert von seiner Stellung am Hof, er ist Minister mit umfassenden Vollmachten und hat durch die Nähe zum König den nötigen Informationsvorsprung, der dem niederländischen Volk zur Selbstbefreiung fehlt. Ohne seine strategisch-taktische Kompetenz und seine Beziehung zu ausländischen Staaten („nord’sche Mächte“) wäre der Befreiungsversuch nicht denkbar. Mit dieser hervorgehobenen Stellung Posas zeigt sich wiederum die Parallele zur Geschichtsschrift, in der Wilhelm von Oranien, ein „zweiter Brutus“, zum Kopf des Befreiungskampfes avanciert. Ein alternatives Befreiungsethos durch eine bürger14 Fiesko (= I, 642, 681, 695, 699, 707, 719). Ähnlich wie hier Koopmann, Die Verschwörung des Fiesko zu Genua, in: Koopmann, S. 357. – Vgl. zum Volk in der Handwerkerszene Alt, Schiller I, S. 338; Michelsen, Schillers Fiesko, S. 341 ff. (342 ff.); Wertheim, Schillers „Fiesko“ und „Don Carlos“, Berlin/Weimar 1967, S. 91 ff. – Zu den Machiavelli Bezügen s. Machiavelli, Der Fürst, Kapitel XVII und XVIII, in: Bergstraesser/Oberndörfer, Klassiker der Staatsphilosophie, 1962, S. 109 ff.; dazu Alt, Schiller I, S. 342; Janz, Die Verschwörung des Fiesko zu Genua, in: Hinderer (Hrsg.), Schillers Dramen, Stuttgart 2006, S. 70 ff.; ausführlich Wölfel, Machiavellische Spuren in Schillers Dramatik, S. 318 ff. (321 ff.). 15 Vgl. zur Repräsentationsfunktion Hassans Alt, Schiller I, S. 344; Wertheim, Fiesko und Don Karlos, S. 95. – Zum „Cäsarismus“ im Fiesko s. Alt, Schiller I, S. 345; Koopmann, Die Verschwörung des Fiesko zu Genua, in: Koopmann, S. 356 ff. – Zum Geniedenken und Abels Genierede s. Janz, Die Verschwörung des Fiesko zu Genua, S. 88; Pickeroth, Die Verschwörung des Fiesko zu Genua, ein „republikanisches“ Trauerspiel? in: literaturkritik.de, Januar 2005, Nr. 1; Safranski, Schiller, S. 56 ff.

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liche Bewegung gibt es allerdings nur in der Geschichtsschrift, nicht aber in der Tragödie.16 In den Spätdramen nimmt Schiller seine Bewunderung für den „kolossalischen“ Menschen zurück – Wallenstein ist bereits ein Held mit zweifelhaften Zügen – und wird ersetzt durch eine nüchterne „Größe“ des Handelnden. Freilich erhält der Einzelne selbst in den Spätdramen noch Verantwortung für das Gemeinwesen. Auch im Wilhelm Tell ist die Einzeltat präsent und wird in Tells Handeln besonders deutlich. Obwohl der Rütli-Bund, eine Gruppe der „Besten“, sich in demokratischer Abstimmung zum Widerstand entschließt, wird der Erfolg nur durch das Attentat Tells möglich. Der geschichtliche Durchbruch ist der Tatkraft des Einzelnen, nicht dem Plan der Volksvertreter zu verdanken. Bereits zu Beginn des Stücks (I/1) wird deutlich, dass sich Tell aus der Masse der Bewohner heraushebt. Er rettet Baumgarten vor den Reitern des Landvogts Landenbergs, während die umstehenden Hirten und Fischer nicht zum Entschluss fähig sind: „Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt, Vertrau auf Gott und rette den Bedrängten“. Tell ist auch nicht am Rütli zugegen, er hält sich von der „gemeinen Sache“ fern und schlägt Stauffachers Wunsch nach Teilnahme aus (I/3). Stauffachers Glauben an die Geschlossenheit des Volkes („Verbunden werden auch die Schwachen mächtig“) begegnet Tell mit dem Hinweis auf die Entschlusskraft des Einzelnen: „Der Starke ist am mächtigsten allein“. Tell möchte daher dem „Rat“ fernbleiben, weil er nicht lange „prüfen oder wählen“ könne. Dem Vernunftschluss des Rütli-Bundes setzt er die Intuition des Handelns entgegen: „Bedürft ihr meiner zu einer bestimmten Tat, dann ruft den Tell, es soll an mir nicht fehlen“. Freilich ist es nicht allein die Tötung Gesslers die den Erfolg garantiert, auch Rudenz, Melchthal und andere Verbündete leisten ihren Beitrag zur Befreiung (V/1). Tells Tat gilt aber als Initialzündung zum Widerstand, weshalb er am Ende des Stücks als „Erretter“ der Eidgenossen gefeiert wird (V/3).17

16 Don Karlos (= II, 204); Abfall der Niederlande (= IV, 36); vgl. zu Posas politischen und taktischen Fähigkeiten Jöns, Das Problem der Macht in Schillers Dramen von den ,Räubern‘ bis zum ,Wallenstein‘, in: Conrady (Hrsg.), Deutsche Literatur zur Zeit der Klassik, Stuttgart 1977, S. 76 ff. (84); Malsch, Moral und Politik in Schillers Don Karlos, S. 210. 17 Wilhelm Tell (= II, 922, 932, 1029); vgl. auch Klöpfer, Wilhelm Tell und das Recht, S. 341; zum instinktiven Handeln Tells für das Sittlich-Gute Johnston, Schillers politische Welt, in: Koopmann, S. 66. – Im Übrigen ist auch Wallenstein einer der auserwählt Tüchtigen. Max bekennt gegenüber Octavio, „nur wenige regieren, den Verstand verständig zu gebrauchen – Wohl dem Ganzen, findet sich einmal einer, der ein Mittelpunkt für viele tausend wird, ein Halt“, s. Die Piccolomini (= II, 327). Das klingt nach Montesquieus Ablehnung des passiven Wahlrechts: „Die Mehrzahl der Bürger ist durchaus geeignet zu wählen, nicht aber, gewählt zu werden“, s. Montesquieu, De l’esprit de lois, II/2, S. 108; dazu Ottmann, Geschichte des politischen Denkens, S. 443.

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Das Prinzip der Repräsentation behält trotz der Verantwortung des Individuums seine generelle Legitimation. Dass die herausragende Persönlichkeit in Not- und Widerstandssituationen den geschichtlichen Prozess beschleunigt, schließt die Teilhabe einer breiteren Bürgerschicht am politischen Willensbildungsprozess nicht aus. Insbesondere vor dem Hintergrund der historischen Schriften zeigt sich, dass kleine Gruppen oder Einzelpersonen die Verantwortung vor allem wegen der Notwendigkeit erhalten, bei „Gefahr im Verzug“ rasch und entschlossen zu handeln. Sie können freier agieren, brauchen nicht zu „prüfen und wählen“ und dürfen auf ihre persönlichen Fähigkeiten – nicht auf traditionelle Vorrechte – und ihre moralische Stimme vertrauen. Die Gemeinwohlorientierung ihres Handelns wird deshalb nicht aufgegeben. Die Aktivität ist nicht Selbstzweck einer Standes- oder Geburtselite, sondern bleibt in die Geschicke des Gemeinwesens eingebunden. Die Tüchtigen werden nicht um ihres eigenen Vorteils willen, sondern aufgrund ihres Wertes für die Demokratie gewählt. Deshalb muss der Legitimationszusammenhang zwischen Volk und Beauftragtem stets gewahrt bleiben, der Repräsentant darf sich nicht vom Gemeinwohl ablösen. Im Fiesko äußert sich die Rückbindung darin, dass Verrina Fiesko die Berechtigung zum Fortgang der Verschwörung entzieht („Fiesco muß sterben“), sobald sich dieser als „Tyrann“ und Thronräuber entpuppt und damit gegen die Interessen des genuesischen Volkes handelt (III/1). Das Volk mag in der Handwerkerszene zwar, wie manchmal behauptet wird, als „willenlose und lenkbare Masse“ (Michelsen) erscheinen, die Sicherungsmechanismen der genuesischen Republik behalten am Ende des Stücks jedoch die Oberhand über den „Verführer“ und ermöglichen eine Rückkehr in die Rechtlichkeit der alten Ordnung. Zwar entsteht keine neue Staatsordnung, es verbleibt vielmehr bei der Republik, wie sie Andreas Doria aufgebaut hatte. Das alte Dogensystem Genuas mit dem angegliederten Senat wird von Schiller jedoch mit Wohlwollen beschrieben (II/13), sodass am Schluss des Dramas kein Unrechtsstaat zurückbleibt, sondern eine auf rechtsstaatlichen Grundsätzen basierende Regierungsform.18 18 Fiesko (= I, 697); zur Gegenansicht vgl. Michelsen, Schillers Fiesko: Freiheitsheld und Tyrann, in: Aurnhammer u. a., Schiller und die höfische Welt, S. 341 ff. (343). Sofern Michelsen mit seinem Hinweis auf die „willenlose und lenkbare Masse“ auf die Verführbarkeit des Volkes durch geschickte Rhetorik eines Charismatikers und damit indirekt auf eine antidemokratische Haltung Schillers anspielt, sei zweierlei angemerkt: zum einen gehören Willensbeeinflussung und Lenkbarkeit der Meinungen zum Wesen der Demokratie. Ein offener Willensbildungsprozess erfordert die Lenkbarkeit, auch wenn die Missbrauchsgefahr im System angelegt ist – ein Umstand, der sich insbesondere in der medial beherrschten Demokratie der Moderne ausprägt. Vgl. hierzu Kriele, „Wahrheit“ in Funk und Fernsehen, in: Walter-Raymond-Stiftung (Hrsg.), FS für Klaus Murmann, 1992, S. 100 ff.; Wagner, Medien-Tabus und Kommunikationsverbote. Die manipulierte Wirklichkeit, München 1991. Zum anderen gehört das Prinzip der „Führung“ (leadership) – als Kehrseite der Lenkbarkeit der „Masse“ – ebenfalls zu den qualitativen Kennzeichen der Demokratie und einer sich selbst regierenden Öffentlichkeit. Das bedeutet, politische Willensbildung ist aufgrund der „Apa-

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Im Wilhelm Tell wird nicht nur der Zusammenhang zwischen Volk und RütliVerschwörern, sondern auch zwischen Volk und Tell hergestellt. Zwar handeln Rütli-Bund und Tell zunächst getrennt, nach der Tötung Gesslers fallen beide Handlungsstränge jedoch zusammen. Tell wird zum Beschützer der Familie und zum „Erretter“ des Vaterlandes. Er stellt bei seiner Rückkehr nach Hause selbst fest, seine „Hand“ habe Familie und „das Land“ gerettet. Mag er zunächst als Privatmann gehandelt und diese Absicht größtenteils durchgehalten haben, vonseiten des Volkes lag stets ein Auftrag zur Rettung der eidgenössischen Freiheit vor: Tell ist der „beste Mann“ im Land, der „Arm, der retten“ soll und der „letzte Trost“ der Landleute. Als Tüchtigster wurde er ausgewählt, um den schweizerischen Widerstand gegen Habsburg zu repräsentieren.19 b) Unabhängigkeit der Volksvertreter Neben der Repräsentation ist nach Schillers Ansicht eine weitere Voraussetzung für einen nach demokratischen Grundsätzen regierten Verfassungsstaat die Unabhängigkeit der Volksvertreter. Schiller führt die fehlende Sachlichkeit von Mehrheitsentscheidungen auf die Abhängigkeit und Bestechlichkeit der Abgeordneten zurück. Im Fragment gebliebenen Drama Demetrius werden Bestechung und Bestechlichkeit als eines der Basisprobleme von Mehrheitsentscheidungen hervorgehoben. In der Reichstagsszene zu Krakau will der angebliche Zarensohn Demetrius seine Abstammung vom Geschlecht Iwan IV. (der Schreckliche) vor dem polnischen Parlament beweisen. Demetrius kann die thie“ des Großteils der Bevölkerung immer eine Domäne der Wenigen. Vgl. etwa Dahl, Who Governs?, Democracy and power in an American City, New Haven 1976, S. 283; Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, S. 81; Depenheuer, Bürgerverantwortung im demokratischen Verfassungsstaat, in VVDStRL 55 (1996), S. 90 ff. (106 ff.); Scharpf, Demokratie zwischen Utopie und Anpassung, S. 44 ff., 54 ff. (61 ff.); Schmitt-Glaeser, Die grundrechtliche Freiheit des Bürgers zur Mitwirkung an der Willensbildung, in: HStR III 2005, § 38 Rn. 42 ff. – Darin, dass sich die Verführbarkeit des Volkes und die Führung des Einzelnen in der Tragödie gerade nicht im Chaos auflöst, liegt die Pointe der Rückbindung Fieskos an das Gemeinwohl. 19 Wilhelm Tell (= II, 987, 988, 1024). Ähnlich wie hier Hayfa, Der „republikanische“ Gedanke in Freiheitsdramen, S. 226 (Schiller legitimiere „kraft Persönlichkeit“); für Tells Rückbindung an das Volk s. auch Borchmeyer, Tragödie und Öffentlichkeit, S. 181 ff., der Tells Handeln als „heroischen Weltzustand“ im Sinne Hegels interpretiert, d.h. Tell repräsentiere das Gemeinwesen, seine Rache sei gerecht, weil in ihr der allgemeine Wille des Volkes zum Ausdruck gelange. Vgl. auch Kaiser, Idylle und Revolution, S. 99 („er ist das Volk“) und S. 107 („Repräsentativfigur“); Thalheim, Notwendigkeit und Rechtlichkeit, S. 224, 239 ff. Tell handele in Übereinstimmung mit dem „nationalen Interesse“ und als typischer Vertreter seines Volkes. Er sei der „Repräsentant“ des ganzen Schweizer Volkes. – Zum Zusammenspiel zwischen privater und öffentlicher Sache im Wilhem Tell vgl. Müller-Seidel, Verschwörungen und Rebellionen in Schillers Dramen, S. 442; Knobloch, Wilhelm Tell, in: Koopmann, S. 496 ff. – Zum gemeinwohlorientierten Handeln als Repräsentant des Volkes vgl. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HStR II, 2004, § 24 Rn. 49, 80.

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Mehrheit des Reichstags von der Echtheit seiner Beweise überzeugen und drängt auf einen polnischen Befreiungskrieg gegen Russland, an dessen Ende er den russischen Zarenthron besteigen soll. Gegenspieler von Demetrius in der parlamentarischen Debatte ist Leo Sapieha, der einen Krieg mit Moskau verhindern möchte, weil er Polen an einen Friedensvertrag mit dem russischen Zarenhaus gebunden sieht. Als er sich dem Mehrheitsbeschluss des Parlaments nicht beugen möchte, geißelt er den Unverstand des seiner Ansicht nach bestochenen Parlaments: „Die Mehrheit? Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn, Verstand ist stets bei wen’gen nur gewesen. Bekümmert sich ums Ganze, wer nichts hat? Hat der Bettler eine Freiheit, eine Wahl? Er muß dem Mächtigen, der ihn bezahlt, Um Brot und Stiefel seine Stimm verkaufen. Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen; Der Staat muß untergehn, früh oder spät, Wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet.“

Sapieha versteht die Armut der „Bettler“ und die lehensrechtlichen Abhängigkeiten der Bauern gegenüber den „Mächtigen“ als eine der Ursachen für Stimmenkauf und fehlende Unabhängigkeit der Volksvertreter. Sapiehas Reaktion ist vor allem dem Angebot geschuldet, das Demetrius dem Parlament zuvor unterbreitet hatte. Darin verspricht er, diejenigen „königlich“ zu belohnen, die ihm helfen, den Weg zum Zarenthron zu bereiten: „Wenn ich als Zar Einziehe auf dem Kremel, dann, ich schwörs, Soll sich der Ärmste unter euch, der mir Dahin gefolgt, in Samt und Zobel kleiden, Mit reichen Perlen sein Geschirr bedecken, Und Silber sei das schlechteste Metall, Um seiner Pferde Hufe zu beschlagen.“

Am Ende dieser Versprechen entsteht eine „große Bewegung unter den Landboten“, die in entfesseltem Kriegsgeschrei gipfelt und jeden sachlichen Einwand gegen einen Feldzug beiseitedrängt. Der Verdacht, das Parlament vertrete hier in kollektiver Einigkeit nur egoistische Besitzinteressen anstelle des Gemeinwohls, drängt sich damit umso deutlicher auf. Es liegt daher nahe, dass Schiller mit der Bewertung Sapiehas übereinstimmt, der Reichstag sei bestochen. Über das Problem der Bestechlichkeit von Volksvertretern schreibt er in der Gesetzgebung, dass „wegen der überlegenen Anzahl der unbemittelten Bürger“ eine Entscheidung „nicht immer ohne Bestechung abgehen“ konnte.20 20 Demetrius (= III, 9 ff., 20, 24); Gesetzgebung (= IV, 832); Leo Sapieha lässt sich in der Reichstagsszene sogar zu der Vermutung hinreißen, der die Sitzung leitende Kongrossmarschall sei ebenfalls bestochen: „Was? Der Marschall auch bestochen? Ist keine Freiheit auf dem Reichstag mehr?“ – Demetrius (= III, 21). Vgl. zur Bestechlichkeit im Demetrius Teller, Demetrius, in: Dahnke/Leistner, S. 279 („käufliches und korruptes Stimmvieh“); ähnlich Martini, Demetrius, in: Hinderer, Schillers Dramen 1979, S. 316 ff. (329); Schiller schreibt selbst, dass „Ehrgeiz, Ämterkauf, Rivalitäten, Privatzwecke und Privatneid“ den Reichstag beherrschen (= NA 11, 199). – Zur Reichstagsszene und der Kritik am Mehrheitsprinzip s. Pörksen, Ideale Begriffe und Reale Skepsis, Schillers Politischer Blick, in: Friedrich Schillers politischer Blick,

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Armut und fehlende materielle Absicherung der Volksvertreter sind für Schiller entscheidende Ursachen einer parteilichen, nicht am Gemeinwohl orientierten Gesetzgebung. Schiller schlägt daher vor, zunächst einmal für die materiellen Grundlagen bei den Bürgern zu sorgen, um eine freie und unabhängige Entscheidung treffen zu können. Schiller äußert diesen Gedanken in seinen Briefen an Prinz Christian von Augustenburg, in denen er über den Zustand der Geisteswelt und das Zeitalter der Aufklärung nachdenkt. Schiller erkennt hierbei einen Zwiespalt zwischen der theoretischen und der praktischen Aufgeklärtheit seines Zeitalters. Einerseits sei eine „beßre Moral“ in Politik, Gesetzgebung und Staatsrecht eingezogen, andererseits seien die Menschen immer noch „Barbaren“. Dieser Analyse, die er unter dem Eindruck der französischen Revolutionsereignisse verfasst, folgt der weitere Gedanke, es fehle an der nötigen Entschlusskraft der Menschen, sich ihrer angeborenen intellektuellen Fähigkeiten zu bedienen. Dies wiederum sei bei „niedern Klassen“ auf deren Mittellosigkeit zurückzuführen. Ihre ganze Kraft erschöpfe sich in der Sorge für das „Notwendige“ und deshalb sei „Ruhe und nicht neue Geistesarbeit“ das Bedürfnis der materiell weniger Privilegierten. Schiller fordert daher eine „Verbesserung“ des „physischen Zustandes“, um den Geist „vom Joch der Notwendigkeit“ loszuspannen: „Der Mensch ist noch sehr wenig, wenn er warm wohnt und sich satt gegeßen hat, aber er muß warm wohnen, und satt zu essen haben, wenn sich die beßre Natur in ihm regen soll.“21

Schiller setzt also die materielle Absicherung der Staatsbürger als notwendigen Zwischenschritt voraus, um den Menschen an aufklärerisches Gedankengut zu gewöhnen und ihn zu einem moralischen Wesen zu bilden. Dieser Gedanke ist analog auf die Frage der Unabhängigkeit der Volksvertreter anzuwenden. Die materielle Absicherung des politisch entscheidenden Bürgers ist denknotwendiger Zwischenschritt, soll er befähigt sein, eine reife, moralische Entscheidung zu treffen – unbeeinflusst von Trieb und Notwendigkeit. Nur wenn die materielle Basis gewährleistet ist, können die Repräsentanten unabhängig vom Willen Dritter ihr fremdnütziges Amt ausüben und die Interessen des Volkes von den eigenen unterscheiden. Den Landboten im Demetrius fehlt diese freie Entscheidungsstellung, sie sind abhängig vom Willen des Besitzenden und stehen noch ganz unter dem „Joch der Notwendigkeit“. Bei ihnen entscheidet nicht der Sinn für das Gemeinwohl, sondern, wie Sapieha bemerkt, der „Unverstand“.22 Eine Veranstaltung der Reihe „Literatur im Landtag“ im Landtag Rheinland-Pfalz am 4. Oktober 2005, S. 11 ff. (ebd.). 21 Briefe an den Augustenburger vom 13. Juli und 11. November 1793 (= NA 26, 263 ff., 298 ff.). In seinem Distichon Würde des Menschen formuliert Schiller ebenfalls einen materiellen Anspruch: „Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen, Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst“ (= I, 248). 22 Demetrius (= III, 24). Zur materiellen Absicherung der „niedern Klassen“ vgl. auch Düsing, Ästhetische Erziehung, S. 129. – Allgemein zur Notwendigkeit unabhän-

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Diese Ansicht bedeutet im Gegenzug, dass bürgerliche Klassen, denen eine unabhängige Stellung aufgrund ihrer derzeitigen Eigentumslage nicht zukommt, nicht berechtigt sind, am demokratischen Willensbildungsprozess teilzunehmen. Demokratische Teilhabe wird somit an die Eigentumsfähigkeit des Bürgers gekoppelt. Das entspricht in etwa den Vorstellungen Montesquieus und Kants, die Repräsentation ebenfalls an die Eigentumsfähigkeit des Volksvertreters binden. Montesquieu bringt dies mit dem Begriff der „Niedrigkeit“ zum Ausdruck, einem Begriff, den auch Knigge verwendet, um die Distanz zur aufgeklärten Gesellschaft hervorzuheben. Man solle, so Knigge, keinen „übermäßigen Grad von [. . .] Aufklärung von Leuten“ verlangen, die „bestimmt sind, im niedern Stande zu leben“. Kant formuliert im Gemeinspruch, Stimmrecht solle nur haben, wer „irgendein Eigentum“ besitze, „welches ihn ernährt“. Denn der Bürger dürfe „niemanden als dem gemeinen Wesen im eigentlichen Sinne des Wortes“ dienen. Wie bei Schiller, so dient auch bei Kant die materielle Unabhängigkeit des Stimmberechtigten der Sicherung des Gemeinwohls.23 Dieser Gedanke ist zwar insofern modern, als die Unabhängigkeit des Stimmberechtigten im heutigen Parlamentarismus ebenfalls dessen materielle Selbständigkeit voraussetzt. Dort ist die Unabhängigkeit aber aufgrund des Status als Berufsabgeordneter bereits durch eine feste Diät gesichert, sodass sich der Zusammenhang von Besitz und Stimmfreiheit praktisch nicht auswirkt.24 In Schillers Gegenwart bedeutet dagegen die Bindung der Stimm- an die Eigentumsfähigkeit, dass sich die historischen Besitzverhältnisse – vor allem die ländliche Bevölkerung ist noch weitestgehend lehensabhängig – zunächst verfestigen und dem „niedrigen“ Stand daher keine politischen Mitspracherechte zukommen (Besitzwahlrecht). Es sei aber nochmals betont, dass in der Eigentumsbindung keine Geringschätzung der Besitzlosen zum Ausdruck kommt, sondern Schiller davon ausgeht, erst das Eigentum mache eine freie Entscheidung möglich und sichere die Unabhängigkeit vom Willen Dritter. Eigentum wird wie bei Locke zum Ursprung der (Stimm)freiheit, weshalb Schiller den Zensus gerade überwinden möchte und sich, wie gezeigt, für die Schaffung der notwendigen materiellen Grundlagen der „niedern Klassen“ einsetzt.25

giger Repräsentanten vgl. Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: HStR III, Heidelberg 2005, § 34 Rn. 18, 30. 23 Vgl. I. Kant, Über den Gemeinspruch, in: Vorländer (Hrsg.), Kleinere Schriften, S. 92 ff.; vgl. auch Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, § 46, S. 171; dazu Jäger, Mehrheit, in: GGr III, S. 1033 ff. (1034 ff.); Roellecke, Das ganze Volk, in: FS Badura 2004, S. 443 ff. (456). Vgl. ferner Fr. A. F. F. L. Knigge, Über den Umgang mit Menschen, 1788, S. 340 (Klassiker-Verlag 2006); dazu Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 609, Fn. 108. 24 Zur unabhängigen Stellung des Abgeordneten (freies Mandat, Art. 38 Abs. 1 GG) im heutigen Verfassungsrecht, vgl. Pieroth, Art. 38 Rn. 26, in: Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl., München 2007. Speziell zur finanziellen Absicherung der Abgeordneten vgl. Lang, Gesetzgebung in eigener Sache, Tübingen 2007 (bes. S. 49 ff.).

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2. Die ethische Voraussetzung der Demokratie: Politische Mündigkeit a) Die Notwendigkeit und historische Eingebundenheit der politischen Mündigkeit Demokratie als Möglichkeitsform einer humanistischen Gesellschaftsordnung bedarf aus Schillers Sicht neben Repräsentation und finanzieller Unabhängigkeit der Abgeordneten noch einer ethischen Voraussetzung: der politischen Mündigkeit der Volksvertreter.26 Die Qualität von Mehrheitsentscheidungen kann für Schiller nur dann gesichert werden, wenn Sachverstand und Bildung der politisch eingebundenen Staatsbürger garantiert sind. Andernfalls muss damit gerechnet werden, dass „beschränkte Köpfe“ die Mehrheit der Stimmen „auf die Seite der Unvernunft lenken“. Oder wie Sapieha sich ausdrückt: „Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen; Der Staat muß untergehn, früh oder spät, Wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet.“

Reife Mehrheitsentscheidungen bedürfen daher mehr als nur Abwesenheit von materiellem Mangel. Dem Ausschluss des Negativen muss ein positives Element hinzugefügt werden, d.h., der Volkswille muss von einer gebildeten, mündigen Bürgerschicht getragen sein. Die finanzielle Unabhängigkeit ist nur

25 Wie hier auch Hayfa, Der „republikanische“ Gedanke in Freiheitsdramen, S. 223 ff. – Im Wilhelm Tell wird Schillers Forderung nach materieller Unabhängigkeit nochmals deutlich als Tell seinem Sohn die Vorzüge der natürlichen Freiheit der Urkantone erläutert (III/3). Außerhalb der Berge, wo kein eigener Grundbesitz existiert (kein eigenes „Erbe“; das „Feld gehört dem Bischof und dem König“), fehlt es an der Fähigkeit zu Selbstregierung („Sie können sich nicht mutig selbst beschützen?“). Der Unfreie ist daher auch in der Schweiz nicht berechtigt, Ämter zu übernehmen: „kein eigner Mann kann Richter sein in Schwyz“ (II/2), s. Wilhelm Tell (= II, 955, 976). – Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass sich Schillers Gedanke, die „niedern Klassen“ benötigten materielle Unterstützung, um unabhängig votieren zu können, bereits in der Antike – etwa bei Perikles – findet. 26 Vgl. hierzu Düsing, Ästhetische Erziehung, S. 135. In der Betonung der außerrechtlichen Vorbedingungen für eine funktionierende Demokratie liegt eine Parallele zu Montesquieus (und Fergusons) Rechtsdenken. Montesquieu konnte sich eine Republik (Demokratie und Aristokratie) nur unter der Bedingung vorstellen, dass die Staatsbürger das Prinzip der „Tugend“ (vertu) verinnerlicht haben; „In einem Volksstaat aber, ist eine zusätzliche Triebkraft nötig: die Tugend“, vgl. Montesquieu, De l’esprit des lois, III/3, S. 120 (Montesquieus Hervorhebung). – Die politische Mündigkeit der Staatsbürger und die demokratische Kultur eines Staates als ethische Vorbedingungen demokratischer Praxis betont Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HStR II, 2004, § 24 Rn. 74 ff.; ders., Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: HStR III, 2005, § 34 Rn. 48 ff.; ähnlich Kägi, Rechtsstaat und Demokratie, in: FS Giacometti, S. 107 ff. (138 ff.); vgl. auch Robe, Politische Kultur und der kulturelle Aspekt von politischer Wirklichkeit, in: Bergschlosser u. a. (Hrsg.), Politische Kultur in Deutschland, S. 39, 41; Sommermann, Demokratiekonzepte im Vergleich, in: Demokratie in Europa, S. 191 ff. (210 ff.).

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2. Kap.: Die Struktur der Demokratie

der Zwischenschritt, um dieses endgültige Ziel zivilisatorischen und demokratietheoretischen Fortschritts zu erreichen.27 Problematisch ist freilich, wie die politische Mündigkeit erreicht werden kann. Sie hängt nämlich entscheidend vom historischen Reifegrad der jeweiligen Gesellschaft ab. Politisch mündige und vorbildhafte Völker sind für Schiller die athenischen Bürger in der Demokratie Solons, die Niederländer in ihrem Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien und die Völker der Schweiz bei ihrem Freiheitskampf gegen die habsburgische Hegemonie. Sie alle besaßen die notwendige politische Mündigkeit, die Schiller insbesondere mit den Begriffen „Gemeinsinn“, Gemeingeist“, „Nation“ oder „Nationalcharakter“ umschreibt. Über die griechischen Volksvertreter schreibt Schiller, sie seien deswegen so besonnen gewesen, weil selbst der „gemeinste Athenienser mit dem gemeinen Wesen bekannt war“ und der „Nationalgeist in ihm wirkte“. Er besaß „politischen Verstand“, um sich selbst zu regieren. Ebenso weist Schiller bei seiner Schilderung des niederländischen Unabhängigkeitskriegs immer wieder darauf hin, dass sich die Niederländer zu einer „Nation“ formiert und als solche „standhaft, unerbittlich und ohne Verabredung einstimmig“ gegen das despotische Regiment unter Kardinal Granvella gewehrt hätten. Den Begriff der „Nation“ verwendet Schiller in Abgrenzung zu „Parteien und Pöbel“ und somit als Synonym für einen Zustand, der ein Volk befähigt, gemeinsame politische Interessen zu artikulieren und umzusetzen. In diesem reifen Zustand regiert deswegen keine „zaghafte Selbstsucht“, sondern „wohltätiger Gemeingeist“. Diesen Gemeingeist erkennt Schiller auch in der schweizerischen Demokratie und dem Kampf der Rütli-Verschwörer gegen die österreichischen Landvögte. Die Schweizer sind ein „einzig Volk von Brüder“, also eine „Nation“, die über den notwendigen „Gemeingeist“ verfügt, um ihre politischen Angelegenheiten selbst zu regeln. Schiller kennt also drei historische Völker, in denen die ethischen Voraussetzungen der Demokratie verwirklicht waren.28

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Abfall der Niederlande (= IV, 106); Demetrius (= III, 24), s. bereits oben 1.b). Für Athen s. Gesetzgebung (= IV, 832); Ästhetische Briefe (= V, 583); dazu Borchmeyer, Weimarer Klassik, S. 51 ff.; ders., Aufklärung und praktische Kultur, Schillers Idee der ästhetischen Erziehung, in: Brackert/Wefelmeyer (Hrsg.), Naturplan und Verfallskritik, zu Begriff und Geschichte der Kultur, Frankfurt a. M. 1984, S. 122 ff. (133 ff.); Düsing, Ästhetische Erziehung, S. 115, 153. – Für die Niederlande s. Abfall der Niederlande (= IV, 134 ff. – zu Granvella; 278 – zum Geusenbund, Hervorhebung v. Schiller); dazu Borchmeyer, Goethes und Schillers Sicht der niederländischen „Revolution“, in: Dann u. a. (Hrsg.), Schiller als Historiker, Stuttgart 1995, S. 149 ff. (153); Müller-Seidel, Verschwörungen und Rebellionen in Schillers Dramen, S. 432 ff. – Für die Schweiz Wilhelm Tell (= II, 964); dazu Kaiser, Idylle und Revolution, S. 115 („Gemeinschaft mündiger Menschen“); Knobloch, Wilhelm Tell, in: Koopmann, S. 505 („demokratisches Bewusstsein“). Auch eine von Schillers Hauptquellen, Die „Geschichten schweizerischer Eidgenossenschaft“ von Johannes Müller erhob den „Volksgeist“ zur tragenden Kraft der Geschichte; dazu Reinhardt, Geschichte der Schweiz, München 2006, S. 8. 28

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Die historische Reife der Athener, Niederländer und Schweizer sieht Schiller in seiner eigenen Zeit nicht gegeben. Dem aufgeklärten Zeitalter am Ende des 18. Jahrhunderts fehle es an den menschlichen Vorbedingungen, um politische Entscheidungen demokratisch zu regeln. Noch vor der Revolution in Frankreich mahnt Schiller in der Gesetzgebung, die athenische Demokratie nicht mit den heutigen Verhältnissen gleichzusetzen. Es sei unzulässig, „von dem gemeinen Volke bei uns voreilig auf jenes zu schließen“. Er lässt an dieser Stelle allerdings offen, warum dieser Vergleich nicht zulässig sein soll. Erst nach den französischen Revolutionsereignissen, die bei Schiller eine zunehmende Skepsis gegenüber demokratischen Bewegungen hervorrufen, kann Schiller eine genauere Diagnose stellen. Im 6. Brief der Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795) fasst er zusammen: „Warum qualifizierte sich der einzelne Grieche zum Repräsentanten seiner Zeit, und warum darf dies der einzelne Neuere nicht wagen? Weil jenem die alles vereinende Natur, diesem der alles trennende Verstand seine Formen erteilten.“

Die kulturelle Verschiedenheit beruhe auf dem alles „trennenden“ Verstand der Gegenwart. Gemeint sind fortschreitende Arbeitsteilung und Ausdifferenzierung der Wissenschaften, die den „harmonischen Kräften“ entgegenwirkten. In Anlehnung an Rousseaus Kulturkritik stellt Schiller einen allgemeinen Entfremdungszustand fest, der den gesellschaftlichen Zusammenhalt zerstört habe. Der einzelne Bürger bleibt für Schiller ein „Fremdling“ in seinem sozialen Umfeld, er führt ein „mechanisches Leben“ ohne inneren Bezug zum „Ganzen“. Obwohl Staat und Individuum aufeinander angewiesen sind, leben sie nur nebeneinander, aber nicht miteinander: „ewig bleibt der Staat seinen Bürgern fremd“, weshalb der Bürger nicht anders kann „als mit Kaltsinn die Gesetze empfangen, die an ihn selbst so wenig gerichtet sind“.29 b) Herstellung der politischen Mündigkeit durch ästhetische Erziehung des Menschen Schiller begreift den entfremdeten Zustand der Gesellschaft als Phänomen, das sich in jedem einzelnen Mitglied der Gesellschaft wiederfindet. Aus Sicht seines anthropozentrischen Staatsdenkens entwickelt Schiller konsequent den Gedanken, der menschliche Charakter spiegele den Entfremdungszustand der 29 Gesetzgebung (IV, 832); Ästhetische Briefe (= V, 583 ff.). Vgl. zur Entfremdungsproblematik Borchmeyer, Aufklärung und praktische Kultur, S. 133 ff.; Düsing, Ästhetische Erziehung, S. 152 ff.; Wiese, Schiller, S. 480 ff.; Zelle, Über die Ästhetische Erziehung in einer Reihe von Briefen, in: Luserke-Jaqui, S. 420; Freilich sieht Schiller auch die Vorteile einer sich ausdifferenzierenden Gesellschafts- und Wissenschaftskultur. Unzweifelhaft führe sie zum technischen und wissenschaftlichen Fortschritt der Gattung, jedoch immer auf Kosten des Individuums: „Einseitigkeit der Übung der Kräfte führt zwar das Individuum unausbleiblich zum Irrtum, aber die Gattung zur Wahrheit“ (= V, 587).

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Gesellschaft wider. Dabei überträgt Schiller den Widerspruch zwischen Staat und Individuum auf den Gegensatz zwischen abstraktem Vernunftdenken und menschlicher Empfindung. Deshalb habe etwa der „abstrakte Denker“ gar oft „ein kaltes Herz, weil er die Eindrücke zergliedert, die doch nur als Ganzes die Seele rühren“. Andererseits habe z. B. der „Geschäftsmann“ gar zu oft „ein enges Herz, weil seine Einbildungskraft, in den einförmigen Kreis seines Berufs eingeschlossen, sich zu fremder Vorstellungsart nicht erweitern kann“. Im Gegensatz zu dieser „Zerstückelung“ der gegenwärtigen Individuen befand sich die „griechische Menschheit“ auf einem „Maximum“, das Schiller auch die „Totalität“ des Wesens oder Charakters nennt.30 Diese Totalität anzustreben, die „Trennung in dem innern Menschen“ wieder aufzuheben, sei auch das Ziel gegenwärtiger Anstrengungen: „so muß es bei uns stehen, diese Totalität in unsrer Natur, welche die Kunst zerstört hat, durch eine höhere Kunst wiederherzustellen.“ Schiller nennt die Wiederherstellung dieser „Totalität“ auch die „Veredelung des Charakters“ oder die „Veredelung der Denkungsart“. Die Wiederherstellung wird bewirkt – hier setzt Schillers Erziehungsidee ein, durch ästhetische Erziehung.31 Ästhetische Erziehung bedeutet, der Mensch wird durch Kunsterfahrung ein moralisch reiferes Wesen. Im „ästhetischen Zustand“, Schiller verwendet auch den Begriff „ästhetischer Staat“, werde die innere Zerrissenheit des Menschen aufgehoben und die Welt der Naturgesetze und Triebe werde mit der Welt der Freiheit und Vernunft versöhnt. Ästhetische Erziehung führt auf diese Weise zur „Totalität“ des Individuums und damit gleichzeitig – da der Zustand des Individuums immer den gesellschaftlichen widerspiegelt, zu einer Genesung des Gemeinwesens, zu einer „Verbesserung im Politischen“. Diese Verbesserung im „Politischen“ bedeutet für den demokratietheoretischen Zusammenhang, dass Volkssouveränität erst möglich wird, wenn die politische und moralische Reife der Bürger durch die ästhetische Erfahrung erreicht wird. Das Schaffen der ethischen Voraussetzung der Demokratie ist damit an das Ästhetische rückgebunden. Der in den Ästhetischen Briefen geforderte menschliche Reifeprozess kann als Propädeutik der Demokratie begriffen werden.32 30 Ästhetische Briefe (= V, 586 – Hervorhebung v. Schiller). „Totalität des Charakters“ deutet keinesfalls auf einen – wie auch immer gearteten – Totalitarismus in Schillers Denken. Vielmehr handelt es sich um einen Grundzug des klassischen Humanitätsideals, s. Düsing, Ästhetische Erziehung, S. 113, 159; Wiese, Schiller, S. 481. 31 Ästhetische Briefe (= V, 588 ff., 592). Vgl. zur ästhetischen Erziehung insbesondere Alt, Schiller II, S. 129 ff.; Borchmeyer, Aufklärung und praktische Kultur, S. 122 ff.; Düsing, Ästhetische Erziehung, S. 138 ff.; Janz, Über die Ästhetische Erziehung in einer Reihe von Briefen, in: Koopmann, S. 610 ff.; Wiese, Schiller, S. 478 ff.; Wilkinson/Willoughby, Schillers Ästhetische Erziehung des Menschen, München 1977, S. 19 ff.; Zelle, Ästhetische Erziehung, in: Luserke-Jaqui, S. 409 ff. 32 I. E. wie hier Haller-Nevermann, Ein Weltbürger, der keinem Fürsten dient, in: APuZ 2005, S. 14 ff. (20). Vgl. zur Vermittlungsfunktion und zur Wirkweise des Ästhetischen Borchmeyer, Aufklärung und praktische Kultur, S. 125 ff.; Janz, Ästhetische

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c) Die ästhetische Erziehung im Prozess der Aufklärung Mit der Theorie der ästhetischen Erziehung geht Schiller einerseits einen Sonderweg innerhalb der Aufklärungsliteratur. Mit seiner ästhetischen Philosophie grenzt er sich etwa gegenüber Rousseau („Discours sur les sciences et les arts“, 1750) und Kant („Kritik der Urteilskraft“, 1790) ab.33 Schiller stimmt zwar mit der empirischen Diagnose Rousseaus überein, Kunst und Wissenschaften hätten vor allem in der Antike zur Barbarisierung der Gesellschaft beigetragen. Es sei, so Schiller, keine Zeit nachweisbar, in der „ästhetische Kultur mit bürgerlicher Tugend und politischer Freiheit Hand in Hand gegangen wäre“. Er zieht daraus jedoch nicht den Schluss, die Kunst könne für das gegenwärtige Zeitalter keinen bleibenden Beitrag zum gesellschaftlichen Fortschritt beitragen. Deshalb versucht er Rousseau ein geläutertes Kunstverständnis entgegenzusetzen, das auf die Wirkkraft des Ästhetischen vertraut. Frühere Konzepte hätten nicht ausreichend beachtet, wie die „gemischte Natur des Menschen“ durch das Ästhetische zum Ausgleich zu bringen sei. Deshalb führt Schiller verschiedene Begriffe ein (z. B. das „Schöne“ und das „Erhabene“), um die Möglichkeit dieses Ausgleichs zu beweisen – ein Versuch, der in der zeitgenössischen und in der modernen Literatur zum Teil kritisch reflektiert wird.34 Schillers Kunstoptimismus unterscheidet sich auch von Kants ästhetischer Philosophie. Kant steht grundsätzlich vor demselben Problem wie Schiller, da er ebenfalls willens war, den Widerspruch aufzulösen zwischen dem „Zeitalter der Aufklärung“, also den vorgefundenen historischen Bedingungen, und dem „aufgeklärten Zeitalter“, d.h. der politischen Realisierung der aufgeklärten Ideen. Während Kant vorschlug, die Vernunft des Menschen zu stärken und sein Vertrauen in die Willenskraft des Individuums setzte, glaubt Schiller vor allem an die Stärkung des Gefühls und der Natur. Es geht ihm sowohl um die „Reinigung des Willens“, wie bei Kant, als auch um „Veredelung der Gefühle“. In den Augustenburger Briefen hält er fest: „Es fehlt uns nicht sowohl an der Kenntniß der Wahrheit und des Rechts, als an der Wirksamkeit dieser Erkenntniß zu Bestimmung des Willens, nicht sowohl an Licht als an Wärme, nicht sowohl an philosophischer als an ästhetischer Kultur.“ Erziehung, in: Koopmann, S. 617 ff.; Zelle, Ästhetische Erziehung, in: Luserke-Jaqui, S. 417 ff., 424 ff. 33 Zu Schillerrs Auseinandersetzung mit Rousseau vgl. Alt, Schiller II, S. 146; Berief, Selbstentfremdung als Problem bei Rousseau und Schiller, Köln 1990; Bräutigam, Rousseaus Kritik ästhetischer Versöhnung, in: JDSG 1987, S. 137 ff.; Zelle, Ästhetische Erziehung, S. 420. – Zur Kant-Rezeption vgl. hierzu Hansen, Die Rezeption von Kants „Kritik der Urteilskraft“ in Schillers Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 1992, S. 165 ff. 34 s. Brief an den Augustenburger vom 13. Juli und 11. November 1793 (= NA 26, 265 ff., 301 ff.); zur Kritik in der Sekundärliteratur an Schillers ästhetischer Erziehung vgl. Alt, Schiller II, S. 148; Janz, Ästhetische Erziehung, in: Koopmann, S. 623 ff.; Wilkinson/Willoughby, Schillers Ästhetische Erziehung, S. 143 ff.

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Entsprechend lautet der Untertitel der Horen-Ausgabe der Ästhetischen Briefe von 1795, der aus Rousseaus Roman Julie ou la Nouvelle Héloise stammt: „Si c’est la raison, qui fait l’homme c’est le sentiment, qui le conduit.“35 Andererseits folgt Schiller mit seiner Idee, die „ästhetische Kultur“ sei der Fortschrittsmotor der Aufklärung, einer allgemeinen literarischen Strömung: nicht nur, weil die Romantik dieses Vertrauen in die Wirkkraft des Ästhetischen aufgreift – während Hegel das „Ende der Kunst“ in dieser Funktion kritisierte – sondern vor allem, da sich in den Ästhetischen Briefen ein Erziehungsmodell äußert, das den Menschen und die Verbesserung seiner Fähigkeiten in den Mittelpunkt des Staatsdenkens stellt. Humboldt hatte Schillers Idee aufgegriffen und die Bildung der Persönlichkeit ebenfalls ins Zentrum seiner Staatslehre gestellt: „Die höchste und proportionierlichste Ausbildung aller menschlichen Kräfte zu einem Ganzen ist daher das Ziel gewesen, das ich überall vor Augen gehabt, und der einzige Gesichtspunkt, aus dem ich die ganze Materie behandelt habe.“

Die ästhetische Erziehung reiht sich ein in eine Vielzahl neu entworfener Erziehungskonzepte – Pestalozzis „Lienhard und Getrud“, Rousseaus „Emile“, Knigges „Umgang mit Menschen“, Jean Pauls „Levana“ u. a. – und kann als Unterfall des allgemeinen, von Goethe („Wilhelm Meister“) geprägten Bildungsgedankens aufgefasst werden.36 Aus staatsrechtlicher Perspektive gibt es zwei relevante Einwände gegen Schillers ästhetisches Modernisierungskonzept und seiner Vorstellung, die ethischen Voraussetzungen der Demokratie durch Menschenbildung zu bewirken. Der erste Einwand ist politischer Natur. Er geht davon aus, die Ästhetischen Briefe seien gar keine politische Stellungnahme, vielmehr habe sich Schiller nach den enttäuschenden Erfahrungen mit der französischen Revolution ins Apolitische, d.h. ins „heitre Reich der Kunst“ (Prolog zum Wallenstein – II, 273), zurückgezogen. Demgegenüber hätten andere Aufklärer, z. B. Wieland, mehr Realismus gezeigt und auch nach den Revolutionsereignissen konkrete 35 Brief an den Augustenburger vom 13. Juli (= NA 26, 265 ff.) und Anmerkungen zur Ästhetische Erziehung (= V, 1223). – Zu Kants Ästhetik vgl. I. Kant, Kritik der Urteilskraft, 1. Teil: Kritik der ästhetischen Urteilskraft, 1790 (Reclam-Ausgabe, Stuttgart 2006), S. 65 ff.; dazu Scheer, Einführung in die philosophische Ästhetik, Darmstadt 1997, S. 73 ff.; Wolters, Kant, in: EPW II, S. 343 ff. (349 ff.); Zelle, Ästhetische Erziehung, in: Luserke-Jaqui, S. 427. 36 W. v. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, in: Klenner, S. 221. – Vgl. zum Bildungsgedanken Blaese, Schillers Staats- und Rechtsdenken, S. 60 ff.; Brüggemann, Der Kampf um die bürgerliche Welt- und Lebensanschauung in der deutschen Literatur des 18. Jhrds., in: Deutsche Vierteljahreszeitschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 3 (1925), S. 94 ff.; Fiedler, Die klassische Bildungsidee, Weinheim, 1972; Liechtenstein, Bildung, in: HWP I, S. 921 ff.; Schlumbohm, Freiheit, S. 76 ff.; Vierhaus, Bildung, in: GGr I, S. 508 ff., 513, 515, 517, 521. – Zum „Neuhumanismus“ s. oben II.4.

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politische Vorstellungen – Wieland dachte an eine konstitutionelle Monarchie – entwickelt. Zur Begründung wird auf verschiedene Äußerungen Schillers verwiesen, in denen er ankündigt, sich „vom Felde des praktischen Cosmopolitismus“ zurückzuziehen. Ebenso scheint Schillers Gedicht Antritt des neuen Jahrhunderts für diese Auffassung zu sprechen. Hier deutet sich ein Vorrang der Kunst vor der Politik an: „In des Herzens heilig stille Räume Mußt du fliehen aus des Lebens Drang, Freiheit ist nur in dem Reich der Träume, Und das Schöne blüht nur im Gesang.“37

Für den vorliegenden Zusammenhang bedeutete die Auffassung vom „unpolitischen“ Schiller, dass sich den Ästhetischen Briefen keine relevanten Aussagen für sein Demokratiekonzept entnehmen ließen. Diese Auffassung stünde daher im Widerspruch zu der hier vertretenen Ansicht, Schillers ästhetische Erziehung sei die notwendige Vorbedingung politischer Gleichheit.38 Richtig ist zwar, dass Schiller nach der französischen Revolution deutlich erklärt hat, er werde vom politischen Tagesgeschehen nicht mehr schreiben. Etwa ab dem Jahr 1794 häufen sich Briefe und Zeugnisse, die darauf hinweisen, Schiller verinnerliche den Prozess der „Welthistorie“. Man solle ihn, so schreibt er am 3. August 1795 an Reinhard, auf dem Gebiet der „schwerfälligen, politischen Diligence“ nicht um Rat fragen.39 37

Antritt des neuen Jahrhunderts (= I, 459). Vgl. zur Diskussion Wiese, Schiller, S. 478 ff., 503. 39 Weitere Beispiele: Brief an Bartholomäus Fischenich vom 20. März 1793: „Man kommt mit jedem Tag mehr von dem jugendlichen Kitzel zurück, den Menschen das Bessere aufzudringen“ (= NA 26, 234 ff.); Brief an Erhard vom 26. Mai 1794: „Vor allem folgen Sie meinem Raht, und lassen Sie vor der Hand die arme, unwürdige und unreife Menschheit für sich selbst sorgen. Bleiben Sie in der heitern und stillen Region der Ideen, und überlassen Sie es der Zeit, sie ins praktische Leben einzuführen (= NA 27, 4 ff.). In der Einladung zur Mitarbeit an den Horen (13. Juni 1794) heißt es: „vorzüglich aber und unbedingt wird sie [die Kunst] sich alles verbieten, was sich auf Staatsreligion und politische Verfassung bezieht. Man widmet sie der schönen Welt zum Unterricht und zur Bildung und der gelehrten zu einer freien Forschung der Wahrheit und zu einem fruchtbaren Umtausch der Ideen“ (= V, 867); vgl. auch Brief vom 25. Januar 1795 an Friedrich Heinrich Jacobi: „nun soll er [der philosophische Geist] in den jetzigen Welthändeln nicht Parthey nehmen, und sich jeder bestimmten Beziehung auf irgend einen particulären Staat und eine bestimmte Zeitbegebenheit enthalten. Wir wollen dem Leibe nach, Bürger unserer Zeit sein und bleiben, weil es nicht anders seyn kann; sonst aber und dem Geiste nach ist es das Vorrecht und die Pflicht des Philosophen wie des Dichters, zu keinem Volk und zu keiner Zeit zu gehören, sondern im eigentlichen Sinne des Wortes der Zeitgenoße aller Zeiten zu seyn (= NA 27, 129); Brief an Erhard vom 5. Mai 1795: „Glüend für die Idee der Menschheit, gütig und menschlich gegen den einzelnen Menschen, und gleichgültig gegen das ganze Geschlecht, wie es wirklich vorhanden ist – das ist mein Wahlspruch“ (= NA 27, 181). Als Friedrich Reinhard sein neues politisches Journal „Frankreich“ übersendet, da antwortet Schiller in einem Brief am 3. August 1795, man solle ihn nicht auf 38

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Schillers Schritt ist jedoch keine Flucht aus der politischen Welt in das Reich der Kunst, sondern eine bewusste politische Entscheidung und die konsequente Fortsetzung seines humanistischen Denkens. Anders als die dominierende Tendenz des Luthertums, des Pietismus und eines Großteils des Bürgertums stellt Schiller keinen rein verinnerlichten Freiheitsbegriff vor, der sich von der Realität ablöst. Schiller schreibt in den Augustenburger Briefen, er wolle „auf ewig von den Musen Abschied nehmen“, sollte tatsächlich der „ausserordentliche Fall“ eintreten, dass „die politische Gesetzgebung der Vernunft übertragen, der Mensch als Selbstzweck respektiert und behandelt, das Gesetz auf den Thron erhoben, und wahre Freihit zur Grundlage des Staatsgebäudes gemacht“. Die Bedeutung der Kunst für den politischen Prozess hat Schiller hier in aller Deutlichkeit hervorgehoben. Politik und Kunst, Staatserziehung und Ästhetik, Demokratie und Bildungskraft des Theaters gehören für Schiller unmittelbar zusammen und bilden die unzertrennlichen Bestandteile des humanistischen Staatsdenkens. Den wechselseitigen Zusammenhang zwischen politischer Freiheit und Wirkkraft des Ästhetischen hat Schiller in der Vorrede zur Braut von Messina (1802) nochmals in aller Deutlichkeit formuliert: „Die wahre Kunst aber hat es nicht bloß auf ein vorübergehendes Spiel abgesehen, es ist ihr Ernst damit, den Menschen nicht bloß in einen augenblicklichen Traum von Freiheit zu versetzen, sondern ihn wirklich und in der Tat frei zu machen.“

Versteht man Schiller daher richtig, dann entwirft er seine Kunsttheorie gerade aus Verantwortung und nicht aus Gleichgültigkeit gegenüber seinem Zeitalter. Seine politische Ästhetik, die in den Ästhetischen Briefen zur philosophischen Reife gelangt, wird man sogar als Kern von Schillers Staatsdenken, als sein „politisches Glaubensbekenntnis“, wie Schiller gegenüber Garve beteuert, verstehen müssen.40

dem Gebiet der „schwerfälligen, politischen Diligence der neuen Welthistorie“ um Rat fragen; „denn ich bin Herzlich schlecht darin bewandert und es ist im buchstäblichen Sinne wahr, daß ich gar nicht in meinem Jahrhundert – lebe; und ob gleich ich mir haben sagen lassen, daß in Frankreich eine Revolution vorgefallen, so ist dies ohngefähr das wichtigste was ich davon weiß“ (= NA 28, 18). – Vgl. hierzu Foi, Schillers Wilhelm Tell: Menschenrechte, Menschenwürde und die Würde der Frauen, in: (45) JDSG 2001, S. 193 ff. (211); Wiese, Schiller, S. 503 ff. 40 Brief an den Augustenburger vom 13. Juli 1793 (= NA 26, 261); Braut von Messina (= II, 816); Brief an Garve vom 25. Januar 1795 (= NA 27, 125); wie hier Alt, Schiller II, S. 152; Dod, Die Vernünftigkeit der Imagination in Aufklärung und Romantik Tübingen 1985, S. 495 ff.; Haller-Nevermann, Ein Weltbürger, der keinem Fürsten dient, in: APuZ 2005, S. 14 ff. (19); Hinderer, Republik oder Monarchie? Anmerkungen zu Schillers politischer Denkungsart, S. 313 ff.; Müller-Seidel, Verschwörungen und Rebellionen in Schillers Dramen, S. 438; Wiese, Schiller, S. 504. – Die Gegenansicht dürfte auf der irrtümlichen Gleichsetzung von tagespolitischem Interesse und staatspolitischen Denken beruhen. Ersteres hat Schiller nach der französischen Revolution – er war ohnehin kein politischer Publizist – tatsächlich nicht gezeigt, letzteres wurde gerade durch die enttäuschenden Erfahrungen noch verstärkt.

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Im Übrigen zeigen gerade die vorgenannten Beispiele der Schweiz, Athens und der Niederlande, dass die innere Freiheit, bewirkt durch die ästhetische Erziehung oder historisch vorgegeben, als ethische Voraussetzung der Demokratie zu verstehen und als solche auch realisierbar ist. Die „Athenienser“ besaßen „politischen Verstand“, waren „weichmütig und sanft im Umgang“ und das gesamte Volk besaß „Großmut“ gegenüber Mensch und Tier. Die Bürger waren somit in gleichem Maße „veredelt“ wie das niederländische Volk, über das Schiller festhält: „Fleiß und Überfluß hatten das Genie des Bürgers erhoben, seine Begriffe ausgehellt, seine Neigungen veredelt; jede Blüte des Geistes erschien mit der Blüte des Landes.“ Ebenso wie in der Schweiz ist diese Veredelung eine Folge der „langen und angebornen Freiheit“ der Niederländer. Auch die Rütli-Verschworenen sind sich ihres „Ursprungs stets gedenk“ und repräsentieren in der Realität die „Totalität“ des Charakters, den Schiller in den Ästhetischen Briefen theoretisch formuliert: „Totalität des Charakters muß also bei dem Volke gefunden werden, welches fähig und würdig sein soll, den Staat der Not mit dem Staats der Freiheit zu vertauschen“. Die Eidgenossen besitzen somit die innere sittliche Freiheit, die sie zur Demokratie und zur Selbstregierung befähigt.41 Der zweite Einwand betrifft die historische Einordnung des Erziehungskonzepts. Aus geschichtlicher Sicht wird zwar nicht geleugnet, dass Schiller und andere Bildungsdenker in die politische Wirklichkeit hineinwirken wollten, ihre Erziehungsprogramme hätten jedoch im Ergebnis eine Kooperation mit dem (zuvor bekämpften) Ancien Régime bedeutet, worin sich eine „staatsfreundliche bis etatistische Mentalität“ geäußert hätte. Bemängelt wird also nicht die politische Absicht, sondern die fehlende Wirkung und Praxisuntauglichkeit („quietistische Illusionen“) des Veredelungsgedankens.42 Dem Einwand ist zunächst nicht zu widersprechen, was die unmittelbaren historischen Auswirkungen betrifft. Schillers Erziehungsgedanke bedeutet, dass er die vorgefundenen Bedingungen der Monarchie und des Reformabsolutismus als vorläufigen Zwischenzustand akzeptiert. Allerdings drängt er auf Reformen, die beim Menschen ansetzen und allmählich zu einer Staatsverbesserung – nicht „von oben“ (Reformoktroy) oder „von unten“ (Revolution), sondern „von innen“ (Humanisierung) führen. Diesen Weg einer evolutionären Staatsreform, der die bestehende Ordnung als Zwischenzustand anerkennen muss, hat Schiller im 3. Brief der Ästhetischen Briefe selbst deutlich herausgestellt: „das lebendige Uhr41 Gesetzgebung (= IV, 833 ff.), Abfall der Niederlande (= IV, 74, 135); Wilhelm Tell (= II, 955); Ästhetische Briefe (= V, 579); zum Wilhelm Tell vgl. Hafya, Der Republikanische Gedanke in Freiheitsdramen, S. 220; Kaiser, Idylle und Revolution, S. 111 ff.; Müller-Seidel, Verschwörungen und Rebellionen in Schillers Dramen, S. 443 ff.; tendenziell auch Thalheim, Notwendigkeit und Rechtlichkeit, S. 225, 250. 42 Vgl. Schlumbohm, Freiheit, S. 75, 77; Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 329 ff., 331, 352, 356.

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werk des Staates muss gebessert werden, während es schlägt und hier gilt es, das rollende Rad während seines Umschwungs auszutauschen“.43 Die Metapher bedeutet, dass unter der Hülle des „physischen Staates“ die humanistische Rechtsordnung heranreift, bis sie sich allmählich herausschält und die Hülle des „physischen Staates“ von innen abwirft. Schlözer brachte dies mit den einfachen Worten zum Ausdruck: „Reformen brauchen wir Deutsche“, aber „Revolutionen bewahr uns, lieber Herr Gott! Die brauchen wir auch nicht“, es gehe „ohne Unfug, ohne Anarchie“, dank „sanften Abänderungen“ weit besser voran. Genauso hoffte Fichte auf den Weg des „allmählichen Fortschreitens zur größeren Aufklärung und mit ihr zur Verbesserung der Staatsverfassung“.44 Historisch gesehen steht somit Schillers Erziehungskonzept, einer allgemeinen aufklärerischen Tendenz folgend, für das Prinzip einer reformerischen, evolutionären Staatsverbesserung.45 Die Einordnung von Schillers Erziehungsmodell in den geschichtlichen Kontext muss demnach die historischen Alternativen in Betracht ziehen, um zu einer gerechten Bewertung des Evolutionskonzepts zu gelangen. Sein Reformgedanke wird daher nur vor dem Hintergrund der französischen Revolutionserfahrungen und der sich ausbreitenden literarischen Strömungen erklärbar.46 Dabei ergibt sich folgendes Bild: der Weimarer Kreis (v. a. Goethe, Schiller, Wieland, Herder) hat die Ereignisse in Frankreich verfolgt und in einer ersten Phase vorsichtiger Sympathie (1789–1792) zunächst zurückhaltend bis zustimmend kommentiert. Noch vor dem Einsetzen der „Terreur Phase“ wandelt sich das Stimmungsbild und schlägt um in offene Abneigung gegenüber der Jakobinerherrschaft (1792–1795). Ab etwa 1795, begünstigt durch den Friedensschluss von Basel, beruhigt sich die politische Stimmung und es beginnt eine Phase des nüchternen Umgangs mit der Revolution. Literarische Reflexion tritt in den Vordergrund und löst die zum Teil publizistisch geführte Debatte ab. Nicht nur Schillers ästhetische Erziehung fällt in diese Phase, es entstehen z. B. auch Goethes „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter“ oder Herders „Briefe zur Beförderung der Humanität“.47 43

Ästhetische Briefe (= V, 575). Vgl. A. L. Schlözer, Allgemeines Statsrecht und Statsverfassungslere, Göttingen 1793, S. 162; dazu Valjavec, Politische Strömungen, S. 399; Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 329; J. G. Fichte, Beiträge zur Berichtigung der Urtheile des Publicums über die Französische Revolution, 1793, in: ders., Gesammelte Werke VI, S. 39 ff. 45 Vgl. hierzu Blaese, Schillers Staats- und Rechtsdenken, S. 60; Borchmeyer, Aufklärung und praktische Kultur, S. 128 u. 132; Düsing, Ästhetische Erziehung, S. 150; Müller-Seidel, Verschwörungen und Rebellionen in Schillers Dramen, S. 437. 46 Vgl. zu den Reaktionen der Intelligenz auf die Französische Revolution Cobb, Reactions to the French Revolution, London u. a. 1972; Gooch, Germany and the French Revolution, London 1920. 47 Vgl. Ueding, Klassik und Romantik. Deutsche Literatur im Zeitalter der Französischen Revolution 1789–1815, München/Wien, 1987, S. 26 ff.; Wild, Naivität und Terror. Die Französische Revolution im Urteil des klassischen Weimar, in: Zimmer44

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Freilich sind neben dieser Grobgliederung die Positionen der einzelnen Charaktere zu beobachten, die sich zum Teil recht deutlich unterscheiden. Goethe ist anders als Schiller bereits von Beginn an Gegner der Revolution und steht in der konservativ-reformerischen Tradition eines Justus Möser. Ihm waren „Freiheitsapostel“ schon „immer zuwider“, er war, wie er später gegenüber Eckermann bemerkt, „kein Freund der französischen Revolution“. Wieland war zunächst vorsichtig optimistisch, schrieb aber bereits 1790 von den „erdichteten Gräueln“ des „Pariser Pöbels“ und den „gräßlichen Ausbrüchen der Volkswuth“.48 Demgegenüber war Schiller trotz seines publizistischen Schweigens bis zum Jahr 1793 längere Zeit von der Hoffnung auf eine echte Verbesserung erfüllt, wie indirekte Zeugnisse, aber auch seine ins Revolutionsjahr fallende Antrittsvorlesung beweisen. Vor allem die Jenaer Rede ist noch vom Glauben an den Fortschritt in der Geschichte geprägt. Selbst wenn der „selbstsüchtige Mensch niedrige Zwecke“ verfolge, könne er „unbewusst vortreffliche“ befördern. Der Bruch mit der Nationalverssammlung erfolgt erst als Schiller von der Gefangennahme und dem Prozess gegen den König erfährt, was ihn zu dem nicht verwirklichten Vorhaben veranlasste, eine Verteidigungsschrift für Ludwig XVI. zu verfassen. Die zunehmende Radikalisierung der Massen nach der Hinrichtung des Königs konnte er nur noch mit Abscheu aufnehmen. Im Lied von der Glocke fasst er sein Revolutionsbild zusammen: „Wo rohe Kräfte sinnlos walten, Da kann sich kein Gebild gestalten, Wenn sich die Völker selbst befrein, Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.“49

mann (Hrsg.), Schreckensmythen, Hoffnungsbilder: die Französische Revolution in der deutschen Literatur, Frankfurt 1989, S. 47 ff. 48 Besonders zur „konservativen“ Kritik an der Revolution vgl. Conrad, Staatsgedanke und Staatspraxis des aufgeklärten Absolutismus, Opladen 1971; Epstein, Die Ursprünge des Konservativismus in Deutschland, Frankfurt a. M. 1973; Vierhaus, Konservativ, in GGr III, S. 531 ff. 49 Antrittsvorlesung (= IV, 766); Das Lied von der Glocke (= I, 439); wie hier Alt, Schiller II, S. 111 ff.; Düsing, Ästhetische Erziehung, S. 146 ff.; Oellers, Bürger von Frankreich – Schiller und die Französische Revolution, in: Staskova, Schiller und Europa, S. 25 ff.; Ueding, Klassik und Romantik. Deutsche Literatur im Zeitalter der Französischen Revolution 1789–1815, S. 38 ff.; Wild, Naivität und Terror. Die Französische Revolution im Urteil des klassischen Weimar, S. 53 ff.; anders Wiese, Schiller, S. 450: Schiller habe die Revolution von Beginn an abgelehnt. Gegen Wieses Ansicht sprechen mehrere Zeugnisse aus der Revolutionszeit. In einem Brief an Körner vom 26. November 1792 schreibt Schiller, bei den „Verhandlungen der Nationalconvention“ lerne man die „Franzosen in ihrer Stärke und Schwäche kennen“ (= NA 26, 170). Schiller hegte zu diesem Zeitpunkt noch gewisse Erwartungen in eine maßvolle Politik. In einem Brief von Frau von Stein an Schillers Ehefrau Charlotte vom 6. Dezember 1793 steht der Hinweis: „Ist denn Schiller wohl jetzt ganz über die Französische Revolution bekehrt, und darf ich wohl jetzt den Nationalconvent Räuber nennen, ohne

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Die Beurteilung der ästhetischen Bildungsidee muss daher berücksichtigen, dass die Radikalisierung des Revolutionsverlaufs auf das Humanitätsideal der deutschen Intellektuellen besonders bedrohlich wirken musste. Es bestand Konsens, dass in Frankreich nicht nur eine französische Angelegenheit verhandelt wurde, sondern dass jeder „selbstdenkende Mensch“ ein „Beisitzer jenes Vernunftgerichts“ war, ein „mitbestellter Repräsentant der Vernunft“. Deshalb musste sich Schiller als „Mensch und Weltbürger“ über die „Verhandlungsart“ beklagen, mit welcher der „große Rechtshandel“ in Frankreich betrieben wurde. Da der „Inhalt“ dieses Rechtshandels, d.h. Menschen- und Bürgerrechte, weiterhin als Forderung bestehen blieb, also keine „reaktionäre“ Gegenbewegung stattfand, der gewaltsame Umsturz aber keinen Fortschritt gebracht hatte, war die Hinwendung zur Menschenerziehung ein folgerichtiger Schritt. Praxisfern kann er insofern nicht gelten, als die Vorstellung aus zeitgenössischer Sicht nicht unrealistisch war, die Bildungssituation in Deutschland, etwa im Hinblick auf die Nachwirkungen des Dreißigjährigen Kriegs, ließe eine uneingeschränkte politische Freiheit aller Bevölkerungsschichten noch nicht zu. Zumal sich die soziale Lage aufgrund der territorialen Rechtszersplitterung des Reiches als sehr uneinheitlich darstellte und eine allgemeine Lösung schwer zugänglich erschien. Im Übrigen sei hervorgehoben, dass der Erziehungsgedanke die Notwendigkeit der Moralität und Bildung für ein funktionierendes Gemeinwesen betonte und damit den Zusammenhang zwischen der Rechtsordnung und außerrechtlichen ethischen Vorbedingungen einer Verfassung verdeutlichte. Die damit einhergehende Stärkung selbstregulierender Kräfte schien dringlicher als eine radikale Neuordnung.50 3. Demokratie als Idealform einer zukünftigen Gesellschaft Die Auswertung von Schillers theoretischen Schriften hat ergeben, dass Schiller die Möglichkeit der Demokratie als Staats- und Regierungsform an juristische und ethische Bedingungen knüpft. Verfassungsrechtlich bedarf es eines Repräsentativsystems, das die Effektivität der Regierung sicherstellt. Zudem muss die Unabhängigkeit der Repräsentanten gewährleistet werden, um eine nicht auszuschließende Fremdbestimmung der Abgeordneten zu verhindern. In ethischer Hinsicht bedarf es nach Schillers Auffassung der politischen Mündigkeit daß er sich wie schon einmal darüber entsetzt?“ (zit. nach Urlichs (Hrsg.), Charlotte von Schiller und ihre Freunde, Band II, S. 293). 50 Brief an den Augustenburger vom 13. Juli 1793 (= NA, 260 ff.). Vgl. zur Diskussion Schlumbohm, Freiheit, S. 75 ff.; Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 214 ff., 329 ff. – Schillers Gedanke, Moralität und Bildung seien Voraussetzungen der Demokratie, bleibt für moderne Demokratien anhaltend aktuell. Deshalb versucht der heutige Verfassungsstaat, die geistig-bildungsmäßigen Voraussetzungen der Demokratie durch ein entwickeltes Schulsystem zu gewährleisten. Vgl. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HStR II, 2004, § 24 Rn. 67 ff.

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der Bürger, die vom jeweiligen historischen Reifegrad einer Gesellschaft abhängt. Schiller setzt sich mit der Frage auseinander, ob die für die Demokratie notwendigen Voraussetzungen in seinem Zeitalter vorliegen und ob eine demokratische Regierungsform gegenwärtig realisierbar wäre. Es scheint zwar möglich, die juristischen Voraussetzungen – durch entsprechende Normgestaltung in der Verfassung – umzusetzen. An die Erfüllbarkeit der ethischen Demokratiebedingungen glaubt Schiller jedoch erst nach Abschluss eines menschlichen Reifeprozesses (Propädeutik der Demokratie). Als Zwischenlösung muss er daher andere Regierungsformen in Kauf nehmen, bis sich das „Ideal der Gleichheit“ durch evolutionäre Staatsverbesserung verwirklichen lässt. Freilich ist bei den Zwischenlösungen nicht an Erbmonarchie, Erbaristokratie oder an eine absolutistische Staatsform zu denken. Es muss sich um eine Verfassung handeln, in der die Tüchtigsten repräsentative Ämter und für und im Namen des Volkes Verantwortung übernehmen. Zudem können in Schillers Konzept, wie bei Kant, die „niedern Klassen“ solange nicht das Wahl- und Stimmrecht ausüben, wie sie noch nicht die materielle Sicherheit besitzen, um unabhängig zu votieren. Schillers Zwischenlösung entspricht somit nicht einer allgemeinen politischen Gleichheit wie in modernen Demokratien, sondern konvergiert in etwa mit den Vorstellungen Rousseaus, der die beste Ordnung für eine „künstliche“ Aristokratie hält, in der die „Weisesten“ durch Wahl an die Regierung gelangen könnten. Ebenso wie Montesquieu fordert er für diesen Regierungstyp, dass sich die Reichen „mäßigen“ und die Armen bescheiden. Auf die (monarchische) Realität in Deutschland bezogen, bedeutete Schillers Vorstellung wohl eine Form der konstitutionellen Monarchie51 mit parlamentarischer Kontrolle und Grundrechtsschutz.52 Diesen Regierungstyp hält Schiller freilich nur für eine vorübergehenden Lösung, die allein den tatsächlichen Verhältnissen der Gegenwart geschuldet ist. In den Ästhetischen Briefen und in seinen Tragödien (Wilhelm Tell) zielt er auf die Überwindung dieser Staatsform und geht damit über die Vorstellungen anderer zeitgenössischer Staatsdenker hinaus. Montesquieu glaubt, Demokratien seien nur auf kleinen Staatsgebieten realisierbar, zu mittelgroßen und großen Reichen passten demgegenüber die Monarchie und die Despotie. Generell sei aber die Monarchie vorzugswürdig. Rousseau schreibt über die Demokratie, die er nur unter Bedingungen zulässt (Größe und Klima des Staates): „Wenn es ein Volk von Göttern gäbe, würde es sich demokratisch regieren. Eine so vollkommene Regierung paßt jedoch für Menschen nicht.“ Schiller glaubt demgegenüber, sie 51 Vgl. dazu Hayfa, Der „republikanische“ Gedanke in Freiheitsdramen, S. 267; Jöns, Das Problem der Macht in Schillers Dramen, S. 82. 52 Zu Rousseaus Staatsformenlehre s. Rousseau, Contrat Social, III/4 u. III/5, S. 72 ff.; dazu Fetscher, Rousseaus politische Philosophie, S. 154 ff.; Ottmann, Geschichte des politischen Denkens, S. 488; Zippelius, Geschichte der Staatsideen, S. 107.

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passe für Menschen, wenn man die Menschen erst geformt und, wie er in den Augustenburger Briefen schreibt, für „die Verfassung Bürger erschaffen“ habe. Dieser geschichtliche Prozess mag mit Rückschlägen verbunden sein, führt aber letztendlich zum anvisierten Ideal allgemeiner politischer Gleichheit. Demokratie bleibt für ihn immer die angestrebte und geschichtlich mögliche Verwirklichungsform menschlicher Organisation.53 VI. Durchsetzung der Demokratie: Das Widerstandsrecht im Wilhelm Tell 1. Schillers Revolutionskritik als Ausgangspunkt für das Tell-Drama Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Schiller genauso wie der überwiegende Teil des Weimarer Kreises den Verlauf der französischen Revolution mit Skepsis beobachtete. Letztlich sind es drei Punkte, die Schiller dazu bewogen, die Revolution abzulehnen: erstens die Gewalttätigkeit des Umsturzgeschehens: Die „rohe(n) Kräfte“, die Schiller im Lied von der Glocke am Werk sieht, sind generell verwerflich, da sie als Ausdruck der Gewalttätigkeit im Widerspruch zum Menschenwürdeprinzip stehen. In der Schrift Über das Erhabene heißt es dazu: „Eben deswegen ist des Menschen nichts so unwürdig, als Gewalt zu erleiden, denn Gewalt hebt ihn auf. Wer sie uns antut, macht uns nichts Geringeres als die Menschheit streitig.“

Ein Gewaltverbot besteht daher bereits deshalb, weil der Schutz des Individuums verlangt, die körperliche Integrität des anderen zu achten.1

53 Brief an den Augustenburger vom 13. Juli 1793 (= NA 26, 265). Vgl. zur Zukunftsgerichtetheit der ästhetischen Erziehung Müller-Seidel, Verschwörungen und Rebellionen in Schillers Dramen, S. 446. Zu den Tragödien s. oben IV. Zur Staatsformenlehre Montesquieus s. Montesquieu, De l’esprit des lois, VIII/16, 17, 19, S. 197 ff.: nach Montesquieu benötigen Demokratien ein kleines Staatsgebiet, in mittelgroßen Staaten sei dagegen die Monarchie vorzuziehen, die Despotie passe zu großen Reichen. Im Gegensatz zu Schiller und Rousseau zieht Montesquieu die Monarchie anderen Regierungsform vor; dazu Dorn, Montesquieu, in: Kleinheyer/Schröder, S. 294; Falk, Montesquieu, in: Maier/Denzer, S. 50; S. 294; Ottmann, Geschichte des politischen Denkens, S. 443 ff.; Zippelius, Geschichte der Staatsideen, S. 124. 1 Das Lied von der Glocke (= I, 439); Über das Erhabene (= V, 792). – Vgl. generell zu Schillers Revolutionsverständnis Alt, Schiller II, S. 111 ff.; Borchmeyer, Aufklärung und praktische Kultur, Schillers Idee der ästhetischen Erziehung, in: Brackert/ Wefelmeyer (Hrsg.), Naturplan und Verfallskritik, zu Begriff und Geschichte der Kultur, Frankfurt a. M. 1984, S. 122 ff. (128 ff.); Blaese, Schillers Staats- und Rechtsdenken, in: Kunst und Recht, Festgabe für Hans Fehr, Karlsruhe 1948, S. 49 ff. (58 ff.); Ebert, Schiller und das Recht, in: Klaus Manger/Gottfried Willems (Hrsg.), Schiller im Gespräch der Wissenschaften, Heidelberg 2005, S. 139 ff. (166 ff.); Haney, Recht und Gerechtigkeit bei Schiller, ARSP 2005, 307 ff. (309 ff.); Hippel, Schiller als politischer Denker, in: Künder der Humanität, Bonn 1946, S. 91 ff. (93 ff.); Schulin,

VI. Durchsetzung der Demokratie

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Zweitens ist nach Schillers Ansicht der revolutionäre Umsturz wegen der Gefährlichkeit der Masse abzulehnen. Bei Massenerhebungen sind nicht nur „rohe Kräfte“ am Werk, diese walten auch „sinnlos“. Sinnlosigkeit bedeutet, es fehlen Organisation und Leitung, wenn sich das Volk als Masse erhebt. Das Umsturzgeschehen ist dann unkontrollierbar und nicht mehr zu beherrschen. Die Gefahren potenzieren sich, da nun auch Unschuldige in den Aktionskreis der Revolutionäre geraten. Dieses Phänomen hat Schiller immer wieder beschrieben – nicht nur im Zusammenhang mit der französischen Revolution. Bereits in den Räubern agiert die Räuberbande als chaotische Masse, deren Gewalt sich bei der Befreiung eines Bandenmitglieds nicht nur gegen die Staatsgewalt, sondern auch gegen Unschuldige, Kinder, Frauen und alte Männer, richtet. Im Abfall der Niederlande findet Schiller scharfe Worte gegen den Bildersturm des niederländischen Geusenbundes (1566), obwohl er die Befreiungsbewegung der Niederländer gegen die spanische Fremdherrschaft grundsätzlich für legitim hält. Die Abneigung richtet sich nur gegen das geschichtliche Einzelereignis, weil die protestantischen Bilderstürmer weit über das noch hinnehmbare Maß der Empörung hinausgingen und katholische Kirchen und Klöster wahllos verwüsteten. Den Grund für die Unfähigkeit der Masse, sich in einer Umsturzsituation menschlicher zu verhalten, sieht Schiller in den Leidenschaften der Menschen. Von den Leidenschaften lasse sich der Mensch hinreißen, wenn er im Kollektiv handelt. Ein Vernunftgebrauch scheint dann ausgeschlossen. Bei Massenbewegungen ähnelt der Mensch einem Tier, das instinktiv dazu neigt, seinen Trieben freien Lauf zu lassen. Im Lied von der Glocke werden die „Weiber“ daher zu „Hyänen“, die mit den Zähnen eines „Panthers“ ihre Gewalttätigkeit ausleben. Im Abfall der Niederlande ist es der „viehische“ Pöbel, der seine „niedrigsten Leidenschaften“ befriedigt. Schiller benutzt auch immer wieder die Wörter „Wahn“, „Wahnsinn“ oder „Fanatismus“, um den Bezug zur Leidenschaftlichkeit von Massenbewegungen herzustellen.2 Drittens lehnt Schiller die Revolution ab, weil sie den erwünschten Fortschritt nicht zu garantieren vermag, oftmals sogar einen historischen Rückschritt bedeutet. Im Lied von der Glocke walten die „rohe(n) Kräfte“ sinnlos und deshalb kann sich „kein Gebild“ gestalten und kann die „Wohlfahrt nicht gedeihen“. In Schillers Interesse an Aufstandsgeschichte, in: Dann u. a. (Hrsg.), Schiller als Historiker, Stuttgart, Weimar, 1995, S. 137 ff. (142 ff.); Witte, Law and the social order in Schiller’s thought, in: The Modern Language Review, Volume L, 1955, S. 288 ff. (ebd.). – Zur Gewalttätigkeit als typisches Merkmal einer Revolution vgl. Bertram, Widerstand und Revolution. Ein Beitrag zur Unterscheidung der Tatbestände und ihrer Rechtsfolgen, Berlin 1964, S. 72; Stolleis, Revolution, in: HRG IV, S. 961 ff. (962). 2 Die Räuber (= I, 547 ff.); s. dazu oben I.2. und I.4.; Abfall der Niederlande (= IV, 214 ff.); zu Schillers Kapitel über den Bildersturm vgl. Alt, Schiller I, S. 631; Eder, Schiller als Historiker, in: Koopmann (Hrsg.), Schiller Handbuch, S. 653 ff. (669 ff.), Safranski, Schiller, S. 277. – Zur Gefährlichkeit der Masse bei einer Revolution vgl. auch Bertram, Widerstand und Revolution, S. 66 ff.

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den Augustenburger Briefen spricht er davon, die französische Erhebung und ihr unmenschlicher Verlauf haben das Menschengeschlecht in „Barbarey und Knechtschaft zurückgeschleudert“, also auf ein als bereits überwunden geglaubtes Zivilisationsniveau herabgestuft. Schiller bezieht sich insbesondere auf die der Revolution nachfolgende „Terreur-Phase“, in der sowohl die alten Kräfte als auch die nicht mehr benötigte Anhängerschaft der Revolution hingerichtet wurden. Auch der Bildersturm im Abfall der Niederlande bringt der Befreiungsbewegung keinen Forstschritt. Der „Exzeß“ habe einen „unersetzlichen Schaden“ angerichtet, weil er Philipp II. zu größerer Strenge herausforderte. Der Bildersturm gab ihm Anlass, Herzog Alba in die Niederlande zu schicken, der die Ambitionen Spaniens im Gegensatz zu seiner Vorgängerin mit größerer Härte verfolgte.3 Der Grund für Schillers negative Erwartungshaltung liegt für ihn in der verfehlten Zielsetzung von Revolutionen: Sie streben nach dem Bruch mit der bisherigen Ordnung und möchten an ihrer Stelle eine neue Verfassung errichten, die auf völlig neuen Prinzipien, Werten und Gesetzen beruht. Die Revolution bedeutet einen verfassungsrechtlichen Radikalschnitt, ohne Anknüpfung an historisch gewachsene Strukturen. Eine solche „Staatsverbesserung aus Principien“ kann nach Schillers Ansicht nicht zum gewünschten Erfolg führen. Sie führt nicht nur zu Gegenrevolutionen seitens der alten Kräfte, sondern missachtet auch, dass die Menschen zu einem völligen Neubeginn noch nicht bereit sein werden. Die revolutionäre Idee müsse erst allmählich reifen, bevor sie schrittweise umgesetzt werden könne. Hier ist sich Schiller mit Humboldt einig, der ebenfalls kritisierte, ein neues Staatsgebäude „nach bloßen Grundsätzen der Vernunft aufzuführen“. Er kritisiert daher den Versuch der französischen Nationalversammlung, „Staatsverfassungen“ wie „Schößlinge auf Bäume“ zu pfropfen, anstatt „Zeit und Natur“ vorarbeiten zu lassen. Der „weise Gesetzgeber“ studiere die „gegenwärtige Richtung, dann, je nachdem er sie findet, befördert er sie oder strebt ihr entgegen“. Bei Humboldt wie bei Schiller zeigt sich wiederum der Gedanke einer reformerischen, evolutionären Staatsverbesserung.4 3 Das Lied von der Glocke (= I, 440); Brief an den Augustenburger vom 13. Juli 1793 (= NA 26, 262); Abfall der Niederlande (= IV, 234, 278); dazu auch Alt, Schiller I, 632. – Zur Gefahr des Terrors bei einer Revolution vgl. Stolleis, Revolution, in: HRG IV, S. 961 ff. (963). 4 Brief an den Augustenburger vom 13. Juli 1793 (= NA 26, 264); W. v. Humboldt, Ideen über Staatsverfassung, durch die neue französische Konstitution veranlaßt (1791), in: Klenner, S. 7 ff. (8 ff.). – Die Notwendigkeit der „menschlichen Reform“ als Voraussetzung einer Demokratie findet sich prägnant formuliert bei dem englischen Schriftsteller G. K. Chesterton (1874–1936), The Wind and the Trees: „You can never have a revolution in order to establish a democracy. You must have a democracy in order to have a revolution“, in: T. L. Jordan (Hrsg.), The U.S. Constitution, Naperville 2007, S. 63; Kritik an der Vorstellung, eine Verfassung könne nach „abstrakten Prinzipien“ implementiert werden, findet sich generell im britischen Rechtsdenken, vgl. etwa Disraeli, Vindications of the English Constitution, 1836; O. W. Holmes, The

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2. Die Zulässigkeit des gewaltsamen Widerstands im Wilhelm Tell: Widerstand als Notwehr- und Menschenrecht Schiller lehnt die Revolution wegen ihrer Gewalttätigkeit, der Gefährlichkeit der Masse und ihrer Fortschrittsfeindlichkeit ab. Gegenüber einem Widerstandsrecht des Volkes gegen unrechtmäßige Herrschaft ist er jedoch aufgeschlossen. Er exemplifiziert die Möglichkeit einer legitimen Ausübung des Widerstandsrechts am Rütli-Bund im Wilhelm Tell.5 Obwohl Schiller Gewalt als Mittel eines Umsturzes grundsätzlich ablehnt, rechtfertigt er im Fall der Schweizer Erhebung die gewaltsame Durchsetzung der Volksinteressen. Das liegt an der besonderen Ausnahmesituation, in der sich die Urkantone befinden. Sie üben Gewalt, nicht weil sie revolutionäre Ziele verfolgen, sie greifen zurück auf ein existentielles Notwehr- und Nothilferecht.6 Nicht nur Tell beruft sich auf die „gerechte Notwehr eines Vaters“, auch das Volk in seiner Gesamtheit befindet sich in einer Notwehrsituation. Stauffacher spricht davon, dass das „Vaterland“ zur „Notwehr“ greife, und Melchthal ist der Überzeugung, dass „jedem Wesen“ ein „Notgewehr in der Verzweiflungsangst“ gegeben ist. Schiller unterscheidet daher zwischen der illegitimen Gewalt eines revolutionären Umsturzes und der gerechtfertigten Gewaltanwendung bei einem Widerstand gegen erlittenes Unrecht. Diese Unterscheidung ergibt sich bereits logisch aus Schillers Argumentation gegen revolutionäre Gewalt. Seine Ansicht beruht auf der Prämisse, den gewaltsamen Umsturz von vornherein durch eine Reform ersetzen zu können. Die Möglichkeit zu einer solch positiven Aktivität ist den Schweizer Urkantonen jedoch von vornherein nicht gegeben. Sie befinden sich in einer lebensbedrohlichen Situation, in der jedwede Reformanstrengung sinnlos wäre. Diesen Zusammenhang hatte Schiller bereits in den Augustenburger Briefen reflektiert.

Common Law, Boston 1881; hierzu Fraenkel, Historische Vorbelastungen des deutschen Parlamentarismus, in: ders., Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 15 ff. 5 Zum kollektiven Widerstandsrecht im Wilhelm Tell vgl. Alt, Schiller II, S. 572 ff.; Borchmeyer, Altes Recht und Revolution. – Schillers „Wilhelm Tell“, in: Wittkowski (Hrsg.), Friedrich Schiller: Kunst, Humanität und Politik, ein Symposium, Tübingen 1982, S. 69 ff.; Gerland, Schiller und das Recht, S. 1 ff. (19 ff.); Greulich, Recht und Staat in Schillers Werken, S. 146 ff.; Klöpfer, Wilhelm Tell und das Recht, in: Kirchhof u. a. (Hrsg.), Rechtsstaat und Grundrechte, Festschrift für Detlef Merten, Heidelberg 2007, S. 331 ff. (342 ff.); Safranski, Schiller, S. 500 ff.; Schneider, Wilhelm Tell: Bürgerstaat, in: ders. „. . . ein einzig Volk von Brüdern“, Recht und Staat in der Literatur, S. 102 ff. (107 ff.); Waider, Zur Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes nach Schillers „Wilhelm Tell“, in: Zeitschrift für die Gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW) 1968, S. 389 ff. 6 Zum Notwehrelement im Wilhelm Tell vgl. Spendel, Schillers „Wilhelm Tell“ und das Recht, in: Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht (ZStrR) 1990, S. 154 ff. (156). – Zu Tells Privat-Notwehr vgl. Klöpfer, Wilhelm Tell und das Recht, S. 345 ff.; Thalheim, Notwendigkeit und Rechtlichkeit der Selbsthilfe in Schillers „Wilhelm Tell“, in: Goethe-Jahrbuch 1956, S. 216 ff. (219 ff.).

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Bei einer Gefahr für „Leben und Dasein“7 könne die ästhetische Erziehung nicht wirken, da ihr die Grundlage – der Mensch als zu besserndes Individuum – entzogen werde: „Alles was der Geschmack vermag, ist, das Objekt unserer Begierden zu verändern, und gröbere Empfindungen gegen feinere auszutauschen. [. . .] Wo das Vermögen der Empfindungen aufhört, da ist kein Tausch der Empfindungen möglich.“8

Freilich ist die Ausübung von Gewalt nur zulässig, wenn tatsächlich eine Notwehrsituation vorliegt. Es müssen also bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, um das Selbsthilferecht in Anspruch nehmen zu dürfen. Auf dem Rütli spricht Stauffacher die berühmten Worte: „Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht, Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden, Wenn unerträglich wird die Last – greift er Hinauf getrosten Mutes in den Himmel Und holt herunter seine ewgen Rechte, Die droben hangen unveräußerlich Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst Der alte Urstand der Natur kehrt wieder, Wo Mensch dem Menschen gegenübersteht.“

Stauffacher beschreibt die Situation der Urkantone als Unterjochung, in der die Last „unerträglich“ geworden sei. Er geht davon aus, dass eine Vielzahl von Rechtsbrüchen vorangegangen ist, die nun das Volk berechtigt, eigenmächtig zu handeln. Diese Rechtsbrüche hat Schiller im ersten Akt beispielhaft beschrieben. Die habsburgischen Landvögte verletzen sowohl die bürgerlichen als auch die politischen Freiheiten der Schweizer. Die Verletzung der bürgerlichen Freiheiten zeigt sich z. B. in der Missachtung von Baumgartens „Hausrecht“ durch Burgvogt Wolfenschießen (I/1) oder darin, dass die Reiter Landenbergs den Vater Melchthals foltern (I/4). Die Verletzung der politischen Freiheit wird deutlich als die landenbergischen Reiter aus Zorn über die Flucht Baumgartens das Eigentumsrecht der Hirten und Schäfer verletzen (I/1). Denn mit der Zerstörung der „Herde“ und „Hütte“ beseitigen sie nicht nur die Lebensgrundlage und die Produktionsmittel der auf Viehwirtschaft und Fischfang angewiesenen Bergbewohner. Durch die Vernichtung des Eigentums untergraben sie im Ergebnis auch die politische Entscheidungsfähigkeit der Bürger, da ein eigentumsloser Bauer keine Stimmrechte haben kann. Ein Eingriff in die politische Freiheit 7 Zur Gefahr für „Leben und Dasein“ als ethischer Rechtfertigungsgrund für den Widerstand des 20. Juli 1944 vgl. Vitzthum, Rechtsstaatspatriotismus, Zu geistigen Grundlagen und staatspolitischen Vorstellungen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus, in: Tübinger Ehrensymposium für Edward Kossey, Tübingen 2007, S. 35 ff. 8 Wilhelm Tell (= II, 932, 939, 1025); Brief an den Augustenburger vom 3. Dezember 1793 (= NA 26, 331 ff.).

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liegt daher auch in Gesslers Verbot, Stauffacher dürfe kein Haus besitzen (I/2). Gessler rechtfertigt die Maßnahme mit dem Hinweis, er sei „Regent im Land an Kaisers Statt“. Damit geht die Vorstellung einher, Stauffacher sei ihm unmittelbar untertänig und daher auch lehnspflichtig. In Wahrheit aber ist Stauffacher ein wohlhabender Freibauer („Ein freier Mann auf deinem eignen Erb“), der nur dem Kaiser untertan ist – das sind seine Rechte aus „Kaiser Friedrichs Brief“. Er muss sich nicht als Lehnsknecht des habsburgischen Fürstenhauses einstufen lassen, sondern steht gesellschaftlich sogar über dessen Bediensteten, zu denen nach mittelalterlichem Rechtsverständnis der Ritter Gessler gehört. Die Verletzungen der bürgerlichen und politischen Freiheiten der Schweizer machen daher die Situation der Urkantone „unerträglich“. Das ist nicht nur die Einschätzung der Rütli-Verschworenen, sondern auch des Adels. Attinghausen meint ebenfalls, wie Walter Fürst wiedergibt, die vielen Rechtsbrüche seien nicht mehr zu „ertragen“. Es ist daher die Überzeugung der Gesamtbevölkerung, dass eine „Grenze“ erreicht sei, die zum Widerstand berechtige.9

9 Wilhelm Tell (= II, 919 ff., 924 ff., 935 ff., 957 – zu den Rechtsverletzungen; 959, Vs. 1275 ff. – zur Rütli-Szene). Vgl. zu den Rechtsbrüchen Borchmeyer, Altes Recht und Revolution, S. 82 ff.; Schneider, Wilhelm Tell, S. 103 ff.; Waider, Zur Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes, S. 392, 396 ff. – Zur Unerträglichkeitsformel im Hinblick auf die Rechtsbrüche im Dritten Reich vgl. Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, in: Radbruch, Rechtsphilosophie, 2. Aufl. Heidelberg 2003, S. 211 ff. (zuerst veröffentlicht in SJZ 1 (1946), S. 105–108). Mit Blick auf die (Un-) Rechtsnatur der positiven Gesetze im Dritten Reich begründet Radbruch den Vorrang der Gerechtigkeit vor den positiven Gesetzen, wenn der „Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als „unrichtiges Recht“ der Gerechtigkeit zu weichen hat“ (a. a. O., S. 216). Generell zum Naturrechtsdenken im 20. Jahrhundert vgl. Kühl, Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Naturrechtsdenken des 20. Jahrhunderts, in: ders. (Hrsg.), Juristen-Rechtsphilosophie, Hamburg 2007, S. 83 ff. – Im modernen Völkerstrafrecht ist der Rückgriff auf die „Unerträglichkeitsformel“ aufgrund der Normierung der „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ in Art. 7 IStGH-Statut nicht mehr notwendig. An die Stelle der „Unerträglichkeit“ treten konkrete Straftatbestände (Ausrottung, Versklavung, Folter, etc.), wobei der objektive Tatbestand von Art. 7 IStGH-Statut verlangt, dass (wie in Wilhelm Tell) ein „ausgedehnter“ oder ein „systematischer“ Angriff auf die Zivilbevölkerung vorliegen müsse. Das deutsche Grundgesetz sieht demgegenüber in Art. 20 Abs. 4 GG nur eine sehr vage formuliertes Widerstandsrecht vor, für den Fall, dass es jemand unternimmt, die rechtstaatliche und demokratische „Ordnung zu beseitigen“. Vgl. zum „ausgedehnten und „systematischen“ Angriff Hoven, Ist Terror (be-)strafbar? in: Humboldt Forum Recht (HFR) 18/2008, S. 1 ff. (15 ff.); Koch, Über den Wert der Verbrechenselemente („Elements of Crimes“) gem. Art. 9 IStGH-Statut, in: Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (ZIS) 2007, S. 150 ff. (153); Werle, Völkerstrafrecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 765 ff.; generell zum „right of resistance“ im Völkerrecht vgl. Tomuschat, The right of resistance and human rights, in: Violations of human rights: possible rights of recourse and forms of resistance, Paris 1984, S. 13 ff. und Missling, Widerstand und Menschenrechte, Hannover 1999. – Zur fehlenden Praktikabilität des Art. 20 Abs. 4 GG vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 760 („der Selbstjustiz“ wird „Tür und Tor geöffnet“); Schnapp, Rn. 48 zu Art. 20, in: Münch/Kunig, GGK I, 4. Aufl. 1992 („Mißbrauchsgefahr“).

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2. Kap.: Die Struktur der Demokratie

Stauffacher betont auf dem Rütli zudem, dass „Tyrannenmacht“ eine Grenze habe. Er ist also der Ansicht, dass eine Tyrannei vorliege. Beinahe alle Akteure des Stücks sprechen davon, dass die habsburgischen Landvögte, Gessler und Landenberg, „Tyrannen“ seien. Unter „Tyrannis“ versteht Aristoteles einen Staat, in dem der Herrscher nicht zum Wohl des Volkes, sondern zum eigenen Vorteil regiert. Die „Tyrannis“ ist eine entartete Regierungsform, die bewusst gegen die Interessen der Beherrschten gerichtet ist. An der Spitze steht ein Tyrann, d.h. ein Gewaltherrscher, der versucht, dem Volk seinen Willen aufzuzwingen.10 Im Gedicht Die Bürgschaft nimmt Schiller auf dieses antike Rechtsverständnis Bezug, wenn er Dionys als „Tyrannen“ bezeichnet. Auch im Wilhelm Tell liegt eine entartete Regierungsform vor, die über die Verletzung der bürgerlichen und politischen Freiheiten hinausgeht. Neben das formale Element des Rechtsbruchs tritt die Tyrannisierung des Volkes durch die Landvögte.11 Gessler ist ein Tyrann, weil er den Willen der Schweizer brechen und das Volk demütigen möchte: „Dies kleine Volk ist uns ein Stein im Weg – So oder so – es muß sich unterwerfen. [. . .] Ich will ihn brechen diesen starren Sinn, Den kecken Geist der Freiheit will ich beugen.“

Gessler ergreift verschiedene Maßnahmen, um den Freiheitswillen der Schweizer zu brechen. Zunächst lässt er eine Zwingburg („Zwing Uri“) in Altorf errichten (I/3). Die Burg ist stark befestigt und dient dazu, das umliegende Land zu beherrschen. Ihre Errichtung widerspricht den Traditionen der Urkantone: „Seit Menschendenken war kein Twinghof hier, Und fest war keine Wohnung als das Grab“. Dann lässt Gessler die Stange mit dem Hut auf dem öffentlichen Platz in Altorf aufstellen. Mit „gebognem Knie“ und „entblößtem Haupt“ sollen die Vorbeigehenden den Hut grüßen und somit dem Landvogt ihren Gehorsam zeigen. Wer die Grußpflicht missachtet, dessen „Leib und Gut“ verfällt dem „Könige“. Dass Gessler den „Hut von Österreich“ in der Absicht aufstellt, das Schweizer Volk zu tyrannisieren, gesteht er selbst: „Ich hab ihn aufgesteckt, daß sie den Nacken Mir lernen beugen, den sie aufrecht tragen.“ Zu einer weiteren Tyrannisierung, in Form von seelischer Folter, kommt es, als Tell gegen die Grußpflicht verstößt und Gessler ihn daraufhin zwingt, den Apfel vom Kopf 10 Zur Begriffsgeschichte der „Tyrannis“ vgl. Dreher, Tyrannis, in: HWP X, S. 1607 ff.; Goldschmidt, Politik, in: EEPW III, S. 737 ff. (742 ff.); Graubard, Democracy, in: DHI I, S. 654 ff.; Stern, Staatsrecht I, § 17, S. 575. – Zum Widerstandsrecht gegen einen Tyrannen in der Antike vgl. Hippel, Zum Problem des Widerstandes gegen rechtswidrige Machtausübung, in: Kaufmann/Backmann (Hrsg.), Widerstandsrecht, S. 416 ff. (418 ff.). 11 Ebenfalls die „Tyrannis“ betonend Schneider, Wilhelm Tell, S. 115 ff.; s. auch Waider, Zur Lehre vom Widerstandsrecht, S. 397 („allgemeine Tyrannei“); ähnlich auch Martini, Wilhelm Tell, der Ästhetische Staat und der Ästhetische Mensch, in: Der Deutschunterrricht 1960, S. 90 ff. (97, 105 ff.).

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seines Sohnes zu schießen (III/3).12 Obwohl dies gelingt, wird Tell entgegen Gesslers Immunitätszusage gefangen genommen und in eine fremde Jurisdiktion verbracht – ein erneuter Verstoß gegen die kaiserlichen Freiheitsbriefe. Die Apfelschuss-Szene bündelt die „Grausamkeit“ von Gesslers Tyrannei, weshalb Goethe Bedenken hatte, ob sie ohne Verstoß gegen das aristotelische Grausamkeitsverbot aufführbar sei. Schiller reizt die theatralischen Möglichkeiten aus, um die Tyrannisierung des Volkes möglichst deutlich herauszustellen.13 Neben diesen objektiven Voraussetzungen – Rechtsbruch und Tyrannisierung – rechtfertigt Stauffacher die Notwehrgewalt auch deshalb, weil sie Ausdruck eines unveräußerlichen Menschenrechts ist. Der Unterschied zur Revolution besteht für Schiller darin, dass es kein Recht auf gewaltsamen Umsturz geben kann, aber ein Recht, die Rechtsordnung zu verteidigen. Die Mitglieder des Rütli-Bundes berufen sich auf ein naturrechtliches Widerstandsrecht: „Der alte Urstand der Natur kehrt wieder, Wo Mensch dem Menschen gegenübersteht.“

Mit der Rückkehr des Naturzustands ist freilich nicht gemeint, dass der Gesellschaftsvertrag zwischen Herrscher und Beherrschtem aufgelöst wird und das Recht des Stärkeren wieder in Kraft tritt. Schiller evoziert nicht das Hobbes’sche Modell eines Krieges aller gegen alle, er denkt vielmehr an ein vorstaatliches Naturrecht, das durch die Gesellschaftsgründung nicht auf den Herrscher übertragen werden kann. Die Herrschaftsausübung steht damit unter dem Vorbehalt, die Interessen des Volkes bei der Regierung zu beachten. Im Falle des Machtmissbrauchs kann das „Mandat“ wieder entzogen werden. Das Volk ist dann berechtigt, den vorherigen Rechtszustand wiederherzustellen.14 12 Vgl. zur Apfelschussszene Berthel, Im Spiegel der Utopie: „Wilhelm Tell“, S. 248 ff. (256 ff.); Foi, Schillers Wilhelm Tell: Menschenrechte, Menschenwürde und die Würde der Frauen, in: (45) JDSG 2001, S. 193 ff. (214). 13 Wilhelm Tell (= II, 933, 940, 941, 959, 965, 997, 998, 1002, 1005, 1012, 1014, 1023 – zur Wortverwendung „Tyrann“; 1008 ff., Vs. 2726 ff. und 2778 ff. – zum Selbstverständnis Gesslers; 978 ff. – zur Apfelschussszene); Die Bürgschaft (= I, 352). – Zur Absicht des „Tyrannmords“ bei den Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944 vgl. Vitzthum, Vaterland Rechtsstaat, Zum Widerstandsmotiv „Wiederherstellung der vollkommenen Majestät des Rechts“, in: Scholtysek/Studt (Hrsg.), Der 20. Juli 1944 – Profile, Motive, Desiderate, Münster u. a. 2008, S. 155 ff. 14 Wilhelm Tell (= II, 959); s. auch oben III.1. zu den „unveräußerlichen“ Menschenrechten in Schillers Werk. Vgl. zur menschenrechtlichen Begründung des Widerstandsrechts Alt, Schiller II, S. 582 ff.; Borchmeyer, Altes Recht und Revolution, S. 90 ff.; Foi, Schillers Wilhelm Tell, S. 203; Hinderer, Republik oder Monarchie? Anmerkungen zu Schillers politischer Denkungsart, in: Wilfried Barner u. a. (Hrsg.), Literatur in der Demokratie. Für Walter Jens zum 60. Geburtstag, München 1983, S. 305 ff. (311); Kaiser, Idylle und Revolution, Schillers Wilhelm Tell, in: Deutsche Literatur und Französische Revolution, S. 78 ff. (94); Klöpfer, Wilhelm Tell und das Recht, S. 342; Schneider, Wilhelm Tell, S. 134 Fn. 15; Waider, Zur Lehre vom Widerstandsrecht, S. 396. – Zur Entziehbarkeit des „Herrschaftsmandats“ durch den Volkswillen vgl. Rousseau, Contrat Social, III/18, S. 109; s. auch Böckenförde, Demokratie

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Dass Schiller die Menschenrechte als Hebel verwendet, um ein Widerstandsrecht gegen Willkürherrschaft zu begründen, ist nicht selbstverständlich. Die Frage, ob dem Volk in einer dem Wilhelm Tell vergleichbaren Unrechtssituation ein Widerstandsrecht zusteht – sofern keine vertraglichen oder gesetzlichen Sonderregeln eingreifen (z. B. ein ständisches Widerstandsrecht15) – war in der Aufklärungsliteratur umstritten.16 Konservative Revolutionskritiker wie Edmund als Verfassungsprinzip, in: HStR II, 2004, § 24 Rn. 49 ff. – Freilich ist die menschenrechtliche Begründung des Widerstandsrechts insofern problematisch, weil die von Schiller intendierte Abgrenzung zwischen (unzulässiger) revolutionärer Gewalt und (zulässiger) Widerstandstat aufgrund der Offenheit des Menschenrechtsbegriffs (und dessen subjektiver Interpretierbarkeit) nur unvollkommen gelingen kann – ein Problem, das auch Rousseau erkennt. Man dürfe „keine Mühe scheuen“, um: „einen rechtund gesetzmäßigen Akt von einem aufrührerischen Tumult und den Willen eines ganzen Volkes vom Geschrei einer Partei streng zu unterscheiden“, vgl. Contrat Social, III/18, S. 109. Die Abgrenzungsproblematik entsteht generell bei naturrechtlichen Begründungsansätzen, was jedoch nicht bedeutet, rechtspositivistische Standpunkte (Kant, Kelsen) seien zwangsläufig vorzugswürdig, vgl. E. Wolf, Das Problem der Naturrechtslehre, S. 1 ff., 149, 193 ff. – Auch Schiller war sich der Abgrenzungsproblematik bewusst; dazu und zur historischen Diskussion s. im Folgenden. 15 Vgl. etwa Art. 61 der englischen Magna Charta (1215): sie enthielt das Recht der Barone, den an sich unabsetzbaren König zur Rückkehr zum Recht zu zwingen und gegebenenfalls von seiner Amtsausübung suspendieren zu können. Im Deutschen Reich besaßen die Landstände im Mittelalter zumeist ein positivrechtliches Widerstandsrecht, das im Falle des Treubruchs des Herrschers zu Fehdehandlungen berechtigte. Johannes Althusius (1563–1638) untermauerte im Zeitalter der Reformation den Anspruch der Stände (Ephoren) und gab ihnen das Recht, im Auftrag des Volkes, die Herrschaftsmacht zu kontrollieren. Bei einer tyrannischen Herrschaft sollten die Stände berechtigt und verpflichtet sein, den Regenten abzusetzen. Im Zeitalter des Absolutismus finden sich ständische (gesetzliche) Widerstandsrechte in den amerikanischen Verfassungen, z. B. in der Unabhängigkeitserklärung von 1776: „That whenever any Form of Government becomes destructive of these ends, it is the Right of the People to alter or to abolish it, and to institute a new Government“, in: T. L. Jordan (Hrsg.), The U.S. Constitution, Naperville 2007, S. 59. Vgl. zur historischen Entwicklung Bertram, Widerstand und Revolution, S. 19 ff., 27 ff.; Dilcher, Widerstandsrecht, in: HRG V, S. 1351 ff. (1356 ff., 1359 ff.); Honecker, Grundriß der Sozialethik, Berlin 1995 S. 359 ff.; Starck, Widerstandsrecht, in: Staatslexikon V, S. 989 ff. (990 ff.); Wolzendorff, Staatsrecht und Naturrecht in der Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes gegen rechtswidrige Ausübung der Staatsgewalt, Aalen 1961 (Neudruck der Ausgabe von 1916), S. 23 ff.; speziell zu Althusius vgl. Friedeburg, Widerstandsrecht, in: HWP XII, S. 714 ff. (716 ff.); Kleinheyer/Schröder, Althusius, S. 23; E. Wolf, Johannes Althusius, in: ders., Große Rechtsdenker, S. 177 ff. (193 ff.). – Im Wilhelm Tell rekurriert Schiller dagegen nicht auf ein gesetzliches Widerstandsrecht, sondern auf ein naturrechtliches, vgl. Waider, Zur Lehre vom Widerstandsrecht, S. 395 Fn. 23 (und soeben Fn. 9); auf ein positivrechtliches Widerstandsrecht nimmt er aber mittelbar in der Gesetzgebung des Lykurgus und Solon Bezug, da bereits die spartanischen Ephoren die Amtsführung des Königtums kontrollierten (in Rom waren die Volkstribunen Verfassungswächter). Entsprechend heißt in der Geschichtsschrift: „Der Nachfolger Lykurgs [. . .] führte die Ephoren ein, welche der Macht des Senats einen Zaum anlegten“ (Gesetzgebung = IV, 806; vgl. zum Widerstandsrecht der spartanischen Ephoren Honecker, Grundriß der Sozialethik, S. 360. 16 Vgl. zur Diskussion um das Widerstandsrecht in der Berliner Monatsschrift in den Jahren 1793/94 Suhrkamp-Verlag (Hrsg.), Über Theorie und Praxis. Kant, Gentz,

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Burke, Friedrich Gentz und A. W. Rehberg lehnten ein Widerstandsrecht des Volkes ab. Z. B. bleibt es für Gentz dabei, dass „eine Rebellion gegen das rechtmäßige Oberhaupt, wäre sie gleich durch die unmenschlichste Bedrückung und durch die blutigste Tyrannei veranlaßt, eine unerlaubte Handlung ist“. Seine Ablehnung ist vor allem politisch motiviert, während Kant ein „aktives Widerstandsrecht“ aus philosophischen Gründen verneinte und nur ein „negatives Widerstandsrecht“ (parlamentarischer Widerstand und öffentlicher Meinungsdruck) zu akzeptieren bereit war. In der Rechtslehre argumentiert er, das Volk könne nicht Richter in eigener Sache sein. Es gebe niemanden, der entscheiden kann, wer Recht habe („quis iudicabit?“). Ließe man ein Widerstandsrecht zu, entstünde ein zweiter Souverän, den es nicht geben dürfe.17 Dieses Argument versucht Schiller zu umgehen, indem er das Widerstandsrecht an die Bedingung knüpft, erst nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel dürfe das Volk zur Selbsthilfe greifen. Diese Ultima-Ratio-Lösung deutet Stauffacher auf dem Rütli mit den Worten an, dass die Berufung auf die unveräußerlichen Rechte erst in Betracht komme, „Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden“. In diesem Fall ist ihm als letztes Mittel, „wenn kein andres mehr verfangen will“, nur noch „das Schwert gegeben“. Bereits in Walter Fürsts Wohnung (I/4) beklagt der Hausherr die Abwesenheit von Rechtshilfe: „Wäre ein Obmann zwischen uns und Östreich, So möchte Recht entscheiden und Gesetz Doch der uns unterdrückt, ist unser Kaiser Und höchster Richter.“

Die Eidgenossen benutzen Kants Argumentation also in umgekehrter Richtung. Da keine schlichtende Instanz besteht, sind sie gerade berechtigt, Widerstand zu üben. Sie begründen dies mit der fehlenden Neutralität des Kaisers, der in einem Rechtsstreit zwischen Österreich und Schweiz in seiner Doppelstellung als Reichsoberhaupt und König von Österreich notwendigerweise parteiisch wäre. Das Recht zum Widerstand entspringt daher auch dem strukturellen Defizit der Reichsverfassung. Die einzige Möglichkeit für die Schweizer bestünde darin, den König von den Ungerechtigkeiten zu überzeugen und um Hilfe zu bitten. Dieser Gedanke wird auf dem Rütli diskutiert, aber verworfen. Konrad Hunn berichtet, dass er bereits versucht habe, „den Brief zu holen unsrer alten Freiheit, den jeder neue König sonst bestätigt“. Ihm wurde jedoch bedeutet, der König habe keine Zeit, man könne von ihm keine Gerechtigkeit erRehberg, Frankfurt a. M. 1967; vgl. auch Alt, Schiller II, S. 576 ff.; Borchmeyer, Altes Recht und Revolution, S. 90 ff.; Foi, Schillers Wilhelm Tell, S. 201 ff.; Stolleis, Staatsraison, Recht und Moral in philosophischen Texten des späten 18. Jahrhunderts, 1972, S. 81 ff. (Kant), S. 86 ff. (Gentz), S. 91 ff. (Rehberg). 17 Vgl. I. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, Allgemeine Anmerkung A., S. 178 ff.; dazu Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 482; Niebling, Das Staatsrecht in der Rechtslehre Kants, S. 162 ff.; Thalheim, Notwendigkeit und Rechtlichkeit der Selbsthilfe, S. 229 ff.

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warten. Deshalb steht für die Verschwörer fest: „Recht und Gerechtigkeit Erwartet nicht vom Kaiser! Helft euch selbst!“.18 Christian Garve hatte sich demgegenüber in eng umgrenzten Ausnahmefällen für ein Widerstandsrecht ausgesprochen. Garve war entgegen Kant der Ansicht, die Frage des Widerstands könne nicht rein philosophisch behandelt werden. Den tatsächlichen Regierungsbedingungen müsse in Extremfällen Rechnung getragen werden, sodass im Falle einer Tyrannei ein Widerstandsrecht durchaus in Betracht käme. Zudem argumentiert er, es könne nicht richtig sein, dass der Thronräuber ebenso wie der etablierte Herrscher auf die Gehorsamspflicht des Volkes vertrauen könnte. Im Ergebnis kehrt Garve aber dann doch zu Kant zurück, weil die Erfahrung gezeigt habe, dass die Auflösung der Rechtsordnung bisher immer zu Bürgerkriegen und Sittenverfall geführt habe. Dieser Auffassung schließt sich Schiller nur insofern an, als sie davon ausgeht, dass ein Widerstandsrecht in Ausnahmefällen zulässig sein soll. Von der Auffassung, dass dieses Recht in der Praxis nicht ausgeübt werden dürfe, weil die Folgen einer zwischenzeitlichen Anarchie zu schwerwiegend seien, ist Schiller jedoch überzeugt. Im Wilhelm Tell illustriert er freilich einen gelungenen Aufstand, der gerade nicht im Bürgerkrieg oder mit allgemeinem Sittenverfall endet. Damit widerspricht er der empirischen Analyse Garves.19 Schillers naturrechtlich begründetes Widerstandsrecht steht im Einklang mit der Ansicht seines Brieffreundes J. B. Erhardt und der Auffassung Gottfried Achenwalls.20 Achenwall hatte bereits 1755 in seiner Abhandlung „Ius naturale“ die Meinung vertreten, das Volk könne den mit dem Souverän geschlossenen Unterwerfungsvertrag aufkündigen, wenn der Herrscher despotisch regiere. Erhard hatte ebenfalls die moralische Berechtigung zum Widerstand betont und sich auf die Menschenrechte berufen. Schiller steht mit seiner Begründung daher nicht in der Tradition Kants, sondern solcher Autoren, die versuchen, Widerstand gegen unrechtmäßige Herrschaft natur- und menschenrechtlich zu begründen. Der Unterschied zu Kant wird in der Parrcida-Szene (V/2) nochmals deutlich. Für Kant ist jeder, der sich gegen das rechtmäßige Oberhaupt auflehnt, ein Hochverräter, der „sein Vaterland umzubringen versucht (parricida)“. Nach Kants Konzeption stünden Tell und Parricida daher auf einer Stufe. Demgegenüber grenzt Schiller die Taten streng voneinander ab: 18 Wilhelm Tell (= II, 940: Vs. 700 ff., 959, 961: Vs. 1325 ff. u. 1348 ff.); zur Ultima-Ratio-Lösung Schillers vgl. Waider, Lehre vom Widerstandsrecht, S. 399. 19 Vgl. zu Garves Position Alt, Schiller II, S. 577; Stolleis, Staatsraison, Recht und Moral, S. 83 ff. 20 Vgl. zu J. B. Erhardt Foi, Schillers Wilhelm Tell, S. 203 ff.; zu G. Achenwall Alt, Schiller II, S. 577; Borchmeyer, Altes Recht und Revolution, S. 93. Generell zum Widerstandsrecht in der Naturrechtslehre vgl. Friedeburg, Widerstandsrecht, in: HWP XII, S. 714 ff. (ebd.); Klippel, Politische Freiheit, S. 192 ff.; E. Wolf, Das Problem der Naturrechtslehre, S. 148 ff.; Wolzendorff, Staatsrecht und Naturrecht, S. 326 ff., 351 ff., 389 ff.

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„Unglücklicher! Darfst du der Ehrsucht blutge Schuld vermengen Mit der gerechten Notwehr eines Vaters?“

Schiller ist in der Parricida-Szene bemüht, den Mord Johannes von Schwabens an Kaiser Albrecht I. vom Tyrannenmord Tells zu unterscheiden.21 Ersterer geschah aus Habgier, letzterer aus Notwehr und unter Berufung auf die „heilige Natur“. Parricida habe „gemordet“, Tell dagegen nur sein „Teuerstes“ verteidigt. Schiller macht nochmals deutlich, dass Tell sich auf ein natürliches Menschenrecht berufen darf, das er stellvertretend (Nothelfer) für den Widerstand des Volkes ausübt.22 Schillers naturrechtliche Begründung des Widerstands bedeutet freilich nicht, Wilhelm Tell müsse als nachträgliche Rechtfertigung der Revolution in Frankreich verstanden werden.23 Zwar hatte die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 das Widerstandsrecht ebenfalls menschenrechtlich begründet, jedoch möchte Schiller seine Dichtung von revolutionären Tendenzen freihalten. In Abgrenzung zum französischen Umsturz lautet der Text seines Widmungsgedichts für Dalberg: „Doch wenn ein Volk, das fromm die Heerden weidet, Sich selbst genug, nicht fremden Guts begehrt, Den Zwang abwirft, den es unwürdig leidet, Doch selbst im Zorn die Menschlichkeit noch ehrt, Im Glücke selbst, im Siege sich bescheidet, – Das ist unsterblich und des Liedes werth.“24

Zudem besteht bereits ein phänomenologischer Unterschied zwischen dem Widerstand im Wilhelm Tell und der französischen Revolution. Der eidgenössische Widerstand richtet sich gegen einen äußeren Feind (Österreich), nicht gegen die eigene Regierung wie in Frankreich (ancien régime). Das erste Landesgesetz, das die Versammlung auf dem Rütli erlässt, richtet sich gegen die Anerkennung Österreichs als neuer Hoheitsmacht („Der sei ausgestoßen aus dem Recht der Schweizer, Wer von Ergebung spricht an Österreich“). Die zeitge21 Vgl. zur Rechtfertigung von Tells Tat in der Parricida-Szene Gerland, Schiller und das Recht, S. 20; Knobloch, Wilhelm Tell, in: Koopmann, S. 499 ff.; Schneider, Wilhelm Tell, S. 127 ff. Schiller schreibt selbst in einem Brief an Iffland: „Parricidas Erscheinung ist der Schlußstein des Ganzen. Tells Mordthat wird durch ihn allein moralisch und poetisch aufgelöst. Neben dem ruchlosen Mord aus Impietaet und Ehrsucht steht nunmehr Tells nothgedrungne That [. . .]“ (= NA 10, 458). 22 Wilhelm Tell (= II, 1025); so auch Thalheim, Notwendigkeit und Rechtlichkeit der Selbsthilfe, S. 232 ff. 23 Zur Diskussion um die zeitgeschichtlichen Bezüge vgl. Borchmeyer, Altes Recht und Revolution, S. 111; Knobloch, Wilhelm Tell, in: Koopmann, S. 502 ff.; Oellers, Bürger von Frankreich – Schiller und die Französische Revolution, in: Staskova, Schiller und Europa, S. 33; Schulz, Wilhelm Tell, in: Luserke-Jaqui, S. 214 ff. (227 ff.); Thalheim, Notwendigkeit und Rechtlichkeit der Selbsthilfe, S. 221 ff. 24 Widmungsgedicht (= NA 10, 468 ff.); dazu auch Alt, Schiller II, S. 578 ff.

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schichtliche Parallele ist daher allenfalls der amerikanische Freiheitskampf, nicht die Französische Revolution. Der Text der Declaration of Independence hebt (propagandistisch) die einzelnen Verfehlungen der englischen Krone hervor („repeated Injuries“ und „absolute Tyranny“) und entwickelt ähnlich wie im Wilhelm Tell vor dem Hintergrund eines Unrechtsregimes ein Recht auf Freiheit und Unabhängigkeit („Free and Independent“).25 3. Der Rütli-Bund als Möglichkeit einer leidenschaftslosen Erhebung Schiller rechtfertigt im Wilhelm Tell ausnahmsweise den gewalttätigen Widerstand, weil sich das Schweizer Volk in einer Notwehrsituation befindet, in der es sich gegen eine tyrannische Unrechtsherrschaft verteidigt. Die Urkantone sind berechtigt, unter Berufung auf die unveräußerlichen Menschenrechte ihren Widerstand zu organisieren. Damit erklärt Schiller zwar, warum das Verbot revolutionärer Gewalt im Fall des eidgenössischen Widerstands nicht eingreift. Ungelöst bleibt aber vorerst das Problem der Gefährlichkeit der Masse. Denn es ist denkbar, dass sich die Widerstandsbewegung zu ähnlichen Leidenschaften hinreißen lässt, wie dies bei den französischen Revolutionären oder den niederländischen Bilderstürmern der Fall war. Das ist im Wilhelm Tell jedoch nicht der Fall. Schiller zeigt, dass eine Massenbewegung auch ohne „viehische“ Leidenschaften möglich ist. Dem Rütli-Bund gelingt ein leidenschaftsloser Widerstand, weil er sich selbst verpflichtet, besonnen und frei von Rache zu handeln. Stauffacher stellt im Namen der Versammelten fest: „Sprecht nicht von Rache. Nicht Geschehnes rächen, Gedrohtem Übel wollen wir begegnen.“ Melchthal beweist daraufhin, dass er tatsächlich fähig ist, frei von Leidenschaft zu handeln. Er berichtet, wie er die Gegebenheiten auf den feindlichen Burgen ausspionierte und dabei den Feind nicht erschlagen habe, obwohl er die Gelegenheit dazu hatte: „Ich sah den Landvogt an der Tafel schwelgen – Urteilt, ob ich mein Herz bezwingen kann, Ich sah den Feind, und ich erschlug ihn nicht.“

Auf Basis der Leidenschaftslosigkeit wird anschließend der gesamte Widerstand organisiert.26

25 Wilhelm Tell (= II, 960). Die parallelen Ziele von eidgenössischem und amerikanischem Freiheitskampf zeigen sich auch daran, dass der amerikanische Unabhängigkeitskampf zunächst ebenfalls um das „gute, alte Recht“ geführt wurde, vgl. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, S. 201 ff. – Zu den weiteren Zitaten im Text s. Declaration of Independence, in: T. L. Jordan (Hrsg.), The U.S. Constitution, Naperville 2007, S. 60 ff.; dazu Dilcher, Widerstandsrecht, in: HRG V, S. 1351 ff. (1360); G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Berlin 1922, S. 416; Sommermann, in: Mangoldt/ Klein (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Band 2, 5. Aufl., München 2005, Art. 20 GG Rn. 338; Starck, Widerstandsrecht, in: Staatslexikon V, S. 989 ff. (991).

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Das gilt zunächst für die bereits erwähnte Tatsache, dass Gewalt für die Eidgenossen nur als letztes Mittel in Betracht kommt. Denn selbst in „gerechter Sache“, so Reding als Vorsitzender der Versammlung, sei Gewalt immer „schrecklich“. Sie komme nur als Ultima Ratio in Betracht, wenn alle „sanften Mittel“ ausgeschöpft seien. Auch die Gewaltanwendung selbst, falls sie denn tatsächlich notwendig werden sollte, steht unter dem Gebot möglichster Schonung. Schlösser und Burgen sollen erobert, die Knechte und Vögte verjagt werden, „Doch wenn es sein mag, ohne Blut“. Das drohende Auftreten soll genügen, um die militärischen Ziele zu erreichen. Davon versprechen sich die Verschwörer auch eine günstige Verhandlungsposition gegenüber dem Kaiser. Wenn dieser sehe, dass der Widerstand in seinen „Schranken“ geblieben sei, dann sei auf eine angemessene Reaktion des Königs zu hoffen. Der Rütli-Bund kalkuliert demnach mögliche Schritte des Gegners in die Aktion ein, um eine Gegenbewegung zu verhindern. Einzig im Falle Gesslers glauben sie nicht an eine friedliche Lösung. Ihn zu schonen, halten sie für „gefährlich“, da er nicht „ohne Blut“ das Feld räumen werde. Eine endgültige Entscheidung über die Frage wird allerdings vertagt: „Die Zeit bringt Rat. Erwartets in Geduld. Man muß dem Augenblick auch was vertrauen“.27 Der Grund für die Fähigkeit des Schweizer Volkes, einen leidenschaftslosen Widerstand zu organisieren, liegt in der politischen Mündigkeit des historischen Volkes.28 Ihre Selbstmäßigung und Vernünftigkeit ist Ausdruck einer moralischen Überlegenheit gegenüber den unzivilisierten Klassen und „Barbaren“ der französischen Revolution. Dass Tell – und keiner der Rütli-Verschworenen – den Tyrannenmord begeht, ändert an dieser Bewertung nichts. Vielmehr ergibt sich gerade aus der dramaturgischen Trennung der Handlungsstränge ihre gedankliche Einheit. Tell begeht die Tat, um den Rütli-Bund moralisch zu entlasten und jede Nähe zu falsch verstandenem Republikanismus französischer Prägung zu vermeiden. Schiller verzichtet deshalb bewusst auf den Begriff der „Republik“, der genauso wie der Begriff „Demokrat“ im nachrevolutionären Deutschland überwiegend abwertend gebraucht wurde.29 Schiller trennt die Handlungen aus demselben Grund, aus welchem er auf der Parricida-Szene besteht, nämlich aus Vorsicht vor den Wirkungen auf das Publikum.30 Die Tren26 Wilhelm Tell (= II, 950, 952). Zur Selbstmäßigung des Widerstands vgl. Alt, Schiller II, S. 580; Foi, Schillers Wilhelm Tell, S. 210; Klöpfer, Wilhelm Tell und das Recht, S. 343; Schneider, Wilhelm Tell, S. 107 ff.; Waider, Zur Lehre vom Widerstandsrecht, S. 399 ff.; Waldecker, Das Problem des politischen Mordes in Schillers Tell, in: ZÖR 1926, S. 47 ff. (65 ff.); Wittkowski, Ethik und Politik in Schillers Dramen, in: Zeitschrift für Germanistik 1992, S. 31 ff. (38). 27 Wilhelm Tell (= II, 960, 962, 963, 964). 28 s. auch oben V.2.a). 29 s. auch oben Einleitung (1.). 30 Wie sehr Schiller die Wirkungen auf das Publikum beachten musste, zeigt etwa die Nachfrage Ifflands: „Will der Dichter einen Pöbel – wie jede so große Volcks-

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nung der Handlungsstränge bedeutet jedoch nicht, dass der Tyrannenmord nur aus privaten, unpolitischen Motiven zulässig wäre. Tell handelt vielmehr als Stellvertreter31 für das gesamte Volk, das grundsätzlich berechtigt gewesen wäre, in diesem Einzelfall einer absoluten Tyrannei von seinem Widerstandsrecht in letzter Konsequenz Gebrauch zu machen. Andernfalls wären die geduldige Herleitung des Widerstandsrechts und die Betonung der moralischen Integrität des Widerstands, seiner verhältnismäßigen Mittel und Leidenschaftslosigkeit letztlich funktionslos, wenn aus ihnen nicht das Recht ableitbar wäre, den Unterdrücker des Landes gewaltsam zu beseitigen.32 4. Der Rechtsfortschritt im Wilhelm Tell als historisches Gegenmodell zur französischen Revolution Ein leidenschaftlicher Massenaufstand ist vom Rütli-Bund daher nicht zu erwarten. Unschuldige und Unbeteiligte werden geschont, das Ausmaß der Gewalt auf ein Minimum reduziert. Die Masse erscheint im Wilhelm Tell kontrolliert und organisiert. Zu klären bleibt deshalb noch, welche historischen Wandlungen aus der Widerstandsbewegung hervorgehen. Im Hinblick auf die Revolution hatte Schiller sich skeptisch geäußert, ob sie zum Rechts- und Kulturfortschritt beitragen könne. Vielmehr sei, wie das Beispiel der französischen Revolution zeige, oftmals mit einem Rückfall in überwunden geglaubte Zivilisationsstadien zu rechnen. Die Widerstandsbewegung im Wilhelm Tell bietet dagegen ein historisches Gegenmodell zur Revolution. Aus ihr geht etwas Neues hervor, das die Urkantone auf eine höhere Entwicklungsstufe emporhebt. Aus der alten Ständeordnung (Väterordnung) wird eine neue Gleichheitsordnung (Brüderordnung). Dieser Wandel zu mehr Gleichheit und Demokratie verdankt sich der Zielsetzung des Widerstands. Im Gegensatz zur Revolution soll kein Bruch mit der alten Ordnung stattfinden. Die Schweizer wollen keine „Staatsverbesserung aus Principien“, sie wollen die Tradition in den überwiegenden Teilen bewahren und an das Hergebrachte anknüpfen. Sie bekennen sich grundsätzlich zur alten Ordnung, sind aber zur Veränderung durchaus bereit. Sie wollen nicht „ungezügelt“

masse ihn hat, zu einem tumultarischen Aufjauchzen reizen?? Dieses [. . .] könnte einen Effect machen, den der Dichter nicht will und den ich nicht wünschen kann“ (= NA 10, 454). Die Notwendigkeit der Parricida-Szene betont Schiller wiederum gegenüber Iffland: „Können die Stellen, wie sie jezt lauten, auf einem Theater nicht gesprochen werden, so kann auf diesem Theater der Tell überhaupt nicht gespielt werden, denn seine ganze Tendenz so unschuldig und rechtlich sie ist, müßte Anstoß erregen“ (= NA, 32, 123 ff.); dazu Knobloch, Wilhelm Tell, in: Koopmann, S. 506 ff. 31 s. auch oben V.1.a). 32 I. E. wie hier Kaiser, Idylle und Revolution, S. 99, S. 123 ff. (Fn. 29); Thalheim, Notwendigkeit und Rechtlichkeit, S. 239 ff.; Wiese, Schiller, S. 772 spricht von „politischem Mord“; krit. Martini, Wilhelm Tell, der ästhetische Staat und der ästhetische Mensch, S. 117.

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nach dem Neuem greifen, sondern hoffen auf eine vorsichtige, eine evolutionäre Entwicklung.33 Diese Wandlung von der alten zur neuen Ordnung vollzieht sich schrittweise, gewaltlos und eingedenk historisch überlieferter Rechtstraditionen. Sie kann daher als Idealbild einer Staatsverbesserung begriffen werden. Die Versammlung auf dem Rütli ist sich einig, dass die Elemente der tradierten Ordnung in demselben Umfang aufrechterhalten werden sollen wie bisher. Die Lehens- und alle übrigen Pflichten sollen weiterhin respektiert werden. Die von den Vätern überbrachte Verfassung bleibt auch im Angesicht des vom Kaiser zumindest geduldeten Terrors der Landvögte unangetastet: „Abtreiben wollen wir verhaßten Zwang, Die alten Rechte, wie wir sie ererbt Von unsern Vätern, wollen wir bewahren, Nicht ungezügelt nach dem Neuen greifen. Dem Kaiser bleibe, was des Kaisers ist, Wer einen Herrn hat, dien ihm pflichtgemäß.“

Dieser Vorgabe gemäß soll zunächst auch kein neuer Bund gestiftet, sondern ein alter Bund erneuert werden: „Wir stiften keinen neuen Bund, es ist Ein uralt Bündnis nur von Väter Zeit, Das wir erneuern!“

Das entspricht dem Willen aller Versammelten und auch dem Willen des ganzen Volkes, welches keine „verwegne Neuerung“ anstrebt, sondern den „altgewohnten gleichen Gang des Lebens“ bewahren möchte. Das Volk will keine neue Tradition begründen, vielmehr soll die „alte Sitte“, von Generation zu Generation weitergegeben, unverändert fortbestehen. Das konservative Ziel der Erhebung ist in zweierlei Hinsicht bedeutsam: Zum einen gelingt durch die Betonung des „uralt Bündnis“ die Abgrenzung zum Revolutionseifer des französischen Umsturzes. Der Schweizer Widerstand ist keine „Revolution“ im modernen Sinn, da dies den Bruch der alten und den Sprung in eine neue Ordnung voraussetzte. Er ist vielmehr eine „Revolution“ in der astrologischen Begriffsbedeutung, bei der die Planeten in zyklischer Bewegung wieder an ihren Ausgangspunkt zurückkehren. In der rechtsbewahrenden Richtung des Widerstands liegt auch die Parallele zum Aufstand der Niederländer, den Schiller im Abfall der Niederlande neben Begriffen wie „Rebellion“ oder „Empörung“ auch als „Revolution“ bezeichnet. Dort wird der Begriff noch im astrologischen Sinn verwendet und ist deshalb ebenso wenig im Wilhelm Tell Ausdruck des „Revo33 Wilhelm Tell (= II, 962). Vgl. hierzu Alt, Schiller II, S. 573 ff.; Borchmeyer, Altes Recht und Revolution, S. 95 ff., 98 ff.; Kaiser, Idylle und Revolution, S. 100 ff.; Klöpfer, Wilhelm Tell und das Recht, S. 343; Safranski, Schiller, S. 501; Schneider, Wilhelm Tell, S. 123 ff.

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2. Kap.: Die Struktur der Demokratie

lutionären“ des französischen Umsturzes. Zum anderen dient die rechtsbewahrende Zielrichtung dazu, den Widerstand zusätzlich zu legitimieren. Gerade weil die Schweizer nicht „ungezügelt“ nach dem Neuen greifen, sind sie berechtigt, das Neue überhaupt zu wagen. Erst wegen der Anknüpfung an das Althergebrachte dürfen sie gesellschaftliche Veränderungen ins Rollen bringen. Diesen Zusammenhang hatte Schiller bereits in der Geschichte des Dreißigjährigen Krieges betont: „Es bleibt eine ewige Wahrheit, daß eine Gewalttätigkeit, wenn die Weisheit sie gebietet, nie dem Gewalttätigen darf aufgetragen werden, daß nur demjenigen aufgetragen werden darf, die Ordnung zu verletzen, dem sie heilig ist“. Den Schweizern im Wilhelm Tell ist diese Ordnung heilig. Sie bewahren die „Heilge Ordnung“, die im Lied von der Glocke nur vom „Meister“ zerbrochen werden darf: „Der Meister kann die Form zerbrechen Mit weiser Hand, zur rechten Zeit, Doch wehe, wenn in Flammenbächen Das glühnde Erz sich selbst befreit!“34

Trotz der konservierenden Zielrichtung des Widerstands ergeben sich organisatorische und soziale Neuerungen. In der Rütli-Szene deutet sich bereits die staatsrechtliche Neuformung an. Das „erste Landesgesetz“, das die Versammelten beschließen, richtet sich gegen Österreich. Die Urkantone schließen sich zu einem Schutz- und Trutzbündnis zusammen, das über die bisherigen wechselseitigen Pflichten hinausgeht. Durch dieses Gesetz sind die Schweizer „frei“, wie Rösselmann feststellt, es erneuert die alte Bundesakte und gibt der Versammlung zugleich eine neue, gegen das Haus Habsburg gerichtete Tendenz. Wegen dieser neuen Richtung, die die Urkantone näher zusammenfügt, ändert sich auch die Terminologie der Versammelten. Wurde zunächst noch darauf hingewiesen, dass man keinen „neuen Bund“ stifte, sondern ein „uralt Bündnis“ wiederbelebe, schwört man später „den Eid des neuen Bundes“. Auch der Begriff der „Eidgenossen“ taucht erstmals auf. Der Rütli-Bund ist daher im Ergebnis keine Wiederholung früherer Beschlüsse, sondern eine modifizierte Neugründung.35 34 Wilhelm Tell (= II, 951, 955 ff., 961 ff.); Dreißigjähriger Krieg (= IV, 411); Das Lied von der Glocke (= I, 438 ff.). Zum konservierenden Ziel des Schweizer Widerstands vgl. Alt, Schiller II, S. 573 ff.; Klöpfer, Wilhelm Tell und das Recht, S. 343. – Zum Revolutionsbegriff bei Schiller vgl. Griewank, Der neuzeitliche Revolutionsbegriff. Entstehung und Entwicklung, 2. Aufl., Frankfurt 1969, S. 177 ff.; s. auch Alt, Schiller II, S. 574; Borchmeyer, Altes Recht und Revolution, S. 72 ff.; Düsing, Ästhetische Erziehung, S. 149. – Allgemein zur unterschiedlichen Zielrichtung zwischen Revolution und Widerstand vgl. Bertram, Widerstand und Revolution, S. 37 ff. Griewank, Der neuzeitliche Revolutionsbegriff, S. 20 ff.; Starck, Widerstandsrecht, in: Staatslexikon V, S. 989 ff. (ebd.); Stolleis, Revolution, in: HRG IV, S. 961 ff. (ebd.). 35 Wilhelm Tell (= II, 954, 964); vgl. hierzu Kaiser, Idylle und Revolution, S. 100 ff.; Schneider, Wilhelm Tell, S. 13. – Zum Inhalt des Bundesbriefs von 1291 vgl. Reinhardt, Geschichte der Schweiz, S. 11 ff.

VI. Durchsetzung der Demokratie

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Weitaus bedeutender als die staatsorganisatorischen sind die sozialen Neuerungen, die sich aufgrund und im Anschluss an die Befreiungsbewegung ergeben. Das gilt zunächst für die Herstellung von Gleichheit und die Einebnung der feudalen Ständeordnung. Adel, Bürger und Freibauern werden zu gleichberechtigten Mitgliedern der Gemeinschaft. Der Rütli-Schwur deutete die Hinwendung von der Väter- zur Brüderordnung bereits an. Die Eidgenossen fühlen sich als ein „einzig Volk von Brüdern“ und begegnen sich, ohne Beisein des Adels, auf der Ebene der Gleichheit. Das Evozieren der Brüderordnung durch die auf dem Rütli Versammelten bliebe jedoch ohne die Beteiligung des Adels folgenlos. Zum eigentlichen Verkünder der neuen Gleichberechtigung wird daher der Adel selbst, der freiwillig auf seine privilegierte Stellung verzichtet. Das Beispiel gibt Freiherr von Attinghausen: „Der Adel steigt von seinen alten Burgen Und schwört den Städten seinen Bürgereid.“

Attinghausen verzichtet aus besserer Einsicht auf seine Privilegien („Ja, dann bedarf es unserer nicht mehr“) und setzt seine Hoffnung in die neuen „Kräfte“, die „ohne Hülf der Edeln“ die Stabilität der Gemeinschaft garantieren können. Er hat großes Zutrauen in die demokratische Verfassung und begreift sie als Fortschritt: „Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, Und neues Leben blüht aus den Ruinen.“

Das Neue „blüht“, es verkörpert das „Herrliche der Menschheit“ und die „Freiheit“ hebt „siegend ihre Fahne“. Euphorisiert nimmt der Adel die neue politische Mündigkeit der Bürger zur Kenntnis und macht damit eine Forderung Schillers aus den Augustenburger Briefen wahr. Dort hatte Schiller den „civilisierten Klassen“ vorgeworfen ihre „Erschlaffung“, ihre „Passivität“ und ihre „Kraftlosigkeit im Handeln“ trügen dazu bei, den kulturellen und humanitären Fortschritt zu verhindern. Der Adel bleibt in den Augustenburger Briefen eine träge Masse, die sich mit ihren Privilegien zufriedengibt und die gesellschaftliche Immobilität weiter verfestigt. Die „civilisierten Klassen“ handeln kurzsichtig, weil sie die Vorteile einer demokratischen Gesellschaft nicht erkennen. Im Gegensatz dazu verzichtet Attinghausen auf seine Vorrechte, weil er an die Gestaltungskraft demokratischer Prozesse glaubt. Dasselbe gilt für Rudenz, der erkennt, dass er auf die Hilfe der Bauern angewiesen ist, um Berta zu befreien. Auch Berta vertraut auf den „Schutz in der Freiheit Land“ und wird als „Bürgerin“ und „freie Schweizerin“ in die Gemeinschaft aufgenommen. Beide Adlige, Rudenz und Berta, treten endgültig aus ihrer ständischen Privilegierung heraus und zeigen ihr Vertrauen in die nachhaltigere Wirkkraft demokratischer Prozesse.36 36 Wilhelm Tell (= II, 999: Vs. 2424 ff., 2430 ff.). Vgl. Kaiser, Idylle und Revolution, S. 102 ff., Knobloch, Wilhelm Tell, in: Koopmann, S. 505 ff.; s. auch Schulz,

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2. Kap.: Die Struktur der Demokratie

Schiller begreift das Hervorgehen der egalitären Ordnung aus der alten Ständeordnung als gesellschaftliche Fortentwicklung. Am Ende des Stücks erreichen die Schweizer wegen des zunächst konservierenden Widerstandsziels eine höhere Gesellschaftsstufe. Die rechtliche Unterscheidung zwischen Bauern, Bürgern und Adel ist aufgehoben und die politische Gleichheit aller Gesellschaftsmitglieder ist hergestellt. Die Eidgenossen sind nun tatsächlich ein „einzig Volk von Brüdern“ und haben sich zu einer Gemeinschaft mit Gemeinsinn geformt. Rudenz fühlt sich ebenso wie Berta „Zurückgegeben“ an sein Volk und Attinghausen beschwört mehrmals die Einigkeit des Bundes („Seid einig – einig – einig“). Wie der athenische „Gemeingeist“ und die niederländische „Nation“ (s. oben V.2.a.) hat sich auch das schweizerische „Volk“ zu einer Einheit gebildet. Während die französischen Revolutionäre, trotz ihrer berechtigten Forderungen, das Jahrhundert durch ihre Gewalttätigkeiten in „Barbarei und Knechtschaft“ zurückgeschleudert haben, bewirkt der besonnene Widerstand der Schweizer den Übergang in eine humanistische Gesellschaftsordnung. Schiller begreift den Wilhelm Tell damit als Modelfall einer bedeutsamen Wendezeit.37

Wilhelm Tell, in: Luserke-Jaqui, S. 229; Thalheim, Notwendigkeit und Rechtlichkeit, S. 247. 37 Wilhelm Tell (= II, 964, 999, 1000). Vgl. auch Storz, Der Dichter Friedrich Schiller, 3. Aufl. 1963, S. 409 und daran anknüpfend Borchmeyer, Tragödie und Öffentlichkeit, S. 184 ff. Ähnlich auch Kaiser, Idylle und Revolution, S. 105.

3. Kapitel

Die Universalität der Demokratie: Europäertum und Völkerrechtsdenken VII. Europäertum: Europäische Identität und europäischer Frieden 1. Schiller im Spannungsfeld von Nation und Europa a) Schiller als Nationaldichter? Schiller wurde in seiner Wirkungsgeschichte häufig als Nationaldichter, als „Mann der Nation“ oder „Dichter der Deutschen“ gefeiert. Das Schiller-Fest des Jahres 1839 in Stuttgart oder die Schillerverehrung aus Anlass des 100. Geburtstags des Dichters (1859) sind ein eindrucksvoller Beleg für die Verehrung Schillers als patriotischer Volksheld. Gedichte wie „Deutsche Größe“, in dem Schiller den deutschen „Weltgeist“ beschwört, oder antifranzösische Gelegenheitsgedichte Schillers, die er z. B. in Goethes Mittwochskränzchen vortrug, haben dazu beigetragen, Schiller mit einer Vielzahl romantischer Dichter gleichzusetzen, die nach dem Heraufbrechen der napoleonischen Kriege die deutsche Nation als notwendige Abgrenzung zur bedrohlich wirkenden Hegemonie Frankreichs verstanden.1 Dieses national geprägte Schillerbild passt allerdings wenig zu der modernen Vorstellung, Schiller sei ein europäischer Denker gewesen, dem nationaler Eigendünkel fremd geblieben sei.2 1 Vgl. hierzu Dann, Friedrich Schiller in Deutschland und Europa, in: APuZ 2005, S. 23 ff.; Engelberg, Friedrich Schiller als Historiker, in: Streisand, Joachim (Hrsg.), Die deutsche Geschichtswissenschaft vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Reichseinigung von oben, Berlin 1963, S. 11 ff. (30); Hofmann, Wirkungsgeschichte, in: Luserke-Jaqui, S. 561 ff. (563, 565); Oellers, Schiller. Zeitgenosse aller Epochen. Dokumente zur Wirkungsgeschichte Schillers in Deutschland, Teil I: 1782–1859, Frankfurt a. M. 1970, S. 340 ff.; Schmidt/Wahl, Der aktuelle Schiller und die Jenaer Schiller-Rezeption, in: Der Jenaer Schiller Lebenswelt und Wirkungsgeschichte 1789–1959, Bucha 2005, S. 11 ff. 2 Vgl. Haller-Nevermann, Ein Weltbürger, der keinem Fürsten dient, in: APuZ 2005, S. 14 ff. (17 ff.); Lützeler, Identität und Gleichgewicht: Schiller und Europa, in: Lützeler (Hrsg.), Kontinentalisierung, Das Europa der Schriftsteller, Bielefeld 2007, S. 49 ff. (50 ff.); Pörksen, Ideale Begriffe und Reale Skepsis, Schillers Politischer Blick, in: Friedrich Schillers politischer Blick, Eine Veranstaltung der Reihe „Literatur im Landtag“ im Landtag Rheinland-Pfalz am 4. Oktober 2005, S. 11 ff. (22 ff.); Riedel, Geschichte und Gegenwart. Europa in Schillers Konzept der Universalgeschichte, in: Dann (Hrsg.) u. a., Schiller als Historiker, Stuttgart/Weimar 1995, S. 29 ff. (35 ff.); Safranski, Schiller, S. 494 ff.; Wiese, Schiller, S. 378 ff.

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3. Kap.: Die Universalität der Demokratie

Der Streit löst sich, wenn man zwischen der Wirkungsgeschichte und den tatsächlichen Absichten Schillers unterscheidet. Es ist verständlich, dass Schiller in Phasen des Umbruchs, etwa 1848, als Modell nationaler Einigung gefeiert wurde. Wenn Schiller in der „Deutschen Größe“ prophezeit: „Jedes Volk hat seinen Tag in der Geschichte“, dann mag dies in den Ohren der Revolutionäre errettend gewirkt und sogar später die „Dritte Reich“-Propaganda beflügelt haben. Ebenso vermag Schillers Wilhelm Tell berechtigten Anlass gegeben haben, die Tragödie als Modell eines nationalen Einigungskampfes zu lesen und als Vorbild für die eigene Revolution zu verstehen. Zudem laden viele pathetische Ausrufe und feierliche Balladen Schillers immer wieder dazu ein, den Dichter für die eigene Lehre oder ein höheres Ziel zu vereinnahmen.3 Mit Schillers tatsächlicher Gesinnung, seiner universellen Geisteshaltung4, haben diese Vereinnahmungen jedoch nichts zu tun. Schiller war Europäer, getragen von dem Wunsch nach einer europäischen Friedensordnung – eine Vorstellung, die er insbesondere in seiner Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (1791–93) entfaltete. Schiller vertrat, wie noch zu zeigen sein wird, die Idee eines europäischen Mächtegleichgewichts, um den Frieden innerhalb Europas dauerhaft zu sichern. Dabei hoffte er auf die beruhigende Wirkung des Westfälischen Friedens, dessen besondere Bedeutung für die Mächtebalance Schiller immer wieder hervorhob.5 Zwar bröckelte der Optimismus des Historikers, als er später die Gefahr für den Westfälischen Frieden erkannte, die diesem durch das Erstarken Napoleons drohte. Das verrät der Prolog zum Wallenstein (1798):

3 Vgl. Albert, Schiller im 20. Jahrhundert, in: Koopmann, S. 773 ff. (774 ff., 779 ff.); Dann, Friedrich Schiller in Deutschland und Europa, in: APuZ 2005, S. 23 ff. (28); Hofmann, Wirkungsgeschichte, in: Luserke-Jaqui, S. 561 ff. (562 ff.); Klöpfer, Wilhelm Tell und das Recht, in: Kirchhof u. a. (Hrsg.), Rechtsstaat und Grundrechte, Festschrift für Detlef Merten, Heidelberg 2007, S. 331 ff. (334 ff.); Pörksen, Ideale Begriffe und Reale Skepsis, S. 22; Ruppelt, Schiller im Nationalsozialistischen Deutschland, Stuttgart 1979, S. 14 ff. 4 Beispiele: in einem Brief an Körner vom 13. Oktober 1789 schreibt er: das vaterländische Interesse sei „nur für unreife Nationen wichtig, für die Jugend der Welt [. . .] Es ist ein armseliges kleinliches Ideal, für eine Nation zu schreiben; einem philosophischen Geiste ist diese Grenze durchaus unerträglich“ (= NA 25, 304); früher bereits in der Ankündigung seiner Rheinischen Thalia: „Ich schreibe als Weltbürger, der keinem Fürsten dient“ (= NA 22, 93). Ein berühmtes Epigramm in den Xenien lautet: „Zur Nation euch zu bilden, ihr hofft es, Deutsche, vergebens; Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus!“ (= I, 267). Vgl. hierzu Dann, Friedrich Schiller in Deutschland und Europa, in: APuZ 2005, S. 23 ff. (27 ff.); Haller-Nevermann, Ein Weltbürger, der keinem Fürsten dient, in: APuZ 2005, S. 14 ff. (20); Wiese, Schiller, 378. 5 Vgl. hierzu Alt, Schiller I, S. 669 ff.; Lützeler, Identität und Gleichgewicht, S. 63 ff., 73, 83; Riedel, Geschichte und Gegenwart, S. 49; Schieder, Schiller als Historiker, in: ders., Begegnungen mit der Geschichte, Göttingen 1962, S. 56 ff. (68 ff.); Wiese, Schiller, 378 ff., 380.

VII. Europäertum

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„Zerfallen sehen wir in diesen Tagen Die alte feste Form, die einst vor hundert Und funfzig Jahren ein willkommner Friede Europens Reichen gab, die teure Frucht Von dreißig jammervollen Kriegesjahren.“

Die geschichtlichen Umstände führten aber nicht zu einer Kehrtwende im Denken Schillers. Im Gegenteil: das Zentralisationsstreben Napoleons – Schillers Antipathie gegenüber Napoleon ist nachgewiesen,6 musste Schiller in seiner Meinung bestärkt haben, europäischer Frieden sei nur auf Basis eines Gleichgewichts unter den europäischen Staaten dauerhaft zu verwirklichen. Die „Universalmonarchie“, die Napoleon unter Führung Frankreichs anstrebte, musste ihn an die habsburgische Hegemonie erinnern, deren Machtfülle Schiller im Dreißigjährigen Krieg immer wieder gegeißelt hatte.7 b) Schiller als Kulturpatriot Immerhin liegt der Ansicht, Schiller sei Nationaldichter der Deutschen gewesen, ein berechtigter Kern zugrunde: Schiller war Kulturpatriot. Er plante, den Gedanken der deutschen Kulturnation in seinem Gedicht „Deutsche Größe“ zu

6 Über Napoleon heißt es z. B. in einem Brief von Karoline von Wolzogen, Schiller hoffte nie, dass von dem Eroberer „irgendetwas Gutes der Menschheit durch ihn werden könne“. Vgl. zu Schillers Verhältnis zu Napoleon Lamport, Schiller and the ,European Community‘, in: The Modern Language Review 1998, S. 428 ff. (435); Safranski, Schiller, S. 494 ff. 7 Prolog (= II, 272); Dreißigjähriger Krieg (= IV, 373). So auch Lützeler, Identität und Gleichgewicht, S. 83. – Inwieweit Schiller Napoleons Hegemonialstreben in seinen klassischen Tragödien (insb. Wallenstein, Jungfrau von Orleans, Wilhelm Tell, Demetrius) reflektierte, ist Gegenstand eines lebhaften Streits. So werden z. B. an Wallenstein, wegen dessen Eigenschaften, Fähigkeiten und Machtstreben, immer wieder Züge Napoleons entdeckt (freilich liegt hier, worauf Goethe hingewiesen hat, die Parallele zu General Dumouriez näher). Genauso wird Johannas patriotisches Auftreten in Verbindung zum wieder erstarkenden Nationalgefühl der Franzosen gesetzt. Beim Wilhelm Tell wird die zeitliche Koinzidenz zwischen Napoleons Einmarsch in die Schweiz (5. März 1798) sowie dem kurzen Bestehen der helvetischen Republik (12. April 1798 bis 19. Februar 1803) und dem Entstehungszeitraum des Dramas (1801 bis 1804) erwähnt. Letztlich wird auch darauf verwiesen, dass Schiller mit seinem Demetrius, dem betrügerischen Zarensohn, die Usurpation Napoleons zeitkritisch reflektiere. Festzuhalten bleibt: die Texte selbst geben keine Hinweise auf solche aktuellen Querverbindungen. Im Übrigen bestätigen die Parallelen nur die bekannte Abneigung Schillers gegenüber der imperialen Politik Frankreichs. – Zum Wallenstein vgl. Johnston, Schillers politische Welt, in: Koopmann, S. 54 ff.; Reinhardt, Wallenstein, in: Koopmann, S. 410 ff. (und noch unten VIII.2.d) Fn. 47). – Zur Jungfrau von Orleans vgl. Alt, Schiller II, S. 520; – zum Wilhelm Tell vgl. Lützeler, Identität und Gleichgewicht, S. 84; Safranski, Schiller, S. 492 ff.; – zum Demetrius vgl. Alt, Ästhetische Revolution, fremder Staat, ferne Nation. Schiller und die Politik, in: literatur kritik.de, Januar 2005, Nr. 1; Safranski, Schiller, S. 519, 521; Martini, Demetrius, in: Hinderer, Schillers Dramen 1979, S. 316 ff. (323 ff., 339 ff.).

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3. Kap.: Die Universalität der Demokratie

entfalten.8 Das Fragment gebliebene Gedicht entstand mit großer Wahrscheinlichkeit als Reaktion auf den Frieden von Lunéville (9. Februar 1801), der das Ende des zweiten Koalitionskrieges gegen Napoleon besiegelt hatte. Auf die aktuellen Ereignisse Bezug nehmend fragt Schiller eingangs seines Entwurfs: „Darf der Deutsche in diesem Augenblicke, wo er ruhmlos aus seinem tränenvollen Kriege geht, wo zwei übermütige Völker ihren Fuß auf seinen Nacken setzen und der Sieger sein Geschick bestimmt – darf er sich fühlen? Darf er sich seines Namens rühmen und freun? Darf er sein Haupt erheben und mit Selbstgefühl auftreten in der Völker Reihe? Ja er darfs! Er geht unglücklich aus dem Kampf, aber das, was seinen Wert ausmacht, hat er nicht verloren. Deutsches Reich und deutsche Nation sind zweierlei Dinge. Die Majestät des Deutschen ruhte nie auf dem Haupt s. Fürsten. Abgesondert von dem politischen hat der Deutsche sich einen eigenen Wert gegründet, und wenn auch das Imperium unterginge, so bliebe die deutsche Würde unangefochten.“

Schiller trennt scharf zwischen politischem und kulturellem Patriotismus, weil Kultur langfristig überdauere und von „politischen Schicksalen unabhängig ist“. Er lobt den Vorteil der deutschen Sprache, berichtet über die großen Tatsachen der deutschen Geistesgeschichte, vor allem von der Lutherischen Reformation, und er glaubt, der „Weltgeist“ der Deutschen sei erwählt, an dem „ewgen Bau der Menschenbildung“ zu arbeiten. Dabei ist er sich bewusst, dass der Bau der Kultur lange dauert und deshalb das „langsamste Volk“ erst verspätet seine Größe ernten wird: „Jedes Volk hat seinen Tag in der Geschichte, doch der Tag des Deutschen ist die Ernte der ganzen Zeit.“9

Die historische Mission, die Schiller hier andeutet, ist ein Auftrag zur Verbreitung von Freiheit und Humanität. Der Entwurf ist keine politische Kampfansage an Frankreich oder England, sondern ein ästhetisches Konzept, das den Deutschen im Moment des allgemeinen Zweifels Hoffnung geben sollte. Es wäre daher verfehlt, Schillers einziges „patriotisches“ Zeugnis – zumal er das Gedicht nicht vollendete, als Ausdruck eines steigenden National- und Kriegsgeistes zu deuten. Das zeigt auch der Unterschied zu den Formulierungen deutscher Intellektueller, die ihren Patriotismus offen aussprechen. Friedrich Schlegel ruft offen zum Krieg gegen Frankreich auf („Gänzlicher Vernichtungskrieg“) und Heinrich Kleist verlangt: „Schlagt ihn tot! Das Weltgericht fragt Euch nach den Gründen nicht.“ Diese Art von Xenophobie und Staatsnationalismus – der sich nicht zuletzt in der Polemik Moritz Arndts zuspitzt („Ich hasse alle Franzosen ohne Ausnahme im Namen Gottes und meines Vaters“) – findet

8 Weitere Gedichte, die an die Gesinnung der „Deutschen Größe“ anknüpfen, sind die Antiken zu Paris (= I, 213) und die Die deutsche Muse (= I, 214). 9 Deutsche Größe (= I, 473 ff., 475 u. 478).

VII. Europäertum

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sich bei Schiller nicht.10 Sein Kulturpatriotismus ist nach innen gekehrt, betont das Eigene, verurteilt aber nicht das Fremde und vermeidet die Beschimpfung. Man mag die „Deutsche Größe“ wegen der Wirkung, die sie hatte, als „Treibstoff“ (Wehler) der nationalen Bewegung bezeichnen, sofern man gleichzeitig betont, dass das Gedicht von tiefer Skepsis gegenüber der Möglichkeit einer deutschen Staatsnation geprägt ist.11 2. Europäische Identität: Kulturelle Vielfalt und politische Freiheit a) Kulturelle Vielfalt Schiller bietet gerade wegen seines Kulturnationalismus ein Beispiel für modernes europäisches Denken. Trotz seiner Antipathie gegen Napoleon und seiner manchmal geäußerten Ressentiments gegenüber der französischen Hegemonialpolitik glaubte er an die politische Notwendigkeit eines geeinten Europas. Dabei stellt er der politischen Einheit die Vielfalt der Kulturen gegenüber. In seiner Antrittsvorlesung (1789), in der er die europäische Geschichte von der Antike bis zur Aufklärung reflektiert, betont er die „Mannigfaltigkeit in Gebräuchen, Verfassungen, Sitten“, die in den Staaten Europas blühe. Er nennt England, die Schweiz und die Niederlande als Beispiele für kulturelle Vielfalt innerhalb Europas.12 Schiller geht davon aus, dass die europäische Staatenordnung nur durch das Zusammenspiel von politischer Einheit und kultureller Vielfalt harmonisch bleibe. Am Beispiel der römischen Cäsaren stellt er dar, dass ein „nützliches Staatssystem“ nur durch „Eintracht“ zusammengehalten werde, demgegenüber die „Einförmigkeit“ in Sitten und Gebräuchen zwangsläufig zum Niedergang der Kultur und der Staaten führen müsse. Schiller lehnt daher die Zentralisation politischer Herrschaft unter der Führung einer europäischen Nation – gedacht ist immer an Napoleons Pläne einer Universalmonarchie – mit der Begründung

10 Zur deutschen Nationalbewegung im napoleonischen Zeitalter vgl. Jolles, Deutsches Nationalbewusstsein im Zeitalter Napoleons, Frankfurt a. M. 1936; Kohn, Prelude to Nation-States, The French and German Experience, 1789–1815, Princeton 1967, S. 119 ff.; Raumer, Deutschland um 1800 – Krise und Neugestaltung 1789–1815, S. 139 ff., 338 ff.; Valjavec, Politische Strömungen, S. 328 ff. Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 506 ff. 11 I. E. wie hier Buchwald, Schiller, S. 724; Grawe, Schillers Gedichtentwurf „Deutsche Größe“, in: JDSG 1992, S. 167 ff.; Lamport, Schiller and the ,European Community‘, S. 435 ff.; Raumer, Deutschland um 1800 – Krise und Neugestaltung 1789–1815, S. 140; Safranski, Schiller, S. 96 ff.; ähnlich auch Schieder, in Schiller als Historiker, in: ders., Begegnungen mit der Geschichte, Göttingen 1962, S. 56 ff. (69); Kritischer Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 44 ff., 518. 12 Antrittsvorlesung (= IV, 758). Vgl. hierzu Lützeler, Identität und Gleichgewicht, S. 58; Riedel, Geschichte und Gegenwart, S. 50.

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3. Kap.: Die Universalität der Demokratie

ab, sie führe zu „sklavischer Einförmigkeit“, zu Sittenverfall und verhindere, dass sich die „tätigsten Kräfte der Menschheit“ entwickeln können.13 b) Europäische Freiheit und Menschenrechte als wesentliche Bestandteile einer europäischen Identität Das von Schiller formulierte Ziel der politischen „Eintracht“ Europas wirft die Frage nach Inhalt und Form dieser Einheit auf. Mit Schillers Vorgabe, kulturelle Vielfalt zwischen den Staaten zu fördern, ist dabei bereits ein organisatorisches Element dieser europäischen Friedensordnung benannt. Dass Schiller die Vielfalt in Kultur und Sitte betont, bedeutet freilich nicht, er distanziere sich von dem Gedanken einer gemeinsamen europäischen Geschichte und Kultur. Die griechische Kultur, das römische Rechtswesen und die jüdisch-christliche Tradition sind für Schiller sogar die Voraussetzung für die gegenwärtige Aufklärung. Freiheit und Humanität hätten ihren Ausgangspunkt in der Antike. Immer wieder habe sich die Menschheit, nach zwischenzeitlichem Fall in Despotie und Knechtschaft, das kulturelle Erbe neu aneignen müssen, um letztendlich in einem vollendeten Zustand anzukommen. Die Geschichte habe, in Form einer „Historidizee“ (Benno v. Wiese), nur den Sinn gehabt, den Menschen aus dem ursprünglichen Zustand auf das gegenwärtige Kulturniveau zu befördern.14 Schiller ist sich der europäischen Wurzeln der gegenwärtigen Aufklärung daher sehr wohl bewusst. Gleichwohl sind sie für ihn nicht das prägende Element europäischer Identität. Vielmehr werden die verschiedenen Etappen der Menschheitsgeschichte durchgehend nach ihrem Wert für die menschliche Freiheit bewertet.15 Deshalb kann die griechische Antike nur im Hinblick auf die Solon’sche Demokratie, nicht aber in Bezug auf die spartanische Despotie identi13 Ebd. (= IV, 757). Bereits im Abfall der Niederlande hat Schiller gezeigt, welch kriegerische Folgen eintreten, falls eine Besatzungsmacht die Sitten, Gebräuche und Kulturzustände eines unterdrückten Volkes nicht respektiert. Unter ausführlicher Zitierung von Grotius’ „annales et historiae de rebus Belgicis“ (1658) verweist Schiller auf die „unnatürliche Verbindung“ zwischen den Spaniern und den Niederländen. Kulturund Rechtstraditionen seien höchst unterschiedlich: „Beiden Völkern ist eine Ergebenheit gegen ihren Landesherrn angeboren, mit dem Unterschiede nur, daß der Niederländer die Gesetze über die Könige stellt.“ (= IV, 62 ff.) Er begreift auch – im Vorgriff auf Max Weber – die protestantische Religion der Niederländer als wesentlichen Impuls für deren Handelsstärke: „Die katholische Religion wird im ganzen mehr für ein Künstlervolk, die protestantische mehr für ein Kaufmannsvolk taugen.“ (= IV, 66). s. zu Letzterem Eder, Schiller als Historiker, in: Koopmann, S. 667. 14 Antrittsvorlesung (= IV, 754 ff.). Vgl. Wiese, Schiller, S. 373. In Schillers Geschichtsschrift Etwas über die erste Menschengesellschaft nach dem Leitfaden der mosaischen Urkunde (= IV, 767 ff.) finden sich ähnliche Gedanken. Die Vertreibung aus dem Paradies versteht Schiller als ersten Schritt auf dem „gefährlichen Weg zur moralischen Freiheit“ (= IV, 769). Der Sündenfall versetzt den Menschen damit in erstmals in die Lage, sich politisch zu organisieren, um sich schrittweise einem höheren Kulturzustand anzunähern. Vgl. Wiese, Schiller, S. 345.

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tätsstiftend wirken. Gleiches gilt für die christliche Religion. Sie ist ebenfalls nur insoweit Teil des europäischen Erbes als sie die menschliche Freiheit respektiert. Kreuzzüge und Inquisition sowie die enge Verschränkung von Staat und Kirche werden von Schiller – wie etwa im Abfall der Niederlande – scharf verurteilt.16 Identitätsstiftend sind für Schiller daher nicht bestimmte historische Vorgänge als solche, sondern der Wert, der aus ihnen hervorgeht. Die gemeinsame Geschichte ist für ihn das Magazin, aus dem er Beispiele für den Gedanken der menschlichen Freiheit schöpft und zugleich gegen Despotie abgrenzt. Deshalb bilden für Schiller die Grundwerte Freiheit und Menschenrechte den Mittelpunkt der europäischen Identität.17 15 Vgl. Haller-Nevermann, Ein Weltbürger, der keinem Fürsten dient, in: APuZ 2005, S. 14 ff. (15 ff.); Lützeler, Identität und Gleichgewicht, S. 51 ff. Die Freiheit als „Grundmotiv“ in Schillers Denken betont T. Mann, Versuch über Schiller, Tübingen 2005 (erstmals Berlin u. a. 1955), S. 7 ff. 16 Abfall der Niederlande (= IV, 78 ff., 81 ff.). Über das Inquisitionsgericht bemerkt Schiller: „Schändung der Vernunft und Mord der Geister heißt ihr Gelübde, ihre Werkzeuge sind Schrecken und Schande.“ (= IV, 82 ff.). Auch im Don Karlos werden die päpstliche Inquisition und Philipps Kirchstaat angeklagt (V/10). In einem Brief an Reinwald vom 14. April 1783 bemerkt Schiller: „Außerdem will ich es mir in diesem Schauspiel [Don Karlos] zur Pflicht machen, in Darstellung der Inquisition, die prostituirte Menschheit zu rächen, und ihre Schandflecken fürchterlich an den Pranger zu stellen“ (= NA 23, 81). Demgegenüber werden in der Jungfrau von Orleans und in Maria Stuart katholische Traditionen mit Empathie und Detailkenntnis geschildert. Ein weiterer Beleg dafür, dass Schiller den Katholizismus nur dort verwirft, wo er der Religionsfreiheit entgegensteht. Vgl. hierzu auch Haller-Nevermann, Ein Weltbürger, der keinem Fürsten dient, in: APuZ 2005, S. 14 ff. (16); Lützeler, Identität und Gleichgewicht, S. 57; Oellers, Schiller und die Religion, in: Hinderer, Friedrich Schiller und der Weg in die Moderne, Würzburg 2006, S. 165 ff. (183 ff.); S. 165 ff. (175, 177, 183 ff.). 17 Vgl. Lützeler Identität und Gleichgewicht, S. 51; Riedel, Geschichte und Gegenwart, S. 39 ff. Dramatisch wird dies im Don Karlos belegt. Hier schmieden Marquis Posa, die Königin und Karlos eine Allianz internationaler Solidarität mit dem niederländischen Volk und setzen sich für die Idee der Menschenrechte ein: Posa tritt als „Abgeordneter der ganzen Menschheit“ (= II, 14) und als „Bürger dieser Welt“ (= II, 119) auf und wird damit zum Alter Ego Wilhelm Oraniens, den Schiller ebenfalls als „Bürger der Welt“ charakterisiert (Abfall der Niederlande – IV, 97). Die Königin wird nach Posas Tod „seines letzten Willens Vollstreckerin“ (= II, 216) und übernimmt damit die menschenrechtliche Gesinnung des Malteserritters. Don Karlos schließlich, identifiziert sich mit dem niederländischen Volk: „Ich eile, mein bedrängtes Volk Zu retten von Tyrannenhand.“ (= II, 218). Er fühlt dieselbe „Bedrückung des niederländischen Volkes“, die Schiller in seiner Geschichtsschrift als „Angelegenheit aller Menschen“ bewegt (Abfall der Niederlande – IV, 43). Insgesamt verbinden sich Posa, Königin und Don Karlos zu der menschenrechtlichen Forderung: „Jede Kränkung von einem Tyrannen erlitten, gab ein Bürgerrecht in Holland.“ (Abfall der Niederlande – IV, 39). Vgl. hierzu auch Klöpfer, NJW 2006, 560 ff. (564). Im heutigen Nachkriegseuropa, dem Europa der EU mit seinen verschiedenen Institutionen und Organen, findet die Idee der Menschenrechte ihren Ausdruck in juristischen Vertragswerken (EMRK und EU-Charta). Dieses gemeinsame Wertefundament prägt auch heute die europäische Identität, vgl. Vitzthum, Die Identität Europas, in: Europarecht 2002, S. 1 ff. (8 ff.); s. auch Nida-Rümelin, Europäische Identität? – Das normative Fundament des europäischen Einigungsprozesses, in: ders. u. a., Europäische

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Daran zeigt sich, dass Schiller die „Substanz“ der Demokratie nicht nur im einzelstaatlichen Zusammenhang hervorhebt, sondern auf den Bereich der zwischenstaatlichen Beziehungen ausbaut. Die liberalen Kernelemente der Demokratie prägen auch sein europäisches Denken. 3. Sicherung der europäischen Idee durch eine europäische Friedensordnung: Geschichte des Dreißigjährigen Krieges a) Europa als politische Schicksalsgemeinschaft Die europäische Freiheit und die kulturelle Vielfalt Europas lassen sich nach Schillers Ansicht nur durch eine freiheitlich-demokratische Forderung einlösen: die friedliche Kooperation zwischen den europäischen Völkern. Deshalb betonen Schillers Geschichtsschriften die Notwendigkeit einer Friedensordnung innerhalb Europas. Seine historiografische Beschäftigung mit den europäischen Kriegen der Frühmoderne, insbesondere mit dem Dreißigjährigen Krieg, ist Ausdruck seines ernsten Friedenswillens. Schillers Geschichte des Dreißigjährigen Krieges liest sich daher als eine der ersten deutschen Friedensschriften am Ende des 18. Jahrhunderts.18 Um die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges als Friedensschrift zu verstehen, muss man sich zunächst den Ausgangspunkt von Schillers historischem Werk verdeutlichen: Schiller versteht die europäische Staatengesellschaft als politische Schicksalsgemeinschaft.19 Deshalb geht er davon aus, der Krieg sei ein Identität, Voraussetzungen und Strategien, Baden-Baden 2007, S. 29 ff. (38 ff. – Rechtsstaat, Demokratie, Humanismus, Menschenrechte als Teil der europäischen Identität). – Zur Streitfrage, ob die europäische Identitätspolitik auch mit dem Ziel betrieben werden sollte, Geschichte, Kultur und insbesondere Religion einzuschließen (was etwa beim EU-Beitritt der Türkei relevant wird), vgl. Nettesheim in: Verfassung im Diskurs der Welt. Liber Amicorum für Peter Häberle zum siebzigsten Geburtstag, hrsg. v. Blankenagel u. a., S. 193 ff. (202 ff.); Oppermann, Nationale Identität und supranationale Homogenität, in: Epinay u. a. (Hrsg.), Die Herausforderung von Grenzen, Festschrift für Roland Bieber, S. 393 ff. 18 Vgl. Lützeler, Identität und Gleichgewicht, S. 64; Riedel, Geschichte und Gegenwart, S. 49. Zum Chronologischen Vergleich mit anderen Friedensschriften: die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges erscheint in jährlichen Abständen: Das erste und zweite Buch im Oktober 1790, das dritte Buch Ende 1791, die Bücher vier und fünf am 21.09.1792; eine Gesamtausgabe erscheint 1793. Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ wird zwei Jahre später veröffentlicht (1795). 19 Vgl. hierzu Eder, Schiller als Historiker, in: Koopmann, S. 675 u. 681 ff.; Engelberg, Friedrich Schiller als Historiker, in: Streisand, Joachim (Hrsg.), Die deutsche Geschichtswissenschaft vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Reichseinigung von oben, Berlin 1963, S. 11 ff. (22). Riedel, Geschichte und Gegenwart, S. 49; Schieder, in Schiller als Historiker, in: ders., Begegnungen mit der Geschichte, Göttingen 1962, S. 56 ff. (67 ff.); Schulin, Schillers Interesse an Aufstandsgeschichte, in: Schiller als Historiker, hrsg. v. Otto Dann u. a., Stuttgart, Weimar, 1995, S. 137 ff. (144); Wiese, Schiller, S. 379.

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europäischer Konflikt gewesen, der alle europäischen Nationen betroffen habe, auch diejenigen, die nicht unmittelbar Kriegsparteien waren. Obwohl das Kriegsgeschehen nur auf deutschem Boden stattgefunden habe, seien sämtliche europäische Nationen – direkt oder indirekt – entweder in den Verlauf des Krieges verwickelt oder von seinen Folgen betroffen worden. Jede Auseinandersetzung habe zu Verschiebungen der zwischenstaatlichen Kräfteverhältnisse innerhalb Europas geführt. Dabei hätte das Erstarken einer Partei in einem Staat bedrohlich gewirkt und zu neuen Bündnissen geführt, in einem anderen Staat dagegen eigene Hoffnungen auf Machtzuwachs freigesetzt. Dieses stete „Nullsummenspiel“ aus Machtzuwachs und Machtverlust, das seinen ersten Höhepunkt in der böhmischen Rebellion und dem Prager Fenstersturz am 23. Mai 1618 gefunden habe, hätte zu immer tieferer Verstrickung der politischen Verhältnisse und zu neuen Kriegen geführt, bis zunächst Schweden, letztlich auch Frankreich in den Krieg eingetreten seien. Am Ende des Krieges seien konsequenterweise alle europäischen Parteien, mit Ausnahme Englands, Russlands und der Türkei am westfälischen Friedensvertrag beteiligt gewesen, da nur eine europäische Lösung für die verschiedenen Konflikte denkbar war. Deshalb, so Schiller, hätten die europäischen Nationen im Anschluss an den Krieg erstmals erkannt, dass Europa nur als „zusammenhängende Staatengesellschaft“ begriffen werden könne.20 Dabei verkennt Schiller nicht, dass es sich beim Dreißigjährigen Krieg auch um einen Religionskrieg handelte, die Religion sogar einen großen Anteil am verheerenden Ausmaß des Krieges hatte. Der Religionshass zwischen Katholiken und Protestanten habe die Menschen bereitwillig zur Waffe greifen lassen und oft zu besonders erbitterten Kämpfen geführt. Von diesem religiös aufgeladenen Krieg hätten nach Schillers Ansicht letztendlich die weltlichen Fürsten profitiert, da sie zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele auf die Bereitschaft des Volkes zählen konnten: „Für den Staat, für das Interesse des Fürsten würden sich wenig freiwillige Arme bewaffnet haben; für die Religion griff der Kaufmann, der Künstler, der Landbauer freudig zum Gewehr.“

Schiller bewertet daher – im Einklang mit der modernen Geschichtsschreibung21 – den Dreißigjährigen Krieg in erster Linie als politischen Konflikt, bei dem das Großmachtstreben der habsburgischen Kaiser den Ausschlag für die 20 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 365 ff., 370 ff.); vgl. Haller-Nevermann, Ein Weltbürger, der keinem Fürsten dient, in: APuZ 2005, S. 14 ff. (18); Schulin, Schillers Interesse an Aufstandsgeschichte, S. 144. 21 Vgl. zur Verbindung geistlicher und weltlicher Interessen Diwald, Wallenstein, München/Esslingen 1969, S. 90 ff. (zit.: Diwald, Wallenstein, S. 90 ff.); Steinberg, Der Dreissigjährige Krieg und der Kampf um die Vorherrschaft in Europa 1600–1660, Göttingen 1967 (englische Erstausgabe London 1966), S. 117 ff.; Wedgewood, Der Dreißigjährige Krieg, München 1967, S. 21 ff., 63 ff.

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europäischen Auseinandersetzungen gab. Erst in zweiter Linie versteht er den Krieg als religiösen Konflikt, der dem Kriegsgeschehen seine besondere Dynamik verlieh. Dabei vereinten sich beide Motive durch eine „sonderbare Verkettung der Dinge“ in der expansiven Außenpolitik des Hauses Österreichs.22 b) Das Gleichgewicht der Mächte als wichtigste Voraussetzung für den europäischen Frieden Da Schiller den Dreißigjährigen Krieg als gesamteuropäischen Konflikt versteht, aus dem Europa als „zusammenhängende Staatengesellschaft“ hervorging, muss Schiller Bedingungen für eine gesamteuropäische Friedenslösung definieren. Die wichtigste Voraussetzung ist für ihn dabei das Gleichgewicht der Mächte.23 Das zeigt sich daran, dass Schiller das Streben der Staaten und der Staatsoberhäupter nach ihrer Ausrichtung auf die allgemeine Mächtebalance bewertet. Er tadelt Staatsoberhäupter, die ihre Gebietsansprüche ohne Rücksicht auf das europäische Equilibrum durchsetzen. Demgegenüber lobt er Regenten, die einer übertriebenen Expansionspolitik eines anderen Staates mit politischen Mitteln zuvorkommen möchten. Beispielsweise kritisiert Schiller die schwedische Kriegspolitik, als Gustav Adolf seinen militärischen Erfolg dazu nutzen möchte, um die Kaiserkrone anzustreben.24 Obwohl Schiller den schwedischen König, seine „politische Klug22 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 368, 371). So auch Schieder, in: Schiller als Historiker, in: ders., Begegnungen mit der Geschichte, Göttingen 1962, S. 56 ff. (67); Wiese, Schiller, S. 379; anders Diwald, Friedrich Schiller, Wallenstein, Franfurt a. M./Berlin/ Wien 1972, S. 49 (zit.: Diwald, Schiller, S. 49); Engelberg, Friedrich Schiller als Historiker, S. 22 (jeweils ohne nähere Begründung). 23 Lützeler, Identität und Gleichgewicht, S. 64 ff.; Wiese, Schiller, 380. Schiller greift hier insbesondere auf die Gedanken des Herzogs von Sully (1560–1648) zurück, den Schiller ausdrücklich hervorhebt. Sully hatte in seinem „grand projet“ einen politischen Plan entwickelt, in dem Frankreich im Kampf gegen Habsburg vom europäischen Gleichgewichtsgedanken motiviert werden sollte. Ähnliche Gedanken finden sich bei Abbé Saint-Pierre (1658–1743). Er wollte gegen Friedensbrecher vorgehen und schlug einen Europäischen Bund vor, der Beschluß- und Streitentscheidungskompetenz haben sollte. Saint-Pierre verhandelte auch den Frieden von Utrecht (1713), in dem der Grundsatz des rechten Machtgleichgewichts (iustum potentiae aequilibrum) ausdrücklich angeführt wurde. Vgl. hierzu Bleckmann, Völkerrecht, Baden-Baden 2001, § 2 Rn. 77 ff.; Vitzthum, in: ders., Völkerrecht, Rn. 102; Wiese, Schiller, S. 380; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, S. 157, 177, 189; vgl. ausführlich zum Prinzip des europäischen Gleichgewichts Kunz, Konzert, europäisches, in: Strupp, Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, Band I, Frankfurt 1924, S. 697 ff.; Reibstein, Völkerrecht, Eine Geschichte seiner Ideen in Lehre und Praxis, Band 1 (Von der Antike zur Aufklärung), Freiburg/München 1957, S. 453 ff.; Wegner, Handbuch des Völkerrechts, Band 1, Dritte Abteilung (Geschichte des Völkerrechts), Stuttgart 1936, S. 12 ff. 24 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 637 ff.). Schiller nimmt auf die Kriegslage Mitte 1632 Bezug: Gustav Adolf war nach der Breitenfelder Schlacht (17. September 1631)

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heit“ und seine humane Kriegsführung im Dreißigjährigen Krieg durchgehend lobt, ändert sich sein Urteil, sobald Gustav Adolf das Mächtegleichgewicht aus den Augen verliert. Der zunächst „menschenfreundliche König“ erscheint dann als „Eroberer“, von dem zu erwarten sei, dass er die „Freiheit der Stände“ missachten werde. Adolfs Tod in der Schlacht von Lützen deutet Schiller mithin als positive Wende zugunsten Deutschlands, da sich Kaiser und Truppen zumindest kurzfristig politisch und militärisch regenerieren konnten. Der Tod des Schwedenkönigs, so Schiller, sicherte „dem deutschen Reiche die Freiheit“. Schiller ist aufgrund der schwedischen Übermacht auch mit der wechselnden Bündnispolitik Frankreichs einverstanden. Dass die Franzosen ihren ehemaligen Alliierten zugunsten fremder Bündnisse aufgeben, begrüßt Schiller im Hinblick auf die europäische Mächtebalance. Frankreich falle das Verdienst zu, den „sieghaften Lauf des Goten“ gehemmt und das „Gleichgewicht der Macht in Europa“ wiederhergestellt zu haben.25 Auch das Streben Frankreichs, sich aus der Habsburger Umklammerung zu befreien, stellt für Schiller ein legitimes Ziel dar. Schiller lobt die kluge Politik der Bourbonen (Heinrich IV. bis Ludwig XIII.) gegen die Expansionspläne des Hauses Habsburg, weil sie der Wiederherstellung eines gesunden Mächtegleichgewichts gedient habe: „Für Europa war kein Friede, für seine Staaten kein Gedeihen, kein Plan von Dauer für der Völker Glück, solange es diesem gefährlichen Geschlecht überlassen blieb, nach Gefallen die Ruhe dieses Weltteils zu stören.“

Schiller kommentiert insbesondere die Pläne Heinrichs IV. zustimmend. Aus Anlass des Jülich-Clevischen Erbfolgestreits (1609–1614) sollte eine französische Armee, angeführt vom König, zunächst dieses Erbland in Kooperation mit der Evangelischen Union einnehmen. Die französischen Truppen sollten dann nach Italien vorrücken, sich mit Venedig und den päpstlichen Ländern gegen Spanien verbünden und letztlich von der Lombardei aus, in das habsburgische Erbteil eindringen. Von der Zerbrechung des „österreichischen Zepters“ würden letztlich alle europäischen Nationen profitieren, das europäische Equilibrum wäre zurückgewonnen:

auf dem Höhepunkt seines Siegeszugs. Er eroberte München (17. März 1632) und bedrohte Österreich. Ob Gustav Adolf tatsächlich vorhatte, sich zum Kaiser wählen zu lassen, ist allerdings nicht abschließend geklärt. Eine unvorsichtige Äußerungen des Schwedenkönigs und seines Chef-Diplomaten deuteten in diese Richtung, vgl. G. Mann, Das Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, in: ders. u. a. (Hrsg.), Propyläen Weltgeschichte, Band VII, Berlin/Frankfurt a. M./Wien 1964, S. 135 ff. (192 ff. u. 198; zit.: G. Mann, Dreißigjähriger Krieg, 192 ff.). 25 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 504, 544, 637 ff., 639). Vgl. Eder, in: Koopmann, S. 676 ff.; Lützeler Identität und Gleichgewicht, S. 76; anders Schieder, in: Schiller als Historiker, in: ders., Begegnungen mit der Geschichte, Göttingen 1962, S. 56 ff. (72) und Wiese, Schiller, S. 388.

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„Jede Macht gewann bei dieser Teilung des österreichischen Raubes entweder Land oder Freiheit, neues Eigentum oder Sicherheit für das alte; und weil alle gewannen, so blieb das Gleichgewicht unverletzt.“26

c) Manifestation des europäischen Gleichgewichts durch stabile völkerrechtliche Verträge: Prager Frieden 1635 – Westfälischer Frieden 1648 Das Gleichgewicht der Mächte ist für Schiller die politische Bedingung für ein friedliches Europa. Um die Staatenbalance jedoch dauerhaft zu sichern, fordert er deren völkerrechtliche Absicherung. Der Westfälische Frieden hat für Schiller insoweit Vorbildcharakter, als dieses „Riesenwerk“ die verschiedenen Interessen der beteiligten Parteien ausreichend berücksichtigte und somit nachhaltig wirken konnte.27 Wie sehr Schiller auf die Wirkkraft ausgeglichener Vertragswerke setzt, zeigt auch seine (im Gegensatz zum Westfälischen Frieden viel ausführlichere) Besprechung des Prager Friedens von 1635.28 Schiller analysiert im Hinblick auf

26 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 407 ff.); vgl. Eder, in: Koopmann, S. 675 ff.; Lützeler Identität und Gleichgewicht, S. 74 ff. Besonderes Lob erhält auch Kardinal Richelieu, „dieser große Staatsmann“, der nach dem Mord an Heinrich IV. die Geschäfte für Frankreich mit Geschick verhandelt, z. B. einen Waffenstillstand zwischen Schweden und Polen erreicht, um die schwedischen Kräfte in Allianz mit Frankreich gegen Österreich zu massieren (= IV, 494 ff.). 27 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 366, 745). Schillers Gedanke stabiler völkerrechtlicher Verträge knüpft an Vorstellungen Grotius’ an. Grotius hatte vertreten, die Idee der Universalmonarchie sei überholt, sie müsse ersetzt werden durch eine europäische Notgemeinschaft, basierend auf Freiheit und Frieden. Das Völkerrecht müsse sich dieser neuen Organisationsform – auf Basis positivrechtlicher Verträge – anpassen. Vgl. Vitzthum, Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts, in: ders., Völkerrecht, 4. Aufl. 2007, Rn. 101; Wiese, Schiller, S. 380; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, 1. Aufl. 1994, S. 168; als weitere Vertreter eines im 16. und 17. Jahrhundert einsetzenden Völkerrechtspositivismus sind insbesondere Richard Zouche, Samuel Rachel, Johann Wolfgang Textor – ein Vorfahre Goethes – Georg Friedrich Martens und Johann Jakob Moser – politischer Gegenspieler Herzog Karl Eugens (Schiller traf ihn nie, nahm dessen willkürliche Verhaftung 1764–1770 durch den Herzog aber wahrscheinlich (auch) zum Anlass für seine Fürstenkritik – zu nennen. Vgl. zu den einzelnen Autoren Reibstein, Völkerrecht, Eine Geschichte seiner Ideen in Lehre und Praxis, Freiburg/München 1957, S. 6 ff.; Steiger, Völkerrecht, in: GGr VII, S. 119 ff.; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, S. 199 ff. – Zur Sicherungs- und Stabilisierungsfunktion des Westfälischen Friedens vgl. G. Mann, Dreißigjähriger Krieg, S. 219 ff.; Steinberg, Dreißigjähriger Krieg, S. 92 ff.; Verosta, Die Geschichte des Völkerrechts, in: Verdross, Völkerrecht, 5. Aufl., Wien 1963, S. 31 ff. (66) und ausführlich Wehberg, Die Schieds- und Gerichtsklausel des FV von Osnabrück und Münster, FW 48 (1948), S. 281 ff. 28 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 694 ff.). Zum Gleichgewichtsdenken im Vorfeld des Prager Friedens vgl. Fenske, Gleichgewicht, in: GGr II, S. 964 ff. – Zum Prager Frieden selbst vgl. Dickmann, Der Westfälische Frieden, Münster 1965, S. 71 ff.; Kotulla,

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die Interessenlage der Parteien, warum der Versuch, das Kriegsgeschehen in Deutschland zu beruhigen, scheitern musste. Er benennt dabei drei wesentliche Gründe: Der erste Punkt betrifft die Ungleichbehandlung der Reichsstände. Sie zeigte sich nach Schillers Ansicht bereits in der Form des Friedensschlusses. Der Prager Frieden wurde zwischen Kaiser Ferdinand II. und Kursachsen vereinbart und sollte als förmlicher Reichsschluss ergehen und als Reichsgesetz bekannt gemacht werden. Die übrigen Reichsstände und Schweden waren lediglich eingeladen an ihm mitzuwirken. Schiller begreift bereits diese formelle Ungleichbehandlung zwischen Kursachsen und den übrigen Reichsständen als ein „Werk der Willkür“. Kaiser und Kursachsen hätten sich „eigenmächtig zu Gesetzgebern“ aufgeworfen und „allen ständischen Rechten zuwider“ die Reichsstände gezwungen, ein Gesetz anzuerkennen, das sie nicht selbst mit gegeben hatten.29 Auch inhaltlich sieht Schiller erhebliche Unterschiede zwischen den Reichsständen. Im Ausgangspunkt sollten die protestantischen Stände und der Kaiser alles herausgeben, was sie im Krieg voneinander erobert hatten. Württemberg und Baden, die Untertanen des Kaisers und die oberdeutschen Kreise schloss man jedoch von dieser Vereinbarung aus. Schiller meint, eine „gleiche Gerechtigkeit gegen alle“ hätte das wechselseitige Zutrauen zwischen Protestanten und Papisten, zwischen Reich und Landständen wiederhergestellt. Die „ungleiche Behandlung“ der Stände habe demgegenüber deren Misstrauen und Widerstandsgeist erhöht und es den Schweden erleichtert, das „Feuer des Krieges zu nähren“.30 Der zweite Grund für das Scheitern gilt der Aussetzung des Restitutionsediktes von 1629, die Schiller als einen der wesentlichen Inhalte des Prager Friedens erachtet. Das Restitutionsedikt hatte angeordnet, alle von den Protestanten seit dem Passauer Vertrag von 1552 in Besitz genommenen geistlichen Güter an den Kaiser oder die katholischen Reichsvasallen herauszugeben. Diese Rekatholisierung sollte nun auf vierzig Jahre ausgesetzt werden. Vor Ablauf der Frist sollte eine Kommission, bestehend aus „beiderlei Religionsverwandten gleicher Anzahl“, darüber befinden, ob jeder Teil in den Besitz aller Rechte zurücktreten würde, die er vor Erscheinen des Restitutionsediktes ausgeübt hatte. Schiller hält die Aussetzung des Restitutionsediktes für eine Verlegenheitslösung, die nicht geeignet war, den „Samen der Zwietracht zu ersticken“. Da die geistlichen Besitztümer nicht endgültig verteilt wurden, sei bereits mit weiteren Konflikten Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Alten Reich bis Weimar (1495–1934), Heidelberg 2008, Rn. 329 ff.; G. Mann, Dreißigjähriger Krieg, S. 214 ff.; Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 5. Aufl. 2005, S. 187. 29 Ebd. (= IV, 697 ff.). 30 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 697, 699). So auch die heutige Einschätzung vgl. Dickmann, Westfälischer Frieden, S. 73.

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3. Kap.: Die Universalität der Demokratie

zu rechnen gewesen: „der Zunder eines neuen Krieges lag schon in diesem Artikel des Pragischen Friedens“.31 Der dritte und für den weiteren Verlauf des Krieges entscheidende Punkt betrifft das Verhältnis des Reiches zu Schweden und Frankreich. Schweden war am Friedensschluss weder formal noch inhaltlich beteiligt. Vielmehr sah der Prager Friede vor, alle kontrahierenden Parteien unter einer einzigen Reichsmacht zu vereinigen, die den Reichsbeschluss „mit gewaffneter Hand“ zu vollstrecken hatten. Schweden wurde dadurch bereits formal zum Kriegsgegner sowohl des Kaisers als auch der bisher alliierten protestantischen Fürsten. Zudem war keine Genugtuung für die Schweden vorgesehen – weder der Ersatz ihrer Kosten noch ein Äquivalent für ihre Eroberungen. Schiller zeigt, dass die Schweden, derart „schimpflich im Stich gelassen“, nun allen Grund hatten, einen erbitterten Krieg gegen Deutschland zu führen. Da alle ihre Erwartungen enttäuscht wurden, hatte Deutschland sie „zu einer verzweifelten Gegenwehr“ gereizt. Losgelöst von jeglichen politischen Ambitionen bewiesen sie „von jetzt an keine Schonung mehr, weil sie nicht mehr für Deutschland, sondern für ihr eigenes Dasein kämpften“. Die Schwächung Schwedens stellt Schiller zudem in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Kriegseintritt Frankreichs auf Seiten der schwedischen Armee. Durch die Verbindung Ferdinands II. mit den Landesfürsten zwang der Kaiser Frankreich und Schweden in ein gegen Deutschland gerichtetes Zweckbündnis.32 Das Gleichgewicht der Mächte wurde demnach im Prager Friedensschluss nicht beachtet, da die politischen Interessen und die Kriegsführung der auswärtigen Staaten nicht berücksichtigt wurden. Der Friedensschluss ist für Schiller ein einseitiges Reichsgesetz zugunsten des Kaisers, der nach dem Sieg in der Schlacht von Nördlingen danach trachtete, seine Machtposition auszuweiten.33 31 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 697 ff.). I. E. auch Dickmann, Westfälischer Frieden, S. 73. 32 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 698 ff., 702 ff.). Ebenso Dickmann, Westfälischer Frieden, S. 73; Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, Rn. 338; G. Mann, Dreißigjähriger Krieg, S. 215 ff.; Wedgwood, Dreißigjähriger Krieg, S. 344. Vgl. auch Richelieus Notiz: „Sachsen hat seinen Frieden gemacht, aber das wird auf uns bloß die Wirkung haben, alles in Fluß zu halten“ (zit. nach Wedgwood a. a. O., S. 344). 33 Dieselben Ursachen, Missachtung des Interessenausgleichs und Lückenhaftigkeit der Regelungen, diagnostiziert Schiller auch im Hinblick auf den Augsburger Religionsfrieden von 1555. Zum einen sei die katholische Kirche „unwidersprechlich als Siegerin“ aus der Vereinbarung hervorgegangen und zum anderen habe man die Rechtsprobleme, die sich aus dem Epochenumbruch (Reformation) ergaben, z. B. gerechtere Besetzung des Reichskammergerichts, entweder nicht erkannt oder doch stillschweigend ignoriert. Letztlich habe auch – ein weiterer Unterschied zum Westfälischen Frieden – der Wille gefehlt, sich nachhaltig zu einigen. Schiller fasst zusammen: „Dieser Religionsfriede also, der die Flamme des Bürgerkriegs auf ewige Zeiten ersticken sollte, war im Grunde nur eine temporäre Auskunft, ein Werk der Not und der Gewalt, nicht vom Gesetz der Gerechtigkeit diktiert, nicht die Frucht berichtigter

VIII. Völkerrechtsdenken

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VIII. Völkerrechtsdenken: Humanitäres Kriegsrecht und soldatischer Gehorsam 1. Schiller als Vertreter eines humanitären Völkerrechts: Wallensteins Lager, Jungfrau von Orleans, Dreißigjähriger Krieg a) Die Verrechtlichung des Krieges: Wallensteins Lager und die Parallele zu den Räubern Schillers historiografische und dramatische Auseinandersetzung mit den europäischen Kriegen befasst sich nicht nur mit der friedenssichernden Funktion eines europäischen Mächtegleichgewichts, sondern auch mit den Regeln, die während des Krieges zu beachten sind.1 Stellt demnach Schillers Wunsch nach der Einhaltung der Mächtebalance einen Beitrag zur Verhinderung des Krieges dar (ius contra bellum), so betrifft die folgende Darstellung das Recht der Kriegsführung (ius in bello).2 Schiller muss sich bei seiner Beschäftigung mit den verschiedenen Kriegsgeschehen zunächst die Frage stellen, ob der Krieg überhaupt einer Regulierung bedarf oder ob er als gesellschaftlicher Ausnahmezustand ohne einschränkende Gesetze, dem freien Lauf der Kräfte überlassen bleibt. Zu unterscheiden wäre zwischen einer Verrechtlichung des Krieges und dem römischen Grundsatz für die Kriegsführung „inter armas silent leges“, also die Unterscheidung zwischen dem völlig ungebundenen Kriegszustand und dem gesellschaftlichen Zustand.3

Ideen über Religion und Religionsfreiheit. Einen Religionsfrieden letztere Art konnten die Katholischen nicht geben, und, wenn man aufrichtig sein will, einen solchen vertrugen die Evangelischen noch nicht.“ (= IV, 377). Vgl. zur Unausgewogenheit der Regelungen im Augsburger Religionsfrieden Fenske, Gleichgewicht, in: GGr II, S. 963 ff.; Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 4. Aufl., Heidelberg 2004, Rn. 1160 ff.; Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, Rn. 164 ff. 1 Vgl. hierzu ansatzweise Borchmeyer, Macht und Melancholie, S. 178 ff. (zu Wallensteins Lager); Pfaff, König René oder die Geschichte, Zu Schillers Jungfrau von Orleans, in: Aurnhammer, S. 407 ff. (415 ff.) (zu Jungfrau von Orleans). 2 Vgl. zum ius in bello Bothe, Friedenssicherung und Kriegsrecht, in: Vitzthum, Völkerrecht, 4. Aufl. 2007, Rn. 56 ff.; Hobe/Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 8. Aufl., Tübingen/Basel 2004, S. 498 ff.; Kunz, in: Strupp/Schlochauer II, 1961, S. 354 ff. – Zur Geschichte des ius in bello vgl. Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl., München 2004, § 2 Rn. 23 ff.; Vitzthum, Begriff, Geschichte und Rechtsquellen des Völkerrechts, in: ders., Völkerrecht, Rn. 88 ff.; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, 1. Aufl., München 1994, S. 51 ff., 103 ff., 131 ff., 158 ff., 165 ff., 190 ff., 230 ff., 255 ff., 284 ff. 3 Vgl. zum römischen Kriegsrecht Ipsen, Völkerrecht, § 2 Rn. 24; Vitzthum, Begriff, Geschichte und Rechtsquellen des Völkerrechts, Rn. 90 ff.; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, S. 51 ff.

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3. Kap.: Die Universalität der Demokratie

Die Schilderung des soldatischen Lebens in Wallensteins Lager lässt erkennen, dass Schiller ein anarchisches Kriegsgeschehen ablehnt.4 Die fehlende Achtung vor Recht und Person, mit der die Soldaten ihr Selbstverständnis der Kriegsführung bezeugen, betrachtet Schiller mit Skepsis.5 Die Rohheit der Wallensteinischen Soldateska ist als abschreckendes Beispiel für Leser und Zuschauer gedacht. Die Jäger im Heer Wallensteins (I/6) sind typische Vertreter dieses inhumanen Kriegsverständnisses: „Wetter auch! wo Ihr nach uns fragt, Wir heißen des Friedländers wilde Jagd [. . .] In einem Augenblick fern und nah, Schnell wie die Sündflut, so sind wir da – Wie die Feuerflamme bei dunkler Nacht In die Häuser fähret, wenn niemand wacht – Da hilft keine Gegenwehr, keine Flucht, Keine Ordnung gilt mehr und keine Zucht. – Es sträubt sich – der Krieg hat kein Erbarmen – Das Mägdlein in unsern sennigten Armen.“

Die Jäger begreifen den Krieg, wie bei Hobbes6, als ungebundenen Naturzustand, in dem keine gesellschaftlichen Bindungen bestehen. Jede Tat im Namen des Krieges – Raub, Plünderung, Vergewaltigung – sind für sie nur im gesellschaftlichen Zustand Straftaten, im Naturzustand des Krieges aber legitime Freiheitshandlungen. Der Vergleich mit Franz Moors Lebensphilosophie aus den Räubern liegt nahe: „Das Recht wohnet beim Überwältiger, und die Schranken unserer Kraft sind unsere Gesetze.“ Der Gedanke Franz Moors, dass die physischen Gesetze über die bürgerliche Ordnung herrschen, fassen die Jäger, freilich ohne einen vergleichbaren intellektuellen Hintergrund wie im Falle Franzens, in die Worte: 4

Vgl. Borchmeyer, Macht und Melancholie, S. 181 ff.; Diwald, Schiller, S. 75. Schiller knüpft hier an Gedanken an, die zuvor Grotius („de iure belli ac pacis“) entwickelt hatte. Grotius vertrat die Auffassung, Krieg sei ein geregelter Kampf. Der Mensch bleibe auch in Kriegszeiten ein soziales, rechtlich verpflichtetes Wesen. Zum ius in bello bei Grotius vgl. Ipsen, Völkerrecht, § 2 Rn. 52 ff.; Kahn, Hugo Grotius, in: Maier/Denzer (Hrsg.), Klassiker des politischen Denkens, Band 1, 2. Aufl., München 2004, S. 193 ff. (197, 199, 206); E. Wolf, Hugo Grotius, in: ders., Große Rechtsdenker, Tübingen 1963, S. 253 ff. (254, 260, 282, 288); Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, S. 194. 6 Zu Hobbes’ Kriegsverständnis und zum „Krieg aller gegen alle“ im Interstaatenrecht s. Hobbes, Leviathan, in: Bergstraesser/Oberndörfer, Klassiker der Staatsphilosophie, S. 165 ff.; dazu Janssen, Krieg, in: GGr III, S. 567 ff.; Kleemeier, Grundfragen einer philosophischen Theorie des Krieges, Berlin 2002, S. 125 ff.; dies., Krieg und Politik bei Machiavelli, in: Münkler u. a. (Hrsg.), Demaskierung der Macht, BadenBaden 2004, S. 83 ff.; Münkler, Thomas Hobbes, Frankfurt/New York 1993, S. 94 ff.; Paech, Frieden und Krieg, in: EEPW II, S. 186 ff. (188 ff.); Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, 10. Aufl., Köln 2000, Rn. 97; Vitzthum, Krieg und Frieden im Völkerrecht, in: ders. u. a. (Hrsg.), Die Kunst des Friedenschließens, Stuttgart 1985, S. 12 ff. (23 ff.); Zippelius, Geschichte der Staatsideen, S. 97. 5

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„Da tret ich auf mit beherztem Schritt, Darf über den Bürger kühn wegschreiten, Wie der Feldherr über der Fürsten Haupt. Es ist hier wie in den alten Zeiten, Wo die Klinge noch alles tät bedeuten.“7

Die Soldaten im Lager rechtfertigen das Fehlen von bürgerlicher Legalität und moralischem Gesetz mit dem Freiheitsempfinden des soldatischen Lebens. Das Reiterlied, das die Kürassiere anstimmen (I/11) – es wurde zum Volkslied im Befreiungskampf und zu Zeiten von Bismarcks Reichsgründung, rekurriert auf dieses freiheitliche Lebensgefühl der Soldaten: „Wohl auf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd! Ins Feld, in die Freiheit gezogen. Im Felde, da ist der Mann noch was wert, Da wird das Herz noch gewogen. Da tritt kein anderer für ihn ein, Auf sich selber steht er da ganz allein.“

Freiheit bedeutet für die Kürassiere mit „Herz“ in den Kampf zu ziehen, wobei sie „auf sich selber“ gestellt der Gefahr des Todes begegnen. Freiheit verstehen sie demnach als Wagnis und Grenzerfahrung. Da sie dieses Risiko im zivilen Leben nicht finden, müssen sie die Sicherheit des gesellschaftlichen Zustandes als Beengung empfinden: „Aus der Welt die Freiheit verschwunden ist, Man sieht nur Herren und Knechte; Die Falschheit herrschet, die Hinterlist Bei dem feigen Menschengeschlechte. Der dem Tod ins Angesicht schauen kann, Der Soldat allein ist der freie Mann.“8

Den Freiheitsbegriff der Jäger und Kürassiere kann Schiller nicht teilen. Selbst wenn die Soldaten ihn mit ihrer Tugendhaftigkeit zu rechtfertigen versuchen, bleibt die von ihnen vorgestellte Freiheit ein vorgesellschaftlicher Rohzustand, der sich mit Schillers Ordnungsdenken nicht verträgt.9 Dass Schiller die „furchtbare Wahrheit des Kriegs“ (Borchmeyer) distanziert betrachtet, zeigt sich bereits im Prolog zum Wallenstein. Als Dichter fühlt er 7 Wallensteins Lager (= II, 284, 287); Die Räuber (= I, 500); vgl. Borchmeyer, Macht und Melancholie, S. 181; zu Schillers Kritik an der Philosophie des Lagers s. auch Alt, Schiller II, S. 434 ff. 8 Wallensteins Lager (= II, 309). Vgl. zum Reiterlied und zu dessen Wirkungsgeschichte Dann, Friedrich Schiller in Deutschland und Europa, in: ApuZ 2005, S. 23 ff. (25); Diwald, Schiller, S. 71; Gerhard, Schiller im 19. Jahrhundert, in: Koopmann, S. 758 ff. (766 ff.). 9 Vgl. wie hier Borchmeyer, Macht und Melancholie, S. 178 ff., 185; Hinderer, Wallenstein, in: ders., Schillers Dramen 2006, S. 202 ff. (221 ff.); ähnlich auch Alt, Schiller II, S. 435 („Deformation menschlicher Autonomie“).

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3. Kap.: Die Universalität der Demokratie

sich berufen, den Schrecken zu artikulieren, ohne ihn zu beschönigen: „In jenes Krieges Mitte stellt euch jetzt der Dichter.“ Schiller deutet die Grausamkeit des Kriegs an, die der Leser und Zuschauer kritisch reflektieren soll: „Ein Tummelplatz von Waffen ist das Reich, Verödet sind die Städte, Magdeburg Ist Schutt, Gewerb und Kunstfleiß liegen nieder, Der Bürger gilt nichts mehr, der Krieger alles, Straflose Frechheit spricht den Sitten Hohn, Und rohe Horden lagern sich, verwildert Im langen Krieg, auf dem verheerten Boden.“

Die Verse lassen Schillers Unbehagen gegenüber der Verabsolutierung des Krieges deutlich spüren. Dass der Bürger nichts mehr gilt, aber „der Krieger alles“, entspricht dem Urteil Octavios in den Piccolomini. Seine warnenden Hinweise an seinen Sohn Max, das „Kind des Lagers“, kommen der ablehnenden Haltung Schillers sehr nahe: „Du hast den Frieden nie gesehn! Es gibt Noch höhern Wert, mein Sohn, als kriegerischen, Im Kriege selber ist das Letzte nicht der Krieg.“

Auch die „rohen Horden“, die Elend über Städte und Bürger bringen, tauchen in Octavios Rede wieder auf: „Doch eines Morgens plötzlich siehet man Die Zelte fallen, weiter rückt die Horde, Und ausgestorben, wie ein Kirchhof, bleibt Der Acker, das zerstampfte Saatfeld liegen, Und um des Jahres Ernte ists getan.“10

Schillers Distanz zum anarchischen Freiheitsbegriff des Lagers lässt sich auch aus der Parallele zwischen der Wallensteinischen Truppe mit Karl Moors Räuberbande herleiten.11 Ebenso wie die „rohen Horden“ des Lagers Freiheit mit Anarchie gleichsetzen, pervertieren die „Jaunerhorden“ Karl Moors die Freiheitsidee. In beiden Fällen entstehen rechtsfreie Räume, in denen nicht die staatliche Ordnung, sondern der Soldat bzw. der Räuber regiert. Während Karl Moor in den Räubern eine außerrechtliche Räuberordnung gründet, errichtet Wallenstein ein „Reich der Soldaten“. Mit ihm will Wallenstein, wie die Jäger behaupten, „Die Welt anstecken und entzünden, Sich alles vermessen und unterwinden“. Die Parallele zu Karl Moor, der wie eine „Furie“ haust und „teufelmäßig“ seinen Hass auf die Welt auslebt, ist offenkundig.12 10 Prolog (= II, 272); Piccolomini (II, 330); vgl. auch Borchmeyer, Macht und Melancholie, S. 185. – Zum Prolog vgl. Oellers, Wallenstein, in: Luserke-Jaqui, S. 129 ff. 11 Vgl. hierzu auch Borchmeyer, Macht und Melancholie, S. 189, der den „heroischen Weltzustand“ – im Sinne der Hegelschen Ästhetik – des Lagers mit demjenigen der Räuberbande vergleicht; tendenziell auch Wiese, Schiller, S. 640 („Staat im Staat“).

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Schiller artikuliert nicht nur das verfehlte Freiheitsverständnis der Räuber und Soldaten. In beiden Fällen zeigt er die unmenschlichen Folgen der Gewalttätigkeit. Schillers Analyse aus dem Prolog zum Wallenstein, „Verödet sind die Städte [. . .] Straflose Frechheit spricht den Sitten Hohn“, trifft ebenso auf die Verwüstungen zu, die Karl Moors Bande nach ihren Raubzügen hinterlässt. Bei den Plünderungen sind beide Gruppen genauso rücksichtslos im Umgang mit den Einwohnern. Die Frauen, Alten und Kranken sind für die Räuber nur „Hundsgesindel“ und werden auch von den Soldaten entsprechend behandelt. Der mangelnde Respekt vor der Person zeigt sich im Lager auch im Umgang mit den Bauern. Sie werden als Objekt behandelt („Ei, das muss immer saufen und fressen“) und sind der Gewalt der Soldaten schutzlos ausgeliefert („Der muß baumeln“). Die Anmerkung des Arkebusiers, „der Bauer ist auch ein Mensch – sozusagen“, wirkt auf die Soldatenohren beinahe skandalös.13 b) Mitleid und Menschlichkeit im Krieg: Johannas Kriegsbegegnungen in der Jungfrau von Orleans Mit der kritischen Schilderung der Anarchie in Wallensteins Lager und den Anspielungen auf die Verwüstungen der deutschen Städte im Prolog verweist Schiller auf die Notwendigkeit einer „Verrechtlichung des Krieges“14. Ausgehend von dieser Verrechtlichung ist zu fragen, welchen konkreten Inhalt dieses Kriegsrecht im Sinne Schillers haben könnte. Gedacht ist dabei weniger an eine Ähnlichkeit zu modernen völkerrechtlichen Regelungen, wie dem Verbot bestimmter Waffen oder der Schonung bestimmter Kulturgüter, sondern vielmehr an ein humanitäres Grundanliegen. Wie die Schilderung der Verhältnisse in Wallensteins Lager und der Vergleich mit der Räuberbande bereits gezeigt haben, steht an oberster Stelle das Prinzip der Menschlichkeit. Aus ihm folgt vor allem ein Gebot des menschlichen Umgangs mit der Zivilbevölkerung (Opferschutz). Der Soldat soll nicht „über den Bürger kühn wegschreiten“, sondern Unbeteiligte wie Kinder, Frauen und alte Menschen schonen. Genauso wenig soll er sich wie die „Sündflut“ zu sexuellen Übergriffen hinreißen lassen. Aus dem Prinzip der Menschlichkeit folgt auch, die „wilde Jagd“ auf das Eigentum der Einwohner zu unterlassen, um Plünderungen vorzubeugen.15 12 Selbstbesprechung der Räuber (= I, 622); Wallensteins Lager (= II, 287); Die Räuber (= II, 541). 13 Prolog (= II, 272); Die Räuber (= I, 544 ff. 547); Wallensteins Lager (= II, 278 u. 297); vgl. auch Borchmeyer, Macht und Melancholie, S. 183. 14 Zur „Verrechtlichung des Krieges“ und zu der Notwendigkeit eines ius in bello vgl. Vitzthum, Krieg und Frieden im Völkerrecht, S. 17 ff. 15 Vgl. nochmals Wallensteins Lager (= II, 284). – Zum Opferschutz als Kern des modernen humanitären Völkerrechts vgl. Art. 22 ff., 42 ff. der Haager Landkriegsordnung von 1907 und insbesondere das IV. Genfer Abkommen zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten von 1949 sowie die Zusatzprotokolle zu den Genfer Abkommen

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In der Jungfrau von Orleans findet das Prinzip der Menschlichkeit eine besondere Ausprägung. Johannas Brutalität richtet sich nicht gegen die Zivilbevölkerung, sondern gegen den Kriegsgegner. Trotz der grundsätzlichen Berechtigung, sich dem Gegner kämpferisch entgegenzustellen, überschreitet sie im Kampf gegen die Engländer die Grenzen des Humanen. Sie lässt ein aus der Menschlichkeit abzuleitendes Prinzip außer Acht, das auch auf dem Schlachtfeld seine Gültigkeit behält: Mitleid mit einem wehrlosen Gegner.16 Die entscheidende Szene ist insoweit das Aufeinandertreffen des Waliser Soldaten Montgomery mit Johanna im englischen Lager (I/6, I/7). Montgomery befindet sich dabei von vornherein in einer ausweglosen Situation („Wohin entrinn ich“). Er kann nicht aus dem brennenden Lager flüchten, weil er von Talbot, dem englischen Feldherrn, zum Kampf gegen die Franzosen gezwungen wird. Daher muss er sich Johanna stellen, hat jedoch Angst vor der „Fürchterlichen“, die „wie die Brunst des Feuers raset“. Er ergibt sich freiwillig, wirft sich ihr zu Füßen und bittet um Gnade: „Halt ein, Furchtbare! Nicht den Unverteidigten Durchbohre. Weggeworfen hab ich Schwert und Schild, Zu deinen Füßen sink ich wehrlos, flehend hin.“

Johanna nimmt ihn gefangen („In der Jungfrau Hand Bist du gefallen“), schlägt aber seine Bitte um Schonung aus. Sie verweist darauf, dass Mitleid ihre Mission nicht zulasse. Sie sieht in Montgomery nur den Feind („Eine britische Mutter zeugte dich“), nicht den Menschen, der auf Gnade hoffen darf: „Du könntest Mitleid finden und Barmherzigkeit, Doch tödlich ists, der Jungfrau zu begegnen. Denn dem Geisterreich, dem strengen, unverletzlichen, Verpflichtet mich der furchtbar bindende Vertrag, Mit dem Schwert zu töten alles Lebende, das mir Der Schlachten Gott verhängnisvoll entgegenschickt.“

(ZP I und II von 1977); zu den einzelnen Techniken des Opferschutzes (Perfidie- und Waffenverbote, Schutz von Kulturgütern und Zivilpersonen, etc.) vgl. ausführlich Bothe, Friedenssicherung und Kriegsrecht, in: Vitzthum, Völkerrecht, Rn. 63 ff.; Kunz, Kriegsrecht im Allgemeinen, in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Band II, Berlin 1961, S. 354 ff. 16 Vgl. zu Johannas militantem Auftreten Alt, Schiller II, S. 525 ff.; Guthke, Die Jungfrau von Orleans, in: Koopmann, S. 456 ff.; Pfaff, König René oder die Geschichte, S. 415 ff. Wiese, Schiller, S. 733. Speziell zum Schutz des Wehrlosen im heutigen Kriegsrecht – sog. „Genfer Recht“ (insb. I. und III. Genfer Abkommen) – vgl. Bothe, in: Vitzthum, Völkerrecht, Rn. 77 ff.; Hobe/Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 8. Aufl. 2004, S. 505 ff. Besondere Probleme ergeben sich vor allem bei der Abgrenzung zwischen „Kombattant“ und „Zivilperson“ (Art. 43 ff. und Art. 50 ff. ZP I 1977). Sie betreffen zum einen die Frage nach der Rechtmäßigkeit von sog. „targeted killings“; zum anderen ist streitig, ob es den Status eines „unlawful combatant“ geben kann.

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Montgomery kann Johanna auch nicht erweichen, als er die Liebe zu seiner Frau beschwört und auf den Schmerz für seine Eltern hinweist („Du rufst lauter irdisch fremde Götter an“). Johanna erschlägt ihn mit dem Schwert, zwingt ihn vorher aber noch sein Schild und sein Schwert wieder an sich zu nehmen. Damit möchte sie zumindest den Anschein eines ritterlichen Kampfes wahren, obwohl Montgomerys Tod bereits beschlossen war.17 Schiller zeigt die Unmenschlichkeit Johannas als Folge ihrer göttlichen Mission. Es ist kein menschlicher Wille, der einen wehrlosen Gefangenen tötet, sondern ein fanatischer: „Muß ich hier, ich muß – mich treibt die Götterstimme, nicht Eignes Gelüsten, – euch zu bitterm Harm, mir nicht Zur Freude, ein Gespenst des Schreckens würgend gehn, Den Tod verbreiten und sein Opfer sein zuletzt!“

Johanna steht unter dem Einfluss ihrer göttlichen Eingebung. Unter gewöhnlichen, das heißt menschlichen Umständen hätte sie keinen Unverteidigten getötet. Bereits die Verwendung des Konjunktivs deutet dies an: „Du könntest Mitleid finden und Barmherzigkeit, doch tödlich ists der Jungfrau zu begegnen“. Deshalb zeigt Johanna die umgekehrte, menschliche Reaktion, nachdem sie vom göttlichen Beistand verlassen wird. Sie verliert ihren Mut und kann Mitleid empfinden. Ihre neue Barmherzigkeit zeigt sich, als sie Lionel auf dem Kampfplatz begegnet (III/10). Ergriffen von Lionels Blicken schlägt sie ihm vor, zu flüchten. Sie ist nun nicht mehr die „Fürchterliche“, sondern besitzt „Großmut“, um Lionel zu schonen. Schiller zeigt hier ein Kontrastbild zur früheren Johanna. Sie ist nun sogar fähig, ihren Feind zu lieben. Diese Wandlung, von der militanten zur empfindsamen Kriegerin, reflektiert Johanna später selbst (IV/1): „Sollt ich ihn töten? Konnt ichs, da ich ihm Ins Auge sah? Ihn töten! Eher hätt ich Den Mordstahl auf die eigne Brust gezückt! Und bin ich strafbar, weil ich menschlich war? Ist Mitleid Sünde? – Mitleid! Hörtest du Des Mitleids Stimme und der Menschlichkeit Auch bei den andern, die dein Schwert geopfert? Warum verstummte sie, als der Walliser dich, Der zarte Jüngling, um sein Leben flehte? Arglistig Herz! Du lügst dem ewgen Licht, Dich trieb des Mitleids fromme Stimme nicht!“ 17 Jungfrau (= II, 739 ff., 740, 743); zur Montgomery-Szene vgl. Alt, Schiller II, S. 526; Golz, Der Traum von Harmonie: „Die Jungfrau von Orleans“, in: Dahnke/ Leistner (Hrsg.), Schiller. Das dramatische Werk in Einzelinterpretationen, S. 193 ff. (204 u. 207). Das Modell für die Montgomery-Auftritte bildet die Szene der Illias, in der Lyakon Achill begegnet und vergebens sein Leben von ihm erbittet (s. die Anmerkungen zur Jungfrau von Orleans bei II, 1276).

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3. Kap.: Die Universalität der Demokratie

Die Selbsterkenntnis der Heldin ist auch der Hinweis für den Leser und Zuschauer, dass Mitleid mit Montgomery die einzig zulässige Option gewesen wäre. Die konträren Szenen sind daher als humanistischer Appell zu lesen, der auch in Kriegszeiten Gehör finden soll. Schiller wendet hier das Prinzip der Menschlichkeit auf das Recht des Gefangenen an. Der wehrlose, sich ergebende Kriegsgegner muss, da er keine Gefahr darstellt, verschont bleiben. Er darf entweder flüchten (Lionel) oder muss zumindest – Schiller spricht dies nicht mehr explizit aus, unter humanen Bedingungen gefangen gehalten werden.18 c) Die Regeln der Kriegsführung: Die kaiserlichen Generäle und Gustav Adolf im Dreißigjährigen Krieg Das Prinzip der Menschlichkeit im Krieg wendet Schiller auch im Dreißigjährigen Krieg an, um die Kriegsführung der militärischen Akteure zu bewerten. Sein Urteil fällt dabei unterschiedlich aus. Die kaiserlichen Generäle werden im Hinblick auf die völkerrechtlichen Vorgaben sehr negativ bewertet, während die schwedische Armee unter Gustav Adolf besonders gelobt wird.19 An Wallensteins Kriegsführung kritisiert Schiller vor allem die Art und Weise, wie der General die Versorgung der Armee sicherstellt. Dies geschieht nicht durch Ankauf von Proviant, sondern nach dem Prinzip „der Krieg ernährt den Krieg“20. Die damit einhergehenden „Brandschatzungen“ ganzer Landstriche missfallen Schiller umso mehr, da Wallenstein nicht zwischen „Freund und Feind“ unterscheidet. Um die Bedürfnisse der Truppen zu bestreiten, lässt er eroberte Territorien genauso brandschatzen wie befreundete Reichsgebiete. 18 Jungfrau (= II, 743, 768 ff., 774). Vgl. zur Rückkehr Johannas ins Humane in der Lionel-Szene und im Monolog des 4. Aufzugs Golz, Der Traum von Harmonie: „Jungfrau von Orleans“, S. 207 ff.; Hinderer, Der Geschlechterdiskurs im 18. Jahrhundert und die Frauengestalten in Schillers Dramen, in: ders., Friedrich Schiller und die Moderne, S. 261 ff. (279 ff.); Kaiser, Johannas Sendung, Eine These zu Schillers Jungfrau von Orleans, in: JDSG 10 (1966), S. 226; Sauder, Jungfrau von Orleans, in: Hinderer (Hrsg.), Interpretationen. Schillers Dramen, Stuttgart 2006 (Erstausgabe Stuttgart 1992), S. 374. – Zum Opfer- und Wehrlosenschutz im Völkerrecht s. bereits oben Fn. 15, 16. 19 Vgl. hierzu Alt, Schiller I, S. 671; Schillers einseitige Schilderung der Kriegsführung zulasten der kaiserlichen Truppen ist aus Sicht der modernen Geschichtsschreibung überholt. Heute wird die grausame Kriegsführung aller Armeen, auch der schwedischen, herausgestellt. Kontributionen und Plünderungen waren teilweise unvermeidlich, da ein Kriegshaushalt nicht existierte. Im Übrigen war die Heeresorganisation Wallensteins sogar recht fortschrittlich. Er ließ seine Truppen aus eigenen Mühlen und Fabriken versorgen und bestrafte plündernde Soldaten. Die Einquartierung erfolgte zudem nach logistischen Prinzipien. Vgl. Diwald, Schiller, S. 17 ff.; G. Mann, Dreißigjähriger Krieg, S. 176 ff. u. 189; Ranke, Geschichte Wallensteins, Düsseldorf 1967 (erstmals erschienen 1869), S. 254 ff.; Steinberg, Dreißigjähriger Krieg, S. 125. 20 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 474). In den Piccolomini bemerkt Isolani zynisch: „Der Krieg ernährt den Krieg. Gehn Bauern drauf, Ei, so gewinnt der Kaiser mehr Soldaten.“ (= II, 319).

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Hinzu tritt, dass die „Erpressungen und Gewalttätigkeiten“ nicht allein der Versorgung dienen, also aus kriegerischer Notwendigkeit geschehen, sondern auch zur persönlichen Bereicherung einladen. Schiller schätzt, dass Wallenstein in seinem siebenjährigen Kommando 60.000 Millionen Taler an Kontributionen erhob. Damit war es ihm möglich, die Offiziere reich zu belohnen und viele Rekruten anzuziehen. Sein Heer wuchs auf 100.000 Mann, was die Situation für die betroffenen Länder noch verschlimmerte und einen Kreislauf in Gang setzte, an dessen Ende die unbeteiligte Bevölkerung zu Lasten der Truppenversorgung unter Mangel zu leiden hatte.21 Als ein weiteres Beispiel für den fehlenden Schutz der Zivilbevölkerung berichtet Schiller über die Belagerung, Plünderung und Brandlegung Magdeburgs (1631) unter General Tilly.22 Schiller leitet die Erstürmung der Stadt mit den Worten ein: „Die Würgeszene fing jetzt an, für welche die Geschichte keine Sprache und die Dichtkunst keinen Pinsel hat. Nicht die schuldfreie Kindheit, nicht das hülflose Alter, nicht Jugend, nicht Geschlecht, nicht Stand, nicht Schönheit können die Wut des Siegers entwaffnen. Frauen werden in den Armen ihrer Männer, Töchter zu den Füßen ihrer Väter mißhandelt, und das wehrlose Geschlecht hat bloß das Vorrecht, einer gedoppelten Wut zum Opfer zu fallen.“

Obwohl die Misshandlungen von den einfachen Soldaten begangen wurden, lässt Schiller keinen Zweifel daran, Tilly trage eine Mitschuld an den Gräueltaten. Viel zu spät sei er in der Stadt erschienen, um den Gewalttätigkeiten ein Ende zu bereiten. Er gibt bewusst Tillys Antwort wieder, als dieser von einigen Offizieren gebeten wurde, den Verbrechen Einhalt zu gebieten: „,Kommt in einer Stunde wieder‘, war seine Antwort, ,ich werde dann sehen, was ich tun werde; der Soldat muß für seine Gefahr und Arbeit etwas haben‘.“ Die Aus-

21 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 474 ff.). Schiller macht zudem noch auf die Folgen dieser „räuberischen Lebensart“ für die Soldaten aufmerksam. Da sie ihre eigene Verpflegung stehlen mussten, trafen sie oft auf erbitterten Widerstand und waren gezwungen, sich ihre Verpflegung zu erkämpfen. Diese Art, seinen Proviant sicherzustellen, wurde also von der „Unsicherheit des Räuberlebens begleitet“ (= IV, 475). – Zu den Kriegsführungsregeln im modernen Kriegsrecht – sog. „Haager Recht“ – etwa der (Wallenstein noch nicht bekannten) Verpflichtung zwischen „Freund und Feind“ zu unterscheiden, vgl. Art. 51 Abs. 4 ZP I 1977 (Verbot des unterschiedslosen Angriffs), Abs. 5 (Verbot des Flächenbombardements). Freilich sind „Kollateralschäden“ an der Zivilbevölkerung im Hinblick auf den militärischen Vorteil dann gerechtfertigt, wenn sie dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entsprechen (Abs. 7); dazu Bothe, Friedenssicherung und Kriegsrecht, in: Vitzthum, Völkerrecht, Rn. 66; Vitzthum, Krieg und Frieden im Völkerrecht, in: ders. u. a. (Hrsg.), Die Kunst des Friedenschließens, Stuttgart 1985, S. 12 ff. (45 ff.). 22 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 515 ff. – zur Belagerung, 520 ff. – zu Erstürmung und Plünderung). Vgl. hierzu Alt, Schiller I, S. 669; s. zum historischen Verlauf G. Mann, Dreißigjähriger Krieg, S. 190; Steinberg, Dreißigjähriger Krieg, S. 125.

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schweifungen der Soldaten, die Tilly duldete, lässt Schiller in Wallensteins Lager nochmals von einem der Jäger rekapitulieren: „So ritt ich hinüber zu den Ligisten, Sie täten sich just gegen Magdeburg rüsten. Ja, das war schon ein ander Ding! Alles da lustiger, loser ging, Soff und Spiel und Mädels die Menge! Wahrhaftig, der Spaß war nicht gering, Denn der Tilly verstand sich aufs Kommandieren. Dem eigenen Körper war er strenge; Dem Soldaten ließ er vieles passieren, Und gings nur nicht aus seiner Kassen, Sein Spruch war: leben und leben lassen.“

Schiller hält die Verwüstung Magdeburgs ohne Zweifel für die schlimmste Gräueltat, die die Zivilbevölkerung im Dreißigjährigen Krieg zu erleiden hatte. Schiller schätzt die Zahl der Toten, vor allem wegen des verheerenden Feuers, auf etwa 30.000: „Schauderhaft gräßlich, empörend war die Szene, welche sich jetzt der Menschlichkeit darstellte!“.23 Der unmenschlichen Kriegsführung Tillys und Wallensteins hält Schiller die Vorbildhaftigkeit Gustav Adolfs entgegen.24 Im Gegensatz zu den „schreienden Barbareien der Kaiserlichen“ lobt Schiller die Zurückhaltung des schwedischen Königs im Umgang mit dem deutschen Volk und der Zivilbevölkerung generell. Seine „staatskluge Schonung des deutschen Stolzes“ und „einige glänzende Handlungen der Gerechtigkeit“ sowie seine „Achtung für die Gesetze“ machen Gustav Adolf in Schillers Augen zum „ersten und einzigen gerechten Eroberer“. Schiller betont immer wieder die Menschlichkeit des Königs, die sich vor allem in der Organisation der Truppe und der schonenden Kriegsführung zeige: „Es war Gustav Adolfs heiligstes Gesetz, das Blut der Feinde wie der Seinigen zu sparen.“ Damit im Einklang steht der abschätzige Bericht der Jäger in Wallensteins Lager über die strenge Mäßigung des Schwedenkönigs. Sie können sich ein auf Gesetz und Ordnung basierendes Soldatenleben nicht vorstellen:

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Dreißigjähriger Krieg (= IV, 520 ff.); Wallensteins Lager (= II, 285 ff.). Dreißigjähriger Krieg (= IV, 541 ff.). Vgl. hierzu Alt, Schiller I, 673. – Zur Heerführung Gustav Adolfs vgl. Barudio, Gustav Adolf – der Große, Frankfurt 1982, S. 331 ff.; Delbrück, Geschichte der Kriegskunst, Band 4, Berlin/New York 2000, S. 221 ff.; G. Mann, Dreißigjähriger Krieg, S. 189. Gustav Adolf war, wie Schiller richtig erkennt, von vornherein bemüht, einen disziplinierten Krieg nach den Regeln des Völkerrechts zu führen. Erst in der zweiten Hälfte des Kriegs griff er zu unmenschlichen Methoden. Nicht sicher überliefert ist, ob Gustav Adolf stets eine Ausgabe von Grotius’ „de iure belli ac pacis“ bei sich führte, s. Kahn, Hugo Grotius, in: Maier/Denzer (Hrsg.), Klassiker des politischen Denkens, Band 1, 2. Aufl., München 2004, S. 193 ff. (196); G. Mann a. a. O.; E. Wolf, Hugo Grotius, in: ders., Große Rechtsdenker, Tübingen 1963, S. 253 ff. (288 ff.). 24

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„ERSTER JÄGER. Was war das nicht für ein Placken und Schinden Bei Gustav dem Schweden, dem Leuteplager! Der machte eine Kirch aus seinem Lager, Ließ Betstunde halten, des Morgens, gleich Bei der Reveille, und beim Zapfenstreich. Und wurden wir manchmal ein wenig munter, Er kanzelt’ uns selbst wohl vom Gaul herunter. WACHTMEISTER. Ja, es war ein gottesfürchtiger Herr. ERSTER JÄGER. Dirnen, die ließ er gar nicht passieren, Mußten sie gleich zur Kirche führen. Da lief ich, konnts nicht ertragen mehr.“25

2. Die Grenzen soldatischer Gehorsamspflicht: Wallenstein als historische und dramatische Figur a) Anklage und Urteil: Wallensteins Ungehorsam als Hochverrat an der kaiserlichen Krone Schillers Beschäftigung mit dem Dreißigjährigen Krieg beschränkt sich nicht auf das völkerrechtliche Verhältnis zwischen Soldat und Zivilbevölkerung, sondern findet seinen Niederschlag auch in der gespannten Konstellation zwischen militärischer und politischer Führung. Das entsprechende Personal hat Schiller offenbar besonders gereizt: Wallenstein, der Feldherr und Oberbefehlshaber über die kaiserlichen Truppen, steht Kaiser Ferdinand II. gegenüber, der seinen Soldaten des Hochverrats bezichtigt und durch geheime Order töten lässt. Schiller verurteilt zwar das perfide Vorgehen des Kaisers; eine Auswertung des Dreißigjährigen Krieges, der Piccolomini und Wallensteins Tod ergibt jedoch, dass Schiller den Vorwurf des Hochverrats – trotz seiner protestantischen Parteinahme26 – grundsätzlich teilte.27 Um Schillers Urteil richtig einzuschätzen, ist es notwendig, sich die Tatsachengrundlage zu vergegenwärtigen, von der Schiller in Geschichtsschrift und Tragödie ausgegangen ist. Anhand der entsprechenden Kapitel im Dreißigjähri-

25 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 543 u. 547, 550 – Hervorhebung v. Schiller); Wallensteins Lager (= II, 285). 26 Zu Schillers Parteinahme für die protestantische Seite (Schiller verwendet etliche Begriffe aus der protestantischen Literatur, z. B. „Österreichische Ländersucht“, „spanische Arglist“, „blinder Eifer der Pfaffen“, etc.) vgl. Diwald, Schiller, S. 49; Engelberg, Friedrich Schiller als Historiker, in: Streisand, Joachim (Hrsg.), Die deutsche Geschichtswissenschaft vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Reichseinigung von oben, Berlin 1963, S. 11 ff. (22); G. Mann, Schiller als Historiker, in: Schiller. Reden im Gedenkjahr 1959. Stuttgart 1961, S. 102 ff. (106). 27 Zur differenzierteren Stellungnahme Schillers am Ende des vierten Buches des Dreißigjährigen Kriegs (= IV, 687 ff.) s. noch unten bei 2.e).

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gen Krieg sei die Faktenbasis kurz zusammengefasst: Wallenstein wurde vom Kaiser auf dem Kurfürstentag in Regensburg 1630 entlassen, blieb aber unentbehrlich, da die Schweden unter Gustav Adolf in ganz Deutschland siegreich waren. Ende 1631 eroberten sie München und bedrohten Österreich. Wallenstein wurde reaktiviert, mit umfassenden Vollmachten ausgestattet und konnte binnen kürzester Zeit durch die „Zauberkraft seines Namens“ eine Armee von 40.000 Mann aufstellen. In der Schlacht bei Lützen (16. November 1632) erreicht Wallenstein gegen die Schweden ein militärisches Unentschieden. Gustav Adolf stirbt im Kampf und Wallenstein bleibt im Felde unbesiegt. Dadurch steigen Wallensteins Stolz und seine Unabhängigkeit gegenüber dem Kaiser: „Wallenstein war nichts, wo er nicht alles war.“ Nun beginnt die Trotzphase Wallensteins. Zunächst weigert er sich Maximilian von Bayern militärisch zu unterstützen. Er bringt militärische Argumente vor, eine Kriegsführung im Winter sei unmöglich. Der Kaiser beugt sich und wird kurz darauf erneut von Wallenstein übergangen. Wallenstein missachtet den kaiserlichen Befehl, den Kardinal-Infanten Ferdinand von Spanien in die Niederlande zu begleiten. Wiederum rechtfertigt er sich militärisch und im Hinblick auf die ihm gegebenen Vollmachten. Zum Ungehorsam tritt die Erbitterung des Kaisers über die Friedensgespräche, die Wallenstein seit 1633 zunächst mit den Sachsen, später auch (inoffiziell) mit den Schweden führt. Es gibt Vermutungen, wonach sich Wallenstein Hoffnung auf die böhmische Krone mache. Er habe vor, sich mit den Schweden zu verbinden, um seine Friedenspläne und Gebietsansprüche auch gegen den Willen des Kaisers durchzusetzen: „Die alliierten Armeen zögen dann unter seiner Anführung nach Wien, dem Kaiser die Genehmigung dieses Traktats mit gewaffneter Hand abzunötigen.“ In Wien reift daher allmählich der Entschluss, sich des rebellischen Feldherrn zu entledigen. Auch einige Offiziere in Wallensteins Armee sind mit der zögerlichen Kriegsführung ihres Feldherrn nicht einverstanden. Wallenstein spürt die Bedrängnis und lässt seine Offiziere im Januar 1634 in Pilsen einen Treueid28 – ohne kaiserlichen Vorbehalt29 – schwören. Daraufhin erlässt der Kaiser ein geheimes Ächtungsdekret, das Gene28 Die Offiziere verpflichteten sich „an Stelle eines körperlichen Eids, bei Ihrer fürstlichen Gnaden ehrbar und getreu auszuhalten, auf keinerlei Weise von deroselben uns zu separieren, zu trennen, noch trennen zu lassen und alles für dieselbe bis zum letzten aufgesparten Blutstropfen aufzusetzen, wie wir denn auch, im Falle einer oder der andere diesem zuwider handeln und sich absondern wollte, sämtlich und ein jeder der oder dieselben wie treulose, eidvergessene Leut zu verfolgen und an dessen Hab und Gütern, Leib und Leben uns zu rechnen schuldig und verbunden sein sollen und wollen“ (zit. nach Diwald, Wallenstein, S. 525). 29 Schiller geht sowohl in der Geschichtsschrift (= IV, 675 ff.) als auch in der Tragödie (Piccolomini – IV/1 bis IV/7) davon aus, der kaiserliche Vorbehalt („Solange Wallenstein die Armee zum Dienste des Kaisers gebrauchen würde“) sei nachträglich entfernt worden, um die angetrunkenen Offiziere zu übertölpeln. Die moderne Geschichtsschreibung hält die angebliche Betrügerei beim Pilsener Bankett jedoch für eine Sage. Womöglich habe Wallenstein die Klausel schon vorher selbst gestrichen. Jedenfalls hätten die Offiziere gewusst, was sie unterschrieben. Vgl. G. Mann, Wallen-

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ralleutnant Gallas zum neuen Befehlshaber ernennt und dazu auffordert, Wallenstein und seine Mitverschworenen gefangen zu nehmen, notfalls „tot oder lebendig zu greifen“. Wallenstein flieht nach Eger, wo ihn ein zweites, diesmal öffentliches Ächtungsdekret erreicht. Als die Soldaten von der Absetzung erfahren, fallen sie entgegen Wallensteins Erwartung von ihm ab. Nur einige Getreue, Illo, Kinsky, Terzky30, bleiben bei ihm. Die Stadtoberen von Eger beschließen und vollziehen die Ermordung Wallensteins.31 b) Der Vertrag zwischen Wallenstein und Kaiser Ferdinand II. als Rechtfertigungsgrund? Auf Basis dieses Tatbestandes fällt Schiller sein Urteil über die Pläne Wallensteins. Er hält ihn für schuldig, das „ungeheure Verbrechen des Hochverrats“ an der kaiserlichen Krone verübt zu haben.32 Allerdings erwägt Schiller Rechtfertigungsgründe für das Vorgehen Wallensteins. Das betrifft in erster Linie den Vertrag mit dem Kaiser. Er gewährte Wallenstein umfassende Vollmachten. Dazu gehörte die „unumschränkte Oberherrschaft“ über alle deutschen Armeen sowie die „unbegrenzte Vollmacht, zu strafen und zu belohnen“. Wallenstein durfte über alle konfiszierten Güter frei verfügen. Als Geschenk für seine Dienste war ihm ein kaiserliches Erbland und noch ein weiteres erobertes Land versprochen worden. Mit diesem Vertrag war der Kaiser also aller „Souveränitätsrechte über die Truppen“ beraubt worden. Aus der militärischen „Souveränität“ Wallensteins erklärt sich, warum er sich weigerte, in den Bayernfeldzug einzugreifen und den spanischen Kardinal-Infanten nach Brüssel zu begleiten. In den Piccolomini rechtfertigt Wallenstein deshalb zu Recht seinen angeblichen Ungehorsam, indem er auf die Vertragsklausel verweist:

stein, Hamburg 2006 (Erstveröffentlichung Frankfurt 1971), S. 995 (zit.: G. Mann, Wallenstein, S. 995); Ranke, Geschichte Wallensteins, S. 279 ff. 30 Eigentlich Trcka; Schiller bleibt aber in Geschichtsschrift und Tragödie beim eingedeutschten Terzky. 31 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 485 ff. (Absetzung in Regensburg); 594 ff. (Wiederernennung); 621 ff. (Schlacht bei Lützen); 660 ff. (Friedensgespräche); 670 ff. (Pilsener Revers); 680 ff. (Mord in Eger)). Die Piccolomini und Wallensteins Tod spielen nur in Pilsen und Eger, umfassen also etwa den Zeitraum zwischen 11. Januar (Versammlung der Offiziere) und 25. Februar 1634 (Ermordung). Schillers Schilderung steht – bis auf die Abendszenen beim Pilsener Bankett – im Einklang mit der modernen Wallenstein-Forschung. Das gilt insbesondere für die Absichten Wallensteins auf die böhmische Krone, die er zwar vorerst zur Grundlage seines Urteils über Wallenstein macht, später aber die Quellentreue wieder bezweifelt (s. unten bei 2e) und somit zu einem ausgeglichenen Wallensteinbild gelangt. Zum Verlauf der Ereignisse in den Jahren 1633/34 vgl. Diwald, Wallenstein, S. 497 ff. (Kapitel XX); G. Mann, Wallenstein, S. 967 ff.; Ranke, Geschichte Wallensteins, S. 254 ff. (Kapitel 12 bis 15). 32 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 678). Vgl. hierzu Alt, Schiller I, S. 672.

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„Mein Vertrag erheischts, Daß alle Kaiserheere mir gehorchen, So weit die deutsche Sprach geredet wird. Von spanschen Truppen aber und Infanten, Die durch das Reich als Gäste wandernd ziehn, Steht im Vertrage nichts.“33

Schiller hat allerdings Bedenken, ob der Vertrag für den Kaiser tatsächlich bindend war. Schließlich kam der Vertragsschluss, juristisch gewendet, unter Ausnutzung einer Zwangslage zustande. Kaiser Ferdinand war aufgrund der drohenden militärischen Niederlage gezwungen, auf die demütigenden Forderungen Wallensteins einzugehen. Wallenstein, der „stolzeste Diener“, erdreistete sich, dem „stolzesten Fürsten Gesetze zu geben“. Aufgrund von Wallensteins erpresserischem Verhalten meint Schiller, der Kaiser habe sich an den Vertrag nicht gebunden fühlen müssen: „Aber wie konnte er einen Vertrag für gültig halten, der seinem Oberherrn abgetrotzt und auf ein Verbrechen gegründet war? Wie konnte er hoffen, den Kaiser durch eine Vorschrift zu binden, welche denjenigen, der so vermessen war, sie zu geben, zum Tode verdammte? Doch dieser todeswürdige Verbrecher war jetzt der unentbehrlichste Mann in der Monarchie, und Ferdinand, im Verstellen geübt, bewilligte ihm alles, was er verlangte.“34

Schiller geht nicht nur davon aus, dass der Kaiser diesen „nachteiligen Vertrag“ weder halten musste noch aus politischen Gründen zu halten vermochte. Er deutet auch an, Wallenstein müsse bewusst gewesen sein, dass sein „fortgeführter Trotz“, seine „beispiellose Geringschätzung aller kaiserlichen Befehle“ und sein zweideutiges „Benehmen gegen den Feind“ zur Auflösung des Vertrages geführt hatte. Er habe erkennen müssen, dass Wien den Vertrag mit ihm als „zerrissen“ betrachtete.35 Neben der Erpressung bei Vertragsschluss – dem Fehler bei der Willensbildung – erwähnt Schiller auch nachvertragliche Gründe, die zu einer Aufkündigung des Vertrages führen mussten. Dass Wallenstein sich der Ungültigkeit des Vertrages selbst bewusst war, zeigt Schiller deutlich im Dialog zwischen Gräfin Terzky und Wallenstein in Wallensteins Tod (I/7). Die Gräfin charakterisiert Wallenstein als „Riesengeist“, der „Nichts von Verträgen weiß“ und Wallenstein 33 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 600 ff.); Piccolomini (= II, 355). Schiller gibt den Vertragsinhalt, der nur mündlich überliefert ist (sog. Göllerdorfer Gespräche), korrekt wieder, vgl. Diwald, Wallenstein, S. 510; G. Mann, Dreißigjähriger Krieg, S. 196. 34 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 600, 602 – Hervorhebung v. Schiller); vgl. hierzu auch Diwald, Schiller, S. 20. 35 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 663, 669, 670). Bereits während Wallensteins erstem Generalat (1625–30) beschreibt Schiller den Ungehorsam Wallensteins gegenüber den Befehlen des Kaisers. Wallenstein, der „seine Vollmacht überschritt und offenbar die Autorität seines Herrn mißbrauchte“ hatte „den Gehorsam gegen den Kaiser abgeworfen“ (= IV, 475 ff.).

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stimmt ihr zu. Freilich zieht Wallenstein aus seiner eigenen Unzuverlässigkeit den Schluss, der Kaiser sei selbst schuld gewesen, ihm zu vertrauen: „Wahr ists! Sie sahn mich immer wie ich bin, Ich hab sie in dem Kaufe nicht betrogen, Denn nie hielt ichs der Mühe wert, die kühn Umgreifende Gemütsart zu verbergen.“36

Schiller zeigt hier nicht nur, dass Wallenstein sich selbst des Vertragsbruchs überführt hat, sondern macht auch deutlich, dass Verträge nur gehalten werden können, wenn die Parteien sich gegenseitig Vertrauen schenken. Wallenstein fühlt sich seit seiner Absetzung auf dem Reichstag zu Regensburg vom Kaiser verraten (Piccolomini II/7; Wallensteins Tod III/3) und glaubt deswegen, auf die Nöte Ferdinands keine Rücksicht mehr nehmen zu müssen. Nicht Vertrauen, sondern „List und Argwohn“ beherrschen das Verhältnis zwischen Kaiser und Feldherr. Schiller weist auf die friedenssichernde Funktion des Vertrauens hin, wenn er Wallenstein sagen lässt: „Denn Krieg ist ewig zwischen List und Argwohn, Nur zwischen Glauben und Vertraun ist Friede. Wer das Vertraun vergiftet, o der mordet Das werdende Geschlecht im Leib der Mutter!“37

c) Die Friedenspläne Wallensteins als Rechtfertigungsgrund? Eine Rechtfertigung Wallensteins auf Basis des ungleichen Vertrages kommt für Schiller somit nicht infrage. Fraglich bleibt aber, ob Wallenstein berechtigt war, Friedensverhandlungen zu führen. Der Wachtmeister in Wallensteins Lager behauptet zumindest, Wallenstein sei ermächtigt, „Krieg zu führen und Frieden zu schließen“38. Im Vertrag zwischen Feldherr und Kaiser wurden über diesen Punkt allerdings keine Feststellungen getroffen. Schiller scheint als Historiker davon auszugehen, dass stillschweigend vereinbart wurde, Friedensverhandlungen dürften nur in Vertretung der kaiserlichen Krone und damit unter Berücksichtigung des politischen Willens des Kaisers geführt werden. Diese Loyalitätsbedingung39 bricht Wallenstein aber, als er sich anschickt, mit „Schweden und mit den Reichsfürsten einen ewigen Frieden zu schließen“, um die „böhmische Krone“ davonzutragen.40

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Wallensteins Tod (= II, 428). Wallensteins Tod (= II, 483). Vgl. hierzu Borchmeyer, Macht und Melancholie, S. 172; Reinhardt, Wallenstein, in: Koopmann, S. 395 ff. (404). 38 Wallensteins Lager (= II, 303). 39 Vgl. hierzu Diwald, Wallenstein, S. 510; G. Mann, Dreißigjähriger Krieg, S. 196. 40 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 662). 37

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Auch in der Tragödie rechtfertigen Wallensteins Friedensbemühungen nicht den Hochverrat am Kaiser. Das zeigen bereits die unterschiedlichen Auffassungen über den richtigen Inhalt eines solchen Friedens. Max vertritt etwa die Ansicht, man müsse schnell mit Sachsen ins Gespräch kommen (Piccolomini – II, 332 ff.). Er übernimmt damit die Position Wallensteins, der ohnehin überzeugt ist: „Östreich will keinen Frieden“ (Wallensteins Tod – II, 477). Das stimmt nach Ansicht Octavios nicht. Österreich wolle Frieden, nur unterscheide sich dieser von den Vorstellungen Wallensteins: „Nichts will er, als dem Reich den Frieden schenken; Und weil der Kaiser diesen Frieden haßt, So will er ihn – er will ihn dazu zwingen!“ (Piccolomini – II, 395). Wallensteins Pläne haben daher keine größere Berechtigung als die des Kaisers. Das gilt besonders deshalb, weil der Kaiser der legale Herrscher des Reiches ist, dem die alleinige Kompetenz zum Schluss von Friedensverträgen zusteht.41 Darüber hinaus hält Schiller die Friedensbemühungen Wallensteins für widersprüchlich („Alle diese Widersprüche“), weil Wallenstein Ziele verfolgte, die nach Schillers Ansicht nicht miteinander vereinbar waren. Wallenstein gedachte, den „Kaiser und die Schweden zugleich zu verderben und mit Sachsen einen besonderen Frieden zu schließen“.42 Widersprüchlich ist auch, dass Wallenstein die Befehle des Kaisers in Frage stellt, von seinen Soldaten jedoch blinden Kadavergehorsam verlangt. Schiller zeigt Wallenstein, der den „Gehorsam höher als den Gegenstand schätzte“ (Dreißigjährigen Krieg – IV, 687), wie er rasch urteilt, maßlos bestraft und blinden Gehorsam einfordert. Nicht nur die Soldaten des Lagers bekommen diese Strenge zu spüren: „Da gibts nur ein Vergehn und Verbrechen: Der Ordre fürwitzig widersprechen!“ (Lager – II, 287). Auch die Offiziere stehen unter dem harten Regiment des Feldherrn. Auf Wallensteins Frage: „Sie meine General seien Richter! Was verdient der Offizier, Der eidvergessen seine Ordre bricht?“ (Piccolomini – II, 354) folgt betretenes Schweigen. Schillers mehrmalige Betonung, dass der „Soldatenvater“ (Lager – II, 308) Wallenstein einen „blinden“ (Piccolomini – II, 325; Lager – II, 287) Gehorsam verlange, kann nur dahin gedeutet werden, dass Schiller eine unbedingte Subordination der Truppe nicht anerkennt. Vielmehr sollten sich die Soldaten der Legitimität der Befehle vergewissern.43 41 Vgl. zu den verschiedenen Friedensvorstellungen im Wallensteindrama Schieder, in Schiller als Historiker, in: ders., Begegnungen mit der Geschichte, Göttingen 1962, S. 56 ff. (74 u. 75 ff.). 42 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 666). Vgl. zu den Friedensplänen Wallensteins Diwald, Wallenstein, S. 499 ff., 506 ff. u. 524; G. Mann, Wallenstein, S. 1014 ff., S. 1137; Ranke, Geschichte Wallensteins, S. 261. 43 Vgl. hierzu auch Gerland, Schiller und das Recht, S. 16 Fn. 3. Zum Begriffsursprung des „Kadavergehorsams“ vgl. die missverständliche Stelle bei Ignaz von Loyola (1491–1556): „perinde ac si cadaver essent“ (der Ordensangehörige müsse sich wie ein „toter Körper“ führen lassen; vgl. Marony, Ignatius von Loyola, Göttingen 2001, S. 183 ff.). – Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass blinder Soldatengehor-

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d) Vorrang der charismatischen Soldatenordnung vor der dynastischen Kaiserordnung? Die einzig verbleibende Rechtfertigung für Wallensteins Hochverrat wäre daher die Infragestellung des Kaisertums selbst. Tatsächlich wirft die Tragödie die Frage nach der Legitimität von Herrschaft auf und löst den Konflikt zwischen juristisch-legaler (Kaiser) und moralisch-legitimer Herrschaft (Wallenstein) zugunsten der alten Ordnung.44 Da Ferdinand II. in der Tragödie nicht selbst auftritt, wird sein dynastischer Anspruch durch den kaisertreuen General Octavio repräsentiert.45 Im Streitgespräch mit seinem Sohn Max (Piccolomini – I/4) verteidigt Octavio die Kaiserordnung, die sich auf Basis des althergebrachten Gottesgnadentums zu legitimieren versucht: „MAX. [. . .] Das Orakel In seinem Innern, das lebendige, – Nicht tote Bücher, alte Ordnungen, Nicht modrige Papiere soll er [Wallenstein] fragen. OCTAVIO. Mein Sohn! Laß uns die alten, engen Ordnungen Gering nicht achten! Köstliche unschätzbare Gewichte sinds, die der bedrängte Mensch An seiner Dränger raschen Willen band; Denn immer war die Willkür fürchterlich – Der Weg der Ordnung, ging’ er auch in Krümmen, Er ist kein Umweg.“

Den „Weg der Ordnung“, den Octavio vorschlägt, will Wallenstein nicht einschlagen. Er glaubt nicht an die gewohnheitsrechtliche Kraft der kaiserlichen sam im modernen Völkerrecht gem. Art. 33 Abs. 1, 2 IStGH-Statut rechtlich unzulässig ist, wenn der Befehl „offensichtlich rechtswidrig“ (z. B. bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit) erscheint. Im deutschen Recht (§ 11 Abs. 1 Satz 3 Soldatengesetz) gilt dasselbe, wenn der Befehl die „Menschenwürde“ verletzt. Das BVerwG hat eine weitere Ausnahme für den Fall angenommen, wenn der Befehl mit der Gewissensfreiheit des Soldaten (Art. 4 Abs. 1 GG) unvereinbar ist, vgl. BVerwG, Urt. v. 21. Juni 2005 (2. Wehrdienstsenat) = Neue Zeitschrift für Wehrrecht (NZWehr) 2005, S. 254 ff. 44 Vgl. hierzu Borchmeyer, Macht und Melancholie, S. 164 ff.; Schieder, in: Schiller als Historiker, in: ders., Begegnungen mit der Geschichte, Göttingen 1962, S. 56 ff. (77); Schmidt, Freiheit und Notwendigkeit, Wallenstein, in: Günter Sasse (Hrsg.), Schiller, Werkinterpretationen, Heidelberg 2005, S. 85 ff. (92 ff.). 45 Schiller sympathisiert mit den Zielen Octavios und räumt der alten Ordnung – mangels besserer Alternativen – Vorrang vor den Plänen Wallensteins ein, vgl. Alt, Schiller II, S. 450; Diwald, Schiller, S. 82; Jöns, Das Problem der Macht in Schillers Dramen von den ,Räubern‘ bis zum ,Wallenstein‘, in: Conrady (Hrsg.), Deutsche Literatur zur Zeit der Klassik, Stuttgart 1977, S. 76 ff. (90 ff.); Sternberger, Politische Helden Schillers, in: Schiller und die höfische Welt, hrsg. v. Achim Aurnhammer u. a., Tübingen 1990, S. 307 ff. (310). Schiller schreibt über Octavio, man solle ihn nicht „als gar so schlimmen Mann, als einen Buben“ spielen. „Er wählt zwar ein schlechtes Mittel, aber er verfolgt einen guten Zweck“ (= NA 30, 33).

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Herrschaft. Im „Achsenmonolog“ von Wallensteins Tod (I/4) bricht er mit der traditionellen Herrschaftslegitimation: „Du willst Die Macht, Die ruhig, sicher thronende erschüttern, Die in verjährt geheiligtem Besitz, In der Gewohnheit festgegründet ruht, Die an der Völker frommem Kinderglauben Mit tausend zähen Wurzeln sich befestigt.“

Wallenstein wehrt sich gegen die Kraft des Bestehenden, gegen das „ewig Gestrige“, das „morgen gilt, weils heute hat gegolten!“. Er beabsichtigt vielmehr, „sich zu dem Feind zu schlagen, Mitsamt dem ganzen Heer“. Er will die kaiserliche Ordnung durch eine Soldatenordnung ablösen. Wallenstein möchte die tradierte Kaiserherrschaft durch eine eigene, auf dem Charisma seiner Person beruhende Herrschaft ersetzen.46 Schillers Drama zeigt einen doppelten Legitimationsverlust.47 Auf der einen Seite ist der dynastisch-kaiserliche Legitimationsverfall zu beobachten. Der Kai46 Piccolomini (= II, 329); Wallensteins Tod (= II, 415, Rz. 194 ff., 207 ff., 454). Vgl. Schmidt, Freiheit und Notwendigkeit, S. 94 ff. – Terminologisch unterscheidet Max Weber (1864–1920) drei Herrschaftsformen: legale, traditionale und charismatische Herrschaft. Legale Herrschaft sei die Herrschaft, die „kraft Glaubens an die Geltung legaler Satzung“ entstehe. Traditionale Herrschaft werde „kraft Glaubens an die Heiligkeit der von jeher vorhandenen Ordnungen und Herrengewalten“ begründet. Charismatische Herrschaft entfalte sich „kraft affektueller Hingabe an die Person des Herrn und ihre Gnadengaben“, vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1964; zit. nach Hofmann, Legalität, Legitimität, in: HWP V, S. 164. Vgl. hierzu auch Zöller, Max Weber, in: Maier/Denzer (Hrsg.) Klassiker des politischen Denkens, Band II, 5. Aufl., München 2001, S. 205 ff. (S. 219 ff.). 47 Vgl. etwa Schmidt, Freiheit und Notwendigkeit, S. 94 ff. Umstritten ist, ob Schiller den Legitimitätsverlust – vor dem Hintergrund der französischen Revolution – in geschichtsphilosophischer Absicht entfaltet. Einige Autoren stellen aktuelle Bezüge zu den nachrevolutionären Ereignissen her, vgl. Alt, Schiller II, S. 443; Borchmeyer, Macht und Melancholie, S. 173; Johnston, Schillers politische Welt, in: Koopmann, S. 44 ff. (55 ff.); Schmidt, Freiheit und Notwendigkeit, S. 91 ff. Wallenstein wird dabei entweder in die Nähe Napoleons gerückt oder als Alter Ego General Dumouriez’ verstanden. Das Kaiserreich Ferdinand II. steht bei dieser zeitbezüglichen Betrachtung für das ancien régime in Frankreich. Die Ansicht geht davon aus, dass Schiller sowohl der dynastischen Legitimierung des ancien régime als auch der durch Gewalt erstrittenen Revolutionsherrschaft die moralische Berechtigung abspreche. Der doppelte Legitimitätsmangel bedeute einen allgemeinen Orientierungsverlust und zeige Schillers pessimistisches Geschichtsbild (Schmidt a. a. O.). Ob diese Sichtweise zutrifft, ist zweifelhaft. „Der Menschheit große Gegenstände“ (= II, 272), von denen im Prolog zum Wallenstein die Rede ist, müssen sich nicht notwendig auf die Französische Revolution, sondern können sich mit gleicher Berechtigung auf die ästhetische Funktion der Tragödie beziehen. Im Text selbst finden sich jedenfalls keine Hinweise auf die Legitimitätsproblematik im Zuge der napoleonischen Feldzüge, vgl. Reinhardt, Wallenstein, in: Koopmann S. 395 ff. (410 ff.). Überhaupt ist fraglich, ob aus dem oft fatalistischen Ende in Schillers Tragödien derart weitreichende Folgerungen gezogen werden sollten, vgl. Foi, Recht, Macht und Legitimation

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ser übt zwar eine legale, jedoch im Zeitalter der Aufklärung nicht mehr legitime Herrschaft aus. Dynastische Erbfolge, beruhend auf Gottesgnadentum, steht im Widerspruch zum Rechtsempfinden einer sich emanzipierenden bürgerlichen Welt. Deshalb sympathisiert Schiller durchaus mit Wallensteins kritischer Reflexion über die traditionelle Herrschaftsbegründung. Am Ende des Achsenmonologs wird Schillers Distanz gegenüber der positivistischen Rechtsbegründung des Kaisertums nochmals deutlich: „Denn aus Gemeinem ist der Mensch gemacht, Und die Gewohnheit nennt er seine Amme. Weh dem, der an den würdig alten Hausrat Ihm rührt, das teure Erbstück seiner Ahnen! Das Jahr übt eine heiligende Kraft, Was grau für Alter ist, das ist ihm göttlich. Sei im Besitze und du wohnst im Recht, Und heilig wirds die Menge dir bewahren.“

Auch im Dreißigjährigen Krieg bezweifelt Schiller die Legitimität des Kaisertums: „Aber in den Köpfen dieses Zeitalters wurden oft die seltsamsten Widersprüche vereinigt. Dem Namen Kaiser, einem Vermächtnis des despotischen Roms, klebte damals noch ein Begriff der Machtvollkommenheit an, der gegen das übrige Staatsrecht der Deutschen den lächerlichsten Abstrich machte, aber nichtsdestoweniger von den Juristen in Schutz genommen, von den Beförderern des Despotismus verbreitet und von den Schwachen geglaubt wurde.“48

Der Legitimitätsschwäche des monarchischen Systems steht das umgekehrte Problem charismatischer Herrschaftsbegründung gegenüber. Wallensteins Streben nach Frieden mag zwar moralisch-legitim sein, sein Hochverrat ist jedoch illegal. Der fehlende Schutz der Rechtsordnung führt deshalb zum Zerfall der charismatischen Herrschaft: Der Kaiser hat Octavio beauftragt, den Absetzungsbefehl auszuführen und dem alten Piccolomini gelingt es, die vormals Wallenstein-treuen Obristen und Generäle auf die Seite des Kaisers und damit der Legalität zu locken (Tod, II/4–6). In der Folge wenden sich mehr und mehr Truppen von Wallenstein ab, sobald sie erfahren, Wallenstein stelle sich gegen den Kaiser und gegen die tradierte Rechtsordnung. Selbst Wallensteins „Pappenheiin Schillers Dramen. Am Beispiel Maria Stuart, in: Hinderer, Schiller und die Moderne 2006, S. 227 ff. (238); Hinderer, Republik oder Monarchie? S. 305 ff. (306). Letztlich kann der Erkenntniswert der historischen Parallelisierung in Frage gestellt werden. Schiller hatte bereits in seinen Ästhetischen Briefen (s. oben V.2.c) die Revolutionsereignisse theoretisch umfassend aufgearbeitet (Reinhardt a. a. O.). 48 Wallensteins Tod (= II, 416, Rz. 211 ff.); Dreißigjähriger Krieg (= IV, 397). An anderer Stelle heißt es in der Geschichtsschrift über den Machtmissbrauch der Kaiser: „Unter dem Schutz eines ungereimten positiven Gesetzes glaubte man ohne Scheu das Gesetz der Vernunft und Billigkeit verhöhnen zu dürfen.“ (= IV, 428). Vgl. hierzu Alt, Schiller I, 668; Borchmeyer, Macht und Melancholie, S. 162 ff.; Schmidt, Freiheit und Notwendigkeit, S. 116.

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mer“ (= II, 474) verweigern dem General den Gehorsam, als sie hören, dass Terzkys Regimenter den kaiserlichen Adler auf den Fahnen durch Wallensteins Zeichen austauschen (Tod, III/14–16). Schiller zeigt, wie instabil und erfolgsabhängig Wallensteins charismatische Herrschaft bleibt.49 Dass die charismatische Herrschaft Wallensteins nur unter dem Schutz der kaiserlichen Rechtsordnung möglich war, hatte Schiller im Dreißigjährigen Krieg bereits deutlich beschrieben: „Größe für sich allein kann wohl Bewunderung und Schrecken, aber nur die legale Größe Ehrfurcht und Unterwerfung erzwingen. Und dieses entscheidenden Vorteils beraubte er sich selbst in dem Augenblicke, da er sich als ein Verbrecher entlarvte.“50

Vor dem Hintergrund des doppelten Legitimitätsverlustes bleibt zu fragen, welcher Ordnung der vorläufige Vorrang einzuräumen ist. Hier gilt, was Schiller in den Ästhetischen Briefen über den Übergang in eine neue Gesellschaftsordnung beschrieben hat. Das alte Regime ist als Notordnung anzuerkennen, weil ihm gegenüber dem physischen Menschen Autorität zukommt. Im Falle Wallensteins tritt hinzu, dass er keine legitime Alternative zur legalen Ordnung bietet, sondern nur eine andere Friedensvorstellung. Es geht ihm also nicht um die Errichtung einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Der Weg zum Frieden ist deshalb nur auf Basis der legalen Ordnung möglich.51 e) Gerechtigkeit für Wallenstein? Damit lässt sich zusammenfassen: Schiller bleibt in seiner Geschichtsschrift und in der Tragödie bei seinem Urteil, Wallenstein habe Hochverrat an der kaiserlichen Krone begangen. Weder vertragliche noch moralische Prinzipien kön-

49 Vgl. hierzu Jöns, Das Problem der Macht in Schillers Dramen, S. 88 ff.; Schmidt, Freiheit und Notwendigkeit, S. 94; Hinderer, Wallenstein, in: ders., Schillers Dramen 2006, S. 229 ff. Er fügt hinzu, dass der Abfall der Armee aufgrund ökonomischer Enttäuschungen der Soldateska verstärkt wird. Die Treue zu Wallenstein hängt demnach auch vom kriegerischen Erfolg des Feldherrn ab. – Zum Abfall der Armee s. Diwald, Wallenstein, S. 521 u. 527; Ranke, Geschichte Wallensteins, S. 310 ff., 316 ff. 50 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 674). Schillers eigene Unterstreichung des Wortes „legal“ hebt die Wichtigkeit dieses Zusammenhangs für den Theoretiker Schiller hervor. Vgl. hierzu auch Wiese, Schiller, S. 391. 51 Vgl. Borchmeyer, Macht und Melancholie, S. 162 ff., 169; Hinderer, Wallenstein, in: ders., Schillers Dramen 2006, S. 253. Da in Schillers Tragödie beide Legitimationsstränge letzthin nicht vollauf überzeugen können, sondern an Legitimität verlieren, ließe sich fragen, ob nicht eine dritte Legitimationsmöglichkeit (Volk) an Bedeutung gewinnt (zur identischen Fragestellung in der Maria Stuart s. oben IV.2.; krit. Schmidt, Freiheit und Notwendigkeit, S. 94 ff.). Feststehen dürfte demgegenüber, dass Schiller – wie Kant – nur eine solche Ordnung für legitim hält, die sowohl rechtlich als auch moralisch mit Vernunftprinzipien in Einklang steht. Recht- und Staatlichkeit sind dann Bedingungen für Autonomie und freie Selbstentfaltung.

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nen sein Streben rechtfertigen. Frieden ist nur auf Grundlage der gesetzlichen Ordnung erreichbar, auch wenn diese Ordnung wegen geschichtlicher Umbrüche fragil geworden ist. Dennoch kommt Schiller in der Geschichtsschrift zu einem differenzierten Urteil über Wallenstein. Er lobt Wallensteins Tugenden als „Herrscher und Helden“ und rechnet ihm an, keine „Religionsvorurteile“ besessen zu haben. Schiller bezweifelt zudem die Tatsachendarstellung der vorwiegend katholisch-kaisertreuen Literatur, die im Anschluss an Wallensteins Tod ein verfälschtes Bild über den Friedländer verbreitet habe. Der Hochverrat sei daher „keine streng bewiesene Tatsache“, sondern bloß eine „auf wahrscheinliche Vermutung“ gegründete Annahme. Zieht man also die Vorwürfe ab, Wallenstein habe nach der böhmischen Krone getrachtet oder gar gegen Wien marschieren wollen, dann müsse festgehalten werden, dass „keine seiner Taten berechtigt“, ihn „der Verräterei für überwiesen zu halten“. Wallenstein erscheint nicht mehr als planvoller Hochverräter, sondern als vom Schicksal Getriebener: „Wenn endlich Not und Verzweiflung ihn antrieben, das Urteil wirklich zu verdienen (Verrat), das gegen den Unschuldigen gefällt war, so kann dieses Urteil selbst nicht zur Rechtfertigung gereichen; so fiel Wallenstein, nicht weil er Rebell war, sondern er rebellierte, weil er fiel. Ein Unglück für den Lebenden, daß er eine siegende Partei sich zum Feinde gemacht hatte – ein Unglück für den Toten, daß ihn dieser Feind überlebte und seine Geschichte schrieb.“52

52 Dreißigjähriger Krieg (= IV, 687 ff., 688). Vgl. Alt, Schiller I, S. 672; Wiese, Schiller, S. 392. In der Tat sind die Vorwürfe, Wallenstein habe nach der böhmische Krone greifen wollen – seine einzig überlieferte Stellungnahme hierzu: „Was die Krone? Das wäre ein Schelmstück“ – und eine militärische Verbindung mit Schweden angestrebt, wissenschaftlich bisher nicht belegt. Vgl. Diwald, Wallenstein, S. 514 u. 538 („Schuldspruch ohne Beweise“); G. Mann, Dreißigjähriger Krieg, S. 205; ders., Wallenstein, S. 1017 („Gerede das Ganze; Rauch ohne Feuer“); Ranke, Geschichte Wallensteins, S. 316 („mehr der Drang der Umstände als nach vorgefaßtem Plane“). Schillers differenzierte Einschätzung ist vor allem deshalb bemerkenswert, da seine Quellen noch überwiegend aus katholisch-kaisertreuer Feder stammten (Khevenhiller, Herchenhahn, Murr, Schirach u. a.; er benutzte aber auch Wallensteinfreundliche Schriften, etwa die von Philipp v. Chemnitz oder Pufendorf). Erst zwanzig Jahre nach Schillers Tod begann die archivalische Wallensteinforschung, die neue Perspektiven erschloss und neue Tatsachen hervorbrachte. Die Intuition von Schillers Darstellung wird daher oft bewundert, s. Alt, Schiller I, S. 672; Diwald, Schiller, S. 30 ff.; G. Mann, Schiller als Historiker, S. 108 u. 115.

Schluss: Zusammenfassung, Würdigung und Ausblick Die Untersuchung hatte sich zum Ziel gesetzt, das demokratische Staatsdenken Schillers vor den historischen Hintergründen des deutschen Territorialabsolutismus und der französischen Revolution darzustellen und anhand eines entpolitisierten Ideenbegriffs der Demokratie zu bewerten.1 Nach der systematischen Erörterung der einzelnen staatsrechtlichen Themen in Schillers dramatischem und historiographischem Werk hat sich Folgendes ergeben: Im ersten Kapitel konnte gezeigt werden, dass Schiller die „Substanz“ der Demokratie – Rechts- und Freiheitsschutz der Bürger2 – erfasst, veranschaulicht und gefordert hat. Das wurde schrittweise dargelegt: Zunächst wurde in den Räubern der staatsrechtliche Rahmen erörtert, in dem Demokratie möglich wird (s. oben I.). Nach Schillers Auffassung liegt der primäre Staatszweck einer demokratischen Gesellschaftsordnung in der Herstellung von äußerer und innerer Sicherheit. Die innere Sicherheit erfordert, dass der Staat sein Gewaltmonopol auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt und der Entstehung rechtsfreier Räume durch einen funktionierenden Verwaltungs- und Polizeiapparat wirksam entgegentritt. Schiller illustriert die Notwendigkeit einer umfassenden Staatsgewalt an der Hilflosigkeit der Bevölkerung gegenüber den „Mordbrennereien“ der Räuberbande. Karl Moors Selbstjustiz mag zwar moralisch legitim sein, da sie auf eine „gerechtere“ Sozialordnung und den Abbau der Adelsprivilegien zielt. Sie bleibt jedoch wegen der Willkürlichkeit der Umverteilung und der Unkontrollierbarkeit gewalttätiger Exzesse eine verfehlte und illegale Strategie der Staatsverbesserung. Das muss Karl Moor am Ende des Stücks selbst einsehen. Er übergibt sich in die Hände der Justiz und damit an das System, das er bisher bekämpft hatte. Die „moralisierende Überkonstruktion“ des Schlusses wurde aus ästhetischer Sicht oft bemängelt, da sie zu der vorher geübten Dauergewalt des Empörers nicht passe. Zu bedenken ist jedoch, dass durch den moralisch erzwungen Schluss Schillers Wille zu einer Versöhnung mit der staatlichen Schutzordnung umso deutlicher hervortritt.3 Schiller hat die Anarchie als Gegenmodell einer auf Staatlichkeit basierenden Gesellschaftsordnung verworfen und seine ablehnende Haltung philosophisch 1 2 3

s. oben Einleitung (1.). s. oben Einleitung (2.). Vgl. oben I.2.4.

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untermauert. Die vom französischen Materialismus geprägte Denkart Franz Moors ist für ihn eine „abscheuliche Philosophie“, die moralische Grundwerte beiseite schiebt. Allerdings erscheint Franz Moor nicht als Inbegriff des schlechthin Bösen, sondern als Opfer einer vernachlässigten Erziehung. Die sozialkritische Schärfe, mit der Schiller den jüngeren Bruder zum Verbrecher werden lässt, ist nicht zu übersehen. Hier liegt die Parallele zu Karl, der ebenfalls aus Privaterbitterung und verletzter Vaterliebe zum Verbrecher wird.4 Schiller verdeutlicht damit die familiären und gesellschaftlichen Risiken unaufgeklärter Erziehungspolitik: Die Unterlassungen des Landes- und des Hausvaters führen zur gewalttätigen Gegenwehr der vernachlässigten „Söhne“. Staatsrechtliche Reformen und familiäre Aufklärung sind daher bereits aus Eigenschutz des an der Macht Interessierten unumgänglich. Diesen Zusammenhang hat Schiller stets aufgezeigt und als Argument für verfassungsrechtliche Reformen benutzt. Auch im Don Karlos nimmt Schiller die Unbeweglichkeit des Königs zum Anlass, um mit dem historischen Argument zu drohen, eine mildere Politik hätte den Ausbruch der niederländischen Unabhängigkeitsbewegung verhindert.5 Im Übrigen ist die in den Räubern geschilderte Friedensfunktion des Staates kein Selbstzweck und nicht mit der Ordnung des Hobbes’schen Sicherheitsstaates zu verwechseln. Staatlichkeit und Staatsgewalt sind wie bei Humboldt – und im heutigen Verfassungsrecht – die Mindestbedingungen einer demokratischen Gesellschaftsordnung, die erst durch bestimmte Werte mit Leben gefüllt wird.6 Dieser weitergehende Staatszweck besteht in der Fixierung auf den Menschen, dessen Ausbildung und Selbstverwirklichung das Ziel staatlicher Anstrengung sein muss (Gesetzgebung des Lykurgus und Solon – s. oben II.). Im Mittelpunkt dreht sich das Staatsgeschehen daher nicht um eine heteronom verordnete Wohltätigkeitsidee des absoluten Monarchen (Räuber, Kabale und Liebe, Don Karlos), sondern um die Selbstbestimmung des Einzelnen. Staatliche Erziehungspolitik, Bevormundung in Ehe und Familie sowie die Ausweitung der ordnungspolizeilichen Befugnisse sind nach Schillers Ansicht unvereinbar mit der Selbstbestimmung des Individuums. Die Abhängigkeit des „Bürgers“ von der „Gnade“ des Monarchen stößt daher auf Ablehnung.7 Erst durch die Orientierung des staatlichen Handelns auf den Einzelnen entsteht nach Schillers Ansicht der nötige Freiraum für individuelle Selbstentfaltung und kollektiven Fortschritt. Legitimationssubjekt des Staates ist bei Schiller daher keine künstliche Verfasstheit („Volk“, „Vaterland“), er legitimiert nicht im Sinne der Masse „von unten“ oder im Sinne des Absolutismus „von oben“, sondern vom Individuum her. An die Stelle der als überholt empfundenen Vä4 5 6 7

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

oben oben oben oben

I.3. und 4. III.2.c) (Fn. 29). I.5. II.2.

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Schluss: Zusammenfassung, Würdigung und Ausblick

terordnung des Absolutismus tritt bei Schiller „die Unabhängigkeitserklärung des Ich“ (Koopmann). Mit dieser Forderung nach freier Selbstbestimmung des Individuums geht Schiller bereits einen ersten wichtigen Schritt in Richtung Demokratie, da sich freiheitliche Demokratie nur denken lässt, wenn die Selbstbestimmung des Individuums anerkannt und geschützt wird.8 Mit der Betonung der freien Entfaltung der Persönlichkeit bietet Schiller nicht nur ein Gegenentwurf zur politischen Realität des Absolutismus, er hebt sich auch von rechtswissenschaftlichen Strömungen ab, die trotz ihrer Progressivität bemüht waren, den fürstlichen Absolutismus theoretisch abzusichern und in seiner Struktur beizubehalten. Gegen das Glückseligkeitsdenken wandten sich auch Kant und Humboldt, wobei vor allem Humboldt von Schillers Humanitätslehre beeinflusst wurde. Der Gedanke, den Menschen ins Zentrum des Staates zu stellen, lässt sich in die Geistesrichtung des Neuhumanismus einordnen und kann als Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Demokratie begriffen werden.9 Nach Erörterung der Staatszwecke wurde gezeigt, dass Schiller sein Ziel, alle menschlichen Kräfte auszubilden, in die Forderung nach Grund- und Menschenrechten umgesetzt hat (s. oben III.). Genauso wie Kant bekennt sich Schiller zur Menschenwürde und begreift sie als notwendiges und grundlegendes Element des Staates. Auch die Begründung für den Menschenwürdeschutz gleicht der Kantischen Argumentation aus dessen „Rechtslehre“: Wer die Gattungsgemeinschaft mit den anderen Menschen leugnet, leugnet seine eigene Menschenwürde. Diese Begründung findet sich bereits im Don Karlos intuitiv formuliert und gewinnt in den Ästhetischen Briefen an dogmatischer Schärfe.10 Flankiert wird die Menschwürde durch Kommunikationsgrundrechte – Meinungs- und Pressefreiheit sowie Religions- und Gewissensfreiheit (Don Karlos). Die Notwendigkeit freier Meinungsäußerung und unabhängiger Presse wird von Schiller vor dem Hintergrund des spanischen „Despotismus“ (Karlosbriefe) dargestellt. Der Gegensatz zwischen einem auf „Öffentlichkeit“ beruhenden demokratischen Gemeinwesen und einem „geschlossenen System“ (Hesse) tritt damit umso deutlicher hervor. Die Forderung nach Transparenz wird von Schiller auch in Maria Stuart erhoben. Elisabeth gibt einen unklaren Befehl und delegiert die Verantwortung für die Vollstreckung des Todesurteils auf einen unerfahrenen Staatssekretär. An dieser Stelle illustriert Schillers Tragödie, dass „Öffentlichkeit“ vor allem Kontrolle des staatlichen Handelns bedeutet.11 Zu den Kommunikationsfreiheiten zählt auch die Religions- und Gewissensfreiheit, die in Posas Ruf nach „Gedankenfreiheit“ deutlich zum Ausdruck 8 Vgl. oben Einleitung (2.). Zum Zitat s. Koopmann, Mord und Totschlag, Schuld und Sühne. Zu Schillers Dramen, in: Literaturstrasse 2005, S. 71 ff. (80). 9 Vgl. oben II.4. 10 Vgl. oben III.2.a). 11 Vgl. oben III.2.b).

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kommt. Im kirchlich-autoritär regierten Spanien des 16. Jahrhunderts wirkt diese Forderung nach Glaubensfreiheit besonders bedrohlich. Dies nicht nur, weil sie einen individuellen Schonraum zur freien Lebensgestaltung verlangt, sondern weil sie die katholische Kirche und ihre Institutionen in Frage stellt. In der Zusammenschau mit den historischen Schriften (Abfall der Niederlande) ergibt sich, dass Schiller die Trennung von Staat und Kirche verlangt. Begründet wird dies mit der unmenschlichen Konditionierung der Bürger durch die Inquisitionsgerichte und mit dem doktrinären Einfluss des Katholizismus auf das Handeln des Staates und der Monarchen.12 Schillers Forderung nach Religionsfreiheit und sein Konzept, Staat und Kirche voneinander zu trennen, entspricht dem heutigen „pluralistischen“ Verständnis der Demokratie. „Pluralismus“ zielt immer auf individuelle Persönlichkeitsentfaltung und auf gesellschaftlichen Fortschritt. Er füllt den durch die „Öffentlichkeit“ bereitgestellten Entscheidungsraum durch Meinungs- und Glaubensvielfalt aus und ermöglicht im Gegensatz zu totalitären Staatsideologien geschichtliche Fortentwicklung. Als Möglichkeit historischen Fortschritts möchte auch Schiller die „Gedankenfreiheit“ verstanden wissen, wenn er darauf verweist, dass im toleranten „Britannien“ die Künste und Wissenschaften „fruchtbar“ blühen.13 Die Kommunikationsgrundrechte in Don Karlos werden ergänzt durch die Grundrechte der individuellen Würde in Maria Stuart. Die Verletzung des „Gastrechts“ und des „Völkerrechts“ wird von Schiller ausführlich mit historischen Argumenten aus den von ihm benutzten Quellen begründet. Die Inhaftierung Marias ist politisch motiviert und beruht nicht auf der Anwendung englischer Gesetze. Dasselbe gilt für den Prozess und die Verurteilung Marias. Das Kommissionsgericht ist nicht zuständig, es bestehen Zweifel an der Unabhängigkeit der Richter, Maria hatte keinen Verteidiger an ihrer Seite und zudem wurden wichtige Zeugen nicht vernommen. Es besteht kein Zweifel, dass Schiller in der juristischen Diskussion Partei zugunsten Marias ergreift und den Prozess und die Verurteilung als Machtspruch Elisabeths versteht. Elisabeth kann auch nicht durch den „Safety Act“ oder über die Figur des Staatsnotstandes gerechtfertigt werden, da Schiller in seiner Tragödie – im Gegenteil – die Notwendigkeit strenger Gesetzesbindung hervorheben möchte.14 Als Menschenrecht der individuellen Würde ist auch Schillers Ablehnung der Todesstrafe zu begreifen. Im Einklang mit Beccaria distanziert er sich von Kant, Goethe und anderen Befürwortern der Todesstrafe. Seine Stellungnahme ist nicht nur gemessen an der strafrechtsgeschichtlichen Entwicklung der Todesstrafe bemerkenswert, sondern auch aufgrund ihrer modernen Begründung. Die 12 13 14

Vgl. oben III.2.c). Vgl. oben III.2.c). Vgl. oben III.3.a)–c).

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Schluss: Zusammenfassung, Würdigung und Ausblick

Todesstrafe sei mit der Würde des Menschen unvereinbar, da jedem Straftäter die Möglichkeit in Aussicht gestellt werden müsse, in die Gesellschaft zurückzukehren. Vergeltungsstrafzweck und Talionsgedanke seien deshalb abzulehnen (Verbrecher aus verlorener Ehre, Gesetzgebung des Lykurgus und Solon). Zudem glaubt Schiller nicht daran, die Todesstrafe habe Abschreckungswirkung, sie schädige vielmehr das Normbewusstsein der Bevölkerung. Der Tatgeneigte werde durch die Höhe der Strafe nicht von der Tatbegehung abgehalten. Im Ergebnis entwirft Schiller eine relative Straftheorie, die sich auf Spezialprävention (Schutz der Bevölkerung und Besserung des Täters) konzentriert.15 Die von Schiller geforderten Grund- und Menschenrechte bilden in ihrer Gesamtheit einen Menschenrechtskanon, den man als Ersatz für eine in den deutschen Territorialstaaten fehlende Bürger- und Menschenrechtskodifikation begreifen kann. Der von Schiller in seinen Tragödien und historischen Vorlesungen geforderte Rechts- und Freiheitsschutz der Bürger war ein wichtiger Beitrag für die Emanzipationsbewegung des 18. Jahrhunderts. Sie hatte besonderes Interesse daran, aufklärerisches Gedankengut durch Printmedien zu verbreiten. Die steigende Buchproduktion und die Vielzahl neu erscheinender Periodika belegen diesen Trend medialer Aufklärung. Schillers Staatsdenken und seine Forderung nach Rechts- und Freiheitsschutz der Bürger waren daher nicht nur theaterwirksam, sie konnten auch eine stetig wachsende Leserzahl anziehen. Das gilt umso mehr, da Schillers Tragödien im Gegensatz zu denen anderer Autoren hohe Auflageziffern erreichten. Wilhelm Tell fand in wenigen Wochen 7000 Käufer, Wallenstein innerhalb von zwei Monaten 3500.16 Hervorzuheben ist ferner, dass die Grund- und Menschenrechte bei Schiller nicht – wie in der älteren Naturrechtslehre – als moralischer Appell an den Herrscher begriffen werden. Im Einklang mit progressiven Stimmen der Rechtsliteratur und der politischen Publizistik des letzten Viertels des 18. Jahrhunderts wird Herrschaft an die Grund- und Menschenrechte gebunden. Freiheits- und Gleichheitsrechte erstarken zu juristischen Ansprüchen, die notfalls mit Mitteln der Selbsthilfe (Wilhelm Tell) durchgesetzt werden dürfen. Die Menschenrechte sind demnach nicht abhängig von der „Gnade“ (und dem Staatshaushalt) des absolutistischen Monarchen, sie sind „unveräußerlich“ und nicht widerruflich (Don Karlos, Wilhelm Tell). Sie sind auch kein Nebenprodukt der Staatsräson. Menschenrechte sollen nicht aus Zweckmäßigkeitsgründen – wie bei Friedrich II. – gewährt werden. Sie sind „heilig“ und dem Menschen als Person zugeordnet. Das Nützlichkeitsargument, „Gedankenfreiheit“ könne den kulturellen Fortschritt eines Staates beschleunigen, tritt aber legitimierend hinzu. Die Notwendigkeit der Menschenrechte wird also individuell und kollektiv begründet: „die 15

Vgl. oben III.3.e). Vgl. oben III.2.b). Zu den Verkaufszahlen s. Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 304. 16

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höchstmögliche Freiheit der Individuen bei des Staats höchster Blüte“ (Karlosbriefe – II, 251).17 Darüber hinaus werden Grundrechte institutionell abgesichert. Richterliche Kontrolle, Gesetzesbindung und Gewaltenbalance sind in Maria Stuart die rechtsstaatlichen Stützen, um den Bürger vor willkürlicher Verhaftung und Strafverfolgung zu schützen. Unter Bezugnahme auf Montesquieu’sches Staatsdenken betont Schiller die Notwendigkeit rechtsstaatlicher Verfahren und demonstriert den Zusammenhang zwischen fehlender Herrschaftskontrolle und Grundrechtsverletzungen. In Maria Stuart werden die abstrakten Menschenrechte des Don Karlos zu konkreten verfassungsrechtlich garantierten Grundrechten. Die Unterscheidung zwischen abstrakten Menschenrechten und konkreten Grundrechten spiegelt sich in den Aufklärungskodifikationen in Frankreich und Nordamerika. Die Menschenrechte der französischen Bürger- und Menschenrechtserklärung konnten vom Gesetzgeber interpretiert werden und besaßen insofern eine etwas schwächere Position. In den USA wurden die Menschenrechte dagegen positiviert (Grundrechte) und somit verfassungsrechtlich abgesichert. Sie galten als Maßstab für die Gesetzgebung und besaßen deswegen eine stärkere Position. Schiller hat beide Modelle in den Tragödien durchgespielt und die Differenz zwischen einer Menschenrechtsphilosophie (bei Marquis Posa) und „harten“ Grundrechten herausgearbeitet (Maria Stuart). Marias Unmöglichkeit, sich gerichtlich gegen die willkürliche Gefangennahme zu wehren, verdeutlicht, wie sehr Menschenrechtsschutz von der konkreten Ausgestaltung der Verfassung abhängt. Don Karlos kann daher als die eigentliche Ersatzkodifikation der Menschenrechte für die deutschen Staaten und Maria Stuart als veranschaulichte Notlage dieser Rechte begriffen werden.18 Das zweite Kapitel hatte die Frage aufgeworfen, ob Schiller mit der „Struktur“ der Demokratie – Gleichheitsmoment, Flexibilität und Offenheit, vorpositive Werte19 – vertraut ist. Dabei stellte sich zunächst heraus, dass das Gleichheitsmoment, die „politische Gleichheit“ der Bürger in Schillers dramatischem Werk angelegt ist. Demokratie ist für den Dichter nicht nur eine mögliche, sondern die anzustrebende Staats- und Regierungsform (s. oben IV.). Das konnte in drei Stufen gezeigt werden: Die frühen Dichtungen (Räuber, Kabale und Liebe, Don Karlos) enthalten – auf der ersten Stufe – die Forderung nach Gleichheit vor dem Gesetz und nach Abbau von Standesprivilegien. Schiller attackiert die Adelsvorrechte im Bereich der Justiz, er wendet sich gegen die unmenschliche Behandlung der Bauern und gegen die Leibeigenschaft (Räuber), er kritisiert die Ungerechtigkeiten im Bereich des Familien- und Eherechts (Kabale und Liebe) und er setzt sich programmatisch für die formale Rechtsgleichheit der 17 18 19

Vgl. oben III.1., II.2.b). Vgl. oben III.1., III.3.d). s. oben Einleitung (2.).

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Schluss: Zusammenfassung, Würdigung und Ausblick

Bürger ein (Don Karlos).20 Das Karlos-Drama enthält zudem eine weitere Entwicklungsstufe. Posa fordert Teilnahme der Bürger an der Regierung und damit eine gewisse Partizipation des „Staatsbürgers“ an der staatlichen Willensbildung. Das zeigen vor allem die Parallelen zu Rousseau und dessen Forderung nach „natürlicher Gleichheit“ unter den Menschen, die sich nach Rousseaus Ansicht zwangsläufig auch politisch äußern müsse. Es handelt sich bei Schillers Konzept allerdings nicht um „Volkssouveränität“ Rousseau’scher Prägung, sondern eher um den „aktiven Staatsbürger“ im Sinne Kants.21 Eine dritte Stufe wird im Wilhelm Tell erreicht. Hier wird eine funktionierende Demokratie und damit vollständige – nicht nur anteilige – „politische Gleichheit“ der Bürger illustriert. Die demokratische Staatsform ist geprägt durch die reichsunmittelbare Stellung der Eidgenossen. Die Urkantone sind zwar lehenspflichtig und damit als Teil des Reiches monarchiezugehörig, sie besitzen jedoch das Recht der Selbstverwaltung. Das Selbstverwaltungsrecht ist der Kern der freiheitlich-föderalen Ordnung und wird erfolgreich praktiziert. Darüber hinaus kommt den Frauen im politischen Gefüge der Urkantone eine bedeutende Stellung zu. Sie kennen die politischen Strukturen, sie sind mutig, engagiert und verteidigungsbereit. Stauffachers Frau Gertrud wird sogar zur Urheberin des Rütli-Bundes. Die Frauen werden als „aktive Glieder“ des Staatswesens präsentiert. Sie sind – anders als in zeitgenössischen Kodifikationen oder der Rechtslehre Kants – gleichberechtigte Staatsbürger.22 Das im Tell-Drama entworfene Panorama einer funktionierenden Demokratie ist nur unter Bedingungen möglich. Aus den historischen (Gesetzgebung des Lykurgus und Solon, Abfall der Niederlande) und ästhetisch-politischen Schriften (Augustenburger Briefe, Ästhetischen Briefe) ergibt sich, dass Schiller zwischen juristischen und ethischen Voraussetzungen der Demokratie unterscheidet (s. oben V.). Zu den juristischen Voraussetzungen zählen das Prinzip der Repräsentation und das der Unabhängigkeit der Abgeordneten.23 In ethischer Hinsicht ist die politische Mündigkeit der Bürger zu beachten. Diese hängt vom historischen Reifegrad des Staatsvolks ab und kann nach Schillers Auffassung durch ästhetische Erziehung des Menschen bewirkt werden.24 In den von Schiller genannten Voraussetzungen liegt ein bisher übersehenes modernes Moment seines Staatsdenkens. Er hat die rechtlichen und außerrechtlichen Bedingungen beschrieben, die heutige Demokratien konstituieren: Das gilt zunächst für das Repräsentationsprinzip als das „funktionell wichtigste Konstitutionsprinzip des modernen Staates“ (Leibholz). Schiller hält es für 20 21 22 23 24

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

oben oben oben oben oben

IV.3. IV.4. IV.5. V.1. V.2.

Schluss: Zusammenfassung, Würdigung und Ausblick

183

notwendig, anders als Rousseau, auch in kleinen Staaten, z. B. im antiken Athen. Repräsentation ist bei Schiller demnach unabhängig von den regionalen Gegebenheiten (Klima, Größe) eines Staates. Er versteht Repräsentation wie in modernen Demokratien als ein allgemeines Effizienzprinzip staatlicher Organisation.25 Schiller hat zudem erkannt, dass Repräsentation und der durch sie angestoßene staatliche Willensbildungsprozess eine „Domäne der Wenigen“ (SchmittGläser) bleiben muss und der geschichtliche Fortschritt oftmals durch die Tatkraft kleiner Gruppen und Individuen vorangetrieben wird. Die „Auswahl der Tüchtigsten“ als durchgehendes Motiv in Schillers dramatischem und historiografischem Werk kann daher nicht per se als Demokratiedefizit begriffen werden. Das gilt umso mehr, da die Ephorenverantwortung stets an das Gemeinwohl gekoppelt bleibt. Die Durchsetzung egoistischer Interessen findet keine Billigung und führt zum Sturz des Handelnden (deshalb scheitert Fiesko und bleibt Tell erfolgreich).26 Freilich ist es eine Schwäche von Schillers Konzept, dass die Rückbindung des Handelnden an das Gemeinwohl nicht (institutionell) abgesichert wird. Fiesko wird zwar in der Tragödie von einem Vertreter der Republik gestürzt; in der historischen Vorlage scheitert die Verschwörung des Genuesers jedoch nur an dem Zufall, dass Fiesko beim Betreten eines Schiffes ins Wasser stürzt und ertrinkt, Erfolg oder Misserfolg des Aufstands hängen in der historischen Realität vom Zufall, nicht vom beherzten Eingreifen des Volkes ab. Vor diesem Hintergrund verliert die Wendung zum „guten Ende“ ihre Glaubwürdigkeit. Das von Schiller in den Tragödien und den historischen Schriften veranschaulichte „Heroenrecht“ (Erik Wolf) vermag daher die (nahe liegende) Gefahr des Eigennutzes und der Vernachlässigung der Gemeinwohlinteressen – trotz oder sogar wegen der Abhängigkeit des Gemeinwohls von der Sittlichkeit des Helden – nicht überzeugend auszuräumen. In Schillers Demokratiedenken ist darüber hinaus der Gedanke präsent, allgemeine politische Gleichheit setze die (materielle) Unabhängigkeit der Volksvertreter voraus. Da diese Vorstellung im Ergebnis auf ein Besitzwahlrecht hinausläuft, setzt sich Schiller dafür ein, dass die „niedern Klassen“ vom „Joch der Notwendigkeit“ befreit werden, um am politischen Willensbildungsprozess par25 Vgl. oben V.1.a). Zum Zitat s. Leibholz, Zum Begriff und Wesen der Demokratie, in: ders., Strukturprobleme, S. 145. In modernen Demokratien ist das Repräsentationsprinzip in allen Staaten verwirklicht. Das gilt auch für die – oft als Gegenbeispiel angeführte – Schweizer Referendumsdemokratie. Sie beruht auf Bundesebene in erster Linie auf Grundstrukturen einer repräsentativen Demokratie, vgl. Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: HStR III, Heidelberg 2005, § 34 Rn. 14; Rhinow, Grundprobleme der schweizerischen Demokratie, in: Zeitschrift für Schweizer Recht (ZSchwR) 1984, S. 111 ff.; Sommermann, Demokratiekonzepte im Vergleich, in: Demokratie in Europa, S. 200. 26 Vgl. oben V.1.a). Zum Zitat s. Schmitt-Glaeser, Die grundrechtliche Freiheit des Bürgers zur Mitwirkung an der Willensbildung, in: HStR III 2005, § 38 Rn. 42.

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Schluss: Zusammenfassung, Würdigung und Ausblick

tizipieren zu können. Diese Forderung scheint berechtigt, da der Parlamentarismus des 18. und 19. Jahrhunderts – im Gegensatz zu Entschädigungsregeln in der athenischen Demokratie (Ekklesiastikon) – keine Diätengesetze im modernen Sinn kannte. In der Verfassung des Deutschen Reichs von 1871 fand sich sogar ein ausdrückliches Diätenverbot (Art. 32) – unter explizitem Hinweis auf die Notwendigkeit, das allgemeine Wahlrecht einzuschränken. Verfassungsrang erhielt das Gebot der Abgeordnetenentschädigung erst in der Weimarer Verfassung von 1919 (Art. 40). Man kann daher Schillers Wunsch nach besserer finanzieller Ausstattung als progressives Element seines Staatsdenkens begreifen.27 Schillers Ethos, vor Einführung einer allgemeinen politischen Gleichheit zunächst die „Bürger für die Verfassung“ zu schaffen, weist auf die in modernen Demokratien oft unausgesprochene Voraussetzung einer mündigen Bürgerschicht. Die politische Mündigkeit der Bürger wird heute durch eine allgemeine Schulpflicht garantiert, deren pädagogischer Erfolg von der Qualität des Schulsystems abhängt. Am Ende des 18. Jahrhunderts war eine mit modernen Schulsystemen ansatzweise vergleichbare Schulbürokratie allenfalls in Preußen entwickelt. Andernorts verfügten die Territorialstaaten über kein flächendeckendes Schulsystem, das allen potentiellen Schülern einen ordnungsgemäßen Schulbesuch ermöglicht hätte. Es fehlten Schulgebäude, Lehrer und vor allem eine staatliche Kultusbürokratie. Vor dem Hintergrund dieses Bildungsmangels erklärt sich, warum Schiller politische Gleichheit nicht als „Jedermann-Demokratie“ ausgestaltet wissen wollte. Hervorzuheben bleibt vor allem, dass er den Funktionszusammenhang zwischen Bildungs- und Reifegrad des Staatsbürgers und handlungsfähiger Demokratie, also die geistig-bildungsmäßigen Voraussetzungen politischer Gleichheit erkannt hat.28 Schillers ästhetische Erziehung und der Wunsch „Bürger für die Verfassung“ zu schaffen, beruht auf der grundlegenden Erkenntnis, dass erst die ethischen Voraussetzungen der Demokratie entwickelt werden müssen, bevor Demokratie als effektives Regierungsprinzip kultiviert werden kann. Wie bei Montesquieu bedarf es der „Tugend“ – Schiller spricht von „Gemeinsinn“ (Athen), „Nation“ (Niederland) und „Volk“ (Schweiz) – die die Demokratie mit Leben erfüllt und am Leben erhält. Dieser Gedanke gilt unverändert für moderne Demokratien, die voraussetzen, dass in der Bevölkerung ein gewisses Maß an gemeinsamen Grundauffassungen existiert. Schillers ästhetisches Erziehungskonzept ist vielfach kritisiert worden. Aus staats- und demokratietheoretischer Sicht fällt vor allem ein Makel seiner Theo27 Vgl. oben V.1.b). – Zur Geschichte der Abgeordnetenentschädigung vgl. Meyers Konversationslexikon, Band 4, Leipzig 1888, S. 938 (Stichwort „Diäten“). 28 Vgl. oben V.2.c). Zur Entwicklung des Schulsystems vgl. Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 284 ff., 476 ff.

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rie auf: Die Letztverantwortung für den Fortschritt des Gemeinwesens liegt bei den „Erziehern“, den mit Begabung ausgestatteten „Geist-Inhabern“, die man nur in „erlesenen Zirkeln“ (= V, 669) findet. Diese Wenigen können sich irren oder ihr Genie zum Nachteil der zu „Bessernden“ missbrauchen. Schiller hat diese Gefahr individueller Fehlleistungen und Egoismen der „Besten“ zwar gesehen, er hat aber nicht die Frage beantwortet, wer die für das moralische Wohl des Gemeinwesens Verantwortlichen kontrollieren soll. Seine Hoffnung auf die Wirkkraft der „erlesenen Zirkel(n)“, die auf eine solche (demokratische?) Kontrolle nicht angewiesen sein sollen, erscheint uns aus heutiger Sicht – freilich nach der Erfahrung verschiedener totalitärer Systeme – zu idealistisch zu sein. Der Vorwurf, den man Schiller machen kann, ist demnach der eines übertriebenen Idealismus. Verfehlt wäre es hingegen, Schiller zu unterstellen, in der fehlenden Absicherung gegen moralisch-erzieherische Fehlleistungen liege bereits die Billigung eines totalitären Philosophenstaates. Vielmehr versprach sich Schiller von seiner Morallehre – wie Kant – eine Erziehung zum „Sittlich-Guten“ und eine Immunisierung des Individuums und der Gesellschaft gegen „Despotie“. Seine Idee, moralische Reife könne als Schutzwall gegen ein Abgleiten der Demokratie in den Totalitarismus dienen, bleibt eine stets lebendige Forderung. In neuerer Zeit hat dies Hannah Arendt unter Rückgriff auf Montesquieus Tugendlehre formuliert: „Wenn in einer Republik niemand mehr weiß, was Tugend bedeutet und in der Monarchie nicht mehr an die Ehre geglaubt wird, dann gehen die Regierungsformen ihrem Ende entgegen.“29 Neben den juristischen und ethischen Voraussetzungen der Demokratie hat Schiller im Wilhelm Tell die Bedingungen definiert, unter denen eine Verteidigung der Demokratie gegen eine unrechtmäßige Fremdherrschaft zulässig sein soll (s. oben VI.). Ausgangspunkt der Betrachtung war Schillers dreifache Revolutionskritik. Erstens sei eine Revolution abzulehnen, weil sie sich dadurch kennzeichne, ihre Ziele mit Gewalt durchzusetzen. Gewalt könne aber kein angemessenes Mittel politischer Konfliktlösung sein. Zudem seien revolutionäre Umstürze durch das Merkmal der „Masse“ gekennzeichnet. Massenerhebungen seien aber unkontrollierbar und leidenschaftlich. Es bestünde daher immer die Gefahr des Exzesses. Drittens lehnt Schiller die Revolution ab, weil sie den erwünschten Fortschritt nicht zu garantieren vermag. Das Beispiel der französischen Revolution habe gezeigt, dass die Menschheit in „Barbarei und Knechtschaft“ zurückgeschleudert wurde. Der Grund für den zivilisatorischen Rückschritt liege in der verfehlten Zielrichtung von Revolutionen, die versuchten eine neue Staatsordnung nach „abstracten Principien“ einzuführen.30

29 Vgl. oben V.2.c). Zum Zitat: Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt a. M. 1955, S. 732 ff. (736). 30 Vgl. oben VI.1.

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Schluss: Zusammenfassung, Würdigung und Ausblick

Im Unterschied zur Revolution hält Schiller ein Widerstandsrecht für zulässig. Spiegelbildlich zur Revolutionskritik müssen allerdings mehrere Bedingungen erfüllt sein, um von einem gerechtfertigten Widerstand ausgehen zu können. Zum einen muss eine existenzbedrohende Notwehrsituation vorliegen, in der Gewalt ausnahmsweise zulässig ist. Diese Notwehrlage ist im Wilhelm Tell gegeben. Die steten Rechtsbrüche und die „Tyrannis“ der Landvögte steigern sich bis zur „Unerträglichkeit“. Es wird eine „Grenze“ erreicht, die zum Widerstand berechtigt.31 Anknüpfend an die Menschenrechtsidee aus dem Don Karlos hat Schiller das Widerstandsrecht der Eidgenossen im Wilhelm Tell mit der Berufung auf die „unveräußerlichen“ Rechte des Menschen begründet. Er sucht demnach nicht nach einer gesetzlichen Grundlage des Widerstandsrechts, etwa nach einem ständischen Widerstandsrecht. Mit der Bejahung eines Widerstandsrechts in einem eng umgrenzten Ausnahmefall widerspricht er den Auffassungen konservativer Revolutionskritiker und der Ansicht Kants. Kants Argument, dass die Rechtsordnung einen zweiten Souverän nicht zulasse und nicht entschieden werden könne, wer in dem Souveränitätsstreit Recht habe, versucht Schiller zu umgehen. Er verweist auf den fehlenden Rechtsschutz der Eidgenossen gegenüber dem Kaiser.32 Die Gefahr eines unkontrollierbaren Massenaufstandes realisiert sich beim Widerstand der Eidgenossen nicht. Ihre Erhebung ist „leidenschaftslos“ und neigt deshalb nicht zum gewalttätigen Exzess. Die Bewohner der Urkantone besitzen im Gegensatz zu den französischen Revolutionären die notwendige politische Mündigkeit. Ihre Selbstmäßigung ist Ausdruck einer moralischen Überlegenheit gegenüber den „Barbaren“ der französischen Revolution.33 Das Tell-Drama bietet das Panorama einer in den Ästhetischen Briefen entworfenen evolutionären Staatsverbesserung und wird von Schiller als Gegenmodell zum gewaltsamen Umsturz der französischen Revolutionäre verstanden. Aus dem konservierenden Widerstand der Eidgenossen geht am Ende eine neue Sozialordnung hervor, die auf dem Prinzip allgemeiner politischer Gleichheit beruht. Demokratie darf demnach nicht nur verteidigt werden, sie erscheint in Schillers letzter vollendeter Tragödie als Schlussstein in der Geschichte.34

31

Vgl. oben VI.2. Vgl. oben VI.2. 33 Vgl. oben VI.3. Zweifelhaft ist freilich, ob das Prinzip der Leidenschaftslosigkeit als Garant eines unblutigen Umsturzes die (nahe liegende) Missbrauchsgefahr realistisch einzuschränken vermag. Überzeugender wäre es wohl, wenn der inneren (moralisch, leidenschaftslosen) Kontrolle auch eine äußerliche (juristisch, staatliche) Kontrolle korrespondieren würde. Zur Diskussion um das Widerstandsrecht und zu Einwänden Kants s. oben VI.2. 34 Vgl. oben VI.4. 32

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Der in den Ästhetischen Briefen theoretisch formulierte und im Wilhelm Tell beispielhaft demonstrierte „evolutionäre“ Übergang in eine neue Staatsordnung verdient es, besonders hervorgehoben zu werden. Die Sekundärliteratur hat dieses Modell oft negativ gedeutet und Schiller vorgeworfen, er sei vor der politischen Realität zurückgeschreckt und habe sich in das „heitre Reich der Kunst“ (Prolog – II, 273) zurückgezogen. Schillers Evolutionsgedanke, „das rollende Rad“ des Staates „während seines Umschwunges auszutauschen“ (Ästhetische Erziehung – V, 575), kann jedoch als (weitsichtiges) Bekenntnis zu pragmatischer Staatsreform verstanden werden, wie sie später von Humboldt in Angriff genommen wurde. Schiller und Humboldt gingen beide davon aus, eine Staatsverbesserung nach „abstrakten Prinzipien“ – also ein rein logischer Staatsentwurf – könne wegen des fehlenden Anknüpfens an historisch Gewachsenes keinen Fortschritt bringen. Ernst Fraenkel hat in jüngerer Zeit darauf verwiesen, es sei eine der „folgenschwersten Vorbelastungen des deutschen Parlamentarismus“, dass er – im Anschluss an Montesquieus Rezeption des englischen Verfassungssystems – nach dem „Trugbild“ einer fremden Systematik und nicht nach dem „pragmatischen englischen Verfassungsrecht“ konzipiert wurde. Entsprechend wurde hier die humanistische Perspektive Schillers, die allmählichen Fortschritt der Gesellschaft an die Entwicklungsfähigkeit des Einzelnen knüpft, als demokratiegeschichtliche Progressivität verstanden.35 Deshalb ist auch der historische Einwand zurückzuweisen, Schillers Erziehungskonzept sei eine „quietistische Illusion“ gewesen, der es an Praxistauglichkeit gefehlt habe. Dieses Argument geht davon aus, der erzieherisch-reformatorische Ansatz sei „radikaldemokratischen“ Wünschen deutscher Jakobiner unterlegen gewesen. Schiller hatte allerdings überzeugende Gründe – Bildungsstand und soziale Lage in Deutschland, sichtbare Reformansätze – den Reifeprozess des Individuums als historischen Fortschrittsmotor zu begreifen.36 Konsequent geht Schiller davon aus, Demokratie als „Ideal der Gleichheit“ sei im Deutschland des ausgehenden 18. Jahrhunderts noch nicht realisierbar. Es seien beim aktiven und passiven Wahlrecht gewisse Abstriche zu machen. Politische Gleichberechtigung lasse sich daher erst in der Zukunft (oder beispielhaft in der Dichtung) verwirklichen.37 Im Übrigen ist Schillers Demokratiekonzept vor Fehldeutungen zu schützen. Das Missverständnis liegt darin, die in Schillers Tragödien geäußerte Mehrheitskritik als „antidemokratische“ Haltung des Dichters zu interpretieren. Die Mehrheitskritik ist rollen- und figurenspezifisch zu begreifen und gibt daher keine 35 Vgl. oben V.1., V.4. Zum Zitat s. Fraenkel, Die historischen Vorbelastungen der deutschen Parlamentarismus, in: ders., Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 16. 36 Vgl. oben V.2.c). 37 Vgl. oben V.3.

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greifbaren Anhaltspunkte für die These, Schiller sei kein Demokrat „im modernen Sinn“ gewesen.38 Im dritten Kapitel wurde versucht, die „Universalität“ der Demokratie – die europa- und völkerrechtlichen Bezüge39 – in Schillers Werk zu beleuchten. Dabei konnte festgestellt werden, dass Schiller eine konkrete Vorstellung hatte, welchen Inhalt und welche Werte eine europäische Staatengemeinschaft verkörpern sollte (s. oben VII.). Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass Schiller ein universeller, europäischer Denker war, bei dem sich trotz gegenteiliger Wirkungsgeschichte ein nationalpatriotisches Gestimmtsein nicht findet. Politische Hegemonie und Großmachtstreben einzelner Staaten lehnte er im Hinblick auf das europäische Mächtegleichgewicht ab. Napoleons Feldzüge sah er kritisch. Pathetisch-vaterländische Texte wie das nicht fertig gestellte Gedicht Deutsche Größe geben keine Hinweise auf eine xenophobe Haltung, sondern sind Ausdruck von Schillers Kulturpatriotismus.40 Schiller glaubt, kulturelle Vielfalt (Antrittsvorlesung) sowie Selbstbestimmung und Menschenrechte (Antrittsvorlesung, Gesetzgebung, Abfall der Niederlande, Don Karlos) bildeten die Identität Europas. Die „Substanz“ der Demokratie findet sich deshalb auch auf europäischer Ebene. Diese Auffassung ist deshalb interessant, weil sie die christliche Religion zwar als europäische Wurzel, nicht aber als identitätsstiftende Kraft für gemeinsame europäische Überzeugungen begreift. Nicht Religion, sondern Religionsfreiheit prägt nach Schillers Ansicht die Identität Europas.41 Ebenfalls freiheitlich-demokratisch ist Schillers Friedensgedanke. Er wird von zwei Ideen getragen: zum einen von der Vorstellung, die europäische Freiheit könne nur durch den Willen der Staaten zum Gleichgewicht garantiert werden. Die Kriegstaktiken und das politische Streben der europäischen Staaten werden deshalb am Maßstab des europäischen Equilibrums bewertet. Zum anderen glaubt Schiller an die friedenssichernde Kraft stabiler völkerrechtlicher Verträge. Er hat einzelne Vertragswerke, etwa den Prager Frieden oder den Augsburger Religionsfrieden, ausführlich kommentiert und dabei für ausgewogene und für beide Parteien akzeptable Bedingungen plädiert.42 Anlass für die Idee eines paneuropäischen Friedens ist bei Schiller die Einsicht, Europa sei eine politische Schicksalsgemeinschaft. Seine historiografische Beschäftigung mit dem Dreißigjährigen Krieg führt ihn zu der Erkenntnis, der Konflikt sei in erster Linie politischer Natur gewesen und habe alle europäi-

38 39 40 41 42

Vgl. oben IV.2. s. oben Einleitung (2.). Vgl. oben VII.1. Vgl. oben VII.2. Vgl. oben VII.3.b) und c).

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schen Staaten betroffen. Am Ende des Kriegs sei erstmals der Nährboden für ein europäisches Friedensbewusstsein geschaffen worden, Europa hätte sich als „zusammenhängende Staatengesellschaft“ begriffen.43 Im letzten Abschnitt wurden völker- und kriegsrechtliche Berührungspunkte in Schillers Werk aufgezeigt. Es hat sich gezeigt, dass die „Substanz“ der Demokratie auch auf der zwischenstaatlichen Ebene greifbar bleibt (s. oben VIII.). Das gilt zunächst für das humanitäre Völkerrecht. Schiller tritt ein für die Idee einer „Verrechtlichung des Krieges“ (Wallensteins Lager), weil er den Kriegszustand nicht als ungebundenen Naturzustand, sondern als Gesellschaftszustand begreift. Die Soldaten des Lagers vertreten keine sittliche, sondern eine pervertierte Freiheitsidee, die an die Anarchie der Räuber erinnert. Bereits der Prolog zum Wallenstein-Drama hatte angedeutet, dass der heroische Anspruch der „rohen Horden“ kritisch zu reflektieren sei.44 Schillers humanitäres Grundanliegen durchzieht die historiografischen Schriften und die späten Geschichtsdramen. In der Jungfrau von Orleans illustriert Schiller die Notwendigkeit, dem Kriegsgegner mit menschlichen Gefühlen zu begegnen. Der Vergleich zwischen den Montgomery- und den Lionel-Szenen zeigt, dass ein fanatischer und rücksichtsloser Kriegswille dem natürlichen Mitleidsempfinden des Menschen widerspricht. Ein autonom handelndes Individuum hört dagegen selbst im Krieg des „Mitleids fromme Stimme“. Mitmenschlichkeit im Krieg und Schutz des Kriegsgefangenen werden in der Jungfrau zum Ausdruck von Selbstbestimmung.45 Schillers humanitäres Völkerrechtsdenken äußert sich auch in der Forderung nach Kriegsführungsregeln. Sie sollen den Schutz der Zivilbevölkerung gewährleisten (Dreißigjähriger Krieg). Als Geschichtsschreiber wendet er sich gegen den Wallensteinischen Grundsatz „Der Krieg muss den Krieg ernähren“. Unter den durch die Brandschatzungen ausgelösten Armutsfolgen hätten viele Landstriche gelitten. Als drastisches Beispiel für die unmenschlichen Folgen von Plünderungen verweist Schiller auf die Einnahme Magdeburgs unter General Tilly. Schiller ist überzeugt, dass eine menschliche Kriegsführung trotz kriegerischen Notwendigkeiten möglich ist. Er lobt die Zurückhaltung des schwedischen Königs im Umgang mit der deutschen Zivilbevölkerung und sieht in der Kriegsführung Gustav Adolfs ein Gegenmodell zu den „schreienden Barbareien der Kaiserlichen“.46 Im Ergebnis wird der humanitäre Staatszweck, den Schiller in der Gesetzgebung für einen einzelnen Staat formuliert, auf die zwischenstaatliche Ebene 43 44 45 46

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

oben oben oben oben

VII.3.a). VIII.1.a). VIII.1.b). VIII.1.c).

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übertragen und als Grundsatz des Kriegsrechts eingeführt. Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen findet sich als Forderung auf der Ebene des Völkerrechts wieder. Völkerrechtlich bedeutsam ist auch die in der Wallenstein-Trilogie und der Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs aufgeworfene Frage nach den Grenzen der soldatischen Gehorsamspflicht. Diese Grenzen spiegeln sich im widersprüchlichen Charakter Wallensteins. Einerseits verlangt der Friedländer von seinen Soldaten blinden „Kadavergehorsam“, andererseits missachtet er die Befehle des Kaisers. Beides wird von Schiller kritisch gesehen. Eine unbedingte, mit Selbstaufgabe verbundene Subordination verträgt sich nicht mit dem Selbstbestimmungsrecht des Individuums. Umgekehrt kann eine eigenständige Befehlsführung den Vorwurf des Hochverrats rechtfertigen. Das ist bei Wallenstein der Fall: Schiller geht davon aus, die Ambitionen des Feldherrn auf die böhmische Krone seien als Verbrechen zu werten. Weder der mit Vollmachten versehene Vertrag mit dem Kaiser noch die Friedenspläne mit Sachsen und Schweden könnten das Verhalten Wallensteins rechtfertigen. Selbst die generelle Infragestellung der Legitimität des Kaisertums könne nicht zum gegenteiligen Ergebnis führen. Freilich müsse beachtet werden, dass die Tatsachengrundlage für Anklage und Urteil nicht historisch verbürgt sei.47 Die Substanz der Demokratie, verstanden als Forderung nach Selbstbestimmung, bleibt auch im Wallenstein-Drama erhalten. Die Grenzen der soldatischen Gehorsamspflicht gewinnen vor dem besonderen geschichtlichen Hintergrund eines doppelten Legitimitätsverlustes an Bedeutung. Da weder dynastische Kaiserordnung noch charismatische Herrschaftsordnung je für sich alleine ausreichen, um in der Geschichte zu überdauern, lässt sich Schillers Trilogie – ganz im Sinne Kants – die Notwendigkeit entnehmen, Legitimität und Moralität seien zwar getrennte, aber auf einander angewiesene Ordnungen. Selbstbestimmung ist nur auf Ebene des Rechts und nur durch das Recht möglich, das Recht muss aber seinerseits moralisch legitim sein. Die Wallenstein Tragödie zeigt, dass auch – oder gerade – in Kriegszeiten die Staatlichkeit notwendige Bedingung freier Selbstentfaltung bleibt. Ein Motiv, das bereits in den Räubern präsent war.48 Die vorliegende Untersuchung ging davon aus, dass die Demokratie-Bezüge in Schillers Werk zu wenig beachtet worden sind. Sie hat versucht, mögliche Einwände – oder gar Vorurteile – auszuräumen, die einer Befassung mit Schillers Werk aus demokratietheoretischer Perspektive bisher entgegenstanden. Dabei wurde nicht geleugnet, dass Schiller während der französischen Revolution die Idee der Volksherrschaft oder des gesellschaftlichen Umsturzes durch das

47 48

Vgl. oben VIII.2. Vgl. oben VIII.2.d).

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Volk abgelehnt hat. Er hat nicht als politischer Publizist auf Seiten der „Demokraten“ agitiert und er hat den Begriff der „Demokratie“ gemieden. Ausgehend von dem Dreischritt – Substanz, Struktur, Universalität der Demokratie – konnte jedoch nachgewiesen werden, dass Schiller ein demokratischer Denker war. Er begriff Sicherheit, Selbstbestimmung sowie Freiheits- und Menschenrechte der Bürger als Anknüpfungspunkte für eine individualrechtliche Demokratie (Substanz). Zudem hat er politische Gleichheit als Möglichkeit und Ziel einer zukünftigen staatlichen Organisation verstanden, rechtliche und außerrechtliche Bedingungen der Demokratie – wenn auch nicht abschließend oder stets überzeugend – beschrieben und ihre Durchsetzbarkeit gegen Fremdherrschaft veranschaulicht (Struktur). Darüber hinaus glaubte er an eine europäische Identität – Freiheit im Innern, Frieden im Äußeren – und er kann als Befürworter eines humanitären Völkerrechts begriffen werden (Universalität). Angesichts des herausfordernden Werkes wäre eine weitere Beschäftigung erstrebens- und wünschenswert, die den hier vorgestellten Demokratie-Bezug aufgriffe und (auf andere Literaturgattungen) erweiterte.

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Sachverzeichnis Absolutismus 11, 28, 30, 31, 38, 43, 48, 63, 66, 68, 78, 85, 86, 130, 176, 177, 178 – Reformabsolutismus 44, 117 – Territorialabsolutismus 11, 14, 30, 176 Adel 13, 49, 58, 63, 65, 81, 82, 84, 87, 88, 89, 92, 100, 102, 127, 139, 140, 176 – Adelsvorrecht 81, 181 Anarchie 22, 23, 27, 29, 74, 96, 97, 118, 132, 158, 159, 176, 189 Aristokratie 18, 109, 121 ästhetische Erziehung 20, 79, 95, 111, 112, 113, 114, 115, 117, 118, 126, 182, 184, 187 Bürger, bürgerlich 15, 16, 19, 21, 22, 24, 25, 29, 31, 32, 33, 35, 36, 37, 38, 40, 42, 43, 47, 48, 54, 70, 73, 75, 77, 81, 84, 86, 87, 88, 91, 92, 94, 95, 101, 102, 104, 106, 107, 108, 110, 111, 115, 117, 121, 122, 126, 139, 140, 147, 156, 157, 158, 159, 173, 176, 177, 179, 180, 181, 182, 184, 191 – Bürgerkrieg 132, 154 – Bürgerrechte 45, 58, 62, 67, 87, 120, 133, 181 – Bürgertum 82, 116 – Staatsbürger 16, 17, 19, 46, 70, 74, 77, 88, 89, 90, 91, 92, 95, 107, 109, 182, 184 – Weltbürger 42, 112, 120 Demokratie 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 24, 44, 53, 68, 76, 77, 78, 79, 80, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 104, 109, 110, 111, 112, 114, 115, 116, 117, 120, 121, 122, 124, 136,

141, 146, 148, 176, 178, 180, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 188, 189, 190, 191 – Demokratiedefizit 19, 183 – Demokratiekritik 79 – Demokratieprinzip 18 Dreißigjähriger Krieg siehe Krieg Europa, europäisch 14, 18, 19, 21, 93, 141, 142, 143, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 155, 188, 189, 191 – Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung 93 – europäische Identität 145, 146, 147, 148, 191 – Europäische Union 19 – europäischer Frieden 141, 142, 143, 148, 150, 189 Europarecht, europarechtlich 19, 188 Französische Revolution 11–15, 23, 76, 87, 92, 94, 107, 111, 114–119, 120, 123–126, 129, 133–140 Freiheit, freiheitlich 16, 18, 22, 25, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 38, 39, 40, 42, 44, 46, 51, 57, 72, 75, 77, 83, 87, 89, 90, 91, 93, 97, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 112, 115, 116, 117, 119, 126, 128, 129, 131, 134, 139, 144, 145, 146, 147, 148, 151, 152, 156, 157, 158, 159, 174, 178, 181, 182, 188, 189 – Abwehrfreiheit 38, 89 – Freiheitsrechte 21, 32, 38, 45, 48, 58, 86, 87, 180 – Freiheitsschutz 15, 17, 45, 176, 180 – Freiheitsstrafe 70, 75 – Gedankenfreiheit 51, 52, 53, 55, 86, 178, 179, 180

Sachverzeichnis – Gewissensfreiheit 16, 47, 52, 55, 57, 171, 178 – Glaubensfreiheit 179 – Kommunikationsfreiheit 16, 17, 21, 178 – Meinungsfreiheit 16, 47, 51, 52, 53, 178 – menschliche Freiheit 146, 147 – politische Freiheit 77, 113, 120, 126, 127, 128 – Pressefreiheit 16, 47, 51, 52, 53, 55, 178 – Religionsfreiheit 16, 47, 52, 147, 155, 178, 179, 188 – republikanische Freiheit 12, 97 Frieden 20, 48, 67, 106, 118, 141, 142, 146, 148, 150, 153, 154, 158, 166, 167, 169, 170, 173, 174, 175, 177, 188, 189, 190, 191 – Augsburger Religionsfriede 154, 155, 188 – europäischer Frieden siehe Europa – Frieden von Lunéville 144 – Prager Frieden 152, 153, 154, 188 – Westfälischer Frieden 142, 149, 152, 154 Gastrecht siehe Völkerrecht Gerechtigkeit, Ungerechtigkeit 23, 29, 40, 64, 80, 81, 127, 131, 132, 153, 154, 164, 174, 181 Gewissensfreiheit siehe Freiheit Glaubensfreiheit siehe Freiheit Gleichgewicht 100, 142, 143, 150, 151, 152, 154, 155, 188 Gleichheit 17, 18, 37, 80, 82, 84, 86, 87, 88, 89, 90, 94, 121, 136, 139, 181, 182, 187 – Gleichheitsrechte 45, 48, 58, 90, 180 – Gleichheitssatz 87 – politische Gleichheit 17, 19, 91, 93, 94, 95, 115, 121, 122, 140, 181, 182, 183, 184, 186 Gnade, Gnadenrecht 37, 38, 61, 160, 166, 171, 172, 173, 177, 180

209

Humanismus, Neuhumanismus 43, 114, 178 Humanität 39, 42, 43, 70, 112, 118, 120, 144, 146, 178 Krieg 60, 61, 92, 100, 106, 110, 129, 132, 141, 143, 144, 148, 149, 150, 151, 153, 154, 155, 156, 158, 159, 160, 162, 163, 164, 166, 169, 188, 189, 190 – Dreißigjähriger Krieg 30, 120, 142, 143, 148, 149, 150, 151, 155, 162, 164, 165, 170, 172, 174, 188, 189, 190 – Kriegsrecht 63 – Religionskrieg 149 Mächtegleichgewicht siehe Gleichgewicht Mehrheit 78, 80, 106 – Mehrheitsentscheidungen 105, 109 – Mehrheitskritik 77, 79, 80, 187 – Mehrheitsprinzip 78 Meinungsfreiheit siehe Freiheit Menschenrechte 22, 45, 46, 47, 52, 53, 55, 67, 75, 88, 125, 129, 130, 132, 133, 134, 146, 147, 178, 179, 180, 181, 188, 191 – Menschenrechtserklärung, französische 39, 55, 62, 67, 68, 76, 181 – Menschenrechtskanon 52, 180 – Menschenrechtskatalog 46, 47 Menschenwürde 16, 48, 49, 50, 51, 70, 75, 122, 171, 178 Menschheit 24, 33, 34, 39–41, 44, 45, 50, 51, 52, 73, 84, 87, 88, 112, 115, 122, 139, 143, 146, 147, 172, 185 Monarchie 53, 55, 65, 66, 67, 70, 77, 78, 86, 90, 92, 115, 117, 121, 122, 143, 152, 168, 182, 185 Mündigkeit, politische siehe Politik Natur, Naturrecht 26, 27, 31, 32, 35, 38, 41, 43, 45, 46, 47, 49, 50, 51, 53, 56, 57, 67, 68, 69, 82, 88, 89, 90, 91, 107, 109, 111, 112, 113, 114, 124, 126,

210

Sachverzeichnis

127, 129, 130, 132, 133, 146, 156, 180, 182, 188, 189 Neuhumanismus siehe Humanismus Notwehr, Notwehrrecht 47, 60, 125, 126, 129, 133, 134, 186 Politik 34, 35, 36, 44, 48, 50, 53, 54, 57, 85, 107, 115, 116, 119, 143, 145, 150, 151, 177 – politische Mündigkeit 91, 109, 110, 139, 182, 184, 186 – politische Teilhabe 47, 88, 89 Polizei 24, 25, 31, 33, 34, 35, 81, 82, 176, 177 Pressefreiheit siehe Freiheit Regierung 19, 28, 30, 33, 34, 39, 41, 42, 56, 63, 76, 77, 85, 91, 93, 95–101, 109, 117, 121, 129, 132, 133, 182, 184 Regierungsform 13, 57, 77, 79, 91, 93, 95, 96, 101, 104, 120, 121, 122, 128, 181, 185 Religionsfreiheit siehe Freiheit Repräsentation 77, 95–97, 99, 100, 104, 105, 108, 109, 182, 183 Revolution siehe Französische Revolution Revolutionserfahrung 118 Revolutionskritik 79, 122, 130 Selbstbestimmung 15, 16, 19, 21, 22, 30, 93, 94, 177, 178, 188, 189, 190, 191 Sicherheit 22, 29, 30, 33, 40, 48, 60, 87, 121, 152, 157, 176, 177, 191

Staatlichkeit 24, 29, 80, 174, 176, 177, 190 Staatsbürger siehe Bürger Staatsgewalt 16, 22, 29, 67, 123, 176, 177 Staatszweck 22, 29, 30, 32, 33, 34, 36, 38–41, 43, 51, 176, 177, 178, 189 Teilhabe, politische siehe Politik Todesstrafe 47, 70–75, 179, 180 Verfassung – amerikanische 68, 76, 96 – des Deutschen Reiches 184 – französische 76, 96 – Paulskirchenverfassung 46 – von Massachusetts 67 – Weimarer 184 Völkerrecht 20, 21, 56, 58, 59, 60, 62, 141, 152, 155, 159, 162, 164, 165, 171, 179, 188, 189, 190 – Gastrecht 58–61, 179 – humanitäres 155, 159, 189 – völkerrechtswidrig 58 Volkssouveränität 13, 14, 76, 78, 91, 97, 112, 182 Volksvertreter 100, 103, 105–110, 183 Weltbürger siehe Bürger Widerstand 125, 126, 127, 131–138, 140, 153, 163, 186 Widerstandsrecht 122, 125, 129, 130– 133, 136, 186 Wohlfahrt, Wohlfahrtsstaat 30, 33, 36, 52, 79, 119, 123

SUMMARY The subject of this study is democratic political thought in the dramatic and historiographic opus of Friedrich Schiller (1759 – 1805). The study situates the references to democracy in Schiller’s work against the historical backgrounds of German territorial absolutism and the French Revolution, and evaluates them on the basis of a “modern concept of democracy”. The study is divided into three main chapters. In chapter one, the author shows that Schiller understood, illustrated and called for the “substance” of democracy, i.e. security, self-determination and citizens’ rights of individual liberty. Similarly to Humboldt, the author argues, Schiller considered citizens’ self-determination to be the origin of individual and cultural progress. The author discusses in detail the significance of individual liberty rights and human rights in Schiller’s work, examining in particular the principles of communication and justice in Don Karlos and Maria Stuart. In addition, the author points out parallels to Kant’s concept of human dignity. In chapter two, the author asks whether Schiller was familiar with the “structure” of democracy, i.e. with the political equality of citizens. The author advances the opinion that democratic structures are latent in Schiller’s work, but are not realised in the modern sense. Schiller, it is argued, considered political equality possible and wished it to materialise as a form of governance for future generations. However, democracy for Schiller was possible only under certain prerequisites. In demonstrating this, the author distinguishes between legal prerequisites (representation, independence of the citizens and members of parliament) and ethical prerequisites (political maturity). In chapter three, the author highlights the “universality” of democracy, i.e. the references to European and international law in Schiller’s work. The author concludes that Schiller was a European thinker who apprehended the protection of civic liberty, particularly freedom of religion, as the core of a European identity. Moreover, Schiller spoke in support of peace in Europe and a balance of power between the European states. The author argues that ultimately, Schiller followed Hugo Grotius in advocating a humanitarian form of international law.

RÉSUMÉ Ces travaux se penchent sur la conception de l’Etat démocratique qui se dégage de l’œuvre dramatique et historiographique de Friedrich Schiller (1759 – 1805). Les références à la démocratie apparaissant dans l’œuvre de Schiller y sont présentées dans le contexte de l’absolutisme territorial allemand et de la révolution française et analysées sur le fondement d’une «Idée moderne de la démocratie». L’auteur articule ses travaux autour de trois chapitres. Dans le premier chapitre, l’auteur montre que Schiller a appréhendé, illustré, et s’est fait le chantre de la «substance» de la démocratie, c’est-à-dire de la sécurité, de la liberté et du droit à l’autodétermination. Comme Humboldt, Schiller voyait dans l’autodétermination du citoyen la source du progrès individuel et culturel. L’auteur examine de manière détaillée la place de la liberté et des droits de l’homme dans l’œuvre de Schiller, s’attachant particulièrement à l’étude des droits fondamentaux d’expression et de justice dans Don Carlos et Marie Stuart. Il relève en outre les parallèles avec la notion kantienne de dignité humaine. Dans un deuxième chapitre, l’auteur se penche sur la question de savoir si Schiller était familiarisé avec la «structure» même de la démocratie, c’est-à-dire avec l’égalité politique des citoyens. Il est d’avis que si la structure de la démocratie est bien ancrée dans l’œuvre de Schiller, sa mise en œuvre ne répond pas à nos critères modernes. Schiller jugeait l’égalité politique possible et la souhaitait en tant que forme de gouvernement pour les générations futures. Toutefois, il ne considérait la démocratie possible que sous certaines conditions, que l’auteur relève en distinguant entre conditions juridiques (représentation, indépendance des citoyens et députés) et conditions éthiques (maturité politique). Dans un troisième chapitre, l’auteur met la lumière sur «l’universalité» de la démocratie, c’est-à-dire sur les références dans l’œuvre de Schiller au droit européen et international. L’auteur conclut que Schiller était un penseur européen, qui voyait dans la protection des libertés du citoyen, notamment de la liberté de culte, le cœur d’une identité européenne. Il s’engagea pour la paix en Europe et un équilibre des forces entre les Etats européens et fut, dans le sillage de Hugo Grotius, partisan d’un droit international humanitaire.