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German Pages 160 [161] Year 1965
DEUTSCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN SCHRIFTEN
DER
SEKTION
FÜR
ZU
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FRÜHESTE GRUNDSÄTZE DER WISSENSCHAFT BEI DEN GRIECHEN
VON RUDOLF SCHOTTLAENDER
Mit Namen- und Sachregister v o n Siegfried Fischer
AKADEMIE-VERLAG 1964
BERLIN
ALTERTUMSWISSENSCHAFT
BERLIN
Gutachter dieses Bandes: Werner Peek und Fritz Plagemann
Redaktor der Reihe: Johannes Irmscher Redaktor dieses Bandes: Siegfried Fischer
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 8, Leipziger Straße 3—4 Copyright 1964 b y Akademie-Verlag G m b H , Berlin Lizenzpummer: 202 • 100/95/64 Gesamtherstellung: V E B Druckhaus „Maxim Gorki", Altenburg Bestellnummer: 2067/43 • E S 7 M . Preis: DM 16,80
In memoriam Walther Kranz
Vorwort
Bei der Niederschrift des vorliegenden Werkes ließ ich mich von der Absicht leiten, aus den wissenschaftlichen Leistungen des Hellenentums von Thaies bis Thukydides das unverlierbar Fortwirkende herauszuheben. Es ist das, was ich die „Grundsätze" nenne. Darunter verstehe ich sowohl die Leitgedanken der objektiven Welterklärung als auch die das Forscherleben bestimmenden Vorsätze. In beiderlei Hinsicht weist jene früheste Wissenschaft die Richtung für alle Folgezeit. Hiervon zu überzeugen, wird nicht leicht sein. Denn einerseits werden meine Betrachtungen hinausgehen über den Rahmen der Zeitbedingtheit und Vorläufigkeit, durch den die meisten historischen Darstellungen ihren Gegenstand bewußt relativieren. Und andererseits lehne ich es ab, die vorsokratische Philosophie als „über" oder „jenseits" aller Wissenschaft stehend aufzufassen und ihre Vorbildlichkeit anzusiedeln in einem Bereich, der beweisbarem und widerlegbarem Denken entrückt ist. Die Wissenschaften einschließlich der sie führenden wissenschaftlichen Philosophie sind es, deren allererste Richtlinien und Antriebskräfte, soweit sie griechischem Geist entstammen, in diesem Buch begreiflich gemacht werden sollen.1 Berlin, 28. Mai 1962
Rudolf
Schottlaender
1 Den 1. Band des auf 5 Bände angelegten Werkes von W. K. C. Guthrie, A History of Greek Philosophy, Cambridge 1962, erhielt ich zu spät, um ihn gebührend berücksichtigen zu können. Meine Stellungnahme wird demnächst in Form einer Besprechung in der „Deutschen Literaturzeitung" veröffentlicht werden. Auch war es nicht mehr möglich, auf das Werk von F. Ch. Kessidi, ® H j i 0 C 0 ( J > C K H e h a c T e T H necKiie B 3 r j i H ^ H T e p a K J i H T a 9eccnoro, Moskau 1963, einzugehen.
Inhalt
I. Kapitel: Der hellenische Weise als nationale Erscheinung II. Kapitel: Die Ansetzung der Erstursache
1 11
ä) Thaies' Frühform der rationalen Voraussage b) Übergang von der Weisheit zur wissenschaftlichen Philosophie
11 14
c) Das Verhältnis der Philosophie zum Mythos
17
I I I . Kapitel: Der Satz von der Unerschöpflichkeit
19
a) Anaximander als Systematiker
19
b) Identität des Apeiron mit der Urmaterie
21
IV. Kapitel: Der Begriff des Aggregatzustandes bei Anaximenes
26
V. Kapitel: Die Entdeckung der universellen Berechenbarkeit a) Die Verbindung von Arithmetik und Geometrie b) Pythagoras als Neuapolliniker
29 29 33
VI. Kapitel: Die Reduktion des Polytheismus auf Anthropologie durch Xenophanes VII. Kapitel: Die Übertragung des Gesetzesbegriffs auf die Natur a) Heraklits „Feurigkeit" b) Inhalt der heraklitischen „Weltformel" VIII. Kapitel: Der Entwurf einer denkgerechten Weltstruktur a) Die parmenideische Lehre von der Scheinbarkeit der Bewegung b) Die zenonischen Paradoxa I X . Kapitel: Die Anfänge der Analyse und Synthese a) Religiöser Ursprung wissenschaftlicher Fragestellungen des Empedokles . b) Älteste Leitgedanken der Biologie und Chemie X. Kapitel: Das Abstrahieren aus den Kausalzusammenhängen a) Anaxagoras, der Typus des Theoretikers b) Die Methodik des Unterscheidens und Verbindens
42 45 45 50 58 58 63 66 66 69 75 75 78
VIII
Inhalt
XI. Kapitel: Quantifizierung als Bedingung rationaler Erklärbarkeit a) Demokrits mikrokosmische Ursachenforschung b) Die mathematisierende Leistung der Atomkonzeption
86 86 88
X I I . Kapitel: Die Subjektivität als Aufgabenbereich kunstmäßiger Praxis und Theorie a) Sophistische Unterrichtsmethodik
95 95
b) Protagoras' Lehre vom geschichtlichen Fortschritt c) Der Subjektivismus in der Erkenntniskritik
103 106
X I I I . Kapitel: Die Fruchtbarkeit des Fortschreitens von der Physik zur Physiologie 112 a) Der Arzt als Musterbild des wissenschaftlichen Sachverständigen . . . . 1 1 2 b) Der hippokratische Begriff des Normalen 114 c) Grundsätze der ärztlichen Betätigung XIV. Kapitel: Zeitgeschichte als Objekt wissenschaftlicher Durchdringung a) Die spezifisch historische Ursachenforschung des Thukydides b) Die thukydideische Behandlung der Kriegsschuldfrage
119 . 124 124 129
Namenregister
143
Sachregister
146
I. K A P I T E L
Der hellenische Weise als nationale Erscheinung
Ein Höhepunkt der homerischen Dichtung ist die Stelle, an der Odysseus sich den Phäaken zu erkennen gibt. Mit kunstvoll gesteigerter Spannung geht es auf den Augenblick hin, in dem der wunderbare Fremde das Geheimnis seiner Person enthüllt. Und er gibt uns sogleich den Schlüssel zum Verständnis seines Ruhmes: „Wegen aller Art von List", so sagt er, „bin ich den Menschen interessant." 1 Der „Vielgewandte", einer, der „vielfach zu raten weiß", sich und anderen, — das sind seine stehenden Beiworte. Das ist es, was ihn der Göttin Athene so lieb macht. Nirgends spricht der Dichter die innerste Verwandtschaft beider so deutlich aus wie dort, wo der endlich in Ithaka gelandete Held seiner olympischen Beschützerin begegnet. In der Gestalt eines schönen jungen Hirten kreuzt sie seinen Weg. Auf seine Frage, wo er sei, erhält er zur Antwort: in Ithaka. Odysseus wagt es noch nicht, sich der Freude über die wiedergefundene Heimat hinzugeben. Um ganz sicher zu gehen, erfindet er schnell eine Geschichte, nach der es scheint, als kenne er Ithaka nur vom Hörensagen. Liebevoll und belustigt gibt sich Athene ihrem Schützling zu erkennen, und hier fallen die Worte über die Wesensgleichheit beider: „Du bist", so sagt sie, „weitaus der beste aller Sterblichen in R a t und Worten, ich aber bin bei allen Göttern berühmt für Gewitztheit und Gewinne." 2 „In seinen Göttern malt sich der Mensch" — für die hellenischen Götter und Menschen gilt das ganz gewiß. Es ist nicht nur die Erfindungsgabe, ebenso ist es die Skepsis, die besonnene Selbstbeherrschung, die Athene an Odysseus rühmt. Denn daß er endlich in der Heimat ist, mag er ihr selbst dann noch nicht glauben, als sie sich ihm zu erkennen gegeben hat; sie könnte ja, fürchtet er, ihr Spiel mit ihm treiben, wie Götter es oft mit Menschen tun. Und nun erst läßt der Dichter sie ganz offenbaren, warum sie, die Göttin, gerade diesen Helden liebt und schützt: „Jawohl", so spricht sie, „darum kann ich dich ja, wenn es dir schlecht geht, auch nicht im Stich lassen, weil du das Herz auf dem rechten Fleck hast und geistesgegenwärtig bist und den Kopf klar behältst." 3 1 2 3
1
Homer, Odyssee 9, 19f. Od. 13, 299. Od. 13, 331 f.: rät ae xal ov dvva/iai 7iQoXmsiv dvazrjvov iovra, ofivex' CJWJTTJ; iaai xai ayxlvooQ xai ey£