Frühe sozialistische satirische Lyrik aus den Zeitschriften „Der wahre Jakob“ und „Süddeutscher Postillon“ [Reprint 2021 ed.] 9783112545003, 9783112544990


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German Pages 292 [293] Year 1978

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Frühe sozialistische satirische Lyrik aus den Zeitschriften „Der wahre Jakob“ und „Süddeutscher Postillon“ [Reprint 2021 ed.]
 9783112545003, 9783112544990

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FRÜHE SOZIALISTISCHE SATIRISCHE LYRIK

TEXTAUSGABEN ZUR FRÜHEN SOZIALISTISCHEN LITERATUR IN DEUTSCHLAND Herausgegeben vom Zentralinstitut für Literaturgeschicbte der Akademie der Wissenschaften der DDR durch Dr. URSULA MÜNCHOW

BAND X I X

Frühe sozialistische satirische Lyrik aus den Zeitschriften „Der wahre Jakob" und „Süddeutscher Postillon"

Herausgegeben von

NORBERT ROTHE

A K A D E M I E - V E R L A G • BERLIN 1977

Erschienen im Akademie-Verlag 108 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © Akademie -Verlag Berlin 1977 Lizenznummer: 202 • 100/234/77 Gesamtliersteilung: IV/2/14 V E B Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 445 Gräfenhainichen/DDR • 4862 Bestellnummer: 753 169 3 (2119/XIX) • L S V 7105 Printed in GDR D D R 21 M

INHALT

XI 1

EINLEITUNG TEXTE

1882/84-1890 3 4 6 7 8 9 10 11 12 12 14 15 16 17 18 20 20

Der Denunziant (Max Kegel) Fräulein Klara (Max Kegel) Wachsamkeit Lied der Auswanderer Chor der Nationalliberalen Kriegsbeute (Postillon) Den Emanzipationsfeinden (Bruno Schönlank) Mädchen-Turnen Nächstenliebe (Bruno Schönlank) Reichstags-Willkomm' (Postillon) Weihnachtslied (Postillon) Der Zünftler Aus dem Tagebuch des Anarchisten Schreier Die schwarzen Brüder Der Erbfeind (Adolf Lepp) Die deutsche Preßfreiheit Boykott (Kl.)

1890—1899 22 23 24 26 28 28 30 31 33

Des Wahren Jakobs Klage Ostafrikanisches Idyll Korpsstudenten-Entrüstung Agrarisches Manifest (R. L.) Den Bej ublern der Marxschen Programmkritik (J- St.) Staatsanwaltliches Feste druff! Das Lied vom Unteroffizier Die Dynamit-Helden V

33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 42 42 43 45 46 46 47 49 50 50 52 54 54 55 55 56 56 58 58 59 60 60 61 62 64 64 65 65 67 67 69 VI

Der Tapferste Die Patrioten Die deutsche Revolution Deutsche Professoren Ein Vorschlag Der Sieg der Tugend (Kl.) Krupp Ode an die „Schönheitler" (Karl Kaiser) Der Reichstag und die Militärvorlage oder Die umgekehrte Ballade vom Fischerknaben Merkwürdiges Resultat Guter Rat der Malthusianer an die Proletarier (Eduard Fuchs) Der alte Zuchthäusler (Gg. Schbg.) Das Geldsacklied Eine Frage (Eduard Fuchs) Sozialist Zum Völkerfrieden Bourgeoisie- und Proletarierkunst (Eduard Fuchs) Warum — Darum (*) Zünftler-Trost „Liberal" (Max Kegel) Fin de siècle Maschinenalter (M. N.) „Edelwild" Streber Frau Kirche (Ludwig Pfau) Der „Mantel der christlichen Liebe" Die Ganzen und die Halben (B. N.) Parlamentsferien An die Freiheit Den Schreiern nach einem verschärften Sozialistengesetz Federzeichnung „Ordnungshelden" Nachruf an N. N. Kapuziner-Predigt Wir und sie Momentbild Bürgerliche Moral Razzia (Eduard Fuchs) Verwandlung Dem deutschen Bürgertum Antisemitisches

7° 7i 7i 73 73 74 75 7« 79 8o 8i 82 82 »3 85 87 88 88 89 90 91 93 94 95 96 97 98 98 100 100 101 103 104 106 106 107 109 110 111 112 112

112

"3 114

„Bedientenvolk" (K. E.) Die bürgerliche Wissenschaft (Karl Kaiser) Eine Maigeschichte Schiffbruch Sozialdemagogie Wer ist ein Philister? (•) Die Rotten Deutsche Musterbiographie (Wilhelm Weigand) Der Echte Den Mameluken Schiller-Zitat (O. E.) An die Scharfmacher (K. N.) An die herrschenden Klassen Satirikers Verzweiflung Der Eselstall (Mirza-Schaffy jün.) Das sentimentale Raubtier Lockspitzellied „Enthüllungen" Galgenhumor An den gallischen Hahn Was ist des Preußen Vaterland? Vom Kasernenhof (K. R.) Kunst und Gunst (Robert Seidel) Autorität Duelle (Ernst Klaar) Der Esel und der Vogel Frei nach Heine Ballade vom impulsiven Kater Kanonenfutter (Karl Niedersaß) Moralisten Der „innere Feind" (Ernst Klaar) Nullen (L. R.) Kapitalisten-Marseillaise Nationalliberale Geschichtsklitterer über das Jahr 1848 Das Polizeiverbot (Adolf Lepp) Bismarck ist tot! Christentum und Staatsraison Vergleiche (Adolf Lepp) Alles E r selbst! Der Lauf der Welt Legislative und Exekutive Das Volksheer Die Zuchthaus-Vorlage Der Arbeitswillige (M. E.) VII

"5 ll6

„Im Wein liegt Wahrheit", wird gesagt Alldeutsches Flottenlied

1900--1905/07 Spießbürgerlicher Patriotismus (J. Neffeln) 117 Den Dunkelmännern (O. E.) 118 118 Die Sympathien der Welt (Quidam) Gepanzerter Segensspruch (Der Postillon) 119 Die Indifferenten (L. R.) 120 Nemesis (Ernst Klaar) 121 Hymne auf den Gendarm (M. E.) 123 Zur Alkoholfrage 124 Johannes Miquel (Schelm von Bremen) 125 Nicht spitzeln! (Max Kegel) 126 128 Die Streber (L. R.) Der größte Verbrecher 128 130 Washingtons Geisterstimme (W. B.) Zarenschnaps und Kosakentreue (E. Kl.) 131 Der Erbe (D. W.) 133 Der weise Fasan 134 1 „Freie" Sklaven (L. R.) 34 Mein Freund (Catilina) 135 Drei: Worte (W. B.) 136 Ein Edelster (Nemo.) 137 Des Deutschen Lebenslauf (Rudolf Lavant) 139 140 Ein Patriot (Ignotus) 141 R a t (Schelm von Bremen) 142 München 144 Neues Leineweber-Lied Ministerleiden (Uno.) M5 146 Deutsche Kolonialweisheit 148 Leutnants Totenlied „Fragmentarische" Preßfreiheit ä la Mugdan 150 Liberalismus 151 Lied der Grubenprotzen 151 Besuch bei Nikolaus (Secundus) 153 Des deutschen Spießbürgers Schillerfest 156 (Secundus) Zu Heines 50. Todestag 158 161 Die Schlacht von Breslau (J. S.) 1903/07-1914 163 Klassenjustiz Vision eines braven Soldaten (Z.) 163 164 Der Segen des Krieges (Franz Horsky) VIII

165 167 169 171 172 172 174 176 177 178

195 196 197 198 200 200 202 203 204 205

Die „Ordnung" Kapitalistischer Patriotismus Der Hauptmann von Köpenick (J. S.) Statistik (H. Fl.) Germanisation Die Luftflotten (R. L.) Schmocks Klagelied An den Freisinn Lies dich empor! (P. E.) Warum haben die Agrarier kein Bundeslied? (R. W.) Die Beamten (P. E.) Das Lied von der Präsidenten-Glocke (E. Kl.) Der Tendenzprofessor (P. E.) Der attentäterische Wespenstich Elsaß (P. E.) Die Alldeutschen (Balduin) Ballade (E.) O war' ich doch von Gottes Gnaden! (Nauke) Die „Gelben" (Kl.) In Uniform (Alfred Scholtz) „Halt! Kollege!" (E. Kl.) Junker und Bauer (Fritz Sänger) Das Denkmal in der Schorfheide (Tobias) Kapitalistisch-chauvinistisches Kriegslied (Tobias) Preußischer Standpunkt Eine Sedanfeier (Max.) „Stehkragen-Proletarier" (P. E.) Offiziersburschenlied (Arminius) Die Lauwarmen (P. E.) Landrätliches (Pan.) Der liberale Arbeiter (Knopp) Die Schlacht von Zabern (So.) Wie sie Fichte feierten (Pan.) Der Krieg (Pan.)

207

ANHANG

208 208 209 221

Anmerkungen Abkürzungen Anmerkungen zur Einleitung Anmerkungen zu den Texten

179 180 183 184 186 187 189 189 190 191 192 193 193 194

IX

EINLEITUNG

Die Satire der revolutionären deutschen Sozialdemokratie ist bislang noch wenig erforscht und erschlossen worden, obwohl sie nicht nur für den Literaturhistoriker Interessantes zu bieten hat. Die bürgerliche Literaturgeschichtsschreibung ignorierte sie weitestgehend wegen ihrer — überwiegend revolutionären — Tendenz; erst die marxistische Literaturwissenschaft in der D D R wandte sich diesem Gegenstand zu. 1959 erschien unter dem Titel „Der wahre Jakob" ein von Manfred Häckel herausgegebener schmaler Band mit Lyrik und Prosa sowie einigen Karikaturen und allegorischen Bildern aus den Jahrgängen 1884-1905 des „Wahren Jakob" 1 , der einen ersten repräsentativen Überblick über die Leistung dieser bekanntesten unter den satirischen Zeitschriften der revolutionären Sozialdemokratie bot; die Satire des weniger bekannten „Süddeutschen Postillon", dessen Tendenz aber — zumindest in den neunziger Jahren — revolutionärer war als die des „Wahren Jakob", blieb noch unberücksichtigt. 1969 promovierte Klaus Völkerling mit einer Arbeit zum Thema „Die politisch-satirischen Zeitschriften 'Süddeutscher Postillon' (München) und 'Der wahre Jakob' (Stuttgart). Ihr Beitrag zur Herausbildung der frühen sozialistischen Literatur in Deutschland und zur marxistischen Literaturtheorie" 2 . Diese Arbeit zeichnet sich vor allem durch sehr wichtige Angaben von Fakten aus, die auch dem Herausgeber dieses Bandes den Zugang zum Gegenstand wesentlich erleichterten. 1974 erschien innerhalb der vom Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der D D R durch Ursula Münchow XIII

herausgegebenen Reihe „Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland" der ebenfalls von Klaus Völkerling edierte Band „Max Kegel. Auswahl aus seinem Werk" 3 , der dem Schaffen des wohl bedeutendsten unter den Satirikern der revolutionären Sozialdemokratie gewidmet ist. Ein weiterer Band in dieser Reihe, der 1976 von Ursula Münchow und Kurt Laube herausgegeben wurde, würdigte Leben und Schaffen eines anderen wichtigen Vertreters dieser Satire, Adolf Lepps 4 . Der vorliegende Band macht es sich zur Aufgabe, einen repräsentativen Überblick über die Leistungen der beiden wichtigsten satirischen Zeitschriften der revolutionären deutschen Sozialdemokratie, des „Wahren Jakob" und des „Süddeutschen Postillon", zu geben.5 Die nichtsatirischen Beiträge wurden dabei ausgeklammert, sie werden in anderen Bänden der Reihe berücksichtigt. Die außerordentliche Fülle des Materials — es handelt sich immerhin um rund dreißig Jahrgänge zweier Zeitschriften — machte eine Beschränkung auf die Verssatire erforderlich, andernfalls wäre die thematischinhaltliche und formale Vielfalt nicht deutlich genug geworden. Beide Zeitschriften waren alles andere als „Witzblätter" von minderer Bedeutung, wie es sie im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts in beachtlicher Zahl gab, das weisen schon ihre Auflagenziffern aus: Nach bescheidenen Anfängen unter den schwierigen Ausnahmebedingungen des Sozialistengesetzes erreichte der „Wahre Jakob" Auflagen bis zu 380000 Exemplaren (1912);: der „Süddeutsche Postillon" erreichte maximal schätzungsweise 100000, mit dieser Zahl schnitt er im Vergleich mit den bekanntesten und erfolgreichsten bürgerlichen satirischen Zeitschriften jener Zeit immer noch gut ab („Simplicissimus" maximal 80000, „Kladderadatsch" 40000, „Lustige Blätter" 70000, „Meggendorfer Blätter" 55 000) ß Wenn auf den sozialdemokratischen Parteitagen über die Pressearbeit berichtet wurde, spielten stets auch der „Wahre Jakob" und der „Süddeutsche Postillon" als Parteiorgane eine Rolle. Für die Partei waren sie nicht XIV

nur wichtig, weil sie die Agitations- und Propagandaarbeit wirksam unterstützten, sie brachten auch - und das gilt natürlich besonders für den „Wahren Jakob" — den Parteikassen Überschüsse7, die vor allem für die Finanzierung anderer Publikationen dringend gebraucht wurden. Beide Blätter brachten außer Satire in Wort und Bild auch nichtsatirische Lyrik und Prosa; auf diese Weise boten sie sozialdemokratischen Schriftstellern, schreibenden Arbeitern und Funktionären gesicherte Publikationsmöglichkeiten. Sie veröffentlichten politische, historische und speziell kultur- bzw. literaturgeschichtliche Abhandlungen, Biographien, Rezensionen und bibliographische Angaben und Notizen. So wurden sie zu geistig-kulturellen Zentren der sozialdemokratischen Bewegung. Die meisten bekannten sozialistischen Autoren jener Zeit und viele Parteifunktionäre schrieben Beiträge für diese beiden Blätter. Wichtige Autoren — satirischer wie nichtsatirischer literarischer Beiträge - waren Max Kegel, Eduard Fuchs, Karl Kaiser und Ernst Klaar sowie Rudolf Lavant, Ernst Preczang, Otto Krille, Bruno Schönlank, Paul Enderling, Ernst Kreowski, Ludwig Lessen, Leopold Jacoby, Adolf Lepp, Clara Müller-Jahnke, Robert Seidel u. a. Viele Beiträge erschienen anonym oder unter Abkürzungen, die zur Zeit noch nicht entschlüsselt werden können. Wichtige Karikaturisten bzw. Zeichner waren Galantara (Pseudonym: Rata Langa), Jentzsch, Vanselov, Engert, Engl, Erk, Galle, Graef, Grimm, Steinberg.8 Beide Blätter wurden während des Sozialistengesetzes gegründet. Der „Wahre Jakob" (das ist jemand, „der die Wahrheit in witziger Form sagt"9) wurde zunächst im November 1879 in Hamburg von J. H. W. Dietz ins Leben gerufen; im März 1881 stellte er sein Erscheinen wieder ein, im Januar 1884 wurde er von Dietz in Stuttgart neu gegründet, diesmal nicht mehr als lokalgebundenes Blatt, sondern als „Organ für die ganze Partei" 10 . Ab 1891 erschien er im Farbdruck. 1923 mußte er - bedingt durch die Inflation - vorübergehend sein Erscheinen einstellen. Im März 1933 wurde XV

er verboten. Im Rahmen dieser Arbeit interessiert der „Wahre Jakob" als Organ der revolutionären Sozialdemokratie, d. h. für den Zeitraum von seiner Gründung bis zum Beginn des Weltkriegs; ab 1914 vertrat er die „Burgfriedens"politik der Parteiführung, um dann in der Weimarer Zeit zum Organ der rechten SPDFührung zu werden. Das Material des „Wahren Jakob" — ausgenommen das der Hamburger Erstgründung — wurde für die Textauswahl vollständig ausgewertet. Den „Süddeutschen Postillon" gründete 1882 Max Kegel, der zuvor schon die sozialdemokratischen Witzblätter „Hiddigeigei" (Dresden) und „Nußknacker" (Chemnitz)11 redigiert hatte, zusammen mit Louis Viereck 12 in München. Zunächst erschien er als Beilage zu der Zeitung „Süddeutsche Post", ab Januar 1883 als selbständiges Blatt, das verschiedenen Arbeiterzeitungen beigegeben wurde. Farbdruck erhielt er ab 1892. Seit Anfang 1909 erschien er unter dem Namen „Der Postillon" bei Paul Singer13 in Stuttgart. Im Juni 1910 stellte er — im Rahmen einer Zusammenlegung mit dem „Wahren Jakob" — sein Erscheinen ein. Das Material des „Süddeutschen Postillon" stand für diese Textausgabe nicht vollständig zur Verfügung, namentlich die ersten Jahrgänge sind nicht aufzufinden, und auch später gibt es Lücken. Die Masse des Materials konnte jedoch erfaßt werden. An dieser Stelle sei dem Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin, der Bibliothek des Georgi-DimitroffMuseums, Leipzig, der Bayerischen Staatsbibliothek, München, und der Deutschen Staatsbibliothek, Berlin, gedankt, die freundlicherweise wichtige Teile des Materials zugänglich machten. Der „Wahre Jakob" und der „Süddeutsche Postillon" waren Bruderorgane, beide unterstützten den Kampf der sozialdemokratischen Partei, beide kritisierten hart die Mißstände ihrer Zeit und bekämpften die bestehende Gesellschaftsordnung. Der „Süddeutsche Postillon" hatte, vor allem in den neunziger Jahren, eine entschiedenere revolutionäre Haltung, er verstand sich zu dieser Zeit zu Recht als das „schärfste und entschiedenste politische Witzblatt der ArbeiterXVI

bewegung"14. Der „Wahre Jakob" hatte - insgesamt gesehen — mehr formal gelungene Beiträge aufzuweisen. Einige Satiriker arbeiteten für beide Blätter. Der „Wahre Jakob" und der „Süddeutsche Postillon" lösten eine Reihe von sozialdemokratischen satirischen Blättern ab, die entweder wieder eingegangen oder aber den Verboten des Sozialistengesetzes zum Opfer gefallen waren: „Nußknacker" (zeitweilig unter dem Namen „Chemnitzer Raketen"), Chemnitz, das erste politisch-satirische Organ der deutschen Sozialdemokratie; „Braunschweiger Leuchtkugeln"; „Mainzer Eulenspiegel"; „Hiddigeigei", Dresden; „DasLämplein", Leipzig; „Der rothe Teufel", Hottingen-Zürich, sowie die Hamburger Erstgründung des „Wahren Jakob". Die Geschichte dieser frühen satirischen Blätter der deutschen Sozialdemokratie, die den Boden vorbereiteten, „auf dem trotz des Sozialistengesetzes . . . der 'Süddeutsche Postillon' und der 'Wahre Jakob' erstehen"15 und gedeihen konnten, ist mit so bekannten Namen wie Max Kegel, der besonders hervorzuheben ist, Johann Most, Gustav Lyser, Friedrich Wilhelm Fritzsche, Jakob Audorf, Wilhelm Bios, Samuel Kokosky, Julius Motteier, Rudolf Lavant, Johann Heinrich Wilhelm Dietz u. a. verbunden.16 In den achtziger Jahren waren der „Süddeutsche Postillon" und der „Wahre Jakob", vor allem bedingt durch die Schwierigkeiten, die das Sozialistengesetz mit sich brachte, äußerlich noch recht unansehnlich. Vor allem sprach der Bildteil noch wenig an, Farbdruck wurde noch nicht angewandt. Das Titelblatt „schmückte" ein — zumeist umfangreiches — Leitgedicht, das in der Regel ein Leitartikel in Versform war. Mit dem Aufschwung nach dem Fall des Sozialistengesetzes bekamen beide Blätter in wenigen Jahren ein ganz anderes, modernes Gesicht. Ein umfangreicher, teils farbiger Bildteil und vor allem farbige Titelbilder machten die beiden Blätter schon rein äußerlich attraktiv; die Uterarischen Beiträge, vor allem die Gedichte, wurden kürzer und prägnanter. Durch geschickte .Kombination von Wort und Bild und die Verwendung unterschiedlicher Schriftgrößen und -gattungen wurde ein 2

Rothe

XVII

aufgelockerter und anregender Satzspiegel gestaltet. In diesen ersten neunziger Jahren entfalteten sie sich inhaltlich und formal. Alle gebräuchlichen satirischen Formen wurden benutzt: Karikaturen und allegorische Bilder; satirische Leitgedichte, Epigramme .Grotesken, Parodien, Glossen, Maximen, Sentenzen, ironische Plaudereien fiktiver Figurenu. a. wechselten in bunter Folge einander ab. So konnte Franz Mehring 1898 in seiner „Geschichte der deutschen Sozialdemokratie" vom „Wahren Jakob" als von einem „frischen und lustigen Burschen" sprechen, „der auf seinem mächtigen Rücken auch ein gut Stück ernster Parteiarbeit trug" 1 7 ; für den „Süddeutschen Postillon" gilt das gleiche. Als der „Sozialdemokrat", der in den Jahren des Sozialistengesetzes als Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei im Ausland erschienen war, im Jahre 1890, nach dem Fall des Sozialistengesetzes, sein Erscheinen einstellte, lobte ihn Friedrich Engels in einem Abschiedsbrief an die Leser nachträglich als „das beste Blatt, das die Partei je besessen" 18 . Zur Begründung dieses Lobes führte er, neben dem Hinweis auf die Klarheit und Bestimmtheit der Zeitung bei der Darlegung der Grundsätze der Partei und ihre ausnahmslos richtige Taktik, auch die „heitere" Haltung des „Sozialdemokrat" an: „Während unsre Bourgeoispresse sich der ertötendsten Langweiligkeit befleißigt, spiegelte sich im 'Sozialdemokrat' auch der heitre Humor reichlich wider, womit unsre Arbeiter den Kampf gegen Polizeischikanen zu führen gewohnt sind." 19 Solche — historisch verstandene — „Heiterkeit" der Auseinandersetzung mit den Erscheinungen des politischen und gesellschaftlichen Lebens war von Anbeginn ein Merkmal der frühen sozialistischen Presse und Literatur. Sie nahm überwiegend die Form der Satire an, jener „Nuance des Lachens" 20 , die durch die „Einheit von Zorn und Gelächter" 21 gekennzeichnet ist, die ihren Gegenstand völlig verneint, ihn vernichten will. Schon der „erste" bedeutende „Dichter des deutschen Proletariats" 22 , Georg Weerth, hatte sich der Satire verschrieben; noch 1883 erinnerte sich Engels gern an das von Weerth XVIII

gestaltete Feuilleton der „Neuen Rheinischen Zeitung" und zweifelte, „ob je eine andere Zeitung ein so lustiges und schneidiges Feuilleton" gehabt hätte 23 . Auch im Schaffen Herweghs und ganz besonders in der gesamten Geschichte der Literatur der revolutionären deutschen Sozialdemokratie spielte die Satire eine wichtige Rolle. Das galt selbst für die Zeit des Sozialistengesetzes, auf die sich Engels bei der Niederschrift seines Abschiedsbriefes an die Leser des „Sozialdemokrat" vor allem bezog. Nicht nur in dem im Ausland — unter den Bedingungen der „vollen Preßfreiheit" erscheinenden „Sozialdemokrat" bewahrte sich die deutsche Arbeiterklasse den von Engels angesprochenen „heitren Humor" 2 4 ; in Deutschland selbst, im unmittelbaren Wirkungsbereich des Sozialistengesetzes, schuf sie sich an Stelle ihrer verbotenen satirischen Blätter mit dem „Süddeutschen Postillon" und dem „Wahren Jakob" zwei satirische Zeitschriften, die schon im Widerstandskampf gegen das Bismarcksche Ausnahmegesetz Wesentliches leisteten und in der Folgezeit, wieder unter „normalen" Bedingungen, ganz erheblich zur Aufklärung und Orientierung vieler deutscher Arbeiter beitrugen. Die „Heiterkeit" der deutschen Arbeiter und ihre Widerspiegelung in der frühen sozialistischen Presse und Literatur basierte auf der historischen Siegesgewißheit der Arbeiterklasse und ging von den immer deutlicher hervortretenden komischen Zügen der Erscheinungen des Kaiserreiches aus, die sich zwangsläufig aus der zunehmenden Diskrepanz zwischen den bestehenden Verhältnissen und den gesellschaftlichen Erfordernissen ergaben. J e reaktionärer das herrschende junkerlich-großbourgeoise Regime wurde, desto (historisch) komischer mußten seine Vertreter und Institutionen werden, ohne dabei an Gefährlichkeit zu verlieren. Komisch — und gefährlich — waren adlige Jünglinge in Offiziersuniformen, deren Fähigkeiten und Persönlichkeitswerte in krassem Mißverhältnis zu ihrer dünkelhaften gesellschaftlichen Anmaßung standen. Komisch waren die Unteroffiziere, die sich als „Stellvertreter Gottes auf Erden" fühlten, während sie, kraft der hinter 2*

XIX

ihnen stehenden staatlichen Gewalt, Menschen drillten und psychisch terrorisierten, die ihnen nach Bildung und Haltung oft weit überlegen waren. Komisch waren die sozialistenfeindlichen Polizeibeamten und Staatsanwälte, die zusehen mußten, wie — trotz ihres Eifers — die Sozialdemokratie immer stärker wurde. Komisch waren die Spießer, die sich in ihrer Borniertheit zu Helfershelfern der „Ordnungs"-Kräfte machten und auf diese Weise ihr eigenes Schicksal erschwerten, die großbourgeoisen Philister à la Krupp, wenn sie sich als Patrioten auszugeben versuchten und gleichzeitig Rüstungsgeschäfte mit potentiellen Kriegsgegnern machten, oder die Kanzler, wenn sie sich abmühten, die Folgen der groben Ausrutscher ihres Monarchen zu beseitigen, und im selben Atemzuge Treuebekenntnisse zum Prinzip der Monarchie ablegten. Komisch waren die jämmerliche Rolle, die bürgerliche Parteien in diesem Staate spielten, nachdem das Bürgertum einst freiheitlich-demokratische Ziele proklamiert hatte, das immer aufs neue forcierte Bemühen der deutschen Imperialisten und Militaristen, den FlottenrüstungsWettlauf mit Großbritannien erfolgreicher zu gestalten, obwohl die Voraussetzungen dafür fehlten, und nicht zuletzt der von vornherein zum Scheitern verurteilte, weil im Widerspruch zum Bewegungsgesetz der Geschichte stehende, Versuch Bismarcks, die aufkommende Arbeiterbewegung mit der Politik von „Zuckerbrot und Peitsche" 25 niederzuhalten. So sehr sich die deutschen Verhältnisse inzwischen auch verändert hatten, galt doch in letzter Konsequenz für das kaiserliche Regime noch, was Karl Marx in seiner Schrift „Zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie. Einleitung" über das deutsche Regime des Vormärz geäußert hatte. Er hatte es als einen „Anachronismus", als „zur Weltschau ausgestellte Nichtigkeit des ancien régime" charakterisiert und ihm die „heitere geschichtliche Bestimmung" der Lächerlichkeit vor aller Welt „vindiziert". 26 Zunächst freilich erschien das Kaiserreich weder als anachronistisch noch als nichtig: Aus dem durch seine territoriale Zersplitterung unter ausländischem Einfluß und Druck stehenden Land war durch XX

Bismarcks „Revolution von oben"27 ein einheitlicher und starker Nationalstaat geworden, dessen Handel und Industrie blühten und dessen Militärmacht die stärkste in Europa war. Aus dem Bedrohten und Bedrängten von einst war ein Bedroher und Bedränger geworden. Und dennoch unterlag dieser mächtige Staat des reaktionären junkerlich-großbourgeoisen Herrschaftsbündnisses in der großen, unvermeidlichen Auseinandersetzung mit den anderen Großmächten, die mit seiner Entstehung begann und bis zu seinem Untergang im ersten Weltkrieg dauerte. Alle Versuche dieses Staates, die drohende Rolle des „Ambosses" in der Geschichte mit der des „Hammers" zu vertauschen, schlugen fehl und mußten fehlschlagen, weil die tatsächliche Kräftekonstellation für ihn zu ungünstig war. Nur eine entschieden fortschrittliche Orientierung im damaligen Deutschland hätte die Niederlage, die der deutsche Imperialismus im Weltkrieg erlitt, die sich zugleich als nationale Niederlage des deutschen Volkes auswirkte, verhindern können; doch eine solche Orientierung war dem herrschenden Regime bei Strafe des Untergangs unmöglich, und vor die Alternative zwischen den Risiken einer nationalen oder einer Klassenniederlage gestellt, mußten sich die deutschen Junker und Großbourgeois für das Risiko der nationalen Niederlage entscheiden, ganz abgesehen davon, daß ihre Klassenborniertheit eine klare Erkenntnis dieses Risikos in seinem ganzen Ausmaß nicht zuließ. Nicht einmal eine Entschärfung dieses Problems der herrschenden Klassen, das in seinen Auswirkungen immer auch ein Problem des ganzen Volkes war, in der Form der Zurückdrängung der besonders reaktionären Junkerkaste wurde möglich. Die „kolossalen Reste von Feudalismus", die — wie Friedrich Engels es formulierte — der „ganzen politischen Sauerei in Deutschland ihr spezifisch reaktionäres Gepräge" gaben28, machten schließlich den deutschen Imperialismus besonders aggressiv und beschworen auf diese Weise nur um so nachdrücklicher die Niederlage ihres Regimes herauf. Zwischen Schein und Sein dieses Staates bestand ein krasser Widerspruch. Unter den gegebenen konkreten XXI

historischen Voraussetzungen war dieses Regime von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Was der Welt als Ausdruck von Kraft einer jungen, emporstrebenden Großmacht erscheinen mochte, erwies sich als verzweifelter — und damit nicht minder gefährlicher — Versuch, das geschichtlich Unmögliche mit dem Mittel abenteuerlicher Politik dennoch möglich zu machen. Der historische Anachronismus der nicht vollzogenen bürgerlichen Revolution machte das Kaiserreich welthistorisch nichtig, zwang ihm die Rolle eines Komödianten 29 auf der Bühne der Weltpolitik auf. Der endgültige Übergang zum Imperialismus um die Jahrhundertwende verschärfte diesen Anachronismus in besonderem Maße. Für das deutsche Volk war dieses Geschehen alles andere als komisch; es mußte die immer wieder steigenden Rüstungssteuerlasten tragen und in ständiger Kriegsgefahr leben, es litt unter dem reaktionären Terror gegen alle fortschrittlichen und demokratischen Kiäfte und der zunehmenden Militarisierung des gesamten Lebens und hatte schließlich im Weltkrieg die Folgen der welthistorischen Komödiantenrolle des in seinem Lande herrschenden Regimes zu tragen. Tragisch wirkte sich überdies die Irritierung und Verführung großer Teile der Volksmassen und auch speziell der Arbeiter durch den trügerischen Schein der bestehenden Verhältnisse aus. Anders wären die Erfolge der Opportunisten und Revisionisten innerhalb der Sozialdemokratie, wäre die Kapitulation der Sozialdemokratie vor den Kräften des Imperialismus und Militarismus zu Beginn des Weltkriegs nicht zu erklären. So vermischten sich in der deutschen Geschichte dieser Zeit in ungewöhnlicher Weise komische und tragische Momente; in der frühen sozialistischen Literatur fand diese Erscheinung im betont kämpferischen Charakter der Satire, in einer stattlichen Anzahl von satirischen Gedichten und anderen satirischen Beiträgen, die auf der „Zuspitzung der Widersprüche der Wirklichkeit" basierten und „witzig" waren, die aber nicht zum Lachen reizten30, und in der engen Verbindung von Satire und Pathos ihren Niederschlag. XXII

Übrigens gab es einen solchen historischen Anachronismus auch in den Nachbarländern Deutschlands, namentlich in den europäischen Großmächten England, Frankreich und Rußland, wie auch in den USA, allerdings in sehr unterschiedlichen Graden und Formen. Auch die Mißstände in diesen Ländern wurden vom „Wahren Jakob" und vom „Süddeutschen Postillon" angeprangert, und zwar mit gleichem Engagement und gleicher entschiedener Parteilichkeit. Die Haltung dieser Zeitschriften war proletarisch-internationalistisch. Mit besonderem Nachdruck bekämpften sie das erzreaktionäre zaristische Regime in Rußland, das noch wesentlich anachronistischer war als das kaiserliche Regime in Deutschland und der frühen sozialistischen Satire zuRecht als gefährlichster Hort der Reaktion in Europa galt. Die deutschen Junker und Bourgeois, mitsamt ihren Helfershelfern in Gestalt der Spießer und Philister aller Schattierungen, aber auch in ihrer Verwandtschaft und Wechselwirkung mit den Reaktionären des Auslands, in ihrer ganzen historischen Nichtigkeit und Lächerlichkeit wie in ihrer Gefährlichkeit für das deutsche Volk und die anderen Völker bloßzustellen, um sie schwächen und vernichten zu helfen, war eine der fundamentalen Aufgaben der Agitation and Propaganda der revolutionären deutschen Sozialdemokratie. Einen Teil dieser Aufgabe übernahm die frühe sozialistische Satire, die sich damit als Teil des Agitations- und Propagandaapparates der Sozialdemokratie erwies. Diese Aufgabe war alles andere als leicht. Solange der Machtkampf zwischen den europäischen Großmächten noch nicht in sein akutes Stadium eingetreten war, hatte der reaktionäre preußisch-deutsche Staatsapparat die Hände frei, um das eigene Volk zu knebeln, ja, er mußte die Zeit nutzen, um seinen inneren Gegner maximal zu schwächen. So wurde denn die Geschichte des preußisch-deutschen Kaiserreichs vor allem auch die Geschichte immer wieder erneuerter Versuche verschärfter Repressionsmaßnahmen (Sozialistengesetz, Umsturzvorlage, Zuchthausvorlage usw.) und raffinierter Demagogie gegen die Arbeiterklasse und alle Kräfte des Fortschritts. XXIII

Mächtig war der Haß der Herrschenden auf die Sozialdemokratie, skrupellos und zuweilen bis zum Exzeß gesteigert ihr Bemühen, den Gegner zu verleumden, um sich selbst in der Rolle des „Volksfreunds" zu präsentieren. Viele von ihnen „glaubten" wohl „an sich selbst" und „verlangten von der Welt" den gleichen Glauben 31 ; die Klügsten unter ihnen mochten nur bedingt an ihr „eignes Wesen" glauben, um so mehr sahen sie sich veranlaßt, ihre „Rettung in der Heuchelei und dem Sophisma" zu suchen32. Dieser Haß auf den „inneren Feind" begann schon beim höchsten Repräsentanten des Staates, bei Kaiser Wilhelm II., und fand dort zugleich einen gewissen Höhepunkt, wiewohl gerade er sich zuweilen als Freund und Beschützer des ganzen Volkes auszugeben versuchte; für ihn war „jeder Sozialdemokrat gleichbedeutend mit Reichs- oder Vaterlandsfeind"33. Er war bereit, um „Aufruhr" zu verhindern, „die Sozialisten ab(zu)schießen, (zu) köpfen und unschädlich (zu) machen — wenn nöthig per Blutbad" 34 . Eine frühe extreme Ausprägung fand der Sozialistenhaß bei Bismarck, dem Urheber des Sozialistengesetzes, der nicht vor einer Verleumdung August Bebels als Fürstenmordhetzer35 zurückschreckte und der vor der Sozialdemokratie als vor der „Tyrannei einer Gesellschaft von Banditen" 36 warnte. Er war stolz darauf, daß er nie in seinem Leben „mit einem Sozialdemokraten geschäftlich verhandelt" 37 hatte. Als besonders aggressiver Sozialistenhasser erwies sich Reichskanzler Bülow, der den Tag herbeisehnte, „wo wir auf die sozialdemokratische Bewegung zurückblicken werden, wie der Genesene zurückblickt auf eine böse Krankheit, wie der Erwachende zurückblickt auf einen wüsten Traum" 38 . Für ihn war die Sozialdemokratie „nicht eine berechtigte Institution im politischen Kampfe", sondern eine „unberechtigte, mit allen gesetzlichen Mitteln zu bekämpfende"39. Den bürgerlichen Parteien rief er zu: „Gegen die revolutionäre Sozialdemokratie ! . . . Seien wir einig gegenüber dem gemeinsamen Feindel"40 Auch an handfesten Drohungen ließ er es nicht fehlen: „Die Autorität des XXIV

Staates, die Majestät des Gesetzes, die Sicherheit des Landes, den Bestand der Monarchie werden wir zu verteidigen wissen. Wer die antastet, wird sich blutige Köpfe holen."41 „Pöbelexzesse und Revolution"42 wollte er in Deutschland nicht dulden. „Mit allen Mitteln der Demagogie und des politischen und ökonomischen Druckes" trugen die herrschenden Klassen ihre reaktionäre Ideologie unter das Volk, Schulen und Kirchenkanzeln genauso skrupellos benutzend wie einen Großteil der Presse oder Kriegervereine43. „Von der Schulbank an wurde der Bürger zum sogenannten getreuen Untertan, zum willenlosen Diener von 'Thron und Altar' erzogen."44 Verlogene Parolen vom Schutz der „öffentlichen Ordnung"45, von Ruhe und innerem Frieden sollten über den Klassencharakter der bestehenden Ordnung und der geltenden Gesetze hinwegtäuschen. Die von der Arbeiterbewegung erzwungene Verbesserung der Sozialpolitik wurde als Symptom für eine angeblich auf sozialen „Ausgleich" gerichtete, innere „Harmonisierung" anstrebende und christliche Nächstenliebe praktizierende Politik 46 ausgegeben, der nur die Sozialdemokratie störend im Wege stünde: „Je reiner unser Gewissen gegenüber der Arbeiterschaft ist, weil wir in großzügiger Sozialpolitik das Menschenmögliche für die Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage tun, mit desto besserem Recht können wir den von der Staatsraison gebotenen Kampf führen gegen die politische Ziele verfolgende Sozialdemokratie." 47 Menschlich, gerecht, dem Volke verbunden wollten die Repräsentanten des Staates erscheinen. So behauptete Bismarck von sich, hinsichtlich der „Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen stets ein warmes Herz und ein offenes Ohr" gehabt zu haben48. Caprivi wollte angeblich der Sozialdemokratie keinen „berechtigten Grund zum Mißvergnügen" geben, kündigte jedoch im gleichen Atemzuge eine „starke Hand" für den Fall an, daß es dennoch „zu ernsteren Dingen" mit der Sozialdemokratie käme49. Wilhelm II. sollte zu einem gerechten kaiserlichen Patriarchen stilisiert werden; von Bismarck wurden ihm „natürliches, anXXV

gebornes Wohlwollen und Fürsorge" für das „Schicksal der arbeitenden Klassen" 50 nachgesagt. Die Ausbeutung sollte verschleiert werden. Deshalb sprach Bülow von Leistungen des „Unternehmertums" „für die Hebung der unteren Klassen" und führte die Begrenztheit dieser „Leistungen" auf die „menschliche Natur", auf einen allgemeinen „menschlichen Egoismus" zurück, der es „jeder Gesellschaftsschicht" schwer werden ließe, „Opfer zu Gunsten einer anderen Gesellschaftsschicht" zu bringen.51 Zugleich warnte er die Arbeiter vor zu großen Forderungen, die „die Konkurrenzfähigkeit der Nation auf dem Weltmarkt beeinträchtigen oder unsere gesellschaftliche Ordnung erschüttern könnten"; an die Adresse der „Arbeitgeber" richtete er lediglich eine Ermahnung: bei der Verringerung der „Klassendifferenzen" mitzuwirken.52 Die gesellschaftlichen Mißstände, soweit sie nicht abzustreiten waren, wurden zu „häßlichen Erscheinungen" bagatellisiert, „die überall vorkommen", die aber für die deutschen Verhältnisse nicht typisch wären53; die grundlegende, auf revolutionäre Veränderungen zielende sozialdemokratische Gesellschaftskritik dagegen als unvernünftig, demagogisch und unrealistisch verleumdet. Den sozialdemokratischen Agitatoren warf man „reine Negation"54 vor, die sich äußere als „fortgesetzte wüste Kritik", als „ununterbrochener Appell an die niedrigsten Instinkte, an die schlechtesten Leidenschaften", als „blinder Fanatismus" und „engherziger Dogmatismus" und nicht zuletzt im Fehlen „guter deutscher Eigenschaften" wie „Innerlichkeit", „Zartgefühl" und „Ehrerbietung"55. Scheinheilig beklagte Bülow die angeblich „geistlose, humorlose, die Gemüter ausdörrende Agitation (der Sozialdemokratie — N. R.), die wie ein trockener Samum, wie ein entnervender Sirocco über die deutschen Lande" hinweggehe.50 „Volksschranzen", so meinte er, seien die sozialdemokratischen Führer, „die immer dem untrüglichen Masseninstinkte schmeicheln", die „finden, daß der Herr Demos sich'niemals irren könnte."57 Klassenkampfaktionen der Arbeiter und der Volksmassen wurden als „Tyrannei der Straße"58 verrufen, XXVI

der Sozialdemokratie Überordnung der Parteiinteressen über die nationalen Interessen59 unterstellt und der proletarische Internationalismus zum Antinationalismus umgefälscht60. Zuweilen nahm die Demagogie erstaunliche, ja exzessive Formen an. So gab Bülow am 19. 11. 1900 vor dem Reichstag die Unterdriickungspolitik europäischer Mächte gegen das chinesische Volk als eine Tat „europäischer Kultur" aus, die unaufhaltsam „in alle Weltteile und zu allen Völkern" vordringe61. Einen Tag darauf, ebenfalls vor dem Reichstag, entschuldigte er die Hunnenrede Wilhelms II. mit äußerst vordergründigen „Argumenten" und legte dabei das Bekenntnis ab: „Die Hauptsache war, daß unsere Leute wußten, mit wem sie es zu tun haben würden und gegen wen sie geschickt wurden; denn das gestehe ich, daß mir der kleine Finger eines braven deutschen Soldaten mehr wert ist als das ganze Mordsgesindel der Boxer." 62 Da leitete derselbe Bülow angebliches deutsches Recht auf afrikanisches Territorium von dem „deutschen Blut" ab, das auf ihm - im barbarischen kolonialen Unterdrückungskrieg gegen die Hereros — geflossen war63. Der Feldzug der deutschen Kolonialsoldateska gegen die Hereros führte zur Dezimierung dieses Volkes "um mehr als zwei Drittel, Bülow aber wagte es, von einer „weit gehenden Schonung des Feindes" zu sprechen, von einem „hohen Grad von Selbstbeherrschung" der deutschen Soldaten, von „auf eine harte Probe" gestellter „Geduld und Langmut unserer Leute", in Gegenüberstellung mit angeblicher „Tücke und Grausamkeit des aufständischen Feindes"64. Nach Bülow war „selten oder nie ein Kolonialkrieg mit solcher geduldigen Menschlichkeit geführt worden" wie dieser „Feld.zug von unseren deutschen Soldaten"65. Da wurden die Interessen der Junker zu den Interessen „unserer bedrängten notleidenden Landwirtschaft" und die der Großbourgeoisie zur „Freiheit für die Ausfuhr unserer Industrieerzeugnisse"66, da terrorisierte nicht der reaktionäre Staat die Sozialdemokratie, sondern die Sozialdemokratie den Staat 67 , und die sehnlichst erhoffte Lösung der Gewerkschaften von XXVII

der Arbeiterpartei wurde als „Emanzipation der in Berufsvereinen aller Art organisierten Arbeiter von der Parteipolitik" 68 bezeichnet. Von solch hemmungsloser Demagogie aus war es nicht mehr weit bis zu der unverblümten Kriegshetze des Generals Bernhardi, der den Krieg eine in erster Linie „biologische Notwendigkeit" nannte, „einen Regulator im Leben der Menschheit, der gar nicht zu entbehren ist, weil sich ohne ihn eine ungesunde, jede Förderung der Gattung und daher auch jede wirkliche Kultur ausschließende Entwicklung ergeben müßte" 69 . Gegen solche Volksverdummung mußten alle Mittel der Aufklärung und Entlarvung eingesetzt werden,, und ein solches Mittel war die Satire. Sie mußte desto entschiedener vorgehen, je skrupelloser das Volk belogen und irregeführt wurde. Ihre Leistung war weniger an der Ausgewogenheit und Stimmigkeit im Detail als an ihrer die herrschenden Verhältnisse unterminierenden Wirkung zu messen. In diesem Sinne wirkte die frühe sozialistische Satire jahrzehntelang. Die Regierenden waren sich über die Gefahr im klaren, die für sie von der satirischen Kritik ausging, ob sie nun von linksbürgerlicher oder sozialdemokratischer Seite kam. Als Belege dafür seien Äußerungen von Bismarck und Bülow zitiert. Bismarck sagte 1878 anläßlich der zweiten Lesung des Sozialistengesetzes im Reichstag: „Wenn Sie den Leuten., die zwar lesen können, aber das Gelesene nicht beurteilen . . . glänzende Versprechungen machen, dabei in Hohn und Spott, in Bild und Wort alles, was ihnen bisher heilig gewesen ist, als einen Zopf, eine Lüge darstellen, alles das, was unsre Väter und uns unter dem Motto: 'Mit Gott, für König und Vaterland!' begeistert und geführt hat, als eine hohle Redensart, als einen Schwindel hinstellen, ihnen den Glauben an Gott, den Glauben an unser Königtum, die Anhänglichkeit an das Vaterland, den Glauben an die Familienverhältnisse, an den Besitz, und die Vererbung dessen, was sie für unsere Kinder erwerben . . . wenn sie ihnen alles das nehmen, so ist es doch nicht allzu schwer, einen Menschen von geringem Bildungsgrad dahin zu führen, daß er schließlich. XXVIII

mit Faust spricht: 'Fluch sei der Hoffnung, Fluch dem Glauben, und Fluch vor allem der Geduld!'" 70 In der Tat, vom Standpunkt jener Gesellschaftsordnung war die grundsätzliche Gesellschaftskritik der sozialistischen Satire eine einzige Destruktion, nur verlangte die Geschichte, verlangte das Interesse des Volkes eben gerade die Beseitigung dieser Gesellschaftsordnung. Bülow, der in den Redeschlachten im Reichstag selbst die Waffe des Hohnes und Spottes zu handhaben wußte, äußerte 1904: „Die Freiheit, die ich der Witzpresse im übrigen gern gönne — über mich mögen sie schreiben, was sie wollen, da gebe ich ihnen Maskenfreiheit —, diese Freiheit muß ihre Grenze finden in einem gewissen Maß von politischer Einsicht, . .. das verhindert, dem Auslande durch bösartige Illustrationen Material zu Hetzereien gegen das deutsche Volk zu liefern. (—) Solche bösartigen Illustrationen, solche rohen Witze können — das kann ich Sie versichern — oft mehr Schaden anrichten als ein leidenschaftlicher Artikel oder selbst als Reden, wie wir sie bisweilen von der äußersten Linken gehört haben . . . Heute muß die Nation die Fenster ersetzen, die ihre Presse einschmeißt". 71 Er hatte recht; nur waren die „eingeschmissenen Fenster" letztlich die „Fenster" der Reaktion, und die mußten eingeschmissen werden. Wie sehr die herrschenden Klassen die sozialistische Satire fürchteten, beweisen die Verfolgungen, denen der „Wahre Jakob" und in stärkerem Maße der „Süddeutsche Postillon" ausgesetzt wurden. Die konkreten Anlässe der Verfolgungsmaßnahmen spielten dabei eine relativ untergeordnete Rolle. Mancher andere Beitrag hätte ebensogut zum Anlaß für Verfolgungsmaßnahmen genommen werden können. Reaktionärer Staat und revolutionäre Satire bekämpften einander; sie befanden sich im „Handgemenge", in dem es sich - wie Marx es einmal formulierte — nur darum handelt, den Gegner zu treffen. 72 Dabei nahmen beide Seiten die Anlässe wahr, wo sie sich boten. Zwei Beispiele seien hier genannt: Die Maifestnummer 1894 73 des „Süddeutschen Postillon" wurde auf Grund des § 130 konfisziert. Diese Nummer XXIX

enthielt u. a. das auch in diesem Band abgedruckte Gedicht „Fin de siècle", das recht unverblümt revolutionäre Ereignisse prophezeite. Das Titelbild war der Forderung nach dem Acht-Stunden-Tag gewidmet, und das Leitgedicht „An die Indifferenten" „kündete Krieg dem Klassenstaat", es enthielt die programmatische Strophe: Wir fordern gleichen Teil am Gut, Das Menschenfleiß erzeugte; Zertrümmert sei das Kapital, Das uns das Brot vom Munde stahl Und uns den Nacken beugte. So war es nicht verwunderlich, daß in der Gerichtsverhandlung, die am 20. Juni 1894 stattfand, die Anklage der reaktionären Klassenjustiz auf „Aufreizung zu Gewalttätigkeiten" lautete. In seinem Kommentar dazu stellte der „Postillon" richtig fest: „Angeklagt war die revolutionäre Tendenz der Sozialdemokratie . . . " . Den Verteidigern gelang es allerdings, Freispruch zu erreichen.74 Die Märznummer 189675 des „Süddeutschen Postillon" wurde in Halle von der dortigen Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Die Zeitschrift nahm dieses Vorkommnis zum Anlaß für eine spöttische Gegenattacke: „In Halle interessierte sich die Staatsanwaltschaft so sehr für diese Nummer, daß sie beschloß, die ganze Auflage der dortigen Volksbuchhandlung für sich zu beanspruchen. Nur kam dies Interesse etwas zu spät, so daß die von demselben Gedanken beseelten Hallenser Genossen nur zwei Stück übrig gelassen hatten. (—) Das Bekanntwerden dieses obrigkeitlichen Interesses hatte für uns eine weitere große Nachfrage zur Folge. Hieraus ist ersichtlich, welch große Achtung die Arbeiter vor der Wertschätzung, die eine Behörde einem Blatt ausstellt, haben, und deshalb ist es ganz falsch, wenn behauptet wird, die Sozialdemokratie zerstöre die Achtung vor der Obrigkeit." Den Gipfel der Verhöhnung der Justizorgane bildete der Schlußsatz der redaktionellen Anzeige : „Die Kolporteure usw., welche XXX

die Wünsche nach weiteren März-Nummern nicht mehr befriedigen konnten, werden hienach gut daran tun, in Zukunft ihren Bedarf an März-, Mai- und anderen Nummern möglichst frühzeitig dem Verlag mitzuteilen."76 Die Mitarbeiter beider Zeitschriften waren stolz darauf, als Objekte der Strafverfolgung des Staates ausgewählt worden zu sein; sie waren überzeugt, daß die Unterdrückungsversuche der Klassenjustiz am Ende das Gegenteil ihrer Absicht bewirken würden, wie es in dem kleinen Spottgedicht „Unfreiwillige Agitation" 77 zum Ausdruck kommt: Der Staatsanwalt bemüht sich oft. Mit des Gesetzes scharfen Waffen, Die Zeitung, die ihm nicht gefällt, Womöglich aus der Welt zu schaffen. Doch konfisziert er heut ein Blatt, Liest man es um so fleiß'ger morgen, Und hiedurch tut der Staatsanwalt Am meisten für Verbreitung sorgen. Die Konfiskationen und Anklagen wurden nicht einfach hingenommen, in der Hoffnung, größere Komplikationen zu vermeiden, sie wurden vielmehr zu Gegenangriffen genutzt, die teilweise auf eine sehr geschickte und in der Wahl der Mittel keineswegs zaghafte Weise vorgetragen wurden. So wurde in der Nr. 5/1900 des„Süddeutschen Postillon" 78 von der Konfiskation der Nr. 4/1900 und der Verdächtigung des Redakteurs Eduard Fuchs berichtet, „das Papsttum beschimpft und sich dadurch gegen § 166 des Strafgesetzbuches vergangen zu haben". In dem konfiszierten Heft war anläßlich einer Giordano-Bruno-Ehrung ein Artikel über Karikaturen abgedruckt worden, „die der Kampf früherer Jahrhunderte gegen die römisch-katholische Kirche gezeitigt hatte". Dieser Artikel enthielt die berühmte Karikatur Lucas Cranachs d. Ä. auf die Päpste Alexander VI. und Leo X., und es steht außer Frage, daß sie hier im Sinne eines Angriffs auf das zeitgenössische Papsttum und Pfaffentum verwendet

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wurde. Der „Postillon" sprach jedoch von einer „rein historischen Reminiszenz, . . . die sich als solche in jeder Zeile darstellt und in der sich auch nicht eine einzige Beziehung auf das Papsttum als solches oder etwa an heute befindet". Dies nämlich wäre „ganz sinnlos" gewesen, die Staatsanwaltschaft allein erblicke darin „eine Beschimpfung des — Papsttums." Äußerst geschickt wurde sodann diese krasse Ironie gegen etwaige erneute Verfolgungsmaßnahmen getarnt, indem der Verfasser dieses Artikels zur „ernsten" Behandlung der Angelegenheit überging: „'Das ist das Unglaublichste, was ich bis heute erlebt habe', sagte ein sehr angesehener Jurist, als wir ihm die Sache unterbreiteten . . .". 79 Dennoch machten die Nachstellungen der Polizei und der Justizorgane den Mitarbeitern dieser Blätter zu schaffen; manch einer von ihnen konnte es sich zur Ehre anrechnen, gleich den Führern der sozialdemokratischen Bewegung um seines Bekenntnisses und Kampfes willen inhaftiert gewesen zu sein.80 Wie hieß es doch in dem „Deutsche Freiheit" überschriebenen Spottgedicht „frei nach Heine" 81 :

Gedankenfreiheit unbeschränkt Genießen sämtliche Klassen: Beschränkung trifft diejenigen nur, Die reden und drucken lassen. Gesetzlose Willkür hat nirgends geherrscht: Kann man auch nicht immer verstehn Die Strafen, so ist die Vollstreckung doch nie Ohne Urteilsspruch geschehn.

Besonders stolz konnte der „Wahre Jakob" in der Nr. 23/1910 in einem kleinen Gedicht davon berichten, daß die Zeitschrift „von der russischen Regierung für Finnland verboten" worden war. 82 Von der Regierung der reaktionärsten Weltmacht verboten zu werden, bedeutete für ein sozialistisches Blatt eine Auszeichnung. XXXII

Deutlich genug, um staatliche Repressionsmaßnahmen zu motivieren, war die Programmatik beider Zeitschriften, voran die des „Süddeutschen Postillon". Sie bekannten sich — immer erneut - zu den Prinzipien von Freiheit, Demokratie und Recht, von Volksverbundenheit, Wahrheit und historischem Fortschritt, und sie wollten die Verhältnisse ändern, und zwar nach den meisten programmatischen Äußerungen zu urteilen — auf revolutionärem Wege. So hieß es in einer Werbeanzeige des „Süddeutschen Postillon": „Für den 'Südd. Postillon' gibt es keine durch Alter und Gedankenlosigkeit geheiligten Institutionen, vor denen er verstummend auf dem Bauche liegt. (—) Für ihn ist Lump Lump, einerlei, was für einen Kittel er anhat, und Blech nennt er Blech, ob's von oben oder von unten kommt. (—) Mit beißender Satire, mit ätzender Schärfe rückt er allen sogenannten 'Heiligkeiten' auf den Leib. (-) Er kennt nur eines: Kampf gegen die bestehende — Unordnung." 83 In einer der Anthologie „Aus dem Klassenkampf" 84 beigefügten Werbeanzeige wurde dieses Programm speziell in Hinsicht auf den Kampf gegen die kapitalistischen Ausbeuter oder - um in der Sprache der frühen sozialistischen Satire zu sprechen — gegen das „Protzentum" formuliert: „Alle 14 Tage kutschiert er (der Südd. Post. — N. R.) hinaus in alle Welt, beladen mit lustiger Fracht, mit ätzenden und beißenden Stoffen, zur Freude der Hungernden und Unterdrückten, zum Ärger der Übersättigten und des Protzentums. Lebensfrisch und kampfeslustig schallt stets der Ton seines Hornes in den frischen Tag hinein, keck singt er sein Lied des Zornes dem Geldsack in die Ohren, höhnend pfeift er seine Strophen auf all die verwaschenen Vorurteile, auf all den morschen Plunder, mit dem die heutige kapitalistische Weltordnung sich behängt, um ihren Raubtiercharakter zu verbergen, um sich als sittliche (und 'göttliche') Weltordnung zu präsentieren. Rücksichtslos schwingt er die satirische Peitsche denen um die Ohren, welche sich erfrechen, dem Sozialismus in die Zügel zu fallen. (—) Spott und Hohn ist seine Devise. (—) Siegesgewißheit sein einziger Passagier. (-) Frau 3

Rothe

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Weltgeschichte bietet ihm stets neuen Stoff, und tüchtige Künstler formen daraus immer neue Fracht. (-) Seine energische Verbreitung ist Ehrenpflicht eines jeden sozialistischen Arbeiters." 85 Anläßlich seines fünfzehnjährigen Bestehens zog der „Süddeutsche Postillon" Bilanz und stellte fest, daß er „nach 15 mitunter sehr schweren Kriegsjahren (Hervorhebung — N. R.)" „in prangender Jugendkraft" dastand, „kampfesmutiger und kampfesfähiger denn je." 86 Anläßlich seines fünfundzwanzigjährigen Jubiläums versicherte er:

Wir wollen kämpfen Mann an Mann, Bis uns der Teufel hole — 'Allzeit im Klassenkampf voranV Sei stetig die Parole.87 In dem Neujahrsleitgedicht 1896 hieß es u. a., „unseren Feinden gewidmet":

Es kämpft das Recht an unsrer Seite, Die Wahrheit trägt uns das Panier, Die Freiheit ruft für uns zum Streite, Die Wissenschaft ist unsre Zier, Für uns hebt Kunst den Fuß zum Bügel, Die Not facht täglich neu den Brand, Und Hoffnung stärkt die müden Flügel Zum Fluge in ein beßres Land.

Mit uns ist jede Kraft im Bunde, Die vorwärts drängt und Leben heißt, Es wächst mit jeder neuen Stunde Der Zukunft schöpfungsfroher Geist, Wir fassen euch mit tausend Armen, Wie ihr euch sträubt 88 - ihr weicht nicht aus. Und über euch geht ohn' Erbarmen Des Zeitensturmes Wetterbraus. XXXIV

Brecht immerhin die Form, die leere, Und erntet der Geschichte Spott — Ihr werbt für uns nur neue Heere Und baut Altäre unserm Gott. Ob man uns durch Gewalt bekriege, Ob man uns durch Gesetz verfem', Wir schreiten unbeirrt zum Siege Unser die Welt trotz alledem! 89 In ihrer Schrift „Zur Soziologie des Witzblattes" (1915) ordnete Henny Moos den „Wahren Jakob" unter der Rubrik der „Tendenzwitzblätter" ein und charakterisierte ihn speziell als „Parteiwitzblatt". 90 Sie tat dies völlig zu Recht, nur ihrer daraus abgeleiteten negativen Wertung muß man entschieden widersprechen. Denn gerade in diesem tendenziösen und — im unmittelbaren Wortsinn zu verstehenden - parteilichen Charakter liegt der eigentliche sowohl politisch-historische wie literarhistorische Wert des „Wahren Jakob", wie in gleicher Weise des „Süddeutschen Postillon": Indem sie sich so entschieden für die Armen und Unterdrückten, für die Arbeiter und die Menschen aus dem Volke — wie sie es formulierten —, also für die Arbeiterklasse und andere Kräfte des Fortschritts, engagierten, gaben sie der Satire eine echte historische Perspektive, führten sie sie aus der relativen Bedeutungslosigkeit der Kritik, die in den entscheidenden gesellschaftlichen Fragen im Grunde keine Alternative anzubieten hat, heraus und machten sie damit der bürgerlichen Satire jener Zeit inhaltlich überlegen. Der tendenziös-parteiliche Charakter dieser Satire machte sich auch in der Form bemerkbar. Sehr groß ist der Anteil der nichtsatirischen Beiträge in beiden Blättern, besonders fällt die große Zahl kämpferisch-pathetischer Gedichte auf. Das ist eine Erscheinung, die sich mit dem Charakter einer satirischen Zeitschrift eigentlich nicht verträgt. Genau genommen waren der „Wahre Jakob" und der „Süddeutsche Postillon" mehr politische Agitations- und Propagandaorgane als satirische Zeitschriften im üblichen Verständnis. „Eigentlich will der 'Wahre Jakob' gar kein Witzblatt im land3*

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läufigen Sinne sein", hieß es in einer redaktionellen Bemerkung im „Wahren Jakob" Nr. 22/1895, „sondern ein Kampfblatt für die Genossen." 91 Daß beide Blätter dabei einen überwiegend satirischen Charakter bekamen, weist auf die besonderen Möglichkeiten hin, die die Satire unter den damaligen Bedingungen als literarische Waffe im Kampf der Arbeiterklasse bot: Wie ihre Aggressivität der Entschiedenheit des proletarischen Freiheitsdrangs entsprach, so entsprach ihre relativ einfache Genrestruktur, ihr Verzicht auf detaillierte Analyse Aind Argumentation dem noch unentwickelten theoretischen Bewußtsein vieler Vertreter der Arbeiterklasse und speziell auch der meisten jener Arbeiter oder sozialdemokratischen Funktionäre, die zur Feder griffen, um ihrem Anliegen Ausdruck zu geben und für ihre Sache zu werben. Je nach Situation und Anlaß wurde zur Waffe der Satire oder zur Waffe des kämpferisch-parteilichen Pathos gegriffen. So finden sich in jedem Heft, bunt gemischt, ernste und heitere Beiträge. Die meisten Autoren waren nicht Satiriker oder Pathetiker, sondern beides zugleich, heute das eine, morgen das andere. Satire und Pathos bildeten in diesen beiden Zeitschriften eine echte Einheit; sie waren Ausdrucksformen des gleichen Grundanliegens, den proletarischen Klassenkampf zu unterstützen. Das Verhältnis der „heiteren" Genres zu den „ernsten" Fragen des Klassenkampfes wird in der Nr. 3/1897 des „Süddeutschen Postillon" wie folgt erörtert: Humor und Witz - offenbar gemeint: Satire und Humor — sind Todfeinde der Sorge. Statt Kanonenkugeln verwenden sie Tintenfässer. „Solche Geschosse können, wenn von geübter Hand geworfen, auch Wunder wirken." „Humor und Witz sind ein paar zu wackere Kämpen, als daß sie sich von der Sorge ins Bockshorn jagen ließen. Ein scharfer Angriff mit der Feder, ein paar tüchtige Geißelhiebe und ein kräftiger Tritt in den Bauch — und das Weib ist überwunden und kollert den Erdball hinab. Wohin? — das ist uns schnuppe; die Hauptsache ist, daß sie weg ist!" 9 2 Die ganze Last der Sorge ist durch Humor und Witz allein nicht loszuwerXXXVI

den, „denn dazu bedarf es anderer Kämpfe und anderer Kraftanstrengungen". Aber für Minuten und Stunden kann man sich sein Los erleichtern, und in dieser Zeit gewinnt man neue Kraft, die Last zu tragen, neuen Mut, sein Joch „dereinst abzuschütteln".93 „Wie ein erfrischendes Bad kommt es über dich", heißt es weiter, „wenn du siehst, wie deine Feinde gegeißelt werden, wie ihnen keck die heuchlerische Maske vom Gesicht gerissen und donnernd der Schlachtruf der Arbeit erhoben wird: 'Proletarier aller Länder vereinigt euch!'" 94 Das Verhältnis zwischen der Zeitung „Süddeutsche Post" und dem „Süddeutschen Postillon", der zuerst als Beilage dieser Zeitung herauskam, wurde einmal so beschrieben: Die Zeitung schlägt „mit scharfem Schwerte auf die Reaktion" los, nötig ist aber auch die satirische Beilage, die die Rolle des „Schalks" spielt, „der mit Spott und Hohn, mit Nadelstichen und Geißelhieben das lichtscheue Gewürm verfolgt".95 So wird die Satire zum „Signal der Kraft", wie es in dem anonym abgedruckten „Sprach" heißt: Signal der Kraft Ist das Lachen! Mit der Klinge haut's, Mit der flachen, Der Niedertracht den Buckel voll Ohne Groll!96 Als Leitspruch für beide Zeitschriften könnte das ebenfalls anonym abgedruckte „Epigramm" gelten: Fort mit dem schmachtenden Gewinsel! Fort mit dem süßlichen Gepinsel! Ich liebe mir die männliche Kraft, Das Schäumen und Tosen der Leidenschaft! Das trittfeste, dröhnende Wandeln, Das energische Handeln.97 Gerade diese „männliche Kraft", dieses „Schäumen und Tosen der Leidenschaft" — also starkes Engagement, sozialistische Parteilichkeit und kämpferische EntXXXVII

schlossenheit — sind es, was beiden Zeitschriften und — für die neunziger Jahre — dem „Postillon" noch mehr als dem „Jakob" eine charakteristische, sie von den bürgerlichen satirischen Blättern unterscheidende Note gibt. Dieser Programmatik entsprachen die Traditionsbeziehungen des „Wahren Jakob" und des „Süddeutschen Postillon". Die Autoren dieser Zeitschriften verstanden sich als Fortsetzer all dessen, was in der deutschen und internationalen Geschichte an Großem, Edlem und Schönem geleistet worden war und wurde. Vorbildgestalten waren für sie Ulrich von Hutten, Theodor Körner und Robert Blum ebenso wie August Bebel, Wilhelm Liebknecht, Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle, die Kämpfer der Revolution von 1848 und der Pariser Kommune ebenso wie die der Russischen Revolution von 1905/07, Johann Wolfgang Goethe, Friedrich Schiller, Georg Büchner, Christian Dietrich Grabbe, Heinrich Heine, Georg Herwegh und Ferdinand Freiligrath ebenso wie Victor Hugo, Honoré Daumier, Eugène Pottier, Emile Zola, Jean-Pierre de Béranger, Percy Bysshe Shelley, Henrik Ibsen oder Leo Tolstoi. Sie alle galten als aufrechte Kämpfer für Freiheit und Recht, als Freunde des Volkes, als Wahrheitssucher und große Menschen. Ihre differenzierte, konkret historische Bewertung und Einordnung wurde weitgehend ausgespart. In einer ganzen Anzahl von — satirischen und nichtsatirischen - Gedichten setzten sich die Autoren der beiden Zeitschriften mit der Funktion des Dichters bzw. des Journalisten in der Gesellschaft auseinander: Er sollte „kein Herrn-, kein Fürstenknecht" sein, sondern ein „schlichter Kämpfer fürs Recht,/Fürs Recht der armen Leute". 98 Er sollte die „Tyrannei und Kriecherei" hassen, die „Bosheit, Niedertracht und Lüge" 99 , er sollte „der Völker Ringen" um die Freiheit „gebührend" besingen, das „Leiden" und „das bißchen Fröhlichsein" der Menschen in Verse kleiden und seine Leier „bei jeder Volkesfeier" erklingen lassen100, mit einem Wort : Er sollte ein Volksdichter sein. Das Volk brauchte XXXVIII

ihn, denn - so sagte Robert Seidel in seinem Gedicht „Volk und Kunst" - : Es geht durchs Volk ein tiefes Sehnen Nach Schönheit und nach Poesie, Das keimt selbst unter Not und Tränen Und drängt ans Licht voll Energie; Es wird durch Mode wohl verleitet Und irr'geführt durch Unverstand, Doch hat's der echten Kunst bereitet Voll Freuden stets ein Heimatland."101 Dabei kam es weniger auf die Form als auf den Inhalt an. Lebensfremder Ästhetizismus wurde strikt abgelehnt. In seiner „Ode an die 'Schönheitler'" spottete Karl Kaiser über jene bürgerlichen Autoren, die ihre Reime „mit der Versfußschaufel/Schön symmetrisch" abstechen, die „alles Eckige verfluchen", deren Verse von „Liebesschmerzen" singen und in „goldverzierten" Büchern gedruckt werden. Er forderte sie auf, ein wenig denken zu lernen, bevor sie weiterdichteten, den Blick auf das wirkliche Leben zu richten, „wo die Stärkren/ Über die Gestürzten klettern,/Wo des Elends Kettenkugeln/Ganze Reihen niederschmettern".102 Sarkastischer Spott galt dem „Dichterling" und „Hofpoeten" Wildenbruch, dessen „edle Dichterbrust" der rote Adlerorden schmückte103, und dem von Bismarck gelobten Felix Dahn104. Gepriesen wurde dagegen die Marseillaise, weil sie in Schlachten „des Volkes Freiheit und sein Recht" hochgehalten hatte.«» Weil sie „im Sturm" geboren ist, wird die neue Poesie „den Heuchlern und den Toren" nie gefallen, sagte Eduard Fuchs, „sie ist mit Stahl gerüstet" und „streckt" die Feinde „in den Sand".106 Mit der „Bourgeois-Kunst" dagegen ginge es zu Ende wie mit der Klasse der Bourgeois.10? Verachtung traf die „Zunft der Schreiber und Schmökke", die nur schreiben, „wie's vom Verleger . . . vorgeschrieben", die „Federproleten", die strammstehen „wie Rekruten", die - wenn die „Gnadensonne" des Ministers scheint — „wedeln" und „weinen" und ihr bedingungsloses Ja „schluchzen" „zu allem und jedem".10» XXXIX

Am besten hat wohl Walter Heise programmatisch die Funktion, des Dichters in der Gesellschaft in-seinem Gedicht „Dem Dichter" formuliert: Sing von den Blumen, die im Felde blühn, Von Frauenherzen, die in Liebe glühn, Besinge froh die Schönheit der Natur; Doch singe nicht von allem diesen nur! Es wollt' der Gott, der deine Kunst dir schuf, Daß hehr und heilig sei dir dein Beruf. — Wo unterdrückt wird der Gedankenflug, Wo harte Fron dem Armen Ketten schlug, Wo Elend noch im Erdenstaube liegt, Wo noch die Lüge gegen Wahrheit siegt, — Da sollst du mutig treten in die Reihn ; Und dann, nur dann wirst du ein Dichter sein! 109 Rudolf Lavant versicherte, daß er sich gern seinem „innern Triebe" überlassen würde, um von Blumen, Sternen, Schmetterlingen, vom Waldesrauschen, vom Wein und von der Liebe zu singen, vom „Zarten, Lieblichen und Schönen", daß er sich aber dennoch immer wieder zum Kampf — als Mensch und als Dichter — aufraffe, Denn ehern sind, gewaltig sind die Zeiten, Und wen sie wie ein Frühlingssturm ergreifen, Der kennt nur eine Pflicht: sein Schwert zu schleifen Und für die Wahrheit und das Recht zu streiten; Der läßt, wenn's sein muß, in den Tod sich hetzen, Wie ins Exil auf einer fremden Erde; Daß frei das Volk, das wunderreiche, werde, Muß er an Alles auch sein Alles setzen.110 Das große Echo des „Wahren Jakob" und des „Süddeutschen Postillon" bei Lesern aus der Arbeiterklasse und den werktätigen Volksmassen ist nur dadurch zu erklären, daß ihre Autoren es vermochten, ihre Aussagen gegen die Feinde des Volkes auch in überzeugende Formen zu kleiden. Beide Zeitschriften pflegten die Satire in ihren verschiedenen Formen, von der Satire im engeren Sinne (als einfache zugespitzte Darstellung der Widersprüche XL

der Wirklichkeit)111 über satirische Ironie, Hohn und Spott bis zum Sarkasmus, wie auch in ihren Mischformen und Formkombinationen, die — offenbar als Ausdruck einer gewissen Unbekümmertheit um die Form - sehr häufig auftraten. Auffallend - aber aus der Betonung von Engagement und Parteilichkeit zu erklären — ist die Tendenz zum Sarkasmus, die im Bildteil in drastischen Karikaturen ihre Entsprechung findet. Die der Satire verwandte „Nuance des Lachens"112, der Humor, spielte eine recht geringe Rolle, weil sie dem politischen Anliegen zu wenig Spielraum bietet. Gern bedienten sich die frühen sozialistischen Satiriker der Parodie; dabei ging es ihnen allerdings in der Regel weniger um eine Auseinandersetzung mit dem parodierten Gegenstand als um die Benutzung einer bekannten und wirksamen Form zur Realisierung eines dem Gegenstand der Parodie fremden Anliegens. So ist etwa das „Lied von der Präsidenten-Glocke" keineswegs eine Verunglimpfung des Schillerschen „Lieds von der Glocke", sondern ein Spottlied auf das Gebaren des volksfremden und volksfeindlichen Reichstags. Häufig wurden Formen bekannter satirischer Gedichte — vor allem solcher von Heine - entlehnt und mit neuem, unmittelbar zeitgemäßem bzw. tagespolitischem Inhalt gefüllt. Beliebt war auch das Verfahren, bekannte Melodien mit neuen, satirischen Texten zu versehen. Neben satirischen Gedichten finden sich satirische Witze, Glossen, Epigramme, Kommentare fiktiver Figuren, satirische Skizzen und Erzählungen, zuweilen auch satirische Dialoge u. a. Die inhaltlich und formal besten Leistungen erreichte die frühe sozialistische Satire im allgemeinen jedoch — in Übereinstimmung mit ihrer betont emotionalen Parteilichkeit — in der satirischen Lyrik. Ein besonderes Form-Charakteristikum dieser Satire der revolutionären Sozialdemokratie ist ihre Volkstümlichkeit, die ihrer Volksverbundenheit in Inhalt und Tendenz entspricht. Sie zeigt sich in der ausgeprägten Bildhaftigkeit der Sprache, speziell in der Verwendung von Metaphern aus der Lebenssphäre und Vorstellungswelt einfacher, werktätiger Menschen, im allenthalben XLI

spürbaren Einfluß von Volkswitz und Volksweisheit113 und im starken Rückgriff auf Elemente der Volkssprache, wie Sprichwörter und sprichwörtliche Wendungen. Dieser Satire ist alles Gekünstelte fremd, sie ist „schlicht und eingängig"114. „Platte Situationskomik, Zweideutigkeiten oder leere Wortspielereien" sowie „Geistreicheleien und intellektualistische Spielereien"115 werden hier nicht benötigt. So braucht diese Satire — in ihren besten Leistungen — auch hinsichtlich der Form einen Vergleich mit anderen Etappen der Geschichte der deutschen Satire nicht zu scheuen, auch wenn nicht übersehen werden darf, daß es neben relativ gelungenen bzw. ausgereiften Leistungen auch viele schwächliche und schwache Einzelleistungen, gerade hinsichtlich der Form, gegeben hat. Der „Wahre Jakob" und der „Süddeutsche Postillon" erfaßten im wesentlichen alle wichtigen Bereiche des politischen Lebens; sie nutzten jede Chance, den Gegner anzugreifen, wo sie sich bot. Die Hauptthemen beider Zeitschriften waren: Militarismus, polizeistaatliche Zustände, Kapitalismus-Imperialismus, reaktionäres Junkertum, Dekadenz des Bürgertums, Philistertum, Kirche (in ihrer reaktionären staatserhaltenden Funktion), Kolonialpolitik, Sozialpolitik und Außenpolitik. Dabei spielte die Kritik an repräsentativen Persönlichkeiten eine wichtige Rolle. Auch Probleme in der Arbeiterbewegung wurden immer wieder aufgegriffen. Teilweise oder ganz unpolitische Themen wie Alkoholismus spielten nur eine Rolle am Rande.116 Vorzugsweise interessierten dabei stets die deutschen Verhältnisse, aber gemäß der internationalistischen Haltung beider Blätter wurden auch die Zustände und Vorgänge im Ausland aufmerksam beobachtet. Als Hauptthemen erwiesen sich der preußisch-deutsche Imperialismus, oft auch im Zusammenhang mit dem internationalen Wettrüsten, und die polizeistaatlichen Zustände im Deutschen Reich, die zuweilen mit den Zuständen im extrem reaktionären zaristischen Rußland verglichen wurden. Diese Akzentuierung entsprach den historischen Gegebenheiten, denn das deutsche XLII

Regime war, nachdem schon seine Geschichte durch den Eroberungskrieg gegen das französische Volk und vor allem durch die Niederschlagung der Pariser Kommune belastet war117, zum „mit parlamentarischen Formen verbrämten, mit feudalem Beisatz vermischten und zugleich schon von der Bourgeoisie beeinflußten, bürokratisch gezimmerten, polizeilich gehüteten Militärdespotismus" 118 geworden. Erleichtert wurde diese richtige Orientierung durch die unmittelbare Sichtbarkeit und Spürbarkeit des Militarismus und der polizeistaatlichen Zustände und ihrer Auswirkungen. Kasernenhofdrill, Soldatenmißhändlungen, hochnäsige adlige Jünglinge in Offiziersuniformen und der Terror primitiv-gehässiger Unteroffiziere, wachsende Rüstungssteuern, der Tod an der Front oder das Kriegsinvalidenelend sowie sozialistenfeindliche Staatsanwälte und säbelschwingende Polizisten, das alles waren handfeste und jederzeit aktuelle Bedrohungen, die zur Auseinandersetzung zwangen. Gerade bei der Behandlung dieser beiden Hauptthemen, aber auch bei anderen Themen wurde nicht selten über die Erscheinungsformen hinaus zu Wesenszügen der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Politik der reaktionären Klassen vorgedrungen. Auf diese Weise entstand von den deutschen Zuständen ein ausgesprochenes Misere-Bild, das — in satirischüberspitzter Form — tendenziell realistisch war und zu der Schlußfolgerung zwang, daß grundsätzliche Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse notwendig waren. Eine dementsprechende — mehr oder weniger deutlich revolutionäre — Perspektive wurde in den nichtsatirischen Beiträgen expressis verbis aufgezeigt. Die Entwicklung der beiden Zeitschriften vollzog sich in vier Phasen. Die erste Phase umfaßte die Zeit des Kampfes unter den äußerst erschwerten Bedingungen des Sozialistengesetzes (von der Gründung der Zeitschriften 1882 bzw. 1884 bis 1890). Das Sozialistengesetz hatte die Sozialdemokratie in „eine neue, außerordentlich komplizierte Lage" gebracht, in der „alte, bisher bewährte Kampfmittel" nicht mehr benutzt werden XLIII

konnten 119 . Legale Möglichkeiten des Klassenkampfes gab es fast nicht mehr. Die einzige noch bestehende bedeutende legale Institution der Partei war die Reichstagsfraktion. Alle wichtigen Presseorgane der Partei wurden unterdrückt, sozialdemokratische Versammlungen verboten. Das Zentralorgan der Partei, der „Sozialdemokrat", mußte im Ausland erscheinen und unter schwierigen Bedingungen nach Deutschland eingeschmuggelt werden. Um dennoch politisch wirksam bleiben zu können, entschied sich die Partei für die Taktik der Verbindung von legalen und illegalen Kampfmethoden, die August Bebel in seiner Reichstagsrede am 16. 9.1878 bereits angekündigt hatte, denn diese Taktik erschwerte die Verfolgungsmaßnahmen erheblich. Als geeignete Medien für diese Taktik erwiesen sich auch die beiden Zeitschriften „Süddeutscher Postillon" und „Der wahre Jakob". Mit den Mitteln der Satire, in all ihren Spielarten und Schattierungen, wurde es auch unter diesen Bedingungen möglich, der Ablehnung der bestehenden Verhältnisse Ausdruck zu geben und — wenn auch nur in beschränktem Maße — operativ in das politische Geschehen einzugreifen. Hinter der vordergründigen Aussage, die noch im Bereich des Legalen lag, verbarg sich oft ein illegaler Sinn, der juristisch schwer oder gar nicht zu fixieren war. Voll entfalten konnte sich die Satire unter diesen Bedingungen nicht, der Zwang zur starken Einschränkung der Kritik oder zu einer Art „äsopischer Redeweise" 120 verhinderte das, aber die Leser verstanden diese „äsopische" Sprache,, die Satire wirkte. Das Preislied auf die Farbe Rot alsFarbe der Liebe etwa war als Bekenntnis zur — durch die rote Farbe symbolisierten — Sache des Proletariats begreifbar 121 . Frontale Angriffe auf Staat und Gesellschaftsordnung waren unter den Bedingungen des Sozialistengesetzes nicht möglich, wohl aber konnten beispielsweise die zur Beschattung Bebels eingesetzten Spitzel der Polizei verhöhnt 122 , über Steuerlasten oder Kinderarbeit geklagt, mit Philistern oder bürgerlichen Parteien abgerechnet, auf die Raubrittervergangenheit des Junkertums hingewiesen und schließlich der Kanzler selbst verspottet werden. Sogar eine Anspielung auf das XLIV

Sozialistengesetz war möglich.123 Manche wichtige Orientierung ließ sich durch die Satire vermitteln, etwa die gegen das Anarchistentum124. So wird es verständlich, daß beide Blätter trotz der staatlichen Repressionen gegen die demokratische und revolutionäre Presse nicht nur bestehen blieben, sondern eine beachtliche Entwicklung durchmachten. Sie wurden zu Symbolen des Widerstands gegen das Sozialistengesetz und zeugten von der ungebrochenen Kraft und Siegeszuversicht der revolutionären Sozialdemokratie. In dieser Entwicklungsphase bewährte sich die frühe sozialistische Satire überzeugend. Die zweite Phase setzte mit dem Sturz Bismarcks bzw. der durch den Kampf der Arbeiterbewegung erzwungenen Aufhebung des Sozialistengesetzes ein und dauerte bis etwa zur Jahrhundertwende (1890 bis 1900). Sie ist als die Blütezeit der beiden Zeitschriften und damit der frühen sozialistischen Satire anzusehen. Mit dem Sozialistengesetz war die entscheidende Barriere, die der vollen Entfaltung der sozialistischen Satire im Wege gestanden hatte, gefallen. Die Verfolgungen im Rahmen der „normalen" Gesetzlichkeit des reaktionären Klassenstaates machten Redakteuren und Mitarbeitern wohl zu schaffen, konnten sie aber nie entscheidend behindern. An satirischen Anlässen fehlte es gerade in diesem Jahrzehnt nicht. Das Übergangsstadium zum Imperialismus zeitigte immer neue Erscheinungen, die den arbeiter- und volksfeindlichen Charakter der bestehenden Ordnung hervorkehrten, angefangen bei den enormen Rüstungsanstrengungen, die sich zualler•erst als zusätzliche Steuerbelastungen für die Bevölkerung bemerkbar machten, über die im Interesse der Junker betriebene Schutzzollpolitik bis hin zu den Bestrebungen, die auf eine Art neuen Sozialistengesetzes abzielten. In dieser Zeit wurden häufig ausgesprochen revolutionäre Töne angeschlagen, ganz besonders im „Süddeutschen Postillon". Die Satire kannte keinen „Respekt" mehr; die bekannten reaktionären Politiker, wie auch die Repräsentanten des linken Bürgertums, wurden laufend karikiert und mit Spott und Ironie überschüttet. Das galt auch für den Kaiser, XLV

wenngleich eine gewisse Zurückhaltung ihm gegenüber nicht übersehen werden kann. Zu dieser Blüte trugen auch äußere Umstände bei, wie die Einführung des Mehrfarbdrucks und die Vergrößerung des Mitarbeiterkreises. Die dritte Phase umfaßt den Zeitraum von der Jahrhundertwende bis zum Ende der russischen Revolution 1905/07. Sie unterscheidet sich von der zweiten Phase im wesentlichen durch den auch in der Satire mehr und mehr bemerkbar werdenden Einfluß opportunistischer und revisionistischer Kräfte auf die Parteiführung. Die revolutionäre Tendenz der beiden Zeitschriften ging in dieser Zeit merklich zurück. Trotzdem gab es — begünstigt durch „satiregemäße" Anlässe von Rang, wie die China-Aktion europäischer Kolonialmächte, den Russisch-Japanischen Krieg und die russische Revolution von 1905/07, und durch das weitere Anwachsen der künstlerischen Fähigkeiten der Satiriker — noch eine Vielzahl beachtlicher Einzelleistungen, so daß der beginnende ideologische Verfall der Zeitschriften einstweilen noch nicht deutlich sichtbar wurde. Das herausragende Ereignis dieses Zeitraums war die russische Revolution. Die Art und Weise der Behandlung dieses Ereignisses in den beiden Zeitschriften zeigt den Zustand der sozialistischen Satire in dieser Phase besonders deutlich. Hier handelte es sich um den Kampf der russischen Klassenbrüder gegen den von der sozialistischen deutschen Satire seit Jahrzehnten als Hort der Unterdrückung und Unmenschlichkeit angeprangerten Zarenstaat, der gerade mit der ungeheuerlichen Bluttat des 22. Januar 1905125 noch einmal seinen extrem reaktionären und antihumanistischen Charakter unter Beweis gestellt hatte. Ein solches Ereignis mußte sozialistische Satire zur vollen Entfaltung ihrer Möglichkeiten stimulieren. Und in der Tat, niemand ist im „Wahren Jakob" oder im „Süddeutschen Postillon" so außerordentlich hart attackiert worden wie zu dieser Zeit Zar Nikolaus II. Im Bilde wurde er zusammen mit Nero, Iwan dem Schrecklichen und Philipp II» gezeigt 126 , die ihm die Ehrenmitgliedschaft in ihrem „Klub der Massenmörder" antrugen; mehrfach wurde XLVI

er an die Schicksale Karls I. und Ludwigs XVI. erinnert und oft als ängstliche Kreatur verspottet. Immer wieder wurde in satirischer und in pathetischer Form mit dem Zaren und seinen Helfershelfern abgerechnet und das zaristische Regime nachdrücklichst verdammt. Aber erfüllte die deutsche sozialistische Satire damit ihre Aufgabe? Den Zaren mochte es nicht allzusehr stören, was in deutschen satirischen Blättern über ihn stand. Die deutsche Satire hatte vor allem in Deutschland zu wirken, die deutschen Zustände zu behandeln. Für die deutschen Imperialisten ergab sich aus der Lähmung des zaristischen Rußland durch die Niederlage gegen Japan und die Revolution bekanntlich die einzigartige Chance, die unvermeidliche Auseinandersetzung mit den französischen Imperialisten zu führen, ohne eine zweite Front im Osten befürchten zu müssen. Sie vergaben diese Chance aus Furcht vor einer deutschen und vor der internationalen Revolution, und die revolutionäre Stimmung, die zu diesem Zeitpunkt unter den deutschen Arbeitern herrschte, läßt diese Furcht als begründet erscheinen127. Gerade unter diesen Umständen wäre es Aufgabe der deutschen sozialistischen Satire gewesen, sich zu allererst um eine Verstärkung der revolutionären Tendenz im eigenen Lande zu bemühen. Das hätte bedeutet, die russischen Vorgänge auszunutzen, um die Wesensverwandtschaft der deutschen Verhältnisse mit denen im Zarenstaat aufs nachdrücklichste herauszuarbeiten. Auf diese Wesensverwandtschaft war früher schon hingewiesen worden, und auch in dieser Situation gab es solche Hinweise. Doch waren sie — gemessen an den Notwendigkeiten des Augenblicks - viel zu selten und zu schwach. Im Rahmen der Zarismus-Kritik während der russischen Revolution insgesamt spielten sie eine untergeordnete Rolle. In letzter Konsequenz lenkte die außerordentliche Vehemenz der Angriffe gegen den Zarismus von den Aufgaben im eigenen Lande ab. Den deutschen Imperialisten konnte es nur recht sein, wenn den zu revolutionären Aktionen bereiten deutschen Arbeitern die schrecklichen Zustände und Vorgänge in einem anderen Land mit aller Deutlichkeit vor Augen geführt wurden, XLVII

mußten doch die deutschen Zustände dagegen erträglich erscheinen. Die vierte Phase, vom Ende der russischen Revolution bis zur Kapitulation der deutschen Sozialdemokratie vor den Kräften des Krieges und der Reaktion am Beginn des Weltkriegs (1905/1907 bis 1914), ist gekennzeichnet durch einen Prozeß immer deutlicher sichtbar werdenden Niedergangs. Eine klar revolutionäre Tendenz ist in den Beiträgen aus dieser Zeit nur noch selten festzustellen. Dennoch mangelte es nicht an echter und entschiedener Gesellschaftskritik; Kritik der Erscheinungen und auch einiger Wesenszüge der imperialistischen Gesellschaft blieb auch von nichtrevolutionärer Position aus möglich. So konnte die sozialistische Satire auch in dieser Zeit noch einen echten Beitrag zur "Unterminierung der bestehenden Gesellschaftsordnung leisten, nur erreichte sie bei weitem nicht mehr die vom Standpunkt der Arbeiterklasse mögliche optimale Leistung. Auch die Schärfe der Sprache, die Aggressivität der Form in manchen Beiträgen und das immer stärker entwickelte Geschick der Satiriker konnten über die grundlegenden ideologischen Schwächen nicht mehr hinwegtäuschen. Nicht zufällig setzte der Verfallsprozeß der frühen sozialistischen satirischen Lyrik um 1900 ein, zu einer Zeit also, da der deutsche Kapitalismus in sein imperialistisches Stadium eingetreten war. Solche komplizierten Erscheinungen wie Finanzkapital oder Kapitalexport, die für den Übergang zum voll entfalteten Imperialismus charakteristisch waren, und die immer komplizierter werdenden politischen Zusammenhänge — man denke etwa an die Bildung internationaler Kartelle und Syndikate, an die forcierten Bestrebungen der herrschenden Klassen, die Volksmassen durch sozialgesetzgeberische Maßnahmen zu korrumpieren, oder an den bürgerlichen Einfluß auf die Arbeiterbewegung überforderten die literarische Satire der „kleinen" Form •oder ließen sich doch zumindest von ihr nur schwer erfassen. Andererseits mußten sich angesichts der dadurch schwieriger gewordenen Aufgaben die erheblichen theoretischen Schwächen der Satiriker der revolutionäXLVIII

ren deutschen Sozialdemokratie besonders nachteilig auswirken. Das Rüstzeug, das zur Kritik des Bonapartismus ausgereicht hatte, genügte im Kampf gegen den voll entfalteten Imperialismus nicht mehr. So kam der völlige Zusammenbruch der frühen sozialistischen Satire am Beginn des Weltkriegs nicht überraschend128: Der „Wahre Jakob" blieb zwar bestehen, aber er stellte - in Übereinstimmung mit der „Burgfriedens"politik der Parteiführung — seinen Kampf gegen die bestehenden Verhältnisse, ja selbst gegen fast alle Arten von Mißständen, praktisch ein. Subjektiv wurde dies als Unterbrechung des Kampfes verstanden, zumindest wurde es so erklärt; objektiv aber bedeutete es nicht weniger als die Unterstützung des imperialistischen Krieges. Ursache des Verfalls der frühen sozialistischen Satire waren in letzter Konsequenz die mangelhafte ideologische Qualifikation der Satiriker und — daraus resultierend — ihre unzureichende Fähigkeit zu selbständiger politischer Orientierung. Diese Schwäche bestand von Anbeginn, sie ist namentlich auch für die Blütezeit der neunziger Jahre nachweisbar, und sie gilt für beide Zeitschriften und — mehr oder weniger — für alle Satiriker. Was den „Süddeutschen Postillon" in den neunziger Jahren dem „Wahren Jakob" gegenüber auszeichnete, war nicht eine höhere ideologische Qualität, sondern eine stärkere revolutionäre Entschlossenheit. Diese stärkere revolutionäre Entschlossenheit ließ die Mitarbeiter des „Postillon" manche Fehlleistung, die dem „Jakob" unterlief, vermeiden, gefeit gegen ernste Fehler waren auch sie nicht, auch sie blieben von dem Verfallsprozeß nicht verschont. Offenbar wurde diese ideologische Schwäche der Satire sehr bald, nachdem opportunistische und revisionistische Kräfte wesentlichen Einfluß auf die Parteiführung gewonnen hatten. Bereits erreichte revolutionäre Haltung der Satiriker konnte wieder verlorengehen, weil sie nicht fest genug auf dem Boden des Marxismus standen. Dieser Zusammenbruch kann jedoch nicht die in Jahrzehnten erbrachte Leistung der frühen sozialistischen Satire und speziell des „Süddeutschen Postillon" und 4

Rothe

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des „Wahren Jakob" vergessen machen; er entspricht — historisch betrachtet - der Niederlage der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung zu Beginn des ersten Weltkrieges, hatte die gleichen Ursachen wie sie und wurde durch sie wesentlich mit verursacht. Wie diese Niederlage war auch der Zusammenbruch der frühen sozialistischen Satire nur zeitweilig. Mit der revolutionären Erneuerung der Arbeiterbewegung im Gefolge der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und der Novemberrevolution, mit der Gründung einer Partei neuen Typus, entwickelte sich auch eine neue, revolutionäre Satire als literarische Waffe der deutschen Arbeiterbewegung, repräsentiert zunächst vor allem durch die satirischen Blätter der KPD. Wie die KPD unter anderem an die besten Traditionen der revolutionären Sozialdemokratie anknüpfte, setzten die Satiriker der KPD das Werk der Kegel, Kaiser, Fuchs, Klaar und vieler anderer fort. So erweist sich die Satire der revolutionären deutschen Sozialdemokratie — trotz ihrer Schwächen — als ein unabtrennbarer und gewichtiger Abschnitt jener Traditionslinie der deutschen sozialistischen Satire, die mit Heine und Weerth und dem Feuilleton der „Neuen Rheinischen Zeitung" begann, Herwegh und Freiligrath einschloß und über Weinert bis in unsere Tage hineinreicht.

L

TEXTE

1882/84-1890 Max Kegel

Der Denunziant Melodie: Willst wissen du, mein lieber Christ, Wer das geplagtste Tier wohl ist usw.

Willst wissen du, mein lieber Christ, Wer aller Menschen Auswurf ist? Die Antwort liegt ja auf der Hand: Es ist allein der Denunziant. Gefährlich ist ein toller Hund, Gefährlich ist der Lügenmund, Gefährlich ist, wer stiftet Brand, Gefährlicher der Denunziant. Verpestet ist fürwahr die Luft, Wo atmet solch ein Schelm und Schuft. Verpestet ist ein ganzes Land, Wo schleicht herum der Denunziant. Der Wilde selber, der Barbar, Der Afrikaner rohe Schar Hält hoch der Treue heilig Band, Das frech entweiht der Denunziant. Durchs ganze Leben Schimpf und Schmach Geht ihm voran und folgt ihm nach. Der Menschheit Schandfleck wird genannt Der niederträcht'ge Denunziant. Wird er erblickt im Freundeskreis, Macht man ihm bald die Hölle heiß Und ruft, ist er einmal erkannt : Hinaus! Er ist ein Denunziant. Und wenn er einst im Grabe liegt Und seine Seel' nach oben fliegt, 3

Ruft Petrus: Fort, Halunk! Verbannt Von hier ist jeder Denunziant. D W J 1884, S. 63.

Max Kegel Fräulein Klara Frei nach Heine

In dem abendlichen Garten Wandelt Landrats schöne Tochter, Straußsche Walzermelodien Hört ertönen man vom Schlosse. „Lästig werden mir die Tänze Und die faden Huldigungen Von den faden Kavalieren, Seit ich ihn, den einen, sah. Wie er stand so schlank und mutig, Wie er sprach so gut, so geistvoll, Und wie feurig seine Blicke, Ei, fürwahr, er ist ein Mann!" Also dachte Fräulein Klara, Und sie schaute auf den Boden; Wie sie aufblickt, steht der schöne Unbekannte Mann vor ihr. Händedrückend, liebeflüsternd Wandeln sie umher im Mondschein, Und der Zephyr schmeichelt freundlich, Märchenartig grüßen Rosen. Märchenartig grüßen Rosen, Und sie glühn wie Liebesboten. „Aber sage mir, Geliebte, Warum du so plötzlich rot wirst?"

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„Schnaken stachen mich, Geliebter, Und die Schnaken sind verhaßt mir, Wie dem Vater sind verhaßt Die verdammten Sozialisten." „Laß die Sozialisten, Liebste", Spricht der Fremde, freundlich kosend. Von den Lindenbäumen hauchen Tausend Blüten ihren Duft. Tausend weiße Blüten haben Ihren süßen Duft ergossen. — „Aber sage mir, Geliebte, Ist dein Herz mir ganz gewogen?" „Ja, ich liebe dich, Geliebter, Bei dem Heiland sei's geschworen, Lieb' dich glühend, wie ich hasse Die verdammten Sozialisten." „Laß die Sozialisten, Liebste", Spricht der Fremde, freundlich kosend, Und nach einer Myrtenlaube Führt er sanft die Landratstochter. Mit den weichen Liebesnetzen Hat er heimlich sie umschlossen, Kurze Worte, lange Küsse, Und die Herzen Überflossen. In der Laube wird es stiller, Doch im Schlosse wird es lauter, Und erwachend hat sich Klara Aus des Liebsten Arm gewunden. „Horch! Da ruft es mich, Geliebter! Doch bevor wir scheiden, sollst du Sagen mir, woher du kommst, Teurer Freund, und wer du bist?" Und der Fremde, heiter lächelnd, Küßt die Finger seiner Liebsten, 5

Küßt die Lippen und die Stirne, Und er spricht zuletzt die Worte: „Ich, mein Fräulein, bin der rote Schulze, komm' aus Leipzig, wo auf Grund des Sozialistengesetzes Auswies mich die Polizei." DWJ 1884, S. 70.

Wachsamkeit In München, da flüstert Man leise: Aha! Gebt acht und seid wachsam, Der Bebel ist da! Sozialdemokraten Nun zeigen sich viel, Jetzt schaut, welcher Keller Gemeinsam ihr Ziel! Sie bringen vielleicht dort Ein donnerndes Hoch, Wie manches der Richter Zur Strafe schon zog. Man spürt und man findet: Zum Keller nicht, nein Es geht heut Herr Bebel Ins Kaffeehaus ein! Was dort er wohl trinket. Es wird eruiert, Mit wem er dort redet, Es wird rapportiert. Indes steht das Posthaus Verlassen, allein, 6

Dort schmuggeln verwegen Sich Diebe hinein. Sie schauen und prüfen Ganz still mit Bedacht, Erbrechen die Kasse In künftiger Nacht. Sie rauben viel Schätze In Gold und Papier, Der Reichtum des Staates Zum Opfer fällt hier. Dann sind sie verschwunden In finsterer Nacht, Und niemand noch hat sie Zur Stelle gebracht. Die Räuber samt Beute Man nimmer ereilt, — Doch das weiß man sicher, Wo Bebel geweilt. SP 1884, Nr. 34, S. 4.

Lied der Auswanderer Uns ist ganz kannibalisch wohl, Als wie fünfhundert Säuen, Und unser Wohlstand, es ist toll. Will täglich sich erneuen. Ach schon erdrückt uns fast das Geld, Drum ziehn wir nach der neuen Welt, Wir wandern aus, juheirassa, Wir ziehen nach Amerika. Die deutsche Wirtschaftspolitik Mit ihren schönen Zöllen, Sie hat begründet unser Glück,

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Sie schuf des Reichtums Quellen. Und wer da war ein Proletar, Als noch das Brot zu billig war, Urplötzlich wurde der, juheeh, Nun durch den Zoll ein Rentier. Die Armen bleiben still zu Haus In ihrer schlechten Hütte, Wir reichen Leute wandern aus, Das ist bei uns so Sitte! Denn wollen wir recht lustig sein, Dann ist Europa uns zu klein, Wir brauchen größern Raum, hurra! Wir gondeln nach Amerika. Ihr aber, die daheim ihr bleibt, Beherzigt dies Gebot recht: Die Zölle in die Höhe treibt, Verteuert ja das Brot recht! Denn dies befördert unbewußt Den Reichtum und die Wanderlust. Das ganze deutsche Volk, hurra, Kommt schließlich nach Amerika! S P 1885, Nr. 43, S. 3.

Chor der Nationalliberalen

Und so wolln wir in die Stadt marschieren Und darinnen unser Glück probieren. Was das Fechten bringt, Lob dem Bismarck singt, Denn sobald das Geld erklingt im Kasten, Wird von Opponierungslust Es die Seel' entlasten. S P 1885, Nr. 45, Beiblatt.

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Postillon Kriegsbeute Weit hinten im Afghanenland, So ziemlich in Asiens Mitten, Da ist ein kleiner Zwist entbrannt Jüngst zwischen den Russen und Briten. Der Russe zog mit Mut daher, Ein wenig zu annektieren. Der Brite fragt: Wohl bis ans Meer Die Grenze du willst „regulieren"? Vielleicht in blutigen Schlachten bald Werden die beiden sich schlagen. Vielleicht auch, vermeidend die Waffengewalt, Werden sie sich noch vertragen. Doch wie es sich immer entscheiden mag, Für morgen oder für heute •Gewonnen wird schon jeden Tag Gar reiche Kriegesbeute. Zwar, Herat, nein, das fiel noch nicht. Doch die Kurse der „Russen" fallen; Nun sieht man mit fröhlichem Angesicht Die Jobber zur Börse wallen. Sie sahen am Weltbarometer schon Das drohende Wetterzeichen, Und machten durch glückliche Spekulation Sich kostbare Beute zu eigen. Und täglich noch immer die Waage schwankt, Die Truppen ziehn schon nach den Grenzen. Das Menschenherz sorget und hoffet und bangt, Der Börsenmann wägt „Differenzen". Und greifen die Russen nun wirklich an Und „annektieren" wie Raben, —

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Sie werden an Beute doch schwerlich dann So viel wie die Börsenleut' haben. SP 1885, Nr. 47, S. 1.

Bruno Schönlank Den Emanzipationsfeinden Euch stört es, wenn des Wissens Bronnen Sich auch der Frau erschließen will, Denn nur in eurer Weisheit sonnen Darf sie sich demutsvoll und still. Ihr ärgert euch, wenn Frauen lesen, Und wagen sie zu schreiben gar, Dann ist „dahin ihr züchtig Wesen" Und „ihre Würde in Gefahr". „Das sind die Überspannten", heißt es, Wenn Wissen unser Haupt beschwert; Ihr haßt die Bildung unsres Geistes, Denn nur der Leib ist euch von Wert. Nun sagt mir doch, mit welchem Rechte Ihr euch so grausig überhebt Und uns, dem „schwächeren Geschlechte", So strenge Lebensregeln gebt? Ihr habt ja oft - in Hymens Banden — Erprobt der Frauen Energie, Wie stark sie euch gerüstet fanden — Euch Helden doch beherrschten sie. Ja, Helden! Doch Pantoffelhelden! Als solche kreuzt ihr unsre Bahn; Die Frauen laßt ihr es entgelten, Was euch die Frau hat angetan. SP 1885, Nr. 51, Beiblatt, S. 2.

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Mädchen-Turnen

Es kann mir — so der Mucker spricht Das Turnen nicht gefallen. Ich lieb' es schon bei Männern nicht. Es bringt das Blut ins Wallen. Doch wehe, wenn ein Mädchen springt Und schaukelt sich am Recke! Die Turnerin holt unbedingt Der Teufel sich vom Flecke. Die Tugend und die Sittlichkeit Und die Moral entweichet, Sobald ein Mädchen schürzt das Kleid Und ihre Füßchen zeiget. Und geht ein Mädchen weiter dann Auf solchen Sündenpfaden, — Ich weiß es wohl! Dann siehet man Zuweilen gar die Waden. Man sage nicht: gesund nur sei Beim Turnen die Erregung! Die Arm' und Beine sind dabei Unschicklich in Bewegung. Und dadurch findet Sünde statt Beim Turnen ganz notwendig, Denn daß ein Mädchen Beine hat, Das ist schon unanständig! SP 1886, Nr. 66, Beiblatt.

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Bruno Schönlank Nächstenliebe Herr Protz mit dem rötlichen Angesicht Und der weithin schimmernden Glatze, Der ist, zu üben des Leiters Pflicht, Gar bald im Kontor auf dem Platze. Er kalkuliert und er spekuliert, Zuweilen auch hört man ihn drohen: Bei solchem Geschäftsgange reduziert Jetzt würden die Löhne, die hohen. Und wenn, weil der Lohn zu niedrig wär', Die Arbeiter murren und fragen Nach Lohnes-Erhöhung, da poltert er sehr, Den heftigsten Streik will er wagen. Doch tritt er darauf in den oberen Raum, Wo fleißige Mädchen sich rühren, Und sieht er die feschen Gestalten kaum, Da ist eine Wandlung zu spüren. Da schmunzelt der Alte im ganzen Gesicht, Da möcht' er gleich selber mit spinnen. O glaubet, er liebt zwar die Arbeiter nicht. Doch hebt er die Arbeiterinnen. SP 1887, Nr. 8.

Postillon Reichstags-Willkomm' Es steht ein Häuschen in Berlin; Noch eine kurze Weile, Dann haust ein schöner Reichstag drin, Dem deutschen Volk zum Heile. 12

Es kommen dann von Ost und West Zu dieser Weisheitsquelle, Der Reaktion verbunden fest, Die Brüder vom Kartelle. Und freudig wallt des Kanzlers Haar In seiner ganzen Dreiheit, Sieht nahen er die tapfre Schar Der Bändiger der Freiheit. Da kommen die Agrarier an Mit dem Getreidezolle, Der Vieh-Herr hängt noch hinten dran Mit Steuern auf die Wolle. Es kommt bezopft die Zünftlerei Mit ihren Leichentüchern. Auch Dresdens Hofrat ist dabei Wohl mit den Arbeitsbüchern. Der Junker und der Bürokrat, Die spitzen ihre Ohren, Und rüsten sich zu kühner Tat: Das Wahlrecht anzubohren. Die „Hurra"-Leute sind bereit, Und bald beginnt das Tagen. Sie harren der Gelegenheit, Recht freudig „Ja" zu sagen. Und sehn sie wo ein Volksrecht noch, Da wird es gleich genommen. Nun, deutsches Volk, so sage doch Dem Reichstag dein Willkommen! SP 1887, Nr. 11, S. 1.

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Postillon Weihnachtslied Motto: Ein neues Lied, ein neues Lied, Zieht, Jungens, eure Dreier! (Dr. A. Otto-Walster)

Knecht Ruprecht mit der Rute kommt Und schreit: Ich will dir sagen, Du deutsches Volk, was jetzt dir frommt! Es wird dir nicht behagen! Du treibst es, wie in Sodom und Gomorrha einst die Alten, Es wird von dir nicht mehr der Mund, Nicht das Gesetz gehalten. Du hast die Zölle abgeschafft TJnd zahlst auch keine Steuern, Kein Zwangsgesetz ist mehr in Kraft, Du läßt sie nicht erneuern. Soldaten gibt es keine mehr, Sie sind vor Not verschmachtet, Du gabst für sie kein Geld mehr her. Kasernen sind verpachtet. Frei waltet das Versammlungsrecht, Und freier noch die Presse. Behandelt wird unglaublich schlecht Des Schnapsbarons Int'resse. Das darf nicht mehr so Weitergehn, Sonst geht das Reich zugrunde. Es muß die Rettungstat geschehn, Und zwar zu dieser Stunde. Darum ein neues Zuchtgesetz Ich jetzt erfunden habe. Dem Reichstag, den ich heb' und schätz', Schenk' ich's als Weihnachtsgabe. H

Ich geb' die Macht ihm in die Hand, Er darf expatriieren, Und darf das deutsche Vaterland Den Deutschen konfiszieren. SP 1887, Nr. 12, S. 1.

Der Zünftler

Der alte Innungsmeister, Die Zierde seiner Zunft, Verschied und sucht im Himmel Nun beßre Unterkunft. Er kommt zum alten Petrus Mit seinem Totenschein Und spricht mit Meister-Grobheit: „Platz, Alter, laß mich ein!" Doch Petrus spricht: „Erwarte Das nur in guter Ruh', Denn ohne Meisterprüfung Laß ich hier niemand zu. Du darfst nicht Engel werden, Nicht singen Lob und Preis, Wenn du nicht kannst erbringen Befähigungsnachweis. Auch stört den Chor der Engel Dein dummes Schafsgesicht, Und die Gewerbefreiheit Blüht dir im Himmel nicht. Du hättest sie auf Erden So gern zu Fall gebracht Und hast mit deiner Innung So wichtig dich gemacht. 5

Rothe

Drum trifft dich jetzt die Strafe Für deine Protzerei: Dein Platz als Stiefelputzer Im Himmelsvorhof sei." Die Englein hörten's lachend Und stimmten fröhlich ein: „Wie ist doch gar so putzig Ein Innungsmeisterlein!" SP 1887, Nr. 12, S. 4.

Aus dem Tagebuch des Anarchisten Schreier

Von allen Dingen, die ich tu', Sagt mir am meisten das Bummeln zu; Ich muß für die ganze Menschheit sorgen, Da darf ich für mich schon etwas borgen. Am meisten hass' ich das Produzieren — Wie wird man's künftig organisieren? Genau genommen ist mir's schnuppe, Ich geh' ja zur konsumierenden Gruppe. Die guten Menschen sinnen und träumen, Sie sehn den Wald nicht vor lauter Bäumen; Drum hab' ich mich heut wieder tapfer gewehrt, Die ganze Menschheit für Lumpen erklärt. Ganz gut, denn dabei fällt keinem ein, Daß ich auch selbst ein Lump könnte sein. Ich kann gut schimpfen, doch gestern nacht Hat ein Waschweib mir Konkurrenz gemacht. Das darf bei Leibe nicht mehr vorkommen, Sonst ist mir die ganze Bedeutung genommen. DWJ 1887, S. 334.

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Die schwarzen Brüder Zu der Katastrophe in Ostafrika Man wollte nach Afrikas Osten Verpflanzen deutsche Kultur, Man dachte nicht an die Kosten, Man dachte der Schätze nur, Die massenhaft aufgespeichert Im südlichen Sonnenland, Man hätte gerne bereichert Daran sich mit gieriger Hand. Doch anders bestimmten die Parzen; Nun hat man erst wohl entdeckt, Wie wenig dorten die Schwarzen Noch von der Kultur beleckt, Wie oft auch von dorten gekommen Gar wundersame Mär Durch manch wohlbezahlten und frommen Und eifrigen Missionär. Jaja, die schwarzen Brüder, Die werden uns recht fatal; Man sang umsonst ihnen Lieder Christlich und deutschnational. Sie wollten für andre nicht schwitzen, Die Last deucht' ihnen enorm; Sie trugen nicht gern in der Hitzen Die preußische Uniform. Sie haben kein Staatsrecht studieret, Sind nicht von politischem Schliff, Doch, wenn auch nicht kultivieret, Sind sie doch von klarem Begriff. Das Land, das sie immer besessen, Dess' Frucht haben sie mit Verstand Sich selber auch zugemessen Und haben's ihr Eigen genannt. Da kam, um sie schwer zu kränken. Von Sansibar der Despot,

Der wollt' ihr Land so verschenken Durch einfaches Machtgebot. Das haben sie nicht gelitten, Das Land war nicht sein Gut; Sie haben wild drum gestritten, Geflossen ist deutsches Blut. Ermordet sind deutsche Söhne! Kolonialphilister verstockt — Ihr habt wieder eine schöne Supp' uns da eingebrockt! Nun weint ihr wie Krokodile, Die ihr einheimsen gewollt; Bezwingt Heber eure Gefühle Und seid nicht so gierig nach Gold! Die Sach' ist zu ernst zum Spotte, Doch liegt die Verführung nah: Nun wollt ihr, daß eine Flotte Bald segelt nach Ostafrika; Die soll dort die schwarzen Brüder Beschießen mit ihrem Geschütz, Und wir sollen's zahlen wieder — Das ist stets der alte Witz! DWJ 1888, S. 481.

Adolf Lepp Der Erbfeind Ach, wenn ich ihn vergiften könnte, Die Sünde wär' mir nicht zu groß; Ach, wenn ich ihn erschlagen könnte, Ich ginge mutig auf ihn los; Ich möchte ihm zu trinken geben Denaturierten Spiritus; Ich möchte auf dem Scheiterhaufen Ihn brennen sehn wie Johann Hus. 18

Denn an dem Unglück, an dem Elend, Das uns so tiefe Wunden schlägt, An allem Schlimmen, allem Bösen Die Schuld allein der Erbfeind trägt. Er hat's verschuldet, daß die Steuern Gewachsen sind von Jahr zu Jahr; Die gute Presse hat's verkündet, Da ist es ganz gewißlich wahr. Wie lebten wir so froh, so friedlich. Wenn nicht der böse Erbfeind wär', Wir brauchten keine Panzerflotte, Wir brauchten auch kein Militär, Wir könnten von dem vielen Gelde, Das unsre Soldateska frißt, Ein gar gemütlich Leben führen, Wie es des Menschen würdig ist. So aber müssen wir uns rüsten Und müssen opfern unser Blut, Und müssen Hypotheken nehmen Auf unser Feld und unser Gut. Denn Krieg will er mit uns beginnen Und will verwüsten unser Land, Drum ist es besser, mit dem Gelde Als mit dem Hofe abgebrannt. Ja, die verkommenen Franzosen, Die schänden Tochter uns und Weib, Die letzte Kuh in unserm Stalle Entführen sie zum Zeitvertreib, Wer ihren Gelddurst nicht befriedigt, Den machen sie gleich kalt und still. Drum ist es besser, wir berappen, Wenn die Regierung Steuern will. DWJ 1889, S. 565.

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Die deutsche Preßfreiheit

Ihr wollt sie durch Ausnahmegesetze Sowie durch gemeines Recht Zerstören, vernichten, verbieten — Glaubt, das gelingt euch schlecht! Und baut ihr den größten Galgen, An ihr zu vollziehn das Gericht, Und wollt ihr sie hängen und würgen Glaubt, ihr vermögt es nicht! Ihr könnt sie nicht packen, nicht schlagen, Nicht töten in Kampf und Streit, Denn sie war noch niemals vorhanden, Die deutsche Preßfreiheit\ DWJ 1889, S. 579.

Kl. Boykott Es war einmal ein Gastwirt Von patriotischem Sinn. Dem brachten die Arbeitergroschen Viel glänzenden Gewinn. Des Sonntags wogte im Saale Der Tanz nach altem Brauch. Das freute den braven Gastwirt, Und dicker ward sein Bauch. So ging es viele Jahre. Des Wirtes Beutel ward schwer, Da nahte das Verhängnis Und strafte den Guten sehr. 20

Es traten zu ihm die Roten — Wie schauerte ihm die Haut — Und meinten, daß zur Versammlung Sein Saal recht gut gebaut. Er wies sie höhnisch von hinnen, Am Sonntag aber, o Schreck, Da blieben vom fröhlichen Tanze Die Burschen und Mädchen weg. Bald war die Halle verödet, Die fröhlichen Weisen ruhn, Der Wirt und die Musikanten, Die bliesen Trübsal nun. Wie ward sein Bier so sauer, Wie ward sein Beutel so leer, Wie ward dem braven Gastwirt Sein deutsches Herz so schwer. Und als nach wenig Wochen Er vorm Bankrotte stand, Und als mit seinen Talern Sein feistes Bäuchlein schwand — Da war sein Stolz gebrochen, Er kroch zu Kreuze gern Und neigte sich vor den „Roten" Als seien es „feine Herrn". Vom früheren protzigen Wesen War fürder keine Spur — Ihm reichte der Patriotismus Bis an den Beutel nur! SP 1890, Nr. 1.

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1890-1899 Des Wahren Jakobs Klage Wehe, weh'! Der Götter Neid Brachte mir ein tiefes Leid, Und es klopft mein Herz mit Bangen! Bismarck, der Jahrzehnte schon Mit dem Rücktritt pflegt' zu dröhn Wirklich ist er jetzt gegangen! Der zu Lesers Freud' und Lab' Stets den besten Stoff mir gab Durch die vielen langen Jahre, Er läßt schnöde mich im Stich, Stündlich nun vermisse ich Die historischen drei Haare! Schritt auf seinem Heldengang Treu ihm nach Jahrzehnte lang, Seine Taten zu erzählen, Daß ihm selbst in Kampf und Streit Meiner Leser Heiterkeit Niemals, niemals durfte fehlen. Der Humor ist nie versiegt, Als die Schwarzen er bekriegt Heldenhaft, wie Barbarossa; Würdigung sein Tun auch fand, Als er leise sich gewandt Zu dem Gange nach Kanossa. In Freihandelspolitik Lachte liebevoll sein Blick Den Manchestertums-Verkündern, Und — wie heiter! — bald darauf Lenkt' er fröhlich seinen Lauf Zu den Zöllnern und den Sündern. Manche heitre Stunde bot Auch der Sozialistentod, 22

Den er inszeniert so kräftig. Aus Verboten ohne Zahl Wuchsen Stimmen für die Wahl, Und sie mehrten sich geschäftig. Ja, es wurden immer mehr, Und der Offiziösen Heer Schlug sie täglich tot und töter. Das Geschick ging seinen Gang, Und die Ausnahms-Taktik sank Tief, bis auf den Haupt und Schröder. Herkules am Scheideweg Suchte nach dem Rettungssteg, Sein System begann zu krachen. Keinen Ausweg nah und fern! Ich hätt' ihm geholfen gern, Doch ich konnte nicht, vor Lachen. Und so wich dem Zeitgeist er, Nieder legt' er Schild und Speer, Und entschloß sich, heim zu wandern. Drob vergeht mir der Humor! Meinen Bismarck ich verlor! Sagt, wer gibt mir einen andern? Wer sorgt künftig Jahr um Jahr So für Kurzweil immerdar In dem Kampfe um die Freiheit, Wenn die deutsche Politik Nicht in Glück und Mißgeschick Hängt an seiner Haare Dreiheit? DWJ 1890, S. 769.

Ostafrikanisches Idyll Ein Maffaineger schaut feuchten Blicks Von des Kilimandscharo Gipfel Auf die sonnendurchglühte Niederung, Auf die Bananenwipfel. 23

Die dunklen Augen sind umflort, Er schauert schmerzgeschüttelt, Wie wenn der Sturmwind am Felsengrat Die schlanke Palme rüttelt. Hat ihn die Liebste verlassen, ward Zu humanitären Zwecken Das Heimatdorf vom weißen Mann Ihm angesteckt an den vier Ecken? Ihn peinigt ein andrer, ein tiefrer Schmerz; Er sehnt sich nach dem Getränke, Das ihm die deutsche Hochkultur Gemacht hat zum Geschenke. Den preußischen Kartoffelschnaps, Den ihm Herr Woermann gesendet, Hat er seiner edlen Bestimmung gemäß Zu raschem Konsum verwendet. Schon fühlt er sich deutsch, es rieselt ihm Durch seine Adern der Fusel, So christlich, so sittlich, so zivilisiert, So beschnäpselt ist sein Dusel. Allein die Flaschen, sie wurden leer. Und fern noch sind neue Frachten, Nach hinterpommerschem Kraftlikör Geht all sein Sinnen und Trachten. Drum, deutsche Steuerzahler, schafft Geld, Daß der Neger sich Schnaps kann erwerben. Er wird auf dem Kilimandscharo sonst In dürstender Sehnsucht sterben. SP 1890, Nr. 6.

Korpsstudenten-Entrüstung Scheußlich, wat in unsern Tagen Die Philister alles wagen! Quasseln in der Presse 'rum Über Korpsstudententum! 24

"Unsre schön jehackten Nasen, Wo die Hiebe jründlich saßen, Unsern Stolz und unsre Ehr' Jönnt uns kein Philister mehr. Daß wir Modeluxus treiben, Wenn wir ihn auch schuldig bleiben, Daß wir pumpen, frisch, fromm, frei Jotte doch, wat is dabei? Daß wir in die Kneipen laufen, Daß wir täglich uns besaufen, Daß der Kater immerdar Uns dann quält, — es ist ja wahr. Daß wir Händel provozieren, Wenn die Leute uns „fixieren", Stets zum Raufen sind bereit — Det is „Burschenherrlichkeit". Und det Wen'ger Wen'ger Nee, det

will man reformieren? soll ick randalieren? Schmisse ins Jesicht? jeht uff Ehre nicht!

Sparsamkeit soll ick betreiben, Soll zuweilen nüchtern bleiben! Pumpen soll ick jar nicht mehr — Nee, denn schämt' ick mir zu sehr! Wat wär' ick denn for'n Studente! Man verlangte denn am Ende Jar von mir det Schlimmste wohl: Det ick ooch studieren soll! DWJ 1891, S. 939-

R. L. Agrarisches Manifest Bei jedem Anlaß, der sich bot, Bekundeten wir stets aufs neue Ergebenheit bis in den Tod Und absolute Kaisertreue. Doch treibt die Sache nicht zu weit, Zu Gunsten von verhetzten Massen! Ihr müßt in alle Ewigkeit Den Kornzoll hübsch in Ruhe lassen! Wir opfern willig Gut und Blut Auf dem Altar des Vaterlandes; Bekanntermaßen ist der Mut Ein altes Vorrecht unsres Standes. In jedem Amt sind wir bereit, Für euch uns lächelnd aufzureiben, Doch treibt die Dinge nicht zu weit Der Kornzoll muß bestehen bleiben! Uns geht's auch heute herzlich schlecht Bei so viel Rang- und Standespflichten, Und auf ein wohlerworbnes Recht Soll man gefügig da verzichten? Der Kornzoll ist und bleibt gefeit, Ob alles schwankend auch auf Erden — Erhöht kann er zwar jederzeit, Doch darf er nie erniedrigt werden! Was leiht sein Ohr der König dar Dem Plebs und seinen frechen Klagen? Denn wäre alles wirklich wahr Was haben wir danach zu fragen? Macht ihnen Sparsamkeit zur Pf licht; Wir tragen auch an schweren Lasten, Doch unternehmt das Wagnis nicht, Den Kornzoll jemals anzutasten! 26

"Und wenn ihr's dennoch wagt und tut, So kommt euch früh genug die Reue, Denn dieser Zoll ist — kurz und gut! Zugleich das Rückgrat unsrer Treue! Wenn ihr, was nie geschehen mag, Euch dergestalt an uns versündigt, So wird euch an demselben Tag Die Heeresfolge aufgekündigt! Ihr kennt an uns nur ein Gesicht: Den milden Ernst, den friedevollen; Doch nun vergallopiert euch nicht — Wir können zürnen auch und grollen! Der Schwatz, wenn man bei Tafel sitzt, Ist schließlich alles nur Geflunker; Die Frage hat sich zugespitzt Zum knappen Satz: Kein Zoll, kein Junker! Schlagt nicht die Warnung in den Wind — Ihr werdet euch in Nesseln setzen! Die Stelle, wo wir sterblich sind — O hütet euch, sie zu verletzen! Es lebt sogar im Herrenhaus Noch der Vasallentrotz, der echte; Ist's mit dem Kornzoll wirklich aus, So sucht euch eine andre Rechte! Ja, wir bestehn auf unsrem Schein Bis an das Ende aller Tage; Hier werden wir unbeugsam sein, Denn hier kommt das Prinzip in Frage! Jawohl, wir sind aus Rand und Band Und nagen blutig uns die Lippen; Kommt her und wagt's, mit kecker Hand, An unsern Kornzoll nur zu tippen\ D W J 1891, S. 969.

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J.st. Den Bejublern der Marxschen Programmkritik Was jubelt ihr im Siegesschritt Und krächzt wie beutegier'ge Raben, Weil schartig war das Schwert, womit Wir euch so oft gehauen haben? Bedenkt, wenn mit dem schart'gen Stahl Wir schritten fort von Sieg zu Siegen: Wenn neu geschliffen er einmal, Wie werdet ihr erst Hiebe kriegen! DWJ 1891, S. 972.

Staatsanwaltliches

Ein rechter schneidiger Staatsanwalt Ist tröstlich stets als Erscheinung, Weil sicher sich fühlt das Vaterland; Das ist so ganz meine Meinung. Gar schlimm lebend'ge Skribenten sind, Die schwarzen sowohl als die roten; Doch schlimmer als die lebendige Rott' Ist manchmal die Rotte der Toten. Der Staatsanwalt zu Magdeburg, Der ist ihnen nicht gewogen, Er hat den Heine und Büchner schön In Untersuchung gezogen. Die beiden haben, das steht nun fest, Nur Umsturz und Unzucht gepredigt Und haben des deutschen Volkes Moral Dadurch aufs tiefste geschädigt. 28

Daß beide Verbrecher gestorben sind. Das tut der Sach' etwas Schaden; Sie kommen nicht auf die Anklagebank, Man weiß sie nicht recht zu laden. Der Zustellungsbeamte, er kann Nicht finden die Delinquenten, Daß sie die Ladung, wie sich's gebührt, Auch richtig bescheinigen könnten. Ach säßen sie auf dem Bänkchen dort Und ließen hängen die Köpfe, Wie würde der schneidige Staatsanwalt Andonnern die armen Tröpfe! Auch andere Klassiker sollten noch Die Anklagebank bald zieren, Die auch nach Umsturz und Unzucht gestrebt Und täten das Volk verführen. Der eine verherrlicht im Trillerton Den Teil, den Attentäter; Ihr kennt ihn ja, den Schiller, schon, Er ist ein Hochverräter. Der andre mit Namen Goethe heißt, Minister tat auch er sich nennen, Er schrieb die unzüchtige Braut von Korinth, Die heut noch man sollte verbrennen. Der Wieland, Thümmel, Herwegh und Prutz, Der Freiligrath und der Kinkel, Die müßten von Rechts wegen Buße tun Im dunklen Gefängniswinkel. Ach könnte sie schleppen der Staatsanwalt Herbei, der Gesellschaftsretter, Und würden verdammt sie nach dem Gesetz, Das wär' ein Schauspiel für Götter! Es würde dem staunenden Vaterland In allen Gauen verkündigt, 29

Daß Goethe und Schiller bei Wasser und Brot Nun büßen, was sie gesündigt. Mein armes liebes Deutschland, es muß Auf das Götter-Schauspiel verzichten. Und weiter wird noch das Volk verführt Mit Goethes und Heines Gedichten! D W J 1891, S. 1077.

Feste druff! Aus Piepmaiers Tagebuch

J a , es müssen die Rekruten Sich für unser Wohl verbluten, Und es werden ihre Knochen Für das Vaterland zerbrochen. Wie bei Sedan und bei Düppel Werden sie marode Krüppel. Und wenn uns der innere Feind, Der das Göttlichste verneint. Der da grollt dem Kapital, Einmal machet laut Skandal, Dann besinnt euch nicht, Soldaten, Auf zu schönen Heldentaten, Und die Gegner blutigrot Schießt sogleich ihr mausetot. Wer euch auch entgegentritt. Niedermäh' sie Schnitt auf Schnitt Eurer Kugeln Todessichel, Schlag und schieß, mein deutscher Michel, Stich und bohre, spieß und hau, Männer, Weiber, Kind und Frau. Ohne Gnade, euch zum Ruhm, Schirmet unser Eigentum! Und wenn ihr auch zitternd seht, Daß dort euer Bruder steht. Leget an und schießt ihn nieder,

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Wackre Streiter, treu und bieder! Gegen alle müßt ihr ziehn, So gebeut's die Disziplin, Und wenn es Verwandte sind, So genier dich nicht, mein Kind, Piff, paff, puff und ohne Rauch Blaue Bohnen in den Bauch! Rauchlos ist das Pulver jetzt, Wer sich euch entgegensetzt, Ihr erkennt ihn, seht ihn gut, Zielt drauflos mit kaltem Blut, Durch drei Mann schlägt ein Geschoß, Darum, Proletariersproß, Der du ißt Kasernenbröt, Schieße nur auf einmal tot Deinen Bruder, diesen Gauch, Deinen Vetter, schieß ihn auch, Dort dein Vater tritt hervor, Knall ihm eine rasch ans Ohr, Schieße alle, alle tot, Wie heißt doch das vierte Gebot? Doch der Schutz des Kapitals Stehet höher jedenfalls. Wer beim Schießen nicht pariert, Wird standrechtlich füsiliert. SP 1891, Nr. 25.

Das Lied vom Unteroffizier

Da streiten sich die Leut' herum Im lieben Vaterland! Man forscht mit viel Ingenium: „Was ist der beste Stand?" Sehr überflüssig scheint das mir, Ja lächerlich zu sein: Ich werde Unteroffizier In unsrer Wacht am Rhein! 6

Rothe

Das ist der würdigste Beruf, Den man ersinnen kann, Der passendste, den Gott erschuf Für einen jungen Mann. In eines Waffenrockes Zier Schlüpf' ich vergnügt hinein: Ich werde Unteroffizier In unsrer Wacht am Rhein! Wann litte je der Magen Not, 0 Mars, bei deinem Sohn? Für Fleisch und Wurst zum Kommißbrot Sorgt seine Köchin schon. Die Löhnung langt auch noch zu Bier, Im Süden auch zu Wein: Ich werde Unteroffizier In unsrer Wacht am Rhein! Und was zu sagen hat man auch, Und das ist eine Lust! Man ruft: „Hinein mit deinem Bauch! Heraus mit deiner Brust!" Und wär' der Kerl stark wie ein Stier, Ich schüchtre doch ihn ein: Ich werde Unteroffizier In unsrer Wacht am Rhein! Begegnet mir, dem Herrn Sergeant, Ein einfacher Soldat, So fährt sogleich die linke Hand An seine Hosennaht, Die Rechte salutiert vor mir, Als schlüg' ein Blitz hinein Ich werde Unteroffizier In unsrer Wacht am Rhein! Es sieht in mir zu jeder Zeit — Weh ihm, wenn er's nicht tut! — Ein Stück der hohen Obrigkeit Besonders der Rekrut. Als Stellvertreter setzte hier 32

Der liebe Gott uns ein Ich werde Unteroffizier In unsrer Wacht am Rhein! DWJ 1892, S. 1221.

Die Dynamit-Helden

Sie wollen die Welt mit Trümmern bedecken Und damit die ganze Menschheit erschrecken Auch unser Schrecken, der war böse Ob einer Dummheit von solcher Größe. DWJ 1892, S. 1237.

Der Tapferste Es saßen drei alte Krieger Vertraulich zusammen beim Bier. Der eine trug Bänder und Orden, Der blutigen Tapferkeit Zier. „Ich habe", so sprach er, „drei Fahnen Erbeutet bei Metz in der Schlacht, Und hab' einen feindlichen Oberst Im Kampf zum Gefangnen gemacht." Der zweite sprach: „Schwerer wohl ward uns. Was Sechsundsechzig geschah — Ich hab' deutsche Brüder erschossen Im Walde von Sadowa." Den dritten noch zierte kein Orden, Er war noch ein junges Blut, Doch rief er: „Ihr Kameraden, Auch ich gab schon Proben von Mut. 6»

Denn als mich geschimpft und geschlagen Im Dienste der Herr Korporal, Da hab' ich Beschwerde ergriffen, Nicht fürchtend der Rache Strahl." Da reichten die alten Krieger Dem jungen die Hände gerührt, Und sprachen: „Nur dir, du Verwegner, Die Palme des Mutes gebührt!" DWJ 1892, S. 1242.

Die Patrioten

Es brach der mächtige Feind herein, Der Freien Burg zu berennen, Und ringsum sah man in loderndem Schein Die ärmlichen Hütten brennen. Es flohen tief in des Waldes Nacht Ohn' Obdach Weiber und Kinder, Die Männer stellten sich kühn zur Schlacht, Die streitbare Jugend nicht minder. Sie dachten nicht an ihr Leben und Blut, Sie fürchteten kein Verderben, Sie wollten die Freiheit, das köstlichste Gut, Erhalten sich oder sterben. So stürzten sie sich in das Kampfgewühl, Den Siegespreis zu gewinnen, Und ob manch tapferer Kämpfer fiel, Sie trieben den Feind von hinnen. Wohl ist der Boden mit Blut gedüngt, Und tausend Tränen rannen, Sie haben die alte Freiheit verjüngt, Die todesmutigen Mannen.

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Doch kommen nicht die Poeten gerannt, Zu singen und preisen die Toten, Die sich geopfert fürs Vaterland Als edelste Patrioten; Es steht auch kein ehernes Denkmal da, Die Nachwelt auf sie zu verweisen — Es sind ja nur Neger in Afrika, Die kämpften gegen die Deutschen! DWJ 1892, S. 1301.

Die deutsche Revolution Der Deutsche ist von sanften Sinnen Und fem von jedem Übermut; Er wird nicht frevelhaft beginnen, Was dünkt der Obrigkeit nicht gut. Geduldig hat er stets getragen Sein angestammtes altes Joch In guten und in bösen Tagen; Und wie er's trug, so trägt er's noch. Es schlugen grobe Bürokraten Ihn mit der Faust ins Angesicht, Und rühmen sich noch solcher Taten — Der gute Deutsche muckte nicht. Die Junker und die Pfaffen zogen Aus ungeniert ihm Rock und Hemd, Er hielt den Nacken fromm gebogen, Ward er ein wenig auch beklemmt. Die Herrn Kapitalisten schinden Ihm endlich noch vom Leib die Haut, Er sucht auch darein sich zu finden, Ist er davon auch nicht erbaut. 35

Wie ihn auch einst mit saft'gen Ruten Der große Bismarck hat bedacht, Der Deutsche hat dafür dem Guten Manch prächtiges Geschenk gemacht. Und hat sich alles ihm verflüchtigt, Mit Seufzen er sich drein ergibt Und spricht: Ich weiß schon längst, es züchtigt Der liebe Gott stets, den er liebt . . . Doch will man ihm durch neue Steuern, Da schon die alten sind so groß, Sein vielgeliebtes Bier verteuern — Gebt acht, da geht der Rummel los! DWJ 1892, S. 1309.

Deutsche Professoren

Wollt ihr deutsche Professoren? Gebt mir Geld, und ganze Fuhren Bring' ich euch von diesen Kerlen, Die verkäuflich sind wie Huren! Würde Rothschild sich bekehren Heute zu den Sozialisten, Morgen schon auf ihren Zimmern Vor bekränzten Lassallebüsten Hielten diese Geldsackluis Reden - so rebellisch düster, Daß vor ihrem Wortklang würden Schaudern alle Reichsphilister. SP 1892, Nr. 21.

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Ein Vorschlag

Bei Spichern gräbt man aus die Knochen Der Kämpfer aus dem „großen Krieg", Daß, ungestört durch Massengräber, Der Bauer seine Felder pflüg'. Man schüttet sie in eine Grube, Dort brauchen sie nur kleinen Raum; So hindern sie die Bodennutzung Und den Ertrag der Felder kaum. Man ist noch immer pietätvoll, Daß man die Knochen nicht verkauft — Es hätten Düngerfabrikanten Sich sicherlich darum gerauft. Doch halt, da kommt mir ein Gedanke! Ich wüßte einen bessern Zweck — Grabt nicht die alten, morschen Knochen Aufs neue ein in Staub und Dreck. Noch harrt der Bismarck auf sein Denkmal, Und schafft's euch auch ein wenig Grau'n — Ihr könntet ihm aus diesen Knochen 'ne Schädelpyramide baun. Die wär' für den Depeschenfälscher Zu best als Denkmal angebracht, Daß ihn die Schädel seiner Opfer Angrinsen könnten Tag und Nacht. SP 1892, Nr. 24.

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Kl. Der Sieg der Tugend Eine sittsame Ballade aus der Zeit der Lex Heintze

Ein frommes Pfäfflein lobesam Arglos in einen Schloßpark kam, Es wandelte beschaulich, Und was es dacht' in seinem Sinn Beim Wandeln durch die Bäume hin, War fromm und sehr erbaulich. Da plötzlich schrickt der P f a f f empor, Denn dort aus dichtem Rosenflor In marmorweißem Schimmer Ragt eine Venus, splitternackt, Und starr ihn das Entsetzen packt Ob solchem „Frauenzimmer". Und hin zum Grafen eilt er schnell Und droht mit Fegefeu'r und Holl' Für solche schwere Sünde, Und jeder Ablaß wird verwehrt, Falls, wenn der P f a f f zurückgekehrt, Er noch dies „Weibsbild" finde. Der Graf ist ganz entsetzt und spricht: „Ich lieb' ja auch die Venus nicht — Sie ist ja nur von Steine. Ihr könnt getrost von hinnen gehn, Wie ihr's gesagt, so soll's geschehn Zum Nutzen der Gemeine." Und wie sich hebt der Morgen hell, Eilt in den Park das Pfäfflein schnell. Die Venus zu erschauen, Doch wie er kommt zum Marmorstein, Reibt er erstaunt die Äugelein Mag seinem Blick nicht trauen.

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Da steht in Rosen rot und Grün Frau Venus mit der Krinolin' Und langem Weiberrocke, Den Busen hält ein Stahlkorsett, Das Köpflein eine Häube nett, Verbergend jede Locke. Ein Vöglein sitzt auf ihrem Kopf Und singt ins Ohr dem frommen Tropf Ein Lied voll Hohn und Spotte, Das Pfäfflein aber still vergnügt In seine Klause sich verfügt Und danket seinem Gotte. Nun wandelt wieder fromm und still Der Pfäff', wenn's Abend werden will, Hin durch den Park beschaulich; Er streicht behaglich sich das Kinn, Und was er denkt in seinem Sinn, Ist fromm und sehr erbaulich. SP 1893, Nr. 2, S. 3.

Krupp

Wie ist der Krupp ein Patriot! Er liefert an Frankreich nicht Flinten. Wir können durch seine Geschütze den Tod Im Krieg gegen Rußland nur finden. DWJ 1893, S. 1389.

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Karl Kaiser Ode an die „Schönheitler" Reime mit der Versfußschaufel Schön symmetrisch abzustechen, Mit der Politur der Sprache Glattzuschlecken dann die Flächen, Alles Eckige verfluchen, Niederknieen vor dem Weichen Ja, in diesem Kunstvollenden Werd' ich niemals euch erreichen. Karg ist meine Bildersprache, Knorrig wie die Hagebuche, Während eure leicht und lieblich Fließt im goldverzierten Buche. Wenn ihr singt von Liebesfreuden, Alle Pärchen hold vibrieren, Wenn ihr singt von Liebesschmerzen, Mädchen sich zu Tränen rühren. Euch erscheint das ganze Leben Wie ein großer Sirupfladen, Wo der Schmerz nur wie die Fliegchen Zufallsweis' hinein geraten. Dieses Leben, wo die Stärkren Über die Gestürzten klettern, Wo des Elends Kettenkugeln Ganze Reihen niederschmettern. Lernt doch, eh' ihr weiter dichtet, Vorher noch ein wenig denken, Lernt das Lotblei eures Geistes In die Gegensätze senken, Dann sitzt hin und kritzelt weiter Euren Stil, den altbekannten Ei, wie werdet ihr erstaunen Ob den unschön scharfen Kanten!

SP 1893. Nr. 5.

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Der Reichstag und die Militärvorlage oder Die umgekehrte Ballade vom Fischerknaben

Das Redewasser rauscht' und schwoll, Der Kanzler saß daran, Blickt' auf die Redner ruhevoll, Kühl bis ans Herz hinan. Und wie er sitzt und wie er lauscht, — Er kennt die Weise schon — Empor mit viel Protesten rauscht Die Opposition. E r sprach zu ihr, er sang zu ihr: Wozu so viel Geschrei? Zur dritten Lesung, glaubt es mir, Seid ihr reichstreuer Brei. Ach wüßtet ihr, wie nötig ist Verstärkung unsrem Heer, Ihr stimmtet zu ganz ohne Frist Und gäbt uns noch viel mehr. Fühlt ihr denn nicht, wie unser Ruhm Auf schwachen Füßen steht Und welches Demokratentum Um das Gebäude weht? Das Redewasser rauscht in - Moll Und leckt ihm bald den Fuß, Es wuchs ihr Herz so sehnsuchtsvoll Wie bei des Liebsten Gruß. Er sprach zu ihr, weich ward ihr Sinn, Und sieh, er hat „ihr" schon, Halb zog er sie, halb schmolz sie hin, Die Opposition. D W J 1893, S. 1414.

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Merkwürdiges Resultat

Sie schlugen uns schon lange tot Und schlagen uns täglich töter, Und dennoch wird das deutsche Volk Mit jedem Tage röter. SP 1893, Nr. 7.

Eduard Fuchs Guter R a t der Malthusianer an die Proletarier Erschieß dich Lump — wenn du nichts hast, Es ist kein Tisch für dich gedeckt, Doch triff dich gut - sei nicht zur Last Dem Spittel und der Armenpfleg'. SP 1893. Nr. 7.

Gg. Schbg. Der alte Zuchthäusler Der Vater sitzt im Zuchthaus längst, Spinnt Wolle viele Jahre; Die Mutter legte im Spital Man kürzlich auf die Bahre. Die Tochter sucht sich im Bordell Ein lustig Heim zu gründen — Und nur der Sohn, der blieb bis jetzt Noch ziemlich frei von Sünden. 42

Doch heute trat zum Alten hin Der Wächter beim Spazieren Und sprach: „Na Klaus, zu eurem Sohn Könnt ihr euch gratulieren. Denn wegen Mord und Einbruch hat Man gestern ihn gefangen; Schlimm steht die Sache; euer Sohn Wird sicher drum gehangen." Da lacht der Alte, höhnisch auf: „Nun ist mir wohl zu Mute: E s blieb doch Fleisch von meinem Fleisch Und Blut von meinem Blute!" S P 1893, Nr. 8.

Das Geldsacklied

Stimm an mir den Triumphgesang, Laß deine Pfeifen tönen, Satan! Den neuen Herrn der Welt •Gilt es mit Pomp zu krönen. Ihr Weihrauchwolken, dampft empor, Sink auf die Knie nieder, Du Menschenpack, und bet mich an Und sing mir Jubellieder. Ich bin der Herrscher dieser Welt! Der Gott von Geldsacksgnaden! Mein Purpurmantel ist gewebt Yon Blut aus tausend Wunden, Gekittet mit dem Schweiße der. Die sich zu Tod geschunden. Die Perlen meines Diadems Sind Tränen der Enterbten, Gepolstert ist mein Herrscherthron Mit Flüchen der Verderbten.

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Ich bin der Herrscher dieser Welt! Der Gott von Geldsacksgnaden! Bin mächtiger als Zebaoth, Der Gott der Rachetriebe, Bin mächtiger als Jehova selbst, Der Mitleidsgott der Liebe! Kein Glaubensdogma hält mir stand, Wenn die Dukaten schallen. J a euer Himmel selbst ist mein Mit seinen Heil'gen allen. Ich bin der Herrscher dieser Welt! Der Gott von Geldsacksgnaden! Die Waage der Gerechtigkeit Beherrsch' ich an der Zunge; Die vielgepriesne Wissenschaft Rühmt mich mit voller Lunge! Das ganze störr'sche Künstlervolk, Die Maler und Poeten, Wie werden sie so zahm und fromm Im Dienste der Moneten. Ich bin der Herrscher dieser Welt! Der Gott von Geldsacksgnaden! Womit ihr prahlt, die Tugenden Aus eurer Väter Zeiten, Der Stolz des Mannes, Treue, Mut Und andre Herrlichkeiten Wo sind sie denn? Ich zwing' in Staub Den starken Rücken nieder, Mein Gold macht feil das treuste Weib, Der Unschuld reinste Glieder. Ich bin der Herrscher dieser Welt! Der Gott von Geldsacksgnaden! So thron' ich, Kaiser, Papst und Gott, An des Jahrhunderts Wende, Die Blüte eurer Scheinkultur, Zugleich ihr schmutzig Ende. — Die ihr zum Götzen mich gemacht, 44

Vernehmt noch meinen Segen: Der erste Sturm wird euch und mich Wie Spreu vom Boden fegen! Glück auf, Satan! Zur Höllenfahrt Dem Gott von Geldsacksgnaden! SP 1893, Nr. 9, Beilage.

Eduard Fachs Eine Frage Wenn du auch zagst, Philister, dennoch: Des Weltalls Losung heißt: Revolutionen! Und ohne Anfang, ohne Rast und Ende Erneut das Leben sich durch die Äonen. Und Sonnen, die den Raum des Kosmos Durcheilen gleich wie Flammenzeichen, Verkohlen mählich zu vulkan'schen Schlacken, Erkalten einst zu ausgebrannten Leichen. Kometen, die mit ihren Flammenruten Zornrot das All zu peitschen scheinen, Sie stürzen zischend in der Sonne Gluten, Um neu dem Urstoff sich zu einen. Es rang der Mensch unbeugsam tapfer Sich los aus Schlamm und tierischen Gestalten, So siehst auf Sonnen und Planeten Du die Gesetze der Entwicklung walten. Nur du allein, du lieblicher Philister, Glaubst, dein Gesetz sei gültig für die Ewigkeiten Und binde auch den manngewordenen Menschen, Der Gott-gleich schaut in Siriusweiten. Der sich den Blitz herabgeholt vom Himmel, Glaubst du, er frone stets in deinen Krämerbuden?

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Glaubst du, daß ewig nur für deinen Geldsack Die Hirne fiebern und die Muskeln bluten? SP 1893, Nr. 10.

Sozialist

Wenn ich ans Beten glauben tät', Verrichtet' Tag für Tag ich ein Gebet: Schütze, o Herrgott, unsre Partei Vor schäbiger, knausiger, Kleinlicher, lausiger Kleinbürgerei. SP 1893, Nr. 14.

Z u m Völkerfrieden

Um des lieben Friedens willen Rüstet Frankreich wie noch nie Seine Heeresmacht im stillen: Infant'rie und Kavall'rie! Daß die Freundschaft aller Staaten Fürder bleibe ungestört, Wünscht auch Deutschland die SoldatenAnzahl ungemein vermehrt! Rußland haßt die Streitereien, Strebt nach Ruhe, will nichts mehr, Und verdoppelt drum die Reihen Seiner kriegerischen Wehr. Öst'rreich will kein Blutvergießen, Wendet auch Millionen drauf, 46

Läßt sich gar kein Geld verdrießen, Führt Befestigungen auf. England, klug, bedacht von ehe, Sorgt, wie stets, auch diesesmal: Baut, daß nur kein Zwist entstehe, Panzerschiffe kolossal. Und so sind nunmehr hienieden Alle Reiche vis-à-vis Zu dem großen Völkerfrieden Ausgerüstet wie noch nie! D W J 1893, S. 1497.

Eduard Fuchs Bourgeoisie- und Proletarierkunst Es geht zu End' mit eurer Klasse, Es geht zu End' mit eurem Recht, Bald wird sich freuen der schönen Erde Ein freies, edleres Geschlecht. Es geht zu End' mit eurer Weisheit, Es geht zu End' mit eurer Kunst, Und vor dem Blick der Göttin Wahrheit Zerstiebt der Mammonspfaffen Dunst. Die Schönheit mangle, sagt ihr höhnend, Des Volks entsetztem Schmerzensschrei, Und ihr vermißt „harmonische Klänge", Des „Schönen und des Guten" Konterfei. Ja, eure Kunst gleicht der Theatersonne, Die des Ballettes Schminke überschminkt, Sie gleicht dem Kuß der käuflichen Hetäre, Die im Champagner sich Vergessen trinkt. 7

Rothe

Dem Opiumrausche gleicht sie des Chinesen, Der sich auf weichen Ruhebetten reckt Und den der Wollust Träume heiß umfangen, Bis namenloser Ekel ihn erweckt. Das ist die Kunst der Fäulnis und der Schwäche, Der Decadence, wie ihr vergeckt sie nennt, Euch ist die Kunst bald nur das Metzenkunststück, Die Brunst zu reizen, dess' — der impotent. Die Kunst des untergehenden Geschlechtes, Wie kann sie besser sein als dieses selbst? Vom Wein, den stolze Ahnen einst kredenzten, Blieb euch nur schnöder Epigonenrest. J a unsrer jungen Kunst der Arbeit Fehlt Dirnenschminke freilich ganz und gar, Doch schön ist sie, ein jugendfrisches Mädchen, Dem Volk entsprossen, rein und wahr. Wohl ist sie schön, der Freiheit Muse, Schön wie des Nordlichts mag'scher Strahl, Der Eisentrümmer flammend überleuchtet, Daß sie erglänzen wie der heil'ge Gral. Und schön ist sie wie Frühlingsstürme, Die niederdonnern in das bange Land, Schön ist sie wie die ries'ge Steppe, Wenn sie durchlodert Feuersbrand. Schön ist sie wie des Löwen Brüllen, Vor dem erzittert jede Kreatur, J a schön wie die, die ihr geschändet Und die wir furchtbar rächen — die Natur. SP 1893, Nr. 15.

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Warum — Darum Drei Bauern saßen im Kruge Und sprachen von Futternot. Sie tranken schlechten Fusel Zu ihrem groben Brot. Der eine sagt': „Ein Glück jetzt, Daß ich keine Kuh mehr besitz': Ich mußte die letzte verkaufen. Als wurde Soldat der Fritz." „Hast recht, Hans", sagte der zweite Und lachte bitter dazu. „Mir hat geholt schon lange Der Gläubiger meine Kuh." „Die meine", schrie der dritte, Und schlug auf den Tisch voll Zorn, „Nahm weg der Steuereinnehmer. Sie hatt' ein gewundenes Horn." Da rief ein Handwerksbursche, Der ihnen zugehört: „Ihr hättet noch eure Kühe, Wenn ihr keine Ochsen wärt. Wenn bei den Wahlen, ihr Bauern, Nicht stimmtet gar so dumm Für Militär und Geldsack, So ging's euch nicht so krumm." DWJ 1893. S. 1548.

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Zünftler-Trost Was immer in rastlosem Schaffen die Welt Ersinnt, erstrebt und vollendet Der Zünftler, der alte, verstockte, hält Den Blick stets nach rückwärts gewendet. Er baut auf die Rückkehr der alten Zeit In konservativer Gesinnung — Er hofft auf den Nachweis der Fähigkeit und die obligatorische Innung. Und wenn auch das mächtige Großkapital Ihm Stab schon und Stütze entwandte — Er kennt seinen furchtbaren Feind nicht einmal, Er schläft an des Abgrunds Rande. Und öffnet das Unheil den Rachen weit, Er denkt nicht an Schutz und Entrinnung, Er hofft auf den Nachweis der Fähigkeit Und die obligatorische Innung. Wenn um ihn rings alles nun wanket und kracht, Wenn rasch die Konkurse sich mehren, Wenn gegen des Großkapitales Macht Vergeblich die Kleinen sich wehren, Da kündet er gegen die Juden den Streit Und wahrt seine fromme Gesinnung — Er hofft auf den Nachweis der Fähigkeit Und die obligatorische Innung. DWJ 1893, S. 1545.

Max Kegel „Liberal" Der stolze Name „liberal", Wie hat verlockend er geklungen, Eh' noch der Wahrheit Sonnenstrahl

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Des Irrtums Nebel ganz durchdrungen. Befreiung hat dem Volke er Aus Not und Sklaventum verheißen. Die Ketten, die es drückten schwer, Versprach er, kräftig zu zerreißen. Doch nun, da ihm der Neuzeit Geist Verholfen hat zu leichten Siegen, Da auf des Volkes Schultern dreist Zu Macht und Ansehn er gestiegen, Jetzt weiß der Liberale nicht, Was er dem Volke einst versprochen, Vergessen hat er jede Pflicht, Und jeden Schwur hat er gebrochen. Indes, den Titel „liberal" Will jetzt der Falsche doch nicht missen, Was einst der Freiheit Ideal, Bedeutet jetzt — ein weit' Gewissen. Dem Volke gegenüber kann Es auch die Freiheit noch bedeuten, Der Liberale fordert dann Die Freiheit nur, es auszubeuten. Nach oben hin ist's „liberal". Des Volkes Rechte preiszugeben, Gesinnung wechseln radikal, Nach Gunst und Ordensbändern streben. Vor hoher Herren Türe stehn, Lakaien gleich in Wadeistrümpfen, Und stolz aufs Volk heruntersehn Und vornehm seine Nase rümpfen. Trotz alledem bei jeder Wahl Um Volkes Stimmen sich bewerben, Mit trügerischem Phrasenschwall Des Landes Lage rosig färben, Verfemen wahrer Freiheit Wort Mit feigem Lügen, dreistem Prahlen, Sich preisen als des Volkes Hort Das ist die Art der „Liberalen". 51

Doch allzu oft schon ließen sie Ihr ränkevolles Tun durchschauen, Der Arbeit Kämpfer werden nie In Zukunft solchen Helden trauen. Nur wo im Morgenwinde rot Des Sozialismus Banner wehen, Da wird für Arbeit, Recht und Brot Das Heer des Volkes mutig stehen. D W J 1893, S. 1561.

Fin de siècle Motto: Die Flut steigt — steigt — steigt. (Thiers)

Den Plan betritt der vierte Stand, Er hebt empor die Schwielenhand, Beugt noch das Haupt und bittet. Die Obern hören nicht sein Wort, Zehntausend schlemmen lustig fort, Am Mammon fest gekittet. Nun eilt herbei der Proletar, Umringt von einer Kinderschar, Mit krankem Weib, und jammert. Der Protz den feisten Rücken dreht Und spricht sattfaul: „Arbeit und bet!", Am Geldsack festgeklammert. Der Mann der Arbeit kommt herbei, Er tritt geschlossen in die Reih' Und trägt kein Schloß am Munde : Dieweil ihr praßt beim leckern Mahl, Frißt unsern Schweiß das Kapital Und richtet uns zugrunde. Der Bauersmann verläßt den Pflug Und keucht heran im langen Zug,

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Belastet von den Steuern. Sie hören nicht auf sein Beschwer, Gestützt auf seinen Sohn im Heer, Den sie gedrillt zum Feuern. Es stelzt heran der Invalid Mit seinem Leierkastenlied, Denkzeichen auf dem Kittel. Der tapfre Held in mancher Schlacht Hat's nur zum Eisern' Kreuz gebracht, In Aussicht auf das SpitteK Und viel im Dienst des Staates stehn, Die nach den vollen Krippen sehn, Wo Schranzen fett sich mästen. Sie machen eine Faust im Sack Und grollen dem servilen Pack Im Ordensfrack bei Festen. — Sie reichen alle sich die Hand, Zum Bund vereint im vierten Stand, Dumpf dröhnt der Schritt der Massen. Millionen treibt des Elends Qual, Und immer größer wächst die Zahl, Kein Kerker kann sie fassen. Da nützt nicht mehr ein Machtgebot, Und nützt nicht länger Kraut und Lot, Die Not zerbricht das Eisen. Gewalt regiert so lang' die Welt, Als an der Kett' der Hunger bellt, Der Hund wird endlich beißen. S P 1894, Nr. 9.

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M. N. Maschinenalter Der Dampf dreht das Maschinenrad Und dreht dem Proletariat Das Herz im Leibe um. E s dreht das Rad sich früh und spat. Und kommt dazu noch Gottes Gnad', Dann wird der Hunger stumm. Wenn nimmer nützt ein guter Rat Und platzt des vollen Geldsacks Naht, So heult das Protzentum. Das tanzt als Börsenpotentat Ums goldne Kalb, belebt vom Draht, Die feisten Beine krumm. Sobald gereift die schlimme Saat, Greift zum Gewehr der „Retter Staat" Und stillt des Volks Gebrumm. SP 1894, Nr. 9.

.Edelwild"

Zum Birkhahn sprach der Auerhahn: Du mußt zuerst mich grüßen, Weil Fürsten nur und hohe Herrn Zum Zeitvertreib mich schießen. Ich bin ein hochgeadelt Vieh, Du bist nur ein Plebeje, Drum grüße fein und drücke dich Dann seitwärts aus dem Wege.

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Drauf sprach der Birk- zum Auerhahn: Herr Vetter, nehmt's nicht übel — Ich glaub', es rappelt etwas stark Bei euch im Oberstübel. Wenn's einem an den Kragen geht. Was kümmern ihn die Schützen? Das Fürstenblei tut grad so weh Als das der Bauernfritzen. SP 1894, Nr. 11.

Streber

Sinnend sitzt Man - lächelnd schaut Man Der Bewerber lange Reihen — Endlich wählet drei heraus — Man, Glaubt, daß sie die besten seien; Wohlgeneigtest dekretiert Man: „In die Stellen rücken ein: Bückdich, Duckdich, Knickebein!" SP 1894, Nr. 12.

Ludwig Pfau Frau Kirche Frau Kirche war einst kerngesund, Pausbackig, rotwangig, kugelrund; Konnte Glaubenskieselsteine kauen, Dogmatische Hufeisen gar verdauen; Führte wohl etwas sträflichen Wandel, Stak in manchem Liebeshandel, Hat dann zur Sühn' etlich' Ketzer geröstet Aber die Gläubigen mit Ablaß getröstet.

War ganz wuslich, krabblich, fidel, Soff ganz heidnisch und machte Krakeel; Stand auch mit Herrn Jokus aufs beste, Hatt' ihre Narren- und Eselsfeste. Doch, nun sie alt und bresthaft ward, Griesgram und von schlottriger Art, Kann sie den Witz nicht mehr ertragen — Ist ein Beweis von schlechtem Magen. Seit sie taub war auf einem Ohr Und ihre besten Fangzähn' verlor, Ist sie zum Lachen viel zu faul, Weist auch nit gern ihr zahnloses Maul; Wehrt nun andern Lust und Lachen, Weil's alle alten Betschwestern machen. S P 1894, Nr. 12.

Der „Mantel der christlichen Liebe" Der „Mantel der christlichen Liebe" Ist wahrlich keine Mythe: Sie decken ihn über des Volkes Not Und preisen dann Gottes Güte: Wie er den Menschen nur Gutes tut, Wie er für alle gesorgt so gut! S P 1894, Nr. 14.

B. N. Die Ganzen und die Halben Nicht fürchten wir die Ganzen, Ein jeder kennt sie gut; Dagegen vor den Halben Sei stets man auf der Hut.

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Sie kommen katzenfreundlich Und biedern süß uns an Und spenden unsern Kassen Ein Märklein dann und wann. „Ja, ja, in vielen Dingen, Stimm ich euch völlig bei. Doch manches muß ich tadeln. Das, jenes, allerlei." „Ja, ja, gewissermaßen Bin ich auch Sozialist. Doch bin ich Patriot auch, Ein Deutscher und ein Christ." „Ja, ja, mit vielen Schäden Behaftet ist die Zeit. Ihr aber zu extrem seid Und gehet viel zu weit." „Ja, ja, ihr könnt mir's glauben, Ich hab' ein warmes Herz Für's Arbeitsvolk; sein Leiden Erregt mir tiefen Schmerz." Und kommt die Zeit der Wahlen: Der Biedermann erscheint Im Lager unsrer Gegner; Wirbt auch für unsern Feind! — Der Eigennutz verbrämt sich •Gern mit Humanität. Der eine wollte haschen Nach Popularität! Arbeiter anzulocken Der andre war bestrebt: Er ist ein Metzger, Bäcker, Der von den Massen lebt! — Nicht fürchten wir die Ganzen, lEin jeder kennt sie gut; 57

Dagegen vor den Halben Seid ja auf eurer Hut! SP 1894, Nr. 16.

Parlamentsferien Über allen Parlamenten ist Ruh. Von neuen Steuervorlagen spürst du Kaum einen Hauch. Der Miquel schlummert im Walde. Warte nur, Warte nur, balde Wacht er wieder auf. SP 1894, Nr. 16.

An die Freiheit Fortschritts-Hymne

Freiheit, die ich meine, Die mein Herz begehrt — Ohne Säbelbeine Bist du mir nichts wert. Einen Plattfuß habe Ferner jedes Bein, Willst du meine Labe, Meine Wonne sein. Zu den höchsten Zielen Humpelst du am Stock, Aber du mußt schielen, Schielen wie ein Bock. Daß du auserkoren, Duldet keinen Zwist, Wenn auf beiden Ohren Völlig taub du bist. 58

An dem Hälschen trage Einen tücht'gen Kropf — Diesen überrage Stolz ein Wasserkopf. Freiheit, ich vergehe Vor Verlangen fast, Wenn ich hinten sehe Einen kräftigen Ast. Etwas apoplektisch Sei daneben auch, Epileptisch-hektisch Durch den Hängebauch. Kommst du in die Wochen Einst mit einem Kind, Weiß ich, daß die Knochen Stark rachitisch sind. Wahrhaft adorabel Ohne Widerspruch Macht dich um den Nabel Ein honetter Bruch. Bleibe bis zum Grabe Feig, borniert und faul, Eines aber habe Stets: das große Maul! DWJ 1894, S. 1755.

Den Schreiern nach einem verschärften Sozialistengesetz Und würd' er auch wieder ergriffen, Der ausnähmgesetzliche Gummischlauch: Wir haben aufs alte gepfiffen, Aufs neue pfeifen wir auch. DWJ 1894, S. 1747.

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Federzeichnung Der Teufel und ein Rezensent Gerieten einst in Hader, Der fand des Teufels Schwanz zu kurz Für einen Höllenvater. Der Teufel sprach: Mein lieber Freund, Und hätt' ich nur ein Schwänzchen, So fänd ich Hexen doch genug Am Blocksberg noch zum Tänzchen. Ob kurz mein Schweif ist oder lang, Das hat nicht viel zu sagen, Wenn er in der „Gesellschaft" nur Mit Anstand wird getragen. SP 1894, Nr. 17.

„Ordnungshelden" Sie sitzen mit spöttischer Miene Und sind auf das Nächste gespannt — Ein Sozialist will reden Uber den Kaufmannsstand. Sie grüßen den „Proletarier" Mit gellendem Hohngeschrei; Die Herren Prinzipale, Die sitzen vergnügt dabei. Sie unterbrechen den Redner Hohnlachend Satz für Satz, Sie klappern mit Tellern und Gläsern Und treiben allerhand Schwatz. Sie trampeln mit den Füßen Und lärmen in einem fort — 60

Man hört vor Brüllen und Toben Kaum noch das eigene Wort. Dann stürmt zur Rednertribüne Ein wilder, toller Häuf Der Polizist erhebt sich Und - löst die Versammlung auf. Ein halb gefülltes Seidel Noch auf den Redner fliegt Ein Jauchzen und Lärmen und Jubeln Die Ordnung hat gesiegt! Zur Widerlegung des Gegners Hat keiner begehrt das Wort; Sie kämpften nicht wie die Krieger — Sie übten Gedankenmord. Mit ihren Prinzipalen Ziehn sie ins Nachtcaf£, Die zahlen zur Belohnung Den „Herren" ein feines Souper. S P 1894, Nr. 17.

Nachruf an N. N.

Er war ein Protze erster Klass', Gestützt aufs Kapital. Er fraß und soff und kannte nicht Der Arbeit bittre Qual. Er saß im hohen Magistrat, Mit Orden dekoriert, War eine Stütze von dem Staat Und hat sich stets blamiert.

Und endlich ist der Gauch erstickt In seinem feisten Speck, Von ihm nichts weiter übrig blieb Als nur ein Haufen Dreck. S P 1894,

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Kapuziner-Predigt Über die Aufführung der „Weber" in Berlin

Heisa, juchheisa, dideldumdei! Was ist denn das für 'ne Schweinerei! Und wo bleibt die löbliche Polizei? Muß mir nicht laufen 'ne Laus über die Leber, Wenn man in Berlin aufführt die „Weber"? Muß man nicht kriegen moralischen Kater, Wenn solches geschieht im „Deutschen Theater"? Ist denn das etwas für uns Deutsche, Die wir verehren die Knute und Peitsche? Lumpiges, hungriges Webergesindel, Mit hohlen Augen, dürr wie 'ne Spindel, Mit Kleidern, zerrissen, zerfetzt und zerlumpt, Entweder gestohlen oder gepumpt, Von roher Sprache und schlechten Manieren — Das soll jetzt unsere Bühne zieren? Leute dazu von einer Gesinnung, Die an dauernde Rückgewinnung Jeden Gedanken sogleich verscheucht — Durch und durch radikal verseucht! Schimpfen auf Gott und auf den König, Sind dem Fabrikanten nicht frönig, Schlagen kaputt die schönsten Maschinen, Wollen nicht länger schanzen und dienen, Haben sogar vor dem Militär Keinen Respekt, keine Achtung mehr! Hat man dazu Theater gebaut, Daß eine schauernde Gänsehaut Den kunstliebenden Spieß befällt 62

Für sein so sauer verdientes Geld? Warum spielt man keine Ballette? Keine prickelnde Operette? Warum spielt man kein Heldenstück Oder ein Drama modern und chic? Doch das Schlimmste ist noch zu berichten Von den schaurigen Gruselgeschichten; Unter Liebknechts und Singers Kommando Hat die ganze Theaterband', oh!, Die das Parkett und die Ränge füllt, Rasend geklatscht und Beifall gebrüllt. Leute, von denen man's gar nicht vermutet, Haben ins nämliche Horn getutet Und haben mit ihrem lauten Geschrei Einen Sieg errungen der roten Partei. Blindlings folgten sie alle dem Singer, Diesem Juden und Allesverschlinger, Und der graue Sünder, der Liebknecht, Hieße wohl besser ein rechter Diebsknecht. Doch ganz besonders der Gerhart Hauptmann Ist ein schnöder, schändlicher Raubmann. — Haben die drei doch unverhohlen Dem Volk die Gesinnung geraubt und gestohlen. Jammernd möcht' man die Haare sich raufen Oder bei Austern und Sekt sich besaufen, Wenn man solch schändliche Dinge erfährt, Die bis dato ganz unerhört. Kann denn nichts aus dem Taumel euch wecken! Verlor der „Zukunftsstaat" seinen Schrecken? So gehet hin zu Bachem und Richter, Die helfen euch wieder auf den Trichter. Die werden ein Bild an die Wand euch malen, Daß ihr euch windet in Seelenqualen Und künftig nur noch in Stücke geht, Wo alles sich um den Leutnant dreht. Wenn sich zuletzt zwei Verliebte kriegen, Das sei für euch das höchste Vergnügen, Und wäre die Fabel auch noch so dumm, Dafür seid ihr eben — das Publikum. SP 1894, Nr. 23. 8

Rothe

Wir und sie

Sie sitzen zusammen und raten und taten, Ob sie uns sieden, ob sie uns braten, Und kommen zu keinem Entschluß dabei. Es schüren und hetzen die Bürgerparteien Und wollen ob unserer Haut sich entzweien Und wir? Uns ist es ganz einerlei, Ob sie uns sieden, ob sie uns braten Wir sind und bleiben Sozialdemokraten. SP 1894, N r - 23.

Momentbild

Die Dunkelmänner stemmen sich Der neuen Zeit entgegen, Obgleich das Licht der Wissenschaft Schon flammt auf allen Wegen. Mit Hokuspokus suchen sie Ergrimmt es auszublasen, Obgleich die Atzein schon versengt Und die bebrillten Nasen. Wer immer fällt dem Rad der Zeit Aufhaltend in die Speiche, Der wird zermalmt, weil's vorwärts rollt Und über seine Leiche. SP 1894, Nr. 25.

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Bürgerliche Moral

Ein armes Mädchen wird verführt, Der Schatz dreht ihr 'ne Nase, Und mit dem Kind, das sie gebiert, Wirft man sie auf die Straße. Vor Hunger, Regen, Nacht und Sturm Ist ihr der Mut gebrochen; Da hat sie denn den armen Wurm Verzweiflungsvoll erstochen. Jetzt endlich tut in die Geschieht' Man sich behördlich mengen; Es fällt den Spruch das Schwurgericht: Die Mörderin muß hängen! Der Herr Philister Säuberlich Nimmt sittsam eine Prise, Und spricht zur Tochter: „Freue dich, Daß du nicht bist wie diese!" DWJ 1895, S. 1855.

Eduard Fuchs Razzia Razzia, die Gendarmen laufen, Männer fluchen, Weiber kreischen, Razzia, wilde Menschenjagd, Menschen sind gesuchtes Wild. Razzia, aus allen Winkeln Wird der Armut bleich Gespenst, Wird der Hungersnot Skelett, Einer Herde gleich, gejagt. 8*

Durch die Stiefel, die zerlumpten, Dringt der Schnee mit Knirschen ein, Durch die schönsten, reichsten Straßen Führt der Weg der Hungerleider. Pharisäer sich bekreuzen, Sicher seines Raubes geht der Börsianer, stolzgeschwellt, An des Elends Zug vorüber. Wie der Nordost höhnend fährt Durchs' zerrissene Gewand, Wie sie frösteln, wie sie hungern, Wie sie keuchen, wie sie beben. — Dort ein junger Bursche, dem liegt Hektisch Fieber auf den Wangen, Dort ein Weib mit schwerem Schritt, ' Denn gesegnet ist ihr Leib. Mit unsäglicher Verachtung Blickt „die Frau der bessern Stände" I m Bewußtsein ihres Wertes Auf das Proletarierweib. Sie auch hat nach vielen Kuren Mutterglück bald zu erwarten, Und für das noch Ungeborne Ist die Wiege schon gebettet. Fort zum Richter! Die Gendarme, Wohlbewaffnet, wohlgenährt, Eskortieren ihre Beute, Aufgepflanzt ist das Gewehr. Und der Richter urteilt schleunigst, Denn der „Fälle" sind gar viele, Vagabunden, Bettler, Dirnen, Jedes Wort ist Strafe, Drohung. Protokoll auf Protokoll: Haft, Gefängnis, Arbeitshaus, 66

Zeigen wird er dem Gesindel Der Justiz gestrenge Faust. Noch gilt Recht für Vagabunden, Weil sie mittellos im Lande Arbeitsuchend, keine fanden, Sperrt der Staat sie gnädigst ein. Weil des Baumes Schutz ihr Obdach, P f e r d e — Hundefleisch ihr Mahl war, Weil sie Opfer der Gesellschaft, Sperrt sie die Gesellschaft ein! SP 1895. Nr. 3.

Verwandlung

Unmeßbare Mengen vergossener Tränen, Erlittene Drangsale ohne Zahl, Des duldenden Volkes Entbehren und Hungern, Der Redlichen Mühe, Sorgen und Qual Wird stetig zu Gold und heißt — Kapital. DWJ 1895, S. 1883.

D e m deutschen Bürgertum

So oft im März die ersten Amseln proben Mit zögerndem und schüchternem Bedacht, Da eben erst der eis'ge Bann zerstoben, Der alle Sänger scheu und stumm gemacht, — Führt's uns im Geist zu jenem März von hinnen, In dem so manches Morsche hat gebebt; Wir lauschen dann mit frisch geschärften Sinnen, Was wir in Deutschland seit der Zeit erlebt. 67

Hat sich auch heut der laute Troß verlaufen, Der viel zu hart den Dienst der Freiheit fand, Der gern bereit, die Hehre zu verkaufen Für einen Titel, für ein Ordensband, So trat ein Heer an der Verräter Stelle, Das ungebeugt für die Verfemte ficht, Und stürme noch so ungestüm die Welle — Den Fels des Volks zerbricht die Brandung nicht. Der Troß verkam seit jenem März unsäglich Und ward zum Spott der Welt mit seinem Ruhm, Der Troß verlumpte jämmerlich und kläglich Seit jenem März: das deutsche Bürgertum! Was trotzig einst die Brust den blauen Bohnen Auf Barrikaden bot und in der Schlacht, Macht jetzt in Staatspapieren, Doppelkronen, Ist früh und spät nur auf Profit bedacht. Was einst in edlem, jugendlichem Eifer Für Recht und Wahrheit in die Schranken trat. Besudelt heute ihr Gewand mit Geifer Ohnmächt'ger Wut als feiler Renegat. Das freie Wort, sie können's nicht verzeihen, Seitdem des freien Denkens sie entwöhnt — Sie stehen sicher in den ersten Reihen, Wo man die Freiheit steinigt und verhöhnt. Der Name blieb, es wechseln nur die Leute; Mit Jellachichs Kroaten kämpfte Blum. Einst hieß er Robert — Hänschen heißt er heute, Dein reinster Typus, deutsches Bürgertum! Was sind die Sprüche aller Standgerichte, Verglichen mit dem unbarmherz'gen Hohn, Den hier verübt die strenge Weltgeschichte: Der Vater zeugend wider seinen Sohn? Das ist das Resultat, zu dem wir kamen, Das ist's, wozu das Bürgertum gedieh! Das Bürgertum - schon bei dem bloßen Namen Zuckt um die Lippen herbste Ironie! Das einst die Büchse in die Hand genommen, 68

Verbeugt sich jetzt vor jedem Schilderhaus Es ist von Robert auf den Hans gekommen Und stellt sich selbst sein Todesurteil aus! D W J 1895, S. 1898.

Antisemitisches Ein „kühnes" Zukunftsbild

Wenn er einst siegt, dann rollt die Welt Dahin auf anderen Bahnen, Dann steigt der große Tag herauf, Der Tag der Urgermanen! Die erste Jubeltat wird sein, Wenn dieser Tag gedämmert: Die Judennasen, noch so krumm, Sie werden grad gehämmert! Dann jagt man aus dem Reich hinaus Den einen wie den andern Der Schacherjuden, jeder muß Nach Palästina wandern! Sie müssen fort, und wenn sie auch Mit Händ' und Füßen strampeln! Dann kann das Bäuerlein wieder froh Auf seinen Schollen trampeln! Dann kann das Handwerk wieder blühn Auf seinem goldenen Boden; Der Großbetrieb der Industrie Wird kurzerhand verboten! — Ist dies geschehn, kommt an die Reih' Die Brut der Sozialisten, Man überwältigt sie im Nu Und packt sie ein in Kisten.

Drauf schickt man sie nach Kamerun Auf schnellen, teutschen Dampfern, Dort werden sie dann ausgepackt Von grimmen Stechschrittstampfern. Die müssen mit dem Bajonett Sie stramm ins Innere treiben; In unserm Teutschland dürfen sie Auf keinen Fall mehr bleiben! Ist Bebel, Liebknecht, Singer fort, Hat jeder Jud' den Dalles, Ist reingeputzt das Vaterland, Dann „Teutschland über alles!" Dann zittere Welt! Der teutsche Mut Ist groß, und nie verzagt er! Dann wirst du teutsch! Denn offensiv Ist unser Volkscharakter! Dann wird die teutsche Fahne Wehn Bald siegreich aller Orten! Dann kommt das große Zukunftsreich — Der Ahlwardts und Konsorten! SP 1895, Nr. 8.

K.E. „Bedientenvolk" „Bedientenvolk!" — das Wort schießt daneben: Bediente tun's mit innrem Widerstreben. Das Pack aber lechzt nach fürstlichem Speichel Wie die Sau nach der Eichel. SP 1895, Nr. 11.

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Karl Kaiser Die bürgerliche Wissenschaft „Zerbrochen ist, man sagt's nicht gern, Die gute, alte Stallatern'!" Die treulich lang'*tat ihre Pflicht Und mit verklärend bravem Licht Das deutsche Rindvieh, rund und glatt, So gut es ging, erleuchtet hat. Die alte Stallerleuchterin, Ihr Licht ist aus — sie ist dahin! — Doch's Unglück wird so groß nicht sein Die Ochsen schauen ruhig drein, Ob dunkel ist auch jetzt ihr Stall, Sie bleiben trotzdem glatt und drall, Denn wiederkäuen kann man auch — Laternenlos — nach altem Brauch! SP 1895, Nr. 10.

Eine Maigeschichte Ein Maienkäferjüngling flog Nach langem Sinnen, Klügeln Doch schließlich eines schönen Tags Hinaus auf Freiersflügeln. Er wollte nähern endlich sich Dem schöneren Geschlechte Um jeden Preis — doch leider fand Er lange nicht die „rechte". Er flog mit heißem Sehnsuchtsweh Wohl über manche Matte, Da — „endlich! endlich?" sah er „sie" Auf einem Zwetschenblatte!

— Sie blickte auf — es wurd' ihm weh: „Wie reizend! Wie organisch, So wohlgeformt!" Die Leidenschaft, Sie packte ihn orkanisch! „ 0 holdes Maienkäferweib!" So rief er aus mit Beben: „Dein Blick war Blitz und Schlag zugleich, Mit dir nur kann ich leben!" Sie lächelte ihm gnädig zu — Und senkte dann die Augen, Da dachte er: die Schüchternheit Mag anderswo was taugen! Drum küßt' er sie und herzte sie — Der Liebe heiße Flammen, Sie schlugen wie ein Feuermeer Ob ihrem Haupt zusammen! — Ein Polizisten-Zeisig sah Das frevelhafte Treiben, Ob dieser Frechheit mußte er Sich erst die Augen reiben. Dann aber hat er wutentbrannt Sein Flügelpaar geschwungen Und - fürchterliches Strafgericht — Das Sündenpaar verschlungen! Auf einen Schlag, auf einen Sitz! In eine Gruft gebettet! — „Ich habe meine Pflicht getan, Die Sitte ist gerettet!" Der Zeisig pfiff's; der Zwetschenbaum, Der schüttelte sich traurig: Nein, solch ein Fanatismus ist Ein bißchen allzu schaurig! Auch scheint mir ziemlich Heuchelei In dem System zu stecken, 72

Denn manchen Fahnder-Zeisig sah Ich auch schon sündhaft hecken. Schlaf wohl, du armes Liebespaar, Im Tod noch treu einander, Wie Romeo und Julia, Wie Hero und Leander! Die sind berühmt! Doch euch auch muß Die Zeit den Dichter bringen, Der euer tragisch End' im Mai Pathetisch wird besingen! S P 1895, Nr. 10.

Schiffbruch Stolzen Dreimastern gleich, auf allen Meeren, Schwammen des Bürgertums ökonomische Lehren; Ozeankönigin war die bigotte „Unüberwindliche" goldene Flotte, Doch vor den Augen trug sie eine Binde: Lachte das „Wölkchen" aus Bis mit Orkangebraus .Marx blies — und die Armada zerstob im Winde! SP 1895, Nr. 12.

Sozialdemagogie O b sie schön tun auch den Massen, Nimmer werden je sie lassen Von dem Tanz um goldne Kälber. Proletarier, helft euch selber. S P 1895, Nr. 12.

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Wer ist ein Philister? Wer scheu, geduckt durchs Dasein kriecht, Voll Ängstlichkeit und Zagen, Bevor er handelt, bang erwägt: Was wird die Welt wohl sagen? Und daß es ja nicht übelnimmt Pfaff, Schulze, Büttel, Küster: Der ist fürwahr, der ist fürwahr Ein richtiger Philister. Wer stumpf und dumpf an Geist, Gemüt, Nur reich zu werden trachtet, Und alles, was kein Geld einbringt. Als Schwärmerei verachtet, Frech gegen Arme, doch servil Vor Geldsack und Minister: Der ist, der ist, der ist gewiß Ein widriger Philister. Wer nicht die Schmach der Knechtschaft fühlt. Nach Freiheit nimmer lechzet; Wer nicht das Unrecht glühend haßt, Ob schwer das Volk auch ächzet; Wer Schlechtes feig bekrittelt nur In heimlichem Geflüster: Der ist fürwahr, der ist fürwahr Ein grausiger Philister. Wer schäbig, filzig, knickrig ist, Ein Pfennigfuchser, kleinlich; Wer den Triumph des Lichts, des Rechts Erklärt für unwahrscheinlich; Wer, wenn die andern fröhlich sind, Griesgrämig dreinschaut, düster: Der ist, der ist, der ist fürwahr, Der ist ein Erzphilister. 74

Wer sich nicht solidarisch fühlt Mit seinen Leidsgenossen, Wenn um das Freiheitsbanner sie So mutig stehn geschlossen, Und spricht: „Nicht sieht es gern mein Weib, Die Tante, die Geschwister": Der ist fürwahr, der ist fürwahr Ein trauriger Philister. Wer fest vernagelt seinen Kopf Vor neuen Weltideen, Nicht an des Winters Ende glaubt, Wenn Frühlingslüfte wehen, Nicht hört, wenn von dem Geist der Zeit Ertönt ein neu Register: 0 der ist, bei der Rebe Blut, Ein Vollblutstockphilister! D W J 1895, S. 1997.

Die Rotten Frei nach Heine

Es gibt zwei Sorten Rotten Im Lande der Hottentotten: Die eine Sorte ist national, Die andere nennt sich sozial. Die nationale Rotte Dankt brünstig ihrem Gotte, Weil sie das Heft hat in der Hand Die andere hat kein Vaterland. Sie hat auch keine Gelder, Hat keine Äcker und Wälder, Hat Glauben nicht und Religion Und spricht der guten Sitte Hohn. 75

Es kriechen diese Käuze Vor keinem Pfaffen zu Kreuze, Und keines Büttels Autorität Vor ihrem frechen Sinn besteht. Die rote Rotte Korah Schreit nicht zum Schlachtfest horrah! Sie opfert dem Sieg kein Dreierlicht Und ehrt die toten Fürsten nicht. Sie preist mit lautem Schalle Den Marx nur und Lassalle, Der Engels auch kriegt seinen Teil, Doch niemand schreit: „Dem König Heil!" Nicht wert ist solche Rotte, Zu heißen Hottentotte, Sie sinnt und spinnt nur Hochverrat Und stürzet in Gefahr den Staat. Und stets sieht man sie wachsen. In Preußen wie in Sachsen, In Bayern, Schwaben, Mecklenburg Frißt sie sich täglich weiter durch. Sie klettert schon behende In alle Parlamente, Kein Magistrat und kein Senat Ist sicher vor dem Demokrat. Sie stürmen die Krankenkassen Und gründen Vereine in Massen, Sie singen und turnen und radeln in Ruh* Und brauchen keinen Protektor dazu. Die Sache ist gar nicht heiter. Denn geht das Ding so weiter, Kommt alles nach und nach in Rutsch, Und Staat und Ordnung gehen futsch. Drum fünf Minuten vor zwölfen Gilt es noch rasch zu helfen, 76

Der Staat macht alle Mann mobil Mit Schaufel und mit Besenstiel. Es lauert schon die Garde Auf ihrer hohen Warte, Ob nicht ein Aufstand wo entbrennt, Daß sie ihn niederschlagen könnt'. Die gutgesinnte Presse Hat noch die große F r . . . , Der Kamerad und Veteran, Der haut die Rotte in die Pfann'. Die Herren Professoren, Die nehmen sie bei den Ohren, Und jeden Tag wird sie vernicht't Von irgend einem Landgericht. Man legt und stellt ihr Netze Durch allerhand Gesetze Und prüft, ob nicht die Kerkerhaft Zum Bessern einen Wandel schafft. Doch sind umsonst die Mühen, Sie läßt sich nicht erziehen, Sie schreckt kein Rasseln und kein Drohn — Sie will die Revolution! Sie schrecken nicht Kerker noch Strafen, Nicht künstliche Paragraphen, Sie pochet trotzig auf ihrem Schein: Die Erde soll ein Eden sein. Nicht Wassersuppen noch Kaiserworte Finden bei ihr eine offene Pforte, Der roten Rotte ist alles egal — Sie ist und bleibt so radikal. Erst wenn verschwunden die beiden Klassen, Da wandelt sich um zur Liebe ihr Hassen, 77

In ihrem Herzen kriegt jeder 'nen Platz, Und Fürsten selbst kriegen den Bruderschmatz. SP 1895, Nr. 20.

Wilhelm Weigernd

Deutsche Musterbiographie Ja, das war ein Ehrenmann, Wie der Staat ihn brauchen kann In der besten aller Welten, Wo die wahren Edeln selten. Ja, das war ein Ehrenmann! Schon als Kind in seiner Wiegen War er sinnig und verschwiegen. Seine Lehrer tät er ehren Und sein Wissen treulich mehren. Ja, das war ein Ehrenmann! Als ein schneidiger Soldat Diente er dem schönen Staat, Lernte des Befehlens Schärfe Als ein Leutnant der Reserve. Ja, das war ein Ehrenmann! Selten auf der Liebe Pfad Ging er krumm, nein, meistens grad, Nahm ein Weib und zeugte Kinder, Die an Tugend reich nicht minder. Ja, das war ein Ehrenmann! Als das Zentrum seiner Welt Lebt' er wie ein Bürgerheld. Nur ein bißchen von der Steuer Knappt' er, weil das Leben teuer. Ja, das war ein Ehrenmann! 78

Unsre edlen Classici Kaufte er und las sie nie. Doch des Lesens treu beflissen, Aus der Zeitung schöpft er Wissen. Ja, das war ein Ehrenmann! Ihm, der staatstreu, nicht servil, War ein Ördchen Ehrenziel. So ein Sönnlein darf doch leuchten, Wo der Sommer von den feuchten. Ja, das war ein Ehrenmann! Fromm, doch voller Schneidigkeit, Pries er diese große Zeit, Die erlaubt dem geistig Edeln Frei zu denken und — zu wedeln. Ja, das war ein Ehrenmann! Die Begeisterung aus Prinzip Haßt' er, doch zunicke blieb Niemals er bei einem Essen Und wenn er beim Bier gesessen. Ja, das war ein Ehrenmann! Seine Werke folgen nach, Wie sein Wesen, still gemach. Edel, treu und keusch und bieder, Solch ein Bürger kehrt nicht wieder. Ja, das war ein Ehrenmann! SP 1895, N r -

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Der Echte

Ich habe nichts auf dieser Welt, Das mich erquicke und erfreue, Ich habe weder Gut noch Geld, Nur ein Gemüt voll deutscher Treue. 9

Rothe

Und wenn mein Arm sich quält und müht Und ich doch hungern muß und darben, So labt sich täglich mein Gemüt Am Anblick meiner Landesfarben. Ich hab' im Leben nie gemurrt, Kann ich's auch nie zu etwas bringen, Und wenn zu sehr der Magen knurrt, Lass' ich die „Wacht am Rhein" erklingen. Wenn einst im Tod mein Auge bricht, Soll man die Grabschrift nicht vergessen: „Zwar ein Charakter war er nicht, Doch ein Gemüt hat er besessen. Zum ,Hurra' war er stets bereit, Und unsres Reiches Macht und Ehre Erforderte ja jederzeit Gemüter, nur - nicht Charaktere." DWJ 1895, S. 2048.

Den Mameluken

Wär' ich verdammt, als Kuli zu vertreten Der heil'gen Ordnung plärrende Partei, Für die alltäglich tausend Pfaffen beten, Die alles hassen, was da kühn und frei; War' ich verdammt, von früh bis spät zu kneten Den alten, faulen, widerlichen Brei — Es würde mir ein Ekel unermessen In kurzer Zeit das Herz im Leib zerfressen. Wär' ich verdammt, mit abgedroschnen Lügen Das Recht zu schmähn, die Wahrheit und das Licht, War' ich verdammt zu all den Winkelzügen, Mit denen man in jenem Lager ficht, Wär' ich verdammt, als Missetat zu rügen, Wofür in mir die innre Stimme spricht — Es würde täglich mich die Gier durchzucken, Im Spiegel mir ins Angesicht zu spucken. 80

Müßt' ich für sie, die herrisch uns regieren, Das Hirn verbrauchen in verhaßter Fron, Und Ries auf Ries voll Überdruß verschmieren Im Herrendienst für einen goldnen Lohn, Müßt' ich die Achtung vor mir selbst verlieren, Die Stirne senken vor dem eignen Sohn Und jeder Scham das Herz entkleiden, jeder Dann mag der Schinder holen meine Feder. Müßt' ich als Waffenbruder mich gesellen Der Mameluken abgebrühter Schar, Die jedem schlank sich zur Verfügung stellen, Vorausgesetzt, er zahle gut und bar, Müßt' ich als Hund empor zum Monde bellen, Der still am Himmel steht und groß und klar, Müßt' ich mich selber einen Schurken nennen — Zu Asche würd' ich meine Hand verbrennen. War' ich verdammt, das alte Lied zu leiern Mit Ernst und Eifer, Inbrunst und Geschick Und mit der Phrasen hohlem Schwall zu feiern Die kleinen Ränke feiger Politik, Ich ginge hin mit meinen letzten Dreiern Und kaufte mir beim Seiler einen Strick, Und baumelnd hinge schließlich meine Leiche Im tiefsten Walde an der höchsten Eiche. DWJ 1896, S. 2104.

O.E. Schiller-Zitat „Es soll der Sänger mit dem König gehen; Sie wandeln beide auf der Menschheit Höhen." Ein schönes Bild? Man hat es oft gesehen, Mit einem kleinen Unterschied jedoch: Der Fürst nur „wandelte", der Sänger — kroch. SP 1896, Nr. 4.

K.N. A n die Scharfmacher Es wackelt der Staat, die Stützen sind morsch. Tragt nur nicht zu hoch eure Nasen! Und tut nicht immer so schneidig und forsch, Als könntet ihr Sonnen ausblasen. Wir Heben die Sonn', wir heben das Licht Und wollen der Freiheit uns freuen, Nur eure Gesellschaft heben wir nicht, Ihr — grimmen Papiermach^-Leuen. Wir sind einem friedlichen Umsturz hold Und lassen euch schrein wie die Raben, Doch wenn ihr Gewalt gebrauchen wollt, Dann sollt ihr's auch gründlich haben. SP 1896, Nr. 11, S. 86.

A n die herrschenden Klassen

Was treibt mit unsrer Sprache ihr für Possen! Der „Arbeitgeber" steckt den Mehrwert ein, Der aus der Arbeit Frondienst hergeflossen, Und der ihn schafft, soll „Arbeitnehmer" sein. Ihr teilt großmütig aus. Doch woher nehmen Und's niemand stehlen? Keiner je bedenkt Es müßt' euch freilich gar zu sehr beschämen —, Daß euch des Volkes Arbeit alles schenkt! Ihr seid die Gottheit, formt die Denkgesetze. Doch auch die Gottheit hüte weislich sich, Daß sie die eignen Regeln nicht verletze! Wir streichen rot an: ratsch! 'nen dicken Strich. Die Fehler, von den kleinsten zu den größten, 82

Womit ihr eure heil'ge Ordnung kränkt, Wir fassen sie, dess' mögt ihr euch getrösten, Ihr müßt vors Brett; da wird euch nichts geschenkt! DWJ 1896, S. 2225.

Satirikers Verzweiflung

Ha, was bin ich und was soll ich hier Mit der Reise dieses Zaren? Hol der Teufel dies Geschmier! Mag der Himmel mich bewahren, Ferner meinen stumpfen Witz An der Zarenreis' zu wetzen, Denn es ist ja doch nichts nütz, Niemand wird sich dran ergötzen. Wie ich martre auch mein Hirn Ob der Reise dieses Zaren Und mich schlage vor die Stirn Und mich kraue in den Haaren, Will doch kein Gedankenblitz Meines Schädels Nacht erhellen Und kein guter neuer Witz Mir aus Tint' und Feder quellen. Mag ich auch in meiner Qual Fluchen, wettern, schimpfen, stöhnen Alles, alles ist zu schal, Diesen Wahnsinn zu verhöhnen. Wenn ich denk', ich fand etwas, Muß ich in der Zeitung lesen, Daß es schon ein alter Spaß, Daß es längst schon dagewesen. Ja, um mir für alle Zeit Zu zerstören Lust und Hoffen, Hat die rauhe Wirklichkeit Meinen Witz hoch übertroffen. Jeder Bahnhof ward gesperrt, Untersucht ward jede Brücke, 83

Überwacht der Schienenstrang, Arretiert 'ne jede Mücke, Jeder Fremde inquiriert, Jede Haustür fest verschlossen, Jeder Boden revidiert Nach verdächt'gen Sprenggeschossen. Spitzel füllen tausendweis' Häuser, Straßen, Markt und Plätze, Jeder Spießer redet leis, Daß er nicht die Ruh' verletze, Unterbunden der Verkehr Und geschlossen die Geschäfte, Selbst die edle Feuerwehr Widmet dem Besuch die Kräfte. Infant'rie in dichten Reihn Hält gestreng den Pöbel ferne, Jede Straße scheint zu sein Exzerzierplatz und Kaserne, Kavallerie auf hohem Roß Tritt die Spießer auf die Haxen, Nimmer wird auf solchem Fleck J e ein Hühneraug' mehr wachsen. In der Presse jede Zeil' Gilt allein nur dem Besuche, Daß man sie vor Langeweil' Wirft hinweg mit lautem Fluche. Alles, alles, alles rings Ist dem Zaren untertänig, Vorn und hinten, rechts und links Polizei und Spitzel wähn' ich, Auf der Lippe stirbt das Wort Und der Arm sinkt schlaff hernieder, Beine wollen nicht mehr fort, Brennend sind die Augenlider, Denn es gilt jetzt all' und jeder Als geheimer Attentäter, Als verkappter Nihilist, Reif für Scherg' und Polizist. Jede Arm- und Beinbewegung Kriegt 'ne schlimme Unterlegung, Und gefährlich ist das Wort 84

Mehr als Totschlag oder Mord, Selbst ein unbedachter Blick Bringt Gefahr und Mißgeschick. Und bei so verwirrtem Treiben Soll man keck Satire schreiben? Soll man üben seinen Witz, Wo doch stumpf wird jede Spitz'? Nein! und nein! und dreimal nein! Mag so'n Narr ein andrer sein. Hieß' das nicht, sich selbst entleiben? Dreimal nein! — Ich laß es bleiben! SP 1896, Nr. 19, S. 151.

Mirza-Schaffy jun. Der Eselstall Nach einer persischen Legende

Ein Perser-Schach, dem vieles war vergunnt, Regieren und dazu auch dichten kunnt. Und weil ihm manches nicht so recht gelung, Trotz aller Herrscher-Dichtbegeisterung, Hielt er sich einen zahmen Hofpoet, Der ihm mit Rat zur Seite stehen tat. Und eines Tages rief der Dichter-Schach Den Hofpoeten in sein Dicht-Gemach. Und las ihm zu höchsteigenem Pläsier Erbarmungslos die eignen Verse für. „Nun sprich, Poet, mit weisem Vorbedacht Hab' ich's nicht gletscherhaft famos gemacht?"

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Der aber spricht mit naseweisem Mund: „O Herr, dein Dichten ist nur eitel Schund!" Darob ergrimmt der edle Perser-Schach Und schmeißt die Türe zu mit lautem Krach, Den Sänger aber sperrt er Knall und Fall Als Esel zu den Eseln in den Stall. Dieweil mit Recht als Esel gilt der Mann, Der nicht nach Wunsch die Großen loben kann. — Und als verronnen sind der Tage drei, Holt man den Sänger-Esel neu herbei. Und wieder liest zu grausigem Pläsier Der Schach dem Dichter seine Verse für. Der ist zerschmettert von der Verse Wucht Und sucht sein Heil alsbalde in der Flucht. „Wohin, Poet? Wohin so Knall und Fall?" „Ich gehe wieder in den Eselstall!" Da hat der Schach, ob solchen Muts erstaunt, Sich mit ihm ausgesöhnet frohgelaunt. Und wenig fehlte, daß im Arm sich lag Der Dichter-Esel und der Dichter-Schach.

O Perser-Schach, wie bist du doch so groß! Wie neid' ich dort die Sänger um ihr Los! Solch große Milde ist im Abendland Nicht gegen Fürstenkritiker bekannt. Wenn hier ein Schmierfink oder Hofpoet Die königlichen Verse schmäht, 86

Da ist der Bruder Staatsanwalt nicht faul Und stopft dem Kritikus das lose Maul. Hier gilt als Majestätsbeleidigung, Was kleinlich schmäht des Herrschers Dichterschwung. Und im Gefängnis viele Monde muß Den Frevel büßen solch ein Kritikus. Da lob' ich mir fürwahr auf jeden Fall Den milden Hofpoeten-Eselstall. SP 1896, Nr. 19, S. 153.

Das sentimentale Raubtier Der Kapitalismus ist fromm oder frei, — Wo er am meisten verdient dabei. Drum zieht er jetzt das Frommsein vor, Denn damit haut man sie all' übers Ohr. Schwer wird's ihm wohl, das kann man sehn. Das Händefalten und Augenverdrehn, Ihm, der im achtundvierziger Jahr Noch ein so großer Taugenichts war. Jetzt trägt er die Krallen eingezogen, Den Kopf demütig herabgebogen, Und blinzelt so fromm hinauf zur Sonne Wie eine alte keusche Nonne. Wir wissen jedoch, was die Sanftmut tauge, Behalten ihn darum fest im Auge. Drinnen ist doch noch alles Raubgier, Wir kennen das sentimentale Raubtier! DWJ 1896, S. 2351.

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Lockspitzellied

Ich hatt' einen Kameraden, Einen bessern findst du nit. Gab es ein Konventikel, Borgt er mir manchen Nickel Und nahm mich immer mit. Wir machten eine Bombe, Gilt sie dem oder gilt sie dem? Wir taten sie probieren, Sie wollt' nicht explodieren, Das \vär unangenehm! Da kam, wie war's nur möglich? Die heil'ge Hermandad! Sie tat mich arretieren. Doch ihn ließ man schappieren: Adieu, mein Kamerad! S P 1896, Nr. 25.

„Enthüllungen" Eine Ballade vom Sachsenwald

Der Wind weht rauh, der Wind weht kalt, Es fallen die Blätter im Sachsenwald. Im Sachsenwald sitzt ein altes Weib, Das heult und zetert zum Zeitvertreib. Das alte Weib hat Langeweil', Drum hebt es die Röcke frech und geil. Und was sich unter den Röcken enthüllt, Mit Ekel die ganze Welt erfüllt.

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Die ganze Welt hält zu die Nas', Das wundert sehr die alte Bas'. Die alte Base begreift es nicht, Daß solcher Stank in die Nase sticht. Sie ist so sehr gewöhnt an Stank, Sie würde ohne ihn siech und krank. Drum stänkert sie ohne Rast und Ruh, Besudelt sich selbst und lacht dazu. Die Diplomaten sind desparat, Es wackeln die Zöpfe, es wackelt der Staat. Der Wind weht rauh durch den Sachsenwald, Wo bleibst du, Brüderchen Staatsanwalt? S P 1896, Nr. 24, S. 190.

Galgenhumor Es mag so manchen Übelstand In unserm Musterstaate geben, Doch ist das Mittel stets zur Hand, Um augenblicklich ihn zu heben. Man ruft die Frau Justitia, Sie kommt mit strengen Paragraphen, Um jeden, der das Übel sah Und es verkündigt, zu bestrafen. Wenn allzu hoch sein stolzes Haupt Ein Kapitalprotz pflegt zu tragen, Und sich ein Redakteur erlaubt, Die Wahrheit kräftig ihm zu sagen, Dann wird für die Beleid'gungstat Dem Kühnen Strafe zugemessen, Und bis er abgebüßt sie hat, Ist alles übrige vergessen. 89

Wer hinweist auf die Not der Zeit Das Volk, das stumpf noch und geduldig. Der störet die Zufriedenheit, Der ist an allem Übel schuldig. Man liefert wegen Aufreizung Dem Staatsanwalt ihn in die Hände, Das ist die schnellste Besserung Der sozialen Übelstände. Wenn bis zum Streik ein Lohnkampf reift, Dann munkelt man von Volksaufrührern, Wer für den Streik Partei ergreift, Den zählt man zu den Rädelsführern. Er nehme weise sich in acht, Ihm drohen des Gesetzes Schlingen, Leicht wird ihm der Prozeß gemacht, Leicht ist zum Schweigen er zu bringen. So stehen wir in treuer Hut, Und nichts kann unsern Frieden rauben, Daß alles schön und recht und gut Im Staat ist, dürfen fromm wir glauben. Doch glaubst du's nicht und wagtest du Dem Geist der Rebellion zu dienen, Dann findest du auch bald die Ruh' Wohl hinter schwedischen Gardinen. D W J 1897, S. 2395.

An den gallischen Hahn

Stell dein Revanchekrähen Doch endlich ein. Bedenk, welche Winde wehen Bei uns; wie die Junker sich blähen, Das Volksrecht niedermähen, Der Freiheit den Hals umdrehen, 90

Vernunft und Wissenschaft schmähen: Dein Rachedurst könnte gesättigt sein! D W J 1897, S. 2479.

W a s ist des Preußen Vaterland? Von einem Süddeutschen aus Anlaß der Reckeschen Vereinsgesetznovelle gedichtet

Was ist des Preußen Vaterland? Ist's, wo man schätzt des Volkes Glück Als höchstes Ziel der Politik? Der Staatsmann wirkt mit voller Kraft Für Schule, Kunst und Wissenschaft, Und daß vermindre sich die Not Und jeder hab' sein täglich Brot? Ist's, wo genießt ein gleiches Recht Der Arme, Reiche, Herr und Knecht? Wo den Beamten scharf man rügt, Der Volkes Rechte kürzt und biegt? Wo frei die Presse, frei das Wort, Weil als des Staates stärkster Hort Geübt wird streng Gerechtigkeit, Die sich vor der Kritik nicht scheut? Wo trachtet stets die Polizei, Daß wohl geschützt der Schwache sei, Die Armut leide nicht Gewalt, Wenn Übermut die Fäuste ballt? Wo man nicht ansieht die Person Nach Rang, Besitz und Konfession? Ein Land, wo es für Jud' und Christ Und Heide Lust zu Leben ist? O nein, das kann das Preußenland nicht sein.

Das ist des Preußen Vaterland: Wo zu Kanonen, Panzerschiffen Tief in die Tasche wird gegriffen, Indes für Zwecke der Kultur

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Es knapp und dürftig tröpfelt nur. Wo man noch häuft des Volkes Last, Wenn es zusammenbricht schon fast, Doch denen gibt, die viel schon haben, Als Prämien oder Liebesgaben. Wo Uniform und Wappenschild Und Gold mehr als die Arbeit gilt. Die Proletarierklasse wird Von den Behörden drangsaliert. Wo mancher wackre Volkstribun, Rein in Gesinnung wie im Tun, Wird vor das Strafgericht gezerrt Und mit Verbrechern eingesperrt, Indes der Mörder im Duell Gefangen lebt wie im Hotel. Wo hohe Priester der Justiz Die Sporen geben ihrem Witz, Um aus Gesetzesparagraphen Herauszupressen harte Strafen. Wo Schröder duldet Zuchthausqual, Tausch wandelt frei im Sonnenstrahl. Wo blühn die Majestätsprozesse. Wo man verfolgt die freie Presse, Das freie Wort, des Geistes Licht, Das Dunkel aber hindert nicht, Vielmehr man eifrig sich befleißt, Dicht zu verfinstern Volkes Geist. Wo Buhlschaft um der Junker Gunst Gilt als die höchste Staatsmannskunst Und vor dem frechen Protzen Stumm Sich duckt das Ministerium Und brütet, wie man mit Gesetzen Die Freiheit und das Recht kann hetzen. Wo feierlich etwas verspricht Ein Kanzler, aber hält es nicht. Wo Denunzianten, Spitzel wachsen. Das Land, das sogleich kommt nach Sachsen. Kurzum: ein Hohn auf den Verstand — Das ist des Preußen Vaterland. D W J 1897, S. 2479.

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K.R. Vom Kasernenhof Sie standen beisammen und sprachen Im Ernst und Scherz mancherlei. Die Leutnants, Premier- und Sekonde-, Und auch ein Kap'tän war dabei. Da nahte, ihr Körbchen im Arme, Eine Bäuerin mit rüstigem Fuß, Sie mußte die Herren passieren Und tat es mit höflichem Gruß. „Wohin so eilig denn, Frauchen?" Hemmt einer der Bauernfrau Schritt. „Man bedarf zuvor der Erlaubnis, Eh' man die Kaserne betritt." „Ich will ja nur zu mei'm Michel", Spricht sie, und lacht vor sich hin, „Mein Michel kommt heut noch in Urlaub, Er war lang' genug jetzt herin." Die Herren, sie lachten belustigt Wohl über das drollige Weib, Nur einer, noch naß von der Kriegsschul', Dehnt dünkelhaft seinen Leib. „Laß sie ihren Michel nur dienen, Daß der Bauer ihm mag vergehn; Nichts Höheres gibt's als Soldat sein, Das kann sie an uns ja ersehn." Die Frau schaut die Herren bedächtig Der Reihe nach einzeln sich an, Sie mustert die bunten Gewänder, Mit Knöpfen und Zierat daran. 93

„Ihr Herren", sprach sie dann weislich, „Wie einer sät, so ist seine Ernt'; Ihr freilich - ihr müsset Soldat sein, Ihr habt halt nichts andres gelernt. Mein Michel aber — potz Wetter! Mit dem sieht's ganz anders aus: Mein Michel, das ist ja ein Schuster, Drum kann man ihn brauchen zu Haus!" DWJ 1897, S. 2498.

Robert Seidel K u n s t und Gunst Mein Freund, was nützt dir Wert und Geist? Er dient dir nur zum Tadel Und schafft dir keinen guten Freund Beim Mammon und beim Adel. Mein Freund, wie lohnt dir deine Kunst? D u bleibst ein armer Dichter, Weil Recht und Freiheit du besingst Anstatt die Kirchenlichter. Mein Freund, wozu der heiße Kampf? Kein Meisterwerk wird nützen! — Dir fehlen Freunde, fehlt die Gunst Bei den Gesellschaftsstützen. DWJ 1897, S. 2506.

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Autorität

Zu zuchtlos ist die heut'ge Welt, Gehorsam wird verlacht, Das Volk sich nicht in Demut hält Vor Staatsgewalt und Macht. Drum lehrt die hohe Klerisei In Predigt und Gebet: Man bringe dem Volke wieder bei Respekt vor der Autorität. Wer unsre Autoritäten sind Im neuen Kurs zur Frist? Je nun, das weiß ja jedes Kind — Die erste der Kanzler ist. Zwar weiß er selbst nicht, was er will, Weiß nicht, ob er bleibt, ob er geht — Doch baue man in Ehrfurcht still Auf seine Autorität. Der Schutzmann auch mit Helm und Schwert, Autorität ist er, Und wer nicht hoch den Schutzmann ehrt, Versündigt sich gar schwer. Gebietend über den Geist der Zeit, Der Schutzmann mächtig steht, Drum zeig ihm in Ergebenheit Respekt vor der Autorität. Verbannt sei aus der Politik Die Opposition, Die Großen wissen der Völker Geschick Allein zu lenken schon. Und kostet es dein Geld und Gut, Was der Minister rät — Bewahre stets mit treuem Mut Respekt vor der Autorität. Besonders zu dem Adelsstand Verehrend blick empor, 10

Rothe

Er ist es, den zum Herrn im Land Das Schicksal sich erkor. Er ist aus besserem Stoff wie du, Der Vorzeit Geist ihn umweht, Drum kommen die besten Pfründen ihm zu, Das stärkt seine Autorität. Doch höher noch als alle steht Der Geldsack heut im Wert, Drum sei er als höchste Autorität Vom Publikum geehrt. Es wird, wer sich vor ihm nicht beugt, Als Umsturzmann geschmäht, Der Gutgesinnte froh bezeugt Des Geldsacks Autorität. DWJ 1897, S. 2546.

Ernst Klaar Duelle Frei nach Heine

Zwei Prinzen duellierten sich In einem Park ganz fürchterlich, Dieweil der eine unverfroren Italiens Lieutenants blamoren. Das geht natürlich gegen die Ehre Und muß gerochen werden schwere, Drum sah den Grafen von Turin Zum Orleans man tapfer ziehn. Sie wetzten beide grimmig die Schnäbel Und forderten sich auf krumme Säbel, Dann stürzten sie auf einander los Mit Hieb und Stich und Schlag und Stoß. Erst fuchtelten sie eine ganze Weile, Und keiner von beiden kriegte Keile, Dann aber ward der eine verletzt: 96

Es ward ihm ein wenig die Haut zerfetzt. Das Zellengewebe war ganz geblieben. Wie alle Blätter teilnehmend schrieben. Sie fuchtelten weiter auf Tod und Leben, Bald hatte der andere eine kleben, Geritzt ward die Haut dieses Edelmanns, Das Zellengewebe blieb wieder ganz. Nun fuchtelten sie zum dritten und letzten. Daß sich die Sekundanten entsetzten. Und schließlich gab es ein Unglück auch: Der Orleans kriegte eins vor den Bauch. Das hat ihm das ganze Zwerchfell erschüttert Und die Gedärme zusammengeknittert. Sie steckten nun ihre Säbel ein, Denn Italiens Ehre war wieder rein. Dem Orleans lag es drei Tage im Leibe, Er wälzte im Bett sich zum Zeitvertreibe, Dann war er wieder gesund und frisch Und hatte Appetit bei Tisch. Dem Italiano beim Wiederkehren Erwuchsen Berge von Lorbeeren, Gefeiert wurd' er als Ritter kühn, Denn sie hatten große Angst um ihn.

Und die Moral? Die Großen und Reichen, Sie dürfen sich ungestraft ohrfeigen, Doch haun sich der Proletarier zwei, Die nimmt beim Wickel die Polizei. SP 1897, Nr. 19, S. 154.

Der Esel und der Vogel Eine Fabel Ein echter frommer Esel Trug eine schwere Last, Ihn prügelte der Bauer, Daß er krepierte fast. 10*

Je mehr er trug der Säcke, Je mehr lud man ihm auf, Und sank er, pfiff die Peitsche Ihn bald zu weitrem Lauf. Den Esel sah ein Vogel, Der sang vom Baum ihm zu: „Du Esel, ich würfe die Säcke Zu Boden, wär' ich wie du." „Das ist ein Vogelgedanke", Der Esel zur Antwort gab, „Wenn ich kein Esel wäre, Da würf ich sie freilich ab." DWJ 1897, S. 2579.

Frei nach Heine Leise zieht durch mein Gemüt Landtagswahlgeläute; Dürft' ich künden, was geschieht, Gäb's gar manche Freude. Immer mehr von rechts nach links Sich die Wähler drängen. Wenn du einen Junker siehst, Sag, er soll sich hängen. DWJ 1897, S. 2571.

Ballade vom impulsiven Kater Ein bunter Kater saß vor dem Loch, Wo es gar lieblich nach Mäusen roch. Eins aber mußt' ihm die Freude vergällen: 98

E r braucht' sich ein Mäuslein nur vorzustellen, Da hat's ihn gejuckt, Seine Krallen gezuckt, Mit gerechtem Halse hat er geschluckt, Ihm tanzten Funken vor Augen. Das könnt' zum Fangen nicht taugen. Und wagte sich gar ein Mäuslein hervor, E r die Besinnung völlig verlor. War's auch im Sprunge nicht zu erreichen, Verlegt' er sich doch nicht lange aufs Schleichen. E r sauste geschwind Heran wie der Wind; Nur machte ihn Wut und Freßbegier blind. E r flog gegen Balken und Wände. Das Mäuslein entschlüpfte behende. So saß er denn bei dem Loch in der Näh', Strich grimmig den Schnurrbart in die Höh' Und schwur mit heldenhaftem Behagen, Sie doch noch aus dem Loche zu jagen: „Zur blutigen Hetz' Die Kralle ich wetz'. Ich mache ein großes Ausnahmegesetz, Das soll aus der Höhle euch treiben. Mir müßt ihr zur Beute bleiben!" Doch der Mäuse wurden nur immer mehr, Sie tanzten schon lustig um ihn her. „Was!" rief er, „ihr nagt hier an Sparren und Stützen? Da wird ein Umsturzgesetz schon nützen!" Wild fuhr er drein Mit Fauchen und Schrein, Doch die Mäuse huschten ins Loch hinein. E r stieß sich den Kopf mit Krachen Und hörte sie unten lachen. D W J 1897, S. 2606.

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Karl Niedersaß Kanonenfutter Jüngst sah ich einen Trupp Rekruten Zum Bahnhof ziehn, zur Seite gingen Ein paar der Stellvertreter Gottes, Sie sicher auch ans Ziel zu bringen. Gesunde Ware! Prächtige Stücke! Gewogen wurden Fleisch und Knochen. Kanonenfutter abzugeben, Die Ehr' ward ihnen zugesprochen. Mit lustigen Soldatenliedern Vertrieben sie sich ihre Grillen, Nur ein paar bitterarme Teufel Die hört' ich schluchzen ganz im stillen. „Einsteigen!" hallt des Schaffners Stimme. Ein Pfiff! Dahin geht's in die Ferne. Gesänge gellen ohrenzerreißend O Galgenstimmung der Kaserne! Gesunde Ware! Prächtige Stücke! Gewogen wurden Fleisch und Knochen. Ein Wagen Schlachtvieh, dacht' ich traurig, Wo wird's dereinst wohl abgestochen. SP 1898, Nr. 3, S. 19.

Moralisten

Das Bäschen Laura — obzwar ledig — Hat bald die Hebeamme nötig. „Fi donc!" rief Tante Kunigunde Mit einem schiefgezognen Munde; 100

Und auch dem Onkel Theodor Kam die Affäre kritisch vor. Der Brave sprach: „Ich kann's nicht fassen, Daß man von niedrem Sinnenlüsteln" — Die Tante tat errötend hüsteln — „Sich so mag übermannen lassen!" Auf ganz demselben Standpunkt standen Die andern älteren Verwandten.

Ja ja, die liebe gute Liebe! — Nun, da sie Gicht und Rheuma kriegen Und wacklig auf den Beinen wanken, Verfemen sie den stärksten aller Triebe, Dem sie nicht bloß recht viel Vergnügen, Dein sie sogar ihr bißchen — Sein verdanken! DWJ 1898, S. 2691.

Ernst Klaar Der „innere Feind" Wir haben Flinten und Kanonen, Samt Lanzen, Säbeln, blauen Bohnen, Und Schulden viele Millionen Wir sind ein „großes" Reich. Wir haben ungezählte Streiter, Train, Grenadiere, Jäger, Reiter, Artilleristen und so weiter Es tut's uns niemand gleich. Wir sind ein Reich der Christenliebe; Wir dulden keine bösen Triebe Und hängen alle kleinen Diebe — Nicht ist der Schein erborgt.

Wir haben Kirchen und Fabriken, Kasernen, Schulen, Schnapsbudiken, Asyle, Schlösser, Volkskliniken — für alles ist gesorgt. Wir leben stets im tiefsten Frieden, Kein Waffentanz ist uns beschieden, Die Krieger haben's gut hinieden Auf ihrer Bärenhaut. Es fürchten uns die Gegner alle Und ziehen ein so Klau' als Kralle, Nicht klingt der Flinten dumpf Geknalle, Und ach, kein Säbel haut. Und dennoch brauchen wir Armeen, Wie sie die Welt noch nicht gesehen; Unsichtbar böse Geister gehen Und stören unsre Ruh'. In unsres eignen Landes Marken Will ein gewalt'ger Feind erstarken, Er naht mit Knüttel, Sensen, Harken Der Feind, mein Volk, bist du! Du wagst es, unter Zorneslodern Dein freies Menschenrecht zu fodern Und greifst an Dinge, die schon modern, Die lange morsch und faul. Du willst nicht mehr den krummen Rücken Den Schlägen deiner Herren bücken; Du wagst es, hoffend aufzublicken — Das ist der Welt ein Graul. Verletzt hast du die heil'gen Rechte Der Herren und der Herrenknechte, Sie rufen zürnend zum Gefechte, Zum Kampfe wider dich. Du hast zu dulden und zu schweigen, Mußt stumm dich bis zur Erde neigen Und du willst jetzt die Zähne zeigen? Faßt dich der Wahnsinn? Sprich! 102

So lange du duldest unverdrossen, Wirst du in Kerker nicht geschlossen, Wirst auch nicht blindlings totgeschossen — Die Gnadensonne scheint. Doch willst du dich des Zwangs entwöhnen, So droht man dir mit deinen Söhnen, Die unter rauher Fuchtel stöhnen, Und nennt dich — „innrer Feind". Du bist der Feind, vor dem man zittert, Den man mit Netzen rings umgittert, Auf dessen Haupt herniederwittert Der ganze Groll und Haß. Für dich die Flinten und Kanonen, Die Säbel und die blauen Bohnen Samt all den schmucken Bataillonen — Für dich, o Volk, ist das! SP 1898, Nr. 9, S. 70.

L.R. Nullen „Sag, mein Kind, was machst du hier Mit dem Bleistift und Papier?" „Ein^gewaltiges Gefecht. Den Franzosen geht es schlecht." „Ei, was fällt dem Jungen ein. Dieses Zeug ameisenklein, Sollen das Soldaten sein?" „Selbstverständlich! Nachbars Fritz Zeigte mir den netten Witz, Wie man schnell ein ganzes Blatt Voll Soldaten fertig hat. Seh nur zu, ich zeig' dir's auch, Diese Null, das ist der Bauch. Dieses Nullchen - gib fein acht, 103

So hat's Fritz mir vorgemacht — Mal' ich drauf, das ist der Kopf; Jetzt kommt's Käppi mit dem Knopf, Ferner an dem Bauch geschwind Noch vier Striche nötig sind. Arme, Beine hat er jetzt, Frisch's Gewehr nun angesetzt. Fünfter Strich mit Bajonett, Der Franzose ist komplett. Hundert mal' ich wie der Blitz Nullen machen ist der Witz." — „O du schalkhaft kleiner Wicht, Unrecht hast du freilich nicht. Was dein Fritzchen ausgedacht, Wird im großen nachgemacht. Nullen in den Pulverdunst Jagen ist die ganze Kunst." SP 1898, Nr. 10, S. 85.

Kapitalisten-Marseillaise

Wohlan, wer Geld und Gut noch achtet, Zu unsrer Fahne steh' zu Häuf, Und wenn das Volk nach Gleichheit trachtet, So pflanzt die Bajonette auf. In den Kanonen, Bajonetten Liegt unsrer Klasse letztes Heil, Wir geben alles, alles feil, Um unsre Macht im Staat zu retten. Das Höchste sei das Geld! Ihm beuge sich sie Welt! Dem Mann allein ist niemand hold — Ihn adelt erst das Gold. Der Feind, den wir am tiefsten hassen. Das ist die Sozialistenbrut, Denn sie verhetzt die breiten Massen, 104

%

Daß sie begehren Geld und Gut. Ist erst die Bande überwunden, Wer leistet dann noch Widerstand? Das Volk ist ganz in unsrer Hand, Und unbarmherzig wird's geschunden. Das Höchste usw. Das freie Stimmrecht bringt zum Weichen, Es richtet eitel Unheil an, •Gleich stellt's den Armen mit dem Reichen, Daß dieser nicht mehr herrschen kann. So lange uns die Armen wählten, So lange war das Stimmrecht gut; Jetzt „mißbraucht" es die rote Brut, Drum werft es bald zu den Entseelten. Das Höchste usw. Von uns wird einst die Nachwelt zeugen, Wenn wir gerettet unsern Staat, Wenn ächzend unter unsern Streichen Hinsank das Proletariat. Schließt die Phalanx in dichten Reihen Und löst nicht auf die Polizei, Denn wenn auch Gleiches taten zwei, Ist's doch nicht gleich bei diesen Zweien. Das Höchste usw. Auf denn, geliebte Mammonsbriider, Bekräftigt heut aufs neu' den Bund, Schlagt mit Gewalt die Roten nieder, Daß wir nicht kommen auf den Hund! Ist unser Bismarck auch gefallen, Wir folgen treulich seiner Spur, All unser Flehen lautet nur: Laßt endlich doch die Flinten knallen! .Das Höchste usw. SP 1898, Nr. 11, S. 91.

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Nationalliberale Geschichtsklitterer über das Jahr 1848 Liberale Historik, tendenziöse, Fälscht die Geschichte wie Pantscher den Wein; Sie singen dreist die Marseillaise Nach der Melodie der „Wacht am Rhein". SP 1898, Nr. 15, S. 126.

Adolf Lepp Das Polizeiverbot Zwei Büchermacher — ein Poet Und einer, der sonst nichts versteht. Als kraß zu schildern Mord und Brand — Die reichten einstmals sich die Hand. „Nun?" frug der Dichter ganz betrübt, „Hast du dich in Geduld geübt? Wie geht's mit deinem Schundroman, Der zieht wohl schwer die Käufer an?" „Oho!" lacht da der andre auf, „Mein Schundroman ist längst im Lauf! Ab geht er wie das liebe Brot, Das macht das — Polizei verbot!" Der Dichter schleicht sich still davon Und spricht für sich in dumpfem Ton: „Es geht mit meinem Buche schief." Dann schreibt er schleunigst einen Brief: „Geehrtester Herr Staatsanwalt! Verbieten Sie mein Buch recht bald, Es will nicht ziehn, das Publikum Sucht Kontreband' - ich bitt' darum!" DWJ 1898, S. 2800.

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Bismarck ist tot! Bismarck ist tot! Die Trauerglocken hallen, Die Flaggen senken sich auf halben Mast, Und schmerzlich-wilde Totenklagen schallen, Und der Parteien Zank und Streit verblaßt. Ein „Gottesfrieden" senkte sich hernieder Auf Deutschlands weite, früchteschwere Au'n, Und alle Patrioten werden Brüder, Wie wacker sie sich auch zuvor verhaun. Bismarck ist tot! Des Reiches blut'ger Gründer, Der Mann von „Blut und Eisen" ist nicht mehr, Und trauernd stehen als verwaiste Kinder Am Grab der Millio- und Reaktionär. Sie beteten ihn an wie einen Götzen, Stets war er ihrer Weisheit A und O, Nun packt die Ärmsten heiliges Entsetzen, Da aus dem Leib die müde Seele floh. Bismarck ist tot! Rebell von Gottes Gnaden, Der Throne brach und Fürsten jäh vertrieb, Der ausgelöscht ein Vierteldutzend Staaten, Daß keine Spur von ihnen übrigblieb, Der wie ein Gaukler mit der Menschheit spielte. Hier Rechte gab und dorten Rechte nahm Und rücksichtslos in Leichenhaufen wühlte, Wie's ihm gepaßt in seinen faulen Kram. Bismarck ist tot! Von Schleswigs Feldern steigen Die Opferdüfte noch zum Himmelszelt, Auf Böhmens Gau'n verwesen noch die Leichen, Die er mit kalter, sichrer Hand gefällt, Auf Frankreichs reichen, segenschweren Fluren Ragt noch der Massengräber lange Reih — Allüberall des Würgers blut'ge Spuren, Allüberall des Krieges Wüstenei. Bismarck ist tot - der Freiheit grimmer Hasser, Die wie ein Wild er immerdar gehetzt Und deren Kämpfer er bei Brot und Wasser 107

In seiner Kerker Mauergrab gesetzt; Den Reichen gab er Rechte über Rechte Und lieh den Starken seines Armes Schutz, Die Armen aber waren ihm nur Knechte, Und ihren Rechten bot er harten Trutz. Bismarck ist tot! Laßt seine Sippe heulen Vor wildem Schmerz - sie weiß ja doch, warum. Der Arbeit Volk wird nie den Jammer teilen, Es bleibt an diesem Grabe kalt und stumm. Doch zeigen wird es seine alten Wunden, Die der Gewaltmensch schonungslos ihm schlug, Erinnern wird sich's seiner schlimmsten Stunden, Von denen jede Bismarcks Namen trug. Bismarck ist tot! Noch einmal allgewaltig Taucht vor uns auf des Schandgesetzes Zeit, Und neu lebendig wird uns tausendfaltig Das damals stumm und still erlittne Leid, Losreißen will sich nochmals von den Lippen Der alten Flüche ungezähltes Heer, Und heimlich Jauchzen geht von Alpenklippen Durchs Volk bis an des Nordens blaues Meer. Bismarck ist tot! Ob längst von uns geschlagen — Vergessen ist nicht, was er uns getan! Nicht Klage gilt es, sondern anzuklagen An dieser frisch beschloßnen Lebensbahn. Kein schwächliches Verzeihn, ihr breiten Massen t Laßt nicht die Milde sein bei euch zu Gast! Wir dürfen ihn aus ganzer Seele hassen, Ihn, der aus ganzer Seele uns gehaßt! SP 1898, Nr. 18, S. 150.

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Christentum und Staatsraison Wir sind ein christlich frommer Staat, Verpönt ist jede schlechte Tat, Alleinz'ge Richtschnur ist die Bibel, Was drüber ist, das ist vom Übel. Doch höher noch gilt in Berlin Die dreimal heil'ge Disziplin, Sie ist das höchste der Gesetze, Drum sorgt, daß niemand sie verletze. „Du sollst nicht töten!" sagt die Schrift. Doch - Fluch der Kugel, die nicht trifft! Und Fluch dem Säbel, der nicht spaltet! Humanität ist längst veraltet. Ein Staatsverbrecher ist der Mann, Der erst bedächtig sich besann, Eh' er blindwütend scharf geschossen Und seines Volkes Blut vergossen. Wir sind's im Reiche längst gewohnt: Nicht Vater, Mutter wird geschont! Was soll man da den Pöbel schonen Bei Straßendemonstrationen? Drum Poliziste und Gendarm, Gebrauche den bewehrten Arm, Wenn sich das Volk zusammenrottet Und nicht aufs Wort von dannen trottet. Hau mit dem Säbel, was du kannst, Den Plebs auf Schädel oder Wanst. Und schieße hurtig mit der Flinten Scharf auf das Volk von vorn und hinten. Gib keine Schonung, kein Pardon, Denn das verbeut die Staatsraison; Je mehr du Opfer bringst zur Strecke, Je mehr lobt dich der von der Recke. 109

Haust du mit deinem Säbel flach, Da schreit er schmerzlich weh und ach! Und schießest blind du über'n Knäuel, So ist ihm das der höchste Greuel. Wer mit der Flinte nicht erschießt, Nicht mit dem Säbel haut und spießt, Der wird bestraft ob solcher Schlaffe, Denn das ist „Mißbrauch seiner Waffe". „Du sollst nicht töten!" sagt die Schrift. Doch — wer den Plebs nicht tödlich trifft, Der darf in unserm Christenstaate Nicht hoffen auf besondre Gnade. Denn höher noch gilt in Berlin Die dreimal heil'ge Disziplin; Sie ist das höchste der Gesetze, Das andre ist nur leer Geschwätze. SP 1898, Nr. 22, S. 182.

Adolf Lepp Vergleiche Geschieht bei uns ein schofler Streich, So deuten wir gen Osten gleich: „Gerade wie in Rußland!" Geschieht der Streich im Rurikreich, Gen Westen deuten sie sogleich: „Gerade wie in Prußland!" Wenn der Student politisiert, Gleich wird er schimpflich relegiert, Im wunderschönen Prußland! Der Denker im Kosakenland Wird nach Sibirien verbannt, Weil's Sitte ist in Rußland! 110

Voran der Zivilisation Marschiert die preußische Nation, So ist nun einmal Prußland! Der Zar in seiner Unnatur Erscheint als Träger der Kultur, Man glaubt es auch in - Rußland! Und wer des Liedes Dichter ist? Ein ganz verbißner Sozialist Im gottverfluchten Prußland! Die Knute herrscht - der Pope lügt Der Sänger grollt - die Freiheit siegt Am Ende doch in Rußland! DWJ 1898, S. 2883.

Alles Er selbst!

Ein Fürst - so wie er war und bleib' —: Dess' Höchstes ist sein eigner Leib! Des Morgens wacht schon an der Tür Ein rasselnder Leibkürassier; Sein Leibarzt fühlt ihm stets den Puls, Er liest nur seines Leibblatts Schwulst; Leibkammerdiener hin und her Erfüllen hastend sein Begehr; Und ohne ihn hat nichts Räson, Es sonnt sich alles — in seiner Person; Sein Leibstuhl selbst, voll Observanz, Empfängt von ihm erst — Licht und Glanz DWJ 1899, S. 2921.

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Rothe

Der Lauf der Welt

Wer nie im Leben krumm sich bog, Wer nie nach Wunsch der Großen log, Wer hinter Fraun sich nie versteckte, Nie hündisch sich am Boden streckte; Wer seine Meinung frei bekannte, Beim rechten Namen alles nannte, Wer niemals in Byzanz gewesen, Der Heimat aller höhern Wesen: Der kommt zu nichts, er gilt als Lümmel, Verschlossen bleibt ihm selbst der Himmel; Doch, wer im Gegenteil von allen, Den Großen suchte zu gefallen, Dem ist noch stets gespendet worden Für seine Treu' der Kronenorden. DWJ 1899, S. 2950.

Legislative und Exekutive

Die schönsten Lieder nicht behagen Von heiseren Sängern vorgetragen: Der besten Gesetze Kraft ist matt. Wenn der Richter Verstand den Schnupfen hat. SP 1899, Nr. 7, S. 56.

Das Volksheer

Leicht schlug Amerika Spaniens Heer, Noch leichter die spanische Flotte, Es blieb um Aguinaldo nur Die kleine rebellische Rotte. 112

An dieser verdirbt sich Jonathan Den übervollen Magen. Er glaubte, es wäre ein Volksheer so leicht Wie Spaniens Großmacht zu schlagen. DWJ 1899, S. 3013.

Die Zuchthaus-Vorlage

Sie kommt, sie kommt, die Zuchthausbill, Die dich, o Volk, zerschmettern will, Die dich mit Ruten stäupt und schlägt Und um den Hals den Strick dir legt. Sie zwängt in Fesseln Fuß und Hand, Erstickt dir jeden Widerstand, Zum Sklaven wirst du degradiert, Zum Vieh, das man zur Schlachtbank führt. Wächst auch die Last dir bergehoch Nicht rütteln darfst du an dem Joch, Nicht murren wider deine Qual, Nicht kämpfen wider's Kapital. Geduldig mußt du sein und stumm, Mußt beugen deinen Nacken krumm, Mußt wedeln wie ein feiger Hund, Schlug man dir auch den Rücken wund. Und kehrt der Hunger bei dir ein, Und wenn nach Brot die Kinder schrein — Verschließ dein Herz, verstopf dein Ohr Und fronde, fronde wie zuvor. Dein Brotherr weiß schon, was dir frommt Und wie er selbst am besten kommt, In seine Hand befiehl dich ganz Und stramm nach seiner Pfeife tanz. Wer aufsetzt seinen eignen Kopf, Den nimmt der Staatsanwalt beim Schopf, Den sperrt man in das Zuchthaus schnell ii»

Und gerbt mit Peitschen ihm das Fell. Zertreten muß man seine Ehr', Zerschmettern seine Gegenwehr — Weit mehr als Diebs- und Mörderbrut Verhaßt ist ein rebellisch Blut. O Proletar, o Proletar, Turmhoch umdräut dich die Gefahr, Schon hoch am Galgen tanzt der Strick, Den sie dir werfen ums Genick. Gott Mammon übt sein Herrenrecht, Du bist sein Sklave, bist sein Knecht — Sie kommt, sie kommt, die Zuchthausbill, Die dich so ganz zertreten will. SP 1899, S. 96.

M. E. Der Arbeitswillige Unternehmerhymnus auf den Liebling des Tages

Heil ihm, dem wackern Mann, Der sich noch rackern kann, Der keine Klagen murrt, Wenn ihm der Magen knurrt, Heil, dem still brütenden, Niemals laut wütenden, Nie agitierenden, Nie demonstrierenden, Zwölf Stunden fronenden, Leicht zu entlohnenden, Aus der Hand fressenden, Selbst sich auspressenden, Strenge katholischen, Nie diabolischen Ratschlägen lauschenden, 114

Unschuldig plauschenden, Kreisblatt verschlingenden, Lieder nie singenden, Willig sich duckenden, Niemals sich muckenden, Wünsche nie stammelnden, Nie sich versammelnden, Der seine Bürde trägt Und nicht nach Würde frägt, Heil dem Bescheidenen, Sänftlichen, Seidenen, Geistig verschimmelnden, Stumm — Krupp verhimmelnden, Schweine beneidenden, Aber still leidenden, Lammfrommgeduldigen Laßt uns ihm huldigen! Laßt uns verherrlichen Den nie begehrlichen, Vorwärts nie strebenden, Scholle anklebenden, Gott sich empfehlenden, Königstreu wählenden, Immer zufriedenen, Sozigemiedenen, Heil ihm, dem billigen Stets Arbeitswilligen! DWJ 1899, S. 3053.

„Im Wein liegt Wahrheit", wird gesagt. Jedoch es scheint mir sehr gewagt, Das zu behaupten, ungeniert ; Denn wär' es so, Gott sei's geklagt, So wär' der Wein längst konfisziert. SP 1899, Nr. 24, S. 198.

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Alldeutsches Flottenlied

Betet zu Ägir, dem Flutengotte, Täglich um eine verstärkte Flotte, Ohne Flotte das Reich zerschellt, Nimmer erobert's die Macht der Welt. Viele Länder noch gibt's und Inseln, Die nach der deutschen Herrschaft winseln; Hören wir nicht auf ihr kläglich Schrein, Sackt sie der Russ' und der Brite ein. Auch der Händel gibt es gar viele, Die oft führen zum herrlichsten Ziele, Wenn zum richtigen Zeitpunkt man Tritt mit gewaltiger Flotte an. Warum sollen wir uns beschränken, Statt auf unsere Weltmacht denken? Der alleine macht fett das Kraut, Der im Leben fest um sich haut. Russen, Briten, Japaner, Franzosen, Prunken mit Flotten, mit riesengroßen, Nur vor unserer eisernen Faust Höchstens den dummen Chinesen graust. Darum her mit der größeren Flotte, Daß die anderen werden zum Spotte; Niemand soll unserm Vollblutgaul An die Gurten oder ans Maul. Ihr, der Flottenvergrößerung Rufer, Bindet euch nimmer an seichte Ufer, Blähet die Backen recht riesengroß, Fordert, fordert nur „uferlos". Ehe wir nicht die entlegensten Riffe Schützen können durch eiserne Schiffe, 116

Ehler nicht halten wir Ruhe und Fried', Eher nicht schweigt unser Klagelied. Ehe wir nicht in jeglichen Käse Stecken können die lange Näse, Ist nicht zur Erfüllung gebracht Unser Traum von der Weltenmacht. Schäumend das Weltmeer muß überlaufen Und womöglich die Welt ersaufen, Wenn sich schaukelt in seinem Schoß Deutschlands Flotte so riesengroß. Nichts von Verträgen! Nichts von Versprechen! Die sind doch nur da, sie zu brechen. Für den Reichstag zwar sind sie Pflicht, Aber für die Regierung nicht. Michel, Michel, laß dich nicht lumpen, Pumpen mußt du, mußt pumpen, pumpen. Daß du endlich auch auf der See Vor den anderen hast das Prä. SP 1899, Nr. 24, S. 198.

1900 —1905/07

J. Neffeln Spießbürgerlicher Patriotismus „Vom Recht wird nicht gelassen, Wir opfern Gut und Blut, Wir fürchten nicht ihr Hassen Und nicht Despotenwut", So spricht er laut im Bürgersaal, Keck hinter Wein und Bier; Doch, windet sich von Hof ein Aal

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Vor seiner Ladentür Und setzt ihm die Kundschaft in Zweifel, Husch, ist die Courage zum Teufel. SP 1900, Nr. 3, S. 22.

O.E. Den Dunkelmännern Was nicht ihre Gesinnung bekundet, Schelten sie „unreif" mit bösem Gekeif. Ist denn die Distel darum reif, Weil sie den Eseln mundet? SP 1900, Nr. 11, S. 89.

Quidam Die Sympathien der Welt Ein wackres Völkchen im fernen Land Haust nach der Väter Sitten, Mit nerviger Faust und starker Hand Hat es sich Boden erstritten. Und ehrlich schlicht baut es sein Feld, Wie seine Vordem verfuhren Die Sympathien der ganzen Welt Gehören unstreitig den Buren. Da kommt ein Räuber: „Gib her, was dein, Gib alles, um was ich dich neide!" Doch der Bur' fährt empor und der Bur' sagt: Nein! Die Schwerter entfliegen der Scheide. Und Siegesgefühl die Herzen schwellt, 118

Als sie den Kampfeid schwuren! Die Sympathien der ganzen Welt, Sie sind auf Seite der Buren. Und ein Ringen hebt sich, ein Würgen an, Ein Verzweiflungskampf ohnegleichen! Doch was auch Schwert und Büchse getan, Es müssen die Tapfersten weichen. Hoch flattern Englands Fahnen im Feld, Ob Transvaals freien Fluren: Die Sympathien der ganzen Welt Gehören indessen den Buren. Aus ist der Streit - ein Heldenstamm Liegt keuchend und verblutet. Die letzte Wehr und der letzte Damm — Versunken und überflutet! Kein Engel, kein Gott, der rächend noch fällt In den Arm den Henkernaturen! Doch die Sympathien der ganzen Welt Verbleiben natürlich den Buren. DWJ 1900, S. 3278.

Der Postillon Gepanzerter Segensspruch „Nun zieht mit Gott, ihr Bataillone!" Wir brachen einst in friedlich Land, Freiwerber war die Kruppkanone, Und unser Recht hieß: Mord und Brand! Wir annektierten Stadt und Hafen Und haben niemand drum gefragt, Erschlagen haben wir die Braven, Die für ihr Land den Kampf gewagt. „Nun zieht mit Gott, ihr Bataillone!" — Aufging die Saat, die wir gesät. 119

Mit Panzerfäusten, wie zum Hohne, Ward unsre Schar dahingemäht. Des Hasses wilde Flammen lodern Und zünden einen Weltenbrand, Die Leiber unsrer Söhne, modern Erschlagen jetzt im fremden Land. „Nun zieht mit Gott, ihr Bataillone!" — Die Rache ruft! Nun schlagt euch gut! Kein Kämpfer einen Feind verschone! Ersticken soll der Brand im Blut! Wie wilde Hunnen sollt ihr hausen, Daß ein Jahrtausend mög' vergehn, Eh' ohne schreckensvolles Grausen Ein Fremdling wagt, euch anzusehn! „Nun zieht mit Gott, ihr Bataillone!" Die Träger seid ihr der Kultur! Der Dulder mit der Dornenkrone Blickt segnend hin auf eure Spur. Lehrt fern im Osten Christenliebe Mit Kruppkanonen, Schwert und Spieß Und wandelt um durch deutsche Hiebe Die Erde in ein Paradies! SP 1900, Nr. 16, S. 129.

L. R. Die Indifferenten Tröstlich ist mitanzusehn Dieses Volk von Tröpfen, Die da hämmern, Schrauben drehn Und die Drähte kröpfen. Schaut sie an! Der Knecht im Leib, Und wie Automaten 120

Schaffen sie, für Kind und Weib Und für Schlotmagnaten. Freun sich noch sogar dabei „Des Geschäfts, des flotten", Knechtssinn bleibt wie's Osterei Immer hartgesotten. S P 1901, Nr. 1, S. 3.

Ernst Klaar Nemesis Zu Osborne im Königsschlosse Liegt ein Weib, dem Tode nah, Zu Osborne im Königsschlosse Sterbend liegt Viktoria. Die Britanniens Königskrone Durch ein ganzes Leben trug, Sinkt und wankt von ihrem Throne, Ringt um jeden Atemzug. Viel vermag die Kunst der Ärzte, Doch sie bannet nicht den Tod, Es verlängert ihre Weisheit Nur des Sterbens Qual und Not, Dehnt das Weh der Scheidestunde Schreckhaft lang zur Ewigkeit, Wühlt hervor aus tiefstem Grunde, Was begraben schien die Zeit. In den Kissen, schmerzumfangen, Ruht die greise Königin, Halbvergeßne Bilder gaukeln Traumhaft durch den müden Sinn, Gräßliche Gestalten schweben 121

Vor das Lager, angstumgraut, Und die Toten kriegen Leben, Und die Stummen werden laut. „Wer bist du, gespenst'ger Schatten? Dürr der Leib und hohl der Blick! O, du bist das arme Indien, Und du willst von mir dein Glück! Dein zertretnes Volk verhungert, Wie verlaßne Brut im Nest ; Meine Sippschaft protzend lungert, Und die deinen — holt die Pest! Und du dort, zerlumpter Bettler, Mit dem Antlitz bleich und hohl? Irland! Du, mein grünes Irland! O, ich kenn' dich nur zu wohl! Alles hab' ich dir genommen, Alles! Nur die Not blieb dein! Und nun bist du noch gekommen, Zeuge meines Tods zu sein!" Und die Pulse fliegen schneller, Und die bleichen Wangen glühn, Durch das Hirn sich tosend wälzen Wilde Fieberphantasien. Und ans Lager sieht sie treten Blutbespritzt der Dirnen zwei, Und die Lippen wollen beten, Doch es klingt nur geller Schrei: „Was wollt ihr — ihr bleichen Schemen? Was trieb euch zu meiner Qual? Weh! Ihr seid die schlimmsten Kläger, Ihr — Oranje und Transvaal! Herzlos hab' ich euch erschlagen Um das schnöde blanke Gold, Hab' zu euch den Krieg getragen, Der in tausend Donnern grollt! Wie die Fackelbrände lodern Eurer Hütten durch das Land! Wie die jungen Leiber modern 122

Meines Volks in eurem Sand! Dieses Stöhnen, dieses Jammern Der Vertriebnen peitscht mein Ohr, Will sich an die Seele klammern Wie ein wilder Rachechor!" Und sie fühlt die Geisterhände Würgend um den Hals gepreßt, Fühlt die eh'rne Faust der Rache, Die ihr Opfer nimmer läßt. Und sie windet sich und ringet In der höchsten, letzten Not, Bis die Knochenarme schlinget Lösend um das Weib der Tod. — Zu Osborne im Königsschlosse Liegt die Königin gebahrt. Zu Osborne im Königsschlosse Trauernd steht das Volk geschart, Ausgerungen, ausgelitten Ist des Lebens letzte Qual Siegesstolz zu ihren Häuptern Stehn Oranje und Transvaal! S P 1901, Nr. 3, S. 18.

M.E. Hymne auf den Gendarm „,Es gibt wohl keine Beamtenkategorie, die die Autorität •des Staates in so verdienstvoller Weise vertritt, wie der •Gendarm. Diese Beamtenkategorie in ihrer Integrität und ihrer fast beispiellosen Pflichttreue zu erhalten, muß eine •der vornehmsten Aufgaben der Regierung sein." (Minister v. Rheinbaben)

Welch ein erhebendes Märkte belebendes Strahlendes Bild bist du! 123

Staaten fest stützender Unschuld beschützender Räuber leicht fangender Niemals nicht bangender Uniformprangender, Heil dir, Gendarm! Heil dir, Gewaltiger, Du Kriminaltiger, Schirm uns dein Arm! Schrecken verbreitest du, Auf und ab schreitest du, Karren begleitest du Würdig und hehr! Nicht von geringem Schliff, Zart deiner Finger Griff, Doch unerbittlich, Wenn was unsittlich Oder umsturzbedacht: Kurzer Prozeß gemacht! Kunstsinnverständiger, Lüsternheitbändiger, Gruß dir, du ragender, Sabulum tragender, Ausweis erfragender, Dessen Pflicht beispiellos Vornehm und riesengroß, — Du unentbehrlicher, Noch viel zu spärlicher, Wackrer Gendarm, Schirm uns dein Arm! DWJ 1901, S. 3455.

Zur Alkoholfrage Soll man über Alkohol Zornig sich entrüsten? Soll nach einem vollen Glas Nimmer uns gelüsten? 124

Wohl, der „Suff" ein Laster ist, Das wir lieber meiden, — Aber ach, es ist der Durst Auch ein großes Leiden. Schließen wir ein Kompromiß: Wer da schafft mit Fleiße, Labe sich am edlen Trank Nach Germanenweise. Doch dem faulen Aktionär, Dividendenschlucker, Ihm sei Wasser zugedacht. Höchstenfalls mit Zucker. Wer im Dienst der Reaktion Knechtssinn hat bewiesen, Soll Kathreiners Malzkaffee Stark verdünnt genießen. Doch wer für den Fortschritt kämpft Wider Freiheitshasser — Perlen soll ihm Rebenblut Dicker als wie Wasser. DWJ 1901, S. 3495.

Schelm von Bremen Johannes Miquel Johannes, du alter Stratege, Nun bist auch du dahin! Ich habe dich plumpsen hören Und lächle in meinem Sinn. Einst warst du ein Achtundvierz'ger, Ein Revolutionär, 125

Doch deine Ideale, Die waren nicht weit her. Viel praktischer ist's im Leben, Dem Mammon sich zu weihn, Dein Streben war nicht vergeblich, Du hattest wirklich Schwein. Ein Volksaufwiegler der Jüngling Und ein Minister der Greis — Welch schöne Karriere Und welch ein schöner Preis! Doch ach, die schwindelnde Höhe War für dich doch zu hoch. Hättest sollen unten bleiben, Dein Portefeuille, es trog. Johannes, du alter Stratege, Wie mußt' es dir ergehn. Befiehl dem Herrn deine Wege, Kein Hahn wird nach dir krähn. SP 1901, Nr. 13, S. 107.

Max Kegel Nicht spitzeln! Es schleichen sich in unsre Reihen Verdächtige Gestalten ein, Die eifrig schimpfen, kräftig schreien Und ihre Ohren spitzen fein. Man weiß es, was von diesen Kerlen Und ihrem Tun zu halten sei: Es sind der Ordnung rarste Perlen, Spione sind's der Polizei. 126

Ihr Herren Staatenretter, saget, Was solche Sendung wohl bezweckt? Wie sehr euch auch die Neugier plaget, Was hat ein Spitzel je entdeckt? Warum nicht an der rechten Stelle Fragt ihr getrost und ungeniert? Wir sagen aus der besten Quelle Euch alles, was euch int'ressiert. Was wir von euch, ihr Herren, halten? — Ach, das ist ein Geheimnis nicht; Ihr lest es in der Presse Spalten, Sowie im Parlamentsbericht. Und wie zu euerem Regieren Sich die Partei der Arbeit stellt? — Wir werden immer opponieren, Bis daß die Klassenherrschaft fällt. „Wann wird der Zukunftsstaat erstehen?" So fragt ihr mit geheimem Grau'n. — Sobald wir uns imstande sehen. Die neue Ordnung aufzubaun. Und macht euch noch die Frage Sorgen: „Wann tritt wohl dieser Zeitpunkt ein?" — Es wird an einem Montag Morgen Wohl zwischen neun und zehn Uhr sein. „Die bürokratischen Perücken, Sie laufen wohl dabei Gefahr?" — O nein, man wird sie noch erblicken Im Staatsmuseum manches Jahr. — Seht, dies und mehr könnt ihr erfahren, Wenn ihr nur fraget frank und frei, Und könnt das schöne Geld euch sparen Für eure öde Spitzelei. D W J 1902, S. 3670.

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Rothe

L. R. Die Streber Mit Händen und Füßen, Da gilt kein „Zurück"! Zäh klettern die Streber Empor zum „Glück"! Empor zu dem Reichtum, Heraus aus der Not! Heraus aus dem Ringen Ums tägliche Brot! Und geht's nicht mehr ehrlich Unehrlich geht's auch! Und geht's nicht mehr aufrecht — Dann geht's auf dem Bauch! SP 1902, Nr. 2, S. 14.

Der größte Verbrecher

Werft ihn in den Schlund der Hölle, Tretet fest ihm in den Bauch, Gerbt ihm mächtig seine „Pelle", Haut ihn mit dem Gummischlauch, Knufft den Kerl von vorn und hinten, Gebt ihm einen Backenstreich, Stoßt mit Kolben ihn und Flinten, Taucht ihn in den nächsten Teich, Schlagt in Ketten seine Glieder, Reißt in Stücke seinen Leib, Flickt ihn dann zusammen wieder, Bratet ihn zum Zeitvertreib, Steckt ihn in die Folterkammer, Flechtet lebend ihn aufs Rad, 128

Legt ihn unter einen Hammer, Zwickt ihn glühend früh und spat, Laßt von Rossen wild ihn schleifen, Werft ihn Tigern vor zum Fraß, Um die Knöchel schmiedet Reifen, Hängt ihn auf, das freche Aas, Aus dem Hals reißt ihm die Zunge, Werft ihn in den Hungerturm, Blast ihm Gift in seine Lunge, Zieht ihn krumm wie einen Wurm, Schneidet ihm vom Kopf die Ohren, Nehmt vom Haupte ihm den Skalp, Laßt die Augen ihm durchbohren, Stecht ihn ab als wie ein Kalb, Von den Fingern reißt die Nägel, Preßt die Hoden ihm mit Luft, Garottiert den groben Flegel, Steckt ihm Nadeln in die Brust, Haut vom Rumpfe ihm die Hände, Schlitzt die Sohle ihm am Fuß, Schleudert ihn an Felsenwände, Füttert ihn mit Mist und Ruß, Streut ihm Salz in seine Wunden, Mischt ihm Jauche in den Trank, Hetzt den Schuft mit tollen Hunden, Impft mit Syphilis ihn krank, Gebt den Pfeilen ihn zur Scheibe, Legt ihn vor 'nen Zug aufs Gleis, Zieht die Haut ihm von dem Leibe, Laßt gefrieren ihn zu Eis, Legt ihn nackend in die Nesseln, Teert mit Federn ihn und Pech, Siedet ihn in großen Kesseln, Quetscht ihn zwischen Eisenblech, Laßt ihn knien auf spitzen Latten, Setzt ihm Daumenschrauben an, Sperrt zu Molchen ihn und Ratten, Gebt der „Jungfrau" ihn zum Mann, Setzt ihn rücklings auf den Esel, Spuckt ihm in das Angesicht, Führt zum Schimpf von Thorn bis Mosel IS*

Den verruchten Bösewicht, Ach, nichts ist zu schlimm für diesen, Keine Strafe ist zu schwer, Büßen soll er, büßen, büßen, Denn er ist - Siteredakteur! SP 1902, Nr. 4, S. 26.

W. B. Washingtons Geisterstimme Als ich mit meinem Heer im Kampfe stand, Da wollt' erkämpfen ich ein freies Land. Und wer in diesem Kampf die Waffen trug Sie wußten alle, wofür man sich schlug. Dann mit dem Zaubernamen Republik Glaubt' man erreicht ein günstiges Geschick. Sie dünkten alle da sich frei und gleich In einem stolzen, starken Riesenreich, Das noch so jung und nicht von Sorgen alt Und trotzen mochte jeglicher Gewalt. Und Alt-Europa sollte hier erst sehn, Daß auch noch neue Wege zu begehn; Was dort verbraucht und müde und erschlafft, Sollt' hier bewundern frische Jugendkraft. — Ach, schier zu Boden drückt mich heut die Scham, Daß alles, alles gar so anders kam. Daß all die Freiheit, die ich kühn erfocht, Ein Wirrwar nur zu werden hat vermocht 130

Und daß der schlimmste König, den ich kannt', Der König Mammon, hier die Heimat fand. Mein Vaterland, ach, leider bist du nur Von Alt-Europa die Karikatur. — Und doch, kaum hundert Jahre ist es her, Seit kühn ich überschritt den Delaware. DWJ 1902, S. 3710.

E.Kl. Zarenschnaps und Kosakentreue Kosaken, das sind wackere Kerle, Der Russenarmee sind sie eine Perle, Dem Russenthron sind sie eine Stütze, Zu jeder blutigen Schandtat nütze. Sie stützen den Thron mit ihrer Lanze, Er leuchtet darob in schönstem Glänze, Sie stützen den Thron mit ihrer Knute, Die Zarenliebe steckt ihnen im Blute. Sie dienen keinem irdischen Weibe, Sie dienen dem Zaren mit Seel' und Leibe, Es ist der Zar ihr Ein und ihr Alles, Sie teilen mit ihm das Glück und den Dalles. Es hat nicht Spielraum in ihren Herzen Die Welt mit ihren Leiden und Schmerzen, Sie sind monarchisch bis auf die Knochen, Schon seit sie dem Mutterschoß entkrochen. Der Zar gibt ihnen zu saufen, zu fressen, Daran ist ihre Lieb' zu ermessen; Sie sind wie der Hund: selbst harte Prügel Gibt ihrer Treue nicht Zaum noch Zügel. 131

Sie sind ein trefflich Kanonenfutter, Sie schießen selbst auf Vater und Mutter, Tun Brüder und Schwestern zu Tode hetzen, Der Zar muß ihnen den Gott ersetzen. Mit solchen dressierten Menschenbestien Kann man den wackligsten Thron befestigen, Es irritiert sie kein besserer Gedanke, Das Menschentum hat hier seine Schranke. Sie rasen und wüten und toben und morden Bald heute im Süden, bald morgen im Norden, Ganz nach Befehl und nach Wunsch und Launen, Es ist ein Kadavergehorsam zum Staunen. Mit solchen zur Bestie gewordenen Bütteln Kann leicht die Freiheit man niederknütteln, Der Zar hebt sie sehr ob solcher Gaben, Drum sucht er sie nach Verdienst zu laben. Wenn sie das rebellische Volk geschlachtet Und eigner Gefahr dabei nicht geachtet, Da spendet er statt des gemästeten Kalbes Vom Fusel ihnen ein Glas, ein halbes. Für einen Schnaps, einen Schnaps vom Zaren, Da trotzen sie mutig allen Gefahren, Da würgen sie wie die Löwen und Tiger, Da sinken sie unter alle Viecher. Ein Zarenschnaps, der weckt aus den Tiefen Die niedersten Triebe, die dort schliefen, Der facht alle Funken zu blutiger Lohe, Der tötet das Gute und stärkt das Rohe. O Väterchen, Herrscher du aller Reußen, Wie kann ich dich würdig loben und preisen? Wie kann ich dich nach Gebühr besingen? Schier lahmen der Phantasie die Schwingen. Drum schnell einen Schnaps — einen Zarenfusel! Da komm' ich erst in den richtigen Dusel. 132

Es lebe der Zar! Es lebe der Schnaps! Und wer nicht mit einstimmt, der hat einen Klaps. SP 1902, Nr. 13, S. 102.

D. W. Der Erbe Es liegt todkrank Herr Eisenmann, Was man nun mal nicht ändern kann. Besitzer vieler großer Werke, War er ein Mann von Kraft und Stärke. Er hinterläßt, nebst einem Sohn, Ein Sklavenheer auf Sklavenlohn. Die Arbeiter aber sind gute Leute, Ergeben ihrem Herrn von heute. Sie lesen gerne die Berichte Von ihrem Meister, dem großen Wichte, Worin da steht, wie er gedöst Und wie sein Stuhlgang sich gelöst. Vom Schwein hat er etwas Schinken genossen, Einige Gläser Portwein wurden ihm eingegossen, Er rauchte auch ein bißchen Tabak, Und in allen Kreisen die Meinung man hat: „O daß doch viele Zigarren noch Ergötzten Herrn Eisenmanns Nasenloch!" Der Sohn aber nicht dieser Ansicht lebt, Obschon er dem Kranken am nächsten steht. Er dreht sich den blonden Haby-Bart, Und mit recht schneid'ger Herrenart Ruft er: „Als ob ich mich genierte! Wenn nur der Alte bald krepierte!" DWJ 1902, S. 3792. 133

Der weise Fasan Eine „Jagd"-Geschichte

Zu Neudeck erlegte der Einen blendend weißen Was dieses zu bedeuten Das können nur wenige

Kaiser jüngst Fasanen — hat, ahnen.

Ein Fürst unter den Fasanen ist So'n stolzer Vogel, so'n weißer, Drum stellte er sich pflichtschuldigst auch Zum Schusse allein seinem Kaiser. Auch war er das fünfzigtausendste Vieh, Das unser Kaiser getroffen — Wenn er noch lebte, ihm stünden wohl Die höchsten Ehren offen. Wer so den Augenblick erfaßt, Ist weiß nicht bloß - der ist weise, Drum klingt dem weisen Fasanenhahn Auch dieses Loblied zum Preise. S P 1903, Nr. 1, S. 6.

L. R. „Freie" Sklaven Die Hände in den Hosentaschen Und resigniert den schäbigen Kragen Aufgestülpt, so müssen brotlos Die Sklavenhaut zu Markt wir tragen: „Hier ist die Ware! Wir harren still, Wo ist der Käufer, der uns will?" S P 1903, Nr. 2, S. 11.

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Catilina Mein Freund Ich hatt' einmal einen guten Freund, Es war ein feiner Knabe. Wehmütig denk' ich an die Zeit, Da ich ihn geliebet habe. Noch immer seh' ich ihn vor mir stehn Im Schmuck der Jugendlocken: Er war ein deutscher Jüngeling Vom Haupt bis zu den Socken. Wir haben getrunken, wir haben gelumpt, Wir trieben's bisweilen noch schlimmer; Wir schimpften auf die Obrigkeit, Ich grimmig und er noch grimmer. Und fluchte ich dem Pfaffentum Und seinen Lug-Idolen, So meinte er, die Drachenbrut, Die könne der Teufel holen. Dem ganzen faulen Weltsystem, Dem schworen wir blutige Fehde: Es war sogar von Dynamit Und freier Liebe die Rede. Die Jahre vergehn. Den Freiheitsschwur, Ich hielt ihn fest und treulich. Mein Freund ist Oberregierungsrat Geworden - erfuhr ich neulich. Ist eine gewaltige Stütze des Staats Als Mensch, Beamter und Gatte, Er ehrt den König, fürchtet Gott Und hat eine kahle Platte. Er nennt die Freiheit Schwindel nun, Den Zeitgeist miserabel, 135

Trägt einen loyalen Gesinnungsbauch Und Orden bis zum Nabel. Auch ist er fromm geworden sehr, Duckt vor der Kanzel nieder Und singt am Sonntag andachtsvoll Die dümmsten Kirchenlieder. Der freien Liebe hat er entsagt: Allnächtlich unbesehen Kriecht er in dasselbe Ehebett Und zu denselben Flöhen. Also bekämpft er durch die Tat Die destruktiven Tendenzen, Ich seh' ihn auch im Geiste schon Im Rate der Exzellenzen. Dann legt er sich hin und stirbt getrost Nach aller Wünsche Erreichung An Königlich Preußischer Wirklicher Geheimer Gehirnerweichung. D W J 1903, S. 3975.

W. B. Drei Worte Frei nach Schiller

Drei Worte nenn' ich euch inhaltsschwer, Sie gehen von Munde zu Munde, Sie bringen der Arbeit zahllosem Heer Eine längst erwartete Kunde, Und wer die Kunde jetzt noch nicht versteht, Ohne Hoffnung und Zukunft im Dunkeln geht. 136

Die Mönchskapuze naht unserem Schopf Und will uns des Lichtes berauben, Man will sie stülpen uns über den Kopf, Wir sollen nicht wissen, nur glauben. Wer hungernd und frierend sein Leben ließ, Wird dafür entschädigt im Paradies. Die Pickelhaube in Riesengestalt Erscheint mit herrischem Willen, Sie droht uns mit des Schwertes Gewalt, Wir sollen mit Gold sie füllen. Wer so nicht den letzten Groschen verwandt, Ist ein Feind vom Staat und vom Vaterland. Und der Geldsack steht da geruhig und breit Und weiß von keinem Erbarmen, E r heischet gefühllos zu jeglicher Zeit Den Schweiß und das Blut des Armen. Es haben die drei, so wird es kund, Zur Wahl geschlossen den festen Bund. E s ist kein leerer, schmeichelnder Wahn, Erzeugt im Gehirne der Toren, Laut kündet die Stimme des Volkes es an: Z u was Besserem sind wir geboren! Und des Proletariers Stimme spricht: Nein, diese Dreifaltigkeit wählen wir nicht! DWJ 1903, S. 3992.

Nemo. E i n Edelster Herr Frechmops-Schnodderowski ist Ein Junker besten Geblütes, Die Krone und das Glanzprodukt Altmärkischen Landgestütes.

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In Kreuzzugstagen soll es schon Frechmöpse gegeben haben, Ein frommes, tapferes Rittergeschlecht — Sie stahlen wie die Raben. Doch zogen sie nicht ins heilige Land, Sie hockten derweil an der Elbe Und plünderten jüdische Krämer aus — Es war so ziemlich dasselbe. Jetzt hängen die Edlen im Konterfei, Gepanzert und eisengeschienet, Im Ahnensaal — sie hätten schon Im Leben das Hängen verdienet. Herr Frechmops-Schnodderowski ist Nicht aus der Art geschlagen, Nur treibt er es auf andre Manier — Wir leben in anderen Tagen. Kann er auch in Panzer und Eisenhut Nicht liegen auf der Lauer, Er wegelagert im Reichstagssaal Als „hungerleidender Bauer". Kann er dem Kaufmann nicht im Busch Wegnehmen seine Schätze, Er plündert nun strauchritterlich Im Rahmen der Gesetze. So treibt er sein sauberes Geschäft Erfolgreich und unverdrossen; Die alten Herren im Ahnensaal Schaun stolz auf ihren Sprossen. Im Sonnenschein der Zufriedenheit Erglänzen die Züge der Biedern: Ein adlig Geschlecht verleugnet sich nicht In seinen fernsten Gliedern! 138

Die alten Herren murmeln leis, •Gerührt zugleich und heiter: „Gott segne dich, teurer Enkelsohn Stiehl du vergnügt so weiter!" DWJ 1903, S. 3992.

Rudolf Lavant Des Deutschen Lebenslauf In Deutschland hat in stiller Nacht Ihn die Mama zur Welt gebracht, Denn das erlaubt - wir sind ja frei! Die hohe deutsche Polizei. Als er sodann ins dritte Jahr Mit Ach und Krach gekommen war, Beschenkte man den kleinen Schelm Bereits mit Flinte, Schwert und Helm; Und er erfuhr - zu rechter Zeit — Bei dieser Festgelegenheit Durch Vaterworte voll Gewicht, Was eines Deutschen erste Pflicht. E s ward geschickt zur Schule dann Der ahnungslose kleine Mann, Wo man ihn gründlich eingeweiht In Deutschlands Macht und Herrlichkeit, Und wo das Nöt'ge er erfuhr Von unsrer sittlichen Natur, Und von der Fülle von Gemüt Und Treue, die in Deutschland blüht, Indes die ganze andre Welt In Schmutz und Dummheit sich erhält. Was in der Lehre er gelernt, Hat zwar fürs Leben nicht entfernt "Und für die Praxis ausgereicht;

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Doch nahm er solches Manko leicht. Denn bald darauf ward er Soldat, Den oft man auf die Beine trat Und den mit Umsicht und Bedacht Zu einem Menschen man gemacht. Nach ein'ger Zeit, wie man's so treibt, Hat er sich regelrecht beweibt Und mit der Liebsten bis zuletzt Sechs Kinder in die Welt gesetzt, Auch unter manchem Schicksalsschlag Sich abgerackert Nacht und Tag. Es hungert sich zur Not ganz leicht, Wenn es nur für die Steuern reicht; Genügt's doch, daß man mit Gewalt Den Schmachtriem' etwas enger schnallt. Nun denkt er mit gerechtem Stolz Des Schlafrocks wohl aus Fichtenholz, Weil ehrlich sein Gewerb er trieb Und Steuern niemals schuldig blieb, Und weil in Frieden der verfault. Der nie gemurrt und nie gemault. DWJ 1903, S. 4160.

Ignotus

Ein Patriot Oft liest man von alten Helden, Die, mit Wunden und voll Blutes Auf den Boden hingesunken. Dennoch kämpften wilden Mutes. Darum sei auch der Studiosus Quitz von Quitzendorf gepriesen, Der sich jüngst beim Corps „Suffonia" Als ein wahrer Held erwiesen. 140

An des Landesherrn Gebartstag Trank er schon in aller Frühe; Fünfzehn Schoppen Gerstensaftes, Die vertilgt er ohne Mühe. Abends beim Kommersbeginne Lag er — ich gesteh' es offen — Längelang schon unterm Tische, Denn der Gute war — besoffen. Doch als nun die Fürstenhymne Durch die Räume ist erklungen, Hat im Grabeston er gröhlend Unterm Tische mitgesungen. Darum preis' ich diesen Edlen Laut im Liede und erfreue Stets mich dieses schönen Beispiels Deutscher Untertanentreue. DWJ 1903, S. 4155.

Schelm von Bremen Rat Mein Sohn, ich muß dir heute raten Tu gute Taten. Enthülle deiner Zeiten Schande Im Vaterlande. Bekämpf Banausen und Philister, Clowns und Minister. Lakaien, Memmen, Sklavenseelen, Da darf nichts fehlen.

Verkappte Gauner mit Zylinder Bekämpf nicht minder. Und vor den Bauch gehörig stoßen Mußt du die Großen. Verholz, verhöhn die Seifensieder Und derlei Brüder. Jedoch für hündische Blätter schreiben, Pfui, das laß bleiben! S P 1903, Nr. 20, S. 158.

München

Auf dem Sozi-Tag in Dräsen, Dem Parteitag, ist's gewesen, Wo der frevelvollen Stadt Ab die Larv' gerissen hat Unser August Bebel. Leute, höret die Geschichte, Grausig ist's, was ich berichte, Auf den Lippen stirbt der Laut, Und die dicke Gänsehaut Weicht mir nicht vom Buckel. Höret, hört und spitzt die Ohren, Daß kein Wort euch geht verloren: Schlimmer als die Papua Ist das rote Capua, Unsre Bierstadt München! Niemand wandelt auf die Dauer, Wär's auch ein ganz Fester, Schlauer, Ungestraft in dieser Stadt, Ohne daß er schleunigst hat Sich was zugezogen. 142

Unter Radi und Bierkrügen Liegt bald in den letzten Zügen Das geheiligte Prinzip, Fort schleicht es sich wie ein Dieb, Und nur Sumpf bleibt übrig. Selbst der Preuße, der nach München Kommt, um mit Kultur zu tünchen Dort die Schlamp- und Barbarei, Kommt ins Straucheln, eins, zwei, drei, Und ist futschikato. Seht den Parvus, den blutroten, Der Prinzipien ritt nach Noten — Er mit Stiefeln auch und Strumpf Steckt jetzt in dem tiefen Sumpf Der Revisionisten. Und der Timm, der Radikale, Kippte um mit einem Male, Als er kaum das Hofbräu trank; Von Prinzipien ist er blank Und schwört nun zu Vollmar. Ja, wenn Bebel selber käme Und dort Aufenthalt mal nähme, Kann mersch wissen, weeß mersch denn, Ob auch E R dem Sumpf entrann', Der sich dorten auf tut? Drum ob dieser Bierstadt Frevel Schreie ich nach Pech und Schwefel, Daß das rote Element Diesen Sündenpfuhl verbrennt, Eh' er alle ansteckt. SP 1903, S. 154.

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Rothe

Neues Lerneweber-Lied Frei nach der „Schlesischen Zeitung": „Wir haben uns überzeugt, daß die Streikenden recht gute Tage verleben. Von Not und Elend ist, obgleich der Streik bereits 16 Wochen dauert, absolut nichts zu spüren. E s finden häufig gemeinsame Schlachtfeste und Kaffeekränzchen statt, wobei bis in den späten Abend die größte Lust und Fröhlichkeit herrscht. Geld ist ja genug da . . . "

Die Crimmitschauer sind eine saubere Zunft, Harum, didscharum, Im „Ausland" halten sie Zusammenkunft, Harum, didscharum, Aschegraue, dunkelblaue, Mir ein Viertel, dir ein Viertel, Fein oder grob, Geld gibt's doch! Die Crimmitschauer machen keinen Finger krumm, Harum, didscharum, Sie treiben streikend in der Schenk' sich 'rum, Harum, didscharum. Aschegraue usw. Die Crimmitschauer haben jetzt ein Heidengeld, Harum, didscharum, Bloß ihre Fabrikanten sind gar arg geprellt, Harum, didscharum. Aschegraue usw. Die Crimmitschauer schlachten alle Tag' ein Schwein, Harum, didscharum, Und laden sämtliche Gevattern ein, Harum, didscharum, Aschegraue usw. Die Crimmitschauer halten täglich Kaffeekranz, Harum, didscharum, Da schwingen die Burschen die Mädels im Tanz, Harum, didscharum, Aschegraue usw. 144

Den Crimmitschauern geht's jetzt so riesig gut, Hamm, didscharum, Daß jeder auf den Himmel verzichten tut, Harum, didscharum, Aschegraue usw. Die Fabrikanten gucken jetzt all' voll Neid, Harum, didscharum, Die wären schier selber zum Streiken bereit, Harum, didscharum, Aschegraue usw. SP 1904, Nr. 2, S. 12.

Uno. Ministerleiden O Mensch, wenn du des Morgens frühe An dem Zichorienkaffee nippst Und in besagte braune Brühe Die harte Dreiersemmel stippst, Wenn du des Mittags zu dem Harung Die trockne Pellkartoffel pellst: Dann sorg, daß du bei dieser Nahrung Nicht blindem Neid und Haß verfällst. Nicht immer ist, was golden schimmert, Auch wirklich reines, pures Gold, Und mancher, der sich vollgeschlagen Mit Trüffeln den erlauchten Magen, Trotzdem mit seinem Schicksal grollt. Denn liegst du abends längst im weichen Und warmen Bett als braver Mann, Dann fängt erst für den armen Reichen Die eigentliche Arbeit an. Dann wankt manch armes Exzellenzchen Vom Liebesmahl zum Abendtee, 13*

Vom Abendtee zum Kaffeekränzchen Und von dem Kränzchen zum Souper. Und jeder füllt mit Trank und Speise Den armen, abgehetzten Gauch Und stopft ihm Hummermayonnaise, Pasteten, Austern, Wurst und Käse In seinen hochgebornen Bauch. Drum neide keinem seine Trüffel, Und wenn er auch Minister ist, Pell friedlich deine trockne Tüffel Als Untertan und frommer Christ. Und höhne nicht mit argem Spotte, Wenn wieder in der Reichstagsschlacht Im Redekampfe mit der Rotte Die Exzellenz Fiasko macht. Ein voller Bauch studiert nicht gerne, So sagt ein altes Sprichwort schon; Drum lese standhaft die Tiraden, Wenn du auch Krämpfe in den Waden Und Grimmen kriegst im Darm, mein Sohn. D W J 1904, S. 4300.

Deutsche Kolonialweisheit

Halt's Maul, o Volk, und frage nicht, Weshalb im fernen Niggerland, Weshalb im fernen Schutzgebiet Des Aufruhrs Flamme wild entbrannt. Bezähme deines Wissens Trieb Und forsche nicht nach einer Schuld, Die Neugier ist nicht zeitgemäß, So faß dich lieber in Geduld. Erst muß es jäh zerschmettert sein, Das schwarze, scheußliche Gezücht, 146

Und dann, wenn es am Boden liegt, Erfährst du es noch lange nicht. Drum meide alle Fragerei, Tu lieber Geld in deinen Sack, Denn ohne Geld gibt's keinen Sieg Selbst über lump'ges Negerpack. Gib deine Millionen her! Was kümmert dich die Negerbrut? Sie haben frevelnd sich empört, Und die Empörung fordert Blut. Ja, Blut muß fließen knüppeldick, Das war zu allen Zeiten so, Drum wird auch keine Extrawurst Gebraten für die Herero. Daß ihre Frauen man verführt, Daß man sie um ihr Hab geprellt — Du lieber Gott, in Kolonien, Da ist das so der Lauf der Welt! Der Weiße ist nun mal der Herr, Der Schwarze ist des Weißen Knecht, Drum muß er ducken, wie ein Hund, Und tut er's nicht, so geht's ihm schlecht. Da gibt es keinen Widerstand, Und keinen Aufruhr — gottverdammt! Der deutsche Siedler ist als Herr Dem schwarzen Nigger angestammt. Drum Geld und Geld und nochmals Geld, Zu bänd'gen die Rebellenbrut, Daß sie erstickt im Pulverdampf, Daß sie ersäuft in ihrem Blut! Und raubt den Horden all ihr Vieh, Und raubt den Horden all ihr Land, Und steckt die Kerls in Sklaverei, Zur Strafe, daß sie sich ermannt! 147

Der Schrecken muß im Lande ziehn, Der Schrecken ä la Arenberg, Daß sie in uns nur Götter sehn, Daß sie sich fühlen ganz als Zwerg. Zum Teufel die Humanität! Gepriesen sei die Panzerfaust, Die jäh zerschmetternd auf das Haupt Der „schwarzen Bestien" niedersaust. Und schlagt auch all die Frager tot, Die schnöd des Frevels sich erfrecht, Zu forschen nach der Weißen Schuld, Zu fragen nach der Schwarzen Recht. Gewalt ist Trumpf, so hier wie dort, Drum zahle, Volk, und frage nicht — Die Wahrheit, Michel, die erfährst Du doch all dein Lebtage nicht! SP 1904, Nr. 7, S. 54.

Leutnants Totenlied Frei nach Schiller

Seht, da sitzt er auf der Matte, Aufrecht sitzt er da. Mit dem Anstand, den er hatte, D a er's Licht noch sah. Doch wo ist die Kraft der Fäuste Und der Füße auch. Womit er Rekruten dreiste Stieß in Brust und Bauch? Wo die Augen, falkenhelle, Keck bald, bald diskret, Die die Damen der Bordelle Tag und Nacht erspäht? 148

Wo die Bein, vorschriftsdürre, Die einhergestelzt, Wenn des Scheinkampfs Mordgewirre Sich durchs Feld gewälzt? Wo die Arme, salutierend Einst so stramm und straff? Ach, was erst so faszinierend, Baumelt jetzt so schlaff! Wenn er noch am Leben wäxe, Traf' ihn schwere Not, Doch zu seiner höhern Ehre Ist er leider tot. Wohl ihm, er ist hingegangen, Wo kein Weh mehr ist, Wo man nicht mit Zorneswangen Grimm ein Witzblatt liest. Wo man für die Leutenante Backfischgleich nur schwärmt Und sich nicht an ihrer Schande Frech die Seele wärmt. Wo kein Baudissin und Bilse Und kein Bayerlein, Wo kein Zeichner bringen will se Um den Glorienschein. Im Kasino speist er droben, Auch „Walhall" genannt, Von Walküren jetzt umwoben, Die gar sehr scharmant. Bringt drum her die letzten Gaben, Gebt sie ohne Klag', Daß er mög' „Erfolge" haben Bis zum jüngsten Tag. Klemmt ins Aug' ihm das Monokel, Das so trefflich saß — 149

Was der Schwanz ist für den Gockel, Ist für ihn das „Glas". Gebt ihm Würfel oder Karten Zu 'nem kleinen Jeu, Steck ihm auch paar blaue Lappen In das Portmonneh. Zieht auf dem Pomadenscheitel Ihm den Lauskanal, Daß er (denn dort ist man eitel) Alles überstrahl'. Seht ihm auch die Rückenfalte Erst gehörig nach, Denn des Regimentes Alte Macht dort manchmal Krach. Und 'ne Phonographenwalze Gebt ihm noch, herrjeh, Daß er dort aus vollem Halse Schnarren kann: „Aeh! aeh!" Hängt auch noch 'ne Schnurrbartbinde Ihm um Ohr und Bart, Daß er schneidig droben künde Echte deutsche Art. SP 1904, Nr. 8, S. 61.

„Fragmentarische" Preßfreiheit ä la Mugdan Ich bin ein freigesinnter Mann Und schwärme für die Presse, Nur muß sie halten auf Befehl Von oben stets die Fr . . . Sie darf die Schäden dieser Zeit Mit keckem Mut aufdecken 150

Doch muß sie auch die Fürsten mal Devot am Hintern . . . ! Für Freiheit und für Menschenrecht Darf kämpfen sie wie tolle — Natürlich mit dem Staatsanwalt Als oberste „Kontrolle". So singe ich ein hohes Lied Der Preßfreiheit zum Preise, Doch wenn ich sie betät'gen soll, So ist es damit . . . SP 1904, Nr. 11, S. 82.

Liberalismus

So lange ihm selbst die Bissen schmal, Da ist er rebellisch und liberal, Doch werden ihm dann die Bissen fetter, Wird er zu den Mächt'gen bedeutend netter, Und gibt man ihm gar noch Gut und Land, Da frißt er gehorsamst aus der Hand. Wird ober-ultra-reaktionär, Fällt über die Ideale her, Womit er begann den politischen Lauf, Und frißt sie samt ihren Verteidigern auf. SP 1904, Nr. 25, S. 198.

Lied der Grubenprotzen

Wir sind die Herren im Grubenrevier, Die Knappen sind unsere Sklaven, Wir können sie ganz nach Wunsch und Begier, 151

Nach Lust und Laune bestrafen, Denn Geld regiert ja allein die Welt — Und wir haben Geld, wir haben Geld! Wir haben Geld in gewaltigen Massen Und können's uns mal was kosten lassen. Wir schicken die Knappen hinab in den Schacht, Hinab in Tod und Verderben, Wir schicken sie in die schwarze Nacht, Für unseren Profit zu sterben, Denn dazu ist die Kanaille da, Kein menschliches Rühren tritt uns nah, Wir sind die Herren, sie sind die Knechte, Wir pfeifen auf ihre Menschenrechte. Der höchste Herrgott ist der Profit, Ihm dienen wir stets mit Freuden, Wir weichen und wanken keinen Schritt, Die anderen auszubeuten. Wir pochen trotzig auf unsere Macht, Ob draus entspringe auch Kampf und Schlacht, Der Staat hat Flinten ja und Haubitzen, Damit das Kapital zu beschützen. Der Staat ist unser getreuer Knecht, Weh', wehe, wollt' er sich weigern! Es ginge dem Ärmsten hundeschlecht, Wie unseren Knappen und Steigern. Er hat zu parieren auf unseren Pfiff Und wütend mit rauhem Schergengriff Die renitenten Gesellen zu packen, Solln ihm nicht selber die Knochen knacken. Wir kürzen frech Gedinge und Lohn, Den eigenen Beutel zu füllen, Und längern dafür der Arbeit Fron, Die Herrsch- und Habgier zu stillen. Wir sind die Herren über Lohn und Schicht Und fragen darob den Bergmann nicht. Erfrecht er sich des Widerspruchs Laster, So fliegt er mit Weib und Kind aufs Pflaster. 152

"Und kommen die Knappen in hellem Haut, Uns jäh das Gewissen zu wecken — Wir nehmen's mit Gott und dem Teufel auf Und lassen uns nimmer schrecken. Was kümmert uns eines Ausstands Graus? Wir sind und bleiben die Herrn im Haus! Der Staat muß schützen uns Werk und Zechen. Im übrigen: biegen oder brechen. Mag hungern der Bergmann mit Weib und Kind Wir brauchen den Hunger nicht fühlen! Erfrieren die Armen in Frost und Wind, So kann's ein Gelüst nur uns kühlen. "Und müßte selbst leiden der ganze Staat "Und das ganze Volk durch die Freveltat — Was kümmern uns eines Volkes Schmerzen? Wie Eis so kalt bleiben unsere Herzen. Nur unser eigenes Interesse gilt — Nichts anderes gibt es auf Erden! Und wer nicht willig den Sack uns füllt — Zerschmettert soll dieser werden! Als oberster Götze herrscht das Geld, So will's die göttliche Ordnung der Welt, Und wer dagegen sich stemmt und streitet, Der hat es verdient, daß er stirbt und leidet. S P 1905, Nr. 3, S. 18.

Secundus Besuch bei Nikolaus Nikolaus war unzufrieden! Schien der Abend doch verloren, Denn die Spiritisten hatten Peters Geist ihm nicht beschworen, Peters, seines großen Ahnen,

Der stets vor dem Frühstück pflegte Ein paar Köpfe abzuhacken, Weil das Appetit erregte. Nikolaus war unzufrieden, Und er schmähte, bis in Schlummer Seine Augenlider sanken Und er einschlief voller Kummer. — Aber die den Spiritisten Heute nicht gefällig waren Trotz der heftigsten Beschwörung, Geister, kamen doch zum Zaren. Karl der Erste, weiland König Über England, grüßte zierlich; Unterm Arm, statt eines Hutes, Trug den Kopf er sehr manierlich. „Herr Kollege, sie gestatten Doch wohl, also sie zu nennen? Mich, so denk' ich, werden sicher Eure Majestät schon kennen. Durch ein kleines Mißverständnis Kam ich einst in Schwulitäten, Hab' dabei den Kopf verloren, Wie auch andere Majestäten. Und das Mißverständnis — lachen Muß darob ein Mensch von heute: Daß allein ich herrschen wollte. Das begriffen nicht die Leute! Nikolaus, drum möcht' ich raten: Traue nicht auf 'Gottes Gnaden'; Wird der Kopf dir abgenommen, Hast du ganz allein den Schaden!" Karl der Erste schwenkte zierlich Seinen Kopf gleich einem Hute, Und er wünschte noch dem Zaren Sanfte Nachtruh', süße gute . . . Doch kaum war der Karl gegangen, Kam nun Ludwig, der Sechzehnte, 154

Stellte auf den Nachttisch seinen Kopf, der etwas schläfrig gähnte Und dann anhub: „Nikoläuschen, Sie verzeihen, wenn ich störe; Doch ich komme, weil ich drüben Mancherlei von ihnen höre. Als erfahrener Kollege Möchte ich sie gern belehren, Wie man seines Kopfs entledigt Sich mit Anstand und mit Ehren. Sehen sie, man blickt zum Himmel Hoheitsvoll empor, und schweigend Läßt man sich den Rock ausziehen, Sich nochmals zum Priester neigend. Spricht noch ein'ge fromme Worte, Während sie die Riemen schnallen, TJnd erwartet dann geduldig Des dreieck'gen Beiles Fallen. Drum: Wenn sie den Kopf verlieren Nie die Kontenance, Kollege! So zu den Berufsgenossen Immer ich zu sprechen pflege." Ludwig nahm den Kopf vom Nachttisch An den weißen Puderhaaren, Nickte freundlich und verschwand dann Aus dem Schlafgemach des Zaren. Doch der schrie: „Ich will nicht sterben, Will an meinen Tod nicht denken! Aber heut von den Rebellen Lasse ich ein Dutzend henken!" D W J 1905, S. 4610.

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Des deutschen Spießbürgers Schillerfest Prophetisch geschaut von Secundus Holt den Rock mir aus dem Schranke, Wohlgebürstet muß er sein, Denn ich geh' zur Schillerfeier, Und das Publikum ist fein. Offiziere sind darunter, Und der Fürst von Dinkelsbühl Will höchstselbst sich auch noch mischen In das festliche Gewühl. Ja, den großen Männern huldigt Jeder Deutsche, insofern Es die Polizei gestattet, Und das tut sie diesmal gern. Gebt mir auch die weiße Binde; Es ist möglich, daß beim Fest Unser Oberbürgermeister Ins Gespräch mit mir sich läßt. Der Herr Rektor hält die Rede, Würdig, geist- und weihevoll: „Wie der Deutsche seinen Schiller Lesen und verstehen soll". Er hat auch ein Buch geschrieben, Drin er klipp und klar beweist, Daß der Hohenzollern Größe Schiller ahnungsvoll schon preist. Reicht den glänzenden Zylinder Mir zur Kopfbedeckung dar; Nicht im schnöden Filzhut feiert Deutschlands Volk das Schiller]ahr. Wo sich Superintendenten Und Majore finden ein. Da muß auch der schlichte Bürger Festlich angezogen sein. Denn, wie schon der Schiller sagte: „Segen ist der Mühe Preis; Ehrt den König seine Würde, Ehret uns der Hände Fleiß." 156

Frau, du mußt dich heut bemühen, Schillerkenntnis darzutun: „Prüfe, wer sich ewig bindet", „Laßt die strenge Arbeit ruhn", Und wenn wir das Glas erheben, Dann zitierst du Schiller auch: „Wohl! nun kann der Guß beginnen!" Denn Zitate sind jetzt Brauch. Auch liegt es mir sehr am Herzen, Daß du dich gebildet zeigst Und entweder geistreich redest Oder aber gänzlich schweigst. Du, mein Töchterlein Karline In dem weißen Unschuldskleid, Wenn du dich bemühst, dann glückt es Mit dem Leutnant Jobst von Schneid, Denn die Herren Offiziere Sind zum Feste kommandiert, Weil an allerhöchster Stelle Man den Schiller toleriert. Heut, Karline, hast du Chancen; Zeige dich nur ideal; So was liebt beim Schillerfeste Auch ein Leutnant wohl einmal. Holt den Hut mir aus dem Schranke! Welch ein wonniges Gefühl, Ganz dieselbe Luft zu atmen Wie der Fürst von Dinkelsbühl! Ja, viel Dank verdient der Schiller, Daß zum Fest er Anlaß gab. Gern verzeiht man ihm, daß er kein Preuße, sondern nur ein Schwab'. Allerhöchsten Ortes wendet Man nichts wider Schiller ein, Und die Untertanen dürfen Somit „Hurra Schiller!" schrein. DWJ 1905, S. 4680.

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Zu Heines 50. Todestag

Nun bist du schon fünfzig Jahre tot, Du göttlicher Heinrich Heine! Es schlummern entgegen dem Morgenrot Deine längst vermorschten Gebeine. Wie gut, daß du im fernen Paris Gelegt dich zur ewigen Ruhe — In Deutschland stünde es sonst wohl mies Um deine Totenruhe. E s fliegen und flattern hier immer noch Des Rückschritts gräuliche Raben, Sie hätten dich aus dem tiefsten Loch Mit ihren Schnäbeln gegraben. Sie hätten dir unter vielem Gekreisch Von deinen sündigen Knochen Heruntergerissen das letzte Fleisch, Ihr Grimm ist noch ungebrochen. Sie können nimmer vertragen das Licht Und nicht deines Spottes Pfeile — Sie hassen von dir jedwedes Gedicht Und jede Prosazeile. Sie hätten gern das Gedenken dein Uns aus den Herzen gerissen — Sie müssen dich noch immer bespein Und deinen Leichnam bepissen. Na ja, du hast mit der finstern Brut Dein tolles Spiel auch getrieben, Du hast sie gegeißelt bis aufs Blut, Wie sollen sie dich da Heben? Ihr Haß ist ehrlich, ihr Groll ist gerecht, Du wirst dich nicht drüber beklagen, Du hegst dem Dunkelmänner-Geschlecht Noch immer schwer im Magen. 158

Und bist du längst vermorscht und verfault — Sie absolutieren dich nimmer; Ein jeder echte Boruss' sich grault Vor deines Ruhmes Schimmer. Hörst du die Edlen nicht wutverzerrt Bei deinem Gedächtnis fauchen? Ach, Heine, wir könnten dein gutes Schwert Noch immer so nötig brauchen! Dein blankes Schwert, aus Geist und Witz Im Feuer der Wahrheit geschmiedet, Das niedersaust wie ein zischender Blitz, Wojs heuchelt und frömmelt und prüdet. Es ist im heiligen deutschen Reich Die uralt ewige Leier: Nur wenige Hechte im Karpfenteich, Doch zahllos die Biedermeier. Es herrschen die Pfaffen, es herrscht der Zopf, Es herrschen die Protzen und Junker — Dem armen Michel, dem brummt der Kopf Von all ihrem Wortgeflunker. Nur immer: „Hurra!" und: „Majestät" Und: „Pyramidal — auf Ehre!" Als ob - verflucht und zugenäht! Schon alles verjunkert wäre. Es liegen die Spießer auf dem Bauch Wie Sklaven vor jedem Thrönchen, Und die Landesmutter vergöttern sie auch Nebst dito Töchtern und Söhnchen. Der Leutnant, das ist der Inbegriff Von Männertugend und Schöne, Seine Schneid, die ist von höchstem Schliff Und streichholzdünn seine Beene. 14

Rothe

Der Marinismus schießt üppig ins Kraut Und frißt uns mit Haut und Haaren, Seit Jungfer Germania sich als Braut Dem ollen Ägir mußt' paaren. Die Schule wird immer mehr verpfafft, Und die deutsche Kunst nicht minder — Bald werden nächstens auch abgeschafft Die „unsittlichen" kleinen Kinder. Die Die Der Mit

freie Meinung in Wort und Schrift, kriegt einen strafferen Knebel, Staat befehdet das Umsturzgift Nachtwächterspieß und Säbel.

Der Proletar, der bleiche Gesell, Bleibt immer der arme Schlucker, Bald gerbt man mit Peitschen ihm das Fell, Bald gibt man ihm ein Stück Zucker. Kasernen und Kirchen sprießen empor Wie Pilze nach warmem Regen, In ersteren herrscht der esprit de corps, In letztern der geistige Segen. Auch gibt es Bordelle und Nachtcafes, Fabriken und Kerker gar viele Und Jünglingsvereine und Kabaretts Und „Gefallene-Mädchen"-Asyle. Wir sind ein Kultursta.a.t, du merkst es wohl, Mit Junkern und Pfaffen und Bütteln, Doch brauchst du darob nicht so frivol Dein lockiges Haupt zu schütteln. Komm nur mal wieder ins deutsche Land, Da siehst du dein blaues Wunder! Doch tue es möglichst unerkannt. Sonst haut man dir eine 'runter. Am Ende kämst du wohl gar ins Loch Und könntst dir's beschauen von innen — 160

Da ist es nämlich viel schöner noch, Doch gibt es daraus kein Entrinnen. Na - überleg dir's, du Sapperlot, Und strecke jetzt wohlig die Glieder, Und bist du erst hundert Jahre tot, Dann sprechen wir darüber wieder. SP 1906, Nr. 4, S. 27.

J.s. Die Schlacht v o n Breslau Das war ein glorreich Fechten zu Breslau in der Stadt, Wie man's seit Ritterzeiten nicht mehr gesehen hat; Zu Fuß und hoch zu Rosse welch wutentbranntes Korps In wüstem Schlachtgetümmel wälzt sich zum Nikolaitor? Die scharfen Säbel blitzen, Revolverhähne knacken: Sind es Hererohorden? Sind's Väterchens Kosaken? Sind es - um Himmels willen! — gar fromme Hunnenscharen, Die, Gott zu Ehr' und Ruhme, Europas heil'ge Güter wahren? O nein! Der Troß, bewandert in Kriegesbrauch und -listen, Die blutbespritzten Recken sind Breslaus Polizisten, Die niederhaun und -knallen wehrlose Bürgersleut', Daß ungefährdet bleibe die öffentliche Sicherheit. Daß unbelästigt herrsche das heil'ge Kapital, Gab kühn der junge Leutnant zum Schwärmen das Signal; Es lösen sich die Reihen: mit Hurra und Juchhei Beginnt der Ordnungshüter frisch-frei-froh-fromme Metzelei.

Ha, wie die tapfern Kämpen im Volksgewühl sich rühren: Hier gilt es, Ruhm zu ernten, und nichts ist zu riskieren. Schon weisen rote Pfützen die imposante Spur Vom schaffensfrohen Walten der preuß'schen Polizeikultur. Das Blut von Greisen, Kindern und Frauen ist geflossen, Kühn ward manch widerspenst'ges Schaufenster eingeschossen. Wahllos trifft Feind und Freund das Schwert, und seine Keil' Kriegt selbst ein Arbeitswill'ger aufs wohlgesinnte Hinterteil. Der Kampf ist aus. Vom Schlachtfeld schallt frohes Siegsgetön, Es ruhn die Polizisten und sammeln die Trophä'n. Und siehe da, was findet man dort im blut'gen Sand? Zerfleischt, zerfetzt, verstümmelt liegt eine Proletarierhand. Doch wie der Kopf der Hydra, als Herkules sie schlug, Auf jedem blut'gen Stumpfe zwei neue Köpfe trug. Entwachsen diesem Funde viel tausend Hände neu, Daß bleicher Schrecken packet die unerschrockne Polizei. Sie heben sich zum Schwüre, zu wirken früh und spat, Bis Rache ward und Sühne der frevelhaften Tat, Bis aus dem großen Schuldbuch getilgt die blut'ge Schmach, Getilgt die blut'ge Schande von Breslaus rotem Donnerstag; Zu hegen und zu schüren die heil'ge Kampfesglut, Bis eines Tags gebrochen des Feindes Übermut, Bis auf der Knechtschaft Trümmern ein neues Reich ersteht Und stolz in freien Lüften das rote Siegesbanner weht! DWJ 1906, S. 5034.

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1905/07-1914

Klassenjustiz Das ist die übliche Justiz Im Land germanischen Geblüts: Erst tritt ein Herr den niedern Knecht, Mit Füßen frech das Menschenrecht, Daß sich der Sklave drob empört Und zürnend dem Verächter wehrt. Tut dann der Mann in seinem Groll Etwas, was er nicht tuen soll, Kommt gleich der Büttel blitzgeschwind Und packt ihn vorn und packt ihn hint', Der Kadi kommt und tut den Spruch, Wie bodenlos der Kerl verrucht, Straft ihn, daß es zum Himmel schreit, Der aber, der den Mann gereizt, Sich frech als Unschuldslämmchen spreizt. Und das nennt man Gerechtigkeit! SP 1906, Nr. 10, S. 78.

Z. Vision eines braven Soldaten Komm Pfaffe, sag dein Sprüchlein her Und segne Waffen und Gewehr! Wir müssen auf Vater und Mutter schießen Und rotes Bruderblut vergießen. Komm Pfaffe, sag dein Sprüchlein her. Mein Gott, mir wird das Herz so schwer Du sollst nicht töten, steht im Gebote, Und vor mir seh' ich nichts als Tote. 163

Wir sollten schützen Altar und Thron. Und sie — sie wollten nur beßren Lohn; Sie wollten nur satt zu essen haben — Nun werden sie meinen Bruder begraben ! Ach, Brüder, Brüder, welche Pein — So schlagt mir doch den Schädel ein! Denn müßt' ich weiter leben auf Erden, So könnt' ich nur Schutzmann in Breslau werden. DWJ 1906, S. 5056.

Franz Horsky Der Segen des Krieges Hört, ihr Leute, laßt euch sagen: Heereslasten müßt ihr tragen! Denn was wär* das End' vom Liede, Bliebe permanent der Friede, Wir versänken eins, zwei, drei! Rettungslos in Barbarei! Drum, auf daß zur höchsten Weihe Wohlfahrt und Kultur gedeihe, Stiften wir von Zeit zu Zeit In der Welt, bald nah, bald weit, Irgendwo ein fröhlich Morden Regulärer Kriegerhorden. Vorbereitend dies beraten Beim Kongreß die Diplomaten. — Erst wenn die Kanonen blitzen, Bomben und Granaten flitzen Und die explosiven Sachen, Minen und Torpedos krachen, Kalte Säbelklingen wärmen Sich in menschlichen Gedärmen, Arme, Beine, Ohren, Nasen 164

Blutend liegen auf dem Rasen, Ganze Panzerflotten sinken, Hunderttausend Leichen stinken, Rosse durch die Saaten rennen, Dörfer rauchen, Städte brennen, Hunger würgt im wüsten Land Mit erbarmungsloser Hand, Und was er verschont, der Rest, Stirbt an Cholera, Typhus, Pest — Dann erst können wir uns freuen, Wer's erlebt, wird's nicht bereuen! Endlich muß der Brand verlodern Und die Leichen prompt vermodern; Ja, und es bricht an die Zeit Blühendster Betriebsamkeit. Neue Schiffe, neue Waffen Muß die Industrie dann schaffen, Und es steigen solcherweise Eisen- und auch Kohlenpreise. D W J 1906, S. 5104.

Die „Ordnung" Die Ordnung sitzt auf einem Thron Von Knuten und von Ketten, Von Paragraphen, Aktenkram, Von Lanzen, Bajonetten. Sie zieht ein fürchterlich Gesicht, Wie trübes Regenwetter, Sie trägt an ihrer Stirne dicht Die allerdicksten Bretter. Sie ist auf beiden Augen blind Und taub auf beiden Ohren, Sie hat dazu noch den Geschmack Und das Gefühl verloren. 165

So kann die Zeichen ihrer Zeit Sie nimmermehr verstehen, Sie schmeckt und hört und fühlt ja nicht Und kann noch weniger sehen. Nur ihre Nase ist noch gut, Da schnuppert sie im Winde Und wittert Umsturz und Gefahr In jedem kleinen Kinde. Mißtrauen ist ihr steter Gast, Das wohnt ihr tief im Busen, Das zwingt zu falschen Schlüssen sie, Zu Taten, höchst konfusen. Ob ihrer Herrschaft, angstbedrückt, Lieg stets sie auf der Lauer, Sie zog um ihren morschen Thron Der Vorurteile Mauer. Kein Lüftchen, keck und frühlingsfroh. Kann duldend sie ertragen, Was nicht verrottet und verdumpft. Das stört ihr das Behagen. Und will einmal ein frischer Wind Sein keckes Liedlein blasen, Gleich wittert sie Rebellensturm Und tobt in wildem Rasen. Mit Paragraphen, Aktenkram, Mit Knuten und mit Ketten Sucht die bedrohte Herrschaft sie Um jeden Preis zu retten. Und hilft das nicht im ersten Hieb, Läßt sie die Säbel blitzen, Pflanzt sie die Bajonette auf, Umdröhnt von Mordgeschützen. 166

Was fragt sie viel um Menschenglück, Um Blut und Menschenleben? Fest sitzen will sie allezeit, Das ist ihr höchstes Streben. Um diesen trügerischen Wahn Läßt sie es ewig nachten, Zertritt sie Freiheit und Gesetz Und läßt die Bürger schlachten. Sie sieht in ihrer Blindheit nicht Den neuen Frühling gluten, Sie hört in ihrer Taubheit nicht Die Wasser brausend fluten. Sie klammert sich an ihren Sitz Mit Zähnen und mit Krallen, Bis sie hinwegspült siegesstolz Des Zornes Überwallen. SP 1906, Nr. 1, S. 6 - 7 .

Kapitalistischer Patriotismus

Ein rechter Segen ist der Krieg Für alle Lieferanten, Entrüsten können sich darob Nur alte, fromme Tanten. Mäht auch viel junges Menschenglück Der Tod mit raschem Schnitte — Ins Ungemeßne steigen doch Den Händlern die Profite. Sie streichen Gold und wieder Gold Mit übervollen Händen — Sie haben kein Interesse dran, Den Krieg so bald zu enden. 167

Sie schlagen bares Kapital Aus Sterbenden und Toten, Drum sind sie tief bis in das Mark Waschechte Patrioten. Sie dulden nicht den kleinsten Fleck Auf unserm Schild der Ehre Sie reißen auf ihr großes Maul Und schreien laut und sehre. Sie heischen mit gewalt'gem Mund Für jeden Frevel Sühne, Daß am gekränkten Vaterland Der Ehrenmann verdiene. Sie sind nicht hergelaufnes Pack, Nicht schäbig arme Krämer, Sie sitzen auf dem vollen Sack Und heißen Unternehmer. Sie gehen nicht im Werkgewand, Im dürftig schlechten Kittel — Sie tragen einen Bratenrock Und haben Rang und Titel. Sie sitzen selbst im hohen Amt Und führn des Staates Zügel Wer nicht den Staat begaunern will, Verdient kraft Rechtens Prügel. Sie räkeln und sie spreizen sich, Scharwenzeln frech bei Hofe — Im Kriechen nehmen sie es auf Kühn mit Lakai und Zofe. So saugen sie am Mark des Volks, So mästen sich die Drohnen — Der Klassenstaat tut liebevoll Die Vampyrbrut verschonen. 168

Herrgott, was sind für Schufte doch Wir vielgeschmähten „Roten" — Wir plündern nicht das Vaterland, Wie diese „Patrioten". SP 1906, Nr. 18, S. 138.

J.S. Der Hauptmann von Köpenick Ein Bänkelsängerlied Bürger, hört die gräßliche Geschichte, Die am weitberühmten Strand der Spree, Wo die Weisheit wohnet und regieret, Jüngst sich zutrug und ereignete. Köpenick, so heißt des Dramas Stätte, Und sein Held ist Langerhans benannt; Dieser war nicht bloß ein Bürgermeister, Sondern auch Reserveleutenant. Liberalen Bürgerstolz zu üben, War sein täglich Streben, voll und ganz. Doch daneben auch die Kriegsartikel Kannt' und ehrte dieser Langerhans. Wegen dieses letztgenannten Grundes Zitterte vor ihm ganz Köpenick, Aber eine schwarze Räuberseele Dreht' aus dieser Tugend ihm den Strick. Eine Uniform auf seinen Körper Zog der Bube, jeder Ehrfurcht bar, Daß von außen schrecklich anzusehen E r wie'n richt'ger Gardehauptmann war. 169

Eine tatenfrohe Schar von Kriegern Stellt er unter sein Kommando jetzt, Mit Gendarmen hält er Platz und Straße Und die Rathaustüren auch besetzt. Dann mit blankgezognem Säbel dringt er In das Innre des Gebäudes vor Und verhaftete den Bürgermeister, Welcher saß in seinem Amtskomptor. Dieser \vußt' sich rein von Schuld und Fehle, Doch er leistet' keinen Widerstand, Denn er hatte Disziplin im Leibe, Weil er war Reserveleutenant. Während man zu Vater Philipp schleppte Den beklagenswerten Ehrenmann, Eignete der kalte Mordgeselle Sich der städt'schen Kasse Inhalt an. Und nachdem auch diese Tat geschehen, Eilt er weiter mit verstocktem Sinn, Kaufet ein Billett sich zweiter Klasse, Fährt hinweg, und keiner weiß, wohin. Und mit schmerzverzerrten Blicken schleichet Die verwaiste Bürgerschaft einher: Ihren Langerhans zwar kriegt sie wieder, Doch die Gelder kriegt sie nimmermehr. Doch ein Trost verbleibt den Bürgerherzen: Drückt die Sorge uns auch bang und schwer — Ernst und treu, ein Schreckbild allem Bösen, Steht und schützt uns unser Kriegesheer! Nicht nur gegen äußerliche Feinde Dient dem Vaterlande die Armee, Auch dem Innern gilt ihr tüchtig Walten, Daß sie stets auf Zucht und Ordnung seh*. 170

"Und der Grund, auf dem er sicher ruhet, Dieser Bau, so felsenfest und kühn, Sichrer Port im Wirbelsturm der Zeiten, Ist und bleibt die heil'ge Disziplin. DWJ 1906, S. 5211.

H.Fl. Statistik Dem Armen knurrt der Magen In dieser Zeiten Not, Und er beginnt zu klagen Ob teurem Fleisch und Brot. Da kommt der Herr Professor Und spricht mit weisem Mund: „Du hast - das weiß ich besser! Zum Klagen keinen Grund. Sieh nur in die Statistik! Die lehrt dich, guter Mann, Mit Ziffern, daß dein Magen Durchaus nicht knurren kann." „Ich spür's doch!" meint der Arme, Doch der Professor spricht: „Die Wissenschaft begreifen Kann dieses Volk noch nicht!" DWJ 1907, S. 5294.

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Germanisation

Erst nahm man den Polen Reich und Verwaltung, Das führte zu einer gewissen Erkaltung. Dann nahm man ihnen die Muttersprache, Das besserte auch nicht gerade die Sache. Jetzt will man ihnen enteignen den Boden, Um schneller ihr Volkstum auszuroden. Bald wird man ihnen enteignen die Weiber — Nichts ist die Nation ohne ihre Leiber. Man wird auch noch enteignen die Kinder, Denn da steckt auch schon der Teufel dahinter. Dann aber durch solch vernichtende Hiebe, Dann wandelt sich rasch der Haß zur Liebe. Dann kann Germania ruhig schlafen Auf Bajonetten und Paragraphen. SP 1907, Nr. 16, S. 126.

R.L. Die Luftflotten Es muß den Menschenfreund entzücken, Der still mit sich zu Rate geht, Sieht er, wie gut's in allen Stücken Um den geliebten Fortschritt steht. E s handelt sich vor allen Dingen Um irgend eine neue Art, Die Menschen plötzlich umzubringen. Die Sicherheit mit Schnelle paart.

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Im Krieg sah man zu allen Zeiten Ein Mittel, wirksam, schlicht und recht, Um Aderlässe zu bereiten Dem allzu üppigen Geschlecht. Es gab auch Neider stets und Hasser, Die rastlos seinen Brand geschürt, Doch nur zu Lande und zu Wasser Ward leider er bisher geführt. Nun aber wird — es ist ein Segen, Der noch nicht abzuschätzen heut — Man in die Lüfte ihn verlegen, Man fand des Luftschiffs Lenkbarkeit. Nun wird man mit Ballongeschwadern, Herbeigeeilt von nah und fern, In dem Bereich der Wolken hadern — Die Luftschlacht wird nun hochmodern. Zwar wird uns einen derben Posten, Den man kaum schätzungsweise kennt, Der Luftmilitarismus kosten, Doch ist der Fortschritt evident. Schon von dem untersee'schen Boote, Das ungesehn die Flut durchrauscht Und uns verhilft zu jähem Tode, War ich geradezu berauscht. Doch höher noch scheint mir zu preisen Die Luftfregatte unbedingt, Die dieser Zeit von Stahl und Eisen Die Krone, die Erfüllung bringt. DWJ 1907, S. 5528.

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Schmocks Klagelied Wir armen Zeitungsschreiber, Wir leiden bittre Not, Fast hat der Schweinetreiber Ein angenehmer Brot. Der strenge Herr Verleger Verlanget Sensation, Und wir, der Bildung Träger, Wir stürmen rasch davon. Wir stürmen auf die Straßen, Wohin die Pflicht uns ruft, Und wittern mit der Nasen Nach Neuem in der Luft. Wir sind im Rapportieren Wahrhaftig auch nicht faul; Ein Weib tat abortieren. Auch fiel ein Droschkengaul. Wir melden alle Chosen Von einem Dauerskat, Beschreiben auch die Hosen Der Frau Kommerzienrat. Wir kennen jede Miene In Landrats Angesicht. Und selbst Geheimrats Trine Entgeht dem Spürsinn nicht. A m höchsten steigt der Eifer, Kommt mal ein Hof besuch, Da putzen wir den Kneifer Mit seidnem Taschentuch. Da putzen wir die Ohren, Die man zum Horchen braucht, Da geht's ans Nasenbohren, Daß sie zum Schnüffeln taugt.

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So gründlich vorbereitet, Ziehn wir zu Taten aus, Auf daß nicht Schaden leidet DeT Neuigkeitenschmaas. Daß alles Volk kann lesen, Wie, wo man sich geküßt, Wer im Gefolg' gewesen, Und andern solchen Mist. Doch, ach, die Höfe leider Sehn nicht des Opfers Wert, Ein Schuster oder Schneider Wird mehr alldort geehrt. Die fremden Journalisten Zieht man wohl manchmal für, Wir heim'schen aber fristen Ein Dasein vor der Tür. Ein Tritt nur wird uns Edeln In unsern „Hintergrund", Da stehn wir dann und wedeln Wie ein getretner Hund. Nur durch besondre Schliche Gehn wir zum Ziele doch; Durch Geld und Treuebrüche Wird uns ein Schlüsselloch. Dort hocken wir und lauschen Und sind ganz Aug' und Ohr, Was wohl die Herren plauschen Mit Würde und Humor. Wie sie den Körper halten, Wie sie den Schnurrbart drehn. Wie sie die Hände falten, Und wie die Beine stehn. 15

Rothe

Und was wir dort ergattert An Aug- und Ohrenschmaus Die Druckmaschine rattert Und wirft's ins Land hinaus. Der strenge Herr Verleger Zieht froh die Lippen quer Und gibt der Bildung Träger Höchst gnädig ein Douceur. Dann sonnt man sich beim Weine, Froh der erfüllten Pflicht, In eignen Ruhmes Scheine — Doch leicht ist's heute nicht! SP 1907. Nr. ig, S. 154.

A n den Freisinn Frei nach Schillers „Lied an die Freude"

Freisinn, schöner Götterjunge, Bankert aus Elysium! Wie bringst du mit raschem Schwünge Alle Bürgerfreiheit um! Alte Phrasen kaust du wieder, Von dir längst nicht mehr geglaubt, Dann bereuend kniest du nieder, Beugst den Rücken und das Haupt. Chor: Machet Kotau vor den Thronen! Küßt den Steiß der Reaktion! In der „höhern Region" Wird man das mit Orden lohnen! Freisinn, Freisinn treibt die Räder Jetzt im deutschen Parlament, Auf dem A . . . trägt er ein Leder, Daß die Staupe nicht so brennt. 176

Ach, die bösen, bösen Sozen Überschütten ihn mit Spott, Müssen immerfort nur trotzen, Statt zu springen in den Pott. Chor: Duldet mutig, Mameluken! Duldet, was die Schwarte hält — Droben, aus der „bessern" Welt, Wird man gnädig auf euch gucken. Festen Mut, ihr Freisinnsmannen, Kriegt ihr auch noch manchen Tritt! Laßt euch vor die Karre spannen, Dann seid eurer Schuld ihr quitt. Manches habt ihr einst verbrochen In verwegner Redeschlacht. Doch nun ihr zu Kreuz gekrochen, Habt ihr's wieder gutgemacht. Chor: Werft euch nieder in die Pfützen, Werft euch nieder auf den Bauch — Dann durchweht euch rechter Hauch Als getreue Ordnungsstützen. S P 1908, Nr. 9, S. 73.

P.E. Lies dich empor! Lies dich empor, o Menschenkind! Lies dich empor zu August Scherl! Wenn du bei ihm dich abonnierst, Dann bist du erst ein ganzer Kerl. Lies, wie in hohen Kreisen stets So wahrhaft vornehm ist der Sinn, Und wie solch furchtbar edler Graf Stets nimmt die ärmste Nähterin! >5'

Lies, wie die Unschuld anfangs leidet, Aber am Ende triumphiert, Und wie die Intriganten immer Im Schlußkapitel inhaftiert. Lies Voll Voll Voll

vierzig Wochen blühnden Schund höchst romant'schem Überfall, überklugen Detektiven, Tränen und Gewehrgeknall.

An Kant und Goethe kommst du erst, Wenn du verdaut all diesen Mist. — Das heißt: wenn du inzwischen nicht Für Dalldorf reif geworden bist. D W J 1908, S. 5840.

R. W. Warum haben die Agrarier kein Bundeslied? Wenn Arbeitsmänner ratend tagen, Erschallt auch stets ein frisches Lied, Das kunstbegeistert vorgetragen Begeisternd durch die Hallen zieht. Erst tönt es stark, dann zart und leise, Bis schwellend es zum Sturmwind wächst. Der Marseillaise alte Weise Begleitet den modernen Text. Wenn die Studenten Schoppen stechen, Ertönt manch Lied. - „Der Cantus steigt." Selbst wenn die Lehrer sich besprechen, Ist einem Liedchen man geneigt. Auch wenn die Krieger Reden halten Und kopfrot dreimal Hurra schrein.

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Erdröhnt mit Basses Grundgewalten Bierheiser stets die „Wacht am Rhein". Nur wenn sich die Agrarier finden Zusammen jährlich in Berlin, Gibt's Prosa vorne nur und hinten. Da schweigen alle Melodien. „Es fehlt ein Bundeslied dem Bunde", So klang es heuer klagend dort, „Wie schön, wenn hier aus unsrem Munde Laut donnernd hallte der Akkord!" Studenten, Krieger, Proletarier, Sie pflegen gern des Sanges Brauch. Ja, warum singen die Agrarier, Die lungenkräftigen, nicht auch? Warum? Mußt mal die Vögel fragen! Hell singt der Fink, der kleine Wicht. Die Amsel und die Wachteln schlagen; Raubvögel aber singen nicht. DWJ 1909, S. 6178.

P. E. Die Beamten Werde Beamter! Dann hast du es gut! Dann stehst du in des Staates Hut, Stehst im Spalier stets vornean Und giltst auch sonst als bedeutender Mann. Nur darfst du nimmermehr probieren, Mal eine Lippe zu riskieren, Und wenn dich einmal Dinge erbosen, Balle die Faust in der Tasche der Hosen! 179

Und wer dir das Blaue vom Himmel verspricht, Den mahne du nach den Wahlen nicht! Nein, wähle weiter konservativ, Denn wählst du anders, so geht es schief. Merk als Parole vor allen Dingen: Wess' Brot du ißt, dess' Lied zu singen Und eifrig mit den anderen Schranzen Nach allerhöchster Pfeife zu tanzen! Öffne nur zum „Hurra" den Mund, Und stirbst du einst an Rückgratschwund — Dann steht auf deinem Grabstein zu lesen: „Du bist ein braver Beamter gewesen." D W J 1909, S. 6261.

E.Kl. Das Lied von der Präsidenten-Glocke Frei nach Schiller

Wohltätig ist der Glocke Klang, Wenn sie in der Geschäfte Gang Ihr leises Schlummerliedchen singt Und die bewußte „Ordnung" bringt. Das klingt so lieb, das klingt so traut, Wie einer Mutter Sehnsuchtslaut, Das klingt so hell, das klingt so warm, Wie freundlich Mahnen vom Gendarm. Des Reiches Bote, treu und brav, Versinkt darob in tiefsten Schlaf Und fürchtet keines Zufalls Schrecken — Er weiß, das Glöcklein wird ihn wecken! Lieblich waltet, Überm Bauche sanft gefaltet Seine Hände, 180

Ernst und still der Präsidente. Ob die Boten, Blaue, Schwarze, wie die Roten, Reden, schnarchen, schwatzen, lachen Er tut wachen! Auf dem hohen Götterthrone, Schier entrückt der Erdenzone, Sitzt er steif im Bratenrocke Mit der Glocke. „Bim!" O, die Sache ist nicht schlimm! Nur ein freundlich-zärtlich Mahnen, Nicht zu weichen von den Bahnen. Braust der Strom der Rede stärker Tun des Wortes Feuerwerker Unter Dröhnen, unter Rasseln Kühn mit ihren Phrasen prasseln — Droht des Widerspruchs Gebraus Zu erschüttern ganz das Haus — Sieh, da quellen andre Töne, Grell und laut, vom Metalle, Und mit seinem eh'rnen Schalle Ruft's des Reichs entgleiste Söhne, Daß erschauern könnt' die Haut! Wenn sich aber gar der Sturm Auswächst zu 'nem Wortorkane, Wenn des Nörgeins Drachenwurm Kühn entfaltet seine Fahne, Wenn der Haß regt seine Flügel Ohne Zaum und ohne Zügel, Wenn die Opposition Spott und Hohn Ausgießt über die Regierung Von dem Standpunkt der Negierung, Wenn sie schamlos sich erfrecht, Daß sie etwa stürzen möcht' Einen hohen Herrn Minister, Als war' er nur ein Philister;

Wenn sie, was das Stärkste ausmacht, Ihn ob seines „Standpunkts" auslacht — Ja, dann muß die Glocke toben Wie ein Wirbelsturm von oben, Muß sie zürnen, donnern, grollen, Muß sie dröhnen, gellen, rollen, Muß sie mit des Klöppels Schwingen Kraftvoll Ruh' und Ordnung bringen, Daß sogleich verstummt der Graul, Daß die Kerle sprachlos sitzen Unter Keuchen, unter Schwitzen, Wie geschlagen auf das Maul!

Wehe, wenn in solcher Stunde Dann aus dem metallnen Munde Etwa löst in raschem Schwünge Sich des Klöppels eh'rne Zunge! Ach, da kann der Präsidente Mit die Hände Noch so toben, noch so rasen, Noch so zürnen und ekstasen, Noch so läuten, noch so schellen Keine Donnertöne quellen Aus des Schalles weitem Becher Als ein Mahner oder Rächer — Feierabend ist geblasen! Kraftlos, stumm Läßt er drum Seine tote Glocke sinken Und tut einem Diener winken. Schnell vom Orte, Ohne Worte, Eilt er fort, Eine neue rasch zu holen, Um gehörig zu versohlen Die Kohorte. Der Exzeß Unterdes Tobt in seinem Gleise weiter, Denn die Zucht, die mangelt leider. 182

Aber schon in raschem Sprunge, Unverweilt, Kommt geeilt Schnell zurück auf flücht'ger Socke Der Lakai Und bringt eine neue Glocke froh herbei. Nun geht es los mit frischer Kraft, Es schwingt sie stolz und heldenhaft Der Präsident mit beiden Händen, Um so des Aufruhrs Sturm zu enden. Bald legt sich denn auch das Gebraus, Und stille wieder wird's im Haus. Im Angesicht der Exzellenzen Sieht man es fast wie Tränen glänzen. Die Deputierten sind erschöpft, Ihr Innres, das wird „zugeknöpft", Die Seele stelzt im Bratenrocke, Ein holder, süßer Friede lacht — Das ist die Macht, die große Macht Der Reichstags-Präsidentenglocke! SP 1909, Nr. 16, S. 127.

P. E.

Der Tendenzprofessor

Für dreißigtausend Silberlinge Bietet der Schlotbarone Schar Dem Vater Staat vergnügter Dinge 'nen richtigen Professor dar. Sie haben zu dem Zweck im stillen 'nen wackren Knaben ausgeheckt, Der nachweisbar nicht von Bazillen Des Sozialismus angesteckt.

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Er soll mit übergroßem Wissen Nicht grade überlastet sein — Das können gerne sie vermissen — Nur schlägt er auf die Sozis ein! Er tut es auch mit viel Geschreie, Mit echter deutscher Lungenkraft — Man nennt's nachher bei uns die freie, Die unbeschränkte Wissenschaft. Und oben? Man ist guter Dinge Und quietschvergnügt, bereit und willig. Für dreißigtausend Silberlinge Gerechter Gott, wie sind die billig!! D W J 1909, S. 6423.

Der attentäterische Wespenstich Vom alten Schartenmaier

Kronprinz Wilhelm saß ganz heiter Hoch zu Roß und dacht' nicht weiter An die Leiden dieser Welt. Schneidig tat er manövrieren Und sein Regiment anführen Als ein Kaisersohn und Held. Da kam hoch in weitem Bogen Unversehens angeflogen Ein gemeines Wespenvieh. Dies aus angeborner Roheit Stach die Königliche Hoheit In die Backe, wie noch nie. Niemand hat die Tat des Schorken, Wie es Pflicht gewest, gemorken, Weder Schutzmann noch Lakai. 184

So könnt unter Schwirren, Zischen Dieses Teufelsvieh entwischen, Jodelnd noch: Dumdideldei! Doch die kronprinzliche Backe Schwoll mit Brausen und Geknacke Bald als wie ein Hefenkloß. Immer größer tat sie werden, Daß schon ihr Gewicht Beschwerden Machen tat dem Prinzenroß. Jetzt die Ärzte und Lakaien Taten Zetermordio schreien, Als sie sahen, was geschehn. Bangend sprach der Leibchirurge: „Gott, was ist das für 'ne Surge! Dieses läuft mir noch ans Been!" Und sie kamen allenthalben Reich mit Schmieren und mit Salben Nebst Verbandzeug rasch herbei. "Umgekehrt zum Lazarette Wurde die Manöverstätte, Aber ohne Wehgeschrei. Deutschland hörete die Kunde, Und es stand mit offnem Munde Ob des großen Mißgeschicks. Alles tat der Wespe fluchen. Und man tat beinah schon suchen Nach Verschwörung hinterrücks. Doch das Schlimmste kommt erst itze. Denn zu Schwabens Königssitze Wollt' der junge Kronprinz ziehn. Dort hielt Majestät Parade, Doch der Doktor sprach: „Wie schade! Diese Hoffnung ist jetzt hin! Pöbel, Kriegern, Offizieren Können so sich präsentieren Eure Hoheit nimmermehr. 185

Mancher täte vielleicht lachen Oder faule Witze machen, Was der Dinge Ende war!" Und so ist es denn gekommen, Daß den Schwaben ward genommen Diese Gunst des Augenblicks. Statt des Reiches Kronenprinzen Untertänigst anzublinzen, Sahn sie sozusagen nix. Aber jetzt, geliebte Leute, Herrsche statt Entsetzen Freude, Denn die Backe kriegt den Schwund. Nichts blieb von Insekten-Roheit, Und es ist die Königs-Hoheit Wieder mopsfidel gesund. SP 1909, Nr. 21, S. 170.

P.E. Elsaß Wie hat man nicht mit Schmalz und Schwung Die blutigsten Verse geleiert Und jene „Wieder-Vereinigung" Mit Pauk' und Trompete gefeiert! Es klang manch jauchzender Päan Vom deutschen Weltgerichte; Der Rittershaus und der Felix Dahn, Die machten die schlimmsten Gedichte. Nun sind verrauscht fast vierzig Jahr' Im Zeitenstrome, dem schnellen, Und immer noch gilt der Elsässer Schar Als halbverhüllte Rebellen. 186

Noch immer wollen sie sich nicht Zum Preußengotte bekehren Und nicht, wie's ihre verdammte Pflicht, Den Aar mit der Knute verehren. Elsässer, zieht ein freundlich Gesicht, Seid Bürger, geduldige, brave! Man Hebt bei uns die Böcke nicht Man liebt bei uns die Schafe. DWJ 1910, S. 6506.

Balduin D i e Alldeutschen Kampfesfroh und tatendurstig Sammelte am Elbestrand Sich der teutschen Chauvinisten Sabber-, Sauf- und Quatschverband. Kühn durch goldgefaßte Brillen Blitzte manches blaue Aug', Unter treuen Wollenhemden Wölbte sich der Heldenbauch. Und als erster in der Reihe Tapfrer Zungendrescher beim Nationalen Gerstensafte Nahm das Wort der große Keim: „Woran Deutschland krankt und leidet, Hab' ich itzo klar erkannt: Blut und Eisen, diese beiden Mangeln unserm Vaterland. Nach der Feldschlacht heiß und brünstig Lechzen Greis, Knecht, Magd und Kind, Weil wir allesamt Mordskerle Und geborne Helden sind. 187

Zwei Franzosen fress' zum Frühstück Ich, drei Briten zum Dessert, Doch die ew'gen Friedenszeiten Liegen mir im Magen schwer. Kreuzer, Panzer und Torpedos, Bombe, Flinte, Bajonett! Schmiere, Schmisse, Senge, Simse, Dresche, Kloppe, Jackenfett! Ja, nach allen Fronten muß es Keile setzen knüppeldick Darin liegt der Zweck gesunder Nationaler Politik! England, Frankreich und Italien, Japan und Amerika — 'rangewachsen! 'raus die Plempen! Vorwärts marsch! Hipp hipp hurra!" — Als der Recke so gesprochen, Setzt er sich auf den Popo, Und aus Urgermanenkehlen Schallt es „Wacker!" und „Heilo!" Doch der Brite und der Franke Spricht, von blassem Neid beseelt: Manches gibt es ja hienieden, Was dem Deutschen heut noch fehlt, Doch in einem reich gesegnet Glänzt vor uns Germaniens Flur: Derart'ge Revolverschnauzen Wachsen in Alldeutschland nur! DWJ 1910, S. 6606.

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E.

Ballade Ein wackrer Polizeihund Vergaß in verliebtem Sinn Ganz seiner Pflicht und eilte Zu einer Hündin hin. Und deren Besitzer bedachte Ihn mit des Stockes Schwung Und — wurde bestraft wegen grober Beamtenbeleidigung. D W J 1910, S. 6627.

Nauke

0 wär' ich doch von Gottes Gnaden! O wär' ich doch von Gottes Gnaden, Wie anders wäre mir zu Sinn! Ich wandelte auf blum'gen Pfaden Als Halbgott durch das Leben hin; Zu höchsten Würden auserkoren Faulenzte ich mit Eleganz Und schlüg' die Zeit mir um die Ohren Zum Wohl des teuren Vaterlands. O wär' ich doch von Gottes Gnaden, Wie anders stand' ich in der Welt! Mein Stumpfsinn brächt' mir keinen Schaden, Ich fühlte mich als Geistesheld; Und wäre ich stupid und ledern Und dümmer als das dümmste Vieh, So priesen doch gelehrte Federn Mich als ein göttliches Genie. 189

O war' ich doch von Gottes Gnaden, Wie anders sah' das Leben aus! In allen Wonnen wollt' ich baden, Wollt' stürzen mich in Saus und Braus! Indes von tausend Kanzeln preisen Die Pfaffen mich als Musterchrist, Würd' ich der stumpfen Welt beweisen Mal, was ein richt'ges Sumpfhuhn ist 1 O wär' ich doch von Gottes Gnaden, Steigt dann die Seele himmelwärts Und fressen mich im Grab die Maden, So lebt' ich fort in Stein und Erz; In tausend Liedern würd' man lesen, Wenn längst mein Leib in Staub zerfällt, Was für ein Haupthahn ich gewesen Und welch ein Segen für die Welt! DWJ 1910, S. 6715.

Kl. Die „Gelben" Die Gelben, die Gelben, Ach, immer sind's dieselben, Sie sind als wie die Hunde, Servil aus Herzensgrunde. Sie ehren und belecken Selbst ihren Prügelstecken, Und werden nimmer murren, Noch gar respektlos knurren. Sie lecken jeden Speichel Um gnädig Handgestreichel. Für einen magern Knochen Wird tapfer bauchgekrochen. 190

Nur gegen die Proleten Wird ruppig aufgetreten, Die roten Demokraten, Die zwackt man in die Waden. Ja, ja, der gelbe Köter, Auf hohem Standpunkt steht er, Denn gegen bare Kasse Verrät er seine Klasse. DWJ 1910, S. 6794.

Alfred

Scholtz

In Uniform Bei uns zuland' regiert der Drill! Wer irgendetwas bedeuten will, Zunächst die Uniform erstrebt, Weil sie das Ansehn mächtig hebt. Ein Staatsminister, als Major, Kommt sich darin gewaltig vor; Als „Sommerleutnant" gilt man mehr, Als wenn man nur Professor wär'. Und so erstrebt denn jeder Trupp, Ob Jagd-, Jacht-, Aero-, Autoklub, Das schöne Wörtchen „Kaiserlich" Und brüllt danach stockheiser sich. Der Krämer hinterm Ladenstand Erstrebt nur eins: „Hoflieferant". Vom Kanzler bis zum Straßenkehrer Sind alle Uniformverehrer. Der deutsche Spießer, brav und treu, Ist der geborne Hoflakai; 16

Rothe

Sein höchster Traum: ein Ordensband. „Mit Gott für König und Vaterland." DWJ 1911, S. 6912.

E.Kl. „Halt! Kollege!" Immer sind sie unterm Haufen, Um zu schüren, um zu hetzen, Wenn empörte Bürgermassen Ruh' und Ordnung mal verletzen. In verwirrender Verkleidung Sind sie schwer nur zu erkennen, Selbst geübte Schutzmannsaugen Können sie vom Plebs nicht trennen. Wütend haun sie mit dem Knüppel In die aufgeregte Masse, Um sie immer neu zu spornen Zum Verderben und zum Hasse. Kommen dann die Blauen, Blanken, Stellen sie sich an die Wände, Daß der Säbel nicht in ihnen Auch ein blutig Opfer fände. Drohen ob der Maskerade Dennoch für sie rauhe Schläge, Heben schützend sie den Knüppel, Mahnend klingt es: „Halt! Kollege!" Und der Schutzmannssäbel senkt sich, Von dem Zauberwort bezwungen — So schützt Vater Polizeistaat Liebend die Achtgroschenjungen. DWJ 1911, S. 6917. 192

Fritz Sänger Junker und Bauer Der Bauer fährt im Frührotschein Mit Pflug und Egge querfeldein, Indessen zieht der Junkersmann Zu Hause seine Stiefel an. Der Bauer geht im Sonnenglast Von Furch' zu Furche ohne Rast, Indessen, wenn sonst nichts passiert, Der Junker übers Feld kutschiert. Und wenn die Sonn' am höchsten steht, Der Bauer seine Saat gesät, Dann hat „Herr von" und „Herr Durchlaucht" Schon sieben Knechte angefaucht. Der Bauer schafft bloß mit der Hand, Der Junker rettet's Vaterland, Indem er stets zur rechten Zeit Am rechten Ort - gehörig schreit. DWJ 1911, S. 6960.

Tobias Das Denkmal in der Schorfheide Auf einsamer Heide, da raget ein Stein Im Schatten der uralten Linde — In Demut neigen sich Ast und Blatt, Ehrfürchtig rauschen die Winde. Denn auf dem Steine, da kündet die Schrift, In leuchtende Bronze gegossen: »6*

„Hier schoß unser Kaiser den stärksten Hirsch, Den jemals ein Zoller geschossen." Der Wanderer zügelt den eilenden Schritt, Am Stein, da bleibet er stehen: „Hier ist es", so flüstert sein bebender Mund, „Hier ist das Gewalt'ge geschehen!" Stolz zeiget die Stätte der Vater dem Sohn: „Schau", spricht er, „dies ragende Zeichen Von kerniger Kraft und germanischem Mut! Geh hin und tue desgleichen!" — Geschlechter vergehen, Jahrtausende fliehn, Hoch raget der Stein auf der Heide, Es weilet auf ihm des Wanderers Blick Mit immer wachsender Freude. Jahrtausende fliehen, hoch raget der Stein Und gibt mit schweigendem Munde Von unserer Zeiten Ruhm und Stolz Den Enkeln heiterste Kunde. DWJ 1911, S. 6990.

Tobias Kapitalistisch-chauvinistisches Kriegslied Der Gott, der Schlote wachsen ließ, Erhörte unser Flehen, Und in Marokko scheint es ja Jetzt endüch loszugehen: Als auserlesenes Symbol Und würd'ger Abgesandter Erschien am Strand von Agadir Der beutegier'ge Panther. 194

Nun, guter Michel, schärf dein Schwert Und gürte deine Lenden! Zu schützen gilt's die Hochfinanz Und ihre Dividenden! Und fällst als Molochs Opfer du, So laß dich's nicht verdrießen: Das hohe Ziel, für das du starbst, Wird dir den Tod versüßen. Dein Leben hier, das sag' ich dir, Ist nicht umsonst gewesen, Noch späte Enkel werden stolz Auf deinem Grabmal lesen: Er stritt und starb den Heldentod Mit heiterem Gemüte Für der Gebrüder Mannesmann Gefährdete Profite! D W J 1911, S. 7154.

Preußischer Standpunkt In Preußen sind 12000 Lehrerstellen unbesetzt

Wir schätzen nicht die Bildung Und nicht des Geistes Licht; Denn zum Kartoffelbuddeln Braucht man die Schreibkunst nicht. Und braucht man etwa zu lesen Auf der ostelbischen Flur? Die dummen Proletarier Vergiftet die Zeitung nur. Sie lesen von andren Ländern Und werden arg verhetzt, Und fordern beßre Behandlung Und beßre Löhne zuletzt.

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Sie fliehn trotz aller Bewachung Und patriarchalischer Huld Daran ist nur die Bildung, Die überflüssige, schuld. Und enden wird des Nörgeins Und Forderns ew'ger Skandal Erst, wenn die Analphabeten Bei uns in der Überzahl. Erst, wenn der letze Lehrer Getan in Acht und Bann, Ist unser blauschwarzes Preußen In aller Welt voran. D W J 1912, S. 7483.

Max. Eine Sedanfeier Die Leitung der Liegnitzer Idiotenanstalt ließ den Sedantag von den 500 Anstaltsinsassen mit Festzügen, patriotischen Liedern und Kaiserhochs festlich begehen.

Festgesang erfüllt die Lüfte, Schwarzweißrot das Banner wallt In dem Zug der Patrioten Aus der Heil- und Pfleganstalt. Mit Begeist'rung ohne Maßen, Mit Hurra und Trommelschlag Feiern sie auf höhre Weisung Heut den heil'gen Sedantag. Ha, wie packt in stolzen Reden Den Franzosen man beim Schopf! Kampfesmut und Siegesfreude Kocht in jedem Wasserkopf. 196

Blöde Augen sieht man glänzen, Und in freudigem Gedräng', Froh vereint zum Kaiserhoche, Schart Kretin sich an Kretin. Glück und Heil dem Vaterlande, Das man also ehrt und liebt Und wo's immer noch fünfhundert Solcher Idioten gibt! DWJ 1912, S. 7659.

P. E. „ Stehkragen-Proletarier" Sie werden kläglich ausgesogen Und brav gebeutelt Jahr für Jahr Und um die Jugendzeit betrogen, Wie — nun, wie halt ein Proletar. Man nützt sie aus, bis sie erschlafft, Und setzt sie höflich auf die Gassen, Wenn ausgeschöpft ist ihre Kraft Im großen Wirtschaftskampf der Klassen. Doch mit dem Arbeitsmann zu gehen, Bei ihm zu sein auf Hieb und Stich, Gemeinsam in den Kampf zu gehen, Dess' dünken sie zu vornehm sich. Sie trocknen aus in den Kontoren, Sie fronen in dem Joch der Pflicht; Sie sind zur Arbeit auserkoren, Doch „Proletarier" sind sie nicht. Der Chef kennt ihre Schwäch' und Blöße Und nutzt sie klüglich aus und grient. 197

. . . Ein jeder kriegt die Rippenstöße Am Ende nur, die er verdient! DWJ 1912, S. 7734.

Arminius

Offiziersburschenlied Nach Theodor Körner

Du Topf in meiner Linken, Was soll dein heitres Blinken? Schaust mich so freundlich an, Hab' meine Freude dran. Hurra! „Mich füllt mit Grütz' und Sahne Ein tapferer Ulane Zu Deutschlands Ruhm und Ehr' Das freut dem Topfe sehr." Hurra! Du Spieß in meiner Rechten, Du glaubst, ich wolle fechten? Ja Kuchen! Keine Spur! Du bist ein Bratspieß nur! Hurra! Als Bursche dien' drei Jahre Ich bei dem Leutnantspaare, Man braucht mich überall, In Wohnung, Küch' und Stall. Hurra! Ich füttre und ich wiege Des Hauses jüngste Ziege, In meiner Waffen Zier Wisch' ich die Nase ihr. Hurra! 198

Ich plätte ihre Socken Und mach die Windeln trocken Mit Eifer und Geduld, Wenn sie sich hat bestrullt. Hurra! Dann eil' auf flinken Sohlen Zum Markt ich, einzuholen Die Eier und den Kohl — Das ziemt dem Krieger wohl. Hurra! Auch helfe ich dazwischen Der Gnäd'gen Staub abwischen, Und abends beim Souper Trag' ich Zivillivree. Hurra! In hundertfünfzig Wochen Lern' scheuern ich und kochen Und schirm' das Vaterland Bei Wieg' und Wickelband. Hurra! So dient bei den Ulanen Man unter Deutschlands Fahnen Mit stolzem Hochgefühl, Wischtuch und Besenstiel! Hurra! DWJ 1913. S. 7963.

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P. E. Die Lauwarmen Die Liberalen hätten beinah Energisch gezogen vom Leder; Sie hätten beinah das Schwert gezückt, Anstatt der rostigen Feder. Sie hätten es beinah gelernt, Sich auch nach rechts zu ergrimmen. Sie hätten beinah es fertig gebracht, Für einen Roten zu stimmen. Sie hätten dadurch fast erreicht 'ne forsche Junkerblamage; Sie hätten fast die Angst verlernt Vor ihrer eignen Courage. Sie standen beinah wie ein Mann, Und ohne alles Geflunker. Mit einem Wort: sie hätten beinah — Bekämpft den preußischen Junker! D W J 1913, S. 7966.

Pan. Landrätliches Bei der Reichstagsersatzwahl im Kreise Ragnit-Pillkallen (Ostpreußen) wurde in Buduvönen gemeindeamtlich bekanntgemacht: „. . . Der Herr Landrat wünscht, daß jeder Wähler am Wahltag erscheinen soll und seine Stimme für den konservativen Kandidaten abgeben möchte."

Den Vätern und den Söhnen, Die wahlberechtigt sind. Geht's gut in Buduvönen, Sofern sie wohlgesinnt. Es leuchtet über ihnen 200

Nicht nur der Sonne Strahl — Es „scheint" auch der Herr Landrat, Besonders bei der Wahl: Entschlagt euch aller Sorgen Und was euch zweifeln macht, Und sagt's euch jeden Morgen, Daß der Herr Landrat wacht. Wenn ihr noch mit Bedenken Den harten Schädel quält, Dann hat ja der Herr Landrat Schon längst für euch gewählt. Er weiß es, was euch gut ist Und was euch schaden kann, Drum schlägt man seine Meinung Vergnügt am Rathaus an. Wer sollte sonst dir raten, Du arme Kreatur? Du hast viel Kandidaten Und einen Landrat nur. Und nennt ihr's ungesetzlich — Tot ist der Paragraph, Der Landrat ist lebendig, Drum folgt ihm treu und brav! Gesetz, das schiert uns wenig, Hier kocht ein andrer Pott: Herr Landrat ist ein König! Herr Landrat ist ein Gott! O du gesegnet Preußen, Du Land voll wahrer Pracht, Wer hätte deinen Landrat Dir jemals nachgemacht? In Schönheit, fast hellenisch Ragt er aus Moor und Lehm — Und schont uns hygienisch Das Zerebralsystem. D W J 1913, S. 8069.

201

Knopp Der liberale Arbeiter Der „Reichsverein der liberalen Arbeiter", eine Filialeder Fortschrittlichen Volkspartei, hat seinen ersten Delegiertentag abgehalten.

Ich iiin ein armes Luder, Mir fehlt's an Gut und Geld, Und mit den Geisteskräften Ist's leider schwach bestellt, Auch die Courage mangelt Mir und der rechte Schneid, — Doch zeichn' ich mich durch Demut aus Und durch Bescheidenheit. Bei diesen schönen Gaben Blieb keine andre Wahl, Ich könnt' nichts Beßres werden, Drum ward ich liberal Und schwöre auf die Fahne, Die Ehren-Mugdan hißt, Und trinke aus dem Weisheitsborn Der Fischbeck, Kopsch und Lißt. Die weihten mich mit Würde In ihre Staatskunst ein Und steckten den Beglückten In ihren Reichsverein; Da lausch' ich ihren Reden Mit gottergebnem Sinn Doch selber sagen darf ich nichts, Weil ich zu dämlich bin. Und kommt die Zeit der Wahlen In Reich, Stadt oder Staat, So geb' ich meine Stimme Dem Herrn Kommerzienrat; Denn dies, so lehrt mich Wiemer, 202

Ist meine Bürgerpflicht — Den Grund jedoch, warum sie's ist, Sagt er mir freilich nicht. Viel Wissen ist vom Übel, Und denken schafft nur Qual, Drum frag' ich nicht und grüble "Und bleib' hübsch liberal, Und fülle meinen Dämel Vergnügt mit Phrasenbrei, "Weil Geistesarmut selig macht — Matthäus 5, Vers 3! DWJ 1913, S. 8075.

So.

Die Schlacht von Zabern Der Leutnant ziehet durch die Stadt, Einkäufe er zu machen hat. Und ihn begleitet ein Pikett Mit aufgepflanztem Bajonett. Es sind im ganzen viere, Recht tapfre Grenadiere. Es lacht darob das Publikum Sich bucklig, schief und krank und krumm. Dem Leutnant wallet hoch das Blut, Es packt ihn Wut und Heldenmut: Ein Mann ward kühn und trutzend Besiegt von einem Dutzend! Rrrum bumbumbum — rrrum bumbumbum Was kommt da um die Ecke 'rum? Das ist 'ne halbe Kompanie! Das erste Glied sinkt auf die Knie Und ladet die Gewehre Jetzt geht die Sache quere!

Doch ein Gemetzel fand nicht statt, Schlug auch Alarm Herr Leutnant Schadt. Das Zwanzig-Männer-Publikum, Das drehte sich nur schweigend um, Zeigt ihm die Rückenseite Und lud ihn auf die Freite. Da trommelte der Tambour Sturm — Jetzt schütz' dich Gott, du Bürgerwurm! Mit Hurra stürmte der Soldat Auf Staatsanwalt und auf Herrn Rat Vom hohen Landgerichte — Es lacht die Weltgeschichte! Zur Wache wurden sie gebracht Und auch Herr Lewy, der zur Nacht In seinem Zimmer speisend saß Und grade Karbonade aß. — Weil andre nicht zu haben, Schlug man noch einen Knaben. Nach Zabern heißet diese Schlacht! Sie kündet Deutschlands Ruhm und Macht — Wie einst die Köpenickerei! Denn dieses denkt man doch dabei Im Süden wie im Norden: Die sind verrückt geworden! D W J 1913, S. 8158.

Part. Wie sie Fichte feierten „Pst, nicht so laut! Macht kein Geschrei! Nur schlicht und einfach! Kommt leise herbei. Ganz läßt er sich leider nicht ignorieren, Darum lavieren, pst, pst, lavieren! Es sei am Grabe des toten Manns Stillfeierlich niedergelegt ein Kranz. 204

So. Aufgeatmet. Der wäre geehrt. Unter uns, ganz leise: Er ist es wert. Was getraute der Mann sich alles zu sagen! Hm, wenn der lebte in unseren Tagen! Wie hat seines Geistes Feuer geloht! Wie trotzig schlug er die Lügen tot! Hm, ja, der Fichte. Ein Säkulum Ging nun seit seinem Tode herum. Hätt' er versklavte Weisheit geleiert, Würde er heut wie ein König gefeiert. So fiel das Gedächtnis unter den Tisch. Seine Wahrheit ist noch zu kühn und frisch. Und dann: Geburtstag von Majestät! Ja, meine Herren: daß das nicht geht . . . ! Denn Fichte und ER? . . . Na ja, wir meinen: Zwei Feiern lassen sich schwer vereinen. Adieu, meine Herrn! Die Sache ist aus. Gehen wir still und befriedigt nach Haus."

Stimme aus dem Grabe: „Wer war das? Was redeten da für Leute?" Ach, Fichte, deine Kollegen von heute! D W J 1914, S. 8235.

Pan. Der Krieg „ . . . Darum ist der Krieg die hehrste und heiligste Äußerung menschlichen Handelns . . . Der Krieg ist schön." Aus der „Jungdeutschlandpost"

So also sollt ihr zu der Jugend sprechen: Übt zeitig euch im Hauen, Schießen, Stechen! Denn diese Erde, hoffnungsvoller Sohn, 205

Gehört der muskulösesten Nation. Kultur ist Quatsch. Und nur die alten Weiber In Männerhosen lieben nicht den Speer, Den du starkfäustig jagst in andre Leiber — Der Krieg ist hehr! Zwar lehrt die Bibel dich: Du sollst nicht töten! Gott selber sprach's am Berge Sinai; Indessen: es genügt, zu ihm zu beten Im Schlachtendonner deiner Batterie. Als Ideal magst du den Spruch erhalten; Vergiß jedoch die Theorie zeitweilig, Bis alle Feindesschädel sind zerspalten — Der Krieg ist heilig! Sieh dort die Ebene vom Blute dampfen! Horch: die Blessierten brüllen laut vor Schmerz; Sieh ihre Faust sich in den Boden krampten — Dies, junger Freund — nicht wahr? — erhebt das Herz. Wenn tausend Augen wild zum Himmel stieren Und rote Nacht um dich, Tod und Gestöhn, Dann wirst du es, Germanensprosse, spüren: Der Krieg ist schön! Die Weiber weinen, und die Kinder betteln. Der Invalide hinkt auf einem Bein. Pah, schieß die Feinde lachend aus den Sätteln Und haue mit dem Kolben fröhlich drein! Zwar Mord ist Mord und einzeln ein Verbrechen, Doch kann er möglichst massenhaft geschehn, Ist er als edelmenschlich anzusprechen: Als heilig, wie gesagt, als hehr und schön! DWJ 1914, S. 8426.

206

ANHANG

Anmerkungen

Abkürzungen DWJ SP Bismarck-Reden

Bülow-Reden

Geschichte Heine

MEW

Schiller

Völkerling

Der wahre Jakob Süddeutscher Postillon (ab 1909: Der Postillon) Bismarck: Parlamentarische Reden. Vollständige Ausgabe. Stuttgart, Berlin, Leipzig o. J. Fürst Bülows Reden nebst urkundlichen Beiträgen zu seiner Politik. Hg. v. Johannes Penzier (Bd. 1 und 2) und Otto Hötzsch (Bd. 3). Berlin 1907—09. Deutsche Geschichte in drei Bänden. Bd. 2. Berlin 1965. Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Hg. v. Hans Kaufmann. Berlin 1961. Karl Marx/Friedrich Engels: Werke. Berlin (Institut für Marxismus-Leninismus beim Z K der SED). Schillers Werke in fünf Bänden. Ausgewählt und eingeleitet v. Joachim Müller. Berlin und Weimar 1965 (Bibliothek deutscher Klassiker). Klaus Völkerling: Die politisch-satirischen Zeitschriften „Süddeutscher Postillon" (München) und „Der wahre Jakob" (Stuttgart). Ihr Beitrag zur Herausbildung der frühen sozialistischen Literatur in Deutschland und zur marxistischen Literaturtheorie. Diss. phil. Potsdam 1969.

Die Orthographie der Texte wurde modernisiert bzw. korrigiert, desgleichen — allerdings sehr vorsichtig und unter 208

Berücksichtigung stilistischer Eigenheiten — die Interpunktion. Das gilt auch für die Zitate aus dem „Süddeutschen Postillon" und dem „Wahren Jakob" in der Einleitung und in den Anmerkungen.

Anmerkungen zur Einleitung 1 Der wahre Jacob. Lyrik und Prosa 1884—1905. Ausgewählt u. eingeleitet v. Manfred Häckel. Berlin 1959. 2 Diss. phil. Potsdam 1969. 3 Max Kegel. Auswahl aus seinem Werk. Hg. v. Klaus Völkerling. Berlin 1974 (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland. Bd. XIII). 4 Ein deutscher Chansonnier. Aus dem Schaffen Adolf Lepps. Hg. v. Ursula Münchow u. Kurt Laube. Berlin 1976 (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland. Bd. XVI). 5 Die satirische Lyrik von Max Kegel, Ernst Klaar, Karl Kaiser, Eduard Fuchs, Adolf Lepp und Rudolf Lavant wurde bzw. wird auch in anderen Bänden dieser Reihe berücksichtigt. Zu Max Kegel vgl. Anmerkung 3; zu Adolf Lepp vgl. Anmerkung 4; zu Rudolf Lavant vgl.: Rudolf Lavant: Gedichte. Hg. v. Hans Uhlig. Mit einem Vorwort v. Manfred Häckel. Berlin 1965 (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland. Bd. VI). Die Anthologie „Aus dem Klassenkampf" (Soziale Gedichte. Hg. v. Eduard Fuchs, Karl Kaiser, Ernst Klaar. München 1894) wird von Klaus Völkerling als Bd. X V I I I der Reihe „Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland" neu herausgegeben werden. 6 Angaben nach: Völkerling, S. 12—29, un