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German Pages [664] Year 1996
V&R
Studien zum Althochdeutschen Herausgegeben von der Kommission für das Althochdeutsche Wörterbuch der Akademie der Wissenschaften in Göttingen Band 30
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen
Elvira Glaser
Frühe Griffelglossierung aus Freising Ein Beitrag zu den Anfängen althochdeutscher Schriftlichkeit
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen
Gefördert mit Mitteln des BMBF und des Landes Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Bund-Länder-Finanzierung „Akademienprogramm"
Die Deutsche Bibliothek Glaser,
-
CIP-Einheitsaufnahme Elvira:
Frühe Griffelglossierung aus Freising : ein Beitrag zu den Anfängen althochdeutscher Schriftlichkeit / Elvira Glaser. Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1996 (Studien zum Althochdeutschen ; Bd. 30) ISBN 3-525-20345-4 NE: GT
© Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1996 Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck: Hubert & Co., Göttingen
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Vorwort Die vorliegende Untersuchung ist im Sommersemester 1991 von der Fakultät Sprach- und Literaturwissenschaften der Otto-Friedrich-Universität Bamberg als Habilitationsschrift angenommen worden. Gegenüber dieser ersten Fassung ist der hier vorgelegte Text vor allem in den Kapiteln B. III. und C. III inhaltlich überarbeitet. Die formale Überarbeitung für den Druck hat aus verschiedenen Gründen mehr Zeit in Anspruch genommen als ursprünglich geplant. Während dieser Zeit sind Teilergebnisse der Untersuchung in verschiedenen Publikationen und Vorträgen öffentlich vorgestellt worden, und ich habe von schriftlichen und mündlichen Reaktionen darauf in mehrfacher Hinsicht profitiert. Daß das hier neu edierte Material schon vor der Publikation in die Forschungen J. Spletts zum Althochdeutschen (Althochdeutsches Wörterbuch, 1993) Eingang gefunden hat, könnte man einerseits zwar für erfreulich erachten, die unautorisierte Benutzung der ersten Fassung hat aber andererseits bereits zu unnötiger bibliographischer Verwirrung geführt. Zu danken habe ich Herrn Prof. Dr. Rolf Bergmann für die Unterstützung, die er mir und meinen wissenschaftlichen Vorhaben während meiner Assistentenzeit in Bamberg generell gewährt hat, sowie seinen Mitarbeiterinnen für stets bereitwillig geleistete kollegiale Hilfe, insbesondere Dr. Claudine Moulin-Fankhänel für die Durchsicht einzelner Kapitel und verschiedene Hinweise. Dankbar habe ich auch Bemerkungen der Gutachter Prof. Dr. Albert Gier, Prof. Dr. Christoph Huber, beide Bamberg, Prof. Dr. Fidel Rädle, Göttingen, und Prof. Dr. Lothar Voetz, Heidelberg, zur Kenntnis genommen und nach Möglichkeit eingearbeitet. Gedankt sei auch an dieser Stelle meinem ehemaligen Kollegen, Prof. Dr. Georg Wöhrle, jetzt Trier, für seine stete Bereitschaft, Probleme der lateinischen Textvorlage mit mir zu besprechen. Bei der Fertigstellung der Druckvorlage haben mich die studentischen Hilfskräfte Christiane Dätsch, Bamberg, und vor allem Christine Godau, Augsburg, tatkräftig unterstützt. Den Mitgliedern der Kommission für das Althochdeutsche Wörterbuch der Akademie der Wissenschaften in Göttingen habe ich für die Aufnahme dieser Untersuchung in die Studien zum Althochdeutschen zu danken. Meinen Dank möchte ich schließlich auch den verschiedenen Bibliotheken aussprechen, die mir Einsicht in ihre Handschriftenbestände gewährt haben, allen voran den Mitarbeitern der Handschriftenabteilung der Bayeri-
8
Vorwort
sehen Staatsbibliothek, deren regelmäßiger Gast ich insbesondere in den Jahren der Materialerhebung 1987 bis 1989 war, sowie Herrn Dr. Burmester am Doerner-Institut in München, der 1988 mit mir die verschiedenen Möglichkeiten einer fotografischen Reproduktion der Griffelglossen besprochen und ausprobiert hat und dem ich die im Anhang beigegebene Fotografie verdanke. Neben dem Doerner-Institut hat auch die Bayerische Staatsbibliothek ihr Einverständnis zu dieser Reproduktion gegeben. In der Arbeitsstelle für das Mittellateinische Wörterbuch bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München hat man mir freundlicherweise die Benutzung des von E. von Steinmeyer angelegten lateinisch-althochdeutschen Index ermöglicht. Zu Dank verpflichtet bin ich außerdem der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die durch ein einjähriges Stipendium 1989/1990 in einer entscheidenden Phase zur Fertigstellung der Arbeit beigetragen hat. Walter Breu danke ich für die langjährige Unterstützung am Computer, ohne die die Arbeit in der vorliegenden Form nicht hätte erscheinen können.
August 1995
ELVIRA GLASER
Inhalt
Abkürzungen Literatur
13 17
,
Α. Fragestellung, Material, Methode
37
B. Grundlegung
43
I. Das Altostoberdeutsche und seine Quellen II. Der Schreibort Freising III. Das Phänomen der Griffelglossierung 1. Zur Forschungsgeschichte 2. Die althochdeutsche Griffelglossen enthaltenden Handschriften... 3. Charakterisierung der Griffelglossenhandschriften 4. Zur Technik der Griffelglossierung und ihrer Entzifferung C. Frühe Glossenhandschriften aus Freising I. Clin 6300 (BV. 523) 1. Die Handschrift a. Beschreibung b. Geschichte c. Die Glossen d. Die Überlieferung des lateinischen Textes und seine Glossierung 2. Die a. b. c. d.
Edition der Glossen Anlage der Edition Althochdeutsche Glossen Nicht identifizierte Eintragungen Nicht bestätigte Glosseneintragungen
3. Analyse der Glossen a. Graphisch-phonologische Analyse oc) Haupttonvokale ß) Vokalismus der unbetonten Präfixe y) Nachtonige Vokale in nichtflexivischer Funktion
43 47 49 50 53 63 74 80 80 80 80 90 92 93
96 96 104 354 375 377 377 378 390 392
10
Inhalt
b.
c. d. e. f.
1) Vokale in Wortbildungsmorphemen 2) Vokale in Morphemausgängen (einschließlich Wortfuge) δ) Vokale in flexivischer Funktion ε) Konsonanten Morphologisch-grammatische Analyse α ) Die Flexion der Verben ß) Die Flexion der Nomina 1) Substantive 2) Adjektive γ) Die Flexion der Pronomina δ) Die Flexion der Zahlwörter ε) Die unflektierten Wortarten Analyse der Wortbildungen Charakterisierung des Sprachstandes Glossierungstechnik und Eintragungsweise Umstände und Funktion der Glossierung
II. Clm 6305 (BV. 524) 1. Die Handschrift a. Beschreibung und Geschichte b. Die Glossen c. Die Überlieferung des lateinischen Textes und seine Glossierung
392 396 399 399 421 422 432 432 438 441 444 444 445 453 466 481 483 483 483 486 487
2. Edition der Glossen a. Anlage der Edition b. Althochdeutsche Glossen c. Nicht identifizierte Eintragungen d. Nicht bestätigte Glosseneintragungen e. Lateinische Glossen
489 489 490 517 529 531
3. Analyse der Glossen a. Phonologisch-grammatische Analyse b. Glossierungstechnik und Eintragungsweise c. Die lateinischen Griffelglossen d. Umstände und Funktion der Glossierung e. Gesamtüberblick über die Glossierung
547 547 552 556 557 560
III. Clm 6308 (BV. 525) 1. Die Handschrift a. Beschreibung und Geschichte b. Die Glossen
562 562 562 565
Inhalt
c.
Die Überlieferung des lateinischen Textes und seine Glossierung
11
566
2. Edition der Glossen a. Anlage der Edition b. Althochdeutsche Glossen c. Nicht identifizierte Eintragungen d. Vermutlich lateinische Griffeleintragungen
568 568 568 577 580
3. Analyse der Glossen a. Phonologisch-grammatische Analyse b. Glossierungstechnik und Eintragungsweise c. Umstände und Funktion der Glossierung d. Gesamtüberblick über die Eintragungen
583 583 584 585 587
IV. Clm 6312 (BV. 526) 1. Die Handschrift a. Beschreibung und Geschichte b. Die Glossen c. Die Überlieferung des lateinischen Textes und seine Glossierung
588 588 588 591 592
2. Edition der Glossen a. Anlage der Edition b. Althochdeutsche Glossen c. Nicht identifizierte Eintragungen d. Lateinische Glossen e. Verzeichnis lateinischer Textkorrekturen
593 593 594 602 605 605
3. Analyse der Glossen a. Phonologisch-grammatische Analyse b. Glossierungstechnik und Eintragungsweise c. Umstände und Funktion der Glossierung
607 607 609 610
V. Clm 6433 (BV. 544) 1. Die Handschrift a. Beschreibung und Geschichte b. Die Glossen c. Die Überlieferung des lateinischen Textes und seine Glossierung
612 612 612 615
2. Edition der Glossen a. Anlage der Edition b. Althochdeutsche Glossen c. Nicht identifizierte Eintragungen d. Nicht bestätigte Glosseneintragungen
616 617 617 617 620 622
12
Inhalt
3. Analyse der Glossen a. Phonologisch-grammatische Analyse b. Glossierungstechnik und Eintragungsweise c. Umstände und Funktion der Glossierung VI. Zusammenfassende Charakterisierung der Freisinger Glossen 1. Die Sprache der Glossen 2. Vergleich der untersuchten Glossenhandschriften
622 622 623 623 625 625 627
D. Zusammenfassung
637
E. Register
644
I. Althochdeutsche Interpretamente II. Lateinische Lemmata III. Sachregister IV. Handschriften
644 650 655 658
Anhang: Abbildung zu Clm 6300, Nr. 195
661
Abkürzungen ABÄG. ABGL. ADA. AJPh. ASD. ASE. AWB. BEA. BECh. BEG. BMZ. BNF. BV. CCh. CCL. CLA. CSEL. DSp. DWB. DWB. 2 EC. EWA. ESt. FMSt. GGA. GH. GSp. HJ. HThR. HWB. IEW. JbACh. JEGPh.
Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik Aretins Beyträge zur Geschichte und Literatur Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Literatur The American Journal of Philology J. Bosworth - T. Northcote Toller, An Anglo-Saxon Dictionary Anglo-Saxon England E. Karg-Gasterstädt - Th. Frings, Althochdeutsches Wörterbuch G. Baesecke, Einführung in das Althochdeutsche Bibliothèque de l'Ecole des Chartes W. Braune - H. Eggers, Althochdeutsche Grammatik G. Benecke - W. Müller - F. Zarncke, Mittelhochdeutsches Wörterbuch Beiträge zur Namenforschung. Neue Folge R. Bergmann, Verzeichnis der althochdeutschen und altsächsischen Glossenhandschriften Corpus Christianorum. Series Latina Catalogus Codicum Latinorum Codices Latini Antiquiores Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum Dictionnaire de Spiritualité J. Grimm - W. Grimm, Deutsches Wörterbuch J. Grimm - W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Neubearbeitung Etudes Celtiques Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen Englische Studien Frühmittelalterliche Studien Göttingische Gelehrte Anzeigen K. E. Georges, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch E.G. Graff, Althochdeutscher Sprachschatz Historisches Jahrbuch Harvard Theological Review M. Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch J. Pokorny, Indogermanisches etymologisches Wörterbuch Jahrbuch für Antike und Christentum Journal of English and Germanic Philology
14 JGF. KEW. KEW. 22 KZ. LJGG. LMA. LThK. M. MEH. MIÖG. MMV. MSNH. MSR. NJ. NMLL. OLD. OChP. PBB. PL. RSV. RThAM. SCh. SchABG. SchAHG. SchW. SE. SG. SL. St. StMGB. StSG. StWG. VL. WS. WW.
Abkürzungen
Jenaer germanistische Forschungen F. Kluge, Etymologisches Wörterbuch, 21. A. F. Kluge, Etymologisches Wörterbuch, 22. A. Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung auf dem Gebiete der indogermanischen Sprachen Literaturwissenschaftliches Jahrbuch im Auftrag der GörresGesellschaft. Neue Folge Lexikon des Mittelalters Lexikon für Theologie und Kirche H. Mayer, Althochdeutsche Glossen Medievalia et Humanística Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung Mitteilungsblatt des Mediävistenverbandes Mémoires de la Société Néo-Philologique à Helsingfors Mélanges de science religieuse Niederdeutsches Jahrbuch. Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung J.F. Niermeyer, Mediae Latinitatis Lexicon Minus Oxford Latin Dictionary Orientalia Christiana periodica [H. Paul - W. Braune] Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Patrologiae cursus completus [...]. Series latina [...] accurante J.-P. Migne F. Raven, Die schwachen Verben Recherches de théologie ancienne et médiévale Sources chrétiennes J. Schatz, Altbairische Grammatik J. Schatz, Althochdeutsche Grammatik R. Schützeichel, Althochdeutsches Wörterbuch Sacris Erudiri K. Siewert, Glossenfunde Series latina W. Stach, PBB. 73 (1951) S. 346-348 Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige E. Steinmeyer, - E. Sievers, Die althochdeutschen Glossen T. Starck, - J.C. Wells, Althochdeutsches Glossenwörterbuch Die deutsche Literatur des Mittelalters. Wörter und Sachen Wirkendes Wort
Abkürzungen
YAPhS. ZADSp. WB. ZBW. ZDA. ZDW. ZMF. ZVSpF.
Yearbook of the American Philosophical Society Zeitschrift des Allgemeinen deutschen Sprachvereins. Wissenschaftliche Beihefte. 3. Reihe Zentralblatt für Bibliothekswesen Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur Zeitschrift für Deutsche Wortforschung Zeitschrift für Mundartforschung Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung auf dem Gebiete der indogermanischen Sprachen
15
Literatur A Werdendes Abendland an Rhein und Ruhr. Ausstellung in Villa Hügel, Essen 1956 Berthold Altaner - Alfred Stuiber, Patrologie. Leben, Schriften und Lehre der Kirchenväter, [9. Α.] Freiburg - Basel - Wien 1980 Althochdeutsch [Festschrift für Rudolf Schützeichel]. In Verbindung mit Herbert Kolb, Klaus Matzel, Karl Stackmann herausgegeben von Rolf Bergmann, Heinrich Tiefenbach, Lothar Voetz, I. Grammatik. Glossen und Texte, Germanische Bibliothek. NF. 3. Reihe: Untersuchungen, Heidelberg 1987 Erich Aumann, Denominative ê-Verben im Altgermanischen, Dissertation Leipzig 1935 Johanna Autenrieth, Die Domschule von Konstanz zur Zeit des Investiturstreits. Die wissenschaftliche Arbeitsweise Bernolds von Konstanz und zweier Kleriker dargestellt auf Grund von Handschriftenstudien, Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte. NF. III, Stuttgart 1956 -, Die Handschriften der ehemaligen Hofbibliothek Stuttgart. III, Die Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 2, III, Wiesbaden 1963 Β Georg Baesecke, Der deutsche Abrogans und die Herkunft des deutschen Schrifttums. Mit 18 Tafeln, Halle (Saale) 1930, Nachdruck Hildesheim - New York 1970 -, Einführung in das Althochdeutsche. Laut- und Flexionslehre, Handbuch des deutschen Unterrichts an Höheren Schulen 2,1,2, München 1918 -, Kleinere Schriften zur althochdeutschen Sprache und Literatur. Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Werner Schröder, Bern - München 1966 -, St. Emmeramer Studien, in: G. Baesecke, Kleinere Schriften, S. 38-85 (zuerst veröffentlicht in: PBB. 46 (1922) S. 431-494) -, Vor- und Frühgeschichte des deutschen Schrifttums, II. Frühgeschichte des deutschen Schrifttums. 2. Lieferung herausgegeben von I. Schröbler, Halle 19501953 Karl von Bahder, Die Verbalabstracta in den germanischen Sprachen ihrer Bildung nach dargestellt, Halle 1880 Otto Bardenhewer, Geschichte der altkirchlichen Literatur, III. Das vierte Jahrhundert mit Ausschluß der Schriftsteller syrischer Zunge, Freiburg 1912 G. Bareille - E Mangenot, Isaac, in: Dictionnaire de théologie catholique, VIII, Paris 1923, Sp. 1-8 Janet M. Batety - D. J. A. Ross, A check list of manuscripts of Orosius "Historiarum adversum paganos libri septem", Scriptorium 15 (1961) S. 329-334 Fr. Herbert Baumann, Die Adjektivabstrakta im älteren Westgermanischen, Dissertation Freiburg i. Br. 1914
18
Literatur
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Literatur
19
-, Über Einritzungen in Handschriften des frühen Mittelalters, in: B. Bischoff, Mittelalterliche Studien, I, S. 88-92 (erste Fassung: ZBW. 54 (1937) S. 173-177) -, Elementarunterricht und Probationes Pennae in der ersten Hälfte des Mittelalters, in: B. Bischoff, Mittelalterliche Studien, I, S. 74-87; (zuerst in: Classical and Mediaeval Studies in Honor of Edward Kennard Rand, New York 1938, S. 9-20) -, Paläographische Fragen deutscher Denkmäler der Karolingerzeit, in: B. Bischoff, Mittelalterliche Studien, III, S. 73-111 (zuerst in: FMSt. 5 (1971) S. 101134) -, Italienische Handschriften des neunten bis elften Jahrhunderts in frühmittelalterlichen Bibliotheken außerhalb Italiens, in: Il libro e il testo. Atti del Convegno internazionale. Urbino, 20-23 settembre 1982. A cura di C. Questa e R. Raffaeli, Pubblicazioni dell'Università di Urbino, Urbino [1984], S. 169-194 -, Nachträge zu den althochdeutschen Glossen, PBB. 52 (1928), S. 153-168 -, Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters, Grundlagen der Germanistik 24, 2. A. Berlin 1986 -, Panorama der Handschriftenüberlieferung aus der Zeit Karls des Großen, in: B. Bischoff, Mittelalterliche Studien, III, S. 5-38 (zuerst in: Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben. Herausgegeben von W. Braunfels, 2. Das geistige Leben, Düsseldorf 1965, S. 233-254) -, Die südostdeutschen Schreibschulen und Bibliotheken in der Karolingerzeit, I. Die bayrischen Diözesen, mit 32 Schriftproben, 3. A. Wiesbaden 1974; II. Die vorwiegend österreichischen Diözesen. Mit 25 Schriftproben, Wiesbaden 1980 -, Mittelalterliche Studien. Ausgewählte Aufsätze zur Schriftkunde und Literaturgeschichte, I, Stuttgart 1966; III, Stuttgart 1981 -, Übersicht über die nichtdiplomatischen Geheimschriften des Mittelalters. Mit zwei Alphabettafeln, in: B. Bischoff, Mittelalterliche Studien, III, S. 120-148 (zuerst in: MIÖG. 62 (1954) S. 1-27) -, Die europäische Verbreitung der Werke Isidors, in: Isidoriana. Estudios sobre San Isidoro de Sevilla en el XIV centenario de su nacimiento, León 1961, S. 317344; (auch in: Β. Bischoff, Mittelalterliche Studien, I, S. 171-194) -, Wendepunkte in der Geschichte der lateinischen Exegese im Frühmittelalter, in: B. Bischoff, Mittelalterliche Studien, I, S. 205-273 (zuerst in: SE. 6 (1954) S. 189279) Bernhard Bischoff - Josef Hofmann, Libri Sancti Kyliani. Die Würzburger Schreibschule und die Dombibliothek im VIII. und IX. Jahrhundert, Würzburg 1952 Albert Blaise, Dictionnaire latin-français des auteurs chrétiens. Revu spécialement pour le vocabulaire théologique par H. Chirat, Turnhout 1954, Nachdruck 1962; Addenda et corrigenda, Turnhout 1962 Ulrike Blech, Germanistische Glossenstudien zu Handschriften aus französischen Bibliotheken, Monographien zur Sprachwissenschaft 4, Heidelberg 1977 Sybille Blum, Wortschatz und Übersetzungsleistung in den althochdeutschen Canonesglossen. Untersuchungen zur Handschrift Frankfurt am Main MS.Barth.64, Sitzungsberichte der sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse. Band 126, Heft 7, Berlin 1986 Helmut de Boor, Die deutsche Literatur von Karl dem Großen bis zum Beginn der höfischen Dichtung. 770 - 1170. Neunte Auflage bearbeitet von H. Kolb, Geschichte der deutschen Literatur, I, München 1979 Bonifacio Borghini, s. San Gregorio Magno Joseph Bosworth, - T. Northcote Toller, An Anglo-Saxon Dictionary, Oxford 1898, Nachdruck 1976; Supplement by T.N. Toller. With Revised and Enlarged Ad-
20
Literatur
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Literatur
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Α. Fragestellung, Material, Methode Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Erfassung und Charakterisierung der frühesten deutschsprachigen Originalüberlieferung aus dem Bischofssitz Freising, einem der bedeutendsten Schreiborte lateinischer Handschriften des südostoberdeutschen Raumes in frühmittelalterlicher Zeit 1 . Sie versteht sich damit als ein regional begrenzter Beitrag zur Erforschung der Anfänge der althochdeutschen Schriftlichkeit in einer von lateinisch-christlicher Kultur und Schriftsprache geprägten Zeit. Allerdings soll nicht in die seit langer Zeit geführte Diskussion um die größeren Zusammenhänge und Impulse der im 8. Jahrhundert beginnenden schriftlichen Verwendung des Althochdeutschen unmittelbar eingegriffen werden. Die Frage nach den Motiven und Zentren der Verschriftlichung des Althochdeutschen wird man aber neu aufgreifen können, wenn auch das sonstige in das 8. Jahrhundert weisende Material in genügender Breite aufgearbeitet ist. Zweifellos steht die Glossographie, die Hinzufügung althochdeutscher Übersetzungen zu lateinischen Wörtern in lateinischen Handschriften, am Anfang des althochdeutschen Schrifttums2. Obwohl dieses Faktum seit langem bekannt ist3, besteht über die Vorgänge der Entstehung der althochdeutschen Glossographie im einzelnen kein genaues Bild. So kann selbst die Beschäftigung mit vielfach behandelten Handschriften, wenn sie auf die Handschriften selbst zurückgreift, völlig neue Aspekte zu Tage fördern 4 . Die Untersuchung der frühesten Althochdeutsches überliefernden Handschriften ist damit eine zentrale Forschungsaufgabe. Die dabei interessierenden Fragen sind etwa: Welche Zweckbestimmung lassen die frühesten Handschriften erkennen, welche Glossierungstypen liegen vor, welchen Texten galt das Interesse? Gibt es Zusammenhänge zwischen den frühesten Handschriften, sind Glossierungszentren und Glossierungswege erkennbar, können Einflüsse ermittelt werden? Die Antworten auf diese Fragen waren bis in jüngste Zeit maßgeblich durch das Bild geprägt, das G. Baesecke aufgrund intensiver Be-
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Man vergleiche B. Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen, I, S. 58-71. Man vergleiche R. Bergmann, Die althochdeutsche Glossenüberlieferung des 8. Jahrhunderts, S. 4., sowie P. Schmitt, in: LMA., IV, Sp. 1510. 3 Man vergleiche J. Grimm, GGA. 160 (1826), S. 1585-1600. 4 So im Falle von L. Voetz, Die St. Pauler Lukasglossen. 2
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Fragestellung, Material, Methode
schäftigung mit dem Althochdeutschen skizziert hatte 5 . Nach G. Baesecke war das althochdeutsche Schrifttum Folge zweier unabhängiger äußerer Impulse, zum einen und zunächst der langobardischen Bildungstradition, die in Freising gewirkt und zur Herstellung des althochdeutschen Abrogans geführt haben soll, und zum anderen der angelsächsischen Mission, die hauptsächlich von Fulda aus weitergewirkt haben soll6. Insbesondere an dem ersten Teilbereich seiner Skizze wurde schon früh und nachhaltig Kritik geübt, so daß die These vom am Anfang des althochdeutschen Schrifttums stehenden Abrogans, der auf langobardische Einflüsse zurückgehe, kaum mehr ernsthaft diskutiert wird 7 , wenn sie auch noch in Handbüchern weiterlebt 8 . Die Zurückhaltung gegenüber der langobardischen These beruht zum einen auf der erkennbar mangelhaften Beweisführung G. Baeseckes, zum anderen auf den inzwischen bekannt gewordenen sehr frühen Glossen aus dem mittelfränkischen Raum, die deutlich in den angelsächsischen Kulturkreis weisen 9 . Die Entstehung des Abrogans im 8. Jahrhundert in Freising ist damit aber ebensowenig widerlegt wie die Rolle Fuldas für die Entstehung und Verbreitung von Glossierungen und Texten. Kritik muß bezüglich dieser Punkte an der Methode G. Baeseckes ansetzen, der in hohem Maße mit Rekonstruktionen und Hypothesen arbeitete. So hat er die Lokalisierung des Abrogans in Freising aus einem Vergleich des rekonstruierten Archetypus der überlieferten Handschriften mit seiner Rekonstruktion der Freisinger Urkundensprache des 8. Jahrhunderts gewonnen 10 . In dieser Tradition stehende Forscher 11 haben bei ihren Glossenuntersuchungen den Blick vor allem auf die Rekonstruktion von Originalen aus späteren Glossensammlungen und ihre Lokali-
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Man vergleiche etwa H. Rupp, Forschung zur althochdeutschen Literatur, S. 24, S. 13f., S. 24-26; dazu R. Bergmann, Die althochdeutsche Glossenüberlieferung des 8. Jahrhunderts, S. 38f. 6 Man vergleiche den Überblick in G. Baesecke, Vor- und Frühgeschichte des deutschen Schrifttums, II, S. 101-170. 7 Man vergleiche die Zusammenfassung der Einwände bei J. Splett, in: Die transalpinen Verbindungen der Bayern, S. 105-123 sowie kritisch dazu K. Siewert, BNF. 23 (1988) S. 355f. Man vergleiche außerdem J. Splett, in: Typen der Ethnogenese, I, S. 235-241, zur Einordnung des Abrogans in den Rahmen der angelsächsischen Mission. 8 Etwa bei H. de Boor, Die deutsche Literatur, S. 15,19. Vorsichtiger M. Wehrli, Geschichte der deutschen Literatur, S. 48f. 9 R. Bergmann, Die althochdeutsche Glossenüberlieferung des 8. Jahrhunderts, 5. 31, 34, 37f. 10 G. Baesecke, Der deutsche Abrogans, besonders S. 78-102. 11 Etwa W. Schröder, PBB. 65 (1941) S. 1-105; B. Schreyer, Die althochdeutschen Glossen zu Orosius; M. Mitscherling, Die althochdeutschen Hieronymusglossen.
Fragestellung, Material, Methode
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sierung gerichtet. Das Bild der frühen althochdeutschen Glossierangstätigkeit war damit lange Zeit in erheblichem Maße von erschlossenen Sachverhalten geprägt, etwa der Entstehung der fränkischen und bairischen Canonesglossierung im 8. Jahrhundert oder der Glossierung der Evangelienhomilien Gregors in Freising ebenfalls noch im 8. Jahrhundert 12 . Die handschriftliche Überlieferung ist dabei zum Teil wesentlich jünger. Diesem Forschungsansatz muß die Beschäftigung mit den erhaltenen Handschriftenoriginalen der frühesten Zeit und der vorläufige Verzicht auf Rekonstruktionen aus späteren Überlieferungsträgern entgegengesetzt werden. Der Rekonstruktion von Glossierungszentren muß die Feststellung und Prüfung der Überlieferung vorausgehen. Ziel dieser Bestrebungen ist die Ermittlung und Untersuchung der tatsächlich aus dem 8. oder frühen 9. Jahrhundert stammenden Glossierungen und nicht der in diese Zeit datierten Archetypen oder rekonstruierten Originale. Auf diesem Hintergrund beschäftigt sich die vorliegende Studie mit solchen Glossenhandschriften, deren Entstehung im 8. Jahrhundert paläographisch gesichert ist und deren Glossen somit zumindest noch aus dem 8. Jahrhundert stammen können. Aufgabe der sprachlichen Untersuchung ist es unter anderem, eine zeitliche Eingrenzung der Eintragung vorzunehmen. Als Grundlage der Untersuchung wurden fünf Handschriften ausgewählt, die in Freising geschrieben sind oder sich zumindest in früher Zeit dort befunden haben. Eine Eintragung der Glossen in Freising ist damit mehr oder weniger wahrscheinlich und muß auf dem Hintergrund der äußeren Gestaltung der Handschrift und ihrer Geschichte in der sprachlichen Analyse geprüft werden. Die Untersuchung der Freisinger Überlieferung ist der Rolle entsprechend, die Freising im Rahmen der oben angesprochenen Diskussion um die Anfänge des althochdeutschen Schrifttums spielt, naheliegend. Mit Freising ist außerdem einer der am frühesten bezeugten Glossenschreiborte ausgewählt. Nach Köln oder Metz und Echternach tritt es in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts neben Fulda, Würzburg und St. Gallen mit Handschriften auf, die möglicherweise noch ins 8. Jahrhundert reichende Glossierungen bieten 13 . Vom Umfang der Überlieferung her nimmt es unter den Schreiborten des bairischen Raums mit noch dem 8. Jahrhundert zuzurechnenden Handschriften eine Spitzenstellung ein. Insgesamt gehört Freising neben St. Gallen und Würzburg zu den Schreiborten mit der größten Zahl 12
Man vergleiche H. de Boor, Die deutsche Literatur, S. 18-20. Die Darstellung in G. Baesecke, Vor- und Frühgeschichte des deutschen Schrifttums, II, S. 184-201, ist schon von der Quellenbasis her inzwischen völlig veraltet. 13
Man vergleiche R. Bergmann, Die althochdeutsche Glossenüberlieferung des 8. Jahrhunderts, hierzu S. 34 sowie zum folgenden S. 29, 32; außerdem H. Tiefenbach, Xanten - Essen - Köln, S. 306f.
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Fragestellung, Material, Methode
solcher frühen Handschriften. Von 19 dem bairischen Raum zugewiesenen Handschriften sind sechs Freisinger Provenienz, die übrigen verteilen sich etwa gleichmäßig auf Regensburg, Tegernsee, Benediktbeuern oder Kochel und Salzburg. Eine der sechs Freisinger Handschriften, der Clm 6233 (BV. 506), ist wohl in Tegernsee geschrieben und wahrscheinlich erst nach unserem Zeitraum nach Freising gelangt, so daß sie in der folgenden Untersuchung beiseite gelassen wird. Auch der reich glossierte Clm 6293 (BV. 521), dessen Entstehung nach seiner Schrift "um die Jahrhundertwende anzusetzen ist14, bleibt hier bereits außer Betracht 15 . Diese relativ willkürliche zeitliche Abgrenzung innerhalb der Gruppe der Freisinger Glossenhandschriften erfolgt nicht zuletzt auch aus praktischen Gründen. Gegenstand der folgenden Untersuchung sind damit die heute in der Münchener Staatsbibliothek aufbewahrten Handschriften Clm 6300 (BV. 523), Clm 6305 (BV. 524), Clm 6308 (BV. 525), Clm 6312 (BV. 526) und Clm 6433 (BV. 544). Bei all diesen Handschriften stammen die Glossenfunde aus jüngerer Zeit. Sie sind bis vor kurzem in der Sekundärliteratur noch völlig unberücksichtigt geblieben 16 und konnten selbstverständlich auch in den Handbüchern des Althochdeutschen keine Behandlung finden 17 . Das bereits von H. Mayer und W. Stach edierte Material 18 ist bisher lediglich lexikographisch verzeichnet im Glossenwörterbuch von T. Starck und J. C. Wells 19 sowie in den seither erschienenen Lieferungen des Leipziger Althochdeutschen Wörterbuchs 20 . Die jüngst von K. Siewert edierten Einzelfunde 21 sind auch lexikographisch noch nicht berücksichtigt. Auf der Basis
14
B. Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen, I, S. 64. Er ist außerdem in der während der Druckvorbereitung dieser Untersuchung erschienenen Arbeit von W. Schulte, Die althochdeutsche Glossierung der Dialoge Gregors des Großen, berücksichtigt. 16 Während der Drucklegung ist die Untersuchung von E. Meineke, Abstraktbüdungen im Althochdeutschen, erschienen, die die Codices Clm 6300, 6305, 6308, 6312 einbezieht. Der Clm 6300 ist zum Teü berücksichtigt bei L. Voetz, Studien zu den Anfängen althochdeutscher Textglossierung. 17 Das während der Druckvorbereitung meiner Untersuchung erschienene Wortbildungswörterbuch von J. Splett, Althochdeutsches Wörterbuch, dessen Angaben im folgenden nicht mehr berücksichtigt werden konnten, bezieht nun auch jüngste Glosseneditionen mit ein, unter anderem die Glossen der vorliegenden Edition, allerdings aufgrund einer unautorisierten ersten maschinenschriftlichen Fassung, die insbesondere auch in der Seitenzählung von der vorliegenden abweicht. 18 H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 74-83; W. Stach, Aus neuen Glossenfunden 2., PBB. 73 (1951) S. 346-351. 19 Althochdeutsches Glossenwörterbuch (StWG.). 20 E. Karg-Gasterstädt - Th. Frings, Althochdeutsches Wörterbuch (AWB.). 21 Glossenfunde, S. 84-88. 15
Fragestellung, Material, Methode
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der bestehenden Editionen, die in der folgenden Untersuchung zu verbessern und zu ergänzen sind, ist zum einen bereits erkennbar, daß die Glossen aus den frühen Freisinger Handschriften zahlenmäßig diejenigen der anderen Orte des bairischen Raumes übertreffen und zum anderen, daß unter den Handschriften aus Freising der Clm 6300 in Bezug auf die Menge der enthaltenen Glossen einen herausragenden Platz einnimmt. Insgesamt befindet sich diese Handschrift, was den Umfang früher althochdeutscher Glossierung angeht, schon nach bisherigem Wissen an fünfter Stelle22. Es war daher zu vermuten, daß eine ausführliche Untersuchung schon aus diesem Grund für die Erforschung des Althochdeutschen lohnend sein würde. So steht denn die Handschrift Clm 6300 im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit. Die Prüfung der Editionslage hat schnell gezeigt, daß für die Untersuchung der fünf ausgewählten Handschriften schon allein deshalb auf die Handschriften selbst zurückgegriffen werden muß, um zuverlässiges Material zur Verfügung zu haben. Es handelt sich nämlich abgesehen von wenigen Glossen im Clm 6308 um sogenannte Griffelglossen, mit einem Schreibstift in das Pergament eingeritzte Glossen, die besonders schwer zu entziffern sind. Da Griffelglossen nur bei besonderer Aufmerksamkeit zu erkennen sind, ergibt sich bei einer Beschäftigung mit ihnen grundsätzlich die Notwendigkeit, die entsprechenden Handschriften, sofern sie nicht als vollständig ausgewertet gemeldet sind, genau zu prüfen. Im vorliegenden Fall waren aufgrund der Angaben H. Mayers über noch unentzifferte Glossen in drei der Handschriften von vornherein Neufunde zu erwarten, neben dem Clm 6300 im Clm 6305 und Clm Ó43323. Als erster Arbeitsschritt mußte daher das vorhandene Material gesichert werden, was bei Griffelglossen nur durch Autopsie der Handschriften geschehen kann. Die hierauf aufbauende Edition hat die Aufgabe, verschiedene Gesichtspunkte zu kombinieren. Zum einen muß gerade bei Griffelglossen die Präsentation der äußeren Verhältnisse der Eintragungen relativ aufwendig sein. Bemerkungen über die genaue Eintragungsstelle sowie alternative Lesungen sind bei der schlechten Lesbarkeit der Glossen und der Unmöglichkeit, solche Informationen anhand eines Mikrofilms zu erlangen, unabdingbar. Die notwendigen Klärungen hierzu werden im Zusammenhang einer Betrachtung des Phänomens der Griffelglossierung im Teil Grundlegung, der der eigentlichen Untersuchung der frühen Freisinger Glossierung vorangestellt ist, gegeben. Zum anderen soll die Edition nicht nur graphisches Lemma und Glosse 24 bieten, sondern gleichzeitig eine 22
R. Bergmann, Die althochdeutsche Glossenüberlieferung des 8. Jahrhunderts,
S. 30. 23
Althochdeutsche Glossen, S. 79 (Clm 6300), 81 (Clm 6305), 83 (Clm 6433). Man vergleiche zur Terminologie H. Götz, in: R. Große - S. Blum - H. Götz, Beiträge zur Bedeutungserschließung, S. 62, 74. 24
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Fragestellung Material, Methode
grammatische und lexikalische Identifikation der Glosse ermöglichen, zumal es sich in vielen Fällen um schwierige und unvollständige Eintragungen handelt. Die kommentierte Edition ist mit ihren Vorklärungen der einzelnen Glossen Voraussetzung für die sich jeweils anschließenden zusammenfassenden Analysekapitel. Neben den Kapiteln zur graphisch-phonologischen und zur morphologischen Analyse, die insbesondere auch die Frage der Datierung und Lokalisierung der Glossen aufgreifen, sollen im Hinblick auf die allgemeinere Fragestellung der Umstände der Glossierungen verschiedene Aspekte der Glossierungstechnik beleuchtet werden. Untersuchungsgegenstand ist alles, was die Funktion der althochdeutschen Glossierung erhellen kann, also etwa auch gleichzeitige lateinische Glossierung25 oder sonstige Griffeleintragungen. Dabei wird zunächst jede Glossenhandschrift für sich abgehandelt. Die Ergebnisse der Einzeluntersuchungen werden in einem vergleichenden Kapitel einander gegenübergestellt. Den Editionen der einzelnen Codices ist jeweils eine Beschreibung der Handschrift im Hinblick auf Umfang und äußere Gestalt, auf den in ihr enthaltenen lateinischen Text, dessen Benutzung und Glossierung vorangestellt.
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Zur Notwendigkeit, die lateinische Glossierung einzubeziehen, vergleiche man E. Glaser, in: Probleme der Edition, S. 13f., sowie bereits Ο. B. Schlutter, ZDW. 14 (1912/13), S. 173f. Ansatzweise bezieht auch S. Blum, Wortschatz und Übersetzungsleistung, S. 18, lateinische Glossen ein. Lateinische und althochdeutsche Glossierung behandelt A. Schwarz, PBB. 99 (1977) S. 25-36. Zum Stand der Erforschung lateinischer Glossierung ist im wesentlichen immer noch G. Wieland, MLJ. 19 (1984) S. 91-99 zu vergleichen.
Β. Grundlegung I. Das Altostoberdeutsche und seine Quellen Die vorliegende Arbeit ist als Baustein für eine Sprachgeschichte des frühen Bairischen zu sehen, als deren Fernziel die Auswertung aller in bairisches Gebiet weisenden Glossenhandschriften des 8. und frühen 9. Jahrhunderts gelten muß. Mit der Wahl der Freisinger Überlieferung ist bereits, wie oben angesprochen, die nach bisheriger Kenntnis umfangreichste Überlieferung früher Handschriften des bairischen Raums herausgegriffen. Die Bezeichnung 'bairisch' wird dabei in regionalem Sinne verwendet, als Bezeichnung der im östlichen oberdeutschen Raum, der sich im wesentlichen mit dem Gebiet des heutigen Altbayern deckt, niedergeschriebenen Sprache. Inwiefern sich diese Sprache als eigener Stammesdialekt fassen läßt, ist für die vorliegende Untersuchung nicht von Belang. Allenfalls mögen sich umgekehrt aus den zu erwartenden Erkenntnissen über die früheste Phase der in diesem Raum geschriebenen Sprache Hinweise auf die Beantwortung der neuerlich wieder diskutierten Frage ergeben, inwiefern das Altostoberdeutsche eigene dialektale Wurzeln hat, die es von anderen Dialekten der frühen Zeit, insbesondere dem Alemannischen, unterscheiden1. Dabei kann es aber zunächst nur darum gehen, die sprachlichen Verhältnisse der Handschriften sorgfältig zu beschreiben und die synchron gültigen Dialektcharakteristiken festzustellen. Deren Relevanz für die Beurteilung der Frage nach der Genese des Bairischen muß damit in weiteren Untersuchungen geprüft werden 2 . Da aber selbst diejenigen Forscher, die von verschiedenen oberdeutschen Stammesdialekten ausgehen, die Nähe der bairischen und der alemannischen Sprache in althochdeutscher Zeit betonen 3 , ist kaum zu erwarten, daß sich Kriterien finden lassen werden, die auf eine ursprünglich unterschiedliche Dialektzugehörigkeit schließen lassen. Wenn in der folgenden Untersuchung also von Merkmalen des Bairischen gesprochen wird, so sind damit lediglich die be1
Man vergleiche hierzu den zusammenfassenden Überblick aus linguistischer Sicht bei Th. Vennemann, in: Jahresberichte der Stiftung Aventinum, S. 5-25. Zur Frage der Genese des "Bairischen" im Zusammenhang des historischen Problems der Ethnogenese der Baiern vergleiche man den instruktiven Forschunesbericht von M. Menke, in: Typen der Ethnogenese, II, S. 123-220. 2 Zu der vergleichbaren Problematik am Beispiel des Alemannischen D. Geue nich, FMSt. 16 (1982) S. 41-43. 3 Etwa K. Weinhold, Bairische Grammatik, S. lOf.
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Grundlegung
kannten Charakteristiken gemeint, die nach bisherigem Wissen für die im ostoberdeutschen Raum geschriebene Sprache gelten. Die Sprache dieses Raums, der sich mit dem heutigen bairischen Dialektgebiet weitgehend deckt, wird so verkürzend 'bairisch' genannt. Im übrigen gilt auch hier wie in anderen Fällen, daß vor einer flächendeckenden Untersuchung der frühesten Überlieferung strenggenommen ohnehin nur von einzelnen Klosterdialekten gesprochen werden kann 3 . Da unsere Kenntnis dieser Schreibsprache noch überaus lückenhaft ist, dient die Bearbeitung neuen Materials in jedem Fall einer Vervollständigung des bekannten Bildes. Aus dem folgenden kurzen Überblick über die frühen Quellen des Bairischen soll der Platz, den das vorliegende Glossenmaterial im Rahmen der Sprachgeschichte des Bairischen einnimmt, deutlich werden. Die vorhandenen Sprachdenkmäler der altbairischen Zeit haben sich seit der Abfassung der Altbairischen Grammatik von J. Schatz im Jahre 1907 nicht grundsätzlich vermehrt. Sie bestehen aus Orts- und Personennamen verschiedener Quellen, in Urkunden, Verbrüderungsbüchern, Güterverzeichnissen und ähnlichem, vereinzelten Wörtern in lateinischen Texten sowie Glossen und Literaturdenkmälern. Die Notwendigkeit der erneuten Beschäftigung mit bairischen Glossen ergibt sich zum einen aus dem gerade in diesem Bereich feststellbaren Materialzuwachs seit jener Zeit 5 und zum anderen aus der sich durch die Neufunde eröffnenden Möglichkeit, so eventuell in frühere Zeit vorzudringen. Diese Perspektive wird dadurch eröffnet, daß in einer Reihe von Fällen eine paläographisch begründete Einordnung der Handschriften in das 8. Jahrhundert eine Eintragung der Glossen in dieser Zeit oder wenig später vorerst einmal zur Diskussion stellt. Welche Wichtigkeit die Beschäftigung mit dieser potentiell frühen Überlieferung hat, zeigt sich bei einer Sichtung der Quellenlage, auf der die Handbücher aufbauen. Keines der in den Handbüchern und verschiedenen einschlägigen Untersuchungen 6 übereinstimmend unter den bairischen Quellen genannten Textdenkmäler kann seiner Überlieferung nach noch dem 8. Jahrhundert zugerechnet werden. Die zweifellos frühesten in diesem Zusammenhang ge-
3
Zu den methodischen und terminologischen Problemen der Bestimmung einer frühmittelalterlichen Mundart vergleiche man D. Geuenich, in: Die historische Landschaft zwischen Lech und Vogesen, S. 115-121. 5 Man vergleiche R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda, Addenda und Corrigenda (II) sowie Addenda und Corrigenda (III). 6 Man vergleiche die Aufstellungen in BEG. § 5b; BEA. § 2; SchABG. S. 3-6; St. Sonderegger, Althochdeutsche Sprache und Literatur, S. 69f.; H. Naumann - W. Betz, Althochdeutsches Elementarbuch, S. 27f.; L. Wiillner, Das Hrabanische Glossar, S. 76f.; I. Rauch, The Old High German Diphthongization, S. 106-109, 113f.; F. Simmler, Die westgermanische Konsonantengemination, S. 25.
Das Altostoberdeutsche
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nannten Quellen 7 , die Altbairische Beichte 8 sowie das Wessobrunner Schöpfungsgedicht und Gebet sind sprachlich nicht ohne Einschränkungen dem Bairischen zuzurechnen. In noch stärkerem Maße gilt das für die Monseer Fragmente, deren fränkische Vorlage bekannt ist8. Mit zumindest einer Handschrift aus der Zeit kurz nach der Jahrhundertwende werden die Exhortatio ad plebem christianam und das Freisinger Paternoster 10 stets unter den frühesten Quellen genannt. Zeitlich schließt sich dann wohl, was die Datierung der Handschriften angeht, das Altbairische oder Emmeramer Gebet an, bei dem aber in sprachlicher Hinsicht, insbesondere aufgrund des enthaltenen Beichtteils, wiederum gewisse Abstriche gemacht werden müssen 11 . Das in der Regel dann noch einbezogene Carmen ad Deum führt bereits mindestens in die Mitte des 9. Jahrhunderts 12 und ist damit von der Überlieferungszeit aus gesehen das jüngste der älteren Denkmäler. Im Hinblick auf eine Verwendung als sprachliche Quellen ihrer Zeit ist aber zu bedenken, daß in allen Fällen aus verschiedenen Gründen von abschriftlicher Überlieferung ausgegangen werden muß, wodurch je nach Sachlage mit sprachlicher Konservativität und/oder sprachlicher Mischung zu rechnen ist. Die gelegentlich andere Reihung der Denkmäler sowie die Nennung des Muspilli13 oder des Priestereids 14 unter den ältesten Denkmälern hängt genau mit dieser Problematik zusammen, insofern hier, meist nur implizit, nicht auf die Überlieferungszeit, sondern auf die vermutliche Entstehungszeit Bezug genommen wird. Entsprechende Verhältnisse herrschen bei der Nennung der Glossen, die etwa G. Baesecke nach a.800, insofern die Abhängigkeitsverhältnisse unsicher sind15, nur noch als sekundäre Quellen ansieht. Das gilt dann freilich nicht für den Abrogans, dessen Entstehung in Freising noch tief im 8. Jahrhundert 16 er für gesichert hält und dessen Handschriften er der Rekonstruktion entsprechend dann auch behandelt 17 . Unter den üblicherweise angeführ7
Man vergleiche R. Bergmann, Die althochdeutsche Glossenüberlieferung des 8. Jahrhunderts, S. 30 mit weiterer Literatur. 8 Dazu A. Masser, in: VL. I, Sp. 273f. 8 Dazu K. Matzel, in: VL. I, Sp. 297-300. 10 Dazu A. Masser, in: VL. II, Sp. 666f. und 905-907. 11 Man vergleiche A. Masser, in: VL. I, Sp. 275f. 12 Man vergleiche F. Rädle, in: VL. I, Sp. 1174-1177. 13 So F. Simmler, Die westgermanische Konsonantengemination, S. 25. 14 So BEA. § 2, S. 10. 15 BEA. § 2.2, S. 12. 16 In BEA. § 2, S. 10 noch a.740?, später in G. Baesecke, Der deutsche Abrogans, S. 114-135, um 765 bis 770. 17 Man vergleiche BEA. S. 257 (Κ), S. 258 (Pa).
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Grundlegung
ten, allerdings nicht immer im einzelnen genannten, bairischen Glossenhandschriften 18 läßt sich nach dem neuesten Kenntnisstand kaum eine von der Überlieferungszeit der Handschrift her noch ins 8. Jahrhundert datieren. Eine der frühesten Quellen, die aber bereits in das 9. Jahrhundert gehört, ist zweifellos in den bei den genannten Aufstellungen stets einbezogenen Kasseler Glossen zu sehen, die mit gewissem Recht als Kasseler Gespräche auch zur Textüberlieferung gezählt werden können 19 . Von den umfangreicheren Quellen ist als nächstes, ebenfalls aus dem Anfang des 9. Jahrhunderts, das Samanunga-Glossar 20 zu nennen. Unter den übrigen explizit als bairische Quellen genannten Handschriften kommt lediglich der Clm 18550a überhaupt als potentieller Träger von Glossen des 8. Jahrhunderts in Frage, wohingegen die etwa bei J. Schatz um a.800 angesetzten Codices jünger sind 21 . Von den neunzehn heute bekannten, als potentielle Überlieferungsträger von bairischen Glossen des 8. Jahrhunderts in Frage kommenden Handschriften 22 sind nämlich überhaupt nur sechs schon vor Abschluß der umfassenden Glossenedition von E. Steinmeyer und E. Sievers23 bekannt gewesen, Clm 4614, Clm 5508, Clm 14517, Clm 18092 und Clm 18550a sowie die Würzburger Handschrift M.p.th.f.28. Im Falle der Münchener Handschriften Clm 4614 sowie 18550a hat sich zudem der edierte Glossenbestand inzwischen noch um einiges vermehrt. Angesichts dieser Sachlage läßt die Untersuchung der frühen Glossenhandschriften also durchaus einen Informationszugewinn erwarten. Die bereits als sprachliche Quelle erwähnten Namen dürfen daneben natürlich nicht vergessen werden, da auch hier Originales aus dem 8. Jahrhundert neben einer größeren Menge abschriftlicher Überlieferung vorhanden ist. Zu nennen ist das Salzburger Verbrüderungsbuch in seinem ersten Teil von a.784, das J. Schatz in seiner Untersuchung mit einem gewissen Recht als das älteste erhaltene bairische Original bezeichnet 24 . Auch hier ist 18
Man vergleiche SchABG. S. 3-6; BEA. S. 255-260; H. Naumann - W. Betz, Althochdeutsches Elementarbuch, S. 27f.; I. Rauch, The Old High German Diphthongization, S. 106-109, 113f. sowie ausführlich F. Simmler, Die westgermanische Konsonantengemination, S. 25. 19 Man vergleiche SchW. S. 19 sowie H. Penzl, WW. 35 (1985) S. 240-248; W. Schröder, in: VL. III, Sp. 61-63. 20 Dazu B. Bischoff, Mittelalterliche Studien, III, S. 82f. 21 Man vergleiche die Angaben bei R. Bergmann, Die althochdeutsche Glossenüberlieferung des 8. Jahrhunderts, mit den oben in A. 5 genannten Aufstellungen. 22 R. Bergmann, Die althochdeutsche Glossenüberlieferung des 8. Jahrhunderts, S. 32. 23 Die althochdeutschen Glossen, I-V, Berlin 1879-1922, Nachdruck Dublin/ Zürich 1968-1969. 24 J. Schatz, ZDA. 43 (1899) S. 2.
Das Altostoberdeutsche
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neueres Material in Form von Griffeleinträgen zum Vorschein gekommen 25 , das noch nicht ausgewertet ist. Gegenüber dieser Quellengattung sind jedoch im bairischen Raum 2 6 , soweit zu sehen, die Glossen an Umfang und regionaler Streuung ungleich reichhaltiger. Die Ausschöpfung der namenkundlichen Quellen für das Frühbairische bleibt dennoch als Forschungsaufgabe bestehen 27 . Aus der geschilderten Quellenlage ergibt sich deutlich die Notwendigkeit der vorrangigen Beschäftigung mit den paläographisch noch ins 8. Jahrhundert weisenden Glossenhandschriften, da auf diese Weise zumindest die Chance besteht, an die Sprache dieser frühen Zeit anders als über Rekonstruktionen heranzukommen. Es soll damit nicht die Möglichkeit, sprachlich frühere Phasen in jüngeren Texten zu ermitteln, grundsätzlich in Frage gestellt werden. Die Existenz potentiell älterer Überlieferung sollte jedoch zunächst zu einer Prüfung dieser Quellen führen. Mit der vorliegenden Untersuchung der entsprechenden Freisinger Glossenhandschriften wird damit ein erster Schritt in Richtung auf die Auswertung dieses sprachgeschichtlich bedeutenden Materials getan. II. Der Schreibort Freising Die kulturgeschichtlich bedeutsame Rolle Freisings hängt im frühen Mittelalter mit seiner Funktion als zentralem Bischofssitz im Südwesten der bairischen Kirchenprovinz zusammen 28 . Bonifatius hatte im Jahre 739 an dem Ort, an dem sich mindestens seit der Mission des heiligen Korbinian Mönche aufhielten, das Bistum Freising, gelegen zwischen dem alten Bischofssitz Augsburg und Salzburg, als eines der vier bairischen Bistümer gegründet. Die vielfältigen Aufgaben eines Bischofssitzes brachten die Notwendigkeit der Anschaffung von Büchern sowie der Ausbildung von Schreibern mit sich. Allerdings liegen die Anfänge der schriftlichen Tätigkeit in Freising im dunkeln. Ob etwa Bonifatius Schreibermönche mitgebracht hatte, ist unklar 29 . 25 Das Verbrüderungsbuch von St. Peter, S. 16; B. Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen, II, S. 84. Weitere Eintragungen konnte ich bei einer Autopsie im November 1988 ermitteln. 26 Für das Alemannische vergleiche man D. Geuenich, in: Die historische Landschaft zwischen Lech und Vogesen, S. 129-135. 27 Dazu jüngst H. Tiefenbach, in: Ortsname und Urkunde, S. 60-96. 28 Man vergleiche hierzu und zum folgenden ausführlicher J. Maß, Das Bistum Freising im Mittelalter; J. Maß, Das Bistum Freising in der späten Karolingerzeit, Abschnitt 4 und 5; M. Hartig, Die Errichtung des Bistums Freising; außerdem H.-J. Busley, Die Geschichte des Freisinger Domkapitels, S. 16 - 19; A. W. Ziegler, in: LThK. IV, Sp. 351-353. 29 J. Maß, Das Bistum Freising im Mittelalter, S. 48.
Grundlegung
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Von den seit den vierziger Jahren des 8. Jahrhunderts regelmäßig angefertigten lateinischen Urkunden haben wir nur indirekt aus den Abschriften des 9. Jahrhunderts Kenntnis. Spätestens seit der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts ist aber von der Existenz einer Schreibschule auszugehen, die dann unter dem für seine literarischen Ambitionen bekannten Bischof Arbeo (a.764784) deutlich hervortritt 30 . Während seiner Amtszeit wird eine Gruppe von Schreibern mit einheitlichen Merkmalen faßbar, zu der auswärts ausgebildete hinzustoßen, wie etwa der Insulare Peregrinus, der als Schreiber einer der in die vorliegende Untersuchung einbezogenen Handschriften (Clm 6433) zu identifizieren ist31. Der Begriff der Freisinger Schreibschule kann sich dabei durchaus auf unterschiedliche Schreibstätten beziehen, die aber nicht als unabhängige Skriptorien faßbar sind. Er meint aber insbesondere die bischöfliche Schreibschule, die wohl mit der Domkirche St. Maria vereinigt war. Der Freisinger Schreibschule in diesem Sinne konnte B. Bischoff unter den uns überlieferten Beständen über 120 lateinische Handschriften des 8. und 9. Jahrhunderts gesichert zuordnen 32 . Der Aufbau eines Grundbestandes der Dombibliothek kann Bischof Arbeo zugeschrieben werden, der damit die Basis für die besondere Blüte von Bibliothek und Schreibschule im 9. Jahrhundert unter den Bischöfen Hitto (a.812 - 836) und Erchanbert (a.836-854) legte 33 . Dabei stand Freising offenbar gerade in früher Zeit mit anderen Schreiborten in Beziehung 34 , was die Beschaffung und Ausleihe von Büchern angeht, so etwa mit Regensburg und Salzburg, aber auch mit westfränkischen Skriptorien und mit Oberitalien 35 . Das Interesse galt dabei in der frühen Zeit, praktischen Zwecken folgend, zunächst den biblischen und liturgischen Büchern. Gerade unter Bischof Arbeo wird aber ein besonderes Interesse an den Werken der Kirchenväter, insbesondere Gregors des Großen, deutlich 36 . Arbeo wird darüber hinaus mit dem Althochdeutschen in Verbindung gebracht, insofern er, gemäß der oben angesprochenen Hypothese der Freisinger Entstehung des Abrogans, die Übersetzung dieses lateinisch-lateinischen 30
Hierzu vergleiche man B. Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen, I, S. 58-71. 31 B. Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen, I, S. 61f. mit A. 4, S. 73f., 75 sowie B. Bischoff, Mittelalterliche Studien, III, S. 24. 32 Die südostdeutschen Schreibschulen, I, S. 71-130; Die südostdeutschen Schreibschulen, II, S. 211-220. 33 Man vergleiche F. Brunhölzl, Die Freisinger Dombibliothek, S. 1-303; B. Bischoff, Bayerland 57 (1955) S. 387-391. 34 Man vergleiche M. Reuter, in: Freising, S. 667-771. 35 Hierzu besonders B. Bischoff, in: Il libro e il testo, S. 181-183. 36 Man vergleiche dazu F. Brunhölzl, Die Freisinger Dombibliothek, S. 33, 96.
Das Phänomen der Griffelglossierung
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Wörterbuchs initiiert oder gar daran mitgewirkt haben soll. G. Baesecke 37 sieht Bischof Arbeo auch noch als Initiator einer Glossierung von Gregors Evangelienhomilien. Gerade das alles ist aber nicht bewiesen, und es muß die folgende Untersuchung zeigen, in welche Zeit die in den ältesten Handschriften überlieferten althochdeutschen Glossen tatsächlich hinabreichen. Daß Freising ein Ort produktiver Glossierungstätigkeit gewesen sein muß, läßt sich daran ablesen, daß mindestens 55 Handschriften Freisinger Schriftheimat oder Provenienz bekannt geworden sind, die althochdeutsche Glossen enthalten 38 . Drei Viertel der Handschriften entfallen auf die Zeit vor dem zehnten Jahrhundert, wobei nach Ausscheidung derjenigen, die vermutlich jüngere oder nicht in Freising geschriebene Glossen enthalten, immer noch ein Bestand von 20 Glossenhandschriften übrigbleibt, die nach dem bisherigen Editionsstand etwa 1650 Glossen aufweisen. Bezüglich der Eintragungsweise ist bemerkenswert, daß in elf Handschriften, das heißt in mehr als der Hälfte, Griffelglossen vorliegen, wobei die schon bisher bekannte Zahl von gut 400 solchen Glossen durch die vorliegende Arbeit deutlich erhöht wird. Da die Eintragung mit dem Griffel offensichtlich für die frühe Freisinger Glossenüberlieferung charakteristisch ist, wird der eigentlichen Behandlung der Glossenhandschriften im folgenden ein allgemeines Kapitel zu dieser Überlieferungstechnik vorangestellt. III. Das Phänomen der Griffelglossierung Das Verfahren, Glossen mit einem Griffel, dem lateinischen stilus39, in die Pergamenthandschriften einzudrücken oder einzuritzen, hat bislang noch keine umfassende und systematische Betrachtung gefunden. In führenden mediävistischen Handbüchern wie beispielsweise dem Lexikon des Mittelalters wird die Griffelglossierung nicht einmal erwähnt 40 . Die Bemerkungen zu diesem Phänomen beschränken sich daher in den Einzelfällen zwangsläufig auf mehr oder weniger staunende Zurkenntnisnahme sowie Vermutungen über dessen Motivation. So wurde gelegentlich geäußert, die Eintragung mit dem Griffel sei zur Bewahrung der Schönheit der Handschrift erfolgt 41 , da-
37
Vor- und Frühgeschichte des deutschen Schrifttums, II, S. 184f.
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Man vergleiche die Aufstellung bei B. Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen, I, S. 71-153 mit R. Bergmann, Verzeichnis der althochdeutschen und altsächsischen Glossenhandschriften. 39 Zu diesem Gerät aus Holz, Bein, Bronze oder Silber vergleiche man Clavis mediaevalis, S. 224. 40 41
Man vergleiche aber Sachwörterbuch der Mediävistik, S. 318 (Griffel). So etwa J. C. Muller, in: R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (II), S. 64.
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Grundlegung
mit die Glossen nicht besonders hervortreten sollten42, oder es handele sich um flüchtige, unsystematische Eintragungen 43 , was alles erst einmal zu prüfen ist. Eine Untersuchung der Charakteristiken der Griffelglossen enthaltenden Handschriften ist daher dringend notwendig, um die Eintragungsweise im Einzelfall auf einem breiteren Hintergrund beurteilen zu können. Dabei stellt die folgende Betrachtung aus naheliegenden Gründen die althochdeutsche Glossen enthaltenden Handschriften in den Mittelpunkt, ohne allerdings die weitere Verbreitung dieser Technik und ihre Rahmenbedingungen aus den Augen zu verlieren. 1. Zur Forschungsgeschichte Obwohl bereits in der frühen Zeit der Glossenforschung die Glossierungsweise mit dem Griffel bekannt war44, hat es lange gedauert, bis diesen Glossen auch die nötige Aufmerksamkeit zuteil wurde. Entgegen der Behauptung J. Hofmanns 45 , in der umfassenden Glossenedition von E. Steinmeyer und E. Sievers fehlten sämtliche Griffelglossen, hat zwar auch E. Steinmeyer Griffelglossen gekannt und ediert 46 , aber es war doch erst B. Bischoff, der im Rahmen seiner paläographischen Studien systematisch auf die Existenz von Griffelglossen achtete. Eine erste Ausbeute aus sieben Handschriften edierte er bereits in einer frühen Veröffentlichung 47 . Diese Edition wurde zunächst ebensowenig von der Althochdeutschforschung beachtet wie später im Jahre 1950 die auf Aufzeichnungen B. Bischoffs beruhenden Mitteilungen W. Stachs 48 über Handschriften mit unveröffentlichten Glossen, unter denen 31 Handschriften mit Einritzungen genannt wurden. W. Stach selbst hat dann kurz darauf quantitativ und qualitativ allerdings weniger bedeutende Griffelglossen aus zwei Handschriften ediert 49 . Hinweisen und Spuren B. Bischoffs folgend hat wenig später auch H. Thoma Griffelglossen mitgeteilt 50 . Erstmals 42
So Clavis mediaevalis, S. 224. So H. Thoma, in: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, S. 580. 44 Man vergleiche B. J. Docen, ABGL. 7 (1806) S. 286, Nr. XII, zu einer Freisinger Handschrift der Cura pastoralis, dem Clm 6277, entsprechend StSG. IV, Nr. 345. 45 PBB. 85 (Halle 1963) S. 27 A. 2. 46 Man vergleiche StSG. II, S. 163 mit den Anmerkungen 2-9, 12, 13, S. 219 mit A. 10, S. 771 mit A. 1 sowie StSG. V, S. 27 mit A. 1 (Clm 4614, 6277, 18550a, Wien, ÖNB. Cod. 969), S. 105,25 und 31 (Düsseldorf F 1). 47 PBB. 52(1928) S. 153-168. 48 In: Liber Floridus, S. 11-18. 49 PBB. 73 (1951) S. 272 (St. Gallen, Stiftsbibliothek Hs.9); PBB. 73 (1951) S. 347f. (Clm 6308). 50 PBB. 82 (Halle 1961) S. 137; H. Thoma, PBB. 85 (Halle 1963) S. 222. 43
Das Phänomen der Griffelglossierung
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deutlicher ins Bewußtsein getreten ist die Griffelglossierung aber gewiß erst durch die umfangreiche, mit einer der beiden Editionen H. Thomas gleichzeitig veröffentlichte Studie J. Hofmanns 51 , der altenglische und althochdeutsche Glossen aus dem Bereich des angelsächsischen Missionsgebiets anhand von 41 Handschriften untersuchte, von denen allein 14 Griffelglossen enthalten. Diese wurden dabei auch erstmals ediert. Nach der Edition weiterer Griffelglossen aus 23 Handschriften, die mehr als zehn Jahre später H. Mayer im Rahmen seiner Publikation von Nachträgen 52 vorlegte, konnten die Griffelglossen als Quelle des Althochdeutschen nicht mehr übersehen werden. H. Mayer hatte in einem Vorbericht 53 außerdem eigens auf die Griffelglossen enthaltenden Handschriften hingewiesen. Welch reichhaltige Überlieferung hier im einzelnen noch verborgen sein kann, zeigte die von H. Mayer wenig später a.1982 im Rahmen einer sprachlichen Untersuchung veröffentlichte Edition der Glossen einer einzelnen Handschrift 54 . Auch H. Mayers und J. Hofmanns Studien gehen in wesentlichen Teilen auf Anregungen und Vorarbeiten B. Bischoffs zurück55, so daß die Entdeckung und Erforschung der althochdeutschen Griffelglossen letztlich mit dessen Namen verbunden bleibt. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß auch der Anglist H. D. Meritt bereits 1934 eine Reihe althochdeutscher Griffelglossen aus fünf Handschriften herausgegeben hat 56 , eine Edition, die aber ebenfalls lange Zeit nicht zur Kenntnis genommen wurde 57 . Er war auf anderem Wege, über die Beschäftigung mit altenglischen Glossen, wenige Jahre nach der genannten Veröffentlichung B. Bischoffs von 1928, die ihm bekannt war58, selbst bei seinen Überprüfungen auf Griffelglossierungen gestoßen und hatte dabei auch bis dahin unbekannte althochdeutsche Griffelglossen
51
PBB. 85 (Halle 1963) S. 27-131, 456. Althochdeutsche Glossen, 1974. 53 H. Mayer, FMSt. 7 (1973) S. 231. 54 D i e althochdeutschen Griffelglossen der Handschrift Ottob. Lat. 3295. Man vergleiche inzwischen auch H. Mayer, Die althochdeutschen Griffelglossen der Handschrift Salzburg. 52
55 Man vergleiche die Bemerkungen bei J. Hofmann, PBB. 85 (Halle 1963) S. 2729 sowie H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. XII. 56 AJPh. 55 (1934) S. 227-235. CT
t
Man vergleiche die Meldung von W. Stach, in: Liber Floridus, S. 13, über Unveröffentlichtes in der Handschrift St. Gallen, Stiftsbibliothek 217 sowie die irrtümliche Annahme E. Hermanns über unedierte Glossen, Scriptorium 18 (1964) S. 273 mit Α. 9. Noch M. Mitscherling, Die althochdeutschen Hieronymusglossen, bezieht sich nicht auf diese Edition, obwohl sie auch Hieronymusglossen enthält. 58 Man vergleiche H. D. Meritt, AJPh. 54 (1933) S. 306 A. 3; H. D. Meritt, AJPh. 55 (1934) S. 227 A. 2.
52
Grundlegung
entdeckt 59 . Auf die Entdeckungen H. D. Meritts geht auch die erst unlängst erfolgte Edition zweier Griffelglossen in der bereits als Trägerin von Griffelglossen bekannten Handschrift des sogenannten Maihinger Evangeliars 60 zurück. Inzwischen kann wohl davon ausgegangen werden, daß künftig zum einen bei der Überprüfung von Handschriften auch den Griffelglossen die nötige Aufmerksamkeit geschenkt wird und zum anderen die Griffelglossen auf der Basis der vorhandenen Editionen in sprachliche und kulturhistorische Untersuchungen mit einbezogen werden. Nachdem schließlich die Existenz der Griffelglossen ins allgemeine Bewußtsein gedrungen war, kam es in der Folgezeit zu weiteren Neuentdeckungen einzelner Glossen oder gar Glossenhandschriften 61 , darunter allerdings auch zu vermeintlichen Neuentdeckungen 62 . Mittlerweile sind, soweit zu sehen ist, 70 Handschriften bekannt geworden, die althochdeutsche Griffelglossen enthalten 63 , wobei allerdings in vier Fällen überhaupt (noch) keine Edition vorliegt 64 und in vielen Fällen die Editionen zu ergänzen und zu revidieren sein werden 65 . Hinsichtlich des Um59 Man vergleiche H. D. Meritt, AJPh. 54 (1933) S. 306; H. D. Meritt, AJPh. 55 (1934) S. 227. 60 J.-C. Muller, in: R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (II), S. 72f. Man vergleiche dazu H. D. Meritt, YAPhS. 1959 [1960], S. 542. 61 K. Grubmüller, ADA. 79 (1968) S. 104-112; H. Mayer, ABÄG. 13 (1978) S. 23; B. Kölling, Kiel UB. Cod.MS.K.B.145; K. Siewert, in: R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (II), 1985, S. Iii., 104, 106; K. Siewert, Glossenfunde, 1989, Art.l, 5, 6, 7, 14; und jüngst M. McCormick, Fivehundred unknown glosses, passim; W. Schulte, Die althochdeutsche Glossierung der Dialoge Gregors des Großen, S. 60, 69f., 72, 162, 181, 214, 277f.; H. Mayer, Die althochdeutschen Griffelglossen der Handschrift Salzburg, S. 34-90;. Man vergleiche auch H. Tiefenbach, in: R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (II), S. 117 zu altsächsischen Glossen. 62
So im Falle der bereits erwähnten Edition von E. Hermann, Scriptorium 18 (1964) S. 273, sowie derjenigen J. Spletts, PBB. 94 (Halle 1974) S. 77-79, die sich auf die bereits von G. Baesecke, Der deutsche Abrogane, S. 17, mitgeteilten, allerdings nicht richtig erkannten Einritzungen bezieht. 63 Zwei weitere Handschriften überliefern altsächsische Griffelglossen, die im übrigen schon Ende des letzten Jahrhunderts bekannt waren: Düsseldorf, HeinrichHeine-Institut Β 80 sowie F 1 (BV. 104, 105). Man vergleiche zu den Griffelglossen E. Wadstein, Kleinere altsächsische Sprachdenkmäler, S. 62-65, 93, 104, sowie H. Tiefenbach, in: Addenda und Corrigenda (II), S. 118. Das Essener Evangeliar (Essen, Münsterschatz) enthält nach H. Tiefenbach, ebenda, keine Griffelglossen. 64 Betroffen sind die Handschriften München Clm 9638, Clm 29354(i, deren Überprüfung zwar das Vorliegen einer Griffeleintragung ergeben hat, aber nicht die Sicherheit, daß es sich um althochdeutsche Glossen handelt, sowie Oxford, Bodleian Library MS. Laud Lat. 92 und MS. Laud misc. 263, deren Griffelglossen erst kürzlich entdeckt wurden. 65 Dazu vergleiche man die im folgenden Kapitel angeführten Beispiele sowie E. Glaser, in: Probleme der Edition, S. 10.
Das Phänomen der Griffelglossierung
53
fangs an Griffelglossenhandschriften und insbesondere an Griffelglossen sind also noch Veränderungen zu erwarten 66 . Allerdings dürfte auch die bis jetzt bekannte Anzahl bereits Aussagen über die Umstände der Griffelglossierung erlauben. Das momentan bekannte Material soll im folgenden zusammengestellt und einer ersten vergleichenden Betrachtung unterzogen werden 67 . 2. Die Handschriften mit althochdeutschen Griffelglossen Im folgenden werden alle Handschriften aufgelistet, von denen bisher mitgeteilt wurde, daß sie althochdeutsche Griffelglossen enthalten 68 . Altenglische, altsächsische und altniederfränkische Glossen enthaltende Handschriften sind nicht berücksichtigt, ebensowenig Handschriften, in die nur Namen eingeritzt wurden. Auch Handschriften mit Rötelglossen, die eine eigene Untersuchung erfordern, sind im folgenden nicht berücksichtigt, wenn auch zu sehen ist, daß die beiden Eintragungsarten im einzelnen, etwa bei Verwendung eines harten Rötels 69 , nicht immer scharf zu trennen sein werden. Unter Ausschluß noch zu prüfender Handschriften ergibt sich so ein Bestand von 70 Handschriften mit Griffelglossen, was gut fünf Prozent der Gesamtüberlieferung der Glossenhandschriften entspricht70. Die Liste soll anhand einiger ausgewählter Daten eine grobe Orientierung ermöglichen und kann eine geplante ausführliche Beschreibung nicht ersetzen. Jede Handschrift wird zunächst durch die Nummer des Glossenhandschriftenverzeichnisses 71 , Aufbewahrungsort und Signatur identifiziert 72 . 66
Laut Auskunft von Dr. Claudine Moulin-Fankhänel, Bamberg, finden sich beispielsweise in den Beständen der Bodleian Library in Oxford mehrere Handschriften mit Griffeleintragungen, deren sprachliche Einordnung allerdings noch zu prüfen ist. 67
Man vergleiche auch den auf dieser Basis erstellten Überblick in E. Glaser, Annali II (1992 [1994]) S. 119-136. 68 Ausgenommen Cod. Bon. 1 der Hessischen Landesbibliothek Fulda. D i e im Ausstellungskatalog Werdendes Abendland, S. 128, geäußerte Behauptung, der sogenannte Victor-Kodex enthalte althochdeutsche Griffelglossen, hat sich bis heute nicht bestätigen lassen. Man vergleiche J. Hofmann, PBB 85 (1963) S. 49 sowie R. Hausmann, D i e theologischen Handschriften, S. 3-7. 69
So etwa in der Würzburger Handschrift Universitätsbibliothek M.p.th. f.67, dazu J. Hofmann, PBB 85 (1963) S. 49. Zur Verwendung des Rötels vergleiche man allgemein B. Bischoff, Mittelalterliche Studien, I, S.88 A. 1. 70 Man vergleiche zum momentan bekannten Überlieferungsumfang von ca. 1230 althochdeutschen und altsächsischen Glossenhandschriften R. Bergmann, in: Internationale Fachkonferenz Textsorten und Textsortenkonventionen, [S. 2, im Druck],
71
R. Bergmann, Verzeichnis der althochdeutschen und altsächsischen Glossenhandschriften. 72 Eventuelle Abkürzungen entsprechen denjenigen bei R. Bergmann, ebenda.
54
Grundlegung
Dann werden Autor und Titel des Textes oder, mit Strichpunkt abgetrennt, der Texte genannt, in dem oder in denen sich die Griffelglossen befinden. Weitere unglossierte, zumindest nicht althochdeutsch oder nur mit Federglossen glossierte Texte werden nicht angegeben. Als nächstes folgt die Angabe der wahrscheinlichen Entstehungszeit des Codex, wobei im Falle voneinander abweichender Angaben, falls vorhanden, diejenigen B. Bischoffs oder jüngerer Untersuchungen genannt werden. Es wird hier also nichts über die Entstehungszeit der Glossen gesagt, über die in den meisten Fällen noch nichts bekannt ist. Allerdings wird eine Angabe in Klammern hinzugefügt, wenn die Eintragung der Glossen nach bisherigem Wissen in einem anderen Jahrhundert liegt. Die darauf folgende Provenienzangabe nennt die frühest ermittelbare Bibliotheksheimat, die als Eintragungsort der deutschen Glossen in Frage kommen könnte. Falls eine frühere oder spätere Eintragung der Glossen oder die Eintragung an einem anderen Ort begründet zu erwägen ist, erfolgt, mit Strichpunkt abgetrennt, eine entsprechende zusätzliche Angabe. Diese Angaben stimmen also nur zum Teil mit derjenigen der eigentlichen Schriftheimat der Handschrift überein, nämlich dann, wenn die Handschrift wahrscheinlich dort auch glossiert wurde. Ansonsten ist die eigentliche Schriftheimat nicht angegeben. In einigen Fällen bestehen bei der Datierung und Lokalisierung größere Unsicherheiten, was im Einzelfall kenntlich gemacht ist, etwa durch Fragezeichen oder mehrere mit Komma abgetrennte Angaben. Als letztes wird angegeben, wo die Griffelglossen publiziert sind. Die Editionen eventuell vorhandener Federglossen sind nicht genannt. Bei noch fehlender Edition wird auf die Quelle, aus der die Information über die Griffelglossen stammt, hingewiesen. Insgesamt stützen sich die hier zusammengetragenen Informationen außer auf die angegebenen Editionen vor allem auf verschiedene Arbeiten B. Bischoffs73 sowie weitere im Glossenhandschriftenverzeichnis R. Bergmanns 74 angegebene und jüngere einschlägige handschriftenkundliche Literatur 75 . Diese im folgenden zusammengestellten Daten dienen der ersten Orientierung über den Gesamtkomplex und sollen einer eigenständigen Behandlung des Themas nicht vorgreifen.
73 Besonders Die südostdeutschen Schreibschulen, I-II; B. Bischoff, Die Abtei Lorsch, S. 17-141; B. Bischoff - J. Hofmann, Libri Sancti Kyliani. 74 Verzeichnis der althochdeutschen und altsächsischen Glossenhandschriften. Man vergleiche auch R. Bergmann, Die althochdeutsche Glossenüberlieferung des 8. Jahrhunderts. 75 Hier sind vor allem zu nennen K. Bierbrauer, Die vorkarolingischen und karolingischen Handschriften; E. Kessler, Die Auszeichnungsschriften; A. Weiner, Die Initialornamentik. Zur Lokalisierung der Glossen der Handschrift BV. 355 ist H. Tiefenbach, Xanten - Essen - Köln, S. 306-308, zu vergleichen.
Das Phänomen der Griffelglossierung
55
Verzeichnis der Griflelglossenhandschriflen 15
Augsburg, Diözesanarchiv Hs. 10 Gregor d. Gr., Dialogi I-IV Anfang 9. Jh. Füssen, St. Mang H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 7f.; W. Schulte, Die althochdeutsche Glossierung der Dialoge Gregors des Großen, S. 58-61, 66f., 69f., 72f.
275
Augsburg, Universitätsbibliothek Ms. I, 2, 4°, 2 Evangeliar, Matthäus, Markus, Lukas I. Drittel 8. Jh. Echternach H. D. Meritt, JEGPh. 60 (1961) S. 442; J. Hofmann, PBB. 85 (Halle 1963) S. 38; J.-C. Muller, in: R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (II), S. 72f.
31
Basel, Öffentliche Bibliothek der Universität Basel F. III. 15c Isidor, Synonyma; S. Basilius, Admonitio ad Filium Spiritualem Ende 8. Jh. und 8./9. Jh. Fulda, angelsächsisches Missionsgebiet H. D. Meritt, AJPh. 55 (1934) S. 234f.
56
Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Ms. theol. lat. 2° 480 Gregor d. Gr., Homiliae in Ezechielem Anfang 9. Jh. Amorbach H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 11; K. Siewert, in : R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (II), S. 77
61
Bern, Burgerbibliothek Cod. 89 Gennadius, Liber de ecclesiasticis dogmatibus; Cánones conciliorum I. Viertel 9. Jh. Elsaß? H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 14-16
110
Einsiedeln, Stiftsbibliothek Cod. 18 (576) Adelpertus, Psalmenkommentar Ende 8. Jh. Einsiedeln? H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 27
130
Einsiedeln, Stiftsbibliothek Cod. 319 (645) kalendarische Notiz 10. Jh. Einsiedeln H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 28
168
Fulda, Dom-Museum I I / l Codex Ragyndrudis Faustus Reiensis, De ratione fidei; Pseudo-Ambrosius, Fides edita de Spiritu Sancto I. Hälfte 8. Jh. Fulda J. Hofmann, PBB. 85 (Halle 1963) S. 56
56
Grundlegung
173
St. Gallen, Stiftsbibliothek 9 Bibelglossar, Libri Regum (lateinisch-althochdeutsch) 2. Hälfte 9. Jh. St. Gallen W. Stach, PBB. 73 (1951) S. 272
177
St. Gallen, Stiftsbibliothek 49 Evangeliar, Lukas 2. Hälfte 9. Jh. St. Gallen H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 32
205
St. Gallen, Stiftsbibliothek 217 (S. 1-250) Gregor d. Gr., Cura pastoralis 8./9. Jh. St. Gallen H. D. Meritt, AJPh. 55 (1934) S. 233
298
Karlsruhe, Badische Landesbibliothek Aug. CXI Abrogans I. Drittel 9. Jh. Oberrheingebiet, Reichenau J. Splett, PBB. 94 (Halle 1974) S. 77
330
Kassel, Gesamthochschulbibliothek, Murh. und LB. 2° Ms. theol. 32 Gregor d. Gr., Cura pastoralis 2. Hälfte 8. Jh. (Glossen 9. Jh.?) Fulda J. Hofmann, PBB. 85 (Halle 1963) S. 128; K. Siewert, Glossenfunde, 5. 37-39
334
Kassel, Gesamthochschulbibliothek, Murh. und LB. 2° Ms. theol. 65 Hegesippus, De bello Iudaico 6. Jh. (Glossen 8./9.Jh.?) Fulda J. Hofmann, PBB. 85 (Halle 1963) S. 51f.
335
Kassel, Gesamthochschulbibliothek, Murh. und LB. 4° Ms. theol. 1 Cánones apostolorum et conciliorum Anfang 9. Jh. Maingebiet, Fulda J. Hofmann, PBB. 85 (Halle 1963) S. 128f.; K. Siewert, Glossenfunde, S. 39
338
Kassel, Gesamthochschulbibliothek, Murh. und LB. 8° Ms. theol. 5 Pseudo-Augustinus (Caesar v. Arles), Homiliae in Apocalypsim 8. Jh. (Glossen Anfang 9. Jh.) Fulda? J. Hofmann, PBB. 85 (Halle 1963) S. 127; K. Siewert, Glossenfunde, S. 39
Das Phänomen der Griffelglossierung 340
Kiel, Universitätsbibliothek Cod. MS. K.B. 145 Prudentius Anfang 11. Jh. Augsburg, St. Ulrich und Afra B. Kölling, Kiel UB. Cod. MS. K.B. 145, S. 77, 134
355
Köln, Dombibliothek CCXIII Cánones apostolorum et conciliorum Anfang 8. Jh. Köln?; Metz? J. Hofmann, PBB. 85 (Halle 1963) S. 43
468
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 3747 Pseudo-Hieronymus, Breviarium in psalmos 2. Viertel 9. Jh. Augsburg, Dombibliothek; vorher Regensburg, St. Emmeram H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 48f.
477
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 4542 Gregor d. Gr., Homiliae in evangelia Anfang 9. Jh. Benediktbeuern?, Südbayern H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 51-68; K. Siewert, Glossenfunde, S. 79
478
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 4549 Johannes Cassianus, Collationes, III 8./9. Jh., Anfang 9. Jh. Benediktbeuern/Kochel H. Thoma, PBB. 85 (Halle 1963) S. 222
479
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 4554 Vitae et passiones sanctorum Ende 8. Jh. Benediktbeuern H. D. Meritt, AJPh. 55 (1934) S. 232
488
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 4614 Gregor d. Gr., Cura pastoralis 8./9. Jh. Benediktbeuern/Kochel StSG. V, S. 27; B. Bischoff, PBB. 52 (1928) S. 156f.
501
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 6220 Bibel, Libri Regum I. Hälfte 9. Jh. Freising H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 70
57
58
Grundlegung
506
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 6233 Expositio super Matthaeum; Homiliae letztes Drittel 8. Jh. Freising (Glossen Tegernsee?) K. Siewert, Glossenfunde, S. 81f.
514
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 6263 Gregor d. Gr., Homiliae in evangelia um a.815 - a.825 Freising H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 72
516
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 6272 Hieronymus, Commentarius in Evangelium secundum Matthaeum I. Drittel 9. Jh. Freising H. D. Meritt, AJPh. 55 (1934) S. 232; E. Herrmann, Scriptorium 18 (1964) S. 273
518
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 6277 Gregor d. Gr., Cura pastoralis Anfang 9. Jh. Freising StSG. II, S. 163; B. Bischoff, PBB. 52 (1928) S. 158f.
521
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 6293 Gregor d. Gr., Dialogi I-IV (Exzerpte) Um a. 800 Freising H. D. Meritt, AJPh. 55 (1934) S. 228-232; W. Schulte, Die althochdeutsche Glossierung der Dialoge Gregors des Großen, S. 144-238
523
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 6300 Gregor d. Gr., Moralia in lob, libri II-V 2. Hälfte 8. Jh. Freising H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 74-79
524
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 6305 Hieronymus, Commentarius in Evangelium secundum Matthaeum letztes Viertel 8. Jh. Freising H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 80f.; K. Siewert, Glossenfunde, S. 84-88
525
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 6308 Orosius, Historiae adversum paganos I-IV 2. Hälfte 8. Jh. Freising W. Stach, PBB. 73 (Halle 1951) S. 347f.
Das Phänomen der Griffelglossierung
59
526
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 6312 Pseudo-Augustinus, Quaestiones in Vetus et Novum Testamentum vor a. 784 Freising H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 82
544
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 6433 Isidor, Synonyma, II 2. Hälfte 8. Jh. Freising H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 83
552
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 9638 Gregor d. Gr., Cura pastoralis 2. Hälfte 9. Jh. Ellwangen?; Oberaltaich nicht entziffert; man vergleiche H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. xix
576
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 14379 Gregor d. Gr., Homiliae in evangelia I Anfang 9. Jh. Murbach; Regensburg, St. Emmeram B. Bischoff, PBB. 52 (1928) S. 160-163
584
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 14425 Hieronymus, Expositio super Jeremiam Ende 8. Jh. Regensburg, St. Emmeram H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 89f.; K. Siewert, Glossenfunde, S. 89-93
590
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 14461 Isidor, De officiis I. Hälfte 9. Jh. Regensburg, St. Emmeram; Freising B. Bischoff, PBB. 52 (1928) S. 164
596
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 14510 (f. 76-186) Alcuin, De fide sanctae e individuae trinitatis, Invocatio ad ss. trinitatem et fidei symbolum, De trinitate ad Fredegisum quaestiones XXVIII 1. Viertel 9. Jh. Regensburg, St. Emmeram B. Bischoff, PBB. 52 (1928) S. 164-166
607
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 14727 (f.139-170) Theodulf v. Orléans, Capitula ad presbyteros parochiae suae Anfang 9. Jh. Regensburg, St. Emmeram, Bayern? H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 93
60
Grundlegung
652
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 18550a Gregor d. Gr., Cura pastoralis Ende 8. Jh. Tegernsee StSG. II, S. 219, A. 10; H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 97f.
653
München, Baerische Staatsbibliothek Clm 18556a Johannes Cassianus, Collationes, III um a. 1000 Tegernsee H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 99-103
693
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 27152 Pasturalis über; Gregor d. Gr., Cura pastoralis Anfang 9. Jh. Tegernsee, Südbayern H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 105
695
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 28118 Regula Sancti Benedicti (Benedikt v. Aniane, Regulae monasticae) I. Viertel 9. Jh. (Glossen 10 Jh.?) Trier, St. Maximin; Kornelimünster? K. Grubmüller, ADA. 79 (1968) S. 105
699
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 29354 (1 (früher 29017) Donat, Fragmente 10. Jh. Schäftlarn nicht entziffert; man vergleiche B. Bischoff, PBB. 52 (1928) S. 167
705
München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 29552 (1 (früher 29083(m)) Cánones conciliorum, Fragment 1. Hälfte 9. Jh. Pâssâu Β. Bischoff, PBB. 52 (1928) S. 168
730
Oxford, Bodleian Library MS. Laud Lat. 92 Bibel, Deuteronomium, Josua 2. Viertel 9. Jh. Würzburg; Fulda (Glossierung kaum schon in Fulda) unediert [Edition in Vorbereitung durch C. Moulin-Fankhänel, Bamberg]
735
Oxford, Bodleian Library MS. Laud misc. 263 Gregor d. Gr., Cura pastoralis 8./9. Jh. Mainz; Würzburg unediert [Hinweis von C. Moulin-Fankhänel, Bamberg]
774b
Paris, Bibliothèque Nationale lat. 9389 Evangeliar, Matthäus, Johannes um a. 700 Echternach J.-C. Muller, in : R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (II), S. 67, 69
Das Phänomen der Griffelglossierung
783
61
Prag, Metropolitni Kapitula u Sv. Vita 0. 83 (fol.A-130) Sakramentar Ende 8. Jh. Regensburg? B. Bischoff, in: A. Dold - L. Eizenhöfer, Das Prager Sakramentar II, S. 37, A. 2
792
Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana Ottob. lat. 3295 Cánones apostolorum et conciliorum; Halitgar, Paenitentiale; Hrabanus Maurus, Paenitentiale, De Consanquineorum nuptiis et de magorum prestigiis falsisque divinationibus; Theodulf v. Orléans, Capitulare ad presbyteros parochiae suae 9. Jh. Köln, Dombibliothek (Glossen Weißenburg?) H. Mayer, Handschrift Ottob. Lat. 3295, S. 20-115
793
Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana Pal. lat. 14 Bibel, Genesis 2. Viertel 9. Jh. Lorsch? H. Thoma, PBB. 82 (Halle 1961) S. 137
836b
Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana Pal. lat. 220 Sancti Faustini dicta; verschiedene religiöse Kleintexte Anfang 9. Jh. (Glossen 10. Jh.?) Lorsch K. Siewert, Glossenfunde, S. 147-154
836c
Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana Pal. lat. 1631 Vergil, Aeneis 5./6. Jh. (Glossen 9. Jh.) Lorsch? M. McCormick, Five hundred unknown glosses, S. 34, 47, 50, 56, 58, 60, 6365, 69, 71, 77f. Salzburg, Bibliothek der Erzabtei St. Peter a VII 2 Hieronymus, Commentarius in Evangelium secundum Matthaeum Ende 8. Jh. Salzburg, St. Peter H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 128; K. Siewert, in : R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (II), S. 104; H. Mayer, Die althochdeutschen Griffelglossen der Handschrift Salzburg, S. 34-90
839
866
Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek HB II 54 Acta Apostolorum; Epistolae canonicae, Prolog I. Drittel 9. Jh. Bodenseegebiet, St. Gallen? H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 135
62
Grundlegung
1051
Utrecht, Rijksmuseum Het Catharijneconvent, ms. ABM 150176 Evangeliar, Lukas, Johannes 2. Viertel 9. Jh. Nordostfrankreich E.P. van t'Hull-Vermaas, Nederlands kunsthistorisch jaarboek 1985. Deel 36, S. 21
928
Wien, Österreichische Nationalbibliothek Cod. 949 Gregor d. Gr., Cura pastoralis 1. Viertel 9. Jh. Salzburg, Dombibliothek H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 143; K. Siewert, in: R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (II), S. 106
930
Wien, Österreichische Nationalbibliothek Cod. 969 Aldhelm, De octo principalibus vitiis 9. Jh. Mainz?, Süddeutschland StSG. II, S. 771,1
977b
Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek Cod.Guelf.80.6.Augusteus 8° Virgil von Salzburg ?, Kosmographie des 'Aethicus Ister' 8./9. Jh. Regensburg, St. Emmeram; Salzburg? H. Mayer, ABÄG. 13 (1978) S. 33
978
Würzburg, Universitätsbibliothek M.p.th.f.3 Cánones apostolorum et conciliorum Anfang 9. Jh. Würzburg?, Fulda? J. Hofmann, PBB. 85 (Halle 1963) S. 79
979
Würzburg, Universitätsbibliothek M.p.th.f.5,2 Bibel, Isaias 28,25 - 66,24 2. Drittel 9. Jh. Würzburg J. Hofmann, PBB. 85 (Halle 1963) S. 112
980
Würzburg, Universitätsbibliothek M.p.th.f.13 Defensor Locogiacensis, Liber scintiÛarum letztes Viertel 8. Jh. Würzburg J. Hofmann, PBB. 85 (Halle 1963) S. 68f.
76
Es handelt sich um den bei Schützeichel, Addenda und Corrigenda, S. 16, nach H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. XVI, als Glossenhandschrift gemeldeten Codex Aartsbisschopelijke [!] Museum Nr. 156d, der Aufbewahrungsort und Signatur gewechselt hat. Die inzwischen erfolgte Edition hat ebenso wie eine erste Autopsie (23.3.1992) für mich keine völlige Klarheit darüber erbracht, ob es sich tatsächlich um Glossen im engeren Sinn und nicht doch um andere Eintragungen, wie z.B. Eigennamen, handelt.
Das Phänomen der Griffelglossierung
63
981
Würzburg, Universitätsbibliothek M.p.th.f.17 Augustinus, Enarrationes in psalmos 119-130 letztes Viertel 8. Jh. Würzburg J. Hofmann, PBB. 85 (Halle 1963) S. 70
989
Würzburg, Universitätsbibliothek M.p.th.f.45 Gregor d. Gr., Homiliae in evangelia, II Ende 8. Jh. (Glossen 9Jh.) (bei) Würzburg J. Hofmann, PBB. 85 (Halle 1963) S. 71
991
Würzburg, Universitätsbibliothek M.p.th.f.65 Evangeliar (mit Prologen und Capitula), Matthäus, Lukas 2. Viertel 9. Jh. (Glossen 9. und 10. Jh.) Würzburg? (Glossen kaum schon in Fulda) J. Hofmann, PBB. 85 (Halle 1963) S. 104
994
Würzburg, Universitätsbibliothek M.p.th.f.79 Isidor, Synonyma (1-2) 1. Hälfte bis Mitte 8. Jh. (Glossen frühes 9. Jh.) Würzburg (Glossen im Rhein-Main-Gebiet) J. Hofmann, PBB. 85 (Halle 1963) S. 60
996
Würzburg, Universitätsbibliothek M.p.th.f. 147 Bibel, Job, Judith 2. Drittel vor Mitte 9.Jh. Würzburg J. Hofmann, PBB. 85 (Halle 1963) S. 108
999
Würzburg, Universitätsbibliothek M.p.th.q.65 Gregor d. Gr., Dialogi I-IV Anfang 9. Jh. Mainz, Dombibliothek J. Hofmann, PBB. 85 (Halle 1963) S. 124; W. Schulte, Die althochdeutsche Glossierung der Dialoge Gregors des Großen, S. 275, 277f.
1009
Zürich, Zentralbibliothek Ms. Rh.20 Evangeliar, Matthäus, Markus, Lukas, Johannes um a. 850 Rheinau H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 149f.
3. Charakterisierung der Griffelglossenhandschriften Die Handschriften sollen nun nach verschiedenen Kriterien gruppiert werden, um so charakteristische Gemeinsamkeiten ermitteln zu können. Bezüglich der glossierten Texte gibt es wenig Bemerkenswertes. Wie auch bei der Glossierung mit der Feder nimmt die Glossierung der Bibel neben derjeni-
64
Grundlegung
gen der Werke der Kirchenväter breiten Raum ein77. Werke Gregors des Großen sind in 18 Handschriften glossiert. Die häufige Glossierung der Cura pastoralis Gregors des Großen, in neun Handschriften 78 , entspricht durchaus dem gewohnten Bild. Die in der Häufigkeit folgende Glossierung von Canoneshandschriften schließt sich ebenfalls den bekannten Verhältnissen an. Allerdings sind in einer Reihe von Handschriften Texte glossiert, zu denen, soweit zu sehen ist, keine weitere Glossierung existiert. Es handelt sich dabei um die Handschriften Basel, ÖBU. F.III. 15c, Bern, BB. Cod. 89, Einsiedeln, Stiftsbibliothek cod. 18 (576), Fulda, Dom-Museum II/l, Kassel, Gesamthochschulbibliothek, Murh. u. LB. 2° Ms. theol. 65, 8° Ms. theol. 5, München, BSB. Clm 6312, 14425, 14510 und Rom, BV. Ottob. Lat. 3295. Die betroffenen Texte lassen auf den ersten Blick keinen besonderen Zusammenhang untereinander oder Abgrenzungsmöglichkeiten von mit der Feder glossierten Texten erkennen. Die Beurteilung des Zusammenhangs von Text und Eintragungstechnik muß daher einer Prüfung der Glossierung im einzelnen und der Beziehungen zu anderen Glossierungen vorbehalten bleiben. Das Kriterium des Textbezugs als solches scheint also keine Charakterisierung der Griffelglossierung zu erlauben, so daß nach weiteren Klassifikationen zu suchen ist. B. Bischoff etwa hat im Zusammenhang seiner frühen Edition 79 vermutet, daß Griffelglossen in Handschriften verschiedenster Provenienz vorkommen, wiewohl ihm bis dahin nur welche aus Freising, St. Emmeram in Regensburg und Benediktbeuern bekannt geworden waren. Der Verteilung nach Provenienzen kann nun auf breiterer Grundlage nachgegangen werden. Dabei ergibt sich das erstaunliche Ergebnis, daß mehr als ein Drittel, nämlich 23 Handschriften, eben diese drei Provenienzen aufweisen. Das entspricht kaum einer zufälligen Verteilung. Im übrigen läßt sich bei den später ermittelten Handschriften eine deutliche Konzentration auf die wahrscheinlich auch als Glossierungsort in Frage kommenden Provenienzen Würzburg und Fulda mit zusammen mindestens 13 Handschriften feststellen. Unter den Einzelorten steht im Hinblick auf die Handschriftenprovenienz Freising an der Spitze mit 11 Handschriften (München BSB. Clm 6220; Clm 6233?; Clm 6263; Clm 6272; Clm 6277; Clm 6293; Clm 6300; Clm 6305; Clm 6308; Clm 6312; Clm 6433). Dann folgen Würzburg und Regensburg mit zehn beziehungsweise acht, teilweise allerdings unsicher zuzuordnenden Handschriften (Würzburg: Oxford, BL. MS. Laud Lat. 92; MS. Laud misc. 263?; Würzburg UB. 77
Zu bisher glossierten Texten vergleiche man hauptsächlich StSG., für jüngere Editionen daneben die allerdings nicht ganz zuverlässige Aufstellung bei StWG. S. 862-877 sowie S. Lllf. 78 BV. 205, 330, 488, 518, 552, 652, 693, 735, 928. 79 PBB. 52 (1928) S. 154.
Das Phänomen der Griffelglossierung
65
M.p.th.f.3?; M.p.th.f.5,2; M.p.th.f.13; M.p.th.f.17; M.p.th.f.45; M.p.th.f.65?; M.p.th.f.79; M.p.th.f.147; Regensburg: München, BSB. Clm 3747?; Clm 14379?; Clm 14425; Clm 14461?; Clm 14510; Clm 14727; Prag, Metropolit™ Kapitula u Sv. Vita 0. 83; Wolfenbüttel, HAB. Cod. Guelf. 80.6. Augusteus 8°). Die Provenienzen sind allerdings nicht in allen Fällen als Glossierungsort gesichert, wie man der obigen Aufstellung entnehmen kann. Diese Zahlen an sich, ohne die Relation zur Gesamtüberlieferung zu betrachten, beweisen natürlich ohnehin noch keinen besonderen Zusammenhang zwischen Schreibort und Eintragungsweise. Betrachtet man jedoch im Vergleich mit dem an der Spitze stehenden Freising die Verhältnisse in dem zweifellos überlieferungsreichen St. Gallen, so fällt doch die dort wesentlich geringere Zahl an Griffelglossierungen deutlich ins Auge. Umgekehrt stellen die 6 bis 7 Griffelglossenhandschriften innerhalb der Überlieferung Fuldas (Fulda, Dom-Museum I I / l ; Basel, ÖBU. F. III. 15c; Kassel, Gesamthochschulbibliothek, Murh. u. LB. 2° Ms. theol. 32; 2° Ms. theol. 65; 4° Ms. theol. 1; 8° Ms. theol. 5 und eventuell Würzburg UB. M.p.th.f.3), die im übrigen zumeist nicht in Fulda geschrieben, aber wahrscheinlich dort glossiert wurden, eine beachtliche Quantität dar. Bei Betrachtung aller Überlieferungsorte, die natürlich nicht immer mit den Schreiborten der Glossen zusammenfallen, läßt sich feststellen, daß Griffelglossen auf Handschriften aus dem bairischen und fränkischen Raum konzentriert sind, daß umgekehrt der alemannische Raum nur in geringem Maße mit Griffelglossen hervortritt. Adäquater als diese generalisierende Aussage ist aber die Feststellung, daß einzelne Schreibzentren in besonderem Maße mit der Griffelglossierung verbunden sind, da auch innerhalb des bairischen und fränkischen Raumes Schreibzentren ohne eine nennenswerte Anzahl an Griffelglossenhandschriften existieren. Bemerkenswert bleibt aber in jedem Fall die schwache Vertretung des alemannischen Raumes. Die Konzentration der Überlieferung auf bestimmte Schreiborte und ihr Fehlen an anderen kann mit einer weiteren Charakteristik der Griffelglossierung zusammenhängen. Die Technik der Griffelglossierung ist offensichtlich ein Phänomen der frühen Überlieferungszeit. Zwar ist die Mehrzahl der Griffelglossen selbst bislang nicht datiert, doch läßt sich ihr konzentriertes Vorkommen in vor a.900 entstandenen Handschriften kaum anders interpretieren. Es sind nur vier althochdeutsche Griffelglossen enthaltende Handschriften bekannt, die im 10. oder 11. Jahrhundert entstanden sind. Das sind die Handschriften Einsiedeln, Stiftsbibliothek cod. 319 (645), Kiel, UB. Cod.MS. K.B. 145 sowie Clm 29354 (1 und Clm 18556a, wobei nur im Falle der letzten Handschrift aus Tegernsee auch eine umfangreiche Glossierung betroffen ist. Aus späterer Zeit sind bisher keine Griffelglossierungen entdeckt worden, offensichtlich im Unterschied zu den altenglischen Verhältnis-
66
Grundlegung
sen 80 . Wären die Glossierungen in der Regel erst in späterer Zeit in die alten Handschriften eingetragen worden, so müßte auch eine größere Zahl der nach a.900 entstandenen Handschriften betroffen sein. Das schließt natürlich in Einzelfällen nicht aus, daß die Griffelglossen erst lange nach der Entstehung der Handschrift eingetragen sein können. Zumindest generell ist aber zu erwarten, daß die Griffelglossen eine relativ alte Sprachschicht bieten. Um hier klarer zu sehen, müssen neben paläographischen Studien vor allem auch sprachliche Untersuchungen angestellt werden. In den Fällen, in denen bisher Aussagen zur Entstehungszeit der Griffelglossen vorliegen, wird jedenfalls die Vermutung einer relativ frühen Überlieferungsschicht bestätigt. Insbesondere steht fest, daß zu den ältesten Glossenzeugnissen Griffelglossen gehören. Ihre Zugehörigkeit zur ältesten Schicht ist auch daran abzulesen, daß unter den von R. Bergmann zusammengestellten 49 potentiellen Überlieferungsträgern des 8. Jahrhunderts fast die Hälfte, nämlich 23, Griffelglossen enthalten 81 . Abgesehen von den oben genannten vier Fällen, in denen die Griffelglossen naturgemäß nicht vor dem 10. Jahrhundert eingetragen sein können, wurde bisher nur für die Handschriften Clm 28118, Rom Pal.lat.220 und Würzburg M.p.th.f.65 von den jeweiligen Editoren eine von der Entstehungszeit der Handschrift abweichende Eintragung der Glossen im 10. Jahrhundert angenommen oder erwogen. Umgekehrt wird aber in einigen Fällen eine Eintragung der Glossen noch im 8. Jahrhundert angenommen oder zumindest für wahrscheinlich erklärt. Das gilt insbesondere für die aus dem angelsächsischen Missionsgebiet stammenden Handschriften 82 Augsburg, UB. Ms. 1,2,4°,2, Paris, BN. lat. 938983, Köln, Dombibliothek CCXIII, Fulda, Dom-Museum II/l, Würzburg, UB. M.p.th.f.13, M.p.th.f.17. Die in der Augsburger (ehemals Harburger) und Kölner Handschrift enthaltenen Glossen werden bislang als die ältesten original überlieferten althochdeutschen Glossen, die möglicherweise noch weit ins achte Jahrhundert zurückreichen, angesehen 84 . Ein noch früherer Ansatz
80
Man vergleiche H. D. Meritt, Old English Glosses, S. xi-xviii. Man vergleiche R. Bergmann, Die althochdeutsche Glossenüberlieferung des 8. Jahrhunderts, S. 11-29 mit der obigen Liste. 82 Man vergleiche die Aufstellung bei J. Hofmann, PBB. 85 (Halle 1963) S. 32. Die althochdeutschen Glossen der Handschrift Kassel, Gesamthochschulbibliothek, Murh. und LB. 2° Ms. theol. 65 scheint J. Hofmann, ebenda S. 50, für jünger zu halten. 83 Hierzu vergleiche man J.-C. Muller, in: R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (II), S. 71. 84 Dazu R. Bergmann, Die althochdeutsche Glossenüberlieferung des 8. Jahrhunderts, S. 31. 81
Das Phänomen der Griffelglossierung
67
der Glossen der Pariser Handschrift BN. lat. 9389 85 ist kaum begründet 8 6 . Zweifellos sind weitere Handschriften vorhanden, deren Glossen aus paläographischen oder sprachlichen Gründen zumindest noch in das ausgehende 8. Jahrhundert gehören könnten, die aber bislang noch keine gründliche Berücksichtigung gefunden haben, wie etwa die Handschrift Prag, Metropolitni Kapitula u Sv. Vita 0. 83, Salzburg, St. Peter a VII 2 87 und der in der vorliegenden Studie behandelte Clm 6300 88 . Immerhin finden sich unter den nach R. Bergmann uneingeschränkt dem 8. Jahrhundert zuzuweisenden 36 Handschriften 18, die Griffelglossen enthalten 89 . Charakteristisch für die frühen Handschriften und eventuell bedeutsam für die Frage der Anfänge dieser Glossierungsweise und damit der Glossierung überhaupt ist die Tatsache, daß die althochdeutschen Glossen zum Teil im Verein mit altenglischen Glossen überliefert sind. Das gilt für die bereits genannten Handschriften Augsburg, UB. Ms. 1,2,4°,2, Köln, Dombibliothek CCXIII, Fulda, Dom-Museum I I / l sowie Kassel, Gesamthochschulbibliothek, Murh. u. LB. 2° Ms. theol. 65, Würzburg, UB. M.p.th.f.79, die allesamt dem angelsächsischen Missionsraum angehören. Die Glossierung mit dem Griffel war im angelsächsischen Raum sowie nachweislich bereits im 7. Jahrhundert im irischen Kulturkreis 90 geläufig und könnte daher von den angelsächsischen Missionaren vermittelt worden sein. Dazu ist zu bedenken, daß in damaliger Zeit Griffel und Wachstafel als Schreibgerät und Beschreibstoff in ständigem Gebrauch waren 91 , da man für flüchtige Notizen und Aufzeichnungen ebensowenig wie für Übungen in der Schule kostbares Pergament zur Verfügung hatte. Insbesondere bei Mönchen ist daher mit dem Vorhandensein von Tafel und eben auch Griffel zu rechnen 92 , während Feder und Tinte nur an bestimmten Plätzen zur Verfügung standen. Die auf dem Hintergrund 85
So J.-C. Muller, in: R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (II), S. 71. Zumindest nicht durch Schriftvergleich mit den doch wohl späteren Eintragungen des Calendarium S. Willibrordi. Man vergleiche L. Levillain - Ch. Samaran, BECh. 99 (1938) S. 257. 86
87
Nach der inzwischen erschienenen Studie von H. Mayer, Die althochdeutschen Griffelglossen der Handschrift Salzburg, S. 106, 117, sind die Glossen in das frühe 9. Jahrhundert zu datieren. 88 Man vergleiche R. Bergmann, Die althochdeutsche Glossenüberlieferung des 8. Jahrhunderts, S. 21, 25f. 89 Man vergleiche die Angaben bei R. Bergmann, Die althochdeutsche Glossenüberlieferung des 8. Jahrhunderts, S. 31 mit der obigen Liste der Griffelglossenhandschriften. 90
Man vergleiche dazu B. Bischoff, Mittelalterliche Studien, I, S. 211. Man vergleiche W. Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter, S. 51-89, 219-222, besonders S. 222 sowie Clavis mediaevalis, S. 264. 91
92
Man vergleiche W. Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter, S. 63, 68.
68
Grundlegung
dieser üblichen Verwendung naheliegende Glossierungstechnik 93 kann sich dann von den angelsächsischen Zentren aus verbreitet haben. In den ostoberdeutschen Raum könnte sie aber auch über irische Einflüsse, die von Personen wie Bischof Virgil von Salzburg ausgingen, gekommen sein, wobei allerdings die Iren die Griffelglossierung trotz ihrer frühzeitigen Verwendung anscheinend nicht dauerhaft pflegten. Grundsätzlich ist die Griffelglossierung aber nicht an die volkssprachige Glossierung gebunden. Das zeigt sich in den Anfängen der frühesten irischen Glossierungstätigkeit 94 ebenso wie in einer Reihe von althochdeutschen Glossenhandschriften, die auch, und teilweise sogar überwiegend, lateinische Griffelglossierung aufweisen, wie zum Beispiel der genannte Vatikanische Codex Pal. lat. 1631. Auch die Untersuchung lateinischer Griffelglossen wird erst allmählich aufgenommen, so daß hierüber noch wenig Informationen bestehen 95 . Bisher ist zumindest kein Fall bekannt geworden, in dem in einer Handschrift Griffel- und Federglossierung funktional auf Sprachen bezogen getrennt worden wären, wie es R. I. Page 96 für denkbar hält. Wenn sich Latein und Althochdeutsch in dieser Weise differenzieren, ist eher von einer unterschiedlichen Glossierungsschicht auszugehen. Umgekehrt läßt sich bei der Griffelglossierung ebenso wie auch bei der Federglossierung abwechselnde lateinische und althochdeutsche Glossierung beobachten. In der Mehrzahl der Handschriften stellen die althochdeutschen Griffelglossen nicht die einzige sprachliche Eintragung dar, sondern treten gemeinsam mit Federglossen auf, wie im Clm 6277 und weiteren etwa 20 Handschriften, oder mit lateinischen Glossen, wie etwa in der Handschrift Rom, BV. Ottob. lat. 3295, oder mit altenglischen Glossen, wie in den oben genannten Handschriften des angelsächsischen Missionsgebiets. Allerdings gibt es auch Handschriften, die nichts als althochdeutsche Griffelglossen enthalten, wie etwa der im folgenden untersuchte Clm 6300. Dem momentanen Informationsstand entsprechend gilt das für insgesamt etwa 20 Handschriften. In bezug auf die Nennung lateinischer Glossierung sind die Angaben in der Sekundärliteratur aber häufig wegen der erwähnten bisherigen Vernachlässigung des Phänomens nicht zuverlässig, so daß sich bei genauerer Prüfung der Handschriften die Zahl derjenigen, die nur althochdeutsche Griffelglossen enthalten, reduzieren mag. Die verschiedenartige Glossierung dokumentiert die mehr oder weniger intensive Benutzung der Handschriften. Selbst neben
93 94 95
Dazu B. Bischoff, Mittelalterliche Studien, I, S. 88. Man vergleiche hierzu D. N. Dumville, in: Anglo-Saxon Glossography, S. 62. Mittlerweile ist M. McCormick, Five hundred unknown glosses, zu verglei-
chen. 96
Anglia 97 (1979) S. 28.
Das Phänomen der Griffelglossierung
69
vereinzelten Griffelglossen sind meistens noch weitere Eintragungen, wie etwa lateinische Textkorrekturen, zu beobachten. Das gilt auch für den ansonsten extremen Fall der Handschrift Würzburg UB. M.p.th.f.17 mit, soweit bisher bekannt, einer einzigen althochdeutschen Griffelglosse. In der Regel liegen aber entweder mehrere althochdeutsche Glossen vor, oder die althochdeutsche Griffelglosse wird von anderen Glossierungen begleitet. Was die Zahl der althochdeutschen Griffelglossen angeht, gibt es große Unterschiede zwischen den Handschriften. Außerdem ist hier der momentane Informationsstand sicher noch nicht endgültig. Das haben die in den letzten Jahren veröffentlichten Nachträge 97 sowie die Autopsie verschiedener Handschriften in Bibliotheken in Augsburg, Basel, Bern, St. Gallen, Rom, Salzburg, Wien, Zürich und München gezeigt. Immerhin läßt sich bereits sagen, daß einige Griffelglossenhandschriften einen großen Glossenbestand aufweisen. An der Spitze stehen eine Handschrift vermutlich nordoberrheinischer Schriftheimat (Rom, BV. Ottob. lat. 3295) mit 570 entzifferten Glossen sowie eine Benediktbeurer Handschrift (Clm 4542) mit etwa 400 entzifferten Griffelglossen. In beiden Handschriften ist die dem 9. Jahrhundert zuzurechnende Glossierung eigentlich wohl noch umfangreicher. Da aber auch lateinische Glossen eingetragen sind, läßt sich nicht genau sagen, wie viele unentzifferte althochdeutsche Glossen vorliegen. Zu dieser quantitativen Spitzengruppe läßt sich nach meinen vorliegenden Untersuchungen nunmehr auch der Clm 6300 mit 370 zumindest teilweise entzifferten und weiteren knapp 80 vermutlich althochdeutschen Glossen zählen, die aller Wahrscheinlichkeit nach in Freising eingetragen wurden. In der Glossierung dieser Handschrift ist außerdem ein relativ früher, eventuell noch an das 8. Jahrhundert heranreichender Sprachstand repräsentiert. An vierter Stelle bezüglich der Zahl der Glossen ist eine weitere Freisinger Handschrift zu nennen, Clm 6293, mit 174 Griffelglossen, die ebenfalls noch einer frühen Sprachschicht 98 , wenn auch nicht an diejenige des Clm 6300 heranreichend, angehören. Über 100 entzifferte Glossen sind dann noch aus dem jüngeren Tegernseer Clm 18556a bekannt sowie knapp 100, deren Eintragungsort noch nicht geklärt ist, im Clm 14379. Nach den bislang publizierten Editionen sind allerdings in etwa 40 Handschriften weniger als 5 Griffelglossen vorhanden. In
97
Man vergleiche besonders R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (II) sowie K. Siewert, Glossenfunde. 98 Das läßt sich allein schon aus den undiphthongierten vorahd. / ö / und /è/ schließen, die nicht, wie H. D. Meritt, AJPh. 55 (1934) S. 228 A. 15 meint, erlauben, bis in den Beginn des zehnten Jahrhunderts zu datieren. Eine kommentierte Edition dieser Handschrift, allerdings ohne sprachliche Untersuchung, ist mittlerweile von W. Schulte, Die althochdeutsche Glossierung der Dialoge Gregors des Großen, vorgelegt worden.
70
Grundlegung
diesem Punkt sind jedoch mit Sicherheit Korrekturen zu erwarten, wie etwa die nachfolgende Bearbeitung des Clm 6312 sowie die kürzlich erfolgte Publikation zahlreicher Glossen der Handschrift Salzburg, St. Peter a VII 2 durch H. Mayer" zeigt, die diese mit einer ebenfalls relativ frühen Glossierung an die oben aufgestellte Spitzengruppe anschließt. Genauere Auflistungen und Vergleiche erscheinen daher im Moment noch verfrüht. Eine Beobachtung läßt sich allerdings aufgrund der vergleichsweise guten Editionsverhältnisse der Würzburger Handschriften noch anschließen. Die Würzburger Überlieferung bietet mit insgesamt etwa 30 entzifferten Glossen nur eine geringe quantitative Ausbeute gegenüber der schon jetzt absehbaren Menge Benediktbeurer, Freisinger, Regensburger und Tegernseer Griffelglossen 100 . Dieser Befund verstärkt noch einmal den Eindruck, die althochdeutsche Griffelglossierung sei ein Phänomen, das sich nach der Initiierung im Bereich der frühen angelsächsischen Mission in fränkischem Gebiet seit dem Ende des 8. Jahrhunderts insbesondere auf einige südostoberdeutsche Schreiborte konzentriert und dort besonders im neunten Jahrhundert, aber auch noch darüber hinaus, gepflegt wird. In diesem Einflußbereich kommt es dann sogar zu der Eintragung einer alt(kirchen)slavischen Glossierung neben lateinischen Glossen in die Regensburger Canoneshandschrift Clm 14008. Dieser Fall ist allerdings singulär geblieben 101 . Auch sonst sind außer den genannten altkeltischen und altenglischen Glossen keine (nicht-lateinischen) Griffelglossen bekannt geworden. Diese Feststellung ist auf dem Hintergrund der mittelalterlichen volkssprachigen Glossierungstätigkeit überhaupt zu sehen. Das Phänomen der Glossierung ist nicht grundsätzlich an die Aneignung christlich-lateinischer Kultur durch die keltischen und germanischen Völker gebunden. Es erlebte aber auf antiker Tradition aufbauend hierbei eine besondere Blüte 102 . Frühe volkssprachige Glossierung tritt im Kontakt mit einer Schriftsprache auf, zu der von der Volkssprache aus kein Kontinuum 99 Die althochdeutschen Griffelglossen der Handschrift Salzburg; zuvor angekündigt durch H. Mayer, ABÄG. 24 (1986) S. 246, sowie H. Mayer, MMV. 3 (1986) Nr. 3, S. 14. 100 Eventuell ist diese Einschätzung der Würzburger Überlieferung nach einer Sichtung des Oxforder Bestandes mehr oder weniger stark zu korrigieren. Man vergleiche oben A. 66. 101 Man vergleiche dazu F. Zagiba, Das Geistesleben der Slaven, S. 217 sowie W. Lettenbauer, OChP. 18 (1952) S. 246-269, dessen Hypothese einer Eintragung in Mähren noch weiterer Untermauerung bedürfte. 102 Man vergleiche H. Thoma, in: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, I, S. 583, außerdem Goetz, in: Paulys Realencyclopädie, 7,1, Sp. 1433-1466 und M. F., in: Der kleine Pauly, II, Sp. 816-821 zur antiken Glossierung, sowie M. Lapidge, in: LMA. IV, Sp. 1508-1510 zur mittellateinischen Glossierung, sowie weiter P. Schmitt, in: LMA. IV, Sp. 1510f, und H. Gneuss, in: LMA. IV, Sp. 1513f.
Das Phänomen der Griffelglossierung
71
führt wie im Falle der romanischen Sprachen 103 . In romanischsprachiger Umgebung wurde dafür noch längere Zeit das Lateinische selbst benutzt. Das Lesen lateinischer Texte zum Erlernen des Lateinischen sowie zum Erfassen des jeweiligen Textinhalts wurde dagegen in germanischsprachiger Umgebung durch volkssprachige Notizen unterstützt, die man in den jeweiligen Text eingetragen hat. Zur Erfassung der genauen Funktion der volksprachigen Glossierung wäre es aber nötig, in verstärktem Maße kontrastierend die lateinische Glossierung mit zu untersuchen. Die Glossierung mit dem Griffel ist dann lediglich ein Sonderfall der Glossierung überhaupt, der schon früh neben der Glossierung mit der Feder auftritt. Sie erklärt sich grundsätzlich dadurch, daß der Griffel als Universalschreibwerkzeug jederzeit zur Verfügung stand 104 . Schließlich sind ja abgesehen von der ursprünglichen Liniierung 105 in die Codices nicht nur Glossen mit dem Griffel eingetragen worden, sondern auch Textkorrekturen, -ergänzungen und Kommentare, tironische Noten, marginale Hinweis- und Merkzeichen, Interpunktionszeichen als Lesehilfe, Zahlen zur Seiten- oder Lagenzählung, zeichnerische Skizzen 106 , Kritzeleien 107 , Besitzvermerke und Namen 1 0 8 . Manche Eintragungstypen sind bisher vielleicht auch noch nicht bemerkt und jedenfalls nicht erläutert worden, so etwa die c-artigen Ritzungen über zahlreichen Textwörtern in dem Züricher Codex Ms. Rh. 20 109 . Auf dem Hintergrund dieser allgemeinen Verwendung ist natürlich erklärlich, daß auch vereinzelte Griffelglossen an Orten auftreten können, die keine Tradition der Griffelglossierung besitzen, in deren Handschriften aber durchaus Griffeleintragungen verschiedenster Art feststellbar sind. Als Bei-
103
Man vergleiche zu den Verhältnissen der romanischen Sprachen C. Tagliavini, Einführung in die romanische Philologie, S. 367-373 mit A. 4, sowie A. Gier, in: LMA. IV, Sp. 1511-1513, Sp. 1511 zur Zwischenstellung der Reichenauer Glossen. 104
Zur 'Natürlichkeit' der Glossierung mit dem Griffel R. Derolez, in: AngloSaxon Glossography, S. 38 A. 116. 105 Man vergleiche dazu D. Frioli, in: Lo spazio letterario del medioevo, I, S. 309-311, sowie O. Mazal, Lehrbuch der Handschriftenkunde, S. 69, 76. 106 Man vergleiche eine entsprechende Abbildung aus dem Codex Vat. Pal. Lat. 3-5 bei W. Berschin, Die Palatina in der Vaticana, S. 19. 107 Zu den genannten Eintragungen vergleiche man die Behandlung der Codices Clm 6300, Clm 6305 und Clm 6312 in der vorliegenden Untersuchung. 108
Man vergleiche hierzu die Ausführungen bei B. Bischoff, Mittelalterliche Studien, I, S. 91f., wo auch weitere Beispiele für einige der zuvor genannten Eintragungstypen genannt sind. Zu entsprechenden Beobachtungen an altenglischen Glossenhandschriften vergleiche man R. I. Page, in: Otium et negotium, S. 209f. 109 Sie wurden bei einer Autopsie auf der Suche nach althochdeutschen Griffelglossen im Oktober 1988 festgestellt.
72
Grundlegung
spiel mag die St. Galler Handschrift Stiftsbibliothek 49 gelten, die voll mit Griffelkritzeleien ist und mehrfach lateinischen Text marginal wiederholt. Als eine der weit verbreiteten Textwiederholungen erklärt sich damit auch die isolierte Griffelglossierung in der Abroganshandschrift Karlsruhe, BLB. Aug. CXI, die also keine Glossierung im eigentlichen Sinn darstellt. Griffelglossierungen mögen somit unterschiedlichen Funktionen dienen. Sie können der schnellen Notiz einzelner schwieriger, seltener oder im Zusammenhang wichtiger Wörter bei der Textlektüre dienen, sie können aber auch deutlicher auf einzelne sprachliche Phänomene ausgerichtet sein und grammatische Formen oder syntaktische Konstruktionen betreffen. Grammatisches Interesse im Verein mit spontaner Aufzeichnung kann zu der gelegentlich zu beobachtenden abkürzenden Glossierung durch Angabe des Wortendes geführt haben. Ein Überblick über die nunmehr bekannten Handschriften scheint aber B. Bischoffs ursprüngliche Annahme, Griffelglossierung neige in besonderem Maße zu abkürzender Glossierung nicht direkt zu bestätigen. Ein klärender Vergleich mit Kürzungssystemen bei Federglossen und Interlinearversionen 110 steht aber noch aus, so daß über ihre Funktion noch nichts zu sagen ist. Bei einer allgemeinen Betrachtung ist außerdem zu berücksichtigen, daß auch altenglische Griffelglossenhandschriften mit Abkürzungssystemen bekannt sind111. Ein Hinweis darauf, daß Griffelglossen etwa besonders gern in schulischem Zusammenhang gebraucht worden seien, hat sich nirgends ergeben. Zumindest dürfte das nicht in stärkerem Maße, als ohnehin für die Glossierungstätigkeit angenommen wird112, gelten. Die Eintragungstechnik der Griffelglossen, die sie in den Zusammenhang manchmal recht individueller, momentaner Eintragungen, wie Kritzeleien oder Zeichnungen, stellt, deutet darauf hin, daß wir es im allgemeinen tatsächlich mit originalen sprachlichen Zeugnissen zu tun haben 113 . Der Glossator wird an den Stellen glossiert haben, an denen er im Moment des vielleicht auch wiederholten - Lesens die Notwendigkeit einer Klärung in der
110
Dazu erstmals grundlegend L. Voetz, Sprachwissenschaft 12 (1987) S. 166-
179. 111
Man vergleiche etwa H. D. Meritt, AJPh. 57 (1936) sowie R. I. Page, in: Otium et negotium, S. 210-214. 112 Man vergleiche hierzu N. Henkel, Deutsche Übersetzungen lateinischer Schultexte, S. 65f., 71f.; A. Schwarz, in: Sprachgeschichte, I, S. 1058, sowie E. Glaser, in: Teoria e pratica della traduzione, S. 182f., 204; außerdem zu der im angelsächsischen Bereich geführten Kontroverse über den Schulbuchcharakter glossierter Codices R. I. Page, in: Anglo-Saxon Glossography, S. 77-95. 113 So vermutete bereits B. Bischoff, PBB. 52 (1928) S. 155.
Das Phänomen der Griffelglossierung
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Volkssprache verspürte 114 . Dadurch ist aber natürlich nicht ausgeschlossen, daß er durch bereits bekannte Glossierungen beeinflußt wurde oder gar vorliegende Glossierungen in seine Handschrift übernahm. Keinesfalls kann kategorisch behauptet werden, daß Griffelglossierung stets Originalüberlieferung biete 1 1 5 . Ein abschriftlicher Charakter, wie ihn H. Mayer für die Glossen der Vatikanischen Handschrift Ottob. lat. 3295 116 annimmt, ist damit also durchaus vereinbar, auch wenn insgesamt dieser Fall nicht allzu häufig gewesen sein dürfte 1 1 7 . Als Sonderfall ist die bereits erwähnte Wiederholung von Glossen auf derselben Seite zu betrachten, die allein noch nicht Grund genug wäre, den generell originalen Charakter der Griffelglossierung zu bezweifeln 118 . Ein weiterer interessanter Sonderfall liegt in der Griffelglossierung des St. Galler Codex, Stiftsbibliothek 9, vor, wo einem lateinisch-althochdeutschen Glossar zwei in Parallelglossierungen 119 belegte Wortpaare hinzugefügt wurden, die Griffeleintragung also auch das lateinische Lemma umfaßt. Eine solche Glossarergänzung läßt sich gut mit den erläuterten Funktionen der Griffeleintragung vereinbaren, während die abschriftliche Zusammenstellung eines ganzen Glossars tatsächlich kaum denkbar wäre. Um die Frage der Originalität zu klären, müssen aber noch Untersuchungen zu Griffelglossenhandschriften und ihrer Einbindung in Glossierungstraditionen unternommen werden. Die vorliegende Untersuchung der Freisinger Codices deutet jedenfalls auf relativ isolierte Glossierungsunternehmungen. Die Verwendung des Griffels, um die Schönheit der Codices zu bewahren, ist auf diesem Hintergrund als primäres Motiv wenig wahrscheinlich. Dieser Gedanke mag einem bei der Betrachtung aufwendig und sorgfältig geschriebener Evangeliare, wie dem sogenannten Maihinger Evangeliar (BV. 15), kommen. Bei der Mehrzahl der Codices handelt es sich jedoch um mehr oder weniger schmucklose Handschriften, die in manchen Fällen durchaus als Gebrauchshandschriften gedacht gewesen sein mögen, wie etwa im Fall der zahlreichen Handschriften der Cura pastoralis Gregors des Großen. Zumindest läßt sich diesbezüglich kein Unterschied zwischen Handschriften mit 114 So beurteilt M. Lapidge, in: Latin and the vernacular languages, S. 125, auch entsprechende lateinische Glossen: "dry point glosses do indeed seem to reflect the ad hoc responses of individual readers to textual difficulties." 115 So noch R. Bergmann, Mittelfränkische Glossen, S. 90 und J.-C. Muller, in: R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (II), S. 71. 116
Handschrift Ottob. Lat. 3295, S. 118.
117
Man vergleiche aber auch M. McCormick, Five hundred unknown glosses, S. 27, wo abschriftliche Überlieferung zumindest für einige Glossen wahrscheinlich gemacht wird. 118
So J. Splett, in: Mittelhochdeutsches Wörterbuch, S. 112.
119
Man vergleiche StSG. II, 431,49; 51 mit Verweisen.
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Grundlegung
Griffelglossierung und solchen mit Federglossierung erkennen. Gerade in Bezug auf die umfangreiche Glossierung einzelner Codices kann aber auch nicht von flüchtiger, unsystematischer Eintragung die Rede sein, wenn das auch für einen gewissen Teil der Handschriften zutreffen mag. 4. Zur Technik der Griffelglossierung und ihrer Entzifferung Daß die Griffelglossen besondere technische Probleme der Entzifferung bieten, zeigt schon ihre Entdeckungsgeschichte. Zum einen hat es lange gedauert, bis man überhaupt auf sie aufmerksam wurde 120 , zunächst nur in Handschriften, die auch Federglossen überliefern. Zum anderen hat man aber auch lange Zeit Griffelglossen in solchen Handschriften übersehen, die wiederholt Objekt wissenschaftlicher Beschäftigung gewesen waren 121 . Das bedeutet, daß Griffelglossen in der Regel nur bei gezielter Prüfung entdeckt werden können. Es bedeutet nicht, daß sie durchweg schlecht lesbar sind 122 , wenn das auch für eine größere Anzahl gilt. Die Lesbarkeit hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie der Art der Eintragung, der Beschaffenheit der Handschrift, ihrem Erhaltungszustand, den Lichtverhältnissen bei der Entzifferung sowie letztendlich auch der Übung dessen, der sie entziffern möchte. Die einzelnen Faktoren sollen kurz besprochen werden. Gemeinsam ist allen Griffelglossen lediglich die Eintragung mit Hilfe des Griffels. Die Eintragung kann nun mit mehr oder weniger Krafteinsatz geschehen, und in Abhängigkeit vom Zustand des Griffels und der Art des Pergaments entsteht so der Eindruck des Eindrückens oder Einritzens. In Wechselwirkung mit der konkreten Beschaffenheit des Pergaments ergeben sich unterschiedlich gut lesbare Eintragungen. Bei eingedrückten Glossen kann der Eindruck sehr schwach gewesen sein, und dadurch können sie im Laufe der Jahrhunderte, etwa unter dem durch Einbandschließen ausgeübten Druck, zumindest teilweise wieder verschwunden sein. Bei der Einritzung dagegen kommt es häufiger vor, daß die Ritzung nur unvollständig ist, als sei der Griffel über Maserungen im Pergament hinweggesprungen. Grundsätzlich sind Griffelglossen in rauhem Pergament schwerer zu erkennen, da sie 120
Man vergleiche R. Derolez, in: Anglo-Saxon Glossography, S. 39, zur Forschungsgeschichte des Altenglischen, die wohl a.1900 die erste Griffelglossenedition aufweist. 121 So etwa in dem bei B. Bischoff, PBB. 52 (1928) S. 153, genannten bemerkenswerten Fall des Clm 14510, dem Textzeugen des Freisinger Paternoster. Zu vergleichen ist das mit ähnlich gelagerten Fällen die Namenüberlieferung betreffend, etwa im Salzburger Verbrüderungsbuch. Dazu E. Hermann, Scriptorium 18 (1964) S. 273. 122 So kann etwa der Codex Pal. lat. 220 (Biblioteca Vaticana) als Beispiel einer überdurchschnittlich gut lesbaren Glossierung gelten.
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mit den natürlichen Maserungen und Schattenbildungen, und diese mit ihnen, verwechselt werden können. Insbesondere sind auch Verwechslungen mit Spuren der Pergamentbearbeitung möglich123. Schwer lesbar sind Glossen auch auf dünnem Pergament, auf dem womöglich noch die Schrift der Rückseite durchscheint, zumal es sich in diesen Fällen verständlicherweise zumeist um nur schwach eingedrückte Glossen handelt. Im allgemeinen sind Eintragungen mit großen Buchstabenformen schwerer zu lesen, da die Erfassung eines Gesamteindrucks erschwert ist. Allerdings gibt es auch besonders kleine Eintragungen mit gedrängten Buchstabenformen, die erhebliche Schwierigkeiten für die Entzifferung bieten können 124 . Übereinstimmend wird von allen, die sich bisher aufgrund eigener Erfahrung zur Entzifferung von Griffelglossen geäußert haben 125 , darauf hingewiesen, daß die Lichtverhältnisse von entscheidender Bedeutung für deren Erkennbarkeit seien. Insbesondere ist ein schräger Lichteinfall notwendig, um die Glossen besser lesen oder in einzelnen Fällen überhaupt entdecken zu können. In vielen Fällen muß der Lichteinfall variiert werden. Das erklärt sich unter anderem durch die unterschiedliche Haltung des Griffels bei der Eintragung. Bei diffusem Licht, ohne die Möglichkeit der Schattenbildung, sind Griffelglossen oft überhaupt nicht zu erkennen. Besondere Schwierigkeit bieten daher solche Glossen, die am inneren Rand eingetragen sind, da straffere Neubindungen im Rahmen von Restaurationen oft ein weites Aufschlagen verhindern und so die Arbeit mit Licht und Schatten unmöglich ist126. Meiner eigenen Erfahrung nach, in Übereinstimmung mit den Beobachtungen H. Mayers 127 , ist das beste Hilfsmittel eine Taschenlampe, die beliebige Variation des Lichteinfalls erlaubt, zumal die Handschriften in der Regel aus konservatorischen Gründen nicht dem Sonnenlicht ausgesetzt werden dürfen 128 .
123
Man vergleiche die Bemerkungen E. Wadsteins, Kleinere altsächsische Sprachdenkmäler, S. 63 A. 21, S. 64 A. 1, 24, zu Lesungen J. H. Gallées. 124 So etwa teilweise in der Handschrift Rom, Biblioteca Vaticana, Pal. lat. 1631. Man vergleiche dazu die Abbüdungen in natürlicher Größe bei M. McCormick, Five hundred unknown glosses, Tafel 15. 125
A. S. Napier, Old English Glosses, S. xxxiii; B. Bischoff, PBB. 52 (1928) S. 154; H. D. Meritt, AJPh. 54 (1933) S. 306; H. D. Meritt, AJPh. 55 (1934) S. 227; H. D. Meritt, Old English Glosses, S. vii-ix; J. Hofmann, PBB. 85 (Halle 1963) S. 31 A. 1; R. I. Page, Anglia 97 (1979) S. 28f.; M. McCormick, Five hundred unknown glosses, S. 8 mit Anmerkung 15. 126 So etwa im Falle des Codex Salzburg, St. Peter a VII 2, nach der Neubindung im Jahre 1988. 127
Die althochdeutschen Griffelglossen der Handschrift Ottob. Lat. 3295, S. 12. H. D. Meritt, AJPh. 55 (1934) S. 227, empfiehlt eine Untersuchung "in plenty of daylight" und erklärt sogar (Old English Glosses, S. ix), für ihn sei es unmöglich, sie bei elektrischem Licht zu lesen. 128
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Grundlegung
Nur in seltenen Fällen, wenn ein metallhaltiger Griffel benutzt wurde, kann die Benutzung einer Ultraviolettlampe von Nutzen sein129. Zusätzlich erleichtert oft eine Lupe, auch bei genügend großen Buchstabenformen, die Entzifferung, da in der Vergrößerung die Umrisse deutlicher erscheinen und außerdem die Augen bei der Konzentration auf Einzelheiten entlastet werden. Übereinstimmend wird auch berichtet, was nur zu bestätigen ist, daß es notwendig ist, die Glossen mehrfach in Augenschein zu nehmen 130 . Ein einmaliger Versuch der Lesung führt bei der großen Menge der nicht völlig eindeutig lesbaren Glossen zu einer zu hohen Zahl an falschen Lesungen oder Behauptungen über die Unmöglichkeit der Entzifferung. Das wird jeder bestätigen können, der eigene Aufzeichnungen verschiedener Entzifferungsversuche miteinander vergleicht. Dadurch erklärt sich auch die häufige Notwendigkeit von Korrekturen 131 . Wünschenswert wäre sicher in vielen Fällen der Vergleich zunächst unabhängig gewonnener Lesungen zweier Experten, von denen es allerdings nur ganz wenige gibt, worauf H. Mayer 132 zu Recht hinweist. Die Veröffentlichung von Lesungen, die auf einer einmaligen Autopsie basieren, kann, von wenigen klaren Fällen abgesehen, mehr Schaden stiften als nützen, wenn nämlich die Unsicherheit nicht deutlich gemacht wird und die Glossen damit als ediert gelten 133 . In jedem Fall sollte also, wie R. I. Page es fordert 134 , klargestellt werden, unter welchen Bedingungen der Autopsie der Editor gearbeitet hat und wieviel Zeit ihm zur Verfügung stand, so daß die Verläßlichkeit der Edition zumindest unter diesem Gesichtspunkt abzuschätzen ist. Bei der Beurteilung der Sammeledition H. Mayers 135 etwa, die ja 148 Handschriften einschließt, muß der speziellen Entstehungsgeschichte Rechnung getragen und zumindest bei den Griffelglossen mit Korrekturen und Ergänzungen von vornherein gerechnet werden.
129
Man vergleiche dazu H. Mayer, Die althochdeutschen Griffelglossen der Handschrift Ottob. Lat. 3295, S. 12. 130 H. D. Meritt, YAPhS. 1959 [I960], S. 543, berichtet, eine Handschrift mehrere Wochen immer wieder untersucht zu haben. Ebenso H. D. Meritt, AJPh. 57 (1936) S. 140, sowie JEGPh. 60 (1961) S. 442, III, S. 444, VI ('For about three weeks I worked at reading the glosses'). Ähnliche Zeitangaben macht auch M. McCormick, Five hundred unknown glosses, S. V. 131 Man vergleiche etwa die unten bei der Behandlung des Clm 6305 angeführten Fälle, in denen eine Korrektur K. Siewerts an H. Mayer wiederum korrigiert werden muß. 132 Die althochdeutschen Griffelglossen der Handschrift Ottob. Lat. 3295, S. 12f. 133 Daher auch die an die Lexikographen gerichtete Warnung R. I. Pages vor unbestätigten Griffelzeugnissen, in: Studies in English Language, S. 113. 134 Anglia 97 (1979) S. 29. 135 Althochdeutsche Glossen.
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Nicht auszuschließen ist zwar, daß in Zukunft technische Verfahren entwickelt werden, die es erlauben, Griffelglossen in größerer Objektivität sichtbar zu machen, im Moment gibt es jedoch noch kein solches Verfahren, das die Fähigkeiten des menschlichen Auges überträfe. In Zusammenarbeit mit dem Doerner-Institut an der Alten Pinakothek in München konnte ich verschiedene Verfahren erproben, wobei Aufnahmen unter Schräglicht mit dem Elektronenmikroskop die besten Ergebnisse brachten 136 . Im günstigsten Falle jedoch ist eine Wiedergabe erreichbar, die die Lesung bestätigt. Wirklich problematische Fälle sind damit nicht zu lösen. Bereits leicht gewelltes Pergament, was häufig vorkommt, bereitet für die statische fotografische Einstellung enorme Schwierigkeiten. Die bisher veröffentlichten Versuche, Griffelglossen fotografisch wiederzugeben 137 , zeigen ebenfalls deutlich, daß das keine Alternative zur Entzifferung mit Auge und Lampe darstellt. So gilt weiterhin, was B. Bischoff schon im Jahre 1928 schrieb 138 , daß es zur Entzifferung der Griffelglossen "guter äugen, eines ruhigen blicks und vor allem geduld" bedarf. Für die Edition von Griffelglossen ergibt sich damit aus dem Gesagten die Konsequenz, daß weit mehr als in sonstigen Fällen üblich die dargebotenen Lesungen paläographisch kommentiert werden müssen. Zum einen erleichtert das dem Benutzer die Beurteilung eventuell sprachlich bedenklicher Lesungen und kann ihm bei der Interpretation beziehungsweise notwendigen Konjekturen helfen. Zum andern wird dadurch aber auch, falls nötig, eine erneute Prüfung des handschriftlichen Befundes ermöglicht, da die eigene Lesung dann mit dem Mitgeteilten verglichen werden kann und so Fehlerquellen ermittelt werden können. Bei der Korrektur bereits edierter Lesungen sollte daher nach Möglichkeit auch die Quelle der Fehllesung angegeben werden. Vorbildlich sind in diesem Punkt die Kommentare J. Hofmanns 1 3 9 , der detailliert die Unsicherheiten der Lesungen beschreibt. Durch Vergleich seiner Angabe, das c in der Glosse lane sei fraglich 140 , mit meinen eigenen 136
Man vergleiche die Anlage am Schluß der Arbeit mit dem Beispiel einer gut lesbaren Glosse (Clm 6300, Nr. 195). Inzwischen hat auch M. McCormick 16 Tafeln mit fotografischen Abbildungen veröffentlicht, die in entsprechender Technik in Zusammenarbeit mit der Fotostelle der Biblioteca Vaticana hergestellt wurden. Für mündliche Informationen hierzu danke ich dem Präfekten der Bibliothek, Pater Leonard Boyle. 137 So etwa bei J. Splett, PBB. 94 (Halle 1974) S. 79, einmal ohne und einmal mit Graphitstaub, was ohnehin aus konservatorischen Gründen selten erlaubt wird, sowie F. Zagiba, Das Geistesleben der Slaven, Abb. 18. Die bisher besten Abbüdungen finden sich bei M. McCormick, Five hundred unknown glosses, nach S. 97. 138
PBB. 52 (1928) S. 154.
139
PBB. 85 (Halle 1963) passim.
140
Ebenda, S. 42, Nr. 27.
Grundlegung
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Aufzeichnungen, die als letzten Buchstaben η angeben, wird eine Korrektur der Glossenlesung zu lan möglich. Allerdings scheint mir seine formale Unterscheidung von undeutlichen Buchstaben (mit untergesetztem Punkt), schwachen Spuren (in Spitzklammern) und unentzifferbaren Zeichen (Doppelpunkt) 141 nicht grundsätzlich durchführbar und auch nicht nötig, da diese Fälle ohnehin besprochen werden 142 . Deutlicher sollte jedoch unterschieden werden zwischen Fällen, in denen eine Lesung fraglich ist und solchen, in denen fraglich ist, ob hier überhaupt ein Buchstabe vorhanden ist. Das zeigt das gerade angeführte Beispiel, in dem nur indirekt, aufgrund fehlender Alternativangaben, erschlossen werden kann, daß die Existenz des Buchstabens überhaupt fraglich ist. Hilfreich ist bei interlinearer Eintragung auch, etwa für die Beuteilung der Vollständigkeit einer Glosse an Anfang und Ende, die Angabe der genauen Positionierung der Einritzung relativ zu dem lateinischen Text, wie es in den unten folgenden Editionen praktiziert wird 143 . In Ausnahmefällen, wenn die verbale Beschreibung zu umständlich wäre oder wenn sie allein nicht imstande ist, unklare Verhältnisse adäquat wiederzugeben, kann auch auf die Methode der Nachzeichnung zurückgegriffen werden 144 , die aber ebenfalls bereits als Interpretation verstanden werden muß und nicht mit dem Befund selbst verwechselt werden darf. Im übrigen kann in begrenztem Maße natürlich auch auf die üblichen paläographischen Charakterisierungen der Buchstaben und der Schrift zurückgegriffen werden, etwa die Angaben, ob offenes a, unziales d, insulares g oder r vorliegt. Der Hinweis auf das Vorkommen solch charakteristischer Formen kann für das Erkennen von Fehllesungen und ihre Korrektur äußerst hilfreich sein, abgesehen von der Möglichkeit, Datierung und Lokalisierung zu erleichtern. Generell gilt allerdings, daß Griffelglossen aufgrund der technisch bedingten Verzerrung der Buchstabenformen nicht genauer datiert und lokalisiert werden können, es sei denn es liegen charakteristische Abkürzungen oder Ligaturen vor, auf die die Eintragungstechnik keinen Einfluß hat. B. Bischoff äußerte sich jedenfalls wiederholt 145 skeptisch zur Möglichkeit einer
141
Ebenda, S. 31. Man vergleiche etwa ebenda, S. 56f. die ähnlich gearteten Kommentare zu den Glossen Nr. 39 und 41, wo in einem Fall Spitzklammern, im anderen Doppelpunkte verwendet wurden. 143 Zu paläographischen Angaben bei der Edition vergleiche man E. Glaser, in: Probleme der Edition althochdeutscher Texte, S. 12f., 15f. 144 So praktiziert von J. Hermann, Scriptorium 18 (1964) S. 273 und J.-C. Muller, in: R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (II), S. 70, allerdings mehr zur Illustration und ohne zwingenden Grund. Zur Wiedergabe anderer Einritzungen vergleiche man auch L. Levillain - Ch. Samaran, BECh. 99 (1938) S. 251. 145 Etwa PBB. 52 (1928) S. 154 sowie mündlich (21.9.1988). 142
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genaueren paläographisch gewonnenen Datierung von Griffeleinträgen. Eine grobe Einordnung kann jedoch insbesondere bei nicht bloß vereinzelten Glossen durchaus möglich sein, worauf M. McCormick gleichfalls unter Berufung auf B. Bischoff hinweist 146 . Die Frage der paläographischen Bestimmung von Griffelglossen wird damit von Fall zu Fall entschieden werden müssen.
146
M. McCormick, Five hundred unknown glosses, S. 7 mit Α. 14.
C. Frühe Glossenhandschriften aus Freising I. Clm 6300 (BV. 523) 1. Die Handschrift a. Beschreibung Im folgenden wird eine detaillierte Handschriftenbeschreibung des Clm 6300 gegeben, da der Codex bisher noch keine ausführliche Berücksichtigung in Handbüchern und sonstiger Sekundärliteratur gefunden hat. Eine erste Kurzbeschreibung hat die Handschrift im Handschriftenkatalog der Bayerischen Staatsbibliothek 1 gefunden, in der sie dem 9. Jahrhundert zugeordnet wird. L. Traube 2 hat sie in seine paläographischen Untersuchungen ohne nähere Begründung als deutsche Handschrift der karolingischen Epoche einbezogen. Eine erste genauere Beschreibung wird dieser Handschrift von B. Bischoff in seiner grundlegenden Darstellung der frühmittelalterlichen südostdeutschen Skriptorien 3 gewidmet, wo als Entstehungszeit die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts genannt wird. Weitere Angaben sind dann in dem paläographischen Sammelwerk Codices latini antiquiores 4 zusammengestellt, das die Handschrift dem ausgehenden 8. Jahrhundert zuschreibt. Im Laufe der Zeit hat B. Bischoff noch verschiedene Präzisierungen beigesteuert 5 . Die knappen Angaben in H. Mayers Edition althochdeutscher Glossen 6 beruhen gänzlich auf den Angaben B. Bischoffs. Eine zusammenfassende Kurzcharakterisierung als Glossenhandschrift bietet R. Bergmann 7 . Kurze Berücksichtigung unter vorwiegend inhaltlichem Aspekt findet die Handschrift in der bibliotheksgeschichtlichen Untersuchung F. Brunhölzls 8 . Unter kunsthistori-
1
Catalogus Codicum Latinorum, 111,3, Nr. 679, S. 88. Nomina Sacra, S. 220. 3 Die südostdeutschen Schreibschulen, I, 1974 (1. A. 1940), S. 142f. 4 CLA. IX, Nr. 1266 (1959); Supplement, S. [63], 5 Die südostdeutschen Schreibschulen, II, S. 222 (nur Verweis auf CLA.); B. Bischoff, Mittelalterliche Studien, III, S. 31f. und A. 132; B. Bischoff, Scriptorium 22 (1968) S. 310; Β. Bischoff, in: Il libro e il testo, S. 181. 6 Althochdeutsche Glossen, S. 74. 7 Die althochdeutsche Glossenüberlieferung des 8. Jahrhunderts, S. 21. 8 Die Freisinger Dombibliothek, S. 59f. 2
Clm 6300
81
schem Gesichtspunkt wird der Clm 6300 von K. Holter 9 kurz charakterisiert, ausführlicher beschreibt ihn K. Bierbrauer 10 , die ihn wiederum auf das Ende des 8. Jahrhunderts datiert. Nennung und Zuweisung ins 8. Jahrhundert, unter Hinweis auf die Codices Latini antiquiores, erfährt der Codex auch in der Handschriftenliste der Textedition des Corpus Christianorum 11 . Textträger: Die in der Bayerischen Staatsbibliothek in München aufbewahrte Pergamenthandschrift Clm. 6300 12 enthält 158 Blätter. Vorne und hinten ist je ein modernes Pergamentblatt zum Schutz mit eingebunden. Der verschmutzte, ursprünglich helle Ledereinband weist vorne und hinten ein durch doppelte Streicheisenlinien erzeugtes Rautenmuster (Rhombus und darüberliegendes Andreaskreuz) mit quadratischer Umrahmung auf. Der Einband war bislang nicht näher bestimmt worden 13 . Nach der jüngsten Zuweisung durch J. Vézin 14 stammt er jedoch vermutlich aus dem Freising des 9. Jahrhunderts. Er wurde später restauriert. Erkennbar ist, daß ursprünglich am hinteren Deckel ein Kettenband befestigt war. Der Codex war außerdem mit einer Schließe versehen. Der Einbandrücken trägt zwischen dem zweiten und dritten Bund auf aufgeklebtem Papier die handschriftliche Signatur Cod. Fris. 100, zwischen drittem und viertem Bund die spätere Signatur Cod. lat. 6300. Auf dem vorderen Einband sind oben quer Reste eines aufgeklebten Pergamentstreifens zu erkennen. Dieser war über eine nicht mehr lesbare ältere zweizeilige Eintragung geklebt. Die Blattgröße beträgt 26,5 χ 19,5cm15, der Schriftspiegel 21-22,5cm χ 14,5-15,5cm 16 . Die Handschrift ist zweispaltig angelegt, wobei die äußere Spalte durchwegs und häufig beträchtlich schmaler ist. Der Schriftspiegel ist außen durch zwei vertikale Blindlinien und innen durch jeweils eine begrenzt. Auch die Zeilen sind mit Griffel vorliniert. Die Linierung ist teilweise
9
K. Holter, in: Karl der Große, III, S. 93-94 und A. 26. K. Bierbrauer, Die vorkarolingischen und karolingischen Handschriften, Nr. 264, S. 139f. 11 CCh. 143, S. XXII. 12 Die folgenden Angaben beruhen auf wiederholter Autopsie der Handschrift und sind mit denjenigen der Sekundärliteratur verglichen und kombiniert. 10
13 G.D. Hobson, The library 19 (1938) S. 223, bildet einen ähnlich gestalteten Freisinger Einband vermutlich des 10. Jahrhunderts, allerdings mit Stempelverzierung, ab. 14 15
J. Vézin, in: Scire litteras, S. 401.
So auch B. Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen, I, und CLA. IX, Nr. 1266. Die Breite liegt tatsächlich zwischen 19 und 19,5cm. K. Bierbrauer, Die vorkarolingischen und karolingischen Handschriften, Clm 6300, nennt 19cm. 16 Die Zahlen sind auf 0,5cm abgerundet.
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Frühe Glossenhandschriften aus Freising
von Einstichlöchern und kleinen Rissen begleitet. Liniert wurden die Lagen jeweils auf einmal, bevor sie gefaltet wurden, wobei einmal das äußere, einmal das innere Doppelblatt die Linierung aufweist. Jede Seite der Handschrift weist einen Kolumnentitel in Unzialbuchstaben, links liber (oder lib, lib), rechts die Ordinalzahl des betreffenden Buches 17 auf. Gelegentlich, etwa bei freigelassenen Seiten, fehlt der Titel. Teilweise ist er falsch, etwa fol. 44r lib, teilweise ausgebessert, etwa fol. 6r aus lib dann seed. Teilweise steht lib zusammen mit der Zahl auf derselben Seite, etwa fol. 7r, fol. 49r, fol. 96r. Auf fol. 50v steht Expt als Titel, fol. 5 Ir dann liber quartus. Auf fol. 58r sind jeweils liber und quartus wiederholt, mit etwas anderer Tinte und in der Form quartu, ebenso fol. 59v lib. Auf fol. 121r steht Ί · quinti. Die Zeilenzahl schwankt zwischen 29 und 33 Zeilen, wobei 33 Zeilen nur in der vorletzten Lage (I) auftreten 18 . Über die Lagenverhältnisse orientiert folgende Übersicht:
Lage
Umfang
fol. bis fol.
Κ L M Ν O Ρ
Quaternio Quaternio Quaternio Quaternio Ternio Quaternio Quaternio Quaternio Quaternio Ternio Quaternio Quaternio Quaternio Quaternio Quaternio Quaternio Quaternio Quaternio
Ir - 8v 9r - 16v 17r - 24v 25r-31v 32r-37v 18r - 45v 46r - 53v 54r - 60v 61r - 68v 69r - 74v 75r-81v 82r - 89v 90r - 97v 98r - 105v 106r- 113v 114r- 121v 122r - 129v 130r - 137v
Q R S Τ ν Α Β C D Ε F G 17
Bemerkung
1 Blatt fehlt
1 Blatt fehlt
1 Blatt fehlt
Zeilen 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30
In den Formen seed, tertius, tertivs, quartus, quarti, quintus, quinti Zum Text
vergleiche man weiter unten Abschnitt d. 18 Die Angabe 30, so CLA. IX, Nr. 1266, gilt also nicht durchgängig, wenn auch für den größten Teil.
83
Clm 6300
H I ?
Quinternio Ternio Ternio
138r - 147v 148r - 153v 154r - 158v
1 Blatt fehlt
29 33 29
Die Blätter sind also mehrheitlich zu Quaternionen zusammengebunden. In vier Lagen ist ein Einzelblatt statt eines Doppelblattes eingebunden. Die Lagen sind von der letzten abgesehen jeweils auf der letzten Seite in der Mitte des unteren Randes mit Unzialbuchstaben gekennzeichnet, von denen einige zwischen zwei, so F, G, oder vier Punkte, so O, A - C, gestellt sind. Die Lagenzählung beginnt auf fol. 8v mit K, geht dann bis V und beginnt neu mit A bis I. Der Band war also ursprünglich wohl wesentlich umfangreicher. Es sind nur etwa zwei Drittel des Gesamtumfangs erhalten. Die ersten neun 19 oder, nach der üblichen Alphabetabfolge weniger wahrscheinlich, acht 20 Lagen fehlen. Die mit Tinte vorgenommene Foliierung stammt aus späterer Zeit. Die Handschrift enthält durchgehend von einer Hand geschrieben den Anfang des in 35 Bücher aufgeteilten, Moralia in Job genannten Bibelkommentars Gregors des Großen 2 1 bis einschließlich Buch V. Der zu errechnende Lagenverlust läßt annehmen, daß bei dem üblichen Lagenumfang der Band ursprünglich den Text vom Beginn des ersten Buches an, weniger wahrscheinlich auch noch die Praefatio 22 , enthalten hat. Nach Ausweis des mittelalterlichen Besitzeintrags auf dem ersten Blatt beginnt der Text aber seit früher Zeit erst gegen Ende des zweiten Buches mitten im ersten Satz des Kapitels XLVIII moderner Zählung 23 mit dem Wort loquente. Er endet mit dem Abschluß des fünften Buches 24 . Auch F. Brunhölzl 25 geht von einem Lagenverlust vor der Bindung aus. Der Textumfang dieses ersten Bandes einer Moraliaausgabe würde so auch der üblichen Aufteilung des Gesamtwerkes auf sechs Codices 26 entsprechen. 19 Nach CLA. IX, Nr. 1266 und einer handschriftlichen Notiz fol. Ir. Man vergleiche dazu weiter unten sowie F. Brunhölzl, D i e Freisinger Dombibliothek, S. 59f. 20
Man vergleiche CCL., 111,3, S. 88.
21
Sancti Gregorii Magni Moralium libri, sive Expositio in Librum B. Job. Editionen liegen vor in PL. 75, 515-1162, 76, 9-782 sowie CCh. 143, 143A, 143B. 22
Man vergleiche den Textumfang in der Edition CCh. 143.
23
Man vergleiche CCh. 143, S. 103. Die neuzeitliche Eintragung mit Tinte auf fol. Ir oberhalb des Textbeginns lib. II cap. 26 entspricht der in Klammern bei Migne, PL. 590C hinzugefügten Kapitelangabe: [Ree. XXVI], 24 D e r Text entspricht demjenigen in der Edition Mignes (PL. 75) von 590C bis 730A und demjenigen in der Editionsreihe Corpus Christianorum (CCh. 143) S. 103, Z. 1 (II, XLVIII,75) bis S. 283, Z. 77 (V, XLVI,86). 25
D i e Freisinger Dombibliothek, S. 59f.
26
Man vergleiche unten Abschnitt d.
84
Frühe Glossenhandschriften aus Freising
Schrift, Schmuck: Der Schreiber 27 verwendet braune bis dunkelbraune Tinte und schreibt in regelmäßiger, nach rechts geneigter präkarolingischer Minuskel. Die kräftige, gedrungene Schrift wird von B. Bischoff als sehr merkwürdig eingestuft 28 . Als Schriftheimat ist von B. Bischoff nach verschiedenen Zuweisungsversuchen 29 , in den Codices latini antiquiores 30 sowie durch ihn 31 selbst, zuletzt mit Entschiedenheit Oberitalien genannt worden 32 . Weiter lasse sich die Schrift des Clm 6300, wie die des ebenfalls aus Italien stammenden Clm 6329 nach B. Bischoff eine recht primitive Schrift 33 , stilistisch nicht zuordnen. An Charakteristika der Schrift ist folgendes zu nennen. Ober- und Unterlängen sind kurz, a kommt auch in offener Form vor, d fast ausschließlich mit geradem Schaft 34 , selten findet sich N. Das r weist einen langen, gekrümmten, nach oben auslaufenden Schulterstrich auf. Nach B. Bischoff ist übergeschriebenes ν selten, bei der Autopsie bin ich nicht darauf gestoßen, g tritt in der 5-ähnlichen Form auf. Ligaturen werden für ae, nt, ti und verschiedene Kombinationen mit e gebraucht. Als Kürzungszeichen wird der gebräuchliche insulare m-Strich verwendet. Für einzelne Wörter und Wortteile werden häufig Abbreviaturen gebraucht 35 , darunter auch, gehäuft allerdings erst ab fol. 148, die insularen o (con) und f (enim). Die Interpunktion mit Virgel und Hochpunkt ist in einzelnen Passagen mit Minium erfolgt, fol. l-9vb; fol. 118ra-122rb; fol. 127vb-131vb. Teilweise sind Schrägstriche als Interpunktionszeichen von einem zeitgenössischen Korrektor eingetragen worden. Häufig wird auf Zitate am Rand durch eine unterschiedliche Zahl von VZeichen mit übergeschriebenem Punkt in verschiedener Anordnung hinge-
27
Die folgenden Ausführungen zur Schrift stützen sich auf B. Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen, I, sowie CLA. IX, Nr. 1266. 28 B. Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen, I, S. 142. Man vergleiche auch bereits CCL., 111,3, S. 88. 29 Die forschungsgeschichtlich überholte Zuweisung L. Traubes zu Freising kann wohl nur als Provenienzangabe verstanden werden. Man vergleiche Nomina Sacra, S. 220. 30 CLA. IX, Nr. 1266: Origin uncertain'. 31 Die südostdeutschen Schreibschulen, I, S. 142 ('möglicherweise in Süddeutschland oder in der Schweiz'); B. Bischoff, Mittelalterliche Studien, III, A. 132 ('der jedoch oberitalienisch sein dürfte'); B. Bischoff, Scriptorium 22 (1968) S. 310 (Oberitalien?'). 32 In: Il libro e il testo, S. 181. 33 Ebenda. 34 Aber in der vorletzten Lage findet sich auch unziales d, etwa fol. 153vb, Z. 12. 35 Man vergleiche hierzu im einzelnen B. Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen, I, S. 142f. und CLA. IX, Nr. 1266.
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wiesen. In dieser Funktion finden sich teilweise auch i-artige Schnörkel. Auslassungen sind zum Teil durch Verweiszeichen angegeben. Eine am unteren Rand auf fol. 15r wohl vom ursprünglichen Schreiber nachgetragene Zeile weist kursive Züge auf. Durch den ganzen Codex hindurch sind immer wieder bisher nicht näher datierte Korrekturen angebracht worden. Diejenige auf fol. 92ra, Z. 24 36 könnte von einer insularen Hand des 9. Jahrhunderts sein 37 . An verschiedenen Stellen ist die Korrektur mit Rötel, etwa fol. 120ra, Z. 8, fol. 121ra, Z. 17, eventuell aber auch mit Griffel 38 , durchgeführt worden. Der Buchschmuck 39 , der Relikte insularer Zierweise mit kontinentaler Ornamentik verbindet, ermöglicht keine genauere Zuweisung, läßt sich aber wohl mit oberitalienischer Entstehung vereinbaren. Eine auf die Ornamentik gegründete engere Verbindung zu einer Handschriftengruppe, die eventuell nach Monza zu lokalisieren ist40, hat B. Bischoff 41 gegen die Annahme im Artikel der Codices latini antiquiores 42 als "äußerst fraglich" zurückgewiesen. Schmuckinitialen, zwischen 3,5 und 4,4cm hoch, finden sich jeweils zu Beginn der Bücher. Auf fol. 12rb ist Β (3,6cm) mit Flechtband im Stamm und Fischen in den Bögen versehen, fol. 50v weist q (4,4cm) Achter im Stamm und wiederum Fische im Bogen auf, fol. 102r ist C (3,4cm) aus einem doppelköpfigen Fisch, dessen Körper Flechtknoten aufweist, gebildet. Auf fol. 158v findet sich eine karolingische Federzeichnung einer F-Initiale (7,7cm), gefüllt mit Flechtband. Im Rahmen einer Federprobe ist auf fol. 95v eine (Mnitiale (5,5cm) flüchtig skizziert. Auf fol. 82r befindet sich auf der Höhe der Zeilen 9 und 10 am linken Rand ein leicht verziertes Kreuz. Am linken Rand von fol. 152v auf der Höhe der Zeilen 30 und 31 ist ein kleines Kreuz mit Tinte ausgemalt. Im übrigen enthält die Handschrift erst im Zusammenhang mit der Suche nach Griffelglossen entdeckte Griffelzeichnungen, die nach K. Bierbrauer 4 3 nicht genauer denn als mittelalterlich charakterisiert werden können. Fol. 122r, 13 lv, 132r, 136v, 138v und 144v handelt es sich um jeweils 36 Zwischen quice und dicitur, das verderbt für qui œdificant (CCh. 143, S. 205, 128) steht, ist dificere übergeschrieben, so daß sich cedificere ergibt. 37
Nach den Angaben CLA. IX, Nr. 1266. Die Stellen könnten dann verschmutzt sein. 39 Man vergleiche zum folgenden K. Bierbrauer, Die vorkarolingischen und karolingischen Handschriften, Nr. 264, S. 139f. 38
40
K. Holter, in: Karl der Große, III, S. 93; B. Bischoff, in: Il libro e il testo, S.
178. 41 Mittelalterliche Studien, III, S. 3lf. A. 132; man vergleiche auch K. Holter, in: Karl der Große, III, S. 94 A. 26. 42 43
CLA. IX, Nr. 1266. Die vorkarolingischen und karolingischen Handschriften, Nr. 264, S. 140.
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in der Spaltenmitte durchgeführte Flechtbandstudien mit ein- bis vierbändrigen Flechten. Am linken Rand von fol. 80v findet sich, anscheinend ohne Bezug zum Text 44 , die Griffelzeichnung eines vierfüßigen Tiers mit stark eingerolltem Schwanz und insektenartigem Kopf mit eingerollter rüsselartiger Zunge (9cm). Über den ganzen Codex verstreut finden sich darüber hinaus Striche mit Griffel, teilweise offenbar ziellos, teilweise aber deutlich zu Gebilden arrangiert, so etwa fol. 3ra in der unteren Spaltenmitte (Rautenmuster durch eine Griffeleintragung hindurch), fol.l8v und 19r in der oberen Spaltenmitte (Griffelstriche), fol. 20r in der Spaltenmitte auf der Höhe der zwanzigsten Zeile (Asterisk), fol. 24r in der Spaltenmitte von Spalte 16 bis 19 (einfaches Kreuz), fol. 42r in der unteren Spaltenmitte (Zickzackmuster), fol. 95v mehrfach (Kreise und Striche), fol. 142v auf der Höhe von Zeile 24 (Schlangenlinienmuster). Auf der leergelassenen Seite fol. 65v ist mehrmals, in der Spaltenmitte und am Rand, die Ligatur & eingeritzt. Incipit und Explicit (fol. 12rb, 50vb, 102rb) sind überwiegend mit rot ausgefüllten unzialen Hohlbuchstaben, zum Teil aber mit einfachen schwarzen und roten Unzialbuchstaben geschrieben. Fol. 50v stehen Punktreihen zwischen den Zeilen, fol. 102r ist eine Zeile umpunktet und eine zweite eingerahmt, wobei sich seitlich schneckenförmige Einrollungen finden. Auf fol. 55r und fol. 76v sind die Buchstabenhohlräume des Kolumnentitels (fol. 76v auch ein Textbuchstabe) in grüner Farbe ausgemalt. Auf fol. 148vb, Z. 4 fällt eine verzierte M-Majuskel auf. Eintragungen, Korrekturen: Auf der Innenseite des vorderen Buchdeckels befindet sich außer der links oben aufgeklebten Signaturmarke Cod. lat. 6300 in der Mitte das aufgeklebte, aus dem 18. Jahrhundert stammende Exlibris des Freisinger Domkapitels 45 mit einem Marienbild und den Worten insignia capituli. Darüber ist in moderner Schrift mit Bleistift auf das Exlibris die Signatur Fris. 100 eingetragen. Auf fol. Ira steht oberhalb des Textes der typische Besitzvermerk der Freisinger Dombibliothek aus dem 12./13. Jahrhundert 46 iste lib ë see marie ι sci corbl frisige. Darunter steht die moderne Angabe lib. II cap. 2647. Am unteren Rand derselben Seite befindet sich ein 44
CCh. 143, S. 191, etwa den Zeilen 54-60 (IV, XXIV,45) entsprechend. Man vergleiche S. Benker, in: Freising, Nr. VI.3, S. 415. 46 So B. Bischoff, in: Il libro e il testo, S. 181. Im allgemeinen wurde bisher im vorliegenden Fall von einer Zuordnung zum 12. Jahrhundert ausgegangen. Man vergleiche CLA. IX, Nr. 1266; B. Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen, I, S. 71, 142; K. Bierbrauer, Die vorkarolingischen und karolingischen Handschriften, Nr. 264, S. 139. 47 Man vergleiche dazu oben A. 23. Entsprechende Angaben sind auch später eingefügt, etwa fol. 2v am linken Rand: cap. 28. 45
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Stempel mit der Aufschrift Bibliotheca Regia Monacensis über einem modernen, am Ende unleserlichen Bleistiftvermerk über fehlende Lagen: minus IX. Quaternioni ]. Am Rand von fol. 2r, etwa auf der Höhe der zehnten Zeile, steht die eventuell als Scilicet aufzulösende Bemerkung der Texthand Sc. Auf fol. 6v, das freigeblieben ist, findet sich etwa auf der Höhe der dritten Zeile der rechten Spalte die sprachlich unklare, möglicherweise althochdeutsche, etwas verwischte Eintragung in hellerer Tinte dumen. Mit dunklerer Tinte, mit der dann fol. 7 fortgefahren wird, steht in der Spaltenmitte etwa sechs Zeilen tiefer schwer aufzulösendes F°ct. Auf fol. lOv sind am unteren Rand nur noch teilweise lesbare, schwache Eintragungen erkennbar. Unterhalb der linken Spalte beginnt die Eintragung mit ihs. Das in den beiden Zeilen darunter Stehende ist nicht mehr lesbar. Unterhalb der rechten Spalte ist noch schwach die nur in Teilen verständliche Eintragung om.s sermo \ tu.s d..48 zu lesen. Am unteren Rand von fol. 16va steht unter verbessertem sibi die Eintragung mihi fuit sibi. Auf fol. 42r sind nur in der linken Spalte siebeneinhalb Zeilen Text eingetragen. Dieses Textstück ist auf fol. 42va wiederholt. Die entsprechenden Zeilen auf fol. 42vb sind jedoch wegen der durchscheinenden Tinte dort frei gelassen. Auf fol. 42ra folgt auf den Text in hellerer Tinte fälschlicherweise ein Explicit Explicit lib III, darunter In di nomine, wiederum darunter stehen in roter Tinte die Unzialbuchstaben INTITUL[.. JUS. Unterhalb dieser Eintragungen folgt ein innerhalb der linken Spalte zweispaltig angelegtes unziales Alphabet in rot mit jeweils zugeordneten Buchstabenzahlzeichen und einigen lateinischen Zahlwörtern in brauner Tinte. Anschließend ist im letzten Teil der zweiten Spalte über neun Zeilen hinweg folgender von B. Bischoff 49 dem 9. Jahrhundert zugeordneter, auch sprachlich interessanter 50 Vermerk eingetragen: ego adalleoz | canonica hic \ legi istam I literam per | totam qua \ dragismam | & ego hic \ scripsit \ istä causam I. Dabei ist ursprüngliches quadragimam durch Einfügung von langem s zu quadragismam korrigiert worden, allerdings nicht zu quadragesimam, wie B. Bischoff liest 51 . Der erste Teilsatz belegt die Lektüre des Codex während der Fastenzeit durch einen gewissen Adalleoz, der eventuell als Freisinger Kanoniker anzusehen ist 52 . Für die Bedeutung des zweiten Teilsatzes ist etwa die Eintragung 48 Unsichere Buchstaben werden hier wie in der Edition durch untergesetzte Punkte angedeutet. 49
Die südostdeutschen Schreibschulen, I, S. 143.
50
Man vergleiche zu hyperkorrekter f-Epithese in Verbalformen R. L. Politzer, A study of the language of the eighth century lombardic documents, S. 50. 51 52
Die südostdeutschen Schreibschulen, I, S. 143. So vermutet auch F. Brunhölzl, Die Freisinger Dombibliothek, S. 59.
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Frühe Glossenhandschriften aus Freising
in einer Regensburger Urkunde des 8. Jahrhunderts zu vergleichen: Ego Taugolf presbyter seriósi harte traditionis causam53, wo causa als 'Dokument, Urkunde' 54 zu verstehen ist. Die Form canonica, die danach eventuell nicht als Ortsangabe, sondern als Amtsbezeichnung zu werten ist, ist dann als fehlerhaft oder als Übertragung auf einen Amtsträger aufzufassen 55 . Diese Eintragung ist, wie bereits in den Codices latini antiquiores 56 vermerkt ist, auf fol. 158ra nach dem Textende in rotbraunen Unzialbuchstaben teilweise wiederholt: ego adalleoz \ hie legi ρ tota \ quadräg. Der am Ende erkennbare verwischte nach rechts offene Halbkreis ist wohl nicht mehr zu dieser Eintragung gehörig. Ein voller Kreis steht etwas unterhalb nach rechts versetzt. Über a von tota ist als Federprobe ein Β geschrieben, darüber steht sie. Weitere, unklare Eintragungen außerhalb des Textes finden sich auf der eigentlich freigelassenen Seite fol. 65v quer über die Seite von der Höhe der ersten Zeile zur zweiten schräg absinkend, in anderer Hand, wie das unziale d zeigt: cüqua sabit ·capita in terra multorum / detorent. Der letzte Buchstabe ist nicht mehr klar erkennbar. Auf derselben Seite auf der Höhe der neunten Zeile der rechten Spalte ist die Eintragung völlig verwischt: e quia [ Jest. Auf fol. 66v, das wieder freigelassen ist, steht auf der Höhe der elften Zeile der linken Spalte in vergleichbarer Schrift Dni est terra. Auf fol. 77r steht links am Rand unterhalb mehrerer Zitatzeichen die auf den Text bezogene 57 , eventuell von der Texthand stammende umrahmte Bemerkung deeul I pa I que | de \ fen | dit \. Auf der wiederum freigelassenen Seite fol. 95v steht rechts oben beginnend mit einer Initiale in einer den Eintragungen auf fol. 65 und 66 ähnelnden Schrift, soweit erkennbar, die folgende völlig klar lesbare Sequenz: Quomodoleigem | tuam dñe ds. Weiter unten am linken Rand finden sich als Federproben ν und darunter vdx mit unzialem d oder vox. Auf fol. 113vb ist die letzte Zeile des Textes, der in Spalte b in Zweidrittel der Höhe endet, in kursiven Zügen wiederholt: retenere nesciunt. Am linken Rand von fol. 138v in der unteren Hälfte sind die Buchstabenfolgen aust und mise (= miserere?) von der Texthand eingetragen. Auf der freigebliebenen Seite fol. 146v stehen mehrere Federproben. Links oben steht meus eibus est ut faciam uoluntatem patris mei, darunter und in der rechten unteren Hälfte 53 54 55 56 57
Die Traditionen des Hochstifts Regensburg, I, Nr. 1, S. 2 (ca. a.760). NMLL. S. 159: 9. 'charte - charter'. Man vergleiche NMLL. S. 127f. CLA. IX, Nr. 1266. Man vergleiche CCh. 143, S. 187, Kap.38.
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wird dieser Text noch zweimal begonnen und wieder abgebrochen, darüber und darunter finden sich Einzelbuchstaben (e und m). Auf fol. 15Ir steht links vom Kolumnentitel aurum et turn defer. Auf fol. 158r finden sich nach dem Textende neben dem oben angesprochenen Eintrag des Adalleoz weitere Eintragungen in der Art von Federproben. Zwischen Textende und dem Adalleoz-Eintrag steht die nicht mehr vollständig rekonstruierbare Eintragung tu autem dñi nuezerenalj. Rechts des Adalleoz-Eintrags steht ein verwischter, kaum mehr lesbarer Eintrag pi.....erda.. Auf der Höhe der siebten Zeile der rechten Spalte ist, im Text stehendes q;uae si terreni (Ζ. 6) wiederholend, quesi terreni eingetragen, auf derjenigen der elften Zeile verwischtes hellbraunes super sowie auf der 18. Zeile kih, dann jeweils untereinander hide, gh&&, &. Darüber hinaus sind noch Einzelbuchstaben oder Kombinationen als Federproben über die Seite verstreut. Rechts unten ist nochmals der alte Stempel der Bayerischen Staatsbibliothek aufgedrückt. Weitere Federproben stehen auch auf der eigentlich leeren Versoseite. Ganz oben ist die auch sonst schon in früher Zeit nachgewiesene 58 , am Ende durch die Blattrestaurierung unvollständige Federprobe omnium inimicorum suorum dominabit[ ] zu lesen. Nach J. Hofmann 5 9 zeugt dieser Eintrag von irisch-angelsächsischer Schultradition. Darunter sind die beiden Anfangsbuchstaben wiederholt. Etwa auf der Höhe von Z. 6 steht nur noch teilweise lesbar confidor..dñ. Links neben einer dann folgenden Initialenzeichnung in hellerer Tinte D ist dann & num | quid quid I qui uidebas, nach unten links versetzt did zu erkennen. Zwischen quid und qui ist aus einer Eintragung in Unzialbuchstaben die Buchstabenfolge Neh zu lesen. Schließlich steht links der oben angesprochenen /•'-Initiale in blasser Tinte zweimal in omni loco. Auch der hintere Buchdeckel trägt innen eine allerdings nicht identifizierbare Eintragung aus etwa sechs Buchstaben, die am Anfang den Ansatz zu einer Initiale zeigt. Über die ganze Handschrift verteilt sind Federproben einzelner Buchstaben, in der Regel am Blattrand, meist a und u, aber auch längere Kombinationen wie aust (fol. 138r und v). Sie sind zum Teil vor Beschreiben und Beschneiden der Handschrift eingetragen, da sie in manchen Fällen auf dem Kopf stehen oder durchschnitten wurden. Teilweise sind sie erkennbar später eingetragen, wie etwa auf fol. 17r in der Spaltenmitte im oberen Drittel die Buchstaben Q [?] und darunter R, die über Griffeleintragungen stehen. Diese Eintragungen sind mit derselben Tinte geschrieben wie zahlreiche Umrandungen von Wörtern auf fol. 16v und 17r sowie die erwähnte Eintragung mihi
58
M a n vergleiche B. Bischoff, Mittelalterliche Studien, I, S. 78.
59
In: B. Bischoff - J. H o f m a n n , Libri Sancti Kyliani, S. 73.
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fuit sibi. Bemerkenswert ist die Buchstabenfolge in Alphabetanordnung a, p, c, d auf fol. 157r am unteren Rand. Die Orthographie der Handschrift weist durchgängige Vertauschung von i und e sowie teilweise auch von u und o auf. e, ç und ce finden nebeneinander Verwendung, häufig jedoch nicht in etymologisch richtiger Weise. Bemerkenswert sind außerdem die Schreibungen quu für cu, b, d für p, t vor stimmlosen Okklusiven sowie Schwankungen bei der Verwendung der hGraphie. Unter den Korrekturen auffällig ist auf fol. 45ra, Z. 2 in fragilitatjs korrigiertes flagilitatjs, dem auf fol. 61ra, Z. 29 unkorrigiertes brandiendo (für blandiendo) gegenübersteht, fragilitas gilt mehrfach in der Umgebung. Im übrigen läßt sich auch ohne eingehendere Prüfung schon jetzt feststellen, daß die Textüberlieferung insgesamt durchaus zuverlässig ist, die Handschrift also nicht übermäßig viele verderbte Stellen aufweist. Die lateinische Schreibsprache der Handschrift zusammen mit den Korrekturen verdiente eine eigene Untersuchung. b. Geschichte Durch den Besitzvermerk der Freisinger Dombibliothek aus dem 12./13. Jahrhundert auf fol. Ir ist der Codex für diese Zeit in Freising bezeugt. Für die spätere Zeit, bis er im Gefolge der Säkularisation a.1803 zusammen mit den anderen Handschriften in die damalige Kurfürstliche Hofbibliothek 60 kam, fehlen alle Nachrichten. In den überlieferten Verzeichnissen läßt er sich nicht nachweisen 61 . Es ist aber davon auszugehen, daß die Handschrift während dieser gesamten Zeit in Freising war 62 . Nachdem als Schriftheimat Oberitalien anzunehmen ist, stellt sich allerdings die Frage, wann der Codex nach Freising gelangt sein kann. B. Bischoff 63 nimmt an, daß dies noch vor a.800 der Fall war. Er hält den Clm 6300 damit neben dem Clm 6329 und Clm 29022 64 für einen der ältesten Ankömmlinge aus dem Süden. Die entscheidenden Beweise dafür sind aber im einzelnen erst noch zusammenzustellen. Der Eintrag des Adalleoz aus dem 9. Jahrhundert bezeugt die Anwesenheit des Codex in einer althochdeutschen geistlichen Schreibstätte dieser Zeit. Das kann Freising gewesen sein, da hier zum einen seit der Bistums-
60
Man vergleiche M. Reuter, in: Freising, S. 66, 237; B. Bischoff, Bayerland 57 (1955) S. 387. 61
Man vergleiche Mittelalterliche Bibliothekskataloge, IV,2, S. 617-644. Man vergleiche S. Krämer - M. Bernhard, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters, 1.3, S.363. 63 B. Bischoff, in: Il libro e il testo, S. 181. 64 Einschließlich Clm 29022e und Deckelspiegel des Clm 6315. Man vergleiche B. Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen, I, S. 151; CLA. IX 1274. 62
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gründung a.739 65 von der Existenz eines Domklosters mit Bibliothek und bald auch mit Skriptorium ausgegangen werden kann 66 und zum anderen der Name Adalleoz in der Freisinger urkundlichen Überlieferung der Zeit bezeugt ist 67 . Da Kanoniker in Freising spätestens seit a.842 als eigene Körperschaft existieren 68 , ergibt sich bei einer entsprechenden Interpretation der Adalleoz-Eintragung ein Terminus post quem. Auch in anderen Fällen ist ein früher Buchimport aus Oberitalien durch Abschriften oder alte Freisinger Einbände mehr oder weniger gut bezeugt 69 . Die Anwesenheit des Clm 6300 in deutschsprachigem Gebiet ist dann auch durch die althochdeutsche Glossierung nachzuweisen, deren Charakter allerdings erst noch im Rahmen dieser Untersuchung zu bestimmen ist. Die Beschäftigung mit dem Codex zeigt sich außer in der althochdeutschen Glossierung auch in der durchgehenden, allerdings nicht völlig systematischen Korrektur von Orthographie und Text durch spätere Hände. Bemerkenswert ist, daß neben dem Clm 6300 der Freisinger Dombibliothek seit frühester Zeit weitere auswärtige und in Freising entstandene Moralia-Abschriften, darunter die bekannte des Schreibers Peregrinus, zuzuordnen sind 70 . Keine enthält jedoch die ersten fünf Bücher 71 , so daß sich die Bestände eventuell schon damals ergänzt haben. Möglicherweise lagen aber auch verschiedene vollständige Exemplare der Moralia vor 72 . O b für diese umfassende Berücksichtigung der Moralia etwa das Bischof Arbeo nachgesagte spezielle Interesse an Texten der Kirchenväter und 65
Man vergleiche J. Maß, Das Bistum Freising in der späten Karolingerzeit, S. 102f; J. Maß, D a s Bistum Freising im Mittelalter, S. 43; M. Hartig, D i e Errichtung des Bistums Freising. 66 Man vergleiche B. Bischoff, D i e südostdeutschen Schreibschulen, I, S. 59; F. Brunhölzl, D i e Freisinger Dombibliothek, S. 12, 28; M. Reuter, in: Freising, S. 67, 237. 67
Man vergleiche zur ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts D i e Traditionen Hochstifts Freising, I, Nr. 228, S. 212 (a.806), Nr. 324, S. 277 (a.814), Nr. 354, S. (a.816), Nr. 379b, S. 322 (a.817), Nr. 404, S. 349 (a.818), Nr. 695, S. 581 (a.848), weiteren ebd. II, S. 585 sowie E. Förstemann, Altdeutsches Namenbuch, I, Sp. (Adallioz) mit Belegen anderer Orte. 68
des 303 des 175
Man vergleiche J. Maß, Das Bistum Freising im Mittelalter, S. 85.
69
Man vergleiche B. Bischoff, in: Il libro e il testo, besonders S. 177, 18If., 193; Β. Bischoff, D i e südostdeutschen Schreibschulen, I, S. 149 (Clm 6407); M. Reuter, in: Freising, S. 69f. (Clm 6407). 70
Man vergleiche B. Bischoff, D i e südostdeutschen Schreibschulen, I, zu Handschriften Freisinger Schriftheimat S. 62, 74f. (Clm 6297), S. 76 (Clm 6279), S. 73 (Clm 6382) sowie S. 140 zu einer eventuell früh importierten Handschrift aus Ostfrankreich (Clm 6278, CLA. IX, Nr. 1258). 71
·
Eine solche Abschrift, Clm 6249, ist erst aus späterer Zeit überliefert. Man vergleiche CCh. 143, S. XXII; CCL. Nr. 628, S. 79 (lO.Jh.) 72 So vermutet F. Brunhölzl, D i e Freisinger Dombibliothek, S. 59-61.
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insbesondere Gregors des Großen 7 3 verantwortlich ist, kann nicht geklärt werden. Das Schicksal der Handschrift vor der Ankunft in Freising liegt noch mehr im dunkeln. Die schwer klassifizierbare Schrift weist nur pauschal in den oberitalienischen Raum. Abschriften der Moralia waren bei deren Bedeutung als anerkanntes Moralhandbuch 74 in jeder geistlichen Schreibstube denkbar. Auch die Orthographie der Handschrift läßt keine genauere Bestimmung zu. Ebensowenig läßt sich eine nähere Eingrenzung des Entstehungszusammenhangs durch die Betrachtung der überlieferten Textfassung gewinnen, da die Voraussetzung hierfür, eine textkritische Untersuchung, bislang noch fehlt 75 . c. Die Glossen Die Handschrift enthält nach den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung über den ganzen Text verteilt 448 interlineare Glossierungen, die allesamt mit dem Griffel eingetragen sind. Diese Eintragungen sind in dem durchweg rauhen und knitterigen Pergament in der überwiegenden Mehrzahl nicht mehr auf Anhieb erkennbar. Dennoch konnten 370 Glossierungen ganz oder zumindest teilweise gelesen und auch grammatisch oder lexikalisch-semantisch klassifiziert werden. Da unter den lesbaren Glossen keine eindeutig nicht-althochdeutschen sind, kann wohl auch der Rest für das Althochdeutsche in Anspruch genommen werden. Die Glossen, auf die nach Notizen B. Bischoffs W. Stach 76 erstmals aufmerksam gemacht hat, sind zu etwa 40% bereits bei H. Mayer 77 in knappster Form ediert, wozu allerdings noch einzelne Korrekturen anzubringen sind. In 30 Fällen können von H. Mayer nicht entzifferte Eintragungen jetzt als zumindest teilweise lesbar ediert werden. 189 Glossen sind als Neufunde hier erstmals ediert. Paläographisch lassen sich diese Einritzungen aufgrund der Besonderheiten der Eintragungsart nicht näher bestimmen, insbesondere nicht lokalisieren 78 . Ihre Schriftmerkmale sind jedoch mit einer Eintragung in karolingischer oder spätkarolingischer Zeit vereinbar. Als charakteristisch ist zu nennen, daß kein offenes a, kein unziales d und kein ν vorkommen. Im übrigen sind die Buchstabenformen einer durchschnittlichen karolingischen Minuskelschrift entsprechend unauffällig. Dennoch deutlich erkennbare Unterschiede in der Eintragungs73
Man vergleiche J. Maß, Das Bistum Freising im Mittelalter, S. 63f. Man vergleiche K. Ruh, in: VL. III, Sp. 236. 75 Man vergleiche dazu CCh. 143, S. Xlllf. 76 W. Stach, in: Liber Floridus, S. 14. 77 H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 74-79. 78 Persönliche Mitteilung B. Bischoffs, 21.9.1988. 74
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weise, etwa gerissene oder gedrückte, große oder kleine, geschwungene, verbundene oder eckige, unverbundene Buchstaben, sind kaum mit verschiedenen Glossatoren in Zusammenhang zu bringen. d. Die Überlieferung des lateinischen Textes und seine Glossierung Der gewöhnlich, entsprechend der Intention des Autors, in sechs Büchern 7 9 überlieferte Kommentar zum alttestamentlichen Buch Hiob wurde von Gregor dem Großen Ende des 6. Jahrhunderts verfaßt 80 . Die ausführliche Anwendung der Methode der mindestens dreifachen Texterklärung, der historischen, mystischen und moralischen Auslegung 81 , machten das Werk schon vom Umfang her zu mehr als einem einfachen Bibelkommentar. Insbesondere die oft weit ausgreifenden moralischen Betrachtungen ließen es zu einem Handbuch der Moraltheologie werden, das im Mittelalter großes Ansehen genoß 82 , wiederholt verkürzend bearbeitet wurde 83 und allgemein einen großen Einfluß ausübte 84 . Der Clm 6300 gehört zu den ältesten Textzeugen der insgesamt überaus reichen Überlieferung der sogenannten Moralia. Nach der Zusammenstellung der Handschriften in der Edition der Reihe Corpus Christianorum 8 5 stammen von 548 Handschriften 36 ziemlich sicher aus dem 8. Jahrhundert 8 6 oder früherer Zeit. Die älteste Handschrift ist wohl der eventuell in Corbie entstandene Codex Parisinus (n.a.l. 2061) aus dem 7. oder 8. Jahrhundert, der ebenfalls die ersten fünf Bücher überliefert.
79 Man vergleiche M. Manitius, Geschichte der lateinischen Literatur, I, S. 97; M. Schanz, Geschichte der römischen Literatur, IV,2, S. 612. 80 Man vergleiche zu Werk und Autor B. Altaner - A. Stuiber, Patrologie, § 108, besonders S. 468f.; R. Gillet, in: Grégoire le Grand, S. 7-109 sowie R. A. Markus, in: Theologische Realenzyklopädie, XIV, S. 135-145. 81 Man vergleiche H. de Lubac, Exégèse Médiévale, besonders I, S. 190f., II, S. 467-498. 82 Man vergleiche R. Gillet, in: DSp. VI, Sp. 876f. sowie zum Gehalt des Werks Sp. 881-905; außerdem A. Ebert, Allgemeine Geschichte der Literatur des Mittelalters, I, S. 549-551; R. Wasselynck, RThAM. 29 (1962) besonders S. 5; B. Borghini, in: San Gregorio Magno, S. 35f.; M. Gerwing, in: LMA. IV, Sp. 1264-1266. 83 Man vergleiche M. Manitius, Geschichte der lateinischen Literatur, I, S. 98100 sowie R. Wasselynck, RThAM. 29 (1962) S. 5-32 84 Man vergleiche dazu ausführlich R. Wasselynck, L'influence des Moralia in Job, besonders S. 1-127; R. Wasselynck, RThAM. 31 (1964) S. 5-31, 32 (1965) S. 157-204; R. Wasselynck, MSR. 22 (1965) S. 205-219. 85 86
CCh. 143, S. XIV-XXIX.
Einige sind dem 8. oder 9. Jahrhundert zugeordnet. Die Angaben für Handschriften der frühen Zeit basieren auf den Bänden des Sammelwerks CLA., womit ein höherer Sicherheitsgrad als bei den sonstigen Zuweisungen in der Handschriftenliste angenommen werden kann.
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Frühe Glossenhandschriften aus Freising
Erkennbar ist eine nähere Verwandtschaft des Clm 6300 mit dem Codex Londiniensis 87 , einer in Nordfrankreich, wohl in der Gegend von Laon entstandenen Handschrift, die aus der Mitte des 8. Jahrhunderts ebenfalls die ersten fünf Bücher überliefert 88 und deren Lesarten in der Edition des Corpus Christianorum 89 angegeben sind. Da allerdings beide Handschriften in einzelnen Fällen auch voneinander abweichend Lesarten der übrigen Textzeugen aufweisen, kann nur auf eine gemeinsame Vorstufe geschlossen werden. Unwahrscheinlich ist, daß der Tatsache, daß sich der französische Codex im 15. Jahrhundert in Ottobeuren befand, im Hinblick auf die textuellen Zusammenhänge irgendeine Bedeutung zukommt. Im Verhältnis zu der großen Menge bekanntgewordener Handschriften ist die althochdeutsche Glossierung des Textes sehr gering90. Von den neun in der Glossenedition E. Steinmeyers und E. Sievers' aufgenommenen Handschriften 91 beziehen sich allein sieben auf das in Buch 31 enthaltene sogenannte Sündenregister, darunter eine Gruppe zu den Bezeichnungen der Todsünden 92 . Die betroffenen Textausschnitte aus den Moralia sind hier nur unter anderem überliefert. Die einzige tatsächliche Moralia-Handschrift 93 enthält Glossen zu Buch 23 bis 27 und kann schon von daher in keinen Zusammenhang mit dem Clm 6300 gebracht werden. Die seither bekannt gewordenen Handschriften überliefern, abgesehen von einem weiteren Zeugen der Todsündenglossierung 94 , allesamt nur vereinzelte Glossen, gleich ob diese nur in Exzerpten stehen 95 oder in umfassenderen Moralia-Handschriften auftreten 96 . Auch diejenigen Codices, deren Glossen sich auf die im Clm
87
Brit. Mus. Addit. 31.031. Man vergleiche CLA. II, Nr. 174. CLA. II, Nr. 174; B. Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen, I, S. 52. H. Schwarzmaier, StMGB. 73 (1962) S. 18, bietet jedoch eine Zuordnung ins 9. Jahrhundert. 89 Man vergleiche CCh. 143, S. XI, XXI. 90 Das bemerkt auch H. Kempf, Die Lehnbildungen der althochdeutschen Gregorglossen, S. 15. 91 StSG. II, S. 319 - 322 (DCLXXIX - DCLXXXII). 92 Man vergleiche zu dieser Handschriftengruppe R. Bergmann, Mittelfränkische Glossen, S. 224-228 mit Angabe weiterer Literatur. 93 Clm 8104, StSG. II, 319f. 94 W. Stach, PBB. 73 (1951) S. 272 (Poitiers, Bibliothèque municipale ms. 69). 95 H. Mayer, Althochdeutsche Glossen, S. 31 (St. Gallen, Stiftsarchiv, Pfävers X), S. 92 (Clm 14614). 96 H. Thoma, PBB. 85 (Halle 1963) S. 223 (Clm 4503); J. Hofmann, PBB. 85 (Halle 1963) S. 67 (Würzburg, UB. M.p.th.f.l49a); J. Autenrieth, Die Domschule von Konstanz, S. 92 (Fulda, Hessische Landesbibliothek Aa 31 a); J. Autenrieth, Die Handschriften der ehemaligen Hofbibliothek Stuttgart, S. 169 (Stuttgart, Würt88
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6300 betroffenen Bücher 2 bis 5 beziehen 97 , lassen keine Verbindung zu diesem erkennen. Der Clm 6300 steht damit in seiner Glossierung nicht nur bezüglich des Umfangs allein. Die Spärlichkeit der Glossierung der Moralia ist umso auffallender, als andere Werke Gregors, wie die Cura pastoralis, die Homilien und die Dialoge eine besonders umfangreiche Glossierung aufweisen 98 . Eine ähnlich intensive volkssprachige Beschäftigung mit den Moralia wie im Clm 6300 ist jedenfalls aus althochdeutscher Zeit nicht bezeugt. Möglicherweise ist aber eine spätere althochdeutsche Übersetzung der Moralia durch Notker von St. Gallen verlorengegangen 99 . Aus althochdeutscher Zeit ist außerdem nur noch ein einem Moralia-Zitat aus Buch 5 zugeordneter Reimspruch bekannt geworden 100 .
tembergische Landesbibliothek HB VII 24), S. 172 (Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek H B VII 27). 97
Clm 14614; Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek HB VII 24.
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Man vergleiche nur den Grundbestand in StSG. II, S. 162-319. Dazu K. Ruh, in: VL. III, Sp. 235f. sowie H. Thoma, in: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, I, S. 588. 99 100
Man vergleiche K. Ruh, in: VL. III, Sp. 235f.
E. v. Steinmeyer, D i e kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler, S. 400. Man vergleiche SchW. S. 29 (TSp.).
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Frühe Glossenhandschriften aus Freising
2. Die Edition der Glossen a. Anlage der Edition Die Edition der Eintragungen des Clm 6300 besteht im wesentlichen aus zwei Teilen. Zunächst werden diejenigen Eintragungen ediert, die lexikalisch oder grammatisch identifizierbar sind beziehungsweise für die zumindest der begründete Versuch einer Identifikation gemacht werden kann. In einem zweiten Teil werden die nicht lexikalisch oder grammatisch identifizierbaren Eintragungen ediert, zu denen auch diejenigen gehören, die bereits paläographisch nicht identifizierbar sind. Da keine gesicherten lateinischen Glossen aufgetreten sind, sind in all diesen Fällen weitere althochdeutsche Glossierungen zu vermuten. In einem dritten Abschnitt wird ein Überblick über die Stellen gegeben, die zunächst aus verschiedenen Gründen als glossiert betrachtet wurden, bei denen sich diese Annahme aber nicht bestätigt hat. Das scheint insbesondere im Hinblick auf weitere Benutzer der Handschrift nötig, um Zweifel über die Berücksichtigung einer bestimmten Stelle bei der Prüfung auszuräumen und einer unnötigen erneuten Prüfung vorzubeugen. Bei der folgenden Anlagebeschreibung sind zunächst die Verhältnisse des ersten Teils der Edition berücksichtigt. Am Ende werden unter f) noch Hinweise auf die Abweichungen im zweiten Teil angefügt. a) Im folgenden werden die althochdeutschen Glossen der Handschrift in der Reihenfolge ihres Auftretens im Codex nach einem einheitlichen Schema ediert, das sich an einem in verschiedenen jüngeren Glossenpublikationen entwickelten Verfahren orientiert 1 . Im Unterschied zum Verfahren E. Steinmeyers und E. Sievers' in ihrer klassischen Glossenedition werden die althochdeutschen Interpretamente nicht nur zusammen mit ihrem vermutlichen lateinischen Lemma, sondern mit der gesamten Textstelle, aus der die jeweilige Bedeutung des Lemmas ersichtlich ist, dargeboten. Dieses zweifellos aufwendige Verfahren ist als Grundlage für eine Analyse der Glossen unabdingbar, da sonst, wie im Falle der Edition von E. Steinmeyer und E. Sievers, die Edition nicht ohne Heranziehung des Textes und vielfach auch nicht ohne erneuten Rückgriff auf die Handschrift benutzbar wäre und damit ihr Ziel verfehlte. Freilich kann eine Edition ohnehin nicht alle Information, die die Handschrift enthält, wiedergeben, daß aber die Textgrundlage der Glos-
1
Man vergleiche zuletzt etwas D. Ertmer, Studien zur althochdeutschen und altsächsischen Juvencusglossierung, K. Siewert, Die althochdeutsche Horazglossierung, E. Meineke, Saint-Mihiel Bibliothèque Municipale Ms.25 sowie H. Mayer, Die althochdeutschen Griffelglossen der Handschrift Ottob. Lat. 3295, mit der dort angegebenen älteren Literatur.
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sierung für die Beurteilung unabdingbar ist, unterliegt keinem Zweifel 2 . Im übrigen handelt es sich hier um eine kommentierende Edition, insofern jeweils eine grammatische und lexikalische Identifikation der Glossen vorgenommen wird. Der Aufbau der Editionsartikel im einzelnen sei im folgenden kurz skizziert und begründet. b) Jede Glossierung ist zunächst mit einer laufenden Nummer versehen, hinter der die Stellenangabe unter Nennung der Zeile, über der die Glosse eingetragen ist, erfolgt. Eintragung am unteren Rand ist eigens vermerkt. Bezugspunkt für die Zeilenzählung sind immer nur die tatsächlich beschriebenen Zeilen. Nennung mehrerer Zeilen weist auf gestückelte Eintragung am Rand oder in der Spaltenmitte hin, was bei der Edition der Glosse genauer angegeben wird. Als jeweils eine Glossierung sind dabei auch die nicht die Zeilengrenze überschreitenden Syntagmen gewertet, denen lateinische Einzelwörter oder ein Synsemantikon enthaltende Syntagmen einschließlich Negationspartikel und Possessivpronomen zugrundeliegen. Als getrennte Glossierungen sind dagegen alle übrigen, nicht eindeutig einem Glossierungsakt zuzuweisenden Syntagmen behandelt, auch wenn sie sich innerhalb derselben Zeile befinden. Diese Entscheidung wird dadurch gestützt, daß im zweiten Fall die althochdeutschen Einzelwörter jeweils den lateinischen Einzelwörtern übergeschrieben sind. Im einzelnen wird auf den Zusammenhang zwischen solchen nah benachbarten Glossierungen hingewiesen. Ist ein klarer Bezug zu lateinischen Einzelwörtern nicht erkennbar, wird eine ungegliederte, teilweise nicht identifizierbare Eintragung zunächst als eine Glossierung betrachtet, wie etwa im Falle der Glossierung fol. 85va, Z. 25. Entsprechend wurden auch die mehrwortigen Eintragungen fol. 6rb, Z. 9 und fol. 34vb, Z. 15 aufgrund des fehlenden graphischen Bezugs als jeweils zusammenhängende Glossierungen gewertet. Die Behandlung der Einzelwörter der mehrwortigen Glossierungen ist dann mit Kleinbuchstaben gekennzeichnet. c) Es folgt die Angabe des der Glossierung zugrundeliegenden lateinischen Lemmas durch Kursivierung im Zusammenhang des für die Übersetzung nötigen Kontextes, der dementsprechend manchmal kürzer und manchmal länger gewählt wird. Im Falle des Clm 6300, der einen inhaltlich schwierigen Text enthält 3 , muß die Kontextangabe vielfach umfangreicher ausfallen, um den der Übersetzung zugrundeliegenden Textzusammenhang zu verdeutli2
Man vergleiche die Überlegungen, die R. I. Page, in: Anglo-Saxon Glossography, besonders S. 79, 85, 92 - 94 zu den Möglichkeiten und Grenzen von Glosseneditionen anstellt. 3 Z u m Wortschatz vergleiche man R. M. Hauber, The Late Latin Vocabulary of the Moralia, zu Stil und Darstellung F. Gastaldelli, Salesianum 29 (1967) S. 293299.
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chen. In wenigen Fällen, in denen kein eindeutiger semantischer Bezugspunkt feststellbar ist, unterbleibt die Kursivierung. Kursiviert ist also das semantische Lemma, dasjenige lateinische Wort, auf das sich die Glossierung inhaltlich bezieht. Über das graphische Lemma, d.h. das lateinische Wort, dem die Glossierung positionell zugeordnet ist, wird an dieser Stelle nichts gesagt 4 . Das lateinische Textzitat wird nach der jeweils angegebenen Stelle in der Edition Mignes 5 angeführt unter Hinzufügung der Buch- und Kapitelangabe in der Klammer, so daß die Identifikation mit anderwärtig genannten Stellen, die sich in der Regel auf die Edition Mignes beziehen, problemlos möglich ist. Daneben wird aber in der Klammer auch eine auf die neuere Edition des Corpus Christianorum 6 bezogene Stellenangabe hinzugefügt, die die Zeile, in der das Lemma steht, nennt. In den wenigen Fällen, in denen die beiden Editionen, außer in der Orthographie einschließlich Interpunktion, voneinander abweichen, wird der abweichende Text angeführt. Entsprechendes gilt auch für morphologische, syntaktische, lexikalische und auffallende lautliche Abweichungen des Clm 6300, wobei bei Abgrenzungsschwierigkeiten gegenüber orthographischen Lesarten eher mehr einbezogen wird. Da die Angabe des lateinischen Kontextes nur der Unterstützung der Übersetzung und damit der Bedeutungsbestimmung des Lemmas dient, ist die Wiedergabe des Textes nach einer Edition derjenigen nach der Handschrift vorzuziehen. In den genannten Fällen von Abweichungen werden diese selbstverständlich bei der darauf folgenden neuhochdeutschen Übersetzung berücksichtigt. Wenn eine offensichtlich verderbte Stelle vorliegt, die nicht sinnvoll interpretiert werden kann, wird auf eine Übersetzung allerdings verzichtet. Bei Vertauschung von i und e ist nicht immer eine eigene Übersetzung anzugeben 7 . Innerhalb der Übersetzung ist diejenige des Lemmas wiederum kursiv hervorgehoben. Die Übersetzung ist zwar um einen verständlichen Text bemüht, bleibt aber im Hinblick auf ihre Funktion, die Bedeutung des Lemmas und damit der Glosse zu erhellen, soweit möglich, relativ wörtlich am lateinischen Text, so daß Lemma und Glosse verglichen werden können. Gelegentlich wird zur Untermauerung der Übersetzung auf lexikographische Hilfsmittel 8 und existierende Übersetzungen 9 4
Zur Terminologie vergleiche man H. Götz, in: R. Große - S. Blum - H. Götz, Beiträge zur Bedeutungserschließung, S. 74. 5 PL. 75, 590C bis 730A. 6 CCh. Series Latina CXLIII, S. 103 bis S. 283. 7 Man vergleiche unten die Glossierung Nr. 315. 8 Die Nennung von A. Biaise, Dictionnaire erfolgt insbesondere, wenn dort auf Moralia-Stellen Bezug genommen wird. 9 Eine neuhochdeutsche Übersetzung des inhaltlich schwierigen Textes des Clm 6300 ist bisher nicht unternommen worden. Herangezogen werden konnten daher
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Bezug genommen. In manchen Fällen wird eine dem Kontext entnommene Präzisierung, die nicht zur eigentlichen Übersetzung gehört, in eckige Klammern hinzugefügt, wenn sich dadurch ein besseres Textverständnis ergibt und wenn dadurch eine allzu umfangreiche Kontextangabe vermieden wird. d) Der nächste Teil des Editionsartikels dient der graphischen Identifikation der Glosse und ihrer genauen Position. Damit erfolgt eine getrennte Angabe von graphischem und semantischem Lemma. Dieses Verfahren ist übersichtlicher als das im Leipziger Althochdeutschen Wörterbuch 10 angewandte Verfahren mit Sperrung und Ausklammerung der verschiedenen Typen von Lemmata, zumal in der vorliegenden Edition aufgrund der besonderen Verhältnisse der Griffelglossierung relativ genau auf die Position Bezug genommen wird. Links werden die lateinischen Wörter angegeben, über denen die Glosse ganz oder teilweise steht und unter denen sich, von wenigen zu besprechenden Ausnahmen abgesehen, auch das semantische Lemma befindet. Im Falle der Eintragung am unteren Rand wird der darüberstehende Text als graphisches Lemma betrachtet und hier angegeben. Diese Angabe gibt, soweit dies der Druck erlaubt, den handschriftlichen Befund völlig getreu wieder. Langes s wird allerdings als 5 angeführt. Berührt eines der Wörter Spaltenanfang oder Spaltenende, wird das durch Hinzufügung von ' | ' angezeigt. In der Regel beginnt die Glosse über dem Anfang des ersten angegebenen Wortes, es sei denn, dieses selbst beginnt bereits in der vorausgehenden Zeile, was durch Einklammerung des vorausgehenden Teils kenntlich gemacht ist. Reicht die Glosse über ein Wort oder über das Zeilenende hinaus, wird das im folgenden Kommentar stets angegeben. In den wenigen Fällen, in denen Marginalglossen vorliegen (könnten), ist das eigens vermerkt. Ein eventuell über die Zeile hinausreichendes graphisches Lemma ist nur zur besseren Lesbarkeit vollständig angegeben. Für die Position der Glosse ist dieser rechts des Zeilenendezeichens stehende Teil belanglos. Falls keine näheren Angaben gemacht werden, heißt das, daß die Glosse über den angegebenen Wörtern steht und jedenfalls nicht über sie hinausreicht sowie auch nicht wesentlich kürzer ist. Auf das graphische Lemma folgend, nach einem Bindestrich, wird die althochdeutsche Glosse wiedergegeben. Dabei sind eventuelle mehrzellige Stückelungen aus technischen Gründen in eine lineare Folge gebracht. Identifizierte Buchstaben werden durch normale lateinische Druckbuchstaben nur die Buch I und II enthaltende französische Übersetzung von A. de Gaudemaris, Grégoire le Grand, und die auszugsweise italienische Übersetzung von B. Borghini, San Gregorio Magno. 10
Man vergleiche hierzu H. Götz, in: R. Große - S. Blum - H. Götz, Beiträge zur Bedeutungserschließung, S. 61.
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vertreten, so daß wiederum das durchgängig verwendete lange s als s erscheint 11 . Nicht völlig gesicherte Identifikationen werden durch Unterpungierung angedeutet, wobei Art und Grad der Unsicherheit im anschließenden Kommentar besprochen werden. Überhaupt nicht oder mit zu großen Unsicherheiten identifizierbare Buchstaben werden durch auf der Zeile stehende Punkte vertreten. Bei Unklarheit, ob überhaupt noch ein weiterer Buchstabe vorliegt, wird an der entsprechenden Stelle ein Fragezeichen gesetzt. Bei längeren unidentifizierten Passagen deuten zwei Fragezeichen an, daß die genaue Zahl der vorliegenden Buchstaben unsicher ist. In einzelnen Fällen wird auf das Mittel einer möglichst paläographisch getreuen zeichnerischen Wiedergabe zurückgegriffen, um schwierig verbalisierbare Sachverhalte zu verdeutlichen. Die Glossierungen sind in der Regel ohne Worttrennung durchgehend eingetragen. Umgekehrt treten Spatien auch gelegentlich innerhalb von Einzelwörtern auf, so daß die paläographisch getreue Wiedergabe in diesem Punkt wenig nützlich erscheint. Klar erkennbare Einzelwörter sind daher zur besseren Lesbarkeit mit Spatium abgetrennt ediert. Auf Besonderheiten der Überlieferung wird auch in diesem Fall im anschließenden paläographischen Kommentar hingewiesen. Hinter der Glosse wird in Klammern angegeben, ob es sich um einen Neufund handelt oder ob die Glossierung H. Mayer 12 schon bekannt war. Im zweiten Fall wird die entsprechende Stelle in H. Mayers Edition 13 genannt, falls die Lesung abweichend ist, gemeinsam mit dieser. Die Zugehörigkeit zur Gruppe der von H. Mayer nicht gelesenen Glossen wird mit dem Zusatz nicht entziffert angegeben. Darunter folgt der bereits angesprochene paläographische Kommentar, der insbesondere Fragen der Sicherheit der Lesungen und eventuelle Abweichungen von H. Mayers Lesungen behandelt. Da es sich im Clm 6300 in allen Fällen um Griffelglossen handelt, wird auf eine entsprechende Angabe durchgehend verzichtet. e) Es folgen, bei mehrwortigen Glossierungen nach Einzelwörtern aufgeteilt, die grammatische Bestimmung unter Wiederholung des Glossenwortes, die gebildete Ansatzform, soweit dies möglich ist, und die Angabe der ermittelten Bedeutung. Semantisches Lemma und Glosse werden also nicht noch einmal eigens gegenübergestellt. Falls alternative grammatische Bestimmun11
Zur Schrift der Glosseneintragungen vergleiche man die folgende Handschriftenbeschreibung unter C.I.l.c. 12 H. Mayer, Althochdeutsche Glossen. 13 Die angegebene Zeilenzählung berücksichtigt entsprechend dem Verfahren des Glossenwörterbuchs und anders als im Leipziger Althochdeutschen Wörterbuch nur diejenigen Abschnitte der Seite, in denen Glossen ediert sind.
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gen möglich sind, ohne daß die Berücksichtigung der grammatischen Form des lateinischen Lemmas und erkennbare Prinzipien der Glossierungstechnik eine Entscheidung erlauben, werden sie alle angeführt. Eine theoretisch mögliche Bestimmung als oblique Form wird aber beispielsweise bei einem lateinischen Lemma im Nominativ normalerweise nicht in Erwägung gezogen, d.h. hier werden Wahrscheinlichkeiten und Ergebnisse aus der Untersuchung der Glossierungstechnik einbezogen. Falls die überlieferte Form nicht eindeutig zu einer Ansatzform führt, werden auch hier verschiedene Alternativen angegeben. Die Angabe der Stammzugehörigkeit folgt im wesentlichen der Handhabung im Wörterbuch von R. Schützeichel. Fragliche Bestimmungen und Ansätze sind mit einem Fragezeichen versehen. Falls das Glossenwort nur teilweise grammatisch oder lexikalisch identifizierbar ist, werden die identifizierten Morpheme angegeben und fehlende Teile durch eckige Klammern signalisiert. Unvollständige Morpheme werden nur dann konjiziert, wenn eine begründete Hypothese über die Identität des Morphems vorliegt. Die konjizierten Elemente stehen ebenfalls in Klammern. Im übrigen folgt die Ansatzform der Graphie des Belegs unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse der Handschrift und der allgemeinen Regeln der althochdeutschen Grammatik, etwa beim Ansatz des Infinitivs14 beziehungsweise der Infinitivendung. So werden beispielsweise Endungsvokalschreibungen mit a im Partizip Präsens von jan-Verben 15 auf die Infinitivendung -en bezogen, da die Glossen selbst keine eindeutig widersprechenden Formen bieten. Allerdings werden gegen die Graphie der Handschrift die etymologisch gerechtfertigten Quantitätsverhältnisse der Vokale bezeichnet. Zur Verdeutlichung der lexikalischen Identität werden gelegentlich die Ansatzformen der lexikographischen Hilfsmittel in Klammern hinzugefügt 16 . Auf besondere zur morphologischen Identifikation nötige graphisch-phonologische Zusatzannahmen wird im anschließenden Kommentar eigens hingewiesen. Im übrigen sind zur phonologischen und grammatischen Zuordnung der Belege die sprachlichen Analysen am Ende der Edition zu vergleichen, worauf in der Regel nicht eigens verwiesen wird. Die Bedeutungsangabe berücksichtigt neben dem lateinischen Lemma die bisher belegten Bedeutungen des althochdeutschen Wortes, soweit lexikographisch ermittelbar, bezieht, wenn nötig, aber auch die aus Etymologie und Wortbildungsstruktur zu erschließenden Möglichkeiten mit ein, falls das lateinische Lemma dazu Anlaß gibt. Die angegebene Bedeutung deckt sich dabei im Normalfall mit dem bei der Übersetzung verwendeten neuhochdeut14 15 16
Beispielsweise in Nr. 184. Man vergleiche etwa Nr. 16. So etwa in Nr. 12.
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sehen Wort. In manchen Fällen, in denen die Übersetzung eine starke Einschränkung des Bedeutungsbereichs mit sich bringt, ist aber die Bedeutungsangabe im Sinne einer metasprachlichen Angabe als Hinweis auf die vorliegende lexikalische Bedeutung zu verstehen 17 . Von bisher nicht belegtem übertragenen Gebrauch wird nur in leicht vorstellbaren Zusammenhängen ausgegangen. Im Anschluß an die grammatische und lexikalische Identifikation wird das Wort lexikographisch nachgewiesen oder als Hapaxlegomenon bestimmt. Diese Bestimmung bezieht sich auf das Gesamtwort, nicht auf seine einzelnen Bestandteile, die durchaus mehrfach belegt sein können. Als Hapaxlegomenon wird hier in einem weiten Sinne ein innerhalb der althochdeutschen Überlieferung nur an der vorliegenden Stelle in seiner lexikalischgrammatischen Identität einmalig belegtes Wort bestimmt, also etwa auch die -ön-Variante eines bereits bekannten -ën-Verb oder ähnliches. Die Identifikation der Hapaxlegomena wird in jedem Fall ausführlich kommentiert. Eventuelle Differenzen hinsichtlich Flexionsart und Bedeutung bei bereits belegten Lexemen werden ebenfalls anschließend diskutiert, es sei denn, es handelt sich um geringfügige, leicht einsichtige Bedeutungsvarianten. Falls nicht anders angegeben, ist davon auszugehen, daß in den bereits von H. Mayer edierten Fällen die grammatische und lexikalische Identifikation des Belegs der vorliegenden Untersuchung mit der Behandlung im Althochdeutschen Glossenwörterbuch und in den danach erschienenen Lieferungen des Leipziger Wörterbuchs 18 übereinstimmt. Schließlich wird die Glossierung noch auf ihre formale, funktionale und lexikalisch-semantische Adäquatheit 19 hin kommentiert, falls die Übereinstimmung nicht vollständig und problemlos ist. Auf formenkongruente Glossierung wird also nicht eigens verwiesen. Als Grundform wird der Infinitiv, der Nom. Sg. beziehungsweise die unflektierte Form bei den Adjektiven bezeichnet. Semantische Besonderheiten, wie Vokabelglossierung, Fehlglossierung oder metaphorischer Gebrauch werden in jedem Fall vermerkt. Falls das lateinische Lemma bereits als glossiert bekannt ist, wird außerdem geprüft, ob die vorliegende Entsprechung bereits belegt ist. Hierbei konnte jedoch nur auf die bekannten lexikographischen Hilfsmittel zurückgegriffen 17 Man vergleiche zu den verschiedenen Möglichkeiten der Bedeutungsangaben B. Meineke, in: R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (III), besonders S. 246. Zum Problem der Bedeutungsermittlung bei Glossen vergleiche man auch R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (III), S. 69 - 71. 18 Das heißt im Falle des Leipziger Wörterbuchs ab der 6. Lieferung des dritten Bandes (1976). Im Glossenwörterbuch von T. Starck und J. C. Wells sind im Prinzip alle von H. Mayer edierten Wörter einbezogen. Wörter, die alphabetisch vor griozstehen, sind in den Nachträgen zu finden. 19 Man vergleiche hierzu unter 3.e. die Ausführungen zur Glossierungstechnik des Clm 6300.
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werden, soweit sie Angaben über die lateinischen Lemmata machen. Grundsätzlich wurde, vom althochdeutschen Wort ausgehend, soweit möglich wegen der vollständigen Angaben das Leipziger Wörterbuch (AWB.) konsultiert, daneben wurden aber auch die weniger vollständigen Angaben in E. G. Graffs Althochdeutschem Sprachschatz (GSp.) und für die Glossen das Glossenwörterbuch (StWG.) geprüft, das die Lemmata aber nur in Auswahl bietet. Angaben zu lateinisch-althochdeutschen Entsprechungen beziehen also immer die Information dieser Wörterbücher mit ein, ohne daß sie noch einmal eigens genannt werden 20 . Jüngere Editionen konnten nicht systematisch ausgewertet werden, so daß sich Angaben über bisher belegte oder nicht belegte Glossierungen ohne genaueren Nachweis stets auf die in den Hilfsmitteln erreichbare Information beziehen. f) Bei den nicht identifizierten Glossen ist der laufenden Nummer zur besseren Identifikation ein Sternchen vorangestellt. Die Kursivierung des semantischen Lemmas entfällt, da in Ermangelung einer semantischen Identifikation nur das graphische Lemma bekannt ist, das nach demselben Verfahren wie im ersten Teil angegeben wird. Auf eine Übersetzung wird verzichtet, da sich die Aufgabe der semantischen Analyse der Glosse nicht stellt. Wenn bei der Angabe der Glosse statt Buchstaben nur zwei Fragezeichen stehen, bedeutet das, daß die Eintragung nicht mehr lesbar ist. Die genauere Beschreibung des Sachverhalts findet sich, wenn nötig, im anschließenden paläographischen Kommentar.
20 Man vergleiche etwa Nr. 192. Vom lateinischen Lemma ausgehend wurden die Zusammenstellungen bei G. Köbler, Lateinisch-germanistisches Lexikon, für die schwachen Verben das Glossar im Wörterbuch F. Ravens (RSV. II, S. 278-350) benutzt. Hierauf wird nur in Einzelfällen verwiesen. Zur Überprüfung eventuell bereits vorhandener althochdeutscher Glossierungen lateinischer Lemmata habe ich auch den von E. Steinmeyer erstellten handschriftlichen Index zu seiner Glossensammlung herangezogen, den ich dankenswerterweise in Karteiform bei der Arbeitsstelle des Mittellateinischen Wörterbuchs in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München, benutzen konnte. Bei Bedarf wird hierauf mit der Angabe E. Steinmeyer, Index, verwiesen. Schließlich wurden auch noch die Angaben in dem erst während der Drucklegung dieser Untersuchung erschienenen Glossar von H. Götz, Vorläufiges lateinisch-althochdeutsches Glossar, geprüft, ohne daß das jeweils angegeben ist, wenn kein erwähnenswerter Befund vorliegt.
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b. Althochdeutsche Glossen 1. fol. lrb, Z. 25 Aliquando autem linguae modum ponere nititur sed onere dispensationis exigente, silere prohibetur (PL. 591A; CCh. S. 104,17; II, XLVIII.75; Hs. honore) 'Bisweilen aber strebt er danach, der Zunge eine Grenze zu setzen, aber da die Bürde (Hs. Ehre) seines Amtes es fordert, ist ihm zu schweigen verwehrt' Isilere - .achei (Neufund) Die Eintragung, die erst hinter l beginnt, reicht bis in den Wortzwischenraum. Vor a ist ein hoher Schaft erkennbar, zu dem eventuell noch ein Bogen links davon gehört, ohne daß eine Berührung sichtbar wäre. Es könnte also / oder d in Frage kommen. Dieser Buchstabe ist mit dem nächsten durch einen Mittelstrich verbunden, der auch als Deckbalken eines t gedeutet werden könnte. Darüber hinaus ist rechts oben an dem ungewöhnlich steilen Schrägstrich des a ein kleiner Halbkreis erkennbar, der an eine ce-Ligatur denken läßt. Aus diesen verschiedenen Gründen kann das a nicht als gesichert gelten. Das am Ende deutlich erkennbare große e hat einen auffallend langen Querstrich, an den sich eventuell noch ein weiterer Buchstabe anschließt. .achei: Inf.? sw. V. [ ]ên. - Die vorgeschlagene Identifikation, die sich am lateinischen Lemma orientiert, erscheint angesichts der paläographischen Unsicherheit möglich oder verlangt die Annahme einer Sonderschreibung der Infinitivendung. Das Grundmorphem ist nicht ermittelbar. Das lateinische Lemma ist fol. 116ra, Z. 8 ein weiteres Mal glossiert. Im übrigen sind die Glossierungen des bedeutungsnahen Verbs lat. reticere, fol. 22rb, Z. 7, fol. 22vb, Z. 10 und fol. 122va, Z. 22, zu vergleichen, die einen teilweise ähnlichen paläographischen Befund bieten.
2. fol. Iva, Z. 10 Plerumque autem tantis cogitationum voluminibus implicatur (PL. 591B; CCh. S. 104,22; II, XLVIII,75; Hs. implecatur) 'Aber meistens wird er in so viele Windungen der Gedanken verwickelt' uoluminib: - uu..a (Neufund)
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Die Eintragung, die von u bis vor b reicht, besteht aus feinen Strichen. Die mittleren Buchstaben sind nicht mehr lesbar. Am Anfang sind mehrere halbh o h e Schäfte erkennbar, die am ehesten als uu interpretierbar sind. uu..a\ Nom. Sg. st. oder sw. F [ ]α. - Die vorgeschlagene Interpretation ist angesichts der paläographischen Unsicherheiten nur mit einer gewissen, auf der vorherrschenden Glossierungspraxis beruhenden Wahrscheinlichkeit vertretbar. D a s G r u n d m o r p h e m ist auch unter Berücksichtigung bisher bekannter Entsprechungen nicht ermittelbar.
3. fol. Iva, Z. 14 Plerumque autem tantis cogitationum voluminibus implicatur ut ipse ferre uix valeat, quae intra se providus versât (PL. 591B; CCh. S. 104,23; II, XLVIII,75; Hs. implecatur, ipse offene) 'Aber meistens wird er in so viele Windungen der Gedanken verwickelt, daß er das kaum zu tragen (Hs. anzubieten) imstande ist, was er vorausblickend in sich hin und her wälzt' puidus uer\sat - forascauonti
(Neufund)
Die Eintragung, die durch eine Oberlänge der Zeile darunter hinter fora zweigeteilt ist, beginnt im Zwischenraum vor ρ und endet in der Spaltenmitte. forascauonti·. unflekt. Part. Präs. sw. V. forascauön 'vorausblicken'. - Hapaxlegomenon. Es liegt formeninkongruente Glossierung mit einer partizipialen G r u n d f o r m vor. Die geringfügige formal-grammatische Inkongruenz zwischen lateinischer Adjektivform und althochdeutscher Partizipialbildung wird jedoch durch funktionale Äquivalenz ausgeglichen. Die Bedeutungsbestimmung der verbalen Präfixbildung ergibt sich im Zusammenhang des lateinischen Lemmas aus den Wortbildungsbestandteilen fora-1 und scauön2 und belegten verwandten Wortbildungen wie forascauwunga 'Umsicht' 3 , furiscouuon
1
Mit fora- präfigierte althochdeutsche Verben sind zusammengestellt bei GSp. III, Sp. 612-614, wobei das hier angegebene forascawon andernorts nicht nachgewiesen ist. Man vergleiche auch StWG. S. 171; J. Grimm, Deutsche Grammatik, II, S. 171 sowie zu diesem Wortbildungsmuster allgemein H. Krähe - W. Meid, Germanische Sprachwissenschaft, III, § 43, S. 37, zum vorliegenden Verbalpräfix IEW. I, S. 813. 2 3
SchW. S. 231; GSp. VI, Sp. 552f.; StWG. S. 546; RSV. II, S. 134. SchW. S. 116; AWB. III, Sp. 1172; GSp. VI, Sp. 556; StWG. S. 172.
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'Fürsorge tragen, voraussehen' 4 und scauönti 'überlegt' 5 sowie späteren Belegen 6 und Belegen aus Nachbarsprachen 7 . Die anzunehmende Bedeutungsbreite von 'vorhersehen' bis Vorsorgen' stimmt zu derjenigen des lateinischen Lemmas 8 und wird im Kontext nicht eindeutig eingegrenzt. Auffällig ist auch die teilweise Entsprechung in der Wortbildungsstruktur von Lemma und Interpretament. Dazu stellt sich auch die bisher schon bekannte Glossierung mithilfe des Grundmorphems sehati9.
4. fol. 2 r a , Z. 9
Quasi enim tres turmas contra camelos facere, est terrenarum dispensationum 10 studia modo illicito opere, modo [...] vastare (PL. 591C; CCh. S. 104,39; II, XLVIII,75; Hs. turbas, inlicito). 'Denn drei Sturmtrupps gegen die Kamele zu bilden, heißt gleichsam die Bemühungen um eine richtige Führung der irdischen Angelegenheiten zunichte zu machen, sei es durch eine unerlaubte Tat, sei es ...' inlicito opere \ - unarlaupit (M. S. 74,1) Die Eintragung beginnt erst nach / und reicht bis über p. Es liegt eine kleine, eckige, gerissene Schrift vor. unarlaupit·. unflekt. Adj. unarlaupit 'unerlaubt' - SchW. S. 271; StWG. S. 666. Die Glossierung weist durch die Setzung der Grundform Formeninkongruenz auf. Das althochdeutsche Wort erscheint in der Glossenüberlieferung, soweit bisher bekannt, nur im Clm 630011 sowie darüberhinaus in der Würzburger Beichte 12 und zwar außer einmal für lat. illecebrare13 jeweils für lat. illicitusu. 4
RSV. II, S. 135; StWG. S. 546 (gleichfalls ein Hapaxlegomenon). SchW. S. 231; GSp. VI, Sp. 554. 6 DWB. XII.II, Sp. 1451 mit frühneuhochdeutschen Belegen, wobei die Bedeutung Vorsorgen' allerdings nur in reflexivem Gebrauch nachgewiesen wird. 5
7 8
Man vergleiche a e. fore-sceáwian, ASD., S. 307.
GH. II, Sp. 2045 (providus 'vorhersehend, vorsorgend'), OLD. S. 1506. 9 StSG. II, 305,34. 311,14 (fora kisehan). 10 Zur Übersetzung vergleiche man Grégoire le Grand, S. 367 sowie M. Walther, Pondus, dispensatio, dispositio, S. 200. 11 Man vergleiche fol. 7va, Z. 7 sowie fol. 50va, Z. 6. 12 SchW. S. 271. 13 Man vergleiche die Ausführungen zu fol. 50va, Ζ. 6. 14 Man vergleiche die Bemerkungen E. v. Steinmeyers, Die kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler, S. 318, zur Textgrundlage der entsprechenden Stelle der Würzburger Beichte.
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Clm 6300
Ansonsten war bisher nur für die lateinische Adverbialform eine Übersetzung, unmuozhafto, bekannt 15 . Zu vergleichen ist auch die Wortbildung unirloubantlih16 mit entsprechender Bedeutung.
5. fol. 3ra, Z. 20 Nonnumquam dum nonnulla menti delectatio subripit, temperantia nostra marcescit (PL. 592B; CCh. S. 105,23; II, XLIX,76; dilectatio) 'Bisweilen, während manche Verlockung in den Sinn schleicht, erschlafft unsere Mäßigung' marcescit | - nikaitfirbet (M. S. 79,5a: nicht entziffert) Die gerissene mittelgroße Eintragung ist in den senkrechten Strichen gut lesbar. Die genaue Zusammensetzung der Buchstaben ist aber sehr unsicher. Die Eintragung beginnt mit vier halbhohen Strichen, die un oder ni mit folgendem k vertreten könnten. Unsicher ist, ob vor a noch eine sprachliche Eintragung vorliegt, die dann als c oder Rest des k interpretierbar wäre. Vom restlichen Teil sind t und b unsicher identifiziert. Von t ist nur der obere Teil sichtbar, der aber auch zu g gehören könnte, für das aber keine weiteren Indizien sprechen, b hat eine ungewöhnliche Form mit einem großen Oval und einem kleinen Strich links nach oben. Wegen der Häufung paläographischer Unsicherheiten sei hier die Eintragung möglichst genau wiedergegeben. ι II
'
Ifth-beC
nikaitfirbet: 3. P. Sg. Ind. Präs. sw. V. [ )en. - Die Bestimmung wird durch die Endung auf dem Hintergrund des lateinischen Lemmas wahrscheinlich gemacht. Ein ën-Werb läßt sich auch gut mit der inchoativen Bedeutung des Lemmas verbinden 17 . Das Grundmorphem ist auch unter Berücksichtigung bisheriger Entsprechungen nicht anzuschließen, wobei offenbleiben muß, ob die Eintragung vor der Endung aus mehreren Wörtern besteht oder nicht. Es läßt sich auch kein Zusammenhang zu der Glossierung des verwandten lat. marcere auf fol. 97va, Z. 10 erkennen.
15
Man vergleiche GSp. II, Sp. 908; G. Köbler, Lateinisch-germanistisches Lexikon, S. 197. 16 Hierin liegt eventuell eine weitere Glossierungsmöglichkeit von lat. illicitus vor, man vergleiche StSG. II, 143,54, A. Zu diesem Wort vergleiche man W. Wissmann, in: Festgabe, S. 314. 17 Man vergleiche T. E. Karsten, NPhM. 13 (1911) S. 1-11.
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6. fol. 3ra, Z. 24 in t a n t u m minus ab illicitis temperamus (PL. 592B.; CCh. S. 105,24; II, XLIX,76; Hs. inlicitis) 'umso weniger enthalten wir uns der unerlaubten Dinge' ab inliei \ tis - Ifona unarauoten (Neufund) Die Eintragung reicht bis über die Spaltenmitte und ist dort zweizeilig, fona reicht von a bis η des lateinischen Lemmas. O b die Eindrücke davor sprachlich sind, ist zu bezweifeln. W o das zweite Wort beginnt, ist nicht ganz sicher feststellbar, weil dieser Teil kaum mehr lesbar ist. Ab dem nächsten, gut lesbaren a steht die Eintragung in der Spaltenmitte, o befindet sich bereits in der zweiten Spalte. D e r Teil ten steht zentriert darunter. Als letzter Buchstabe der ersten Zeile wurde der erkennbare, ziemlich sicher rechts geschlossene Kreis als o identifiziert, da keine Ober- oder Unterlänge zu sehen ist. D i e Eintragung in der Spaltenmitte ist undeutlich, da ein Rastermuster mit Griffel darübergezeichnet ist. e statt a ist nicht ganz auszuschließen, da ein eindeutig für a sprechender Schrägstrich nicht erkennbar ist. a. "ifona: P r ä p . f o n a 'von'. - AWB. III, Sp. 1069-1132; SchW. S. 115f.; GSp. III, Sp. 524f.; StWG. S. 170. Die syntaktisch-semantische Adäquatheit der gewählten Präposition ist ohne Kenntnis des regierenden Verbs nicht endgültig zu beurteilen, aufgrund der grundsätzlichen Übereinstimmung von lat. ab und ahd. fona18 aber wahrscheinlich. b. unarauoten·. Dat. PI. M. oder N. oder F. st. flekt. Adj. un[ ]öt. - Auf d e m Hintergrund der Wortbildung des lateinischen Lemmas besteht trotz der paläographischen Unsicherheit eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Identifikation des Negationspräfixes un-, das an ein Adjektiv oder an das Partizip Präteritum eines -ö«-Verbs getreten sein kann 1 9 . Im übrigen läßt sich die hier vorliegende Glossierung von lat. illicitus kaum mit der ansonsten im Clm 6300 belegten 2 0 in Einklang bringen.
7. fol. 4va, Z. 9 repente intima confusione vastamur (PL. 593C; CCh. S. 107,69; II, XLIX,78) 'wir werden plötzlich durch die tiefste Verwirrung zerrüttet'
18
Man vergleiche H. Götz, Vorläufiges lateinisch-althochdeutsches Glossar, S. 1. Man vergleiche die rückläufige Zusammenstellung von Adjektiven bei R. Bergmann, Rückläufiges morphologisches Wörterbuch, S. 358f. 20 Man vergleiche fol. 2ra, Z. 9 mit weiteren Verweisen. 19
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(uas) \tamur/ sed ta\men - pirum arharìot (M. S. 74,3: pirumahariot) Bei der Angabe H. Mayers liegt wohl ein Versehen vor, da das zweite r eindeutig erkennbar ist. Die Eintragung beginnt mit pi am linken Rand und endet über dem Wortanfang von tarnen. a. pirum·. 1. P. PI. Ind. Präs. an. V. sin 'werden'. - SchW. S. 225; GSp. III, Sp. 14-16; StWG. S. 524f. b. arharìot: unflekt. Part. Prät. sw. V. arhariön 'zerrütten'. - AWB. IV, Sp. 984; GSp. IV, Sp. 987; StWG. S. 270; RSV. II, S. 66. Die beiden Verbalformen geben zusammen die lateinische Passivform wieder 21 . Ahd. arhariön wird hier zur Glossierung einer übertragenen Verwendung des lateinischen Verbs 22 gebraucht, wohingegen bisher nur konkrete Verwendungen belegt waren. Die Bedeutung 'innerlich zerrütten' belegt das Leipziger Wörterbuch allerdings für das präfixlose Verb, zu dem unter Annahme einer Verschreibung unter Vorbehalt auch der vorliegende Beleg gestellt wird. 23 Diese Zuordnung ist aufgrund des klaren paläographischen Befundes zu korrigieren. Zur Wiedergabe von lat. vastare wurde die vorliegende Präfixbildung bisher nicht gebraucht.
8. fol. 4va, Z. 16 et tanto maturius ad gravitatem restringimur, quanto ad hanc quasi amissam redimus (PL. 593C; CCh. S. 107,71; II, XLIX,78; Hs. restringimus) 'und umso frühzeitiger werden wir an die Besonnenheit gebunden, je schneller wir zu dieser, nachdem wir sie beinah fallengelassen hatten, wieder zurückkehren' 24 Die handschriftliche Lesart ergibt die im Kontext wenig sinnvolle Variante 'und umso mehr binden wir das Reifere an die Besonnenheit'. maturius \ - riflihhor (M. S. 74,4) Die Eintragung ist in einer deutlichen mittelgroßen Schrift eingeritzt.
21
Man vergleiche BEG. § 301, besonders A. 1, sowie die Flexionsanalyse unten in 3.b.a). 22 GH. II, Sp. 3375. 23
AWB. IV, Sp. 983. Zur Übersetzung vergleiche man Grégoire le Grand, S. 375. Die freiere Übersetzung 'ad una gravità tanto più matura', San Gregorio Magno, S. 107, gibt die syntaktischen Verhältnisse nicht exakt genug wieder. 24
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riflihhor: Komp. Adv. rîflîhho 'reif. - Hapaxlegomenon. StWG. S. 483. Der Eintrag im Glossenwörterbuch basiert einzig auf dem vorliegenden Beleg. Die grammatische Bestimmung als Adverb orientiert sich im Zusammenhang der überlieferten Form am lateinischen Lemma. Adverbien auf -lïhho ohne parallel bestehende Adjektive auf -lih sind häufiger belegt 25 . Als Bedeutung ergibt sich hier auch aufgrund der Wortbildungsanalyse als Derivat der adjektivischen Basis rtfi 'reif 2 6 ebenfalls 'reif, sowohl unter Annahme eines lexikalisch-semantisch leeren Suffixes27, das höchstens eine zusätzliche Wortartmarkierung 28 bewirkt, als auch bei Annahme einer sich ergebenden Abstraktion 29 . Die Bedeutungsbreite des lateinischen Lemmas 30 ist im Kontext auf die Bezeichnung eines frühen Entwicklungsstadiums eingeschränkt. Für das althochdeutsche Interpretament gibt es weder in der Wortbildungsanalyse noch im Vergleich mit Belegen anderer Sprachstufen 31 einen Anhaltspunkt einer solchen Verwendungsmöglichkeit. Damit muß eine Vokabelglossierung angenommen werden, die die gewöhnliche Bedeutung von lat. maturas 'reif wiedergibt, ohne daß die spezifische Bedeutung des Adverbs 'frühzeitig' 32 berücksichtigt wäre. Es ist allerdings auch nicht ganz auszuschließen, daß durch die althochdeutsche Adverbbildung nach dem Modell des Lateinischen die spezifische Bedeutung wiedergegeben werden sollte. Für die bei StWG. S. 483 zusätzlich zu 'reif als fraglich angegebene Bedeutung 'überlegen' gibt es keine Grundlage. Schließlich ist auch noch zu berücksichtigen, daß die Glossierung aufgrund des verderbten Textes zu maturìus als substan-
25
Man vergleiche etwa W. Wilmanns, Deutsche Grammatik, II, § 361,1 sowie die Zusammenstellung der Belege bei GSp. II, Sp. 105f. Der Ansatz eines entsprechenden Adjektivs bei F. Heidermanns, Etymologisches Wörterbuch der germanischen Primäradjektive, S. 443, beruht wohl auf dem vorliegenden Beleg. 26 SchW. S. 211; GSp. II, Sp. 497; StWG. S. 483. Das Allomorph rtf- in der Derivation steht regelgerecht, man vergleiche W. Wilmanns, Deutsche Grammatik, I, § 320; O. Gröger, Die althochdeutsche und altsächsische Kompositionsfuge, §§ 70f. Bei F. Heidermanns, Etymologisches Wörterbuch der germanischen Primäradjektive, S. 443f., als α-Stamm angesetzt. 27 Man vergleiche etwa W. Wilmanns, Deutsche Grammatik, II, § 363,5. 28 Man vergleiche hierzu Sravnitel'naja grammatika, IV, S. 44. 29 Man vergleiche hierzu W. Wilmanns, Deutsche Grammatik, II, § 363,5 sowie J. Grimm, Deutsche Grammatik, II, S. 652f. 30 GH. II, Sp. 832 (mature), Sp. 833f.(maturas). 31 Die frühesten, frühneuhochdeutschen Belege zeigen nach DWB. VIII, Sp. 633f. die neuhochdeutsche Bedeutung 'reiflich'. Zur Wortfamilie vergleiche man F. Heidermanns, Etymologisches Wörterbuch der germanischen Primäradjektive, S. 443f. 32 GH. II, Sp. 832; A. Blaise, Dictionnaire, S. 519; OLD. S. 1084.
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tiviertem Adjektiv erfolgt sein könnte, wozu sich auch die ermittelte Bedeutung 'reif stellen ließe. 9. fol. 4vb, Z. 5 et tanto post validius fortitudinem retinet (PL. 593C; CCh. S. 107,76; II, XLIX.78; Hs. post] plus) 'und umso fester bewahrt er [der Geist] dann die Stärke'. Der handschriftlichen Lesart entspricht eine Übersetzung ohne dann. I ualidius - starchor (M. S. 74,2: unter falscher Stellenangabe f. 4va) Die Eintragung in kleiner gestochener Schrift beginnt noch mit s in der Spaltenmitte. starchor: Komp. Adv. starcho 'fest'. - SchW. S. 242; GSp. VI, Sp. 717; StWG. S. 587. Die Textüberlieferung bietet nur eine phraseologisch gebundene Verwendung. In der Glossenüberlieferung ist das Adverb noch in einem weiteren Beleg 33 nachweisbar. Die grammatische Bestimmung orientiert sich im Zusammenhang der überlieferten Form am lateinischen Lemma. Die Bedeutungsbestimmung des insgesamt nur schwach belegten althochdeutschen Adverbs stimmt zum Adjektiv 34 . Dieses ist bereits als Entsprechung von lat. validus vereinzelt gebraucht 35 . In der Regel glossiert es lat. fortis, wie die Überprüfung der Stellen im Glossenwörterbuch zeigt. 10. fol. 5rb, Z. 12 quia videlicet virtutes [...] etsi in momento turbatae ab status sui deficiunt (PL. 594A; CCh. S. 107,97; II, XLIX; Hs. incolomitate)
incolumitate
'weil nämlich die Tugenden [...], wenn sie auch nur für einen Moment verwirrt sind, von der Unversehrtheit ihres Zustandes abfallen' incolomita | te - in deru heili (M. S. 79,6a: nicht entziffert) Die Eintragung, die erst hinter / beginnt, reicht mit heili in den Rand. Die Ritzung hinter i ist nicht sprachlich. a. in: Präp. in 'in'. - SchW. S. 150; GSp. I, Sp. 289-295; StWG. S. 299f. Die althochdeutsche Präposition kann nicht als wörtliche Übersetzung der lateinischen Präposition angesehen werden. Es kann lediglich syntaktisch-funk33 34
StSG. II, 260,1.
Man vergleiche etwa SchW. S. 242. Man vergleiche G. Köbler, Lateinisch-germanistisches Lexikon, S. 448 sowie StSG. V, 19,25. 35
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Frühe Glossenhandschriften aus Freising
tionale Gleichwertigkeit angenommen werden, die vom nicht glossierten, regierenden Verb abhängig ist. b. deru: Dat. Sg. F. best. Art. diu 'die'. c. heili: Dat. Sg. st. F. heilt 'Unversehrtheit'. - AWB. IV, Sp. 834-836; SchW. S. 139; GSp. IV, Sp. 864-866; StWG. S. 263. Formale Kongruenz ist durch die Glossierung mithilfe eines Präpositionalsyntagmas gegeben, wenn auch die Verwendung der speziellen Präposition nicht ohne weiteres verständlich ist. Möglicherweise liegt eine Beeinflussung durch das lateinische Präfix vor. Abgesehen von der eventuell anzweifelbaren semantischen Adäquatheit der Präposition, ist insgesamt sicherlich lexikalisch-semantische Äquivalenz gegeben, da es kaum von Bedeutung sein dürfte, daß einerseits lat. incolumitas, soweit zu sehen, bisher nur mit ahd. gisundi36 als Entsprechung verzeichnet ist und andererseits das gut belegte heili hauptsächlich für lat. salus und sanitas gebraucht wird, wie die Belege im Leipziger Althochdeutschen Wörterbuch zeigen. Im übrigen ist die entsprechende Glossierung des Adjektivs fol. 34vb, Z. 15 zu vergleichen. 11. fol. 5vb, Z. 27 Sed dum tentatione irruente quatitur (PL. 594C; CCh. S. 108,119; II, XLIX,79; Hs. temptatjone, inaiente) 'Aber wenn er durch die ihn überfallende Versuchung erschüttert wird' quatjtur\ - kascutit (Neufund) Der drittletzte Buchstabe ist ein wenig aufgerissen, aber dennoch eindeutig als t erkennbar. kascutif. unflekt. Part. Prät. sw. V. (ka)scutten 'erschüttern'. - SchW. S. 233 (,skutten); GSp. VI, Sp. 425f. (scutjan, gascutjan)', StWG. S. 553 (scutten, giscutten)·, RSV. I, S. 188f. (scutten, giscutten). Die gängige Wiedergabe der Passivform lediglich mit dem Part. Prät. 37 ergibt Formeninkongruenz. Ob das seltenere präfigierte oder das unpräfigierte Verb vorliegt, ist hier nicht entscheidbar, wenn auch bisher kein eindeutiger Beleg für giskutten als Entsprechung von lat. quatere vorliegt 38 . Ahd. skutten ist für lat. quatere neben einer Reihe weiterer Entsprechungsmöglichkeiten belegt 39 und weist selbst eine 36 Man vergleiche die Belege der Canonesglossenhandschriften bei StSG. II, 114,60. 37 Dazu unten Kap. 3.b.a). 38 Man vergleiche StWG. S. 553; GSp. VI, Sp. 425f.; RSV. II, S. 334. 39 RSV. II, S. 334; StSG. I, 462,12; IV, 16,13.
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Vielzahl von Entsprechungen auf 40 . 12. fol. 6rb, Z. 9 Sedere enim, quiescente est (PL. 594D; CCh. S. 108,1; II, L,80) 'Denn Sitzen kommt dem Ruhenden zu' quiescentis Est | - rastienti ist (Neufund) Die Eintragung, die über c beginnt, reicht mit ist über den Rand. Es läßt sich nicht eindeutig entscheiden, ob die zwischen t und e erkennbare halbhohe Ritzung als i zu identifizieren ist oder auf Pergamentbearbeitung zurückgeht. a. rastienti: unflekt. Part. Präs. sw. V. rastien 'ruhen'. - SchW. S. 211 (resten); GSp. II, Sp. 549; StWG. S. 481, 828; RSV. I, S. 154. Die Glossierung ist nicht formenkongruent, insofern althochdeutsch eine Grundform gewählt wurde. Das Verb ist bisher nicht als Entsprechung für lat. quiescere bekannt 41 . b. ist: 3. P. Sg. Ind. Präs. an. Verb sin 'zukommen'. - SchW. S. 225 ('zukommen' mit Genitiv); GSp. I, Sp. 481-485; StWG. S. 524f. Die lateinische Genitivkonstruktion 42 ist nur ansatzweise wiedergegeben, insofern gerade der Kasus ignoriert ist. Dadurch entsteht althochdeutsch kein entsprechendes Syntagma, so daß nicht völlig gesichert ist, ob nicht etwa ist lediglich als Vokabelübersetzung gewählt wurde. Dagegen spricht aber, daß eine Glossierung von est außerhalb eines syntaktischen Zusammenhangs ziemlich ungewöhnlich wäre. Die Glossierung nimmt also wohl die Besonderheit der Konstruktion zum Anlaß, die Bestandteile zu übersetzen, berücksichtigt aber gerade nicht den spezifischen grammatischen Zusammenhang. 13. fol. 7va, Z. 7 ne sese per illicita spargant (PL. 595C; CCh. S. 109,8; II, LH,82; Hs. inlicita) 'damit sie [die Gedanken] sich nicht in das Feld des Unerlaubten ausbreiten' Iper inlicita spar\gant - .iu..?.t unarlaupit (M. S. 74,543)
40
Man vergleiche etwa die bei StWG. S. 553 angegebenen Belegstellen sowie RSV. I, S. 188. 41 Man vergleiche RSV. II, S. 334, dagegen aber G. Köbler, Lateinisch-germanistisches Lexikon, S. 352. 42 R. Kühner - C. Stegmann, Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache, II.l, § 8 6 . 1 . 43
Hier fälschlich als Lemma inlicitas genannt.
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Die Eintragung, die mit dem lesbaren Teil über t beginnt, erstreckt sich mit pit über die Spaltenmitte. Der erste Teil beginnt mit einem halbhohen Schaft, an den sich mit einem oberen Verbindungsbogen ein hoher Schaft mit Unterlänge anschließt. Diesem folgt ein ebensolcher, aber unverbundener Schaft, der als i identifiziert werden könnte. Hinter dem folgenden u steht zunächst ein halbhoher nach links oben geneigter Schaft, dann eine weitere halbhohe Eintragung. Auch die halbhohen Buchstaben am Ende sind nicht gesichert, zumal unklar ist, ob noch zwei oder drei Buchstaben vorliegen. An der gesamten Stelle ist der Text verkleckst. Aufgrund der zahlreichen paläographischen Unsicherheiten sei hier die Eintragung möglichst genau wiedergegeben: ^iuU-CU a. ,iu..l.t: Der erste Teil der Eintragung ist nicht identifizierbar. Auf welches Lemma dieser Teil bezogen ist, kann nicht ermittelt werden. b. unarlaupit: unflekt. Adj. unarlaupit 'unerlaubt'. - SchW. S. 271; StWG. S. 666. Zur Überlieferung dieses Wortes sind die Ausführungen zu fol. 2ra, Z. 9 zu vergleichen. Über die Einfügung der Adjektivform in ein Syntagma und somit über die Wiedergabe der lateinischen Konstruktion kann wegen des nicht entzifferten Teils der Eintragung keine endgültige Klarheit bestehen. Die erkennbaren Verhältnisse sprechen aber für Glossierung durch die Grundform und damit Formeninkongruenz.
14. fol. 8ra, Z. 30 ut [...] anima [...] quid sit inveniat et prcesumptionis propriae fastum deponat (PL. 596A; CCh. S. 110,33; II, LH,83; Hs.postum) 'damit die Seele [...] entdecke, was sie ist, und den Stolz der eigenen Anmaßung ablege' iprœ) Isumptionisproprie - ant.istijt.rsnissa (Neufund) Die Eintragung reicht bis über das o des zweiten Wortes. Sie ist im Mittelteil schwer lesbar. Nach dem klaren ant ist ein hoher Schaft erkennbar, der zu i, aber auch zu k gehören könnte, zumal ein nach rechts offener Halbkreis folgt. Danach folgen Ritzungen mit vier ungleich langen Schäften, wobei die beiden mittleren, die eine leichte Krümmung aufweisen, als si, se oder st auflösbar wären. Die davor und danach stehende senkrechte Ritzung könnte statt als i auch als / interpretiert werden, wobei allerdings kein zusätzliches Indiz hierfür spricht. Der zwischen t und r stehende Buchstabe ist nicht mehr lesbar. Wegen der mehrfach unklaren Identifikation folgt hier eine genaue
Clm 6300
Transkription der Eintragung:
¿
η τ
\c
115
\ (l[
f Γ
Γ
i h
I f f a
a. Eventuell ist der Eintragungsanfang als anti 'und' abtrennbar, was dann als Glossierung des vorausgehenden et aufgefaßt werden könnte. Aufgrund der in diesem Fall dann vorliegenden unüblichen Eintragungsweise in der Zeile darunter besitzt diese ohnehin fragliche Identifikation aber wenig Wahrscheinlichkeit. b. [ ]t.rsnissa: Nom. oder Gen. Sg. st. F. [ ]t[u]rsnissa 'Anmaßung'?. - Morphologisch identifizierbar ist lediglich das Suffix -nissa, das im Zusammenhang des lateinischen Lemmas weitgehende grammatische Bestimmung erlaubt. Der im Clm 6300 üblichen Glossierungspraxis entspricht die Annahme des Nominativs. Wahrscheinlich ist auch der davorstehende Teil t.rs morphologisch anschließbar, nämlich an das Präterito-Präsens (gi)tar44. Immerhin sind für lat. praesumptio bisher auch Entsprechungen wie f[ora]urturst, giturst45 belegt. Im Clm 6300 ist dazu die Glosse fol. 13 Ivb, Z. 9 zu vergleichen. Die genaue Bildung muß aber im vorliegenden Fall ungewiß bleiben. Das Suffix -nissa müßte wohl als dem Verbalstamm suffigiert angesehen werden, was sich zwar für schwache Verben, aber nicht für Präteritio-Präsentien nachweisen läßt 46 . Die Möglichkeit einer desubstantivischen Ableitung ist kaum in Erwägung zu ziehen, da es nur wenige entsprechende Beispiele gibt 47 . Grundsätzlich wäre dann an einen f-Ausfall in der Wortbildungsfuge zu denken, wie er aus anderen Bildungen bekannt ist48.
15. fol. 9rb, Z. 15 Unde et manum mox largitorìs et judicis humiliter agnoscit (PL. 597A; CCh. S. 111,13; II, LIII,85) 'Daher erkennt er auch bald demütig die Hand des Freigebigen49 und Richters' 44
BEG. § 373. Ε. ν. Steinmeyer, Die kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler, S. 257,23, dazu SchW. S. 116 sowie AWB. III, Sp. 1144, V.2); StSG. III, 254,24. 45
46
W. Wilmanns, Deutsche Grammatik, II, § 270-272 und K. v. Bahder, Die Verbalabstracta, S. 117-126 bieten nichts dazu, ebenso E. Dittmer, in: Althochdeutsch, I, S. 296f. 47
W. Wilmanns, Deutsche Grammatik, II, § 271.
48
Man vergleiche O. Gröger, Die althochdeutsche und altsächsische Kompositionsfuge, § 126.1. 49
Grégoire le Grand, S. 387, bietet die freiere Übersetzung bienfaiteur.
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I largitoris & - des gepares (Neufund) Von der weit auseinandergezogenen Eintragung ist par nur noch schwach erkennbar. a. des: Gen. Sg. M. best. Art. der 'der'. b. gepares: Gen. Sg. st. M. gepâri 'Freigebiger'. - AWB. IV, Sp. 174; GSp. IV, Sp. 124; StWG. S. 194. Die semantisch adäquate Glossierung des Einzelworts durch ein Syntagma ruft Formeninkongruenz hervor 50 . Das Wort ist außer im vorliegenden Beleg nur noch singulär für lat. dator in Glossen zu Gregors Cura pastoralis 51 nachgewiesen. Für lat. largitor ist bisher keine althochdeutsche Entsprechung bekannt. Inwiefern hier tatsächlich die kontextuell vorliegende Bedeutung auch dem althochdeutschen Wort zukommt oder ob nicht einfach 'Geber', 'der, der gibt' glossiert wurde, ist kaum entscheidbar. Die Wortbildung lebt jedenfalls in späterer Zeit nicht in der spezifischen Bedeutung weiter 52 . Ihre Verwendung scheint aufgrund syntaktischer Motivation immer wieder möglich zu sein. Die Glossierung des Clm 6300 bezeugt auf fol. 9 Iva, Z. 7 ein Hapaxlegomenon als Abstraktbildung derselben Wurzel für lat. largitas.
16. fol. lOva, Z. 16
David regi de templi se constructione consulenti, nequaquam Nathan propheta concederei quod [...] (PL. 598B; CCh. S. 112,31/32; II, LVI,89) '[dann] hätte der Prophet Nathan König David, der sich wegen des Tempelbaus bei ihm Rat holte, keinesfalls das gestattet, was [...]' con \sulentj - trostanti (Neufund) Die Eintragung reicht mit tanti über die Mitte bis zur Spalte b. Die Form des o ist insofern auffällig, als vor allem oben keine Schließung des Kreises erkennbar ist. Ein etwa in der Mitte horizontal verlaufender Strich gehört wohl nicht zur sprachlichen Eintragung, spricht also nicht gegen o. trostanti'. unflekt. Part. Präs. sw. V. trösten 'trösten'. - SchW. S. 258; GSp. V, Sp. 476f.; StWG. S. 637; RSV. I, S. 229. Während die formale Kongruenz bei Nichtberücksichtigung des Kasus teilweise aufrechterhalten ist, liegt semantisch keine Äquivalenz, also Fehlübersetzung, vor. Der Glossator hat offen-
50 51 52
Man vergleiche dazu die Analyse der Glossierungstechnik unter 3.e. StSG. II, 234.24. Man vergleiche etwa HWB. I, Sp. 751 sowie DWB. IV.1,1, Sp. 1728f.
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sichtlich das Partizip Präsens des Verbs consulere53, mit demjenigen von lat. consolari54 verwechselt, was nicht nur aus der grundsätzlichen Ähnlichkeit der Wörter heraus erklärbar ist, sondern insbesondere auch durch die geläufige Verwechslung von ö und u gefördert sein mag 55 . Dazu würde dann auch die bereits bekannte Entsprechung von ahd. trösten und lat. consolari56 stimmen.
17. fol. 12rb, Z. 26 ad alia se tentationum bella restaurai (PL. 599C; CCh. S. 115,5; III, 1,1) 'erneuert er sich für weitere Schlachten von Versuchungen' I restaurai - karitit (Neufund) Die grundsätzlich klare Eintragung beginnt erst über au. Bei t könnte eventuell auch eine Form von c mit oberem Ansatzstrich oder auch der obere Teil eines g vorliegen. karitit: 3. P. Sg. Ind. Präs. sw. Verb kanten 'aufrichten'. - SchW. S. 212 (giriliten)·, GSp. II, Sp. 423-425; StWG. S. 484; RSV. I, S. 156. Die gewählte Zuordnung beruht auf der Annahme eines zumindest graphischen /i-Schwundes, der sich auch an anderer Stelle zeigt57. Lexikalisch-semantisch ist eine Abstraktion der Bedeutung anzunehmen. Für lat. restaurare ist diese Entsprechung bisher noch nicht belegt.
18. fol. 12vb, Z. 19 Cum enim ab eo certamine [...] victus redit (PL. 599D; CCh. S. 115,21; III, 1.1)
'Denn wenn er aus diesem Kampf [...] besiegt zurückkehrt' uictus redit | - kauui?at (Neufund) Die dünne, kratzige Eintragung ist auf knittrigem Pergament nur noch schwer lesbar. Die Identifikation des zweiten u ist nicht vollständig gesichert,
53
GH. I, Sp. 1574-1578.
54
G H . I, Sp. 1539f.
55
Zu graphischen Charakteristika des damaligen Latein vergleiche man etwa D. Norberg, Manuel pratique, S. 19, 46. 56 Man vergleiche GSp. V, Sp. 476 sowie H. Götz, Vorläufiges lateinisch-althochdeutsches Glossar, S. 85. 57
Man vergleiche zu vorahd. / h / unten Kap. 3.a.c).
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weil der zweite Schaft höher als der erste und die untere Verbindung nicht deutlich sichtbar ist. Es könnte etwa auch is vorliegen. Bei i ist eine leichte Krümmung unten bemerkenswert, wenn sie auch nicht gegen i spricht. Unklar ist, ob vor t ein weiterer oder zwei weitere Buchstaben vorliegen. Unmittelbar vor t ist jedenfalls ein halbhoher Buchstabe erkennbar, der von der Art der Krümmung des linken Bogens am ehesten als a zu identifizieren ist, wobei aber auch e möglich wäre. kauui?at\
unflekt. Part. Prät. sw. V. {ka)uul\g]ënl
oder
(ka)uue\g]én?
'besiegen'? oder 'erschöpft sein'?. - Hapaxlegomenon. Die grammatische Bestimmung als Partizip Präteritum richtet sich im Zusammenhang der überlieferten Form nach dem lateinischen Lemma. Das Grundmorphem dürfte an die Familie wlh-58, wig-59 anschließbar sein, wobei die genaue Bildung wegen der unklaren paläographischen Verhältnisse nicht endgültig bestimmt werden kann. Es müßte jedenfalls bei der vorliegenden Form von einem neben den starken Verbalbildungen belegten schwachen Verb ausgegangen werden 60 . Die vorwiegend intransitive Bedeutung der -ên-Verben läßt sich jedoch mit der vorliegenden Bedeutung des lateinischen Lemmas kaum vereinbaren 61 , weshalb die Glossierung teilweise ungeklärt bleiben muß.
19. fol. 13ra, Z. 2 qui te contra me auctorem omnium erigere conaris (PL. 600B; CCh. S. 115,25; III, 1,1)
'der du dich gegen mich, den Schöpfer aller Dinge, zu erheben versuchst' conarìs \ - pigius ( N e u f u n d ) 58
Man vergleiche SchW. S. 294 wïhan st. V. 'zerkämpfen' sowie StWG. S. 726 wlhan st.V., irwlhan sw. (wohl irrtümlich) V. mit weniger passender Bedeutung. GSp. I, Sp. 702f. wird -wlgan angesetzt. Zu den bisher vorliegenden Bildungen vergleiche man die Ausführungen bei R. Lühr, Studien zur Sprache des Hildebrandliedes, II, S. 616-618 sowie E. Seebold, Vergleichendes und etymologisches Wörterbuch, S. 544f. Man vergleiche auch E. Seebold, Anglia 84 (1966) S. 1-5 sowie IEW. I, S. 1128f. 59
Man vergleiche die vorhergehende Anmerkung sowie StWG. S. 726 wlgan st. V. 'Krieg führen' und GSp. I, Sp. 707. Man vergleiche auch H. Falk - A. Torp, Wortschatz, S. 408. 60 Man vergleiche hierzu T. E. Karsten, MSNH. 2 (1897) S. 228f. sowie E. Aumann, Denominative ¿-Verben, S. 29f. Andere schwache Bildungen zur fraglichen Wurzel verzeichnet auch J.A. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, II, Sp. 877f. anweigen sw. V. 'anfechten' sowie Sp. 880f. weihen st.V. 61 Man vergleiche W. Wilmanns, Deutsche Grammatik, II, § 52, S. 71; BEA. § 358.
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Die Eintragung reicht nur bis r. Der zweitletzte Buchstabe ist unsicher, weil die untere Verbindungslinie nicht deutlich ist und der zweite Schaft eventuell den ersten überragt. Als letztes ist ein nach oben rechts gekrümmter Schaft erkennbar, der eventuell auch einen Mittelstrich tragen könnte, so daß a u c h / nicht ausgeschlossen ist. pigius: 2. P. Sg. Ind. Präs. sw. V. piglênl oder pigien? 'streben'. - Hapaxlegomenon. Die Bestimmung als 2. Person Singular ist an die Unsicherheiten der paläographischen Identifikation gebunden. Die Zuordnung zu einer bestimmten Verbalklasse muß aufgrund der unsicheren Lesung des zweitletzten Buchstabens offen bleiben. Im übrigen läßt die überlieferte Form eine Deutung als Präfixbildung zu, wobei das Simplexverb mit dem bereits belegten giën 'gierig sein' (AWB. IV, Sp. 252; SchW. S. 128; GSp. IV, Sp. 106; RSV. II, S. 219) in Verbindung zu bringen ist. Ob hier das ursprüngliche -ên-Verb 62 vorliegt, ein Rest einer sonst nicht mehr belegten /a-Bildung 63 oder eine andere, eventuell w-haltige Wurzelableitung ist nicht entscheidbar. Lediglich eine -ön-Ableitung scheint aufgrund des Wurzelvokalismus unwahrscheinlich. Auch wenn sich die Bedeutung des lateinischen Lemmas mit der für das althochdeutsche Verb ermittelten nicht ganz deckt, so macht ihre Nähe die vorgeschlagene lexikalische Identifikation doch sehr wahrscheinlich. Mit der vorliegenden Semantik läßt sich auch die W-Präfigierung gut verbinden 64 .
20. fol. 14vb, Z. 14 Antiquus hostis ex rebus exterioribus colligit, quod beato viro ad mentis crimen infligit (PL. 601C; CCh. S. 117,6; III, IV,5; Hs. collegit) 'Der Urfeind sammelt (Hs. hat ... gesammelt) aus den äußeren Dingen, was er dem seligen Mann zur Sünde des Geistes auferlegt' crimen - suntha (M. S. 74,6) Das von H. Mayer als sicher angesehene u könnte auch als o gelesen werden, da ein, wenn auch dünnerer, oberer Querstrich vorliegt. suntha: Nom. oder Akk. Sg. st. F. suntha 'Sünde'. - SchW. S. 247; GSp. VI, Sp. 261f.; StWG. S. 608. Das gut bezeugte althochdeutsche Wort ist für lat. crì-
62 Man vergleiche H. Falk - A. Torp, Wortschatz, S. 133; IEW. I, S. 419f.; T. E. Karsten, MSNH. 2 (1897) S. 182f. 63
T. E. Karsten, M S N H . 2 (1897) S. 181.
64
W. Wilmanns, Deutsche Grammatik, II, § 103f.
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men neben einer Reihe anderer Entsprechungen bereits belegt 65 .
gelegentlich
21. fol. 15ra, Z. 10 Cura ergo carnis est, quod damno affectuum carnalium motus non est (PL. 601D; CCh. S. 117,14; III, IV,5; Hs. quodam66 modo67 affectum) 'Es ist also die Sorge des Fleisches, daß durch den Schaden der fleischlichen Empfindungen keine Aufregung entsteht'. Die Lesarten der Handschrift ergeben keinen anderen sinnvollen Text. affectum | - .una (Neufund) Die schwach eingedrückte, kurze, v o n / b i s t reichende Eintragung ist am Anfang schwer lesbar. Als erstes sind zwei oben verbundene Halbschäfte erkennbar, von denen der erste leicht unten nach rechts gekrümmt ist und der zweite wohl unter die Zeile reicht. Dann folgen zwei etwas höhere, wohl unverbundene Schäfte, die eventuell als u zu identifizieren sind, wobei auch is nicht ganz auszuschließen ist. .una: Nom. Sg. st. oder sw. Fem. [ ]a. - Die grammatische Bestimmung erhält unter Berücksichtigung der gängigen Glossierungspraxis mit der Grundform eine hohe Wahrscheinlichkeit. Das Grundmorphem ist auch unter Berücksichtigung bisheriger Entsprechungen nicht ermittelbar.
22. fol. 15vb, Z. 2 Nam dicens [...] patenter pius adjutor innotuit ( PL. 602B; CCh. S. 118,17; III, V,6; Hs. prius) 'Denn indem er sagte [...], wurde er offen als gütiger Helfer bekannt'. Die handschriftliche Lesart ergibt: 'wurde er offen vorher als Helfer bekannt' innotuit -p.kundta
(Neufund)
Zwischen ρ und k ist die Eintragung nicht mehr lesbar. Besonders der Mittelteil des Wortes ist nur äußerst schwach eingedrückt und nicht mit völliger Sicherheit identifiziert. Statt k könnte wegen der leichten Krümmung des Schaftes oben rechts auch sc gelesen werden.
65 66 67
Man vergleiche GSp. VI, Sp. 26 lf. Ein erstes d vor d ist getilgt worden. do ist nachträglich hochgestellt hinzugefügt.
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p.kundta: 3. P. Sg. Ind. Prät. sw. V. p[i]kunden 'bekannt machen' oder 'bekannt werden'. Hapaxlegomenon. Unter Annahme eines zu ergänzenden i kann die Form als verbale Präfixbildung an das Simplex künden 'offenbaren' 68 angeschlossen werden. Immerhin ist die verwandte Präfixbildung gikunden 'kundtun'69 bereits als Entsprechung von lat. innotescere bekannt70, wenn auch wohl bei transitiver Bedeutung, wovon J. Splett71 sogar im Falle einer aus dem Zusammenhang ersichtlichen intransitiven Verbvariante ausgeht. Bei der hier angenommenen Präfixbildung liegt Transitivität auch dadurch nahe, daß bi-Verben in der Regel Transitiva sind, wenn auch intransitive Bildungen nicht ganz unbekannt sind72. Das erst neuhochdeutsch belegte bekunden73 faßt W. Wilmanns74 als adjektivische Ableitung mit ausgesprochener Betonung der transitiven Bedeutung auf. Mittelhochdeutsch ist ein intransitives Verb künden 'kunt werden'75 wegen der wohl unterschiedlichen Klassenzugehörigkeit nicht direkt zu vergleichen76. Allerdings ist zu bedenken, daß ein Wechsel zwischen en- und /««-Flexion im Präsens und Präteritum bestehen könnte, wie er auch bei anderen Verben bekannt ist77. Bei der vorliegenden Glossierung bieten sich damit folgende Interpretationsmöglichkeiten an. Entweder liegt hier eine der seltenen intransitiven Verwendungen althochdeutscher denominativer ¿/-Verben vor oder, von der morphologischen Struktur her wahrscheinlicher, die transitive. In diesem Fall könnte, wie in dem von J. Splett besprochenen Fall des Abrogans, von einer Vokabelübersetzung der transitiven Verbvariante ausgegangen werden. Es wäre aber auch die Auslassung eines Reflexivpronomens denkbar, so daß die Glossierung als ansatzweise funktional adäquat gelten könnte. 23. fol. 16va, Z. 5 ut nimirum nihil in mente vacet a gloria, in cuius corpore nil vacai a poena 68 69 70 71
SchW. S. 161; GSp. IV, Sp. 420-423; StWG. S. 351; RSV. I, S. 98f. SchW. S. 162; GSp. IV, Sp. 423f.; StWG. S. 352; RSV. I, S. 99. Man vergleiche GSp. IV, Sp. 424; RSV. II, S. 314. Abrogans-Studien, S. 252.
72 Man vergleiche W. Wilmanns, Deutsche Grammatik, II, § 103-106 zu den entsprechenden deverbalen und deadjektivischen Ableitungen. Die dort § 106 genannten mittelhochdeutschen Bildungen müßten erst auf ihre Vergleichbarkeit geprüft werden. 73
DWB. I, Sp. 1434.
74
Deutsche Grammatik, II, § 106. HWB. I, Sp. 1772; BMZ. I, Sp. 815a/b. J. Grimm, Deutsche Grammatik, I, S. 875. Man vergleiche T. E. Karsten, MSNH. 2 (1897) S. 172f.
75 76 77
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(PL. 603A; CCh. S. 119,13; III, VI,8; nihil] nil, nil corpore; Hs. nihil] nil, nil corpore) 'so daß freilich im Geiste desjenigen, in dessen Körper nichts frei von Plage ist, auch nichts des Ruhmes entbehrt' uacat I - ankitot (Neufund) Die Eintragung ist am Anfang sehr schwach. Besonders der als η identifizierte Buchstabe ist undeutlich zu erkennen, k könnte eventuell auch als sc gelesen werden, wenn auch keine obere Krümmung des Schaftes zu sehen ist. Bei o ist die vollständige Schließung des Kreises nicht erkennbar. Wegen der mehrfach unklaren Identifikation folgt hier eine genaue Transkription der Eintragung:
Der paläographische Befund erlaubt verschiedene Segmentierungen. 1. ankitot: 3. P. Sg. Ind. Präs. sw. V. [ ]ön. - Die grammatische Bestimmung richtet sich im Zusammenhang der überlieferten Form nach dem lateinischen Lemma. Die bisherigen Entsprechungen von lat. vacare78 lassen sich mit dem paläographisch Ermittelten nicht verbinden. Aufgrund der paläographischen Unsicherheiten wäre aber auch der Ansatz eines Hapaxlegomenon ankitön voreilig. 2.a. anki: unflekt. Adj. anki 'schmal'. - AWB. III, Sp. 284-286; SchW. S. 102; GSp. Ϊ, Sp. 340f.; StWG. S. 126. 2.b. tot: 3. P. Sg. Ind. Präs. an. Verb tön 'machen'. - SchW. S. 261f.; GSp. V, Sp. 284-305; StWG. S. 642f. Die gewählte Segmentierung und lexikalische Identifikation führt zu einer an das Syntagma gebundenen faktitiven Bedeutung der Art 'schmal machen', die bisher so allerdings noch nicht bezeugt ist. Auch bei dieser Deutung bleibt die Art der grammatischen und semantischen Entsprechung von Lemma und Interpretament im einzelnen unklar. Das könnte auf eine Fehlglossierung schließen lassen. Eine Entscheidung über die beiden vorgeschlagenen Interpretationen muß hier offenbleiben. Die theoretisch mögliche Segmentierung von an- und kitot besitzt allerdings noch weniger Wahrscheinlichkeit, da hierbei sowohl paläographische Zusatzannahmen nötig wären - z.B. müßte i dem Usus der Hand-
78
Man vergleiche RSV. II, S. 347; G. Köbler, Lateinisch-germanistisches Lexikon, S. 447.
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schrift nach als a gelesen werden 7 9 - als auch die semantische Inkompatibilität noch verstärkt würde.
24. fol. 16va, Z. 11 U n d e testa, nisi ex luto conficiturl (PL. 603A; CCh. S. 119,2; III, VII,9) 'Woraus wird der Topf hergestellt, wenn nicht aus Lehm?' confi I citur - ist kafrumit (Neufund) Die Eintragung reicht ab / i n die Mitte und mit t bis in Spalte b. a. ist: 3. P. Sg. Ind. Präs. an. Verb sin 'sein'. - SchW. S. 225; GSp. I, Sp. 481485; StWG. S. 524f. b. kafrumif. unflekt. Part. Prät. sw. V. (ka)frummen 'herstellen'. - AWB. III, Sp. 1300-1306; SchW. S. 120; GSp. III, Sp. 649-654; StWG. S. 181, 812; RSV. I, S. 295-298. Die Wiedergabe des lateinischen Präsens Passiv mit einer Periphrase aus V e r b u m substantivum und Partizip Präteritum für ein statales Passiv ist als funktional äquivalent zu betrachten 8 0 . Das insgesamt reich belegte Präfixverb, dessen Bedeutungsspektrum verschiedene Spezialisierungen von 'machen' 8 1 erfaßt, ist bisher nur vereinzelt als Entsprechung für lat. conficere verzeichnet 8 2 , das selbst vielfältige Entsprechungen hat 8 3 .
25. fol. 17ra, Z. 4 et vas quod gestani fictile, quam sit velociter conterendum, obliviscentes omni modo non attendunt (PL. 603C; CCh. S. 120,19; III, VII, 10; Hs. adtendunt) 'und sie achten nicht auf das irdene Gefäß, das sie an sich tragen, und vergessen auf jede Weise, wie schnell es zu zerbrechen ist' fictile I - laiminun (M. S. 74,7: laiminum) Die Eintragung reicht ab nun, das von einer späteren Eintragung mit Tinte überschrieben ist, über die Mitte fast bis an Spalte b. Sie wird ab m schwer identifizierbar, da vorwiegend senkrechte halbhohe Striche zu sehen sind.
79
Man vergleiche unten 3.a.ß) zum Vokalismus der Präfixe. Man vergleiche W. Schröder, PBB. 77 (Halle 1955) passim sowie weiter unten die Analyse der Glossierungstechnik. 81 AWB. III, Sp. 1304-1306, etwa Sp. 1306 zu 5. 'etw. erschaffen'; SchW. S. 120. 82 Man vergleiche AWB. III, Sp. 1304-1306, besonders 1305. 83 Man vergleiche RSV. II, S. 290. 80
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Die Anzahl der Striche sowie ein deutlich erkennbares η am Ende erlaubt aber mit Sicherheit den Ausschluß der von H. Mayer angegebenen Lesung. laiminun: Akk. Sg. F. oder M. sw. flekt. Adj. laimin 'irden'. - SchW. S. 169; GSp. II, Sp. 213; StWG. S. 367. Da das Bezugssubstantiv der adjektivischen Glosse nicht bekannt ist, muß die grammatische Bestimmung teilweise offenbleiben. Funktionale Äquivalenz ist anzunehmen. Die naheliegende Wiedergabe von lat. vas durch das neutrale Substantiv ahd. fazM liegt hier jedenfalls nicht zugrunde. Das nicht sehr reich belegte althochdeutsche Wort laimin ist neben anderen bereits als Entsprechung von lat.fictilis bekannt 85 .
26. fol. 17ra, Z. 29 ut etiam ex loci fetore caperet, quod festine corpus ad fetorem rediret (PL. 603C; CCh. S. 120,27; III, VII,10; Hs.festin?) 'damit er auch vom Gestank des Ortes her begreifen sollte, daß der Körper eilends zu dem Gestank zurückkehre' festinç - ilento (Neufund) Die Eintragung, die erst über s beginnt, reicht bis in den Zwischenraum zum nächsten Wort. Das o am Ende steht etwas erhöht. ilento: Adv. ilento 'eilends'. - SchW. S. 149 (unter ilen)\ GSp. I, Sp. 227 und 230 (unter ilan Sp. 226-229); StWG. S. 299; RSV. I, S. 78f. Die insgesamt nur schwach belegte Adverbialbildung 86 ist zwar bisher, soweit zu sehen, nicht für lat. fes tine, aber einmal für festinante^7 belegt.
27. fol. 17va, Z. 26 et vir tantae severitatis pro risu turpium moritur (PL. 604A; CCh. S. 120,41; III, VII, 11; Hs. sceveritatis) 'und ein Mann von solcher Strenge stirbt zum Gelächter der Schimpflichen' pro risu turpi \ um - pi demo hlatre (Neufund)
84
Man vergleiche AWB. III, Sp. 667-669. Man vergleiche GSp. II, Sp. 213 sowie StSG. I, 450,49, 634,27f. 86 Man vergleiche aber auch noch das singulare llönto SchW. S. 150, GSp. I, Sp. 229 (als ilento). 87 StSG. I, 289,24. 85
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Die Eintragung beginnt mit pi noch am linken R a n d und endet mit e über tu. Die schwach gerissene Schrift ist im knittrigen Pergament nicht auf Anhieb erkennbar. a .pi: Präp. m. Dat. p i 'für'. - AWB. I, Sp. 953-971; SchW. S. 75; GSp. III, Sp. 9-12; St W G . S. 50. pi ist hier zur Bezeichnung des Zweckes 8 8 verwendet. Es ist bereits als Entsprechung von lat. pro bekannt, gerade auch in finaler Bedeutung 8 9 . b. demo: Dat. Sg. N. best. Art. daz 'das'. c. hlatre: Dat. Sg. st. N. hlatar oder hlater 'Gelächter'. - SchW. S. 166 ((h)lahtar); GSp. IV, Sp. 1112; St WG. S. 359. Das althochdeutsche Wort ist bereits als Entsprechung von lat. risus, etwa aus dem Abrogans 9 0 , bekannt 9 1 . Insofern das lateinische Präpositionalsyntagma auch althochdeutsch als solches wiedergegeben wird, ist die Formenkongruenz weitgehend bewahrt.
28. fol. 18rb, Z. 26 orbavit p a t r e m morte filiorum (PL. 604; CCh. S. 121,7; III, VIII,12) 'er beraubte den Vater durch den Tod der Kinder' orbauit | - arstiufta (Neufund) Die Eintragung beginnt im Wortzwischenraum vor orbauit. ta ist am E n d e nicht völlig sicher identifiziert.Da a unten nicht geschlossen ist, könnte auch t mit starker Schräge des oberen Querstrichs gelesen werden. Der Buchstabe davor weist keinen deutlichen oberen Querstrich auf und könnte eventuell auch als i identifiziert werden. arstiufta: 3. P. Sg. Ind. Prät. sw. V. arstiufen 'berauben'. - GSp. VI, Sp. 661; StWG. S. 594; RSV. I, S. 205f. Die angenommene Lesung erlaubt eine formenkongruente grammatische Bestimmung. Für lat. orbare ist ahd. arstiufen bereits als reguläre Entsprechung bekannt und umgekehrt 9 2 .
88 89 90 91 92
Man vergleiche AWB. I, Sp. 958, 968 sowie GSp. III, Sp. 11. Man vergleiche AWB. I, Sp. 968. StSG. I, 70,37. 71,37. Man vergleiche GSp. IV, Sp. 1112. Man vergleiche RSV. II, S. 326; GSp. VI, Sp. 661.
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29. fol. 18va, Z. 10 hunc interius ditiorem fieri per exhibitam laudem conditoris invidit (PL. 604D; CCh. S. 121,10; III, VIII, 12) 'diesen beneidete er dafür, innerlich durch das dem Schöpfer erwiesene Lob reicher zu werden' Iexhibitam lau\dem -zirden fargepanun (M. S. 74,8:... den fargepanun) Die Eintragung reicht mit anun bis über die Mitte zur Spalte b. Sie ist am Anfang schwer identifizierbar. Zwischen einem hohen und einem halbhohen, hier als i gelesenen Schaft findet sich eine mit dem ersten Schaft verbundene gekrümmte Linie, die den ersten Buchstaben als z, aber eventuell auch als h oder k bestimmen läßt. Davor könnte noch ein weiterer, /»-ähnlicher Buchstabe vorliegen, der in der mit Griffel gezogenen Schriftspiegelbegrenzung schwer erkennbar ist. a. zir: Die Form kann hier nicht mit dem Präfix zir-9i verbunden werden und muß deshalb unidentifiziert bleiben. Wenn von der Glossierung von lat. pei ausgegangen wird, wäre eine Präposition zu erwarten, die sich aber nicht ermitteln läßt. b. den: Akk. Sg. M. best. Art. der 'der'. c. fargepanun: Akk. Sg. M. sw. flekt. Part. Prät. st. V. fargepan 'erweisen'. AWB. IV, Sp. 162-166, besonders Sp. 165; SchW. S. 126; GSp. IV, Sp. 118120; St WG. S. 194, 814. Das reich belegte Präfixverb ist bisher nicht als Entsprechung von lat. exhibere, das selbst eine Reihe von Entsprechungen aufweist, bekannt 94 . Die mit den Angaben im Leipziger Wörterbuch 95 übereinstimmenden grammatischen Bestimmungen des Teilsyntagmas, dessen Bezugssubstantiv nicht bekannt ist, basieren auf der Isolierung von den als bestimmtem Artikel, was angesichts der davorstehenden nicht identifizierbaren Buchstaben in gewissem Maße unsicher bleiben muß. Eventuell richtet sich das Syntagma nach dem lateinischen Bezugssubstantiv laudem.
93
Man vergleiche BEG. § 72. Man vergleiche G. Köbler, Lateinisch-germanistisches Lexikon, S. 151; AWB. IV, Sp. 162-166. 95 AWB. IV, Sp. 163. 94
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30. fol. 19ra, Ζ. 18-20 atque adjutricem suam mulierem dum ad verba malas persuasionis accendit (PL. 605B; CCh. S. 122,32; III, VIII, 12; Hs. mulierem] om.) 'und während er die Frau als seine Helferin zu Worten übler Überredung anfeuerte' Die handschriftliche Lesart ergibt: 'und während er seine Helferin' atq: adiu\tricem - anti. an. au luercauunti (M. S. 74,9: anti) Die Eintragung beginnt im Wortzwischenraum vor atq:. Auf anti folgt dicht, noch über q:, was bei H. Mayer nicht erwähnt ist, eine größere Anzahl Buchstaben, die sich ab dem gesicherten u bis in die Spaltenmitte erstrecken und dort auf der Höhe der Zeilen 19 und 20 fortgesetzt werden, wobei nti unter cauu steht. An der Stelle des ersten unlesbaren Buchstabens ist ein großer runder Kreis zu erkennen, der kaum als o zu identifizieren ist. Zwischen den selbst sehr schwachen η und a steht ein Buchstabe, der nicht mehr zu lesen ist. Die übrigen unsicheren Buchstaben sind sehr schwach eingedrückt. a. anti: Konj. anti 'und'. - SchW. S. 151; GSp. I, Sp. 361; StWG. S. 305. Die mit der Lesung H. Mayers übereinstimmende Identifikation ist wegen der Unklarheit des folgenden Teils nicht völlig gesichert. Die Übereinstimmung mit dem lateinischen Lemma macht sie aber sehr wahrscheinlich. b. .an.au'iuercauunti: Der zweite Teil der Eintragung ist nicht identifizierbar, so daß auch das semantische Lemma nicht bestimmbar ist.
31. fol. 19va, Z. 19 et per eorum verba blandiens loquitur, qui [...] (PL. 605C; CCh. S. 122,50; III, VIII, 13) 'und er spricht schmeichlerisch durch die Worte jener, die [...]' I blandiens -flehonti (M. S. 74,10) flehonti: unflekt. Part. Präs. sw. V. flehön 'schmeicheln'. - AWB. III, Sp. 948950; SchW. S. 113; GSp. III, Sp. 755f.; StWG. S. 163, 810 (flehön)·, RSV. II, S. 44f. Die Quantität des Wurzelvokals, die allgemein variiert 96 , ist aufgrund der überlieferten Graphie nicht näher bestimmbar. Aus den beiden Bedeutungsbereichen '(er)bitten' und 'schmeicheln', von denen letzterer in der
96
Man vergleiche hierzu KEW. S. 204; DWB. III, Sp. 1749; W. Wissmann, Nomina postverbalia, S. 23f.
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Textüberlieferung nicht nachgewiesen ist97, läßt sich der vorliegende Beleg eindeutig 'schmeicheln' zuordnen 98 . Als Entsprechung von lat. blanditi ist ahd. flëhôn eher selten 99 . In der vorliegenden Handschrift sind aber weitere entsprechende Glossierungen zu vergleichen: fol. 34va, Z. 1, fol. 40va, Z. 16, fol. 61ra, Z. 29 sowie eventuell noch fol. 131ra, Z. 25. Zu sonstigen Entsprechungen des Lemmas vergleiche man fol. 48va, Z. 3 und 66ra, Z. 25.
32. fol. 19vb, Z. 1 Post damna igitur rerum, post fuñera pignorum [...] antiquus hostis linguam movit uxoris (PL. 605D; CCh. S. 122,53; III, VIII,13) 'Nach dem Verlust des Besitzes also, nach dem Tod der Kinder [...] bewegte der Urfeind die Zunge der Ehefrau' damna igitur re \ rum - after dem hreuun (M. S. 79,9a nicht entziffert) Die Eintragung beginnt am Ende von damna, weshalb wohl bei H. Mayer dieses Wort als Lemma angegeben ist. Davor ist aber mit Griffel ein Verweiskreuz angebracht. Ein weiteres Kreuz steht vor post fuñera in Ζ. 2, so daß ein Bezug darauf anzunehmen ist. Die Eintragung ist vielleicht aus Platzgründen an den oberen Rand gesetzt. Am Ende der Eintragung sind in der Hauptsache fünf halbhohe Striche erkennbar, wobei der drittletzte eine leichte Krümmung aufweist, ohne daß ein für e sprechender Querstrich erkennbar wäre. Man kann ihn als erste Hälfte eines u ansehen. In diesem Fall müßte der rechte Schaft mit dem nachfolgenden u in einer Art Ligatur zusammengeschrieben sein. Da die jeweiligen Querstriche nicht gut erkennbar sind, kann auch eine Lesung m nicht völlig ausgeschlossen werden. Bei dem vorhergehenden Buchstaben erweckt eine Pergamentmaserung den Eindruck einer oberen Schließung. a. after. Präp. m. Dat. after 'nach'. - AWB. I, Sp. 37f.; SchW. S. 62; GSp. I, Sp. 186f.; StWG. S. 15; EWA. I, Sp. 64-67. b. dem\ Dat. Pl. N. best. Art. daz 'das'. c. hreuun: Dat. Pl. st. N. hrëo 'Tod'. - SchW. S. 211; GSp. IV, Sp. 1131f.; StWG. S. 481. Die grammatische Bestimmung als Dat. PI. ergibt sich aus der
97
AWB. III, Sp. 949 sowie Sp. 948 flehen) SchW. S. 113, man vergleiche aber
ébd.flêhan 'schmeicheln'. 98 99
So auch AWB. III, Sp. 949 unter 1. Man vergleiche aber die Abrogansbelege bei AWB. III, Sp. 949.
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Gesamtkonstellation des Syntagmas 100 . Das althochdeutsche Substantiv ist bereits als gängige Entsprechung von iat. funus bekannt 101 .
33. fol. 19vb, Z. 3 post fuñera pignorum [...] antiquus hostis linguam movit uxoris (PL. 605D; CCh. S. 122,53; III, VIII, 13) 'nach dem Tod der Kinder [...] bewegte der Urfeind die Zunge der Ehefrau' Ipignorü - dero chindo (M. S. 74,11: dero chindo) Die Eintragung beginnt mit de noch in der Spaltenmitte. Der vor c erkennbare Längsstrich, der an die Identifikation von k denken läßt, ist wohl nicht sprachlich. Er ist überlang und wirkt wie zur Abtrennung der beiden Wörter nachträglich angebracht, o am Ende des ersten Wortes ist nur schwach erkennbar. a. dero\ Gen. Pl. N. best. Art. daz 'das'. b. chindo: Gen. Pl. st. N. chind 'Kind'. - SchW. S. 157; GSp. IV, Sp. 455-457; StWG. S. 330. Lat. pignus ist in der Regel in der gewöhnlichen Bedeutung 'Pfand' 1 0 2 glossiert 103 . Daneben findet sich aber bereits auch als Entsprechung chind104.
34. fol. 2 Ivb, Z. 12 Quisquís autem flagellis atteritur (PL. 607D; CCh. S. 125,54; III, IX, 16; Hs. atterritur) 'Wer aber von den Geißeln hart mitgenommen wird.'. Die Lesart der Handschrift ist wohl als Verschreibung für atteritur zu betrachten, wovon auch die Glossierung ausgeht. I atterritur - lamuan (M. S. 79,10a: nicht entziffert) Die Glossierung, die nur bis über rr reicht, ist anders als die übrigen auf derselben Seite in das Pergament gekratzt. Der erste unsichere Buchstabe, der 100 Zur Graphie der Flexionsendung vergleiche man unten 3.b.ß)l). Das Wort war bisher vor allem im Singular, jedenfalls nicht im Dativ Plural belegt. Man vergleiche GSp. IV, Sp. 1132 sowie die Stellenangaben bei StWG. S. 481. 101 102 103 104
Man vergleiche GSp. IV, Sp. 1131. GH. II, Sp. 1705; OLD. S. 1379; A. Blaise, Dictionnaire, S. 625. Man vergleiche E. Steinmeyer, Index. StSG. I, 228,37; IV, 13,60.
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aufgrund des undeutlichen Anfangsschaftes eventuell auch als c gelesen werden kann, ist allerdings eingedrückt, weshalb er nicht auf Anhieb als zu der Glossierung gehörig erscheint. Dafür spricht allerdings neben der prinzipiellen Identifizierbarkeit auch die Tatsache, daß sonst die Glossierung erst über t begänne. Die zwischen u und a bestehende Lücke ist durch die Oberlänge des e verursacht. kanuan: unflekt. Part. Prät. st. V. (ka)niuan 'schlagen'. - GSp. IV, Sp. 1125f. (ganuan); StWG. S. 442; E. Seebold, Vergleichendes und etymologisches Wörterbuch, S. 270 (hneww-a). Die grammatische Bestimmung beruht auf der Einbeziehung der üblichen Glossierungspraxis von Passivformen. Die von E. G. Graffs Ansatz abweichende Lautstruktur der Ansatzform folgt den beiden anderen Wörterbüchern 105 . Der Ansatz eines reduplizierenden Verbs mit -β- in der Wurzel scheint kaum begründet 106 . Es ist möglich, daß die Kontextbedeutung des lateinischen Verbs von der übertragenen Bedeutung 'niederschlagen' 107 des althochdeutschen Worts, das vorwiegend konkret '(zer)schlagen, (zer)stoßen' bedeutet, erfaßt wird. Allerdings ist eine Glossierung zu vergleichen, in der das althochdeutsche Wort in konkreter Bedeutung gerade im Zusammenhang mit Geißelhieben verwendet wird 108 . Die exakte Bedeutung der vorliegenden Stelle wäre dann nicht erfaßt worden, sondern eine ungefähre, sich auf den Sachverhalt des Schlagens beziehende Wiedergabe erfolgt. Schließlich sei aber noch darauf hingewiesen, daß von der vorliegenden Glossierung ausgehend, deren lateinisches Lemma die ursprüngliche Bedeutung 'reiben' 109 aufweist, die heutzutage abgelehnte Zuordnung 110 des althochdeutschen Verbs zu einer Wurzel mit der Bedeutung 'reiben, schaben' 111 erneut diskutiert zu werden verdient. In diesem Fall müßte von einer Vokabelglossierung ausgegangen werden.
105
Man vergleiche auch SchABG. § 134c. Man vergleiche aber zu dieser Erwägung BEG. § 333, Α. 5. 107 Man vergleiche die entsprechenden Bedeutungsangaben, auch für das Altwestnordische, bei E. Seebold, Vergleichendes und etymologisches Wörterbuch, S. 270. 108 StSG. II, 169,28 (Clm 6277) ginuan uuerdan für tundimur {per flagella). 109 GH. I, Sp. 688; OLD. S. 200f. 110 E. Seebold, Vergleichendes und etymologisches Wörterbuch, S. 270. 111 Wie bei GSp. IV, Sp. 1125f. Man vergleiche auch R. Meringer, Wörter und Sachen 1 (1909) S. 22f. 106
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35. fol. 2 Ivb, Ζ. 26 et doni lastitiam mordeat suspicio ac formido flagelli (PL. 608A; CCh. S. 125,59; III, IX, 16) 'und der Argwohn und die Furcht vor der Peitsche sollen an der Freude über die Gabe zehren1 I mordeat - pizit (Neufund) Die Lesbarkeit der Eintragung ist dadurch beeinträchtigt, daß wohl von der Pergamentbearbeitung herrührende Linien schräg durchlaufen. Insbesondere ist ζ nur daran erkennbar, daß ein oberer Anstrich und ein unterer Haken sichtbar sind, wobei das Zwischenstück fehlt. Durch i führt eine Querlinie zu t, die auch an e denken läßt, was sich aber aufgrund der fehlenden Krümmung des Schaftes ziemlich sicher ausschließen läßt. pizif. 3. P. Sg. Ind. Präs. st. V.pizan 'zehren an'. - AWB. I, Sp. 1158f.; SchW. S. 77; GSp. III, Sp. 228f.; StWG. S. 62, 794. Durch die Ersetzung des Konjunktivs ergibt sich Formeninkongruenz. Von lexikalisch-semantischer Adäquatheit kann aber bei Annahme gleichzeitig im Lateinischen und Deutschen vorliegender übertragener Bedeutung, wie sie auch althochdeutsch bisher schon belegt war112, ausgegangen werden. Sowohl übertragen als auch in gewöhnlicher Bedeutung ist das althochdeutsche Verb bereits für lat. mordere bekannt 113 .
36. fol. 22ra, Z. 11 Quia enim sensus pravae mulieris, non autem sexus in vitio est (PL. 608A; CCh., S. 125,65; III, IX, 16) 'Weil ja die Denkart der schlechten Frau, nicht aber das Geschlecht tadelnswert ist' sexus I - hait (Neufund) Die Eintragung reicht ein wenig in die Spaltenmitte hinein. hait: Nom. Sg. st. M. oder F. hait 'Geschlecht'. - AWB. IV, Sp. 857-859; SchW. S. 139; GSp. IV, Sp. 807f.; StWG. S. 264. Das grammatische Genus kann hier nicht näher bestimmt werden. Die in der althochdeutschen Textüberlieferung nicht nachgewiesene Bedeutung 'Geschlecht' 114 ist im vorlie112 113 114
Man vergleiche AWB. I, Sp. 1159 unter 2. AWB. I, Sp. 1159, l.und2. SchW. S. 139 'Person, Persönlichkeit, Gestalt'.
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genden Zusammenhang zwingend. Die Wiedergabe von lat. sexus durch ahd. heit ist vor allem in der Glossenüberlieferung bereits belegt, darunter Abrogane und Samanunga 115 .
37. fol. 22rb, Z. 7 Beatus igitur Job [...] labiis suis minime peccavit quia nec [...] nec contra suadentem recta reticuit (PL. 608B; CCh. S. 125,7; III, X,17) 'Der selige Job sündigte also keineswegs mit seinen Lippen, weil er weder [...] noch das Richtige gegenüber dem, der ihm zuredete, verschwieg' reticuit I - ka. achata (Neufund) Die schwach eingedrückte Eintragung reicht mit ta über den Rand. Der drittletzte, als a identifizierte Buchstabe weist eine für a ungewöhnlich wenig schräge Linie rechts auf. Der dritte Buchstabe ist kaum erkennbar, da sich dort Leimspuren befinden. Es ist allerdings ein hoher Schaft erkennbar, der, ohne daß zugehörige Krümmungen zu identifizieren sind, zu h, k, s oder eventuell auch zu d gehören könnte. kcuachata: 3. P. Sg. Ind. Prät. sw. V. ka[ ]ên oder ka[ }ön. - Während Präfix und grammatische Endung mit hoher Sicherheit identifizierbar sind, läßt sich das Grundmorphem vorerst nicht sinnvoll anschließen. Man vergleiche hierzu aber die Identifikationsmöglichkeiten, die zu den Glossierungen fol. lrb, Z. 25 und fol. 22vb, Z. 10, bei denen vergleichbare paläographische Verhältnisse vorliegen, diskutiert werden. Eine davon abweichende Glossierung des lateinischen Verbs liegt fol. 122va, Z. 22 vor.
38. fol. 22va, Z. 7 Ecce stratus foris vulneribus carnis, erectus intrinsecus munimine permanet mentis (PL. 609C; CCh., S. 126,15; III, X,17) 'Und siehe da, außen durch die Wunden des Fleisches hingestreckt, verbleibt er inwendig aufrecht durch den Schutz des Geistes' Imuniminepma\n& - mit tero crafti (M. S. 74,12: mittero krafti) Die Eintragung beginnt erst über η am Ausgang des ersten Wortes und reicht bis über die Spaltenmitte. Dennoch ist sie aus inhaltlichen und formalen Gründen als Interpretament von munimine anzusehen, zumal sie als Wiedergabe des Verbs kaum denkbar ist. Statt o könnte auch teilweise oben ge115
A W B . IV, Sp. 857,1; GSp. IV, Sp. 807.
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schlossenes u gelesen werden. Da eine Zuordnung zum Adjektiv mitti 'der mittlere' 116 vom Zusammenhang des lateinischen Textes her nicht sinnvoll ist, wird eine Segmentierung in mit tero vorgenommen 117 . a. mit: Präp. mit 'mit'. - SchW. S. 189; GSp. II, Sp. 660-665; StWG. S. 418f„ 827. Die Wiedergabe des lateinischen Instrumentals mit Hilfe der Präposition mit ist funktional äquivalent. b. tero: Dat. Sg. F. best. Art. diu 'die' 118 . c. crafti: Dat. Sg. st. F. craft 'Kraft'. - SchW. S. 160; GSp. IV, Sp. 599-603; StWG. S. 344. Es handelt sich hier um eine singuläre Glossierung von lat. munimen durch ahd. craft, die bisher nicht belegt ist. Da craft auch sonst nicht in der Bedeutung 'Schutz, Schutzmittel' o.ä. bezeugt ist, ist die Glossierung wohl dadurch zu erklären, daß lat. munimen in kirchlichem Gebrauch immerhin auch in der Bedeutung 'Stärkung' 119 vorkommt, die 'Kraft' schon ziemlich naheliegt. An der vorliegenden Stelle könnte munimen jedenfalls so gebraucht sein. Das althochdeutsche Interpretament wird damit hier etwa als 'schützende Kraft' zu verstehen sein.
39. fol. 22vb, Z. 10 Nam quia uxor increpata reticuit (PL. 608D; CCh. S. 126,25f.; III, X,18) 'Denn weil die gescholtene Ehefrau verstummte' r&icuit - kadachata
(M. S. 74,13: katagata)
Die ersten vier Buchstaben sind in gerissener Schrift deutlich erkennbar, der Rest ist eingedrückt und undeutlicher, d ist nicht völlig gesichert, da die, Schließung des linken Bogens nicht erkennbar ist. t ist aber wegen der Höhe des Schaftes und fehlendem Querstrich ausgeschlossen. Bei dem als t identifizierten vorletzten Buchstaben ist der obere Querstrich nicht in der üblichen Weise ausgeprägt. 116
SchW. S. 189f. Dazu stimmt auch die Einordnung bei StWG., S. 418f., wo die entsprechende Stellenangabe der Edition H. Mayers bei mit 'mit' Präp. eingereiht ist. 118 Die Zuordnung zum bestimmten Artikel kann erfolgen, wenn eine eventuell als Wiedergabe einer Assimilation an den vorausgehenden stimmlosen Konsonanten anzusehende Schreibung t für d angenommen wird. Diese ist auch für bairische Quellen bezeugt, man vergleiche SchABG. § 64,b. Der Beleg weist außerdem bei Annahme der Lesung o die jüngere Endung statt -u auf, man vergleiche SchABG. § 129 und a; BEG. § 248 Α. 7. 119 A. Blaise, Dictionnaire, S. 545. Die hier angeführten Belege reichen allerdings nicht in die Zeit Gregors d.Gr. zurück. 117
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kadachata: 3. P. Sg. Ind. Prät. sw. V. kadachèn 'verstummen'. - Hapaxlegomenon. Während die grammatische Äquivalenz feststellbar ist, läßt sich nur das Präfix ka-, nicht aber das eigentliche Grundmorphem irgendwo anschließen. Am ehesten ist an einen Zusammenhang mit ahd. dagën zu denken, wozu aber die überlieferte Schreibung nur schwer paßt. Eventuell ist eine -y-Bildung zur gleichen Wurzel zu erwägen 120 . Auffallend ist, daß für dasselbe (fol. 22rb, Z. 7) sowie ein semantisch eng verwandtes Lemma (silere fol. lrb, Z. 25) ein ähnlicher paläographischer Befund vorliegt, der vorerst nicht gedeutet werden kann, dessen semantische Adäquatheit aber wegen des mehrfachen Auftretens nicht angezweifelt werden kann. Lat. reticere ist bisher, soweit zu sehen, nur mit zu ahd. swïgën gehörenden Entsprechungen bekannt 121 . Im vorliegenden Codex ist aber auch eine weitere, allerdings lexikalisch unidentifizierte Glosse fol. 122va, Z. 22 zu vergleichen. Die Zuordnung des vorliegenden Belegs zu gidagên, wie bei StWG. S. 798 aufgrund der Lesung H. Mayers, ist damit nicht mehr ohne weiteres aufrecht zu erhalten.
40. fol. 22vb, Z. 15 Sicut enim damna rerum studuit crebrius nuntiando percutere (PL. 608D; CCh. S. 126,27; III, X,18; Hs. nuntjantiando) 'So wie er nämlich bestrebt war, (ihn) tief zu treffen, indem er fortwährend den Verlust von Besitz meldete'. Die handschriftliche Lesart führt als Verschreibung nicht zu einem anderen Textverständnis. studu I it - zilata oder hilata (M. S. 74,14: ilata) Am Vorliegen eines weiteren Buchstabens vor i ist nicht zu zweifeln. Er ist allerdings nicht wie der Rest gerissen, sondern lediglich leicht gedrückt und nicht völlig einwandfrei zu identifizieren. Außer ζ kann auch h in Frage kommen. Das erste a weist im Unterschied zum zweiten eine außergewöhnlich eckige Form des linken Bogens auf. 1. zilata·. 3. P. Sg. Ind. Prät. sw. V. zilën 'bestrebt sein'. - SchW. S. 305; GSp. V, Sp. 656f.; StWG. S. 762; RSV. II, S. 276f. Das althochdeutsche Verb ist, außer im Clm 6300 fol.38ra, Z. 28, auch sonst bereits als Entsprechung von lat. studere belegt, wenn auch nur in der Benediktinerregel.
120 Man vergleiche zur Stammbildung der -ërt-Verben T. E. Karsten, MSNH. 2 (1897) besonders S. 196, 228, 230, 232 sowie H. Krähe - W. Meid, Germanische Sprachwissenschaft, III, § 185, besonders S. 244, 249. 121 G. Köhler, Lateinisch-germanistisches Lexikon, S. 369; RSV. II, S. 337.
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2. hilata: 3. P. Sg. Ind. Prät. sw. V. hilen 'bestrebt sein'. - SchW. S. 149; GSp. I, Sp. 226-229; StWG. S. 298, 823; RSV. I, S. 78f. Von der allgemeinen Glossierungspraxis her 122 wäre bei Annahme einer prothetischen /z-Graphie 123 auch eine Zuordnung zu tten beziehungsweise einem sonst nicht belegten, aber aus ïlôntom zu erschließenden ilön möglich. So ist die bei H. Mayer edierte Form auch im Glossenwörterbuch 125 zugeordnet. Das Fehlen von Formen mit α-Graphie unter den bisher belegten Präteritalformen läßt die angegebene Zuordnung allerdings zweifelhaft bleiben 126 . Eventuell ist auch eine Nebenform ïlën zu erwägen 127 .
41. fol. 22vb, Z. 16 Sicut enim damna rerum studuit crebrius nuntiando percutere (PL. 608D; CCh. S. 126,27; III, X,18; Hs. nuntjandando) 'So wie er nämlich bestrebt war, (ihn) tief zu treffen, indem er fortwährend den Verlust von Besitz meldete' 128 crebrius - ofto (Neufund) ofto: Adv. ofto 'immer wieder'. - SchW. S. 203; GSp. I, Sp. 184; StWG. S. 450. Die formale Inkongruenz zwischen lateinischem Komparativ und althochdeutschem Positiv kann durch die Verwendung des lateinischen Wortes in der vorliegenden nicht vergleichenden Funktion erklärt werden 129 , ist damit also funktional adäquat. Die Wiedergabe des komparierten lateinischen Lemmas durch ahd. ofto ist bereits bezeugt 130 .
122
Man vergleiche die Entsprechungen von lat. studere bei E. Steinmeyer, Index; GSp. I, Sp. 226; RSV. II, S. 342. 123 Man vergleiche BEG. § 152 Α. 1 sowie unten Abschnitt 3.a.e) die graphischphonologische Analyse zu vorahd. /h/. 124 SchW. S. 150, man vergleiche aber BEG. S. 335. 125 StWG. S. 298. 126 Man vergleiche aber Belege mit o und e bei GSp. I, Sp. 229; RSV. I, S. 79. 127 T. E. Karsten, MSNPh. 2 (1897) S. 169-191. 128 Zur handschriftlichen Lesart vergleiche man fol. 22vb, Z. 15. 129 Man vergleiche R. Kühner - C. Stegmann, Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache, 11,2, S. 475f. 130 GSp. I, Sp. 184.
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42. fol. 23ra, Z. 3 Qui ex condicto ad afflicti consolationem veniunt (PL. 609A; CCh. S. 126,5; III, XI, 19; Hs. in adflicti) 'Diese kommen gemäß der Verabredung zur Tröstung des Elenden' \qui ex condicto - de..n rat (M. S. 74,15: den rat) Die Eintragung reicht bis über con. Der mittlere Teil ist in seiner Lesung zwar nicht sicher, in seinem Vorhandensein aber unzweifelhaft. Erkennbar sind nach e Einstiche in folgender Form: Anschließend steht ein schwacher hoher Schaft, der nicht identifizierbar ist. Ob die vor η noch erkennbaren Spuren sprachlich sind, ist nicht zu entscheiden. a. de..n: Die Eintragung ist nicht bestimmbar. Der Beleg ist nach der Lesung H. Mayers im Glossenwörterbuch 131 dem Demonstrativpronomen zugeordnet. Den dort durch ein Fragezeichen ausgedrückten Vorbehalten ist gerade aufgrund der ermittelten paläographischen Verhältnisse zuzustimmen. b. rat: Nom. oder Akk. Sg. st. M. rät 'Verabredung'. - SchW. S. 207; GSp. II, Sp. 462f.; StWG. S. 472, 828. Die Identifikation des hinteren Eintragungsteils mit rät stimmt mit der des Glossenwörterbuchs überein. Solange der vordere Teil nicht identifiziert ist, kann aber zumindest auch ein Kompositum mit dem Grundwort rät nicht ausgeschlossen werden132. Eine genauere grammatische Bestimmung ist ohne Kenntnis der vorausgehenden Eintragung ebensowenig möglich. Für lat. condictum ist, soweit zu sehen, bisher keine das Grundmorphem rät enthaltende Entsprechung belegt. 43. fol. 23rb, Z. 19 Ordo quippe consolationis est, ut [...] studeamus prius moerendo ejus luctui concordare (PL. 609B/C; CCh. S. 127,10; III, XII,20; Hs. merendo) 'Die rechte Abfolge der Tröstung ist, daß wir [...] zuerst danach trachten, durch Trauern mit jenes Kummer übereinzustimmen' merendo | - amarsi? (Neufund) Ob am Ende der Eintragung noch ein Buchstabe am Rand steht, ist nicht mehr zu klären. Im Mittelteil sind zwei Buchstaben nicht klar identifizierbar. Zunächst ist eine halbhohe Krümmung erkennbar, die als linker Teil eines e oder o identifizierbar wäre. Dann folgt ein halbhoher, unten leicht gekrümmter Schaft, der als i, aber vielleicht auch als c gelesen werden könnte. 131 132
StWG. S. 799. Man vergleiche GSp. II, Sp. 464.
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amar..st?: ämar[ ]. - Auch wenn die Glossierung am Ende nicht eindeutig lesbar und damit nicht grammatisch bestimmbar ist, so ist doch eine Identifikation des Grundmorphems mit ahd. amer 'Trauer' 133 möglich. Es kann sich dabei nach der bisherigen Beleglage um ein Syntagma mit dem gleichlautenden Substantiv oder Adjektiv handeln oder um eine Ableitung davon134. Die bisherigen Belege der Nebenform ohne initiales ;'135, die im Clm 6300 auch noch fol. 119 ra, Ζ. 22 und fol. 149 vb, Ζ. 5 auftritt, sind auf Notker konzentriert 136 . In keinem Fall erscheinen sie bisher als Entsprechungen von lat. 137
moerere
.
44. fol. 23va, Z. 21 Sic nec jacentes erigimus, nisi a rigore nostri status inclinemur (PL. 609C; CCh. S. 127,18f.; III, XII,20; Hs. erigemus, rigorae) 'Und so richten wir auch die Darniederlegenden nicht auf, wenn wir uns nicht derIrœ Starrheit unseres Aufrechtstehens niederbeugen' aaus rigo - uzan a.?da (Neufund) Die Eintragung beginnt im Wortzwischenraum vor a und reicht ab dem zweiten a über die Mitte bis zur Spalte b. Sie ist im Mittelbereich schwer identifizierbar. Erkennbar sind neben a vor allem halbhohe bis hohe Schäfte, die eventuell als s gelesen werden könnten, η ist nicht eindeutig identifizierbar, da der obere Querstrich fehlt. Es könnte statt η auch r oder i und s angesetzt werden. Auch d ist nicht völlig gesichert, weil der linke Bogen nicht deutlich an den Schaft reicht. Davor ist eine etwas erhöhte kurze Griffelritzung zu erkennen, die als i interpretierbar wäre, eventuell aber auch gar nicht sprachlich ist. Wegen der mehrfach ungesicherten Interpretation wird hier die Transliteration beigegeben: UA òXf à I1
133
ciò
SchW. S. 66. Man vergleiche AWB. I, Sp. 310-313; SchW. S. 66; GSp. I, Sp. 596-598; StWG. S. 23, 315, 787; RSV. II, S. 6. 135 Man vergleiche unten die graphisch-phonlogische Analyse zu vorahd. / j / sowie SchABG. § 90 und SchAHG. § 293, wo von zwei Stämmen mit unterschiedlicher Bedeutung ausgegangen wird. Dazu auch W. Wilmanns, Deutsche Grammatik, I, § 128 A. 2 und BEG. § 116 A. 4. 136 Daneben vereinzelte Belege aus der Karlsruher Abroganshandschrift, dem Clm 19440 und der Freisinger Otfridhandschrift, AWB. I, Sp. 310-313. Man vergleiche im übrigen J.A. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, I, Sp. 75f. 137 Man vergleiche AWB. I, Sp. 310-313. 134
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Der paläographische Befund erlaubt verschiedene Segmentierungen, von denen die grammatische und semantische Bestimmung abhängt. 1.a. uzan: Konj. oder Präp. üzan 'wenn nicht' beziehungsweise 'außer; ohne'. SchW. S. 277; GSp. I, Sp. 536-539; StWG. S. 686. Als semantisches Lemma wäre bei der Bestimmung als Konjunktion nisi zu betrachten. Eine solche Entsprechung ist bereits bekannt 138 . b. cu?da: Nom. oder Akk. Sg. st.F.? [ ]a. - Der Anschluß an ein Grundmorphem ist auch unter Berücksichtigung bisher belegter Entsprechungen nicht möglich. Vermutlich liegt ein feminines Substantiv vor, das in Abhängigkeit von der Bestimmung des ersten Teils der Glossierung als Nom. oder Akk. Sg. angesehen werden könnte. 2.a. uzar. Präp. m. Dat. oder Konj. üzar 'aus ... heraus' beziehungsweise 'außer'. - SchW. S. 277; GSp. I, Sp. 535f.; StWG. S. 686. Diese Identifikation läßt sich auf nisi oder a als Lemma beziehen, wobei solche Entsprechungen bisher kaum beziehungsweise gar nicht nachzuweisen sind 139 . b. a.?da: [ ]a. - Man vergleiche das zu l.b. Gesagte. Hier ist im Zusammenhang der Bestimmung des ersten Teils von einem Dat. oder Nom. Sg. auszugehen, wobei die Bestimmung als Dativ besonderer Annahmen bedürfte. 3.a. uz: Präp. m. Dat. üz 'aus'. - SchW. S. 277; GSp. I, Sp. 534; StWG. S. 686. üz als Entsprechung von lat. a war bisher, soweit erkennbar, noch nicht belegt. b. an a.?da: [ ]a. - Man vergleiche das unter l.b. Gesagte. Hier ist im Zusammenhang der Bestimmung des ersten Teils eine folgende Dativform zu erwarten, wofür das unter 2.b. Gesagte gilt. Im übrigen könnte ein Präfix aridentifiziert werden.
45. fol. 23vb, Z. 10 et cum immutatum 1 4 0 conspicerent, studuerunt pulvere capita foedare (PL. 609D; CCh. S. 127,25; III, XII,20; Hs. et] o m , inmutatü)
138
Man vergleiche GSp. I, Sp. 538f. Man vergleiche E. Steinmeyer, Index; G. Köbler, Lateinisch-germanistisches Lexikon, S. 276, S. 1; GSp. I, Sp. 536. 140 Der weitere Kontext zeigt, daß hier nicht die Negationsbildung vorliegen kann. 139
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139
'und als sie ihn verwandelt erblickten, versuchten sie mit Staub ihre Häupter zu
beschmutzen141'
foedare / quate | nus - unsuprenne (Neufund)
Die Eintragung, die erst nach d beginnt, reicht bis über t. Die kleine kratzige Schrift ist im knittrigen Pergament schwer zu sehen. Insbesondere sind die beiden letzten Buchstaben nicht mehr genau identifizierbar, da nur im unteren Teil Einstiche erkennbar sind. unsuprenne: Dat. Inf. sw. V. unsüpren 'beschmutzen'. - SchW. S. 273; GSp. VI, Sp. 71f.; StWG. S. 673; RSV. I, S. 242f. Die bei der angenommenen Lesung sich ergebende formalgrammatische Inkongruenz erklärt sich durch andere einzelsprachliche Verfahren beim Aufbau einer Infinitivkonstruktion 142 , wobei sich der Kasus nach der gewöhnlich hierbei auftretenden Präposition zi richtet 143 . Das althochdeutsche Interpretament ist neben anderen bereits als Entsprechung von lat. foedare bekannt 144 . Daneben wird es für Glossierungen weiterer Verben dieses semantischen Bereichs verwendet 145 .
46. fol. 23vb, Z. 24 ne non solum dolentem non mulceat (PL. 610A; CCh. S. 127,30; III, XII,21) 'damit er nicht nur nicht den Leidenden nicht beruhige' I non mulceat - ni uophhit (Neufund)
Die Eintragung beginnt am Zeilenanfang und reicht bis über u. Insbesondere der vierte Buchstabe ist schwer zu identifizieren. Links weist er eine Krümmung auf, rechts eine eher senkrechte halbhohe Linie. Es könnte sich dabei um o, u oder ci handeln. Genau genommen liegen vor dem eindeutigen ρ sieben halbhohe Schäfte unklarer Zusammenordnung vor. a. ni\ Neg.-Part. ni 'nicht'. - SchW. S. 196f.; GSp. II, Sp. 969-976, besonders Sp. 970-972; StWG. S. 437f. b. uophhit: 3. P. Sg. Ind. Präs. sw. V. [ ]en oder st. V. [ ]an. - Die Graphie der Endung läßt Mißachtung des Konjunktivs und damit Formeninkongruenz er141 Man vergleiche OLD. S. 718 (foedare), S. 1520 (pulvis); GH. II, Sp. 2083f. (pulvis). 142 Man vergleiche O. Behaghel, Deutsche Syntax, II, § 720f. 143 Man vergleiche BEG. § 315 Α. 2 sowie O. Behaghel, Deutsche Syntax, II, § 721. 144 Man vergleiche RSV. II, S. 307. 145 Man vergleiche etwa GSp. VI, Sp. 71f. sowie RSV. I, S. 242.
140
Frühe Glossenhandschriften aus Freising
kennen. Das Grundmorphem, für das theoretisch uophh-, wophh- oder wöphh- angesetzt werden kann, ist auch unter Berücksichtigung bisheriger Entsprechungen nicht anschließbar. Der Ansatz mit Diphthong ist auf dem Hintergrund der Schreibsprache der vorliegenden Glossierung unwahrscheinlich. Das von der Schreibung her am ehesten sich anbietende althochdeutsche wuofen 'klagen' 146 ist semantisch unpassend.
47. fol. 25vb, Z. 25 sed cum quanta agendum esset discretionis libra, nesciebant (PL. 61 IC; CCh. S. 130,66; III, XIII,24) 'aber sie wußten nicht, mit welchem Maß an Umsicht das zu tun war' 1 4 7 libra nescie \ bant - uuaka (Neufund) Die Eintragung, die grobe Risse im knittrigen Pergament aufweist, beginnt über r und endet über dem Anfang des zweiten Wortes. uuaka·. Nom. Sg. st. F. uuaka 'Gewicht'. - SchW. S. 278; GSp. I, Sp. 664; StWG. S. 689. Durch die Wiedergabe einer Grundform ergibt sich Formeninkongruenz. Es ist wahrscheinlicher, daß Vokabelübersetzung der gewöhnlichen Bedeutung 'Waage, Gewicht' 148 vorliegt, als daß das im übrigen reich belegte althochdeutsche Wort ebenso wie das lateinische in übertragener Bedeutung als 'Maß, Dosis' 149 zu verstehen ist. Von der Bedeutung 'Gewicht' aus läßt sich eine Übertragung zwar vorstellen, sie ist aber auch in späterer Zeit nicht eindeutig nachzuweisen 150 . Bemerkenswert ist allerdings die Nähe zur Bedeutung des starken Verbs wegan 'abwägen' 151 . Grundsätzlich ist ahd. wäga bereits als Entsprechung von lat. libra bekannt 152 .
146
SchW. S. 301; GSp. I, Sp. 782; StWG. S. 748; E. Seebold, Vergleichendes und etymologisches Wörterbuch, S. 564f. 147 Man vergleiche San Gregorio Magno, S. 123. 148 GH. II, Sp. 643f.; OLD. S. 1026. 149 A. Blaise, Dictionnaire, S. 495 (libra). 150 Man vergleiche etwa HWB. III, Sp. 633f.; DWB. XIII, Sp. 348-367. 151 SchW. S. 284. 152 Man vergleiche GSp. I, Sp. 664.
CIm 6300
141
48. fol. 26rb, Ζ. 12 Sed quia [...] dum de unitate capitis et corporis tractaremus [...] praaemisimus quanta in eis sit compago charitatis (PL. 612A; CCh. S. 130,83; III, XIII,25; Hs. conpago) 'Weil wir aber [...], während wir von der Einheit von Kopf und Körper handelten, [...] vorausgeschickt haben, wie stark zwischen diesen die Verbindung der Liebe sein soll' I conpago -fas?ti (Neufund) Die groß geschriebene Eintragung beginnt mit dem ersten Buchstaben, der aufgrund der nicht deutlich erkennbaren Schließung des oberen Bogens eher als / denn als ρ zu lesen sein wird, noch in der Spaltenmitte. Von 5 geht in mittlerer Höhe ein waagrechter Strich aus, der als Verbindungsstrich oder auch als oberer Teil eines halbhohen t oder r gelesen werden könnte. Nicht ganz auszuschließen ist auch ein großes, nicht vollständig geschlossenes n. Vor dem folgenden t befindet sich ein Fleck, so daß nicht feststellbar ist, ob hier noch ein weiterer Buchstabe eingetragen ist. fas?ti: Nom. Sg. st. F .fasti 'Festigkeit'. - AWB. III, Sp. 770-774; SchW. S. 110; GSp. III, Sp. 716-718; StWG. S. 149. Bei dieser Identifikation ergibt sich eine gewisse semantische Inadäquatheit, wobei allerdings zu bedenken ist, daß das Adjektivabstraktum semantisch "sehr vielschichtig"153 ist.
49. fol. 26vb, Z. 27 Si enim diu mens rebus discussis involvitur, pervenire ad indiscussa prœpeditur (PL. 612C; CCh. S. 131,104; III, XIII,25) 'Wenn nämlich der Geist allzulange in Dinge, die bereits erörtert sind, verwickelt wird, wird er daran gehindert, zu dem zu gelangen, was noch unerörtert ist' prœpeditur | - kamarit (Neufund) kamarif. unflekt. Part. Prät. sw. V. (ka)marren 'hindern'. - SchW. S. 186; GSp. II, Sp. 829f.; StWG. S. 410; RSV. I, S. 128. Die gängige Wiedergabe der Passivform lediglich mit dem Part. Prät. 154 ergibt Formeninkongruenz. Die ähnliche Bedeutungsbreite des präfigierten und des unpräfigierten Verbs erlaubt hier keine genauere Zuordnung. Allerdings ist bisher für lat. prœpedire, anders als im vorliegenden Codex fol. 112ra, Z. 15, 149rb, Z. 16, nur die präfi153
A W B . III, Sp. 771.
154
Dazu unten in Kap. 3.b.a).
142
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gierte Form belegt 155 . Die trotz der einfachen r-Graphie der Glosse gewählte Zuordnung beruht auf inhaltlichen Erwägungen. Sie läßt sich mit der Annahme einer Angleichung entweder an kurzsilbige jan- Verben oder flektierte synkopierte Formen des eigenen Paradigmas verbinden, die aber sonst nicht belegt ist 156 . Im übrigen ist auch an Verschreibung oder Verwechslung mit Formen von ahd. (gi)mären157 zu denken. Die lexikalische Zuordnung wird durch mehrere entsprechende Glossierungen im vorliegenden Codex gestützt 158 .
50. fol. 28rb, Z. 7 Venit itaque sine vitio; qui se subjiceret sponte tormento (PL. 613C; CCh. S. 132,50: subiceref, III, XIV,27; Hs. subiaceret) 'Er kam also ohne Schuld, der sich freiwillig der Peinigung unterwerfen sollte' spon I te - miuuilin (Neufund) Die überlieferte Form kann als Kombination von Präposition und Substantiv angesehen werden. a. mi: Präp. mi[t] 'mit'. - SchW. S. 189; GSp. II, Sp. 660-665; StWG. S. 418f., 827. Die Bestimmung geht vom graphischen Reflex einer Assimilation aus 159 . Denkbar wäre etwa die Annahme eines präkonsonantischen i-Schwundes, der aber sonst nicht nachgewiesen ist160. b. uuilin: Dat. Sg. sw. M. uuilo161 'Wille'. - SchW. S. 294f. (mit willen 'bereitwillig'); GSp. I, Sp. 822-824; StWG. S. 730. Die Wiedergabe des lateinischen Lemmas mit einem Syntagma miwilin 'freiwillig' kann als Formeninkongruenz angesehen werden. Gerade die Sonderschreibung der Präposition kann jedoch auf eine bereits univerbierte Form in adverbieller Funktion deuten. In jedem Fall ist von funktional-semantischer
155
Man vergleiche E. Steinmeyer, Index, sowie GSp. II, Sp. 829f.; RSV. II, S.
331. 156
Man vergleiche GSp. II, Sp. 830; RSV. I, S. 128. SchW. S. 183. 158 Man vergleiche fol. 44rb, Z. 1 mit weiteren Verweisen. 159 Weiteres hierzu unter vorahd. /d/ in Kap. 3.a.c). 160 Man vergleiche BEG. § 161 Α. 5 zu Fällen mit Dreifachkonsonanz. 161 Zur Schreibung der etymologischen Geminate mit einfachem l, die auch sonst vereinzelt nachgewiesen ist, vergleiche man unten 3.a.c) (vorahd. /I/, /II/). 157
Clm 6300
143
Äquivalenz auszugehen, wie das auch sonst belegte Syntagma 162 zeigt. Es ist sogar bereits als Entsprechung von lat. sponte nachgewiesen 163 .
51. fol. 28va, Z. 10 Malignus spiritus cum Redemptorem nostrum miraculis coruscare conspicit (PL. 614A; CCh. S. 132/133,5f.; III, XV,28) 'Als der böse Geist unseren Erlöser in Wundern erstrahlen sieht' mira \ culis - in deru rasti o d e r pi deru rasti ( N e u f u n d )
Die Eintragung reicht ab u in die Spaltenmitte und steht dort zweizeilig, wobei ti unter ra steht. Bei den ersten beiden Buchstaben könnte auch pi vorliegen. Undeutlich erkennbar sind drei halbhohe Schäfte, von denen der erste etwas höher als die folgenden ist. Die zwischen dem ersten und zweiten Schaft erkennbare halbrunde Ritzung ist nicht sicher der sprachlichen Eintragung zuzuordnen. 1.a. in: Präp. in 'in'. - SchW. S. 150; GSp. I, Sp. 289-295; StWG. S. 299f. 2.a.pi: Präp. m. D a t . p i 'an'. - AWB. I, Sp. 953-971; SchW. S. 75; GSp. III, Sp. 9-12; StWG. S. 50. b. deru: Dat. Sg. F. best. Art. diu 'die'. c. rasti: Dat. Sg. st. F. rasti 'Ruhetag'. - SchW. S. 211; GSp. II, Sp. 550f.; StWG. S. 482. Die bisher lexikographisch erfaßten Bedeutungen sind 'Ruhe, Ruhestätte'. Bei der vorliegenden Eintragung handelt es sich wohl eher um eine Kommentierung der Stelle als um eine Glossierung. Der lateinische Ausgangstext bezieht sich auf eine Stelle des Lukasevangeliums 164 , wo berichtet wird, wie Jesus in der Synagoge von Kafarnaum am Sabbat einen Mann von einem Dämon befreit 165 . Der Glossator will wohl mit der Bemerkung 'am Ruhetag' auf das angesprochene Geschehnis Bezug nehmen. Zu der hier angenommenen Bedeutung läßt sich die bereits bekannte Glossierung von lat. sabbatismus mit ahd. rèsti166 sowie die Bildung restitac für lat. sabbatum aus den Monseer Fragmenten 167 stellen. 162
Man vergleiche SchW. S. 294; StWG. S. 730. StSG. II, 6,52. Bei StWG. S. 730 wird dieser Beleg allerdings als mit willön lemmatisiert. 164 So bei CCh. S. 133 zu Zeile 6 angemerkt. 165 Man vergleiche Biblia Sacra, Lc 4,31-34. 163
166
StSG. II, 343,16. SchW. S. 211; The Monsee Fragments, S. 191. Man vergleiche auch die altenglische Bildung reste(n)dceg 'Ruhetag', ASD., S. 792. 167
144
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52. fol. 29ra, Z. 9 Lignum quippe in panem mittere, est configendo ejus corpori stipitem crucis adhibere (PL. 614B; CCh. S. 133,25; III, XV,28; Hs.pane, corpore) 'Holz an das Brot zu legen168 heißt sozusagen den Balken des Kreuzes seinem Körper zum Annageln hinzuhalten'. Die handschriftliche Lesart 169 ergibt 'heißt sozusagen beim Annageln seines Körpers den Balken des Kreuzes hinzuhalten'. (con) \figendo ef -fastinonto
(Neufund)
Das erste o weist eine auffällig eckige Form auf, die auch an u denken lassen könnte, wogegen aber die, wenn auch schwache, obere Schließung spricht. fastinonto:
Adv. fastinonto
'befestigend'. - AWB. III, Sp. 784; GSp. III, Sp.
721; StWG. S. 149 ('bestätigend' 170 ); RSV. II, S. 40. Zum zugrundeliegenden schwachen Verb vergleiche man AWB. III, Sp. 776-781; SchW. S. 110; GSp. II, Sp. 720f.; StWG. S. 149; RSV. II, S. 40f. Die Formeninkongruenz zwischen Gerundiv und Adverbialform eines Partizip Präsens läßt sich schwerlich funktional begründen, es sei denn, man sieht das Adverb als Wiedergabe der ablativischen Lesart der Handschrift mit der Bedeutung 'beim Annageln' an171. Für lat. configere ist bisher, soweit zu sehen, keine das Grundmorphem fast- enthaltende Entsprechung belegt. Ahd. festinön ist im übrigen vorwiegend in abstraktem Gebrauch bezeugt172.
53. fol. 30ra, Z. 19 ut ipse in se ad usum pietatis intorqueret quidquid eorum contra se malitia permissa sœviret (PL. 615B; CCh. S. 134,35; III, XVI,29) 'so daß er zur Übung seiner Frömmigkeit alles gegen sich richtete, was ihre erlaubte Bosheit in ihrem Wüten gegen ihn verübte' I sœuir& -farteta
168
(Neufund)
Zur Übersetzung vergleiche man Die Heilige Schrift, II, S. 745. Dabei bleibt pane für panem als Nebenform unberücksichtigt, man vergleiche GH. II, Sp. 1459f. 170 Für lat. asserendo, StSG. II, 275,52f. 171 Man vergleiche zu solchen Entsprechungen A. Denecke, Der Gebrauch des Infinitivs, S. 58. 172 Man vergleiche etwa die Angaben bei GSp. III, Sp. 720 sowie die Belege speziell für festinönto, AWB. III, Sp. 784, die es als feste Wortbildung zeigen. 169
Clm 6300
145
Die schwach eingedrückte Eintragung reicht mit a in den Wortzwischenraum. Der Wortanfang ist schwer lesbar. Erkennbar ist ein hoher Schaft mit einem Bogen rechts, dessen Schließung erkennbar ist, was für / spricht. Es könnte aber auch ρ oder h zu lesen sein. Eventuell ist die davor noch erkennbare halbrunde Ritzung auch sprachlich, so daß etwa ch am Anfang stehen könnte. Auch das erste t ist nicht ganz gesichert. Allerdings spricht die nicht erkennbare Unterlänge gegen ansonsten noch in Frage kommendes g. farteta: 3. P. Sg. Ind. Prät. an. V. fartön 'schändlich handeln'. - SchW. S. 262; GSp. V, Sp. 321f; StWG. S. 643. Die Mißachtung des Konjunktivs führt zu Formeninkongruenz. Auch semantisch ist die Glossierung nicht völlig adäquat. Für das reflexiv gebrauchte althochdeutsche fartuon ist als Grundbedeutung 'etwas Schlechtes tun' anzusetzen, was auch im vorliegenden Kontext durchaus sinnvoll ist. Nur wird dabei nicht die spezielle Bedeutung von lat. saevire 'toben' wiedergegeben. Allerdings ist bei Notker die Entsprechung von lat. saevire und ahd. fartuon bereits belegt 173 .
54. fol. 30rb, Z. 30 Hostis namque noster [...] mentem tarnen mediatoris Dei et hominum tentatione quassare non valuit (PL. 615C; CCh. S. 135,46; III, XVI,30; Hs. temptatjone)
'Denn unser Feind [...] war dennoch nicht imstande, den Geist des Mittlers zwischen Gott und den Menschen durch eine Versuchung zu erschüttern' I quassare - kauuegen ( N e u f u n d )
Zwischen e und g befindet sich ein kleiner Zwischenraum, in dem aber kein weiterer Buchstabe erkennbar ist. kauuegen: Inf. sw. V. kauuegen 'erschüttern'. - StWG. S. 704; RSV. I, S. 329174. Die Bedeutung des bisher nur in wenigen Glossenbelegen bekannten Präfixverbs läßt sich im Kontext der vorliegenden Stelle analog zu derjenigen des unpräfigierten Verbs, das bereits 'ins Wanken bringen' 175 bedeutet, festlegen. Bei der vorliegenden Identifikation ist von fehlender Geminatenbezeichnung
173 Die Schriften Notkers und seiner Schule, 11,16. Man vergleiche auch G. Köbler, Lateinisch-althochdeutsches Wörterbuch, S. 179. 174 Bei GSp. I, Sp. 659 sind die nicht aussagekräftigen Partizipialbelege unter gawegit zusammengefaßt, das aber wegjan, Sp. 658f. zugeordnet ist. 175 Man vergleiche etwa SchW. S. 284.
146
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auszugehen 176 . Für lat. quassare, wofür bereits Entsprechungen mit diesem Grundmorphem bekannt sind177, steht es bisher nicht.
55. fol. 3 Ira, Ζ. 21 Membra autem nostri Redemptoris exstiterunt, etiam qui ab ipso mundi exordio, dum pie vivunt, crudelia passi sunt (PL. 616B; CCh. S. 135,5; III, XVII,32; Hs. extiterunt) 'Aber auch jene waren Glieder unseres Erlösers, die schon vom Beginn der Welt an, während sie fromm lebten, Grausames erduldeten' exordio | - fona an.inne (Neufund) Die gedrückte Eintragung im knittrigen und abgeschabten Pergament, die ab inne in der Spaltenmitte steht, ist vor allem im Mittelteil schwer lesbar. Der Buchstabe vor i ist aufgrund der vielen Knitter nicht mehr erkennbar. Davor steht deutlich erkennbar ein n. Zwischen diesem und dem Ende des ersten Wortes kann a identifiziert werden, wenn auch die Form rechts auffallend wenig abgeschrägt ist. a. fona: Präp. fona 'von ... an'. - AWB. III, Sp. 1069-1132; SchW. S. 115f.; GSp. III, Sp. 524f.; StWG. S. 170. Das Interpretament läßt sich auf die im lateinischen Text vom Substantiv getrennte Präposition ab beziehen. b. an.inne\ Dat. Sg. st. N. an[{a)g]in oder an[(a)g]inni 'Beginn'. - AWB. I, Sp. 426f.; SchW. S. 66 (anagin)·, GSp. IV, Sp. 215f.; StWG. S. 25f„ S. 787. Da der /a-Stamm anaginni nur in wenigen eindeutigen Belegen vorliegt und im Dat. Sg. keine eindeutige Zuweisung erfolgen kann 178 , ist der wahrscheinlichere Bezug auf an(a)gin vorzuziehen. Der lesbare Teil der Eintragung weist im Zusammenhang mit der bekannten Glossierung des Bedeutungsbereichs 'Anfang' 179 auf diese Zuordnung. Allerdings muß dafür eine Verschreibung oder die in früher Zeit ungewöhnliche Präfixvariante α/ζ-180 angenommen werden. Die Zuordnung wird noch durch die parallele Glossierung im Clm 6300, fol. 65rb, Z. 27, gestützt.
176
Man vergleiche hierzu unter vorahd. / g / , /gg/ Kap. 3.a.e). Man vergleiche E. Steinmeyer, Index, sowie RSV. II, S. 334. 178 Man vergleiche AWB. I, Sp. 426. 179 Man vergleiche die angegebenen Lemmata in AWB. I, Sp. 426f. sowie bei E. Steinmeyer, Index, die Lemmata exordium und initium. 180 Man vergleiche dazu EWA. I, Sp. 213f., 5-8. 177
Clm 6300
147
56. fol. 32ra, Ζ. 13 Non in foro, in quo lex perstrepit (PL. 617A; CCh. S. 137,2; III, XIX,34: in] om.; Hs. ITI] om.) 'Nicht im Gerichtshof 181 , wo das Gesetz erschallt' \perstrepit - ?luta (Neufund) Vor / erkennbare Striche befinden sich eventuell in der Pergamentstruktur, wobei aber Reste eines h nicht ganz auszuschließen sind. Dafür spricht, daß sonst die Eintragung nicht über dem Lemmaanfang, sondern erst über e beginnt. ?luta: 3. P. Sg. Ind. Prät. sw. V. laten 'erschallen'. - SchW. S. 179; GSp. IV, Sp. 1099f.; StWG. S. 391; RSV. I, S. 113f. Durch die Wiedergabe der Präsensform durch eine Präteritalform ergibt sich Formeninkongruenz, die auf einem Mißverständnis der lateinischen Form als Perfektform beruhen könnte, da sie ansonsten funktional inadäquat ist. Dazu ist die ebenfalls formeninkongruente Glossierung fol. 75vb, Z. 5 zu vergleichen. Lexikalisch-semantisch kann die Glossierung als adäquat gelten, da die dem lateinischen Lemma gewöhnlich zukommende intensivere Bedeutung 'laut lärmen' hier nicht speziell aktualisiert wird. Die Entsprechung von lat. perstrepere und ahd. lüten ist bereits vereinzelt belegt182.
57. fol. 34ra, Z. 5 Qui igitur ad mala nos vel verbis vel exemplis illiciunt (PL. 618B; CCh. S. 139,25; III, XX,37; Hs. inMunt) 'Diejenigen also, die uns mit Worten oder mit Beispielen zu Bösem verführen' \inliciunt - scandent (M. S. 74,16: scuntent) Bei dem fünften Buchstaben handelt es sich, worauf die erkennbare Oberlänge hinweist, mit ziemlicher Sicherheit um d. Die Form ist jedoch nicht vollständig erkennbar. scundent: 3. P. PI. Ind. Präs. sw. V. scunden 'verführen'. - SchW. S. 233; GSp. VI, Sp. 523f.; StWG. S. 55lf.; RSV. I, S. 186f. Für lat. illicere wird ansonsten neben einer Reihe weiterer Grundmorpheme die mit fir- präfigierte Form
181 182
57,16.
GH. I, Sp. 2828; OLD. S. 728; A. Blaise, Dictionnaire, S. 362; NMLL. S. 449. RSV. I, S. 113. Man vergleiche auch StSG. I, 486,26 und eventuell M. S.
148
Frühe Glossenhandschriften aus Freising
gebraucht 183 . Ahd. samten glossiert aber verschiedene bedeutungsnahe Verben 184 .
58. fol. 34rb, Ζ. 26 filii Sarvias, cur efiHeimini mihi hodie in Satan? (PL. 619A; CCh. S. 139,40; III, XX,38; Hs. efficiemini) 'Söhne der Saruja, warum werdet ihr mir heute zum Feind?' 185 . Die handschriftliche Lesart ergibt 'warum werdet ihr ... werden'. I efficiemini - l..katan (Neufund) Die Eintragung ist am Anfang nicht mehr lesbar. Vermutlich handelt es sich um zwei, eventuell auch drei Buchstaben vor k. Der lesbare Teil beginnt über c, wobei der erste Buchstabe eine auffällig eckige Form aufweist. a. ?..: Der Anfang der Eintragung ist nicht zu bestimmen. b. katan: unflekt. Part. Prät. an. V. (ka)tön 'machen'. - SchW. S. 261f.; GSp. V, Sp. 284-316; StWG. S. 642f., 832. Die lateinische Passivform ist an der vorliegenden Stelle wohl analytisch wiedergegeben, wobei der erste Teil nicht rekonstruierbar ist. Das genaue Ausmaß der formalen Inkongruenz bleibt damit unsicher. Die genauere Zuordnung zum präfigierten oder unpräfigierten Verb ist aufgrund der weitgehend übereinstimmenden Bedeutung nicht möglich. Die althochdeutsche Glossierung folgt relativ schematisch der üblichen Glossierungspraxis von Passivformen, wobei aufgrund der kontextuellen Bedeutung 'werden' auch andere Möglichkeiten denkbar wären.
59. fol. 34va, Ζ. 1 Male itaque suadentes, angeli apostatae appellatione censentur qui [...] (PL. 619A; CCh. S. 139,42; III, XX,38; Hs. angeli] apostolj) 'So werden die übel Ratenden, die [...], mit der Bezeichnung Engel (Hs. Gesandte) des Abtrünnigen bewertet' I censentur - .r..hanti (M. S. 79,11a: nicht entziffert) Die Eintragung ist im ersten Teil schwer lesbar. Vom ersten Buchstaben ist ein hoher oben leicht nach rechts gebogener Schaft erkennbar, der als s oder / interpretierbar ist. Zwischen r und h sind zwei halbhohe Striche erkennbar, 183 184 185
Man vergleiche RSV. II, S. 311 sowie E. Steinmeyer, Index. Man vergleiche GSp. VI, Sp. 524; RSV. I, S. 186. Man vergleiche zur Übersetzung der Stelle A. Biaise, Dictionnaire, S. 739.
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deren genaue Form nicht deutlich ist. Sie könnten zu u zusammengehören. Da der erste Strich eine gewisse Neigung nach links aufweist, könnte es sich auch um a handeln. Beim zweiten Strich kommt außer i noch c in Frage. Aufgrund dieser vielfältigen Unsicherheiten folgt hier die genaue Wiedergabe des paläographischen Befundes: Ι ΓΛ l h ô> Π Γ I .r..hanti: unflekt. Part. Präs. st. V. [ ]an oder sw. V. [ ]en. - Die Glossierung weist im Falle der tatsächlichen Zugehörigkeit zu lat. censentur Formeninkongruenz auf, für die ohne Kenntnis des Grundmorphems keine Erklärung gegeben werden kann. Die zahlreichen bisher bekannten Glossierungen von lat. cernere186 sind nicht mit dem vorliegenden paläographischen Befund verbindbar. Auch eine Zuordnung zu ahd. rachön 'sagen, erörtern' 187 oder recken 'deuten' 188 ist kaum zu rechtfertigen, da dann, abgesehen von den semantischen Unstimmigkeiten, der erste Strich der Eintragung als nicht zur Glossierung gehörig angesehen werden müßte. Zu bedenken ist allerdings auch der auffallende Tatbestand, daß die unmittelbar folgende Glosse ebenfalls ein Partizip Präsens darstellt. Ob es sich dabei auch um eine Doppelglossierung handeln könnte, kann allerdings ohne Identifikation des Grundmorphems nicht entschieden werden. Damit ergeben sich aber Zweifel an der semantischen Zugehörigkeit zum graphischen Lemma.
60. fol. 34va, Z. 1 qui blandís verbis ad illicita quasi diligentes trahunt (PL. 619A; CCh. S. 139,42; III, XX,38; Hs. inlicita, diligenter) 'die mit schmeichelnden Worten gleichsam gewissenhaft zum Unerlaubten verleiten' qui I -fleohanti (M. S. 74,17: lobanti) Die Lesung H. Mayers ist paläographisch nicht haltbar. Die Eintragung beginnt vor qui und reicht mit ti in die Spaltenmitte. Sie steht gegenüber der vorausgehenden Glosse etwas erhöht. Davor, also zwischen den beiden Griffelglossen, findet sich ein eingeritztes Kreuz wohl als Verweiszeichen, zu dem aber keine zweite Entsprechung gefunden werden konnte. Die grammatisch186 Man vergleiche RSV. II, S. 286; E. Steinmeyer, Index; G. Köbler, Lateinischgermanistisches Lexikon, S. 63. 187 SchW. S. 207; StWG S. 471; GSp. II, Sp. 374f.; RSV. II, S. 115. 188 SchW. S. 210f.; StWG. S. 480; GSp. II, Sp. 363-365; RSV. I, S. 150.
150
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semantische Analyse ergibt eine Zugehörigkeit zu lat. blandís in der zweiten Zeile, das damit das eigentliche Lemma darstellt. fleohanti: unflekt. Part. Präs. sw. V. fleohen 'schmeicheln'. - AWB. III, Sp. 948; SchW. S. 113; GSp. III, Sp. 755; StWG. S. 163 (zusammen mit dem -önVerb), S. 810 (flehen); RSV. II, S. 44f. (unter flehon). Zum Grundmorphem und seiner Bedeutungsbestimmung vergleiche man die Ausführungen zu fol. 19va, Z. 19, wo lat. blandiens glossiert wird. Zur Graphie des Wurzelvokals ist der bei J. Splett 189 analysierte Beleg in der Abroganshandschrift Kb zu vergleichen. Die auf der Lesung H. Mayers beruhende Eintragung bei StWG. S. 382 unter lobön ist zu streichen.
61. fol. 34vb, Z. 13 Sed [...] discamus ex verbis vulnerati et incolumis, sedentis et erecti (PL. 619B; CCh. S. 139,53; III, XX,38; Hs. incolomes, sedentes) 'Aber wir sollen aus den Worten des Verletzten und des Unversehrten, des Sitzenden und des Aufrechten lernen [...]' discamus \ - ...nemes (Neufund) Die Eintragung, die erst über c beginnt und mit es über das Ende des lateinischen Wortes hinausragt, ist am Anfang schwer lesbar. Erkennbar sind drei hohe Schäfte, wobei der dritte eine leichte Krümmung wie etwa bei e aufweist. Vom ersten Schaft gehen Querstriche nach rechts wie bei ρ oder f . Statt η könnte eventuell auch h gelesen werden, da der linke Schaft höher als der rechte ist. Die Größe des Bogens spricht aber für n. ...nemes: 1. P. Pl. Ind. oder Konj. Präs. sw. V. [ ]en oder [ ]ën. - Eine genauere Eingrenzung der Bestimmung ist von der überlieferten Form her nicht möglich. Allerdings weist die übliche Glossierungspraxis des Clm 6300 eher auf Ind. Präs. Die Schreibung des Bindevokals läßt die Annahme eines starken Verbs als unwahrscheinlich, wenn auch nicht gänzlich ausgeschlossen erscheinen 190 . Die verschiedenen bisher bekannten Glossierungen von lat. discere191 lassen sich ebensowenig wie die fol. 134ra, Z. 7 vorliegende mit dem gegebenen paläographischen Befund verbinden. 189
Abrogans-Studien, S. 382. Man vergleiche auch das unten unter 3.a.a) zu vorahd. / e / Gesagte. 190 Man vergleiche hierzu unten 3.b.oc). 191 Man vergleiche RSV. II, S. 299, E. Steinmeyer, Index sowie G. Köbler, Lateinisch-germanistisches Lexikon, S. 126.
CIm 6300
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62. fol. 34vb, Ζ. 15 Sed [...] discamus ex verbis vulnerati et incolumis, sedentis et erecti (PL. 619B; CCh. S. 139,54; III, XX,38; Hs. incolomes, sedentes) 'Aber wir sollen aus den Worten des Verletzten und des Unversehrten, des Sitzenden und des Aufrechten lernen [...]' incolomes - anti hael. (Neufund) Die Eintragung weist am Ende nach l einen schwer deutbaren paläographischen Befund auf. Erkennbar ist ein hoher Schaft mit einem Bogen rechts unten wie bei / sowie einem Querstrich in der Mitte, was an die Abbreviatur i erinnert. Außerdem ist wohl an e zu denken, wenn auch die dafür typische Krümmung oben fehlt. a. anti·. Konj. anti 'und'. - SchW. S. 151; GSp. I, Sp. 361f.; StWG. S. 305f„ 823. Ahd. anti ist als Glossierung des vorausgehenden lat. & zu betrachten. b. hael.: hael[ ]. - Das Wort ist aufgrund des nicht identifizierbaren Ausgangs grammatisch nicht eindeutig zu bestimmen. Das Grundmorphem läßt sich aber wohl dem reich belegten -heil-192 anschließen, wobei die Wortart des lateinischen Lemmas auf ein, eventuell substantiviertes, Adjektiv heil deutet. Man vergleiche AWB. IV, Sp. 810-812; SchW. S. 138; GSp. IV, Sp. 861-863; StWG. S. 262, 821. Als Entsprechung von lat. incolumis ist dieses Grundmorphem, soweit zu sehen, bisher nicht bezeugt. In der vorliegenden Glossierung ist allerdings fol. 5rb, Z. 12 zu vergleichen. Bei Annahme eines e am Ende könnte von der Glossierung von incolomes als Pluralform ausgegangen werden, so daß die althochdeutsche Form etwa als Nom. oder Akk. PI. st. flekt. Adj. hael 'unversehrt' zu bestimmen wäre. Geht man von einer Abbreviatur i am Wortende aus, deren Funktion allerdings unklar wäre, könnte die Glosse als unflektiertes Adjektiv zu bestimmen sein.
63. fol. 36rb, Z. 17 quatenus et ante se audaces confodiant, et [...] (PL. 620C; CCh. S. 141,52; III, XXI,40) 'so daß sie sowohl die Verwegenen vor ihnen durchbohren als auch [...]' audaces - katurstic (Neufund)
192
Man vergleiche die nominalen und verbalen Belege bei AWB. IV, Sp 810813, 827-836; SchW. S. 138f.; GSp. IV, Sp. 861-879; StWG. S. 262f„ 821.
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katurstic: unflekt. Adj. katurstïc 'verwegen'. - SchW. S. 263; GSp. V, Sp. 443f.; StWG. S. 225. Durch die Wahl der Grundform entsteht Formeninkongruenz. Insbesondere ist die Substantivierung nicht berücksichtigt. In den meisten Fällen, bei beiden Belegen der Textüberlieferung 193 , steht das Adjektiv in einem Syntagma mit wesan oder sin zur Glossierung einer analytischen Form von lat. audere. Im übrigen ist es bereits für lat. audax belegt 194 . Dazu ist auch die entsprechende Glossierung des zugehörigen Substantivs fol. 85va, Z. 25 zu vergleichen.
64. fol. 38ra, Z. 8 sed dum haeretici cum falsis allegationibus veniunt (PL. 622A; CCh. S. 143,42; III, XXII,44; Hs. alligationibus) 'aber indem die Ketzer mit falschen Behauptungen195 kommen'. Die handschriftliche Lesart kann verstanden werden als 'mit falschen Bindungen196'. alligationibus\ -za den çnophum (M. S. 79,13a: nicht entziffert) Statt c wäre o zu lesen, falls die Rundung geschlossen ist, was sich aber nicht sicher bejahen läßt, η ist wegen der undeutlichen Querstriche nicht gesichert. u oder sogar o sind daher nicht völlig sicher auszuschließen. a. za: Präp. za 'zu'. - SchW. S. 305; GSp. V, Sp. 572-576; StWG. S. 759f. Die Adäquatheit der gewählten Präposition ist ohne Kenntnis des weiteren syntaktischen und semantischen Zusammenhangs nicht zu beurteilen. b. den: Dat. PI. M. best. Art. der 'der'. c. çnophum: Dat. Pl. st. M. cnoph 'Knoten'. - GSp. IV, Sp. 583; StWG. S. 338. Die semantische Adäquatheit des gewählten Substantivs ist nicht sicher. Vorstellbar ist sie überhaupt nur bei Annahme der Glossierung des Lemmas im Sinne von 'Bindung'. Damit läge eine Art Vokabelglossierung vor. Ahd. knöpf, das als Basis zu knüpfen 'anknüpfen' gehört, wird jedoch sonst nicht in abstrakter Bedeutung gebraucht. Das entsprechende Grundmorphem ist
193
Man vergleiche Tatian, 130,3 sowie Die Murbacher Hymnen, 1,4,3. Man vergleiche GSp. V, Sp. 443f. 195 A. Biaise, Dictionnaire, S. 53; OLD. S. 103; NMLL., S. 35; Mittellateinisches Wörterbuch, I, S. 469f. 196 Mittellateinisches Wörterbuch, I, S. 478. 194
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auch nicht für die bisher spärlich glossierten lat. allegutio, alligatio verwendet 197 . Die Glossierung ist in ihrer Gesamtheit nicht befriedigend zu erklären.
65. fol. 38ra, Z. 28 Haeretici igitur, quia ardentius appetunt sapere, quasi plusquam necesse est, student calere (PL. 622B; CCh. S. 143,50; III, XXII,45; Hs. quasi} quippe) 'Die Ketzer trachten also danach zu glühen, weil sie ganz brennend, gleichsam (Hs. ja) mehr als nötig ist, zu wissen begehren' student \ - eilet (Neufund) Die Eintragung beginnt erst über e und reicht mit et bis zum Ende des nicht ausgefüllten Schriftspiegels. eilet: 3. P. Sg. Ind. Präs. sw. V. eilen 'trachten'. - SchW. S. 305; GSp. V, Sp. 656f.; StWG. S. 762; RSV. II, S. 276f. Die Glossierung weist im Numerus nicht aus dem Zusammenhang erklärbare Formeninkongruenz auf. Das gewählte althochdeutsche Verb ist, wenn auch in abweichender Schreibung, im Clm 6300 vermutlich bereits fol. 22vb, Z. 15 zur Wiedergabe von lat. studere bezeugt.
66. fol. 38ra, Z. 29 Desidia quippe torpori frigoris [...] concordat (PL. 622B; CCh. S. 143,50; III, XXII,45; Hs. io/poris) 'Die Trägheit paßt nämlich zur reglosen Starre der Kälte'. Die handschriftliche Lesart der auch im übrigen vielfach umgestalteten Stelle 198 kann, wenn überhaupt, nur sinnvoll als Genitivkomplex 'Die Trägheit der reglosen Starre der Kälte' interpretiert werden, der dann insgesamt als Subjekt fungiert. desidia quippe | - .ΊΊα-nissa (Neufund) Die Eintragung beginnt nach s und endet über p. Sie ist im ersten Teil sehr schwach. Erkennbar ist lediglich, daß am Anfang ein halbhoher gerundeter Buchstabe steht, der c, e, o, oder a sein könnte. Im übrigen sind vor und nach
197
Man vergleiche E. Steinmeyer, Index, sowie GSp. II, Sp. 445 (reda); StWG. S. 201 (gibenti). 198 Man vergleiche den Lesartenapparat CCh. S. 143 zu Z. 51.
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a ungleich hohe Schäfte erkennbar. Wegen dieser Unklarheiten sei der paläographische Befund wiedergegeben:
.lla.nissa\ Nom. Sg. st. F. [ ]nissa. - Die Identifikation des Suffixes, die die grammatische Bestimmung ermöglicht, ist unzweifelhaft. Das Grundmorphem ist dagegen nicht ermittelbar. Für lat. desidia sind, soweit zu sehen, bisher keine Bildungen auf -nissa bekannt. Auch sind mit dem, nach der bisherigen Glossierungspraxis zu schließen199, eventuell in Frage kommenden Grundmorphem -slaff- keine Bildungen auf -nissa belegt 200 . Als Ableitung eines ên-Verbs wäre das nach E. Dittmer 201 auch kaum wahrscheinlich. 67. fol. 38ra, Z. 30f. Desidia quippe torpori frigoris [...] concordat (PL. 622B; CCh. S. 143,50; III, XXII,45; Hs. torporis) 'Die Trägheit paßt nämlich zur reglosen Starre der Kälte' Die handschriftliche Lesart der auch im übrigen vielfach umgestalteten Stelle 202 kann nur sinnvoll als Genitivkomplex 'Die Trägheit der reglosen Starre der Kälte' interpretiert werden, der dann insgesamt als Subjekt fungiert. I torporis - ??.nissa (Neufund) Die lange Eintragung in dem zerkratzten Pergament ist zweizeilig. Der erste Teil reicht über torporis, nissa steht am unteren Seitenrand unter ris. Der erste Teil reicht bereits in den Wortzwischenraum hinein. Er ist wohl nicht mehr identifizierbar, auch die Zahl der Buchstaben ist daher nicht genau anzugeben. ??.nissa: Nom. oder Gen. Sg. st. F. [ ]nissa. - Die alternative Bestimmung als Genitiv ergibt sich bei Berücksichtigung des lateinischen Lemmas. Es kann aber auch Glossierung mit der Grundform vorliegen. Allerdings spräche die Länge der Eintragung sowie die folgende Glossierung fol. 38rb, Z. 3 für das Vorliegen eines genitivischen Syntagmas aus Artikel und Substantiv. Das läßt sich aber paläographisch weder stützen noch widerlegen. Für lat. torpor ist bisher wohl noch keine -nma-Bildung bezeugt. Im vorliegenden Codex sind 199 200 201 202
Man vergleiche E. Steinmeyer, Index. Man vergleiche SchW. S. 233; GSp. VI, Sp. 802-804; StWG. S. 554, 830. E. Dittmer, in: Althochdeutsch, I, S. 301. Man vergleiche den Lesartenapparat CCh. S. 143 zu Z. 51.
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aber zwei weitere entsprechende Glossierungen belegt, fol. 4 Iva, Z. 24 und fol. 11 Ira, Ζ. 17.
68. fol. 38rb, Ζ. 3 et rursum inquietudo immoderatae curìositatis, intemperato concordat calori (PL. 622B; CCh. S. 143, 51f.; III, XXII,45) 'und umgekehrt paßt die Unruhe unmäßiger Wißbegier zu der maßlosen Hitze' curiositatjs | - dera piuuertnissa (M. S. 74,18: dera piuuortnissa) Die Eintragung reicht mit sa bis über den Rand. Das zweite u scheint mir sicher zu sein, wenn auch die Form durch größere Rundung vom vorhergehenden u abweicht. Als darauf folgender Buchstabe ist o ausgeschlossen, da nur eine leicht gekrümmte halbhohe Linie ohne Entsprechung rechts zu erkennen ist. Die Mittellinie, die zu r führt, spricht wohl für e, wiewohl i nicht ganz auszuschließen ist. a. dera: Gen. Sg. F. best. Art. diu 'die'. b. piuuertnissa: Gen. Sg. st. F. piuuertnissa 'Wißbegier'?. Hapaxlegomenon. Im Glossenwörterbuch 203 ist ein eigener Ansatz biwortnissa für diesen Beleg nach der Lesung H. Mayers gebildet. Während die grammatische Bestimmung als starkes Femininum mit einem Fragezeichen versehen ist, wird als Bedeutung 'Uneingeschränktheit' angegeben. Allerdings wird curiositas in Klammern gesetzt, um die Diskrepanz zwischen Lemma und Interpretament zu verdeutlichen. Falls diese Bedeutungsbestimmung richtig ist, könnte sich die Glossierung auf das vorausgehende Adjektiv beziehen oder dieses zumindest mit einschließen. Das läßt sich aber kaum durch die Wortbildungsanalyse stützen. Identifizierbar sind das Präfix pi- oder pi- und das Suffix -nissa, das im Zusammenhang des lateinischen Lemmas die grammatische Bestimmung erlaubt. Das Grundmorphem ist dagegen nicht ohne weiteres anschließbar. Für lat. curiositas ist, soweit zu sehen, bisher keine vergleichbare Bildung belegt. Die Wortbildungsstruktur weist am ehesten auf eine deverbale Ableitung vom Stamm eines schwachen Verbs 204 piwerten, wobei es sich entsprechend dem graphischen Usus der Handschrift um germ, e han-
203 204
§272.
StWG. S. 793. Man vergleiche W. Wilmanns, Deutsche Grammatik, II, § 271. besonders 4.,
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dein muß. Ein solches Verb läßt sich aber nicht nachweisen 205 . Grundsätzlich kommen als Basis die Grundmorpheme werdan, wert und werd206 in Frage, wobei die Bildung werdnussi 'Rechtfertigung' zu vergleichen ist 207 .
69. fol. 38va, Z. 5 quia videlicet Redemptor noster suae districtionis examine in his [...] stultitiam immoderati sapons exstinguit (PL. 622B; CCh. S. 144,59; III, XXII,45; Hs. Redêp, inmoderati, extinguit) 'weil nämlich unser Erlöser durch seine strenge Prüfung in denen [...] die Torheit maßlosen Geschmacks auslöscht' Isaporis extinguit - ist k....ahan (M. S. 79, 14a: nicht entziffert) Die schwach eingedrückte Eintragung reicht bis über ex. Sie ist im Mittelteil kaum mehr identifizierbar. Zwischen k und a sind hauptsächlich halbhohe Schäfte zu erkennen, von denen der letzte einen oberen Querstrich aufweist und eventuell zu t gehören könnte. Statt h ist wohl auch ζ nicht ganz auszuschließen. a. ist: 3. P. Sg. Ind. Präs. an. V. sin 'sein'. - SchW. S. 225; GSp. I, Sp. 481-485; StWG. S. 524f. b. k....ahan: - Trotz des lesbaren Wortausgangs ist eine Zuordnung des zweiten Teils kaum möglich. Es könnte sich um das Partizip Präteritum eines starken Verbs handeln, wogegen aber bei der Lesung mit h der nicht durchgeführte grammatische Wechsel spricht, es sei denn h wäre als Graphie für hh anzusehen. Die Zuordnung zu einem Substantiv ist aufgrund der Endung kaum denkbar. Insgesamt könnte es sich bei dieser Glossierung um eine Interpretation der Stelle handeln, da, soweit erkennbar, die Formenkongruenz in keiner Weise gewahrt ist. Damit ist trotz klarer Positionierung die semantische Zuordnung zu saporis zweifelhaft.
205
Man vergleiche die Einträge mit bi-, bl- und folgendem w bei AWB. I, Sp. 1155-1157. 206 Man vergleiche GSp. I, Sp. 982-998, 998-1011, 1011-1020. 207 Man vergleiche W. Wilmanns, Deutsche Grammatik, II, § 272, der hier ein Adjektivabstraktum sieht.
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70. fol. 38va, Ζ. 20 per hoc quod Scripturarum se studiosos exhibent (Pl. 622C; CCh. S. 144,63; III, XXII,45; Hs. Scribturarüm) 'indem sie sich als Gelehrte der Schriften erweisen' studiosos - listiger (M. S. 79,15a 208 : nicht entziffert) listiger: Nom. Sg. M. st. flekt. Adj. listic209 'kenntnisreich'. - SchW. S. 175; GSp. II, Sp. 284; StWG. S. 380. Die Glossierung weist durch die Wiedergabe einer Nominativform im Singular Formeninkongruenz auf. Daß nicht, wie in ähnlichen Fällen üblich, die unflektierte Form gewählt wurde, mag mit der Substantivierung des lateinischen Adjektivs zusammenhängen. Als Übersetzung der gewählten Form könnte 'ein Kenner' gewählt werden. Das lateinische Wort ist in seiner Bedeutung allerdings breiter 'einer, der sich mit etwas beschäftigt und sich dabei Kenntnisse erwirbt' 210 , wobei auch durch Kontext und Genitivanschluß keine Eingrenzung gegeben wird. Als Entsprechung von lat. studiosus ist listig, das selbst Wörter aus dem Bereich 'schlau' glossiert 211 , sonst nicht üblich.
71. fol. 38vb, Z. 10 quo foeditatem XXII,45)
vitae sensus callide occultant (PL. 622C; CCh. S. 144,69; III,
'womit sie die Scheußlichkeit der Lebensgesinnung schlau verstecken' foeditatem uitœ\ - unsuparnissa (M. S. 74,19: unsuparnissa) Die Eintragung beginnt über d und endet über dem t des zweiten Wortes, ρ ist nicht völlig gesichert. Erkennbar ist nämlich nur ein dafür ungewöhnlich stark nach links geneigter hoher Schaft mit undeutlichen Kratzern rechts davon. unsuparnissa: Nom. oder Akk. Sg. st. F. unsuparnissa 'Unreinheit'. - SchW. S. 273; GSp. VI, Sp. 71; StWG. S. 674. Zwischen Glossierung durch die Grundform oder eine oblique Kasusform ist nicht zu entscheiden. Für lat. foeditas ist die vorliegende präfigierte -««ia-Bildung noch nicht belegt. Sie ist gegen208 Als Lemma wird hier zwar studiosus angegeben, es dürfte aber die hier besprochene Stelle gemeint sein. 209 Zur Auslautgraphie der Ansatzform vergleiche man Kap. 3.a.e) unter vorahd. /g/, /gg/· 210 Man vergleiche GH. II, Sp. 2829f.; OLD. S. 1830. 211 Man vergleiche GSp. II, Sp. 284; StWG. S. 380.
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über den Bildungen mit -i und -ida 212 zu der gleichen Basis nur spärlich bezeugt 213 .
72. fol. 38vb, Z. 22 quia 214 prius illos inordinatus calor accendit, nitor deinde loquacitatis erigit (PL. 622D; CCh. S. 144,73; III, XXII,45) 'weil diese zuerst die ungeordnete Hitze entflammt, alsdann der Glanz der Geschwätzigkeit aufrichtet' I nitor - scimo (M. S. 74,20) scimo·. Nom. Sg. sw. M. scîmo 'Glanz'. - SchW. S. 230; GSp. VI, Sp. 511f; StWG. S. 542. Das insgesamt gut bezeugte scîmo ist unter anderem bereits als Interpretament für lat. nitor belegt 215 .
73. fol. 38vb, Z. 25 et tunc demum decoros hominibus hypocrìsis ostendit (PL. 622D; CCh. S. 144,74; III, XXII,45; Hs. dçmû, hypocrisi) 'und dann schließlich bietet die Verstellung216 [sie] den Menschen als anständig dar'. Die Lesart der Handschrift ergibt 'und dann schließlich bietet [er] 217 [sie] mittels Verstellung den Menschen als anständig dar'. hypocrisi | - desalas.ro (Neufund) Die schwache Eintragung reicht mit dem letzten Buchstaben über den Rand. Beim ersten Buchstaben ist die Verbindung von Bogen und Schaft undeutlich. Es ist nicht völlig ausgeschlossen, daß zwischen den beiden a eine kleine c-artige Eintragung steht. Zwischen 5 und r ist ein von links oben zur Mitte herablaufender Strich unklarer Zugehörigkeit erkennbar. Am Ende ist ein gerundeter Buchstabe zu sehen, der aber links und rechts merkwürdig senkrechte Begrenzungen aufweist. 212
Man vergleiche SchW. S. 273; GSp. VI, Sp. 71; StWG. S. 673f. Neben zwei altsächsischen Belegen (StSG. IV, 204,1; 303,48) nur im Tatian (Tatian, S. 478). Man vergleiche dazu E. Gutmacher, PBB. 39 (1914) S. 48. 214 PL. 622D bietet stattdessen qua, was als Druckfehler angesehen werden muß, da in der Ausgabe CCh. S. 144,73 keine solche Variante erwähnt ist. 215 Man vergleiche E. Steinmeyer, Index, sowie StWG. S. 542. 216 A. Biaise, Dictionnaire, S. 397. 217 Als Subjekt läßt sich hier wohl das nitor des vorausgehenden Teilsatzes annehmen. Man vergleiche Nr. 72 (fol. 38vb, Z. 22). 213
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l.a. de: Nom. Sg. F. best. Art. de 'die'. - Für diese Identifikation, die selbstverständlich mit großen Unsicherheiten belastet ist, spricht die auch sonst gelegentlich gewählte Glossierung mit bestimmtem Artikel. 1.b. sciias.ro: Die mit der Bestimmung unter a. verbundene Segmentierung läßt auch unter Berücksichtigung bisher belegter Entsprechungen keine einigermaßen gesicherte Hypothese über die Identität dieses Glossierungsteils zu. Grundsätzlich ist auch noch an eine weitere Segmentierungsmöglichkeit zu denken: 2.a. desa: Akk. Sg. F. Dem.-Pron. desiu 'diese'. - Für diese Identifikation gibt es keinen Anhaltspunkt im lateinischen Kontext. 2.b. las.ro·. Auch bei dieser Segmentierung läßt sich der zweite Glossenteil nicht bestimmen. 74. fol. 39ra, Z. 3 Condicunt sibi h aeretici, quando prava quaedam contra Ecclesiam concorditer sentiunt (PL. 622D; CCh. S. 144,3; III, XXIII,46) 'Die Ketzer verständigen sich, wenn sie einträchtig Verkehrtes gegen die Kirche im Sinn haben 218 ' I concorditer - ,an.ngun (M. S. 79,17a: nicht entziffert 219 ) Die Eintragung ist nur am Ende besser lesbar. Von den als unsicher gekennzeichneten Buchstaben sind nur halbhohe Schäfte jeweils gut erkennbar. Von den beiden unlesbaren Buchstaben sind nur hohe Schäfte erkennbar. Wegen der paläographischen Unsicherheiten folgt hier die genaue Transliteration: U u l / i Z ^
h
,an.ngun: Adv. [ ]ün. - Während das Grundmorphem wegen der paläographischen Unsicherheiten nicht identifiziert werden kann, erlaubt der Wortausgang im Zusammenhang des lateinischen Lemmas ziemlich sicher eine Bestimmung als Adverb. Entweder kann von einer erstarrten schwachen Kasusendung -ün Akk. Sg. F. oder von allerdings seltenem -un Akk. Sg. M. ausgegangen werden 220 . Der paläographische Befund wäre, soweit erkennbar, 218
A. Biaise, Dictionnaire, S. 753; OLD. S. 1737b, 8. H. Mayers hierzu gehörige Stellenangabe fol. 38ra läßt sich wohl auf die vorliegende Stelle beziehen. 219
220 Man vergleiche BEG. § 269.2.und 3.; SchABG. § 125; W. Henzen, Deutsche Wortbildung, § 157,2.; Sravnitel'naja grammatika, IV, S. 93, 4.8., 102, 7.2. und 7.3;
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wohl auch mit einer Bildung auf -ingün verträglich221. Für lat. concorditer sind solche Bildungen bisher nicht zu belegen.
75. fol. 39ra, Z. 26 et dives, qui in inferni igne exuritur (PL. 623A; CCh. S. 144,11; III, XXIII,46; Hs. igni) 'auch der Reiche, der im Feuer der Hölle verbrannt wird' exuritur | - inzunta (M. S. 74,21) inzunta: 3. P. Sg. Ind. Prät. sw. V. inzunten 'anzünden'. - SchW. S. 307; GSp. V, Sp. 687; StWG. S. 771; RSV. I, S. 282. Die Glossierung weist Formeninkongruenz auf. Zu erwarten wäre die Wiedergabe des lateinischen Passivs mit Hilfe eines eventuell syntagmatisch eingebundenen Partizip Präteritum. Die Annahme einer flektierten Partizipialform (Nom. Sg. F. sw. flekt. oder Akk. Sg. F. st. flekt. Adj.) findet keine Unterstützung im Kontext. Das mehrfach bezeugte Verb, das semantisch als Kausativbildung anzusprechen ist, läßt sich bisher nicht für lat. exurere222 nachweisen, das seinerseits den Zustand oder eine Endphase des Brennens bezeichnet. Die Glossierung kann also nur als formal und semantisch inadäquat angesehen werden. Sie kann auf einer Fehldeutung des Verbs als Deponens beruhen, sie könnte aber auch als Kommentar verstanden werden, ohne daß ein Auslöser dafür zu erkennen ist. Denkbar wäre auch eine Konstruktion mit ausgelassenem Reflexivpronomen.
76. fol. 39va, Z. 2 Plerumque prospera metuit, et disciplina eruditionis hilarescit (PL. 623B; CCh. S. 145,8; III, XXIV,47) 'Gewöhnlich fürchtet [die Kirche] die glücklichen Umstände und über die strenge sittliche Unterweisung 223 freut sie sich' aber auch R. Bergmann, Rückläufiges morphologisches Wörterbuch, S. 372f., wo in dieser Funktion nur die 'fränkische' ön-Endung nachgewiesen ist. 221 Man vergleiche BEG. § 269.3; W. Henzen, Deutsche Wortbildung, § 158; F. Kluge, Nominale Stammbildungslehre, § 159 Α.; Κ. v. Bahder, D i e Verbalabstracta, S. 179-185; außerdem R. Bergmann, Rückläufiges morphologisches Wörterbuch, S. 372f. 222 223
Man vergleiche RSV. I, S. 282.
A. Blaise, Dictionnaire, S. 277 {disciplina), S. 315 (eruditio). Man vergleiche zur Übersetzung außerdem San Gregorio Magno, S. 129.
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hilares\cit -froot (M. S. 75,1:plidit) Die Lesung H. Mayers ist paläographisch nicht haltbar. Allerdings ist die Eintragung insgesamt schwer lesbar. Unsicher bleibt das erste o, da die untere Verbindungslinie des eckigen Buchstabens nicht erkennbar ist. froot: 3. P. Sg. Ind. Präs. sw. V. fröön ' sich freuen'.- AWB. III, Sp. 1227; SchW. S. 119; GSp. III, Sp. 797f.; StWG. S. 180; RSV. II, S. 49. Das Verb liegt im Clm 6300 auch auf fol. 108rb, Z. 30 und fol. 132ra, Z. 11 als Entsprechung von lat. hilarescere, das es auch sonst glossiert224, vor. Die Eintragung der vorliegenden Stelle unter bilden im Glossenwörterbuch 225 ist damit zu tilgen.
77. fol. 39va, Z. 20 quia per experimentum ignorant quae vident (PL. 623B; CCh. S. 145,13; III, XXIV,47) 'weil sie das, was sie sehen, aus der Erfahrung nicht kennen' \quia per experi\mentum fert)
- turh de çachunnunka (M. S. 79,18a: nicht entzif-
Die lange Eintragung, die mit nunka in die Mitte reicht, ist an verschiedenen Stellen in der Lesung unsicher. Bei dem ersten h ist der Verlauf des rechten Bogens nicht deutlich erkennbar, so daß eine gewisse Unsicherheit bei der Identifikation bleibt. Bei c könnte es sich auch um r oder s handeln, da nur eine halbhohe oben nach rechts gekrümmte Linie zu sehen ist. Das Fehlen eines deutlichen zusätzlichen Merkmals spricht aber am ehesten für c. Zwischen h und dem zweiten η sind vier nicht eindeutig gruppierbare halbhohe Striche erkennbar. a. turh: Präp. turh 'durch'. - SchW. S. 95; GSp. V, Sp. 221-224; StWG. S. 112. b. de: Akk. Sg. F. best. Art. diu 'die'. c. çachunnunka: Akk. Sg. st. F. cachunnunka 'Erfahrung'. Hapaxlegomenon. Die Wortbildungsanalyse, die im Zusammenhang des lateinischen Lemmas die semantische Identifikation ermöglicht, führt zur Annahme eines Verbalabstraktums mit dem Suffix -unga226. Als Basisverb kommt ahd. gakunnën
224
Man vergleiche RSV. II, S. 49. StWG. S. 794. 226 Man vergleiche die Zusammenstellung von -wnga-Bildungen bei GSp. II, Sp. 1136-1139 sowie grundsätzlich W. Wilmanns, Deutsche Grammatik, II, § 282. 225
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'erfahren' 2 2 7 in Frage. Die wenigen bisher belegten Formen, überwiegend uneindeutige Belege im Partizip Präteritum, decken sich semantisch mit ihren Bedeutungen 'probieren', 'erprobt' nicht völlig mit dem hier vorliegenden Gebrauch. Der Ansatz einer dem unpräfigierten Verb entsprechenden Bedeutung bietet jedoch keine Probleme 228 . Allerdings sind wohl gerade präfigierte -ën-Verben als Basis einer -««ga-Bildung gegenüber anderen eher unwahrscheinlich, wenn auch nicht ausgeschlossen 229 . Fraglich ist, ob nicht auch ein allerdings bisher nicht bezeugtes jan-Werb zugrundeliegen könnte 230 . Hierzu wäre dann noch die Glossierung von lat. experiri fol. 134rb, Z. 18 im Clm 6300 zu vergleichen, wo ansonsten die α-Graphie der Endung abweichend ist. Zur Glossierung des Substantivs experimetrium sind außerdem die Stellen fol. 9 Ivb, Z. 20, wo vermutlich das gleiche althochdeutsche Wort bezeugt ist, und fol. 122vb, Z. 5 zu vergleichen, wo zumindest eine ähnliche Bildung vorliegen muß. Unter den Entsprechungen des reich glossierten lat. experimentum finden sich zwar bereits -««^α-Bildungen, aber keine Bildungen mit dem Grundmorphem -kunn-231.
78. fol. 39vb, Z. 21 atque a semetipsis plerumque longius confusionis suae altercatione dividuntur (PL. 623C; CCh. S. 145,10; III, XXV,48) 'und [die Ketzer] trennen sich im Streit über ihre eigene Verwirrung immer weiter voneinander' I altercatjone - der strit (M. S. 75,2: strit) Das erste Wort ist unzweifelhaft vorhanden. Der letzte Buchstabe ist allerdings nicht zweifelsfrei identifizierbar. Erkennbar ist ein dünner halbhoher Strich, von dem oben nach rechts eine dünne Linie ausgeht. Das zweite Wort ist ab r im aufgerauhten Pergament nur schlecht zu lesen. a. der: Nom. Sg. M. best. Art. der 'der'. 227
GSp. IV, Sp. 412; St WG. S. 353; RSV. II, S. 232. Man vergleiche T. E. Karsten, MSNH.2 (1897) S. 213f. 229 Man vergleiche hierzu E. Dittmer, in: Althochdeutsch, I, S. 301f.; H. Krähe W. Meid, Germanische Sprachwissenschaft, III, § 152.2; F. Kluge, Nominale Stammbildungslehre, § 159c; W. Wilmanns, Deutsche Grammatik, II, § 282; W. Wissmann, Nomina postverbalia, S. 146f; anders K. v. Bahder, Die Verbalabstracta, S. 191. 230 Man vergleiche zu dieser Möglichkeit W. Wilmanns, Deutsche Grammatik, II, § 35b (Ableitung von der schwachen Vokalstufe). 231 Man vergleiche E. Steinmeyer, Index. 228
Clm 6300
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b. strìf. Nom. Sg. st. M. strìt 'Streit'. - SchW. S. 245; GSp. VI, Sp. 747f.; StWG. S. 600, 831. Der formale Inkongruenz zeigende Kasus ergibt sich bei Annahme der Lesung der eindeutig, ansonsten wäre auch Akk. Sg. möglich, der im Zusammenhang eines Syntagmas zumindest funktional äquivalent sein könnte. Das insgesamt reich belegte Wort ist mehrfach auch bereits als Entsprechung von lat. altercado, unter anderem im Abrogans, belegt 232 .
79. fol. 39vb, Z. 25 Quia ergo hos [...] adhuc in multa divisione dilaniant (PL. 623C; CCh. S. 145,11; III, XXV,48) 'Weil sie also jene [...] außerdem in vielfacher Teilung zerfleischen' \in multa diuisione \ - kct-tol
(M. S. 79,19a: nicht entziffert)
Die Eintragung reicht bis zum Beginn des dritten Wortes. Die nicht identifizierbaren Buchstaben sind durchweg halbhoch. Am Ende könnte nach der hochgestellten runden, als o identifizierten Eintragung noch ein unidentifizierbarer Schaft vorliegen. ka...tol\ Adv. ka[ ]o. - Die vorgeschlagene Bestimmung ist mit großen Unsicherheiten behaftet. Sowohl der lesbare Wortbeginn, der als Präfix gedeutet werden kann, als auch der Ausgang, der in diesem Zusammenhang etwa als Indiz für das Vorliegen einer Adverbialbildung zu einem Partizip Präsens gewertet werden kann, geben der Interpretation aber doch eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Denkbar ist auch das Vorliegen eines von einem präfigierten Adjektiv oder Partizip Präteritum eines schwachen Verbs abgeleiteten Adverbs. Die starke Formeninkongruenz könnte dabei bezogen auf das gesamte lateinische Syntagma funktionsadäquat sein. Das Grundmorphem läßt sich nicht ermitteln.
80. fol. 40va, Z. 16 nisi quod haeretici [...] quasi infirmanti sanctae Ecclesiae se condescendere simulant, eique sub blandimentorum specie, dolos deceptionis parant (PL. 624B; CCh. S. 146,12; III, XXVI,50; Hs. infirmante, Eclesice, si, condiscendere, spicie, dolus) 'wenn nicht deshalb,weil die Ketzer [...] so tun, als ob sie sich zur geschwächten Heiligen Kirche herabließen und ihr in Gestalt von Schmeicheleien betrügerische Täuschungen bereiten' 232
Man vergleiche GSp. VI, Sp. 748.
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I sub blandimen\torum - untar de flehunka (Neufund) Die Eintragung reicht mit nka in die Spaltenmitte. Die bei bestimmten Lichtverhältnissen erkennbare runde o-artige Ritzung zwischen e und h rührt aus der Pergamentstruktur. Zwischen/und / ist das Pergament fleckig. a. untar: Präp. untar 'unter'. - SchW. S. 273f.; GSp. I, Sp. 381-384; StWG. S. 674. b. de: Nom. oder Akk. Sg. F. best. Art. de 'die'. c. flehunka: Nom. oder Akk. Sg. st. F.flëhunka 'Schmeichelei'. - AWB. III, Sp. 954; GSp. III, Sp. 757; StWG. S. 163. Eine genauere Bestimmung ist von der vorliegenden Form her nicht möglich. Die in der Textüberlieferung nicht belegte Wortbildung tritt erst in der späteren Glossenüberlieferung neben etwas häufigerem flegunga zweimal für lat. adulatio auf 233 . Zur Glossierung der hier betroffenen lateinischen Wortfamilie ist das zu fol. 19va, Z. 19 Gesagte zu vergleichen. Eine Interpretation der Eintragung als zusammenhängendes Syntagma bereitet in zweierlei Hinsicht Probleme. Zum einen entspricht ihr kein lateinisches Syntagma, da lat. blandimentorum von sub specie abhängt, so daß eine Glossierung als Syntagma als Fehlglossierung gedeutet werden müßte. Zum anderen müßte von der überlieferten Form her Akkusativrektion der Präposition angenommen werden, was aber nur bei direktionaler Bedeutung denkbar wäre 234 , für die es jedoch keinen Anhaltspunkt gibt. Vorzuziehen ist daher unter der Annahme, daß de als Nom. Sg. F. denkbar ist, die Interpretation als zwei getrennte Glossierungen, untar als Entsprechung von lat. sub, der Rest als formeninkongruente Entsprechung von lat. blandimentorum.
81. fol. 40va, Z. 19 nisi quod hasretici [...] quasi infirmanti sanctas Ecclesias se condescendere simulant, eique sub blandimentorum specie, dolos deceptionis parant (PL. 624B; CCh. S. 146,13; III, XXVI,50; Hs. infirmante, Eclesice, si, condiscendere, spicie, dolus) 'wenn nicht deshalb, weil die Ketzer [...] so tun, als ob sie sich zur geschwächten Heiligen Kirche herabließen und ihr in Gestalt von Schmeicheleien betrügerische Täuschungen bereiten1 parant - geront (Neufund) 233
Man vergleiche AWB. III, Sp. 954, Sp. 947 (flegunga).
234
Man vergleiche GSp. I, Sp. 38 lf.
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Der erste Buchstabe weist keine deutliche Unterlänge auf. Die charakteristische geschwungene Form des oberen Teils weist zwar aufg, aber c oder t sind nicht auszuschließen. geront: 3. P. PI. Ind. Präs. sw. V. gerön '?'. - Falls die überlieferte Form mit dem schwachen Verb gerön Verlangen' 235 zu identifizieren ist, liegt Fehlglossierung vor. Aus graphisch-phonologischen Gründen unwahrscheinlich ist eine Zuordnung zu dem bereits für lat. parare belegten 236 ahd. garawen237.
82. fol. 41va, Z. 24 Nonnunquam tarnen cum per torporem inertia fidelium corda considérant (PL. 625B; CCh. S. 147,2; III, XXVII,53; Hs. inercia:) 'Bisweilen jedoch, wenn sie die in regloser Starre trägen Herzen der Gläubigen betrachten'. Die handschriftliche Lesart kann nicht sinnvoll interpretiert werden. ρ torpore | - mit teru f..annissu (M. S. 75,4: mittero238) Die Eintragung reicht ab a in die Spaltenmitte und steht dort zweizeilig mit su unter is. Der siebte Buchstabe ist aufgrund der fehlenden oberen Schließung eindeutig als u identifizierbar. Im letzten Teil ist die Eintragung im rauhen Pergament schwer lesbar. Zwischen /, das auch als s gelesen werden könnte, und a stehen ein oder zwei Buchstaben, wovon der zweite eventuell u sein könnte. a. mit: Präp. mit 'mit'. - SchW. S. 189; GSp. II, Sp. 660-665; St WG., S. 418f„ 827. b. teru: Dat. Sg. F. best. Art. diu 'die'. - Die mit Fragezeichen versehene Zuordnung im Glossenwörterbuch 239 kann dadurch bestätigt werden, daß ein bei H. Mayer nicht erwähntes Substantiv folgt. c.f..annissu: Dat. Sg. st. F. [ ]nissa. - Während das vorliegende Suffix mit hoher Sicherheit bestimmt werden kann, läßt sich kein Anschluß an ein Grund-
235 AWB. IV, Sp. 228-233; SchW. S. 128; GSp. IV, Sp. 229-232; StWG. S. 198, 815; RSV. II, S. 52f. 236
Man vergleiche RSV. II, S. 327. Man vergleiche die Belege AWB. IV, Sp. 103f., RSV. I, S. 55 sowie SchABG. § 22, S. 37. 237
238 239
Als Lemma gibt H. Mayer nur cum an. StWG. S. 799.
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morphem finden. Die vor -nissa stehenden Buchstaben deuten am ehesten auf eine deverbale Ableitung von einem starken Verb 240 . Dabei muß die teilweise übereinstimmende Glossierung desselben lateinischen Lexems im Clm 6300, fol. 38ra, Z. 30f. und fol. 11 Ira, Ζ. 17, berücksichtigt werden. 83. fol. 42va, Ζ. 20 si unum sacrae Scripturae testimonium ad utraque probanda proferamus (PL. 625D; CCh. S. 148,13; III, XXVIII,55: adprobanda; Hs. Scribturce, testimoniom,pferam>) 'wenn wir ein einziges Zeugnis der Heiligen Schrift anführen, um beides zu erweisen' \pbandapferam> \ - zapifìla..me? (Neufund) Die Eintragung reicht bis über r und weist keine Abtrennungen auf. Sie ist insgesamt schwer lesbar. Die zwischen i und / erkennbare Lücke ist durch die Oberlänge von nd verursacht. Statt m ist vielleicht auch nur η zu lesen und der davor erkennbare Schaft gehört dann zum vorausgehenden Buchstaben. Ob die Eintragung mit e endet oder ob noch ein Schaft zu identifizieren ist, ist nicht sicher zu entscheiden. Wegen der mehrfachen paläographischen Unsicherheiten sei hier die Transliteration beigefügt:
a. za: Präp. za 'um zu' oder 'zu'. - SchW. S. 305; GSp. V, Sp. 572-575; StWG. S. 759f. Die Glossierung des Gerundivs durch ein Syntagma mit za kann als formenkongruent betrachtet werden. Ein Bezug auf das in der Zeile vorher stehende ad ist kaum wahrscheinlich. Für das folgende Wort ließe sich so eine Flexionsform des Infinitivs vermuten, die aber paläographisch nicht gestützt werden kann. Es kann auch die zu einem Substantiv gehörende, zum Ausdruck des Zweckes dienende 241 Präposition vorliegen. b.pifila..mel\ Dat. Sg. st. M.? oder N.? pi[ ]. - Die Segmentierung eines Präfixes bleibt ohne Identifikation des Restes ungesichert. Im Zusammenhang der Bestimmung des ersten Glossierungsteils kann an das Vorliegen einer substantivischen Dativform gedacht werden, was aber ohne Identifikation des Grundmorphems fraglich bleiben muß. Der vom lateinischen Lemma her naheliegenden Annahme eines im Dat. Sg. flektierten Infinitivs steht der paläographische Befund nach a entgegen. 240 241
Man vergleiche W. Wilmanns, Deutsche Grammatik, II, § 270.5, S. 271f. Man vergleiche E.G. Graff, Die althochdeutschen Präpositionen, S. 259-262.
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84. fol. 43vb, Ζ. 20 Dum enim mandata legis retinens implere renititur, ipse nimirum deferì judicium unde damnetur (PL. 626D; CCh. S. 149,57; III, XXVIII,55; Hs. nititur, diferí) 'Denn dadurch, daß er sich weigert (Hs. Denn dadurch, daß er sich bemüht), an den Geboten des Gesetzes festhaltend, sie zu erfüllen, überbringt er freilich selbst das Urteil, nach dem er verurteilt werden soll' Idiferí iudicium | - undarsçeit (M. S. 75,5: undarsceii242) Die Eintragung, die mit un vor dem lateinischen Text am Rand beginnt, reicht mit t bis über den Beginn des zweiten Wortes. Statt sc könnte auch nur k gelesen werden, da eine kurze Verbindungslinie besteht und der Schaft oben nicht deutlich gekrümmt ist. undarsçeit: 3. P. Sg. Ind. Prät. st. V. undarsceidan 'unterscheiden'. - SchW. S. 228; GSp. VI, Sp. 433f.; StWG. S. 535. Die grammatische Bestimmung beruht auf der Annahme eines selten bezeugten graphischen Reflexes des Grammatischen Wechsels 243 sowie einer Graphie ei für germ, ëj244. Sie hat überdies Formeninkongruenz zur Folge. Zur Begründetheit dieser Annahmen äußert sich L. Voetz 245 positiv. Im übrigen muß bei dieser Zuordnung davon ausgegangen werden, daß das lateinische Lemma im Sinne der bei H. Mayer angegebenen Form mißverstanden wurde, da sich nur bei Zuordnung zu lat. differre246 Bedeutungsadäquatheit ergibt. Zur Verwechslung von lat. differre und deferre gibt es weitere Beispiele 247 . Entsprechend der Lemmaangabe bei H. Mayer ist die vorliegende Form im Glossenwörterbuch 248 kommentarlos unter untarskeidan eingeordnet. Nicht völlig auszuschließen ist dann aber auch die formeninkongruente Glossierung mit einem Substantiv undarsçeit249.
242
Das angegebene Lemma differì steht so nicht im Text. BEG. § 328 A. 1, § 352 Α. 2, § 163 Α. 6; SchAHG. § 460 S. 296; SchABG. § 139,l,c. 244 BEG. § 36 Α. 3; SchAHG. § 22, S. 25; BEA. § 16,3; I. Rauch, The Old High German Diphthongization, S. 41-43, 114-116. 245 Studien zu den Anfängen althochdeutscher Textglossierung, S. 855-859. 246 GH. I, Sp. 2145f. 247 Man vergleiche J. Splett, Abrogans-Studien, S. 164. 248 StWG. S. 535. 249 SchW. S. 274; GSp. VI, Sp. 437; StWG. S. 675. 243
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Grundsätzlich muß in eine Bewertung dieser Glossierung noch einbezogen werden, daß für lat. deferre immerhin bereits eine zu ahd. zasceidan gehörende Entsprechung belegt ist250.
85. fol. 43vb, Z. 23 Quid ergo per factum istud David scelestius [...] dici potest? (PL. 626D; CCh. S. 149,58; III, XXVIII,55; Hs.pfectum) 'Was kann man also Frevelhafteres nennen als David wegen dieser Tat?'. Durch die handschriftliche Lesart ergibt sich folgende Übersetzungsmöglichkeit: 'Warum kann man diese Vollkommenheit frevelhafter als David nennen?' scelestjus \ - unrehtira (M. S. 75,6) unrehtira: Akk. Sg. N. sw. flekt. Komp. Adj. unreht 'sündig'. - SchW. S. 272; GSp. II, Sp. 402f.; StWG. S. 670. Das insgesamt häufiger belegte Adjektiv ist bisher nicht als Interpretament für lat. scelestus bezeugt und trifft wahrscheinlich dessen Bedeutungsgehalt mit einer stark negativen Bewertung 251 , was sich auch in den sonstigen althochdeutschen Entsprechungen zeigt252, nicht voll. Fraglich ist, in welches Syntagma die althochdeutsche Form eingebettet gedacht war, so daß es zur schwachen Flexion kommen konnte. Auch ist nicht klar, inwieweit die lateinische Konstruktion dabei zugrundegelegen hat. Immerhin besteht Formenkongruenz auch im Genus.
86. fol. 44ra, Z. 5 Non ergo incongrue [...] signantur (PL. 627A; CCh. S. 150,62; III, XXVIII,55) 'Es werden also [...] nicht unpassend bezeichnet' incongrue \ - unkalinflihe.. (M. S. 75,7: unkalimflihemo) Die Eintragung reicht mit dem unlesbaren Teil in die Spaltenmitte. Der letzte oder die letzten Buchstaben sind nicht mehr lesbar, i und folgendes η sind nicht eindeutig identifizierbar. Links von i ist ein Bogen erkennbar, der aber wohl nicht von einem Griffel stammt. Für a ist der rechte Strich jedenfalls zu 250 StSG. II, 335,9. Das Lemma defres muß dann entsprechend der Anmerkung zur Stelle als defers interpretiert werden. So auch J. Hofmann, PBB. 85 (1963) S. 122, der dann Verwendung für distinguís annimmt. 251 GH. II, Sp. 2522. 252 Man vergleiche E. Steinmeyer, Index; G. Köbler, Lateinisch-germanistisches Lexikon, S. 383.
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gerade, η könnte vielleicht noch einen Strich aufweisen und als m zu deuten sein. unkalinflihe..: flekt. Adj. unkalinflïh oder Adv. unkalinflîhê[n] oder unkalinflihê[m] 'unpassend'. - SchW. S. 268 (Adj.); GSp. II, Sp. 217 (Adj.); StWG. S. 661. Als Adverb Hapaxlegomenon. Im Glossenwörterbuch ist die Glosse auf der Basis der Lesung H. Mayers dem Adjektiv zugeordnet. Eine flektierte Adjektivform in Adverbfunktion ist prinzipiell denkbar 253 . Der paläographische Befund erlaubt aber keine genauere Zuordnung. In jedem Fall ist die Lesung H. Mayers, die als Dat. Sg. M. bestimmt werden müßte, syntaktisch nicht verständlich. Grundsätzlich ist die vorliegende althochdeutsche Wortbildung bereits als Entsprechung von lat. incongruus belegt. Zu einer anderen Glossierung vergleiche man fol. 56vb, Z. 16.
87. fol. 44rb, Ζ. 1 et si apertis diu involvitur, clausa, ut dignum est, pulsare prœpeditur (PL. 627B; CCh. S. 150,71; III, XXVIII,56) 'und wenn er [der Geist] lange mit Offenkundigem beschäftigt ist, wird er, wie es sich ziemt, gehindert, Dunkles zu berühren' prœpeditur | - za kamarre.ne (M. S. 75,8: zakamarren.e) Die Eintragung reicht mit dem schwer lesbaren Ende bis über den Rand. Zwischen e und η läßt sich zwischen zwei halbhohen Schäften keine Verbindungslinie entdecken, so daß verschiedene Identifikationen möglich sind. a. za·. Präp. za 'um zu'. - SchW. S. 305; GSp. V, Sp. 572-575; StWG. S. 759f. b. kamarre.ne·. Dat. Inf. sw. V. kamarren 'hindern'. - SchW. S. 186; GSp. II, Sp. 829f.; StWG. S. 410; RSV. I, S. 128. Das schwache Verb ist im Clm 6300 mehrfach, fol. 26vb, Z. 27, fol. 99rb, Z. 18, fol. 112ra, Z. 15, fol.l49rb, Z. 16, als Entsprechung von lat. prcepedire belegt. Die Formeninkongruenz bei der Wiedergabe der lateinischen Passivform läßt sich nicht erklären.
88. fol. 44rb, Z. 16 sed ut corda quas per quietem secura reddiderit, repente rediens facilius inopinatus irrumpat (PL. 627B; CCh. S. 150,75; III, XXVIII,56; Hs. inrumpat) 253 Man vergleiche BEG. § 269 sowie R. Bergmann, Rückläufiges morphologisches Wörterbuch, S. 370.
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'sondern um plötzlich zurückkommend leichter in die Herzen, die er durch die Ruhe sorglos gemacht hat, unvermutet einzubrechen' inopina\tus - unka.sua...t (M. S. 75,9: unkauuanit) Die im rauhen Pergament kaum mehr lesbare Eintragung reicht mit den letzten beiden Buchstaben über den lateinischen Text hinaus bis zur rechten Begrenzungslinie. Während k als gesichert angesehen werden kann, sind die darauf folgenden Buchstaben bis u schwer erkennbar, wobei a aufgrund des charakteristischen Schrägstriches sehr wahrscheinlich ist. Dann folgen ein oartiger Kreis und, ohne Verbindung mit diesem, ein halbhoher bis hoher Schaft. Eine Annahme von u ist daher unmöglich. Zwischen a und t lassen sich mindestens vier halbhohe Schäfte erkennen, wobei die ersten beiden oben eine leichte Krümmung nach rechts zeigen, was zumindest gegen η spricht. Auch der letzte Buchstabe ist nicht ganz ohne Zweifel identifizierbar. unka.sua...t: Adj. un[ ], eventuell unka[ ]. - Durch das leicht erkennbare Negationspräfix ist die Bestimmung als Adjektiv weitgehend gesichert. Die Identifikation als unkawänit, die im Glossenwörterbuch254 auf der Basis der Lesung H. Mayers erfolgt ist und aufgrund der bisher bekannten Glossierungen 255 durchaus wahrscheinlich wäre, ist paläographisch nicht völlig ausgeschlossen, aber doch sehr fraglich. Im äußersten Fall könnte noch die Identifikation eines auf un folgenden Präfixes ka vertreten werden.
89. fol. 44rb, Z. 25 Hinc est quod ad tentandum beatum virum iterum redit, ejusque cruciatus expetit, quem tarnen ei superna 256 pietas retinendo concedit, dicens [...] (PL. 627B; CCh. S. 150,77f.; III, XXVIII,56; Hs. temptandum, reddit, retenendo) 'Deshalb kehrt er wieder, um den seligen Mann zu versuchen, und er fordert die Qualen dessen, den ihm die göttliche Liebe jedoch unter Setzung von Schranken mit den Worten [...] zugesteht'. Aufgrund der handschriftlichen Lesarten ergibt sich 'Deshalb gibt er den seligen Mann wieder zurück zur Versuchung'. Iretenendo -pissahanto (M. S. 75,10: habanto) Die Eintragung ist im ersten Teil schwer lesbar. Die beiden ersten Buchstaben sind nur schwach erkennbar. Darauf folgen zwei halbhohe bis hohe Schäfte, die oben nach rechts gekrümmt scheinen, was für ss oder se sprechen 254
StWG. S. 664.
255
Man vergleiche E. Steinmeyer, Index; GSp. I, Sp. 865. A. Blaise, Dictionnaire, S. 798.
256
Clm 6300
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könnte. Eventuell könnte aber auch u vorliegen. Darauf folgt eine halbhohe Rundung, die als linker Teil von a, eventuell aber auch als o oder c identifizierbar ist. Bei dem ersten deutlich lesbaren Buchstaben ist keine untere Schließung erkennbar, was b ausschließt. Der letzte, etwas erhöht stehende Buchstabe besteht aus einem kräftigen halbhohen Schaft, der zunächst den Eindruck eines i erweckt. Links davon ist aber ein schwach eingedrückter Bogen erkennbar, so daß von o ausgegangen werden kann. pissahanto: Adv. [ ]anto. - Es handelt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein von einem Partizip Präsens eines starken oder schwachen Verbs abgeleitetes Adverb, wobei das Grundmorphem auch unter Berücksichtigung bisheriger Entsprechungen nicht identifiziert werden kann. Das Vorliegen eines ¿/-Präfixes scheint aufgrund der folgenden identifizierten Buchstaben eher zweifelhaft. Die formeninkongruente Glossierung kann bei entsprechender lexikalischer Semantik durchaus funktional adäquat sein. Der auf der Lesung H. Mayers basierende Eintrag im Leipziger Wörterbuch unter dem Stichwort habento251, in dem die Glossierung bemerkenswerterweise als semantisch unklar bestimmt wird, ist zu streichen. Das gilt auch für den entsprechenden Eintrag im Glossenwörterbuch258.
90. fol. 44va, Z. 13 cum licentiam percipit (PL. 627C; CCh. S. 150,6; III, XXIX,57) Svenn er die Erlaubnis bekommt' licentj\am - .it urlaupi (Neufund) Die Eintragung reicht ab / über die Mitte. Der letzte Buchstabe ist ρ übergeschrieben. Vom ersten Buchstaben sind insbesondere drei untere Einstiche sowie mindestens ein halbhoher Schaft erkennbar. Es könnte sich dabei um m handeln. a. .it: Präp. [m]it 'mit'. - SchW. S. 189; GSp. II, Sp. 660-665; St WG. S. 418f. Falls es sich bei dem ersten Buchstaben um m handelt, ist die Präposition mit identifizierbar. Damit ist allerdings von einer Fehlglossierung auszugehen, die eventuell durch das vorausgehende cum ausgelöst sein könnte. b. urlaupi: Nom. oder Dat. oder Akk. Sg. st. F. urlaupi 'Erlaubnis'. - SchW. S. 276; GSp. II, Sp. 75f.; St WG. S. 682. Die genauere Bestimmung des Kasus hängt von der Identifikation des ersten Teils der Glossierung ab. Es könnte ein Präpositionalsyntagma mit von der Präposition abhängigem Dativ vorlie257 258
AWB. IV, Sp. 580. StWG. S. 246.
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Frühe Glossenhandschriften aus Freising
gen. Das althochdeutsche Substantiv ist bereits als Entsprechung von lat. licentia belegt 259 . Die vorliegende feminine Abstraktbildung auf -i ist sonst nur in der Benediktinerregel und der Pariser Abroganshandschrift bezeugt.
91. fol. 45rb, Z. 17 Sanies itaque tergitur, cum culpa non solum ab opere, sed etiam a cogitatione resecatur (PL. 628B; CCh. S. 151,21; III, XXX,59) 'und so wird der Aussatz abgewischt, wenn die Schuld nicht allein vom Werk, sondern auch vom Denken entfernt wird' rese \ catur - arsnitan (Neufund) Die Eintragung reicht ab i über den rechten Rand. arsnitan·. unflekt. Part. Prät. st. V. arsnldan 'abschneiden'. - GSp. VI, Sp. 841; StWG. S. 565. Die Wiedergabe des lateinischen Passivs mit einem althochdeutschen Partizip Präteritum entspricht dem im Clm 6300 Üblichen. Das Verb ist bereits einmal als Interpretament von lat. resecare belegt. Hier glossiert es das Wort in der weiteren Bedeutung 'entfernen' 260 , während es in mindestens einer der beiden bisher belegten Glossierungen, StSG. I, 245,5, die aus dem Grundmorphem ableitbare ursprüngliche Bedeutung aufweist. Im vorliegenden Fall ist nicht entscheidbar, ob das althochdeutsche Wort die ursprüngliche Bedeutung des lateinischen Wortes wiedergibt oder selbst in Anlehnung an die lateinische Verwendung übertragen gebraucht wird261.
92. fol. 46ra, Z. 7 Perfecta enim mens solerter invigilat, ut non solum perversa agere renuat, sed [...] (PL. 628D; CCh. S. 152,46; III, XXX,59 sollerter, Hs. sollerter, rennuat) 'Denn der vollkommene Geist ist sorgfältig darauf bedacht, daß er nicht nur ablehne, Schlechtes zu tun, sondern [...]' rennu\at -furisakata (M. S. 75,11) Die Eintragung reicht mit ata bis zur Spalte b. 259
GSp. II, Sp. 75f. GH. II, Sp. 2342; A. Biaise, Dictionnaire, S. 717. 261 Man vergleiche auch abasnldan 'entfernen', SchW. S. 235, und weitere Entsprechungen von übertragenem resecare durch Verbalableitungen von ahd. snïdan, GSp. VI, Sp. 84 lf. 260
Clm 6300
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furìsakata: 3. P. Sg. Ind. Prät. sw. V. furisakën 'ablehnen'. - GSp. VI, Sp. 105 (unter farsagën, forasagën)\ St WG. S. 502 (furisagên)·, RSV. II, S. 251 (fiirisagên). Die hier vorliegende Form ist im Glossenwörterbuch zusammen mit einigen weiteren Belegen dem Ansatz funsagen zugeordnet. Diese Zuordnung setzt α-Graphie für Bindevokal -