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German Pages 677 [676] Year 1998
war eine der wichtigsten Agenturen für die Verbreitung amerikanischer Ideen über
Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Er trug maßgeblich zur intellektuellen und ideellen Westorientierung der Bundesrepublik in Politik und Gesellschaft bei. Zugleich führte der CCF den ideologischen Kampf gegen den Stalinismus und nutzte ihn dazu, linksliberale und sozialdemokratische Politiker und Intellektuelle in die kulturelle Front des Westens während des Kalten Krieges einzubinden.
Michael Hochgeschwender ist Historiker in Tübing—
Oldenbourg
Hochgeschwender Freiheit in der Offensive? •
Ordnungssysteme Studien
zur
Ideengeschichte der Neuzeit
Herausgegeben von Dietrich Beyrau, Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael Band 1
R. Oldenbourg Verlag München 1998
Michael
Hochgeschwender
Freiheit in der Offensive? Der Kongreß für kulturelle Freiheit und die Deutschen
R.Oldenbourg Verlag München
1998
Gedruckt mit Unterstützung des der VG Wort.
Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft
Die Deutsche Bibliothek CIP-Einheitsaufnahme -
Hochgeschwender, Michael: Freiheit in der Offensive? : der Kongreß für Kulturelle Freiheit und die Deutschen / Michael Hochgeschwender. München : Oldenbourg, 1998 (Ordnungssysteme ; Bd. 1) Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-486-56341-6 -
© 1998 R. Oldenbourg Verlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D 81671 München Internet: http://www.oldenbourg.de -
Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.
Umschlagbild: Roman Clemens Spiel aus Form, Farbe, Licht und Ton. Dessau,
Bauhaus, 1929. © Theatermuseum Köln -
Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht) Gesamtherstellung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe GmbH, München ISBN 3-486-56341-6
INHALT Vorwort der
9
Herausgeber
15
Vorwort des Autors I.
Einleitung 1. Zur Fragestellung und ihrer historiographisch-methodischen Einordnung 2. Der begriffliche Apparat
3. Zum Aufbau der Arbeit 4. Zu Quellenlage und Forschungsstand II.
Die Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit" 1. Die amerikanische Sendung 2. Das „fellow-traveller"-Konzept der Kommunistischen
Internationalen
3. Die „Entstalinisierung" der westlichen Intellektuellen 4. Die Situation in Deutschland 5. Die Gründung des „Monat"
III. Zur Funktion der Zeitschrift „Der Monat" 1. Der rechtliche und finanzielle Status des „Monat" 2. Die Werthaltungen des „Monat" a) „Der Monat" als Forum b) Die USA als Garant westlichen Freiheitsstrebens c) „Der Monat" als Instrument der „re-orientation" 3. Zum Problem der Rezeption IV. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit" Berlin 1950 1. Der Weg zum Kongreß 2. Der Verlauf des Kongresses 3. „Moralischer Antitotalitarismus": Die Weltanschauung des frühen „Kongresses für Kulturelle Freiheit" -
17 28 42 48
68 86 96 119 139
159 170 170 175 182 199
204 229 253
6 V.
Inhalt
Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit" als Institution 1. Die Entstehung der Internationalen Exekutive 2. Der Pariser Kongreß von 1952 und das Ende der Dominanz des ACCF 3. Die Deutschlandkonzeption der Internationalen Exekutive
265 282 291
VI. Die deutsche Sektion des „Kongresses für Kulturelle Freiheit" 1. Die organisatorische Gestalt des CCF in Deutschland a) Die Sekretariate b) Die deutsche Exekutive 2. Die Spaltung des deutschen PEN 3. Die antikommunistische und antineutralistische Arbeit 4. Der deutsche CCF im Dienste der „re-orientation" 5. Der deutsche CCF an der Universität 6. CCF und Sozialdemokratie 7. Krise und Ende der deutschen Exekutive
298 298 321 335 346 360 374 383 390
VII. Der Kongreß „Wissenschaft und Freiheit" Hamburg 1953 1. Die ideologische Funktion des Hamburger Kongresses 2. Bruno Snell und der Aufbau des Hamburger Kongreßbüros 3. Der „Hofgeismarkreis" 4. Das Komitee „Wissenschaft und Freiheit"
412 423 430 438
-
VIII.
Stagnation und Neuanfang 1. Zwischen Stalins Tod und Ungarnaufstand 2. Die weltanschauliche Neuorientierung der Internationalen Exekutive: „Das Ende der Ideologie" 3. Die Reorganisation der Kongreßarbeit in Deutschland
IX. Die Arbeit der deutschen 1. Das Hamburger Büro 2. Das Kölner Büro 3. Das Münchener Büro 4. Das Berliner Büro X.
Regionalbüros
Der Weg in die Krise 1. Der Berliner Kongreß von 1960 2. Das „Ende der Ideologie" in der Kritik 3. Renationalisierung und der Niedergang des
445 466 480
496 506 513 519
„Monat"
527 534 548
Inhalt
XI. Das Ende
XII.
7 559
Zusammenfassung: Eine „Agentur des Kalten Krieges" als Vermittlerin westlicher Werte
577
Quellen- und Literaturverzeichnis
593
Abkürzungsverzeichnis
662
Personenregister
665
VORWORT DER HERAUSGEBER Den Anfang der Reihe „Ordnungssysteme" macht eine
Studie, die aus einem
ideengeschichtlichen Forschungsprojekt hervorgegangen ist. Unter dem Titel „Westernization" galt die Fragestellung westlichen ideellen Einflüssen in der inneren Entwicklung der Bundesrepublik bis 1970, die dazu beigetragen haben, das spezifische Profil des westdeutschen Gemeinwesens mit seinen markanten Unterschieden sowohl zur Weimarer Republik als auch zum Dritten Reich und zur DDR herauszubilden. Ungeachtet der Wirkung von Umerziehung und Entnazifizierung gelangten in Westdeutschland Ordnungsvorstellungen westlicher Provenienz in Umlauf, deren genaue Herkunft, Eigenart und Wirkung näherer Bestimmung bedurften. Ein systematischer Zusammenhang solcher Ordnungsvorstellungen ließ sich durch die zeithistorische Analyse präzise nachweisen, aber es schälte sich im Forschungsprozeß deutlich heraus, daß dieser Zusammenhang von den Zeitgenossen der fünfziger und sechziger Jahre nicht wirklich wahrgenommen werden konnte. Vermutlich dürfte das ein Grund dafür sein, daß die ideelle Westorientierung von Parteien, Verbänden und Interessengruppen in der Forschung zur deutschen Geschichte nach 1945 bisher nur wenig beachtet worden ist. Dennoch erschließt sich gerade über diesen Sektor der Zeitgeschichte nach 1945 die Verbindung zwischen dem
traditionellen und nach wie vor intensiv bearbeiteten Bereich des Fachs, bei dem es um die Außen- und Bündnispolitik im Rahmen von NATO und EWG geht, und der seit gut einem Jahrzehnt betriebenen, kulturanthropologisch oder sozialgeschichtlich konzipierten Forschung zur Amerikanisierung in der Bundesrepublik. Die ideelle Westorientierung in der inneren Entwicklung stand in enger Wechselbeziehung zu beiden Bereichen. Das gilt es in der Forschung zu berücksichtigen, und auf diesen Zweck hin wurde das „Westemization"-Projekt konzipiert. Die Ergebnisse des Projekts, das von der Volkswagen-Stiftung großzügig gefördert wurde, erscheinen in vorerst zwei weiteren Bänden dieser Reihe: Thomas Sauer, „Westorientierung im deutschen Protestantismus? Vorstellungen und Tätigkeit des Kronberger Kreises"; Gudrun Kruip, „Das ,Welt'-,Bild' des Axel Springer Verlages. Journalismus zwischen westlichen Werten und deutschen Denktraditionen". Daran anschließend werden Untersuchungen aus anderen Themenfeldern der Ideengeschichte vorgestellt. Der Begriff „Westernization" resp. die ins Deutsche übertragene Form „Westemisierung" bezeichnet einen Prozeß, in dessen Verlauf sich in den Gesellschaften diesseits und jenseits des Nordatlantik eine gemeinsame Werteordnung ausbildete. Deren Genese umfaßt einen Zeitraum von nahezu zwei Jahrhunderten, und in diesem Prozeß entstanden mehrere, konkurrierende
politisch-gesellschaftliche Ordnungsentwürfe.
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Vorwort der Herausgeber
Europäische Aufklärung, englischer Pragmatismus und Liberalismus in seinen vielen Spielarten bezeichnen jene Traditionsbestände, auf die sich dann im 20. Jahrhundert das Selbstverständnis „des Westens" als Wertegemeinschaft und politischer Zusammenhang bezog. Den Gegenpol bildeten Gegenaufklärung und Romantik und sich darauf berufende konservative Bewegungen, die politisch zugespitzt in den „Ideen von 1914" zum Durchbruch gelangen sollten. Die Ereignisse des Ersten Weltkriegs bewirkten zugleich die Homogenisierung des fortan eindeutig demokratischen Westens, denn bis dahin hatte als dessen eigentliches Charakteristikum eher die Differenz zwischen dem parlamentarisch-aristokratischen England, dem republikanisch-bourgeoisen Frankreich und den demokratischen USA zu gelten, während die Gemeinsamkeiten allein in liberalen Ordnungsideen bestanden. Die Kennzeichen für diese nunmehr neu formierte Wertegemeinschaft sind: im politischen Bereich die parlamentarische Demokratie, das Repräsentativsystem und der gesellschaftliche Pluralismus; im wirtschaftlichen Bereich das Privateigentum, der gesellschaftlich verankerte Anspruch des Individuums auf Chancengleichheit und der
freie Markt; im kulturellen Bereich das Postulat der Freiheit in Kunst und Wissenschaft sowie der Individualismus. Da es im Kern um Gemeinsamkeiten in den Deutungsmustern der sozialen Welt und erst daraus abgeleitet um Konsens bei den politischen Gestaltungsprinzipien geht, gehören hier neben den politischen Ideologien im engeren Sinne Religion und Wissenschaft als weitere zentrale Bereiche ins Blickfeld hinein, wenn man den globalen Prozeß von Traditionsbildung und ideeller Vergemeinschaftung über nationale Grenzen hinweg untersucht. Schon früh nahmen die USA eine spezifische Entwicklung innerhalb des Westens, deren Besonderheit darin bestand, daß sich dort eine liberale Gesellschaft ohne programmatischen Konservatismus und ohne politisch bedeutsamen Sozialismus herausbildete. Dabei hatte die US-amerikanische Gesellschaft bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die unterschiedlichen europäischen Einflüsse amalgamiert, innerhalb derer der englische klar dominierte. Seit 1917 wuchsen die USA in die Rolle der innerwestlichen Hegemonialmacht hinein, von der nunmehr deutliche Einflüsse auf die Gesellschaften der europäischen Länder ausgingen. Zeitgleich bewirkte die Emigration aus Europa nach der bolschewistischen Revolution und der nationalsozialistischen Machtergreifung, daß verstärkt politische und soziale Ordnungsvorstellungen aus dem europäi-
schen Modernisierungsprozeß ihren Weg in die USA fanden und dort gerade in den Gesellschaftswissenschaften zur Geltung gelangten. In der US-amerikanischen Variante westlichen Denkens wirkten solche Elemente seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf Europa zurück, während Einflüsse aus Europa immer aufs neue nach Amerika ausstrahlten. Westernisierung ist deshalb als Ideentransfer im Sinne eines anhaltenden Austauschs zu verstehen. Nach dem Beginn des Kalten Krieges setzte eine neue Phase ein, die etwa zwei Jahrzehnte währte und vom überwiegenden Zustrom amerikanischen
Vorwort der Herausgeber
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Gedankenguts in die europäischen Länder gekennzeichnet war. Durch Anverwandlung von Orientierungsmustern aus den USA während der fünfziger Jahre glichen sich bis zum Ende der Sechziger die soziopolitischen Strukturen in Westeuropa einander spürbar an. Sie wiesen bald eine deutliche Ähnlichkeit untereinander auf, und der Bezug auf die Gegebenheiten in den USA war darin klar erkennbar. Die ideelle Integration Westeuropas nach 1945 geschah zwar durch amerikanische Einflußnahme, doch vorangetrieben wurde sie ganz überwiegend von den europäischen Protagonisten eines gemeinsamen konsensualen Selbstverständnisses der Gesellschaften des westlichen Lagers, um im Kalten Krieg „den Westen" gegen die Einflüsse aus dem östlichen Block abzuschirmen. Dieser Prozeß ergänzte den politisch-organisatorischen Aufund Ausbau des europäisch-atlantischen Bündnissystems seit der Verkündung des Marshallplans bis zum Beginn der Entspannungspolitik. Für die Bundesrepublik Deutschland hat der Begriff Westemisierung eine besonders akzentuierte Bedeutung. Nach 1945 öffneten sich die Westdeutschen
mehrheitlich dem „westlichen" Wertehorizont. In Politik, Kultur und Gesellschaft verschwand allmählich die Abgrenzung vom Westen, die seit den „Ideen von 1914" so weit hatte gehen können, daß das Ordnungssystem der westlichen Staaten geradezu als Gegenentwurf zu den politisch-sozialen Gegebenheiten im eigenen Land aufgefaßt wurde. Zwar bildete die Bundesrepublik zu Beginn der fünfziger Jahre erst einmal ein Objekt von außen kommender Einflußnahme, aber die Wertvorstellungen des Westens waren im Zeichen der politischen wie ideellen Blockbildung gegen „den Osten" leichter zu akzeptieren. Dabei verstand es sich von selbst, an eigenen nationalen Traditionen wie den liberaldemokratischen Werten der Paulskirche und den sozialdemokratischen oder zentrumskatholischen Orientierungsmustern anzuknüpfen. Diese Entwicklung kam mit der Großen Koalition 1966 zum Abschluß. Von da an vollzogen sich politische und gesellschaftliche Veränderungen auf vergleichbare Weise und von vergleichbaren Voraussetzungen her wie auch in den Vereinigten Staaten oder den westeuropäischen Ländern. Spätestens am Ende der sechziger Jahre war der westdeutsche Teilstaat ein fest integrierter und aktiver Partner im System der gemeinsamen westeuropäisch-atlantischen Werteordnung geworden. Das Forschungsprojekt „Westemizarion" konzentrierte sich auf die USA als Träger und Motor von Westemisierung und auf die Bundesrepublik als wichti-
Objekt. Diese pragmatische Entscheidung darf keineswegs zu einem konzeptionellen Ausschließlichkeitsanspruch überhöht werden. Großbritannien ges
und andere westliche Länder trugen nach 1945 ebenfalls zu der im Ost-WestKonflikt entstehenden westeuropäisch-atlantischen Wertegemeinschaft bei, und es verstand sich von selbst, daß sie darin ihre nationalen politisch-ideellen Traditionen besonders artikulierten. Namentlich Frankreich entwickelte in den beiden Nachkriegsjahrzehnten kontrastierende und konkurrierende Entwürfe zum anglo-amerikanischen Verständnis von universeller Ordnung und Freiheit,
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Vorwort der Herausgeber
die sich auf dieselben Traditionen „des Westens" bezogen. Und ebenso wie die Bundesrepublik praktizierten andere Staaten Europas die Anverwandlung dieser von außen kommenden oder im nationalen Kontext bislang minoritären Ordnungsmuster; vor allem Italien, aber mit zeitlicher Verzögerung auch die
übrigen südeuropäischen Mitgliedsländer des Nordatlantikpakts und der Europäischen Gemeinschaft sind hier zu nennen. Auf die Gesellschaft der Bundesrepublik wirkten deshalb unterschiedliche Einflüsse ein, die erst in ihrer Gesamtheit den Westemisierungsprozeß ausmachten. Zwar dominierten amerikanische Ideen, aber es wäre dennoch falsch, die Westorientierung der Bundesrepublik schlicht als Amerikanisierung des Denkens im westlichen Deutschland zu
interpretieren.
Der verbreitete Terminus „Amerikanisierung" wird in der historischen Forschung überwiegend auf die Bereiche Massenkonsum, Jugendkultur, Alltagsgestaltung und auf die technische Organisation wirtschaftlicher Prozesse bezogen. Obwohl die hegemoniale Praxis der USA sowohl im Falle von Amerikanisierung als auch von Westernisierung in der Zeit nach 1945 das hervorstechendste Merkmal bildet und daher beide Begriffe eng verflochten sind, ja bisweilen synonym verwendet werden können, erscheint die klare definitorische Trennung angeraten. Begriff und Sachverhalt der Westernisierung sprechen die Vermittlungsebenen an, die zwischen dem außenpolitischen Handeln der Bundesregierungen auf der einen Seite, das auf die amerikanische Führung im westlichen Bündnis ausgerichtet und von amerikanischer Rückendeckung abhängig war, und der Anpassung an das amerikanische Vorbild in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens und des Wirtschaftens auf der anderen Seite angesiedelt sind. Maßnahmen und Entscheidungen der Parteien, Verbände und Interessengruppen, kurz: die innenpolitische Entwicklung, die diesen Zwischenbereich ausmacht, waren in der frühen Bundesrepublik scheinbar ausschließlich von den internen Schubkräften des Wirtschaftsaufschwungs und des sozialen Wandels während der Wiederaufbauzeit geprägt. Die starke Dynamik führte dazu, daß sich ein Pluralismus der Verbände und Interessengruppen beschleunigt herausbildete und seit den sechziger Jahren die Verfassungswirklichkeit, die politische Praxis der Parteien und die Wertorientierung politischer Institutionen bestimmte. Doch dieser Wandel, seine Verlaufsform und Zielrichtung waren auch in den übrigen Ländern des Westblocks gleichermaßen anzutreffen. Das verweist auf externe Schubkräfte, nicht zuletzt auf ideelle Einflüsse von umfassender Wirksamkeit in allen westlichen Gesellschaften. Um die Eigenart dieser Einflüsse analytisch fassen und ihre Wirkung im besagten Zwischenbereich des innenpolitischen Geschehens zwischen staatlichem Handeln in der Außenpolitik einerseits und Amerikanisierung von Alltag, Konsum und Arbeitsleben andererseits herausarbeiten zu können, hat sich der Terminus „Westernisierung" als hilfreich erwiesen. Er bildet den überwölbenden Begriff, der zwar Abläufe von Amerikanisierung mit umgreifen kann, sich
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Vorwort der Herausgeber
aber im engeren Sinn auf die Sektoren Politik, Kultur und Wissenschaft bezieht, in denen Ordnungen und Deutungen sozialen Alltags und politischer Prozesse entworfen resp. von denen aus solche Deutungsmuster popularisiert und propagiert worden sind. Diesen intermediären Sektoren besonderes Gewicht zuzumessen, schließt wohlgemerkt keine Vorentscheidung darüber ein, ob die Deutungsmuster nun „von oben", „von außen" oder „von unten" kamen. Die für die Epoche nach 1945 charakteristische Verschränkung von Militärbündnis, Wirtschaftsintegration, ideologischer Blockbildung und sich angleichenden Lebens- und Konsumstilen spricht gegen „simple" Modelle. In der Ost-West-Konfrontation verdichtete und transformierte sich ein grundlegender Wirkungszusammenhang, der in den europäischen Gesellschaften seit der Aufklärung zu beobachten ist. Der Ideenverkehr hat sich von da an immer weiter intensiviert. Er wurde getragen von einer zunehmend dichteren Kommunikation, deren Teilnehmerkreise sich jedoch mehr und mehr spezialisierten und partiell autonome, eigenständige Ideennetzwerke aufbauten. Neue Ordnungsmodelle in Politik, Kultur, Religion und Wissenschaft zirkulierten entsprechend rasch. Parallel mit dem Trend zu wachsender Distanz und stärkerer Autonomie der einzelnen Teilsektoren intellektueller Produktion läßt sich jedoch auch eine kräftige Gegenströmung feststellen: Immer wieder kristallisierten sich Leitideen heraus, die zu schlagwortfähigen, in unterschiedlichen Handlungsfeldern realisierten globalen Ordnungsmustern wurden. Sie schlugen sich typischerweise in imaginären Geographien innereuropäischer Gegensätze und Konfrontationen nieder. Sie sind zu einem wesentlichen Bestandteil politischer Ideologiebildung in den beiden Jahrhunderten der europäischen Nationalstaatsbildung und der Dominanz nationaler Deutungsmuster geworden. Gerade der Genese und den Folgewirkungen solcher Ideenkonglomerate aus Politik, Wissenschaft, Religion und Kultur soll in der Reihe „Ordnungssysteme" besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Dietrich
Beyrau
Anselm Doering-Manteuffel
Lutz
Raphael
VORWORT DES AUTORS Wissenschaftliche Literatur entsteht heute weniger denn je im Alleingang. Ohne kritische Diskussionen, Zwischenfragen oder andere Anregungen bliebe jegliches Nachdenken über Geschichte öde und steril. In den vergangenen Jahren hat sich dabei so manche Dankesschuld angehäuft, die ich nunmehr gerne abtragen möchte. An erster Stelle ist mein akademischer Lehrer Professor Dr. Anselm Doering-Manteuffel zu nennen, dem ich nicht nur mein Thema verdanke, sondern eine Fülle methodischer und inhaltlicher Ratschläge. Nicht zuletzt ermöglichte er mir meine Tätigkeit im Forschungsprojekt "Westernisation" an der Universität Tübingen, in dessen Rahmen die vorliegende Arbeit entstanden ist. Den Herren Professoren Dr. Udo Sautter (Tübingen), Dr. Jürgen Heideking (Köln) und Dr. Lutz Raphael (Trier) sei an dieser Stelle für ihre Gutachten im Rahmen des Promotionsprozesses gedankt, ebenso Herrn Professor em. Dr. Gerhard Schulz (Tübingen), der sich manchen Sonnabend nachmittag die Zeit genommen hat, mir erzählend das Berlin der fünfziger Jahre näher zu bringen. Ahnliches gilt für meine beiden Zeitzeugen, Melvin J. Lasky (Berlin) und Siegfried Lenz (Hamburg), deren großzügige Gastfreundschaft mir unvergessen bleibt. Der verstorbenen Professor Edward Shils (Chicago) hatte die Freundlichkeit, mir das bis dahin nur schwer zugängliche Archiv des "Congress for Cultural Freedom" an der Regenstein Library in Chicago geöffnet zu haben. Ihm und dem dortigen Archivpersonal, allen voran Alice Schreyer, aber auch Cathy Henderson vom Archiv der University of Texas at Austin, gilt meine besondere Dankbarkeit für ihre stets außerordentlich zuvorkommende Hilfe. Die gelegentlich sicher ausufernde Mühsal des Korrekturlesens haben in vorbildlicher Manier Julia Angster, M.A., Christian Heske, M.A., Dipl. Kfin. Doris Staffel und Dr. Gabriele Metzler auf sich genommen, während stud. phil. Daniel Hörsch und stud. phil. Ariane Leenderz sich um die Drucklegung kümmerten. Wesentliches zum Gelingen dieses Werkes haben aber auch die Freunde und Kollegen des Tübinger zeithistorischen Oberseminars und des Forschungsprojektes "Westernization" beigetragen, von denen stellvertretend Dr. Thomas Sauer und Dr. Gudrun Kruip genannt seien. Ihnen allen ein herzliches Vergelt's Gott! Schließlich sei der Stiftung Volkswagenwerk und der VG Wort gedankt, ohne deren großzügige und unbürokratische Unterstützung die Arbeit am CCF weder begonnen noch geendet hätte. Dieses Buch sei meinen Eltern gewidmet.
Tübingen,
am
Festtag des Hl. Thomas von Aquin 1998 Michael
Hochgeschwender
I. EINLEITUNG 1. Zur Fragestellung und ihrer historiographischmethodischen Einordnung Der „Kongreß für kulturelle Freiheit" (CCF)1 wurde 1950 gegründet und 17 Jahre später nachdem die finanzielle Unterstützung durch den US-amerikanischen Geheimdienst CIA aufgedeckt worden war auf dem Höhepunkt von Vietnamkrieg und Studentenrevolte suspendiert und in eine wenig effektive Nachfolgeorganisation2 umgewandelt. Er war ein Kind des Kalten Krieges; seine Organisation bildete einen wichtigen Bestandteil dessen, was Ernst Nolte -
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einmal als den „Apparat des Kalten Krieges"3 bezeichnet hat, jenes Geflecht höchst unterschiedlicher Agenturen mit ebenso mannigfaltigen Aufgabenbereichen innerhalb des Gesamtzusammenhanges der Auseinandersetzung zwischen den liberaldemokratischen Staaten des Westens und der kommunistischen Welt. Dieses Netzwerk von Gruppen und Organisationen ist in jüngster Zeit Gegenstand einer ganzen Reihe organisationsgeschichtlich angelegter Einzeluntersuchungen geworden, die sich sowohl mit Teilen des westlichen Apparates auseinandersetzen,4 als auch mit ihren kommunistischen Widerparts.5
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Im internationalen Bereich war der englische Name „Congress for Cultural Freedom" gebräuchlich, von dem auch die üblicherweise verwandte Abkürzung abgeleitet ist. In Deutschland firmierte der CCF zwischen 1950 und 1952 als „Kongreß für kulturelle Freiheit", danach unter der Bezeichnung „Kongreß für die Freiheit der Kultur". Die „International Association for Cultural Freedom" (IACF) bestand mit Unterstützung der Ford-Foundation und (bis 1974) unter Leitung von Shepard Stone mit ständig abnehmendem Einfluß bis zum Januar 1979. Vgl. Peter Coleman: The Liberal Conspiracy. The Congress for Cultural Freedom and the Struggle for Mind of Postwar Europe, New York-London 1989, S. 240 und Pierre Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme. Le Congrès pour la liberté de la culture à Paris (1950-1975), Paris 1995, S. 460-617. Ernst Nolte: Deutschland und der Kalte Krieg, München 1974, S. 402. In seiner Aufzählung von Organisationen dieses Apparates, ebda., S. 402-413 für Westdeutschland, S. 413-421 für Ostdeutschland, geht Nolte allerdings nicht auf den CCF ein. Vgl. etwa Kai-Uwe Merz: Kalter Krieg als antikommunistischer Widerstand Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit 1948-1959, München 1987 und Franziska Meyer: „Auch die Wahrheit bedarf der Propaganda": Der Kongreß für kulturelle Freiheit und die Folgen, in: Berliner Kulturrat (Hg.): Eine Kulturmetropole wird geteilt. Literarisches Leben in Berlin (West), S. 33-47, hier: S. 42-47. S. femer: Wolfgang Buschforth: Das Ostbüro der SPD. Von der Gründung bis zur Berlin-Krise, München 1991, Frank Hagemann: Der Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen 1949-1969, Frankfurt/Main 1994. Hierzu s. allg. David Pike: The Politics of Culture in Soviet-Occupied Germany, 1945-1949, Stanford 1992, S 80-87. Als Einzeluntersuchung unentbehrlich: Magdalena Heider: PolitikKultur-Kulturbund Zur Gründlings- und Frühgeschichte des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands 1945-1954 in der SBZ/DDR, Köln 1993.
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I.
Einleitung
In den
größeren Kontext des „Apparates des Kalten Krieges" ist der CCF hineinzustellen, allerdings unter den ihm eigenen spezifischen Gesichtspunkten. Als Organisation überwiegend linksliberaler und sozialdemokratischer Intellektueller, Angehöriger der sogenannten „non-Communist Left", unter denen sich nicht wenige ehemalige Kommunisten befanden, kam dem CCF so die erste Hauptthese der vorliegenden Arbeit die Aufgabe zu, im Rahmen transnationaler6 Systempenetration7 als Lieferant einer eigenständigen westlichen Weltanschauung tätig zu werden. Ziel dieser Bemühungen, die in der Hauptsache nicht subversiv, sondern mit den Mitteln intellektueller Propaganda ganz offen durchgeführt wurden, war es vorrangig, die US-amerikanische und -
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Gegenüberstellung von transnationalen und internationalen Beziehungen, einem seit Beginn der siebziger Jahre zunehmend häufiger angewandten politologischen Konzept vgl. Robert O. Keohane/ Joseph S. Nye (Hg.): Transnational Relations and World Politics, Harvard 1970. S.a. Werner .1. Feld: Nongovernmental Forces and World Politics, New York Zu der
1972. S.v.a. Werner Link: Deutsche und amerikanische Gewerkschaften und Geschäftsleute 1945-1975. Eine Studie über transnationale Beziehungen, Düsseldorf 1978, S. 3-25. Im Gegensatz zu den Gewerkschaften, die Link untersucht hat, ist der CCF jedoch als schwach transnational einzuordnen, da es weniger um Beziehungen klar national strukturierter Organisationen, die eine bestimmte soziale Schicht vertreten, sondern um die Regulation von Beziehungen nationaler intellektueller Milieus in einer nicht regierungsbestimmten, nur begrenzt national organisierten Institution geht. Erst kürzlich hat Thomas Risse-Kappen: Bringing Transnational Relations Back In: Introduction, in: Thomas Risse-Kappen (Hg.): Bringing Transnational Relations Back In. Non-State Actors, Domestic Structures and International Institutions, Cambridge 1995, S. 3-33 eine neuerliche, überaus differenzierte Studie zum Begriff des Transnationalen vorgelegt. Dort findet sich auch ein Oberblick über den neueren Forschungsstand. Jüngst hat Thomas A. Schwartz: The United States and Germany After 1945: Alliances, Transnational Relations, and the Legacy of the Cold War, in: Diplomatic History 19 (1995), S. 549-568, die Bedeutung transnationaler Organisationen beim Prozeß des Wertetransters nach Westdeutschland (S. 559) und va. während der Wiederbewafthungskrise (S. 567) noch einmal betont. Der Topos der „penetrierten Gesellschaft" bzw. des „penetrierten Systems" entstammt der neulinken Diskussion der sechziger Jahre, so z.B. Klaus-Jürgen Gantzel (Hg.): Kapitalistische Penetration in Europa, Hamburg 1976. In polemisch-feuilletonistischer Manier hat Egon dieses Bahr Konzept auf die Tätigkeit des CCF in Deutschland gemünzt, s. Egon Bahr: Wer hat hier wen durchdrungen?, in: Rheinischer Merkur vom 25.2.1994 ; zwar nicht explizit, aber der Sache nach und nicht minder polemisch findet sich dieser Ansatz auch bei Philip Agee, vgl.: Philip Agee: Einleitung, in: Günter Neuberger/Michael Opperskalski (Hg): CIA in Westeuropa, Bomheim 1982, S. 17-19. Th. A. Schwartz: United States and Germany, S 561 sieht in Deutschland das „model for a penetrated political system", wobei er auf Wolfram F. Hanrieder: West German Foreign Policy. International Pressure and Domestic Response, Stanford 1967, S. 228-245 zurückgreift. Die wissenschaftlich brauchbarste Definition von „penetrierter Gesellschaft" liefert Beate Kohler-Koch: Inselillusion und Interdependenz: Nationales Regieren unter den Bedingungen von „International Governance", in: Bernhard Blanke/Helmit Wollmann (Hg): Die alte Bundesrepublik. Identität und Wandel, Opladen 1991, S. 45, wo „penetrierte Gesellschaften" dadurch gekennzeichnet werden, daß „Nichtmitglieder einer nationalen Gesellschaft direkt und bindend durch Maßnahmen, die gemeinsam mit Mitgliedern der Gesellschaft unternommen werden, entweder bei der Zuteilung ihrer Werte oder bei der Mobilisierung von Unterstützung für die Verwirklichung ihrer Ziele teilnehmen". Speziell zu den USA s. C.W.F. Bigsby: Europe, America and the Cultural Debate, in: C.W.F. Bigsby (Hg): Superculture. American Popular Culture and Europe, London 1975, S. 3.
1. Zur Fragestellung und ihrer historiographisch-methodischen Einordnung
19
europäische, später auch die asiatische, afrikanische und lateinamerikanische Linke8 gegen die Einflüsse kommunistischer Infiltration
zu
immunisieren.
Systempenetration erstrebt eine habituelle Veränderung, ist also auf langfristige Wirkung angelegt. Damit aber kommt neben dem rational-intentionalen Handeln bei den Vermittlern veränderter Werthaltungen dem moralisch-emotionalen Überzeugtsein von der eigenen Sendung eine erhebliche Bedeutung zu. Ausgangspunkt der Überlegungen im CCF war dabei der Gedanke, es gelte, „die öffentliche Meinung, das heißt die Herzen und Hirne aller jener Männer
und Frauen, auf die es in der Politik ankommt, zu erobern..."9. Parallel dazu arbeitete der CCF so eine weitere Hauptthese der vorliegenden Untersuchung daran, die süd- und westeuropäischen sozialistischen und sozialdemokratischen Arbeiterparteien umzuwandeln. Dabei ging es ebenso um die Abkehr von enger Milieubindung wie dämm, noch vorhandene Restbestände marxistischer Ideologie zu relativieren. Vorrangiges Ziel war der Aufbau ideologiearmer, linker Volksparteien nach dem Muster des linken Flügels der amerikanischen Demokraten.10 Auf diese Weise war der CCF überdies in die Aktivitäten der CIA und des amerikanischen Gewerkschaftsverbandes AFL eingebunden, die westeuropäischen Gewerkschaften im Sinne antikommunistischer Frontstellung zu stabilisieren.11 In Deutschland verfolgte der CCF schließlich zwei weitere bedeutsame Ziele: nationalneutralistische Strömungen im Zusammenhang mit der Einbindung der Bundesrepublik in die westliche Allianz zu bekämpfen und die alliierten Demokratisierungsbemühungen unter antitotalitären Vorzeichen fortzuführen. Primäres Ziel dieser Arbeit ist dementsprechend eine Analyse der organisa-
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Der Begriff der „Linken" wird vorerst relativ undifferenziert im Sinne von David Caute: Die Linke in Europa. Eine Ideologie- und Systemanalyse ab 1789, München 1966, S. 12-25 benutzt, also im Sinne einer rationalistischen, von einer fortschrittsoptimistischen Anthropologie geprägten sozial-egalitären, im Prinzip freiheitlichen politischen Bewegung, ohne dabei vorerst zwischen US-amerikanischer Linker und europäischer Linker zu unterscheiden. So Salvador de Madariaga in der Neuen Zürcher Zeitung vom 5.12.1959; Sperrung im Original. So argumentiert u.a. P. Agee: Einleitung, in: G. Neuberger/M. Opperskalski (Hg.): CIA in Westeuropa, S. 17-19. Vgl. Th. A. Schwartz: Umted States and Germany, S. 566. Im Gespräch mit dem Verf. hat Melvin J. Lasky ebenfalls bemerkt, die Umgestaltung der SPD sei zumindest eine der Zielsetzungen des „Monats" gewesen. Die Verbindungen zwischen CIA, AFL und CCF sind spätestens seit 1967 allgemein bekannt, vgl. u.a.: William Blum: The CIA: A Forgotten History. US Global Interventions Since World War II, London-New Jersey 21987, S. 28. Weniger revisionistisch geprägt und insgesamt zuverlässiger bzw. im Urteil zurückhaltender: John Ranelagh: The Agency. The Rise and the Fall ofthe CIA, New York 1987, S. 216 und S. 247. Zur Grundkonzeption der „covert actions" der CIA s. Gregory F. Treverton: Covert Action. The Limits of Intervention in the Postwar Years, New York 1987. Aus der Perspektive des französischen Antiamerikanismus der späten 60er Jahre werden diese Vorgänge geschildert von Claude Julien: Das amerikanische Imperium, Berlin-Frankfurt/Main-Wien 1969, S. 304-308. Vgl. neuerdings schon für die Zwischenkriegszeit Eric T. Chester: Covert Network. Progressives, the International Rescue Committee and the CIA, Armonk-London 1995, S. 5-8.
20
I.
Einleitung
torischen und weltanschaulichen Tätigkeit des CCF in Deutschland, ausgehend von einem strukturbedingten Doppelansatz: Es gilt beim Studium des CCF im Blick zu behalten, daß die von den nationalen Sektionen vor Ort durchgeführten Aktivitäten sich stets abgestimmt mit der Zentrale in Paris vollzogen. Der Entwicklung des Internationalen Exekutivkomitees und des Internationalen Generalsekretariates des CCF in Paris ist ebenso Aufmerksamkeit zu widmen wie derjenigen der deutschen Sektion, die im Zentrum der Untersuchung stehen wird. Nur so kann gleichermaßen die mehr oder minder enge Zusammenarbeit zwischen den beiden Polen der Kongreßaktivitäten herausgearbeitet werden wie die sich aus dieser Konstellation ergebenden „Sollbruchstellen". Dies gilt übrigens sowohl für den organisationsgeschichtlichen als auch für den eher ideengeschichtlichen Kontext, in dem der CCF stand und der in der Folge näher erörtert werden soll. Mit der Beschreibung des CCF als Mittel transnationaler Systempenetration auf kultureller und ideologischer Ebene und damit zugleich als Instrument, welches politische und ökonomische Hegemoniebildungsprozesse12 im engeren Zusammenhang des Kalten Krieges flankierte, wird die Möglichkeit eröffnet, einige Ansätze moderner Theoriebildung der allgemeinen Diplomatiegeschichte13 sowie der Diplomatiegeschichte insbesondere des Kalten Krieges14 12
Sehr kritisch, vom Standpunkt eines „declinists" aus geschrieben, zu diesem Gesamtvorgang: Bradley S. Klein: Machtprojektion durch „ausschwärmende Abschreckung": Zur strategischen Kultur der Vereinigten Staaten, in: Frank Unger (Hg): Amerikanische Mythen. Zur inneren Verfassung der Vereinigten Staaten, Frankfurt/Main 1988, S. 113-129. Vor einer übereilten Akzeptanz großzyklischer Hegemoniekonzepte für die US-Geschichte bereits vor 1945 hat Knud Krakau: Die Entwicklung der politischen Hegemonie über Europa seit dem Ersten Weltkrieg, in: Wolfgang Reinhard/Peter Waldmann (Hg.): Nord und Süd in Amerika. Gemeinsamkeiten, Gegensätze, Europäischer Hintergrund, Bd. 1/2, Freiburg i. Br. 1992, S. 1205-1222, hier bes. S. 1205-1208, gewarnt. Er definiert Hegemonie dabei als politische Führung, die selbstständig bleibende Subjekte betrifft, also keine Herrschaft im strengen Wortsinn darstellt. Überdies erarbeitet Krakau eine inhaltlich recht präzise Bestimmung des Hegemoniebegriffs anhand politischer, ökonomischer, ideologischer, militärischer u.a. Kriterien, deren Zusammenfall ermit Hegemonie verbindet. Dieser „harte" Hegemonialbegriftist auf die US-Politik zwischen 1918 und 1941 in der Tat nicht anwendbar. Der hier in der Folge vertretene, im Ansatz revisionistische Hegemoniebegrift" basiert allerdings auf einer „weichen" Handhabung des Terminus, d.h. es wird bei der Frage nach mtentionalem Handeln der USA auf internationaler und transnationaler Ebene in Teilbereichen des von Krakau entwickelten Begriffsinhaltes ausgegangen, etwa im Bereich von Ideologie und Kultur oder wie im Falle des strengen Revisionismus von finanziellen und ökonomischen Segmenten. Einem ökonomistischen Determinismus selbst in seiner korporatistischen Variante soll dabei allerdings nicht das Wort geredet werden. S. allg. Melvyn P. Leffler: New Approaches, Old Interpretations, and Prospective Reconfigurations, in: Diplomatic History 19 (1995), S. 173-196; John L. Gaddis: New Conceptual Approaches to the Study of American Foreign Relations: Interdisciplinary Perspectives, in: Diplomatic History 14 (1990), S. 405-424. Richard H. Immermann: The History of U.S. Foreign Policy: A Plea for Pluralism, in: Diplomatic History 14(1990), S. 574- 583; s.a. Frank A. Ninkovich: The End of Diplomatic History, in: Diplomatic History 15 (1991), S. 439-448. Das Gesagte gilt trotz der heftigen Kritik, die von revisionistischer Seite va. an Gaddis geübt worden ist: Bruce Cumings: „Revising Postrevisionism", or: The Poverty of Theory m Diplo-
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13
1. Zur
Fragestellung und ihrer historiographisch-methodischen Einordnung 21
empirisch zu untermauern. Diese Neuansätze entwickelten sich in jüngerer Zeit aus den anhaltenden Debatten vorwiegend amerikanischer Historiker, die darum bemüht waren, die eingefahrenen und zunehmend unfruchtbarer werdenden Gegensätze zwischen der orthodoxen Historiographie des liberalen „consensus"15 der fünfziger Jahre und ihrer häufig aus dem Lager der politischen Linken stammenden revisionistischen Gegner zu überwinden. Hatten die Orthodoxen dabei den Primat sicherheitspolitischer und traditionell außenpolitischer Instrumentarien betont,
so waren gerade die radikaleren Revisionisten nicht immer gegen einen marxistischen ökonomischen Determinismus gefeit. Demgegenüber wenden sich die Vertreter der jüngeren Generation des Revisionismus und die sogenannten Postrevisionisten derzeit mehr der Berücksichtigung kultureller16 und ideologiegeschichtlicher17 Motivlagen zu, ohne allerdings die Verflechtung mit ökonomischen und politischen Interessen hintanzustellen.18 Dabei spielen insbesondere theoretische Ansätze der „cultural anthropologists" eine wichtige Rolle. Diese erlauben es, Ideologie als Bestand-
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matic History, in: Diplomatie History 17 (1993), S. 539-569. Die beste Zusammenfassung des gegenwärtigen Standes der Diskussion liefern Howard Jones/Randall B. Woods: Origins of the Cold War in Europe and the Near East: Recent Historiography and the National Security Imperative, in: Diplomatic History 17(1993), S.251 276; vgl. aus deutscher Sicht: Wilfried Loth: Der Kalte Krieg m der historischen Forschung, in: Gottfried NiedhaRT (Hg.): Der Westen und die Sowjetunion: Einstellungen und Politik gegenüber der UdSSR in Europa und in den USA, Paderborn 1983, S. 155-176. Zur Charakterisierung des liberalen „consensus" s.v.a. Geoffrey Hodgson: America in Our Time. From World War II to Nixon. What Happened and Why, New York 1978, S. 67-98. Typisch für die revisionistische Kritik an der Konsens-Historiographie ist etwa Sacvan Bercovttch: Konsens und Anarchie. Die Funktion der Rhetorik für die amerikanische Identität, in: F Unger (Hg): Amerikanische Mythen, S. 16-43. Akira Iriye: Culture, in: The Journal of American History 77 (1990), S. 99-107. Eine von Ninkovich abhängige und den Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem und kulturellem Hegemonieanspruch betonende Fallstudie bildet Gerald K. Haines: The Americanization of Brazil. A Study of U.S. Cold War Diplomacy in the Third World, 1945-1954, Wilmington 1989, s.v.a. S. 159f Genereller und aus einem eher orthodoxen Standpunkt behandeln Peter Duignan/L.H. Gann: The Rebirth of the West. The Americanization of the Democratic World, 1945-1958, Cambridge 1992, S. 421 die Grundfragen von „cultural diplomacy". Der Bezug zum CCF wird auf S. 308 hergestellt. Michael H. Hunt: Ideology and U.S. Foreign Policy, New Haven-London 1987; ders. : Ideology, in: The Journal of American History 77 (1990), S. 108-115. Zur Kritik an der oftmals recht pessimistischen Grundsicht Hunts ein Teil der Debatte hängt mit der Kontroverse zwischen „declinists" und „revivalists" zusammen vgl. James A. Field jr. : Novus Ordo Seclorum, in: Diplomatic History 13 (1989), S. 113-122. Frühe Arbeiten, die sich dieser Fragestellung annehmen, bieten Norman A. Graebner: Ideas and Diplomacy: Readings in the Intellectual Tradition of American Foreign Policy, New York 1964 und Arthur A. Ekirk JR.. Ideas, Ideals, and American Diplomacy, New York 1966. Zum Ideologiebegrift' allg. s. Eugen Lemberg: Ideologie und Gesellschaft. Eine Theorie der ideologischen Systeme, ihrer Struktur und Funktion, -
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Stuttgart u.a. 1971, S. 25-34.
18
Va. bei Frank Costigliola: Awkward Dominion. American Political, Economic, and Cultural Relations with Europe, 1919-1933, Ithaca-London 1984. Noch stärker werden ökonomische Aspekte betont bei Michael J. Hogan: The Marshall Plan. Britain, America, and the Reconstruction of Europe, 1947-1952, Cambridge 1987; ders.: Corporatism, in: The Journal of American History 77 (1990), S. 153-160.
22
I.
Einleitung
teil von „political culture"19 im Sinne sozial etablierter Deutungsstrukturen zu fassen und auf diese Weise in einen engen und fruchtbaren Zusammenhang zu bringen20. War diese Neuorientierung anfangs noch auf das Feld staatlichen Handelns im Bereich internationaler Beziehungen beschränkt21, so setzte sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, daß gerade bei der Untersuchung der USamerikanischen auswärtigen Kulturpolitik und des damit verbundenen Ideologietransfers die Einbeziehimg transnationaler Strukturen unabdingbar sei. Dem nichtstaatlichen, aber sorgfältig organisierten Handeln, etwa durch die großen
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20
21
Zum Begriff der politischen Kultur und seinen umstrittenen Implikationen s. va. Wolf Michael Iwand: Paradigma Politische Kultur. Konzepte, Methoden, Ergebnisse der political-culture Forschung in der Bundesrepublik. Ein Forschungsbericht, Opladen 1985. Inhaltlich ist zu beachten, daß die Konzepte von „cultural anthropology", „political culture" und „cultural diplomacy" ohne Anwendung des erweiterten amerikanischen Kulturbegriffes im Sinne eines umfassenden gesellschaftlichen Sinngebungsrahmens nicht denkbar sind; zum Kulturverständnis der „cultural anthropologists", welches hier zugrunde gelegt wird, vgl. Roger M. Keesing: Cultural Anthropology. A Contemporary Perspective, New York u.a. 1976, S. 138f; Marvin Harris: Kulturanthropologie. Ein Lehrbuch, Frankfurt/ Main-New York 1987, S. 20, s.a. S. 396-435, wo dieses Konzept als „Ethnologie einer Industriegesellschaft" (S. 396) auf die USA angewendet wird; Michael C. Howard: Contemporary Cultural Anthropology, New York 41993, S. lit'.; Klaus P. Hansen: Kultur und Kulturwissenschaft. Eine Einführung, TübingenBasel 1995, S. 9-16, s. bes. S. lOf, wo zwischen einem normativ beladenen Begriff von (Hoch-) Kultur und einem vermeintlich objektivierbaren wissenschaftlichen Kulturbegriff im Sinne der Kulturanthropologie unterschieden wird. Eine Auseinandersetzung mit dem überkommenen „deutschen" Kulturbegriff findet in der gegenwärtigen Kulturdiskussion kaum noch explizit statt. Mit Recht hat zudem Wolfgang Kaschuba: Kulturalismus: Kultur statt Gesellschaft, in: Geschichte und Gesellschaft 21 (1995), S. 80-95 vor einer überzogenen Anwendung kulturalistischer Fragestellungen und Ansätze gewarnt. Ohne eine präzise Darstellung des jeweils gewählten sozialen oder politschen Bezugsrahmens droht in der Tat eine „Hypostasierung des Kulturellen" (S. 83). S. bes. M. Hunt: Ideology and U.S. Foreign Policy, S. 12-15, der v.a. auf die Bedeutung der Theorien von Clifford Geertz hinweist. Allg. s. Michael S. Sherry: War and Weapons: The New Cultural History, in: Diplomatic History 14 (1990), S. 433-446. Eine sehr frühe Monographie zu diesem Bereich hat schon Philip H. Coombs: The Forth Dimension of Foreign Policy, New York-Evanston 1964, s. bes. S. 122Í, verfaßt. Während es Coombs allerdings primär um kurzfristig wirksame Aspekte kultureller Propaganda gegt, hat sich Robert Blum: Cultural Affairs and Foreign Relations, Englewood Cliffs 1963 schon früh mit langfristiger wirksamen Strukturen kultureller Außenpolitik auseinandergesetzt. Hinsichtlich der daran beteiligten staatlichen Organisationen sind heranzuziehen: John W. Henderson: The United States Information Agency, New York 1967; Fitzhugh Green: American Propaganda Abroad, New York 1988. Eine neuere, an organisatorischen Strukturen ausgerichtete Darstellung findet sich bei Thomas Klöckner: Public Diplomacy Auswärtige Informations- und Kulturpolitik der USA. Strukturanalyse und Organisation und Strategien der United States Information Agency und des United States Information Service in Deutschland, Baden-Baden 1993. Die administrative Grundlage für das kulturpolitische Handeln der USA in der Ära des Kalten Krieges bildete die Anweisung NSC-68, die m besonderem Maße auf die Bedeutung von kulturell flankierenden Maßnahmen und Gegenpropaganda in der Auseinandersetzung mit dem Stalinismus einging, vgl. Thomas H. Etzold/John L. Gaddis (Hg): Containment: Documents on American Policy and Strategy, 1945-1950, New York 1978, S. 385-442, zu den ideologischen Aspekten s. S. 386-391, auf die Bedeutung kultureller Faktoren wird auf S. 403 im Zusammenhang mit der Notwendigkeit von Gegenpropaganda implizit Bezug genommen. -
1 Zur Fragestellung und ihrer historiographisch-methodischen
Einordnung 23
philanthropischen Stiftungen22 in den USA oder durch private Initiativen, kam nunmehr einige Bedeutung zu.23 Zugleich mit der Erweiterung des analytischen Blickwinkels im Hinblick auf die Bedeutsamkeit kultureller und ideologischer Momente bei Hegemoniebildungsprozessen24 unter den Bedingungen modemer Massenkultur konnte auch der historische Bezugsrahmen erweitert werden, innerhalb dessen sich amerikanische Herrschaftsansprüche und deren ideologische Absicherung vollzogen. Die Ausbildung dessen, was man in der Phase des Kalten Krieges als Weltanschauung des „Westens" propagierte, wäre dann eben nicht bloß ad22
Vgl.
etwa Dwight MacDonald: The Ford
Foundation, New York 1956; F. Emerson An-
Philantropic Foundations, New York 1956; sa die kurzen Anmerkungen von Lewis A. Coser: Men of Ideas. A Sociologist's View, New York 21970, S.337ff Inzwischen werden die Foundations auch unter neueren Fragestellungen untersucht, vgl. Robert F. Arnove (Hg): Philanthropy and Cultural Imperialism. The Foundations at Home and Abroad, Bloomington 1982. Zur Koppelung der Aktivitäten der Ford-Foundation und der CIA va. in Osteuropa bis drews:
23
24
mindestens 1956 s. E.T. Chester: Covert Network, S. 43-53. Emily S. Rosenberg: Spreading the American Dream: American Economic and Cultural Expansion, 1890-1945, New York 1982, S. 108 und S. 121; s.a. Frank A. Ninkovich: The Diplomacy of Ideas: U.S. Foreign Policy and Cultural Relations, 1938-1950, Cambridge 1981, S. 13-16. Den engen Zusammenhang zwischen transnationalen Operationen und kultureller Verflechtung innerhalb des US-amerikanischen Hegemonialsystems betont ferner Th. A. Schwartz: United States and Germany, S. 560, in Verbindung mit S. 551. Auch HermannJosef RUPIEPER: Die Wurzeln der westdeutschen Nachkriegsdemokratie. Der amerikanische Beitrag, Opladen 1993, S. 26 hebt die Funktion privater US-Organisationen gerade für die Umgestaltung der politischen Kultur in Westdeutschland hervor. Obgleich Antonio Gramsci, auf den der Begriff der „kulturellen Hegemonie" wohl zurückgeht, damit generell mehr eine von der Basis herkommende „Gegenkultur" m Opposition zum faschistischen Regime seiner eigenen Zeit meint, kommt sogar er der hier gemeinten Verwendung von kultureller Flankierung politisch-ökonomischer Hegemonie relativ nahe, vgl. Qlientin Hoare/Geoffrey N. Smith (Hg): Selections From the Prison Notebooks of Antonio Gramsci, London 1971, S. 416-418, s.a. S. 58f. Eine Anwendung des Gramscischen Begriffs auf die innenpolitische Situation der USA bietet Alun Munslow: Discourse and Culture. The Creation of America, 1870-1920, S. 15 und S. 17. In unserem Zusammenhang geht es aber eher um die Beschreibung der dominanten Funktion der USA sowohl auf der Ebene des Wertewandels, also einer Dominanz im engeren Sinne, als auch einer weiter, politisch-ökonomisch gefaßten Vorrangstellung der USA. Beide Elemente gehören eng zusammen, der genaue Zusammenhang ist jedoch nur anhand konkreter Einzelfälle zu eruieren. Ferner ist zu berücksichtigen, daß bei der Anwendung sowohl des Hegemonial- wie auch des Penetrationsbegnffes auf die USA zu bedenken ist, daß es sich um eine vergleichsweise indirekte Form der Machtausübung, zumindest im kulturellen Bereich handelt, die strikt von der direkten Hegemonialisierung zu unterscheiden ist, die man für den Einflußbereich der UdSSR wohl konstatieren darf. Als hilfreich bei der begrifflichen Klarstellung hat sich dabei der Ansatz von Geir Lundestad erwiesen: The American „Empire" and Other Studies of US Foreign Policy in a Comparative Perspective, London u.a. 1990, S. 54-61, der von „Empire by invitation" spricht. Vgl. a. Th. A. Schwartz: United States and Germany, S. 552, wo dem Imperialismusansatz eine klare Absage erteilt wird. Problematisch ist der Ansatz von C. Julien: Das amerikanische Imperium, S. 255-280, der von jculturellem Imperialismus" bzw. von „kulturellem Kolonialismus" spricht. Schließlich darf in dem gesamten Kontext nie außer acht gelassen werden, daß es sich bei dem ideell-kulturellen Angebot der USA um ein überaus vielfältiges und dadurch sehr flexibles, anpassungsfähiges Bündel nicht immer kohärenter, aber doch zusammengehöriger Ideen handelt Dadurch werden der Hegemonie- und der Penetrationsansatz zwar relativiert, nicht aber aufgehoben ,
24
I.
Einleitung
hoc erstellte, rein defensiv ausgerichtete Ideologie in der Auseinandersetzung mit dem Stalinismus,25 sondern integriert in die Gesamtentwicklung des politischen und ökonomischen Potentials der Vereinigten Staaten spätestens seit dem Ende des Ersten Weltkrieges.26 Mit dieser Einbindung langfristiger und kulturübergreifender weltanschaulicher Motivlagen in die Auseinandersetzungen des Kalten Krieges und damit zugleich in die Tätigkeit des CCF wird ein Rückgriff auf Methoden der Ideengeschichte unvermeidlich. Es sei allerdings daraufhingewiesen, daß dem engen Bezug zwischen politisch-ökonomischen Abläufen und ihren kulturell-ideologischen Begründungen, wie ihn die jüngeren Revisionisten beschreiben, die Tendenz innewohnt, das Eigengewicht je konkreter Sachlagen ebenso zu vernachlässigen, wie auf der anderen Seite vereinheitlichende und intentionale Momente überbetont werden,27 wobei dann gleichzeitig rezeptive Prozesse nur eingeschränkt in den Blick kommen. Letzteres wird sich jedoch nie ganz vermeiden lassen. Wertewandelphänomene im Kontext ideologisch-kultureller Durchdringung zu beschreiben, kann zwar zum Gegenstand empirisch-sozialwissenschaftlicher Untersuchungen werden, der genaue Beitrag einer bestimmten Gruppe in einem derartigen Prozeß wird 25
26
27
Vgl. Jean Améry: Geburt der Gegenwart. Gestalten und Gestaltungen der westlichen Zivilisation seit Kriegsende, Freiburg i. Br. 1961, S. 69f. So va. F. Costigliola: Awkward Dominion, S. 18-20, s. bes. S. 22, wo Amerikanisierung in den zwanziger Jahren als Mischung aus kultureller Penetration Europas von Seiten der USA und indigener Modernisierung beschrieben wird. E. Rosenberg: Spreading the American Dream, S. 7-13 und S. 43f. setzt die Entstehung dieses Prozesses und semer weltanschaulichen Rechtfertigung durch den „liberal developmentalism" erheblich früher, nämlich zu Beginn der 1890er Jahre an. Am weitesten gehen M. Hunt: Ideology and U.S. Foreign Policy, S. 42, der die Entstehung des Kernbestandes der amerikanischen Ideologie zwar ebenfalls auf das späte 19 Jahrhundert zurückfuhrt, dessen Entwicklung jedoch bis in das 18. Jahrhundert verfolgt, und Bernhard Plé: Wissenschaft und säkulare Mission. „Amerikanische Sozialwissenschaft" im politischen Sendungsbewußtsein der USA und im geistigen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1990, S. 15, der ebenfals auf das 18. Jahrhundert Bezug nimmt Auf die Geschichte der „amerikanischen Sendung" wird später noch einzugehen sein. Wesentlich zurückhaltender als Pié äußert sich im Hinblick auf den Einfluß der US-amerikanischen Soziologie auf die deutsche Nachkriegsentwicklung dieser akademischen Disziplin Johannes Weyer: Westdeutsche Soziologie 1945-1960. Deutsche Kontinuitäten und nordamerikanischer Einfluß, Berlin 1984, dessen Untersuchung im Gegensatz zu Pié aber zeitlich kürzer greift und zudem weniger die amerikanischen Ziele als das deutsche Rezeptionsverhalten im Blick hat. Eine direkte Bestätigung revisionistischer Ansätze aus liberal-internationalistischer Sicht bringt Tony Smith: America's Mission. The United States and the World Wide Struggle for Democracy in the Twentieth Century, Princeton 1994. Das unterscheidende Moment zwischen beiden Gruppierungen hegt entsprechend weniger in der sachlichen Aussage als vielmehr in der sittlichen Bewertung der jeweiligen Vorgänge Dies wird deutlich, wenn man mit Robert Dallek: The American Style of Foreign Policy Cultural Politics and Foreign Affairs, New York 1983 den situativ-irrationalen Grundzug USamerikanischer auswärtiger Kulturpolitik stärker betont. Ebenso hebt Theodore von Laue: The World Revolution of Westernization. The Twentieth Century in Global Perspective, New York 1987, S.378 unbewußt-nichtintentionale Züge im Feld der Kulturvermittlung hervor, allerdings mehr im Sinne eines vorbewußt aufgenommenen kulturellen Hintergrundes. Auf die Funktion intentionaler Momente weist dagegen bes. G.K. Haines: The Americanization of Brazil, S. 165 hin.
1 Zur
Fragestellung und ihrer historiographisch-methodischen Einordnung 25
hingegen kaum präzise zu erfassen sein. Die Komplexität kultureller Veränderungen im Einzelfall sorgfältig beschreiben zu können, würde ein Instrumentarium erfordern, das -soweit erkennbar- gegenwärtig nicht vorliegt. Es wird daher notwendig sein, sich im Hinblick auf die Rezipientenseite28 mit generalisierenden Hypothesen zu behelfen.29
Damit wäre für den CCF ein theoretischer Rahmen gespannt, innerhalb dessen er zwar in organisatorischer Hinsicht dem Kalten Krieg verhaftet bliebe, zugleich aber seine eigentliche Funktion aus sehr viel längerfristigen ideengeschichtlichen Abläufen, die in der Folge als „Westemisierung" bezeichnet werden sollen, erhielte. Natürlich, um es noch einmal deutlich festzuhalten, spielte sich alles Handeln des CCF vor der Folie des Kalten Krieges ab und diente bis zu einem gewissen Grade der Bewältigung westlicher Idiosynkrasien gegenüber der stalinistischen Version des Marxismus-Leninismus. Dennoch darf dies nicht den Blick verstellen für weitere zentrale Leistungen auf dem Gebiet der Wertevermittlung und der sehr viel allgemeineren weltanschaulichen Beeinflussung. Dem antitotalitären Antikommunismus in der Epoche des Kalten Krieges käme im Prozeß der Westemisierung somit weniger eine kausale, denn eine katalytische Funktion zu; der Kalte Krieg würde zum Sonderfall der Rivalität zweier konkurrierender geistiger Ordnungskonzepte, des bürgerlichen Liberalismus und des Marxismus, beides Kinder der Aufklärung.30 Mit diesen Bemerkungen wären Fragestellung und methodischer Rahmen dieser Untersuchung weitgehend abgesteckt: Es ist danach zu fragen, welche politischen, weltanschaulichen, organisatorischen und lebensgeschichtlichen Momente die Arbeit des CCF prägten; wie Organisation und Ideologie aufeinander wirkten und welche Eigendynamik sie unter den Umständen des Kalten 28
29 30
Es sei darauf hingewiesen, daß im Hinblick auf den CCF stets zwei Ebenen von Rezipienten zu unterscheiden sind, gerade in Westdeutschland: Zum einen gab es einen Kreis von Rezipienten im engeren Sinne, d h. die Mitglieder der deutschen Exekutive, denen in Relation zum Internationalen CCF und zu den Vertretern der USA ein rezeptiver Status zukam, zum anderen Rezipienten im weiteren Sinn, also etwa Leser des „Monats" oder Personen im Umfeld des deutschen CCF, die wiederum Rezipienten sowohl des Internationalen CCF wie auch der Mitglieder der deutschen Sektion in ihrer Funktion als meinungsbildende Elite waren. Rezeption meint dabei nicht bloß rein passive Aufnahme, sondern vor allem verschiedene Varianten kritischer
Anverwandlung.
In differenzierter Weise hat dies z.B. Richard F. Kuisel:
Seducing the French. The Dilemma of
Americanization, Berkeley-Los Angeles-London 1993, 232-237 getan. Vgl. E. Nolte: Deutschland und der Kalte Krieg, S. 39 s.a. S. 89-93, wo folgerichtig die USA ,
als erster Staat der Linken beschrieben werden. Nicht minder deutlich wird diese Position von JohnMuggeridge: Belles-Lettresgate, in: The American Spectator (June 1990), S. 34 vertreten: „The Cold War [...] began by pitting not atheists against Christians or statists against libertarians or even socialists against capitalists, but progressives against progressives. It was a civil war on the left, a Marxist Protestant reformation...". Diese Sicht macht allerdings nur auf der Ebene kulturell-ideeller Fragestellungen Sinn. „Realpolitische" Abläufe, bes. solche, die vorwiegend wirtschaftlichen Interessen untergeordnet sind, können durch ideelle Faktoren nur sehr allgemein erklärt werden. Unbeschadet dieses Einwandes bleibt die ideelle Sphäre ein Gebiet eigenstän-
digen Frageinteresses.
26
I
Einleitung
Krieges zu entwickeln vermochten, um ein allzu statisches Bild von der Ideologie des CCF zu vermeiden. Desweiteren muß danach gefragt werden, welchen Werthaltungen in der Arbeit des CCF wann und warum ein gewisser Primat zukam. Welche kurz-, mittel- und langfristigen Ziele verfolgte der CCF, besonders in der Bundesrepublik? Welche Zielgruppen sprach er an und wo lagen die Grenzen seiner Handlungsfähigkeit intern wie extern begründet? Die Antwort auf diese Fragen ergibt möglicherweise einen Beitrag zum Verständnis des historischen Bruches in der ideell-kulturellen Entwicklung der westdeutschen Gesellschaft zwischen 1950 und 1965, der hier als „Westernisierung"
bezeichnet wird. Methodisch gilt es, den CCF organisationsgeschichtlich unter dem Doppelskopus von weltweit operierender Institution und nationaler Sektion zu betrachten und ihn ideen- und geistesgeschichtlich in den Prozeß der Ausbildung von „Westlichkeit" gerade im Deutschland der Nachkriegszeit unter den Bedingungen des Kalten Krieges einzuordnen.31 Gegenüber dieser, von der neueren amerikanischen Diplomatiegeschichte postrevisionistischer beziehungsweise gemäßigt revisionistischer Provenienz maßgeblich beeinflußten methodischen Vorgehensweise werden Elemente der empirischen Sozialgeschichte deutlich zurücktreten müssen. Trotz der möglichen Einwände gegen die Anwendung geistes- und ideengeschichtlicher Ansätze32, die sich vornehmlich gegen die von den realen sozialen, ökonomischen und politischen Gegebenheiten abgehobenen, oft abstrakt und willkürlich wirkenden Argumentationsmuster klassischer Geistesgeschichte wenden, ist festzuhalten, daß längerfristig ideelle Strukturen in der Geschichte Wirksamkeit entfalten können. Derartige Strukturen sind allerdings immer in einen konkreten Zusammenhang einzubinden. Letzteres gilt gerade für den CCF. Immerhin handelte es sich beim CCF um eine Organisation von Intellektuellen, die das Ergebnis personal orientierter, auf Freundschaft und Beziehungen gegründeter Netzwerke33 war und die in einer bestimmten histori31
32
33
Während die
militärischen, politischen und ökonomischen Aspekte der bundesdeutschen Westorientierung in der Forschung gut aufgearbeitet sind, fehlen Untersuchungen zur kulturellideellen Dimension dieses Vorganges bislang Eine knappe Zusammenfassung der Diskussion bietet Nicolai Hammersen: Politisches Denken im deutschen Widerstand Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte neokonservativer Ideologien
1914-1944, Berlin 1993, S. 47-50, s. aber auch William J. Bouwsma: Intellectual History in the 1980s, in: Journal of Interdisciplinary History 12 (1981), S. 279-291; Hajo Holborn: The History of Ideas, in: ders. (Hg): History and the Humanities, Garden City 1972, S. 196-212; Michael G Kämmen (Hg): The Past Before Us: Contemporary Historical Writing in the United States, Ithaca 1980. Den Aspekt des Netzwerkes hat z.B Edward Shils deutlich hervorgehoben, als er formulierte: „In general, it might be reasonably claimed that the Congress formed a world-wide network of liberal and socialist intellectuals, cutting across the boundaries of nationality, party, intellectual field and discipline. It avoided communists and fascists, but apart from that it was not political." Edward Shils/Robert Rosenthal an Cranford Goodwin (Ford-Foundation) vom 20.9.1974, NL Box 6. Der letzte Halbsatz des Josselson, Zitates ist jedoch mit einiger Vorsicht zu behandeln.
1. Zur Fragestellung und ihrer historiographisch-methodischen
Einordnung 27
sehen Epoche tätig war. Auf der anderen Seite trug die soziale, zum Teil sogar die weltanschauliche Zusammensetzung des CCF gerade wegen des ausgeprägt personalen Charakters der Organisation nicht selten willkürliche Züge. Die Bildung empirisch relevanter, quantifizierbarer Samples ist daher heuristisch nicht sinnvoll. Eine gewisse Nähe zu sozialgeschichtlichen Fragestellungen ergibt sich allenfalls dann, wenn man denn zubilligt, daß Intellektuelle eine Art Sozialmilieu sui generis34 bilden. Dieses Milieu könnte dann formaler, im Sinne genereller Wertevermittlung verstanden werden, wie Max Weber und Talcott Parsons es angeregt haben, oder mehr im Sinne kreativen und idealistischen gesellschaftlichen Außenseitertums, womit man Gefahr liefe, nur noch die Selbstsicht einer Gruppe von Intellektuellen zu reproduzieren.35 Versucht man dies zu vermeiden, könnte ein Beitrag zu einer Intellektuellengeschichte der
Bundesrepublik geleistet werden.36
An diesem Punkt stellt sich eine weitere Frage. Einerseits erscheint der CCF als vergleichsweise willkürlich zusammengesetzte Gruppierung personal bestimmter intellektueller Netzwerke, andererseits wird er analytisch in den längerfristig ablaufenden Prozeß der Westorientierung eingebettet, das heißt, Theorien mit je unterschiedlicher Reichweite sind miteinander zu verknüpfen. Das ist nicht ohne Gewinn möglich, wenn man die oben eingeforderte konkrete Einbindung ideengeschichtlicher Motive in sozioökonomische und politische Zusammenhänge konsequent handhabt. Auf diese Weise wird der organisationsgeschichtliche Zugriff, wenn er ein wenig weiter gefaßt wird, auf alle Fälle
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35
36
S. allerdings: Aleksander Gella: An Introduction to the Sociology of the Intelligentsia, in: Aleksander Gella (Hg.): The Intelligentsia and the Intellectuals. Theory, Method and Case Study, London-Beverly Hills 1976, S. 20, der ausdrücklich darauf hinweist, daß die westeuropäisch-amerikanische Intelligenz kein geschlossenes soziales Stratum darstelle, sondern zwar sozial heterogen, aber als gesellschaftliche Ideenlieferanten funktional definiert werden könnten. Damit ist die Anwendung des Milieukonzeptes nicht notwendig hinfallig. Zur Diskussion s. Lewis S. Feuer: What is an Intellectual, in: A. Gella (Hg.): The Intelligentsia and the Intellectuals, S 47f.; L.A. Coser: Men of Ideas, S. VIII-X; Kurt Sonthetmer: Das Elend unserer Intellektuellen. Linke Theorie in der Bundesrepublik Deutschland, Hamburg 1976. Es ist für den Umgang mit der Geschichte deutscher Intellektueller bezeichnend, daß Hermann Glaser: Die Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 1 : Zwischen Kapitulation und Neubeginn 1945-1949, Frankfurt/Main 21990, ders. : Die Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 2 : Zwischen Grundgesetz und Großer Koalition, Frankfurt/Main 21990 und JostHermand: Die Kultur der Bundesrepublik 1965-1985, München 1988 sowie ders.: Kultur im Wiederaufbau. Die Bundesrepublik 1945-1965, Berlin 1989, zwar „Kulturgeschichten" der Bundesrepublik vorgelegt haben, doch die Auseinandersetzung mit Sinn, Zweck und Geschichte intellektueller Lebensform ist in Deutschland, im Gegensatz zu den USA und Frankreich, bislang nicht sehr weit gediehen und selten über antiintellektuelle Polemik oder bloße Apologetik hinausgekommen. Aus dem Umstand, daß Intellektuellengeschichte bislang vornehmlich vor dem Horizont angelsächsischer, vor allem US-amerikanischer Erfahrungen geschrieben worden ist, ergibt sich das methodische Problem, daß in dieser Arbeit ausgiebig auf amerikanische Vorarbeiten zurückgegriüen wird, wodurch eventuell eine gewisse argumentatorische Schieflage auftreten kann, d.h. US-amerikanischen Intentionen wird möglicherweise ein zu großer Anteil an den ablaufenden Prozessen beigemessen.
28
I
Einleitung
hilfreich sein. Zudem wird die Überwindung der genannten Problemlage durch den hohen Grad an reflexiver Intentionalität innerhalb der Intellektuellenzirkel des CCF wesentlich erleichtert.
2. Der
begriffliche Apparat
Wie kann man den CCF in der genannten Perspektive definitorisch fassen? Der „Kongreß für kulturelle Freiheit" war eine Organisation von Intellektuellen, die vermittels des Topos von der Freiheit der Kultur als Wertelite meinungsbildenden Charakter hatte und dabei unter dem Regulativ des Antitotalitarismus der ideellen Westorientierung oder Westernisierung diente. Nahezu jeder der verwendeten Begriffe ist eher vage definiert und nicht leicht genau zu bestimmen. Denn es handelt sich vornehmlich um analoge Begriffsfelder, die ein erkennbares Maß an inhaltlicher Unscharfe in sich tragen. Darunter muß der analytische Wert von Begriffen wie „Westen", „Westorientierung", „Ver-
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westlichung", „Amerikanisierung", „Intellektueller", „Kultur", „Freiheit", „Elite", „Wert" und „Wertewandel" nicht unbedingt leiden. Man wird gerade
Geschichte als „reduktive" Wissenschaft37 versteht vielmehr daß einem bei sozialen, ideellen und historischen Fragestellungen bemerken, immer aufs Neue wieder Sachverhalte begegnen, die nicht more geométrico auf den Begriff zu bringen sind.38 Die genannten Grundbegriffe sollen deshalb zwar vorab hinsichtlich ihres Sachgehaltes überprüft werden, allerdings mit der Maßgabe, daß dies immer auf die Situation des CCF hin geschieht und nicht mit dem kaum einzulösenden Anspruch einer umfassenden Realdefinition. Dabei wird ferner zu berücksichtigen sein, daß es sich um Termini handelt, die überdies von den Mitgliedern des CCF benutzt wurden. Das heißt, es ist zwischen dem analytischen und dem zeitgenössischen Gebrauch zu unterscheiden, sofern Unterschiedliches gemeint ist. Solche Abweichungen werden im Einzelfall zu benennen sein. Es hat sich bereits gezeigt, daß dem Begriffspaar „Westemisierung"/,,Amerikanisierung" für die Fragestellung dieser Arbeit eine wesentliche Funktion als zentraler Deutungskategorie zukommt. Beide Ausdrücke sind miteinander derart eng verflochten, daß sie gelegentlich sogar synonym ver-
wenn man
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Innozenz M. Bochenski: Die zeitgenössischen Denkmethoden, Tübingen '1986, S. 100-104 und S. 130-137. Reduktion wird hier als methodologische Alternative zum deduktiven Charakter axiomatischer Systeme oder zum induktiven Charakter der Naturwissenschaften verstanden. Helga Grebing hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß der Historiker Realdefinitionen jenseits spezifizierter historischer Kontexte kritisch gegenüberstehen müsse, vgl. Helga Grebing: Konservative gegen die Demokratie. Konservative Kritik an der Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945, Frankfurt/Main 1971, S.7.
2. Der begriffliche
Apparat
29
wandt werden, zumindest für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.39 Gleichwohl: Weder Westemisierung und Amerikanisierung noch die ihnen zugrundeliegenden, ahistorisch-statischen Begriffe Westen und Amerikanismus sind einerseits als rein geographische Termini aufzufassen. Dem widerspricht der hohe Grad an normativem Gehalt, der traditionell mit den angesprochenen Konzepten verbunden ist. Zugleich gibt es keinen unwandelbaren normatividealtypischen Begriffsinhalt, den man ohne weiteres den Prozessen von Westemisierung und Amerikanisierung unterlegen könnte.40 Auf der anderen Seite ist der Sprachgebrauch historisch-genetisch gefaßt nicht vollkommen beliebig, gerade wenn man ihn innerhalb polemischer Diskurse zum Zwecke der Abgrenzung von nicht-westlichen Traditionen totalitärer oder autoritärer Natur verfolgt. Dieser Aspekt der negativen, polemischen Abgrenzung ist wesendich Teil des Aufklärungserbes, welches dem Konzept der Westemisierung zugrunde liegt. Schließlich wird zu berücksichtigen sein, daß Westemisierung und Amerikanisierung zwar sehr ähnliche, möglicherweise sogar identische Abläufe beschreiben, in sich aber unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Im Begriff des Westens, auf den sich Westemisierung immer wieder im Sinne eines Basiskonzeptes zu beziehen hat, scheinen stets mehrere Ebenen parallel geschaltet zu sein, die bis zu einem gewissen Grade eng miteinander gekoppelt sind. Zum einen geht es um die konkrete Ausbildung eines bestimmten, relativ weit gefaßten Konzeptes von verfassungspatriotischer Zivilgesellschaft41 auf der Grundlage demokratischer politischer Strukturen.42 Damit 39
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P. Duignan/L.H Gann: The Rebirth of the West, S. 181. Die enge inhaltliche Verflechtung zwischen US-amerikanischem und europäischem Denken auch in der Hochphase amerikanischer Hegemonie betont bes. H. Stuart Hughes : The Sea Change. The Migration of Social Thought, 1930-1965, New York 1975, der die Rolle jüdischer Emigranten bei der Ausbildung amerikanischer intellektueller Standards hervorhebt. Ernst Fraenkel: Deutschland und die westlichen Demokratien, Stuttgart 61974, S. 33-47. Fraenkels, aufErnst Troeltsch basierende Bestimmung des Verhältnisses zwischen Westlichkeit und deutscher Tradition ist bis heute für die gesamte Diskussion grundlegend. S. Dolf Sternberger: Verfassungspatnotismus (Schriften Bd. 10), Frankfurt/Main 1990, S. 11-15; vgl. femer: Mary Kaldor: Der imaginäre Krieg. Eine Geschichte des Ost-West-Konfliktes, Hamburg-Berlin 1992, S. 7f; Dan Diner: Wird die Bundesrepublik ein westliches Land? Vom Umgang mit deutschen Zäsuren und Kontmuen, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 5 (1995), S. 551. Zum Konzept der Zivilgesellschaft hat kürzlich Ernest Gellner: Bedingungen der Freiheit Die Zivilgesellschaft und ihre Rivalen, Stuttgart 1995, eine Studie vorgelegt, die moderne, d.h. westliche, Gesellschaften va. aus der Abgrenzung gegen totalitäre und fundamentalistische Gegner heraus beschreibt. E. Fraenkel: Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 38. Wenig überzeugend erscheint dagegen Talcott Parsons' Ansatz, den Westen aus der Verknüpfung von Fortschrittsglaube und Wissenschaftlichkeit heraus zu definieren, da ansonsten alle der Autklärung entstammenden Ideologien, also auch der Marxismus, integrale Bestandteile des Westens wären. Dies wäre nur dann legitim, wenn man Westen und allgemeine Aufklärung unter Vermeidung aller polemisch abgrenzenden Aspekte von Westlichkeit in eins setzte, ist aber für die Anwendung auf die Ara des Kalten Krieges unbrauchbar; vgl hierzu B. Plé: Wissenschaft und säkulare Mission, S. 174. Zur Typologie westlicher Demokratie s. Klaus von Beyme: Vorbild Amerika? Der Einfluß der amerikanischen Demokratie in der Welt, München-Zürich 1986, S. 13-15.
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I.
Einleitung
ist zugleich insofern eine geographische Implikation mitgegeben, als diese Art der politischen Kultur in den Industriegesellschaften des atlantischen Raumes bislang ihre deutlichste Ausprägung erfahren hat.43 Zu der inhaltlichen Komponente von Westlichkeit muß immer auch die historische Entwicklung des Begriffsinhaltes hinzugedacht werden. Ursprünglich, also im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert, diente der Begriff des Westens vor allem der Beschreibung politischer, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und kultureller Wirklichkeit der europäischen Großmächte Großbritannien und Frankreich, insbesondere ihrer zivilisatorischen Mission in der außereuropäischen Welt.44 Zunehmend, besonders seit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, diente das Konzept auch der Abgrenzung von deutschen Sondertraditionen.45 Insoweit verwundert es nicht, daß die ideelle Wurzel der Größe „Westen" vornehmlich in der sogenannten „atlantischen Revolution" des späten 18. Jahrhunderts angesiedelt wurde, einer Phase also, in der die Eigenentwicklung der wichtigsten Vertreter von Westlichkeit (Frankreich, Großbritannien, USA) im Rahmen der Aufklärung vergleichbare geistige und gesellschaftliche Entwicklungen durchmachte.46 Dieser historische Kontext bedingte die seitdem anhaltende Reflexion über den Begriff der individuellen Freiheit in Abgrenzung von staatlicher Gewalt, die von da an im Vordergrund der Diskussionen über Westlichkeit stand.47 Hinzu traten femer die Forderung nach der Akzeptanz der Demokratie als Form pluralistischen Gemeinschaftslebens,48 aber auch ökonomische Elemente, allen voran der Primat liberal-marktwirtschaftlicher Ordnungsvorstellungen.49 Unter Westernisierung wäre demnach für die Phase bis zum Ersten Weltkrieg die
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M. Kaldor: Der imaginäre Krieg, S. 21; Th. von Laue: The World Revolution of Westernization, S. 3. Der Vollständigkeit halber müßte innerhalb des Westens noch zwischen einer französisch-rationalistischen und einer angelsächsisch-empiristischen Tradition unterschieden werden, die u.a. zu rivalisierenden Freiheitskonzeptionen geführt hat, vgl. J. Klaits/M.H. Haltzel (Hg.):
Liberty/Liberte.
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Th. von Laue: The World Revolution of Westernization, S. 35f Eine derartige Hegemonie westlicher Kultur über die Weltkulturen spielt auch bei Gramsci eine wesentliche Rolle, wobei er jedoch, für einen Marxisten kaum verwunderlich, im Gegensatz zum CCF, den hegelianischen Aspekt von Westlichkeit stark in den Vordergrund stellt, s. Q. Hoare/GN. Smith (Hg): Prison
Notebooks, S. 417. 45 46 47
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Th. von Laue: The World Revolution of Westernization, S 38f. D. Diner: Bundesrepublik, S. 551 ; s. zu den „Ideen von 1789" a. S. 546. Vgl. Leonhard Krieger: The German Idea of Freedom. History of a Political Tradition, Chicago-London 21972. S.a. JosephKlaits/MichaelH. Haltzel (Hg): Liberty/Liberté. The American and French Experiences, Washington, DC.-Baltimore-London 1991. Das freie Individuum als Träger von Westlichkeit im allgemeinsten Sinne stand auch in den Debatten der frühen Bundesrepublik im Zentrum der Überlegungen, s etwa Wolfgang Hennig, der im „freien Individuum", im „gentleman" und im „citoyen" die „Form" Westeuropas zu finden vermeinte: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24.12.1951. E. Fraenkel: Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 38; Johann-Baptist Müller: Deutschland und der Westen, Berlin 1989. M Kaldor: Der imaginäre Krieg, S. 91-95.
2. Der begriffliche
Apparat
31
Propagierung dieses lockeren Gefüges divergierender Ansätze vor allem durch Großbritannien und Frankreich zu verstehen. Damit ist allerdings weder eine ideologische Identität der beiden genannten Mächte zu verstehen, noch ein Ende ihrer machtpolitischen Rivalitäten. Spätestens mit dem Ersten Weltkrieg und den damit verbundenen machtpolitischen und ökonomischen Kräfteverschiebungen, aber auch der sich verschärfenden gesellschaftlichen Krisenerscheinungen innerhalb der atlantischen
oder westlichen Gesellschaften rückte dann eine Macht in das öffentliche Bewußtsein, die bislang in der Diskussion über Inhalte und Ausprägungen von Westlichkeit nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatte: die USA.50 Ausgehend von einem ursprünglich religiös begründeten Gefühl der Exzeptionalität,51 das sich mit einer liberalen Rezeption der Aufklärung verbunden hatte, glaubten sich die Amerikaner im Besitz eines komplexen sozial-ideologischen Angebotes, mit dessen Hilfe die Krisenerscheinungen in den europäischen Gesellschaften zu lösen wären.52 Innerhalb dieses Angebotes war es die noch einmal zugespitzte Verbindung von Demokratie und Individualismus, die den besonderen Charakter des Amerikanismus in geistesgeschichtlicher Hinsicht ausmachte, was dazu führte, daß diese Kombination nachgerade als Definition des Amerikanismus diente.53 Die Amerikanismus-Debatten der zwanziger Jahre zeigen gerade für Deutschland, wie intensiv und kontrovers die Auseinandersetzung mit den Angeboten der aufstrebenden ökonomischen Hegemonialmacht
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Laue: The World Revolution of Westernization, S. 55f. Die enge geistesgeschichtliche Westen und Amerikanismus betont zu recht: JB. MOLLER: Deutschland und der Westen, S. 15f. Relativierend äußert sich Manfred Henningsen: Der Fall Amerika. Zur Sozial- und Bedeutungsgeschichte einer Verdrängung, München 1974, S. 160. Gustav H. Blanke: Das amerikanische Sendungsbewußtsein: Zur Kontinuität rhetorischer Grundmuster im öffentlichen Leben der USA, in: Klaus M. Kodalle (Hg): Gott und Politik in den USA. Über den Einfluß des Religiösen. Eine Bestandsaufnahme, Frankfurt/Main 1988, S. 186-215; s.a. Ernest L. Tuveson: Redeemer Nation. The Idea of America's Millenial Role, Chicago-London 1968. Zur historischen Kritik des Autostereotyps von der amerikanischen „Exzeptionalität", s. G. Lundestad: American „Empire", S. 17-20. F. Costigliola: Awkward Dominion; S. 20: „To help Europe with the turbulence of modernization, America offered its own institutions and values, or what contemporaries termed Americanism" JB. Müller: Deutschland und der Westen, S. 18f; T. Smith: America's Mission, S. 13-19 definiert durch die Verknüpfung von Individualität, Demokratie, „rule of law", Zivilgesellschaft und Marktwirtschaft als Kennzeichen des Amerikanismus auf einer breiteren und zugleich korrekteren Basis; vgl. auch: H. Grebing: Konservative gegen die Demokratie, S. 58f und GK. Haines: The Americanization of Brazil, S. 149-159. Die enge und nahezu ausschließliche Verbindung von Amerikanismus und bestimmten ökonomischen Organisationsformen, wie z.B. den Fordismus und Taylorismus verwenden M. Kaldor: Der imaginäre Krieg, S. 91 -95 und A Gramsci als Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen zum Phänomen des Amerikanismus bzw. Atlantizismus, vgl. Q. Hoare/G.N. Smith (Hg.): Prison Notebooks, S.277-318. Vgl. bes. Mary Nolan: Visions of Modernity. American Business and the Modernisation of Germany, New York-Oxford 1994, S. 30-57 und S. 108-130. Th.
von
Verwurzelung von europäischem -
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32
I.
Einleitung
USA geführt wurde.54 Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges verband sich das klassische Amerikanismuskonzept der Zwischenkriegszeit mit einem erneut gesteigerten Überlegenheitsgefühl der Siegermacht USA als politisch, wirtschaftlich, sozial und militärisch fortgeschrittenster Gesellschaft der Erde.55 Westernisierung und Amerikanisierung, nun mehr als Prozeß denn als statisches Angebot begriffen, fielen in diesem Horizont de facto zusammen; die USA wurden nicht allein zur militärisch-politischen Führungsmacht des Westens, sondern ihre Gesellschaft entwickelte sich zum idealtypisch verklärten Musterfall westlicher Entwicklung und der ihr zugrundeliegenden Werte.56 Im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Sowjetunion fand nun das Freiheitspathos traditioneller inneramerikanischer Diskurse eine gesteigerte Beachtung, ohne daß sich inhaltliche Neuentwicklungen abgezeichnet hätten. Insgesamt beschleunigte allerdings der Kalte Krieg den Prozeß der Anpassung an die Wert- und Organi-
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Vgl. Frank Trommler: Aufstieg und Fall des Amerikanismus in Deutschland, in: Amerika und die Deutschen Bestandsaufnahme emer 300jährigen Geschichte, Opladen 1986, S. 666-676; Klaus Schwabe: Anti-Amencamsm Within the German Right, 1917-1933, m: Jahrbuch für Amerikastudien 21 (1976), S. 89-107. Vgl. ferner K. vonBEYME: Vorbild Amerika?, S. 18-39. S.a. Dan Diner: Verkehrte Welten. Antiamerikanismus in Deutschland. Ein Essay, Frankfurt/Main 1993, S. 63-88. Einen Versuch, die Amerikanismusdiskussionen der Zwischenkriegszeit in einen breiteren historischen Kontext einzubeziehen, unternimmt Anselm DoeringManteuffel: Dimensionen von Amerikanisierung in der deutschen Gesellschaft, in: Archiv für Sozialgeschichte 35 (1995), S. 1-34. S.a. Alf LOdtke/Inge MarBolek/Adelheid von Saldern: Amerikanisierung. Traum und Alptraum im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1996. G.K Haines: The Americanization of Brazil, S. 159; zu Deutschland s. Volker R. Berghahn: The Americanization of West German Industry, 1945-1973, Oxford 1986; ders. : Zur Amerikanisierung der westdeutschen Gesellschaft, in: LuDOLF Herbst/Werner Bührer/Hanno Sowade (Hg): Vom Marshall-Plan zur EWG. Die Eingliederung der Bundesrepublik in die westliche Welt, München 1990, S. 227-253 P. DuiGNAN/L.H. Gann: The Rebirth of the West, S 181. Die Schwierigkeiten in der deutschen Diskussion über Werte und Wertewandel sowohl aufgrund des Weberschen Wertffeiheitspostulates wie des konservativen normativen Hintergrundes der Wertediskussion der siebziger Jahre ist verschiedentlich beschrieben worden, vgl. Helmut Klages/Peter Kmieciak (Hg.): Wertwandel und gesellschaftlicher Wandel, Frankfurt/Main-New York '1984, S. 11-16, s.a. Helmut Klages: Die gegenwärtige Situation der Wert- und Wertwandelforschung. Probleme und Perspektiven, in: Helmut Klages/Hans-Jürgen Höppler/Willi Herbert (Hg.): Werte und Wandel. Ergebnisse und Methoden einer Forschungstradition, Frankfurt/Main 1992, S 6f Außerdem ist in der Diskussion eine von der soziologischen Fragestellung her durchaus legitime ahistorisch anmutende Neigung zu erkennen, den jeweiligen Rahmen von Wertewandel als gegeben anzunehmen. Eine Ausnahme bildet Karl-Heinz Hillmann: Wertwandel Zur Frage soziokultureller Voraussetzungen alternativer Lebensformen, Darmstadt 1989, der sich explizit über den Zusammenhang zwischen Herrschaftsverhältnissen und Amerikanisierung äußert: s. S. 123-128 und S. 139. Hillmann wird zugrunde gelegt, wenn in der Folge von Werten formal als kulturell typisierten Ordnungsleitlinien die Rede ist, vgl. S.51-60. Die Nähe dieses soziologischen Wertbegriffes zum oben angedeuteten formalen Ideologiebegriff, dieser wiederum verknüpft mit einem anthropologischen Kulturbegritf, ist offenkundig. Hier deutet sich zugleich ein begrifflicher Dissens zum zeitgenössischen Sprachgebrauch des CCF an, der Ideologie immer pejorativ benutzte. -
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2. Der
begriffliche Apparat
33
sationskategorien des US-amerikanischen Liberalismus.57 Aber nicht allein Westemisierung und Amerikanisierung fielen in den fünfziger und sechziger Jahren häufig zusammen, sondern Amerikanisierung wurde auch als synonym mit dem allgemeineren Modernisierungsprozeß begriffen.58 Um nicht Gefahr zu laufen, den benutzten Begriffen jegliche inhaltliche Trennschärfe zu nehmen, sei darauf hingewiesen, daß in der Folge Modernisierung ein primär endogenes und autonom ablaufendes Phänomen sehr allgemeiner Natur bezeichnet, Westemisierung und Amerikanisierung hingegen virtuell außengeleitete Prozesse bezeichnen, wobei auch ein möglicher Angebotscharakter von Seiten etwa der USA als de-facto-Hegemon eine Form von Außenleitung darstellt. Indem nun in Westdeutschland alle drei Prozesse gemeinsam rezipiert wurden, fand nicht allein auf der verfassungspolitischen, technologischen und sozialökonomischen Ebene ein Anschluß an „westliche" beziehungsweise „moderne" Standards statt59, sondern auch und vor allem im Bereich ideeller und kultureller Wertsetzungen. Hier dürfte einer der schwerwiegendsten Unterschiede zur zeitgleich verlaufenden Entwicklung der DDR zu finden sein, ebenso der bedeutsamste Bruch zur bisherigen Entwicklung in Deutschland. Den tief verwurzelten Gemeinsamkeiten von Westemisierung und Amerikanisierung zum Trotz60 dürfen bedeutsame Nuancen im Sprachgebrauch und im Begriffsinhalt beider Konzepte nicht außer acht gelassen werden. Während Amerikanisierung nämlich den Vorbildcharakter eines Staates, der Hegemonialmacht USA, stärker betont, ist Westemisierung insofern der dynamischere Begriff, als er geistesgeschichtlich bedeutsame Wechselwirkungen eher berücksichtigt und europäischen Einflüssen breiteren Raum gibt.61 Aber nicht allein 57 58
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Vgl. T. Smith: America's Mission, S. 28. F. Costigliola: Awkward Dominion, S. 22 setzt diese Entwicklung bereits für die Zwischenkriegszeit voraus; Arnulf Baring: Die Gründung der Bundesrepublik. Die Rolle der Vereinigten Staaten in den Jahren 1945 bis 1949 und danach, in: ZfK 2 (1987), S. 247; Paul Hollander: Anti-Americanism. Critiques at Home and Abroad, New York-Oxford 1992, S. XT; zur Gesamtproblematik des Modernisierungsbegriffes in der gegenwärtigen historischen Diskussion vgl. die überaus abgewogenen Ausführungen von AXEL Schildt: Moderne Zeiten. Freizeit, Massenmedien und „Zeitgeist" in der Bundesrepublik der 50er Jahre, Hamburg 1995, S. 22-29; s.a. M. Rainer Lepsius: Soziologische Theoreme über die Sozialstruktur der „Moderne" und die „Modernisierung", in: Reinhard Koselleck (Hg): Studien zum Beginn der modernen Welt Stuttgart 1977, S. 10-29; vgl. Hans-Ulrich Wehler: Modemisierungstheorie
und Geschichte, Göttingen 1975 Dies ist nicht vordringlich normativ zu verstehen, sondern beschreibend. Am weitesten geht Louis J. Halle: American Foreign Policy. Theory and Reality, London 1960, S. 30, der mitten im Kalten Krieg von einem orthodoxen Standpunkt aus argumentierend zu der Schlußfolgerung gelangt, „Westen" sei vor allem ein inneramerikanisches Konzept internationalistischer Herkunft zur Begründung transatlantischer Zusammenarbeit. Es dürfte insgesamt günstig sein, sich von statischen, fast monadenhaften Vorstellungen zu verabschieden, daß so etwas wie eine nationale Kultur unabhängig von auswärtigen Einflüssen existieren könne. Verschiedene Stufen der Amalgamierung und Formen hybrider Kulturen werden zu berücksichtigen sein. Auf der anderen Seite sollte das Emstnehmen des Prozeß-
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I.
Einleitung
die größere Dynamik, sondern vor allem der verglichen mit dem Gedanken der Amerikanisierung höhere Abstraktionsgrad des Westernisierungskonzeptes machen letzteres für unsere Untersuchung wertvoll. Im Begriff der Westernisierung schwingt nämlich sowohl das Wissen um die Bedeutung französischen und britischen Erbes für die Herausbildung der transatlantischen Wertegemeinschaft mit als auch die Erkenntnis von der Wechselseitigkeit kultureller Durchdringungsphänomene. Zugleich verfügt der Begriff der Westernisierung über eine Varianzbreite, die es erlaubt, in einer konkreten historischen Situation spezifisch amerikanische Interessenlagen als solche und als -
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genuin westliche in den Gesamtablauf der Westernisierung widerspruchsfrei
einzubeziehen. Überhaupt ist Westernisierung eher, wenn naturgemäß auch nicht ausschließlich, auf die ideell-kulturelle und werthafte Dimension des umschriebenen Gesamtprozesses hin ausgerichtet und damit für unsere Untersuchung tauglicher als das Amerikanisierungsparadigma. Zwar hat Jean Améry einmal bemerkt, der Westen sei eine ideologisch heterogene Größe, die vornehmlich durch die politisch-militärische Allianz der NATO und die sozioökonomischen Strukturen der modernen Industriegesellschaft zusammengehalten würde.62 Dennoch wird man, gerade im Gefolge von Ernst Fraenkel, nicht umhin kommen, den Westen primär als Wertegemeinschaft63 zu verstehen und somit Westernisierung als ideell-kulturell dominierten Prozeß zu fassen. Damit ist eine vornehmlich analytische Unterscheidung getroffen, die den Eigenwert der
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Charakters von Kultur nicht dazu führen, von vomeherein auf analytische Unterscheidungen zu verzichten, wie sie etwa in Begriffen von „Westlichkeit", „Amerikanisierung" oder „deutscher Kultur" mitgegeben sind. Gleichzeitig wird deutlich, daß der Autor die Grundthese von Thomas Molnar: The Emerging Atlantic Culture, New Brunswick 1994, daß amerikanische und europäische Kulturen generell inkompatibel seien, nicht teilt, schon weil er den an Spengler orientierten Ansatz Molnars nicht nachzuvollziehen vermag. J. Améry: Geburt der Gegenwart, S. 244f Der Linkskatholik Améry grenzt sich an dieser Stelle gegen die „antimetaphysischen" Definitionsversuche von Hans Kohn ab. In der Tat liefe ein geistesgeschichtlicher Ansatz, der Westen ausschließlich von der französischen oder amerikanischen Revolution und der Autklärung her definieren wollte, Gefahr, den Charakter des Ideenpools, der Westen maßgeblich ausmacht, zu relativieren und konservative bzw. christdemokratische Versionen von Westlichkeit voreilig zugunsten ausschließlich liberaler Ansätze auszugrenzen. Aus politologisch-realpolitischer Sicht hat jüngst Hans Arnold: Deutsche Frage Westbindung Sonderweg, in: Jörg Callies/Bernhard Moltmann (Hg.): Die Zukunft der Außenpolitik. Deutsche Interessen in den internationalen Beziehungen, Loccum 1995, S. 440f. auf den interessengebundenen Charakter der Organisationen des „Westens", wie EWG und NATO sowie auf den Antikommunismus als „raison d'être" dieses „Westens" hingewiesen und auf diese Weise versucht den Gedanken von einer Wertegemeinschaft zu relativieren. Aspekte kultureller Hegemonialbestrebungen der USA oder der Gedanken vom „Westen" als sich unter äußerem Druck konsumierender Wertegemeinschaft kommen bei Arnold allerdings nicht in den Blick. Ein Set genuin westlicher Werthaltungen auf der Basis der Vorarbeiten des CCF-Angehörigen Richard Löwenthal bietet: K.H. Hillmann: Wertwandel, S. 143f. Demgegenüber definiert Raymond Aron: Opium filr Intellektuelle oder die Sucht nach Weltanschauung, Köln-Berlin 1957, S.224 und S. 270f, ebenfalls im CCF, den Westen formaler über Elemente des Parteienpluralismus und der Eliten- und Ideenzirkulation. -
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2 Der begriffliche
Apparat
übrigen Faktoren des Westernisierungsprozesses
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in keiner Weise in Abrede
stellen soll.
Demgegenüber hat Amerikanisierung zwar auch wesentlich etwas mit kulturellen Interaktionen zwischen den USA und anderen Nationen zu tun,64 dennoch ist hier die Kombination ökonomischer und politischer Dominanz, in deren Rahmen dem ideell-kulturellen Sektor vornehmlich flankierende Aufgaben zufallen, deutlicher ausgeprägt als beim Westernisierungsbegriff65 Überdies verbinden sich mit der ideell-kulturellen Variante des Amerikanisierungskonzeptes meist Vorstellungen von der Ausbreitung als typisch amerikanisch empfundener Formen der populären Massenkultur und der materiellen Kultur, die zum einen bereits seit geraumer Zeit recht gut monographisch aufgearbeitet sind66 und zum anderen die auf transatlantischen Wertetransfer und Durchdringung im Feld der ästhetischen Hochkultur ausgerichteten Ziele des CCF nur bedingt zu beschreiben vermögen. Auf eine weitere Problematik im Zusammenhang mit dem Amerikanisierungsbegriff hat Arnold Bergstraesser im Anschluß an die Amerikanismusdebatten der zwanziger Jahre frühzeitig hingewiesen: Amerikanisierung werde oft als „passive Anverwandlung", das heißt als „Selbstentfremdung", erfahren67 und rufe in Verbindung mit der Kritik wirtschaftlicher Vorherrschaft immer wieder negative Konnotationen und oft rein subjektiv begründete Bedrohungsgefühle hervor. Durch derartige antiamerikanische Affekte, die wissenschaftlich nur dann ertragreich sein können, wenn sie gewissermaßen spiegelbildlich Rezeptionsphänomene des Amerikanisierungsprozesses wiederzugeben vermögen, wird die Brauchbarkeit des Amerikanisierungsbegriffes nachhaltig eingeschränkt. Nicht selten entspringt Antiamerikanismus lediglich, wie Bigsby gezeigt hat, der unsauberen Trennung zwischen eigentlichen Amerikanisierungsprozessen und Verläufen endogener -
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F. Costigliola: Awkward Dominion, S. 28. Vgl. R. Kuisel: Seducing the French, S. XII und S. 2. S. allg. Reinhold Wagnleitner: Coca-Colonisation und Kalter Krieg. Die Kulturmission der USA in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg, Wien 1991 ; Kaspar Maase: BRAVO Amerika. Erkundungen zur Jugendkultur der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren, Hamburg 1992; A. Schildt: Freizeit, Massenmedien und „Zeitgeist", der einen breiten Überblick über Modemisierungs- und Amerikanisierungstendenzen in der westdeutschen Gesellschaft der fünfziger Jahre bietet; für die frühe Nachkriegszeit s Ralph Willett: The Americanization of Germany, 1945-1949, London 1989; Bernd Polster (Hg.): Westwind. Die Amerikamsierung Deutschlands, Köln 1995; vgl. femer C WE. Bigsby (Hg): Superculture: American Popular Culture and Europe; London 1975 und Roger Rollin (Hg.): The Americanization of the Global Village: Essays in Comparative Popular Culture, Bowling Green 1989; Gregory Claeys: Mass Culture and World Culture. On Americanization and the Politics of Cultural Protection, in: Diogenes 136(1986), S. 70-97; Rob Kroes/Robert W. Rydell/DoekoF.J. Bosscher (Hg): Cultural Transmissions and Receptions. American Mass Culture in Europe, Amsterdam 1993. Arnold Bergstraesser: Zum Problem der sogenannten Amerikanisierung Deutschlands, in: Jahrbuch für Amerikastudien 8 (1963), S. 13-23.
36
I.
Einleitung
Modernisierung.68 Eng mit diesem Problem verbunden ist der hohe Grad an Stereotypie in der Wahrnehmung der USA nicht zuletzt in Deutschland, durch die gelegentlich die historische Realität in den USA vollkommen überlagert wird.69
Da es in der Folge nicht so sehr darum gehen wird, die Ausbildung politischmilitärischer beziehungsweise ökonomischer Hegemoniebildung zu beschreiben und es zudem ebensowenig um die Ausbreitung modemer Massenkultur gehen wird, sondern um die ideologische Flankierung dieser eng miteinander verschränkten Prozesse auf der Ebene von „Hochkultur", erscheint der Begriff der Westemisierung tauglicher, ohne daß dieser Wahl strenge Notwendigkeit zukäme. Immerhin waren die USA unter den politischen Bedingungen der fünfziger und sechziger Jahre gleichermaßen unbestrittene Vormacht und kaum attackiertes Vorbild des Westens sowie Hauptträger des ideologischen Westemisiemngsprozesses. Ihnen fiel dadurch eine dominante Rolle im Gesamtablauf der Westemisiemng im Rahmen dieses Jahrhunderts zu, die sie zuvor nicht hatten und auch später nicht aufrechterhalten konnten. Desweiteren ermöglicht die Kategorie der Westemisierung (als ideell-kulturelle Westorientierung oder Westintegration auf der Ebene nichtstaatlichen Handelns gefaßt) es eher, die Auswirkungen des ideologischen Adaptionsprozesses auf die Intellektuellen der Bundesrepublik jenseits eines bloß auf Zustimmung oder Ablehnung reduzierten Rezeptionsverhaltens zu fassen. Eine solche Reduktion wäre unter den Vorzeichen der Amerikanisierangs/Antiamerikanismus-Dichotomie nur schwer zu vermeiden. Es wird demgegenüber zu zeigen sein, daß selbst innerhalb einer generell proamerikanischen und prowestlichen Grappe, wie es der CCF war, die Auseinandersetzung mit dem ideologischen Angebot der USA (als Konkretisierung des Westens) ausgesprochen differenziert verlief. Innerhalb des Gesamtprozesses der Westemisierung stellt das Westdeutschland der frühen Nachkriegszeit einen Sonder-, wenn nicht gar einen Musterfall dar. Nirgendwo sonst, mit der möglichen Ausnahme Japans,70 läßt sich der Versuch, eine als nicht-westlich oder doch zumindest nur begrenzt westlich empfundene Gesellschaft in den Westen zu integrieren, auf allen Ebenen von 68
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C.W.E. Bigsby: Europe, America and the Cultural Debate, S. 6f; s.a. P. Hollander: AntiAmericanism, S. 7, der den irrationalen Charakter des Antiamerikanismus überbetont; vgl. ferner J.B. Müller: Deutschland und der Westen, S. 56-89; speziell zu Funktion und Charakter des Antiamerikanismus im Frankreich der Nachkriegszeit: R. Küisel: Seducing the French, S. IX. Vgl. Willi Paul Adams/Knud Krakau (Hg): Deutschland und Amerika. Perzeption und historische Realität, Berlin 1985. Für den Zusammenhang dieser Arbeit ist allerdings weniger die Frage nach dem Realitätsgehalt stereotypabhängiger Wahrnehmung der USA (oder auch Deutschlands) bedeutsam, sondern die Einbindung dieser Stereotypen in intellektuelle Diskurse der Nachkriegszeit und die daraus abgeleiteten Handlungsanleitungen. Ein Musterbeispiel für vollkommen unzureichend reflektierte Reproduktion von antiamerikanischen Stereotypen bietet Rolf Winter: Little America. Die Amenkanisierung der deutschen Republik, Hamburg 1995. T. Smith: America's Mission, S. 146-176.
2. Der begriffliche
Apparat
37
Westernisierung so detailliert verfolgen wie in der Bundesrepublik der fünfziger und sechziger Jahre.71 Nicht umsonst hat man Westdeutschland als „atlantische Musterfarm"72 oder als „Musterfall einer penetrierten Gesellschaft"73 bezeichnet und auch den längerfristigen Charakter dieser Entwicklung konstatiert74. Westdeutschland ist deswegen so bedeutsam für eine mögliche umfassendere Theorie der Westernisierung, weil sich an diesem Fall sowohl die längerfristigen Auseinandersetzungen zwischen Westlichkeit und „deutschen" Werten seit dem Beginn dieses Jahrhunderts als auch die konkrete Ausgestaltung der ideell-kulturellen Durchdringung nach der Niederlage des Nationalsozialismus und unter den Bedingungen der ideologischen Blockbildung des Kalten Krieges75 recht gut verfolgen lassen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf das Verhältnis zu den USA als Archetyp des Westens. Einem möglichen Mißverständnis muß jedoch vorgebeugt werden: Natürlich wäre es vermessen, so etwas wie eine kohärente Ideologie des Westens schlechthin konstruieren zu wollen. Die angedeuteten Werthaltungen, auf denen Westlichkeit im eigenen Selbstverständnis basiert, stellen eher ein lose verknüpftes Grundgerüst analoger Strukturen dar; sie bieten keine inhaltliche Deckungsgleichheit. Insgesamt handelt es sich beim Westen um eine Art „Ideenpool", der auf der Grundlage ähnlicher geistiger, sozialer, politischer und ökonomischer Gegebenheiten immer dann besonders geschlossen auftritt, wenn es um die negative Abgrenzung von rivalisierenden autoritären oder totalitären Konzepten geht. Umschreibt Westernisierung den generellen Bezugsrahmen, in dem die Geschichte des CCF ihren Ort hat, so dient die Klärung der folgenden Begriffe vornehmlich einer präziseren Kategorisierung der dem CCF eigentümlichen Tätigkeiten. Innerhalb der skizzierten Gesamtgröße Westen repräsentierte der 71
Mit dieser These bewegt man sich augenblicklich auf den Pfaden der alten Debatte über den deutschen „Sonderweg" bzw. über deutsches Eigenbewußtsein, vgl. z.B. Helga Grebing (Hg.): Der „deutsche Sonderweg" in Europa 1806-1945. Eine Kritik, Stattgart u.a. 1986. Es ist jedoch zu betonen, daß es im Rahmen dieser Arbeit nicht um den „Sonderweg" als solchen gehen wird, sondern um diejenigen Denkmodelle, die Ausgangspunkt der Arbeit des CCF in Deutschland waren.
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J. Améry: Geburt der Gegenwart, S. 200. B. Kohler-Koch: Insehllusion und Interdependenz, S. 45. Hans W. Gatzke: Germany and the United States. A „Special Relationship"?, CambridgeLondon 1980, S. 239. Auch Kurt Sontheimer: Das Elend unserer Intellektuellen, S. 10 beruft sich auf einen breiten liberaldemokratischen Grundwertekonsens in den ersten beiden Jahrzehnten der Bundesrepublik, den er allerdings mit dem Aufkommen der 68er Bewegung gefährdet sieht Vgl. allg. Klaus R. Allerbeck: Demokratisierung und sozialer Wandel in der Bundesrepublik Deutschland Sekundäranalyse von Umfragedaten 1953-1974, Opladen 1975; Gabriela. Almond/Sidney Verba (Hg.): The Civic Culture. Political Attitudes and Democracy in Fife Nations, Princeton 1964 und Michael Ermath (Hg.): America and the Shaping of German Society, Providence 1993. Neuerdings hat Th. A. Schwartz: United States and Germany, S. 549 betont, die amerikanische Politik gegenüber dem Deutschland der Nachkriegszeit sei eine Ertblgsgeschichte gewesen. Vgl M Kaldor: Der imaginäre Krieg, S. 41 zur Bedeutung dieser besonderen Konstellation
38
I.
Einleitung
CCF ein Segment, das man am ehesten mit „liberal", und zwar im USamerikanischen Verständnis des Wortes,76 umschreiben kann. Aus dieser Tradition folgte konsequent eine besondere Betonung des angelsächsischen Freiheitsbegriffes, dessen Gehalt sich auf drei Ebenen knapp bestimmen läßt: Zum einen als Freiheit des Individuums von äußerer, das heißt vorwiegend staatlicher Bedrückimg unter dem Prinzip der „rule of law", zum zweiten als Freiheit des ökonomisch selbständigen Bürgers im Rahmen einer mehr oder minder freiheitlich geordneten Marktwirtschaft und drittens als Geistes- und Meinungsfreiheit im Sinne des ersten Zusatzartikels der US-Verfassung. Der CCF konzentrierte sich im wesentlichen auf den dritten Aspekt von Freiheit, um von diesem ausgehend die beiden anderen näher zu bestimmen. Es wäre also falsch, wollte man dem CCF ein nur formales Freiheitsverständnis unter Vernachlässigung sozialer und wirtschaftlicher Aspekte unterstellen. Allerdings ist einzuräumen, daß das kulturell fixierte Freiheitsverständnis des CCF dazu beitrug, mögliche sozialökonomisch reformistische Ansätze innerhalb des CCF bereits im Vorfeld zu relativieren. Auch diese Art, den Freiheitsbegriff zu gewichten, war weniger ein Produkt der ideologischen Auseinandersetzung des Kalten Krieges, sondern Ergebnis einer längerfristigen, in der Hauptsache inneramerikanischen Entwicklung. Stand das spezifische Freiheitsverständnis des CCF noch in einem vergleichsweise engen Bezug zum Aspekt der Westemisierung, so gilt dies für die weiteren analytischen Grundbegriffe „Kultur", „Wertelite" und „Intellektuelle" eher eingeschränkt. Obgleich das Verständnis von Kultur inzwischen zahllosen Interpretationsversuchen unterliegt,77 reicht es in der Anwendung auf den CCF aus, sich auf den Inhalt der bereits kulturpolitisch operationalisierten Formel „Freiheit der Kultur" zu beschränken und das zugrundeliegende angelsächsische Kulturverständnis kurz anzudeuten, wie es oben im Zusammenhang mit der kulturanthropologischen Bestimmung des Ideologiebegriffs schon geschehen ist. Die dabei für den CCF folgenreichste theoretische Verbindung von „culture" in
76
Der Terminus „liberal" bezeichnet in den USA bekanntermaßen Personen und Gruppen, die man in Europa als Linksliberale, Sozialdemokraten und rechte Sozialisten, d.h. Weltanschauungen, die in der freiheitlichen Tradition der Aufklärung stehen, aber die Notwendigkeit staatlicher Eingriffe zur Beförderung des allgemeinen Wohls akzeptieren, subsummieren würde. Zur näheren Bestimmung s. Kenneth M. Dolbeare/Linda J. Medcalfe: American Ideologies Today. Shaping the New Politics of the 1990s, New York u.a. 21993, S. 30 und S. 217-219. Eine brauchbare Zusammenfassung des gegenwärtigen Diskussionsstandes bietet: Helmut Brakert/Fritz Wefelmeyer (Hg.): Kultur. Bestimmungen im 20. Jahrhundert, Frankfurt/Main 1990. Einen stark ideenzentrierten Ansatz findet man bei Friedrich H. Tenbruck: Die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft. Der Fall der Moderne, Opladen 1989;s.a. Zygmunt Baumann: Gesetzgeber und Interpreten: Kultur als Ideologie von Intellektuellen, in: Hans Haferkamp (Hg.): Sozialstruktur und Kultur, Frankfurt/Main 1990, S. 452-482. Der hier zugrundegelegte angelsächsische Kulturbegriff hat seine nächste Entsprechung im französischen Verständnis von
„civilisation".
2 Der begriffliche Apparat
39
einem recht weit gefaßten Kontext und einem nicht minder umfassenden Freiheitsbegriff hat der pragmatische Philosoph John Dewey78 geleistet:
„The problem of freedom of cooperative individuals is
a problem to be viewed in the of culture The state of culture is a state of interaction of many factors, the chief of which are law and politics, industry and commerce, science and technology, the arts of expression and communication, and of morals, or the values men prize and the ways in which they evaluate them, and finally, though indirectly, the system of general ideas used by men to justify and criticize the fundamental conditions under which they live, their
context
.
social philosophy."79
Dieses aneinander gekoppelte Verständnis von Freiheit und Kultur wurde schon bei Dewey sowohl mit antitotalitären Bezügen80 als auch mit sozialökonomischem Reformismus81 verknüpft. Ganz ähnlich verhielt es sich mit dem Kulturkonzept des CCF, dem man auch unter analytischen Gesichtspunkten zu folgen vermag. Dennoch erfolgte in der Praxis des CCF eine gewisse Einschränkung des Kulturbegriffes, de facto konzentrierte man sich in der alltäglichen Arbeit doch auf klassische Elemente ästhetischer Hochkultur: Literatur, bildende Kunst, Theater, Film, Kunstkritik und Philosophie, hinzu traten politologische und soziologische Inhalte. Von diesem traditionsorientierten Ausgangspunkt konnten in der Folge Versuche unternommen werden, dem Topos der „kulturellen Freiheit" stärker gesamtgesellschaftlich reformistische Aspekte abzugewinnen. Mag der kulturpolitische Ansatz als solcher eher traditionell gewesen sein, so darf dies doch nicht zu dem Fehlschluß verleiten, die vom CCF propagierten kulturellen Inhalte seien konservativen Zuschnitts gewesen. Ganz im Gegenteil ging es dem CCF darum, „moderne" Kunst als die dem Westen eigene Form ästhetischer Selbststilisierung durchzusetzen. An dieser Stelle zeigt sich dann die Nützlichkeit des kulturellen Selbstverständnisses des CCF in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus stalinistischer Ausprägung und dessen kulturpolitischen Anliegen. „Moderne" Kultur und „Freiheit der Kultur" waren natürlich auch mindestens seit dem Ende der dreißiger Jahre antitotalitäre Kampfbegriffe. Endlich sind mit der Anwendung der Termini „Wertelite" und „Intellek-
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78
Die Rolle, die Person und Philosophie John Deweys im CCF gespielt haben, wird noch eigens werden. Für die historische Entwicklung des amerikanischen Kulturbegnffes dürfte es von einiger Bedeutung sein, daß diesem in seinen Vorläufern aus dem 19. Jahrhundert häufig ein dezidiert egahtaristischer und antiaristokratischer Unterton mitgegeben worden ist, vgl. Lewis Perry: Intellectual Life in America. A History, Chicago-London 21989, S. 263-273, s.bes. S. 263Í Demgegenüber sei „culture" zu Beginn des 20. Jahrhundert zunehmend als viktorianischelitäres Konzept der Klassendiskrimination kritisiert worden, z.B. von Thorstein Veblen und George Santayana, ehe mit der pragmatistischen und kulturanthropologischen Neubesinnung „culture" wieder zu seinen egalitären Wurzeln zurückgekehrt sei, vgl. ebda., S. 276-278 und S. 297f. John Dewey: Freedom and Culture, in: Jo A. Boydston (Hg.): John Dewey. The Later Works, 1925-1953. Bd. 13: 1938-1939, Carbondale-Edwardsville 1988, S 79. Ebda., S.50. Damit war bei Dewey seit Ende der dreißiger Jahre ebenfalls die begriffliche Umorientierung von einem Konzept „Freiheit und Kultur" oder „Kultur in Freiheit" zu „Freiheit der Kultur verbunden. Ebda., S. 114. erörtert
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40
I.
Einleitung
ruelle" auf den CCF Entscheidungen vorausgesetzt, die der Begründung bedürfen. Vor allem gilt dies für das weltanschaulich umstrittene Konzept der Wertelite, das im Gesamtrahmen der kontrovers diskutierten Elitenforschung besondere Kritik erfahren hat.82 Im Grande laufen die wichtigsten Einwände gegen die Verwendung der Wertelitenkonzeption auf eine bestimmte, gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen zugrundegelegte Anthropologie hinaus, die es als zumindest problematisch empfindet, wenn gesamtgesellschaftliche Wertvorstellungen gewissermaßen „von oben" vorgegeben werden. Demgegenüber sei nur kurz darauf hingewiesen, daß der Verfasser bezogen auf die analytische Verwendung des Begriffes derartige radikalpartizipatorische anthropologische Ansätze nicht teilt und zudem der meinungsbildende Charakter, den der CCF sich nicht allein selbst zubilligte83, sondern den er in gewissen Grenzen auch hatte, ansonsten theoretisch nur schwer in den Blick zu bekommen wäre. Denn mit dem Wertelitenkonzept kann sowohl der intentionale Charakter des wertevermittelnden Handelns des CCF erfaßt werden, das eingangs als Systempenetration verstanden wurde, als auch das durchaus elitäre Selbstverständnis vieler seiner Angehöriger. Diese Form des Elitarismus84 steht in einem engeren Zusammenhang mit dem nun zu behandelnden Selbstverständnis des CCF als Organisation von Intellektuellen und damit auch als Verbund kritischer Individuen. Kaum eine andere Vorstellung hat die Mitglieder des CCF so entscheidend geprägt wie die, bedeutsame Intellektuelle zu sein. Auf die formale Handhabung des Begriffes „Intellektueller" wurde bereits Bezug genommen.85 Da in diesem Punkt wiederum der Sprachgebrauch des CCF und die formal-analytische Handhabung des Konzeptes auseinanderdriften, muß hier nur noch der Eigengebrauch des CCF erläutert werden. Innerhalb des CCF und in der Auseinandersetzung mit anderen Intellektuellen wurde stets daran festgehalten, daß man unter einem Intellektuellen jenseits einer über bloße akademische Ausbildung erfolgenden Definition vornehmlich einen gesellschaftlichen Vor- und Querdenker zu verstehen habe; eine ebenso kritische wie selbstkritische, ihrer Individualität -
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Zur Diskussion vgl. allg Wilfried Röhrich (Hg): „Demokratische" Ehtenherrschaft. Traditionsbestände eines sozialwissenschaftlichen Problems, Darmstadt 1975; s.a. Kurt Lenk: „Elite" Begriff oder Phänomen?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 42 (1982), S. 27-37. Vgl., wenn auch bezogen auf das Selbstverständnis des Monats: Helmut Jaesrich an Carl Wolfgang Müller vom 20.2.1951, UoC-Archiv, „Der Monat"-Records, Box 14, Folder 2: „Aber unser Grundgedanke ist natürlich, durch den „Monat" einen Kreis von Menschen zu beeinflussen, von denen jeder Einzelne einen Kreis von Menschen zu beeinflussen in der Lage ist" Neben dem offenen Elitarismus wurde oft ein fast naiv anmutendes Vertrauen in den „common sense" des „common man" in der spezifischen Form des US-amerikanischen Egalitarismus vollkommen unverbunden mitgedacht. Diese findet sich ansatzweise auch m der fünktionalistischen Betrachtungsweise Gramscis: s. Q. Hoare/G.N. Smith (Hg): Prison Notebooks, S 5-23, bes. S. 9, der jedoch als Marxist die Klassenbindung von Intellektuellen überbetont Sa. Dietz Bering: Die Intellektuellen. Geschichte eines Schimpfwortes, Stuttgart 1978; Walter L. Bühl: Intellektuelle, in: Staatslexikon hg. von der Görres-Gesellschaft, Bd. 3, Freiburg i Br -Basel-Wien 71987, Sp. 118-121. -
2. Der begriffliche
Apparat
41
und Freiheit voll bewußte, originelle Persönlichkeit. Mit diesem hohen und nicht immer einlösbaren Anspruch grenzten die Angehörigen des CCF sich ganz in der Tradition der Aufklärungspolemiken nicht allein von Angehörigen vorgeblich autoritätsgläubiger vormoderner Eliten ab, sondern mehr noch von der „Intelligentsia" und den „Ideologen" der eigenen Zeit.86 Dank dieser Selbstbestimmung entging der CCF zwar einer formalen Sicht von Intellektualität, setzte sich aber zwei weiteren Gefahren aus. Zum einen mußte man sich Debatten stellen, wie „links" ein Intellektueller sein müsse, um dem selbst gesetzten Anspruch Genüge zu tun.87 Zum anderen bedurfte es für die Tätigkeit des CCF eines bestimmten Umfeldes, das weder über soziale Homogenität noch über geistige Harmonie definierbar war, sich jedoch als Einheit verstand. Derartige intellektuelle Milieus fand man etwa in New York, Paris, Rom oder London, nicht aber in Westdeutschland, wo eine eigene „classe intellectuelle" spätestens mit der Machtergreifung des Nationalsozialismus verschwunden war. Für die Arbeit in Deutschland waren damit erhebliche -
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Schwierigkeiten verbunden.
Aus der Selbstsicht des CCF als intellektuelle Wertelite88 kann überdies der Rahmen seiner Tätigkeit mit einiger Folgerichtigkeit abgesteckt werden: Der CCF strebte die geistige Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Totalitarismen89 sowie anderen Varianten antiliberalen und antidemokratischen Denkens auf der Ebene von Ideen an. Hieraus resultierte eine bemerkenswerte Hochschätzung des Wortes, besonders des gut geschriebenen Wortes, als Instrument des Kampfes gegen die Feinde der westlichen Demokratie. Vehikel 86
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Vgl. zum Konzept der „Intelligentsia": A. Gella: Introduction, S. 9-11. Den internen Sprachgebrauch des CCF findet man reflektiert bei Francois Bondy: Der Rest ist Schreiben.
Schriftsteller als Aktivisten, Aufklärer und Rebellen, Wien 1972, S. 9, der in den Intellektuellen die Erben der Aufklärung sieht und ihnen damit bescheinigt: „Zu ihrem (der Aufklärer) Pathos gehörte die Gewißheit, daß die Wahrnehmung der Rechte der einzelnen und die Bekämpfung schlechter alter Autoritäten zusammengehörten und ebenso in allen Fällen Wahrheit und Fortschritt". S.a. Paul Hollander: Political Pilgrims. Travels of Western Intellectuals to the Soviet Union, China, and Cuba, 1928-178, New York-Oxford 1981, S. 42-50. Am bekanntesten dürfte die diesbezügliche Kontroverse zwischen François Bondy und Jean Améry bzw. zwischen Améry und Raymond Aron im Umfeld des Einmarsches sowjetischer Truppen in die CSSR sein. Vgl. Weltwoche vom 13.9.1968; 18.10.1968 und 25.10.1968. Auch zu dieser Verknüptung hat Bondy der Sache nach Stellung bezogen; s. den Beitrag von F. Bondy zu einem Rundgespräch in Tokio unter dem Thema: „Die Intellektuellen in der modernen Gesellschaft", in: Kontakte 3 (1953), H. 3, S. 1-4, bes. S. 1. In diesem Gespräch finden sich bereits sämtliche Topoi der Auseinandersetzung mit Améry fünfzehn Jahre später. Zur Totalitarismustheorie allgemein ». Bruno Seidel/Siegfried Jenker (Hg): Wege der Totalitarismus-Forschung, Darmstadt 1974 und neuerdings Eckhard Jesse (Hg): Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz der internationalen Forschung, Baden-Baden 1996. Das Totalitarismuskonzept wurde vom CCF nicht primär als wissenschaftliches Interpretationsmuster genutzt, sondern diente der Autoimmunisierung liberaler Weltanschauung und zwar nicht nur, wenn auch vorwiegend der Abgrenzung vom Kommunismus, vgl. zu dieser Funktionalisierung der Totalitarismustheorie Barbara Mettler: Demokratisierung und Kalter Krieg. Zur amerikaraschen Informations- und Rundfunkpolitik in Westdeutschland 1945-1949, Berlin 1975, S. 136.
42
I.
Einleitung
dieser Auseinandersetzung waren in der Regel Zeitschriften, deren Qualität oft genug auch beim politischen Gegner unumstritten war. Modernere Medien, wie zum Beispiel das Radio, wurden nur in Ausnahmefällen genutzt. Der CCF kann also durchaus als Versuch der institutionellen Zusammenfassung einer intellektuellen, meinungsbildenden Wertelite im Prozeß der Westemisierung unter den Bedingungen des Kalten Krieges beschrieben werden, ohne daß mit diesen begrifflichen Entscheidungen ein gänzlicher Verzicht auf begriffliche Präzision verknüpft sein müßte. Darin mag der methodische Reiz der Darstellung liegen.
3. Zum Aufbau der Arbeit
bislang zu Fragestellung, Methode und Terminologie gezogenen Schlußfolgerungen ergibt sich nun die Frage nach dem Gliederungsprinzip dieser Arbeit. Im Grunde sind zwei Vorgehensweisen vorstellbar, eine, die die Entwicklungsstadien des internationalen CCF zum Ausgangspunkt nimmt und eine, die primär von den Gegebenheiten der deutschen Sektion ausgeht. Für beide Möglichkeiten spricht einiges. Aus den
Der internationale CCF, das heißt das Generalsekretariat in Paris und das Internationale Exekutivkomitee, war für die nationalen Sektionen weithin prägend. Bis zu einem gewissen Grade erwies sich der CCF als eine recht zentralistisch geführte Organisation. Außerdem bestand ausgerechnet zwischen der deutschen Sektion und der Pariser Zentrale eine besonders innige, wenn auch nicht gerade harmonische Beziehung, die durch die Sonderstellung des Berliner Büros und die Tatsache, daß Berlin Ausgangspunkt der Kongreßbewegung gewesen war, begründet wurde. Von daher spräche manches für eine Gliederung entsprechend den Vorgaben des internationalen CCF. Die Geschichte der deutschen Sektion allzu deutlich von jener der internationalen Organisation abhängig zu machen, brächte aber auf der anderen Seite eine zu umfassende Relativierung der Eigengesetzlichkeiten und Defizite der deutschen Entwicklungen mit sich. Sinnvollerweise wird man bemüht sein müssen, beiden Aspekten gerecht zu werden. Aus diesem Grande wurde als Ausgangspunkt der Gliederung zwar der chronologische Ablauf innerhalb der deutschen Sektion gewählt, jedoch unter steter, herausgehobener Berücksichtigung von Entscheidungsabläufen und inhaltlichen Neuorientierungen der
Pariser Zentrale. Eine weitere Unterscheidung muß beim Aufbau der vorliegenden Studie bedacht werden. Ideell-abstrakte Konzepte und ihre alltägliche, konkret-historische Umsetzung waren im CCF ebenso eng untereinander verflochten, wie sie mit den sozialen und politischen Entwicklungen im Umfeld des Kongresses
43
3 Zum Aufbau der Arbeit
verknüpft blieben. Aus diesem Grunde wird es immer wieder notwendig sein, die chronologischen Abläufe zugunsten systematischer Ausführungen zu unterbrechen. Diese
Überlegungen zugrundegelegt, ergibt
sich folgender Aufbau: Im des werden fünf zum Teil parallel CCF Kapitel Vorgeschichte ablaufende Entwicklungen vorgestellt, die für den späteren CCF unabdingbar sind. In einem ersten Schritt ist die weltanschauliche Grundlage der Tätigkeiten des CCF näher zu bestimmen, insbesondere die „amerikanische Sendung". Im zweiten Schritt ist Ausbildung des „fellow-traveller"-Gedankens innerhalb der KOMINTERN der zwanziger und dreißiger Jahre näher zu betrachten, also das ideologische und organisatorische Gegenstück zur „amerikanischen Sendung". Hierbei wird nicht allein die weltanschaulich-organisatorische Erfassung von den dem Kommunismus zumindest nahestehenden westlichen Intellektuellen berücksichtigt werden, die bis zu einem gewissen Grade dem CCF als Vorbild diente, sondern zudem direkte personelle Kontinuitäten zwischen dem Agitations- und Propagandaapparat der Kommunistischen Internationale (KOMINTERN) unter Willi Münzenberg und den leitenden Persönlichkeiten des frühen CCF. Auf diese Weise wären jene beiden rivalisierenden ideologischen Ordnungsvorstellungen abgesteckt, die im Verlaufe des Kalten Krieges zu besonderer Bedeutung gelangen sollten, und zwar nicht allein als ideologische Größen, sondern auch hinsichtlich ihrer organisatorischen und personellen Komponenten im Bereich der intellektuellen Klasse. Für den CCF wird dann in einem dritten Schritt darauf einzugehen sein, wie aus der Konfrontation westlichliberaler Denkmuster mit der Realität der „fellow-traveller" unter den Intellektuellen spätestens seit 1944/45 ein Prozeß ideologischer Blockbildung und Ausgrenzung in Gang gesetzt wurde, der ironischerweise gemeinsam mit den organisatorischen Anregungen des Münzenberg-Apparates für den CCF konstitutiv werden sollte. Man kann diesen Prozeß als „Entstalinisierung" der westlichen Intelligenz bezeichnen. Es wird zu zeigen sein, daß dieser Vorgang deutlich älter ist als der CCF, der gewissermaßen eine Spätfolge der „Entstalinisierung" darstellt. Auf der anderen Seite ging es jedoch um ein maßgeblich von Intellektuellen angeregtes und realisiertes Projekt. Personelle Kontinuitäten lassen sich nur dann vom Münzenberg-Apparat zum CCF ziehen, wenn man die „Konversionsbewegung" oder das „Renegatentum" der späten dreißiger Jahre, das heißt die vielfache Abwendung westlicher Intellektueller vom Stalinismus, mit einbezieht. Zugleich gilt es, die Bestrebungen dieser „Renegaten" in der Auseinandersetzung mit dem parteiamtlichen Kommunismus und den „fellow-travellers" seit der Spätphase des Zweiten Weltkrieges zu berücksichtigen. Der Beitrag der Exkommunisten zur „Entstalinisierung" ist nicht nur der Sache nach konstitutiv, sondern geht auch zeitlich den staatlichen Abgrenzungsmaßnahmen im beginnenden Kalten Krieg voraus. In einem vierten und fünften Schritt ist diese Entwicklung dann auf die II über die
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44
I.
Einleitung
besonderen Verhältnisse im Deutschland der unmittelbaren Nachkriegszeit zu übertragen. Insbesondere ist die Entstehung des „Monats", aus dessen Beiträgerkreis später der CCF hervorgehen sollte, genauer zu untersuchen und in den doppelten Blickwinkel von Kaltem Krieg und „Entstalinisierang" der Intellektuellen sowie der Vermittlung westlicher Werthaltungen im Prozeß der „reorientation" einzubinden. In Kapitel III wird der letzte Punkt noch einmal aufgenommen, um von ihm ausgehend dann die Zeitschrift „Der Monat" auf ihren ideologischen Gehalt hin zu untersuchen, und zwar sowohl im Hinblick auf die Vorbildrolle der USA und das vom „Monat" vertretene Konzept eines antitotalitären Antikommunismus als auch unter Berücksichtigung der besonderen geistesgeschichtlichen Situation Deutschlands. Auf diese Weise können die ideellen Konzepte, welche der „Monat" konsequent durchtrag, präziser gefaßt werden. Dabei muß der ausgeprägte Kosmopolitismus des frühen „Monat" ebenso beachtet werden wie seine Nähe zum US-amerikanischen Pragmatismus. Beides war Teil einer Gesamtstrategie, der es darum ging, hegelianische und existentialistische Denktraditionen innerhalb der westdeutschen Intelligenz wenn nicht auszuschalten, so doch deutlich zu relativieren beziehungsweise im liberalen Sinne neu zu interpretieren. Über die inhaltliche Analyse des „Monats" hinaus ist femer der rechtliche und finanzielle Status der Zeitschrift zu verschiedenen Zeitpunkten zu berücksichtigen. Auf diese Weise werden Querverbindungen zu den US-Behörden in Westdeutschland und zum CCF deutlich, die zwar nie geleugnet wurden, sich im Detail aber komplexer gestalteten, als möglicherweise zu erwarten war. Erst wenn ideologische und rechtlich-finanzielle Aspekte zueinander in Beziehung gesetzt werden, kann ein Gesamtbild entstehen, aus dem heraus verständlich wird, welche Funktion dem „Monat" als Ideologieträger und -Vermittler in Westdeutschland zukam. Eng mit dem Problem der weltanschaulichen Vermittlertätigkeit ist ohne Zweifel das der Rezeption vermittelter Werthaltungen auf deutscher Seite verbunden. Die Rückfrage nach dem Rezeptionsverhalten der Deutschen kann unter Umständen eventuelle Einseitigkeiten relativieren helfen, die sich aus der starken Betonung der Intentionalität des Wertetransfers im Verlauf der ideellen Westorientierung ergeben. Damit ist nicht gesagt, daß die These vom intentionalen Handeln der US-Amerikaner auf dem Felde der kulturell-ideellen Flankierung politischökonomischer Hegemonie als solche nicht tragfähig wäre, sondern daß das für
Hegemonie" im hier verwandten Sinne notwendige Rezeptionsverhalten auf der Empfangerseite keinesfalls den Schluß zuläßt, daß die Intentionen der Wertevermittler ausschließlich oder auch nur überwiegend zum Tragen gekommen seien. Dies gilt sogar für den unmittelbaren Bereich jener deutschen Rezipienten, die sich als Mitarbeiter den Zielen des CCF „kulturelle
verschrieben hatten. Kapitel IV dient dazu, die unmittelbare Vorgeschichte des CCF und die Gründungsveranstaltung im Sommer 1950 zu beschreiben. Neben der Verlaufs-
3. Zum Aufbau der Arbeit
45
geschichte werden auch weltanschauliche Konzepte in eine Skizze des frühen CCF bis 1955/56 einfließen. Über kulturpolitische Anliegen im engeren Sinn hinaus werden dann politische sowie wirtschafts- und sozialpolitische Konzepte des CCF genauer zu betrachten sein.
Kapitel V handelt von der die Tätigkeit des internationalen CCF für den Zeitraum bis etwa zum Tode Stalins an. Im Vordergrund sollen die Beziehungen des Pariser Generalsekretariates zu dem „American Committee for Cultural Freedom" (ACCF), der amerikanischen Schwesterorganisation des CCF, stehen. In einem eigenen Abschnitt wird auf den Pariser Kulturkongreß von 1952 einzugehen sein, der nicht allein der kulturellen Auseinandersetzung zwischen Ost und West zuzuordnen ist, sondern auch eine spezifische Funktion gegenüber den französischen Intellektuellen hatte. Im Rahmen der organisatorischen Stabilisierung der Kongreßarbeit auf internationaler Ebene wird dann zu fragen sein, mit welchen Anliegen und Konzepten der CCF überhaupt an seine Tätigkeit in Westdeutschland herangegangen ist und welches Bild deutscher Wirklichkeit dem zugrunde lag. Einen zentralen Block bildet Kapitel VI, wo es um die konkrete Arbeit des CCF in Westdeutschland und Westberlin während der frühen fünfziger Jahre geht. Neben der Tätigkeit der beiden Kongreßbüros in Berlin und Frankfurt beziehungsweise Stuttgart sollen der Aufbau der deutschen Exekutive und ihre breit angelegte, wenn auch meist nicht übermäßig effektive Tätigkeit behandelt werden. Hier wird dann die praktische Umsetzung des antitotalitären Ansatzes in der Auseinandersetzung mit Stalinisten und Nationalsozialisten im Vordergrund stehen. Darüber hinaus muß auf die antineutralistische Arbeit des CCF ebenso eingegangen werden wie auf Versuche, diese im intellektuellen Leben der jungen Bundesrepublik organisatorisch zu verankern, so zum Beispiel bei der Spaltung des gesamtdeutschen PEN-Zentrums. Kaum weniger wichtig wird die enge Verflechtung mit anderen Gruppierungen und staatlichen Institutionen sein, die jeweils ihren Beitrag zur Sache des Westens im Kalten Krieg zu leisten hatten und in deren Netzwerk dem CCF eine eigene Funktion zukam, deren genaue Umschreibung aber gerade in der Frühphase ein stetes Problem blieb. In eigenen Unterkapiteln werden die Jugendarbeit des deutschen CCF, die antinazistische „Gute Bande" sowie die Mitgliederzeitschrift „Kontakte" untersucht, ehe auf breitem Raum die Frage nach den Gründen für das Scheitern eines zentral gesteuerten deutschen CCF 1953/54 beantwortet werden
kann. Im Anschluß wird in Kapitel VII einer der Höhepunkte der Aktivitäten des CCF auf deutschem Boden, der Hamburger Kongreß „Wissenschaft und Freiheit" von 1953, ausführlicher behandelt werden. Ziel dieses Abschnittes ist es gleichermaßen, die ideologische Funktion des Hamburger Kongresses näher zu beleuchten wie auf die zukunftsweisenden organisatorischen Neuentwicklungen innerhalb der deutschen CCF-Strukturen einzugehen. Zu letzteren gehört die Ausbildung des Hamburger Kongreßbüros ebenso wie die Gründung
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I.
Einleitung
des „Hofgeismarkreises", einer Gruppe von Hochschullehrern, die sich die Reform der deutschen Universitäten zum Anliegen gemacht hatten, und des Komitees „Wissenschaft und Freiheit", mit dessen Hilfe vornehmlich Naturwissenschaftler für die Ziele des CCF erfaßt werden konnten. Kapitel VIII schildert die Entwicklung zwischen dem Tode Stalins und neuerlichen Bemühungen, in Deutschland um 1959 eine geordnete Kongreßtätigkeit zu reinstallieren. Dieser wenigstens zeitweise von Stagnation gekennzeichnete Zeitraum muß vornehmlich aus der Perspektive der internationalen Organisation geschildert werden, da eine eigene deutsche Organisation, von Relikten in Hamburg und Berlin abgesehen, nicht mehr existierte und alle Bemühungen um eine Wiederbegründung von Paris ihren Ausgang nahmen. Zugleich brachte diese Phase nach dem bedeutsamen Mailänder Kongreß von 1955 nicht nur eine organisatorische Reform der Arbeit des internationalen CCF, sondern vor allem eine inhaltliche Neubesinnimg, die sich dann in der bis tief in die sechziger Jahre währenden Debatte um das „Ende der Ideologie" niederschlug. Mit der These vom „Ende der Ideologie" ist außerdem ein Prozeß der ideologischen Neuorientierung des CCF abgeschlossen, der bereits mit dem Pariser Kulturkongreß von 1952 eingeleitet worden war und in dessen Verlauf nahezu alle charismatischen Antikommunisten der Gründerzeit an den Rand gedrängt worden waren. Das Jahr 1955 markiert die endgültige Machtübernahme der Technokraten im CCF. Kapitel IX behandelt die Restitution des CCF in Westdeutschland seit 1959 und damit den zweiten großen Block der CCF-Arbeit in Westdeutschland. Im Gegensatz zur ersten Phase der Kongreßarbeit zwischen 1950 und 1953/54 wird dabei nicht eine durch eine deutsche Exekutive und die Pariser Leitung zentral gesteuerte Organisation vorzustellen sein, sondern ein lose miteinander verbundenes Netz lokaler Gruppen in Köln, Hamburg, Berlin und München. Die jeweiligen Sektionen sind dann hinsichtlich ihrer ideologischen Ausrichtung und ihrer praktischen Arbeit vor Ort zu analysieren, wobei schon vorab daraufhingewiesen werden muß, daß die Außenwirkung dieser Gruppen recht unterschiedlich war, standen doch neben den sehr agilen Hamburgern die vollkommen ineffizienten Münchener. Insgesamt wird in diesem Kapitel der Zeitraum zwischen 1959 und etwa 1964/65 abgedeckt. Direkt daran anschließend und weltanschauliche Entwicklungen auf der internationalen CCF-Ebene seit dem Ende der fünfziger Jahre aufgreifend, wird sich Kapitel X mit dem Fortgang der Debatte um das „Ende der Ideologie" in der westlichen Politologie und Soziologie ebenso beschäftigen wie mit der
veränderten inhaltlichen
„Renationalisierung"90 90
Konzeption des „Monat", die mit dem Ausdruck beschrieben werden soll. Insbesondere wird die Frage
„Renationalisierung" war ein zeitgenössischer Vorwurf, den man in Leitungskreisen des internationalen CCF dem „Monat" nach dem Weggang des Gründungsherausgebers Melvin J. Lasky 1958 immer wieder gemacht hatte. Zugleich war es die Einlösung einer Forderung, die seit der
3 Zum Aufbau der Arbeit
47
nach der konzeptionellen Lebensfähigkeit des CCF und seiner wichtigsten Zeitschriften in der Epoche der aufkommenden Neuen Linken zu behandeln sein. Kapitel XI wird abschließend die seit circa 1964 einsetzenden Probleme des internationalen CCF, seiner Zeitschriften, vor allem natürlich des „Monats", und der Relikte der deutschen CCF-Organisation beschreiben. Als Grundthese wird dabei angenommen, daß der CCF auch ohne die Aufdeckung der finanziellen Unterstützung durch die CIA 1966/67 in eine tiefe strukturelle Krise geraten wäre, die zwar nicht zu seinem institutionellen Ende hätte führen müssen, wohl aber ein erneutes Umdenken in inhaltlichen und organisatorischen Fragen notwendig gemacht hätte. Es ist daran zu zweifeln, ob zumindest der internationale CCF diese gestalterische Kraft noch hätte aufbringen können. Die CIA-Affäre war so gesehen nur die Initialzündung, welche einen Erosions- und Erstarrungsprozesses beschleunigte, der schon seit geraumer Zeit erkennbar geworden war. Den Versuch, die in dieser Einleitung eher theoretisch formulierte Funktion des CCF im Prozeß der Westernisierung mit Hilfe des empirischen Materials, welches im Hauptteil dargeboten wird, erneut einer zusammenfassenden Überprüfung zu unterziehen und insbesondere notwendige Einschränkungen zu formulieren, soll in Kapitel XII unternommen werden. Bereits dieser Überblick zeigt, wie eng nationale und internationale Strukturen innerhalb des CCF organisatorisch und ideologisch miteinander verflochten waren. Jede Geschichte einer nationalen Sektion des CCF muß deswegen unter diesem vierfachen Blickwinkel von national/international und organisatorisch/ideologisch konzipiert werden, selbst wenn dadurch mannigfache Überschneidungen und Unterbrechungen des chronologischen Ablaufes immer wieder in Kauf genommen werden müssen. Aber darin liegen Eigenart und Reiz des Gegendstandes: daß zwar alle vier Segmente eng miteinander gekoppelt sind, jedoch nur selten synchron verlaufen und so nur in Ausnahmefällen konsequent aufeinander abgestimmt werden können.
den „Monat" herangetragen worden war. Unglücklich ist der Begriff, weil er habe schon einmal so etwas wie eine „nationale" Phase gegeben. „Nationalisierung" wäre noch weniger sinnvoll, da mit diesem Begriff vorwiegend ökonomische Konnotationen verknüpft sind
Gründung
suggeriert,
an
es
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I.
4. Zu
Einleitung
Quellenlage und Forschungsstand
Sieht man von der Frage nach den Querverbindungen zwischen CCF und dem amerikanischen Geheimdienst CIA einmal ab, die aus den gängigen Archiven kaum zu eruieren sind,91 ist die Geschichte des CCF von der Quellenlage her ausgezeichnet dokumentiert. Eine herausragende Rolle kommt dabei naturgemäß dem Bestand „International Association for Cultural Freedom/Congress for Cultural Freedom" (IACF/CCF) am Department for Special Collections der Regenstein Library an der University of Chicago, Illinois zu. Es handelt sich um die soweit erkennbar komplett und geschlossen überlieferten immensen Unterlagen des Pariser Generalsekretariates, inklusive des Materials der nationalen Büros. Für Deutschland finden sich für den Zeitraum 1951-1976 (also einschließlich der LACF-Zeit) neben der allgemeinen Korrespondenz zwischen Paris und Einzelmitgliedern der deutschen Sektion beziehungsweise den deutschen CCF-Büros auch die Akten der Ortsbüros in Berlin, Hamburg, Frankfurt, Köln und München, letztere allerdings nur relikthaft. Des weiteren finden sich die Protokolle der nationalen Exekutive und die Tätigkeitsberichte der deutschen Sekretariate. Dies bedeutet zugleich, daß man auf einer reinen Verwaltungsebene sowohl die Perspektive der internationalen Kongreßführung wie auch ihrer deutschen Gesprächspartner ausgesprochen detailliert zu erfassen vermag. Für den ideologischen Bereich gilt derselbe Befund freilich mit der Einschränkung, daß weltanschauliche Selbstverständlichkeiten innerhalb der Verwaltungskorrespondenz nur in Ausnahmefällen thematisiert wurden. Nur in Konfliktfallen (wie zwischen Michael Josselson und dem Herausgeber der österreichischen Kongreßzeitschrift „Forum" Friedrich Torberg) treten ideologische Momente deudicher hervor. Auf der internationalen Ebene entschädigen für diesen Mangel die komplett überlieferten Wortprotokolle der Sitzungen des Internationalen Exekutivkomitees, wo neben organisatorischen auch weltanschauliche Aspekte zur Sprache kamen. Eine wichtige Ergänzung zum IACF/CCF-Bestand und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht bietet der Bestand „Der Monat", ebenfalls in der Chicagoer Regenstein-Library, der im Gegensatz zu den IACF/CCF-Unterlagen frei zugänglich und somit für die wissenschaftliche Forschung uneingeschränkt verfügbar ist. Der umfangreiche Bestand „Der Monat" liefert insbesondere einen guten Einblick in die frühe Phase der Zeitschrift, also in den Zeitraum zwischen 1947 und 1958, der vornehmlich durch die herausgeberische Leistung des Begründers des „Monat", Melvin J. Lasky, gekennzeichnet ist. Gleichzeitig ermöglicht dieses Material einen Zugriff auf die Vorlaufphase des Berliner Kongresses von 1950, der über den „Monat" organisiert wurde, und auf die -
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91
Vgl. Edward Shils an Michael Josselson vom 2.11.1973, NL Josselson, Box 6.
4 Zu
Quellenlage und Forschungsstand
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Berliner CCF-Büros vom Juli 1950 bis zum Frühjahr 1951, als de facto noch keine arbeitsfähige CCF-Verwaltung existierte. Auch für den Nachvollzug von Intentionen auf der Ebene der Ideologievermittlung in der Auseinandersetzung des liberaldemokratischen Wertesystems mit konkurrierenden nationalsozialistisch-faschistischen, nationalneutralistischen oder stalinistischen Modellen bietet die Herausgeberkorrespondenz des „Monat" wichtige Hinweise. Wenigstens gilt dies für die Zeit bis 1952/53, die für die Ausbildung der spezifischen „Ideologie" des „Monat" zentrale Phase. Eine Veränderung erfuhr die Haltung des „Monat" erst wieder, als Lasky 1958 zum Londoner „Encounter" wechselte. Entsprechend beschränken sich die Akten des „Monat" nach 1953 vornehmlich auf formale Aspekte, die für unseren Fragehorizont weitgehend irrelevant erscheinen. Über den „Monat" lassen sich zudem für den frühen CCF Querverbindungen zu OMGUS/HICOG und anderen staatlichen Stellen der USA erschließen. Insgesamt ermöglichen es die frühen Bestände des „Monat", dessen inhaltliche Konzeption gewissermaßen vorzustrukturieren, was nach 1954 so nicht mehr möglich ist. Die vorhandenen Leserbriefe und Autorenkorrespondenzen lassen femer vorsichtige erste Rückschlüsse auf deutsches Rezeptionsverhalten ersten Monate des
zu.
Für die Gründerzeit des Berliner Kongreßbüros im zweiten Halbjahr 1950 steht außerdem der Nachlaß von Norbert Mühlen in Boston zur Verfügung. Dort findet sich ein ausführlicher Briefwechsel zwischen Mühlen und der amtierenden Leiterin des provisorischen Berliner Büros, Annelene von Caprivi, aus dem sich die spannungsgeladene und nicht selten chaotische Atmosphäre dieses Zeitraumes gut ablesen läßt. Ergänzend zum IACF/CCF-Bestand in Chicago sind für die Entwicklung des internationalen CCF die Nachlässe des langjährigen Generalsekretärs Nicholas Nabokov und seines Exekutivsekretärs Michael Josselson im Harry Ransom Humanities Research Center der University of Texas at Austin heranzuziehen. Leider ist der Nachlaß Nabokov nur begrenzt verfügbar, und gerade die bedeutsame Korrespondenz zwischen Nabokov und Josselson ist in russischer Sprache überliefert, was die Auswertung erschwert. Demgegenüber ist der Nachlaß Josselson nicht nur frei zugänglich, sondern auch ausgezeichnet erschlossen. Darüber hinaus erleichtem nachträglich hinzugefügte handschriftliche Notizen von Diana Josselson, der Witwe Michael Josselsons, den Zugriff auf unklare Sachverhalte in der Korrespondenz. Gleicht man wo möglich diese Notizen mit den Beständen in Chicago ab, erweisen sie sich als zuverlässig. Außerdem finden sich im Nachlaß Josselson autobiographische Notizen, die eine im Vergleich zu seinen offiziellen Äußerungen neue, frühere Datierung seiner Zugehörigkeit zur CIA erforderlich machen. Aus der Verbindung der Unterlagen im Monat-Archiv und im Nachlaß Josselson lassen sich dann ansatzweise diejenigen Lücken füllen, die aus dem anhaltenden Unwillen der CIA resultieren, CCF-bezogene Akten zu deklassifi-
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I
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zieren. Derzeit
weigert sich die CIA zu bestätigen oder zu dementieren, daß derartige Unterlagen überhaupt existieren,92 eine angesichts des zeitlichen Abstandes etwas absonderliche Haltung, zumal Angehörige der CIA die Verbindung zum CCF längst offengelegt haben. Für die internationale Perspektive wie für die nationale Sektion, bezogen auf die Münchener Ortsgruppe, gleichermaßen wichtig ist der Nachlaß von Manès Sperber in der Wiener Österreichischen Nationalbibliothek. Bedauerlicherweise ist auch hier der bedeutsamere Teil II der Sammlung derzeit noch gesperrt und zudem nur ansatzweise geordnet. Wichtige Informationen zum Verhältnis der österreichischen Sektion und der dortigen CCF-Zeitschrift „Forum" erhält man außerdem aus den ebenfalls in Wien befindlichen Nachlaßteilen von Friedrich
Torberg in der Österreichischen Nationalbibliothek und der Wiener Stadt- und Landesbibliothek. „Forum" und österreichische Sektion bieten eine gewisse Vergleichsfolie für die Entwicklung in Deutschland und beim „Monat", vor allem, weil Torberg als weitaus radikalster Antikommunist in der technokratischen Phase des CCF eine klare ideologische Alternative zum Kurs der Pariser Führung in den CCF eingebracht hat. Für die Entstehung der deutschen Sektion zwischen 1950 und 1954 sind die
Nachlässe von Carlo Schmid im Archiv der Sozialen Demokratie in Bonn und von Rudolf Pechel im Bundesarchiv Koblenz unabdingbar. Hinzu kommt, daß sich beide Bestände insofern ergänzen, als Schmid und Pechel innerhalb der deutschen Exekutive zwei unterschiedliche Gruppen repräsentierten und beider Korrespondenz jeweils auch die Haltung ihrer Gefolgsleute widerspiegelt. Neben der Privatkorrespondenz sind bei Schmid und Pechel auch die wichtigsten internen Verwaltungsvorgänge der deutschen Exekutive und der deutschen Büros erhalten. Den gleichen Zeitraum betreffen auch die aus Privatbeständen in Kopie dankenswerterweise überlassenen Teilnachlässe von Eugen Kogon und Theodor Plievier, die auf der anderen Seite aber kaum zusätzliche Informationen bieten. Ahnliches gilt für die Nachlässe von Alfred Weber im Bundesarchiv Koblenz und von Richard Löwenthal im Archiv der Sozialen Demokratie. Ein wenig anders steht es um den Teilnachlaß von Fritz Eberhard im Archiv des SDR in Stuttgart. Bezogen auf die Geschichte des CCF interessiert bei Eberhard vornehmlich die sogenannte „Stuttgarter Tonbandaffäre" um Carlo Schmid von 1953, die der äußere Anlaß für die Krise der deutschen Exekutive und den Sturz von Carlo Schmid als Vorsitzenden werden sollte. Für die Zeit nach 1954 ist für die Entwicklung in Deutschland neben dem IACF/CCF-Archiv und dem Nachlaß Sperber der Nachlaß des Leiters und Mentors der Hamburger Ortsgruppe, Bruno Snell, im Bayerischen Haupt- und Staatsarchiv in München heranzuziehen. Dort finden sich neben einigen Informationen zur Hamburger Gruppe seit 1953 auch Materialien zum „Hofgeismar92
John P. Dahms (Chairman Information Review Committee der CIA)
an
Verf.
vom
22.7.1994.
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kreis". Nur ergänzenden Charakter haben demgegenüber die Nachlässe, die im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar eingesehen wurden. Sie dienen einerseits der Relativierung der realen Bedeutung des CCF innerhalb des deutschen literarischen und intellektuellen Lebens, da sie ein vergleichsweise deutliches Desinteresse vieler Autoren an der Entwicklung des CCF signalisieren, andererseits geben sie Aufschluß über Entwicklungen innerhalb des deutschen PEN-Zentrums und der Mainzer Akademie, die mit Aktivitäten des CCF zusammenhingen. Interviews erwiesen in zwei Fällen ihren Wert als Quellen. Die Gespräche mit Melvin J. Lasky und Siegfried Lenz sollen über die Aktenlage hinaus Einblicke aus dem alltäglichen Leben im deutschen CCF und beim „Monat" vermitteln. Ein solcher Zugriff gewinnt dann erhebliche Bedeutung, wenn man berücksichtigt, wie sehr der CCF als Zirkel von Freunden und intellektuell Gleichgesinnten gesehen wurde. Auf der anderen Seite erlauben es die schriftlichen Quellen, die Geschichte des deutschen CCF minutiös nachzuzeichnen, weshalb Interviews weniger reine Fakten zu vermitteln vermögen, sondern ergänzenden, abrundenden Charakter behalten. Neben den archivalischen Beständen verfügt man im Hinblick auf die weltanschaulichen Auseinandersetzungen, in die der CCF eingebunden war, über eine weitere wichtige Quellengattung: die vom Kongreß herausgegebenen oder mit ihm organisatorisch eng verbundenen Zeitschriften. Zu den ersteren gehörten unter anderem die französische Zeitschrift „Preuves",93 der angloamerikanische „Encounter",94 das österreichische „Forum",95 die italienischsprachige Zeitschrift „Tempo Presente"96 oder für den spanischsprachigen Raum „Cuadernos"97. In Westdeutschland wurde die Funktion der Kongreßzeitschrift im engeren Sinne zwischen 1951 und 1953 von der Mitgliederschrift der deutschen Exekutive „Kontakte" wahrgenommen, die allerdings qualitativ nicht entfernt mit den genannten Periodika vergleichbar war, ein Quell steter Auseinandersetzungen zwischen Paris und der deutschen Sektion. Der „Monat"98 hingegen gehörte zur Gattung der mit dem CCF organisatorisch eng verbundenen Zeitschriften. Sowohl die „Kontakte" als auch Art und Umfang -
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93 94
95 96 97 98
P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 83f, s.a. Pierre Grémion (Hg): Preuves. Une Revue Européene à Paris, Paris 1989. P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 59-79; vgl. Frank Tichy: Das Ende des Londoner Encounter, in: Medien und Zeit 6 (1991), H.3, S. 41-47; s.a. Gina Thomas: Auftrag ausgeführt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30.1.1991, S. 29; Ferdinand Mount: Encounter: The End of an Era, in: The Times Literary Supplement vom 1.2.1991, S. 12 und Michael Naumann: „Melvin, Du hast gewonnen", in: Die Zeit vom 17.5.1991, S. 74. P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 87f. Ebda., S. 89-91. Ebda., S. 84-86. Ebda., S. 93-95. Weitere Literatur zum „Monat" wird im Zusammenhang mit dem Stand der Forschung zum CCF behandelt werden
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der Affiliation zwischen „Monat" und CCF werden noch eigens untersucht werden. Trotz des sich häufig wandelnden rechtlichen Status des „Monat" im Verhältais zum CCF scheint es aus Gründen personeller Überschneidungen (immerhin ging der CCF auf Anregung des Herausgebers des „Monat" aus dem Beiträgerkreis dieser Zeitschrift hervor) und aus verwaltungstechnischen Parallelen heraus (die Herausgeber des „Monat" waren immer auch Mitglieder der CCF-Herausgeberkonferenzen und zwar unabhängig vom jeweiligen Status des „Monat") methodisch-sachlich gerechtfertigt, bestimmte Züge der vom CCF für Deutschland propagierten Werthaltungen an Hand des „Monat" darzulegen. Für den „Monat" und für den CCF gleichermaßen gilt allerdings, daß solche weltanschaulich motivierten Werthaltungen erst einmal aus sehr viel breiteren Diskussionsansätzen heraus konstruiert werden müssen. Eine einzige ideologische Konzeption, eine einzige klare Linie hat es bei beiden nicht gegeben, wohl aber so etwas wie einen inhaltlich breit gefächerten, dennoch bestimmbaren, de facto nahezu identischen Grandkonsens, auf dem die Arbeit des CCF und des „Monat" basierte. Die mit der Konstruktion dieses Grandkonsenses verbundenen methodischen Probleme müssen jeweils am konkreten Einzelfall erläutert werden. Es liegt nahe, daß angesichts der thematischen Eingrenzung dieser Arbeit dem „Monat" im Vergleich zu anderen Kongreßzeitschriften eine außerordentliche Rolle zukommt. Dabei kann schon aus rein arbeitstechnischen Gründen keine umfassende Inhaltsanalyse des „Monat" angestrebt werden. Aus diesem Grunde sollen eher die Grundmuster der „Ideologie" des „Monat" herausgearbeitet werden. Für die Zeit bis 1954 ist eine solche Konstruktion auf der Basis des Quellenmaterials in Chicago möglich. Im Hinblick auf den anschließenden Zeitraum von 1954 bis 1967 sollen dann nur noch die wichtigeren konzeptionellen Änderungen, diesmal vornehmlich auf der Grundlage des veröffentlichten Materials, herausgestrichen werden. Diese methodische Zweiteilung bei der Analyse der weltanschaulichen Ziele des „Monat" wird maßgeblich durch den abnehmenden Grad an inhaltlicher Reflexion in der Herausgeberkorrespondenz des „Monat" erforderlich gemacht. Nach 1954, besonders aber nach 1958/60 fanden beim „Monat" inhaltliche Veränderungen hinsichtlich der angestrebten Schwerpunkte intellektueller Auseinandersetzung statt, die sich auch in der Veröffentlichungspraxis niederschlugen, aber nicht eigens diskutiert wurden. Eine ganz eigene und mit großer Zurückhaltung zu behandelnde Quellengattung steilen auch in diesem Fall autobiographische Schriften dar. Nicht, daß sie völlig fehlen würden, im Gegenteil; das Problem liegt auf einer anderen Ebene. Vornehmlich das unglückliche Ende des CCF und seine Verstrickung in die Aktivitäten der „covert action"-Abteilungen der CIA haben dazu geführt, daß nicht wenige Autoren in ihren Memoiren ihre Mitarbeit beim CCF entweder ganz verschwiegen oder minimalisierten. Diese Zurückhaltung entspricht so
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gar nicht der Offenheit, mit der man sich vor 1967 zum CCF und seinen Idealen bekannt hatte. Es darf nicht vergessen werden, daß der CCF nie wirklich konspirativ arbeitete, sondern ständig das Rampenlicht der Öffentlichkeit suchte. Nur dort konnten intellektuelle Auseinandersetzungen die notwendige Resonanz finden. Mit der CIA-Affäre von 1967 änderte sich jedoch das Klima. Zunehmend entwickelten die Ex-Mitglieder des CCF unter dem Eindruck tatsächlicher oder bloß subjektiv erlebter „Verfolgungen" von Seiten der orthodoxen und der neuen Linken fast paranoide Züge. Die frühere Tätigkeit im Rahmen des CCF, nunmehr moralisch anstößig geworden, wurde zum Tabuthema, die historische Auseinandersetzung damit aufbessere Zeiten vertagt. Dennoch bieten die Autobiographien gelegentlich nützliche Informationen, häufig jedoch eher über das Entstehen personaler Netzwerke im Vorfeld der Gründung des CCF oder über die ideologischen Muster, die in den Weltanschauungskämpfen der zwanziger und dreißiger Jahre ausgebildet wurden, als über den CCF. Das gilt vor allem für jene Personen, die in der ersten, der charismatisch-antikommunistischen Phase der Kongreßtätigkeiten, Führungsfunktionen innehatten. Für diesen Zeitraum beziehungsweise für die intellektuelle und ideologische Vorgeschichte des CCF sind die autobiographischen Werke von Arthur Koestler,99 Manès Sperber,100 Sidney Hook101 und Raymond Aron102 unentbehrlich und informativ. Wenigstens randständige Informationen für den US-amerikanischen Kontext tiefem die Memoiren von John Kenneth Galbraith,103 George F. Kennan104 und für den Kreis der „New York Jewish Intellectuals" Irving Howe105. Ebenfalls nur von begrenztem Interesse ist die Autobiographie von Walter Laqueur106, 99
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Arthur Koestler: Als Zeuge der Zeit. Das Abenteuer meines Lebens, München 31983; Arthur Koestler/CynthiaKoestler: Stranger on the Square, London 1984; vgl. ferner Celia Goodman (Hg): Living With Koestler. Mamaine Koestler's Letters, 1945-1951, London 1985; s.a. Horst Komuth: Manès Sperber, Arthur Koestler und George Orwell. Der Totalitarismes als Geißel des 20. Jahrhunderts, Diss. Würzburg 1987, eine Untersuchung, die allerdings an ihrem überzogen ideologischen Anspruch krankt. Manès Sperber: Bis man mir die Scherben auf die Augen legt. All das Vergangene, Bd. 3, Wien 1977; ders.: Nur eine Brücke zwischen Gestern und Morgen, Wien-München-Zürich 1980; ders.: Ein politisches Leben. Gespräche mit Leonhard Reinisch, Stuttgart 1984 Zu Sperber vgl. die Arbeit von Anne-Marie Corbin-Schuffels: Manès Sperber. Un combat contre la tyrannie, Bern u.a. 1996, s. bes. S. 253-297, wo Corbin-Schuflfels ausführlich auf Sperbers Tätigkeit im CCF eingeht. Sidney Hook: Out of Step. An Unquiet Life in the 20* Century, New York 1987; s.a. Paul Kurtz (Hg): Sidney Hook. Philosopher of Democracy and Humanism, Buffalo 1983. Raymond Aron: Erkenntnis und Verantwortung Lebenserinnerungen, München 1985. John K. Galbraith: Annals of an Abiding Liberal, Boston 1979; ders. : A Life in Our Times, London 1981. George F. Kennan: Memoirs 1925-1950, London 1968; ders. : Memoirs 1950-1963, New York 1972. Irving Howe: A Margin of Hope. An Intellectual Autobiography, New York 1982; in diesem Zusammenhang s.a. ders.: The New York Intellectuals, in: Commentary (Oct. 1968), S. 29-51 sowie William Phillips: A Partisan View. Five Decades of Literary Life, New York 1983. Walter Laqueur: Wanderer wider Willen. Erinnerungen 1921 -1951, Berlin 1995.
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schon wegen des engen Zeitraumes, den sie abdeckt. Besonders problematisch erscheinen die Werke von Stephen Spender107 und Nicholas Nabokov108, die beide mit Sachinformationen recht sparsam umgehen. Hinzu kommt, daß Nabokov zu Recht dafür kritisiert worden ist, bei aller Betonung eigenen Nichtwissens um die Verbindungen zur CIA, seinen Anteil an der Leitung des CCF in irreführender und entstellender Weise übertrieben zu haben, während er etwa die Rolle Michael Josselsons, dessen Name erst gar nicht auftaucht, auf ein Minimum reduziert habe.109 Für die Vorgeschichte des CCF und die personelle Verknüpfung mit dem Agitprop-Apparat der KOMINTERN müssen die autobiographischen Zeugnisse von Bruno Frei110 und Manès Sperber111 herangezogen werden, vor allem aber die biographische Studie von Babette Gross,112 der insofern autobiographischer Charakter zukommt, als Babette Gross lange Jahre Lebensgefährtin von Münzenberg war und die KOMINTERN von innen her kannte. Einige nicht uninteressante Einzelheiten zur Vorgeschichte des CCF und die Verquickung mit der kommunistischen Bewegung der Vorkriegszeit bietet auch der mustergültig edierte Briefwechsel zwischen der einstigen KPD-Führerin und späteren „Linksabweichlerin" Ruth Fischer und ihrem Lebensgefährten Arkadij
Maslow.113
Nachgerade fundamental für den CCF, und zwar im Sinne einer autobiographischen Rechenschaft der Exkommunisten über ihre einstige Zugehörigkeit zum kommunistischen Apparat und einer programmatischen, zukunftsorientierten Abrechnung mit dem stalinistischen Regime, war der von dem britischen
Labourpolitiker R.H.S. Crossman herausgegebene Sammelband „The God that
107
108 109 110 111 112
113
Stephen Spender: Welt m der Welt Eine Autobiographie, München-Zürich 1992 (Neudruck der Ausgabe von 1951); ders: Journals, 1939-1983, London 1986; ders : The Thirties and After. Poetry, Politics, People, 1933-1975, London 1977. Nicholas Nabokov: Zwei rechte Schuhe im Gepäck Erinnerungen eines russischen Emigranten, München-Zürich 1975. Edward Shils an Michael Josselson vom 13.1.1977, NL Josselson, Box 6. Bruno Frei: Der Papiersäbel, Frankfurt/Main 1972. Das Werk leidet ein wenig unter dem gelegentlich unreflektierten marxistischen Denkhorizont des Autors. Die Autobiographien von Sperber wurden bereits erwähnt, s. aber auch Manès Sperber: Willi Münzenberg, in: Merkur 22 (1968), S. 948-955. Babette Gross: WUli Münzenberg. Eine politische Biographie. Mit einem Vorwort von Arthur Koestler, Stuttgart 1967. Babette Gross war übrigens über ihre Schwester Margarethe BuberNeumann auch mit dem CCF verbunden gewesen. Beide gehörten zu jener Gruppe „höherer Töchter" aus gutbürgerlichen Verhältnissen, die zeitweise in der kommunistischen Bewegung gehäuft zu finden waren Zu Münzenberg vgl. allg Tanja Schlie/Simone Roche (Hg): Willi Münzenberg (1889-1940). Ein deutscher Kommunist im Spannungsfeld zwischen Stalinismus und Antifaschismus, Frankfurt/Main u.a. 1995. Peter Lübbe (Hg): Ruth Fischer/Arkadij Maslow: Abtrünnig wider Willen. Aus den Briefen und Manuskripten des Exils, München 1990. Vgl. ferner: Sabine Hering/Kurt Schilde: Kampfname Ruth Fischer. Wandlungen einer deutschen Kommunistin, Frankfurt/Main 1995.
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failed",114 dessen Titel bald fast paradigmatische Bedeutung in den anschließen-
den Debatten mit den Vertretern der Neuen Linken bekam, die gerne vom „The-God-that-failedism" sprachen, wenn sie den linken Antikommunismus der fünfziger Jahre anprangern wollten. Eine für die ideologische Entwicklung des CCF unverzichtbare Quellengattung stellen jene Schriften dar, die man als „Schlüsselwerke" des amerikanischen „consensus liberalism" der fünfziger und frühen sechziger Jahre bezeichnen könnte. Natürlich wird die genaue Erfassung dieser Titel immer strittig bleiben müssen, dennoch gibt es eine Art Kembestand, dessen Relevanz für die geistige Entwicklung des Liberalismus jener Zeit nur schwer zu bestreiten sein dürfte. Dazu gehört zum Beispiel James Bumhams „Strategie des Kalten Krieges",115 dem ähnlich wie Crossmans Streitschrift die Funktion eines Scheidens der Geister zukam.116 Wichtiger für die inhaltliche Entwicklung einer genuin liberalen Haltung waren Arthur Schlesingers „The Vital Center"117 und Lionel Trillings „The Liberal Imagination",118 aber auch Louis Hartz' „The Liberal Tradition in America"119 und Richard Hofstadters kritische Einwendungen zu den historiographischen Debatten innerhalb des New Deal-Liberalismus der frühen Nachkriegszeit120. Ebenfalls vom New Deal in seiner späteren
114
115
116
Richard HS. Crossman (Hg.): The God That Failed, New York 1949. Zu dem Gesamtkomplex der Abwendung führender Intellektueller vom Stalinismus s.a. Julián Gorkin: Stalins langer Arm. Die Vernichtung der freiheitlichen Linken im Spanischen Bürgerkrieg. Mit einem Vorwort von Willy Brandt, Köln 1980. Gorkin war übrigens ebenfalls Mitglied des CCF. Vgl. Margret Boveri: Der Verrat im 20. Jahrhundert. Bd. 3: Zwischen den Ideologien. Zentrum Europa,
Hamburg
1957.
James Burnham: Die Strategie des Kalten Krieges, Stuttgart 1950. Burnham stand jedoch politisch eher am Rande des liberalen Spektrums. Ahnlich bedeutsam für die Auseinandersetzung mit dem Stalinismus im Rahmen der umfassenderen Totalitarismustheorie waren Franz Borkenau: The Totalitarian Enemy, London 1940 und Hannah Arendt: The Origins of Totalitarianism, New York 1959. Eine ähnliche Rolle spielten auch das Buch von Reinhold Niebuhr: Die Kinder des Lichts und die Kinder der Finsternis. Eine Rechtfertigung der Demokratie und eme Kritik ihrer herkömmlichen Verteidigung, München 1947, das ebenfalls stark totalitarismustheoretische Ansätze vertritt, und die Streitschrift von Sidney Hook: Heresy, Yes Conspiracy, No!, New York 1953. Arthur M. Schlesinger jr. : The Vital Center. The Politics of Freedom, Boston 1949. Lionel Trilling: The Liberal Imagination, New York 21953. Louis Hartz: The Liberal Tradition in America. An Interpretation of American Political Thought Since the Revolution, San Diego-New York-London 1991 (Neudruck der Ausgabe von 1955). Weniger elaboriert als bei Hartz findet man die These von der größeren Stabilität und Kontinuität der amerikanischen Gesellschaft auch bei Daniel J. Boorstine: The Genius of American Politics, Chicago-London 1953. Während allerdings Hartz seme These auf der Dominanz des lockeanischen Liberalismus in den gesellschaftlichen Diskursen der USA aufbaut, leugnet Boorstin überhaupt die Existenz einer amerikanischen Philosophie. Entsprechend ist sein Ansatz nach eigener Ansicht auch nicht auf Länder außerhalb der USA übertragbar, was für Hartz nicht gilt. Um einen empirischen Beweis der Theorien von Hartz bemühte sich Donald J. Devine: The Political Culture of the United States, Boston 1972. Richard Hofstadter: The American Political Tradition and the Men who Made it, New York 1989 (Neudruck der Ausgabe von 1973; das Buch erschien erstmals 1948). -
117 118 119
120
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I.
Einleitung
keynesianischen Ausprägung beeinflußt und für die wirtschaftspolitischen Vorstellungen innerhalb des CCF bedeutsam waren die Schriften von John K.
Galbraith.121 Ganz entscheidend für den CCF war Daniel Beils vermutlich bis heute bekannteste Studie: „The End of Ideology", die fast am Ende dieser Ära stand.122 Schließlich wären noch David Riesmans „The Lonely Crowd"123 und Seymour Martin Lipsets „Political Man"124 zu nennen. Wenigstens für den CCF und mit besonderem Bezug auf Deutschland hatte Hans Kohns „The Mind of Germany" eine gewisse Bedeutung.125 All diese Schlüsselwerke des amerikanischen Liberalismus der Nachkriegszeit geben nicht allein Zeugnis von der intellektuellen Vitalität und dem lebendigen Diskussionsklima innerhalb der liberalen Zirkel der fünfziger Jahre,126 sondern stammen fast ausschließlich von Personen, die dem CCF angehörten (wie Trilling, Hook, Burnham, Bell und Kohn) oder ihm zumindest nahestanden (wie Schlesinger, Galbraith und Lipset). Schon aus diesem Grunde haben sie für den Nachvollzug der weltanschaulichen Entwicklung des CCF auf angelsächsischer, besonders auf amerikanischer Seite eine herausragende
Bedeutung.
Ähnlich wie beim internationalen CCF sind auch für die deutsche Sektion Memoiren als Quellen von eher untergeordneter Bedeutung. Willy Brandt,127 Margarethe Buber-Neumann128 und Stefan Andres129 verzichten von vorneherein auf eine Erwähnung des CCF, Georg Meistermann130 deutet eine Mitgliedschaft für sich und Willy Brandt wenigstens kurz an. Besonders fragwürdig 121
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John K. Galbraith: American Capitalism, Boston 1952; ders. : The Affluent Society, London 1958. Daniel Bell: The End of Ideology. On the Exhaustion of Political Ideas in the Fifties, Glencoe 1960. Für den europäischen, speziell den britischen Kontext hatte Anthony Crosland: The Future of Socialism, London 1957 eine vergleichbare Funktion, nämlich die Hinwendung zu einer pragmatischeren Politik innerhalb der nichtkommunistischen Linken. Auch Crosland stand dem CCF nahe. David Riesman: The Lonely Crowd: A Study in the Changing American Character, New York 1950. Seymour M. Lipset: Political Man, New York 1960. H\ns Kohn: The Mind of Germany. The Education of a Nation, New York 1960. Dies gilt m.E. trotz des Einwandes von J. Gebhardt: Amerikanismus, S. 262-286, der in diesen Schlüsselwerken vornehmlich den Ausdruck von Krisenbewußtsein innerhalb amerikanistischer intellektueller Zirkel wahrnimmt, das durch die Erschütterungen des Zweiten Weltkrieges hervorgerufen worden sei. Willy Brandt: Erinnerungen, Frankfiirt/Main 1989; s.a. ders : Begegnungen und Einsichten. Die Jahre 1960-1975, Hamburg 1976 und ders.: Ober den Tag hinaus. Eine Zwischenbilanz, Hamburg 1974. In ders.: Links und frei. Mein Weg 1930-1950, Hamburg 1982, S. 443-445 werden zwar die Berliner Kongresse von 1950 und 1960 sowie die Verbindungen mit der CIA erwähnt, nicht aber Brandts Engagement im deutschen CCF. Margarethe Buber-Neumann: Freiheit, Du bist wieder mein, München-Wien 1978; dies.: Von Potsdam nach Moskau, Frankfurt/Main 1981. Beide Werke streifen die potentielle CCFPhase nur am Rande und sind eher für die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus wichtig. Stefan Andres (Hg): Stefan Andres eine Einführung in sein Leben, München 1962. Dagobert Lindlau Vgl. (Hg): Dieser Mann Brandt... Gedanken über einen Politiker, München 1972, S.85. -
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sind die Lebenserinnerungen des einstigen Vorsitzenden der deutschen Exekutive des CCF, Carlo Schmid.131 Sein Bericht ist von mancherlei sachlichen Fehlern und Unsauberkeiten durchsetzt und taugt kaum zur Orientierung. Immerhin bekennt Schmid sich ausdrücklich trotz der Verflechtungen mit der CIA zu seiner Tätigkeit im Kongreß, wenigstens auf der internationalen Ebene. Die von inneren Zwisten gekennzeichnete Geschichte der deutschen Sektion, an deren Scheitern 1953/54 Schmid maßgeblich beteiligt war, wird hingegen übergangen. Es mag allerdings sein, daß einige der fehlerhaften Angaben Schmids darauf zuiückzuführen sind, daß er für diesen Abschnitt seiner Autobiographie keine eigenen Vorstudien durchgeführt hatte, wie sein Nachlaß ausweist. Informationen zu Details und beteiligten Einzelpersönlichkeiten finden sich bei Hans Mayer,132 in den Briefen von Theodor Heuss an Toni Stolper,133 dem Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Karl Jaspers134 sowie den Memoiren von Harry Pross,135 Hilde Spiel136 und Julij Kwizinskij137. Aus der deutschsprachigen Memoirenliteratur heraus eine Geschichte des deutschen CCF verfassen zu wollen, wäre schlicht unmöglich. Keines der genannten Werke geht über Randnotizen zum CCF hinaus, zumeist bleibt es der literarischen Gattung entsprechend bei persönlich gehaltenen Reminiszenzen. Intellektuelle Schlüsselwerke, die mit den oben genannten angelsächsischen Studien auch nur annähernd vergleichbar wären, existieren für die fünfziger und frühen sechziger Jahre in Westdeutschland nicht. Ein solcher Sachverhalt kann wohl am ehesten damit erklärt werden, daß in der Geschichte der Bundesrepublik sowohl das Phänomen einer halbwegs einheitlichen intellektuellen Klasse als auch der spezifisch amerikanische Kontext des „consensus liberalism" fehlten. Dennoch kann man Elemente von Rezeptionsverhalten im engeren Rezipientenkreis des CCF, das heißt von Nahestehenden und Mitgliedern, an Hand einiger wichtiger Veröffentlichungen ablesen, ohne auf der anderen Seite den genauen Stellenwert der Kongreßaktivitäten bei der Ausbildung bestimmter Meinungen damit präjudizieren zu wollen. Auch im deutschen Falle wäre es vermessen, von Repräsentativität oder gar Vollständigkeit reden zu wollen. Auf der anderen Seite vermitteln die aufgeführten Titel eine gewisse Vorstellung von der weltanschaulichen Spannbreite des literarischen Schaffens -
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Carlo Schmid: Erinnerungen, Bern-München-Wien 1979, bes. S. 483-489 Hans Mayer: Ein Deutscher auf Widerruf. Erinnerungen I, Frankfurt/Main 1982. Eberhard Pikart (Hg): Theodor Heuss: Tagebuchbriefe 1955-1963. Eine Auswahl aus Briefen an Toni Stolper, Tübingen-Stuttgart 1970. Lotte Köhler/Hans Saner (Hg): Hannah Arendt und Karl Jaspers: Briefwechsel, 1926-1969,
München21987. 135 136 137
Harry Pross: Memoiren eines Inländers 1923-1993, München 1993. Hilde Spiel: Welche Welt ist meine Welt? Erinnerungen 1946-1989, München 1990. Hilde Spiel war die Gattin des CCF-Mitbegründers Peter de Mendelssohn und eine der Gegenspielerinnen von Friedrich Torberg. Julij A. Kwizinskij: Vor dem Sturm Erinnerungen eines Diplomaten, Berlin 1993.
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I.
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deutscher Kongreßangehöriger, der Werte, die sie ihrerseits aufgenommen hatten oder weiterzugeben bestrebt waren (besonders im Prozeß der Modernisierung der SPD) und des Gehaltes an „Westlichkeit", der sich in der deutschen Sektion des CCF nachweisen läßt. Wenn dabei von „Rezeption" westlicher Werte die Rede ist, so darf dies nicht zu passiv verstanden werden. Es wäre kaum redlich, den aufgeführten deutschen Intellektuellen unterstellen zu wollen, sie hätten einseitig am Tropf ausländischer Wertvermittler gehangen. Das eigentliche Problem liegt in der Komplexität jeden kulturell-ideellen Austausches, selbst in einem Gesamtrahmen kultureller Hegemonialansprüche. Auch im Fall der deutschen Intellektuellen, die an den Diskussionen des CCF partizipierten, trafen Wertangebote des Westens auf innerdeutsche Diskurse, gerade im Umfeld des linken Liberalismus und der Sozialdemokratie, die in sich bereits weitgehend westlich waren. Man wird also immer in Rechnung stellen müssen, daß heteronome Angebote und autonome Wertentscheidungen sich in vielfältigster Weise überschnitten und gegenseitig beeinflußten. In diesem ausgesprochen relativen Sinne wären zum Beispiel die Schriften von Karl Schiller,138 der wichtige Dienste als Vermittler keynesianischer Ansätze in der deutschen Sozialdemokratie leistete, Carlo Schmid,139 Helmuth Plessner,140 Fritz-René Allemann,141 und mit erheblichen Einschränkungen das Oeuvre von Karl Jaspers142 zu nennen. Ahnliches müßte man wohl auch von Alexander Mitscherlichs „Unfähigkeit zu trauern" sagen.143 Mitscherlich war zwar Mitglied der deutschen CCF-Exekutive, jedoch erst zu einem Zeitpunkt, als diese -
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Z.B. Karl Schiller: Aufgaben und Versuche. Zur neuen Ordnung von Gesellschaft und Wirtschaft, Hamburg 1953 und ders.: Der Ökonom und die Gesellschaft. Das freiheitliche und das soziale Element in der modernen Wirtschaftspolitik. Vorträge und Aufsätze, Stuttgart 1964. Carlo Schmid/Karl Schiller/Erich Potthof: Grundfragen modemer Wirtschaftspolitik, Frankfurt/Main 1957; Carlo Schmid: Der ideologische Standort des deutschen Sozialismus in der Gegenwart, in: ders.(Hg): Politik und Geist, Stuttgart 1961, S. 245-278; ders.: Politik als geistige Aufgabe, Bern-München-Wien 1973. An Schmid wird sich sehr schön zeigen lassen, wie wenig jemand, der im Zusammenhang mit der Entideologisierung der SPD im Rahmen des Godesberger Programmes ganz im Sinne des CCF gewirkt hatte und der zudem im CCF an führender Stelle tätig war, zu einer wirklichen Adaption der vom CCF propagierten westlichamerikanischen Wertmuster in der Lage war. Schmid ist ein Musterfall für selektive Rezeption. Helmuth Plessner: Die verspätete Nation. Über die politische Verführbarkeit bürgerlichen Geistes, in: GüntherDux/Odo MarquaRdt/Elisabeth Ströker (Hg): Helmuth Plessner. Gesammelte Schriften, Bd. 6: Die verspätete Nation, Frankfurt/Main 1982, S. 7-224. Plessner war dem CCF über dessen Unterorganisation „Committee for Science and Freedom" verbunden. Fritz-Renè Allemann: Bonn ist nicht Weimar, Köln 1956. Allemann war zwar Schweizer, aber zeitweise Mitherausgeber des „Monats". Sein Werk ist in Auszügen erstmals im „Monat" publiziert worden. So etwa Karl Jaspers: Im Kampf mit dem Totalitarismus, in: ders. (Hg): Philosophie und Welt, München 1958; ders.: Freiheit und Wiedervereinigung. Ober Aufgaben deutscher Politik, München 1960; bes. ders. : Wohin treibt die Bundesrepublik? Tatsachen, Gefahren, Chancen, München 1966. Jaspers ist deshalb eme schwer einzuordnende Figur, weil er einerseits Ehrenpräsident des CCF war, andererseits aber niemals an Veranstaltungen des Kongresses teilgenommen hatte. Alexander Mitscherlich/Margarethe Mitscherlich: Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens, München-Zürich "1987
4 Zu
Quellenlage und Forschungsstand
59
bereits funktionsunfähig geworden war. So reichhaltig es um Quellenmaterial zur Geschichte des CCF und seiner weltanschaulichen Anliegen bestellt sein mag, so spärlich ist deren wissenschaftliche Aufarbeitung bis jetzt vorangeschritten. In allererster Linie gilt dies für die Biographien der bedeutenderen Angehörigen des CCF. Auf der internationalen Ebene liegt eine Studie zu Daniel Bell vor.144 Biographische Darstellungen zu Michael Josselson, Nicholas Nabokov, Melvin Lasky, François Bondy und anderen Angehörigen der Kongreß-Leitungsebene fehlen. Eine Ausnahme stellt Arthur Koestler dar, über den eine umfangreiche Studie aus der Feder von Iain Hamilton erschienen ist.145 Bei der Lektüre dieser an sich gelungenen Arbeit ist allerdings zu berücksichtigen, daß Hamilton früher für „Forum World Feature" gearbeitet hat, eine Nachrichtenagentur, die eng mit CCF und CIA verknüpft war.146 Für Deutschland ist die Situation kaum ergiebiger. Wissenschaftliche Biographien der einstigen CCF-Mitglieder fehlen entweder ganz, oder es wird, wie in den Fällen von Carlo Schmid,147 Ernst Reuter148 und Willy Brandt,149 nur in Ausnahmefällen auf das CCF-Engagement der betreffenden Personen eingegangen. Auch die Geschichte des CCF als Organisation ist zumindest bezogen auf Deutschland bislang unzureichend erforscht. Immerhin liegen heute zwei umfassende und insgesamt brauchbare Gesamtdarstellungen zum CCF vor. Die -
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Nathan Liebowitz: Daniel Bell and the Agony of Modem Liberalism, Westport 1985. Derzeit ist auch eme umfassendere Beil-Biographie in den USA in Vorbereitung IatnHamilton: Koestler. A Biography, New York 1982; s.a. Harold Harris (Hg.): Astride the Two Cultures, London 1975. The Guardian vom 31.12.1976. Gerhard Hjrscher: Carlo Schmid und die Gründung der Bundesrepublik. Eine politische Biographie, Bochum 1986; s.a. Theo Stammen (in Zusammenarbeit mit Gerhard Hirscher) Carlo Schmid, in: Walter L. Bernecker/Volker Dotterweich (Hg.): Persönlichkeit und Politik in der Bundesrepublik Deutschland. Politische Portraits Bd. 2, Göttingen 1982, S 147159. Auch Hans Karl Rupp/Thomas Noetzel: Macht, Freiheit, Demokratie. Anfänge der westdeutschen Politikwissenschaft. Biographische Annäherungen, Marburg 1991, S. 85-96 erwähnen die Kongreßtätigkeit Schmids nicht, gehen aber S. 81 auf Eugen Kogons Beitrag zum Berliner Kongreß von 1950 ein, um anschließend festzustellen, aus dieser Veranstaltung sei der „Monat" hervorgegangen. Auch die neueste Biographie zu Carlo Schmid behandelt seine Verflechtung mit dem CCF nur ganz am Rande: vgl. Petra Weber: Carlo Schmid, 1896-1979. Eine Biographie, München 1996, S. 474f. Hannes Schwenger: Ernst Reuter. Ein Zivilist im Kalten Krieg, München 1987. Eine Ausnahme stellt Willy Brandt/Richard Löwenthal: Ernst Reuter. Ein Leben für die Freiheit. Eine politische Biographie, München 1957, S. 610-612 dar. Hierbei ist sowohl zu berücksichtigen, daß mit Brandt und Löwenthal zwei Kongreßmitglieder weit vor 1967 diese Biographie verfaßt hatten, als auch, daß eine zu große Nähe zum Kongreß nicht in Schwengers Bild eines „Zivilisten im Kalten Krieg" gepaßt hätte. Terence Prittie: Willy Brandt, Frankfurt/Main 1973; Alma Homze/Edward Homze: Willy Brandt A Biography, Nai Nashville-New York 1974; Peter Koch: Willy Brandt, Frankfurt/Main 1988; Barbara Marshall: Willy Brandt Eine politische Biographie, Bonn 1993.
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I.
Einleitung
von Peter Coleman,150 behandelt in der Regel Vorgänge auf der Ebene des Internationalen Generalsekretariates, der Internationalen Exekutive sowie der Zeitschriften und Kongresse und zwar aus einer vorwiegend angelsächsischen Perspektive. Sie basiert auf umfangreichen Quellenstudien, besonders in den IACF/CCF-Beständen in Chicago, darüber hinaus kann Coleman sich auf eine Vielzahl von Interviews mit CCF-Mitgliedern stützen, die inzwischen verstorben sind. Selbst einst Mitherausgeber der australischen CCF-Zeitschrift „Quadrant", hatte Coleman naturgemäß einen leichteren Zugang zu einer erheblichen Anzahl führender Personen im CCF als Außenstehende. Genau diese Nähe zum CCF aber trägt auch zu den Schwachpunkten von Colemans Arbeit bei. Es wäre übertrieben, ja falsch, zu behaupten, Coleman beschönige oder verheimliche etwas an der Arbeit des CCF, im Gegenteil, Coleman hat ausgesprochen sorgfältig gearbeitet. Dennoch wirkt die Darstellung gelegentlich ein wenig „offiziös"; fundamentale Kritik an den Inhalten oder Methoden des CCF ist nicht Colemans Stärke. Hinzu kommt, daß sich die Untersuchung inhaltlich, gerade weil es sich um eine Geschichte von Intellektuellen handelt, zu deutlich auf organisatorische Perspektiven beschränkt und in der stofflichen Durchdringung der geistesgeschichtlichen Aspekte Wünsche offen läßt. Diese Einschränkungen können auf der anderen Seite den grundsätzlichen Wert der Studie, die kurz nach ihrem Erscheinen in den USA zu einer Kontroverse über den CCF und das Ethos linker, antikommunistischer Intellektueller unter den Auspizien des Kalten Krieges Anlaß gab,151 nicht schmalem.
ältere,
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P. Coleman: The Liberal Conspiracy. Es handelte sich praktisch um ein im Ton gemäßigteres Wiederaufleben der Debatte zwischen 1967 und 1970: vgl. Leonhard Bushkoff: Countenntelligentsia, in: Bostonian (Jan./Feb 1990), S. 41-45, der Coleman vorwirft, als „true believer" (S. 42), allein von der Situation m Europa her zu argumentieren und beispielsweise den Vietnamkrieg und die Rolle der USA in Südostasien nicht kritisch zu reflektieren. Man erkennt den revisionistischen Hintergrund der Kritik. Eine Erwiderung auf Bushkoff erschien kurz darauf anonym ebenfalls im Bostonian: N.N.: The Congress Revisited, S. 10., wo die alten Verteidigungsstrategien des CCF aus dem Jahre 1967 noch einmal zum Zuge kamen. Wenig differenziert tendiert der Verfasser, den Diana Josselson als Keith Bossford glaubte identifizieren zu können, dazu, z.B. Lord Russell, Sartre und Noam Chomsky einfach unter dem Etikett kommunistischer Agitation zu kategorisieren. Eine differenzierte Kritik gab David M. Oshinsky: Cranky Integrity on the Left, m: The New York Times FJook Review vom 27.8.1989, S. 13f. ab, der zurecht bemerkt, Coleman stünde dem CCF partiell unkritisch gegenüber, den Grundansatz des CCF und damit auch Colemans aber durch den Einfluß des stalinistischen Mythos unter den westlichen Intellektuellen der Nachkriegszeit gerechtfertigt sieht Unter diesem Gesichtspunkt sei die Geschichte des CCF, wie von Coleman dargestellt, in der Tat eine Erfolsgeschichte gewesen. Die ausgewogenste Rezension aus revisionistischer Sicht lieferte Walter Lafeber: (Rezension von Peter Coleman: The Liberal Conspiracy), in: History Review 12 (1990), H. 3, S. 635-637; ebenfalls weniger gehässig als früher äußerte sich em anderer führender Revisionist: Christopher Lasch: (Rezension von Peter Coleman: The Liberal Conspiracy), in: American Historical Review (April 1991), S 486; s.a. John Muggeridge: Belles-Lettregate, in: The American Spectator (June 1990), S. 33-35. Dem CCF insgesamt wohlgesonnen zeigten sich Brian Crozier: A Noble Mess, in: Salisbury Review (Dec. 1990), S. 63-65 (Crozier war wie Hamilton früher bei „Forum World Feature" tätig gewesen, er hält bis heute daran fest, daß die Aufdeckung der CIA/CCF-Verbindung eine Aktion
4. Zu
Quellenlage und Forschungsstand
61
Ebenfalls maßgeblich an der Organisationsgeschichte des CCF ausgerichtet, diesmal allerdings unter einem französischen Blickwinkel, ist die neueste, umfassende Monographie zur Geschichte des internationalen CCF aus der Feder von Pierre Grémion.152 Sie überzeugt durch eine gelungene Aufarbeitung des umfangreichen Quellenmaterials. Zugleich steht sie im Kontext innerfranzösischer intellektueller Diskurse über Atlantizismus, Kommunismus, den Existentialismus Sartres und dessen Verflechtung mit stalinistischen Ideologemen, die seit der Veröffentlichung von Solschenizyns „Archipel GULAG" zu anhaltenden Kontroversen über die Stellung französischer Intellektueller im Kalten Krieg geführt haben, eine Auseinandersetzung, die kaum weniger moralisch aufgeladen ist als die amerikanische. Im Grunde hat Grémion eine Art nachträglicher Verteidigung153 für jene französischen Intellektuellen geliefert, die sich im Kalten Krieg dem Fellow-Travellertum der Majorität versagten.154 Anders als Coleman ist Grémion durchgehend um eine Einbeziehung ideeller Fragestellungen bemüht, vor allem noch für die sechziger Jahre mit der Entideologisierungsdebatte, wo Coleman tendenziell etwas oberflächlich wird. Aus Sicht der alten Kongreßführung hat der kürzlich verstorbene Edward Shils eine deutlich geistesgeschichtlich angelegte Skizze der CCF-Geschichte vorgelegt, deren erster Teil in der letzten Ausgabe des „Encounter" veröffentiicht wurde.155 Der kurze Aufsatz steht in engem Zusammenhang mit der
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des tschechoslowakischen Geheimdienstes gewesen sei); Marcus Cunliffe: Anticommunism, Anti-Anticommunism and Anti-Anti-Anticommunism, in: Review of American History 18 (Sept. 1990), S. 406-410 (ein ehemaliger Beiträger von „Encounter"), Irving Kristol: The Way We Were, in: The National Interest 3 (1989), S. 71-74; Robert K. LANDERS: Cold War Retrospective; In: Freedom at Issue (March/ April 1990), S. 37-39; ebenso der Hook-Schüler und ADAMannJoHNP. Roche: On the Intellectual Barricades, in: The New Leader vom 13.11 1989, S 18-20; die Hook-Kntik an bestimmten Entwicklungen innerhalb des CCF wird u.a. reflektiert von George Szamuely: The Intellectuals and the Cold War, in: Commentary (Dec. 1989), S. 54-56; pointiert antirevisionistisch argumentiert schließlich Ronald Radosh: Fighting the Good Fight, in: National Review vom 29.9.1989, S. 60Í Die gesamte Debatte, die manches über Coleman hinausgehende Detail an den Tag brachte, spielte sich natürlich vor dem Hintergrund des zerfallenden kommunistischen Systems in Osteuropa ab. Das Problem der Debatte lag allerdings dann, daß sie ausgeprägt auf einer vornehmlich moralischen Ebene und zu USA- und CIA-zentriert geführt wurde P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme. Wie schwer es „Atlantiker" wie z.B. Raymond Aron in den 50er Jahren in Frankreich hatten, belegt eine Notiz von W. Laqueur: Wanderer wider Willen, S. 383; s.a. R. Aron: Erkenntnis und Verantwortung, S. 187. Grémion recht ähnlich argumentiert zum CCF auch François Furet: Das Ende der Illusion. Der Kommunismus im 20. Jahrhundert, München 1996, S. 539f. Sein Werk ist in bes. Maße von der Theoriebildung der Kongreßangehörigen in den frühen fünfziger Jahren abhängig. Skeptischer als Grémion im Hinblick auf die Wirkungsmöglichkeiten des CCF in Frankreich hat sich Herbert R. Lottmann: La Rive Gauche. Du Front Populaire à la Guerre Froide, Paris 1981, S. 359 ausgesprochen. Die diametral entgegengesetzte Ansicht, darin Grémion nicht unähnlich, vertritt bezogen auf ganz Europa R. Aron: Erkenntnis und Verantwortung, S. 188. Edward Shils: Remembering the Congress for Cultural Freedom (1. Teil), in: Encounter 38 (Sept. 1990), S. 53-65. Den zweiten Teil: ders.: Remembering the Congress for Cultural Freedom (2. Teil), (unveröftentl. Manuskript), Chicago 1990, hat dankenswerterweise Melvin
62
I.
Einleitung
Veröffentlichung Colemans und ergänzt diese trefflich. Die wichtigste angelsächsische Studie zum CCF aus revisionistischer Sicht stammt von Christopher Lasch.156 Lasch behandelt auf dem Kennmisstand von 1967 vornehmlich den ACCF und die CIA-Affäre. Für ihn sind die Mitglieder des CCF, die sich dem Kampf gegen die intellektuellen Fellow-traveller des Stalinismus verschrieben hätten, selbst Fellow-traveller gewesen. Damit bringt Lasch die generelle Kritik von Neuer Linker und linkem Revisionismus zur Zeit der Studentenunruhen und des Protestes gegen den Vietnarnkrieg auf einen
Nenner. Inzwischen ist auch seine Position, nicht zuletzt unter dem Eindruck der innerkommunistischen Entwicklung seit 1967, entschieden gemäßigter geworden, ohne die generelle Kritik am Handeln des CCF aufgegeben zu haben. Umfangreichere deutschsprachige Darstellungen zum CCF existieren nicht. Am ehesten findet der CCF in literaturgeschichtlichen Veröffentlichungen beziehungsweise in Erinnerungen kritischer Schriftsteller Erwähnung. Deren Sicht, die am klarsten von Alfred Andersch zusammengefaßt worden ist, prägt bis heute die Vorstellungen von der Arbeit des Kongresses in Westdeutschland: „Die Schriftsteller der 50er Jahre, besonders der zweiten Hälfte der 50er Jahre, haben eine erhebliche politische Rolle gespielt. [...]. Auch den Kalten Krieg haben die jüngeren deutschen Schriftsteller nicht mitgemacht Es gab damals als eine kulturelle Institution des Kalten Krieges eine Einrichtung, sie nannte sich ,Kongreß für die Freiheit der Kultur'. Sie wurde initiiert von Leuten wie Koestler und Burnham und war eine absolute CIA-Angelegenheit Wenn man sich überlegt, daß sogar Leute wie Adorno daran teilgenommen haben, die jüngeren Schriftsteller aber nicht, dann müßte man heute zu einer Neueinschätzung dieser Literatur kommen "157 Der CCF wird in dieser Sicht zu sehr unter deutschen Gesichtspunkten
gesehen und ausschließlich von seiner Gründungsphase her als eine Art ferngelenkter kultureller Waffe im Kalten Krieg interpretiert. Nur so ist es möglich, daß Andersch nicht allein die Tätigkeit der jüngeren Schriftsteller Hagelstange,
Böll und Lenz im CCF schlicht nicht zur Kenntnis nimmt, sondern auch den Einfluß von Koestler und Burnham maßlos überschätzt. Eine vergleichbare Einschätzung des CCF findet sich auch bei Peter Rühmkorf, der den CCF explizit zu den „Liberalenpotentialen"158 der Großen Koalition zählt und implizit mit den „literarischen US-Apologeten"159 gemeint haben dürfte. Die Haltung von Andersch und Rühmkorf wird verständlich, wenn man sie vor dem Hinter-
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J. Lasky dem Autor zur Verfügung gestellt. Christopher Lasch: The Agony of the American Left, New York 1969, S. 61-114. Alfred Andersch/Hans-Magnus Enzensberger: Die Literatur nach dem Tod der Literatur. Ein Gespräch, in: W. Martin Lübke (Hg): Nach dem Protest. Literatur im Umbruch, Frankfurt/Main 1979, S. 85-102, hier: S. 88. Eine kenntnisreiche Einordnung dieses Zitats in den Gesamtzusammenhang der politischen Entwicklung von Alfred Andersch bietet Rhys W. Williams: „Und wenn man sich überlegt, daß sogar Leute wie Adorno daran teilgenommen haben...". Alfred Andersch and the Cold War, in: Rhys W. Williams/Stephen Parker/Colin RlORDAN (Hg.): German Writers and the Cold War, 1945-1961, Manchester-New York 1992, S. 221-244. Peter Rühmkorf : Die Jahre, die Ihr kennt. Anfälle und Erinnerungen, Hamburg 1972, S. 223. Ebda., S. 44.
4. Zu Quellenlage und Forschungsstand
63
grund der Debatten der 68er-Zeit als Produkte einer harten und polemischen Auseinandersetzung innerhalb des westdeutschen Literaturbetriebes zur Kenntnis nimmt. Hieraus erklärt sich auch die ein wenig absonderliche, wenn auch zumeist nur andeutungsweise erfolgende Einordnung des CCF in den Gesamtrahmen dessen, was seit Ende der vierziger Jahre unter „Restauration" ver-
standen wird. Weniger verständlich ist die ständig deutlicher werdende Anwendung des Restaurationsparadigmas auf den CCF und sein deutsches Umfeld vor allem in den literaturgeschichtlichen Abhandlungen der mittleren 80er Jahre.160 Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man Studien zum Ersten Deutschen Schriftstellerkongreß von 1947,161 einem der Auslöser des späteren CCF, und zur Spaltung des deutschen PEN,162 einer der ersten Aktionen des deutschen CCF, hinzuzieht. Die überzogene Verwendung des Restaurationsbegriffes insbesondere bei Literaten und Literaturhistorikern ist häufig Ausdruck eines unreflektierten Vorverständnisses von Westorientierung der Bundesrepublik. Aus der Sicht ihrer Kritiker ist bereits die Anbindung Westdeutschlands an die individualistische und marktwirtschaftlich ausgerichtete Hegemonialordnung der USA im Rahmen des Kalten Krieges Verrat an einer umfassenden antifaschistischen und sozialistischen Neuorientierung Deutschlands. Mitte der 80er Jahre verschärfte sich diese Form der antiwestlichen Kritik offenbar unter dem Eindruck der politischen Veränderungen in Bonn seit 1982 und der Debatte um die Nachrüstung.163 Selbst wenn die generelle Kritik an bestimmten Ord
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Besonders deutlich wird dies bei J. Hermand: Kultur im Wiederaufbau, S. 264f und S. 268, der den CCF fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der angeblichen Behinderung antifaschistischer Arbeit im Interesse des Kalten-Kriegs-Kurses der USA sieht; vgl. Rolf Wiggershaus: Die Frankfurter Schule. Geschichte-theoretische Entwicklung-politische Bedeutung, München 21989, S. 451 f. Die Grundtendenz teilt F. Meyer: „Auch die Wahrheit bedarf der Propaganda", S.33-42. Zurückhaltender in der Negativwertung sind Dieter Lattmann/Heinrich Vormweg: Die Literatur der Bundesrepublik Deutschland I, in: Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart Bd. 1, Frankfurt/Main 1980, S. 61. Vgl. ferner H. Glaser: Kulturgeschichte, Bd. 2, S. 53-56, der ansonsten eine zuverlässige und ausgewogene Darstellung bietet. Allg. zur Verwendung des Restaurationsbegriffes in polemischer Abgrenzung von der Adenauerzeit im Bereich der Literaturgeschichte s. Elisabeth Endres: Die Literatur der Adenauerzeit, München 1980, S. 35f und bes. S. 81 f. Zur Geschichte des Restaurationsparadigmas im wissenschaftlichen Sprachgebrauch s. Anselm Doering-Manteuffel: Die Bundesrepublik Deutschland in der Ära Adenauer. Außenpolitik und innere Entwicklung 1949-1963, Darmstadt 1983, S. 9-21. Sigrid Bock: Zum Ersten Deutschen Schriftstellerkongreß in Berlin 1947, in: Kürbiskem 10 (1975), H. 4, S. 64-74; s. neuerdings Waltraud Wende-Hohenberger (Hg.): Der Erste Gesamtdeutsche Schriftstellerkongreß nach dem Zweiten Weltkrieg im Ostsektor Berlins vom 4.-8. Oktober 1947 (Massenmedien und Kommunikation 47/48), Siegen 1987. Vgl. a. H. Mayer: Deutscher auf Widerruf, S. 392f. Helmut Peitsch: „Die Freiheit fordert klare Entscheidungen". Die Spaltung des PEN-Zentrums Deutschland, in: Kürbiskern 21 (1985), H. 3, S. 105-124. Wesentlich gemäßigter wird die literaturgeschichtliche Einschätzung der fünfziger Jahre dann im Umfeld der Ereignisse von 1989/90. Vgl. dazu: Rhys W Williams/Colin Riordan: Introduction, in: R. W Williams/S. Parker/C Riordan (Hg): German Writers, S. 1-6, s.a. Colin Smith: All Oüiet on the Eastern Front? East German Literature and its Western Reception, in:
64
I.
Einleitung
nungsbestrebungen der Adenauerzeit berechtigt sein mag, erscheint die Anwendung des Restaurationsparadigmas unlauter, sofern sie auf den CCF angewendet wird. Diesem ging es eben nicht um eine Wiederherstellung der Verhältnisse der Weimarer Zeit oder gar des Kaiserreiches; der CCF war ebenso antifaschistisch wie antistalinistisch und eine Organisation reformorientierter, aber antikommunistischer Linker. Soll das Restaurationsparadigma jenseits
tagespolitisch-ideologisch motivierter, polemischer Anwendung überhaupt einen sinnvollen Inhalt
anzuwenden.164
behalten,
täte
man
gut daran,
es
nicht auf den CCF
Nicht weniger kritisch, ohne aber den Restaurationsgedanken überzustrapazieren, argumentiert Frank Tichy in seinem gut recherchierten Aufsatz zum
Ende des „Encounter". Zwar tendiert er dazu, Kurt Schumacher in eine Nähe zum CCF zu rücken, die es so nicht gegeben hat,165 dafür bietet Tichy wichtige Informationen zur CIA-Verstrickung des Kongresses. Insgesamt stellt dieser kurze Aufsatz derzeit die beste Zusammenfassung zur Geschichte des Kongresses in deutscher Sprache dar, ohne jedoch näher auf die deutsche Sektion
einzugehen.
Auf den Verlauf der Berliner Veranstaltung vom Sommer 1950 beschränkt bleibt die Darstellung von Richard Löwenthal,166 der aus dem Rückblick die Binnensicht eines Kongreßangehörigen reflektiert. Auch Anne-Marie CorbinSchuffels legt einen gewissen Schwerpunkt auf die Darstellung des Berliner Kongresses, wobei sie die Rolle von Manès Sperber, insbesondere als Mitverfasser des „Manifestes" des CCF, hervorhebt.167 Von kommunistischer Seite liegt ein knapper Beitrag zur Geschichte des CCF und seines Verhältnisses zu Johannes R. Becher vor, der sich ebenfalls fast ausschließlich mit dem Gründungskongreß des CCF befaßt und der ideologischen Voreingenommenheit wegen außerordentlich problematisch
ist.168 Ähnlich defizitär wie im Falle der deutschen Sektion des CCF ist die Forschungslage zum „Monat". Eine Gesamtdarstellung fehlt bislang, in der Regel findet der „Monat" in Überblicken zur amerikanischen Kulturpolitik in West-
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ebda, S. 7-26, s.bes. S. 13. Zur Kritik des Restaurationsparadigmas vgl. A. SCHELDT: Freizeit, Massenmedien und „Zeitgeist", S. 13-16. S. ebenso Anselm Doering-Manteuffel: Die Kultur der 50er Jahre im Spannungsfeld von „Wiederaufbau" und „Modernisierung", in: Axel Schildt/Arnold Sywottek (Hg.): Modernisierung im Wiederaufbau Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre, Berlin 1993, S. 533-540. Vgl. F.R. ALLEMANN: Bonn ist nicht Weimar, S. 108-114. F. Tichy: Encounter, S. 42. Richard Löwenthal: Zwischen Mut und Angst Berlin 1950, m: Die Grenzen sprengen. Edzard Reuter zum Sechzigsten, Berlin 1989. Anne-Marie Corbin-Schuffels: Von Berlin nach Berlin: Manès Sperber und der Kongreß für kulturelle Freiheit (1950-1960), (unveröffenti. Manuskript) Lyon 1995. Frau Corbin-Schuffels plant derzeit eine Monographie zur österreichischen Sektion des CCF. Dieter Schiller: Bündnissuche und Auseinandersetzung. Becher und der antikommunistische „Kongreß für kulturelle Freiheit", in: Weimarer Beiträge 34 (1988), S. 1739-1749. -
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4 Zu
Quellenlage und Forschungsstand
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deutschland eine kurze Erwähnung.169 Dabei wird der „Monat" völlig zu Recht primär unter amerikanischen Bemühungen zur „re-education" und zur Bekämpfung des Kommunismus eingeordnet. Zu einem ähnlichen Urteil kommen, wenn auch gelegentlich den Aspekt des Antikommunismus übertreibend, die ausgezeichnete Arbeit von Margit Ketterle,170 die aber auf die Frühzeit beschränkt bleibt, und die Studie von Hansjörg Gehring,171 die sich gleichfalls nur mit der Zeit unter direkter amerikanischer Regie auseinandersetzt. So berechtigt es ist, den „Monat" unter dem antitotalitären Doppelgesichtspunkt von Antikommunismus und antinationalsozialistischer „re-education" zu analysieren, so wenig überzeugend erscheint es, im „Monat" eine Zeitschrift zu sehen, die den „Abendlandtopos" in besonderer Weise propagiert habe, wie Jost Hermand behauptet.172 Die liberaldemokratische Ideologie, für die der „Monat" einstand, war dem genuin konservativen Denken in reichischen oder abendländischen Kategorien, wie es vornehmlich in katholischen Kreisen gepflegt wurde, diametral entgegengesetzt. Allein in der ersten Nummer des „Monat" finden sich gehäuft abendländische Topoi, danach wird der Begriff nur noch in Ausnahmefällen verwandt. Zum komplexen Thema einer Rezeptionsgeschichte des „Monat" findet sich eine ältere Darstellung aus der Feder von Harold Hurwitz.173 Hurwitz, selbst aus dem engeren Kreis um den „Monat" und den Berliner CCF stammend, vergleicht in seiner Untersuchung das Rezeptionsverhalten ost- und westdeutscher Leser, wobei erstere besondere Berücksichtigung finden. Zwar ist einzuräumen, I daß das vorgelegte Datenmaterial gerade im Hinblick auf Leser aus der DDR nur begrenzt Repräsentativität beanspruchen kann, dennoch ist Hurwitz' Werk für eine Gesamtgeschichte des „Monat" unverzichtbar. Zur inhaltlichen Ausgestaltung des „Monat" wäre schließlich noch auf einen Aufsatz von
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So etwa in Hans Borchers/Klaus W. Vowe: Die zarte Pflanze Demokratie. Amerikanische Reeducation in Deutschland im Spiegel ausgewählter politischer und literarischer Zeitschriften (1945-1949), Tübingen 1979, S.43-46. Ausführlicher, wenn auch überwiegend mit literarischen Rezeptionsphänomenen beschäftigt, ist Birgit Bödeker: Amerikanische Zeitschriften in deutscher Sprache, 1945-1952. Ein Beitrag zur Literatur und Publizistik im Nachkriegsdeutschland, Frankfurt/Main 1993, S. 157-189 und S. 279-302. Margit Ketterle: Literatur und Politik im Nachkriegsdeutschland der Zeitschrift „Der Monat" 1948-1955, (unveröffentl. Magisterarbeit) München 1984. Hansjörg Gehring: Amerikanische Literaturpolitik in Deutschland 1945-1953 Ein Aspekt des re-education Programms, Stuttgart 1976, S.74-76 J. Hermand: Kultur im Wiederaufbau, S.86f; s. allg. dag.: H. Grebing: Konservative gegen die Demokratie, S.263-317; va. Jonas Jost: Der Abendlandgedanke in Westdeutschland nach 1945. Versuch und Scheitern eines Paradigmenwechsels in der deutschen Geschichte nach 1945, Diss. Hannover 1994, S. 323-326, der eine differenzierte Analyse der weltanschaulichen Ziele des „Monats" bietet Ebenfalls sachgemäßer als Hermand urteilt H. Glaser: Kulturgeschichte, Bd. 1, S. 194-196, der von der Tradierung und Problematisierung „abendländischen Bewußtseins" spricht, s. S. 195. Harold Hurwitz: Der heimliche Leser. Beiträge zur Soziologie des geistigen Widerstandes, Köln-Berlin 1966. -
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I.
Einleitung
Melvin Lasky hinzuweisen,174 der aber allzusehr dem anekdotischen Detail verhaftet bleibt. Eine Sonderstellung in jedem Literaturbericht zur Geschichte des CCF wird die Geheimdienst-Historiographie einnehmen müssen. Dies gilt sowohl allgemein, bezogen auf Darstellungen zur Geschichte des Geheimdienstwesens als solchem, als auch im Hinblick auf die Geschichte der „covert actions" der CIA. Solange sich die Archivpolitik der CIA nicht ändert, wird man weiterhin, neben verstreut und unsystematisch aufgrund des „Freedom of Information Act" freigegebenen Quellenbeständen, vor allem auf qualitativ sehr unterschiedliche Sekundärliteratur, die ihrerseits in der Regel auf den Ergebnissen des „Senate Select Committee on Intelligence"175 beziehungsweise der Recherche engagierter Journalisten beruht, und autobiographische Äußerungen ehemaliger CIAAgenten zurückgreifen müssen. Während in Deutschland, sieht man von einer Reihe von Studien zum OSS ab,176 die Geheimdienstgeschichte noch in den Anfängen steckt,177 ist die Situation in den angelsächsischen Ländern erheblich
günstiger.178
Die derzeit wohl beste Gesamtdarstellung zur Geschichte der CIA stammt John Ranelagh.179 Darüber hinaus existieren eine ganze Reihe wertvoller Überblicke, die wahlweise eher offiziösen Charakter haben180 oder revisionistische Tendenzen181 vertreten. Während die offiziöse CIA-Historiographie dazu von
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Melvin J. Lasky: Was wir nach '45 anders machen wollten!, in: Lutz Erbring u.a. (Hg): Medien ohne Moral. Variationen über Journalismus und Ethik, Berlin 1988, S. 64-72. Besser bekannt nach seinem Vorsitzenden Frank Church als „Church-Committee". Die Ergebnisse sind als U.S. Congress Select Committee to Study Governmental Operations With Respect to Intelligence Activities (Church Committee). Hearings, Vol. 7: Covert Actions. 94th Congress, 1* Session, Washington, DC. 1975, publiziert. Z.B. die bemerkenswerte Arbeit von Petra Marquardt-Bigman: Amerikanische Geheimdienstanalysen über Deutschland 1942-1949, München 1995. Erste Ausnahmen bilden Beatrice Heuser: Subversive Operationen im Dienste der „RollBack'-Politik 1948-1953, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 37 (1989), S. 279-297 und Hans Jürgen Koschwitz: Der verdeckte Kampf. Methoden und Strategien geheimer Nachrichtendienste zur Manipulation der Auslandsmedien, in: Publizistik 33 (1988), S. 71-88. Einen umfangreichen Literaturbericht hat kürzlich John Ferris: Coming in From the Cold War: The Historiography of American Intelligence, 1945-1990, in: Diplomatic History 19 ( 1995), S. 87-115 vorgelegt, zur Quellenlage s. Zachary Karabell/Timothy Naftali: History Declassified: The Perils and Promises of CIA Documents, in: Diplomatic History 18(1994), S. 615-626 J. Ranelaugh: The Agency. Arthur B Darling: The Central Intelligence Agency. An Instrument of Government to 1950, University Park and London 1990; Michael Warner (Hg.): The CIA Under Truman, Washington 1994; Stansfield Turner: Secrecy and Democracy The CIA in Transition, Boston 1985; Rhodri Jeffreys-Jones: The CIA and American Democracy, New Haven 1989; Scott D. Breckinridge: The CIA and the U.S. Intelligence System, Boulder 1986. Lyman B. Kirkpatrick jr.: The Real CIA, New York 1968; Harry Rositzke: The CIA's Secret Operations, New York 1977; Douglas S. Blaufarb: The Counterinsurgency Era. US Doctrine and Performance 1950 to the Present, New York 1977; Frank J. Donner: The Age of Surveillance. The Aims and Methods of America's Political Intelligence System, New York 1980; Victor Marchetti/John D. Marks: The CIA and the Cult of Intelligence, New York 1980; Thomas Powers: CIA, Hamburg 1980 und W. Blum. The CIA. Extrem revisionistisch -
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4. Zu
Quellenlage und Forschungsstand
67
neigt, sich in organisatorischen Details zu ergehen, liegt der Schwerpunkt der Revisionisten naturgemäß auf den „covert action"-Aktivitäten des US-amerikanischen Geheimdienstes.182 Gelegentlich nehmen diese Werke dann auch hyperkritische Züge gegenüber jedwedem Handeln amerikanischer RegierungsNeben einer Reihe von Artikeln, die sich mit dem Verhältnis von US-Außenpolitik und CIA im allgemeinen beschäftigen,183 findet sich auch ein ausführlicher Rezensionsartikel zum Buch von Peter Cole-man, der auf die CCF/CIA-Verflechtung eingeht184. Für das Verhältnis zwischen CIA und CCF von besonderer Bedeutung sind einige autobiographische Werke und Artikel.185 stellen
182 183
184 185
an.
bzw. stark von kommunistischer Gegenpropaganda beeinflußt ist das schon genannte Werk von G. Neuberger/M. Opperskalski (Hg): CIA m Westeuropa. Zur CIA-Geschichte existiert eine zuverlässig kommentierte Bibliographie von Mark M. Lowenthal: The U.S. Intelligence Community. An Annotated Bibliography, New York-London 1994. Dies gilt nur in Grenzen für das Werk von GR. Teverton: Covert Action, das Produkt der Tätigkeit des Verfassers im „Church-Committee" ist. Trevor Barnes: The Secret Cold War. The CIA and American Foreign Policy in Europe, 19461956, Part I, in: Historical Journal 24 (1981); S. 399-415; ders.: The Secret Cold War. The CIA and American Foreign Policy in Europe, 1946-1956, in: Historical Journal 25 (1982), S. 645670; Robert A. Gates: The CIA and American Foreign Policy, in: Foreign Affairs 66 ( 1987/88), S. 215-230. Zur Rolle der amerikanischen Gewerkschaften in der globalen Konzeption der CIA s.u.a.: George Morris: CIA and American Labor. The Subversion of the AFLCIO's Foreign Policy, New York 1967. Richard R. Valcourt: Conspiring for Democracy, in: International Journal of Intelligence and Counterintelligence 4 ( 1990), H. 1, S 119-129. Christopher Felix: A Short Course in the Secret War, New York 1962; William Colby: Honorable Men. My Life in the CIA, New York 1978 und C Meyer: Facing Reality. Überaus wichtig sind die Artikel von Thomas Braden in der Saturday Evening Post vom 20.5.1967 und in Newsweek vom 22.5.1967.
II. DIE VORGESCHICHTE DES „KONGRESSES FÜR KULTURELLE FREIHEIT" 1. Die amerikanische
Sendung
our fate as a nation not to have ideologies but to be one."1 Mit diesen ironischen und sicher vereinfachenden Worten hat Richard Hofstadter schon sehr früh auf einen der zentralen Faktoren amerikanischer Geistesgeschichte, die Dominanz liberaler Diskurse, hingewiesen. Die Entstehungszeit von Hofstadters Äußerung ist dabei kein Zufall, sie fällt genau in jene Phase, die man gemeinhin als die Epoche des „consensus liberalism" zu fassen versucht, also den Zeitraum etwa seit 1947 bis in die Mitte der sechziger Jahre.2 Die Vereinigten Staaten präsentierten sich dem in- und ausländischen Beobachter als „one-ideology-society",3 als das einzige Land, in welchem sich der „reine Liberalismus"4 am vollkommensten präsentierte; ein Liberalismus zugleich, der sich auf dem Höhepunkt seiner Macht wußte.5 Wie aber war es, nach all den inneren Zerreißproben, von denen die amerikanische Gesellschaft gerade seit Beginn des 20. Jahrhunderts immer aufs neue heimgesucht worden war, zu dieser weitgehenden Dominanz einer weltanschaulichen Strömung gekommen? Welche historischen Wurzeln hatte der „consensus liberalism"?6
„It has been
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5 6
Richard Hofstadter: Anti-Intellectualism in American Life, New York 1963, S. 43. Richard H. Pells: The Liberal Mind in a Conservative Age. American Intellectuals in the 1940s and 1950s, Middletown 21984, S. 56 datiert den Beginn des Konsenses erst auf die späten vierziger Jahre, macht ihn allerdings auch weniger von inhaltlichen Dingen abhängig als von der Durchsetzung der Ideologie des Kalten Krieges in der Außenpolitik. Unter diesem Gesichtspunkt ist der liberale Konsens dann nicht nur Weltanschauung einer bestimmten Gruppe nichtkommunistischer Liberaler, sondern realer gesellschaftlicher Konsens breitester Schichten der amerikanischen Bevölkerung. Zu Hofstadter und Louis Hartz als intellektuellen Vordenkem des Konsenses vgl. ebda, S. 152-160. Ebda., S. 43.
Gottfried Dietze: Amerikanische Demokratie. Wesen des praktischen Liberalismus, München 1988, S. 17, allerdings mit der ausgesprochen negativen Konnotation sozialer Bindungslosigkeit verknüpft. Damit erinnert Dietze ein wenig an die Grundthese von Gert Raeithel: Geschichte der nordamerikanischen Kultur. Bd. 3: Vom New Deal bis zur Gegenwart 1930-1988, Berlin 1989, S. 3 über das Vorherrschen „vergleichsweise schwache(r) Objekts- und Sozialbeziehungen" m der amerikanischen Kultur K.M. Dolbeare/L.J. Medcalf: American Ideologies Today, S. 49. Es ist zu beachten, daß der vornehmlich heuristische Terminus zweierlei meinen kann: zum einen die idealtypisch gedachte Verbindung von „liberalism", „radicalism" und „conservatism" in einer lockeanischen Gesamtstruktur, zum anderen die faktische intellektuelle Vorherrschaft eines bestimmten liberalen Segments, das in der Folge besondere Berücksichtigung erfahren soll und auch mit „New Deal-liberalism" bzw. „New Deal-order" in ihrer anukommunistischen Variante bezeichnet werden kann. Einen wichtigen Versuch, die Ideologie des „consensus" unter den
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Sendung
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Für die
Gesamtfragestellung dieser Arbeit ist die historisch-genetische und systematisch-inhaltliche Analyse des „consensus liberalism" im Sinne eines ausdifferenzierten Teilsegmentes amerikanischer weltanschaulicher Entwicklungen seit den dreißiger Jahren unverzichtbar. Genau hier nämlich findet sich
die kohärenteste Alternative zu den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts in den Weltanschauungskämpfen der fünfziger und sechziger Jahre. In der Folge sollen deshalb die Entstehungsbedingungen und inhaltlichen Festlegungen näher untersucht werden, die für die Zukunft der Konsensliberalen relevant waren. In weltanschaulicher Hinsicht konstitutiv waren dabei die dreißiger Jahre. Unter den besonderen ökonomischen und politischen Bedingungen der Weltwirtschaftskrise kam es zu dieser Zeit nicht nur innerhalb der Rooseveltadministration, sondern auch in den liberalen Intellektuellenzirkeln, die maßgeblich an den konzeptionellen Vorarbeiten für die US-Regierung beteiligt waren, zu einer Neuformierung ihres ideologischen Potentials. Dabei wird die folgende Darstellung, die sich ausschließlich auf jene Momente konzentriert, die für die spätere ideologische Entwicklung des CCF bedeutsam
zwangsläufig kursorisch bleiben müssen. Eine umfassende Entwicklungsgeschichte des amerikanischen Liberalismus wäre selbstverständlich sehr viel breiter anzulegen. Das ideologisch bedeutsame Element des Antitotalitarismus wird zudem vorerst ausgespart, um dann im Zusammenhang mit den Entwicklungen der unmittelbaren Nachkriegszeit näher behandelt zu werden. Femer wird am Ende auch auf jene Gruppierung einzugehen sein, die maßgeblich für die nationale und internationale Verbreitung des „consensus liberawaren,
lism" verantwortlich war: die „New York Jewish Intellectuals". Damit stellt sich zwar das methodische Problem, innerhalb eines Zusammenhangs gleichermaßen Ideen und personale Netzwerke behandeln zu müssen, also auf zwei unterschiedlichen Ebenen zu arbeiten, dennoch wird man nicht umhin können, in die Untersuchnung von Ideen und Werten stets auch deren Träger miteinzubeziehen. Überdies stellen die „New York Jewish Intellectuals" in den fünfziger Jahren den personellen Kern des ACCF, sind also für die Geschichte des CCF unverzichtbar. Da es hier zudem um die Untersuchung transnationaler Prozesse geht, kann die Behandlung regierangsamtlichen Handelns weitgehend
ausgespart werden.7
Die amerikanische Gesellschaft, konstatierte Louis Hartz Mitte der fünfziger
Jahre, basiere seit dem Beginn der eigenständigen Geschichte der Vereinigten politischen Bedingungen
der Nachkriegszeit zu rekonstruieren, unternimmt G. Hodgson: America in Our Time, S. 67-98. Für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg liegen für das ineinander verflochtene kulturpolitische Handeln amerikanischer privater Institutionen und der diversen Administrationen heute schon vorzügliche Darstellungen vor: M. Hunt: Ideology and American Foreign Policy; F. Ninkovich: The Diplomacy of Ideas; T. Smith: America's Mission; F. Costigliola: Awkward Dominion und E. Rosenberg: Spreading the American Dream. Für die Nachkriegszeit plant Frank Schumacher (Köln) eine Analyse regierungsamtlichen Handelns im Bereich der Kulturpolitik.
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II Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Staaten auf einem ebenso dogmatischen wie unterbewußten Konsens, der sich seinerseits aus der lockeanischen Philosophie gespeist habe.8 Dieser lockeanische Grandkonsens, aufbauend auf den Prinzipien der Individualität, der persönlichen Freiheit, der Vorherrschaft des Rechtes und des Privatbesitzes, habe in einem weiten Verständnis alle politischen Hauptströmungen der USA umfaßt. So wäre zum Beispiel amerikanischer Konservativismus als Altliberalismus zu verstehen, der den Primat der Individualität gegenüber egalitären Tendenzen verteidige, während der US-Liberalismus egalitäres Denken vorziehe. Beide Strömungen werden auf diese Weise zu zwei Seiten einer Medaille.9 Mit Hilfe dieser These versuchten Hartz, Hofstadter und ihre historischen und soziologischen Mitstreiter, allesamt Verteter des reformorientierten Lagers der „liberals", eine Antwort auf die Frage zu geben, warum die USA stabilere und kontinuierlichere gesellschaftliche Konturen aufwiesen -
-
als die Staaten Europas. Wichtiger war allerdings, daß man glaubte, aus der eigenen Geschichte eine Handlungsanleitung für die jeweilige Gegenwart ablesen zu können, die auch für andere Gesellschaften von Belang sein müß-
te.10
Natürlich argumentierten die Vertreter des Konsenses zeitbedingt verkürzend und einseitig. Dennoch konnten sie durchaus auf reiches historisches
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L. Hartz: The Liberal Tradition, S. lOf. und S. 37-66; K.M. Dolbeare/L.J. Medcalf: American Ideologies Today, S. 22-28; James P. Young: The Theory of the Liberal Consensus and the Politics of Interpretation, in: Franz Gress/Hans Vorländer (Hg.): Liberale Demokratie in Europa und den USA. Festschrift für Kurt L. Shell, Frankfurt/Main-New York 1990, S. 34-48, hier S. 36. Young wirft Hartz vor, Lockeanismus nicht sauber zu definieren und Demokratie mit Liberalismus gleichzusetzen. Außerdem wäre gegenüber Hartz immer R. Hofstadter: The American Political Tradition, S. 20f. zu berücksichtigen, der gegenüber dem anthropologischen Optimismus der Lockeaner auf die Bedeutung von Hobbes' eher pessimistischem Menschenbild für die Abfassung der amerikanischen Verfassung hinweist. Auf der anderen Seite deutet auch Hofstadter die Konflikte innerhalb der amerikanischen Gesellschaft als Ausdruck eines tieferen Konsenses, vgl. J.P. Young: Liberal Consensus, S. 35. Zur „republican synthesis" von Lockeanismus und klassischem Republikanismus der Gründervatergeneration s. Michael P. Zuckert: Natural Rights and the New Republicanism, Princeton 1994. Auf der anderen Seite muß deutlich hervorgehoben werden, daß es in den USA natürlich immer auch nichtlockeanische Diskurse gegeben hat, wenn auch ein genuiner antirevolutionärer Konservativismus offenkundig fehlt. Dafür existieren bis heute eine Vielzahl va. religiös legitimierter Diskurse, z.B. im Bereich des fundamentalistischen Protestantismus oder der katholischen Neuscholastik. Am entschiedensten hat dies in jüngster Zeit Richard J. Ellis: American Political Cultures, New York 1993, hervorgehoben. Trotz der zeit- und ideologiegebundenen Einseitigkeit der Thesen von Hartz und Hofstadter bleibt jedoch festzuhalten, daß es nicht zuletzt im 20. Jahrhundert einen gewissen Vorrang des Liberalismus in den intellektuellen und öffentlichen Diskursen der USA zumindest bis m die sechziger Jahre gegeben hat, zumal wenn man ihn in der zeittypischen Form des „consensus liberalism" seit den dreißiger Jahren begreift. Das Besondere an den USA ist dabei weniger das Faktum lockeanischer Theorien als solcher, sondern deren langfristig wirksame, zeitweilig bis zur ideellen Alleinherrschaft gelangenden Dominanz. Larry L. Gerber: The Limits of Liberalism. Josephus Daniels, Henry Stimson, Bernhard Baruch, Donald Richberg, Felix Frankfurter and the Development of Modem American Political Economy, New York-London 1983, S. 1-12.
1 Die amerikanische
71
Sendung
Material zurückgreifen, das es erlaubte, die Entstehung des „consensus liberalism" geistesgeschichtüch recht gut nachzuzeichnen. Denn in der Tat waren die inneramerikanischen Diskurse spätestens seit der Zeit des Unabhängigkeitskrieges stark vom Denken in den Kategorien von Aufklärung und Liberalismus geprägt. Bereits in der amerikanischen Aufklärung findet sich jenes Programm wenigstens dem Ansatz nach wieder, mit dem sich die liberalen Intellektuellen der Konsensära seit dem Ende der dreißiger Jahre der totalitären Herausforderung stellten: „The men of the Enlightenment [...] united on a vastly ambitious program, a program of secularism, humanity, cosmopolitanism, and freedom, above all, freedom in its many forms freedom from arbitrary power, freedom of speech, freedom of trade, freedom to realize one's talents, freedom of athletic response, freedom in a word, of moral man to ' -
make his way in the world.'"1
Freiheit, Freiwillentlichkeit,
der optimistische Glaube an die umfassende des Menschen stellten die anthropologische Ausgangsbasis Vemunfthaftigkeit der Überzeugungen des amerikanischen Liberalismus dar,12 trotz aller skeptischen Einwendungen der „founding fathers". In der praktischen Umsetzung wurden diese Grundlagen mit rechtlichen Elementen verknüpft, woraus sich in der Folge so wichtige Gedanken wie der bekannte „pursuit of happiness", aber auch und grundsätzlicher der „rule of law" entwickelten.13 Im „American Creed"14 kamen zu den genannten individualistisch-besitzbürgerlich definierten Vorstellungen, die allesamt auf einem lockeanischen Freiheits- und Vemunftkonzept gründeten, noch entschieden egalitaristische Gedankengänge hinzu, die in der Folge in der amerikanischen Gesellschaft einige Wirksamkeit entfalten sollten.15 Für die historische Begrün -
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L. Perry: Intellectual Life, S. 152, s.a. die einschränkenden Bemerkungen S. 195-197, die sich bes. auf den nachlassenden Einfluß des säkularisierenden Deismus nach 1800 beziehen; vgl. dagegen Merle Curtí: The Growth of American Thought, New York 21951, S. 106-112. M. Curtí: American Thought, S. 103-107; Ludwig Marcuse: Amerikanisches Philosophieren. Pragmatisten, Polytheisten, Tragiker, Hamburg 1959, S. 20. Im Gegensatz zu Curti, der mehr aus der Tradition der mittelwestlichen „progressives" stammt, liegt Marcuse eher auf der Linie der Konsensliberalen. Sein kleines Werk ist der Versuch, einige Bestandteile des Konsenses in der deutschen Philosophie der Adenauerzeit zu verankern. Eine Typologie der individualistischen Vorstellungen, die dem Freiheitsverständnis des US-Liberalismus zugrundeliegen bieten Richard O. Curry/Lawrence B. Goodheart: Individualism in Transnational Context, in: Richard O. Curry/Lawrence B. Goodheart (Hg.): American Chameleon. Individualism in Trans-National Context, Kent-London 1991, S. 1-19, die va auf den nicht mehr hinterfragbaren Wert des menschlichen Einzelwesens, dessen Selbstentwicklung und Autonomie, bes in
sittlicher Hinsicht, das Element des Privaten, den Antikollektivismus, den Nominahsmus als Konstituenten abstrakter Individualität abheben. Zur historischen Entwicklung in den USA s. Richard O. Curry/Karl E. Valois: The Emergence of an Individualistic Ethos in American Society, in: ebda., S. 20-43. Vgl. ferner: Anthony Arblaster: The Rise and Decline of Western Liberalism, Oxford 1984, S. 15-37 und S. 55-94, speziell zum US-amerikanischen Liberalismus S. 196-202. M. Curtí: American Thought, S. 117-120. Hans Vorländer: „American Creed", liberale Tradition und politische Kultur der USA, in: F. Gress/H. Vorländer (Hg): Liberale Demokratie, S. 11-33. Ebda, S. 11; vgl. Cornel West: The American Evasion of Philosophy. A Genealogy of Pragma-
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II. Die Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
dung der Exzeptionalität des amerikanischen Weges wurden daraufhin die historiographischen Debatten um die Präsidentschaft von Andrew Jackson zentral.16 Kern der Argumentation der konsensliberalen Historiker wurde der Versuch, eine gleichermaßen sozialpolitisch wie intellektuell überlegene Linie
amerikanischer Politik von Thomas Jefferson17 über Andrew Jackson hin zu Franklin D. Roosevelt zu konstruieren, der gegenüber alle inneramerikanischen Gegner in jeder Hinsicht unterlegen erscheinen mußten. Damit grenzten sie sich zudem von allen konflikttheoretischen Ausgangspunkten ihrer progressivistischen Rivalen ab, mit denen sie ansonsten aber zumindest der Ansprach auf soziale und ökonomische Reform verband. Doch nicht nur die Kritiker des dem Konsensgedanken innewohnenden Anspruches auf umfassende kulturelle Hegemonie in den USA, sondern auch dessen Verfechter mußten erkennen, daß es fundamentale Differenzen zwischen dem Aufklärungsliberalismus des 18. Jahrhunderts gab, der „Ideologie" Jacksons und der Weltanschauung der liberalen Orthodoxie in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Der Liberalismus erwies sich und erweist sich immer wieder aufs neue als inhaltlich kaum präzise zu definierende Größe,18 weniger ein festes Programm als ein Set von Überzeugungen, die um die Freiheit und Würde der Person kreisen.19 Einer der augenblicklich erkennbaren Hauptunterschiede zwischen dem frühen Liberalismus und dem „consensus liberalism" lag auf dem Gebiet von Wirtschafts- und Gesellschaftsplanung. Der frühe Liberalismus, korrekter: der klassische Republikanismus und seine radikaleren Deri-
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tism, Madison 1989, S. 5; R. Hofstadter: Anti-Intellectualism, S. 50f: zum Individualismusverständnis der Konsenszeit vgl. Lawrence B. Goodheart/Richard O. Curry: A Confusion of Voices: The Crisis of Inividualism in Twentieth-Century America, in: R.O. Curry/L.B. Goodheart (Hg.): American Chameleon, S. 188-121. Es ist hier nicht der Raum, die Kontroversen um die Deutung der „Jacksonian Era" im Detail nachzuzeichnen, dennoch sollte festgehalten werden, daß, neben der unterschiedlichen Beurteilung des Kalten Krieges, sich die Kluft zwischen den Vertretern der Konsensorthodoxie und der verschiedenen Revisionismen am ehesten in den Debatten über Andrew Jackson niederschlägt. Vgl. zur orthodoxen Sicht A.M. Schlesinoer: The Age of Jackson, S. 306-321 und S. 505-524; R. Hofstadter: The American Political Tradition, S. 57-86; L. Hartz: The Liberal Tradition, S. 114-142. Zur Kritik s. bes. Edward Pessen (Hg.): The Many-Faceted Jacksonian Era. New Interpretations, Westport-London 1977. Eine neuere Zusammenfassung der Diskussion bietet Sean Wilentz (Hg.): Major Problems in the Early Republic, 1787-1848, LexingtonToronto 1992. Deutlich früher als die Konsensliberalen der fünfziger Jahre setzt gegenwärtig LiahGreenfeld: Nationalism. Five Roads to Modernity, Cambridge-London 1992, S. 397-484 das Entstehen des zivilbürgerlichen Individualismus als Konstituens liberal-amerikanischen Nationalismus an, der für sie ein Erbe der britischen Kolonialzeit darstellt, dessen aus Inkohärenz geborene Dynamik gewissermaßen in andauernder Dialektik die Existenz des Systems sichere Thomas Jefferson galt nachgerade als der Erfinder des Konsensgedankens, so wie Eisenhower als Inkarnation dieses Prinzips angesehen werden konnte. Vgl. Stephen J. Whitfield: The Culture of Cold War, Baltimore-London 1991, S. 17. Lloyd C. Gardner: A Covenant With Power. America and World Oder From Wilson to Reagan, London 1984, S. XIII. Alonzo L. Hamby: Beyond the New Deal. Harry S. Truman and American Liberalism, New York 1973, S. XIII.
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vate, war, auch noch zur Zeit von Andrew Jackson, trotz seiner Rhetorik vom „common man", ausgesprochen staatsfern und dem ökonomischen „laissezfaire" verpflichtet. Hierbei mögen Relikte antifeudaler Tradition eine gewisse Rolle gespielt haben. Der „consensus liberalism" hingegen verstand sich explizit als etatistisch, gerade im Hinblick auf die Planung wirtschaftspolitischer und gesamtgesellschaftlicher Vorgänge. Im Interesse der Freiheit des Individuums, so die neue Argumentation, gelte es, den Staat stark zu machen. Auf diese Weise setzte sich der Liberalismus auch von dem in altliberalen Vorstellungen verharrenden „conservatism" ab.20 Der entscheidende Grand für die innere Verwandlung des Liberalismus (im engeren Sinn des Wortes) in den USA lag um 1950 noch gar nicht so lange zurück. Bis zu einem gewissen Grade war der „consensus liberalism" der Nachkriegszeit ein legitimes Kind des New Deal, wobei auch dessen Inhalte nicht allein in der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre wurzelten.21 Das galt insbesondere für den Stellenwert intellektueller Experten für die Planung und Durchführung administrativer Maßnahmen. In ersten zaghaften Anfangen bereits seit den 1850er Jahren, verstärkt dann seit dem Ende des Ersten Weltkrieges, war das Vertrauen in die wissenschaftliche Planbarkeit gesellschaftlicher Vorgänge gewachsen, ohne daß dies vorerst in den nationalökonomischen Schulen Niederschlag gefunden hätte.22 Eine herausragende Rolle bei dieser Verwissenschaftlichung der konzeptionellen Planung von Politik spielte die amerikanische Soziologie, wobei vor allem Lester Frank Ward und John Dewey zu nennen wären; eine Entwicklung, die nach dem Zweiten Weltkrieg noch erheblich größere und dann auch international relevante Formen
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Vgl. K.M. Dolbeare/L.J. Medcalf: American Ideologies Today, S. 30 und S. 217-219; G. Dietze: Amerikanische Demokratie, S. 10; L. Hartz: The Liberal Tradition, S. 37; K. von Beyme: Vorbild Amerika?, S. 9; Clifton Brock: Americans for Democratic Action. Its Role in National Politics, Westport 1985 (Neudruck von 1962), S. 17-38. Die enge Verbindung von Liberalismus, dem New Deal und der Person Franklin D. Roosevelts hat z.B. C. Brock: Americans for Democratic Action, S. 39 unterstrichen: „Rightly or wrongly, for at least one generation of Americans, FDR, the New Deal, and liberalism were almost terms. was Roosevelt synonymous the political instrument through which many of the ideas and plans of the liberal intellectuals of the 1930s and 1940s became social realities." L. Perry: Intellectual Life, S. 346-354. In die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg fiel auch die Einführung des „brain-trusf-Systems, eine der organisatorischen Voraussetzungen nicht allein für die Tätigkeit der New Dealer, sondern auch für das Selbstverständnis und Selbstbewußtsein der Intellektuellen im CCF, vgl. Steve Fraser/Gary Gerstle (Hg): The Rise and Fall of the New Deal Order, 1930-1980, Princeton 1989, S. 88f. Der nun entstehende „welfare capitalism", der in der Nachkriegszeit zum Gemeingut aller westlichen Gesellschaften werden sollte, wurde seitdem zum Lebenselexier des „consensus liberalism". Konsequenterwei.se taucht der Begriff „liberalism" in den USA im hier skizzierten Sinn überhaupt erst seit den 30er Jahren unseres Jahrhunderts auf. B. PLÉ: Wissenschaft und säkulare Mission, S 112f. und S. 134. Sa S. 124f, wo es um den Zusammenhang des wachsenden Einflusses der US-Soziologie und dem New Deal unter Roosevelt geht. Pié erkennt zwar korrekt die gesteigerte Bedeutung, welche die Soziologie in den
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II Die
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Erst die anhaltende Wirtschaftskrise nach 1929 stellte die Liberalen dann vor die Notwendigkeit, die herkömmliche Abneigung gegen staatsplanerische Tätigkeiten auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik aufzugeben, da die sich entwickelnde Krisenlage mit den herkömmlichen Instrumentarien liberaler Wirtschaftspolitik nicht mehr zu bewältigen war.24 Mit großer Wahrscheinlichkeit spielte dabei auch die Frage nach der Abwehr progressivistischer25 und kommunistischer26 Strömungen im Feld der amerikanischen Linken dabei eine gewisse Rolle. Das Zusammenwirken der verschiedenen Krisenfaktoren führte auf alle Fälle zu einem erheblichen Reformdruck im liberalen Lager. In der Folge wurde das gesammelte Potential der „brain-trasts" und der intellektuellen Zirkel, vornehmlich in New York, intensiv ausgenutzt, um durch eine eher etatistische Neuformulierung liberaler Inhalte27 die generelle Reformfähigkeit des Systems auch auf einer theoriebetonten Ebene zu belegen.28 Die konkreten gesetzlichen und administrativen Maßnahmen der Rooseveltregierung sind für unseren Zusammenhang nur am Rande von Interesse, zumal ein nicht unerheblicher Teil dieser Schritte in der Praxis beziehungsweise vor dem Supreme Court scheiterte. Wichtiger sind zwei spezifische Gesichtspunkte des New Deal, die dann auch für die spätere Entwicklung des CCF Folgen zeitigen sollten: Erstens bewerteten Teile der amerikanischen Gesellschaft die Rolle kritischer Intellektueller neu. Für das Selbstverständnis des intellektuellen Milieus wurde es insbesondere bedeutsam, daß man von nun an auch zu regierungsamdichem Handeln hinzugezogen wurde. Richard Hofstadter hat bei verschiedenen Gelegenheiten auf tief verwurzelte antiintellektuelle Strömungen in der US-Gesellschaft aufmerksam gemacht, die sich besonders aus egalitären -
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USA vermittels des wissenschaftsgläubigen Topos von der gesellschaftlichen Planbarkeit erhielt, ebenso betont er zu Recht den internationalistischen Charakter, der diesen Vorstellungen zugrunde lag. Auf der anderen Seite neigt er dazu, der US-Soziologie einen übertrieben monolithischen Charakter zu unterstellen. Zu einer weniger kritischen Einstellung, bei Wahrung des Grundtenors gelangt Hans Joas: Pragmatism and Social Theory, Chicago-London 1993, S. 14. Vgl. J.K. Galbraith: Annals, S. 20ff. Zum „progressive movement" s. Arthur S. LINK/Richard L. McCormick: Progressivism, Arlington Heights 1983; Eldon J. Eisenach: The Lost Promise of Progressivism, Lawrence 1994; allg. vgl. Morton Keller: Regulating a New Society: Public Policy and Social Change m America, 1900-1932, Cambridge 1994. Zu der Entwicklung der CPUSA s. Irving Howe/Lewis Coser: The American Communist Party. A Critical History, New York 1974. Das Werk hat den Vorteil, daß es zugleich die Sicht der „New York Jewish Intellectuals" widerspiegelt; es ist bezeichnenderweise Ignazio Silone gewidmet; s.a. Edward P. Johanningsmeier: Forging American Communism: The Life of William Z. Foster, Princeton 1994. Zum New Deal allg. s. neben S. Fraser/G. Gerstle (Hg.): New Deal Order, bes. William R. Brock: Welfare, Democracy, and the New Deal, New York 1988. Typisch für diese Haltung ist AM Schlesinger: The Age of Jackson, S. IX: „Democracy has recommended itself above all other modes of organizing societies by its capacity for peaceable solution of its internal problems Its flexible political and social structure, with the premium placed on tolerance, bargaining and compromise, has on the whole kept alive enough hope for discontented minorities to deter them from taking up the option ofrevolution."
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Vorbehalten
gegenüber dem angeblichen oder tatsächlichen Elitarismus der „high-brows" gespeist hätten.29 Dies habe sich erst um die Jahrhundertwende im Umfeld von Theodore Roosevelt ansatzweise geändert,30 ohne daß es zu einer wirklich positiven Sicht intellektuellen Schaffens gekommen wäre. Erst
der New Deal habe den Durchbrach in der amerikanischen Öffentlichkeit herbeigeführt, wodurch dann nach dem Zweiten Weltkrieg der Stellenwert der Intellektuellen weitgehend abgesichert gewesen sei.31 Selbst wenn Hofstadters Argumentation nicht in allen Punkten unanfechtbar sein mag,32 spiegelt sie doch das neue Selbstbewußtsein der amerikanischen Intellektuellen wider, wie es durch die New Deal-Ära geformt worden war und bis weit in die sechziger Jahre wirksam blieb.33 So verwundert es nicht, daß der New Deal für die liberalen Intellektuellen in den USA zum Hoffnungsträger avancierte, zu einem Symbol ihres Anspruches auf Beteiligung an der Macht wurde.34 Dabei verdeckten die Anstrengungen, die Rezession zu bewältigen, und der Zweite Weltkrieg vorerst manch disparaten Zug, welcher den intellektuellen Gefolgsleuten des New Deal anhaftete. Zweitens führten die sozialökonomischen Reformansätze des New Deal im engeren Sinn zur Ausbildung der „New Deal Order".35 Kern dieser neuen Konstellation war die „New Deal"-Koalition, mit deren Hilfe es den Demokraten bis weit in die sechziger Jahre hinein gelang, sich eine strukturelle politische Mehrheit auf breiter sozialer Basis zu sichern; eine Mehrheit, die auch von der Hoffnung auf umfassende Systememeuerung durch soziale Reformanstrengungen des Staates zusammengehalten wurde. Die relative Konstanz und Stabilität dieser Koalition ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, welch heterogene Elemente sie umfaßte. Immerhin gelang es, weite Teile der Arbeiterbewegung, der Schwarzen, der Katholiken, der Intellektuellen und des Finanzkapitals über einen Zeitraum von nahezu dreißig Jahren zu verbinden und somit dauerhaft die republikanische politisch-kulturelle Dominanz zu überwinden, die seit 1896 anhielt.36 Diese Koalition wurde zudem durch die etatistische Neuorientierung 29 30 31 32 33
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R. Hofstadter: Anti-Intellectualism, S. 37-39, s.a. S. 50. Ebda., S. 197-205. Hofstadter weist dabei auf die besondere Rolle von John Dewey in diesem Prozeß hin, dem er ansonsten eher skeptisch gegenübersteht: ebda., S. 359-362. Ebda., S. 214-218. So wäre z.B. em intensiverer Blick auf die Rolle des Lobbywesens wünschenswert, das in den zwanziger Jahren eine erhebliche qualitative und quantitative Veränderung durchgemacht hatte. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß es nicht weiterhin zu antimtellektuellen Stimmungen in Teilen der amerikanischen Bevölkerung oder der amerikanischen politischen Klasse gekommen sei. Allein die „egg-head"-Kampagne gegen Adlai Stevenson oder der stereotype Antiintellektualismus von Joseph McCarthy sollten als Gegenbeispiele ausreichen L. Perry: Intellectual Life, S. 327; C. Brock: Americans for Democratic Action, S. 39; S. Fraser/G. Gerstle (Hg): New Deal Order, S. 85; M. Curtí: American Thought, S. 736f; zur Kritik s. ebda., S. 742ff. S. Fraser/G. Gerstle (Hg.): New Deal Order, S. IX. Ebda., S. 4-6; aus revisionistischer Sicht kritisch L.C. Gardner: Covenant With Power, S. 2932.
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des US-Liberalismus nicht allein auf soziologischem, sondern nun auch auf nationalökonomischem Gebiet ermöglicht, und zwar durch die Übernahme keynesianischer Elemente in die liberale Theoriebildung. Auf diese Weise konnten genereller Systemerhalt und „unideologische" Reaktion auf den sich aus der Krise ergebenden Reformdrack miteinander in Beziehung gesetzt werden, ohne zugunsten radikalerer Lösungen auf fundamentale Prinzipien des Liberalismus verzichten zu müssen. Zwar wurde dieser Prozeß der Adaption keynesianischer Fiskalpolitik mit den Maßnahmen der Rooseveltadministration von Regierangsseite erst gegen Ende der dreißiger Jahre vollzogen;37 dieser Wende gingen jedoch Bemühungen einiger intellektueller Vordenker des New Deal voraus, von denen an erster Stelle wohl John Kenneth Galbraith zu nennen wäre. Auch sind Abhängigkeiten vom englischen „New Liberalism" der Jahrhundertwende nicht auszuschließen. Indem die Träger der „New Deal Order" es verstanden, auf einer breiten politischen und sozialen Basis gleichermaßen radikalprogressive Systemüberwindung zu vermeiden, wie innersystemische Reform zu ermöglichen, erwies sich ihr Programm als ausgesprochen stabilisierendes Moment in der Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft.38 Überdies bekam so der Begriff des New Deal für Intellektuelle eine besondere Bedeutung, die immer weniger mit den konkreten Maßnahmen der Roosevelt-Administration zu tun hatte, dafür aber, zu einer Art Chiffre geronnen, den Liberalen und Radikalen als identitätsstiftende Grundlage diente. Unterscheidendes Kriterium zwischen beiden Strömungen blieb für einige Zeit die Nähe zu den klassischen Eliten und damit zusammenhängend die Einschätzung von deren Reformpotential, bis dieser Gesichtspunkt in der unmittelbaren Nachkriegszeit schließlich vollkommen von der Frage nach der Haltung zum Stalinismus überdeckt wurde. Diesen Streitpunkten zum Trotz hatte in den Augen der Liberalen ihre eigene, lockeanisch geprägte, auf Individualismus und Etatismus aufbauende Weltanschauung mit dem New Deal unter Beweis gestellt, daß sie auch in Anbetracht einer schweren Krise zu praktischer Reform in der Lage war. Zwar mochte man dann in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg dauerhaft über das Ausmaß fiskalpolitischer Steuerung und anderer etatistischer Eingriffe in den freien Markt oder der Sozialplanung streiten,39 die Notwendigkeit einer fundamentalen Systemkritik aber erschien den liberalen intellektuellen nunmehr irrational. Stellt man die bisher geschilderten Elemente intellektueller Perzeption der -
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L. Gerber: Limits of Liberalism, S. 325; S. Fraser/G.Gerstle (Hg): New Deal Order, S. 97f; L.C. Gardner: Covenant With Power, S. 31 bestreitet den Vorgang, R.H. Pells: Liberal Mind, S. 119 sieht ihn erst für die späten vierziger Jahre gegeben; die Bedeutung des Keynesianismus für das New Deal der späten dreißiger Jahre hebt hingegen G. Hodgson: America in Our Time, S. 77f, deutlich hervor. Allg. s. A. Arblaster: Western Liberalism, S. 292-298. L. Hartz: The Liberal Tradition, S. 259-282; N. Liebowitz: Daniel Bell, S. 21f. L. Gerber: The Limits of Liberalism, S. 341.
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„New Deal Order" in Rechnung, fällt die enorme Nähe zu nahezu zeitgleichen
Entwicklungen innerhalb der europäischen Sozialdemokratie und des dortigen Liberalismus auf. Gerade diese Nähe sollte für den Erfolg US-amerikanischer Ideologieangebote nach dem Zweiten Weltkrieg mit von ausschlaggebender Bedeutung sein. Dennoch muß man zwei weitere Strömungen mit den bislang genannten Grundlagen in Beziehung setzen, um dem weiterhin eigenständigen Charakter des entstehenden „consensus liberalism" gerecht zu werden.40 Bei diesen Strömungen handelt es sich um den Pragmatismus und den Interna-
tionalismus. Auf dem Gebiet der philosophischen Begründung des „American Way of Life" gelang es dem von William James, Charles Peirce und vor allem von John Dewey41 theoretisch ausformulierten Pragmatismus, eine zeitweilige Dominanz innerhalb des lockeanisch geprägten Gesamtsystems zu erlangen, die ihm erst im Verlauf der fünfziger Jahre wieder streitig gemacht wurde.42 Max Lemer glaubte, im New Deal sogar eine Art praktischer Anwendung pragmatistischer43 Philosophie erkennen zu können.44 Selbst wenn diese Einschätzung dadurch deutlich relativiert wird, daß Dewey dem New Deal mit einiger Skepsis gegenüberstand,45 kann doch an der zunehmend enger werdenden Beziehung zwischen dem Gedankengut der „New Deal Order" und dem Pragmatismus innerhalb der Denkwelten amerikanischer liberaler Intellektueller für die Zeit zwischen 1935 und 1955 kaum ein ernsthafter Zweifel bestehen. Insgesamt war die Entwicklung nicht zufällig. Nach eigener Einschätzung war der Pragmatismus die amerikanische Philosophie schlechthin,46 Teil der „American heritage"47 und dadurch tief verwurzelt in der Geistes- und Ideengeschichte der Vereinigten Staaten.48 Keine andere Philosophie, so wenigstens
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Das eigenständige Gepräge, das der US-Liberalismus aus dieser weltanschaulichen Konstellation erhält, relativiert sich, wenn man mit Bernd Faulenbach: Ideologie des deutschen Weges. Die deutsche Geschichte in der Historiographie zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München 1980, S. 176 darauf hinweist, daß bei der Betrachtung der europäischen Autklärung häufig der ihr innewohnende pragmatische Charakter vernachlässigt würde Demgegenüber wäre zu betonen, daß der Pragmatismus über bloß pragmatische Ansätze innerhalb eines rationalistisch-naturrechtlichen Systems doch ein wenig hinausgeht. L. Perry: Intellectual Life, S. 367; C. West: American Evasion, S. 69-111. L Hartz: The Liberal Tradition, S. 283; H. Joas: Pragmatism, S. 114f. Auf die bedeutende Rolle, die der Pragmatismus für den CCF spielte, hat Chr. Lasch: Agony, S. 65, aufmerksam
gemacht. 43
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„pragmatistisch" wird hier die bewußte Adaption der Lehren der Gründerväter des Pragmatismus verstanden und zwar im Gegensatz zu „pragmatisch" im Sinne von theorieabgewandter Sachbezogenheit. Max Lerner: America as a Civilisation. Life and Thought in the United States Today, New Unter
York 1986, S. 722. L. Perry: Intellectual Life, S. 367 C. West: American Evasion, S. 35; L. Marcuse: Amerikanisches Philosophieren, S lit", S. 17 und S. 26. Ebda., S. 4. Ebda., S. 9-68, wo bes. auf den transzendentalistischen Hintergrund des Pragmatismus abgestellt
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Pragmatisten, vermochte auf derart authentische Weise amerikanisches Lebensgefühl und Alltagswirklichkeit reflektiert zu erfassen wie der Pragmatismus; keine andere Philosophie schien zu einer Verteidigung demokratischer Traditionen so geeignet. Und in der Tat empfand es John Dewey, der politisch aktivste und im Endeffekt wirkungsvollste Pragmatist, nachgerade als seine Lebensaufgabe, die gewachsenen demokratischen Strukturen in den USA gegen radikale und populistische Kritiker zu legitimieren.49 Der „gläubige" Demokrat, wie er sich selbst einmal bezeichnet hatte,50 war bemüht, die Rechtfertigung der Demokratie als legitimen Ausdruck modemer, pluralistisch-egalitärer Massengesellschaften eben nicht aus einer Philosophie totaler Erfassung einer apriorischen abstrakten Wahrheit zu betreiben, sondern, jeweils am konkreten einzelnen festgemacht, zu unmittelbar erfahdie Selbstsicht der
rungsbezogenen Handlungsanleitungen zu gelangen. Pragmatismus war immer zuvörderst pluralistische Handlungstheorie und damit zugleich mit der Neigung behaftet, bevorzugt Prozesse und Verhaltensweisen zu beschreiben, statische Definitionen, Wesensaussagen und allgemeingültige Ziele hingegen zu vernachlässigen. Dewey, anfangs noch vom Hegelianismus beeinflußt,51 wurde zunehmend zum scharfen Kritiker strengen Systemdenkens in der Tradition idealistischer, besonders aber hegelianischer Metaphysik.52 Folgerichtig entwikkelte er sich dann auch zum Opponenten marxistischer Weltdeutung mit ihrem deterministisch-totalen
Anspruch,53
ohne sich auf der anderen Seite von der liberale Demokratie und Sozialismus am Ende Vorstellung abbringen lassen, doch noch miteinander konzeptionell verknüpfen zu können.54 Bereits dieser kursorische Überblick zeigt, daß es vollkommen falsch wäre, im Deweyschen Pragmatismus ausschließlich eine Philosophie rationalisierten Systemerhalts erkennen zu wollen. Zwar basierte das sozialethische Denken von Dewey und seinen Schülern auf dem Glauben an Vernunft, freiwillige Einsicht, Intelligenz, zu
49
wird; vgl. allerdings auch die Kritik von R. Hofstadter: Anti-Intellectuahsm, S. 359-385, der sich auf die Pädagogik Deweys bezieht S dazu M. Curtí: American Thought, S 694. Zum Pragmatismus allg. s. L. Perry: Intellectual Life, S. 301. Vgl. z.B. John Dewey: Creative Democracy The Task Before Us, in: JA. Boydston (Hg): John Dewey, Bd. 14, S. 224-230; ders.: The Meaning of the Term: Liberalism, in: dies. (Hg): John Dewey, Bd. 14, S. 252-254; ders.: Freedom and Culture, in: dies. (Hg.): John Dewey, Bd. 13, S. 63-188. S. ferner M. Curtí: American Thought, S. 696. Vgl. C. West: American Evasion, S. lOOff. und S. 107; s.a. L. Marcuse: Amerikanisches Philosophieren, S. 12; zum Demokratiekonzept von Deweys Schüler Sidney Hook s. Milton R Kurtz: Sidney Hook. The Philosopher of Moral-Critical Intelligence, in: P. Kurtz (Hg): Sidney Hook, S. 1 If, wo es v.a. urn die postulatorische Absolutheit der Menschenrechte und amerikanischer konstitutioneller Setzungen geht. M. Lerner: America, S. 723; C. West: American Evasion, S. 77. L. Marcuse: Amerikanisches Philosophieren, S. 83; zu Hook vgl. ebda., S. 18. C. West: American Evasion, S. 102f. Zu den Konzepten der „creative democracy" und des „experimentalism" s. ebda., S. 105-110, -
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„liinktionalen Sozialismus" L. Marcuse: Amerikanisches Philosophieren, S. 135f. West, eher ein „radical", tendiert dazu, Deweys Marxismuskritik zu relativieren, vgl. S. 109Í, s. dag. L. Marcuse, S. 114f. zum
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Wissenschaft und den „common sense" des „common man",55 das heißt auch auf einem ausgeprägten Individualismus,56 doch und hierin liegt zumindest eine generelle Überschneidung mit dem späten New Deal erschöpfte sich Deweys ökonomisch-soziale Phantasie keineswegs in der Repetition altliberaler Dogmatik Dewey, persönlich den „Knights of Labor" nahestehend und durch seine Frau für soziale Fragen sensibilisiert,57 scheint den Pragmatismus als eine Art andauernden und kritischen Kommentar zum Leben in den USA im allgemeinen und zu den daraus resultierenden sozialen Fragen im besonderen konzipiert zu haben, ohne damit aber die Tragfähigkeit des Systems insgesamt in Frage stellen zu wollen.58 Ein derartiges Konzept aber war hochnormativ aufgeladen und mit bloßer rationalistischer Beschreibung einer gegebenen gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht in Einklang zu bringen. Freilich vermied es Dewey, eine geschlossene sozialethische Konzeption zu erarbeiten, die man als systematische Alternative zu marxistischen oder neuthomistischen Synthesen oder auch nur als Fortschreibung des naturrechtlichen Ansatzes der Aufklärung hätte verstehen können.59 Eine solche Lücke in Deweys Denken muß nicht weiter verwundem, sondern sie fügt sich kohärent in den größeren Rahmen seiner Philosophie ein. Im Sinne praxisorientierter Handlungstheorie ging es dem Pragmatismus immer um die kritische Analyse konkreter Erfahrungen, aus denen man im Anschluß, Ziele und Mittel sorgfältig abwägend60 und jedweden totalen Anspruch vermeidend, ethisch begründete, sozialreformerische Postulate innerhalb einer im Ganzen utilitaristischen Denkweise zu gewinnen vermochte.61 Erst Deweys Schüler Sidney Hook fügte -
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MR. Konvitz: Hook, in: P. Kurtz: Sidney Hook, S. 7. L. Marcuse: Amerikanisches Philosophieren, S. 76ff.; C. West: American Evasion, S. 103. Wie sehr sich Dewey hierin sogar von einem Teil seiner Schüler unterschied, zeigt sich etwa am Beispiel der unterschiedlichen Haltung zu den Feinden der Freiheit, wie sie bei Dewey und Hook zutage tritt. Während Dewey für weitreichende Toleranz eintrat, sah Hook durchaus die Notwendigkeit, die individuellen Freiheitsrechte totalitärer Gegner der Demokratie einzuschränken, vgl. J. Dewey: Freedom and Culture, in: J.A. Boydston (Hg): John Dewey, Bd. 13, S. 152f und MK. Konvitz: Hook, in: P. Kurtz (Hg): Sidney Hook, S. 12. Insgesamt hielt Dewey mit dem klassischen Aulklärungsliberalismus am optimistischen und fortschrittsorientierten Menschenbild als anthropologischer Grundlage seiner Sozialethik fest, vgl. M. Lerner: America, S. 729732; bezogen auf Hook s. Nicholas Cavaldi: Sidney Hook. A Personal Portrait, in: P. Kurtz (Hg): Sidney Hook, S. 19. Genau aus diesem Grunde ist nicht allein von neokonservativer Seite dem Pragmatismus der Vorwurf mangelnder Tiefe in der anthropologischen Fundierung der eigenen Thesen gemacht worden, vgl. Irving Kristol: Life With Sidney: A Memoir, in: P. Kurtz (Hg.): Sidney Hook, S. 27-29. C West: American Evasion, S. 80. Ebda., S. 5 und S. 70f.; vgl. N. Liebowitz: Daniel Bell, S. 50-59 H. Joas: Pragmatism, S. 19. Gewissermaßen als „Goldene Regel" des Pragmatismus hat C. West: American Evasion, S. 49 formuliert: „Consider what effects, that might conceivably have practical bearings, we conceive of the object of our conception to have. Then, our conception of these effects is the whole conception of the object." H. Joas: Pragmatism, S. 17ff und S. 85; L. Marcuse: Amerikanisches Philosophieren, S. 139; C. West: American Evasion, S. 86.
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dem pragmatistischen Denken eine stärkere Akzeptanz etatistischer Planung in einer freien Marktwirtschaft hinzu,62 ohne daß dies den grundlegenden Intentionen seines Lehrers zwangsläufig widersprochen hätte, konnte er doch sinnvoll auf die sozialplanerischen Elemente in der pragmatistischen Soziologie63 rekurrieren. Wichtig blieb jedoch der ausdrückliche Verzicht auf konkretisierbare Endziele. Mit diesem Ansatz grenzte sich der Pragmatismus von den
systematischen Totalitätsansprüchen marxistisch-hegelianischer wie neuthomistischer Provenienz ab, um parallel dazu auch zur Überwindung des postulatorischen Apriorismus kantianischer Pflichtethik beizutragen.64 Der Pragmatismus gewann so eine erstaunliche Anpassungs- und Lebensfähigkeit zumindest auf der Ebene amerikanischer Diskurse,65 die ihn sogar von der kulturellen Hegemonie des „consensus liberalism" relativ unabhängig machte. Noch Paul Potter, Mitte der sechziger Jahre Vorsitzender des neulinken Studentenverbandes „Students for a Democratic Society" (SDS), galt als radikaler Pragmatist.66 Mit dem Verzicht auf revolutionäre Endziele, bei gleichzeitigem Beharren auf utopischen Momenten im Sinne eines sozialethischen Regulativs, fügte sich der Pragmatismus sinnvoll in den Gesamtzusammenhang des aus dem New Deal erwachsenden „consensus liberalism" ein, dem er eine Art philosophischer Basis zu vermitteln vermochte, ohne dabei eine intellektuelle Monopolstellung zu erringen. Darüber hinaus erwies sich ein politisch operationalisierter Pragmatismus in Verbindung mit den anderen Elementen des Konsensliberalismus wenigstens aus Sicht der amerikanischen Liberalen als interessantes weltanschauliches Angebot an die europäischen Arbeiterparteien. Das komplexe weltanschauliche Bündel aus aufklärungsliberalen, keynesianischen und pragmatistischen Momenten verband sich schließlich mit einem vierten Bestandteil, der mit dem Kern liberalen Denkens eng verbunden war und ihm eine außenpolitische Konzeption vermittelte: dem liberaldemokrati62 63
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Anthony GN. Flew: The Socialist Obsession, in: P. KURTZ (Hg): Sidney Hook, S. 36-39. B. Plé: Wissenschaft und säkulare Mission, S. 145; vgl. John J. Jordan: Machine-Man Ideology: Social Engineering and American Liberalism, 1911-1939, Chapel Hill 1994. H. Joas: Pragmatism, S. 103. Deweys philosophische Grundhaltung hatte entsprechend auch sehr praktische Auswirkungen auf seine Haltung gegenüber genuin „deutschem" Denken, vgl. John Dewey: German Philosophy and Politics, in: JA. Boydston (Hg): John Dewey, Bd. 9, S. 135-204. An dieser Stelle ist auch ein kurzer Hinweis auf das einer derartigen Betrachtungsweise zugrundeliegende erkenntnistheoretische Fundament angebracht. Dewey war primär bestrebt, den cartesianischen Zweifel und die kantianische formale Skepsis außer acht zu lassen und an deren Stelle ein wenig reflektiertes „common sense"-Verständnis zu setzen, vgl. C. West: American Evasion, S. 45 und S. 50. Allg. vgl. JohnP. Diggins: The Promise of Pragmatism: Modernism and the Crisis of Knowledge and Authority, Chicago 1994. Als Grundlage diente der Empirismus klassisch angelsächsisch-liberaler Ausprägung. Die relative Schwäche und mangelnde Präzision der erkenntnistheoretischen Grundlagen des Pragmatismus war nicht nur Gegenstand der Kritik, sondern erschwerte auch die Pragmatismusrezeption m Europa. Mit ausgesprochen negativer Konnotation wird die Omnipräsenz des Pragmatismus John Deweys' von Hannah Arendt bestätigt; vgl Hannah Arendt an Karl Jaspers vom 9.7.1946, in: L. Kohler/H Saner (Hg): Briefwechsel, S. 84f. Vgl. ToddGitlin: The Sixties. Years of Hope, Days of Rage, New York u.a. '1993
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sehen Internationalismus.67 Der liberaldemokratische Internationalismus war keine Erfindung der New Deal-Ära, sondern erheblich älter. Im Kern handelte es sich um die säkularisierte und außenpolitisch konkretisierbare Variante des religiös begründeten Exzeptionalismus, der tief in der US-amerikanischen Geschichte verwurzelt erscheint.68 Hatte der Exzeptionalismus als „manifest destiny" im Verlaufe des 19. Jahrhunderts vornehmlich dazu gedient, die Expansion der USA auf dem nordamerikanischen Kontinent ideologisch abzusichern,69 wurde er spätestens seit dem spanisch-amerikanischen Krieg von 1898 zum umfassenderen Ordnungskonzept für die eigene Hemisphäre.70 Im Laufe dieser Entwicklung wurde der Grundgedanke immer mehr seiner religiösen oder doch zumindest semireligiösen Fundamente entledigt, um am Ende zu einer als genuin liberal akzeptierten Idee zu mutieren. Die Hauptaufgabe in dem Transformationsprozeß fiel dabei dem Kreis um Woodrow Wilson zu, unter dessen Präsidentschaft der außenpolitsche Erwähltheitsgedanke zum liberalen Internationalismus umgestaltet wurde.71 Die Verbindung des altliberalen Strebens nach Öffnung der Märkte und einer auf den Prinzipien der Aufklärung ethisch fundierten Außenpolitik mit dem Gedanken der kollektiven Sicherheit und der damit verbundenen Relativierung der Idee des souveränen Nationalstaates dürfte die eigentliche Leistung der „Wilsonian Internationalists" sein.72 Ein Punkt ist in der Entwicklung hin zum eigentlichen Internationalismus unseres Jahrhunderts besonders erwähnenswert: die Globalisierung des ideologischen Führangsanspruches nicht allein bei den amerikanischen Liberalen, sondern zusätzlich wenn auch zurückhaltender vertreten in den sogenannten isolationistischen Zirkeln altliberaler Prägung. Den USA als Vorreiter der Moderne und Kulminationspunkt fortschrittlicher Westlichkeit73 fiel zunehmend eine besondere Verantwortung als weltweit agierender Ordnungsmacht zu, die ideologisch vorbereitet und dauerhaft begründet sein wollte.74 Als hilfreich bei -
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B. Plé: Wissenschaft und säkulare Mission, S 135 betont den überaus engen Zusammenhang zwischen Internationalismus als weltmissionarischer Sendung der USA und Pragmatismus. Dies liegt an der nicht minder engen Beziehung zwischen „Amerikanismus" und Pragmatismus. Dabei ist für unseren Zusammenhang die Frage nach der inhaltlichen Substanz der Kontroverse um Isolationismus und Internationalismus bzw. um Idealismus und Realismus nur am Rande von Belang. Viel eher muß es um das Selbstverständnis jener gehen, die sich für idealistische
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H. Vorländer: „American Creed", in: F. Gress/H. Vorländer (Hg): Liberale Demokratie, S. 14; M. Curtí: American Thought, S. VIL Vgl. z.B. Norman Graebner (Hg.): Manifest Destiny, Indianapolis 1968, s. bes. S. XVIf. M. Curtí: American Thought, S. 659ft'; vgl. auch David K. Adams/Cornelis A. van Minen (Hg.): Reflections on American Exceptionalism, Staffordshire 1994. Th. von Laue: The World Revolution of Westernization, S. 153. Eine luzide, gelegentlich aber überzogen wirkende Zusammenfasssung aller Ideen des „Wilsonian Internationalism" und ihrer konkreten Anwendung bietet T. Smith: America's Mission. Ebda.,S. 149ft'. Der Hauptunterschied zwischen Internationalisten und Isolationisten läge somit weniger in der Frage, ob man überhaupt eine globale Hegemonialposition für die USA akzeptiert, sondern wie
Internationalisten hielten. 69 70 71 72 73 74
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der theoretischen Absicherung des politisch-kulturellen, aber auch ökonomischen Führungsanspruches erwies sich dabei der apriorische Universalismus, ein Relikt altliberalen Erbes.75 Naturgemäß lag dem internationalistischen Universalismus ein gewisser missionarischer Impuls zugrunde, ebenfalls in deutlich säkularisierter Form.76 Während der Präsidentschaft von Franklin D. Roosevelt brauchte das internationalistische Konzept nur noch mit dem sozialreformerischen Anliegen der New Dealer verbunden zu werden, was sich im Rahmen der Auseinandersetzungen um den Spanischen Bürgerkrieg dann auch vollzog. Auf diese Weise stand nach dem Sieg über das nationalsozialistische Deutschland dem globalen ideologischen Ansprach des Stalinismus ein nicht minder auf globale Hegemonie ausgerichtetes, wenn auch ungleich differenzierteres und flexibleres liberales amerikanisches Angebot gegenüber.77 Auf die Bedeutung der Intellektuellen in dem ideologischen Formationsprozeß in den USA der späten dreißiger Jahre wurde bereits hingewiesen. Es waren Intellektuelle, die die liberale amerikanische Sendung inhaltlich an maßgebender Stelle mitformulierten, und es waren Intellektuelle, die sie auf der Schiene der Transnationalität zu verbreiten suchten. Selbstverständlich soll damit das Ausmaß staatlichen Handelns ebensowenig in Frage gestellt werden wie die Bedeutung rivalisierender Strömungen innerhalb der amerikanischen intellektuellen Szene. Dennoch, unter dem Blickwinkel der späteren Tätigkeit des CCF, gab es vornehmlich eine Gruppe, die in besonderem Maße an der kritischen Reflexion des „consensus liberalism" beteiligt war und bereit war, ihn global zu propagieren: die sogenannten „New York Jewish Intellectuals".78
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aktiv man sie zu gestalten wünscht. Zum Universalismus der Idee „Amerika" s. D. Diner: Verkehrte Welten, S. 13, der sich mit Ludwig Marcuse und Ignazio Silone ausgerechnet auf zwei dem CCF nahestende Personen als Zeugen beruft. Aus dem missionarischen Impuls im Gesamtsystem des liberalen Internationalismus allerdings auf totalitäre Züge dieses Weltanschauungskonglomerates schlußfolgern zu wollen, wie es sich bei R. ZlTELMANN u.a. (Hg): Westbindung, S. 10 andeutet, erscheint überzogen. Ähnliches gilt für die Variante von Rolf Winter, der eine strukturelle Friedensunfähigkeit eines auf Kreuzfahrermentalität gründenden Denkens polemisch konstruiert, vgl. D. Diner: Verkehrte Welten, S. 154. Sinnvoller dürfte es sein, auch um dem Begriff des Totalitarismus eine gewisse inhaltliche Substanz zu belassen, von einer virtuellen Totalität des universalistisch-missionarischen Internationalismus zu sprechen, wie Th. von Laue: The World Revolution of Westernization, S. 4f. und S. 37 nahelegt.
A. Hamby: Beyond the New Deal, S. 15Í; kritisch und verkürzt wurde dies von dem „fellowtraveller" Berthold Viertel, einem österreichischen Emigranten und Mitarbeiter von Bert Brecht reflektiert: „Wie sich die .Gleichschaltungen' der Anschauung vollziehen, während die Beobachtung aussetzt./x/Herausarbeitung der westlichen Ideologie seit Roosevelt's Tod. Amerikanisierung der westlichen Stand- und Gesichtspunkte./x/", s. Tagebuch Berthold Viertel 1948, DLA, A: Viertel, 69.3142/43. Eine umfassende monographische Darstellung liegt mit Alan M. Wald: The New York Intellectuals. The Rise and Fall of the Anti-Stalinist Left From the 1930s to the 1980s, Chapel Hill-London 1987, vor Siehe außerdem Hugh Wilford: The New York Intellectuals. From Vanguard to Institution, New York 1995; Alexander Bloom: Prodigal Sons. New York Intellectuals and their World, New York 1986. Zur Vorgeschichte s. TERRY A. Cooney: The
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Die wohl treffendste Charakterisierung dieser nur recht locker organisierten Gruppe stammt von dem früheren Herausgeber der radikalen Zeitschrift „Dissent", Irving Howe: „They appear to have a common history, prolonged now for more than thirty years, a common political outlook, even if marked by internecine quarrels; a common style of thought and perhaps composition; a common focus of intellectual interest [...]. They are, or until recently have been, anti-Communist; they are, or until some time ago were,
radicals;79 they have a fondness for ideological speculation, they unite literary criticism with a strong social emphasis; they revel in polemics; they strive self-consciously to be Jews."80
,brilliant"; and by birth or osmosis, they are Diese Gruppe, die Nathan Liebowitz im Anschluß an Norman Podhoretz als eine Art Familie beschrieben hat,81 setzte sich überwiegend aus Schriftstellern, Verlegern, Literatakritikern und Universitätsprofessoren zusammen, die meist aus dem Umfeld der jüdischen Immigranten im New Yorker Stadtteil Bronx kamen. In der Regel handelte es sich um Angehörige eines nicht sehr wohlhabenden Bildungsbürgertums. Entstanden war der Zirkel in den dreißiger Jahren.82 Fast von Anfang an war man um eine Reihe von kleineren, aber qualitativ hochrangigen Zeitschriften herum gruppiert.83 Ein nicht unerheblicher Anteil der beteiligten Personen war in den dreißiger Jahren in die
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Rise and Fall of the New York Intellectual. Partisan Review and ist Circle, 1934-1945, Madison 1986. Howes Einschätzung ist an dieser Stelle zu widersprechen. Sicher stammte ein erheblicher Teil der „New York Jewish Intellectuals" ursprünglich aus einem radikalen Umfeld und ein beträchtlicher Teil hielt mit den anderen durch die Nähe zur „New Deal Order" vereint auch später an den Idealen der „radicals" fest. Dennoch müßte die Mehrheit der Personen dieses Zirkels in der Nachkriegszeit als „liberal" angesehen werden. Andererseits ist der Übergang zwischen „radicals" und „liberals" oft fließend und weniger von ideologischen Grundannahmen als von der individuellen Selbstzuordnung abhängig. I. Howe: The New York Intellectuals, S. 29. N. Liebowitz: Daniel Bell, S. 126-128. Dem weiteren Kreis der Familie werden hier folgende Personen zugeordnet: Elliot Cohen, Sidney Hook, Philip Rahv, Lionel Trilling, Diana Trilling, William Phillips, Meyer Shapiro, Hannah Arendt, Max Eastman, Reinhold Niebuhr, Dwight Macdonald, James T. Farrell, Alfred Kazin, Richard Hofstadter, Saul Bellow, Nicola Chiaromonte (als europäischer „Verwandter"), Mary McCarthy, Arthur M. Schlesmger jr., James Baldwin, Daniel Bell, Irving Knstol, Melvin J. Lasky, Seymour M. Lipset, C. Wright Mills, Norman Podhoretz, Susan Sontag, Norman Mailer, Philip Roth, Michael Harrington, Edward Shils, James Agee; als institutionell verbundene Einrichtungen galten die Columbia University, das New York City College und der CCF. Von den genannten dreißig Personen gehörten zwanzig dem CCF bzw. ACCF z.T. in führender Position an: Niebuhr war Ehrenpräsident des CCF, Lasky Mitbegründer, Shils und Bell in den späten fünfziger Jahren wichtige intellektuelle Vordenker des CCF, die anderen gehörten zum Führungspersonal des ACCF. Unter den „New York Intellectuals" befanden sich mit Howe, Harrington und Mills aber auch radikale Kritiker des CCF. I. Howe: The New York Intellectuals, S. 31. Gemeint sind die „Partisan Review", ein ursprünglich trotzkistisches, dann militant antikommunistisches Blatt aus Boston, das von William Phillips und Philip Rahv publiziert wurde; der vom .American Jewish Committee" (AJC) publizierte, von Elliot Cohen und später von Norman Podhoretz edierte „Commentary", anfangs liberal, danach neokonservativ; der sozialdemokratische „New Leader" von Sol Levitas, dem im Zusammenhang mit dem CCF besondere Bedeutung zufiel; sowie die eher radikalen Zeitschriften „Politics" von Dwight Macdonald und erst in den fünfziger Jahren gegründet „Dissent", herausgegeben von Irving Howe und Lewis Coser, später von Michael Harrington ediert. -
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innerkommunistischen Sektenstreitigkeiten involviert gewesen und hatte dabei den heterodoxen Strömungen der Trotzkisten, „Shachtmanites" und anderen nahegestanden. Als eine ihrer Hauptaufgaben empfanden es die „New York intellectuals", in den gleichzeitigen Prozessen der Internationalisierung amerikanischer und der Amerikanisierang internationaler Kultur vermittelnd und ausgleichend einzugreifen.84 Antitotalitäre85 und kosmopolitsche86 Anschauungen in einem liberal-sozialdemokratischen Rahmen lieferten dafür das gemeinsame weltanschauliche Grundgerüst. Man würde den „New York Jewish Intellectuals" nicht gerecht, wiese man nicht darauf hin, daß es am Ende die besondere Intensität des intellektuellen und kulturellen Lebens der Metropole New York war, die ihren Stil wesentlich prägte. Die räumliche Nähe machte eine rege Präsenz, einen andauernden Austausch von Gedanken möglich, wodurch am Ende für den Zeitraum von rund dreißig Jahren New York zu einem repräsentativen Mikrokosmos amerikanischer „high-brow"-Kultur87 wurde. Am ehesten ähnelte die Atmosphäre New Yorks derjenigen von Paris, vielleicht noch dem Berlin der Weimarer Zeit. Bis zu einem gewissen Grade verkörperten die New Yorker Intellektuellen idealtypisch den kulturellen Hegemonialansprach des liberalen Konsenses und zwar in einer besonders hervorgehobenen Form. Gelegentlich sind sogar Tendenzen zu geistigem Triumphalismus unübersehbar, gerade zu Beginn der fünfziger Jahre. Diesem Triumphalismus hat Lionel Trilling betont Ausdruck verliehen, als er in der Einleitung zu „The Liberal Imagination" bemerkte, in den USA existiere derzeit kein adäquater intellektueller Gegner mehr, der sich mit der geistigen Potenz des Liberalismus messen könne, und dies sei die eigentliche Gefahr für die Liberalen.88 Indirekt und aus dem Rückblick wird eine derartige Einschätzung bestätigt, wenn ein revisionistischer „radical" wie Lawrence Lader wenigstens für den Zeitraum zwischen 1950 und 1955 eine Agonie des Radikalismus unter einer absoluten Vorherrschaft der Liberalen
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I. Howe: The New York Intellectuals, S. 34. Ebda., S. 36f. L. Perry: Intellectual Life, S. 330-335; s.a. C. West: American Evasion, S. 164-181 am Beispiel des Literaturkritikers Lionel Trilling, ernes kosmopolitisch orientierten Pragmatisten. An dieser Stelle zeigt sich aber zusätzlich die relative ideologische Heterogenität im Umfeld der „New York Intellectuals": Ihr Kosmopolitismus war nicht unmaßgeblich von Morris Cohen, einem Lehrer am New York City College, beeinflußt worden, der seinerseits ein Gegner des Pragmatismus von John Dewey war Zur Unterscheidung von „high-brow" und „low-brow'-culture m den USA unter besonderer Berücksichtigung sozial relevanter Faktoren kultureller Abgrenzungsmechanismen vgl. Lawrence W. Levine: Highbrow/Lowbrow: The Emergence of Cultural Hierarchy in America, Cambodge 1988 L. Trilling: The Liberal Imagination, S. Vllf.; ähnliche Tendenzen hat M. Henningsen: Der Fall Amerika, S. 249 bei Louis Hartz ausgemacht. Eine andere Sicht auf Trilling, den er als Kritiker genbau dieser triumphalistischen Tendenzen im amerikanischen Liberalismus interpretiert bietet: R.H. Pells: Liberal Mind, S. 174.
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diagnostiziert.89 Bald jedoch zeigte es sich, daß die Konsensliberalen in diesem Fall zwar über eine gehörige Portion Selbstbewußtsein verfügten, andererseits aber an getrübtem Wahrnehmungsvermögen litten. Nicht allein die starke
neuthomistische Schule90 und das neoorthodoxe Luthertum91 übten aus religiösen und philosophischen Gründen Kritik an den Fundamenten des Konsenses, sondern auch die alten „radicals" und „progressives" strebten seit Kriegsende wieder mehr Eigenständigkeit an.92 So zeichneten sich auf dem Höhepunkt der kulturellen Hegemonie des „consensus liberalism" zu Beginn der fünfziger Jahre schon Tendenzen des Niederganges ab. Es waren am Ende dann nicht die religiösen Kräfte, nicht die Relikte der „radicals" und schon gar nicht der Einfluß des McCarthyismus, die zum Zerfall des Konsenses Mitte der sechziger Jahre führten,93 sondern zu annähernd gleichen Teilen die neulinke Kritik am gesellschaftlichen Konformismus der Konsensära und die Abwanderung einiger Konsensintellektueller in das entstehende neukonservative Lager. Spätestens mit dem Viemamkrieg waren die visionären Verheißungen des liberaldemokratischen Konsenses so brüchig und fragwürdig geworden, daß er seine Überzeugungskraft wenigstens zum Teil einbüßte.94 Im Zweiten Weltkrieg und in der unmittelbaren Nachkriegszeit war diese
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91
92 93
94
Lawrence Lader: Power on the Left. American Radical Movements Since 1946, New YorkLondon 1971, S. 87. L. PERRY: Intellectual Life, S. 400; L Marcuse: Amerikanisches Philosophieren, S. 143f; M. Curtí: American Thought, S. 775. L. Perry: Intellectual Life, S. 389; M. Curtí: American Thought, S. 776; vgl. C. West: American Evasion, S. 150-164 zu Reinhold Niebuhr, einem der Begründer der Neoorthodoxie, der jedoch zugleich den „New York Intellectuals" nahestand und politisch ausgesprochen liberal war. Das Verhältnis von Niebuhr zum Pragmatismus bes. zu William James behandelt William Dean: The Religious Critic in American Culture, Albany 1994. S. M. Lerner: America, S. 729-732 mit seiner Kritik an der Dominanz lockeanischer Diskurse im intellektuellen Leben der USA; A. Hamby: Beyond the New Deal, S. VII. Vgl. allg. David Farber: The Sixties: From Memory to History, Chapel Hill 1994; spezieller: G. Hodgson: America in Our Time, S. 353-364. Ober die intellektuelle Szene hinausweisend bemerkt jedoch S.J. Whitfield: Culture, S. 54f. zu Recht, daß es in den USA der fünfziger Jahre zwar keinen kohärenten Konservativismus gegeben habe, wohl aber eine breite gesellschaftliche Schichten umfassende konservativ-altliberale Stimmung. Eine eigentlich intellektuelle Herausforderung an den Konsensliberalismus stellte diese Stimmung, die in Joseph McCarthy ihren treffendsten Ausdruck fand, jedoch nicht dar. Die Hegemonie des „liberalism" in den USA war in der Tat streng auf den kulturellen Sektor beschränkt, mit einer umfassenden politischen Dominanz war sie nie verbunden. Begrifflich wird man diesem Phänomen wohl am ehesten gerecht, wenn man zwei weitere, aktuell bedingte Formen des Konsenses unterscheidet: zum einen den breiten antitotalitäter-antikommunistischen Konsens der US-amerikanischen Gesellschaft im Ganzen, der die „non-Communist left" ebenso umfaßte wie die altliberalen „conservatives", zum anderen den bereits eingeführten engeren „consensus liberalism", der sich auf den linken Flügel der Demokratischen Partei und weite Teile der Linksintellektuellen bezog Wichtig sind dabei die verbindenden Ideologieelemente klassischer liberaler, sozialharmonistischer und antitotalitärer Herkunft, die beide Konsensformen miteinander koppelten. R.H Pells: Liberal Mind, S. IX, weist daraufhin, daß die liberalen Intellektuellen ungewollt die Väter sowohl der „counterculture" der Neuen Linken als auch des Neokonservativismus gewesen seien.
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II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Entwicklung aber bestenfalls zu erahnen. Der „consensus liberalism", an der Spitze die „New York Intellectuals", stand auf der Höhe seines Selbstbewußtseins und seiner intellektuellen Möglichkeiten und war bereit, auch im Zeichen der kommunistischen Bedrohung, vor allem aber in der Gewißheit der Überlegenheit des eigenen Systems, seine Werthaltungen zu exportieren.95 Der USLiberalismus war aus dem Zweiten Weltkrieg mit einem Ideologieangebot von seltener Elastizität hervorgegangen. Sowohl auswärtige Rezipienten wie Amerikaner vermochten aus einem reichhaltigen und in der Regel sogar kohärenten Angebot verschiedener Ideen eklektisch, ihren jeweiligen Bedürfnissen entsprechend, einen „Weltanschauungscocktail" zusammenzustellen, der gegenüber nichtliberaler Kritik vergleichsweise immun war. Die Weite und Reformfähigkeit dieses ideologischen Konzeptes sowie die intellektuelle Kapazität seiner Träger machten seine Stärke aus. Die gleichen Gründe machen jedoch eine rückblickende, analytische Durchdringung des Phänomens „consensus liberalism" auf Angebots- und Rezipientenseite zu einem Wagnis, da idealtypisch reine Ausformungen der in diesem Kapitel konstruierten „amerikanischen Ideologie" naturgemäß selten sind.
„fellow-traveIler"-Konzept der Kommunistischen Internationale
2. Das
Auf der anderen Seite stand das Dogma. So zumindest zeichnete es sich in den Augen der rigiden Antikommunisten unter den westlichen Liberalen ab. Und die meisten wußten nur zu genau, wovon sie sprachen, wenn sie vor den untergründigen und verdeckten Aktivitäten des Agitations- und Propagandaapparates der KOMINTERN beziehungsweise des KOMINFORM und der jeweiligen nationalen kommunistischen Parteien warnten, waren sie doch oft genug selbst Teil dieses Apparates gewesen. Nie zuvor hatte sich der Marxismus geschlossener präsentiert als im Gewände des Stalinismus, nie zuvor und niemals später hatten sich so viele westliche Intellektuelle bereit gefunden, in den unterschiedlichsten Formen mit den Kommunisten zusammenzuarbeiten. Dabei muß betont werden, daß diese Intellektuellen, denen Trotzky 1923 das pejorative Prädikat der entscheidungsgehemmten „fellow-travellers" angeheftet hatte,96 nur in den seltensten Fällen orthodoxe Marxisten waren.97 In der Regel handelte es sich um Personen, die man mit Caute, dem führenden Forscher in Sachen „fellow-
95 96 97
Ebda., S. 107. Dave Caute: The Fellow-Travellers, New York 1973, S. If. Ebda S 7; R.H.S. Crossman (Hg.): The God that Failed, S. 3. ,
2. Das „fellow-traveller"-Konzept der Kommunistischen Internationalen
87
travellers", als „non-Communist sympathizers"98 definieren kann. Oft ging es um bürgerliche Denker, die den Egalitarismus des radikalen Liberalismus noch
einmal im Interesse sozial benachteiligter Gruppen zu verschärfen trachteten. Im Mittelpunkt dieses Kapitels wird folgerichtig weniger die marxistischleninistische Ideologie in ihrer banalisierten stalinistischen Variante stehen, sondern viel eher die Frage nach Motiven und Organisationsformen intellektueller „fellow-travellers". Es wird zu klären sein, warum, in welchem Ausmaß und mit welchen Inhalten westliche Intellektuelle sich von der KOMINTERN und den Kommunistischen Parteien instrumentalisieren ließen, oft genug unbewußt, häufig aber auch mit Wissen um den Bündnispartner. Im Mittelpunkt der Betrachtungen wird dabei der Agitprop-Apparat der KOMINTERN um Willi Münzenberg stehen, der nach 1933 in Paris aufgebaut wurde. Von da aus werden sich dann schließlich recht konkrete Kontinuitätslinien zum CCF
ergeben.
Die hohe Zeit der „fellow-travellers" fiel mit den Volksfrontbestrebungen der KOMINTERN zusammen, die auf dem VII. Kongreß der Kommunistischen Internationale vom 25. Juli bis 20. August 1935 ihren Ausgang genommen hatten.99 Damit ist im engeren Sinn der Zeitraum zwischen 1935 und 1939 gemeint, wobei es seit den zwanziger Jahren Vorläufer gab. Nach 1941 fand eine Wiederbelebung des „fellow-traveller"-Wesens statt, ein zweiter Schub erfolgte nach 1947/48.10° Das eigentliche „heroic age"101 der „fellow-travellers" fiel in die Zeit nach der nationalsozialistischen Machtergreifung im Januar 1933. Schon dieser zeitliche Rahmen liefert einige Informationen über die der
Bewegung zugrundeliegenden Motivationsstrukturen. Ausgangspunkt der Überlegungen vieler Intellektueller, die sich danach immer mehr dem Kommunismus annäherten, waren die seit der großen Rezession von 1929 offen zutage tretenden strukturellen Schwierigkeiten des liberaldemokratischen Systems, dessen Überlebensfähigkeit und Reformierbarkeit sie nunmehr offen in Zweifel ziehen begannen: „The intellectual attraction of Marxism was that it explamed liberal fallacies which really were fallacies. It taught the bitter truth that progress was not automatic, that boom and dump are inherent m capitalism, that social mjustice and racial discrimination are not cured merely by the passage of time, and that power politics cannot be .abolished", but only be used for good or bad ends." Die Krise der dreißiger Jahre103 winde in den Augen dieser Intellektuellen
zu
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D. Caute: Fellow-Travellers, S. 1. B. Frei: Papiersäbel, S. 170; D. Caute: Fellow-Travellers, S. 8. D. Caute: Fellow-Travellers, S. 2741". Ebda., S. 59. R.H.S. Crossman (Hg.): The God that Failed, S. 5; vgl. Stephen Spender, in: R.H.S. CrossMAN (Hg): The God that Failed, S. 238; H. Harris (Hg): Astride the Two Cultures, S. 104f. P. Hollander: Political Pilgrims, S. 74-101 ; A. Koestler: Zeuge der Zeit, S. 116-119; vgl. a. S. Hook: Out of Step, S. 132-157. F. Furet: Ende der Illusion, S. 209-400, tendiert in semem sehr informativen, aber einseitig ideengeschichtlich angelegten Werk dazu, gerade auf Grund
88
II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
zusätzlich durch das Aufkommen von Faschismus und Nationalsozialismus verschärft.104 Die anscheinende Unfähigkeit der Liberalen, mit der zweifachen Bedrohung durch die ökonomische Krise und den rechten Totalitarismus umzugehen, bewirkte aus der Rückschau oft kurzschlüssig anmutende, sonderbar vereinfacht-dualistische Reaktionen bei nicht wenigen westlichen Intellektuellen.105 David Caute hat, unter quantitativen und qualitativen Gesichtspunkten, bemerkt, daß zwischen 1928 und 1956 die bedeutsamsten westlichen Literaten, Künstler, Naturwissenschaftler und Philosophen wahlweise Kommunisten oder „fellow-travellers" gewesen seien, wenigstens für einen gewissen Zeitraum.106 Selbst wenn man diese Schätzung für überzogen hält,107 zeigen die vielen überlieferten Beispiele doch, wie eindringlich die sich zuspitzende Krisensituation zu Beginn der dreißiger Jahre empfunden wurde. Nachhaltig verschärft wurde das Gefühl einer bedrohlichen Krise durch den Bürgerkrieg in Spanien, der eine unmittelbare Konfrontation zwischen den Kräften des Fortschritts und denen der Barbarei darzustellen schien.108 Die Lösungsrezepte der meisten „fellow-travellers" orientierten sich dabei weniger an den Maßgaben der marxistischen Lehre. Eher schon fühlten sie sich dem skizzierten „consensus liberalism" darin nahe verwandt als Erben und Gralshüter der Aufklärung: „Far from being anti-rationalist, anti-urban, anti-Western and in love with the peasantry, they were in contrary true sons of the Enlightenment, of the doctnne of progress [...]. Basically, fellow-travelling involves commitment at a distance which is not only geographical but also emotional and intellectual It is remote-control radicalism... ." -
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seiner methodischen Vorentscheidungen die Rolle der Weltwirtschaftskrise im Prozeß der Radikalisierung der intellektuellen „fellow-travellers" zu mißachten. TonyJudt: Self-Serving Myths, in: Times Literary Supplement vom7.7.1995; vgl. S. Spender:
Welt in der Welt, S. 14. P. Hollander: Political Pilgrims, S. 5-8 hat zusätzlich auf die Intellektuellen angeblich qua Existenz innewohnende Entfremdung von der bürgerlichen Normalgesellschaft als Grund für Engagement als „fellow-traveller" hingewiesen. Diese Argumentation liegt auf einer bei ihm generell erkennbaren Linie neokonservativen Antiintellektualismus. Aus einer differenziert revisionistischen Sicht heraus hat S.J Whitfield: Culture, S. 2Í, demgegenüber die Rolle bestätigt, die das Versagen des liberalen Systems angesichts der Weltwirtschaftskrise und der Anspruch des Kommunismus auf das Erbe der Aufklärung bei der Entstehung von „fellowtraveller'-Bewegungen gespielt haben. D. Caute: Fellow-Travellers, S. 13. Jede Rückfrage nach der Anzahl der „fellow-travellers" wird vor dem Problem stehen, wann genau eine Person unter dieser Kategorie einzuordnen ist, wie eingehend z.B. kommunistischer Einfluß auf Denken und Handeln des Betreffenden war D. Caute: Fellow-Travellers, S. 139. Caute bezieht den Gedanken zwar auf die USA, der Argumentationsgang läßt sich aber ohne große Mühe verallgemeinem; vgl. ebda., S. 173-177 sowie R.H.S. Crossman (Hg.): The God that Failed, S. 229 zu Stephen Spender. S. femer H. Kuehr/J.F. Haynes/F. Firsov: Secret World, S. 151-187. D. Caute: Fellow-Travellers, S. 3; s.a. S. 86, S. 250ff, S. 259 und S. 261. Auch Jörg J. Bachmann: Zwischen Paris und Moskau Deutsche bürgerliche Linksintellektuelle und die stalinistische Sowjetunion 1933-1939, Mannheim 1995, S. 310f, hat die Rolle der Aufklärung bei der Motivation bürgerlicher „fellow-travellers" nachdrücklich hervorgehoben, wobei er bes. die Bedeutung der sowjetischen Verfassung von 1936 unterstrichen hat.
2 Das
„fellow-traveller"-Konzept der Kommunistischen Internationalen 89
Nur selten wurden in den Frontorganisationen der KOMINTERN seitens der
beteiligten Intellektuellen kantianische, benthamitische oder fabianistische Prinzipien zugunsten hegelianisch-marxistischer Systematik aufgegeben. Es war die Grandhaltung der „radicals", die die „fellow-travellers" vorderhand mit
den Kommunisten teilten, ein Gefühl der Bestürzung über soziale Ungerechtigkeit und menschliche Not.110 Auf diese Weise schien es auch keinen Widerspruch darzustellen, wenn gläubige, unorthodoxe Christen wie Ignazio Silone oder bewußte Individualisten wie André Gide und Arthur Koestler sogar noch tiefer in die auf ideologische Ordnung bedachte Organisation der Kommunistischen Partei einstiegen als die meisten anderen „fellow-travellers".111 In solchen Fällen, die weit über normales Fellow-Travellertum hinausgingen, mögen zusätzlich bestimmte psychische Dispositionen eine gewisse Rolle gespielt haben, eine fast religiös anmutende Sehnsucht nach Gemeinschaft, Unterordnung und weltanschaulicher Geschlossenheit als Erlösung aus den Ungewißheiten kritisch-rationalen Fragens.112 Der Normalfall war die Hinwendung zur Kommunistischen Partei jedoch nicht. Das Phänomen der „fellow-travellers" auf eine den intellektuellen angeblich eigene Sucht nach pseudoreligiösem „sacrificium intellectus" reduzieren zu wollen, hieße, eine überaus differenzierte soziale, politische und psychische Frage jenseits der konkreten historischen Gegebenheiten einer schweren Krise des liberaldemokratischen Systems ungerechtfertigt und voreilig auf der Ebene des Abstrakten lösen zu wollen.113 Am ehesten dürfte eine solche Beurteilung tatsächlich jene treffen, die den Weg in die Partei fanden. Erst wenn man die fast religiöse Dimension, die die Partei in den Augen dieser Gruppe von Intellektuellen einnahm, berücksichtigt, wird man den oft fanatischen Haß verstehen können, den sie in der Nachkriegszeit dem Kommunismus entgegenbrachten. Das manichäische Denken in Schemata von „radikal gut" und „radikal böse" wurde dann nicht mehr vom kommunistischen Standpunkt aus angewandt, sondern von einer gelegentlich fragwürdig erscheinenden liberalen Position aus.114 Wenn man einräumt, daß das „fellow-traveller"-Wesen ideologisch nur bedingt kohärent und wesentlich nicht marxistisch war, stellt sich automatisch die Frage, wie der Zusammenhalt solch divergierender Personen und Strömungen zu bewältigen war. Mit der Öffnung der Partei- und KOMINTERN-Archive ist heute eine unmittelbar an den Quellen gefertigte Analyse der Tätigkeit des Agitprop-Apparates der KOMINTERN möglich geworden. Erste Studien -
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113 114
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D. Caute: Fellow-Travellers, S. 225-228; s.a. S. 251. R.H.S. Grossman (Hg): The God that Failed, S. 3f. Ebda., S. 6; A. Koestler. Zeuge der Zeit, S. 15. Wie weit derartige Formen von Unterwerfung gehen konnten, belegen etwa die Stalinapologien Lion Feuchtwangers, s J.J. Bachmann: Paris und Moskau, S. 311-393. Dieser Einwand gilt gerade gegenüber der Grundthese von R. Aron: Opium für Intellektuelle. M. Boveri: Der Verrat im 20. Jahrhundert, Bd. 3, S. 102.
90
II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
liegen bereits vor.115 Im Grunde werden bislang allerdings jene Erkenntnisse bestätigt, die seit geraumer Zeit bekannt sind. Immerhin ist es inzwischen ansatzweise möglich, die Tätigkeit der Organisation in Grundzügen zu beschreiben, wobei ein Mann im Vordergrund stehen muß. Willi Münzenberg, am 14. August 1889 in Erfurt geboren, stammte aus relativ ärmlichen Verhältnissen und war damit wohl der einzige wirkliche Proletarier in dem vorwiegend büdungsbürgerlich geprägten Stab der AgitpropAbteüung der KOMINTERN in Paris.116 Zweifellos war er ein Mann mit außerordendichem organisatorischen Geschick.117 Es gelang ihm nicht nur, Ende der zwanziger Jahre in Deutschland einen Medienkonzern zu errichten, der sogar mit dem Imperium Hugenbergs zu konkurrieren vermochte,118 sondern er verstand es darüber hinaus, aus dem Exü heraus ein weltweit operierendes Netz von Organisationen aufzubauen, das der kulturellen Penetration im Sinne der Führung der KPdSU diente:119 „To create this network of fronts and fellow-travellers Münzenberg used every resource of propaganda, from highbrow cultural opinion to funny hats and balloons. He organized the media: newspapers, film, radio, books, magazines, the theater. Every kind of ,opinion maker' was involved: writers, artists, actors, commentators, priests, ministers, professors, ,business leaders' scientists, psychologists, anyone at all whose opinion the public was
likely to respect"
Das Kennzeichen des Münzenberg-Apparates war tatsächlich, auf einer eminent breiten weltanschaulichen Grundlage individualistische und skeptische Intellektuelle zu einem oft verdeckten organisatorischen Zusammenhalt zu bewegen und sie auf diese Weise zielgerichtet instrumentalisieren zu können. Kaum belanglos für den Erfolg der „fellow-traveller"-Koordination war zusätzlich das breite Medienangebot, über das Münzenberg souverän verfügen konnte. Ohne das besondere Movens des Antifaschismus und der Krise des liberalen Systems wäre all das in diesem Ausmaß vermutlich kaum möglich gewesen.121 115
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S.v.a. Stephen Koch: Double Lives. Spies and Writers in the Secret Soviet War Against the West, New York u.a. 1994 und Harvey Klehr/John F. Haynes/Fridrickh Firsov: The Secret World of American Communism, New Haven-London 1995. Zur frühen Lebensgeschichte Münzenbergs vgl. B Gross: Willi Münzenberg, S. 19-156. D. Caute: Fellow-Travellers, S. 55-57; S. Koch: Double Lives, S. 45f; M. Sperber: Willi Münzenberg, S. 948 und S. 953; B. Frei: Papiersäbel, S. 176-180 stimmen wenigstens, trotz unterschiedlicher weltanschaulicher Ausgangspunkte, in dieser Einschätzung überein. B. Gross: Willi Münzenberg, S. 162-167. Ebda., S. 230-239. S. Koch: Double Lives, S. 13. Zu Koch ist generell zu bemerken, daß er zwar aus den KOMINTERN- und KPdSU-Archiven geschöpft hat, sein Buch sich aber gelegentlich wie eine verspätete Rechtfertigungsschrift für die Tätigkeit von Joseph McCarthy liest Zudem neigt er dazu, die Infiltrationsmethoden von KOMINTERN und NKWD bevorzugt aus der Schlafzimmerperspektive zu schildern, vgl die Berichte über die angebliche Manipulation von Romain Rolland und Lincoln Stevens durch die KOMTNTERN/NKWD-Agenünnen Maria Pavlova Fürstin Koudachova und Ella Winters auf S. 21-23. Andererseits werden aus der Sicht auf die verdeckte Tätigkeit der Cpusa im Auftrag der KOMINTERN Kochs Ergebnisse weitgehend bestätigt: H. Klehr/J.F. Haynes/F. Firsov. Secret World, S. 18 und S. 20-41. Den antifaschistischen Aspekt von Münzenbergs Arbeit hat bes. M. Sperber: Scherben, S. 132-
-
121
135
hervorgehoben.
2 Das
„fellow-traveller"-Konzept der Kommunistischen Internationalen 91
Hinzu kam wohl auch die faszinierende Persönlichkeit
Münzenbergs, der im
Umgang gerade mit Intellektuellen einen erheblichen Charme entwickelte.122
Darüber hinaus verfügte er über eine Reihe hochqualifizierter und motivierter Mitarbeiter aus dem intellektuellen Milieu des Pariser Exils, die es verstanden, die Prinzipien der KOMINTERN nach außen hin so zu formulieren, daß sie nicht unmittelbar als Ausfluß kommunistischer Ideologie erkennbar wurden. Da überdies Münzenberg in dem Ruf stand, kein ultraorthodoxer Stalinist zu sein,123 behielten seine Mitarbeiter eine gewisse geistige Unabhängigkeit, die sich effizienzsteigernd auswirkte. Der für den späteren CCF wichtige Kern von Mitarbeitern hatte sich seit etwa 1934 um das „Institut zum Studium des Faschismus" (INFA)124 gebildet, wo unter anderem Manès Sperber, Arthur Koestler und Bertrand de Jouvenal tätig waren.125 Sperber verließ zwar 1935 wegen parteiinterner Querelen das INFA, blieb dem Münzenberg-Kreis aber eng verbunden. Parallel dazu baute
jenseits der KOMINTERN-Strakturen erste persönliche Kontakte zu André Malraux und besonders zu Raymond Aron auf.126 Femer gehörte Ignazio Silone zum weiteren Mitarbeiterstab des Agitprop-Appparates.127 Damit entstammen fünf führende Mitglieder des Internationalen Exekutivkomitees des CCF direkt dem Umfeld Münzenbergs, waren also erst intellektuelle „fellow-travellers" und dann aktive Parteimitglieder. Der Aufgabenbereich der Pariser Führung dieses weltweit operierenden Propagandanetzes, das eng mit der Zentrale des sowjetischen Geheimdienstes NKWD in Moskau verbunden war und sich zum Teil konspirativer Methoden bediente,128 war weit gespannt. Im Grande, und darin erneut dem CCF sehr ähnlich, zerfiel diese Tätigkeit in zwei Hauptbereiche, einen internationalen und einen nationalen. Auf der internationalen Ebene besorgte der MünzenbergApparat die Koordination der wichtigsten Propagandakampagnen innerhalb der westlichen Welt, aber auch in den Kolonialgebieten der europäischen Mächte. Zu diesem Zweck wurden aufeinander abgestimmte Meldungen in den zum „Konzern" gehörenden Zeitungen lanciert und mit dem Einsatz anderer Medien verkoppelt. Zu den bekanntesten Beispielen für Medienkampagnen, die von der KOMINTERN gesteuert wurden, zählen der Fall Saccho/Vanzetti, der überer
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126 127
128
R.H.S. Grossman: The God that Failed, S. 7. B. Frei: Papiersäbel, S. 175. M. Sperber: Scherben, S. 98; A. Koestler: Zeuge der Zeit, S. 2031". M. Sperber: Scherben, S. 72f; A. Koestler, m: R.H.S. Crossman (Hg): The God that Failed, S. 63f; D. Caute: Fellow-Travellers, S 133. Vgl femer Albrecht Betz: „Renegaten" im Exil. Münzenberg, Sperber und Koestler im Paris der dreißiger Jahre, in: T. Schlie/S. Roche (Hg): Münzenberg, S. 161-172. M. Sperber: Scherben, S. 114. S. Koch: Double Lives, S. 143. S. Koch: Double Lives, S. 14undS 17. Vgl. aus einer Münzenberg gegenüber weniger kritisch eingestellten Perspektive Michel Dreyfus: Willi Münzenberg und die Massenorganisationen der KOMINTERN, in: T: Schlie/S: Roche (Hg): Münzenberg, S. 125-140.
92
II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
haupt erst durch die KOMINTERN zum internationalen Presseereignis wurde, und die Anklage gegen die Nationalsozialisten wegen des Reichstagsbrandes.129 Das genannte Medienspektrum wurde schließlich durch ein zunehmend ausgefeilteres Netz spektakulärer Kongresse ergänzt. Sorgsam publizistisch betreut und mit großem Aufwand an Prominenz durchgeführt, dienten die Kongresse der propagandistischen Inszenierung ideologischer Zentralmotive im Gewände allgemein humanitärer Forderungen. In diesem Zusammenhang wäre auf den Brüsseler Kongreß der Antiimperialistischen Liga von 1928, der eine Destabilisierung des Kolonialsystems zum Ziel hatte,130 ebenso hinzuweisen wie auf den mehr auf Deutschland bezogenen Kongreß „Das freie Wort", der sich gegen den sogenannten „Preußenschlag" richten sollte.131 Eng mit der antiimperialistischen und antifaschistischen Tätigkeit der KOMINTERN war auch der Amsterdamer Kongreß gegen den Krieg von 1932 verbunden, aus dem dann die „League Against War and Fascism" hervorging.132 Die „Amsterdam-Pleyel"Bewegung war direkte Vorläuferin der „Weltfriedenspartisanen" der Nachkriegszeit. Ein Modell für den CCF hingegen lieferte der „Weltkongreß für die Verteidigung der Kultur", der im Juni 1935 in Paris abgehalten wurde und eine Sammlungsbewegung gegen den Nationalsozialismus und den Faschismus auf dem Felde der Kultur initiieren sollte. Konkret diente dieser Kongreß der propagandistischen Absicherung der Volksfrontideologie.133 Dem Ziel einer breiten antifaschistischen Volksfront unter dem Banner von Frieden, Fortschritt, Freiheit und Kultur war auch der von der KPD maßgeblich initiierte Pariser Exilantenappell vom Dezember 1936 gewidmet, den die meisten führenden deutschen „fellow-travellers" unterzeichneten.134 Auf der nationalen Ebene bevorzugte die KOMINTERN-Führung gleichfalls 129
130 131
Vgl. S. Koch: Double Lives, S. 97-113; vgl.a. B. Gross: Willi Münzenberg, S.257-267. Damit ist natürlich nichts über Faktizität oder ethische Qualifikation der genannten Ereignisse ausgesagt, sondern bestenfalls etwas über mögliche die Interessenlage jener, die durch diskrete Steuerung im Hintergrund für weltweite Publizität sorgten. Die dabei erreichte Qualität im Bereich publizistischer Steuerungsmechanismen sollte im Kalten Krieg von beiden Seiten ausgenutzt werden. S. Koch: Double Lives, S. 38. B. Gross: Willi Münzenberg, S. 2441'.; ausführlicher Walter F. Peterson: The Berlin Liberal Press in Exile: A History of the Pariser Tagesblatt Pariser Tageszeitung 1933-1940, Tübingen 1987, S. 44-46. S. Koch: Double Lives, S. 42; D. Caute Fellow-Travellers, S. 132. Im Organisationskomitee dieser Friedensbewegung der Zwischenkriegszeit fanden sich u.a Maxim Gorki, George B Shaw, Romain Rolland, Henri Barbusse, Heinrich Mann, Upton Sinclair, Theodore Dreiser, Albert Einstein und Mme. Sun Yat Sen. Von den 1.200 Teilnehmern des Amsterdamer Kongresses waren 830 Angehörige der Kommunistischen Partei. S.a. Yves Santamria: Massenorganisation und „Friedenskampf: Der Amsterdamer Kongreß (1932), in: T. Schlie/S. Roche (Hg): Münzenberg, S. 103-112. B. Frei: Papiersäbel, S. 170. D. Caute: Fellow-Travellers, S. 149 nennt u.a. Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann, Arnold Zweig, Ernst Toller und Rudolf Leonhard. Auch die SAP, einschließlich Willy Brandts, versagte sich dem Ansinnen der Kommunisten nicht, während die SPD-Führung beharrlich an ihrem antikommunistischen Kurs festhielt und eine offizielle Kooperation mit der KPD vermied -
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2. Das
„fellow-traveller"-Konzept der Kommunistischen Internationalen
93
eine sorgfältig ausgearbeitete Doppelstrategie. Einerseits wurden homogene, sozial- oder berafsorientierte Frontorganisationen gegründet, die jeweils ein besonderes Milieu erfassen sollten, zum anderen war man bemüht, bestehende pazifistische und Menschenrechtsorganisationen konsequent zu unterwandern. Naheliegenderweise waren auch Gewerkschaften als Teil der Arbeiterbewegung Bestandteil des Unterwanderungsprogrammes der KOMINTERN. Dieses „Trojan Horse Principle"135 half dann bei der verdeckten Steuerung der Tätigkeit solcher Gruppierungen. Auch die indirekte Kontrolle meinungsbildender Zeitschriften, wie beispielsweise in den USA „The Nation", „PM" oder „The New Republic", spielte eine nicht zu unterschätzende Rolle.136 Insgesamt ging es gerade in den angelsächsischen Ländern, die über keine zahlenmäßig bedeutsame kommunistische Bewegung verfügten,137 um den Zugang zu den wertsetzenden kulturellen Eliten an den Universitäten und im bildungsbürgerlichen Umfeld.138 In Frankreich hingegen konnte sich die KOMiNTERN-Führang eher auf existierende kommunistische Strukturen stützen, daneben gab es bereits in der Zwischenkriegszeit um das Ehepaar Joliot gruppiert „fellow-traveller"Aktivitäten, die dann in die zweite „fellow-traveller"-Welle nach 1947/48 münden sollten.139 Im Deutschland der Zwischenkriegszeit sah die Lage deutlich anders aus. Vor 1933 erwiesen sich die deutschen Universitäten mit ihrer rechtsnationalen Prägung als weitgehend immun gegen „fellow-traveller"-Aktivitäten. Am ehesten waren intellektuelle Zirkel zu erfassen, die wie der Kreis um die "Weltbühne,, der bürgerlichen Republik und dem aufkommenden Nationalsozialismus gegenüber gleichermaßen kritisch eingestellt waren. Noch in den ausgehenden zwanziger Jahren hatte Münzenberg sich erfolgreich bemüht, diese Persönlichkeiten für eine engere Zusammenarbeit mit der KPD zu gewinnen.140 Nach 1933 änderte sich die Situation drastisch. Das Exil wurde gewissermaßen zum natürlichen Nährboden für intellektuelle „fellow-travellers".
135 136
Ebda., S. 138 im Hinblick auf Frankreich, S. 1390". bezogen auf die USA. Ebda., S. 137. Vgl. zur US-amerikanischen Sicht auf den Stalinismus Edward Mark: October
Thermidor? Interpretations of Stalinism and the Perception of Soviet Foreign Policy in the United States, 1927-1947, in: American Historical Review 94 (1989), S. 937-962. Die CPUSA z.B. verfugte zu ihren besten Zeiten, d.h. im Jahre 1945 über 75.000-85.000 Mitglieder, 1956 waren es noch 22.000 Mitglieder, 1971 schließlich 3.000, vgl. James K. Davis: Spying on America. The FBI's Domestic Counterintelligence Program, New York u.a. 1992, S. 29 und S. 51, wo Davis die CPUSA als einen vom FBI komplett durchsetzten Papiertiger bezeichnete, was quantitativ und sachlich für die Zeit nach 1948 zutrifft. In den dreißiger Jahren zumindest verfugte die Cpusa noch über ein erhebliches Infiltrationspotential, s. H. Kuehr/J.F. Haynes/F. Firsov: Secret World, S. 20-41. S. Koch: Double Lives, S. 181. D. Caute: Fellow-Travellers, S. 211. Zu der Fragestellung vgl. allg. David Caute: Communism and the French Intellectuals, 1914-1960, Worcester-London 1964. D Caute: Fellow-Travellers, S. 511". Zum Gesamtkomplex vgl. jetzt J.J. Bachmann: Paris und Moskau, der allerdings dazu neigt, die sogenannte „Renegatenliteratur" über das Phänomen deutscher und anderer „fellow-travellers" überwiegend negativ zu bewerten. or
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II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Münzenberg gelang es, eine weniger von ihm als von der nationalsozialistischen Verfolgung ausgelöste Sammlungsbewegung ursprünglich divergierender Kräfte zu gestalten, in der sich deutsche Kommunisten neben klassischen „fellow-travellers", Radikaldemokraten und sogar Anarchisten wiederfanden.141 Organisatorisch konstituierte sich dieses gelegentlich ein wenig disharmonische Bündnis in der Wiederbelebung des „Schutzverbandes deutscher Schriftsteller"
(SDS),142 literarisch im Umfeld der Zeitschrift „Das Wort"143. Auf der internationalen Ebene diente die als „liberal" etikettierte Zeitschrift „Die Sammlung", von Klaus Mann herausgegeben, einem ähnlichen Zweck.144 Natürlich kam es auch zu Gegenbewegungen. Noch im Pariser Exil gründeten Intellektuelle wie Alfred Döblin, Karl Otto Paetel, Hermann Kesten, Arkadij Gurland und Norbert Mühlen den „Bund freie Presse und Literatur", der sich ausdrücklich gegen die Tätigkeiten des Münzenberg-Apparates richtete. Zu den Gründern der Organisation gehörte auch Hilde Walter, über die Mühlen und Willy Brandt sich innerhalb der Exilantenkreise kennenlernen sollten.145 Beide arbeiteten dann zu Beginn der fünfziger Jahre wieder im CCF zusammen, diesmal Seite an Seite mit einigen ihrer alten Rivalen aus dem Münzenberg-Kreis. Mit dem Konzept der „fellow-traveller"-Organisationen verfügte der stalinistische Marxismus über eine reichlich genutzte Möglichkeit, westliche, der individualistischen Aufklärung verpflichtete Intellektuelle flexibel in des eigene, dogmatische System einzubauen. Wichtig war dabei, daß zum einen die Intellektuellen weder vor sich selbst noch vor der Öffentlichkeit ihre Redlichkeit, Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit einzubüßen drohten,146 während die Moskauer Führung zum anderen in die Lage versetzt wurde, sich den oft unreflektiert dualistischen Ansatz, der der politischen Lageanalyse nicht weniger Intellektueller zugrunde lag, dienstbar zu machen. Dank einer gewissen, aber nur sehr oberflächlichen inhaltlichen Nähe zum entstehenden „consensus liberalism", vor allem aber zum radikaleren Flügel des New Deal, gelang es dem Münzenberg-Apparat, die anhaltende Krise des liberalen Systems auszunutzen und zugunsten einer verdeckten kulturellen Hegemonie über einen erheblichen Teil westlicher Intellektueller zu instrumentalisieren. 141 142 143
144 145 146
D. Caute:
Fellow-Travellers, S.
57.
Ebda., S. 150. Zu den Mitgliedern zählten etwa Alfred Kantorowicz, Anna Seghers, Egon Erwin Kisch, Bodo Uhse, Arthur Koestler und Manès Sperber. Ebda S. 154. Zu den Autoren gehörten u.a. Arnold Zweig, Heinrich Mann, Rudolf Olden, Rudolf Leonhard, Ernst Toller, E.J. Gumbel, Alfred Kerr, Otto Maria Graf, Stefan Zweig, Ludwig Marcuse, Thomas Mann, Alfred Döblin, Walter Benjamin und Klaus Mann. Es wäre ,
jedoch ebensowenig zulässig, aus dem Mitwirken an dieser Zeitschrift auf eine tief sitzende „fellow-traveIler"-Gesinnung zu schließen, wie aus der Autorschaft für den „Monat" auf CIAKontakte. Wichtiger als direkte subversive oder propagandistische Tätigkeit ist in beiden Fällen das Prinzip der diskret gesteuerten Meinungsbildung. Ebda., S. 151.
Norbert Mühlen an Hilde Walter o.D. (vom September 1968), NL Mühlen, Box 22. Auch wenn Lion Feuchtwanger so weit ging, sogar die stalinistischen Schauprozesse gegenüber André Gide zu rechtfertigen, s. J.J. Bachmann: Pans und Moskau, S.357-363.
2. Das „fellow-traveller"-Konzept der Kommunistischen Internationalen
95
So wie später allerdings der „consensus liberalism" auf dem Höhepunkt seines geistigen und kulturellen Einflusses den Versuchungen des Triumphalismus erlag, zerfiel diese erste „fellow-traveller"-Bewegung aufgrund der immanenten Widerspräche zwischen aufgeklärt-humanistischen Ansprächen und totalitär-stalinistischer Praxis. Dies sei in der Folge nur kurz anhand des Schicksals von Willi Münzenberg angedeutet. Der eigentliche Zerfallsprozeß der ersten „fellow-traveller"-Bewegung und die Auseinandersetzungen des CCF mit der zweiten, nach 1947 einsetzenden Bewegung sollen Gegenstand der folgenden Kapitel sein. Annähernd zeitgleich etwa zu Manès Sperber und Arthur Koestler kam es ab spätestens 1937 auch bei Willi Münzenberg zu einer sich ständig verschärfenden Entfremdung vom Kurs des stalinistischen Establishments.147 Gemeinsam mit den beiden „Renegaten", aber auch mit den weiterhin treuen „fellowtravellers" Lion Feuchtwanger und Heinrich Mann sowie mit Ludwig Marcuse gründete Münzenberg in der Folge die Zeitschrift „Die Zukunft", die sich antifaschistische Arbeit auf humanistisch-sozialistischer Grundlage zum Ziel gesetzt hatte, jedoch auf die Mitarbeit von linientreuen Kommunisten weitgehend verzichtete. Der offene Brach innerhalb der intellektuellen Volksfront war mit dem erstmaligen Erscheinen der „Zukunft" Mitte Oktober 1938 faktisch Wirklichkeit geworden.148 Gleichzeitig hatten die stalinistischen Verfolgungen die KOMINTERN an den Rand der Handlungsunfähigkeit getrieben.149 Die KP-Führung lud Münzenberg nach Moskau vor, entweder, um ihn zu maßregeln oder um ihn zu liquidieren. Nach anhaltender Weigerung, diesem Ansinnen nachzukommen, und zunehmenden Pressionen des nachrichtendienstlichen Apparates der UdSSR ausgesetzt, erklärte Münzenberg am 10. März 1939 in der „Zukunft" seinen Austritt aus der KPD. Im Gegenzug wurde er im gleichen Monat aus der KOMINTERN als angebliches Mitglied der heterodoxen „Neumann-Grappe" ausgeschlossen.150 Das Handelsabkommen zwischen der nationalsozialistischen und der stalinistischen Führung vom 19. August 1939 und der Nichtangriffspakt vom 23. August waren dann nur noch letzte Bestätigung für den bereits vollzogenen Schritt der Trennung von der Partei.
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149 150
B. Frei: Papiersäbel, S. 178 spricht aus orthodox-marxistischer Sicht bezeichnenderweise vom „Virus des Unglaubens"; vgl. D. Caite: Fellow-Travellers, S. 136. Zum Gesamtkomplex s. B.
Gross: Willi Münzenberg, S. 298-332. B. Gross: Willi Münzenberg, S. 323f; A. Koestler: Zeuge der Zeit, S. 386-390; M. Sperber: Scherben, S. 201. Da der Mitarbeiterkreis der „Zukunft" sich nach außen hin kaum von dem eines normalen „tellow-traveller"-Organs unterschied, kommt S. Koch: Double Lives, S. 307 zu dem Schluß, bei der Zeitschrift habe es sich um ein neuerliches Agitprop-Unternehmen gehandelt. Nach allem, was heute an Informationen vorliegt, erscheint dies mehr als fragwürdig, zeigt aber zugleich, wie ungemein vorsichtig man mit der Etikettierung als „fellow-traveller" umgehen muß. B. Gross: Willi Münzenberg, S. 314. Ebda., S. 314-318; s.a. D. Caute: Fellow-Travellers, S. 136. Wie in vielen anderen Fällen vollzog sich der Ablösungsprozeß von der KP langsam und in schmerzlichen Schritten.
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II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Nach dem Einmarsch deutscher Trappen in Frankreich versuchte Münzenberg noch zu fliehen. Im Sommer 1940 fand man seine Leiche nahe Grenoble.151 Münzenbergs Schicksal machte es ein Jahrzehnt später möglich, daß die CCF-Führung sich organisatorisch und zum Teil auch inhaltlich auf ihn berufen konnte. Natürlich setzte sie sich damit der naheliegenden Kritik aus, selbst eine Institution von „fellow-travellers" zu sein, diesmal eben im westlichen Lager.152 In der Tat fand der „consensus liberalism" im CCF einen organisatorischen Ausdruck, der dem alten Agitprop-Apparat der KOMINTERN verdächtig ähnelte. Dies trifft auf die Tätigkeitsbereiche, das Streben nach kultureller Hegemonie und die Nähe zum jeweiligen Geheimdienst zu. Bei der ethischen Bewertung solcher Sachverhalte werden allerdings formale und strukturelle Ähnlichkeiten oft nicht von den Inhalten getrennt. Gerade auf der inhaltlichen Ebene aber liegt ein klares Unterscheidungskriterium.
3. Die
„Entstalinisierung" der westlichen Intellektuellen
Mit dem Tode von Willi Münzenberg trat die „fellow-traveller'-Bewegung in eine Phase der Agonie ein, ohne daß allerdings damit vergleichbare Infiltrationsversuche von stalinistischer Seite beendet gewesen wären. Begünstigt wurden derartige Bemühungen insbesondere von der 1941 einsetzenden Allianz zwischen den angelsächsischen Mächten und der UdSSR sowie von den Schrecken, die das Okkupationsregime des nationalsozialistischen Deutschlands in den meisten europäischen Staaten mit sich brachte. Weiterhin konnte sich die Parteiführung dabei auf das Doppelspiel von zumindest in den USA und Großbritannien legaler und subversiver Parteiarbeit auf der einen Seite sowie flankierenden Maßnahmen von „fellow-traveller"-Organisationen auf der anderen Seite verlassen. Dennoch war der Verfall der ersten „fellow-traveller"-Bewegung sozusagen vom Zentrum her unverkennbar. Gerade die späteren Vordenker und Organisatoren des CCF wandten sich Mitte der dreißiger Jahre vom Stalinismus ab und bildeten eine Gedankenwelt heraus, die bis weit in die sechziger Jahre hinein -
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152
Die Umstände von Münzenbergs Tod sind nie ganz geklärt worden. Während B. Frei: Papiersäbel, S. 176 und S. 179 an der stalinistischen Version des Selbstmordes eines nervlich zerrütteten Mannes festhält, halten B. Gross: Willi Münzenberg, S. 333-335 und S. Koch: Double Lives, S. 303 einen vom NKWD in Auftrag gegebenen Mord filr wahrscheinlich. Vergleichbar ist das Rätsel um den Tod Willi Münzenbergs mit dem ebenfalls ungeklärten Tod von Arkadij Maslow, dem Lebensgefährten Ruth Fischers, vgl. P. Lubbe: Abtrünnig wider Willen, S. XXI, der es gleichfalls für wahrscheinlich hält, daß Maslow und Münzenberg Opfer des NKWD geworden sind. D. Caute: Fellow-Travellers, S. 298-305.
3. Die
„Entstalinisierung" der westlichen Intellektuellen
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bleiben sollte. Sie standen damit paradigmatisch für einen sich der in vielen der „fellow-traveller"-Grappierangen und sogar bis Prozeß, in die Struktur der Kommunistischen Partei hinein in jener Zeit abspielte. Auf der anderen Seite bestanden die von Münzenberg aufgebauten Netze, ideolofür sie
prägend
und persönliche Bindungen, auch in der Kriegs- und Nachkriegszeit weiter und fanden in unterschiedlichen nationalen Kontexten unterschiedliche Ausprägungen. Am ehesten könnte man von einem Ineinandergreifen von Verfall, Bewahrung und Neuaufbau von „fellow-traveller"-Strukturen sprechen. Im Hinblick auf den Verfall der ersten „fellow-traveller"-Bewegung153 war Spanien der Wendepunkt, nicht nur für Münzenberg selbst. Der Spanische Bürgerkrieg (1936-1939) hatte anfangs eine entschiedene Hinwendung der Intellektuellen zu den weltanschaulichen Angeboten der Stalinisten gebracht,154 er war regelrecht zum Kulminationspunkt in der Auseinandersetzung zwischen „Heil" und „Unheil", zwischen Aufklärung und Barbarei geworden. Eine ganze Reihe intellektueller „fellow-travellers" wandte sich von pazifistischen Positionen ab und suchte in Spanien die praktische Erfüllung ihrer Träume. Die Wirklichkeit des Krieges erwies sich jedoch als ernüchternd. Die unmittelbare Erfahrung des GPU-Terrors gegen die POUM, das Vorgehen der Stalinisten gegen die spanischen Anarchisten und die Kritik der linientreuen Intellektuellen an André Gide auf dem Madrider Schriftstellerkongreß von 1937155 wurde für Stephen Spender, Manès Sperber,156 Arthur Koestler157 sowie George Orwell zum Auslöser für einen schmerzlichen Ablösungsprozeß.158 Zur gleichen Zeit radikalisierte sich auch Ruth Fischers trotzkistisch motivierte Opposition gegen den Stalinismus.159 Die Versuche von Trotzkisten, wie Ruth Fischer, Irving Kristol, Lionel Trilling und auch Melvin Lasky es Mitte der dreißiger Jahre noch waren, und der „Renegaten", unter denen Arthur Koestler, George Orwell, Manès Sperber und Ignazio Silone die namhaftesten waren, die stalinististischen Verbrechen
gische
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Einen solchen Verfall konstatierte z.B. auch der Zeitgenosse Siefried Kracauer, vgl. Siegfried Kracauer an James T. Farrell vom 2.9.1946, DLA, A: Kracauer, 72.1303/2. Vgl. S. Spender: Welt in der Welt, S. 263. Ebda., S 279-285, s.a. S 296t; vgl. J. Gorkin: Stalins langer Arm, S. 11 und S. 22; H. Komuth: Manès Sperber, Arthur Koestler und George Orwell, S. 30-33. M. Sperber: Brücke, S. 38. H. Harris (Hg): Astride the Two Cultures, S. 109f; H. Komuth: Manès Sperber, Arthur Koestler und George Orwell, S. 59-66; Thomas Koebner: Arthur Koestlers Abkehr vom Stalinismus, in: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch 1 (1983), S. 95-108. Koestler schildert diese Ereignisse in den Begriffen eines religiösen Konversionserlebnisses, wobei er von dem Gefühl existentieller Lehre während eines Gefängnisaufenthaltes in Sevilla ausgeht; Sperber legt besonderen Wert auf den Widerspruch zwischen der rationalen Erkenntnis des Unwertes stalinisuscher Ideologie und der emotionalen Unfähigkeit, sich von den Bindungen an die Partei zu lösen. Am wenigsten scheint die Trennung vom Kommunismus Stephen Spender emotional mitgenommen zu haben, da er schon zuvor liberalen Neigungen nachgegangen war, s. S. Spender: Welt in der Welt, S. 252 und S. 263. P. Lübbe (Hg.): Abtrünnig wider Willen, S. VII und S. Xllf.
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit" gegenüber einer weiten Öffentlichkeit publik zu machen, liefen in dieser Zeit, 98
II. Die
also zwischen 1937 und 1941, noch weitgehend unkoordiniert nebeneinander her. Dennoch gab es Erfolge, wenigstens in den USA, wo dieser Ablauf ansatzweise erforscht ist. Mit der „Großen Säuberung" setzte ab etwa 1935 in der CPUSA und den amerikanischen „fellow-traveller"-Organisationen ein deutlich erkennbarer Zerfallsprozeß ein.160 In der Folgezeit kam es innerhalb des Kreises der Exkommunisten zu ersten, informellen Gruppenbildungen, von denen der Zirkel um Silone und Sperber, dem auch Koestier nahestand, für die Zukunft am wichtigsten war.161 Aber auch in anderen Ländern fingen antikommunistische oder doch inzwischen antikommunistisch gewordene Intellektuelle noch während des Zweiten Weltkrieges an, Strukturen aufzubauen, mit deren Hilfe eine als bedrohlich nah empfundene kulturelle Hegemonie vom Stalinismus beeinflußter Meinungsmacher verhindert werden sollte. Der Aufbau und die Internationalisierung linksintellektueller antikommunistischer Netzwerke ist Gegenstand dieses Kapitels. Dabei sollen vor allem die USA im Mittelpunkt stehen. Desweiteren gilt es, die Situation in Großbritannien und Frankreich näher zu betrachten. In der Hauptsache spielte sich der Prozeß der „Entstalinisierung" zwischen 1941 und 1948 ab, um paradoxerweise in das Entstehen der zweiten „fellow-traveller"-Welle zu münden.162 Grundlegend für die gesamte Entwicklung war das stete Ineinandergreifen politischer und binnenintellektueller Vorgänge, die während des gesamten genannten Zeitraumes aufeinander bezogen blieben. Im Zentrum stehen also vorwiegend innenpolitische Rahmenbedingungen für die erfolgreiche Durchsetzung des intellektuellen linken Antikommunismus in den Kemstaaten des „Westens", das heißt in den USA, Großbritannien und mit erheblichen Einschränkungen in Frankreich. Die oft phasenverschobenen außenpolitischen Konstellationen, die in den Kalten Krieg führten, dürfen dabei als bekannt vorausgesetzt werden, zumal als Grandthese dieses Kapitels der Gedanke expliziert werden soll, daß auf der ideell-kulturellen Ebene ein Zusammenstoß zwischen dem entstehenden Konsensliberalismus und dem Stalinismus mit zunehmender Selbstreflexion des Liberalismus unausweichlich war. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß auf der politisch-pragmatischen Ebene nicht auch weiterhin Allianzen zwischen dem Westen und der UdSSR möglich gewesen wären. Innerhalb der USA stammten die ersten organisierten Versuche konsensliberaler Intellektueller, sich mit dem Stalinismus auseinanderzusetzen, aus dem -
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R.H. Pells: Liberal Mind, S. 33 und S. 76-80; G. Raeithel: Kultur, Bd. 3, S. 44, datiert den Beginn dieses Zerfallsprozesses der Cpusa auf den Zeitpunkt ihrer endgültigen Stalinisierung, also in das Jahr 1932. A. Koestler: Zeuge der Zeit, S. 224f.; M. Sperber: Scherben, S. 296-299. E. Nolte: Deutschland und der Kalte Krieg, S. 226f. hält für die USA das Jahr 1946 für entscheidend. Dies dürfte den Prozeßcharakter der „Entstalinisierung" nicht hinreichend berück-
sichtigen.
3. Die
„Entstalinisierung" der westlichen Intellektuellen
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Jahre 1939. Kristallisationskern derartiger Bemühungen waren Pragmatisten und Personen aus dem Umfeld der „New York Jewish Intellectuals" mit ihrem liberalen, radikalen oder trotzkistischen Hintergrund, der sie für die Wahrnehmung stalinistischer Umtriebe besonders sensibilisierte. Am 15. Mai 1939 gründeten John Dewey und Sidney Hook, die bereits zuvor ein Tribunal zur Untersuchung stalinistischer Verbrechen ins Leben gerufen hatten,163 das „Committee for Cultural Freedom",164 das nicht allein dem Namen nach eine direkte Vorläuferorganisation des ACCF und des CCF darstellte.165 Unterstützt wurden sie bei diesem Vorhaben von dem international wie national renommierten Vorsitzenden der streng antikommunistischen amerikanischen Sozialistischen Partei, Norman Thomas.166 Das Manifest der neuen Organisation wurde am 27. Mai 1939 in der linksgerichteten, einstmals den „fellowtravellers" nahestehenden Zeitschrift „The Nation" veröffentlicht.167 Darin bekannten sich die 96 Unterzeichner zu einer gleichermaßen von individualistischen und sozialistisch-egalitären Prinzipien getragenen Kritik an den totalitären Diktaturen Europas, aber auch, ganz im Sinne des Pragmatismus, zu einer ständigen Kritik an Fehlentwicklungen in der amerikanischen Gesellschaft. Fundamental war die Überzeugung, daß die Verhältnisse in totalitären Staaten nahezu identisch seien, das heißt, man ging von frühen totalitarismustheoretischen Überlegungen aus, wie sie ein Jahrzehnt zuvor auch schon von den Fabianisten Sidney und Beatrice Webb formuliert worden waren, ehe die beiden sich den „fellow-travellers" angeschlossen hatten.168 Prompt wurde von kommunistischer Seite der Vorwurf erhoben, hier handele es sich um eine trotzkistische Propagandaaktion, was allerdings mit einem Blick auf die Organisatoren leicht zu widerlegen war. Mit dem Komitee war freilich die Position des rechten New Deal in den USA deutlich abgesteckt, wenn auch vorerst klar minoritär. Lange bevor die CIA zu Zeiten der Truman-Administration sich anschickte, ähnliche Bewegungen zu koordinieren, war es in den Intellektuellenzirkeln gerade New Yorks zu
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Vgl. A.M. Wald: New York Intellectuals, S. 128-156. Vgl. die Darstellung von S. Hook: Out of Step, S. 248-274, der die Tätigkeit des Komitees v.a. auf die Aktivitäten von Jellow-traveller"-Organisationen wie der „League of American Writers" oder das „American Committee for Intellctual Freedom and Democracy" zurückführt. Vgl. J.P. Roche: Intellectual Barricades, S. 18. John Dewey: The Committee for Cultural Freedom, in: Jo A. Boydston (Hg.): John Dewey:
The Later Works, 1925-1953, Bd. 14: 1939-1941, Carbondale-Edwardsville 1988, S. 365f. J Dewey: Cultural Freedom, in: ebda., S. 488-491. Unter den Unterzeichnern waren damals überwiegend Universitätsprofessoren, jedoch nur vergleichsweise wenige der späteren antikommunistischen Intellektuellen, u.a. Sherwood Anderson, Rudolf Carnap, Merle Curti, Max Eastman, Sol Levitas, John Dos Passos, Willi Schlamm, Arthur M. Schlesinger, Norman Thomas und Dorothy Thompson, s. S. Hook: Out of Step, S. 272ff. Wichtige Persönlichkeiten des späteren ACCF waren zu dieser Zeit noch auf der anderen Seite, so etwa Dwight Macdonald, James T. Farrell, James Burnham, William Phillips und Philip Rahv, s. ebda., S. 262. D. Caute: Fellow-Travellers, S. 76.
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II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses fur Kulturelle Freiheit"
einer deutlichen Abkehr vom Kommunismus gekommen.169 Innerhalb der New Dealer kam es nun zu Kritik an jenen Vertretern des linken New Deal, die wie etwa Max Lemer die prosowjetische Politik von Präsident Roosevelt befürworteten.170 Im Umfeld der intellektuellen des rechten New Deal fand sich bald auch Reinhold Niebuhr, ein weiterer prominenter Vertreter liberalpragmatistischer Intelligenz.171 Publizistisch flankiert wurden die antitotalitären Ansätze des „Committee for Cultural Freedom" von dem Emigranten Franz Borkenau, dem vor Hannah Arendt für den liberalen Konsens lange Zeit einflußreichsten Totalitarismustheoretiker. Sein Buch „The Totalitarian Enemy" (1940) brachte diese Theorie auf die eingängige Formel, der Nationalsozialismus sei ein brauner Kommunismus, der Kommunismus hingegen ein roter Faschismus.172 Gegenüber den beiden Totalitarismen fiele dem Liberalismus, der nicht einfachhin mit der Demokratie gleichgesetzt werden könne, die Aufgabe zu, den Wert des Individuums besonders zu betonen.173 An diesem anthropologischen Optimismus übte kurz darauf zwar Reinhold Niebuhr, ausgehend von der lutherischen Erbsündenlehre, freundlich gehaltene Kritik, jedoch nur, um nachzuweisen, daß es genau dieser übertriebene anthropologische Optimismus der Liberalen sei, aus dem sich der Marxismus ableiten ließe.174 Damit war die mögliche Spannbreite innerliberaler Debatten und Meinungen angedeutet, gleichzeitig aber auch der generelle Rahmen angelegt, innerhalb dessen sich konsensliberale Meinungsbildung vollziehen konnte. Denn die Totalitarismustheorie ließ sich zunehmend als ideologischer Kitt für die heterogenen Vertreter des rechten New Deal instrumentalisieren, zumal sie in der Nachkriegszeit von Hannah Arendt in einer deutlich elaborierteren Variante als bei Borkenau und Niebuhr vorgelegt wurde. Dem Konzept kam dabei einerseits die Funktion zu, den westlichen Liberalismus nach außen hin als undogmatisch-pragmatische, realitätsbezogene, moderne und humane Konzeption gegenüber seinen radikalen Feinden abzugrenzen. Wie so oft manifestierte sich „Westen" (als liberaler und bürgerlicher Westen) hier in der Abgrenzung von einem realen oder potentiellen Gegner. In diesem Sinne war die Totalitarismustheorie auch das Instrument, eine breite gesellschaftliche und politische Basis für eine zu schaffende, reformorientierte zivile Bürgergesellschaft zu errichten, indem man sich besonders die antikommunistischen Vorbehalte traditionaler Eliten nutzbar machte und in den entstehenden Konsens einzubinden vermochte. Andererseits konnte die Totalitarismustheorie als -
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Instrument
zur
Selbstimmunisierung gegenüber
nichtliberalen Kritikern verwendet werden, da, 169 170 171 172 173 174
R.H. Pells: Liberal Mmd, S. 97. A. Hamby: Beyond the New Deal, S. 17. Ebda.,S. 20Í F. Borkenau: The Totalitarian Enemy, S. 20. Ebda, S. 151. R. Niebuhr: Kmder des Lichts, S. 7f, S. 21 und S. 28f.
zwar
je
nach
demokratischen, aber
möglicher Weite
der
3. Die
„Entstalinisierung" der westlichen Intellektuellen
101
Auslegung, jeder nichtliberalen, kritischen Position totalitäre Züge unterstellt werden konnten. Dies ist in der Tat nur scheinbar ein Widersprach zu der erstgenannten Grundfunktion des Konzeptes. Einbindung in einen möglichst breiten Konsens und ideologische Funktionalisierung im Sinne liberaler Penetration nichtliberaler Weltanschauungen gehörten vielmehr untrennbar zu-
sammen. Insofern war die Totalitarismustheorie auch Bestandteil einer umfassenden Strategie liberalen Selbstbehauptungs- und Durchsetzungswillens innerhalb des demokratischen Spektrums. Der Antitotalitarismus wurde so, allerdings erst mit einiger Verspätung, neben Lockeanismus, Keynesianismus, Pragmatismus und Internationalismus zum fünften konstituierenden Pfeiler des entstehenden Konsenses. Im Gegensatz zu den vier anderen Komponenten war er jedoch am ehesten situativ gebunden, also mit einer konkreten politischen Konstellation verknüpft. Zugleich stellte er aber unter den gegebenen politischen Bedingungen eine notwendige Form der Selbstexplikation des Liberalismus dar, indem durch den Antitotalitarismus klargestellt werden konnte, wo die Grenzen liberaler Koalitionsfähigkeit liegen mußten, wenn man mit systemfremden Herausforderungen, wie sie die totalitären Regime darstellten, fertig werden wollte. Dem „Committee for Cultural Freedom", in dessen Dunstkreis diese Entwicklung ihren organisatorischen Ausgang nahm, war jedoch keine übermäßige Durchsetzungskraft beschieden. Mit dem amerikanisch-sowjetischen Bündnis von 1941 erlosch seine Aktivität. Interessanterweise war es zuvor nur noch einmal, im April 1940, massiv in der Öffentlichkeit präsent gewesen, ausgerechnet nicht mit antitotalitärem Engagement, sondern mit dem Versuch, Bertrand Russell gegen die Anfeindungen fundamentalistischer Kritiker, er verfechte atheistische Positionen, als Lehrer am New York City College zu
halten.175
Inrmerhin gelang es, antikommunistische Elemente innerhalb des prononciert linken Flügels der Demokratischen Partei und ihr nahestehender Gruppierungen doch noch zu bündeln. 1941 gründeten John Loeb jr. und erneut Norman Thomas die „Union for Democratic Action" (UDA), in der, wenn auch nicht immer konsequent,176 das Gedankengut des „Committee for Cultural Freedom" weiterhin vertreten wurde.177 Über ein Schattendasein kam die UDA bis zum Kriegsende nie hinaus, dennoch spielte sie eine wichtige Rolle als organisatorischer Anknüpfungspunkt für die lawinenartig anmutende Durchsetzung des antitotalitären Konsenses nach 1944/45. Jenseits der UDA kam dem antitotalitären, linken Antikommunismus im 175 176 177
J. Dewey: Cultural Freedom, in: JA. Boydston (Hg.): John Dewey, Bd. 14, S. 465-471. C. Brock: Americans for Democratic Action, S. 50f. Ebda., S. 47-49; A. Hamby: Beyond the New Deal, S. 15 und S. 36f„ weist daraufhin, daß die UDA die kleinste der liberalen Organisationen im Umfeld der Demokraten war und 1944 über rund 5.000 Mitglieder, darunter allerdings Eleanor Roosevelt, verfügte.
102
II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Zeitraum von 1941 bis 1944 nur eine sektenhafte Randexistenz zu. Kleine, eher zufällig zusammengewürfelte Kreise pflegten auf diese Weise ihre oft erfahrungsbedingten Vorbehalte gegen den Stalinismus. Dies galt auch für die innerlich hochgradig zerstrittene europäische Emigration in den USA. Doch auch in diesen Kreisen gab es Bemühungen, die später für den CCF nicht ohne Belang sein sollten. Es war besonders die frühere Vorsitzende der KPD und spätere Linksabweichlerin Ruth Fischer, die sich unermüdlich und mit einer gehörigen Portion Fanatismus178 der antistalinistischen Arbeit verschrieben hatte. Nach dem ungeklärten Tod ihres Lebensgefährten Arkadij Maslow war sie in der Umgebung von Franz Neumann und Karl August Wittfogel untergekommen. Zunehmend zeigte sie sich besorgt über die Tätigkeit der CPUSA und der diversen „fellow-traveller"-Organisationen in Emigrantenkreisen, aber auch in der amerikanischen Gesellschaft: „Mein Standpunkt hat sich durch den Krieg nur noch befestigt die triumphierende
der stalinistischen Ideologie und der stalinistischen Organisationen findet konfuse, zersplitterte, durch Niederlagen und Leiden geschwächte, unkämpferische Gegner: Diese potentiellen AntiStalinisten sind noch dazu nicht nur durch ihre eigene theoretische Verwirrung, sondern außerdem durch die von den Stalinisten vorzüglich organisierte persönliche Vergiftung voneinander getrennt. Seit ich in New York bin, habe ich versucht, in verschiedener Form zu emer Verständigung mit den Entwickelten unter den Antistalinisten zu kommen",179 schrieb sie im Januar 1944 an Arkadij Gurland, der Anfang der fünfziger Jahre dann wieder im Umfeld der Berliner CCF-Grappe auftauchen sollte. Zu den angedeuteten Maßnahmen gehörte eine zwischen 1943 und 1945 von Ruth Fischer publizierte Zeitschrift mit dem programmatischen Titel: „The Network. Information Bulletin About Stalinist Organizations and Organizational Forms".180 Finaziert wurde das Bulletin ausgerechnet vom amerikanischen Gewerkschaftsverband AFL, der später auch als Sponsor des CCF auftrat. Spätestens seit Mai 1944 war ihre Tätigkeit auch mit derjenigen der Alttrotzkisten James Bumham und Sidney Hook vernetzt.181 Allerdings litt Ruth Fischers Tätigkeit unter ihrem zwischen Fanatismus und Verfolgungswahn182 pendeln Wiederkehr
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...
Wenn man Ignazio Silone, in: R.H.S. Crossman (Hg.): The God that Failed, S. 100, vertrauen kann, scheint eine gewisse fanatische Intransigenz zu den grundlegenden Charakterzügen Ruth
Fischers gehört zu haben. Ruth Fischer an Arkadij Gurland vom 24.1.1944, in: P. Lübbe (Hg.): Abtrünnig wider Willen,
S. 157Í P. Lübbe (Hg): Abtrünnig wider Willen, S. XXVIf. James Bumham an Ruth Fischer vom 9.5 1944, in: ebda, S. 161f. An ihre Brüder schrieb sie z.B.: Ich organisiere mich gegen Euch und zwar gründlich. Dabei kann ich natürlich doch den kürzeren ziehen Wenn es den hiesigen Zweigstellen der GPU gelingt, ein geschicktes Arrangement für einen natürlichen Tod zu finden Diesmal geht Euch das nicht durch. Nicht Dir und nicht dem Chef der deutschen GPU-Division in den US Gerhart Eisler [...], dem korrupten Liquidator [...] antistalinistischer Kameraden." ; Ruth Fischer an Hanns, Gerhart und Lou Eisler vom 27.4.1944, in: ebda., S. 160f. Der Fairness halber sei aber angemerkt, daß Lübbe Ruth Fischers Sorgen um das eigene Leben für durchaus berechtigt hält, vgl. ebda., S. XXIIf, wo er daraufhinweist, daß sie seit dem 28.4. 1944 unter Polizeischutz stand. Damit relativiert sich auch der Vorwurf Salka Viertels, Ruth Fischer sei „ein Scheusal von Schwester" gewesen, weil sie ihre Brüder beim FBI denunziert habe, s. Salka Viertel: Das „
3. Die „Entstalinisierung" der westlichen Intellektuellen
103
den Naturell, das eine stetige und auf Ausgleich bedachte Aufbautätigkeit nahezu unmöglich machte. Bot die UDA eher die Möglichkeit, denn die Realisierung einer politisch wirksamen Organisation des konsensliberalen Antikommunismus, und stellte Ruth Fischer eine für die Zukunft zwar nicht ganz folgenlose, aber dennoch randständige Einzelkämpferexistenz im Emigrantenmilieu dar, war überdies das „Committee for Cultural Freedom" ganz verschwunden, so blieben doch noch weitere Möglichkeiten antikommunistischer Einflußnahme. Wiederum spielten dabei die „New York Intellectuals" eine wichtige Rolle und zwar in Gestalt ihrer Zeitschriften, allen voran der „Partisan Review" und des „New Leader". Zwar verfügte die „Partisan Review" 1945 nur über 7.000 Abonnenten, außerdem war die Zeitschrift 1934 ursprünglich aus der kommunistischen „John Reed Society" hervorgegangen, um sich 1937 von der Cpusa abzuwenden und einen trotzkistischen Kurs einzuschlagen. Dennoch saßen mit dem Gründungsherausgeber Dwight Macdonald, einem ausgewiesenen „radical", James Burnham, Sidney Hook und Lionel Trilling, führende Vetreter der „New York Intellectuals" im Beirat der „Partisan Review", die schließlich in den späten dreißiger Jahren einen konsequent antikommunistischen Kurs einschlug.183 Unterstützung fand die „Partisan Review" darin beim von jeher antikommunistischen, sozialdemokratischen „New Leader", lange Zeit eine Art einsamer Rufer in der Wüste, wemi es um einen genuin linken Antikommunismus ging.184 Es war dann aber die „Partisan Review", in der Sidney Hook 1943 seine publizistische Kampagne gegen das Versagen der amerikanischen Linken im Angesicht der stalinistischen Herausforderung startete.185 Allen diesen Anstrengungen zum Trotz hieße es die historische Realität verkennen, würde man nicht einräumen, daß die Vertreter des rechten New Deal, die zugleich den Kembereich des Konsensliberalismus bildeten, zu dieser Zeit gerade wegen ihres antitotalitären und speziell antikommunistischen Engagements eine bemerkenswert abseitige Minorität im US-Liberalismus darstellten. Auf der anderen Seite stand natürlich keine Mehrheit, die ausschließlich von Kommunisten und „fellow-travellers" gebildet worden wäre, ganz im Gegenteil.186 Der Mehrheit der Intellektuellen im Bereich der amerika
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unbelehrbare Herz. Em Leben in der Welt des Theaters, der Literatur und des Films, HamburgDüsseldorf 1970, S. 442. Vg. aber a. die eher kritische Einschätzung bei Heike Bungert: „Ein meisterhafter Schachzug". Das Nationalkomitee Freies Deutschland in der Beurteilung der Amerikaner, 1943-1945, in: Jürgen Heideking/Christof Mauch (Hg.): Geheimdienstkneg gegen Deutschland. Subversion, Propaganda und politische Planungen des amerikanischen Geheimdienstes im Zweiten Weltkrieg, Göttingen 1993, S. 99. R.H. Pells: Liberal Mind, S. 11, S. 33 und S. 73. A. Hamby: Beyond the New Deal, S. 107. R.H. Pells: Liberal Mind, S. 22. B. Crozier: Noble Mess, S. 63 schätzt noch für 1948, daß eme Majorität der westlichen Intellektuellen dem Marxismus-Leninismus angehangen haben. Da eigentlich empirische Untersuchungen zum Thema intellektueller Anhängerschaft nicht existieren, wird jede Schätzung
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nischen Linken ging es eher darum, durch Zusammenarbeit mit der Sowjetunion außenpolitische Stabilität zu erreichen und durch Einbindung der CPUSA und ihrer Gefolgsleute innenpolitisch eine breite Basis für das Reformprogramm der Roosevelt-Admfnistration zu sichern.187 Natürlich spielte auch die Kriegssituation eine zentrale Rolle. Liberale Intellektuelle, wie Roger Baldwin von der „American Civil Liberties Union" (ACLU) und Max Lemer, glaubten sogar, in der UdSSR erste Anzeichen einer echten demokratischen Entwicklung wahrnehmen zu können.188 So stand die amerikanische Linke zum Kriegsende stärker und scheinbar geschlossener da als je zuvor in ihrer Geschichte. „Liberais" und „radicals" vertraten nahezu identische soziale und politische Reformkonzepte, der intellektuelle amerikanische Liberalismus wurde in weiten Bereichen von einer der Sowjetunion gegenüber freundlichen Haltung beherrscht.189 Nur drei Jahre später hingegen war der linke Flügel des New Deal faktisch ausgeschaltet, zur bedeutungslosen Sekte verkümmert, einflußloser noch als jene liberalen Grüppchen, die bislang behandelt wurden. Was war geschehen? Mit Sicherheit hatte der Tod von Franklin D. Roosevelt eine zentrale Rolle gespielt.190 Sein Nachfolger Harry S. Truman, ein Mann der konservativ-liberalen Pendergast-Maschine innerhalb der Demokratischen Partei,191 beraubte die linken New Dealer ihres administrativen Rückhaltes, indem er Harold Ickes, Frances Perkins und Henry Morgenthau, drei Stützen des alten New DealEstablishments, noch 1946 entließ.192 Gleichzeitig geriet er außenpolitsch unter den Einfluß des antisowjetisch eingestellten Experten Edward R. Stettinius.193 Damit war klargeworden, daß die USA die sich abzeichnende Stalinisierung der ostmitteleuropäischen Staaten nun mit deutiich mehr Skepsis verfolgen würden. Ausdruck des wachsenden Mißtrauens von Seiten der amerikanischen Administration war beispielsweise Trumans Entscheidung vom 8. Oktober 1945, die Sowjets unter keinen Umständen an den Ergebnissen der amerikanischen Atomforschung partizipieren zu lassen.
dem methodischen Problem stehen, jenseits eigener weltanschaulicher Maßgaben zu konkreten Aussagen zu gelangen. Für die USA konstatiert Julius Epstein noch für 1949, wie groß der Anteil von „fellow-travellers" in der Administration sei, vgl. Julius Epstein an Melvin J. Lasky vom 16.10.1949, UoC-Archiv, „Der Monat"-Records, Box 1, Folder 15. Wie noch zu zeigen sein wird, beruhte diese Einschätzung aber eher auf antistalinistischer Fehlperzeption, denn auf einer konkreten Realität in den USA. Ebda.S. 36f. vor
187 188 189 190 191 192
193
A. Hamby: Beyond the New Deal, S. 17. Mary S. McAuliffe: Crisis on the Left. Cold War Politics and American Liberals, 1947-1954, Amherst 1978, S. 1-4. A. Hamby: Beyond the New Deal, S. 29. Ebda.S. 41-45, s.a. S.48f. C. Brock: Americans for Democratic Action, S. 43; vgl. A. Hamby: Beyond the New Deal, S. 54ff. undS. 7Iff. A. H^mby: Beyond the New Deal, S. 88-90.
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Dieser Beschluß wurde dann zum Ausgangspunkt einer wachsenden Spionagehysterie in den USA, die später vor allem von republikanischer Seite erfolgreich gegen die New Deal-Liberalen jeglicher Couleur eingesetzt wurde und endlich im Fall Rosenberg gipfelte.194 Bis zu einem gewissen Grade setzte Truman allerdings nur fort, was Roosevelt 1944 mit der Entlassung des linken New Dealers Henry Wallace, Exponent des protestantischen „social gospel", als Vizepräsident eingeleitet hatte.195 Daß durch all diese Maßnahmen jedoch noch nichts entschieden war, wird deutlich, wenn man bedenkt, wie schwach die Truman-Administration innenpolitisch bis zur Wahl von 1948 eigentlich war. Erst aus weiteren Veränderungen innerhalb des liberalen Spektrums erklärt sich rückblickend das weitgehende Verschwinden des linken New
Deal.196
Mit dem Machtwechsel in der Administration witterten die rechten New Dealer Morgenluft. Für die Vordenker des „consensus liberalism" schien bei entschlossenem Handeln die Stunde gekommen, die Partizipation an der Macht einzuklagen. Bereits 1945 hatten sich um den bestehenden liberal-sozialdemokratisch-extrotzkistischen Kern, bestehend aus „Partisan Review", „New Leader"197 und ihren Autoren Trilling, Niebuhr, Burnham und Hook, weitere Gruppen gebildet.198 Mit James T. Farrell und dem Ökonomen John Kenneth Galbraith waren bedeutende Intellektuelle hinzugestoßen; mit der seit 1945
erscheinenden Zeitschrift
„Commentary" ein zusätzliches, einflußreiches Publikationsorgan verfügbar geworden, zumal das „American Jewish Committee" Träger der Zeitschrift war.199 Chefredakteur von „Commentary" war Irving Kristol, ein weiterer ehemaliger Trotzkist. Breitere Wirkung erzielten die Konsensliberalen durch die „New York Post", deren Herausgeber James Wechsler jetzt ebenfalls zu diesem Kreis zu zählen war. Arthur M. Schlesinger gab dem Lebensgefühl dieses sich allmählich herauskristallisierenden Milieus in seiner Schrift „The Vital Center" (1949) treffenden 194
195 196
197
198 199
S.J. Whitfield: Culture, S. 3f, hat zu dieser Hysterie treffend bemerkt, daß, obgleich es sich bei den amerikanischen Kommunisten zweifellos um eine Art „mini-totalitarians" gehandelt habe, es zwar eine kommunistische Gefahr für die Vereinigten Staaten gegeben habe, nicht aber im Lande selbst. D. Caute: Fellow-Travellers, S. 269t.; A. Hamby: Beyond the New Deal, S. 22-25. Die Entwicklung in der Republikanischen Partei kann hier vernachlässigt werden. Spätestens seit der Fulton-Rede von Winston Churchill kündigten die Republikaner die Kriegskoalition mit den Sowjets auf und steigerten sich in einen rabiaten Antikommunismus, der Züge der „red scare" um 1920 erkennen ließ. Selbst bei den noch verbliebenen „progressive Republicans" ist keine wirkliche prosowjetische Option zu erkennen Auf die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Fulton-Rede weist E. Nolte: Deutschland und der Kalte Krieg, S. 224 hin. Wie bedeutsam der „New Leader" war, zeigt sich z.B. darin, daß die „American Youth for Democracy" ihre antikommunistischen Kampagnen des Jahres 1947 überwiegend mit „New Leader"-Material über kommunistische Tarnorganisationen bestritten, vgl. Frank H. Jonas an Norbert Mühlen vom 21.12.1946, NL Mühlen, Box 17. R.H. Pells: Liberal Mind, S. 36f; M. McAuliffe: Crisis on the Left, S. 64-68. R.H. Pells: Liberal Mind, S. 73f, s.a. S. 97.
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Ausdruck. Kritisch sollte sie sein, diese neue und lebendige Mitte, intellektuell und urban; faktisch war sie mittelständisch und weiß, eine Koalition aus angelsächsischen Protestanten, fortschrittlichen Katholiken und den Vertretern der jüdischen liberalen Intelligenz.200 Für das „vital center" war die Allianz mit der Sowjetunion keine Herzensangelegenheit, noch von irgendwelcher praktischer Relevanz, eher schon eine Gefahr für die innere und äußere Sicherheit der USA und des von ihr repräsentierten sozialen Wertesystems. Ganz im Sinne der jetzt reifer entfalteten Totalitarismustheorie schien, als Lehre aus dem angeblich falschen Umgang mit Hitier unter den Prämissen britischer Appeasementpolitik, eine Auseinandersetzung mit dem aggressiven Machtpotential des Stalinismus unumgänglich. Die USA waren in den Augen der Konsensliberalen ohnehin der natürliche Hegemon in der anstehenden Auseinandersetzung zwischen Freiheit und Unterdrückung.201 Ehe allerdings der „consensus liberalism" sich auf dem Felde der amerikanischen Außenpolitik durchsetzen konnte, war es erst einmal notwendig, ihm zumindest innerhalb der Demokratischen Partei Geltung zu verschaffen und anstehende Rivalen politisch und intellektuell aus dem Felde zu schlagen. Diesem Zweck diente die Gründung der „Americans for Democratic Action" (ADA),202 einer formal überparteilichen Organisation, die jedoch als Kristallisationskem des rechten New Deal gedacht war. Im Grande war die Bildung der ADA Ergebnis der zunehmend schärfer werdenden innerparteilichen Rivalität bei den Demokraten, die in dieser Form im Sommer 1946 einsetzte und im November 1948 mit der Wiederwahl Trumans ihren Abschluß fand.203 Dabei schaukelten sich die Vertreter von rechtem und linkem New Deal gegenseitig hoch. Ausgehend von Churchills Fulton-Rede mit ihrer klar antistalinistischen Polemik hatten die linken New Dealer versucht, sich organisatorisch neu zu ordnen, um den Folgen des anschwellenden Antikommunismus mit ihrer Vision einer gedeihlichen Zusammenarbeit mit der UdSSR und der CPUSA begegnen zu können. Als Hoffnungsträger dieser Gruppe füngierte Henry Wallace, Protagonist einer prosowjetischen, radikalreformerischen Politik, die sich selbst als Hüter des wahren Erbes von Franklin D. Roosevelt begriff. Um Wallace herum sammelte sich eine Reihe von Organisationen, deren wichtigste das National Citizens Political Action Committee (NCPAC) und das Independent 200 201
202 203
M. McAuliffe: Crisis on the Left, S. 63; R.H. Pells: Liberal Mind, S. XVI. J. Burnham:Strategie, S. 14f. und S. 18; R.H. Pells: Liberal Mind, S. XIV. Der Einfluß von James Burnham auf die Ausgestaltung amerikanischer außenpolitischer Strategien ist in der Forschung bisweilen recht hoch eingeschätzt worden: Für Reinhard Hildebrand: Kampf um Weltmacht. Berlin als Brennpunkt des Ost-West-Konflikts, Opladen 1987, S. 272 ist er der wichtigste Vordenker von John Foster Dulles' „roll back", bei R.H. Pells: Liberal Mind, S. 101 fungieren er und Hannah Arendt als Eltern der „containmenf-Strategie. Eine umfassende Geschichte der ADA hat Stephen M. Gtllon: Politics and Vision: The ADA and American Liberalism, 1947-1985, New York 1987, vorgelegt. C. Brock: Americans for Democratic Action, S. 46-83
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Citizens Committee of Arts, Science and Professions (ICCASP) waren.204 Femer gehörten die Southern Conference for Human Welfare, die CIO205 und die National Farmers Union (NFU) in das Umfeld des linken New Deal. Prominente Fürsprecher waren Harold Ickes, Innenminister unter Roosevelt, Roger Baldwin von der ACLU, der „Chairman" der Demokratischen Partei Hannegan, Beanie Baldwin (NCPAC) und nicht zuletzt Roosevelts ältester Sohn James.206 Im intellektuellen Bereich wären besonders Dwight Macdonald und der Publizist IF. Stone als Unterstützer von Wallace zu nennen. An allen Maßnahmen zur Förderung von Henry Wallace war auch die Cpusa beteiligt.207 Obgleich Wallace von Haus aus kein Kommunist war und auch nie einer wurde,208 eignete ihm doch eine gewisse Grundbereitschaft an, eine auf Harmonie und Ausgleich mit der UdSSR basierende Außenpolitik ebenso anzustreben wie eine breite innenpolitische Einheitsfront progressiv-reformorientierter Kräfte. Im Interesse gesamtgesellschaftlicher Reform neigten Wallace und seine Mitarbeiter dann jedoch zu einem gelegentlich naiv anmutenden Umgang mit den Realitäten in der UdSSR.209 Im Vorfeld der Kongreßwahlen von 1947210 waren die linken New Dealer darum bemüht, ihre noch immer sehr massiven Kräfte organisatorisch geschickter zu bündeln. Noch im April 1946 hatten ICCASP, NCPAC und CPUSA in Washington, D.C. eine große, gemeinsame Konferenz unter dem Motto „Win the Peace" abgehalten,211 am 13. September 1946 folgte eine Großkundgebung im Madison Square Garden, New York, auf der ebenfalls vor einer möglicherweise kriegerischen Auseinandersetzung mit der UdSSR gewarnt wurde.212 Keine Woche später erklärte Wallace, die UdSSR sei zu Recht besorgt über den
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A. Hamby: Beyond the New Deal, S. 102-105. Die Haltung der CIO blieb dabei stets ambivalent, da der Vorsitzende Philip Murray persönlich als Katholik streng antikommunistisch eingestellt war, während ein nicht unerheblicher Teil der CIO-Gewerkschaften, im Gegensatz zur AFL, die Zusammenarbeit mit der Cpusa nicht generell ablehnte oder sogar von Mitgliedern der Cpusa geführt wurde. A. Hamby: Beyond the New Deal, S. 147f. C. Brock: Americans for Democratic Action, S. 52-55; D. Caute: Fellow-Travellers, S. 27 lf. Diese offene Beteiligung der Cpusa sorgte sogar im Umfeld von Wallace für Probleme, z.B. bei Macdonald und Stone, aber auch bei CIO-Führern, s. A. Hamby: Beyond the New Deal, S. 165f. und L. Lader: Power on the Left, S. 3. D. Caute: Fellow-Traveller, S. 269f; A. Hamby: Beyond the New Deal, S. 22f, s.a S. 25, der Henry Wallace' bürgerlich-progressives Geschichtsbild mit dessen eigenen Worten deutlich macht: „The goal of the democratic nations must be the fulfillment of the .people's revolution", a movement based upon Christian ideas which had found expansion in the revolutions of the American and Latin American colonies, ofFrance in 1789, of Germany in 1848, and of Russia 1917. A just and enduring peace, ending imperialism and exploitation, developing the old colonial areas, could complete the long march of the peoples toward liberty." A. Hamby: Beyond the New Deal, S. 96f. C. Brock: Americans for Democratic Action, S. 56ft". A. Hamby: Beyond the New Deal, S. 105. Ebda., S. 127ft".
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aggressiven außenpolitischen Kurs der US-Regierung,213 ein klarer Wink in Richtung der CPUSA und der „fellow-traveller"-Organisationen, die in der Folge den Wahlkampf von Wallace verstärkt unterstützten.214 Konsequent lehnte Wallace danach auch die Truman-Doktrin als kontraproduktiv für den Frieden ab.215 In „fellow-traveller"-Kreisen galt die Truman-Doktrin ohnehin als Produkt hysterisch antikommunistischer Intriganten aus dem liberalen Lager.216 Damit war femer das zentrale Motto für alle folgenden „fellowtraveller"-Kampagnen der vierziger und fünfziger Jahre ausgegeben: der Kampf
den Weltfrieden, der allein durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der fortschrittlichen Kräfte in den USA, Europa und der Sowjetunion zu gewährleisten sei. Neben der inhaltlichen Präzision im Lager von Wallace kam es schließlich auch zu einer zeitweise erfolgverheißenden organisatorischen Straffung. Am 28. Dezember 1946 schlössen sich NCPAC und ICCASP zu den „Progressive Citizens of America" (PCA) zusammen.217 Die PCA war dann auch der Kern der im Jahre 1947 erfolgten Gründung der „Progressive Party", die zum Sammelbecken der linken New Dealer und der Anhänger des Volksfrontgedankens wurde.218 Durch die neue Partei standen die linken New Dealer faktisch außerhalb des von den beiden großen Parteien repräsentierten „main-stream" der US-amerikanischen Politik, die Wahlniederlage von 1948 besiegelte dann nur noch ihren Untergang. Zudem hatte die andere Seite der Entwicklung nicht tatenlos zugesehen. Seit Mai 1946 war es im Umfeld der UDA zu Bestrebungen gekommen, eine schlagkräftige Organisation des antitotalitären Liberalismus zu kreieren, die um
schließlich im November 1946 konkretere Formen angenommen hatte.219 Am 1947, kurz nach dem Auftauchen der radikalen PCA, trafen sich die liberal-humanistisch orientierten Verfechter des Konsenses in Washington, DC. und begründeten die ADA.220 Unter den Teilnehmern befand sich nahezu jeder, der im Lager des rechten New Deal Rang und Namen hatte, die „archons of contemporary liberal faith":221 Eleanor Roosevelt und Franklin Delano jr., womit die Spaltung der New Dealer bis in die Roosevelt-Familie hinein vollzogen war, Hubert Humphrey, Chester Bowles, der in einer öffentlichen Kundgebung die Linie der ADA dahingehend festlegte, daß gleicherma3. und 4. Januar
213 214 215 216
Ebda, S. 133. C. Brock: Americans for Democratic
Ebda.,S63ff.
Notizbuch von Berthold Viertel (1946-47), DLA, A: Viertel 69.3142/37, S. 39 (Eintrag 8.8. 1947). A. Hamby: Beyond the New Deal, S. 158f; R.H. Pells: Liberal Mind, S. 63-70. M. McAuliffe: Crisis on the Left, S. 34. C. Brock: Americans for Democratic Action, S. 46-49, s.a. S. 52. M. McAuliffe: Crisis on the Left, S. 5f; A. Hamby: Beyond the New Deal, S. 161f, J.K. Galbraith: Annals, S. 277f. J.K Galbraith: Annals, S. 277f.
Vgl.
vom
217 218 219 220
221
Action, S 74ff.
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109
ßen PCA und Republikaner als Gegner zu gelten hätten, Joseph Rauh jr., Reinhold Niebuhr, die Gewerkschaftsführer Walther Reuther (United Automobile Workers, UAW)222 und David Dubinsky (International Ladies Garment Workers Union, ILGWU), die gemeinsam mit der AFL maßgeblich an der
Finanzierung beteiligt waren, Ted Sorenson, John Kenneth Galbraith, Arthur Schlesinger jr. und James Loeb von der alten UDA. Das Programm der ADA ließ an Deutlichkeit keine Wünsche offen. Man definierte sich als „organization of progressives, dedicated to the achievement of freedom and economic security for all people everywhere through education and democratic political action."223 Der aufgeklärt-reformistische und der liberal-internationalistische Ansprach wurden sofort erkennbar. Hinzu trat die Forderung, den Kommunismus effektiv zu bekämpfen und auf diese Weise die freie Welt zu verteidigen sowie die nach „free enterprise coupled with government responsibility for full employment and raising standards for living"224. Der Einsatz für die Bürgerrechte und die Entwicklung der Dritten Welt komplettierten das konsensliberale Ideologieangebot der ADA. Man lehnte aber den Antrag von Galbraith ab, die Organisation „Liberal Union" zu nennen, wohl um nicht in den Verdacht zu kommen, eine neue Partei gründen zu wollen.225 Mit dem Erscheinen der ADA war jedermann klar geworden, daß an eine Reaktivierung liberal-radikaler Einheitsfrontpolirik der dreißiger Jahre nicht M.
mehr zu denken war.226 Der liberale, antikommunistische Konsens hatte sich mit der organisatorischen Verbindung von Politikern, Intellektuellen und Gewerkschaftsführern ein solides Instrument zur strategischen Einflußnahme auf die kränkelnde Demokratische Partei,227 deren rechter und linker Flügel 222
223 224 225 226 227
Walter Reuther und sein Bruder Victor stehen mit ihren Lebensläufen fast paradigmatisch für einen Teil der nichtintellektuellen ADA-Gründer: Beide waren tief in der sozialistischen Arbeiterbewegung der USA verwurzelt, hatten dann in den zwanziger und dreißiger Jahren zeitweise mit der CPUSA und der UdSSR sympathisiert und waren anschließend antikommunistische, keynesianisch orientierte New Deal-Liberale geworden, die in der UAW und der CIO den Kampf gegen kommunistische Infiltrationsversuche eingeläutet hatten. Ende der vierziger Jahre fungierten beide zeitweise als Emissäre der CIA; s. dazu Robert H. Zœger: The CIO, 1935-1955, Chapel Hill-London 1995, S. 331 ; vgl. Nelson Lichtenstein: Walter Reuther and the Rise of Labor-Liberalism, in: Melvyn Dubofsky/Warren Van Tine (Hg.): Labor Leaders in America, Urbana-Chicago 1987, S. 280-302. C. Brock: Americans for Democratic Action, S. 17. Ebda., S. 20f. J.K. Galbraith: Annals, S. 278. Der Name „Liberal Union" hätte eine zu große Nähe zur „New York Liberal Party" suggeriert. L. Lader: Power on the Left, S. 27. Eine vollkommen falsche Einschätzung der ADA findet sich bei dem konservativ-katholischen Publizisten Werner Richter, der behauptete, die ADA stünde den Kommunisten zumindest nahe, s. Werner Richter an Paul Sethe vom 1.10.1952, DLA, A: W. Richter, 69.3567-69/29. Richters Fehldiagnose zeigt nii;ht nur, wie eng die Sicht mancher konservativer Antikommunisten war, sondern belegt va., daß von einem Nachlassen sozialreformerischer Impulse in der ADA zumindest von der Außenperspektive her keine Rede sein kann. Ganz ähnlich wie die Richters war auch die Einschätzung McCarthys, s. S.J. Whitfield: Culture, S. 19f. und S. 40f.
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abzubrechen drohten, geschaffen.228 Publizistisch unterstützt von den Magaziund Zeitungen der „New York Intellectuals"229 trat die ADA augenblicklich zum Kampf gegen Wallace und die PCA an. Ihr Hauptaugenmerk galt dabei der direkten oder indirekten Einflußnahme der CPUS A auf die Wallace-Kampagne; die Nähe zu kommunistischen Infiltrationsversuchen wurde zur Gretchenfrage der innerlinken Auseinandersetzung. Geschickt nutzte die ADA bereits bestehende Auseinandersetzungen über die Kommunistenfrage in anderen Organisationen, wie zum Beispiel im „American Veterans Committee"230 oder der CIO231, um auf diese Weise neue Bündnispartner zu gewinnen. Um die Erfolge der antikommunistischen Kampagne nicht in Gefahr zu bringen, neigte die nen
ADA zeitweise sogar dazu, den glücklos agierenden Truman als demokratischen Kandidaten durch Eisenhower zu ersetzen, nahm aber noch im Wahljahr davon Abstand.232 Nach der Wahl fand man sich dann als Bestandteil von Trumans „Fair Deal"-Koalition wieder.233 Ebenso wichtig wie der Versuch innenpolitischer Einflußnahme durch die ADA war deren Handeln auf dem Felde der Außenpolitik. Auch in diesem Aufgabenbereich verstand sich die ADA als politisches Instrument des „vital center" beziehungsweise des „consensus liberalism".234 Vorbehaltlos unterstützten die Akteure der ADA in ihren publizistischen Organen Truman im Streit um seine antikommunistische Doktrin und das „European Recovery Program" (ERP).235 Nach den Wahlen von 1948 sollte die ADA am Ende außenpolitisch erfolgreicher agieren als bei sozialen Reformanliegen im Inneren.
Mit dem Sieg Trumans, spätestens mit dem Ausbrach des Koreakrieges und der dadurch angeheizten antikommunistischen Stimmung, hatte sich die Posi-
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Neben der .Progressive Party" bildete sich im Wahlkampfjahr 1948 auch noch die „States' Right Party" unter Führung von Strom Thurmond als Interessenvertretung der Südstaatendemokraten, der „Dixiecrats". R.H. Pells: Liberal Mind, S. 72f. Vgl. A. Hamby: Beyond the New Deal, S. 150-152, der daraufhinweist, daß seit Januar 1946 bes. Franklin D. Roosevelt jr. in dem Komitee, das seiner 80.000 Mitglieder wegen für die Demokratische Partei wichtig war, gegen kommunistische Aktivitäten ankämpfte. M. McAuliffe, S. 10-14; aus revisiomstischer Sicht beschreibt L. Lader: Power on the Left, S. Iff. und S. 56ff. die ebenfalls seit 1946 anhaltenden Streitigkeiten in und um die CIO und ihre Nähe zur Cpusa als bloßen Versuch, die gewerkschaftlichen Ambitionen der CIO zu domestizieren. Zwischen 1948 und 1950 schwenkte die CIO endgültig auf die antikommunistische Generallinie um, 1955 fusionierte sie dann mit der konservativeren AFL. Vgl. Guy Nunn an Melvin J. Lasky vom 3.3.1949, UoC-Archiv, „Der Monat"-Records, Box 4, Folder 2. Nunn war UAWFunktionär und plante eine Kampagne gegen die kommunistischen Bastionen in den Gewerkschaften für „farm equipment" im Mittleren Westen, den einstigen Hochburgen des „Progressive Movement". Zum Gesamtkomplex vgl. neuerdings R.H. Zieger: CIO. M. McAuliffe: Crisis on the Left, S. 87-95. A. Hamby: Beyond the New Deal, S. 285 und S. 321 ; s.a. C. Brock: Americans for Democratic Action, S. 124. A. Hamby: Beyond the New Deal, S. 284. M. McAuliffe: Crisis on the Left, S. 31.
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tion der ADA in der alten New Deal-Gefolgschaft auf breiter Ebene durchgesetzt. Die radikaleren Visionen der Wallace-Bewegung waren obsolet geworden. Was 1943/44 in kleinen, minoritären Kreisen liberaler Intellektueller seinen Ausgang genommen hatte, war vier Jahre später zur Majoritätsmeinung nicht nur der Demokratischen Partei geworden. Problematisch war, daß der liberale Konsens sich zum Teil auf Kosten bürgerlicher Freiheiten durchgesetzt hatte.236 In dieser Perspektive wares es dann nicht Joseph McCarthy oder das HUAC, die für den Untergang des linken New Deal verantwortlich zu machen wären, sondern es wurde zum Opfer einer innerlinken Rivalität, die sich an der Frage nach den Grenzen liberaler Koalitionsfähigkeit entzündete. Auf der anderen Seite gelang es der ADA nicht, einen überragenden innenpolitischen Einfluß auf das Handeln der Traman-Administration zu erringen,237 ebensowenig gelang es ihr 1952, ihrem Wunschkandidaten Adlai Stevenson zur Präsidentschaft zu verhelfen. Erst mit dem Wahlerfolg von John F. Kennedy setzten sich die ADA-Anhänger auch innerhalb der Administration massiv durch. Ganz anders im intellektuellen Bereich: Durch die lockere Allianz mit dem republikanischen Antikommunismus gelang es auch innerhalb der intellektuellen Milieus der Vereinigten Staaten, zumindest für anderthalb Jahrzehnte eine vollkommene antitotalitäre Dominanz des Konsensliberalismus durchzusetzen. In den Augen der mit der ADA verbundenen Intellektuellen war dabei die Ära Eisenhower bezogen auf die eigene kulturelle Hegemonie weniger bedrohlich, als vielmehr intellektuell von der Gefahr erbärmlicher Langeweile gekennzeichnet. Erst wenn man diese Hegemonialstellung antitotalitärer Intellektueller in die Überlegungen mit einbezieht, wird verständlich, warum selbst ausgewie236
Aus Sicht der ACLU hat F. J. Donner: The Age of Surveillance, S. 242 von einer „marriage of and liberalism on the altar of anti-communism" gesprochen, die dann gemeinsam zur Unterdrückung der klassischen Linken in den USA geführt habe; vgl. zu den von den Anhängern
nativism
237
des Konsensliberalismus gewissermaßen billigend in Kauf genommenen administrativen Maßnahmen Herbert Mitgang. Oberwacht. Große Autoren in den Dossiers amerikanischer Geheimdienste, Düsseldorf 1992, wodurch dann die groteske Situation entstand, daß einige führende in- und ausländische Verfechter des Konsenses bevorzugt vom FBI observiert wurden, z.B. Theodore Dreiser (S. 104-107), John Kenneth Galbraith (S. 261-266), Stephen Spender (S. 199-201) und Ignazio Silone (S. 211-215). Vgl. ferner S.J. Whitfield: Culture, S. 14. Daß dies in antikommumstischen Kreisen von Anfang an akzeptiert wurde, belegt z.B. Friedrich Torberg an Ulrich Becker vom 29.10.1945, NL Torberg, ÖNB, Autogr. 1191/27-1: „Was ich gesagt habe und wozu ich stehe, ist dieses: daß jemand, der die von der Demokratie ihm gewährte Freiheit dazu mißbraucht, um für die Diktatur zu sein oder gar zu arbeiten, rechtens in Schutzhaft gehörte." Becker war ein kommunistisch gesinnter Freund Torbergs. Selbst wenn man einwenden könnte, daß Torberg prinzipiell zu eher radikalen Positionen neigte, muß daraufhingewiesen werden, daß auch auf dem Berliner CCF von 1950 die Frage nach der Einschränkung bürgerlicher Freiheiten für Kommunisten ernsthaft diskutiert wurde. S.J Whitfield: Culture, S. 19, stellt fest, wegen des Kalten Krieges seien die Reformvorhaben von New Deal und „Fair Deal", denen die ADA ihre Unterstützung verliehen hatte, suspendiert worden. Man müßte allerdings zusätzlich fragen, inwieweit mcht auch das Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit an einer derartigen Entwicklung beteiligt war.
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sene linke Kritiker des amerikanischen Sozialsystems wie Michael Harrington auf das Angebot des SDS zur Zusammenarbeit mit der CPUSA im „Port Huron Statement" von 1962 so heftig ablehnend reagierten.238 Für den späteren CCF noch entscheidender war, daß sich zwischen 1944 und 1948 auch eine Koalition herausbildete, die bewußt Wirksamkeit nach außen anstrebte. Die ADA als politischer Arm des Konsenses, die „New York Intellectuals" als dessen Vordenker, die AFL und bald auch die CIO als frühe Finanziers, sie alle wollten auch in Übersee gestalterisch im Sinne der eigenen Weltanschauung wirken.239 Auf diese Weise entstand seit 1946/47 ein Netz transnationaler Kontakte, das anfangs vorwiegend von der AFL getragen wurde.240 Ab 1948 erkannte dann die Truman-Administration den Wert dieser informellen Kanäle für die Absicherung der eigenen hegemonialen Bemühungen, auch und gerade im weltanschaulichen Bereich und ließ sie über die CIA mit Subsidien versorgen.241 In Westeuropa trafen die Emissäre des liberalen Konsenses auf geistesverwandte Personen und Strömungen. In vielen Fällen wurden dort ähnliche Kämpfe ausgefochten, allerdings in einer weniger aufgeladenen Atmosphäre als in den USA.242 In Großbritannien waren es gleichfalls Gruppen liberaler Intellektueller, wiederum in Verbindung mit ehemaligen Kommunisten und
„fei
238 239
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T. GlTLIN. The Sixties, S. 101-130. L. Lader: Power on the Left, S. 67f. geht sogar so weit, der CIO vorzuwerfen, sie sei in Westeuropa bereit gewesen, beim Aufbau profaschistischer Gewerkschaften mitzuhelfen. Damit dürfte pikanterweise u a. der DGB gemeint sein, em Hinweis auf ideologische Querlagen innerhalb radikal-revisionistischer Historiographie. ET. Chester: Covert Network, S 5-8 weist z.B. auf frühe, in die dreißiger Jahre zurückreichende Beziehungen des exkommunistischen Gewerkschaftsfunktionärs Jay Lovestone und David Dubinskys zu deutschen Sozialdemokraten im Exil ebenso hin, wie auf Querverbindungen zu „Renegatengruppen", wie der SAP und der KPO. Vgl L. Bushkoff: Counterintelligentsia, S. 43f, der bes. die Tätigkeit von Victor Reuther, dem Bruder des UAW-Vorsitzenden Walter Reuther, bei der Verteilung von CIA-Geldem an deutsche Gewerkschaften anspricht. Im Zuge der Auseinandersetzungen um den „Encounter" nach 1967 hat Daniel Bell, der in den fünfziger Jahren zum Führungspersonal der Pariser CCF-Exekutive gehörte, daraufhingewiesen, daß auch die „Partisan Review" indirekt von der CIA finanziert worden sei, vgl. Daniel Bell an John Leonhard (Editor New York Sunday Times Book Review) vom 16.10.1972, NL Josselson, Box 5. Der Herausgeber William Philips hat dies jedoch immer bestritten, s. William Phillips: The Liberal Conspiracy, in: Partisan Review 56 ( 1990), S 22, wo er die indirekte Finanzierung über den CCF bestreitet. Phillips Haltung erscheint indes fragwürdig, va. wenn man bedenkt, daß der ACCF zu Beginn der sechziger Jahre zeitweise Eigner der „Partisan Review" war, vgl Norbert Mühlen an Arnold Beichman vom 20.2.1960, NL Mühlen, Box 20. S.a. Notizbuch von Berthold Viertel (1946/47), DLA, A: Viertel, 69.3142/37, S. 45 (Eintrag vom 8.8. 1947): „Die Verfolgung durch die Reaktion war auch laxer in England, noch nicht so
blind-wütend, so perfid-jesuitisch u(nd) gewalttätig." So wurde es auch in „fellow-traveller"-Kreisen gesehen, vgl. Notizbuch von Berthold Viertel, DLA, A: Viertel, 69.3142/32, S. 38 (Eintrag vom 8.8.1947).
3 Die
„Entstalinisierung" der westlichen Intellektuellen
Intellektuellen, der sich seit 1941
um
die Zeitschrift „Horizon"
113
gesammelt hat-
te.244 Treibende Kraft in der antikommunistischen Sammlungsbewegung
war
dabei Arthur Koestler, der nach dem Zweiten Weltkrieg zeitweilig zum populärsten und erfolgreichsten Vertreter des linken Antikommunismus werden sollte.245 Charakterlich erinnerte Koestler allerdings bisweilen an Ruth Fischer. Wie sie war er hochgradig emotional engagiert, sprunghaft, zeigte neurotische Züge, war also kurz gesagt kein geborener Organisator.246 Im Gegensatz zu Fischer vermochte er es aber, innerhalb der entstehenden transnationalen Netzwerke bis 1952 eine zentrale Rolle zu spielen. Gemeinsam mit George Orwell baute Koestler seit Ende 1944 über den engeren „Horizon"-Kreis ein Geflecht weitgespannter Beziehungen auf, das der Abwehr kommunistischer kultureller und organisatorischer Infiltration dienen sollte. Bald stießen so bekannte Persönlichkeiten wie Victor Gollancz, Bertrand Russell247 und der Soziologe, Politologe und Naturwissenschaftler Michael Polanyi hinzu.248 Als intellektuelle Gegner galten in Großbritannien besonders Politiker und Wissenschaftler aus radikalfabianistischen Kreisen, wie der Politologe Harold Laski oder Sidney und Beatrice Webb, aber auch die kommunistischen Bemühungen um die Elitezöglinge in Oxford und Cambridge wurden mit Mißtrauen beobachtet.249 Im Dezember 1945 nahmen die Bemühungen von Koestler und Orwell erstmals konkrete Gestalt an. Mit Hilfe einer geplanten „League for the Defence of Democracy" wollte man versuchen, die britische Menschenrechtsliga von „fellow-travellers" und Kommunisten zu säubern.250 Es blieb vorerst beim Versuch. Als sich nämlich Humphrey Slater und Rodney Phillips, die Herausgeber der einflußreichen linken Zeitschrift „Polemic", wo auch Celia Paget, die Schwester von Koestlers Lebensgefährtin Mamaine arbeitete, aus dem Projekt zurückzogen, war ihm die finanzielle
Grundlage entzogen.251
Immerhin war es Koestler und Orwell wenigstens gelungen, durch ihre schriftstellerische Aktivität es sei an Arbeiten wie „Hommage to Catalonia" -
244 245 246
247 248 249 250
251
I. Hamilton: Koestler, S. 74
nennt
u.a.
Cyril Connolly, Stephen Spender, George Orwell,
Michael Foot und Arthur Koestler. J. Améry: Geburt der Gegenwart, S. 70-74; vgl. I. Hamilton: Koestler, S. 113, s.a. Mamaine Paget vom 14.4.1946, in: C. Goodman (Hg): Living With Koestler, S. 23. Vgl. M. BovERl: Der Verrat im 20. Jahrhundert, Bd. 3, S. 133-149; Koestler hat in all seinen autobiographischen Werken auf die eigenen psychischen Unzulänglichkeiten in aller Ausführ-
lichkeit hingewiesen. Russell hatte, ähnlich wie John Dewey, schon frühzeitig (seit 1919) Kritik an dem System in der UdSSR geübt, vgl. D. Caute: Fellow-Travellers, S. 19. I. Hamilton: Koestler, S. 104f. D. Caute: Fellow-Travellers, S. 82 und S. 159. A. Koestler/C. Koestler: Stranger, S. 41f; Mamaine Paget vom 10.1. 1946, in: C. Goodman (Hg.): Living With Koestler, S. 20; I. Hamilton: Koestler, S. 1 lOff; H. Komuth: Manès Sperber, Arthur Koestler und George Orwell, S. 82. I. Hamilton: Koestler, S. 112.
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II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
(1938), „Animal Farm" (1945) und „1984" (1949) von Orwell sowie „Sonnenfinsternis" (1940) und „Der Yogi und der Kommissar" (1945) von Koestler erinnert, die allesamt der antistalinistischen Propaganda dienten
einen Teil der „fellow-travellers" intellektuell in die Defensive zu drängen.252 Außerdem war der Kontakt zu führenden antikommunistischen Mitgliedern der Labour-Party hergestellt worden, so etwa zu Anthony Crosland, Denis Healey und R.H.S. Crossman. Dies sollte nicht folgenlos bleiben. Wie in den USA war mit dem einsetzenden Kalten Krieg auch die Labourregierung seit 1948 bemüht, von staatlicher Seite her die propagandistischen Aktivitäten gegen den Stalinismus zu koordinieren.253 Noch 1948 wurde im britischen „Foreign Office" das „Information Research Department" gegründet, eine vom Geheimdienst finanzierte, verdeckt arbeitende Abteilung, die sich anschickte, durch gezielte Gegenpropaganda kommunistische Destabilisierungsversuche zu konterkarieren. Mit Stephen Spender, Bertrand Russell, Max Beioff, Hugh Trevor-Roper und Malcolm Muggeridge war bereits der Kern der 1951 eingerichteten britischen CCF-Sektion in dieser bis 1977 existierenden -
Abteilung tätig.254
Aber auch Arthur Koesder blieb nicht untätig. 1947 übernahm er von Orwell die Londoner Korrespondentenstelle der „Partisan Review", wodurch er Gelegenheit erhielt, direkte Kontakte zu den „New York Intellectuals" zu knüpfen.255 Schon ein Jahr später lernte Koesder auf einer von den Herausgebern der „Partisan Review" veranstalteten Party in New York dann die maßgeblichen Wortführer der antikommunistischen Konsensliberalen in den USA kennen, allen voran James Bumham, Sidney Hook und Daniel Bell. Damit nahm sein alter Traum von einer transatlantischen, antikommunistischen Partnerschaft der ,,non-Communist-left"256 konkrete Gestalt an.257 Auf einer anschließenden, von Bumham mitorganisierten Rundreise durch die USA bezog er wortreich Stel252
P. Duionan/L.H. Gann: The Rebirth offne West, S. 126; vgl. u.a. E. Nolte: Deutschland und der Kalte Krieg, S 226f. Reaktionen auf Orwell und va. Koestler erfolgten auf breiter internationaler Ebene und zwar von Stalinisten und „fellow-travellers". So war z.B. Maurice Merleau-PonTYS Werk: Humanismus und Terror, Paris 1947, eine aus dem antifaschistischen Resistance-Mythos geborene Verteidigung der UdSSR gegen Koestlers Vorwürfe, vgl. ANTONIA Grunenberg: Antifaschismus Ein deutscher Mythos, Hamburg 1993, S. lOlf. Zum Tode Orwells bemerkte später der deutsche Stalinist Johannes R. Becher: Aul'andere Art so große Hoffnung. Tagebuch 1950. Eintragungen 1951, Berlin-Weimar 1969, S. 65, es sei „Die Nachricht vom Tode eines Meschheitsteindes". Seine Negativutopie 1984" galt Becher als Ausdruck der Verrottung des Bürgertums, dessen letzte Chance in der Hoffnung auf den Atomkrieg liege Arthur Koestler taucht, in Anspielung auf seine geringe Körpergröße, nur als „lumpiges Verräterchen" und „Heimkriegerchen" auf, vgl. ebda., S. 533. E. Nolte: Deutschland und der Kalte Krieg, S.437, hat zurecht bemerkt, der Kalte Krieg sei „essentiell" auch Propagandakrieg gewesen. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.8.1995. I. Hamilton: Koestler, S. 120. Der Ausdruck dürfte von Arthur M. Schlesinger jr. geprägt worden sein, vgl. Francois Bondy an Melvin J. Lasky vom 2.6.1950, UoC-Archiv, „Der Monat"-Records, Box 8, Folder 6. I. Hamilton: Koestler, S. 134. -
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3. Die „Entstalinisierung" der westlichen Intellektuellen
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lung gegen „confused liberals" und die „Babbits of the left", also gegen die „fellow-travellers" in den USA und Westeuropa.258 Hauptziel von Koestlers
engagierten Vorträgen war es, die Amerikaner von ihrer eigenen Mission in Europa zu überzeugen. Wie Bumham vertrat er die Auffassung, allein die Pax Americana könne den Fortbestand des westlichen Systems sichern und dieses in ganz Europa durchsetzen.259 Später knüpfte Koestler in den USA auch noch Kontakte zum ehemaligen Leiter des US-Geheimdienstes OSS General William J. Donovan.260
Damit war ein in der Person Arthur Koestlers gleichsam inkarniertes transnationales Netzwerk antikommunistischer Intellektueller vorerst informell Wirklichkeit geworden, das bald konkrete Formen annehmen sollte. Publizistischer Ausdruck dieser informellen Vernetzung war der von dem fabianistischen Labourabgeordneten R.H.S. Crossman herausgegebene Sammelband „The God that Failed" (1949). Obschon insgesamt international angelegt, zielte er deutlich auf angelsächsische Verhältnisse. Insbesondere ging es um die Einvernahme unsicherer fabianistischer Zirkel in Großbritannien. In der Folge soll nun kurz das um Koestler gruppierte System persönlicher Kontakte im Hinblick auf seine Komponenten und ihre vorläufige Funktion vorgestellt werden, um anschließend noch den französischen Sonderfall kurz zu schildern. Vorwiegend über Arthur Koestler lief die Kommunikation zwischen der britischen antikommunistischen Linken (Orwell, Russell, Spender, Gollancz, Polanyi, Teile der Labour-Party) und den „New York Intellectuals" ab, die ihrerseits über die ADA mit den Demokraten, der AFL und der UAW verflochten waren. Sowohl die AFL, als auch die ADA und die Magazine der „New York Intellectuals" unterhielten in Europa ein Netz von Mitarbeitern, die wiederum (über Koestler hinaus) Beziehungen zur europäischen Linken aufbauten oder pflegten. Von besonderer Bedeutung waren dabei auf amerikanischer Seite die sogenannten „Levitas-Boys",261 eine Gruppe von Journalisten, die ihre Ausbildung beim „New Leader" von Sol Levitas erhalten hatten, darunter der ADA-Vertreter für Westeuropa, David C. Williams, und nicht zuletzt der Berliner Korrespondent des „New Leader", Melvin J. Lasky.262 258 259 260 261 262
Ebda., S. 139. Ebda., S. 141. Ebda, S. 143 und S. 174. „Who Are They Travelling With?", S. 11, NL Josselson, Box 5. Auf die Bedeutung des „New Leader", der ebenfalls in den fünfziger Jahren zu 90% über CIAGelder finanziert worden sei, weist Time Out Nr. 247 (1974), S. 9f. hin. Eine besondere Rolle spielte dabei der Versuch, die britische Labour-Party zu gewinnen. In diesem Zusammenhang wird häufig auf die Rolle der Zeitschrift „Socialist Commentary" hingewiesen, dem Organ der brit „Campaign for Democratic Socialism" (CDS). Vordenker der CDS war angeblich Daniel Bell, Mitarbeiter des „Socialist Commentary" der ADA-Mann David C. Williams, Herausgeberin die Fabianistin Rita Hinden, die ihrerseits mit dem CCF verknüpft war. Diese Thesen
basieren auf der 1972 vom Sunday Times Magazine geplanten, aber nie erschienenen Artikelreihe: „Unofficial History of the 20,hCentury", va. dem Artikel: „Who Are They Travelling With",
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II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Auch Norbert Mühlen, später Amerika-Korrespondent des „Monat" und einer der Mitbegründer des CCF gehörte zu den Mitarbeitern des „New Leader".263 Über dieses Netz von Europa-Kontakten der „New York Intellectuals" wurde es zusätzlich möglich, in den USA europäische Modifikationen der Totalitarismustheorie zu rezipieren, wie sie beispielsweise auf der Basis von Hannah Arendts Werken von Silone, Koestler, Malraux und Orwell publizistisch vertreten wurden.264 Es entwickelte sich also um 1948 eine Art internationaler, transatlantischer Kommunikationsgemeinschaft liberaler Intellektueller, die unter dem Eindruck des als Bedrohung erfahrenen Kommunismus vergleichbare Problemlösungen entwarfen. Der inneramerikanische Konsens konnte also auch auf analoge Situationen jenseits des Atlantiks übertragen werden und fand Rezipienten, zum Teil sogar originelle Interpreten. Schon anhand solcher Beispiele zeigt sich, daß der Prozeß der Westorientierang ein zwar von den USA gewünschter und durchaus planvoll beeinflußter war, sich aber nicht in Form einer kulturell-ideellen Einbahnstraße verwirklichen ließ. Ebenfalls über Koesder liefen die ersten Kontakte zu dem früheren Züricher Emigrantenkreis, dessen Angehörige sich seit Kriegsende in ihre Heimatländer zurückbegeben hatten. Für den CCF waren Ignazio Silone und Manés Sperber von herausragender Bedeutung, in diese Zeit fallen aber zudem Kontakte zu dem Verleger Hans Oprecht, der einen sozialdemokratisch orientierten Verlag in Zürich betrieb. Silone war außerdem neben Aron und Orwell einer der Vordenker der liberalen europäischen Einigungsbewegung, aus der mit Denis de Rougemont, Salvador de Madariaga, David Rousset, Eugen Kogon und Carlo Schmid wichtige Persönlichkeiten des CCF stammten.265 Koesder und Sperber wiederum waren verantwortlich für Versuche, auch die französischen Intellektuellen in den entstehenden Gesprächszusammenhang einzubeziehen.266 Dort waren Raymond Aron, André Malraux und wenn auch etwas später David Rousset als antitotalitär eingestellte Intellektuelle dabei, sich dem Philosowjetismus der kulturell hegemonialen „Mandarine" um JeanPaul Sartre entgegenzustellen. Frankreich blieb ein Sorgenkind der Intellektuellen des liberalen Konsenses, ähnlich wie Italien. Während aber Italien nicht gerade als das intellektuelle Zentrum Europas galt und überdies mit Silone und -
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NL Josselson, Box 5. Neben der Entideologisierung der Labour-Party ging es auch um eine offensive Auseinandersetzung mit der britischen „Campaign for Nuclear Disarmament" (CND). Das Problem beider genannter Artikel ist, daß sie in überaus polemischer Manier eine innerlinke Abrechnung in Großbritannien anstreben, insbesondere ist der Versuch erkennbar, den rechten Labour-Flügel zu desavouieren. Die erste Kontaktaufnahme zwischen Levitas und Mühlen erfolgt Ende 1945, s. Sol Levitas an Norbert Mühlen vom 19.10.1945, NL Mühlen, Box 17. R.H. Pells: Liberal Mind, S. 83. Vgl. P. Duignan/L.H. Gann: The Rebirth of the West, S. 340. Mamaine Paget vom 9.10.1946 und vom 10.10 1947, in: C. Goodman (Hg): Living With Koestler, S. 6If
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„Entstalinisierung" der westlichen Intellektuellen
Nichola Chiaromonte zwei einflußreiche Vordenker des Konsenses dort aktiv wurden, mußte der Blick auf Paris für die nichtkommunistische Linke erhebliche Sorgen mit sich bringen. Hier agierte eine starke Kommunistische Partei, unterstützt von einer weithin ungebrochenen „fellow-traveller"-Bewegung,267 die beide vom Resistance-Mythos profitieren konnten.268 Hinzu kam, daß mehr noch als in Großbritannien, wo es ähnliche Phänomene gab prosowjetisches Engagement linker Intellektueller in der Regel mit krassen antiamerikanischen Ressentiments verbunden war.269 Femer sorgte die spezifisch französische Erscheinung des Gaullismus für Spannungen innerhalb der vergleichsweise kleinen Gruppe der französischen prowestlichen Intellektuellen. Indem sie De Gaulies Person und Politik nicht von vornherein als Teil einer denkbaren faschistischen Gefahr interpretierten, stellten sich Personen wie Malraux, der neufhomistische Philosoph Jacques Maritain und zeitweise Aron jenseits des intellektuellen „main-stream" in ein bedenkliches Abseits.270 Der Gaullismus war aber zugleich in den Augen der Konsensliberalen ein Problem, da seine Anhänger häufig nicht weniger antiamerikanisch argumentierten als ihre linksorientierten Gegenspieler. Während die linksliberalen, antikommunistischen Intellektuellen sich anfangs um die von Albert Camus herausgegebene Zeitschrift „Combat" sammelten, die allerdings einiger Zeit bedurfte, um sich von den harmonistischen Grundtendenzen des Resistance-Mythos zu lösen,271 gruppierten sich ihre philosowjetische Gegenspieler bald um die Zeitschrift „Temps Modernes", Organ der existentialistischen Kreise im Gefolge von Jean-Paul Sartre.272 Anfangs waren Koestler, Sperber, Camus und Sartre sogar noch eng miteinander befreundet, Sartre war zu dieser Zeit alles andere als ein „fellow-traveller" gewesen. Doch bereits 1944 war es zwischen Koestler und Sartre zum Brach über die Frage gekommen, wie De Gaulle einzuschätzen sei.273 Dieser Streit wurde 1946 dann Auslöser des Konfliktes zwischen Sperber und Sartre.274 Erst danach entwickelte Sartre sich zum wohl auch international einflußreichsten Vordenker des europäischen Antiamerikanismus, der aus seiner zunehmenden Sympathie für das sowjetische System als Gegenentwurf zum Amerikanismus keinen Hehl machte. Gegenüber der von den existentialistischen „Mandarinen" ausgeübten kulturellen Hegemonie blieben weder den Anhängern De Gaulies noch den liberalen „Atiantikem" große Spielräume in den Debatten der
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französischen „classe intellectuelle". Es war an Koestler, Aron und 267 268 269 270 271 272 273 274
Sperber, die
P. Duignan/L.H. Gann: The Rebirth of the West, S. 286. R. Aron: Erkenntnis und Verantwortung, S. 157f. D. Caute: Fellow-Travellers, S. 272f M. Sperber: Scherben, S. 346; R. Aron: Erkenntnis und Verantwortung, S. 141 und S. 181. M. Sperber: Scherben, S. 330f. Vgl. A. Grunenberg: Antifaschismus, S. 98-103. I. Hamilton: Koestler, S. 160. M. Sperber: Brücke, S. 56, S. 60 und S. 62f.
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II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
vorhandenen Spielräume günstiger zu gestalten, ohne daß dadurch der marginale Charakter ihres Handelns hätte verdeckt werden können.275 In Frankreich mußte der Hauptschauplatz künftiger Tätigkeiten der antikommunistischen Linken liegen. 1948, das Jahr, in dem der Kalte Krieg mit der sowjetischen Blockade Berlins erstmals gefährlich eskalierte, war insgesamt für die Vorgeschichte des CCF von kaum zu überschätzender Bedeutung. Es war das Jahr der transadantischen Verflechtung der „non-Communist-Left" unter den ideologischen Prämissen von liberalem Konsens und Antitotalitarismus. Es war das Jahr, in dem der amerikanische und britische Geheimdienst die kulturelle Front des Kalten Krieges entdeckten, und es war das Jahr, in dem die liberale europäische Einigungsbewegung in bereits laufende Überlegungen zur organisatorischen Stabilisierung des Konsensliberalismus einbezogen wurde. Zu diesem Zeitpunkt war im angelsächsischen Bereich der Prozeß der „Entstalinisierung", das heißt der Verdrängung von „fellow-travellers" und Kommunisten aus publizistisch und gesellschaftlich relevanten Positionen weitgehend abgeschlossen. Dennoch waren Kommunismus, Nationalneutralismus und Fellow-Travellertum 1948 noch kein Popanz, sondern in Italien, Frankreich und wenn auch unter besonderen Bedingungen in Deutschland Realität. Schon aus diesem Grande markierte das Jahr 1948 nicht nur den Abschluß diverser Entwicklungen, sondern war zugleich Auftakt zweier weiterer, für die Vorgeschichte des CCF wichtiger Gegebenheiten: der Gründung des „Monats" als eines speziell auf Deutschland zugeschnittenen Instrumentes amerikanischen kulturellen Hegemoniestrebens und der zweiten Welle von „fellow-traveller"-Engagement,276 das dann zum unmittelbaren Auslöser für den CCF werden sollte. Es war nur eine Frage der Zeit, wann die kulturelle Front des Kalten Krieges organisatorisch zusammengefaßt werden würde. Die Idee dazu lag sozusagen auf der Straße; sie mußte nur noch aufgehoben werden. -
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Wie kritisch die Lage in Frankreich eingeschätzt wurde, zeigt aus dem Rückblick eine Anmerkung von W. Phillips: The Liberal Conspiracy, Sil: „I recall that when I went to Paris, I felt as though I were in Moscow. Streets and subway stations had Russian names, the largest unions were under communist control, most writers and intellectuals were Soviet sympathizers and anticommunists as Raymond Aron were treated as pariahs." Vgl. ferner Sol Levitas an Melvin J. Lasky vom 18.5 1949, UoC-Archiv, „Der Monat'-Records, Box 3, Folder 5, der sich über die prosowjetische Haltung der französischen Intellektuellen enttäuscht äußert. Siegfried Kracauer sah in der zweiten ,ièllow-traveller"-Welle den Ausdruck einer ideologischen Ermüdung des Westens, vgl. Siegfried Kracauer: „Draft of Statement on the Humanistic Approach" (April 1952), S. 2, DLA, A: Kracauer, 72.3513.
4. Die Situation in Deutschland
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4. Die Situation in Deutschland In Deutschland schien vieles anders, zumindest auf den ersten Blick. Wie in keinem anderen Land, Österreich vielleicht ausgenommen, waren die fast unmittelbar nach Kriegsende aufbrechenden Konfliktlinien gleich in mehrere divergierende oder einander überschneidende Bezugsfelder eingebettet: Deutschland war ein besiegter Feindstaat, von vier Mächten in Besatzungszonen aufgeteilt und auf absehbare Zeit von ihnen militärisch, ökonomisch, sozial, aber auch kulturell abhängig. Damit wurde es, auch aus geostrategischen Gründen, zu einem Zentrum des Kalten Krieges. Gleichzeitig blieb Deutschland Versuchsfeld rivalisierender Erziehungskonzepte nicht nur zwischen den verschiedenen Besatzungsmächten, deren Vorstellungen über die politisch-gesellschaftliche Zukunft des Landes schon vorab aus innersystemischen Gründen inkompatibel waren, sondern zusätzlich auch abweichender Konzepte innerhalb der jeweiligen Besatzungsmacht. Letztere waren oft genug, speziell bei den Amerikanern, Widerspiegelung von politisch bedingten Konflikten im Rahmen der je eigenen Gesellschaft, die ihrerseits wiederum durch den Kalten Krieg verschärft wurden. Dieses doppelte, von außerdeutschen Faktoren bestimmte Kräftefeld intern und extern differenzierter Umerziehungsund sozialen Ordnungsvorstellungen in Verbindung mit dem Unruhepotential des Kalten Krieges wurde im intellektuellen Bereich zusätzlich von hausgemachten innerdeutschen Problemlagen verschärft. Damit ist vor allem der sich bald abzeichnende Brach zwischen innerer und äußerer Emigration, aber auch innerhalb der Emigration zwischen philosowjetischen und antikommunistischen Kräften gemeint. Der erste Konflikt wurde sehr schnell in der Kontroverse zwischen Thomas Mann und Walter von Molo ausgetragen, letzterer wurde vor dem Hintergrund der Streitigkeiten innerhalb der diversen Emigrantenzirkel seit den dreißiger Jahren weitergeführt. Durch den Kalten Krieg und die mit ihm verbundene kulturell-ideelle Polarisation erfuhren diese Kontroversen ebenso eine oft fremdbestimmte Modifikation wie auf der anderen Seite die durch Niederlage und Besatzungsherrschaft relevant werdende Frage nach der nationalen Einheit und gesellschaftlichen Neugestaltung Deutschlands. In diesem Bereich sollten lange Zeit „westliche", auf die Einigung Europas konzentrierte Modelle mit eher traditionell national orientierten Strömungen konkurrieren. National meinte allerdings nicht automatisch einen konservativen oder reaktionären politischen Standort; gerade die Kulturpropaganda der Stalinisten in der Ostzone wußte den Topos der nationalen Frage immer wieder geschickt zu instrumentalisieren. Schließlich brachte der Kalte Krieg eine für Deutschland in dieser Form neue Qualität in die Beziehungen zwischen intellektueller Szene und parteipolitischen Vorgängen mit sich. Wie in Frankreich, Italien, Großbritannien und den USA war der Kalte Krieg auch in Deutschland wesentlich ein Ringen um
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II Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
die kulturelle Hegemonie im linken Spektrum. Schon aus diesem Grunde mußten das Schicksal der Sozialdemokratie und die Frage nach ihrer Koalitionsfähigkeit mit bürgerlichen oder kommunistischen Kräften für alle Besat-
zungsmächte von gesteigertem Interesse sein, gerade in Berlin, dem prestigeträchtigen Epizentrum des Konflikts. Eng mit dieser Problematik verbunden
dann zusätzlich Bemühungen um eine (kultur-)politische Instrumentalisierung der deutschen Linksintellektuellen. Bekanntermaßen lösten die beiden Hauptbeteiligten, die USA und die UdSSR, das sich hieraus ergebende Problem auf je unterschiedliche Weise, stets allerdings auf zwei Ebenen, einer organisatorisch-politischen, die im Mittelpunkt der Aktivitäten stand, und einer flankierend eingesetzten ideell-kulturellen Ebene der ideologischen Wertevermittlung. Aufgabe dieses Kapitels ist es, die kurz angedeuteten Konfliktlinien etwas breiter auszuführen und so das historische Umfeld für die Gründung der Zeitschrift „Der Monat" einsichtig zu machen. Im anschließenden Kapitel soll dann auf die unmittelbaren Anlässe zur Gründung und die kontextbestimmte Funktion des „Monats" eingegangen werden. Sowohl unter dem Gesichtspunkt anhaltend wirksamer Umerziehungsvorgaben wie auch im Hinblick auf deutschlandbezogene und international wirksame ideologische Muster, war „Der Monat" nicht weniger wichtig als später für die Organisation und Weltanschauung des CCF. Mit dem „Monat" geraten zudem jene entstehenden oder waren
bereits vorhandenen deutschen intellektuellen Netzwerke in den Blick, die ab 1951 für die deutsche Exekutive des CCF maßgebend sein sollten. Angesichts der Komplexität der Ereignisse und strukturellen Gegebenheiten kann die Vorgeschichte des „Monats" (als Vorgeschichte des CCF) bestenfalls holzschnittartig, unter Konzentration auf das für den „Monat" und den CCF in Deutschland Wesentiiche dargestellt werden. Dieser Umstand erklärt auch den stark auf die USA und die Sowjetunion zugespitzten Charakter bei der Darstellung der Besatzimgspolitik. Auf diese Weise werden eigenständige britische und vor allem französische Beiträge zur Westorientierung in den Westzonen und der frühen Bundesrepublik weitgehend ausgeblendet. Dennoch erscheint eine derartige Beschränkung nicht allein aus arbeitsökonomischen Gründen gerechtfertigt. Die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten waren nun einmal die Hauptkontrahenten des Kalten Krieges, „Der Monat" ein Produkt der Amerikaner. Hinter dem CCF stand, nicht nur finanziell, der Wille zum Transfer einer spezifisch von amerikanischen Erfahrungen geprägten Form westlicher Werthaltungen. Und endlich fiel den USA innerhalb des westlichen Lagers eine eindeutige Führungsrolle zu. Der prinzipielle Gliederungsgesichtspunkt, der im bisherigen Verlauf der Untersuchung auf den internationalen Bereich Anwendung gefunden hatte, soll auch für Deutschland beibehalten werden: Weiterhin wird also von den USamerikanischen Intentionen und Abläufen ausgegangen, ehe andere Strömungen miteinbezogen werden. Zudem wird die lntellekruellengeschichte allen auf
4 Die Situation in Deutschland
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die SPD bezogenen Ausführungen vorgeordnet sein. Auf einer recht allgemeinen Ebene herrschte bei den Amerikanern schon vergleichsweise früh relative Übereinstimmung darüber, worin die Aufgabe der USA im besetzten Deutschland zu bestehen habe. Es galt, strafend sämtliche Ursachen und Relikte des nationalsozialistischen Regimes zu beseitigen sowie darüberhinaus für alle Zukunft ein weiteres Abweichen Deutschlands von dem als Norm empfundenen liberaldemokratischen Weg unmöglich zu machen. In diesem umfassenden Sinn ergänzten sich Entnazifizierung und Demokratisierung in der ersten Phase amerikanischer Besatzungspolitik, der bis 1947 reichenden Zeit der „re-education".277 Stand in dieser Phase ursprünglich der rein punitive Aspekt im Vordergrund,278 so sollte doch auf keinen Fall unterschätzt werden, daß schon während des Krieges ein nicht unerheblicher Anteil der amerikanischen Analytiker auf die Notwendigkeit auch positiv-versöhnender Aspekte bei der Ausgestaltung der Umerziehungspolitik in Deutschland hingewiesen hatte.279 Damit war, wenn auch keinesfalls konfliktfrei, der Boden bereitet, notfalls von der rigiden Entnazifizierungspolitik der frühen Besatzungszeit ohne Preisgabe der Hauptinhalte abzurücken. Entsprechend griff die 1947 einsetzende Politik der „re-orientation" die demokratisierenden Grundtendenzen der „re-education" auf und paßte sie den neuen historischen Gegebenheiten gezielt an. Beherrschend blieb der Gedanke, den autoritären gesellschaftlichen und geistesgeschichtlichen Traditionen der Deutschen demokratische Werte entgegenzusetzen, wie sie sich, zumindest in der Eigenperspektive, in der US-amerikanischen Geschichte in vorbildlicher Weise
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Zur zeitlichen und sachlichen Unterscheidung von „re-education" und „re-orientation" s. Josef Foschepoth: Im Schatten der Vergangenheit. Die Anfänge der Gesellschaften für christlichjüdische Zusammenarbeit, Göttingen 1993, S. 62ff; vgl. H. Glaser: Kulturgeschichte, Bd. 1, S. 124-126; zu den Zielen der „re-education"-Politik s. jetzt H.J. Rupieper: Wurzeln, S. 8f. S. dag. Hans Jörg Gehrtng: Amerikanische Literaturpohtik in Deutschland 1945-1953. Ein Aspekt des Re-Education- Programms, Stuttgart 1976, S. 18, der im Gegensatz zu Rupieper zwischen formal-institutioneller Demokratisierung und „re-education" als „ideologische(r) Änderung im politischen Wertbewußtsein" streng unterscheidet, während Rupieper Demokratisierung weniger formal und damit als integralen und notwendigen Bestandteil von „re-education" begreift Rupiepers Sicht erscheint in Anbetracht des inneramerikanischen Diskussionsstandes angemessener. Zum Gesamtkomplex s. James F. Tent: Mission on the Rhine. Reeducation and Denazification in American Occupied Germany, Chicago 1982. Zum Fortgang der Ereignisse vgl. die Studie von Hermann-Josef Rupieper: Der besetzte Verbündete. Die amerikanische Deutschlandpolitik 1949-1955, Opladen 1991; s.a. ders.: Die amerikanische Demokratisierungspolitik in Westdeutschland 1945 bis 1952, in: Heinrich Oberreuter/Jürgen Weber (Hg.): Freundliche Feinde? Die Alliierten und die Demokratiegründung in Deutschland, München-Landsberg am Lech 1996, S. 197-216. Bes. H.J. Rupieper: Wurzeln, S. 10 setzt „re-education" und punitiven Aspekt gleich P. Marquardt-Bigman: Geheimdienstanalysen, S. 125 hat daraufhingewiesen, daß z.B. die „Research and Analysis Branch" (R&A-Branch) des OSS die 1943/44 noch vorherrschende ahistorisch-völkerpsychologische These vom faschistischen Nationalcharakter der Deutschen abgelehnt und damit theoretisch die Möglichkeit neuen Denkens im Gesamtrahmen von Umerziehungspolitik eröffnet habe.
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II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
manifestiert hatten.280 In den Augen der Vordenker bei OMGUS und HICOG konnte man nun aber verstärkt an genuin deutsche liberale Traditionen anknüpfen und so zusätzlich bei den Deutschen ein Gefühl des Eigenwertes vermitteln, wodurch der Aspekt der Fremdbestimmung erheblich gemildert wurde.281 Weder „re-education" noch „re-orientation" haben jemals auf dem Prinzip einer simplen Vereinnahmung des deutschen Volkes durch den Versuch plumper Adaption amerikanischer Institutionen, Werte und politischer Traditionen basiert. Dennoch nahmen die USA nach 1947 ihre Vorbildfünktion erkennbar zurück. Gleichzeitig ging es ihnen weiterhin um mehr als bloße Kulturpolitik im traditionellen Sinne. OMGUS und HICOG strebten bewußt, wenn auch nicht durchgehend effizient,282 eine Veränderung der politischen Kultur in Deutschland an.283 Organisatorisch bediente die Besatzungsmacht sich bei dem Versuch eines umfassenden liberaldemokratischen Wertetransfers einer ganzen Reihe von Institutionen.284 Mit Hilfe dieses fein gegliederten administrativen Systems waren die US-Amerikaner bemüht, in ihrer gesamten Zone, auch auf lokaler Ebene, gerade im kulturellen Bereich Präsenz zu zeigen. Über die staatlichen Stellen, die an dem Programm der Umerziehung beteiligt waren und deren Tätigkeit inzwischen recht gut erforscht ist, hinaus gilt das Augenmerk der historischen Forschung neuerdings zunehmend transnational agierenden, nichtstaatlichen Organisationen, die unterhalb der Ebene regierungsamtlicher Tätigkeit, jedoch eng mit administrativen Stellen verflochten, auf deutschem Boden
handelten.285
Die der Politik der Umerziehung zugrundeliegende organisatorische Dichte und das prinzipiell von allen amerikanischen Beteiligten geteilte globale Einverständnis über die allgemeinen Ziele dieser Politik darf jedoch keineswegs über vehement ausgetragene Differenzen bei den Amerikanern hinwegtäuschen. Selbst innerhalb der internen Verwaltungsstrakturen von OMGUS liefen von Beginn der Besatzungsherrschaft an sehr unterschiedliche Vorstellungen 280 281 282 283 284
285
H.J. Gehring: Literaturpolitik, S. 17-22. Ebda, S. 63. Ebda., S. 9. H.J. Rupteper: Wurzeln, S. 24 Neben den Einrichtungen der Militärregierung (OMGUS) und später des Hohen Kommissariates (HICOG), von denen bes. die „Civil Affairs Division" (CAD) mit der „Reorientation Branch" sowie der aus der „Psychological Warfare Division"(PWD) hervorgegangene „Information Control Service" (ICS), der ab September 1947 als „Information Control Division" (ICD) fungierte, mit der „Publication Branch", wäre etwa die USIA zu nennen, vgl H.J. Gehrino: Literaturpolitik, S. 22-31, s.a. allg. Christoph Weisz (Hg): OMGUS-Handbuch. Die amerikanische Militärregierung in Deutschland, München 1994. Die USIA arbeitete ab 1947 relativ eng mit der neugegründeten „Political Information Branch" (PIB) in der ICD zusammen. Als Hauptziele von deren Propaganda hat B. Mettler: Demokratisierung und Kalter Krieg, S. 69 bezeichnenderweise deutsche Gewerkschafter, Sozialdemokraten, „fellow-travellers" und Kommunisten ausgemacht. H.J. Rupieper: Wurzeln, S. 26.
4. Die Situation in Deutschland
123
nebeneinander her: „Inder Urteilsbildung und im Verhalten von amerikanischen Besatzungsangehörigen [...] kam [...] zum Ausdruck, ob und wie sie Deutschland von früher her kannten, ob sie
während der ersten Jahre des europäischen Krieges Isolationisten aus dem Mittelwesten oder Interventionisten waren, ob sie als Interventionisten bei den verschiedenartigen Traditionen des eigenen Landes eher den universalistischen Idealen Woodrow Wilsons oder dem Imperialismus Theodore Roosevelts nahestanden. Wenn sie New Dealer waren, konnte es wesentlich sein, ob sie zu den gouvernemental-technokratischen Innovatoren gehörten oder ob sie Gewerkschafter oder Linksliberale waren, für die der spanische Bürgerkrieg, die Moskauer Prozesse oder das Wiedererstarken einer militanten Gewerkschaftsbewegung in den USA während der dreißiger Jahre zentrale Erlebnisse blieben."286
Die alten Rivalitäten zwischen Isolationisten und Internationalisten, zwischen eher republikanisch orientiertem War Department und dem liberal dominierten State Department wurden seit 1945 und verstärkt seit 1946/47 zusätzlich von den Konflikten zwischen rechtem und linkem New Deal überlagert und zwangen zu beständig changierenden Koalitionen. Hinzu traten nicht bewältigte Konflikte zwischen Nordstaatlem und Südstaatlem, zumal die USBesatzungspolitik nicht selten in der Analogie zur „Reconstruction" gesehen wurde, was jeweils recht unterschiedliche Gefühle auslöste.287 Quer zu diesen historisch, parteipolitisch oder gesellschaftlich motivierten Querelen innerhalb der US-Besatzungsbehörden lief das Ringen um die sehr viel grundsätzlichere Frage nach der generellen Umerziehbarkeit der Deutschen. Auf den Beitrag der R&A-Branch des OS S zu dieser Diskussion wurde bereits kurz hingewiesen. Innerhalb der OMGUS-Bürokratie war es vor allem der Leiter des ICS, General Robert McClure, der demgegenüber an der These vom militaristisch-nationalistischen Volkscharakter der Deutschen festhielt und entsprechend eher für härtere Strafmaßnahmen eintrat. Andere erwiesen sich als flexibler, etwa nach einiger Zeit wenigstens Lucius D. Clay, ein „Jeffersonian Democrat" und Südstaatler, der wie sein aus der deutschen Emigration stammender Berater Carl J. Friedrich dem missionarischen Eifer rigoroser Moralisten aus dem Norden skeptisch gegenüberstand.288 Bald schon plädierten die Vertreter der gemäßigten Richtung für eine deutliche Trennung zwischen nationalsozialistischer Parteiführung und deutschem Volk, womit auch eine mehr der Zukunft zugewandte Perspektive im Neuorientierungsprozeß für die Deutschen eröffnet wurde.289 Später sollte die strenge Unterscheidung zwischen Volk und Führung innerhalb der Redaktion des „Monat" nicht allein für Fragen der „re-orientation" maßgeblich sein, sondern besonders auch auf die Sowjet-
286 287 288 289
-
Harold Hurwitz: Demokratie und Antikommunismus in Berlin nach 1945. Bd. 3: Die Eintracht der Siegermächte und die Orientierungsnot der Deutschen 1945-1946, Köln 1984, S. 28. Wolfgang Schtvelbusch: Vor dem Vorhang Das geistige Berlin 1945-1948, München-Wien 1995, S. 53f. Ebda., S. 54; zu Clay vgl.a. John H. Backer: Die deutschen Jahre des Generals Clay Der Weg zur Bundesrepublik 1945-1949, München 1983, bes. S. 23. Vgl. H. Hurwitz: Demokratie und Antikommunismus, Bd. 3, S. 29f. zu frühen Vorstößen Robert Murphys in dieser Frage.
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II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses fur Kulturelle Freiheit"
union angewendet werden.290 Doch nicht nur das Problem einer generellen Umerziehbarkeit der Deutschen beschäftigte die verschiedenen Fraktionen bei OMGUS, sondern zusätzlich wurde heftig über die Frage diskutiert, wie denn im konkreten Detail eine künftige deutsche Gesellschaft zu gestalten sei. Solche Diskussionen wurden deutlich stärker von inneramerikanischen Debatten zwischen „radicals", „liberals" und „conservatives" bestimmt, als diejenigen über den deutschen Nationalcharakter. Mochte über die altliberalen Ideale von persönlicher Freiheit und demokratischer Verfassungsgestaltung Einigkeit bestehen, so entbrannte der Konflikt vornehmlich über die Frage nach der sozialen und ökonomischen Dimension des eingeleiteten Erneuerungsprozesses. Zugleich stellte sich im linken Spektrum von OMGUS damit die Frage nach potentiellen Koalitionspartnern. Wie in den USA ging es um die Akzeptanz einer Zusammenarbeit mit den deutschen Kommunisten und der stalinistischen UdSSR oder um einen Primat der Sozialdemokratie. Innerhalb des altliberalen Spektrums war sogar diese Unterscheidung weitgehend irrelevant. So verwundert es nicht, daß das von den „conservatives" dominierte War Department eher klassisch wirtschaftsliberalen Ordnungsvorstellungen verhaftet blieb, während das eher liberal ausgerichtete State Department graduell unterschiedliche Formen der „New Deal Order" anzuwenden gedachte.291 Die US-Amerikaner verzichteten also keineswegs, wie gelegentlich behauptet wurde, auf eine Analyse der sozialen und wirtschaftlichen Wurzeln des nationalsozialistischen Systems,292 sondern debattierten darüber in dem Rahmen, den ihnen die seit den dreißiger Jahren laufenden inneramerikanischen Diskurse dafür boten. Dies bedeutete zugleich, daß bis weit in das radikale Spektrum hinein an der prinzipiellen Überlegenheit einer modifizierten marktwirtschaftlichen Ordnung innerhalb eines auf liberalen Prinzipien gegründeten Gesellschafts- und Verfassungssystems kein Zweifel bestehen konnte. Dafür sprach das historisch-empirische Faktum der Stabilität und Kontinuität der amerikanischen Gesellschaft mit ihrer relativen Resistenz gegenüber totalitären Versuchungen. Entsprechend war selbst in Kreisen des linken New Deal der geistige Handlungsspielraum für
290
Am ausgefeiltesten hat Melvin J. Lasky dieses Grundprinzip seiner optimistischen Anthropologie Beginn der fünfziger Jahre formuliert, der Grundgedanke ist allerdings erheblich älter, s. Melvin J. Lasky an George Fischer vom 23.8.1951, UoC-Archiv, „Der Monat"-Records, Box 12, Folder 3: „Peoples may sometimes be deceived into betraying their own interests on behalf of illiberal institutions and authorities; but no one, who has a spark of humanist hope within him, could ever allow himself to be glad of this and to affirm it without at the same time expressing regret, openly and sincerely, at the spectacle of this historic tragedy of German-Russian totalitarianism." Vgl. Hans-Jürgen Grabbe: Unionsparteien, Sozialdemokratie und Vereinigte Staaten, Düsseldorf 1983, S. 77f. Eine ähnliche Angebotsfunktion des New Deal für die deutsche Nachkriegsgesellschaft hatte schon die R&A-Branch des OSS ins Auge gefaßt, s. P. MaRQUARDT-Bigmann: Geheimdienstanalysen, S. 125 und S. 137. So z.B. B. Mettler: Demokratisierung und Kalter Krieg, S. 23. zu
291
292
4. Die Situation in Deutschland
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bloß theoretisch konstruierte, radikalere gesellschaftliche Veränderungen nicht sehr groß. Obgleich rechte und linke New Dealer in vielen Punkten gar nicht so weit auseinanderlagen, verschärfte die oft nur formale Frage nach der Koalitionsfähigkeit der Kommunisten auch innerhalb der Besatzungsbürokratie die Streitigkeiten über die sozialökonomische Neugestaltung Deutschlands. Spätestens Ende 1946 war der inneramerikanische Dissens nach Deutschland herübergeschwappt. Infolge derartiger interner Konflikte wirkte die US-Besatzungspolitik von Anfang an konfus und wenig kohärent.293 Sehr zum Mißvergnügen der rechten New Dealer, denen auch Melvin J. Lasky, der Begründer des „Monats" angehörte, führte dieser Umstand zu mangelhaften Kultur- und Propagandaleistungen der Amerikaner. Eine Änderung dieser mißlichen Situation konnte nur von Washington ausgehen. Und in der Tat war die Truman-Administration unter dem Eindruck der anhaltenden Auseinandersetzungen im Lager der New Dealer bemüht, ihre innerparteilichen Rivalen auch bei OMGUS schrittweise auszuschalten. Zwar hat Harold Hurwitz wohl korrekt daraufhingewiesen, daß die US-Amerikaner gerade auf dem Felde der Informationspolitik schon vor 1947 eine konsequent antikommunistische, wenn auch keinesfalls antisozialistische Personalpolitik betrieben hätten,294 dennoch verschoben sich ab Ende 1946 die politischen Gewichte innerhalb von OMGUS. Es kam zu einer zunehmenden Monopolisierung der Macht durch altliberale „conservatives"295 und Konsensliberale, deren durchaus brüchige Koalition vom Antikommunismus zusammengehalten wurde. Folgerichtig war dieser Prozeß mit einem rapiden Machtverlust der linken New Dealer verbunden.296 Besonders prägnant kann dies im kulturellen und medialen Bereich nachgezeichnet werden, wo die Lizenzierungs- und Kontrollpraktiken der Besatzungsmächte dazu führte, daß ihre aufkommenden Spannungen sich in unterschiedlicher Form in deutschsprachigen Medien niederzuschlagen begannen. Hier kam es schon früh zu heftigen Kontroversen.297 Ausgangspunkt der Streitigkeiten waren die publizistischen Auseinandersetzungen um die Zwangsfüsion von SPD und KPD. Während der „Tagesspiegel"298 schnell dezidiert zugunsten der SPD Stellung bezog,299 hielten sich „Allgemeine Zeitung" und „Neue Zeitung"300 erst einmal zurück. Noch 293 294
295 296 297 298
299 300
Vgl. HJ. Gehring: Literaturpolitik, S. 21 f. Harold Hurwitz: Die Stunde Null der deutschen Presse. Die amerikanische Pressepolitik in Deutschland 1945-1949, Köln 1972, S. 324. Zum Engagement der Republikaner m Deutschland s. HJ. Grabbe: Sozialdemokratie, S. 84. S. W. Schtvelbusch: Vor dem Vorhang, S. 188; J. Hermand: Kultur im Wiederautbau, S. 146f. W. Schtvelbusch: Vor dem Vorhang, S. 244-253. Peter de Mendelssohn, obwohl für die britischen Kulturbehörden tätig, war mit den Lizenzträgern des "Tagesspiegels,, eng verbunden, vgl. Hilde Spiel: Welche Welt ist meine Welt?, Erinnerungen 1946-1989, München -Leipzig 1990, S.171' Zur antikommunistischen Ausrichtung des „Tagesspiegels" s. D. Lattmann/H. Vormweg (Hg.): Literatur, Bd. 1, S. 146f. Für die beide Zeitungen war Hans Wallenberg, ein guter Freund de Mendelssohns verant-
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II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
setzte besonders Hans Wallenberg ganz im Sinne des verstorbenen Präsidenten Roosevelt auf einen Ausgleich mit den Sowjets. Aus diesen Tagen stammte der gegen Wallenberg immer wieder vorgebrachte Vorwurf, er sei ein verkappter „fellow-traveller".301 Gerade bei den erstarkenden Konsensliberalen entstand in der Phase der Ringens um die Zukunft der ostzonalen SPD der Eindruck, die amerikanischen, britischen und französischen Besatzungsbehörden seien massiv mit Sympathisanten des Stalinismus durchsetzt,302 was zu Versuchen führte, diesen Einfluß zu beschneiden. Im Herbst 1947 führte die neue Personalpolitik im Kulturbereich bei OMGUS dann zu einschneidenden Veränderungen, die insbesondere den RIAS betrafen. Die „Neue Zeitung" war zu diesem Zeitpunkt schon ganz auf den Kurs der Antikommunisten umgeschwenkt. Ralph Brown und Nicholas Nabokov, dem späteren internationalen Generalsekretär des CCF, gelang es, die linke New Dealerin Ruth Norden bei RIAS faktisch zu entmachten. Ähnlich wie bei der US-lizenzierten Presse führte dies in der Folge zu einem deutlich pro-sozialdemokratischen Kurs des RIAS, der kurz zuvor noch von Ernst Reuter als zweiter kommunistischer Sender Berlins bezeichnet worden war.303 Ebenfalls im medialen Bereich, bei der Koordination propagandistischer Aktivitäten, sorgte mit Boris Shub ein weiteres späteres Mitglied des CCF ab Oktober 1947 für einen deutlich antikommunistischen Kurs in der amerikanischen Kulturpolitik.304 Von dieser Entwicklung blieben auch die deutschen Mitarbeiter der Amerikaner nicht verschont. Harry Pross zum Beispiel hat den zunehmenden Antikommunismus seiner Vorgesetzten in der Redaktion der „Ostprobleme" bitter beklagt.305 Im August 1947 mußte dann der Kommunist Emil Carlebach als Lizenzträger bei der „Frankfurter Rundschau" aus-
scheiden.306
301
302
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306
wortlich. Sogar der vergleichsweise konservative Norbert Mühlen nahm Wallenberg gegen entsprechende, im „New Leader" veröffentlichte Vorwürfe Julius Epsteins in Schutz, vgl. Norbert Mühlen an Sol Levitas vom 6.11.1948, NL Mühlen, Box 17. S.a. Julius Epstein an Melvin J. Lasky vom 16.10.1947, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 1, Folder 15, der seine scharfen Bemerkungen mit den Worten schließt: „There are lots of fellow travellers. [...]. Today it is almost impossible to discover a single fellow traveller in the State Department or the voice (of America), because everybody is so busy and working overtime with anti-Stalinist propaganda. This does not mean anything. Nobody wants to commit suicide and to lose a P-8 or P-9 job." Vgl. z.B. die Einschätzung von M. Sperber: Scherben, S. 384. W. Schtvelbusch: Vor dem Vorhang, S. 179 und S. 190 Ebda, S. 188. H. Pross: Memoiren, S. 184 und S. 187f. Beide Vorgesetzte, auf die Pross sich bezieht, Franz Borkenau und Richard Löwenthal waren später beim CCF. Überraschenderweise hält Pross Borkenau für den gemäßigteren der beiden, was innerhalb des CCF so nicht zutraf. H. Hurwitz: Die Stunde Null, S. 316 und S. 321. Es gab jedoch, wenn auch noch im Jahre 1946, den entgegengesetzten Fall: Damals mußte der Lizenzträger des „Tagesspiegels" Heinrich von Schweinichen seine Stellung aufgeben, da man ihm Nationalismus und fehlendes proamerikanisches Engagement vorwarf. Die Grundlage dieses Vorgehens bildete ein Gutachten, welches der Dovifat-Schüler Jasper Petersen ausgearbeitet hatte. Petersen wurde fünf Jahre
4. Die Situation in Deutschland
127
Die Ablösung der linken New Dealer durch Altliberale und rechte New Dealer war konzeptionell verbunden mit dem Übergang von der „re-education" zur „re-orientation", der neben den genuin amerikanischen Wurzeln überdies eng mit der jetzt strikt antitotalitär gewordenen Wahrnehmung der internationalen politischen Lage auf Seiten der Amerikaner zusammenhing. Diese wiederum hing vom Ausgang der innerdemokratischen Rivalitäten in den USA ab. In Anbetracht subjektiver und objektiver Bedrohungsperzeptionen wurde aus Westdeutschland ein strategisch wichtiger Bündnispartner, dessen Bevölkerung es dauerhaft und tiefgreifend zu gewinnen galt.307 Damit wurden bereits vorhandene und im Bereich der rechten New Dealer schon seit langem vertretene flexiblere Ansätze zur Umerziehung der Deutschen interessant. Im Bereich der Propaganda rückte nun der Antikommunismus in seiner antitotalitären Variante zunehmend in den Vordergrund.308 Damit ergab sich die Gefahr, dauerhaft auf kaum entnazifizierte Eliten zurückgreifen zu müssen, ein Umstand, den die US-Amerikaner, zumindest diejenigen liberaler Provenienz, auf alle Fälle zu vermeiden suchten. Es würde nämlich die Interessen der Amerikaner übermäßig vereinfachen, unterstellte man ihnen, die „reorientation"-Politik habe prinzipiell andere Ziele oder Inhalte gehabt als die „re-education". Schon die geringe Folgebereitschaft der Deutschen, bei nicht zu unterschätzender Reformbereitschaft, zwang zu einem Perspektivenwechsel in der Umerziehungspolitik, der durch den Kalten Krieg eher beschleunigt als initiiert wurde. Das generelle Ziel einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Demokratisierung Deutschlands (im Rahmen amerikanischer Traditionen) blieb erhalten. Noch im Jahre 1950 verlangte innerhalb der HICOG-Administration Shepard Stone auf der Basis der Lehren von John Dewey, Demokratie dürfe in Deutschland nicht auf die formale Rezeption verfassungskonformer Institutionen beschränkt bleiben, sondern müsse auf einer bewußt individualistischen Lebenseinstellung beruhen.309 In diesem gestalterischen Vorgang sollte, so eine weit verbreitete Meinung in den Kulturbehörden von OMGUS und HICOG, die Vermittlung amerikanischer Literatur eine wesentliche Rolle spielen.310 Den Amerikanern mußte es auf eine breite Akzeptanz ihrer Umerziehungspolitik in der deutschen Bevölkerung ankommen, sowohl im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit der UdSSR als auch bezogen auf eine dauerhafte Demokrati-
307 308 309 310
später westdeutscher Regionalsekretär des CCF, der verbleibende Lizenzträger des „Tagesspiegels" Edwin Redslob gehörte 1950 zu den Mitbegründern des Kongresses. Vgl. W. Scmvelbusch: Vor dem Vorhang, S. 2551".
HJ. Rupieper: Wurzeln, S. 19-24; H. Hurwitz: Die Stunde Null, S. 301. B. Mettler: Demokratisierung und Kalter Krieg, S. 55ff; vgl. S. 21. H.J. Rupieper: Wurzeln, S. 17. H.J. Gehring: Literaturpolitik, S. 7; vgl. S. 37 und S. 40; s. allerdings a. S. 9, wo Gehring diese Haltung auf die Zeit vor 1947 beschränkt. Die bloße Existenz des „Monats" mit seiner spezifischen Aufgabenstellung widerspricht aber Gehrings These. In einer weniger generellen Form ist sie aber auf die Republikaner bei OMGUS und HICOG anwendbar, deren Antiintellektualismus gelegentlich erstaunliche Formen annahm.
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II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
sierung der deutschen Gesellschaft. Eine rückwärtsgewandte Perspektive, die sich vorwiegend mit den Fehlem der deutschen Geschichte beschäftigte, war dafür kaum geeignet, weswegen man sich in der Folge für die Zukunftsperspektive, die günstige Prognose für ein liberaldemokratisches, westlich orien-
tiertes Deutschland, entschied. Nicht allein Perspektive und taktische Gewichtung der US-amerikanischen Umerziehungspolitik verschoben sich, sondern auch die Instrumente dieser Politik. Nach 1947 stand weniger das administrative Handeln im Mittelpunkt demokratischer Wertevermittlung,311 sondern dieser Prozeß wurde partiell auf einer transnationalen Ebene abgehandelt. Als Beispiel möge die Tätigkeit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung „American Civil Liberties Union" (ACLU) dienen, die zwischen 1949 und 1954 in Westdeutschland agierte.312 Langfristig wirksamer noch als die ACLU erwies sich die Gründung der „Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit", die gleich in mehrerer Hinsicht für die Politik der „re-orientation" von Interesse waren:313 Ohne punitive Aspekte waren die Gesellschaften dem Gedächtnis an die Shoah verpflichtet, waren also eindeutig antinationalsozialistisch, gleichzeitig aber mit einer zukunftsorientierten Perspektive. Die Gesellschaften transportierten zusätzlich eine spezifisch amerikanische Ideologiekomponente, den Gedanken der „civil religion".314 Mit „civil religion" war immer auch und darin liegt eine gewisse Nähe zum Pragmatismus der Verzicht auf oder doch zumindest die Zurückstellung von absoluten Wahrheitsansprüchen verbunden. Darüberhinaus erwuchs aus dem Konzept der Ansprach auf religiöse und politische Toleranz, wiederum ein Beleg für die subtiler werdende Form der Auseinandersetzung mit nationaldeutschen Traditonen im Interesse einer amerikanisch -
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geprägten Westlichkeit.315 Vorerst fand sich diese neue Subtilität jedoch nur im Rahmen der Bewältigung nationaler, obrigkeitsstaatlicher, militaristischer und national311
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313 314
315
H.J. Rupieper: Wurzeln, S. 64-69 belegt allerdings vermittels einer Analyse der Direktive P-1, daß auch HICOG weiterhin am Ziel, Westdeutschland aktiv in den Westen einzubinden, testhielt. Gegner einer solchen Westbindung waren selbst für HICOG nicht die Kommunisten, sondern die Vertreter bzw. institutionellen Relikte deutscher obrigkeitsstaatlicher Traditionen. Allg. zur Tätigkeit der ACLU und ihres deutschen Ablegers, des „Bundes für Bürgerrechte" (BfB), s. ebda., S. 286-329, zur finanziellen Unterstützung dieser Aktivitäten durch HICOG s. bes. S. 3261" Im Bfß waren mit Carlo Schmid, Edwin Redslob, Otto Suhr und Inge Aicher-Scholl zudem eine Reihe von Personen aus dem CCF-Umfeld tätig. Vgl. J. Foschepoth: Vergangenheit, S 11 und S. 61ff. Ebda., S. 45. Das Konzept der „civil religion" ist erstmals von Will Herberg: ProtestantCathohc-Jew. An Essay in American Religious Sociology, Chicago 1955 wissenschaftlich untersucht worden, entstammt aber einem aus der aufgeklärten Religionskritik erwachsenen pragmatischen Umgang mit dem religiösen Pluralismus in den USA im Bereich protestantischreförmierter Denominationen. Somit ist das Theorem der „civil religion" kein genuiner Bestandteil der konsensliberalen Ideologie, sondern entspringt altliberalen Religions- und Gesellschaftsdiskursen. Vgl. J. Foschepoth: Vergangenheit, S. 63-66. Auf die enge Verflechtung zwischen den Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit und dem CCF wird noch einzugehen sein.
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sozialistischer Strömungen in der deutschen Geschichte, während die antikommunistische Propaganda oft genug eher plump wirkte. Genau in dieser Situation, Ende 1947, kam es zu den ersten konzeptionellen Vorarbeiten für den „Monat" als ambitioniertem, propagandistisch ausgerichteten Instrument kon-
sensliberaler Wertevermittlung. „Der Monat" stellte gewissermaßen den Versuch des im amerikanischen intellektuellen Milieu siegreich gebliebenen liberalen Konsenses dar, sein Wertesystem nun in Deutschland zu verbreiten und zwar auf einem hohen Niveau sowohl in der antikommunistischen Diskussion wie in der Auseinandersetzung mit nationaldeutschen Werten. Es ist allerdings einzuräumen, daß schon wegen der starken Stellung der „conservatives" bei OMGUS und HICOG von einer eigentlichen kulturellen Hegemonie der Konsensliberalen auf den Gebiet administrativ gesteuerter Wertevermittlung in Deutschland, und dazu gehörte „Der Monat", nicht die Rede sein kann. Anders verhält es sich auf der Ebene transnationalen Wertetransfers. Die Gründung des „Monat" war jedoch keineswegs nur Akt eines selbstsicher gewordenen antikommunistischen „consensus liberalism", sondern zugleich Reaktion auf internationale und deutsche Entwicklungen. Immerhin sahen sich die Amerikaner in Deutschland mit einer, wenigstens zu Beginn, ernstzunehmenden Konkurrenz konfrontiert: dem ideell-kulturellen Angebot der stalinistischen Sowjetunion. Beide Seiten mußten bei dem Versuch, ihr eigenes System intellektuell und politisch einer deutschen Rezeption zugänglich zu machen, erst einmal von vergleichbar ungünstigen Voraussetzungen ausgehen. Antiamerikanismus und Antikommunismus hatten beide eine lange, bedeutsame und folgenreiche Tradition in der deutschen Geistesgeschichte.316 Femer kamen Amerikaner und Sowjets als Sieger, Besatzer und Richter in ein zerstörtes und besiegtes Land.317 Wollte man dauerhaft Einfluß im strategischen Zentrum Europas behalten, so mußten Kompromisse eingegangen werden, die es den Deutschen erlaubten, sich in der Wertewelt der einen oder anderen Seite ohne Verlust eigener Identität zurechtzufinden. Im Vergleich zu der gelegentlich chaotisch anmutenden frühen Kulturpolitik der Amerikaner verfügten die Sowjets über eine Reihe von Vorteilen, die ihnen anfangs fast eine Vorreiterrolle bei der ideell-kulturellen Penetration Deutsch316
Zur Situation in der frühen Nachkriegszeit vgl. dieH Hurwitz: Demokratie und Antikommunis1, S. 109 präsentierten Ergebnisse einer Meinungsumfrage aus dem Februar 1946 in Berlin, wonach 77% der Befragten der UdSSR gegenüber kritisch eingestellt waren, während sich zwar 57% der Berliner als prowestlich bezeichneten, die Briten aber als erheblich sympathischer galten als die Amerikaner. Manfred Jäger: Kultureller Neubeginn im Zeichen des Antifaschismus, in: Alexander Fischer (Hg.): Studien zur Geschichte der SBZ/DDR, Berlin 1993, S. 118 hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Sowjets früh bestrebt waren, über den von der deutschen Bevölkerung nicht sehr begeistert aufgenommenen Topos von der Befreiung vom Faschismus andere, subtilere Konzepte unter Rückgriff auf Traditionen des bürgerlichen Humanismus zu propagieren. Auf diese Weise lag die SMAD-Kulturbürokratie überraschend nah an den Analysen der OMGUSMitarbeiter. mus, Bd.
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Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
lands zukommen ließ: Gerade in den intellektuellen Kreisen Deutschlands wurde die Niederlage des Nationalsozialismus häufig als Niederlage der für das Aufkommen des Nationalsozialismus verantwortlichen traditionellen Gesellschaftsordnung verstanden. Das Konzept der „Stunde Null" versuchte diesem Umstand dadurch Rechnung zu tragen, daß eine möglichst radikale Neugestaltung der deutschen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gefordert wurde. Sozialistische Theorien waren in vielfach modifizierten Varianten, jenseits der Frage nach ihrem praktischen Reformgehalt, weit verbreitet. An diesem Punkt vermochten die Sowjets anzusetzen, konnten doch gerade sie auf ein in der Praxis bewährtes Modell sozialistischer Umwandlung einer Gesellschaft verweisen, so wie die Amerikaner auf die Praxis eines funktionierenden liberalen Modells pochten. Überdies wirkte die sowjetische Kulturpolitik insgesamt stringenter als die strukturell bedingt konfuse Politik der USA. Hinzu kam, daß die „Sowjetische Militäradministration in Deutschland" (SMAD) in der frühen Phase der Besatzung über eine ganze Reihe herausragender Kulturoffiziere verfügte, „hochqualifizierte Intellektuelle",318 die wie ihre amerikanischen Widerparts nicht selten jüdischer Herkunft waren.319 Auf diese Weise gelang es der SMAD-Kulturbürokratie, den deutschen Intellektuellen das ideologische Angebot des Sozialismus auf eine überraschend liberale und pragmatische Art zu präsentieren.320 Trotz enger Zusammenarbeit zwischen SMAD und KPD/SED entstand der Eindruck einer gewissen Offenheit und Überparteilichkeit der Sowjets auf kulturellem Gebiet.321 Bei den Amerikanern verfestigte sich zeitweise der Gedanke, der SMAD schon vor Beginn irgendwelcher konkreter Auseinandersetzungen auf dem Gebiet der Einflußnahme auf deutsche Intellektuelle hoffnungslos unterlegen zu sein.322 Vor allem erschien das Problembewußtsein der Sowjets im Sektor der Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit ausgeprägter zu sein als das der US-Amerikaner. So entstand unter der Ägide von SMAD und KPD/SED, gewissermaßen als Gegenstück zum antitotalitären-liberaldemokratischen oder auch nur antikommunistischen Konsens auf westlicher Seite, eine Art antifaschistisch-„demokratischen" Konsenses, der zur politisch-kulturellen Ratio der Ostzone und dann der DDR werden sollte.323 Der antifaschistische Konsens mit seinem spezifischen Demokratieverständnis wurde bald mit zwei weiteren wichtigen Komponenten verknüpft. Zum einen ging es um die alte -
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318 319 320 321
322 323
W. Schtvelbusch: Vor dem Vorhang, S. 56. Vgl. femer Gerd Dietrich: Politik und Kultur in der SBZ 1945-1949, Bern u.a. 1993, S 13-16. Ebda, S. 59 Ebda., S. 58-60. Ebda., S. 58 führt dies auf die zeitweise „liberale" Kulturpolitik Shdanows zurück. S.a. G. Dietrich: Politik und Kultur, S. 191-196 HJ. Rupieper: Wurzeln, S. 140. Vgl. D. Pke: The Politics of Culture, S. 3-5; s.allg. M. Jäger: Kultureller Neubeginn, S. 117135 sowie den anregenden Essay von A. Grunenberg: Antifaschismus, S. 12-144.
4. Die Situation in Deutschland
131
Forderung nach der Einheit der Arbeiterbewegung,324 wodurch unmittelbar die Sozialdemokratie zum Objekt stalinistischer Interessen wurde, zum anderen fand seit 1946 eine konsequente Adaption des nationalen Gedankens von Seiten der deutschen Kommunisten und der SMAD statt. Indem diese vier strategi-
schen Ziele (sozialistische Demokratie, Antifaschismus, Einheit der Arbeiterbewegung und nationale Einheit) auf eine Weise propagiert wurden, in der genuin stalinistische Töne vorerst nur zurückhaltend eingesetzt wurden, wandten die Sowjets erneut jene Taktik an, die zu Zeiten Willi Münzenbergs so erfolgreich gewesen war. Gerade das strikte Festhalten am Antifaschismus der Kriegszeit führte dazu, daß ein nicht unerheblicher Teil der linksintellektuellen Emigranten in der Ostzone ihre politische Heimat fand.325 Dieser Umstand trag mit dazu bei, schon vor dem Ausbrach des Kalten Krieges auf der Ebene deutscher Intellektueller relativ klare, auf Zonenbasis organisierte Fronten abzustecken, die dann nur noch durch einen Konflikt offengelegt werden mußten. Während sich nämlich in den Westzonen zunehmend Mitläufer des nationalsozialistischen Regimes oder in den Augen der Emigranten nicht durchweg über jeden Zweifel erhabene Vertreter der Inneren Emigration literarisch zu Worte meldeten, blieb die SBZ das Gebiet sozialistisch-antifaschistisch motivierter und dominierter Diskurse. Nur hier schien eine wirklich umfassende, auch soziale und wirtschaftliche Demokratisierung möglich. Für die Verfechter des liberalen Konsenses mußten derartige Forderungen unverständlich bleiben; die Exkommunisten unter ihnen konnten sie aus ihrer besonderen lebensgeschichtlichen Perspektive nur als stalinistische Propaganda wahrnehmen. Doch nicht allein in den Augen linker Antikommunisten wirkte der intellektuelle Führungsansprach der Stalinisten schal. Wie in den späten dreißiger Jahren klafften Anspruch und Wirklichkeit auf nahezu allen Ebenen, sieht man vom unbestreitbar antifaschistischen Charakter des Stalinismus einmal ab, auseinander. Aber gerade dieser antifaschistische Aspekt konnte von liberaler Seite mit Mitteln der Totalitarismustheorie zeitweise erfolgreich desavouiert werden. Noch deutlicher wurde die Legitimationslücke der Stalinisten beim Vorgehen gegen die ostzonalen Sozialdemokraten sichtbar, in dessen Verlauf zwar das Postulat der Einheit der Arbeiterbewegung durch die Gründung der SED im April 1946 eingelöst werden konnte, allerdings auf Kosten selbstgestellter humanitärer Ansprüche.326 Die Fusionspolitik von KPD und SMAD 324 325 326
D. PIKE: The Politics of Culture, S. 17 und bes. S. 38. J. Hermano: Kultur im Wiederaufbau, S. 98f. Zur Fusion von SPD und KPD s. Andreas Malycha: Auf dem Weg zur SED. Die Sozialdemokratie und die Bildung einer Einheitspartei in den Ländern der SBZ. Eine Quellenedition, Bonn 1995; s.a. Helga Grebing u.a.: Zur Situation der Sozialdemokratie in der SBZ/DDR un Zeitraum zwischen 1945 und dem Beginn der 50er Jahre. Gutachten filr die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Marburg 1992. Zur rigiden Abgrenzungspolitik Kurt Schumachers vgl. H.J. Grabbe: Sozialdemokratie, S. 52f. und Kurt Klotzbach: Der Weg zur Staatspartei. Programmatik, praktische Politik und Organisation der deutschen Sozialdemokratie 1945 bis 1965, Berlin-Bonn 1983, S 66-70
132
II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
verstärkte Aversionen, die sich aus willkürlichen Verhaftungen, Deportationen und Demontagen bei der ostzonalen Bevölkerung ergeben hatten, scheint aber im intellektuellen Bereich nur selten zur Abkehr von den Visionen einer antifaschistisch-sozialistischen Demokratie geführt zu haben. Allerdings beschleunigte das Vorgehen gegen die SPD den Willen der US-amerikanischen "liberals,, und ihrer europäischen Verbündeten, sich klarer von den Kommunisten abzugrenzen und intensiver mit den deutschen Sozialdemokraten zusammenzuarbeiten.327 Neben dem zum Teil offen vorgetragenen, zum Teil latent aufrechterhaltenen Führangsansprach der Kommunisten328 gab es zusätzlich eine Reihe tiefer liegender ideologischer Probleme, die sich im Endeffekt negativ auf die kulturell-ideellen Bemühungen der SMAD auswirkten. Besonders deutlich wurden derartig retardierende Momente in der Diskussion über den Demokratiebegriff und in der stalinistischen Debatte über Phänomene hochkultureller
Ästhetik. Auf beiden Ebenen vollzog sich schubweise eine ständig deutlicher werdende Abgrenzung von der westlichen Wertewelt, die parallel zu westlichen
Prozessen der Abgrenzung vom Stalinismus liefen. Erhebliche Brisanz erhielten die demokratietheoretischen Ansätze deswegen, weil „Demokratie" für westliche und kommunistische Intellektuelle gleichermaßen einen Schlüsselbegriff darstellte. Noch vor Ende der Kriegskoalition gegen Hitler, seit dem Herbst 1944, hatten in der UdSSR entsprechende Diskussionen begonnen, in deren Verlauf immer stärker zwischen der wahren sozialistischen Demokratie und der falschen, weil bloß formalen bürgerlichen Demokratie unterschieden wurde.329 Der Begriff der sozialistischen Demokratie betonte dabei innerhalb eines der Aufklärung entstammenden Gesamtkonzeptes, das erst einmal beide Demokratievorstellungen als zwei Seiten einer Münze begriff, den Primat egalitaristischer Vorstellungen vor bürgerlich-individualistischem Freiheitspathos. Egalitarismus wurde jedoch nicht wie in den USA des New
327
W. Schtvelbusch: Vor dem
Vorhang, S.
179 und H. Hurwitz: Demokratie und Antikommu-
nismus, Bd. 3, S. 80 und S. 117 lassen daraufschließen, daß es Konsensliberale waren, die bei
328
329
der Berliner OMGUS-Behörde gegen den Willen von Clay und Murphy 1945/46 Stellung gegen die Dominanzansprüche der Stalinisten bezogen. Vgl. D.Pike: The Politics of Culture, S 165-167. Dieser Führungsanspruch war theoretisch eng mit der ihm zugrundeliegenden vulgäraristotelischen Abbildtheorie in der philosophischen Wahrheitslehre verbunden, die ihrerseits in denkbar krassem Gegensatz zum Wahrheitsrelativismus der US-amerikanischen Pragmatisten stand. B. Mettler: Demokratisierung und Kalter Krieg, S. 371". Den unzureichenden Versuch einer Ehrenrettung der sozialistischen Demokratie im Sinne struktureller Identität mit der westlichen Demokratie hat aus linksrevisionistischer Sicht Victor L. Allen: The Russians Are Coming. The Politics of Anti-Sovietism, Baildon Green 1987, S. 45-139 unternommen. Zum Begriff der „sozialistischen Demokratie" und den marxistischen Kontroversen zwischen Revisionisten und Orthodoxen um den Stellenwert von Demokratie in der marxistischen Doktrin vgl. immer noch Klaus von Beyme: Demokratie, in: Sowjetsystem und Demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie, Bd. I, Freiburg i Br.-Basel-Wien 1996, Sp. 1111-1158, s. bes. Sp. 1139-1149.
4. Die Situation in Deutschland
133
Deal als Bestandteil eines sozialutopisch regulierten Reformismus gedeutet und damit in den Kontext individualistischer Vorstellungen eingegossen, sondern einseitig kollektivistisch interpretiert. Blieben im liberalen Konsens individuelle Freiheit und egalitäre Ansprüche nur oberflächlich versöhnt, so fehlte im Stalinismus sogar jegliches Problembewußtsein für die theoretischen Defizite in der eigenen Rezeption aufgeklärt-demokratischer Weltanschauung. Wenigstens gelang es, die marxistische Wahrheitstheorie, den Führungsanspruch der Kommunisten als Avantgarde der fortschrittlichen Kräfte der Weltgeschichte und das Prinzip der sozialistisch-antifaschistischen Demokratie theoretisch kohärent zu amalgamieren. Konsequent ausgeführt und mit realpolitischen Machtaspekten angereichert, westliche Entwicklungen zu einem strengen Antikommunismus zum Teil nachvollziehend, gleichzeitig aber auch antizipierend mitverursachend, fanden sich die wichtigsten Ideologeme des Nachkriegsstalinismus in der von Shdanow 1947 vorgetragenen „Zwei-Lager"-Theorie.330 Der Vorlauf der „Zwei-Lager"-Theorie reichte zurück bis zur Demokratiekampagne des Jahres 1944. Spätestens seit dem Frühjahr 1947 jedoch perzipierte die sowjetische Führung die Welt zunehmend dualistisch, fast nach dem Muster der Faschismusdiskussionen der dreißiger Jahre.331 Dem Lager der wahren Demokratie, des Fortschritts, des Friedens und des Antifaschismus stand jetzt das Lager der kriegshetzerischen, imperialistischen und faschistischen Reaktion mit seinem Wahrheitsrelativismus und seiner volksfremden Kultur diametral und unversöhnlich gegenüber. Mag „sozialistische Demokratie" bis 1947 noch die Funktion gehabt haben, als Instrument ideologischer Penetration bürgerlicher Kreise zu dienen,332 so erhielt das Konzept in der Folge eine klar abgrenzende Konnotation. Solches galt nicht minder für den ästhetisch-hochkulturellen Bereich. Ebenfalls seit 1947 und in enger Beziehung zur „Zwei-Lager"-Theorie stehend, fingen Sowjets und deutsche Kommunisten an, mit wachsender Schärfe westliche Kulturkonzepte zu attackieren. Im Zentrum stand der aus der Demokratiedebatte entlehnte Formalismusvorwurf an die bürgerlichen Künstler und Intellektuellen.333 Bürgerliche, gerade modern-abstrakte Kunst wurde als für breite Massen unverständlich disqualifiziert. Entsprechend galt sie als elitär, typisches Verfallsprodukt einer degenerierten und dekadenten Gesellschaft, 330
331
332 333
D Pike: The Politics of Culture, S. 471f; M. Heider: Politik-Kultur-Kulturbund, S. 89f.; der Text der Rede findet sich in: Andrej A. Shdanow: Ausgewählte Reden zu Kunst, Wissenschaft und Politik, Ostberhn o.J., S. 115-130. Dies spiegelte sich auch in der Administration wider, wo Ende 1946 mit dem stellvertretenden Außenminister Litwinow ein wichtiger Befürworter der Zusammenarbeit mit dem Westen entlassen wurde, vgl. E Nolte: Deutschland und der Kalte Krieg, S. 223. D. Ptke: The Politics of Culture, S. 26-28. Vgl. W. Schivelbusch: Vor dem Vorhang, S. 61; M Heider: Politik-Kultur-Kulturbund, S. 90ff; D. Ptke: The Politics of Culture, S. 53 Iff.; s. allg. Hans Günther (Hg): Marxismus und Formalismus. Dokumente einer literaturtheoretischen Kontroverse, München 1973, wo auch auf die sowjetischen Wurzeln der Debatte in den zwanziger Jahren eingegangen wird.
134
II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
deren historisch
notwendiger Untergang
in ihrer Kunst
gleichsam
vorweggenommen würde.334 Obgleich man sich damit partiell nationalsozialistischer Terminologie im Umgang mit der Kunst der Moderne bediente, zögerten einige Vorkämpfer der Antiformalismuskampagne nicht, den Nationalsozialis-
Ursache westlicher Kunstproduktion zu erklären: „Der Ausdruck ,westliche Kultur' wurde von schlauen Henkern fabriziert und verbreitet
mus zur von
Hitler und Goebbels Sie brauten dieses Elexier, füllten
es
auf Flaschen, und
heutzutage wird es freizügig serviert von Marshall, Ford, Coca-Cola und ähnlichen, von Standard Oil oder den Fabrikanten der fliegenden Festungen, von abhängigen desinteressierten Philosophen [...]. Für mich ist der Geist der Forschung, der Wissenschaft und der Kultur der Sowjetunion unbestreitbar fortschrittlicher und fruchtbringender als der Geist merkantiler Profite, der in den Vereinigten Staaten herrscht."335 -
Der formalistischen Kunst faschistisch-reaktionär-bürgerlichen Zerfalls wurde alsbald das Konzept des „sozialistischen Realismus"336 entgegengestellt, in dem sich der zukunftsfrohe Optimismus des bald siegreichen Kommunismus für Menschen aller Klassen nachvollziehbar manifestieren sollte. Begleitet wurden diese Theoriedebatten von Verfolgungsmaßnahmen, die nach dem als ideologische Niederlage empfundenen Abfall Titos von der KOMINFORM 1948 noch einmal verschärft wurden. Speziell auf Deutschland bezogen, vollzog sich gleichzeitig und damit auch parallel zur „Entstalinisierung" von OMGUS und RIAS eine „Stalinisierung" der SMAD und des Berliner Rundfunks.337 Der Kurs gemäßigten Eingehens auf deutsche Befindlichkeiten endete 1947, um nur in der unmittelbaren Gründungsphase der DDR 1949/50 für einige wenige Monate erneut aufgenommen zu werden. Handelte es sich bei den Debatten um die „sozialistische Demokratie" und den bürgerlichen ästhetischen „Formalismus" primär um Ausgrenzungsdiskurse, so blieb dennoch das taktisch motivierte Bedürfnis, Einfluß auf die andere Seite zu gewinnen. Aus diesem Grande durften im Verkehr mit westlichen Linksintellektuellen weiterhin nicht unterscheidende Kriterien im Vordergrund stehen, sondern es galt, Motive zu finden beziehungsweise auszubauen, die Gemeinsamkeit zu vermitteln mochten. Dies galt übrigens für Konsensliberale -
-
334
335
336 337
Alexander Abusch: Die Diskussion m der Sowjetliteratur und bei uns, in: Aufbau 6 ( 1950), S. 787 formulierte es recht kompakt: „Eine neue, von hohen Idealen erfüllte Literatur der kommunistischen Umgestaltung des Menschen tritt hier der Dekadenz, Morbidität, Ideen- und Ausweglosigkeit in der spätbürgerlichen Literatur der imperialistischen Länder entgegen. Auch die Literatur wird zu einem Kampfabschnitt im tagtäglichen Wettstreit zwischen Sozialismus und Kapitalismus in der Welt." So zitiert zustimmend Ilya Ehrenburg: Porträt des Dichters Pablo Neruda, in: Aufbau 6 (1950), S 1002 den chilenischen Kommunisten Neruda. In einem Punkt lag Neruda nicht ganz falsch: In der Tat gab es, auch von US-Stiftungen und der CIA finanziell unterstützt, Versuche, westliche Ideen mit Hilfe moderner Kunst zu transportieren. Der vom CCF ausgerichtete Kongreß „Meisterwerke des XX. Jahrhunderts", der 1952 in Paris stattfand, ist ein Beispiel für derartige Praktiken. Der Rest der Argumentation entzieht sich rationalen Kriterien. D. Pke: The Politics of Culture, S. 223ff. Vgl. W. Schtvelbusch: Vor dem Vorhang, S. 196ff.; zur SMAD ist bes. der dogmatische Kurs zu beachten, den Alexander Dymschitz wesentlich verkörperte, s. ebda., S. 198f und M. Heider: Pohtik-Kultur-Kulturbund, S. 90ff.
4. Die Situation in Deutschland
135
und Stalinisten gleichermaßen. Keine der beiden Seiten konnte es dabei belassen, das eigene Lager zu konsolidieren, sondern strebte stets auch nach lagerübergreifenden Möglichkeiten kulturell-ideeller Präsenz. Auf stalinistischer Seite boten sich dafür die Friedensthematik, auf die im Zusammenhang mit der zweiten „feuow-traveller"-Bewegung noch näher einzugehen sein wird, und der Antifaschismus an. Beide Themenbereiche konnten global instrumentalisiert werden. Deutschlandspezifischer war der Versuch, die Friedenskampagne in eine Neutrahtätskampagne einzuschmelzen und damit zugleich einen weiteren, nicht sofort als stalinistisch erkennbaren Sinnzusammenhang dauerhaft zu besetzen: das Gedenken an die Einheit des deutschen Nationalstaates. Dabei kam es der SMAD zugute, daß der führende ostzonale Kulturpolitiker, Johannes R. Becher, Kommunist und gleichzeitig glühender Nationalist war.338 Die Anfange der sachlich wie zeitlich miteinander vernetzten NationalstaatsFriedens- und Neutrahtätskampagnen lagen im September 1946, als SED und SMAD anfingen, gegen die britisch-amerikanischen Bizonenpläne zu polemisieren, und sich für den Erhalt eines zentralistisch verfaßten deutschen Nationalstaates aussprachen. Seit 1947 wurden sie dann zentraler Bestandteil antiamerikanischer SED- und Kulturbundspropaganda.339 Eine weitere Kampagne, welche die Nationalstaatspropaganda defensiv wie offensiv wirkungsvoll begleitete, ergab sich aus den Debatten um den westlichen Kosmopolitismus, die seit Ende der vierziger Jahre Bedeutsamkeit erlangten.340 Mit Hilfe des Antikosmopolitismus konnte sowohl gegen jüdische „Liberale" in den verschiedenen kommunistischen Parteien agitiert als auch die amerikanisch dominierte europäische Einigungsbewegung angegriffen werden. Als Zielgrappe der nationalen Kampagnen dienten bürgerlich-protestantische, nationalneutralistische Kreise in den Westzonen und der frühen Bundesrepublik ebenso wie die Sozialdemokraten, deren Parteivorsitzender Kurt Schumacher einem kongenialen, wenn auch antikommunistisch motivierten Nationalismus anhing. Den US-amerikanischen „liberals" mußte bürgerlicher, sozialdemokratischer und kommunistischer Nationalismus gleichermaßen obsolet erscheinen. Mit ihren ,
338 339 340
M. Jäger: Kultureller Neubeginn, S. 119. Vgl. zur Ideologie Bechers a. G Dietrich: Politik und Kultur, S. 19. D. Pike: The Politics of Culture, S. 255f. Eine Verbindung aller Elemente lieferte wieder einmal A. Abusch: Diskussion, S. 786 und S.
788, der etwa Arthur Koestler als „gekauftes Lümpchen" bezeichnet, dessen Kosmopolitismus ein „zerschlissenes und zerfetztes Feigenblatt für die Geisteshaltung eines Brandstifters" sei; dem Kosmopolitismus wird „Heimatlosigkeit" vorgeworfen. Im Gegenzug erläuterte Abusch: „Wir kämpfen für eine nationale deutsche Literatur, die durchdrungen ist von der Größe eines kämpferisch demokratischen Geistes." Diese Literatur müsse sich in den Bahnen fortschrittlicher Traditionen bewegen, friedliebend und freiheitlich sein, was nur möglich sei, wenn man sich an den Errungenschaften der russischen Revolution von 1917 orientiere. Gegen die „literarischen US-Apologeten" forderte auch ein linker Sozialist wie P. Ruhmkorf: Jahre, S. 44, „unsere eigene nationale Kulturrevolution plus Studium und Propagierung unserer nationalen Linksklassik." Vgl. D. Pke: The Politics of Culture, S, 103 und bes. S. 560ff. zum Zusammenhang zwischen Antikosmopolitismus und Nationalismus in der entsprechenden SED-Kampagne
136
II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Forderungen nach einer kosmopolitisch ausgerichteten Intellektualität und nach politischer Einigung Europas gedachten sie, alle drei Rivalen auf einmal zu treffen.
Was bislang eher abstrakt angedeutet wurde, kann recht anschaulich
an
der
Entwicklung des „Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" expliziert werden. Der Kulturbund und sein Schriftstellerkongreß von 1947 waren zumindest ein Auslöser für die Gründung des „Monat" und damit auch indirekt eine spezifisch deutsche Voraussetzung für den CCF. Am 3. Juli 1945 war der Kulturbund mit dem erklärten Ziel der „kulturell-moralisch-geistigen Erneuerung" Deutschlands341 auf dezidiert antifaschistischer Basis gegründet worden. Das von Johannes R. Becher, dem Präsidenten der Organisation, verfaßte Manifest forderte zu diesem Zweck einen innigen Austausch zwischen Volk und Intellektuellen, fast eine Vorwegnahme der Gedanken des Antiformalismus.342 Mitte 1946 verfügte der Kulturbund allein in Berlin über rund 9.000 Mitglieder.343 Obgleich die Organisation anfangs von allen vier Besatzungsmächten gefördert wurde,344 handelte es sich doch um eine typische „fellowtraveller"-Bewegung im Stile Willi Münzenbergs, deren Wert ja gerade darin lag, daß nicht jedermann sogleich die verdeckten kommunistischen Intentionen, um die es den Initiatoren eigentlich ging, zu erkennen vermochte.343 Vor allem zeigt sich die Übernahme klassischer „fellow-traveller"-Organisationsformen in dem Versuch, eine breite Sammlung ideologisch divergierender intellektueller Kräfte bürgerlich-liberaler, sozialdemokratischer und sogar katholischer Provenienz zu erreichen. Überdies sollten Emigranten, Vertreter der Inneren Emigration und selbst Mitläufer einbezogen werden.346 Daneben wurde aber 341 342 343
344 345
346
W. Schtvelbusch: Vor dem Vorhang, S. 119. Vgl. D. Pke: The Politics of Culture, S. 80-87. W. Schtvelbusch: Vor dem Vorhang, S. 128; M Heider: Politik-Kultur-Kulturbund, S. 42f. beziffert die Mitgliederzahl für Berlin zum gleichen Zeitraum nur auf 6.000. S. Bock: Schriftstellerkongreß, S. 64, geht insgesamt für 1947 von 100.000 Mitgliedern aus. Vgl. allg. Norman M. Naimark: The Russians in Germany. A History of the Soviet Zone of Occupation, 19451949, Cambridge-London 1995, S. 400-408. M. Heider: Politik-Kultur-Kulturbund, S. 153f. W. Schtvelbusch: Vor dem Vorhang, S. 123 nennt ausdrücklich den Pariser Kulturkongreß von 1935 als Vorbild für den Kulturbund; vgl. a. S. 125 mit dem Hinweis, daß es Becher zumindest bis 1950 gelungen sei, die Rolle Münzenbergs als Verbindungsmann der Partei zu den bürgerlichen Intellektuellen wahrzunehmen, was ihm schon deswegen leicht gefallen sein dürfte, weil er im Gegensatz zu Münzenberg dem Bildungsbürgertum entstammte. Auf der anderen Seite vermerkt W. Schtvelbusch: ebda., S. 154, der Kulturbund sei erst im Gefolge des Kalten Krieges zu einer „fellow-traveller"-Organisation geworden. J. Hermand: Kultur im Wiederaufbau, S. 60ff. hingegen hält den Kulturbund für eine organisatorische Fortsetzung der radikaldemokratischen, antifaschistischen Einheitsfront der Exilzeit. W. Schtvelbusch: Vor dem Vorhang, S. 136ff. weist daraufhin, daß sich Becher persönlich um den Beitritt von Gerhard Hauptmann, Wilhelm Furtwängler, Herrmann Hesse, Ricarda Huch, Elisabeth Langgässer, Reinhold Schneider, Hans Carossa und Ernst Wiechert bemüht habe. Nur bei Thomas Mann scheiterte Becher an den Vorbehalten Manns, die aus dessen Kontroverse mit Walter von Molo rührten. Z.T. riefen Bechers Bestrebungen den Widerstand orthodox stalinistischer Kreise hervor, so wie zuvor auch Münzenberg nicht immer nur wohlwollend betrachtet
4. Die Situation in Deutschland
137
verdeckten Führangsansprach der KPD/SED festgehalten.347 Dem widerspricht auch nicht, daß Becher seit September 1946 innerhalb der SMAD, insbesondere von dem SMAD-Kulturbeauftragten Alexander Dymschitz348 und dem Leiter der Informationsabteilung Sergej Tulpanow wegen des angeblich übertrieben bürgerlichen Charakters seiner Organisation angegriffen worden ist. Auch Münzenberg war von den Verfechtern stalinistischer Orthodoxie oft genug nicht akzeptiert worden. Unterstützung fand Becher dagegen beim Leiter der Politischen Abteilung der SMAD, Wladimir Semjonow.349 Allerdings zeigte der Kulturbund bei den Bemühungen um eine ideell-kulturelle Penetration nicht nur der Ostzone ein besonderes Maß an Flexibilität und partieller Selbständigkeit. Nur so ist der bis 1947 anhaltende zonenübergreifende Erfolg der Organisation zu verstehen. Neben der personellen Verflechtung mit der KPD/SED sprechen außerdem die inhaltlichen Aussagen führender Kulturbundvertreter für die Kategorisierung als „fellow-traveller"-Organisation. Mit einiger Konsequenz machte sich der Kulturbund zum Sprachrohr des stets am
antifaschistisch-„demokratischen" Konsenses und seiner ideologischen Grund-
Beispielsweise trat Alfred Kantorowicz bei jeder sich bietenden Gelegenheit für eine strikte Neutralitätspolitik im Hinblick auf Deutschland ein.350 Johannes R. Becher trag Sorge für das ausgeprägt nationale Selbstverständnis der Organisation.351 Nachdem sich dann die sowjetische Kulturpolitik in der Ostzone 1946/47 verstärkt abgrenzenden Tendenzen zuwandte, veränderte sich folgerichtig auch der Charakter des Kulturbundes, ohne aber den gesamtdeutschen Ansprach aufzugeben. Dennoch lösten sich im Laufe des Jahres 1947/48 weite Kreise der bürgerlichen und katholischen Intellektuellen von der Organisation.352 Im muster.
November 1947 kam es dann zum Verbot des Kulturbundes im amerikanischen und britischen Sektor Berlins, was mit der scharf antiamerikanischen Propaganda von Seiten führender Kulturbundrepräsentanten begründet wurde.353
347
348 349
350 351 352 353
worden war. Hinsichtlich der Kulturbundführung weist W. Schtvelbusch: Vor dem Vorhang, S. 128 neben Becher auf Alexander Abusch und Klaus Gysi hin, hinzu kämen Anna Seghers, Robert Havemann, Wolfgang Harich und bis 1947 Theodor Plievier, s.a. M. Heider: Politik-Kultur-Kulturbund, S. 40. Zur inhaltlichen Abstimmung zwischen Kulturbund und KPD/SED vgl. M. Heider: ebda., S. 60f Bei H. Spiel: Welche Welt?, S.24 und S. 70, firmiert Dymschitz wahlweise unter der Rubrik
„widerwärtig" oder „unsympathisch". W. Schtvelbusch: Vor dem Vorhang, S. 158f. Zu den Kontroversen um den Kulturbund innerhalb der SED-Führung s. W. Schtvelbusch: ebda., S. 166f ; vgl. zudem M. Jäger: Kultureller Neubeginn, S. 124, der darauf hinweist, daß es eine Reihe deutscher Kommunisten gab, die die Kulturpolitik der SMAD und Bechers als zu tolerant empfanden. J. Hermand: Kultur im Wiederautbau, S. 61f. W. Schtvelbusch: Vordem Vorhang, S. 128. M. Heider: Politik-Kultur-Kulturbund, S. 110 und S. 115. W. Schtvelbusch: Vor dem Vorhang, S. 157; vgl. a. D Pike: The Politics of Culture, S. 384 und H. HuRWTTZ: Die Stunde Null, S 327. Die Antiamerikanismuskampagne des Kulturbundes stand m engem chronologischen Zusammenhang mit den gleichzeitig seit September 1946 in der
138
II Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Neben den Vertretern von OMGUS waren es vor allem die westzonalen Sozialdemokraten, die Kritik an der politischen Ausrichtung des Kulturbundes übten. Die oppositionelle Haltung der SPD lag auf unterschiedlichen Ebenen begründet. Ausgangspunkt war naturgemäß die Gegnerschaft zur SED nach der Zwangsftision von KPD und SPD in der Ostzone. Diese gleichermaßen moralisch wie politisch bedingte Situation der SPD wurde noch verschärft, als es den Sozialdemokraten auf dem Bundeskongreß des Kulturbundes vom 20/21. Mai 1947 nicht gelang, eine Mehrheit der Delegierten hinter sich zu bringen.354 Zugleich stand hinter dem spannungsreichen Verhältnis zwischen kommunistisch dominiertem Kulturbund und westzonaler Sozialdemokratie auch die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis zwischen Sozialdemokraten und linken Intellektuellen in Deutschland. Traditionell mochte zwar die SPD die Partei der politisch interessierten und gesellschaftskritischen Intellektuellen gewesen sein, doch war dieser Ansprach seit der Frühzeit der Weimarer Republik obsolet geworden. Der SPD hafteten gleichzeitig das Stigma des angeblichen Verrates an der deutschen Revolution und der Stallgerach der Funktionärspartei an, deren politisches Personal durch die „Ochsentour" rekrutiert wurde. Dadurch entstand dann das Potential für das „fellow-traveller"Wesen in Deutschland,355 das im Kulturbund konkreten organisatorischen Ausdruck erhielt. Wer auch immer ein Interesse daran hatte, einer künftigen liberalen Demokratie in Deutschland das destabilisierende Moment einer breit gestützten „fellow-traveller"-Bewegung zu ersparen, mußte Sorge dafür tragen, daß es Foren gab, in denen es zu einem fruchtbaren Austausch zwischen Intellektuellen und SPD kommen konnte. So bestätigte sich im Konflikt um den Kulturbund, was sich bereits in dem Fusionskampf des Jahres 1945/46 abgezeichnet hatte: Die rechten New Dealer aus den USA und die SPD wurden dann zu natürlichen Verbündeten, wenn es im Interesse einer liberalen Demokratie gegen stalinistische Hegemonialansprüche ging. Dennoch blieben beide Seiten, „liberals" und Sozialdemokraten, auch eigenen Interessenlagen verpflichtet. Solange nämlich Kurt Schumacher an seinem nationaldeutschen Kurs festhielt und solange die SPD wenigstens formal an marxistischen Programmrelikten orientiert blieb, mußte sie von US-amerikanischer Seite als dringend reformbedürftig eingeschätzt werden. Dies galt umso mehr, wenn man nach dem Vorbild des amerikanischen Konsensliberalismus zu einer antitotalitären Aktionseinheit aus Liberalen, Sozialdemokraten und Linksintellektuellen kommen wollte. In den Augen der
354 355
Ostzone laufenden antiamerikanischen Bestrebungen in der SED-Propaganda. W. Schtvelbusch: Vor dem Vorhang, S. 130. Vgl. H. Hurwitz: Demokratie und Antikommunismus, Bd. 2, S. 72f. und W. Schtvelbusch: Vor dem Vorhang, S. 1471". Die These von Merle Curtis Krueger: Authors and the Opposition. German Writers and the Social Democratic Party from 1945 to 1969, Stuttgart 1982, S. 7-9, die Mehrheit der deutschen Linksintellektuellen sei antistalinistisch und SPD-nah gewesen, trifft so wohl erst nach 1947/48 fur die Westzonen zu
5. Die
Gründung des „Monat"
139
liberalen Amerikaner bedurfte die SPD einer personellen und ideellen Neuorientierung, die durchaus auf bereits vorhandenen Reformpotentialen in der Partei aufbauen konnte. Aus den Konflikten der Jahre 1945 bis 1947 ergab sich so nicht allein ein Bündnis zwischen SPD und US-amerikanischen „liberals", sondern auch ein weites Tätigkeitsfeld für die Missionare des rechten New Deal in der SPD.356 „Der Monat" und der CCF waren unter anderem Instrumente, um die personellen, inhaltiichen und organisatorischen Rahmenbedingungen für eine mit US-Vorbildem kompatible Reform der SPD zu schaffen.
5. Die
Gründung des „Monat"
Ehe es allerdings zur Gründung des „Monat" kommen konnte, mußte der Prozeß der Lagerbildung innerhalb der beiden globalen Hegemonialsysteme auch auf der Ebene deutscher Intellektueller weit genug vorangeschritten sein, um insbesondere den Gedanken an die nationale Einheit Deutschlands zugunsten weltanschaulich motivierter Konfliktlagen zu relativieren. Das Wirken amerikanischer oder sowjetischer Kulturoffiziere allein würde eine derartige Situation kaum herbeigeführt haben. Nur die Verbindung innerdeutscher Rivalitäten mit fremdbestimmten Interessen, für die Deutschland in seiner Lage ausgesprochen günstige Voraussetzungen aufwies, konnte sinnvoll ausgenutzt werden, um auch die deutschen intellektuellen in den größeren Zusammenhang des Kalten Krieges einzubringen. Die große Chance, wenigstens bei den westdeutschen intellektuellen einen Prozeß der Adaption an die neuen politischen und geistigen Realitäten in Gang zu setzen, ergab sich auf dem 1. gesamtdeutschen Schriftstellerkongreß vom 4. bis 8. Oktober 1947 in Berlin,357 der dann schließlich zum Auslöser für das Verbot des Kulturbundes werden sollte. Die Idee zu dem gesamtdeutschen Literatentreffen stammte aus der Führungsspitze des Kulturbundes, an der Einladung war dann zusätzlich der „Schutzverband deutscher Autoren" (SDA) beteiligt.358 Schon aus dieser Doppelstruktur in der Organisation lassen sich bereits für die Planungsphase unterschiedliche konzeptionelle Vorstellungen 356
Der Einsatz US-amerikanischer Literaten und Gewerkschafter bei der demokratischen Umgestalvon konservativen Kritikern oft als zu gering veranschlagt, s. Norbert Mühlen an David Dubinsky (Chef der ILGWU) vom 10.5.1949, NL Mühlen, Box 18. Zum Gesamtthema vgl. Ursula Reinhold/Dieter Schlenstedt: Der Erste Schriftstellerkongreß 1947, in: Neue Deutsche Literatur 38 (1990), S. 9-38. Als Quellenbasis jetzt maßgeblich: Ursula Reinhold/Dieter Schlenstedt/Horst Tannenberger (Hg): Erster Deutscher Schritstellerkongreß, 4.-8. Oktober 1947. Protokoll und Dokumente, Berlin 1997, s. bes. S. 294370. W. Wende-Hohenberger: Schriftstellerkongreß, S. 5.
tung Westdeutschlands wurde
357
358
140
II. Die Vorgeschichte des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
zu erheblichen Konflikten führen sollten. Der Auftritt von Melvin J. Lasky bildete am Ende ihren Höhepunkt, war aber keinesfalls der Auslöser dieser Rivalitäten. Im Grunde spiegelten sich in den unterschiedlichen Vorstellungen von Kulturbund und SDA die divergie-
ablesen, die im Verlauf des Kongresses
Konzepte von Emigration und Innerer Emigration hinsichtlich der politischen Wirksamkeit des Schriftstellers wider. Während der SDA eine praxisorientierte Tagung über Verleger- und Autoreninteressen in wirtschaftlich schwerer Zeit anstrebte, ging es dem Kulturbund um bedeutend mehr:359 Der Kreis um lohannes R. Becher wollte die Fragen nach der Bewältigung deutscher Vergangenheit unter antifaschistischen Prämissen ebenso thematisieren wie die Verantwortlichkeit der Schriftsteller für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der einen deutschen Nation sowie der Sicherung des Friedens. Angesichts des beginnenden Kalten Krieges sollte eine Einheitsfront deutscher antifaschistischer Schriftsteller aus Emigration und Innerer Emigration hergestellt werden.360 Damit tauchten sämtliche für „fellow-traveller" wichtige Schlüsselbegriffe des antifaschistisch-„demokratischen" Konsenses auf Bechers Tagesordnung auf. Dennoch spricht der Verlauf der Tagung gegen die Annahme, es habe sich um eine ausschließlich kommunistisch dominierte Propagandaveranstaltung gehandelt. Insgesamt folgten zwischen 250 und 300 Intellektuelle sowie Berichterstatter aus aller Welt dem gemeinsamen Aufruf von Kulturbund und SDA.361 Auffällig war jedoch, daß fast nur Nichtkommunisten aus der Inneren Emigration in Berlin anwesend waren, während die Emigration überwiegend durch Kommunisten vertreten wurde. Prononciert antikommunistische Intellektuelle aus der Emigration, wie Hermann Kesten oder Manfred George, glänzten durch Abwesenheit. Dennoch verliefen die Debatten ausgesprochen kontrovers. Johannes R. Becher zeichnete gleich zu Beginn des Kongresses die Linie der Kulturbundführang nach: Er verlangte eine politische, antifaschistische, vom renden
Willen zum Frieden getragene deutsche Literatur und damit einen gesamtdeutsch-nationalen Beitrag zu einer künftigen gerechten Weltordnung. Außerdem verteidigte er vergleichsweise zurückhaltend Thomas Mann gegen die
359
360 361
Ebda., S. 7,
s.a.
S. 26 mit dem
Hinweis, daß die Vorstellungen des SDA nur von einer Min-
derheit geteilt worden seien; vgl. M. Heider: Poltik-Kultur-Kulturbund, S. 78ft"; J. Hermand: Kultur im Wiederaufbau, S. 1071'.; H. Mayer: Deutscher auf Widerruf, S. 36-40. Vgl. zur Friedensthematik auf dem Schriftstellerkongreß D Pike: The Politics of Culture, S. 378, zur nationalen Topologie: ebda., S. 576ff. W. Wende-Hohenberger: Schriftstellerkongreß, S. 5; s.a. S. Bock: Schriftstellerkongreß, S. 66. Waltrud Wende-Hohenberger: Quo vadis, Deutschland? Zur literarischen und kulturpolitischen Situation der Jahre zwischen 1945 und 1949 (Massenmedien und Kommunikation 67/68), Siegen 1991, S. 118f führt als Teilnehmer u.a. Elisabeth Langgässer, Alfred Kantorowicz, Axel Eggebrecht, Anna Seghers, Hans Mayer, Rudolf Hagelstange, Ernst Pentzoldt, Arnold Bauer, Stefan Hermlin, Erich Weinert, Willi Bredel, Wolfgang Harich, Wilhelm E. Süskind, Alexander Abusch, Rudolf Leonhard, Johannes R. Becher, Klaus Gysi und Ernst Rowohlt an.
5. Die
Gründung des „Monat"
141
Molos.362 Insgesamt blieb Becher eher
um eine ausAttacke auf Harich mit seiner gleichende Tonlage bemüht, während Wolfgang die Innere Emigration363 sowie Stefan Hermlin und Anna Seghers mit ihren apodiktisch vorgetragenen Forderungen nach einer bewußt politischen Literatur364 erheblich mehr Schärfe in die Debatten hineintrugen. Widerspruch erhob sich von Seiten Elisabeth Langgässers, Rudolf Hagelstanges365 und besonders von Günther Birkenfeld und seiner Frau. Birkenfeld war es dann auch, der am Ende zum eigentlichen Eklat des Kongresses beitrug. Am zweiten Tag der Veranstaltung hatte Oberstleutnant Alexander Dymschitz für die SMAD und die sowjetische Delegation eine Rede gehalten, in der er ausführte: „Als sowjetischer Literat und als Offizier der großen Armee, die sich im Namen von Frieden und Freiheit mit dem Faschismus schlug, möchte ich Ihnen sagen, daß wir in dem Kampf gegen Gewalt und Willkür, den die fortschrittliche Demokratie führte und führt, mit Ihnen gemeinsam Aufgaben hatten und haben und die erste von ihnen ist der Sieg über die imperialistische Reaktion, über die Ideologie des Militarismus, über die Propaganda des räuberischen Krieges. Und darum habe ich keinen Zweifel, daß die neue demokratische deutsche Literatur ebenso wie die sowjetische Literatur zwei Worte auf ihre Fahne schreibt einfache und kurze, aber befeuernde und mächtige Worte: Frieden und Freiheit."366 Das war die Sprache des Kalten Krieges mit allen loci classici stalinistischer Polemik. Interessant war bestenfalls der späte Versuch, dem Westen den Freiheitstopos streitig zu machen. Deutlich antiamerikanische Töne hatten zuvor Alexander Abusch und die sowjetischen Autoren Wselowod Wischnewski, Valentin Katajew und Boris Gorbatow angeschlagen.367 Nachdem Günther Birkenfeld am dritten Tag das Kongreß-
Vorwürfe Walter
von
-
362 363
364 365
366
367
W. Wende-Hohenberger: Quo vadis, S. 27-38. Vgl. D. Lattmann/H. Vormweg: Literatur, Bd. 1, S. 52-55; s.a. Wolfgang Grothe: Bericht vom 1. Deutschen Schriftstellerkongreß vom 4.-8.10.1947 in Berlm, in: Das goldene Tor 2(1947), S. 1119f.; vgl. femer S. BOCK: Schriftstellerkongreß, S. 67, die Elisabeth Langgässer, Ricarda Huch und Edwin Redslob kritisiert, weil diese nur zu einer psychologisierenden, nicht aber sozioökonomische Umstände nationalsozialistischer Machtausübung mitbedenkenden Reflexion über den Nationalsozialismus fällig gewesen seien. Zudem hätten sie, im Gegensatz zur Mehrheit der Teilnehmer, an bürgerlichen, formaldemokratischen Vorstellungen von Demokratie festgehalten. W. Wende-Hohenberger: Schriftstellerkongreß, S. 18f. Rudolf Hagelstange: Menschen und Gesichter, München 1982, S. 42-45. Hagelstange war, wie Plievier, zeitweise Funktionär des Kulturbundes gewesen und brachte aus dieser Zeit eine heftige Aversion gegen Becher mit. W Wende-Hohenberger: Schriftstellerkongreß, S. 48. Dymschitz gehörte zu den radikal antiwestlichen Vertretern der SMAD Kurz vor dem Kongreß hatte er westliche Kunst und Kultur rundweg als asozial disqualifiziert, im November 1947 griff er auch Sartre und den Existentialismus mit scharfen Worten an, vgl. D. Pike: The Politics of Culture, S. 376 und M.
Jäger: Kultureller Neilbeginn, S. 119. D. Pike: The Politics of Culture, S. 376 und S. 381. Damit folgten Ostdeutsche und Sowjets dem im September von Shdanow und der KOMINFORM-Führung festgelegten Propagandakurs, auf den sich inzwischen auch SMAD und SED eingelassen hatten, vgl. ebda., S. 375.
142
II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Präsidium innehaben sollte, trafen er, seine Frau und der Berliner Korrespondent von „New Leader" und „Partisan Review", Melvin J. Lasky, sich in der Nacht zum 6. Oktober in Birkenfelds Wohnung. Ohne Rücksprache mit dem Kulturbundpräsidium setzte Birkenfeld Lasky für den kommenden Tag auf die Rednerliste.368 Lasky war übrigens keineswegs der einzige westliche Beobach-
ter auf dem
Treffen. Für die Briten
war
Peter de Mendelssohn mit seiner Frau
Spiel anwesend, für die US-Amerikaner Michael Josselson.369 Laskys Rede war weltanschaulich nicht minder geschlossen als die seiner sowjetischen Kontrahenten. Unter Hinweis auf die durch den Nationalsozialismus am deutschen Geist angerichteten Verwüstungen leitete er augenblicklich Hilde
zur Globalkritik totalitärer Gesellschaften über, um danach die der amerikanischen Gesellschaftsordnung innewohnende Freiheit mit all ihren intellektuellen Möglichkeiten zu loben. Im Zentrum von Laskys Beitrag stand dabei nicht die Forderung nach einer unpolitischen Literatur, die er ebensowenig wollte wie die Stalinisten, sondern der Gedanke, Schriftsteller dürften nicht Werkzeuge der Regierenden sein. Abschließend forderte er, auf die kurz zuvor erfolgte Verschleppung der Schriftsteller Achmatowa und Oschenko hinweisend, den „Kampf um die kulturelle Freiheit."370 Mit dem Konzept der kulturellen Freiheit griff Lasky erkennbar auf John Dewey und das „Committee for Cultural Freedom" von 1939 zurück und bildete somit das gedankliche und chronologische Zwischenglied zum CCF. Die Rede Melvin Laskys endete im Tumult. Valentin Katajew fiel die Aufgabe zu, den Standpunkt der Sowjetdelegation unmißverständlich klarzumachen: „Ich habe die Rede des unbekannten Schriftstellers Lasky gehört. Ich bin sehr erfreut, endlich einen lebenden Kriegstreiber zu Gesicht zu bekommen."371 Danach verließ die SMAD-Delegation den Kongreß. Obwohl noch zwei Resolutionen gegen den Antisemitismus und die Gefahr der Spaltung Deutschlands angenommen wurden, war klar, daß die Intentionen der Veranstalter gescheitert waren. Die Brachlinien innerhalb der deutschen Literaten waren sichtbar geworden, an eine Einheitsfront west- und ostdeutscher Schriftsteller war nun nicht mehr zu denken. Dabei ist es dann zweitrangig, ob Laskys Redebeitrag wirklich eine gezielte Provokation von Seiten der OMGUS-Kulturbehörden
368
369 370
Ebda., S. 473. Zu den neben den Birkenfelds aktivsten Opponenten der Kommunisten auf dem Kongreß zählte Rudolf Hagelstange, der später zusammen mit Birkenfeld im CCF aktiv werden sollte, s. D. Pke: ebda., S. 380f. H. Spiel: Welche Welt?, S. 70£f. W. Wende-Hohenberger: Schriftstellerkongreß, S. 88-90, Zitat auf S. 90; vgl. D. Pke: The Politics of Culture, S. 381f. und D. Lattmann/H. Vormweg: Literatur, Bd. 1, S. 55-57. Lasky verbreitete den Grundgedanken seiner Rede bald auch im „New Leader" und dem sozialdemokratischen Pressedienst, vgl. U. Reinhold/D. Schlenstedt: Schriftstellerkongreß, S. 23, die
Lasky „hysterische Züge" unterstellen; sa H. Mayer: Deutscher auf Widerruf, S.
371
Bock: Schriftstellerkongreß, S. 71 f. W. Wende-Hohenberger: Schriftstellerkongreß, S. 25.
390f. und S.
5 Die
Gründung des „Monat"
143
gewesen ist oder nicht.372 Selbst wenn Lasky von der ICD zu seiner Rede animiert worden wäre, was nicht ganz unwahrscheinlich ist, verursachte er
damit keine Spaltung der deutschen Schriftsteller, sondern nutzte bestenfalls bereits vorhandene Antagonismen aus. Ganz im Sinne der in den USA laufenden ideologischen Klärungsprozesse sollten auch die deutschen Intellektuellen sich darüber klar werden, welche Koalitionen aus liberaldemokratischer Sicht akzeptabel waren und welche nicht. Auf diese Weise wurde der 1. deutsche Schriftstellerkongreß zu einer wichtigen ideologischen Wegmarke hin zum CCF. Nicht zuletzt leitete er den Aufstieg Melvin J. Laskys ein.373 Mit dem disharmonischen Ende des Literatentreffens in Berlin hatten die Stalinisten den Klimax ihrer ideell-kulturellen Penetration der Westzonen erreicht. Fortan blieben ihre direkten Einwirkungsmöglichkeiten auf die Ostzone und die DDR beschränkt, womit nicht gesagt sein soll, daß es in Deutschland nicht weiterhin indirekte Formen der Einflußnahme auf den Westen gegeben habe. Gerade Avancen an nationalneutralistische Kreise und friedensorientierte Linksintellektuelle boten die Chance, den Export des eigenen Systems ideologisch zu flankieren. In der Ostzone wurde 1948 dann das Konzept eines besonderen deutschen Weges zum Sozialismus unter den Vorzeichen des breit angelegten antifaschistisch-„demokratischen" Konsenses aufgegeben, und die SED erhielt endgültig den Status einer Partei stalinistischen Typs. Damit war eine interne Entwicklung abgeschlossen, die spätestens seit Ende 1946
ideologisch eingeleitet worden war.374 372
373
374
Eine entsprechende These ist von H. Mayer: Die umerzogene Literatur. Deutsche Schriftsteller und Bücher 1945-1967, Berlin 1988, S. 361'., W. Wende-Hohenberger: Schriftstellerkongreß, S. 29; M. Ketterle: Der Monat, S. 411". und S. Bock: Schriftstellerkongreß, S. 71f, aufgestellt worden. Aus konservativer Sicht hat D. Pike: The Politics of Culture, S. 473, dagegen eingewendet, es sei Lasky nicht um ein Ende des Dialoges mit den Kommunisten gegangen, sondern um eine Antwort auf massive antiamerikanische Propaganda. Die für nichtkommunistische Beobachter fast befreiende Wirkung von Laskys Rede betont Gerhard Löwenthal: Ich bin geblieben Erinnerungen, München-Berlin 1987, S. 162f. Die von S. Bock: Schriftstellerkongreß, S. 74 und W. Wende-Hohenberger: Schriftstellerkongreß, S. 29, aufgestellte These, der CCF sei eine direkte Reaktion auf den 1. deutschen Schriftstellerkongreß gewesen, entbehrt allerdings jeder sachlichen Grundlage. Schon WendeHohenbergers chronologischer Ansatz, nach dem der CCF 1948 gegründet worden sei, ist falsch. Überdies verkennt diese These den weitgehend nichtdeutschen Horizont, vor dem der CCF gegründet worden ist. Wilfried Loth: Ziele sowjetischer Deutschlandpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Klaus Schonhoven/Dietrich Starttz (Hg.): Sozialismus und Kommunismus im Wandel. Hermann Weber zum 65 Geburtstag, Köln 1993, S. 303-323, und Dietrich Staritz: Partei, Intellektuelle und Parteiintellektuelle. Die Intellektuellen im Kalkül der frühen SED, in: ebda., S. 378-398, tendieren aus unterschiedlichen Fragestellungen heraus dazu, einen tiefen, faktischen Bruch für das Jahr 1948 anzunehmen. Hier wird demgegenüber eher der prozeßhafte Charakter des Vorgangs betont. Demnach sind seit 1945/46 in der kommunistischen Propaganda zunehmend Konsenstopoi durch Abgrenzungstopoi ersetzt worden, allerdings eher auf der Ebene systemintemer Diskurse. Davon unberührt blieben Konsenstopoi, die für „fellow-travellers" instrumentalisiert wurden. Im Hinblick auf die These Loths, Stalin habe die Möglichkeit eines parlamentarisch-demokratischen, antimonopohstischen Systems für ganz Deutschland zum
144
II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses fur Kulturelle Freiheit"
Auf der anderen Seite fanden die Emissäre des liberalen Konsenses in den Westzonen nun genau jene Konstellation vor, derer sie zur Erfüllung ihrer eigenen ideologischen Mission bedurften. Sieht man von einem harten Kern von Kommunisten und „fellow-travellers", deren Mehrheit sich von vorneherein der Ostzone zugewandt hatte, einmal ab, war das Gros der westdeutschen Intellektuellen seit Ende 1947/Anfang 1948 auf eine eher antikommunistischprowestliche Linie eingeschwenkt. Besonders deutlich wurde dies auf dem 2. deutschen Schriftstellerkongreß, der im August 1948 in Frankfurt am Main stattfand. Schon die Wahl des Tagungsortes war bezeichnend, befand er sich doch in der Nähe des US-amerikanischen Hauptquartiers. Hans Mayer hat berichtet, einige der Wortführer des Kongresses hätten in dauerndem Kontakt zu OMGUS-Stellen gestanden.375 Bis auf Mayer waren keine Schriftsteller aus der Ostzone erschienen,376 angeblich, um angesichts wachsender restaurativer Tendenzen bei den westzonalen Autoren keinen weiteren Unfrieden hervorzurufen.377 Inhaltlich bestimmten Freiheitsdiskurse westlich-liberaler Provenienz das Feld, wobei sich besonders Rudolf Hagelstange378 und Theodor Plievier379 hervortaten. Nur noch wenige Autoren wagten öffentliche Einwände gegen die jetzt vorherrschende prowestliche Attitüde der Westautoren, darunter Hans Mayer380 und Fritz von Unruh, der dafür in den westlichen Medien heftiger Kritik unterworfen wurde.381 Insgesamt zeichnete sich auf dem 2. deutschen Schriftstellerkongreß weniger der Sieg eines unpolitischen, traditionell deutschen Literaturverständnisses ab, als vielmehr, wenn auch partiell Schütze des sowjetischen Machtbereiches in Betracht gezogen, sei aber an der Demokratieunf ahigkeit der Kommunisten gescheitert, ist anzumerken, daß damit der objektive ideologische Wahrheits- und Führungsanspruch der Kommunisten ebenso vernachlässigt wird wie die
theoretische Annahme vom bloßen Obergangscharakter bürgerlicher Verfassungsformen; vgl. a. Rolf Badstubner/Wilfried Loth (Hg): Wilhelm Pieck Aufzeichnungen zur Deutschlandpolitik 1945-1953, Berlin 1994. Die Gegenposition vertritt Gerhard Wettig: Kontrastprogramm „antifaschistisch-demokratische Ordnung": Sowjetische Ziele und Konzepte, in: H. Oberreuter/J Weber (Hg): Freundliche Feinde, S. 101-124. H. Mayer: Deutscher auf Widerruf, S. 397f. W Wende-Hohenberger: Quo vadis, S. 120f, nennt u.a. folgende Teilnehmer: Kasimir Edschmid, Walter Kolbenhoft", Elisabeth Langgässer, Hans Mayer, Theodor Plievier, Hans Werner Richter, das Ehrenpräsidium lag bei Rudolf Alexander Schröder und Werner E. Süskind. H. Mayer: Die umerzogene Literatur, S. 38-40 W. Wende-Hohenberger: Quo vadis, S. 76-80. Ebda., S. 88-95 Plievier war vom Oktober 1945 bis zum März 1947 Vorsitzender bzw. Ehrenvorsitzender des Kulturbundes in Thüringen gewesen, nachdem er aus dem Moskauer Exil nach Deutschland zurückgekehrt war, vgl. M. Heider: Politik-Kultur-Kulturbund, S. 51. Anschließend war er, ein typischer Vertreter eines individualistisch-heterodoxen Marxismus, in den Westen gegangen. Zum 1 Schriftstellerkongreß war er zwar nicht eingeladen worden, hatte ihn aber dennoch publizistisch verteidigt, s. U. Reinhold/D. Schlenstedt: Schriftstellerkongreß, S. 19f. Im Gegensatz zu den anderen Intellektuellen eher prowestlicher Ausrichtung, mit denen er später im deutschen CCF verbunden war, stand Plievier dann auch in Opposition zum westdeutschen Staat der Adenauer-Ära. Er starb 1955 im Schweizer Exil, vgl. D. Lattmann/H. Vormweg: Literatur, Bd. 1, S. 241 f. D. Lattmann/H. Vormweg: Literatur, S. 53. Horst Wend: Um die Freiheit des Geistes, in: Das goldene Tor 2 (1948), S. 611. -
375 376
377 378 379
380 381
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Gründung des „Monat"
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durch traditionalistische Rhetorik verschleiert, der Durchbrach eines konkreten, liberaldemokratischen und antitotalitären Freiheitsbegriffes, aus dem zusätzlich unmittelbare politische Verantwortung für die Autoren abgeleitet werden konnte. Mochte diese neue Sicht bei manchem vorerst nur in zaghaften Ansätzen sichtbar werden, brach sie sich dann im CCF bald allgemeiner Bahn. Es bedurfte deswegen noch der politischen Kanalisierung, wozu sich die SPD als Bewahrerin des fortschrittlichen Erbes der Aufklärung dann anbot, wenn sie im Sinne eines westlich-pragmatistischen Liberalismus reformiert war. Ende 1947 waren sowohl auf deutscher wie auch, was insgesamt wichtiger war, auf amerikanischer Seite die internen Fronten weitgehend geklärt. Im Nachgang zur „Zwei-Lager"-Theorie Shdanows und der dezidiert antiamerikanischen Propagandapolitik der KOMLNFORM fanden die Angehörigen von OMGUS nach einiger Anlaufzeit ab Oktober 1947 den Willen zu koordinierten Gegenmaßnahmen. Zwar waren die verschiedenen inneramerikanischen Konflikte noch nicht ausgestanden, wohl aber de facto entschieden. Insbesondere Lucius D. Clay und sein Chefberater Robert Murphy waren nun zu klaren Aktionen bereit. Aufbauend auf General McClures Anweisungen zur Gegenpropaganda vom Oktober 1946382 initiierte Clay im Oktober 1947 die Operation „Talk Back", die koordiniert und unter strikt antikommunistischen Vorzeichen die wesentlichen Inhalte des amerikanischen liberaldemokratischen Konsenses in Deutschland vermitteln sollte. Neben „korrekten" Informationen über die Außenpolitik der USA vornehmlich das ERP-Programm und die „Vier Punkte" Trumans, sowie dem Bemühen, totalitäre Einflüsse in Deutschland zu minimieren, ging es bei „Talk Back" auch und nicht zuletzt um die Verankerung demokratischer Prinzipien in der deutschen Gesellschaft.383 Organisatorisch lag die Operation in den Händen der eigens gegründeten „Political Information Branch" (PIB) der ICD. Damit war endgültig klar geworden, daß OMGUS von nun an nicht mehr ausschließlich auf eine punitive „re-education" der Deutschen hinarbeitete, sondern daß sich „conservatives" und rechte New Dealer mit ihren antitotalitärantikommunistischen Ansätzen gegen die Widerstände der „progressives" und „radicals" durchgesetzt hatten. Gegenüber dem zukunftsorientierten Lob der Demokratie amerikanischer Prägung und dem antitotalitären Antikommunismus trat eine eigenständige Analyse faschistischer und nationalsozialistischer Herrschaftspraxis und deren Bedingungen und Ursachen deutlich zurück. Gemäß der Doktrin, daß der Kalte Krieg auf der Linken, also bei Sozialdemokraten, Gewerkschaftern und Linksintellektuellen entschieden würde, stand die SPD mit im Mittelpunkt der Operation „Talk Back". Auch auf diesem Gebiet konnte die PIB auf frühere Vorarbeiten und bereits existente
382 383
H. Hurwitz: Die Stunde Null, S. 328. Ebda., S. 333-339.
146
II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Beziehungsgeflechte zurückgreifen, die zum Teil noch in der Emigrationszeit ihren Ausgang genommen hatten. Eher hinderlich waren demgegenüber die nicht gerade konfliktfreien Beziehungen zwischen Kurt Schumacher und den Amerikanern, allen
voran Lucius D. Clay.384 Es ging weniger darum, daß Schumacher prinzipiell antiwestlich gewesen wäre, was er in der Tat nicht war, sondern die Amerikaner schätzten weder den Einfluß der britischen LabourParty auf die Hannoveraner Parteizentrale noch vor allem den nationalen und zentralistischen Kurs, den Schumacher eingeschlagen hatte.385 Die US-Amerikaner setzten nun auf eine Reihe von Zirkeln und Personen, auf deren relative Zuverlässigkeit sie seit längerem zählen konnten, um die nationalen und prononciert sozialistischen Züge in der SPD-Programmatik ebenso einzuschränken wie den Einfluß Schumachers. Auch in diesem Prozeß ist das Element transnationaler Beeinflussung von großer Wichtigkeit. Bereits im Frühjahr 1946 war zum Beispiel Margarethe Buber-Neumann, eine frühere Kommunistin, danach erst in stalinistischen und schließlich in nationalsozialistischen Lagern inhaftiert, über den AFL-Funktionär Irving Brown in den Kreis des Remigranten Siggi Höxter in Frankfurt am Main eingeführt worden: „Siggi Höxter, ein Mitglied der SPD, hatte offensichtlich den Auftrag, die sogenannten demokratischen Kräfte zu sammeln, um über dieses Problem386 zu diskutieren. Für wen er diesen Auftrag durchführte, fur welche amerikanische Stelle er tätig war, ob für die
amerikanischen Gewerkschaften oder für die CIA,387 blieb mir unbekannt Tatsache war, daß die Amerikaner ein Interesse hatten und bestimmt auch die notwendige Unterstützung Browns sprach -, die SPD so schnell wie gewährten wofür die Entsendung Irving 8
möglich wieder entstehen zu lassen."3 -
384
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386 387 388
Zur Bedeutung Schumachers in der SPD der Besatzungszeit vgl. H.J. Grabbe: Sozialdemokratie, 5. 51; s.a. K. Klotzbach: Staatspartei, S 54ff. und S. 65f., s.a. S. 122ff. Zum Konflikt zwischen Clay und Schumacher vgl. K. Klotzbach: Staatspartei, S. 1561". und JH. Backer: Die deutschen Jahre, S. 316f.; HJ. Grabbe: Sozialdemokratie, S. 206f, weist daraufhin, daß auch Dean Acheson den Schumacher-Kurs kritisierte. Damit stand er nicht ganz allein, s. z.B. Maurice Goldbloom an Melvin Lasky vom 1.3.1949, UoC-Archiv, „Der Monat"-Records, Box 2, Folder 6, der kritisiert, daß derzeit in SPD und DGB die falschen Leute das Sagen hätten. Goldbloom war Exekutivsekretär der „American Association for a Democratic Germany", die personell eng mit ADA und UAW verflochten war. Vgl. a. Rudolf Pechel an Ruth Fischer vom 25.11.1949 und Ruth Fischer an Rudolf Pechel vom 5.12.1949, BA Koblenz, NL 160 (Pechel II), Bd. 94. Schumacher trug zu dieser Negativbewertung das Seinige bei, vgl. z.B. sein Auftritt auf der AFLConvention vom 14.10.1947, wo er die USA davor warnte, ihre sozialen und politischen Werthaltungen auf den Rest der Welt übertragen zu wollen; s. H.J. Grabbe: Sozialdemokratie, S. 61 f. Carlo Schmid versuchte noch 1952, den Amerikanern die außenpolitischen Konzepte und Grundoptionen Schumachers ausführlicher zu erläutern. Er wies daraufhin, daß sozialdemokratische Vorstellungen von kollektiver Sicherheit weniger transatlantisch als global orientiert seien und daß die nationale Einheit und Souveränität Deutschlands unverzichtbarer Bestandteil jeder Form von internationalistisch inspirierter kollektiver Sicherheit sein müsse; vgl. Carlo Schmid: Germany and Europe. The German Social Democratic Program, in: Foreign Affairs 30 (1952), S. 531-544; s.a. K Klotzbach: Staatspartei, S. 212. Gemeint ist die KPD/SPD-Fusion. An dieser Stelle irrt sich Buber-Neumann, da die CIA erst 1947 gegründet wurde. Es könnte sich aber um eine gemeinsame Aktion von AFL und Armeegeheimdienst CIC gehandelt haben. M. Buber-Neumann: Freiheit, S. 91 Buber-Neumann und Brown hielten den Kontakt eme ganze Weile lang aufrecht, vgl. Margarethe Buber-Neumann an Ruth Fischer vom 16.9.1947, in:
5. Die
147
Gründung des „Monat"
Aber nicht allein derartige AFL-unterstützte informelle Kreise mit anfangs eher unspezifischer Motivation dienten der Infiltration der SPD-Strukturen. Insbesondere die SOPADE-gestützte „German Labor Delegation" (GLD) hatte noch während des Krieges damit begonnen, im Stile der Weimarer Zeit linke, prokommunistische Gruppen innerhalb des sozialistischen Lagers konsequent auszugrenzen. Zeitweise von Max Brauer geleitet, arbeitete die GLD dabei eng mit der ursprünglich linksradikalen, aber antikommunistischen Gruppe „Neu
Beginnen" zusammen.389 Zu „Neu Beginnen" gehörten Franz Borkenau und Richard Löwenthal, die beide in der Nachkriegszeit für OMGUS die Zeitschrift „Ostprobleme" herausgaben, und wie Brauer, Buber-Neumann und Brown am Ende zum CCF fanden, sowie Ernst Reuter.390 Die GLD und die Gruppe „Neu Beginnen" -
-
unterhielten seit etwa 1943/44 Kontakte zu Anna Loeb, der Ehefrau des UDAVorsitzenden James Loeb, und zu Norman Thomas, also gewissermaßen zur Creme des linken Antikommunismus in den USA. Entsprechend tragen diese antikommunistischen Organisationen auch zum Niedergang des „Council for a Democratic Germany" bei, einer im März 1944 gegründeten Emigrantengrappe, die am Ideal einer Einheitsfront antifaschistischer Emigranten aus allen Teilen der Arbeiterbewegung und der linksintellektuellen Szene festhielt. Das Anliegen scheiterte nicht zuletzt an den antikommunistischen Aktivitäten des späteren KgU-Leiters Ernst Tillich.391 In der Folge lehnten sich die antikommunistisch-sozialdemokratischen Emigranten in den USA verstärkt an die „American Friends of Germany" an, die wiederum eng mit der AFL und über Reinhold Niebuhr seit 1947 auch mit der ADA liiert waren. Emeut tritt damit der organisatorische Kern des amerikanischen Konsensliberalismus in den Blick. Im Auftrag der AFL kam Max Brauer dann 1946 nach Deutschland zurück, wo er und Ernst Reuter in der unmittelbaren Nachkriegszeit wohl über die engsten Kontakte zu den USA verfügten.392 Beide erreichten bald führende administrative Positionen in Hamburg und Berlin. Um Reuter, Brauer, den bayerischen Ministerpräsidenten Hoegner und Herbert Wehner bildete sich schließlich in der SPD eine recht heterogene Gruppe, die
389
390 391 392
P. Lübbe (Hg.): Abtrünnig wider Willen, S. 21 Iff. Zu „Neu Beginnen" s. H. Hurwitz: Demokratie und Antikommunismus, Bd. 3, S 117, der die Rolle der Gruppe bei der Reorganisation der Westberliner SPD hervorhebt. Zur positiven Einschätzung von „Neu Beginnen'' durch die R&A-Branch des OSS s. P. Marquardt-Bigman: Geheimdienstanalysen, S. 102-104 und S. 106. Vgl. a. Christof Mauch: Subversive Kriegführung gegen das NS-Regime. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Kalkül des amerikanischen Geheimdienstes OSS, in: J. Heideking/C. Mauch (Hg): Geheimdienstkrieg, S. 51-89. Vgl. H. Pross: Memoiren, S. 185-187. Bei den „Ostproblemen" wirkte mit Hans Kohn noch eine weitere, dem CCF nahestehende Persönlichkeit mit, s. ebda., S. 197. Vgl. H.J. Grabbe: Sozialdemokratie, S. 66 und H. Hurwitz: Demokratie und Antikommunismus, Bd. 2, S. 170f. H.J. Grabbe: Sozialdemokratie, S. 67f und S. 72f.
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II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
allein durch ihre pragmatische Haltung in Ideologiefragen und eine relative Nähe zu den USA verbunden war. Bald sollte sich auch Willy Brandt diesem Kreis zugesellen.393 Diesen Pragmatikern fiel bis weit in die Mitte der fünfziger Jahre die Aufgabe zu, den Kontakt zur amerikanischen Ostküstenintelligenz zu
halten.394 Die
Operation „Talk Back" stützte sich jedoch nie allein auf derartige personelle Netzwerke, die nicht nur bis zu Schumachers Tod ausgesprochen einflußlos blieben, sondern überdies nicht immer die Gewähr für durchweg proamerikanisches Handeln boten.395 Entsprechend mußten personellorganisatorische Maßnahmen um ein reichhaltiges ideologisches Sortiment erweitert werden. Als besonders wichtig erwies sich dabei der New Deal, dessen Rezeption deutscherseits allerdings von einer Reihe unliebsamer Misperzeptionen begleitet wurde, die gerade bei Schumacher zu weiteren Aversionen gegen die USA führten. Dies lag an der Neigung traditionell orientierter
Kreise in der SPD, den New Deal im überlieferten Rahmen deutscher Vorstelvon Wirtschaftsdemokratie zu interpretieren. Der damit verbundene Gedanke etwa einer Sozialisierung von Schlüsselindustrien war jedoch für die rechten New Dealer inzwischen vollkommen obsolet geworden.396 Im Grunde mußten die US-Amerikaner seit 1947 verstärkt darum bemüht sein, den ideologischen Wahrnehmungshorizont der SPD auf eine Weise zu verändern, die die deutschen Sozialdemokraten in die Lage versetzte, die sozialreformistisch-pragmatistischen Prinzipien der „New Deal Order" korrekt einzuordnen. Es ging also darum, die Grundlage für Strömungen innerhalb der Sozialdemokratie zu schaffen, denen es gegen starke, auf der klassischen Programmatik beharrenden Kräfte gelingen konnte, zu einer behutsamen Balance sozialdemokratischer Marktordnungskonzepte und liberaler Wirtschaftsverfassung zu gelangen. Dabei handelte es sich freilich nicht primär um subversive Infiltration, sondern um den Versuch, bereits vorhandene,
lungen
393
394
Vgl. die überaus differenzierte Darstellung von Helga Grebing: Sozialdemokratie und Nation. Zur Geschichte der Diskussion der nationalen Frage in der SPD vor und nach 1945, in: K. Schönhoven/D. Staritz(Hg): Sozialismus und Kommunismus, S. 69-90, s. bes. S. 74-81, die zwischen dem majoritären Schumacherkurs emerseits und unterschiedlichen minoritären Vorstellungen Brauers bzw. Reuters und Brandts andererseits klar unterscheidet. H J.Grabbe: Sozialdemokratie, S. 221. Nach dem Tode Ernst Reuters war es bes. Willy Brandt, der, nicht zuletzt dank seiner Mitgliedschaft im CCF, über sehr intensive Kontakte zu den „liberals" in den USA verfügte, s. H.J. Grabbe: ebda., S. 250ff. Va. stand Brandt der ADA, der Ford-Foundation und Walter Reuthers UAW nahe, vgl. Willy Brandt: Begegnungen und Einsichten. Die Jahre 1960-1975, S. 87. Derartige Kontakte sind mit einiger Wahrscheinlichkeit von beiden Seiten im je eigenen Interesse genutzt worden. Dies gilt z.B. auch für Verbindungen Brandts zur CIA, auf die J. Ranelaugh: The Agency, S. 246 und Kai Bird: The Chairman. John J McCloy the Making of the American Establishment, New York 1992, S. 358, hingewiesen haben. Dabei wird jedoch nicht ganz klar, ob es sich um eine indirekte, über den CCF gelaufene um oder direkte hat. Finanzierung Zuwendungen gehandelt Vgl. H.J. Grabbe: Sozialdemokratie, S 71. Ebda., S. 53-55. -
395 396
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Gründung des „Monat"
reformorientierte Kräfte zu bündeln und diskret zu unterstützen.397 So förderten die Amerikaner auf der personellen Ebene den Aufstieg reformorientierter und pragmatischer Politiker in der SPD und zugleich, auf der Ideologieebene, das
Bemühen, die intellektuellen Grundlagen für eine amerikaorientierte Reform der SPD zu legen oder doch wenigstens zu beschleunigen.398 Damit wäre der Hintergrund für das Entstehen der Zeitschrift „Der Monat" hinreichend abgesteckt. In der Forschung besteht uneingeschränkt Einigkeit darüber, daß „Der Monat" ein Produkt der Operation „Talk Back" und des Kalten Krieges war.399 Weniger Klarheit besteht über die Frage, wie dieser Umstand zu bewerten ist. Für Ralph Willett und lost Hermand etwa ist „Der Monat" Instrument antikommunistischer und prokapitalistischer Restauration, Margit Ketterle sieht in der Zeitschrift deutlich differenzierter ein Organ liberaldemokratischer und antikommunistischer Propaganda, die nie platt gewesen sei, sondern eine erhebliche intellektuelle Kapazität aufgewiesen habe. Damit dürfte sie der Wahrheit sehr nahe gekommen sein. In der Tat diente „Der Monat" einer ganzen Fülle von Zielen, die alles andere als restaurativ waren. Er war gleichermaßen internationales Publikationsorgan des „consensus liberalism", wie er von den „New York Intellectuals" vorgedacht worden war,400 wie ein Instrument der „re-orientation"401 mit ihrem doppelten Bezugssystem: Einerseits sollten die Deutschen, jetzt verstanden als prinzipiell von der NSDAP zu unterscheidende anthropologisch optimistisch eingeschätzte Größe, als antikommunistische Bündnispartner gewonnen werden, andererseits diente „Der Monat" der subtilen Vergangenheitsbewältigung, indem er mit Hilfe soziologischer, psychologischer, historischer und -
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Ein Beispiel ftlr den mittelfristigen Erfolg dieser Strategie stellte z.B die „Ballast-Rede" Carlo Schmids vom 28.10.1953 dar, in der Schmid sich gegen den historischen Determinismus und den Ökonomismus marxistischer Ideologierelikte im SPD-Programm wandte; s. K. Klotzbach: Staatspartei, S. 153 und S. 263f. Dies galt nicht nur für die SPD. Insgesamt waren die US-Amerikaner eher zurückhaltend, wenn es darum ging, äußeren und direkten Zwang anzuwenden, um die gewünschten Ergebmsse zu erzielen Viel eher bevorzugten sie die aktive Mitwirkung von deutscher Seite. Fehlte diese, konnte es durchaus dazu kommen, daß aus amerikanischer Perspektive betrachtet Residualzonen deutschen Eigenbewußtseins vollkommen unangetastet blieben, so z.B. das Gymnasial- und Hochschulwesen sowie das traditionell enge Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland. M. Ketterle: Der Monat, S. 4; W. Schtvelbusch: Vor dem Vorhang, S. 196; R. Willett: Americanization of Germany, S. 82; H. Pross: Memoiren, S. 188, J. Hermand: Kultur im -
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Wiederaufbau, S. 147 Melvin J. Lasky hat im Gespräch mit dem Verf. ausdrücklich auf die Vorbildfunktion der ftlr die „New York Intellectuals" konsumtiven Zeitschriften „Partisan Review", „Commentary", „New Leader" und „Politics" als formale und inhaltliche Muster ftlr den „Monat" hingewiesen. S. Koch: Double Lives, S. 307, hat zusätzlich auf die Bedeutung der „Zukunft" Münzenbergs für das Entstehen des „Monat" aufmerksam gemacht. Diesen Aspekt hat Sidney Hook in der Gründungsphase des „Monat" bes. betont, s. Sidney Hook an Royce Moch (Magazine Liaison Section des State Department, New York) vom 12.4 1949, UoC-Archiv, „Der Monat"-Records, Box 2, Folder 11.
150
II Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
philosophischer Analysen deutsche geistesgeschichtliche Traditionsbestände zu destraieren oder liberal umzuinterpretieren suchte.402 Beide Aspekte der „reorientation" sollten durch die Verbreitung ausländischer, vor allem angels-
ächsischer Literatur befördert werden, die in der nationalsozialistischen Zeit den Deutschen nicht zugänglich gewesen war.403 Ebenfalls mit der „re-orientation" verbunden, wenn auch weniger offensichtlich, war der auf eine westorientierte Reform der SPD und die antitotalitäre politische Einvernahme westdeutscher Intellektueller404 zielende Seitenaspekt in der publizistischen Tätigkeit des „Monat". Alle vier Bestandteile sind stets zusammenzusehen, wenn man den „Monat" als ein Instrument qualitativ hochwertiger intellektueller Propaganda des Westens im Kalten Krieg versteht, als welches er von Lasky auch geplant war. Gerade weil „Der Monat" mit seinem Bemühen, die Deutschen auch ideell im Westen zu verankern, etwas weitgehend Neues in der deutschen Geistesgeschichte anstrebte, vermochten die Redaktionsangehörigen Forderungen nach einer antifaschistischen Einheitsfront zur radikalen Umgestaltung der deutschen Gesellschaft nicht anders zu interpretieren denn als stalinistische Propagandaattacken. Selbst ernsthafte Konzepte einer sozialistischen Neugestaltung Deutschlands mußten fast zwangsläufig unter dieses Verdikt fallen. Die Idee, den „Monat"405 zu gründen, dürfte mit einiger Wahrscheinlichkeit direkt zu Beginn der Operation „Talk Back" in der PIB entstanden sein; erste Aktenbelege finden sich ab Mai 1948.406 Eventuell ist General Clay persönlich auf den Gedanken gekommen, danach erst soll er Melvin Lasky, auf den er durch den 1. deutschen Schriftstellerkongreß aufmerksam geworden sei, als Herausgeber avisiert haben.407 Dagegen behauptet Melvin Lasky bis zum heutigen Tage, „Der Monat" sei im wesentlichen seine Idee gewesen.408 Bis zu einem gewissen Grade ist die Kontroverse um die geistige Urheberschaft der Zeitschrift irrelevant, da von Beginn an Planung und Ausgestaltung des „Monat" in den Händen Laskys lagen. Lasky409 war eine beinahe ideale Wahl für den Posten des Herausgebers des 402 403
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406 407 408 409
Vgl. H. Gehring: Literaturpolitik, S. 74f. und bes. S. 78. H.J. Gehring: Literaturpolitik, S. 76, weist bes. auf die Rolle von im „Monat" erstmals in deutscher Sprache veröffentlichten Werken von Koestler und Orwell hin; M. Ketterle: Der Monat, S. 16, bemerkt, va. die Veröffentlichung von Werken aus dem Umfeld der „lost generation" sei für den „Monat" prägend gewesen. Dies beinhaltete zudem den Versuch einer Politisierung der deutschen Intellektuellen im Sinne
liberaler Ideologie. Laut M. Ketterle: Der Monat, S. 21, ging der Titel auf Klaus Mann zurück, der sich m einem Gespräch mit Lasky und dessen Mitherausgeber Jaesrich für die nüchternste Titelvariante aussprach. Zeitweise war auch „Das amerikanische Jahrhundert" im Gespräch gewesen; vgl. Welt am Sonntag vom 7.1.1979. M Ketterle: Der Monat, S. 21 und S. 24. Ebda., S. 23; vgl. Newsweek vom 22.3.1971. So a. National Review vom 8.7.1977, S. 781Í Zu seinem Lebenslauf vgl M. Ketterle: Der Monat, S. 38f; vgl. Sidney Hook: Three Intellec-
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„Monat"
151
„Monat". Der am 15. lanuar
1920 geborene Sohn jüdisch-rassischer Emigrandessen ein kleiner Textilunternehmer war, stammte aus New York Vater ten, und hatte unter anderem am New York City College, der Hochburg trotzkistischer Intellektueller in den dreißiger fahren, studiert. Zeitweise war auch er Trotzkist gewesen, was ihm in der Nachkriegszeit den absurden Vorwurf eintrug, er sei ,Jcommunistelnd".410 Bald allerdings entwickelte er sich zum linken Antikommunisten411 und rezipierte das Ideengut der „New York Intellectuals". Nach einem kurzen Zwischenspiel als Redakteur beim „New Leader" (194244), diente Lasky als Captain und „Army Historian" in der US-Armee. Ab 1945 arbeitete er als Berliner Korrespondent von „New Leader" und „Partisan Review". Gleichzeitig fungierte er als eine Art inoffizieller Mittelsmann zwischen ADA, UAW und den reformorientierten, eher proamerikanischen Kreisen der Berliner SPD, allen voran Ernst Reuter, mit dem er auch persönlich eng verbunden war. Überdies gehörte Lasky zu den dezidierten Verfechtern der „reorientation"-Sicht der Deutschen als potentiellen Verbündeten der USA im Kampf gegen den Stalinismus.412 Dem US-Amerikaner Lasky stand als Mitherausgeber des „Monat" der Deutsche Hellmuth Jaesrich413 zur Seite. Am 17. September 1908 in Berlin geboren, hatte Jaesrich in Berlin, Grenoble, Paris und Heidelberg Neuphilologie, Geschichte und Philosophie studiert. Im Anschluß daran hatte er bei Ernst Robert Curtius promoviert, war im Krieg im Innendienst der Abwehr beschäftigt gewesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Jaesrich als Redakteur in der von Alfred Kantorowicz herausgegebenen Kulturzeitschrift „Sie" gearbeitet,
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tual Troubadours. In Praise of Darnel Bell, Irving Kristol and Melvin Lasky, in: American Spectator, Jan. 1985, S. 18-22 und B. Croztér: Noble Mass, S. 63. H. Glaser: Kulturgeschichte, Bd. 1, S. 194. M. Ketterle: Der Monat, S. 30; vgl. a. S. 44, wo Ketterle dazu tendiert, den Antisowjetismus und Antikommunismus Laskys sowie seine generell positive Bewertung des „free enterprise" auf die soziale Aufstiegserfahrung im eigenen Elternhaus zurückzufuhren. Damit übersieht sie jedoch Aspekte der amerikanischen Diskussion ebenso wie die New Deal-Perspektive Laskys. Außerdem wird in dieser Perspektive der konkrete lebensgeschichtliche Erfahrungshorizont der Exkommunisten und Extrotzkisten im Umgang mit der marxistischen Ideologie nicht ausreichend ernst genommen. Es muß ferner daraufhingewiesen werden, daß Lasky m keiner Weise zu den antiintellektualistischen Fanatikern des Antikommunismus zu zählen war. So sehr er generell den Kalten Krieg und den Konflikt mit dem Stalinismus ftlr unabdingbar hielt, so wenig neigte er zu generellen, simplifizierenden Kategorien. Dies zeigt bes. sein Umgang mit angeblichen „fellowtravellers": Trotz einer heftgen Kontroverse mit Friedrich Torberg hat Lasky immer daran testgehalten, Peter de Mendelssohn und v.a. Hilde Spiel im „Monat" publizieren zu lassen, vgl. H. Spiel: Welche Welt?, S. 126 und S. 196; s.a. Friedrich Torberg an Arthur Koestler vom 29 6.1951, Nachlaß Torberg, ÖNB/ÖLA, Schachtel 32/16 und Friedrich Torberg an Melvin J. Lasky vom 27.11.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 241, Folder 4. Demgegenüber wirkt der Vorwurf von Harold Laski, die Beiträger des „Monat" gebärdeten sich wie Mitarbeiter des HUAC überzogen, vgl. Harold Laski an Melvm J. Lasky vom 27.6.1949, UoC-Archiv, „Der Monat'-Records, Box 3, Folder 5. Dazu mag beigetragen haben, daß er seit 1947 mit der Deutschen Brigitte Neviger verheiratet war, vgl. M. Ketterle: Der Monat, S. 42. Zur Biographie Jaesrichs vgl. ebda., S. 45-47.
152 ehe
II. Die er von
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Lasky zum Eintritt in die Redaktion des „Monat" bewogen wurde.
Hermann Glaser hat Jaesrich einmal als das „literarische Genie" beim „Monat" bezeichnet.414 Auf alle Fälle gab Jaesrich der international und kosmopolitisch konzipierten Zeitschrift eine spezifisch deutsche Note, die in der zeitgenössischen Kritik am „Monat" gerade in bezug auf die Autorenauswahl häufig angemahnt wurde.415 Ehe allerdings „Der Monat" überhaupt in Druck gehen konnte, mußte eine
Hindernissen überwunden werden, die neben den bekannten ideologischen Konflikten bei den OMGUS-Repräsentanten oft in persönlichen Machtinteressen der beteiligten Personen wurzelten. „Der Monat" war in der Tat dezidiert Organ eines bestimmten Segmentes der amerikanischen politischen Szenerie und sein Erscheinen mußte negative Reaktionen bei potentiellen politischen Gegnern auf altliberaler und radikaler Seite hervorrufen. Das Zentrum des Widerstandes gegen den „Monat" lag überraschenderweise nicht bei den OMGUS-Stellen in Deutschland, sondern beim „New York Field Office" (NYFO), jener Stelle des War Department, die für literarische Zulieferungen für die deutschsprachigen OMGUS-Produktionen zuständig war. Die Hauptgegner Laskys im Ringen um Einfluß bei dem zeitweise schwankenden General McClure416 waren Reuben S. Nathan, der Leiter der „Periodical Section" beim NYFO und sein Mitarbeiter Paul Kecskemeti. Ihnen ging es zum einen darum, mögliche Konkurrenz für bereits bestehende US-amerikanische Magazine in Deutschland zu vermeiden,417 zum anderen standen sie politisch in Opposition zu Lasky und seinem Konzept. Gerade Nathan nahm Lasky eine Artikelserie im „Tagesspiegel" vom 10. bis 13. April 1948 über Henry Wallace und den Konflikt zwischen ADA und PCA übel, in dem Lasky eindeutig die Position der ADA bezogen hatte.418 Dennoch kann man Nathan und Kecskemeti keinesfalls als „fellow-travellers" bezeichnen. In einem ausführlichen Report vom April 1948 machte Nathan allerdings deutlich, daß es ihm zuvörderst um eine langfristige und offensive „re-orientation" der Deutschen gehe und nur sekundär um eine kurzfristige und defensive antikommunistische Propaganda: „The nature of REORIENTATION is AGGRESSIVE, the nature of the ANTIReihe
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von
H. Glaser: Kulturgeschichte, Bd. 1, S. 195. So z.B. Fritz Eberhard an die Redaktion „Der Monat" vom 3.11.1948, UoC-Archiv, „Der Monat"-Records, Box 1, Folder 14. Vgl. z.B. Laskys Verteidigung des internationalen, aber stets auch auf Deutschland bezogenen Charakters des „Monat": Melvin J. Lasky an Emil Beizner (stellv Chefredakteur der „Rhein-Neckar-Zeitung") vom 14.12.1948, ebda Box 1, Folder 4; Melvin J. Lasky an die Redaktion der „Neuen Züricher Zeitung" vom 1.4.1949, ebda Box 4, Folder 1. Robert McClure an Melvin J. Lasky vom 11 1 1949, UoC-Archiv, „Der Monat'-Records, Box 6, Folder 4. Reuben S. Nathan an Melvin J. Lasky vom 7.9.1948 und Lt.Col. George P. Van Nordstrand an Melvin J. Lasky vom 30.8.1948, UoC-Archiv, „Der Monat'-Records, Box 6, Folder 4. Die Vorbehalte werden hinter organisatorischen Schwierigkeiten, die sich aus dem neuen Magazin ergäben, versteckt. Vgl. M. Ketterle: Der Monat, S. 24 und S. 26f. ,
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5. Die Gründung des „Monat"
153
COMMUNIST CAMPAIGN is DEFENSIVE." Die „re-orientation" der Deutschen, so Nathan weiter, beziehe sich auf Veränderungen der „political, intellectual and spiritual attitudes of the German people."419 Demgegenüber müsse antikommunistische Propaganda zurückstehen. Vor allem hob Nathan darauf ab, daß neben den bestehenden Organen wie der „Amerikanischen Rundschau", der „Neuen Auslese", „Heute" und der „Neuen Zeitung" eine neue Publikation überflüssig sei, die Kritik an den NYFO-Produkten habe sich als substanzlos erwiesen.420 Die Kritik auf die Nathan sich hier bezog, dürfte ausgerechnet von Lasky ausgegangen sein,421 der den mangelnden intellektuellen Gehalt einiger NYFO-Publikationen beklagt hatte. Wichtig ist, daß zu diesem Zeitpunkt nicht mehr der Antikommunismus als solcher zum Streitpunkt wurde, sondern nur noch die Frage, in welchem Verhältais Antikommunismus und „re-orientation" der Deutschen zueinander stünden und wie die inhaltliche Füllung von „reorientation" auszusehen habe. Unterstützt von General Clay und Colonel Textor, dem ICD-Direktor in Berlin,422 konnte Lasky sich mit seinem Projekt gegen die Vorbehalte des NYFO durchsetzen. Im Oktober 1948 ging „Der Monat" erstmals in den Verkauf. Bald fand er sein Publikum und die Kritik ließ nach, ohne jedoch gänzlich zu verschwinden.423 Obwohl „Der Monat" in München gedruckt wurde, befand sich die Redaktion in Berlin. Dies muß nicht weiter verwundern. Berlin war ein bemerkenswertes Zentrum des Kalten Krieges, die bedeutendste Schnittstelle zwischen den beiden Blöcken. Außerdem war in der Stadt seit dem Sommer 1945 wieder ein reges, wenn auch mit der Zeit vor 1930 kaum vergleichbares kulturelles Leben erwacht.424 Wollte man also im deutschen Sprachraum überhaupt eine intellektuelle Zeitschrift mit überregionalem Profil und Renommee herausgeben, drängte sich Berlin als Standort geradezu auf. Zum Teil hing die Wahl des Redaktions sitze s auch mit den anvisierten Leserschichten für den „Monat" zusammen. War etwa „Heute", das direkt in München erschien, eher für weni419 420 421
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Nathan-Report vom April 1948, UoC-Archiv, „Der Monat"-Records, Box 6, Folder 5. Hervorhebungen im Original. Nathan-Report, ebda. Vgl. Report on .Amerikanische Rundschau", o.D. ( 1948), UoC-Archiv, „Der Monat"-Records, Box 6, Folder 5. Der Report ist zwar anonym, deckt sich aber argumentativ mit dem Memorandum Melvin J. Laskys vom 20.5.1948, ebda., einer Antwort auf den Nathan-Report.
M. Ketterle: Der Monat, S. 28.
Vgl. Memorandum Kenneth Nordquist (Chef US-Information Center Heidelberg) o.D. (1948/49), Uoc-Archiv, „Der Monat"-Records, Box 4, Folder 2, der bemerkt, der Verkauf der „Amerikanischen Rundschau" gehe zugunsten des „Monat" zurück, womit er zugleich Nathans Befürchtungen bestätigte. Außderdem stellte Nordquist fest: „Hardly anybody seems to feel that the magazine is an instrument of American propaganda," was er auf die hohe Qualität der
Zeitschrift zurückführte. Kritik kam von der „Features Section" der „Information Services Division" (ISD), vgl. Beatrice Motz an Theodore Kaghan vom 13.12.1948, UoC-Archiv, „Der Monat'-Records, Box 7, Folder 1, die den ausgeprägt politischen Anspruch des „Monat" kritisierte. W. Schtvelbusch: Vor dem Vorhang, S. 24ff. und S. 39f.
154
II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
ger gebüdete Lesergruppen konzipiert, für Frauen und Katholiken,425
galt die explizit intellektuell-besitzbürgerlichen ReziSchülern, pienten, Studenten, konfessionell ungebundenen oder liberalen Protestanten sowie Sozialdemokraten, das heißt potentiellen Residualzonen sowohl kleindeutsch-nationalneutralistischer wie westlich-aufgeklärter Traditionen. Für diese Gruppen aber war Berlin eher als jede andere Stadt der amerikanischen Besatzungszone ein Ort, dessen kulturellem Leben man Aufso
Aufmerksamkeit des „Monat"
merksamkeit schenkte. Zudem konnte Melvin Lasky von Berlin aus am besten einer weiteren Aufgabe nachgehen, fiel ihm doch in der amerikanischen Konzeption des Umganges mit deutschen Intellektuellen eine besondere Rolle zu. Welche Qualifikation er auch immer für seine Funktion als Herausgeber des „Monat" mitbrachte, einen unbestreitbaren Vorteil hatte er auf alle Fälle: Er kannte nahezu jeden und jeder kannte ihn, spätestens seit seinem Auftritt auf dem Literatenkongreß von 1947. So vermochte Lasky es, ansatzweise in Deutschland die Rolle zu spielen, die Arthur Koestler auf der internationalen Ebene zugefallen war Lasky koordinierte personelle Netzwerke in Deutschland untereinander und verknüpfte sie mit den Zirkeln der liberalen Intellektuellen im Umfeld der ADA. Und es existierten in Deutschland bereits eine ganze Reihe derartiger Netzwerke, auf die Lasky zurückgreifen konnte und die zum Teil schon genannt worden sind:426 Ausgesprochen wichtig war sicher der Kontakt zu Berliner SPD-Kreisen, der ihm über Ernst Reuter erschlossen wurde. In diesem Umfeld bewegten sich mit Willy Brandt, Otto Suhr, Edwin Redslob und in Hamburg Max Brauer Persönlichkeiten, die für die SPD bedeutsam und allesamt dem CCF verbunden waren. Otto Suhr war zudem als ehemaliger Redakteur der „Frankfurter Zeitung" sowohl mit Dolf Stemberger als auch mit Carl Liniert bekannt, die beide ebenfalls dem CCF zumindest nahestehen sollten. Seit dem 1. deutschen Schriftstellerkongreß war Lasky femer über Günther Birkenfeld mit Teilen der antikommunistischen Inneren Emigration verbunden. Rudolf Hagelstange, Stefan Andres, Rudolf Pechel, Friedrich Luft, Karl-Friedrich Borée, Werner Fink und andere rückten auf diese Weise in sein Blickfeld. Pechel, Birkenfeld, Redslob, Hagelstange und Plievier kannten sich außerdem von den Veranstaltungen des Kulturbundes.427 Birkenfeld war zusätzlich Li-
425 426
427
R. Willett: Americanization of Germany, S. 83. Ein Teil der Kontakte Laskys wurde ihm von Peter de Mendelssohn und Hilde Spiel auf den internationalen PEN-Treffen von Zürich ( 1947) und Kopenhagen ( 1948) vermittelt, s. H Spiel: Welche Welt?, S. 45, S. 91 und S. 93. Hier erfolgte u.a. eine Vernetzung mit der internationalen Ebene des linken Antikommunismus, z.B. mit Ignazio Silone und Manès Sperber. Zuvörderst dienten diese Kontakte natürlich dem Versuch, für den „Monat" einen hochklassigen Beiträgerkreis zu schaffen, vgl. Melvin J Lasky an Hannah Arendt vom 15.6.1948, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 1, Folder 1. Erst als dann die Kongreßidee aufkam, waren diese breit angelegten Kontakte sinnvoll zu nutzen. W. Schtvelbusch: Vor dem Vorhang, S. 161 und S. 163.
5. Die
Gründung des „Monat"
155
zenzträger der KgU und arbeitete schon vor der Entstehung des CCF mit Ernst Tillich zusammen, der in der Frühphase des CCF einige Aktivität entfaltete. Vorerst nur locker mit dem „Monat" war die Heidelberger Gruppe um die „Wandlung" verbunden, der mit Alfred Weber, Alexander Mitscherlich und wiederum Dolf Stemberger bedeutende Intellektuelle angehörten, die nicht zuletzt wegen ihres Bekenntnisses zu einem reformorientierten „freien Sozialismus" für amerikanische Konsensliberale von Interesse werden konnten.428 Einen relativ engen Kontakt hielt Lasky auch zur Familie Mann, besonders zu Golo Mann, sowie zu Karl Jaspers und Hannah Arendt. Berlin war aber nicht allein unter deutschlandspezifischen Gesichtspunkten von Interesse, sondern auch im Hinblick auf die an diesem Ort tätigen Besatzungsoffiziere aus dem intellektuell-kulturellen Milieu ein Zentrum ersten Ranges. Neben Lasky waren mit Peter de Mendelssohn,429 Michael Josselson,430 Shepard Stone, Sidney Hook,431 Nicholas Nabokov und Boris Shub zum Teil hochrangige Führangspersönüchkeiten des CCF durchgehend oder doch wenigstens zeitweise in Berlin stationiert. Nicht immer gereichte dies der Organi-
sation zum Vorteil. Der später virulent werdende Konflikt zwischen Günther Birkenfeld und Michael Josselson reichte beispielsweise in die frühe Besatzungszeit zurück. Seit dem Dezember 1948 gab es in der Metropole einen weiteren kulturell und ideell bedeutsamen Faktor, der ebenfalls für den CCF nicht ohne Folge bleiben sollte: die Freie Universität.432 Die auf studentische Initiative zurückgehende, strikt antistalinistische Stiftung, die über Franz L. Neumann und Shepard Stone mit US-Geldern, unter anderem aus der Ford-Foundation, finanziert wurde, ist für unseren Zusammenhang unter drei Gesichtspunkten von Interesse: Im Hinblick auf das allmähliche Entstehen linksintellektueller personeller Netzwerke auch in Deutschland ist es nicht ganz unwichtig, daß mit Otto Stolz, dem späteren Chefredakteur der „Welt der Arbeit", Günther Birkenfeld, damals Herausgeber der Jugendzeitschrift „Horizont", und Gerhard Löwenthal drei
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Vgl. H. Pross: Memoiren, S. 124-126 und S. 154f; Rainer Dohse: Der dritte Weg. Neutralitätsbestrebungen in Westdeutschland zwischen 1945 und 1955, Hamburg 1974, S. 1924; s. allg. Monika Waldmüller: Die Wandlung, Marbach/Neckar 1988. W. Schtvelbusch: Vor dem
Vorhang, S. 39, C. Weisz: OMGUS, S. 703; H. Spiel: Welche Welt?, passim. C. Weisz: OMGUS, S. 709; vgl. H. Spiel: Welche Welt?, S. 16, die den jüdisch-estnischen Emigranten als „ruhigen, herzlichen, etwas melancholischen Mann" charakterisiert, dessen hervorstechender Zug seine Leidenschaft für Musik gewesen sei, weshalb er sich als Kulturoffizier von OMGUS auch für die Entnazifizierung Wilhelm Furtwänglers stark gemacht habe, s. ebda., S. 33. S. Hook: Out of Step, S. 387. Vgl. allg. James F. Tent: The Free University of Berlin. A Political History, BloomingtonIndianapolisl988. S. femer Siegward Lönnendonker: Freie Universität Berlin Gründung einer politischen Universität, Berlin 1988.
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II. Die Vorgeschichte des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
dem seit Herbst 1946 währenden Kampf gegen die stalinistische Gleichschaltung der traditionsreichen Friedrich-Wilhelm-Universität, der heutigen Humboldtuniversität, federführend beteiligt waren, von denen zwei (Stolz und Birkenfeld) später in der deutschen Exekutive des CCF wiederauftauchen sollten. Im unmittelbaren Vorlauf der Universitätsneugründung schalteten sich zusätzlich Reuter, Suhr und Redslob in das Geschehen ein. Ebenfalls von Belang für den CCF war die FU-Studentenzeitschrift „Colloquium". Dort arbeitete nicht nur Otto Stolz, sondern zusätzlich Lieselotte Berger, der dann zeitweise eine wichtige Funktion in der Hochschulexekutive des deutschen CCF zufallen sollte. Darüberhinaus waren die Mitarbeiter von „Colloquium" an den technischen Vorbereitungen und der Durchführung des Berliner „Kongresses für kulturelle Freiheit" beteiligt. Nicht zuletzt aber war die FU weltanschaulich interessant. Eine ganz neue, von typisch deutschen, obrigkeitsstaatlichen Traditionen, vor allem dem überkommenen Korporationsstudententum freie Universität sollte es sein, antitotalitär, der Würde des Individuums verpflichtet. Liberale, moderne Erneuerung der deutschen Universität und des deutschen Geisteslebens, Kampf gegen die Korporationen und antitotalitäre Ausrichtung damit waren Kernpunkte der praktischen Arbeit des CCF in Deutschland an der FU programmatisch vorweggenommen worden. Die Berlinblockade 1948/49 verstärkte am Ende noch den Reiz des Standortes Berlin, indem sie den Charakter der „Frontstadt" des Kalten Krieges und des „Bollwerkes" gegen den Kommunismus zum gängigen Stereotyp antikommunistischer Propaganda machte. Neben der abstrakten Ebene der propagandistischen Verwertbarkeit des Blockadeerlebnisses gab es jedoch auch ganz unmittelbare, erfahrungsbedingte Effekte. Den beteiligten, in Berlin ansässigen Amerikanern wurde Berlin mit seinen Einwohnern fast zum lebendigen Beweis für den Freiheitswillen der Deutschen und damit für die Richtigkeit des „re-orientation"-Ansatzes. „Der Monat" mit seinem Sitz in Berlin war eine wichtige Durchgangsstation in dem Prozeß der antistalinistischen, intellektuellen Mobilmachung, der sich in der westlichen Welt seit 1944/45 vollzog. „Der Monat" sollte, eigener Selbsteinschätzung entsprechend, diesen Vorgang nicht nur begleiten, sondern ihn gestalterisch, im Sinne eines moralisch begründeten, strikt antineutralistisch-liberaldemokratischen Antikommunismus433 auf der Ebene intellektueller Kontroversen mitprägen. Und man konnte sich erfolgreich fühlen. Bis auf Frankreich und Italien hatten sich in der westlichen Welt und Personen
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Vgl. Melvin J. Lasky an Noel Brailsford („New Statesman and Nation") vom 8.7.1949, UoCArchiv, „Der Monat"-Records, Box 1, Folder 7: „In the present context of the world struggle it
does seem to me that any .neutrality' converts to .compromise'. For all the deficiencies of the Western way of life, the conflict of today does represent the difference between a (relatively) free world and a (terribly) enslaved world. [...]. How can one be neutral on the issue of freedom?"
5. Die Gründung des „Monat"
157
den deutschen Westzonen zur Zeit der Gründung des „Monat" die prononcierAntikommunisten auf allen Ebenen durchgesetzt.434 Entsprechend nervös reagierte die stalinistische Seite auf Versuche, westliche Publikationen wie den „Monat" in die Ostzone oder die DDR einzuführen.435 Die Deutschen, auch die deutschen Intellektuellen, waren eher passive Objekte von Entwicklungen, die sich außerhalb des Rahmens ihrer Einflußmöglichkeiten abspielten. Ihnen blieb ein mehr oder minder freiwilliger Mitund Nachvollzug von Ergebnissen, die sich lange zuvor in New York, Washington, London, Paris oder Moskau angebahnt hatten. Diese spezifische Form intellektueller Passivität wurde selbst durch die zunehmende transatlantische Verknüpfung seit 1947 bis tief in die fünfziger Jahre hinein kaum eliminiert und blieb für den CCF ein weitreichendes und zeitweise kaum zu bewältigendes strukturelles Problem. Immerhin verschoben sich die Handlungsspielräume der Deutschen, seitdem beide Hegemoniahnächte ihrer als Verbündeter bedurften. Die Spannbreite politischer und kulturell-intellektueller Optionen wuchs gerade im Westen zum Teil in von den Besatzungsmächten nicht gewünschte Richtungen. In den Augen linker New Dealer und sozialistischer Kulturkritiker wurden die Westzonen Opfer US-amerikanischer kapitalistischer Penetration, siegten Konsumismus und Materialismus über die Sehnsucht nach einer gerechten und radikalen sozialökonomischen Umstrukturierung der deutschen Gesellschaft.436 Gerade die antikommunistisch bedingte Ausschaltung der linken New Dealer mußte den Opponenten des neuen Kurses als überaus bedenklich erscheinen.437 Demgegenüber bleibt festzuhalten, daß zumindest von Seiten der rechten New Dealer, den Vertretern des „consensus liberalism", der Schwenk zur „reorientation" keineswegs mit einem Verzicht auf gesellschaftliche Reform oder ten
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Melvin J. Lasky an Sidney Hook vom 19.3.1949, UoC-Archiv, „Der Monat"-Records, Box 2, Folder 11 meldete, man sei gerade dabei, den Kampf gegen den Stalinismus in Berlin langsam zu gewinnen. Lasky forderte im gleichen Brief Schüler des pragmatistischen Philosophen für die Arbeit des „Monat" in Berlin an. Die HICOG-NotizEb 3555, UoC-Archiv, „Der Monat'-Records, Box 1, Folder 15, berichtet beispielsweise von Verhaftungen wegen des Besitzes der Zeitschrift. Die Verteilung des „Monat" in der Ostzone lief über die Ostbüros der Parteien, wobei das Ostbüro der SPD m Berlin federführend war. Der Kontaktmann zum Ostbüro war Willy Brandt, vgl. Memorandum Harold Hurwitz o.D. (Ende 1948/Anfang 1949), ebda., Box 2, Folder 11. Hurwitz war offizieller Koordinator, s. Harold Hurwitz an Maj. General Lemuel Mathewson (HICOG) vom 14.10.1952, ebda., Box 18, Folder 4. Auch der „Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen" (UO) war an diesen Verteilungsaktionen beteiligt, s. Hellmuth Jaesrich an den UfJ vom 29.8.1950, ebda., Box 8, Folder 5. R. Willett: Americanization of Germany, S. 128f; J. Hermand: Kultur im Wiederaufbau, S. 264Í; H. Mayer: Die umerzogene Literatur, S. 44 und S. 53. Möglicherweise werden Reformpotentiale und Handlungsspielräume der linken New Dealer in dieser Art der Argumentation überschätzt, schließlich bewegten auch radikalere Vertreter des New Deal sich im Kontext individualistischer, marktorientierter amerikanischer Diskurse, denen zu entrinnen oft nur schwer möglich war.
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II. Die
Vorgeschichte des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Umerziehung der Deutschen im Verständnis liberaler und sozialdemokratischer Demokratievorstellungen verbunden war. Die Ideologieangebote des „Monat" belegen dies überdeutlich. Zusätzlich sollte beachtet werden, daß der größere, antikommunistische Konsens liberaler, sozialdemokratischer und christdemokratisch-konservativer Kräfte den Versuch, Deutschland unwiderruflich in die Geisteswelt des Westens einzubinden, überhaupt erst erfolgversprechend gemacht hat.438 Damit war etwas ganz Neues, über Weimar deutlich Hinausgehendes möglich geworden, eine über Teile des linksorientierten politischen Segmentes hinausgehende Hinwendung der Deutschen zum Westen. „Re-orientation" und „Talk Back" waren konsequente Ergebnisse des ideologischen Auflösungsprozesses der Anti-Hitler-Koalition, der auf beiden Seiten schon vor Kriegsende eingesetzt hatte und sich in der Folgezeit ständig verschärfte. Mit der „re-orientation" erhielten die westdeutschen Intellektuellen die Chance, sich in die wachsenden Strukturen des internationalen, aber von den USA dominierten linken Antikommunismus einzugliedern, eine Chance, die sie durchweg nur partiell zu nutzen verstanden. Die neue Politik der „reorientation", verbunden mit der antikommunistischen Operation „Talk Back" bildeten den Nährboden für den „Monat", nichtsdestotrotz waren sie aber nur Durchgangsstationen. Das Jahr 1950 sollte neue Entwicklungen bringen: die „campaign for truth" und den „Kongreß für kulturelle Freiheit".
438
H.J. Grabbe:
Sozialdemokratie, S.
13f.
III. ZUR FUNKTION DER ZEITSCHRIFT „DER MONAT" 1. Der rechtliche und finanzielle Status des
„Monat"
„Der Monat" koppelte den US-amerikanischen und westdeutschen linken Antikommunismus aneinander, er war erst die Keimzelle des „Kongresses für kulturelle Freiheit" und später dessen wichtigstes Medium für den Werte- und Ideologietransfer in den deutschen Sprachraum. Zusätzliche Bedeutung erhielt diese transformatorische Funktion des „Monat" durch die noch eingehender zu behandelnde Tatsache, daß die organisatorischen Ansätze des CCF in Westdeutschland aus unterschiedlichen Gründen nicht hielten, was man sich in der Pariser Kongreßführung von ihnen versprach. Schon aus diesem Grunde erscheint die These kaum gewagt, daß „Der Monat" wenigstens zwischen 1950 und etwa 1961 das bedeutendste ideologische Instrument des CCF in Deutschland war, obschon er gerade in diesem Zeitraum zumeist gar nicht direkt vom Kongreß finanziert wurde. Ehe die weltanschaulichen Konzepte, die im vorangegangenen Kapitel aus ihrem konkreten historischen Kontext hergeleitet wurden, inhaltlich exakter bestimmt werden können, sind vorab die Rahmenbedingungen zu klären, innerhalb derer die Redaktion des „Monat" gestalterisch aktiv werden konnte. Es wird in der Folge auf die wechselnden Besitzverhältnisse beim „Monat" ebenso einzugehen sein wie auf die Frage nach den jeweiligen finanziellen Gegebenheiten, der organisatorischen Querverbindung zum CCF und seinen Magazinen sowie auf Versuche inhaltlicher Einflußnahme von außen. Dabei wird ein chronologischer Vorgriff bis in die sechziger Jahre im Interesse einer kontinuierlichen Darstellung der Situation beim „Monat" nicht zu vermeiden sein. „Der Monat" stellte innerhalb des CCF ein geschlossenes Phänomen dar, das zum Teil Züge großer Eigenständigkeit aufwies. Entsprechend sollte er gerade für seine Glanzzeit auch geschlossen abgehandelt werden. Wie erinnerlich, war „Der Monat" von der US-amerikanischen Militärregierung gegründet worden, ein Umstand, aus dem niemand ein Geheimnis machte. Er war eine klassische „overt action". Entsprechend sahen sich seine Mitarbeiter dann in die bürokratischen Strukturen von OMGUS und anschließend von HICOG eingepaßt. Unterstand die Zeitschrift anfangs dem PIB im Rahmen der ICD (ab 1948: ISD), die wiederum der CAD untergeordnet war, so wurde
160
III. Zur Funktion der Zeitschrift „Der Monat"
sie nach dem Übergang zur HICOG dem „Office of Public Affairs" unterstellt.1 Zugleich war damit ein Übergang aus dem Verantwortungsbereich des War Department in den des liberaleren State Department verbunden, ohne daß sich sachlich und inhaltlich an der Konzeption des „Monats" und seiner Beziehungen zu den US-Behörden etwas geändert hätte.2 Dank der finanziellen Unterstützung durch die amerikanischen Behörden konnte „Der Monat" in für ein Intellektuellenblatt gesteigerten qualitativen Standards vergleichsweise hohen Auflagen zu recht günstigen Preisen vertrieben werden.3 Die Anfangsauflage betrug 60.000 Stück; allerdings kam es seit Februar 1949 zu einem stetigen Rückgang, der teilweise mit mangelhaften Marketingmaßnahmen begründet wurde,4 bis sich die Auflage Mitte der fünfziger Jahre auf etwa 25.000 Stück eingependelt hatte.5 Mit dem sinkenden Absatz erhöhten sich die finanziellen Verluste der amerikanischen Stellen. Mußten im Januar 1949 noch DM 7.313,91 zugeschossen werden, betrug diese Summe im Juni 1949 bereits DM 20.389,07.6 Das monatliche Budget belief sich Mitte 1950 auf circa DM 35.000,-.7 Legt man diese Zahlen zugrunde, durften sich die jährlichen Aufwendungen von HICOG für den „Monat" auf rund DM 420.000,belaufen haben, von denen etwa DM 250.000,- als Verluste abgeschrieben werden mußten.8 Ein nicht unerheblicher Teil der Verluste dürfte darauf zurückzuführen sein, daß Sonderdrucke und Einzelhefte des „Monat" in der Ostzone und Ostberlin kostenlos verteilt wurden.9 Dank der OMGUS/HICOGMittel verfügte „Der Monat" neben den beiden Herausgebern Lasky und Jaesrich 1952 über eine Redaktion, der vier festangestellte Redakteure angehörten: Hans R. Hentschel, Alfred Kellner, Erik Nohara und Wolfgang Stiebler.10 Für die inhaltliche Gestaltung des „Monat" war allerdings das NYFO bedeu-
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1
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5 6
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10
Dieser Übergang wurde im November 1949
vollzogen, vgl. Manon K Sanders an Melvin J. Lasky vom 13.12.1949, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 6, Folder 2. Vgl. M. Ketterle: Der Monat, S. 50. Bis Oktober 1954 kostete die Zeitschrift DM 1,- pro Exemplar. Bericht N.N. an Hellmuth Jaesrich und Melvin J. Lasky über den „Monat" vom 31.10.1957, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 241, Folder 9: „Der Monat" habe darunter gelitten, m Vertrieb und Verkauf nur der „kleinere Bruder" der „Neuen Zeitung" gewesen zu sein. Vgl. M. Ketterle: Der Monat, S. 54-57. Allein zwischen Februar 1949 und Juli 1949 sank die Auflage von 57.804 auf 31.000.
Ebda., S. 56f
Memoranden Melvin J. Lasky an Callahan (Budget-Division, HICOG) vom 1.9.1950 und vom 24 7.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 6, Folder 6. Dennoch haben OMGUS und HICOG gegenüber der amerikanischen Öffentlichkeit daran festgehalten, daß die Magazine in Deutschland sich wirtschaftlich trügen, was nur für „Heute" zutraf. „Der Monat" hingegen war durchgehend ein finanzielles Verlustgeschäft. H. Hurwitz: Der heimliche Leser, S. 15, beziffert die Anzahl der in Beratungsstellen für Ostzonenflüchtlinge und -besucher ausgelegten Freiexemplare für den Zeitraum zwischen November 1949 und Dezember 1954 auf rund 200.000. Hinzu kamen illegal über die Zonengrenze gelieferte Exemplare, die bis Dezember 1958 aus US-Mitteln subventioniert wurden, vgl. Melvin J. Lasky an Shephard Stone vom 12.12.1958, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 242, Folder 1. Notiz Melvin J.
Lasky, o.D. ( 1952), UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 21, Folder
11.
161
1. Der rechtliche und finanzielle Status des „Monat"
tender als HICOG. Erst nachdem auch in New York das State Department das Ruder übernommen hatte, besserte sich das Verhältnis zwischen Lasky und dem NYFO entschieden. Dort waren nun nicht mehr seine alten Rivalen Paul Kecskemeti und Reuben S. Nathan für die deutschsprachigen Publikationen zuständig, sondern der neue NYFO-Leiter Nathan Glick, zu dem Lasky bald ein passables persönliches Verhältnis fand, sowie die Direktorin der „Magazine Branch/NYFO", Marion K. Sanders. Die Hauptaufgabe des NYFO war demgegenüber unverändert gebheben: New York war vor allem dafür zuständig, die Rechte für Artikel zu erwerben, die im „Monat" abgedruckt werden sollten. Darüber hinaus hatte bereits Nathan seine Aufgabe darin gesehen, dem „Monat" Vorschläge zu unterbreiten, welche Artikel amerikanischer Zeitschriften für Deutschland von Interesse sein könnten. Glick führte diese Tradition ungebrochen fort. In der Regel handelte es sich dabei allerdings um eher unverbindliche Vorschläge, die Lasky meist souverän mißachtete. Besonders Nathan verband diese Aufgabe mit sehr konkreten inhaltlichen Anliegen, die sich aus seinen Vorstellungen von der „re-orientation" der Deutschen ableiten ließen. Immer wieder setzte er sich dafür ein, anti- autoritäres, wenn auch nicht allzu polemisches" und liberaldemokratisches Sclmfttum über den „Monat" zu verbreiten.12 Zusätzlich regte er an, katholische und nichtkatholische Philosophie auf der Basis gemeinsamer existenzphilosophischer Traditionen bei Augustinus, Thomas von Aquin, Heidegger und Sartre zu versöhnen;13 ein Anliegen, das bei dem Pragmatisten Lasky kaum auf Gegenliebe gestoßen sein dürfte. In der HICOG-Zeit nahmen derartige Versuche, positiv auf eine Programmgestaltung beim „Monat" Einfluß zu nehmen, kontinuierlich ab, ohne allerdings je eingestellt zu werden. Dies lag einerseits an Laskys Kurs, seine Zeitschrift vom Einfluß offizieller Stellen möglichst frei zu halten und sich durch anerkannt hohe qualitative Standards und Erfolge bei der Ideenvermittlung eine gewisse Hausmacht im State Department zu schaffen, was teilweise gelang,14 andererseits aber auch daran, daß in Marion Sanders' Abteilung kaum noch jemand des Deutschen mächtig war, was nicht eben dazu beitrug, sich intensi-
11
12
Reuben S. Nathan an Melvin J. Lasky vom 12.7.1949, UoC-Archiv, „Der Monat"-Records, Box 6, Folder 4. U.a. verwies er auf Bertram A. Schaffner: Fatherland A Study of Authoritarianism in the German Family, das ihm aber zu feindselig geschrieben war. Reuben S Nathan an Melvin J. Lasky vom 27.6.1949, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 6, Folder 4, wo er zu Gerald T. Robinson: The Ideological Combat, bemerkt: an excellent statement of a minimum philosophy of American liberal political thought: personal independence by whatever means, sometimes government action and at other times government inaction." Reuben S. Nathan an Melvin J. Lasky vom 4 10.1949, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 6, Folder 3. Im „Jackson-Report" wurde beispielsweise eine Adaption des Modells „Der Monat" für Japan angeregt, dann aber doch nicht realisiert: vgl. Melvin J. Lasky an Saxton Bradford (US-Botschaft in Japan) vom 21.7.1952 und Saxton Bradford an Melvin J. Lasky vom 8.9.1953, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 23, Folder 8. ,....
13 14
162
III. Zur Funktion der Zeitschrift
„Der Monat"
die Verhältnisse vor Ort zu kümmern.15 Gleichwohl war Nathan Glick ebenso daran interessiert, amerikanische Weltanschauung nach Deutschland zu vermitteln wie Reuben Nathan.16 Den Intentionen Laskys nahestehend, kam es ihm dabei darauf an, die Gemeinsamkeiten amerikanischen und europäischen Geisteslebens zu betonen.17 Es blieb jedoch nie bei rein positiven Titelvorschlägen an die Redaktion des „Monat". Schon in der Gründungsphase der Zeitschrift kursierten umfangreiche Listen unerwünschter Publikationen, in denen Kecskemeti und Nathan mitteilten, welche Artikel sie als für die Umerziehung der Deutschen unbrauchbar einstuften.18 Neben formalen und stilistischen Gründen gab es eine Reihe inhaltlicher Kriterien, an welche OMGUS-Publikationen in den Augen der NYFO gebunden sein sollten: Die kritische Darstellung amerikanischer Außenpolitik sogar durch Amerikaner war ebenso unerwünscht wie eine zu negative Darstellung der UdSSR oder US-amerikanischer „liberals". Unter Glick und Sanders gab es zwar weniger Vorbehalte (und schon gar nicht mehr in bezug auf Kritik an der UdSSR), dennoch unterlag die redaktionelle Freiheit des „Monat" relativen Einschränkungen.19 Das genaue Ausmaß dieser Eingriffe blieb aber jeweils von den konkreten Umständen und personellen Konstellatiover um
nen
abhängig.
Beim „Monat" wollte man sich auf Dauer nicht mit derartigen Eingriffen in die eigenen Konzepte abfinden. Gelegentlich ist die These aufgestellt worden, Lasky habe erst wegen der HUAC-Untersuchungen im State Department und bei HICOG Versuche unternommen, sich von staatlichen Stellen unabhängig zu machen und Möglichkeiten privater Finanzierung zu eruieren.20 Damit ist allerdings nur ein Teil der Wahrheit erfaßt. Letztlich führte die Kumulation verschiedener Faktoren zum organisatorischen Wandel beim „Monat". Bereits Ende Dezember 1950, gerade zwei Jahre nachdem „Der Monat" erstmals erschienen war, informierte Lasky auf dem Weg über Harold Hurwitz den 15 16
17
18 19
20
Marion K. Sanders an Melvin J. Lasky vom 13.12.1949, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 6, Folder 2. Nathan Glick an Melvin J. Lasky vom 29.3.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 6, Folder 2. Lasky ging in diesem Bemühen soweit, 1954 kurzfristig die Geschäfte beim „Monat" ruhen zu lassen, um in den USA die dann gescheiterte Zeitschrift „Anchor" zu gründen, die ebenfalls die gemeinsame geistesgeschichtliche Tradition Europas und der USA betonen und den Amerikanern vermitteln sollte. Memorandum Ruben S. Nathan und Paul Kecskemeti vom 4.6.1948 und Memorandum Ruben S. Nathan vom 25.6.1948, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 6, Folder 5. Vgl. Marion K. Sanders an Theodore Kaghan (ISD/HJCOG) vom 6.3.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 20, Folder 8; Elisabeth Eagan (Publication Branch/HICOG) an Theodore Kaghan vom 17.6.1952; ebda., Box 22, Folder 2; Melvin J. Lasky an Theodore Kaghan vom 1.7.1952 und Marion K. Sanders an Theodore Kaghan vom 26.3.1952, ebda. Es ging um den Abdruck eines die US-Besatzungspolitik in Berlin kritisierenden Leserbriefes im „Monat", davon Lasky ohne weitere Rücksprache mit seinen Vorgesetzten durchgeführt worden war. Sunday Times vom 14.5.1967. Die These steht im Zusammenhang mit dem CIA-Skandal um „Encounter" und CCF.
1. Der rechtliche und finanzielle Status des „Monat"
163
CCF-Mitbegründer Norbert Mühlen in New York darüber, daß er sich von staatlichen Stellen zu lösen gedachte. Mühlen sollte sich über potentielle Mäzene informieren.21 Seit dem Februar 1952 nahmen Laskys Pläne konkrete Gestalt an.22 Wegen der anhaltenden Opposition in der HICOG-Bürokratie, die zum Teil mit der Gefahr finanzieller Kürzungen oder gar des Endes der Zeitschrift verbunden waren,23 wandte sich Lasky an Shepard Stone, der Kontakte
Ford-Foundation vermitteln sollte.24 Zu dieser Zeit wurde auch das Problem der HUAC-Ermittler in Deutschland virulent. Langsam wurde die Situation für die rechten New Dealer bedrohlich. Im Januar 1952 hatte Lasky gegenüber Manfred George seinem Ärger über die Maßnahmen des HUAC und die mangelnde Effektivität des liberalen Antikommunismus Luft gemacht.25 Sechs Monate später kam es dann zu einer Kontroverse mit Elisabeth Eagan und Theodore Kaghan von der „Publications Branch", die mit Sicherheit ihre Wurzeln in dem vom HUAC ausgehenden politischen Druck hatte. Das NYFO veranlaßte die einschlägigen HICOGStellen dazu, einige vom NYFO nicht abgesegnete Artikel sowie einen USAkritischen Leserbrief bei Lasky zu rügen.26 Die Lage verschärfte sich binnen Jahresfrist rapide. Gegen den vergeblichen Widerstand von ACCF und CCF wurden Theodore Kaghan und Hans Wallenberg unter dem Vorwurf des zur
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26
Harold Hurwitz an Norbert Mühlen vom 31.12.1950, NL Mühlen, Box 18. Shepard Stone an Theodore Kaghan vom 27 2.1952, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 22, Folder 3. Melvin Lasky an Hans Kohn vom 5.10.1950; Hans Kohn an John J. McCloyvom 11.10.1950 und John J. McCloy an Hans Kohn vom 2.11.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 3, Folder 2. Melvin J. Lasky an Shepard Stone vom 5.11.1952, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 21, Folder 3. Lasky erklärte, „Der Monat" sei ein bedeutsames Element transatlantischen Kulturaustausches und könne als private Zeitschrift sehr viel wirkungsvoller antiamerikanischer Propaganda begegnen denn als Organ von HICOG. Melvin J. Lasky an Manfred George vom 17.1.1952, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 18, Folder 4: „I have no sympathy for McCarthyism, for witch-hunting, and all the rest. But the tragedy of American anti-Communism is that the liberals have refused to take the leadership or even live up to their resposibilities in the struggle against totalitarian fifth-column. This only creates a vacuum which .reaction' and .hysteria' can fill." Die negative Selbstsicht des Liberalismus bei Lasky überrascht, wenn man bedenkt, wie erfolgreich gerade die „liberals" damit waren, „fellow-travellers" in ihrem intellektuellen Einfluß zu beschränken, ist aber bezeichnend für die gelegentlich imaginierten Bedrohungsgetühle auch linker Antikommunisten m der Hochphase
des Kalten Krieges Marion K. Sanders an Theodore Kaghan vom 26.3.1952; Elisabeth Eagan an Theodore Kaghan vom 17.6.1952; Melvin J. Lasky an Theodore Kaghan vom 1.7 1952; Melvin J. Lasky an Theodore Kaghan vom 23.9.1952, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 22, Folder 2. In seinem letzten Brief wies Lasky auf eine positive Rezension des „Monat" im „St. Galler Tagblatt" vom 18.9 1952 hin, das dem „Monat" bescheinigte, ausgesprochen unpropagandistisch und mit viel Fingerspitzengefühl vorzugehen. Er schloß mit den Worten: „Now that you know, please burn this. I wouldn't want it to go into the records. ,Un-American', you know."
164
III. Zur Funktion der Zeitschrift
„Der Monat"
Fellow-Travellertums zum Rücktritt genötigt.27 Auch Lasky und seine Mitarbeiter wurden von den HUAC-Ermittlern Cohn und Shine heimgesucht, wobei Laskys trotzkistische Vergangenheit, die er situationsbedingt heftig leugnete, eine zentrale Rolle spielte. Der überzeugte Antikommunist reagierte erbost auf den Vorwurf, ein nationales Sicherheitsrisiko zu sein, und dachte ernsthaft daran, seinen Dienst zu quittieren: „How this .security mania' got started baffles me. What has most of this nonsense to do with safeguarding the military security of the United States? [...] My own anti-Communist record is clear and so long that I will be, suppose, .exempted'. But I exploded recently to of our intelligence friends.[...] security risk? I found insulting. I am not a risk of any kind,..."28
one
that formula shameful and
In dieser Situation wurde die Zentrale des CCF aktiv. Während der gesamten HICOG-Zeit waren die Beziehungen zwischen CCF und „Monat" überaus intensiv geblieben. Zeitweise übernahm sogar der Publikationsdirektor des CCF, François Bondy, die Geschäfte beim „Monat", wenn Lasky sich für längere Zeit in den USA aufhielt.29 So war es beinahe selbstverständlich, daß Mike Josselson seine Beziehungen zu Shepard Stone, der inzwischen von HICOG zur Ford-Foundation gewechselt war, nutzte, um den Übergang des „Monat" zur Ford-Foundation zu beschleunigen.30 Mit dieser Organisation erhielt „Der Monat" beginnend mit dem Oktober 1954 einen finanziell potenten und soliden Partner,31 der sich zudem überhaupt nicht in redaktionelle Belange einmischte. Gleichzeitig gelang es auf diese Weise, die befürchtete Kommerzialisierung, die sich bei der Übernahme durch einen deutschen Verlag an-
gebahnt hätte, vorerst zu vermeiden.32
Auch in weltanschaulicher Hinsicht kam so eine interessante Koalition zustande. Die machtpolitisch, aber nicht in ihrer kulturellen Hegemonie durch McCarthy unter Druck geratenen linken Antikommunisten aus CCF, „Monat" und Ford-Foundation, einer der Hochburgen der liberalen Intellektuellen in den USA, rückten enger zusammen, um sich gegenseitig mit aktiver Unter-
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28 29
30 31
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François Bondy an Daniel Bell vom 25.6.1953, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 23, Folder 7; ACCF-Mitteilung vom 20.5.1953, ebda., Box 23, Folder 9; New York Times vom
8.5.1953; New York Herald Tribune vom 15.5.1953. Auch das deutsche Exekutivkomitee des CCF war in die Strategie zur Verteidigung von Kaghan und Wallenberg miteinbezogen worden. Melvm J. Lasky an Shepard Stone vom 18 6.1953, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 26, Folder 3. François Bondy an Max Karl Graf Trauttmansdorff vom 17.3.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 8 Michael Josselson an Nicholas Nabokov vom 26.5.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 3, Folder 2. Statt mit einer ursprünglich auf drei Jahre befristeten Mittelvergabe von insgesamt $ 175.000,subventionierte die Stiftung den „Monat" über vier Jahre mit insgesamt $ 250.000,-, s. Shepard Stone an Michael Josselson vom 25.5.1954, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 104, Folder 7 und Bilanz der Gesellschaft für internationale Publizistik vom 31. Dezember 1963, ebda., Series II, Box 242, Folder 12, S. 3f. Memorandum Melvin J. Lasky an Shepard Stone: „The Future of,Der Monat'" vom 6.7.1956, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 241, Folder 8.
1. Der rechtliche und finanzielle Status des
165
„Monat"
Stützung von CIA-Mitarbeitern das wirtschaftliche Überleben zu sichern.33 Die Privatisierung des „Monat" wurde im August 1954 durch die Gründung -
der „Gesellschaft für internationale Publizistik m.b.H." in Berlin eingeleitet. Das Stammkapital von DM 40.000,- lag je zur Hälfte bei Lasky und Jaesrich.34 Nachdem das „Office of Public Affairs, Berlin Element, USIA" im September eine neue Lizenz erteilt hatte, ging „Der Monat" im Oktober 1954 endgültig in private Hände über. Schnell besserte sich, trotz weiterhin bestehender generell defizitärer Tendenz, die wirtschaftliche Situation der Zeitschrift, die nun marktkonformer agieren konnte. Zwischen Oktober 1954 und September 1957 stieg die Anzahl der monatlich verkauften Exemplare von 12.795 auf 20.439, davon knapp über 7.000 feste Abonnenten.35 Mit dem Übergang zur Ford-Foundation intensivierte sich zusätzlich das bislang schon enge Verhältnis zum CCF. Galt „Der Monat" bereits vor 1954 als „a friendly publication",36 so wandte Josselson sich kurz nach der Privatisierung an Lasky, um über die Form künftiger Zusammenarbeit zwischen CCF und „Monat" zu diskutieren.37 In der Folge nahmen Lasky und Jaesrich dann regelmäßig an den Herausgebertreffen der wichtigsten CCF-Zeitschriften teil, die unter der Leitung von François Bondy stattfanden. Im Oktober 1957, „Der Monat" war immer noch keine eigentliche Kongreßzeitschrift, wurde Melvin Lasky sogar „Chairman of the Editorial Board" des CCF.38 Das Jahr 1958 brachte weitere und gravierende Veränderungen für den „Monat" mit sich. Zwar änderte sich vorerst an den Eigentumsverhältnissen nichts, aber Lasky wechselte als Nachfolger des aufsässigen Irving Kristol zum Londoner „Encounter", und der CCF löste die Ford-Foundation als Hauptsponsor des „Monat" ab. Dennoch wurde die Zeitschrift damit nicht offizielles Kongreßorgan des deutschen Sprachraumes, da das Wiener „Forum" Friedrich Torbergs dieses Privileg für sich beanspruchte. Zeitweilig füngierte Günther Birkenfelds Bulletin „Kontakte" für Westdeutschland als CCF-Zeitschrift, allerdings auf einem erheblich niedrigeren qualitativen Niveau als selbst das „Forum". Warum die Ford-Foundation ab Ende Juni 1958 die Subsidien an den 33
34 35 36 37
Wie das State Department, HJCOG, die ADA und Teile des ACCF war auch die Ford-Foundation in den Verdacht geraten, Teil emer gigantischen Verschwörung unamerikanischer Elemente zu sein, vgl. Statement of H. Rowan Gather jr (Ford-Foundation) to the Special Committee to Investigate the Tax Exempt Foundations (House of Representatives, 83rd Congress) vom 16.7.1954, der dazu nur bemerkte: „The theory is sheerest nonsense". Bilanz der Gesellschaft fiir internationale Publizistik vom 31.12.1963, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 242, Folder 12, S. If. Bericht Melvin J. Lasky und Hellmuth Jaesrich über den Monat vom 31.10.1957, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 241, Folder 9. Michael Josselson an Dr. Paul Arnsberg vom 18.12.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 1. Michael Josselson an Irving Kristol vom 23.10.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 2, Folder 6.
38
Melvin J.
Lasky
an
Harry
Scott Ashmore
(Mitherausgeber
9.10.1957, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 1, Folder 4
der „Arkansas
Gazette")
vom
166
III. Zur Funktion der Zeitschrift
„Der Monat"
aus den Quellen nicht ersichtlich. Sicher waren die den „Monat" von Anfang an nur als Übergangslösung geFinanzleistungen an dacht gewesen, zusätzlich mag das mit dem Weggang Laskys verbundene Risiko eine Rolle gespielt haben.39 Möglicherweise hing es aber mit konzeptionellen Verschiebungen bei der Stiftung zusammen, die sich Ende der fünfziger
„Monat" einstellte, ist
Jahre zunehmend Aufgaben in der Dritten Welt zuwandte. Ein so kostspieliges Prestigeobjekt wie „Der Monat" war dann finanziell kaum noch zu rechtfertigen.
Der CCF
spendete zwischen
1958 und 1963 $
282.000,-, im Schnitt $
50.000,- pro Jahr, an den „Monat".40 Jetzt erst, also ab Juli 1958, kann davon die Rede sein, daß CIA-Gelder an das Magazin geflossen seien. Im Gegensatz
„Encounter" oder zu „Preuves", die von Beginn an mit verdeckten Mitteln des US-Geheimdienstes finanziert worden waren, hatte „Der Monat" diese Gelder als quasi-offiziöses Organ von HICOG oder der Ford-Foundation nicht nötig gehabt. Ebenfalls im Unterschied zu den anderen Zeitschriften des CCF hat „Der Monat" aus seiner Nähe zu US-Stellen auch nie einen Hehl gemacht. An der generellen Ausrichtung des „Monat" änderte sich vorerst nichts. Die Editoren der Zeitschrift blieben dem Herausgebergremium des CCF in Paris verbunden und die inhaltliche Linie entsprach weiterhin den ideologischen Vorgaben Laskys und der KongTeßführung. Diese Vorgaben wurden außerdem eher zurückhaltend durchgesetzt. Der CCF-Zentrale ging es meist um formalästhetische und stilistisch-qualitative Mindestansprüche, denen eine CCFZeitschrift zu genügen hatte. Von ferne erinnerte das Klima permanenter formaler Selbstkritik an die Atmosphäre bei den „New York Intellectuals". Innerhalb dieses Rahmens konnten die unterschiedlichen Herausgeber sehr verschiedene Zeitschriften gestalten, deren konzeptionelle Vielfalt in Paris durchaus positive Aufnahme fand.41 Darüber hinaus diente der CCF den beteiligten Zeitschriften als Autorenpool, aus dem man namhafte internationale Autoren bei Bedarf abrufen konnte. Man tauschte Artikel aus, diskutierte thematische Schwerpunkte, und es war üblich, untereinander kostenlos Anzum
39 40 41
wurde durch den vergleichsweise konservativen Schweizer Publizisten Fritz René Allemann ersetzt, der ab Februar 1961 Miteigentümer der Zeitschrift wurde. Bilanz der Gesellschaft für internationale Publizistik vom 31.12.1963, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 242, Folder 12, S. 4. Zu den Unterschieden in der Konzeption etwa von „Forum" und „Monat" oder von „Preuves", „Monat" und „Encounter" vgl. Protokoll des Internationalen Exekutivkomitees vom 26.11.1953, IACF/CCF-Archiv, Series 2, Box 3, Folder 3, S. 40f. und S. 53, wo von Muggeridge und Spender gegen Hook festgehalten wird, daß „Preuves" in erster Linie Organ des CCF sein solle, während „Encounter" em literarisches Magazin mit ideologischen Momenten zu sein habe „Encounter" dürfe um seiner antikommunistischen Mission willen weder mit den USA noch mit dem CCF allzu eng in Beziehung gesetzt werden. Selbst eine enge politische Übereinstimmung wurde nicht angestrebt, sondern je nach konkreter Situation konnte eine Zeitschrift eher die linke Mitte (wie „Tempo Presente" in Italien) oder ein konservatives Spektrum (wie „Forum" in Österreich) abdecken, vgl. François Bondy an Frederick Warburg vom 22.10.1977, NL Josselson, Box 5.
Lasky
1. Der rechtliche und finanzielle Status des
167
„Monat"
zeigen zu schalten, wodurch das internationale Profil der jeweiligen Zeitschrift
gesteigert wurde.
In CCF-Kreisen schätzte man, daß durch dieses Netz von Publikationen weltweit rund 250.000 Menschen, denen wiederum Multiplikatorenfunktion zukam, kontinuierlich erreicht würden.42 Von Zeit zu Zeit führte diese eng koordinierte internationale Zusammenarbeit unter dem finanziellen und weltanschaulichen Schirm des CCF zu Problemen. Torberg etwa wollte nicht, daß „Forum" und „Monat" in der Öffetalichkeit in zu enge Verbindung gebracht würden, da „Der Monat" weithin immer noch als US-Organ gälte.43 Deutlich schwerwiegender waren allerdings Eingriffe der Pariser Zentrale in die redaktionelle Freiheit der CCFZeitschriften. Entgegen der vor allem von François Bondy immer wieder aufgestellten Behauptung, Paris habe sich in inhaltliche Dinge bei den zum CCF gehörenden Periodika nicht weiter eingemischt,44 kamen solche Fälle doch gelegentlich vor, allerdings in wechselnder Intensität. Da „Preuves" direkt Bondy unterstand und „Der Monat" bis 1958 von Lasky, immerhin einer der
Hauptinitiatoren des CCF, geleitet wurde, waren Anweisungen inhaltlicher Art dort überflüssig. Deswegen konzentrierten sich derartige Vorfalle in relativer Dichte auf „Forum" und „Encounter". Während Torberg sich von Josselson erklären lassen mußte, wie eine gute CCF-Zeitschrift auszusehen habe, und besonders sein scharfer Antikommunismus des öfteren, aber vergeblich gerügt wurde,45 waren die Maßnahmen der Pariser Zentrale gegenüber dem „Encounter" einschneidender. An zwei Beispielen, von denen eines einer weiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, kann dies gezeigt werden: Im Februar 1955 verweigerte sich Irving Kristol dem Ansinnen Michael Josselsons, mit einer Artikelreihe auf die Rotchinapolitik der Labour-Party in Großbritannien Einfluß zu nehmen.46 Mit seiner Weigerung bewies Kristol einen deutlich höheren Realitätssinn als die Pariser Zentrale. Mochte man mit 42 43
Michael Josselson: „The Congress for Cultural Freedom", 1950-1967 (o.D„ ms. Manuskript), S. 4, NL Josselson, Box 10. Friedrich Torberg an Michael Josselson vom 16.2.1955, NL Torberg, Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Schachtel 17/8. Josselson lehnte eine Entflechtung rundweg ab, nicht allein weil er Torberg menschlich nicht besonders schätzte, sondern auch weil er zusätzlich kaum zu Unrecht befürchtete, daß das „Forum" sich auf Kosten des„Monats" in Deutschland ausbreiten -
wollte.
44 45
-
Francois Bondy an Frederick Warburg vom 22.10.1977, NL Josselson, Box 5. Vgl. F. Tichy: Encounter, S. 45f; s.a. Friedrich Torberg an François Bondy vom 14.1.1956, NL Torberg, Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Schachtel 1/4: Daß mein Posten beim FORUM mich zu einem Congrès-Angestellten macht und Josselson zu meinem Vorgesetzten, ist mir klar, und dazu stehe ich mit allen Konsequenzen und aller Loyalität. [...]. Aber der Ton, den Josselson sich mir gegenüber angewöhnt hat, geht über die Grenzen der Gemütlichkeit nun schon so weit hinaus, daß ich mich fragen muß, ob er sich Ähnliches z.B. auch dem Spender gegenüber herausnehmen würde...". Einmal kritisierte Bondy den „versteinerten, denkfaulen Antikommunismus", der im „Forum" vertreten werde, s. François Bondy an Friedrich Torberg vom 25.7.1955, ebda., Schachtel 17/17. Irving Kristol an Michael Josselson o D. (Feb. 1955) und Michael Josselson an Irving Kristol vom 13.2.1955, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 187, Folder 2. „
46
168
III. Zur Funktion der Zeitschrift
„Der Monat"
Hilfe einer Intellektuellenzeitschrift eventuell mittel- oder langfristig dazu beitragen, Perzeptionsverhalten in einer Partei zu verändern, so war ein kurzfristiger und direkter Einfluß, ausgerechnet im sensiblen Bereich der Außenpolitik, kaum zu erwarten. Paris sah dies anders, gefangen vom Glauben an die Macht des wohlgesetzten Wortes. Seit diesem Vorfall war Kristols Position deutlich angeschlagen, die CCF-Führung dachte nun daran, ihn durch Dwight Macdonald zu ersetzen, eine etwas ausgefallene Wahl, da von dem alten „radical" kaum mehr Folgebereitschaft zu erwarten war als von Kristol. Da Kristol auch in der Folge renitent blieb, wurde die Kritik an ihm seit November 1955 schärfer.47 In diese Zeit reichte der Plan zurück, Lasky nach London zu transferieren, um den „Encounter" zu übernehmen. Aber erst das Jahr 1958 brachte die endgültige Entscheidung. Auslöser war ein weiterer Eingriff der Pariser Zentrale in die Redaktionspolitik des „Encounter": Auf Anweisung von Michael Josselson hatte Kristol einen von ihm nicht beanstandeten amerikakritischen Artikel des früheren „Encounter"-Mitherausgebers Dwight Macdonald („America, America") nicht abgedruckt. Josselson hatte darauf hingewiesen, daß der Beitrag unter Umständen die Sponsoren des CCF verärgern könnte.48 Der Artikel erschien dann in „Dissent" und führte zu einer heftigen Diskussion innerhalb der entstehenden Neuen Linken über die Frage nach der intellektuellen Freiheit der Mitglieder des CCF.49 Die Affäre trug nicht unmaßgeblich dazu bei, daß sich die junge Neue Linke im angelsächsischen Raum von der Vormundschaft liberaler Vorbilder freimachte. Zugleich beendete sie das onkelhaft anmutende Wohlwollen, das die Vordenker des Liberalismus bislang der Neuen Linken entgegengebracht hatten und führte jene stereotypen Argumentationen in die Diskussion ein, die besonders nach der CIA-Affäre von 1966/67 das Verhältnis von CCF und Neuer Linker nachhaltig belasten sollten. Im Zusammenhang mit diesen Vorgängen der späten sechziger Jahre hat dann Josselson sein Verhalten gegenüber Macdonald ausdrücklich bedauert.50 Für den „Monat" ist aus den Quellen nur ein Fall ausgesprochen indirekter Einflußnahme zu entnehmen. Wiederum Josselson legte im November 1961 dem Autor Boris Guldenberg, der Teile seines Buches „Latin America and the Cuban Revolution" im „Monat" veröffentlichen wollte, nahe, er möge Passagen entschärfen, in denen es um eine Verquickung persönlicher Interessen von John 47 48
49 50
Michael Josselson an Sidney Hook vom 30.11.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 4, Folder 6. Michael Josselson an Dwight Macdonald vom 28.4.1958; Michael Josselson an John C. Hunt vom 27.5.1958; s. dag. Irving Kristol an Dwight Macdonald o.D. und sogar Dwight Macdonald in Universities and New Left Review vom 27.1.1959, NL Josselson, Box 6, wo alle politischen Hintergründe des Nichtabdrucks geleugnet werden und sowohl Kristol als auch Macdonald plötzlich nur noch rein formale Kriterien für den Vorfall verantwortlich machen. Vgl. Norman Birnbaum: „An Open Letter to the Congress for Cultural Freedom", in: Universities and New Left Review vom 3.11.1958. Michael Josselson an Dwight Macdonald vom 15.3.1967, NL Josselson, Box 27.
1. Der rechtliche und finanzielle Status des
„Monat"
169
Foster Dulles und der United Fruit Company mit der amerikanischen Intervention in Guatemala 1954 ging.51 Im Zeitraum zwischen 1948 und 1961 war die Arbeit des „Monat" in unterschiedlicher Weise von einschränkenden Rahmenbedingungen geprägt, die sich jedoch im Grunde nie auf die inhaltliche Gesamtkonzeption ausgewirkt haben. Sieht man von den branchenüblichen ökonomischen Problemen ab, die für den „Monat" nie so verheerende Folge hatten wie für andere Zeitschriften, wirkten auf den „Monat" jeweils Interessen ein, die mit denen Laskys identisch waren. Dabei erwiesen sich die offiziellen amerikanischen Stellen, besonders in der Gründungsphase und zu Zeiten der HUAC-Untersuchungen, als erheblich einschränkender als CCF oder Ford-Foundation. Denn die Eingriffe der Pariser CCF-Zentrale waren zumeist indirekter Natur und bewegten sich in der Regel in dem Horizont relativer weltanschaulicher Homogenität, der den CCF auszeichnete. Wie auch immer die Interessen der CIA und ihre Möglichkeiten, die Kongreßpolitik zu gestalten, ausgesehen haben mögen,52 und wie bestimmend der Einfluß Josselsons auf den monatlichen „editorial meetings" auch gewesen sein mag, wichtiger war der weltanschauliche Grundkonsens der im CCF vereinigten Intellektuellen. Es handelte sich also auch nicht um eine Art Selbst-
polemisch formuliert Überzeugungstäter. Ebenfalls waren es nicht primär proamerikanische Überzeugungen, die sie leiteten, sondern ihre liberale Ideologie, die sich unter den Bedingungen des Kalten Krieges fast zwangsläufig an den USA als Vormacht liberaler Weltanschauung orientierte. Die Gelder der CIA, die den Zeitschriften des CCF ihr Überleben sicherten, waren ebenfalls nicht für den ideologischen Grundkonsens der jeweiligen Herausgeber verantwortlich. Der linke Antikommunismus der vierziger und fünfziger Jahre war nicht Produkt einer gigantischen, gekauften Verschwörung, sondern Ergebnis lebensgeschichtlicher Erfahrungen mit dem Stalinismus.53 Die Regierungsstellen der USA konnten dann aber von der entstandenen Stimmung profitieren und waren entsprechend bemüht, sich des linken intellektuellen Antikommunismus zu bedienen. Das Ergebnis war eine Symbiose, an der beide Seiten besten Gewissens zu partizipieren vermochten. Dies gilt insbesondere für den CCF und seine Zeitschriften, allen voran aber für den „Monat", wenigstens solange Lasky dort federführend war. Gerade unter der Ägide Laskys war „Der Monat" Musterbeispiel einer Kongreßzeitschrift in qualitativer, formaler und weltanschaulicher Hinsicht, ohne überhaupt Kongreßzeitschrift zu seta. Harold Hurwitz hat über den „Monat" in der HTCOG-Phase einmal bemerkt: ,Der Monat' hatte als offizielzensur, die Mitwirkenden waren
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„
51 52
53
Michael Josselson an Bons Guldenberg vom 13.11.1961, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 117, Folder 9 In seinem Interview mit Frank Tichy hat Thomas Braden behauptet: „Also wenn in einem Magazin zwei oder dreimal ein uns nicht genehmer Artikel erschienen wäre, hätten wir etwas unternommen." Vgl. F. Tichy: Encounter, S. 46. Vgl. dazu die Bemerkungen von T. Gitlin: The Sixties, S. 296.
170
III. Zur Funktion der Zeitschrift
„Der Monat"
les Organ ungewöhnlich viel Freiheit, weil er gewisse Grenzen respektierte."54 Für den Zeitraum nach 1954 müßte man formulieren: „Der Monat" hatte ungewöhnlich viel Freiheit, weil er die Grenzen selbst bestimmte.
2. Die Werthaltungen des a.
„Monat"
„Der Monat" als Forum
Nachdem die für die redaktionelle Linie des „Monat" maßgeblichen externen Faktoren behandelt worden sind, ist nun auf die inhaltlichen Voraussetzungen einzugehen, die eine Analyse der im „Monat" vertretenen weltanschaulichen Motive möglich machen. Erst in der Zusammenschau externer und interner Faktoren ergibt sich gewissermaßen ein Gesamtrahmen, innerhalb dessen konkrete redaktionelle Einzelentscheidungen korrekt eingebettet werden können. In der Folge sollen also Fragen nach dem grundsätzlichen Selbstverständnis des „Monat" und den allgemeinen Prinzipien seiner Autoren- und Themenauswahl behandelt werden.55 „Der Monat" verstand sich selbst als Forum, als Ort kontroversen und geregelten intellektuellen Dialogs, unter weitgehendem Verzicht auf Vorabfestlegungen, die als dogmatisch empfunden wurden. Der Charakter als offenes Diskussionsforum spiegelte sich gerade in der frühen Phase (unter HICOG) oft im Aufbau der einzelnen Ausgaben wider. Zumeist wurden wichtige, in der öffentlichen Diskussion stehende Thesen von einer Reihe von Autoren unter verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, häufig war es erst „Der Monat", der ein Thema öffentlich machte. In einem Heft oder in einer Folge von Heften fand sich so eine breite Darstellung des aktuellen Diskussionsstandes. Zusätzlich betont wurde der Forumcharakter der Zeitschrift durch die umfassende Themenpalette, die man abzudecken vermochte. Politischen, politologischen, soziologischen, historischen oder philosophischen Themen standen literarische Beiträge sowie kunsttheoretische Essays gegenüber. Außderdem blieb die Redaktion bemüht, das breite Angebot auch einem breiten Publikum zugänglich zu machen, indem sie darauf Wert legte, daß die Beiträge nicht zu wissenschaftlich ausfielen. Die Autoren sollten sich im Gegenteil, angelsächsischer Tradition folgend, einer gefälligen und gut lesbaren Sprache 54 55
H. Hurwitz: Der heimliche Leser, S. 18. Als hilfreich erweist sich dabei eine bei Emil Dovifat erstellte, nicht publizierte Arbeit von Carl Wolfgang Müller: Der Monat. Eine internationale Zeitschrift für Politik und geistiges Leben. (ms. Manuskript), FU Berlin 1951, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 14, Folder 2, die insofern relevant ist, als sie nicht nur von Mitgliedern der Redaktion betreut worden war, sondern auch im nachhinein Zustimmung fand, also im Ansatz die Selbstsicht der Redaktion spiegelt.
2 Die Werthaltungen des
„Monat"
171
bedienen. Allenfalls soziologische oder philosophische Artikel waren von dieser Regel ausgenommen.56 Das Bemühen, sich an den Vorbildern aus den USA zu orientieren, ist in diesem Bereich unverkennbar. Wie bei den „New York Intellectuals" üblich, standen Inhalt und sprachliche Form in einem sehr engen Zusammenhang.
Problematisch wird der angestrebte und offen propagierte Anspruch, vornehmlich Forum zu sein, dann, wenn es um den Versuch geht, den „Monat" weltanschaulich zu verorten. Die Eigensicht der Redaktion, ideologiefreien Journalismus zu betreiben, wäre in der Tat nur nachzuvollziehen, wenn man einräumte, daß die beim „Monat" durchgehend erkennbare liberaldemokratische Ausrichtung keine Ideologie darstellt. Legt man allerdings den hier benutzten Ideolgiebegriff zugrunde, wird eine einheitlich-ideologische Linie des Magazins erkennbar. Diese läßt sich vorerst grob und negativ bestimmen: Faschisten, Kommunisten und Nationalisten hatten normalerweise keine Chance, dort zu publizieren,57 überdies vermied die Redaktion es gerne, Beiträge zu veröffentlichen, deren Verfasser allzu offensichtlich einem bestimmten parteipolitischen Programm verpflichtet waren. Von dieser letzten Regel gab es jedoch bemerkenswerte Ausnahmen: Ernst Reuter, Willy Brandt, Anthony Crosland und R.H.S. Crossman gehörten zu jenen reformorientierten Politikern, die immer wieder im „Monat" publizistisch tätig werden konnten. Über negative Abgrenzungen hinaus existierten auch positive inhaltliche Vorgaben für die Veröffentlichung im „Monat", die ebenfalls dazu beitrugen, das Konzept vom offenen Diskussionsforum nicht unwesentlich zu relativieren.58 Ein aufschlußreiches Beispiel für die inhaltliche Konzeption der Redaktionspolitik bietet die Korrespondenz Melvin Laskys mit dem Brüsseler Wissenschaftler Henry Brugmans, der einen Aufsatz über Proudhon angeboten hatte. Lasky lehnte diesen mit einer für ihn typischen doppelten Begründung ab: Zum einen habe Brugmans Proudhons Weltanschauung zu positiv gezeichnet und dessen „proto-fascist ideas" über Juden, Neger, den Krieg, die Demokratie und die Rechte der Frauen übersehen, zum anderen tauge Proudhon nur bedingt als frühsozialistischer Verbündeter im Kampf gegen den Stalinismus. Am Ende fügte Lasky hinzu: „I am sure the tradition of the federalist papers 56 57
58
Vgl. Hellmuth Jaesrich an Fritz Wahl vom 3.4.1951, DLA, A: Kracauer, 72 3096, wo zusätzlich für historische Artikel ein ungebrochener Gegenwartsbezug verlangt wurde. Inwieweit Laskys Vorschlag vom Winter 1954/55, Bert Brecht könne im „Monat" publizieren, wenn er (Lasky) selbst im Gegenzug in einer ostdeutschen Zeitschrift einen Artikel plazieren dürfe, mehr war als ein Propagandagag, ist nicht einzuschätzen, da Johannes R. Becher Laskys Angebot rundweg abgelehnt hat, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.1.1955. Bechers Begründung war insofern typisch für ihn, als er zum einen Lasky vorhielt, kein Hemingway zu sein, zum anderen und va. daraufbestand, ein Gespräch über gesamtdeutsche Kulturfragen dürfe nur unter Deutschen geführt werden. Schon einige der Zeitschrift an sich gewogene Zeitgenossen gingen davon aus, daß „Der Monat" bevorzugt bestimmte Meinungen abdruckte: Fritz Wahl an Siegfried Kracauer vom 9.4.1951, DLA, A: Kracauer, 72.3096.
172
III. Zur Funktion der Zeitschrift
„Der Monat"
has more attractive forefathers."59 Grundsätzlicher hatte Hellmuth Jaesrich die Position des „Monat" mit „left of center" umschrieben.60 Dieser Ansatz war, wenigstens redaktionsintern, mit einer beständigen Kritik am Wirtschaftsgewinnlertum der Adenauerzeit61 und der Hoffnung auf einen adäquaten Umgang des deutschen Volkes mit seiner Vergangenheit verknüpft.62 Dessen ungeachtet verlor die politische Konzeption des „Monat" mit ihrem antitotalitär-liberaldemokratischen Schwerpunkt immer dann deutlich an Kontur, wenn es um aktuelles Tagesgeschehen ging, ausgenommen nur Ereignisse im Ostblock. Weder die Berlin-Blockade noch der Tod Schumachers oder die Stalin-Noten wurden ausführlicher thematisiert. Auf der anderen Seite wurde etwa der Tod Ernst Reuters ebenso ausgiebig kommentiert wie Fragen der Wiederbewaffnung.63 Die Auswahl solcher aktueller Themenschwerpunkte zeigt an, wo jeweils reale Interessen der Redaktion lagen. Dies beruhte im Falle Reuter sicher vorwiegend auf persönlichen Gründen, da Lasky und Reuter eng miteinander befreundet waren. Die Wiederbewaffnungsproblematik hingegen hing eng mit dem gleichfalls durchgehend behandelten Thema der deutschen
Westorientierung zusammen,64 gehörte also zum ideologischen Kembestand des „Monats". Ahnliches gilt für das Engagement zugunsten der europäischen
59 60
61
62
Melvin J. Lasky an Prof. Henry Brugmans (College of Europe, Bruxelles) vom 2.9.1952, UoCArchiv, „Der Monaf-Records, Box 17, Folder 4. Hellmuth Jaesrich an „Ostschweiz" (St. Gallen) vom 12.2.1952, UoC-Archiv, „Der MonafRecords, Box 20, Folder 3. Hellmuth Jaesrich an Fritz Stemberg vom 14.7.1952, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 21, Folder 3. Vgl.a Norbert Mühlen: Das Land der Großen Mitte. Notizen aus dem NeonBiedermeier der Bundesrepublik, in: Der Monat, H. 63 (1953), S. 237-244. Hellmuth Jaesrich an Herrn Römsch vom 2.2.1953, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 26, Folder 2, wo es bes. um die Unmöglichkeit geht, das Bombardement Dresdens gegen die
Vernichtung von Lidice aufzurechnen. Auch eine Reihe von Artikeln setzte sich mit Fragen der Vergangenheitsbewältigung unter verschiedenen Gesichtspunkten auseinander: s.v.a. das Symposion „Erwacht Deutschland schon wieder?' in H 8/9 (1949) mit Beiträgen von Aron, Borkenau, Crossman, Dom, Röpke, Stemberger u.a. oder Theodor Heuss: Ein Mahnmal. Eine Ansprache in Bergen-Belsen, in: Der Monat, H. 52 (1953), S. 355; Benno Klapp: So viele
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64
leben... Besuch in Dachau, in: Der Monat, H. 115 (1958), S. 72-75. Vgl. Fritz-René Allemann: Der Türmer von Berlin. Zum Tode Ernst Reuters, in: Der Monat, H. 62 ( 1953), S. 116-122; Theodor Heuss: Ernst Reuter. Zu seinem Tode, in: Der Monat, H. 62 (1953), S. 115f; Fritz-René Allemann: Die Nemesis der Ohnmacht. Wiederbewaffhung als innenpolitische Aufgabe Brief aus Bonn, in: Der Monat, H.80 (1955), S. 99-105 und H. 81 (1955), S. 195-20 1;Bogislav von Bonin: Die deutschen Soldaten. Ein Diskussionsbeitrag, in: Der Monat, H. 83 (1955), S. 435-437; Fritz Erler: Die deutschen Soldaten. Em Diskussionsbeitrag, in: Der Monat, H. 83 (1955), S. 418-421; Walter Görlitz: Die deutschen Soldaten. Ein Diskussionsbeitrag, in: Der Monat, H. 83 ( 1955), S. 425-428; Gerhard Ritter: Die deutschen Soldaten. Ein Diskussionsbeitrag, in: Der Monat, H. 83 (1955), S. 415-418; Rolf Pabst: Salut gen Moskau? Ein Pamphlet Manfred Hausmanns zur Remilitarisierung, in: Der Monat, H. 30 (1951), S. 658-660. Vgl. Fritz-René Allemann: Bonn ist nicht Weimar, in: Der Monat, H. 76(1955), S. 333-341; François Bondy: Wie westlich dürfen die Deutschen sein, in: Der Monat, H. 32 (1951), S. 209f; GoloMann: Sind die Deutschen Westeuropäer, in: Der Monat, H. 42 (1952), S. 658f.
2. Die Werthaltungen des
„Monat"
173
und des Gedankens einer Weltregierung unter dem Aspekt der amerikanischen „one-world"-Ideologie, die dem Nährboden des liberalen Internationalismus entstammte.66 Noch wichtiger waren jedoch allgemeine Betrachtungen zur politischen Strategie im Ost-West-Konflikt. Gerade die Thesen George Kennans über das Verhältnis zur Sowjetunion wurden umfassend diskutiert,67 ebenso die Frage nach den Folgerungen, die aus Stalins Tod und der Entstalinisierung zu ziehen seien.68 In diesem Feld bewährte sich die Methode der vorwiegend innerliberalen, aber dennoch kontroversen Diskussion, kam entsprechend der Forumcharakter der Zeitschrift voll zum Tragen. Gleichzeitig war „Der Monat" seiner Anlage gemäß kein Organ mit tagespoliti-
Einigung65
scher Aufgabe, sondern wollte eine kulturpolitische Zeitschrift sein, in der neben politischen Themen besonders hochkulturelle Anliegen ihren Platz haben sollten. Nur in der Zusammenschau aktueller, strategischer und kulturellästhetischer Anliegen konnten meinungsbildende Prozesse in Gang gesetzt werden. Überdies wurde durch den Verzicht auf tagespolitische Aktualität der Anschein unmittelbarer Propaganda sorgsam vermieden. Kaum weniger wichtig als die Themenauswahl war die Auswahl der Autoren. Carl Müller hat 1951 für die ersten drei Jahre die Herkunft der Beiträger des „Monat" einer statistischen Analyse unterzogen.69 Demnach stammten je 27% der Autoren aus den USA und Deutschland, 18% aus Großbritannien, 7,5% aus Frankreich. Der Rest verteilte sich auf knapp zehn weitere Staaten, darunter eine Reihe von Emigranten aus dem Ostblock. Die von Zeitgenossen
65
66
Raymond Aron: Nationale Gesundung und europäische Integration. Aufbau eines neuen Europa, in: Der Monat, H. 54 (1953), S. 579ff; Klaus Harpprecht: Warum ich Europäer bin, in: Der Monat, H. 116(1958), S. 23-29; Bertrand de Jouvenel: Expansion und Kontraktion. Wege zu einem neuen Europa, in: Der Monat, H. 4 (1949), S. 3-5. Jouvenels Artikel stand im Rahmen eines Symposions über „Wege zu einem neuen Europa". In diesem Zusammenhang wurde gelegentlich auch der Abendlandstopos aufgegriffen, va. in H. 1 ( 1948) mit dem Symposion: „Das Schicksal des Abendlandes". Bedeutsamer waren allerdings Beiträge über die enge Verbindung von europäischer Einigung und den USA, vgl. das Syposion über das „transatlantische Gespräch" in H. 50 (1952) mit Artikeln von Aron, Brogan, Conolly, Gasser und
Reuter. Vgl. das Symposion: „Eine Welt oder keine!" in H. 7 (1949), mit Beiträgen von Borgese, Bumham und Kohn. Fritz- René Allemann: Kennan und was weiter?, in: Der Monat, H. 113 (1958), S. 3-9; Joseph Alsop: Die strategische Lage. Ein neues Gleichgewicht der Kräfte, in: Der Monat, H. 118 (1958), S. 3-10; Raymond Aron: Der Westen und die Zukunft Rußlands. Eine Stellungnahme zu George Kennans Aufsatz, m: Der Monat, H. 37 (1951), S. 50-54; ders : Europa, Moskau und die Atomgefahr. Antwort auf Kennan, in: Der Monat, H. 114(1958), S. 3-15; Max Beloff: Der Westen und die Zukunft Rußlands. Eine Stellungnahme zu George Kennans Aufsatz, in. Der Monat, H. 37 (1951), S. 62-65; James Burnham: Waffen des Kalten Krieges, in: Der Monat, H. 20 ( 1950), S. 190-197; s. bes. George F. Kennan: Amerika und Rußlands Zukunft, in: Der Monat, H. 34 (1951), S. 339-353; ders.: Die Sonne und der Nordwind. Gedanken zur Lösung der Ost-West-Spannung, in: Der Monat, H. 76 (1955), S. 291-300; ders.: Lieber tot als rot?, in: Der Monat, H 115 ( 1958), S. 24-26. Vgl. Richard Löwenthal: Jenseits des Stalinismus, in: Der Monat, H. 91 (1956), S. 3-10 C.W. Müller: Der Monat, S. 2, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 14, Folder 2. -
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68 69
174
III. Zur Funktion der Zeitschrift
„Der Monat"
gelegentlich kritisierte Tendenz des „Monat", überwiegend US-Amerikaner zu
Wort kommen zu lassen, war statistisch auf den ersten Blick nicht nachzuweisen. Dies änderte sich jedoch, wenn man qualitativ gewichtete, also nachfragte, wer unter welchen Gesichtspunkten denn häufiger publizieren durfte. Dann bekamen liberale Amerikaner und labournahe Briten ein erhebliches Übergewicht. Im Laufe der fünfziger Jahre veränderte sich das Bild. Berücksichtigt man den Zeitraum bis 1961, dann waren rund 40% der Beiträger Deutsche, weitere 35% US-Amerikaner und rund 15% Briten. Frankreich stellte kaum 10% der Autoren. Wiederum ist damit nur wenig ausgesagt, denn ähnlich wie bei der inhaltlichen Linie des „Monat" war weniger das Herkunftsland als vielmehr die politische Heimat des jeweiligen Autors von Interesse. Erneut ist es sinnvoll, bevorzugt jene Autoren zu betrachten, die häufiger, also mehr als fünfmal, im „Monat" veröffentlicht haben. Dann wären neben unabdingbaren literarischen und künstlerischen Größen der Zeit (so zum Beispiel T.S. Eliot, William Faulkner, Christopher Fry, Thomas Mann, Thornton Wilder, Franz Kafka, George Bernhard Shaw, Ernest Hemingway und Boris Pasternak) bekannte antistalinistische Intellektuelle (André Gide, George Orwell, Aldous Huxley und Milovan Djilas) zu nennen. Den Kern der wichtigsten Autoren aber stellte der CCF: Arthur Koestler, John Dewey, Benedetto Croce, Czeslaw Milosz, Franz
Borkenau, Salvador de Madariaga, Arthur M. Schlesinger jr., Irving Kristol, Michael Polanyi, Ignazio Silone, Peter de Mendelssohn, François Bondy und Denis de Rougemont gehörten zu den herausragenden Autoren im „Monat".
Auch der deutsche CCF und sein Umfeld waren gut vertreten: Rudolf Hagelstange, Carl Liniert, Theodor Plievier, aber auch Karl Jaspers, Richard Löwenthal, Hans Schwab-Felisch, Ernest Salter, Ludwig Marcuse, Theodor W. Adorno, Alfred Weber, Norbert Mühlen, Herbert Luehty und Ernst Reuter entstammten diesem Bereich oder waren über die internationale Ebene dem CCF verbunden. Gerade in der strategisch-politischen Analyse wurde bevorzugt auf Autoren, die dem CCF anghörten oder ihm wenigstens nahestanden, zurückgegriffen, ebenso bei philosophischen, soziologischen und politologischen Artikeln, weniger in eigentlich hochkulturellen Kontexten. Wie im CCF ließ ab 1952 die Bedeutung radikalantikommunistischer Autoren wie Koestler, Burnham oder Borkenau etwas nach, während gemäßigte Analytiker wie Polanyi oder Löwenthal an Einfluß gewannen. Mit diesem generellen Befund soll jedoch nicht gesagt werden, daß sich die Autoren des „Monat" in den wichtigen Bereichen ausschließlich aus dem konsensliberalen Spektrum rekrutiert hätten. Gerade in den Symposien, in denen der Forumcharakter der Zeitschrift am gelungensten zum Ausdruck kam, waren altliberale oder demokratisch-konservative Autoren unter dem gemeinsamen Dach des antikommunistischen Konsenses gem gesehene Gäste. Normalerweise wurden sie aber von liberalen Autoren eingerahmt, wodurch ihre inhaltliche Wirkung sogleich relativiert werden konnte.
2. Die Werthaltungen des
175
„Monat"
Wesentlich offener als im eigentlich politisch-ideologischen Bereich war „Der Monat" in ästhetischen Debatten und auf dem Feld der Nationalökonomie, das allerdings nicht gerade zu den zentralen Themenbereichen zählte, sondern eher am Rande des Interesses stand. Hier konnten strenge Marktwirtschaftler wie Wilhelm Röpke gleichberechtigt neben den Protagonisten eines demokratischen Sozialismus wie Willy Brandt stehen. Selbstverständlich kam auch keynesianisches Gedankengut zur Sprache,70 ohne aber eigentlicher Maß-
stab der redaktionellen Arbeit zu sein. Die Debatten im „Monat" waren also, für den deutschen Leser nicht unmittelbar einsichtig, Kontroversen innerhalb eines vergleichsweise offenen, im Endeffekt aber doch weltanschaulich relativ homogenen Milieus linksliberaler, antikommunistischer Intellektueller. Ein wirklicher Primat der USA war dabei weder gewollt noch wirklich notwendig, verfügte die Zeitschrift doch über ein reiches Potential von Autoren, die einer spezifisch liberalen Form von Westlichkeit anhingen. Für die Deutschen lag der besondere Reiz dieser Konstellation im taternationalen Flair, das Autoren und Themen des „Monat" umgab. Nach der kulturellen Isolation in den zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft gelang es dem „Monat" besser als den „Stunde NuH"-Zeitschriften deutscher Herkunft, das Gefühl zu vermitteln, wieder an den internationalen Diskussionen teilzuhaben. Das enge Verhältnis zwischen „Monat" und CCF war dafür mitbestimmend, wobei stets zu berücksichtigen bleibt, daß die Konzeption des „Monat" älter war als der CCF. Ein Wandel in der Generallinie des „Monat" ist bis in die sechziger Jahre hinein nicht erkennbar, bestenfalls verlor der von der Redaktion gepflegte Antikommunismus im Ton jene überbordende Schärfe, die die Jahre 1948 bis 1953 gekennzeichnet hatte. Sachlich änderte sich nichts. „Der Monat" war nie nur eine bloße Kulturzeitschrift, sondern war als Ideologieträger ersten Ranges konzipiert worden. Daran verschob sich weder unter HICOG noch unter Fordund CCF-Schirmherrschaft etwas. Die allgemeinen Prinzipien der Themen- und Autorenauswahl blieben bis mindestens 1964 den weltanschaulichen Motiven untergeordnet, unter denen „Der Monat" im Jahre 1948 gegründet worden war: „re-orientation" und Antikommunismus.
b. Die USA als Garant westlichen Freiheitsstrebens Hans Schwab-Felisch hat den „Monat" einmal als Organ im Kulturkampf des Kalten Krieges und als Exponenten des amerikanischen Liberalismus bezeich-
70
Vgl. T.R. Fyvel: John Maynard Keynes. (1951), S. 319-324.
Zu R.F Harrods
Biographie,
m:
Der Monat, H. 33
176
III. Zur Funktion der Zeitschrift
„Der Monat"
net71 und dürfte mit dieser Charakteristik die Ratio des Magazins einigermaßen genau getroffen haben. Ohne Zweifel war „Der Monat" eine antikommunistische Zeitschrift, und dennoch wäre es falsch, wollte man in ihm nur ein
abgrenzendes Propagandainstrument erkennen. Die antikommunistische Stoßrichtung des „Monat" hatte mindestens zwei Aspekte, die sich gegenseitig bedingten: einen in der Tat negativ-abgrenzenden, der dem generellen antikommunistischen Konsens der US-amerikanischen Gesellschaft entsprach,72 und einen positiv-vereinnahmenden, der im engeren Sinne konsensliberalen Ursprungs war und gleichsam fließend zur „re-orientation"-Mission des „Mo-
nat" überleitete. Die von Lasky und seiner Redaktion vertretene antitotalitäre Antikommunismuskonzeption mochte kompromißlos sein,73 sie war jedoch weithin deutlich elaborierter als andere Formen des zeitgenössischen Antikommunismus, auch und gerade verglichen mit dem CCF. Nicht so sehr die Gegnerschaft zur marxistischen Ideologie, über die allerdings nie ein Zweifel bestehen konnte, stand konzeptionell im Vordergrund, sondern die positive Strahlkraft
westlich-individualistischer Freiheitswerte.74
Wenn auf die kommunistische Ideologie inhaltlich abgehoben wurde, ging meist um Fragen fehlender intellektueller und kultureller Freiheit im Einflußbereich der Sowjetunion.75 So wurde die Unfreiheit des Ostens zur Negativfolie für die Freiheiten des westlichen Lagers. Gerne griff „Der Monat" auch hétérodoxe Entwicklungen innerhalb des Marxismus auf,76 besonders das es
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75 76
Hans Schwab-Felisch: „Der Monat". Ein Zeitdokument, in: Merkur 25 (1971), S. 407f. Schwab-Felisch war in den frühen fünfziger Jahren dem Berliner CCF-Büro und dem „Monat" eng verbunden Dieser Aspekt in der Weltanschauung des „Monat" wurde von deutschen Medien entsprechend kritisiert. Lasky beklagte sich bitter über eine „Spieger-Artikel vom 3.10.1951, in dem über antikommunistische Propaganda in Deutschland berichtet worden war. Jede Aufklärungsarbeit in Deutschland leide unter den Tätigkeiten eines parallel laufenden, desinformierenden Netzwerkes, vgl. Melvin J. Lasky an Shepard Stone vom 4.10.1951, UoC-Archiv, „Der Monat"-Records, Box 7, Folder 1. Melvin J. Lasky an Fritz Eberhard (SDR) vom 6.3.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 1, Folder 14: Man dürfe mit dem Totalitarismus keine „schmähliche(n), kleine(n) Kultur-
kompromisse" eingehen
Melvin J. Lasky an William Benton (US-Senator) vom 25.3.1950, UoC-Archiv, „Der MonafRecords, Box 1, Folder 4: „Our editorial work with ,Der Monat' has certainly proven, first, that the West can be unified on the basis of its common ideas, and secondly, that this unified European-American democratic tradition can produce a fighting spirit in the exposure of Soviet Communism and its totalitarian ideology It is devoutly to be wished that these and similar frontier skirmishes broaden out into a full-fledged European and world-wide offensive." Vgl. Günther Birkenfeld: Der NKWD-Staat, m: Der Monat, H. 18 (1950), S. 628-643; Frantisek Halas: Die Mittel des Terrors, in: Der Monat, H. 36 ( 1951 ), S. 666-668. Sidney Hook: Befreiung durch Evolution. Die „Abweichung" als Rettungsweg, in: Der Monat, H 113(1958), S. 10-25. Der Beitrag nahm Hooks Thesen aus „Heresy, Yes Conspiracy, No!"
(1953) auf.
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2. Die Werthaltungen des
„Monat"
177
Jugoslawien Titos erfreute sich ausgesprochener Aufmerksamkeit.77 Eine recht heftige Kontroverse entspann sich innerhalb des „Monat" um einen Artikel Arthur Koestlers über den Kommunismus als Form politischer Neurose.78 Indem sich in der gesamten Debatte die Unfähigkeit offenbarte, den Kommunismus als rationale Denkmöglichkeit zu begreifen, enthüllte sich das
wohl entscheidende Defizit in der antikommunistischen Arbeit des „Monat": Totalitäre Phänomene konnten von vorneherein nur begrenzt als Ausfluß von Mängeln innerhalb des liberalen Systems verstanden werden, weshalb man sich gerade in der frühen Phase bis 1952/54 gerne mit der Erklärung behalf, es handele sich um individual- oder kollektivpsychologisch nachvollziehbare Krankheiten. Dies gilt analog auch für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Selbst nach dem Ende der Hochphase des Kalten Krieges blieb es oft bei eher kosmetischer Kritik an den Grundprämissen des Liberalismus.
Höhepunkte antikommunistischer Polemik beim „Monat" ergaben sich immer dann, wenn innerhalb des Ostblocks, gerade nach Stalins Tod, Krisen erkennbar wurden. Schon des Standortes wegen war der Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 für den „Monat" ein Ereignis ersten Ranges, das Joachim G Leithäuser umfassend dokumentierte.79 Ähnliches galt für die Unruhen in Polen und den ungarischen Aufstand von 1956.80 Trotzdem wurde der Ton in der antikommunistischen Arbeit gemäßigter, gelegentlich tauchten seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre sogar Artikel auf, die Möglichkeiten eines liberaleren Kommunismus immerhin prüften.81 Allmählich ließ, besonders seit dem Ende der Stalin-Ära, die Dichte antikommunistischer Artikel nach. Dennoch blieben Vgl. Ruth Fischer: Tito contra Stalin. Gegenwartsprobleme der Kominternstrategie, in: Der
Monat, H. 7 (1949), S. 44-55; dies.: Tito und Trotzki. Der Unabhängigkeitskampf der kommunistischen Parteien, in: Der Monat, H. 16 (1950), S. 398-409; Peter Schmid: Titos übereilte Revolution, in: Der Monat, H. 5 (1949), S. 55-61; Richard Löwenthal: Modellfall Jugoslawien. Von der Kolchose zur Genossenschaft, in: Der Monat, H. 62 (1953), S. 125-134; mit dem Fall Djilas wurde die Berichterstattung dann deutlich kritischer, s. Ernst Halperin: L'affaire Djilas. Bericht über einen Ketzerprozeß, in: Der Monat, H. 66 (1954), S. 593; ders.: Milovan Djilas. Titos Gefangener bricht mit dem Kommunismus, in: Der Monat, H. 108 (1957),
78
79
80 81
S. 9-12. Arthur Kostler: Politische Neurosen, m: Der Monat, H. 63 (1953), S. 227-236; vgl. dazu Hans Kohn: Gibt es politische Neurosen? Zu Arthur Koestlers Aufsatz, in: Der Monat, H. 68 (1954), S. 148-150; Alexander Mitscherlich: Gibt es politische Neurosen? Zu Arthur Koestlers Aufsatz, in: Der Monat, H. 65 (1954), S. 479-482; Theodor W. Adorno: Gibt es politische Neurosen? Zu Arthur Koestlers Aufsatz, in: ebda, S. 482-485; Jules Monnerot: Gibt es politische Neurosen? Zu Arthur Koestlers Aufatz, in: ebda, S. 473-478; Leonard Woolf: Gibt es politische Neurosen? Zu Arthur Koestlers Aufsatz, in: ebda., S. 469-472. Joachim G. Leithäuser: Der Aufstand im Juni. Ein dokumentarischer Bericht, in: Der Monat, H. 60 (1953), S. 595-624 und H. 61 (1953), S. 45-66. Vgl Richard Löwenthal: Es gibt kein zurück. Die Lehren aus Ungarn und Polen, in: Der Monat, H. 100 (1957), S. 7-15. Arthur M. ScHLESlNGERjr.: Chancen eines liberalen Kommunismus. Gedanken nach einer Reise durch Osteuropa, in: Der Monat, H. 137 (1960), S. 39-52.
178
III Zur Funktion der Zeitschrift
„Der Monat"
der Kommunismus sowie Neutralismus82 und Pazifismus83 die regulären Gegner des „Monat" im alltäglichen politischen Streit. Melvin Lasky hatte schon im Dezember 1948 bestritten, daß „Der Monat" die Bruchstelle zwischen West und Ost überbetonen würde,84 hob aber den durchgehend prowestlichen Charakter des Magazins hervor. Dennoch, diesen Beteuerungen und allem Bemühen um ein überdurchschnittliches, intellektuelles Niveau zum Trotz, lief die Zeitschrift sehr schnell Gefahr, sich zu prononciert als bloßes Instrument antikommunistischer Propaganda zu gerieren. Innerhalb der Redaktion war man sich dessen sehr wohl bewußt und deshalb spätestens seit dem Frühjahr 1950 bemüht, dieser Tendenz entgegenzusteuern.85 So verstärkte sich mit dem schrittweisen Abbau der Dominanz des Antikommunismus die positive Tendenz beim „Monat": Die Vereinigten Staaten beziehungsweise der Westen wurden nun mehr in den Vordergrund gestellt; die USA, wenn auch zurückhaltend, als Modell westlicher Zivilisation geschildert. Dieser Tenor stand keineswegs im Gegensatz zu der gleichzeitigen, dezidiert proeuropäischen Haltung, die im „Monat" ihr intellektuelles Sprachrohr fand. Proamerikanisches und proeuropäisches Denken gehörten in der
liberaldemokratischen Perspektive notwendig zusammen. Die Nähe von proamerikanischer und antitotalitäterer Linie hat Hellmuth Jaesrich früh betont, wobei antitotalitär für ihn keinesfalls antirussisch bedeuten sollte. So wie man beim „Monat" streng zwischen nationalsozialistischer Partei und deutschem Volk unterschied, wurde auch zwischen der KPdSU und den Völkern der UdSSR unterschieden.86 In seinen Augen war die Nähe zu den USA derart selbstverständlich, daß es schwer wurde, sie konkret zu reflektieren.87 Das proamerikanische Motiv in der Berichterstattung der Zeitschrift stand selbstredend in engstem Zusammenhang mit der neuen Propagandaaktivität im Rahmen der Operation „Talk Back". Auf der anderen Seite waren Lasky und Jaesrich davon überzeugt, daß ein nicht unerheblicher Teil dieser oft republikanisch geprägten Propaganda schlicht kontraproduktiv wäre. Gerade der von den USIA/USIS-Stellen gepflegte Patriotismus erschien ihnen als steril.88 Die USA so Lasky dürften nicht erwarten, von aller Welt geliebt zu werden, vielmehr -
-
83
Richard Löwenthal: Fehlschlüsse über „Neutralismus", in: Der Monat, H. 150 (1961), S. 5763, hier bes. bezogen auf die Entwicklung in der 3. Welt. Hans J. Morgenthau: Der Pazifismus des Atomzeitalters, in: Der Monat, H 109 ( 1957), S. 3-
84
Melvin J.
85
Hellmuth Jaesrich an Manuel Gasser vom 30.3.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 2, Folder 5. Hellmuth Jaesrich an Fritz Stemberg vom 24.1.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box
82
8.
86
Lasky an Alfred Wollmann (Radio München) vom 16.12.1948, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 5, Folder 8.
15, Folder 2.
87
88
Hellmuth Jaesrich an Dr. Hellmuth Lindemann vom 7.5.1951, UoC-Archiv, „Der MonafRecords, Box 13, Folder 8 Memorandum Melvin J. Lasky: „Some Notes on .Preuves', .Encounter' and ,Der Monat' o.D., IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 241, Folder 8. "
-
2. Die Werthaltungen des „Monat"
179
gehe es darum, zwischen Europa und den USA das gegenseitige Verstehen zu fördern.89 Entsprechend war „Der Monat" um ein zwar positives, aber nie unkritisches Bild der Vereinigten Staaten bemüht. Die Gesellschaft, das politische System, allem voran aber die ideologischen Traditionen des liberalen Amerika sollten anschaulich geschildert werden. Im Zentrum stand die konsensliberale Sicht amerikanischer Geschichte und Gegenwart, wobei der Stellenwert individueller Freiheit als wichtigster Topos liberaler Westlichkeit deutlich hervorgehoben wurde. Das Freiheitsstereotyp verband sich dann
nahtlos mit dem nicht minder intensiv behandelten Grundthema von der Funktion kultureller Freiheit.90 Individuelle und kulturelle Freiheit wurden so zu Grundkonstituenten nicht allein der US-Politik oder der amerikanischen Gesellschaft, sondern von Westlichkeit überhaupt. Zugleich boten sie einen adäquaten Perzeptionsrahmen für die Akzeptanz sozioökonomisch-reformistischer Theorien aus dem amerikanischen, liberalen Umfeld gerade in der westeuropäischen Arbeiterbewegung. Gesamtgesellschaftliche Planbarkeit, insbesondere im wirtschaftlichen Bereich, wurde zwar als prinzipiell berechtigt und notwendig angesehen, jedoch immer innerhalb des von der Freiheitsthematik vorgegebenen liberalen Bezugssystems.91 Ein wichtiger Bestandteil dieses Rahmens waren die „civil liberties", deren intensive Thematisierung schon von OMGUS angeregt worden war.92 Sie wurden jedoch seltener direkt angesprochen, son89 90
91
92
Eine fast identische Sicht der Lage gab es beim CCF, vgl. Francois Bondy an Arthur M. Schlesingerjr. vom 6.9.1951, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 283, Folder 1. Michael Freund: Freiheit, die ich meine. Die Zukunft der Freiheit, in: Der Monat, H. 89 (1956), S. 108-111; Karl Jaspers: Über Gefahren und Chancen der Freiheit, m: Der Monat, H. 22/23 (1950), S. 396-406; Michael Polanyi: Unsere große Chance. Die Zukunft der Freiheit, in: Der Monat, H. 89 (1956), S. 105-107; Denis de Rougemont: Die zwei Wurzeln der Freiheit in: Der Monat, H. 89 (1956), S. 98-101; Barbara Ward: Das Wagnis der Freiheit, in: Der Monat, H. 22/23 (1950), S. 463; Hugh R. Trevor-Roper: Wahrheit, Liberalismus und Autorität in: Der Monat, H 22/23 (1950), S. 365-369; zum Thema „kulturelle Freiheit" sind die Hefte 22/23 (1950), 89 (1956) und 143 (1960) einschlägig, da sie jeweils entsprechende Kongresse des CCF behandeln. Vgl. das Symposion „Der Streit um die Zukunft des Sozialismus" mit Beiträgen von Willy Brandt, Friedrich A. Hayek, Sidney Hook, Wilhelm Röpke, Joseph A. Schumpeter und Ernst Tillich in: Der Monat, H. 5 (1949); s. ferner Gustav Klingelhöfer: Kapitalismus ohne Schrecken... und der Sozialismus von heute, in: Der Monat, H 116 (1958), S. 8-18 und Ignazio Silone: Der Sozialismus am Kreuzweg. Ein politisches Bekenntnis, in: Der Monat, H. 10 ( 1949), S. 84-89; zu der ftlr diese Grundhaltung wichtigen Akzeptanz utopischer Elemente als sozialökonomischer oder literarisch-künstlerischer Regulative im Gegensatz zu destruktivrevolutionärer Ambition vgl. Melvin J. Lasky: Der grüne Stab. Zur Verteidigung der Utopie und der Utopisten, in: Der Monat, H. 26 ( 1950), S. 213-217; ders. Utopisten und Anti-Utopiin: Der H sten, Monat, 32(1951), S. 208f; s. insges. Melvin J. Lasky: Utopia und Revolution. Ober die Ursprünge einer Metapher oder Eine Geschichte des politischen Temperaments,
Hamburg 1989. W.J Salier (German Affairs
Division, OMGUS)
an
Melvin J.
Lasky vom 29.8.1949, UoC-
Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 7, Folder 1. Salier hatte bei deutschen Zeitungsverlegem
einen erheblichen Mangel an Wissen über die Grenzen der Polizeigewalt konstatieren müssen und forderte Lasky dazu auf, das Problem der „civil liberites" intensiver anzusprechen. Vgl. a. Elliot E. Cohen: Der freie Bürger m Amerika, in: Der Monat, H. 22/23 ( 1950), S. 424-429.
180
III. Zur Funktion der Zeitschrift
„Der Monat"
dem in der Regel im Zusammenhang mit Problemen individueller und kultureller Freiheit. Desweiteren fanden sich im „Monat" eine Fülle von Beiträgen zum intellektuellen und kulturellen Leben in den USA, die das bildungsbürgerliche Vorurteil von der kulturlosen Neuen Welt widerlegen sollten.93 Die Vorbildrolle der USA wurde mit einiger Konsequenz auch für den Bereich der Gewerkschafts- und Arbeitsorganisation nahegelegt.94 Den Höhepunkt der Versuche „politische und kulturelle Spannungen in den transatlantischen Beziehungen abzubauen"95 stellte die Jubiläumsnummer 50 des „Monat" dar, die einem „Amerika-Europa-Symposion" gewidmet war. Das Thema wurde in einem Gespräch zwischen Lasky und Dolf Sternberger angeregt und konzeptionell entwickelt. Lasky ging es darum, Foren des transatlantischen Dialogs, zu denen auch „Der Monat" gehörte, an die Stelle bloßer amerikanischer Propaganda zu setzen. Seine alten Vorbehalte gegenüber den Aktivitäten der amerikanischem Behörden in diesem Bereich weiterführend, bekannte er, die staatliche USPropaganda sei nicht im mindesten dazu geeignet, den Antiamerikanismus wirkungsvoll zu bekämpfen. Dies sei nur zu erreichen, wenn Amerikaner und Europäer auf der gemeinsamen Grundlage westlicher Werttraditionen zu einem fruchtbaren Dialog fänden, der zusätzlich durch internationale Institute kanalisiert und befordert werden könnte.96 Derartige Stätten des Austauschs innerhalb der Gruppe westlicher Intellektueller erschienen Lasky umso dringlicher, als ihn die Furcht vor einem „sich entwickelnden, in Kontinenten denkenden Übernationalismus"97 umtrieb. So wie die proamerikanische Linie des „Monat" unverkennbar den Idealen des amerikanischen liberalen Internationalismus und Idealismus verpflichtet war, so sehr wurde gleichfalls die Kritik an den USA aus liberalen Anschauungen heraus begründet. Dafür garantierte die Fülle US-amerikanischer „liberals" und antikommunistischer „radicals", die regelmäßig in der Zeitschrtift 93
Walter Hasenclever: Zornig aber nicht jung. Amerikas „Beat Generation", in: Der Monat, H. 121 (1958), S. 74-84; Irving Howe: Der Nachkriegsroman m Amerika. Eine Bestandsaufnahme zur Jahrhundertmitte, in: Der Monat, H. 34 (1951), S. 424-428; Robert Pick: Mit europäischen Augen. Amerika im Spiegel der europäischen Literaturkritik, in: Der Monat, H. 18 (1950), S. 313-315; Leslie A Fiedler: Der „gute Amerikaner". Ein Amerikaner unter europäischen Intellektuellen, in: Der Monat, H. 69 (1954), S. 287-289. Oscar Handlin: Wird der Arbeiter konservativ? Praktische Auswirkungen der Prosperität, in: Der Monat, H. 57 (1953), S. 243-248; s.v.a. Norbert Mühlen: Amerikanische Gewerkschaften, in: Der Monat, H. 32 (1951), S. 153-158. Muhlens Artikel war so erfolgreich, daß er von deutscher Arbeitgeberseite als Sonderdruck bestellt wurde: Phoenix Gummiwerke (Hamburg) an Melvin J. Lasky vom 29.5.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 12, Folder 8. Melvin J. Lasky an Dolf Sterberger vom 10.9.1952, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 21, Folder 3 Melvin J. Lasky an Shepard Stone vom 5.11.1952, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 21, Folder 3. Melvin J. Lasky an Alfred Weber vom 25.9.1952, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 21, Folder 7. -
94
95 96
97
2. Die Werthaltungen des
181
„Monat"
publizierten. Elliot Cohen, Max Eastman, Leslie Fiedler, Oscar Handlin, Irving Howe, Irving Kristol, Walter Lippmann, Mary McCarthy, Richard Rovere, Dean Rusk, Arthur M. Schlesinger jr., Upton Sinclair und Lionel Trilling trugen maßgeblich dazu bei, das Bild, welches „Der Monat" den Deutschen
den USA vermittelte, auszuformen. Die Mehrzahl dieser Autoren entstammte dem Kreis der „New York Intellectuals" und stand politisch der ADA nahe. Im Positiven wie im Negativen waren es also die Ansichten des liberalen Konsenses, die über den „Monat" nach Übersee vermittelt wurden. So nimmt es nicht wunder, daß die amerikakritische Seite des „Monat" zugleich steter Reflex der Kritik der „liberals" am eigenen Land und seinen gesellschaftlichen Unzulänglichkeiten war.98 Ganz im Sinne bürgerrechtlicher Traditionen stand dabei, bis zur Zeit des Vietnamkrieges, die sogenannte „Negerfrage" im Vordergrund, das heißt das Problem der Integration der schwarzen Bevölkerungsteile in die Gesellschaft der USA.99 Hier bahnten sich bereits in den fünfziger Jahren die Konflikte an, die unter der Präsidentschaft Lyndon B. Johnsons Anlaß zu heftigsten innergesellschaftlichen Spannungen werden sollten. Dieser Umstand belegt aufs neue die These, daß der Konsensliberalismus selbst in der Zeit des Kalten Krieges nie auf eine zukunftsorientierte und problembewußte Diskussion inneramerikanischer Problemlagen verzichtet hat. Die radikaleren Tendenzen der sechziger Jahre innerlich mitzuvollziehen, war dem Gros seiner Träger dann jedoch unmöglich. Vergleichbares gilt für den Umgang mit dem Phänomen Joseph McCarthy.100 Laskys kritischer Distanz zu den „Hexenverfolgungen" der McCarthy-Zeit folgend, berichtete „Der Monat" überaus ablehnend von der Tätigkeit auch des HUAC und seinen Folgen für das intellektuelle Leben in den USA. Auf der anderen Seite und damit ließ sich die Position des „Monat" ebenfalls auf einen gemeinsamen Nenner mit der Mehrheit der Konsensliberalen bringen war man nicht bereit, die Kritik an McCarthy oder der Situation der Schwarzen in den USA auf eine Ebene mit der Kritik an der totalitären Unrechtssituation in der kommunistischen Welt zu stellen. An diesem Punkt offenbarten sich erneut Bruchstellen zur Neuen Linken, die zwar, wenigstens zu Beginn, der UdSSR skeptisch gegenüberstand, tendenziell aber zu Äquidistanzmodellen neigte, die von
-
-
98
99
100
Vgl. Richard Löwenthal: Anatomie des Konformismus. Korrekturen an unserem Amerikabild, in: Der Monat, H. 124 (1959), S. 62ff Der Vorwurf des übersteigerten Konformitätsdrucks gehörte zu den Standardargumenten gegen die Vorherrschaft des antikommunistischen Konsenses in den USA; vgl. die einschlägige zeitgenössische Studie von David Riesman: The Lonely Crowd. A Study of the Changing American Character, New York 1950. Alistair Cooke: Die Prüfung des Südens. Weiß und Schwarz in den USA, in: Der Monat, H. 96 (1956), S. 13-21 und H. 97 (1956), S. 19-22; Walter Lippmann: Ein Brief William Faulkners zur Negerfrage, in: Der Monat, H. 91 (1956), S. 85f; Patrick O'Donovan: Der Prozeß des Martin Luther King. Bnef aus Alabama, in: Der Monat, H. 92 ( 1956), S. 13-15 Leslie A. Fiedler: Dr streitbare Senator. Glanz und Elend Joe McCarthys, in: Der Monat, H. 74 (1954), S. 129-142; Richard H. Rovere: Die letzten Tage Joe McCarthys. Abgesang auf einen Demagogen, in: Der Monat, H. 123 (1958), S. 39ff
182
III. Zur Funktion der Zeitschrift
„Der Monat"
für die Liberalen im Umfeld des „Monat" nicht akzeptabel sein konnten. Mißverstanden die Liberalen die Neue Linke in der Folge als Teil des sowjetisch gesteuerten Bemühens um kulturelle Hegemonie des Marxismus im Westen, so erblickten die heterodoxen Neulinken in den Verfechtern des Konsenses bald nur noch Protagonisten eines ungebrochenen philokapitalistischen Amerikanismus, was bis heute die Wahrnehmung von „Monat" und CCF nachhaltig negativ beeinflußt hat. Gleichzeitig wird deutlich, daß Lasky und seine Mitarbeiter gerade nicht den alten Standpunkt der Besatzungsbehörden teilten, man müsse gewissermaßen die Deutschen vor Negativnachrichten aus den USA im Interesse ihrer Umerziehung bewahren. Selbst wenn jedermann klar sein mußte, wo „Der Monat" stand, konnte kaum auf amerikakritische Berichte verzichtet werden, wollte man nicht zugleich das intellektuelle Niveau der Zeitschrift in einem unerträglichen Maß senken und auf diese Weise jede mögliche ernsthafte Rezeption verhindern. Antitotalitarismus und liberal-internationalistischer Transatlantizismus mit stark proamerikanischer Ausrichtung gehörten beide zu den fundamentalen Konzepten des liberalen Konsenses. Der proamerikanische Aspekt ließ sich überdies zwanglos mit altliberal-individualistischen sowie pragmatistischen Gedanken verbinden, was beim „Monat" allerdings bevorzugt auf der Ebene der „re-orientation"-Mission geschah. Hier zeigte sich dann, daß „Der Monat" eben nicht nur das deutschsprachige Publikationsorgan des amerikanischen liberalen Konsenses unter den Bedingungen des Kalten Krieges war, sondern daß er stets zusätzlich eine deutschlandspezifische Aufgabe zu erfüllen hatte, die dann aber wiederum mit Hilfe der ideologischen Prämissen des Liberalismus gelöst werden sollte. Im Grunde neigten nicht nur die liberalen USAmerikaner, sondern auch „conservatives" in der Tat dazu, auf sämtliche anfallenden Fragen ein und dieselbe Antwort zu geben: ihr eigenes Modell. Keynesianische Züge traten beim „Monat", schon des Charakters einer Kulturzeitschrift wegen, etwas zurück, obgleich man redaktionsintern an manchem geplanten Beitrag durchaus den „unverblümten, kapitalistischen Patriotismus"
bemängelte.101 c.
„Der Monat" als Instrument der „re-orientation"
Das Deutschlandbild der amerikanischen Konsensliberalen gründete auf einem seit dem Ersten Weltkrieg herausgebildeten Wahrnehmungsschema deutscher 101
Hellmuth Jaesrich an Wolfgang Bretholz vom 29.8.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 7, Folder 4. Noch deutlicher wurde Lasky, der bemerkte, angesichts der notwendigen „crusade for freedom" gegen den Kommunismus müßten auch jene, die wie er eigentlich für eine Regulierung der Marktwirtschaft einträten, versuchen, das marktwirtschaftliche System zu verteidigen, vgl Melvin J. Lasky an Peter Schneider (Student der FU) vom 3.11.1950, UoCArchiv, „Der Monaf-Records, Box 5, Folder 2.
2. Die Werthaltungen des „Monat"
183
Geistesgeschichte, das allerdings beim „Monat", bedingt durch den Kalten Krieg, modifiziert wurde. Und so wie der Proamerikanismus des „Monat" Kalte-Kriegs-Propaganda und „re-orientation"-Mission miteinander verzahnt hatte, so gab es im Rahmen der geistes- und ideengeschichtlich angelegten Auseinandersetzung liberaler Intellektueller mit der deutschen Vergangenheit
ideelle Momente, die wiederum auf die Kritik am stalinistischen Marxismus zurückverwiesen. Liberalismus, Antitotalitarismus und Kalter Krieg standen gerade nicht, wie manche neulinke Historiker im Nachhinein behaupteten, in einem kontradiktorischen Verhältais,102 sondern bedingten einander bis zu einem gewissen Grade notwendig. Dies galt gerade, wenn man auf liberaler Seite die Totalitarismustheorie konsequent anwendete. Unter derartigen Bedingungen unterschieden sich die beiden Aufgabenbereiche des „Monat" (Antikommunismus und „re-orientation") bestenfalls hinsichtlich der jeweiligen Zielgruppe, nicht aber vom eigentlichen und gemeinsamen Anliegen her. Antitotalitäre Propaganda mußte, gerade als antineutralistische und antipazifistische, aber auch als antikommunistische und proamerikanische Propaganda möglichst breit gestreut werden, während die Debatten um mögliche ideengeschichtliche Fehlentwicklungen in der deutschen Vergangenheit eher auf bildungsbürgerliche Werteliten zugeschnitten waren. Diesen Multiplikatoren fiel dann die Aufgabe zu, das neue Wertsystem geistig zu durchdringen und in die intellektuelle Wirklichkeit Deutschlands einzubringen. Möglicherweise lassen sich auf diese Weise auch die erwähnten stilistischen Unterschiede zwischen den soziologisch-philosophischen Artikeln, die zumeist der „re-orientation" dienten, und den überwiegend antitotalitären historischen und hochkulturellen Essays erklären. Das „re-orientation"- Verständnis amerikanischer konsensliberaler Intellektueller, das im „Monat" in besonderer Weise manifest wurde, bezog seine ideengeschichtlichen Grundlagen überwiegend aus der Rezeption dreier Autoren, die allesamt ihre entscheidenden Werke über Deutschland in der Frühphase der Ersten Weltkrieges veröffentlicht hatten und in der Folge von bleibender Wirksamkeit sein sollten: Thorstein Veblens,103 George Santayanas104 und des für das Umfeld des CCF unvermeidlichen John Dewey.105 Alle drei waren bemüht, die Eigenheiten der deutschen gesellschaftlichen und politischen Entwicklung aus geistesgeschichtlichen „Sonderwegen" während der ideell konsumtiven Epoche der deutschen Nationwerdung zu Beginn des 19. Jahrhunderts heraus einsichtig zu machen. Folgerichtig interpretierten sie den Ersten 102
Vgl. T. Gitlin: The Sixties, S. 302, der von der „impossible legacy of Cold War liberalism" mit „self-contradictory formulas" spncht. Bereits der Terminus „Cold War liberalism" hat einen pejorativen Zug. Thorstein Veblen: Imperial Germany and the Industrial Revolution, Ann Arbor 1966. George Santayana: Deutsche Freiheit, in: Das Goldene Tor 3 ( 1948), S. 621 -626 (Neudruck von 1915). J. Dewey: German Philosophy, in: JA. Boydston (Hg.): John Dewey, Bd. 8, S. 135-204. semen
103 104
105
184
III. Zur Funktion der Zeitschrift
„Der Monat"
Weltkrieg als kulturell bedingten Konflikt. Sie stellten dem deutschen Eigenbewußtsein, wie es in den „Ideen von 1914" als bewußtes Gegenstück zu den „Ideen von 1789" zum Ausdruck kam, aufgeklärt-liberale, primär aber angelsächsische Modelle pluralistischer Demokratie entgegen. Im Grunde kehrten sie in polemischer und apologetischer Absicht die Argumentationen deutscher
Autoren einfach um.106 In ihrer Argumentation waren Veblen, Santayana und Dewey einander relativ ähnlich, aber keineswegs identisch. Veblen und Santayana neigten dazu, die deutsche Philosophie, beonders die Staatsphilosophie, des frühen und mittleren 19. Jahrhunderts für das verantwortlich zu machen, was sie als Abweichung von der Norm moderner Industriegesellschaften mit ihrer demokratischen Verfassung ansahen. Für Veblen, der für den CCF im Vergleich zu den beiden anderen Denkern weniger bedeutend war, standen sich autoritär-staatsfixiertes deutsches Denken und freiheitsorientierte Westlichkeit unversöhnlich gegenüber, bei Santayana wurde der hegelianisch gefärbte „deutsche" Freiheitsbegriff gewissermaßen zu einer Ursache des Weltkonfliktes: „Denn in dem Munde deutscher Philosophen hat das Wort Freiheit' eine ganz besondere Bedeutung. Es hat nichts zu tun mit irgendeiner Möglichkeit der freien Wahl, noch mit der des einzelnen Menschen Es bedeutet vielmehr jenes befreiende Gefühl, das uns überkommt, wenn wir froh und gut etwas zu Ende geführt haben [...] Die Freiheit der Deutschen ist die Freiheit der Engel im Himmel, die Gottes Ordnung schauen und nicht sündigen können. Sie ruht in einer so tiefen Liebe zu, und einem solchen Verständnis für das, was als Ordnung in der Gegenwart wirkt, daß man die Dinge nicht anders haben möchte, [...]. Für die persönliche Freiheit, für den Individualismus haben
Entschlußfähigkeit
diese Philosophen eine tiefe Verachtung^ Sie behaupten, ein Mensch sei nichts weiter als die Summe seiner Beziehungen zu den Dingen."107
Kaum verdeckt schimmert hier die hegelianische These von der Freiheit als dem Nachvollzug des Notwendigen durch. Santayana folgerte weiter, daß der nationale Ausdruck dessen, was die Deutschen für Freiheit hielten, die Kultur sei, die, als totales Ordnungsschema, jedermann seinen Platz zuweise, so wie es sonst nur der Religion gelänge. Diesen umfassenden gesamtgesellschaftlichen Ordnungsanspruch teile die hegelianisch konzipierte deutsche Kultur mit dem Piatonismus und dem römischen Katholizismus. Das Hauptproblem solch absolut-totaler Sinngebungsansprüche läge in der Negation historischer Entwicklung.108 Im Grunde wurde somit der deutsche „Sonderweg" zum Versuch einer geistesgeschichtlichen Abkehr vom darwinistischen Evolutionsdenken. In der Kritik des Totalen als erkenntaistheoretischem, ontologischem, ethischem und staatsphilosophischem Grundprinzip deutschen Denkens trafen sich Santayana und Dewey. Nur setzte Dewey seinen Focus früher an und er106
107 108
Ohne auf die drei Autoren direkt einzugehen, bietet Detlef Junker: The Manichean Trap American Perceptions of the German Empire, 1871-1945, Washington, DC. 1995, eine breit angelegte Einführung in die Geschichte US-amerikanischer Deutschlandperzeptionen, s.bes. S. 19-27 zum Umfeld des Ersten Weltkrieges. Dort finden sich auch reiche Literaturhinweise. G. Santayana: Deutsche Freiheit, S. 621. Ebda., S. 622f.
2. Die Werthaltungen des „Monat"
185
blickte in Hegel weniger die Ursache als vielmehr ein, wenn auch besonders wichtiges, Produkt deutschen nationalen Eigenbewußtseins. Für ihn lag die formative Phase der deutschen Ideen der Weltkriegszeit im ausgehenden 18.
Jahrhundert. Seitdem habe man in Deutschland unter Verzicht auf eine öffentliche Meinung im Sinne kontroverser Diskurse, wie sie die pluralistische Demokratie angelsächsischer Provenienz unabdingbar verlangte, vorwiegend katalanisches und hegelianisches Gedankengut mit all den damit verbundenen negativen Implikationen traktiert. Dies sei zusätzlich noch durch staatliche Vorgaben an das Bildungssystem befördert worden.109 Gerade Kant habe die lutherische Zwei-Reiche-Lehre dahingehend umfunktioniert, daß nun einem äußeren Reich der Notwendigkeit ein inneres Reich idealer Freiheit entgegenstünde. Ausgerechnet dieses Reich der Innerlichkeit und der Idealität sei von Kant strikt gegen jede Form bürgerlicher und politischer Aktion abgegrenzt worden. Letzteres sei dann auf Autorität, Pflicht und Gehorsam gegründet worden.110 Außerdem habe Kants autoritativer Apriorismus auf dem Felde der Erkenntnistheorie zu weiteren Fehlentwicklungen im Gesamtbereich deutscher Philosophie geführt: Denn im Gegensatz zu der liberal-aufgeklärten Philosophie John Lockes mit ihrem staatsfernen Charakter habe die Autoritätsphilosophie Kants, verstärkt von idealistischen Denkern wie Fichte und Hegel sowie der Romantik mit ihrem antiaufklärerischen Impetus,- die metaphysische Überhöhung des Staates zur Folge gehabt.111 Mit Hegel sei der preußischdeutsche Staat dann zum Gott auf Erden geworden.112 Wie bei Santayana wurde auch bei Dewey der hegelianische Freiheitsbegriff (hier verstanden als das Vernünftige und zugleich Notwendige, das zu akzeptieren und nachzuvollziehen sei) einer scharfen Kritik unterzogen.113 Der deutschen Philosophie stellte Dewey das Konzept einer pragmatistisch orientierten amerikanischen Philosophie entgegen, deren methodisches Grundprinzip er mit einer knappen Formel umschrieb: „An American philosophy of history must perforce be a philosophy for its future, a future in which freedom and fullness of human companionship is the aim, and intelligent cooperative experimentation the method."114 Wie bei Santayana bildete für John Dewey der deutsche Kulturbegriff eine besondere Herausforderung, wobei er, seiner bisherigen Argumentationsweise stringent folgend, wieder einmal Kant für die strikte Unterscheidung zwischen Kultur und Zivilisation maßgeblich verant-
109 110 111
112 113 114
J. Dewey: German Philosophy, S. 144f. Ebda, S. 151f. und S. 156. Ebda., S. 159f und S. 178f. Immerhin konzediert Dewey Kant, daß er noch in einem generell individualistischen Rahmen der Aufklärung argumentiert habe, den seine Nachfolger, allen voran Fichte, jedoch nur zu bald verlassen hätten, vgl S 172. Ebda., S. 192f. Ebda, S. 195f. Ebda., S. 204.
186
III. Zur Funktion der Zeitschrift
„Der Monat"
wortlich machte.115 Dies alles vorausgesetzt, waren der Militarismus und die anachronistische Sozialstruktur des wilhelminischen Kaiserreiches in den Augen Deweys und seiner Mitstreiter nur noch Folgen eines überaus mangelhaften Verständnisses der Deutschen für die individualistische Freiheitstradition der Aufklärung, wie sie sich in besonders überzeugender Weise in den USA herausgeschält hatte. Mochten die Ergebnisse Veblens, Santayanas und Deweys auch umständehalber einseitig und polemisch ausgefallen sein,116 so fanden sie doch über die unmittelbare Kriegssituation hinaus erheblichen Anklang.117 In den Augen der Konsensliberalen nach dem Zweiten Weltkrieg hatten vor allem Santayana und Dewey zwei unbestreitbare Vorteile: Einerseits erlaubten ihre Thesen, den Nationalsozialismus aus einer gegebenen, genuin antidemokratischen Tradition heraus kohärent zu erklären, worauf Dewey selbst bei der Neuausgabe seines Aufsatzes im Jahre 1942 aufmerksam gemacht hatte.118 Sogar die Eigenheiten der deutschen Arbeiterbewegung im Vergleich zur amerikanischen konnten bei Bedarf auf die ganzheitliche und obrigkeitsfixierte 115 116
117
118
Ebda, S. 168f. Eine Kritik des Hegel zugeschriebenen Freiheitsverständnisses und damit einer Grundprämisse der amerikanischen geistesgeschichtlichen Kritik an Deutschland kann man aus Hermann Lübbe: Politische Philosophie in Deutschland. Studien zu ihrer Geschichte, Basel-Stuttgart 1963 und Arno Baruzzi: Die Zukunft der Freiheit, Darmstadt 1993 ableiten, die beide darauf abheben, daß noch die rechtshegelianische Philosophie vor der Reichseinigung einen Freiheitsbegriff vertreten habe, der mit den liberalen Freiheitstheorien bedeutend kompatibler gewesen sei, als im Gefolge der antihegelianischen Kritiker bislang vermutet worden war. S.a. JB. Müller: Deutschland und der Westen, S. 41 ff., der zusätzlich auf liberale hegelianische Traditionen im Westen hinweist. Zum geistesgeschichtlichen Ablauf vgl.a. Fritz Stern: The Politics of Cultural Dispair. A Study in the Rise of the Germanic Ideology, Berkeley 1961. J. Dewey: German Philosophy, in: JA. Boydston (Hg): John Dewey, Bd. 8, S 486; in den fünfziger Jahren hat etwa L. Krieger: The German Idea of Freedom, einen ganz ähnlichen Ansatz vertreten, auch wenn er Kants Anteil an dem Gesamtprozeß deutlich positiver zeichnete als Dewey, vgl. S. 86-125. Ähnliche Positionen findet man bei H. Kohn. The Mind of Germany, ähnlich immer noch L. Greenfeld: Nationalism, S. 275-396, mit starker Betonung der romantischen Komponente im deutschen Eigenbewußtsein, speziell in seiner bildungsbürgerlichen Gestalt. Auch in Deutschland wurden derartige geistesgeschichtlich orientierte Begründungsversuche für das Enstehen nationalsozialistischer Herrschaft aufgegriffen, vgl. recht früh: H. Plessner: Die verspätete Nation. Wie Kohn gehörte Plessner zum Umfeld des CCF. S.a. B. Faulenbach: Ideologie, S. 122-156. Wolfgang Bergem: Tradition und Transformation. Eine vergleichende Untersuchung zur politischen Kultur in Deutschland. Mit einem Vorwort von Kurt Sontheimer, Opladen 1993, S. 64-97, hat eine ganze Liste geistesgeschichtlicher Eigenheiten der Deutschen zusammengestellt, die im Grunde alle von der bei Veblen, Santayana und Dewey vorgeformten Sonderwegsthese abhängig sind: die Ablehnung aufklärerischer Ideen, die Distanz zwischen Bürgerlichen, Intellektuellen und Politik sowie der daraus resultierende Eskapismus dieser Milieus, die obrigkeitsstaatliche Orientierung, Idealismus und Harmoniebedürftigkeit der Deutschen, die Tendenz zur Judifizierung der Politik, dualistische Denkschemata und Militarismus finden sich bei Bergem als Elemente deutschen Eigenbewußtseins. JB. Müller: Deutschland und der Westen, S. 7f, hat demgegenüber darauf hingewiesen, daß derartige Gedankengänge dazu tendieren, die trennenden Faktoren zwischen der deutschen und der westlichen Ideenentwicklung zu sehr zu betonen. J. Dewey: German Philosophy, in: JA. Boydston (Hg): John Dewey, Bd. 8, S. 431.
2 Die Werthaltungen des „Monat"
187
deutsche Philosophie zurückgeführt werden.119 Andererseits hatte man es nicht, folgte man diesen Theorien, mehr nötig, völkerpsychologisch die Deutschen als gewissermaßen von Natur aus autoritätsfixiertes und verbrecherisch veranlagtes Volk zu charakterisieren. Ganz im Gegenteil: Die Deutschen waren durch
Erziehung und staatlich gelenkte Kultur das geworden, was sie waren. Entsprechend mußte es möglich sein, durch einen erzieherisch angelegten Wechsel der „cultural patterns" die ideell-kulturelle Andersartigkeit und normative Abweichung der Deutschen vom Normalweg fortgeschrittener Industriegesellschaften reversibel zu machen. Das Bedürfnis nach zuverlässigen Bündnispartnern im Kalten Krieg gegen den Stalinismus sollte dann zu einer noch gemäßigteren Variante des Umerziehungsgedankens fuhren. Dennoch forderten die Ansätze von Santayana und Dewey, wollte man sie praktisch auf Deutschland anwenden, weiterhin eine Dekonstruktion des deutschen Eigenbewußt-
seins und den Versuch eines westlich-liberalen Wertetransfers nach Deutschland. Auf den „Monat" angewandt, waren, selbst bei redlicher und differenzierter Argumentation, mit dieser ideellen Perspektive allerlei Gefahren verbunden. Folgte man etwa Deweys Grundkonzeption in ihrer rein spiegelbildlichen Übernahme deutscher Selbstsicht des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, lag ein Problem darin, daß „deutsch" auschließlich im Sinne innerdeutscher, dominanter Definitionsmonopole interpretiert wurde. „Deutsch" geriet zum Synonym für „kleindeutsch-preußisch" und „protestantisch", abweichende Traditionen aus dem linksliberalen, sozialdemokratischen oder katholischen Spektrum wurden, auch wenn man ihnen positiv gegenüberstand, in das Schema „deutsch" und „nicht deutsch" eingeordnet. Sie kamen eher als Elemente einer gemeineuropäischen oder universal-aufgeklärten Tradition im Gegensatz zum „Deutschen" vor denn als retardierendes Moment auf dem Weg zu einer umfassenderen Definition des Deutschen. Dies entsprach zum Teil sicher den jeweiligen weltanschaulichen Gegebenheiten, gerade hinsichtlich des Universalitätsanspruches von Liberalen und Katholiken, dennoch muß es verwundem, daß „Der Monat" nie zu einer wirklich fundamentalen Kritik kletadeutsch-preußischer kultureller Hegemonie gelangte, sondern sich in der Regel auf die negative Rezeption eines idealtypischen Stereotyps beschränkte, das den definitorischen Monopolanspruch nationalkonservativer und nationalliberaler Werteliten des Kaiserreiches im Nachhinein noch einmal bestätigte. Das andere potentielle Problem beim
Umgang des „Monat" mit „deutschen" westliche Idealität gegen deutsche Realität zu setzen, also auf zwei nur beschränkt vergleichbaren Ebenen zu argumentieren.
Werthaltungen bestand darin,
119
Vgl. J.B Müller: Deutschland und der Westen, S. 31. Vgl. allg. zum Problem der Beziehung zwischen Sozialismus, Liberalismus und deutschen Denktraditionen B. Faulenbach: Ideologie, S. 157-177.
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III. Zur Funktion der Zeitschrift
„Der Monat"
Diese Schwierigkeit wurde sorgsamer vermieden als die erste, allerdings nur bedingt reflektiert. Dieser Umstand ergab sich mit einer gewissen Notwendigkeit aus den ideologischen Prämissen der Zeitschrift. Einerseits nämlich vermied es „Der Monat" mit seinem Konzept des subtilen Antifaschismus, sich mit der konkreten nationalsozialistischen Vergangenheit häufig auseinanderzusetzen, und beschränkte sich statt dessen zumeist auf eine idealtypische Analyse deutscher geistesgeschichtlicher Traditionen. Andererseits umging man auf der Realitätsebene eine idealisierende Darstellung westlicher Gesellschaften,
allen voran der USA. Entsprechend dem auf den Vorarbeiten von Dewey, Santayana und Veblen beruhenden Befund, hielt sich „Der Monat" im Umgang mit hegemonialen ideellen Traditionen in der deutschen Geistesgeschichte an eine Gesamtstrategie, die im Sinne der „re-orientation"-Konzeption auf positive und zukunftsorientierte Faktoren abhob.120 Es wurden Werthaltungen vermittelt, die eine dauerhafte Hinwendung Westdeutschlands zur Gemeinschaft des freien Westens erwarten ließen. Zentrales Vehikel in dem derart angelegten Prozeß der ideell-kulturellen Westorientierung der Deutschen war die Idee des Kosmo-
politismus.121 Das Kosmopolitismuskonzept entsprang jedoch keineswegs allein abstrakten ideengeschichthchen Motivationen, sondern beinhaltete zusätzliche, ausgesprochen tagesaktuelle politische Anliegen. Dean Acheson hatte zu Beginn der
fünfziger Jahre darauf hingewiesen, daß das US-State Department die offen kosmopolitische Ausrichtung des „Monat" vor allem deshalb billige, weil sich auf diese Weise traditionelle Denk- und Handlungsmuster in Deutschland zugunsten supranationaler Orientierungen auflösen ließen. Gerade im Zusammenhang mit der Debatte um die Wiederbewaffnung Deutschlands im Rahmen einer übernationalen westlichen Allianz war dies ein notwendiger vorbereitender Schritt.122 Das Bemühen, den deutschen obrigkeitsstaatlichen Nationalismus durch kosmopolitische Argumentation und historische Kritik an den Werthaltungen des kleindeutschen Kaiserreiches zu überwinden, gehörte zu den wichtigsten programmatischen Anliegen des „Monat" und wurde be120
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122
Diesem Zweck dürfte auch die intensive Beschäftigung mit dem deutschen Widerstand im „Monat" gedient haben: Von 47 Artikeln, die sich zwischen 1948 und 1961 mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigten, handelten 13 vom Widerstand, nur zwei beschäftigten sich mit der Shoah, ebensoviele mit Katyn und dem Hitler-Stalin-Pakt. Zur Geschichte des Begriffs vgl. Peter Coulmas: Weltbürger Geschichte einer Menschheitssehnsucht Hamburg 1990; Coulmas war ebenfalls Mitglied im deutschen CCF. S. zudem Hugh Trevor-Roper an Melvin J. Lasky vom 9.7.1949, UoC-Archiv, „Der Monat "-Records, Box 5, Folder 6, wo der Brite den kosmopolitischen Effekt des Magazins für deutsche Intellektuelle hervorhebt Dean Acheson an HICOG vom 6.1.1951, UoC-Archiv, „Der Monat'-Records, Box 6, Folder 7 : „It was.. indicated that DER MONAT, because of its international character and because it is not widely identited as an overt publication, might serve as a platform for effectively contrasting the standard, traditional concepts of sovereignty with the more progressive concepts which have been developed in the recent writings of both European and American authorities."
2. Die Werthaltungen des
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189
sonders von Hans Kohn regelmäßig in seiner Korrespondenz aufgegriffen.123 Dies konnte freilich nur dann gelingen, wenn zugleich eine kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Historiographie des späten 19. Jahrhunderts stattfand.124 So mutierte der Kosmopolitismus zu einem Instrument historischer Preußenkritik; ein Umstand, der gelegentlich zu negativen Reaktionen führte.'25 Obschon das kosmopolitische Anliegen eigentlich nahezu alle Ausgaben des „Monat" der vierziger und fünfziger Jahre durchzog, war nie vollkommen klar, was mit dem Begriff konkret gemeint war. Stets umfaßte er mehrere Bedeutungsebenen. Erst einmal handelte es sich um die Übernahme einer inhaltlich bereits vorab unpräzisen, ästhetisch-hochkulturellen Tradition der „New York Intellectuals" aus den dreißiger Jahren.126 In diesem Umfeld war der Begriff primär antistalinistisch besetzt und sollte Ausdruck einer als spezifisch jüdischinternationalistisch empfundenen Schreib-, Lebens- und Denkweise sein. New York wurde damit zum ideellen Ausgangspunkt für eine ganze Reihe von Autoren des „Monat" und führenden Persönlichkeiten des CCF, die sich ex-
123
Hans Kohn an Sidney Hook vom 27.9.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 13, Folder Vgl. von deutscher Seite z.B. Friedrich Meinecke: Irrwege in unserer Geschichte, in: Der Monat, H. 13 (1949), S. 3-6; Roland Nitsche: Von Hegel bis Droysen. Wandlungen der deutschen Geschichtsauffassung, in: Der Monat, H. 145 ( 1960), S. 59-68; s. bes. Golo Mann: Im Schatten Bismarcks. Hans Kohn: „German History: Some new German Views", in: Der Monat, H. 72 (1954), S. 585-587. Der Stab des „Monat" sah allenthalben krypto-nationalistische Bewegungen in Deutschland tätig, ein Vorwurf, der u.a. gegen Ernst Robert Curtius erhoben wurde: Melvin J. Lasky an Edgar Salin vom 25.6.1949, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 4, Folder 11. Auch der sozialdemokratische Intendant des SDR, Fntz Eberhard, der dann zum Teilnehmer am Berliner Kongreß von 1950 werden sollte, wurde anfangs der nationalen Apologetik bezichtigt: Melvin J. Lasky an Fritz Eberhard vom 26.1.1949, ebda., Box 1, Folder 14, wo Lasky zwischen „anständige(n), demokratische(n) und kosmopolitische(n) Deutsche(n)" auf der einen Seite und „nationalistischen Elementen mit egozentrischem Volksbewußtsein, die momentan möglicherweise die Oberhand gewinnen" auf der anderen Seite sorgsam unterscheidet. Hans Kohn an Melvin J. Lasky vom 23.12.1949, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 3, Folder 2, verlangte, daß, um die gemeinwestlichen Traditionen des besseren Deutschland aufzuweisen, zuvor der Irrweg des Historismus im Gefolge von Ranke, Treitschke, Meinecke und Ritter erwiesen werden müsse. Meinecke und Ritter publizierten zwar im „Monat", wurden jedoch von der Redaktion als Rechtfertigungshistoriker eingeschätzt. Vgl. femer Hans Kohn an Melvin J. Lasky vom 29 2.1952, ebda., Box 19, Folder 3. S.a. die harsche Kritik Laskys an Gerhard Ritter: „Wieviel klare Einsicht und geschichtliche Erkenntnis wird da entstellt, nur um das zwingende Verlangen nach einer Rechtfertigung der deutschen Vergangenheit zum Ausdruck zu bringen und für die .nationale Tradition' Deutschlands eine Lanze zu brechen": Melvin J Lasky an Prof. Hans Barth (Univ. Zürich) vom 15.11.1949, ebda., Box 1, Folder 3. Hans von Eckhardt an Melvin J. Lasky vom 22.4.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 7, Folder 6. Vgl I. Howe: The New York Intellectuals, S. 31; L. Perry: Intellectual Life, S. 330ff; im Gespräch mit dem Verf. hat Melvin Lasky dies bestätigt und daraufhingewiesen, daß man sich seit Mitte der dreißiger Jahre als Kosmopolit gefühlt habe, ohne den Inhalt dieser Kategorie jedoch näher zu reflektieren. 4.
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III. Zur Funktion der Zeitschrift
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plizit als Kosmopoliten bezeichneten.127 Konkreter politisch konnte Kosmopolitismus sowohl verschiedene Formen europäischer wie transatlantischer Supranationalität oder auch die Vision einer einheitlichen Weltregierung umfassen, zumindest aber die Akzeptanz eines Systems internationaler kollektiver Sicherheit. Die Übernahme der New Yorker kosmopolitischen Tradition ermöglichte es in der Nachkriegszeit, drei gedankliche Stränge miteinander zu verbinden, denen bei der,,re-orientation" der Deutschen im Umfeld des Kalten
Krieges eine gewichtige Rolle zufiel: Zum einen handelte es sich beim Kosmopolitismus um ein Phänomen, das sich mühelos bis zur Aufklärung zurückverfolgen ließ. Dieser Rückbezug zum Aufklärungsdenken stand in engstem Bezug zum westlich-liberalen Traditionsgut angelsächsischer Herkunft und schien folgerichtig für die Deutschen nach 1945 einen idealen Orientierungsrahmen für die ständig sich beschleunigenden Modernisierungsprozesse ihrer Gesellschaft zu bieten.128 Zum zweiten konnte der Kosmopolitismus als Ersatzbegriff für den amerikanischen liberalen Internationalismus fungieren.129 Ohne auf den in der europäischen Diskussion marxistisch besetzten Begriff des Internationalismus zurückgreifen zu müssen, und ohne das komplizierte binnenamerikanische Geflecht von Internationalis-
Isolationismus, Idealismus und Realismus zu berühren, konnten mittels des Kosmopolitismusbegriffes relativ unbefangen Werte des konsensliberalen Internationalismus den Umständen angepaßt weitergegeben werden. Dies wurde noch verstärkt durch die Tatsache, daß Kosmopolitismus drittens eine klar antistalinistische und antitotalitäre Note enthielt,130 indem mit seiner Hilfe die seit den zwanziger Jahren anhaltende Herausforderung durch sowjetische Antikosmopohtismuskampagnen in der Literatur aufgenommen wurde. Bewußt okkupierten die Vertreter des liberalen Konsenses damit das Erbe der Aufklärung gegenüber gleichlautenden marxistischen Ansprüchen. Durch diese mus,
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Vg. z.B. New York Times vom 7.4.1978 über Nicholas Nabokov. Ähnliches gilt ftlr Lasky, Josselson oder auch Bondy; s. z.B. Melvin J. Lasky an Boris Shub vom 12.12.1957, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 283, Folder 7, wo Lasky Humanismus und Kosmopolitismus als wichtigste subjektive Komponenten seiner Weltanschauung bezeichnete, sowie das Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees des CCF vom 10.2.1951, S. 4, ebda., Box 2, Folder 10. Selbst das dem CCF zugeordnete Personal der CIA kam z.T. aus kosmopolitischen Kreisen, vgl. Cord Meyer, der „world federalist" war. Hermann Broch an Nathan Glick vom 10.2.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 1, Folder 8: „Daß es so etwas wie eine echt demokratische, nämlich dogmenfreie und rein auf Humanität gerichtete Geistigkeit geben kann, und daß solch übernational-kosmopolitisches Denken einen Hauptzug der westlichen, nicht zuletzt der angelsächsischen Kulturtradition ausmacht, das ist dem deutschen Publikum vielfach unbekannt geblieben, [...]. Hier aufklärend zu wirken, ist sicherlich eine der wichtigsten Aufgaben unserer Zeit, und ebendarum auch ist es wichtig, daß DER MONAT sich der Lösung dieser Aufgabe in vorbildlicher Weise angenommen hat." Vgl. Klaus Seiffert an die Redaktion des „Monat" vom 10.4.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'Records, Box 4, Folder 11, wo Internationalismus und Kosmopolitismus synonym verwendet wurden. Vgl Kongress-Nachnchten vom Juni 1960, S. 11.
2. Die
Werthaltungen des „Monat"
191
begriffliche Hartnäckigkeit konnte gleichermaßen auf die mangelnde Umsetzung des internationalistischen Anspruches innerhalb des marxistischen Lagers verwiesen werden, wie stalinistischen oder faschistischen Appellen an nationalistische Instinkte eine durchgehend antinationalistische Gegenideologie entgegengestellt werden konnte. In der liberalen Verbindung aller drei Elemente lag dann zusätzlich die Chance, Laskys Anliegen entsprechend, weniger einer Amerikanisierung denn einer aufklärungsorientierten Europäisierung Deutschlands, sprich: einer Westernisierung, im „Monat" das Wort zu reden.131 Die bereits angemerkte Vagheit des Konzeptes konnte bei all diesen Bestrebungen132 nur von Vorteil sein. Urbanität,
Weltoffenheit, Humanität, Toleranz und eine fortschrittlich-
optimistische Weltsicht gaben als integrale Bestandteile des Kosmopolitismuskonzeptes hinreichend Spielraum für die wirksame Kombination europäischer, transatlantischer, aufgeklärt-liberaler und antikommunistischer Ideologieelemente. Parallel dazu konnte versucht werden, sich der deutschen Vergangenheit in einer Art anzunehmen, die es nicht dabei beließ, nur rück-
zu blicken. Indes blieben innerhalb des kosmopolitischen Ideals sachlich problematische Felder. In Deutschland fehlte ein Diskussionsklima, wie New York oder Paris es boten, wenigstens in den fünfziger Jahren völlig, sieht man von Ansätzen in Berlin einmal ab. Damit aber entfiel ein grundsätzlich wichtiges Element nudas Entstehen einer eigenen deutschen kosmopolitischen Elite, und es war fraglich, inwieweit Amerikabesuche deutscher Studenten und Intellektueller diesen Mangel würden ausgleichen können. In der Folge gab es zwar ein deutsches Publikum für kosmopolitische Artikel, aber praktisch keine deutschen Autoren, die sie aus einer lebendigen Diskussion heraus hätten schreiben können. Mindestens genauso kontraproduktiv wie die Provinzialität deutscher intellektueller Diskurse war die oft arrogant anmutende Tendenz kosmopolitischer Intellektueller, Orte und Menschen wahlweise als urban-kosmopolitisch oder intolerant-rückständig zu kategorisieren,133 ohne die Stereotypie derartiger Wertungen zu reflektieren. Kosmopolitische Ideologie widerstand nicht durchgehend der Gefahr, zu einer intellektuellen Abart des Provinzialismus zu werden. Ob solche strukturell bedingten Möglichkeiten gegenseitigen Mißverstehens die Rezeption kosmopolitischer Ideale in Deutschland negativ beeinflußt haben, ist allerdings nicht zu klären. Auf einer zweiten, tieferen Ebene fand die Kritik „deutscher" traditioneller Werthaltungen im Bereich philosophischer Wahrheitslehre und Ontologie statt.
wärts
131
Melvin J. Lasky an George Santayana vom 11.6.1949, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box
4, Folder 11. 132
13 3
Noch die von den großen CCF-Zeitschriften Mitte der fünfziger Jahre initiierte Reihe über den europäischen Adel diente dazu, eine kosmopolitische Elite zu propagieren: s. die Korrespondenz in IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 241, Folder 5. Vgl. die Kritik von G. Hodgson: America m Our Tune, S. 128f.
192
III. Zur Funktion der Zeitschrift
„Der Monat"
Dewey, der Analytiker deutscher geistiger Fehlentwicklungen, gleichzeitig zum Arzt. Sicher wäre es nicht korrekt, wollte man dem „Monat" unterstellen, sich ausschließlich als Sprachrohr pragmatistischer Philosophie verstanden zu haben, trotzdem gab es einen faktischen Primat des Pragmatismus im Bereich der philosophischen Diskussionen im „Monat".134 Dies lag nicht zuletzt an Melvin Lasky, der wenigstens indirekt ein Schüler John Deweys war und großen Wert darauf legte, das fundamentaldemokratische und liberale Denken des amerikanischen Philosophen den Deutschen zu vermitteln. Sein Anliegen wurde von deutscher Seite erkannt und normalerweise auch akzeptiert, freilich nicht ohne gelegentliche Kritik.135 Die Nähe zu Deweys Pragmatismus hinderte Lasky jedoch nie daran, sich von einer zu einseitig positiven Sicht des Pragmatismus vereinnahmen zu lassen. Als etwa Sidney Hook in einem „Encounter"-Artikel die Europäer für ihren in seinen Augen unzureichenden Umgang mit Deweys Philosophie rügte, sprach sich Lasky sofort gegen einen solchen Rundumschlag aus, der der gesamten Politik des CCF widersprach.136 Am ehesten wird man sagen können, daß der Pragmatismus im Rahmen des Forumcharakters des „Monat" eine Art systematischen Regulativs für soziologische und philosophische Diskussionen darstellte.137 Über den „Monat" hinaus waren Lasky und Hook zu Beginn der fünfziger Jahre darum bemüht, eine aus HICOG-Mitteln finanzierte Dewey-Anthologie für den deutschen Sprachraum aufzulegen.138 Der Plan scheint jedoch, vermutDamit wurde John
lich
134
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136 137
13 8
aus
finanziellen Gründen, nicht in die Praxis umgesetzt worden
zu
sein.
Vgl. Ludwig Marcuse: Eine Theorie der Praxis. Amerikanischer und deutscher Pragmatismus, in: Der Monat H 88(1956), S. 33-45; Alfred N. Whitehead: John Dewey zum 90 Geburtstag, in: Der Monat, H. 13 (1949), S. 23f.; Sidney Hook: John Dewey. Ein Portrait, in: Der Monat, H. 6(1949), S. 40-44. So bemerkte Peter Scheibert von der Universität Marburg gegenüber Jaesrich, man komme gegen die auf Hegels theoretischer Vorarbeit beruhende systematische Überlegenheit des Marxismus nicht mit „dem rührenden Dewey oder dem erbaulichen Toynbee" an, s. Peter Scheibert an Hellmuth Jaesrich vom 19.11.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 15, Folder 1. Theodor W. Adorno regte, nicht unbedingt in kritischer, wohl aber in ergänzender Absicht, eine verstärkte Veblen-Rezeption an, s. Theodor W Adorno an Melvin J. Lasky vom 26.9.1952, ebda., Box 16, Folder 9. Damit kam er Laskys Wünschen durchaus entgegen, vgl. Melvin J. Lasky an Franz Borkenau vom 12.3.1952, ebda., Box 17, Folder 3. Melvin J. Lasky an Michael Josselson vom 25.11.1960, NL Josselson, Box 6. Melvin J. Lasky an Peter Schneider (Student der FU) vom 3.11.1950, UoC-Archiv, „Der Monat'-Records, Box 5, Folder 2, betonte den notwendig empirisch-konkreten Charakter der Soziologie in Abgrenzung zu metaphysischen Spekulationen. Gleichzeitig müsse aber im pragmatistischen Verständnis immer die reziproke Relation von Mittel und Zweck bedacht werden. Vgl. Melvin J. Lasky an John Dewey vom 13.10.1949, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 1, Folder 13; Melvin J Lasky an Sidney Hook vom 28.12.1949, ebda., Box 2, Folder 11 ; s.bes. Melvin J. Lasky an Gen. John J. McCloy vom 6.11.1950, ebda.: „I am confident that it [John Deweys Werk] will have enormous influence on educators, philosophers and other opinion makers It presents the leading principles of America's most distinguished and most democratic philosopher in such a way as to establish some continuity with those slight evidences of democratic thought and philosophical interest which are indigenous to the German tradition."
2. Die Werthaltungen des
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Dafür wollte Lasky pragmatistische Ideale auch über den Rundfunk verbreiten.139 Ein weiteres Instrument auf diesem Weg stellte die deutsche Mitgliederzeitschrift des CCF „Kontakte" dar.140 Der Pragmatismus war für die Strategie des „Monat" ähnlich vorteilhaft wie der Kosmopolitismus, nicht zuletzt weil es sich um eine durch und durch demokratisch-pluralistische Philosophie handelte, die auf sämtliche hierarchisierenden ontologischen Elemente klassischer Metaphysik verzichtete. Der Aufklärung verpflichtet und dem Liberalismus trotz egalitärer Tendenz innerlich nahestehend, propagierte der Pragmatismus zusätzlich eine rational nicht mehr begründete oder begründbare sozialethische Grundlage gesamtgesellschaftlichen Verhaltens, war also offen für soziale Reform. Gerade diesen Aspekt hat Lasky nachdrücklich betont. Fast noch wichtiger war gleichwohl der Verzicht des Pragmatismus auf eine totalisierende Ontologie, die ihrerseits durch den konventionalistischen und szientistischen Wahrheitsrelativismus pragmatistischer Erkenntnistheorie bedingt und befördert wurde. Damit wurde der „re-orientation"-Tätigkeit des „Monat" ein wichtiges Feld eröffnet: der Versuch konsequenter, systematischer und kohärenter Kritik an traditioneller Metaphysik und ihren politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen, soweit dies in einem pragmatistischen Rahmen als systematischer Denkprozeß überhaupt möglich war. Zusätzlich muß darauf hingewiesen werden, daß es dieser Form der Metaphysikkritik nicht primär darum ging, generell jedwede Form von Metaphysik für unmöglich oder gar unzulässig zu erklären, selbst wenn Hooks Argumentation gelegentlich diesen Eindruck erwecken mochte. Ihm ging es vornehmlich um die Irrelevanz abstrakter Sozialtheorien für das reale Leben der Menschen. Dem pragmatistischen Ideal entsprechend, mußte sich jede Theorie in der Wirklichkeit des Alltages in einem durchaus militaristischen Sinn bewähren. Lasky und mit ihm „Der Monat" strebten dort, wo sich der Pragmatismus nicht durchsetzen ließ, ganz pragmatisch danach, wenigstens einer liberaldemokratischen Reinterpretation bestehender metaphysischer Systeme Vorschub zu leisten.141 Wieder war dieses Anliegen mit konkreten politischen Absichten verbunden.
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Am 2.4.1950 nahm er beispielsweise an einem Gespräch des Hessischen Rundfunkes mit dem Thema: „Eine amerikanische Überzeugung. Für und wider den Pragmatismus" teil, das am 11.4.1950 ausgestrahlt wurde, vgl. Hessischer Rundfunk an Melvin J. Lasky vom 20.4.1950, UoC-Archiv, „Der Monat"-Records, Box 18, Folder 1. Vgl. Kontakte Nr. 12/13 ( 1952), S. 10. Der mitunter ein wenig überpointiert argumentierende Linkssozialist Kurt Hiller warf deswegen dem, .Monat" vor, sich bei existentialistischen und neohegelianischen Intellektuellen anbiedern zu wolllen (er bezog sich dabei bes. auf Jaspers und Croce), und forderte die Redaktion auf, in der Kritik der von ihm als gänzlich irrational mißverstandenen traditionellen Metaphysik noch schärter zu werden. Damit ging der eigentliche Punkt der Verhaltensweise des „Monat" an ihm vorbei, vgl. Kurt Hiller an Hellmuth Jaesrich vom 23.2.1951, UoC-Archiv, „Der MonafRecords, Box 12, Folder 9; sa Kurt Hiller an Carlo Schmid vom 20.5.1952, NL Schmid, AdSD, Band 1829.
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III. Zur Funktion der Zeitschrift
„Der Monat"
Die Konstitution von Westlichkeit als liberaler Alternative zu den zeitgenössischen Totalitarismen stand im Mittelpunkt aller Überlegungen; Gegner und mögliche Verbündete mußten sorgsam unterschieden werden. Vom antitotalitären Standpunkt des „Monat" aus waren zwei Hauptgegner erkennbar: der faktisch überwundene Nationalsozialismus und der ausgesprochen gegenwärtige Kommunismus. Beiden konnte man begegnen, indem man ihre intellektuellen Wurzeln in Frage stellte. Von diesen Prämissen ausgehend, war eine umfassende Kritik der totalisierenden Staats- und Ganzheitsfixierung der hegelianischen Ontologie, Erkenntnislehre und Staatsphilosophie dringend geboten. Durchgehend hielt man beim „Monat" mit Bertrand Russell daran fest, daß Fichte und Hegel maßgeblich für den Nationalsozialismus verantwortlich seien.142 Neben Hegel standen im Zentrum der Auseinandersetzung der Existentialismus Heideggers,143 der Nihilismus Nietzsches144 und das Denken Ernst Jüngers.145 Im Grunde mußte jeder Ansatz ganzheitlichen Philosophierens den „Monat" zu polemischer Reaktion reizen. Interessanterweise fand, entgegen den Befunden Deweys, praktisch keine Konfrontation mit dem an deutschen Universitäten so mächtigen Kantianismus statt. Nicht minder wichtig erscheint die Erkenntnis, daß selbst in diesem Bereich „Der Monat" eher den Weg positiven Aufzeigens von Alternativen gegangen ist, wie etwa die umfassende Rezeption des demokratischen Hegelverständnisses von Benedetto Croce belegt.146 Anstelle offener Beschäftigung mit deutscher Vergangenheit trat so das Bemühen, westliche Liberalität in Form kletaräumiger, unmittelbar praktisch-problemorientierter Handlungstheorie als Gegensatz zum alten ganzheitlichen Denken zu vermitteln. Ein solchermaßen verstandenes pragmatistisches Denken sollte ältere „deutsche" Ideen verdrängen. Es ist rückblickend fraglich, ob diese Intentionen, trotz des unermüdlichen Einsatzes von Melvin Lasky und besonders Ludwig Marcuse, erfüllt winden. Nicht der Pragmatismus setzte sich in den fünfziger Jahren in Westdeutschland durch,
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Hellmuth Jaesnch an Dr. Kurt Kluge vom 26.11 1949, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 7, Folder 9. Melvin J. Lasky an Hannah Arendt vom 12.10.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 1, Folder 1; Dr. Kurt Rossmann (Univ. Heidelberg) an Melvin J. Lasky vom 2.3.1950, ebda., Box 4, Folder IOS. dazu: Kurt ROSSMANN: Martin Heideggers Holzwege, in: Der Monat, H. 21(1950), S. 236-245. Marianne Regensburger: Hegel und der europäische Nihilismus. Karl Löwith: „Von Hegel
Nietzsche", in: Der Monat, H. 32 (1951), S. 202-205; Albert Camus: Nietzsche und der Nihilismus, in: Der Monat, H. 39 (1951), S. 227-236. Zur Bedeutung Nietzsches als potentielzu
lem Vordenker der nationalsozialistischen Ideologie vgl. noch neuerdings aus angelsächsischer Aschheim: The Nietzsche Legacy in Germany, 1890-1990, Berkeley 1992, S. 232-320. Alfred Weber an Melvin J Lasky vom 1.11.1950, UoC-Archiv, „Der Monat"-Records, Box 5, Folder 8 sowie Alfred Weber: Flucht in die Wildnis. Ernst Jüngers politische Schriften, in: Der Monat, H 29 (1951), S. 542-545; s.a. die Reaktion des damaligen Privatsekretärs von Jünger: Armin Mohler an Hellmuth Jaesrich vom 19.5.1951, ebda, Box 14,Folder 1. Gustav Mersu: Benedetto Croce, in: Der Monat, H. 52 (1953), S. 446f.
Perspektive Steven E.
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2. Die Werthaltungen des „Monat"
195
parallel dazu im „Monat" vorangetriebene liberaldemokratische Reinterpretation anderer geistesgeschichtlicher Strömungen. Den historischen Umständen der Zeit gemäß fiel die Metaphysikkritik am Marxismus und den von „fellow-travellers" geprägten Weltanschauungen deutlicher aus als die an der „deutschen" Tradition in der Philosophie. Nicht allein war jede Hegelkritik immer auch Marxkritik, wobei folgerichtig die Skepsis gegenüber dem als total empfundenen Erkenntnisanspruch des dialektischen und historischen Materialismus im Vordergrund stand.147 Fast wichtiger als die Polemik gegen Hegel und Marx war jedoch der Versuch, den geistigen sondern die
Einfluß des französischen Existentialismus, wie er von Jean-Paul Sartre vorgedacht wurde, auf die westdeutschen Intellektuellen zu minimieren. Sartre galt, obgleich die stalinistische Orthodoxie ihm nicht durchgehend gewogen war, neben Merleau-Ponty, als der intellektuell bedeutendste Kopf der zweiten „fellow-traveller"-Welle. Nachdem Sartre sich in den „Temps Modernes" im Oktober 1952 für ein Zusammengehen mit den Weltfriedenspartisanen JoliotCuries ausgesprochen hatte, bat Jaesrich den populären „Monaf'-Autoren Herbert Luethy um einige kleine und polemische Artikel gegen Sartre.148 Auf die Gegnerschaft zu Sartre war überdies die Nähe des „Monat" zu Albert Camus zurückzuführen, dem die Funktion eines französischantikommunistisch-existentialistischen Antipoden zu Sartre zufiel.149 Trotz der politisch motivierten Rivalität zwischen Sartre und dem „Monat" durfte der Philosoph im Gegensatz zu orthodoxen Stalinisten in der Zeitschrift publizie-
ren.150
Wie im Falle Hegels oder der versuchten Implantation des Pragmatismus in die deutsche Geisteswelt war das Bemühen des „Monat", die deutsche Sartrerezeption zu unterbinden, kaum von Erfolg gekrönt.151 Das intellektuelle Wirkpotential des US-Pragmatismus erwies sich im europäischen Kontext als nur begrenzt durchsetzbar, was nicht unbedingt an John Deweys Lehren lag, sondern an dem ganz anders gearteten Horizont deutscher und europäischer Philosophie jener Zeit. Bemerkenswerterweise führte das Festhalten am Prag147
Vgl.
GF. Hudson: Wozu
überhaupt Ideologie?
Die
Auseinandersetzung mit
dem Kommu-
nismus, in: Der Monat, H. 67 (1954), S. 3-8. Ernest J. Salter: Was ist der „Diamaf ? I.M. Bochenski: „Der sowjetrussische dialektische Materialismus", in: Der Monat, H. 28 (1951 ), S. 426-429. 148
149 150 151
Hellmuth Jaesrich an Herbert Luethy vom 30.12.1952, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 19, Folder 5; vgl. Herbert Luethy: Jean-Paul Sartre und das Nichts, in: Der Monat, H. 83 (1955), S. 407-414; ders.: Frankreichs heimatlose Linke, in: Der Monat, H. 19 (1950), S. 8-17; vgl. femer Nicola Chiaromonte: Der verhinderte Sartre, in: Der Monat, H. 66(1954), S. 657659. Vgl. Melvin J. Lasky an die Redaktion von „Empédocle" vom 14.9.1949, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 1, Folder 14. Vgl. Jean-Paul Sartre: Albert Camus, in: Der Monat, H. 137 (1960), S. 5f Im Interview mit dem Verf. hat Siegfried Lenz darauf hingewiesen, am Ende hätten selbst CCFMitglieder in Deutschland bevorzugt Sartre anstelle von Dewey gelesen, schon weil der Franzose ihnen in seinem Denken europäischer erschienen sei als das Schulhaupt des Pragmatismus.
196
III. Zur Funktion der Zeitschrift „Der Monat"
matismus beim „Monat" dazu, daß der später so einflußreiche Karl Popper praktisch nicht wahrgenommen wurde. In diesem Sinne blieb das intellektuelle Profil der Zeitschrift, entgegen eigener Intentionen, in einem auf die USA bezogenen Sinn rückwärtsgewandt, allzusehr abhängig von den Denkwelten des New York der dreißiger Jahre. Ein interessanter und bezeichnender Seitenaspekt in der Art und Weise, wie „Der Monat" sein metaphysikkritisches Anliegen stets im Zusammenhang mit tagespolitischen Anliegen konzipiert hatte, ergibt sich, wenn das Verhalten der Zeitschrift gegenüber dem Katholizismus in die Überlegungen miteinbezogen wird. Tendenziell widersprachen sich in diesem Bereich der antikommunistische und der „re-orientation"-Aspekt, da die Amerikaner zwar einerseits an einer Relativierung konfessioneller Spannungen in Westdeutschland interessiert sein mußten, andererseits der Katholizismus aber einen wichtigen Faktor in der für die stabile Westbindung der Bundesrepublik unumgänglichen antikommunistischen Koalition demokratischer Kräfte darstellte. So wurde
Metaphysikkritik zwar als antidogmatisch und antiideologisch verstanden, allerdings nie zur Religions- oder Kirchenkritik ausgebaut.152 Der antireligiöse „secular humanism", den zum Beispiel Hook, wie so oft der radikalere Weggenosse Laskys, vertrat, konnte sich im redaktionellen Programm des „Monat" nie durchsetzen, scharfe Angriffe auf etablierte kirchliche Gemeinschaften wurden vermieden.153 Selbst im Rahmen rein philosophischer Kontroversen wurde von Attacken gegen die katholische neuthomistische Schule abgesehen. Diese Haltung gegenüber der katholischen Kirche und ihrer Weltanschauung be-
schränkte sich nicht allein auf den Verzicht auf antikatholische Polemik, sondern suchte zusätzlich den positiven inhaltlichen Dialog. Von Beginn an waren die Herausgeber darum bemüht, ausgewiesene Vertreter des Katholizismus für ihre Zeitschrift zu gewinnen.154 Zum Teil wurden Artikel, die religiöse Themen berührten, sogar von einem Jesuitenpater gegengelesen. Diese kirchenfreundhche Haltung wirkte bis in die sechziger Jahre hinein nach. Selbst noch in der Kontroverse um Rolf Hochhuth und sein gegen Papst Pius' XII. Schweigen zur Vernichtung der europäischen Juden gerichtetes Theaterstück „Der Stellvertreter" wahrte „Der Monat" eine ausgesprochen zurückhaltende Position. Der Umgang des „Monat" mit den Katholizismus betreffenden Themen-
152
153 154
MelvinJ. Lasky an O.E.H. Becker vom 10.5.1949, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 1, Folder 4: Der besondere Wert Koestlers liege, so Lasky, nicht primär in der Erkenntnis des fortschrittlichen Charakters eines von dogmatisch-konfessionellen Fesseln befreiten Christentums, sondern in der Enthüllung des unheilvollen marxistischen Mythos. Hellmuth Jaesrich an Prof. Rudolf Schottlaender vom 6.4.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'Records, Box 5, Folder 3. Melvin J. Lasky an Waldemar Gurian vom 9.12.1948, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 2, Folder 7; Hellmuth Jaesrich an Robert M.W. Kempner vom 10.10.1949, ebda., Box 3, Folder 1. Kempner hatte angeregt, mehrere Exemplare von Heft 10 des „Monat" an prominente Kirchenvertreter zu verschicken, was von der Redaktion auch durchgeführt wurde.
2. Die Werthaltungen des
197
„Monat"
gebieten wurde nach 1950 auch vom CCF übernommen.155 Für eine Redaktion, die sich selbst als freigeistig verstand und zudem ein eher bildungsbürgerlich-protestantisch oder gleichfalls freigeistig geprägtes Publikum ansprechen wollte, ist eine derartige Zurückhaltung gegenüber der katholischen Kirche zumindest auffällig und bedarf deswegen der Begründung. Sicher war es zu Eingriffen von Seiten der kirchlichen Hierarchie gekommen, allerdings nur anfangs und einmalig.156 Dieser Vorgang dürfte kaum eine über 15 Jahre gepflegte redaktionelle Linie erklären. Sehr viel wahrscheinlicher ist, daß es sich darum handelte, auf den Beitrag des internationalen Katholizismus
Wertekonsens des antikommunistischen „freien Westens" Rücksicht zu nehmen. Auf Deutschland gemünzt, mußte dies bedeuten, daß man die auf Kritik nicht selten übernervös reagierenden Hierarchen der Kirche nicht durch einen pointierten Agnostizismus abschrecken, sondern sie im Interesse von Antitotalitarismus und „re-orientation" vereinnahmen wollte. Außerdem teilte Lasky Hooks Ansicht nicht, die katholische Kirche sei eine totalitäre Institution, sondern sah in ihr eine autoritäre Gemeinschaft, die man punktuell als Bündnispartner akzeptieren könne.157 Möglicherweise spielten, wie im Falle Jaspers', auch persönliche Motive eine Rolle, da sich Lasky den beiden neuthomistischen Philosophen Etienne Gilson und Jacques Maritain sehr verbunden zum
fühlte.158
Mit der systemkonform begründeten Ausnahme des äußerst zurückhaltenden Umganges mit katholischen Themen hielt sich „Der Monat" zwischen 1948 und 1961 durchgehend an eine vergleichsweise einheitliche weltanschauliche Linie. Die Zeitschrift, dies dürfte deutlich geworden sein, war ungeachtet ihres Forumcharakters ein eminent ideologisches Organ im Prozeß des Tranfers westlicher Werthaltungen in die frühe Bundesrepublik. Westlichkeit wurde dabei im Sinne des „consensus liberalism" verstanden, allerdings in einem spezifisch deutschen und antikommunistischen Kontext. Die Hauptaufgabe des -
-
„Monat" bestand darin, deutsche intellektuelle Werteliten für die westlich-
pluralistische
Form der Demokratie zu gewinnen. Antikommunistischer Antitotalitarismus und „re-orientation" ergänzten sich dabei, auch wenn das Beispiel der Haltung zum Katholizismus belegt, daß von Zeit zu Zeit zugunsten des antikommunistischen Aspektes Kompromisse in der Redaktionspolitik geschlossen wurden. Am Gesamtbefund kann dies jedoch nichts ändern, zumal beide für den Wertetransfer des „Monat" konstitutiven Elemente einander aus
155 156
157 158
Francois Bondy an Friednch Torberg vom 29.1.1955, NL Torberg, Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Schachtel 17/17. Kardinal Frings und der Apostolische Nuntius Aloysius Muench hatten Ende 1948 dagegen protestiert, daß der erklärte Atheist Bertrand Russell als Beiträger zum „Monat" fungieren durfte, vgl. The Observer vom 14.5.1967. Vgl. Melvin J. Lasky an François Bondy vom 11.7.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 241, Folder 4. Interview des Verf. mit Melvin J. Lasky.
198
III. Zur Funktion der Zeitschrift
„Der Monat"
einer konsensliberalen Perspektive logisch bedingten. Der relative Primat des Antikommunismus war keinesfalls ein Hindernis auf dem Weg zur ideellkulturellen Penetration der Bundesrepublik unter liberaldemokratischen Vorzeichen, sondern ein notwendiger Bestandteil der Gesamtstrategie.159 Das beiden Konstituenten gemeinsame Ziel der pluralistischen, auf gesellschaftlichen Wertekonsens gegründeten, aber mit einer liberalen Streitkultur versehenen Demokratie war weder mit radikalpartizipatorischen noch mit marxistisch inspirierten Forderungen nach umfassendem Systemwandel kompatibel. Wohl aber bedeutete es einen klaren Bruch mit bislang dominierenden geistigen Strömungen in Deutschland und den Versuch, ein neues Deutschland in den breiten Strom aufgeklärt-liberaler Gesellschaften des Westens einzugliedern.
Mittelpunkt stand die Vermittlung des angelsächsischen Freiheitsverständnisses und damit der Wille, den grundlegenden Analysen von Veblen, Santayana und Dewey über die „deutsche" Tradition Rechnung zu tragen. Freiheit sollte individualistisch und kletaräumig gedacht werden, als nicht mehr begründbare Wahlfreiheit. Auf diese Weise wurde sie zum Grundaxiom politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Handelns und zum Ausgangs- und Zielpunkt aller Überlegungen beim „Monat". Zum Garanten dieses neuen Freiheitsverständnisses sollte eine neue Generation deutscher Intellektueller gemacht werden, von der man erwartete, daß sie dieses liberale Freiheitsverständnis intemalisiert hätte und daß sie zu einer klar politischen Form intellektueller Selbstreflexion gelangen könnte. Im Rahmen antikommunistischer Propaganda und der „re-orientation"-Mission bot „Der Monat" den Deutschen damit sämtliche ideologischen Bausteine des liberalen Konsenses zur Adaption an: den altliberalen Individualismus, den Keynesianismus, den Pragmatismus, den Internationalismus (als Kosmopolitismus) und den Antitotalitarismus. Damit war schließlich genau jener Perzeptionshorizont eröffnet worden, der die deutsche Linke, nicht zuletzt die SPD, in den Augen der US-„liberals" dazu befähigen würde, die Ideen des rechten New Deal angemessen nachzuvollziehen. Es war nun an den Deutschen, auf das Angebot Im
zu
159
reagieren.
Über die ideologische Funktion des Antikommunismus am Beispiel der westdeutschen Sicht der UdSSR hat in einem breiteren Zusammenhang und sehr differenziert Arnold Sywottek: Die Sowjetunion aus westdeutscher Sicht seit 1945, in: Gottfried Niedhart (Hg): Der Westen und die Sowjetunion. Einstellungen und Politik gegenüber der UdSSR in Europa und den USA seit 1917, Paderborn 1983, S. 289-362 berichtet.
199
3. Zum Problem der Rezeption
3. Zum Problem der Rezeption
Rezeptionsverhalten von Lesern im Bereich von Zeitungen, aber auch von Zeitschriften, ist methodisch kaum in den Griff zu bekommen.160 Dies gilt Das
verstärkt für den Bereich ideell-kulturellen Wertetransfers, dem „Der Monat" zuzurechnen ist. Es ist nicht genau festzustellen, wer, wann, warum irgendwelche neuen oder modifizierten Werthaltungen annimmt und in welchem Maß eine derartige Akzeptanz stattfindet, ob sie eher bewußt oder unbewußt erfolgt und inwieweit sie gegebenenfalls nur die Readaption bereits akzeptierter Werte darstellt. Schon gar nicht ist die Relevanz einer einzelnen Zeitschrift oder eines bestimmten Artikels exakt nachzuweisen. Intrapersonale Vorgänge dieser Art entziehen sich unserer Analyse sogar dann, wenn Zeugnisse betroffener Individuen vorliegen, da es sich zumeist um die nachträgliche Rationalisierung bereits vollzogener Veränderungen handelt. Über allgemein gehaltene, tendenzielle Aussagen hinaus zu gelangen, dürfte daher nahezu unmöglich sein. Speziell für den „Monat" kommt erschwerend hinzu, daß sich, bei einer durchschnittlichen Auflage von rund 25.000 Exemplaren in der Mitte der fünfziger Jahre,161 der Anteil der festen Abonnenten nur auf circa 10% belief.162 Rückschlüsse auf die soziale Struktur der Leserschaft des „Monat" und ihre jeweilige Interessenlage bei der Lektüre, die für das Rezeptionsverhalten bedeutend sind, werden dadurch erheblich beeinträchtigt. Dieses Manko wird aber wenigstens teilweise durch den Umstand wettgemacht, daß Harold Hurwitz zwischen 1952 und 1954 eine von der Redaktion unterstützte Erhebung durchführte, um die Struktur der Leserschaft des „Monat", vor allem in Ostdeutschland, genauer zu analysieren. Gerade in bezug auf die DDR erhebt die Studie, die als solche schon nicht repräsentativ angelegt ist, indes keinerlei Anspruch, mehr als generelle Tendenzen widerzuspiegeln.163 Einige grobe Rückschlüsse lassen sich dennoch ziehen:
160
Zur
Rezeptionsforschung vgl. Winfried Schulz/Deutsche ForschungsgemeinMedienwirkungen. Einflüsse von Presse, Radio und Fernsehen auf Individuen und Gesellschaft. Untersuchungen im Schwerpunktprogramm „Publizistische Medienwirkungen", neueren
schaft:
161
162
163
Weinheim 1992. war „Der Monat" immerhin die größte
Damit
kulturpolitische
Zeitschrift
Europas;
erst
der
„Encounter", der aber zusätzlich auch auf den nordamerikanischen Markt zielte, sollte diesen Erfolg wesentlich übertreffen, vgl. Melvin J. Lasky an James Bumham vom 24.1.1950, UoCArchiv, „Der Monaf-Records, Box 1, Folder 8. Erik Nohara an Dr. Wilhelm Jacobi vom 3.10.1952, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 19, Folder 1: „Da wir nur sehr wenige Abonnenten haben, können wir Ihnen über unseren
Leserkreis nur das sagen, was sich aus den Nachfragen für unsere kostenlosen Sonderdrucke ergibt: danach setzt sich die Leserschaft weitgehend aus akademisch gebildeten oder in der akademischen Ausbildung stehenden Schichten der Bevölkerung und zahlreichen, in der Öffentlichkeit stehenden Persönlichkeiten (Professoren, Redakteuren, Politikern, Gewerkschaftlern etc ) zusammen. Dies gilt auch für die Leser in der Ostzone." H. Hurwitz: Der heimliche Leser, S. 17.
200
III. Zur Funktion der Zeitschrift „Der Monat"
gehörten die Leser des „Monat" beruflich und vom Einkommen her, vor allem aber bezogen auf ihren Ausbildungsstand deutlich bildungsbürgerlichen Eliten an. Allein in Westberlin, auf das sich „Der Monat" gerade in seiner Frühphase besonders konzentrierte,164 war im Ansatz die soziale Streuung breiter. Bemerkenswerterweise waren in Westberlin und Westdeutschland nur je 10% der Leser Frauen. Ganz anders sah es in Ostdeutschland aus. Nicht nur gab es dort mehr als 25% weibliche Leser, darüber hinaus waren in der DDR Leser ohne Abitur mehr als doppelt so häufig wie im Westen.165 Die konfessionelle Zusammensetzung der „Monaf'-Leser hing eng In Westdeutschland
mit den weltanschaulichen Charakteristika der Zeitschrift zusammen. Katholiken waren außerhalb Ostdeutschlands deutlich unterrepräsentiert, Konfessionslose hingegen, mit der erneuten Ausnahme Ostdeutschlands, klar überproportional vertreten, besonders in Westberlin. In der DDR waren die konfessionslosen Leser mehrheitlich traditionstreue Sozialdemokraten mit freigeistigem Hintergrund. Der Anteil protestantischer Leser entsprach in Westdeutschland in etwa dem gesamtgesellschaftlichen Durchschnitt.166 In der Umfrage wollte man auch feststellen, inwieweit die sozial derart strukturierte Leserschaft, die dem Erwartungsprofil der Redaktion weitgehend entsprach, die Inhalte des „Monat" zu akzeptieren bereit war. Weiterhin unter dem Vorbehalt mangelnder Repräsentativität gelangte Hurwitz zu dem Schluß, daß zwar 24% der westdeutschen, aber nur 10% der ostdeutschen Leserschaft prinzipielle Vorbehalte gegen die redaktionelle Linie der Zeitschrift äußerten.167 Hinsichtlich der ostdeutschen Leser ist dieses Ergebnis nicht weiter überraschend. In der DDR und Ostberlin dürfte „Der Monat" seine Leser vorwiegend in Kreisen gefunden haben, die, sei es als Liberale oder Sozialdemokraten, sei es als unpolitische Jungakademiker oder als überzeugte Christen, dem Regime der Stalinisten skeptisch gegenüberstanden und für weltanschauliche Schützenhilfe dankbar waren. Zusätzlich bedeutsam erscheint die Tatsache, daß es den Kritikern weniger um Einwände gegen den kosmopolitisch-proamerikanischen 164
165
166 167
An den Werbemaßnahmen für den „Monat" in Berlin wirkte u.a. der RIAS mit, vgl. den RIASKommentar Günther Birkenfeld vom 13.11.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 13, Folder 4. H. Hurwitz: Der heimliche Leser, S. 90f. Die Ergebnisse Hurwitz' deckten sich mit den Erkenntnissen der Redaktion: „Selbstverständlich wendet sich der .Monat' an eine Schicht intellektuell wohl vorbereiteter Leser. Trotzdem sind wir immer wieder verblüfft, einen Widerhall aus den breiteren Schichten zu spüren, von Lesern (namentlich aus der Ostzone), die einmal ein Heft ganz gründlich durchgelesen haben. Aber unser Grundgedanke ist natürlich, durch den ,Monat' einen Kreis von Menschen zu beeinflussen, von denen wiederum jeder Einzelne einen Kreis von Menschen zu beeinflussen in der Lage ist", s. Hellmuth Jaesrich an Carl Wolfgang Müller (Dovifat-Student, der ein Referat über den „Monat" schreiben wollte) vom 20.2.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 14, Folder 2. H. Hurwitz: Der heimliche Leser, S. 289ff. Ebda., S. 326ff Ein Beispiel individueller Rezeption des „Monat" aus der Perspektive eines regimekritischen Ostdeutschen bietet Günther De Bruyn: Vierzig Jahre. Ein Lebensbericht, Frankfurt/Main 1996, S. 82.
3. Zum Problem der Rezeption
201
Kurs des „Monat" ging, sondern um den Wunsch, die innerdeutsche Problematik stärker zu thematisieren. Die Resultate von Hurwitz' Studie deckten sich mit den Erkenntnissen, die die Redaktion auf unterschiedlichen Wegen bereits gewonnen hatte. Dort stützte man sich hinsichtlich der Rezeption der eigenen Zeitschrift vorwiegend auf Leserbriefe, die für reales Rezeptionsverhalten breiterer Schichten naturgemäß ein unsicheres analytisches Element darstellen. Daneben war man um direkten Kontakt zu potentiellen Lesern bemüht. Vor allem an deutschen Universitäten waren, zum Teil mit dem deutschen CCF abgestimmt, Beauftragte des „Monat" unterwegs, um den Absatz in jungakademischen Kreisen zu fördern. Eine zentrale Zielgruppe stellte dabei das Korporationsstudententum dar, in dem man eine Residualzone antiamerikanischer Ressentiments vermutete. Soweit erkennbar, war man in Berlin mit dem Erfolg des „Monat" im studentischen Bereich mehr als zufrieden. Zeitweise entstammten 2.000 Abonnenten der deutschen Studentenschaft, und die Leserbriefe aus diesem Umfeld belegen eine zum Teil begeisterte Aufnahme von Seiten studentischer Leser.168 Selbst aus Kreisen konservativer Waffenstudenten kamen Bitten um Freiexemplare.169 Damit war eine der wichtigsten Zielgruppen des „Monat", der deutsche akademische Nachwuchs, durchaus erfolgverheißend angesprochen worden. Ahnliches galt, ansatzweise zumindest, für die SPD. Im Gegensatz zum studentischen und zum intellektuellen Milieu170 scheint es mit Blick auf die SPD keine eigens ausgearbeitete Werbestrategie gegeben zu haben. Wenigstens gelang es Lasky auf dem Dortmunder Parteitag von 1952, Fritz Heine dazu zu bewegen, sämtlichen Delegierten ein Exemplar des „Monat" aushändigen zu lassen.171 Die genaue Verbreitung der Zeitschrift in SPD-Kreisen ist allerdings heute nicht mehr zu ermitteln, wodurch die Frage nach den von ihr ausgehenden Wirkungen bei sozialdemokratischen Lesern ebenfalls nicht zu beantworten ist. Die wichtigste Zielgruppe des „Monat" aber waren zweifellos die Intellektuellen, und zwar nicht nur die deutschen. Siegfried Kracauer hatte die Funktion des „Monat" als potentielles Bindeglied zwischen Intellektuellen aus allen 168
169
170
171
Günther Birkenfeld an die Redaktion des „Monat" vom 23.7.1951, UoC-Archiv, „Der MonafRecords, Box 13, Folder 4; Melvin J. Lasky an Shepard Stone vom 22.11.1951, ebda., Box 7, Folder 1; Herbert Haendke an Hellmuth Jaesrich vom 17.7.1952, ebda., Box 18, Folder 4.
So z.B. von der Burschenschaft Arminia zu Würzburg und der Burschenschaft Marchia zu Bonn Jaesrich war sofort darum bemüht, eine Adressenliste sämtlicher westdeutscher Burschenschaften zu erhalten, was jedoch nicht gelang: Hellmuth Jaesrich an die Burschenschaft Marchia zu Bonn vom 16.6.1952, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 17, Folder 4. Memorandum Norbert Mühlen zu Verbreitung und Leserreaktionen auf den „Monat" vom 11.8.1949, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 3, Folder 11. Melvin J. Lasky an Alfred V. Boeraer (ISD/HJCOG) vom 6.10.1952, UoC-Archiv, „Der Monat"-Record, Box 21, Folder 11. Der Brief deutet zusätzlich eine gewisse Skepsis der beiden Amerikaner gegenüber der Lage der SPD an. Lasky bemerkte, zumindest in der Berliner SPD sei es ihm gelungen, alle Flügel von des Prinzipien des „fair play" und der „free discussion" zu
überzeugen.
202
III. Zur Funktion der Zeitschrift
„Der Monat"
denkbaren Ländern der westlichen Welt deutlich erkannt,172 auch wenn die Sprachbarriere und Probleme mit dem geregelten Abonnementsbetrieb in Übersee manchen Ansatz vorerst nur im Bereich des guten Willens beließen.173 Die Reaktionen der Intellektuellen unterschieden sich nicht erheblich von der anderer Leserschichten, es überwogen Lob des Niveaus und Zustimmung zu den weltanschaulichen Prämissen des Magazins.174 Ahnlich zumindest mit Bück auf qualitative Aspekte erging es selbst Kritikern des antikommunistischen Kurses, den Lasky und sein Team eingeschlagen hatten.175 Allerdings sagte solches Lob über das intellektuelle Format des „Monat" erst einmal nur wenig über konkrete Rezeptionsvorgänge aus. Zwei Dinge lassen sich aber doch aus den Reaktionen der Intellektuellen entnehmen: „Der Monat" war weit verbreitet und wurde als Publikationsorgan entsprechend ernst genommen und seine inhaltliche Botschaft wurde in der Regel verstanden und, wenn überhaupt, nur wegen des antikommunistischen Aspektes kritisiert. Kritik an der liberal-kosmopolitisch-pragmatistischen Grundlinie wurde eigentlich nie geäußert, obwohl auch sie allen Lesern gegenwärtig sein mußte. Dies kann entweder darauf hindeuten, daß antiliberale Leser des „Monat" dazu neigten, ihrer Kritik keinen schriftlichen Ausdruck zu verleihen respektive sich nur anonym zu äußern, oder was wahrscheinlicher sein dürfte daß „Der Monat" vor allem jene Bereiche der deutschen Gesellschaft erreichte, die nach den Ereignissen zwischen 1933 und 1945, sei es aus liberaler Grundhaltung, sei es aus antikommunistischer Gesinnung oder aus einer Mischung beider Elemente, von vorneherein mit der ideologischen Tendenz des „Monat" übereinstimmten. Dann wäre „Der Monat" weniger Initiator der Westorientierung deutscher Linksintellektueller, Studenten und Sozialdemokraten gewesen, sondern eher ein Instrument, mit dessen Hilfe bereits eingeleitete weltanschauliche -
-
-
172
173 174
175
-
Siegfried Kracauer an die Redaktion des „Monat" vom 12.8.1951, DLA, A: Kracauer, 72.1635: „Your magazine seems to me valuable indeed. It is cosmopolitan in the best sense of the word
It is in fact one of the few links connecting the intellectual elites of our western hemisphere, and in thus familiaring them with each other, it may help bring that unity of outlook and attitude which we need so badly in our fight against Communism and totalitarian thought." Vgl. Hellmuth Jaesrich an Klemens von Klemperer vom 19.5.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'Records, Box 3, Folder 1. Theodor Eschenburg an Melvin J. Lasky vom 16.12.1952, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 18, Folder 1 stellte sogar fest: „Immer wieder verweise ich in Vorlesungen und Vorträgen auf ihre Aufsätze." Vgl. ferner Rudolf Augstein an Hellmuth Jaesrich vom 28.7.1951, ebda., Box 14, Folder 9: „Daß man den MONAT lesen muß, um zu den .gebildeten' Menschen zu zählen, wissen Sie selbst, ich brauche es Ihnen daher nicht zu sagen." Augstein kritisierte allerdings die Beteiligung offizieller amerikanischer Stellen an der Zeitschrift. Noch 1960 stellte Irving Jaffe fest: „It („Der Monat") is at present, from both the point of view of circulation and general influence, generally considered to be the most important monthly review in German language", s. Irving Jaffe (CCF-Mitarbeiter in Paris) an Berend von Nottbeck vom 25.5.1960, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 122, Folder 10. Vgl. den ironischen Dank Laskys fur Alfred Andersens anerkennende Worte beim Pariser Schriftstellerkongreß vom Mai 1953: MelvinJ. Lasky an Alfred Andersch vom 1.6.1953, UoCArchiv, „Der Monaf'-Records, Box 23, Folder 5.
3 Zum Problem der Rezeption
203
Neuorientierungsprozesse intensiviert und kanalisiert worden wären. Zeitgenössische amerikanische Vorbehalte gegenüber dem Einfluß der Zeitschrift gingen sogar noch weiter. Felix Frankfurter, einer der führenden liberalen Juristen jener Tage, äußerte sich gegenüber HICOG ausgesprochen skeptisch über die Chancen, ein intellektuell so traditionsreiches und gefestigtes
Volk wie die Deutschen von außen her zu beeinflussen. Dabei ist nicht klar erkennbar, ob er zu den Verfechtern einer völkerpsychologisch begründeten generellen Nichterziehbarkeit der autoritätshörigen Deutschen gehörte oder ob er eher die negativen Erfahrungen mit der „re-education" im Auge hatte.176 Laskys Antwort auf diesen Einwand ist bezeichnend für sein Verständnis der amerikanischen Mission in Deutschland. Ganz im Sinne des apriorischen Universalismus liberaler Theoriebildung argumentierte er, es gehe nicht darum, die eine Kultur der anderen einfach überzustülpen, sondern man müsse die gemeinsamen kulturelle Wurzeln freilegen und verstärkt betonen.177 Lasky tendierte sicher, ähnlich wie andere Vertreter der „re-orientation"-Ideologie auch, dazu, die spezifisch amerikanischen Elemente der von ihm propagierten konsensliberalen Weltanschauung über die Maßen zu relativieren. Freilich muß eingeräumt werden, daß alle Maßnahmen der Amerikaner auf dem Gebiet der ideell-kulturellen Durchdringung Westdeutschlands zum Scheitern verurteilt gewesen wären, hätte man nicht an bereits vorhandene liberaldemokratische Traditionen anknüpfen können, die eine Art Basis für Rezeption von Wertetransfer darstellten. Ohne deutsche Mitarbeit hätte es einerseits keinen Prozeß deutscher Westorientierung gegeben, selbst wenn diese Mitarbeit gerade zu Beginn, also bis etwa 1952/55, oft eher passiver Natur war. Zugleich dienten gemeinsame Traditionsbestände andererseits gelegentlich als Vehikel zum Transport genuin amerikanischer Vorstellungen von Westlichkeit. Das Problem der Rezeption konsensliberaler Werthaltungen, wie sie „Der Monat" zu transportieren suchte, wird kaum zu lösen sein. Eher sind vergleichsweise zuverlässige Aussagen über die Adressaten amerikanischer Intentionen möglich. Man wird jedoch generell davon ausgehen dürfen, daß „Der Monat" einen nicht unerheblichen Teil der deutschen linksintellektuellen Wertelite zu erreichen vermochte und mit einiger Wahrscheinlichkeit mittelund langfristig dazu beitrug, bei ihr liberaldemokratische und antikommunistische Einstellungen im Sinne der „re-orientation" zu befestigen. Das konkrete Ausmaß der Rezeption entzieht sich aber unserer Kenntnis.
176
Felix Frankfurter an J. Anthony Paruch (HICOG) vom 1.6.1949, UoC-Archiv, „Der MonafRecords, Box 2, Folder 3.
177
Melvin J.
Lasky an Felix Frankfurter vom 22.6.1949.
IV. DER „KONGRESS FÜR KULTURELLE FREIHEIT" BERLIN 1950 -
1. Der Weg zum
Kongreß
1948 war das Jahr, in dem die unterschiedlichen, bislang eher lose und informell verknüpften ideologischen und personellen Fäden von beiden am Konflikt des Kalten Krieges beteiligten Parteien aufgenommen und jeweils zu einem relativ homogenen Ganzen verschmolzen wurden. Beide Seiten, machtpolitisch und ideologisch inzwischen stabilisiert und vorerst irreversibel auf Abgrenzung bedacht, suchten nun nach Möglichkeiten, sowohl den jeweils eigenen Machtbereich ideell-kulturell dauerhaft unter Kontrolle zu bringen, als auch den jeweils anderen Block weltanschaulich zu verunsichern. Dazu bedurfte es sorgfältig definierter Randzonen im ideologischen Konfliktfeld, die so weit wie nötig offenzuhalten waren, wenn man potentielle Bündnispartner im Lager des Gegners erreichen wollte. Es gab jedoch einen bezeichnenden Unterschied wie man diese generellen Vorgaben praktisch umzusetzen gedachte: Denn während die die kommunistische Seite, dies konnte bereits gezeigt werden, sehr präzise zwischen abgrenzenden und vereinnahmenden Topoi unterschied, neigte man im westlichen Lager dazu, die Freiheitsthematik universell einzusetzen. Unterhalb der Ebene liberaldemokratischer Freiheitspathetik gab es dann Bestrebungen, integrativ länderspezifische Argumentationen im Interesse gesamtwestlicher Stabilität herauszuarbeiten, wie ein Blick auf die Vorgehensweise etwa des „Monat" zu belegen vermag. Dabei bestand das ideologische und propagandistische Hauptproblem des Westens weniger darin, sich vom Osten abzugrenzen oder mögliche ideologische Bündnispartner im Machtbereich der UdSSR zu finden, sondern vordringlich in der Suche nach einer konsistenten Selbstdefinition von Westen jenseits einer alle Unterschiede verdeckenden Freiheitsrhetorik. In der amerikanischen Hegemonialsphäre spielte der CCF bei dem Versuch, all diesen Anliegen auf der Ebene binnenwestlicher intellektueller Diskurse gerecht zu werden, eine wesentliche Rolle. Ideell-kulturelle Systemstabilisierung nach innen, auf dem Weg des Transfers konsensliberaler Ideologieangebote in einer durchaus globalen Perspektive, sowie weltanschauliche Konfrontation nach außen, durch den Versuch polemisch-aggressiver antikommunistischer, intellektueller Propaganda mit erheblicher Streuwirkung selbst im Gebiet des Ostblocks, machten den Kern der Aufgabe des CCF aus. Mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung kamen aber spätestens seit 1955 sämtliche genannten weltanschaulichen Aspekte in der Arbeit der Organisation zum
Tragen.
1. Der Weg
zum
Kongreß
205
In diesem Kapitel sollen die konkreten historischen Anlässe für die Gründung des CCF dargestellt werden. Insbesondere ist auf den Verlauf des Berliner „Kongresses für kulturelle Freiheit" näher einzugehen, der nicht allein der gesamten Organisation ihren Namen gab, sondern wenigstens bis weit in die fünfziger Jahre hinein, in mancherlei Hinsicht sogar bis 1967, programmatisch konstitutiv blieb. Abschließend werden die weltanschaulichen Gegebenheiten im frühen CCF näher untersucht. Dabei sind sowohl die Unterschiede zum „Monat" herauszuarbeiten als auch ideelle Konstellationen, die nur für die Phase bis 1952/55 aufgrund spezifischer Umstände zum Tragen kommen konnten. Der CCF war eine Reaktion der westlichen Welt auf die Friedens- und Neutrahtätskampagne des KOMINFORM seit 1947/48. Sie bildete in vielerlei Hinsicht den Horizont, vor dem allein das Handeln des frühen CCF einsichtig wird. Genauer gesagt handelte es sich eher um eine Reaktion auf ein Geschehen, das seinerseits schon reaktiven Charakter hatte. Die kommunistische Propagandaaktivität war nämlich, so sehr sie auf simplifizierende Argumentationsstereotypen der dreißiger Jahre zurückgriff, nicht aus bloßen taktischen Gründen verstärkt worden. Ohne die mitunter aggressiven Unzulänglichkeiten in den außenpolitischen Debatten der amerikanischen publizistischen Öffentlichkeit, die zunehmend völlig von der antikommunistischen Thematik beherrscht wurden, wäre eine derart auf den Friedensbegriff fixierte Kampagne kaum denkbar gewesen. Außerdem muß man den Umstand gebührend würdigen, daß gerade drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, der im Gedächtnis der Völker weiterhin schmerzhaft präsent blieb, und unter der Drohung atomarer Vernichtung das Thema Frieden besonders ansprechend wirken mußte. Ohne diese psychologische Disposition wäre der streckenweise überwältigende Erfolg der an sich erkennbar stalinistisch beeinflußten Friedenskampagne kaum zu erklären. So wurde es möglich, Millionen von Menschen für diese eine Sache zu mobilisieren und zeitweise sogar den Antifaschismus als Prinzip des selbstlegitimatorischen Grundkonsenses im Osten
hintanzustellen.
Ausgangspunkt der zweiten „fellow-traveller"-Welle war eine seit 1948 anhebende Diskussion in diversen US-amerikanischen Medien über die Möglichkeit eines nuklearen Erstschlages gegen die Sowjetunion, um auf diese Weise das kommunistische Problem endgültig zu lösen.1 Neben der „New York Times", „Newsweek" und „Life" war auch „Der Monat" mit einem Symposion an dieser weitgehend akademischen Debatte beteiligt.2 Der Vorgang stand in 1 2
D. Caute: Fellow-Travellers, S. 274f Vgl. das Symposion „Das Schicksal des Abendlandes Drei Perspektiven", in: Der Monat, H. 1 (1948), S. 4-27; s.v.a. Franz BoRKENAU: Nach der Atombombe, ebda., S. 9: „Angenommen, die westlichen Demokratien seien gegenwärtig die einzigen Besitzer des Geheimnisses der Atombombe, dann wäre es für die Westmächte ein militärischer Vorteil, jetzt zuzuschlagen und einen Präventivkrieg zu unternehmen." Borkenau schränkte seinen Vorschlag zwar sofort wieder -
206
IV. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit Berlin 1950 -
Beziehung zur kommunistischen Machtübernahme in weiten Teilen Ostmitteleuropas, vor allem der Tschechoslowakei, der Berlin-Blockade und der sich abzeichnenden Niederlage der nationalistischen Kuo-Min-Tang in China. Mit der Proklamation der Volksrepublik in China durch Mao-Tse Tung nahm die öffentliche Diskussion in den USA noch deutlicher hysterische Züge an, die angesichts der kommunistischen Aggression in Korea und der sich ausweitenden Fälle atomarer Spionage nicht eben beruhigt werden konnte. Im August 1950 ging der amerikanische Marineminister Francis P. Matthews, Mitglied der einflußreichen konservativ-katholischen Laienbewegung der Columbusritter, sogar so weit, in einer Rede in Boston den Präventivkrieg gegen die Sowjetunion zu verlangen.3 Erst das atomare Patt beendete diese Diskussion im Westen, die sich nie in realem Regierungshandeln niederschlug. Zu den Vordenkern einer aggressiv antisowjetischen Politik gehörte ebenfalls James Burnham nach dessen Analyse sich der Westen bereits seit 1944 im Dritten Weltkrieg mit der UdSSR befand und dementsprechend zu handeln aufgefordert war.4 Er hielt deshalb einen umfassenden Gegenangriff auf allen Sektoren für unabdingbar, politisch, ökonomisch, ideell-propagandistisch und militärisch, wenngleich vorerst nur durch massive Aufrüstungsmaßnahmen.5 Selbst ein später in der „Campaign for Nuclear Disarmament" (CND) in Großenger
britannien aktiver Denker wie Bertrand Russell bemerkte im „Monat", der historisch notwendige Weltstaat setze einen Sieg der USA über die UdSSR voraus, der nut „theoretisch durch ein Übereinkommen" zu erreichen sei.6 Wie bereits bemerkt, handelte es sich um eine intellektuell-akademische Debatte ohne konkrete Folgen für die außenpolitische Konzeption der USA; eine Debatte zudem die einem subjektiv begründeten Bedrohungsgefühl entsprang. Dies war den Sowjets natürlich kaum zu vermitteln. Nicht nur bei ihnen, sondern auch in der westlichen Öffentlichkeit mußten derartige Gedanken beunruhigend wirken. Die Antwort der kommunistischen Welt auf diese als Provokation empfundenen Äußerungen prominenter westlicher Publizisten und Intellektueller konnte kaum ausbleiben. In ihr verbanden sich blockübergreifende Propagandamaßnahmen mit systemerhaltenden und massenmobilisierenden Schritten zum ..
ein, doch als gedankliche Option blieb er im Raum. Ein später Reflex auf derartig aggressivantikommunistische Denkspiele war auch Arthur Koestlers Vorschlag, eine europäische Freiheitslegion zu gründen: Arthur Koestler: Für eine europäische Freiheitslegion, in: Der Monat,
3 4 5 6
H. 26(1950), S. 115-119. SJ. Whitfield: Culture, S. 6. In diesen Zusammenhang gehören wohl auch die Forderungen General MacArthurs, den Koreakrieg durch den Einsatz nuklearer Waffen zu beenden. J. Burnham: Strategie, S. 101. Ebda., S. 183ff. und S. 216. Bertrand Rüssel: Der Weg zum Weltstaat, in: Der Monat, H. 1 (1948), S. 5.
1. Der Weg
zum
207
Kongreß
internen Ausbau hegemonialer Strukturen.7 Unter teilweisem Rückgriff auf inzwischen wohl als klassisch empfundene Methoden des seit 1939 zerschlagenen Münzenberg-Apparates der KOMINTERN wurde eine zweite umfassende Welle von „fellow-travellers" mobilisiert. Organisatorisch gebündelt von dem Ende 1947 gegründeten KOMINFORM und ideologisch an der „Zwei-Lager"Theorie Shdanows orientiert,8 war die neuerliche „fellow-traveller"-Bewegung dazu gedacht, die Friedensthematik wahlweise mit antiamerikanischen oder nationalneutralistischen Strömungen zu verbinden, wo nicht ohnehin von vomeherein beide Aspekte zusammenfielen. Die Zusammenarbeit mit dem KOMINFORM, der jeweiligen nationalen kommunistischen Partei oder der Moskauer Führung blieb ebenso eng wie anderthalb Jahrzehnte zuvor, was für außerhalb der Partei stehende Mitläufer nicht immer sofort erkennbar war. Besonders in Frankreich und Italien mit ihren starken kommunistischen Parteien und ihren, gerade in Frankreich, nicht minder ausgeprägten alten antiamerikanischen Ressentiments bot sich für diese Taktik eine breite Angriffsfläche.9 In Deutschland war die Situation etwas anders als in West- und Südeuropa. Der kommunistische und der antiamerikanische Charakter der WeltfriedensbeweZum folgenden vgl. Rüdiger Schlaga: Die Kommunisten in der Friedensbewegung erfolglos? Die Politik des Weltfriedensrates im Verhältnis zur Außenpolitik der Sowjetunion und zu den unabhängigen Friedensbewegungen im Westen (1950-1979), Frankfurt/Main 1991, s. etwa S. 62. Schlagas Monographie ist die derzeit umfangreichste Darstellung der Aktivitäten der Weltfriedensbewegung. Der Autor ist darum bemüht, das Verhältnis von sowjetischer Führung und Weltfriedensbewegung möglichst differenziert und nicht in der Form monolithischer Abhängigkeit nachzuzeichnen, ohne jedoch damit die enge Bindung der Bewegung an die UdSSR zu relativieren; s. zudem die neueste Gesamtdarstellung zum Thema: Lawrence S. Wittner: One World or None. A History of the World Nuclear Disarmament Movement Through 1953, Stanford 1993, s.v.a. S. 171-246. Den traditionell konservativen Standpunkt völliger Abhängigkeit der Weltfriedensbewegung von der kommunistischen Führung vertritt z.B. Helmut Bârwald: Mißbrauchte Friedenssehnsucht. Ein Kapitel kommunistischer Bündnispolitik, Bonn-Düsseldorf-München 1983, der seine Arbeit im Zusammenhang mit den Aktivitäten im Umfeld der Antinachrüstungsbewegung verfaßte. Vgl. femer D. Caute: FellowTravellers, S. 282-298; aus friedensbewegter Perspektive: Theodor Michaltscheff: Die unverwüstliche Opposition. Geschichte der bundesdeutschen Friedensbewegung 1945-1960, Oldenburg 1994; aus eher sozialdemokratischer Sicht und mit weiter angelegter historischer Perspektive: Arnold Sywottek: Die Opposition der SPD und der KPD gegen die westdeutsche Aufrüstung in der Tradition sozialdemokratischer und kommunistischer Friedenspolitik seit dem Ersten Weltkrieg, m: Wolfgang Huber/Johannes Schwerdtfeger (Hg.): Frieden, Gewalt, Sozialismus. Studien zur Geschichte der sozialistischen Arbeiterbewegung, Stuttgart 1976, S. 496-610; inhaltlich stark von den Umständen des Kalten Krieges geprägt, aber als Materialsammlung immer noch sinnvoll: Jürgen von Hehn: Die Weltfriedensbewegung im Atomzeitalter, in: Europa-Archiv 9 (1954), S. 6807-6821. R. Schlaga: Friedensbewegung, S.41, relativiert diesen Aspekt durch den Hinweis, daß die Weltfriedensbewegung auf eine gemeinsame Initiative der Kommunistischen Parteien Polens und Frankreichs zurückgehe, die erst in der Folge von dem KOMINFORM aufgegriffen worden sei. Zudem habe das KOMINFORM, im Gegensatz zur KOMINTERN, eher der internen Stabilisierung des stalinistischen Hegemonialsystems gedient, vgl. ebda., S. 44-50. Einschränkend sei nur am Rande daraufhingewiesen, daß R. Kuisel: Seducing the French, S. 15ff, die hier angenommene Kausalität genau umgekehrt sieht Nach ihm war es der starke kommunistische Einfluß, der in seinem Gefolge zu Antiamerikanismus geführt habe. -
208
IV. Der „Kongreß für Kultmeile Freiheit Berlin 1950 -
gung durften nicht
so deutlich betont werden, während sich zugleich verstärkt nationalneutralistische Bündnispartner anboten. In einem Punkt unterschied sich die „fellow-traveller"-Bewegung des KOMINFORM von derjenigen der KOMINTERN: Zwar konnte man sich weiterhin auf „a brilliant galaxy of artists, writers, and intellectuals"10 stützen, wenn auch viele davon bereits in den dreißiger Jahren aktiv gewesen waren, doch trat zunehmend neben das Prinzip des großen Namens das der großen Zahl. Erheblich intensiver als zu Münzenbergs Zeiten wurden seit 1947/48 bis weit in die fünfziger Jahre hinein Massenbewegungen für Propagandazwecke der Sowjetunion genutzt oder eigens gegründet. Dabei konnte man sich jedoch ebenfalls insofern an Münzenbergs Vorbild anlehnen, als beispielsweise die
„Amsterdam-Pleyel"-Bewegung, die auch der Friedensthematik gewidmet gewesen war, bereits Züge einer Massenbewegung angenommen hatte. Zu dem auf weltweite Wirkung angelegten Potential zählten Organisationen wie der „Weltgewerkschaftsbund", die „Women's International Democratic Federation", die „World Federation of Democratic Youth", die beiden letzteren schon 1945 gegründet, die „International Union of Students" und die „World Federation of Scientific Workers", die ab 1953 von Irène Joliot-Curie geleitet wurde und in der internationalen
Antiatomkampagne eine wichtige Rolle spielen sollte. Zu den eigens gegründeten, national, kontinental oder global agierenden Institutionen trat weiterhin das Bemühen, das „Trojan Horse Principle" anzuwenden, also bestehende nationale Standesorganisationen wie die amerikanische „National Lawyers Guild" oder das „Comité National des Juristes" in Frankreich zu infiltrieren. Diese teilweise subversiv angelegte Tätigkeit scheint jedoch nicht mehr den Erfolg früherer Zeiten gebracht zu haben, was durch den breiten antikommunistischen Konsens in den meisten westlichen Gesellschaften ebenso zu erklären wäre wie durch das Fehlen einer wirklich schwerwiegenden Krise des liberaldemokratischen Systems, die derjenigen der dreißiger Jahre auch nur annähernd vergleichbar gewesen wäre. Die neben dem KOMINFORM wichtigste Organisation im Bereich der zweiten „fellow-traveller"-Welle war die Weltfriedensbewegung, deren Führung zwischen 1948 und 1956 in den Händen der Familie Joliot-Curie lag, eine personale Kontinuität zu den „fellow-travellers" der Münzenberg-Zeit. Der „Weltfriedensrat", als Leitungsgremium der Weltfriedensbewegung, war zwar erst 1951 geschaffen worden, doch existierte bereits seit der Breslauer Tagung von 1948 ein Internationales Verbindungskomitee, welches die eigentliche Weltfriedensbewegung und die zuarbeitenden Massenorganisationen und Individuen koordinatorisch betreute. Im Anschluß an die Pariser Konferenz von 1949 war dann ein ständiges Komitee gegründet worden, das aus 133 Mitgliedern bestand, von denen zwar nur neun aus der UdSSR stammten, dafür 10
D. Caute:
Fellow-Travellers, S. 290.
1. Der Weg zum Kongreß
209
aber 19 Franzosen, 13 Italiener und 15 Vertreter der sowjetisch dominierten Volksdemokratien aufzuweisen hatte, jedoch nur acht US-Amerikaner. Noch deudicher wurde die kommunistische Herrschaftsstrategie bei der Zusammensetzung des Ständigen Büros, das die eigentliche Alltagsarbeit zu leisten hatte. Hier waren von zwölf Mitgliedern sieben Angehörige einer kommunistischen Partei, vier können als „fellow-travellers" kategorisiert werden, während nur der US-Amerikaner John Rogge nicht aus diesem politischen Spektrum stammte. Die Abhängigkeit der Weltfriedensbewegung von stalinistischen Machtkalkülen wurde besonders offensichtlich, als Jugoslawien nach dem Abfall Titos von dem KOMINFORM im Oktober 1949 aus der Bewegung ausgeschlossen wurde.11 Der Fall der titoistischen „Renegaten" ließ sich nämlich keineswegs aus friedenspolitischen Erwägungen heraus rechtfertigen, sondern war ausschließlich Ausdruck eines stalinistischen Dominanzmonopols in den Leitungsgremien der Weltfriedensbewegung. Ob der Bruch zwischen Moskau und Belgrad wirklich zu einer Art von Stagnation innerhalb der Weltfriedensbewegung geführt hat oder gar mit der Wirkung der staltaistischen Maßnahmen gegen die Trotzkisten und Anarchisten während des Spanischen Bürgerkrieges vergleichbar war, ist fraglich.Allerdings führten die Ereignisse zu intensivierten Bemühungen um tateme Einheit, die sich besonders in den Presseaktionen gegen den einzigen Nichtkommunisten in den Leitungsgremien der Bewegung, John Rogge, niederschlugen, nachdem dieser die unbedingte Identität von Weltfriedenslager und UdSSR bestritten hatte.12 Diesen Unstimmigkeiten zum Trotz wurde der organisatorische Trend hin zur Massenbewegung weitergeführt. 1950 bestanden 46 nationale Landesfriedenskomitees. Mit „Les Partisans de la Paix" schuf sich das Weltfriedenskomitee eine Zeitschrift, die bald in mehreren Sprachen erschien, seit 1950 auch in Deutsch. Als weitere öffentlichkeitswirksame Aktion propagierte der Weltgewerkschaftsbund den 2. Oktober zum „Weltfriedenstag". Ihren kaum zu überbietenden Höhepunkt erreichte die Kampagne für den Weltfrieden allerdings im Jahre 1950 mit dem sogenannten „Stockholmer Appell".13 Diese Deklaration, die ein vorbehaltloses Verbot nuklearer Waffen, die umfassende Kontrolle des Verbots sowie die generelle Ächtung des nuklearen Erstschlages forderte, wurde auf der Tagung des Ständigen Komitees der Weltfriedensbewegung in Stockholm vom 15. bis 19. März 1950 verfaßt und in der Folge weltweit verbreitet. In einer in den kommunistischen Ländern überaus effizient durchgeführten Unterschriftenaktion zum „Stockholmer Appell" kamen, wenigstens laut kommunistischer Propaganda, insgesamt 500 Millionen Unterschriften zusammen. Mehrere hundert Millionen Unterzeichner boten jeweils die Volksrepublik China und die UdSSR auf, aus Italien kamen 14,4 11 12 13
R. Schlaga: Friedensbewegung, S 59-62, J.von Hehn: Weltfriedensbewegung, S. 6812 R Schlaga: Friedensbewegung, S. 63-70.
210
IV. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit Berlin 1950 -
aus Frankreich 12 Millionen Unterschriften, womit in etwa die Stärke der jeweiligen kommunistischen Parteien umschrieben war. Weitere 17 Millionen Unterschriften in der gerade gegründeten DDR dürften ebenso für sich sprechen wie der Umstand, daß in der Bundesrepublik nur rund zwei Millionen Menschen den „Stockholmer Appell" auf diese Weise unterstützten. Mit Hilfe der Friedenskampagne ließ sich also über das Ziel eines Brückenschlages zum Westen hinaus auch eine gewisse Binnenmobilisierung innerhalb des stalinistischen Lagers erreichen, wobei jedoch der Faktor nicht unterschätzt werden darf, daß diese Mobilisierung strategisch gesehen wiederum auf die westliche Öffentlichkeit zielte. Zusätzlich zeigen die Zahlen gegenüber den Maßnahmen des Münzenberg-Apparates die neue Quantität und Qualität der zweiten „fellow-traveller"-Welle. Hier ging es nun nicht mehr vornehmlich um meinungsbildende Werteliten, die in überschaubaren Zirkeln zu organisieren waren, sondern um Herrschafts- und Infiltrationsmethoden, die der von der westlichen Soziologie jener Zeit analysierten modernen, industrialisierten Massengesellschaft mit ihren verstärkten Partizipationsforderungen breiter gesellschaftlicher Schichten gerecht zu werden versuchte. Interessanterweise beschränkten sich die Gegenmaßnahmen des Westens, die nicht selten von genau jenen Soziologen zumindest mitgetragen wurden, welche die Massendemokratie theoretisch analysierten,14 eher auf solche institutionelle Formen, wie sie der vergleichsweise elitären Tradition Münzenbergs entsprachen. Die Fähigkeit zur zentralisierten massenhaften Organisation antikommunistischer Affekte ging den liberaldemokratischen Gesellschaften außerhalb des Parteiensystems offenkundig ab. Auf der anderen Seite richteten sich die Maßnahmen des KOMINFORM nicht nur auf den massenwirksamen Appell an die Friedenssehnsüchte der Menschen in West und Ost, sondern man wollte auch weiterhin das intellektuelle Potential im Westen zugunsten eigener politischer Vorstellungen zu gewinnen. Eine besonders wichtige Rolle in diesem Gesamtkalkül spielte der Schriftsteller Ilja Ehrenbmg, dessen „Offener Brief an die Schriftsteller des Westens" den „Stockholmer Appell" auf der Ebene intellektueller Friedensdiskurse flankieren sollte. Für Ehrenburg sprach unter anderem, daß er zwar überzeugter Kommunist, aber kaum streng orthodoxer Stalinist war. Er war nicht erst 1950 in der Friedenspropaganda tätig geworden, sondern hatte sich schon in den seit 1948 laufenden Kongreßaktivitäten des KOMINFORM hervorgetan. Die Friedenskongresse stellten das sichtbarste Relikt aus dem geistigen Nachlaß Willi Münzenbergs dar. Sie dienten tatsächlich, wenigstens anfangs, immer noch dem Versuch, eine möglichst breit gestreute Koalition aus christlichen, bürgerlich-humanistischen, sozialistischen und kommunistischen Intellektuellen zu formieren, deren diskrete Steuerung durch die Stalinisten nicht unmittelbar erkennbar war. Relativ schnell, innerhalb von zwei Jahren, wurde
Millionen,
14
Für den CCF sei
an
Daniel Bell, Edward Shils, Michael
Polanyi und Raymond Aron erinnert.
1. Der Weg
zum
Kongreß
211
jedoch auch das Kongreßwesen in den Dienst der Massenorganisation gestellt. Überdies fehlte den Stalinisten eine Person vom Format Münzenbergs, die
dieses intellektuelle Instrument mit der gewohnten Souveränität hätte leiten können. Hinzu kam, daß im Gegensatz zu den dreißiger Jahren die Kongresse nicht mehr selektiv durchgeführt wurden, sondern gewissermaßen seriell. Zwischen August 1948 und dem Tode Stalins kam es zu einer Kette kleinerer und größerer Konferenzen, die ständig um neue publizistische Aufmerksamkeit bemüht waren und die Friedensproblematik tief im öffentlichen Bewußtsein zu verankern suchten. Der CCF sollte diese konzeptionelle Änderung von den Kommunisten übernehmen, um sie dann, ebenso wie die Gegenseite, Mitte der fünfziger Jahre wegen nachlassender öffentlicher Aufmerksamkeit wieder einzustellen. Auf Seiten des KOMINFORM führte die Entwicklung bis 1952 dazu, die Prinzipien von „großen Namen" und „großer Zahl" verstärkt zu parallelisieren und somit dem zweifachen strategischen Hauptziel von interner Stabilisierung und externer Bündnisfähigkeit unterzuordnen. Die Kongreßserie nahm ihren Ausgang in Breslau, wo vom 26. bis 30. August 1948 der „Kongreß der Kulturschaffenden zum Schütze des Friedens" tagte.15 Seit dem 1. deutschen Schriftstellerkongreß wenige Monate zuvor war die Koalitionsrhetorik vom Primat des antifaschistisch-„demokratischen" Konsenses auf das Friedensthema umgestellt worden. Zwar war das Bemühen, breite bürgerliche Kreise in die Aktionen mitetazubeziehen, weiterhin vorhanden, dennoch trat der abgrenzende, antiamerikanische Aspekt zusehends in den Vordergrund. Die Friedensthematik wurde, entsprechend der „Zwei-Lager"Theorie, zum Kristallisationspunkt einer gleichermaßen philosowjetischen wie vor allem antiamerikanischen Koalition. Deswegen gehörten Warnungen vor dem aggressiv-imperialistischen Charakter der USA, der sich notwendig aus ihrer kapitalistischen Gesellschaftsordnung ergäbe, zum Grundbestand der neuen Friedensrhetorik die dadurch einen vergleichsweise militanten Unterton bekam. Dieser Übergang war insofern relativ leicht zu bewerkstelligen, als die kommunistische Faschismustheorie ohnehin dazu tendierte, Kapitalismus, Militarismus und Faschismus als Teile eines Ganzen zu betrachten. Den Ton der Debatten, die erheblich weniger frei waren als in Berlin 1947, bestimmten Ehrenburg und Fadejew, die im polemischen Stil des Kalten Krieges den Kontrast zwischen der aggressiv-imperialistischen USA und der UdSSR als Hort von Frieden, Kultur, Demokratie und Freiheit betonten. Das abschließende „Manifest des Friedens" verband wiederum die Friedensparole mit unverhohlen antiamerikanischen, antirassistischen und antiimperialistischen Motiven. Der
Versuch bereits zu diesem frühen Zeitpunkt die Völker der Dritten Welt in die Strategie des KOMINFORM einzubeziehen, muß nicht weiter überraschen,
handelte es sich doch gleichfalls um ein Erbe der dreißiger Jahre. Der Breslauer Kongreß war also in der Tat eine klassische „fellow15
Vgl.a.
S. Hook: Out of Step, S. 386Í.
212
IV. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit Berlin 1950 -
von einem polnisch-französischen Kodas den mit Kommunistischen Parteien der beiden Länder mitee, eng zusammenarbeitete. Insgesamt nahmen 500 Vertreter aus 45 Ländern teil, darunter neben Kommunisten selbstredend bürgerliche Humanisten. Albert
traveller"-Veranstaltung, organisiert
Einstein und
George Berhard
Shaw hatten
Grußtelegramme geschickt.
Einer
allerdings fehlte: Ausgerechnet Johannes R. Becher konnte sich als deutscher Nationalist nicht dazu überwinden, von Polen besetztes deutsches Gebiet zu
betreten.
Gesamtzusammenhang seriell aufgelegter Friedenskongresse standen auch die Tagungen in New York (25. bis 27. März 1949) und Paris/Prag (20. bis 25. April 1949). Da New York für unseren Zusammenhang vornehmlich wegen der von konsensliberaler Seite ergriffenen Gegenmaßnahmen von Interesse ist, soll diese Konferenz erst später behandelt werden. Der Doppelkongreß von Paris und Prag war, zumindest für das Geschehen in Europa, aus sich selbst heraus bedeutsam.16 Er war in dieser leicht verwirrenden Form notwendig geworden, nachdem die französischen Behörden die Anzahl der Einreisevisa für die teilnehmenden Delegationen drastisch reduziert hatten und eine Reihe Delegierter an einen anderen Ort ausweichen mußte. Zwar wurden die Pariser Beschlüsse im Endeffekt von der Prager Teilkonferenz übernommen, dennoch wurden, wie Rüdiger Schlaga herausgearbeitet hat, in beiden Orten je unterschiedliche Schwerpunkte in den Diskussionen gesetzt. Während der Ton der Debatten in Paris vergleichsweise moderat war, eher auf Gemeinsamkeit mit potentiellen Verbündeten im Westen ausgerichtet, gab man sich in Prag, analog zur „Zwei-Lager"-Theorie, weitaus aggressiver. Ferner stand in Paris/Prag bereits der Massenaspekt der Weltfriedensbewegung im Vordergrund, wodurch die Doppelkonferenz sich konzeptionell von Breslau und New York unterschied. Die Organisatoren beanspruchten nun, 72 Nationen, 561 Landesorganisationen und 12 internationale Vereinigungen, durchgehend Frontorganisationen des KOMINFORM, mit insgesamt 600 Millionen Mitgliedern zu vertreten. Mit dem Pariser und Prager Weltfriedenskongreß wurde zusätzlich die Weltfriedensbewegung organisatorisch formalisiert und stabilisiert. Dies war notwendig geworden, nachdem seit dem Frühjahr die Pläne der Westalliierten für den Nordatlantikpakt konkrete Gestalt annahmen und es deutlich wurde, daß die Möglichkeit deutscher und japanischer Militärbeiträge zu einer neuen westlichen Allianz nicht mehr auszuschließen war. Neben die bislang vorrangig thematisierte atomare Bedrohung trat jetzt, wieder im Gegensatz zu New York,17 die Kritik am Nordatlantikpakt, wobei die durch den deutschen Wehrbeitrag vielfältig ausgelösten Bedrohungsgefühle besonders berücksichtigt wurden. Nachdem die Bundesrepublik Deutschland und die NATO gegründet worIm
16 17
Vgl. R. Schlaga: Friedensbewegung, S. 54-58. Vgl. ebda., S. 53.
1. Der Weg
zum
213
Kongreß
den waren und mit Ausbruch des Koreakrieges sowie den Beschlüssen der New Yorker Außenministerkonferenz vom 12. bis 19. September 1950 ein westdeutscher Wehrbeitrag noch wahrscheinlicher geworden war, verlangten die neuen politischen Rahmenbedingungen eine intensivierte Arbeit der Weltfriedensbewegung. Zunehmend geriet die Deutschlandfrage gemeinsam mit der Atomwaffenproblematik in den Vordergrund, und zwar unter einem doppelten, strukturell inkompatiblen Aspekt: Auf der einen Seite konnten aus der Kriegszeit noch vorhandene antideutsche Ressentiments in den westeuropäischen Ländern ausgenutzt werden, während man auf der anderen Seite in Deutschland selbst darauf hinweisen konnte, daß die Politik Adenauers mit ihrer starken Westbindungsoption die deutsche Einheit als politisches Ziel in weite Feme rücken würde, das heißt, hier wurden eher nationaldeutsche Vorbehalte artiku-
liert.18
In Deutschland konstituierte sich die Weltfriedensbewegung auf dem „Deutschen Kongreß der Kämpfer für den Frieden" vom 4. und 5. November 1950 in Berlin. Zwar hatten die westalliierten Behörden Frédéric Joliot-Curie, der spätestens seit dem Pariser Kongreß neben Ehrenburg und Fadejew an Statur in der Weltfriedensbewegung gewonnen hatte, die Einreise verweigert, dennoch trafen sich 1769 Delegierte, davon 755 aus Westdeutschland. Unter Leitung der SED-Mitglieder Walter Friedrich und Heinz Willmann wurde ein gesamtdeutsches Friedenskomitee installiert, mit dessen Hilfe die Ziele der Weltfriedensbewegung in Deutschland aufgegriffen werden sollten. Daneben stand die Zusammenarbeit mit nichtkommunistischen Friedensgruppen unterschiedlicher Herkunft. Berlin gehörte zu einer Reihe von Vorbereitungskongressen, die im Zweiten Weltfriedenskongreß in Warschau (16. bis 25. November 1950) gipfelten. Dieser hatte ursprünglich in Großbritannien stattfinden sollen, mußte jedoch verlegt werden, weil wieder einmal Joliot-Curie die Einreise verweigert worden war. Diesmal waren 1756 Delegierte aus 81 Ländern vertreten, die wiederum eine Fülle global agierender Organisationen aus dem Umfeld der kommunistischen Parteien, des KOMINFORM und der zweiten „fellow-traveller"Bewegung repräsentierten, inhaltlich war der Kurs festgelegt. Kritik an den USA der NATO und der deutschen Wiederbewaffnung wurden konsequent mit der Antinuklearkampagne des „Stockholmer Appells" verbunden. Die „fellow-traveller"-Bewegung, jetzt als Teil der globalen Friedens-
18
R. Schlaga: ebda., S. 95-98, hat im Zusammenhang mit den Stalm-Noten von 1952 zusätzlich darauf hingewiesen, daß selbst innerhalb der stalinistischen Friedenskampagnen für Deutschland das taktische Vorgehen gelegentlich unvereinbare Prämissen aufwies und mangelhafte Koordination vermuten läßt. Während die deutsche Sektion der Weltfriedensbewegung nämlich am Ideal eines entwaflheten Deutschland festhielt, deutete Stalin an, daß sollte ein geeintes Deutschland neutral bleiben eine eigene deutsche Armee keinesfalls ausgeschlossen wäre. -
-
IV. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit Berlin 1950
214
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initiative der stalinistischen Führung verstanden,19 hatte sich den neuen Verhältnissen angepaßt, sie war moderner, weniger elitär und damit massenwirksamer geworden, gleichzeitig allerdings intellektuell beschränkter als zu Münzenbergs Zeiten. Der Modernisierungsschub in den organisatorischen Formen bewahrte am Ende das Fellow-Travellertum nicht davor, mit dem Tode Stalins in eine Phase krisenhafter Perspektivlosigkeit zu versinken, von der es sich, ungeachtet weiterer Friedenskampagnen, die sich dann jedoch zunehmend von einer absolutistischen Moskauer Führung gelöst haben, nie wieder ganz erholte. Dennoch stellte die zweite „fellow-traveller"-Welle im Rahmen der Weltfriedensbewegung Ende der vierziger und zu Beginn der fünfziger Jahre das politisch-ideelle Korrelat zum CCF dar. Mit dem Niedergang der Weltfriedensbewegung verschoben sich auch die Gewichte im CCF. Die inzwischen zum Konsensbberalismus konvertierten Exkommunisten und Ex-„fellow-travellers" der Gründerzeit reagierten auf das neuerliche, massive Auftauchen kommunistisch gesteuerter, propagandistisch wirksamer Frontorganisationen mit allen Anzeichen von Panik. Vehement suchten sie die Auseinandersetzung mit den Verbündeten von einst, blieben dabei allerdings immer noch den geistigen und organisatorischen Realitäten der Vergangenheit verhaftet. Schon aus biographischen Gründen gelang es besonders den Exstalinisten und füheren Trotzkisten nicht, den fundamentalen Wandel innerhalb der „fellow-traveller"-Bewegung adäquat zu erfassen. Dabei wäre es falsch oder doch zumindest übertrieben zu behaupten, daß die Gründergeneration des CCF den Wandel in Strategie und Taktik ihres Gegners gar nicht bemerkt hätte. In ihrer Reaktion zeigte sie jedoch eine erhebliche Unsicherheit darüber, wie man dem gleichermaßen bekannten wie neuartigen Phänomen zu begegnen habe. Im Endeffekt konnten die liberaldemokratischen Intellektuellen sich nicht von den Konzepten Münzenbergs lösen, möglicherweise wollten sie es auch gar nicht, und selbst wenn sie es wollten, wußten sie nicht, wie sie es anzufangen hätten. Mit Blick auf Massenwirksamkeit der Weltfriedensbewegung stand der frühe CCF damit vor einem doppelten Problem: Zum einen konnten seine Gründer sich lange nicht entscheiden, ob sie bevorzugt als intellektueller Wertelitenzirkel handeln oder ebenfalls in das Stadium einer Bewegung mit Massencharakter übergehen wollten.20 Auf der anderen Seite konnte die exkom 19
R. Schlaga:
ebda., S. 432, zitiert, wenn auch mit angesichts der Interessenkonstellationen gerechtfertigten methodischen Vorbehalten, Schätzungen westlicher Nachrichtendienste, nach denen die UdSSR, noch zu Beginn der sechziger Jahre jährlich 1,5 Milliarden $ zugunsten des Weltfriedensrates ausgegeben habe. Demgegenüber nehmen sich die CIA-Ausgaben für den CCF und andere analoge Aktivitäten des „covert action"-Departments relativ geringfügig aus; G.F. Treverton: Covert Action, S. 40, veranschlagt den entsprechenden Etat des OPC der CIA
seinen besten Zeiten im Jahr 1952 auf 82 Millionen $ Dem widerspncht jedoch E. Shils: Remembering the Congress, Teil 1, S. 57, der den CCF sogar gegenüber dem Münzenberg-Apparat dadurch abgrenzt, daß er auf Proselytenmacherei verzichtet habe. Für die „Amis de la Liberté", die CCF-Organisation in Frankreich, trifft dies nicht zu. Zudem muß berücksichtigt werden, daß zu Zeiten Münzenbergs zwar bereits Organisationen mit zu
20
1. Der Weg
zum
Kongreß
215
munistische Gründergeneration des CCF in ihrer eingeschränkten Perspektive nicht den sittlichen Ernst erkennen, der sich in der Friedensbewegung neben kommunistischer Infiltration fand.21 Der Regreß auf angeblich allgemeingültige Verschwörungstheorien führte zu gelegentlich holzschnittartigen Argumentationen, die mit moralisierendem Pathos Antikommunismus predigten, ohne daß man das Friedensbedürfnis der Völker Europas wirklich emst nahm. In dieser Unsicherheit verlagerten die CCF-Gründer die Auseinandersetzung auf die geistig-intellektuelle Ebene und verblieben damit in der eher elitären Welt, die sie kannten. Endgültig setzte sich diese Haltung erst in der Krise von 1952/55 durch, die parallel zu den Spannungen innerhalb der Weltfriedensbewegung stattfand. Allerdings bekämpfte der CCF einen Gegner, der zunehmend chimärenhafte Züge annahm. Mit der Ausnahme Frankreichs und eventuell Italiens gab es in der westlichen Hemisphäre kein Land mehr, in dem vom Marxismus beeinflußte Intellektuelle nach 1948 überhaupt noch den Anspruch auf kulturelle Hegemonie hätten anmelden können. Dafür war der breite antikommunistische Konsens der westlichen Gesellschaften zu gefestigt. Auch Peter Colemans Hinweis auf die Schwierigkeiten antikommunistischer Autoren, einen Verleger zu finden, bezieht sich ausdrücklich auf die Zeit vor 1948/49. Er selbst hebt die Veränderungen hervor, die Crossmans „The God That Failed" ausgelöst hatte.22 Die Wirkung dieser antikommunistischen Bekenntnisschrift läßt sich am ehesten mit der von Solschynizins „Archipel GULAG" im Frankreich der siebziger und achtziger Jahre vergleichen. Natürlich gab es unbestreitbar weiterhin intellektuelle „fellow-travellers" im Westen, doch handelte es sich überwiegend um Personen, die wie die CCFGründer intellektuell den zwanziger und dreißiger Jahren verhaftet geblieben waren. Deswegen hat Richard H. Pells zu Recht angemerkt, daß der eigentliche Gegner der CCF-Intellektuellen weniger in Moskau zu finden war, als bei nationalneutralistischen und antiamerikanischen Intellektuellen vor allem in Westeuropa.23 Diese waren aber nicht mehr notwendig „fellow-travellers". Antiamerikanische, pazifistische und neutralistische Schriftsteller, bildende Künstler und Hochschullehrer mit ihrem jeweils sehr komplexen Verhältnis zur stalinistisch gesteuerten Friedensbewegung waren somit für den CCF der deudich realere Gegner als die eigentlichen Stalinisten oder der harte Kern der klassischen intellektuellen „fellow-travellers". Dieser Personenkreis war angesichts des Fehlens gravierender Krisenphänomene im westlichen Lager, die auch nur annähernd mit der großen Depression oder dem Aufkommen faschistischer Ideologien vergleichbar gewesen wären, der liberalen Demokratie gegen-
21 22 23
Massencharakter existierten, daneben aber auch elitäre Intellektuellenzirkel betreut wurden. Ähnlich hat man im CCF in Ländern wie den USA, Großbritannien oder Westdeutschland auf Massenwirksamkeit verzichtet, in Frankreich oder Indien aber andere Ansätze versucht. Vgl. etwa T. Michaltscheff: Opposition. P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 8. R.H. Pells: Liberal Mind, S 124f.
216
IV. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit Berlin 1950 -
über sehr viel weniger dualistisch-skeptisch eingestellt und damit als „fellowtravellers" deutlich unbrauchbarer als die Intellektuellen der zwanziger und dreißiger Jahre.24 Damit erhielt der CCF eine Funktion, die auch nach der Gründerkrise sein Überleben zu sichern vermochte. Neben der Auseinandersetzung mit dem partiell imaginierten Feind innen und außen und dem Bemühen um Export der Freiheitsideologie in das Herrschaftsgebiet der Sowjetunion trat, ständig dominanter werdend, der Versuch der ideologischen Systemstabilisierung durch den Transfer liberaldemokratischer Konsenstheorien innerhalb des demokratischen Spektrums der zum Westen gehörigen Staaten. So führte paradoxerweise ein Defizit im Wahrnehmungsvermögen der CCFGründer dazu, daß sie eine viel breiter definierte Aufgabe übernahmen, die das Überleben des CCF nach 1952/55 für ein weiteres Jahrzehnt sicherte. Gerade für die Exkommunisten und Extrotzkisten im frühen CCF stellte sich die Situation jedoch ganz anders dar. Aus ihrer Perspektive ging es zuvörderst um die direkte Konfrontation mit dem stalinistischen Feind und seinen intellektuellen Mitläufern. Die eigenen Erfahrungen mit der stalinistischen Orthodoxie zwangen sie förmlich zur Reaktion. Daß man mit der Bitterkeit und der moralischen Verve, mit der man dieses Unterfangen anging, dazu beitrug, die zweite „fellow-traveller"-Welle mitauszulösen, wurde in die eigenen Reflexionen nie einbezogen, was in Anbetracht der Ausgangslage nachvollziehbar erscheint. Die bereits bestehenden Strukturen in den USA, das heißt die „New York Intellectuals", die ADA und das zwischenzeitlich sanft entschlafene „Committee for Cultural Freedom" Deweys und Hooks, mitsamt den seit Kriegsende aufgebauten transatlantischen Netzwerken, wurden in der Folge zu Ausgangspunkten für die organisatorische Formation des intellektuellen Konsensliberalismus auf globaler Ebene. Auslöser dieser Entwicklung war die „Cultural and Scientific Conference for World Peace" in New York, besser bekannt als „Waldorf-Astoria"-Konferenz.25 Diese war von der ICCASP, einer der alten im Umfeld von Henry Wallace aktiven Gruppierungen, organisiert worden. Zentrales Thema war die kulturelle Freiheit, an sich ein Topos der Antikommunisten. Wie später in Paris hielten die Redner sich dabei mit antiamerikanischer Polemik oder Kritik an der NATO zurück, vermieden aber zugleich jedweden Hinweis auf die totalitären Praktiken, die in der UdSSR zu erheblichen Einschränkungen auf dem Gebiet der kulturellen Freiheit geführt hatten, 24
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Recht gut läßt sich diese These an der Entwicklung der amerikanischen „radicals" illustrieren, die bis zur Diskussion um die Zusammenarbeit mit den Kommunisten innerhalb des SDS 1962 hartnäckig jede Koalition mit der CPUSA ablehnten. Vergleichbares gilt für den linken, traditionalistischen und nichtliberalen Antikommunismus in der Schumacher-SPD oder bei Intellektuellen wie Alfred Andersch, Jean Améry u.a. in Deutschland. Vgl. S Hook: Out of Step, S. 382-395; P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 1921; P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 5f; R.H. Pells: Liberal Mind, S. 123; N. Nabokov: Zwei rechte Schuhe, S. 309-315 und R. Schlaga: Friedensbewegung, S. 52f.
1. Der Weg zum Kongreß
217
ein Umstand, der besonders Sidney Hook erzürnte. Um seine Person gruppierauch die Organisatoren der antikommunistischen Gegenverhatte Hook nämlich den „fellow-traveller"-Charakter des Kaum anstaltung. Kongresses erkannt, reagierte er mit genau der Form moralischer Entrüstung, die für den frühen CCF charakteristisch war: „They were posing as champions of peace at a time when the Soviet Union was threatening the peace of Europe with their blockade of Berlin, and as advocates of a free culture at the height of the Zhdanov purges and the imposition of Lyssenkoism on Soviet scientists." Das Ganze erschien ihm als „ambitious grandiose fraud on the American public."26 Die nun einsetzenden nachdrücklichen Gegenaktivitäten dürften überwiegend von Hook ausgegangen sein, der seine alten Freunde aus dem „Committee for Cultural Freedom" aktivierte.27 Allerdings scheiterte Hooks Bestreben, im Interesse sachlicher Kontinuität, dem neu gebildeten ad-hoc Komitee den Namen „Committee for Cultural Freedom" zu geben, als man sich wenige Tage vor Beginn der „Waldorf-Astoria"-Konferenz im Haus des angesehenen „radical" Dwight Macdonald traf, um das weitere Vorgehen zu erörtern.28 Am Ende einigte man sich auf „Americans for Intellectual Freedom".29 Binnen kurzer Zeit entfaltete das Komitee der linken Antikommunisten eine rege propagandistische Aktivität, die damals noch zum großen Teil aus eigener Tasche bezahlt werden mußte. Einen nicht unwichtigen Teil der Kosten trug jedoch die IGLWU von David Dubinsky, womit wieder einmal die US-amerikanische Gewerkschaftsbewegung als bedeutender Finanzier antikommunistischer Organisationen in Erscheinung trat. Außer mit finanziellen Problemen waren die konsensliberalen Intellektuellen bei ihren Aktionen mit einer überaus zurückhaltenden Einstellung der örtlichen Presse konfrontiert, ein Umstand, den Hook auf den Einfluß von „fellow-travellers" besonders bei der „New York Times" zurückführte. Immerhin gelang es den „Americans for Intellectual Freedom", am Tage, nachdem die „Waldorf-Astoria"-Tagung ten sich dann
26 27
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S. Hook: Out of Step, S. 384; ganz ähnlich: E. Shils: Remembering the Congress, Teil 1, S. 55. Die New York Times Book Review vom 28.12.1975 hat, basierend auf Nabokovs Darstellung in seiner Autobiographie, Nicholas Nabokov und Mary McCarthy zu den Hauptinitiatoren der Opposition gegen die „Waldort-Astoria"-Konferenz erklärt. S. Hook: Out of Step, S. 396, nennt Nabokovs Ausführungen zu diesem Punkt phantasievoll und dürfte damit recht haben, da der Emigrant Nabokov zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht über die notwendigen persönlichen Beziehungen im Bereich der US-Intellektuellen verfügte. Mary McCarthy ist später genau umgekehrt so weit gegangen zu behaupten, sie habe jeder vorbereitenden Tätigkeit für den späteren ACCF kritisch gegenübergestanden und sei auch nie Mitglied des ACCF gewesen, vgl. The New York Review vom 29.2.1968. Dies dürfte eine Panikreaktion auf die CIA-Affäre gewesen sein. Anwesend waren u.a. Norman Thomas, James T. Fanell, Arnold Beichman, Bertrand Wolfe, Sol Levitas, William Phillips, Philip Rahv, Elliott Cohen und Mary McCarthy. Die „Americans for Intellectual Freedom" wurden am 5.1 1951 in „American Committee for Cultural Freedom" (ACCF) umbenannt Das ACCF übernahm damit die Tradition des „Committee for Cultural Freedom ", das auf diesem Wege gewissermaßen posfhum zur Urzelle des CCF wurde, vgl. S. Hook: Out of Step, S. 421.
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IV. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit Berlin 1950 -
eröffnet worden war, eine Gegendemonstration und eine Pressekonferenz durchzuführen, die dazu führten, daß die New Yorker Presse über beide Ereignisse gleichrangig berichtete. Schon dies galt als Erfolg, gingen die Mitglieder der „Americans for Intellectual Freedom" doch davon aus, daß der Wert der kommunistisch inspirierten Aktion durch die geminderte Publizität erheblich eingeschränkt sein würde. Dwight Macdonald, ein Zitat Arthur Koestlers vorwegnehmend, konstatierte: „The anti-communist left has taken the offensi-
ve."30
Die Ereignisse in New York sind mit einiger Wahrscheinlichkeit noch aus anderen Gründen für die Geschichte des CCF von erheblichem Interesse: In diesen Märztagen des Jahres 1949 ist wohl der Gedanke an einen vergleichbaren Kulturkongreß in Berlin aufgekommen, durch den die konsensliberalen Intellektuellen den Stalinisten und „fellow-travellers" das Gesetz des Handelns aus der Hand nehmen wollten.31 Nicholas Nabokov berichtet dazu in seinen Memoiren: „Nach meiner Rede32 sah ich em vertrautes Gesicht aus den hinteren Reihen des Saales auf mich zukommen Es war ein alter Bekannter bei OMGUS, der mich zu der gelungenen
Veranstaltung beglückwünschte, die meine Freunde und ich auf die Beine gestellt hatten.
So etwas ähnliches, meinte er, müßten wir auch in Berlin machen."33 Peter Coleman hat diesen Freund, dessen Namen Nabokov verschweigt, als Michael Josselson identifiziert,34 was mit hoher Wahrscheinlichkeit zutrifft, zumal Nabokov in seiner gesamten Autobiographie seinen alten Freund und langjährigen Mitarbeiter in der Pariser CCF-Zentrale nicht einmal namentlich erwähnt. Sollte diese Darstellung zutreffen und auch Hook hat diesen Punkt nie kritisiert -, wird die von Thomas Braden wiederholt behauptete Urheberschaft der CIA für den CCF wahrscheinlicher.35 Sicher ist, daß Michael Josselson zu diesem Zeitpunkt bereits Agent der CIA war.36 Möglicherweise, aber -
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Zitiert nach P. Coleman: The Liberal Offensive, S. 6. Vgl. Tagesspiegel vom 24.6.1950, zit. n F. Meyer: „Auch die Wahrheit bedarf der Propaganda", S. 33. Aufder Gegenveranstaltung der „Americans for Intellectual Freedom" im Freedom House vom 27.3.1949. N. Nabokov : Zwei rechte Schuhe, S. 314f P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 6. Vgl. zu der Diskussion zwischen Braden und Lasky über die „Vaterschaft" für den CCF F. Tichy: Encounter, S. 42. Bradens Behauptung, er selber sei für die Existenz des CCF verantwortlich, müßte dann aber zusätzlich angezweifelt werden, da er erst 1951 auf Veranlassung von Allen Dulles der CIA beitrat, um dann bis 1954 als „Chief International Organizations Division, Clandestine Services" der CIA zu fungieren. 1949 arbeitete er noch als Exekutivsekretär am „Museum of Modem Arts" in New York. Braden kann also bestenfalls die dauerhafte Finanzierung des CCF durchgesetzt, nicht aber die Idee entwickelt haben, vgl George JA. O'Toole: The Encyclopedia of American Intelligence and Espionage. From the Revolutionary War to the Present, New York-Oxford 1988, S. 76f. Manuskript Josselson (o. Titel, hs.) o.D., z.T. identisch mit Michael Josselson: The Story Behind the CCF (unveröff. ms. Manuskript von 1969), NL Josselson, Box 9: „In the fall of 1968 [gemeint ist 1948] my clearance came through and I joined the .outfit' as chief of its Berlin station for .covert action', as distinguished from the espionage or intelligence side." Entgegen der .
1. Der Weg
dies
gehört in
den Bereich der
zum
Kongreß
Spekulation,
waren zuvor
219 über den früheren
OSS-Leiter, General William Donovan, Anregungen von Arthur Koestler und Ruth Fischer bei dem „Office of Policy Coordination" (OPC) der CIA, dem Vorläufer der „International Organizations Division", eingegangen, die eine
internationale Bewegung antistalinistischer Intellektueller anstrebten.37 Für eine derartig frühe Beteiligung Josselsons spricht überdies eine kurze Notiz an Melvin Lasky aus dem April 1949, die sich auf das Bestreben der „Americans for Intellectual Freedom" bezieht, nunmehr international aktiv zu werden. Sidney Hook, James T. Farrell, der zugleich Mitglied der ADA war, James Burnham und Michael Josselson, so wurde Lasky angekündigt, wollten nach Paris fahren, um die dortigen AntiStalinisten bei ihren Aktionen gegen den geplanten Kongreß der Weltfriedensbewegung zu unterstützen. Im Interesse gemeinsamer Arbeit sollte auch Lasky sich nach Paris begeben.38 Vor Ort hatten europäische intellektuelle bereits mit ersten Gegenmaßnahmen begonnen. Vornehmlich David Rousset, Ignazio Silone, Franz Borkenau und Carlo Levi waren daran beteiligt.39 Den Amerikanern ging es wohl vordringlich darum, ein Gegengewicht zu dem propagandistisch wirkungsvollen Antiamerikanismus des Friedenskongresses zu schaffen, dessen Schlußkundgebung immerhin 30.000 Teilnehmer anzog.40 Die erste offiziöse Zusammenarbeit US-amerikanischer und europäischer antistalinistischer intellektueller scheiterte indes am Unwillen von Jean-Paul Sartre und Maurice MerleauPonty, sich von den Anliegen des Kongresses zu distanzieren.41 Kurz nach der Gegenveranstaltung trafen sich Sidney Hook und Melvin Lasky, um über weitere Möglichkeiten antineutralistischer und proamerikanischer Gegenpropaganda zu dikutieren. In diesem Gespräch ging es vermutlich noch nicht um die Gründung einer dauerhaften Organisation. Hooks Bericht ist Behauptung von Chr. Lasch: Agony, S. 63 stammte Josselson aber nicht, wie z.B. Braden, aus dem alten OSS, sondern war zuvor bei der Intelligence Division der Psychological Warfare
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Division (SHAEF) gewesen. Von dort kam er unter den Befehl von General Robert McClure bei ICD/OMGUS. A.M. Corbin-Schuffels: Von Berlin nach Berlin, S. 3-5, hat derartige Pläne Koestlers und Sperbers archivalisch bis 1946 zurückverfolgt, sa I. Hamilton: Koestler, S. 174-176; Koestler selber hat allerdings sein Engagement auf neutralistische Tendenzen des PEN im Februar 1950 zurückgeführt: A. Koestler/C. Koestler: Stranger, S 95. Michael Josselson an Melvin J. Lasky vom 13.4. (o.D., 1949), UoC-Archiv, „Der Monaf'Records, Box 2, Folder 11. P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 7. Coleman fügt allerdings hinzu, wegen ihres heftigen Antikommunismus seien Koestler und Burnham nicht beteiligt gewesen, was Josselsons erwähnter Notiz an Lasky widerspräche. Die Nichtteilnahme Koestlers würde zumindest im Ansatz auf Spannungen mit Silone hindeuten, die dann auf dem Berliner „Kongreß für kulturelle Freiheit" z.T. zum Austrag kamen. D.M. Oshinsky: Cranky Integrity, S. 13. Vgl. P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 6f.; s.a. Melvin J. Lasky an Raymond Aron vom 6.5.1949, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 1, Folder 1, wo Lasky sich über die in Pans erlebten „political and personal disappointments" beklagte; vgl. ferner Melvin J. Lasky an Nathan Glick vom 10.5.1949, ebda., Box 2, Folder 6.
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IV. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit Berlin 1950 -
diesbezüglich nicht ganz eindeutig, Josselson hat nach dem Ende des CCF hervorgehoben, der CCF sei ein von ihm, Lasky und Ernst Reuter als einmalige Veranstaltung geplantes Ereignis gewesen.42 Von einer Anwesenheit Josselsons bei diesem Gespräch ist nichts überliefert. Von Berlin als Ort der geplanten Veranstaltung war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die Rede. Nach dem Fehlschlag der „Americans for Intellectual Freedom" in Paris dauerte es eine Weile, bis Melvin Lasky den Kongreßgedanken wieder aufgriff. Im August 1949 trafen sich dann Lasky, Franz Borkenau und Ruth Fischer in Frarikfurt am Main, um, unter ausdrücklichem Rückgriff auf das „fellow-traveller"-Konzept Münzenbergs, den Plan einer Veranstaltung für die nichtkommunistische, intellektuelle Linke zu besprechen.43 Soweit erkennbar war zu diesem Zeitpunkt aber immer noch keine Organisation, sondern vielmehr eine einmalige Aktion anvisiert worden. Die Finanzierung sollte über die Stadt Berlin, amerikanische Stellen in Deutschland und die AFL laufen.44 Es existierten bereits vor dem Frankfurter Treffen Kontakte zwischen Lasky und dem Deutschlandbeauftragten der AFL, Irving Brown, ohne daß jedoch finanzielle Fragen behandelt worden wären.45 Damit zeichnet sich folgender Verlauf der Gründungsgeschichte des CCF 42
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S. Hook: Out of Step, S. 432: „We agreed that it was desirable to organize an international group of writers, artists, and thinkers to defend intellectual and cultural freedom against the forces of totalitarianism both at home and abroad." Vgl. Michael Josselson: „Report on the Financial History of the Congress for Cultural Freedom", o.D. (ms. Manuskript, 1967), S. 1, NL Josselson, Box 9. Zur Rolle von Hook und Lasky vgl. H. Spœl: Welche Welt?, S 113. Vgl. E. SmLS: Remembering the Congress, Teil 1, S. 56f; P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 15; I. Hamilton: Koestler, S. 176; R.R. Valcourt: Conspiring for Democracy, S. 123 Die Anregung zu dem Treffen ging von Ruth Fischer aus: Ruth Fischer an Melvin J. Lasky vom 11.5.1949, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 2, Folder 2. Im Anschluß warb sie für die Idee in Washington, D.C.: Ruth Fischer an Melvin J. Lasky vom 24.8.1949, ebda, und Ruth Fischer an Melvin J. Lasky vom 7.3.1950, ebda., Box 9, Folder 4. Demgegenüber waren die Hauptbeteiligten am Berliner Kongreß von 1950 später aus nicht ganz ersichtlichen Gründen bemüht, die Beteiligung Ruth Fischers deutlich herunterzuspielen, s. Notiz Josselson zu I. HamiltonsKoestlerbiographie(o.D.,um 1982), NL Josselson, Box 10: „Ruth Fischer was not the originator of the Berlin Kongress. Plans had been made long before she knew anything about it. Her memorandum may have been written after her talk with Mel Lasky and Franz Borkenau [...] It is absolute nonsense to say that the Congress grew out of Ruth Fischer's idea." Auch wenn es sehr wahrscheinlich ist, daß Josselson mit der Bemerkung, daß der CCF nicht der Idee Fischers entsprang, richtig lag, war sie doch am Aufbau persönlicher Verbindungen im Vorfeld des Berliner Kongresses nicht unmaßgeblich beteiligt. So hielt sie u.a. Kontakt zu Arthur Koestler, Theodor Plievier und Rudolf Pechel. Aus Angst, vom sowjetischen NKWD entführt zu werden, hat Ruth Fischer dann jedoch am Berliner Kongreß nicht teilgenommen, vgl. Ruth Fischer an Rudolf Pechel vom 15.3.1950, BA Koblenz, NL 160 (Pechel II), Bd. 94. Michael Josselson: Report on the Financial History of the Congress for Cultural Freedom (1967), S. 1, NL Josselson, Box 9. Josselson nennt OMGUS als Geldgeber, was insofern unmöglich ist, als zum Zeitpunkt des Kongresses Westdeutschland in die Zuständigkeit von HICOG fiel. Möglicherweise ist allerdings die Zuständigkeit zum Zeitpunkt der frühen Vor-
bereitungen gemeint. Irving Brown an Melvin J. Lasky vom 17.6.1949 und Melvin J. Lasky an Irving Brown vom
Mrs.
24.2.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 1, Folder 8.
1 Der Weg
zum
Kongreß
221
ab, wobei sich notgedrungen manch spekulativer Zug nicht ganz vermeiden läßt: Im März 1949 hatte Michael Josselson, kaum ohne Rücksprache mit
seinen Vorgesetzten, die Idee eines Berliner Kongresses bei den „Americans for InteUectual Freedom" lanciert. Einen Monat später wurde der Gedanke von Hook und Lasky aufgenommen, unter Umständen mit der von Koestler bereits drei Jahre zuvor favorisierten Option einer internationalen IntellektuellenOrganisation. Zumindest mit Berlin, dem sicher feststehenden Ort der Veranstaltung, und den amerikanischen Behörden in Deutschland, der Stadt Berlin unter Führung Ernst Reuters und der AFL als möglichen Finanziers im Hintergrund, fand im August 1949 das Franfurter Treffen statt, von dem aus über Ruth Fischer zusätzlich Kreise der amerikanischen Administration in die Vorbereitungen miteinbezogen wurden. Die innerhalb des CCF gepflegte Behauptung, die Idee zu einem Kulturkongreß in Berlin sei erst im Herbst 1949 von David Rousset auf einer kulturellen Tagung der europäischen Bewegung aufgebracht worden, also ohne daß US-amerikanische Stellen beteiligt gewesen seien, ist schlicht falsch. Ob Nicholas Nabokovs Vorschlag in Berlin, den Kongreß zu perpetuieren und zu einer umfassenden Organisation auszubauen, wirklich spontan war, darf angesichts der von Josselson betonten Interessen von CIA und State Department an der weiteren Arbeit des CCF füglich bezweifelt werden,46 obgleich das sich anschließende organisatorische Chaos diese Möglichkeit immerhin offen läßt. Ebenfalls problematisch erscheint Denis de Rougemonts Aussage, Ernst Reuter sei der „Vater" des CCF, selbst wenn man Reuters aktive Beteiligung an den vorbereitenden Maßnahmen berücksichtigt.47 Ähnliches gilt für alle Versuche zu belegen, daß die CIA an dem Prozeß, der zum CCF führte, erst nach 1950 beteiligt gewesen sei.48 Spätestens seit dem Treffen in Frankfurt lag der organisatorische Aufwand dann ganz bei Melvin Lasky und seiner Redaktion, wenngleich es erst einmal eines Anlasses bedurfte, den Gedanken an einen solchen Kongreß bei den europäischen Intellektuellen zu verbreiten, ohne daß allzu offensichtlich wurde, inwieweit US-amerikanische Stellen hinter dem Plan standen. Im Dezember 1949 fand schließlich das aus europäischer Sicht entschei-
46
Michael Josselson: „Report on the Financial History of the Congress for Cultural Freedom", S. 2, NL Josselson, Box 9.
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Rede Denis de
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Rougemonts vor der Mailänder Generalversammlung des CCF vom 18.9.1955, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 280, Folder 5, wo ausdrücklich von Reuters Initiative die Rede
ist. Hier sollte ebenfalls die grundsätzlich amerikanische Initiative für den CCF verschleiert werden. Dies gilt bestenfalls für die Frage der Finanzierung, nachdem man sich endgültig für die Perpetuierung des Kongresses entschieden hatte, so zumindest Michael Josselson: „Report on the Financial Status of the Congress for Cultural Freedom", S. 3, NL Josselson, Box 9. Der Verlauf der Berliner Veranstaltung wird allerdings noch Hinweise darauf bringen, daß die Finanzierung durch die CIA evtl. erheblich früher eingesetzt hat Dabei ist zu berücksichtigen, daß Josselsons Bericht aus dem Jahre 1967 stammt und noch ganz der defensiven CCF-Strategie dieser Zeit im Umgang mit der CIA-Affäre entspricht.
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IV. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit Berlin 1950 -
dende Ereignis in der Vorgeschichte des CCF statt, das darüber hinaus für dessen weitere personelle Gestalt im Bereich westeuropäischer Intellektueller maßgebend sein sollte: der Kulturkongreß der europäischen Einigungsbewegung in Lausanne, an dem neben David Rousset und Denis de Rougemont auch Lasky, Bondy und Josselson beteiligt waren. Von deutscher Seite war Carlo Schmid vertreten.49 Für die westeuropäischen Beobachter stellte sich das Berliner Konferenzprojekt von nun an als eine genuin europäische Angelegenheit dar, wenigstens in bezug auf das auslösende Moment. Noch im Jahr 1977 ging Carlo Schmid davon aus, daß erst nach Lausanne Lasky und Rougemont damit begonnen hätten, das Projekt umzusetzen, und daß jetzt erst Irving Brown und die AFL als Finanziers gewonnen worden wären.50 Von da an arbeiteten die liberaldemokratische UEF und der frühe CCF bis etwa 1952 eng zusammen. Insbesondere die deutsche Kongreßexekutive rekrutierte sich zu einem nicht unerheblichen Teil aus dem Umfeld der UEF.51 Auf dieser Tagung in Lausanne regte der Schriftsteller David Rousset, ein überzeugter Verfechter des moralisch begründeten Antitotalitarismus und gemeinsam ausgerechnet mit Sartre einst Mitbegründer des „Rassemblement Démocratique Revolutionaire" in Frankreich,52 nach einigen Vorgesprächen in der öffendichen Diskussion an, man solle einen großen Kulturkongreß in Berlin abhalten: „Aus unseren Gesprächen gelangten wir zu der Überzeugung, daß unabhängige Persönlichkeiten von hohem geistigen Rang die Intellektuellen des freien Teils der Welt zu einer Demonstration gegen die in Ost und West bestehende Unterdrückung der Freiheit des Geistes aufrufen sollten."53 So zumindest stellte Carlo Schmid den Ablauf der Ereignisse dar. Die nur scheinbar spontane Idee fand sofort begeisterte Zustimmung und Melvin Lasky, als Herausgeber -
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Schmid war seit seit August in der „Union Europäischer Föderalisten" (UEF) tätig gewesen und hatte sich innerhalb der deutschen Sozialdemokratie als prononcierter Befürworter der europäischen Einigung profiliert. Gemeinsam mit Eugen Kogon leitete er die deutsche UEF-Sektion. Zu seinen Bekannten in der UEF gehörten bes Rougemont und Salvador de Madariaga, vgl. C Schmid: Erinnerungen, S. 420-424. Vgl. ebda., S. 483-485; s.a. Carlo Schmid an Michael Josselson vom 20.10.1977, AdsD, NL Schmid, Bd. 945; vgl. ferner Westfälische Rundschau vom 14.7.1950, wo Schmid in einem Artikel ebenfalls die Lausanner Gründungslegende verbreitet. Eilig informierte Lasky William Donovan von den Ergebnissen der Lausanner Tagung: Melvin J. Lasky an William Donovan vom 27.12.1949, UoC-Archiv,„Der Monaf-Records, Box 1, Folder 13. In dem Brief geht es bes. um ein Gespräch zwischen Lasky und Schmid, dessen Gesprächsnotiz Lasky mit separater Post übersenden wollte. Von gesteigerter Bedeutung war dabei das 1950 von Denis de Rougemont gegründete Europäische Kulturzentrum in Genf, über das Kontakte zur Europäischen Akademie Schlüchtem unter Leitung von Professor Geiler führten, die wiederum den späteren ersten Kongreßsekretär für Westdeutschland, Max Karl Graf Trauttmansdorff zum CCF führten. Die guten Kontakte zu Wilhelm von Cornides vom „Europa Archiv" waren ebenfalls der UEF zu verdanken, vgl. IACF/CCF-Archiv, Series D, Box 280 und 281, wo der Briefverkehr mit Rougemonts Akademie zu finden ist. R. Aron: Erkenntnis und Verantwortung, S. 239. C. Schmid: Erinnerungen, S. 484
1. Der Weg zum Kongreß
223
des „Monat" allen bestens bekannt, fand sich bereit, die Organisation zu übernehmen. In der Folge füngierte er als Generalsekretär des kommenden Kongresses. Die vorbereitenden Maßnahmen im engeren Sinne liefen dann etwa seit Februar 1950, nachdem die anstehenden finanziellen Fragen endgültig geklärt schienen. Da Hook bereits im Januar 1950 darauf bestanden hatte, daß der Kongreß komplett über Gelder zu finanzieren sei, die nicht regierungsamtlichen Ursprungs seien,54 suchten Lasky und seine Mitarbeiter neben der AFL nach Geldgebern, deren Nähe zur Administration in Washington nicht ganz so offenkundig war. Letztlich handelte es sich jedoch bei allen Geldgebern um Organisationen, deren Etat mindestens zum Teil, wenn nicht sogar ausschließlich mit Hilfe verdeckter Regierungsmittel finanziert wurde. Zur AFL trat das „National Committee for a Free Europe" als Sponsor hinzu." Das „National Committee for a Free Europe" finanzierte vornehmlich „Radio Free Europe", womit man sich erneut im Umfeld der Aktivitäten des „Office of Policy Coordination" der CIA befand, die „Radio Free Europe" als verdeckte Operation betreute.56 Zugleich waren die Organisatoren der geplanten Großveranstaltung damit in die Gesamtstrategie der „Campaign for Truth" beziehungsweise der „Crusade for Freedom" eingebettet, zweier Programme der Truman-Administration zur antineutralistischen Gegenpropaganda, die besonders dem Ziel dienten, den Spielraum der Weltfriedensbewegung einzuschränken. Seit Januar 1950 wurden ein nationales und ein internationales Vorbereitungskomitee sowie das Ehrenpräsidium des künftigen Kongresses gebildet, in deren Namen die von Ernst Reuter unterzeichneten Einladungen an Intellektuelle in der gesamten westlichen Welt versandt wurden. Dem internationalen Komitee gehörten Raymond Aron, André Gide, Remy Roure, David Rousset, Benedetto Croce, Ignazio Silone, Carlo Levi, Karl Jaspers, Alfred Weber, Carlo Schmid, Eugen Kogon, John Dewey, Upton Sinclair, Sidney Hook, Reinhold Niebuhr,57 Bertrand Russell, Julian Huxley, Herbert Read,
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Sidney Hook an Melvin J. Lasky vom 11.1.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 9, Folder 6. Hook dachte daran, den Kongreß über die Freie Universität, also indirekt über die Ford-Foundation, und über eine internationale Sponsorengruppe finanzieren zu lassen. Melvin J. Lasky an Sidney Hook vom 19.2.1950, UoC-Archiv, „Der Monat "-Records, Box 9, Folder 6. G.J.A. O'Toole: American Intelligence, S. 297f. Niebuhr war im Hinblick auf den europäischen Nationalneutralismus insofern interessant, als er zu den theologischen Gegenspielern Karl Barths gehörte und dessen prophetisch motiviertem Anspruch auf politische Führung bereits 1948 entschieden entgegengetreten war, vgl. Reinhold Nœbuhr: We Are Men and Not God, in: Chnstian Century 65 (1948), S. 1138-1140. In seiner Replik hat Barth klar die unterschiedlichen demokratietheoretisch relevanten Ausgangspositionen beider Theologen benannt: Karl Barth: Continental vs. Anglo-Saxon Theology. A Preliminary Reply to Reinhold Niebuhr, in: Christian Century 66 (1949), S. 201-204. (Diesen Hinweis verdanke ich Dr. Thomas Sauer, Tübingen).
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IV. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit Berlin 1950 -
R.H.S. Crossman, Arthur Koestler und Leon Blum an.58 Für den unmittelbar vor Ort in Berlin anfallenden organisatorischen Aufwand war, neben der maßgeblich beteiligten Redaktion des „Monat", das deutsche Vorbereitungskomitee zuständig, das einen klaren Berliner Schwerpunkt aufwies. Auch hier war Schmid beteiligt, allerdings ebenso wie seit dem Frühjahr 1950 Theodor Plievier, Adolf Grimme, Alexander Mitscherlich, Dolf Stemberger und Franz Borkenau nur in eher beigeordneter Funktion. Entscheidend war, daß Ernst Reuter, Otto Suhr und Edwin Redslob gemeinsam mit Lasky das eigentliche Berliner Organisationskomitee bildeten,59 welches den Hauptteil der Arbeit zu erledigen hatte. Zugleich waren auf diese Weise Magistrat, Hochschule für Politik, Freie Universität und Teile der Westberliner Presse von Beginn an in die vorbereitenden Maßnahmen eingebunden. Zusätzlich war mit diesem nationalen Komitee bereits der Kern des späteren deutschen CCF vorgegeben. Fast noch bedeutsamer erscheint allerdings die offensichtliche Nähe zu reformorientierten Kreisen vornehmlich der Berliner Sozialdemokratie, für die Otto Suhr schon Ende Februar nachdrücklich den kommenden Kongresses begrüßt
hatte.60
Weltanschaulich wichtiger als die beiden Vorbereitungskomitees, die eine auch für den späteren Kongreß bezeichnende Lust am „name-dropping" erkennen lassen, war die Auswahl der Ehrenpräsidenten. Nicht, daß deren Rolle beim Berliner „Kongreß für kulturelle Freiheit" wesentlich aktiver gewesen wäre, als die der meisten anderen Komiteemitglieder, aber trotzdem scheinen die Kriterien für eine Ehrenpräsidentschaft Rückschlüsse auf ideologische Ziele zuzulassen. Mit John Dewey, Benedetto Croce, Bertrand Russell, Karl Jaspers und Jacques Maritain hatten fünf renommierte Philosophen die Schirmherrschaft über den Kongreß übernommen, die auf den ersten Blick wenig miteinander verband. Dennoch gab es Gemeinsamkeiten, und zwar in zweierlei Hinsicht: Einerseits repräsentierten die fünf Männer61 die fünf wichtigsten zeitgenössischen philosophischen Strömungen der westlichen Welt, den Pragmatismus, den Neuhegelianismus, die Sprachanalyse, die Existenzphilosophie und den Neuthomismus. Bemerkenswerterweise fehlte ein ausdrücklicher Befürworter positivistischen Denkens. Dies mag am zurückhaltenden Umgang positivistischer Denker mit utopisch regulierten Sozialreformen gelegen haben, wie sie im intellektuellen Umfeld der amerikanischen Kongreßbefürworter gefordert wurden. Andererseits waren alle Ehrenpräsidenten, sämtlichen inhaltlichen Differenzen zum Trotz, Protagonisten einer liberal58 59 60
61
Melvin J. Lasky an Norman Angel (London) vom 15.4.1950, UoC-Archiv, „Der Monat'Records, Box 1, Folder 1 und C. Schmid: Erinnerungen, S. 485. Hellmuth Jaesrich an Carlo Schmid vom 22.5.1950, AdSD, NL Schmid, Bd. 1827. Otto Suhr an Melvin J. Lasky vom 24.2.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 4, Folder 13. Karl Jaspers ließ sich in CCF-Angelegenheiten manchmal durch seine Schülerin Jeanne Hersch vertreten, ansonsten waren Frauen in der Leitung des CCF eher die Ausnahme.
1 Der Weg zum Kongreß
225
demokratischen Variante ihrer jeweiligen philosophischen Richtung. Dies gilt besonders für die Hegelrezeption bei Croce oder Maritains neuthomistische Philosophie. Gerade Maritain hatte schon während des Spanischen Bürgerkrieges die im Katholizismus Frankreichs und der USA vorherrschende profranquistische Haltung kritisiert. Man dürfte kaum überinterpretieren, wenn man in der Auswahl der fünf Ehrenpräsidenten, zusätzlich zu dem mit ihren Namen verbundenen Renommée und der persönlichen Nähe Laskys etwa zu Dewey und Jaspers, das Bemühen erblickt, der auch vom „Monat" verfochtenen liberaldemokratischen Reinterpretation bestehender philosophischer Strömungen Vorschub zu leisten und die solcherart veränderte Philosophie bewußt in die weltanschauliche Auseinandersetzung mit dem Marxismus/Leninismus zu
integrieren.
Zwischen März und Juni 1950 war Melvin Lasky, inzwischen in den USA von Arnold Beichman als „public relations"-Fachmann unterstützt,62 damit beschäftigt, für den Kongreß einzuladen. Da der Berliner „Kongreß für kulturelle Freiheit" sowohl als Gegenoffensive zu den Friedenspartisanen wie dem Versuch diente, die Staaten des Ostblocks mit dem Freiheits- und Kulturbegriff westlicher Demokratien vertraut zu machen,63 waren die Organisatoren bestrebt, eine möglichst breite Koalition von Intellektuellen, geistig interessierten Politikern und Publizisten als „opinion leader" einer konsensual bestimmten Westlichkeit zusammenzubringen.64 Davon versprach sich Lasky zusätzlich einen dynamischen Effekt zugunsten antitotalitärer Strömungen im Westen, wobei er etwa auf das Beispiel des Österreichers Theodor Csokor verwies, der noch 1948 in Breslau anwesend gewesen sei und sich nun der Sache des Westens angeschlossen habe. Der für die ideologische Abwehrbereitschaft des Westens konstitutive Aspekt in der Zielsetzung des geplanten Kongresses war
62
Vgl. Rundbrief Sidney Hook
Records, Box 9, Folder 6. 63
an
die US-Presse
vom
12.6.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-
Melvin J. Lasky an Raymond Aron vom 26.4.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 1, Folder 1 : „The theme is nominally .Culture, Freedom and Peace', and the problem will be the possibility of a Western .peace offensive', but peace with liberty, an initiative which may stop war through a democratization-Uberation program in the East..."; vgl. Melvin J. Lasky an Nichola Chiaromonte vom 15.4.1950, ebda, Box 1,Folder 9: „Our theme is of course the recovery of Western libertarianism (oh, how happy was the nineteenth century) in the face of the totalitarian
threat." 64
Bondy, der damit beschäftigt war, die Teilnehmer aus Österreich und der Schweiz zusammenzustellen, stellte dazu fest: „The Communists were to accept all people on the fringe and consider
participation in peace rallies as a good way to .festlegen' the wavering. I don't see why we should not do the same, and for a better purpose." S. François Bondy an Melvin J. Lasky vom 2.6.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 8, Folder 6. Damit unterschieden sich die Vorstellungen der Kongreßveranstalter erheblich von den überaus engen Maßstäben, die man schon unter Truman, verstärkt aber noch unter Eisenhower in den USA von Regierungsseite an Gefolgsleute der USA anzulegen pflegte. Ähnliches findet sich bei Melvin J Lasky an Thomas S. Eliot vom 27.3.1950, ebda., Box 1, Folder 14. a
226
IV. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit Berlin 1950 -
also nicht verborgen geblieben.65 Im Interesse einer solchen großen Koalition waren Lasky und seine Mitarbeiter darum bemüht, noch vor Veranstaltungsbeginn den Teilnehmern einzuschärfen, daß eine möglichst dogmenfreie Debatte angestrebt werde, erneut ein Punkt, welcher der programmatischen Arbeit des „Monat" entstammte.66 Auch wenn formal Ernst Reuter einlud, war es doch „Der Monat", dessen Beiträgerkreis den Kern der Teilnehmer am Kongreß stellte. Überwiegend handelte es sich um Personen aus dem Umfeld der „New York Intellectuals", der ADA, des britischen „Information Research Department", der UEF, des Kreises um Arthur Koestler und der westeuropäischen und skandinavischen67 sozialistischen, sozialdemokratischen und liberalen Parteien, zusätzlich umrahmt von ein paar konservativen Politikern, wobei sich das Problem ergab, daß nicht wenige der europäischen Intellektuellen sich bei der Teilnahme am Kongreß eher zurückhaltend verhielten.68 Dem Bestreben zum Trotz, eine möglichst relevante und breit angelegte Auswahl westlicher intellektueller gerade in Berlin zu versammeln,69 wurden einige Perönlichkeiten von vornherein gar nicht erst eingeladen. André Malraux zum Beispiel hatte nach Laskys Ansicht in Berlin nichts zu suchen, weil er zu gaullistisch und zu antideutsch gewesen sei,70 A.J.P. Taylor erhielt, im Gegensatz zu Csokor, wegen seines Auftritts bei der Breslauer Konferenz keine Einladung.71 An solchen Punkten zeigte sich, daß das Toleranzprinzip der Kongreßorganisatoren, entgegen der eigenen Selbstsicht, erheblich eingeschränkt war. Dafür setzte das Ostbüro der SPD die Teilnahme von fünf namentlich nicht genannten Personen aus der
Lasky
DDR durch.72
Andere kamen nicht, obschon sie
65
66
67 68 69
eingeladen worden waren, sei es, weil sie
Melvin J. Lasky an Arthur Koestler vom 19.4.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 3, Folder 2. Allerdings war es ihm zugleich darum zu tun, daß es keinesfalls darum ginge, gegenüber dem Osten Brücken zu bauen. Die Sponsoren des Kongresses, so stellte Lasky entschieden fest, seien streng prowestlich und antitotalitär, vgl. Melvin J. Lasky an Salvador de Madariaga vom 17.3.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 9, Folder 11. Für die beteiligten Skandinavier war Willy Brandt zuständig: Willy Brandt an Melvin J. Lasky vom 6.5.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 10, Folder 1 Melvin J. Lasky an Nichola Chiaromonte vom 15.4.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 1, Folder 9. Die Wahl des Standortes begründete Lasky: „Berlin still remains the center of a .great faith' namely, that the possibility of staying off war and moving toward a non-violent solution of the world crisis lies only with a radical democratic offensive", s. Melvin J. Lasky an Joseph Alsop vom 27.2.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 9, Folder 4. Melvin J. Lasky an Arthur Koestler vom 9.3.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 3, Folder 2. A.J.P. Taylor an Melvin J. Lasky vom 16.6.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 5, Folder 5: „It looks to me that, just as the Russians want only pro-Russian, you want only proAmericans and not those who are critizised of all men in power." Stephan Thomas an Melvin J. Lasky vom 20.6.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 4, Folder 13. -
70 71
72
-
1 Der Weg zum Kongreß
227
sich wie Ruth Fischer vor Übergriffen des sowjetischen Geheimdienstes nicht sicher genug fühlten,73 sei es, weil sie sich74 oder andere zurückgesetzt fühlten.75 Andere, darunter sogar der spätere Generalsekretär des CCF, Nabokov, wurden erst auf Intervention Dritter zugelassen.76 Praktische und ideologische Gründe verhinderten auf diese Weise, daß die anfangs so großzügig
angelegte Konzeption der Planer des Kongresses voll verwirklicht werden konnte; eine gewisse Willkürlichkeit in der Auswahl der Teilnehmer ließ sich nicht vermeiden. Hinzu kam der Umstand, daß es sich um Delegationen handeln würde, die niemand delegiert hatte, wodurch bereits im Ansatz auf
Repräsentativitätsansprüche verzichtet werden mußte. Im Gegensatz zu den kommunistisch inspirierten Weltfriedenskongressen mit ihrem Anspruch, unermeßliche Menschenmassen organisatorisch zu repräsentieren, ergab sich für den CCF ehe er überhaupt existierte die Notwendigkeit, in kleineren Maßstäben zu denken. Der Weg zum Elitezirkel war, ohne daß dies den Beteiligten bewußt gewesen wäre, unvermeidlich geworden. In der Einladungsphase deuteten sich dann zusätzlich Konflikte an, die auf dem Berliner Kongreß zum Austrag kommen sollten. Bereits zu Beginn dieses Zeitraumes, im März 1950, beschwerte sich Ignazio Silone bei Lasky über den überproportional hohen Anteil von Extrotzkisten in den bisher zusammengestellten „Delegationen". Lasky wies demgegenüber auf die zu erwartende große -
-
Zahl von Liberalen aus der ADA hin, die nach Berlin kommen und eine ausgewogenere Mischung bei den Teilnehmern bewirken würden.77 Auch in diesem Fall wurden strukturelle Elemente der Gründerkrise früh antizipiert. Die vorbereitenden Maßnahmen für den Berliner „Kongreß für kulturelle
Freiheit" blieben selbstverständlich der östlichen Seite nicht verborgen und riefen noch im Vorfeld Gegenmaßnahmen propagandistischer Art hervor. Ohne große Mühe konnten die Funktionäre von SED und SMAD die Stoßrichtung der geplanten Veranstaltung erkennen und entsprechend heftig fielen ihre Kommentare dazu aus. Nicht allein Johannes R. Becher mutmaßte, Melvin Lasky sei in Wahrheit ein Spitzel des Armeenachrichtendienstes CIC, woraus sich dann 73 74
75 76
Prof. Dr. Fedor Stepun (München) Monaf-Records, Box 10, Folder 5.
an
Melvin J.
Lasky
vom
5.4.1950, UoC-Archiv, „Der
Gottfried Beim an F.W. Oelze vom 27.6.1950, in: Gottfried Benn: Ausgewählte Briefe, Wiesbaden 1953, Bd. 2/2, S. 43: „Zur Eröffnungsfeier im Titaniapalast hatte man die Frechheit, mir 2 Karten II. Parkett 12. Reihe zuzusenden Auf solche Plätze pflege ich nicht zu gehen. Meine Frau und Maraun gingen hin, die ja beide naiv und sensationslüstern sind." Hermann Hesse schob Unwohlsein vor, vgl. Hermann Hesse an Melvin J. Lasky o.D. ( 1950), UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 10, Folder 6. Theodor W. Adomo an Melvin J. Lasky vom 21.6.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 1, Folder 1, sagte aus Zeitgründen ab, wunderte sich aber, warum Max Horckheimer nicht eingeladen worden sei. William Phillips an Melvin J. Lasky vom 13.6.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 9, Folder 8. Melvin J. Lasky an Ignazio Silone vom 27.3.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 10, Folder 8.
22 8
IV. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit Berlin 1950 -
der stereotype Topos vom „Polizeispitzel Lasky" entwickelte. Als „Kriegstreiber" galt der Herausgeber des „Monat" seit seinem Auftritt auf dem 1. deutschen Schriftstellerkongreß.78 Generalisierend bezeichnete Becher, erneut mit aggressiv-nationalistischem und antiamerikanischem Unterton, den Kongreß als „Weltskandal des amerikanischen Jahrhunderts".79 Die These vom Polizeispitzel fortschreibend, gingen die Stalinisten sogar soweit, CIC und dem weiterhin nicht existenten CCF zu unterstellen, für einen Brandanschlag auf das Ostberliner „Haus der Kulturschaffenden" in der Nacht zum 23. Juni 1950 verantwortlich gewesen zu sein.80 Damit wurde der CCF schon vorab auf eine Stufe mit der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" gestellt, der man in Pankow vermutiich nicht ganz zu Umecht Sabotagetätigkeit auf dem Territorium der DDR unterstellte.81 Für den CCF ist ein derartiges Vorgehen quellenmäßig nicht im mindesten nachzuweisen, überdies würde es sich nicht in den Gesamtrahmen der CCF-Tätigkeit einordnen lassen. Obwohl KgU und CCF seit dem Juni 1950 kurzzeitig eng zusammenarbeiteten,82 dürfte es sich bei Bechers Äußerungen tatsächlich nur um ein propagandistisches Störmanöver gehandelt haben. Ähnlich wie die „Americans for Intellectual Freedom" aus Anlaß der „Waldorf-Astoria"-Konferenz in New York, versuchten diesmal die Stalinisten zusätzlich, mit einer Gegenveranstaltung dem Kongreß die publizistische Aufmerksamkeit streitig zu machen.83 Obwohl man auf kommunistischer Seite klar erkannte, daß der Kongreß sich gegen die Aktivitäten der Friedenspartisanen und der Neutralisten unterschiedlicher Couleur wandte, neigte man, darin den westdeutschen Beobachtern durchaus vergleichbar, noch im Rückblick dazu, die Veranstaltung als vorwiegend auf Deutschland bezogen zu betrachten und die europäische, wenn nicht globale Dimension des Unternehmens zu vernachlässigen.84 Entsprechend blieben die Gegenmaßnahmen vorerst auf den deutschen Sprachraum beschränkt. Ungeachtet solcher Versuche, den „Kongreß für kulturelle Freiheit" -
-
78
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83 84
Die seit Thomas Bradens Behauptung, neben Michael Josselson habe die CIA mit einem der Herausgeber des „Encounter" einen zweiten Agenten in der Leitung des CCF plaziert, virulente These, dabei habe es sich um Lasky gehandelt, kann ohne Einsicht in die Bestände der CIA mcht geklärt werden, vgl. Newsweek vom 22.5.1967. R.H. Pells: Liberal Mind, S 128 verkündet dies etwas apodiktisch, stützt sich jedoch auf Cautes entsprechende Hypothese, die als spekulativ gekennzeichnet ist. Gegenwärtig scheint es wahrscheinlich, kann aber weder verifiziert noch verworfen werden. JR. Becher: Tagebuch 1950, S. 308. Ebda, S311. Vgl. allerdings die Stellungnahme von K.U. Merz: Kalter Krieg als antikommunistischer Widerstand, S. 150-181, der sich mit dem Problem tenoristischer Aktivitäten der KgU sehr differenziert auseinandersetzt und zu dem Schluß kommt, daß, wenn überhaupt, derartige Schritte erst nach 1951 eingeleitet worden seien. Zu diesem Zeitpunkt war das nur kurzfristig gutnachbarschaftliche Verhältnis zwischen KgU und CCF bereits wieder gestört. Vgl. Hellmuth Jaesrich an Bernd Nielsen-Stokkeby vom 29.4.1950, UoC-Archiv, „Der Monat"Records, Box 8, Folder 2. Vgl. den kurzen Bericht bei H. Spiel: Welche Welt?, S. 130f. Vgl. D. Schiller: Bündnissuche, S. 1739L
2. Der Verlaufdes Kongresses
229
im Vorfeld zu desavouieren, erfüllte sich für nicht antikommunistische Linksintellektuelle ein langgehegter Traum, als wenige sich Ende Juni 1950 weit über 100 Schriftsteller, Publizisten, bildende Künstler und andere Vertreter aus dem hochkulturellen Bereich im Titaniapalast von Westberlin versammelten. Diese Gelegenheit, den philosowjetischen Kräften möglicherweise dauerhaft entgegenzutreten, durfte nach Ansicht der Organisatoren und ihrer diskreten Geldgeber nicht verpaßt werden. Es sollte allerdings eine Maßnahme der kommunistischen Seite sein, die den Kongreß erst richtig zum Erfolg werden ließ: der Angriff nordkoreanischer Streitkräfte auf Südkorea am Eröffnungstag des Kulturkongresses. Noch dringlicher ließ sich in den Augen der Antikommunisten die Notwendigkeit zu handeln gar nicht recht-
gegebenenfalls bereits
fertigen
2. Der Verlauf des
Kongresses
Der Berliner „Kongreß für kulturelle Freiheit" dauerte vom 26. bis zum 30. Juni 1950.85 In seiner Art stellte er eine bis dahin einzigartige Versammlung westlich orientierter Intellektueller ganz unterschiedlicher politischer Herkunft dar, selbst wenn Liberale, Sozialisten und Sozialdemokraten die anwesenden Vertreter des demokratischen Konservativismus zahlenmäßig bei weitem überflügelten. Zudem sollten die „liberals" im Hinblick auf die ideologische und künftige organisatorische Gestaltung des Kongresses dominant bleiben. Trotzdem war nie zuvor eine derart große und gemischte Gruppe nichtkommunistischer Intellektueller zusammengekommen, um ein Bekenntnis zur Westlichkeit abzulegen, wobei jedoch darauf verzichtet wurde, dies inhaltlich allzu konkret zu bestimmen. Man konstituierte sich als „Weltparlament der Intellektuellen in Berlin",86 ohne aber von irgendjemandem dazu legitimiert worden zu sein. Insgesamt 118, zum Teil nach Delegationen gegliederte Teilnehmer waren anwesend.87 Sie kamen aus 21 Ländern: 25 US-Amerikaner, darunter aber mit 85
86 87
Vgl. allg. P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S.
19-31 ; Pierre Grémion: Berlin 1950. Aux
Origines du Congrès pour la Liberté de la Culture, in: Commentaire 9 (1986), S. 269-280: ders.: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 26-52; R. Lôwenthal: Berlin 1950; S. Hook: Out of Step, S. 432-460; F. Meyer: „Auch die Wahrheit bedarf der Propaganda"; K.U. Merz: Kalter Krieg als antikommunistischer Widerstand, S. 111-115; R. Tichy: Encounter, S. 43f. Zit. n. P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 26. So zumindest laut Der Monat, H. 22/23 (1950), S. 476f. und F. MEYER: „Auch die Wahrheit bedarf der Propaganda", S. 33. Bei P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 23 werden nur 115 Teilnehmer aufgeführt, es fehlt z.B. René Lalive d'Epinay aus der Schweiz, der kurzzeitig als Generalsekretär des CCF fungieren sollte. Ob nun 115 oder 118 feste Teilnehmer anwesend waren, ist irrelevant; wichtiger erscheint, daß die Teilnehmerzahlen entsprechender kommunistischer Kongresse nicht einmal annähernd erreicht wurden.
230
IV Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit" Berlin 1950 -
Hermann Kesten, Golo Mann, Walter Mehring, Norbert Mühlen und Franz L. Neumann sieben Vertreter der Emigration,88 25 Deutsche89, zehn Franzosen90, acht Schweizer91, acht Exilrussen, sechs Italiener, Ignazio Silone an ihrer Spitze, sechs Österreicher, drei Norweger, je zwei Exilspanier, Exilpolen und Exdtschechen sowie je ein Belgier, Kolumbianer, Däne, Schwede, Grieche, Niederländer, Inder, Exillette und Türke. Es ist offensichtlich, daß die überwältigende Mehrheit der Teilnehmer aus Westeuropa und den USA kam, also dem Gebiet des Nordatlantikpaktes, wobei die offiziell gastgebenden Deutschen, besonders wenn man die Exilierten dazu rechnete, erheblich überrepräsentiert waren, ebenso die antistalinistischen
G.A.
Borgese, Carl J. Friedrich,
Emigranten und die skandinavischen Sozialdemokraten. Auf der anderen Seite die Dritte Welt zu diesem Zeitpunkt noch deutlich unterrepräsentiert, was sich nach 1955 ändern sollte. In Berlin waren insgesamt nur neun Frauen als Delegierte anwesend,92 fast alle aus Deutschland oder den USA. Diese Unterrepräsentation blieb in der gesamten Geschichte des CCF unverändert. Pierre Grémion hat die Gesamtzahl der Teilnehmer vier Kategorien zugeordnet, die durchweg als sinnvoll erscheinen:93 Neben den Exkommunisten seien besonders nichtkommunistische Antifaschisten und ehemalige Widerstandskämpfer, Mitglieder der europäischen Einigungsbewegung sowie intellektuelle Emigranwar
anwesend gewesen. Zusätzlich hat Peter Coleman darauf aufmerksam gemacht, daß ein nicht unerheblicher Anteil der Kongreßteilnehmer zuvor in nationalsozialistischen, faschistischen oder stalinististischen Gefängnissen und Lagern gesessen hatte,94 was zu einem beträchtlichen Grad den moralisch begründeten, leidenschaftlichen Antitotalitarismus erklärt, der sich auf dem Kongreß und unmittelbar danach als Grundideologie des CCF durchsetzte. Auf diese Weise wird allerdings das europäische Element ten aus dem Ostblock
88
89
90
91 92 93
94
Die weiteren Mitglieder der US-Delegation setzten sich überwiegend aus Mitgliedern der „Americans for Intellectual Freedom", der „New York Intellectuals" und der ADA zusammen. Diesem Umfeld entstammten Irving Brown von der AFL, James Burnham, Elliot Cohen, Christopher Emmet, James T. Farrell, der als offizieller ADA-Beobachter fungierte, Sidney Hook, Sol Levitas, Nicolas Nabokov, Arthur M. Schlesinger jr. und David C Williams, wie Faneil und Schlesinger der ADA entstammend. Günther Birkenfeld, seit dem 1. deutschen Schriftstellerkongreß ein Mitstreiter Laskys und Lizenzträger der KgU, Franz Borkenau, Margarethe Buber-Neumann, Fritz Eberhard, Hans von Eckhardt, Werner Egk, Adolf Grimme, Eugen Kogon, Karl Korn, Hans Leisegang, Carl Linfert, Hans Nachtsheim, Hans Paeschke, Rudolf Pechel, Theodor Plievier, Luise Rinser, Carlo Schmid, Franz-Joseph Schöningh, Jürgen Schuddekopf, Hans Peter Schulz, Anna Siemsen, Renée Sintenis, Dolf Stemberger, Emst Tillich, der Begründer der KgU, und der greise Alfred Weber. In der Regel Angehörige des gaullistischen und sozialistischen Widerstandes gegen die deutsche Okkupation, vgl P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S 26. Darunter z.B. Bondy, Walter Hofer, Herbert Luethy, Wilhelm Röpke und Denis de Rougemont F. Meyer: „Auch die Wahrheit bedarf der Propaganda", S 34, zählt nur sechs P Grémion: Berlin 1950, S. 272. Zeitgenössische Quellen machten es sich da einfacher. So berichtete das Sonntagsblatt Staats-Zeitung und Herald vom 23.7.1950, eine deutschsprachige Zeitung in den USA: „Die Sprecher und Teilnehmer kamen zumeist aus dem Lager der Linken." P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 19f.
2. Der Verlauf des Kongresses
231
im frühen CCF überbetont, während der hohe Anteil konsensliberaler, rechter New Dealer aus den USA am Entstehen des CCF nicht hinreichend erfaßt wird. um eine weitere ergänzt die US-amerikanischen „liberals" für das weltanschauliche Gesicht des CCF doch kaum weniger prägend als west- und nordeuropäische Sozialisten und Liberale. Nicht minder zutreffend und das Selbstverständnis der meisten Teilnehmer korrekt wiedergebend, hat Margaret Boveri von einem „Massenaufgebot von Individualisten" gesprochen, von dem eine regelrecht „hypnotische Gewalt" ausgegangen sei.95 Das altliberale Individualitätsverständnis war bei einigen Kongreßteilnehmern sogar soweit ausgeprägt, daß man der Idee einer solchen „Massenveranstaltung" eher skeptisch gegenüberstand, sie gewissermaßen als Paradoxon empfand.96 Zu der „hypnotischen Gewalt" trug indes der Umstand mit bei, daß neben den 118 festen Teilnehmern eine ganze Reihe von Publizisten und Journalisten unter den 1.800 geladenen Gästen saßen, die beispielsweise bei der Eröffnungsveranstaltung im Titania-Palast anwesend waren. Ganz im Sinne Willi Münzenbergs war der Berliner „Kongreß für kulturelle Freiheit" ein mediales Großereignis, das dazu dienen sollte, durch umfangreiche publizistische Präsenz die Propagandaoffensive der Stalinisten zu unterlaufen. Das Aufgebot an Pressevertretern machte den Kongreß dann auch zusätzlich zu einem „Forum der Multiplikatoren".97 In hervorragender Weise galt dies für Deutschland. Mit Eugen Kogon („Frankfurter Hefte"), Dolf Sternberger („Die Wandlung"), Hans Paeschke („Merkur"), Rudolf Pechel („Deutsche Rundschau"), Carl Linfert („Der Kurier"), Harry Pross („Ostprobleme"), Franz-Joseph Schöningh („Süddeutsche Zeitung" und „Hochland"), Karl Korn („Frankfurter Allgemeine Zeitung"), Adolf Grimme (NWDR) und Fritz Eberhard (SDR) waren maßgebliche deutsche Multiplikatoren in Berlin anwesend, nicht zu vergessen die Vertreter von RIAS, „Tagesspiegel", „Telegraf und „Neuer Zeitung", die das Berliner Publikum umfangreich mit Neuigkeiten vom Kongreß versorgten. Hier wären vor allem Friedrich Luft und Günter Birkenfeld zu nennen. Margaret Boveri erschien als Berichterstatterin für eine kleinere badische Zeitung. Der hohe Anteil an Journalisten gerade in der deutschen Delegation war mit dafür verantwortlich, daß der spätere deutsche CCF in erheblichem Maße aus Medienvertretern bestand, was sich bis in die sechziger Jahre in unterschiedlicher Ausprägung erhalten sollte. Defizite in der Zusammensetzung der Teilnehmerschaft konnten allerdings
Grémions
werden,
95 96
97
Kategorien müßten also entsprechend
waren
M. Boveri: Der Verrat im 20. Jahrhundert, Bd. 3, S. 148. Vgl das Grußtelegramm von Karl Jaspers, in: Der Monat, H. 22/23 (1950), S. 339 und Dolf Sternberger: Künstler-Intellektuelle-Propagandisten, in: Die Gegenwart 5 (1950), S. lOf, der sich bes. auf Ignazio Silone berief. F. Meyer: „Auch die Wahrheit bedarf der Propaganda", S. 34.
232
IV. Der „Kongreß fur Kulturelle Freiheit" Berlin 1950 -
ebenfalls nicht geleugnet werden, besonders wenn man den von den Organisatoren erhobenen intellektuellen und kulturellen Anspruch ernst nimmt und einer Bewertung zugrunde legt. Nicht allein in der deutschen Gruppe, wo
jüngere Literatengeneration (inklusive Rudolf Hagelstanges) aus Innerer Emigration und „Gruppe 47" vollkommen fehlte, wenn man von Luise Rinser und Günter Birkenfeld absah, mangelte es an den ganz großen Schriftstellern der Zeit. Im Hinblick auf die deutsche Delegation trug dazu sicherlich bei, daß der einladende Kreis um den „Monat" jüngere Literaten tendenziell erst dann wahrnahm, wenn sie bereits internationales Renommée erworben hatten, was für die „Gruppe 47" zu diesem Zeitpunkt nur sehr begrenzt zutraf. Hier schimdie
durch, das den gesamten CCF in seiner Geschichte durchgehend begleiten sollte: Da man Mitglieder in der Regel unter dem Gesichtspunkt aussuchte, welche bedeutende Funktion sie innehatten und wie bekannt sie schon waren, also Kriterien anlegte, die auf dem Prinzip des „großen Namens" basierten, vernachlässigte man durchgehend die Nachwuchsarbeit. Der CCF sollte stets eine Organisation bleiben, zu der man beitrat, wenn man bekannt war, nie oder doch nur sehr selten eine Organisation, die zielgerichtet soziale Positionierung betrieb. Die Gefahr, am Ende dank der zugrundegelegten Auswahlkriterien, die sich zum Teil mit den Kriterien der „New York Intellectuals" (Brillanz und Außergewöhnlichkeit im selbstdefinierten Sinn) überschnitten, ständig auf sich selbst verwiesen zu sein und auf diese Weise den Kontakt zu den lebendiger werdenden geistigen Strömungen der eigenen Gegenwart zu verlieren, wurde lange nicht bedacht. Der von Beginn an vorhandene Unwille, sich von den geistigen und politischen Wirklichkeiten der dreißiger Jahre konsequent zu lösen, trug ab 1964 nicht unmaßgeblich zum intellektuellen Verfall des CCF bei. Im Jahre 1950 führte dieser langfristig verhängnisvolle Aspekt bei der Auswahl der Kongeßteilnehmer verbunden mit der Dominanz der Beiträger des „Monat", dazu, daß der Kongreß zu einer Veranstaltung für Publizisten, Philosophen und Naturwissenschaftler wurde, während Literaten und bildende Künstler eher unterrepräsentiert waren.98 Dies gab allerdings das amerikanische Verständnis von Intellektuellen und Kultur durchaus korrekt wieder. Natürlich hat die stalinistische Gegenpropaganda sich dieses Faktum augenblicklich zunutze gemacht und in ihrem Sinn interpretiert. Erfreut stellte Bodo Uhse fest, „wie doch geschlossen alle namhaften deutschen Schriftsteller des deutschen Westens jener infamen Demonstration des Kriegswillens ferngeblieben sind, die unter dem verlogenen Schlagwort von der Freiheit der Kultur' von dem gleichen amerikanischen Polizeiapparat inszeniert wurde, welcher drüben in den USA die besten Schriftsteller des Landes wie Howard Fast und Albert mert ein strukturelles Problem
,
98
F. Meyer: .Auch die Wahrheit bedarf der Propaganda", S. 33f; Klaus Wagenbach/Winfried Stephan/ Michael Krüger (Hg.): Vaterland, Muttersprache. Deutsche Schriftsteller und ihr Staat seit 1945, Berlin 1979, S. 96f
2. Der Verlauf des
Maltz
zusammen
Kongresses
mit den Führern der Kommunistischen Partei
233
eingesperrt"
habe.99 Abgesehen davon, daß Fast und Maltz nicht eben zu den berühmtesten US-amerikanischen Schriftsteilem gehörten, neigte die stalinistische Propa-
ganda dazu, den abwesenden Schriftstellern politische Gründe zu unterstellen, die sich indes aus den Quellen nicht belegen lassen. Oft waren Termtaschwierigkeiten oder andere persönliche Gründe für die Abwesenheit verantwortlich, bei einigen deutschen Schriftsteilem der jüngeren Generation lag es daran, daß
sie einfach noch nicht bekannt genug waren. Die Kritik konnte dem Selbstbewußtsein von Organisatoren und Veranstaltern nur wenig anhaben, obgleich zudem sämtliche Ehrenpräsidenten abwesend waren. Immerhin hatten sie und verschiedene andere verhinderte Persönlichkeiten, darunter Eleanor Roosevelt, André Gide, John Dos Passos, Hermann Brach, Upton Sinclair, Walther Reuther, Ralph Bunche, R.H.S. Crossman und Julian Huxley,100 dem Kongreß Grußtelegramme zukommen lassen. Nachdem Melvin J. Lasky und Ernst Reuter den Kongreß mit kurzen Ansprachen, die erneut die Lausanner Gründungslegende der Veranstaltung ins Gedächtnis riefen, und einer Schweigeminute für die „Opfer der Tyrannei" eröffnet hatten,101 konstituierte man sich unter dem Vorsitz des Franzosen Jules Romain. Als Vizepräsidenten fungierten die beiden Deutschen Ernst Reuter und Alfred Weber sowie der US-Amerikaner Sidney Hook.102 Schon diese Zusammensetzung des Tagungspräsidiums macht deutlich, daß Lasky die Deutschen an prominenter Stelle in das Kongreßgeschehen einbinden wollte, was freilich nicht bei allen Delegierten auf Gegenliebe stieß. Bevorzugt von britischer Seite sollten noch Proteste gegen diese Vorgehensweise laut werden, während auf der anderen Seite Ignazio Silone in seiner Eröffnungsansprache ausdrücklich die Demokratiefähigkeit der deutschen Bevölkerung nach 1945
lobte.103
Die eigentiiche organisatorische Hauptlast trugen weiterhin Lasky und seine Mitarbeiter vom „Monat", unterstützt besonders von Edouard Roditi, der früher für die CAD von OMGUS gearbeitet hatte. Dabei kam ihnen zugute, daß der Ablauf der Veranstaltung seit Monaten detailliert festgelegt war und daß zusätzlich von Seiten der FU Berlin, der UEF und besonders der KgU Hilfe
99 100 101 102 103
Bodo Uhse: Das neue Leben verlangt nach Gestaltung, m: Aufbau 6 ( 1950), S 685. Der Monat, H. 22/23 ( 1950), S. 478. Ebda., S. 341-343. C. Schmid: Erinnerungen, S. 486. Der Monat, H. 22/23 (1950), S. 344-347; zur Reaktion der Deutschen vgl. C. Schmid: Erinnerungen, S. 486 und R. Löwenthal: Berlin 1950, S. 23, der bemerkt, den ausländischen Gästen sei es auch um die Frage gegangen, wie sich die Deutschen fünf Jahre nach Kriegsende entwickelt hätten.
234
IV. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit" Berlin 1950 -
kam.104 Insgesamt scheint es im Verlaufe der Tagung zu keinen nennenswerten
Problemen im organisatorischen Bereich gekommen zu sein; selbst die im Vorfeld von einigen geäußerten Sicherheitsbedenken erwiesen sich als über-
trieben. In vier
Arbeitssitzungen
und diversen
Rahmenveranstaltungen
sollte die
zentrale Aufgabe des Kongresses bewältigt werden:105 das kollektive geistige Bemühen individualistischer Intellektueller, dem als bedrohlich empfundenen Angriff des Totalitarismus auf die bedrohte westlich-liberale Freiheit zu begegnen, so wenigstens die Selbstsicht. Weniger emphatisch hat Kai-Uwe Merz den Kongreß als anschaulichstes Beispiel für den „Konsens des Kalten Krieges" bezeichnet106 Der Begriff der „Freiheit" stand unübersehbar im Mittelpunkt sämtlicher Arbeitssitzungen, sei es über „Wissenschaft und Totalitarismus",107 „Kunst Künstler und Freiheit",108 „Der Bürger in einer freien Gesellschaft",109 sei es in der abschließenden Plenarsitzung über „Verteidigung von Frieden und Freiheit".110 Hier wurde das Ziel, die „Weltfriedenspartisanen", ihre nationalneutralistischen Verbündeten und andere „fellow-travellers" argumentativ anzugehen, besonders deutlich. Auch Karl Jaspers' Grußbotschaft „Gefahren und Chancen der Freiheit" setzte sich mit dem zentralen Topos des Kongresses auseinander. Die vier Arbeitssitzungen eröffneten zugleich den Blick auf mögliche Perspektiven einer künftigen Organisation; sie wurden in mancher Hinsicht regelrecht konsumtiv für das Arbeitsfeld des CCF, umfaßte doch ihr Programm in nuce sämtliche Schwerpunkte kommenden Engagements. Die Themen der ersten beiden Arbeitssitzungen wurden sogar eigens in separaten Kongressen des CCF wieder aufgenommen, so die hochkulturell-ästhetischen Aspekte von Freiheit und Kultur im Pariser Kongreß „Meisterwerke des XX. Jahrhunderts" von 1952, die Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Freiheit im gleichnamigen Hamburger Kongreß von 1953. Die beiden restlichen Sitzungen 104
Melvin J. Lasky an James Burnham vom 12.6.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 9, Folder 4: Burnham, Aron und Koestler hatten Lasky ein verlorengegangenes Memorandum zukommen lassen, das in der Folge zur Grundlage der Vorbereitungen werden sollte. Es gab aber schon zuvor konkrete Planungen, vgl Melvin J. Lasky an Sidney Hook vom 24.3.1950, ebda., Box 9, Folder 6. Zur RoUe der UEF: Carl Dietrich von Trotha an Melvin J. Lasky vom 8.8.1950, ebda., Box 10, Folder 5 Zur KgU: K.U. Merz: Kalter Krieg als antikommunistischer Widerstand, S. 112f. Eine recht exakte Dokumentation des gesamten „Kongresses für kulturelle Freiheit" in Berlin findet sich in: Der Monat, H. 22/23 (1950); vgl. zusätzlich Dr. W. Poremsky: An der Schwelle, in: BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 99. K.U. Merz: Kalter Krieg als antikommunistischer Widerstand, S. 112. Mit Beiträgen von Hermann J. Muller, Alfred J. Ayer und Hugh R. Trevor-Roper. Mit Beiträgen von Herbert Read, Dolf Sternbeger, G.A. Borgese, Peter de Mendelssohn und Nicolas Nabokov. Mit Beiträgen von Hendryk Brugmans, Franz Borkenau, Christopher Hollis, David Rousset, Elliot Cohen, der als einer der wenigen fur direkten USA-Bezug sorgte, und Josef Czapski. Mit Beiträgen von Arthur Koestler, Richard Löwenthal, James Burnham, Raymond Aron und der Britin Barbara Ward. -
105
106 107 108 109 110
-
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2. Der Verlauf des Kongresses
gaben hingegen gewissermaßen den durchgehenden cantus firmus der künftigen Arbeit des CCF an. In Berlin ging es allerdings nicht vordringlich um ein Programm zur kontinuierlichen Diskussion des Freiheitsbegriffes, sondern darum, den absoluten Primat des individualistisch-liberalen Freiheitsbegriffes vor jedweder Form egalitären Kollektivismus zu propagieren. Damit sollte zugleich Freiheit als Konstituens künstlerischer und intellektueller Kreativität hervorgehoben werden, stets jedoch in einem politischen Kontext. Dem Kongreß war es nie um den unpolitischen Intellektuellen zu tun, sondern wie schon zuvor dem „Monat" um einen hochgradig politisierten intellektuellen, -
der sich im liberaldemokratischen Sinn für den Westen einsetzte. Ein so verstandener Freiheitsbegriff wurde dann nicht nur zur Grundlage aller gesamtgesellschaftlichen Vorgänge, sondern auch, durchaus offensiv gedacht, zum Fundament der internationalen Ordnung. Diesem konkret an den Notwendigkeiten propagandistisch-ideologischer Auseinandersetzung im Kalten Krieg orientierten Ziel diente weiterhin eine von Lasky persönlich geleitete Diskussionsrunde zum Thema: „Der Kalte Krieg." Darüber hinaus ermöglichten es die Rahmenveranstaltungen, weitere Themenbereiche abzudecken, die eher den „re-orientation"-Gesichtspunkten des „Monat" entsprachen, sich also bevorzugt der deutschen Frage annahmen. Die Gesprächsrunde „Deutsche und Juden", in der etwa Norbert Mühlen, FranzJoseph Schöningh und Elliot Cohen vom AJC auftraten, sollte für die Arbeit des deutschen CCF entscheidende Impulse mit sich bringen. In „Deutschland und das Ausland" fungierte Willy Brandt als einer der Hauptredner. In einer vielbeachteten Passage forderte der Sozialdemokrat, man müsse einerseits die deutsche Schuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus akzeptieren, verlangte jedoch andererseits, die Siegermächte müßten sich zu ihrer Mitverantwortung an den Ereignissen der dreißiger und vierziger Jahre bekennen. Die Gesprächsrunde über „Adolf Hitler und sein Reich" diente schließlich dazu, in Vorträgen von Franz L. Neumann und Franz Borkenau, Fundamente einer historischen Analyse des Totalitarismus zu legen.111 Der deutschen unmittelbaren Vergangenheit und ihrer geistesgeschichtlichen Aufarbeitung war zudem der Redebeitrag Alfred Webers vor dem Plenum des Kongresses gewidmet, der von einigen Teilnehmern als in besonderem Maße herausragend beurteilt wurde.112 Ganz im Sinne Deweys, Santayanas und Veblens machte der greise Alfred Weber die problematische Hinwendung deutscher Freiheitsdiskurse zu einer entschiedenen Trennung zwischen Innerlichkeit und politischer Freiheit für die Exzesse in der neueren deutschen Geschichte verantwortlich. Mit Problemen der US-amerikanischen Innenpolitik beschäftigte sich das Diskussionsforum zur „Negerfrage", anwesend waren unter anderen Elliot Cohen und -
111 112
Vgl. insgesamt: Der Monat, H. 22/23 ( 1950), S. 473-476. Vgl. C. Schmid: Erinnerungen, S 486f. und R. Löwenthal: Berlin 1950, S. 24ff
236
IV. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit" Berlin 1950 -
James T. Farrell, die weitgehend die Haltung der ADA zur Rassenfrage wiedergaben. Dabei ging es darum, sowohl die sozialen Schwierigkeiten Farbiger in der amerikanischen Gesellschaft zu benennen, als auch auf die Vorwürfe der kommunistischen Propaganda einzugehen. In dieser Rahmenveranstaltung kam dann zusätzlich in besonders eindringhcher Weise das fortschrittsoptimistische, aufgeklärte Menschenbild, von dem die Mehrheit der Teilnehmer geprägt war, zur Geltung. Im „Monat" wurde der Redebeitrag Cohens denn auch genau auf diesen Punkt hin zusammengefaßt: „Vorurteile seien zwar irrational, das bedeute jedoch nicht, daß sie nicht analysierbar seien. Durch eingehendes Studium und offene Diskussion konnten in Amerika die gröbsten Auswüchse der Rassenfeindschaft beseitigt werden; die Initiative des amerikanischen Durchschnittsbürgers, die zur Bildung von Studienkomitees, Diskussionsgruppen usw. führte, spielte hierbei eine entscheidende Rolle."113 Diese Aussage beinhaltete nicht nur eine angesichts der Realitäten im Süden der USA leicht beschönigende Darstellung der Situation amerikanischer Neger, sondern ist vor allem wegen ihres ideologischen Gehaltes von Interesse: Mit dem trotz allem im Endeffekt szientistisch-elitär bleibenden Rekurs auf den „common sense" des „common man" sowie der bevorzugten Rolle freier und öffentlicher Diskussion im Prozeß des Problemlösens waren zwei wesentliche Elemente konsensliberaler Dogmatik auf engstem Raum verbunden worden. Zugleich machten alle Rahmenveranstaltungen deutlich, daß es den Organisatoren des Kongresses durchaus um wirklich umfassenden Antitotalitarismus zu tun war. Doch nicht die deutsche Vergangenheit und Gegenwart oder die Innenpolitik der Vereinigten Staaten standen im Zentrum des Berliner Kongresses, sondern der sich verschärfende globale Ost-West-Konflikt. Wer aber im vorhinein einen normalen, vergleichsweise voraussehbaren antikommunistischen Kongreß erwartet hatte, sah sich bald getäuscht. Der Einmarsch der kommunistischen Nordkoreaner in Südkorea sorgte augenblicklich für eine erhitzte und aufgeregte Atmosphäre, die dazu beitrug, die Versammlung zumindest in Teilen deutlich zu radikalisieren. Selbstverständlich war es bereits in der Planungsphase um tagespolitische Aktualität gegangen, um den Versuch, westliche Intellektuelle zu politisieren und als Vorkämpfer liberaldemokratischer Westlichkeit zu gewinnen.114 Nun aber war der Weg frei für die charismatischen Antikommunisten, die radikalen Verfechter kompromißlos militanter Aktion gegen den sowjetisch dominierten Ostblock. Die wußten die Gunst der Stunde zu nutzen. Es war, zu niemandes Erstaunen, Arthur Koestler, der den Ton angab. Im Stile eines biblischen Propheten wandte er sich an seine „Freunde, Leidensgenossen, Kampfgenossen."115 Jedwede Nuancierung, so führte er aus, zwischen Gut
113 114 115
Der Monat, H. 22/23, S. 473. Wie sehr der Koreakonflikt die Stimmung unter den Teilnehmern und deren Redebeiträge beeinflußte, belegt S. Hook: Out of Step, S. 434, am Beispiel von Theodor Plievier. Der Monat, H. 22/23 (1950), S. 355.
2 Der Verlauf des Kongresses
237
(dem Westen) und Böse (dem Totalitarismus in seiner stalinistischen Version) müsse abgelehnt werden und sei regelrecht amoralisch: „Deine Rede sei Ja Ja, Nein Nein was darüber ist das ist von Übel."116 In Anbetracht der Umstände, denen Intellektuelle im Totalitarismus ausgesetzt seien, angesichts der Gefängnisse und Konzentrationslager, könne und dürfe es keine Neutralität geben. In einer einprägsamen Formel bezeichnete Koestler die Neutralisten und andere intellektuelle Bedenkenträger als die „Halbjungfrauen der Demokratie."117 Dank seiner demagogischen Fähigkeiten und seines Talentes als „marvellous spea-
ker"118 entwickelte sich Koestler bald zu einer der dominierenden Persönlichkeiten auf dem Berliner Kongreß. In seinem Bericht an die ADA stellte James T. Farrell ihn auf eine Stufe mit Lasky, Hook und Burnham,119 aus kommunistischer Perspektive und im Rückblick hat Dieter Schiller ihn als den „Star" jener Tage bezeichnet.120 Schnell schlössen sich James Burnham, Franz Borkenau, Eugen Kogon und Günther Birkenfeld dem verbalen Radikalismus Koestlers ganz oder doch wenigstens tedweise an.121 In ihren Augen mußte Neutralismus ebenso als „Verrat an der Menschheit"122 angesehen werden wie der Totalitarismus selbst. Weniger eifernd, dafür aber dezidierter proamerikanisch, sprach sich Elliot Cohen für ein Eingreifen der USA im koreanischen Konflikt und ihr verstärktes Engagement in Europa aus.123 Mochten die radikalen und charismatischen Antikommunisten auch, von der Stimmung des Augenblickes mitgerissen, in den Augen der Öffentlichkeit den Kongreß beherrschen, so regte sich alsbald Opposition. Harry Pross, damals bereits einer der Gegner Koestlers und seiner Gruppe,124 hat koestlerkritischen Personenkreis einmal als „Nuancen-Denker"125 bezeichnet und Peter de Mendelssohn, Dolf Stemberger, Hilde Spiel und Golo Mann126 dazu gerechnet. 116 117
118 119
120 121 122 123 124
125 126
Ebda., S. 355. Ebda, S. 356; vgl. C. Schmid: S. 487 und A.M. Corbin-Schuffels: Von Berlin nach Berlin, S. 9. I. Hamilton:
Koestler, S. 198, ganz ähnlich S. Hook: Out of Step, S. 443. P. Grémion: Berlin 1950, S. 270; s.a. P. Coleman: The Liberal
Vgl. zu Fanells Bencht: Conspiracy, S. 22.
D. Schtller: Bündnissuche, S. 1743. I. Hamilton: Koestler, S. 187; P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 30; F. Meyer: „Auch die Wahrheit bedarf der Propaganda", S. 36f, s. zu Kogon: D: Schiller: Bündnissuche, S. 1743; vgl. H. Pross: Memoiren, S. 190f. A.M. Corbin-Schuffels: Von Berlin nach Berlin, S. 9. R. Löwenthal: Berlin 1950, S. 3 3. Noch im Juli 1950 wandte sich Pross an Lasky und kritisierte, einige Personen auf dem Kongreß, darunter Burnham und Koestler, aber auch Lasky und Bondy, hätten die besorgnisenegende Tendenz gezeigt, sogar den nuklearen Krieg zu verharmlosen, vgl. Harry Pross an Melvin J. Lasky vom 7.7.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 4, Folder 3. H. Pross: Memoiren, S. 190. Es wurde ja bereits erwähnt, daß Golo Mann Burnham für schlicht geisteskrank hielt. Er sei eine Mischung aus dem Schlimmsten, was Marxismas, Leninismus, Stalinismus und Oswald Spengler hätten hervorbringen können, vgl. Golo Mann an Melvin J. Lasky vom 26.12.1948, UoC-Archiv, „Der Monat'-Records, Box 3, Folder 9. Über Koestler meinte er, ebenfalls im Vorfeld des
238
IV. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit" Berlin 1950 -
Haupt der „Nuancen-Denker" war aber unbestritten der Italiener Ignazio Silone, der in seiner Eröffnungsrede nicht nur einen eher prodeutschen Ton anschlug, sondern sich der Totalitarismusthematik in sehr viel differenzierenderer Weise annahm als Arthur Koestler, ohne dadurch jedoch in der Sache nachgiebig zu werden.127 Noch schärferen Widerspruch als von Seiten des auf Ausgleich bedachten Silone erfuhren die radikalen Antikommunisten von der „Oxbridge"Fraktion, das heißt, von den englischen Vertretern in der britischen Delegation, allen voran Alfred J. Ayer, dem bekannten positivistischen Philosophen und dem renommierten britischen Historiker Hugh R. Trevor-Roper. Gemeinsam mit David Rousset, André Philip und Adolf Grimme128 lehnten sie erst einmal die Forderung nach US-amerikanischer Militärintervention in Korea ab. Wichtiger und prinzipieller aber waren ihre Vorbehalte gegenüber dem Radikalismus der Koestler-Gruppe, die Gefahr laufe, genau das aufs Spiel zu setzen, was der Kongreß eigentlich wolle, und in einer Art „Totalitarismus der Freiheit" zu enden.129 Eine Art Vermittlerposition einnehmend, sprachen sich daraufhin Lasky, Arthur M. Schlesinger jr. und der britische Konservative Julian Amery zwar für ein amerikanisches Eingreifen in Korea aus, vermieden aber die Tonlage der Radikalen. Inmitten dieser Kontroversen, die zugleich zeigten, daß sich der Kongreß, ungeachtet seiner Finanzierung durch amtliche Stellen der USA und trotz der aufgeregten Atmosphäre, eine gewisse Offenheit in der Diskussion bewahrt hatte, war es neben Lasky vor allem Michael Josselson, der um Ausgleich bemüht war. Richard Löwenthal hat hervorgehoben, daß gerade Josselson sich entschieden dafür eingesetzt habe, alle Positionen freiheitlich zum Austrag kommen zu lassen, und dazu angemerkt, daß dies angesichts seines CIA-HinKongresses, einmal, für diesen Mann sei das deutsche Wort „schwierig" erfunden worden Eugen Kogon schließlich wurde als „clever and tenacious, but ambitious, false and mediocre" charakterisiert, s Golo Mann an Melvin J. Lasky vom 12.6.1949, ebda., Box 3, Folder 9 Es zeigt sich,
127
128
daß ein Teil der Konflikte, die in Berlin aufbrachen, ältere Wurzeln hatten, die nicht immer in der Sache, sondern oft in persönlichen Animositäten wurzelten. Vgl. D. Sternberger: Intellektuelle, S. 10; H. Spiel: Welche Welt?, S. 127; P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 24f; Mamaine Koestler hielt demgegenüber Silones Rede für ausgesprochen schwach gerade wenn man sie mit der Koestlers verglich, s. I. Hamilton: Koestler, S. 179. Dabei dürfte es sich allerdings eher um den Ausdruck ehelicher Solidarität denn um eine
begründete Sachausage gehandelt haben.
Gnmme wandte sich besonders gegen den „Renegateneifer" der Exkommunisten. Diese Attacke löste eine scharfe Replik Borkenaus aus, auf den wiederum Trevor-Roper antwortete, während Koestler und Ernst Reuter, den Grimme ebenfalls angegriffen hatte, schwiegen, vgl. Sidney Hook
„Manchester Guardian" vom 3.8.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 2, Folder 11. S. Hook: Out of Step, S. 438, wirft, bei dem Versuch, die Linie Koestlers gewissermaßen als gängige Argumentation unter den US-Intellektuellen der damaligen Zeit zu verteidigen, Grimme, im Gegensatz zu Haakon Lie, vor, er habe das Niveau der Debatte deutlich gesenkt, indem er die anstehenden Fragen als „basically religious" eingeordnet habe. Ansonsten habe Grimme mit der Stimme eines Nebelhorns „with an eloquent emptiness" gesprochen. In seiner Polemik übersieht Hook, daß es gerade Koestler war, der die Nähe zum Kommunismus mit religiösen Termini umschrieben hat. F. Meyer: „Auch die Wahrheit bedarf der Propaganda", S. 37f an
129
2. Der Verlauf des Kongresses
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tergrundes als bemerkenswert einzuschätzen sei.130 Möglicherweise muß dieser Gedankengang eher umgekehrt werden, um zu einer korrekten Einschätzung von CIA-Interessen auf dieser Versammlung zu kommen, zumal Josselsons Verhalten in mancherlei Hinsicht das Vorbild für seine spätere Tätigkeit in der Pariser Kongreßzentrale abgab. Wie so oft, spielten auch in diesem Fall persönliche Anlagen und abstrakte Interessen gemeinsam eine wichtige Rolle. Drei Punkte gilt es besonders hervorzuheben: Erstens dürfte die Neigung zum Ausgleich in Josselsons Charakter gelegen haben. Dies belegt zumindest die Art, wie er dann in Paris die oft mühsamen Geschäfte des Kongresses handhabte, darin Münzenberg durchaus vergleichbar. Josselson verstand es wie kaum ein anderer, die hochgradig differierenden Anliegen und Belange individualistischer Intellektueller im westlich-amerikanischen Interesse zu bündeln, sie ebenso diskret wie geschmeidig zu handhaben und überdies unauffällig mit finanziellen Subsidien zu versehen.131 Ein Beispiel für die Kombination all dieser Elemente lieferte er noch während des Kongresses ab, als inmitten der zum Teil erregt geführten Debatten ersichtlich wurde, daß die ursprünglich angesetzten DM 100.000,- nicht aus-
reichen würden. Diese Summe hatten Josselson und ein Mr. Barisch von der „External Audit Branch" der „Budget and Fiscal Division" von HICOG im Mai 1950 an Hellmuth Jaesrich und Edwin Redslob mit der Maßgabe übergeben, ein Konto unter Redslobs Namen einzurichten, um so die „Herkunft dieser Mittel gegenüber der Öffentlichkeit zu verschleiern".132 Jaesrich als Schatzmeister und Lasky als Generalsekretär verfügten in der Folge über diese Mittel. Mit dem daraufhin entstehenden finanziellen Engpaß trat erneut Josselson in Erscheinung. Aus einem von ihm privat verwalteten Fonds, der angeblich gleichfalls auf HICOG zurückging, wurden weitere DM 75.000,- ausgeschüttet.133 Parallel dazu widmete er sich dem Geschehen auf dem Kongreß, stets darum bemüht, die entstandenen Streitigkeiten zwischen Radikalen und Moderaten in den Griff zu bekommen. Dieses doppelte Vorgehen, der sachliche, diskrete und geschmeidige Interessenausgleich auf der einen Seite und die noch diskretere Gestaltung der Finanzen des CCF sollten für Josselsons weitere Arbeit im CCF maßgeblich bleiben. 130 131
132 133
R. Löwenthal: Berlin 1950, S. 41. Zu Josselsons Charakter vgl. E. Shils: Remembering the Congress, Teil 1, S. 67; vgl. ferner: L.Bushkoff: Counterintelligentsia, S. 44 und Chr.FELLx: Secret War, S. 104, der zwar Josselsons Namen nicht erwähnt und hinsichtlich der biographischen Daten etwas großzügig ist, ansonsten aber Josselsons Rolle treffend charakterisiert. Der gesamte Vorgang wird geschildert in: Hellmuth Jaesrich an Mr. Blanchette und Mr. Barisch vom 8.2.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 6, Folder 6. Der Verweis aufHICOG als Quelle dieser Gelder ist trotz des CIA-Hintergrundes von Josselson keinesfalls abwegig, da die für die gesamte Operation zuständige Abteilung der CIA, das OPC, zwischen 1947 und 1952 nicht dem, JJirector of Central Intelligence" (DCI) unterstand, sondern direkt dem State Department, dem auch HJCOG unterstellt war, vgl. G.F. Treverton: Covert Action, S. 36.
240
IV. Der
„Kongreß für Kulturelle Freiheit"
Berlin 1950 -
Daß diese Art, Probleme zu handhaben, nicht nur auf den finanziellen Sektor beschränkt blieb und überdies nicht allein Josselsons persönlicher Veranlagung entsprang, sondern zusätzliche Hinweise auf die Interessenlage der US-Stellen zu bieten vermag, wird deutlich, wenn man sich zweitens die grundlegende Intention des Kongresses vor Augen führt: Es ging darum, einen breiten, intellektuell tragfähigen antikommunistischen Konsens unter Einschluß möglichst vielfältiger Meinungen und Strömungen herzustellen beziehungsweise zu vertiefen.134 Dies deckte sich mit den Interessen der meisten beteiligten Intellektuellen. Sidney Hook etwa sprach sich, spätere Einsichten vom „Ende der Ideologie" vorwegnehmend, für das Ende an politischer Geographie von „links", „Mitte" oder „rechts" orientierten Handlungsweisen aus, wenn es um Fragen geistiger Tätigkeit und der Freiheit ginge.135 Damit gab er einem Grundgefühl der Epoche Ausdruck das durch den verbalen Radikalismus des Kreises um Koestler empfindlich gestört wurde. Zudem lag dieser tief in das politische Leben eingreifende Wille zum Konsens im Interesse der westlichen Hegemonialmacht an weltanschaulicher Stabilität im eigenen Lager. Wenn der Berliner Kongreß und der sich anschließende CCF aber überhaupt Sinn machen sollten, konnte der nicht in der polarisierenden Ausgrenzung an sich wohlmeinender und durchaus nicht neutralistischer Intellektueller liegen, sondern vornehmlich in dem Versuch, sie in den breiten Konsens einzubinden. Genau darum war Josselson bemüht. Es sollte sich allerdings zeigen, daß, egal welche Form des Konsenses man im Endeffekt wählte, bestimmte Gruppen innerhalb des eigenen Lagers sich ausgeschlossen fühlen mußten. Schließlich entschied sich der CCF für die Wende zum „consensus liberalism", also die genuin amerikanische Variante von Westlichkeit, die zwar in bezug auf den Antikommunismus gemäßigter war als die zuerst gewählte Form des moralischen Antitotalitarismus mit seinem konservativ anmutenden Bezugsrahmen, dafür aber den Vorteil hatte, Westlichkeit in einem spezifischer amerikanischen Sinn zu definieren. Drittens zeigt Josselsons Verhalten an, daß State Department und CIA offensichtlich nicht primär eine demagogisch und agitatorisch inspirierte Massenbewegung ins Leben rufen wollten, wie es wohl einigen der radikalen Antikommunisten zeitweise vorschwebte, sondern daß man in Washington ein internationales Netzwerk meinungsbildender Eliten zu etablieren suchte.136 134
135 136
allem, was heute bekannt ist, scheint nicht einmal die Beobachtung von Vorgängen im Ostblock durch den CCF von der CIA nachrichtendienstlich ausgewertet worden zu sein. Wenigstens haben Braden, Meyer und auch Allen Dulles dies immer nachhaltig bestritten: L. Bushkoff: Countenntelligentsia, S. 45. Der Monat, H. 22/23 (1950), S. 350. Vgl. dazu einen Bericht französischer Regierungsstellen, den A.M. Corbin-Schuffels: Von Berlin nach Berlin, S. 9-11 paraphrasiert. Zu dem hier angesprochenen Problemfeld s. bes. S. 11, wo daraufhingewiesen wird, daß bereits bei der Namensgebung für die spätere Organisation auf den ursprünglich angestrebten Begriff „Movement" verzichtet wurde, weil die USA für ein „réseau" (Netz) eintraten. Der Bericht „Études sur la conception américaine des objectifs politiques du Congrès des Intellectuels et sur les mesures à prendre pour les attendres" findet Nach
2. Der Verlauf des Kongresses
241
Diese ursprüngliche Konzeption wurde allerdings erst 1955/56 verwirklicht Daß dem so war ist ein Zeichen für die vergleichsweise lockere Führung, die man von Seiten der US-Behörden dem Kongreß angedeihen ließ, was wiederum auch an der Persönlichkeit von Michael Josselson lag. Damit ist zugleich deutlich geworden, daß der situationsbedingte Triumph der charismatischradikalen Antikommunisten nicht eigentlich dem Kalkül der US-Stellen entsprach, da deren politischer Aktivismus sich nicht mit den anders gelagerten Interessen der Amerikaner deckte. Folgerichtig waren um 1952 nahezu alle aus der Gruppe Koestlers aus den Leitungsgremien des CCF verschwunden. Dieser Befund wird relativiert, aber nicht aufgehoben, durch zwei nur bedingt gegenläufige Erkenntnisse: Zum einen stand mit großer Wahrscheinlichkeit einer der Hauptvertreter der radikal antikommunistischen Linie, nämlich James Burnham, wie Josselson im Dienste des OPC der CIA.137 Zum anderen hat Josselson zumindest nicht versucht, das „Manifest" des Kongresses zu verhindern, an dessen Auslegung sich bereits im Vorfeld einige Kontroversen entzündeten, zumal seine einhellige Akzeptanz auf der abschließenden Sitzung des Kongresses allgemein als Ausdruck des Sieges der Radikalen galt und mit dazu beitrug, gerade die Briten dem CCF gegenüber skeptisch bleiben zu lassen. Man sollte nun Burnhams Einfluß auf die Politik der CIA nicht überschätzen. Dies gilt noch mehr für seine Einwirkung auf das State Department. Allein schon seine harsche Kritik am „Containment" der Truman-Administration dürfte Burnhams Handlungsspielräume innerhalb der außenpolitischen Entscheidungsgremien der USA erheblich eingeschränkt haben. Hingegen bedarf die Frage nach dem Manifest des Kongresses, schon weil es zum ideologischen Fundamentaldokument des CCF bis an sein Ende wurde, eingehender Untersuchung, um zu belegen, daß die US-Behörden mit dem CCF eher ein Netzwerk für den Ideologietransfer als eine radikalantikommunistische Massen-
-
bewegung planten:
Das am Ende des Berliner Kongresses einstimmig angenommene und fortan als Grundlage der CCF-Arbeit angesehene Dokument hatte im Juni 1950 bereits eine längere Vorgeschichte hinter sich. Im März des Jahres hatte Melvin Lasky, nach Rücksprache mit Sidney Hook und Arthur Koestler, Ignazio Silone einen (nicht überlieferten) Entwurf zugesandt, den der Italiener brüsk als Stück reiner politischer Agitation zurückwies.138 Lasky stimmte dem kritischen
137 138
sich im Archiv des Französischen Außenministeriiims unter der Sigle Amae, R. Cult. 45-49, Ech. Cult. 48-55, Vol 27 p. 1-6. So zumindest Brian Crozier in seinem Nachruf auf James Burnham in der National Review vom 11.9.1987, S. 36. Burnham habe als „consultant" in der „covert action staff gearbeitet. Ignazio Silone an Melvin J. Lasky vom 31.3.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 10, Folder 8.
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IV. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit" Berlin 1950 -
Einwand zu139 und erklärte obendrein, daß man besser gänzlich auf ein Manifest verzichte, sollte der CCF auch von Franzosen und Italienern akzeptiert werden.140 Dies wiederum stieß bei Arthur Koestler und seinem Kreis auf wenig Gegenliebe. Koestler, der den Kongreß sowieso für dilettantisch vor-
hielt, traf sich im Vorfeld mit Raymond Aron, James Burnham und insbesondere mit Manès Sperber, mit dem er seit 1945/46 Vorarbeiten für einen vergleichbaren Text besprochen hatte, auf die beide nun zurückgreifen konnten.141 Der gemeinsame Entwurf Koestlers und Sperbers wurde dann noch im Mai oder Juni 1950 von Cynthia Jeffries, der damaligen Sekretärin und späteren dritten Ehefrau Koestlers, niedergeschrieben.142 Kaum in Berlin angekommen, fing Koesder an, für sein Manifest zu werben, wobei er sich im Interesse breiterer Akzeptanz zu einigen Kompromissen bereit fand. In zum Teil bis tief in die Nacht währenden Treffen mit Irving Brown, Arthur M. Schlesinger jr., Sol Levitas, Sidney Hook, James Burnham und Melvin Lasky wurde an dem Text gefeilt.143 Carlo Schmid wurde zur Schlußredaktion des deutschen und französischen Textes mit herangezogen.144 Am Morgen des 30. Juni nahmen selbst jene Teilnehmer das Manifest an, die Koestlers Positionen bis dahin ablehnend gegenübergestanden hatten. Der aus dem Koreakrieg erwachsende Solidaritätsdruck erwies sich als so mächtig, daß ein öffentlicher Eklat, den die kommunistische Propaganda bestimmt zu nutzen gewußt hätte, auf alle Fälle vermieden werden mußte. Inhaltlich war die am Ende genehmigte Fassung denn auch weitestgehend auf Konsens abgestellt.145 Koestler und Sperber hatten eine Deklaration in der Tradition der Allgemeinen Erklärung der Menschemechte von 1789 und der amerikanischen „Bill of Rights" von 1791 geplant. Im Zentrum des Textes stand das Freiheitsideal in allen denkbaren Variationen, der Begriff taucht 18mal auf. Allerdings wurde im Vergleich zum Entwurf der Terminus „freedom" mit seiner betont individualistischen Komponente durch „liberty" im Sinne freiheitlicher Privilegien gegenüber der Staatsgewalt ersetzt. Zusätzlich wurden die Punkte 11-14 neu eingefügt, Punkt 2 straffer formuliert. In Punkt 3 bereitet
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142 143 144 145
Melvin J. Lasky an Ignazio Silone vom 19.4.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 10, Folder 8. Melvin I Lasky an Nicola Chiaromonte vom 15.4.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 1, Folder 9. I. Hamilton: Koestler, S. 177; A.M. Corbin-Schuffels: Von Berlin nach Berlin, S. If. und S. 5; s.v.a. „Draft for a Manifesto of the Congress for intellectual Freedom" o.D (vermutlich Juni
1950), NL Sperber, ÖNB/ÖLA, Mappe 511. A. Koestler/C. Koestler: Stranger, S. 93, wo übrigens von Manès Sperber nicht mehr die Rede ist. I. Hamilton: Koestler, S. 179 und S. 190. Zumindest findet sich im NL Schmid, AdSD, Bd. 1827 ein von Schmid mit handschriftlichen Notizen versehenes Exemplar der Rohfassung des Manifestes. In der Folge stützen wir uns auf die ausführliche ideengeschichtliche Analyse, die A.M. CorbinSchuffels: Von Berlin nach Berlin, S. 6-9, vorgelegt hat; vgl. F. Mever: „Auch die Wahrheit bedarf der Propaganda", S 38.
2. Der Verlauf des Kongresses
243
wurde der Begriff „supra-national authority" zugunsten von „representative international authority" abgeschwächt und damit nationalen Vorbehalten gegenüber einem weitgefaßten internationalistischen Kosmopolitismus Rechnung getragen. Punkt 5 der ursprünglichen Fassung hatte gelautet: „Totalitarian ideologies which deny the right of intellectual freedom have no right of citizenship within the republic of the spirit", ein Passus, der nun ganz gestrichen wurde. Dafür blieb der umstrittene Punkt 7 auch im Text der abschließenden Fassung, und zwar im ursprünglichen Sinn: Den Feinden der Freiheit sollten für einen eingeschränkten Zeitraum punktuell Rechte entzogen werden können, um die Freiheit zu schützen. In Punkt 5 wurde hingegen auf das Toleranzideal Voltaires Bezug genommen, ein potentieller Widersprach, der nicht aufgelöst wurde. In Opposition zu den „Friedenspartisanen" wurde in Punkt 3 die Identität von Frieden und Freiheit hervorgehoben und das System der kollektiven Sicherheit aus dem „Wilsonian Internationalism" der amerikanischen „liberals" übernommen. Punkt 6 betonte zusätzlich pragmatistische Ideale, indem Freiheit als zutiefst konkreter Begriff gefaßt wurde, der nie ausschließlich ideell-innerlich verstanden werden dürfe, und außerdem betont wurde, daß es keine Weltanschauung gäbe, die den Anspruch erheben könne, endgültige Antworten gerade im gesellschaftlichen Bereich zu liefern. Insgesamt wurde also einem weithin konsensfähigen, individualistischaufgeklärten Antikommunismus das Wort geredet, innerhalb dessen allein dem Punkt 7 einige Skepsis entgegengebracht werden konnte. Im Vergleich zum Origtaalentwurf war es zu deutlich weniger scharfen Formulierungen gekommen, und schon deshalb war es für Josselson und seine Auftraggeber sinnvoll, das Manifest sozusagen im Modus des Gewährenlassens zu akzeptieren, ohne dadurch in Widersprach zu den eigenen Zielen zu geraten. Mit dem Manifest wurde, dies sei nur nebenbei bemerkt, weiterhin eine Tradition aus dem KOMINTERN/KOMINFORM-Bereich übernommen, ein zusätzlicher Beleg für die konzeptionelle Abhängigkeit des CCF von seinen kommunistischen Vorbildern. Das Prinzip der staatlichen amerikanischen Stellen, den Kongreß nur indirekt und überaus zurückhaltend zu steuern und sich ansonsten auf das Leitungstalent Josselsons und die vorab gegebene weltanschauliche Harmonie der Mitglieder zu verlassen, wurde sogar angewendet, als es um die Frage nach der Perpetuierung des Kongresses in Form einer Organisation mit weltweitem
Aktionsanspruch ging.
Es wurde oben darauf hingewiesen, daß State Departund CIA durchaus ein Interesse daran hatten, aus einem einmaligen Treffen westlicher Intellektueller eine dauerhaft wirksame Gruppe zu formen. Wiederum blieb es Arthur Koestler vorbehalten, diesen Gedanken vom ersten Tag des Kongresses an öffentlich zu propagieren und zwar in einer recht konkreten Variante, die sich vergleichsweise genau dem organisatorischen Muster näherte, dessen sich der CCF in der Folge bedienen sollte: Koestler ment
244
IV. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit" Berlin 1950 -
Vorschlag auf, eine Organisation mit zwei Sekretariaten, einem in Paris und einem in Berlin, zu schaffen, die dazu dienen sollte, intellektuelle Zeitschriften zu finanzieren.146 Für Koestler scheint dies keinen Widersprach zu dem Konzept einer relativen Massenbewegung dargestellt wartete nämlich mit dem
haben, ebensowenig scheint
Gegensatz zu politischem Aktionismus verstanden zu haben. Dies zeigt beispielsweise ein von ihm noch im Verlauf des Berliner Kongresses dem NWDR gegebenes Interview, in welchem er einen internationalen Kreuzzug gegen den östlichen Totalitarismus verlangte.147 Auch sein wenig später im „Monat" veröffentlichter Vorschlag einer europäischen Freiheitslegion deutet an, daß Koestlers Konzept eher in die aktionistische Richtung ging. Dessen ungeachtet bewirkte sein Vorschlag nach einer gewissen Übergangszeit das Gegenteil von dem, was er ursprünglich einmal intendiert hatte, um genau an dem Punkt zu enden, den wir etwas spekulativ als Ziel der US-Initiatoren erschlossen haben. Wieder war es der Ausbrach des Koreakrieges, verbunden mit dem Gefühl, an einer insgesamt recht erfolgreichen Veranstaltung teilgenommen zu haben, der am Ende die Perpetuierung ermöglichte.148 Der schließlich allgemein akzeptierte Vorschlag, den Kongreß in eine dauerhafte Organisation umzuwandeln, wurde dann aber nicht von Koestler, sondern von Charles Plisnier und Nicolas Nabokov eingebracht.149 Aus den Reihen der Kongreßteilnehmer zu
ihn als
-
er
-
wurden ein aus fünf Personen150 bestehendes Exekutivkomitee sowie eine 25 Personen umfassende Kommission gebildet, der unter anderen Julian Amery, James Burnham, Irving Brown, Pablo Casals, Sidney Hook, Arthur Koestler, Eugen Kogon, Haakon Lie, François Muariac, Theodor Plievier, Denis de Rougemont, David Rousset, Ignazio Silone, Thornton Wilder151 und André Philip angehörten, das heißt Repräsentanten aller auf dem Berliner Kongreß zu 146 147 148
i49
I. Hamilton: Koestler, S. 187. Vgl. F. Meyer: „Auch die Wahrheit bedarf der Propaganda", S. 38. Vgl. allerdings Melvin J. Lasky an Frank Altschul (National Committee for a Free Europe) und Melvin J. Lasky an James Alsop vom 2.8.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 1, Folder 1, wo, wenn auch unter eher propagandatechnischen Gesichtspunkten, bedauert wird, daß der Koreakrieg den Kongreß von den Titelblättern der großen Zeitungen verdrängt habe. Auf der anderen Seite weist Lasky in beiden Briefen auf den Zusammenhang mit der „Crusade for Freedom" und der „American truth campaign" hin und erklärt, die Fortsetzung des Kongresses könne jetzt m Angriff genommen werden. Nachrichten vom Kongreß für kulturelle Freiheit vom 4 6.1950, NL Schmid, AdSD, Bd. 1827; vgl. F. Meyer: „Auch die Wahrheit bedarf der Propaganda", S. 38 und H. Spiel: Welche Welt?, S. 229.
150
151
Ignazio Silone, Arthur Koestler, David Rousset, Carlo Schmid und Irving Brown. Beachtenswert ist, daß mit Brown nur ein einziger Amerikaner in diesem Komitee vertreten war, der allerdings als Abgesandter der AFL für die Finanzierung des CCF unabdingbar erschien. Auf Vorschlag von Arthur M. Schlesinger jr., der Wilder als politisch unbedeutend und nicht effektiv genug einschätzte, wurde dann Reinhold Niebuhr, der Vizepräsident der ADA wegen seiner politischen Verbindungen als amerikanischer Vertreter in das Internationale Exekutivkomitee des CCF aufgenommen, s. Arthur M. Schlesinger an Melvin J. Lasky vom 18.7.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 5, Folder 1.
2. Der Verlauf des Kongresses
245
Worte gekommenen Richtungen.152 Kommission und Exekutivkomitee stellten den Kern des bald installierten Internationalen Exekutivkomitees des CCF dar. Abgesehen von dem Manifest und dem Beschluß, sich als dauerhafte Organisation zu konstituieren, verfaßten die Teilnehmer des „Kongresses für kulturelle Freiheit" eine „Botschaft an die Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler hinter dem Eisernen Vorhang", in der sie erneut ausdrücklich betonten: „Wir sind von der tiefen Überzeugung dmchdrungen, daß das Problem der Freiheit der heute von der Stalinschen Diktatur versklavten Völker und das Problem der Sicherung der Freiheit und des Friedens in der ganzen Welt untrennbar miteinander verbunden sind." In diesen wenigen Worten lag die Essenz des moralischen Antikommunismus, von dem der frühe CCF so intensiv geprägt war. Um dem antitotalitären Prinzip Genüge zu tun, wurde noch eine „Botschaft an Spanien" hinzugefügt, die sehr knapp gehalten der Hoffnung Ausdruck verlieh, die Spanier möglichst bald wieder im Kreis freier Völker begrüßen zu dürfen. Das ungleiche Gewicht beider Deklarationen ist unschwer zu erkennen und entspricht exakt dem Grundanliegen des frühen CCF. Innerhalb des antitotalitären Rahmens, den man durchaus ernst nahm, kam dem Stalinismus als unmittelbar bedrohlich empfundenem Faktor der erste Rang zu. Die Arbeit gegen überwundene oder noch existente Feinde im rechten politischen Lager wurde hingegen konsequent zurückgestellt, ohne aber je zur Gänze vernachlässigt zu werden. Auch dies war eher Ausfluß realer politischer Gegebenheiten, denn Ausdruck eines Mangels an politischem Bewußtsein oder gar
Ergebnis manipulativer Akte. Den Schlußpunkt des Kongreßgeschehens setzte wiederum Arthur Koestler. Nachdem Eugen Kogon, David Rousset, Julian Amery, Ignazio Silone, Boris Nicolajewski, Carlo Schmid, German Arcienegas und Irving Brown in der Schlußkundgebung vom 30. Juni vor den rund 15.000 Zuhörern im Sommergar-
Westberliner Funkturm die weltanschauliche und internationale Vielfalt, die auf dem Kongreß ihren Ausdruck hatte finden sollen, einer breiteren Öffentlichkeit demonstriert hatten, ergriffen noch einmal Lasky und Koestler das Wort. Während Lasky die beiden Schlußdeklarationen des Kongresses zu Gehör brachte, verlas Koestler das Manifest. Daraufhin beschloß er die Veranstaltung demonstrativ und programmatisch mit den Worten: „Freunde, die Freiheit hat die Offensive ergriffen!"153 Fast schien es, als hätte nach all den ten am
152 153
Frankfurter Rundschau vom 1.7.1950. Laut C. Schmid: Erinnerungen, S. 488, sind bald darauf auch Raymond Aron und Stephen Spender kooptiert worden. Der Monat, H. 22/23 (1950), S. 470-472, Zitat auf S. 472 Die Formulierung war, wie oben angemerkt, von Dwight Macdonald nach dem Erfolg der „Americans for Intellectual Freedom" im Ansatz vorgeprägt worden. Auch bei Melvin Lasky klingt sie gelegentlich bereits im Vorfeld von Berlin 1950 an, s. Melvin J. Lasky an Walter Dirks vom 10.3.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 1, Folder 13: „Es hat mich schon immer gestört, daß wir zwar stets davon sprachen, in die Offensive gehen zu müssen, aber niemals so weit kamen, die Initiative zu ergreifen." Mit seinen Worten gab Koestler also in der Tat einer im Bereich der linken Anti-
246
IV. Der
„Kongreß für Kulturelle Freiheit"
Berlin 1950 -
Tage doch noch Koestlers aktionistische Kondes offenen und zeption aggressiven Kampfes gegen den Kommunismus einen Kontroversen der vergangenen
unbedingten Sieg errungen.
Doch in den aufbrausenden Jubel der Westberliner Bevölkerung hinein keimten bereits erste Zweifel. Die Phalanx der Kritiker des Koestler-Kurses saß immer noch in den Reihen der britischen Delegation. Sicher konnten Ayer oder Trevor-Roper Koestlers Freiheitsbegriff eben noch akzeptieren, hatten doch auch sie dem Manifest zugestimmt, sein Konzept einer Offensive hingegen mußte sie bedenklich stimmen. Kaum waren die Kongreßteilnehmer auseinandergegangen, meldeten die Briten ihre Kritik dann in recht deutlicher Form und zum Teil in aller Öffentlichkeit an. Nicht wenige andere Delegierte schlössen sich ihnen an. Am schärfsten reagierte Hugh Trevor-Roper.154 Er warf zwei Punkte auf, an denen er seine Unzufriedenheit explizierte: Im Vordergrund stand der Verbalradikalismus Arthur Koestlers, seine undifferenzierte, agitatorische und polemische Argumentation. Damit verknüpfte Trevor-Roper dann aber zusätzlich ein Problem, das für einen Teil der britischen Reaktionen typisch werden sollte, nämlich das Verhalten der deutschen Zuhörer, denen der Historiker vorwarf, sich in eine Form antikommunistischer Hysterie hineingesteigert zu haben, die dem Stil der Nürnberger Parteitage entsprochen habe. Nie seien liberale Passagen in den Reden von den Deutschen so mit Beifall bedacht worden, wie die radikalantikommunistischen Ausfalle Koestlers. Berlin sei nichts anderes gewesen als ein umgekehrtes Breslau, also eine reine Propagandaveranstaltung, wenn auch diesmal unter antikommunistischen Vorzeichen. Noch deutlicher wurde Trevor-Roper in einem privaten Brief an Lasky, der insbesondere seine Vorbehalte gegen die theoretischen Prämissen der „reorientation" klar zum Ausdruck brachte. In seinen Augen sei es unverantwortlich und romantisch davon auszugehen, daß es in Deutschland irgendeine repräsentative Gruppe gäbe, deren Mehrheit „naturally liberal" sei. Der gewissermaßen angeborene und damit irreversible deutsche Nationalismus sei mit der westlich-liberalen Wertewelt schlechterdings unvereinbar. Solche apodiktisch angenommenen Unvereinbarkeiten würden durch den von Koestler, Burnham und Borkenau propagierten radikalen Antikommunismus nur überdeckt werden.155 Ähnlich kritisch im Verhältnis zur Koestler-Grappe, aber den Deutschen gegenüber insgesamt positiver eingestellt, äußerte sich auch Peter de Mendelssohn.156 Deudich verhaltener war die Kritik von A.J. Ayer, der in privatem Rahmen nur beklagte, die Konferenz sei für seinen Geschmack zu wenig -
-
154 155 156
kommunisten weit verbreiteten Hoffnung Ausdruck Manchester Guardian vom 10.7.1950. Hugh R. Trevor-Roper an Melvin J. Lasky vom 28.7.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 5, Folder 6. The New Statsman and Nation vom 22 8 1950.
2. Der Verlaufdes Kongresses
247
akademisch gewesen, sich gegenüber der Presse aber nicht weiter äußerte.157 Drehte sich die britische Kritik vornehmlich um den Radikalismus der Koestler-Gruppe und die Unzufriedenheit mit dem milden „re-orientation"Konzept im Umgang mit den Deutschen, beklagten amerikanische Negativreaktionen auf den Kongreß in Berlin eher moralische Leere und mangelnde Effizienz,158 obgleich Trevor-Ropers Argumentation zum Teil übernommen wurde.159 Von Seiten der französischen Regierung kam es intern zu einer vergleichsweise despektierlichen Einschätzung des Nutzens, den man sich vom CCF erwarten durfte, der Berliner Kongreß selber wurde weniger skeptisch beurteilt.160 Die französischen Pressereaktionen hingen naturgemäß vom Standpunkt der jeweiligen Zeitung ab. „Combat", Sartre nahestehend, warf Koestler und den USA totalitäre Tendenzen vor, die CCF-nahen Journalisten Georges Altmann und Remy Rome zeichneten ein eher positives Bild.161 Weder die Amerikaner noch die Franzosen transportierten jedoch jenes antideutsche Ressentiment, das in der britischen Diskussion eine so herausragende Rolle
spielte.
Es fiel
Sidney Hook zu, auf die von Trevor-Roper aufgeworfene Kritik zu seiner Replik an den „Manchester Guardian"162 bemühte er sich,
antworten. In
die
Manifest lautgewordene Kritik durch den Hinweis auf die freie Gesprächs- und Diskussionsatmosphäre in Berlin zu entkräften. Auf die Rolle der Deutschen ging er dabei jedoch nicht ein.163 Intern beklagten sich die Veranstalter über die negativen Reaktionen vor allem aus liberalen Kreisen Großbritanniens, von denen man eigentlich anderes erwartet hatte.164 Gelegentlich gingen sie sogar weiter und versuchten, kritische Berichterstattung zu behindern. So empfahl Lasky Hans Wallenberg im Dezember 1951, also nicht mehr im 157
am
Alfred J.
Ayer an Melvin J. Lasky vom 6.7.1950 und vom 3.8.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-
Records, Box 1, Folder 2. Ayer hofft sogar in dem
ersten
Brief, daß seine Kritik nicht die
legitimen Grenzen der Opposition überschritten habe und betont, er habe die Veranstaltung sehr
158
genossen. Max Ascoli („The Reporter") an Melvin J. Lasky vom 30.8.1950, UoC-Archiv, „Der MonafRecords, Box 1, Folder 2: „So I can say to you that there is a sense of moral emptiness, of professional egotism, in the resolution that was passed by the Congress that disturbs me deeply and, I am afraid, hampers the usefulness of what is accomplished through the cooperation of the
intellectuals." 159 160 161 162 163 164
The Nation vom 5.8.1950, wobei der den Deutschen gegenüber kritische Aspekt nicht so deutlich hervortrat. Vgl. A.M. Corbin-Schuffels: Von Berlin nach Berlin, S. 11. Der Monat, H. 22/23 ( 1950), S. 489. Sidney Hook an „Manchester Guardian" vom 3.8.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 2, Folder 11. Erst in seinen Memoiren hob er die Rolle der Westberliner ausgesprochen positiv hervor, vgl. S. Hook: Out of Step, S. 436. Melvin J. Lasky an Arthur M. Schlesinger jr. vom 26.7.1950, UoC-Archiv, „Der MonafRecords, Box 5, Folder 1; vgl. Annelene von Caprivi an Carlo Schmid vom 2.8.1950, NL Schmid, AdSD, Bd. 1827, die feststellte, de Mendelssohn und Trevor-Roper täten alles, um dem Kongreß „eins auszuwischen".
248
IV. Der
„Kongreß für Kulturelle Freiheit" Berlin
1950
-
unmittelbaren Zusammenhang mit dem Berliner Kongreß, dafür aber in der frühen Konsolidierungsphase der daraus resultierenden Organisation, man solle Golo Manns Kritk an Arthur Koestler nicht zuviel Raum geben, da Koestler das wichtigste ideologische Kapital des CCF darstelle. Wallenberg stimmte dem zu und bemerkte, er habe den entsprechenden Artikel Manns bewußt im Feuilleton und nicht im politischen Teil der „Neuen Zeitung" abdrucken lassen, womit die Rezeption behindert wurde.165 In Westdeutschland wurde der Kongreß überwiegend positiv aufgenommen. Ausnahmen bildeten der katholisch-konservative „Rheinische Merkur", der die mangelnde Christlichkeit der Konferenzteilnehmer kritisierte, und die protestantische Wochenzeitung „Christ und Welt", die sich am Aufklärungsduktus des Kongresses stieß.166 Ansonsten wurde, fast als wolle man Trevor-Ropers Vorbehalte noch einmal bestätigen, allenfalls vermerkt, der Antikommunismus der Berliner Veranstaltung sei zu nuanciert ausgefallen.167 Ausnahmen im Heer der in ihrer Mehrheit von antikommunistischen Positionen ebenso wie von einem eher formal verstandenen Freiheitsbegriff gekennzeichneten deutschen Reaktionen bildeten Harry Pross, der seine Vorbehalte jedoch wie Ayer privat übermittelte,168 und Dolf Stemberger. Stemberger bezog deutlich gegen Koest-
165
166 167
MelvinJ. Lasky an Hans Wallenberg vom 27.12.1951 und Hans Wallenberg an Melvin J. Lasky vom 30.12.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 7, Folder 4. Der Monat, H. 22/23 (1950), S. 486f. Vgl. das deutsche Presseecho in: Der Monat, H. 22/23 (1950), S. 484-487, s. bes. S. 485f. Karl Kom ging in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 3.7.1950 noch ein Stück weiter, als er behauptete: „Es wäre verkehrt, anzunehmen, daß sich auf dem Kongreß etwa zwei Richtungen herausgebildet hätten, eine intransigente, scharf aufeine Offensive der Intellektuellen drängende, und eine andere, gemäßigtere. Im Gegenteil, es henschte Einigkeit über die wesentlichen Punkte: daß es keine Neutralität gegenüber der totalitären Macht geben kann,..." Im Monat, ebda., S. 486, wurde dies als „wesentlich differenzierter" als andere vom Antikommunismus gekennzeichnete Artikel bewertet. Sicher hatte Kom recht, wenn er auf den generellen antikommunistischen Konsens aller Teilnehmer hinwies, dennoch ging es den Kritikern weniger um die Frage nach dem Antikommunismus als solchem, sondern vielmehr darum, wie man sich in der Auseinandersetzung mit dem Stalinismus konkret zu verhalten habe und welche Rhetorik dabei zu
168
verantworten war.
Pross glaubte insbes., daß die Rhetorik der radikalen Antikommunisten die Gefahr eines atomar ausgetragenen Konfliktes mit sich brächte und fuhr dann fort: „Als Herr Koestler mit rhetorischer Gewandtheit ohnegleichen gegen die Halbjungfrauen der Demokratie vom Leder zog, hoffte ich, er würde auch ein Wort gegen die Huren und Zuhälter der Demokratie finden, nämlich gegen jene, die die Sache der Freiheit prostituieren und im Namen der Demokratie undemokratisch vorgehen." Auch seien die Franzosen nur unzureichend berücksichtigt worden, ihre Delegation habe in keiner Weise das französische Geistesleben wiedergegeben. Dennoch, so Pross' Resümee, sei trotz der „Vertreter des totalitären Antikommunismus" eine solche antikommunistische Veranstaltung sinnvoll und notwendig gewesen. S. Harry Pross an Melvin J. Lasky vom 7.7.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 4, Folder 3. Als Pross sich ein Jahr später in der „Tat" für eine „Ostpolitik ohne Kreuzzugshysterie" aussprach, kam augenblicklich eine scharfe Reaktion Laskys, der erwiderte, hysterisch seien jene, die die Unfreiheit im Osten akzeptierten und bei allen Versuchen, diesen ungerechten Zustand zu beenden, immer nur von Hysterie sprächen, vgl. Melvin J. Lasky an Harry Pross vom 27.12.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 14, Folder 3.
2. Der Verlauf des
Kongresses
249
1er Stellung und kritisierte indirekt die Perpetuierung des Kongresses als Organisation, indem er auf die Gefahren aufmerksam machte, die von allen Ver-
suchen ausgingen, individualistische Intellektuelle organisatorisch zu disziplinieren. Im Gegenzug trat er für einen am Individuum orientierten „Wettstreit der Ideen" ein und propagierte offen den von Silone und Trevor-Roper favorisierten Wahrheitsrelativismus gegenüber jeder Form dogmatischen Denkens.169 Es ist jedoch deutlich hervorzuheben, daß es Sternberger, ebenso wie den Initiatoren des Kongresses, nicht um den quietistisch-unpolitischen Intellektuellen im Sinne deutscher Tradition ging, sondern um einen an angelsächsischen Vorbildern orientierten, individualistischen Verhaltenskodex. Wie im Falle Trevor-Ropers zeigten sich Lasky und Jaesrich von Sternbergers dezent kritischer Darstellung wenig erfreut. Jaesrich bat daraufhin Rudolf Pechel, er möge seinen Beitrag in der „Deutschen Rundschau" angemessen positiv verfassen, was dann auch geschah.170 Dies fiel Pechel umso leichter, als er fest davon überzeugt war, daß nur ehemalige Kommunisten wirklich die Gefahr verstünden, die von einer Expansion des Stalinismus ausginge.171 Neben Pechel war es dann besonders Carlo Schmid, der für eine positive Darstellung des Kongreßgeschehens in der deutschen Presse Sorge trug.172 Zusammenfassend und etwas vergröbernd könnte man im Hinblick auf die westliche Kritik am Kongreß, die in dieser Phase übrigens durchweg minoritär blieb, sagen, daß über alle Grenzen hinweg jeweils eine gemeinsame Komponente mit einer jeweils nationalen Komponente verbunden wurde. Von den wenigen deutschen Stimmen abgesehen, die zugunsten eines radikaler antikommunstischen Kongreß laut wurden, überwogen mißbilligende Stimmen gegenüber der von Arthur Koestler verfochtenen scharfen Linie. Oft wurden die Exkommunisten als verbitterte Renegaten gezeichnet, wobei übersehen wurde, daß auch Koestlers bedeutendste Gegenspieler (wie Silone) Exkommunisten waren.173 Ansonsten fiel die Reaktion in Großbritannien unverhohlen antideutsch und versteckt antiamerikanisch aus,174 in Frankreich bevorzugt antiamerikanisch, während in den USA die linken New Dealer noch einmal versuchten, die Vorherrschaft der rechten New Dealer abzuschwächen. Derartigen, nur in Großbritannien und Frankreich ein wirklich relevantes Meinungsspektrum wiedergebenden Diskussionen zum Trotz konnten die Amerikaner mit dem Kongreß und dem publizistischen Echo darauf durchaus 169 170 171
D. Sternberger: Intellektuelle, S. 10. Hellmuth Jaesrich an Rudolf Pechel vom 11.8.1950, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100. Rudolf Pechel an Ruth Fischer vom 10.8.1950, BA Koblenz, NL 160 (Pechel II), Schachtel Bd. 94.
172 173 174
Vgl. die Artikel Schmids zum Berliner „Kongreß für kulturelle Freiheit" in NL Schmid, AdSD, Bd. 89. Der Monat, H. 22/23 ( 1950), S. 491. Rainer Hildebrandt (KgU) an Melvin J. Lasky vom 15.10.1950, UoC-Archiv, „Der MonafRecords, Box 12, Folder 9.
250
IV. Der
„Kongreß für Kulturelle Freiheit"
Berlin 1950 -
zufrieden sein. Damit bestätigten sich Hoffnungen, die Fox Kohler von „Voice of America" schon im Vorfeld geäußert hatte, daß der Berliner Kongreß nämlich außerordentliche propagandistische und ideologische Möglichkeiten für die
Verbreitung freiheidicher Ideen hinter dem Eisernen Vorhang mit sich bringen
würde.175 Mehr noch galt dies für die Resultate innerhalb des Westens, obschon
der Ausbrach des Koreakrieges hier sicher kontraproduktiv gewirkt hatte. Auch von Seiten der ADA zeigte man sich positiv angetan von den Ergebnissen des InteUektuellentreffens, wenn auch mit Vorbehalten. Zum einen kritisierte James T. Farrell, der ADA-Beobachter auf der Berliner Versammlung wie so viele andere den Kurs der Koesder-Grappe,176 zum anderen störte sich der Londoner ADA-Vertreter David C. Williams an den Versuchen kapitalistischer und konservativer Kreise, die die sozialistischen Teilnehmer im Verlaufe des Kongresses gelegentlich der mangelnden Zusammenarbeit im Kampf gegen die Kommunisten bezichtigt hätten, was ihn vor allem ärgerte, weil er ausgerechnet den Konservativen mangelndes Engagement in diesem Konflikt vorwarf.177 Doch waren diese Einschränkungen weder mit der deutlich fundamentaleren Kritik aus dem Umfeld von Trevor-Roper zu vergleichen, noch minderten sie den grundsätzlichen Wert des Kongresses in den Augen der amerikanischen antikommunistisch-liberalen Intellektuellen und Politiker. Den eigenen Erfolg vermochte man nicht zuletzt an der oft ungeschickten Reaktion der kommunistischen Führung in Ostberlin und Moskau abzulesen. Dort hatte man zweigleisig auf den „Kongreß für kulturelle Freiheit" zu reagieren versucht. Einerseits war, um das westliche Unternehmen publizistisch zu konterkarieren, eilends eine eigene Schriftstellertagung nach Ostberlin einbestellt worden, die sich allerdings unter propagandistischen Gesichtspunkten als „Fiasko"178 erwies. An dem Treffen vom 5. bis zum 7. Juli 1950, das eine Kundgebung Bechers während des eigentlichen Kongresses ergänzte, nahmen zwar mit Becher, Klaus Gysi, Bodo Uhse, Stefan Hermita und Arnold Zweig prominente ostdeutsche Literaten und Kulturpolitiker teil, doch fand es in der Westpresse kaum Erwähnung, und zur Abschlußkundgebung erschienen angeblich nur 300 Menschen, woraufhin sie abgebrochen wurde. Noch ungeschickter verfuhr man während des Kongresses, als Havemann und Hollitscher eine von Lasky und Hook angebotene Diskussion einfach verweigerten und der westlichen Presse die Möglichkeit gegeben wurde, sich breit darüber auszulassen, daß die Kommunisten offenbar in einer freien Diskussion eine Niederlage
175 176 177 178
(Chief International Broadcasting Division der Voice of America) an Melvin J. Lasky vom 8.6.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 9, Folder 6. Vgl. P. Grémion: Berlin 1950, S. 270. David C. Williams an Melvin J. Lasky vom 20.9.1950, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 45, Fox D. Kohler
Folder 9. Vgl Nachrichten des AdSD.Bd. 1827.
Kongresses ftlr kulturelle
Freiheit Nr. 1
vom
12.7.1950, NL Schmid,
251
2. Der Verlauf des Kongresses
befürchteten.179 Andererseits fuhr
man mit der vor Beginn von Laskys VerTaktik anstaltung eingeschlagenen grobianischer Beschimpfung der Veranstalter und einiger Teilnehmer fort, wobei sich Gerhart Eisler, der Bruder von Ruth Fischer, aber auch Johannes R. Becher hervortaten.180 Auch der SED-Pressedienst hielt sich an die bestehende propagandistische Sprachregelung, wonach der CIC-Spitzel Lasky den Kongreß durchgeführt habe, um die Völker Europas in den Krieg zu treiben. Neu an dieser Argumentation, die auf denselben Kalkülen beruhte, wie die Tätigkeit der „Weltfriedenspartisanen", war allenfalls, daß James Burnham zusätzlich zum „Kannibalen" avancierte.181 Dem Grobianismus der östlichen Presse gelang es sogar, die Redebeiträge von Koestler oder Burnham auf dem Kongreß deutlich an Schärfe zu überbieten. Über alles Bestreben hinweg, die andere Seite persönlich zu verunglimpfen, blieb der stete Hinweis auf den US-amerikanischen Hintergrund der Tagung bedeutsam und propagandistisch zukunftsträchtig. Noch vier Jahre später, als der Hamburger Kongreß „Wissenschaft und Freiheit" stattfand, betonte die sowjetische Gegenpropaganda wieder und wieder die amerikanische Verantwortlichkeit in organisatorischer, finanzieller und weltanschaulicher Hinsicht, womit man im Grunde das Richtige getroffen hatte.182 Deutlich geschickter, differenzierter und platte Propagandaattitüde vermeidend, ging Bert Brecht vor, der wie Becher und der Kulturbund an die Teilnehmer des Kongresses einen „Offenen Brief richtete. Im Gegensatz zu Becher oder Eisler vermied Brecht persönliche Polemik und bemühte sich, den Blick auf den Zusammenhang von Freiheit, Kultur, Frieden und sozialer Frage zu lenken: „Sie sind zusammengekommen, um über die Zukunft der Freiheit zu beraten, der kulturellen, wie ich höre, der politischen und ökonomischen, wie ich hoffe. [...] Die Freiheit, sein Leben zu verbessern [...], ist die elementarste aller Freiheiten. Von ihr hängt die Entwicklung jeder Kultur ab, und es hat keinen Sinn, über Freiheit und Kultur zu sprechen, wenn nicht die Freiheit, das Leben zu verbessern, besprochen wird. Die erste Bedingung eines besseren Lebens ist dann der Friede, die Sicherheit des Friedens."183 -
179 180
181
182
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-
Telegrafvom 1.7.1950.
I. Hamilton: Koestler, S. 177. Zu Bechers Reaktionen vgl. das Kapitel über die Spaltung des deutschen PEN-Clubs, die unmittelbar aus diesen Vorgängen resultierte. Vgl. zusätzlich den „Offenen Briefdes Kulturbundes zur demokratischen Ordnung Deutschlands an die Teilnehmer am sogenannten .Kongreß für kulturelle Freiheit'" in: Tägliche Rundschau vom 25.6.1950. SED-Pressedienst vom 31.7.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 3, Folder 3. Ansonsten geht es in dem Artikel vornehmlich um westliche Journalisten, die hohe Honorare bekämen, um die Völker der Welt in die atomare Vernichtung zu treiben. Vgl. Tägliche Rundschau vom 2.7.1950 und die Reaktionen darauf in: Neue Zeitung vom 2 7.1950.
Vgl. die übersetzte Version eines nicht näher gekennzeichneten Artikels aus der sowj. Zeitschrift Voprosy Filosofii 5 (1954), O.S. im IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 200, Folder 3: „The American sponsors of this organization face the task of producing ideological confusion among men of science and culture and to disseminate imperialist propaganda among the Soviet .intelligentsia' ..." Damit erkannten die Sowjets den nach außen gerichteten Aspekt der US-amerikanischen Tätigkeiten vermittels des CCF recht exakt, ohne jedoch Wege zu einer wirklich inhaltlichen Aussage zu finden Zit. n. K. Wagenbach/W. Stephan/M. Krüger (Hg.): Vaterland, Muttersprache, S. 96f.
252
IV. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit" Berlin 1950 -
Bei aller erkennbaren Nähe zu stalinistischer Friedensdiktion berührte Brecht mit seinem Brief doch einen wunden Punkt, weniger in der überwiegend sozialreformistischen Weltanschauung der „non-Communist left", die sich in Berlin versammelte, sondern in der Praxis des Kongresses und des CCF, wo die Reflexion sozialer Probleme in der westlichen Welt und ihrer systemimmanenten Ursächlichkeiten immer wieder Gefahr lief, zu einem bloßen Randthema zu
verkümmern.184
Insgesamt jedoch erwies sich die Berliner Veranstaltung als ein echter Erfolg des westlichen Lagers in der propagandistischen und ideologischen Auseinandersetzung des Kalten Krieges. Es war in der Tat gelungen, der Weltfriedensbewegung erstmals seit New York und mit der Aussicht auf organisatorische Konstanz auf westiicher Seite publizistisch den Rang abzulaufen. Der Kongreß hatte bewiesen, daß es möglich war, die informellen und personal orientierten Netzwerke der westlichen, linken, antikommunistischen Intellektuellen Nordamerikas und Westeuropas gestalterisch zu nutzen und indirekt von Regierangsseite her zu instrumentalisieren, wobei der Koreakrieg so gesehen den idealen Hintergrund für das Geschehen in Berlin bot. Zusätzlich allerdings zeigte der „Kongreß für kulturelle Freiheit" zwei für die entstehende Organisation wichtige Problemfelder auf, eines im internen Bereich der Intellektuellen, das andere auf dem Gebiet der indirekten Steuerung durch amtliche US-Stellen. Innerhalb der Intellektuellen, die in der Folge den CCF tragen sollten, herrschte weithin Unklarheit über das inhaltliche und organisatorische Gesicht der neuen „Agentur des Kalten Krieges". Moderate und charismatische Antikommunisten, Verfechter des Elitezirkelmodells und der relativen Massenbewegung beziehungsweise einer Kombination aus beiden Elementen rangen miteinander um Einfluß, ohne daß beide Felder deckungsgleich gewesen wären oder es eine klare konzeptionelle Linie auch nur innerhalb einer der angesprochenen Gruppen gegeben hätte. In dieser Situation interner Unklarheit ist es bemerkenswert, wie wenig aktiv anfangs die staatlichen Stellen der Amerikaner ihre Vorstellungen von einem moderat antikommunistischen, meinungsbildenden Wertelitenzirkel in Form eines transatlantischen intellektuellen Netzwerkes der „non-Communist left", dem man dann die Aufgabe systemstabilisierenden Ideologietransfers hätte übertragen können, durchzusetzen versuchten. Man ließ im Gegenteil den Intellektuellen vergleichsweise großzügigen Freiraum, ihre eigenen, zur Not auch negativen Erfahrungen zu machen. Dies war nur möglich, weil man in Washington immer 184
Einzig die Britin Barbara Ward, deren Vortrag in Abwesenheit verlesen worden war, hatte dazu aufgerufen, sich erst einmal um die sozialen Probleme im Westen, um Konformismus und Standardisierung, zu kümmern, ehe man sich mit der Frage der Freiheit hinter dem Eisernen Vorhang übermäßig intensiv beschäftige, da diese dem eigenen Einfluß entzogen sei, was zu erzürnten Reaktionen von Margarethe Buber-Neumann und Elinor Lipper geführt hatte. Vgl. Der Monat, H. 22/23 (1950), S. 463. S. Hook: Out of Step, S. 441, verkürzt den Inhalt von Wards Beitrag derart, daß man den Eindruck bekommen könnte, sie sei ein „fellow-traveller" gewesen.
3.
253
„Moralischer Antitotalitarismus"
darauf vertrauen konnte, daß die Mitglieder des CCF bei allem Dissens im Detail in generellen ideologischen Fragen untereinander und mit der amerikanischen Politik übereinstimmten. Diese Art des Vorgehens läßt sich gerade im Zeitraum zwischen 1950 und 1952 recht gut aufweisen. Dank der flexiblen und zurückhaltenden Art des Umgangs der CIA und des State Departments mit den Intellektuellen im CCF gelang es schließlich, die Gruppe um Arthur Koestler ganz aus den Leitungsgremien des CCF zu drängen, womit dann ab 1953/55 genau die Organisation wie von selbst entstand, die eigentlich angestrebt worden war.
3. „Moralischer Antitotalitarismus": Die Weltanschauung des frühen „Kongresses für kulturelle Freiheit" Ehe es allerdings soweit war, daß sich die moderate und elitistische Linie innerhalb des CCF endgültig durchsetzte, machte die Organisation eine Phase durch, in der eine Form antikommunistischer Ideologie vertreten wurde, die sich zwar signifikant von den Inhalten der „amerikanischen Sendung" und des „Monat" abhob, ohne aber von beiden ganz unterschieden zu sein. Diese Phase setzte, grundgelegt seit 1947/48, 1950 ein und dauerte mindestens bis 1952, eher bis kurz nach dem Tode Stalins 1953, um dann organisatorisch wie inhaltlich in eine stagnative Periode zu münden, die bis 1955/56 währte. Kennzeichnend für den frühen Zeitraum war die Dominanz eines hochgradig moralisch aufgeladenen Antikommunismus, der zeitweilig sämtliche anderen ideologischen Komponenenten des „consensus liberalism" zu überlagern, wenn nicht sogar zu verdrängen drohte. Insofern folgte der CCF in nicht durchgehend glücklicher Konsequenz den in Berlin vorgegebenen politisch-ideologischen Linien. Die Gründe für dieses Verhalten ergaben sich aus dem politischen Rahmen, innerhalb dessen die CCF-Intellektuellen agierten, ebenso wie aus ihren lebensgeschichtlich bedingten Perzeptionsmöglichkeiten im Umgang mit dem Stalinismus: Die Stabilisierung Ostmitteleuropas, die Blockade Westberlins, der Sieg Maos in China, der Koreakrieg, der Konflikt um den Nordatlantikpakt und die Wiederbewafrhung der Bundesrepublik einerseits sowie der von der antikommunistischen Hysterie des altliberalen und konservativen Spektrums des antikommunistischen Konsenses ausgehende Konformitätsdruck, der in den USA im McCarthyismus kulminieren sollte, andererseits, schufen ein
Klima, das einer nuancierten Auseinandersetzung mit dem Kommunismus stalinistischer Herkunft nicht
unbedingt günstig
war.
Nicht zuletzt
Linksintellektuelle, die zuvor eine gewisse Nähe zum Kommunismus gehabt hatten, liefen Gefahr, sich vorwiegend als potentielle Opfer stalinistischer
Aggression oder Subversion wahrzunehmen und bauten sowohl ihre Lageanaly-
254
IV. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit"
Berlin 1950 -
se als auch ihre Handlungsoptionen nur zu oft auf dieser eingeschränkten Wahrnehmung auf. Dabei ging es nun nicht um eine Abkehr von den Inhalten des liberalen Konsenses, sondern um eine zeitbedingt pointierte Hinwendung zu den abgrenzend-negativen Aspekten der eigenen Ideologie. Daneben blieben, dies konnte anhand des Manifestes des CCF von 1950 gezeigt werden, altliberal-individualistische, pragmatistische und liberal-internationalistischkosmopolitische Ideologeme stets präsent, desgleichen Elemente gesellschaftlicher Reformforderungen. Derartig verkürzende Sichtweisen der konsensliberalen Ideologie lassen sich vornehmlich auf der internationalen Ebene
konstatieren, während im Bereich der deutschen Sektion oder des „Monat" die
Dinge oft wenigstens graduell anders lagen, da hier „re-orientation"-Perspektiven eine wichtige Rolle spielten. Diese unterschiedlichen Prioritäten zwischen
internationalem und deutschem CCF sollten nicht unwesentlich zum Ende des deutschen CCF beitragen. Pierre Grémion hat vor einiger Zeit festgestellt, der Versuch, antitotalitaristische Inhalte durchzusetzen, sei Hauptziel des CCF gewesen.185 Dies ist zumindest für den frühen CCF zwar vollkommen korrekt gesehen, allerdings mit der nicht ganz unmaßgeblichen Einschränkung, daß Antitotalitarismus vornehmlich als Antikommunismus verstanden wurde. Selbst so etwas wie der subtile Antifaschismus des US-amerikanischen „re-orientation"-Programms in Deutschland war im frühen CCF faktisch nicht zu finden. Als antitotalitäres Feigenblatt diente im Normalfall eine zurückhaltende Kritik am franquistischen Spanien, und sogar diese mußte von Salvador de Madariaga gelegentlich eigens angemahnt werden.186 Ansonsten stand der Antikommunismus für mindestens zwei Jahre in ausgesprochen dominanter Form im Vordergrund. Nicht nur europäische, sondern auch amerikanische ACCF- und CCF-Mitglieder waren nicht davor gefeit, die traditionelle Wertordnung des jungen Konsensliberalismus, inklusive der immer an konkreten Zuständen orientierten Freiheitsthematik, zugunsten einer antikommunistischen Position zu relativieren, die indes immer das Problem in sich barg, dem eigenen, weiterhin massiv postulierten Freiheitsbegriff de facto entgegenzustehen. Der klassische Antitotalitarismus der „New York Intellectuals" lief somit unversehens Gefahr, zu einem nur noch instrumenten verstandenen, praktisch aber zunehmend illiberal werdenden Faktor des breiten antikommunistischen Konsenses der westlichen Gesellschaften zu werden, womit zusätzlich der Ansprach der Konsensliberalen auf kulturelle Hegemonie im Westen deutlich relativiert worden wäre.'87 Die bloß anti185 186 187
P. Grémion: Berlin 1950, S. 273. Salvador de Madariaga an Melvin J. Lasky vom 20.10.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'Records, Box 3, Folder 8. Es darf aber nicht vergessen werden, daß der CCF zwischen 1950 und 1952/53 nicht der alleinige oder repräsentative Ausdruck der zumindest ínneramerikanischen kulturellen Hegemonie der „liberals" war. Seine selbstgewählte Aufgabe drängte ihn nur zeitweise m die beschriebene
Richtung.
3.
„Moralischer Antitotalitarismus"
255
kommunistisch-polemisch begründete neue Sichtweise der Weltlage lief, entgegen der im Rückblick etwa von Manès Sperber versuchten Rechtfertigungen,188 darauf hinaus, ähnlich dualistisch-manichäische Züge zu entwickeln, wie sie für das Denken der linksintellektuellen „fellow-travellers" der dreißiger
Jahre kennzeichnend gewesen waren. Der Kalte Krieg war in der Sicht des frühen CCF ein ideologischer Bürgerkrieg zwischen dem freien Westen und dem Totalitarismus in seiner aktuellen, also stalinistischen Variante.189 Der Gegner wurde dabei als monolithischer Block angesehen,190 dessen Weltanschauung von einigen Kongreßmitgliedern, allen voran Arthur Koestler, bevorzugt in die Nähe abnormer psychischer Zustände gerückt wurde. Über die Diskussion im „Monat", in deren Verlauf Koestler den Kommunismus als neurotischen Zustand zu beschreiben versuchte, wurde oben berichtet. Ausgehend von diesen Prämissen wurde dann gefolgert, daß es mit einem derart gefährlichen, aggressiven, geistig aber überaus unbeweglichen Gegner keinerlei Kompromisse geben dürfe,191 vor allem durften den Kommunisten keinerlei idealistische oder sonstwie ernstzunehmende Motive unterstellt werden.192 Auch Melvin Lasky hatte ausdrücklich festgehalten, es könne keinesfalls Ziel des „Kongresses für kulturelle Freiheit" sein, irgendwelche Brücken zum Kommunismus zu schlagen.193 Gegenüber 188
189
190
191
192
Memorandum Manes Sperber vom 16.3.1968, NL Sperber, ÖNB/ÖLA, Mappe 551, Bl. 1: „Yet, the Congress kept away from any manichaean position. We faught in the same time every brand of fascism as well as reactionary authoritarian regimes and McCarthyism and its likes." Vgl. S. Hook: Out of Step, S. 458f, der eine Liste von CCF-Aktionen der Jahre 1951-1956 bietet, in der u.a. Aktionen gegen die Exekution von 17 Farbigen in den USA ( 1951 ), die Aufnahme Spaniens in die UNESCO (1952) oder Proteste gegen das peronistische Regime in Argentinien (1951 und 1953) aufgeführt sind. Für 1951 findet sich jedoch auch ein CCF-Protest gegen Veit Harlan, der nicht vom internationalen CCF, sondern von Lasky und der deutschen Sektion ausging. Überdies wird eine Analyse der CCF-Publikationen jener Zeit noch zeigen, einen wie begrenzten Stellenwert nicht-antikommunistische Propaganda im CCF jener Jahre hatte. Plakat des Berliner „Kongresses für kulturelle Freiheit" (1950), NL Kogon: „Dort, wo die nationalistischen Diktaturen beseitigt wurden, ist man dabei, diese Rechte und Freiheiten wiederherzustellen. In einem Teil der Welt jedoch herrscht noch dogmatischer Zwang, und der .Kalte Krieg' ist zugleich ein ideologischer Bürgerkrieg." Manès Sperber: „Quelches remarques sur l'homme soviétique" (Vortrag vor der Pariser Sektion der „Amis de la Liberté" vom 19.12.1953, NL Sperber, ÖNB/ÖLA, Mappe 502, Bl. 1. Diese Schlußfolgerung findet sich beispielsweise bei Denis de Rougemont, der, wie Koestler, im Kommunismus eine kollektive Psychose sah, der gegenüber rationale Argumentation sinnlos sei. Der Totalitarismus sei der mißglückte Versuch, dem Unvermögen, mit der eigenen Freiheit
zurechtzukommen, durch Mythen und große Worte zu begegnen, dies aber habe der Westen nicht mehr nötig, s. Rede Denis de Rougemonts in Wien, o.D. (um 1950), IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 281, Folder 5. Der Kommunismus als Psychose taucht auch bei Sperber auf, vgl. Manès Sperber: „Quelques remarques sur l'homme soviétique" (Vortrag Sperbers vor der Pariser Sektion der „Amis de la Liberté" vom 19.12.1952), NL Sperber, ÖNB/ÖLA, Mappe 503, Bl. 11. Wie immer bes. radikal bei Torberg, der Ende der vierziger und zu Beginn der fünfziger Jahre aber noch den „main-stream" des CCF-Umfeldes wiedergibt. Dies änderte sich seit 1955, s Fnedrich Torberg an Eugen Kogon vom 2 12.1949, NL Torberg, ÖNB/ÖLA, Autogr. 1198/2-1
(Beilage).
256
IV. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit"
Berlin 1950 -
diesen primär negativ-abgrenzenden Gedankengängen beschränkte man sich im Hinblick auf die Selbstdarstellung des Westens oft auf eine vereinfachend positive Sicht liberaldemokratischer Werte. Mehr als in der deutschen Diskussion um die nationalsozialistische Vergangenheit vernachlässigten die meisten Konsensliberalen im CCF in dieser Zeit die Frage nach den innerliberalen Ursachen marxistischer Kritik am westlichen System und liefen damit Gefahr, Idealität und Realität unverbunden und inkohärent miteinander zu vergleichen. Hinzu trat eine inhaltlich nur begrenzt reflektierte Neigung, den Freiheitsbegriff ebenso formelhaft zu strapazieren, wie dies die östliche Seite mit dem Friedensbegriff tat. Dies lag zweifellos in dem Bemühen begründet, breitere Schichten innerhalb der westlichen Gesellschaften anzusprechen, weswegen die parallel durchaus vorhandenen gesellschaftskritischen und selbstkritischen Diskussionen konsensliberaler Intellektueller, die überwiegend dem CCF zumindest nahestanden, im Agitations- und Propagandakonzept des CCF keinen nennenswerten Niederschlag fanden. Immerhin übernahm der CCF die am deutschen Beispiel entwickelte und von Lasky stets vertretene Unterscheidung zwischen Partei- und Staatsführung auf der einen und nunmehr rassischem Volk auf der anderen Seite. Ahnliches galt dann natürlich auch für die anderen Staaten des Ostblocks.194 Eine solche Sicht der kommunistischen Welt als Ausdruck psychotischer oder neurotischer Irrationalität und aggressiver Modernisierungsverweigerung vorausgesetzt, war es nur folgerichtig, jedwede Form von Neutralismus oder Pazifismus als von vorneherein unmoralisch abzutun. Es war der Gegner in seiner spezifischen Eigenart, der zur konsequenten Entscheidung zwang. Wer sich dieser Entscheidung entzog, hatte offenbar keinen korrekten Einblick in das Wesen des laufenden Konfliktes und litt möglicherweise unter denselben intellektuellen oder moralischen Defekten wie die Kommunisten. Damit wurde die Konfrontation mit der Weltfriedensbewegung oder allen Formen von Nationalneutralismus unausweichlich. Wiederum, wie im Fall des Konfliktes mit den klassischen „fellow-travellers", bedurfte es keinerlei manipulativer Tätigkeit irgendwelcher regierangsamtlicher Stellen der USA, um die konsensliberalen Intellektuellen zum Handeln zu animieren. In ihren Augen kämpften sie seit Ende der dreißiger Jahre immer an der identischen Front, mochte der Gegner gelegentlich auch oberflächlich sein Antlitz wandeln. Und dieser Gegner -
193 194
-
Melvin J. Lasky an Salvador de Madanaga vom 17.3.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 9, Folder 11. Melvin J. Lasky an George Fischer vom 13.8.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 12, Folder 3; Vgl. Telegramm des Berliner CCF (unterzeichnet von Ernst Reuter, Rainer Hildebrandt, Willy Brandt, Edwin Redslob und Margarete Buber-Neumann) an George F Kennan vom 23.2.1951, ebda., Box 13, Folder 4: „Your approach to Russian question is inspiration to all our friends. It confirms hope for high Western moral leadership in struggle against totalitananism. The peoples of Russia and Eastern Europe are and will prove themselves noble allies in the fight for liberty."
3.
„Moralischer Antitotalitarismus"
257
verkörperte in seinem freiheitsfeindlichen Handeln ein absolut Böses, demgegenüber jede Form des Kompromisses immer als unethisch erscheinen mußte. Eine ganz andere Frage ist selbstverständlich, daß zwischen den CCFIntellektuellen und der US-Regierung bezogen auf den antikommunistischen Kampf eine nicht unerhebliche Interessenkoinzidenz bestand, die aber keinen Kausalzusammenhang zu implizieren vermag. Den geschlossensten Ausdruck fand der moralisch begründete, emphatisch vorgetragene antitotalitär-liberaldemokratische Antikommunismus des frühen
CCF in zwei Broschüren, die sich intensiv mit der Rolle der „Weltfriedenspartisanen" im Propagandakonzept der UdSSR und des KOMINFORM beschäftigten. Beide Broschüren195 waren ursprünglich für ein französisches Publikum entstanden und sollten dazu dienen, breitere Kreise in Frankreich gegen die Weltfriedensbewegung einzunehmen. Hauptadressat beider Broschüren waren demgemäß die „Amis de la Liberté", jene Gruppierung innerhalb des CCF, der man am ehesten einen relativen Massencharakter unterstellen darf.196 Bereits dieser Umstand bewirkte zusätzlich zu allem, was bislang gesagt wurde, daß die intellektuelle Potenz der Texte nicht zu hoch eingeschätzt werden darf; sie waren eher Bestandteil einer „low-brow"-Propagandaaktion. Zum Teil handelte es sich um nahezu katechismusartige Bekenntnissätze. Die Bürovorsteherin des CCF in Berlin, Annelene von Caprivi, bemerkte denn auch, als sie im Oktober 1950 die Broschüren für den Gebrauch in Deutschland redigierte, nicht ohne Spott, diese Pamphlete könnten doch nicht allen Ernstes die Offensive der Freiheit darstellen.197 Obschon für das intellektuelle Milieu eigentlich denkbar ungeeignet, spiegelten beide Broschüren recht anschaulich das geistige Klima im CCF der Jahre 1950-1952/53 wider. Im Zentrum von „Im Zeichen der Friedenstaube" standen Hinweise auf manipulative Manöver der „Friedenspartisanen" zugunsten des „Stockholmer Appells". Sowohl der Massencharakter der Unterschriftensammlung und der Bewegung als solcher sollten als Betrug enttarnt, als auch daraufhingewiesen werden, daß nicht wenige Unterzeichner sich inzwischen von ihren Unterschriften distanziert hätten:198 „In dieser Studie wird emes der größten Täuschungsmanöver unserer Epoche untersucht und enthüllt Der stalinistische Kommunismus macht seit einiger Zeit große Anstrengungen, zugunsten der sowjetischen Politik den hohen Inbegriff des Friedens für sien zu monopolisieren [...] Es wäre nichts dagegen zu sagen, daß Sowjetrußland einen solchen
195
196
197 198
KONGRESS für Kulturelle Freiheit (Hg): Im Zeichen der Friedenstaube. Von Stockholm bis Warschau, Berlin o.D. ( 1950/51 ) und Kongress für Kulturelle Freiheit (Hg): Was wollen die Freunde der Freiheit?, Berlin o.D. (1950/51). Relativ va. im Vergleich zu den Zahlen, welche die kommunistische „fellow-traveller"Organisationen aufzuweisen hatten. Im Rahmen des CCF wird hier in der Regel vom Massencharakter gesprochen, wenn mehrere hundert Angehörige für eine Organisation ins Auge gefaßt wurden, was in Frankreich der Fall war. Zu den „Amis de la Liberté" vgl. P. Grémion: Intel-
ligence de l'Anticommunisme, S. 75f. Annelene von Caprivi an Norbert Mühlen vom 9.10.1950, NL Mühlen, Box 18. CCF (Hg): Friedenstaube, S. 3.
258
IV. Der
„Kongreß für Kulturelle Freiheit"
Berlin 1950 -
Feldzug für den Frieden beginnt, auch nichts dagegen, daß gutgläubige Menschen daran teilnehmen, wenn nicht von vornherein feststünde, daß es bei diesem ungeheuren Betrugsmanöver in Wahrheit nicht darum geht, dem Frieden zu dienen, vielmehr einfach darum, die Welt davon zu überzeugen, daß dieser gewaltige, hochgerüstete und totalitäre Staat die einzige Macht auf Erden sei, die alle pazifistischen Tugenden gepachtet hat."'99 Mit der laufenden Propagandaoffensive wolle die UdSSR den Widerstandswillen der Demokratien lähmen. Die Hilfsorganisationen des „Stockholmer Appells" seien daher „eine Filiale des totalitären Kommunismus".200 Die Tonlage in „Was wollen die Freunde der Freiheit" war ähnlich, der thematische Bogen jedoch weiter gespannt. Hinsichtlich der Friedensfrage wurde nun formuliert: „Wir sind davon überzeugt, daß eine kämpferische, antitotalitäre Haltung die einzige und letzte Chance ist, den Krieg zu verhindern. Jedes ideologische und politische .München' bringt uns dem Krieg ein Stück näher Jedesmal, wenn die freie Welt beweist, daß sie einig und stark ist, weicht die Kriegsgefahr ein Stück zurück. Jeder, der aus gutem Glauben kommunistisch wählte und in das demokratische Lager zurückkehrt, bedeutet den Verlust eines Agenten der Fünften Kolonne für den Angreifer. Jeder ,Mitläufer' (Sympathisierender, fellow-traveller), von seinen krankhaften Vorstellungen geheilt, bedeutet einen potentiellen ,Kollaborateur' weniger."20' Deutlicher konnte der Aspekt des Stalinismus als psychisch krankhaftem Zustand mit Vorstellungen vom Kompromiß als Schwäche, basierend auf einer totalitarismustheoretisch fundierten Sicht der neuesten Geschichte, mit allgemeinen Verschwörungstheorien und einem radikal dualistischen Weltbild nicht amalgamiert werden. Der CCF bot hier so etwas wie eine westliche Variante von Shdanows „Zwei-Lager"-Theorie. Der Frieden, so die Broschüre weiter, sei stets von Nationen bedroht worden, deren gesellschaftliches System auf Sklaverei aufgebaut gewesen sei, so beispielsweise durch Preußen, Italien, Japan, Nazi-Deutschland und eben derzeit von der UdSSR. Deren Ideologie sei gerade kein Humanismus mehr, sondern habe mit wahrem Sozialismus so viel zu tun wie die Heilige Inquisition mit der Lehre des Jesus von Nazareth. Daher stünde Europa heute vor der Wahl zwischen „totaler Sklaverei und relativer Freiheit".202 Im Gegenzug müßten Sozialisten, Liberale und demokratische Konservative sich gemeinsam dem Kommunismus entgegenstellen, das heißt, man verlangte genau das, was bislang als antikommunistischer Konsens bezeichnet worden ist. Die Verfasser des Pamphlets gingen sogar so weit, von der Linken, also von sich selbst, den vorläufigen Verzicht auf längerfristige sozialökonomische Reformperspektiven zu verlangen, um die Zusammenarbeit im Kampf gegen den aktuellen stalinistischen Gegner nicht zu gefährden.203 Den Abschluß bildete ein Bekenntnis zu den liberalen Freiheitswerten des Westens, ohne daß etwa die USA gesondert erwähnt worden wären, die ganz im Sinne des US-Pragmatismus vor allem 199 200 201 202 203
Ebda., S. 5. Ebda., S. 6 CCF (Hg.): Freunde der Freiheit?, S. Ebda., S. 2f. Zitat auf S. 3. Ebda., S. 4f.
3.
3.
durch den Verzicht auf umfassende
seien.204
259
„Moralischer Antitotalitarismus"
Welterklärungsmodelle gekennzeichnet
zeigt sich, wie sehr Antikommunismus und die Diskussion um die atomare Rüstung oder den Nordatlantikpakt miteinander verbunden waren. Die UdSSR wurde in beiden Texten eher am Rande attackiert, die Gegnerschaft zu ihrem System gewissermaßen vorausgesetzt. Hauptgegner waren vielmehr die Anhänger der Weltfriedensbewegung und andere nichtkommunistische „fellowtravellers". Ebenfalls auffällig ist die geringe Bedeutung, die den USA in der weltanschaulichen Argumentation des CCF zufiel, selbst wenn man die Broschüren diesbezüglich mit dem gleichfalls recht zurückhaltenden Umgang des „Monat" mit den USA vergleicht. Dies hatte sowohl etwas mit dem UmErneut
stand zu tun, daß die Nähe des CCF zu den USA nie überbetont werden sollte, zugleich war angesichts der latenten Amerikafeindschaft ausgerechnet der französischen Intellektuellen der Tranfer konsensliberaler Ideologie oder wenigstens antikommunistischer Doktrinen im Interesse innerwestlicher Stabilisierung unmöglich, wenn Elemente von Westlichkeit als spezifisch amerikanisch benannt worden wären. Mehr noch als „Der Monat" stellte der CCF konkreten Amerikabezug zugunsten allgemein transatlatisch-westlich-liberaldemokratischer Gemeinsamkeiten zurück. Nur unterschwellig wurden spezifische Botschaften des US-Liberalismus an die Europäer weitergegeben. Der antikommunistische Konsens ging vor. Dies sollte sich erst Mitte der fünfziger Jahre ändern. So verdeckt derartige inhaltliche Bezüge auch gewesen sein mögen, so waren sie doch nichtsdestotrotz vorhanden: Individualismus,205 ökonomisch-gesellschaftliche Reformperspektiven, pragmatistischer Wahrheitsbegriff, internationalistisch-kosmopolitische Ziele und alles beherrschend der Antitotalitarismus, finden sich im Manifest und allen Broschüren des frühen CCF. In einer Organisation von Intellektuellen, wie der CCF sie darstellte, konnte die Kritik an der manchmal frappierenden Simplizität nicht allein der Pamphlete der Pariser Zentrale mit ihrem Bemühen, breitere Schichte anzusprechen, nicht ausbleiben. Harry Pross zum Beispiel, zwar kein Mitglied, dem CCF aber immerhin nahestehend und durch die Arbeit an den „Ostproblemen" inhaltlich -
-
204
Ebda., S. 7f
205
Für die fortwährende Wirksamkeit individualistischer Ideale im CCF jener Tage spricht neben dem steten Rückgriff auf den Freiheitstopos zusätzlich z.B. die liberale Interpretation des Abendlandsgedankens, wie ihn Denis de Rougemont vorgelegt hatte. Wie im „Monat" stand man im CCF dem Abendländlertum eher skeptisch gegenüber; wo der Begriff aber verwandt wurde, ging es um den Primat der individualistischen Tradition, vgl. Denis de Rougemont: Europa oder: vom Sinn unseres Daseins, in: Kontakte 15 (1952), S. If: „In unserem neuzeitlichen Europa wird der junge Mensch zur Selbstbestimmung erzogen, zu der Fähigkeit, unabhängig von allen vorhandenen Mustern und Regeln in Freiheit zu urteilen und zu entscheiden. [...]. Diese Neigung, die Einzelperson in Gegensätzlichkeit zur Gesamtheit zu sehen [...], ist ausgesprochen abendländisch." Es ist mehr als fraglich, ob diese Einschätzung von Anhängern der katholischkonservativen Abendlandsideologie geteilt worden wäre. -
260
IV. Der
„Kongreß für Kulturelle Freiheit"
Berlin 1950 -
verbunden, vermißte eine konsequente Analyse des Kommunismus als Krankheitssymptom nicht so sehr irregeleiteter Individuen, sondern der liberaldemokratischen Gesellschaft und ihrer wirtschaftlichen Strukturen, ein Aspekt, eng
der nach Berlin im CCF nie ausreichend reflektiert wurde.206 Selbst in der Redaktion des „Monat" standen mit Lasky und Jaesrich etaige den Auswüchsen der Propagandatätigkeit des CCF in dieser Phase deutlich skeptisch gegenüber. Vor allem die These vom pathologischen Charakter des Kommunismus fand nie ihre ungeteilte Zustimmung, womit man sich, bei aller Nähe, doch von Arthur Koestler, dem wichtigsten Vertreter dieser Auffassung, distanzierte.207 In den USA sorgte sich Arthur M. Schlesinger jr. mit seiner Kritik am „New Leader"-Flügel innerhalb des ACCF frühzeitig darum, daß die Einseitigkeit, mit der einige CCF-Angehörige die antikommunistische Variante des liberalen Konsenses betonten, auf Dauer eine Zusammenarbeit unmöglich machen würde.208 Auch Bertrand Russell drohte zeitweilig, seine Ehrenpräsidentschaft niederzulegen, da er sich in krassem weltanschaulichen Gegensatz zu einem erheblichen Teil der CCF-Mitglieder sah.209 Selbst wenn man gerade bei Russell darin den erneuten Ausdruck eines zum Queralantentum neigenden individuellen Charakters vermuten darf, zeigte es sich doch, daß der aggressive Antikommunismus der Gruppe um Arthur Koestler, James Burnham210 und Franz Borkenau auf Dauer nicht die Kraft besitzen würde, den CCF ideologisch zusammenzuhalten. So sehr alle Mitglieder des CCF von antikommunistischen Überzeugungen geprägt sein mochten, so wenig überzeugend war der Ansprach der radikalen Antikommunisten. Es bedurfte zusätzlich positiver und abgewogenerer Inhalte, die im Grunde bereits vorhanden waren, wenn sie auch in der Hitze des Gefechtes verschüttet schienen. Der CCF mußte nur damit anfangen, die eigenen liberalen Anschauungen wieder emst zu nehmen und in Taten umzusetzen. Allerdings ist einzuräumen, daß sich der integrative Aspekt dieser Neubesinnung eher auf das eigentíich hberale Spektrum bezog. Hatte der breite antikommunistische Konsens stets die Gefahr mit sich gebracht, Teile der 206 207
208
209
210
Harry Pross
an Melvin J. Lasky vom 7.7.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 4', Folder 3. Hellmuth Jaesnch an Dr. C.H.W. Wendt vom 26.1.1951, UoC-Archiv, „Der Monat "-Records, Box 15, Folder 2, wobei es hier nicht direkt um Koestler, sondern eine von Wendt vorgelegte, noch prononciertere Variante der Krankheitshypothese ging. Arthur M. Schlesinger jr. an Nicolas Nabokov vom 18.6.1951, NL Nabokov: „The New Leader variety ofex-Communists is really too much for me. [...] The whole thing left a very bad taste in my mouth and considerably diminished my enthusiasm for the Congress, which, in this country, at least, has become an instrument for these bastards." Bertrand Russell an Melvin J. Lasky vom 30 8.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 4, Folder 10. Der Brief war wohl eine Folge von Trevor-Ropers Berichterstattung über den
Berliner Kongreß. Bes. Burnham entwickelte sich zunehmend zum Kritiker sogar von „Containment"-Vorstellungen und forderte seit 1952 eine aktive Befreiung der UdSSR durch die USA, womit seine von Anfang an sehr radikale Position erneut verschärft wurde: James Bunham an Melvin J. Lasky vom 6.10.1952, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 17, Folder 4.
3.
261
„Moralischer Antitotalitarismus"
„liberals" auszugrenzen oder wenigstens intellektuell abzustoßen, mußte jede
Revitalisierung pointiert liberaler Positionen zu Friktionen mit altliberalen und konservativen Gruppen innerhalb des antikommunistischen Lagers führen. Dieses Risiko scheinen die nichtkommunistischen Linken aber nach 1955 bewußt eingegangen zu sein. Einen Ausweg aus der Gründerkrise, insofern sie weltanschaulich bedingt war, bot der Mailänder Kongreß „The Future of Freedom" von 1955, der ansonsten eher das Ende der Ära großer Kongresse im CCF signalisierte. Inhaltlich markierte er jedoch die seit dem Pariser Kongreß von 1952 eingeleitete, jetzt aber endgültig werdende Abkehr vom moralischen Antikommunismus der Frühphase. Mailand war also ein klassisches Übergangsereignis, wobei diesem Kongreß inhaltlich eine mittelfristig überragende Bedeutung zukam. Vor allem trifft dies auf die ansetzende Hinwendung zum Konzept der „end of ideology" zu, die in Mailand ihren Ausgang nahm, aber an anderer Stelle ausführlicher behandelt werden soll. Hier geht es primär um die Umgestaltung des antitotalitär-antikommunistischen Aspektes in der Ideologie des CCF. Zwar wurde weiterhin daran festgehalten, daß die Entscheidung zwischen Freiheit und Totalitarismus ein auf moralischen Prinzipien basierender Akt sei, dennoch wurde nun verstärkt auf die sozialen Rahmenbedingungen von Freiheit hingewiesen, femer schärfte besonders George Kennan den Handlungscharakter des Begriffs ein.211 Hinzu trat ein weiteres Element, das Bemühen, den Totalitarismus stärker wissenschaftlich-analytisch zu durchdringen. Gerade die Redebeiträge von Kennan und Hannah Arendt212 liefen in diese Richtung. Damit wurden die positiv-integrativen Bestandteile des Konsensliberalismus gegenüber allen Versuchen, sich nur negativ-abgrenzend zu definieren, erheblich gestärkt. In seinem vorab formulierten Beitrag zum Mailänder Kongreß rief Nicolas Nabokov den Anwesenden die Situation zu der Zeit ins Gedächtnis, als der CCF gegründet worden war. Angesichts der stalinistischen Herausforderung habe man Widerstand leisten müssen, um eine solide antikommunistische Front der Verteidiger der kulturellen Freiheit aufzubauen. Dann fuhr er fort: „But even during those years of high tension, the Congress for Cultural Freedom did not think of itself exclusively as a militant organisation for ideological combat [...]. Even then, the intellectuals felt that anti-Stalinism though essential in the fight for freedom was not sufficient and could not by itself provide the basis for their common activity; nor did they believe that their strategy should rest entirely on direct combat with Stalinist -
-
propaganda and ideological counteroffensive."
Das neue Ziel wurde dann in eher vagen Worten skizziert:
truest function of the
211 212
Congress
to
become the
organizing
„It is perhaps the
center
for the world-
George F. Kennan: The Strategy of Freedom, NL Löwenthal, AdsD, Bd. 219, (Closing Address des Mailänder Kongresses) Hannah Arendt: The Rise and Development of Totalitarianism and Authoritarian Forms of Government in the Twentieth Century, NL Löwenthal, AdsD, Bd. 219, wo auch eine Selbstkritik liberaler Totalitarismustheorien im Ansatz geleistet wird.
262
IV. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit"
Berlin 1950 -
wide discussions of the great moral and intellectual issues of our time."213 Nabokovs programmatischer Beitrag gab die Entwicklung auch insoweit korrekt wieder, als er zeigte, daß zwar einerseits die politischen Entwicklungen im östlichen Lager seit Stalins Tod dazu geführt hatten, die ideologische Auseinandersetzung zu entkrampfen, ohne sie indes zu beenden, andererseits aber die Unzufriedenheit mit einem bloß auf die endlose Wiederholung antikommunistischer Phraseologie beschränkten Kurs des CCF schon weit vor den neuen
politischen Entwicklungen im CCF Raum gegriffen hatte.
Das
Eigenbewußt-
sein der liberalen und linken Antikommunisten wurde seit 1952/55 innerhalb der transatlantischen antikommunistischen Diskurse wieder stärker hervorgehoben. Der CCF wandelte sich von einer antistalinistischen Kampforganisation zum Wertelitenzirkel mit der Aufgabe innerwestlichen Ideologietransfers, ohne an Wirksamkeit als Agentur des Kalten Krieges im geringsten einzubüßen. Dieser Übergang innerhalb der Weltanschauung des CCF war freilich umso leichter zu bewerkstelligen, als auf der nur mittelbar politischen Ebene hochkulturell-ästhetischer Diskussionen im CCF die geistige Basis des Konsensliberalismus bei weitem nicht in dem Maße enggeführt worden war wie in der direkten propagandistischen Konfrontation mit hochstalinistischen Ideologen und ihren diversen „fellow-travellers". Es ist in diesem Zusammenhang wohl kaum ein Zufall, daß ausgerechnet der Pariser Kongreß von 1952 „Meisterwerke des XX. Jahrhunderts", der ausschließlich hochkulturellen Aktivitäten gewidmet war, zu Zerfall und Ende der Koestler-Linie im internationalen CCF maßgeblich mit beitrug. In diesem Sinne hatte John C. Hunt, Josselsons rechte Hand in der organisatorischen Leitung des CCF seit Ende der fünfziger Jahre, nicht ganz Umecht, als er 1964 feststellte, es sei die Hauptaufgabe des CCF gewesen, die Werte der Aufklärung weltweit zu verbreiten.214 Damit schloß er sich nahdos an Laskys Forderung von 1950 an, der CCF möge dazu beitragen, den aufgeklärten „libertarianism" in Europa wiederzubeleben.213 Dort, wo der CCF kulturell tätig blieb und sich nicht auf reine Propagandaaktionen beschränkte, vermochten es seine Mitglieder durchgehend, diesem Auftrag treu zu bleiben, womit sich eine eigentümliche und nie ganz aufgelöste Spannung zu der intellektuell meistenteils belanglosen politischen Tätigkeit des CCF ergab. Der Wandel von einer nur noch partiell konsens213 214
Comment by the Secretariat on Point (2) of the Agenda, International Executive Committee vom 24.1.1955, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 3a, Folder 1. John C. Hunt an Shepard Stone vom 11.8.1964, NL Josselson, Box 6: What has always impressed me about the Congress is the fact that it has become a kind of vast and well organized body of men many of the leading spirits of our time engaged in the process of spreading enlightment, of maintaining and extending civilized values." Hunts Formulierung beweist aber, daß er sich durchaus des Umstandes bewußt war, daß sich der CCF zu dieser, seiner eigentlichen Aufgabe, erst hatte hinentwickeln müssen, wenigstens, insofern der politische Sektor seiner „
-
-
215
Arbeit betroffen war. Melvin J Lasky an Nicola Chiaromonte Box 1, Folder 9.
vom
15.4.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records,
3.
263
„Moralischer Antitotalitarismus"
liberalen Werthaltungen verpflichteten, antistalinistischen Kampforganisation zu einem weltweit agierenden aufgeklärten Elitenzirkel sollte im Zeitraum zwischen 1952 und 1955 auch seinen organisatorischen Niederschlag finden, worauf später noch näher einzugehen sein wird. Der Topos von der „kulturellen Freiheit" als der kreativen Freiheit des Intellektuellen und damit als positive inhaltliche Bestimmung westlichen Kulturlebens stand auf dem Felde hochkulturell-ästhetischer Arbeit des CCF stets im Vordergrund.216 Zweifellos hatte der Rekurs auf die kulturelle Freiheit, wie schon gezeigt wurde, einen deutlich antitotalitären Bezug, dennoch wies beispielsweise die frühe CCF-Broschüre „Was will der Kongreß für kulturelle Freiheit?"217, die vornehmlich dieser Thematik gewidmet war, andere Schwerpunkte auf als die genuin politischen Pamphlete. Neben den Aufruf zu einem „Höchstmaß an politischer Wachsamkeit und geistiger Abwehrbereitschaft"218 trat der deutiich weniger defensive Anspruch auf freie Diskussion und Kreativität als Grundbedingung jeder menschlichen Kultur. Über alle politischen Gegensätze (innerhalb des demokratischen Lagers) wolle man die „Liebe zur Wahrheit in einer Atmosphäre des freien Forschens, des freien Bildneras und des freien Sprechens" pflegen.219 Der Kampf für die kulturelle Freiheit und die individualistisch-aufgeklärten Grundprinzipien westlicher Hochkultur blieben für den CCF durchgehend konstirutiv für die eigene Arbeit; selbst als die antistaünistische Agitation des CCF ihren Höhepunkt erreicht hatte, rückte man in den Leitungsgremien von diesem Anspruch nie ab.220 Im Vergleich zu der politischen und der hochkulturell-ästhetischen Ebene der Kongreßtätigkeit mit ihren unterschiedlichen Gewichtungen antitotalitärer Arbeit, mangelte es dem CCF auf der sozialökonomischen Ebene an inhaltlicher Präzision, wobei auch hier das Jahr 1955 eine gewisse Wende brachte. Es waren die gesellschaftlichwirtschaftlichen Diskussionen in den USA sowie deren Rezeption in den westeuropäischen sozialdemokratischen Kreisen, die dann, ausgehend von der Mailänder Konferenz, dem CCF neue Impulse geben sollten.221 John Kenneth 216
Rede
von
Denis de
18.9.1955, S.4f
Rougemont
auf der
217
KONGRESS für Kulturelle Freiheit Berlin o.D. (1951).
218 219
Ebda., S. 3.
220
Generalversammlung
(Hg.):
Was will der
des CCF in Mailand
vom
Kongreß für kulturelle Freiheit?,
CCF (Hg.): Kulturelle Freiheit, S. 1 ; vgl. Günther Birkenfeld: Die Situation der Literatur in der Sowjetisch Besetzten Zone Deutschlands (Vortrag vor dem Kongreß der „Amis de la Liberté" vom 16.-18.5.1952), IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 121, Folder 10, der den Aspekt der kulturellen Freiheit dann wieder schroff gegen die Objektivismus- und Antiformalismuskampagnen der Stalinisten stellte. Arbeitsplan des Internationalen Sekretariates des CCF vom 1.8.1951 1.6.1952, IACF/CCFArchiv, Series n, Box 3, Folder 1, (Anhang zum Protokoll des Internationalen Exekutivkomitees —
221
vom29./30.12.1952). Vgl. P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 224f, der ausdrücklich die Rolle der Mailänder Tagung bei der Adaption keynsianischer Elemente in die Werthaltungen des CCF hervorhebt.
264
IV. Der
Berlin 1950
„Kongreß für Kulturelle Freiheit" -
Galbraith, Denis Healey, Michael Polanyi, aber auch amerikanische Soziologen wie Edward Shüs und Daniel Bell haben zu dieser Wiederentdeckung des dem Konsensliberalismus innewohnenden Reformpotential erheblich beigetragen. Insbesondere Polanyi verlangte 1955, liberale und sozialistische Theoretiker sollten gemeinsam neue, wissenschaftlich steuernde, aber nicht staatsplanerische Strategien entwickeln, um im Interesse der Freiheit zu neuen Reformperspektiven zu gelangen.222 In genau diese Zeit fiel auch Croslands Schrift: „The Future of Socialism". Damit waren für den CCF relativ neue, im „Monat" jedoch schon lange selbstverständliche, alte konsensliberale Anliegen im sozioökonomischen Sektor, besonders der Gedanke des „social engeneering", erneut aufgenommen und zum Gegenstand reger Diskussionen im CCF gemacht worden. Der Weg aus der seit 1952/53 anhaltenden Gründerkrise führte inhaltlich nur über die Preisgabe der Reduktion eigener Tätigkeit auf den Antistalinismus. Aus der konsequenten Readaption konsensliberaler Ideologeme in ihrer ganzen Fülle ergaben sich anschließend neue Möglichkeiten: Seit Mailand zeichnete sich die Theorie vom „end of ideology" konkret am Horizont des Kongreßdenkens ab. So wie organisatorisch der Versuch scheiterte, wenigstens in Frankreich oder Italien den Durchbruch zu einer relativen, mit kommunistischen Gruppen aber nie auch nur annähernd vergleichbaren Organisation mit breiter Basis zu werden, scheiterte ideologisch der Führungsanspruch der charismatisch-moralischen Antikommunisten der Gründerphase. Die paradoxerweise im Bemühen um Breitenwirkung begründete geistige Engführang des CCF drohte, die ihm innewohnenden Möglichkeiten zu ersticken. Die Realität dieser Krise wurde seit 1952 zunehmend erkannt und führte nach 1955 zu einer den gesamten CCF betreffenden Neuorientierung. Erst danach war der CCF wirklich in der Lage, eine breit angelegte Funktion im Prozeß der weltanschaulichen Stabilisierung der US-amerikanischen Hegemonialsphäre einzunehmen, da er erst von 1955 an zu einer global wirksamen Form fand, konsensliberale Ideologeme zu vermitteln. Die bloße antistalinistische Propaganda sicherte diesen Zweck keinesfalls, unterschied sie sich faktisch nicht von der Tätigkeit weder anderer Agenturen des Kalten Krieges, noch von der der amerikanischen ideengeschichtlichen Tradition gänzlich fremden und mit ihr an sich unvereinbaren Form des konservativen Antikommunismus. Der breite antikommunistische Konsens mochte in der Frühphase zur Einheitlichkeit des westlichen Lagers bei der Abwehr stalinistischer Aggression beigetragen haben, als Instrument zur dauerhaften Sicherung einer US-amerikanischen Hegemonie auch im kulturellen Bereich taugte er aber nur begrenzt, insofern ihm eine taitiatorische Funktion zukam.
222
Vgl. Michael Polanyi: Strategies of Freedom, NL Löwenthal, AdsD, Bd. 219, S. 2.
V. DER „KONGRESS FÜR KULTURELLE FREIHEIT" ALS ORGANISATION 1. Die
Entstehung der Internationalen Exekutive
Mit dem Ende des Berliner
Kongresses verfügte der CCF zwar über eine vergleichsweise kompakte Ideologie und den Willen, sich als dauerhafte Organisation im Spannungsfeld der weltanschaulichen Rivalitäten des Kalten Krieges zu etablieren, über die genaue Form, in der dies geschehen sollte, herrschte freilich Unklarheit. In diesem Kapitel soll knapp die Geschichte des CCF als internationaler Organisation bis etwa zum Tode Stalins nachgezeichnet werden. Der CCF war dabei in dieser Phase gekennzeichnet von der Suche nach einer geeigneten Form, mit deren Hilfe sich die bislang erarbeiteten Inhalte verbreiten ließen. Man war bestrebt, die Ideologie des moralisch legitimierten Antikommunismus in ihrer radikalen Ausformung zu verbreiten. Dieser Versuch führte geradewegs in die Granderkrise des CCF und endete mit dem nahezu vollkommenen Einflußverlust der Gruppe um Arthur Koestler und des ACCF, während sich die Pariser Kongreßbürokratie auf der ganzen Linie durchsetzen konnte. Abschließend wird darauf einzugehen sein, welche Konzeptionen der frühe CCF für Deutschland verfolgte. Aus der Zusammenschau von ideologischen Mustern und organisatorischer Form des internationalen CCF wird sich am Ende der Rahmen für die Arbeit des Kongresses in Deutschland ergeben. Das folgende Kapitel wird dann zeigen, inwieweit die Kongreßfuhrung in der Lage war, ihre inhaltlichen und organisatorischen Vorstellungen in der Zusammenarbeit mit den deutschen Kongreßangehörigen in die
Wirklichkeit umzusetzen. Die ersten Impulse zu einer strafferen Organisation des bis dahin eher auf dem Papier existierenden CCF gingen erneut von dem die Frühphase unbedingt dominierenden Arthur Koestler aus. Wohl existierte seit Paris der Nukleus für eine institutionell abgesicherte Form der Arbeit, bestehend aus dem fünfköpfigen Exekutivkomitee, dem personell umfangreicheren „Rainbow Committee" und dem weiterhin existenten Ehrenpräsidium, dennoch fehlten erst einmal konkretisierbare Arbeitsvorschläge. Also wandte sich Koestler im Juli 1950 mit einem Memorandum an die anderen Mitglieder des Exekutivkomitees, dem zwar mit Schmid und Kogon gleich zwei deutsche Mitglieder angehörten, ohne daß dies aber für Westdeutschland erst einmal besondere Folgen gezeitigt
266
V. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit" als
Organisation
hätte.1 Koestlers Vorschläge blieben vorerst vage. Er forderte, der CCF solle
auf der Basis des Berliner Manifestes eine Unterschriftenaktion dmchführen, die sich gegen die „Weltfriedenspartisanen" und die diversen europäischen Neutralismen richten sollte, wobei er vor allem Jean-Paul Sartre und Maurice Merleau-Ponty im Blick hatte. Im Grunde handelte es sich um die Kopie des „Stockholmer Appells", überraschenderweise allerdings ausdrücklich nur auf der Basis intellektueller Unterzeichner. Damit schien Koestler von seinen Plänen einer umfassenderen Bewegung abgerückt zu sein. Zusätzlich verlangte er die zügige Publikation der in Berlin gehaltenen Reden, von denen er sich eine erhebliche geistige Ausstrahlung zu versprechen schien. Auch sollten RIAS und NWDR vom CCF vorbereitete Sendungen in den Osten ausstrahlen, in denen sich die intellektuellen Vordenker des CCF wie Ignazio Silone, Ruth Fischer und Koestler selbst mit ihren bedeutendsten Gegenspielern aus dem stalinistischen Lager (Lyssenko, Becher, Gerhart Eisler) auseinandersetzen sollten. Die KgU, das SPD-Ostbüro und andere Gruppen könnten dann weiteres Propagandamaterial in den Osten bringen und auf diese Weise die Bemühungen des CCF flankieren. Den beiden Kongreßbüros in Berlin und Paris wies Koestler ganz unterschiedliche Aufgaben zu. Das Berliner Büro2 sollte sich darauf konzentrieren, Informationen aus dem Ostblock zu sammeln und zu sichten oder Propagandamaterial über die Zonengrenze zu schmuggeln. Außerdem sollte ein westdeutscher Verleger für eine deutsche CCF-Zeitschrift gefunden werden. Offenbar war zu diesem Zeitpunkt noch nicht daran gedacht, den „Monat" in diesem Sinne zu nutzen und langfristig in den Besitz des CCF zu überführen, obschon Lasky bereits an Plänen arbeitete, seine Zeitschrift in private Hände zu legen. Dem Pariser Büro kam in Koestlers Vorschlägen weniger die in der Folge so wichtige Funktion eines Leitungsgremiums des CCF zu, sondern vornehmlich der aktive propagandistische Einsatz gegen westliche Pazifisten und Neutralisten. Nur ein Teil der genannten Anregungen erwies sich als praktikabel, aber immerhin hatte Koestler den Aufgabenbereich des Berliner Büros bereits recht genau umschrieben. Zu diesem Zeitpunkt verfolgte Arthur Koestler eine mehrgleisige Strategie, die möglicherweise Ausdruck von Unsicherheit darüber war, wie die künftige Kongreßarbeit zu gestalten wäre. Neben streng auf Intellektuelle beschränkte Aktionen im Westen traten breiter angelegte Maßnahmen einer direkt in den Osten zielenden propagandistischen Gegenoffensive des westlichen Lagers mit dem offenkundigen Zweck, die stalinistischen Regierungen ideologisch zu destabilisieren. Die elitäre und die breitere Ebene sollten instrumenten durch 1 2
Memorandum Arthur Koestler vom 4.7.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 3, Folder 2. Als dessen Leiter war zu diesem Zeitpunkt noch Otto Stolz im Gespräch, damals bei der FUStudentenzeitschrift „Colloquium", später dann Chefredakteur der Gewerkschaftszeitschrift „Welt der Arbeit", s. Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 5.8.1950, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 2, Folder 7.
1. Die Entstehung der Internationalen Exekutive
267
Rundfunk- und Zeitschriftenaktivitäten gekoppelt werden. Bereits zwei Wochen später, im Verlaufe eines Treffens zwischen Koestler, Lasky und Brown in Fontaine le Port bei Paris, hatte sich die Arbeitsperspektive für den CCF allerdings wieder entscheidend geändert, wenn auch mit einer prägnanten Tendenz zum Unrealistischen:3 „We agreed that Korea has changed the whole perspective of the Congress project. Speed has to be accelerated and the emphasis shifted from an enterprise directed only at the intelligentsia onto direct political activity. [...]. To create first and principally in France and Italy movements directed at the professional class, trade unions, students, and other
youth groups, which under the name AMIS DE LA LIBERTÉ would in fact fulfill the function of a derninform.4 This movement should not be autonomous but ripped up as supporters of the Congress for Cultural Freedom."
Letzterem Zweck diente es auch, daß Lasky und Bondy die für die „Amis de la Liberté" benötigten Pamphlete baldmöglichst in eigener Regie verfassen wollten. Emeut zeigte sich hier die Abhängigkeit von der kommunistischen Gegenseite bis in die selbstgewählte Terminologie hinein. Nannte man sich dort „Friedensfreunde", so benutzte man im Westen den Ausdruck „Freunde der Freiheit", an die Stelle der KOMINFORM trat die DEMINFORM. Dem Berliner Büro blieb in dieser Konzeption nur noch die Aufgabe, die „Amis de la Liberté" mit dokumentarischem Material über die kommunistische Welt zu versorgen. Dem CCF fiel die Aufgabe zu, als eine Art Dachorganisation für die verschiedenen nationalen Gruppen der Freiheitsfreunde zu agieren. Außerdem plante man ein zusätzliches Komitee für direkte Propaganda in den Ostblock hinein, dem auch Margarethe Buber-Neumann angehören sollte. Das Arbeitstreffen von Fontaine le Port stellte den Höhepunkt der Versuche dar, aus dem CCF eine Organisation mit Breitenwirkung zu formen. Es war eigentiich nur aus den aktuellen Zeitumständen heraus erklärbar, daß sogar ein so dezidierter Verfechter des Prinzips der Intellektuellenzirkel wie Lasky sich plötzlich mit dem Gedanken an eine vollkommen anders strukturierte Organisation anzufreunden vermochte. Einschränkend gilt es jedoch zu berücksichtigen, daß dieser Wechsel des organisatorischen Schwerpunktes vorerst nur Frankreich und Italien betraf, wo man auf Seiten des CCF besonders ausgeprägte Aktivitäten von Neutralisten, Friedenspartisanen und anderen „fellow-travellers" wahrnahm. Mit dem Gespräch Mitte Juli 1950 war keineswegs das letzte Wort über die Zukunft des CCF gesprochen. Wiederum zwei Wochen später, vom 5. bis zum 3 4
Protokoll des Arbeitstrefifens in Fontaine le Port vom 18.7.1950, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 2, Folder 8. Der Gedanke an eine DEMINFORM den Aleide de Gasperi entwickelt hatte, tauchte auch später in der Korrespondenz Laskys gelegentlich auf, ohne aber inhaltlich genauer expliziert zu werden, vgl. Melvin J. Lasky an François Bondy und Michael Josselson vom 30.1 1952, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 17, Folder 2. In Laskys Überlegungen ging es darum, den CCF, das „National Commitee for Free Europe", wo zeitweise Arnold Beichman beschäftigt war, und die Maßnahmen der „Crusade for Freedom" sowie der „American Truth Campaign" koordiniert zu einer Art DEMINFORM zu verschmelzen, s. Melvin J. Lasky an Lucius D. Clay vom 2.8.1950, ebda., Box 9, Folder 5.
268 10.
V. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit" als
Organisation
August 1950, kamen Brown, Koestler, Silone, Lasky und Bondy in Paris
um erneut die konzeptionelle Seite des CCF zu diskutieren.5 Nun drängte Ignazio Silone darauf, erst einmal praxisnah zu handeln, Exekutivkomitee, „Rainbow Committee" sowie gegebenenfalls das Ehrenpräsidium organisatorisch enger zu bündeln und somit für ein arbeitsfähiges Gremium zu sorgen, das aus insgesamt zwanzig Personen bestehen könnte. Auch Lasky drängte zu praktischer Aktion und regte an, auf der für November geplanten neuerlichen CCF-Konferenz den „Kongreß für kulturelle Freiheit" formell zu gründen. Zu diesem Zweck legte er ein (nicht überliefertes) Statut vor. Wichtiger aber waren seine Auslassungen zur konkreten Form der künftigen Organisation. Diesmal ließ er sich im Ansatz wieder eher von Koestlers ursprünglichem Memorandum anregen und präsentierte ein drei Punkte umfassendes Programm, welches zum einen vorsah, eine elitär ausgerichtete europaweite „Fabian Society" zu bilden, zum zweiten die Gründung einer an die ADA angelehnten, weiter gespannten und stärker politischen Gruppe der „Europeans
zusammen,
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for Democratic Action" befürwortete und drittens eine weitere Kommission für propagandistische Maßnahmen im Ostblock verlangte. Erneut wurde betont, daß Frankreich und Italien im Mittelpunkt aller Kongreßaktivitäten zu stehen hätten. Ein besonderes Problem stellte die Frage nach der Rolle der USA dar. Als am letzten Tag des Treffens der französische Journalist Georges Airman zu der Runde hinzustieß, merkte er an, daß es ungünstig sei, die Nähe zur AFL und Irving Brown allzu deutíich herauszustreichen, da dies in Frankreich zu negativen Reaktionen führen würde. Ihm wurde bedeutet, daß es ja gerade um die Solidarität zwischen französischen und amerikanischen Arbeitern gehe, außerdem habe man nichts zu verbergen. Spätestens seit Ende 1950 sollte sich dieses Verhalten ändern, von da an wurde jede direkte Bezugnahme auf die USA wenn möglich vermieden. Zu diesem Zeitpunkt, das heißt im September/Oktober 1950, hatte die Kongreßbewegung bereits ihren anfänglichen Elan eingebüßt. Nicht nur machte sich in den Leitungsgremien Unzufriedenheit über das angeblich ineffizient arbeitende Berliner Büro breit,6 sondern auch persönliche Zwistigkeiten erschwerten die Zusammenarbeit. Diese Schwierigkeiten hingen eng mit Frustrationsgefühlen zusammen, dem Gefühl, besonders in Frankreich von Beginn an auf verlorenem Posten gestanden zu haben. Vornehmlich der ungeduldige Arthur Koesder war davon betroffen.7 Hinzu kam, daß es eines organisatorischen Apparates ermangelte, der die anfallenden Routinearbeiten in Paris 5 6
Protokolle der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 5.-10.8.1950, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 2, Folder 8. Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 10.8.1950, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 2, Folder 8. Melvm J. Lasky an Sidney Hook o.D. (September 1950), UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 1, Folder 6.
1. Die Entstehung der Internationalen Exekutive
269
erledigen können. So blieb auch die bürokratische Hauptlast der CCFTätigkeiten an Lasky, Bondy, Koestler und Brown hängen. In diese bereits leicht angespannte Situation hinein kamen erste gegenseitige Vorwürfe, aus persönlichen Motiven heraus gegen andere CCF-Mitarbeiter zu konspirieren. hätte
Norbert Mühlen etwa warf Koestler vor, er wolle nicht nur die Idee eines Intellektuellenzirkels dem Prinzip der „großen Zahl" opfern und damit alles, was man angestrebt habe, beiseite schieben, sondern er intrigiere zudem noch gegen Bondy. Burnham wiederum strebe unverhüllt die Zusammenarbeit mit russischen Exilfaschisten an,8 und das „American Jewish Committee" sabotiere seine (Muhlens), dem Ausgleich zwischen Juden und Deutschen gewidmete Arbeit.9 Gleichfalls in diese Zeit fielen erste Gerüchte, die sich nur zu bald bestätigen sollten, daß nämlich Lasky nicht mehr bereit sei, unmittelbar für den CCF zu arbeiten, und sich wieder mehr dem „Monat" widmen wolle. Sidney Hook und Sol Levitas versuchten sofort, Lasky von diesem Vorhaben abzubringen, das sie einhellig als eine Katastrophe für den faktisch noch gar nicht existierenden CCF erachteten.10 Um wenigstens die gröbsten organisatorischen Probleme zu bewältigen, schalteten sich nun die „Americans for Intellectual Freedom" ein, die gerade dabei waren, sich zum ACCF umzuformieren." In New York hatte man nicht ganz zu Umecht den Eindruck gewonnen, daß sich die europäischen Angelegenheiten in einem alles andere als zufriedenstellenden Zustand befanden. Also bot Sol Levitas nach einer Unterhaltung mit Arthur Koestler gegen Ende Oktober 1950 an, bei der Suche nach einem neuen Generalsekretär des CCF behilflich zu sein. Bis dahin übernahm der Schweizer René Lalive d'Epinay als Exekutivsekretär die Aufgaben dieses Postens kommissarisch.12 Auch Hans Kohn sah sich veranlaßt, den ein wenig planlos agierenden Europäern den Ratschlag zukommen zu lassen, gegebenenfalls finanziell von HICOG unterstützt, eine dem „Monat" adäquate Zeitschrift für Italien und Frankreich zu gründen, woraus dann im Endeffekt „Preuves" und die übrigen Kongreßzeitschriften entstanden.13 8
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10 11 12
13
Es dürfte die zeitweise auch von Lasky als Bündnispartner geschätzte Gruppe NTS gemeint sein, von der der CCF nach Erkenntnis des faschistischen Grundcharakters der gleichfalls über die CIA finanzierten Organisation bald wieder abrückte, vgl. ET. Chester: Covert Network, S. 3742. Norbert Mühlen an Melvin J. Lasky vom 30.9.1950 und vom 29.10.1950, UoC-Archiv, „Der Monat'-Records, Box 3, Folder 11. Sidney Hook an Melvin J. Lasky vom 10.11.1950, UoC-Archiv, „Der Monat'-Records, Box 2, Folder 11 und Sol Levitas an Melvin J. Lasky vom 27.10.1950, ebda., Box 3, Folder 5. Sol Levitas an Melvm J. Lasky vom 19.12.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 3, Folder 5. Sol Levitas an Melvin J. Lasky vom 27.10.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 3, Folder 5. Hans Kohn an John J. McCloy vom 11.10.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 3, Folder 2. Dieser Brief steht zusätzlich in engem Zusammenhang mit den oben geschilderten Spannungen innerhalb von HICOG um den „Monat". Michael Josselson hat später betont, der
270
V. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit" als
Organisation
Unstimmigkeiten und Unzulänglichkeiten zum Trotz fand die Gründungssitzung des CCF planmäßig vom 27. bis zum 30. November 1950 in Brüssel statt, wo man sich im Hauptquartier des „Internationalen Weltbundes Allen
freier Gewerkschaften", dem vom AFL dominierten Zusammenschluß antikommunistischer westlicher Gewerkschaftsbünde, traf.14 Von deutscher Seite waren Margarethe Buber-Neumann, Eugen Kogon, der den aus Wahlkampfgründen abwesenden Schmid vertrat,15 Franz-Joseph Schöningh,16 Alfred Weber, Richard Löwenthal und der KgU-Leiter Ernst Tillich anwesend; Karl Jaspers, der sich von der Philosophin Jeanne Hersch vertreten ließ, und Theodor Phevier hatten sich entschuldigen lassen. Sogleich wurden dann die wichtigsten organisatorischen Entscheidungen getroffen. Das Ehrenpräsidium wurde bestätigt, ferner ein erweitertes Exekutivkomitee gebildet.17 Das Internationale Komitee, dem als deutsche Delegierte Margarethe Buber-Neumann, Karl Jaspers, Eugen Kogon, Franz-Joseph Schöningh, Carlo Schmid und Alfred Weber angehörten, wurde ebenfalls als Gremium formell installiert. Konzeptionell kam man allerdings erst einmal nicht sehr viel weiter. Nicolas Nabokov und Margarethe Buber-Neumann tendierten in ihren eröffnenden Ansprachen dazu, sich eher abstrakt über freiheitlich-antitotalitäre Prinzipien zu verbreiten, was sofort den energischen Widerspruch von Jeanne Hersch hervorrief, die anmahnte, man solle sich der Thematik praxisnäher annehmen. Es waren dann zusätzlich Irving Brown und Herbert Tingsten, einer der skandinavischen Sozialdemokraten, die dazu mahnten, sich nicht in abstrakten Diskussionen zu verlieren, um sogleich mit konkreten Vorschlägen aufzuwarten: Ziel des CCF könne allen Ernstes nicht die Massenerziehung sein, auch nicht die organisatorisch-propagandistische Unterstützung der Gewerkschaften, sondern die bevorzugte Arbeit auf dem Felde der Ideen und Ideologien. Für einen Gewerkschafter etwas ungewöhnlich fügte Brown dann hinzu:
Gedanke, eine Kette internationaler Zeitschriften über den CCF zu gründen, habe von TS. Eliot gestammt, vgl. Interview von Thomas R. Bransten („Ramparts") mit Michael Josselson vom 1.5.1967 (unveröffentlicht), NL Josselson, Box 27. Wie jedoch gezeigt, basierte dieser Gedanke
14
15 16
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auf einem Redebeitrag Arthur Koestlers auf dem Berliner Kongreß von 1950. Protokoll der Sitzungen des Internationalen Komitees vom 27.11 -30.11.1950 (Kurzfassung), IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 2, Folder 8, Protokoll der Sitzungen des Internationalen Komitees vom 27.11.-30.II. 1950 (Wortprotokoll), ebda., Box 2, Folder 9; vgl. The New Statesman and Nation vom 9.12.1950. Carlo Schmid an François Bondy vom 16.11.1950, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 288. Folder 4. Schöningh zeigte sich nicht sehr angetan vom Brüsseler Treffen, im Vergleich zum Berliner Kongreß sei es intellektuell weniger bedeutend gewesen, s. Franz-Joseph Schöningh an Norbert Mühlen vom 9.12.1950, NL Mühlen, Box 18. Diesem gehörten Irving Brown, Arthur Koestler, Eugen Kogon oder Carlo Schmid, Denis de Rougemont, David Rousset, Ignazio Silone und der in Berlin abwesende Manès Sperber als Vollmitglieder und Raymond Aron, Georges Alunan, Nicola Chiaromonte sowie TR. Fyvel als Stellvertreter an.
1. Die Entstehung der Internationalen Exekutive
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„If you think that the question of defending freedom in the world is only an economic question you are greatly mistaken [...]. The question of ideas, the question of ideologies
a great role in the climate in which workers become Communists plays m France and Italy, and saw it before the war in Germany."18
We have seen it
Auch Tingsten plädierte für ideologische Arbeit auf einem hohen Niveau, da die Parteien bereits genügend platte antikommunistische Propaganda ablieferten. Nachdem sich der norwegische Sozialdemokrat Haakon Lie zu dieser amerikanisch-skandinavischen Position bekannt hatte, war es absehbar geworden, daß das Konzept des intellektuellen Wertelitenzirkels sich wohl behaupten würde. Tillich und Kogon setzten danach noch die Unterstützung der KgU durch den CCF durch und Koestler gelang es, den von ihm geplanten „Fund for Intellectual Freedom" (FIF), mit dessen Hilfe exilierte Intellektuelle unterstützt werden sollten, durchzubringen.19 Außerdem beschlossen die Mitglieder des „Rainbow Committee", im Sommer 1951 einen neuerlichen Kongreß abzuhalten, der diesmal in Paris stattfinden sollte, dem neuen Zentrum der CCF-Aktivitäten.
Man wollte sich in Brüssel aber nicht auf bloße organisatorische und konzeptionelle Fragen beschränken, sondern suchte publizistische Aufmerksamkeit. Noch im Vorfeld der Brüsseler Konferenz hatte Melvin Lasky im Namen des CCF der UN den Vorschlag unterbreitet, Berlin einmalig zum Sitzungsort der UN-Generalversammlung zu machen, womit eine eindeutig antisowjetische und zugleich prodeutsche Stoßrichtung verbunden war.20 Nachdem diesem Vorschlag, schon weil Berlin nicht auf dem Territorium eines UN-Mitgliedslandes lag, wenig Gegenliebe beschieden war, wandte sich der CCF einem anderen, erfolgversprechenderen Thema zu. Im Verlaufe des Brüsseler Treffens, am 29. November 1950, unterzeichneten Brown, Koestler, Kogon, Rousset, Spender, Silone und de Rougemont einen Brief des CCF an Frédéric JoliotCurie, der am 17. Dezember veröffentlicht wurde.21 Ganz im Sinne bisheriger Verlautbarungen betonte der CCF seinen Friedenswillen, um daraufhin sofort den „Friedenspartisanen" vorzuwerfen, einzig der sowjetischen Propaganda zu dienen. Wenn es den „Friedenspartisanen" wirklich um eine sachliche, dem Frieden dienende Debatte ginge, sei eine in Ost und West zu gleichen, freiheitlichen Bedingungen geführte Diskussion der einzig gangbare Weg. Abschließend kam die rhetorische Frage, ob es Joliot-Curie und seinen Mitstreitern nicht eher um einen Frieden ohne Freiheit gehe, während es doch gälte, für
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Wortprotokoll der Brüsseler Tagung, S. 35. Zum FIF vgl. P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 62f. und I. Hamilton: Koestler, S. 210. Es war überdies mit HICOG abgesprochen worden, diesen Vorschlag in New York über Nichtamerikaner vortragen zu lassen: Melvin J. Lasky an Benjamin J. Buttenwieser (HICOG) vom 6.10.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 6, Folder 6. New York Times vom 30.12.1950; Rhein-Neckar Zeitung vom 16.1.1951; der genaue Text findet sich unter: Brief des CCF an Frédéric Joliot-Curie vom 17.12.1950, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 187, Folder 1
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V. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit" als
Organisation
einen Frieden in Freiheit einzutreten. Dieser nie beantwortete Brief ging sofort an die internationalen Presseagenturen. Sein Erfolg war hingegen eingeschränkt, zumal Bertrand Russell über Alfred J. Ayer indigniert mitteilen ließ, er werde sich keinesfalls an irgendwelchen Aktionen gegen Joliot-Curie beteiligen.22 In Deutschland litt der publizistische Erfolg des Unternehmens darunter, daß der Text dem Berliner Büro erst deutlich später zugesandt wurde und sich bei seiner Publikation dann mit den schon laufenden Maßnahmen der deutschen CCF-Mitglieder zur Spaltung des deutschen PEN-Zentrums überschnitt.23 Erst als das ACCF im Mai 1952 einen neuerlichen Brief an Joliot-Curie veröffentlichte, der der Abwehr des Vorwurfes an die US-Streitkräfte in Korea diente, sie setzten biologische Kampfstoffe ein, wurden die Westdeutschen besser in den Prozeß einbezogen. Diesmal gelang es der deutschen CCF-Sektion, acht deutsche Nobelpreisträger zur Unterschrift zu bewegen.24 Das Treffen in Brüssel hatte zwar den organisatorischen Grundstock für den CCF gelegt, insbesondere in Form des jetzt erweiterten Internationalen Exekutivkomitees, dennoch fehlte es immer noch an geeignetem Personal für die bürokratischen Belange. Hier sollte erst das Frühjahr 1951 entscheidende
Weichenstellungen bringen. Wie bereits angemerkt, hatte das ACCF den Europäern Hilfe bei der Suche
nach einem Kandidaten für das Amt des Internationalen Generalsekretärs angeboten, nachdem klar geworden war, daß Denis de Rougemont als Präsident des Exekutivkomitees füngieren würde. Nun war schon dieses Angebot in sich nicht ganz unproblematisch. Zwischen amerikanischen und europäischen Intellektuellen herrschten selbst innerhalb des CCF einige Spannungen,25 weil die US-Amerikaner dazu neigten, den Europäern bis ins Detail die Form der antikommunistischen Arbeit vorschreiben zu wollen.26 Zu diesem Zweck wurde in New York eigens ein „Committee on Relations to Europe" eingerichtet, das der Koordination antikommunistischer Aktivitäten zwischen ACCF und CCF dienen sollte. Zu den Mitgliedern gehörten auch Nicolas Nabokov und Norbert 22 23 24
25 26
Alfred J. Ayer an René Lalive d'Epinay vom 6.4.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 187, Folder 1. Annelene von Caprivi an François Bondy vom 8.1.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 4. Günther Birkenfeld an Sidney Hook vom 20.5.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 10, wo die deutschen Wissenschaftler noch erhebliche textuelle Veränderungen anmahnten, und Tätigkeitsbericht des Berliner Büros vom Mai 1952, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 99, wo daraufhingewiesen wird, daß es insgesamt nur 11 lebende deutsche Nobelpreis-
träger gäbe.
L. Bushkoff: Counterintelhgentsia, S. 44. Vgl. z.B. die Vorschläge des ACCF hinsichtlich von Gegenmaßnahmen der deutschen CCFSektion aus Anlaß der „Weltjugendfestspiele" in Ostberlin im Frühjahr 1951 : Tätigkeitsbericht von René Lalive d'Epinay vom 15.2.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 13. Die Existenz solcher Spannungen bestätigt auch eine nachträgliche Notiz von Michael Josselson, o.D. (1967), NL Josselson, Box 27.
1. Die
Entstehung der Internationalen Exekutive
273
Mühlen, der dem Gremium jedoch eher skeptisch gegenüberstand. Gerade
Mühlen nämlich kritisierte immer wieder die bevormundende Tendenz im ACCF, die sicherlich zum Teil eine Folge der organisatorischen Unzulänglichkeiten bei den Europäern war: „The American Committee has the task to influence the image European intellectuals have of America. It is not its task to influence their direct attitude towards Communism, Soviet Russia, or Europe, this must be done in their own countries."27 Wohl auch wegen dieser vergleichsweise kritischen Haltung gegenüber dem Kurs des Komitees wurde Mühlen zeitweise gar nicht mehr zu dessen Sitzungen eingeladen. Ganz anders erging es Nicolas Nabokov. Nach eigener Darstellung war er bereits in Brüssel gebeten worden, das Amt des CCF-Generalsekretärs zu übernehmen, obwohl kein eigentlicher Beschluß gefaßt wurde. Aufgrund anstehender Lehrverpflichtungen konnte er diesem Ansinnen aber erst im Februar 1951 nachkommen.28 Grundsätzlich verband sich mit der Bitte an Nabokov die Hoffnung, er werde in der Lage sein, die Differenzen und unterschiedlichen Vorstellungen zwischen den amerikanischen und europäischen Intellektuellen zumindest auszugleichen, wenn nicht gar zu beseitigen.29 Außerdem galt Nabokov als Freund Koestlers, und es ist anzunehmen, daß die Mehrheit des ACCF, die sich ganz im Rahmen der von Koestler vorgezeichneten Linie bewegte, hoffte, daß Nabokov genau diesen Kurs auch in Europa würde durchsetzen können.30 Auch Nabokov scheint zu Anfang seine Aufgabe so verstanden zu haben. Noch in seiner Autobiographie betonte er, er sei Generalsekretär einer „militanten antitotalitären (bis antistalinistischen) Organisation"31 gewesen. Desweiteren erstattete er bis in den Sommer 1951 hinein dem ACCF fast monatlich Bericht über seine Tätigkeit als Generalsekretär des CCF, was sich keinesfalls notwendig aus den Statuten der Organisation ergeben hätte.32 Seit Mitte Mai 1951 kam es dann jedoch zu ersten Spannungen zwischen Nabokov und dem ACCF, die sich auch in der Korrespondenz niederschlugen. Zu diesem Zeitpunkt war es nämlich deutlich geworden, daß eines der von den Amerika27 28 29 30
Norbert Mühlen an Nicolas Nabokov vom 17.12.1950, NL Mühlen, Box 18. N. Nabokov: Zwei rechte Schuhe, S. 318; vgl. P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 43f. François Bondy an Nicolas Nabokov vom 6.2.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 45, Folder 7. Norbert Mühlen an Francois Bondy vom 20.2.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 222, Folder 2: Mr. Nabokov arrives at Paris; at least here he has been an grand ami de Koestler whose enemies are his enemies..." N. Nabokov: Zwei rechte Schuhe, S. 357, s. allerdings einschränkend S. 319. Bericht von Nicolas Nabokov an das ACCF vom 22.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 3, Folder 1, wo Nabokov u.a. anregt, das ACCF solle für die Europäer Monographien über die individuelle Freiheit, die Arbeiterbewegung und das Erziehungswesen in den USA verfassen; s. temer Nicolas Nabokov an James Burnham vom 6.6.1951, ebda, Box 246, Folder 5, der jedoch dem ACCF gegenüber viel kritischer ist. Man müsse sich, so Nabokov, in den USA endlich klar darüber werden, daß es Zeit und Geld benötige, um aus dem CCF eme schlagkräftige Organisation zu machen. Außerdem müsse man den Europäern klar machen, daß der CCF keine Einrichtung des US-Geheimdienstes sei. „...
—
31 32
274
V. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit" als Organisation
favorisierten Projekte, ein zweiter großer Kongreß, diesmal in Paris im Sommer 1951, organisatorisch in der Kürze der Zeit nicht mehr zu bewältigen war. Auch war es unter den Kongreßmitgliedern zum Zwist über die genaue
nern
Gestaltung dieses zweiten Kongresses gekommen. Die radikalantikommunistischen Mitglieder des ACCF machten nun Nabokov für diesen Fehlschlag verantwortlich. Die eben erst für überwunden gehaltene Entfremdung zwischen US-amerikanischen und europäischen Intellektuellen drohte erneut aufzukeimen, wobei es wiederum der offene Dominanzanspruch der Amerikaner war, der nicht unmaßgeblich zu diesem Prozeß beitrug. Dabei handelte es sich nie um tiefgreifende ideologische Differenzen, die zu solchen Spannungen führten, sondern es ging vornehmlich um die Frage, wie die aktuelle organisatorische Situation im europäischen CCF zu beurteilen sei. Erst als Nabokov seit Ende 1951 zunehmend von der Koestler-Linie abrückte, kam es dann auch zu inhaltlichen Auseinandersetzungen, die im Streit über Nabokovs neues Pariser Kongreßprojekt kulminieren sollten. Im Gefolge von Nabokov war auch Michael Josselson als Exekutivsekretär nach Paris gekommen. Nach dem seit Herbst 1950 einsetzenden Rückzug Melvin J. Laskys aus den organisatorischen Strukturen der jungen Kongreßbewegung war dies ausgesprochen wichtig, da mit Josselson endlich ein fähiger und erfahrener Verwalter zur Verfügung stand, dem es schnell gelang, Ordnung in das Chaos der Pariser Zentrale zu bringen.33 Josselson hat diesen Vorgang so geschildert, als sei ihm das Amt gewissermaßen zufällig angetragen worden, während er sich in Paris aufhielt, um nach seiner OMGUS/HICOG-Tätigkeit in der freien Wirtschaft Fuß zu fassen. Er habe akzeptiert und erst im Frühjahr 1951 auf der Suche nach dauerhaften Finanzierungsmöglichkeiten für den CCF mit der CIA Kontakt aufgenommen.34 Nachdem wir heute wissen, daß Josselson seit 1948 Agent der CIA war, dürfte diese Darstellung kaum zutreffend sein. Es ist wahrscheinlicher, daß er zu Beginn des Jahres 1951 von seinen Vorgesetzten dazu animiert wurde, in die Führungsspitze des CCF einzutreten, schon um angesichts der unbefriedigenden Zustände dort und im ACCF für mehr Klarheit zu sorgen. Auf diese Weise konnte dann zusätzlich die Frage geklärt werden, auf welchem Wege sich die finanziellen Mittel der CIA künftig in den CCF eingespeisen ließen, ohne daß diese Vorgänge zu vielen Personen zur Kenntnis gelangten. Seit dem Ende des Berliner Kongresses hatte es offiziell die AFL
übernommen, die laufenden Geschäfte des CCF zu finanzieren, wobei Irving
33 34
Frederick Warburg: All Authors Are Equal, London 1973, S. 156, bezeichnete Josselson einmal als den antikommunistischen Bürokraten des Kalten Krieges. Michael Josselson: Report of the Financial History of the Congress for Cultural Freedom (1967), S. 2, NL Josselson, Box 9.
275
1. Die Entstehung der Internationalen Exekutive
Brown35 die Rolle des Mittelsmannes zwischen den US-Gewerkschaften und dem Kulturkongreß zufiel. Brown war allerdings bald daran gelegen, daß die Finanzen des CCF auf eine andere Weise und vor allem langfristiger geregelt würden.36 Nach Angaben von Pierre Grémion hat die AFL im Verlaufe dieser ersten elf Monate der CCF-Aktivitäten insgesamt $ 170.000,- an den CCF bezahlt, davon allein $ 16.000,- für die Büros in Berlin und Paris im zweiten Halbjahr 1950. Der Rest wurde für das Exekutivkomitee, die „Amis de la Liberté" und die von Josef Czapski geplante Emigrantenuniversität aufgewendet.37 Mit dem Eintritt Josselsons in das Internationale Sekretariat ergab sich dann für die CIA die Möglichkeit, ihre Gelder anderweitig in den CCF einzuspeisen und so die Finanzfrage in allseits befriedigender Form zu lösen. Die Art und Weise, wie dies geschah, ist seit 1966/67 recht detailliert bekannt geworden.38 Spätestens seit Anfang 1952 richtete die CIA eine ganze Reihe privater wohltätiger Stiftungen ein, die auf zwei unterschiedlichen Ebenen agierten. In einer ersten Stufe wurden Stiftungen eingerichtet, deren Kapital zu 100% aus CIA-Mitteln stammte39 und die als reine „dummy foundations" fungierten. Sie tauchten weder in den offiziellen Verzeichnissen der amerikanischen Stiftungen auf noch wurden sie vom „Internal Revenue Service" geführt oder kontrolliert. Von diesen Tarnorganisationen flössen die Gelder dann in gemischt finanzierte Stiftungen bekannter Philanthropen, die ebenfalls ausschließlich zu dem Zweck etabliert worden waren, die CIA-Mittel weiterzuleiten. Hier wären für den CCF insbesondere die Hoblitzelle-Foundation,40 die Kaplan-Foundation und die Farfield-Foundation zu nennen. Dabei ist die Farfield-Foundation von erheblichem Interesse, da Josselson dort mindestens seit 1960 als „International Director" beschäftigt war, ohne seine Funktionen in der Pariser CCF-Zentrale aufzugeben.41 Die Stiftung war 1952 gegründet worden, als ihr Präsident diente von 1952 bis 1962 der Millionär Julius 35
36
37 38
Zu Irving Brown bemerkte Bondy damals: „He has been more helpful in every way than all the Koestlers and Sifones lumped together and I think that we should defend culture behind the back of the intellectuals." S. François Bondy an Norbert Mühlen vom 1.2.1951, NL Mühlen, Box 18. Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 16.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 3, Folder 1, wobei er vornehmlich an die privaten amerikanischen Stiftungen dachte. P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 74; vgl. Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 5.8.1950, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 2, Folder 8. Die folgende Darstellung stützt sich auf Newsweek vom 6.3.1967, S. 27. Dieser Bericht wiederum stützte sich auf Ergebnisse von Recherchen, die „Ramparts", die „Washington Post und die „New York Times" durchgeführt hatten und die dann ihrerseits 1975 vom „Church Committee" bestätigt worden sind. Folgende Institutionen sind dabei benannt worden: Price Fund, Power Fund, Beacon Fund, Borden Fund, Monroe Fund, Gotham Fund, Heights Fund. Laut D. Caute: Fellow-Travellers, S. 300, flössen allein über die Hoblitzelle-Foundation zwischen 1961 und 1966 $ 430.700,- an den CCF; Newsweek vom 27.2.1967 behauptet, die Hoblitzelle-Foundation habe insgesamt $ 580.700,- zur Verfügung gestellt. Michael Josselson an Donald S. Stralem (Farfield-Foundation) vom 6.8.1966 und Donald S Stralem an Michael Josselson vom 15.8.1966, NL Josselson, Box 27. "
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276
V. Der
„Kongreß für Kulturelle Freiheit" als Organisation
Fleischmann, der zugleich auch Vorsitzender der Fleischmann-Foundation
war.42 Fleischmann wiederum
war dem CCF persönlich eng verbunden und wurde im Juni 1953 in das Internationale Exekutivkomitee des CCF kooptiert.43 Über die CIA-gestützten Foundations hinaus waren auch bona fide-Stiftungen daran beteiligt, den CCF finanziell zu unterstützen, allen voran die Ford-Foundation, die allein zwischen 1957 und 1966 den CCF mit $ 2,9 Millionen bezuschußte.44 Die Ford-Foundation hat sich allerdings stets geweigert, den Kongreß komplett zu finanzieren, zeitweise, unter der Präsidentschaft von Harry Heald, lehnte es die Stiftung sogar ganz ab, dem CCF materielle Hilfe zukommen zu lassen, da man nicht in den Ruch der Zusammenarbeit mit der CIA kommen wollte. Erst als zu Beginn der sechziger Jahre McGeorge Bundy seinen Einfluß bei der Ford-Foundation geltend machte, kam es wieder zu einer engeren Zusammenarbeit. Neben der FordFoundation waren auch die Rockefeller-Foundation, die GuggenheimFoundation und die Carnegie-Foundation daran beteiligt, Gelder für den CCF bereitzustellen, die nicht aus CIA-Beständen stammten. Waren die CIA-Mittel, die man auf circa $ 800.000,- pro Jahr zwischen 1950 und 1966 veranschlagt hat,45 eher dafür bestimmt, die laufenden Geschäfte des CCF aufrechtzuerhalten, dienten die Gelder der bona fide-Stiftungen dazu, größere Einzelprojekte zu
ermöglichen.46
Nachdem so die Personal- und Finanzfragen zur allgemeinen Zufriedenheit gelöst waren, konnten die seit Mitte 1950 aufgebauten organisatorischen Strukturen mit Leben gefüllt werden. Im Verlauf der Sitzung des Exekutivkomitees in Versailles vom 9. und 10. Februar 1951 wurde die einzuschlagende Linie erstmals genauer niedergelegt:47 Im Rahmen einer weiter gespannten Diskussion über Ziele und Strategie des Antikommunismus einigten sich die Mitglieder der Kongreßexekutive darauf, an den publizistischen Angriffen auf die „Weltfriedenspartisanen" ebenso festzuhalten, wie an dem 42 43 44
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47
Vgl. Jahresbericht der Farfield-Foundation, NL Josselson, Box 9. Denis de Rougemont an Nicola Chiaromonte vom 4.6.1953 und Denis de Rougemont an Julius Fleischmann vom 29.6.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 2. Michael Josselson: „Report on the Financial History of the Congress for Cultural Freedom (1967)", S. 6, NL Josselson, Box 9; vgl. Michael Josselson: „The Congress for Cultural Freedom, 1950-1967", o.D. (1967?), S. 5, ebda., Box 10, wonach die Ford-Foundation 1957 $ 500.000,- und 1959 $ 750.000,- für den CCF zur Verfügung stellte. F. Tichy: Encounter, S. 43, der auch daraufhinweist, daß Coleman und Lasky den Betrag für zu hoch hielten. Beispielsweise das Seminarprogramm, größere Konferenzen oder die im Anschluß an den Ungam-Aufstand gegründete „Philharmonia Hungarica", die von der Rockefeller-Foundation gesponsort wurde, vgl. Michael Josselson an Nicolas Nabokov vom 26.9.1958, NL Josselson, Box 10. Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 9. und 10.2.1951, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 2, Folder 10 Die beiden Sitzungen waren auch für den deutschen CCF relativ bedeutsam, da hier erstmals Carlo Schmid und Max Karl Graf Trauttmansdorff, der westdeutsche CCF-Sekretär, auf der Bühne des internationalen CCF auftraten. Vgl. allg. zu dem Gesamtprozeß: P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 91-97.
277
1. Die Entstehung der Internationalen Exekutive
Konzept der „Amis de la Liberté". Die CCF-Büros in Paris und Berlin sollten weiterhin bestehen bleiben, wobei der seit Ende 1950 anhaltende Trend, Paris als zentrale Wirkungstätte der CCF-Bürokratie anzusehen, gleichfalls bestätigt wurde. Paris, obschon chronologisch erst nach dem Berliner Büro entstanden,
kam von nun an ein klarer Primat zu. Die Wahl von Paris als Verwaltungssitz des CCF war kaum ein Zufall. Die Gründe für diese Entscheidung lagen unmittelbar auf der Hand. Wesentlich ging es dem CCF um kulturellen und ideellen Wertetransfer im Kampf gegen kommunistische Einflüsse aller Art, wobei ein gewisses intellektuelles Niveau nicht unterschritten werden sollte. Um all dies effizient gewährleisten zu können und gleichzeitig nicht allzu offensichtlich als Agentur des Amerikanismus zu erscheinen, mußte das Zentrum des CCF, allen Domtaanzansprüchen des ACCF zum Trotz, in Westeuropa liegen, und zwar in einem Land mit starken kommunistischen Parteien und ausgeprägter „fellow-traveller"Aktivität. Dafür kamen theoretisch Italien und Frankreich in Frage. Nun war die „intellectual community" in Paris, dem traditionellen Zentrum französischer in kontinentaler Perspektive Geisteswelt, ungleich lebendiger und einflußreicher als diejenige Roms. Westberlin hingegen schied unter allen genannten Gesichtspunkten von Anfang an aus. Hinzu kam, daß in Paris mit Sartre, Joliot-Curie und Merleau-Ponty die wichtigsten westlichen Rivalen der konsensliberalen Ideologie ihre Wirkungsstätte hatten. Schließlich und das war gerade für die Frühphase des CCF von eminenter Bedeutung lebte Arthur Koesder ganz in der Nähe der Stadt. So mochten New York die geistige Heimat und Berlin der Gründungsort des CCF sein, Paris aber mußte fast zwangsläufig zum Zentrum seiner Aktivitäten werden. In der Folge wurde der CCF organisatorisch weiter ausgebaut. Im Januar 1953 gab man sich neue Statuten, in denen die Kompetenzen der unterschiedlichen Gremien gegeneinander abgegrenzt wurden. Der CCF bildete nun eine formalrechtlich in Genf ansässige Institution, die sich dem Ziel widmete, die Inhalte des Berliner Manifestes zu verbreiten. Zentrales Organ sollte eine alle zwei Jahre tagende Generalversammlung sein, aus deren Mitte ein 9-21köpfiges Gremium, das Internationale Exekutivkomitee, zu wählen war. Sowohl die Tagesordnung der Generalversammlung als auch ihre Zusammensetzung und Einberufung oblagen allein der Kompetenz eines Exekutivausschusses, der personell weitgehend mit dem Exekutivkomitee identisch war. Faktisch führte dies dazu, daß alle wirklich wichtigen Angelegenheiten weniger dem halbjährlich tagenden Exekutivkomitee unterstanden, sondern zunehmend vom Internationalen Sekretariat in Paris erledigt wurden, dessen Bedeutung gegenüber allen anderen Institutionen des CCF, darunter auch den nationalen Sektionen und Sekretariaten, im Laufe der Zeit enorm anstieg, innerhalb des Geflechtes von Exekutivkomitee und Sekretariat wiederum lag die wirkliche nicht beim Präsidenten des Exekutivkomitees, dem sie Entscheidungsgewalt normalerweise und der Satzung nach hätte zufallen müssen, sondern bei -
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278
V Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit" als
Organisation
Nabokov und Josselson, die auf diese Weise nicht nur bloß exekutive Funktionen und die Ordnung der alltäglichen Geschäfte des CCF wahrnahmen, sondern außerdem für die gesamte strategisch-konzeptionelle Arbeit der Organisation verantwortlich wurden. Von der von den Statuten vorgesehenen Machtfülle des Exekutivkomitees profitierte in der Realität das Sekretariat. Dieser zentralistische Aspekt im Aufbau des CCF wurde noch dadurch verstärkt, daß die Generalversammlung satzungswidrig nicht alle zwei Jahre, sondern nach dem Willen des Sekretariates jeweils im Umfeld größerer Konferenzen einberufen wurde.48 Der straff zentralistische Zug innerhalb des CCF war nicht allein Ausdruck eines eventuellen Machtwillens der Pariser Kongreßbürokratie oder Ergebnis verdeckter Machenschaften aus dem Hintergrund, sondern hatte sich aus den Mängeln in der praktischen Arbeit des CCF bis 1951/52 ergeben. Eine lose Führung, dies hatte sich gezeigt, führte zu mangelnder Effizienz, die unbedingt vermieden werden sollte. Aufgrund dieser Entwicklung wurde es ständig wichtiger, wer denn in der Internationalen Exekutive saß und wessen Meinung dort von Belang war. Insgesamt läßt sich sagen, daß das Führungsgremium des CCF über eine erstaunliche personelle Kontinuität verfügte. Zwischen 1953 und 1967 gab es, nachdem die radikalen Antikommunisten ausgeschaltet und neue Persönlichkeiten, wie Julius Fleischmann oder Michael Polanyi, aufgenommen worden waren, kaum wesentliche Veränderungen. Einzig die Versuche, zusätzlich in den entkolonialisierten Territorien der Dritten Welt Fuß zu fassen, brachten einen kleineren personellen Schub aus Indien, Lateinamerika und dem afrikanischen Raum seit Mitte der fünfziger Jahre. Für Deutschland saßen anfangs Carlo Schmid, Eugen Kogon und Margarethe Buber-Neumann in dem Gremium. 1952 schieden die beiden letztgenannten zugunsten von Hellmuth Cron aus, der wiederum 1954 im Verlaufe des Verfalls der deutschen Exekutive austrat und im Oktober 1954 durch den Hamburger Altphilologen Bruno Snell ersetzt wurde, der sich bei der Vorbereitung der Hamburger Konferenz von 1953 einige Verdienste erworben hatte. Danach waren es Schmid und Snell, die Westdeutschland auf der internationalen Führungsebene des CCF vertraten, was insofern problematisch war, als Schmid nur sehr selten anwesend war. Snell war deutlich aktiver. Zu Beginn der sechziger Jahre allerdings gab es praktisch keine deutschen
Vertreter mehr in der Internationalen Exekutive. Nicht nur der Einfluß der Deutschen auf der internationalen Ebene war relativ eingeschränkt. Ein so kleines Organ wie das Internationale Exekutivkomitee lebte von der Autorität von Einzelpersönlichkeiten. Brian Crozier hat die These vertreten, Raymond Aron habe in der Exekutive des CCF über 48
Statuten des „Kongresses für die Freiheit der Kultur" vom 2.1.1953 (mit den Ergänzungen und Veränderungen bis 1966), IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 10, Folder 5. Das Statut galt bis 1967.
1 Die
Entstehung der Internationalen Exekutive
279
besonderen Einfluß verfugt, er sei sogar das wichtigste Mitglied der Internationalen Exekutive gewesen.49 Dies trifft aber nur bedingt zu. Durchgehend, bis weit in die sechziger Jahre hinein, hing die Exekutive von Nabokov und Josselson ab, wobei Josselson der konstantere und wohl auch einflußreichere Mitarbeiter war. Denis de Rougemont und später Pierre Emmanuel als Präsidenten des Komitees kam eine gewisse, aber nicht übermäßig große Bedeutung zu. Einflußreich waren spätestens seit Mitte der fünfziger Jahre der Amerikaner Edward Shils, der Brite Michael Polanyi und bis zu einem gewissen Grade der Inder Minoo Masani. Aus dem Bereich der Pariser Zentrale gewannen Josselsons Mitarbeiter John C. Hunt und Daniel Bell einigen Einfluß, bis 1955 war Ignazio Silone wichtig, danach stieg der Stem von Manès Sperber, der sich in besonderem Maße der deutschen Angelegenheiten annahm. Wichtig erscheint, daß das Internationale Exekutivkomitee seit 1952/53 nie von eigentlich ideologischen Richtungskämpfen heimgesucht wurde. Eventuell in Einzelfällen sich ergebende Auseinandersetzungen waren mehrheitlich Ausdruck persönlicher Differenzen. Die weltanschauliche Homogenität des Exekutivkomittees ist ebenso bemerkenswert wie seine personelle Konstanz. Desweiteren wäre noch darauf hinzuweisen, daß mit Margarethe Buber-Neumann die erste und letzte Frau das Gremium, ohne je wirklich aktives Mitglied gewesen zu sein, schon in der Frühphase wieder verließ. Sicher wäre es verfehlt, hieraus auf eine generelle Diskriminierung weiblicher Intellektueller durch den CCF zu schließen. Eher deutet es auf eine Grundkonstante hin, die seit 1964 zum rapiden Verfall des CCF beitragen sollte und die eng mit den bereits genannten Faktoren von Homogenität und Konstanz in der Führungsschicht des CCF verknüpft war: die zunehmende Unfähigkeit, mit den aktuellen Entwicklungen der Zeit weiterhin Schritt zu halten, geordnet Nachwuchs heranzuziehen und die Ideen des liberalen Konsenses inhaltlich und personell neuen politischen und kulturell-ideellen Konstellationen anzupassen. Das Exekutivkomitee des CCF wurde seit Beginn der sechziger Jahre zu einem überlebten Relikt seiner selbst. Doch so weit war man 1952/53, zum Zeitpunkt, als das Statut angenommen wurde, noch lange nicht; der CCF stand vor ganz anderen Problemen. Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, daß das Statut von 1953 keine eigentlich neue Situation schuf, sondern eher Ausdruck einer faktischen Zentralisierungstendenz von Seiten der Pariser Führung war, die 1951 ihren Ausgang genommen hatte und 1952 erneut verschärft worden war. In einem internen Arbeitsplan vom August 1951 hatte das Pariser Sekretariat zwar betont, daß die nationalen Komitees und Sekretariate auf einer prinzipiell föderalistischen Basis arbeiten sollten, zugleich aber für sich in Ansprach genommen, alle
49
B. Crozier: Noble Mass, S. 64.
280
V. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit" als
Organisation
anfallenden Aktionen von Paris aus zu koordinieren und zu beaufsichtigen.50 Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar geworden, daß das Konzept der relativen Massenbewegung in der Praxis gescheitert war, der Gedanke an einen international tätigen Wertelitenzirkel fand mehr und mehr Aufmerksamkeit. Im August 1951 verfügte der CCF weltweit gerade über 500 Mitglieder, das Gros in Frankreich und den USA. Hinzu kamen die rund 5.000 assoziierten Mitgbeder der „Amis de la Liberté", die auf Frankreich beschränkt blieben. Im Vergleich zu den Zahlen, mit denen die Weltfriedensbewegung zur gleichen Zeit operierte, nahm sich dies recht bescheiden aus. Auf der anderen Seite war man dabei, die personellen Netzwerke der Linksintellektuellen organisatorisch durchaus erfolgversprechend miteinander zu verknüpfen. Je straffer und zielbewußter eine derart entstehende Organisation von nun an gelenkt würde, umso erfolgreicher würde sie in der Folge arbeiten. Diesem vorrangigen Ziel widmeten sich Nabokov und Josselson. Indirekt trug ein weiterer Umstand dazu bei, den Einfluß des Sekretariates zu stärken. Gleichfalls im Frühsommer 1951 war nämlich, wie oben kurz angedeutet, klar geworden, daß der geplante Fortsetzungskongreß in Paris, den man im Sommer 1951 hatte dmchführen wollen, nicht würde stattfinden können. Schon im Februar war es deswegen zu Zerwürfhissen zwischen dem Sekretariat und Koestler sowie Stephen Spender gekommen, die kritisiert hatten, daß man in Paris offenbar allen Ernstes daran dachte, Sartre, Thomas Mann und Simone de Beauvoir zu der geplanten Veranstaltung einzuladen. Vor allem Koestler vermochte in den genannten Personen nichts anderes zu sehen als „fellow-travellers".51 Parallel dazu scheiterte ein letzter Anlauf Carlo Schmids, aus dem CCF eine Bewegung mit breiterer Mitgliederbasis zu machen, die sich dann eng an Sozialdemokraten und Gewerkschaften anlehnen sollte.52 Dies war aus Sicht des Sekretariates schon deshalb kaum akzeptabel, weil es darum ging, die westeuropäische Arbeiterbewegung ideell zu durchdringen. Demgegenüber scheint man hinter Schmids Plan eher die Absicht vermutet zu haben, den CCF zu einer Art Anhängsel der westeuropäischen Sozialdemokratie machen zu wollen. Selbst mit der Liberalen Internationale, deren Präsident seit 1951 Salvador de Madariaga, ebenfalls ein Mann des CCF, war, kam es nur zu begrenzter inhaltlicher Zusammenarbeit.53 Die CCF-Führung behielt sich durchgehend die volle Handlungsfreiheit auf 50
Arbeitsplan
des Internationalen Sekretariates
Archiv, Series II, Box 10, Folder 5. 51
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von
August 1951-August 1952,
IACF/CCF-
Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 9.2.1951, IACF/CCF-Archiv, Series H. Box 2, Folder 10. Ober die Frage dieser Einladungen war es zuerst am 31.12.1950 zu einem heftigen Konflikt gekommen, in dessen Verlauf Arthur Koestler seinen Rücktritt aus der Exekutive angeboten hatte, vgl. P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 45. Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 9.2.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 2, Folder 10. Francis Bennett an Francois Bondy vom 13.7.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 41, Folder 1.
281
1. Die Entstehung der Internationalen Exekutive
allen Ebenen vor. Die Konflikte vom Februar 1951 waren bald gegenstandslos. Der Pariser Kongreß war organisatorisch nicht mehr zu bewältigen, und man einigte sich auf ein kleines Intellektuellentreffen im September 1951 in Andlau.54 Dort ging es dann um die Frage, wie kommunistische Intellektuelle zu erreichen seien und wie der intellektuellen Herausforderung durch den dialektischen Materialismus zu begegnen sei. Einen Monat später gab mit Arthur Koestler der wichtigste Vertreter der radikalantikommunistischen Linie und der Massenbewegungskonzeption entnervt auf und schied, sprunghaft wie immer, aus der Internationalen Exekutive aus, nachdem weder sein Vorschlag für eine europäische Freiheitslegion noch der CCF dem moralischen Antikommunismus die erhoffte Basis gebracht hatten.55 Koestlers Schritt hing eng mit den Zentralisierungstendenzen der Pariser Zentrale und den Vorbereitungen für den Pariser Kulturkongreß zusammen. A.M. Corbin-Schuffels hat darauf hingewiesen, daß besonders Manès Sperber Koestlers Haltung voll teilte, aber nicht zum Ausscheiden aus dem CCF bereit war. Allerdings sollte Sperber durchgehend Vertreter einer Linie bleiben, die starke nationale Sektionen verlangte, um der „ineffizienten Geheimherrschaft" einer „parasitischen SuperStruktur", wie sie die „snobistische" Pariser Zentrale in seinen Augen darstellte, entgegenzuwirken.56 Ganz ähnlich dachte man offensichtlich auch in New York, wo die Intellektuellen um Sidney Hook Koestlers Ausscheiden lebhaft bedauerten.57 Im Gegensatz zu den US-amerikanischen Intellektuellen gab es im europäischen Bereich nicht wenige, die diesen Schritt ausgesprochen begrüßten.58 Koestler wandte sich für längere Zeit vollkommen von der direkten 54 55
Rundschreiben von Denis de Rougemont vom 18.6.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 41, Folder 1. François Bondy an Günther Birkenfeld vom 31.7.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 2; Nicolas Nabokov an Arthur Koestler vom 1.8.1951, ebda., Box 246, Folder 4, wo als Grund des Rücktritts „Arbeitsüberlastung" angegeben wird. Dagegen spricht jedoch der Umstand, daß Koestler großen Wert darauf legte, nicht mehr namentlich im Briefkopf des CCF geführt zu werden Laut I. Hamilton: Koestler, S. 201, hatte der Exilungar erstmals kurz nach dem Ende des Berliner Kongresses seinen Rücktritt angeboten, um den CCF von dem politischen Druck zu entlasten, den der Name Arthur Koestler in der europäischen Öffentlichkeit hervorrief James Burnham überzeugte ihn dann zu bleiben. In der Folge kam es dann auch wegen des geplanten Pariser Kongresses zu einem Zerwürfnis zwischen Koestler und Burnham, wodurch auch die radikalantikommunistische Position erheblich geschwächt wurde. Manès Sperber an Arthur Koestler vom 12.4.1951, NL Sperber (Paris), zit. nach: A.M. CorbinSchuffels: Von Berlin nach Berlin, S. 14-16. S. Hook: Out of Step, S. 443f. Günther Birkenfeld etwa bemerkte gegenüber Karl Kom, der CCF sei kein Koestler-Unternehmen gewesen, und führte weiter aus: „Koestler hat sich aus der Exekutive zurückgezogen, und ich darf Ihnen gestehen, daß wir alle nicht unglücklich darüber waren, nachdem er in seinen letzten Veröffentlichungen einen sehr einseitigen Kurs emgeschlagen hat, mit dem der Kongreß sich nicht ohne weiteres identifizieren kann." Im Anschluß allerdings behauptete er: „Die tonangebenden Köpfe sind jetzt doch sehr viel mehr Rougemont, Nabokov, Silone, Kogon und unsere deutsche Exekutive, die Carlo Schmid leitet", was in bezug auf die deutsche Exekutive mehr als übertrieben erscheint S. Günther Birkenfeld an Karl Kom (Frankfurter Allgemeine -
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V Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit" als
Organisation
politischen Arbeit ab und engagierte sich nur noch in der britischen Bewegung zur Abschaffung der Todesstrafe.
Mit dem Ausscheiden Koestlers und dem seit Februar 1951 wachsenden Machtwillen der Pariser Zentrale im CCF war jedoch noch nicht das Ende aller Dominanzansprüche der radikalantikommunistischen Gruppe gekommen, die ihren stärksten Rückhalt im ACCF hatte. Diese Entwicklung vollzog sich erst 1952, auch wenn Relikte des alten Kurses sich bis weit in das Jahr 1953 feststellen lassen.
2. Der Pariser Kongreß von 1952 und das Ende der Dominanz des ACCF Zwischen dem Ende des Berliner Kongresses von 1950 und dem Frühjahr 1952 stellte das ACCF den bedeutsamsten Faktor innerhalb des CCF dar.59 Dies lag an der faktischen Autonomie der Organisation, die zudem älter war als der eigentliche CCF, an ihrer finanziellen Unabhängigkeit und Mitgliederstärke sowie daran, daß die wichtigsten Vordenker des „consensus liberalism" dort ebenso ihre Heimat hatten wie die Verfechter des radikalen Antikommunismus. Zwei Faktoren, einer eher kongreßintern, der andere exogen, trugen maßgeblich dazu bei, diesen Zustand zu beenden: Einerseits agierte das Pariser Sekretariat zunehmend machtbewußter und unabhängig von irgendwelchen Vorschlägen von außen, selbst wenn sie aus New York kamen. Musterfall für diesen Prozeß waren die Vorbereitungen für den Pariser Kongreß „Meisterwerke des XX. Jahrhunderts". Andererseits setzte seit Januar 1952 ein bis 1955/56 anhaltender rapider Machtverfall des ACCF ein, der in der Hauptsache mit der Tätigkeit des HUAC unter Senator Joseph McCarthy zusammenhing, allerdings weniger in dem Sinn tatsächlicher Verfolgung, sondern eher verknüpft mit der Frage, wie der Konsensliberalismus auf die praktisch-politische und ideologische Herausforderung durch McCarthy zu reagieren habe. Im Verlaufe dieser Konflikte sollte sich erweisen, daß es dem ACCF angesichts des radikalantikommunistischen Antiintellektualismus von konservativer und altliberaler Seite an geschlossenen und solidarischen Konzepten ermangelte. Im Grunde erwies sich der Riß zwischen radikalen und moderaten Antikommunisten als tiefer als derjenige zwischen „liberals" und „conservatives". Wieder einmal drohten die
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Zeitung) vom 12.12.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 10. Zur Geschichte des ACCF vgl. Chr. Lasch: Agony, S. 78-98; W. Pihllips: The Liberal Conspiracy, S. 7f. und R.K. Landers: Cold War Retrospective, S. 37; v.a. die einschlägigen Passagen bei P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 159-165 und P. Grémion: Intelligence de
l'Anticommunisme, S. 130-144
2. Der Pariser Kongreß von 1952
283
durch den antikommunistischen gesellschaftlichen Konsens mit den Altliberalen notwendig gewordenen Kompromisse die Einheit des liberalen Konsenses zu zerstören und seinen politisch-reformistischen Ansprach aufzuheben. Nachdem
man sich entschlossen hatte, den Pariser Kongreß von 1951 zu verschieben, mußten neue Konzepte entwickelt werden. Ausgerechnet Nicolas Nabokov, der einst als Mann Koestlers angetreten war und den radikalen Antikommunisten im CCF zugerechnet wurde, war es dann, der eine neue Konzeption vorlegte. Im Juli 1951 versandte er ein Rundschreiben, in dem er seine Pläne, die er angeblich bereits auf dem Flug von New York nach Paris im
Februar ausgearbeitet hatte,60 näher erläuterte.61 Seine Analyse der aktuellen Situation hob vornehmlich auf hochkulturell-ästhetische Fragen ab, nahm also die ursprüngliche Intention des CCF wieder auf. Nabokov stellte fest, daß die moderne Kunst sich seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts von einem ländlich geprägten Kulturfaktor zu einer kosmopolitisch-urbanen Größe gewandelt und weiterentwickelt habe. Dieser an sich fortschrittliche Prozeß sei aber retardierenden Momenten unterworfen, zu denen der Totalitarismus mit seinen spezifischen ästhetischen Kategorien zählte. Die totalitären Diktaturen brandmarkten unisono die moderne Kunst als unwert, korrupt, dekadent und volksfeindlich-elitär. Diesen Vorwürfen gälte es, entschieden zu begegnen. In einem großen Kulturkongreß könne es unter Umständen gelingen, die Errungenschaften der hochkulturellen Moderne zu verdeutlichen; Opem von Debussy, Alban Berg, Benjamin Britten, Balletts von Strawinsky, Prokofjew oder Hindemith würden die ganze Spannbreite modernen musikalischen Schaffens dokumentieren, Gemälde aus dem „Museum of Modem Arts" in New York wegweisende Produkte der bildnerischen Entwicklung aufzeigen. Nabokovs Konzept wurde ergänzt durch Dichterlesungen, literarische Diskussionen und philosophische Gesprächsrunden. Alles in allem ein ausgesprochen ambitioniertes Projekt, zu dessen Verwirklichung alsbald ein Vorbereitungskomitee eingesetzt wurde, dem neben Nabokov auch Julius Fleischmann angehörte, hinzu kamen der Finanzdirektor des CCF, Pierre Bolomey, und einige weitere französische Intellektuelle.62 Jenseits aller persönlichen Präferenzen des Komponisten und Dirigenten Nabokov war dieser Kongreß zu keinem Zeitpunkt als apolitisch-ästhetisches
Spektakel geplant.
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Er richtete sich bewußt und
politisch relevant
gegen den
N. Nabokov: Zwei rechte Schuhe, S. 319-321. Rundschreiben von Nicolas Nabokov vom 20.7.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 14, Folder 3. Vgl P Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 70-73, weist darauf hin, daß Aron, Spender und Chiaromonte sich schon im Februar 1951 gegen einen neuerlichen Kongreß nach Art der Berliner Versammlung in Paris ausgesprochen hätten. Nabokov habe dann im Mai 1951 erstmalig die Idee fur em rein kulturell ausgerichtetes Treffen in Paris vorgelegt. Pressemitteilung des deutschen CCF o.D. (Juni 1951 ), BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd 100.
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V. Der
„Kongreß für Kulturelle Freiheit" als Organisation
ideell-kulturellen Hegemonialanspruch marxistischer Kulturtheorie, vor allem gegen den sozialistischen Realismus und die aggressiv antimodernen und antiwestlichen Implikationen der Antiformalismuskampagnen. Aus diesem Grunde wurden die Vorbereitungen zum Pariser Kulturkongreß in Westdeutschland auch von einer ausführlichen Diskussion um den Formalismus- und Realismusbegriff der marxistischen Ästhetik eingeleitet.63 Die Reaktionen auf die von Josselson unterstützten Vorschläge Nabokovs fielen ausgesprochen ambivalent und unvermittelt heftig aus. Melvin J. Lasky zeigte sich zwar von den Gedanken des Exilrussen recht angetan,64 im ACCF hingegen kam es zu erbirtterter und nahezu einhelliger Opposition. Gut einen Monat nach der Publikation seines Programmentwurfes reiste Nabokov nach New York, um den Mitgliedern des ACCF Rede und Antwort zu stehen. Besonders Sol Levitas und Sidney Hook taten sich als Kritiker hervor, während erstaunlicherweise James Burnham als einziger die Ideen als gar nicht so schlecht empfand.65 Levitas warf Nabokov vor, der Kongreß trage in der geplanten Form nichts zum Kampf gegen den Kommunismus bei und sei überdies nicht geeignet, das Prestige des CCF in irgendeiner Weise zu befördern.66 Hans Kohn befand, man könne die für Paris avisierten Finanzmittel besser der deutschen und französischen Kongreßsektion zukommen lassen, wo sie nutzbringender angelegt seien.67 Am weitesten ging wohl Norbert Mühlen, der feststellte, die ganze Veranstaltung habe mit den Zielen des CCF überhaupt nichts zu tun, sie sei eigentlich sogar gefährlich, weil ein nicht unerheblicher Teil der vorgestellten Kunstwerke von „fellow-travellers" oder Kommunisten angefertigt worden sei, was wohl mit Nabokovs Anliegen kaum zu vereinbaren wäre. Insgesamt laufe das Festival Gefahr, zu einem Treffen
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Vgl. Kontakte 7 (1951/52), S. 3; Kontakte 10 (1952), S. 4ff; s. bes. Kontakte 12 (1952), S. 1-7; Georg Meistermann an Günther Birkenfeld vom 26.4.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 10, der daraufhinweist, daß der sozialistische Realismus im Osten ausgesprochen bieder und spießig daherkomme, während er es im Westen, bes. in Frankreich, verstehe zu suggerieren, daß er an der Spitze des künstlerischen Fortschrittes stünde. Meistermann warnte entschieden vor einem Dialog mit den ästhetischen Dialektikern; dieser sei a priori ausgeschlossen, da die Dialektik jegliche offene Diskussion verhindere. s. zus.
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Melvin J. Lasky an Nicolas Nabokov vom 15.8.1951, UoC-Archiv, „Der Monat "-Records, Box 14, Folder 3. Im Anschluß an P. Grémion hat AM. Corbin-Schuffels: Von Berlin nach Berlin, S. 12, die Rolle Burnhams bei der Durchsetzung von Nabokovs Kongreßplan sehr hoch eingestuft. Dies basiert auf internen Einschätzungen Koestlers und Sperbers. Es scheint, als habe Burnham, ohne an Radikalität in seinen antikommunistischen Oberzeugungen einzubüßen, sich zu diesem Zeitpunkt schon von Koestler entfremdet gehabt. Vgl. Sol Levitas an Norbert Mühlen vom 28.9.1951, NL Mühlen, Box 18 Sol Levitas an Melvin J. Lasky vom 26.9.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 12, Folder 8. Hans Kohn an Melvin J Lasky vom 27.9.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 13, Folder 4.
2. Der Pariser Kongreß von 1952
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intellektualistischer Snobs und unpolitischer Ästheten zu verkommen.68 Auch in Westdeutschland sorgten Nabokovs Kongreßpläne fur Probleme, jedoch nicht so sehr im konzeptionell-ideologischen Bereich, sondern hinsichtlich der zu erwartenden deutschen Teilnehmer. Schnell kritisierte Alfred Döblin die angestrebte Teilnahme Gottfried Benns wegen dessen zeitweiliger Nähe zum Nationalsozialismus: „Mir scheint, man täte besser daran, auf die Teilnahme dieses Menschen zu verzichten."69 Der Berliner Kongreßsekretär Günther Birkenfeld stimmte diesen Vorbehalten grundsätzlich zu, vertrat aber die Auffassung, es reiche aus, wenn Peter de Mendelssohn sich im Vorfeld des Kongresses im RIAS kritisch mit Benns Ansichten auseinandersetze. Dabei sollten dann besonders die Thesen über den Dichter, der angeblich außerhalb der Geschichte stünde, und über den unbedingten Primat der Form vor der Wahrheit problematisisert werden. Außerdem habe Benn zugesichert, sich in Paris kritischen Anfragen stellen zu wollen.70 Birkenfeld fand die volle Unterstützung der Pariser Zentrale. Bondy ging soweit zu erklären, ihm persönlich sei die Anwesenheit Benns lieber als die de Mendelssohns, der neben Döblin den Chor der Benn-Kritiker anführte.71 Während die Deutschen mit den aus ihrer unmittelbaren Vergangenheit resultierenden Problemen zu tun hatten und die US-Amerikaner das Kongreßprojekt Nabokovs rundweg ablehnten, zeigte sich die Pariser Zentrale davon unbeeindruckt. Der Kongreß „Meisterwerke des XX. Jahrhunderts" fand im Mai 1952 genau in der von Nabokov angeregten Form statt.72 Ideologisch diente die Veranstaltung zwei Hauptzwecken, die im Vorfeld von Seiten des ACCF wohl nur Burnham korrekt wahrgenommen hatte: Einerseits sollte der Antiformalismuskampagne der Stalinisten öffentlichkeitswirksam begegnet werden und die westlich-moderne Kunst als politisch-kulturelles Instrument
gegen die Vorstellungswelten totalitärer Kulturkonzepte nutzbar gemacht werden. Eine herausragende Rolle spielten dabei die Abstraktion in der bildenden Kunst sowie die Atonalität in der Musik. Die Bedeutsamkeit totalitarismustheoretischer Überlegungen im Rahmen dieser spezifisch ästhetischen Auseinandersetzung war unübersehbar, ähnelten sich doch die Argumente der Stalinisten und Nationalsozialisten bis hin in die konkrete Wortwahl. Insofern spielte die antitotalitäre Ästhetik des Pariser Kongresses auch eine, wenngleich indirekte, Rolle bei der „re-orientation" der Deutschen, 68 69
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Norbert Mühlen an den ACCF vom 3.10.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 14, Folder 2. Alfred Döblin an Günther Birkenfeld vom 26.3.1952, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 119, Folder 10. Günther Birkenfeld an Alfred Döblin vom 28.3.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 10. François Bondy an Günther Birkenfeld vom 15.2.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 121, Folder 13. P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 80-82; P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 55-59.
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V. Der
„Kongreß für Kulturelle Freiheit" als Organisation
da sie sich nahtlos in parallele Bemühungen des „Monat" einfügte. Andererseits ging es aber um den Versuch, ausgerechnet in der Hochbmg des europäischen intellektualistischen und kulturalistischen Antiamerikanismus aufzuzeigen, daß die amerikanische Kultur ein integrierter, lebendiger und
zukunftsweisender Bestandteil einer westlich-atlantischen Kulturgemeinschaft war. Dies wurde so zwar nicht offen gesagt, ist jedoch aus der Bedeutsamkeit, die man im CCF den französischen „fellow-travellers" zumaß, leicht
abzuleiten.73
Kongreßintem waren die im Vorlauf des Pariser Treffens stattfindenden Diskussionen um Nabokovs Konzept Ausdruck der Gründerkrise des CCF sowie der Rivalität zwischen europäischer CCF-Zentrale und dem ACCF. Insofern stellte der Kulturkongreß von 1952 für Nabokov und Josselson einen vollkommenen Erfolg dar. Die seit dem Ausscheiden Koestlers sowieso schon geschwächten radikalen Antikommunisten verloren weiter an Boden und traten im Verlaufe des Jahres 1952/52 zu erheblichen Teilen aus dem CCF aus oder verloren sich im Rahmen des ACCF in sinnlose interne Streitigkeiten. Es wäre allerdings falsch zu behaupten, der Sieg der Pariser Zentrale habe unmittelbar zu mehr konzeptioneller Klarheit in den Aktionen des CCF geführt. An die Stelle des charismatisch-moralischen Antikommunismus trat erst einmal eben nicht der den CCF seit 1955/56 prägende wissenschaftliche Antitotalitarismus der Technokraten, sondern ein diffuses, gleichermaßen elitäres wie intellektuell snobistisches Konzept, das Sperber bereits im April 1951 gegenüber Koestler mit deutlichen Worten kritisiert hatte. Nabokov, Josselson und Bondy traten in der folgenden Zeit vornehmlich gegenüber den nationalen Sektionen häufig mit einem intellektuellen Selbstbewußtsein auf, das den Betroffenen nicht durchweg gerechtfertigt erschien. Ausgerechnet die deutsche Sektion war von dieser Entwicklung in besonderer Weise betroffen. Erst mit dem Mailänder Kongreß von 1955 erfolgte eine Wende zu einem zeitgemäßeren Stil im Umgang mit den nationalen Sektionen ein. Für die Deutschen kam dies freilich erst einmal zu spät. Mochte die Kongreßführung sich auch intern durchgesetzt haben, publizistisch geriet der Pariser Kulturkongreß zum Fehlschlag, und zwar sowohl, wenn man ihn mit Berlin 1950 verglich, als auch gemessen an den Erwartungen, die Nabokov in die Veranstaltung gelegt hatte. Eine von den Deutschen angefertigte Übersicht der Pressereaktionen ergab, daß bei weitem nicht die erhoffte Medienwirkung erzielt worden war.74 Sogar Hellmuth Jaesrich kam in semer recht wohlwollenden Kongreßkritik im „Monat" nicht umhin, den schon vorab erhobenen Snobismusvorwurf aufzunehmen, gab ihn
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Vgl. P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 80. Heinz Winfried Sabais an Hellmuth Jaesrich vom 16.6.1952, UoC-Archiv, „Der MonafRecords, Box 26, Folder 3.
287
2. Der Pariser Kongreß von 1952
allerdings sogleich an das Publikum, nicht etwa an die Veranstalter, weiter.75 Daß der Fehlschlag von Nabokovs Konzept dennoch der neu errungenen Position der Pariser CCF-Führung keinen weiteren Abbrach tat, lag am nunmehr rapide einsetzenden Machtverfall des ACCF, der überdies mit zunehmendem Unverständnis zwischen europäischen und US-amerikanischen Intellektuellen einhergtag. Auslöser für diesen folgenschweren Prozeß war die
Daniel James ausgerechnet im „Waldorf-Astoria", dem Ort des ersten Triumphes der späteren ACCF-Mitglieder über ihre mit den Stalinisten sympathisierenden Widersacher, organisierte Konferenz „In Defence of Free Culture" am 29. März 1952.76 Bei dieser Gelegenheit brachen die bereits latent vorhandenen Spannungen über das künftige Verhalten der linken Antikommunisten gegenüber dem HUAC unter Joseph McCarthy mit aller Macht auf. Insbesondere der ADA-Flügel der rechten New Dealer im ACCF mit Schlesinger, Wechsler und Rovere verlangte dort, daß innerhalb des ACCF Bestrebungen zugunsten McCarthys keinerlei Raum gewährt werden dürfe. Man müsse sich klar von McCarthy distanzieren. Diese Gruppe konsensliberaler intellektueller blieb dabei ihrem eigenen Selbstverständnis treu und kam zu einer ihren geistigen Traditionen entsprechenden Interpretation des „McCarthyism" als antitatellektualistischem Aufstand nichtliberaler Modernisierungsverlierer in der amerikanischen Gesellschaft, die ganz in der Tradition der „Party of Fear"77 seit den „Know Nothings" stünden.78 Der Konflikt innerhalb des ACCF war insofern bemerkenswert, als es von wenigen Ausnahmen abgesehen eigentlich keine ernsthaften Parteigänger McCarthys in der Gruppe gab. Ein nicht unerheblicher Teil der „New York von
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Hellmuth Jaesrich: Töne und Theorien. Ein Bericht von den „Meisterwerken des XX. Jahrhunderts", m: Der Monat, H. 46 (1952), S. 346-352, vgl. v.a. S. 352. Daniel James an Melvin J. Lasky vom 14.4.1952, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 17, Folder6. Anwesend waren u.a.: Sidney Hook, Lionel Trilling, Mary McCarthy, Arthur Koestler, Bertrand Wolfe, Richard Rovere, James Wechsler und Arthur M. Schlesinger jr. Vgl. das Werk von David H. Bennett: The Party of Fear, Chapel Hill 1987, das genau diese Perspektive wiedergibt Es war v.a. Richard Hofstadter, der in seinen Veröffentlichungen dazu beigetragen hat, das konsensliberale Paradigma zu verbreiten. Dieser Haltung wurde bes. bei Richard H. Rovere: Senator Joe McCarthy, New York 1959, Ausdruck verliehen. Noch S.J. Whitfield: Culture, S. 9If. sieht im „McCarthyism" eine Reaktion des totalitären Katholizismus auf die gesellschaftlichen Eliten der USA unter dem Deckmantel des Antikommunismus, wobei er das Totalitarismusparadigma bezogen auf den Katholizismus direkt von Sidney Hook übernimmt. Ein nicht unerheblicher Anteil der ACCFund ADA-Mitglieder wurde von McCarthy verdeckter kommunistischer Tätigkeit verdächtigt, darunter Wechsler, Oppenheimer und Schlesinger, vgl. ebda., S. 40f. Zum Verhältnis ACCF und McCarthy vgl. femer M.S. McAULIFFE: Crisis on the Left, S. 121-147. Aus revisionistischer Perspektive und empirisch breit untermauert hat Michael Rogin: The Intellectuals and McCarthy. The Radical Specter, Cambridge 1967, die Erklärungsmodelle der Konsensliberalen einer historischen Kritik unterzogen und auf den ausschließlich auf das Washingtoner Establishment bezogenen Charakter des „McCarthyism" hingewiesen, dem im Grunde jegliche breitere Massenbasis gefehlt habe. Vgl. allg. David M. Oshinsky: A Conspiracy so Immense. The World of Joe McCarthy, New York 1983 und Thomas C. Reeves: The Life and Time of Joe McCarthy, London 1982.
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V. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit" als
Organisation
Intellectuals" gehörte im übrigen zu genau dem gesellschaftlichen und politischen Spektrum, daß sich von den Aktionen des republikanischen Senators bedroht fühlen mußte. Zudem war man durchaus bereit, auch bedrohten linken New Dealern wie Wallenberg oder Kaghan zur Seite zu stehen und sie mit Ehrenerklärungen zu unterstützen.79 Der eigentliche Streitpunkt lag auf einer anderen Ebene. Im Grunde ging es um den Stellenwert des Konsensliberalismus als eigenständiger Kraft innerhalb des Gesamtspektrums, welches inzwischen von dem breiten antikommunistischen Konsens aus „liberals", Teilen der „radicals" und „conservatives" abgedeckt wurde. Die Mehrheit des ACCF war nicht mehr bereit, diesen Konsens aufs Spiel zu setzen und einseitig nur McCarthy zu verurteilen. Für sie war allein eine gleichzeitige Verurteilung McCarthys und der Kommunisten akzeptabel, wobei der Kommunismus, um jede Äquidistanzassoziation von vorneherein auszuschließen, im Mittelpunkt zu stehen hatte. Die „radicals" Mary McCarthy, Dwight Macdonald und Richard Rovere drohten demgegenüber mit Austritt, sollte nicht allein McCarthy vom ACCF verurteilt werden.80 Andere, allen voran Norbert Mühlen, hielten den McCarthyismus für ein bloßes Hirngespinst kommunistischer Propaganda und warfen ihren kongreßinternen Opponenten, zu denen sich alsbald auch Daniel Bell gesellte, vor, sie betrieben Fraktionsbildung innerhalb des ACCF.81 Für Sol Levitas war die sich abzeichnende Krise des ACCF Ausdruck der Führungsschwäche in ACCF und CCF.82 Damit hatte Levitas sicherlich einen korrekten Zugriff gefunden, der jedoch nur einen Teil des Phänomens abdeckte. Zwar waren neben dem ACCF einige europäische Sektionen, besonders die deutsche, von Krisenphänomenen heimgesucht worden, allerdings basierten deren Probleme auf ganz anderen Ursachen und führten auch nie zur gänzlichen Handlungsunfähigkeit der Pariser Zentrale, die ganz im Gegenteil gestärkt aus einer Reihe von Konflikten hervorging. Die Schwäche des ACCF lag einzig in der Unfähigkeit begründet, gegenüber McCarthy zu einer einheitlichen und konsequenten Linie zu finden. Es muß allerdings betont werden, daß damit die kulturelle Hegemonie des Konsensliberalismus in den USA in Gestalt der „New York Intellectuals" ebensowenig tangiert wurde wie der politische Einfluß der ADA in der Demokratischen Partei. Das Hauptproblem berührte ausschließlich den ACCF, der sich sehr viel stärker als die beiden genannten Gruppe vornehmlich als Bestandteil des antikommunistischen Konsenses fühlte und daran schließlich 79 80 81 82
ACCF-Mitteilung vom 20.5.1953, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 23, Folder 9.
Sol Levitas an Melvin J. Lasky vom 7.4.1952, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 19, Folder 5. Norbert Mühlen an Melvin J. Lasky vom 23.5 1952, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 20, Folder 1. Sol Levitas an Melvin J. Lasky vom 21.1.1952, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 19, Folder 5. Der Brief stammt noch aus der Zeit vor dem Eklat auf der „Waldorf-Astoria"-Konferenz
2. Der Pariser Kongreß
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1952
zerbrach. Ein Jahr später stellte Daniel Bell fest, seitdem die neue republikanische Administration unter Eisenhower McCarthy noch mehr Spielraum gegeben habe, sei der ACCF praktisch zerfallen. Es existierten nur noch vier rivalisierende Fraktionen: Eine Gruppe um Max Eastman, die kaum aktiv sei, aber dafür voll hinter McCarthy stünde und deren Motto laute: „He's killing Communists, you know!", und drei Gruppen von Aktivisten. Unter den letzteren sei diejenige der radikalen Gegner McCarthys sehr stark, sie basiere vornehmlich auf ADA-Midiedern. Weniger kritisch, dafür der ADA gegenüber skeptischer werdend sei die Herausgebergrappe der „New York Intellectuals" um Levitas, Cohen und Phillips. Daneben bemühe sich eine Art „Zentrum", bestehend aus Bell, Hook und Kristol, um vermittelnde Tätigkeit, derzeit aber ohne großen Erfolg. Praktisch sei das ACCF handlungsunfähig.83 Zugleich regte sich Kritik an der Affiliation des ACCF mit dem CCF, was in Paris für zusätzlichen Ärger sorgte, da man wohl unterstellte, die US-Amerikaner machten die Zentrale für ihre eigenen hausgemachten Probleme verantwortlich.84 Zeitweise drohte der Konflikt auf die internationale Ebene überzugreifen und damit die Handlungsfähigkeit des Internationalen Sekretariates und der Exekutive zu blockieren. Auf dem Treffen des Internationalen Exekutivkomitees im November 1953 erklärte nämlich Sidney Hook, Hauptaufgabe des ACCF sei es momentan, dem verantwortungslosen Antikommunismus bestimmter Kreise in den USA entgegenzutreten. In einer sofortigen Replik erwiderte Irving Brown, es sei wichtiger, daß sich die Europäer und besonders die CCF-Magazine nicht andauernd mit McCarthy beschäftigen sollten, sondern viel eher mit den positiven Errungenschaften des konkreten gesellschaftlichen und politischen Lebens in den USA.85 Das Pariser Sekretariat versuchte dieser unerwünschten Nebenwirkung zu entgehen, indem man kurzerhand die Sachlage uminterpretierte. Aus einem kaum lösbaren ideologischen Konflikt sollte ein lösbarer finanzieller Konflikt werden, allerdings vergebens.86 Kein weiteres Jahr nach diesem KompromißVorschlag, der eigentlich eher Ausdruck völliger Ungewißheit war, hatte das ACCF de facto aufgehört zu existieren, obgleich ein gewisser organisatorischer Rahmen bis in die sechziger Jahre fortbestand. Hatte die Frage nach dem Umgang der konsensliberalen Intellektuellen mit den Auswirkungen der Verhöre durch den HUAC dazu beigetragen, das ACCF -
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Daniel Bell an Melvin J. Lasky vom 29.4.1953, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 23, Folder 6. Michael Josselson an Sidney Hook vom 25.6.1954, IACF/CCF-Archiv, Senes I, Box 2, Folder 5. Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 27.11.1953, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 3, Folder 4. Nicolas Nabokov an Julius Fleischmann vom 22.5.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 4, Folder 5.
290
V. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit" als
Organisation
intern zu schwächen, und auf diese Weise einen indirekten Machtverlust in der europäischen Szene verursacht, so wirkte sich der Fall Rosenberg unmittelbar negativ auf die Dominanzansprüche des ACCF aus. Im Juni 1953 wandte sich Bondy im Auftrag des Pariser Sekretariates an das ACCF, um das Befremden der europäischen Intellektuellen im CCF über das Verhalten des ACCF nach dem Todesurteil gegen das Ehepaar Rosenberg zum Ausdruck zu bringen, übrigens vollkommen unabhängig von jeglicher Frage nach einer realen Schuld der Rosenbergs. Zusätzlich mahnten die Pariser an, das ACCF solle sich intensiver um den Schutz der öffentlichen Büchereien in den USA kümmern, die von ständigen Säuberungswellen heimgesucht würden.87 In seiner Antwort bedauerte Irving Kristol nur, daß der Fall Rosenberg zu Divergenzen zwischen US-Amerikanern und Europäern geführt habe. Im übrigen habe der Fall Rosenberg mit Fragen kultureller Freiheit nichts zu tun. Außerdem sei zu bedenken: „You must realize that there was no genuine popular sentiment in America for clemency. For one thing, the U.S. is a country where taking a person's life is not regarded so seriously as it is in Europe..."88 Selbst wenn man ironisierende Elemente in Kristols Ausführungen abzog, verblieb ein Rest, den die Europäer so nicht zu akzeptieren vermochten. Unbeeindruckt von den Vorbehalten des ACCF hatte die CCF-Führung schon zuvor ein eigenes Gnadengesuch für die Rosenbergs an Präsident Eisenhower gerichtet.89 Ein zweiter Punkt, der direkt dazu beitrug, den Führungsanspruch des ACCF in den Augen der Europäer nachhaltig zu diskreditieren, war das Verhalten der US-amerikanischen Intellektuellen im Umgang mit dem überaus sensiblen Bertrand Russell, immerhin einer der Ehrenpräsidenten des internationalen CCF. Der hatte ja bereits 1950 erstmals mit Austritt gedroht; 1954 folgte ein zweiter Anlauf in dieser Richtung, der sich aber als Ergebnis stalinistischer Desinformation erwies. Eine kommunistische Lehrerin in Frankreich hatte Russell gegenüber behauptet, der CCF stelle eine Art Tarnorganisation des Vatikans dar, ein absurder Vorwurf, den Nabokov und Spender schnell ausräumen konnten.90 Im April/Mai 1956 kam es dann zur finalen Krise. Russell hatte in einem Interview die USA wegen des Falles Rosenberg kritisiert,91 woraufhin eine überaus scharfe Reaktion der noch bestehenden Reste des ACCF erfolgte, die nicht mit Paris abgesprochen war. Sofort erfolgte eine Rüge der Zentrale gegenüber den renitenten Amerikanern.92 Als sich dann 87
François Bondy an Daniel Bell vom 25.6.1953, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 23,
88
Folder 7. Irving Kristol Folder 7.
89
an
François Bondy vom 29.6.1953, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 23,
Telegramm von Denis de Rougemont an Dwight D. Eisenhower vom 13.6.1953, IACF/CCF-
Archiv, Series I, Box 1, Folder 2. 90 91 92
Nicolas Nabokov an Bertrand Russell vom 13.7.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 3, Folder 5. Manchester Guardian vom 7.4.1956. Michael Josselson an Daniel Bell vom 2.5.1956, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 6, Folder 8.
3. Die
Deutschlandkonzeption der Internationalen Exekutive
291
allerdings der CCF weigerte, das britisch-französische Eingreifen am Suezkanal zu kritisieren, während er sich entschieden gegen die Intervention der Sowjets in Ungarn aussprach, trat Russell endgültig und sich primär auf die ACCF-
Kritik berufend zurück.93 Mit dem Verfall der ACCF-Domtaanz im CCF war jedoch keinesfalls ein Verlust US-amerikanischer Hegemonialansprüche im ideologischen Bereich der Kongreßarbeit verbunden. Der CCF wurde nämlich nicht zu einer wirklich europäisch beherrschten Organisation, sondern blieb in mannigfaltiger Weise US-Interessen verbunden, zumal der Niedergang der direkten Einflußnahme der US-Intellektuellen mit dem Aufstieg der Pariser Zentrale gekoppelt war, in der wiederum vom Konsensliberalismus geprägte Intellektuelle den Ton angaben. In Paris waren die Amerikaner mit Nabokov, Josselson und John C. Hunt ausgeprochen gut vertreten. Zugleich hatte der geschilderte Prozeß den Vorteil, die unmittelbaren Interessen der US-Administration am Kongreß weiter zu verschleiern. Das Pariser Sekretariat und das Internationale Exekutivkomitee waren in der Tat nicht mehr national dominiert, sondern personal, es gab keine amerikanische Vorherrschaft, sondern eine liberaldemokratische, die sich allerdings in einem natürlichen Bündnis mit dem Hegemon des westlichen Liberalismus wußte. So verlagerte sich der organisatorische Machtschwerpunkt des CCF um 1952/53 irreversibel von New York nach Paris, ohne daß die ideologische Funktionsfähigkeit des Kongresses dadurch nennenswert in Mitleidenschaft gezogen worden wäre.
3. Die
Deutschlandkonzeption der Internationalen Exekutive
strengen Wortsinn hatte die frühe CCF-Führang keine deutschlandspezifische Konzeption, sondern bestenfalls vage Vorstellungen, wie man allgemein die leitenden Prinzipien der CCF-Arbeit, das heißt die Grundsätze Im
des Berliner Manifestes, eventuell in Westdeutschland umsetzen könnte. Mochte Westberlin aus wohlerwogenen propagandatechnischen Gründen als Ort des ersten „Kongresses für kulturelle Freiheit" gedient haben, und mochten außerdem die Deutschen auf dieser Veranstaltung erheblich überrepräsentiert sein, zentrales Gebiet der CCF-Penetration konnte die junge Bundesrepublik unter den Auspizien des radikalen Antikommunismus schon deswegen nicht sein, weil der Antikommunismus, im Gegensatz zu Frankreich und Italien, bereits zu den Konstituenten der westdeutschen Politik und Gesellschaft 93
Bertrand Russell an Nicolas Nabokov vom 19.11.1956, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 280, Folder 6 und Rundschreiben von Nicolas Nabokov vom 25.3.1957, ebda., Box 280, Folder 7,
292
V. Der
„Kongreß für Kulturelle Freiheit" als Organisation
gehörte, ehe überhaupt an ein aktives Eingreifen des CCF zu denken war. Erst
seit dem Treffen des Internationalen Exekutivkomitees vom 18. Januar 1951 und dem Arbeitsplan des Pariser Sekretariates vom August des gleichen Jahres wurde Deutschland verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet. Zu diesem Zeitpunkt existierte schon eine eigene Kongreßbürokratie in Deutschland und eine nationale Exekutive befand sich im Aufbau. Selbst jetzt fehlte es an wirklich angemessenen Konzepten für das, was man mit diesen organisatorischen Bemühungen überhaupt erreichen wollte. Aus dem Zusammenstoß zwischen den vagen Vorstellungen des Pariser Sekretariates und der Internationalen Exekutive auf der einen Seite und den ständigen Versuchen der deutschen Exekutive, aus diesen Andeutungen ein sinnvolles Programm zu erstellen, erwuchsen von da an nicht unerhebliche Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit beider Ebenen. Eine wichtige und bezeichnende Ausnahme innerhalb dieser generell defizitären Entwicklung stellte Melvin J. Lasky dar, dessen eigene konzeptionelle Anliegen auf diese Weise für die frühe deutsche CCF-Aktivität prägend sein sollten, schon weil sich sonst kaum jemand um die anfallenden Fragen kümmerte. Auf dem Umweg über Lasky kamen dann gewissermaßen die Aufgabenstellungen des „Monat" wiederum im deutschen CCF zum Tragen, zumal sie mit den Interessen der von deutscher Seite beteiligten Persönlichkeiten sehr viel besser in Einklang zu bringen waren als der radikale Antikommunismus, dem der internationale CCF in dieser Phase noch anhing. Als dann die deutschen, von „re-orientation"-Gesichtspunkten maßgeblich mitgeleiteten Anschauungen wieder mit denen des internationalen CCF kompatibel waren, rutschte man ausgerechnet in diejenige Phase der Pariser Politik hinein, in der es darum ging, die gegenüber dem ACCF errungene, zentralisierte Macht im gesamten CCF-Bereich zu konsolidieren. Unter den genannten Vorbehalten wird es also die Aufgabe dieses Kapitels sein, Vorstellungen und Pläne herauszuarbeiten, vor deren Hintergrund sich die deutsche CCF-Sektion zu entfalten vermochte. Angesichts der restriktiven Tendenzen von Seiten der CCF-Führungsgremien spielten genuin deutsche Vorschläge dabei nur eine randständige Rolle. Bis 1955 waren die Deutschen innerhalb des CCF nur in wenigen Ausnahmefällen Subjekte eigenen Handelns. Bedeutsamer waren die von Melvin J. Lasky und bis zu einem gewissen Grade von Bondy formulierten Programme für das Handeln der deutschen CCFExekutive. Ausgehend von deren Rolle, wenigstens bis Mitte 1951, erhielt der deutsche CCF dann doch noch das oben kurz skizzierte inhaltlich eigenständige Gepräge: Nicht das ausschließliche Beharren auf dem moralischen Antikommunismus der Koestlergruppe stand im Vordergrund, sondern eine deutlich differenzierte Variante des Antitotalitarismus, die antistalinistische, antinationalsozialistische und nachdrücklich philosemitische Momente umschloß. Der kritische Umgang mit der jüngeren deutschen Vergangenheit prägte maßgeblich das Selbstverständnis des deutschen CCF. Hinzu kam, und
3. Die
Deutschlandkonzeption der Internationalen Exekutive
293
auch dies war von der Pariser Zentrale durchaus gewünscht, der enge Kontakt zur deutschen Sozialdemokratie. Dabei gilt es zu berücksichtigen, daß die Mitglieder der deutschen Exekutive nur in Ausnahmefällen von jenen Gruppen gestellt wurden, die in Westdeutschland nach dem Berliner Kongreß, Koestler noch übertreffend, darüber geklagt hatten, daß die Veranstaltung zu nuanciert mit dem Kommunismus umgegangen sei. Auf diese Weise ergab sich ein potentiell fruchtbares Spannungsverhältnis zwischen den von Lasky, Bondy, Mühlen und anderen ausgehenden Anregungen für eine Arbeit des CCF in Deutschland, den Intentionen der deutschen CCF-Mitglieder und den diversen Problemen innerhalb des internationalen CCF. Die von Lasky entwickelten Ansätze zu einer deutschlandspezifischen Konzeption der Kongreßarbeit hatten drei zentrale Faktoren als Grundlage, die weitgehend vom „Monat" vorgedacht worden waren und nun mit organisatorischem Gehalt gefüllt werden sollten: Grundlegend blieb die strikte Unterscheidung zwischen Volk und Parteiführung in der Zeit des Nationalsozialismus, die ja bereits fundamental für das Anliegen der „reorientation" gewesen war. Dieser anthropologische Optimismus94 diente zugleich als Grundlage für die gelegentlich angesichts deutscher Realitäten ein
wenig apodiktisch anmutende These von der gewissermaßen eingeborenen, natürlichen Westlichkeit und Liberalität der Deutschen gerade im kulturellen Bereich.95 Damit verband sich schließlich die sehr konkrete Beobachtung, daß die USA inzwischen in der Bundesrepublik deutlich positiver wahrgenommen würden als in Frankreich,96 wodurch zugleich auch eine relativ größere Offenheit gegenüber westlichen Werthaltungen impliziert war. Sowohl antikommunistische als auch „re-orientation"-Arbeit durfte dann nicht mehr als belehrendes Eingreifen von außen verstanden werden, sondern mußte darauf basieren, Angehörige der deutschen intellektuellen Eliten zu bündeln, besonders wenn sie im meinungsbildenden Bereich arbeiteten und dort vornehmlich diejenigen zu unterstützen, die bereits westlichem Gedankengut anhingen. Dies war aber nur dann möglich, wenn deutsche geistesgeschichtliche Traditionen liberaldemokratischer Natur respektiert und in den Prozeß miteinbezogen würden. Dessen ungeachtet bedurfte es auch in Laskys Sicht immer wieder regulierender Maßnahmen, insbesondere wenn es 94
95
96
Es ist wichtig festzuhalten, daß Laskys Ansatz im CCF tatsächlich zum Zuge kam, während die anthropologisch deutlich pessimistischere Sicht von Hugh Trevor-Roper niemals m der Arbeit des CCF berücksichtigt wurde. Eine Mittelposition nahm Manès Sperber ein, der Laskys Optimismus ebensowenig teilte wie Trevor-Ropers Pessimismus. Sperber wurde bezogen auf Deutschland aber erst seit Mitte der fünfziger Jahre bedeutsam. Laskys positive Einstellung gegenüber den Deutschen war allerdings nie vorbehaltlos. Nach einem Besuch in den USA empfand er das Leben in Deutschland als langweilig und deprimierend, vgl. Melvin J. Lasky an Shepard Stone vom 29.12.1953, UoC-Archiv, „Der Monaf'Records, Box 26, Folder 5. Melvm J. Lasky an Merle Curti vom 18.5.1949, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 1, Folder 11.
294
V. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit" als
Organisation
darum ging, in Deutschland eine offene Diskussionskultur und entsprechendes zivilbürgerliches Verhalten herzustellen. Aber selbst dies war ohne die bereitwillige Mitarbeit von intellektuellen Vertretern einer genuin deutschen liberalen Tradition nicht zu erreichen.97 Es hat nicht den Anschein, daß Lasky dabei einen wirklichen Unterschied zwischen dem eigenen Konsensliberalismus und den adäquaten deutschen Traditionen sah. Schon deswegen war es nicht notwendig, noch einmal auf die konkreten ideologischen Inhalte des liberalen Konsenses, wie sie im „Monat" durchgehend Ausdruck gefunden hatten, eigens abzuheben. Die von Lasky propagierte Rücksichtnahme auf die deutschen Traditionen des Geisteslebens erforderten eigentlich das Bemühen um eine besonders auf Deutschland bezogene Argumentationsweise von CCF-Publikationen, wie sie sich „Der Monat" seit langem angewöhnt hatte. Aus diesem Grunde hatte Lasky, ähnlich wie Annelene von Caprivi, Vorbehalte gegen die Pamphlete des frühen CCF, die für Deutschland umgeschrieben werden müßten, da hier die besondere Form der Linken, wie sie in Frankreich existiere, einfach fehle.98 Um vertrauenswürdige deutsche Mitarbeiter zu gewinnen, die dann auch ein gewisses Verständnis für die Inhalte des US-amerikanischen Liberalismus und seiner besonderen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ansätze mitbringen konnten, erachtete es Lasky als besonders wichtig, Reise- und Austauschprogramme über CCF und HICOG finanzieren zu lassen. Es sollten westlich-liberale Intellektuelle dafür gewonnen werden, vor einem deutschen Publikum zu sprechen,99 aber vor allem sollten Deutsche die Errungenschaften des modernen Liberalismus in den USA als führender demokratischer Industrieund Massengesellschaft direkt kennenlernen. Dies galt vornehmlich für Studenten und junge, also noch formbare Intellektuelle.100 Nahm man Laskys Vorschläge und die Planungen des Internationalen Sekretariates zusammen, war eine Organisation nach dem Modell der „Amis de la Liberté" für Westdeutschland vielleicht wünschenswert, aber nicht unabdingbar. Viel eher erschien es notwendig, die Kongreßbürokratie vor Ort arbeits97 98 99
100
Melvin J. Lasky an Shepard Stone vom 30.8.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 241, Folder 4. Melvin J. Lasky an Francois Bondy vom 21.9 1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 1, Folder 6. Melvin J. Lasky: Western Cultural Projects, Antrag an HICOG vom 9.2.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 6, Folder 7. Lasky plante va. europäische, prowestliche und liberaldemokratische Intellektuelle einzubeziehen, d.h. auf US-Amerikaner weitgehend zu verzichten. Die meisten avisierten Redner entstammten dem CCF und seinem weiteren Umfeld. Melvin J. Lasky an Hans Kohn vom 12.7.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 13, Folder 4; erfolgreich war Laskys Bemühen im Falle Rudolf Hagelstanges, der auf Ersuchen Laskys eine 90-tägige Reise in die USA finanziert bekam und anschließend ein Buch darüber veröffentlichte: vgl. Rudolf Hagelstange an Melvin J. Lasky vom 14.11.1953, ebda., Box 24, Folder 5; s.a. Rudolf Hagelstange: Der schielende Löwe oder How Do You Like America?, Hamburg 1967. Das Buch stellt eine Zusammenfassung seiner diversen Reiseberichte aus den USA dar.
3 Die Deutschlandkonzeption der Internationalen Exekutive
295
fähig zu machen und eine funktionierende nationale Exekutive aufzubauen, die dann geeignete Schritte einleiten konnte, um am Ende gegebenenfalls zum Aufbau einer großzügigeren Organisation zu kommen. Vorerst sollte das Berliner Büro seine Zuliefertätigkeit für das Pariser Sekretariat fortsetzen, die
deutsche Exekutive konnte sich dann, unterstützt von einem westdeutschen Sekretariat in Frankfurt am Main, der Aufgabe widmen, die westdeutschen Intellektuellen, die Studenten, Sozialdemokraten und Gewerkschaften für die Ziele des CCF zu gewinnen. Noch Mitte 1951 galten dabei die Studenten als bedeutendste Zielgruppe des CCF in Deutschland.101 Bezogen auf die westdeutschen intellektuellen richtete sich das Hauptinteresse des CCF auf den Versuch, mit einer als typisch deutsch empfundenen geistigen Tradition zu brechen: Der unpolitische Intellektuelle war für den CCF ebensowenig wie für den „Monat" akzeptabel. Nicht nur der Umstände im Kalten Krieg halber, sondern aus Überzeugung traten die CCF-Mitglieder für den politisch bewußten, kritischen und von liberaldemokratischen Überzeugungen geprägten Intellektuellen ein.102 Demgegenüber erschienen die SPD und die deutschen Gewerkschaften in dieser frühen Phase bis Ende 1951 vergleichsweise weniger wichtig zu sein. In der CCF-Führung ging man erst einmal davon aus, daß in der westdeutschen Arbeiterbewegung der Kommunismus weder eine besondere Anziehungskraft noch eine irgendwie geartete Gefahr darstelle. Nur im Verbund mit nationalneutralistischen Gruppen, vorwiegend Intellektuellen, und mit Neonazis könne der Kommunismus in Westdeutschland Wirkung entfalten. Irving Brown bemerkte dazu in einem Bericht an die AFL, es seien im wesentlichen die Stalinisten, die in Deutschland den Neonazismus förderten, wobei sie ihn intern als Verbündeten nutzten, um die junge deutsche Demokratie zu destabilisieren, während sie ihn dem Ausland gegenüber benötigten, um die Deutschen als Bündnispartner zu diskreditieren.103 Da die westdeutsche Arbeiterbewegung nicht in der Gefahr war, zum Ausgangspunkt kommunistischer Aktivitäten zu werden, stellte sie ähnlich wie die britische Labour-Party oder die skandinavischen sozialdemokratischen Parteien für den CCF einen potentiellen Bündnispartner dar, der zugleich Objekt politisch-ideologischen Veränderungswillens blieb. Dies betraf die ökonomischen und gesellschaftlichen Reformwünsche deutscher Sozialdemokraten und Gewerkschafter ebenso wie das Verhältnis von Sozialdemokratie und Intellektuellen. Ohne dies immer deutiich zu formulieren, strebte der CCF nach einem Liberalisierungsschub in der SPD und dem DGB, blieb also auf der Linie, die „Der Monat" schon seit
101
102 103
Arbeitsplan
des Internationalen Sekretariates
Archiv, Series II, Box 3, Folder 1.
vom
August 1951-August 1952, IACF/CCF-
François Bondy an Ernest J. Salter (= Henri Johanson; Mitarbeiter der „Neuen Zeitung") vom 8.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 3 Rede von Irving Brown vor der 7. Annual Convention der AFL vom 17.9.1951
296
V. Der „Kongreß für Kulturelle Freiheit" als Organisation
verfolgte. Im Gegensatz zum „Monat" konnte der CCF aber zusätzlich ein organisatorisches Forum bieten, in dem Sozialdemokraten und intellektuelle, eingebunden in einen internationalen, amerikanisch dominierten Zusammenhang, an einem gemeinsamen kulturell-politischen Projekt arbeiten 1948
konnten. Zum Teil deckte sich dies mit
Wünschen, die
von deutscher Seite für die SPD einen erheblichen Reformbedarf unterstellte. Insbesondere aus dem Kreis um Hans von Eckhardt waren schon im Vorfeld des Berliner Kongresses immer wieder Anregungen eingegangen, der „Kongreß für kulturelle Freiheit" möge in die SPD im Sinne eines gemäßigt marktwirtschaftlich orientierten, freiheitlichen Sozialismus
vorgebracht wurden,
wo man
gelegentlich
einwirken.104
In einer weiteren
Perspektive hat Irving Brown kongreßintern drei Jahre deutlichsten formuliert, welche Aufgaben der CCF mittelfristig zu bewältigen hatte: In ganz Europa müsse eine mit der Bündnis- und Regierungspolitik der USA engstens verzahnte umfassende Offensive durchgeführt werden, deren Ziel es sei, in Westdeutschland, Italien und Frankreich zu christdemokratisch-sozialdemokratischen Regierungen zu kommen. In einem solcherart auf konsensualer Basis neu geordneten Westeuropa käme der USA eine Führungsrolle zu, die sie aber nicht direkt, sondern auf der Basis von transnationalen Organisationen wie dem CCF wahrnehmen solle. Vor allem betonte er die Rolle nichtgouvernementaler Organisationen im Bereich der kulturellen und ideologischen Durchdringung Europas.105 Eine solche Vision konnte aber nur dann verwirklicht werden, wenn die westeuropäischen sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien sowie die nichtkommunistischen Gewerkschaften prinzipiell mit der marktwirtschaftlichen Ordnung des Wirtschaftslebens, dem System von „free enterprise" und „market economy" im US-amerikanischen Verständnis konform gingen.106 Ungeachtet solch weitgesteckter Ziele, die herauszuarbeiten es erst einmal etwas Zeit bedurfte und die auch nie auf Westdeutschland beschränkt blieben, litt der CCF in der ersten Phase seiner Arbeit in Deutschland unter erheblichen später
104
105
106
am
So z.B. Hans von Eckhardt an Melvin J. Lasky vom 28.2.1950, UoC-Archiv, „Der MonafRecords, Box 1, Folder 14, der beklagte, die Beziehungen zwischen den USA und der deutschen Sozialdemokratie seien gerade im Hinblick auf unterschiedliche wirtschaftspolitische Vorstellungen derzeit so gespannt. Sein Schüler Karl-Heinz Kaufmann richtete seine Hoffnungen eher darauf, daß der CCF dazu beitragen könnte, dem Sozialismus ein humaneres Antlitz zu geben, vgl. Karl-Heinz Kaufmann an Melvin J. Lasky vom 15.6.1950, ebda., Box 10, Folder 2 Memorandum von Irving Brown vom 7.4.1953, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 23,
Folder 8 Wie die meisten Mitglieder des CCF empfand Brown all diese Anliegen weniger als Ausdruck einer amerikanischen liberalen Ideologie, sondern als Bestandteil des Erbes einer gemeinwestlichen Tradition: „We and our allies are the defenders of common ideals of our civilisation and culture and not the propagandists for a country or for a particular tradition or way of life." Vgl. Memorandum von Irving Brown vom 7.4.1953, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 23, Folder 8. Da das Papier ausdrücklich als „confidential"' gekennzeichnet ist, wird man kaum annehmen dürfen, daß Brown sich hier rein propagandistisch äußerte.
3 Die
Deutschlandkonzeption der Internationalen Exekutive
297
konzeptionellen und organisatorischen Mängeln. Dies traf primär auf den Bereich der praktischen Umsetzung der eigenen Wünsche zu. Bereits im November 1950 hatte der Berliner KgU-Mitarbeiter O.E.H. Becker in einem Memorandum dargelegt, die Ideen des CCF verlören schnell an Publizität und öffentlichem Interesse, da man organisatorisch nicht recht vorankomme.107 Ahnliche Vorwürfe erhob auch Arkadij Gurland im Januar 1951. Nach seiner
Ansicht müßte der CCF nun rasch aktiver werden, um die deutschen Intellektuellen aus ihrer durch die totalitären Diktaturen bedingten Passivität herauszugeleiten.108 Zu dieser Zeit befanden sich die deutsche Exekutive und die beiden Sekretariate des CCF auf deutschem Boden im Aufbau. Sie sollten für die kommenden drei Jahre Träger der CCF-Ideen in der Bundesrepublik werden, wenn auch von einer Vielzahl struktureller und punktueller Defizite belastet.
107
108
Memorandum von O.E.H. Becker vom 17.11.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 1, Folder 4. In seiner Beurteilung ließ Becker natürlich die Arbeit des „Monat" außer Acht, da die Zeitschrift noch HICOG unterstand. Memorandum von Arkadij R.L. Gurland an Irving Brown vom 10.1.1951: „Activities of the Berlin Oftice, CCF", IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 119, Folder 9.
VI. DIE DEUTSCHE SEKTION DES „KONGRESSES FÜR KULTURELLE FREIHEIT" 1. Die
organisatorische Gestalt des CCF in Deutschland a.
Die Sekretariate
Der konkrete historische Ort der deutschen Sektion des CCF in den frühen fünfziger Jahren war die ideologische Ebene im politischen, militärischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gesamtszenario der Westtategration der jungen Bundesrepublik. Dabei spielte die Wiederbewaffhungskrise, der Versuch, Westdeutschland in den militärischen Teil der atlantischen Allianz einzubeziehen, mit Sicherheit eine entscheidende Rolle. Man darf sich den Zusammenhang zwischen geplanter Wiederaufrüstung in Westdeutschland und Beginn der CCF-Aktivitäten aber nicht zu eng vorstellen. Denn dem CCF ging es in der Bundesrepublik vorrangig nicht darum, für eine neue deutsche Armee zu werben oder den NATO-Beitritt des Landes zu verlangen. Auch wenn beides sicherüch am Ende das Ziel der deutschen CCF-Arbeit war, wenigstens aus der Sicht der Initiatoren, agierte man doch subtiler. Der Kongreß wollte vor allem nationalneutralistischen oder wie auch immer gearteteten weltanschaulichen Störmanövern im Umfeld der Westorientierung auf ideologischem Gebiet entgegenwirken; damit sollte auch die politische und ökonomische Hegemonialstellung der USA in Westdeutschland kulturell unterfüttert werden. Der deutsche CCF sollte zu einem ideellen Transfer beitragen, der sich ohne Schwierigkeiten aus der parallelen Akzeptanz von antikommunistischen und ,,re-orientation"-Gesichtspunkten ergab. Ob die gewählte Organisationsform für dieses Vorhaben tatsächlich durchgehend die glücklichste Lösung darstellte, bleibt eher fragwürdig. Dennoch muß man den genauen Standort und den exakten Aufgabenbereich des deutschen CCF im Blickfeld behalten, wenn man beispielsweise einsichtig machen will, warum ausgerechnet ein dezidiert pazifistisch denkender Mann wie Carlo Schmid1 Vorsitzender einer Organisation war, zu deren Aufgabenbereich die ideelle Durchsetzung auch der militärischen Westintegration gehörte. Es mußte keinem der beteiligten Deutschen 1
A. Sywottek:
Opposition, S.
552 und S. 573.
1 Die
organisatorische Gesalt des CCF in Deutschland
299
wirklich klar sein, wo die Ziele des CCF lagen, solange sie in irgendeiner Weise politisch oder ideologisch brauchbar büeben. In diesem Sinne agierte der CCF ganz in der Tradition einer „fellow-traveller"-Gruppierung. Dieses Hauptkapitel wird, nachdem bislang die eher exogenen Faktoren der CCF-Tätigkeit im Mittelpunkt der Analyse gestanden haben, der Frage nachzugehen haben, inwieweit sich die konkrete Arbeit der deutschen Sektion in die skizzierten Rahmenbedingungen in organisatorischer und weltanschaulicher Hinsicht einfügte, welche Schwerpunkte gesetzt wurden und mit welchen organisatorischen Mitteln unter den gegebenen Bedingungen politischer, gesellschaftlicher und ökonomischer Realität danach gestrebt wurde, diese Schwerpunkte umzusetzen. Dabei wird zuerst die organisatorische Gestalt des deutschen CCF, der seit 1952 offiziell unter dem Namen „Kongreß für die Freiheit der Kultur" auftrat, behandelt werden, also die Sekretariate in Berlin, Frankfürt/Main und Stuttgart sowie das deutsche Exekutivkomitee, da sie den Rahmen für alles Handeln der Gruppe bildeten. Außerdem schließen sich die organisatorischen Aspekte nahtlos an die bislang auf der internationalen Ebene behandelten Fragestellungen an. Die deutsche CCF-Sektion hing nämlich maßgeblich von den Prozessen innerhalb der internationalen Struktur des CCF ab, besonders von den zunehmend erkennbar werdenden Tendenzen, den Kongreß zentralistisch zu führen. Im Anschluß daran werden die Aktivitäten des deutschen CCF unter den unterschiedlichen, die Tätigkeit der Organisation ordnenden Gesichtspunkten dargestellt, wobei der antikommunistisch-antineutrakstischen Arbeit ein klarer sachlicher Primat zukommt. Erst danach werden die „re-orientation"-Aspekte der deutschen Kongreßarbeit geschildert und zwar im Hinblick auf weltanschauliche Fragen ebenso wie auf praxisorientierte Jugendarbeit. Ein eigenes Unterkapitel wird sich dem Verhältnis zwischen der westdeutschen Arbeiterbewegung, insbesondere der Sozialdemokratie, und dem deutschen CCF widmen. In all diesen Bereichen „re-orientation", Jugendarbeit und Verhältnis zur Arbeiterbewegung stehen Aspekte des Wertetransfers im Vordergrund, die eng mit entsprechenden Publikationen beim „Monat" verbunden waren. Das letzte Unterkapitel wird dann der Frage nachgehen, welche Faktoren und besonderen Umstände dafür verantwortlich waren, daß der erste Anlauf des CCF in Westdeutschland nach kaum dreijähriger Arbeit recht kläglich scheiterte. Das Berliner Kongreßbüro war im zweiten Halbjahr 1950 und dem Frühjahr 1951 nach Lage der Dinge kaum mehr als ein weiterhin existentes Relikt des von Lasky organisierten Kongresses. Wenigstens war der primäre Aufgabenbereich des Büros schon frühzeitig abgesteckt worden, noch ehe der internationale CCF sich klarer zu strukturieren vermochte: Die Mitarbeiter in Berlin -
-
sollten politische und gesellschaftliche
Vorgänge im Osten Deutschlands, aber
300
VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
auch in anderen Teilen des Ostblocks beobachten und dokumentieren.2 Damit zugleich eine erhebhche Einschränkung der Handlungsfreiheit des Berliner Büros verbunden, dessen finanzielle Mittel zu diesem und ausschließlich zu diesem Zweck von der CCF-Leitung gebilligt wurden. Daneben redigierten die Berliner die ersten Broschüren des CCF fur den deutschen Sprachraum und waren, nicht immer mit Paris abgestimmt, damit beschäftigt, den CCF irgendwie in das entstehende Netz von Agentaren des Kalten Krieges in Westberlin einzubringen. Zusätzlich blieb man eng mit HICOG-Stellen und bundesdeutschen Regierangstellen sowie dem DGB verbunden. Als nicht zu unterschätzender Nebeneffekt verhalfen diese Beziehungen dem deutschen CCF langfristig zu finanzieller Eigenständigkeit. Dies war insofern wichtig, als die Pariser Zentrale, solange sie allein für die Finanzen der deutschen Sektion zuständig war, daraus auch das Recht ableitete, nicht nur die deutschen Sekretariate in alleiniger Verantwortung zu besetzen, sondern überdies deren inhaltliche Tätigkeit ohne weitere Rücksprache mit dem deutschen Exekutivkomitee zu bestimmen. Seitdem das Internationale Exekutivkomitee in Fonataine le Port getagt hatte, waren vornehmlich Irving Brown, François Bondy, Norbert Mühlen und Melvin J. Lasky von Seiten der Kongreßführung für das Berliner Büro zuständig. In Berlin selber arbeitete die Sekretärin und informelle Büroleiterin Annelene von Caprivi, die diese Funktion seit den Tagen des Kongresses innehatte. Obschon sie eigenwillige Vorstellungen von bürokratischen Abläufen hatte, sprachen ihre engen Kontakte zu SPD und DGB vorerst für ihre weitere Beschäftigung. Ihre Aufgabe sah sie zunächst einmal darin, für den CCF eine Jugendorganisation, die sogenannten „Jungen Gruppen für kulturelle Freiheit" zu schaffen, deren Mitglieder sich zumeist aus dem Umfeld der FU-Studentenzeitschrift „Colloquium" rekrutierten. Daneben beschäftigte sie sich damit, Vorbehalte in traditionalistisch gesonnenen Kreisen der Berliner SPD und der Gewerkschaften gegen den CCF abzubauen.3 In ihrer Arbeit wurde Annelene von Caprivi von dem Journalisten Emest Salter, einem Mitarbeiter der „Neuen Zeitung", sowie den KgU-Funktionären Ernst Tillich und Günther Birkenfeld unterstützt. Einen eigentlichen Büroleiter gab es zu diesem frühen Zeitpunkt war
2
Typisch für diesen Aufgabenbereich war das sog. „X-Projekt", in dem es um die Dokumentation Bolschewisierung des ostzonalen Wissenschaftsbetriebes ging. Der Name des Projektes ergab sich aus dem Umstand, daß der wichtigste Zeuge für diese Dokumentation anonym bleiben sollte. Es handelte sich um einen ostdeutschen Wissenschaftler (Prof. Lange aus Leipzig). An dem Projekt waren auch Arkadij Gurland und Joachim Leithäuser beteiligt, vgl. N.N (Max Karl Graf Trauttmansdorff) an René Lalive d'Epinay vom 28.2.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 13. Gurland wollte am Ende nicht mehr mit dem CCF zusammenarbeiten: der
3
Günther Birkenfeld an Max Karl Graf Trauttmansdorff vom 23.6.1951, ebda., Box 119, Folder 7. Annelene von Caprivi an Norbert Mühlen vom 23.1.1951, NL Mühlen, Box 18, vgl. Annelene von Caprivi an Norbert Mühlen vom 18.12.1950, ebda. Caprivi stand dem Reformtlügel der Berliner SPD nah.
1 Die
organisatorische Gesalt des CCF in Deutschland
301
noch nicht. Alle Versuche, Otto Stolz dem DGB abzuwerben, scheiterten bereits in der Planungsphase.4 Die Arbeit des Berliner Büros in dieser Frühphase des Kongresses verlief nicht eben reibungslos, wofür verschiedene Faktoren verantwortlich waren. Generell mußten sich die unterschiedlichen Probleme der internationalen Leitungsgremien, seien sie inhaltlicher oder formaler Natur, auch in Berlin negativ niederschlagen. Wie in Paris wirkten sich auch in Berlin persönliche Antipathien und Sympathien unmittelbar auf die jeweilige Arbeit aus. Noch im Juni 1951 beklagte Annelene von Caprivi die befürchtete Konzeptionslosigkeit Nabokovs.5 Zuvor und darin stimmte sie mit Bondy weitgehend überein hatte sie bemerkt, allein Irving Brown sei in der Lage, im CCF etwas Ordentliches zu organisieren, der Rest ergehe sich weitgehend in schöngeistigem Gerede.6 Berlin werde von Paris als „quantité neglegeable" behandelt.7 Mit dem Rückzug Melvin Laskys aus den unmittelbar den CCF betreffenden Geschäften im Dezember 1950 besserte sich die Situation ebenfalls nicht,8 manches wurde eher schlimmer, da Lasky, obschon rechtlich ohne Kompetenzen, sich nicht davon abhalten ließ, weiterhin seinen Einfluß auf den Kongreß geltend zu -
-
machen.9
Paris wiederum beließ
es
nicht
dabei, das Berliner CCF-Büro
nur unzu-
länglich eigenen konzeptionelle Überlegungen miteinzubeziehen. Bald mangelte es zusätzlich an finanzieller Hilfe von Seiten der Zentrale. Fast durchgehend klagte Annelene von Caprivi darüber, daß notwendige Mittel nicht überwiesen würden; zeitweise mußte der Betrieb ganz ohne Unterstützimg durch Paris funktionieren, ausgerechnet in der Phase, als die ersten Broschüren in
4
5
6
8
9
Der Kontakt zu Stolz wurde über Irving Brown aufrechterhalten: Irving Brown an Georg Reuter (DGB) vom 6.5.1950, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 45, Folder 8. Der Budgetentwurf vom Dezember 1950 ging noch von Stolz als künftigem Büroleiter aus, die Absage erfolgte um den 3 1.1951: Budgetkalkulation für das Berlmer Büro vom 15.12.1950, ebda., Box 119, Folder 4; Annelene von Caprivi an François Bondy vom 3.1.1951, ebda. Annelene von Caprivi an Norbert Mühlen vom 14.6.1951, NL Mühlen, Box 18: „Über den Kongreß hörte ich inzwischen viel, auch von kompetenter Seite. (Was heißt schon kompetent bei diesem Verein von Schlawinern?) [...] Dieser Tage ist wohl Nabokov hier. Er wird auch wie alle übrigen den Mund vollnehmen, und es wird doch nichts, aber auch nichts dabei herauskommen." Annelene von Caprivi an François Bondy vom 8.1 1950, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 4. Annelene von Caprivi an Norbert Mühlen vom 21.1.1951, NL Mühlen, Box 18. Von Caprivi spekulierte, Laskys Abschied sei auf Druck von HICOG-Stellen erfolgt: Annelene von Caprivi an Norbert Mühlen vom 18.12.1950, NL Mühlen, Box 18. Dies erscheint nur wenig wahrscheinlich, vermutlich ging es Lasky darum, den „Monat" nicht zu vernachlässigen. Vgl. Rundschreiben von Günther Birkenfeld vom 22.12.1950, UoC-Archiv, „Der Monat'Records, Box 3, Folder 3, wo Birkenfeld Lasky, Tillich, Salter und Hurwitz zu einer Besprechung wegen der anstehenden CCF-Arbeit in Berlin einlädt. Auch danach finden sich mannigfaltige Bespiele filr Laskys Einflußnahme
302
VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Sprachraum übersetzt und redigiert wurden.10 Birkenfeld der schlug angesichts finanziellen Nöte sogar vor, das Berliner Büro ganz zu schließen, da unter den gegebenen Umständen an ernsthafte Arbeit nicht zu denken sei.11 Allerdings waren die Probleme in Berlin nicht ausschließlich auswärtigen Ursprungs, vieles war hausgemacht und lag oft genug in persönlichen Divergenzen begründet. Im Dezember 1950 meldete beispielsweise Harold Hurwitz nach Paris, die Arbeitstedung in Berlin funktioniere nicht. Theoretisch war es an Annelene von Caprivi, die laufenden Geschäfte zu besorgen, während sich Birkenfeld und Tillich12 dem Aufbau einer den „Amis de la Liberté" vergleichbaren Organisation widmen soUten. In der Praxis so Hurwitz laufe dies darauf hinaus, daß jeder gegen jeden intrigiere und jeder den anderen für komplett unfähig oder arbeitsscheu halte. Zudem fehle es an einer unumstrittenen Autorität, die das Büro kompetent leiten könne.13 Ungeachtet aller auftretenden Schwierigkeiten gelang es dem Berliner Büro, für den deutschen
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Annelene von Caprivi an Norbert Mühlen vom 8.3.1951, NL Mühlen, Box 18: „We are still without money. Absolutely. Die Angestellten haben kern Gehalt für Februar bekommen, und wir können nicht einmal das Porto aufbringen [...]. Ich habe seit Monaten das Gefühl, daß Pans uns nicht will oder sabotiert oder sonstwie." Der Sabotagevorwurf war für die frühe CCF-Zeit nicht untypisch; er entspringt, wie so vieles andere, der kommunistischen Denkwelt, an welcher der CCF sich zu Beginn orientierte und der er letztendlich entstammte Die Finanznöte des Berliner Büros waren wohl weniger Ergebnis von Sabotage als vielmehr Ausdruck eines noch nicht ausgereiften Sponsorensystems und organisatorischer Probleme in der Pariser Führungsgruppe. Vorschläge von Günther Birkenfeld für die weitere Arbeit des Berliner Kongreßbüros vom 22.11.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 3, Folder 3. Der Gesamtetat des Büros belief sich nach dem Etatansatz für das erste Quartal 1951 auf laufende Kosten von monatlich DM 4.250,- für Personal (Büroleiter, von Caprivi, Tillich, Salter, Birkenfeld, zwei Sekretärinnen und ein Gärtner, der zugleich als Chauffeur diente). Hinzu kamen DM 400,- für Honorare (Übersetzungen und Vorträge), DM 7.700,- fur Allgemeines (nicht näher aufgeschlüsselt) sowie DM 6.948,- für einmalige Anschaffungen, s. Budgetkalkulation von François Bondy und Annelene von Caprivi vom 15.12.1950, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 4. Dieser Ansatz wurde später deutlich nach unten korrigiert, vgl. Max Karl Graf Trauttmansdorff an René Lalive d'Epinay vom 17.2.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 8, wo nur noch von monatlichen Kosten von DM 3.675,- für Berlin und DM 2 000,- für Frankfurt ausgegangen
wird.
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Zur Rolle Ernst Tillichs im frühen Berliner CCF: Rundschreiben von Günther Birkenfeld an Alfred Weber, Werner Egk, Renée Sintenis und Carl Zuckmayer vom 29.11.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 3, Folder 3, wo Tillich sogar als Leiter des Berliner Büros bezeichnet wird, was nicht zutraf. Laut Annelene von Caprivi an François Bondy vom 13.1.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 4, war Tillich dafür zuständig, den Kontakt zu DGB, SPD u.auch den Agenturen des Kalten Krieges zu halten, wofür er im Januar 1951 das „Informationsbüro West", bestehend aus KgU, UD, den „Opfern des Stalinismus" und dem Referat für gesamtdeutsche Fragen des ASTA der FU Berlin (Günther Birkenfeld an François Bondy vom 12.1.1951, ebda.) gründete. Außerdem sollte er Kontakt zu westdeutschen Akademikerkreisen halten, was allerdings nicht geschah. Von Caprivi schlug denn auch vor, diese Aufgabe Edwin Redslob zu übertragen, der über die besseren Kontakte verfügte. Harold Hurwitz an Norbert Mühlen vom 21.12.1950, NL Mühlen, Box 18; vgl. Annelene von Caprivi an Norbert Mühlen vom 18.12.1950, ebda.; Annelene von Caprivi an François Bondy vom 18.1.1951. IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 4: „Tillichs Tätigkeitsdrang ist, was überhaupt vorhanden war, im Keim erstickt."
1 Die
organisatorische Gesalt des CCF in Deutschland
303
zwischen Juni 1950 und April 1951 einige Aktivitäten zu entfalten. So wurde der CCF offiziell als Verein registriert; als Gründungsmitglieder ließen sich Lasky, Reuter, Bondy, Mühlen, Jaesrich, Tillich und Redslob eintragen. Zugleich wurde in der Schmarjestraße 4, das heißt außerhalb der Räumlichkeiten des „Monat" ein eigenes Haus für den CCF angemietet und dem Publikumsver-
kehr geöffnet. Hier lagen Schriften westlicher Autoren, vor allem aus dem Umfeld des CCF (Koestier, Buber-Neumann, Fischer) für ein überwiegend aus Ostberlin und der DDR stammendes Publikum aus.14 Dieser Publikumsverkehr war, angesichts der Stimmungslage im Kalten Krieg, nach Ansicht der CCFMitglieder nicht ganz ohne Risiko, befürchtete man doch entweder eme offene oder eine was wahrscheinlicher war verdeckte Infiltration durch die östliche Staatssicherheit.15 Soweit erkennbar, ist es aber nie zu aktenkundigen Zwischenfällen gekommen, auch wenn Melvin J. Lasky bezogen auf den „Monat" vermutete, daß einer seiner Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit -
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gearbeitet habe.16 Durchgehend waren jedoch nicht Sicherheitsbedenken für das Handeln des CCF wichtig, sondern andere Aspekte, die Annelene von Caprivi anschaulich zusammengefaßt hat: Das neuerworbene Haus gebe dem CCF die Möglichkeit, „sie17 jeweüs mit westlichen Werten neu bekannt zu machen und sie sozusagen ,moralisch aufzuladen'"18 Es zeigt sich, daß der CCF sehr bewußt den Transfer liberaldemokratischer Werte auch systemübergreifend propagierte, um auf diese Weise das System des Gegners von innen her, gewissermaßen an der kulturellen Flanke, aufzulösen oder doch wenigstens zu destabilisieren. Diesem
Zweck diente auch der Aufbau eines am „Monat" orientierten Verteilernetzes in Ostdeutschland, mit dessen Hilfe Sonderdrucke, Broschüren und anderes Propagandamaterial in die DDR und nach Ostberlin geschleust werden sollten. 14 15
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Memorandum von Annelene von
Caprivi an Melvin J. Lasky vom (November?) 1950, S. 4,
UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 1, Folder 9.
Im Juni 1952 informierte z.B. der Westberliner Senat den CCF vertraulich von Plänen der Pankower Regierung, die Büros westlicher Agenturen des Kalten Krieges in Westberlin erstürmen zu lassen: Günther Birkenfeld an Carlo Schmid vom 24.6.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 10; Josselson warnte später ausdrücklich vor der Gefahr, durch Ostflüchtlinge unterwandert zu werden, wie es bei KgU und UfJ bereits geschehen sei: Michael Josselson an Günther Birkenfeld vom 2.2.1953, ebda., Box 122, Folder 4. Das CCF-Haus stand unter privater Aulsicht. Anfangs wohnte dort ein FU-Student, seit Sommer 1952 war der Berliner Senat für den Schutz des Gebäudes verantwortlich: Günther Birkenfeld an Michael Josselson vom 28.1 1953, ebda., Box 122, Folder 4. Melvin J Lasky im Gespräch mit dem Verfasser. Ein Suchauftrag beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemeligen DDR hat allerdings keine Resultate gebracht, und zwar weder für den „Monat" noch für den CCF Es bleibt jedoch extrem unwahrscheinlich, daß die östliche Seite sich nicht um den CCF gekümmert haben soll, da aber die einschlägigen Akten der Hauptverwaltung Aufklärung fehlen, ist die Lückenhaftigkeit im Quellenbestand nachvollziehbar. Gemeint sind die Besucher aus dem Osten. Memorandum von Annelene von Caprivi an Melvin J. Lasky vom (November?) 1950, S. 2, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 1, Folder 9.
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VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Weniger nach außen, auf den Osten gerichtet, sondern primär „re-orientation"-Prioritäten folgend, vollzog sich eine der anderen Hauptaktivitäten des Berliner Büros, die noch eingehender zu behandeln sein wird: die Gründung einer funktionsfähigen Jugendorganisation. Die sogenannten „Jungen Gruppen für kulturelle Freiheit" erwuchsen in der Hauptsache aus dem studentischen Milieu der Freien Universität, das bereits an der Organisation des Berliner
1950 beteiligt gewesen war. Indessen verschärften sich die internen Konflikte seit Februar 1951 mit erheblicher Geschwindigkeit. Zwar war Annelene von Caprivi im Februar noch für ihren Einsatz ausdrücklich gelobt worden,19 dennoch deuteten sich weitere Schwierigkeiten an, nachdem sie wieder und wieder auf klarere Kompetenzzuweisungen drängte.20 Als verheerend erwies sich, daß man von Paris aus einen neuen, für Westdeutschland zuständigen Sekretär eingestellt hatte. Max Karl Graf Trauttmansdorff sollte einer der gravierendsten personalpolitischen Mißgriffe der Pariser Zentrale werden. Der ehemalige Diplomat21 aus dem Umfeld der UEF, Birkenfeld und von Caprivi blockierten sich gegenseitig in einem erheblichen Ausmaß. Der von allen Beteiligten erhobene Vorwurf gänzlicher Inkompetenz22 gehörte wieder zum üblichen Bestand der Kritik. Zeitweise kam es sogar zu Vorwürfen gegen von Caprivi, sie hätte Kongreßgelder veruntreut, was sich aber nie bestätigte.23 Schwerwiegender war da schon, daß Trauttmansdorff das Gerücht verbreitete, die Berliner Kongreßsekretärin habe sich mit den „Jungen Gruppen" zerstritten und sei nun nicht mehr in der Lage, die Jugendarbeit des CCF korrekt durchzuführen. Dabei dürfte es sich jedoch eher um den verzweifelten Versuch Trauttmansdorffs gehandelt haben, seinen eigenen Kopf zu reiten, da er zu diesem Zeitpunkt selber schon in Paris denunziert worden war.24
Kongresses von
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François Bondy an Annelene von Caprivi vom 24.2.1951, IACF/CCF-Archiv, 119, Folder 4
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Series
II, Box
Annelene von Caprivi an Francois Bondy vom 26.1.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 4. Man hatte ihn gegen den hinhaltenden Widerstand Hallsteins, der Trauttmansdorff gerne wieder im Auswärtigen Amt gesehen hätte, für die Mitarbeit im CCF gewonnen: Francois Bondy an Annelene von Caprivi vom 23.1.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 4. Annelene von Caprivi an Norbert Mühlen vom 4.4.1951, NL Mühlen Box 18; Max Karl Graf Trauttmansdorff an Carlo Schmid vom21.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder
13. Eine Lieferung von DM 5.000,- war von einem unbekannten Mann angenommen worden und dann verschwunden. Möglicherweise handelte es sich um einen Sabotageversuch von östlicher Seite: Annelene von Caprivi an François Bondy vom 15.1.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 4. An der Aktion gegen Caprivi waren auch Salter und Birkenfeld beteiligt, die alte Rechnungen mit ihrer Mitarbeiterin zu begleichen gedachten: Bericht von Max Karl Graf Trauttmansdorff vom 3.4.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 8. Der westdeutsche Sekretär beschwerte sich zusätzlich, daß Intrigen von Caprivis für die dauernde Unruhe im Berliner Büro verantwortlich seien: Max Karl Graf Trauttmansdorff an Francois Bondy vom 11.4.1951.
1. Die
organisatorische Gesalt des CCF in Deutschland
305
Im Endeffekt waren es weder Birkenfelds noch Trauttmansdorffs Intrigen, die zur Endassung von Caprivis führten, dafür hatten beide in Paris eine viel zu schwache Hausmacht, sondern der ebenso rapide wie unerklärliche Vertrauensverlust zwischen von Caprivi und Melvin Lasky. Seit Februar 1951 hatte die Sekretärin Norbert Mühlen berichtet, daß Lasky sie ständig kritischer beurteile und auch ihre Loyalität in Frage stelle, wobei weder sie noch Jaesrich sich dies zu erklären vermochten.25 In der Tat war sie eine durchweg loyale Mitarbeiterin, so verteidigte sie etwa Lasky gegenüber Mühlen als den Einzigen neben Brown im CCF, der über Arbeitswillen und Konzepte verfügte.26 Alles half nichts mehr. Am 16. April 1951 wurde sie, angeblich auf das Betreiben Laskys hin, ohne daß ihr Mentor Irving Brown informiert worden wäre, entlassen. Dabei hat wohl auch Günther Birkenfeld eine gewisse Rolle gespielt, den sie kurz zuvor in Abstimmung mit Brown praktisch kaltgestellt hatte.27 Wütend warf sie dem CCF daraufhin „Gangstermethoden"28 vor und verdächtigte Lasky, er verfolge weitergehende manipulative Absichten. Insbesondere wolle er eine neue und ganz andere SPD in Berlin schaffen.29 Man darf jedoch nicht vergessen, daß diese Bemerkungen einem konkreten, von vielfältigen Streitigkeiten gekennzeichneten Hintergrund entsprangen. Außerdem waren sie mit Caprivis Versuch verbunden, über Schmid und Kogon nun im Gegenzug Birkenfeld, Salter oder Trauttmansdorff aus dem CCF entfernen zu lassen, um dann den alten Posten erneut einnehmen zu können.30 Mit diesem Ansinnen scheiterte sie und fand alsbald eine neue Stelle bei Tillichs KgU.31 Von da an leitete Günther Birkenfeld bis zum Jahresbeginn 1954 das Berliner CCF-Büro. Auch er stellte keine besonders glückliche Wahl dar, weniger
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Annelene von Caprivi an Norbert Mühlen vom 16.2.1951, NL Mühlen, Box 18. Annelene von Caprivi an Norbert Mühlen vom 8.3.1951, NL Mühlen, Box 18. Rundbnef Annelene von Caprivis vom 16.4.1951, NL Mühlen, Box 18. Annelene von Caprivi an Norbert Mühlen vom 19.4.1951, NL Mühlen, Box 18. Notiz an Carlo Schmid als Beilage zu dem Rundschreiben Annelene von Caprivis vom 16.4.1951, NL Schmid, AdsD, Bd. 1828: „Leider kann ich nicht behaupten, daß die Einsetzung des Königs Birkenfeld, der vor einigen Jahren mit Eklat aus der SPD ausgetreten ist, mit meinem Beitritt zu dieser Anstalt in ursächlichem Zusammenhang steht.f...]. Ich bin aber geneigt zu unterstellen, daß Lasky vor seiner Abreise nach Amerika [...] hat Fürsorge treffen wollen, daß das Kongreßbüro während seiner Abwesenheit nicht .unter den Einfluß' derjenigen Kreise der Berliner SPD gerät, die er so sehr danebenschätzt; der ,Schumacher-Richtung'. (Vorher war von Lasky der Versuch unternommen worden, Willy Brandt in die Leitung des Büros hineinzumanövrieren)." Auf dieses Schreiben hin protestierte Schmid gegen die Aktivitäten Birkenfelds und Trauttmansdorffs, wobei er mit Caprivis Worten Birkenfelds Austritt aus der SPD als tadelnswert bezeichnete: Carlo Schmid an Denis de Rougemont vom 18.4.1951, ebda. Hellmuth Jaesrich an Melvin J. Lasky vom 2.5.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 13, Folder 6. Die Proteste führten nur dazu, daß das Internationale Exekutivkomitee sich geneigter zeigte, Schmids Wünschen nach Gründung einer eigenen deutschen Exekutive eher nachzukommen: Denis de Rougemont an Carlo Schmid vom 4.5.1951, NL Schmid, AdsD, Bd. 1828. Hellmuth Jaesrich an Melvin J Lasky vom 20.4.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 13, Folder 6.
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VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
weil er behauptete, den Posten eigentlich gar nicht angestrebt zu haben,32 sondern vor allem weil Carlo Schmid als Prädident des deutschen Exekutivkomitees und sein alter Gegner aus Besatzungstagen, Michael Josselson vom Internationalen Sekretariat, ihm gleichermaßen reserviert gegenüberstanden. Immerhin handelte es sich, auch wenn der Grund für seinen SPD-Austritt im unklaren hegt, bei Birkenfeld um einen Mann mit makelloser linkstatellektuellantinationalsozialistischer Vergangenheit. Daneben mag der Gesichtspunkt eine Rolle gespielt haben, daß Birkenfeld als Mann Laskys und Ernst Reuters galt, was ihm dann doch einen gewissen Rückhalt im Kongreß verschaffte.33 Insgesamt war er ein ebenso fleißiger wie umtriebiger Organisator, der es verstand, dem Berliner Sekretariat für eine gewisse Zeit Stabilität und Ansehen zu verschaffen. Im Berliner Umfeld des CCF löste die Amtsübernahme durch Birkenfeld aber erst einmal Sorgen aus, die weniger mit seiner Person verknüpft waren, als mit Reuters Bedenken, die personelle Entwicklung innerhalb des lokalen CCF signalisiere Absichten Laskys, Berlin oder Deutschland ganz zu verlassen und in den USA, wo er sich gerade aufhielt, zu bleiben.34 Mochten derartige Mißverständnisse leicht auszuräumen sein, es blieben weitaus gravierendere Konflikte mit dem Internationalen Generalsekretariat, die kaum dazu beitragen, die Leistungsfähigkeit des Berliner Büros zu steigern. Ein immer aufs neue ergiebiger Quell steten Ärgers zwischen Paris und Berlin war die von Birkenfeld herausgegebene, im Mai 1951 erstmals erschienene Zeitschrift „Kontakte", deren Konzept im März von Bondy, Salter und Leithäuser erarbeitet worden war. Zu diesem Zeitpunkt firmierte das Projekt noch unter dem Namen „Bulletin" und diente, ganz wie später die „Kontakte", vor allem der Dokumentation kulturpolitisch relevanter Fragen und als Organ zur deutschsprachigen Verbreitung von Artikeln aus „Preuves". Ein eigenständiges redaktionelles Konzept fehlte.35 Bereits die erste Ausgabe der Mitgliederzeitschrift des deutschen CCF rief massive Kritik sogar in Birkenfeld wohlgesonnenen Zirkeln hervor.36 Ganz ähnlich, zum Teil sogar wesentlich schärfer, reagierte der in Paris für die Publikationen des Kongresses verantwortliche François Bondy, dessen kritische Haltung zu den „Kontakten"
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Günther Birkenfeld Folder 3.
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MaxKarlGrafTrauttmansdorffan Carlo Schmid vom 31.5.1951, NL Schmid, AdsD, Bd. 1828. Hellmuth Jaesrich an Melvin J. Lasky vom 8.5.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 13, Folder 6. Protokoll der Besprechung vom 15.3.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 4. Hellmuth Jaesrich an Melvin J. Lasky vom 2.5.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 13, Folder 6, kritisierte sowohl Form wie Inhalt der Zeitschrift. Einer der durchgehd betonten Kritikpunkte war die redaktionelle Nähe zur „Neuen Zeitung", die sich allein schon aus der Mitarbeit Ernest Salters ergab.
35 36
an
Francois
Bondy vom 7.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119,
1. Die organisatorische Gesalt des CCF in Deutschland
307
zwischen Mai 1951 und Dezember 1953, als die Zeitschrift eingestellt wurde,'7 das Verhältnis zu Birkenfeld nachhaltig trübte. Mehr noch als Jaesrich und Lasky warf er Birkenfeld vor, sich bei HICOG zu offensichtlich anzubiedern. Jede erkennbare Nähe zu den Amerikanern sei zu vermeiden. Hinzu kamen ästhetische Kriterien, denen eine nach Art der „Kontakte" vorab konzipierte Zeitschrift kaum je genügen konnte.38 Dies wurde ergänzt durch den Vorwurf, die Zeitschrift sei zu provinziell und deutschlandspezifisch, was Birkenfeld aber begründet zurückweisen konnte.39 Nur in Ausnahmefällen zollte Paris den „Kontakten", Birkenfeld und seinen Mitarbeitern Ernest Salter und Adolf Volbracht einmal Lob.40 Ansonsten wurde der Spiebaum der Redaktion enorm eingeengt. Zeitweise durften die „Kontakte" nur publiziert werden, wenn zuvor ein redaktioneller Ausschuß der deutschen Exekutive, dem Pechel, Hagelstange und Schmid angehörten, Inhalt und Erscheinungsform gebilligt hatten.41 Birkenfeld und Volbracht suchten dies für ihre Zwecke zu nutzen, indem sie deutsche Exekutive und Pariser Zentrale gegeneinander auszuspielen trachteten. Sie warteten daher mit dem
Vorschlag auf, die „Kontakte" ganz der deutschen Exekutive zu unterstellen,42 was Paris ebenso brüsk zurückwies wie das nicht ganz selbsdose Vorhaben der beiden Redakteure, sich eigene Artikel vom CCF bezahlen zu lassen, was der gängigen Praxis der CCF-Zeitschriften widersprach.43 Insgesamt wirkte es sich für Birkenfeld und seine Zeitschrift überaus 37
Trotz positiver Stellungnahme der deutschen Exekutive wurden die „Kontakte"von Paris aus eingestellt: Nicolas Nabokov an Günther Birkenfeld vom 8.12.1953, IACF/CCF-Archiv, Series II Box 1, Folder 1. Diese Maßnahme hing mit der Krise um das Ende des deutschen CCF im Gefolge der römischen Exekutivtagung vom November 1953 zusammen. In einer erzürnten Reaktion befand Hellmuth Cron, der sich immer für die „Kontakte" eingesetzt hatte, das von der Pariser Zentrale auf Betreiben Carlo Schmids durchgesetzte Verfahren sei schlichtweg „diktato-
risch": Hellmuth Cron an RudolfPechel vom 15.12.1953, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd 98.
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Francois Bondy an Günther Birkenfeld vom 17.11.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 2; vgl. dazu Günther Birkenfeld an Francois Bondy vom 4.1.1952, ebda., Box 121, Folder 13: „Eure Kritik ist mir stets willkommen und wertvoll, aber sie fängt an ärgerlich zu werden, wenn sie ungerecht ist." Typisch war etwa, daß Bondy einerseits eine qualitative Verbesserung der „Kontakte" anmahnte, andererseits aber die Publikation ausführlicher Essays ablehnte, da dies dem Zweck eines Mitgliederbulletins widerspreche: François Bondy an Adolf Volbracht vom 8.10.1952, ebda., Box 119, Folder 10. Günther Birkenfeld an Francois Bondy vom 16.8.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 10. Michael Josselson an Günther Birkenfeld vom 3.12.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box
119, Folder 10. Nicolas Nabokov an Günther Birkenfeld vom 5.7.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 122, Folder 2. Günther Birkenfeld an François Bondy vom 14.6.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 122, Folder 1. Günther Birkenfeld an Michael Josselson vom 10.11.1951 und Rundschreiben Günther Birkenfelds an die deutsche Exekutive vom 8.11.1952 IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 10. Auch der an sich sinnvolle Reformvorschlag Volbrachts, vom uneinheitlichen Konzept eines kulturpolitisch ausgerichteten Mitgliederbulletins abzurücken und sich zu einer literarischmusischen Zeitschrift weiterzuentwickeln, fand keine Zustimmung: Rundschreiben Adolf ,
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VT. Die deutsche Sektion des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
daß sie in die zunehmenden Spannungen innerhalb der deutschen Exekutive und zwischen deutscher und internationaler Organisation hineingezogen wurden beziehungsweise sich aktiv darin involvierten. Außerhalb des CCF wurde die Zeitschrift deutlich positiver wahrgenommen als intern, sofern sie überhaupt einen weiteren Leserkreis fand.44 Nun ist einzuräumen, daß die „Kontakte" in der Tat ein problematisches Unterfangen darstellten, zugleich muß aber hinzugefügt werden, daß dies nicht ausschließlich an Birkenfelds herausgeberischem Unvermögen gelegen hat. Eigentlich hatte man sich im Vorfeld nicht ausreichend darüber verständigt, welchem genauen Zweck die „Kontakte" denn dienten. Sie sollten keine Konkurrenz für den „Monat" oder „Forum" werden, durften keinen hochrangigen intellektuellen Ansprach erheben und wurden, bei all diesen negativen Abgrenzungen, doch an demselben intellektuellen und formalen Ansprach gemessen wie die anderen Kongreßzeitschriften. Dennoch dachte man in Paris zeitweise daran, die Seitenzahl der „Kontakte" von acht auf sechzehn zu erhöhen und gleichzeitig die Auflage von 3.500 auf 15.000 zu steigern.45 Da alle Reformvorschläge abgelehnt wurden, Rudolf Pechel sich zusätzlich weigerte, mit der „Deutschen Rundschau" die Funktion der „Kontakte" zu übernehmen und „Der Monat" bis 1954 bei HJCOG in seiner Sonderrolle blieb, mußten sich die „Kontakte" beinahe zwangsläufig auf die Rolle der qualitativ nur beschränkt anspruchsvollen Mitgliederzeitschrift konzentrieren. Die Auflage pendelte sich zwar bald bei rund 5.000 Stück ein, darin waren allerdings 3.800 Freiexemplare für Ostdeutschland und 1.000 für Westdeutschland, die zumeist an die Presse, Rundfunkstationen und alle Bundestagsabgeordnete versandt wurden, enthalten.46 An zahlenden Abonnenten konnte man lediglich mit 106 Westdeutschen und 76 Westberlinern aufwarten.47 Zu den unglücklichen Rahmenbedingungen traten interne Reibereien, die für den CCF so typisch waren. Erst drängte Birkenfeld, schon um nicht mehr in den Gerach zu kommen, von der „Neuen Zeitung" zu abhängig zu sein, die Pariser Zentrale dazu, Emest Salter entlassen zu dürfen und durch Adolf
ungünstig aus,
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Volbrachts an die deutsche Exekutive vom (November?) 1952, ebda. Baseler Nationalzeitung vom 22.11.1953; vgl. Hans Kohn an Sidney Hook vom 27.9.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 13, Folder 3: „To my great pleasure the German bulletin tights as rigorously [...] against German nationalism as against Communism." Anderer Ansicht war Adolf Arndt, der die„Kontakte" abbestellte, weil sie in stalinistischer Manier Martin Niemöller verfolgten: Adolf Arndt an Günther Birkenfeld vom 14.8.1952, NL Schmid AdsD, Bd. 1830. Ausgerechnet der von Arndt inkriminierte Artikel fand bei dem radikalen Linkssozialisten Kurt Hiller, der ein Freund Birkenfelds war, sehr positive Resonanz: Günther Birkenfeld an Carlo Schmid vom 8.9.1952, NL Schmid, AdsD, Bd. 1830. Arbeitsplan des Internationalen Sekretariates vom 1.8.1951 -1.8.1952, S. 5, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 3, Folder 1. Michael Josselson an Günther Birkenfeld vom 24 4.1953, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box
122, Folder 5. Günther Birkenfeld 120, Folder 2.
an
Michael Josselson
vom
20.3.1953, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box
1. Die organisatorische Gesalt des CCF in Deutschland
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Volbracht zu ersetzen, was sogar eine Weile lang ganz gut funktionierte.48 Dann trug Volbracht Ende 1953 maßgeblich zum Sturz Birkenfelds bei, indem er Vorfalle aus dem Berliner CCF-Haus als angeblich sicherheitsrelevant nach Paris meldete, insofern kein sehr kluger Schritt, als Birkenfeld ihn sofort entließ.49 Im Zusammenhang mit der parallel verlaufenden Krise des deutschen CCF waren Birkenfeld und Pechel bemüht, für die „Kontakte" eine neue Lösung zu finden, die sie in private Hand überführen und damit von Paris unabhängig machen sollte.50 Carlo Schmid hingegen, schon aus Rivalität zu Pechel und seinen Anhängern in der deutschen Exekutive, drängte bereits seit Ende 1952 auf eine Fusion von „Monat" und „Kontakte", was bei Lasky auf wenig Gegenliebe stieß.51 Angesichts all dieser Umstände verwundert es nicht weiter, daß es im Hinblick auf die „Kontakte" keine eigentliche inhaltlichredaktionelle Linie gab, die es zu analysieren lohnte. Sicher, die Zeitschrift diente, wie der ganze deutsche CCF gleichermaßen der antikommunistischantineutralistischen wie der antinazistischen Tätigkeit. Die Vielzahl einander widersprechender Einflüsse und Anforderungen, denen die Redaktion ausgesetzt war, machte eine wirklich kontinuierliche Arbeit, wie sie etwa „Der Monat" leistete, jedoch unmöglich. Die „Kontakte" stellten also eher einen Mißerfolg in Birkenfelds Bemühungen als Berliner Büroleiter des CCF dar. Er hatte aber auch einige Aktiva aufzuweisen. Gemeinsam mit Melvin Lasky, zu dem sein Verhältnis allen internen Querelen zum Trotz weitgehend ungetrübt blieb, gelang es ihm, die Zusammenarbeit mit den US-Behörden in der Bundesrepublik aufrechtzuerhalten, wobei naturgemäß der Propagandabereich im Vordergrund stand.52 Bei 48
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Günther Birkenfeld an François Bondy vom 26.9.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 1. Für Volbracht sprach bes., daß er im Monat DM 200,- weniger Salär beanspruchte als der erfahrene Journalist Salter Günther Birkenfeld an das Internationale Generalsekretariat vom 17.10.1953, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 122, Folder 7. Günther Birkenfeld an Rudolf Pechel vom 21.12.1953, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98.
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Bericht von Carlo Schmid über die Lage in Deutschland an das Internationale Exekutivkomitee vom29/30.12.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II,Box 3, Folder2. Seit September 1950 gab es mit HICOG Gespräche über eine Kooperation zwischen CCF und HICOG, in denen es vornehmlich um die vom CCF geplanten Publikationen und deren Vetrieb ging: Melvin J. Lasky an Ralph Brown (ISD/HICOG) vom 12.9.1950 und Alfred V. Boemer (HJCOG) an Melvin J. Lasky vom 2.4.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 6, Folder 6 sowie Melvin J. Lasky an Shepard Stone vom 15.7.1950, ebda., Box 7, Folder 1, wo noch davon ausgegangen wird, daß HICOG die Kosten für das Broschüren-Programm des CCF übernehmen würde. In Melvin J. Lasky an Benjamin J. Buttenwieser (HICOG) vom 6.10] 950, ebda., ging es um den Plan des CCF, Berlin zum außerordentlichen Sitz der UN-Generalversammlung zu machen, der mit HICOG abgestimmt wurde. Besonders eng war die Zusammenarbeit mit Wolf von Eckart, dem Sohn des gleichfalls dem CCF verbundenen Heidelberger Politologen Hans von Eckart, die teilweise an Birkenfeld vorbei direkt von Paris aus erfolgte, wobei der Grund für die Geheimhaltung nicht durchweg ersichtlich ist, vgl. François Bondy an Hellmuth Jaesrich vom 23.6.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 246, Folder 5: „Folgendes AnHegen ist wichtig und vertraulich. Laß Dir von G Birkenfeld das fertige deutsche Manuskript
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VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
allen öffendichen Auftritten des CCF wurde aber gerade in Westberlin peinlich darauf geachtet, eine allzu offenkundige Nähe zu HICOG und den USA zu vermeiden. So griff man etwa bei Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen bevorzugt auf europäische CCF-Redner zurück. Über diese enge Zusammenarbeit mit HICOG hinaus wurde das vom „Monat" im Ansatz schon aufgebaute und von Annelene von Caprivi in Zusammenarbeit mit Harold Hurwitz und Ernst Tillich weiter verfeinerte Verteilemetz in Ostdeutschland weiter ausgebaut, wobei die Amerikaner insofern wiederum beteiligt waren, als beispielsweise die von HICOG herausgegebenen „Ostprobleme" regelmäßig gemeinsam mit dem „Monat", Büchern und Broschüren von CCF-Autoren in den Osten geleitet wurden.53 Diese Verteilertätigkeit stellte die einzige direkt in den Ostblock zielende Aktivität des CCF dar. Im Oktober 1951 existierten vier territorial abgegrenzte feste Verteilergrappen, die durch drei Einzelpersonen ergänzt wurden und insgesamt regelmäßig pro Monat rund 110 Exemplare des „Monat" sowie rund 180 Exemplare der „Ostprobleme" an ebenfalls klar umrissene Empfängergruppen weiterleiteten. Besonders interessant erscheint dabei die „Gruppe Nord", deren Name nicht ganz ihrem Aufgabenbereich entsprach, da sie in Halle, Dresden, Aue, Rostock, Leipzig und Ostberlta aktiv war und dort „pol. Arbeiterkreise, Parteifunktionäre, Gewerkschaft, Polizei, SSD, Rundfunk" belieferte. „Der größte Teil der Empfänger im Osten setzt sich aus politischen Menschen zusammen, die aus dem sozialistischen Lager kommen."54 Zu den Zielen dieser Aktion gehörte es, kommunistische Funktionäre zum Überlaufen zu bewegen. Daneben existierten die von Einzelpersonen getragenen Vertedemetze des „Monat", von denen das von Hurwitz' Gattin mit gelegentlich 7.000 in Ostdeutschland verteilten Exemplaren des „Monat" das
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des Rousset-Prozesses geben und schicke es sofort an Wolf von Eckart in Bad Nauheim. Aber Birkenfeld braucht nicht zu wissen, an wen Du es schickst, einfach, daß Du es übernimmst im Einverständnis mit uns. Bitte diesen Brief nicht aufbewahren." Dieses von gegenseitigem Mißtrauen gekennzeichnete Vorgehen ist ein weiterer Hinweis dafür, daß die Kommunikationsstrukturen innerhalb des CCF mcht immer intakt waren. Neben HICOG gab es intensive Kontakte zu RIAS und der „Neuen Zeitung", also zu den Berliner Propagandaeinrichtungen der US-Amerikaner, vgl. Melvin J. Lasky an Theodore Kaghan vom 18 9.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 6, Folder 7: „RIAS got behind the Cultural Congress and pushed it to whatever success can be claimed. [...]. RIAS is still plugging Congress material and will continue to do so. We're all one big family." Vgl. ferner Melvin J. Lasky an Shepard Stone vom 18.8.1951, ebda., Box 7, Folder 1. Zur „Neuen Zeitung" s. neben den bei den „Kontakten" angegebenen Materialien z.B. Melvin J. Lasky an Emest J. Salter vom 16.1.1951, ebda., Box 14, Folder 8, wo es darum ging, die angebliche nationalsozialistische Vergangenheit Bodo Uhses in einer gemeinsamen Aktion publik zu machen. Im Zusammenhang mit der Krise des deutschen CCF wurden auch sämtliche Bemühungen, die „Ostprobleme" über die CCF-Netze in den Osten zu schicken, gegen den Widerstand Birkenfelds eingestellt: Günther Birkenfeld an das Internationale Generalsekretariat vom 21.11.1953, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 122, Folder 7. Bericht von Peter Strom (W-Gruppe Nord) an Dr. Birkenfeld vom 24.10.1951, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100. Es handelt sich um emen Decknamen, die wahre Identität ist nicht mehr zu eruieren. Günther Birkenfeld an François Bondy vom 30.10.1951, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 119, Folder 2.
1. Die organisatorische Gesalt des CCF in Deutschland
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effizienteste war.55 Nach Ansicht der Verteiler war diese Tätigkeit des Berliner Büros ausgesprochen erfolgreich: „Eine Kritik zum Material zu geben, wäre überflüssig. Kerne zweite Zeitschrift ist so wie der ,Monat' die Brücke der Kultur zum Osten zu schlagen. [...]. Der ,Monat' geeignet hat sich in der Sowjetzone einen Abonnentenkreis geschaffen, der zahlenmäßig nicht zu schätzen ist, da jedes einzelne Heft die Runde macht. [...]. Es hat sich weiter herausgestellt, daß mit Einzeldrucken besonders von Silone, Koestler und Ruth Fischer SED-Funktionäre in ihrer ideologischen Haltung wankend werden Die Nachfrage ist nach wie vor
groß."56
Zu Birkenfelds Aufgabenbereichen gehörte ferner, daß er die für 1951 geplante, dann aber suspendierte Pariser Konferenz in Westdeutschland mit vorzubereiten hatte. Diesem Zweck galt eine gemeinsam mit der Hochschulexekutive unter Carl-Heinz Evers und Lieselotte Berger durchgeführte Fragebogenaktion unter westdeutschen Studenten, in der Begriffe wie Freiheit, sozialer Fortschritt, Frieden und Nationalismus zur Diskussion gestellt wurden. Hauptziel war es, eine an westlichen, liberaldemokratischen Werthaltungen orientierte, also von der Aktivität der „Weltfriedenspartisanen" unabhängige Definition dieser Begriffe zu gewinnen.57 Sozusagen qua Person trug der in unterschiedlichen Agenturen des Kalten Krieges aktive Birkenfeld auch dazu bei, den CCF
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Tätigkeitsbericht des Berliner Büros vom Oktober 1951. Vgl. die Tätigkeitsberichte vom August September 1951, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100, als rund 500 Broschüren im Auftrag von HICOG verteilt wurden. Zusätzlich gab es in Westberlin im Kongreßhaus, an der und
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Hochschule für Politik und an der FU Verteilerzentren für ostdeutsche Besucher Seit November 1951 wurden verstärkt SPD-Stellen herangezogen: Tätigkeitsberichte des Berliner Büros von November und Dezember 1951, ebda. Diese Entwicklung hatte sich schon seit Mai 1951 angedeutet, allerdings verbunden mit der Forderung des SPD-Ostbüros, sich verstärkt um ostdeutsche Arbeiter und deren Interessen zu bemühen: Berthold Timm an das Berliner CCFBüro vom 12.6.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 3, auch an der Verteilung der ersten CCF-Broschüren war das Ostbüro der SPD beteiligt: Verteilungsschlüssel Broschüren vom 15.5.1951, ebda., Box 119,Folder7. In Westdeutschland wurden 31 Verbände und 170 Zeitungsredaktionen mit CCF-Material versorgt: Tätigkeitsberichte der deutschen Büros vom Januar-April 1951 und vom 7.4.-15.5.1951, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd 100. Bericht von Herrn Simmermacher (Aktionsgruppe A) an François Bondy vom 1.9.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 11; vgl a. den Bericht eines der Terminologie nach wahrscheinlich sozialdemokratischen Vertrauensmannes aus der DDR, der mehr ernsthafte Literatur, va. von Silone und Plievier verlangte, aber zusätzlich darauf hinwies, daß einzelne Tarnadressen unsicher geworden seien. Die immer dichter werdende Überwachung durch Polizei- und Staatssicherheitsstellen mache die Verteilung ständig gefahrvoller: N.N. an das Berliner CCF-Büro vom 15.7.1951, ebda., Box 118, Folder 12; Max Karl Gral' Trauttmansdorff an Francois Bondy vom 30.4.1951, ebda., Box 118, Folder 13, weist daraufhin, es werde in der Ostzone bes. positiv aufgenommen, daß der CCF SED-Methoden kopiere. Vgl. Fragebogen des Hochschulexekutivkomitees des Kongresses für kulturelle Freiheit, o.D. (Mai 1951), BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100; vgl. Memorandum von Max Karl Graf Trauttmansdorff, Günther Birkenfeld, Lieselotte Berger, Hans Jaschke und Carl-Heinz Evers zum Pariser Kongreß vom 5.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 13. Das Fragebogenprojekt war von René Lalive d'Epinay angeregt worden. An ihm sollten diverse FUund TU- Dozenten, darunter Walter Hofer, mitwirken.
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VT. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
mit den anderen in Berlin ansässigen Organisationen zu vernetzen.58 Schließlich gelang es ihm, in dem Berliner CCF-Haus eine intensive Vortragstätigkeit zum Teil hochrangiger Referenten aufrechtzuerhalten.59 Birkenfeld war insgesamt gesehen eine nur bedingt glückliche Wahl für den Posten des Berliner Büroleiters gewesen, aber er war wenigstens als Schriftsteller, Herausgeber und Journalist innerhalb der Westberliner und westdeutschen Intellektuellenszene mit einigen Kontakten ausgestattet und überdies ein vergleichsweise passabler Organisator. All dies traf auf den Leiter des westdeutschen Sekretariates Max Karl Graf Trauttmansdorff nicht zu. Seine Ernennung durch das Internationale Sekretariat stellte den Anfang einer ganzen Reihe personalpolitischer Mißgriffe der Pariser Zentrale dar. Als im Januar 1951 klar geworden war, daß Otto Stolz sich in keiner Weise am Aufbau der CCF-Organisation in Deutschland würde beteiligen können, entschloß sich das, damals selbst kaum arbeitsfähige, Pariser Sekretariat, die organisatorische Struktur des CCF in Deutschland von Grand auf neu zu gestalten. Ohne Rücksprache mit den deutschen CCF-Angehörigen wurde, auf Empfehlung aus UEF-Kreisen, die über Denis de Rougemont weitergeleitet worden war, Max Karl Graf Trauttmansdorff mit dem neuen westdeutschen
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Zum „Freiheitsbund für deutsch-russische Freundschaft" s. Hellmuth Jaesrich an Melvin J. Lasky vom 17.5.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 13, Folder 6, s.a. Günther Birkenfeld an Melvin J. Lasky vom 5.2.1952, ebda., Box 19, Folder 4, dort a. Material zum „Kongreß freier Völker" in Düsseldorf vom 17.-20.7.1952. Dieser Kongreß wurde aber in SPD-Kreisen eher skeptisch betrachtet, vermutlich weil man eine Einflußnahme der NTS befürchtete: Fritz Heine an Melvin J. Lasky vom 26.6.1952, ebda., Box 20, Folder 8. Zusätzlich gab es enge Kontakte zur KgU, zur „Vereinigung für kulturelle Hilfe", an dem Fritz Eberhard (NL Eberhard, SDR-Archiv, Intendanz 458: im Kuratorium waren noch Adolf Grimme, Eugen Kogon, Ernst Reuter, Edwin Redslob und Heinrich Landahl aus dem Umfeld des CCF) beteiligt war, und zum UfJ. Francois Bondy an Max Karl Graf Trauttmansdorff vom 17.3.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 8, listet z.B. folgende Veranstaltungen auf: 2.3.1951: Julian Amery: „Die Probleme des britischen Empire und Europa" (gemeinsam mit der Europa-Union); 3.3.1951: Julian Amery: „Europa zwischen Ost und West"; 6.3.1951 (in Bonn): Julian Amery: „Die Verteidigung Europas" (gemeinsam mit der Studentenorganisation der „World Federalists" ISSF); 30.3.1951 (in Hamburg): Haakon Lie: „Die Probleme Skandinaviens" (gemeinsam mit dem DGB und der Europa-Union); 31.3.1951: „Freiheiten, für die wir kämpfen" (Großkundgebung in Berlin gemeinsam mit der Europa-Union); vgl. den Bericht von Günther Birkenfeld an den deutschen Ausschuß des CCF vom 31.10/1.11.1952, ebda., Box 120, Folder 1, wo auf Vorträge von Minoo Masani, Peter de Mendelssohn, Erich Lüth, Stefan Andres, Richard HS. Crossman, Sal Tas, Golo Mann, James Osbome, Daniel Bell, Richard Löwenthal, Hermann Kesten, Nicolas Nabokov, François Bondy, Fritz Sternberg und Fritz René Allemann hingewiesen wird. Selbst im Krisenjahr 1953 konnten die Vortragsserie mit Beiträgen von Erich Fried, Georg Glaser, Hugh Seton-Watson, Rudolf Hagelstange, Stefan Andres, Walter Mehring, Walter Laqueur, Gary Cooper, Friedrich Torberg und Boris Goldenberg aufrechterhalten werden. Themenschwerpunkte bildeten der Ost-West-Konflikt, die internationale Lage in Europa und Asien, das Ethos von Intellektuellen und Aspekte deutscher Vergangenheitsbewältigung, s Günther Birkenfeld an das Internationale Generalsekretariat vom 21.11.1953, ebda., Box 122, Folder 7.
313 organisatorische Gesalt des CCF in Deutschland Sekretariat in Frankfurt am Main betraut.60 Von Beginn an stieß dieser Schritt auf erhebliche Vorbehalte. Keinen Monat, nachdem Trauttmansdorff ernannt 1. Die
worden war, erklärte Melvin Lasky apodiktisch,
er
sei im CCF fehl am Platz.61
Auch Annelene von Caprivi, zu diesem Zeitpunkt noch auf Seiten Laskys, verlieh ihren Vorbehalten gegenüber dem Grafen offen Ausdruck.62 Der Hauptgrund für die Kritik gerade der frühen Kongreßmitglieder in Berlin war Trauttmansdorffs mangelnde intellektuelle Kapazität,63 womit selbstverständlich auch eine gewisse Arroganz der Kritiker offenbar wurde. Eher von praktischer Bedeutung war der auch in Paris mit einiger Skepsis wahrgenommene Umstand, daß es Trauttmansdorff an jeglicher Nähe zum intellektuellen Milieu in der Bundesrepublik gebrach. Dies hätte man allerdings schon bei seiner Einstellung erkennen können. Kurz vor dem abrupten Ende von Annelene von Caprivis Tätigkeit im Berliner Kongreßbüro tauchten innerhalb des CCF erste Gerüchte auf, Trauttmansdorff sei in Machenschaften der nationalsozialistischen Führung involviert gewesen.64 Im Verlaufe des Mai konkretisierten sich diese Vermutungen und gaben nun zu deutlicher Kritik seitens Irving Browns Anlaß.65 Was war geschehen? David Rousset hatte im Internationalen Exekutivkomitee die Mitteilung weitergegeben, der ehemalige tschechoslowakische Präsident Benesch habe ausgerechnet Trauttmansdorff beschuldigt, indirekt dazu beigetragen zu haben, daß der sowjetische Marschall Tuchatschewski im Verlaufe der stalinistischen Säuberungen der Roten Armee ermordet worden sei. So habe der Graf von SS und SD gefälschtes Material an den NKWD weitergegeben, welches dann im anschließenden Prozeß von erheblicher Bedeutung gewesen sei.66 Trauttmansdorff konnte sich zwar darauf berufen, vom CIC schon früher wegen dieser Beschuldigungen überprüft und rehabilitiert worden zu sein, doch änderte dies 60
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François Bondy an Annelene von Caprivi vom 13.1.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 246, Folder 10; François Bondy an Annelene von Caprivi vom 23.1.1951, ebda., Box 119,
Folder 4. Melvin J. Lasky an François Bondy vom 22.2.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 241, Folder 4. Lasky favorisierte Wolf von Eckart. Annelene von Caprivi an Norbert Mühlen vom 16.2.1951, NL Mühlen, Box 18. Am 31.1. hatte sie ihn noch ohne weitere Kritik akzeptiert: Annelene von Caprivi an Norbert Mühlen vom 31.1.1951, ebda. Von Caprivi kolportierte ein Zitat, das wohl bezeichnend für seine Haltung gegenüber Intellektuellen war: „Ich denke sehr ungern, es strengt mich so an." S. Annelene von Caprivi an Norbert Mühlen vom 8.3.1951, NL Mühlen, Box 18. Annelene von Caprivi an Norbert Mühlen vom 4.4.1951, NL Mühlen, Box 18. Denis de Rougemont an Carlo Schmid vom 31.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 280, Folder 1; vgl. Max Karl Graf Trauttmansdorff an Carlo Schmid vom 21.5.1951, IACF/CCFArchiv, Box 118, Folder 13; Max Karl Graf Trauttmansdorff an Carlo Schmid vom 31.5.1951, NL Schmid, AdsD, Bd. 1828. Max Karl Graf Trauttmansdorff an Denis de Rougemont vom 28.6.1951, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 119, Folder 7.
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VI Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
nichts daran, daß nun innerhalb des CCF eine regelrechte Kampagne gegen ihn eröffnet wurde. Außer Rousset war es wiederum Brown, der entschieden dafür eintrat, Trauttmansdorff endlich loszuwerden. Josselson, Nabokov und Rougemont beeilten sich, ihm darin Folge zu leisten.67 Das deutsche Exekutivkomitee, allen voran in seltener Eintracht Carlo Schmid und Rudolf Pechel, verwandte sich daraufhin sofort in Paris für Trauttmansdorff68 Margarethe Buber-Neumann war sogar bereit, sich als Leumundszeuge zur Verfügung zu stellen, aber dies interessierte die Pariser Führung im Grande überhaupt nicht mehr.69 Die Parteinahme der Deutschen in dieser Angelegenheit veranlaßte im Gegenzug Melvin Lasky zu einem scharfen Angriff auf Schmid und das deutsche Exekutivkomitee.70 Mit seiner Argumentation stand Lasky den Bedenken der Pariser Zentrale recht nahe. Dort war man inzwischen nämlich zu einer ganz anderen Taktik übergegangen. Nabokov, Josselson und de Rougemont, nunmehr als Leiter der CCFBürokratie fest installiert und bestrebt, der Organisationszentrale volle Handlungsfreiheit zu garantieren, hatten erkannt, daß sich eine günstige Gelegenheit bot, den als unfähig eingeschätzten Trauttmansdorff zu entlassen, und zwar gleichgültig, ob den Vorwürfen irgendein realer Hintergrund innewohnte oder nicht. An dem Ziel der Aktion, Trauttmansdorff aus den Kongreßgeschäften auszuschalten, wurde festgehalten, obwohl man sich in Paris darüber klar war, daß die von Benesch erhobenen Vorwürfe nicht letztgültig bewiesen waren.71 Damit standen, noch ehe überhaupt eine Untersuchung stattgefunden hatte, Ziel und Ergebnis derselben bereits fest. Zugleich beharrten Josselson und Nabokov entschieden darauf, daß die Angelegenheit ausschließlich in die Zuständigkeit
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Michael Josselson an Rudolf Pechel vom 6.8.1951, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III) Bd. 100. Nicolas Nabokov an Max Karl Graf Trauttmansdorff vom 27.7.1951, IACF/CCF-Archiv, Series fl, Box 119, Folder 2; vgl. Rudolf Pechel an Carlo Schmid vom 23.7.1951 und Carlo Schmid an Nicolas Nabokov vom 25.7.1951, NL Schmid, AdsD, Bd. 1828. Max Karl Graf Trauttmansdorff an Nicolas Nabokov vom 19.7.1951, IACF/CCF-Archiv, Series H, Box 119, Folder 2; vgl. Nicolas Nabokov an Max Karl Graf Trauttmansdorff vom 23.7.1951, ebda. Melvm J. Lasky an François Bondy vom 16.7.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 241, Folder 4: „The November Conference [...] (an excellent idea) was takled by Carlo Schmid, who wasn't quite sure he would like to discuss those issues with anybody he didn't know (and he doesn't know anybody in the literary and cultural world since Baudelaire and Jünger)." Und über Trauttmansdorff bemerkte er: „I have never disguised my feeling that the Traut was a regrettable and most unfortunate choice from the very first He has no experience, has no cultural or even political background, has no dynamism." Nicolas Nabokov an Max Karl Graf Trauttmansdorff vom 5.7.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 3, wo Nabokovs ursprünglicher Vorschlag, ein internes Ehrengericht einzuberufen, auf Betreiben de Rougemonts zurückgenommen wurde, und Nicolas Nabokov an Max Karl Graf Trauttmansdorff vom 23.7.1951, ebda. Box 119, Folder 2. Hier erklärte Nabokov, es komme dem CCF wesentlich darauf an, sich nicht mit irgendwelchen Vorwürfen aus der deutschen Vergangenheit zu belasten, selbst wenn Trauttmansdorff über Leumunds- und
Entlastungszeugen verfüge.
1 Die
organisatorische Gesalt des CCF in Deutschland
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der Pariser Zentrale und nicht in die der deutschen Exekutive falle.72 Ende Juli 1951 schrieb Bondy dann an Birkenfeld, Trauttmansdorff müsse zum 1. September gehen und Birkenfeld solle anschließend das westdeutsche Sekretariat zusätzlich zum Berliner Büro kommissarisch leiten.73 Die Arbeit wurde erst einmal von Helmut Große übernommen, der schon zuvor mit Trauttmansdorf in Frankfurt gearbeitet hatte. Zu diesem Termin hatte weder eine genaue Untersuchung der erhobenen Vorwürfe stattgefunden, noch hatte man sich in Paris Gedanken über einen potentiellen Nachfolger gemacht. Die Mitglieder der gerade erst gegründeten deutschen Exekutive reagierten gereizt. Rudolf Pechel drohte gar mit Austritt.74 Jetzt erst sah sich Nabokov veranlaßt, den Deutschen die Sichtweise des Pariser Sekretariates eigens zu erläutern.75 Er begründete den nunmehr erfolgten Schritt erst einmal aus den gegen Trauttmansdorff erhobenen Vorwürfen heraus, um dann mit dem eigentlichen Anliegen des Internationalen Generalsekretariates zu schließen: Trauttmansdorff habe sachlich-intellektuell nicht zu überzeugen vermocht. Da Carlo Schmid als Vorsitzender der deutschen Exekutive nicht bereit war, eine Konfrontation mit Paris zu suchen, gelang es den Deutschen nur noch, für den entlassenen Grafen eine Ehrenerklärung der Internationalen Exekutive zu erwirken.76 Der „Fall Trauttmansdorff' ist nahezu exemplarisch für den Umgang des Internationalen Sekretariates mit der deutschen Sektion. Paris suchte im Normalfall die Kontrolle über sämtliche Prozesse in den nationalen Sektionen, besonders aber in Deutschland, entweder zu erlangen oder zu behalten. Der Verlauf der Suche nach Trauttmansdorffs Nachfolger sollte beweisen, daß man in Paris mit diesem Bestreben angesichts der schwerfälligen Strukturen auf nationaler Ebene meist so falsch nicht lag, auch wenn man sich gelegentlich das Leben infolge der mangelnden Berücksichtigung der Verhältnisse vor Ort unnötig schwer machte. Wichtiger war der in diesem Vorgang sichtbar werden-
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Im August 1951 hatte Rougemont gegenüber Nabokov noch betont, die deutsche Exekutive dürfe nicht gänzlich übergangen werden, um nicht den Eindruck zu erwecken, Paris fälle diktatorische Entscheidungen. Im Endeffekt blieb aber die Regelung der gesamten Angelegenheit durchgehend in den Händen des Internationalen Sekretariates: Denis de Rougemont an Nicolas Nabokov vom 4.8.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 280, Folder 1 ; Günther Birkenfeld an Denis de Rougemont vom 22.10.1951, ebda., Box 118, Folder 12. François Bondy an Günther Birkenfeld vom 31.7.1951 und Nicolas Nabokov an Günther Birkenfeld vom 31.7.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 2. Die Übergabe des Frankfurter Büros erfolgte dann tatsächlich am 31.8.1951 : Bericht von Günther Birkenfeld vom 31 8.1951, ebda., Box 119, Folder 5. Günther Birkenfeld an Francois Bondy vom 2.8.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 5. Rundschreiben von Nicolas Nabokov an die Mitglieder des deutschen Exekutivkomitees vom 18.9 1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 1. Protokoll der Tagung des deutschen Ausschusses in Bad Homburg vom 11.10.1951, S. 4, BA Koblenz, NI, 160 (Pechel III), Bd 100. Die Ehrenerklärung erfolgte auf Antrag des anwesenden Denis de Rougemont
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VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
die deutsche Sektion inhaltlich für Fragen der „Vergangenheitsbewältigung" offener war als das auf antikommunistische Aktion fixierte Generalsekretariat der frühen Phase, andererseits aber die Deutschen, wenn es um die Gefahr ging, daß individuelle Biographien aus der nationalsozialistischen Zeit zu kongreßinternen oder anderen Zwecken instrumentalisiert werden sollten, ausgesprochen verärgert und mit einer ansonsten ungewohnten Solidarität untereinander reagierten. Ähnliche, auf unterschiedlichem Verständnis divergierender Lebensgeschichten beruhende Mißverständnisse, sollten sich auch in Berlin zwischen Melvin Lasky und Ernst Reuter auftun. Um es aber ganz klar zu sagen: Von deutscher Seite ging es im CCF dabei nie um eine Politik des Vergessens und Verdrängens, eher um eine Haltung, die besagte, daß nur der zu verstehen vermochte, der dabei gewesen de Umstand, daß
zwar
war.
Damit waren die Probleme mit dem Frankfurter Büro keineswegs beendet. Die Suche nach einem Nachfolger für Trauttmansdorff gestaltete sich schwieriger als anfangs erwartet. Diesmal sollten, eingedenk der schlechten Erfahrungen vom letzten Mal, die Deutschen von vorneherein an der Personalentscheidung beteiligt werden.77 Eine ganze Weile lang befürwortete die Mehrheit des deutschen Exekutivkomitees Peter Pechel, der dann aber aus beruflichen Gründen nicht zusagen konnte, obwohl er im September noch als Favorit gehandelt worden war.78 Obwohl im Dezember 1951 auch noch der zweite aussichtsreiche Kandidat, Rüdiger Proske, absagte,79 hielt die Pariser Zentrale erst einmal an der Ansicht fest, die Deutschen sollten den Büroleiter für Westdeutschand in eigener Regie bestimmen, auch auf die Gefahr hin, daß wenig dabei herauskam, da die deutsche Exekutive sich als nicht besonders handhabbares Instrument erwies.80 Im Dezember 1951 präsentierten dann Carlo Schmid
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Damit wurde zusätzlich eine Forderung der Berliner Gruppe erfüllt, vgl. Protokoll der Sitzung des Berliner Arbeitsausschusses vom 1.12.1951. IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 1. Neben Birkenfeld gab in Berlin Willy Brandt den Ton an, der sich für Rüdiger Proske oder Schmids Kandidaten Jasper Petersen aussprach, sa Carlo Schmid an Günther Birkenfeld vom 14.11.1951, NL Schmid, AdsD, Bd. 1828. Petersen sollte außerdem als katholischer Kandidat für die Exekutive aufgebaut werden. Als Kandidat der Internationalen Exekutive galt der Journalist Siegfried Maruhn, den aber die Mehrheit der deutschen Exekutive ablehnte: Margarefhe Buber-Neumann an Carlo Schmid vom 12.11.1951, NL Schmid, AdsD, Bd. 1828 Helmut Große warf sich selbst aus dem Rennen, als er Birkenfeld, der seinerseits Pecheis Sohn Peter bevorzugte, zu sehr bedrängte und ihm daraufhin kurzerhand gekündigt wurde, obgleich die Entlassung erst mit dem Dienstantritt des neuen Büroleiters tatsächlich umgesetzt wurde: Günther Birkenfeld an Jasper Petersen vom 10.3.1952, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 119, Folder 10. Günther Birkenfeld an Nicolas Nabokov vom 19.9.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 1. Das entsprechende Schreiben fehlt zwar in den Quellen, seit Mitte Dezember tauchte Proske aber nicht mehr in den internen Diskussionen über mögliche Kandidaten auf. Rudolf Pechel hatte schon im November dazu gedrängt, endlich eine Entscheidung herbeizuführen: Rudolf Pechel an Carlo Schmid vom 3.11.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 11
1. Die
organisatorische Gesalt des CCF in Deutschland
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und WUly Brandt den katholischen Tübinger CDU-Kommunal- und Sozialpolitiker Jasper Petersen als ihren Kandidaten. Zwar stimmte das Internationale Sekretariat im Januar 1952 dem Vorschlag prinzipiell zu,81 die Berufung erfolgte aber erst im Februar.82 Indem Petersen neuer Büroleiter für Westdeutschland wurde, erwies sich ein Umzug des Büros von Frankfürt nach Stuttgart als
unumgänglich.
Die Wahl Petersens, der einige Jahre zuvor für das Ende der Herausgebertätigkeit von Schweinichens beim „Tagesspiegel" gesorgt hatte, sollte sich bald als ein Fehler herausstellen, der nun aber von der deutschen Exekutive, nicht von der Pariser Zentrale zu verantworten war. Dies galt sowohl für die Tatsache, daß das Kongreßbüro nach Stuttgart verlegt wurde, wo es noch weiter von den intellektuellen Zentren Westdeutschlands entfernt war als Frankfurt, als auch für Petersens Person selbst. Ahnlich wie Trauttmansdorff verfügte er über keinerlei persönliche Nähe zu deutschen Intellektuellenzirkeln, dafür neigte er, ganz wie sein Vorgänger, zu antiintellektualistischen Tiraden, die für seine Arbeit im CCF nicht unbedingt förderlich waren. Und, ebenfalls dem Fall Trauttmansdorff vergleichbar, entwickelte sich sein Verhältnis zu Birkenfeld binnen kurzer Zeit derart schlecht, daß an eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht zu denken war. Die deutsche Exekutive hatte es tatsächlich fertig gebracht, sämtliche Probleme, die man mit dem Weggang Trauttmansdorffs gelöst wähnte, erneut aufzuwerfen. Es wäre verfehlt, wollte man die Konflikte zwischen den beiden deutschen Sekretariaten, dem Internationalen Sekretariat und der deutschen Exekutive auf den Ausdruck bloßen Machtwillens oder persönlicher Unstimmigkeiten reduzieren, wenngleich beide Elemente sicher eine zentrale Rolle gespielt haben. In einer tieferen Schicht ging es auch um konzeptionelle Differenzen, deren Auswirkungen jedoch nicht überschätzt werden dürfen. Vor allem, weil bis Mitte 1951 die Dinge im deutschen und internationalen CCF sehr im Fluß waren, fehlten die Möglichkeiten, unterschiedliche Planungen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Kohärenz im Detail einzuschätzen. Dennoch gab es inhaltlich begründete Konflikte, die in der Folge genauer zu untersuchen sind. Die frühesten, im übrigen nie konkret ausformulierten Konzepte, deren Umrisse daher nur aus der Praxis erkennbar sind, enstammten dem Umfeld von Caprivi, Schmid und Birkenfeld. Sie verstanden den CCF als eine unter vielen Agenturen des Kalten Krieges, die in enger Zusammenarbeit mit KgU, Uff,
SPD-Ostbüro und anderen Propagandaarbeit im Osten und antikommunistische Aufklärung im Westen betteiben sollte, wobei das Proprium des CCF in seiner intellektuellen Potenz gelegen hätte. Bei Schmid und Caprivi kam noch die
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Francois Bondy an Günther Birkenfeld vom 19.1.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 121, Folder 13. Nicolas Nabokov Folder 10.
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Jasper Petersen vom 20.3.1952, IACF/CCF-Archiv,
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Tendenz hinzu, im CCF eine Art verlängerten Arm der SPD zu erblicken.83 Birkenfeld war ein besonders eifriger Verfechter einer Art integrierten organisatorischen Netzwerkes ganz unterschiedlicher Agenturen des Kalten Krieges, wobei CCF und KgU eine zentrale Rolle zufiel.84 Sein Konzept wurde erst obsolet, als sich das Verhältnis zwischen CCF und KgU im Verlaufe des Jahres 1951 verschlechterte. Der genuin sozialdemokratische Aspekt war bei ihm als „Renegaten" naturgemäß weniger ausgeprägt als bei Schmid, aber selbst für Birkenfeld war offensichtlich immer klar, daß die ideologisch verwandten Ansprechpartner für den CCF in der SPD und im DGB saßen, nicht so sehr in der CDU/CSU oder der FDP.85 Trauttmansdorff hingegen sah in einer reformsozialdemokratisch inspirierten antikommunistischen Arbeit erst einmal keine vordringliche Aufgabe. In seiner Sicht waren Westdeutschland und besonders Westberlin derart mit antikommunistischen Organisationenen und entsprechender Propaganda übersättigt, daß eine solche Organisation kaum sinnvoll erschien, zumal es nur wenige Kommunisten gab. Nicht der klassische radikale Antikommunismus konnte somit das Proprium des CCF in der Bundesrepublik bilden, sondern am Detail orientierte begriffhch-definitorische, eher wissenschaftliche Arbeit. Ihm ging es gewissermaßen um das ideologische Fundament antikommunistischer Propaganda. Der CCF war dann aber nicht wie bei Birkenfeld Teil direkter Aktion gegen die kommunistische Welt, im Grande überhaupt keine eigene Organisation, womit er Kogons Konzept recht nahe kam,86 sondern fungierte als „die Spinne im Netz, die Fäden zieht!"87 Auch wenn Trauttmannsdorffs Intentionen denen des internationalen CCF relativ nahe kamen, kann kaum übersehen werden, daß eigentlich alle Vorschläge der Deutschen mit den allgemeinen und den wenigen deutschlandspezifischen Konzepten des Internationalen Exekutivkomitees nur bedingt kompatibel waren. Gerade die besondere intellektuelle Komponente 83
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Zeitweise sollten neben Schmid und Brandt auch die SPD-Mitglieder Stephan Thomas vom Ostbüro, Ernst Tillich von der KgU, Fritz Eberhard vom SDR sowie Herbert Wehner in die deutsche Exekutive; vgl. Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 10.2.1951, S. 91, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 2, Folder 10. Vgl. zu diesem Aspekt: Günther Birkenfeld an Boris Shub vom 21.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 13; Günther Birkenfeld an Emst Tillich vom 21.7.1951, ebda., Box 119, Folder 2. Vgl. ferner Annelene von Caprivi an Francois Bondy vom 13.1.1951, ebda., Box 119, Folder 4. Ähnliches galt im studentischen Milieu, wo man sich dem SDS allemal näher wußte als den Studentenverbindungen: SDS der FU Berlin an Günther Birkenfeld vom 1.10.1951, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 118, Folder 12. Bericht von Max Karl Graf Trauttmansdorff vom 5.2.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 11 Allgemeine Anweisung für das Berliner Büro vom 1.2.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 4; s. zus. Memorandum von Max Karl Graf Trauttmansdorff o.D. (Februar 1951): „On Working Methods in Western Germany and Berlin", ebda., Box 118, Folder 11 ; dies deckte sich ansatzweise mit den Interessen der Pariser Zentrale, vgl. Denis de Rougemont an Max Karl Graf Trauttmansdorff vom 17.1.1951, ebda., Box 119, Folder 8, der inhaltlich mit Trauttmansdorffs Arbeitsplan vom 8.1.1951, ebda., identisch ist.
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fehlte, und der Antikommunismus wirkte in dieser Phase gemäßigter, als es den
Pariser Vorstellungen entsprochen hätte. Noch mehr galten derartige Vorbehalte gegenüber den von Trauttmansdorffs Nachfolger Petersen entwickelten Vorschlägen, die erheblich von den Vorgaben der Pariser Führung abwichen. Seit dem Frühjahr 1952 wollte Petersen den CCF zum Ideenlieferanten für die neuen westdeutschen Volkshochschulen umgestalten. Redner des internationalen CCF hätten dann im volkspädagogischen Sektor gewirkt, eine Vorstellung, die dem Snobismus der Pariser Zentrale geradezu widerlich erscheinen mußte. Petersens Konzept entsprang dem Bemühen um eine revidierte Form von Massenbasis und Breitenwirkung, wie es auch auf der internationalen Ebene von Carlo Schmid verfochten worden war. Ähnliches Gedankengut fand sich in Deutschland bei der radikalen Antikommunistin Margarethe Buber-Neumann. Bei Petersen war dieses volkspädagogische Konzept wiederum eng mit dem Aufbau der „Jungen Gruppen" gekoppelt.88 Im Gegensatz zu Birkenfeld verzichtete Petersen, wohl auch standortbedingt, gänzlich darauf, durch Vorträge und Diskussionsrunden in intellektuelle Kreise hineinzuwirken. Dies alles lief den inzwischen gefestigten Vorstellungen der Pariser Zentrale mit ihrem seit Mitte 1951 klar intellektuell-elitären Ansatz vollkommen zuwider. Ahnliches galt zunehmend auch für alle Konzepte, die auf direkte Aktion gegen den Ostblock zielten, wie sie Birkenfeld ursprünglich einmal angestrebt hatte. Bei aller Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit anderen Organisationen sollte der CCF unverwechselbar intellektualistisch ausgerichtet bleiben. Man wollte Ideen vermitteln, aber nicht mehr in der von Trauttmansdorff bevorzugten, organisatorisch eher losen Form, sondern straff zentralistisch und gebündelt; man wollte aufklärerisch, kosmopolitisch und liberaldemokratisch wirken. Wenn schon eine Zusammenarbeit mit anderen erwogen wurde, dann mit Universitäten wie der FU und der TU Berlin oder in Hamburg und nicht mit der KgU und dem UfJ. Nachdem sich die Situation des CCF spätestens 1952 auf allen Ebenen geklärt und stabilisiert hatte, versuchte sich Günther Birkenfeld an der Auf-
gabe, die unterschiedhchen Vorstellungswelten aller Beteiligten zu harmonisie-
allerdings ausschließlich bezogen auf die Situation in Westberlin, die auf Stuttgart nicht unmittelbar zu übertragen war. Nun interessierte ihn die Tätigkeit Petersens zu diesem Zeitpunkt nur noch aus Gründen interner Konfrontaren,
tion. Birkenfeld entwickelte ein
Konzept, welches die elitär-intellektualistische
Pariser Linie mit konkret antikommunistischer und „re-orientation"-Zielsetzung
88
Tätigkeitsbericht des Stuttgarter Büros vom 1.2.-15.7.1952, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 126, Folder 3; Arbeitsbericht des Stuttgarter Büros vom 15.7.-15.10.1952, ebda., Box 125, Folder 10; Tätigkeitsbericht des Stuttgarter Büros vom 16.10.-31.12.1952, ebda., Box 125, Folder 11; Aktennotiz von Jasper Petersen o.D. (vor November 1952), ebda, Box 126, Folder 3.
320
VT. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
verbinden trachtete: Berlin als „geistiges Zentrum". Damit nahm er zwar auch Vorgaben der Pariser Zentrale auf,89 insbesondere aber griff er auf eine Idee Ernst Reuters zurück.90 Ziel der Aktion war es, Berlin im Rahmen der Konfrontation des Kalten Krieges nicht nur unter dem Aspekt der „Frontstadt" zu
im Gedächtnis der Öffentlichkeit zu verankern, sondern auch als eine Art geistiger Oase der freien Welt. Zu diesem Zweck sollten hochqualifizierte Redner gewonnen werden, die wie kaum anders zu erwarten entweder direkt aus den Reihen des CCF kommen sollten oder zumindest über den CCF zu rekrutieren waren.91 Gleichzeitig nahmen Pläne Gestalt an, den CCF an der Organisation der Berliner Festwochen intensiver als bislang zu beteiligen.92 Ähnliches wurde für die Filmfestspiele in Betracht gezogen, aber dann nicht mehr in die Tat umgesetzt. Berlin als „geistiges Zentrum" zu etablieren, war ein Projekt, das durchaus den Interessen der Pariser Kongreßleitung entgegenkam, sei es im Hinblick auf den intellektuellen Ansprach, sei es wegen der Außenwirkung des Kongresses als kulturpolitische Institution. Über diesen doppelten Effekt hinaus, der ganz auf der Linie von Nabokovs Pariser Kulturkongreß von 1952 lag, erschien das Gesamtprojekt Birkenfeld zusätzlich eine gute Möglichkeit zu bieten, auf ostdeutsche kulturelle und inteUektuelle Kreise einzuwirken.93 Doch diese Nähe -
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V.a. Bondy hatte kritisiert, daß der Berliner CCF sich nicht ausreichend in das Berliner Kulturleben einbringe: Tätigkeitsbericht des Berliner Büros von Februar-September 1952, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 120, Folder 1. Günther Birkenfeld an das Internationale Generalsekretariat vom 10.10.1952, IACF/CCF-Archiv Series II, Box 122, Folder 3. Nabokov teilte im übrigen Bondys Kritik: Nicolas Nabokov an Günther Bükenfeld vom 24.10.1952, ebda Günther Birkenfeld an das Internationale Generalsekretariat vom 112.11.1952, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 122, Folder 3; Tätigkeitsbericht des Berliner Büros vom März 1953, ebda, Box 120, Folder 2. Die ersten Planungen liefen offenbar im März 1953 an Der CCF und die Redaktion des „Monat" stellten drei Gesprächsrunden über die Lage der Filmkritik, der Dramaturgie und der Theaterkritik zusammen, an denen O.E. Hasse, Gustav Gründgens, Hilde Spiel, Friedrich Torberg, Melvin Lasky, Friedrich Luft und Stephen Spender teilnehmen sollten. Die Gesamtkosten von DM 5.640,- sollte der CCF-Paris tragen: Günther Birkenfeld an Nicolas Nabokov vom 16.3.1953, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 122, Folder 4; das Projekt lief unter dem Namen „Berliner Gespräche": Nicolas Nabokov an Günther Birkenfeld vom 6.7.1953, ebda., Box 122, Folder 6, und erwies sich als ausgesprochen erfolgreich: Günther Birkenfeld an Rudolf Hagelstange vom 21.9.1953, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 22, Folder 5; vgl. ferner Nicolas Nabokov an Günther Birkenfeld vom 6.7.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 1, wo Birkenfelds Pläne prinzipiell gebilligt werden; vgl. allerdings Nicolas Nabokov an Günther Birkenfeld vom 4.6.1953, ebda in dem das Pariser Generalsekretariat versuchte, auf die Teilnehmerüste für die Festwochen 1953 Einfluß zu nehmen. Es ging darum, die Teilnahme des avantgardistischen Dichters und Filmregisseurs Jean Cocteau zu verhindern. Dieser Gedanke lag seit geraumer Zeit Birkenfelds Aktivitäten zugrunde. In seinen Augen sollte der Kongreß ostdeutschen Intellektuellen, die die Möglichkeiten nutzten, manchmal Westberlin zu besuchen, die Gelegenheit bieten, an kulturellen Entwicklungen im Westen in angemessener Weise zu partizipieren: Anlage IV zum Protokoll der Sitzung des deutschen Ausschusses in Stuttgart vom 31.10-1.11.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 126, Folder 3. Darüber hinaus plante er, einen getarnten Nachrichtendienst in Ostdeutschland auf dem CCF-Verteilernetz ,
93
1. Die organisatorische Gesalt des CCF in Deutschland
321
bekannten Anliegen des Pariser Sekretariates vermochte nicht zu verhindern, daß die internationale Führung zwar die CCF-Teimahme an den Berliner Festwochen billigte und finanzierte, ansonsten aber das Projekt „geistiges Zentrum Berlin" zugunsten anderer Prioritäten fallen ließ. Im Mai 1953 wies Josselson Birkenfeld an, der Berliner CCF solle sich der Teilnahme an den Filmfestspielen enthalten, da dies „nicht sehr aufregend" sei, und statt dessen lieber eine Reihe politischer Großkundgebungen mit CCF-Rednem veranstalten, wobei an Hook, Silone und den eigentlich aus dem CCF ausgeschiedenen Arthur Koestler gedacht war.94 Diese Wendung der Dinge kam angesichts vorhergehender Verlautbarungen aus Paris und des Grundtenors der internationalen Kongreßtätigkeit seit 1952 dann doch etwas unerwartet und trug nicht eben dazu bei, das bereits gespannte Verhältnis zwischen Birkenfeld und Josselson zu verbessern. Wenig später brach die Krise des deutschen CCF offen aus, was schließlich dazu führte, daß man in Berlin erst einmal überhaupt nichts mehr tat. zu
b. Die deutsche Exekutive
Die beiden Sekretariate stellten das unmittelbare Verbindungsglied zwischen dem Internationalen Generalsekretariat und dem deutschen CCF dar. Sie unterstanden dienstrechtlich und materiell Paris, ihre Leiter fühlten sich aber dem deutschen Kongreß nicht minder verpflichtet, zumal Birkenfeld und Petersen seit 1952 der deutschen Exekutive als Vollmitglieder angehörten. Hinzu kamen landsmannschaftliche und mentalitätsbegründete Verbundenheitsgefühle unter den Deutschen, die sich, allen internen Rivalitäten zum Trotz, beispielsweise im Fall Trauttmansdorff offen gezeigt hatten. Das deutsche Exekutivkomitee wiederum war de facto identisch mit der deutschen Kongreßsektion. Finanziell war sie von Paris ebenso abhängig wie die beiden Sekretariate in Berlin und Frankfürt oder Stuttgart.95 Auf der ande
94 95
verbreiten zu lassen, um interessierte Kreise in der DDR mit Informationen aus dem Westen zu versorgen. Dies wurde jedoch nie verwirklicht, sieht man davon ab, daß „Der Monat" mit gleicher Intention im Osten verteilt wurde. Michael Josselson an Günther Birkenfeld vom 15.5.1953, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 122, Folder 5. Der genaue Umfang der vom internationalen CCF für den deutschen CCF erbrachten finanziellen Leistungen läßt sich nur schätzen. Die internen Budgetplanungen gingen nahezu durchgehend von einem Finanzbedarf von ca. DM 40.000,pro Quartal aus, die dann auch bezahlt wurden. Dann waren rund DM 23.000,- für die beiden Büros enthalten, DM 5.000,- für Veranstaltungen, DM 7.000,- für Publikationen und DM 3.000,- für Honorare aller Art. Es fehlten allerdings in diesen Ansätzen einmalige Sonderausgaben, die von Paris im Einzelfall zu bewilligen waren oder in einzelnen Büroetats bereits vorab ausgewiesen wurden, sowie die Kosten für die Exekutive, d.h. Reisekosten, Spesen etc., die ebenfalls im Einzelfall angewiesen wurden. Vgl. Max Karl Graf Trauttmansdorff an René Lalive d'Epinay vom 17.2.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119,Folder8 Beim CCF dürften auf der Grundlage dieser Zahlen pro Jahr zwischen DM
322
VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Seite stand der Exekutive wenigstens theoretisch eine relative Autonomie gegenüber Anweisungen der Pariser Bürokratie zu, was praktisch aber nichts daran änderte, daß die Handlungsspielräume der deutschen Exekutive eher gering ausfielen. Zum Teil war dies strukturell bedingt. Die deutsche Exekutive war nämlich keine Organisation eigenen Rechts, sondern wurde vom Internationalen Exekutivkomitee, das heißt faktisch vom Pariser Sekretariat berufen.96 Als im Mai 1951 die Arbeitsfähigkeit der deutschen Exekutive endlich hergestellt wurde, war sie also Ergebnis des souveränen Handelns des internationalen CCF, wodurch sich der deutsche CCF zum Beispiel vom ACCF klar unterschied, der immer eine selbstfinanzierte Organisation aus eigenem Recht war. Da zudem die beiden Sekretariate zwar Sekretariate für Westdeutschland und Westberlin, aber nicht der deutschen Exekutive waren, auch wenn sie gewissermaßen akzidentiell diese Funktion wahrnahmen, ermangelte es der deutschen Exekutive eines handhabbaren, eigener Kontrolle unterstellten Instrumentes, mit dessen Hilfe die alltägliche organisatorische Arbeit unabhängig vom Willen des Internationalen Generalsekretariates hätte durchgeführt werden können. Die Summe all dieser Faktoren führte zu einer recht unglücklichen Konstellation, in der sich der Zentralisierangs- und Effizienzansprach des internationalen CCF mit gelegentlich aufbrechenden Autonomiewünschen der Deutschen konfrontiert sah. Paris bemühte sich zwar, nicht allzu offensichtlich zu lenken, dennoch hielt man gerade in Personalfragen, vor allem wenn es um die Mitgliedschaft in der deutschen Exekutive ging, an einem generellen Mitspracherecht fest. Nachdem die deutsche Exekutive einmal installiert war, konnte sie in eigener Regie, aber stets nach Rücksprache mit Paris, neue Mitglieder berufen. Die deutsche Exekutive, der im Mai 1951 Schmid, Kogon, Pechel, Brandt, Buber-Neumann und Plievier angehörten, nahm ihren Ausgang von der deutschen Delegation auf dem Berliner „Kongreß für kulturelle Freiheit" von 1950, wobei allerdings einige Teilnehmer wie Alfred Weber und Renée Sintenis schon frühzeitig signalisiert hatten, daß sie aus Zeitgründen bei aller Sympathie für die Ziele des Kongresses nicht an dessen Perpetuierung würden mitwirken ren
160.000,- und DM 180.000,- an Kosten angefallen sein, je nachdem, wieviel gesonderte Veranstaltungen durchgeführt wurden. 1953 lagen die Ausgaben allerdings schon erheblich höher. Allein für das Stuttgarter Büro veranschlagte die Pariser Zentrale DM 18.000,- pro Quartal, Petersen forderte sogar DM 33.000,-, was jedoch prompt abgelehnt wurde, s. Jasper Petersen an Michael Josselson vom 16.3.1953, ebda., Box 126, Folder 1. Anfangs kam das Geld direkt über Brown von der AFL, später vom Internationalen Generalsekretariat: Protokoll der Sitzung des
96
deutschen Exekutivkomitees vom 12.7.1951, S. 5, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100. Seit 1952 gab es gelegentliche Zuschüsse des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen für Einzelprojekte, wenn auch in unbekannter Höhe. Dennoch hing die Lebensfähigkeit des deutschen CCF ausschließlich vom Wohlwollen des Internationalen Sekretariates ab. Max Karl GrafTrauttmansdorffan Carlo Schmid vom 31.5.1951, NL Schmid, AdsD, Bd. 1828.
1. Die
können.97 Andere,
organisatorische Gesalt des CCF in Deutschland
323
Dolf Sternberger, hatten zu deutlich Kritik an der und kamen deswegen für die deutsche Exekutive nicht Veranstaltung geübt mehr in Frage. Anfangs war zusätzlich ein Patronatskomitee als eine Art Ehrenpräsidium für eine erheblich vergrößerte deutsche Exekutive vorgesehen,98 aber solche Pläne erwiesen sich bald als gegenstandslos, nachdem ersichtlich geworden war, daß der deutsche CCF nicht nach Art der französischen „Amis de la Liberté" zu organisieren war. Auch die Entscheidung, wer dem hypothetischen Patronatskomitee angehören sollte, behielt Paris sich vor.99 Bis zum Mai 1951 war dann weitgehend klar geworden, daß man sich zunächst einmal darauf beschränken mußte, ein funktionsfähiges Gremium in etwas verkleinertem Rahmen zu schaffen: das deutsche Exekutivkomitee nahm Gestalt an.100 In der Folge benannte Trauttmansdorff eine Reihe weiterer Personen, die zwar alle von Paris akzeptiert wurden, aber dann entweder nicht dem Kongreß beitraten oder erst deutlich später kooptiert wurden. So begrüßte Nabokov den Vorschlag, Inge Aicher-Scholl aufzunehmen, und sie blieb dem CCF auch lange verbunden, dennoch wurde sie aus unbekannten Gründen nie Mitglied der Exekutive.101 Ahnliches gilt für Ludwig Rosenberg vom DGB, der bereits zugesagt hatte, dem dann aber der DGB-Bundesvorstand die Teilnahme untersagte.102 Möglicherweise hing die Absage mit der Trauttmansdorff in
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etwa
Max Karl Graf Trauttmansdorff an Nicolas Nabokov vom 19.6.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 7. Diesem Komitee sollten u.a. Friedrich Meinecke, Alfred Weber, Romano Guardini, Reinhold Schneider, Werner Heisenberg, C.J. von Weizsäcker, Max Bense, Hans Leisegang, Hans Nachtsheim, Franz-Joseph Schöningh, RudolfPechel, Klaus Mehnert, Emst Reuter, Otto Suhr und Edwin Redslob angehören. Ein Teil der Personen tauchte später m der deutschen Exekutive wieder auf, einige, wie Schneider, schieden aus allen Überlegungen aus, weil sie sich neutralistischen Positionen näherten. Vg. Max Karl Graf Trauttmansdorff an das Internationale Generalsekretariat vom 25.1 1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 5. René Lalive d'Epinay an Max Karl Graf Trauttmansdorff vom 19.2.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 246, Folder 8, der u.a. Klaus Mehnert ohne weitere Begründung aus der Liste strich. Die eigentlichen Sondierungsgespräche führte Trauttmansdorff mit Carlo Schmid und Willy Brandt: Max Karl Graf Trauttmansdorff an Carlo Schmid vom 14.2.1951, NL Schmid AdsD, Bd. 1828; s.a. Max Karl Graf Trauttmansdorff an Theodor Plievier vom 31.5.1951, NL Plievier; Max Karl Graf Trauttmansdorff an Eugen Kogon vom 22.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 13. Zu diesem Zeitpunkt existierten bereits die „Jungen Gruppen" und der „Hochschulring für kulturelle Freiheit", auch plante man noch, auf lokaler Ebene Kreise von „Freunden der Freiheit" nach französischem Muster zu errichten. Max Karl Graf Trauttmansdorff an Günther Birkenfeld vom 30.6.1951, IACF/CCF-Archiv, Series H, Box 118, Folder 12. In diesem Brief werden auch erste Vorbehalte Schmids gegen die bisherige Ernennungspraxis erwähnt, da Trauttmansdorff bemerkte, Schmid habe verlangt, nur noch nach Rücksprache mit dem deutschen Exekutivkomitee dürften potentielle Mitglieder angefragt werden. Der Kontakt war über Schmid hergestellt worden: Max Karl Graf Trauttmansdorff an Nicolas Nabokov vom 28.6.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 7; Max Karl Graf Trauttmansdorff an Günther Birkenfeld vom 30 6.1951, ebda., Box 118, Folder 12. Der DGBBundesvorstand begründete die Absage damit, daß man prinzipiell nur mit solchen Organisationen zusammenarbeite, die mit den Arbeitsgebieten des DGB in einem engeren Verhältnis
324
VT. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
nerhalb des CCF häufiger unterstellten ungeschickten Verhandlungstaktik gegenüber dem DGB zusammen, die Birkenfeld und Schmid beklagten, ohne aber nähere inhaltliche Begründungen abzugeben.103 Rosenberg blieb danach, ganz wie Inge Aicher-Scholl, dem CCF locker verbunden. Erstmals finden in dieser Zeit die späteren Exekutivmitglieder Alexander Mitscherlich,104 Rudolf Hagelstange, Stefan Andres,105 Georg Meistermann106 und Boris Blacher, ein Freund Nabokovs,107 Erwähnung als potentielle Mitglieder der Gruppe. So zeichnete sich im Sommer 1951 schon der Nukleus des deutschen Exekutivkomitees mit großer Deutlichkeit ab. Die kongreßinterne Kritik an dem deutschen Exekutivkomitee setzte ein, ehe es überhaupt existierte. Carlo Schmid etwa monierte vorab, bereits das geplante sechsköpfige Gremium sei unvertretbar groß und deswegen handlungsunfähig.108 Vor allem habe man zuviel eher literarisch interessierte Mitglieder ernannt, was sich negativ auf die politischen Aktivitäten auswirken könne. Ein Jahr später hatte er jedoch seine Ansicht revidiert und verlangte, die inzwischen mehr als zehn Mitglieder umfassende deutsche Exekutive müsse schnell erweitert werden.109 Das Pariser Sekretariat meldete andere Vorbehalte an. In den Augen Bondys und de Rougemonts war das deutsche Komitee zu einseitig mit Sozialdemokraten und Exkommunisten besetzt, wodurch es notwendig an Außenwirkung in der Bundesrepublik einbüßte. Entsprechend sollte Schmid Vertreter des katholischen Milieus vorschlagen, damit der deutsche CCF
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stünden, s. Ludwig Rosenberg an Max Karl Graf Trauttmansdorff vom 19.7.1951, NL Schmid AdsD, Bd. 1828. Günther Birkenfeld an Carlo Schmid vom 18.10.1951, NL Schmid, AdsD, Bd. 1828. Der Kontakt wurde über Melvin J. Lasky hergestellt: Nicolas Nabokov an Melvin J. Lasky vom 24.7.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 241, Folder 4. Diese beiden wurden von Birkenfeld vorgeschlagen, da sie sich im Verlauf der Streitigkeiten innerhalb des gesamtdeutschen PEN-Zentrums um Johannes R. Becher im Gegensatz zu Stemberger an die Seite Birkenfelds und Pecheis gestellt hatten: Günther Birkenfeld an Denis de Rougemont vom 22.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 13. Beide, bes. Hagelstange, sollten dann auch später während des Niederganges des deutschen CCF Bündnispartner Birkenfelds und Pecheis bleiben. Meistermann war von Trauttmansdorff erstmals als Repräsentant der modernen bildenden Künste in der Bundesrepublik vorgeschlagen worden, zumal er sowohl konsequenter Gegner des Nationalsozialismus gewesen sei, als auch deutlich antikommunistisch eingestellt: Tätigkeitsbericht des Frankfurter Büros vom 7.7.-7.8.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 6. Max Karl Graf Trauttmansdorff an Boris Blacher vom 20.6.1951, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 118, Folder 13. Blacher sollte eine Reihe von Konzerten aufführen, welche in totalitären Regimen auf dem Index standen; ein Plan, der den Intentionen des Pariser Kongresses von 1952
Vorgriff.
Carlo Schmid an Nicolas Nabokov vom 27.6.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 288, Folder 4. Carlo Schmid an Rudolf Pechel vom 17.5.1952, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 99. In diesem Brief schlug Schmid dann Otto Stolz und Hellmuth Cron vor, die beide kooptiert wurden.
1. Die
organisatorische Gesalt des CCF in Deutschland
325
repräsentativer werde.110 Ungeachtet der im Vorfeld laut gewordenen Bedenken traf sich das deutsche
Exekutivkomitee am 12. Juli 1951 im Bonner Hotel „Königshof',111 ohne sich damit jedoch formell zu konstituieren. Anwesend waren der inzwischen kooptierte Blacher, Willy Brandt, Margarethe Buber-Neumann, Rudolf Hagelstange, Rudolf Pechel, Theodor Plievier und Carlo Schmid sowie als geborene, aber noch nicht stimmberechtigte Mitglieder die beiden Sekretäre Birkenfeld und Trauttmansdorff, den sein Mitarbeiter Große begleitete. Die Hochschulexekutive wurde von der späteren CDU-Politikerin Lieselotte Berger vertreten, die damals noch Studentin an der FU Berlin war. Eugen Kogon war krankheitshalber entschuldigt, der ebenfalls eingeladene Franz-Joseph Schöningh weilte im Ausland. Das Bonner Treffen brachte nur wenig Neues. Wenige Tage später stellte Melvin Lasky in seinem Bericht nach Paris fest, Schmids Persönlichkeit und die Unfähigkeit der beiden Kongreßsekretäre würden maßgeblich dazu beitragen, jede Kongreßaktivität in Deutschland zu verhindern.112 Dies deckt sich nicht ganz mit dem Protokoll, aus dem hervorgeht, daß zu diesem Zeitpunkt an eine wirklich konkrete Tätigkeit seitens der deutschen Exekutive gar nicht zu denken war. Man diskutierte eher über eine künftige Generallinie, wobei auffällig war, daß besonders Hagelstange, aber auch Trauttmansdorff hervorhoben, der CCF müsse sich in Westdeutschland in einem erheblichen Maße dem aufkommenden Neonazismus widmen. Ansonsten wurde allerdings das Gros der anstehenden Arbeit erst einmal vertagt. Am 11. Oktober 1951 fand in Bad Homburg die nächste Versammlung der deutschen Exekutive statt, diesmal freilich in erheblich verkleinertem Umfang und in Anwesenheit von Vertretern der Internationalen Exekutive, um die die
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Denis de Rougemont an Max Karl Graf Trauttmansdorff vom 31.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 13; sehr deutlich: François Bondy an Max Karl Graf Trauttmansdorff vom 29.5.1951, ebda., Box 119, Folder 7: „Was die Schaffung eines Deutschen Exekutivkomitees angeht, so sind wir hier alle der Meinung, daß Persönlichkeiten, die der katholischen Mehrheit (sie!) nahestehen und in deren Kreisen Vertrauen genießen, auch zugezogen werden müssen. Ein Komitee, das fast ausschließlich aus organisierten Sozialdemokraten und Exkommunisten besteht, ist jedenfalls zu einseitig." Ohne Klärung dieser Frage mit Schmid und Kogon werde man von Seiten des Internationalen Sekretariates nicht zulassen, daß das deutsche Komitee überhaupt gegründet werde. Vgl. Max Karl Graf Trauttmansdorff an Carlo Schmid vom 7.6.1951, NL Schmid, AdsD, Bd. 1828, der darauf hinweist, daß immerhin Kogon katholisch sei, das reiche wohl aus. Der Vorgang belegt allerdings, daß man in Paris offenbar kaum über hinreichende Kontakte zu prominenten deutschen Katholiken verfugte, aber unter allen Umständen daran festhalten wollte, daß der CCF Ausdruck des breiten antikommunistischen Konsenses zu sein habe. Protokoll der 1. Sitzung des deutschen Exekutivkomitees vom 13.7.1951, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100. Vgl. Nicolas Nabokov an Denis de Rougemont vom 16.7.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 246, Folder 4, der sich auf Laskys Bericht stützte. Nabokov schloß, man müsse die deutschen Angelegenheiten gründlich überdenken und „produce a more rational organization in
Germany."
326
VT. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Deutschen in Bonn gebeten hatten.113 Zunächst wurde vereinbart, daß die beiden Sekretariate künftig der deutschen Exekutive zuarbeiten sollten, womit das eigentliche Problem der geteilten Zuständigkeit zwischen Paris und der deut-
schen Exekutive jedoch nur verschoben, nicht aber gelöst wurde. Außerdem bildete man einen „Geschäftsführenden Ausschuß", dem Schmid, die beiden Berliner Blacher und Brandt sowie für Westdeutschland Buber-Neumann und Pechel angehören sollten.114 Allerdings tagte der Ausschuß ebenso selten wie die Exekutive, weswegen der gewünschte Effekt, die Arbeit des deutschen CCF zu intensivieren, ausblieb. Dafür wurde bald nach dem Homburger Treffen damit begonnen, die deutsche Exekutive erheblich zu erweitem: Seit Januar 1952 waren Stefan Andres und Georg Meistermann Mitglieder,"5 im Mai 1952 wurden Hellmuth Cron, der den ausgetretenen Kogon als stellvertretenden Vorsitzenden ablöste, und Otto Stolz aufgenommen,116 zwei Monate später kamen der Berliner Biologe Hans Nachtsheim, schon im Hinblick auf die Hamburger Tagung von 1953,11? und Birkenfeld sowie Petersen, jetzt als Vollmitglieder, hinzu. Bis Dezember 1952 stießen Hellmuth Jaesrich und Ernst Schnabel, Carl Linfert, Theodor Litt und Alexander Mitscherlich hinzu.118 Anstelle Lieselotte Bergers war inzwischen Carl-Heinz Evers für die Hochschulexekutive in das Komitee nach-
gerückt.
Ende 1952 bestand das deutsche Exekutivkomitee damit aus genau 21 Mitgliedern.119 Überwiegend, von Willy Brandt einmal abgesehen, entstammten
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Protokoll der Sitzung des deutschen Exekutivkomitees in Bad Homburg vom 11.10.1951, BA Koblenz, NL 160 (Pechel JJI), Bd. 100. Anwesend waren der Vorsitzende der deutschen Exekutive Carlo Schmid, sein Stellvertreter Eugen Kogon, Willy Brandt, wohl als Vertreter der Berliner Gruppe, Günther Birkenfeld, der einzige noch verbliebene Sekretär in Deutschland,
sowie Nicolas Nabokov tür das Internationale Generalsekretariat und Denis de Rougemont für die Internationale Exekutive. Ein Jahr später in Stuttgart wurde der Ausschuß umbesetzt. Nun waren Carlo Schmid, Hellmuth Cron, Günther Birkenfeld, Jasper Petersen, Willy Brandt, Rudolf Hagelstange und Rudolf Pechel im „Geschäftsführenden Ausschuß", dessen Mitglieder die eigentlichen deutschen Kongreßaktivisten darstellten, vgl. Rundschreiben von Jasper Petersen an die Mitglieder des deutschen Exekutivkomitees vom 26.1.1953, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 99. Kontakte 9 (Febr. 1952), S. 5. Tätigkeitsbericht des Stuttgarter Büros vom 1.2.-15.7.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box
126, Folder 3 Carlo Schmid an Theodor Plievier vom 16.7.1952, NL Plievier. Rundschreiben von Günther Birkenfeld an die Mitglieder des deutschen Exekutivkomitees vom 22.12.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 122, Folder 3. Carlo Schmid (Vorsitzender); Hellmuth Cron (stellvertretender Vorsitzender); Günther Birkenfeld (Berliner CCF-Sekretär), Jasper Petersen (westdeutscher CCF-Sekretär); Carl Heinz Evers (Hochschulexekutive und „Junge Gruppen"); Boris Blacher, Hans Nachtsheim, Willy Brandt, die gemeinsam mit Birkenfeld, Helmut Jaesrich vom „Monat" und Evers die Berliner CCF-Gruppe bildeten; Theodor Plievier, Margarethe Buber-Neumann, Stefan Andres, Theodor Litt und Ernst Schnabel, als Gruppe der kaum aktiven Kongreßmitglieder, Rudolf Pechel, Georg Meistermann, Carl Linfert, Franz-Joseph Schöningh, Alexander Mitscherlich, Otto Stolz und Rudolf Hagelstange als leicht disparate Gruppe der westdeutschen aktiven Mitglieder des CCF.
1. Die
organisatorische Gesalt des CCF in Deutschland
327
Kongreßmitglieder in Deutschland einem bildungsbürgerlichen Hintergrund, wenn auch mit erheblichen landsmannschaftlichen und konfessionellen die
Unterschieden. Von der Altersstruktur her handelte es sich mehrheitlich um die Generation der zwischen 1890 und 1910 Geborenen, Pechel (geboren 1882) und Litt (geboren 1880) ragen hier etwas heraus; das heißt, die meisten waren zu Weimarer Zeiten noch Studenten oder Schüler gewesen, hatten die nationalsozialistische Zeit jedoch bewußt erlebt. Mit der Ausnahme des „konservativen Revolutionärs" RudolfPechel120 waren die Mitglieder des deutschen CCF vor 1945 entweder Kommunisten (Buber-Neumann, Plievier) oder Angehörige linker Splittergruppen (Willy Brandt) oder Sozialdemokraten gewesen, einige wie Schöningh entstammten dem Umfeld des liberalen politischen Katholizismus, andere, wie Meistermann oder Andres und Hagelstange, waren eher unpolitisch. Alle aber waren entschiedene Gegner des Nationalsozialismus gewesen oder hatten sich im Verlaufe der Jahre vor 1945 dazu entwickelt, dafür waren nur wenige emigriert. Nach 1945 waren sie allesamt zu Verfechtern westlich-liberaler Demokratievorstellungen geworden und standen der Schumacher-SPD eher kritisch gegenüber. Obwohl die Mehrheit der deutschen CCF-Mitglieder nicht als CDU-nah eingestuft werden konnte und auch der Adenauer-Regierung eher skeptisch gesonnen war, teilte sie die deren Westoption. Der deutsche CCF war prowestlich, genauer: proamerikanisch, proeuropäisch und konsequent antineutralistisch und antitotalitär, allerdings nur auf der Ebene politischer, ökonomischer und kulturell-ideeller Integration, weniger im militärischen Bereich. Von den 21 Mitgliedern der deutschen Exekutive waren zwei sozialdemokratische Berufspolitiker (Schmid und Brandt), von denen eigentlich nur Carlo Schmid bislang durch besondere, wenn auch auf Frankreich bezogene kulturelle Interessen hervorgetreten war. Ein weiterer Sozialdemokrat, Carl-Heinz Evers, gehörte zum SPD-Nachwuchs. Mit Otto Stolz befand sich ein DGBFunktionär in den Reihen des CCF. Fünf CCF-Angehörige waren Schriftsteller oder Publizisten (Andres, Birkenfeld, Buber-Neumann, Hagelstange und Plievier), darunter kein eigentlicher Avantgardist, sondern eher Anhänger konventioneller Erzählformen. Bei Hagelstange ist sogar ein ausgesprochen formaler Konservativismus festzustellen. Überproportional waren Journalisten, Publizisten und andere im medialen Sektor tätige Personen vertreten: Otto Stolz 120
Er entstammte dem kaiserzeitlichen konservativ-protestantischen Milieu, hatte sich aber während der nationalsozialistischen Herrschaft zu einem klaren Gegner des Nationalsozialismus entwikkelt Mochten sich bei ihm auch, er stand der „Caux"-Bewegung nahe, konservative Ideologiemomente erhalten haben, kann an seiner tatsächlichen Hinwendung zu liberaldemokratischen Vorstellungen kaum ein Zweifel bestehen. Vgl. etwa sein gemeinsam mit dem Kabarettisten Werner Fink verwirklichtes, halb ernsthaftes, halb humorvoll gemeintes Projekt der Partei der „Radikalen Mitte": „Aufbau" vom 7.11.1952. Die konservativen Aspekte in Pecheis Weltanschauung nach dem Zweiten Weltkrieg betont Rosemarie SCHÄFER: RudolfPechel und die „Deutsche Rundschau" 1946-1961. Zeitgeschehen und Zeitgeschichte im Spiegel einer konservativen politischen Zeitschrift, Göttingen 1975.
328
VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
(„Welt der Arbeit"), Franz-Joseph Schöningh („Süddeutsche Zeitung", „Hochland"), Rudolf Pechel („Deutsche Rundschau"), Hellmuth Cron („Stuttgarter Zeitung", Vizepräsident des Deutschen Journalistenverbandes), Hellmuth Jaesrich („Der Monat") Ernst Schnabel (Radio Bremen) und Carl Linfert (NWDR) repräsentierten durchaus einflußreiche, weit verbreitete politische und kulturelle Blätter oder waren in den führenden Gremien der größten westdeut-
schen Rundfunkanstalt vertreten. Selbst Günther Birkenfeld war bei RIAS oder im „Tagesspiegel" auch journalistisch tätig.121 Bildende Künstler (Meistermann), Musiker (Blacher) oder gar Naturwissenschaftler (Nachtsheim) waren nur randständig am CCF beteiligt, wie überhaupt außerliterarische und universitäre Intellektualität im ersten deutschen CCF faktisch nicht zum Zuge kam. Dies sollte sich erst nach 1953 ändern. Bis zu einem gewissen Grade war das deutsche Exekutivkomitee eine stark politisch-literarisch geprägte Gruppe liberaldemokratisch-reformsozialdemokratischer Multiplikatoren, wie es sich bereits auf dem Berliner Kongreß von 1950 angedeutet hatte. Es handelte sich um Angehörige der westdeutschen Wertelite, die aufgrund ihrer Funktionen im Mediensektor und ihrer bereits vorab vorhandenen ideologischen Zuverlässigkeit nun die Chance bekamen, traditionelle Werteliten mit einem ideengeschichtlich „deutschen", also nationalprotestantischen Hintergrund ebenso zu verdrängen wie neutralistische oder philokommunistische Meinungsmacher. Nirgendwo war der CCF auch international so agil wie im Bereich der Infiltration von Massenmedien, um auf diese Weise Meinungen zu beeinflussen, zu reinterpretieren oder wenigstens den Fluß gegenteiliger Stimmen zu behindern. Im Gegensatz zum „Monat" oder anderen Kongreßorganen erwies sich aber nicht allein im Bereich der deutschen Exekutive, daß die gewählte Organisationsform nicht durchgehend dazu geeignet war, die angestrebte geistige Auseinandersetzung mit den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts und den Relikten nationaldeutscher geistesgeschichtlicher Tradition adäquat zu gestalten.
So sehr die deutsche Exekutive sozial und wenigstens cum grano salis weltanschaulich homogen war, so wenig galt dies im landsmannschaftlichen und konfessionellen Bereich. Wenigstens lassen sich regionale Schwerpunkte ausmachen: allein sechs CCF-Exekutivmitglieder lebten in Westberlin, weitere fünf im Raum Köln/Bonn, vier in Südwestdeutschland, eines in Frankfurt (wo zuvor auch Kogon gewohnt hatte), eines in München und eines in Bremen. Zwei (Plievier und Andres) bevorzugten Aufenthaltsorte außerhalb der Bundesrepublik. Der deutsche CCF hatte also klare regionale Schwerpunkte im südwestdeutschen Raum und in Westberlin, während er in Norddeutschland, Mitteldeutschland und Bayern deutlich unterrepräsentiert war. Ebenso waren die Exekutivmitglieder durchgehend städtisch geprägt. In konfessioneller -
121
Zusätzlich sei daran erinnert, daß Mediensektor kam.
Eugen Kogon („Frankfurter Hefte") ebenfalls
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aus
dem
1. Die
organisatorische Gesalt des CCF in Deutschland
329
Hinsicht zeichnete sich ein klares Übergewicht kaum praktizierender Protestanoder freigeistig eingestellter Personen mit protestantischer Sozialisation ab. Allein Pechel fiel hier aus dem Rahmen. Der konservative Hauptstrom des deutschen Katholizismus war ebensowenig vertreten wie der nationaldeutsche Protestantismus oder die Bekennende Kirche. Aus dem katholischen Lager, das als solches bereits minoritär war nur sechs Katholiken befanden sich in der Exekutive fanden bestenfalls Verfechter von liberalen oder sozialdemokratischen Minderheitsmeinungen in den CCF. Andres, Kogon, Schöningh oder Carlo Schmid122 konnte man beim besten Willen nicht als Meinungsführer im katholischen Milieu bezeichnen daher die ununterbrochenen Bemühungen um die intellektuell führenden Köpfe des gemäßigten deutschen Katholizismus, wie etwa Romano Guardini oder den neuthomistischen Philosophen Joseph Pieper, die allerdings erfolglos blieben. So mußte der Kongreß sich mit dem leicht mediokren Jasper Petersen begnügen. Wollte man stereotyp oder idealtypisch argumentieren, könnte man sagen, daß sich im ersten deutschen CCF vorwiegend Angehörige einer sich selbst als „kosmopolitisch" oder doch wenigstens „europäisch" einschätzenden bildungsbürgerlichen Wertelite mit stark an der freigeistigen sozialdemokratischen Metropole Berlin oder den Werten des liberalen deutschen Südwestens und des Rheinlandes orientierten kulturpolitischen Vorstellungen zusammenfanden, um ihre bislang ausgegrenzte Weltanschauung mit Unterstützung einer weltweit agierenden, transnationalen Organisation an die Stelle herkömmlich dominanter, nun aber weitgehend desavouierter Meinungsmonopole zu setzen. Der Durchbruch in den hanseatischen Norden gelang dem CCF erst, als dieser erste Anlauf schon gescheitert ten
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-
-
war.
Das Führungsgremium des deutschen „Kongresses für die Freiheit der Kultur" traf wenn es denn zusammenkam, seine Entscheidungen in der Regel einvernehmlich, gerade im Jahre 1952, das nach der recht verheißungsvollen Arbeitssitzung der deutschen Exekutive in Darmstadt vom 25. Januar123 wohl als das erfolgreichste in der kurzen Geschichte des deutschen CCF gewertet werden darf. Bis zum Ausbruch der Krise 1953 war man normalerweise darum bemüht, konsensual vorzugehen und interne Konflikte zu vermeiden, gerade auf dem Feld der Personalpolitik. Es gab jedoch vier Ausnahmen von dieser Regel, die allesamt ein gewisses Licht auf die inhaltliche Linie des deutschen
122
123
Carlo Schmid verstand es, seine Zugehörigkeit zum Katholizismus derart gut zu verbergen, daß ihn selbst seine Kollegen im Deutschen Bundestag für einen Protestanten hielten: Carlo Schmid an Hermann Pünder vom 13.12.1960, NL Schmid, AdsD, Bd. 714. So bereits im Vorfeld: Günther Birkenfeld an Theodor Plievier vom 19.1.1952, NL Plievier. Vgl. das Protokoll der Zusammenkunft der deutschen Exekutive des CCF in Darmstadt vom 25.1.1952, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100. Anwesend waren: Schmid, Birkenfeld, Brandt, Buber-Neumann, Hagelstange, Kogon, Pechel, Evers sowie für die Pariser Zentrale Bondy. Blacher, Plievier und Schöningh fehlten.
330
VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
CCF warfen.124 Im Verlaufe des Jahres 1952 schied, wie beim internationalen Kongreß, auch in Deutschland der radikalantikommunistische Flügel entweder ganz aus dem CCF aus, oder seine Vertreter in der Exekutive stellten ihre Mitarbeit weitgehend ein. Der deutsche CCF war aufgrund seiner ideologischen Struktur von dieser Entwicklung aber weniger betroffen als das Internationale Exeku-
tivkomitee oder gar das ACCF. Eigentlich waren hier nur Margarethe BuberNeumann und Eugen Kogon betroffen. Im Falle Kogons waren es dann nicht einmal seine verbalen Attacken gegen den Kommunismus, die ihn im Kreise der Exekutive verdächtig machten, sondern seine angeblich zum Neutralismus
neigende Tendenz. Diese war von Herbert Luethy aufgrund von Zeitschriftenartikeln Kogons ausgemacht worden, und Melvin Lasky hatte den Verdacht nach Paris weitergemeldet.125 Doch derartige Vorwürfe allein reichten erst einmal nicht aus, um Kogons Position innerhalb der deutschen Exekutive zu schwächen, selbst in der Internationalen Exekutive blieb er, obgleich nie anwesend, Mitglied. Erst als Jasper Petersen und Carlo Schmid befürchteten, Kogon strebe danach, den deutschen CCF für andere Zwecke zu instrumentalisieren, wuchs der tateme Druck.126 Im Juli 1952 gab der zunehmend isolierte Kogon dann auf, trat aus dem Internationalen Exekutivkomitee und der deutschen Exekutive aus und wurde in beiden Gremien durch Hellmuth Cron Ausdrücklich erklärte er, der Sache des CCF weiterhin verbunden zu
ersetzt.
bleiben.127
Margarethe Buber-Neumann verlies das Komitee zwar nicht, wohl aber verlor sie schnell jedweden Einfluß innerhalb des Gremiums. Seit Anfang 1951 war sie nicht mehr als Mitglied der Internationalen Exekutive geführt worden, danach hatte sie sich im Zusammenhang mit dem Fall Trauttmansdorff auch von der Arbeit des deutschen CCF zurückgezogen. Seit Februar 1952 wuchs die Kritik in- und außerhalb des CCF. Nachdem Buber-Neumann eine Serie 124
In der Folge sollen die zwar diskutierten, dann aber nie konsequent weiterbetriebenen Versuche, Theodor Eschenburg oder den später zur SPD gewechselten, katholischen CDU-Bundestagsabgeordneten Peter Nellen für den CCF zu gewinnen, ebenso ausgeklammert werden, wie Pecheis Bestreben, seinen Freund Werner Fink in die Exekutive kooptieren zu lassen, da diese allesamt nicht an weltanschaulichen Fragen, sondern an organisatorischem Unvermögen schei-
125
Es ging um die von Kogon herausgegebene Zeitschrift „Hier und Heute", die sich kritisch mit dem Bestreben nach Wiederbewafifhung der Deutschen auseinandersetzte: Melvin J. Lasky an François Bondy vom 1.3.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 241, Folder 4. Jasper Petersen an Carlo Schmid vom 23.4.1952, NL Schmid AdsD, Bd. 1829. Vornehmlich ging es darum, daß Kogon mit Annedore Leber, Emmi Bonhoeffer, Inge Scholl und Eberhard Müller, wiederum abgestimmt mit Shepard Stone daran arbeitete, eine dem CCF verwandte Organisation, die „Gesellschaft für Menschenrechte", in der Bundesrepublik zu gründen, dies aber der deutschen Exekutive verschwiegen hatte. Petersen war von dem bei Stone ebenfalls anwesenden Otto Stolz informiert worden. Eugen Kogon an Jasper Petersen vom 24.7.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 125, Folder 10.
terten.
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1 Die von
organisatorische Gesalt des CCF in Deutschland
Prozessen gegen Kommunisten bestanden
hatte, die ihr wahlweise
331 vor-
geworfen hatten, im Konzentrationslager Ravensbrück als Spitzel für die SS tätig gewesen und jetzt CIA-Agentin zu sein oder auch für Nazi-Deutschland in der UdSSR spioniert zu haben,128 versuchte sie, eine deutschsprachige Zeitschrift für von der SPD und KPD gleichermaßen enttäuschte „heimatlose Linke" zu gründen, scheiterte aber.129 1952 unternahm sie in Jagsthausen dann
einen neuerüchen Anlauf, ihre antikommunistische Arbeit fortzusetzen. Unterstützt von HICOG gründete sie ein Zentrum für politische Bildungsarbeit, das „Institut für politische Erziehung", in dessen Förderkreis unter anderen Willy Brandt, Max Brauer, Heinrich Brill, der Darmstädter Oberbürgermeister Dr. Engels, Heinrich Landahl, Annedore Leber, Peter Neuen, Ludwig Rodenberg, RudolfPechel sowie Theodor Plievier zu finden waren und das sich mit seinen weltanschaulichen Anliegen vornehmlich an Jugendliche richtete. Ziel war es, deutsche Jugendliche mit Aufbau und Funktion westlicher Demokratien bekannt zu machen. Unter den dort angestellten Lehrern befand sich auch Franz Borkenau.130 Schon sehr früh reagierte man im SPD-Parteivorstand auf BuberNeumanns Aktivitäten mit heftiger Kritik, die sich an dem Vorwurf entzündete, die Initiatoren hätten „ihre wahren, gegen die Partei gerichteten Absichten unseren Genossen131 nicht mitgeteilt."132 Eine Weile lang jedoch legte Schmid seine schützende Hand über Margarethe Buber-Neumanns Projekt; die deutsche Exekutive zeigte sogar einige Bereitschaft, sich finanziell in Jagsthausen zu beteiligen. Im Mai 1952 allerdings meldete der Göttinger Jurastudent Horst Rauthe, Mitglied der dortigen „Jungen Gruppe", dem westdeutschen Büro, es sei absolut unpassend für den CCF, sich, wie in Bonn beschlossen, an dem Zentrum zu beteiligen. Leider fehlt Rauthes Bericht mitsamt der darin gegebenen Begründung in den Akten, so daß unklar bleibt, was genau man BuberNeumann vorzuwerfen hatte. Petersen ging immerhin so weit, gegebenenfalls
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129
130
131 132
Der deutsche Hauptgegner Buber-Neumanns war dabei der kommunistische Gründungsherausgeber der „Frankfurter Rundschau" Emil Carlebach. Vgl. die Prozeßakten Buber-Neumann gegen Carlebach vom 8.5.1951 am Landgericht Frankfurt, 5. Strafkammer, Aktenzeichen 5/5 Vs 14/51, in: IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 48, Folder 1. Es handelte sich um die Zeitschrift „Aktion": Margarethe Buber-Neumann an Francois Bondy vom 25.1.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 48, Folder 1 ; François Bondy an Margarethe Buber-Neumann vom 9.5.1951, ebda., Box 246, Folder 6. Margarethe Buber-Neumann an Melvin J. Lasky vom 21.2.1952, UoC-Archiv, „Der MonafRecords, Box 16, Folder 9; Franz Borkenau an Melvin J. Lasky vom 11.11.1952, ebda, Box 17, Folder 2, beklagte, die Dinge hätten sich inzwischen derart zugespitzt, daß alles unternommen werde, ihn als Schulleiter zu entlassen. Der Hintergrund von Borkenaus Kritik ist nicht ganz klar, aber er betonte zusätzlich, er werde alles tun, um jeglichen Kontakt zu Buber-Neumann zu unterbrechen. Vgl.a. BA Koblenz NL 160 (Pechel II), Bd. 128. Zu den Lehrkräften an der Schule gehörte auch Buber-Neumanns Schwester und einstige Lebensgefährtin Münzenbergs, Babette Gross. Gemeint sind jene Sozialdemokraten, die im Förderkreis tätig waren Rundschreiben Nr. 86 des Parteivorstandes der SPD vom 17.10.1951 (Fritz Heme), NL Schmid, AdsD, Bd. 1400.
332
VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
ihren Auschluß zu verlangen.133 Nun erst schloß sich Schmid den Vorwürfen an und der CCF zog sich aus dem Jagsthausener Institut zur Gänze zurück.134 Im Winter 1952/53 stellte sich dann heraus, daß sich Buber-Neumann offenkundig finanziell übernommen hatte. Eilends verließ sie die Bundesrepublik in Richtung Schweiz, weswegen sie danach in der Exekutive des deutschen CCF keinerlei Rolle mehr spielte. Eine Zeitlang überlegte man dort, ob sie nicht sogar ausgeschlossen werden müßte, sah von diesem Schritt aber ab.135 Das faktische Ausscheiden Kogons und Buber-Neumanns war zum Teil auch von sozialdemokratischer Parteitaktik bestimmt gewesen. In beiden Fällen hatte Carlo Schmid eine maßgebliche Rolle gespielt, wenn er auch nie der eigentliche Antreiber der Aktionen gewesen war. Jedesmal war es um die politische Linientreue des CCF gegangen, sollten weltanschauliche Übertreibungen, sei es in gemutmaßte neutralistische Richtung oder in eine distanzlos proamerikanisch-SPD-kritische Haltung vermieden werden. Im dritten Fall personalpolitischer Divergenzen in der deutschen Exekutive ging es dagegen um Fragen der unmittelbaren deutschen Vergangenheit, wenn auch nicht im selben Ausmaß wie weiland im Fall Trauttmansdorff. Ende 1952 war in der deutschen Exekutive der Gedanke aufgekommen, mit Werner Egk einen weiteren prominenten Musiker aufzunehmen. Diesmal blockierte Birkenfeld im Verein mit Meistermann136 und Nabokov137, zur Abwechslung einmal einer Meinung, wenn auch unterschiedlich begründet, diesen Schritt. Während Nabokov herausstrich, daß Egk während des Zweiten Weltkrieges in Paris als Repräsentant der Okkupationsmacht aufgetreten sei, verwiesen die beiden Deutschen darauf, daß er es in der Nachkriegszeit an Solidarität mit Berlin habe fehlen lassen, als er die Leitung der Berliner Musikhochschule aus finanziellen Erwägungen heraus abgelehnt habe. Egk wurde nie Mitglied des Komitees. Wieder anders, diesmal besonders eng mit sozialdemokratischen Parteiinteressen und der Person Carlo Schmids verknüpft, war das Ansinnen moti133 134
135
Jasper Petersen an Carlo Schmid vom 13.5.1952, NL Schmid, AdsD, Bd. 1829. Carlo Schmid an Jasper Petersen vom 27.5.1952, NL Schmid, AdsD, Bd. 1829: „Die Mitteilungen aus Jagsthausen sind erschütternd. Ich hatte nie ein sehr gutes Gefühl dieser Schule gegenüber. Vor allen Dingen habe ich den Eindruck, daß das amerikanische Geld, von dem die Schule lebt, sich zu sehr auf das auswirkt, was in dieser Schule gelehrt wird. Manchmal hat man den Eindruck, diese Schule sei justament zu dem Zweck geschaffen, um junge Menschen davon abzuhalten, Sozialdemokraten zu werden." Es scheint also, als habe man in der SPD Margarethe Buber-Neumann vorgeworfen, zu proamerikanisch und zuwenig sozialdemokratisch gewesen zu sein. In Anbetracht der Abhängigkeit des deutschen CCF von US-amerikanischen Subsidien überrascht Schmids Stellungnahme dann doch. Carlo Schmid an Jasper Petersen vom 18.12.1952, NL Schmid, AdsD, Bd. 1830; Jasper Peter-
Carlo Schmid vom 12.1.1953,ebda,Bd. 1831. Rundschreiben von Günther Birkenfeld an die Mitglieder des Geschäftsführenden Ausschusses vom 10.11.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 1. Nicolas Nabokov an Carlo Schmid vom 13.11.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 288, Folder 4. sen an
136 137
1. Die
organisatorische Gesalt des CCF in Deutschland
333
viert, Herbert Wehner in die deutsche CCF-Exekutive aufzunehmen. Im November 1951 hatte Schmid den Antrag dazu gestellt.138 Die Reaktion der ande-
Mitglieder fiel erst einmal uneinheitlich aus. Rudolf Pechel stimmte vergleichsweise schnell zu,139 während sich rasch Opposition bei Rudolf Hagelstange und Margarethe Buber-Neumann regte.140 Beide, obgleich selbst der Sozialdemokratie relativ nahestehend, lehnten eine Mitgliedschaft Wehners ab, weil sie befürchteten, Schmid wolle aus dem CCF eine Art Vorfeldorganisation ren
der SPD machen, zumal Wehner eben kein Intellektueller sei. Die einflußreiche Berliner Gruppe schloß sich den Vorbehalten an, wenn auch mit formaleren Argumenten. Unabhängig von den Deutschen wandte sich außerdem die Pariser Kongreßführung kategorisch gegen eine Aufnahme Wehners, dessen mangelnde intellektuelle Qualifikation sie hervorhob.141 Für Carlo Schmid war damit der Fall allerdings keineswegs zu den Akten gelegt. Kaum waren ihm die ersten Vorbehalte der Pariser und der deutschen Kritiker übermittelt worden, wandte er sich an Birkenfeld: „Ich wundere mich, daß unsere Pariser Freunde sich gegen die Zuwahl von Herbert Wehner ausgesprochen haben. Herbert Wehner ist ja schließlich kein bloßer Parteigaul und auch nicht der nächste Beste Er ist von mir vorgeschlagen worden, nicht um einen Sozialdemokraten in den Exekutivausschuß zu bekommen, sondern weil er der beste Kenner der östlichen Praktiken ist. [...]. Letztenendes ist es mehr unsere Sache, zu bestimmen, wen wir als Mitglied des deutschen Exekutivkomitees haben wollen. Von einem parteipolitisch einseitig bestimmten Gesicht des deutschen Exekutivkomitees kann wohl niemand reden, der das Exekutivkomitee einigermaßen kennt."M2
Schmids Argumente waren sachlich nicht gerade überzeugend. Die tatsächliche Stimmung nicht nur in Paris, sondern auch der Mehrheit der deutschen Exekutive gründlich verkennend, ließ er die Zuwahl Wehners und Peter Nellens auf die Tagesordnung der Darmstädter Tagung setzen.143 Auf Drängen der Mehrheit der deutschen CCF-Mitglieder wurde die Entscheidung zurückgestellt. Da Schmid bis Jahresende 1952 kerne Sitzung der Exekutive mehr einberief war Wehners Aufnahme offensichtlich gescheitert. Mit Schmids Niederlage bei der versuchten Kooptation Herbert Wehners setzte ein Prozeß gegenseitiger Entfremdung zwischen dem deutschen Exekutivkomitee und seinem übermäßig sozialdemokratisch-parteitaktisch verfahrenden Vorsitzenden ein, der sich 1953/54 erst zur existentiellen Krise
138 139 140
141 142 143
Rundschreiben von Günther Birkenfeld an die Mitglieder des deutschen Exekutivkomitees vom
23.11.1951, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100. Rudolf Pechel an Carlo Schmid vom 28.11.1951,BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100. Protokoll der Sitzung des Berliner Arbeitsausschusses vom 1.12.1951, IACF/CCF-Archiv, Series If, Box 120, Folder 1 ; François Bondy an Günther Birkenfeld vom 4.12.1951, ebda., Box 246, Folder 1. François Bondy an Günther Birkenfeld vom 9.1.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 121, Folder 13. Carlo Schmid an Günther Birkenfeld vom 14.12.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 288, Folder 4. Vgl. Protokoll der Zusammenkunft der deutschen Exekutive des CCF in Darmstadt vom 25.1.1952, S. 5, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100.
334
VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
auswachsen und dann zum Ende des deutschen CCF führen sollte. Die späteren Fronten waren in diesem Konflikt bereits weitgehend vorweggenommen worden, sieht man davon ab, daß Pechel noch im Lager Schmids stand, während Birkenfeld, Hagelstange und Meistermann sich langsam auf der anderen Seite sammelten. Schmid reagierte, wohl auch bedingt durch die erheblichen Arbeitsbelastungen, denen er ausgesetzt war, mit einer Blockade des Exekutivkomitees, das er einfach nicht mehr einberief, während die laufenden Geschäfte ausschließlich von den beiden Sekretariaten besorgt wurden, die auf diese Weise ständig einflußreicher wurden. Daß in Deutschland 1952 dennoch erfolgreich gearbeitet werden konnte, belegt, wie wenig effizient das deutsche Exekutivkomitee in der Tat war. Analog zum internationalen CCF stand auch die deutsche Sektion vor der Frage, inwieweit eine breitere personelle Basis in Form einer zusätzlichen, mitgliederstarken Organisation tunlich oder notwendig sei. Seitdem im Mai 1951 damit begonnen worden war, eine funktionsfähige Gruppe in der Bundesrepublik einzurichten, hatte Paris darauf gedrängt, etwas den „Amis de la Liberté" Vergleichbares aufzubauen. Dabei spielten finanzielle Erwägungen eine nicht unerhebliche Rolle. Das Internationale Generalsekretariat wollte die deutsche Exekutive bevorzugt aus dem Lande heraus finanziert wissen, um dadurch Gelder für erweiterte Kongreßaktivitäten freizubekommen.144 Birkenfeld nahm diesen seit geraumer Zeit diskutierten Gedanken auf und verfaßte den sogenannten „Brief an die 500".145 Darin ging es um die angestrebte Gründung einer umfassenderen Organisation, den „Freunden der Freiheit", die sich dem Schütze der kulturellen Freiheit in Deutschland widmen sollte. Die Reaktion der deutschen intellektuellen Öffentlichkeit hielt sich in engen Grenzen, genaugenommen gab es keine. Daraufhin legten Paris und Berlin das sichtlich fehlgeschlagene Projekt erst einmal auf Eis, um dann im Spätherbst 1952 einen neuerlichen Versuch zu wagen. Diesmal nannte man die geplante Organisation „Deutsche Vereinigung Freiheit und Kultur",146 die auf dem Manifest von 1950 gründen sollte. Beim Stuttgarter Treffen des deutschen Ausschusses wurde daraus dann die „Gesellschaft der Freunde", zu der jedes Mitglied der deutschen Exekutive fünf bis sechs Personen als potentielle Mitglieder vorschlagen sollte. Die organisato-
144
François Bondy an Max Karl Graf Trauttmansdorff vom 29.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Series ff Box 119, Folder 7.
145
Günther Birkenfeld an Max Karl Graf Trauttmansdorff vom 4.7.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 12. Den Brief unterzeichneten Alfred Weber, Rudolf Pechel, Ernst Reuter,
Eugen Kogon, Theodor Plievier und Franz-Joseph Schöningh. Vgl. femer Berliner Sekretariat an Pariser Generalsekretariat vom 13 9.1951, ebda., Box 119, Folder 1, wo gemeldet wird, daß
146
der „Brief an die 500" endlich verschickt worden sei. Entwurf der Satzung der „Deutschen Vereinigung Freiheit und Kultur" (für die Sitzung des deutschen Ausschusses des CCF vom 31.10-1.11.1952), o.D. (Oktober 1952), IACF/CCFArchiv, Series II, Box 120, Folder 1.
2. Die
335
Spaltung des deutschen PEN
rische Leitung lag wieder bei Birkenfeld.147 Wieder tat sich nichts. Da außerdem weder von Seiten der Bundesregierung noch des DGB kontinuierlich Gelder für den deutschen CCF gewährt wurden, blieb dieser eine gezwungenermaßen elitäre und zur Gänze vom Pariser Sekretariat abhängige Einrichtung, deren formales und organsatorisches Profil überwiegend Unzulänglichkeiten aufwies. Der Dualismus zwischen internationalen und deutschen Exekutivorganen wirkte sich ebenso verhängnisvoll für das Wirken der deutschen Exekutive aus wie die sich seit Januar 1952 abzeichnenden internen Spanunngen. Diese ohnehin schon ungünstige Konstellation wurde zusätzlich erschwert durch das unkoordinierte und von Kompetenzgerangel und persönlichen Rivalitäten überschattete Wirken der beiden Sekretariate in Deutschland und deren kaum besseres Verhältnis zum Internationalen Generalsekretariat. Daß schließlich die deutschen Vertreter in dem Internationalen Exekutivkomitee bevorzugt durch Abwesenheit auffielen, trug gleichfalls nicht dazu bei, entstehende Probleme besser zu bewältigen.
2. Die
Spaltung des deutschen PEN
Das Ausmaß der organisatorischen Probleme im deutschen CCF ist nur schwer beschreiben und jedenfalls nicht zu bestreiten. Dies bedeutete aber keinesfalls, daß es nicht trotz allem zu konkreter und wirkungsvoller inhaltlicher Arbeit gekommen wäre. Gleichwohl gelang es den Deutschen, basierend auf zu
antikommunistischen, antineutralistischen und „re-orientation"-Prinzipien, immer wieder zu praktischen Resultaten zu gelangen oder doch wenigstens
konkrete Anläufe zu wagen. Einen besonderen Stellenwert nahm dabei die Spaltung des gesamtdeutschen PEN-Zentrums ein, die gewissermaßen zur konstitutiven Aktion des deutschen CCF wurde. Gleichzeitig handelte es sich um die einzige Aktivität des deutschen, jedoch nur im Ansatz existierenden CCF, die weitgehend unabhängig von Anweisungen des Pariser Generalsekretariates initiiert wurde. Dies lag vor allem daran, daß Paris zu dem Zeitpunkt, als die deutschen CCF-Mitglieder anfingen zu handeln, noch keine tragfähige innere Gestalt gefunden hatte.
Der Ablauf der Ereignisse, die dazu führten, daß das 1948/49 maßgeblich Johannes R. Becher und Peter de Mendelssohn wiederbegründete gesamtdeutsche PEN-Zentrum Ende 1951 in zwei einander heftig befehdende Teüe zerbrach, ist bislang nur selten mit Rekurs auf die Organisation des CCF
von
behandelt worden. Martin Gregor-Dellin hat in seiner bündigen 147
Rundschreiben
von
Darstellung der
Günther Birkenfeld an die Mitglieder der deutschen Exekutive 160 (Pechel III), Bd. 99.
4.11.1952, BA Koblenz, NL
vom
336
VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Geschichte des bundesdeutschen PEN nur daraufhingewiesen, daß es innerhalb des gesamtdeutschen PEN im Rahmen des Kalten Krieges zu Kontroversen darüber gekommen wäre, wie die Begriffe „Frieden" und „Freiheit" inhaltlich zu füllen oder auszulegen seien.148 Mitte der achziger Jahre erst hat dann Helmut Peitsch ansatzweise auf die Rolle des CCF aufmerksam gemacht. Er neigte allerdings dazu, ausgehend von einer irrigen Rezeption des Restaurationsparadigmas und einer tendenziell verharmlosenden Akzeptanz von Interpretamenten des antifaschistisch-„demokratischen" Konsenses, insbesondere von Seiten der Kulturbundführung, die zur Spaltung führenden Bemühungen der Kreises um Günther Birkenfeld in zu großer Abhängigkeit von Interessen der Bundesregierung zu wähnen.149 Nun waren jedoch weder die Adenauer-Regierung noch irgendwelche auswärtigen Einflüsse für den Ablauf des Geschehens unmittelbar kausal verantwortlich, auch wenn natürlich nicht geleugnet werden kann, daß sich alles innerhalb des Gesamtrahmens der ideologischen und kulturellen Auseindersetzungen des Kalten Krieges abspielte. Vielmehr handelte es sich um eine, zumindest zu Beginn in ausschließlicher Verantwortlichkeit des deutschen CCF durchgeführte, Operation deren Wurzeln zum Teil in das Jahr 1948 zurückreichten und deren wesentlicher Anlaß der Berliner „Kongreß für kulturelle Freiheit" war. Das heißt aber auch, daß sie sich problemlos in den Ablauf des seit dem 1. deutschen Schriftstellerkongreß erkennbaren Prozesses ideologischer Selbstbesinnung der deutschen nichtkommunistischen Linksintellektuellen einfügen läßt. Prinzipiell handelte es sich bei diesem Konflikt um das Ende genau jenes Klärungsprozesses, der in der US-amerikanischen Linken zwischen 1944 und 1947/48 zum Ende der Dominanz des linken New Deal geführt hatte. In Westdeutschland folgte ein analoger Vorgang phasenverschoben zwischen 1947 und 1951. Als es dann 1951 zu einer Intervention der Bundesregierung in Gestalt einer vom Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen herausgegebenen Broschüre kam,150 war der Konflikt innerhalb der deutschen Literaten bereits entschieden. Mit der Dokumentation signalisierte das christdemokratisch-konservative Spektrum innerhalb des westdeutschen antikommunistischen Konsenses nur noch sein Einverständnis und seine Genugtuung über den endgültigen Dissens innerhalb des deutschen PEN. Ebenso ist kaum zu bestreiten, daß Melvin J. Laskys entschieden antikommunistische Agitation seit dem Kopenhagener PEN-Kongreß von 1948 eine wichtige impulsgebende Rolle für den Ablauf der Ereignisse gespielt hatte.151 Während sich
148 149 150 151
nun
jedoch die Bundesregierung erst recht spät einmischte, spielte Lasky
Martin Groor-Delin: PEN-Bundesrepublik Deutschland, München 1978, S. 17. Vgl. H. Peitsch: Spaltung, S. 105-124. Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen (Hg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen. Johannes R. Becher und der PEN-Club, Bonn 1951. H. Peitsch: Spaltung, S. 106.
2. Die zu
Spaltung des deutschen PEN
337
diesem Zeitpunkt bereits keine zentrale Rolle mehr.
In der Spaltung des gesamtdeutschen PEN kamen also die weltanschaulichen
Divergenzen entscheidend zum Tragen, die schon in Vorfeld und Verlauf des 1. deutschen Schriftstellerkongresses für Probleme gesorgt hatten. Dies galt auch innerhalb des PEN-Clubs und zwar trotz oder auch gerade wegen des vergleichsweise hohen Selbstanpruches, den diese Organisation in ihrer Charta niedergelegt hatte. Schon im November 1948 hatte Wilhelm Sternfeld vom Londoner Exil-PEN in seiner privaten Korrespondenz Kritik an der Mitgliedschaft von Kommunisten im PEN-Club geübt. Von da an sollte den Mitgliedern des Exil-PEN, also der nichtkommunistischen Emigration, eine zwar nicht entscheidende, aber doch wichtige Rolle im Verlauf der folgenden Ereignisse
zufallen. Ganz im Sinne liberaler Totalitarismustheorien verwies Sternfeld auf die 1934 vom internationalen PEN verfaßte Deklaration von Ragusa, in welcher die Mitgliedschaft von Nationalsozialisten für unvereinbar mit der PEN-Charta erklärt wurde. Ernst Toller, so Sternfeld, habe damals darauf hingewiesen, daß Nationalsozialisten qua Ideologie nicht für geistige Freiheit einträten, genau dies aber verlange der PEN-Club von seinen Mitgliedern. Identisches gelte nun für die stalinistischen Kommunisten.152 Sternfeld fand, gerade im Umfeld von Laskys „Monat", in Deutschland bald Gefolgsleute. Es waren vor allem Günther Birkenfeld und Rudolf Hagelstange, ihre in Berlin und Frarikfürt vertretenen Anschauungen konsequent fortschreibend, die mit als erste auf die Unvereinbarkeit der Prinzipien der PEN-Charta mit der Mitgliedschaft stalinistischer Kommunisten hinwiesen. Birkenfeld, Mitglied des deutschen PENZentrums, machte in einem RIAS-Kommentar auf die sich aus der Satzung ergebenden Pflichten von PEN-Mitgliedern aufmerksam, die von Stalinisten so nicht erfüllbar seien.153 Hagelstange verweigerte den Eintritt in das deutsche Zentrum und begründete diesen Schritt mit der bisherigen Praxis, kommunistische Mitglieder zu akzeptieren.154 Weder Birkenfeld noch Hagelstange standen dabei irgendwelchen sogenannten restaurativen Tendenzen in Westdeutschland nahe. Peitschs Versuch, die beiden Autoren, Rudolf Pechel oder gar Theodor Plievier in die Nähe der Abendlandideologie zu rücken, entbehrt jeglicher sachlichen Grundlage.155 Ende 1949 war die von Birkenfeld und Hagelstange verfochtene Position innerhalb des gesamtdeutschen PEN noch minoritär, da selbst unter den nichtkommunistischen Autoren der Wunsch vorherrschte, den innerdeutschen Dialog unter Literaten im Interesse der deutschen Einheit fortzusetzen. Gerade 152 153 154
155
Wilhelm Stemfeld an Walther Karsch vom 5.11.1948, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 10, Folder 9. Kommentar von Günther Birkenfeld vom 19.11.1949, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 10, Folder 9. RudolfHagelstange an Emst Penzoldt vom 6.12.1949, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 12, Folder 8. Vgl. H. Peitsch: Spaltung, S. 107.
338
VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Erich Kästner und Alfred Döblin waren herausragende Vertreter dieser Rich-
tung.
Mit dem „Kongreß für kulturelle Freiheit" in Berlin und der sich zuspitzenden Lage im Kalten Krieg verschärften sich auch die weltanschaulichen Spannungen unter den deutschen Literaten. Der Ton, der während der Konfrontation rund um den Kongreß gepflegt wurde, entbehrte auf beiden Seiten nicht einer gewissen Rüpelhaftigkeit, wobei sich im Osten Johannes R. Becher durch besonders derbe Attacken hervortat. Becher war nun nicht nur Präsident des Kulturbundes, sondern zusätzlich neben Erich Kästner und Hermann Friedmann einer von drei gleichberechtigten Präsidenten des deutschen PEN-Zentrams. In einem Artikel für den ostdeutschen „Aufbau" faßte er seine bis dahin bereits bekannte Position zum Berliner Kongreß noch einmal pointiert zusammen: „Wenn solche Leute anläßlich des Spitzel- und KriegsbrandstifterKongresses an mich die Aufforderung gerichtet haben, uns mit ihnen zusammenzusetzen und zu diskutieren, so antworten wir ihnen: Mit Spitzeln und Kriegsverbrechern gibt es keine Diskussion." Es habe sich wenigstens bei einem Teil der Kongreßteilnehmer nicht mehr um Schriftsteller gehandelt, sondern um „Handlanger der Kriegshetzer", eine „Bande internationaler Hochstapler" und „literarisch getarnte Gangster", deren „Geschwätz" nur noch „widerwärtig" sei. Becher, weit entfernt von der deutlich differenzierteren Kritik Brechts an dem Berliner Kongreß, schloß mit den Worten: „Wir nehmen Kenntnis von Euch nur in dem Sinne, wie man von einem Geschwür Kenntnis nimmt, das daraufwartet, operiert zu werden."156 Sehr früh reagierte der Berliner Schriftsteller und Kongreßteilnehmer Karl-Friedrich Borée im privaten Rahmen auf Bechers Beschimpfungen, indem er sich bei dem SDR-Intendanten Fritz Eberhard, der zum klar antikommunistischen Flügel der SPD zählte, über den bösartigen Ton der stalinistischen Angriffe beschwerte.157 Etwa zur gleichen Zeit kam es in westdeutschen Intellektuellenzirkeln wegen Becher und der SED-Kulturpolitik zu einem weiteren Eklat. Als die „Deutsche Akademie der Wissenschaften" zu Berlin aus Anlaß von Stalins Geburtstag ein durchweg in stahnistischer Diktion verfaßtes Gruß- und Huldigungstelegramm nach Moskau sandte, hielten Alfred Weber, Friedrich Meinecke und drei weitere nichtkommunistische Wissenschaftler der FU Berlin den Zeitpunkt für gekommen, ihren Austritt aus der Akademie zu erklären. An diesem Vorgang war das spätere Mitglied der deutschen CCF-Exekutive Hans Nachtsheim maß-
geblich beteiligt,
der den
Vorgang
vor
dem CCF
zur
Sprache
brachte und
daraufhinwies, daß ein erheblicher Teil der Unterschriften, so auch diejenigen Webers und Metaeckes, ohne deren Wissen dem Telegramm beigefügt worden
156 157
Zit.
n.: Bundesministerium für gesamtdeutsche Beziehungen (Hg.): Freiheit, 8. 9. Karl-Friednch Borée an Fritz Eberhard vom 5.7.1950, NL Eberhard, SDR-Archiv, Intendanz 454. Borée war nach eigener Aussage von Becher als Lügner bezeichnet worden.
2 Die
Spaltung des deutschen PEN
339
seien.158 Danach dauerte es eine ganze Weile, bis die deutschen Kongreßangehörigen erneut aktiv wurden. Erst als die Tagung des deutschen PEN-Zentrums in Wiesbaden vom 4. bis 7. Dezember 1950 näher rückte, begann Günther Birkenfeld, unter den deutschen Kongreßteilnehmern Verbündete zu suchen.159 Gemeinsam mit Pechel und Phevier richtete er dann einen Brief an die Teilnehmer des PEN-Treffens, in dem sich die drei gegen den Verbleib Bechers an der Spitze des deutschen PEN-Zentrums verwahrten und ihn wegen seiner beleidigenden Äußerungen angriffen.160 Taktisch ungeschickt erschienen sie allerdings nicht persönlich, so daß es an Karl-Friedrich Borée blieb, ihre Position zu erläutern. Weil dem Gros der deutschen PEN-Mitglieder der Sachverhalt nicht bekannt war, wurde der Vorgang daraufhin an die Londoner Zentrale des PEN überstellt.161 Am folgenden Tage wurde Becher einstimmig, bei alleiniger Stimmenthaltung Borées, erneut in das Präsidium des deutschen PEN-Clubs gewählt.162 Da sich das deutsche PEN-Zentrum nicht, wie Birkenfeld und seine Mitstreiter es intendiert hatten, von Becher und den anderen Kommunisten distanzierte, kam es automatisch zu dem im Brief an das Zentrum angedrohten Austritt der drei CCF-Mitglieder, der am 10. oder 11. Dezember 1950 erneut öffentlich bestätigt wurde.163 Zwischenzeitlich war auch Eugen Kogon aus dem deutschen PEN ausgeschieden, zwei Monate später schloß sich der in New York lebende Walter Mehring an.164 Birkenfeld rechtfertigte den drastischen Schritt in seinem ausführlichen Schreiben an die deutschen Delegierten des „Kongresses für die kulturelle Freiheit" vom 13. Dezember und bat sie, eben158
159
160 161
162 163
164
Nachnchten des Kongresses für kulturelle Freiheit Nr. 1 vom 12.7.1950, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 99; zur Akademie, mit stark antineutralistischer Tendenz: Tagesspiegel vom 9.7.1950. Rundschreiben von Günther Birkenfeld an Hermann Kesten, Eugen Kogon, Rudolf Pechel, Theodor Plievier und Dolf Sternberger vom 26.10.1950, NL Kogon; Rundschreiben von Günther Birkenfeld an Hermann Kesten, Eugen Kogon und Dolf Sternberger vom 13.11.1950, NL Kogon. Inzwischen hatten Plievier und Pechel positiv reagiert, Sternberger sollte durchgehend zurückhaltend bleiben, Kogon schloß sich den drei anderen später an, Kesten stand zwar auf ihrer Seite, hielt sich aber zurück. Zu Stembergers Haltung vg!. Günther Birkenfeld an Denis de Rougemont vom 22.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 13. Rudolf Pechel, Theodor Plievier und Günther Birkenfeld an das Präsidium des PEN-Centrums Deutschland vom 20.11.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 10, Folder 9. H Peitsch: Spaltung, S. 108, legt nahe, Birkenfelds Brief sei u.a. wegen fehlerhafter Zitate nach London weitergegeben worden, eine Argumentation, die auch Becher verwandte. In der Tat hatte Birkenfeld, möglicherweise wegen eines Druckfehlers, die Nummer der Ausgabe des „Aufbau" falsch wiedergegeben; statt Nr 8 schrieb er Nr. 5. An der Substanz von Bechers Äußerungen änderte dies nichts. Protokoll der Tagung des PEN-Zentrums Deutschland vom 4.-7.12.1950 in Wiesbaden, UoCArchiv, „Der Monaf-Records, Box 10, Folder 9, s. bes. S. 2f und S. 4. Rundschreiben von Günther Birkenfeld an Eugen Kogon, RudolfPechel und Theodor Plievier vom 13.12.1950.BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100. Notiz von Günther Birkenfeld o.D. (nach dem 24.2.1951 ), UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 10, Folder 9.
340
VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
falls aus dem PEN auszutreten, solange Becher dort aktiv sein könnte. Am selben Tag versuchte Johannes R. Becher sich in Schadensbegrenzung. In einem „Offenen Brief an Rudolf Pechel erklärte er, es sei ihm nie darum gegangen, deutsche Schriftsteller zu beleidigen, sondern er habe sich ausschließlich auf Lasky, Burnham und Koestler bezogen, wobei er besonders auf Koestlers Plan einer „europäischen Freiheitslegion" hinwies. Anschließend stellte er fest: „Die ,Autoren' derartiger Projekte gehören entweder ins Gefängnis oder ins Irrenhaus."165 Bechers Brief trag kaum dazu bei, die Lage zu entspannen. Vermutlich schon, weil Becher daran beteiligt gewesen war, die „Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung", deren Präsident Pechel war, nicht mehr mit PEN-Geldern zu subsidieren,166 reagierte Pechel gereizt und verfaßte seinerseits einen „Offenen Brief an Becher, in dem er an sämtlichen Vorwürfen an den ostdeutschen Schriftsteller festhielt. Dabei wies er unter anderem daraufhin, daß Emest Salter167 Bechers Behauptung, er habe die deutschen Schriftsteller nicht zumindest implizit bei seinen Verbalinjurien mitgemeint, schon widerlegt habe.168 Jetzt erst, Ende Dezember 1950, wurde die Pariser CCF-Zentrale in Birkenfelds Aktivitäten einbezogen oder zumindest davon in Kenntnis gesetzt. Birkenfeld reagierte damit auf den Schritt des deutschen PEN, seinen Protest an den internationalen PEN weiterzuleiten und wollte sich seinerseits internationaler Unterstützung versichern.169 Anfang Januar 1951 meldete sich dann auch Melvin Lasky zu Wort. Er beschwerte sich darüber, daß der CCF bislang nichts unternommen habe, um Birkenfeld zu unterstützen. Dies müsse sich nun dringend ändern.170 Ähnliches ließ zusätzlich Rudolf Hagelstange verlauten.171 Parallel zu diesen Vorstößen in Paris veröffentlichte „Der Monat" einen Artikel Hagelstanges gegen Becher und einen Artikel von Bechers in London lebendem
165
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169
170 171
Bundesministeriumfür Gesamtdeutsche Fragen (Hg.): Freiheit, S. 11-14, das Zitat findet sich auf S. 13. Der Brief wurde im Sonntag vom 24.12.1950 veröffentlicht. Vgl. ferner J.R Becher: Tagebuch 1950, S. 549-552. H. Peitsch: Spaltung, S. 107. Neue Zeitung vom 16.12.1950. Anlage mit ausführlicher eigener Stellungnahme in: Rudolf Pechel an Wilhelm Lehmann vom 2.1.1951, DLA, A: Lehmann, 68.5173/2. Veröffentlicht in der Neuen Zeitung vom 29.12 1950; s.a. Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen (Hg): Freiheit, S. 15-18. Einen Tag später veröffentlichte die „Neue Zeitung" dann Plieviers Austrittsschreiben: Neue Zeitung vom 30.12.1950; s.a. Bundesministeriumfür Gesamtdeutsche Fragen (Hg): Freiheit, S. 19-21. Günther Birkenfeld an François Bondy vom 28.12.1950, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 4; Annelene von Caprivi an François Bondy vom 8.1.1951. ebda., wo es um die Koordination zwischen den Schritten des Internationalen CCF gegen das Ehepaar Joliot-Curie und des
deutschen CCF gegen Becher ging. Melvin J. Lasky an François Bondy vom 6.1.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 11, Folder 3. Rudolf Hagelstange an Melvin J. Lasky vom 20.1.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 12, Folder 8
341 Spaltung des deutschen PEN Sohn, die sich beide kritisch mit dessen Person auseinandersetzten.172 Gerade 2. Die
Beitrag von John T.Becher war ein großer propagandistischer Erfolg des „Monat". Während in der Folge Birkenfeld darum bemüht war, weitere PENMitglieder für seine Ziele zu gewinnen, wobei ihm besonders Karl-Friedrich Borée behilflich war,173 wandte sich Paris, wenn auch unwillig, an das New der
Yorker ACCF. Am 3. Februar 1951 erklärten sich die US-amerikanischen Intellektuellen in einem Telegramm mit den aus dem deutschen PEN ausgetretenen deutschen Schriftstellern solidarisch.174 Die Kampagne zeitigte erste Erfolge. Sogar Hans Henny Jahnn, einer der wenigen Westdeutschen, die später im gemeinsamen PEN verbleiben sollten, schlug indirekt kritische Töne gegenüber Becher an, den er mit dem sehr viel bedeutenderen Brecht verglich,175 beharrte aber, wie Axel Eggebrecht,176 Erich Kästner oder Alfred Döblin177 noch darauf, daß der PEN ein gesamtdeutsches Instrument mit einheits- und friedensstiftender Mission bleiben sollte. Das Eingreifen des ACCF brachte der deutschen CCF-Gruppe jedoch vorwiegend Probleme. Wie zu erwarten, spielte Becher in seiner Antwort auf das Eingreifen der US-Amerikaner in die Debatte die nationale Karte aus. In einer Serie von Artikeln in der „Täglichen Rundschau"178 und dem „Sonntag"179 wandte er sich gegen die angebliche amerikanische Verleumdungskampagne gegen die friedliebenden Kräfte in Deutschland, dessen nationale Einheit sie auf diese Weise bedrohten. Seine eigene Stellung im deutschen PEN verdanke er ausschließlich demokratischen Spielregeln, es seien also die Amerikaner, von denen die Demokratie in Deutschland außer Kraft gesetzt würde, wenn sie jetzt gegen ihn opponierten und intervenierten. Insgesamt gebe es eine „Kettenreaktion von Lügen und Verleumdungen" gegen ihn.180 Danach setzte sich Becher mit dem Vorwurf auseinander, als Mitglied einer stalinistischen Partei habe er sowjetische Konzentrationslager auf dem Gebiet der DDR verteidigt und so die PEN-Charta verletzt:181 „Ich kann die sowjetischen Konzen172
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174
175 176 177 178 179 180 181
John T. Becher: Ein Bnef an den Vater, in: Der Monat, H. 29 ( 1951 ), S. 488-490; Rudolf Hagelstange: Der Verrat aus Furcht. Der Fall Johannes R. Becher, in: Der Monat, H. 29 (1951), S. 491-493; vgl. M. Ketterle: „Der Monat", S. 241 f. Vgl. u.a. Günther Birkenfeld an François Bondy vom 25.1.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 4; Günther Birkenfeld an Francois Bondy vom 29.1.1951, ebda.; Karl-Friedrich
Borée an RudolfHagelstange vom 30.3.1951, DLA A: Borée, 64.2204/1-12. Neue Zeitung vom 4.2.1951; vgl. Pressemitteilung des deutschen Kongresses für kulturelle Freiheit o.D. (3.2.1951), IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 13, Bericht des Exekutivsekretärs René Lalive d'Epinay an das Internationale Generalsekretariat vom 15.2.1951, ebda Hans Henny Jahnn an Ernst Kreuder vom 21.1.1951, DLA, A: Kreuder, 77.5071/1. Vgl. Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen (Hg.): Freiheit, S. 22-24; ursprünglich: Die Welt vom 4 1.1951. Alfred Döblin: Briefe, München 1988, S. 427-451. Tägliche Rundschau vom 10.2.1951.
Sonntag vom 11.2.1951.
Tägliche Rundschau vom 10.2.1951. Das ACCF hatte ihm in dem Solidaritätstelegramm an die deutschen CCF-Mitglieder geworfen, er habe diese Lager als „humanitäre Einrichtungen" bezeichnet.
vor-
342
VT. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
schon aus dem Grund nicht als ,humanitäre Einrichtung' beweil solche nicht existieren. Solche existieren nur in den Gehirnen zeichnen, "182 Trotz des Beispiels zynischer von Verbrechern oder krankhaften Naturen... das Becher hier erlitt erst einmal Günther BirkenRabulistik, abgegeben hatte, Mal neigte die Pariser herben Mit einem felds Aktivität einen Rückschlag. Kongreßzentrale dazu, sich von ihm zu distanzieren. Trauttmansdorff teilte Birkenfeld am 15. Februar mit, Paris fühle sich unzureichend informiert und wünsche keine weiteren Maßnahmen im Hinblick auf den deutschen PEN.183 Birkenfeld reagierte enttäuscht und überrascht, denn schließlich hatte er seit Dezember 1950 Bondy immer auf dem Laufenden gehalten. Vor allem zeigte er sich darüber verwundert, daß Paris ihn kritisierte, weil er das Solidaritätstelegramm des ACCF hatte publizieren lassen, ohne zuvor Rücksprache mit dem Internationalen Generalsekretariat zu suchen.184 Bis zu einem gewissen Grade waren die Begründungen, die Trauttmansdorff namens des Generalsekretariates übermittelte, allerdings vorgeschoben. Der Meinungswechsel bei Bondy, Brown und Lalive d'Epinay hing nicht so sehr davon ab, nicht informiert worden zu sein, was ja auch nicht zutraf. Noch weniger ging es um irgendwelche politischen oder intellektuellen Kalküle, sondern schlicht um eine Macht- und Prestigefrage, die im Zusammenhang mit beginnenden Zentralisierungstendenzen des Pariser Sekretariates zu verstehen ist. Berlin sollte sich auf Zuliefertätigkeiten für die Pariser Zentrale beschränken, Dokumente sammeln und weitergeben und ansonsten auf Anweisungen warten, ehe man dort handelte. Bereits im Januar hatte Bondy darauf hingewiesen, daß Tillich und Birkenfeld ihr Geld vom CCF erhielten und für diesen arbeiteten, nicht aber im eigenen Interesse.185 Sogar gegenüber Lasky wurde an dem unbedingten Primat der Pariser Optionen festgehalten. Irgendwelche Sonderaktivitäten des Berliner Büros seien unerwünscht.186 Allen Einwänden zum Trotz war Birkenfeld aber nicht mehr zu bremsen.
trationslager'
182
183
184
185 186
Tägliche Rundschau vom 10.2.1951. Weitere Beispiele für die Schärfe, mit der Becher den Kampf um die PEN-Präsidentschaft führte, finden sich in JR. Becher: Tagebuch 1950, S. 590
und S. 619 Max Karl Graf Trauttmansdorff an Annelene von Caprivi vom 15.2.1951, IACF/CCF-Archiv, Series IT, Box 118, Folder 13; vgl. Annelene von Caprivi an Max Karl Graf Trauttmansdorff vom 19.2.1951, ebda. : „Ich habe Birkenfeld von der Stellung, die Paris und Sie zu der Frage des PEN einnehmen, ordnungshalber orientiert, da er ja ununterbrochen in dieser Angelegenheit gearbeitet hat." Günther Birkenfeld an Max Karl Graf Trauttmansdorff vom 19.2.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 13. François Bondy an Annelene von Capnvi vom 13.1.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 246, Folder 10. François Bondy an Melvin J. Lasky vom 15.1.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 246, Folder 10: „You will excuse me for not getting intensely excited about Veit Harlan, the German PEN-Club and other minor problems, as long as Berlin and yourself are not helping the Congress in the main theme of propaganda [...] in any case, it is most disappointing." Bondy kritisierte das Berliner Büro va. wegen der langsamen Redaktion der Kongreßpamphlete. -
2. Die
Spaltung des deutschen PEN
343
Dank seiner Kontakte zum RIAS begann er dort mit einer neuerlichen Kampagne gegen Johannes R. Becher. In ausführlichen Rundfunkkommentaren griff er ständig das Thema des deutschen PEN und seines stalinistischen Vorsitzenden auf187 Außerdem war die Aktion inzwischen eine Art Selbstläufer geworden, wozu sicherlich auch die oft maßlose Gegenpropaganda Bechers und seiner Anhänger beitrug.188 Etwa zur gleichen Zeit setzten dann Kontakte zwischen Birkenfeld und dem Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen ein, in denen es primär um die Frage ging, wie eine Dokumentation über die Ereignisse anzulegen sei.189 Während des Sommers und Herbstes 1951 wurde unter den westdeutschen, nichtkommunistischen PEN-Mitgliedern ein allmählicher Prozeß der Abkehr vom Einheitsgedanken erkennbar; die Zusammenarbeit mit den Kommunisten war zum Problem geworden.190 Im Oktober 1951 traf sich der deutsche PEN-Club zu seiner Tagung in Düsseldorf. Diesmal waren kaum noch westdeutsche Schriftsteller erschienen; diejenigen, die kamen, standen mehrheitlich der Gruppe um Becher und Johannes Tralow nahe. Mit diesen beiden und Hans Henny Jahnn übernahmen dann auch SEDFunktionäre und „fellow-travellers" den nur noch formal gesamtdeutschen PEN-Vorstand. Hermann Friedmann, Erich Kästner, Kasimir Edschmid, Hermann Kasack und sogar Alfred Döblin, bis zum Sommer alle noch entschiedene Verfechter des kulturellen Einheitsgedankens, erkannten, daß eine weitere Zusammenarbeit mit einem von den Stalinisten dominierten PEN sinnlos geworden war und erklärten ihren Austritt.191
187 188 189
Die RIAS-Kommentare Günther Birkenfelds vom 27.1.1951, 26.2.1951 und 30.6 1951 finden sich in UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 10, Folder 10. Vgl. Günther Birkenfeld an Ernst Penzoldt vom 17.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box
126, Folder 4. Günther Birkenfeld
an Wittgenstein (Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen) vom 21.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 13. Vgl. ferner Memorandum von N.N. (Lieselotte Berger oder ein anderes Mitglied der Hochschulexekutive?) o.D. (Mai 1951?): .Die Freunde der Freiheit in der Bundesrepublik", ebda. Die Anregung für die Broschüre scheint
CCF ausgegangen zu sein. Curt Thesing an Günther Birkenfeld vom 19.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 126, Folder 4, sprach sich beispielsweise im Umfeld von Bechers literarischen Ost-West-Gesprächen (Vorläufer der „Deutsche an einen Tisch"-Kampagne seit Oktober 1951) gemeinsam mit Kasimir Edschmid dalür aus, Döblin an Bechers Stelle zum PEN-Präsidenten zu wählen und fuhr dann fort: „Wie ich Edschmid gegenüber betonte, hat sich meine Einstellung Becher und anderen ostzonalen Kollegen gegenüber seit Wiesbaden einschneidend geändert. Das, was ich in den letzten Wochen hier erlebte, hat mir trotz der durchaus erfreulich verlaufenen Starnberger Zusammenkunft gezeigt, daß es den östlichen Organisationen nicht [...] um eine freie Aussprache mit dem Ziele geht, die bestehende weltanschauliche Kluft zu überbrücken, um auf diese Weise nach Möglichkeit die deutsche kulturelle Einheit aufrecht zu erhalten und zum Frieden beizutragen, sondern um ein schlecht getarntes, bolschewistisch dirigiertes Propagandauntemehmen." Bericht von Herbert Hupka vom 25.10.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box 10, Folder 10; Karl-Fnedrich Borée an Melvin J. Lasky vom 12.11.1951, ebda., Box 11, Folder 3, mit Borées Düsseldorfer Austrittsrede; Kontakte 5 ( 1951 /52), S. 5 : „Sie (Tralow, Weisenbom, Jahnn) haben sich für die sowjetdeutsche Gruppe entschieden, sind Parteigänger von Kulturavom
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„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Seit November 1951 nahmen dann die Vorbereitungen der westdeutschen Autoren, einen eigenen PEN-Club zu gründen, konkrete Züge an. Am 3. und 4. Dezember 1951 fand in Darmstadt dann die Gründungsversammlung des deutschen PEN-Zentrums (Bundesrepublik) statt. Friedmann wurde Ehrenvorsitzender, Kästner Vorsitzender. Kasimir Edschmid als Generalsekretär und Walter Bauer als Kassier komplettierten den Vorstand, der bis auf den fehlenden Becher mit dem alten Präsidium des gesamtdeutschen PEN nahezu identisch war. An alle aus dem, nunmehr in deutsches „PEN-Zentram West und Ost" umbenannten, Rumpf-PEN ausgeschiedenen Mitglieder erging der Aufruf, sich dem neuen westdeutschen PEN-Club wieder anzuschließen. Inzwischen stand der von Becher und Tralow geführte gesamtdeutsche PEN vor erheblichen internen Problemen, da Hans Henny Jahnn seine Funktionen an Tralow übertragen hatte und Eggebrecht als Schatzmeister zurückgetreten war. Kurz darauf schloß auch er sich dem neuen West-PEN an.192 Da keinerlei Aussicht auf Ausgleich mehr bestand, nahm der internationale PEN die Entwicklung hin. Zwar waren die Kommunisten bemüht, in den PEN-Clubs neutraler Staaten gegen das westdeutsche Zentrum Stimmung zu machen, doch besonders der österreichische PEN-Club unter Theodor Czokor setzte sich beharrlich für die Aufnahme des neuen Zentrums in den internationalen PEN ein, ebenso der Exil-PEN, dessen Mitglieder, einschließlich Thomas Manns, überaus erregt auf einen Antrag Tralows zur Auflösung des Exil-PENs reagiert hatten.193 Zum Teil, wie im Falle des indischen PEN, war auch der CCF darum bemüht, der kommunistischen Agitation entgegenzusteuern.194 Im Sommer 1952 wurde der westdeutsche PEN in Nizza als Mitglied des internationalen PEN aufgenommen.
Von
Anteil
192
193
194
nun an von
sollte das westdeutsche PEN-Zentram stets über einen hohen
Mitgliedern verfügen, die dem CCF zumindest sehr nahe standen.
Funktionären geworden, die den Geist zum sklavischen Handlanger ihrer Einheitspartei erniedrigen, die große Dichtung des freien Westens unterdrücken, [...]. Wir beneiden jene westdeutschen Neutralisten nicht." Es ist erkennbar, daß sich inzwischen die PEN-Kampagne des CCF mit ihrer antineutralistischen Tätigkeit vermischt hatte. Zielgruppe propagandistischer Attacken waren nun weniger die Stalinisten um Becher und Seghers, sondern va. die im gesamtdeutschen PEN verbliebene westdeutsche Minderheit. Auf S. 7 derselben Ausgabe kritisierte Birkenfeld übrigens eine Aufforderung der Bundesregierung an den Regisseur Wolfgang Staudte, nur noch im Westen zu drehen, wenn er nicht mehr fur die DEFA arbeite. Staudte habe sich nie explizit prokommunistisch betätigt, ein derartiges Berufsverbot sei ein Versuch am untauglichen Objekt. Auch hier zeigt sich, daß die Intentionen von CCF und Bundesregierung durchaus unterschiedlich waren, trotz antikommunistischer Gemeinsamkeiten. Mitteilungsblatt des PEN-Clubs deutscher Autoren im Ausland Nr. 8, o.D. (Mai 1952?), BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 107; vgl. Kasimir Edschmid an Wilhelm Lehmann vom 22.11.1951, DLA, A: Lehmann, 68 3417/1; Günther Birkenfeld an Karl-Fnednch Borée vom 23.11.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 10, Folder 10. Mitteilungsblatt des PEN-Club deutscher Autoren im Ausland Nr. 8, o.D. (Mai 1952?), BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 107. Minoo Masani an Günther Birkenfeld vom 28.2.1952, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 10, Folder 10
2. Die
Spaltung des deutschen PEN
345
Es wäre möglicherweise übertrieben zu behaupten, der deutsche CCF habe den Kern der antikommunistischen Linken im westdeutschen PEN gestellt, aber immerhin verfügten die CCF-Mitglieder über den höchsten Organisationsgrad in dem Gremium und zugleich über ein hohes Maß an internationaler Verflochtenheit.195 Auch organisatorisch war der westdeutsche PEN mit dem CCF verknüpft, indem er die Gelder des von Arthur Koestler gegründeten FIF verwaltete.196 Die Struktur des deutschen CCF trag dann aber maßgeblich mit dazu bei, daß der CCF wenig mit diesen engen Beziehungen zum westdeutschen PEN anzufangen vermochte. Direkte Einflußnahmen auf diesen sind zumindest im vorhandenen Quellenbestand nicht überliefert. Die Spaltung des gesamtdeutschen PEN-Zentrums war also nicht Ergebnis der Intervention irgendwelcher in- oder ausländischer Kräfte, sie war ebenfalls nicht, wenigstens nicht primär, Resultat politischer Überlegungen im Umfeld der Wiederbewaffhungsdebatte, sondern eher folgerichtiger Ausdruck innerdeutscher Spannungen und Rivalitäten. Der Spagat zwischen den Hegemonialblöcken des Kalten Kriegs war auch im intellektuellen Bereich nahezu unmöglich geworden. Weder der Gedanke der nationalen Einheit noch die Friedenspropaganda der Stalinisten vermochte darüber hinwegzutäuschen, daß es zwischen westlich-liberaldemokratisch orientierten Autoren und den Gefolgsleuten des Stalinismus kaum noch eine akzeptable Gesprächsbasis gab. Nur deswegen und nicht, weil es im Interesse der Regierung Adenauer oder des Kaiser-Ministeriums lag, konnte eine Aktion, die im Kern privater Natur war, zum Ende des gesamtdeutschen PEN-Clubs führen. Auch die westdeutschen Schriftsteller konnten sich kaum allen Ernstes dem vom gesellschaftlichen antikommunistischen Konsens innerhalb der von den USA dominierten Hemisphäre ausgehenden Konformitätsdruck, der zudem mit einem erheblichen moralischen Ansprach verbunden war, entziehen. Gleichzeitig war für jedermann erkennbar, daß parallel zu dem auf eine gewisse Konformität im Westen zielenden Prozeß im Osten eine Entwicklung stattfand, die noch sehr viel stärker jede Form offenen intellektuellen Austauschs zu einem Ding der Unmöglichkeit machte. Es war, wie Erich Kästner im Dezember 1952 gesagt hatte: „Der PEN der Bundesrepublik Deutschland hatte sich etabliert, weil etwa drei Viertel der Mitglieder des vorher bestehenden ,Zentrums Deutschland' der Ansicht waren, daß die 195
196
Folgende deutsche PEN-Mitgheder waren gleichzeitig im CCF oder Mitarbeiter des „Monat": Stefan Andres, Francois Bondy, Willy Brandt, Peter Coulmas, Rudolf Hagelstange, Klaus Harpprecht, Walter Hasenclever, Theodor Heuss (war zu Beginn der sechziger Jahre Ehrenpräsident des Internationalen CCF), Hellmut Jaesrich, Eugen Kogon, Carl Linfert, Theodor Litt,
Peter de Mendelssohn, Alexander Mitscherlich, Rudolf Pechel, Theodor Plievier, Edwin Redslob, Carlo Schmid, Bruno Snell und Alfred Weber. Heinz-Winfried Sabais, nach 1971 SPDOberbürgermeister von Darmstadt, stand dem CCF in den fünfziger Jahren nahe; Marion Gräfin Dönhoff war Mitglied der CCF-Nachfolgeorganisation IACF. Vgl. Rundschreiben von Kasimir Edschmid vom 31.12.1956, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 107.
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VI Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Begriffe Frieden und Freiheit' nicht voneinander zu trennen seien, während die Mitdie fast ausschließlich im Osten wohnten, sich auf den Standpunkt stellten, daß Ilieder, reiheit der Meinungsäußerung dem Krieg Tür und Tor öffne."197 Innerhalb des CCF stand die Aktion zwar im Rahmen der antikommunistischen und antineutralistischen Grundtendenz des deutschen und internationalen Kongresses, dennoch wurde ein wirklich konsequentes Engagement des gesamten CCF durch die auf Seiten des internationalen Generalsekretariates bestehenden Tendenzen zu einer straffer und zentralistischer geleiteten Organisation erheblich blockiert. Es sollte kein Einzelfall bleiben.
3. Die antikommunistische und antineutralistische Arbeit Sieht
einmal davon ab, daß das Berliner Büro des CCF vornehmlich die Aufgabe zugewiesen bekommen hatte, Informationen aus dem Osten zu sammeln,198 lag aus der Sicht des Internationalen Generalsekretariates die Hauptfunktion der beiden deutschen Sekretariate und der deutschen Exekutive darin, den geistigen Kampf mit Kommunisten und Neutralisten in Deutschland aufzunehmen. Damit richtete sich die Tätigkeit des deutschen CCF in der Hauptsache gegen die von Johannes R. Becher Ende 1951 mitkonzipierte „Deutsche an einen Tisch"-Kampagne und ihre Vorläufer in den Ost-West-Gesprächen deutscher Schriftsteller. Beide waren prinzipiell in die laufenden Kampagnen der Weltfriedensbewegung eingebettet, allerdings wurde die nationale Komponente in Deutschland sehr stark betont. Dabei ging es, in unterschiedlicher Intensität und durchaus nicht nur rein taktisch, aus östlicher Sicht bevorzugt darum, die Westbindungsoption der Regierung Adenauer zu unterlaufen.199 insofern die antikommunistischen und antineutralistischen Maßnahmen des CCF rein defensiven und überdies nicht notwendig nationalspezifischen
197 198
199
man
Protokoll der 1.
Hauptversammlung
des deutschen PEN-Zentrums in Darmstadt
vom
6.-8-
12.1952, NL Schmid, AdsD, Bd. 1903 Solange die CIA-Akten nicht bekannt sind, ist kein Urteil darüber möglich, ob oder in welchem Ausmaß derartiges Material, das in der Regel offen zugänglichen Quellen entstammte, nachrichtendienstlich abgeschöpft wurde.
Der Deutschlandpolitik der SED hat Jürgen Wendler eine überaus materialreiche und differenziert argumentierende Studie gewidmet, die die nationale Komponente der Anti-NATO-Agitation der kommunistischen Kampagnen ernst nimmt. Gerade für Johannes R. Becher ist dies leicht nachzuvollziehen, muß aber nicht der These widersprechen, daß der nationalen Rhetorik der SED auch propagandistisch-instrumentelle Züge anhafteten, vgl. Jürgen Wendler: Die Deutschlandpolitik der SED 1952-1958. Publizistisches Erscheinungsbild und Hintergründe der Wiedervereinigungsrhetorik, Köln-Weimar-Wien 1991. Leider liegt der Schwerpunkt von Wendlers Arbeit in dem Zeitraum nach 1952, ein Teil seiner Ergebnisse erscheint aber auf 1951/52 durchaus anwendbar
3. Die antikommunistische und antineutralistische Arbeit
347
Charakters waren, tragen sie naturgemäß nur bedingt zu irgendeiner Form von Wertetransfer bei. Bestenfalls kann davon ausgegangen werden, daß die implizit mitgedachte oder explizit ausgedrückte Begründung eigenen Verhaltens Wertgrundlagen genuin westlich-liberaldemokratischen Zuschnitts offenbarten, die dann indirekt weitergegeben wurden. Dies traf nun in der Tat zu, da es dem deutschen Exekutivkomitee des CCF nie um bloße antistaltaistische Aktivität ging; schon gar nicht wollte man die westdeutsche Regierung stützen oder traditionell „deutsche" Werte und Strukturen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft einfach restituieren. Dennoch bleibt der Eindruck berechtigt, daß all die hinter solchen negativen Abgrenzungen liegenden positiven Werthaltungen auf dem Gebiet der antikommunistischen und antineutralistischen Arbeit kaum zum Zuge kommen konnten, da man hier zu eng mit den ideologischen Grundprämissen des breiten antikommunistischen Konsenses verwoben war. Bis zu einem gewissen Grade schlössen sich die Aktionen der CCF-Mitglieder eng an die Ereignisse um den gesamtdeutschen PEN an, zum Teil überschnitten sie sich. Diesmal jedoch agierten die Deutschen mit der ausdrücklichen Bdligung Nabokovs, Josselsons und Bondys. Drei Arbeitsschwerpunkte sind im Rückblick auszumachen: Zum einen das Bemühen, die von Johannes R. Becher initiierten Gespräche zwischen ost- und westdeutschen Schriftstellern zu verhindern oder wenigstens in ihrem publizistisch-propagandistischen Erfolg zu minimieren, zum zweiten, die kommunistischen Weltjugendfestspiele beziehungsweise FDJ-Treffen in Berlin mit Gegenmaßnahmen zu beantworten, und zum dritten, westdeutsche Neutralisten gegebenenfalls in einem aufwendig inszenierten Rededuell intellektuell bloßzustelllen. Parallel zu der seit 1948/49 auf der internationalen Ebene laufenden Konferenzserie der „Weltfriedenspartisanen" hatte die SED-Führung, allen voran Johannes R. Becher, sich bemüht, im intellektuellen Bereich Kanäle offenzuhalten, um so westdeutsche Intellektuelle, besonders Literaten, in die eigenen nationalen und Friedensdiskurse miteinbeziehen zu können. Zu Ostern 1951 fand in Starnberg ein Schriftstellertreffen statt, an dem unter anderen Becher, Anna Seghers, Bert Brecht, Arnold Zweig, Stephan Hermlin, Peter Huchel, Ernst Penzoldt, Hans Henny Jahnn und Irma Loos teilnahmen, während Walter von Molo, Alfred Döblin und Reinhold Schneider Grußtelegramme sandten.200 Das Stamberger Treffen inhaltlich vorbereitend, erschien ein Sammelband unter dem Titel „Wir heißen Euch hoffen", in dem unterschiedliche Autoren, darunter Döblin, zum innerdeutschen Dialog im Interesse der Friedenssicherung aufriefen. Zum vorerst letzten Mal fanden sich kommunistische, liberale und sogar katholische Autoren in einer gemeinsamen und gesamtdeutschen Aktion. 200
Vgl.
H. Peitsch:
Spaltung, S. 120f; RIAS-Kommentar von Günther Birkenfeld vom 1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 13 ; Günther Birkenfeld an Friedrich Reiffenscheidt, Joseph Mühlberger und Curt Thesmg vom 16.5.1951, ebda. 12 10
348
VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Fast augenblicklich setzten die Gegenmaßnahmen des CCF ein. Birkenfeld Briefkampagne an alle Beteiligten sowohl des Starnberger Schriftstellertreffens als auch an die Autoren des Sammelbandes „Wh heißen Euch hoffen". Diese Kampagne verband sich nahtlos mit der folgenden, da Johannes R. Becher für den 16. bis 18. Mai 1951 bereits das nächste gesamtdeutsche Literatentreffen in Leipzig annonciert hatte, zu dem 300 bis 400 Autoren aus allen deutschen Landen erwartet wurden, um sich zu Frieden und nationaler Einheit zu bekennen.201 Wegen der zeitlichen Nähe des Starnberger und des Leipziger Treffens und in Anbetracht der Tatsache, daß Starnberg bereits vorüber war, verschoben sich die Bemühungen des CCF bald dahin, westdeutsche Autoren von der Teilnahme an dem Leipziger Gespräch abzubringen. In den Augen Birkenfelds und der anderen deutschen CCF-Mitglieder erschienen derartige Gespräche als regelrecht unmoralisch. Nur Weltfremdheit, Gutgläubigkeit oder Angst konnten sinnvolle Gründe für die Bereitschaft sein, sich mit Stalinisten an einen Tisch zu setzen, die zudem auf wenig subtile Weise mit der Einladung den Versuch unternahmen, die ästhetischen Maßstäbe des sozialistischen Realismus vorab zur Diskussionsgrundlage zu erklären.202 Zeitweise hielt man den Gedanken an einen Gegenkongreß für sinnvoll, verzichtete aber, wohl aus organisatorischen und Zeitgründen, auf diese Idee. Statt dessen war der deutsche CCF bemüht, öffentlichen Druck auf jene Autoren auszuüben, die bereit waren, nach Leipzig zu fahren. Diese Form der moralischen Manipulation erschien als angemessene Antwort auf die gleichermaßen manipulativen und suggestiven Methoden der gegnerischen Seite und dürfte auch Rückwirkungen auf den Zerfallsprozeß des gesamtdeutschen PEN-Zentrums gehabt haben. Diesmal agierte Birkenfeld zwar in Übereinstimmung mit den Absichten der Pariser Zentrale, die seinen Eifer ausdrücklich guthieß,203 auch wenn man startete eine
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203
National-Zeitung
vom 3.5.1951; Rundschreiben von Max Karl Graf Trauttmansdorff und Günther Birkenfeld vom 5.5.1951, NL Plievier. Becher hatte erklärt, drei Dinge seien im deutschen Kulturleben zu erreichen, und führte neben dem Verzicht auf diffamierende Auseinandersetzung und dem Recht auf Berichtigung sachlich falscher Angaben auch die Kategorie der „realistischen Verhaltensweise den Dingen und Menschen gegenüber" ein, vgl. National-Zeitung vom 3.5.1951. Wichtiger aber war das antiamerikanische Anliegen: „Die Kulturschaffenden Gesamtdeutschlands werden in diesem Gespräch reicher werden und eine Kraft des nationalen Kulturwillens und des Willens zur deutschen Einheit schaffen, die über Adenauer hinweg unsere Nation in ihrem Befreiungskampf gegen die amerikanische Unterdrückung zusammenschließen wird." Francois Bondy an Günther Birkenfeld vom 29.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 3, hielt die Briefaktion Birkenfelds für „ganz vorzüglich". Vgl. Melvin J. Lasky an James Burnhamvom 12.7.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf-Records, Box ll,Folder5: „I have just looked into the Congress activities under Guenther Birkenfeld and have been agreeably surprised. Much splendid work is being done. The recent Stalinist move to win over the WestGerman intelligentsia would no doubt have succeeded at their Leipzig conference. [...]. A tremendous personal (pressure) campaign was let loose, with the result that everybody declined "
3. Die antikommunistische und antineutralistische Arbeit
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anfangs nicht recht an seinen Erfolg glauben mochte.204 Einwände kamen hingegen von der Bundesregierung. Ende April 1951 hatte Walter Hallstein über
Max Karl Graf Trauttmansdorff mitteilen lassen, Bonn wünsche nicht, daß man dem Leipziger Treffen allzu viel Aufhebens mache. Offenbar glaubte auch die Bundesregierung nicht an die Möglichkeit effektiver Gegenpropaganda.205 Birkenfeld schätzte die Stimmung unter den westdeutschen Schriftstellern jedoch korrekter ein als die christdemokratische Politikerriege. Seit dem 1. deutschen Schriftstellerkongreß hatte sich manches anders entwickelt, als die anfangs dialogwilligen Autoren es erwartet und gewollt hatten. Inzwischen distanzierte sich die Mehrheit der westdeutschen Literaten von der Linie Bechers und der SED-Führung. So veröffentlichte Birkenfeld am 5. Mai einen „Offenen Brief an die westdeutschen Schriftsteller und Künstler", der die Briefaktion gegen das Starnberger Treffen wirkungsvoll ergänzte. Insgesamt wurden auch noch 80 Schriftsteller persönlich angeschrieben.206 Unterstützt wurde Birkenfeld von Stefan Andres207 und Rudolf Pechel.208 Die Argumentationslinie des CCF gegenüber den gesprächsbereiten westdeutschen Autoren zielte insbesondere darauf ab, daß es in Ostdeutschland keine kulturelle Freiheit mehr gebe, die zu den Grundbedingungen eines wirklichen Friedens gehöre. Gerade kompromißwilhge Autoren aus dem Westen seien daran gehindert worden, ihre Werke in der DDR zu veröffentlichen, und ausgerechnet Johannes R. Becher sei maßgeblich an der von der SED ausgeübten Zensur beteiligt. Unter solchen Voraussetzungen sei jedes Gespräch sinnlos. Als recht wirkungsvoll erwies sich zusätzlich der Fall Hermann-Joseph Flade, eines 19jährigen Jugendlichen, der seines katholischen Bekenntnisses und angeblicher Kontakte zur KgU willen am 10. Januar 1951 erst zum Tode und dann zu 15 Jahren Haft verurteilt worden war.209 Bald vermochte Birkenfeld erste Erfolge zu verzeichnen. Am 18. Mai 1951 schrieb ihm Alfred Döblin, er trete zwar weiterhin für persönliche Gespräche unter allen deutschen Autoren ein, stünde den organisierten Treffen unter Bechers Regie aber skeptisch gegenüber. Gleichzeitig ließ Döblin es sich aber von
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Hellmuth Jaesrich an Melvin J. Lasky vom 11.5.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 13, Folder 6. Max Karl Graf Trauttmansdorff an René Lalive d'Epinay vom 30.4.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 8. Hallstein hatte den CCF nur ermahnt, dafür Sorge zu tragen, daß kein CCF-Mitglied in Leipzig teilnähme Tätigkeitsbericht des Berliner Büros für den Monat Mai 1951, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100; vgl. Kontakte 1 (1951/52), S. 3. Günther Birkenfeld an Stefan Andres vom 22.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 13. dpa-Meldung vom 17.5.1951, IACF/CCF-Archiv, SeriesII, Box 126,Folder4. Kopie der Prozeßakten in: IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 119, Folder 9; Zur Instrumentalisierung des Falles m der Kampagne gegen das Leipziger Gespräch: Günther Birkenfeld an Ernst Penzoldt vom 25.5.1951, ebda., Box 118, Folder 13. Auch die Flucht von Sabais wurde gerne als Beispiel für die Unfreiheit in Ostdeutschland angeführt. Zum Fall Flade vgl. K.U. Merz: Kalter Krieg als antikommunistischer Widerstand, S. 134-139.
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nicht nehmen, den in seinen Augen einseitigen Antikommunismus des Kongresses zu kritisieren, der in Anbetracht der Tatsache, daß knapp 100% der Westdeutschen gleichfalls Antikommunisten seien, reichlich überzogen wirke. Der eigentliche Feind der Freiheit stünde weiterhin rechts und diesen Feind müsse man gemeinsam bekämpfen. Man müsse ihn außerdem kaum über den wahren Charakter des Sowjetsystems aufklären, schließlich habe er sich bereits 1930 entschieden vom Marxismus und der UdSSR abgegrenzt.210 Blieb der in der Regel vergleichsweise zurückhaltende Döblin in seinem Brief betont verhalten, so distanzierten sich Curt Thesing, Hans Reisinger und Josef Mühlberger ganz offen von allen neuerlichen Anläufen zu Ost-West-Gesprächen.211 In Leipzig erschienen am Ende nur 16 westdeutsche Schriftsteller, was dazu führte, daß die eigentlich avisierte sowjetische Delegation gar nicht erst auftrat und das Treffen in einem Eklat endete.212 Nur noch wenige westdeutsche Schriftsteller bekannten sich offen zu dem Kurs Bechers und Brechts, der wohl bekannteste dürfte Hans Henny Jahnn gewesen sein.213 Zu ihm gesellten sich zweitrangige Figuren wie Herbert Lestiboudois, der in durchgängig stalinistischer Sprache den CCF attackierte, weil dieser die nationale deutsche Kultur und den Gedanken an Frieden und nationale Einheit an die Amerikaner verkauft habe.214 Der CCF ergänzte seine Propaganda hinsichdich des deutschen PEN und der Ost-West-Gespräche mit einer erbitterten, persönlichen Kampagne gegen Becher und Brecht, die beide zu „Lieblingsfeinden" der deutschen Sektion wurden. Dabei wurde Becher entschieden härter angegangen. In einem weiteren „Offenen Brief vom 18. Juni 1951 warf Walther Mehring Becher nicht nur vor, manisch-depressiv, sondern ein drittklassiger, renommiersüchtiger Literat 210
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Alfred Döblin an Günther Birkenfeld vom 18.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 126, Folder 4: „Ich kann von mir aus nur festeilen, daß die Herren im Osten dem ganz persönlichen Gespräch bis jetzt ausgewichen sind und es bevorzugen, lange, bequeme, öffentliche Reden zu halten. Aber wir wissen genau, daß sie auf präzise Fragen betr ihre dirigierte Literatur nur ungern eingehen." Dem CCF warf er vor, eher ein „Kongreß gegen kommunistische Infiltration" denn ein wirklicher „Kongreß für kulturelle Freiheit" zu sein, zumal auf semer Mitgliederliste einige Personen zweifelhaften Rufes erscheinen würden, womit Koestler, Burnham und die anderen zu dieser Zeit noch aktiven radikalen Antikommunisten gemeint sein dürften. Tätigkeitsbericht des Berliner Büros für den Monat Mai 1951, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100; Curt Thesing an Günther Birkenfeld vom 19.5.1951 und Günther Birkenfeld an Hans Reisinger vom21.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 126, Folder 4. Ernest Salter an N.N. (François Bondy?) o.D. (Juli 1951), IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 3 Salters Bericht basierte auf den Aussagen des kurz zuvor aus Ostdeutschland geflüchteten Leipziger Hochschullehrers Eduard Schulz; vgl. Günther Birkenfeld an François Bondy vom 9.7.1951, ebda. Bei Jahnn handelte es sich weniger um Sympathie für den Kommunismus, als um eine ausgeprägte Antipathie gegen die Bundesrepublik, „diesen katholischen Staat des Kalten Krieges": Hans Henny Jahnn an Ernst Kreuder vom 18.10.1954, DLA, A: Kreuder. Konvolut die Mainzer Akademie betreffend, 77.6008/4. Herbert Lestiboudois an Günther Birkenfeld vom 6.6.1951 ; vgl. Günther Birkenfeld an Herbert Lestiboudois vom 22.6.1951 ; ganz ähnlich in der Argumentation: Fritz Heese (Arzt aus Westberlin) an Günther Birkenfeld vom 13.6.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 12.
3. Die antikommunistische und antineutralistische Arbeit
351
und Staltaverehrer zu sein, „ein beamteter Aufseher der deutschen Dichtung, der hoch in der Gunst der neo-zaristischen Gewalthaber" stünde.215 Im Falle Brechts verhielt sich der CCF zurückhaltender, außer wenn Friedrich Torberg sich einmischte. Bis zu Beginn der sechziger Jahre kämpfte der Österreicher mit dauernd abnehmender Unterstützung durch den CCF darum, Brechts Stücke von den Spielplänen deutschsprachiger Theater verbannen zu lassen. Normalerweise fehlten aber jene unnachgiebigen Angriffe, die Becher, der im Austeilen ja ebenfalls nicht gerade zimperlich war, zu ertragen hatte.216 Auch die allgemeine antikommunistische Propaganda, besonders die Broschürenaktionen, wurde verstärkt und nach Ostdeutschland htaeingetragen.217 Ziel war dabei die fundamentale Kritik an den geistigen Grundlagen der marxistischen Lehre, antitotalitäre Momente überwogen nur im Verlauf der Kampagnen gegen die Ost-West-Gespräche und um den PEN-Club. Insgesamt vermittelte der CCF im Verlaufe dieser Debatten eine klar prowestlich-antitotalitäre Gegenvision zu Bechers humanistisch-nationaler und antifaschistischer Rhetorik, an der dieser noch recht lange festhalten sollte.218 Im Rahmen der antikommunistisch-anttaeutralistischen Broschürenkampagne des CCF entwickelte Carlo Schmid einen Plan, der angesichts seines leicht absonderlichen Charakters wohl nur aus den Zeitumständen heraus erklärbar sein dürfte: Schmid der schon immer eher dem Konzept einer auf Massenresonanz zielenden Organisation angehangen hatte, schlug vor, anstelle intellektueller Propaganda, mit der man die Einwohner Deutschlands in Ost und West doch nur geistig überfordern würde, lieber antikommunistische Agenten- und Kriminalromane, die sogennanten „Alarmhefte", zu verteilen. Die seien sicherlich anregender als jede theoretische Auseinandersetzung mit dem Marxismus/ Leninismus.219 Dieser Vorschlag stieß in Paris auf keinerlei Gegenliebe. 215
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Kontakte 2 (1951/52), S. 2; vgl. Telegraf Nr. 21 (1951), wo der ehemalige Mitarbeiter Birkenfelds bei „Horizonte" Walter Kiewert unter dem Kürzel BF. Becher ähnlich bösartig angriff' Er sei ein „volkseigener Olympier" und fuhr fort: „Jener soeben 60 Jahre alt gewordene Schriftsteller, von dem hier die Rede sein soll, weil er an weithin sichtbarer Stelle wirkt, war immer nur zweite Garnitur, darüber besteht kein Zweifel. In seiner Frühzeit überschatteten ihn viele Mitringende, im späteren Alter fast alle." Sa Günther Birkenfeld an François Bondy vom 26.9.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 12. Vgl. Kontakte 5 (1951/52), S. If, wo Andres sich relativ sachlich über den utopischsozialreligiösen Charakter des Marxismus bei Brecht ausließ, Kontakte 7 (1951/52), S. 7; Kontakte 9 (1951/52), S. 9; s.a. Günther Birkenfeld an die italienische CCF-Sektion vom 24.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 13. Helmut Große an Francois Bondy vom 30.4.1951, IACF/CCF-Archiv, Box 119, Folder 8, wo es u.a. um eine gemeinsam mit HICOG durchgeführte Operation ging, in deren Verlauf westliche Bücher in die DDR geschmuggelt wurden. Vgl. Bechers Redebeitrag zu der Bayreuther Kulturtagung vom Oktober 1953: Karl Saller (Hg): Von der Verantwortung des deutschen Geistes. Die deutsche Kulturtagung in Bayreuth vom 24-26. Oktober 1953, o.O, o.J., S. 35-38. Carlo Schmid an Nicolas Nabokov vom 4.8.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 288, Folder 4; die von F Rudi herausgegebenen „Alarm"-Hefte stießen allerdings auf die heftige Kritik der Fachschaft Jugendschriftsteller im Westdeutschen Autorenverband, für den Wilhelm Wilhelm
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VI. Die deutsche Sektion des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Neben der Abwehr direkter kommunistischer Gesprächsangebote mit nationalneutralistischem Hintergrund war die deutsche CCF-Exekutive bestrebt, bereits im Vorfeld kommunistisch inspirierten Infiltrationsversuchen auf der propagandistischen Ebene das Wasser abzugraben. Daher wurde in der Exekutive über geraume Zeit ein Projekt geplant und diskutiert, mit dessen Hilfe man die westdeutschen Nationalneutralisten bloßstellen wollte: ein öffentlicher Disput zwischen Angehörigen des deutschen CCF und prominenten westdeutschen Nationalneutralisten. Derartige Pläne wurden von einer Serie dezidiert antineutralistischer Artikel in den „Kontakten" flankiert, die sich bevorzugt mit Reinhold Schneider und Martin Niemöller beschäftigten.220 Die Vorbereitungen für ein Gespräch mit den westdeutschen Nationalneutralisten liefen etwa seit Juni 1951, anfangs unter der Rubrik eines nationalen antitotalitären CCF-Kongresses gegen Stalinisten, Faschisten und Neutralisten.221 Kurz danach schlug Trauttmansdorff Nabokov für den November 1951 ein Treffen in Berlin vor, in dessen Verlauf jeweils ein CCF-Vertreter und ein Nationalneutralist einander mit Referat und Koreferat begegnen sollten, während Trauttmansdorff als Gesprächsleiter zu füngieren gedachte.222 Nabokov erwiderte erst einmal vorsichtshalber, da man zu dieser Zeit ja bereits daran arbeitete, Trauttmansdorff zu entlassen, dieser solle ohne Rücksprache mit Rougemont, Bondy, Kogon und Schmid keinesfalls etwas unternehmen.223 Keine zwei Wochen danach kam Bondy auf den ursprünglichen Plan einer
Tagung zurück, deren Thema nun lauten sollte: „Stalinismus, Neofaschismus, Neutralismus: Über die moralische Verantwortung des deutschen Intellektuellen". Hier waren fast sämtliche zentralen Topoi des CCF mit spezifischem Deutschlandbezug vertreten: Antitotalitarismus, Antineutralismus, der politische Intellektuelle und eine moralisierende Sicht deutscher Vergangenheit und Gegenwart. Auf keinen Fall wünsche Paris, so Bondy, die Teilnahme von Personen, die in der nationalsozialistischen Zeit oder gegenüber den Stalinisten keine einwandfreie Haltung eingenommen hätte. Walter von Molo oder Man-
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Fronemann feststellte, es handele sich um verkappten Militarismus im Gewände der Schundliteratur: „Was soll das? Was der Bolschewismus an Bestialität leisten kann, wissen wir auch ohne solche schundmäßig ausgestatteten Druckschriften, aber wir verbitten uns, daß man solche Schweinereinen der geistig unmündigen und haltlosen Jugend vorsetzt." S. das Gutachten von Wilhelm Fronemann für das Jugendamt Frankfurt vom 17.12.1951, NL Schmid, AdsD, Bd. 1829. Schmid und seine Exekutive sahen dies anders, vgl. Günther Birkenfeld an Wilhelm Fronemann vom 8.1.1952, ebda. Kontakte 2 (1951/52), S. 7; Kontakte 6 (1951/52), S. 6; Kontakte 10 (1951/52), S. 7f. Vgl. Max Karl Graf Trauttmansdorff an Boris Blacher vom 20.6.1951, IACF/CCF-Archiv, Series n, Box 118, Folder 13; Ernest Salter an N.N. (Francois Bondy?) o.D. (Juli 1951), ebda., Box 119, Folder 3. Max Karl Graf Trauttmansdorff an Nicolas Nabokov vom 19.6.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 7. Nicolas Nabokov an Max Karl Graf Trauttmansdorff vom 26.6.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 7.
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fred Hausmann seien deswegen als Gesprächspartner unerwünscht.224 Auf der anschließenden Tagung des deutschen Exekutivkomitees vom 12. Juli wurde der Plan Bondys dann aufgenommen und mit konkretem Gehalt gefüllt. Carlo Schmid regte an, sich am 16. und 17. Oktober zu treffen, wobei der erste Tag der tatemen Diskussion der CCF-Mitglieder und ihrer Parteigänger vorbehalten bleiben sollte, erst anschließend wollte er dann mit den Neutralisten sprechen. Die Veranstaltung sollte nun unter dem Titel „Die deutschen Intellektuellen und der Neutralismus" laufen, war also im Vergleich zu den Vorschlägen Bondys in ihren Ansprüchen bereits erheblich zurückgenommen worden. Carlo Schmid bestand aber darauf, daß Nabokov, de Rougemont und Bondy für das Internationale Generalsekretariat bei den Gesprächen anwesend sein sollten.225 Dessen ungeachtet meldete Trauttmansdorff eine Woche später der Pariser Zentrale, die deutsche Exekutive strebe in der Frage des Neutralistentreffens nach mehr Eigenständigkeit. Insbesondere lehne man die geplante Referatsstruktur ab und strebe eine freie Diskussion an, weshalb Trauttmansdorff befürchtete, die Gespräche könnten zerfasern. Der Hauptetawand des westdeutschen Sekretärs lag aber darin, daß die Deutschen nur den Neutralismus zu behandeln gedachten, nicht aber Stalinismus und Neofaschismus, was während der Exekutivsitzung schon von Hagelstange kritisiert worden war.226 Von da an gerieten die Planungen ins Stocken. Hinzu kam, daß Schmid unter zunehmendem Zeitmangel litt und die Geschäfte des deutschen CCF nicht mehr in der gewünschten Form leiten konnte. Schon im Juli hatte allerdings Melvin Lasky zusätzlich unterstellt, der SPD-Politiker sabotiere aus Furcht, dem Thema intellektuell nicht gewachsen zu sein, das Treffen.227 Wenige Monate später es war längst jedermann klar, daß das geplante Treffen niemals statt-
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François Bondy an Max Karl Graf Trauttmansdorff vom 6.7.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 6. Vgl. Protokoll der 1. Sitzung des deutschen Exekutivkomitees vom 12.7.1951, S. 3f. und Anlagen, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100. Für den CCF sollten die Mitglieder der deutschen Exekutive sowie Hans Egon Holthusen, Karl Korn, Walter Hofer, Walter Jens und Rüdiger Proske antreten, ftir die Neutralisten Max Bense, Walter Kolbenhoff, Ernst Penzoldt, Hans Werner Richter, Lieselotte Enderle und Walter Dirks. In einer zweiten Liste, die sich im Anhang zum Protokoll findet, tauchten dann ganz andere Namen auf, so etwa für den CCF zusätzlich Sabais, Ernst Friedländer und Theodor Stelzer, während auf neutralistischer Seit dort Namen zu finden sind, die sehr viel entschiedener eine dem CCF feindselige Haltung einnahmen als diejenigen, die man im Verlaufder Exekutivsitzung genannt hatte, so z.B. Gustav Heinemann, Martin Niemöller, Hanns Henny Jahnn, Johannes Tralow, Emst Rowohlt und Günther Weisenborn. Der Grund für diese unterschiedliche Listenführung ist nicht ersichtlich. Max Karl Graf Trauttmansdorff an Nicolas Nabokov vom 19.7.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 6. Zu den Diskrepanzen zum Protokoll bemerkte Trauttmansdorff: „Sehr stark ist der Wunsch zum Ausdruck gekommen ich habe es absichtlich im Protokoll nicht so formuliert daß Ihrerseits dem Komitee eine größere Selbständigkeit eingeräumt werden -
solle,...". 227
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Melvin J. Lasky an François Bondy vom 16.7.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 11, Folder 3. Va. warf Lasky Schmid vor, einseitig auf Emst Jünger und die französische Kultur fixiert zu sein, von den kulturellen Entwicklungen der Gegenwart aber nichts zu verstehen.
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VI. Die deutsche Sektion des
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finden würde kam von Schmid der Vorschlag, erst einmal eine interne Diskussion dmchzuführen, um sich auf eine öffentliche Diskussion korrekt vorbereiten zu können.228 Rudolf Pechel hingegen erklärte nur noch, es sei eigentlich vollkommen sinnlos, mit überzeugten Neutralisten zu diskutieren, da man sie niemals überzeugen könne.229 Die Situation korrekt einschätzend, kam man in Paris zu dem Schluß, die Deutschen seien der Aufgabe offensichtlich nicht gewachsen, und arrangierte für den 24. Januar 1952 in Darmstadt eine Großkundgebung, in deren Verlauf Bondy über den „Neutralismus der deutschen Intellektuellen" sprach und mit der de Rougemonts einschlägige antineutralistische Broschüre „Freiheiten, die wir verlieren können" vom September 1951 ergänzt werden sollte.230 Meßbaren Erfolg aber hatten die deutsche und die internationale CCFExekutive bei ihrem Versuch, die Auslandsbeziehungen deutscher Nationalneutralisten, allen voran Martin Niemöllers, wenigstens partiell einzuschränken. Als das titoistische Jugoslawien im Oktober 1951 eine eigene, gegen die Friedensbewegung der KOMINFORM gerichtete Friedenskonferenz in Zagreb durchführte, wurde der CCF im Vorfeld davon in Kenntnis gesetzt, daß auch Martin Niemöller in die deutsche Delegation einbezogen werden sollte. Damit wurden gleichzeitig zwei Interessengebiete des CCF berührt, einerseits die deutschen Neutralisten, andererseits das Bestreben, möglichst gute Beziehungen zu Jugoslawien als kommunistischem, aber antistalinistischem Staat aufzubauen. Nabokov und Lasky nutzten ihre Kontakte nach Jugoslawien, und es gelang ihnen zu erreichen, daß Niemöller durch einige deutsche CCF-Mitglieder eingerahmt wurde. Im Gegenzug arrangierte der CCF gelegentlich und überaus zurückhaltend Reisen jugoslawischer Kulturgruppen nach Westberlin und in die Bundesrepublik.231 -
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Protokoll der Tagung des deutschen Ausschusses in Bad Homburg vom 11.10.1951, S. 5, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100; Protokoll der Sitzung des Berliner Arbeitausschusses vom 1.12.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 1. RudolfPechelanCarloSchmidvom28.11.1951,BAKoblenz,NL 160 (Pechel III), Bd. 100. François Bondy an Günther Birkenfeld vom 9.1.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 121, Folder 13; Günther Birkenfeld an Prof. Hermann Kellner (Stuttgart) vom 21.9.1951, ebda., Box 118, Folder 12. Kellner hatte zuvor de Rougemonts Broschüre als zu wenig aggressiv bezeichnet, vgl. Prof. Hermann Kellner an Günther Birkenfeld vom 14.9.1951, ebda. Offiziell lehnten ACCF und danach auch der CCF wegen der Anwesenheit Sartres und anderer französischer Neutralisten die Teilnahme an der Zagreber Konferenz ab. Dies hinderte Lasky aber nicht daran, sich mit dem jugoslawischen Oberst Polie von der jugoslawischen Mission in Berlin darüber zu verstandigen, wer Deutschland auf der Konferenz vertreten sollte, vgl. Melvin J. Lasky an Nicolas Nabokov vom 19.7.1951 und Nicolas Nabokov an Melvin J. Lasky vom 24.7.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 241, Folder 4; Melvin J. Lasky an Nicolas Nabokov vom 28.7.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 14, Folder 3, wo Lasky darauf hinweist, daß trotz der Teilnahme von Neutralisten und Satre-Anhängem die USA bislang wenigstens die Teilnahme des früheren spanischen Außenministers Alvarez del Vayo verhindert hätten. Auch drängte Ernst Reuter auf Aktivitäten des CCF. Vgl. ferner Rundschreiben von Günther Birkenfeld an die Mitglieder der deutschen Exekutive vom 25.11.1952, BA Koblenz, NL 160 (Pechel UÍ), Bd. 99, in dem es um eine vom CCF verdeckt mitgetragene und von Emest
3. Die antikommunistische und antineutralistische Arbeit
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Eine besondere Rolle in den Plänen des deutschen CCF spielte das für Mitte August 1951 in Ostberlta anberaumte „Weltjugendfestival", als dessen Ausrichter zwei kommunistische Frontorganisationen, der „Weltbund der Demokratischen Jugend" und der „Internationale Studentenbund", dienten. Seit 1947 fand das Festival regelmäßig und an wechselnden Schauplätzen statt, die zumeist im Ostblock lagen. Bis zu einem gewissen Grade ergänzte das Weltjugendfestival die offensive Jugendpolitik der SED-Führung, die häufig auch Berlin-Politik war, wie die Pftagsttreffen der FDJ in Ostberlin gezeigt hatten.232 Auch diesmal rechnete man in Westberlin, eingedenk der Befürchtungen vor den FDJ-Treffen 1950 und 1951, als man glaubte, die ostdeutschen Jugendlichen wollten zum Sturm auf Westberlin ansetzen, mit „Provokationen" seitens der 26.000 Teilnehmer aus 111 Ländern. Nun hatte man allerdings im Westen aus den FDJ-Pfingsttreffen gelernt. Augenscheinlich neigten die Jugendlichen eher dazu, in Scharen in den Westen überzulaufen, als umgekehrt eine konkrete Bedrohung Westberlins darzustellen. Entsprechend sollte sich der Westteil der Stadt nicht defensiv präsentieren, sondern weltoffen und auch kulturell anziehend. Auf diese Weise gedachte man die propagandistische Anstrengung des Ostens in eigene Erfolge umzumünzen. Es war nur folgerichtig, daß sich der CCF an diesen Bestrebungen beteiligte. Im Februar 1951 schlug die Hochschulexekutive vor, der CCF solle sich an den Maßnahmen im Umfeld der Welljugendfestspiele aktiv beteiligen. Das Internationale Generalsekretariat stimmte zwar prinzipiell zu, René Lalive d'Epinay betonte jedoch, nur wenn HICOG und das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen die finanzielle Seite übernähmen, würde der CCF handeln. Die Hochschulexekutive hatte damit einen Vorschlag des ACCF aufgenommen, der offenbar großen Wert darauf legte, daß der CCF in irgendeiner Weise bei diesem Anlaß Präsenz zeigen sollte.233 Zu diesem recht frühen Zeitpunkt dachte der CCF noch daran, eine von HICOG und der Bundesregierung finanzierte Großkundgebung abzuhalten. Irgendwann zwischen Anfang Februar und April 1951 konstituierte sich ein vertrauliches Koordinationsgremium der Westberliner Agenturen des Kalten
232
233
Salter organisierte Tour einer jugoslawischen Volkstanzgruppe nach Berlm ging. Vgl. allg zu den Weltjugendfestivals: ERIK Nohara: Festival und Antifestival. Genealogie der Welfjugendfestspiele, in: Der Monat, H. 132 (1959), S. 44-54; speziell zu Berlin: Rolf Schneider: Morgenröte und Muskelkraft. Die Weltfestspiele der Jugend und Studenten, in: Uwe Schulz (Hg): Das Fest. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, München 1988, S. 369-379; s.a. K.U. Merz: Kalter Krieg als antikommunistischer Widerstand, S. 139-
142. Bericht
René Lalive
über die Aktivitäten in Deutschland vom 15.2.1951, Folder 13; vgl. Telegramm des Internationalen Generalsekretariates in Paris an das Berliner Büro vom 11.2.1951, ebda., Box 246, Folder 8; René Lalive d'Epinay an Max Karl Graf Trauttmansdorff vom 19.2.1951, ebda. Zu den Diskussionen in der Hochschulexekutive und im Berliner CCF vgl. Memorandum des Hochschulrings für kulturelle Freiheit vom 4.2.1951, ebda Box 119, Folder 9; Tätigkeitsbericht des Frankfurter Büros vom Februar-März 1951, ebda., Box 119, Folder 5 von
d'Epinay
IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118,
,
356
VI Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Krieges, das, abgestimmt mit dem Berliner Senat und den Westalliierten, die Maßnahmen aus Anlaß des bevorstehenden Weltjugendfestivals vorbereiten sollte. Am 13. April traf man sich, allem Anschein nach bereits zum zweiten Mal, denn das Protokoll der ersten Sitzung fehlt.234 Im Gegensatz zur ersten Sitzung ging man nun davon aus, daß es dem Osten nicht mehr darum zu tun sein konnte, Westberlin gewissermaßen zu überschwemmen und so in den eigenen Kommandobereich einzugliedern. Außerdem ließen die Westmächte verlauten, sie wünschten keine großangelegte, aber im Grunde defensive Kundgebung, sondern Westberlin solle sich als normale, lebendige und westliche Großstadt präsentieren. Interessanterweise war es Carl-Heinz Evers, dem die Aufgabe zufiel, den Standpunkt der drei Mächte zu erläutern, wohl weil er als Mitglied der Hochschulexekutive von Beginn an engen Kontakt zu den Alliierten gehalten hatte. Niemandem war eingefallen, Trauttmansdorff davon in Kenntnis zu setzen, woraufhin dieser durchgehend traditionsorientiert für eine Kundgebung klassischen Zuschnitts argumentierte. Indem er die einmal eingeschlagene Linie beibehielt, weigerte sich der CCF überdies, irgendeine der geplanten Maßnahmen zu bezahlen. Bestenfalls war man bereit, Redner aus dem Pool des internationalen CCF abzustellen, mit deren Hilfe die Diskussionsforen und Vortragsrunden im „normalen" Westberlin gestaltet werden konnten. Im wesentlichen wurde das Konzept locker gefügter Kultur- und Unterhaltungsangebote im August 1951 auch realisiert.235 Dennoch verzichtete man nicht ganz auf Großkundgebungen. Am 9. August sprachen Vertreter der osteuropäischen Emigration, Ernst Reuter und Margarethe Buber-Neumann im Titania-Palast über „Freiheit für Osteuropa"; am 15. August luden dann CCF, KgU und Europa-Union zu einer weiteren Kundgebung am selben Ort ein, die unter dem Titel „Freundschaft mit den Völkern hinter dem eisernen Vorhang" stand. Neben Ernst Tillich und Rainer Hildebrandt von der KgU sowie Grigorij Klimow für die osteuropäischen Emigranten, sprachen Josef Czapski und Günther Birkenfeld für den CCF.236 Die Zielgruppe der beiden Kundgebungen waren also weniger die Jugendlichen aus der DDR als vornehmlich osteuropäische Jugendliche, die man ansonsten propagandistisch nur schwer ansprechen 234
235 236
Protokoll der Besprechung vom 13.4.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 3.
Anwesend waren Rainer Hildebrandt für die KgU, ein Herr Blessing für die Europa-Union, Ernest Salter für die „Neue Zeitung" sowie, wohl als Vertreter der Bundesregierung und des Westberliner Senats Frau Heise, Frau Dr. Panzer und Herr Thiele. Der CCF war mit Trauttmansdorff, Birkenfeld, von Caprivi, Dr. Große für die beiden Büros, Evers für die Hochschulexekutive und Joachim Leithäuser für „Monat" und „Kontakte" bemerkenswert gut vertreten. Vgl. allerdings Kontakte 3 (1951/51), S. 2f. und Kontakte 4 (1951/52), S. 6f. In den Reden wurden überwiegend antitotalitäre Werte beschworen, und besonders Tillich beharrte darauf, daß die Weltjugendfestspiele der größte Mißerfolg der Kommunisten seit 1945 seien, da so viele Jugendliche den Weg in den freien Westen gefunden hätten, vgl. Redemanuskripte der Kundgebung im Titania-Palst vom 15.8.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 12.
3. Die antikommunistische und antineutralistische Arbeit
357
konnte.
Insgesamt engagierte sich der CCF bei den Veranstaltungen rund um das Weltjugendfestival mit dreizehn Rednern und war schließlich sogar bereit, einen finanziellen Sonderbeitrag von DM 5.000,- an des Berliner Büro zu überweisen.237 In den Augen des CCF erwiesen sich die Weltjugendfestspiele eher als eigener Erfolg, denn als der der Kommunisten. Nach CCF-Schätzungen sollen im Verlauf des Festivals über eine Million junger Menschen die Chance genutzt haben, einmal Westberlin zu besuchen und an den Gegenveranstaltungen teilzunehmen.238 Allerdings war mit diesem Erfolg auch das Ende sowohl von Birkenfelds Konzept der vielfältigen Zusammenarbeit unter den diversen Agenturen als auch die „Spinne im Netz"-Theorie Trauttmansdorffs bezeichnet. Dabei handelte es sich wiederum weniger um programmatische Konflikte oder um eine theoretisch abgesicherte und gewollte Distanz von Seiten des CCF, sondern einfach um einen Streit über das Finanzgebaren während der Weltjugendfestspiele, der dazu führte, daß sich mit CCF und KgU zwei der bedeutendsten Agenturen des Kalten Krieges zerstritten.239 Es wäre zudem falsch zu sagen, daß der CCF überhaupt nicht mehr mit der KgU oder anderen Organisationen zusammengearbeitet hätte, doch seit Herbst 1951 kam es zu einer deutlichen Entfremdung, die alle auf intimer Zusammenarbeit beruhenden Konzeptionen obsolet machte. Birkenfeld und Tillich entzweiten sich über nachträglich entstandene Kosten der Gegenveranstaltungen zum Weltjugendfestival, die anfangs „Radio Free Europe" (RFE) hatte übernehmen wollen. Als RFE nicht zahlte, wollte Tillich sie dem CCF in Rechnung stellen, was Birkenfeld und Paris sofort ablehnten.240 Das finanziell begründete Zerwürfnis mit Tillich nahm Birkenfeld dann zum Anlaß, der KgU allgemein und Tillich im besondedie Nähe
„faschistischen" Kreisen vorzuwerfen.241 Bei diesen „Faschisich um Angehörige der exilrassischen Solidaristen (NTS) gehandelt haben, die bis zu diesem Zeitpunkt auch bei Lasky Unterstützung fanden. Der CCF und Lasky beendeten im Herbst 1951 ihre Kontakte zur NTS und zu einigen Exiltschechen, denen man gleichfalls faschistische Tendenzen ren
sten" dürfte
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241
zu
es
Pierre Bolomey an Günther Birkenfeld vom 2.8.1951, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 119, Folder 2. Günther Birkenfeld an François Bondy vom 20.8.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119,
Folder 2. Die seit 1952 mit dem Aufstieg Rainer Hildebrands in der KgU erkennbare Radikalisierung dieser Organisation spielte bestenfalls eme Nebenrolle und wurde erst später zur nachträglichen Rationalisierung des faktisch bereits erkennbaren Bruchs eingesetzt. Zur Entwicklung der KgU vgl. K.U. Merz: Kalter Krieg als antikommunistischer Widerstand, S. 179f Es handelte sich um insgesamt DM 5.710,32, von denen das Westberliner Jugendbüro DM 1.500,- zu übernehmen bereit war, vgl. Emst Tillich an Günther Birkenfeld vom 1.10.1951, IACF/CCF-Archiv, Series U, Box 119, Folder 1 ; vgl. a. Günther Birkenfeld an Nicolas Nabokov vom 3.10.1951, ebda. Günther Birkenfeld an Nicolas Nabokov vom 3.10.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 1.
358
VI. Die deutsche Sektion des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
vorwarf242 Vergleichbar enge Beziehungen wie
gegeben.
zur
KgU hat es zum UfJ nie
Vornehmlich an der Schnittstelle zwischen CCF und KgU zerriß das Netzwerk der Agenturen, erlitt der Apparat des Kalten Krieges einen unheilbaren Bruch an einem entscheidenden Punkt. Organisatorische Defizite, persönliche Unzulänglichkeiten waren in erster Linie, unterschiedliche weltanschauliche Schwerpunkte und inkompatible Ansichten über künftige Aktionen in zweiter Linie dafür verantwortlich. Strebte die KgU in der Folge mehr und mehr nach direkter Aktion gegen den Osten, so wandte sich der deutsche CCF überwiegend seiner „re-orientation"-Aufgabe zu, ehe er zerfiel. Tillich zog sich aus dem CCF zurück, so wie Birkenfeld der KgU den Rücken kehrte. Die antikommunistische und antineutralistische Arbeit des deutschen CCF war zu keinem Zeitpunkt sonderlich originell. Sie bewegte sich durchgehend im Rahmen des antitotalitär-antikommunistischen Grundkonsenses der auf Konformität aufgebauten gesellschaftlichen Realitäten in den westlichen Staaten der frühen fünfziger Jahre. Weder war die antikommunistische Propaganda des CCF inhaldich anspruchsvoller als die anderer Organisationen oder Behörden, noch war sie sachlicher oder ausgewogener. Bestenfalls kann man sagen, daß der deutsche CCF bemüht war, gelegentlich mäßigend zu wirken, wie beispielsweise der Konflikt mit dem „Tagesspiegel" im Oktober 1951 belegt. Der hatte nämlich kritisiert, daß die Berliner Sektion des CCF dem bei „Le Monde" tätigen Georges Pechenier Gelegenheit gegeben hatte, neutralistische Ansichten vorzutragen.243 Hier zeigt sich erneut, daß die deutsche CCF-Sektion dem radikalen Antikommunismus der Zeit eher skeptisch gegenüberstand. Nur zwei Punkte erscheinen einigermaßen von Belang: Der CCF vertrat ein Konzept antitotalitärer Westlichkeit, das zwar eng mit politischer, ökonomischer und kulturell-ideeller Westorientierung verbunden war, vor allem mit der Abkehr von als traditionell „deutsch" verstandenen Werthaltungen. Doch zu keinem Zeitpunkt bedeutete dies eine notwendige Akzeptanz der militärischen 242
243
David J. Daliin an Melvin J. Lasky vom 25.9.1951, UoC-Archiv, „Der Monat"-Records, Box 11, Folder 8, mit der Warnung vor der NTS, die undemokratisch, reaktionär, ineffizient und insgesamt ein großer Schwindel sei. Vgl. die nur wenig zurückhaltendere zeitgenössische Einschätzung Hans von Rimschas, der den „Idealrealismus", die Ideologie der NTS, als rückwärtsgewandt und christlich-autoritär einstufte, weswegen sie von den US-Behörden (mit Ausnahme der CIA) skeptisch betrachtet wurde: Hans von Rimscha: Die Entwicklung der rußländischen Emigration nach dem Zweiten Weltkrieg, 2. Teil, in: Europa-Archiv 7 (1952), S. 5319-5332, s.bes. S. 5323ff. Bei den Tschechen handelte es sich um Angehörige der Prchala-Gruppe, die zeitweise Kontakt zu Reuter gefunden hatte: Günther Birkenfeld an Francois Bondy vom 24.9.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 1. Bondy hielt die Angelegenheit jedoch für rein von lokalem Interesse: Francois Bondy an Günther Birkenfeld vom 26.10.1951, ebda. Tagesspiegel vom 31.10.1951 ; in Kontakte 6(1951 /52), S. 4, erwiderte Birkenfeld, man müsse wenigstens berücksichtigen, daß Pechenier ein freier Journalist sei und kein kommunistischer Agent. Da viele Franzosen so dächten wie er, sei es wichtig, seine Meinung zur Kenntnis zu nehmen.
3 Die antikommunistische und antineutralistische Arbeit
359
Westintegration der Bundesrepublik in die NATO. Gleichwohl war die Tätigkeit des CCF in Deutschland niemals NATO-kritisch. Antineutralismus bezog sich auf die Wertebene, auf weltanschauliche und kulturelle Aspekte, war aber nicht identisch mit Adenauers Konzept der auch militärischen Westintegration als Vehikel westdeutscher Souveränitätsansprüche. Carlo Schmid vermochte dementsprechend unbedenklich an pazifistischen Überzeugungen festzuhalten, solange er nur für reformsozialdemokratische Perspektiven und die europäische Einigung eintrat. Ähnliches galt für Alfred Webers klare Unterscheidung zwischen Westintegration, die er befürwortete, und Wiederbewaffnung, die er ablehnte, oder für Carl J. Friedrich, der gegenüber Weber bemerkte, wenn schon eine deutsche Armee, dann in einem gesamteuropäischen Verbund.244 Obgleich Weber und C.J. Friedrich eher am Rande des CCF standen, waren ihre Ansichten keinesfalls untypisch. Zu keinem Zeitpunkt setzten sich deut-
scher oder internationaler CCF konkret für den EVG- oder NATO-Beitritt der Bundesrepublik ein. Die zweite Besonderheit lag in der dem CCF eigenen kulturellen Ausrichtung der eigenen Arbeit. Nachdem sich Paris vom radikalen Antikommunismus gelöst hatte, gelang es auch der deutschen Sektion, kulturelle, insbesondere hochkulturelle Aspekte im Konflikt mit dem Kommunismus stärker zu betonen. Anstelle der oft eindimensionalen Pamphlete und Broschüren mit ihrer manchmal recht simplen Argumentationstechnik, die agitatorische Elemente kommunistischer Überzeugungsstrategien kopierte, suchte man nun verstärkt die literarische, niveauvollere Auseinandersetzung. Als Beispiele mögen die beiden Anthologien „In Tyrannos"245 und „Freier Geist zwischen Oder und Elbe"246 dienen, die 1952 und 1953 erschienen.
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246
Gemeinsam mit Alexander Mitscherlich gehörte Weber später zu den Unterzeichnern des „Heidelberger Aufstandes" und des „Göttinger Aufrufes" von 1958 gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr, entgegen der Behauptung des SPD-Parteivorstandes lehnte er jedoch politische Streiks in diesem Zusammenhang ab, vgl. ansonsten Alfred Weber an Fritz René
Allemann vom 11.6.1952 und Carl J. Friedrich an Alfred Weber vom 4.3.1951, BA Koblenz, NL 197 (A. Weber), Bd. 9. An der Anthologie wirkten Albrecht Haushofer, Rudolf Hagelstange, Hermann Kasack, HeinzWinfried Sabais und andere aus Ostdeutschland geflüchtete Autoren mit, vgl. Karl Rauch an Günther Birkenfeld vom 4.2.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119,Folder 10. Günther Birkenfeld an Dr. Schüler (Montana-Verlag) vom 12.5.1953, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 99.
360
VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
4. Der deutsche CCF im Dienste der „re-orientation"
Proprium der deutschen CCF-Arbeit lag in der gerade von den Mitgliedern der deutschen Exekutive betont und engagiert vorgetragenen Akzeptanz von Anliegen der „re-orientation". Spätestens seit 1952, also nachdem die radikalantikommunistische Dominanz in den Leitungsgremien des internationalen Kongresses abgeklungen war, fand diese Konzeption auch vermehrt Rückhalt im Pariser Generalsekretariat.247 Selbst in der Phase des moralisch legitimierten Antikommunismus hielt die überwiegende Mehrheit der Mitglieder der deutschen Exekutive daran fest, daß es die zentrale Aufgabe des Kongresses in Deutschland sein müsse, sich mit den Folgen der unmittelbaren deutschen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Dies spielte sich dann in drei Bereichen ab, von denen die ersten beiden recht eng miteinander verknüpft und sozusagen substantiell waren, während dem dritten eine eher akzidentielle Funktion zufiel: Wesentlich waren dezidiert gegen den Neonazismus in der Bundesrepublik gerichtete Aktionen, wobei der sogenannten „Guten Bande" eine herausragende und eigens zu behandelnde Rolle zukam. Dies war wiederum verbunden mit dem Bestreben, die Zusammenarbeit und den Dialog zwischen Juden und Deutschen zu fördern und zugleich einem neuen Antisemitismus vorzubeugen oder ihn zu bekämpfen. Der dritte Bereich der „re-orientation"-Tätigkeit des deutschen CCF könnte mit der Abwehr „restaurativer" Tendenzen beschrieben werden, wäre dieser Begriff nicht bis hin zur Unbrauchbarkeit polemisch schillernd. Konkret handelte es sich um die Abwehr angeblich klerikalisierender Strömungen in der frühen Bundesrepublik, ein Anliegen, welches vornehmlich und durchaus parteitaktisch motiviert Carlo Schmid pflegte. Die „antifaschistischen" Aktivitäten des deutschen CCF mochten tief im liberaldemokratisch-antitotalitären Selbstverständnis der deutschen Exekutivmitglieder begründet sein, die ersten Anstöße aber kamen von außen und zwar vom „Monat" und besonders von Melvin Lasky. Sie waren also tatsächlich direkte Folgen des US-amerikanischen „re-orientation"-Programs. Dies kann auch auf den Bereich der deutsch-jüdischen Zusammenarbeit übertragen werden, wo wesentliche Impulse von dem Emigranten Norbert Mühlen ausDas
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gingen.
Der Konflikt um zwei Personen, gleichsam intellektuelle Relikte der nationalsozialistischen Zeit, wurde zum Auslöser für das Engagement erst Laskys und danach der deutschen Exekutive und der beiden deutschen CCF-Büros: Es handelte sich um Werner Krauss und Veit Harlan. Anfang 1951, wenige Monate nach dem „Kongreß für kulturelle Freiheit", war Werner Krauss, von Ernst 247
Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 31.5.1952, S. 4, IACF/CCFArchiv, Series H, Box 3, Folder 1, wo Nabokov erklärte, m Deutschland seien Neonazismus und Antisemitismus Hauptgegner des CCF.
4. Der deutsche CCF im Dienste der „re-orientation"
361
Reuter eingeladen, in Westberlin erstmals seit Kriegsende wieder aufgetreten. Noch im Verlauf des ersten Auftrittes jenes Schauspielers, der durch die Darstellung im „Jud Süß" zu einigem Ruhm gelangt war, kam es zu tumultuarischen Protesten vor und in dem Theater. Studenten der Technischen Universität mußten mit einem Polizeikordon davon abgehalten werden, das Innere des Theaters zu stürmen, wobei die Berliner Polizei mit enormer Härte gegen die Demonstranten vorging. Die Vorstellung wurde dann tatsächlich abgebrochen, was Lasky im Theater vor den aufgebrachten Besuchern zu rechtfertigen suchte. Daraufhin wurde er beschimpft und niedergeschrien.248 Zwischen Reuter und Lasky entspann sich ein ernsthaftes Zerwürfnis, das einzige übrigens in ihrer mitunter sehr engen Zusammenarbeit. Reuter weigerte sich, sich gegenüber den von der Polizei verletzten Studenten oder dem Leiter der Jüdischen Gemeinde Berlins, Heinz Galinski, zu entschuldigen, und beharrte darauf, daß die Einladung an Krauss vertretbar gewesen sei.249 Er sei nicht berechtigt, sich als Richter aufzuspielen, wenn maßgebliche Antifaschisten außerhalb Berlins wieder mit Krauss zusammenarbeiten würden.250 Die Konstellation war insofern für Reuter günstig, als nicht nur relativ viele Berliner, wie das Verhalten der Theaterbesucher belegte, Tendenzen zu einer gewissen „Schlußstrich"-Mentalität zeigten, sondern Krauss zudem mit zwei überaus beliebten Kolleginnen auftrat, von denen eine, Helene Thimig, 1937 in die USA emigiert war, während die andere, Käthe Dorsch, in der Nazizeit bedrängten Kollegen geholfen hatte und zudem noch schwerkrank war. Die Umstände von Krauss' Auftritt waren daher für Proteste wegen seiner Rolle im Dritten Reich nicht gerade günstig. Lasky ließ sich aber von prinzipiellen Erwägungen leiten. Zum einen war in seinen Augen Berlin von herausragender Bedeutung, und zwar weniger strategisch denn moralisch. Aus dem Blockadebonus von 1948/49 erwuchs eine Verpflichtung der Berliner zu besonders demokratischem Verhalten; das meinte zusätzlich einen klar akzentuierten Umgang mit der deutschen Vergangenheit. Was in Köln, München oder Wien erlaubt sein mochte, war für Lasky in Berlin ein Ding der Unmöglichkeit. Zum anderen stellte der Krauss-Zwischenfall für ihn eine Art Test dar, wie demokratiefähig die Westberliner Obrigkeit war, vor 248
249 250
Im Vorfeld hatten Friedrich Luft und Emst Tillich am 9. und 10.12.1950 den Autritt von Krauss im RIAS kritisch kommentiert. Vgl.a. Neue Zeitung vom 7.11.1950 und vom 8.12.1950, die nicht minder kritisch war Das zeigt, daß die HICOG-Stellen offenbar schon vorab mit dem Gedanken an einen Auftritt von Krauss wenig anzufangen vermochten. S. ferner Melvin J. Lasky an Emst Reuter vom 12.12.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 4, Folder 7; Annelene von Capnvi an Norbert Mühlen vom 22.12.1950, NL Mühlen, Box 18. Die Reaktion der kommunistischen Presse war von nationalen Untertönen geprägt. Die National-Zeitung vom 10.12.1950 kommentierte weniger die antisemitischen Implikationen des Vorfalls, sondern erging sich darin, mit einiger Häme zu schildern, wie der Amerikaner Lasky unter dem Applaus der deutschen Zuschauer abgeführt worden sei. Der Kuriervom 13.12.1950. Berliner Sozialdemokrat vom 13.12.1950.
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VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
allem im Umgang mit protestierenden Demonstranten. In seinem Brief an Reuter wies er ausdrücklich auf das Recht US-amerikanischer Bürger auf freie Demonstrationen hin, die zuletzt mit Hilfe demokratischen Protestes Auf-
führungen Wilhelm Furtwänglers verhindert hätten.251 Erbost stellte Lasky fest, die „heroischen Tage" Berlins seien vorüber, allenthalben stelle sich die „Restauration" ein, Nazismus und Antisemitismus griffen wieder um sich.252 Seine Ansichten sollten nur allzubald bestätigt werden. In der deutschen Presse kam es zu heftigen Ausbrüchen gegen Lasky, die teilweise mit den sonderlichsten Verschwörungstheorien gemischt wurden. So glaubte man, eine Konspiration von Juden, „displaced persons" und Amerikanern feststellen zu müssen.253 In Berliner sozialdemokratischen Kreisen ging das Gerücht um, die Amerikaner wollten Reuters Position destabilisieren,254 was wenig wahrscheinlich ist, da ausgerechnet der amerikakritische Kurt Schumacher sich gegen, der proamerikanische Reuter sich aber für den Auftritt von Krauss ausgesprochen hatte.255
Im Grunde ging es bei dem kurzen, aber nichtsdestoweniger heftigen Streit zwischen Reuter und Lasky um die Frage, wie man, fünf Jahre nach Kriegsende, mit der deutschen Vergangenheit umzugehen habe. Im Ergebnis ähnelten die Standpunkte jenen, die internationaler und deutscher CCF später im Fall Trauttmansdorff einnehmen sollten. Obwohl Lasky zu den Vorkämpfern einer auf pragmatisch-optimistischer, fortschrittsbetonter anthropologischer Grundlage ruhenden Aussöhnung mit den Deutschen gehörte, hielt er unverdrossen an idealistischen Anforderungen in bezug auf die deutsche Vergangenheit fest, während Reuter, auch kein Anhänger der „Schlußstrich"-Mentalität, ähnlich abwehrend reagierte wie die Mitglieder der deutschen Exekutive ein halbes Jahr später. Es gab also eine signifikante Differenz und ein unterschiedliches Wahrnehmungsvermögen hinsichtlich der deutschen Vergangenheitsbewältigung zwischen Deutschen und US-Amerikanern, selbst wenn beide Seiten von einem auf baldige Reintegration der Deutschen zielenden gemeinsamen Rahmen aus dachten. Rasch schaltete sich auch das Berliner CCF-Büro in die Ereignisse ein. Wie stets beobachtete Annelene von Caprivi die Reaktionen in der Berliner Sozialdemokratie; Günther Birkenfeld verwandte sich offiziell namens des Kongresses für an der Demonstration beteiligte TU-Studenten, die sich nun von
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252
Laskys Beispiel entbehrt nicht einer gewissen Ironie, war es doch sein Freund Michael Josselson, der dafür gesorgt hatte, daß Furtwängler entnazifiziert worden war. Melvin J. Lasky an Emst Reuter vom 12.12.1950, UoC-Archiv, „Der Monat"-Records, Box 4, Folder 7.
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255
Hamburger Freie Presse vom 11.121950. Annelene von Caprivi an Melvm J. Lasky vom 13.12.1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records,
Box 16, Folder 2. Der Tag vom 12.12.1950.
4. Der deutsche CCF im Dienste der „re-orientation"
363
Relegation und anderen Disziplinarmaßnahmen bedroht sahen.256 Gleichzeitig begann der deutsche CCF damit, bundesweit Studenten bei ihren Protestaktionen gegen die Aufführung von Filmen Veit Harlans zu unterstützen,257 was mit dem kaum unerwünschten Seiteneffekt verbunden war, auf diese Weise
potentiell neue Mitglieder für die „Jungen Gruppen", die CCF-Jugendorganisation, zu finden. Dies alles rief allerdings erst einmal den Unwillen der Pariser Zentrale hervor. In dem gleichen Brief, in welchem er auch die PEN-Aktivitäten Birkenfelds kritisiert hatte, rief Bondy Lasky ins Gedächtnis, daß es dem Berliner Büro nicht zukäme, sich mit anderen Dingen als der Beobachtung des Ostens zu beschäftigen, solange dies von Paris nicht ausdrücklich gebilligt worden sei. Jede Nebentätigkeit sei deswegen unverzüglich einzustellen.258
Damit waren die Themen Antisemitismus und Neonazismus für den deutschen CCF allerdings keineswegs abgetan. Es bedurfte nur ein wenig Zeit, ehe man, nun mit Zustimmung der Pariser Zentrale, daranging, beide Komplexe erneut aufzugreifen. Insbesondere die „Kontakte" wurden zum Ort der Auseinandersetzung mit dem Phänomen. Birkenfeld und sein Mitarbeiter Adolf Volbracht beschäftigten sich ebenso mit nationalistischen Tendenzen259 und der Zeitschrift „Nation Europa"260 wie mit der von den Traditionsverbänden von Wehrmacht und SS261 ausgehenden Gefahr für die freiheitliche Grundordnung der Bundesrepublik. Vor allem aber verlangten die „Kontakte" ein entschiedenes Vorgehen der westdeutschen Staatsanwaltschaften gegen nationalsozialistische Umtriebe im literarischen Bereich. Mit dieser Forderung trat Birkenfeld, ansonsten ein scharfer Gegnerjeder Form von Zensur, auch vor die Tagung des Deutschen Schriftstellerverbandes.262 Überhaupt widmete der CCF rechtsextremen und neofaschistischen Strömungen in der westdeutschen Literatur sein besonderes Augenmerk, vornehmlich dem „Volk ohne Raum"-Schriftsteller
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Günther Birkenfeld an Prof. Walter Pflaum (Rektor der TU Berlin) vom 26.1.1951, UoC-Archiv,
„Der Monaf'-Records, Box 11, Folder 3. 257
In diese Zeit reichte auch die Zusammenarbeit mit Erich Lüth zurück: Melvin J. Lasky an François Bondy vom 6.1.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 11, Folder 3; die Proteste gegen Harlan wurden noch lange vom CCF unterstützt, vgl. Rundschreiben von Günther Birkenfeld an die Mitglieder der deutschen Exekutive vom 4.2.1952, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100. Es handelte sich u.a. um die Unterstützung des Studenten Horst Rauthe vom „Ring freier Studenten" (RfS), der in Göttingen die Aufführung eines Veit-Harlan-Filmes
258
Francois Bondy an Melvin J. Lasky vom 15.1.1951, IACF/CCF-Archiv,
verhindert hatte.
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Series II, Box 246, Folder 10. Kontakte 8 (1951/52), S. If, wo der westeuropäische Nationalismus genauso attackiert wurde wie der osteuropäische, der kein Verbündeter gegen den Kommunismus sein dürfe, weil jeder Nationalismus automatisch in den Krieg führe Hier deutete sich bereits die Abkehr z.B. von der
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NTS an. Kontakte 3 ( 1953), H. 2, S. 9f. Kontakte 7 ( 1951 /52), S. 6-10; vgl. Kontakte 8 ( 1951 /52), S. 12 mit Querverweis auf parallele Artikel in Kogons „Frankfurter Heften".
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Kontakte
12/13(1952), S. 20.
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VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
„Lippoldsberger Kreis".263 Besorgt registrierte man in der Redaktion der „Kontakte", wie ausgiebig in der westdeutschen Literatm schon wieder antiwestliches Gedankengut thematisiert werden konnte. Derart alarmiert, reagierte der deutsche CCF mit einer mehrgleisigen Strategie: Seit September 1951 planten Berliner CCF-Büro und die „Kontakte"-Redaktion eine umfassende, analytische und dokumentarische Broschüre über den Neonazismus in der Bundesrepublik.264 Unter Federführung von Adolf Volbracht wurde daraus jedoch eher eine Zitatensammlung, mit der man weder in Berlin noch in Paris vollends zufrieden sein konnte, da die eigentlich analytische Destruktion nationalsozialistischer Ideologeme fehlte. Dennoch wurde die Broschüre, sehr zum Verdruß Bondys, in dieser Form an die deutschen Zeitungs- und Rundfünkredaktionen verschickt, um so auf die vom Rechtsextremismus ausgehenden Gefahren für den westdeutschen Literatmbetrieb aufmerksam zu machen.265 Gleichzeitig plante der CCF, über Rudolf Pechel den Kabarettisten Werner Fink zu unterstützen, der sich, als bekannter Gegner des Nationalsozialismus, in seinen Programmen häufig mit der Gefahr des Neonazismus in der Bundesrepublik beschäftigte. Dieses Vorhaben scheiterte indes an den finanziellen Möglichkeiten des CCF.266 Zwei weitere öffentlichkeitswirksamere Aktionen plante die deutsche CCFSektion. So regte Carlo Schmid ein öffentliches Gespräch mit einstigen Nationalsozialisten an, das aber nie stattfand.267 Das andere intellektuell-politische Projekt dieser Art vollzog sich in einem breiteren Rahmen. Bereits seit Ende 1951 hatte der Kölner Bahnhofsbuchhändler Gerhard Ludwig, auf den die seinerzeit nicht nur regional bedeutenden kulturell-politischen „Mittwochsgespräche" in Köln zurückgingen, Kontakt mit Carlo Schmid und dem Hans Grimm und dem
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Vgl. D. Lattmann/H. Vormweg (Hg): Literatur, Bd. 1, S. 17; Kontakte 3 (1951/52), S. 4. Birkenfeld lehnte den Ausdruck „Neofaschismus" ab, da es im Grunde nichts Neues, sondern nur den Abklatsch alter Ideologien in diesem Bereich gebe. S.a. Jasper Petersen an Francois Bondy vom 26.7.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 125, Folder 10; François Bondy an Jasper Petersen vom 24.3.1952, ebda. Petersen und Bondy planten eine Dokumentation über den „Lippoldsberger Kreis". Günther Birkenfeld an Francois Bondy vom 26.9.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 1. Adolf Volbracht: Neofaschistische Tendenzen in der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur und Presse, Berlin 1951, in: IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 126, Folder 4; vgl. Kontakte 8 (1951/52), S. 8-10, mit einer ausgiebigen Kritik am Topos von Deutschlands „abendländischer Mission" Ferner wurden Hans Grimm, Will Vesper, Ernst von Salomon, Bruno Brehm und Hans-Friedrich Blunck wegen nationalistischer oder neonazistischer Ansichten angegriffen. Jasper Petersen an François Bondy vom 2.4.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 125, Folder 10. Carlo Schmid an Rudolf Pechel vom 31.3.1952, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100. Schmid wollte mit diesem Gespräch eine Großkundgebung des CCF gegen den Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik vorbereiten, um sichere psychologische, soziologische und politische Kenntnisse über die Ursachen des Rechtsradikalismus zu gewinnen, die bislang wissenschaftlich noch nicht hinreichend aufgearbeitet seien. Vgl. Rudolf Pechel an Jasper Petersen vom 7.4.1951, ebda, und den Tätigkeitsbericht des Stuttgarter Büros vom 1.2.-15.7.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 126, Folder 3.
4. Der deutsche CCF im Dienste der „re-orientation"
365
deutschen CCF aufgenommen. Er strebte eine enge Zusammenarbeit im beiderseitien Interesse an. Ludwig konnte über den CCF interessante und prominente Gesprächspartner für seine Diskussionsrunden gewinnen, und der
CCF fand ein medienträchtiges Forum für die eigene Weltanschauung.268 Es entwickelte sich aus dieser Anfrage eine überaus intensive Verbindung, die dazu führte, daß der CCF einen nicht unerheblichen Teil von Ludwigs Veranstaltungen organisatorisch und konzeptionell betreute, indem er die wichtigsten Diskussionsteilnehmer stellte oder selbst Themen vorschlug. Intern sprach Birkenfeld sogar einmal von „unserem Mittwochsgespräch".269 Inhaltlich standen dabei nie nur antineonazistische Themen im Vordergrund, sondern das ganze Spektrum kulturell und politisch interessanter Fragen, etwa zur kulturellen Gestalt eines wiedervereinigten Deutschlands oder zur Entfremdung zwischen Westberlin und Westdeutschland oder einfach zu literarischen Themen. Auch antikommunistische Aspekte kamen vor, wie zum Beispiel eine Diskussion von CCF-Vertretern mit Johannes R. Becher und Arnold Zweig, was von Schmid aber abgelehnt wurde, obgleich Ludwig die Veranstaltung im geschlossenen Kreis dmchführen wollte.270 Im November 1952 kamen dann Schmid und Petersen auf eine neue Idee. Man wollte Hans Grimm nach Köln einladen, um ihn dann in der Diskussion bloßzustellen.271 Der Plan wurde erst einmal zurückgestellt, dann aber wieder aufgenommen, als sich Rüdiger Proske bereit gefunden hatte, in der angestrebten Diskussion den Part des CCF-Vertreters zu übernehmen.272 Zu diesem Zeitpunkt war die CCF-Krise in Deutschland aber schon soweit vorangeschritten, daß an eine wirklich organisierte Arbeit kaum noch zu denken war. Außerdem stand Petersen dicht vor der Entlassung. Hinzu kamen Bedenken Josselsons, Nabokovs und Bondys, die die gesamte Aktion für intellektuell ein wenig schlicht hielten und folgerichtig dem deutschen CCF die notwendige finanzielle Unterstützung verweigerten, woraufhin die Veranstaltung nicht
268
269
270 271 272
Gerhard Ludwig an Carlo Schmid vom 25.10.1951, NL Schmid, AdsD, Bd 558; Gerhard Ludwig an Carlo Schmid vom 23.11.1951, ebda.; s.a. Gerhard Ludwig an Carlo Schmid vom
14.1.1953, ebda. Günther Birkenfeld an das Internationale Generalsekretariat vom 15.10.1952, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 122, Folder 3. Sehr zum Arger Michael Josselsons neigte Ludwig aber dazu, die Beteiligung des CCF bei den Programmankündigungen unter den Tisch fallen zu lassen: Jasper Petersen an Michael Josselson vom 12.11.1952, ebda., Box 125, Folder 10. Gerhard Ludwig an Carlo Schmid vom 23.12.1952 und Carlo Schmid an Gerhard Ludwig vom 5.1.1953, NL Schmid, AdsD, Bd. 558. Jasper Petersen an Francois Bondy vom 28.11.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 125, Folder 10. Vgl. Gerhard Ludwig an Jasper Petersen vom 1.11.1953 und Jasper Petersen an Michael Josselson vom 18.11.1953, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 122, Folder 7. Petersen frohlockte gegenüber Josselson: „Ich fürchte allerdings, daß Grimm Selbstmord begehen wird, wenn er erfährt, wer sein Begräbnis I. Klasse finanziert hat." Arbeitsbericht des Stuttgarter Büros vom 1.1.-31.3.1953, ebda., Box 125, Folder 11. Neben Proske sollte wohl Bondy für den CCF
sprechen.
366
VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
zustande kam.273 Weitaus effektiver als der deutsche CCF, dem doch vieles mißlang, arbeitete die Berliner CCF-Gruppe gegen rechtsextreme Umtriebe. Dies ist insofern kein
Zufall, als die Berliner insgesamt den bestorganisierten Bestandteil der deutschen Sektion abgaben. Überdies gab es in Berlin ständige konkrete Unterstützung von weiteren Stellen, die allesamt dem CCF eng verbunden waren und
ideologisch am gleichen Strang zogen. So bildete sich seit dem Frühjahr 1951 in Westberlin eine Gruppe, die ihren Ausgang aus Laskys und Birkenfelds Aktionen gegen Werner Krauss und Veit Harlan274 nahm: die „Gute Bande", die ihren organisatorischen Kern in den Redaktionen von „Monat", „Kontakten", der „Neuen Zeitung" und des RIAS hatte. Als Organisator tat sich an der Seite Birkenfelds vor allem Hans Schwab-Felisch275, damals noch bei der „Neuen Zeitung" beschäftigt, hervor. Die Haupttätigkeit der anfangs konspirativ arbeitenden „Guten Bande" fiel in das Jahr 1952. Gemeinsam mit einigen Studenten der FU Berlin waren rund 15 Personen damit beschäftigt, extremistische Parteien und Gruppierungen in Westberlin, darunter vornehmlich solche des rechtsradikalen Spektrums, zu observieren.276 Insgesamt führte die „Gute Bande" 18 Aktionen durch, zusätzlich betätigte man sich als Saalordner bei Vorträgen antitotalitärer Autoren wie Margarethe Buber-Neumann. Außer Birkenfeld und Schwab-Felisch gehörten Richard Löwenthals Bruder Gerhard Löwenthal vom RIAS und Adolf Volbracht von den „Kontakten" zum Führungspersonal der „Guten Bande".277 Wieder einmal meldete Paris Bedenken an. Birkenfelds umtriebiger Aktionismus entsprach nicht ganz Nabokovs und Josselsons Bild vom CCF als elitärer Intellektuellenorganisation. Im September 1952, als erkennbar wurde, daß die „Gute Bande" keine vorübergehende Erscheinung bleiben und sich verstärkt auch gewalttätigem Vorgehen gegen Radikale in Westberlin widmen würde, verlangte das Internationale Sekretariat, alle bestehenden institutionellen Bindungen zwischen CCF und „Guter Bande" zu kappen; ein Befehl, dem Birkenfeld im Oktober 1952 nachkam. Dabei war die Pariser CCF-Zentrale keineswegs generell gegen antifaschistische Aktivitäten der deutschen 273 274 275
276
277
Michael Josselson an Jasper Petersen vom 6.1.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 126, Folder 2 Vgl. Hans Schwab-Felisch: Die Affäre Harlan, in: Der Monat, H. 28 (1951 ), S. 414-422; vgl. femer: Neue Zeitung vom 10.2.1951 ; Die Zeit vom 1.2.1951. Zu Hans Schwab-Felisch, der auch ein enger Mitarbeiter des „Monat" war, s Peter Bender: Ein freier Geist. Hans Schwab-Felisch, in: Merkur 47 (1993), S. 620-623. Tätigkeitsbericht des Berliner Büros für den Monat März 1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 10: U.a. wurden die „Tatgemeinschaft freier Deutscher", die „Ethokratische Gesellschaft" und die „Berliner Opposition" beobachtet bzw. ihre Veranstaltungen gestört, ebenso der Berliner Ableger der SRP und sogar die „Deutsche Partei" sowie die „Konservative Partei', vgl. den Bericht der „Guten Bande" über die „Versammlung der nationalen Opposition" in Berlin vom 19.9.1952, ebda., Box 120, Folder 1. Tätigkeitsbericht des Berliner Büros von Februar-September 1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 1.
4. Der deutsche CCF im Dienste der „re-orientation"
367
CCF-Mitglieder eingestellt, selbst wenn sie die meisten entsprechenden Ansätblockierte. Viel eher ging es im jeweiligen Einzelfall um konkrete Bedenken, sei es wegen des Dominanzanspruches der Pariser, sei es wegen finanzieller Erwägungen, sei es, wie im Fall der „Guten Bande", daß man negative Pressereaktionen auf mögliche Ausschreitungen befürchtet haben mag. Hinzu kam die Ansicht, das Engagement in der „Guten Bande" würde die CCFKulturarbeit in Westberlin beeinträchtigen. Die Separation von „Guter Bande" und Berliner CCF fiel nämlich genau in jene Phase, als der CCF begann, Berlin als „geistiges Zentrum" zu propagieren. ze
Die Einwände des Internationalen Sekretariates waren für Birkenfeld, Schwab-Felisch und ihre Mitstreiter nur noch bedingt relevant. Beginnend mit dem späten Frühjahr 1952 hatten sie mit dem Gedanken gespielt, eine vom CCF unabhängige Organisation zu formen, die dann den Namen „Demokratische Aktion" erhielt. Aufgabe der „Demokratischen Aktion" sollte es sein, analog zum Tätigkeitsfeld der „Guten Bande", den demokratisch legitimierten Parteienstaat gegen alle seine kommunistischer, militaristischer, autoritärer und neofaschistischer Widersacher zu verteidigen.278 Die Organisation sollte entsprechend diesen Planungen von HICOG finanziert werden, was bei CarlHeinz Evers jedoch Bedenken hervorrief, da eine allzu enge Nähe zu den USAmerikanern unter Umständen für die „Demokratischen Aktion" kontraproduktiv sein könne.279 Ohne weitere Rücksicht auf solche Einwände zu nehmen, nutzten die Mitglieder der „Guten Bande" ihre Vorbereitungen und vollzogen, kaum daß Paris die Trennung befohlen hatte, den notwendig gewordenen Schnitt. So entsprach es vollkommen den Tatsachen, als Richard Löwenthal im Januar 1953 gegenüber der Berliner Presse jede organisatorische Nähe zwischen „Demokratischer Aktion" und CCF dementierte. In der Tat war die „Demokratische Aktion" zu diesem Zeitpunkt keine Tarnorganisation des CCF
mehr.280
Der „re-orientation"-Aspekt der deutschen CCF-Arbeit beschränkte sich aber nicht auf die Abwehr potentiell verfassungsfetadlicher Organisationen oder den Versuch, neofaschistischen Tendenzen im bundesdeutschen Kulturbetrieb entgegenzutreten. Ein weiteres Thema war kaum minder bedeutungsvoll für die deutsche Sektion, vielleicht sogar wichtiger als die beiden anderen: die Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden sowie der Kampf gegen den
278 279
280
Entwurf für die Satzung der „Demokratischen Aktion", in: Rundbrief von Adolf Volbracht an die Mitglieder der „Guten Bande" vom 23.5.1952, NL Schmid, AdsD, Bd. 1829. Carl-Heinz Evers an Günther Birkenfeld vom 10.7.1952, NL Schmid, AdsD, Bd. 1829. Evers Brief legt nahe, daß auch die „Gute Bande" von HICOG finanziert wurde. Bezogen auf die „Demokratische Aktion" spricht er fälschlicherweise von der „Republikanischen Aktion". Der Abend vom 27.1.1953 ; Neue Zeitung vom 23.1.1953 ; der Text Löwenthals vom 28.1.1953 findet sich in: IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 2; vgl.a. Günther Birkenfeld an Carlo Schmid vom 28.1.1953, ebda. Die „Demokratische Aktion" verfügte Anfang 1953 nach eigenen Angaben über 300 Aktivisten.
368
VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Antisemitismus in Deutschland.281 Auch hier kam die Anregung von außen, stieß aber, ähnlich wie bei Laskys ersten Aktionen gegen Krauss und Harlan, auf eine bereits vorhandene Disposition der deutschen CCF-Mitglieder. Im Unterschied zu Lasky war Norbert Mühlen, der im CCF für den deutsch-jüdischen Dialog wichtige Anstöße gab, nur bis in das Frühjahr 1951 hinein in Deutschland aktiv, konnte also bei weitem nicht so intensiv wirken wie Melvin Lasky. Immerhin gelang es ihm, wenn auch zeitweise vom AJC mehr behindert als unterstützt, Gesprächskanäle zwischen dem AJC und Konrad Adenauer zu öffnen, die dann vor den Verhandlungen über deutsche Wiedergutmachungsleistungen an Israel wichtig werden sollten.282 Danach lag das Bemühen um deutsch-jüdische Verständigung, soweit es sich im Rahmen des CCF vollzog, ausschließlich in deutscher Hand. Wieder verführ der deutsche CCF zweigleisig. Zu allgemein gehaltenen Versuchen, den Antisemitismus in Deutschland intellektuell zu bekämpfen, was übrigens als antitotalitäre Aktion begriffen wurde, da man sehr wohl den antisemitischen Charakter des Stalinismus erkannte,283 traten Dialogbemühungen, die sich direkt auf das deutsch-jüdische Gespräch konzentrierten. Dieser Aspekt stand in einer gewissen Nähe zu dem parallel einsetzenden Aufbau der „Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit", mit denen der deutsche CCF bald in ein enges Kooperationsverhältnis trat. Ihren Höhepunkt erreichte die gegen den anwachsenden Antisemitismus gerichtete Arbeit des deutschen CCF 1952. Im Laufe dieses Jahres erschienen gleich zwei einschlägige Broschüren des CCF. Im Frühjahr hatte Birkenfeld ein derartiges Pamphlet angeregt, das mit einer von Erich Lüth284 zugunsten Israels durchgeführten Ölbaumspendenaktion abgestimmt war,285 die im Rahmen der Aktion „Frieden mit Israel" dmchgeführt wurde.286 In einer Auflage von 40.000 Stück erschien die Broschüre,287 die 281 282
283 284
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Wie beim „Monat" war dieses Anliegen durchgehend eng mit dem Lob des deutschen Widerstandes als Inkarnation des besseren Deutschlands verbunden. Mühlen hatte un Auftrag von Sol Levitas Adenauer für den „New Leader" interviewt und auf diese Weise antideutsche Ressentiments im US-amerikanischen Judentum, bes. im AJC, abzubauen geholfen; vgl. Sol Levitas an Norbert Mühlen vom 28.9.1951 und Elliot Cohen an Norbert Mühlen vom 11.10.1951, NL, Mühlen, Box 18. Kontakte 2 ( 1951 /52), S. 6. Lüth war Direktor der Pressestelle des Senates der Hansestadt Hamburg und einer der leitenden Funktionäre der frühen „Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit", vgl. J. FoschePOTh: Vergangenheit, S. 173-176. Günther Birkenfeld an Theodor Heuss vom 10.3.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 10. Günther Birkenfeld an Francois Bondy vom 24.3.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 121, Folder 13; vgl. insgesamt den Tätigkeitsbericht des Berliner Büros vom Februar-September 1952, ebda., Box 120, Folder 1. Die Aullagensteigerung von 10.000 auf 40.000 gmg auf eine Intervention Birkenfelds bei Bondy zurück: Günther Birkenfeld an François Bondy vom 22.4.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 122, Folder 1 ; die Finanzierung lief über das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen: Tätigkeitsbericht des Berliner Büros für den Monat Mai 1952, BA Koblenz, NL 160
4. Der deutsche CCF im Dienste der „re-orientation"
369
unter anderem Redebeiträge von Rudolf Hagelstange, Willy Brandt, Erich Lüth und Stefan Andres beinhaltete, welche aus Anlaß zweier vom CCF 1952 in Hamburg und Berlin dmchgeführten Großkundgebungen gegen den deutschen Antisemitismus gehalten worden waren.288 Die beiden Veranstaltungen wiederum standen in engem Zusammenhang mit der von den „Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit" ausgerichteten „Woche der Brüderlichkeit".289 Diese diente nach US-amerikanischem Muster der „civil religion" dem wahrheitsrelativistischen Ausgleich unterschiedlicher Bekenntnisse im Geiste aufgeklärter Toleranz, ohne die Religionen und Konfessionen als solche aufzulösen. Eine derartige Programmatik stimmte völlig mit dem konsensliberalen Ideengut des CCF überein.290 Schon aus diesem Grunde fiel es dem deutschen Exekutivkomitee des CCF nicht sonderlich schwer, einen eigenen Aufruf zugunsten der „Woche der Brüderlichkeit" vom 9. bis 16. März 1952 zu erlassen; ihn unterzeichnteten Schmid, Andres, Blacher, Brandt, Birkenfeld, BuberNeumann, Evers, Hagelstange, Kogon, Meistermann, Pechel und Schöntagh, das heißt das gesamte Exekutivkomitee.291 Den Gesamtrahmen für all diese Aktivitäten gaben die zeitgleich ablaufenden Verhandlungen zwischen Bonn und Tel Aviv über Wiedergutmachungsleistungen der Bundesrepublik an Israel ab. Besonders Erich Lüth verstand seine Aktivitäten durchweg als vertrauensbildende Maßnahme innerhalb des überaus komplizierten Verhandlungsprozesses und dankte noch Jahre später dem CCF und dem von Bruno Snell gegründeten Europa-Kolleg für seinen hilfreichen Einsatz.292 Im Herbst 1952 erschien dann unter dem Titel „Verantwortung. Gedanken zur jüdischen Frage" eine weitere vom CCF mitherausgegebene Broschüre, die sich thematisch des Antisemitismus und des deutsch-jüdischen Dialogs diesmal aus pointiert chrisdich-theologischer Sicht annahm. Verfasser war der bekannte katholische Theologe Romano Guardini, auf dessen potentielle Mitgliedschaft
(Pechel III), Bd. 288
289
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291 292
100.
Die Kundgebung „Versöhnung mit den Juden", die Broschüre nannte sich „Wider den Antisemitismus", wurde am 21.2.1952 in Hamburg durchgeführt; am 17.2.1952 fand sie als RIASTischgespräch und als Kundgebung im Titania-Palast in Berlin statt. Der Versuch, Ignazio Silone über den CCF als Redner zu gewinnen, scheiterte, dafür fanden beide Veranstaltungen in enger Zusammenarbeit mit diversen nichtkorponerten Studentenorganisationen beider Universitäten statt: Günther Birkenfeld an Francois Bondy vom 6.2.1952, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 121, Folder 13; Tätigkeitsbericht des Berliner Büros für die Monate Februar und Mai 1952, BA Koblenz, NL 160 (Pechel ÜT), Bd. 100 Beide Kundgebungen basierten auf einem Vorschlag des CCF wegen der Krawalle um Veit Harlan Ende Januar: Günther Birkenfeld an die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit vom 29.1.1952, NL Schmid, AdsD, Bd 1829; s. femer: Günther Birkenfeld an Carlo Schmid vom 13.2.1952, ebda. Die Kooperation von CCF und „Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit" ging auf eine Initiave Willy Brandts vom Februar 1952 zurück: Rudolf Pechel an Günther Birkenfeld vom 21.3.1952, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100. Vgl. J. Foschepoth: Vergangenheit, S. 140-148. Aufruf des Exekutivkomitees des Kongresses für kulturelle Freiheit zur „Woche der Brüderlichkeit", o.D. (März 1952), BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100. Ench Lüth an Bruno Snell vom 29.6.1961 und vom 20.6.1971, BStabib, Ana 490.
370
VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
im CCF schon länger spekulierte, allerdings ohne großen Erfolg293. Auch in diesem Fall fügte sich der CCF nahtlos in das von den „Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit" mitgetragene „re-orientation"-Konzept, das in seiner Analyse deutscher Eigentraditionen von der Unfruchtbarkeit konfessioneller und interreligiöser Konflikte ausgegangen war und diese nun aufzulösen trachtete. Die Frage des deutsch-jüdischen Dialoges war dabei naturgemäß zentral, auch innerhalb des CCF, wo er immer „Chefsache" blieb, also in Konzeption und Dmchführung eine Angelegenheit von deutscher Exekutive und Internationalem Generalsekretariat. In der Pariser Zentrale war es dann vor allem François Bondy, der sich diesen Fragen intensiv widmete, ohne sich jedoch in die Details der Planung einzumischen. Die Arbeit des deutschen CCF gegen den Antisemitismus gehörte zu den wenigen Feldern, in denen die Zusammenarbeit zwischen Paris und deutscher Sektion reibungslos funktionierte, was auf weitgehende Interessenidentität schließen läßt. Im Vergleich zur Tätigkeit des deutschen CCF gegenüber Nationalsozialismus und Antisemitismus in Westdeutschland sowie im Rahmen des deutschjüdischen Dialoges nahm der dritte Aspekt des kongreßimmanenten „re-orientation"-Handelns nur eine untergeordnete Stellung ein. Genaugenommen handelte es sich um eine Art Steckenpferd Günther Birkenfelds und Carlo Schmids, wobei bei letzterem ein gewisses parteipolitisches Kalkül ausschlaggebend gewesen sein dürfte. Beide aber teilten die Grundüberzeugung, daß es in Westdeutschland nicht so sehr der Kommumsmus war, von dem Gefahren für die neugewonnene Freiheit ausginge, sondern Neonazismus294 und Restauration.295 Sicherlich am deutlichsten wurde Carlo Schmid, als er gegenüber dem Internationalen Exekutivkomitee Ende 1952 daraufhinwies, daß restaurative Tendenzen inzwischen in der Bundesrepublik bedrohlicher seien als der Neonazismus. Restauration setzte er dabei, dem Dirks'schen Begriff nicht ganz adäquat, mit „Hispanisation" gleich, das heißt dem Bemühen „klerikaler" Kräfte in Westdeutschland, aus der Bundesrepublik einen katholischen Staat nach dem Muster Österreichs in der Zeit der „Vaterländischen Front", Spaniens unter Franco oder Portugals unter Salazar zu machen. Ein obskurantistischer man
293
294
Jasper Petersen an Michael Josselson vom 28.11.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 125, Folder 10 Der CCF tauchte im Impressum der Broschüre nicht auf, da er sich erst nach Drucklegung mit einem Zuschuß beteiligte. In diesem Bereich stellte Schmid sich auch gegen die Amerikaner Diese waren daran beteiligt gewesen, den antikommunistischen „Bund deutscher Jugend" (BdJ) zu gründen, der sich zunehmend in eine rechtsradikale Richtung entwickelte, woraufhin der CCF mit seinen „Jungen Gruppen" sofort den entschiedenen Kampf gegen den BdJ aufnahm: Bericht von Carlo Schmid an
das Internationale Exekutivkomitee vom 29.-30.12.1952,
3, Folder 2. 295
IACF/CCF-Archiv, Series II, Box
Das Restaurationsparadigma dient hier weniger dem Versuch, gesellschaftliche Verhältnisse in der Bundesrepublik der fünfziger Jahre zu beschreiben, sondern hat insofern eine rein heuristische Funktion, als es vereinheitlichend den Blick verschiedener Mitglieder der deutschen und internationalen CCF-Exekutiven auf eben diese Gesellschaft widergibt.
4. Der deutsche CCF im Dienste der „re-orientation"
371
politischer Katholizismus drohe die kulturelle Freiheit in der Bundesrepublik zu
ersticken.296
Zu konkreten Aktivitäten führten solche Einsichten jedoch nur im Ausnahmefall, zumal außer Günther Birkenfeld sich kaum jemand in der deutschen Exekutive fand, der Schmids Anschauungen in dieser Strenge geteilt hätte. Knapp ein Jahr später teilte nicht etamal mehr Schmid seine eigene Ansicht. Birkenfeld war im Gegensatz zu Schmid mehr mit konkreten Auswirkungen klerikalisierender Tendenzen beschäftigt. Der Westberliner Autor war maßgeblich daran beteiligt, in den „Kontakten" gegen das von der Bundesregierung eingebrachte „Schmutz und Schund"-Gesetz zu polemisieren, das in seinen Augen die Gefahr staatlicher Zensurmaßnahmen beinhaltete.297 Allerdings tendierte auch er dazu, seine zensurfetadliche Haltung dann zu relativieren, wenn konsensliberale Werte auf dem Spiel standen. Bezeichnenderweise wurde er als Mitglied der „Freiwilligen Selbstkontrolle" (FSK) der deutschen Filmwirtschaft ein einziges Mal auch im Auftrag des CCF aktiv, als nämlich der Film „Kreuzung der Freiheit" der von Lasky und dem CCF apodiktisch vorgenommenen Trennung zwischen kommunistischer Parteiführung und osteuropäischen Völkern zuwiderlief. Er und der CCF übten lediglich im Nachhinein Kritik und enthielten sich weitgehend aller Versuche, den Film als
solchen zu verhindern.298 Gleichfalls eher am Rand lag die Mitarbeit einzelner CCF-Mitglieder und Sympathisanten an der von HICOG zeitweilig projektierten „Gesellschaft für Menschenrechte", die möglicherweise dazu dienen sollte, die Tätigkeit der ausgesprochen linksliberalen ACLU in Westdeutschland zu relativieren, obwohl auch die ACLU von HICOG unterstützt wurde, und den Menschenrechtsgedanken in konsensliberale Bahnen einzubetten. Außerdem entbehrt die Vermutung, Shepard Stone habe den an der Aktion beteiligten, aber bereits des Neutralismus und antiamerikanischer Tendenzen verdächtigten Eugen Kogon auf diese Weise enger an die USA binden wollen, nicht jeglicher Begründung. Insgesamt blieb das Projekt in der Planungsphase stecken, zumal der CCF eifersüchtig darüber wachte, daß keine konkurrierende Organisation entstand. Innerhalb des CCF reagierte man umso verärgerter, als man von dem Projekt erst über Otto Stolz erfuhr, womit klar war, daß HICOG nicht vorhatte, den CCF als 296 297 298 299
Organisation in den Plan einzubeziehen.299
Bericht
von Carlo Schmid an das Internationale Exekutivkomitee vom 29.-30.12.1952, S. 3f, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 3, Folder 2. Kontakte 10 (1951/52), S. 2. Erklärung von Günther Birkenfeld vor der Berlmer Pressekonferenz vom 4.12.1952, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 118, Folder 11. Am 24.3.1952 hatten sich Eberhard Müller von den Evangelischen Akademien, Marianne Grewe, Emmi Bonhoeffer, Annedore Leber, Eugen Kogon, Inge Scholl und Johann C. Witsch, der später im deutschen CCF noch eine wichtige Rolle spielen sollte, sowie Otto Stolz bei Shepard Stone getroffen: Jasper Petersen an Carlo Schmid vom 23.4.1952, NL Schmid, AdsD,
Bd. 1829
372
VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Die deutsche CCF-Sektion war zweifellos ein Instrument der „re-orientation". Dabei wurden auf diesem Sektor, im Gegensatz zur antikommunistischantineutralistischen Arbeit, durchaus originelle Ansätze entwickelt. Nicht minder klar ist der Versuch erkennbar, die Bundesrepublik wenigstens im intellektuellen Bereich für die Inhalte liberaldemokratischer Weltanschauung zu öfmen. Wen der CCF mit seinen Inhalten erreichte, ist hingegen nicht ganz so klar ersichtlich. Die Gefahr war nie ganz von der Hand zu weisen, daß die CCF-Propaganda in Westdeutschland vornehmlich solche Personen und Gruppen ansprach, die von vorneherein die Wertewelt des Konsensliberalismus zu teilen bereit waren und sich nun in ihrer Haltung bestätigen ließen. Damit sind selbstredend längerfristig wirksame Prozesse des allmählichen Absackens oder Weiterwirkens nicht ausgeschlossen; sie erscheinen in Anbetracht des Umstandes, daß vieles von dem, was der CCF 1950-1954 an „re-orientation"Gedankengut propagierte, Ende der fünfziger Jahre anfing, zum Allgemeingut wenigstens intellektueller Diskurse zu werden, sogar mehr als wahrscheinlich. Die Arbeitstechnik des CCF blieb sich dabei stets treu. Man war bemüht, die vorhandenen Wege des Informationsflusses und der Meinungsbildung für eigene Gedanken zu öffnen und für anderweitige Systeme entweder zu blockieren oder diese umzuformulieren. Der deutsche CCF war als Instrument der „reorientation" vorwiegend ein Mittel, laufende Prozesse von Eliten- und Generationenwechsel zusammenzufassen. Die dabei propagierte Ideologie war zutiefst integrativ. Sie gründete in einer optimistischen Anthropologie, war antinationalistisch-kosmopolitisch, antitotalitär, prowestlich, proeuropäisch und proamerikanisch. Dieser integrative Aspekt wird besonders deutlich im Umgang mit den beiden großen Konfessionen. Mochte der CCF auch dafür eintreten, die konfessionellen Spannungen in Deutschland zu überwinden und mochten seine Mitglieder überwiegend freigeistig eingestellt sein, mit der Ausnahme Schmids fand sich kein expliziter Kirchenkritiker in den Reihen des CCF. In dieser Haltung wurden die Deutschen von der Pariser Zentrale immer bestärkt. Wenn man Kirchenvertreter angriff, wie etwa im Falle Niemöller, geschah dies aus konkretem Anlaß und nie generell als Kritik an der jeweiligen Kirche, sondern an der politischen Haltung von Einzelpersonen. Noch zurückhaltender verführ man in bezug auf den Katholizismus, darin der Position des „Monat" recht nahestehend. In einem Fall allerdings versuchte der CCF im Auftrag von HICOG Einfluß auf die politische Haltung der deutschen Protestanten zu nehmen. Aus Anlaß des
Berliner Evangelischen Kirchentages von 1951 verfaßte, veröffentlichte und verteüte der CCF eine Broschüre mit dem Titel „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig", die, von HICOG finanziert, in einer Auflage von 150.000 Stück erschien. Damit die US-amerikanischen Interessen nicht unmittelbar erkennbar wurden, füngierte ein nicht existenter „Berliner Wartburgkreis" als fiktiver
4. Der deutsche CCF im Dienste der „re-orientation"
373
Herausgeber für die antikommunistisch-antineutralistische Broschüre.300
So wie der deutsche CCF es vermied, die beiden Großkirchen unmittelbar anzugreifen, enthielt man sich aber auch jeder Nähe zu radikalantikommunistischen Strömungen innerhalb der Konfessionen. Dies gilt gleichermaßen für die katholisch dominierte Abendlandideologie wie für das im protestantischen Raum erfolgreiche „Moral Rearmament Movement" (Caux-Bewegung) des amerikanischen Predigers Buchanan, dem allenfalls Rudolf Pechel nahestand. Ganz im Sinne konsensliberalen Selbstverständnisses lehnte der deutsche CCF eine eigenständige, christlich geprägte „Ideologie der Westlichkeit" ab.301 Essentieller als Christlichkeit war für den deutschen CCF das Bekenntnis zu einem gemäßigten „first amendment idealism", das heißt zu einer auf Individualismus und Achtung der Menschenrechte, darunter der Religionsfreiheit, vor allem aber der Geistesfreiheit als Fundament kultureller Entwicklung gegründeten Politik Genau in dieses ideelle Umfeld gehörte dann auch das Leitbild vom politisch aktiven, rationalen und damit liberalen Intellektuellen, der entgegen deutscher Tradition unmittelbar und aus eigener Potenz heraus aktiv gestalterisch wirken sollte. Demgegenüber vermied der deutsche CCF, schon um den Gedanken der Integration möglichst vielfältiger Kräfte nicht zu gefährden, zu konkrete Stellungnahmen zu alltagspolitischen Fragen. Dies gilt beispielsweise für den Bereich der künftigen Grenzen eines geeinten Deutschland,302 an dem man mindestens während der fünfziger Jahre uneingeschränkt festhielt, ebenso wie htasichtlich der Stalin-Noten vom März 1952, zu denen der CCF etafach schwieg. Darin spiegelt sich sowohl der kosmopolitische, supranationale Grundansatz des deutschen CCF wie stillschweigende Basisübereinkünfte des antikommunistischen Konsenses, die nicht eigens zu betonen waren. Im
Gegensatz
zur
antikommunistisch-antineutralistischen Propaganda
wirkten im „re-orientation"-Bereich die Einflüsse des Pariser Generalsekretariates weitgehend kontraproduktiv. In einer Phase der CCF-Geschichte, die vom radikalen Antikommunismus, der Gründerkrise der Organisation und Zentralisierungstendenzen des Pariser Sekretariates gekennzeichnet war, blieb nur wenig Raum für die subtileren intellektuellen Anforderungen, die mit der „re-orientation" verbunden waren. Sieht man einmal von Bondy ab, der immer ein reges Interesse gerade für den deutsch-jüdischen Dialog zeigte, beharrte
300 301
302
GüntherBirkenfeldanMaxKarlGrafTrauttmansdorffvom2.7.1951 und Berliner Büro an Internationales Generalsekretariat vom 14.7.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 3 Vgl. Günther Naumann an Günther Birkenfeld vom 17.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 13;s.dag. Günther Birkenfeld an Günther Naumann vom 24.5.1951, ebda., Box 119, Folder 3. Zumindest stimmten Reuter und Lasky dann überein, daß Deutschland den Rechtsanspruch auf die polnisch und russisch besetzten Ostgebiete nicht aufgeben dürfe, den nunmehr dort Lebenden jedoch ein Bleiberecht einzuräumen sei: Melvin J. Lasky an Ernst Reuter vom 19.3.1952, UoCArchiv, „Der Monaf'-Records, Box 20, Folder 6.
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VI. Die deutsche Sektion des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Paris auf einer Konzentration auf das Wesentliche und meinte damit den Kampf gegen den Kommunismus. Erst seit 1952 zeigte man sich in Paris flexibler, ohne aber von der generellen Dominanz antikommunistischer Themen abzurücken. Allein Manès Sperbers wachsender Einfluß konnte seit Mitte der fünfziger Jahre dann eine Änderung der Prioritäten herbeiführen. Daß die deutsche Sektion dennoch ihren eigenen Bedürfnissen wenigstens im Ansatz Folge leisten konnte, lag an den nahezu identischen Interessen von HICOG, dem „Monat" und Einzelpersönlichkeiten wie Lasky und Mühlen. Solche Anstöße waren aber nur umzusetzen, weil sich Deutsche früh bereit fanden, sie selbstverantwortlich, ja sogar gegen die Wünsche der Pariser Zentrale mitzutragen. Von den breiten Massen der deutschen Bevölkerung blieb man mit diesen Anliegen allerdings isoliert. Anders war es in Kreisen von Intellektuellen und in der akademischen Jugend.
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„Re-orientation" im vom CCF verfochtenen Sinne richtete sich vornehmlich an die geistig noch formbaren Elemente der deutschen Gesellschaft, also an die Jugend. Gerade auf diesem Gebiet sahen internationaler und deutscher CCF
übereinstimmend ein wichtiges Arbeitsfeld für die nationale Exekutive in Westdeutschland und fokussierten entsprechend einen nicht unerheblichen Teil ihrer Anstrengungen auf die Studenten,303 vornehmlich aus bildungsbürgerlichem Umfeld. Die Arbeiterjugend geriet bestenfalls in Ostdeutschland in den Bück des Kongresses, dessen Sozialprofil nicht nur in Westdeutschland viel zu bürgerlich bestimmt war, um an den Entwicklungen in der Arbeiterschaft ein erkennbares Interesse zu zeigen. Dies änderte sich nur, wenn es um die Organisationen der Arbeiterbewegung ging. Zu Anfang gab es innerhalb des deutschen CCF zwei, wenn auch durchaus kompatible Konzeptionen für den Umgang mit den deutschen Studenten. Auf der einen Seite wollte man mit einer caritativen Organisation, dem „Hilfswerk für deutsche Studenten", finanziell schlecht gestellten Jungakademikern ihr Studium erleichtern helfen, andererseits war man bestrebt, eigene organisatorische Strukturen an den Universitäten aufzubauen. Während sich die erste Option schnell als wenig praktikabel erwies, sollte die zweite bald ihre Tragfähigkeit unter Beweis stellen. Das Hilfswerkprojekt wurde konzipiert, um „freiheitliche(n) Studenten und Studentinnen in der deutschen Sowjetzone, studentische(n) Flüchtlinge(n) aus 303
Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 31.5.1952, S 40ff., IACF/CCFArchiv, Series II, Box 3, Folder 1.
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der Sowjetzone und den besetzten deutschen Ostgebieten" und westdeutschen Studenten aus benachteiligten Schichten finanziell unter die Arme zu greifen, wobei einzelne Projekte ebenso unterstützt werden sollten wie das gesamte Studium oder Stadienabschnitte.304 Es war auf der Bad Homburger Exekutivtagung von den Vertretern der Hochschulexekutive eingebracht und seit Oktober 1951 vom deutschen CCF ernsthaft in Angriff genommen worden.305 Offiziell unterstand die ganze Angelegenheit weiterhin der Hochschulexekutive des deutschen Kongresses, womit Ende 1951 vornehmlich Lieselotte Berger und Carl-Heinz Evers gemeint waren. Bald jedoch sah sich die deutsche Exekutive veranlaßt, weitere Personen heranzuziehen, um das Sammeln von Spenden voranzubringen. Auf Amaten der Verlegerta Brigitte Berman Fischer wurde die Gräfin Ruth Yorck, die sich freiwillig gemeldet hatte, damit beauftragt, da man von ihr erwartete, daß sie über Kontakte zu hochgestellten und wohlhabenden Kreisen in der Bundesrepublik verfügte, die außerhalb des beschränkten Horizonts der jugendlich besetzten Hochschulexekutive lagen.306 Sofort intervenierte die Pariser Zentrale. Nicolas Nabokov räumte zwar ein, die Gräfin Yorck sei eine recht liebenswürdige Person, ansonsten aber aus allerlei nicht präzisierten Gründen für eine derartige Aufgabe denkbar ungeeignet. Außerdem ließ er durchblicken, daß Paris das gesamte Projekt mißbillige.307 Daraufhin beschloß Birkenfeld erst einmal, weiter nichts zu unternehmen und die Aufgabe an Evers und Berger zurückzuverweisen, die ihrerseits, allein auf sich gestellt, nicht weiterkamen.308 Dessen ungeachtet fand die Aktion erst einmal ein vergleichsweise breites Echo in der Westberliner Presse,309 woraufhin Robert Pferdmen304
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Aufruf: Hilfswerk für deutsche Studenten von Weihnachten 1951, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100. Bericht der Besprechung zwischen Carl-Heinz Evers und Günther Birkenfeld vom 26.10.1951, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100; vgl. Protokoll der Tagung des deutschen Ausschusses in Bad Homburg vom 11.10.1951, S. 3, s.a. Anlage II (Memorandum der Hochschulexekutive), ebda. Brigitte Berman Fischer an Günther Birkenfeld vom 27.10.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 11. Es ist auffällig, wie stark Aristokraten im frühen CCF überrepräsentiert waren, neben der Gräfin Yorck, die zudem US-Bürgerin war, wären Annelene von Caprivi und der Graf Trauttmansdorff zu erwähnen. Dies hing einerseits damit zusammen, daß der CCF um gesellschaftliche Reputation bemüht war, andererseits enstammten die meisten diese Adligen entweder der Emigration oder der inneren Opposition gegen den Nationalsozialismus. Im Rückblick hat Melvin J. Lasky im Gespräch mit dem Verf. Kritik an dieser Form der Personalpolitik geübt und zu bedenken gegeben, daß un Interesse der Ziele des CCF eine Gruppe USamerikanischer „College boys" ggf sinnvoller gewesen wäre als der Rückgriff auf die Abkömmlinge der traditionellen Eliten. Nicolas Nabokov an Günther Birkenfeld vom 10.11.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 2. Günther Birkenfeld an Nicolas Nabokov vom 12.11.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 2; Evers regte wenigstens an, einen Verem zu gründen, was im Januar 1952 auch geschah: Carl-Heinz Evers an Rudolf Pechel vom 9.1.1952, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100. Günther Birkenfeld an Francois Bondy vom 4.1.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 121, Folder 13.
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VI. Die deutsche Sektion des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
ges und Fritz Eberhard ein paar tausend Mark spendeten.310 Das wenig herausragende Spendenaufkommen ließ in der deutschen Exekutive den Gedanken reifen, daß der Plan wohl gescheitert war. Im August 1952 nahm man deshalb Abstand von weiteren Aktivitäten in dieser Richtung. Carl-Heinz Evers bemängelte intern gegenüber Birkenfeld, daß ähnlich wie bei Margarethe Buber-Neumanns Jagsthausener Projekt und bei der „Guten Bande" die Nähe des CCF zur KgU und zu HICOG sich negativ auf die Spendenbereitschaft der Deutschen ausgewirkt habe.311 Das „Hilfswerk" erwies sich also als ein organisatorischer und finanzieller Fehlschlag. Vor allem scheiterte der Versuch, allein mit deutschen Finanzmitteln ein auf Deutschland beschränktes Projekt ganz aus der Kraft der deutschen Exekutive heraus dmchzuführen, was wiederum die Pariser Zentrale in ihrer Auffassung bestätigte, nur eine straff vom internationalen Generalsekretariat geführte Organisation werde auf Dauer bestehen können. Wieder einmal zeigte sich, daß wenn die Pariser Kongreßleitung eine deutsche Aktion nicht substantiell unterstützte, die Eigenkräfte in der Bundesrepublik noch nicht ausreichten, um längerfristig sinnvolle Arbeit zu gewährleisten. Diese Erkenntnis trifft auf die „Jungen Gruppen" und die Hochschulexekutive allerdings nicht zu. Beide gehörten zu den zumindest mittelfristig erfolgreichsten organisatorischen Maßnahmen des deutschen CCF überhaupt. Die „Jungen Gruppen" gingen unmittelbar aus dem Berliner Kongreß von 1950 hervor. Sie waren insofern Resultat der Kontakte, die Annelene von Caprivi zur Redaktion von „Colloquium" aufrechterhalten hatte, und wurden im Herbst 1950 formal als „Junge Gruppe für kulturelle Freiheit-Berlin" gegründet.312 Auf studentischer Seite war es Frank Lothar, der die Gruppe initiierte. Er verstand sie primär als die schlechthin leitende Organisation innerhalb der „Kulturgemeinschaft Berlin", sah in den „Jungen Gruppen" demgemäß eine kulturell ausgerichtete, weniger politisch wirksame Institution. Auf diese Weise paßten die „Jungen Gruppen" ausgezeichnet in das Konzept des internationalen CCF, wo besonders Bondy früh auf die Notwendigkeit kultureller Arbeit in der deutschen studentischen Jugend hingewiesen hatte.313 Die Interessenkoinzidenz zwischen Paris und Berlin führte in diesem Fall dazu, daß es nie zu irgendwelchen Einwänden der internationalen Kongreßleitung wegen der Arbeit der deutschen Exekutive mit den „Jungen Gruppen" kam. -
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Lt. Tätigkeitsbericht des Stuttgarter Büros vom 1.2.-15.7.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 126, Folder 3, spendete Eberhard DM 5.000,-, die er jedoch persönlich verteilen wollte, und Pferdmenges hatte DM 2.000,- zugesagt. Carl-Heinz Evers an Günther Birkenfeld vom 10.7.1952, NA Schmid, AdsD, Bd. 1829. Memorandum von Annelene von Caprivi an Melvin J. Lasky vom (November?) 1950, UoCArchiv, „Der Monat"-Records, Box 1, Folder 9. Frank Lothar an Melvin J. Lasky vom 11.9.1950, UoC-Archiv, „Der Monat'-Records, Box 3, Folder 7. Zu dieser Zeit rekrutierte sich der gesamte Vorstand der „Kulturgemeinschaft Berlin" aus Mitgliedern der dortigen „Jungen Gruppe"; vgl. den Arbeitsplan des Internationalen Sekretariates vom 1.8.1951-1.8.1952, S. 3, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 3, Folder 1.
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dem Jahreswechsel 1950/51 war es Frank Lothar gelungen, sein kulturell engagierten Studentenorganisation des CCF praktisch einer Konzept umzusetzen. Die Berliner „Junge Gruppe" beledigte sich maßgeblich daran, das Jugendforum „Tribüne" zu gründen und dort eigene Kulturforen zu den Themen „Das neue Menschenbild", „Nullpunkt der Kultur" oder „Persönliche und öffentliche Existenz" zusammen mit musischen, literarischen oder cineastischen Veranstaltungen zu etablieren.314 Zusätzlich arbeitete die Berliner Gruppe seit Februar 1951 daran, eine nunmehr auch bundesweit agierende „Hochschulexekutive des Kongresses für kulturelle Freiheit" zu schaffen, eine Aufgabe, für die Lieselotte Berger und Carl-Heinz Evers dem CCF zugeteilt wurden. Zu dieser Zeit war noch an eine enge Kooperation mit dem BdJ gedacht, die aber sofort eingestellt wurde, als dessen rechtsextreme Tendenzen erkennbar wurden.315 Am 3. März 1951 wurde dann das „Politische Colloquium" der Berliner „Jungen Gruppe" offiziell in die Hochschulexekutive übergeführt, womit ein Zustand rechtlich fixiert wurde, der sich faktisch irgendwann zwischen dem 27. Dezember 1950 und dem 3. Januar 1951 ergeben hatte.316 Lieselotte Berger fiel danach die Aufgabe zu, an den westdeutschen Universitäten Kontakte zu interessierten Studenten aus dem ASTA-Bereich herzustellen, um so die Grundlage für eine bundesweite Ausdehnung der Hochschulexekutive und der „Jungen Gruppen" zu legen.317 Im Juli 1951 gingen Berger und Evers daran, einen Rahmenplan für die Hochschulgruppen des CCF zu erstellen, der besonders wegen seines deutlich zentralistischen Ansatzes, der in dieser Form später nicht durchzuhalten war, von Interesse ist. Gemeinsam mit dem Berliner und dem Frankfurter CCF-Büro sollte ein für alle Gruppen verbindlicher monatlicher Arbeitsplan erstellt werden, der unter anderem sämtliche inhaltliche Vorgaben für eventuelle Diskussionsforen in den lokalen Gliederungen der Hochschulexekutive beinhaltete. Der Verband Deutscher Studentenschaften (VDS) empfahl kurz zuvor den ASTen an den westdeutschen Universitäten, sich daran zu beteiligen und Hochschulgruppen des CCF zu gründen.318
Noch
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vor
Satzung und Programm der „Tribüne" für
1950 finden sich in:
UoC-Archiv, „Der Monaf'-
Records, Box 5, Folder 6. 315
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Günther Birkenfeld an Max Karl Graf Trauttmansdorff vom 28.5.1951, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 118, Folder 13. Aus einem ähnlichen Grund verzichtete man auf den ursprünglich angenommenen Namen „Hochschulring fur kulturelle Freiheit", da dies Assoziationen mit dem „Hochschulring deutscher Art", einer von Waffenstudenten dominierten, zunehmend völkisch werdenden Organisation aus den Tagen der Weimarer Republik hätte wecken können. Annelene von Caprivi an François Bondy vom 3.1.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 4; vgl. Kontakte 1 (1951/52), S. 7, mit Bericht über die Ansprache Julian Amerys aus Anlaß der offiziellen Gründungsfeier des Berliner „Hochschulringes". Vgl. den Bericht von Lieselotte Berger vom 3/4.5.1951, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100. Beschluß der 3. Mitgliederversammlung des VDS in Hannover vom 25.-30.4.1951, in: Arbeitsplan der Hochschulexekutive des Kongresses für kulturelle Freiheit vom 11.7.1951, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100.
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VI. Die deutsche Sektion des
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Vorerst beschränkten sich „Junge Gruppen" und Hochschulexekutive darauf, ein studentisches Verteilernetz für den „Monat" an westdeutschen Universitä-
bundesweite Organisation vorzubereiten. Anstelle des BdJ verfügte man nicht nur über den VDS und die jeweiligen ASTen als Verbündete, sondern suchte auch die Zusammenarbeit mit den „Jungen Publizisten" in Münster und besonders mit dem „Internationalen Studentenbund-Studentenbewegung für übernationale Föderation", der deutschen Sektion des „International Students Movement for United Nations-World Student Federalists" (ISSF).319 Überdies nutzte man persönliche Beziehungen Edwin Redslobs von der FU Berlin zu westdeutschen Professoren, um diese für die Idee einer neuen Studentenorganisation zu gewinnen.320 So gelang es bis zum Herbst 1951 von Berlin aus erst einmal drei weitere Hochschulgruppen des CCF ins Leben zu rufen.321 Zur gleichen Zeit scheint Nabokov erstmals daran gedacht zu haben, die Struktur der neuentstehenden Jugendorganisation des deutschen CCF möglicherweise zur Grundlage einer reformierten deutschen Sektion zu machen. Aus dem Fehlen eines kosmopolitischen intellektuellen Zentrums in Deutschland sollten die Konsequenzen gezogen und anstelle einer einheitlichen Exekutive an den universitären Standorten lokale Gliederungen des CCF eingerichtet werden. Dieser Plan sollte dann 1953/54 bei dem Versuch, wenigstens Relikte einer deutschen CCF-Sektion zu retten, eine gewisse Rolle spielen und schließlich für die Reorganisation des CCF seit 1959 maßgeblich werden. Vorerst stand aber der Gedanke im Vordergrund, die Hochschulgruppen dezentral zu organisieren und auf diese Weise potentiellen Eingriffen der deutschen Exekutive womöglich zu entziehen.322 Es gelang Hochschulexekutive und „Jungen Gruppen" danach auch, ihre Arbeit vergleichsweise eigenständig, ohne ständige Intervention anderer nationaler oder internationaler Gremien, durchzuführen allerdings unter Verzicht auf Zentralisierung des eigenen Apparates. Dies war zudem mit der Notwendigkeit verbunden, sich finanziell auf das zu beschränken, was die deutsche Exekutive an Mitteln aus den Pariser Fonds ten aufzubauen und sich auf eine
319
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322
Dem deutschen Ehrenpräsidium des ISSF gehörten, außer Hermann-Josef Abs, Wilhelm Grewe und Walter Hallstein, die CCF-Mitglieder Stefan Andres, Eugen Kogon, Ernst Reuter sowie Erich Lüth an. Vgl Memorandum von N.N. : „Freunde der Freiheit" in der Bundesrepublik, o.D. (Anfang 1951), IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 118, Folder 13. Zum ISSF vgl. UoC-Archiv, „Der Monat "-Records, Box 24, Folder 5. Annelene von Caprivi an Francois Bondy vom 13.1.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 4. Annelene von Caprivi an Francois Bondy vom 3.1.1951 und vom 12.1.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 119, Folder 4; Günther Birkenfeld an Adolf Grimme vom 21.9.1951 und Günther Birkenfeld an Nicolas Nabokov vom 21.9.1951, ebda., Box 119, Folder 1, Günther Birkenfeld an Ignazio SUone vom 2.10.1951, ebda., Box 118, Folder 12. Die drei ersten „Hochschulringe" nach Berlin wurden in Hamburg, Göttingen und Mainz gegründet. Protokoll der Besprechung zwischen Nicolas Nabokov, Max Karl Graf Trauttmansdorff, Lieselotte Berger und Carl-Heinz Evers vom 17.6.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 1.
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weiterleiten konnte, und auf direkte Subsidien der internationalen Zentrale zu verzichten. Paris neigte dann auch dazu, weitergehende Ausgaben strikt abzulehnen, selbst im Fall der der Hamburger Gruppe nahestehenden Studentenzeitschrift „Nebelhorn", die ähnlich wie 1950 „Colloquium" im Umfeld des Hamburger Kongresses von 1953 an der Organisation beteiligt gewesen war.323 Im Laufe des Jahres 1952 gelang es, weitere „Junge Gruppen" zu gründen, darunter in Tübingen, Frankfurt und München.324 Selbst nachdem die deutsche Exekutive 1953 in die Krise geraten war und am Rande völliger Funktionsunfähigheit wirkte, entwickelten sich die „Jungen Gruppen" erstaunlich positiv. Im September 1953 bestanden „Junge Gruppen" und Hochschulgruppen in dreizehn Städten, an sechs weiteren Orten war man damit beschäftigt, neue Gruppen aufzubauen oder alte zu reaktivieren.325 Die Mitgliederstärke der verschiedenen lokalen Organisationen variierte stark. Kleinere Gruppen in Freiburg oder Krefeld hatten Ende 1952 zwischen fünf und zehn Mitglieder, die anderen verfügten durchschnittlich über fünfzehn bis zwanzig, einzelne (Mannheim, Berlin und Hamburg) sogar über bis zu dreißig Mitglieder.326 Allerdings schwankte die Mitgliederzahl auch innerhalb der einzelnen Gruppen. Sogar die starke Hamburger Gruppe war, nachdem einige Aktivisten abgewandert waren, zeitweise von der Suspension bedroht. -
-
Die programmatische Arbeit der „Jungen Gruppen" vollzog sich auf einem mittleren Weg zwischen zentralistischer und rein lokaler Führung. Zwar gab die Bundesleitung Themenschwerpunkte vor, doch stand es den einzelnen Gruppen frei, welches der Themen sie wählen wollten und wie sie es konkret behandelten. So beschäftigte man sich in Krefeld mit Fragen modemer Kunst, in Ravensburg, Münster und Berlin mit dem Sozialismus; Tübingen, Hannover, Hamburg, Freibmg und zwei weitere Berliner Gruppen arbeiteten über restaurative Tendenzen in der Bundesrepublik, Neofaschismus und Antise323
324 325
Nicolas Nabokov an Martin Girschner (Herausgeber von „Das Nebelhorn") vom 21.12.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 3; Martin Girschner an Nicolas Nabokov vom 10.2.1954, IACF/CCF-Archiv, Series n, Box 117, Folder 2; Jasper Petersen an Bruno Snell vom 1.8.1953, NL Snell, BStabib, Ana 490. Girschner war in der „Jungen Gruppe Hamburg" und im „Bund demokratischer Studentenverbände'' (BDSV), der ab 1953/54 zum Teil zum Auffangbekken für „Junge Gruppen" werden sollte, sowie im Hamburger ASTA tätig. Seine Zeitschrift war pointiert antikorporiert, verstand sich als „avantgardistisch" und entsprach damit im Grunde den Vorstellungen des CCF. Tätigkeitsbericht des Stuttgarter Büros vom 1.2.-15.7.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 126, Folder 3. Vgl. den Tätigkeitsbericht des Stuttgarter Büros vom 1.4.-30.9.1953, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 126, Folder 1. „Junge Gruppen" existierten in Berlin, Bonn, Frankfurt, Hamburg,
Hannover, Krefeld, Mannheim, Münster, Espelkamm-Matfwald, Wolfenbüttel, Freiburg, Ravensburg und Tübingen; im Aufbau befanden sich Gruppen in Bremen, Flensburg, Göttingen, Lübeck, Mainz und Marburg. Die lokale Verteilung zeigt, daß man inzwischen erfolgreich
326
bemüht gewesen war, das rein studentisch-akademische Milieu zu verlassen und weitere Kreise der Jugend zu erfassen. Bericht von Carl-Heinz Evers über die „Jungen Gruppen" seit dem 1.11.1952, o.D. (September 1953), IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 126, Folder 1.
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mitismus, Hannover speziell über die Studentenverbindungen; der Rest behandelte Fragen aus dem Umfeld des Ost-West-Konfliktes. Auf diese Weise wurden sämtliche Arbeitsschwerpunkte des CCF in Diskussionsrunden, Leseabenden und Vortragsveranstaltungen mit CCF-Rednern in die Jungakademiker- und Jugendarbeit übertragen. Als Deutschlandleiter der „Jungen Gruppen" füngierte seit dem Frühjahr 1953 Carl-Heinz Evers,327 dem es gemeinsam mit Birkenfeld und Petersen gelungen war, Lieselotte Berger wegen ihres angeblich zu „forschen Auftretens" aus den Leitungsgremien der „Jungen Gruppen" und der „Hochschulexekutive" zu verdrängen, während sie sich für ein Jahr in den USA aufhielt.328 Seit Juli 1953 war Evers dann ausschließlich für die „Jungen Gruppen" zuständig. Sein Partner auf Seiten der deutschen Exekutive war der Stuttgarter Büroleiter Jasper Petersen. Der Verfall der deutschen Exekutive und der beiden deutschen Büros im Verlaufe des Jahres 1953/54 konnte dennoch nicht ganz spurlos an der Jugendorganisation des CCF vorübergehen. Zeitweise herrschte in Paris Unsicherheit darüber, was mit den „Jungen Gruppen" denn geschehen sollte, besonders nachdem seit Januar 1954 faktisch keine deutsche Exekutive mehr existierte. Nun tendierte man dazu, die Gruppen geschlossen in den BDSV zu überführen, zumal eine der beiden Bonner Gruppen mit der dortigen BDSV-Filiation identisch war. In der überwiegenden Anzahl der Fälle wurde dieser Plan in die Realität umgesetzt, also „Junge Gruppen" und BDSV verschmolzen.329 Daraufhin intervenierte Carlo Schmid bei Josselson. In seinen Augen war die Jugendarbeit des CCF derart erfolgreich, daß man sie nicht einfach einstellen dürfe.330 Josselson folgte Schmids Vorschlag und erklärte sich bereit, die verbleibenden Gruppen weiter zu finanzieren. Die lokalen Organisationen in Berlin, Hamburg, Marburg und Tübingen erhielten seitdem zwischen DM 20,und DM 100,- Zuschuß pro Quartal aus der Kasse des Internationalen Generalsekretariates.331 Bis zum Jahr 1955 überlebte aktiv allerdings nur die 327 328
329
Rundschreiben von Günther Birkenfeld an die Mitglieder des deutschen Ausschusses, o.D. (Februar 1953), IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 122, Folder 4. Günther Birkenfeld an Carlo Schmid vom 13.2.1952, NL Schmid, AdsD, Bd. 1829; vgl.a. Jasper Petersen an Carlo Schmid vom 25.4.1952, ebda., der behauptete, Lieselotte Beger habe Ein-
zelheiten aus der Rechnungsführung des Berliner Büros an die Pariser Zentrale weitergegeben Die Aktion fiel in eine Zeit, als Birkenfeld und Petersen noch zusammenarbeiteten.
Tätigkeitsbericht des Stuttgarter Büros vom 1.10.-31.12.1953, IACF/CCF-Archiv, SeriesII.Box 125, Folder 11. Während noch mit dem BDSV verhandelt wurde, war man mit dem Aufbau der
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Marburger Gruppe beschäftigt, die sich wie Hannover der Arbeit gegen den Einfluß der Studentenverbindungen widmen sollte. Ein wichtiger Mitarbeiter bei diesem späten Projekt der „Jungen Gruppen" war Rüdiger Altmann, der zu Beginn der sechziger Jahre zu den bedeutenderen deutschen Publizisten im Umfeld des „Monat" gehören sollte. Carlo Schmid an Michael Josselson vom 22.12.1953, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 288,
Folder 4. Michael Josselson an Carl-Heinz Evers vom 4.1.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 2, Folder 4; Michael Josselson an Wolf-Jobst Siedler vom 22.9.1954, ebda., Box 3, Folder 7. Die Leitung der „Jungen Gruppen" wurde nun vom Berliner Büro aus koordiniert, das zumindest den monatlichen Gesamtetat von DM 140,- zu verwalten hatte. Gegenüber der recht selbstbewußten
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Hamburger Gruppe mit ihren über 30 Mitgliedern, die sich, unterstützt von Bruno Snell, der inzwischen Mitglied des Internationalen Exekutivkomitees geworden war, vornehmlich mit Problemen der „Restauration" in der Bundesrepublik befaßte, sich also einem dezidiert linksliberalen Diskurs zuwandte, der für die Hamburger CCF-Sektion bedeutsam war.332 Die Berliner Gruppe, die konservativer und eher antikommunistisch ausgerichtet war, zumal sie mehrheitlich aus DDR-Flüchtlingen bestand, hatte noch bis 1957, wenn auch nur vergleichsweise passiv, Bestand.333 Angesichts des Niederganges auch der restlichen verbliebenen „Jungen Gruppen" stellte man Mitte der fünfziger Jahre in Paris Überlegungen an, statt ihrer eine Vereinigung junger Künstler zu gründen oder auf Jugendarbeit in Westdeutschland ganz zu verzichten.334 Tatsächlich verschwindet die Berliner „Junge Gruppe" 1957 aus den Akten des CCF, zum letzten Mal wird sie Ende Dezember 1957 erwähnt, danach scheint sie sich aufgelöst zu haben.335 Die Hamburger Gruppe verlor 1955 das Gros ihrer Mitglieder und wurde kurzzeitig suspendiert, aber, wenn auch auf einem erheblich niedrigeren Mitgliedemiveau, schnell rekonstituiert. Irgendwann nach Mitte Mai 1960 brach die Gruppe dann ungeklärten Gründen wegen interner Streitigkeiten endgültig auseinan-
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Insgesamt wandte sich vornehmlich und wohl auch standoifbedtagt die Berliner „Junge Gruppe" der antitotalitär-antikommunistischen Aufgabenstellung des CCF zu, während die westdeutschen Gruppen sich bevorzugt „reorientation"-Themen stellten. Soweit erkennbar, war die inhaltliche Arbeit der „Jungen Gruppen" durchaus erfolgreich. Es waren beispielsweise Angehörige dieser Organisation, die sich gegen radikale Tendenzen in Margarethe BuberNeumanns Jagsthausener Projekt wandten oder Jasper Petersens angeblich kryptofaschistischen Antitatellektualismus in den CCF-Gremien zur Sprache brachten, innerhalb des „re-orientation"-Spektrums war zumindest implizit Hamburger Gruppe, die ihre Existenz weitgehend dem Einsatz der dortigen CCF-Sekretänn Margot Schrepfer verdankte, die wiederum nur ungern aus Paris Anweisungen entgegenzunehmen pflegte, hatte Berlin jedoch keinerlei Weisungsbefugnis. Vgl. ferner Margot Schrepfer an Michael Josselson vom 2.8.1954,
IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 123, Folder 4; Aktennotiz 4.2.1954, ebda.; Margo Schrepfer an Michael Josselson vom 27.1.1954 und Michael Josselson an Margot Schrepfer vom 5 2.1954, ebda. Aktennotiz von N.N. (Marion Bieber?), o.D. (Juni 1954?), IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 123, Folder 6. Wolf Jobst Siedler an das Internationale Generalsekretariat vom 20.3.1954, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 3. Memorandum von Martin Schulz van Treek und Dr. Gerd Henninger vom 18.8 1955, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 5; Michael Josselson an Wolf-Jobst Siedler vom 16.4.1956, ebda, Box 120,Folder7. Hans Dieter Bade und Gerhard Jäger an Marion Bieber vom 20.12.1957, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 41, Folder 5. Margot Schrepfer an Nicolas Nabokov vom 11.10.1955, IACFG/CCF-Archiv, Series II, Box 123, Folder 7; Margot Schrepfer an Jörgen Schleimann vom 19.5.1960, ebda, Box 124, Folder von
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sämtlichen „Jungen Gruppen", schon wegen ihrer organisatorischen Wurzeln in der FU Berlin, eines gemeinsam: Sie lehnten das klassische Korporationsstudententum ab und verstanden sich als moderne und zeitgemäße Alternative zu deren konservativer Tradition.337 So hatte bereits das gescheiterte „Hilfswerk"-Projekt dem Zweck gedient, ein Gegengewicht zur ökonomisch-politischen Macht der korporierten Altherrenverbände im studentischen Milieu zu schaffen.338 Die Hochschulgruppen des CCF waren zu einem nicht unerheblichen Teil damit beschäftigt, nationalistische, restaurative oder gar neofaschistische Aktivitäten bei den studentischen Verbindungen zu beobachten und zu dokumentieren. Die dabei gewonnenen Erkennmisse wurden dann an die deutsche Exekutive weitergeleitet, um deren Arbeit zu dienen.339 Dabei gingen die studentischen Zirkel des CCF deutlich weiter als etwa Lasky und „Der Monat", die gegenüber den Korporationen eher zu pragmatischen Kompromissen als zu entschiedener Gegnerschaft tendierten, obgleich in der Redaktion des „Monat" eine einhellige Ablehnung der Verbindungen zu erkennen war. Innerhalb des deutschen Exekutivkomitees wurden sie in dieser Auffassung vornehmlich von Carlo Schmid bestärkt, während sich im März 1952 Rudolf Pechel dagegen aussprach, den antikorporierten Aspekt bei den „Jungen Gruppen" weiterhin so entschieden zu betonen.340 Die „Jungen Gruppen" stellten die langfristig bedeutsamste und erfolgreichste Aktivität des CCF dar, sei es organisatorisch, sei es im Bereich der „reorientation". Gemeinsam mit dem ISSF, dem BDSV und den Nachwuchsorganisationen der demokratischen politischen Parteien leisteten sie einen Beitrag, die „deutsche" Tradition der unpolitischen Universität wenn nicht zu überwinden, so doch deutlich schon in den fünfziger Jahren zu relativieren. Gewiß, die „Jungen Gruppen" waren kein unmittelbarer Vorläufer der APO und des SDS, aber sie stellten den Versuch einer bewußt politischen und kulturell engagierten, antikommunistischen, aber liberaldemokratischen Alternative zum traditionellen studentischen Leben dar. In einem Punkt aber versagten sie, obschon weniger in ihrer Eigenschaft als „Junge Gruppen" oder „Hochschulring"; vielmehr scheiterten sie an den Gegebenheiten des CCF. Im 337 338 339 340
von Hans-Dieter Bade an das Internationale Generalsekretariat vom 9.3.1954, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 3. Aktennotiz von Jasper Petersen, o.D. (November 1952), IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 126,
Bericht
Folder 3. Bericht des Hochschulexekutivkomitees vom 7.10.1951, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 100. Rundschreiben von Günther Birkenfeld an die Mitglieder der deutschen Exekutive und Rudolf Pechel an Günther Birkenfeld vom 21.3.1952, BA Koblenz, NL 160 (Pechel II), Bd. 100. Inder deutschen Exekutive war der Plan aufgekommen, das von den Hochschulgruppen gesammelte Material zu einer Broschüre zu verarbeiten. Der VDS und das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen hatten vorab signalisiert, daß sie die Finanzierung übernehmen würden. Obwohl Carlo Schmid sich dezidiert filr eine solche Broschüre aussprach, kam sie nie zustande. Der Plan ging auf Birkenfeld zurück, der Schmids diesbezügliche Aversion teilte: Carlo Schmid an Günther Birkenfeld vom 9 4.1952, NL Schmid, AdsD, Bd 1829.
6. CCF und Sozialdemokratie
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Gegensatz zu den Korporationen mit ihrem auf den Altherrenverbänden basierenden System flexibler und effizienter sozialer, ökonomischer und politischer Positionierung mangelte es dem CCF an einer vergleichbar durchlässigen Organisationsform, die den gezielten Aufstieg von Mitgliedern der „Jungen Gruppen" über den CCF in gesellschaftliche Führangspositionen erlaubt hätte.
Die internen Mechanismen des deutschen und des internationalen CCF, die beide darauf gründeten, Persönlichkeiten zu verbinden, die bereits über gesellschaftlichen Einfluß verfugten, und die beide auf Grund einer unbestreitbar snobistischen Selbstsicht dazu neigten, sich nach „unten" hin, also gegenüber dem eigenen Nachwuchs durch für noch nicht positionierte Mitglieder unerfüllbare Kriterien abzuschotten, machten eine wirklich gezielte Nachwuchsarbeit nahezu unmöglich. Der intellektuelle Elitarismus des CCF und eine auf strategische soziale Positionierung zielende Wirksamkeit ihrer Nachwuchsorganisation schlössen einander aus. So blieb eine ideelle Wirksamkeit, die nicht im einzelnen zu quantifizieren ist.
6. CCF und Sozialdemokratie Über das weltanschauliche Verhältnis zwischen dem „Kongreß für die Freiheit
der Kultur" und der europäischen, besonders aber der deutschen Sozialdemokratie ist im Zusammenhang mit dem „Monat" schon einiges ausgeführt worden. Vornehmlich gdt dies für Intentionen der internationalen Kongreßführang, der Herausgeber des „Monat" und beledigter regierungsamtlicher Stellen in den USA. Hatte sich jedoch im Falle des „Monats" bereits gezeigt, daß die Rezeptionsebene, also das Verhalten auf Seiten der von Penetrationsversuchen berührten Sozialdemokraten und Gewerkschafter, nur schwer in den Griff zu bekommen war, so verschärft sich im Bereich des deutschen CCF das damit verbundene sachliche und methodische Problem noch einmal, da selbst Intentionalitäten konkreten Handelns des CCF im Einzelfall nur schwer zu beweisen sind. Während nämlich die Ziele des „Monat" sich aus den dort publizierten Quellen unschwer herausfiltem lassen, fehlen für die Organisationsebene entsprechend reflektierte Quellen. Zusätzlich sind beim „Monat" intentional-exogene Faktoren und rezeptiv-endogene vergleichsweise präzise voneinander zu unterscheiden, was für den CCF so nicht zutrifft, selbst wenn man die klaren Trennlinien zwischen Internationaler und nationaler Exekutive in die Überlegungen miteinbezieht. Vor Ort handelten ja nicht die Vertreter des Internationalen Generalsekretariates oder des Internationalen Exekutivkomitees, sondern Deutsche, die ihrerseits wieder in spezifisch deutschen innersozialdemokratischen Traditionen und Diskursen standen oder von konkret handlungsorientierten, unmittelbar tagespolitisch bedingten Kalkülen und
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VI. Die deutsche Sektion des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Optionen geleitet
Prinzipiell erschiene es sinnvoll, die höchst Diskursebenen, die entsprechend unterschiedlich wahrgenommenen politischen „Realien" und die diversen ideengeschichtlichen Stränge „deutscher" und „westlicher" Herkunft einmal systematisch in einer eigenen Monographie miteinander in Beziehung zu setzen, um so die von den US-Amerikanern angestrebte Westorientierung der nichtkommunistischen wurden.
unterschiedlichen
deutschen Arbeiterbewegung in ihren nationalen Kontext zu stellen.341 Für den CCF kommt erschwerend hinzu, daß er nur Teil eines Bündels US-amerikanischer Maßnahmen zur Reform der westeuropäischen Sozialdemokratie im Sinne des Konsensliberalismus war, sein spezifischer Eigenanteil demgemäß ebensowenig deutiich zu machen ist wie beim „Monat". Unbestreitbar erscheint allerdings, daß die USA ein Interesse daran hatten, die westeuropäische Gewerkschaften und sozialdemokratischen Parteien zu einem funktionsfähigen und integrierten Bestandteil ihres hegemonialen Systems zu machen. Aus diesem Grunde war eine Neuorientierung auf individualistische, marktkonforme Haltungen und Perzeptionsrahmen unabdingbar. Parteien, die an semimarxistischen Analyseschemata342 ebenso festhielten wie an einer Programmatik, die weiterhin die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien vorsah, waren auch für den antikommunistischen Teil der amerikanischen Linken ein retardierendes Moment in der laufenden Auseinandersetzung mit einem gerade im Hinblick auf die ökonomische Organisation konzeptionell kontradiktorischen Rivalen.343 Aus den genannten Gründen müssen wir uns an dieser Stelle eher auf allgemeine, teilweise deduktiv anmutende Bemerkungen beschränken: Der deutsche CCF unterhielt, angesichts seiner Mitgliederstruktur kaum überraschend, relativ enge Kontakte zu SPD und DGB. Hingegen bestanden nur marginale 341
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Dabei darf z.B. der Beitrag der Emigration nicht vergessen werden. Aus den Erfahrungen mit totalitären Gesellschaften, aber auch aus der Anschauung funktionierender marktwirtschaftlicher Demokratien, verbunden mit der klar ausgeprägten Adaption westlich-individualistischer Freiheitskonzeption haben bes. Angehörige der Emigration (Brandt, Reuter, Brauer wären hier zu nennen) unter Hinweis auf Skandinavien, die USA und Großbritannien ein gehöriges Reformpotential verkörpert, vgl. Kurt Klotzbach: Die Programmdiskussion in der deutschen Sozialdemokratie 1945-1949, in: Archiv für Sozialgeschichte 16 (1976), S. 469f. Zu marxistischen Progammrelikten in der frühen Nachkriegs-SPD s. die sehr differenzierten Ausführungen von Hans Peter Ehni: Sozialistische Neubauforderungen und Proklamation des .JJritten Weges". Richtungen sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik 1945-1947, in: Archiv für Sozialgeschichte 13 (1973), S. 131 und S. 133, s.bes. S. 151ff. Bezogen auf Kurt Schumacher: K. Klotzbach: Programmdiskussion, S. 471. Auf die Interessenlagen der US-Amerikaner geht z.B. Carolyn Eisenberg: Working-Class Politics and the Cold War: American Intervention in the German Labor Movement, 1945-1949, in: Diplomatic History 7 (1983), S. 283-306, ein, auch wenn sie terminologisch sehr stark von klassisch revisionistischen Positionen abhängt. Die determinierende Funktion ökonomischer Faktoren in der konsumtiven Phase des Kalten Krieges hat Arnold Sywottek: Die „fünfte Zone". Zur gesellschafts- und außenpolitischen Funktion sozialdemokratischer Politik in Berlin 1945-1947, in: Archiv für Sozialgeschichte 13 (1973), S.58, beschrieben. Den zugrundeliegenden fundamentalen ideologischen Unterschied, der schon 1917-1921 erkennbar wurde, betont neuerdings Melvin P. Leffler: The Specter of Communism. The United States and the Origins of Cold War, 1917-1953, New York 1994, S. 3-20.
6. CCF und Sozialdemokratie
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Beziehungen zur Christdemokratie und nahezu überhaupt keine zum deutschen Parteiliberalismus, während man auf der internationalen Ebene mit der „Liberalen Internationalen" zusammenarbeitete. Dies mag am ausgeprägt natio-
nalliberalen Charakter der FDP während der fünfziger Jahre gelegen haben. Der deutsche Nationalliberalismus war durchgehend Objekt von Kongreßaktivitäten, die Arbeiterbewegung jedoch zugleich Objekt und Bündnispartner. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, daß der deutsche CCF links von der Mitte stand, dort aber in einem ganz eigenen Bereich. Innerhalb von SPD und DGB repräsentierten Persönlichkeiten wie Wdly Brandt,344 Alfred Weber, Emst Reuter, Max Brauer, Otto Suhr, Richard Löwenthal, Otto Stolz, Carlo Schmid und Ludwig Rosenberg den traditionskritischen, reformorientierten Flügel der SPD, zum Teil handelte es sich in der Partei um ausgesprochene Gegner Kurt Schumachers.345 Sie vertraten ganz unterschiedliche Strömungen in der deutschen Linken, die aber allesamt die wirtschafts- und sozialpolitischen Konzepte der SPD und der Gewerkschaften für überholt und reformbedürftig hielten. Dabei rekurrierten sie auf westlich-individualistische Freiheitsbegriffe ebenso wie auf eine keynesianisch begründete Neubewertung marktwirtschaftlicher Mechanismen, strebten also eine Abkehr von als totalisierend empfundenen weltanschaulichen Grundlagen an, die auf hegelianisch-marxistischen Deutungsmustern basierten. Wenn nun Kurt Klotzbach zufolge das Godesberger Programm der Versuch war, die hberaldemokratische Tradition zur Basis einer programmatisch erneuerten Sozialdemokratie zu machen,346 so blieb dies durchweg mit den Intentionen des CCF kompatibel. Vor allem trifft dies auf die mit Godesberg verbundene sozialdemokratische Akzeptanz der Westorientierung auf europäischer und nordatlantischer Ebene zu,347 und zwar unabhängig von der Frage, ob Godesberg und die anderen siegreichen westeuropäischen Revisionismen der späten fünfziger Jahre nun eher End- oder Ausgangspunkt derartiger Entwicklungen
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Vgl. z.B. Brandts Sicht des Godesberger Programms: Willy Brandt: Über den Tag hinaus. Eine Zwischenbilanz, Hamburg 1974, S. 88-92. Vgl. Susanne Miller: Kurt Schumacher, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, im Urteil von Zeitgenossen, in: Jürgen Kocka/Hans-Jürgen Puhle/Klaus Tenfelde (Hg): Von der Arbeiterbewegung zum modernen Sozialstaat. Festschrift für Gerhard A. Ritter zum 65. Geburtstag, München u.a. 1994, S. 156-172, s.bes. S. 162-165. Eine Ausnahme stellte sicherlich Carlo Schmid dar, der Schumacher gegenüber stets loyal, aber dennoch dem reformistischen Lager zuzurechnen war: vgl. ebda., S 1601". Vgl. zu Ernst Reuter und seiner frühen Option für westliche, reformsozialdemokratische Gesellschafts- und Wirtschaftsmodelle A Sywottek: „Fünfte Zone", S. 65-68. K. Klotzbach: Staatspartei, S. 452. Zur Vorgeschichte des Godesberger Programms vgl. Susanne Miller: Der Weg zum Godesberger Grundsatzprogramm, in: Bernd Faulenbach (Hg.): Susanne Miller Sozialdemokratie als Lebenssinn. Aufsätze zur Geschichte und Gegenwart der SPD, Bonn 1995, S. 297-305. Vgl. Carl C. Hodge: The Long Fifties: The Politics of Socialist Programmatic Revision in Britain, France and Germany, in: Contemporary European History 2 (1993), S. 28. -
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VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
waren.348 Nun wird
man aber den fremdbestimmten Aspekt dieses Reformprozesses nicht überbetonen dürfen, war er doch in einen Gesamtablauf längerer Dauer eingebettet, der mindestens in die Weimarer Republik zurückreichte und in der Emigrationszeit erheblich intensiviert wurde.349 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sah sich die SPD erneut mit einem aus diversen gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen erwachsenden Reformdruck konfrontiert, der dazu zwang, überkommene programmatische Aussagen und organisatorische Details zu überdenken. Dieses Phänomen war nun, und dadurch wird der Ablauf mit seinen mannigfachen Kausalitäten und Bedingtheiten noch einmal komplexer, keineswegs auf Deutschland beschränkt, sondern ein gemeinwesteuropäisches Phänomen.350 Vor allem Carl Hodge hat jüngst auf die von der neuen Randlage Westeuropas im internationalen Mächtekonzert ausgelöste „self-examination"351 hingewiesen; Anthony Nicholls hat diese eher
klassisch diplomatiegeschichtiiche Perspektive um modernisierungstheoretische
Erklärungsmuster erweitert.352 Ein wichtiger Aspekt der theoretisch-programSelbstbesinnung reformsozialdemokratischer Zirkel lag in der Erkenntnis, daß die aus dem Marxismus übernommene Ansicht, das kapitalistische Wirtschaftssystem stehe dicht vor dem historisch notwendigen Kollaps, offenkundig keine den Realitäten entsprechende Erklärungsfünktion mehr hatte. Trotz der Krise des liberalkapitalistischen Systems in den späten zwanziger und dreißiger Jahren hatte es sich als Überlebens- und reformfähig erwiesen. Dieser matischen
Umstand mußte revisionistische Ansätze stärken. Damit war er aber zusätzlich ein bedeutsamer Anknüpfungspunkt für US-Interessen an einer ideologiearmen, für marktwirtschaftliche Prinzipien offenen westeuropäischen Sozialdemokratie.353 Ohne den unleugbaren Realitätsgehalt revisionistischer Theoriebildung in den fünfziger und frühen sechziger Jahren wären alle US-amerikanischen Propagandainterventionen wohl kaum erfolgreich gewesen. Auch hier boten die USA ein in der eigenen Praxis bewährtes Muster an, um es den beteiligten Europäern zur Adaption an die jeweils eigene konkrete nationale Situation zu überlassen. 348 349
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Helga Grebing: Der Sozialismus, in: A. Schildt/A. Sywottek (Hg): Modernisierung im Wiederaufbau, S. 646. Peter Lösche/Franz Walter: Die SPD. Klassenpartei-Volkspartei-Quotenpartei, Darmstadt 1992, S. 21, s.a. S. 70; H. Grebing: Der Sozialismus, in: A. Schildt/A: Sywottek (Hg): Modernisierung im Wiederaufbau, S. 647. Zum Gesamtablauf s. Stephen Padgett/William E. Paterson: A History of Social Democracy in Postwar Europe, London-New York 1991. C.C. Hodge: Programmatic Revision, S. 17. Anthony J. Nicholls: Zwei Wege in den Revisionismus: Die Labour-Partei und die SPD in der Ara des Godesberger Programmes, in: J. Kocka/HJ. Puhle/K. Tenfelde (Hg): Arbeiterbewegung, S. 192. C.C. Hodge: Programmatic Revision, S. 19-21; A.J. Nicholls: Revisionismus, in: J. Kokka/H.J. Puhle/K. Tenfelde (Hg): Arbeiterbewegung, S. 201, wo bes. auf Karl Schiller verwiesen wird, der seit Mitte der fünfziger Jahre der Hamburger Sektion des CCF nahestand. Vgl. ferner K. Schiller: Der Ökonom, S. Vif.
6. CCF und Sozialdemokratie
Der Prozeß nahm seinen
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Ausgang in „kleinen elitären Zirkeln",354 die an-
fangs durchaus minoritär waren, und wurde wesetalich durch die für die SPD ungünstigen Wahlergebnisse zwischen 1949 und 1957 befördert. Daß dabei europaweit die Rezeption keynesianischer Elemente im Bereich der nationalökonomie eine prominente Rolle spielte, dürfte unbestritten sein. Somit wurde dann auch die theoretische Entwicklung von US-Konsensliberalismus und nichtkommunistischer Linker in Westeuropa zunehmend parallelisiert.355 Somit war zudem ein entscheidender ideologischer Schnittpunkt mit dem CCF gegeben, der nicht zuletzt in Großbritannien maßgeblich an der Entwicklung beteiligt war.356 Keynesianismus, ein praktisch bedingter, wenn auch nicht unbedingt reflektierter Pragmatismus und altliberal-individualistische Elemente ver-
banden sich auch im Fall der revisionistischen Sozialdemokraten mit antitotalitären Momenten. Ergänzt wurde diese ökonomisch fundierte Entwicklung durch weltanschauliche Neuansätze, die eher vom Primat der Freiheit des Individuums her gedacht waren und aus einer solchen, noch pointierter an liberale ideologische Wurzeln anknüpfenden Perspektive danach strebten, die SPD und andere westeuropäische Arbeiterparteien weltanschaulich umzugestalten. Im deutschen CCF waren hierfür der von Alfred Weber mitkonzipierte Gedanke eines „freiheitlichen Sozialismus"357 und Carlo Schmids gelegentlich mit bildungsbürgerlicher Attitüde358 vorgetragener humanistischer Individualismus nicht untypisch.359 Auch Willy Brandt dachte in vergleichbaren Größen. Generell mag zu
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P. Lösche/F. Walter: Die SPD, S. 110. Daß auch der Keynesianismus dabei kein ganz neues Theorieelement innerhalb sozialdemokratischer Revisionismen war, zeigt Michael Held: Sozialdemokratie und Keynesianismus. Von der Weltwirtschaftskrise bis zum Godesberger Programm, Frankfurt/Main-New York 1982, S. 9196 und S. 149-188, zu Godesberg s. S. 257-266, zur Rolle Karl Schillers S. 235-248; vgl. K. Schiller: Der Ökonom, S. 10£; allg.s. S. Padgett/W.E. Paterson: Social Democracy, S. 2134. Nahezu sämtliche Vertreter revisionistisch-reformistischer Strömungen in der Labour-Party, mochten sie fabianistischer oder keynesianischer Herkunft sein, waren auch im CCF, zum Teil bei ansonsten schwerwiegenden ideologischen Differenzen. So war R.H.S. Crossman etwa ein prononcierter Linker m der britischen Arbeiterpartei, während Anthony Crosland als Vordenker der Parteirechten galt. Interessanterweise war die britische Parteirechte eher von Keynes direkt abhängig, dieweil sich linke Revisionisten bevorzugt an dem US-amerikanischen Keynesianer und Keyneskritiker John Kenneth Galbraith orientierten, was aus CCF-Sicht weiter nicht von Nachteil war, da auch er zum CCF und zur ADA gehörte. Vgl. Kenneth O. Morgan: Socialism and Social Democracy in the British Labour Party, 1945-1989, in: Archiv für Sozialgeschichte 29 (1989), S. 297-313. S.a. A.J. Nicholls: Revisionismus, in: J. Kocka/HJ. Puhle/K. Tenfelde (Hg): Arbeiterbewegung, S. 193 H.P. Ehni: Neubauforderungen, S. 138-144. Dies hatte durchaus seinen Sinn, gerade unter wahlstrategischen Gesichtspunkten. Gerhard Szczesny, der Ende der fünfziger Jahre mit seiner „Humanistischen Union" für kurze Zeit dem Münchener CCF nahestehen sollte, beklagte noch 1953, daß die SPD mit ihrem derzeitigen Erscheinungsbild bildungsbürgerliche Schichten kaum anspräche, vgl. K. Klotzbach: Programmdiskussion, S. 477. Auch auf diesem Gebiet konnte der CCF mit seinem linksintellektuellen Profil Hilfestellung gewähren.
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VI. Die deutsche Sektion des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
diesen individualistischen Ansätzen angemerkt werden, daß bei ihnen die antitotalitäre Ausrichtung in der Regel deutlicher war als bei den vom Ökonomischen her kommenden Refoimbestrebungen. Erst sekundär tauchte in diesem Spektrum der Gedanke auf, es gelte, sich einer „voluntaristische(n) und pragmatischein) Wirtschaftspolitik"360 zu stellen, deren Maßstab immer und unbedingt das Individuum zu sein habe. Demokratie war in diesem Sinne nicht mehr nur Mittel zum Zweck eines gesellschaftlich-ökonomischen Egalitarismus, sondern ein aus der Priorität des Individualismus abgeleiteter Zweck sozialdemokratischen politischen Handelns. Daher war auch nicht das Wohl und Wehe eines abstrakten Volksganzen hegelianischer Prägung programmatischer Ausgangspunkt derartiger revisionistischer Überlegungen; vielmehr war es das zwar liberal, aber nicht besitzbürgerlich interpretierte Individuum in seinem Bezug zu einer konkreten gesellschaftlichen Wirklichkeit, die ihrerseits kulturell geprägt und nicht ökonomisch determiniert war. Damit traten überdies qualitative Aspekte gegenüber streng quantifizierbaren Theoremen in den Vordergrund.361 Innerhalb der Sozialdemokratie verschoben sich, auf der Grundlage eigener programmatischer und kritisch-aufgeklärter Traditionen, die Gewichte von einer „deutschen", totalisierenden Weltanschauung hin zu einer US-amerikanisch geprägten Form westlich-konsensliberaler Ideologie. Innerhalb.dieses kurz skizzierten historisch-genetischen und ideologischen Rahmens entfaltete der CCF seine Wirksamkeit, zum Teil als Organisation, vornehmlich aber durch das Gewicht der Persönlichkeiten, aus denen er sich rekrutierte, und deren oft komplexes Verhältnis zur SPD. Der CCF bot international und national die Möglichkeit, reformistisch-revisionistische Kräfte aus allen möglichen Lagern und ganz unterschiedlicher Herkunft zusammenzufassen; er bot ihnen Publikationsforen für ihre Ideen; vernetzte sie mit US-amerikanischen Politikern und Intellektuellen analoger ideologischer Herkunft.362 So fanden sich, anfangs vordringlich unter dem Banner des Antikommunismus, Sozialisten und Sozialdemokraten, Linksliberale und parteilose Linke aus den USA, Großbritannien, Frankreich, Skandinavien, Italien und Westdeutschland zusammen, um ein transatlantisches weltanschauliches Netzwerk zu schaffen, das durchaus seinesgleichen suchte. Und wieder schuf der CCF nichts genuin Neues. Man bediente sich vorhandener Strömungen, die vorsichtig publizistisch kanalisiert wurden. Erst mit der These vom „Ende der Ideologie" trat der CCF in diesem Geschehen mit originellen Gedanken auf, die über das hinausreichten, was im US-amerikanischen Konsensliberalismus 359 360
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C. Schmid: Der ideologische
Standort, S. 259.
Ebda., S. 261. Der Begriff des „Voluntarismus" verweist dabei explizit auf die Ideale des antimarxistisch eingestellten ersten Vorsitzenden der AFL, Samuel Gompers. Ebda., S. 261 und S. 266f Beispielsweise vertrat Harold Hurwitz gelegentlich bei der Berliner SPD die Interessen der ADA: Carl Landauer (ADA) an Harold Hurwitz vom 10.3.1952, UoC-Archiv, „Der Monat "Records, Box 19, Folder 4.
6. CCF und Sozialdemokratie
389
konzeptionell vorgedacht worden war.
Im Hinblick auf den DGB war der deutsche CCF personalpolitisch weitaus weniger erfolgreich als in der SPD. Der CCF schien jedoch im DGB primär ein Instrument zu erblicken, mit dessen Hilfe man sich in einem nationalen Rahmen zu finanzieren gedachte, denn als Objekt ideologischer Neuorientierung.363 Diesem Zweck hatten auch die Verhandlungen gedient, die Graf Trauttmansdorff mit dem DGB-Vorstandsmitglied Ludwig Rosenberg über dessen Aufnahme in die deutsche Exekutive geführt hatte. Daneben gab es Versuche inhaltlicher Einflußnahme auf den DGB, die sich aber darauf beschränkten, daß sich der CCF nach 1950 offiziell an den Ruhrfestspielen beteiligen wollte. Der DGB genehmigte dies, zog dann jedoch die Zusage bald wieder zurück.364 Obwohl die ersten Kontakte des CCF zum DGB unmittelbar in die Zeit um den Berliner Kongreß zurückreichten,365 blieben eventuell vorhandene gemeinsame Möglichkeiten unausgeschöpft. Allein Otto Stolz stellte ein personelles Bindeglied zum DGB dar. Dies mag damit zusammenhängen, daß innerhalb des DGB die AFL direkter einwirkte als die ADA in der SPD.
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Jasper Petersen an Carlo Schmid vom 23.4.1952, NL Schmid, AdsD, Bd. 1929, erwartete sich
der Zuwahl von Otto Stolz in die deutsche Exekutive einen monatlichen Zuschuß des DGB in Höhe von DM 2.500,-, was sich als illusorisch erwies. Vgl. Carlo Schmid an Jasper Petersen vom 18.12.1952, ebda., Bd. 1830, der belegt, daß Schmid Petersens Hoffnungen teilte. Tätigkeitsbericht des Stuttgarter Büros vom 1.2.-15.7.1952, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 126, Folder 3. Die Absage erfolgte möglicherweise, weil der CCF über die von Kogon geleiteten Jtecklinghäuser Gespräche" hatte einsteigen wollen, Kogon inzwischen aber aus der Exekutive ausgeschieden war, vgl. Eugen Kogon an Günther Birkenfeld vom 29.1.1952, IACF/CCFArchiv, Series H, Box 193, Folder 4. Anstelle der Ruhrfestspiele brachte der CCF die geplanten Diskussionsrunden in Ludwigs Kölner „Mitfwochsgespräche" ein. Hans Böckler hatte den Gedanken gehabt, den geplanten CCF an einem internationalen kulturellen Gespräch, mit Crossman, Dirks, Farrell, Hook, Kogon, Lasky, Plievier, de Rougemont, Rousset, Russell, Silone und A. Weber zu beteiligen: Hans Böckler an Carlo Schmid vom 22.5.1950, NL Schmid, AdsD, Bd. 616. Dieses Gespräch fand unter dem Titel „Der Arbeiter und die Kultur der Gegenwart" als „Recklinghäuser Gespräch" im Juli 1950 statt, wenn auch die Vertreter des späteren internationalen CCF fehlten, s. Protokoll des Internationalen Gespräches in Recklinghausen vom 4.7.-6.7.1950, DLA, A: Plievier x, 83.1165. von
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VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
7. Krise und Ende der deutschen Exekutive Das Jahr 1952 hatte den CCF auf dem Höhepunkt seiner Aktivität gesehen. Mit einiger Zufriedenheit traf sich das deutsche Exekutivkomitee am 31. Oktober und 1. November 1952 in Anwesenheit Nabokovs in Stuttgart, ließ die erfolgversprechende Arbeit des Jahres Revue passieren und suchte neue Ziele für die nähere Zukunft.366 Um nicht fortwährend mit dem Berliner Kongreß von 1950 verwechselt zu werden, beschloß man, sich, an die französische Namensvariante anlehnend, in „Kongreß für die Freiheit der Kultur-Deutscher Ausschuß" umzubenennen. Unter dieser Bezeichnung war der CCF in Deutschland dann bis 1967 bekannt bleiben. Man dachte sogar daran, die organisatorische Basis des Kongresses um eine 150 Personen umfassende „Gesellschaft der Freunde für die Freiheit der Kultur" zu erweitern. Petersen, Linfert, Mitscherlich und Litt wurden in das Exekutivkomitee kooptiert, während, ohne jedoch für einen dem Fall Wehner vergleichbaren Streit zu sorgen, die Aufnahme der beiden Sozialdemokraten Fritz Eberhard vom SDR und Herbert Hupka vom BR erst einmal zurückgestellt wurde. Zusätzlich beschloß man einstimmig, alle Beziehungen zur „Guten Bande" in Berlin zu lösen. Rudolf
Pechel wollte aber wenigstens für zusätzliche finanzielle Leistungen an die Gruppe sorgen. Mit dem Treffen in Stuttgart war allerdings der Zenith des deutschen CCF überschritten. Keine fünfzehn Monate später existierte das deutsche Exekutivkomitee nicht mehr, waren beide Sekretäre entlassen, das westdeutsche Büro in Stuttgart geschlossen und das Berliner Büro in seinem Personalbestand rapide gekürzt worden. Zusätzlich gab es noch ein Büro in Hamburg, das gemeinsam mit Berlin ein Relikt des CCF in Deutschland darstellte. Aufgabe dieses Kapitels ist es, nachzuzeichnen, woran der CCF in Westdeutschland scheiterte. Dabei wird zu berücksichtigen sein, daß eine ganze Reihe höchst unterschiedlich gewichteter Faktoren dazu beitrug, das Ende des deutschen CCF herbeizuführen oder wenigstens zu beschleunigen. Überaus wichtig waren von Beginn an vorhandene und nie aufgelöste strukturell-organsatorische Defizite innerhalb des CCF. Zwischen der auf Effizienzsteigerung bedachten Pariser Zentrale mit ihrem transatlantischen und bald global werdenden ideologischen Penetrationsauftrag und dem Eigenbewußtsein und Eigenständigkeitsstreben der deutschen CCF-Mitglieder gab es unüberbrückbare Spannungen gerade in der Frage, wo die sachlichen Prioritäten des CCF in Deutschland zu liegen hätten: Angesichts der Tatsache, daß die Bundesre366
Tagungsbericht der Sitzung des deutschen Ausschusses vom 31.10.-1.11.1952 in Stuttgart, BA Koblenz, NL
160 (Pechel III), Bd. 99. Anwesend waren Schmid, Birkenfeld, Blacher, Brandt, Cron, Evers, Hagelstange, Meistermann, Nachtsheim, Pechel, Petersen, Nabokov und Georg Glaser aus Paris. Andres, Buber-Neumann, Plievier und Schöningh hatten sich entschuldigt.
7. Krise und Ende der deutschen Exekutive
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erkennbar eine Bastion des Antikommunismus war, erschien den meisten Deutschen das Beharren der Pariser Zentrale auf antikommunistischer Indoktrination unverständlich. Mußte nicht viel eher in Westdeutschland ein ganz anderer Weg eingeschlagen werden als in Frankreich oder Italien? Die Klagen der Deutschen über den Zentralismus der Pariser Zentrale waren ebenso alt wie häufig, vor allem, wenn die beiden Sekretariate betroffen waren.367 Mit den Sekretariaten verknüpfte sich auch die nächste organisatorische Fehlleistung des CCF. Die nicht sonderlich ausgegorene Zwischenposition der Sekretariate, die einerseits direkt Paris unterstanden, andererseits aber der deutschen Exekutive zuarbeiteten und deren Leiter zudem Mitglieder der Exekutive waren, trug nicht eben dazu bei, die ohnehin gespannten Beziehungen zwischen deutschem und internationalem CCF zu mindern. Als sich dann spätestens seit Sommer 1952 die persönlichen Kontakte zwischen Petersen und Birkenfeld vornehmlich auf den Austausch von gegenseitigen Verdächtigungen und Unhöflichkeiten beschränkten, wurde die Situation vollends unhaltbar.368 Dieser nicht allein persönliche Konflikt hing mit einer anderen internen Entwicklung zusammen, deren erste Vorbeben seit dem Jahresende 1951 spürbar wurden: Es kam innerhalb der deutschen Exekutive zur Bildung von Fraktionen, weil es unterschiedliche Konzeptionen über die Ziele der CCFArbeit in Westdeutschland gab. Der Auslöser hierfür war der Fall Wehner. Unmittelbar in dessen Umfeld hatte sich unter Rudolf Hagelstange eine Gruppe gebildet, die verhindern wollte, daß der CCF zu einem ausführenden Organ sozialdemokratischer Parteitaktik degradiert würde. Auch Rudolf Pechel, fest vom Primat antifaschistischer Arbeit überzeugt, stieß zu dieser Fronde hinzu, anfangs eher aus organisatorischen Gründen, die sich jedoch bald mit inhaltlichen Fragen vermengten. Als dann Carlo Schmid im Dezember 1952, aus Anlaß der Stuttgarter Tagung, Jasper Petersen der, obgleich CDU-Mitglied, ein treuer Gefolgsmann Schmids war die Schriftleitung innerhalb des deutschen Ausschusses übertrug, mußte jedem klar geworden sein, daß ein Konflikt
publik für jedermann
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unmittelbar bevorstand.369 Der solchermaßen in seinen Befugnissen beschnittene Günther Birkenfeld, schon lange ein Gegner der Schmid/Petersen-Gruppe, wandte sich eilends an Rudolf Pechel und klagte darüber, Schmid wolle ihn, der in Paris sowieso keine
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Max Karl Graf Trauttmansdorff an Nicolas Nabokov vom 19.7.1951, IACF/CCF-Archiv, Senes n, Box 119, Folder 6; François Bondy an Günther Birkenfeld vom 20.12.1951, ebda., Box 119, Folder LGünther Birkenfeld an François Bondy vom 24.6.1952, ebda., Box 122, Folder 1; vgl. einschränkend, aber in der Substanz nicht widersprechend Nicolas Nabokov an Günther Birkenfeld vom 5.7 1952, ebda., Box 122, Folder 2; Protokoll der Sitzung des Berliner Arbeitsausschusses vom 1.12 1951, ebda, Box 120, Folder 1. Günther Birkenfeld an Georg Meistermann vom 2.2.1953, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 22, Folder 6. Carlo Schmid an Nicolas Nabokov vom 2.12.1952, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd 99.
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VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
guten Karten habe, ganz aus der deutschen Kongreßleitung verdrängen.370 Im Internationalen Sekretariat suchte man offenbar einen Berliner Büroleiter, der
gleichermaßen im deutschen intellektuellen Milieu beheimatet sein sollte, wie er den Wünschen der Pariser Zentrale gegenüber offen zu sein hatte. Selbst wenn es angesichts der nie sehr glücklichen Personalpolitik des Internationalen Sekretariates eher unwahrscheinlich war, eine derartige Führungskraft von dort aus zu
finden, mußte die neuerlich einsetzende Suche nach ihr Ende
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Günther Birkenfeld an Carlo Schmid vom 14.12.1952, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 99 Daß Birkenfeld mit seiner Einschätzung von Nabokovs und Josselsons Haltung zu seiner Person nicht ganz falsch lag, bestätigt ein Schreiben Petersens, der mutmaßte, in Paris liefen Intrigen gegen Birkenfeld: Jasper Petersen an Carlo Schmid vom 13.5.1952, NL Schmid, AdsD, Bd. 1829. Günther Birkenfeld an Carlo Schmid vom 4.9.1952, NL Schmid, AdsD, Bd. 1830. Aktennotiz von Jasper Petersen, o.D. (vor November 1952), IACF/CCF-Archiv, Series II; Box 126, Folder 3. Sein Verlangen nach transparenterer Arbeit der Pariser Zentrale, auch im Hinblick auf Bondys ständige Kritik an den „Kontakten", oder danach, die deutschen Sekretariate der deutschen Exekutive zu unterstellen, machte prinzipiell ebenso Sinn, wie der von ihm immer verfochtene Ansatz, der CCF müsse mehr Breitenwirkung entfalten. In der gegebenen Situation erwies sich das Papier aber als unklug. Petersen hatte in einem Vortrag vor der Hamburger „Jungen Gruppe" ausgeführt, er habe dort Sorgen um Intellektuelle, wo sie „nicht mehr repräsentativ für das Grundempfinden des ganzen Volkes" dächten und handelten. Daraufhin protestierten Martin Girschner und Volker Hoffmeyer von der Hamburger Gruppe: vgl. Arbeitsblatt 1 der „Jungen Gruppe Hamburg" vom April 1953, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 123, Folder 6
1952 dazu vorhandene verschärfen. zu beitragen, Krisensymptome Pechel stimmte Birkenfeld grundsätzlich zu. Er und Hagelstange waren schon seit dem Sommer des Jahres 1952 damit unzufrieden, daß Carlo Schmid aus arbeitstechnischen Gründen kaum noch in der Lage war, die Exekutive ordentlich zu führen, und deswegen nur noch im Herbst eine Sitzung einberief.371 Während sich nun Birkenfeld, Pechel und Hagelstange sammelten, sondierte Schmid das Terrain und fand seinerseits Verbündete, an erster Stelle Petersen, der eine indes durchaus unglückliche Wahl war. Petersen hatte nämlich den schmerzlichen Nachteil, sowohl in der deutschen Exekutive als auch in Paris vollkommen isoliert zu sein. Im Herbst 1952 hatte er zusätzlich unbesonnenerweise einen massiven Angriff auf die Pariser Zentrale und Birkenfeld zugleich gestartet, indem er in einem Memorandum die völlige organisatorische und inhaltliche Neugestaltung des deutschen CCF forderte.372 Außerdem fielen just in jene Zeit Angriffe aus dem von Petersen verantworteten Bereich der „Jungen Gruppen", er sei antiintellektualistisch und ein „Kryptofaschist".373 Allerdings war dies nur beschränkt nachteilig, da der Standpunkt der „Jungen Gruppen" für die Exekutive unerheblich war und überdies ihr Bundesleiter Carl-Heinz Evers zu Schmids und Petersens Verbündeten zählte. Evers enstammte zwar der Schmid-kritischen Berliner Arbeitsgruppe, hatte sich aber dort weitgehend zurückgezogen, da er befürchtete, Birkenfeld plane, vermittels der „Guten Bande" die „Jungen Gruppen" zu unterwandern und ihn, der gerade
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373
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7. Krise und Ende der deutschen Exekutive
Berger gemeinsam mit Birkenfeld aus der Hochschulexekutive gedrängt hatte, zu entmachten.374 Birkenfeld schaffte es bald, Evers in Berlin erst Lieselotte
jeden Einfluß zu bringen.375 Zwischen der Berliner CCF-Gruppe und Schmid war es zu Verstimmungen gekommen, als der Vorsitzende der deutschen Exekutive energisch gegen den Alleingang der Berliner im Konflikt um das „Schmutz- und Schundgesetz" protestiert hatte.376 Kurz darauf brachte Jasper Petersen die Berliner Gruppe (Birkenfeld, Brandt, Blacher, Nachtsheim und Jaesrich) gegen sich auf, als er ausgerechnet gegen die Mitgliedschaft des CCF-Mitbegründers Hellmuth Jaesrich seinen Einspruch erhob, wobei die Gründe für diesen Schritt nicht mehr ersichtlich sind.377 Birkenfeld nahm diesen Schritt zum Anlaß, sich dafür zu revanchieren, daß Petersen ihn um das Amt des CCF-Schriftführers gebracht hatte, und wandte sich an den früheren Berliner Otto Stolz mit der Bitte, er möge sich dafür einsetzen, Petersen seines neuen Amtes zu entheben, was wiederum zur Folge hatte, daß Schmid Birkenfeld vor die Exekutive bringen wollte, um ihn für seine Intrigen zu maßregeln.378 Dies machte insofern wenig Sinn, als Carlo Schmid die Exekutive gar nicht einberief. Offenbar sah er aber zu diesem Zeitpunkt in Birkenfeld seinen Hauptgegner innerhalb des deutschen CCF,379 wodurch ihm verborgen blieb, daß längst Pechel und Hagelstange die treibenden Kräfte in der Gruppe der Schmid-Gegner waren. Sie standen über Birkenfeld in engem Einvernehmen mit dem Berliner CCF, wo allein Willy Brandt eine etwas unklare Position bezog. Im Frühjahr 1953 erhielt Schmids Ansehen in der deutschen Exekutive dann einen Schlag, von dem es sich nie wieder erholen sollte: die sogenannte „Stuttgarter Tonbandaffare". Mitte Februar 1953 gab Carlo Schmid den drei SDRJournalisten Valentine Miller, Helmut Fischer und Fritz Ludwig Schneider im Rahmen eines kulturpolitischen Gesprächs ein an sich nicht zur Veröffentlichung bestimmtes, aber intern mitgeschnittenes Interview, das nie gesendet wurde, jedoch dann für erheblichen Wirbel sorgte. Da der Text vom SDR bis um
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Jasper Petersen
an
Carlo Schmid
vom
12.1.1953 und Carlo Schmid
an
22.1.1953, NL Schmid, AdsD, Bd. 1831. 375 376
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JasperPetersenanCarloSchmidvoml8.3.1953,NLSchmid,AdsD,Bd.
Jasper Petersen vom
1831. Carlo Schmid an Günther Birkenfeld vom 17.11.1952, NL Schmid, AdsD, Bd. 1830. Schmid warf den Berlinern vor, sie entwickelten sich zu einer Art „Privatexekutive", deren Vorgehen die deutsche Exekutive zu präjudizieren drohe. Günther Birkenfeld an Jasper Petersen vom 15.1.1953, NL Schmid, AdsD, Bd. 1831; vgl Rundschreiben von Günther Birkenfeld vom 22.12.1952, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 99. Der Sache nach war Petersens Einspruch sinnlos, da Jaesrich formal nicht aufgenommen, sondern einfach reaktiviert wurde. Günther Birkenfeld an Otto Stolz, o.D. (Januar 1953), NL Schmid, AdsD, Bd. 1831; Carlo Schmid an Jasper Petersen vom 22.1.1953, ebda. Seit spätestens November 1952 agitierte Schmid massiv in Paris gegen Birkenfeld: Carlo Schmid an Michael Josselson vom 18.11.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 288, Folder 4: „Hen Birkenfeld fällt mir allmählich massiv auf die Nerven, und ich weiß nicht recht, wie man mit ihm auf die Dauer noch ergiebig zusammenarbeiten soll."
394
VI Die deutsche Sektion des „Kongresses für Kulturelle Freiheit"
heute nicht freigegeben wurde, muß man aus den vorliegenden Schriftwechseln und dem Pressematerial den Vorgang rekonstruieren. Schmid hatte auf alle Fälle, wohl leicht angetrunken oder fiebrig, Valentine Miller gegenüber, möglicherweise von ihr provoziert, seinen Parteifreund Fritz Eberhard, den Intendanten des SDR und dessen Frau in maßloser Form beleidigt. Als der Fall publik wurde, mußte er sich offiziell vor dem Parteivorstand und bei Eberhard privat entschuldigen. Die Journalisten wurden entlassen und es kam zu einem Prozeß vor dem Arbeitsgericht.380 Schmids Kritiker in dem deutschen Exekutivkomitee nahmen die sich bietende Gelegenheit dankbar wahr. In einem Brief an Pechel stellte Hagelstange fest, nicht allein die Büros des CCF in Deutschland, vornehmlich das in Stuttgart, erwiesen sich als unfähig, sondern insbesondere Schmid als Vorsitzender der Exekutive sei nunmehr untragbar geworden. Schmid sei intrigant, denke nur in Parteischablonen, habe nun erst schnöde und dann kniefällig gehandelt.381 Auch Birkenfeld wandte sich an Pechel und Hagelstange mit der Absicht, die Pariser Zentrale dazu zu bringen, Schmid aus der Exekutive zu entlassen. Pechel riet vorerst zu mehr Zurückhaltung, vor allem sollte nicht ausgerechnet Birkenfeld in Paris etwas unternehmen; das würden besser er und Hagelstange machen. Schon der Umstand, daß die Bundestagswahlen ins Haus stünden und Schmid daher für die SPD unabkömmlich sei, zeige, daß er der deutschen Exekutive nicht länger vorstehen könne.382 Da inzwischen auch Cron und Schöningh der Ansicht waren, der Vorsitzende des deutschen Komitees dürfe kein prominentes Parteimitglied sein, schlug Pechel vor, Schmid durch seinen Stellvertreter Cron zu ersetzen. Außerdem regte er an, Petersen zu entlassen, das Stuttgarter Büro zu schließen und Birkenfeld zum alleinigen deutschen Sekretär zu machen.383 Trotz Pecheis Bedenken hatten sich unterdessen Hagelstange und Birkenfeld separat an Nabokov und Bondy gewandt, um Carlo Schmids Ablösung durchzusetzen. Wenigstens sollte sein Auftritt bei dem geplanten Hamburger Kongreß „Wissenschaft und Freiheit" des internationalen CCF verhindert werden. Hagelstange befürwortete einen möglichst lautlosen Abgang Schmids; die Öffentlichkeit solle davon gar nicht erst in Kenntnis gesetzt werden.384 Kaum ein Moment erschien für eine solche Aktion so günstig wie dieser, da Schmid sich insgesamt in Bedrängnis befand. 380
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Carlo Schmid an Fritz Eberhard vom 23.2.1953 und vom 4.3.1953, NL Schmid, AdsD, Bd. 2015; Neue Zeitung vom 7.5.1953; Frankfurter Aflgemeine Zeitung vom 27.11.1953; vgl. Urteil des Arbeitsgerichtes Stuttgart I/Ca 121/53 vom 6.5.1953; immerhin verwandte Schmid sich für
Schneider, der auch SPD-Mitglied war, bei Adolf Grimme: Carlo Schmid an Adolf Grimme vom 25.3.1953, NL Schmid, ebda. RudolfHagelstange an Rudolf Pechel vom 11.4.1953, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd 98. RudolfPechel an RudolfHagelstange und an Helmut Cron vom 17.4.1953, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 99. Rudolf Pechel an Rudolf Hagelstange vom 14.4.1953, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98. RudolfHagelstange an RudolfPechel vom 15.4.1953, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98; Günther Birkenfeld an RudolfPechel vom 22.4.1953, ebda.
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7. Krise und Ende der deutschen Exekutive
Die Pariser Führung hatte dem Treiben der Deutschen bis dahin abwartend zugesehen und als rein interne Angelegenheit interpretiert. Obwohl ein Mitglied der Internationalen Exekutive betroffen war, hielt man offiziell noch eine
Weile an dieser Position fest, aber nicht ohne faktisch doch aktiv zu werden.385 Allerdings wußte man in Paris nicht recht, wo die eigenen Interessen in diesem Konflikt lagen. Sowohl das deutsche Exekutivkomitee als kollektives Organ, als auch Carlo Schmid als Einzelpersönlichkeit standen beim Internationalen Sekretariat nicht sehr hoch im Kurs. Schon 1951 hatte Nabokov das deutsche Komitee gegenüber de Rougemont scharf kritisiert und angemerkt, man denke daran, es ganz aufzulösen. Im gleichen Zusammenhang stellte er auch die Führungsqualitäten Schmids deutlich in Frage.386 Außerdem hatte man nicht vergessen, daß Schmid sich im Fall des Grafen Trauttmansdorff zunächst gegen diesen gestellt hatte, ihn dann verteidigte, um am Ende wieder gegen Trauttmansdorff zu agieren.387 Danach waren Bondy, Josselson und Nabokov auch mit der Aufnahme Wehners nicht einverstanden gewesen, da sie den überparteilichen Charakter der deutschen Exekutive nicht beeinträchtigt sehen wollten. Man war sich vollkommen darüber im klaren, daß Schmid als Parteipohtiker handelte und wußte auch, daß er zeitlich sehr eingeschränkt war. Als Vorsitzender der deutschen Exekutive war er denkbar ungeeignet. Selbst auf der internationalen Ebene war es seitens Ignazio Silones bereits zu Kritik an Schmids mangelndem Engagement gekommen.388 Dennoch verteidigte Nabokov Schmid, und er sollte ihn auch fürderhin verteidigen. Daher verweigerte er sich dem Ansinnen, Schmid von der Hamburger Konferenz auszuladen, und legte statt dessen der deutschen Exekutive nahe, sich am Rande dieser Tagung zu treffen und sich über die eigene Zukunft zu verständigen.389 Zugleich signalisierte Nabokov Hagelstange, man habe in Paris volles Verständnis für die Vorbehalte der Deutschen gegenüber Schmid, werde sich aber weiterhin aus der Diskussion heraushalten. Dies führte wiederum zu einer heftigen Reaktion Schmids, der Nabokov vorwarf, sich von den Intrigen der anderen Seite vereinnahmen zu lassen.390 Wohl von Schmid angewiesen, versuchte daraufhin Petersen, die Ausschußsitzung in Hamburg zu verhindern, diesmal
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Nicolas Nabokov
an
Rudolf Hagelstange
vom
10.6.1953 und
vom
10.7.1953,
IACF/CCF-
Archiv, Series I, Box 1, Folder 3; Nicolas Nabokov an Jasper Petersen vom 27.6.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 5. Nicolas Nabokov an Denis de Rougemont vom 16.7.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 246, Folder 4; vgl.a. für das Jahr 1952: Wolf von Eckart an Melvin J. Lasky vom 29.2.1952, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 18. Folder 1. Nicolas Nabokov an Carlo Schmid vom 27.7.1951, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 246,
Folder 4. Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 31.5.1952, S. 122, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 3, Folder 1. RudolfPechel an Günther Birkenfeld vom 15.6.1953, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 99. Jasper Petersen an Carlo Schmid vom 29.6 1953 und Carlo Schmid an Nicolas Nabokov vom 16.7.1953, NL Schmid, AdsD, Bd. 1831.
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VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
aber ohne Erfolg.391 Am 25. Juli 1953 trafen sich dann die Mitglieder des geschäftsführenden deutschen Ausschusses in Hamburg. Für den internationalen CCF waren Nabokov und Josselson anwesend, ansonsten waren mit Schmid, Evers, Petersen, Pechel, Hagelstange und Birkenfeld die bedeutendsten Vorkämpfer beider Seiten gekommen. Cron ließ sich, ebenso wie Willy Brandt, entschuldigen. Der Stuttgarter Journalist hatte im Vorfeld signalisiert, er sei des Streites müde, und mit Austritt gedroht.392 Zum Verdruß Birkenfelds fungierte Petersen als Schrift-
führer.393
Zwar wurden noch einmal anstehende Projekte besprochen, der geplante Kunstpreis des deutschen Ausschusses oder die „Gesellschaft der Freunde" beispielsweise, aber längst standen die internen Konflikte und Rivalitäten im Vordergrund. Birkenfelds Versuch, Evers ausschließen zu lassen, scheiterte an Schmids Einspruch. Daraufhin griff der Berliner Büroleiter Petersen wegen dessen Untätigkeit im Zusammenhang mit der „Gesellschaft der Freunde" an, was im Gegenzug dazu führte, daß Schmid die Berliner Gruppe bezichtigte, sie würde zu viele Personen aus dem Umfeld der „Neuen Zeitung" in die Gesellschaft einzuschleusen versuchen. Die Vertreter des internationalen CCF hielten sich anfangs zurück. Erst als Petersen die Rede auf den Kunstpreis brachte, unterbrach Josselson ihn und erklärte, dies falle in die alleinige Zuständigkeit der Internationalen Exekutive, woraufhin Pechel der taktische Fehler unterlief, Nabokov und Josselson gegen seine Richtung aufzubringen, indem er eine Grundsatzdebatte über das Verhältnis von deutscher und internationaler Exekutive entfachte. Schmid betonte demgegenüber zwar die Unabhängigkeit der deutschen Exekutive, berief sich dann aber darauf daß die deutsche Exekutive ausschließlich von Geldern der Pariser Zentrale zehrte, was der internationalen Exekutive und dem Sekretariat natürlich ein erhebliches Mitsprache- und Kontrollrecht einräume. Nach diesem Vorgeplänkel griffen Pechel und Hagelstange Carlo Schmid direkt und mit allen bekannten Argumenten an. Übergangslos brachen nun Streitigkeiten zwischen Birkenfeld un Petersen sowie zwischen Hagelstange, Birkenfeld, Evers und Petersen über die gesamte Politik des CCF der vergangenen drei Jahre aus. Evers und Petersen boten ihren Rücktritt an, den Schmid aber nicht akzeptierte. Auf die Forderung, selber zurückzutreten, ging er gar nicht erst ein. In allgemeiner Ratlosigkeit endete die Sitzung, ohne daß Nabokov oder Josselson erneut eingegriffen hätten. Man verschob alles auf eine neue Sitzung im Herbst, die aber nicht mehr stattfinden sollte. Im Gegensatz zu den Hoffnungen im Internationalen Sekretariat hatte Ham-
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Jasper Petersen an RudolfPechel vom 19.6.1953, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd 99. Vgl. Helmut Cron an Carlo Schmid vom 21.7.1953, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 99. Tagungsbericht des geschäftsführenden deutschen Ausschusses in Hamburg vom 25.7.1953, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 99.
7 Krise und Ende der deutschen Exekutive
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bürg nur dazu beigetragen, die vorhandenen Spannungen noch zu verschärfen. Im Nachspiel zu dem Treffen kam es zwischen Schmid und Hagelstange noch zu einem äußerst unerquicklichen persönlichen Streit, der endlich jedermann
deutlich machen mußte, daß die deutsche Exekutive in dieser Zusammensetzung vollkommen handlungsunfähig geworden war. Hagelstange nahm die Gelegenheit wahr, aus dem deutschen Ausschuß auszutreten.394 Nachdem femer Rudolf Pechel und Hans Nachtsheim ihre Kritik an Schmid intensiviert hatten, schloß sich auch Willy Brandt der Phalanx von Schmids Gegnern an.395 Dies alles hinderte Schmid indes nicht, unbedingt an seinem Führungsanspruch in der deutschen Exekutive festzuhalten. Nabokov und das Pariser Sekretariat reagierten verunsichert. Kurz vor dem Hamburger Treffen hatte er Schmids hinhaltende Taktik bemängelt,396 unmittelbar danach zeigte er sich persönlich vom Umgangston in der deutschen Sektion betroffen: „Den unangenehmen, traurigen Samstag Abend möchte ich aus meinem Gedächtnis für immer wegtun,..."397 Am 1. August 1953 war man sich in Paris darüber klar geworden, welche Vorgehensweise sinnvollerweise eingeschlagen werden konnte. Es war Michael Josselson, der die Initiative ergriff. Nach seiner Ansicht mußten Birkenfeld und Petersen die Exekutive verlassen, Petersen sei zusätzlich zu kündigen. Mittelfristig müsse man sich überlegen, auch das Berliner Sekretariat neu zu besetzen. Das Stuttgarter Büro werde zugunsten des Hamburger Tagungsbüros, das seinerseits perpetuiert werde, aufgelöst. Ansonsten läge es an Schmid, die Arbeitsfähigkeit der deutschen Sektion wiederherzustellen.398 Josselsons Vorschläge liefen darauf hinaus, die beiden deutschen Sekretariate wieder komplett der Kontrolle des Pariser Generalsekretariates zu unterstellen, da man zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu erkennen vermochte, wie sehr Margot Schrepfer in Hamburg auf Eigenständigkeit beharren würde. Insbesondere sollten die beiden Sekretariate keinesfalls mehr in irgendeiner Weise der als inkompetent eingeschätzten deutschen Exekutive zugeordnet sein. Problematischerweise nahm man in Paris die Konflikte in Westdeutschland nahezu ausschließlich als Resultat der Intrigen des ungeliebten Günther Birkenfeld zur Kenntnis, ohne sieht man von der angestrebten Reorganisation der Sekretariate ab die tiefer liegenden kausalen Momente zu beachten. Bis zu einem gewissen Grade kamen Josselson und Nabokov die Streitigkeiten der Deutschen gerade recht, da man Petersen ohnehin entlassen wollte, um mit -
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Rudolf Hagelstange an Carlo Schmid vom 29.7.1953, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98. Günther Birkenleid an Rudolf Pechel vom 17.8.1953, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98; Rudolf Pechel an Rudolf Hagelstange vom 11.8.1953, ebda., Bd. 99. Nicolas Nabokov an Carlo Schmid vom 4.7.1953, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 1, Folder 7. Nicolas Nabokov an Carlo Schmid vom 4.7.1953, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 1, Folder 7. Michael Josselson an Carlo Schmid vom 1 8.1953, NL Schmid, AdsD, Bd. 1831.
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VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Bruno Snell von Hamburg aus den deutschen CCF neu zu strukturieren.399 So eskalierte der Konflikt erst einmal weiter, da die Deutschen untereinander kaum mehr gesprächsfähig waren und die Pariser Zentrale bestenfalls damit beschäftigt war, Symptome zu kurieren. Doch dann sorgte ein Ereignis kurzzeitig dafür, daß wenigstens die Berliner CCF-Gruppe noch einmal beweisen konnte, welches Potential eigentlich in ihr steckte, obwohl sie kurz nach der Hamburger Konferenz ihren bedeutendsten Gönner, Ernst Reuter, unerwartet verlor. Der Arbeiteraufstand rund um den 17. Juni 1953 ermöglichte es dem Berliner CCF ein letztes Mal, sich mit seinem ganzen Gewicht in die kulturelle Szene Berlins einzubringen. Dies war möglich, weil die Berliner Gruppe doch recht tief im Berliner intellektuellen Milieu verwurzelt war. Gemeinsam mit dem „Monat" hatte man dort einen Zirkel von etwa 30 Schriftstellern, Journalisten, Politikern und Angehörigen der FU Berlin aufgebaut, dessen Treffen durchaus lebendig verliefen, auch wenn Bondy das nicht immer so sah.400 Zusätzlich war der Berliner Ausschuß seit längerer Zeit in der kulturellen Flüchtlingsbetreuung engagiert, wo Birkenfeld mit einer gewissen Effizienz wirkte. Der 17. Juni gab den Berlinern die Möglichkeit, diese Arbeit noch einmal deutlich zu intensivieren. Als unerwartete Nebenwirkung bot der Vorgang dann aber dem Internationalen Generalsekretariat auch den langersehnten Anlaß, Günther Birkenfeld zu entlassen, was zu keinem Zeitpunkt etwas mit der Organisation der Flüchtlingshilfe zu tun hatte. Diese nämlich lief recht gut an. Dabei war es weder für die Berliner CCFGruppe noch für den „Monat" absehbar gewesen, was genau da auf sie zukam. Trotz langjähriger und intensiver Beobachtung der ostdeutschen Szenerie waren Berliner und Pariser CCF-Mitarbeiter vollkommen von den Ereignissen überrascht, die sich im Juli 1953 in Ostdeutschland abspielten. Teilweise lag dies daran, daß man die ostdeutschen intellektuellen beobachtet hatte, deren Beitrag zum Vorlauf des Aufstandes eher bescheiden ausgefallen war,401 während man von der Arbeiterschaft, trotz des ausgefeilten „Monat"-Verteilernetzes, kaum Notiz genommen hatte. Noch im unmittelbaren Vorfeld der Revolte vom Juni 1953 war der Berliner CCF ganz unspektakulär damit beschäftigt, den Berlinbesuch Gary Coopers zu organisieren, der mit „High Noon" gerade den „Oscar" gewonnen hatte und nun in seiner Funktion als Repräsentant der US-Schauspielergewerkschaft nach Deutschland gekommen war.402 Dann kam der 17. Juni. Am selben Tag noch 399 400
401 402
Nicolas Nabokov an RudolfPechel vom 10.6.1953, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 99. Melvm J. Lasky an Fritz-René Allemann vom 22.1 1952, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 16, Folder 9; Tätigkeitsbericht des Berliner Büros von Februar-September 1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 1. RIAS-Kommentar von Günther Birkenfeld vom 20.6.1953, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 122, Folder 4. Michael Josselson an Günther Birkenfeld vom 15.6.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 1
7 Krise und Ende der deutschen Exekutive
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gab Birkenfeld die Nachricht von dem Geschehen in Ostdeutschland eiligst an Paris weiter, wo man sofort den eigenen Apparat in Bewegung setzte, um
internationale Solidaritätsmaßnahmen zu koordinieren. Josselson war hellauf begeistert. Ein Ereignis von welthistorischer Bedeutung, am ehesten dem Kronstadter Matrosenaufstand vergleichbar, spielte sich unmittelbar vor den Augen des Kongresses ab, das Ende des Kommunismus schien eingeleitet zu sein. Endlich würde den wesdichen Politikern klar werden, daß eine Politik der Schwäche gegenüber dem Osten nur in die Katastrophe führen könne.403 Während nun Haakon Lie in Skandinavien propagandistisch tätig wurde, organisierte das Pariser Sekretariat ein gemeinsames Solidaritätstelegramm von CCF und ACCF an Ernst Reuter. Die „Amis de la Liberté" veranstalteten in Paris zusätzlich eine Kundgebung, zu der von Melvin Lasky persönlich ausgewählte ostdeutsche Flüchtlinge als Redner geschickt wurden. Nachdem alles vorbei war, beteiligte sich der CCF am Aufbau des von Rainer Hildebrandt von der KgU initiierten Komitees „17. Juni" mit DM 100,-. Die Berliner Gruppe wurde erst einmal angewiesen, Coopers Pressekonferenz zu aktualisieren und größer aufzuziehen.404 Ansonsten fiel dem Berliner CCF vornehmlich die Aufgabe zu, gemeinsam mit der Redaktion des „Monat" die Ereignisse zu verfolgen und möglichst detailliert zu dokumentieren, wobei man Wert darauf legte, die Spontaneität des Aufstandes zu betonen. Weder hätte es eine ostdeutsche Untergrundbewegung gegeben noch hätten westliche Stellen den Ereignissen vorgearbeitet.405 In CCF-nahen Kreisen, vor allem im ACCF, herrschte eher die Auffassung vor, der Westen habe im Zusammenhang mit dem 17. Juni zu wenig getan. Im Endeffekt sei eine Chance, dem Kommunismus eine bittere
Niederlage zu bescheren, vertan worden.406 Aber nicht allem die Propagandaarbeit konnte sofort anlaufen. Kaum war der Arbeiteraufstand in Ostdeutschland niedergeschlagen, strömten neue 403
404
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406
Günther Birkenfeld an Michael Josselson vom 17.6.1953, Series II, Box 122, Folder 4; Michael Josselson an Sigfrido Ciccotti vom 19.6.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 2; Michael Josselson an Sol Levitas vom 18 6.1953, ebda., Box l,Folder4. Michael Josselson an Günther Birkenfeld vom 18.7.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder l;Michael Josselson an Günther Birkenfeld vom 6 7.1953, ebda.; Telegramm des Pariser Sekretariates an das Berliner Büro vom 19.6 1953, ebda.; Telegramm von Nicolas Nabokov an das Berliner Büro vom 18.6.1953, ebda.; Michael Josselson an Jaques Enock vom 25.6.1953, ebda., Box 1, Folder 2; Günther Birkenfeld an Michael Josselson vom 22.6.1953, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 122, Folder 4. Irving Brown an Michael Josselson vom 24.7.1953, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 47, Folder 9; Die Unterlagen der „Monat" -Redaktion, einschließlich der Verhörunterlagen von ostdeutschen Flüchtlingen und eines ausfilhrlichen Berichts von Joachim G Leithäuser von der „Guten Bande" finden sich in UoC-Archiv, „Der Monat"-Records, Box 22, Folder 7ff. und Box 23, Folder 1, vgl. Seymour M. Lipset an die „New York Times" vom 24.6.1953, ebda., Box 25, Folder 4; Bericht von Richard Löwenthal und von Melvin J. Lasky über den ostdeutschen Aufstand am 17. Juni 1953 vom 26.6.1953 und vom 22.6.1953, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98. Löwenthal hebt die im Vergleich zum CCF deutlich aktivere Rolle vom RIAS, der SPD und des DGB während des Aufstandes hervor. Geoffrey R. Lewis an Sol Levitas vom 19 10.1953, NL Mühlen, Box 18.
400
VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit'
zumeist nach Westberlin.407 In diesem Fall konnte der örtliche CCF auf eine bewährte Infrastruktur und ein nicht minder bewährtes Konzept kultureller Flüchtlingsbetreuung zurückgreifen, die beide nur quantitativ erweitert werden mußten. Dem eigenen Selbstverständnis treu bleibend, sorgte man sich ausschließlich um ostdeutsche intellektuelle Flüchtlinge direkt, alle anderen wurden von weitergefaßten Maßnahmen erreicht. Im November 1952 war zwischen CCF und Senat von Westberlin eine enge Zusammenarbeit in Flüchlingsfragen vereinbart worde, seit Jahresbeginn 1953 hatte der Berliner CCF seine Aktivitäten dann ausgeweitet.408 Der Kongreß konzipierte alsbald eine Lagerzeitung und richtete eine eigene Lesehalle ein, in der Bücher, Zeitschriften, Broschüren und Sonderdrucke aus dem Umfeld von CCF und „Monat" verteilt wurden. Mit der Flüchtlingswelle nach dem 17. Juni wurde diese Tätigkeit noch einmal intensiviert. Zugleich wurden Zimmer für ostdeutsche Intellektuelle, die der CCF betreute und anschließend nach Westdeutschland weiter vermittelte, angemietet oder im CCF-Haus zur Verfügung gestellt.409 Im Verlaufe der Arbeit mit den ostdeutschen Flüchtlingen, die vom Frankfurter „Institut für Sozialforschung" soziologisch begleitet werden sollte,410 kam Birkenfeld die Erkenntnis, daß obwohl die deutsche Teilung gerade erst vier Jahre andauerte, offenkundig ein gewisser Prozeß der psychologischen Entfremdung zwischen den Deutschen in Ost und West ablief, den es genauer zu untersuchen gelte, was er bei Pechel anregte. Seiner Ansicht nach seien die Ostdeutschen zwar nicht kommunistisch, wohl aber sehr viel sozialer eingestellt als die Westdeutschen. Bei einer künftigen Wiedervereinigung sei Westdeutschland gezwungen, eine klarer strukturierte Sozialpolitik einzuleiten.
Flüchtlingswellen in den Westen,
407
Vgl. Valur Ingimundarson: Cold War Misperceptions: The Communist and Western Responto the East German Refugee Crisis, in: Journal of Contemporary History 29(1994), S. 463-
ses
408
409
482. Günther Birkenfeld an Otto Bach (Senator für Sozialwesen) vom 11.11.1952, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 120, Folder 1; Tätigkeitsbericht des Berliner Büros vom Februar 1953, ebda, Box 120, Folder 2. Günther Birkenfeld an Michael Josselson vom 20.11.1953 und Günther Birkenfeld an Carlo Schmid vom 24.11.1953, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 122, Folder 3; Günther Birkenfeld an Michael Josselson vom 18.3.1953 und Bericht von Günther Birkenfeld über die kulturelle Flüchtlingsarbeit vom 2.3.1953, ebda., Box 122, Folder 4, wonach der CCF dem Berliner Büro im ersten Quartal DM 2 000,- für alle Maßnahmen bereitgestellt hatte. Birkenfeld verlangte allerdings weitere DM 2.000,-. Das Lagerzeitungsprojekt stieß sofort auf die Kritik Schmids und Josselsons, die keinen dem Aufwand entsprechenden Nutzen erkannten, vgl. Michael Josselson an Carlo Schmid vom 21.11.1952 und Carlo Schmid an Günther Birkenfeld vom 27.11.1952, ebda Box 288, Folder 4. Michael Josselson an Günther Birkenfeld vom 10.2.1953, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 122, Folder 4; das Projekt ging auf eine Anregung Horkheimers zurück: Max Horkheimer an Günther Birkenfeld vom 1 12.1952 und Exposé des Instituts für Sozialforschung vom 27.11.1952 sowie Günther Birkenfeld an das Institut fur Sozialforschung vom 19.12.1952, ebda., Box 122, Folder 3. Das Projekt kam offenbar nicht zustande, da Josselson in seinem angeführten Schreiben „den Namen des Kongresses nicht mit jeder x-beliebigen Organisation in Verbindung bringen" wollte. ,
410
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7 Krise und Ende der deutschen Exekutive
Pechel reagierte ungläubig und unwillig zugleich. In seinen Augen waren Birkenfelds Feststellungen eher oberflächliche Bestandsaufnahmen.411 Im Rückblick hat es jedoch den Anschein, als seien damals erste Anzeichen für beginnende Mentalitätsverschiebungen in beiden deutschen Teilstaaten erkennbar geworden, möglicherweise auch Anzeichen für frühe, unbewußte Erfolge des ideellen Westintegrationskonzeptes gegenüber einer in „deutschen" Werthaltungen verharrenden ostdeutschen Bevölkerung. Dennoch sollte hier nicht überinterpretiert werden. Im November/Dezember 1953 war man dann in Paris unter dem Eindruck der sich verschärfenden Krise des deutschen Exekutivkomitees zu der Ansicht gelangt, daß die kulturelle Flüchtlingsarbeit in Berlin unhaltbar geworden sei. Zunächst wurde, aus Sicherheitsbedenken, allen Ostdeutschen der Aufenthalt auf dem Berliner Kongreßhaus untersagt, dann, verursacht von dem endgültigen Zusammenbruch der deutschen Sektion, der Befehl gegeben, die Flüchtlingsbetreuung zum 1. April 1954 einzustellen.412 Birkenfeld erlebte dies nicht mehr. Nachdem seine Frau wegen angeblicher Kontakte zu ostdeutschen Flüchtlingen in Paris als Sicherheitsrisiko denunziert worden war, hatte die Kongreßleitung ihn auch privat massiv unter Druck gesetzt. Darin vermutete Birkenfeld einen weiteren Versuch seines alten Feindes aus frühen Besatzungstagen, Michael Josselson, ihn loszuwerden. Zusätzlich untersagte Nabokov Birkenfeld jede eigenverantwortliche Tätigkeit im Berliner Büro, was einer administrativen Entmündigung gleichkam. Angesichts der desolaten Situation im deutschen CCF kündigte Birkenfeld zum 1. März 1954.413 Gleichzeitig mit dem Bestreben, Birkenfeld zu entlassen, war Josselson bemüht, Willy Brandt auf die Seite der Pariser Zentrale zu ziehen. Ein entsprechender Vorstoß wurde jedoch von Brandt nur sehr kühl aufgenommen.414 Das Ende der Flüchtlingsarbeit des Berliner CCF paßte in den Gesamtrahmen des Niederganges der deutschen CCF-Sektion. Dort war, nach dem 411
Günther Birkenfeld an Rudolf Pechel vom 11.11.1953 und Rudolf Pechel an Günther Birkenfeld 22.11.1953, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 99. Pechel stand einer wissenschaftlichen Analyse durch Horkheimers Institut deutlich offener gegenüber als Josselson. Nicolas Nabokov an Günther Birkenfeld vom 18.11.1953 und Günther Birkenfeld an das Internationale Generalsekretariat vom 21.11.1953, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 122, Folder 7; Wolf Jobst Siedler andas Internationale Generalsekretariat vom 26.2.1954, ebda., Box 120, Folder 4. Nach Siedlers Angaben waren seit Februar 1953 40.339 Bücher, 3.673 Jugendschriften, 673.822 Broschüren, 468.761 Zeitschriften und 394.137 Zeitungen vom CCF in seiner Lesehalle verteilt worden. Die Arbeit war gemeinsam mit dem Bundesministerium ftlr gesamtdeutsche Fragen durchgeftlhrt worden. Vgl. ferner Michael Josselson an Wolf Jobst Siedler vom 1.3.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 3, Folder 4. Günther Birkenfeld an Rudolf Pechel vom 18.12.1953, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98; vgl. Nicolas Nabokov an Günther Birkenfeld, Carlo Schmid und Willy Brandt vom 18.11.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 1. Brandt sollte sich anstelle Birkenfelds um die Geschäfte des Berliner CCF kümmern, wenn auch nicht als Büroleiter: Michael Josselson an Willy Brandt vom 18.11.1953, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 41, Folder 2; Willy Brandt an Michael Josselson vom 22.1.1954, ebda Box 41, Folder 3. vom
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„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Hamburger Eklat, inzwischen entschieden worden, das Stuttgarter Büro zugunsten der Hamburger Organisation aufzulösen. Es kehrte aber keine Ruhe ein, da Jasper Petersen sich, anfangs von Carlo Schmid gedeckt, strikt weigerte, seinen
Posten zu räumen.415 Doch sowohl Nabokov als auch Josselson griffen ihn wegen seines Protokolls der Hamburger Sitzung, das den internen Zustand des deutschen CCF etwas zu genau wiedergegeben hatte, vor allem aber wegen seiner Untätigkeit an. Josselson wandte sich direkt an Carlo Schmid und machte ihm klar, daß man in Paris Petersen auf keinen Fall weiter dulden werde. Daraufhin wurde deutlich, daß Schmid, im Gegensatz zu Evers, der Petersen gegenüber loyal blieb, nicht bereit war, seinen Mitarbeiter weiter zu stützen. Mitte Oktober 1953 resignierte Petersen und trat zum 31. März 1954 zurück, was die Pariser Zentrale ohne Zögern akzeptierte.416 Die Entscheidung, Petersen zur Demission zu zwingen, war aber nicht allein Ausdruck persönlicher Antipathien und Konkurrenzen, obgleich diese für den Verlauf des Konfliktes maßgeblich gewesen waren, sondern zugleich Ergebnis einer durchaus korrekten Lageanalyse der Pariser Zentrale. Es war Nabokov und Josselson nicht verborgen geblieben, daß Stuttgart, im Gegensatz zu Berlin oder Hamburg,
nicht gerade zu den intellektuellen Zentren der Bundesrepublik gehörte und daß ein Kongreßbüro dort niemandem nutzte. Von Stuttgart aus Einfluß auf das geistige Leben Westdeutschlands nehmen zu wollen, erschien reichlich verwegen. Solche strategischen Gründe rechtfertigten sachlich die ergriffenen Maß-
nahmen.417
Wenn auch die Pariser Kongreßleitung gehofft haben mag, mit der de factoEntmachtung der beiden rivalisierenden Sekretäre sei die Krise im deutschen CCF gelöst, zeigte sich spätestens im November/Dezember 1953, daß dies eine Fehleinschätzung war. Da Schmid durch den Bundestagswahlkampf und andere politische Aktivitäten verhindert war, kam es nicht zu dem für Herbst angekündigten klärenden Treffen der deutschen Exekutive. Schmid ließ durch Petersen verlauten, man werde auf der Sitzung des internationalen Exekutivkomitees Ende November in Rom die deutschen Probleme ansprechen und lösen.418 In der Tat hatte man sich inzwischen in Paris neue Gedanken über die Lage in Westdeutschland gemacht, die zum Teil auf frühere Ansätze zurückgriffen. Nabokov legte Schmid die entsprechenden Entwürfe vor: Der deutsche Aus415
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Nicolas Nabokov an Rudolf Pechel vom 10.6.1953 und Michael Josselson an Jasper Petersen vom 23.9.1953 (3. Briet), IACF/CCF-Archiv, Series I, Box I, Folder 6; Jasper Petersen an Carlo Schmid vom 1.10.1953, NL Schmid, AdsD, Bd. 1831. Michael Josselson an Jasper Petersen vom 23.9.1953 ( 1. Brief), IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 6; N.N. (Michael Josselson) an Carlo Schmid vom 24.9.1953, ebda.; Carl-Heinz Evers an Jasper Petersen vom 12.10.1953, NL Schmid, AdsD, Bd. 1831 ; Michael Josselson an Carlo Schmid vom 4.11.1953 und Nicolas Nabokov an Carlo Schmid vom 3.11.1953 ( 1. und 2 Brief), IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 7. Nicolas Nabokov an Carlo Schmid vom 3.11.1953 (1. Brief), IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 7. Jasper Petersen an RudolfPechel vom 27.11.1953, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 99
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7. Krise und Ende der deutschen Exekutive
schuß sollte nur noch als loses organisatorisches Gebilde existieren, ohne jedes Mitspracherecht bei den beiden direkt von Paris aus verwalteten Sekretariaten. Schmid solle zugunsten Snells auf den Vorsitz verzichten, das Berliner Büro zugunsten des Hamburgers reduziert werden.419 Allerdings scheint noch keine Seite daran gedacht zu haben, die deutsche Exekutive ganz aufzulösen. Als Schmid vor einem kurzem Aufenthalt in Paris sich bei Birkenfeld meldete, gab er nur die Pläne Nabokovs weiter.420 Selbst zehn Tage vor der entscheidenden Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees gaben Nabokov und Josselson mit keinem Wort zu erkennen, welch fundamentaler Wandel der deutschen CCF-Sektion bevorstand.421 Dann geschah aber doch, womit niemand ernsthaft gerechnet hatte: Nachdem Nicolas Nabokov auf der römischen Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees422 sich in seinem Rechenschaftsbericht noch ausgesprochen positiv über die Arbeit des CCF in Westdeutschland ausgesprochen hatte, meldete sich Carlo Schmid, unterstützt von Raymond Aron, zu Wort. In seinem Redebeitrag widersprach Schmid dem Internationalen Generalsekretär und übte heftige Kritik an der mangelnden Effizienz der deutschen CCF-Sektion. Zudem könne in Deutschland weder von einer kommunistischen noch neofaschistischen Gefahr für die kulturelle Freiheit gesprochen werden; die von ihm im vergangenen Jahr so stark betonten klerikalen Tendenzen erwähnte er überhaupt nicht mehr. Die Bundesrepublik sei eine stabile parlamentarische Demokratie. Obendrein fehle es ihr an einem intellektuellen Zentrum, was die Möglickeiten des CCF erheblich einschränke. Danach schlug er vor, die deutsche Exekutive aufzulösen und in kleine, Paris direkt unterstellte lokale Einheiten neu zu
gliedern. Die übrigen Mitglieder des Komitees reagierten verblüfft. Ausgerechnet die Sektion jenes Landes zu zerschlagen, in dem der Kongreß gegründet worden war, erschien einigen absonderlich. Dennoch gelang es Schmid und über-
raschenderweise Nabokov sowie Josselson, das Gremium von der Notwendigkeit des Schrittes zu überzeugen. Offensichtlich hatten sich die drei sehr -
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Nicolas Nabokov an Carlo Schmid vom 3.11.1953 (1. Brief), IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 7. Günther Birkenfeld an Rudolf Hagelstange vom 2.11.1953, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 22, Folder 5. Im Einladungsschreiben an die Mitglieder der Exekutive fand sich kein Wort über die deutsche Situation: Michael Josselson an Raymond Aron vom 6.11.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 1. Ebensowenig in einem Schreiben Nabokovs an Schmid kurz vor der Sitzung: Nicolas Nabokov an Carlo Schmid vom 17.11.1953, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 288, Folder 4 Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees in Rom vom 26. und 27.11.1953, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 3, Folder 3. Anwesend waren: Raymond Aron, Pierre Bolomey, François Bondy, Irving Brown, Nicola Chiaromonte, Jaques Enock, Julius Fleischmann, Sidney Hook, Michael Josselson, Haakon Lie, Minoo Masani, Malcolm Muggeridge, Michael Polanyi, Denis de Rougemont, David Rousset, Carlo Schmid und Stephen Spender sowie der Kongreßjustitiar Rosenthal.
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„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
kurzfristig abgestimmt, da Nabokov nicht einmal mehr dazu gekommen war, seinen eigenen Bericht zu überarbeiten und sich nun andauernd selber korrigieren mußte.423 So beschloß die Internationale Exekutive einhellig, das deutsche Komitee aufzulösen, die „Kontakte" einzustellen, das Büropersonal
in Westdeutschland und Westberlin drastisch zu reduzieren und anstelle Helmut Crons Bruno Snell in die Internationale Exekutive zu berufen. Dieses Vorgehen sollte in der Geschichte des CCF einmalig bleiben. Zwar gab es immer wieder Krisen und Probleme in den nationalen Sektionen, manch eine mußte auch supendiert werden, aber daß eine bestehende und arbeitende Sektion derart rigoros und ohne vorherige Rücksprache mit den Mitgliedern aufgelöst wurde, kam nie mehr vor. Sicherlich war man in Paris der endlosen Querelen in der deutschen Sektion überdrüssig geworden. Man hatte auch finanzielle Probleme, da der CCF seine Arbeit in Asien und Lateinamerika zu intensivieren gedachte, dennoch erschließt sich die Ratio dieses Beschlusses dem rückblickenden Beobachter nicht unmittelbar. Dies ändert sich auch bei genauerem Hinsehen nicht. Kaum nachvollziehbar erscheint die unbedingte Hinwendung der Pariser Bürokraten zu dem ungeliebten Carlo Schmid, dessen Unfähigkeit gerade Nabokov und Josselson, aber auch Lasky schon lange intern bemängelt hatten. Die kongreßinterne Tendenz, auf „große Namen", das heißt bekannte Persönlichkeiten, zu setzen, erklärt den Ablauf nur begrenzt, denn immerhin setzte man den Kontakt zu 19 weiteren Intellektuellen aufs Spiel. Eher dürfte die Erwägung über Schmids Stellung in der SPD eine Rolle gespielt haben, ohne daß sich dies in den Quellen niederschlug. Kaum einsichtig erscheint ferner, daß man wirklich an Schmids Begründung glaubte, selbst wenn es im Umfeld von CCF und HICOG seit 1950 Personen gab, die der Ansicht waren, das „re-orientation"-Projekt sei bereits erfolgreich abgeschlossen.424 Ein Jahr zuvor hatte man noch Befürchtungen wegen der rechtsextremen Zeitschrift „Nation Europa" gehabt, ein Jahr später machte man sich gleichfalls Sorgen über die Deutschen, 1953 aber verkündete Nabokov gegenüber Birkenfeld, man glaube nicht, daß in Westdeutschland antitotalitäre Arbeit weiterhin vonnöten sei, Italien, Frankreich und Indien seien allemal entscheidender.425 Damit widersprach er auch der Lageanalyse sämtlicher deutscher CCF-Mitglieder, mit Ausnahme Carlo Schmids. Während die Motive des internationalen CCF im Dunkeln bleiben müssen, 423
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Noch am 20.11.1953 scheint es zwischen Nabokov, Josselson und Schmid kein Einvernehmen über weitere Schritte gegeben zu haben, auch hier war von einer Auflösung nicht die Rede: Michael Josselson an Nicolas Nabokov vom 20.11.1953, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 243, Folder 9. Leo P. Crespi (Reactions Analysis Branch, ISD, HICOG): Information Bulletin vom April 1950, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 6, Folder 6, der daraufhinwies, daß sich statistisch kein Anwachsen des deutschen Nationalismus feststellen lasse, sondern dieser ganz im Gegenteil rückläufig sei. Günther Birkenfeld an RudolfPechel vom 18.12.1953, BAKoblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98.
7. Krise und Ende der deutschen Exekutive
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erscheinen die Schmids, des Hauptverantwortlichen für diesen Beschluß, umso klarer: Er wollte seine Rivalen im deutschen CCF disziplinieren und zugleich seine Stellung im internationalen CCF nicht verlieren. Insbesondere der Vorschlag des Generalsekretariates, ihn durch Snell als Exekutiworsitzenden ablösen zu lassen, dürfte hierbei ausschlaggebend gewesen sein. Die Idee, das Komitee einfach aufzulösen, war wohl Jasper Petersen auf Anregung von Evers
gekommen.426
Erst aus der Addition der persönlichen Motive Schmids mit finanziellen Gesichtspunkten des CCF und der ambitionierten Personalpolitik des CCF in seiner „snobistischen" Phase, verbunden mit der Hoffnung, in Deutschland endlich Ruhe zu haben,427 kann eine sinnvolle Erklärung für den Schritt des Internationalen Exekutivkomitees abgeleitet werden. Am 3. und 4. Dezember 1953 trafen sich Nabokov und Schmid in Paris, um über die Neuordnung der deutschen Angelegenheiten zu diskutieren.428 Kurz darauf wurde Günther Birkenfeld als Leiter des Berliner Büros durch den Journalisten Wolf Jobst Siedler ersetzt, der beim „Tagesspiegel" arbeitete und von Melvin J. Lasky empfohlen worden war.429 Siedler füngierte aber mehr als Stallwache,430 weniger im Stil des umtriebigen Birkenfeld. Wie von Paris gefordert, wurden alle deutschen Kongreßaktivitäten und die „Kontakte" eingestellt. In aller Kürze informierte Schmid seine Kollegen im deutschen Ausschuß, was dann erwartungsgemäß zu heftigen Reaktionen führte.431 Hagelstange erhob bittere Vorwürfe gegen die ohne Rücksprache mit den Deutschen getroffenen Beschlüsse, besonders aber gegen Carlo Schmid.432 Pechel hingegen war bemüht, der Situation irgendwelche praktischen Nutzanwendungen abzugewinnen. Er wurde in der Folge zur eigentlichen Führungsfigur im deutschen CCFRelikt. Gemeinsam mit Margarethe Buber-Neumann, Georg Meistermann und Carl Linfert war er bemüht, die Arbeitsfähigkeit der deutschen Exekutive wie426 427
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Jasper Petersen an Carlo Schmid vom 21.10.1953.NL Schmid, AdsD, Bd. 1831. Im August 1953 hatte Josselson angemahnt, das europäische Haus des CCF, vor allem Deutschland und Großbritannien, müsse in Ordnung gebracht werden: Michael Josselson an Nicolas Nabokov vom 18.8.1953, IACFG/CCF-Archiv, Series II, Box 243, Folder 9. Notizbuch 1953 von Carlo Schmid, NL Schmid, AdsD, Bd. 11. Nicolas Nabokov an Wolf Jobst Siedler vom 22.1.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 3, Folder 7. Melvin J. Lasky an Michael Josselson vom 7.1.1954, IACF/CCF-Archiv, Senes II; Box 241, Folder 5. Carlo Schmid an Rudolf Pechel vom 31.12.1953, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98. Erste Reaktionen gab es bereits, noch ehe Schmid seine Informationen weitergegeben hatte: Rudolf Pechel an Michael Josselson vom 21.12.1953, ebda.; Rudolf Pechel an Nicolas Nabokov vom 14.12.1953 und Michael Josselson an Rudolf Pechel vom 18.12.1953, ebda., Rudolf Pechel an Günther Birkenfeld vom 21.12.1953, ebda., regte die Einberufung des deutschen Ausschusses an, was Margarethe Buber-Neumann an Rudolf Pechel vom 27.12.1953, ebda., lebhaft begrüßte Rudolf Hagelstange an RudolfPechel vom 11.1.1954, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98: „Ich hätte große Lust, in diesem Augenblick C.S. zu schreiben, daß ich ihn nun erst recht für einen heimtückischen, .egozentrischen' und scheinheiligen Burschen halte, als der er mir schon lange vorkommen wollte. Aber die Dicke seiner moralischen Haut entspricht gewiß dem Umfang seines Wanstes."
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derherzustellen. Prinzipiell stimmte das Pariser Sekretariat dem Ansinnen erst einmal zu, für diesen Versuch Finanzmittel bereit zu stellen.433 Dies belegt, daß es der Pariser Zentrale wohl kaum ausschließlich um die Person Carlo Schmids gegangen sein dürfte, zumal der SPD-Politiker deutlich zu verstehen gab, daß er weiterhin daran festhalte, eine deutsche Exekutive sei schlicht überflüssig.434 Rudolf Pechel ging noch einen Schritt weiter. Er initiierte eine Briefaktion der Mitglieder des deutschen Komitees, durch die Schmid aufgefordert wurde, unverzüglich eine Sitzung des deutschen Ausschusses einzuberufen, was sicherlich dessen sofortigen Sturz als Vorsitzender zur Folge gehabt hätte. Überdies signalisierte Pechel der Internationalen Exekutive damit recht, daß sich die Deutschen vom römischen Auflösungsbeschluß unbeeindruckt zeigten. Mit Ausnahme Petersens und Birkenfelds, der beiden ehemaligen Sekretäre, sowie Carl-Heinz Evers' und Willy Brandts unterschrieben sämtliche Mitglieder der deutschen Exekutive.435 Die alte Fronde der Schmid-Gegner war jetzt auf das gesamte Komitee angewachsen, insbesondere Carl Linfert und Alexander Mitscherlich griffen Schmid mit einer Schärfe an, die an Hagelstange gemahnte, und zeigten damit, wie überaus gereizt die Stimmung bei den im deutschen CCF verbliebenen Personen war.436 Sogar Melvin J. Lasky sah sich veranlaßt, darum zu bitten, Paris möge Bondy nach Berlin entsenden, um dort einmal mit dem wichtigsten beteiligten Personen zu reden.437 Zeitweise schien es so, als sei das Generalsekretariat willens, die vom Internationalen Exekutivkomitee getroffene Entscheidung gegen Schmids Willen zu revidieren. Mitte Januar 1954 traf sich Josselson mit Pechel, Mitscherlich, Meistermann und dem zwischenzeitlich reaktivierten Cron in Stuttgart; die gleichfalls eingeladenen Linfert und Hagelstange hatten um-
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Pierre Bolomey an die .American Express Company" vom 8.2.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 2, Folder 2, mit einer Anweisung von DM 2.000,- für Rudolf Pechel; vgl. Michael Josselson an Nicolas Nabokov vom 22.1.1954, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 243, Folder 13, wo Josselson mitteilte, er habe Pechel über Birkenfeld informiert, woraufhin sich Pechel von dem Berliner Sekretär distanziert habe, was insofern zweifelhaft erscheint, als Pechel und Birkenfeld noch für längere Zeit in sehr freundschaftlichem Kontakt blieben. Zugleich erklärte Josselson, Schmid sei der eigentlich Verantwortliche für den Zusammenbruch der deutschen Exekutive und man müsse jetzt ohne ihn neu anfangen. Carlo Schmid an Carl Linfert vom 21.1.1954, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98. Die Briefe finden sich in BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98. Carl Linfert an Carlo Schmid, o.D. (Januar 1954), BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98: „Wahrscheinlich habe ich das Ganze gar nicht verstanden, und es ist dann wohl der Kongreß eine Art Echo-Unternehmen zu den von ihm bekämpften totalitären Einrichtungen...'?"; Alexander Mitscherlich an RudolfPechel vom 18.1.1954, ebda., der Schmid gleichfalls totalitäres Verhalten vorwarf; kurz darauf zeigte Mitscherlich mehr Verständnis für Schmid, ohne aber seine grundsätzliche Kritik zu revidieren: Alexander Mitscherlich an RudolfPechel vom 6.2.1954, ebda da er jetzt glaubte, nicht Schmid, sondern der internationale CCF sei für das Ende der deutschen Exekutive verantwortlich. Melvin J. Lasky an Michael Josselson vom 15.1.1954, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 241, Folder 5. ,
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ständehalber absagen müssen.438 Bei diesem Treffen waren die Deutschen darum bemüht, Josselson, der weniger fest auf Schmids Seite stand als Nabokov, klar zu machen, daß Schmids Argumente gegen eine nationale Sektion des CCF in Westdeutschland haltlos seien. Die neonazistischen Tendenzen in der westdeutschen Gesellschaft seien beängstigend, von mangelnder Bedrohung durch die Kommunisten könne keine Rede sein. Josselson wurde deutlich gemacht, daß die fehlende Effizienz der deutschen Exekutive ausschließlich auf Schmids Versagen zurückzuführen wäre, was sicherlich übertrieben war. So einigten sich alle Beteiligten darauf, eine kleinere und somit leichter zu handhabende deutsche Exekutive aufzubauen. Hinzu sollte ein Ehrenauschuß treten, dem Litt, Andres, Snell, Schöningh und Benno Reiffenberg von der FAZ angehören sollten; ein Freundeskreis sollte die Organisation vollenden. Pechel war als Leiter des deutschen Sekretariates im Gespräch, Erich Lüth als Kongreßgeschäftsführer.439 Damit wurde das Konzept von Schmid und Nabokov, den deutschen CCF in lokale Kleingruppen zu zerschlagen, vorerst ad acta gelegt. Vor allem war Schmid an dem Geschehen überhaupt nicht mehr beteiligt. Josselson regte kurze Zeit später noch an, Otto Stolz, Max Brauer und Romano Guardini hinzuzuziehen. Zugleich kam er aber auch mit dem für die Restexekutive vollkommen inakzeptablen Vorschlag, doch Schmid wieder zu beteiligen, was zeigt, daß man in Paris die bundesdeutschen Realitäten offenbar immer noch nicht richtig erfaßt hatte.440 Während Pechel die deutsche Exekutive zu einer neuerlichen Sitzung einlud,441 erklärte Birkenfeld seinen Austritt. Josselsons neuerlicher Versuch, ausgerechnet Carlo Schmid in die Arbeit des deutschen CCF einzubeziehen,
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Michael Josselson an Nicolas Nabokov vom 22 1.1954, IACF/CCF-Archiv, Senes I, Box 3, Folder 2; Rudolf Hagelstange an Rudolf Pechel vom 12.1.1954, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98. Rudolf Pechel an Erich Lüth vom 24.2.1954, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98; s.a. die ablehnende Antwort Lüths, der aber mit der Hamburger „Jungen Gruppe" Kontakt halten wollte: Erich Lüth an Rudolf Pechel vom 2.3.1954, ebda. Als Mitglieder der reduzierten Exekutive waren Brandt, Nachtsheim, Mitscherlich, Buber-Neumann, Linfert, Pechel, Hagelstange, Jaesrich und Johann Caspar Witsch vorgesehen. Auch Lüth, Landahl, Hanns Lilje und Reinold von Thadden-Trieglaff, die letzteren beiden prominente, westorientierte Vertreter des deutschen Lutheranertums, faßte man ins Auge: Notiz des Stuttgarter Treffens (hs), o.D. (Mitte Januar 1954), BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98. Michael Josselson an Rudolf Pechel vom 8.2.1954, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd 98. Rudolf Pechel an die Mitglieder des deutschen Ausschusses, o D. (Februar 1954), BA Koblenz, NL 160 (Pechel HI), Bd. 98; Rudolf Pechel an Günther Birkenfeld vom 9.2.1954, ebda.; Rudolf Pechel an Michael Josselson vom 5.1.1954, ebda ; Meistermann machte zusätzliche Reformvorschläge, die zum einen auf eine größere organisatorische Unabhängigkeit der deutschen Sektion, va. durch ein zentrales deutsches Büro, hinausliefen, zum anderen den künftigen Arbeitsschwerpunkt mehr in rein hochkulturelle Bereiche im Umfeld z.B des PEN-Clubs verlegt hätten: Georg Meistermann an Rudolf Pechel vom 23.2.1954, ebda.
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gab ihm den Rest.442 Doch Birkenfelds Absage war insofern zweitrangig, als er in Pecheis Plänen gar keine Rolle mehr gespielt hatte. Wichtiger war, daß
Josselson für das Pariser Sekretariat die Bereitschaft erklärt hatte, das in Frankfürt geplante Treffen mit DM 2.000,- zu finanzieren.443 Das Frankfurter Ausschußtreffen fand am 21. Februar statt; Pechel, Cron, Linfert, Meistermann, Mitscherlich und Margarethe Buber-Neumann waren anwesend und konstituierten sich als deutscher „Vorbereitungsausschuß". Man beauftragte Pechel und Cron, eine neue Satzung für den deutschen CCF zu erarbeiten und damit auch Perspektiven für die künftige Tätigkeit aufzuweisen.444 Kaum hatte man sich darauf geeinigt, bahnten sich Schwierigkeiten an: Während sich alle Beteiligten schnell darauf einigen konnten, daß man auf keinen Fall mit Carlo Schmid zusammenarbeiten wollte, blieben die inhaltlichen Momente unsicher. Die Mehrheit hing einem Primat antinationalistischer und antifaschistischer Arbeit an, wogegen Linfert die antikommunistische Propaganda in den Vordergrund stellen wollte. Franz-Joseph Schöntagh forderte Schritte gegen den wachsenden Konformismus in der westdeutschen Gesellschaft.445 Dennoch gelang, vor allem wed die Berliner Gruppe noch weitgehend intakt war, die Neukonstitution des deutschen CCF, die dann von Pechel, dem Hauptakteur auf deutscher Seite, vermeldet wurde.446 Die neugewonnene Handlungsfreiheit sollte bei einem weiteren Treffen zwischen Vertretern des deutschen Ausschusses und der Pariser Zentrale im Mai 1954 zusätzlich auf organisatorisch, finanziell und inhaltlich präzisere Fundamente gestellt werden, wobei die Deutschen besonders die Souveränität der eigenen Gruppe gegenüber dem internationalen CCF hervorheben wollten. Nach einigen Schwierigkeiten einigte man sich auf den 13. Mai, woraufhin
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Günther Birkenfeld an RudolfPechel vom 12.2.1954, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98. Birkenfeld warf Josselson vor, erneut gemeinsam mit Schmid den deutschen CCF planmäßig zerstören zu wollen. Auch die alten Konflikte zwischen Josselson und Birkenfeld von 1946 kamen erneut zur Sprache. Interessanterweise scheint Birkenfeld von Josselsons Geheimdienstkontakten gewußt zu haben, auch wenn er ihn fälschlicherweise als Agenten der CIC bezeichnete. Mitte der fünfziger Jahre waren Kenntnisse der Existenz der CIA noch nicht sehr weit verbreitet. Michael Josselson an Rudolf Pechel vom 1.3.1954, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98. RudolfPechel an Michael Josselson vom 24.2.1954, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98. Carl Liniert an Rudolf Pechel vom 17.3.1954, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98; FranzJoseph Schöningh an Norbert Mühlen vom 25.3 1954, NL Mühlen, Box 18. Hans Nachtsheim an Rudolf Pechel vom 4.3.1954, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98; Rundschreiben von Rudolf Pechel an die Mitglieder des Vorbereitungsausschusses vom 4.3.1954, ebda.; Memorandum von N.N (RudolfPechel, Helmut Cron und Georg Meistermann) über Maßnahmen zur Aktivierung des deutschen Ausschusses, o.D. (Mai 1954?), ebda. Geplant war eine deutliche Nähe zum Kiepenheuer & Witsch Verlag oder zur „Frankfurter Rundschau". Im Zentrum stand der Kompromiß, den CCF antitotalitär zu definieren, ohne der Abwehr eines der beiden Totalitarismen Priorität einzuräumen.
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Linfert und Meistermann nach Paris führen.447 Das Treffen endete in einem Fiasko, das wohl in den Autonomieabsichten der Deutschen und einem neuerlichen Schwenk des Generalsekretariates zu Carlo Schmid begründet war.448 Die beiden Deutschen fühlten sich wie schnöde Bittsteller behandelt, nachdem man sie erst einmal geraume Zeit hatte warten lassen. Im Gespräch wurde ihnen bedeutet, man teile in Paris die Lageanalyse Schmids voll und ganz, in Westdeutschland gebe es keinerlei Gefahren für die Freiheit der Kultur. Die Einwände der beiden wurden nicht weiter zur Kenntnis genommen. Daß das Scheitern der Pariser Gespräche auf den Einfluß Carlo Schmids zurückging, wie es Meistermann, Linfert und Pechel gemutmaßt hatten, ist mehr als wahrscheinlich.449 Möglicherweise, obgleich nicht unmittelbar den Quellen zu entnehmen, stand dahinter auch ein Konflikt zwischen Nabokov, der recht bedingungslos die Schmid'sehe Linie akzeptierte, und dem wesentlich kritischeren Josselson, der zumindest im Juli 1954, wenn auch mit wenig Aussicht auf Erfolg, noch hoffte, den deutschen CCF retten zu können.450 In Deutschland gab es aber niemanden mehr, der noch zur Mitarbeit bereit gewesen wäre. Cron und Hagelstange erklärten ein zweites Mal ihren Austritt und auch Rudolf Pechel war nicht mehr willens, mit den Parisern zusammenzuarbeiten, solange diese sich nicht ausdrücklich zum Kampf gegen beide Totalitarismen bereit erklärten. Als das Internationale Sekretariat diesem Ansinnen nicht zu folgen vermochte, verkündete Pechel namens des gesamten deutschen Ausschusses die Selbstauflösung.451 Im Gegenzug ließ Josselson verlautbaren, der deutsche CCF sei suspendiert.452 Am 16. November 1954 konnte der Pariser CCF-Mitarbeiter Warren D. Manshel nur noch feststellen: There is no official „
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Rudolf Pechel an Michael Josselson vom 6.5.1954, BK Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98; Rudolf Pechel an Georg Meistermann vom 6.5.1954, ebda.; Michael Josselson an Rudolf Pechel vom 5.5.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 3, Folder 4; Michael Josselson an Nicolas Nabokov vom 29.4.1954, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 243, Folder 12. Rudolf Pechel an Helmut Cron und Helmut Cron an Rudolf Pechel vom 29.5.1954, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98; vgl. Rudolf Pechel an Rudolf Hagelstange vom 29.5.1954, ebda.: „Das Ergebnis der Pariser Besprechungen ist so deprimierend wie nur möglich. Carlo scheint dort noch immer persona gratissima zu sein." S. femer Bericht von Carl Linfert an Rudolf Pechel vom 31.5.1954, ebda, und Bericht von Georg Meistermann an Rudolf Pechel vom 25.5.1954, ebda. Nicolas Nabokov an Carlo Schmid vom 17.8.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 3, Folder 6; vgl. va. Carlo Schmid an Michael Josselson vom 11.2.1954, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 288, Folder 5; Carlo Schmid an Nicolas Nabokov vom 24.8.1954, ebda, und bes. Carlo Schmid an Nicolas Nabokov vom 3.8.1954, ebda.: „Die Sache ist so gegangen, wie ich es mir vorgestellt hatte: ein kleiner Sturm im Wasserglas ist angeblasen worden, dann haben sich die Wögelchen wieder gelegt und nunmehr ist es im Gläschen ganz still. Ob man darüber weinen soll, weiß ich nicht. Ich glaube, daß die Arbeit des Kongresses in Deutschland sich auf Dinge beschränken sollte, wie die Hamburger Tage seinerzeit und ähnliche Dinge. Kränzchen und Konventikelchen haben keinen Sinn." Michael Josselson an Shepard Stone vom 20.7.1954, IACF/CCF-Archiv, Box 3, Folder 6. Rudolf Pechel an Nicolas Nabokov vom 7.7.1954, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98. Michael Josselson an Wolf Jobst Siedler vom 5.8.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 3, Folder 6.
410
VI. Die deutsche Sektion des
„Kongresses für Kulturelle Freiheit"
Congress Branch in Germany."453 Carlo Schmid hatte über seine politisch unerfahrenen Widersacher triumphiert, wenn auch auf Kosten der Organisation, deren Vorsitz er nicht hatte niederlegen wollen. Die deutsche Sektion des „Kongresses für die Freiheit der Kultur" scheiterte in erster Linie an persönlichen Unzulänglichkeiten. Sie scheiterte, weil es ihr nie gelang, zu einem funktionierenden personellen Netzwerk zu werden, und dies hing maßgeblich damit zusammen, daß Carlo Schmid nie der Moderator war, den ein solches Netzwerk benötigte. Verglichen mit der Tätigkeit Michael Josselsons auf der internationalen Ebene oder Bruno Snells Aktivitäten in der Hamburger Gruppe des CCF, nahmen sich Schmids Bemühungen wenig sinnvoll aus. Schon aus Zeitgründen mangelte es ihm an den notwendigen persönlichen Kontakten in der deutschen Exekutive. Als dann der dazu viel eher fähige Rudolf Pechel mit dieser Aufgabe betraut wurde, war es zu spät. Über die persönlichen Differenzen hinweg scheiterte der Aufbau funktionierender personeller Netzwerke auch an dem Fehlen eines wirklich bedeutenden intellektuellen Zentrums in Westdeutschland. Die deutsche Sektion scheiterte ferner, weil es zu keinem Zeitpunkt klare Kompetenzzuweisungen zwischen dem Internationalen Sekretariat, den beiden deutschen Büros und der deutschen Exekutive gab, das heißt, sie scheiterte in zweiter Linie an strukturell bedingten
Dysfunktionalitäten. Angesichts der genannten Defizite und Probleme sowie des begrenzten Zeitraumes gelang es dem deutschen CCF dennoch in erstaunlichem Maße, seinen Aufgaben nachzukommen. Dies gilt sowohl im antikommunistischantineutralistischen Bereich als auch bei der „re-orientation". Dabei ist
zu
berücksichtigen, daß der deutsche CCF weniger eine wirkliche IntellektuellenOrganisation wie beispielsweise die Gruppe 47 war, als vielmehr ein Zirkel medialer „opinion leader", die sich am Prozeß des westlichen Wertetransfers in die Bundesrepublik intensiv und nicht durchweg nur rezeptiv beteiligten.
Gemeinsam mit dem „Monat", aber auch verbunden mit weiteren Aktivitäten der US-Amerikaner in Deutschland, gelang es dem CCF, das antikommunistische Klima jener Jahre auszunutzen, um weitaus zukunftsweisendere konsensliberale Ideologeme an intellektuelle Schichten in die Bundesrepublik weiterzugeben und retardierende Ideologien bis hin zum Existentialismus Sartre'scher Prägung in ihrer Verbreitung zu blockieren.454 Bis zum Ende der fünfziger Jahre kam es genau zu jenem Bewußtseinsbildungsprozeß auch im Hinblick auf die sogenannte Vergangenheitsbewältigung oder die Reform der Sozialdemokratie, welche der CCF stets intendiert hatte. Und ungeachtet des Aufkommens der ungeliebten Neuen Linken gab Siegfried Lenz wohl korrekt 453 454
Warren D. Manshel an George Polanyi vom 16.11.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 3, Folder 3. Beim Existentialismus Sartres' war man jedoch weitaus weniger erfolgreich als etwa bei hegelianischen oder heideggerianischen Ideen.
7. Krise und Ende der deutschen Exekutive
411
was den CCF bewegte, als er meinte: „Mit der Wahl Willy Brandts Bundeskanzler waren alle unsere Hoffnungen erfüllt."455 Das, was am deutschen CCF funktionierte, hing davon ab, daß es einheimische Mitarbeiter gab, die bereit waren, sich in das Projekt liberaldemokratischer Westorientierung der Bundesrepublik einzubringen. In der Regel handelte es sich um Personen, die schon vor 1933 liberaldemokratischen Ideen europäischer Provenienz anhingen oder dann im Exil von linksradikalen Positionen zu eher bürgerlichem Gedankengut fanden. Dieser Kreis war am ehesten aufgeschlossen für das neue, US-amerikanische Modell von Westlichkeit und zudem auch intellektuell in der Lage, dieses Ideologieangebot in die gesellschaftlichen Realitäten der Bundesrepublik zu übersetzen. Die USA benötigten kein direktes Eingreifen, um die ideell-kulturelle Auseinandersetzung im Deutschland des Kalten Krieges wenigstens zeitweise für sich zu entscheiden, sondern sie wirkten indirekt und flexibel durch ein offenbar als überzeugend empfundenes ideologisches Angebot, dessen Nähe zu bestimmten, zuvor oft als „undeutsch" abqualifizierten einheimischen Traditionen offenkundig war. Diese wurden dann zurückhaltend modifiziert und beispielsweise durch den CCF als Komplettangebot in die intellektuellen Diskurse eingespeist, ohne daß amerikanische Beteiligung oder Interessen unmittelbar zu erkennen gewesen
wieder, zum
wären.
Mit dem Ende der ersten Kongreßtätigkeit in Deutschland endete keineswegs das Bedürfnis nach dieser Art kulturellen Tranfers. Zudem erschienen die von Schmid gegebenen Gründe für die Suspension nicht zwingend, was besonders Manès Sperber bemängelte. Seit Ende 1954 arbeitete die Pariser Zentrale deshalb daran, den deutschen CCF zu rekonstituieren.
455
Gespräch von Siegfried Lenz mit dem Verf.
VII. DER KONGRESS „WISSENSCHAFT UND FREIHEIT" HAMBURG 1953 -
1. Die
ideologische Funktion des Hamburger Kongresses
Obgleich der Hamburger Kongreß „Wissenschaft und Freiheit" in die Zeit vor
dem Ende des deutschen Exekutivkomitees fiel, wird er mit gutem Grunde erst an dieser Stelle behandelt. Für den deutschen CCF stellte er nämlich bis zu einem gewissen Grade das dar, was der Mailänder Kongreß von 1955 für den internationalen CCF bedeutete: Ende und Anfang zugleich. Das Hamburger Wissenschaftlertreffen legte den Grundstein für nahezu sämtliche organisatorischen Strukturen des CCF auf deutschem Boden in der Zeit zwischen 1953 und 1959, sieht man einmal von dem weiterhin bestehenden Berliner Büro ab. Jenseits einer rein deutschlandorientierten organisatorischen Perspektive verfolgte der Hamburger Kongreß zusätzlich inhaltliche Positionen, die aber in der Folge für den CCF und seine weltanschauliche Generallinie nur begrenzt wirksam sein sollten. Im Grunde handelte es sich um den Versuch, den weitgefaßten angelsächsisch-kulturanthropologischen Kulturbegriff politisch zu operationalisieren und so für den CCF weltweit nutzbar zu machen. Zugleich bemühte sich die Kongreßführang, mit dem Treffen neue potentielle Mitgliederschichten zu erschließen. All dies war zwar in Berlin grundgelegt, anschließend aber nicht eigentlich realisiert worden.1 Entsprechend war Hamburg weniger als Kampfkongreß im Sinne der Berliner Tagung von 1950 konzipiert, sondern eher als wissenschaftliche oder doch zumindest wissenschaftstheoretische Veranstaltung für Spezialisten gedacht, zumal sich die politische Lage seit dem Ausbrach des Koreakrieges deutlich entspannt hatte. Zeitweise war sogar, angeregt von Max Brauer, geplant gewesen, sowjetische Wissenschaftler in die Diskussionen mit etazubeziehen, was jedoch mit Rücksicht auf deren Lage in der UdSSR unterlassen wurde.2 1
2
Zum Hamburger Kongreß vgl. P GrÉmion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 111-129. Grémion hebt im Hinblick aufdas Verhältnis von Kontinuität und Diskontinuität zwischen Berlin und Hamburg hervor, allein Hans Thimng habe in Hamburg noch explizit auf Berlin rekurriert. Vgl. femer P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 104-108. Nicolas Nabokov an Sidney Hook vom 5.6.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 3.
1. Die
ideologische Funktion des Hamburger Kongresses
413
In diesem Hauptkapitel sollen Verlauf und ideologische Funktion des Hamburger Kongresses im Zusammenhang mit dem unsicher gewordenen weltanschaulichen Standort des internationalen CCF behandelt werden, um anschließend die für die Bundesrepublik wichtigen organisatorischen Folgen der Tagung auszuführen. Im einzelnen wird dabei auf das Hamburger Büro unter der Leitung von Bruno Snell und Margot Schrepfer ebenso einzugehen sein, wie auf den nur locker mit dem CCF verbundenen „Hofgeismarkreis", der aus dem Hamburger Kongreß hervorging und sich Fragen der deutschen Hochschulreform zuwandte. Anschließend soll eine weitere organisatorische Filiation des CCF behandelt werden, das Komitee „Wissenschaft und Freiheit". Diese Gruppe entsprang gleichfalls dem Hamburger Kongreß, blieb dem CCF aber im Gegensatz zum „Hofgeismarkreis" eng verbunden. Außerdem war es in seiner Tätigkeit nie allein auf die Bundesrepublik beschränkt, sondern arbeitete ganz wie der CCF international darauf hin, die Inhalte des CCF in der „scientific
community" der westlichen Naturwissenschaftler zu verbreiten. Die Idee zum Kongreß „Wissenschaft und Freiheit" vom 23. bis 26. Juli 1953 entstammte ursprünglich nicht einem der CCF-Leitungsgremien, sondern basierte auf einer Einladung des Hamburger SPD-Oberbürgermeisters Max Brauer, wobei diesem Vorschlag möglicherweise Gespräche mit Ernst Reuter vorausgingen.3 Binnen weniger Wochen entschloß sich das Internationale Exekutivkomitee, den Gedanken aufzunehmen und die Veranstaltung überwiegend in eigener Regie dmchzuführen, wobei der mitorganisierenden Hamburger Universität nur noch rein ausführende Kompetenzen zugestanden wurden.4 Im Verständnis des nunmehr federführenden CCF stellte Hamburg 1953 den passenden Anschluß zum Pariser Kulturkongreß von 1952 dar. Hatte Berlin 1950 ganz im Zeichen der unmittelbaren politischen Konfrontation mit dem östlichen Gegner gestanden und war Paris Ausdruck einer subtileren Form der
Ost-West-Konfrontation auf der hochkulturell-ästhetischen Ebene gewesen, so sollte Hamburg dem Nachweis dienen, daß Wissenschaft immer auch Funktion individueller Freiheit des Forschers sei. Die im CCF nie in Zweifel gezogene Überlegenheit des Westens im politischen, litararischen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Bereich konstituierte sich demzufolge auf dem festen Fundament des liberalen Individualismus. Die Tagung diente also dem Zweck, diese Überlegenheit jedermann sichtbar zu machen. Da das Hamburger Thema unmittelbar einsichtig eine gewisse politische
Kontur aufwies, gab es kongreßintem, im Gegensatz zu Paris, keinen ausgeprägten Widerspruch. Auch das ACCF, bereits vom Konflikt um den McCart3
4
Erich Lüth an Günther Birkenfeld vom 21.5.1952; Günther Birkenfeld an Denis de Rougemont, Nicolas Nabokov und Carlo Schmid vom 26.5.1952 und Nicolas Nabokov an Max Brauer vom 12.6.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 1. Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 31.5.1952, S. 7 und S. 38f. sowie Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 29.-30.12.1952, S 2, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 3, Folder 1.
414
VII. Der Kongreß
„Wissenschaft und Freiheit" Hamburg
1953
-
hyismus gezeichnet, wagte keine Einwände mehr. Dabei spielte allerdings nicht ausschließlich die offenkundige politische Schwäche des ACCF eine Rolle, sondern wohl vielmehr der Umstand, daß Hamburg, indem dort das politisch und wissenschaftstheoretisch fundierte Gespräch zwischen Natur- und Geisteswissenschaftlern angeregt werden sollte, eine genuin kulturpolitische Ausrichtimg gewann, bei der insbesondere die im CCF so sehr geschätzte Interdisziplinarität zum Zuge kam. Auch wenn Diskussionen unter Spezialisten geplant waren, war zu keiner Zeit an den Austausch bloß fachintern interessanter wissenschaftlicher Neuigkeiten gedacht. Nicht neue Daten und Fakten, sondern die politisch-weltanschauliche Verortung der Naturwissenschaften waren Gegenstand des Kongresses. Ehe man allerdings konkret planen konnte, mußte die Veranstaltung erst einmal finanziell abgesichert werden, da der regelmäßige Etat des CCF für solche Aufgaben nicht über ausreichende Mittel verfügte und auch die Stadt Hamburg nicht bereit war, sämtliche anfallenden Kosten zu tragen. In diesem Falle erwies sich die Suche nach Sponsoren als relativ leicht, schon wegen des gewählten interdisziplinär-weltanschaulichen Charakters der Konferenz. Obwohl das Internationale Sekretariat wie immer ein amtliches Co-Sponsoring durch Stellen der Bundesregierung ablehnte, um nicht in den Verdacht zu kommen, eine von amtlichen Interessen geleitete Institution zu sein,5 fanden sich private Stiftungen, die sich entsprechend engagierten. Überwiegend handelte es sich um Mittel der Rockefeller-Foundation;6 daneben beteiligte sich auch die Farfield-Foundation des Exekutivmitgliedes Julius Fleischmann, wie erinnerlich eine der partiell auf bona fide-Basis arbeitenden Tarnorganisationen der CIA.7 Damit war die für Veranstaltungen des CCF übliche kostenlose Ameise ebenso gesichert wie Unterbringung und Verpflegung der über 100 avisierten Teilnehmer. Die weiteren planerischen und konzeptionellen Aktivitäten lagen anschließend in den Händen eines vierköpfigen Komitees, das durch zwei weitere Gremien, ein Ehrenpräsidium und ein lokales Hamburger Organisationskomitee, ergänzt wurde. Dem eigentlichen Vorbereitungskomitee gehörten für das Internationale Sekretariat Nicolas Nabokov, der exilrassische Naturwissenschaftler Alexander Weissberg-Cybulski, Arthur Jores, ein Internist an der 5
6
Nicolas Nabokov an Minoo Masani vom 4.9.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 3, Folder 1, lehnte sogar ein Co-Sponsoring durch nationale CCF-Komitees ab, um nicht in den Verdacht zu kommen, nationale Sonderinteressen vertreten zu wollen. Vgl Michael Josselson an Walter Laqueur vom 21.3.1953, ebda., Box 2, Folder 4, wo Laqueur im Zusammenhang mit dem Hamburger Kongreß angewiesen wurde, dem Eindruck entgegenzutreten, der CCF sei eine amerikanische Einrichtung. Michael Josselson an Michael Polanyi vom 12.11.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 6; lt. Michael Josselson an HM. Guette (Rockefeller-Foundation) vom 29 1.1954, ebda., Box 2, Folder 5, hatte sich die Stiftung mit $ 10.000,- an dem Kongreß beteiligt. Michael Josselson an Michael Polanyi vom 28.10.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 6.
1. Die
ideologische Funktion des Hamburger Kongresses
415
Hamburg sowie vor allem Michael Polanyi an. Polanyi, ein Exilungar, gehörte zu den wenigen international anerkannten Wissenschaftlern, die
Universität
im naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Arbeitsfeld gleichermaßen zu Hause waren und deshalb über einschlägige interdisziplinäre Kompetenz verfugten. Überdies hatte er sich schon seit den dreißiger Jahren antitotalitär engagiert, war also der ideale Mann für diesen Posten.8 Mit den Vorbereitungen für den Hamburger Kongreß begann sein Aufstieg innerhalb der Orgamsationsstrukturen des CCF. Polanyi wurde bald einer der wichtigsten Köpfe im Internationalen Exekutivkomitee und organisierte 1955 in maßgeblicher Funktion die Mailänder Konferenz. Damit wurde er zugleich neben Shils und Bell zu einem der wichtigsten Reformer im CCF. Ironischerweise hatten ihm die US-Amerikaner noch 1951 wegen angeblich philosowjetischer Ausrichtung die Eimeise in die USA verweigert, ein weiterer Beleg für das mangelnde Vermögen einiger amtlicher Stellen in den USA während des Kalten Krieges, Freund und Feind noch voneinander zu unterscheiden. Dem Ehrenkomitee standen Max Brauer und der Hamburger Kultussenator Heinrich Landahl vor. Karl Jaspers, Jacques Maritain und Bertrand Russell, die nach dem Tode Croces und Deweys noch verbliebenen Ehrenpräsidenten des CCF, wurden dort ex officio ebenfalls einbezogen. An ihre Seite traten eine Reihe prominenter Natur- und Geisteswissenschaftler, darunter der katholische Theologe Romano Guardini, auf dessen Anwesenheit das Internationale Sekretariat besonderen Wert gelegt hatte, galt er doch als potentieller CCFSympathisant in der Bundesrepublik.9 Neben Guardini fanden sich die theoretischen Physiker Otto Hahn, Max von Laue und Lise Meitner, natürlich Bruno Snell sowie eine Reihe britischer Wissenschaftler wie Sir George Thomson oder Sir Henry Dale.10 Die starke Präsenz der Deutschen und Briten im Ehrenkomitee hing damit zusammen, daß außer Stadt und Universität Hamburg11 eine weitere Organisation an den Vorbereitungen für den Kongreß beteiligt war. Es handelte sich um die „Society for Freedom in Science", eine Gruppe, deren Wurzeln in Großbritannien lagen, die aber auch in der Bundesrepublik über
8 9
10
11
P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 105. Nicolas Nabokov an Jasper Petersen vom 12.3.1953, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 125, Folder 11 ; Pierre Bolomey an Margot Schrepfer vom 11.6.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 7. Guardini erschien aber nicht zum Kongreß. Seine Funktion als Vertreter der für westliche Werte aufgeschlossenen katholischen Wissenschaft übernahm der neuthomistische Philosoph Josef Pieper, der gleich Guardini dem CCF über geraume Zeit nahestand. Vgl. Einladungsschreiben zum Kongreß „Wissenschaft und Freiheit" vom 31.5.1953, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 99; Pressestatement von Bruno Snell vom 15.6.1953, NL Snell, BStabib, Ana 490. Wie im Falle der FU Berlin waren es auch in Hamburg vorwiegend Studenten, welche die Hauptlast der anfallenden Arbeit vor Ort zu tragen hatten. Die Aufgabe, die 1950 der Zeitschrift „CoUoquium" zugefallen war, trug nun die Studentenzeitschrift „Nebelhorn", deren Chefredakteur Martin Girschner zudem zu den führenden Mitgliedern der Hamburger „Jungen Gruppe" gehörte; vgl Jasper Petersen an Bruno Snell vom 1.8.1953, NL Snell, BStabib, Ana 490.
416
VII. Der Kongreß
„Wissenschaft und Freiheit" Hamburg 1953 -
eine Reihe nicht ganz unbekannter Mitglieder, darunter Max von Laue,12 verfügte, und schon aus diesem Grund für den CCF von Interesse war, zumal die Gesellschaft sich gleichfalls dem Antitotalitarismus im Bereich der Wissenschaften verschrieben hatte.13 Mitglieder der „Society" wurden bevorzugt nach Hamburg eingeladen. Ansonsten stützte sich die CCF-Zentrale bei Einladungen im deutschsprachigen Raum auf die Angehörigen des deutschen Exekutivkomitees, allen voran auf Hans Nachtsheim und Theodor Litt.14 Kaum minder wichtig waren Bruno Snell und allen Widrigkeiten in der deutschen CCFSektion zum Trotz Carlo Schmid, allerdings nicht so sehr bei den Vorbereitungen, sondern im Verlauf des Kongresses. Schmid war ursprünglich als einer der Festredner vorgesehen, wurde dann aber von Nabokov und Josselson dazu gedrängt, als Leiter einer der Tagungssektionen zu füngieren,15 wofür in den Augen der Pariser Zentrale eine Reihe von Gründen sprach: Zum einen wollte man sicherlich einen Zusammenstoß mit den in Hamburg anwesenden Mitgliedern der deutschen Exekutive vermeiden, die eine zu deutlich herausgehobene Stellung Schmids nie gebilligt hätten. Dies mußte in den vorbereitenden Gesprächen nicht einmal mehr eigens thematisiert werden, hatte sich die Fronde innerhalb der deutschen Exekutive doch bereits gegen eine Teilnahme Schmids in Hamburg verwahrt, von einem Festvortrag ganz zu schweigen. Zum anderen versuchte Paris den politischen Proporz der Veranstaltung zu wahren. Mit Max Brauer und Heinrich Landahl waren immerhin schon zwei Sozialdemokraten als Festredner vorgesehen und da insgesamt nur vier Parteipolitiker anwesend waren, nämlich Brauer, Landahl, Reuter und Schmid, wäre der Redebeitrag eines dritten ausgewiesenen Sozialdemokraten des Guten dann doch zuviel gewesen.16 Außerdem sparte man sich Schmid für die konkreten Diskussionen auf. Gerade von den Sektionsleitern erwartete man im Internationalen Sekretariat eine Menge, lag es doch an ihnen, die Konferenz inhaltlich zu lenken und voranzubringen.17 Am Ende kamen 109 Natur- und Geisteswissenschaftler aus 19 Ländern zusemmen, davon allein 45 Teilnehmer aus Westdeutschland. Ähnlich wie in -
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Max von Laue, der schon zu Zeiten der nationalsozialistischen Herrschaft dem Regime kritisch gegenübergestanden hatte, gehörte unter den deutschen Naturwissenschaftlern sicherlich zu den bewußtesten Anhängern der Westorientierung. Diesen Hinweis verdanke ich Frau Dr. Gabriele Metzler (Universität Tübingen). Jasper Petersen an Nicolas Nabokov vom 17.12.1952, Series II, Box 125, Folder 10. Günther Birkenfeld an das Internationale Sekretariat vom 24.10.1952, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 122, Folder 3; Nicolas Nabokov an Jasper Petersen vom 18.11.1952, ebda., Box 125, Folder 10. Litt sagte dann ab und wurde durch Jores ersetzt. Nicolas Nabokov an Mchael Polanyi vom 4.7.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 6. Auch Snell war als Sektionsleiter vorgesehen. Vgl. a. Nicolas Nabokov an Carlo Schmid vom 4.7.1953, ebda, Box 1,Folder 7. Vgl. P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 114. N.N (Nicolas Nabokov?) an Raymond Aron vom 25.6.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 1. Am 29.6.1953 fand in Paris eine Vorbesprechung statt, in deren Verlauf die Sektionsleiter m die Generallinie der Tagung eingewiesen wurden.
1. Die
ideologische Funktion des Hamburger Kongresses
417
Berlin, aber im Gegensatz zu Paris und Mailand, waren die Deutschen damit erheblich überrepräsentiert, schon weil die Ordinarien der Hamburger und Göttinger Universitäten in hoher Zahl der Tagung beiwohnten. Das Pariser Sekretariat hat noch versucht, dieser Entwicklung entgegenzusteuern, indem die deutschen Mitorganisatoren angewiesen wurden, die eigenen Landsleute etwas weniger großzügig einzuladen.18 Die US-Amerikaner kamen mit 13, die Briten mit zehn Wissenschaftlern, Frankreich war mit neun, Italien und Schweden je fünf vertreten. 22 Beteiligte verteilten sich auf diverse weitere Länder. Die große Mehrheit unter den Teilnehmern stellten Philosophen, Historiker, Politologen und Soziologen (46), 18 waren Naturwissenschaftler, 19 Mediziner und 26 Vertreter anderer Fachrichtungen teilten den Rest unter sich auf.19 Das ursprünglich vom Organisationskomitee vorgesehene Programm, dessen Schwerpunkt auf der wissenschaftstheoretisch abgesicherten, aber primär antineutralistisch ausgerichteten Auseinandersetzung mit den Prämissen und praktischen Ergebnissen einer Forschung lag, die sich auf den dialektischen Materialismus der stalinistischen Variante berief,20 wurde in dieser recht eng auf ideologische Konfrontation angelegten Form nicht durchgehalten. Dennoch blieb der aufgeklärte Antitotalitarismus, verbunden mit der Kritik an problematischen, staatsfixierten Tendenzen im Wissenschaftsbetrieb westlicher Nationen, zentraler Impetus der gesamten Konferenz. Man erkannte durchaus, daß die antikommunistische Grundstimmung im Westen, wie besonders der McCarthyismus in den USA bewies, für die Freiheit der Forschung allmählich bedrohliche Formen annahm: „Aber nicht nur in den totalitären Staaten ist die traditionelle Freiheit der Wissenschaft bedroht. Die politische Spannung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges schafft auch in vielen Ländern der freien Welt eine Atmosphäre, die dem Geist der Forschung nicht förderlich ist."21 So war eine thematische Erweiterung des Hamburger Programms schon im Vorfeld angelegt. Aus diesem Grunde beschäftigten sich zwei der fünf Plenarsitzungen während des Hamburger Kongresses mit Problemen der Wissenschaftsorganisation im Westen. Besonders Lise Meitner erörterte dabei kritisch den Zusammenhang zwischen Freiheit der Forschung und staatlicher Subventionspolitik, wobei sie, 18
19 20
21
Nicolas Nabokov an Hans Nachtsheim vom 16.6.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 5. Zu den deutschen Teilnehmern zählten dann u.a. Rüdiger Altmann, Hermann Heimpel, Hans Herzfeld, Walther Hofer, Max Horkheimer, René König, Max von Laue, Karl Löwith, Boris Meissner, Alexander Mitscherlich, Hans Nachtsheim, Josef Pieper, Hellmuth Plessner, Ludwig Raiser, Georg von Rauch, Karl Heinrich Rengstorf, Ernst Reuter, Carlo Schmid, Rudolf Smend, Bruno Snell, Fedor Stepun, Helmut Thielicke und Wilhelm Weischedel, vgl. KONGRESS für Kulturelle Freiheit (Hg): Wissenschaft und Freiheit. Internationale Tagung Hamburg 22.-26. Juli 1953, Berlin 1953, S. 287ff. P. Gremion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 114. Vgl. Einladungschreiben zum Kongreß „Wissenschaft und Freiheit" vom 31.5.1953, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 99. Ebda.; s.a. Pressestatement von Bruno Snell vom 15.6.1953, NL Snell, BStabib, Ana 490.
418
VII. Der Kongreß
„Wissenschaft und Freiheit" Hamburg 1953 -
wie alle
Teilnehmer, dem individualistisch-altliberalen Freiheitsbegriff der
Aufklärung ohne jede Rückfrage verhaftet blieb. Gerade in der gemäßigten Selbstkritik des Westens unterschied sich die Hamburger Tagung fundamental von den triumphalistischen Großveranstaltungen in Berlin und Paris.22 In eher klassischen Bahnen bewegten sich die vielbeachteten Beiträge Raymond Arons
und Bruno Snells, die Konzepte einer „nationalen" oder „Klassenwissenschaft", verstanden als „dogmatische" Wissenschaft, dem pragmatistischen Wahrheitsund Erkenntaisbegriff „moderner", vorgeblich undogmatischer Wissenschaft entgegenstellten und damit zugleich faschistisch-nationalsozialistische wie staltaistische Wissenschaftskonzepte einer liberalen Kritik unterzogen. Dies führte sofort zu einem Konflikt mit den anwesenden Vertretern der theologischen Disziplinen, von denen besonders der Katholik Josef Pieper sich dagegen aussprach, den theologischen Wahrheitsansprach von vorneherein pejorativ darzustellen.23 Hierin deuteten sich die Bruchstellen des antikommunistischen Konsenses an, die in dem Moment fühlbar werden mußten, wo die stalinistische Bedrohung nicht mehr wirksam war. Übereinstimmend hingegen lehnte man nationalistische oder marxistische Determinationen des Wissenschaftsverständnisses ab. Dabei folgten alle Teilnehmer der unreflektierten Selbstsicht, die „unsichtbare Republik der Gelehrten, des in Freiheit forschenden und fragenden Geistes unserer Epoche"24 zu vertreten. Die US-amerikanischen Wissenschaftler, allen voran Sidney Hook, nutzen die Gelegenheit, um gleichzeitig eine vehemente, pragmatistisch inspirierte Kritik am deutschen Idealismus und seinen Folgen für Marxismus und Faschismus anzubringen.25 Eine betont politische Rede hielt dann auch Michael Polanyi. Er wandte die aufgeklärte Kritik an rational unbegründeter Autorität und ihre Forderung nach unbedingter Gedankenfreiheit, auf die Gegenwart an, um auf diese Weise den derzeitigen antitotalitären Kampf in eine unmittelbare Kontinuität zur als normativ empfundenen Epoche der Aufklärung zu stellen. Mochte diese Sicht der Geschichte auch ahistorisch26 sein, so erfüllte sie doch wenigstens ihren ideologischen Zweck, indem sie aus jedem Gefolgsmann des CCF einen klei22 23 24
25 26
Vgl. zur Rede Lise Meitners: Kontakte 3 (1953), H. 7, S. ligence de l'Anticommunisme, S. 119.
7f. und s. ferner P. Grémion: Intel-
Kontakte 3 ( 1953), H. 8, S. 5. Kontakte 3 ( 1953), H. 7, S. 3. Ganz ähnlich der RIAS-Kommentar von Gerhard Löwenthal und Herbert Kondler vom 24.7.1953, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 2: „Die Demokratie, die der politischen Verwirklichung der Humanität dienen soll, kann nur basieren auf der bedingungslosen Verteidigung der Freiheit des Individuums und der Lebensgemeinschaften. Der Kongreß für die Freiheit der Kultur konstituiert sich als das permanente Parlament der übernationalen geistigen Republik der in Freiheit lebenden Völker." Neben dem Versuch, die stalinistische Humanitätsargumentation zu unterminieren bzw. für eigene Anliegen dienstbar zu machen, fällt der gehäufte Gebrauch konsensliberaler Ideologeme in dieser kurzen Passage auf. Kontakte 3 (1953), H. 8, S. 4. Ahistorisch meint hier natürlich nicht, daß es keine weltanschaulichen Abhängigkeiten des Konsensliberalismus von der Aufklärung gegeben habe, sondern bezieht sich auf die unterschiedlichen Rahmenbedingungen, in denen sich die jeweiligen Diskurse vollzogen.
1. Die
ideologische Funktion des Hamburger Kongresses
419
Voltaire machte. Dies wurde noch verstärkt, da Polanyi seine antitotalitären Ausführungen mit einem heftigen Angriff auf antiintellektuelle Tendenzen im zeitgenössischen westlichen Konservativismus verband, der, angesichts des von ihm diagnostizierten Zusammenbruchs der intellektuellen, demokratischen Linken in den USA und Westeuropa, drohte, eine umfassende kulturelle Hegemonie zu erringen.27 Damit gab Polanyi weniger die kulturelle Realität in den angelsächsischen Ländern oder auf dem Kontinent wieder, als vielmehr die Selbstsicht der angelsächsischen Intellektuellen seit dem als Katastrophe empfundenen Wahlsieg Eisenhowers und der Republikaner. Diese Fehlperzeption gründete darin, daß ohne weitere Problematisierungen politische Gegebenheiten in den ideell-kulturellen Bereich übertragen wurden. Ganz ähnlich wie Polanyi argumentierte zur gleichen Zeit auch Arthur M. Schlesinger jr., der einen unmittelbar bevorstehenden Sieg gegenaufklärerisch-antiintellektueller Kräfte wenigstens in den USA prognostizierte.28 Neben antikommunistischer und antikonservativer Polemik kam es zusätzlich zur Kritik neutralistischer Positionen. Insbesondere ging es um das Verhältnis wissenschaftlicher Objektivitätsforderungen und politischer Parteinahme. So sehr nämlich der CCF in Hamburg an einem pragmatistisch verstandenen Objektivitätsideal festhielt, so wenig strebte man den unpolitischen Wissenschaftler an. Sittliches Sollen und wissenschaftliche Erkenntnis wurden eng aneinander gebunden und bevorzugt zur Abwehr des ethischen Anspruches der Weltfriedensbewegung um das Ehepaar Joliot-Curie eingesetzt. In der abschließenden Solidaritätsadresse an die „Wissenschaftler jenseits des Eisernen Vorhanges" wurde denn auch das Objektivitätspostulat als Bindeglied zwischen freiheitlichen Wissenschaftlern im Westen und an Freiheit interessierten Wissenschaftlern des Ostens eingesetzt.29 Um eine derartige Front aber überhaupt zu ermöglichen, bedurfte es einer entschiedenen Kritik jener Geistesströmungen im östlichen Machtbereich, die dem solchermaßen definierten Verständnis von Wissenschaft diametral entgegenstanden. Schon aus diesem Grund war die Abwehr des im Stalinismus die naturwissenschaftlichen Diskurse beherrschenden Lyssenkoismus eine der zentralen Aufgaben der Hamburnen
ger Konferenz.30 In Hamburg fehlte im Vergleich zu Berlin 1950 eine überragende Persönlichkeit vom Format Arthur Koestlers, der drei Jahre zuvor die entscheidenden Impulse gegeben hatte, auch wenn Pierre Grèmion glaubt, Alexander Weissberg-Cybulski eine vergleichbare Rolle konzedieren zu können.31 Eher dürfte es zutreffen, daß eine Reihe von Personen diesen Hamburger Kongreß geprägt
27 28 29 30 31
Kontakte 3 (1953), H. 7, S. 10f. Vg. R Hofstadter: Anti-Intellectualism, S. 4 Kontakte 3 (1953), H. 8, S. 6. Vgl. P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 1231". Ebda, S. 115.
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VII. Der Kongreß
„Wissenschaft und Freiheit" Hamburg
1953
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haben. Neben Weissberg-Cybulski wäre vor allem Michael Polanyi zu nennen, aber auch J. Robert Oppenheimer, dessen Anwesenheit allein schon für einiges Aufsehen sorgte.32 In der deutschen Pressereaktion spielten Bruno Snell, Josef Pieper und Hellmuth Plessner eine Rolle, die ihnen von ihrem Gewicht im internationalen wissenschaftlichen Betrieb her eigentlich nicht zukam. Da niemand mehr auf eine radikale und charismatische Persönlichkeit fixiert war, blieb der Ton der Hamburger Statements durchweg ruhiger und gelassener als ta Berlin. Ganz im Sinne Sdones, der 1950 zu den Hauptkritikern des KoestlerKurses gehört hatte, waren die getroffenen Aussagen in der Regel weitaus differenzierter, was sicherlich auch die veränderten politischen Rahmenbedingungen wiederspiegelte. So fehlte denn auch, wenigstens im Hinblick auf die Konferenz als solche, eine nachträgliche kontroverse Debatte über den Kongreß „Wissenschaft und Freiheit". Die deutschen Medien beschränkten sich normalerweise darauf, den Ablauf der Tagung wiederzugeben,33 wobei das Bekenntnis Schmids, Reuters und Landahls zur wissenschaftlichen Freiheit in klarer Abgrenzung vom deutschen Begriff der „Freiheit als Innerlichkeit" besonders hervorgehoben wurde. Die „Neue Zeitung" erklärte sogar, es habe sich um die erfolgreichste Veranstaltung des CCF gehandelt.34 In korrekter Kenntnis der weltanschaulichen Grundlagen des CCF wies Crons „Deutsche Zeitung" daraufhin, daß die US-amerikanische, pragmatistische Wissenschaftskonzeption das Feld in Hamburg in einem Maße beherrscht habe, welche den Rekurs auf Max Webers Postulat einer zweckfreien Forschung ebenso unmöglich gemacht habe wie diejenigen auf Wilhelm Diltheys historistische Verstehenstheorien. Beide seien nicht einmal erwähnt worden.35 Auch Michael Josselson war angetan von der Hamburger Tagung. Es handele sich um einen „herrlichen Erfolg",36 bemerkte er noch vor Ende des Kongresses. Und tatsächlich hatte der Konsensliberalismus mit diesem massiven Aufgebot international renommierter Gelehrter unterschiedlicher Fachbereiche mehr als deutlich seine organisatorische und intellektuelle Lebensfähigkeit eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Josselson regte deswegen an, die Hamburger Redebeiträge möglichst schnell in einem Sammelband zu edieren, um eine adäquate Rezeption zu erreichen. Für die deutsche Ausgabe sollte Walther Hofer das Vorwort verfassen.37 Dies geschah auch, allerdings nicht in der von Josselson und den anderen Beteiligten erwarteten Form. Das Buch „Wissenschaft und Freiheit" entwickelte sich zum Gegenstand eines ebenso langwie32 33 34 35 36 37
Ebda, SI 16.
Vgl. Die Welt vom 24.7.1953. Neue Zeitung vom 28.7.1953. Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung vom 29.7.1953. Michael Josselson an Alexander von Auer vom 28.7.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 1. Michael Josselson an Hellmuth Jaesrich vom 23.9.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 3.
1 Die
ideologische Funktion des Hamburger Kongresses
421
rigen wie grotesken Streites innerhalb des CCF, mit dem eigentlich keiner gerechnet hatte, der aber die Aufnahme der Hamburger Resultate im deutschen Sprachraum erheblich verzögerte und überdies mit Warren D. Manshel und Wolf Jobst Siedler gleich zwei hauptamtliche Mitarbeiter des CCF regehecht verschliß. Insofern gab der nachträgliche Streit ein wirklichkeitsnäheres Bild von der Situation, in der der CCF sich seit 1952 befand, als die eigentliche Tagung, deren äußerer Glanz manches Krisensignal überdeckt hatte. Was war geschehen? Alles hatte sich schon im Verlauf der Hamburger Veranstaltung angebahnt, genau genommen sogar bereits vor ihrem Beginn. Kernpunkt des Konfliktes waren eher professorale Rivalitäten als ernsthafte wissenschaftliche oder ideologische Auseinandersetzung, was die ganze Angelegenheit für den Kulturkongreß noch einmal ärgerlicher machte. Die UNESCO hatte im Juni 1950 und im Juni 1951 zwei divergierende Deklarationen zur Rassenfrage verabschiedet, deren erstere von einer Gruppe von Soziologen formuliert worden war, während die zweite von Biologen und Anthropologen verfaßt wurde. Um die Verwirrung komplett zu machen, benutzte die 1952 gleichfalls von der UNESCO herausgegebene Broschüre „What is Race" erneut einen leicht modifizierten Rassenbegriff. Hans Nachtsheim, der an der Erklärung von 1951 mitgearbeitet und diese stets leidenschaftlich verteidigt hatte,38 hielt dabei streng an einem Rassebegriff fest, der ausschließlich auf physische Unterschiede abhob und bewußt sämtliche potentiell unterscheidenden psychischen Merkmale als im anthropologischen Sinne unwissenschaftlich ausschied. Doch darüber wurde gar nicht gestritten. Nachtsheim fühlte sich nämlich persönlich beleidigt, als die beiden Briten Cyril Darlington und John Baker der supranationalen Organisation der UNESCO prinzipiell das Recht absprachen, zu naturwissenschaftlichen Fragen autoritativ Stellung zu beziehen. Ein besonderer Kritikpunkt aber resultierte daraus, daß mit ihrem britischen Kollegen John Haidane ein Kommunist daran beteiligt war, die Deklaration mit auszuarbeiten.39 Dagegen wandte Nachtsheim ein, Baker, der bald zu seinem Hauptkontrahenten avancierte, könne offensichtlich zwischen den unterschiedlichen Texten der UNESCO nicht richtig unterscheiden und arbeite wissenschaftlich unsauber. Also verlangte er, vermittels einer eigenen Fußnote in der geplanten Publikation Bakers Äußerungen korrigieren zu dürfen.40 Selbstverständlich verwahrte sich John Baker gegen den expliziten sei nicht imstande, einen UNESCO-Text richtig zu lesen und seinerseits eine Fußnote zu der Fußnote Nachtsheims, was bei verlangte dem Deutschen laut Warren D. Manshel eine fast cholerische Reaktion hervor-
Vorwurf,
er
nun
38 39 40
Hans Nachtsheim an Hellmuth Jaesrich vom 26.7.1951, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 14, Folder 3. P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 118 und S. 120. Warren D. Manshel an Michael Polanyi vom 23.12.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 5, Folder 9; Nicolas Nabokov an Hans Nachtsheim vom 6.4.1955 (!), ebda., Box 5, Folder 8.
422
VII. Der Kongreß
„Wissenschaft und Freiheit" Hamburg
1953
-
vergeblich,42 und nach einem bald drei Jahre währenden intensiven Streit entschied Josselson sich für die Position Bakers und ließ den Tagungsband mit beiden Fußnoten drucken, nicht ohne sich vorher gegen mögliche gerichtliche Schritte Nachtsheims rief.41 Ein Vermittlungsversuch Bruno Snells blieb
abzusichern.43
Mochte dieser
Nachklang
zum
Hamburger Kongreß
absurder
Züge
nicht
entbehren, so machte er doch zweierlei klar: Zum einen hing der CCF in seiner Aktionsfähigkeit durchweg vom guten Willen seiner Mitarbeiter ab. Rivalitäten, wie sie unter Intellektuellen keine Seltenheit sind, stellten mitunter die
Handlungsfähigkeit der Organisation wenigstens in Teilbereichen in Frage. Derartige Spannungen mußten dann von der Pariser Bürokratie, allen voran von Michael Josselson sorgfältig austariert werden, auch wenn sie im Kern abwegig erschienen. Zum anderen fehlte, rein organisatorisch betrachtet, den Mitgliedern der untergegangenen deutschen Exekutive inzwischen jede Hausmacht in Paris, zumal selbst Bruno Snell (und Melvin Lasky) einen eher auf Ausgleich
bedachten Kurs steuerten. Josselson entschied sich am Ende gegen Nachtsheims Willen für die Aufnahme von Bakers Fußnote, weil Baker als Sekretär des „Committee for Science and Freedom" für den CCF allemal wichtiger war als Nachtsheim, der sich nicht einmal mehr auf eine intakte Berliner Sektion zu stützen vermochte. Obendrein wurde erneut erkennbar, daß die Deutschen Schwierigkeiten hatten, sich in das vom CCF repräsentierte System internationaler intellektueller Netzwerke einzufügen und dort erfolgreich zu operieren, wobei die Gründe für dieses Scheitern nicht unmittelbar erkennbar sind. Mit der Niederlage Nachtsheims schrumpfte der deutsche Einfluß im CCF vorerst fast auf Null zusammen. Von den Mitgliedern der alten Exekutive waren überhaupt nur noch Carlo Schmid und Willy Brandt sowie, mit einigen Einschränkungen, Rudolf Pechel aktiv; Bruno Snell war inzwischen neu hinzugestoßen. Die meisten anderen hatten sich von der Organisation abgewandt, blieben aber, wie besonders an Mitscherlich oder Kogon sichtbar wird, bestimmten Inhalten des Konsensliberalismus durchaus verbunden. Ungeachtet aUen Glanzes, den die großen Namen der Teilnehmer des Hamburger Kongresses ausstrahlten, waren seine inhaltlichen Impulse international beschränkt; in Westdeutschland fand er aus den genannten Gründen über unmittelbare Presseberichterstattung hinaus kaum weitere Resonanz. Dennoch verstellte der scheinbare Erfolg von Hamburg den Blick auf die Realitäten: Das System der seriellen Großkongresse hatte mit dem Niedergang der Weltfriedensbewegung seinen instrumenteilen Wert erheblich eingebüßt, und von ihm
41 42 43
Warren D. Manshel an Michael Polanyi vom 22.3.1955, IACF/CCF-Archiv, Senes I, Box 5, Folder 9 Warren D. Manshel an Wolf Jobst Siedler vom 8.1.1955 und WarrenD Manshel an Wolf Jobst Siedler vom 9.2.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 6, Folder 3. Michael Josselson an John Baker vom 25.1.1956, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 6, Folder 8.
2. Bruno Snell und derAufbau des Hamburger Kongreßbüros
423
gingen keinen nennenswerten weltanschaulichen Impulse mehr aus. Wichtiger jedoch war, daß sich erste Anzeichen für interne Gewichtsverschiebungen im
CCF andeuteten. Die Technokraten des Antitotalitarismus befanden sich auf dem Sprung zur Macht, die sie im Gefolge der Mailänder Konferenz von 1955 endgültig übernehmen sollten. Vorerst aber dauerte die Stagnation im CCF an. Graduell anders verhielt es sich in Westdeutschland, wo der Hamburger Kongreß weniger inhaltlich, als vielmehr organisatorisch neue Impulse gab, auf die nun einzugehen ist.
2. Bruno Snell und der Aufbau des Hamburger
Kongreßbüros
Seitdem sich im Hochsommer 1953 die Symptome für den Niedergang der deutschen Exekutive häuften und die Pariser Kongreßzentrale sie vornehmlich als Ausdruck der persönlichen Unfähigkeit Jasper Petersens und der unglücklichen geographischen Lage des Stuttgarter Büros diagnostizierte, nahmen die Pläne, das Stuttgarter Büro nach Hamburg zu verlagern, konkrete Gestalt an.44 Mit dem sich abzeichnenden Ende der bisherigen Organisationsform des CCF in Westdeutschland und nach der erfolgreichen organisatorischen Tätigkeit im Verlauf der Konferenz vom Juli 1953 hatte das Hamburger Büro seit November 1953 einen ganz neuen, erheblich erweiterten Stellenwert in den Plänen des Internationalen Generalsekretariates. Es sollte eine Art Ausgangspunkt neuerlicher, wenn auch anders als bislang strukturierter CCF-Aktivitäten in der Bundesrepublik werden. Eine zentrale Rolle fiel dabei Bruno Snell zu, der als Rektor der Hamburger Universität den Kongreß mitorganisiert hatte und der, darin allenfalls Carlo Schmid vergleichbar, über eine Vielzahl persönlicher Kontakte in der intellektuellen und akademischen Welt Westdeutschlands verfügte. Auf diese Weise konnte er zur Mitte eines neuen, nunmehr eher universitär ausgerichteten deutschen Intellektuellennetzwerkes werden, so wenigstens hoffte man in Paris. Snell seinerseits war am CCF schon deswegen interessiert, weil dieser ihm bei der Kontaktaufhahme zu den US-amerikanischen Stiftungen, deren Gelder er für sein Projekt eines „Europa-Kollegs" in Hamburg dringend benötigte, behilflich sein konnte.45 Die deutsche Mitarbeit im CCF mußte nicht ausschließlich auf ideellen Ursachen gründen, wobei man Snell sicherlich unrecht tun würde, wollte man die materiellen Interessen bei 44 45
Nicolas Nabokov an Rudolf Pechel vom 10.6.1953, IACF/CCF-Archiv, Senes I, Box 1, Folder 6. Nicolas Nabokov an Bruno Snell vom 3.11 1953 und Nicolas Nabokov an Bruno Snell vom 11.9.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 7.
424
VII. Der Kongreß
„Wissenschaft und Freiheit" Hamburg
1953
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seiner Aktivität im CCF überbetonen. Um also Bruno Snell in den internationalen CCF einzubinden, wurde er nach dem Rücktritt von Cron im November 1954 in das Internationale Exekutivkomitee kooptiert. Man hatte in Paris seit dem Ende 1953 über diesen Schritt diskutiert; es bedurfte indes einer energischen Intervention Margot Schrepfers, ehe die Internationale Exekutive endlich aktiv wurde.46 Carlo Schmid beschränkte sich von da an im CCF auf repräsentative Aufgaben im internationalen Bereich, sofern er überhaupt noch am
Kongreßgeschehen partizipierte.
Neben Bruno Snell sollte Margot Schrepfer bei den folgenden Plänen, den deutschen CCF zu reaktivieren, eine herausragende Rolle zufallen. Mehr noch als Wolf Jobst Siedler im Berliner Büro trag sie seit Ende 1953 die Hauptlast aller deutschen CCF-Aktivitäten.47 Nicht zuletzt spielte Frau Schrepfer bei dem von Paris favorisierten Ausbau der Hamburger „Jungen Gruppe" eine wichtige Rolle. Außerdem war geplant, Hamburg zum Zentrum und Vorbild bei der Gründung lokaler CCF-Grappen in Frankfurt und München zu machen, die man spätestens seit Januar 1954 ins Auge gefaßt hatte, um den Verlust des deutschen Ausschusses auszugleichen.48 Im Rahmen dieser Konzeption fiel dem Hamburger Büro also jene Aufgabe zu, deren Durchführung die deutsche Exekutive stets abgelehnt hatte, was nur möglich war, weil die neue Stelle keinerlei personelle Kontinuität zum alten CCF in der Bundesrepublik aufwies. So konnte sich dieser dezentrale Neuaufbau zeitlich parallel zum vergeblichen Versuch Pecheis, die deutsche Kongreßexekutive zu reformieren, vollziehen, ohne daß sich beide Anläufe gegenseitig beeinflußt hätten. Diese chronologische Koinzidenz belegt überdies, daß es in Paris seit Januar 1954 kein wirkliches Interesse an einem reorganisierten deutschen Ausschuß mehr gab. Das Konzept Schmids und Nabokovs war gerade dabei, Wirklichkeit zu werden.49 Anfangs hatte Nabokov noch geplant, Frau Schrepfer einen verantwortlichen Büroleiter überzuordnen, wobei an einen Neffen Snells gedacht wurde, doch die erfolgreiche Tätigkeit von Frau Schrepfer ließ ihn von diesem Gedanken 46
47 48
49
Nicolas Nabokov
an
Carlo Schmid vom 17.8.1954 und Nicolas Nabokov
an
Bruno Snell
vom
16.11.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 3, Folder 6; vgl. das Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 27.11.1953, S. 195f„ IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 3, Folder 4, Margot Schrepfer an Michael Josselson vom 20.10.1954, ebda., Box 123, Folder 4; Margot Schrepfer an Michael Josselson vom 26.11.1954, ebda., Box 123, Folder 5. Michael Josselson an Margot Schrepfer vom 21.12.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 7; vgl. Bruno Snell an Michael Josselson, o.D. (1966?), NL Snell, BStabib, Ana 490. Michael Josselson an Nicolas Nabokov vom 4.1.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 3, Folder 2. Es handelte sich um ein für Mitte Januar in Hamburg angesetztes Treffen, bei dem die Reorganisation des deutschen CCF besprochen werden sollte; vgl. Bericht des Generalsekretärs an das Internationale Exekutivkomitee vom 24.1.1955, S. 6f, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 3a, Folder 1; Aktennotiz von N.N.: „Prospects Hamburg", o.D. (Juni 1954), ebda., Box 123, Folder 6, wo die lokalen Möglichkeiten der Hamburger Gruppe skizziert werden. Michael Josselson an Bruno Snell vom 29.6.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 3, Folder 7. In diesem Schreiben dankte Josselson Snell ftlr seine Bereitschaft, sich am Neuaufbau des CCF in der Bundesrepublik einzusetzen, und zwar im Sinne des Generalsekretariates.
2. Bruno Snell und derAufbau des
Hamburger Kongreßbüros
425
wieder Abstand nehmen.50 Auf diese Weise etablierte sich das seit Juni 1954 am Hamburger Nonnenstieg ansässige Büro des Kongresses „Wissenschaft und Freiheit" im Oktober 1954 als Büro des „Kongresses für die Freiheit der Kultur".51 Wie zuvor die Zweigstellen in Frankfürt, Berlin und Stuttgart hing auch das Hamburger Büro ausschließlich von den finanziellen Subsidien des Internationalen Generalsekretariates ab.52 Entsprechend diente es als weisungsgebundenes Relais für sämtliche Aktivitäten der Pariser CCF-Zentrale in der Bundesrepublik. So war es Hamburg, nicht vorrangig Berlin, das die vom CCF ausgeschriebenen Asienstipendien für westdeutsche Akademiker verwaltete oder Vortragsreisen von CCF-Rednern organisierte. Eine besonders wichtige Rolle spielte das Hamburger Büro auch bei der Auswahl deutscher Teilnehmer für die Mailänder Konferenz von 1955.53 Dennoch gestaltete sich die institutionelle Abhängigkeit des neuen Büros von den Weisungen der Pariser Zentrale in einer erkennbar anderen Weise als zuvor in den anderen deutschen Kongreßbüros. Margot Schrepfer und Bruno Snell legten, bei aller prinzipiellen Loyalität gegenüber dem CCF und seinen Idealen, großen Wert darauf, diese Weisungsbefügnis allein in den Bereichen gelten zu lassen, die sich unmittelbar auf Aktionen des internationalen CCF in der Bundesrepubklik bezogen. Demgegenüber beschränkte man sich bei eigenen Veranstaltungen im Regelfall darauf, Paris vorher oder manchmal erst nachher zu informieren. Hamburger Vorträge wurden zumeist eigenverantwortlich, bisweilen mit dem Berliner Büro oder der Hamburger Universität beziehungsweise der Europa-Union abgestimmt, von Margot Schrepfer organisiert, und im Gegensatz zur vorhergehenden Phase des CCF in Deutschland ließen Josselson und Nabokov sie eingedenk schlechter Erfahrungen mit einem allzu zentralistischen Kurs normalerweise gewähren.54 Dies galt verstärkt für 50
51
52
53
54
Nicolas Nabokov an Dr. Grimm vom 5.1.1954, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 117, Folder 2; Nicolas Nabokov an Margot Schrepfer vom 16.11.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 3, Folder 6. Michael Josselson an Margot Schrepfer vom 4.10.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 3, Folder 6. Margot Schrepfer an Michael Josselson vom 20.10.1954, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 123, Folder 4, wies daraufhin, daß der Hamburger CCF finanziell derart schlecht gestellt war, daß er selbst wenn er mit der Europa-Union zusammenarbeitete, nur etwa ein Drittel der anfallenden Kosten tragen konnte, die wiederum von Paris häufig nur verspätet überwiesen wurden. Das Quartalsbudget des Büros belief sich von 1953-1957 auf $ 1.000,-, danach auf $ 1.250,-, vgl. Marion Bieber an Margot Schrepfer vom 22.7.1957, ebda., Box 124, Folder 1. Aus dem Brief geht auch hervor, daß Margot Schrepfer emen Teil der Kosten aus eigener Tasche beglich Warren D. Manshel an Prof. Hugo Böker (Bonn) vom 28.5.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 2, Folder 2; Michael Josselson an Nicolas Nabokov vom 18.1.1954, ebda., Box 3, Folder 3, Warren D. Manshel an Bruno Snell vom 3.12.1954, ebda., Box 3, Folder 6. Der Charakter der vom Hamburger Büro organisierten Veranstaltungen unterschied sich weder
formal noch inhaltlich von dem des Berliner Büros. Meist handelte es sich um Vorträge zu allgemein interessierenden Themen, die von international bekannten CCF-Rednern durchgeführt wurden; gelegentlich traten Podiumsdiskussionen oder Filmvorführungen hinzu. Während der Jahre 1955 und 1956 überschnitt sich ein Teil der Vorträge mit den Reuter-Gedächtnisvorlesun-
426
VII. Der Kongreß
„Wissenschaft und Freiheit" Hamburg 1953 -
die örtliche „Junge Gruppe", die vergleichsweise autonom und nur von Margot Schrepfer locker beaufsichtigt ihren eigenen Interessen nachgehen konnte. Auf diese Weise erreichte der Hamburger CCF ein Maß an gestalterischer Freiheit und auch personeller Kontinuität, das für die Arbeit des CCF in Westdeutschland untypisch war. Dies wirkte sich sowohl auf das Verhältnis zur lokalen Presse als auch zur Hamburger Universität und SPD positiv aus. Durchgehend, eigentiich bis in die siebziger Jahre hinein, stand die Hamburger Kongreßgrappe, die sich allmählich seit 1955 aus dem akademisch geprägten festen Zuhörerstamm der Vortragsveranstaltungen herausbildete, in dem Ruf, eher linksliberal geprägt zu sein. Dies hing mit den persönlichen Präferenzen Snells und Schrepfers zusammen und war für sich genommen im CCF nichts Außergewöhnliches. Trotzdem entwickelte der Hamburger CCF einen ganz eigenen Stil, der weitaus dialogischer und weniger aggressiv wirkte, als das ansonsten im Kongreß üblich war. Siegfried Lenz hat dies auf eine spezifisch hanseatisch-liberale Prägung der Gruppe zurückgeführt, was vermutlich zutreffen dürfte.55 Doch gerade in dieser Tendenz zu einer relativen Offenheit auch gegenüber Strömungen, die mit der Weltanschauung des CCF nicht unbedingt vereinbar waren, lagen die Grenzen der Pariser Toleranz im Verhältnis zur Hamburger Gruppe. Als man in Hamburg beispielsweise plante, auf Kosten der Pariser Zentrale zwei ausgewiesene Neutralisten wie Pierre Mendès-France und Joseph Rovan zu Diskussionsrunden einzuladen, kam prompt ein Verbot der geplanten Veranstaltungen aus Paris.56 Ähnlich erging es Wilhelm Sternbmg, der deshalb nicht nach Hamburg eingeladen wurde, weil man in Paris der Ansicht war, Georg von Rauch oder Walther Hofer als Mitglieder des „Committee for Science and Freedom" seien bei Vorträgen bevorzugt zu berücksichtigen.57 Die Grenzen der Handlungsfreiheit des Hamburger CCF zeigten sich ähnlich deutlich im Verlauf eines Konfliktes zwischen Paris und Hamburg, der Mitte 1955 seinen Ausgang nahm. Norbert Mühlen meldete via Melvin Lasky der Pariser Zentrale, im Hamburger Büro werde ein ebenso antiamerikanisch wie nationalneutralistisch orientierter Student beschäftigt,
55 56
57
gen in Berlin, vgl. am 24.5.1955: Raymond Aron über „Der Intellektuelle und der Kommunismus" oder am 14.4.1955: Herbert S. Morrison über „Government and Opposition in Parliamentary Democracy"; am 28.3.1955: Walter Karsch über „Ist die Freiheit der Kunst noch zu retten"; am 14.2 1955: Siegfried Landshut über „Karl Marx heute". Vgl. ferner die Vortragstätigkeit der Hamburger „Jungen Gruppe", wo man sich 1954/55 intensiv mit den Ideen von Karl Jaspers und Bertrand Russell auseinandersetzte, s. Informationen 8/54 der „Jungen Gruppe" vom 11-6.1954, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 123, Folder 6. Solange die Beziehungen zwischen dem Axel Springer-Verlag und dem Hamburger CCF intakt waren, erfreuten sich die Veranstaltungen einer großen Publizität. Siegfried Lenz im Gespräch mit dem Verf. Nicolas Nabokov an Margot Schrepfer vom 28.9.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 6, Folder 1. Anstelle Rovans wurde dann André Philip, einer der Gründerväter des CCF, eingeladen; vgl. femer Michael Josselson an Margot Schrepfer vom 8.4.1955, ebda., Box 6, Folder 2 Michael Josselson an Margot Schrepfer vom 22.10.1956, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 123, Folder 9
2. Bruno Snell und der Aufbau des Hamburger Kongreßbüros
427
dessen Ansichten und Verhalten mit den Zielen des CCF keinesfalls vereinbar seien.58 Umgehend fragte Nabokov bei Frau Schrepfer nach, was es mit dieser Meldung auf sich habe, woraufhin die Sekretärin sich schützend vor den jungen Studenten stellte. Es handele sich, so erklärte sie, um einen Ostzonenflüchtling, der gelegentlich in der „Deutschen Rundschau" unter Pseudonym veröffentliche und zudem ein Protégée Carlo Schmids sei.59 Geschickterweise antwortete Margot Schrepfer erst, als der Student, dem sie zwar eine gewisse politische Unbefangenheit, aber prinzipielle Treue zum Anliegen der kulturellen Freiheit attestierte, nicht mehr im Büro arbeitete, wodurch der Streit bereits in der Entstehungsphase beendet werden konnte. Das Pariser Generalsekretariat machte von seiner Weisungsbefügnis also immer dann Gebrauch, wenn man dort befürchtete, in Hamburg würde zuviel Verständnis für nationalneutralistische Positionen gezeigt oder wenn man konkrete organisatorische Aufgaben für das Hamburger Büro vorgesehen hatte. Insgesamt bevorzugten Nabokov und Josselson auch in Hamburg Referenten aus dem näheren ideologischen Umfeld der eigenen Organisation. Dennoch kann nicht unbedingt gesagt werden, daß der Spielraum der Hamburger durch diese Vorgehensweise fundamental eingeschränkt worden wäre. Es war am Ende auch die relative Handlungsfreiheit Snells und Schrepfers, die es ermöglichte, den CCF so eng in die Hamburger Intellektuellenszene und das lokale akademische Milieu einzubinden, daß daran zu denken war, der ganzen Angelegenheit eine gewisse organisatorische Gestalt zu geben. Emeut standen derartige Überlegungen im größeren Rahmen eines auf die ganze Bundesrepublik bezogenen Konzeptes. Im Herbst 1954 hatte das Internationale Exekutivkomitee, basierend auf Plänen Michael Polanyis, erste konkrete Erwägungen darüber angestellt, wie man von Hamburg aus den deutschen CCF reaktivieren könnte. Ausgehend von einer Hamburger Gruppe sollte demzufolge eine weitere in Berlin aufgebaut werden, aus deren Zusammenarbeit dann eine lockere Föderation westdeutscher Kongreßsektionen entstehen würde; diese müßte direkt Paris unterstehen, um eine Neuauflage des deutschen Exekutivkomitees und der damit verbundenen Fiaskos zu verhindern. Bruno Snell mißverstand diesen Plan, indem er annahm, das Hamburger Büro werde zugunsten einer Reihe kleinerer organisatorischer Strukturen aufgelöst, und protestierte erst einmal umgehend. Ohne langes Zögern erklärte allerdings das Internationale Sekretariat, Polanyis Konzeption diene dazu, das Hamburger Büro zu stärken und gab eine Bestandsgarantie dafür ab.60 Bis dahin unter58 59
60
Melvin J Lasky an Michael Josselson vom 25.7.1955, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 241, Folder 5. Nicolas Nabokov an Margot Schrepfer vom 28.9.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 6, Folder 1; Margot Schrepfer an Nicolas Nabokov vom 11.10.1955, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 123, Folder 7. Bruno Snell an Michael Polanyi vom 20.9.1954 und Nicolas Nabokov an Bruno Snell vom 21.10.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 3, Folder 6.
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VII. Der Kongreß
„Wissenschaft und Freiheit" Hamburg 1953 -
schied sich der Polanyi-Plan nicht sonderlich von Nabokovs Konzepten aus dem Januar des gleichen Jahres. Nun aber sollte Hamburg erste reale organisatorische Schritte unternehmen, um gewissermaßen als Modell für weitere deutsche Ortsgrupppen des CCF zu dienen. Am 21. Februar 195561 konstituierten sich Bruno Snell, die beiden Sozialdemokraten Erich Lüth und Heinrich Landahl sowie der liberale Kultussenator Hans Harder Biermann-Ratjen, Landahls Vorgänger und Nachfolger im Amt, als Gründungskomitee der neuen CCF-Gruppe. Auf Vorschlag Margot Schrepfers wurde noch am selben Tag die Schauspielerin und Intendantin Ida Ehre hinzugewählt und zwar als Vertreterin der Hamburger Juden, worauf auch Erich Lüth höchsten Wert legte.62 In Absprache mit Nabokov verzichtete der Hamburger CCF auf eine feste Organisationsform, etwa als eingetragener Verein, sondern bestand vorerst nur aus dem fünfköpfigen Gremium, dessen Leitung bei Snell lag. Dieses Komitee richtete von da an nominell die Veranstaltungen des CCF in Hamburg aus und hielt auf diese Weise den Kontakt zu weiteren, besonders den universitären Kreisen in der Hansestadt. Zugleich fügte man sich in ein institutionelles Geflecht ein, das aus den demokratischen Studentenbünden der politischen Parteien, der EuropaUnion, der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, der DeutschEnglischen Gesellschaft und dem Amerika-Haus bestand, allesamt Organisationen, die in einem weiteren Sinn westlich orientiert waren.63 Hinzu trat das von Bruno Snell gegründete Europa-Kolleg in Hamburg. Allein schon an dieser institutionellen Anbindung lassen sich bestimmte Inhalte ablesen: Nicht generell, unbestimmte Westlichkeit war die Grundlage der Zusammenarbeit, sondern eine betont liberaldemokratische, für die europäische Idee offene weltanschauliche Ausrichtung. Einen Sonderfall im Bereich institutionalisierter Zusammenarbeit, die diese ideologische Grundlage besonders prägnant wiedergab, stellte der Kontakt zum „Grünwalder Kreis" dar. Dieser war eine Gruppe, die aus einem Schriftstellerund Intellektuellentreffen im Februar 1956 in München-Grünwald hervorgegangen war; seine Mitglieder hatten sich „aus Sorge um die wachsende Bedrohung unserer demokratischen Freiheit" zusammengeschlossen und verfolgten das Ziel, gegen die „Wühlarbeit" eines wieder erstarkenden deutschen Faschismus anzugehen.64 Damit stand die politisch linksliberal bis sozialdemokratisch ausgerichtete Gruppe den Intentionen des Hamburger CCF 61
62 63
64
In seinem Bericht über die Geschichte des Hamburger CCF aus dem Jahre 1965 verlegt Snell die Gründung irrtümlicherweise auf Januar 1955, vgl. Bruno Snell: Der Hamburger Kongreß für die Freiheit der Kultur (1965), IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 124, Folder 6. Aktennotizen von Margot Schrepfer vom 15.2. und 21.2.1955, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 123, Folder 8. Margot Schrepfer an John C. Hunt vom 11.5.1958, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 124, Folder 2 Sozialdemokratischer Pressedienst vom 15.5.1956.
2. Bruno Snell und derAufbau des Hamburger Kongreßbüros
429
recht nahe. Deshalb gehörten, neben Hans Werner Richter, Erich Kuby, Alfred Andersch, Ralf Italiaander, Jesco von Puttkamer und dem Münchener SPDPolitiker Hans-Jochen Vogel, auch die Hamburger CCF-Angehörigen Bruno Snell, Heinrich Landahl, Erich Lüth und Thilo Koch der neuen Organisation an. Von Beginn an planten die Hamburger eine enge Kooperation mit dem „Grünwalder Kreis", dessen Arbeitsschwerpunkt ebenso im Bereich der „reorientation" lag, wie derjenige der Hamburger CCF-Gruppe, bei der Antikommunismus und Antineutralismus bei weitem nicht den Stellenwert hatten, wie weiland in der deutschen Exekutive.65 In Paris registrierten Josselson und Nabokov diesen Alleingang mit Sorge. Eilig wurden erste Bedenken angemeldet. Vor allem Josselson befürchtete, beim „Grünwalder Kreis" könne es sich um eine nationalneutralistische „fellow-traveller"-Organisation handeln und ließ über Melvin Lasky den Hamburgern mitteilen, man solle eine engere Zusammenarbeit vermeiden, ehe die neue Gruppierung nicht eingehend überprüft worden sei.66 Zu diesem Zeitpunkt hatte man dem „Grünwalder Kreis" bereits eine Art Gastrecht am Hamburger Nonnenstieg gewährt, ohne zuvor beim Internationalen Sekretariat um Erlaubnis nachgefragt zu haben. Ungeachtet der Einwände Josselsons nahm denn auch kurz darauf der Hamburger CCF fast geschlossen an einem weiteren Treffen des Kreises teil, was Margot Schrepfer mit dem Kommentar an Paris weiter meldete: und damit ist dann zum mindesten einmal dokumentiert, daß der Kongreß nicht nur nach links, sondern auch nach rechts schießen hilft, und das ist hier sehr angebracht."67 Josselson vermied es daraufhin, ein Verbot der Zusammenarbeit zu erlassen, jedoch kam es bis 1959 zu keiner weiteren direkten Zusammenarbeit mit dem „Grünwalder Kreis". Die Hamburger CCFAngehörigen blieben aber Mitglieder der Gruppe. Ferner suchte man die Nähe zum westdeutschen PEN-Club. Als der 1958 seine Generalversammlung in Hamburg abhielt, war es beinahe selbstverständlich, daß der Kongreß eine eigene Podiumsdiskussion mit dem Thema „Gefahren für die kulturelle Freiheit in der Gegenwart" zum Rahmenprogramm beisteuerte.68 Im westdeutschen PEN hatte man noch nicht vergessen, daß gerade die deutschen CCF-Mitglieder maßgeblich daran mitgewirkt hatten, das westdeutsche PEN-Zentrum überhaupt ins Leben zu rufen. Auf diese Weise stellten Hamburger Büro und Kongreßgruppe einen durch„...
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In den
Vortragsveranstaltungen spiegelt sich dies nur beschränkt wieder, da man zum Teil auf Vorträge zurückgriff, die für Berlin konzipiert worden waren. Das Bild verschiebt sich, sobald man nur die direkt für Hamburg avisierten Beiträge in die Überlegungen miteinbezieht. Michael Josselson Folder 8.
an
Melvin J.
Lasky vom
16
5.1956, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 241,
Margot Schrepfer an Michael Josselson vom 29.5.1956, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 123,
Folder 9. 68
Margot Schrepfer an Marion Bieber vom 14.5.1958 und Walter Schmiele an Bruno Snell vom 28.5.1958, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 124, Folder 2.
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VII. Der Kongreß „Wissenschaft und Freiheit"
Hamburg 1953 -
erfolgverheißenden Neuansatz für eine lokal gegliederte, dezentrale Arbeit des CCF in der Bundesrepublik dar. Die Tätigkeit von Snell und Schrepfer wurde allerdings von einem Netz persönlicher und organisatorischer Verflechtungen begünstigt, das nicht zuletzt von der Person Bruno Snells69 abhing und von daher nicht unmittelbar auf andere deutsche Orte übertragbar war. Zudem verfügte man in Hamburg noch über eine recht agile „Junge Gruppe" und gute Kontakte zur SPD, was beides in dieser Form nirgendmehr sonst in der Bundesrepublik, mit der Ausnahme Westberlins, gegeben war. Der eigentliche Grand für den Erfolg des CCF in der Hansestadt lag aber darin begründet, daß Snell und Schrepfer eine organisatorisch zwar nur lose verbundene, weltanschaulich und in Relation zum örtlichen intellektuellen und akademischen Milieu aber vergleichsweise homogene Gruppe zusanunmeriführten und intakt hielten. Diese brachte über die Jahre hinweg kongreßuntypisch- sogar eine brauchbare Nachwuchsarbeit zustande. Im Gegensatz zur deutschen Exekutive und weitgehend unabhängig von der Pariser Zentrale gelang hier der Aufbau jener personellen Netzwerkstrukttir, auf der der CCF eigentlich gründete. Dabei entwickelte sich der Hamburger „Kongreß für die Freiheit der Kultur", je länger er existierte, zu einer Organisation, die immer weniger den Charakter einer Agentur des Kalten Krieges bewahrte. Indem die Hamburger sich von den Wurzeln ihrer Vergangenheit allmählich und unspektakulär lösten, legten sie die Grundlage für die dauerhafte Existenz ihrer Gruppe selbst über das Ende des CCF hinaus. aus
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3. Der
„Hofgeismarkreis"
Die Hamburger CCF-Gruppe war nicht das einzige organisatorische Ergebnis des Kongresses „Wissenschaft und Freiheit" in der Bundesrepublik. Über sie hinaus entwickelte sich, ebenfalls unter der Schirmherrschaft Bruno Snells, eine weiterer Zirkel, der am Ende nur noch überaus locker mit dem CCF verbunden bleiben sollte. Dennoch leistete er in gewisser Weise einen bedeutenden Beitrag dazu, „re-orientation"-Intentionen des Kulturkongresses in Westdeutschland durchzusetzen. Es handelte sich um den „Hofgeismarkreis", der sich Aufgaben der Bildungs- und Hochschulreform verschrieben hatte, von denen man nicht zu Unrecht annahm, daß sie von den Westalliierten während der Besatzungszeit nicht gerade mit besonderem Nachdruck vorangetrieben
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Snells Fähigkeit, derartige Netzwerke aufzubauen, beschränkte sich nicht auf Westdeutschland. In Hamburg galt er zur Zeit seines Rektorats als die bei weitem weitläufigste Persönlichkeit im Professorenkollegium der dortigen Universität, vgl. Hamburger Freie Presse vom 19.7.1951.
3. Der „Hofgeismarkreis"
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worden waren.70 Daher erschienen eigene deutsche Anstrengungen durchaus angemessen zu sein, zumal die Gründer des „Hofgeismarer Kreises" sich des Eindrucks nicht erwehren konnten, daß die praktische Situation der deutschen Hochschulen dringend erneuernde Maßnahmen erforderlich machte. Dadurch wurde, verglichen mit dem Hamburger Büro und seinem lokal oder regional geprägten Umfeld, der „Hofgeismarer Kreis" ein überregionales, bundesweit wirkendes Gremium, das dafür einem genau spezifizierten Zweck diente. Der Kreis entstand aus einem informellen Treffen westdeutscher Hochschulrektoren, die sich aus Anlaß des Hamburger Kongresses 1953 versammelt hatten. Im Zuge der Gespräche verwandte sich ein Teil der Beteiligten dafür, den so entstandenen Diskussionszusammenhang zu institutionalisieren. Ursprünglich wollte man im Vorfeld der Westdeutschen Rektorenkonferenz Reformvorschläge ausarbeiten, die dann wahlweise veröffentlicht werden sollten oder der Rektorenkonferenz vertraulich zugeleitet wurden. Da die erste Sitzung der neuen Gruppe vom 2. bis 4. Januar 1954 in der Evangelischen Akademie der Landeskirche von Kurhessen-Waldeck in Hofgeismar stattfand,71 wählte man den Namen „Hofgeismarer Kreis", respektive „Hofgeismarkreis"; beide Formen tauchen in der offiziellen Korrespondenz der Gruppe auf. Von da an frafen sich die Mitglieder regelmäßig zweimal im Jahr, jeweils im Januar in Hofgeismar oder Karlshafen bei Hofgeismar und im Juni in Obbach bei Schweinfürt in Unterfranken. Das Gründungsreferat hielt Max Horkheimer über das „Selbstverständnis der deutschen Hochschulen".72 Zu den führenden oder besonders aktiven Mitgliedern des Kreises gehörte er in der Folge allerdings nicht. Hier wären eher Bruno Snell, der protestantische Münsteraner Theologe Karl-Heinrich Rengstorf, Theodor Litt, Helmuth Plessner, der Tübinger Theologe und Jurist Ludwig Raiser sowie Wolfgang Clemen aus München und Emil Lehnartz zu nennen. Von den Initiatoren des „Hofgeismarkreises" hatte sich besonders Bruno Snell seit geraumer Zeit intensiv mit Fragen der Hochschuheform beschäftigt. 1948 war er von der britischen Besatzungsmacht in eine Gruppe von Hochschullehrern berufen worden, die bald darauf ein Gutachten mit Reformvorschlägen vorlegte, denen kaum übertriebene Radikalität nachzusagen war. Dennoch ging es um mehr als um bloße Restauration des klassischen deutschen Hochschulbetriebes. Das „Blaue Gutachten", das bald darauf für längere Zeit fast vollständig in Vergessenheit geriet, legte ganz im Sinn der westlichen Besatzungsmächte, den Verzicht auf die überkommenen Strukturen der Ordinarienuniversität nahe und forderte, den Fächerkanon um moderne, „west-
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Vgl. allg. Jutta Lange-Quassowski: Neuordnung oder Restauration. Das Demokratiekonzept der amerikanischen Besatzungsmacht und die politische Sozialisation der deutschen Wirtschaftsordnung Sozialstruktur Politische Bildung, Opladen 1971. Die Westdeutsche Rektorenkonferenz tagte unmittelbar danach vom 4.-6.1.1954 in Göttingen. Karl Heinrich Rengstorf an Bruno Snell vom 29.9.1953, NL Snell, BStabib, Ana 490. -
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Hamburg
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liehe" Fächer wie Politologie zu erweitern. Desgleichen sollten die sozialwissenschaftlichen Curricula nach angelsächsischem Muster umgestaltet werden und die Studenten im Grandstudium durch die Einrichtung von „tutorials" besser betreut werden, um ein zügigeres Studium zu gewährleisten.73 Der Kompromißcharakter des „Blauen Gutachtens" wird besonders deutlich, wenn man es mit innerdeutschen Reformforderungen vergleicht, wie sie zwei Jahre zuvor Alexander Mitscherlich im „Marburger Gespräch" mit dem dortigen Rektor Ebbinghaus formuliert hatte. Mitscherlich hatte sich massiv für eine Abkehr vom traditionellen deutschen Wertfreiheitspostulat in Forschung und Lehre stark gemacht und eine Integration des Politischen in die Wissenschaft verlangt. Schon 1946 erwies sich Snell als eher ausgleichender Charakter. Mit Hilfe von Verbalkompromissen suchte er zwischen den Vertetem der beiden rivalisierenden Wissenschaftsverständnissen, die ihre je eigenen Schlüsse aus der Katastrophe des Nationalsozialismus zogen, zu vermitteln.74 Wie es Snells Persönlichkeit entsprach, war auch der „Hofgeismarkreis" bei allem Reformwillen irenisch gestimmt und normalerweise durchaus kompromißbereit. Vom Ziel, in der Bundesrepublik bewußt demokratische Hochschulstrakturen aufzubauen, in denen ebenso bewußt demokratische Lehrtahalte vermittelt werden sollten, ließen die Mitglieder des Kreises sich jedoch nie abbringen. Dabei griff man nur bedingt und eher formal auf angelsächsische Konzepte zurück. Das Demokratisierungspotential der Pädagogik John Deweys etwa blieb gänzlich ausgespart.75 Der ausgleichende Zug, der dem „Hofgeismarkreis" vor allem in seiner Frühphase anhaftete, wurde noch dadurch verstärkt, daß seine Mitglieder nicht nur bei internen Diskussionen auf Konsens abstellten, sondern überdies stets die Spielräume innerhalb der Westdeutschen Rektorenkonferenz im Auge behalten mußten, da nach und nach die Mitglieder des Kreises ihre Rektorate aufgaben und entsprechend Verbündeter innerhalb der Rektorenkonferenz bedurften. Realistischerweise konnten Reformvorschläge unter den Bedingungen einer ständig im personellen Fluß befindlichen Gruppe nur dann durchgesetzt werden, wenn man sie so formulierte, daß sie nicht ausschließlich für radikale Minderheiten akzeptabel waren.76 Außerdem befand sich der „Hofgeismarer Kreis" in einem andauernden Diskussionsprozeß sowohl mit außeruniversitären Akademien als auch mit einer Reihe von Bildungspolitikern, nicht nur aus dem Lager der deutschen
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Vgl. HJ. Rupieper: Wurzeln, S. 138f. Vgl. Mama Osietzki: Wissenschaftsorganisation und Restauration. Der Aufbau außeruniversitärer Forschungseinnchtungen und die Gründung des westdeutschen Staates 1945-1952, Diss. Köln-Bonn 1984, S. 371-374. Wie die Arbeit von Lange-Quassowski leidet diejenige Osietzkis ein wenig unter dem unreflektierten Gebrauch des Restaurationsparadigmas J. Lange-Quassowski: Neuordnung, S. 67-78. Zum Vorgehen vgl. Karl-Heinrich Rengstorf an Bruno Snell vom 16.6.1956 und Bruno Snell an Karl-Heinrich Rengstorf vom 9.6.1956, NL Snell, BStabib, Ana 490.
3. Der
„Hofgeismarkreis"
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Sozialdemokratie.77 Aus diesen mittel- bis langfristig angelegten Diskussionen gingen dann die Schriften des „Hofgeismarer Kreises" hervor, die einer breite-
Öffentlichkeit die Gelegenheit geben sollten, sich über den Stand der Reformanliegen zu informieren.78 Diese Schriften, in einer eigenen Reihe
ren
herausgegeben, bilden auch das wichtigste Quellenmaterial, aus dem sich die Haltung des Kreises eruieren läßt.79 Prinzipiell setzten die Mitglieder des „Hofgeismarer Kreises" darauf, die Gegebenheiten der traditionellen deutschen Universität umsichtig, harmonisch und ohne große Brüche den Erfordernissen moderner Industrie- und Massengesellschaften anzupassen. Sie griffen dabei auf die korporativen Modelle des althergebrachten Universitätssystems ebenso zurück, wie auf das grundsätzliche Postulat der Freiheit von Forschung und Lehre von staatlicher Bevormundung. Die korporativ organisierte Universität sollte dann mit neuen Inhalten gefüllt werden, die ihrerseits gelegentlich an angelsächsische Vorbilder erinnerten. Besonders konsequent formulierte Ludwig Raiser den Anspruch auf
Kontinuität in der Reform: „Dabei ist nicht an einen streng rationalen, radikalen Um- oder Neubau gedacht; gerade die politische Funktion, die wir den Universitäten als Selbstverwaltungskörpern zuweisen, kann nur dann voll wirksam werden, wenn die Universitäten als geschichtlich gewachsene Gebilde erhalten bleiben."80 Der politisierte korporative Universitätsbetrieb als Ergebnis der, nicht als Gegensatz zur deutschen Bildungstradition, stand im Mittelpunkt sämtlicher Überlegungen der „Hofgeismarer". Diese selbstverwaltete Struktur, so führ Raiser fort, sei zudem die beste Garantie gegen die negativen Folgen eines „selbstherrlichen Individualismus", wie man ihn aus dem angelsächsischen Bereich kenne.81 Mit dieser kritischen Distanz zum radikalen Individualismus war freilich kein genuines Antiwestlertum oder eine Form von Antiamerikanismus verbunden. Die USA und Großbritannien blieben, innnerhalb des traditionsorientierten Rahmens, den man sich im „Hofgeismarer Kreis" gegeben hatte, Vorbilder einer künftigen deutschen Universitätsreform. Wichtiger aber war es, an modernisierungsfähige deutsche Vorgaben anzuVgl. Bruno Snell an Karl-Heinrich Rengstorf vom 4.9.1956 und Karl-Heinrich Rengstorf an die Mitglieder des Hofgeismarer Kreises vom 15.11.1955, wo darauf hingewiesen wurde, daß bei außeruniversitären Tagungen zur Hochschulreform vornehmlich die anwesenden Kollegen mit ausnehmend heftiger Kritik aufwarteten.
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Eine noch breitere Öffentlichkeit erreichten die Mitglieder des „Hofgeismarkreises" über die „Zeit", wo bes. Rucker seine Gedanken erstmals veröffentlichte. Vgl. Hofgeismarer Kreis (Hg): Gedanken zur Hochschulreform. Neugliederung des Lehrkörpers, Göttingen 1956. Diese Schrift, intern als „Denkschrift" zirkulierend, bildete eine Art Gründungsmanifest des Kreises. S.a. Ludwig Raiser: Die Universität im Staat (Schriften des Hofgeismarer Kreises 1), Heidelberg 1958; August Rucker: Ziele und Wege des Akademischen Studiums. Gedanken zur Reform der Studiengänge (Schriften des Hofgeismarkreises 2), Heidelberg 1960; Wolfgang Clemen: Idee und Wirklichkeit an der Universität (Schriften des Hofgeismarer Kreises 3), Heidelberg 1963. L. Raiser: Universität, S. 20. Ebda, S. 28f; Zitat s. S. 29.
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VII. Der Kongreß
„Wissenschaft und Freiheit" Hamburg
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knüpfen, denen man zwar nicht unkritisch gegenüberstand, die man gleichwohl
auch nicht vollkommen verwarf. Überfällig erschien indes die Reform im administrativen Sektor. Hier war die Universität in der modernen Gesellschaft schon quantitativ mit ganz neuen Herausforderungen konfrontiert, die mit den alten Rezepten bestenfalls kaschiert, nicht aber bewältigt werden konnten. Wohl standen die „Hofgeismarer" der Massenuniversität als solcher eher skeptisch gegenüber und verlangten, zum Beispiel bei der Studienförderung nach dem „Honnefer Modell" weniger die soziale Bedürftigkeit, als vielmehr rigoros die akademische Qualifikation zum eigentlichen Maßstab der Mittelvergabe zu machen;82 dennoch verschloß man sich nicht der Einsicht, daß angesichts der Irreversibilität des Prozesses der „Vermassung" neue organisatorische Strukturen unabdingbar waren. Deshalb sprach sich der Kreis auch dafür aus, im Verwaltungsbereich an streng hierarchischen Formen betrieblicher Organisation festzuhalten, während man in Forschung und Lehre die Dominanz kollegialer Elemente befürwortete.83 Rektorat und Administration sollten strikt voneinander getrennt werden, zugleich versuchte man, die Selbstverwaltung der Universität durch eine Art Globalhaushalt auch finanztechnisch zu sichern. Dieser sei dann weder von den Ordinarien noch vom Staat, sondern, nach amerikanischem Muster, von einem inneruniversitären Kollektivorgan zu verwalten.84 Hinsichtlich des eigentlich wissenschaftlichen Bereiches hielt der „Hofgeismarkreis" generell an der Ordinarienverfassung fest, wollte allerdings die Ordnung der Fakultäten durchgreifend verändern und das Ideal zweckfreier Forschung zugunsten einer reflektiert politischen Universität aufgeben.85 Das Studium sollte intensiver werden und eine klarere Struktur bekommen, weshalb man dafür eintrat, auch die Lehrpläne zu überarbeiten.86 Neue Wissenschaftszweige wollte man schneller als bislang üblich in die Universität eingliedern. Ferner plante man, die Ordinarien durch den Ausbau des akademischen Mittelbaus und die Einrichtung von Tutorien zu entlasten.87 Die Nähe der Vorschläge des „Hofgeismarer Kreises" zu denen des „Blauen Gutachtens" ist offensichtlich. Zugleich wird erkennbar, wie vorsichtig und kompromißbereit die „Hofgeismarer" ihre Anliegen präsentierten, um nichtsdestoweniger in Kollegenkreisen auf hinhaltenden offenen oder verdeckten Widerstand zu stoßen. So verwundert es nicht, daß jenseits aller theoretischen Überlegungen die praktische Umsetzung der Konzepte des „Hofgeismarkreises" manche Mühe bereitete. Allenfalls Ludwig Raiser gelang es, einige der Ideen bei der Gründung der Universität Konstanz einzubringen, wobei er seine Position als Prä82 83 84 85 86 87
W. Clemen: Idee und Wirklichkeit, S. 5ff. und S 9. L. Raiser: Universität, S. 21. Ebda., S. 22ff. W. Clemen: Idee und Wirklichkeit, S. 56f. Ebda., S. 30f. A. Rucker: Ziele und Wege, S. 2 lf.
3. Der „Hofgeismarkreis"
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ehemaliger Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft auszunutzen verstand.88 Konstanz nämlich verstand sich explizit als Reformuniversität, was sich nicht ausschließlich in der modernen Architektur der dortigen Universitätsgebäude niederschlug. Vor allem strebten sident des Wissenschaftsrates und
die Gründer der neuen Hochschule anstelle strikt getrennter Fachbereiche und Fakultäten sinnvoll und modern gegliederte überfachliche Einheiten an, die sogenannten Fachgruppen. Diese wiederum stellten, wenigstens in der Theorie, die Grundlage für die angestrebten integrierten Studiengänge dar. Zusätzlich legte man in Konstanz besonderen Wert auf die Rezeption und Weitergabe ausländischer, überwiegend angelsächsischer Theorieangebote, sei es in der Wissenschaft selber oder im Feld der Wissenschaftsorganisation. Schließlich wurde der Praxisbezug der universitären Ausbildung betont, ein weiterer Unterschied zu herkömmlichen deutschen Hochschulmodellen.89 Konstanz war also, zumindest in Teilbereichen, der Versuch, die in den fünfziger Jahren theoretisch erarbeiteten Konzepte des „Hofgeismarer Kreises" in die praktische Bildungspolitik der sechziger Jahre zu übersetzen, auch wenn eingeräumt werden muß, daß der „Hofgeismarkreis" nur eine von diversen Gruppen war, die sich bemühten, ihre Vorstellungen in die neue Hochschule einfließen zu lassen. In anderen Fällen verhielt sich der Kreis deutlich zurückhaltender. Am Aufbau der Europa-Universität Florenz beteiligten sich die „Hofgeismarer" überhaupt erst, nachdem Snell die Göttinger Kollegen, allen voran Plessner und Deuticke, davon überzeugt hatte, man müsse sich mit den Verantwortlichen dort so früh wie möglich besprechen und dürfe nicht abwarten, bis man das Projekt intern und in allen Einzelheiten diskutiert habe.90 Prinzipieller war die Skepsis gegenüber einer direkten Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftsrat. Vor allem Rengstorf war nun 1963 der Ansicht, daß, wenn der Kreis überhaupt etwas erreichen wollte, er außerhalb bestehender Institutionen arbeiten müsse. Ansonsten laufe man Gefahr, zu „einer allertreuesten Opposition" zu -
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werden.91
Mit seiner Aussage gab Rengstorf die sich wandelnde Stimmung innerhalb des „Hofgeismarer Kreises" zu Beginn der sechziger Jahre wieder. Angesichts einer festgefahrenen Situation in der Bildungslandschaft und einer reformunwilligen Mehrheit unter den deutschen Ordinarien machten sich Resignation 88
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Karl-Heinrich Rengstorf an Bruno Snell vom 17.6.1963, NL Snell, BStabib, Ana 490. Der Brief schließt mit der resignierten Frage: „Ob es aber nicht selbst dafür schon zu spät ist?" Leider ist nicht genau festzustellen, wie weit Raisers Einfluß reichte, zumal er zumindest anfangs dem Konstanzer Projekt eher verhalten gegenüberstand. [Diesen Hinweis verdanke ich Prof (era.) Dr. Gerhard Schulz (Universität Tübingen).] Dennoch kann festgehalten werden, daß der „Hofgeismarer Kreis" den Aufbau der Universität Konstanz generell befürwortete. Vgl. insges. Horst Sund (Hg): Blickpunkt Universität Konstanz, Konstanz 1982. Karl-Heinrich Rengstorf an Bruno Snell vom 3.6.1959 und Bruno Snell an Karl-Heinnch Rengstorf vom 5.6.1959, NL Snell, BStabib, Ana 490. Karl-Heinrich Renstorf an Bruno Snell vom 17.6.1963, NL Snell, BStabib, Ana 490
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VII. Der Kongreß
„Wissenschaft und Freiheit" Hamburg 1953 -
Ton der tatemen Kritik an den Zuständen im der Bildungssystem Bundesrepublik wurde aggressiver und bitterer, zumal die Mitglieder des Kreises den Eindruck gewannen, kaum wirklich etwas bewegen zu können. Fast folgerichtig schlief der „Hofgeismarer Kreis" im Frühjahr 1965 stillschweigend ein, ohne jemals formell aufgelöst zu werden.92 Ein Teil seiner Mitglieder fand sich vier Jahre später im „Kuratorium für die Freiheit der Wissenschaft" wieder. Wie so viele liberaldemokratische Reformer der fünfziger Jahre waren auch die „Hofgeismarer" von der Welle studentischer, neulinker Proteste seit 1967 überrollt worden und reagierten entsprechend verschreckt.93 Bruno Snell wurde eingeladen, sich dem Kuratorium anzuschließen, lehnte aber ab, ohne dies näher zu begründen.94 Im Rückblick hat Rengstorf das Ende des „Hofgeismarer Kreises" als „Erfolg von Kräften" geschildert, „die durch das Dritte Reich geprägt waren."95 Damit wurde noch einmal deutlich gemacht, daß der Kreis in seinem eigenen Selbstverständnis ein Produkt von im Kern prowestlichen „re-orientation"Intentionen war, wenn auch in ausschließlich deutscher Trägerschaft. Bei aller Neigung zum Ausgleich hatte diese Selbstsicht durchaus eine Grundlage in der Realität. Der genuin deutsche Charakter, den das prowestliche Engagement des Kreises angenommen hatte, wird noch klarer, wenn man das Verhältnis zum CCF mit einkalkuliert. Das gestaltete sich im Laufe der Zeit ausnehmend locker. Zwar wurden Internationales Generalsekretariat und Exekutivkomitee über Bruno Snell von den Aktivitäten des „Hofgeismarer Kreises" informiert,96 doch blieb der Kreis vollkommen unabhängig von jedweder direkten Einflußnahme seitens der Pariser Zentrale. Insofern war der „Hofgeismarkreis" in der Organisationsgeschichte des CCF ein vergleichsweise marginales Moment, ideengeschichtlich hingegen, als deutscher Träger von Wertetransfer, ist er von einigem Interesse. Dies gilt umso mehr, wenn man ihn unter dem Gesichtspunkt einer auch von deutschen demokratischen Traditionen geprägten An-
und
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Verärgerung breit, der
Karl-Heinrich Rengstorf an Bruno Snell vom 14.3.1965, NL Snell, BStabib, Ana 490. Vgl. Karl-Heinrich Rengstorf an Bruno Snell vom 15.10.1969 und vom 28.10.1969, NL Snell, BStabib, Ana 490. Rengstorf versuchte noch, über Hennis u.a. die Ideen des Kreise wiederzubeleben, aber Hennis riet von einer Wiederaufnahme der Hofgeismarer Tradition ab und schlug vor, sich dem Kuratorium anzuschließen. Mit Blick auf die Studentenrevolte und die von ihr ausgelösten hektischen Reformbestrebungen bemerkte Rengstorf nicht ohne Häme am 15.10: „Was jetzt hier bei uns [...] vor sich geht, ist so, daß man nur sagen kann, hier rächen sich die Sünden der Väter an den Kindern." Karl-Heinrich Rengstorf an Bruno Snell vom 3.11.1969, NL Snell, BStabib, Ana 490, bedauert nur, daß Snell von der Möglichkeit der Mitgliedschaft keinen Gebrauch machen wolle. Karl-Heinrich Rengstorf an Bruno Snell vom 9.4.1984, NL Snell, BStabib, Ana 490; vgl. a. Karl-Heinrich Rengstorf an Bruno Snell vom 26.4.1984, wo er erneut Ex-Nazis für das Ende des Kreises verantwortlich macht. Vg. Warren D. Manshel an Karl-Heinnch Rengstorf vom 29.4.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 3, Folder 5; s.v.a. Bruno Snell an Karl-Heinnch Rengstorf vom 27.1.1958, NL Snell, BStabib, Ana 490; s. dag. Warren D. Manshel an George Polanyi vom 17.3.1955, IACF/CCFArchiv, Senes I, Box 5, Folder 9, wo Manshel sich darüber beklagt, daß Snell in seinem Bericht vor dem Internationalen Exekutivkomitee den „Hofgeismarer Kreis" nicht einmal erwähnt hatte.
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3. Der „Hofgeismarkreis"
Werte versteht. Im CCF war man sich dieses Umstandes sehr wohl bewußt und stand solchen institutionell unabhängigen Organisationen, die nicht wie der CCF unter dem Primat antikommunistischer Aktion standen, prinzipiell positiv gegenüber, gerade weil sie leisteten, was der CCF von sich aus und alleine nicht zu leisten vermochte. Die Nähe führender CCF-Persönlichkeiten zum „Hofgeismarer Kreis" und seinen Vorstellungen bleibt noch ersichtlich, als 1971 Richard Löwenthal, angesichts der Herausforderung traditioneller akademischer Praxis durch die neulinke Studentenbewegung, für das „Kuratorium für die Freiheit der Wissenschaften" mit eigenen Reformvorschlägen an die Öffentlichkeit trat. In nahezu allen Punkten praktischer Reorganisation des Wissenschaftsbetriebes und der grundsätzlichen Zielvorgabe einer korporativ gegliederten, von Interventionen Dritter freien Universität, die im Sinne liberaldemokratischer Ideologie politisch sein sollte, blieb er den Vorstellungen der „Hofgeismarer" verhaftet.97 Gewiß waren die moderaten Reformvorschläge des „Hofgeismarer Kreises" oder von Einzelpersonen des CCF mit den deutlich radikaleren Anstößen der Neuen Linken derart inkompatibel, daß manche der radikalen Reformer in ihren Vorgängern kaum mehr als Vertreter bildungspolitischer Reaktion zu erkennen vermochten. Dabei handelte es sich um den beinahe klassischen Fall einer ideologisch motivierten Fehlperzeption, die der Realität von „Hofgeismarkreis" und CCF nicht im mindesten gerecht wird. In Anbetracht des Umstandes, daß der „Hofgeismarer Kreis" nur recht lose mit dem CCF verbunden war, darf man ihn beim besten Willen nicht mehr als „Agentur des Kalten Krieges" etikettieren. Dennoch war er in einem weiten Sinn zweifellos eine Agentur einer sich selbst tragenden „re-orientation". Möglicherweise kann man sogar die These wagen, daß die US-Amerikaner, indem sie deutsche Reformer auf dem Bildungssektor nur indirekt unterstützt eigenständig wirken ließen auf die zwar nicht determinierende, wohl aber disponierende Kraft endogener Modernisierungsprozesse setzten. Angesichts mangelnder deutscher Folgebereitschaft in der unmittelbaren Nachkriegszeit bewirkten sie möglicherweise so mehr für eine Reform des deutschen Hochschulwesens als durch direktes Dekretieren auch wenn alles ein wenig länger benötigte. Auf diese Weise resultierten die bildungsreformerischen Ansätze der späten sechziger und frühen siebziger Jahre aus einem dialektischen Prozeß zwischen den liberaldemokratischen Reformern der fünfziger und den radikale-
Verwandlung westlicher
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ren
97
Protagonisten der „Generation von
1968".
Vgl. Richard Löwenthal: Hochschule für die Demokratie. Grundlinien einer sinnvollen Hochschulreform, Köln 1971
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VII. Der Kongreß „Wissenschaft und Freiheit" -
Hamburg
1953
4. Das Komitee „Wissenschaft und Freiheit" Auch das Komitee
„Wissenschaft und Freiheit" (CSF)98 war, obgleich es Vorläuferorganisationen gab, ein Ergebnis des gleichnamigen Hamburger Kongresses. Im Gegensatz zum Hamburger Kongreßbüro operierte das Komitee, wie der CCF, dem Ansprach nach weltweit, wenn auch realiter auf den transatlantischen Bereich eingeschränkt. Ähnlich dem CCF diente das CSF nicht allein einem Zweck, sondern hatte eine ganze Reihe von Aufgaben zu erfüllen, die prinzipiell den Interessenprioritäten des CCF zugeordnet waren. Dementsprechend handelte es sich beim CSF um eine antitotalitäre, primär antikommunistische Agentur des Kalten Krieges, die aber, darin erneut dem CCF vergleichbar, in Deutschland vorwiegend als Institut der „re-orientation" auftrat. Dies wird anhand der einzigen konkret auf Westdeutschland bezogenen Operation des Komitees noch näher aufzuweisen sein. Global gesehen aber diente das CSF vorwiegend dem Zweck, prominente Natur- und Geisteswissenschaftler für den ideologischen „Frontdienst" im Kalten Krieg tauglich und instrumentalisierbar zu machen, womit es die Aufgabenstellung des Hamburger Kongresses geschickt perperuierte. Insbesondere suchte das CSF die Auseinandersetzung mit dem dialektischen Materialismus oder dem Lyssenkoismus als
Ausfluß stalinistischen Wissenschaftsverständnisses. Daneben wandte man sich gegen Attacken auf die Freiheit der Forschung, wo immer man darauf stieß. Bis zu einem gewissen Grade schloß die Organisation an die Propagandaaktivitäten des ACCF gegen das Ehepaar Joliot-Curie an,99 obwohl die Weltfriedensbewegung zum Zeitpunkt, als das CSF gegründet wurde, bei weitem nicht mehr über den früheren Einfluß verfügte. Angesichts des Zerfalls der kommunistischen Weltfriedensbewegung nach Stalins Tod änderte das CSF alsbald seine Taktik und wandte sich von medienwirksamen Appellen antikommunistischer Nobelpreisträger ab. Anstelle des verbrauchten Antikommunismus der Hochphase des Kalten Krieges wurden nun differenzierte und detailbezogenere Formen der Informationsvermittlung bevorzugt. Eine wichtige Rolle spielte dabei das Bulletin „Science and Freedom",100 das umso bedeutsamer war, als es sich beim CSF faktisch um einen hochzentralisierten Apparat handelte, der von London, dem Redaktionssitz des „Bulletins", aus gesteuert wurde. In seinem Zentralismus übertraf das CSF sogar noch den CCF; zeitweise handelte es sich 98 99
100
Vgl. allg. P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 188f. So hatten die deutschen CSF-Mitglieder Otto Hahn und Max von Laue bereits 1952 einen Appell des ACCF gegen die von den „Weltfriedenspartisanen" lancierte Kampagne gegen den anvon Einsatz geblichen US-amerikanischen bakteriologischen Waffen in Nordkorea mitunterzeichnet: Pressemitteilung des ACCF vom 16.6.1952, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 17, Folder 6. Michael Josselson an George Polanyi vom 25.11.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 3, Folder 3.
4. Das Komitee um
„Wissenschaft und Freiheit"
einen reinen Familienbetrieb der
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Polanyis, mit Michael Polanyi als Prä-
sident, seinem Sohn George und dessen Frau als Exekutivsekretären. Daneben spielten Nachtsheims Konkurrent Sir John Baker, Raymond Aron, Edward Shils und Helmuth Plessner eme wichtige Rolle im CSF, was zugleich die enge Verbindung zum Exekutivkomitee des CCF unterstreichen mag. Für das Bulletin war vornehmlich George Polanyi zuständig. Es diente seit dem Abrücken vom radikalen Antikommunismus dazu, Verstöße kommunistischer Bewegungen, aber auch nationalistischer, neonazistischer und franqui-
stischer Gruppen sowie staatlicher Stellen gegen die akademische Freiheit und die Freiheit wissenschaftlicher Forschung intern publik zu machen. Dieser Prozeß vollzog sich weniger öffentlichkeitswirksam, denn als Weitergabe von Informationen innerhalb der weltweit präsenten Mitgliederschaft des CSF. Nur in Ausnahmefällen trat das CSF nach 1954 an eine weitere Öffentlichkeit. Der Plan, eine international agierende Gesellschaft von Natur- und Geisteswissenschaftlern zu gründen, die den auf Literaten und Medienvertreter fixierten CCF ergänzen könnte, war zwar unmittelbar im Anschluß, wenn nicht gar im Verlauf des Hamburger Kongresses von 1953 entstanden. Eine langfristige Vorplanung ist allerdings zumindest aus dem vorhandenen Aktenmaterial nicht zu erkennen. Die Installation des CSF, der gleichfalls auf das Berliner Manifest von 1950 eingeschworen war, trug nicht unmaßgeblich mit dazu bei, daß der Hamburger Kongreß als Erfolg mißinterpretiert werden konnte.101 Das Pariser Sekretariat und Michael Polanyi nahmen die Angelegenheit in die Hand und begannen Ende September 1953, potentielle Interessenten anzuschreiben und ihnen das Gründungsmanifest des künftigen Komitees zu übersenden. Bruno Snell, Helmuth Plessner und Lise Meitner gehörten zu den ersten Empfangern dieser Mitteilungen.102 Im April 1954, noch war das CSF gar nicht gegründet, wurden Arthur Jores, Max von Laue, Theodor Litt, Karl Löwith, Siegfried Landshut, Georg von Rauch und Josef Pieper angeschrieben und für die Mitarbeit in dem neuen Komitee gewonnen. Dabei stützte sich der CCF auf die Mitgliederlisten der bereits existierenden „Society for Freedom in Science", auf deren Rolle bei der Vorbereitung des Hamburger Kongresses bereits hingewiesen wurde. Der eigentliche Gründungsakt erfolgte dann drei Monate später, im Juli 1954.103 Es dauerte allerdings geraume Zeit, ehe Michael und George Polanyi die Arbeitsfähigkeit der internationalen Führung des CSF über bloß akklamative Tätigkeiten hinaus herzustellen vermochten. Immerhin gelang es 101 102
103
Nicolas Nabokov an James Conant (HICOG) vom 29.7.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 2. Nicolas Nabokov an Lise Meitner vom 2.10 1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder 5; vgl. ebda.: Nicolas Nabokov an Hans Nachtsheim, Helmuth Plessner und Bruno Snell vom 30.9.1953. Warren D. Manshel an Joachim G. Leithäuser vom 16.10.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 2, Folder 7; s.a. Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 24.1.1955, S. 5, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 3, Folder 5.
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VII. Der Kongreß
„Wissenschaft und Freiheit" Hamburg
1953
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recht schnell, ein Internationales Komitee einzurichten, dem Michael Polanyi vorstand und dem Helmuth Plessner sowie der Physiker Walter Gerlach für Deutschland angehörten. Desweiteren fanden sich Raymond Aron, Henri Janne, Sidney Hook, Edward Shils und Daniel Lagache in dem neuen Komitee.104 Damit waren vier Mitglieder der internationalen CCF-Exekutive auch in führender Position beim CSF. Selbst innerhalb des Pariser Sekretariates wurde dieser Nähe organisatorisch Rechnung getragen, indem die Angelegenheiten des CSF dem CCF-Mitarbeiter Warren D. Manshel unterstellt wurden. Dies änderte aber nichts daran, daß bezüglich des CSF bis weit in den September 1954 hinein eine gewisse Konfusion herrschte, da der Aufgabenbereich nur äußerst unpräzise abgesteckt worden war, nachdem sich die politische und besonders wissenschaftspolitische Situation seit 1953 doch recht drastisch geändert hatte. Freilich führte die Tatsache, daß es sich beim CSF um eine von Paris mitgelenkte Filiation des CCF handelte, nicht dazu, daß es sich in vollkommener tahaltiicher Abhängigkeit vom CCF befunden hätte. Eher ließen sich Nabokov, Josselson und Polanyi von bewährten Prinzipien der CCF-Arbeit lenken, indem sie dem CSF eine gewisse Unabhängigkeit gewährten105 und darauf vertrauten, daß die gegebene ideologische Übereinstimmung zwischen beiden Organisationen im Normalfall schon für eine reibungslose Zusammenarbeit sorgen würde. Und diese Erwartungen wurden zunächst auch nicht enttäuscht. Trotz aller konzeptionellen Nähe kam es, wenn auch vergleichsweise spät, 1961 zum Konflikt, der dann dazu führte, daß sogar das Gerücht auftauchte, das „Committee for Science and Freedom" sei vom CCF aufgelöst worden. Auslöser des Streites war ausgerechnet George Polanyi gewesen, der zu einem CSF-Symposion über die Nuklearfrage außer C.P. Snow auch noch den Kommunisten Bernal eingeladen hatte. Prompt kam es zum Zerwürfnis, welches zur Folge hatte, daß George Polanyi durch Edward Shils abgelöst wurde.106 Diese personelle Veränderung war jedoch mit einem gravierenden Problem verbunden: Edward Shils, der gerade zusammen mit Marion Bieber die Zeitschrift „Minerva" aufbaute, kam nie dazu, sich so intensiv um das CSF zu kümmern, wie Polanyi das getan hatte. Aus diesem Grunde wurde das CSF nach 1961 praktisch
bedeutungslos. In Westdeutschland,
das von George Polanyi einmal als das bedeutendste Zentrum der CSF-Aktivitäten bezeichnet worden war,107 konstituierte sich die 104
105 106 107
Warren D. Manshel an Michael Polanyi vom 16.6.1954 und Michael Josselson an George Polanyi vom 8.9.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 3, Folder 4. Soweit erkennbar wurden die Mitglieder des Internationalen Komitees vom CCF-Generalsekretariat ausgewählt. Die Frage nach der finanziellen Abhängigkeit des CSF vom CCF kann angesichts der Quellenlage derzeit nicht exakt geklärt werden. New Statesman vom 18.8. und 1.9.1961; vgl. P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 98f. George Polanyi an Helmuth Plessner vom 27.4.1958, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 80, Folder 7.
4. Das Komitee
„Wissenschaft und Freiheit"
441
nationale Sektion Mitte Oktober 1954.1081958 verfugte das CSF in der Bundesrepublik über mindestens 44 „Partner", deren formaler Status zwar nicht ganz dem von Mitgliedern entsprach, die aber mehr waren als bloße Mitläufer. Zentren der CSF-Aktivitäten waren FU und TU Berlin sowie die Universitäten Hamburg, Göttingen und Münster, zum Teil also klassische Schwerpunkte des CCF. Unter den „Partnern" befanden sich folgerichtig auch eine Reihe alter Bekannter aus den Tagen des deutschen Ausschusses: Otto Suhr, Walther Hofer, Hans Nachtsheim, den sogar sein weiterhin schwelender Streit mit Baker nicht von der Mitarbeit abhielt, und Alexander Mitscherlich. Ferner sind erwähnenswert der spätere CCF-Ehrenpräsident Theodor Heuss, Hildegard Brücher, die linksliberale FDP-Bildungspolitikerin, Karl-Heinrich Rengstorf und Helmuth Plessner vom „Hofgeismarer Kreis", Max von Laue, Hans von Campenhausen, Georg von Rauch, Rudolf Smend, Josef Pieper, Pascual Jordan,109 Michael Schmaus, Komad Lorenz, Ludwig Dehio und sogar der im Ruch nationalneutralistischer Tendenzen stehende Freidemokrat Thomas Dehler.110 Es ist unmittelbar erkennbar, daß das Umfeld des deutschen CSF, bei aller weltanschaulichen Nähe zur Mutterorganisation CCF, deutlich heterogenere Züge aufwies, als dies zuvor beim deutschen Exekutivkomitee der Fall gewesen war. Insbesondere war es gelungen, Vertreter des westdeutschen ,main-stream"-Katholizismus, wie den Münchener Dogmatiker Schmaus oder den Münsteraner Philosophen Pieper, zur Mitarbeit zu gewinnen. Insgesamt war die universitäre Theologie, Geschichtswissenschaft und Philosophie neben der Medizin und den Naturwissenschaften ausgesprochen zahbeich präsent. Zeitweise dachte man in CCF-Kreisen daran, das CSF im Umfeld der Atomrüstungskontroverse in der Bundesrepublik zu nutzen, nahm davon jedoch Abstand, weil erkennbar war, daß ein erheblicher Teil der CCF- und CSFSympathisanten den Plänen der Adenauer-Regierung ebenso skeptisch gegenüberstand wie der Rest der westdeutschen Linken. Eine Spaltung aber wollte man auf keinen Fall riskieren und, analog zum CCF, spielten konkret militärpolitische Fragen in der Folge beim CSF keine Rolle mehr. Michael und George Polanyi definierten diese Probleme als nicht zum Problemfeld wissenschaftlicher Freiheit gehörend einfach weg.111 Unverkennbar war der Terminus „wissenschaftliche Freiheit" im CSF dabei das genaue Korrelat zur ,Joilturellen Freiheit" im CCF. Der liberaldemokratische oder konsensliberale
108 109
110
Warren D. Manshel an Theodor Litt vom 10.9.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 2, Folder 7. Zu diesem Zeitpunkt war noch Max Horkheimer als Mitglied des deutschen CSF im Gespräch. Jordan war einer der wemgen früheren Nationalsozialisten in den Reihen von CSF oder CCF in der Bundesrepublik. Für diesen Hinweis danke ich Frau Dr. Gabriele Metzler (Universität
Tübingen). Vgl. die Liste deutscher CSF-Partner, o.D. ( 1957?), IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 80, Folder
7.
111
George Polanyi an Melvin J. Lasky vom 11.5.1957, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 80, Folder 7.
442
VII. Der Kongreß
„Wissenschaft und Freiheit" Hamburg -
1953
Kern im Begriffsgehalt beider Termini blieb dabei stets identisch und wurde auf unterschiedliche Feldern intellektuellen Lebens unterschiedlich angewendet. Die einzige, über rein weltanschaulich geprägte Informationsvermittlung hinausgehende, Aktion des CSF im Bereich „wissenschaftliche Freiheit" in der Bundesrepublik gehört denn auch zu den erfolgreichen „re-orientation"-Aktionen des CCF. Es handelte sich um den vom Kongreß insgesamt geleisteten Beitrag zum „Fall Schlüter". Am 26. Mai 1955 war die christlich-konservative Regierung Niedersachsens unter Ministerpräsident Heinrich Hellwege (DP) umgebildet worden. Schon einige Zeit zuvor hatten die Freien Demokraten Leonhard Schlüter als ihren potentiellen Kandidaten für das Amt des Kultusministers ins Gespräch gebracht. Diese Gerüchte sorgten von Anfang an an der Universität Göttingen für einige Unruhe, da Schlüter im Verdacht stand, Kontakte zu neonazistischen Autorenkreisen zu unterhalten. Kaum war Schlüter ernannt worden, legten der Rektor und die Senatoren der Universität unter Protest ihre Ämter nieder, und es kam zu aufgebrachten Reaktionen der Professoren- und Studentenschaft gegen den neuen Kultusminister.112 Lange vor der „Spiegelaffäre" bewies nun die bundesdeutsche akademische und intellektuelle Öffentlichkeit, wie empfindlich sie inzwischen auf derartige Zumutungen aus rechtsextremen Zirkeln reagierte. Bald dehnten sich die Proteste gegen Schlüter auf die gesamte Bundesrepublik und schließlich auch auf das Ausland aus, wobei Ernst Telschow, der damalige Sekretär der Max-Planck-Gesellschaft, Theodor Heuss gegenüber versicherte, dies sei alles Ausdruck spontaner Empörung und nicht von Göttingen aus angeregt worden.113 Am 9. Juni 1955 mußte Leonhard Schlüter zurücknur
treten.114
In Wahrheit, aber das konnte Telschow nicht wissen,
war
die ausländische
Empörung über den Fall Schlüter zwar echt, aber nicht ganz so spontan, wie er glaubte. Kaum nämlich waren die Proteste der Götttager Studenten und Professoren losgebrochen, hatten sich Helmuth Plessner und Bruno Snell an George Polanyi gewandt und das CSF um Unterstützung gebeten. Ihnen schwebte dabei vor, gleichzeitig einen Leserbrief an die „Times" zu schicken und eine Art internationalen Wissenschaftlerappells im Stil des Vorgehens gegen das Ehepaar Joliot-Curie zu veranlassen.115 Abgestimmt mit der Pariser CCF-Zentrale,
112 113 114
115
Vgl. Theodor Heuss an Toni Stolper vom 28.5 1955, in: E. Pkart (Hg): Tagebuchbriefe, S. 35, Anm. 1. Theodor Heuss an Toni Stolper vom 21.6.1957, in: E. Pkart (Hg): Tagebuchbriefe, S. 38. Vgl u.a. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3 6.1955; Freies Volk vom 3.6.1955; Hamburger Echo vom 3.6.1955; Westdeutsches Tageblatt vom 4.6.1955; Manchester Guardian vom 2.6.1955; Le Figaro vom 3.6.1955; La Croix vom 6.6.1955; Le Monde vom 9.6.1955 Vgl. im Rückblick Nicolas Nabokov an Helmuth Plessner vom 10.6.1955 und vom 24.6.1955, IACF/CCF-Archiv, Senes I, Box 5, Folder 8.
4. Das Komitee „Wissenschaft und Freiheit"
443
George Polanyi bald in Aktion,116 zumal offenbar war, daß die CCF-Führung von der Haltung der Göttinger Unversität ausgesprochen angetan war.117 Zwar hielt man in Paris und London einen Leserbrief an die „Times" für wenig effektiv, dafür nutzte man die vorhandenen Netzwerke beider Organisationen für eine Protestnote an Hellwege, die, ehe sie noch den niedersächsischen Ministerpräsidenten erreicht hatte, im „Figaro" publiziert wurde, wobei es gewiß kein Hindernis war, daß Raymond Aron zu den Mitunterzeichnern der Note gehörte.118 Der Zusammenhang fiel nur einer deutschen Zeitung auf; das „Hamburger Abendblatt" titelte korrekt: „Internationaler Protest gegen Schlüter. Kongreß für kulturelle Freiheit in Paris schaltet sich ein."119 Zwei Tage später übersandte der Hamburger CCF ein von Snell, Landahl, Lüth und Ida Ehre unterzeichnetes Solidaritätstelegramm an den Göttinger Rektor Wörmann,120 einen Tag darauf dankte Snell Michael Polanyi für das erfolgreiche Eingreifen trat
CCF und CSF.121 Mit dem Rücktritt Schlüters hatte es in den Augen von CCF und CSF aber noch nicht sein Bewenden. Spätestens seit Mitte Juni 1955 übernahm das Internationale Generalsekretariat des Kongresses die Federführung in der angelaufenen Kampagne. Vorerst erschien im August ein ganz dem Thema gewidmetes Bulletin des CSF,122 aber Nabokov dachte längst an weitergehende publizistische Aktivitäten. „Der Monat" sollte sich des Themas noch einmal kritisch annehmen, woraufhin sofort der „Monaf'-Mitherausgeber Hellmuth Jaesrich einen eigenen Artikel zum Thema verfaßte.123 Annähernd gleichzeitig bat Nabokov Carlo Schmid, bei der Bundesregierung zu intervenieren. In Paris glaubte man, die britische Regierung hielte weiteres brisantes Material über Schlüter und seine Kontakte zu bundesdeutschen neonazistischen Kreisen,
von
116
117
118
119 120
Vgl. Nicolas Nabokov an George Polanyi vom 24.6.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 5, Folder 8: „Thank you for all the work you and your wife did in connection with the Schlüter case. We are all very pleased that it had a happy ending and I only hope that the dark forebodings of Professor Plessner will not come true." Der Hinweis aufdie Kreise in Paris, von denen Shepard Stone gegenüber Theodor Heuss sprach, dürfte sich auf den CCF beziehen; vgl. Theodor Heuss an Toni Stolper vom 6.7.1955, in: E. Pikart (Hg.): Tagebuchbriefe, S. 42f Nicolas Nabokov an Pierre Brisson („Le Figaro") vom 2.6.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 4, Folder 2; zu den Unterzeichnern gehörten: Carlo Antoni (CCF), Raymond Aron (CCF/CSF), Otto Hahn (CSF), Sidney Hook (CCF/CSF), Karl Jaspers (CCF), Max von Laue (CSF), Salvador de Madanaga (CCF), Helmuth Plessner (CSF), Michael Polanyi (CCF/CSF), Edward Shils (CCF/CSF), Bruno Snell (CCF/CSF) und Lise Meitner (CSF), d.h. wichtige Repräsentanten des organisierten linken Antikommunismus. Hamburger Abendblatt vom 3.6.1955. Aktennotiz von Margot Schrepfer vom 5.6.1955, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 123, Folder 8.
121 122 123
Bruno Snell an Michael Polanyi vom 6.6.1955, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 123, Folder 8. „Göttingen versus Schlüter", in: Science and Freedom 2 (1955), H. 3, wo u.a. Toni Stolper, Helmuth Plessner, Melvin J. Lasky und Bruno Snell Beiträge ablieferten. Nicolas Nabokov an Carlo Schmid vom 8.7.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 6, Folder 2; vgl Hellmuth Jaesrich: Die Göttinger Dreitausend. Der Fall Schlüter, in: Der Monat, H. 82 (1955), S. 29Iff.
444
VII. Der Kongreß
„Wissenschaft und Freiheit" Hamburg
1953
-
eventuell auch über die neonazistische Unterwanderung der FDP in der britischen Besatzungszone, zurück. Mit Schmids Hilfe sollte die Regierung Adenauer dazu bewogen werden, die Briten zu veranlassen, dieses Material zu veröffentlichen.124 Carlo Schmid lehnte allerdings ab, da er davon überzeugt war, daß die Briten derartige Aktenbestände nicht freigeben würden.125 Daher mußte man in Paris, den ursprünglichen Intentionen Nabokovs zuwiderlaufend, die Kampagne mit Jaesrichs Artikel im „Monat" auslaufen lassen, konnte aber dennoch einen Erfolg vorweisen, auf den man mit einigem Recht Stolz war.126 Nie zuvor hatte der CCF in Westdeutschland derart klar gegen neonazistische Tendenzen Stellung bezogen, nie zuvor seinen Antitotalitarismus so deutlich
Geltung gebracht. Vorgehen des CCF im „Fall Schlüter" ist organisatorisch wie inhaltlich in mehrfacher Hinsicht interessant. Es belegt, daß CCF und CSF in wichtigen Fragen in einem Gleichschritt operierten, dessen Takt von der Pariser CCFZentrale und nicht vom Londoner Sitz des CSF vorgegeben wurde. Ferner zeigte sich, daß die Netzwerke beider Organisationen immer noch flexibel und effizient waren. Binnen weniger Tage gelang es, die „großen Namen" von CCF und CSF fast geschlossen zum Einsatz zu bringen und auf diese Weise publizistisch Wirksamkeit zu entfalten, was schließlich zum gewünschten Erfolg führte. Überdies zeigte sich, daß in solchen konkreten Situationen auch die Deutschen in beiden Organisationen nicht nur als Objekte, sondern als regehechte Subjekte kulturell-politischen Handelns etabezogen werden konnten. zur
Das
Ohne die Bereitschaft der westdeutschen akademischen Eliten zu aktivem und kritischem Einsatz wären die Aktionen des CCF wirkungslos verpufft. Zu guter Letzt beweist der Einsatz des CCF im „Fall Schlüter", daß, auch wenn gelegentlich ein anderer Eindruck entstanden sein mag, die Führung des CCF ein echtes Interesse daran hatte, sich neonazistischen und rechtsextremen Tendenzen in der Bundesrepublik entgegenzustellen, besonders nachdem sich seit 1955 der Konsensliberalismus von den Kompromißzwängen des antikommunistischen Konsenses zu befreien begann.
124 125 126
Nicolas Nabokov an Carlo Schmid vom 22.6.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 6, Folder 2. Carlo Schmid an Nicolas Nabokov vom 30.6.1955, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 288, Folder 5 Nicolas Nabokov an RudolfPechel vom 18.8.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 5, Folder 7.
VIII. STAGNATION UND NEUANFANG 1. Zwischen Stalins Tod und
Ungarnaufstand
Der Hamburger Kongreß „Wissenschaft und Freiheit", so glanzvoll er gerade im Vergleich mit der umstrittenen Veranstaltung in Paris erschienen war, hatte nur mühsam überdecken können, daß sich der CCF zwischen Stagnation und Krise bewegte. Faktoren, die wahlweise Anzeichen oder Auslöser dieses problematischen Abschnittes in der Geschichte des CCF waren, gab es manche, wobei viele nicht unmittelbar dem Verantwortungsbereich des Kongresses entstammten. An der Spitze exogener auslösender Faktoren stand ohne Zweifel der Tod Stalins, mit dem die Phase des moralischen Antikommunismus unumkehrbar ihrem Ende entgegen ging. Stalin verkörperte für den CCF den bolschewistischen Expansionswillen schlechthin, innerlinkes Hegemonialstreben und den Willen zum Terror; besonders in der nichtkommunistischen Linken war er der integrative Faktor überhaupt gewesen, der eine Allianz mit nichtlinken Kräften nachgerade unumgänglich machte. Sein Tod beraubte die AntiStalinisten eines erheblichen Teils ihrer Angstgefühle und nahm so insgesamt den Druck vom Kessel antikommunistischer Emotionen. Damit verlor außerdem der breite gesellschaftliche antikommunistische Konsens mit seinem reformfeindlichen Konformitätsdruck an Kraft und Akzeptanz, was dem Konsensliberalismus neue Möglichkeiten gab, alte Ziele durchzusetzen. Einerseits bewirkte die beginnende Desintegration des antikommunistischen Konsenses, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, eine Neuformation des sozialökonomischen Reformismus in der nichtkommunistischen Linken, andererseits verlief dieser Prozeß nicht ohne Irritationen, da der Abschied von liebgewonnenen Feindbildern schwerfiel. Für den CCF brachte dies eine ganze Reihe von Schwierigkeiten mit sich, die bereits 1952 ihren Ausgang genommen hatten, also mit Stalins Tod in keinem unmittelbaren kausalen Zusammenhang standen; sie wurden aber durch ihn verschärft, da sich der CCF in herausragender Weise dem Antistalinismus verschrieben hatte. Die Krisensymptome im CCF wurden 1953 noch zusätzlich verstärkt durch die unglückliche Verbindung von dem bald offenkundig werdenden Niedergang der kommunistischen Weltfriedensbewegung, in der man bis dahin den eigentlichen Gegner des Kongresses gesehen hatte, die relative Schwäche des Ostblockes und dem kontrazyklisch einsetzenden Höhepunkt des McCarthyismus in den USA. Zusätzlich trug die Niederlage des von den Intellektuellen favorisierten demokratischen Präsidentschaftskandidaten
446
VIII.
Stagnation und Neuanfang
Adlai Stevenson gegen Dwight D. Eisenhower maßgeblich dazu bei, den politischen Einfluß des Konsensliberalismus deutlich zu schwächen, und zwar mit Folgen, die weit über die USA hinausgingen. Die Summe dieser äußeren
Faktoren verband sich mit internen Problemen, die ihrerseits zum Teil ihre Wurzeln in der sich wandelnden generellen politischen Lage hatten: Der nicht mehr abzuwendende Niedergang des ACCF, das Ende der deutschen Sektion oder die Krisen in den britischen und japanischen Kongreßkomitees wären an dieser Stelle zu nennen. Die Pariser Kongreßzentrale mußte nun, wollte man nicht Gefahr laufen, wie so manche andere Agentur des Kalten Krieges, die um 1954 herum verschwand, einfach überflüssig zu werden, neue Aufgabenbereiche erschließen und neue Formen der Arbeit finden, um die eigene Existenz zu rechtfertigen. Dabei kam dem CCF die langsame Regeneration der reformerischen Kompetenz des Konsensliberalismus auf alle Fälle zugute. Desweiteren ist zu beobachten, daß seit 1952/53 die Rolle von außen kommender politisch-administrativer Faktoren in den USA, der UdSSR und Westeuropas für Politik, Organisation und Funktion des CCF kontinuierlich abnahm. Von nun an blieb der politisch bedingte weltanschauliche Rahmen, innerhalb dessen sich der CCF bei allen Veränderungen im Detail bewegte, weitgehend konstant. Bestenfalls kann man von einer abnehmenden Tendenz zum Antikommunismus sprechen, die dennoch nicht zu überdecken vermochte, daß der CCF sich von ideologischen Anachronismen nicht ganz frei machen konnte. Trotzdem gewann der Kongreß auf diese Weise eine von den inzwischen etablierten organisatorischen Strukturen ausgehende und von ihnen getragene weltanschauliche Eigendynamik, die ihrerseits in die wiedergewonnene Bewegungsfreiheit des „consensus liberalism" einmündete. Positiv gewendet, konsolidierte sich der CCF global als Instrument genuin konsensliberalen Wertetransfers; negativ ausgedrückt, wurde er sich zum Selbstzweck. Indem der CCF sich auf einen den dreißiger Jahren entnommenen weltanschaulichen Rahmen kaprizierte, lief er Gefahr, sich von aktuelleren Diskussionen der Neuen Linken oder des Neokonservativismus langsam, aber stetig abzukoppeln. Inwieweit dieser Prozeß durch die vom CCF propagierte Lehre vom „Ende der Ideologie" aufgehalten oder verschärft wurde, ist noch zu erörtern. Immerhin bewirkte der ausgesprochen ambivalente Prozeß liberaler Selbstbesinnung, der 1953 einsetzte, nach einer Weile, daß die Gründerkrise des CCF überwunden war, ehe er anschließend fast nahtlos in das Ende der Organisation einmündete. Dieses Hauptkapitel setzt leicht phasenverschoben dort ein, wo Kapitel V endete: In der Zeit zwischen Stalins Tod und dem Ungarnaufstand, also inmitten der Gründungskrise des CCF. Es soll gezeigt werden, wie der CCF in die Lage versetzt wurde, die Stagnation bis 1956 zu überwinden und welche organisatorischen, personellen und weltanschaulichen Neuanfänge innerhalb eines stabilen ideologischen Gesamtrahrnens sein Überleben für weitere gut zehn Jahre sicherten. Dabei werden der Mailänder Kongreß von 1955 und die
1. Zwischen Stalins Tod und Ungarnaufstand
447
„Ende der Ideologie" besonders berücksichtigt.
In einem weiteren Unterkapitel soll dann auf die Situation in Deutschland bis 1959 eingegangen werden, die insofern im Rahmen des internationalen CCF abzuhandeln ist, als eine eigenständige deutsche Organisation nicht bestand. Vor allem müssen dabei die Versuche behandelt werden, den CCF wieder organisatorisch in der Bundesrepublik zu verankern. Das Jahr 1955 markierte den absoluten Tief-, aber auch den Wendepunkt in der Geschichte des CCF. Allenthalben hatten depressive Apathie und Gefühle tiefer Sinnlosigkeit der eigenen Arbeit Raum gegriffen, die nur mühsam von einem häufig mangelhaft reflektierten intellektuellen Selbstbewußtsein der Kongreßspitze überdeckt wurden. Im November 1954 hatte Michael Josselson noch einmal deutlich gemacht, wo die Hauptaufgaben des Kongresses anzusiedeln seien. Es gelte, die gewaltsamen und subversiven Methoden des Kommunismus in aller Welt zu entlarven und offensiv den Kampf gegen die totalitäre Bedrohung aufzunehmen.1 Zwar hatte man in Paris inzwischen erkannt, daß ein allzu radikaler Antikommunismus nach Stalins Tod eher kontraproduktiv wirkte,2 dennoch wurde erst einmal unbedingt an der Priorität des Antikommunismus in der Arbeit des CCF festgehalten. Langsam allerdings machte sich Unzufriedenheit auch in den eigenen Reihen breit. In Australien, Schweden, Japan, den USA der Bundesrepublik sowie im Nahen und Mittleren Osten lagen die nationalen Sektionen, häufig von Paris aus kaum noch unterstützt, darnieder.3 Das gegenseitige Mißtrauen, das schon vorher vorhanden war, wurde stärker.4 Fast hatte es den Anschein, als beschränke sich der CCF auf routinemäßige Gegenpropaganda anläßlich von Veranstaltungen der „Weltfriedenspartisanen",5 die ihrerseits publizistisch nur noch von beschränktem Interesse waren. Selbst die Edition der Broschüren und Pamphlete kam nicht mehr voran; einzig das Zeitschriftennetz des CCF funktionierte reibungslos. Es war seit 1951 erheblich ausgebaut worden, wobei insbesondere dem neuen Flaggschiff, dem angelsächsischen „Encounter", eine wichtige Rolle zufiel. Auf diese Weise konnte der innerwestliche Ideologietransfer permanent weitergeführt werden, obgleich die organisatorischen und weltanschaulichen Grundla-
Lehre
vom
1
Mchael Josselson an Prabhakar Padhye (Indischer CCF) vom 10.11.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 3, Folder 3. Besonders hob Josselson die Gefahren neutralistischer oder äquidistanztheoretischer Modelle hervor. So betonte Michael Josselson, jetzt seien gegenüber dem Kommunismus nicht mehr der Vorschlaghammer, sondern subtilere Methoden angesagt: Michael Josselson an Henry R. Krygier (Australischer CCF) vom 15.1.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 2, Folder 6. Michael Josselson an Beshara Ghorayeb (CCF-Büro Beirut) vom 13.4.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 4, Folder 5; Michael Josselson an Ludwig Hamori (Schwedischer CCF) vom 20.12.1955, ebda., Box 4, Folder 6. Michael Josselson an Melvin J. Lasky vom 20.7.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 5,
2
3
4
5
Folder 3 Ende 1954 ging man dann sogar zu der Taktik über, derartige Treffen einfach totzuschweigen: Michael Josselson an Ludwig Hamori vom 10.11.1954, IACF/CCF-Archiv, Senes I, Box 2, Folder 5.
448
VIII.
Stagnation und Neuanfang
gen des CCF dem anfangs so ambitionierten Vorhaben kaum noch entsprachen. Obendrein hatte man in Paris mit schwerwiegenden personellen Problemen zu kämpfen. Warren D. Manshel, der bislang unmittelbar Josselson zugearbeitet hatte, schied, von der langwierigen Baker-Nachtsheim-Kontroverse entnervt, aus dem Pariser Apparat aus.6 Michael Josselson erkrankte schwer und der allein verbleibende Nicolas Nabokov erwies sich als völlig überlastet,7 was umso schlimmer war, als es im Sommer zu neuerlichen Konflikten mit Irving Kristol und Arthur Koestler gekommen war, deren Hintergrund allerdings nicht ganz klar ist.8 Hinzu kamen Finanzprobleme,9 die sich zu verschärfen drohten, als 1956 Irving Brown und Jay Lovestone für den US-amerikanischen Gewerkschaftsverband AFL/CIO überaus polemisch Kritik an der angeblich zu akademischen Arbeit des CCF in Indien und Lateinamerika übten. Diese Anwürfe liefen darauf hinaus, daß die US-Gewerkschaften ihre Subsidien an den CCF einzustellen drohten.10 Dabei war man anfangs davon ausgegangen, die zunehmend global angelegte Tätigkeit des CCF würde diesem nur nützen. Seit der römischen Exekutivtagung vom Dezember 1953, in deren Verlauf die deutsche Exekutive den anstehenden Expansionsplänen geopfert wurde, war deutlich geworden, daß man in Paris die Zukunft des CCF jenseits einer auf den transatlantischen Bereich eingeschränkten Arbeit sah. Solange eine weltweite kommunistische Bedrohung existierte, verlangte die Logik des CCF weltweite Gegenmaßnahmen. In dieser Linie hatte schon der 1951 in Bombay ausgerichtete antikommunistischantineutralistische Kongreß des CCF gelegen, der den Grundstock für die einflußreiche indische Sektion abgeben sollte. In der Tat wurden danach in der Dritten Welt breitgefächerte Kontakte aufgebaut, so vor allem zu Jawaharlal
6
7 8
9 10
Wanen D. Manshel an Herbert Kondler (RIAS) vom 28.7.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 4, Folder 7; Michael Josselson an Warren D. Manshel vom 19.9.1955, ebda., Box 5, Folder 4. Michael Josselson an Sidney Hook vom 23.11.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 4, Folder 6. Michael Josselson an Melvin J. Lasky vom 20.7.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 5, Folder 3. Michael Josselson an Henry R. Krygier vom 15.1.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 2, Folder 6. Jay Lovestone an Julian Gorkin (Herausgeber der CCF-Zeitschrift „Cuadernos") vom 25.10.1956, NL Josselson, Box 9: „As far as I am concerned, I have washed my hands clean of the so-called Cultural Congress [...]. Anybody can make a mistake. But I do not like people trying to persist in the error behind a fraud. This is precisely what those who run the Cultural Congress did [...], My opinion is that some of those who are most directly responsible and at the helm of the Cultural Congress are anything but intellectuals not even semi-skilled intellectuals"; vgl. Michael Josselson an Irving Kristol vom 9.10.1956, ebda. Lovestones Ton ist so verbittert, weil Irving Brown kurz zuvor mit der vom ACCF und von AFL/CIO geübten Kritik im Internationalen Exekutivkomitee auf keinerlei Resonanz gestoßen war: Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 24.6.1956, S. 16ff., IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 4, Folder 2. Im Mittelpunkt der Kontroverse stand der Unwille der Pariser Zentrale, die Unterstützung für die lateinamerikanische APRA aufzugeben. -
1. Zwischen Stalins Tod und Ungarnaufstand
449
Nehru und seiner Tochter Indira Ghandhi,11 aber auch zu dem birmanischen Politiker Maung Maung und den späteren UN-Generalsekretären U Thant und Boutros Boutros-Ghali.12 Josselson und Nabokov legten 1954 einen Katalog klarer regionaler Präferenzen fest, der zur Grundlage künftiger organisatorischer Maßnahmen in der Dritten Welt wurde. Demnach sollten auch künftig Europa und Nordamerika im Zentrum der CCF-Aktivitäten stehen, gefolgt von Asien mit Indien an der Spitze sowie Lateinamerika.13 Afrika wurde als Betätigungsfeld erst nach der „Bandung-Konferenz" der blockfreien Staaten von 1955 interessant. Finanziert wurden diese breit gefächerten Maßnahmen überwiegend aus Mitteln der Rockefeller- und der Farfield-Foundation.14 Obgleich der CCF sich bemühte, in den nunmehr entkolonialisierten Gebieten Fuß zu fassen, waren seine Bemühungen nicht durchgehend von Erfolg gekrönt, was wiederum nicht dazu beitrug, die Krisensymptome des internationbalen Kongresses durch Globalisierungsmaßnahmen zu bewältigen. Selbst in Indien, wo man sich am intensivsten engagierte, gelang es nicht, beispielsweise den „Encounter" im gewünschten Ausmaß auf dem dortigen Markt zu etablieren.15 Dies ist nicht weiter überraschend, wenn man die konzeptionellen Mängel der frühen Dritte-Welt-Arbeit des CCF berücksichtigt, die ihrerseits auch ein Licht auf die Probleme des CCF werfen. Bis zu Beginn der sechziger Jahre war man in Paris nicht in der Lage, die Situation in Indien, dem Nahen Osten oder Lateinamerika anders als durch eine streng auf den OstWest-Konflikt in Europa fixierte Brille zu betrachten. Der absolute Primat von Antikommunismus und Antineutralismus, der ja auch die Arbeit in Westdeutschland immer wieder behindert hatte, sowie die eurozentrische Ausrichtung der CCF-Ideologie mit ihrem liberalen a priori-Universalismus erschwerten den Zugang zu den erwachenden Intellektuellenmilieus in der Dritten Welt. Ein besonders krasses Beispiel dieser selbstgewählt eingeschränkten Sicht von politischer Wirklichkeit außerhalb des nordatlantischen Raumes bietet die Vortragsreise Raymond Arons durch Indien im Spätherbst 1953, bei der es in keinem Vortrag um Probleme des Subkontinentes ging, während ausschließlich politische, ökonomische, soziale und ideologische Vorgänge in Europa angesprochen wurden.16 Mochte der CCF sein Tätigkeitsfeld auch ausdehnen, seine strukturellen Defizite traten dadurch nur verstärkt zutage. 11
12 13
Vgl. den Bericht von Nicolas Nabokov an die CCF-Generalversammlung in Mailand 1955 vom 24.1.1955, S. 3, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 3a, Folder 1. Vgl. die Korrespondenzen im IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 117, Folder 7. Michael Josselson an Henry R. Krygvier vom 15.1.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 2,
15
Folder 6. Michael Josselson an Alisjahbana (Indonesischer CCF) vom 20.12.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 4, Folder 1. Michael Josselson an Irving Kristol vom 4.12.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 2, Folder
16
Michael Josselson an Minoo Masani vom 22 9.1953, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 1, Folder
14
6. 5.
450
VIII.
Stagnation und Neuanfang
Mitten in diese Phase stagnativer Unklarheit über Zukunft und Möglichkeiten des CCF fiel der Kongreß „Die Zukunft der Freiheit", der 1955 in Mailand stattfand.17 Die Planungen für die Mailänder Konferenz reichten in das Jahr 1953 zurück, als gerade der Hamburger Kongreß beendet worden war. Wieder war Michael Polanyi, gestützt auf sein Komitee „Wissenschaft und Freiheit", maßgeblich an den Vorbereitungen beteiligt; aber auch Josselson, Nabokov, Aron und Bertrand de Jouvenel gehörten zum engeren Kreis der Organisatoren. Das Großereignis wurde über die üblichen Zuschüsse der USamerikanischen Stiftungen finanziert, wobei Ford,- und Farfield-Foundation den Löwenanteil beisteuerten.18 Die Rockefeller-Stiftung zeigte sich diesmal vergleichsweise zurückhaltend. Insgesamt nahmen an der Tagung vom 12.-17. September 1955 140 Personen teil, zumeist aus Italien (24), Frankreich (21) und Großbritannien (19). Die USA und die Bundesrepublik stellten je 15 Teilnehmer, Skandinavien 13, Indien und Lateinamerika je sieben, Griechenland und Japan je drei, Australien einen. Der gesamte afrikanische Kontinent war mit zwei Personen vertreten, der Nahe und Mittlere Osten mit fünf. Im Vergleich zu Berlin 1950 oder zu Paris 1952 war der Mailänder Kongreß weniger auf Kulturschaffende ausgerichtet, sondern, in der Tradition Hamburgs, auf Wissenschaftler. Im Gegensatz zu Hamburg, dafür eine Tradition des Berliner Kongresses aufnehmend, waren wieder verstärkt Politiker aus dem sozialdemokratischen und sozialistischen Lager anwesend. Die US-Delegation, in der John Kenneth Galbraith, Arthur M. Schlesinger jr., George F. Kennan, Daniel Bell, Seymour Martin Lipset und Sidney Hook die führenden Köpfe waren, wurde mehrheitlich von der ADA gestellt, die britische, der unter anderen Richard Crossman, Anthony Crosland, Roy Jenkins und Denis Healey angehörten, repräsentierte den Reformflügel der Labour-Party, die sogenannten Gaitskellites. Auch für Deutschland war eine ansehnliche Zahl reformorientierter Sozialdemokraten erschienen, so etwa Carlo Schmid, Max Brauer und Willy Brandt. Darüber hinaus reisten zahlreiche westdeutsche Wissenschaftler an.19 Bei der Auswahl 17 18
19
Vgl. Der Monat, H. 89 (1955), S. 81-112; P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 108-115; P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 153-226. Michael Josselson an Emily C Davis (Farfield-Foundation) vom 29.1.1954, IACF/CCF-Archiv, Seroies I, Box 2, Folder 4; Nicolas Nabokov an Shepard Stone vom 13.10.1954, ebda., Box 3, Folder 6. Zu diesem Zeitpunkt war die Rockefeller-Foundation noch nicht bereit, für Mailand Gelder freizumachen. Vgl. ferner Michael Josselson an Edward F. D'Arms (Rockefeller-Foundation) vom 19.9.1955, ebda., Box 4, Folder 4 und Nicolas Nabokov an Harold W. Luhnow (William Volker-Fund) vom 27.5.1955, ebda., Box 5, Folder 3. U.a. Hans Hau, Franz Böhm, Viktor Agartz, Michael Freund, Theodor Litt, Helmuth Plessner, Gerhard Ritter und Karl Schiller; Richard Löwenthal fand sich erneut in der britischen Delegation. Die Auswahl der deutschen Teilnehmer ging auf Vorschläge Carlo Schmids und Hans Haus zurück, vgl. Michael Josselson an Hans Hau vom 30.9.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 2, Folder 6; Nicolas Nabokov an Michael Polanyi vom 27.1.1955, ebda., Box 5, Folder 9. Dieser Brief zeigt, wie sehr Paris sich auf das Urteil der Deutschen verlassen mußte. Nachdem Lasky Hermann JosefAbs als unbedeutend abgetan hatte, war es zwischen Schmid und Lasky zu einem
1. Zwischen Stalins Tod und
Ungarnaufstand
451
deutscher Teilnehmer hatte auch der Gedanke eine Rolle gespielt, eine Art Kerngruppe für einen künftigen deutschen CCF einzuladen.20 Der Versuch die führenden Köpfe des westeuropäischen Revisionismus mit prominenten Vertretern der ADA, aber auch mit bedeutenden Soziologen, Politologen und Nationalökonomen unterschiedlicher Ausrichtung in ein fruchtbares Gespräch zu bringen und auf diese Weise den Prozeß der programmatischen Erneuerung der europäischen Sozialdemokratie voran zu bringen, war unverkennbar. In Anbetracht der Tatsache, daß auch die These vom „Ende der Ideologie" in Mailand publikumswirksam ihren Ausgang nahm, darf wohl behauptet werden, daß dieser Konferenz beim Prozeß der „Amerikanisierung" und Entideologisierung der europäischen nichtkommunistischen Arbeiterbewegung eine wichtige Rolle zufiel.21 In Paris wenigstens war man dieser Ansicht. René Tavernier, einer der Mitarbeiter Josselsons, bemerkte, das Hauptanliegen der Mailänder Konferenz sei es, den überholten Gegensatz von individualistischem Liberalismus und dem etatistisch-egalitaristischen Gedanken der „planification" endgültig auch theoretisch zu überwinden.22 Dahinter steckte die zutiefst keynesianische Überzeugung, die Realitäten des „welfare capitalism" der Nachkriegszeit wurden notwendig dazu beitragen, eine erneuerte bürgerlich-sozialdemokratische Theoriebildung zu ermöglichen, in der alle bisherigen Fronten aufgehoben sein würden. Ganz im Sinne Taverniers argumentierte auch François Bondy, der bemerkenswerterweise ausgerechnet das USamerikanische Beispiel bemühte, um einsichtig zu machen, wie sehr in einer
modernen Industriegesellschaft staatliche Planung, wirtschaftliches Wachstum und individuelle Freiheit Hand in Hand griffen, ohne daß damit die Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt würde.23 Allen Versuchen Friedrich August von Hayeks zum Trotz, die freie Marktwirtschaft als alleinseligmachende Form der Organisation nationaler und internationaler Volkswirtschaften zu preisen, blieben die keynesianischen Verfechter gemäßigter Staatsplanung in Mailand nahezu unangefochten unter sich.24
20
21 22
23 24
Konflikt über die Teilnahme von Abs gekommen. In Paris war man sich nicht klar darüber, worum es überhaupt ging. Ähnlich lag es im Fall Agartz. Auch hier wußte man offensichtlich nicht, wen man da einlud. P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 159, hat darauf aufmerksam gemacht, daß erstmals kaum Angehörige der FU Berlin eingeladen worden seien. Man darf aus diesem Faktum allerdings nicht den Schluß ableiten, die Beziehungen zwischen CCF und FU hätten sich Mitte der fünfziger Jahre abgekühlt, wogegen etwa die Emst-ReuterGedächtnisvorlesungen zur gleichen Zeit sprechen Dies trifft besonders auf Joseph C. Witsch zu, der gleichfalls nach Mailand eingeladen wurde: Michael Josselson an Joseph C. Witsch vom 9.8.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 6, Folder 5. Vgl. P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 226 und P. Coleman: The Liberal
Conspiracy, S.
110.
René Tavernier an Charles Morazé vom 31.10.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 5, Folder 4. Vgl. Der Monat, H 89 (1955), S. 8If. P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 114.
452
VIII.
Stagnation und Neuanfang
In diesem Sinne war Mailand sicher zugleich Auftakt einer Phase neuen konsensliberalen Selbstbewußtseins. Ähnliches traf auch auf Themenbereiche zu, die 1955 erstmals auf einer Veranstaltung des CCF intensiver diskutiert wurden: So zum Beispiel die Probleme unterentwickelter Völker in den bisherigen Kolonialgebieten oder der globale Schutz natürlicher Ressourcen, beides Bereiche, die jedoch weiterhin unter dem Gesichtspunkt der Sicherung individueller Freiheit besprochen wurden, während ihr Eigenwert noch nicht unmittelbar erkannt wurde.25 Neben die Analyse der Unterschiede zwischen sowjetischer und westlicher Wirtschaft und Gesellschaft, die ganz unter den Vorzeichen des erneuerten Antirotalitarismus stand, trat nunmehr die eher binnenwestliche kritische Analyse der Existenzbedingungen modemer Industrie- und Massengesellschaften als Problem einer theoretisch fundierten,
zeitgemäßen Soziologie.
Beinahe als eine Art Fazit der antikommunistischen, totalitarismustheoretischen und nationalökonomisch-soziologischen Diskussionen erschienen Edward Shils Beiträge zum „Ende der Ideologie" und zu „Tradition und Freiheit", in denen er der Sowjetunion bescheinigte, den Kampf der Ideen im Ringen um das Erbe der Aufklärung bereits verloren zu haben.26 Fast schien es, als sei vornehmlich durch ihn in Mailand ein regelrechter Ruck durch die kriselnde Gedankenwelt des CCF gegangen. Shils gelang es außerdem, mit seinen Ausführungen die inhaltliche Linie des CCF bis weit über den Berliner Jubiläumskongreß von 1960 hinaus zu bestimmen. Auch Michael Polanyis Kritik am Eurozentrismus bisheriger Freiheitsdefinitionen sollte für den CCF der beginnenden sechziger Jahre wegweisend sein.27 Angesichts der Fülle anregender und durchaus zukunftsweisender Gedanken fiel es nicht schwer, die Mailänder Konferenz den Sponsoren gegenüber als Erfolg zu rechtfertigen.28 Wie immer wurden die wichtigsten Texte möglichst schnell veröffentlicht. Die Pariser CCF-Angestellte Marguerite Soulignac wies jedoch die Hamburger Sekretärin Margot Schrepfer dringend an, auf keinen Fall irgendeinen Text zu publizieren, ohne die Vorzensur Nicolas Nabokovs abzuwarten, der Vorbehalte gegen einige der Beiträge angemeldet hatte.29
25
Vgl.
P. Grémion:
(19559; S. 108ff. 26
27
28 29
Intelligence
de
l'Anticommunisme, S. 202-212;
s.a.
Der
Monat, H. 89
Vgl. Edward Shils: Tradition and Liberty. Antinomy and Interdependence (Redemanuskript für die Mailänder Konferenz), NL Löwenthal, AdsD, Bd. 219. Zum „Ende der Ideologie" vgl. P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 109. Michael Polanyi: Strategies of Freedom (Redemanuskript für die Mailänder Konferenz), NL Löwenthal, AdsD, Bd. 219. Einen weiteren Beleg für die bald einsetzende realistischere Tendenz zur Globalisierung der CCF-Aktivitäten stellte die Ernennung von Jayaprakesh Narayan (Indien) und Leopold Sedar Seghor (Senegal) zu internationalen Ehrenpräsidenten des CCF dar Michael Josselson an Edward F. D'Arms vom 19.9.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 4, Folder 4. Marguerite Soulignac an Margot Schrepfer vom 19.9.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 6, Folder 1.
1. Zwischen Stalins Tod und
Ungarnaufstand
453
Offensichtlich legte man im Internationalen Generalsekretariat Wert darauf, die weltanschaulich interessanten Aspekte der Mailänder Tagung nicht verwässern zu lassen. Sieht man einmal vom Berliner Kongreß des Jahres 1960 ab, war Mailand der letzte der seriellen Massenkongresse des CCF, dessen Konzept auf die von Willi Münzenberg organisierten Intellektuellentreffen der dreißiger Jahre zurückging. Mailand war konzeptionell bereits anders gestaltet worden als frühere Veranstaltungen; es fehlten die großen Festreden, Plenarsitzungen und Arbeitsgruppen, dafür gab es eine fast verwirrende Vielzahl kleinerer Vorträge mit lange anhaltenden Diskussionen im Anschluß. Doch reichten diese kosmetischen Änderungen nicht mehr aus, nachdem klar geworden war, daß der politisch-intellektuelle Gegner uninteressant geworden war. Selbst in den Augen Michael Josselsons gab es keine ernstzunehmenden Intellektuellen mehr, die dem dialektischen Materialismus angehangen hätten.30 Jede großangelegte antikommunistische Kampagne drohte, von nun an vollkommen ins Leere zu
laufen. Der CCF benötigte neue Themen und neue Formen. Themen hatte man in Mailand reichlich angerissen. Allerdings handelte es sich dabei weniger um propagandistisch-publizistisch unmittelbar verwertbare Fragebereiche, sondern um Gebiete, die einer sorgfältigeren, rational-wissenschaftlichen Analyse bedurften. Dazu aber waren die Kongreßformen, auf die der CCF bislang gesetzt hatte, nicht geeignet. Dies erkannte man in der Pariser Zentrale sofort und verabschiedete sich eilig von den überkommenen Konzepten, um sich einem neuen Typus kleiner, streng wissenschaftlich ausgerichteter Seminare und Kolloquien zuzuwenden, die seit 1956/57 den Veranstaltungsbetrieb des CCF beherrschten.31 Das Generalsekretariat arbeitete Themenvorgaben aus, und eine eigene Abteilung war dann für die Durchführung der Seminare verantwortlich, das heißt, die streng zentralistische Ausrichtung der übernationalen Kongreßveranstaltungen blieb auf alle Fälle gewahrt. Nach Mailand traten auf CCF-Konferenzen auch keine nationalen Delegationen mit äußerst begrenzter Repräsentavität mehr auf, sondern Einzelpersonen, in der Regel hochrangige Wissenschaftler vornehmlich aus dem angelsächsischen Bereich, seit Beginn der sechziger Jahre auch aus der Dritten Welt, dafür kaum noch aus der Bundesrepublik. In dem sich ausformenden inneren Zirkel der CCF-nahen Wissenschaftler war für die deutsche Soziologie und Politologie noch kein 30
(Michael Josselson): Tradition and Change Problems of Progress. A Report to the FordFoundation, 1960, NL Josselson, Box 26; vgl. un Rückblick das Memorandum von Manès Sperber vom 16.3.1968, NL Sperber, ÖNB/ÖLA, Mappe 551. J.P. Roche: Intellectual Barricades, S. 20 und P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 122, haben angemerkt, der neue Seminartypus habe nicht die in ihn gesetzten intellektuellen Erwartungen erfüllt, da es zu keiner bedeutenden Rezeption gekommen sei, weswegen er 1959/60 N.N.
-
31
eingestellt worden sei. Demgegenüber hat Josselson noch 1967 das Seminarprogramm als Erfolg bezeichnet. Rund 2.000 Intellektuelle hätten sich an diesem „International Round Table" beteiligt, s Michael Josselson: „The Congress for Cultural Freedom", 1950-1967, o.D. (1967), S. 2, NL Josselson, Box 10.
454
VIH.
Stagnation und Neuanfang
Platz. Die inhaltliche und konzeptionelle Neuorientierung des CCF schlug sich alsbald auch im personellen Bereich nieder. Grundsätzlich waren zwar die Mitglieder des Internationalen Generalsekretariates von der zeitgleich mit der Konferenz in Mailand stattfindenden Generalversammlung des Kongresses bestätigt worden,32 dennoch wurde es nötig, an einigen Stellen etwas zu verändern. Anstelle Warren D. Marshalls avancierte 1956 der US-Amerikaner John C. Hunt zum engsten Mitarbeiter Michael Josselsons; für Osteuropa war seitdem der Exilpole Konstantin Jelenski zuständig, beides eher technokratische „Machertypen".33 Ebenfalls 1956 kam für ein Jahr Daniel Bell nach Paris, wo er für die programmatische Gestalt des neuen Seminartypus verantwortlich zeichnete. Ein Jahr später wurde die frühere Mitarbeiterin des britischen Geheimdienstes Marion Bieber, eine überaus tüchtige Organisatorin, auf Empfehlung Richard Löwenthals im Generalsekretariat eingestellt.34 Hunt und Bieber füngierten von da an als „Deputy Executive Secretaries" Seite an Seite mit dem inzwischen wiedergenesenen Michael Josselson. Dank dieser neuen Mitarbeiter veränderten sich Stil und Gesicht des Pariser Generalsekretariates. Anstelle des unsicheren Snobismus der Jahre seit 1952/53 trat ein gelassenerer technokratischer Umgangston, der mit den neuen wissenschaftlichen Inhalten bestens korrespondierte. Ende November oder Anfang Dezember 1955 machte sich Michael Josselson daran, die wiederhergestellte Handlungsfähigkeit des internationalen CCF zu nutzen, wenn auch vorerst in den alten Bahnen antikommunistischer Propaganda. Ausgehend von der Einsicht, daß der Kommunismus im Westen zur quantité négligeable geschrumpft sei, griff er den von Melvin J. Lasky in Mailand propagierten Gedanken auf, zur Gegenoffensive des „freien Westens" im Machtbereich des Ostblocks überzugehen. Konkret bestand das Vorhaben darin, antikommunistische Literatur in den Ostblock zu schleusen. Lasky hatte bei seinem Vorschlag sicherlich die Situation in Berlin mit all seinen unterschiedlichen Verteilernetzen im Auge. Dies sollte zukünftig in weit größerem und internationalem Ausmaß in ganz Osteuropa stattfinden.35 Obwohl de 32
33 34
35
P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 221f. Zugleich war in Mailand Manès Sperber in das Internationale Exekutivkomitee aufgenommen worden, was erwarten ließ, daß nunmehr die deutschen Projekte des CCF mit mehr Elan angegangen würden. Zudem hatte man beschlossen, die Generalversammlung künftig alle fünf Jahre stattfinden zu lassen, wodurch sich an der faktischen Vorherrschaft des Pariser Sekretariates im CCF allerdings nichts änderte. A.M. Corbin-Schuffels: Sperber, S. 281. Zu Marion Bieber vgl. ihren Lebenslauf, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 43, Folder 12; s.a. Marion Bieber an Michael Josselson vom 4.3.1957, ebda. Seit 1962 arbeitete sie dann gemeinsam mit Edward Shils im CSF und an der Herausgabe der Zeitschrift „Minerva". Rede von Melvin J. Lasky vor der Generalversammlung des CCF in Mailand vom 18.9.1955, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 4, Folder 1. Bei dem Projekt unter der Überschrift „Challenging the Soviets" war va. an Werke von John Dewey, Bertrand Russell, Raymond Aron, Karl Jaspers, Reinhold Niebuhr und Albert Camus gedacht worden. Vgl. ferner Michael Josselson an Melvin J Lasky vom 19.12.1955, IACF/CCF-Archiv, Senes I, Box 5, Folder 2; Michael
1. Zwischen Stalins Tod und
455
Ungarnaufstand
Rougemont und Aron Laskys und Josselsons Vorschlag zu diesem Zeitpunkt bereits für anachronistisch hielten, erinnerte er in seiner Perspektive doch allzu sehr an die vergangenen Tage des radikalen Antikommunismus,36 erblickte Josselson darin eine Möglichkeit, die Sowjets kulturell in die Defensive zu drängen. Im März 1957 wurde deshalb in der Pariser CCF-Zentrale eigens eine neue Fihalorganisation gegründet, das „Writers' and Publishers' Committee for European Cooperation", das bis zum Januar 1959 rund 3.300 Bücher, insbesondere nach Polen verschickte. Die Aktion wurde zu einem erheblichen Teil vom „Bundesverband der deutschen Industrie" finanziert, der allein im Mai 1958 DM 20.000,- zu diesem Zweck an den CCF überwies.37 Mitte der sechziger Jahre wurde das Komitee dann unter die Obhut des Münchener CCF-Büros gestellt.
Solchen Aktionen zum Trotz war die Tradition des radikalen Antikommunismus früherer Tage nicht mehr durchzuhalten. Die „Tauwetter"-Ära nach Stalin ließ auch den CCF nicht unberührt. Seit dem Frühjahr 1956 gab es sogar inoffizielle Gesprächskontakte zwischen CCF-Vertretern und Angehörigen sowjetischer Botschaften oder osteuropäischen Intellektuellen. Die beiden wichtigsten Vorgänge dieser Art fanden im März 1956 statt, also im direkten Umfeld der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik und was wohl wichtiger gewesen sein dürfte wenige Wochen nach Chruschtschows Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU. Kaum war die Periode der „Entstalinisierung" im Ostblock formell eingeleitet, wurden Kontakte möglich, die noch ein Jahr zuvor jeder der Beteiligten für vollkommenen Unsinn gehalten hätte. Diese Gespräche spielten sich auf zwei Ebenen ab, einmal als direkte und bewußte Kontaktaufnahme, das andere Mal als nicht öffentliche Konferenz, wobei dann auch „fellow travellers" einbezogen wurden. Am 9. März 1956 trafen sich im Wiener Café „Landmann" der Presseattache der sowjetischen Botschaft Wladimorow und Friedrich Torbergs Mitarbeiter beim „Forum" Korn. Das Gespräch ging auf Initiative des Russen zurück, der sich sofort lange und lobend über „Forum" äußerte, was Korn ein wenig überraschte, war seine Zeitschrift doch innerhalb des CCF die bei weitem antikommunistischste. Gegen Ende der Unterhaltung wartete Wladimorow dann mit dem Angebot auf, sowjetische Artikel für „Forum" liefern zu wollen, was Korn generell akzeptierte.38 Auch Josselson zeigte sich einverstanden, signalisierte -
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-
Josselson an Michael Polanyi vom 17.11.1955, ebda., Box 5, Folder 7. Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 4.12.1955, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 4, Folder 1. Tätigkeitsbericht des Writers' and Publishers' Committee for European Cooperation an das Internationale Exekutivkomitee des CCF vom Januar 1959, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 5, Folder 2. Protokoll des Gesprächs zwischen Korn und Wladimorow vom 9.3.1956, NL Torberg, WSLBib, Schachtel 18/3.
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VIII.
Stagnation und Neuanfang
allerdings, die Pariser Zentrale werde eine solche Kooperation mit den Kommunisten nur unterstützen, wenn sie auf Gegenseitigkeit beruhe, der CCF also das Recht erhalte, gleichfalls in sowjetischen Zeitschriften zu publizieren. Kurz danach riß dieser Gesprächsfaden ebenso unvermittelt ab, wie er aufgenommen worden war.39 Es ist nicht ganz klar erkennbar, ob es sich bei dem Angebot Wladimorows um eine Privataktion handelte oder um eine Finte, deren Zweck undurchsichtig bleibt. Mit einiger Wahrscheinhchkeit jedoch waren die Sowjets zu dieser Zeit tatsächlich bereit, mit einer der profiliertesten Agenturen des Kalten Krieges in Kontakt zu treten, ebenso wie der CCF willens war, über den Schatten seiner Vergangenheit zu springen. Kurz danach stellte der CCF dies erneut unter Beweis. Drei Wochen später nämlich, vom 25. bis 29. März, fand in Venedig eine Tagung statt, die von der in der Regel als neutralistisch eingestuften „Société Européene de la Culture" organisiert worden war. Es handelte sich um ein informelles Treffen von Intellektuellen, darunter Sartre und Merleau-Ponty sowie für den CCF Stephen Spender und Ignazio Silone, zwei Personen vom ausgesprochen gemäßigten Kongreßflügel. Ferner waren Karl Barth, der Pole Jaroslaw Iwaskiewicz der Jugoslawe Marko Ristic und für die UNESCO Jacques Haves anwesend. Bedeutsamer jedoch war die Teilnahme von vier sowjetischen Intellektuellen, Mihail Alpatov, Konstantin Fedin, Boris Polevo und Pjotr Polodine.40 Sieht man einmal davon ab, daß die Teilnehmer aus den Reihen des CCF überzeugt waren, nur sie hätten Wesentliches zu den Gesprächen beigetragen, ist es erstaunlich, wie offen, fast brutal die Sowjets von fast allen Teilnehmern wegen der stalinistischen Verbrechen zur Rede gestellt wurden und wie vage ihre Antworten blieben. Jeder Hinweis auf Stalin unterblieb, konkrete Fragen wurden nur ausweichend beantwortet. Selbst bei propagandistisch interessanten Themen änderte sich das sowjetische Gesprächsverhalten nicht. So blieb es an Sartre und Merleau-Ponty zu versuchen, ein Schlußkommunique zu formulieren, das in marxistisch-hegelianischen Termini Frieden, Demokratie und Kultur miteinander verband, was von den CCFVertretem entschieden abgelehnt wurde. In diesem Zusammenhang vermerkte Jelenski schadenfroh, selbst die beiden französischen „fellow-travellers" seien von der intellektuellen Unzulänglichkeit der sowjetischen Teilnehmer zunehmend entgeistert gewesen. Er schloß mit dem Gedanken, im Ostblock sei mit dem Tode Stalins der Glaube an die Unfehlbarkeit in einer bislang nicht gekannten Form ins Wanken geraten. Dies müsse unbedingt offensiv ausgenutzt werden. Im Exekutivkomitee verwies er zudem darauf, man benötige derzeit 39 40
Michael Josselson an Friedrich Torberg vom 22.3.1956 und Friedrich Torberg an Michael Josselson vom 27.3.1956, NL Torberg, WSLBib, Schachtel 1/4. Bericht von Konstantin Jelenski über das Intellektuellentreffen in Venedig, o.D (April 1956), IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 4, Folder 2. Jelenski hatte vom Internationalen Generalsekretariat den Auftrag erhalten, das Treffen zu beobachten. Jeden Tag wurde ihm von Spender, Silone und Iwaskiewicz Bericht über den Fortgang der Gespräche erstattet.
1. Zwischen Stalins Tod und Ungarnaufstand
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die Unterstützung von neutralistischer Seite, um die Kontakte in den Ostblock nicht zu verlieren. Damit setzte Jelenski sich gegen Silone durch, der verlangt hatte, der CCF solle bei der UNESCO dahingehend wirken, der „Société Européene" sämtliche Mittel zu kürzen und statt dessen de Rougemonts Genfer „Centre Européene de la Culture" damit auszustatten. Auf diese Weise sollten die zaghaft einsetzenden Ost-West-Kontakte gleich zu Beginn vom CCF kanalisiert werden. Immerhin standen die Kontakte als solche nur noch bei einer Minorität im CCF grundsätzlich zur Debatte. Nachdem Jelenskis Position vom Exekutivkomitee bestätigt worden war, wurde Michael Polanyi damit
beauftragt, eine Stellungnahme zu verfassen, auf deren Grundlage künftige Gespräche mit den Kommunisten geführt werden sollten.41 Eine Zeitlang schien
bereit, sich fast vorbehaltlos in die laufende Koexistenzdiskussion einzubringen, ein deutliches Signal dafür, daß spätestens im Frühjahr 1956 der radikale Antikommunismus der Gründerphase bestenfalls noch in Relikten vorhanden war. Diese Entwicklung wurde durch die Ereignisse in Ungarn jäh unterbrochen. Zu einer vollständigen Revision des neuen Kurses kam es aber selbst nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Ungarn nicht mehr, dafür wurde die anfängliche Gesprächsbereitschaft seit den Ereignissen vom Sommer 1956 deutlich relativiert. Im Juli 1956 hatte Nabokov die italienische Kongreßsektion angewiesen, wegen der blutig unterdrückten Arbeiterrevolte in Posen zusätzlich zur CCF-Resolution eine Gruppe weiterer Schriftsteller und Philosophen für eine scheinbar unabhängige Protestnote zu gewinnen, kehrte also zur Politik der Vortauwetterzeit zurück.42 Die polnischen Vorgänge sollten sich kurz darauf nur als Vorspiel für die sehr viel gravierenderen Konflikte zwischen Sowjets und Ungarn im Herbst 1956 erweisen. Eilends reagierte der internationale CCF. Am 26. Oktober 1956 erklärte Manès Sperber für das Internationale Exekutivkomitee, der CCF stünde solidarisch an der Seite jener polnischen und ungarischen Intellektuellen, die sich derzeit im Kampf um die kulturelle Freiheit befänden.43 Nicht der Umstand, daß der CCF ein solches Statement verbreitete, war dabei bedeutsam, sondern vielmehr die ein wenig gewundene Argumentation des Textes, der nämlich eine ganz bestimmte Intention verfolgte. Einerseits galt es, gegen die sowjetische Intervention in Ungarn Position zu beziehen, andererseits wollte der CCF eine deutliche Kritik am Vorgehen der Briten, Franzosen und Israelis im heraufziehenden SuezKonflikt vermeiden. Der Topos von der kulturellen Freiheit diente entsprechend als unterscheidendes Kriterium. Zwar monierte man sehr wohl die Interes, als sei der CCF
41
42 43
Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 24.4.1956, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 4, Folder 2. Nicolas Nabokov an die Associazione Italiana per la Liberta della Cultura vom 5 7.1956, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 6, Folder 6. Statement von Manès Sperber vom 26.10.1956, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 4, Folder 2.
458
VIII.
Stagnation und Neuanfang
vention der
europäischen Mittelmächte im Nahen Osten. Indem der NahostKrieg jedoch zu einem Akt spätkolonialistischer Kanonenbootdiplomatie heruntergespielt wurde, entging man der Notwendigkeit, sich mit ihm auseinanderzusetzen, da ihm per definitionem sämtliche Aspekte kultureller Freiheit entzogen wurden. Allein, in Ungarn stellte sich die Lage für den CCF anders dar. Hier kämpften Intellektuelle und Arbeiter um die Freiheit ihrer Kultur von einer hegemonialen Idee.44 Damit war der Primat des Antikommunismus beim internationalen CCF restituiert, allerdings auf Kosten des bislang vom Kongreß gepflegten, durchaus politischen Kulturbegriffs. Der CCF lief Gefahr, zu offensichtlich zum Instrument gesamtwestlicher Solidarität zu werden und sich gleichzeitig sogar von den USA zu entfremden, die zu diesem Zeitpunkt längst klargestellt hatten, daß sie kein Interesse daran hatten, den kolonialen Abenteuern ihrer westeuropäischen Verbündeten Rückendeckung zu geben. Josselsons Linie war intern keineswegs unumstritten. Einen Tag nach Sperbers Erklärung traf sich das Internationale Exekutivkomitee zu einer außerordentlichen Sitzung.45 Man beschloß, Bondy und Lasky an die österreichischungarische Grenze zu entsenden, um sich ein Bild von der Situation jenseits des Eisernen Vorhanges zu machen und darüber eine Dokumentation zu erstellen. Dringlicher aber erschien eine internationale Protestresolution auf einer möglichst breiten weltanschaulichen Grundlage. Hieran, nicht so sehr an der Frage, wie man sich zum möglichen Suez-Konflikt stellen sollte oder welche Implikationen mit der gewählten Haltung für den im Kongreß vertretenen Kulturbegriff verknüpft waren, entzündeten sich die internen Auseinandersetzungen. Besonders Michael Polanyi und Stephen Spender sahen die Gefahr, daß Ungarn
für den laufenden Prozeß einer Redéfinition des Verhältnisses zwischen CCF und Kommunisten oder „fellow-travellers" ein retardierendes Moment darstellen würde. Sie regten an, eine Protestresolution nicht namens des CCF zu 44
45
Vgl.
Michael Josselson an Shepard Stone vom 1.12.1956, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 104, Folder 8, wo Josselson sogar befürchtet, die Kritik der US-Amerikaner am britisch-französischen Vorgehen trüge zu einem erneuten Aufblühen des Antiamerikanismus bei, der nach dem Ende McCarthys eigentlich überwunden gewesen sei. Auch drohe Frankreich, sich dem sowjeti-
schen Lager anzunähern. S.a. die Stellungnahme des CCF zu den Ereignissen in Ungarn und dem Nahen Osten vom 4.12.1956 und das Rundschreiben von Nicolas Nabokov vom 4.12.1956, ebda., Box 4, Folder 4. Eine vergleichbare Taktik, die auf der strikten, mit dem Kulturbegriff des CCF im Grunde unvereinbaren Trennung von politischer und kultureller Sphäre basierte, wandte der CCF an, als es darum ging, den französischen Kolonialkrieg in Algerien nicht weiter kommentieren zu müssen. Trotzdem reichte die überaus zurückhaltende Kritik des CCF aus, um ihn im Oktober 1962 zum Ziel eines Attentates der OAS werden zu lassen Vgl die Stellungnahme des CCF: „Le Congrès de la Liberté de la Culture et la tragédie algérienne" vom März 1958, ebda., Box 1, Folder 4, die allerdings wegen des Regierungsantrittes von General de Gaulle nicht mehr veröffentlicht wurde. S.a. John C Hunt an Walter Hasenclever vom 29.5.1958, ebda., Box 120, Folder 9 und zum OAS-Attentat: Telegramm des Internationalen Generalsekretariates an alle Büros des CCF vom 19.2.1962 sowie Internationales CCF-Generalsekretariat an den WDR, o.D. (Februar 1962), ebda., Box 1, Folder 9. Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 27.10.1956, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 4, Folder 2.
1. Zwischen Stalins Tod und Ungarnaufstand
459
verbreiten, sondern von Malraux oder einem anderen Franzosen, bevorzugt von Albert Camus, verfassen zu lassen, der sich dann gegebenenfalls auch Sartre und Merleau-Ponty anschließen könnten. Polanyi führ fort, es dürfe nicht um Antikommunismus gehen, er persönlich empfände sich auch gar nicht vorrangig als Antikommunist, sondern es gelte, innerhalb des kommunistischen Lagers
unterschiedliche Strömungen differenziert zu erkennen. Augenblicklich erhob sich energischer Widerspruch. Bezogen auf Sartre verkündete Raymond Aron: „We are not on speaking terms with him."46 Weniger persönlich argumentierend, auf den „Geist von 1950" mit seiner „Doktrin der Freiheit" rekurrierend, lehnte Melvin Lasky die Gedankengänge Polanyis und Spenders ab. Man könne mit Tito oder Gomulka bestenfalls taktische Allianzen eingehen, die kommunistische Ideologie als solche sei durchgängig zu bekämpfen. Eine vermittelnde Position nahm Bondy ein, der immerhin zwischen einer totalitären und einer nichttotalitären, also wandlungsfähigen Variante des Kommunismus unterschied. Auf diese Weise machte die Sitzung des Exekutivkomitees deutlich, daß der bisherige antikommunistische Konsens in seiner eindeutigen und kompromißlosen Form den Ereignissen in Ungarn zum Trotz zerbrochen war. Der CCF befand sich auf der Suche nach einer den neuen Bedingungen angepaßten Art, antitotalitäres Gedankengut zu begründen und publik zu machen.47 Obschon die grundsätzliche Frage nach dem Verhältais des CCF zum Kommunismus oder zu den „fellow-travellers" vorerst unbeantwortet blieb, hielt man in Paris pragmatisch daran fest, die beschlossenen Aktionen durchzuführen.48 Ausgehend von der Pariser Zentrale waren die nationalen Komitees zu einer Reihe von Protestnoten animiert worden. Gleichzeitig hatte das Internationale Generalsekretariat in Telegrammen an Pandit Nehru, Dag Hammerskjöld, Henry Cabot Lodge und Dwight D. Eisenhower Solidarität mit den ungarischen Intellektuellen eingefordert. Der seit der Oktobersitzung geplante Appell unabhängiger Intellektueller war inzwischen von Albert Camus verfaßt und publiziert worden,49 woraufhin beispielsweise in der Bundesrepublik Alexander Mitscherlich und Rudolf Hagelstange sofort damit anfingen, den
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Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 27.10.1956, S.7, IACF/CCFArchiv, Senes II, Box 4, Folder 1. Dies gilt auch, obwohl sich Denis de Rougemont wenige Wochen später erneut ganz in der Diktion der frühen fünfziger Jahre zur sowjetischen Intervention in Ungarn äußerte. Er selbst hat seine Rundfunkansprache von Mitte November 1956 bereits im Januar 1957 mit den Umständen, unter denen sie gehalten wurde, entschuldigt: Denis de Rougemont an Ralph F Fuchs (American Association of University Professors) vom 7.1.1957, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 99, Folder 8. Am 20.11.1956 tagte das Exekutivkomitee erneut und bestätigte die bislang getroffenen Entscheidungen, erneut ohne grundsätzlich Einigkeit zu erzielen, s. Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 20.11.1956, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 4, Folder 2. Vgl. Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 20.11.1956, S.2-18, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 4, Folder 2.
460
VIII.
Stagnation und Neuanfang
Camus-Appell öffentlich massiv zu unterstützen.50 Parallel dazu hatte Arthur Koestler einen eigenen Appell veröffentlicht, der sich weitgehend an die Vorgaben des CCF hielt. Besonders aufmerksam verfolgte der CCF die Reaktion der Westdeutschen auf die Ereignisse in Ungarn. Melvin Lasky stellte in seinem Bericht an die Kongreßexekutive zufrieden fest, die Deutschen unterstützten mit großer Mehrheit den Freiheitskampf des ungarischen Volkes, ihre antikommunistische Gesinnung sei stabil. Gerade ihre Spendenfreudigkeit lasse keine Wünsche offen. Nur der „Spiegel" praktiziere „altdeutsche Realpolitik",51 indem er anhand ostdeutschen Bildmaterials die Gewalttaten ungarischer Aufständischer gegen Angehörige des dortigen Staatssicherheitsapparates in unangemessener Weise hervorhebe. Auch die deutsche Rechte, repräsentiert von der FDP, habe „Radio Free Europe" vorgeworfen, den Aufstand in Ungarn provoziert zu haben. Demgegenüber rückten die westdeutschen Intellektuellen unter dem Eindruck von Hagelstanges Engagement für den Camus-Appell wieder von ihrer seit 1955 erkennbar gewordenen Neigung ab, sich auf Kontakte mit kommunistischen Schriftsteilem einzulassen. Allein der PEN, ein politisch etwas schwerfälliges Instrument, halte sich auffällig zurück. Zudem, so fuhr Lasky fort, wolle Carlo Schmid die jetzt vorhandenen propolnischen Gefühle dazu nutzen, endlich der Oder-Neiße-Linie zu größerer Akzeptanz zu verhelfen. Am Ende seines Beitrages bemerkte Lasky dann, die Vorgänge in Polen und Ungarn würden sicher dazu beitragen, die neu aufgestellte Bundeswehr besser in
der deutschen Gesellschaft zu verankern.52 Damit erschöpften sich die Aktivitäten des CCF nicht. Als jedoch Mitte November 1956 Irving Brown, der Vertreter der AFL/CIO, im Exekutivkomitee mit dem Vorschlag aufwartete, der CCF solle an die Regierungen, internationalen Organisationen und transnationalen Verbände einen Aufruf zum umfassenden Boykott der UdSSR richten,53 brachen die nur mühsam überdeckten Konflikte um die weltanschaulichen Prioritäten des CCF wieder auf. Sogar Michael Josselson, der sich zuvor als „hardliner" geriert hatte, war ausgesprochen entsetzt über diesen Gedanken, der die internationale Krise unnötig
50
51 52
53
Nicolas Nabokov an Rudolf Hagelstange vom 3.11.1956, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 8; René Tavermer an Albert Camus vom 6.12.1956, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 6, Folder 8. Hagelstange war direkt von Nabokov einbezogen worden, Mitscherlich war vom Berliner Büro von der Kampagne informiert worden. Zu Laskys Ausführungen vgl. das Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 20.11.1956, S. 35-42, Zitat s. S. 40, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 4, Folder 2. Laskys Aktivitäten beschränkten sich nicht darauf, die Reaktion der Westdeutschen auf den Ungarnaufstand zu beobachten. Gemäß der Absprache vom 27.10. war er auch an die Grenze nach Ungarn gefahren. In der Folge erarbeitete er ein „Weißbuch" zur Lage in Ungarn, das Anfang 1957 auf dem Markt erschien. Irving Brown an Nicolas Nabokov vom 12.11.1956, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 47, Folder 10; zur Reaktion Josselsons s. Michael Josselson an Nicolas Nabokov vom 28.11.1956, ebda.
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1. Zwischen Stalins Tod und Ungarnaufstand
verschärfen mußte. Dann, am 4. Dezember, griffen allerdings die „American Friends of the Captive Nations"54 Browns Gedanken auf. Nun blieb dem CCF wenig anderes übrig, als sich in die antikommunistische Einheitsfront des USLiberalismus einzureihen, wobei der Umstand half, daß Christopher Emmet von den,American Friends" einen deutlich gemäßigteren Vorschlag angefertigt hatte als Brown. Emmet trat, wie die moderaten Mitglieder des CCF, für zeitlich und sachlich begrenzte Boykottmaßnahmen ein, die eher symbolischen Charakter haben sollten und im Gegensatz zu Browns Überlegungen der UdSSR ökonomisch keinen weiteren Schaden zufügen würden.55 Mit Hinweis auf die negativen Reaktionen bei Kennan, Galbraith und anderen US-amerikanischen Liberalen, aber auch in Indien, erklärte Nabokov Brown, der CCF sei keinesfalls bereit, sich auf radikale Boykottvorschläge festlegen zu lassen.56 Mochte Brown auch verärgert sein, wenigstens blieb dem CCF dank dieses moderaten Kurses eine neuerliche ideologische Grundsatzdebatte weitgehend erspart. Entschieden praxisnäher und unkomplizierter als diese symbolischen Aktionen mit ihren destruktiven weltanschaulichen Begleiterscheinungen entwickelte sich die direkte Hilfe des CCF an geflohene ungarische Intellektuelle, wobei eine Gruppe besonders intensiv unterstützt winde die Musiker. Mit Mitteln der Ford-Foundation gelang es dem CCF, die „Philharmonia Hungarica" zu gründen, die kurz darauf ihre neue Heimat in der Bundesrepublik finden sollte, wo sie noch in den neunziger Jahren existierte.57 Ähnlich erfolgreich wirkte die von Torberg ins Leben gerufene „Forum-Ungarnhilfe".58 Die Tauwetter-Dialoge und die Ereignisse in Ungarn und Polen hatten die grundsätzliche Frage nach dem Stellenwert des antitotalitären Antikommunismus innerhalb der konsensliberalen Ideologie des CCF mit neuer Wucht -
-
-
aufgeworfen. Seit Stalins Tod drängten mancherlei Umstände dazu, den Antikommunismus war
54 55 56 57
zwar
nicht zurückzustellen, wohl aber
relativieren. Damit des
Zu dieser Gruppe gehörten u.a. die alten ADA/ACCF-Mitglieder Farrell, Hook, Levitas, Lovestone, Stein und Mühlen sowie Karl Witttbgel und John F. Kennedy. New York Times vom 3.12.1956; s.a. Christopher Emmet an Nicolas Nabokov vom 4.12.1956, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 1, Folder 3. Nicolas Nabokov an Irving Brown vom 8.12.1956, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 6, Folder 7. Dr. Thomas Pasztor an Shepard Stone vom 15.6 1957, vgl a. Michael Josselson an Shepard Stone vom 7.7.1957, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 105, Folder 1, belegen, daß die Aktion nicht ganz geräuschlos vollzogen wurde. Die Ungarn beschwerten sich bei Stone über das diktatorische und beleidigende Auftreten der CCF-Bürokraten, woraufhin Josselson Pasztor vorwarf, ein notorischer „troublemaker" zu sein Daß das Projekt dennoch durchgezogen wurde, lag an Nabokov, der ein herausragendes Interesse am Schicksal seiner Musikerkollegen hatte, vgl. die Akten zur „Philharmonia Hungarica": ebda Box 104, Folder 9. Auch hierzu trug die Ford-Foundation mit insgesamt $ 80.000,- einen gehörigen Teil bei, vgl. News from the Ford-Foundation vom 6.2.1957, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 105, Folder 1. ,
58
zu
zugleich der Gedanke verknüpft, innerwestlich das Reformpotential
462
VIH.
Stagnation und Neuanfang
Konsensliberalismus deutlicher hervorzuheben und außerdem außenpolitisch neue Handlungsspielräume zu erschließen, die durch den monomanen Zwang zur steten Adaption einer ausschließlichen Option verstellt worden waren. Dieses Drängen wurde noch stärker, als ausgerechnet George F. Kennan,59 der spätestens seit 1955 Burnhams Nachfolger als Sowjetexperte des CCF geworden war, sich von einigen der bislang als unumstößlich akzeptierten Grundprämissen des Kalten Krieges abwandte. Als Gastdozent im Oxforder BalliolCollege hielt er eine Reihe von Rundfunkvorlesungen, die als „Reith-Lectures" bekannt waren. Kontroverse Reaktionen riefen dabei vor allem seine Ausführungen zur Lage in Ost- und Mitteleuropa sowie zur nuklearen Rüstung hervor.60 Im Grunde handelte es sich bei Kennans Reden, die auf einige schon seit geraumer Zeit vertretene Ansichten zurückgriffen, um eine fundamentale Abrechnung mit der Ideenwelt des US-amerikanischen Antikommunismus. In seinen Augen war diese für alle möglichen Symptome politischer Handlungsunfähigkeit, sozialer Stagnation und paranoider Hysterie verantwortlich. Zudem würde es solange die widernatürliche Spaltung Europas anhielte, immer aufs Neue zu mit Ungarn vergleichbaren, existenzbedrohenden Krisen kommen. Er folgerte aus dieser breit angelegten Analyse, die er um eine fulminante Kritik am irrationalen, intellektuell armen und unergiebigen Charakter US-amerikanischer Außenpolitik ergänzte, daß nur ein gemeinsamer Rückzug von USA und UdSSR aus Mittel- und Osteuropa sowie die Wiedervereinigung Deutschlands, verbunden mit Verhandlungen über ein Ende des Wettrüstens, die Situation retten könnte. Dies war naturgemäß mit einem doppelten Vertrauensvorschuß sowohl an die Sowjets als auch an die Demokratiefähigkeit der Deutschen verbunden. Letzteres berührte die Vordenker des Kalten Krieges 1958 nicht mehr besonders,61 ersteres hingegen grenzte weiterhin an ein Sakri-
leg.
Sicherlich waren Kennans provokante Reden nur vor dem doppelten Hintergrund der ungarischen Ereignisse auf der weltpolitischen Ebene und der neuerlichen Niederlage des konsensliberalen Hoffnungsträgers Adlai Stevenson im Bereich amerikanischer Innenpolitik verständlich. Jetzt, da wieder Eisenhower, das lebende Symbol altliberaler Dominanz im politischen Sektor, von der Mehrheit der Amerikaner bestätigt worden war, schien es, jenseits konkreter Hoffnungen auf Regierungsämter, möglich und sinnvoll, die genuine Sache des Liberalismus kritisch zu Gehör zu bringen: Die Sehnsucht nach rational gesteu59 60
61
Kennans Beitrag zum Ausbruch des Kalten Krieges in Gestalt des sog. „Langen Télégrammes" ist erst kürzlich noch einmal von M.P. Leffler: Specter, S. 52f, hervorgehoben worden. Vgl. allg. David Mayers: George Kennan and the Dilemmas of US Foreign Policy, New YorkOxford 1990, S. 230-239 und Walter L. HrxsoN: George F. Kennan. Cold War Iconoclast, New York 1989, S. 155-194. Kennans Ausführungen reflektierten insofern nur den Abschluß jener prinzipiell optimistischen Haltung gegenüber den Deutschen, die m den anthropologischen Prämissen der „re-orientation" ihren Ausgang genommen hatte
1. Zwischen Stalins Tod und
Ungarnaufstand
463
Reform in allen Bereichen der Politik. Dies aber war nur dann möglich, der Stillstand des Kalten Krieges überwunden würde und die festgefahrenen politischen und militärischen Fronten in Bewegung gerieten. Die ideellkulturelle Hegemonie des Liberalismus, darin lag die wohl zentrale Erkenntnis Kennans, gründete in seinem Streben nach Veränderung. Weitere Stagnation innerhalb des beengenden Rahmens des antikommunistischen Konsenses würde den Liberalismus nur schwächen. Dieser Ansatz wurde erst einmal nicht von allen Konsensliberalen gewürdigt. Ganz im Gegenteil kam es schnell zu einer weltanschaulich recht heterogenen Abwehrfront gegen Kennans Ideen, die neben Chip Bohlen und Dean Acheson auch Walter Lippmann und John Foster Dulles umfaßte. Auch im Umfeld des CCF überwogen die Kritiker: Dennis Healey, Sidney Hook, Carl J. Friedrich und vor allem Raymond Aron verwarfen Kennans Ansicht, man könne der UdSSR einen begrenzten, aber rational gerechtfertigten Vertrauensvorschuß entgegenbringen. Vorläufig signalisierte allein Richard Löwenthal verhaltene Zustimmung.62 Immerhin rang sich das Internationale Exekutivkomitee des CCF dazu durch, Kennan zu einem „Off the Records"-Gespräch einzuladen, in dessen Verlauf er seine Pläne erläutern sollte. An dem Gespräch im Januar 1958 nahmen dann Nabokov, Fritz-René Alleman, Richard Löwenthal, Dennis Healey, Frode Jacobsohn, Raymond Aron und Carlo Schmid teil.63 Im Ergebnis vermied es der CCF, sich von Kennan zu distanzieren, wie es Dean Acheson für das „American Council on Germany" getan hatte.64 Damit hielt der CCF an der Linie der vorsichtigen Offenheit gegenüber den Osteuropäern fest. Diese hatte sich auf der Sitzung des Exekutivkomitees im Januar 1957 durchgesetzt, als Bruno Snell im Auftrag Willy Brandts darauf gedrängt hatte, nicht sämtliche Gesprächsfaden mit dem Ostblock zerreißen zu lassen.65 Diesmal war es an Sidney Hook, die Position der Gründerväter des CCF zu verteidigen. In einer erbitterten Kontroverse mit dem Haupt der moderaten Neuerer in der Exekutive, Michael Polanyi, beharrte er darauf, es sei die primäre Aufgabe des CCF und seiner Magazine, unerbittlich, aber „sophisticated" den Kommunismus zu bekämpfen. Polanyi hielt dagegen, es ginge nicht darum, die Ideen des Manifestes von 1950 zu revidieren, sondern sie praktisch zu rezipieren und machtpolitisch operationalisierbar zu machen. Wieder blieben die Moderaten erfolgreich, was sich in der offiziellen Reaktion des CCF auf die Kennan-Vorschläge dann bestätigte. Parallel zu dieser Entwicklung innerhalb des Kongresses ließ die Forderter
wenn
62 63 64 65
W.L. Htxson: Kennan, S. 178f. Nicolas Nabokov an Joseph Alsop vom 2.1.1958, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 1, Folder
5. Rundschreiben des American Council on Germany vom 11.1.1958, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 1, Folder 4 Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 12./13.1.1957, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 4, Folder 4.
464
VIII.
Stagnation und Neuanfang
Foundation durchblicken, man denke überhaupt nicht daran, Ungarns wegen die Kontakte zum Osten abzubrechen.66 Damit sprachen nicht allein weltanschauliche Gründe für einen gemäßigten Kurs, sondern auch wirtschaftliche Überlegungen. Allen CIA-Subsidien zum Trotz konnte es sich der CCF schlechterdings nicht leisten, sich mit der Ford-Foundation zu überwerfen, nachdem sich die Rockefeller-Foundation im Vorfeld der Mailänder Konferenz so abwartend verhalten hatte. So kehrte auch der CCF wieder auf die vor Ungarn vertretene Linie eines vorsichtig und verhalten geführten Dialogs mit osteuropäischen Intellektuellen zurück, ohne aber jemals eine gewisse Grundskepsis aufzugeben.67 Ein Jahr später, auf den Seminarveranstaltungen des CCF auf Rhodos und in Rheinfelden, schwenkten dann auch Raymond Aron, Edward Shils, Carlo Schmid und andere CCF-Mitglieder wenigstens indirekt auf die Kennan-Linie ein. Sie erklärten, wohl müsse man am intellektuellen Kampf gegen den Kommunismus unbedingt festhalten, dies dürfe sich aber praktisch nicht innerhalb der Vorgaben der dreißiger Jahre bewegen. Inzwischen nämlich seien die westlichen Demokratien derart stabil und innerlich gefestigt, seien zusätzlich die Instrumente fiskalischer und sozialökonomischer Steuerung so ausgefeilt, daß man auf die bloße Negation kommunistischer Doktrin zugunsten flexibler und kooperativer Strategien verzichten könne.68 Zweifellos bahnte sich hier im intellektuellen Bereich das an, was wenige Jahre später einmal zur Entspannungspolitik werden sollte. Um 1959/60 hatte der CCF sein weltanschauliches Gesicht graduell verändert, ohne aber mit seiner Tradition wirklich gebrochen zu haben. Das wiedergewonnene Selbstbewußtsein des „consensus liberalism" im Verhältnis zum antikommunistischen Konsens des Kalten Krieges wirkte sich nach einer gewissen Vorlaufphase seit circa 1955 voll aus. Sicher blieb der CCF eine Institution liberaldemokratischer antitotalitär-antikommunistische Wertevermittlung. Dennoch war der unbedingte Primat des moralischen Antikommunismus eine Angelegenheit der Vergangenheit. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß es im CCF nicht weiterhin Personen gegeben hat, die am klassischen Antikommunismus der vierziger und fünfziger Jahre festgehalten hätten. Die profilierteste Figur dieser Gruppe außerhalb des ACCF war Friedrich Torberg, der sich seit 1957/58 in einem Streit mit Michael Josselson befand, der an Härte und Bitterkeit selbst in der an Spannungen gewiß nicht armen
66 67
68
Waldemar N. Nielsen
(Ford-Foundation) an Michael Josselson vom 11.1.1957,
IACF/CCF-
Archiv, Series II, Box 105, Folder 1. Vgl. Michael Josselson an Shepard Stone vom 13.3.1957, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 105, Folder 1; Hauptschauplatz der osteuropäischen Aktivitäten des CCF blieb Polen, Hauptinstrument war das schon erwähnte „Writers' and Publishers' Committee". P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 321-327.
1. Zwischen Stalins Tod und Ungarnaufstand
465
Geschichte des CCF seinesgleichen sucht.69 Doch dieser interne Widerstand blieb angesichts des neuen Entfaltungsdranges des Konsensliberalismus hoffnungslos minoritär, zumal neben Kennan bald auch Arthur M. Schlesinger, allerdings innenpolitisch motiviert, den Abschied von der konservativen Stagnation der Eisenhower-Ära anmahnte. Gerade in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus bedürfe es reiferer intellektueller Tätigkeit als bislang; die defensive Taktik vergangener Tage sei unzeitgemäß und überholt.70 Bei allen Streitigkeiten, die damit verbunden waren, stellte sich der weltanschauliche Transformationsprozeß des CCF zwischen 1955 und 1958 als vergleichsweise weich heraus, das heißt die Kontinuitäten überwogen die Brüche. Der neue, technokratisch-flexible Antikommunismus des CCF bedurfte nur noch eines kohärenten weltanschaulichen Bezugssystems, mit dessen Hilfe liberale Reformanliegen für Ost und West gleichermaßen sinnvoll zusammengeschaut werden konnten. Und es fügte sich, daß der CCF genau dieses System selbst entwickelt hatte: Die Lehre vom „Ende der Ideologie".
69
70
Vgl. Friedrich Torberg an François Bondy vom 14 1.1956, NL Torberg, WSLBib, Schachtel 1/4; s.bes. Michael Josselson an Friedrich Torberg vom 3.4.1958, ebda., wo Josselson sich gegen Torbergs Vorwurf wehrt, ein heimatloser Linker zu sein, der gegen Adenauer anträte. Beides, so Josselson, träfe nicht zu. Außerdem fügte Josselson hinzu, Torberg begreife offenbar mcht, daß der CCF nicht gegründet worden sei, um andauernd über den Gegner herzufallen oder die eigene Gefolgschaft zu stabilisieren, sondern um durch gute Argumente nachdenklich zu machen. Dies aber sei Torberg unmöglich. Am Ende wirft er ihm auch seine Freundschaft zu KgU-Gründer Ernst Tillich vor. Torberg antwortete, er fühle sich von Josselson schlecht behandelt und bemerkte überdies: „Ich finde es einfach grotesk, daß wir uns im fünften Jahr unserer Zusammenarbeit über so primitive Grundsatzfragen, wie über die verschiedenen Arten der Bekämpfung des Kommunismus noch nicht unterhalten haben": Friedrich Torberg an François Bondy vom 4.4 1958, ebda Vgl. François Bondy an Friedrich Torberg vom 4.4.1958, ebda., wo Bondy Josselson unterstützt und feststellt, es sei wichtiger, den anderen zu verstehen, als ständig „den anderen eins draufzugeben." Der Briefwechsel belegt, daß zu diesem Zeitpunkt auch Michael Josselson sich im moderaten Lager wiedergefunden hatte und sei es nur aus Antipathie gegen Torberg. Memorandum von Arthur M. Schlesinger: „The Shape of National Politics to Come" vom 12.5.1959, NL Nabokov.
466
VIII.
Stagnation und Neuanfang
2. Die weltanschauliche Neuorientierung der Internationalen Exekutive: „Das Ende der Ideologie" Die Theorie vom Ende der Ideologie71 hat ihren
Ursprung im CCF der mittleren
fünfziger Jahre; sie hing eng mit der weltanschaulichen und organisatorischen Neuorientierung des Kongresses seit der Mailänder Konferenz zusammen.72 Somit diente sie zugleich einer internen, kohärenten Redefinition der Ideologie des Konsensliberalismus unter den veränderten politischen Bedingungen seit Stalins Tod. Sie stellte den Versuch dar, den Antikommunismus systematisch und wissenschaftstheoretisch mit einer Analyse moderner Industriegesellschaften zu verbinden.73 Der Name, dessen überaus anspruchsvolle Implikationen vornehmlich von Raymond Aron frühzeitig kritisiert worden waren,74 entstammte einem Artikel von Edward
Shils, der kurz nach der Mailänder Konferenz im „Encounter" veröffentlicht worden war.75 Es war also nicht so sehr Daniel Bell, der später den Gedanken in seiner publikumswirksamsten Form formulieren sollte, sondern Edward Shils,76 der diese für den CCF über geraume Zeit so entscheidende Theorie entwickelt hatte, auch wenn Bell sicher
71
72
73 74 75 76
Der amerikanische Begriff „end of ideology" ist nur recht ungenau ins Deutsche zu übersetzen. Prinzipiell meint er „Ende der Ideologie" im Sinne vom Ende aller Ideologien als Fehlperzeptionen von Realität. Ideologie steht dann m einem kontradiktorischen Verhältnis zu einer a priori postulierten ideologiefreien, pragmatischen und „realistischen" Sicht von Welt, wie sie der Liberalismus zu verfechten vorgibt. Entsprechend kann man im Deutschen sowohl vom „Ende der Ideologie", als auch vom „Ende der Ideologien" sprechen, was z.T. vom eingenommenen Standpunkt abhängt. Hier sollen beide Begriffe, gemeinsam mit Woffgang Burischs „Entideologisierung" synonym verwandt werden An sich korrekter wäre „Ende von Ideologie", womit allerdings ein unnötiger Neologismus geschaffen würde. Nur nebenbei sei bereits an dieser Stelle daraufhingewiesen, daß unter den Prämissen des von uns akzeptierten kulturanthropologischen Ideologiebegriffs, in dem Ideologie als Ordnungs- und Strukturelement in einer als chaotisch begriffenen Wirklichkeit notwendig existiert, die Lehre vom „Ende der Ideologie" immer sinnlos bleiben muß. Statement von Daniel Bell vom 25.4.1967, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 7, Folder 1 ; vgl den Hinweis auf die veränderten politischen Rahmenbedingungen im Bericht von Nicolas Nabokov an die Generalversammlung des CCF in Mailand vom 24 1.1955, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 3a, Folder 1. S. femer das Protokoll des Internationalen Exekutivkomitees vom 4.12.1955, ebda., Box 4, Folder 1 ; zum Zusammenhang liberaler Weltsicht und CCF-Seminarprogramm der späten tünfziger Jahre vgl. das Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 23.1.1959, ebda., Box 5, Folder 3 Vgl. I. Howe: The New York Intellectuals, S. 35 und L. Perry: Intellectual Life, S. 408 Protokoll der vorbereitenden Sitzung für das Planing Committee des CCF vom 3.11.1957, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 105, Folder 8. Edward Shils: „Further Thoughts on the Congress in the 60s", S. 4f, o.D. (1962) IACF/CCFArchiv, Series II, Box 5, Folder 4. Zu Edward Shils vgl. New York Times vom 26.1 1995 und Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.1.1995.
2. Das
„Ende der Ideologie"
467
das Verdienst zufiel, den Begriff innerhalb des CCF durchgesetzt zu haben.77 Dem Konzept vom Ende der Ideologie lagen gleich mehrere ideelle und
praktische Stränge zugrunde.78 Innerhalb des CCF ging es darum, angesichts einer vor allem von Manès Sperber konstatierten weltanschaulichen Verarmung seit Mitte der fünfziger Jahre die inhaltliche Qualität gerade der Kongreßzeitschriften durch ein umfassendes und anspruchsvolles wissenschaftliches Programm aufrechtzuerhalten.79 Dieses recht konkrete Anliegen verband sich mit den bereits geschilderten ideologischen Bedürfhissen des CCF und dem Bestreben, liberaldemokratische Werte in West und Ost in einer möglichst zeitgemäßen Form zu propagieren und umzusetzen. Dabei ging der CCF durchweg reflektiert vor, handelte also nicht aus einem irrationalen Impuls heraus, sondern intentional und wenigstens intern mit großer Offenheit.80 Dies war umso leichter, als das politisch-geistige Umfeld für eine derartige Strategie recht günstig erscheinen mußte: Der CCF befand sich nach dem erfolgreichen Abschluß der Gründungskrise auf dem Höhepunkt seiner Möglichkeiten. Die Organisation war arbeitsfähig
und stabil, wenn auch mit einer erkennbaren bürokratischen Tendenz; die Zeitschriften waren durchgehend funktionsfähig und weithin akzeptiert. Ahnliches konnte von den personellen Netzwerken gesagt werden, auf denen der CCF aufbaute und die er seinerseits unterstützte, selbst wenn man die Probleme in der Bundesrepublik und den USA einbezieht. Zudem benötigte man eine über den reinen Antikommunismus hinausgehende integrative Ideologie, die nicht sofort als solche erkennbar war. Mit der Abkehr vom stalinistischen Terror und dem faktischen Ende des ideologischen Monopols der Moskauer Gralshüter marxistischer Orthodoxie war die unbefangene Rede vom „roten Faschismus"81
78 79 80
81
Der Umstand, daß mit Aron, Bell und Shils zwei US-Amerikaner und ein Europäer maßgeblich daran beteiligt waren, das Ende der Ideologie wissenschaftlich zu propagieren, darf auch als Beleg dafür genommen werden, daß Cunliffes These, der CCF habe sich nach 1955 von einem transatlantischen Intellektuellennetzwerk zu einer mehr auf die Dritte Welt fixierten Organisation entwickelt, bestenfalls auf der organisatorischen Ebene, keineswegs aber weltanschaulich zutreffend ist. Vgl. M. Cunliffe: Anticommunism, S. 407. P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 317-378. Manès Sperber: „Critiques des Revues du Congrès", Bl. 2f, NL Sperber, ÖNB/ÖLA, Mappe 507. Manès Sperber: „Eastern European Program" vom Oktober 1963, NL Sperber, ÖNB/ÖLA, Mappe 536: „The fundamental change, which has multiple ramifications, is polycentricism, and with it the destruction of the ideological and political unity of the Communist movement. Previously, the response of the Congress to the one-to-one opposition of the Communist world and the West had been to develop the,idea of the end of ideology',..."; s.a. Michael Josselson an Shepard Stone vom 20.6.1957, IACF/CCF-Archiv, Seies II, Box 105, Folder 1: „In the light of bankruptcy of doctrinaire radicalism, liberalism and conservatism, is there a possibility for a consensus on liberal values among intellectuals, and could such a consensus draw in the intellectuals of Eastern Europe as well?" Zur Rolle des Topos vom „red fascism" in der US-amerikanischen Diskussion vgl. Les K. Adler/Thomas G. Paterson: Red Fascism: The Merger of Nazi Germany and Soviet Russia in the American Image of Totalitarianism, 1930s-1950s, in: American Historical Review 75
468
VIII.
Stagnation und Neuanfang
kontraproduktiv geworden. Was zwischen 1948 und 1953 ausgereicht hatte, um Intellektuelle unter dem gemeinsamen Banner des Antitotalitarismus zu vereinen, wirkte angesichts der von Richard Löwenthal und George Kennan analysierten Polyzentrik der kommunistischen Welt allzu simpel und für weite Kreise westlicher, nichtkommunistischer Intellektueller nicht mehr akzeptabel. Der CCF lief Gefahr, seine angestammte Klientel zu verlieren. Es waren aber nicht ausschließlich interne Faktoren, die dazu beitrugen, daß der CCF sich dem Ende der Ideologie zuwandte. In der Pariser Zentrale ging man nicht zu Umecht davon aus, daß die einsetzenden Enthüllungen über die stalinistischen Greueltaten an der eigenen Bevölkerung dazu beitragen würden, die marxistische Ideologie als solche zu diskreditieren. Dies aber würde, so die Sicht des CCF, unweigerlich und automatisch einen Siegeszug des Liberalismus zur Folge haben, dessen Überlebensfähigkeit seit den dreißiger Jahren eindrucksvoll unter Beweis gestellt worden war. Nicht allein ökonomisch und sozial, sondern auch auf dem Gebiet der Humanität und mit dem neuen Gedankengut auch auf dem Feld wissenschaftlicher Theoriebildung, schien der Liberalismus allen Kontrahenten endgültig und eindrücklich überlegen zu sein. Um diese weltanschauliche Überlegenheit belegen zu können, griffen Aron, Bell und Shils auf diverse Elemente zeitgenössischer Soziologie und Politologie, aber auch auf längerfristig wirksame ideengeschichtliche Prozesse und Postulate zurück, die sie dann mit den rezenteren Entwicklungen zu einem einheitlichen Ganzen zu verschmelzen gedachten. Eines aber war mit der Lehre vom Ende der Ideologie nie angestrebt: Entideologisierung meinte nicht Entpolitisierung. Entsprechend war die Theorie auch nicht, wie gelegentlich behauptet wurde, der Versuch einer CIA-gesteuerten Institution, sozial konservative Interessenpolitik zu betreiben.82 Viel eher handelte es sich um den Versuch, liberales Gedankengut neuzuformulieren. Sicherlich war auch das Ende der Ideologie im Hinblick auf westlich-liberaldemokratische Gesellschaften nicht systemüberwindend angelegt, während es dies hinsichtlich totalitärer, autoritärer und konservativer Systeme sehr wohl beanspruchte.
Trotzdem zielte die Theorie, wie auch der klassische Konsensliberalismus, auf Systemveränderung und zwar durch eine sozialdemokratisch-sozialliberal motivierte, utopisch regulierte und rational geplante Reformpolitik, die in der Tat stark pragmatistische Züge aufwies. Insofern gab es zwischen dem Konsensliberalismus seit Ende der dreißiger Jahre und der Entideologisierungsthese keinen wirklichen Widerspruch, das heißt auch hier bewegte sich der CCF im
82
(1970), S. 1046-1064. Vgl. dazu Daniel Bell an Michael Josselson vom 16.11.1977; Daniel Bell an Michael Josselson vom 30.12.1975 und Daniel Bell an die Herausgeber des „Listener" vom 11.3.1974, NL Josselson, Box 5. Bell bestreitet zu Recht jeden Zusammenhang zwischen der Entideologisierung
und dem Verlust sozial regulativer Utopien. Hier wird noch im Rückblick der pragmatistische Horizont der Theorie erkennbar, der bei einer adäquaten Darstellung nicht außer acht gelassen werden sollte.
2. Das
469
„Ende der Ideologie"
Rahmen einer weltanschaulichen Kontinuität. Was sich veränderte, war das analytische und begriffliche Instrumentarium, das jetzt auf die Entwicklung urbanisierter und technisierter Massen- und Industriegesellschaften abhob, die
spezifische Anforderungen an das politische, ökonomische, kulturelle und soziale Verhalten ihrer Mitglieder stellten. Nicht mehr das isolierte Individuum im Freiheitskampf gegen den Totalitarismus stand im Mittelpunkt des Erkennt-
nisstrebens, sondern die gesamte Gesellschaft. Auf diese Weise erschien die auch bislang geübte Addition pragmatistischer, keynesianischer, internationalistischer und althberal-individualistischer Gedankengänge weniger rein postulatorisch auf die Basis aufgeklärter Theoreme bezogen, sondern unmittelbar gesamtgesellschaftlich relevant.83 Damit gewann der Konsensliberalismus zusätzlich eine in die Zukunft reichende prognostische Dimension, die wiederum Ausdruck seines aus der Defensive gegenüber dem Marxismus in die Offensive gehenden Selbstbewußtseins war. Indem die Begriffe „Massengesellschaft" und „Massenkultur" dabei besonders bei Daniel Bell eine ausgesprochen positive Färbung erhielten, dienten sie zugleich dazu, dem pejorativen konservativen kulturkritischen und -pessimistischen Topos von der kulturellen und gesellschaftlichen „Vermassung" in der Moderne entgegenzutreten. Damit wurde dann der liberale Fortschrittsoptimismus des 19. Jahrhunderts in vermeintlich wissenschaftliche Denkkategorien der Modemisierungstheorien des 20. Jahrhunderts transponiert.
Das entstehende System, dessen eng gefaßter Ideologiebegriff als negativ abgrenzendes Kriterium gegenüber rivalisierenden Ideologien diente, war einerseits subtiler als der traditionelle Antitotalitarismus, andererseits aber funktional nahezu identisch. Er half bei der ideologisch-wissenschaftlichen Autoimmunisierung gegenüber extrasystemischer Kritik und konnte in jede Richtung instrumentalisiert werden. Vor allem aber vermochte die Theorie vom Ende der Ideologie dem Marxismus, dem Faschismus oder dem Konservativismus ein offen scheinendes, in Wirklichkeit jedoch weitgehend geschlossenes Bild vom Verlauf des historischen Prozesses entgegenzustellen. Wie der im intellektuellen Abstieg befindliche geistige Hauptrivale, der Marxismus, bot der Liberalismus mit der Entideologisierung ein Modell an, das historische, philosophische, soziologisch-empirische und sozial-prognostische Anliegen zu einem komplexen Theoriegebilde vereinte und damit den Vorwurf bürgerlicher Theoriearmut zu widerlegen versuchte. Dies gelang umso eher, als man zusätzlich auf bereits bestehende ideologiekritische Strömungen der unmittelbaren Nachkriegszeit aufbauen konnte, wodurch in Europa und nicht zuletzt in der Bundesrepublik die Grundlage für eine breite Rezeption des Gedankens gelegt worden war. Die Ansicht, nach zwei Weltkriegen, von denen gerade der letzte vornehmlich auf einer welt83
Vgl.
J. Hermand: Kultur im
argumentiert.
Wiederaufbau,
S.
251-262, der allerdings
etwas
überkritisch
470
VIII.
Stagnation und Neuanfang
anschaulichen Ebene geführt worden war, sei das ideologische Zeitalter beendet, gehörte geradezu zu den tragenden Säulen des antikommunistischen Nachkriegskonsenses. Nur in diesem Zusammenhang wird die oben erwähnte Debatte über politische Neurosen im „Monat" oder in „Encounter" verständlich. Angesichts des erhofften Endes ideologischer Konflikte wirkte die Existenz des Stalinismus verstörend. Diese Form emotionaler Ideologiekritik unterschied sich allerdings vom Ende der Ideologie in zwei wesentlichen Punkten: Zum einen überwog ein moralisierender und psychologisierender Zugriff, der weitgehend auf vorreflexen, gemeinsam geteilten Grundüberzeugungen und bedürfhissen aufbaute und gewissermaßen der „Mentalitätsgeschichte" des Kalten Krieges zuzuordnen wäre. Hier kamen Angst- und Unterlegenheitsgefühle gegenüber der UdSSR zum Ausdruck, die darauf drängten, durch gemeinsames Handeln aller demokratischen Kräfte unabhängig von ihrem weltanschaulichen Standort überwunden zu werden. Die totalitären Ideologien wurden somit zum Anlaß für eine real wirksame Verzahnung sozialistischer, liberaler und konservativer Ideologien wenigstens unter dem Gesichtspunkt des gemeinsamen demokratischen Abwehrkampfes gegen die totalitäre Gefahr. Irgendwelcher theoretischer Gründe bedurfte dieses Verhalten nicht, basierte es doch auf spätestens seit 1948 von fast allen akzeptierten gefühlsmäßigen -
Voraussetzungen.84
Zum anderen erfaßte der Ideologiebegriff der frühen Phase durchaus noch den Liberalismus. Linkskatholiken wie Eugen Kogon vermochten es, unter dem Banner der aktuell notwendigen Entideologisierung die Liberalen aufzufordern, ihre Ideologie beiseitezulegen und sich in den Freiheitskonsens der Gegenwart
einzureihen. Vermittels der trennschärferen Begrifflichkeit der neuen Lehre wurde zumindest der Konsensliberalismus vom Ideologievorwurf ausgenommen. Hierin sollte bald einer der Hauptkritikpunkte von überwiegend neulinker Seite liegen. Die Lehre vom Ende der Ideologie stellte also eine reflektierte Variante genereller antikomunistischer Ideologiekritik dar, wenn auch pointierter auf innerliberale Bedürfnisse zugeschnitten und weniger abhängig von irrelevant gewordenen Bedrohungsszenarien. In ihrem Vokabular entsprach sie dem Streben technokratischer, liberaler Antikommunisten nach Wissenschaftlichkeit, wobei sie auf ein bestimmtes Segment US-amerikanischer Soziologie zurückgriff Zudem erlaubte sie als Bestandteil universaler Modernisierungs84
Vgl. die Rede Eugen Kogons vor dem Kongreß fur kulturelle Freiheit vom 28.6.1950, S. 9-11, NL Kogon; Gerhard Szczesny: „Zur geistigen Situation des Sozialismus in Deutschland", S.2f, Slg. Szczesny, IfZ-Archiv, ED 386/23. In der Regel wurde mit dem Ende alter Dogmen oder der Erschöpfung ideologischen Denkens sowie den von ihm ausgehenden Gefahren gesprochen. Wissenschaftlich nur wenig präziser und in der Diktion hegelianisch hatte Hans Mayer schon 1948 die „Aufhebung ideologischen Denkens" erörtert: Wolfgang Burisch: Ideologie und Sachzwang. Die Entideologisierungsfhese in neueren Gesellschaftstheorien, Diss. Tübingen 1967, S. 27.
471
2. Das „Ende der Ideologie'
theorien die
Analyse westlicher oder nichtkommunistischer außerwestlicher Gesellschaften, war demgemäß deutlich universaler als der traditionelle Antikommunismus. Ein Hauptproblem der Entideologisierungthese lag allerdings in der mangelnden empirischen Untermauerung. Auch wenn Daniel Bell durchgehend den Anspruch erhob, eine wirklich empirische Theorie vorzulegen, erkannte Michael Polanyi recht früh, daß in diesem Bereich eine wichtige potentielle Schwachstelle im Theoriegebäude lag.85 Damit hatte das Konzept von Anfang an mit erheblichen methodologischen Schwierigkeiten zu kämpfen, die aber für die öffentliche Kritik erst ab etwa 1960 wirklich relevant wurden. Wenn nun in der Folge die Theorie vom Ende der Ideologie im Detail und anhand ihrer Vertreter untersucht werden soll, muß gleich einschränkend hinzugefügt werden, daß es nicht um eine erschöpfende Darstellung gehen kann. Selbst die drei bedeutendsten Protagonisten der Lehre (Aron, Bell und Shils) haben durchweg darauf verzichtet, ihre Untersuchungen von einem einheitlichen empirischen Standort aus zu beginnen oder ihre Begrifflichkeit zu vereinheitlichen.86 Nicht einmal der so zentrale Begriff der Ideologie wurde in strenger Manier definiert oder gehandhabt. Wie der Konsensliberalismus verzichtete die Entideologisierungstheorie zugunsten größerer Flexibilität auf durchgehende logische Stringenz, ohne damit aber unwissenschaftlich zu werden. Aus diesem Grund sollen hier vielmehr die wichtigsten Argumentationsgänge dahingehend untersucht werden, welche Funktion ihnen im Rahmen des CCF zukam. Es geht um (kultur-)politisch instrumentalisierte und operationalisierte Aussagen, nicht um den wissenschaftlichen Erklärungswert der Theorie. Daher wird auch darauf verzichtet, auf die parallel laufenden Ansätze von Talcott Parsons, Robert Merton oder Seymour Martin Lipset einzugehen, die bestenfalls als zusätzlicher Beleg dafür dienen mögen, daß das Thema als solches in der Luft lag.87 Demgegenüber werden die Ausführungen von Edward Shils, Raymond Aron und Daniel Bell im Vordergrund stehen.88 Alle drei genannten Autoren war zumindest ein Ausgangspunkt trotz allem gemeinsam: Nach ihrer Ansicht hatten die großen Ideologien des 19. Jahrhunderts, allen voran der Marxismus mit seinem totalisierenden Erklärungsmuster, erkennbar an realem intellektuellen Einfluß verloren. Die innerwestlichen politischen Debatten seit 1945 schienen überdies zu belegen, daß sich mit dem -
85 86 87 88
-
Protokoll der vorbereitenden Sitzung für das Planing Committee des CCF vom 3.11.1957, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 105, Folder 8. W. Burisch: Ideologie und Sachzwang, S. 4. Vgl. ebda., S. 78ff; S. 96ff und S. 122ff. Die einschlägigen Texte finden sich zusammengefaßt in: Chaim I. Waxman (Hg.): The End of Ideology Debate, New York 1968. S.v.a. Edward Shils: The End of Ideology?, in: ebda., S. 4863 (erschien erstmals 1955 im „Encounter"), Raymond Aron: The End of the Ideological Age, in: ebda., S. 27-47 (vgl. ders.: Opium für Intellektuelle) und Daniel Bell: The End of Ideology in the West, in: ebda., S 87-105. Von Bell ist selbstverständlich noch sein einschlägiges Standardwerk „End of Ideology" ( 1960) heranzuziehen.
472
VIII.
Stagnation und Neuanfang
gewordenen Wahrheitsanspruch der alten Ideologien zusätzlich die politische Trennung von „rechts" und „links" überlebt hatte. Ideologisch fixierte Denkmuster waren dabei, sich zu erschöpfen.89 Der Grund für diesen empirisch zwar faßbaren, jedoch nicht exakt quantifizierbaren Befund lag in den objektiven gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen moderner Industriegesellschaften, eine Kategorie, die prinzipiell auf westliche Demokratien und kommunistische Diktaturen gleichermaßen anwendbar war. Bis zu einem gewissen Grade blieben allerdings die westlichen Demokratien das Muster für diesen Prozeß, wobei Bell sich sogar ganz auf die Analyse der USamerikanischen Gesellschaft beschränkte. Im Gegensatz zu Aron, der einerseits dem Massenaspekt der westlichen Gesellschaften skeptisch gegenüberstand, während er andererseits die durch die pluralistisch-demokratische Ordnung gewährten individuellen Freiräume gegenüber staatlichen Eingriffen positiv interpretierte, entwarf Bell ein vorwiegend positives Bild dieser westlichen Normgesellschaft.90 Gegenüber der technisierten Massengesellschaft gebe es aber nur noch eine rationale Verhaltensweise, nämlich den pragmatisch-analytischen Umgang mit realitätsbezogenen Daten, die sich von allen antiindividuahstisch-antipragmatischen und auf Totalität zielenden Denkwelten unterscheide.91 Letztere wurden dann mit dem Epitheton des Ideologischen behaftet und stellten den nur scheinbar modernen Gegenentwurf zu der wirklichen Modernität entideologisierter Realitätsbetrachtung dar.92 Ideologie meinte im weiteren Sinn einen Zusammenhang zwischen grundlegenden Realitäten und der ordnenden rationalen oder willentlichen Tätigkeit von Individuen oder Kollektiven,93 so weit waren sich alle Autoren des CCF einig. Ebenfalls herrschte Einigkeit über den Umstand, daß Ideologie etwas grundsätzlich Negatives darstellte. Doch damit begannen schon die Unterschiede. Während besonders Aron darauf beharrte, in Ideologie eine Fehlperzeption von Wirklichkeit auf der Grundlage pseudo-systematischer und totaler Vision der Welt zu sehen, was unmittelbar antikommunistische Auswirkungen obsolet
haben mußte, bemühte sich Bell um eine differenziertere Definition. Wie Talcott Parsons interpretierte er Ideologie als Bündel konventionalistischer Interpretamente für eine vorab ungeordnete Wirklichkeit, die er dann jedoch von einer pragmatisch-pragmatistischen Wirklichkeitsanalyse durch ihren emotionalen Charakter und ihren unbedingten Wahrheits- und weiten Geltungs-
89
90 91 92 93
D. Bell: The End of Ideology, S. 16; E. Shils: Ideology?, in: C.I. Waxman (Hg): End of Ideology, S. 52f ; vgl. mit Bezug auf Raymond Aron W. Burisch Ideologie und Sachzwang, S. 1. Zu Aron s. Raymond Aron: Demokratie und Totalitarisme, Hamburg 1970, S. 47, s.a. S. 21; vgl. D. Bell: The End of Ideology, S. 29f. Bell kennt zusätzlich mit Rekurs auf den Katholizismus die Totalverweigerung gegenüber der Moderne, die aber gleichfalls ins Abseits führen müsse, s. D. Bell: The End of Ideology, S. 8. Vgl. W. Burisch: Ideologie und Sachzwang, S. 127. Ebda, S. 8-10.
2. Das
„Ende der Ideologie"
473
anspruch unterschied.94 Entideologisierte Sicht von Wirklichkeit mußte notwendig mit Theorien mittlerer oder geringer Reichweite arbeiten, weil jede starke Theorie erneut das Problem hybrider Geltungsansprüche aufgeworfen hätte. Edward Shils arbeitete mit einem Ideologiebegriff, der dem von Bell recht
ähnlich war, aber immerhin insofern Elemente liberaler Selbstkritik in sich barg, als er den Rationalitätsanspruch des Liberalismus durch die Erkenntnis traditionaler Legitimation liberaler Ideologeme in Frage stellte.95 Wie differenziert die jeweilige Sicht von Ideologie auch gewesen sein mag, das verbindende Element blieb der Gesichtspunkt, daß Ideologie aus sich heraus ein inadäquates Instrument zur Steuerung modemer Industriegesellschaften sein mußte, weil sie aufgrund ihres totalisierenden Reduktionismus der Komplexität von Realität nicht mehr Rechnung tragen konnte. Damit standen Aron, Bell und Shils im Rahmen klassischer neuzeitlicher Ideologiekritik, wie sie von Karl Marx, den Positivisten oder Kant unter ganz anderen Voraussetzungen bislang geleistet worden war.96 Zugleich war erneut der Rekurs auf die Tradition der Aufklärung
möglich.
Indem die Kongreßsoziologie ihre ideologiekritischen Konzepte mit einer Analyse moderner Industriegesellschaften verband, ging sie jedoch über die positivistische Ideologiekritik, mit der sie am ehesten geistig verwandt war, hinaus, indem sie eine Reformperspektive einarbeitete, die es ermöglichte, aus einer liberaldemokratischen Sicht heraus, den theoriegeleiteten Praxisbezug des Marxismus einer umfassenden Kritik zu unterziehen. Insbesondere konnten Aron, Bell und Shils darauf verweisen, daß die marxistische These vom notwendigen Zerfall kapitalistischer Gesellschaften unter den Bedingungen des „welfare capitalism" offenkundig unzutreffend war. Die aus dem New Deal stammende sozialökonomische Reformbereitschaft liberaler technokratischer Mittelschichten mit ihrem sehr nachdrücklichen und unmittelbaren Bezug auf die Wirklichkeit solcher modemer Gesellschaften garantierte die weitere Lebensfähigkeit des liberaldemokratischen Systems.97 Das Entstehen derartiger Schichten im Ostblock war in der Sicht der Kongreßsoziologen fast notwendig und würde, sofern die von Chruschtschow eingeleitete Entstalinisierung an-
94 95
96
97
Vgl. CI. Waxman: End of Ideology, S. 3; s. ferner W. Burisch: Ideologie und Sachzwang, S. 115, wo es zu einer Identität von Ideologie und totalem Denken kommt. In der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus kam dieser Aspekt der von Shils vertretenen Theorie aber nicht zur Anwendung, dafür ähnelte er dem von Koestler zuvor erarbeiteten Ideologiebegriff, vgl. Edward Shils: Tradition, London-Boston 1981. Das Werk stellt die Summe der von Shilds seit 1956 durchgeführten Forschungen zur Bedeutung des Traditionselementes in neuzeitlichen Ideologien dar Zu Koestler s. Arthur Koestler: Das ideologische
Gerüst, in: Forum 4 (1957), S. 329. D. Bell: The End of Ideology, S. 89, berief sich zusätzlich auf Karl Mannheim und Hannah Arendt als autoritative Vorläufer. Zur Geschichte der Ideologiekritik vgl. Kurt Salamun (Hg): Ideologien und Ideologiekritik. Ideologietheoretische Reflexionen, Darmstadt 1992, s.bes. die Einleitung: S. 7-10. D. Bell: The End of Ideology, S. 13f.
474
VIII.
Stagnation und Neuanfang
hielt, auch im Ostblock zu analogen Entwicklungen führen.
CCF verfochtenen Lehre vom Ende der Ideologie ergaben sich, abgesehen davon, daß der Begriff der Ideologie nicht ganz einheitlich gehandhabt wurde, vor allem im Hinblick auf das innerhalb des Systems entworfene Bild von der Zukunft moderner Massengesellschaften. Gerade Aron, dessen Beiträge am deutlichsten einer ideologisch-antikommunistischen Vorgabe entsprachen, schloß aus der angeblich sicher erkannten Obsoletheit aller Ideologien auf das gleichermaßen sichere Verschwinden der totalitären Diktaturen.98 Ein skeptischer demokratischer Pluralismus, die Relativität totalisierender Ansprüche im Bereich sozialer Erkenntnis und die wirkmächtige Faktizität des Seins industriell-technokratisch geprägter Gesellschaften in Ost und West fielen bei Aron weitgehend zusammen. Demgegenüber hielten sich Bell und Shils mit auf die Zukunft bezogenen Aussagen zurück. Bell ging sogar soweit, die These vom Ende der Ideologie überhaupt nur auf Gesellschaften des fortgeschrittenen westlichen Typus anzuwenden, schloß aber eine entsprechende Entwicklung anderer Gesellschaften auf diese Norm hin nicht aus.99 Shils hingegen, dessen Interesse zunehmend Traditionsbildungsprozessen galt,100 verwies darauf, daß Ideologie möglicherweise einem eingeborenen Bedürfnis der Menschen nach sinngebender Deutung ungeordneter Wirklichkeiten entspränge, also eine Art anthropologischer Konstante sein könnte. Selbst wenn Ideologie eine realitätsfremde Mystifikation sei, würde sie sich vermutlich in irgendeiner Form andauernd reproduzieren.101 Das Ende der Ideologie wurde auf diese Weise zu einem utopischen Regulativ des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses, wie es die Utopie umfassender Gerechtigkeit im Prozeß sozioökonomischer Planung war. Shils vertrat die wohl skeptischste Variante der These, ohne aber ihre begrenzte Gültigkeit vor 1962 je in Frage zu stellen. Allen drei gemeinsam war jedoch der Gedanke von der prinzipiellen Überlegenheit des westlichen Modells in einem zentralen Punkt: Während der Ostblock noch an einer ideologiegeprägten Deutung sozialer und ökonomischer Wirklichkeit festhalte, befinde sich der Westen bereits im objektiv notwendigen und irreversiblen Stadium der Auflösung oder bei Shils der Relativierung ideologischer Perzeptionsmechanismen. Diese Überlegenheit würde über kurz oder lang zum Sieg des pluralistischen, demokratischen, reformoffenen, wohl-
Unterschiede innerhalb der
vom
-
-
-
98
99 100
101
-
Vgl. R. Aron: The End, in: C.I. Waxman (Hg.): End of Ideology, S. 44f; s.a. Kurt Salamun: Ist mit dem Verfall der Großideologien auch die Ideologiekritik zu Ende?, in: ders. (Hg.): Ideologien und Ideologiekritik, S. 31 ; W. Burisch: Ideologie und Sachzwang, S. 11 Off. D. Bell: The End of Ideology, S. 403; K. Salamun: Großideologien, in: ders. (Hg): Ideologien und Ideologiekritik, S. 41 f. Dabei trennte er sehr scharf zwischen Tradition, der ein gewisser Wahrheitsbezug zukäme, und Ideologie, die stets Gefahr liefe, die Realitäten außer acht zu lassen, vgl. W. Burisch: Ideologie und Sachzwang, S. 117. Vgl. ebda, S. 116f
2. Das
„Ende der Ideologie"
475
habenden und liberalen Westens über den wirklichkeitsfremden, intoleranten, verarmenden, kommunistischen Gegner führen.102 Daniel Bell hob in diesem Zusammenhang die Transformation der kapitalistischen Gesellschaften in liberaldemokratische Wohlfahrtsstaaten als Resultat der überlegenen Strategie
des Westens besonders hervor, wobei er nicht zuletzt keynesianische Gedanken
propagierte.103
der Unterschiede zwischen den Ansätzen Arons, Beils und die dennoch über einen einheitlichen Kern verfügten und auch nie als Shils', rivalisierende Modelle verstanden wurden, erscheint die These kaum gewagt, daß das Ende der Ideologien sich nicht allein inhaltlich, sondern auch formal in klarer Kontinuität zum klassischen Konsensliberalismus bewegte. Die Elemente der Elastizität und Flexibilität des weltanschaulichen Angebotes blieben erhalten und weiterhin von maßgeblicher Bedeutung innerhalb des Gesamtkontextes liberaler Ideologie. Gleichwohl sind einige Brüche zur eigenen Tradition nicht zu vernachlässigen: Es fehlte der moralische Zugriff, der durch einen wissenschaftlich formulierten, technokratischen Ansatz abgelöst wurde, welcher es wie bei Bell nicht einmal mehr nötig hatte, sich direkt mit dem Kommunismus auseinanderzusetzen. Ein anderer, damit zusammenhängender Punkt war gleichermaßen Ausdruck ideologischer Kontinuität wie eines Bruches in der Prioritätensetzung: Alle drei Varianten der Entideologisierungstheorie forderten soziale Reform. Damit entsprachen sie dem neuen Selbstbewußtsein des Konsensliberalismus, innerhalb des antikommunistischen Konsenses die eigenen Ziele verstärkt einzuklagen. Bei Aron und Bell führte dieser Aspekt zu einem fast marxistisch anmutenden Determinismus hinsichtlich gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse, wodurch die bruchlos fortgesetzte Kritik des Konsensliberalismus am hegelianisch gefärbten totalen und doktrinären weltanschaulichen Zugriffs der Marxisten insofern partiell entwertet wurde, als man nun selber auf ein semihegelianisches, wenn auch pragmatistisch verbrämtes deterministisches Modell zurückgriff Die damit der These innewohnende kontradiktorische Potenz sollte noch Gegenstand der Auseinandersetzung werden. Das Ende der Ideologie entsprang also keineswegs nur internen Bedürfnissen des CCF, sondern gründete in einer Reihe mannigfaltig miteinander verflochtener ideologischer, gesellschaftlicher, politischer und institutioneller Prozesse, von denen die sowjetische Abkehr vom Erbe des Stalinismus und die damit verbundene Notwendigkeit, den Stellenwert des Konsensliberalismus innerhalb des Spektrums westlicher Ideologien neu zu definieren, die wichtigsten waren.
Angesichts
-
-
102
103
Vgl. ebda., S. 118f Selbstverständlich beschränkten Aron, Bell und Shils sich nicht auf eine Kritik des Kommunismus. Da ihre Lehre dem Antitotalitarismus entsprang, nahmen sie faschistische und nationalsozialistische Ideologien von ihren Untersuchungen nicht aus: E. Shils: Ideology?, in: CI Waxman (Hg): End of Ideology, S. 60; R. Aron: The End, in: CI. Waxman (Hg): End of Ideology, S. 48. W. Burisch: Ideologie und Sachzwang, S. 118ff
476
VIII.
Stagnation und Neuanfang
Aber neben der Tatsache, daß es jetzt möglich wurde, das sperrige Instrumentarium der Totalitarismustheorie flexibler zu handhaben und innerwestliche Reformanliegen konsequenter zur Sprache bringen zu können, diente die vom CCF so intensiv propagierte Theorie mindestens einem weiteren wichtigen Zweck: Sie war Bestandteil der globalen Strategie zur Umorientierung der Parteien des demokratischen, antikommunistischen Sozialismus, indem sie dessen noch verbliebene marxistische Wurzeln als radikal unzeitgemäß entlarvte und durch ein vom US-amerikanischen Vorbild abgeleitetes „wissenschaftliches" Theoriemodell ersetzte, welches die Möglichkeit staatsplanerischer Reformtätigkeit bei genereller Akzeptanz marktwirtschaftlicher Ordnung beinhaltete.104 Schließlich sorgten die impliziten Autoimmunisierungstechniken der These dafür, die transatlantische kulturelle Hegemonie des Konsensliberalismus nach innen und außen zu zementieren und zu rechtfertigen. Dieser Anspruch mußte allerdings spätestens dann problematisch werden, wenn innerhalb des westlichen linken Lagers eine neue Gruppe sich bewußt gegen die hegemonialen Ansprüche des „consensus liberalism" wandte und damit auch zur Kritik an der Entideologisierungsthese ansetzte. Mit der Neuen Linken tauchte eine solche Gruppe dann auf. Seit 1960 kam es folgerichtig zu verstärkten Attacken gegen den Gedanken vom Ende der Ideologie. Dies war zwischen 1955 und 1960 aber noch nicht in dieser Deutlichkeit erkennbar. Der CCF ging mit frischem Selbstbewußsein daran, das neue Konzept mit den erneuerten methodischen und organisatorischen Mitteln und einem teilweise erneuerten Personal in die internationale Diskussion einzuspeisen. Das wichtigste Instrument dieser Tätigkeit blieben jedoch die vorhandenen Zeitschriften. Edward Shils und Daniel Bell publizierten seit November 1955 eine Reihe von Artikeln zum Thema im „Encounter",105 die zum Teil mit weitergehenden Ausführungen zu einer Theorie industrialisierter Massengesellschaften verbunden wurden.106 Parallel dazu erschien Raymond Arons „Opium für Intellektuelle", mit seiner nicht ganz so ausgefeilten Variante der Entideologisierungstheorie. Kaum war dann Daniel Beils Monographie zum Thema erschienen, verfaßte Irving Kristol seinerseits einen umfassenden, lobspendenden Rezensionsartikel dazu, in dem wie selbstverständlich Beils Brillanz und
104
105
106
Vollkommen zu Recht haben etwa die beiden britischen Soziologen Stephen W. Rousseas und James Farganis 1963 die Entideologisierungstheorie in einen engen sachlichen Zusammenhang mit John Stracheys „Contemporary Capitalism" (1956), Anthony Croslands „Future of Socialism" (1957), John Kenneth Galbraith' „American Capitalism" (1956) und „Affluent Society" (1958) gestellt; vgl. Stephen W. Rousseas/James Farganis: American Politics and the End of Ideology, in: C.I. Waxman (Hg): End of Ideology, S. 206-228. E. Shils: Ideology?, in: Encounter 5 (Nov. 1955), S. 52-58; vgl.a. die Einleitung von D. Bell: The End of Ideology, S. 17. Daniel Bell: The Theory of Mass Society, in: Commentary 22 (1956), S. 73-91.
2 Das
„Ende der Ideologie"
477
Einzigartigkeit bestätigt wurde.107 Insbesondere, wenn auch nicht ohne verhal-
Kritik, hob er Beils Gedanken hervor, die US-amerikanische Gesellschaft habe insofern Modellcharakter, als sie sich dem Prinzip ständigen Wandels verschrieben habe.108 Diese Debatten mischten sich dann im „Encounter" und den anderen Kongreßzeitschriften mit den bereits laufenden Diskussionen um das tene
Schicksal und die Zukunft der westeuropäischen nichtkommunistischen Arbei-
terparteien.
Außer den Zeitschriften und weiteren monographischen Publikationen nutzte der CCF zusätzlich das seit der Mailänder Konferenz installierte Seminarsystem, um die Entideologisierungsthese zu verbreiten. Dabei erwies es sich als vorteilhaft, daß 1956/57 ausgerechnet Daniel Bell im Internationalen Generalsekretariat für den Seminarbetrieb des CCF verantwortlich zeichnete. Er konzipierte eine Reihe locker aneinander gefügter Veranstaltungen, die sich dem Ende der Ideologie, der Entwicklung von Massengesellschaften und dem Problembereich „Tradition und Fortschritt" widmeten.109 Auf diese Weise wurden auch nicht dem CCF angehörende Intellektuelle auf breiter Basis und sehr direkt in die Diskussion einbezogen. Der CCF beschränkte sich nicht darauf, die eigene Theorie positiv zu verbreiten. Vielmehr war er zusätzlich bestrebt, interne Opposition vorab auszuräumen, um nach außen hin geschlossen auftreten zu können. Wie so oft war es der renitente radikale Antikommunist Friedrich Torberg, der zum Leidtragenden dieser Entwicklung wurde. Im März 1957 wurde er von der Pariser Zentrale angewiesen, die Angriffe von Willi Schlamm oder James Burnham, zweier weiterer Vertreter radikalantikommunistischen Gedankengutes, auf Daniel Bell und andere Neuerer im CCF nicht mehr im „Forum" abzudrucken.110 Da bei den anderen Kongreßzeitschriften die weltanschauliche Loyalität besser funktionierte als bei Torberg, waren weitere derartige Maßnahmen nicht erforderlich. Seit 1957 ist innerhalb des CCF auch keine Opposition gegen die Lehre vom Ende der Ideologie mehr erkennbar. Die Aktivitäten des CCF blieben nicht ohne Erfolg. Auch in die Soziologie der Bundesrepublik, möglicherweise sogar in besonderem Ausmaß, fand die Debatte Eingang, wenn auch die Rezeption lange in traditionell positivistisch-
107
108 109
110
Irving Kristol: Keeping Up With Ourselves, in: C.I. Waxman (Hg): End of Ideology, S. 106115, hier: S. 109. Das Attribut der Brillanz gehörte zum Erbe der „New York Intellectuals" und wurde so zum Standardlob des CCF-intemen Zitationskartells. Ebda., S. 112. Memorandum von Daniel Bell zum Seminarprogramm des CCF 1957 (in Zusammenarbeit mit Raymond Aron und Edward Shils), o.D. (Juni 1957?), IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 4, Folder 4, wo das Seminarprogramm ausdrücklich in den Gesamtbereich der Entideologisierungsdebatte eingebettet wird; vgl Memorandum der Vorbereitungskommission für das Seminarprogramm vom 3.12.1957, ebda., S.a. zum Rheinfeldner Seminar vom September 1959 und die dortige Behandlung des Endes der Ideologie: Baseler Nationalzeitung vom 4.10.1959. François Bondy an Friedrich Torberg vom 27.2.1957, WSLBib, Schachtel 1/6.
478
VIII.
Stagnation und Neuanfang
ideologiekritischen Bahnen verharrte.111 1961 kam es zu einem ersten Höhepunkt in der Dikussion, was zumindest eine Fülle von damals erschienen Publikationen zum Thema nahelegt: Hans Barths „Wahrheit und Ideologie" erschien in der zweiten Auflage, Carl August Emge veröffentlichte „Das Wesen der Ideologie" und Kurt Lenk gab den umfangreichen Sammelband „Ideologie" heraus. Den Rückbezug dieser ideologiekritischen Diskussionen auf die Entideologisierungtheorien des CCF oder Lipsets und anderer US-amerikanischer Soziologen lieferte dann sechs Jahre später Wolfram Burisch mit seiner Dissertation, interessanterweise zu einer Zeit als das Thema „Ideologie" wieder aktuell geworden war, wenn auch ganz anders als die CCF-Soziologen es sich gedacht hatten. Schon zuvor war das Anliegen des CCF in der mit ihm verbundenen Publizi-
stik in Westdeutschland erörtert worden, wobei „Der Monat" zum zentralen Instrument der Förderung der These wurde. Aber auch Fritz-René Allemann hatte in seinem weit verbreiteten Werk „Bonn ist nicht Weimar" den Topos bereits aufgegriffen und CDU und FDP bescheinigt, die technokratische, in der Wirtschaft notwendige Entideologisierung auf die Politik übertragen zu haben. Dieser Vorgang stünde der SPD noch bevor.112 Hier mischte sich die traditionelle antiideologische Haltung der Nachkriegszeit mit revisionistischen Topoi, die ganz CCF-Intentionen entsprachen. Der eigentlichen Lehre von Aron, Bell und Shils entsprachen Allemanns Erwägungen aber nur bedingt, vor allem fehlte eine explizite und theoretisch fundierte Akzeptanz der modernen Massendemokratie. Ähnliches gilt für Helmuth Plessners Monographie über die geistesgeschichtlichen Ursachen deds Nationalsozialismus, die sich dennoch als pointiert ideologiekritisches Werk verstand113 und somit dazu beitrug, ein Klima zu schaffen, innerhalb dessen die „orthodoxe" Form der Entideologisierungstheorie rezipiert werden konnte. Die eigentlichen Positivisten und kritischen Rationalisten in der deutschen Soziologie begegneten den theoretischen Anregungen des CCF eher mit einiger Skepsis, erkannten sie doch in Arons und Beils Thesen durchaus semihegelianisch-deterministische Vorstellungen, die ihrer eigenen weltanschaulichen Grundlage zuwiderliefen. Dies traf vor allem auf René König und Ernst Topitsch zu,114 aber auch der konservativere Helmut Schelsky neigte dazu, zwar Shils und Bell in der generellen Analyse zeitgenössischer Industriegesellschaften ansatzweise Recht zu geben, zog daraus jedoch den genau umgekehrten Schluß: Das Ende der Klassengesellschaft mache die bindungslos 111
112 113 114
Neben Burischs
systematischer Untersuchung zum Thema ist im Interesse einer historischgenetischen Einordnung auch Axel Schildt: Ende der Ideologien? Politisch-ideologische Strömungen in den 50er Jahren, in: A. Schildt/A. Sywottek (Hg): Modernisierung im
Wiederaufbau, S. 627-635, heranzuziehen FR. Allemann: Bonn ist nicht Weimar, S. 315. H. Plessner: Die verspätete Nation, S. 24f.
Vgl.
W. Burisch:
Ideologie und Sachzwang, S.
1.
2. Das
„Ende der Ideologie"
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gewordenen Individuen erst recht anfällig, von Ideologien verführt zu werden."5 Einen vermittelnden Standpunkt nahm Ralf Dahrendorf ein, der das Ende der Ideologie nicht komplett verwarf, die Gültigkeit des Konzeptes in Form einer Theorie mit großer Reichweite allerdings entschieden in Frage stellte.116 Es zeigt sich aber, daß die Bundesrepublik außerhalb des angelsächsischen Raumes wohl dasjenige Land gewesen sein durfte, wo die Entideologisierungstheorie am intensivsten rezipiert worden sein dürfte, wenngleich nichts dafür spricht, daß man sich ihr vorbehaltlos zugewendet habe. Dies trifft, entgegen allen Anstrengungen in der CCF-Propagandaarbeit, nicht einmal für die dezidiert prowestlichen Kreise der deutschen Nachkriegssoziologie zu. Auch wenn nicht alle Adressaten der Lehre vom Ende der Ideologie gleichermaßen erreicht werden konnten, war es dem CCF gelungen, mit der Verbreitung dieses Gedankens wieder eine Art von Meinungsführerschaft zu erlangen. Aus Sicht der Beteiligten erschien es überhaupt nicht so wichtig, daß alle Welt die eigenen theoretischen Ansätze übernahm. Vielmehr lag es in ihrem Interesse zu belegen, daß der CCF zur weltanschaulichen Selbstreform noch in der Lage war und zudem über Jahre hinweg die internationale wissen-
schaftliche Diskussion zu prägen verstand. Dem CCF war es darüberhinaus gelungen, im weltanschaulichen Bereich einen relativ harmonischen, bruchlosen Übergang vom frühen Antitotalitarismus mit seinem moralisch gesättigten Freiheitspathos hin zu einer technokratisch-analytischen Variante derselben Ideologie geschafft zu haben. Diese Aussage bezieht sich allerdings ausschließlich auf den engen Bereich ideengeschichtlicher Entwicklung. Auf der Realienebene von Organisationsstrukturen und persönlichen Beziehungen freilich war derselbe Prozeß, wie gezeigt wurde, bei weitem nicht glatt oder ruhig verlaufen, sondern war Ergebnis eines überaus schmerzhaften weltanschaulichen Transformationsprozesses gewesen, der um 1952 einsetzte und in seinen letzten Ausläufern bis 1957/58 währte, auch wenn er im Grunde um 1955 zugunsten der moderaten Reformer entschieden war. Das Ende der Ideologien stellte gewissermaßen den neuen inhaltlichen Rahmen für die erneuerten Organisationsstrukturen des CCF und seine auf breiter Front technokratischer gewordenen weltanschaulichen Ziele. Dabei wäre es allerdings nicht korrekt, die Rolle, welche die Entideologisierungstheorie gespielt hat, so zu verstehen, als ob sie im kontradiktorischen Gegensatz zur älteren Totalitarismustheorie gestanden oder diese gar ganz abgelöst habe. Eher diente das Ende der Ideologie dazu, bestehende Lücken in der Totalitarismustheorie abzubauen. Der Antitotalitarismus diente weiterhin als Basiskonzept, trat aber nach innen wie nach außen zugunsten neuerer integrativer Schwerpunkte zurück. 115
116
Vgl. Hans Braun: Helmut Schelskys Konzept der „nivellierten Mittelstandsgesellschaft" und die Bundesrepublik der 50er Jahre, in: Archiv für Sozialgeschichte 29 ( 1989), S. 199f. W. Burisch: Ideologie und Sachzwang, S. 19; vgl. Ralf Dahrendorf: Class and Class Conflict m Industrial Society, London 1963
480
VIII.
Stagnation und Neuanfang
3. Die Reorganisation der Kongreßarbeit in Deutschland Es war also ein organisatorisch wie weltanschaulich sich erneuernder „Kongreß für die Freiheit der Kultur", der seit 1955/56 wieder deutlich intensiver bestrebt war, in der Bundesrepublik über die Stallwachen in Berlin und Hamburg hinaus Fuß zu fassen. Vor allem ein Mann, Manès Sperber, war, seit er 1955 in das Internationale Exekutivkomitee des CCF aufgenommen worden war, bestrebt, den unhaltbaren Zustand zu beenden, ausgerechnet im Gründungsland des CCF über keine nationale Sektion zu verfügen. Für Sperber, der weiterhin in „reorientation"-Kategorien dachte, konnte die Auflösung der deutschen Sektion nichts anderes sein, als ein weiterer typischer Akt einer snobistischen Kulturbürokratie, da anstelle inhaltlicher Erwägungen einfach das Prinzip des „großen Namens", nämlich Carlo Schmids, den Ausschlag gegeben hatte. In seinen Augen bedurfte die Bundesrepublik weiterhin einer Organisation, die sich dem Transfer liberaldemokratischer Werte widmete. Diese Ansicht vertrat er noch verstärkt seit Ende der fünfziger Jahre.117 Zunächst aber stand die Pariser Zentrale vor den alten Problemen. Nabokov und Josselson rückten weiterhin nicht von dem Gedanken ab, die territoriale Zersplitterung des deutschen Geisteslebens stünde einer zentral verfaßten nationalen Sektion im Wege. Also hielt man für geraume Zeit an dem Konzept fest, voneinander unabhängige, lokal gegliederte Kongreßgruppen zu installieren, die jeweils direkt Paris unterstehen sollten. Seit 1955 standen dabei neben Hamburg und Berlin erst einmal Frankfurt und München im Mittelpunkt des Interesses.118 Eine nicht geringe Rolle bei diesen neuerlichen Planungen spielte inhaltlich außerdem die Sorge über einen möglichen neuen Neutralismus im Umfeld der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur UdSSR. Den
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118
Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 18.1.1958, S. 36, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 4, Folder 5; Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 23.1.1959, S. 18, ebda., Box 5, Folder 2; Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 8.10.1965, S 86f., ebda., Box 6, Folder 3, mit einer scharfen Kritik an Schmid; vgl.a. Memorandum I von Manès Sperber an John C Hunt vom 9.5.1961, Bl. 4, NL Sperber, ÖNB/ÖLA, Mappe 515: „After extensive [journey] in Germany last year, I got the impression that the extremists from the left, but much more even those from the right, might get a fair chance to win over the mind of the youth." Vgl Nicolas Nabokov an Bruno Snell vom 21.10.1954, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 3, Folder 6; Michael Josselson an Margot Schrepfer vom 25.4.1955, ebda.. Box 6, Folder 2; zu den Plänen des Internationalen Exekutivkomitees s. Bericht des Generalsekretärs an das Internationale Exekutivkomitee vom 24.1.1955, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 3, Folder 5; s. femer Michael Josselson an Wolf Jobst Siedler vom 17.3.1955, ebda., Box 120, Folder 6. Zeitweise war man in Pans über die sich auftuenden Möglichkeiten derart zufrieden, daß dem ACCF schon im Oktober 1955 gemeldet wurde, ein Neuaufbau der deutschen Sektion stünde unmittelbar bevor: Michael Josselson an Henry Schwarzschild (ACCF) vom 24.10.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 6, Folder 1.
3. Die
Reorganisation der Kongreßarbeit in Deutschland
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Optimismus Carlo Schmids aus dem Dezember 1953 vermochte man in Paris 1955 zumindest nicht mehr zu teilen.119 Dafür gelang es Schmid vorerst, die Pariser Zentrale davon abzuhalten, eine Neuauflage der gescheiterten deutschen Exekutive auch nur in Erwägung zu ziehen, während er zur Kooperation beim Aufbau kleiner Gruppen in Frankfurt und München bereit war.120 Nachdem
Hans Schwab-Felisch beruflich nach Frankfurt gegangen war, sollte ihm dort die Hauptlast beim Aufbau einer Kongreßgruppe zufallen. Der neue Mitarbeiter der Suhrkamp-Verlages galt nach seiner Tätigkeit im Berliner CCF-Kreis und der „Guten Bande" als zuverlässiger Gefolgsmann der Organisation. Einer der wichtigsten Ansprechpartaer Schwab-Felischs war dabei Theodor W. Adorno, den mit der Pariser CCF-Mitarbeiterin Ruby d'Arschot eine alte Freundschaft verband und der auf diesem Wege seine Bereitschaft zur Mitarbeit signalisiert hatte.121 In München fiel Vera Pöschl, die von Schmid empfohlen worden war, eine vergleichbare Aufgabe zu. Sogar Rudolf Pechel, der von Nabokov im Rahmen der Vorbereitungen für die Mailänder Konferenz angeschrieben worden war, erklärte sich bereit, einen neuerlichen Anlauf des CCF in Westdeutschland wagen zu wollen, was ihm die prompte Kritik Günther Birkenfelds
einbrachte.122
Obgleich sich die Pläne der Pariser Kongreßzentrale für zwei weitere Ortsgruppen in Westdeutschland verheißungsvoll anließen, verliefen sie ab November 1955 weitgehend im Sande. Denn weder in Westdeutschland noch in Paris konnten geeignete koordinativ tätige Persönlichkeiten gefunden werden, die sich der Angelegenheit angenommen hätten. Nur nebenbei waren die aufwendigen und umfangreichen Aufbauarbeiten nicht zu bewältigen, sofern man ein Fiasko wie 1953/54 vermeiden wollte. Frau Schrepfer in Hamburg aber konzentrierte sich auf ihr unmittelbares Umfeld und war überregional nicht einsetzbar; Siedler in Berlin war seinerseits mit allerlei anderen Aufgaben vollauf beschäftigt, und auch Hans Schwab-Felisch fehlte es schlicht an Zeit. In Paris war es nicht anders. Weder Josselson noch Nabokov verfugten angesichts der drängenden Probleme des internationalen CCF in diesen Zeiten raschen politischen Wandels über den notwendigen Elan, sich vorrangig dem ruhigen Westdeutschland zu widmen, mochte Manès Sperber auch noch so sehr drängen. Dies änderte sich selbst dann nicht wesentlich, als im September 1956 John C. Hunt zum Beauftragten für die nationalen Komitees ernannt wurde. 119
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Michael Josselson an Carlo Schmid vom 22 4.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 6, Folder 2: „Vielleicht werde ich Dich in absehbarer Zeit mal in Bonn aufsuchen, denn gewisse politische Entwicklungen in Deutschland machen mir Sorge." Michael Josselson an Carlo Schmid vom 22.4.1955, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 288, Folder 5, belegt sogar, daß die Vorschläge von Schmid ausgegangen waren. Der Briefwechsel zwischen Adorno und D Arschot findet sich im IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 2, Folder 1. Rudolf Pechel an Nicolas Nabokov vom 22.8.1955, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98; Rundschreiben von Rudolf Pechel an die Mitglieder der ehemaligen deutschen CCF-Exekutive vom 23 8.1955, ebda.; Günther Birkenfeld an Rudolf Pechel vom 27.8.1955, ebda. '
482
VIII.
Stagnation und Neuanfang
deutlich, daß zu den personellen Problemen auch finanzielle Der Wille, sich in der Bundesrepublik verstärkt zu engagieren, getreten blieb zwar zumindest virtuell vorhanden, zeitweise war Paris aber nicht einmal mehr in der Lage, die deutsche Ausgabe eigener Propagandabroschüren zu Bald wurde
waren.
finanzieren.123 Erkennbar stand Deutschland auf der Prioritätenliste des CCF nicht an der Spitze. Ahnliches muß für die insgesamt eher uneinheitlichen und nur noch begrenzt publizitätsträchtigen Aktivitäten des CCF in Westdeutschland konstatiert werden. In der Hauptsache führte man von Paris aus über die noch bestehenden Büros einfach das weiter, was man schon vor dem Zusammenbruch des deutschen Exekutivkomitees getan hatte, wobei man vorerst ganz dem Geist des Kalten Krieges und des antikommunistischen Primates verpflichtet blieb. Insbsondere blieb der Kampf gegen alle Versuche Johannes R. Bechers, für die Kommunisten nationalkulturelle Kompetenz zu erringen, nachgerade konstitutiv für den CCF in der Bundesrepublik. Selbst als der alte CCF-Verbündete Gerhard Ludwig, dem man gewiß keine prokommunistischen Sympathien unterstellen durfte, im Rahmen der Kölner „Mittwochsgespräche" eine Diskussionsrunde mit Becher vorschlug, wurde ihm aus Paris bedeutet, dies liege nicht im Interesse des Kongresses. Man dürfe Becher im Westen kein Publikum geben.124 Josselson ließ, ohne dem Gedanken an ein Gespräch breiteren Raum einzuräumen, vom Berliner Büro ein Dossier über Bechers kulturpolitische und menschliche Fehlleistungen anfertigen.125 Als es dann Becher im Juli 1955 gelang, zu einer Versammlung in München zu erscheinen, entsandte der CCF gleich drei Personen Ernest Salter, Josef Scholmer und Jürgen Rühle -, denen die Aufgabe zufiel, Becher im Verlauf der Diskussion heftig anzugreifen.126 Das antikommunistische Vorgehen des CCF in Deutschland um 1955/56 fügte sich nahtlos in die gleichfalls noch von unsicherem Verharren geprägte Gesamtpolitik des CCF. Allerorten schwankte man zwischen ängstlicher Ge-
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Michael Josselson an Margot Schrepfer vom 17.9.1956, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 123, Folder 9. Noch 1958 mußte die Redaktion des „Monat" zeitweise den Finanzbedarf des Berliner Büros abdecken, vgl. Notiz des Berliner Büros an Marion Bieber vom 19.11.1957, ebda., Box 120, Folder 8; Notiz des Berliner Büros an Marion Bieber vom 21.4.1958, ebda., Box 120, Folder 9. Der Wunsch zur Gesprächsteilnahme war dabei von Becher ausgegangen: Gerhard Ludwig an Michael Josselson vom 1.4.1955, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 200, Folder 3; Michael Josselson an Carlo Schmid vom 22.4.1955, ebda., Box 288, Folder 5; Carlo Schmid an Michael Josselson vom 3.5.1955, ebda. Die Zurückhaltung des CCF, der bestenfalls bereit gewesen wäre,
Raymond Aron gegen Becher antreten zu lassen, stand in engem Zusammenhang mit angeblich philosowjetischen Tendenzen in der Interparlamentarischen Union und einer neuen Ost-WestDialogkampagne des ostdeutschen Kultusministers, die seit Beginn des Jahres erkennbar geworden war: Carlo Schmid an Michael Josselson vom 29.8.1955, ebda. Vgl. ferner Michael Josselson an Gerhard Ludwig vom 22.4.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 5, Folder 3. Michael Josselson an Melvin J. Lassky vom 25.3.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 5, Folder 3. Melvin J. Folder 5.
Lasky an Michael Josselson vom 18.7.1955, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 241,
3. Die Reorganisation der Kongreßarbeit in Deutschland
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sprächsverweigerung und möglicherweise ernst gemeinten GesprächsangeboWeg mußte für den CCF erst noch gefunden werden, in der wie Bundesrepublik auf internationaler Ebene, wo man wenigstens schon erste Ansätze einer Besserung zu erkennen vermochte. Besonders schlimm war, daß die Presse in jener Zeit vom Kongreß in Deutschland kaum noch Notiz nahm, womit die eigentliche Mission des CCF als publizistisch relevantes Instrument ideell-kulturellen Wertetransfers ernsthaft in Gefahr geriet. Nur auf einem Gebiet der deutschen Kulturarbeit gelang es dem CCF, dank massiver Unterstützung vom „Monat" nahezu uneingeschränkt präsent zu bleiben: Die Kulturarbeit in Westberlin wurde fast nahtlos fortgeführt, die Zielvorgabe von Berlin als „geistigem Zentrum" blieb intakt. Ende Juli 1954 hatte Melvin J. Lasky gegenüber der Pariser Zentrale angeregt, gemeinsam mit der FU Berlin eine Reihe von Vorlesungen prominenter CCF-Redner anzubieten, die dem Gedenken an Ernst Reuter gewidmet sein sollten. Auf diese Weise würde der CCF an seinem Gründungsort erkennbare kulturelle und geistige Impulse geben können.127 Nabokov und Josselson griffen diesen Vorschlag eilends auf und übertrugen Wolf Jobst Siedler die Organisation.128 Dem gelang es, gemeinsam mit Jaesrich, Theodor Heuss als Schirmherren für die „Reuter-Lectures" zu gewinnen und ein anspruchsvolles Programm ten. Ein neuer
zusammenzustellen. Clement Attlee, Walter Hausenstein, Arthur Koestler, der sich nach der Abschaffung der Todesstrafe in Großbritannien wieder verstärkt im CCF engagierte, ohne aber je den früheren Einfluß wiederzuerlangen, PaulHenri Spaak, Raymond Aron, Herbert Morrison, Arnold Toynbee, André Philip, Michael Polanyi und Richard Löwenthal beteiligten sich vorerst an dem Vorlesungsreigen.129 Später kamen noch George F. Kennan, Herbert Tingsten, Walter Hallstein, Hannah Arendt und John Kenneth Galbraith hinzu. Auf diese Weise gelang es dem CCF, nachdem die „Ernst-Reuter-Gedächtnisvorlesungen" im Januar 1955 eröffnet worden waren, noch einmal aus eigener Kraft, das intellektuelle Leben Westberlins an internationale Standards herari2*rfuhren und sich zugleich mit ausgesprochen großem Erfolg der Berliner Presse in Erinnerung zu rufen.130 Dennoch drängte Josselson seit Dezember 1955 darauf, die Veranstaltungsreihe einzustellen, wobei finanzielle Gründe
127
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129 130
Memorandum von Melvin J. Lasky vom 29.7 1954, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 241, Folder 5. Michael Josselson an Hellmuth Jaesrich vom 22.9.1954, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 2, Folder 6; Michael Josselson an Melvin J. Lasky vom 25.11.1954, ebda.; Michael Josselson an Melvin J. Lasky vom 8.12.1954, ebda., Michael Josselson an Wolf Jobst Siedler vom 22.12.1954, ebda., Box 3, Folder 6;Michael Josselson an Wolf Jobst Siedler vom 10.11.1954, ebda. Wolf Jobst Siedler 120, Folder 6.
an
Michael Josselson
vom
2112.1954, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box
Michael Josselson an Wolf Jobst Siedler vom 22.12.1954, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 6; zu den Pressestimmen vgl. ebda., Box 126, Folder 8.
484
VIII.
Stagnation und Neuanfang
den Ausschlag gaben.131 Im Laufe des Jahres 1956 endete dann das Projekt tatsächlich. Lasky und Siedlers Nachfolger Hasenclever waren jedoch bestrebt, den Beitrag des CCF zum Berliner Kulturleben in irgendeiner Art aufrechtzuerhalten, und starteten im Januar 1959 eine locker gefügte Gesprächsreihe, die sich, analog zu einer ähnlichen Veranstaltung bei „Preuves", „Mardis de Monat" nannte. Da aber Lasky zu dieser Zeit bereits den „Monat" in Richtung „Encounter" verlassen hatte, fehlte auch hier bald die treibende Kraft.132 So konnte die Tätigkeit, die der CCF teilweise von Paris aus auf hochkulturellem Gebiet zu entfalten vermochte, kaum darüber hinwegtäuschen, daß es schlicht an der notwendigen organisatorischen Grundlage für eine wirklich effektive Kongreßarbeit in der Bundesrepublik mangelte. Erst mit dem Ungarnaufstand kam neue Bewegung in die Aktivitäten des CCF, diesmal von deutscher Seite ausgehend. Zwar war es Nabokov gewesen, der Rudolf Hagelstange darum gebeten hatte, am 11. und 15. November in Wien und Hamburg Großkundgebungen zur Lage in Ungarn abzuhalten,133 doch Hagelstange brachte daraufhin den Gedanken ins Spiel, aus den Ungarnveranstaltungen zusätzlich Gewinn für eine künftige deutsche Sektion zu ziehen.134 Das Generalsekretariat reagierte ungewöhnlich rasch auf diesen Vorschlag und lud Bruno Snell, Rudolf Hagelstange und Willy Brandt zur ersten Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees im Jahre 1957 nach Paris ein, um eventuell sich anbietende Möglichkeiten zu besprechen. Krankheitshalber konnte Carlo Schmid zu diesem Treffen nicht erscheinen.135 Annähernd zeitgleich fand Siedlers Engagement im Berliner Kongreßbüro sein Ende, wodurch alle weiteren Planungen erst einmal wieder erschwert wurden. Wenigstens mußten die noch vorhandenen organisatorischen Relikte in Westdeutschland funktionsfähig gehalten werden, ehe man daran denken konnte, die recht kleine vorhandene Basis zu erweitem. Siedlers berufsbedingte Kündigung zum 1. Januar 1957136 kam Josselson gar nicht so ungelegen, da er seit einiger Zeit den Verdacht hegte, der Berliner Büroleiter sei mehr mit seinem eigenen Fortkommen als Journalist befaßt als mit dem des CCF.137 Um 131 132 133 134 135
136
137
Michael Josselson an Melvin J. Lasky vom 7.12.1955, IACF/CCF-Archiv, Series I, Box 5, Folder 2. Walter Hasenclever an John C. Hunt vom 19.12.1958, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 9 Nicolas Nabokov an Rudolf Hagelstange vom 3.11.1956, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 7; Nicolas Nabokov an Rudolf Hagelstange vom 8.11.1956, ebda. Rudolf Hagelstange an Nicolas Nabokov vom 19.11.1956, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 8. Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 12.1.1957, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 4, Folder 4; vgl. Nicolas Nabokov an Willy Brandt vom 5.1.1957, ebda., Box 41, Folder 1. Wolf Jobst Siedler an Michael Josselson vom 27.12.1956, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 7. Notiz von Michael Josselson an Marion Bieber vom 2.2.1957, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 7.
3. Die Reorganisation der Kongreßarbeit in Deutschland
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das traditionsreiche Büro am CCF-Gründungsort Berlin schien es schlechter bestellt denn je. Auch bot sich unmittelbar kein Ersatz für Siedler an. Gelegentlich wurde an Jochen Rühle gedacht, gleichfalls ein Journalist, der später im Kölner CCF eine wichtige Rolle spielen sollte. Sogar der Plan, das Büro ganz dem „Monat" einzugliedern, kursierte.138 Erst als Rühle das Angebot nicht annahm, setzte sich Melvin Lasky mit seinem Vorschlag durch: Dem Remigranten Walter Hasenclever, der 1942 und 1951 bis 1953 für den US-amerikanischen Armee- und Luftwaffengeheimdienst gearbeitet hatte und nun seit 1953 als Chefredakteur für die von der Ford-Foundation herausgegebene Zeitschrift „Perspektiven" fungierte. Vom Oktober 1957 bis zum 31.12.1959 betätigte sich Hasenclever in der Nachfolge von Annelene von Caprivi, Günther Birkenfeld und Wolf Jobst Siedler als Leiter des Berliner CCF-Büros.139 Auch in der Pariser Zentrale war es zu Umbesetzungen gekommen. Hunt wurde direkt Josselson zugeteilt, seine Position übernahm dafür Marion Bieber, eine frühere Mitarbeiterin der britischen „Naval Intelligence Division". Aus deutscher Sicht sprach für Marion Bieber insbesondere, daß sie, im Gegensatz zu Hunt nicht nur Deutsch sprach, sondern zudem einige Zeit für die britischen Besatzungsbehörden in Hamburg, Berlin und Bonn tätig gewesen war, also über eine eigene Anschauung des Landes und seiner Probleme verfügte.140 So fiel es ihr deutlich leichter, in Westdeutschland erste Maßnahmen hinsichtlich einer Restituierung der deutschen Sektion einzuleiten, obwohl das Berliner Büro noch für eine Weile nur begrenzt arbeitsfähig blieb, ehe dann Hasenclever eingestellt wurde. In diesem Entschluß wurde Marion Bieber von Hagelstanges und Brandts Anstößen auf der Exekutivsitzung im Januar 1957 erkennbar bestärkt. Aber auch indirekte, partiell an den CCF weitergeleitete Klagen über die als mangelhaft empfundenen intellektuellen Zustände in der Bundesrepublik der Wirtschaftswunderzeit, bestärkten sie und die anderen Pariser CCF-Mitarbeiter in der Überzeugung, daß in Westdeutschland etwas getan werden mußte. So hatten beispielsweise im Oktober 1956 Hellmuth Jaesrich, Max Horkheimer und Karl Jaspers in einer Reihe informeller Gespräche mit Siegfried Kracauer betont, nicht allein nehme das intellektuelle Niveau in Deutschland stetig ab, sondern vor allem sei die Kenntnis über die USA und ihr politisches und gesellschaftliches System im Lande verblüffend gering. Insgesamt winde die
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Vgl. Wolf Jobst Siedler an Michael Josselson vom 27.12.1956, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 7. Hasenclever war überdies der Schwiegersohn von Shepard Stone, vgl. Melvin J. Lasky an Michael Josselson vom 23.5.1957, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 241, Folder 11; der Lebenslauf Walter Hasenclevers findet sich ebda., Box 120, Folder 9. Marion Bieber war eine polnisch-jüdische Emigrantin mit einem ausgeprägt antitotalitärem biographischen Hintergrund, s. Richard Löwenthal an Michael Josselson vom 22.8.1956, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 200, Folder 4; vgl. femer den Lebenslauf von Marion Bieber in: Marion Bieber an Michael Josselson vom 27.8 1956, ebda., Box 43, Folder 12.
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Demokratiefáhigkeit der Westdeutschen wieder entschieden geringer eingeschätzt als wenige Jahre zuvor.141 Vor allem Horkheimer hatte erklärt, die Westorientierung der Bundesrepublik sei nur recht schwach ausgeprägt und es sei langfristig ein Zusammengehen mit der UdSSR zu erwarten. Einer von Kracauers Gesprächspartnern, Hellmuth Jaesrich, wandte sich dann im Februar 1957 direkt an den CCF,142 nachdem er zuvor deslängeren die Lage in der Bundesrepublik mit Melvin J. Lasky besprochen hatte. Ihrer gemeinsamen Auffassung nach war es dringend notwendig, die Kongreßarbeit in der Bundesrepublik zu restituieren, nachdem Kurt Desch und andere im Verlauf der ungarischen Ereignisse in bedenklicher Weise die Suez-Krise ins Spiel gebracht hätten, was zu einer gewissen Verwirrung der Geister beigetragen habe. Das Scheitern der deutschen Exekutive wurde von beiden einhellig Schmid zur Last gelegt, weshalb ein neuer Anlauf, bei dem Willy Brandt eine führende Rolle zukommen sollte, durchaus erfolgversprechend sein würde. Ganz in der Tradition des frühen CCF betonten Lasky und Jaesrich also eine wenn auch verjüngte, so doch zentralistische Variante einer CCF-Organisationsstruktur in der Bundesrepublik. Mehr als bei den Gesprächen Kracauers standen bei ihnen institutionelle und antineutralistische Überlegungen im Vordergrund, auch
beide die Furcht vor einer anbrechenden intellektuellen Verarmung in Westdeutschland teilten. Mit ihrem Ansatz grenzten sie sich zudem kongreßintern von dem Kurs Nabokovs und Schmids ab. Seit dem Frühjahr 1957 waren die personellen, weltanschaulichen und organisatorischen Prämissen für die Wiederbelebung des CCF in Westdeutschland besser und der politisch-intellektuelle „Leidensdruck" größer als je zuvor. Es war vor allem Marion Bieber, der die Aufgabe zufiel, die unterschiedlichen Anregungen und Pläne miteinander zu kombinieren und in die Tat umzusetzen. Anfangs stützte sie sich dabei vorwiegend auf die Vorschläge Jaesrichs und Laskys, das heißt sie strebte einen zentralen und deutlich verjüngten deutschen CCF an.143 Um dieses selbstgesteckte Ziel zu erreichen, wandte sie sich allerdings erst einmal an die Relikte der alten CCF-Sektion. Nach und nach kontaktierte sie Willy Brandt,144 Carl Linfert145 und zusätzlich Heinrich Landahl von der Hamburger Gruppe.146 Sogar der rekonvaleszente Carlo Schmid wurde, wenn
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Gesprächsnotiz
von
Siegfried
Kracauer und Nelson Rockefeller
vom
16.10.1956, DLA, A:
Kracauer, 72.3636. 142 143 144
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Hellmuth Jaesrich an Michael Josselson vom 3.2.1957, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 241, Folder 11. Marion Bieber an Hellmuth Jaesrich vom 8.2.1957, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 241, Folder 11 ; Marion Bieber an Michael Josselson vom 4.3.1957, ebda., Box 43, Folder 12. Marion Bieber an Willy Brandt vom 17.4.1957 und Willy Brandt an Marion Bieber vom 30.4.1957, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 41, Folder 5; Carl Liniert an Manon Bieber vom 29.3.1957, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 200, Folder 5 Heinrich Landahl an Marion Bieber vom 19 3 1957, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 200, Folder 5
3 Die Reorganisation der Kongreßarbeit in Deutschland
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wenigstens ganz am Rande, in die Aktivitäten Biebers einbezogen.147 Sogar dies konnte Rudolf Hagelstange nicht davon abhalten, sich neuerlich in den Dienst der Sache zu stellen.148 Fast schien es, als seien die alten Rivalitäten überwun-
den; ein Mißverständnis, wie sich wenige Zeit später zeigen sollte. Das Haupt-
augenmerk der neuen Beauftragten für die nationalen Sektionen des CCF galt einmal der Suche nach einer geeigneten Führungspersönlichkeit, um welche sich ein neuer deutscher CCF gruppieren könnte. Außer Willy Brandt zählten damals auch Ralf Dahrendorf, Joseph C. Witsch und Inge AicherScholl zu den potentiellen Kandidaten für diese Aufgabe, während erst
überraschenderweise Bruno Snell keine besondere Funktion zugewiesen wurde. Wenigstens wurde er über anfallende Fortschritte umgehend informiert. Marion Biebers frischer Elan wurde von ihrem Berliner Mitarbeiter Walter Hasenclever voll und ganz geteilt. Seit August 1957 hielten die beiden engen Kontakt. Hasenclever scheint vor allem Biebers Forderung nach einer verjüngten deutschen Organisation geteilt zu haben, denn im Dezember 1957 führte er seinerseits eine Reihe von Gesprächen mit Hans Dieter Bade von der Berliner „Jungen Gruppe", die für ihn offenbar den Kern einer neuen deutschen Exekutive darstellte.149 Damit kam er einem Vorschlag Nabokovs entgegen, der angeregt hatte, eine nationale Veranstaltung in Berlin dazu zu nutzen, den personellen Kern einer künftigen deutschen Sektion aufzubauen.150 Anläßlich des Treffens der Internationalen Exekutive vom 18. und 19. Januar 1958151 konnte der Generalsekretär dann zufrieden feststellen, daß eine baldige Reorganisation des CCF in Deutschland zu erwarten sei. Besonderes Lob zollte er Walter Hasenclever. Kaum hatte Nabokov seinen Redebeitrag beendet, brachte es Carlo Schmid fertig, seine Meinung zur deutschen Sektion wieder einmal zu ändern. War er seit 1955, solange kaum Aussicht auf Erfolg bestand, positiv eingestellt gewesen, verkündete er nun, die Deutschen seien inzwischen derart pragmatisch und unideologisch geworden, daß es einer eigenen CCF-Organisation im Lande nicht bedürfe. Die Vermutung liegt nahe, daß Schmid befürchtete, Paris könne erneut ein nationales Komitee, möglicherweise sogar ohne seine Beteiligung, installieren, was er tunlichst zu vermeiden
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Marion Bieber an Mathilde Alt (Sekretärin Schmids) vom 8 2.1957, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 286, Folder 6. Marion Bieber an Rudolf Hagelstange vom 27.11.1957, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 120, Folder 8. Marion Bieber an Bruno Snell vom 26.11.1957, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 124, Folder 1 ; Walter Hasenclever an Marion Bieber vom 2.8.1957 und Marion Bieber an Walter Hasenclever vom 2.10.1957, ebda., Box 120, Folder 8; Hans Dieter Bade und Gerhard Jäger an Marion Bieber vom 20.12.1957, ebda Box 41, Folder 5. Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 8.6.1957, S 1, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 4, Folder 4. Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 18/19.1.1958, S. 1-6, IACF/CCF-Archiv, Series U, Box 4, Folder 5. Fritz-René Allemann, Walter Hasenclever, Bruno Snell und Carlo Schmid waren für die Bundesrepublik anwesend. ,
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wünschte.152 In der Tat tief er Gefahr, aus dem CCF herausgedrängt zu werden,
da in jedem möglichen deutschen Komitee seine alten Gegner nach Lage der Dinge wieder eine klare Mehrheit gehabt hätten. Bruno Snell wiedersprach Schmid und verwies auf die sinnvolle Arbeit, die das Berliner und Hamburger Büro, der „Grünwalder Kreis" sowie der „Hofgeismarkreis" und CSF in Westdeutschland leisteten. Sie bildeten überdies sinnvolle Anknüpfungspunkte für einen Neuanfang des CCF. Während sich Snell moderat äußerte und den Primat der antifaschistischen Arbeit des CCF betonte, reagierte Manès Sperber, mehr antitotalitär ausgerichtet, ausgesprochen hitzig und verlangte beinahe ultimativ, den CCF in der Bundesrepublik als zentrale Organisation wiederherzustellen. Schmid widersprach und Snell
zögerte, woraufhin Sperber die Frage am folgenden Tag wiederum zur Sprache brachte, diesmal von Snell unterstützt. Auch wenn es Schmid nicht gelungen
war, sich im Internationalen Exekutivkomitee
durchzusetzen, konnte er am Ende zumindest einen Teilerfolg verbuchen: Es sollte Manès Sperber verwehrt bleiben, in Deutschland jemals eine zentrale CCF-Organisation mit breiter gesellschaftlicher Basis nach dem Muster der „Amis de la Liberté" zu sehen. Nach dem Ende der Sitzung war es an Hasenclever, neue Aktivitäten zu entfalten. Dabei nahm er besonders Snells Hinweise auf die „Grünwalder" und „Hofgeismarer" überaus ernst und fing sofort nach dem Pariser Treffen damit an, Möglichkeiten der Kontaktaufhahme zu eruieren. Wie Schmid scheint er dabei eine dezentrale Organisationsform für den deutschen CCF bevorzugt zu haben, da er im Hamburger Büro das Modell für weitere Gründungen sah.153 Über Hasenclevers Tätigkeit hinaus wurde auch eine Reihe der für den CCF interessanten deutschen Persönlichkeiten auf Anweisung Josselsons vom Berliner Büro aus mit der Mitgliederzeitschrift „Kongreß-Bulletin" versorgt,
152
153
In der Tat gab es im Internationalen Generalsekretariat derartige Absichten. In einem weder datierten noch signierten Dokument, das aus dem Jahr 1958/59 zu stammen scheint, ist die Rede von einem zu gründenden Deutschen Ausschuß, dessen Ehrenpräsidium Theodor Heuss, Carlo Schmid, Theodor Litt, Max Brauer, Rudolf Pechel und Franz Böhm bilden sollten, während die eigentliche Arbeit einem „Gesamtdeutschen Ausschuß" zu übertragen war, der u.a. aus Heinrich Böll, Georg Meistermann, Bruno Snell, Helmut Plessner, Theodor W. Adorno, Rudolf Hagelstange, Carl Liniert und Willy Brandt bestehen sollte. Vgl. Notiz von N.N. an N.N., o.D. (1958/59), IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 2, Folder 7. Vgl. Rudolf Hagelstange an Nicolas Nabokov vom 12.1.1958 und Walter Hasenclever an Manon Bieber vom 13.1.1958, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 9; s. aber auch: Walter Hasenclever an Marion Bieber vom 7.1.1958, ebda. : „The sad aspect arises from the fact that Hamburg has become a microcosm a very little one, to be sure, but isolated and selfsufticient.[...] There is for instance the Hofgeismarer Kreis; a group of educators who are now quite instrumental in working out the overdue Hochschulreform in Germany,...." Diese kritische Haltung gegenüber der Hamburger Gruppe blieb allerdings die Ausnahme. Schon im März 1958 äußerte Hasenclever sich hinsichtlich der Möglichkeiten in Hamburg deutlich positiver: Walter Hasenclever an Marion Bieber und John C Hunt vom 10.3.1958;zur Gesamttätigkeit Hasenclevers zu diesem Zeitpunkt s. Walter Hasenclever an Bruno Snell vom 27.1.1958, NL Snell, BStabib, Ana 490. -
3. Die
Reorganisation der Kongreßarbeit in Deutschland
489
das Spektrum möglicher neuer Mitglieder schon vorab zu erweitern.154 Obwohl Hasenclever dadurch behindert wurde, manche Auslagen aus eigener Tasche begleichen zu müssen,155 gelang es ihm, einen gewissen Interessentenkreis für den CCF in Westdeutschland zu gewinnen156 und zudem zu verhindern, daß sich der CCF ganz aus Berlin zurückzog. Letzteres war ansatzweise im Gespräch gewesen, um sich besser auf die Lage in Westdeutschland konzentrieren zu können. Angesichts der Berlinkrise von 1958 konnte Hasenclever die Pariser Zentrale jedoch davon überzeugen, daß es politisch nicht opportun sei, ausgerechnet jetzt die Stadt aufzugeben.157 So sehr sich Hasenclever aber bemühen mochte, alle Maßnahmen winden blockiert, als im Frühjahr 1958 Marion Bieber in das Seminarprogramm des CCF versetzt winde, wonach Bieber und Hunt gemeinsam für die Bundesrepublik zuständig waren, was naturgemäß zu unklarer Kompetenzverteilung führte. Wieder einmal zeigte sich, daß allein Manès Sperber Deutschland an der Spitze der Prioritätenliste des CCF sah, während seine Mitstreiter, trotz aller gelegentlich artikulierten Sorgen um die politische und intellektuelle Zukunft Westdeutschlands, andere Schwerpunkte setzten. Mit der Auflösung des bislang recht erfolgversprechenden Tandems Bieber/Hasenclever stagnierten die Rekonstituierungsmaßnahmen bis spätestens November 1958. Freilich resultierte aus dieser Stagnation kein kompletter Stillstand des CCF-Einflusses und der Kongreßtätigkeit in Deutschland. Insbesondere auf der politisch-personellen Ebene konnte man Erfolge verbuchen, die den zeitweiligen Rückschritt im organisatorischen Bereich gewissermaßen einrahmten. Nicht ohne Zufriedenheit hatte man bereits 1957 in CCF-Kreisen zur Kenntnis nehmen können, daß mit Willy Brandt inzwischen nach Reuter und Suhr der dritte Sozialdemokrat aus dem CCF zum Regierenden Bürgermeister Berlins gewählt worden war. Damit wurde auch die vom Kongreß begünstigte reformorientierte Fraktion innerhalb der SPD entscheidend verstärkt.158 Brandts um
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Das „Bulletin" war die deutsche Übersetzung der in Paris herausgegebenen „Congress News", die seit Ende der fünfziger Jahre als internationales Mitgliederbulletin dienten, vgl. Michael Josselson an Walter Hasenclever vom 24.1.1958, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 9. Zu den von Josselson vorgeschlagenen Beziehern gehörten Karl Jaspers, Stefan Andres, Boris Blacher, Franz Böhm, Willy Brandt, Theodor Litt, Helmuth Plessner, Carlo Schmid, FranzJoseph Schöningh und Bruno Snell; d.h. es ist auffällig, wie wenig variantenreich man in Paris dachte, da fast alle Namen bereits in der Zeit von 1950-1954 im deutschen CCF aufgetaucht waren.
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Notiz des Berliner Büros an Marion Bieber vom 14.4.1958, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 120, Folder 9. Zu den von Hasenclever für den CCF interessierten Personen gehörte auch Manon Gräfin Dönhoff, die später dem Hamburger CCF nahestand und in den siebziger Jahren dem „Board of Directors" des IACF angehörte. Vgl. Walter Hasenclever an John C. Hunt vom 21.4 1958, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 9. S.a. Shepard Stone an Michael Josselson vom 24.3.1958, ebda. Walter Hasenclever an John C. Hunt vom 19.12.1958, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 9
490
VIII.
Stagnation und Neuanfang
politischer Aufstieg sollte für den internationalen CCF in den sechziger Jahren noch Konsequenzen mit sich bringen, da nämlich Nicolas Nabokov seiner Bitte folgte und zum kulturpolitischen Verantwortlichen des Senats für die Berliner Festwochen avancierte. Zur Wiederbegründung des deutschen CCF trug die Wahl allerdings nicht bei. Ahnliches galt für ein anderes prestigeträchtiges Personalprojekt, das der CCF wenig später in die Wege leitete und das gleichfalls mehr dem Renommée des internationalen CCF diente als praktischer Arbeit vor Ort. Im September 1959 wurde der frühere Bundespräsident Theodor Heuss zum Ehrenpräsidenten
des internationalen CCF ernannt.159 Dies war vornehmlich Bruno Snell zu verdanken, der seit April 1959 immer wieder im Bundespräsidialamt vorgefühlt hatte, ob Heuss denn bereit sei, die ihm angetragene Ehre anzunehmen.160 Mit der Ernennung von Heuss zeigte der CCF erstmals im Bereich der FDP verstärkt Präsenz; ein Zeichen dafür, daß man einerseits in der FDP, nachdem die dort angesiedelten rechtsextremistischen Kreise an Einfluß verloren hatten, einen ernstzunehmenden liberalen Bündnispartner erkannte, und andererseits mit der Verabschiedung des Godesberger Programms die bisherige Nähe zur SPD offensichtlich als beengend empfand, inwieweit man damit vom bisherigen Konzept einer entideologisierten Großen Koalition als wünschenswerter Regierung für die Bundesrepublik bereits zugunsten eher sozialliberaler Optionen abzurücken begann, muß Gegenstand der Spekulation bleiben. Wenigstens würden derartige Gedanken in den neuen Rahmen eines zunehmend selbstbewußt werdenden reformorientierten Konsensliberalismus eher passen als ein nach Ende der krassen sowjetischen Bedrohung obsolet gewordenes breit
angelegtes Bündniskonzept. Völlig unabhängig von solchen Überlegungen blieb freilich ein Manko bestehen: Dem CCF fehlte ohne eine organisatorische Grundlage das notwendige Standbein in der Bundesrepublik. Da mochte man noch so bedeutende personelle Erfolge erringen oder im intellektuellen Milieu Westberlins kulturell anregend wirken, da mochte die Präsenz von CSF oder „Hofgeismarer Kreis" noch so beeindruckend wirken, organisatorisch blieben die Aktionen des CCF in der Bundesrepublik disparat. Außerhalb Berlins oder Hamburgs existierte
allen Anstrengungen zum Trotz 1958 immer noch kein CCF. Auch die Pariser Zentrale verschloß sich dieser Einsicht nicht und bemühte sich ungeachtet der
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Rudolf Pechel an Else Gräfin York von Wartenburg vom 26.11.1957, BA Koblenz, NL 160 (Pechel in), Bd. 22: „Ich glaube auch, daß die Wahl von Willy Brandt zum Regierenden Bürgermeister eine gute Wahl ist. Er ist ein junger, undogmatischer Mensch und kann einmal zum echten Nachfolger meines Freundes Ernst Reuter werden." Vgl. die Akte Ehrenpräsidentschaft Heuss, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 8, Folder 5. Bruno Snell an Michael Josselson vom 24.4.1959, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 124, Folder 3; Ministerialdirektor Hans Bott (Bundespräsidialamt) an Nicolas Nabokov vom 4 7.1959, ebda., Box 41, Folder 8 Mit diesem Schreiben wurde Heuss' Mitgliedschaft im Ehrenpräsidium des CCF offiziell bestätigt.
3. Die
Reorganisation der Kongreßarbeit in Deutschland
491
internen Versetzung Marion Biebers weiter um einen wirklichen Neuanfang in Deutschland. 1959 konnte man endlich erste Erfolge vorweisen. Dabei spielte, wie auf der internationalen Ebene, der antikommunistisch-antineutralistische Aspekt des CCF bei weitem nicht mehr die Rolle wie noch 1955/56. Auch in der Bundesrepublik sollte der Übergang vom Primat des Antikommunismus zum Primat liberaldemokratischen Wertetransfers geleistet werden.161 Der Neuanfang der CCF-Arbeit in Deutschland entsprang weit eher der Sorge, der mit dem „Wirtschaftswunder" einhergehende Materialismus könne die intellektuelle Potenz der westdeutschen Denker schwächen und damit die deutsche Bevölkerung für rechtsextremistische Versuchungen anfällig machen.162 Im Grunde genommen wurden damit die inhaltlichen Anliegen Sperbers aufgenommen, ohne seine organisatorischen Wünsche zu berücksichtigen. Die Pariser Zentrale hielt nämlich endgültig daran fest, angesichts eines fehlenden intellektuellen Zentrums in Deutschland keine zentrale nationale Sektion aufbauen zu wollen. Die Arbeit des Kongresses sollte sich im regionalen oder lokalen Rahmen abspielen, ganz so, wie Nabokov und Schmid es wünschten. Seit Jahresende 1958 waren Hasenclever und das Team Hunt/Bieber damit beschäftigt, gegebenenfalls aus den Teilnehmern eines geplanten Seminars über den Toleranzbegriff den Kern künftiger Gruppen in der Bundesrepublik herauszuschälen.163 Da das Seminar aber ebensowenig Anklang bei Josselson fand, wie der Plan des „Monaf'-Mitarbeiters Erik Nohara, den deutschen CCF gemeinsam mit der internationalen Liga für Menschenrechte zu gestalten, mußten andere Wege gegangen werden.164 Ab Februar 1959 änderte Paris dann seine Taktik. Statt darauf zu warten, ob sich auf deutscher Seite jemand bereit fände, auf Angebote des CCF einzugehen, beschloß man, zentral gesteuert neue Kongreßsekretäre einzustellen, die vor Ort neue Gruppen aufbauen sollten, wobei natürlich im Vorfeld die entsprechende Bereitschaft zur Kooperation mit dem CCF sondiert wurde. Vorerst stellte Köln das erste Versuchsfeld für dieses 161
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Das bedeutet natürlich nicht, daß man auf antikommunistisch-antineutralistische Anliegen verzichtet hätte, man sublimierte sie einfach. Von Zeit zu Zeit traten sie auch ganz offen zutage. Als beispielsweise Robert Jungk 1961 in der „Zeit" eine regelmäßige Kolumne erhielt, fragte Josselson bei Bondy einigermaßen erbost an, wo denn sein Einfluß auf die Gräfin Dönhoff geblieben sei, derartiges müsse unbedingt verhindert werden. Vgl. Memorandum von Michael Josselson an François Bondy vom 5.5.1961, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 42, Folder 1. Vgl. Memorandum von N.N., o.D. ( 1959?), IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 2, Folder 7, wo die Tätigkeit des radikalen Antikommunisten Willi Schlamm als Signal für beide Prozesse verstanden wird; vgl.a. Michael Josselson:,.Draft for the Application for Grant to Cover Program for International Activities", S. 6f., NL Josselson, Box 10. Die angebliche intellektuelle Mittelmäßigkeit der Deutschen seit Beginn des „Wirtschaftswunders" gehörte zu den Standardtopoi im Deutschlandbild des CCF, s Memorandum von Piene Emmanuel an das Internationale Exekutivkomitee vom September 1964, S. 5, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 5, Folder 5. Memorandum von Walter Hasenclever, o.D (Dez. 1958), IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 121, Folder 1 ; vgl. Michael Josselson an Marion Bieber vom 8.12.1958, ebda., der sich gegen Hasenclevers Konzept ausprach. Erik Nohara an Marion Bieber vom 20.10.1958 und Marion Bieber an Erik Nohara vom 23.12.1958, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 242, Folder 4
492
VIII
Stagnation und Neuanfang
gewandelte Konzept dar, aber auch Göttingen war bereits im Gespräch.165 Zum 1. Juni 1959 wurde dann Elisabeth Zwart-Spanjer als Sekretärin für das Kölner Kongreßbüro eingestellt.166 Im April 1959 konnte Walter Hasenclever an Rudolf Pechel melden, daß der Kongreß in Deutschland wiedererstehe.167 Einen Monat später ging die Verantwortung für Deutschland im Internationalen Sekretariat endgültig an den Dänen Jörgen Schleimann über, der sich zur Abwechslung einmal bruchlos den Vorarbeiten von Bieber und Hunt einfügte.
Der CCF, so Schleimann in einem Rundschreiben an die verbliebenen Mitglieder der früheren deutschen Exekutive, müsse sich in der Bundesrepublik künftig vorwiegend kulturpolitischen Aufgaben stellen und weniger im Umfeld der SPD orientieren. Damit nahm er die inhaltlichen und organisatorischen Vorgaben unmittelbar auf, denen sich auch seine Vorgänger verpflichtet gewußt hatten.168 Selbstredend war damit kein unpolitischer CCF gemeint. Schleimann wies ausdrücklich daraufhin, daß der CCF sich der Diskussion mit den Mitgliedern der Antiatombewegung stellen müsse. Unterdessen kristallisierte sich in Köln allmählich ein personeller Kern heraus, auf den man von Paris aus wirklich bauen konnte: Rudolf Hagelstange hatte seine Bereitschaft zur Mitarbeit ebenso signalisiert wie Rudolf Pechel und Stefan Andres.169 Wesentlich wichtiger war aber Joseph C. Witschs unbedingter Wille, in Köln eine CCF-Gruppe heimisch zu machen. In seinem Umfeld fanden sich überdies mit Rolf Becker, Klaus Harpprecht, Fritz Schalk, Kyra Stromberg, Gerd Ruge, Berend von Nottbeck und Jürgen Rühle weitere aussichtsreiche Kandidaten für eine CCF-Mitgliedschaft. Auch für München war früh eine eigene Gruppe geplant, während Göttingen bald nicht mehr erwähnt wurde. Die Gründung des Münchener CCF erwies sich allerdings von vorneherein als problematisch.170 Angesichts der großen Dichte kultureller Organisationen in der Stadt erschien es unwahrscheinlich, aus dem Stand heraus eine eigene Gruppe aufzubauen, zumal der CCF in
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Walter Hasenclever an Jörgen Schleimann vom 6.2.1959, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 121, Folder 1. Schleimann war zu diesem Zeitpunkt im Pariser Generalsekretariat für den deutschen CCF zuständig. Jörgen Schleimann an Walter Hasenclever vom 22.5.1959, IACF/CCF-Archiv, Series II, Boxl21, Folder 1; Elisabeth Zwart-Spanjer an Jörgen Schleimann vom 15.5.1959, ebda, Box 122, Folder 9. Elisabeth Zwart-Spanjer war Niederländerin und eine Freundin von Renée Sintenis. Ihr Mann Joop war während des Zweiten Weltkrieges als Trotzkist im KZ Sachsenhausen inhaftiert gewesen; sie arbeitete seit Beginn der fünfziger Jahre im antistalinistischen Bereich: Elisabeth Zwart-Spanjer an John Scott (Time-Magazine) vom 24.9.1956, ebda., Box 283, Folder 2. Walter Hasenclever an Rudolf Pechel vom 8.4.1959, BA Koblenz, NL 160 (Pechel III), Bd. 98. Jörgen Schleimann an Margarethe Buber-Neumann u.a. vom 25.5.1959, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 41, Folder 8. Walter Hasenclever an Jörgen Schleimann vom 30 4.1959, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 121, Folder 1 Walter Hasenclever an Jörgen Schleimann vom 30.4.1959, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 121, Folder 1
3. Die
Reorganisation der Kongreßarbeit in Deutschland
493
München längst nicht so eingesessen war wie beispielsweise in Berlin. Aus diesem Grunde wollte man sich an bestehende, linksorientierte Intellektuellenzirkel wie den „Grünwalder Kreis" oder Hans Werner Richters „Gruppe 47" anlehnen, um allzuviel Konkurrenz zu vermeiden. Doch damit ergab sich sogleich das nächste Problem: Seit geraumer Zeit hielt der letzte Vorkämpfer des radikalen Antikommunismus in den Reihen des CCF, Friedrich Torberg, in seinem Magazin „Forum" eine Kampagne gegen Hans Werner Richter am Laufen, die unter den gegebenen Umständen kontraproduktiv wirken mußte. Obwohl die Pariser Führung sowohl den „Grünwalder Kreis" als auch Richter zuvor im Verdacht gehabt hatten, neutralistischer Provenienz zu sein, wollte man nun nichts mehr davon wissen. Als dann im Februar 1959 François Bondy Richter öffentlich bescheinigte, über „Noblesse und menschliche Bereitschaft"171 zu verfügen, wurde es Torberg denn doch zuviel, und er griff die Kongreßzentrale heftig an. In Paris, so meinte der Österreicher, erkenne man offensichtlich nicht mehr, daß Richter gemeinsam mit Robert Jungk, Hans Habe und dem Desch-Verlag innerhalb des westdeutschen Nationalneutralismus den Ton angebe. Gereizt erwiderte Josselson, Torberg scheine nicht ganz zu begreifen, worum es dem CCF überhaupt gehe.172 Auch Bondy meldete sich zu Wort und wies Torberg darauf hin, daß das „Forum" die offizielle deutschsprachige Zeitschrift des CCF sei und deswegen zwar nicht einer strikten Generallinie folgen müsse, sich aber dennoch einer „gemeinsamen Haltung" unterzuordnen habe. Diese aber sähe derzeit das offenere Gespräch mit Neutralisten und Atomgegnern vor. Torberg hingegen halte an einer rein negativ-antikommunistischen Form grob polemischer Satire fest.173 Obwohl Bondy verhaltener argumentierte als Josselson, der Torberg noch nie sonderlich geschätzt hatte, war vollkommen klar, daß die Pariser Zentrale die Angrifffe des „Forum" auf Richter heftigst mißbilligte und mit diesen den gesamten radikal antikommunistischen Kurs Torbergs. In Torbergs Augen waren die Ausführungen von Josselson und Bondy bestenfalls spitzfindig. Er fühlte sich unter Druck gesetzt und warf dem Generalsekretariat, dessen Angestellter er ja war, vor, in seiner Sache zugleich Richter und Henker zu sein. Bondy und vor allem Josselson führten den Kongreß diktatorisch, sie vermieden jegliche inhaltliche Diskussion und gäben
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Zit.n. Fnedrich Torberg an François Bondy vom 16 2.1959, NL Torberg, WSLBib, Schachtel 18/7. Michael Josselson an Friedrich Torberg vom 16.2.1959, NL Torberg, WSLBib, Schachtel 18/7: On the other hand I am afraid that you are just unable to grasp that the Congress has certain objectives and that these objectives cannot be reached by methods which are so dear to you. [...] But what François did [...] was tactically the most intelligent thing to do. If we were just to throw everybody in the same ,Topf, the Congress would lose its raison d'être." Francois Bondy an Friednch Torberg vom 20.2.1959, NL Torberg, WSLBib, Schachtel 18/7. „
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494
VIII.
Stagnation und Neuanfang
interner Opposition keinen Raum.174 Josselson wiederum tat alles, um Torbergs Vorurteile zu bestätigen. Am 24. März 1959 schrieb er an Torberg, die Pariser CCF-Leirung halte es nicht für notwendig, sich weiter mit seinen Einlassungen abzugeben: „Indeed, we believe that we have more important work to do than to refute your statements and insinuations, most of which are not only silly but without foundation whatsoever."175 Die Kontroverse zwischen Josselson und Bondy sowie Torberg belegt zweierlei: Zum einen hatte sich der CCF 1959 recht weit von seinen antikommunistischen Anfangen, für die Torberg fast paradigmatisch mit seiner Person einstand, entfernt, was dem Wiener Schriftsteller bis dahin wohl verborgen geblieben war. Zum anderen zeigt es sich, daß Josselson, entgegen späterer Beteuerungen im Umfeld der CIA-Affäre, sehr wohl willens und in der Lage war, mit autoritären Mitteln die politische Linie des CCF zu lenken, wenn es erforderlich schien. Und diese politische Linie strebte 1959, zumindest teilweise auch aus taktischen Motiven heraus, einen Ausgleich mit der gemäßigten, nicht unmittelbar proamerikanischen Linken an. Niemand im Kongreß verlor dabei das Hauptziel, die Schaffung einer Münchener CCF-Gruppe, aus den Augen. Nachdem Torberg zum Schweigen gebracht worden war, traf sich im April 1959 Walter Hasenclever mit Hans Werner Richter, der ein deutliches Interesse an den Zielen des CCF bekundete. Richter bekannte sich zum Antikommunismus und kritisierte sogar den frühen Entspannungskurs der SPD. Von soviel Nähe überaus angetan, entschuldigte Hasenclever sich in aller Form bei Richter für die verletzenden Anwürfe im „Forum".176 Der CCF schien damit in München ein gutes Stück weitergekommen und außerdem auf dem Weg, jüngere westdeutsche Linksintellektuelle anzusprechen, die bislang vom CCF nicht erfaßt worden waren. Insgesamt stellte sich 1959 die Lage für den CCF in der Bundesrepublik wieder hoffnungsvoll dar. Obwohl im Juli 1959 das Berliner Kongreßbüro mit der Redaktion des „Monat" vereinigt werden mußte, um Gelder für weitere Aktivitäten in Deutschland freizubekommen,177 und obwohl Hasenclever zum 1. Januar 1960 seine Tätigkeit in Berlin aufgab, überwogen die Anzeichen für eine positive Wendung der Kongreßangelegenheiten. In Hamburg existierte 174
Friedrich Torberg an François Bondy vom 5.3.1959, NL Torberg, WSLBib, Schachtel 18/7. In diesem Brief zitiert Torberg eine Äußerung Josselsons, die auf ein Diskussionsangebot seinerseits erfolgt sem soll: „That's not necessary I am running the Congress and you do as I tell you." Zwar gibt dieses Zitat Josselsons zentrale Position innerhalb des CCF korrekt wieder, dennoch widerspricht es seinem sonstigen Vorgehen im CCF. Wenn es wahr ist, dürfte es Ausfluß von Josselsons ausgeprägter Antipathie gegenüber Torberg gewesen sein, nicht aber Ausdruck eines fast absolutistischen Herrschaftswillens Josselsons. Michael Josselson an Friedrich Torberg vom 24.3.1959, NL Torberg, WSLBib, Schachtel 18/7. Walter Hasenclever an Jörgen Schleimann vom 30.4.1959, NL Torberg, WSLBib, Schachtel 18/7. John C. Hunt an Walter Hasenclever vom 10.7.1059 und Walter Hasenclever an John C. Hunt vom 12.11.1959, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 121, Folder 1. -
175 176
177
3. Die Reorganisation der Kongreßarbeit in Deutschland
495
eine lebensfähige Gruppe, in Köln war soeben ein CCF-Zirkel entstanden, auch in München befand man sich im Aufbaustadium. In Berlin arbeitete immerhin der „Monat". Die neuentstehende zweite deutsche Sektion im CCF würde dezentral sein, rein lokal gegliedert und der Schwerpunkt ihrer Arbeit würde darin liegen, rechtsextremistische und neonazistische Umtriebe zu bekämpfen.178 Trotz der Anti-Atomtod-Bewegung der späten fünfziger Jahre würde der antikommunistisch-antineutralistische Kampf ebenso zweitrangig sein179 wie der Versuch, weiterhin die SPD mit liberaldemokratischen Werten zu infiltrieren. Die Bundesrepublik war inzwischen zum zuverlässigen Partner im westlichen Bündnis geworden, eine eigentlich kommunistische Gefahr hatte in Westdeutschland nie existiert und spätestens, seitdem Willy Brandt Kanzlerkandidat der SPD geworden war, mußte jedermann klar sein, daß die deutsche Sozialdemokratie zur pragmatischen, tendenziell proamerikanischen und konsensliberalem Gedankengut aufgeschlossenen Volkspartei modernen Typs geworden war. In all diesen Bereichen war die Mission des CCF erfüllt.
178
Vgl.
Protokoll der
Dies
hing sicher auch damit zusammen, daß ein Teil der potentiellen CCF-Mitglieder in der
Sitzung
des Internationalen Exekutivkomitees
IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 5, Folder 4.
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vom
10.3.1962, S. 2,
Anti-Atomtod-Bewegung engagiert war, die zudem keinesfalls in der Form als kommunistisch gesteuert angesehen werden konnte, wie die „Weltfriedenspartisanen" der frühen fünfziger Jahre.
Seit Mitte der fünfziger Jahre fehlten also jene Faktoren, die zuvor ein Eingreifen des CCF notwendig gemacht hatten, zumal 1956 mit dem KOMINFORM auch noch das letzte Relikt des klassischen Fellow-Travellertums im Stile Münzenbergs stillscheigend aufgelöst wurde. Außerdem waren die entscheidenden Schlachten um die politisch-militärische Westbindung der Bundesrepublik geschlagen, was seit Godesberg auch die SPD akzeptierte.
IX. DIE ARBEIT DER DEUTSCHEN
REGIONALBÜROS 1. Das
Hamburger Büro
Wenigstens im Zeitraum zwischen 1959 und 1964 fand die Bundesrepublik in den Augen des Internationalen Generalsekretariates wieder mehr Aufmerksamkeit. In Anbetracht der Tatsache, daß in Westdeutschland wieder ein CCFApparat existierte, war man in Paris bemüht, die vorhandenen Gruppen nach Möglichkeit zu stärken, ohne aber in jenen rigoros zentralistischen Habitus zu verfallen, der sich 1953/54 so unheilvoll ausgewirkt hatte. In diesem Kapitel sollen weniger die Überlegungen des Pariser Sekretariates im Vordergrund stehen, auf die nur eingangs kurz und zusammenfassend rekurriert wird, sondern vielmehr das Handeln und Planen der einzelnen CCF-Gruppen in Hamburg, Köln, München und Berlin. Dabei werden vor allem deren lokale Besonderheiten zu berücksichtigen sein, mögen sie organisatorischer, personeller oder weltanschaulicher Art gewesen sein. Die seit 1959 geltende Aufteilung der deutschen CCF-Sektion in voneinander unabhängige Ortsgruppen war nicht unbedingt im Sinne Manès Sperbers, der im Internationalen Exekutivkomitee der wichtigste Fürsprecher für die Rekonstituierung der deutschen Sektion gewesen war. Dennoch versuchte er, das Beste aus der gegebenen Situation zu machen, indem er daraufhinwies, daß der CCF in dieser föderalistischen Form am ehesten zu der Art Katalysator für die Aktivität der deutschen Intelligenz werden konnte, den er immer angestrebt hatte.1 Dies bedeutete aber auch für Sperber keinen Verzicht auf Antikommunismus, der ja im CCF nie nur eine auf die UdSSR bezogene Funktion gehabt hatte, sondern überdies den stetigen Zusammenhalt der westlichen Welt garantieren sollte. Neben dem rein funktionalen Aspekt sollte jedoch nicht der weiterhin ethisch begründete, wenn auch technokratisch propagierte Antitotalitarismus in der Kongreßführung vernachlässigt werden, der zu Beginn der sechziger Jahre weiterhin wesentlich blieb. Gerade Sperber wies in bezug auf Deutschland immer aufs Neue darauf hin, daß man keinesfalls die monströse 1
Sperber: „On the Congress and German Cultural Life", NL Löwenthal, AdsD, Bd. 220: „The Congress groups in Germany constitute a catalizing element in all fields of German culture, Manès
for they have helped to broaden and reinforce the contacts between German and foreign intellectuals and also initiate discussions of issues which might otherwise not have been subjected to the give and take of public debate...".
1. Das Hamburger Büro
497
Realität totalitärer Systeme vergessen dürfe.2 Wichtiger aber als das bloße antitotahtär-antikommunistische Prinzip war der praktische Ausbau der publizistischen Tätigkeit des CCF in Deutschland. Wiederum war es Sperber, der in diesem Sektor aktiv wurde. Zeitweise betrieb er etwa gemeinsam mit Witsch die Übernahme des „Merkur" durch den CCF, wenn auch ohne sonderlichen
Erfolg.3
Bei allem Respekt für Sperbers Engagement in den Angelegenheiten des deutschen CCF hielt sich die Pariser Zentrale eher bedeckt. Vermutlich waren finanzielle Erwägungen dafür ausschlaggebend, daß der CCF in Westdeutschland vergleichsweise verhalten agierte. Schließlich war nicht einmal durchgehend geklärt, woher man die $ 16.500,- nehmen sollte, die jährlich für die deutschen Büros aufgewendet werden mußten.4 Von daher hatte das Internationale Sekretariat weniger ein Interesse daran, die eigenen Aktivitäten in Westdeutschland weiter aufzublähen, sondern strebte insbesondere danach, daß die deutschen Büros finanziell eigenständig würden. Wenn also oben gesagt wurde, der CCF schenkte Deutschland wieder mehr Aufmerksamkeit, so trifft dies im Vergleich zu den fünfziger Jahren wohl zu, ist aber sehr relativ zu verstehen. Absolut gesehen spielte die Bundesrepublik nur eine zweitrangige Rolle in den Planungen des Kongresses. Der Aspekt der finanziellen Eigenständigkeit der Ortsgruppen bestimmte über lange Zeit Denken und Handeln des internationalen CCF in Deutschland, wodurch viel Energie für andere, möglicherweise kulturell und politisch relevantere Dinge absorbiert wurde. Das Vorbild für die deutschen Kongreßgruppen sollte dabei Hamnburg sein, das früh in ein eigenständiges Komitee umgewandelt worden war, das nun seinerseits, wenn auch vergebens, danach strebte, sich aus dem Lande heraus zu finanzieren. Es wird unmittelbar erkennbar, daß ein Teil der strukturellen Probleme, die zum Zerfall des deutschen Exekutivkomitees geführt hatten, wieder präsent waren: Die finanzielle Schwäche der Deutschen, dank derer ihre Autonomie innerhalb des CCF maßgeblich reduziert wurde; der damit korrespondierende Unwille des internationalen CCF, angesichts wichtigerer Aufgaben mehr Geld zur unabhängigen Verfügung der Deutschen in das Land zu transferieren; die strikte Bindung der Büros an Paris und die unklare Kompetenzverteilung zwischen dem Internationalen Generalsekretariat, den Büros, den Komitees und Manès Sperber. Wenn die Phase zwischen 1959 und 1964/65 dennoch nicht in dem Maße von Konflikten geprägt wurde wie die Zeit von 1951 bis 1953/54, so lag dies an der größeren Zurückhaltung, die sich die technokratischen 2 3
4
Memorandum von Manès Sperber an John C. Hunt vom 9.5.1961, NL Sperber, ÖNB/ÖLA, Mappe 512. Manès Sperber an Michael Josselson vom 14.10.1962, NL Josselson, Box 14. Der „Merkur" galt Sperber aber dennoch als tendenziell CCF-nahes Organ; vgl. Manès Sperber an Michael Josselson vom 13.11.1962, ebda. Bericht des Office of the Controller (CCF) vom 2.10 1964, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 123, Folder 2.
498
IX. Die Arbeit der deutschen
Regionalbüros
Kulturbürokraten in Paris jetzt im Umgang mit den selbstbewußter gewordenen Deutschen auferlegten. Die Deutschen wurden in dieser zweiten Phase, ganz im Gegensatz zur Frühphase, als Subjekte eigenen Handelns akzeptiert und errangen auf diese Weise, ungeachtet aller weiterbestehenden finanziellen Abhängigkeit, ein bislang ungekanntes Maß an Selbständigkeit, das sich sogar in ihrer weltanschaulichen Schwerpunktsetzung niederschlug. Hamburg war der Musterfall für eine relativ autonome Gruppe. Zum einen hing dies damit zusammen, daß sie schon seit 1953 recht kompakt und reibungslos agiert hatte, also über eine gewisse Tradition der Unabhängigkeit verfügte, zum anderen hatte die Pariser Zentrale bei der Änderung der vereinsrechtlichen Verhältnisse in Hamburg ausdrücklich die inhaltliche Autonomie der Gruppe zugesagt, obgleich die finanzielle Abhängigkeit vom internationalen CCF weiterbestand.5 Bondy versicherte den Hamburgern aus diesem Anlaß, das Internationale Generalsekretariat werde ausschließlich als Verbindungsstelle zu den anderen westdeutschen Büros und zum internationalen CCF aktiv werden. Selbst sein gleichzeitiger Ratschlag, die Gruppe möge sich weniger um politische Angelegenheiten kümmern, sondern sich vor allem kulturellen Anliegen widmen, war weniger im Sinne eines direkten Eingreifens gemeint, sondern stellte eher einen gut gemeinten Ratschlag dar, der die Attraktivität der lokalen Veranstaltungen dauerhaft sichern sollte. Die Nähe zum Pariser Sekretariat blieb auch angesichts größerer Offenheit der zentralen Führung bestehen. Allein schon die regelmäßigen Berichte Margot Schrepfers an Josselson und Nabokov garantierten dies, ohne daß das Internationale Sekretariat dauernd hätte eingreifen müssen. Zudem verließ man sich in der CCF-Spitze nun deutlich stärker auf die weltanschauliche Zuverlässigkeit der deutschen Mitarbeiter als in der Phase kurz nach Kriegsende. Die angedeuteten organisatorischen Veränderungen in Hamburg zielten vor allem darauf ab, das bislang existente kleine Komitee personell zu erweitern und zu erneuern sowie die anfallenden Arbeiten gerechter zu verteilen. Zu diesem Zweck wurde am 14. September 1961 ein vom Internationalen Generalsekretariat angeregtes vorläufiges Komitee gegründet,6 aus dem zu einem späteren Zeitpunkt ein eingetragener Verein hervorgehen sollte. Mit seiner Mitgliederstruktur deutete das Hamburger Komitee bereits eine Entwicklung an, die sich im Verlauf der sechziger Jahre dann endgültig für diese Gruppe als prägend erwies. War der Hamburger CCF der fünfziger Jahre vornehmlich ein Zirkel von Universitätsprofessoren und sozialdemokratischen Politikern gewesen, so verschoben sich seit 1961 die Gewichte zugunsten von 5
6
Protokoll des Treffens des neuerrichteten Hamburger Komitees vom 14.9.1961, NL Sperber, WSLBib, Mappe 515. Anwesend waren: Bruno Snell, Francois Bondy, Peter Coulmas, Christian Ferber, Siegfried Lenz, Marcel Reich-Ranicki, Theo Sommer, Gösta von Uexküll; Ernst Schnabel, Karl Schiller, Walter D. Schultz und Werner Hebebrand fehlten entschuldigt. John C. Hunt an Bruno Snell vom 30.6.1961, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 124, Folder 5; John C. Hunt an Bruno Snell vom 2.8.1961, ebda., Box 121, Folder 5.
1. Das Hamburger Büro
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Journalisten und publizistisch tätigen Intellektuellen. Zwischen 1965 und 1970 war der Hamburger CCF dann ein ausgesprochener Journalistenzirkel, zu dessen Cocktailabenden und Gartenparties sich führende Angehörige der meinungsbildenden Elite der Bundesrepublik versammelten.7 1961 allerdings stand dieser Transformationsprozeß noch am Anfang, zumal weiterhin Bruno Snell mit seinen weitreichenden Kontakten die integrierende Figur der Hamburger Organisation blieb und noch für geraume Zeit eine gewisse personelle Kontinuität zu garantieren vermochte. Snells Umtriebigkeit verdankte das Hamburger Komitee auch seinen Anspruch, bei der weiteren Gründung westdeutscher CCF-Gruppen die führende Rolle zu spielen, die ihm auch von der Pariser Zentrale zugedacht war. Zu diesem Zweck traf sich das Komitee im Dezember 1961 mit Professor Rengstorf vom „Hofgeismarer Kreis", um darüber zu diskutieren, wie man in München oder Frankfurt Fuß fassen könnte.8 Diese offenkundige Präsenz der Hamburger Gruppe rief umgehend den Protest des jungen Kölner CCF um Joseph C. Witsch hervor; eine Reaktion, der nicht allein Neidgefühle, sondern auch wie noch zu zeigen sein wird divergierende politische Konzepte zugrundelagen. In Köln war man besonders verärgert, weil diese Gespräche im Vorfeld der vom dortigen CCF geplanten Tagung „Widerstand und Verrat" stattfanden, die vor allem dem Aufbau weiterer CCF-Zirkel in der Bundesrepublik dienen sollte. Im März 1962 wurde die organisatorische Ausgestaltung des Hamburger CCF konsequent weitergeführt. Es konstituierte sich der „Freundeskreis des Kongresses für die Freiheit der Kultur", wenn auch vorerst immer noch nicht als eingetragener Verein.9 Diesem Freundeskreis standen Bruno Snell als Vorsitzender, Peter Coulmas als sein Stellvertreter, Margot Schrepfer als Kassier und John Jahr als Controller vor. Desweiteren waren Prof. Dr. Werner Hebebrand, Walter D. Schultz, Theo Sommer, Marcel Reich-Ranicki und Rolf -
8 9
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Vgl. Teilnehmerliste der Cocktailabende vom 11.11.1965 und vom 3.2 1966, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 125, Folder 3: u.a. Oskar Betzold (NDR), Ingeborg Brandt („Welt am Sonntag"), Walter Busse („Spiegel"), Freimut Duve (SPD), Axel Eggebrecht, Carola Held („Stern"), Ulrike Meinhof („Konkret") und Wiebke Bruhns (NDR); sowie die Teilnehmerliste der Gartenparty vom 13.5.1970, ebda., Box 125, Folder 1: u.a. Kurt Becker („Zeit"), Rolf Becker („Spiegel"), Wilhelm Asche (NDR), Oskar Betzold („Zeit"), Manfred Bissinger („Stern"), Gerhard Bott („Panorama"), Walter Busse („Spiegel"), Thilo Koch (ZDF), Winfried Scharlau (NDR) und Fritz J. Raddatz. Die Teilnehmer dieser informellen Veranstaltungen waren nicht notwendig Mitglieder des CCF, dennoch standen einige von ihnen dem CCF so nahe, daß sie 1969 für eine Zuwahl in das Hamburger Gremium im Gespräch waren. Neben Fritz J. Raddatz trifft dies auch auf Günther Gaus und Rudolf Augstein zu, vgl. Jahresbericht des Hamburger Büros von 1968, o.D (Januar 1969?), ebda., Box 124, Folder 9. Bericht über die Sitzung des Hamburger Komitees vom 7.12.1961, NL Sperber, WSLBib, Mappe 522. Bericht über das Gremientreffen vom 30.3.1962, Bl. 2, NL Sperber, WSLBib, Mappe 531; Bericht von Bruno Snell über den Hamburger CCF von 1953-1965, o.D. (1965), IACF/CCFArchiv, Series II, Box 124, Folder 6.
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IX. Die Arbeit der deutschen Regionalbüros
Becker Grundimgsmitglieder; Christian Ferber, Hans Gresmann, Rudolf Walter Leonhardt, Prof. Dr. Rolf Liebermann, Prof. Dr. Karl Schiller, Michael Thomas und Siegfried Lenz stießen alsbald hinzu.10 1965 wurde der Freundeskreis in einen eingefragenen Verein umgewandelt,11 der sogar die Krise des internationalen CCF überlebte und mindestens bis in das Jahr 1976 weiterbestand. Den Hamburgern gelang es zu Beginn der siebziger Jahre dann auch, sich finanziell von der CCF-Nachfolgeorganisation IACF weitgehend unabhängig zu
machen.12
Bereits der rechtliche Schritt zum eingetragenen Verein hatte das Ziel gehabt, die finanzielle Abhängigkeit des Hamburger Kreises von der Pariser
Zentrale zu minimieren. Diesem Zeck dienten auch weitere Maßnahmen. So hatte beispielsweise Manès Sperber im Frühjahr 1962 versucht, im Interesse der deutschen CCF-Büros erneut mit dem DGB in Kontakt zu treten.13 Sein Treffen mit DGB-Vertretern im Februar endete allerdings ähnlich ergebnislos wie die vergleichbaren Versuche des frühen CCF 1951. Wie damals war der DGB nicht bereit, den deutschen CCF zu finanzieren, selbst die Hoffnung auf eine Teilfinanzierung erwies sich als illusorisch. Der CCF als Organisation linker Intellektueller stellte offenbar dem gemeinsamen Antikommunismus zum Trotz in den Augen der westdeutschen Gewerkschaften keinen sinnvollen Bündnispartner dar. Vorerst blieb es daher am internationalen CCF, die finanziellen Fragen im Alleingang zu regeln, zumal auch die Bundesregierung nicht mehr, wie noch in den fünfziger Jahren, bereit war, einen erheblichen Anteil der anfallenden Kosten zu übernehmen. Seit 1963 überwies Paris jährlich DM 28.000,- an die Hamburger Gruppe, darunter einen bedeutsamen Anteil aus Mitteln der Ford-Foundation.14 Wenigstens gelang es dem Hamburger Verein, nach 1965 jährlich im Schnitt circa DM 10.000,- an Spenden einzunehmen, die die Abhängigkeit von den Pariser Subsidien zumindest linderten. Die neue rechtliche Struktur änderte allerdings nur wenig am Charakter der Hamburger Gruppe, die Siegfried Lenz vornehmlich als Freundeskreis beschrieben hat." Die informellen Diskussionsabende im Kongreßhaus, die meist -
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15
Siegfried Lenz' Mitgliedschaft war allerdings relativ diskontinuierlich, da er sich in der Regel über längere Zeit im Ausland aufhielt; vgl. Gespräch von Siegfried Lenz mit dem Verf Margot Schrepfer an René Tavernier vom 1.4.1965, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 124, Folder 8. Theo Sommer an Shepard Stone vom 30.4.1971, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 125, Folder 1. Memorandum von Manès Sperber über die Deutschlandfahrt vom 8.2.-1.3.1962, Bl. 5, NL Sperber, WSLBib, Mappe 529. Bericht von Bruno Snell über den Hamburger CCF von 1953-1965, o.D. (1965), IACF/CCFArchiv, Series II, Box 124, Folder 6; Nicolas Nabokov an Michael Josselson vom 10.11.1965, NL Josselson, Box 6. 1965 scheiterte ein Versuch des Hamburger Senates, die Mittel der FordFoundation durch deutsche Stiftungsgelder zu ersetzen. Gespräch von Siegfried Lenz mit dem Verf.
1. Das
Hamburger Büro
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mit einem anschließenden Umtrunk endeten, waren weitaus wichtiger für alle Teilnehmer als die juristischen Formen, in denen sich all dies abspielte. Ähnliches galt für die anderen offiziellen Veranstaltungen, die sich auch in den sechziger und frühen siebziger Jahren oft aus der engen Zusammenarbeit mit der Universitätsleitung und dem ASTA ergaben.16 Es war der eher informelle Charakter der Kongreßveranstaltungen, verbunden mit der Fähigkeit Bruno Snells, wichtige Repräsentanten der hanseatischen Kultur- und Medienszene miteinander ins Gespräch zu bringen, die wohl den Reiz der CCF-Arbeit in Hamburg ausgemacht haben dürften. Die Mitgliederstruktur des Hamburger CCF schlug sich dann auch in dessen politischer Tätigkeit nieder. Im Gegensatz zu der relativ konservativ-antikommunistisch eingestellten Kölner Gruppe dominierten in Hamburg linksliberale und sozialdemokratisch eingestellte Intellektuelle das Geschehen. Dies führte dazu, daß die Hamburger sich im Umgang mit Kommunisten ausgesprochen zurückhaltend verhielten und somit deutlich dem Kurs der Entspannungspolitik folgten, während sie demgegenüber die innere Entwicklung der Bundesrepublik wesentlich kritischer verfolgten als die Kölner, die den genau entgegengesetzten Kurs einschlugen. Einen ersten Ausdruck fand diese Art des Umgangs mit den alten antikommunistischen Prämissen des CCF, als das „PEN-Zentrum Ost und West" sein Jahrestreffen 1960/61 in Hamburg abzuhalten plante. Im Vorfeld hatte Walter Görlitz von der „Welt" ein polizeiliches Verbot der Veranstaltung durchgesetzt und zusätzlich beim Hamburger Universitätsrektor, dem konservativen protestantischen Theologen Hans Thielicke, dafür gesorgt, daß auch die Universität dem ostdeutschen PEN ihre Räumlichkeiten verschloß. Daraufhin taten sich die Redaktion der „Zeit" und ausgerechnet die Hamburger CCF-Gruppe zusammen, um wenigstens eine Diskussion zwischen ost- und westdeutschen Schriftstellern zu organisieren, die dann am 7. und 8. April 1961 stattfand. In einem erläuternden Brief an die Pariser Kongreßbürokratie befand Margot Schrepfer, man halte das Verbot des PEN-Treffens für ein „tremendous mistake".17 Jossel-
16
17
Veranstaltungslisten mit entsprechenden Pressereaktionen finden sich im IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 124, Folder 6-8. Um einen Überblick über die thematische Bandbreite der angesprochenen Themen zu geben, sei hier nur eine kleine Auswahl angeführt: Oktober 1962: Hansjakob Stehle: „Das deutsch-polnische Verhältnis"; 26.10.1962: Ernst Fnedländer: ,JEuropa"; 11.2.1963: Ernst Bloch: „Geschichte als Experiment"; 15.3.1963: Horst Krüger: „Hat die Linke noch eme Chance m der Bundesrepublik?"; 2.12.1965: Marcel ReichRanicki: „Die deutschen Schriftsteller und die Realität in Deutschland". Das Gros der Vorträge und Podiumsdiskussionen hatte kulturpolitischen und literarkritischen Charakter. Wie von Bondy 1961 angeregt, standen genuin politische Veranstaltungen im Hintergrund, Ausnahmen bildeten relativ häufige Vorträge zum Thema der politischen Einheit Westeuropas, nach 1965 auch zur Ostpolitik. Margot Schrepfer an Ivan Kats vom 22.12.1960, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 124, Folder Ausführliche
4.
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IX. Die Arbeit der deutschen Regionalbüros
vermied jedwede direkte Kritik an dem Vorgehen der Hamburger.18 Sicher dem Internationalen Sekretariat bewußt, daß wenigstens die Kölner Sektion bestrebt sein würde, das Hamburger Schriftstellertreffen zu einem Forum antikommunistischen Protestes zu machen. In der Tat reisten Jürgen und Sabine Rühle vom Kölner CCF auf Einladung der „Zeit" an. Jürgen Rühle drängte darauf, den Mitgliedern des ostdeutschen PEN eine Liste mit 21 Namen inhaftierter DDR-Intellektueller vorzulegen, was dazu führte, daß die Ostdeutschen sich kurzerhand weigerten, mit dem streitbaren Antikommunisten Rühle weiter zu diskutieren. Sehr zum Verdruß der beiden Rühles gaben Bucerius und die Gräfin Dönhoff daraufhin partiell nach: Nicht Rühle, sondern Marcel ReichRanicki verlas unter dem frostigen Schweigen der ostdeutschen Autoren die Liste. Aber wenigstens verzichtete Hans Mayer nach einem längeren Gespräch mit den Kölnern auf einen Angriff auf den Kongreß.19 Insgesamt reagierte der CCF in dieser Angelegenheit deutlich weniger dogmatisch als in der Vergangenheit und errang somit zumindest einen propagandistischen Teilerfolg in der Auseinandersetzung mit dem seiner Ansicht nach illegitimen Ost-PEN. Dies war bis zu einem gewissen Grade der flexiblen Doppelstrategie von Kölner Angriff und Hamburger Talent zum diplomatischen Ausgleich zu verdanken, ohne daß die beiden Gruppen das als Vorteil wahrgenommen hätten. Fast gleichzeitig war es doch zu einem kritischen Einwand Josselsons hinsichtlich des politischen Kurses des Hamburger Komitees gekommen, der jedoch keinerlei konkrete Folgen zeitigen sollte. Im Zusammenhang mit sorgenvollen Bemerkungen Margot Schrepfers über die neonazistischen und antisemitischen Gefahren, welche in Westdeutschland nach den Hakenkreuzschmierereien anläßlich der Jahreswende 1959/60 erkennbar zu sein schienen, hatte sie eine verstärkte Aktivität des CCF im antifaschistischen Kampf gefordert. Josselson erwiderte nur, die neonazistische Gefahr werde übertrieben. In Paris mache man sich mehr Sorgen wegen der andauernden kommunistischen Infiltrationsversuche bei westdeutschen Schriftstellern. Hier müsse der Hamburger CCF verstärkt tätig werden.20 Dennoch zogen Josselson und das Internationale Generalsekretariat nie Konsequenzen aus ihrer Kritik. Das von Schrepfer und Snell verantwortete Programm des Hamburger Komitees setzte sich durchgehend mit der Problematik des Rechtsextremismus in der Bundesreson
war
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19 20
Im Verlaufe des Jahres 1960 hatte er zwar einmal angemahnt, man möge sich in Hamburg doch auch einmal mit den Folgen der Zwangskollektivierung in Ostdeutschland beschäftigen; auf die Ereignisse um den Ost-PEN einzugehen, vermieden die Pariser aber fast demonstrativ, vgl. Michael Josselson an Margot Schrepfer vom 13.4.1960, IACF/CCF-Archiv, Box 124, Folder 4. Sabine Rühle an John C. Hunt vom 26.4.1961, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 123, Folder 1. Michael Josselson an Margot Schrepfer vom 4.3.1960, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 124, Folder 4 Noch 1965 tauchten seitens des internationalen CCF ähnliche Vorbehalte auf, als Hunt einer von Sperber und Coulmas konzipierten Tagung über die „Rückkehr des Nationalsozialismus" schlicht die Finanzierung verweigerte, vgl. Peter Coulmas an John C. Hunt vom 10.3 1965, ebda, Box 124, Folder 8.
1. Das
Hamburger Büro
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weitaus intensiver auseinander als mit den Gefahren, die aus dem Marxismus/Leninismus resultierten. Was früher im CCF zu endlosen und leidenschaftlichen Grundsatzstreitigkeiten geführt hätte, rief nun nur noch ein müdes Achselzucken hervor. Dies änderte sich nicht einmal, als der linksliberale Kurs der Hamburger die Pläne des internationalen CCF, weitere Komitees in Westdeutschland zu gründen, ernsthaft gefährdete. Kurz vor der von der Kölner Sektion veranstalteten, überaus publizitätsträchtigen Konferenz „Widerstand und Verrat" im Herbst 1962 waren die Redaktionsräume des „Spiegel" durchsucht und Rudolf Augstein, Conrad Ahlers sowie weitere Mitarbeiter des Hamburger Magazins kurzzeitig verhaftet worden. Die sogenannte „Spiegelaffare" entwickelte sich schnell zum Fanal für die gesamte regierungskritische Szene in der jungen Bundesrepublik. Zum ersten Mal seit dem „Fall Schlüter" fanden sich Intellektuelle, Studenten, Journalisten und am Ende sogar Politiker zu gemeinsamer Aktion zusammen, die den Niedergang der Kanzlerschaft Adenauers deutlich beschleunigte.21 Im Unterschied zur Situation des Jahres 1955 zeigte sich allerdings der CCF diesmal nicht mehr in der Lage, steuernd einzugreifen. Es war weniger die Nähe zur Regierung Adenauer, die den CCF zur Zurückhaltung veranlaßte,22 sondern die traditionelle Skepsis gegenüber dem als nihilistisch empfundenen Kurs des „Spiegel". Während sich also der CCF, auch mit Rücksicht auf die geplante Kölner Veranstaltung, erst einmal in Schweigen hüllte, protestierte die Hamburger Gruppe sofort und überaus nachdrücklich. Die Solidarität mit den westdeutschen intellektuellen ging über die Loyalität zum internationalen Verband. In einem Telegramm an Bundespräsident Lübke wurde der sofortige Rücktritt Konrad Adenauers angemahnt.23 Auf dieses Telegramm hin sagte Generalbundesanwalt Dr. Güde seine Teilnahme an der Kölner Konferenz brüskiert ab und Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier konnte nur unter großen Mühen zur Teilnahme bewegt werden. Manès Sperber reagierte auf den Schritt der Hamburger ungehalten: „This stupid démarche of which none of us has been informed beforehand, would have become a great obstacle for the Tagung."24 In Sperbers Augen handelte es sich beim „Spiegel" keinesfalls um eine verteidigenswerte Institution, sondern um „a periodical for scandalous sensations without the slightest social patterns and without the
publik
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22
23 24
Vgl.
Dietrich ThränhaRDt: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/Main 1996, S. 151 -156, der allerdings den Bezug zum „Fall Schlüter" nicht herstellt. Gerade im „Monat" forderte Rüdiger Altmann immer wieder das Ende der Kanzlerdemokratie Adenauers und die Erneuerung der CDU ein, vgl. RODIGER Altmann: Was wird aus der CDU?, in: Der Monat, H. 177. S. 9-13. Altmann war schon 1960 mit seinem Adenauer gegenüber kritischen Werk: „Das Erbe Adenauers" hervorgetreten. Zur Haltung des „Monat" in der „Spiegelaffäre" s. Editorial, m: Der Monat, H. 171, S. 6. Telegramm des Hamburger CCF an den Bundespräsidenten Heinrich Lübke vom 10.11.1962, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 121, Folder 6. Memorandum von Manès Sperber über seine Deutschlandreise im November 1962 vom 28.11.1962, Bl. 1, NL Sperber, WSLBib, Mappe 533.
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IX. Die Arbeit der deutschen
Regionalbüros
slightest ideological foundation."25 Ungeachtet der Tatsache, daß der „Spiegel" die ganze Aufregung nicht wert sei und daß künftig Alleingänge der Hamburger zu verhindern seien, schloß Sperber sein wütendes Memorandum mit der Einsicht, trotz aller entstandenen Probleme, zu denen auch der Wegfall von Sponsoren gehörte, sei es möglicherweise doch sinnvoll gewesen, daß der CCF zur „Spiegelaffäre" nicht geschwiegen habe. Nach dem Ende dieser Angelegenheit vermied das Hamburger Komitee allzu offensichtliche Ausflüge in das politische Alltagsgeschäft. Dabei folgte man weniger Pariser Befehlen, die es nicht gab, sondern man zog sich zunehmend von sich aus in die vertraute freundschaftlich-private Atmosphäre des eigenen Zirkels zurück. Der Quietismus der Hamburger ging zeitweise so weit, daß man auf die provokanten Thesen des rechtsradikalen Publizisten David C. Hoggan erst reagierte, als die Pariser Zentrale das Komitee förmlich und nachdrücklich dazu aufforderte.26 Selbst zu Menschenrechtsfragen äußerte man sich nur noch
eingeschränkt. So vergewisserte sich Bruno Snell im Mai 1965 erst beim Pariser Generalsekretariat, ob ein Protest gegen Menschenrechtsverletzungen im han nicht eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines fremden Landes darstelle, was Tavernier sofort zurückwies.27 Ein halbes Jahr später beklagte sich Leonhard Reinisch vom Münchener CCF indirekt darüber, die Hamburger neigten im Umgang mit Menschenrechtsfragen in der UdSSR zu übertriebener Zurückhaltung.28 Dabei ging es den Hamburgern gar nicht darum, sich derartigen Anliegen zu verweigern; man hielt ausgerechnet die Menschenrechtsthematik aber für zu delikat, um sich in hektischem Aktionismus zu ergehen. Im Endeffekt beteiligte sich Hamburg dann meist an den Aktionen der
Kölner und Münchener Gruppen.29 Wie sehr sich das Klima innerhalb des CCF seit Beginn der fünfziger Jahre gewandelt hatte, belegt auch der letzte Versuch Michael Josselsons, auf die Politik der Hamburger Gruppe vor Ausbruch der CIA-Krise im Kongreß Einfluß zu nehmen. Gemeinsam mit François Bondy hatte das Hamburger Komitee in Snells Europa-Kolleg ein „teach-in" zur Problematik der deutsch-osteuropäischen Beziehungen durchgeführt und auf dem dafür vorgesehenen Plakat auch das finanzielle Engagement des CCF hervorgehoben. In der Folge waren etliche Osteuropäer nicht erschienen, was Josselson auf das Plakat, Snell 25 26
Memorandum von Manès Sperber über seine Deutschlandreise im November 1962 vom 28.11.1962, Bl. 1, NL Sperber, WSLBib, Mappe 533. René Tavernier an Margot Schrepfer vom 14.5.1964, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 124,
27
Folder 6. Bruno Snell
28
9.6.1965, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 124, Folder 8. Leonhard Reinisch an John C. Hunt vom 10.12.1965, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 125,
29
an
René Tavernier
vom
24.5.1965 und René Tavernier
an
Bruno Snell
vom
Folder 8. Vgl. z.B den Protest Snells wegen des Ausschlusses von Robert Havemann aus der Deutschen Akademie der Wissenschaften: Bruno Snell an John C. Hunt vom 19.4.1966, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 124, Folder 9.
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1. Das Hamburger Büro
auf bereits zuvor erfolgten politischen Druck in den jeweiligen Heimatländern zurückführte. Josselson erklärte, man sei in Paris über diesen Vorgang „sehr verstimmt", da man nicht wünsche, daß der Gesprächsfaden zu den osteuropäischen Intellektuellen wegen solcher Formaba abreiße.30 Tatsächlich handelte es sich auch hierbei nicht um eine grundsätzliche Kontroverse um Ziele und politische Optionen des CCF. Internationaler und Hamburger CCF stimmten vollkommen darin überein, den anlaufenden Prozeß der Entspannung zwischen Ost und West bei aller antikommunistischen Gesinnung auf keinen Fall ernsthaft behindern zu wollen. Gerade Snell lag sehr viel an guten Beziehungen zum Osten, besonders zur DDR,31 und Josselson teilte diese Ansicht seit längerer Zeit. Der CCF wurde langsam von einer Agentur an der kulturellen Front des Kalten Krieges zur Organisation an der kulturellen Flanke der beginnenden Entspannungspolitik, und die Hamburger Sektion war an diesem Prozeß durchaus beteiligt. Dies zeigte sich besonders nachdrücklich im Juni 1966. Bis dahin hatte man es in Hamburg vermocht, zugleich die Journalisten der linksliberalen meinungsbildenden Presse und des NDR, aber auch der Springer-Presse unter einem gemeinsamen Dach zu halten. Nun aber kam es zum Bruch. Klaus Harpprecht erklärte im Verlauf einer Podiumsdiskussion des CCF in der Hansestadt, es sei an der Zeit, sich mit der dauerhaften Realität der deutschen Teilung abzufinden und nach neuen Wegen des Umgangs zwischen beiden deutschen Staaten zu suchen.32 Als keiner der anwesenden Mitglieder des CCF dieser Stellungnahme widersprach, schwenkte der Axel-Springer-Verlag von relativ freundlicher Unterstützung des CCF zu heftiger Kritik über.33 Danach änderte Springer erneut seinen Kurs, indem er offensichtlich die zu seinem Verlag gehörende Hamburger Lokalpresse anwies, den CCF einfach totzuschweigen. In der Folge erschienen in den Springer-Zeitungen keine Veranstaltungsberichte über den CCF mehr.34 Die antikommunistische Einheit aus der Hochphase des Kalten Krieges war dahin, weil einer der Partner sich nicht weiterentwickelt hatte. Das Hamburger Komitee des CCF, 1953 aus dem Kongreß „Wissenschaft und Freiheit" hervorgegangen und anfangs Instrument eines vornehmlich sozialdemokratischen und kämpferischen Antikommunismus, war 1966, am Vorabend der letalen Krise des CCF, ein eher an der herannahenden Entspannungskonzeption Willy Brandts orientierter, reformoffener, linksliberaler
hingegen
30
Bruno Snell
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6.10.1966, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 124, Folder 9 Bruno Snell an John C Hunt vom 19.4.1966, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 124, Folder 9. Bericht von Margot Schrepfer über die Podiumsdiskussion vom Juni 1966, o D. (Juni 1966), IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 124, Folder 9. Die Veranstaltung fand vor 1400 Zuhörern im
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an
John C. Hunt
vom
11.7.1966 und Michael Josselson
an
Bruno Snell
vom
Auditorium Maximum der Hamburger Universität statt. Hamburger Abendblatt vom 25.6.1966.
Margot Schrepfer an Shepard Stone vom 16.4.1968, IACF/CCF-Archiv,
Folder 9.
Senes
II, Box 124,
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IX. Die Arbeit der deutschen Regionalbüros
Freundeskreis, der sich mehr durch hanseatische Noblesse als durch besondere politische Radikalität auszeichnete. Seine Mitglieder waren überwiegend Professoren und Journalisten, die sich im Verhältnis zu dem Pariser Generalsekretariat ein hohes Maß an innerer Autonomie zu sichern verstanden. Innerhalb des deutschen CCF der zweiten Phase stellte Hamburg die personell größte, organisatorisch ausgereifteste und am kontinuierlichsten arbeitende lokale Gruppe dar. Dennoch vermied man es, allzu weitgehende Dominanzansprüche zu stellen. Ungeachtet dieses zurückhaltenden Gebarens blieben Konflikte mit der deutlich aggressiveren Kölner Gruppe nicht aus.
2. Das Kölner Büro
Hauptunterschied zwischen dem Hamburger und dem Kölner CCF kann ohne große Mühe auf zwei Namen reduzieren: Bruno Snell und Joseph C. Witsch. Während der Hamburger Altphilologe zwar die weitaus wichtigste Persönlichkeit innerhalb seiner Gruppe war, verfügte er doch im Grunde über die Fähigkeit, hinter die Sache zurückzutreten. Er wirkte mehr moderierend und ausgleichend, darin Josselson in Paris nicht unähnlich. Bei Witsch war das anders. Die Kölner Gruppe und seine Person fielen oft genug in eins und als er sich 1964 von der Kongreßarbeit zurückzog, brach fast automatisch auch die gesamte, durchaus mitghederstarke örtliche Sektion zusammen. Manès Sperber hat ihn und seinen Eifer treffend gekennzeichnet: „Er ist ein überaus gebildeter Mann, der weiß, worum es geht. Er ist wahrscheinlich unter den wichtigen Verlegern Deutschlands der einzige, der wirklich zu uns steht, aus Überzeugung vielmehr als aus Interesse."35 Dank Witschs Engagement war der Kölner CCF straffer geführt und strenger antikommunistisch ausgerichtet als das Hamburger Komitee. In Köln erhob man zudem explizit Führungsansprüche in bezug auf eine künftige nationale deutsche Sektion des Kongresses. Schon aus diesem Grund beharrten die Kölner etwa darauf, mit den „Congress News" ein nationales Mitgliedermagazin herauszugeben beziehungsweise die deutsche Übersetzung des internationalen Mitgliedermagazins in den eigenen Händen zu behalten. Außerdem, und auch dies zeichnete die Kölner Sektion aus, resultierte aus ihrem Antikommunismus ein viel klarer konturierter Einsatz für die Menschenrechte in aller Welt als bei den Hamburgern, wobei hier totahtarismustheoretische Grundlagen weiter gepflegt wurden. Insgesamt ergibt sich das Bild einer wesentlich radikaleren Gruppe innerhalb des deutschen CCF, die mit den Hamburger Linksliberalen und ihrem bewußt gemäßigten Habitus kaum zu vergleichen war. Den
man
35
Manès
Sperber an Michael Josselson vom 20 4.1963, NL Josselson, Box
14.
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2. Das Kölner Büro
Ein weiteres differenzierendes Kriterium ergab sich aus der unterschiedlichen Einstellung beider Gruppen zu Carlo Schmid. Snell und die Hamburger neigten dazu, sich um den früheren Vorsitzenden der deutschen Exekutive und seine Aktivitäten auf internationaler Ebene schlicht nicht zu kümmern. Demgegenüber pflegte man in Köln die alten Vorbehalte aus der Frühphase des deutschen CCF, was wohl nicht zuletzt daran lag, daß Rudolf Hagelstange im Umfeld der Kölner CCF-Gründung einiges Gewicht gewonen hatte. Als seit Februar 1960 beispielsweise erkennbar wurde, daß das Pariser Generalsekretariat ein Grußwort Schmids aus Anlaß des Jubiläumskongresses in Berlin anstrebte, kam prompt ein Protesttelegramm aus Köln, in dem Klaus Harpprecht namens der gesamten Gruppe gegen diesen Affront protestierte. Er drohte sogar mit einem Boykott für den Fall einer Rede Schmids, es sei denn, die Kölner würden entsprechend ebenfalls zu einem eigenen Grußwort gebeten. Auch damit wurde der Führungsanspruch der Kölner Gruppe neuerlich unterstrichen, wenn auch vergebens. Paris setzte sich mit seinen Plänen für Berlin durch, ohne auf die leeren Drohgebärden der Kölner Rücksicht zu nehmen.36 Dessen ungeachtet war Schmid, obschon man ihn auf der internationalen Ebene nicht auszuschalten vermochte, im nationalen CCF bedeutungslos geworden. Er verfügte anfangs der sechziger Jahre im deutschen CCF über keinerlei Hausmacht oder Einfluß mehr, und so mußte er zeitweise sogar soweit gehen, Manès Sperber gegenüber ausdrücklich die Gründung einer neuen nationalen Exekutive gutzuheißen;37 eine weitere Wendung in seiner nicht immer einsichtigen Kongreßpolitik. Wieder kam es nicht dazu, wofür eine Reihe ganz unterschiedlicher Gründe verantwortlich waren, vor allem natürlich der Geldmangel des internationalen CCF und die anschließende CIA-Krise. Aber zurück zur Kölner CCF-Gruppe und ihren Anfangen. Wie erinnerlich, resultierte diese Sektion aus einer Art doppelgleisigen Vorgehens der Pariser Zentrale. Zum einen war mit Elisabeth Zwart-Spanjer zunächst eine Büroleiterin eingestellt worden, die koordinative Funktionen wahrzunehmen hatte, ohne daß es eine entsprechende Gruppe gegeben hätte. Zum anderen wußte man vorab, daß es analog zur Redaktion der „Zeit" in Hamburg im Umfeld des Kölner Kiepenheuer & Witsch-Verlages durchaus Interessenten für die CCF-Arbeit gab, die es zu gewinnen galt. Am 23. September 1959 traf sich dann François Bondy mit den potentiellen Mitgliedern des Kölner CCF zu -
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36
37
Vgl. Nicolas Nabokov an Carlo Schmid vom 27.2.1960, NL Schmid, AdsD, Bd. 1832; Michael Josselson an Carlo Schmid vom 21.4.1960, ebda., Bd. 714; Telegramm von Klaus Harpprecht an das Internationale Generalsekretariat vom 28.4 1964, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 122, Folder 10. Memorandum von Manès Sperber über seine Deutschlandreise vom 8.2.-1.3.1962, Bl. 3, NL Sperber, WSLBib, Mappe 529.
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IX. Die Arbeit der deutschen Regionalbüros
einer vorbereitenden Sitzung.38 Die Anwesenden kamen überein, Mitte November 1959 zur konstituierenden Sitzung erneut zusammenzukommen, was am 16. des Monats auch geschah. Sämtliche Teilnehmer des Vorläufertreffens waren wiedergekommen, außerdem fanden sich Jürgen und Sabine Rühle ein, die danach eine wichtige Rolle im Kölner CCF spielen sollten. Diesmal wurde ein eher informeller Rahmen für die Gründungsfeierlichkeiten gewählt, indem das Kölner Büro zu einer „Party" einlud.39 Ausgerechnet dieses Treffen aber sollte zum Ausgangspunkt für eine ganze Reihe von Mißverständnissen werden, die später das Verhältnis zwischen Köln, Paris und Hamburg trübten. Georg Meistermann forderte früh, der neue Anlauf des CCF in Westdeutschland dürfe keinesfalls so enden, wie seinerzeit der Versuch mit dem deutschen Ausschuß. Selbstredend gab er Schmid die Alleinschuld an dessen Scheitern. Nabokov, der für die Pariser Zentrale anwesend war, stimmte dem vorbehaltlos zu und bemerkte zudem, es sei in Deutschland geplant, über die regionalen Gruppen hinaus wieder eine nationale Exekutive zu gründen, innerhalb derer dem Kölner CCF ein organisatorischer und weltanschaulicher Primat zufallen werde. Dies entsprach allerdings weder im Hinblick auf einen zentralen deutschen CCF, den zu diesem Zeitpunkt ausschließlich Sperber anstrebte, noch in bezug auf die Führungsrolle des Kölner CCF den Tatsachen, zumal Paris seit geraumer Zeit Hamburg eine uneingeschränkte Bestandsgarantie gegeben hatte, die auch die Autonomie des dortigen Komitees umschloß. Während Nabokovs Zusagen über die künftige Rolle der Kölner CCF-Gruppe wohlwollend zur Kenntnis genommen wurden, erfuhr er zu seiner Überraschung in einem anderen Punkt den entschiedenen Widerspruch Witschs. Nabokov war nämlich bemüht, den Anwesenden deutlich zu machen, daß der CCF seit 1950 seinen Charakter geändert habe. Zwar sei man als primär antikommunistische Organisation gegründet worden, doch unter den veränderten Zeitumständen müsse man sich ganzheitlich dem Problem kultureller Freiheit in aller Welt stellen. Damit werde der Antikommunismus zu einem Programmpunkt unter vielen. Nachdem er auf diese Weise korrekt die ideologische Neuausrichtung des CCF seit 1955 beschrieben hatte, antwortete Witsch nur lakonisch, in Deutschland bedeute der Kampf um die Freiheit der Kultur immer zugleich den Kampf gegen den Kommunismus. Der CCF-Generalsekretär bemühte sich für eine Weile, Witsch und seinen Mitstreitern diesen Gedanken wieder auszureden, scheiterte aber. Der Punkt wurde vertagt, und erst im November 1960 gestand die Pariser Zentrale der Kölner Gruppe zu, sich 38
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Francois Bondy
an Bernd Tönessen vom 17.9.1959, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 122, Folder 9. Einladungen ergingen an: Kyra Stromberg, Georg Meistermann, Heinrich Böll, Carl Liniert, Hans O. Wesemann (WDR), Gerd Ruge, Joseph C. Witsch, Klaus Harpprecht, Berend von Nottbeck und Rolf Becker („Kölner Stadtanzeiger"). Soweit erkennbar, erschienen alle Eingeladenen zu der Besprechung. Bericht von N.N (Nicolas Nabokov?) über die Party der Kölner Gruppe vom 16.11.1959, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 122, Folder 9.
2. Das Kölner Büro
509
vorrangig mit der Situation verfolgter ostdeutscher Intellektueller zu befassen und so primär antikommunistische Arbeit zu leisten.40 Bis zu einem gewissen Grade dominierte in Köln, was die CCF-Führung in Hamburg vermißte. Sicherlich wäre dem Generalsekretariat eine gesunde Mischung aus beiden Gruppen
durchaus recht gewesen. Das weithin sichtbare Resultat der weltanschaulichen Ausrichtung von Witschs Komitee war Jürgen Rühles Konfrontation mit den ostdeutschen PEN-Vertretern beim „Zeit"-Gespräch in Hamburg. Aber auch die massiven öffentlichen Proteste der Kölner im Fall der Entführung des DGBnahen Journalisten Heinz Brandt durch die ostdeutsche Staatssicherheit basierten auf den ideologischen Prämissen vom November 1959.41 Vorerst jedoch mußte der organisatorische Rahmen für die Kölner Gruppe gefunden werden. Hier erwies sich dann, wie problematisch die zentrale Rolle Witschs sein konnte. Elisabeth Zwart-Spanjer hatte bereits im Vorfeld des Gründungstreffens daraufhingewiesen, daß bei einer Teilnahme Witschs an die Mitarbeit rheinischer Sozialdemokraten nicht mehr zu denken wäre. Außerdem wären dadurch der Kiepenheuer & Witsch-Verlag sowie der WDR innerhalb der Organisation überrepräsentiert, während, mit der Ausnahme Heinrich Bölls, kaum wirklich bedeutende Intellektuelle gewonnen würden.42 Paris bemühte sich daraufhin, Böll dazu zu bewegen, die Kölner Präsidentschaft zu übernehmen, was dieser jedoch dankend ablehnte. Dennoch blieb er dem Kölner CCF
durchgehend eng verbunden.43 Sogleich ergaben sich überdies neue Schwierigkeiten. Die Kongreßsekretärin Zwart-Spanjer erkrankte und wurde fortan erst durch Sabine Rühle vertreten, ehe dann am 1. April 1960 Renate von Trotha die Stelle übernahm. Sie schied erst im August 1964 aus.44 Danach gelang es, Rudolf Hagelstange zumindest formell zum Präsidenten der Kölner Gruppe zu wählen und damit zugleich als möglichen Vorsitzenden eines erneuerten deutschen CCF zu gewinnen, und
ferner Sabine Rühle anstelle Berend von Nottbecks in den von Witsch dominierten Vorstand wählen zu lassen.45 Die organisatorischen Probleme des Kölner CCF waren jedoch noch keineswegs beigelegt, da ein beständig 40 41
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Ivan Kats an Jürgen Rühle vom 23.11.1960, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 122, Folder 10. Renate von Trotha an Marion Bieber und John C Hunt vom 5.7.1961 und Sabine Rühle an John C Hunt vom 1.8.1961, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 123, Folder 1. Gemeinsam mit Wolfgang Leonhardt und Carola Stern war es dem Komitee gelungen, die „Zeit", die BBC und den WDR auf den Fall aufmerksam zu machen Elisabeth Zwart-Spanjer an John C. Hunt vom 6.9.1953 und Bericht von Elisabeth ZwartSpanjer über den Aufbau des Kölner Büros vom Juli 1959, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 122, Folder 9. Jürgen Rühle an Jörgen Schleimann vom 31.10.1959, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 122, Folder 9 Elisabeth Zwart-Spanjer an John C. Hunt vom 14.10.1959, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 122, Folder 9; John C. Hunt an Renate von Trotha vom 23.3.1960, ebda., Box 122, Folder 10 Renate von Trotha an Jörgen Schleimann vom 20.4.1960, Berend von Nottbeck an François Bondy vom 31.3.1960 und Berend von Nottbeck an John C Hunt vom 30.11.1960, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 122, Folder 10.
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IX. Die Arbeit der deutschen Regionalbüros
schwelender Konflikt zwische Sabine Rühle und Renate von Trotha um die Vorherrschaft im CCF-Büro die Gruppe von Zeit zu Zeit institutionell lahmzulegen drohte. Erst als im Juli 1962 Franz und Edith Wördemann die Geschäftsführung übernahmen, Sabine Rühle sich auf die CCF-Gruppe und Renate von Trotha ganz auf das Büro zu konzentrieren begannen, beruhigte sich die lokale Kongreßszene wieder.46 Das Hauptproblem der Kölner Gruppe, die 1960/61 die personell stärkste CCF-Gliederung in der Bundesrepublik war, lag aber im finanziellen Bereich. Noch im August 1960 bedauerte Klaus Harpprecht in einem Schreiben an das Internationale Generalsekretariat lebhaft, daß Paris nicht zu mehr Investitionen in Westdeutschland bereit sei.47 Zwei Jahre später erklärte John C. Hunt, mehr als $ 10.000,- pro Jahr, inklusive der Kosten für das deutsche Mitgliederbulletin, seien beim besten Willen nicht aufzubringen.48 Um sich von den Pariser Subsidien unabhängiger zu machen, versuchten Witsch und die anderen Kölner nach dem Scheitern von Sperbers DGB-Kontakten, die nordrhein-westfälische Landesregierung als Geldgeber zu gewinnen. Erkennbare Erfolge waren ihnen jedoch nicht beschieden.49 Ungeachtet aller organisatorischen und finanziellen Schwierigkeiten hielt die Gruppe im Rahmen des deutschen CCF beharrlich an ihrem von Nabokov zugestandenen Primatanspruch fest. Seit April 1961 betrieb der Kölner CCF die Gründung einer neuen Sektion in München und bereitete sogar die institutionelle Reorganisation von Snells Hamburger Komitee vor.50 Umso erstaunter reagierte man, als Paris eher beiläufig mitteilte, der Hamburger CCF sei inzwischen unter Mithilfe des Generalsekretariates rechtlich formalisiert worden, was die Initiative der Kölner überflüssig mache. Mit diesem Schritt wurden die Hamburger Autonomierechte von Seiten des Generalsekretariates implizit bestätigt, was zu einem energischen Protest Paul Egon Hübingers führte, der im
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Sabine Rühle an John C. Hunt vom 9.9.1961, Sabine Rühle an John C. Hunt vom 3.12.1961, John C. Hunt an Sabine Rühle vom 8.12.1961 und Renate von Trotha an John C. Hunt vom 29.12.1961, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 123, Folder 1. S.a. Edith Wördemann an das Pariser Generalsekretariat vom 30.7.1962, ebda., Box 123, Folder 2. Klaus Harpprecht an Michael Josselson vom 18.8.1960, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 122, Folder 10. John C Hunt an Renate von Trotha vom 20.12.1962, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 123, Folder 2. Die exakten Zuwendungen für den reinen Bürobetrieb beliefen sich 1963 auf $ 7.750,-, im ersten Halbjahr 1964, also bis zum Ende der Gruppe, auf $ 4.335,57; vgl. Office of the Controller an Jean Yves Bouedo vom 2.10.1964, ebda. Joseph C. Witsch an John C. Hunt vom 15.1.1963, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 121, Folder 6. Sabine Rühle an John C. Hunt vom 26.4.1961, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 123,Folder 1. In diesem Brief findet sich auch der für die weltanschauliche Ausrichtung der Kölner Gruppe bezeichnende Passus: „Wir wollen auf die Schriftsteller der Linken als Bundesgenossen in der Abwehr der kommunistischen Kulturdiktatur nicht verzichten...". Im Hamburger CCF wäre ein derartiger Satz undenkbar gewesen.
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2. Das Kölner Büro
zur Kölner Gruppe gestoßen war.51 Interessant an dem Schreiben insbesondere der unverhüllte Anspruch, für das gar nicht existente deutsche Kongreßzentrum zu sprechen. Das insgesamt unglückliche Verhalten Nabokovs und Bondys in dieser Angelegenheit, die jedermann alles zugesagt hatten, führte dazu, daß Hamburg und Köln in den folgenden Jahren reichlich unkoordiniert nebeneinander wirkten. Dies änderte sich erst, als Peter Coulmas von Hamburg nach Köln wechselte und im Februar 1964 gemeinsam mit Franz Wördemann einen Plan vorlegte, der künftige Alleingänge lokaler Sektionen vermeiden sollte.52 Indes kam dieser Vorschlag zu spät, da er mit dem Zerfall des Kölner Zentrums keine praktische Relevanz mehr hatte. Seit Ende 1964 lag der Führungsanspruch im deutschen CCF ganz in den Händen der Hamburger Gruppe, was insofern bedeutungslos war, als kurz darauf auch der internationale CCF zusammenbrach.53 Jenseits aller Versuche, eine nationale deutsche CCF-Sektion zu installieren, lag das Schwergewicht der Arbeit in Köln nicht so sehr im Bereich intellektueller Veranstaltungen, wie bei anderen CCF-Gruppen, sondern war vergleichsweise praktisch ausgerichtet. Selbstverständlich organisierte man auch eine Reihe von Kongressen, deren wichtigster derjenige über „Widerstand und Verrat" (15.-17. November 1962) war, der so unglücklich von der „SpiegelKrise" überschattet wurde. Der relative Fehlschlag von „Widerstand und Verrat", der weniger die inhaltliche, als die organisatorische Ebene betraf, wirkte sich zusätzlich negativ auf die Pläne Sperbers und der Kölner aus, eine nationale Sektion ins Leben zu rufen.54 Den Auftakt zu der praktischen antikommunistischen Menschenrechtsarbeit des Kölner CCF bildete der Entführungsfall Brandt. Außer der erwähnten Pressekampagne gelang es den Kölnern zusätzlich, eine Pressekonferenz durchzuführen, die von der ARD-„Tagesschau" landesweit übertragen wurde, ein enormer Erfolg für die Initiatoren der Kampagne. Aus dieser gemeinsamen Tätigkeit Gerd Ruges, Sabine Rühles und
Januar 1960 war
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Paul Egon Hübinger an John C. Hunt vom 2.10.1961, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 121, Folder 4: „Als einer der Vorsitzenden des deutschen Kongreßzentrums und im Namen des Kölner Komitees muß ich Ihnen auf Grund der [...] einmütigen Entschließung sagen, daß uns dieser Vorfall befremdet und beunruhigt hat." Bei dem angesprochenen Vorfall handelte es sich um die oben erwähnte Reise Bondys nach Hamburg. René Tavemier an Gertrud Gräfin Ledebur vom 20.2.1964, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 125, Folder 7. Die Gräfin Ledebur war die Sekretärin des CCF im Münchener Büro.
JeanYvesBouedoanFranzWördemannvoml0.9.1964,IACF/CCF-Archiv,SeriesH,Box 123,
Folder 2. Vgl. den Jahresbericht des CCF an die Ford-Foundation von 1962, S. 8f, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 106, Folder 7; Memorandum von Manès Sperber über seine Deutschlandreise im November 1962 vom 28.11.1962, Bl. 1-5, NL Sperber, WSLBib, Mappe 533; Notiz von Mamnès Sperber über künftige Mitglieder des deutschen CCF, o.D. (Mitte 1962), ebda., Mappe 528; s.a. Informationen (März 1963), S 3-9. Bei der Konferenz waren u.a. anwesend: Eugen Gerstenmaier, Hans Asmussen, Ernst Bloch und Klaus Harpprecht, der mit seinen „Plädoyer für die Feigheit" große öffentliche Aufmerksamkeit erhielt: Die Welt vom 29.11.1962; Die Welt vom 15.12.1962; Kölner Stadt-Anzeiger vom 19/320.1.1963 und Vorwärts vom 18.11.1962.
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IX. Die Arbeit der deutschen Regionalbüros
Carola Sterns, die kurz darauf eine kritische Biographie Walter Ulbrichts bei Kiepenheuer & Witsch publizierte,55 erwuchs schließlich ein ausgesprochen folgenreicher Schritt: Die Kölner CCF-Gruppe und ihr Umfeld, allen voran die drei
Hauptbeteiligten der Brandt-Aktion, schlössen sich im August 1961 dem „Appeal for Amnesty" an. Der, Appeal for Amnesty", im gleichen Jahr von den beiden Briten Erik Baker und Peter Benenson ins Leben gerufen, war aber
nichts anderes als der Nukleus von „amnesty international". Auf diese Weise wurde die Kölner CCF-Gruppe, gerade in Gestalt von Sabine Rühle und Gerd Ruge, regelrecht zu einer Art Patenorganisation der deutschen Sektion von „amnesty international".56 Zur annähernd gleichen Zeit unterstützte die Kölner Gruppe auch die Versuche von Günther Grass und Wolfdietrich Schnurre, die westdeutschen Schriftsteller wegen des Mauerbaus vom 13. August 1961 zu Protesten zu bewegen. Bemerkenswerterweise blieben die öffentlichen Maßnahmen der Kölner in diesem Fall blaß und ungewöhnlich zurückhaltend. Man verließ sich wohl auf die Aktivitäten des internationalen Kongresses und des Berliner Büros oder des „Monat". Auch scheiterten Versuche, Grass und Schnurre für den CCF zu gewinnen.57 Im Herbst 1964 beschloß die Kölner Gruppe ihre Selbstauflösung, die am 1. Februar 1965 vom Delegaten des CCF, Jean Yves Bouedo, rechtlich vollzogen wurde. Das CCF-Büro war zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr besetzt, da Renate von Trotha im Juli 1964 ausgeschieden war.58 Was zu diesem Beschluß führte, läßt sich nicht mehr genau rekonstruieren; klar ist nur, daß die Krise seit Mitte Juli 1964 schwelte und fortgesetzte Versuche der Pariser Zentrale und von Snells Gruppe, den Kölner Kongreß zu reaktivieren, allesamt scheiterten. Die Gruppe erschien einfach nicht mehr zu einem von Paris aus angesetzten Koordinationstreffen für die deutschen Büros.59 Ob Witsch es leid war, daß alle Anläufe, eine deutsche Exekutive zu restaurieren, ins Leere liefen, oder ob die internen Reibereien zwischen Büro und Gruppe dazu beigetragen haben, daß sich der Kölner CCF suspendierte, kann anhand der Akten nicht geklärt werden. Wie dem auch sei, im November 1964 konstatierte Manès Sperber: „Was die Kölner Gruppe betrifft, so ist sie im Augenblick inexistent. Sie wird neu
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Carola Stern: Ulbricht. Eine politische Biographie, Köln-Wien 1963. Kiepenheuer & Witsch gehörte neben dem Europa Verlag des Schweizer Sozialisten Hans Oprecht zu den bevorzugten
Publikationsorten CCF-naher Autoren. Sabine Rühle an John C. Hunt vom 1.8.1961, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 123, Folder 1; Informationen (August 1962), S. 3. Sabine Rühle an John C. Hunt vom 9.9.1961, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 123, Folder 1 John C. Hunt an Renate von Trotha vom 17.7.1964, John C. Hunt an die Kölner CCF-Grupe vom 7.12.1964, René Tavernier an Franz Wördemann vom 29.7.1964 und Jean Yves Bouedo an Franz Wördemann vom 10.9 1964, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 123, Folder 2. René Tavernier an Leonhard Remisch vom 13.10.1964, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 125, Folder 7; zu den vergeblichen Bemühungen der Hamburger, Köln zu reaktivieren, vgl. René Tavernier an Bruno Snell vom 28 12.1964 und Peter Coulmas an René Tavernier vom 14.11.1964, ebda, Box 124,Folder6.
3. Das Münchener Büro
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aufgebaut werden und zwar auf einer festeren Grundlage, hoffe ich"60 Sein Optimismus trog.
3. Das Münchener Büro Wenn das Hamburger Komitee das Kind Bruno Snells und die Kölner Gruppe das Kind Joseph C. Witschs waren, so war der Münchener CCF vor allem ein Resultat der Anstrengungen von Manès Sperber. Schon deswegen hatte der Kongreß in München erneut ein ganz anderes Gepräge als in seinen bislang behandelten zwei Filialen. Weder der schöngeistig-intellektualistische Liberalismus der Hamburger noch der ein wenig handfestere antikommunistische Menschenrechtsaktivismus der Kölner waren Sache des Münchener Zirkels, der überdies mehr als die anderen Gruppen an zwei struktuellen Defiziten litt: Zum einen wurde die Münchener Gruppe erst 1962 gegründet, was sich negativ auf ihre finanzielle Ausstattung auswirkte. München bekam gewissermaßen diejenigen Mittel, die für Westdeutschland übrigblieben.61 Zum anderen dies wurde oben kurz angerissen sah sich die CCF-Arbeit in München ständig von dem Umstand behindert, daß in dieser Stadt eine Vielzahl intellektueller Zirkel und Organisationen beheimatet war, was es dem Kongreß erschwerte, überhaupt in der intellektuellen Szene der bayerischen Hauptstadt Gehör zu finden. Dies galt umso mehr, wenn man bedenkt, daß der internationale CCF stets verlangte, man solle für die bereitgestellten Gelder auch vornehmlich die ganz bedeutenden intellektuellen einer Region an die eigene Organisation binden. Dieser Anforderung war der Münchener CCF nie gewachsen. Verglichen mit den beiden anderen Sektionen, fehlten dieser Gruppe die „großen Namen". Es wurde bereits darauf hingewiesen, in wie vielfältiger Weise Manès Sperber und Bruno Snell seit Mitte der fünfziger Jahre darum bemüht waren, in München selbst eine Organisation zu finden, die dabei helfen konnte, eine Kongreßsektion zu errichten. Entgegen früher geäußerter weltanschaulicher Bedenken war man sogar bereit gewesen, mit dem „Grünwalder Kreis" ebenso zusammenzuarbeiten, wie mit der „Gruppe 47", deren angeblichen ethischen Nihilismus Günther Birkenfeld einst scharf angegriffen hatte.62 Auch wenn beide Organisationen verhaltenes Interesse an einer eventuellen Zusammen-
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Manès Sperber an Michael Josselson vom 18.11.1964, NL Josselson, Box 14. Vgl. Office of the Controller an Jean Yves Bouedo vom 2.10.1964, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 123, Folder 2. Für das Jahr 1963 waren $ 875,- ausgeschüttet worden, für das erste Halbjahr 1964 immerhin $ 3.250,-. Günther Birkenfeld an Rudolf Hagelstange vom 2.1.1953, UoC-Archiv, „Der Monaf'-Records, Box 22, Folder 5.
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IX. Die Arbeit der deutschen Regionalbüros
arbeit bekundeten, waren sie doch nicht willens, sich aktiv am Aufbau des Münchener CCF zu beteiligen. Im Laufe des Jahres 1961 präsentierte die Kölner Gruppe dann eine Reihe von Vorschlägen, auf die Sperber später zurückgriff. Sabine Rühle wies etwa auf den Verleger Klaus Piper oder den Feuilletonisten der „Süddeutschen Zeitung", Joachim Kaiser, hin, der auch regelmäßig im „Monat" publizierte. Gleichfalls war an Wolfgang Clemen vom „Hofgeismarar Kreis" zu denken oder an die beiden Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks, Dr. Gerhard Sczcesny und Leonhard Reinisch. Von den beiden letzteren nahm Sperber an, sie seien am ehesten in der Lage, das gewünschte Ziel zu erreichen. Es waren dann weltanschauliche Gründe, die ihn bewogen, es erst einmal mit Sczcesny zu versuchen. Sperber hatte inzwischen eine recht eigenwillige Analyse der geistigen Situation der Bundesrepublik entwickelt, die auch seinen Plänen für eine Münchener Sektion, zugrundelag. Ihm machte in Westdeutschland die kommunistische Gefahr zunemhend weniger Sorgen; ähnliches galt für neutralistische und sogar für neonazistische Aktivitäten. Die eigentliche Gefahr für die kulturelle Freiheit im Lande erblickte er in einer Entwicklung, die er, begrifflich nicht sehr präzise, als „Kulturkampf63 bezeichnete. Hauptgegner war unter den gegenwärtigen Bedingungen, wenigstens in Bayern, nicht mehr der Totalitarisme moderner Gestalt, sondern sein vormoderner Vorläufer, der integralistisch-konservative Katholizismus, dem Sperber durchweg totalitäre Neigungen unterstellte. Die bayerische Sektion des CCF mußte also dem Ziel dienen, die kulturelle Hegemonie von „Bigotterie" und „intolerantem Klerikalismus" zu brechen, die er diagnostiziert hatte. Im Sinne der antitotalitären Adaption der Münzenbergschen Vorgehensweise hielt Sperber es für sinnvoll, eine breite Front antireaktionärer Organisationen aufzubauen, in denen Linkskatholiken, Linksintellektuelle und unabhängige prominente Persönlichkeiten gemeinsam mit radikaleren Verfechtern des Antikatholizismus zu gemeinsamer Aktion finden sollten; eine Art antiintegralistischer Volksfront. Allein diese Konzeption Sperbers aus dem März 1962 verdeutlicht, wie weit die unterschiedlichen Segmente des breiten antikommunistischen Konsenses, zu denen der Katholizismus anfangs noch ganz selbstverständlich gehört hatte, unterdessen auseinandergerückt waren. Angesichts dieser Sicht der Dinge war die Mitte 1961 von Gerhard Sczcesny gegründete „Humanistische Union",64 die fast identische Ziele verfolgte, der 63
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Memorandum von Manès Sperber über seine Deutschlandfahrt vom 8.2.-1 3.1962, o.D., Bl. 6, NL Sperber, WSLBib, Mappe 529. Dort finden sich auch die folgenden Zitate dieses Abschnittes. Zur „Humanistischen Union" (HU), s. Jürgen Hofmann: Die Humanistische Union. Eine Untersuchung über Struktur und Funktion einer neuen kulturpolitischen Vereinigung, Diss phil. München 1967. Zu den aktuellen Umständen, aus denen die HU hervorging s. Dr. Gerhard Sczcesny: „Vorschlag, eine .Humanistische Union' zu gründen" vom 6.6.1961, Slg. Sczcesny,
IfZ-Archiv,ED386/13.
3. Das Münchener Büro
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ideale Bündnispartner für Sperbers Münchener CCF-Komitee. Die HU stellte bereits eine intellektuell geprägte Frontorganisation des Antiintegralismus dar; sie verband genau jene Klientel, die auch Sperber im Blick hatte: Freigeistige Humanisten, liberale und linke Katholiken, Protestanten und entschiedene Atheisten, die der gemeinsame Kampf gegen die Dominanzansprüche bayerischer Klerikaler zusammenhielt.65 Hinzu kam, daß die HU klar antitotalitär ausgerichtet war und der Entideologisierungslehre des CCF relativ nahe stand.66 Die Forderungen der HU nach einer pluralistischen, offenen Gesellschaft und innergesellschaftlicher, reformistischer Solidarität deckte sich ebenfalls mit den Inhalten und Zielen des CCF; insofern handelte es sich auch bei der HU um eine prononciert „westliche" Organisation.67 Es war deswegen auch kein Zufall, daß 1967 mit Dr. Fritz Bauer, Alexander Mitscherlich, Hermann Kesten, Wolfgang Leonhard und Ludwig Marcuse mindestens fünf Personen aus dem näheren Umfeld des CCF im Vorstand der HU vertreten waren.68 Zeitweise fand sich auch Stefan Andres in der HU wieder, schied aber 1964 wegen persönlicher Streitigkeiten mit Sczcesny wieder aus.69 Schließlich, und auch das machte ihn in den Augen des CCF interessant, gehörte Sczcesny zum weiteren Umfeld des reformistischen Flügels der bayerischen SPD. Bereits in den fünfziger Jahren hatte er im BR auf sich aufmerksam gemacht, als er die Reformunfähigkeit der Schumacher-SPD heftig angegriffen hatte.70 Später, zu Beginn der sechziger Jahre, hatte er gemeinsam mit Willy Brandt daran mitgewirkt, linke Intellektuelle und Wissenschaftler in eine fruchtbare Diskussion mit der SPD-Spitze zu bringen.71 65
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Dadurch unterschied sich die HU zugleich vom „secular humanism" in den USA, wie er z.B. von Sidney Hook verfochten wurde. Der HU lag kerne gemeinsame rationalistisch-atheistische Weltanschauung zugrunde, sie war für alle Gegner des katholischen Herrschaftsanspruches offen. Dadurch wurde sie zusätzlich für den CCF interessant, der es ja stets vermieden hatte, sich mit dem „secular humanism" zu identifizieren Vgl. Gespräch des Verf. mit Dr Gerhard Sczcesny Dr. Gerhard Sczcesny: „Vorschlag, eine .Humanistische Union' zu gründen", S. 1, Slg. Sczcesny, IfZ-Archiv, ED 386/13 : „Sechzehn Jahre nach dem Ende der nazistischen und mitten in der Auseinandersetzung mit der bolschewistischen Gewaltherrschaft müssen wir die Erfahrung machen, daß auch ein Staat, in dem die Spielregeln der Demokratie Gültigkeit haben, die Vielgestaltigkeit der Einheitlichkeit, die Toleranz der Parteilichkeit und die Wahrhaftigkeit der Bequemlichkeit opfern kann. Wir sind zu Mitläufern einer Verschwörung geworden, die unsere Entmündigung und Gleichschaltung diesmal im Namen der christlichen Heilslehre verlangt." Der Umstand, daß die HU sich seitdem weit von ihren Ursprüngen entfernt hat, was auch zum Austritt Sczcesnys führte, darf nicht zu Fehlurteilen über die HU der Grilndungszeit Anlaß
geben. Vgl die Vorstandsliste der HU von 1967, Slg. Sczcesny, IfZ-Archiv, ED 386/17. S. den Briefwechsel zwischen Stefan Andres und Gerhard Sczcesny in der Slg. Sczcesny, IfZ-
Archiv, ED 386/16. 70
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Dr. Gerhard Sczcesny: „Zur geistigen Situation des Sozialismus m Deutschland", Manuskript einer Sendung des BR vom 7.7.1952, Slg. Sczcesny, IfZ-Archiv, ED 386/23. Hier finden sich auch einschlägige Formulierungen zu einer „Tendenz der Entideologisierung" in den westdeutschen Parteien. (S. 2). Ulrich Lohmar (Chefredakteur der „Neuen Gesellschaft") an Gerhard Sczcesny vom 15 12.1960, Slg. Sczcesny, IfZ-Archiv, ED 386/23.
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IX. Die Arbeit der deutschen Regionalbüros
Die weltanschauliche Nähe zwischen CCF und HU war also frappant und legte es für Sperber durchaus nahe, gemeinsam mit der HU daran zu arbeiten, den CCF in München heimisch zu machen. In mancherlei Hinsicht war die HU mit ihrem explizit liberaldemokratischen und antitotalitären Engagement sogar weitaus geeigneterer Partner als der „Grünwalder Kreis", auf dessen neutralistische Usancen man keinerlei Rücksicht mehr zu nehmen brauchte. Sie war außerdem nützlicher als die „Gruppe 47", die allzu sehr literarisch ausgerichtet war. Folgerichtig bemühte sich Sperber während seiner Aufenthalte in München vom Februar und März 1962 sowie vom November 1962 vor allem intensiv um Kontakte zu Sczcesny, was aber nicht ausschloß, daß er auch mit Hans-Jochen Vogel vom „Grünwalder Kreis" sprach.72 Beide signalisierten Interesse an einer Münchener CCF-Sektion. Sperber rechnete ein wenig voreilig mit 20-25 Intellektuellen, die man für sich gewinnen könnte, was in etwa der Stärke der Gruppen in Hamburg und Köln entsprochen hätte. Ausgesprochen optimistisch gestimmt, engagierte er sofort Gertrud Gräfin Ledebur, die Gattin eines weiteren Mitarbeiters des BR, als Kongreßsekretärin für München, wo sie eine ähnliche initialisierende Funktion haben sollte wie Elisabeth ZwartSpanjer in Köln. Zum 1. Januar 1963 trat sie ihren Posten an.73 Der Konzeption Manès Sperbers lag jedoch, wie sich nur allzubald erweisen sollte, ein gravierendes Mißverständnis zugrunde, und zwar weniger weltanschaulich als vielmehr organisatorisch. Weder der „Grünwalder Kreis" noch die HU dachten ernsthaft daran, ihre Selbständigkeit zugunsten des CCF aufzugeben oder auch nur zu relativieren. Besonders Sczcesny und die HU waren eigentlich nur an den finanziellen Möglichkeiten des CCF interessiert man benötigte Mittel für die eigene Zeitschrift „Vorgänge" -, und nicht so sehr an einer ideologisch nahezu identischen Konkurrenzorganisation. Nun mochte der CCF weltweit finanziell ein potenter Partner sein, aber ausgerechnet in Westdeutschland fehlte es ihm ständig und überall am notwendigen Geld, was es unmöglich machte, die Wünsche der HU zu befriedigen. Obwohl Sperber seine ursprünglichen Pläne nicht umsetzen konnte, gelang es ihm dennoch eine CCF-Gruppe in München zu etablieren. Außer der Gräfin Ledebur war es letztendlich der BR-Mitarbeiter Leonhard Reinisch, auf den Sperber sich stützen konnte. Damit war allerdings zweierlei verbunden: Erstens war mit Reinisch, der ein bekennender, wenn auch linksorientierter Katholik war, der kulturkämpferische Kurs, den Sperber anfangs intendiert hatte, nicht durchzuhalten, und zum zweiten fehlten Reinisch die Kontakte zu Intellektuel-
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Memorandum
von Manès Sperber über seine Deutschlandreise vom 8.2.-1 3.1962, o.D., NL Sperber, WSLBib, Mappe 529 und Memorandum von Manès Sperber über seine Deutschlandreise vom 28.11.1962, ebda Mappe 533, wo er auf Bl. 6 über Vogel bemerkt: „He is a socialist and we shall have some good catholic people. In Bavaria, more than anywhere else, we have to équilibrer the forces." ,
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John C. Hunt an Gertrud Gräfin Ledebur vom 2 4 1963, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 125, Folder 7.
3. Das Münchener Büro
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len, über die die HU, der „Grünwalder Kreis" oder die „Gruppe 47" verfügten.
Deshalb fanden sich in der Münchener Gruppe nie die bekannten Persönlichkeiten, die sich in Hamburg oder in Köln hatten ansprechen lassen. Dessen ungeachtet lief die CCF-Arbeit in München seit dem Frühjahr 1963,
besonders aber seit 1964 recht gut an.74 Es gelang, ein anspruchsvolles Vortrags- und Diskussionsprogramm aufzustellen. Dabei dominierten Podiumsdiskussionen mit hochrangigen Teilnehmern, die sich mit aktuellen Themen und Problemen bundesdeutscher Gesellschafts- und Innenpolitik auseinandersetzten, das heißt in ihrem inhaltlich-weltanschaulichen Profil erinnerte die kleine Gruppe in München mehr an den Hamburger als an den Kölner CCF. Antiintegralistisch oder antitotalitär ausgerichtete Veranstaltungen blieben die
Ausnahme.75
Parallel zum Veranstaltungsbetrieb übertrug die Pariser Zentrale Leonhard Reinisch die Verantwortung für das „Writers' and Publishers' Committee for European Cooperation", jene 1957 gegründete Kongreßfiliation, die den Vertrieb westlicher Literatur im Ostblock zur Aufgabe hatte. Möglicherweise diente diese Maßnahme dazu, die fehlende Integration des Münchener CCF in das linksliberale Verbändewesen vor Ort ein wenig auszugleichen, denn über das Komitee wurde sogleich eine Kooperation mit der „Bayerischen Akademie der schönen Künste" aufgebaut.76 Zu dieser Zeit, Mitte 1965, war der Münchener CCF immerhin derart selbstbewußt, daß er, zusätzlich zu den Hamburger Bestrebungen, versuchte, die Kölner Gruppe zu reaktivieren. Dabei stützte man sich auf den SPD-Politiker und Vertriebenenfunktionär Herbert Hupka, der dem CCF seit einiger Zeit nahestand. Aber auch dieser Plan blieb ergebnislos. Obschon Manès Sperber seine schützende Hand über die Münchener Gruppe hielt und trotz aller relativen Erfolge, die Reinisch und die Gräfin Ledebur aufzuweisen hatten, kamen sie spätestens seit Juni 1964 unversehens in das Schußfeld der Kritik des Internationalen Generalsekretariates. Dies hing eng 74 75
76
René Taveraier an Gertrud Gräfin Ledebur vom 20.2.1964, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 125, Folder 7. Die Veranstaltungslisten und -berichte des Münchener Büros finden sich im IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 125, Folder 8; hier nur einige Beispiele: 8 4.1965: Podiumsdiskussion über „Die Korruption im Staat" mit Rudolf Augstein, Erich Kuby, Hermann Schmitt-Vockenhausen u.a.; 19.5.19654: Podiumsdiskussion über „Der Nationalismus in Deutschland" mit Johannes Gross, Sebastian Hafther, Klaus Sombart, Eugen Lemberg und Leonhard Reinisch; 22.9.1965: Podiumsdiskussion über „Die Grenzen Europas" mit Werner Höfer, Sebastian Haffiier u.a.; 5.10.1965: Podiumdiskussion über die Frage „Beeinflussen Meinungsumfragen die Wahlen?" mit M Rainer Lepsius, Erwin K. Scheuch und Klaus von Dohnanyi. Leonhard Reinisch an René Taveraier vom 5.4.1965 und Leonhard Reinisch an John C. Hunt vom 7.3 1966, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 125, Folder 8. Dem Komitee stand Hans Oprecht vor, Konstantin Jelenski fungierte als Sekretär, zu den Mitgliedern gehörten Raymond Aron, Heinrich Böll, Nicola Chiaromonte, Peter Calvocoressi, Michael Josselson, Herbert Luethy, Klaus Piper, Lionel Trilling und Joseph C. Witsch. Daß es sich bei dem Komitee um eine Tamorganisation des CCF handelte, dürfte unbestreitbar sein.
518
IX. Die Arbeit der deutschen
Regionalbüros
damit zusammen, daß der neue Deutschlandbeauftragte des CCF, René Tavernier, der unglücklicherweise nicht einmal Deutsch sprach, den Eindruck gewonnen hatte, daß der CCF in München für bedeutende Intellektuelle kein ausreichendes Angebot mache. Er warf der Sektion vor, sich mit mittelmäßigem Personal zu umgeben und nicht in der Lage zu sein, eine feste Organisationsstruktur aufzubauen. Das Ende der nur lose organisierten Kölner Gruppe habe zur Genüge bewiesen, wie wichtig klar konturierte Strukturen seien. Zudem verfüge der CCF nicht über ausreichend Mittel, um sich eine Gruppe zu leisten, die ihrem Auftrag partout nicht gerecht werde.77 Zeitweise überlegte man in Paris, dem Münchener Büro sämtliche Finanzen zu sperren, was Ende 1964 auch geschah, jedoch nur als Ergebnis einer organisatorischen Panne.78 Danach wurde es zeitweise besser. Sperber und Reinisch einigten sich Ende 1964 mit Hunt und Tavernier über den Fortbestand des Münchener Büros. Reinisch wies im Internationalen Generalsekretariat in seiner Replik auf Taverniers Angriffe nicht allein daraufhin, wie schwer es sei, in einer kulturell so übersättigten Stadt wie München zu bestehen, sondern übte zusätzlich Kritik am neuerlichen Zentralismus der Pariser Führung, die ihm eine ordentliche Arbeit erschwere. In der Tat litt Reinisch mehr unter Eingriffen der Pariser Zentrale als die selbstbewußten Gruppen in Köln oder Hamburg.79 So war das Verhältnis zwischen dem internationalen CCF und dem Münchener Büro nicht ganz spannungsarm, als die CIA-Affäre von 1966/67 dem CCF ein Ende bereitete. Zudem hatte sich in Köln und München gezeigt, daß das Hamburger Modell weder inhaltlich noch personell oder organisatorisch einfach auf andere Sektionen in Westdeutschland übertragbar war. Wieder einmal stand der internationale CCF vor der herausfordernden Frage, wie eigentlich der Kongreß in der Bundesrepublik lebensfähig gehalten werden konnte.
78 79
Leonhard Remisch an René Tavernier vom 19.10.1964, René Tavernier an Leonhard Reinisch vom 13.10.1964, René Tavernier an Leonhard Reinisch vom 4.6.1964, René Tavernier an Leonhard Reinisch vom 12.8 1964, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 125, Folder 7. John C. Hunt an Leonhard Reinisch vom 7.12.1964, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 125, Folder 7. Leonhard Reinisch an John C. Hunt vom 10.12.1964, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 125, Folder 8.
4 Das Berliner Büro
519
4. Das Berliner Büro eigentliche CCF-Gruppe mehr, und selbst das Büro war zwischenzeitlich mit der Redaktion des „Monat" vereinigt worden. Seit der Fusion vom April 1962 hatte war der CCF ausgerechnet am Ort seiner Gründung nicht mehr direkt präsent. In Paris war man sich durchaus bewußt, daß die gewählte Form der punktuellen und indirekten Präsenz des CCF in Westberlin, sei es durch literarische, vom „Monat" direkt organisierte Lesetouren, sei es durch vom internationalen CCF veranstaltete Vorträge, im Grunde nicht ausreichend war, zumal die Redaktion des „Monat" mit anderen Problemen beschäftigt war. Allenfalls ein locker um den „Monat" gruppierter Kreis von Berliner Intellektuellen hätte diese Aufgabe wahrnehmen können, war aber dazu nicht willens.80 Also beschränkte der CCF sich auf symbolische Gesten der Verbundenheit mit der „Frontstadt des freien Westens". So regte Josselson im Januar 1962 an, die FU solle eine Stiftungsprofessur für polnische Literatur einrichten, ein Plan, der ganz auf der seit 1956/57 gültigen Linie intensiverer Gespräche vor allem mit polnischen Intellektuellen lag. Allerdings konnte der CCF entsprechende Gelder nicht bereit stellen.81 Weitaus konkreter angelegt war ein Versuch, Studenten aus der Dritten Welt von der HumboldtUniversität an die FU Berlin zu locken, indem man Stipendien ausschrieb, die den Afrikanern und Asiaten das Leben in Westberlin erleichtern konnten.82 Zusätzlich betreute der CCF nach dem Mauerbau Reisen von afrikanischen und asiatischen Intellektuellen und Politikern nach Westberlin, wie etwa im Fall des senegalesischen Justizministers Gabriel d'Arboussier im Mai 1962. Dies hing sowohl mit der Funktion Berlins im Kalten Krieg zusammen als auch mit den Bestrebungen des CCF, besonders im frankophonen Schwarzafrika Fuß zu fassen, was mit einiger Wahrscheinlichkeit wiederum dem Zweck diente, die Machtbasis des USA-kritischen Gaullismus dort zu unterminieren.83 Zusätzlich fungierte das Berliner Reliktbüro als eine Art Relais zu den westdeutschen Intellektuellen, die nicht durch eine der regionalen Gruppen erfaßt wurden. Insbesondere wußte Paris es dann zu nutzen, wenn Solidaritätskampagnen In Berlin existierte seit längerer Zeit keine
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Michael Josselson an Hellmuth Jaesrich vom 24.11.1961, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 242, Folder 7: „Ich frage mich nach wie vor, ob trotz der mangelnden organisatorischen Fähigkeiten im Msnat-Kreis, nicht ein Versuch gemacht werden müßte, um etwas ähnliches wie diese
Lesereihe durchzuführen." Michael Josselson an Ulrich Biel vom 26.1.1962, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 121, Folder 6 Der Gedanke ging von Richard Löwenthal und Harold Hurwitz aus und wurde über verschiedenene, nicht namentlich aufgeführte US-Stiftungen finanziert: Michael Josselson an Horst Hartwig (Außenkommission der FU) vom 26.7.1961 und John C Hunt an Sigrid Kellner vom 13.7.1961, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 121, Folder 4. Michael Josselson an Ulnch Biel vom 8.5.1962, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 121, Folder 6
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IX. Die Arbeit der deutschen Regionalbüros
lanciert wurden. Als Beispiel möge an dieser Stelle der Versuch dienen, inmitten der Kubakrise auf den indisch-chinesischen Grenzkonflikt aufmerksam zu machen, der in den Augen des internationalen CCF eine Aggression gegen die Freiheit und Demokratie Indiens darstellte. Wie kaum anders zu erwarten, schlug die Aktion fehl.84 Ahnlich war es dem CCF ergangen, als er zwei Jahre zuvor versucht hatte, über das Berliner CCF-Büro eine Antirassismusbroschüre der ungeliebten UNESCO anzugreifen. In dieser war es ausschließlich um die Apartheid in Südafrika und den nationalsozialistischen Antisemitismus gegangen, was aus der Sicht der Pariser CCF-Zentrale die Realität in der UdSSR, wo Moslems und Juden gleichermaßen verfolgt würden, nicht hinreichend einbezog. Also kam dem Berliner Büro die Aufgabe zu, an dieser Broschüre öffentlich Kritik zu üben und zwar unter dem ausdrücklichen Hinweis darauf, daß man als Berliner CCF stets an vorderster Front im Kampf gegen den Antisemitismus gestanden habe, was immerhin zum Teil sogar zutraf.85 Der Standort Berlin hatte also weiterhin eine ausgesprochen ideologisch aufgeladene Funktion, die in keinem Verhältnis zur realen Präsenz des CCF in der Stadt stand. Selbst eine Neuauflage der „Reuter-Gedächtnisvorlesungen" kam wieder in die Diskussion, die tatsächlich in einer gemeinsamen Aktion Willy Brandts und Nabokovs 1964 wiederaufgenommen wurden.86 Trotzdem machte sich mittelfristig der Weggang Melvin Laskys und Walter Hasenclevers 1958 und 1959 bemerkbar und führte beim Berliner CCF und dem „Monat" zu offensichtlicher Agonie. Der CCF wirkte in Berlin nur noch indirekt, war aber als Organisation unter eigener Flagge fast nicht mehr zu bemerken. Es gab jedoch eine Reihe von Feldern, auf denen dieses indirekte Wirken nicht ganz folgenlos blieb, und diese sollen in der Folge hier behandelt werden. Das erste Feld betraf die personalpolitische Entwicklung des Kongresses in Berlin. Hier hatte sich durch die Wahl Willy Brandts und seine spätere Kanzlerkandidatur für den CCF manche neue Perspektive eröffnet. Nicht nur beobachtete man im Umfeld des CCF Brandts Politik aufmerksam und mit großem Wohlwollen,87 es gab auch ganz konkrete personelle Folgen. 1963 stieg Carl-Heinz Evers, der frühere Bundesleiter der Hochschulexekutive und der „Jungen Gruppen" zum Westberliner Kultussenator auf;88 Harold Hurwitz und das Kölner CCF-Mitglied Klaus Harpprecht fungierten als Redenschreiber 84
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John C. Hunt an Sigrid Kellner vom 31.10.1962, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 121, Folder 6. Ivan Kats an Sigrid Kellner vom 30.11.1960, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 121, Folder 2. U.a. sprachen diesmal Arthur M. Schlesinger und Karl Schiller. Vgl. Nicolas Nabokov an Michael Josselson vom 28.2.1964 und Nicolas Nabokov an Arthur M. Schlesinger jr. vom 12.3.1964, NL Nabokov. Vgl. z.B. den ausführlichen Briefwechsel zwischen der Journalistin Hilde Walter und dem CCFMitbegründer Norbert Mühlen im NL Mühlen, Box 21. Seine alte Rivalin aus den Tagen der deutschen Exekutive, Lieselotte Berger, hatte indes zur CDU gefunden und war Mitarbeiterin des Berliner CDU-Bürgermeisters Amrehn geworden
4. Das Berliner Büro
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Brandts;89 Siegfried Lenz vom Hamburger CCF half ihm bei Wahlkämpfen. Auch Shepard Stone von der Ford-Foundation, der dem CCF seit langem eng verbunden war und ab 1967 Präsident des IACF werden sollte, gehörte zum Kreis um Willy Brandt und half ihm, ähnlich wie die ADA, bei seinen Kontakten in den USA.90 Obgleich der Regierende Bürgermeister Berlins enge Kontakte zu den US-Amerikanern hielt, waren manche seiner potentiellen Bündnispartner nicht durchgehend mit ihm zufrieden. Der konservativere Teil des ACCF warf den Liberalen vor, sie würden die Beziehungen zur SPD und der erneuerten FDP auf Kosten von CDU und CSU pflegen, und machten zum Teil Brandt dafür mitverantwortlich.91 Demgegenüber beklagte der linke Flügel des ACCF, die SPD und der DGB verhielten sich, obwohl Brandt, Erler und Wehner wenigstens in der SPD für einen prononciert proamerikanischen Kurs stünden, besonders im Verhältnis zu den Emissären der AFL/CIO nur noch „lauwarm".92 Da traf es sich günstig, daß eine der personalpolitischen Maßnahmen Willy Brandts den CCF besonders hervorhob und die Stellung der Organisation in Westberlin deutlich stärkte: Gegen Ende 1962 bot Brandt dem Internationalen Generalsekretär des CCF, Nicolas Nabokov den Posten eines kulturpolitischen Beraters an. Zwar mußte Nabokov daraufhin sein Amt im CCF aufgeben, was ihm aber aus zwei Gründen kaum sonderlich schwer gefallen sein dürfte. Zum einen hatte er seine Verpflichtungen im CCF seit 1956/57 immer häufiger zugunsten anderer Tätigkeiten in aller Welt, die eher seinem künstlerischen Naturell entsprachen, schleifen lassen, zum anderen konnte er auch in Westberlin für den CCF tätig sein. Wenigstens war er immer bereit, Michael Josselson über seine Aktivitäten auf dem Laufenden zu halten. So wurde Nabokov im CCF durch Pierre Emmanuel ersetzt93 und wandte sich seiner neuen Aufgabe zu. Dabei agierte er als künstlerischer Leiter der Berliner Festwochen, was ihm ermöglichte, seiner hochkulturell-ästhetischen Leidenschaft nachzukommen und inhaltlich fortzuführen, womit er 1952 beim Pariser Kongreß „Meisterwerke des XX. Jahrhunderts" begonnen hatte. Außerdem kamen ihm seine Kontakte in der intellektuellen, künstlerischen, aber auch in der Welt der US-Stiftungen dabei zugute. Gemeinsam mit Shepard Stone gelang es ihm zum Beispiel, Gelder der Ford-Foundation für die Berliner Festwochen freizumachen.94 Wie schon 1952 wurden auch diesmal seine Aktivitäten vom konservativeren Flügel 89 90 91 92 93
94
Hilde Walter an Norbert Mühlen vom 12.9 1962, NL Mühlen, Box 21. Hilde Walter an Norbert Mühlen vom 3.10.1964, NL Mühlen, Box 21. Memorandum von Christopher Emmet an Hilde Walter vom 13.8.1964, NL Mühlen, Box 22 Memorandum von Hilde Walter vom 14.5.1966, NL Mühlen, Box 21. Kommunique vom 14.12.1962, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 8, Folder 4. Michael Josselson hatte Brandt persönlich zugesagt, sich für die Freigabe Nabokovs beim CCF einzusetzen, vgl. Willy Brandt an Michael Josselson vom 20.11.1962 und Michael Josselson an Willy Brandt vom 24.11.1962, NL Nabokov. Nicolas Nabokov an Willy Brandt vom 20.7.1964, NL Nabokov.
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IX. Die Arbeit der deutschen Regionalbüros
des ACCF mißtrauisch verfolgt. Gleichzeitig beschränkte Nabokov seine Berliner Tätigkeit nicht auf den rein kulturorganisatorischen Bereich. Er blieb und zwar immer in Rücksprache mit dem CCF politisch aktiv. Dabei standen seine Aktionen in einem deutlichen Zusammenhang zur beginnenden Entspannungspolitik Willy Brandts, die zu diesem Zeitpunkt noch vollständig mit den Ansätzen im CCF konform ging. Im Juni 1964 meldete Nabokov Michael Josselson, er sei mit Willy Brandt übereingekommen, auf dem Rückflug seiner Japanreise in Moskau Station zu machen, um dort Fragen eines geplanten sowjetisch-Westberliner Kulturaustausches zu diskutieren.95 Konkret handelte es sich um die Reise des Violoncellisten und Dirigenten Mstislaw Rostropowitisch.96 Zugleich hatte das Gespräch aber auch vertrauensbildende Funktion, wie die Memoiren von Jurij Kwizinskij nahelegen. 1967 kam es zu einem erneuten Aufenthalt Nabokovs in Moskau, in dessen Verlauf der Exilrusse seinen sowjetischen Gesprächspartnern ein informelles Gesprächsangebot des neuen Bundesaußenministers Brandt unterbreitete.97 Nabokov bewegte sich mit diesen frühen entspannungspolitischen Schritten mitnichten außerhalb der Generallinie des CCF, sondern hielt sich ganz im Gegenteil an den seit Ende der fünfziger Jahre gültigen Kurs. Dieser schloß sich seit 1961 eng an die Politik der Administrationen von John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson an, deren Ostpolitik nach der Kubakrise auch den Rahmen für die frühe Entspannungspolitik der westdeutschen Sozialdemokraten um Brandt und Bahr abgab.98 Das eigentlich auslösende Moment für die beiden Sozialdemokraten war offenkundig der deutschlandpolitische Stillstand nach dem Mauerbau vom 13. August 1961 gewesen. Lange vor Bahrs spektakulärem Auftritt in der Evangelischen Akademie in Tutzing hatten beide im Verlauf eines Treffens mit Mitarbeitern des „Monat" im September 1961 erste unfertige Schlüsse aus der neuen Situation gezogen, die dann im Laufe der Zeit zu dem bekannten Motto „Wandel durch Annäherung" -
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Nicolas Nabokov an Michael Josselson vom 8.6.1964, NL Josselson, Box 6. Nicolas Nabokov an Michael Josselson vom 21 6.1964, NL Josselson, Box 6. JA. Kwizinskij: Vor dem Sturm, S. 196-201 und N. Nabokov: Zwei rechte Schuhe, S. 371375. Vgl. femer Willy Brandt: Begegnungen und Einsichten. Die Jahre 1960-1975, Hamburg 1976, S. 114. Zum Zusammenhang der frühen Entspannungspolitik in den USA und Westdeutschland vgl. Michael Wolfssohn: West-Germany's Foreign Policy m the Era of Brandt ans Schmidt, 19691982. An Introduction, Frankfurt/Bem/New York 1986, S. 17f; s. bes. Peter Bender: Die „Neue Ostpolitik" und ihre Folgen. Vom Mauerbau bis zur Wiedervereinigung, München31995, S. 81-154, wo die Rolle John F Kennedys stark betont wird; vgl. ferner allg. Manfred Görtemaker: Die unheilige Allianz. Die Geschichte der Entspannungspolitik 1943-1979, München 1979, S. 42-68; André Schirmer: Die Deutschlandpolitik der SPD in der Phase des Übergangs vom Kalten Kneg zur Entspannungspolitik 1955-1970, Diss. phil. Münster 1987, S. 93-160, wo u.a. der Aufstieg Willy Brandts und die„Entideologisierung" der SPD im Zusammenhang mit der frühen Entspannungspolitik deutlich hervorgehoben wird; Peter Siebenmorgen: Gezeitenwechsel. Aufbruch zur Entspannungspolitik, Bonn 1990, S. 331 -392. Zum Gesamtverständnis unverzichtbar: HeloaHaftendorn: Sicherheit und Entspannung. Zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland 1955-1982, Baden-Baden 1983
4. Das Berliner Büro
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verdichtet wurden.99 Nachdem der CCF spätestens seit der Diskussion um die strategischen Thesen George F. Kennans gleichfalls einen moderaten Kurs steuerte, stießen Brandt und Bahr auch nach der Tutzinger Rede in der CCFFührung auf keinerlei Vorbehalte mehr. Nabokov wiederum paßte sich mit seinen vertraulichen Botengängen nahtlos in diesen neuen Gesamtrahmen westlicher Ostpolitik ein, innerhalb dessen sich ja auch der CCF befand.100 Ahnlich wie der Ungarnaufstand hatte der Bau der Berliner Mauer den seit dem „Tauwetter" erkennbar werdenden gemäßigten Kurs in der „Ostpolitik" des CCF nur kurz unterbrochen, um dann anschließend zum Ausgangspunkt für Überlegungen zu werden, wie mit der neuen Lage umzugehen sei; das heißt auch der Mauerbau stellte nur kurzfristig ein retardierendes Moment auf dem Weg zu einer ausgefeilten Politik der Entspannung dar, um mittel- und langfristig sogar beschleunigend zu wirken. Vor allem die Frage, wie angesichts einer veränderten Ausgangslage humanitäre Fortschritte zu erreichen seien, führte zur Revision überkommener Kalter Kriegs-Stereotypien im Bereich der US-amerikanischen, europäischen und besonders der deutschen antikommunistischen Linken und verband sich zugleich mit den durch die „New Frontier"Rhetorik der Kermedy-Administration wiederbelebten praktisch-reformistischen sozialen Zielvorgaben des Liberalismus US-amerikanischer Prägung. Dies änderte aber erst einmal nichts daran, daß sich die unmittelbare Reaktion des CCF auf den 13. August in dem Rahmen bewegte, der von den Ereignissen 1953 und 1956 vorgegeben worden war. Der propagandistische Apparat des CCF kam voll zum Tragen. Die Kongreßführung formulierte einen Appell im Namen Willy Brandts an die Intellektuellen der freien Welt mit der Bitte, Berlin in dem laufenden Freiheitskampf voll zu unterstützen.101 Dieser fingierte Appell wurde in einer gleichfalls vom CCF verfaßten und verbreiteten Solidaritätsadresse beantwortet, die unter anderen Nicolas Nabokov, Sidney Hook, Raymond Aron, Juan Luis Borges, Victor Raul Haya de la Torre (der Gründer der lateinamerikanischen APRA), Salvador de Madariaga, Maung Maung, Minoo Masani, J. Robert Oppenheimer, Michael Polanyi, Edward Shils, Hugh
99
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CCF-Newsletter
vom 28.9 1961. In dem Gespräch ging es bereits um erste Schritte zu einer langsamen Wiederherstellung der Freizügigkeit, aber auch um die Akzeptanz Westberlins als intregralem Bestandteil der Bundesrepublik. Dem Umstand, daß der CCF die frühe Entspannungspolitik maßgeblich mittrug, widerspricht es nicht, daß ein Teil der CCF-Mitglieder in den frühen siebziger Jahren der Praxis der Entspannung wieder erheblich skeptischer begegnete. Hier handelte es sich va. um die Furcht, die
westlicher Seite könne den Kommunisten zu viel Vertrauen schenken, während noch bis 1967/68 jedem Beteiligten vollkommen klar war, daß Brandts Politik auf antikommunistischen Prämissen 101
beruhte. Michael Josselson an Daniel Bell vom 3.10.1961, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 45, Folder 6: „You will have seen, and in fact you have signed, the Congress statement in answer to Willy Brandt's letter Brandt's letter, of course, was not only prompted by us, but in fact drafted by
us;..."
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IX. Die Arbeit der deutschen Regionalbüros
Seton Watson, Ignazio Silone und Manès Sperber unterzeichneten.102 Ein letztes Mal griff der Kongreß auf die methodischen Vorgaben Willy Münzenbergs zurück. Der Hauptadressat des „Offenen Briefes" war dabei freilich weniger die Weltöffentlichkeit als vielmehr Pandit Nehru, den man glaubte durch die über Berlin ausgebrochene moralische Empörung von seinem als neutralistisch empfundenen Kurs abbringen zu können. Doch nur zu bald erkannte man im CCF, daß symbolische Gesten und öffentlicher Protest rein defensiv wirkten und unzureichend bleiben mußten. Dies wurde deutlich, als sich Nabokov im November 1961 mit Chip Bohlen, Arthur M. Schlesinger jr. und Adlai Stevenson traf, die allesamt die Situation in Berlin ebenso deprimiert wie hoffnungs- und konzeptlos zur Kenntnis nahmen.103 Ungeachtet der Hilflosigkeit, mit der das intellektuelle liberale Establishment im Umfeld der Kennedy-Administration auf den Mauerbau reagierte, unternahm es „Der Monat" in einem eigenen, aber nicht veröffentlichten Berlin-Symposion im September 1961, erste Anregungen zu geben, wie man möglicherweise Wege aus der Krise auffinden könnte.104 Von da an, obgleich die Beiträge naturgemäß noch ganz von der unmittelbaren Konfrontation mit dem ideologischen Gegner gekennzeichnet waren, begann der Weg zu neuen Formen der Kooperation. Diesmal wirkten die Deutschen aktiv und an zentraler Stelle an diesem neuen Prozeß mit. Das Ende der Nachkriegszeit war
angebrochen.
Der zweite Anlauf der Kongreßtätigkeit in der Bundesrepublik war weitaus weniger von Konflikten, Spannungen und Kontroversen gekennzeichnet als der erste. Das Prinzip der lokalen Gliederung anstelle eines zentralen deutschen Ausschusses hatte sich, wenn auch nicht ohne Einschränkungen, bewährt, und es wäre gewissermaßen eine hypothetische Frage aus dem Arsenal der kontrafaktischen Historiographie, ob ein nationales Komitee nicht gelegentlich doch effizienter hätte wirken können, vorausgesetzt, man hätte eine geeignte Leitungspersönlichkeit gefunden. Zwischen 1959 und 1964 zumindest funktio-
nierten die örtlichen Sektionen und Büros in angemessener Weise. Obzwar Paris an der unmittelbaren Zuständigkeit für die vier deutschen Büros festhielt, blieben diesmal die damit verbundenen endlosen Streitigkeiten aus, zumal die Komitees und Gruppen recht autonom arbeiten konnten. Dieser organisationsgeschichtliche Tatbestand war gleichzeitig auch Ausdruck eines doppel-
102
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Den Text hatten Michael Josselson und Denis de Rougemont aufgesetzt, vgl. Michael Josselson an Ulrich Biel vom 14.8.1961, Irving Jaffé an Egon Bahr vom 30.8.1961 und Nicolas Nabokov an Willy Brandt vom 29.8.1961 (Text des Offenen Briefes der Intellektuellen), IACF/CCFArchiv, Series II, Box 121, Folder 4. Nicolas Nabokov an Michael Josselson vom 3.11.1961, Nl. Josselson, Box 6: „Yet neither Chip [Bohlen], nor Arthur [Schlesinger], nor later [Adlai] Stevenson had any concrete suggestions or ideas about the Wall, about how to solve the Berlin problem. [...]. Maybe I am dumb and stupid, but what I felt in NY. and Washington [...] is a kind of determined gloom and hopelessness Vgl. a. Fritz René Allemann: Ulbncht Triumphator, in: Der Monat, H. 156 ( 1991 ), S. 5-14. "
104
4 Das Berliner Büro
525
ideengeschichtlichen Wandels: Einerseits hatten die Deutschen an Selbstbewußtsein gewonnen und pochten stärker als früher auf ihre je spezifischen Interessen und Erfahrungen. Damit verbunden war, daß der zweite deutsche CCF nicht mehr so sehr Instrument einer fremdgesteuerten ideell-kulturellen Verwestlichung war, sondern vielmehr Ausdruck einer ebenso unspektakulären wie wirkungsvollen inneren Westlichkeit eines Teils der deutschen Intellektuellen, die gewissermaßen in den Jahren seit 1945 ihre „Einhausung" im Westen vollendet hatten. Andererseits war die Pariser Zentrale gewillt, die Deutschen gewähren zu lassen, auch dies Ausdruck organisatorischer wie ideeller Veränderungen. Die neuen Technokraten des Kalten Krieges hatten mehr Vertrauen in die Handlungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der westdeutschen Intellektuellen, sofern diese dem CCF angehörten, und waren deshalb auch bereit, in den organisationsspezifischen Grenzen des CCF deren Streben nach geistiger Autonomie ernstzunehmen. Eng verbunden mit der Gesamtentwicklung des internationalen CCF traten damit auch in Westdeutschland antineutralistischantikommunistische Ziele in der Kongreßarbeit zurück, während das, was zuvor als „re-orientation" bezeichnet wurde, im Vordergrund stand. Die Werthaltungen, die in Hamburg, Köln, München und Berlin vertreten wurden, blieben im geistigen Rahmen, den der Konsensliberalismus vorgezeichnet hatte; sie waren antitotalitär, individualistisch, sozialreformistisch, aber marktwirtschaftlich, kosmopolitisch und in Ansätzen pragmatisch. In der Tat ging es dem zweiten deutschen CCF überwiegend um die Stabilität der inneren Westlichkeit der Bundesrepublik, den Schutz der liberalen Errungenschaften der „re-orientation"-Phase durch die Deutschen selbst. Das Nachlassen ausländischen Einflusses zwischen dem „Fall Schlüter" und der „Spiegel-Krise" ist ein signifikantes Zeichen dafür, daß die deutschen Intellektuellen wirklich zu Subjekten eigenen Handelns geworden waren. Die Mitarbeit liberaler und sozialdemokratischer westdeutscher Intellektueller als weitgehend gleichberechtigte Mitglieder einer transnationalen Organisation wie dem CCF war Ausdruck ihrer anhaltenden Bereitschaft, sich in den fortschreitenden Prozeß der ideell-kulturellen Westintegration aktiv einzubringen. In dieser Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit von Anfang an westorientierter oder im Laufe der Zeit „westernisierter" Werteliten zeigt sich der Charakter des US-amerikanischen „empire by invitation" mit besonderer Deutlichkeit. Auch aus diesem Grund war die Mitgliederstruktur des zweiten deutschen CCF bezeichnend. Im Zentrum blieb die medial gesteuerte Wertevermittlung; Journalisten und Publizisten überwogen Literaten oder bildende Künstler bei weitem, Siegfried Lenz oder Heinrich ten
Böll blieben Ausnahmen; Politiker waren kaum noch zu finden, obwohl der Bezug zur Politik durchgehend gewahrt blieb. Dies galt vor allem im Verhältnis zur mittlerweile gewandelten SPD, die unter Willy Brandt zum Hoffhungsträger für den westdeutschen Konsensliberalismus wurde. Gerade die Hamburger Gruppe bewies die Lebensfähigkeit des Kongresses in der Bundesrepublik. Doch es sollte anders kommen, wobei die Krise diesmal eindeutig vom interna-
526 tionalen CCF
IX. Die Arbeit der deutschen Regionalbüros
ausging.
X. DER WEG IN DIE KRISE 1. Der Berliner Kongreß von 1960
Befand sich der deutsche CCF zu Beginn der sechziger Jahre unzweifelhaft in einer Aufschwungphase, so wollte es eine Ironie der Geschichte, daß der internationale CCF ausgerechnet zum zehnten Jahrestag seiner Gründung den Weg in den Niedergang antrat. Der Prozeß, der zum Ende des CCF in seiner ursprünglichen Gestalt führte, hatte vielfältige und weit zurückreichende Ursachen, denen gegenüber der CIA-Affäre von 1967 bestenfalls der Rang eines Auslösers zukam. Erstmals wurden die sich abzeichnenden Krisensymptome, die erneut sowohl organisatorischer wie weltanschaulicher Natur waren, im Umfeld des Berliner Jubiläumskongresses von 1960 sichtbar. Was ursprünglich als Geburtstagsfeier angelegt war, geriet unversehens und gänzlich unvermutet zum Ausdruck beginnender Perspektivlosigkeit. Jedermann in der CCF-Zentrale war spätestens einige Zeit nach dem Berliner Treffen klar geworden, daß ein erhebliches Maß an internem Diskussionsbedarf bestand. Die Konzentration auf das Ende der Ideologie oder die Analyse der Phänomenologie moderner Industriegesellschaften reichte allzu offenkundig nicht mehr aus, um dem CCF die erforderliche, gewünschte und in Anbetracht seiner Ziele notwendige globale Dynamik im Bereich des Wertetransfers zu verschaffen. Er ließ allmählich ein anziehendes Gepräge vermissen. Dazu trug auch die ständig anspruchsvoller werdende Kritik von neulinker Seite bei. Entsprechend wird sich dieses Hauptkapitel, das chronologisch dort einsetzt, wo wir den internationalen CCF in Kapitel VIII verlassen haben, mit dem Kongreß „Fortschritt im Zeichen der Freiheit" als Ausgangspunkt der Krisenerscheinungen der sechziger Jahre zu befassen haben. Ebenso müssen die unterschiedlichen organisatorischen Reformversuche behandelt werden, welche seit 1962 immer hektischer in den entsprechenden Gremien des CCF diskutiert wurden. Diese wiederum waren stets auch Ausdruck der externen und internen Kritik am Konzept vom Ende der Ideologie als Integrationsfaktor der CCFWeltanschauung nach dem Ende der absoluten Dominanz des Antitotalitarismus. In diesem Zusammenhang wird der Person von Edward Shils einiges Gewicht zukommen. Obwohl die frühen Krisensymptome des internationalen CCF sich nicht unmittelbar auf den deutschen CCF auswirkten, schlugen sie sich doch, wenn auch vergleichsweise indirekt, in der redaktionellen Linie des „Monat" nieder, weshalb dessen Schicksal nach dem Weggang Melvin Laskys hier und nicht im
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X. Der Weg in die Krise
einschlägigen Kapitel über den CCF in der Bundesrepublik behandelt werden soll. Unter anderem hängt dies damit zusammen, daß die Krise des „Monat"
auch Ausdruck der weltanschaulichen Diffusion im internationalen CCF war, wenngleich damit nur einer der mannigfaltigen, auch speziell auf Deutschland bezogenen Faktoren benannt wird, die am Ende zum Erlöschen des Magazins führten. Dennoch, insgesamt war die sogenannte „Renationalisierung" zu einem erheblichen Teil ein Signal für die nachlassende Bindekraft des internationalistischen Kosmopolitismus im konsensliberalen Lager. Damit behandelt dieses Kapitel all jene Faktoren, die 1966/67 dazu beitrugen, den CCF binnen weniger Monate vollständig zu ruinieren, nachdem seine Widerstandskraft bereits seit geraumer Zeit unterminiert worden war. Der Berliner Jubiläumskongreß vom 16. bis zum 20. Juni I9601 war vom Internationalen Generalsekretariat mit erheblichen Erwartungen einberufen worden. Willy Brandt hatte als Nachfolger Ernst Reuters dazu eingeladen und Michael Josselson rechnete sich aus, daß die besten geistigen Köpfe der westlichen Welt sich in Berlin zu einem Gedankenaustausch einfinden wurden. Die Mittel dazu stellte die Ford-Foundation bereit.2 Ungeachtet der negativen technischen Resultate der Mailänder Konferenz von 1955, schien das zehnjährige Bestehen des CCF den neuerlichen Aufwand zu rechtfertigen. Dafür nahm Josselson auch kleinere Unbilden in Kauf. Beispielsweise weigerte sich Norbert Mühlen, dessen Verdienste um den frühen CCF unbestritten waren, überhaupt zu erscheinen. Er war im März 1959 aus dem krisengeschüttelten ACCF ausgetreten, nachdem dieses die „Partisan Review" erworben hatte, ohne ihn zu fragen.3 Seinen Ärger ließ er nun am internationalen CCF aus. Ansonsten gelang es jedoch ein letztes Mal, nahezu sämtliche Persönlichkeiten zu versammeln, die in den vergangenen zehn Jahren das organisatorische Profil des CCF bestimmt oder ihm sein geistiges Gepräge gegeben hatten. Was die Kampagne gegen die Mauer im propagandistischen Sektor darstellte, nämlich das Ende des Münzenberg-Zeitalters im Agitprop-Bereich, war der Berliner Kongreß auf dem Feld der publizitätsträchtigen Tagungen des CCF. Insgesamt erschienen 221 Personen aus 48 Ländern, darunter erstmals ein erheblicher Teil aus der 3. Welt.4 Die Deutschen waren mit 44 Teilnehmern erwartungsgemäß wieder einmal überrepräsentiert.5 Erstmalig saßen, trotz des 1 2 3 4 5
Vgl. P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 379-387. Michael Josselson: ,J>aft of the Application for Grant to Cover Program of International Activities" vom Mai 1959, S. 19, NL Josselson, Box 10. Norbert Mühlen an Arnold Beichman vom 20.2.1960, NL Mühlen, Box 19. Time vom 4.7.1960; s.a. Congress News (September/October 1964), S. 1 ff. P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 381, nennt u.a. Boris Blacher, Willy Brandt, Marion Gräfin Dönhoff, Ossip K. Flechtheim, Ernst Fraenkel, Otto Heinrich von der Gablentz, Heinrich Gollwitzer, Rudolf Hagelstange, Klaus Harpprecht, Hans Herzfeld, Theodor Heuss, Paul Egon Hübinger, Hellmuth Jaesrich, Carl Liniert, Theodor Litt, Karl Löwith, Friedrich Luft, Georg Meistermann, Berend von Nottbeck, Rudolf Pechel, Josef Pieper, Jürgen Rühle, Karl Schiller, Bruno Snell, Carlo Schmid, Franz-Joseph Schöningh, Joseph C. Witsch und Franz
529
1. Der Berliner Kongreß von 1960
vorausgegangenen Streites zwischen der Kölner Gruppe und dem Pariser Sekretariat, Angehörige des alten deutschen Ausschusses und der neuen regionalen Büros des deutschen CCF einträchtig beieinander. Auch die anderen Delegationen waren hochrangig besetzt und boten einen imposanten Querschnitt durch das intellektuelle Leben der westlichen Welt. Wie in Mailand waren die Vertreter der ADA, so etwa John Kenneth Galbraith und Arthur M. Schlesinger jr., der zwischenzeitlich Mitglied des Internationalen Exekutivkomitees geworden war, mit einer hochrangig besetzten Delegation angetreten, ebenso wie die britischen Reformsozialisten um Healey und CAR. Crosland. Desweiteren fand sich mit Richard Löwenthal, Walter Laqueur, Raymond Aron, Fritz-René Allemann, Manès Sperber, Bertrand de Jouvenal, Nicola Chiaromonte, Konstantin Jelenski, Czeslaw Milosz, Haakon Lie, George F. Kennan und J. Robert Oppenheimer gewissermaßen die Standardbesetzung der CCF-Kongresse ein. Seit Mailand hatte sich nur wenig geändert. Die intellektuelle Familie des internationalen Konsensliberalismus hätte sich selber feiern können. Mehr noch als im personellen Bereich zeigte sich inhaltlich eine erhebliche Kontinuität, die man auch als weltanschaulichen Stillstand interpretieren konnte. Aron, Shils, Polanyi und Nabokov waren maßgeblich daran beteiligt, die neuerliche Konferenz vorzubereiten. Wie kaum anders zu erwarten, stand das Ende der Ideologie im Mittelpunkt, ohne aber eigens in einer Session thematisiert zu werden.6 Im Gegensatz zu Mailand waren die Organisatoren dazu zurückgekehrt, die thematische Vielfalt, die man behandelt wissen wollte, in vier Arbeitsgruppen zu bündeln, die möglichst straff geführt ein reichhaltiges Vortrags- und Diskussionsangebot garantieren sollten.7 Besonders kontrovers wurde in der Arbeitsgruppe I: „Politischer Fortschritt: Demokratie, Ordnungen und Freiheiten" diskutiert, deren Leiter Raymond Aron mit eine aus der Sicht vieler Beobachtern allzu kühl geratenen Analyse der Probleme moderner Demokratien erst einmal keine Jubelstimmung aufkommen ließ. Dieser Eindruck verstärkte sich, als Arons Korreferent Michael Freund zu einer ausgesprochen vehementen Kritik am demokratischen System ausholte.8 Gerade die -
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7 8
-
Wördemann. Vgl. E. Shils: Remembering the Congress, 1. Teil, S 63; Neue Zürcher Zeitung vom 26.6.1960; Entwurf der Programmkommission für den Kongreß „Progress in Freedom", o.D. (Anfang 1960), S. 5f, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 5, Folder 4: „It would also be useful to enquire whether representative government is not better served by an empirical attitude in society than
by an ideological one." Vgl. Der Monat, H. 143 ( 1960), S.
10-21 Diese Art liberaldemokratischer Selbstkritik setzte im CCF eigentlich erst zwei Jahre später ein, als Denis de Rougemont dazu aufforderte, neben der politischen Bedrohung der Freiheit durch den Totalitarisme auch technologisch-materielle und soziale Faktoren stärker mitzubedenken und vor einer Beschäftigung mit den Defiziten der westlichen Gesellschaftsordnungen nicht zurückzuschrecken, vgl. Denis de Rougemont: „Kongreß in veränderter Welt", in: Informationen (November 1962), S. 6f. Rougemont bündelte damit die Ergebnisse der Mailänder und Berliner Tagung mit Kennedys „New Frontier"-Rhetorik und machte sie für den CCF quasi-
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X. Der Weg in die Krise
Anwesenden aus der Dritten Welt, allen voran der indische Sozialist Jayaprakesh Narayan, ein neues Mitglied der Internationalen Exekutive des CCF, erhoben Einspruch gegen den ihrer Ansicht nach blasierten und selbstgefälligen Defaitismus der westlichen Intellektuellen, deren Pessimismus ihnen angesichts der materiellen Erfolge des Westens unbegründet erschien. Dennoch verstieg sich der US-Amerikaner Morroe Berger entgegen allen sonst gepflegten Traditionen des CCF sogar zu einer positiven Würdigung von Militärdiktaturen in der Dritten Welt, deren modernisierenden Charakter er, sekundiert von dem Birmaner Maung Maung und dem Schweizer Fritz-René Allemann, hervorhob. Es ging ihm jedoch weniger um ethische Werturteile als um eine soziologische und politologische Analyse, was den meisten Teilnehmern die Argumentation freilich nicht eingängiger machte. Erst als François Bondy das Wort ergriff und sich mit aller Deutlichkeit zur europäischen Einigung und zu den demokratischen Werten des Kosmopolitismus bekannte, war die Welt des „consensus liberalism" wieder in Ordnung.9 In der zweiten Arbeitsgruppe „Sozialer Fortschritt: Tradition, Werte und Klischees", die von Edward Shils geleitet wurde, griff der Soziologe aus Chicago auf die Ergebnisse der diversen CCF-Seminarprogramme der vergangenen Jahre ebenso zurück wie auf seine eigenen Forschungsergebnisse.10 Wieder wurden die ganz unterschiedlichen Erfahrungen, die Westeuropäer und Nordamerikaner auf der einen, sowie Asiaten und Afrikaner auf der anderen Seite mit den Phänomenen von Massengesellschaft und Industrialisierung gemacht hatten, deutlich. Bertrand de Jouvenal, Sidney Hook und Eugene Rostow griffen überdies die Frage auf, welche ordnende und kritisch begleitende Rolle Intellektuellen in all den laufenden Modernisierungsprozessen zukäme.11 Erneut waren, mit Ausnahme von John Kenneth Galbraith, die westlichen Intellektuellen pessimistischer als ihre Kollegen aus der Dritten Welt, die im industrialisierten Westen vornehmlich ein nacheifernswertes Vorbild erkannten. Nicolas Nabokov konnte in der Arbeitsgruppe III, „Fortschritt in den Künsten: Künstler, Publikum und Mäzenatentum", auf seine favorisierten Themen zurückkommen. Im Gegensatz zu den anderen Diskussionsrunden waren hier die Vertreter des Westens nicht nur fast unter sich, sondern zudem überwiegend optimistisch gestimmt. Der Zusammenhang von Demokratie, individualistischem Liberalismus und freier Entfaltung künstlerischer Kreativi-
9 10
offiziell verfügbar. Vgl. Der Monat, H. 143 ( 1960), S. 22-30. S. die Unterlagen der Planungskomnussion für das Programm „Tradition and Social Change" im IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 105, Folder 8; vgl. Manès Sperber: „Verstoßene Vergangenheit enterbte Gegenwart: Sozialpsychologische Bemerkungen zum Thema Tradition und Massenkultur", NL Sperber, WSLBib, Mappe 504. Interessanterweise tendierten die westlichen Teilnehmer zu einem weniger euphorischen Gebrauch des Modernisierungsbegriffes als gemeinhin in den frühen sechziger Jahren üblich -
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1 Der Berliner Kongreß von 1960
531
tat mit
dem schöpferischen Werk wurde weder von Friedrich Luft noch von Stephen Spender, Hans Heinrich Stuckenschmidt oder gar Friedrich Torberg ernsthaft in Frage gestellt. Im Bereich der Hochkultur hatte die Weltanschau-
ung der fünfziger Jahre den Wandel der Zeit offenkundig unbeschadet überstanden. Weitaus kontroverser diskutierte man in der Arbeitsgruppe IV, „Fortschritt der Ideen: Die Intellektuellen und die moralische Leidenschaft". Hier gerieten Richard Löwenthal und Michael Polanyi über die Frage aneinander, inwieweit Faschismus oder Bolschewismus aus einem wie auch immer gearteten Überschuß moralischer Leidenschaft bei den europäischen Intellektuellen heraus erklärbar seien. Polanyi hatte einen engen Zusammenhang der Ideen der Aufklärung und der französischen Revolution mit den beiden Totalitarismen des zwanzigsten Jahrhunderts postuliert, was nicht allein Löwenthals Widerspruch hervorrief. Vor allem Sidney Hook griff Polanyi scharf an, um den positiven Gehalt des Auklärungserbes zu verteidigen. Danach wandten sich die Kontrahenten, veranlaßt durch Herbert Luethy, Hans Kohn, Jeanne Hersch und den Teilnehmern aus der Dritten Welt, dem Problem des Nationalismus und seiner Funktion in der Epoche von Kolonialismus und Entkolonialisierung zu, ohne Einigkeit erzielen zu können. Daneben war die Arbeitsgruppe IV die einzige, die sich weiterhin klassischer Themen des frühen CCF wie Antitotalitarismus, Internationalismus und Neutralismus annahm. Das „Time Magazine" hatte jedoch recht, wenn es in seinem Bericht zum Berliner Kongreß festhielt, daß der Kommunismus als geistige Herausforderung im Vergleich zu früheren Konferenzen überhaupt keine Rolle mehr gespielt habe. Der Begriff tauchte nur noch am Rande auf.12 Wesentlich wichtiger wurden Einwände gegen die materialistische Wirtschaftswunderkultur der Bundesrepublik, wie sie etwa von Friedrich Luft formuliert wurden, ohne daß damit eine generelle Kritik des westlichen Kulturbetriebes verbunden worden wäre. Innerhalb des CCF wurde das Berliner Treffen anfangs nahezu uneingeschränkt als Erfolg wahrgenommen.13 Diese Einschätzung deckte sich aber 12
Time vom 4.7.1960; vgl. aberP. GrÉmion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 386f.unddie angeregte Broschüre „A Message from Berlin", s. Harold Hurwitz an John C. Hunt vom 28.3.1960, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 121, Folder 2, die Berlin va. als „Vorposten der Ideen von Freiheit, Gleichheit, Rechtlichkeit, Menschenwürde und hohem Lebensstandard" gegenüber dem Totalitarismus beschrieb. S. den CCF-Report to the Ford-Foundation vom Dezember 1960, S. 1, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 106, Folder 5. Im Anhang I zu dem Report weist Edward Shils allerdings noch einmal darauf hin, daß die Kampagne des CCF gegen den dialektischen Materialismus an Zugkraft verloren habe, zumal der orthodoxe Marxismus überall Revisionen unterliege. Die Zeit der Polemik sei vorbei, man müsse den Westen jetzt selbstkritischer untersuchen. Josselsons Sicht des Kongresses war weniger reflektiv, sondern hob bes. auf das große Presseecho ab. E. Shils: Remembering the Congress, Teil 1, S. 69 überliefert aber zusätzlich eine ausgesprochen pessimistische Bemerkung de Rougemonts, der sich über Sinn und Zweck des CCF offenbar nicht mehr im Klaren war. Es ist jedoch unklar, ob diese Aussage im unmittelbaren Zusammenvon Harold Hurwitz
13
hang mit dem Berliner Kongreß stand.
532
X Der Weg in die Krise
nicht unbedingt mit der Sicht Außenstehender auf den CCF, selbst wenn sie, wie der Berliner RIAS, dem Kongreß im Prinzip wohlgesonnen waren. In einem ausführlichen Kommentar griff der Sender die Berliner Konferenz als „Kongreß der Unkonkretheit und des Pessimismus" an, der sich eines „terminologischen Esperantos" bedient habe und zudem einem unklaren Kulturpessimismus huldige.14 Selbst wenn man mit einbezieht, daß der RIAS in weit stärkerem Maße der Diktion und den Erwartungshaltungen des Kalten Krieges verhaftet geblieben war, konnte der Verlauf der Veranstaltung doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die weltanschaulichen Grundlagen des CCF unsicherer geworden waren. Insofern irrt Peter Coleman nicht, wenn er feststellt, „Progress in Freedom" habe so etwas wie einen Wendepunkt in der Geschichte des Kulturkongresses markiert.15 Sicherlich war es noch einmal gelungen, den spätestens seit 1955 erhobenen Anspruch auf globale Attraktivität einzulösen. Die Teilnehmer, die Themen und Diskussionen, all dies spiegelte die Hoffnung des „consensus liberalism" auf weltweite kulturelle Hegemonie wieder. Trotzdem zeigten ausgerechnet die Reden jener westlichen Intellektuellen, die dem CCF zumindest nahestanden, in ihrem kulturpessimistisch und fortschrittsskeptisch angehauchten Subtext, daß der klassische Konsensliberalismus, wie er sich seit den dreißiger Jahren in den USA herausgebildet hatte, seinen geistigen Zenith durchmessen hatte. Die Ideen und ihre Vertreter waren in die Jahre gekommen. Die seit Mitte der fünfziger Jahre selbstverständlich akzeptierte Annahme, nach dem sicheren Sieg über den Marxismus, werde sich, richtige Planung und Organisation vorausgesetzt, schon alles richten, bekam erste Risse. Die triumphalistische Selbstgefälligkeit westlich-liberaler Intellektueller verwandelte sich allmählich in Selbstzweifel und Selbstkritik. Angesichts der zuvor nicht recht erkannten Komplexität sozialer und ökonomischer Probleme, nicht zuletzt in den früheren Kolonialgebieten, verlor der pragmatistische Gedanke an ein „social engeneering" zusehends seinen Reiz. Ein weiterer Aspekt, der sich ganz konkret auf den CCF bezieht, darf aber nicht übersehen werden. Man könnte nämlich versucht sein, diese Krisenphänomene zum Teil psychologisch als eine Art intellektueller Überdrußreaktion zu deuten. Nach zehn Jahren liberaldemokratischer, antitotalitärer Agitation, nach fünf Jahren Entideologisierungsdebatte und all den unterschiedlichen propagandistischen Anstrengungen der Vergangenheit zeigten die Vorkämpfer des Konsensliberalismus und der Ideenwelt des Kalten Krieges erste Verschleißerscheinungen. Ausgerechnet zu einer Zeit, in der die Neue Linke mit jugendlichem Optimismus daran ging, die Welt theoretisch neu zu entdecken und mit globalen Ordnungskonzepten zu beglücken, verloren die einst so unermüdlichen Verteidiger einer reformistischen liberalen und demokratischen Gesell14
RIAS-Kommentar: „Fortschritt im Zeichen der Freiheit" vom 22. Juni 1960, S. 2, NL Schmid,
AdsD, Bd. 569. 15
P Coleman: The Liberal
Conspiracy, S.
176.
1 Der Berliner Kongreß
von
1960
533
schaff den Glauben an ihre Mission. Wesentlich erfolgreicher als die inhaltlichen Diskussionen verliefen die organisationsbezogenen Sitzungen am Rande des Kongresses. Erne ganze Reihe von Intellektuellen und Politikern aus der Dritten Welt wurde ins Internationale Komitee des CCF gewählt: Gabriel d'Arboussier aus dem Senegal, German Arcienegas aus Kolumbien, AK. Brohi aus Pakistan, Arthur Lewis von den Antillen, Maung Maung aus Birma, Ashoka Mehta aus Indien, Ayo Ogunsheye aus Nigeria sowie weitere Personen aus Japan, der Türkei und Venezuela. Für die Bundesrepublik waren weiterhin Carlo Schmid und Bruno Snell im Komitee vertreten, hinzu kam Joseph C. Witsch. An der faktischen Nichtpräsenz der Deutschen im internationalen CCF änderte sich dadurch allerdings nichts. Außerdem wurden der Inder Jayaprakesh Narayan und der senegalesische Staatspräsident und führende Kopf der intellektuellen „Négritude" Leopold Sedar Senghor zu Ehrenpräsidenten des CCF ernannt; die Ehrenpräsidentschaft von Theodor Heuss wurde bestätigt.16 Obwohl das Internationale Exekutivkomitte erweitert und internationalisiert wurde, änderte sich an der grundsätzlichen Machtbalance innerhalb des CCF nichts. Weiterhin liefen sämtliche Fäden des CCF im Pariser Generalsekretariat zusammen, dessen Position im Internationalen Komitee ferner dadurch gestärkt wurde, daß Nabokov (später Emmanuel), Josselson, Julius Fleischmann und Edward Shils als geborene Mitglieder der Internationalen Exekutive fungierten, sich also selbst beaufsichtigten.17 Da Pierre Emmanuel als Internationaler Generalsekretär nie die Rolle zu spielen vermochte, die Nabokov innegehabt hatte, fiel die Führung des internationalen CCF spätestens seit 1962 Michael Josselson, John C. Hunt und dem Exilpolen Konstantin Jelenski zu. Gleichzeitig und in engem Zusammenhang mit der Berliner Konferenz stehend, blieb weder der CCF-Führung noch den engen Mitarbeitern verborgen, daß der Kongreß Gefahr lief, in eine personelle Sackgasse zu geraten. Schon im Juli 1960 warnte Marion Bieber, man benötige neue, jüngere und begeisterungsfähige Mitglieder und dürfe sich nicht ständig mit den immer gleichen Themen und Fragestellungen befassen. Die sich aus dem Berliner Jubiläumstreffen ergebende Dynamik sei
unbedingt auszunutzen. Ihre Mahnung verhallte ungehört.18 Am Ende des Berliner Kongresses von 1960 stellte sich der CCF dem aufmerksamen Beobachter in einer sonderbar ambivalenten Verfassung dar. Organisatorisch stand er besser da als je zuvor, auch wenn hypertrophe Züge 16 17
18
P. GrÉmion: Intelligence de l'Anticommunisme, S 381 und S. 383. 1962, kurz nachdem Nabokov durch Emmanuel ersetzt worden war, wechselte ein Teil des Sekretariates unter Josselson aus steuerrechtlichen Gründen nach Genf in die Schweiz, vgl. P. GrÉmion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 387Í, s.a. S 358. Wenig später demissionierte René Tavemier wegen der Eskalation des US-amerikanischen Eingreifens in Südvietnam, ein erstes Anzeichen, daß die Krisenerscheinungen im CCF auch die Zentrale erreicht hatten. Marion Bieber: „The next ten years of the Congress" vom 25.7.1960, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 105, Folder 11.
534
X Der Weg in die Krise
einer Überorganisation erkennbar waren. Das Zeitschriftenimperium war imponierend, nicht nur hinsichtlich der Auflagenzahl und der internationalen Verbreitung der gut ein Dutzend Magazine, sondern auch bezogen auf das qualitative Niveau der Blätter, deren diskursiver Anspruch weltweit seinesgleichen suchte. Inhaltlich hingegen deutete sich bereits der Verfall an. Der Weg in die Krise war angetreten, ohne daß es den Beteiligten zunächst klar gewesen wäre.
2. Das „Ende der Ideologie" in der Kritik Es waren nicht allein interne Merkmale eines sich ankündigenden Niederganges der CCF-Ideologie, die um 1960 erkennbar wurden. Langfristig weitaus bedeutsamer wurden die ständig offener werdenden Angriffe der intellektuellen Neuen Linken19 und des zeitgleich auftretenden Neokonservativismus.20 Interessanterweise verdankten beide Weltanschauungen, so heterogen sie im einzelnen auch sein mochten, einen erheblichen Teil ihrer Existenz ausgerechnet der Tätigkeit der „liberals". Beim Neokonservativismus ist dies besonders deutlich. Ein nicht geringer Anteil seiner Vordenker entstammte direkt dem „consensus liberalism", man denke nur an Norman Podhoretz, Irving Kristol und später Daniel Bell. Auch im Hinblick auf die Neue Linke erscheint die These kaum allzu gewagt, daß neben der Tatsache, daß die marxistische Orthodoxie durch Stalins Tod und die Ereignisse in Ungarn an Strahlkraft eingebüßt hatte die Entideologisierungskampagne des CCF und der Wandel der nichtkommunistischen Arbeiterparteien zu ideologiearmen Volksparteien gewissermaßen den weltanschaulichen Raum für das Entstehen neulinker Gruppen und Ideen ieigaben. Dies ist selbstverständlich nicht materiell-inhaltlich gemeint, sondern formal, im Hinblick auf die Entstehungsbedingungen der Neuen Linken. Überdies durfte das Auftauchen des alten „radicalism" in veränderter Gestalt ebenso symptomatisch für die nachlassende Integrationskraft des Konsensgedankens -
-
19
Die Literatur zur Neuen Linken ist fast unüberschaubar und leidet zudem darunter, daß bislang vorwiegend alte Anhänger oder Gegner der „68er" damit fortfahren, ihre Streitigkeiten von einst monographisch weiter auszutragen. Erst langsam kommt eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem überaus komplexen Phänomen der Neuen Linken in Gang, die hier natürlich nur insofern behandelt werden kann, als sie mit dem CCF in Kontakt kam. Vgl. neuerdings: Ingo Juchler: Die Studentenbewegung in den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland. Eine Untersuchung hinsichtlich ihrer Beeinflussung durch Befreiungsbewegungen und theorien der Dritten Welt, Berlin 1995 (mit reichhaltiger Bibliographie); femer ist einschlägig: Thomas Ellwein: Krisen und Reformen. Die Bundesrepublik seit den sechziger Jahren, München 1989. Vgl. aus der Vielzahl neokonservativer Publikationen und Monographien zum Thema: William F. Buckley: Up From Liberalism, New York 1959; John Ehrmann: The Rise of the Neoconservatives. Intellectuals and Foreign Affairs, New Haven 1995; Peter Steinfels: The Neoconservatives. The Men who are Changing American Politics, New York 1979. -
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2. Das
„Ende der Ideologie" in der Kritik
535
erneuerte Beharren auf den Formeln des altliberalen Individuahsmus durch einstige Anhänger des „welfare capitalism". Allerdings verzichteten die Neokonservativen, die so verstanden weder für
sein, wie auf der anderen Seite das
eintraten, in der Regel auf eine aktive Kontroverse über die weltanschaulichen Inhalte des CCF. Hier reichte die alte Verbundenheit vorerst aus, um ein Mindestmaß an Solidarität aufrechtzuhalten.21 Aus der Sicht des CCF wiederum fielen die Ideen der Neokonservativen ihres altliberalen Gehaltes wegen nicht unter das Verdikt der Ideologie, weshalb es auch von dieser Seite nicht zu wirklichen Auseinandersetzungen kam. Erst als die Diskussionen mit dem „liberalism" fundamentalere Züge annahm und die geistigen Prämissen des keynesianisch gefärbten USLiberalismus attackiert wurden, verschärfte sich das Klima auch hier. Dies war um 1960 aber durchweg nicht der Fall. Ganz anders sah es zwischen Neuer Linker und CCF aus. Der hétérodoxe Marxismus der Neuen Linken mußte für die Entideologisierungstheoretiker des CCF eine Herausforderung darstellen, so wie umgekehrt diese These für die „radicals" der Studentenbewegung eine grundsätzliche und ärgerliche Anfrage an die innere Existenzberechtigung ihres Denkens war. Der Streit zwischen dem CCF und der frühen Neuen Linken nach 1960 war vornehmlich ein Konflikt zwischen „liberals" und „radicals" über die Gültigkeit der Lehre vom Ende der Ideologie als möglichem Relikt inzwischen ritualisierter Verhaltensmuster des Kalten Krieges. Ihm lag indes ein sehr viel grundsätzlicherer Streit zugrunde, in dem es zum einen um die Verstrickung des „consensus liberalism" in den antikommunistischen Konsens des Kalten Krieges überhaupt ging, die natürlich durch den eskalierenden Vietnamkrieg zusätzlich moralisch aufgeladen wurde, und zum anderen um die Frage nach der Reichweite gesellschaftlich transformatorischer Theorien sowie der Geschwindigkeit ihrer praktischen Umsetzung. Wie in der Zeit von 1944 bis 1948 handelte sich sich um eine ideologische Auseinandersetzung, die in aller Schärfe vorwiegend innerhalb des Lagers der intellektuellen Linken ausgetragen wurde. Die Stellvertreter-Debatte um das Ende der Ideologie,22 die zeitweise zum Ausdruck dieser tiefer liegenden Divergenzen, die zum Teil auch generaetwas Neues noch für etwas Konservatives
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Eine Ausnahme machte va. James Burnham, der seit 1954, bes. aber nach der Akzeptanz der Positionen Kennans durch den CCF seine alten Weggefährten aus den Zeiten des radikalen Antikommunismus immer heftiger angriff. In seinen Augen waren die „liberals" mit kommunistischen Ideen regelrecht infiziert. Der möglicherweise wichtigere, aber für unseren Zusammenhang nur randstandige Konflikt entzündete sich an Schlesingers und Galbraiths reformistischen Konzepten von der „Affluent Society" und dem „Vital Center", zu denen Michael Harrington mit „The Other America" einen deutlich radikaleren Gegenentwurf verfaßte Hier zeigt sich aber auch, wie nah sich die Kontrahenten ursprünglich standen, va. wenn man bedenkt, wie klar antikommunistisch gerade Harrington war, der als LID-Funktionär mit fast subversiven Methoden versuchte zu verhindern, daß in das „Port Huron-Statement" der Passus über die Zusammenarbeit mit Kommunisten aufgenommen wurde, vgl. T Gitlin: The Sixties, S. 114-118.
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X. Der Weg in die Krise
tionenspezifisch waren und vollkommen unterschiedliche Lebenserfahrungen wiedergaben, wurde von C. Wright Mills im Jahre 1960 in der „New Left Review" eröffnet.23 Bei ihm fanden sich bereits sämtliche Argumente, die von da an ständig gegen die Entideologisierungsthese vorgebracht wurden, und sie fanden sich in einer bewußt polemischen Form. Für Mills handelte es sich einfach um das Gedankengebäude von NATO-Intellektuellen, die ganz im Stil der „New York Intellectuals" rhetorisch geschickt Banalitäten darböten, die eigentlich nicht sonderlich durchdacht seien. Bell, Shils, Lipset und die anderen hätten es fertig gebracht, ihre Gedanken zu einer soziologischen Modeerscheinung zu stilisieren. Dabei gründe die Theorie in einem fast fetischistischen Verhältnis zum Empirismus, das heißt ihr mangelte es an theoretischem Gehalt. Mills' Argumentation wurde wenig später von Robert A. Haber um drei weitere Punkte ergänzt:24 Zum einen verwies er darauf, daß die schiere Existenz der analytisch dem Marxismus verpflichteten Neuen Linken den empirisch sowieso nie einlösbaren Anspruch der Entideologisierer ad absurdum führe. Damit ging
über Mills hinaus, indem er nicht allein die theoretische, sondern auch die empirische Gültigkeit des Ansatzes seiner Gegner in Zweifel zog. Zum anderen bemängelte er die terminologische Unscharfe des von Bell, Shils und Lipset verwendeten Ideologiebegriffes. Schließlich bemerkte Haber, formallogisch durchaus korrekt, die Lehre vom Ende der Ideologie trenne nicht sauber zwischen deskriptiven und normativen Sätzen, verfalle also der „naturalistic fallacy". Dadurch werde die These vom Ende der Ideologie am Ende selbst zur Ideologie, eine „status quo ideological formulation to rationalize the incorporation of intellectuals in the American way of life." Damit war Haber, mehr noch als Mills, in das Herz der Divergenz zwischen „liberals" und „radicals" vorgestoßen. Es ging um die Frage nach der Stellung des Intellektuellen in der Gesellschaft, nach der Akzeptanz der bestehenden Gesellschaft und ihrer ökonomischen und ideellen Grundlagen als solcher. Die neulinken Intellektuellen teilten prinzipiell den kritischen Anspruch ihrer liberalen Kollegen, radikalisierten ihn aber zu einer unbedingten Größe. Die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen, die für die Konsensliberalen angesichts der stalinistischen Bedrohung, aber auch der Reformbereitschaft des New Deal eine Selbstverständlichkeit gewesen war, wurde für die nachrückende Generation, die primär eine innere Bedrohung der liberalen Freiheitsrechte wahrzunehmen glaubte, zum Ausdruck fauler, amoralischer Kompromißbereitschaft. Radikale gesellschaftliche Reform, später sogar Revolution, radikalpartizipatorische Forderungen und eine radikalisierte Perspektive intellektueller Existenz als Ziele lösten in diesem Verständnis die bürgerliche Wohlabgewogenheit der Vergangenheit ab. Aron, Bell, Shils und der ganze CCF waren dann aber nichts anderes mehr als bloße Protagonisten des Bestehenden, denen jede kritische Distanz zu den er
23 24
C. Wright Mnis: Letter to the New Left, in: C.I. Waxman (Hg.). End of Ideology, S. 126-140. Roberta. Haber: The End of Ideology as Ideology, in: ebda., S. 182-205.
2 Das „Ende der Ideologie" in der Kritik
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Problemen der bürgerlichen Gesellschaft, zu sozialer Ungleichheit, Armut, Krieg, Korruption und Bigotterie abging.25 Dabei übersahen die Neulinken, daß
sie in Wahrheit nur ein Zerrbild zeichneten, das mit der Realität der CCFIntellektuellen und ihrer Ziele kaum noch etwas zu tun hatte. Sehr viel differenzierter war die Kritik, die Michael Harrington26 und Irving Howe27 am Ende der Ideologie übten. Da beide aus dem Kreis der „New York Intellectuals" stammten, war ihnen wenigstens klar, daß Bell und Shils keineswegs für eine konservative status quo-Politik eintraten. Howe folgte Haber darin, die begriffliche Unscharfe der CCF-Soziologen zu rügen, indem er ihnen vorwarf, sie hätten einen zu engen, vorab pejorativen Ideologiebegriff eingeführt. Harrington relativierte die Argumente der Neulinken bezüglich des politisch-instrumentellen Charakters des Endes der Ideologie, stellte aber dennoch fest, die Theorie könne, entgegen der Intentionen ihrer Vordenker, zu einer Art Katalysator eines gesellschaftlichen Konservativismus werden, der soziale Ungerechtigkeiten leugne und neue ideengeschichtliche Entwicklungen immer schon im voraus verdamme. Die Debatte um das Ende der Ideologie war 1966/67, als die Verbindungen des CCF zur CIA ruchbar wurden, noch im Gange. Mit den Berichten in „Ramparts" und der „New York Times" endeten jedoch alle Versuche, die Kontroverse als wissenschaftliche und halbwegs sachliche Debatte weiter zu führen. In den Augen der Kritiker enthüllte die Nähe des CCF zur CIA genau das, was sie bereits seit langem gemutmaßt hatten: Die Intellektuellen des CCF konnten nichts anderes sein als Handlanger des Systems. Entsprechend waren ihre Ideen und Theorien bloßer Ausdruck ihrer Abhängigkeit von den Herrschaftsinteressen der US-Regierung. Drastisch formulierte Maxwell Geismar, das Ende der Ideologie sei der zutiefst unmoralische Versuch von „literary lynchers", welche schon für McCarthy gearbeitet und die Hinrichtung der Rosenbergs bejubelt hätten, die Neue Linke intellektuell und moralisch im Staatsauftrag zu delegitimieren.28 Selbst wenn man, wie im vorliegenden Werk, die Rolle des CCF bei der kulturellen Penetration westlicher Gesellschaften im Interesse der US-Hegemonie recht hoch veranschlagt, gehen diese Vorwürfe der Neuen Linken doch weit am Ziel vorbei und sind allein aus der Stimmung des Augenblicks heraus verständlich. Die Reaktion des CCF auf die massive Kritik am Konzept der Entideologisierung blieb auch vor 1966/67 verhalten. Allen Graubard, der Mills 1961 im „Encounter" antwortete, gab diesem sogar bis zu einem gewissen Grade recht, merkte aber ausdrücklich an, auch dessen Argumentation leide an unnötiger Simplizität und Einseitigkeit. Außerdem verteidigte er Bell gegen den Vorwurf 25 26 27 28
Vgl. a. Irving L. Horowitz: Another View from our Left, in: ebda., S. 166-181. Michael Harrington: The Anti-Ideology Ideologues, in: ebda., S. 342-351. I. Howe: The New York Intellectuals, S. 39. Maxwell Geismar: Year of Revelations, in: The Minority of One (Dec. 1967),S. 13.
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X Der Weg in die Krise
des sozialen Konservativismus.29 Danach fiel vornehmlich Daniel Bell die Aufgabe zu, sich mit den Gegnern der Konzeptes vom Ende der Ideologie auseinanderzusetzen. Deshalb war es dann auch sein Name, der am engsten mit dem „end of ideology" verbunden wurde.30 Die matte öffentliche Reaktion des CCF war freilich verständlich, hatte man doch ohnehin begonnen, sich ab 1962 intern vom Gedanken der Entideologisierung in der bisherigen strengen Form zu verabschieden. Der Anstoß dazu war von Edward Shils ausgegangen, der den unbefangenen Umgang mit dem Ideologiebegriff im CCF kritisierte. An der generellen Gültigkeit der Theorie hielt er allerdings fest.31 Es ist nicht ganz auszuschließen, daß Shils' Vorstoß auch einer gewissen Rivalität mit Daniel Bell entsprang.32 Immerhin erntete Bell in der Öffentlichkeit den Ruhm für eine These, deren Wegbereiter Shils, Lipset und Aron gewesen waren. Shils bheb mit seinem Anliegen, das Ende der Ideologie einer konzeptionellen Revision zu unterziehen, nicht allein. Ausgerechnet Daniel Bell regte an, das Ende der Ideologie strenger als bisher in den weiteren Kontext von Modernisierungstheorien und empirischen Analysen moderner Massengesellschaften einzubetten und es auf diese Weise gewissermaßen aus der konkreten weltanschaulichen Auseinandersetzung herauszunehmen.33 Damit befand er sich ohnehin auf dem Weg, den er und Shils bislang im Unterschied zu Aron gegangen waren. Im Herbst 1963 gingen John C. Hunt, Daniel Bell und Edward Shils sogar noch einen Schritt weiter. Sie schlugen vor, ganz auf den Terminus „end of ideology" zu verzichten und stattdessen eine neue und intensive Diskussion unter dem Obertitel „Towards the Open Community" zu eröffnen, um aus der Sackgasse der Entideologisierungskontroverse herauszukommen. Zugleich wollte man vor allem davon loskommen, sich begrifflich einseitig auf die negativen Momente von Prozessen gesellschaftlicher Modernität zu fixieren.34 29 30
Allen Graubard: What End of Ideology?, in: Encounter 9 (1961), H. 2, S. 40-44. Vgl. Daniel Bell/Henry David Aken: Ideology a Debate, in: C.I. Waxman (Hg): End of Ideology, S. 259-280. Edward Shils: „Further Thoughts on the Congress in the 60's" von 1962, S. 4f, IACF/CCFArchiv, Box 5, Folder 4: „The ,end of ideologies' has already taken place although we still have to learn what we meant by it when we coined the phrase in 1955,..." Edward Shils an Michael Josselson vom 2.11.1976, NL Josselson, Box 6. Daniel Bell: „Modernity and Mass Society: On Varieties of Cultural Experience", o.D. (urn 1963?), IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 9, Folder 5. Bell kommt hier aufsein altes Thema zurück, wonach Massengesellschaften aus sich heraus zum Egalitarismus neigten und damit ideologischem Denken die Basis raubten, die bislang in gesellschaftlichen Außenseitern bestanden habe Der eigentliche Kampf des CCF müsse daher weniger den sowieso vom Aussterben bedrohten Ideologen gelten, als vielmehr den traditionalistischen Gegnern der modernen Massengesellschaft mit ihren aristokratischen Konzepten. Ausdrücklich erwähnt Bell dabei den katholischen Philosophen Josef Pieper, den Spanier José Ortega y Gasset und den Anglo-Amerikaner T.S. Eliot. Bes. wichtig ist ihm dabei die Voneitenolle der USA als fortgeschrittenster Massengesellschaft mit entwickelter Massenkultur, auf die europäische Intellektuelle nur ängstlich zu reagieren verstünden Daniel Bell an Michael Josselson vom 27.9.1963, NL Josselson, Box 5. -
31
-
32 33
34
2. Das „Ende der Ideologie" in der Kritik
539
Es war dann das rapide Wachstum der Neuen Linken seit 1965, das den CCF dazu zwang, sich vom eigenen theoretischen Ansatz endgültig zu verabschieden. Im November 1966 räumte Daniel Bell ein, daß die bislang gemachten
Vorhersagen nicht eingetreten seien, es sei im Gegenteil zu einer deutlichen Re-Ideologisierung gekommen. Der CCF müsse sich daher verstärkt der Frage nach Inhalten und Wertgrundlagen der „civil society" stellen, um auf diese Weise den Gleichheitsgedanken und eine reformistische Perspektive wieder besser in die gesellschaftlichen Diskurse einbringen zu können.35 Damit war auch eine deutlichere Trennung zwischen empirisch beschreibenden und theoretisch aufgeladenen Aussagen verbunden, der normative Gehalt der Lehre wurde also allmählich bewußter. Zu dieser Zeit war es bereits notwendig geworden, die Theorie gegen den Vorwurf zu verteidigen, bloßes Interesseninstrument der CIA oder der US-amerikanischen Regierung zu sein. In der Tat besaß das Ende der Ideologie einen genuin liberalen Gehalt, der unabhängig von je konkreten Regierungsinteressen war. Dies traf allerdings weniger auf deskriptive, als auf präskriptive Sätze innerhalb des Systems zu. Das Ende der Ideologie war immer weniger CIA-Ideologie als vielmehr Ausfluß liberalen
Denkens. In dem Moment, in dem die Theorie durch das Aufkommen antiliberaler Bewegungen auch im Westen empirisch falsifiziert wurde, mußte sie in die Krise geratenes sei denn, man versuchte sie als rein auf die Zukunft bezogene Lehre zu verteidigen. Damit wäre das gesamte Lehrgebäude aber genau jener Nähe zur Empirie beraubt worden, auf das der CCF zuvor so stolz gewesen
war.36
Doch nicht erst 1966/67 war überdeutlich geworden, daß der CCF über kein tragfähiges weltanschauliches Konzept mehr verfügte. Der Versuch, den Antitotalitarismus wissenschaftlich fortzuschreiben und pragmatisch umzuformulieren, war an der gesellschaftlichen Wirklichkeit der fortgeschrittenen Industriegesellschaften des Westens und an dem eigenen terminologischen Unvermögen gescheitert. Sicher, man hielt im CCF mit dogmatisch anmutender Strenge am universellen Aufklärungsanspruch des Liberalismus und damit auch der eigenen Tätigkeit fest37 und führte wie selbstverständlich die liberal-aufge-
35 36
37
Daniel Bell
an
Michael Josselson vom 30.11.1966 und Daniel Bell
an
Michael Josselson vom
15.12.1966, NL Josselson, Box 5. Dennis Clark Hodges: The End of „The End of Ideology", in: C.I. Waxman (Hg): End of Ideology, S. 373-388; s. femer Michael Novak: An End of Ideology, in: ebda., S. 389-397, der zudem am deutlichsten den in sich ideologischen Gehalt des Pragmatismus herausarbeitet, welcher die philosophische Grundlage der soziologischen Theorie vom Ende der Ideologie dargestellt hatte. Noch 1968 negierte z.B Manès Sperber kategorisch, daß nichtaufgeklärte Gesellschaften denen des Westens gleichrangig oder gar überlegen sein könnten, wobei er bes. den Vietnammythos der Neuen Linken im Blick hatte: Memorandum von Manès Sperber vom 16 3.1968, Bl. 3 undBl. 6, NL Sperber, WSLBib, Mappe 551.
540
X. Der Weg in die Krise
klärte kulturelle Penetration vor allem in den Gebieten der Dritten Welt fort,38 dennoch überwog das Unbehagen an sich selbst. Was sich 1960 in Berlin erstmals angedeutet hatte, wurde seit 1962 zunehmend deutlicher und dann auch als existentielles Problem erkannt: Der CCF drohte inhaltlich-intellektuell, personell und am Ende organisatorisch zu verkümmern. Sogar die Rückkehr der US-amerikanischen Demokraten an die Macht vermochte es nicht, diesen schmerzlichen Erkenntnisprozeß aufzuhalten. Zwar ging mit dem Regierungsantritt John F. Kennedys eine Art Aufatmen durch die Pariser Zentrale, verfügte man doch endlich wieder über konkreten politischen Einfluß in Washington. Dies konnte aber alles nicht darüber hinwegtäuschen, daß der intellektuelle Abstieg des „consensus liberalism" unerbittlich eingesetzt hatte. Der Zerfall des breiten antikommunistischen Konsenses und der marxistischen Orthodoxie, so hinderlich beide für die freie Enfaltung der eigenen Kräfte durchgehend gewesen waren, beraubte die auf die Ordnung des Kalten Krieges fixierten Konsensliberalen ihrer Lebensgrundlage. Dies hing weniger mit den Inhalten der eigenen Weltanschauung oder der Unfähigkeit, mit den neuen politischen Gegebenheiten Schritt zu halten, zusammen, als vielmehr mit dem viel weiter gehenden Unvermögen oder Unwillen, sich von den geistigen Maßstäben der dreißiger Jahre wirklich konsequent zu verabschieden. Alles Eingehen auf die veränderten Umstände entbehrte nicht kosmetischer Züge. Der CCF war bemüht sich anzupassen, ohne sich zu verändern. Selbst die Zugeständnisse im Bereich des Endes der Ideologie blieben oberflächlich. Zeitweise versuchte man gar, die eigene konzeptionelle Schwäche durch eine Art demokratischen Personenkult zu überdecken. Es verwundert kaum, daß Arthur M. Schlesinger jr. kurz nach der Ermordung Kennedys an Nabokov schrieb, man müsse in der gegebenen Situation alles tun, um den Mythos Kennedys am Leben zu erhalten. Die Signifikanz dieser Präsidentschaft müsse den Menschen bewußt gemacht werden.39 Diese Tendenz zum Personenkult, die zum Teil schon zu Kennedys Lebzeiten aufgetreten war, war nur ein neuerliches Zeichen für die Erstarrung, von der der Kongreß heimgesucht wurde. Es war Edward Shils, der, wie seine Mitarbeiterin Marion Bieber, frühzeitig erkannte, daß es so nicht weitergehen konnte. Bieber und Daniel Bell hatten schon zuvor beklagt, daß das Seminarprogramm des CCF zu unpolitisch und zu wenig kontrovers angelegt sei. Dieser apolitisch-abstrakte Zug der CCF-Linie in den frühen sechziger Jahren führte ihrer Ansicht nach zu der weiteren 38
39
Vgl. bes. den CCF-Report an die Ford-Foundation von 1960, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 106, Folder 5, wo für das Jahresprogramm 1961 ein eindeutiger Schwerpunkt auf Aktivitäten in der 3. Welt gelegt wurde. Vgl zudem die Broschüre: „A Word About the Congress", o.D. (um 1962/63), ebda., Box 8, Folder 6: „The Congress, owmg to its world-wide activities has enjoyed considerable influence. By providing factual information, by carrying out thorough inquiries, [...], it enlightened world opinion." Arthur M. Schlesinger jr. an Nicolas Nabokov vom 28.12.1963, NL Nabokov
2 Das „Ende der
Ideologie" in der Kritik
541
Gefahr, daß der CCF sich personell zunehmend auf die eigenen Kreise stütze
und an effektiver Breitenwirkung einbüße,40 wozu auch die Praxis beitrage, sich untereinander nicht mehr zu kritisieren, sondern beständig gegenseitig zu versichern, wie unverzichtbar der Kongreß und seine Mitglieder seien. Shils griff dann all die in der Diskussion befindlichen Gravamina auf und verfaßte ein Memorandum über die Zukunft des CCF, das erst dem Generalsekretariat vorgelegt wurde, dann aber auf der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom März 1962 für erhebliches Aufsehen sorgte.41 Shils stellte fest, der CCF dürfe nicht länger überholten Feindbildern der Vergangenheit anhängen, sondern müsse aktiv den Zeichen der Zeit Rechnung tragen. Dies bedeute sowohl engere Kontakte zu osteuropäischen Intellektuellen als bislang, als auch das Bemühen, die Koexistenz zwischen den beiden Blöcken kreativ mitzugestalten. Vor allem die jüngere Generation sei nicht mehr bereit, eine einseitige Frontstellung gegen Marxisten und „fellow-travellers" hinzunehmen, zum Teil verstünde sie nicht einmal mehr, was der CCF mit diesen Begriffen meine. Man laufe Gefahr, beständig die alten Schlachten der dreißiger und vierziger Jahre zu wiederholen und sich in einer manichäischen Sicht der Welt zu verlieren. In diesem Zusammenhang stand auch Shils' oben erwähnter Versuch, das Entideologisierungskonzept zu relativieren. Hinzu käme die unübersehbare Tendenz des CCF, hinsichtlich der Mitgliederstruktur zu vergreisen. An diese Analyse der Situation schloß Shils seine Rezepte für eine Reform des CCF an. Es gelte, sich der fundamentalen Prinzipien zu vergewissern, auf denen die gesamte Organisation gegründet sei, das Denken der Aufklärung und des Liberalismus, die man durchdringen und weltweit propagieren müsse. Der CCF dürfe nicht andauernd gegen etwas sein, sondern müsse dazu beitragen, den Westen und seine Kultur positiv zu definieren. Wenn dies geschehe, könne man auch wieder verstärkt die jüngere Generation ansprechen und für die Mitarbeit im Kongreß gewinnen. Nie zuvor war der CCF von innen heraus derart präzise und scharf einer generellen Kritik unterzogen worden. Das Exekutivkomitee reagierte entsprechend verstört. Der Inder Minoo Masani, Präsident der CCF-GeneralVersammlungen, stimmte Shils zwar darin zu, daß der CCF sich in der Lehre vom Ende der Ideologien in fast ideologischer Weise verfangen habe und beklagte gemeinsam mit Raymond Aron und Melvin J. Lasky die Überalterung der
Organisation und den Mangel an Nachwuchs. Dennoch wies er den Gedanken, der Kommunismus habe an Gefährlichkeit signifikant eingebüßt, vehement zurück. In seiner Heimat sei die KP so gefährlich wie je zuvor und müsse 40
41
Manon Bieber: „The next ten years of the Congress" vom 25.7.1960, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 105, Folder 5; Daniel Bell an Michael Josselson vom 2.4.1962, NL Josselson, Box 5; vgl. P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 177f. Edward Shils: „Further Thoughts on the Congress in the 60's" von 1962, NL Josselson, Box 6; s.a. das Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom 10.-11.3.1962, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 5, Folder 4.
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X. Der Weg in die Krise
demgemäß bekämpft werden. Vielleicht, so räumte Masani dann doch ein, verhalte sich dies in den transatlantischen Gesellschaften anders. Dieses schwache Zugeständnis rief die Opposition Laskys hervor, der sich seit 1955 immer wieder als einer der Verfechter des harten antikommunistischen Kurses im Geiste des Berliner Kongresses von 1950 profiliert hatte. Eine „fraternization" mit osteuropäischen Intellektuellen komme überhaupt nicht in Frage. Demgegenüber brachten Bondy und Polanyi den Gedanken zum Ausdruck, anstelle rein antikommunistischer Tätigkeit könne der CCF sich daran machen, eine wissenschaftliche Typologie von Regierungssystemen anhand ihres Verhältnisses zum Freiheitstopos zu erstellen, was niemanden wirklich zu begeistern vermochte. Raymond Aron griff wie Masani Shils' Attacke auf das Konzept vom Ende der Ideologie auf, zu dessen geistigen Vätern er gehörte, und gab seiner Skepsis über die Tragfähigkeit des Gedankens Ausdruck. Ein Ende der Ideologie könne es ebensowenig geben wie ein Ende der Theologie, ob man es nun wolle oder nicht. Die ein wenig wirre Debatte im Internationalen Exekutivkomitee belegt, wie hilflos die führenden Persönlichkeiten des CCF angesichts der sich abzeichnenden Verfallsphänomene ihrer Organisation bereits waren. Sie ahnten, daß sie den Anschluß an die geistigen Entwicklungen in Nordamerika und Westeuropa verloren, wußten aber nicht, in welcher Weise man diesem Prozeß Einhalt gebieten konnte, ohne fundamentale Prämissen aufzugeben, die ihrerseits den globalen Zusammenhalt des CCF garantierten. Die Problematik wurde durch interne Rivalitäten noch verschärft. Shils legte sich wenig später mit den Exponenten des linken ACCF-Flügels um Mary McCarthy und Arthur M. Schlesinger jr. an, weil er befürchtete, die „New York gang" wolle mit ihrem dezidiert linksliberalen Kurs ihn, Bell, Irving Kristol und Melvin Lasky als Vertreter des konservativen Flügels verdrängen.42 In Anbetracht der Tatsache, daß Shils und Lasky wiederum über den künftigen Kurs des CCF nicht eben einer Meinung waren, wurde deutlich erkennbar, daß innerhalb des Kongresses Fliehkräfte bislang ungeahnten Ausmaßes wirksam wurden. Schwelende Dauerkonflikte, Cliquenbildung, Fraktionskämpfe und andere Formen internen Disputes hatten zwar von jeher zu den Markenzeichen des CCF gehört, im Zeichen des sich verschärfenden Vietnamkrieges und einer zunehmend unduldsamer werdenden Auseinandersetzung darüber innerhalb des linken
Lagers, ließen jedoch Fähigkeit und Wille zum Kompromiß nach. Da überdies der äußere Feind intellektuell nicht mehr ernst genommen wurde, fehlte ein weiteres wichtiges einheits- und identitätsstiftendes Moment. Was früher als normaler Konflikt abgetan worden wäre, wurde jetzt zum Vorboten des kommenden Unterganges. 42
Es handelte sich um Streitigkeiten wegen des Kurses von „Encounter": Edward Shils an Marion Bieber vom 15.7.1961 und bes. Edward Shils an Michael Josselson und Melvin J. Lasky vom 28.2.1964, NL Josselson, Box 6.
2. Das
„Ende der Ideologie" in der Kritik
543
Die Debatten um Shils' Reformvorschläge gingen indes mit unverminderter Heftigkeit weiter. Im Oktober 1964 wartete dann Pierre Emmanuel, Nabokovs Nachfolger als internationaler Generalsekretär, mit einem eigenen Diskussionsbeitrag auf.43 Der CCF werde seiner Meinung nach, trotz einer prinzipiell linken Politik, zu sehr mit den USA identifiziert. Außerdem habe man die Veränderungen in Osteuropa nicht richtig eingeschätzt, das „Writers' and Publishers' Committee" allein reiche als offenes Tor zum Osten nicht aus. Mit der heißen Phase des Kalten Krieges ende auch die hohe Zeit des politischen Intellektuellen. Zudem wirke der pragmatistische und rationalistische Ansatz des CCF überholt, ähnliches müsse über den Antitotalitarismus gesagt werden; die Jugend des Westens erreiche man mit den derzeitigen Inhalten keinesfalls: „In short, the Congress is an old and outmoded body that requires rejuvenation".44 Sein Rezept, den CCF zu erneuern, beinhaltete dann das komplette Gegenteil von dem, für das Shils eingetreten war. Nicht der intensivierte Rekurs auf den Aufklärungsliberalismus stellte für Emmanuel, der bekennender Katholik war, das Heilmittel in der Krise dar, sondern das Bekenntnis zu einer erneuerten Metaphysik, die humanistischen und erkenntaiskritischen Ansprüchen Genüge tun könne. Dieser unverhüllte Angriff auf die bisherigen weltanschaulichen Fundamente des CCF löste einen Sturm der Entrüstung aus. Diejenigen, die sich mit Shils' Vorschlägen soeben noch hatten abfinden oder gar identifizieren können, reagierten auf Emmanuels Konzept ausgesprochen gereizt. Nur Silone unterstützte den neuen Generalsekretär, wenn auch nur halbherzig. Die anderen Mitglieder der Exekutive erkannten zwar die Reformbedürftigkeit des CCF an, die Abkehr von dem pragmatistisch-rationalistischen Aufklärungspathos, das ihre Arbeit bislang zusammen mit dem Antitotalitarismus getragen hatte, ging ihnen dann aber viel zu weit. Am deutlichsten wurde Masani, der noch über seine Position von 1962 hinaus ging und wie Lasky jede Abkehr von den Prinzipien des Jahres 1950 strikt ablehnte. Bondy bemerkte nur, die Metaphysikkoirzeption des Generalsekretärs ironisch kommentierend, mit dem Ende der Ideologien kehrten offenbar die Ideen sehr viel älterer Zeiten zurück. Schließlich mußte Emmanuel einen Rückzieher machen. Freilich war mit der Abwehr von Emmanuels Konzept die Diskussion über den CCF nicht beendet. Die Krisensymptome waren inzwischen unübersehbar geworden, und allen Mitgliedern der Exekutive war bewußt, daß etwas geschehen mußte. Ein Jahr später, im Oktober 1965, war es dann an Denis de Rouge-
43
Pierre Emmanuel: „Le Role du Congrès en Europe" vom September 1964, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 5, Folder 5; vgl. das Protokoll der Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom
44
15-16.10.1964,ebda.
Protokoll des Internationalen Exekutivkomitees vom 15.10.1964, S. 1, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 5, Folder 5.
544
X. Der Weg in die Krise
mont, das Reformanliegen erneut aufzunehmen.45 Der Vorsitzende des Interna-
tionalen Exekutivkomitees hob hervor, der CCF habe sich in der Vergangenheit organisatorisch und weltanschaulich verzettelt. Gleich Shils forderte er, der CCF müsse seine eigene Gestalt, den Kern seiner Arbeit neu definieren, das heißt ein integrierendes weltanschauliches Motiv finden. Wie immer widersprach Minoo Masani, inzwischen der Wortführer des konservativen Lagers im Komitee. Am CCF dürfe sich nichts, aber auch gar nichts ändern. Nur in der gegebenen Form sei er in der Lage, den Kommunismus, vor allem in Indien, wirksam zu bekämpfen. Auch Lasky, der ansonsten Masanis regionalistische Sicht nicht teilte, warnte davor, weiter auf die Kommunisten zuzugehen und kritisierte erneut Shils' Vorschläge von 1962. Der CCF könne nur dann mit Intellektuellen aus dem Ostblock diskutieren, wenn er sich zuvor seiner eigenen Wahrheit ganz sicher sei, genau dies aber sei nicht mehr der Fall. Seit 1956 habe der Westen seine weltanschauliche Sicherheit eingebüßt. Dies zeige sich besonders darin, daß man jeglichen Einfluß auf die Jugend verliere, die sich wieder sozialistischen Ideen zuwende. Der CCF müsse demgegenüber tun, was er stets getan habe, nämlich Freiheit und Individualität verteidigen. Damit hatte Lasky sicher eines der Hauptprobleme des CCF richtig erkannt, selbst wenn sein Lösungsvorschlag, der eher einem reflexartigen Rückgriff auf die heroische Vergangenheit, das „goldene Zeitalter" des CCF, gleichkam, nicht zu überzeugen vermochte. Die anfänglich noch mit Gesprächsbereitschaft verbundene Skepsis gegenüber der Neuen Linken war längst einem offenen Dissens gewichen, der zugleich mit einem hohen Maß an Unverständnis über das in dieser Form nicht für möglich gehaltenes, Wiedererwachen radikalen Gedankengutes verbunden war. Der CCF, der nie eine Organisation mit besonders effektiver Nachwuchsarbeit gewesen war, hatte irreversibel den Kontakt zum linken Flügel der Jugend in den transatlantischen Gesellschaften verloren. Darüberhinaus hatte das Zerbrechen des antikommunistischen Konsenses den „consensus liberalism" jeglichen gesellschaftlichen Rückhaltes für sein beharrliches Streben nach kultureller Hegemonie beraubt. Der bislang unangefochten aufrecht erhaltene Anspruch auf intellektuelle Führerschaft seitens des Konsensliberalismus zerfiel, ausgehend von den USA. Er brach zusammen, ehe die ökonomischen Krisen der frühen siebziger Jahre das Scheitern des „welfare capitalism" und der „New Deal order" anzudeuten schienen.46 Als das Milieu, in dem der CCF sich bewegte, zerfiel, mußte dies auch Rückwirkungen auf die mächtigste und weltweit einflußreichste Organisation des 45
Protokoll der
Sitzung
des Internationalen Exekutivkomitees
Archiv, Series II, Box 6, Folder 2.
46
vom
8.-9.10.1965, IACF/CCF-
Zum Zerbrechen des Konsenses in den USA Mitte der sechziger Jahre vgl. G. Hodgson: Amenca in Our Time, S. 353-364; s.a. David Steigerwald: The Sixties and the End of Modern Amenca, New York 1995, S. 5-37. Eine zeitgenössische Analyse bietet Theodore Lowi: The End of Liberalism, New York 1967 Vgl.a. Alan J. Matuson: The Unraveling of America. A History ofLiberahsm in the 1960's, New York 1986.
2. Das
„Ende der Ideologie" in der Kritik
545
liberalism" haben. Sogar innerhalb des internationalen Liberalismus wurde der Kongreß häufig nur noch als ideologisches Relikt vergangener Zeiten zur Kenntnis genommen.47 In den Zeiten des linken Protestes gegen den Vietnamkrieg mußte zudem der Ruf, eine amerikanahe Organisation zu sein, „consensus
den CCF in weitere Verlegenheiten bringen. Es waren also zu einem guten Teil auch die äußeren, wenig zufriedenstellenden Umstände, die die Reformdiskussion des CCF zusätzlich zu den vorhandenen Meinungsverschiedenheiten belasteten. Angesichts einer Atmosphäre, in der sich intern Hektik und Defätismus mit ungünstigen äußeren Rahmenbedingungen vermischten, um dann zu oft nur beschränkt reflektierten Warnungen, Mahnungen und Kontroversen zu führen und in der Reformismus und Traditionalismus heftig aufeinander prallten, sah sich Michael Josselson endlich veranlaßt, in das Geschehen ordnend einzugreifen. Aber auch er blieb dem Geist der Vergangenheit verhaftet. Im Verlauf jener Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees vom Oktober 1965, in der es zur Diskussion von de Rougemonts Vorschlägen gekommen war, entschied Josselson, es sei an der Zeit, eine Kommission zu bilden und alle Reformanliegen an diese zu überweisen. Dankbar, den Streit erst einmal vertagen zu können, akzeptierten die Anwesenden und wählten mit Josselson, Nabokov, de Rougemont, Jelenski, Sperber und Silone die Repräsentanten der fünfziger Jahre in das neue, informelle Gremium. Immerhin oblag es der Kommission, Vorschläge auszuarbei-
ten, die den CCF
weitgehend dezentralisieren und außerdem eine effektive Jugendarbeit gewährleisten sollten. Es dauerte ein weiteres Jahr, ehe etwas Neues passierte, das dann aber eher
einen Anschluß an Bewährtes darstellte. Nicolas Nabokov unterbreitete im Dezember 1966 einen Plan, der vorsah, den CCF zu einer verstärkt auf hochkulturell-künstlerische Bereiche konzentrierten Organisation umzugestalten, die sich vor allem der künstlerischen Jugendarbeit widmen sollte, und damit seine politisch-ideelle Wirksamkeit erheblich einzuschränken.48 Die Resonanz auf seinen nicht eben originellen Gedanken, der sich deutlich an seine Konzepte des Jahres 1952 anlehnte, fiel bescheiden aus. Niemand war willens, diesen Weg mitzugehen. Viel eher neigten die Mitglieder des Exekutivkomitees den Vorschlägen Michael Josselsons zu, der anregte, das Seminarsystem aufzugeben und durch abwechslungsreichere Tagungsvarianten zu ersetzen. Konferenzen, Einzelgespräche, regionale Diskussionsrunden und andere Formen des institutionalisierten Gespräches sollten organisatorisch neue Impulse geben, zugleich erschien ihm eine größere Bandbreite möglicher Themen unabdingbar.
47
48
Vgl. Isaiah Berlin an Nicolas Nabokov vom 21.12.1976, NL Nabokov, wo Berlin im Rückblick betont, wie unangenehm ihm eine Anfrage von Shepard Stone aus dem Jahre 1966 gewesen sei, britischer Repräsentant des CCF zu werden. Er habe damals den CCF als zu eng und ideologisch wahrgenommen, s. Isaiah Berlin an Nicolas Nabokov vom 18.11.1966, ebda.
Memorandum von Nicolas Nabokov vom Dezember 1966, NL Josselson, Box 6.
546
X. Der Weg in die Krise
Inhaltlich stützte Josselson sich dabei auf Anregungen von Bell und Shils, die forderten, der CCF müsse weiterhin dazu beitragen, die unsinnige Dichotomie zwischen freiem Markt und rationaler, pragmatischer Planung in der Nationalökonomie zu überwinden, womit sie die Mailänder Diskussionen von 1955 aufgriffen. Hinzu trat die Idee, ökologische Themen in das Programm einzubeziehen und ausgehend von den Erfahrungen in Berlin 1960 kulturpessimistisches Gedankengut einer systematischen Kritik zu unterziehen.49 Josselsons Konzept erlebte seine Nagelprobe in einem von Überbürokratisierung, Zentralismus, ideologischer Starrheit, intellektueller Verarmung und mangelnder Nachwuchsarbeit gekennzeichneten CCF nicht mehr. Es erscheint mehr als fraglich, ob es überhaupt noch jemandem hätte gelingen können, den CCF zu retten, nachdem die intellektuelle Dominanz des Konsensliberalismus zwischen 1960 und 1965 zerbrochen war. Dabei war es weniger die individuelle Unbeweglichkeit der einzelnen Mitglieder des CCF, die in den Untergang führte, sondern die geschilderte, lähmende Mischung innerer und äußerer Faktoren. Die endlose Reformdebatte zwischen 1962 und 1966/67 macht deutlich daß es im CCF Personen gab, die sehr wohl erkannten, wo die Probleme lagen und auch entsprechende Vorschläge vorlegten, um die nicht zu leugnende Krise zu bewältigen. Indes verhinderte die organisatorische Struktur des CCF ein wirkliches Eingehen auf solche Anregungen. Eine nicht unerhebliche Gruppe in den Leitungsgremien des CCF blieb unverrückbar den Idealen der Vergangenheit verpflichtet, ohne zu unterscheiden, was davon wesenhaft und was akzidentiell war. Der rapide gesellschaftliche und kulturell-ideelle Wandel in der Welt außerhalb der eng gewordenen Sphäre des CCF machte es dann noch unwahrscheinlicher, daß selbst ein reformwilliger CCF mit den Zeichen der Zeit hätte Schritt halten können, unabhängig davon, wie man sie inhaltlich beurteilen mochte. Man kann David Oshinsky50 nur zustimmen, wenn er ausführt, der CCF sei schon vor dem eigentlichen Beginn der CIA-Affäre handlungsunfähig gewesen. Der „Congress for Cultural Freedom" war sich zum Selbstzweck geworden; er hatte sich inhaltlich und organisatorisch überlebt. Es fehlte ihm ein klar definierbares Feindbild, seitdem selbst die Veteranen des CCF den orthodoxen Kommunismus nicht mehr recht ernst nahmen. Weder Neue Linke noch Neokonservativismus waren geeignet, diese Lücke auszufüllen, da ihre programmatischen Ansprüche im Vergleich zum Stalinismus ungleich differenzierter und nuancierter waren, als daß man sie mit den propagandistischen Mitteln der Münzenberg-Phase hätte bekämpfen können. Wiederum im Gegensatz zum Stalinismus erwiesen sie sich beide als echte und genuin -
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Vgl. die Kommentare von Daniel Bell zu Josselsons nicht überliefertem „Explanatory Memorandum" vom November 1966: Daniel Bell an Michael Josselson vom 30.11.1966 und vom 26.1.1967, NL Josselson, Box 5. D.M. Oshinsky: Cranky Integrity, S. 14; vgl. E. Shils: Remembering the Congress, Teil 1, S.
62.
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2. Das „Ende der Ideologie" in der Kritik
westliche Alternative zum Hegemonialanspruch des „consensus liberalism". Demzufolge beschränkte sich die Reaktion der CCF-Liberalen entweder auf reflexartige Negation der Demokratiefähigkeit des neuen Gegners oder auf Konversion, besonders zum Neokonservativismus, aber auch wie bei Dwight Macdonald oder Mary McCarthy zur Neuen Linken. Dies fiel umso leichter, als beide rivalisierenden Ideologien mit dem CCF die libertär-individualistische Basis und den Bezug zur Aufklärung teilten und nur schwerlich als „Feinde der kulturellen Freiheit" im Sprachgebrauch des Antitotalitarismus zu klassifizieren -
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waren.
Auch auf der zweiten Ebene, der simultan zum antistalinistischen Kampf verlaufenden programmatischen Revision der westeuropäischen, nichtkommunistischen Arbeiterbewegung, fehlten seit 1959/60 die entscheidenden Impulse, die den CCF intern hätten beleben können. In den ausgehenden sechziger Jahren blieb dem CCF wenig anderes, als irritiert ein gewisses Maß an „Re-ideologisierung" in der westlichen Linken zu konstatieren. Das Ringen der fünfziger Jahre schien fast vergeblich geführt worden zu sein. Im IACF sprach man dann statt vom „end of ideology" resigniert vom „end of rationality", worunter man eine Reihe divergierender Phänomene von der Neuen Linken bis zum „New Age" faßte.51 Wieder fehlte ein präzis faßbarer und leicht bekämpfbarer Gegner. Einem differenziert vorgetragenen intellektuellen Angriff begegnete man mit diffuser und defensiver Abwehr; über das Repetieren aufgeklärt-orthodoxer Positionen kam der späte CCF nicht mehr hinaus. Ähnliches traf auf den Umgang mit dem Gedanken vom Ende der Ideologie zu. Auch hier kam es zu keinem offensiven Umgang mit den Einwänden der Gegner mehr. Der späte CCF verlor seine konzeptionelle Strenge und seine gestalterische Linie. Wohl war man bereit, die frühe Entspannungspolitik mitzutragen, aber nur in eng definierten Grenzen und unter mancherlei Vorbehalten; wohl war man willens, gesellschaftliche Probleme der Gegenwart zu diskutieren, aber im Rahmen ideologischer Frontstellungen der Vergangenheit; wohl war man bestrebt, neue Diskussionsansätze der westlichen Linken aufzunehmen, aber zu den alten Bedingungen. Die Affäre des Jahres 1966/67 sorgte nur noch dafür, daß endgültig vollzogen wurde, was sich seit 1960 angedeutet hatte: Das Ende des CCF.
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Seminaiplanungen von N.N. vom Dezember 1967, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 15, Folder 3.
548
3.
X. Der Weg in die Krise
Renationalisierung und der Niedergang des „Monat"
Die um 1960 einsetzende, 1962 erkannte und seit 1964 akut werdende Krise des CCF war nicht, wie noch die problematische Phase zwischen 1952 und 1956, primär dadurch gekennzeichnet, daß eine in ihrer Funktion unsichere Organisation zugleich weltanschauliche Probleme zu bewältigen hatte. Diesmal ging es um eine geregelte, weithin funktionierende, manchmal in der Verwaltung ein wenig überbordende Institution, die allmählich ihre ideologische Selbstsicherheit von innen heraus verlor. Schon aus diesem Grunde wurden die in Westdeutschland bestehenden organisatorischen Strukturen des CCF von dieser neuerlichen Entwicklung, die sich als Folge der oben skizzierten Ursachen weitgehend im inneren Zirkel abspielte, kaum berührt. Vermutlich bekamen die deutschen CCF-Mitglieder gar nicht mit, was sich in Paris abspielte, da zwischen 1961 und 1966 keine deutschen Vertreter an den Sitzungen der Internationalen Exekutive teilnahmen. Etwas anders war die Situation beim „Monat". Als das intellektuelle Organ des CCF in der Bundesrepublik war er über die Herausgebertreffen der CCFZeitschriften nicht nur sehr viel direkter in das Geschehen in Paris involviert, sondern in seiner Redaktion reagierte man auch deutlich feinfühliger auf die geistigen Krisensymptome des internationalen konsensliberalen Milieus. „Der Monat" antizipierte bis zu einem gewissen Grade sogar diesen intellektuellen Niedergang und wurde von seinen Folgen in vollem Maße getroffen. Es waren aber nie ausschließlich die internen und externen Probleme des CCF, die dazu beitrugen auch den „Monat" in eine existentielle Krise zu stürzen. Hierbei spielte zusätzlich der konkrete organisatorisch-rechtliche Rahmen eine Rolle, weswegen dieser in der Folge beschrieben werden soll, schon um die Unterschiede zwischen dem „Monaf der fünfziger und sechziger Jahre festhalten zu können. Außerdem wirkten sich beim „Monat" Binnenfaktoren negativ aus, die ebenfalls berücksichtigt werden müssen, wenn man den Niedergang der einst so einflußreichen und qualitativ hochrangigen Zeitschrift richtig einschätzen will. Wie bereits erwähnt, war „Der Monat" 1958 von der Ford-Foundation in die Hände des CCF übergegangen. Der „Gesellschaft für internationale Publizistik" gehörten aber weiterhin Melvin J. Lasky und Fritz-René Allemann mit je 37,5% sowie Hellmuth Jaesrich mit 35% des Stammkapitals als Gesellschafter an, formal änderte sich also erst einmal wenig. Erst 1964 kam es zu einer neuerlichen Umstrukturierung der Herausgeberschaft beim „Monat", die dann dazu führte, daß die Eigentumsverhältnisse gewandelt wurden. Vermutlich gegen seinen Willen mußte Fritz-René Allemann Mitte 1964 das Herausge'
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Renationalisierung und der Niedergang des „Monat"
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bergremium verlassen, ohne daß Gründe für diesen Schritt erkennbar wären.52 Etwa zur gleichen Zeit wurde das Magazin in „Monat" umbenannt und war überdies bemüht, seinem Layout einen jugendlicheren Zug zu geben, um auf diese Weise vom Image der altväterlichen Literaturzeitschrift im Stil der unmittelbaren Nachkriegszeit wegzukommen. An Allemanns Stelle wurde Peter Härtung neuer Mitherausgeber der Zeitschrift. Kurz darauf wurde das Gesellschafterkapital neu verteilt. Der CCF hielt nun direkt 65% des Stammkapitals, wobei seine Interessen durch den Berliner Rechtsanwalt Ulrich Biel gewahrt wurden, Lasky behielt 15%, Jaesrich und Härtung je zehn Prozent.53 Damit war dem internationalen CCF, der ja in der Regel gemeinsam mit Lasky operierte, ein Maß an Einfluß auf den „Monat" eingeräumt worden, das ihn in eine Reihe mit den anderen Kongreßzeitschriften stellte, von denen er sich bislang durch ein relativ hohes Maß an Unabhängigkeit ausgezeichnet hatte. Interessanterweise stand die Redaktionspolitik, die immer stärker auf Deutschland zentriert wurde, in einem merkwürdigen Gegensatz zu dieser Internationalisierung auf der organisatorischen
Ebene. Weder die rechtlichen noch die inhaltlichen oder rein formal-äußerlichen Veränderungen beim „Monat" konnten verhindern, daß die Zeitschrift ein Zuschußbetrieb blieb. Obschon der CCF jährlich im Schnitt $ 50.000,- beisteuerte, sammelte sich bis 1966 eine Schuldenlast von rund DM 100.000,- an. Diese Summe deckte der internationale Kongreß dann mit einer einmaligen „Spende" ab, ohne daß weitere jährliche Zuschüsse von DM 57.000,- überflüssig wurden.54 Im Februar 1966 stellte der deutsche Wirtschaftsprüfer des CCF dann fest, trotz der erfolgten finanziellen Beiträge des Kongresses, könne die wirtschaftliche Situation des „Monat" nur noch als „katastrophal" bezeichnet werden. Nicht allein die Finanzen, auch Buch- und Rechnungsführung befanden sich in einem bemitleidenswerten Zustand.55 Es war dem Magazin offenbar nicht gut bekommen, sich durchgehend auf finanziell potente Partner verlassen zu können, deren Finanzgebaren privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht immer entsprach. Der Grund für die mißliche Finanzlage des „Monat" war ebenso banal wie schwer zu überwinden: Es mangelte an Lesern, und die Einnahmen aus der 52
53 54
55
Vgl. den Briefwechsel zwischen Michael Josselson und Ulrich Biel zwischen Mai und September 1964 im IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 242, Folder 13. Michael Josselson an Shepard Stone vom 5.1.1968, NL Josselson, Box 14. Vgl. die Bilanz des .Monat" vom 31.12.1965, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 242, Folder 13 und Kenneth E. Donaldson (Price & Waterhouse Controller) an Michael Josselson vom 14.6.1966, ebda., Box 242, Folder 11. Es war nicht das erste Mal, daß der CCF die finanziell ins Schlingern geratene Zeitschrift durch kurzfristige Spenden vor dem Konkurs retten mußte. Schon im April 1964 hatte man eine dringende Einmalzahlung von $ 10.000,- zu diesem Zweck leisten müssen, s. Michael Josselson an John C. Hunt vom 24.4.1964, ebda., Box 187, Folder 6. Zu diesem Zeitpunkt fiel in Paris die Entscheidung über Allemanns Ausscheiden. Memorandum an Ulrich Biel vom 1.2.1966, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 242, Folder 15
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X. Der Weg in die Krise
Werbung waren unzureichend. Seit 1963 stagnierten Absatz und Werbeeinnahmen des „Monat" nicht mehr nur, sondern gingen andauernd zurück. Zwar verfügte der „Monat" selbst im November 1967 noch über eine nominelle Auflage von 20.000 Stück56 und hatte sich die Zahl der Abonnenten auf niedrigerem Niveau bei 7.500 eingependelt, dafür aber war die Anzahl der freiverkauften Exemplare zwischen 1963 und 1966 von durchschnittlich 15.600 auf 13.000 gesunken." Angesichts dieser Umstände hielt man in der Pariser Kongreßzentrale Ausschau nach möglichst solventen Partnern in der Bundesrepublik. Zeitweise war Joseph C. Witsch für diese Rolle im Gespräch gewesen; der Kiepenheuer & Witsch-Verlag hat sich aber nie darum bemüht, den „Monat" in irgendeiner Weise zu stützen.58 Im März fand sich dann der S. Fischer-Verlag, vertreten durch das frühere Kölner CCF-Mitglied Klaus Harpprecht, bereit, sich beim „Monat" zu engagieren. Es wurde vereinbart, die bisherige Kapitalverteilung bestehen zu lassen, der Verlag erwarb erst einmal nur eine Option auf die 65%, die der CCF hielt. Gleichzeitig aber sollte aus Kostengründen ein gemeinsames Management von Verlag und Zeitschrift eingerichtet werden. Die Teilfusion des „Monat" mit dem S. Fischer-Verlag sollte erhebliche Summen, bis zu DM
92.000,-jährlich einsparen.59 Doch auch die Kooperation mit dem S. Fischer-Verlag konnte den weiteren Niedergang des deutschen CCF-Flaggschiffes nicht mehr abwenden. Der „Monat" mußte sogar seine angestammte Heimat Berlin verlassen und seine Redaktion wurde nach Frankfurt am Main transferiert; ein fast revolutionärer Schritt für die einst so kosmopolitische Zeitschrift, die nicht unwesentlich vom
kulturellen Flair der einstigen Reichshauptstadt profitiert hatte. Nicht nur äußerlich hatte man den Weg in die Provinz angetreten.60 Trotz der fast verzweifelt anmutenden Maßnahme verschlechterte sich die Situation noch weiter. Aus diesem Grund, weniger wegen der CIA-Affäre, die in der Bundesrepublik kein nennenswertes Aufsehen erregte, zeigte der S. Fischer-Verlag ein gewisses Interesse daran, die Schuldenlast des „Monat" auf weitere Schultern zu verteilen oder die Zeitschrift ganz abzustoßen. Schon recht früh zeichneten sich zwei konkrete Optionen ab: Einerseits hatte Rudolf Augstein gegenüber Klaus Harpprecht ein gewisses Interesse daran signalisiert, sich am „Monat" zu beteiligen. Dabei ging es unter anderem um eine potentielle Mitherausgeber-
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Bencht von N.N über die Tätigkeit des CCF von 1950-1967 vom November 1967, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 15, Folder 1. Verkaufstatistik des „Monat" von 1961 -1966, o.D. (1966), IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 242, Folder 10 Manès Sperber an Michael Josselson vom 20.4.1963 und vom 21.3.1964, NL Josselson, Box 14. Minutevom 15.3.1966, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box242, Folder 11
Vgl. Newsweek vom 22.3.1971.
3.
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Renationalisierung und der Niedergang des „Monat"
Augsteins.61
Andererseits gab auch Gerd Bucerius von der „Zeit" zu sich gleichfalls beim „Monat" engagieren würde.62 In den Augen von Shepard Stone und der sich neu formierenden IACF waren Augstein und Bucerius weltanschaulich gleichermaßen unbedenklich, standen sie doch beide der Hamburger CCF-Gruppe nahe. Den Zuschlag erhielt im Endeffekt Bucerius. Am 23. Juli 1968 teilten die IACF und Gerd Bucerius mit, daß der „Monat" zum 1. Januar 1969 in ein neues Eigentumsverhältais überführt würde. Bucerius hielt von da an 76%, die IACF 24% des Stammkapitals.63 Erneut wurde die Redaktion verlegt, erst von Frankfurt nach Hamburg, schließlich zurück nach Hessen, wo der „Monat" in Wiesbaden sein letztes Domizil fand. Die Zeitschrift machte dennoch weiterhin rund $ 150.000,- pro Jahr Verlust und hatte demgegenüber zu Beginn der siebziger Jahre nur noch eine Auflage von 8.000 Stück. Auf Dauer war dies ein unhaltbarer Zustand. Im März 1971 wurde der „Monat", früher das größte und bedeutendste kulturpolitische Magazin nicht nur Deutschlands, sondern auch Westeuropas, eingestellt. Wieder spielte die CIA-Affäre keine besondere Rolle bei diesem Schritt. Bucerius hatte, im Gegensatz zu Harpprecht, großen Wert darauf gelegt, den alten Zusammenhang zwischen „Monat" und CCF in der Öffentlichkeit möglichst nicht zu betonen, was bei den inzwischen im Ruhestand befindlichen führenden Persönlichkeiten des Kongresses für erheblichen Verdruß sorgte.64 Eine Ära war zu Ende gegangen, und die Fülle feueilletonistischer Nachrufe bestätigte, daß sich die deutsche und die internationale Intellektuellenszene dieses Umstandes bewußt war.65 In einem aber waren sich die Beobachter weitgehend einig: Beim „Monat" war es zu einem erheblichen Qualitätsverlust gekommen, die Zeitschrift sei je länger je mehr intellektuell verbraucht und geistig überholt gewesen. Nur über den Zeitpunkt, zu dem der Niedergang einsetzte, herrschte Unsicherheit. „Der Spiegel" hielt den Weggang Melvin J. Laskys für ursächlich,66 im angelsächsischen Bereich datierte man den Beginn des Verfalls eher auf Mitte der sechziger Jahre.67 Auch inhaltliche Gründe wurden ausgemacht. „Newsweek" diagnostizierte einen Linksruck in der redaktionellen Linie des „Monat",68 die meisten anderen Journalisten tendierten dazu, die Preisgabe von Laskys striktem Kosmopolitismus als zentral gestaltendem Element in der redaktionellen Linie des „Monat" für das Scheitern des schaff
verstehen, daß
61
er
Protokoll der
Besprechung von Klaus Harpprecht mit Mitarbeitern der IACF vom
12/13.12.
1967, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 242, Folder 15; Klaus Harpprecht an Shepard Stone vom 23.12.1967, ebda. 62 63 64 65 66 67 68
Newsweek vom 17.6.1968.
Pressekommunique vom 23.7.1968, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 75, Folder 6. Michael Polanyi an Michael Josselson vom 17.1.1969, NL Josselson, Box 6.
S.z B. Die Weltwoche vom 8.7 1970; Die Welt vom 9.3.1971 ; Die Zeit vom 26.3.1971. Der Spiegel vom 30.1.1967. Times Literary Supplement vom 5.12.1968 und Newsweek vom 22.7.1971. Newsweek vom 22.3.1971; vgl. Die Welt vom 9.3.1971.
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X. Der Weg in die Krise
Magazins verantwortlich zu machen. Tatsächlich dürfte letztere Interpretation zutreffen, zumal der Begriff „Linksruck" auf den „Monat" angewandt bestenfalls eine relative Wahrheit wiedergibt. Allein der bis zum Schluß durchgehaltene
Forumcharakter des „Monat" verhinderte eine klare weltschauliche Ver-
ortung der Zeitschrift. Auch darf nicht vergessen werden, daß der „Monat" bis
Mitte der sechziger Jahre auch ein Publikationsorgan für Adenauerkritische Konservative wie Rüdiger Altmann, Gerd-Klaus Kaltenbrunner und Armin Mohler gewesen war. Zudem stand die Redaktion durchgehend der Studentenbewegung eher skeptisch gegenüber.69 Nicht eine eher fiktive Linkswende sorgte für den geistigen Niedergang des „Monat", wenn man von der damit verbundenen oder ihm vorausgehenden mangelnden Resonanz in deutschen Leserkreisen einmal absieht, sondern die Abkehr vom Kosmopolitismus. Dabei war dieser weltanschauliche Wandel vom CCF bewußt eingeleitet worden. Anfang der sechziger Jahre hatte sich auf der internationalen Ebene des Kongresses allmählich die Einsicht herausgeschält, „Der Monat" bedürfe inhaltlich neuer Schwerpunkte, um ihn für ein deutsches Publikum attraktiv zu halten. Zwar sollte die grundsätzlich konsensliberale Ausrichtung der Zeitschrift nicht angetastet werden, aber deutsche Anliegen und deutsche Autoren sollten stärker als bislang berücksichtigt werden. Unter „re-orientation"-Gesichtspunkten erschien die Demokratie in der Bundesrepublik derart gefestigt, daß ein weiteres Beharren auf der alten Linie Gefahr gelaufen wäre, zu einem sinnentleerten Anachronismus zu verkommen. Dem neuen, aus dem „Wirtschaftswunder" resultierenden Selbstbewußtsein der Deutschen mußte außerdem Rechnung getragen werden, was allerdings nichts an der im CCF weit verbreiteten Ansicht änderte, daß das kulturelle Leben in Westdeutschland sich in einem beklagenswerten Zustand befände. Dessenungeachtet forderten Ignazio Silone und Michael Josselson die Renationalisierung des „Monat".70 Hier wie in der CCF-Organisation mußte nun mehr Rücksicht auf deutsche Interessen genommen werden. Auch der CCF konnte sich nicht mehr im Duktus einer kulturellen Besatzungsmacht präsentieren. Josselsons Vorschlag wurde von Jaesrich, der gerade eine leicht amerikakritische Phase durchmachte,71 mit großer Offenheit aufgenommen. Die neue Konzeption schlug sich vor allem in der Autorenauswahl nieder. Seit 1962/63 dominierten ganz offensichtlich westdeutsche Autoren; außer den schon genannten Personen, wie Altmann, Mohler oder Kaltenbrunner, wären junge linke Autoren, darunter Ekkehart Krippendorff, Lutz Niethammer und Arnulf Baring zu nennen, allesamt Angehörige einer nachrückenden Generation
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Vgl.
Heinz Paechter: „Neuer" Linksradikalismus in den USA, in: Monat, H. 211 (1966), S. 16-25; Peter Härtling: Bitte konkret, in: Monat, H. 225 (1967), S. 4. Michael Josselson an Hellmuth Jaesrich und Fritz-René Allemann vom 5.5.1961, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 187, Folder 8. Hellmuth Jaesrich an Norbert Mühlen vom 28.2.1961, NL Mühlen, Box 20.
3.
Renationalisierung und der Niedergang des „Monat"
553
deutscher Intellektueller, die wenigstens zum Teil von den USA geprägt waren und die besonders ihre Kritik an der Stagnation der Ära Adenauer miteinander verband. Der Anteil der „New York Intellectuals" oder der Intellektuellen des internationalen CCF an den Beiträgen im „Monat" nahm parallel dazu rapide ab. Weit mehr als 50% der Beiträge eines Heftes entstammten nun normalerweise dem deutschen Sprachraum, manchmal stieg die Quote bis auf 80%. Dies galt nicht nur für den politischen Teil der Zeitschrift, sondern auch für den literarischen, wo man sich zunehmend junger deutscher Autoren annahm. Das eigentliche Problem, unter dem der „Monat" dann etwa seit 1964/65 zu leiden begann, lag allerdings weniger darin begründet, daß überwiegend jüngere deutsche Autoren in der Zeitschrift zum Zuge kamen oder daß weltpolitische Themen nicht mehr in dem Ausmaß abgehandelt worden wären wie zuvor. Viel eher handelte es sich um den Verlust einer vereinheitlichenden und ordnenden Perspektive. Der „Monat" verlor die klare weltanschauliche Linienführung, die er unter Laskys Herausgeberschaft durchweg gehabt hatte. Der hellsichtige Mitarbeiter des „Monat" Lorenz Stucki beklagte schon 1963, „Der Monat" behandle seine Themen „zu zufällig und konzeptionslos und fragmentarisch".72 Weder der Antitotalitarismus noch der Antineutralismus oder Antipazifismus früherer Tage taugten noch als strukturgebende Momente; die Gründe dafür waren dieselben wie im CCF: der Gegner fehlte. Zudem war der rein negative Charakter dieser Ideologeme allzu offensichtlich, und eine Zeitschrift vom Format des „Monat" konnte sich nicht dauerhaft auf bloß negativ abgrenzende Propaganda konzentrieren. Der Verlust der ordnenden Mitte und des ideologischen Fokusses schwächten im Verbund mit der Renationalisierung wohl die qualitativen Ansprüche des „Monat", führten aber eher zu einem schleichenden Verfall, nicht zu einem schlagartigen Niveauabfall. Auch wäre es übertrieben, wollte man behaupten, „Der Monat" habe jegliche weltanschauliche Linie eingebüßt. Ähnlich wie der CCF war ein Nachlassen der intellektuellen Beweglichkeit zu verspüren, dessen Folgen aber erst seit 1965 für jedermann erkennbar wurden. Dem „Monat" gelang es nicht mehr, wichtige Themen zu bestimmen. Dennoch erwiesen sich die inhaltlichen Kontinuitäten auf die Dauer mehr als Ausdruck einer fast rituellen Erstarrung in der vom Kalten Krieg geprägten Vorstellungswelt des CCF, denn als Beispiele lebendiger Geistigkeit. Dies war in den frühen sechziger Jahren noch anders gewesen, man denke beispielsweise an die lang anhaltenden Diskussionen über das Wesen der demokratischen Rechten und Linken im Zeitalter der Entideologisierung, in denen der Forumcharakter des „Monat" noch einmal zur reifen Entfaltung kam. Sozialdemokraten, Liberale, Konservative, Christdemokraten und sogar Monarchisten wurden in die Debatte
72
Lorenz Stucki
an
Norbert Mühlen vom 19 7.1963, NL Mühlen, Box 21.
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X. Der Weg in die Krise
einbezogen.73 In dieser Zeit unterstützte man auch die frühe Entspannungspolitik, forderte eine flexiblere Ostpolitik und übte insbesondere an der Hallsteindoktrin ausführlich Kritik.74 Am Prinzip der deutschen Einheit wurde aber wenigstens bis 1965/66 unbedingt festgehalten. Im Bereich der Außenpolitik nahm die Analyse der Situation im polyzentrisch gewordenen Weltkommunismus und der Rivalität zwischen der Volksrepublik China und der UdSSR einen breiten Raum ein.75 Das Bild der USA im „Monat" blieb unverändert positiv. Die deutsche CCF-Zeitschrift arbeitete daran mit, den Kennedy-Mythos in der Bundesrepublik zu befestigen,76 blieb aber zugleich dabei, die Bürgerrechtsbewegung und die Rassenfrage in den USA von einem liberalen Standpunkt her ausführlich zu kommentieren.77 Der enge Blickwinkel, aus dem heraus der „Monat" außenpolitische Ereignisse betrachtete, resultierte aus dem unmittelbaren Anschluß an die Grundpositionen der Frühphase, der sich in diesem Feld besonders negativ auswirkte. Noch problematischer war der Umgang mit dem Vietnamkrieg, der in der Bundesrepublik vor 1965/66 jedoch nie auf die Vorbehalte stieß wie zum Beispiel in Frankreich oder den USA. Entsprechend äußerte sich „Der Monat" vor
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74
75
76
1965 kaum zum US-amerikanischen
Engagement in dem südostasiatischen
Horst Krüger: Betrachtungen im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, in: Der Monat, H. 157 (1961), S. 5-15; vgl. dazu die anschließende Debatte in: Der Monat, H. 159 (1961), S. 45-55, mit Beiträgen von Klaus-Peter Schulz, Fritz Erler, Ludwig Marcuse und Johanna Moosdorf. Zu den konservativen Strömungen s. Armin Mohler: Konservativ 1962, in: Der Monat, H. 163 (1962), S. 23-29 sowie die Debatte in: Der Monat, H. 165 (1962), S. 48-63, mit Beiträgen von Golo Mann, Hans-Joachim von Merkatz, Caspar von Schrenck-Notzing, Klaus Harpprecht und Eugen Gerstenmaier Vgl. u.a. Peter Bender: Umklammerung oder Quarantäne. Möglichkeiten einer aktiven Deutschlandpolitik, in: Der Monat, H. 158 (1961), S. 13-20; Ferdinand Friedensburg: Gab es andere Möglichkeiten? Gedanken zu einem Berlin-Buch, in: Der Monat, H. 170 (1962), S. 35-38; Klaus-Peter Schulz: Grenze von Gestern-Brücke von Morgen. Gedanken über die Aussichten einer deutsch-polnischen Verständigung, in: Der Monat, H. 172 (1963), S. 42-54; Peter Bender: Offensive Entspannung, in: Der Monat, H. 173 (1963), S. 75-78; GeorgeF. Kennan: Der Ost-West-Handel, in: Monat, H 196 (1965), S. 13-19; Ekkehart Krippendorff: Zweimal deutsche Außenpolitik, in: Monat, H. 208 (1966), S 33-39 sowie va. das Symposion: Entspannung-Chance oder Gefahr, m: Der Monat, H. 182 (1963), S. 9-25. Vgl. z.B. R. Rockingham Gill: Sankt Nikita und der Drache. Bricht die Achse MoskauPeking?, in: Der Monat, H. 146 (1960), S. 22-28; Ernst Halperin: Molotow und Peking. Die sowjetisch-chinesischen Differenzen in der Entwicklungshilfe, in: Der Monat, H. 177 (1963), S. 37-42; Hugh Seton-Watson: Die große Spaltung Die Geschichte des chinesisch-sowjetischen Konfliktes, in: Der Monat, H. 178 (1963), S. 7-18. Klaus Harpprecht: John F. Kennedy, in: Monat, H. 184 (1964), S. 9-14; Joseph Kraft: Präsident-Sein als Metier, in: Monat, H. 184 (1964), S. 15-19; Waldemar Besson: Kennedys Erbe, in: Monat, H. 194 (1964), S. 16-24. Ekkehart Krippendorff: Schwätzer Radikalismus in den USA, in: Der Monat, H. 157 ( 1961 ), S. 23-27; Heinz Paechter: Die Negerfrage ist keine ökonomische Frage, in: Der Monat, H. 157 (1961), S. 28-35; Norbert Mühlen: Die schwarzen Amerikaner, in: Der Monat, H. 179 ( 1963), S. 9-17; Morroe Berger: Die schwarzen Amerikaner, in: Monat, H. 198 ( 1965), S. 1327 und H. 199 (1965), S. 58-67; Norbert Mühlen: Im Süden der USA, in: Monat, H. 208 (1966), S. 5-16.
3.
Renationalisierung und der Niedergang des „Monat"
555
Staat; erst danach erschienen Artikel, die ein Eingreifen der USA in Südvietverhalten kritisierten, ohne aber die antikommunistische Politik der USA als solche anzugreifen. Ansonsten wurde das Thema weitgehend vermieden.78 An der Schnittstelle zwischen Außen- und Innenpolitik lag ein Themenfeld, zu dem der „Monat" weitaus deutlicher Stellung bezog als zum Vietnamkrieg: Die Atlantiker-Gaullisten-Kontroverse in der CDU, in der es wesentlich um den künftigen außenpolitischen Kurs bundesdeutscher Politik, aber auch um nam
Machtinteressen innerhalb der CDU/CSU ging. Analog zu anderen außenpolitischen Gebieten, blieb der „Monat" hier seiner klassischen Linie treu. Einer Fülle proamerikanisch-atlantischer Beiträge stand ein einziger progaullistischer Artikel aus der Feder von Klaus Harpprecht entgegen. Nicht allein die Proportionen, die man den einzelnen Standpunkten zuwies, sondern auch die Art der Argumentation, die dem Gaullismus bestenfalls mit herablassender Ironie begegnete, ließen erkennen, daß der „Monat" eindeutig auf Seiten der Atlantiker stand und einen katholisch-konservativen eurozentrischen Kurs im Interesse der liberalen US-amerikanischen Hegemonialmacht entschieden ablehnte.79 So blieb die Zeitschrift im außenpolitischen Sektor einer klar proamerikanischen Grundhaltung verhaftet, die von einem nicht minder klaren, wenn auch im Tonfall gemäßigter auftretenden Antikommunismus begleitete wurde. Wahrte man so in der Außenpolitik eine gewisse Kontinuität zu den fünfziger Jahren, auch wenn sie nicht mehr die zentrale Rolle wie zuvor spielte und in Einzelpunkten (moderater Antikommunismus, Ostpolitik) teilweise revidiert fortgeschrieben wurde, so galt dies für die Innen- und Kulturpolitik nur sehr eingeschränkt. Gerade im hochkulturell-ästhetischen Bereich wurde eine deutliche Konzentration auf das westdeutsche kulturelle Leben erkennbar. Die internationale geistige Entwicklung wurde selbst dann nur noch beschränkt rezipiert, wenn sie sich innerhalb der liberalen Szene abspielte. Immerhin gelang es dem „Monat", Friedrich Torbergs Kampagne für ein Bühnenverbot der Stücke von Bertolt Brecht in der Bundesrepublik zu hintertreiben und so den Ruf der Zeitschrift als offenes und tolerantes liberaldemokratisches Blatt zu
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festigen.80 Vgl. Heinz Paechter: Weisheit oder Ratlosigkeit? Johnsons Außenpolitik, in: Monat, H. 187 (1964), S. 27-31; Richard Löwenthal: Amerikas Engagement in Asien, in: Monat, H. 212 (1966), S. 5-19; Theodore Draper: Die amerikanische Krise. Vietnam, Kuba und die Dominikanische Republik, in: Monat, H. 223 (1967), S. 5-16 und H. 224 (1967), S. 10-25. Klaus Harpprecht: Nicht ohne den Nachbarn!, in: Monat, H. 196 (1965), S. 7-12; s.dag. Fritz Erler: Partner oder Rivalen. Europa und die Vereinigten Staaten, in: Der Monat; H. 173 ( 1963), S. 7-14; Lorenz Stucki: „Force de Frappe" contra NATO, in: Der Monat, H. 179 (1963), S. 2330; Heinz Paechter: Weisheit oder Ratlosigkeit? Johnsons Außenpolitik, in: Monat, H. 187 (1964), S. 131; Louis J. Halle: In de Gaulles Sicht, in: Monat, H. 188 (1964), S. 88-91; Lothar Rühl: Der Gaullismus, in: Monat, H. 190 (1964), S. 33-40. Nicht ohne leisen Triumph teilte Allemann Torberg mit, die Reaktionen auf sein Anliegen seien in der Bundesrepublik fast einhellig negativ ausgefallen: Fritz-René Allemann an Friedrich Torberg vom 26.1 1962, NL Torberg, WSLBib, Schachtel 27/8. Es handelte sich um den Artikel: Friedrich Torberg: Soll man Brecht im Westen spielen?, in: Der Monat, H. 159
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X. Der Weg in die Krise
Innenpolitisch blieb der „Monat" ebenfalls einem linksliberalen, antikommuverpflichtet. Ausführlich beschäftigte man sich mit den Verfallserscheinungen der späten Adenauerschen Kanzlerdemokratie81 und trat offen für eine Regierungsbeteiligung der erneuerten Sozialdemokratie ein. Dabei neigte die Redaktion dem Gedanken an eine „Große Koalition" zu, blieb also auch hier im Rahmen der politischen Sandkastenspiele der fünfziger Jahre. Eine sozialliberale Koalition scheint für den „Monat" lange Zeit nicht auf der innenpolitischen Tagesordnung Westdeutschlands gestanden zu haben.82 Während sich die Redaktion dann in der „Spiegelkrise" und der „HochhuthAffäre" bemerkenswert zurückhielt,83 suchte man in anderen Bereichen den Kampf mit dem, was man für restaurative Tendenzen hielt. So setzte sich der „Monat" ausgesprochen aktiv für eine Abschaffung des § 175 StGB ein.84 In nistischen Kurs
den beiden erstgenannten Fällen hatte man zum einen das Verhältnis zum Katholizismus nicht trüben wollen und zum anderen die publizistische Aufgeregtheit für übertrieben gehalten. Insgesamt hier der vorsichtig reformistische Kurs der Vergangenheit beibehalten. Eine Sonderrolle spielte auch im „Monat" die Debatte um das Ende der Ideologie, die sich nur beschränkt in eines der genannten Felder einordnen läßt. Überhaupt propagierte der „Monat" das Konzept anders als die anderen CCFMagazine, allen voran der „Encounter", wo es zu lebhaften Kontroversen mit der Neuen Linken über das Thema kam. Da es in Westdeutschland in der „heißen Phase" der Diskussion keine nennenswerte neulinke Bewegung gab, verlegte sich der „Monat" darauf, die Entideologisierung gewissermaßen indhekt zu suggerieren, indem man sie ohne weitere Debatte als wahrscheinlichen, nahezu unabdingbaren Tatbestand einführte. Dies geschah nun nicht in der Form ausgearbeiteter Artikel, sondern auf dem Wege der Anspielung in Beiträgen zu diversen anderen Themen, wo häufig auf die Entideologisierungs-
(1961), S. 56-63. 81
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83 84
Vgl. Walter Gong: Bonn danach: Routine. Versuch einer Analyse des Regierungsklimas 1962, in: Der Monat, H. 161 (1962), S. 21-28; Fritz-René Allemann: Hybris und Zerfall. Die Tragödie Konrad Adenauers, in: Der Monat, H. 172 (1963), S. 11-16; ders.: Die vertagte Reform. Bonn nach der Krise, in: Der Monat, H 173 (1963), S. 15-20; Rüdiger Altmann: Was wird aus der CDU?, in: Der Monat, H. 177 (1963), S. 9-14. Jaesrich hat z.B. im Januar 1967 eine Artikel von Günther Grass, der sich mit der Frage einer kleinen Koalition aus SPD und FDP beschäftigte, von einer Reihe anders gerichteter Artikel einrahmen lassen, um dessen Wirkung zu minimieren: Hellmuth Jaesrich an Günther Grass vom 22.12 1967, NL Mühlen, Box 23. Vgl. Günter Grass: Die melancholische Koalition, in: Monat, H. 220 (1967), S. 9-12; vgl. ferner GÜNTER Gaus: Das Experiment der SPD. Eine Partei rüstet sich zum Mitregieren, in: Monat, H. 187 (1964), S. 22-27; s. allerdings Lutz Niethammer: Wider eine große Koalition, in: Monat, H. 214 (1966), S. 24-36. Dagegen verfolgte man die Entwicklung der katholischen Kirche auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil mit großer Aufmerksamkeit. Hans-Joachim Schoeps: Soll Homosexualität weiter strafbar bleiben?, in: Der Monat, H 171 (1962), S. 19-27.
3.
Renationalisierung und der Niedergang des „Monat"
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these Bezug genommen wurde.85 Im Vergleich zum „Encounter" oder auch zu Commentary" von den „New York Intellectuals" behandelte der „Monat" den gesamten Themenbereich ungleich steriler und lief damit Gefahr, auch für das intellektuelle Umfeld des CCF in Westdeutschland zu wenig ergiebige Diskussionsbeiträge zu bieten. Schon dieser kurze, kursorische Überblick über die inhaltliche Linie des „Monat" belegt, daß von einem wirklichen Bruch in der Redaktionspolitik jenseits der Wende zu primär deutschen Themen nicht die Rede sein kann, dafür war der „Monat" auch viel zu eng mit dem CCF liiert. Gerade die inhaltliche Kontinuität, verbunden mit der national orientierten Schwerpunktverlagerung, macht aber deutlich, wo die Probleme lagen. Ganz wie der internationale CCF hatte der „Monat" seine weltanschauliche Mitte und seinen anfänglichen Schwung verloren. Die breite Behandlung deutscher Themen allein garantierte noch keine inhaltliche Reform. Weder der Antitotalitarismus noch die von der „re-orientation"-Thematik geprägte Auseinandersetzung mit den Mängeln der Adenauer-Ära konnte die integrierende Funktion des Kosmopolitismus, wie Lasky ihn geprägt und verstanden hatte, übernehmen. Unter den gesellschaftlichen Umständen der sechziger Jahre mußte dies auch für das Konzept der kulturellen Freiheit oder das Bekenntnis zur westlichen Wertewelt gelten. Da die Westorientierung der Bundesrepublik inzwischen ein Faktum geworden war, wirkten derartige Bekenntnisse überholt und wurden als Argumente aus einer fernen Vergangenheit empfunden. Eine klare Struktur für die redaktionelle Arbeit konnten sie schon gar nicht liefern. Wie auf der einen Seite der „Monat" an denselben Schwächen des Konsensliberalismus krankte, die auch den CCF heimsuchte, war auf der anderen Seite ein immer kleiner werdender Teil der deutschen intellektuellen Leserschaft bereit, sich weiterhin mit der Geisteswelt der vierziger und fünfziger Jahre auseinanderzusetzen. Der „Monat" war zum Anachronismus geworden. In der Pariser CCF-Zentrale wurde man sich der seit der Renationalisierung eingetretenen qualitativen Mängel beim „Monat" erst nach einiger Zeit bewußt. Im November 1967 berichtete François Bondy an die neue IACF-Führung, der „Monat" sei zwar neben dem „Encounter" die bedeutendste Zeitschrift des Kongresses, habe aber in den vergangenen Jahren ausgeprägt an geistiger Substanz eingebüßt, wofür auch er die Abkehr vom Kosmopolitismus verantwortlich machte. Die Konzentration auf deutsche Themen habe dem Magazin nicht gut getan. Dafür glaubte Bondy in der Studentenbewegung endlich wieder einen adäquaten Gegner gefunden zu haben, der das Profil der Kongreßzeitschriften wieder schärfen und ihre Existenzberechtigung deutlicher machen könne. Er lobte Jaesrich ausdrücklich dafür, in jüngster Zeit mehr und mehr gegen die Neue Linke mobil gemacht zu haben, sei diese doch genauso „
85
Ein Musterbeispiel für dieses Vorgehen stellte z.B. der Artikel von Rüdiger Altmann: Grenzen des Pluralismus, in: Der Monat, H. 179 (1963), S. 18-22, s.bes. S. 22, dar
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X. Der Weg in die Krise
gefährlich für die deutsche Demokratie wie einst die KPD, auch wenn es ihr an Disziplin und Geschlossenheit fehle.86 Bondys Situationsanalyse war eigentlich eher Ausdruck der Krankheit, an welcher der CCF litt, als daß sie die Möglichkeit einer Heilung beinhaltet hätte. Denn in Wirklichkeit war es längst zu spät. Der „Monat" stand der „Reideologisierung" durch die Studentenbewegung genauso konzeptlos gegenüber wie der CCF. Stalin war als integrativ wirkender
Feind nicht zu ersetzen. Der „Monat" hat die Organisation, die aus ihm hervorgegangen war, nur um drei Jahre überlebt. Sein Schicksal ist nahezu paradigmatisch auch für die anderen Kongreßzeitschriften, die, mit Ausnahme des „Encounter", der erst 1991 eingestellt wurde,87 allesamt verschwanden. Den Magazinen der „New York Intellectuals", die einst für das Zeitschriftenwesen des CCF das Vorbild abgegeben hatten, erging es nur wenig besser; es sei denn, sie gingen, wie „Commentary" unter Norman Podhoretz, zum Neokonservativismus über. Wenigstens blieb ihnen das finanzielle Desaster der CCF-Blätter erspart, was allerdings nicht verhinderte, daß auch sie seit Mitte der sechziger Jahre an geistiger Prägekraft einbüßten. Die Epoche konsensliberaler kultureller Hegemonie endete auch im Zeitschriftensektor um 1965. Auf die ideell-kulturelle Westorientierung der Bundesrepublik konnte der US-amerikanische Liberalismus danach keinen nennenswerten Einfluß mehr ausüben, sondern die selbst von einer Fülle von Problemen heimgesuchten New Deal-Liberalen mußten darauf vertrauen, daß das, was sie in den vierziger und fünfziger Jahren grundgelegt hatten jetzt, nach einem offenkundig werdenden Generationenwechsel in den geistigen Eliten der Bundesrepublik, Früchte tragen würde.
86 87
Bondy: „Some Remarks on the Periodicals Sponsored by the Association" 26.11.1967, S. 2f, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 15, Folder 2. Francois
Die Zeit
vom
17.5.1991 ; Times
Zeitung vom 30.1.1991
Literary Supplement vom
1.2.1991 ; Frankfurter
vom
Allgemeine
XI. DAS ENDE
Der Anfang vom Ende des „Congress for Cultural Freedom" läßt sich präzise definieren. Am 27. April 1966 erschien in der „New York Times" ein Artikel, der auf die Tätigkeit der Kaplan- und der Hoblitzelle-Foundation einging und darauf hinwies, daß beide vom US-amerikanischen Geheimdienst CIA finanziert würden; auch die CCF-Zeitschrift „Encounter" habe aus diesen Quellen Gelder erhalten.1 Was wenige Jahre zuvor möglicherweise noch als Bestandteil etaer sowjetischen Desinformationskampagne abgetan worden wäre2 oder bedingt durch die vom Kalten Krieg ausgelösten Bedrohungsgefühle eher ein verständnisvolles Achselzucken hervorgerufen hätte, wuchs sich jetzt nach kurzer Anlaufzeit zum handfesten kulturpolitischen Skandal aus. Das gesellschaftliche und politische Umfeld, von dem die immer neuen Enthüllungen der Presse aufgenommen wurden, hatte sich drastisch verändert; die selbstverständliche Akzeptanz, die man in früheren Jahren antikommunistischer Aktivität entgegengebracht hatte, war nur noch Vergangenheit, mochte der CCF dies
wahrhaben oder nicht. Dabei war alles längst vorhersehbar gewesen. Seit Jahren liefen kommunistische Propagandaaktionen, die versuchten, den Kulturkongreß mit den Interessen der US-Administration oder der CIA in Verbindung zu bringen; genau genommen seit dem Berliner Kongreß von 1950, als man im Osten das CIC beschuldigte, die Konferenz zu finanzieren. Solange aber der breite antikommunistische Konsens intakt war, hatte der CCF es nie für nötig befunden, sich mit diesen Vorwürfen umfassend auseinanderzusetzen oder sich gar gegen sie zu verteidigen. Sie blieben ungefährlich, da sie entweder durch das kommunistische Feindbild neutralisiert oder als emotionales Kritikastertum marginalisiert werden konnten. Dies traf noch zu, als 1956 die Hamburger „Andere Zeitung" gegen den Uff und das Berliner CCF-Büro den Vorwurf erhob, im Auftrag der Westmächte Ostzonenflüchtlinge zur Spionage anzuhalten.3 Josselson stellte einfach fest, man müsse sich nicht mit diesen nun
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2
New York Times vom 27.4.1966, zum Verlauf der folgenden Ereignisse vgl. P. CoLEMAN: The Liberal Conspiracy, S. 219-236 und P GrÉmion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 428444. Brian Crozier hat noch 1990 versucht, die Ergebnisse der Recherchen von „Ramparts", die auf diejenigen der „New York Times" folgten, als Produkte des tschechoslowakischen Geheimdienstes zu denunzieren, was allerdings über den Wahrheitsgehalt der Presseberichte wenig aussagt, vgl. B. Crozier: Noble Mass, S. 65
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XI. Das Ende
Anschuldigungen beschäftigen, da sie für die Politik des CCF vollkommen irrelevant seien. Auch als sich Hans Habe im Juli 1958 gerüchteweise über Kontakte zwischen der CIA und dem CCF ausließ, war der Unterhaltungswert dieser Nachricht größer als ihr aktuelles Bedrohungspotential für den Kongreß.4 Derartige Berichte prononciert linker oder neutralistischer Organe waren für den CCF relativ uninteressant. Erst in dem Moment, wo die bürgerliche und liberale Presse gleichermaßen kritisch auf die Verflechtungen des Kulturkongresses mit dem US-Geheimdienst eingehen würde, konnte die ältere sowjetische Kampagne ernsthaft bedrohliche Züge annehmen. Eingangs der sechziger Jahre wurde dann tatsächlich absehbar, daß die etablierte Öffentlichkeit, zumindest in den USA, inzwischen den Aktionen der „covert action"-Departments der CIA skeptischer gegenüberstand als je zuvor. Eisenhowers Warnungen vor dem Einfluß des militärisch-industriellen Komplexes und eine nicht enden wollende Serie von CIA-Interventionen in Zentral-
amerika, Südostasien und der Karibik ließen selbst traditionell antikommunistisch orientierte Kreise im amerikanischen Liberalismus aufhorchen. In dieses zeitliche Umfeld gehörte der erwähnte Artikel der „New York Times", die gewiß kein moskauhöriges Organ darstellte. Er basierte auf Recherchen, die 1964 eingeleitet worden waren, als John William Wright Patman, demokratischer Repräsentant aus Texas und Mitglied im „Joint Committee on Defense Production", daraufgestoßen war, daß Gelder der CIA in eine Vielzahl angesehener angeblicher bona fide-Stiftungen flössen.5 Sowohl das linksorientierte Blatt „The Nation"6 als auch die „New York Times" griffen Patmans Erkenntnisse auf. Die New Yorker Zeitung setzte daraufhin ein Reporterteam auf die Angelegenheit an, dessen Recherchen im April 1966 veröffentlicht wurden. Seit dieser Zeit war es unvermeidlich geworden, daß auch der CCF von den einsetzenden Entwicklungen berührt werden würde, da jedermann wissen konnte, über welche Stiftungen der CCF sich finanzierte. Umso erstaunlicher scheint dann die fast panische Reaktion der CCF-Zentrale, als die Krise schließlich akut wurde. Denn nicht allein die Presse war den Zusammenhängen seit 1964 auf der Spur. In anderen, wesentlich existenzgefährdenderen Bereichen war es im selben Jahr gleichfalls zu Problemen gekommen. Im Oktober 1964 traf sich Michael Polanyi mit dem ehemaligen Direktor des „Arts and Humanities
Program" der Ford-Foundation, Lowry, der ihm höflich, aber bestimmt zu verstehen gab, daß die Ford-Foundation nicht bereit sei, den CCF im bisherigen 3
4 5 6
Andere Zeitung vom 19.1.1956; vgl. das Memorandum von Wolf Jobst Siedler an Melvin J. Lasky und Michael Josselson, o.D. (Februar 1956) und Michael, Josselson an Wolf Jobst Siedler vom 21.3.1956, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 120, Folder 7. Nicolas Nabokov an die Redaktion der „Kultur" vom 29.7.1958, IACF/CCF-Archiv, Series II,
Box 200, Folder 7. P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 219. The Nation vom 14 9.1964.
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XI. Das Ende
Ausmaß weiter zu unterstützen, falls nicht jede Zusammenarbeit mit der CIA aufgegeben würde.7 Davon wurde der CCF gleich in doppelter Hinsicht betroffen. Die Ford-Foundation war um 1960 mit bis zu 50% am jährlichen Etat des CCF beteiligt, also neben der CIA der Hauptsponsor.8 Außerdem plante Josselson zu dieser Zeit den CCF künftig ausschließlich mit Mitteln der Ford-Foundation zu finanzieren. Vor allem die Magazine des CCF sollten von der Stiftung übernommen werden, um für den Fall des heraufziehenden Konfliktes ihr Überleben zu sichern.9 Aber nicht allein Josselsons finanzielle Pläne wurden in Mitleidenschaft gezogen. Vielmehr deutete sich an, daß das liberale Establishment damit begann, eine Kooperation mit der CIA nicht mehr als legitim anzusehen, obwohl gerade CCF und Ford-Foundation seit langem miteinander verbunden und den gleichen Idealen des New Deal-Liberalismus verpflichtet waren.10 Michael Josselsons Pläne einer engen Zusammenarbeit mit der Ford-Foundation anstelle der Nähe zur CIA gingen vorerst nicht ganz auf. Zwar stellte die Stiftung ihre Subsidien an den CCF nicht ein, dennoch reichte ihr Etat nicht aus, um den CCF mit seinen Zeitschriften im bisherigen Ausmaß zu tragen, und weitere unabhängige Sponsoren fanden sich nicht. Insofern kam der Bericht der „New York Times" deutlich zu früh. Die Versuche des CCF, sich von der CIA
lösen, waren gerade erst eingeleitet worden und noch nicht von Erfolg gekrönt. In diesem Moment war der CCF extrem verwundbar, ganz unabhängig von der konzeptionellen Krise, in der er sich bereits befand. Erst wenn dieser doppelt negative Umstand einbezogen wird, erschließt sich, was die CCFZentrale zu ihren unglückseligen Reaktionen auf die nun folgenden Ereignisse bewog. Angesichts ungesicherter Verhältnisse antwortete die Kongreßführung ebenso hart wie unsicher. Melvin J. Lasky, Stephen Spender und Irving Kristol in ihrer Funktion als Herausgeber von „Encounter" meldeten sich zu Wort,11 ebenso die vier führenden Köpfe des US-amerikanischen Konsensliberalismus, John Kenneth Galbraith, George F. Kennan, Arthur M. Schlestager und J. Robert Oppenheimer sowie den CCF offiziell repräsentierend Nicolas zu
Nabokov und Denis de
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10 11 12
Rougemont.12 -
Sie bombardierten die „New York -
Michael Polanyi an Siegmund Koch vom 12.11.1964 und Michael Polanyi an Michael Josselson vom 23.6.1966, NL Josselson, Box 6. P. GrÉmion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 409f; vgl. a. Michael Josselson an Shepard Stone vom 29.2.1960, Shepard Stone an Michael Josselson vom 10.6.1964 und Bericht der Ford-Foundation vom 2.11.1966, NL Josselson, Box 5. Zwischen 1957 und 1966 zahlte die Ford-Foundatioon insgesamt $ 2,9 Millionen an den CCF, dann 1966 allein $ 1,5 Millionen An dieser Stelle zeigte sich deutlich, daß Josselson nie nur der Mann der CIA im CCF war, sondern auch stets die Interessen des Kulturkongresses im Auge behielt. P. GrÉmion: Intelligence de l'Anticommunisme, S 410f. New York Times vom 10.5.1966. Leserbriefe an die New York Times vom 30.4.1966, 4.5.1966 und vom 6.5.1966, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 74, Folder 6.
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XI. Das Ende
Times" förmlich mit Dementis: Nie habe es einen Einfluß der CIA oder der genannten Stiftungen auf Inhalte, Politik oder Seminarbetrieb des CCF gegeben. Dieser habe ganz im Gegenteil in völliger intellektueller Unabhängigkeit und Integrität seiner Arbeit nachgehen können, die dem Wohle der kulturellen Freiheit gedient habe. Lasky, Sperber und Kristol wiesen femer daraufhin, daß der „Encounter" sich wirtschaftlich selber trage und daß seine Defizite bislang allein durch den CCF gedeckt worden seien. Die überwiegende Anzahl dieser Dementis waren Akte offener Unwahrheit. Fast alle Autoren, mit der möglichen Ausnahme Kristols und Spenders, wußten es längst besser. Galbraith hat ein Jahr später zugegeben, daß er seit Mitte der fünfziger Jahre von den Beziehungen zwischen CCF und CIA Kenntnis gehabt hatte.13 Arthur M. Schlesinger dürfte spätestens seit seiner Tätigkeit in der Kennedy-Administration davon gewußt haben, Lasky wußte es nach eigener Aussage etwa seit 1963; im engeren Führungszirkel des CCF war es außer Josselson auch John C. Hunt und Michael Polanyi vor der Veröffentlichung der „New York Times" bekannt gewesen. Der Brief eines CCF-Mitarbeiters an Ivan Kats belegt zusätzlich, daß die Kenntnis von der Herkunft der Kongreßgelder innerhalb der Pariser Zentrale weiter verbreitet war, als man zugab.14 Daß ausgerechnet Nicolas Nabokov und Denis de Rougemont als hochrangige Funktionäre des CCF von den Zuwendungen der CIA keine Kenntnis gehabt haben sollten, erscheint mehr als unwahrscheinlich. Zudem, und darauf hat beispielsweise Norman Podhoretz schon 1966 hingewiesen, gingen die Briefe gar nicht auf den Vorwurf ein, der CCF sei von der CIA bezahlt worden, sondern sie betonten vor allem die geistige Unabhängigkeit der Organisation, was man, trotz aller Schärfe der Reaktion, durchaus als Eingeständnis hätte werten
können.15
Mit der Leserbriefkampagne im April/Mai 1966 und den dabei entwickelten Argumentationsstrategien hatte der CCF eine erste Verteidigungsstellung bezogen, aus der heraus man anfangs auch einige Erfolge erzielte. Die „New York Times", die vorher allen Versuchen des „Director of Central Intelligence", John A. McCone, widerstanden hatte, die den „Encounter" betreffenden Passagen kurzen zu lassen,16 machte im Juli 1966 einen Teilrückzieher.17 Dieser neuerliche Artikel war zum Teil eine Reaktion auf die unerwarteten Folgen, die 13 14
The Observer vom 14.5.1967. David (Goldstein?) an Ivan (Kats), o.D. (27.4.1966), IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 74, Folder 7: „I read in the Times this morning, with regret, of the fact that the Congress is financed by the CIA. I do not mean regret that I learned of it, because I knew that before, but regret that they had to publish this fact and make it a matter of public record. [...]. It all makes me very mad they blow the few positive things the CIA is doing and don't mention all the frightening ultranational policies they implement in short-sighted ways overseas." Briefentwurf von Norman Podhoretz, o.D. (Mai 1966?), IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 74, Folder 7. P. Coleman: The Liberal Conspiracy, S. 223. New York Times vom 24.7.1966. —
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XI Das Ende
der
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April-Artikel in einigen Ländern der Dritten Welt ausgelöst hatte. Dort, Uganda oder Ägypten, im Libanon und in Indien, waren CCF-Mit-
etwa in
arbeiter bedroht oder gar verhaftet worden, man hatte Büros durchsucht und geschlossen sowie die Magazine der Organisation aus dem Vertrieb genommen. Jetzt erklärte die „New York Times", sie habe nie unterstellen wollen, daß der CCF in irgendeiner Weise inhaltlich von der CIA abhängig gewesen sei. Im Gegensatz zu den Ländern der Dritten Welt oder der USA und Großbritanniens, kam es in der Bundesrepublik 1966 zu keinerlei negativen Kommentaren. Im Mai 1966 meldete Bruno Snell an Nabokov: „Keiner von uns hat in der deutschen Presse irgend eine Insinuation dieser Art gesehen; wir werden aber weiter sorgfältig die Zeitungen beobachten und Ihnen mitteilen, wenn irgend etwas in dieser Angelegenheit gedruckt wird."18 Nicht die CIA-Affäre, sondern die Frage des Ausbaus der deutschen Sektion stand in der internen Diskussion in Westdeutschland im Vordergrund. René Tavernier und Manès Sperber besuchten im Frühjahr und Sommer die Bundesrepublik, sprachen mit befreundeten Intellektuellen und arbeiteten daran, die Kölner Gruppe zu reaktivieren oder durch Herbert Hupka nach Bonn transferieren zu lassen. Auch Theodor W. Adorno in Frankfurt wurde erneut in Expansionspläne der Pariser Zentrale einbezogen19 In Westdeutschland galt noch bis zum April 1967 die Devise „business as usual". Während also der CCF in Westdeutschland damit beschäftigt blieb, seine weitere Expansion zu planen, erkannte Michael Josselson die Notwendigkeit einer kompletten Reorganisation des CCF auf dem finanziellen Sektor. Er war bemüht jene Schritte zu beschleunigen, die er schon kurz vor dem Erscheinen des „Times"-Artikels eingeleitet hatte. Im Oktober 1966 deutete er gegenüber Bruno Snell an, Shepard Stone sei damit einverstanden, den CCF künftig ganz von der Ford-Foundation finanzieren zu lassen.20 Und wirklich hatte McGeorge Bundy, wohl von Stone beraten, dem CCF einen „grant" von $ 5,5 Millionen über einen Zeitraum von 1968 bis 1972 gewährt.21 Vier Monate lang glaubte man danach im Internationalen Generalsekretariat, die Krise sei endgültig überwunden und die von John C. Hunt zu Beginn des Jahres 1966 ausgesprochene Hoffnung, es sei nun an der Zeit, daß der CCF mit neuer Frische wieder aktiv
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21
Bruno Snell an Nicolas Nabokov vom 9.5.1966, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 74, Folder 7. Manès Sperber: „Rapport du voyage en Allemagne" vom Mai 1966, NL Sperber, ÖNB/ÖLA, Mappe 546; Bericht von René Tavernier über seine Deutschlandreise von April und Mai 1966, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 124, Folder 9; vgl. femer Pierre Emmanuel: „Plan des activités en Europe" vom 12.12.1966, S. 9, ebda., Box 10, Folder 1 und außerdem David Goldstein an Shepard Stone vom 22.11.1967, ebda., Box 121, Folder 9. Michael Josselson an Bnino Snell vom 6.10.1966, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 124, Folder 9. P. GrÉmion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 470-472 und P. COLEMAN: The Liberal Conspiracy, S. 228.
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XI Das Ende
würde, könne sich erfüllen.22 Diesmal sollte der Irrtum noch gravierender
ausfallen als je zuvor. Josselson und seine Mitarbeiter hatten nicht mit der Hartnäckigkeit der USamerikanischen Neuen Linken gerechnet, die vor dem Hintergrund des Vietnamkrieges dazu tendierte, in den Konstellationen des Kalten Krieges und der daraus resultierenden wichtigen Rolle der CIA eine der Hauptursachen für die in ihren Augen marode Situation der eigenen Gesellschaft zu erkennen. Seit Februar 1967 legten „Ramparts"23 und „The Nation"24 die Ergebnisse ihrer eigenen Recherchen vor, die sich inhaltlich nicht von denen der „New York Times" unterschieden, wobei besonders die Rolle der „National Students Association" (NSA) als Rekrutierungsorganisation für CIA-Agenten behandelt wurde. Neben der NSA geriet aber bald auch der CCF, vor allem bei „Ramparts", in die Schußlinie. Mitarbeiter des Blattes hatten Michael Josselson schon vorab interviewt.25 Ganz offensichtlich war von Anfang an ein Angriff auf den
Kulturkongreß geplant worden. Eigentlich war „Ramparts" nicht unbedingt dafür prädestiniert, in diesen Ereignissen eine wichtige Rolle zu spielen. Die Zeitschrift war einmal als intellektuelles Organ des US-amerikanischen Linkskatholizismus gegründet worden und ursprünglich den Ideen Jacques Maritatas und P. Pierre Teilhard de Chardins, S.J., verpflichtet gewesen. Erst 1965/66 hatte sich die Redaktion,
mehr aus wirtschaftlichen Gründen, denn aus Überzeugung, der neulinken Szene zugewandt, wo sie zum Publikationsort für den „Politico"-Flügel des SDS um Tom Hayden wurde.26 Die Wirkung der „Ramparts"-Artikel, die wohl auch einem Angriff des SDS auf das alte antitotalitäre Beziehungsgeflecht der „League for Industrial Democracy" (LID)27 mit den „New York Intellectuals" gleichkam,28 wurde durch den Umstand erheblich verstärkt, daß „Newsweek" und „Time" ihre Ergebnisse ebenfalls veröffentlichten und durch eigene Beiträge erweiterten.29 Der Angriff auf die „New York Intellectuals" als intellektuelle Anführer des „cold war consensus" verstärkte sich sogar noch, womit naturgemäß der CCF als transnationaler Arm der „New York Intellectuals" erneut in die Schußlinie kommen mußte. Am 20. April 1967 griff Julius Epstein in der 22 23 24 25 26 27
28 29
John C. Hunt an Leonhard Reinisch vom 17.1.1966, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 125, Folder 8. Ramparts, H. 3 ( 1967), S. 29ff. und H. 4 ( 1967); vgl. New Republic vom 25.2.1967 und New Statesman vom 24.2.1967. The Nation vom 6.3.1967. Bald griff auch die Zeitschrift der „radicals" „Dissent" das Thema auf, vgl. Dissent vom Mai/Juni 1967, S. 279ff. Michael Josselson an Dwight Macdonald vom 15.3.1967, NL Josselson, Box 27. P. Grémion: Intelligence de l'Anticommunisme, S. 434f; T. Gitlin: The Sixties, S. 308. Die LID war die ungeliebte, streng antikommunistisch-sozialistische Mutterorganisation des SDS. Vgl. T. Gitlin: The Sixties, S. 247 Newsweek vom 27.2.1967 und vom 6.3.1967 brachte ausführliche Beiträge über die „dummy foundations" der CIA; Time vom 24.2.1967 stützte sich fast ausschließlich auf die „Ramparts"-
Untersuchungen.
XI Das Ende
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an, indem er den „New York Intellectuals" und dem CCF Kollaboration mit der CIA vorwarf; ein Grundthema, das von da an vor allem von „The Nation" in allen denkbaren Variationen wiederholt werden sollte.30 Der Streit war nun gewissermaßen auf den Punkt gekommen. Wie in der Kontroverse um das Ende der Ideologie ging es um die Rolle, die Intellektuelle im Kalten Krieg gespielt hatten. Damit war die moralische Anfrage nach der Staatsnähe und der kritischen Potenz dieser Intellektuellen engstens verknüpft. Zugleich handelte es sich um einen Generationenkonflikt. Die nachrückenden jungen Intellektuellen waren darum bemüht, sich von den Idealen der älteren Generation zu verabschieden und damit zugleich ihre eigene ideelle Machtposition im geistigen Leben der USA und des gesamten Westens auszubauen. Der moralische Anspruch der jungen Generation und ihr Versuch die älteren Leitfiguren des Antistalinismus machtpolitisch zu delegitimieren, trugen maßgeblich dazu bei, daß die Debatte weitaus mehr als die Entideologisierungskontroverse in einem fast unerträglich scharfen Ton geführt wurde. Besonders Christopher Lasch, der in „The Nation" zu dem Thema Stellung bezog, warf dem CCF moralische Doppelstandards und Heuchelei vor. Während die Organisation philosowjetische „fellow-travellers" gnadenlos verfolgt habe, hätte sie keine Bedenken gehabt, selbst mit der CIA zusammenzuarbeiten. Ahnlich argumentierte Connor Cruise O'Brien, der sich seit dem Sommer 1966 an der Debatte beteiligte.31 Verschreckt übte sich die Kongreßführung dieweil erneut in Dementis.32 Sofort setzten Bemühungen ein, die ganze Kampagne als kommunistische Verschwörung zu enttarnen.33 „Ramparts", so hieß es, sei nicht nur ein „muckracker"-Magazta, sondern hoch verschuldet und werde von den Kommunisten bezahlt. Doch die einmal ins Rollen gekommene Lawine ließ sich durch den Rekurs auf die Typologie des Kalten Krieges nicht mehr aufhalten. Anfang Mai 1967 mußte Melvin Lasky einräumen, daß er von den Zahlungen der CIA an den „Encounter" gewußt habe, aber weder seien seine Mitherausgeber davon informiert hewesen, noch habe die CIA damit konkrete Intentionen bei der Zeitschrift verfolgt. Es folgten im Verlauf des Mai 1967 eine Reihe weiterer Artikel, zunehmend auch in der liberalen Presse, die sich des Themas an-
„New York Review of Books" die „Familie" heftig
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New York Review of Books vom 20.4.1967; The Nation vom 5.6.1967, 11.9.1967, 2.10.1967 und vom 11.11.1967, wo es zu einer hitzigen Kontroverse zwischen dem revisionistischen Historiker Christopher Lasch und Melvin J. Lasky kam. Der CCF wurde dabei als literarische Schweinebucht und als intellektueller Restposten des Kalten Krieges etikettiert Ähnliche Folgen hatte auch ein Artikel der New York Herald Tribune vom 22.2.1967, in dem mit dem Vorsitzenden der amerikanischen Sozialistischen Partei, Norman Thomas, eine der bedeutensten Figuren des konsensliberalen Antikommunismus der Zusammenarbeitet mit der CIA bezichtigt wurde. Washington Post vom 12.6.1966. New York Times vom 10.5.1967; New York Herald Tribune vom 22.4.1967. Washington Star vom 24.2.1967 und News-Weekly vom 26.4.1967.
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XI Das Ende
nahmen.34 Die publizistischen Bastionen des CCF brachen zusammen, als
ausgerechnet Thomas Braden, der frühere Leiter des „covert action"-DepartVorgesetzte Josselsons, sich zu Wort meldete und in aller Offenheit erklärte, der CCF sei eine verdeckte Operation der CIA gewesen.35 Damit war die bisherige defensive Position des CCF in der Öffentments der CIA und unmittelbare
lichkeit unhaltbar geworden.36 Es wurde unabwendbar, die finanzielle Beteiligung der CIA an den gesamten Aktivitäten des CCF zuzugeben. Man beharrte aber darauf, daß es keinerlei inhaltliche Eingriffe der CIA gegeben habe, und bekannte sich zu der Notwendigkeit antikommunistischen Handelns im Angesicht der stalinistischen Bedrohung. Ein neues, gewissermaßen haushaltstechnisch-juridisches Element, mit dessen Hilfe man taktischen Spielraum zu gewinnen trachtete, kam zur CCF-Argumentation hinzu: Die USA vefügten über keinen offiziellen Etat für auswärtige Kulturarbeit und hätten deswegen solche Gelder über die CIA kanalisiert.37 Dieses formale Argument war allerdings in keiner Weise dazu angetan, in einer hochgradig emotionalisierten Debatte für mehr Ruhe zu sorgen. Besonders in der Dritten Welt, aber auch in den neutralistischen und antiamerikanischen Kreisen Großbritanniens und Frankreichs vermochte man damit ebensowenig anzufangen wie in den neulinken Zirkeln der USA. Denn der Konflikt wurde durch die Nähe des CCF zur CIA nur verschärft, nicht aber ausgelöst. Daß er überhaupt Gelder amerikanischer staatlicher Stellen angenommen hatte, wurde dem CCF vorgeworfen. Die Staatsnähe als solche führte in den Augen der Kritiker den Anspruch des CCF, eine Organisation kritischer Intellektueller zu sein, ad absurdum. Dank einer hochgradig ungeschickten Taktik im Umgang mit einer zugegebenermaßen von Anfang an unfreundlich gestimmten veröffentlichten Meinung hatte 34
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Times vom 14.5.1967; Sunday Telegraph vom 14.5.1967; New York Times vom 15.5.1967 und New York Herald Tribune vom 16.5.1967. Nun standen endgültig der „Encounter" und der CCF im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der angelsächsischen Presse und nicht mehr die NSA. Saturday Evening Post vom 20.5.1967, die einschlägige Passage aus dem „I'm Glad the CIA is .Immoral'"titulierten Bericht lautet: „And then there was Encounter, the magazme published in England and dedicated to the proposition that cultural achievement and political freedom were interdependent. Money [...] for the magazine's publication came from the CIA, and few outside the CIA knew about it. We had placed one agent in a Europe-based organization of intellectuals called the Congress for Cultural Freedom. Another agent became an editor of Encounter. The agents could not only propose anti-Communist programs to the official leaders of the organization but they could also suggest ways to solve the inevitable budgetary problems." Die Hauptschwierigkeit in der Interpretation des Textes liegt in der ein wenig selbstgefälligen Art, mit der Braden die antikommunistische Zielsetzung des CCF für die CIA in Anspruch nimmt Auch die These vom zweiten Agenten ist bislang umstntten. Vgl.a Newsweek vom 22.5.1967. Ein Jahr später merkte Irving Kristol dazu ironisch an, hätte man vorher gewußt, daß die CIA aus selbstgefälligen „blabbermouth.es" bestehe, hätte man von vomeherein auf die Mittel der Organisation verzichten sollen, vgl. New York Times Magazine vom 11.2.1968, S. 25. Daily Telegraph vom 14 5.1967; vgl.a. Daniel Bell an John Leonhard (Hg. der New York Sunday Times Book Review) vom 16.10.1977. Eine ganz ähnliche Argumentation findet sich noch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 24 5.1996. Vgl. ferner Michael Josselson an Stephen Spender vom 23.4.1969, NL Josselson, Box 7.
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XI Das Ende
sich der CCF in der Öffentlichkeit ins Abseits manövriert. Aber auch intern, ausgelöst durch den Druck dieser Öffentlichkeit, zerbrach das personelle Netzwerk, auf dem der CCF gründete, mit hoher Geschwindigkeit. Dabei tat sich besonders Stephen Spender hervor, der sich seit April 1967 mit Melvin J. Lasky wegen dessen Nähe zur CIA überworfen hatte. Zu diesem Zeitpunkt war im CCF auch schon bekannt, daß Thomas Braden bald reden würde und was er zu sagen hatte. Die Wurzeln dieses neuerlichen Konfliktes in der engeren Führungsgruppe des CCF lagen ein paar Monate zurück. Noch im September 1966 hatte Josselson, kaum ohne Rücksprache mit Lasky, Stephen Spender versichert, der „Encounter" sei weder direkt noch indirekt aus Mitteln der CIA finanziert worden.38 Spender war nicht erst durch den April-Artikel der „New York Times" auf den möglichen Zusammenhang zur CIA hingewiesen worden. Nach eigenen Angaben hatte er erstmals 1964 entsprechende Gerüchte gehört, ohne daß er es in der Folge jemals für nötig gehalten hätte, eine klärende Aussprache mit Lasky oder Josselson herbeizuführen.39 Als im April 1967 Lasky intern eingestand, seit 1963 von den CIA-Geldern gewußt zu haben, brach sich Spenders Ärger Bahn.40 Daß er als Mitherausgeber sozusagen für unwürdig befunden worden war, entscheidende Informationen über den Hintergrund seiner eigenen Zeitschrift zu erhalten, mußte seinen Stolz verletzen. Daraufhin kam es auf einer Party in London zu einem erregten Zusammenstoß zwischen Spenders Frau Natasha und Brigitte Lasky, in deren Verlauf Natasha Spender Melvin Lasky offen und mit großer Lautstärke als Agenten der CIA bezeichnete, was wiederum Josselson zu einer wütenden Replik an Spender veranlaßte.41 Im Kern ging es um eine von Bradens Andeutungen, daß nämlich außer Josselson ein zweiter Agent der CIA in den führenden Gremien des CCF plaziert worden wäre. Wer dieser zweite Mann war, ist bis heute unklar. Spender sah sich nach der rüden Zurechtweisung durch Josselson verunglimpft und entschied sich einen Schlußstrich zu ziehen. Schon seit einigen Wochen war über seinen Verbleib in der Redaktion des „Encounter" spekuliert wurden, jetzt nicht ohne größeren publizistischen Aufwand zog er die Konsequenzen aus den Vertrauensbrüchen der Vergangenheit und verlies den CCF. Angesichts des Umstandes, daß Spender seit 1948 mit dem britischen Geheimdienst zusammengearbeitet hatte, scheint seine Aufregung künstlicher Züge jedoch nicht zu entbehren. Wie dem auch sei, von da an stand Lasky im Zentrum der Angriffe aus dem inneren Kreis des CCF.42 Josselson versuchte zwar noch, ihn und Kristol gegen -
-
38 39 40 41 42
Michael Josselson
an Stephen Spender vom 17.9.1966, NL Josselson, Box 7. Stephen Spender an Michael Josselson vom 11.3.1967, NL Josselson, Box 5. Stephen Spender an Michael Josselson vom 23.4.1967, NL Josselson, Box 5. Michael Josselson an Stephen Spender vom 26 4.1967, NL Josselson, Box 5.
Hellmuth Jaesrich
an
Norbert Mühlen vom 25 5.1967, NL Mühlen, Box 24
568
XI Das Ende
weitere Vorwürfe in Schutz zu nehmen,43 war aber durch die Enthüllungen Bradens kaum minder diskreditiert. Sein Wort galt in einigen Bereichen des CCF nicht mehr allzu viel. Fast parallel zu diesen Vorgängen vesuchte Diana Josselson, den Ruf ihres Mannes zu retten, indem sie Thomas Braden fast inständig bat, sein Interview mit der „Saturday Evening Post" nicht zu veröffentlichen.44 Er würde damit sowohl die Existenz Josselsons als auch diejenige Laskys ruinieren. Außerdem möge er die schwere Herzkrankheit ihres Mannes bedenken.
Das, bei allen bisherigen Streitigkeiten, auf Freundschaft, Kollegialität,
gemeinsame weltanschauliche Normen und gegenseitiges Vertrauen gegründete Netzwerk des CCF lief seit April/Mai 1967 Gefahr, gewissermaßen von innen heraus zu zerreißen. Michael Josselson erkannte dies und bot der eilig ein-
berufenen Generalversammlung des CCF seinen Rücktritt an.45 Auf diese Weise sollten der äußere und innere Druck von der Organisation genommen werden, um wenigstens einen Rest der bislang geleisteten Arbeit in die Zukunft retten zu können. Immer noch konnte Josselson sich auf einen Teil seiner Gefolgschaft verlassen. Daniel Bell,46 Louis Fischer,47 Michael Polanyi48 und Marion Bieber49 solidarisierten sich augenblicklich mit ihm. Eigentlich alle, die sich in jenen Tagen an Josselson wandten, wünschten nicht nur, daß der Kongreß weiterexistieren sollte, sondern auch einen Verbleib Josselsons und seines gleichermaßen belasteten Mitarbeiters John C. Hunt. Für einen Moment schien es, als könne die Situation noch einmal stabilisiert werden. Die alten Loyalitäten trugen das System noch. Aber es war tatsächlich nur der unmittelbare Kern, der sich meldete. Andere, wie Manès Sperber50 und Carlo Schmid,51 benötigten Monate, wenn nicht sogar Jahre, um Josselson positive Signale zukommen zu lassen. Auf alle Fälle warteten sie seinen Rücktritt ab. Aber auch in dieser Gruppe bezweifelte niemand Josselsons persönliche Integrität. Man war sich allerdings darüber bewußt daß ein CCF mit Josselson und Hunt kaum zu halten 43 44 45
Michael Josselson an Irving Kristol vom 7.5.1967, NL Josselson, Box 27. Diana Josselson an Thomas Braden vom 5.5.1967, NL Josselson, Box 27. Michael Josselson an Edward Shils vom 21.4.1967, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 7, Folder
46
Persönliche Erklärung
1.
47
von Daniel Bell an den Leiter der CCF-Generalversammlung Mmoo Masani vom 25.4.1967, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 7, Folder 1 ; Bell hatte sich schon vor Josselsons Rücktrittsangebot ähnlich geäußert, s. Daniel Bell an Michael Josselson vom 12.4.1967, NL Josselson, Box 9: „Let me say that so far as I am concerned you have nothing to apologize for. You have been dedicated, fair and independent and more than anything else you, almost single-handedly, created the one place in Europe, and later in other parts of the world, where intellectuals could find support and sustainance from the harassments of the Communists." Louis Fischer an Michael Josselson vom 3,5.1967, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 7, Folder
1.
48
49 50 51
Michael Polanyi an Michael Josselson vom 6.5.1967, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 7, Folder 1 ; Michael Polanyi an Raymond Aron vom 9.5.1967, NL Josselson, Box 9. Marion Bieber an Michael Josselson vom 7.5.1967, NL Josselson, Box 9. Manès Sperber an Michael Josselson vom 29.12.1967, NL Josselson, Box 9. Carlo Schmid an Michael Josselson vom 20.10.1977, NL Schmid, AdsD, Bd. 945.
XI. Das Ende
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sein würde. Wieder andere reagierten deutlich kritischer. Norman Podhoretz etwa mißbilligte die Nähe Josselsons zur CIA,52 ähnliches traf auf Dwight Macdonald zu, der sich aber, trotz der vorangegangenen Auseinandersetzungen mit Josselson aller menschlich abwertenden Kommentare enthielt. Er war zudem durchaus daran interessiert, die Existenz des CCF zu retten, wiederum ungeachtet der bestehenden Differenzen über den Einsatz von US-Truppen in Südvietnam. Vollkommen zu Recht fügte er jedoch seinem Schreiben an Josselson die Bemerkung bei, die derzeitige Argumentationsstrategie des CCF basiere zu sehr auf formaljuristischen Spitzfindigkeiten und werde deswegen niemanden überzeugen. Zudem könne Josselson die Berichterstattung von „Ramparts" beim besten Willen nicht als „witch-hunt" verunglimpfen.53 Wenn überhaupt aus dem ursprünglichen Mitgliederbestand des CCF Einwände gegen Josselson kamen, liefen sie zumeist weniger darauf hinaus, die Zusammenarbeit mit der CIA als ungerechtfertigt zu empfinden, sondern man mißbilligte Josselsons und Hunts Alleingänge in dieser Angelegenheit. Für Funktionsweise und Selbstverständnis des CCF bezeichnend ist der Umstand, daß die massive Kritik an der Verhaltensweise Josselsons tatsächlich, sieht man von dem Sonderfall Stephen Spender ab, nie aus dem inneren Kreis des Kongresses kam, sondern stets aus den später angelagerten Zirkeln. 1967 waren es vor allem Repräsentanten des CCF aus der Dritten Welt, die sich ausgenutzt und betrogen vorkamen und die auch mit besonders heftigen negativen Reaktionen in ihren jeweiligen Heimatländern zu rechnen hatten. Vor allem von der einflußreichen indischen Sektion wurden Vorbehalte angemeldet, die mehrere Wurzeln hatten: Jayaprakesh Narayan und der CCF-Repräsentant in Calcutta, K.K. Sinha, sahen sich in der indischen Kongreßpartei schon lange dem Vorwurf ausgesetzt, aus Antikommunismus zu sehr den US-Amerikanern in die Hände zu spielen. Dabei hatten sie durchgehend die unbedingte Neutralität des CCF betont und sahen sich jetzt mit verstärkter Kritik konfrontiert. Parallel dazu waren sie im indischen CCF mit Minoo Masani aneinander geraten, weil dieser in ihren Augen einen zu proamerikanischen Kurs angestrebt hatte. Diese doppelte Frontstellung in Politik und CCF zwang Narayan und Sinha regelrecht zu einem schärferen Vorgehen gegen die CIA-nahen Personen im CCF.54 Anderen CCF-Funktionären aus der Dritten Welt erging es kaum unterschiedlich.
52 53 54
Daniel Bell an John C. Hunt und Melvin J. Lasky, o.D. (Frühjahr 1967), NL Josselson, Box 9. Dwight Macdonald an Michael Josselson vom 30.3.1967, NL Josselson, Box 27. K.K Sinha an John C. Hunt vom 1.6.1967, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 74, Folder 8; vgl. Jayaprakesh Narayan an Raymond Aron vom 22.6.1967, ebda.; Jayaprakesh Narayan an Raymond Aron vom 20.7.1967, NL Josselson, Box 27, wo Narayan sich noch darüber beschwerte, die
Generalversammlung des CCF
sei
zu
milde mit Josselson umgegangen. Auch Josselsons
Hinweis, der CCF habe nie als Instrument nachrichtendienstlicher Tätigkeit gedient, konnte die Inder nicht beruhigen: Michael Josselson an Jayaprakesh Narayan vom 9.8.1967, ebda
570
XI. Das Ende
Der innere und äußere Druck, dem der CCF seit Februar unterlag und der bereits das personale Gefüge der Organisation zu zersetzen drohte und ihre Wirksamkeit in den USA, Westeuropa und der Dritten Welt völlig zum Erliegen gebracht hatte, machte einen weiteren Verbleib Josselsons in der CCFFührung unmöglich. Außerdem galt es, prinzipielle Entscheidungen darüber zu treffen, wie es weitergehen sollte, hielt die Mehrheit der CCF-Mitglieder doch daran fest, daß die Welt den Kongreß benötigte. Es mußten allerdings alte Handlungsspielräume zurückgewonnen werden. In irgendeiner Form wollte man den Druck von außen los werden, um sich dann auch einer Reform nach innen widmen zu können. Kurz vor Thomas Bradens Interview, am 13. Mai 1967, traf sich ein letztes Mal eine außerordentliche Generalversammlung des „Congress for Cultural Freedom" in Paris; dort, wo der CCF über 16 Jahre lang setae größte Wirksamkeit entfaltet hatte.55 Im Verlauf der Sitzung gaben Josselson und Hunt zu, seit Ende 1950 Gelder der CIA erst direkt und dann über „dummy foundations" erhalten zu haben. Beide traten umgehend von ihren Ämtern zurück. Daraufhin wurde eine am Abend zuvor formulierte Erklärung verabschiedet in der Josselson für seine Tätigkeit als Exekutivsekretär gedankt und die Bedeutung des CCF noch einmal hervorgehoben wurde. Auch bedauerten die anwesenden Repräsentanten des CCF, daß sie weder von Josselson noch von Hunt je über deren Methoden des „fund-raising" informiert worden seien, um abschließend ihre und ihrer Organisation geistige Unabhängigkeit zu betonen.56 Zwischenzeitlich geriet Melvin Lasky in das Schußfeld der kongreßinternen Kritiker, doch gelang es ihm unter Mühen, seine Stellung als Herausgeber des „Encounter" zu verteidigen. Zum Abschluß der Treffens wurde vereinbart, daß das Internationale Generalsekretariat in den kommenden Wochen einen Plan ausarbeiten sollte, wie künftig der CCF unter veränderten Bedingungen und Strukturen und allein von der Ford-Foundation finanziert, weiterarbeiten könnte. Am 10. Juli legte das Pariser Sekretariat dann einen Plan für die „International Association for Cultural Freedom" (IACF) vor, die in relativer sachlicher und personeller Kontinuität, aber auf weit geringerem finanziellen Niveau die Arbeit des CCF fortsetzen sollte, ohne beständig die Erinnerungen an das Ende des CCF wach werden zu lassen. Die IACF wurde am 16. September 1967 konstituiert. Sie war im wesentlichen ein Produkt Shepard Stones, ohne dessen Etasatz sie vollkommen unmöglich gewesen wäre. Der Neuanfang fiel im Endeffekt drastischer aus als ursprünglich angenommen. Im „Board of Directors" war von den einst führenden CCF-Mitgliedern nur
noch
Ignazio Silone vertreten. Der Rest der Veteranen des Kalten Krieges reagierte skeptisch, verhalten oder einfach nur ablehnend. Ganz im Stile des 55 56
Protokoll der außerordentlichen Generalversammlung des CCF vom 13.5.1967, IACF/CCFArchiv, Series II, Box 6, Folder 6. Vgl. N.N.: „Note pour Monsieur Josselson" vom 12.5.1967, IACF/CCF-Archiv., Series II, Box 6, Folder 6.
XI Das Ende
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untergegangegnen CCF befand Edward Shils im Jahre 1976, die Nachfolge-
organisation des CCF sei intellektuell viel zu flach, um sich mit ihrer Vorläuferin überhaupt messen zu können.57 Nur George F. Kennan und Leo Labedz, der sich einen deutlichen Linksruck von dem Neuanfang versprach, waren bereit, der IACF eine kleine Chance zu geben.58 Der „Congress for Cultural Freedom" existierte nicht mehr. Seine Nachfolgerin kämpfte gegen das anhaltende Mißtrauen der Öffentlichkeit ebenso an wie gegen die Probleme, die sich aus den Zeitumständen ergaben. Neue ideologische Trends, ein als verhängnisvoll empfundener Hang zum antiliberalen Irrationalismus, all dies plagte die von Shepard Stone geleitete Gruppe, die nie auch nur annähernd die Rolle spielen konnte, die der CCF gespielt hatte. Der war nämlich insgesamt weniger Opfer der CIA-Affäre geworden, als vielmehr eines in doppelter Hinsicht unglücklich formierten Umfeldes, was sich umgekehrt negativ auf die Möglichkeiten der IACF auswirken mußte. Einerseits war der CCF seit längerer Zeit intellektuell in Stagnation verfallen und bereits im Abstieg begriffen gewesen, als „Ramparts" die engen Beziehungen zur CIA aufdeckte. Andererseits wurde er Opfer einer neuen kulturell hegemonialen Strömung innerhalb der westlichen Intellektuellen. Der CCF und der USamerikanische Konsensliberalismus waren nicht mehr in der Lage, sich in den intellektuellen Zirkeln von Paris, London, San Francisco oder Berlin Gehör zu verschaffen. Zudem kreuzten sich zwei im Hinblick auf die Bereitschaft zur Staatsnähe inkompatible politikethische Systeme. Während die konsensliberalen Intellektuellen auf Grund ihrer lebensgeschichtlichen Erfahrungen mit beiden totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts in den USA oder anderen westlichen Gesellschaftssystemen zwar reformbedürftige, aber immer auch reformfahige Modelle erkannten, die es unbedingt zu erhalten und zu verteidigen galt, lösten die gleichen liberaldemokratischen Gesellschaften bei einer in Freiheit aufgewachsenen Generation nur moralische Abwehrgefühle aus. In ihren Augen wurden intellektuelle Integrität und Unabhängigkeit allein durch die radikale Kritik am kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem garantiert, wobei der Einsatz gegen den Krieg in Vietnam zum ethischen Konstitutivum dieser Gruppe wurde. Ihr Feind war nicht mehr die UdSSR, deren verkalkte Strukturen und vorgestrige ideologische Orthodoxie auch nicht sonderlich anziehend wirkten, sondern ein „System" im Westen, das ihre eigenen Werte wohl propagierte, sie aber nicht zu leben bereit war. Die Kooperation mit Stellen der US-Administration oder gar der CIA mußte in den Augen der jugendlichen Kritiker, die sich nie der Mühe unterzogen, wenigstens versuchsweise Verständnis für das Handeln der älteren Generation aufzubringen, als Sündenfall dessen wirken, was sie geflissentlich als „cold war liberalism" 57 58
Edward Shils an Michael Josselson vom 10.2.1976, NL Josselson, Box 6. George F. Kennan an Shepard Stone vom 9.11.1967, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 74, Folder 8; Leo Labedz an Shepard Stone, o.D. (um 1970), NL Josselson, Box 10.
572
XI. Das Ende
denunzierten und verdammten. Der moralische Substanzverlust des Konsensliberalismus erlaubte ihnen überdies eine weitaus umfassendere Kritik am Antikommunismus und Antitotalitarismus der Nachkriegszeit, deren stagnative Tendenzen sie zwar richtig erkannten, deren historische und ethische Berechtigung aus der stalinistischen und faschistischen Aggression heraus ihnen im Eifer des Gefechts aber entging. Der CCF hatte dem nichts Substantielles mehr entgegenzusetzen und verabschiedete sich am Ende recht ruhmlos aus dem intellektuellen Leben der Nachkriegszeit. In Westdeutschland fanden die Diskussionen über Sinn und Zweck des CCF und seine moralische Rechtfertigung gar nicht erst statt. Bruno Snell, der ja zugesagt hatte, auf den CCF betreffende Presseartikel zu achten, bekam nie sehr viel zu tun. Was sich im angelsächsischen Sprachraum als ernsthafter Skandal innerhalb der intellektuellen Elite der USA und Großbritanniens ausnahm, was in Indien, Ägypten und Frankreich kontrovers diskutiert wurde, fand in der Bundesrepublik keinen nennenswerten Widerhall. Der „Spiegel" beschränkte sich darauf, in einem Nebensatz eines Artikels zu der CIA/NSAAffäre einzufügen, daß auch der CCF betroffen sei. Die Existenz einer deutschen Sektion dieser Organisation wurde überhaupt nicht erwähnt.59 Auch die anderen großen Blätter Westdeutschlands hielten sich in bemerkenswerter Weise zurück. Allein die „Welt" machte eine bezeichnende Ausnahme. Am 22. Mai 1967, kurz nach Bradens Presseauftritt, brachte das Springerblatt einen an perfider Bösartigkeit kaum zu übertreffenden Artikel.60 Den im CCF organisierten Intellektuellen wurde zwar ihr prinzipieller Antikommunismus zugute gehalten, gleichzeitig aber vorgeworfen, sie hätten sich in den vergangenen Jahren nur noch auf elitären Parties ergangen und, den Interessen ihrer Auftraggeber zum Trotz, die US-amerikanische Politik in arroganter Manier bespöttelt. Daran stimmte wohl, daß Josselson, Schlesinger, Löwenthal und Gaitskell dem US-Engagement in Südvietnam mit einiger Skepsis gegenüberstanden, an ihrer Loyalität zu der Welt des Westens konnte dennoch nicht der mindeste Zweifel bestehen. Die überzogene, populistisch-egalitaristische und antiintellektualistische Kritik der „Welt" gründete zweifellos in dem Bruch, der sich nach Klaus Harpprechts Bemerkungen zur deutschen Frage zwischen Springer und dem CCF vollzogen hatte. Dennoch schien man im Axel-Springer-Verlag zu spüren, daß man gegenüber den Bundesgenossen von einst etwas zu weit gegangen war. Zwei Tage später wurde François Bondy die Gelegenheit zu einer ausführlichen Replik gegeben, die er dazu nutzte, den CCF zu verteidigen.61 Die zurückhaltende Berichterstattung der deutschen linksliberalen Medien führte dazu, daß die Hamburger IACF-Gruppe noch bis 1970 mit dem 59
60 61
Der Spiegel vom 27.2.1967; erst im Spiegel vom 1.11.1976 nahm sich das Magazin des Themas erneut und diesmal ausführlicher an, abermals ohne den deutschen CCF zu behandeln. Die Welt vom 22.5.1967 Die Welt vom 24.5.1967.
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XI Das Ende
örtlichen ASTA gemeinsame Veranstaltungen durchführte. Erst kurz zuvor bekamen die Studenten mit, daß die CIA Gelder an den CCF bezahlt hatte und stellten die Kontakte mit dreijähriger Verspätung ein.62 Die Gründe für das Fehlen einer wirklichen deutschen Diskussion über die Rolle des CCF in der Phase des Kalten Krieges und die moralische Frage, nach dem Verhältnis des Intellektuellen zur politischen Macht am Beispiel der Kontakte zwischen CCF und CIA, dürften aufrecht unterschiedlichen Ebenen zu suchen sein. Der dezentrale Charakter der deutschen Sektion führte dazu, daß der CCF seit 1954 in Westdeutschland nicht mehr als geschlossenen Größe auftrat, was wiederum zur Folge hatte, daß sein Wirken überhaupt nicht oder nicht im internationalen Zusammenhang wahrgenommen wurde. Die jeweiligen Ortsgruppen konnten für die regionale Presse und von Fall zu Fall auch für die überregionalen Medien von Interesse sein, Gegenstand intensiveren Nachdenkens waren sie, außer vielleicht in Hamburg, nicht mehr. Dadurch fehlte der Wille, sich mit der CIA-Affäre inhaltlich auseinanderzusetzen, über die bestenfalls als inneramerikanisches Ereignis ohne Bezug zu Deutschland berichtet wurde. In Ländern wie Großbritannien, Frankreich oder Italien, wo es eine erkennbare nationale Sektion gab, war dies von vomeherein anders. Hinzu kam, daß der „Monat" im Unterschied zu „Encounter" oder „Preuves" nicht nur seit 1964/65 an Einfluß eingebüßt hatte, sondern auch nie als „Organ" des CCF aufgetreten war. Gerade die Nähe des „Encounter" zur CIA sorgte im angelsächsischen Raum für heftige Kontroversen, während der „Monat" 1967 ohnehin nur noch ein Schattendasein fristete und keinerlei Empörung mehr hervorrief. Da außerdem die deutsche Linke vorwiegend mit ihren Angriffen auf die Springerpresse beschäftigt war, geriet der „Monat" nicht in das Blickfeld öffentlicher Kritik. Noch in den deutschen Nachrufen auf die Zeitschrift im Jahre 1971 fehlen sämtliche Hinweise auf den CCF oder die CIA. Neben dem erkennbaren Unwillen der linksliberalen deutschen Intellektuellen, ihre eigene Mitarbeit im CCF einer selbstkritischen Prüfung zu unterziehen, und dem beschränkten Informationsgrad seitens der westdeutschen Neulinken, dürfte es weitere, möglicherweise entscheidendere Argumente dafür -
62
-
Am 24.11.1967 diskutierte z.B. Rudi Dutschke mit Rudolf Augstein, Ralf Dahrendorf, dem früheren Berliner ASTA-Vorsitzenden Knut Nevermann, Harry Ristock und Jens Litten vom SHB unter der Leitung von Hans Gresmann („Zeit") vor 1.500 Anwesenden in einer Veranstaltung der Hamburger „Internationalen Gesellschaft für die Freiheit der Kultur", wie sich die Hamburger Gruppe nun nannte, über die „Revolution 1967 Studentenulk oder Notwendigkeit",
ohne daß es zu Protesten gekommen wäre. Vgl Die Zeit vom 1.12.1967 und Margot Schrepfer an Pierre Emmanuel vom 20.8.1968, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 124, Folder 9. Zur gleichen Zeit nahmen an den sog. „social meetings" der Hamburger Gruppe weiterhin im Schnitt 70-80 Intellektuelle teil, ohne daß Diskussionen über die CIA-Affäre überliefert wären. Im Mai 1969 tauchte dann ein erstes anonymes Flugblatt auf, das dem ASTA die Zusammenarbeit mit dem IACF vorwarf, vgl Marion Gräfin Dönhoff an Shepard Stone vom 4.7.1969, ebda., Box 124, Folder 11 -
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XI Das Ende
geben, warum das Ende des CCF in der Bundesrepublik kaum beachtet wurde, obwohl er über anderthalb Jahrzehnte im Lande gewirkt hatte. Noch im Jahr 1967 war der breite gesellschaftliche antikommunistische Konsens in Westdeutschland im wesentlichen intakt und zwar bis weit in das Lager der politischen Linken hinein. Die Studentenbewegung fing eben erst damit an, antiamerikanische Züge anzunehmen, ansonsten wirkten die Loyalitäten des Kalten Krieges im „Frontstaat" Bundesrepublik weiter. Das Gefühl, gegenüber den USA eine gewisse Bringschuld zu haben, verhinderte möglicherweise weitere Debatten und führte wohl zu dem beharrlichen Schweigen in der veröffentlichten Meinung der Bundesrepublik. Zudem galt die Kritik der jungen deutschen Studenten nicht so sehr dem Konsensliberalismus, dessen soziale Errungenschaften in der Nachkriegszeit sie als Ausgangspunkt ihrer radikalen Reformansprüche durchaus schätzten, zumal er sich deutlich vom „deutschen" Denken der Vergangenheit abhob. Im Gegen-
den US-amerikanischen Neuen Linken, die sich gegen den Konventionalismus und das Konformitätsdenken gerade des „consensus liberalism" durchsetzen wollten, rebellierten die westdeutschen Studenten gegen das radikalisierte Deutschtum ihrer Vätergeneration, das heißt sie instrumentalisierten auf der moralischen Konfrontationsebene den Antifaschismus, nicht primär den Antiliberalismus. Insofern das kritische Potential des westlichen Liberalismus dabei Ausgangspunkt ihres Denkens war, handelte es sich bei der Studentenbewegung, jenseits formaler Übereinstimmung in den Methoden des Protestes, um eine genuin westliche Bewegung, wenn auch mit ausgeprägt antiamerikanischen Zügen. Da deutschen Studenten den Feind aber anders definierten als ihre US-amerikanischen Kommilitonen, lief der CCF als organisatorischer Ausdruck des „consensus liberalism" in der Bundesrepublik nicht Gefahr, in derselben Weise zum Gegner stilisiert zu werden, wie das in den USA oder Großbritannien der Fall war. Nicht allein westdeutsche konsensliberale intellektuelle, sondern auch die westdeutsche radikalpartizipatorische Linke hatten also kein gesteigertes Interesse an einer Debatte über die möglichen Fehler und Probleme des CCF. Dies fiel umso leichter, als der westdeutsche CCF seit Mitte der fhnfziger Jahre nur noch recht eingeschränkt unter den Prämissen des antikommunistischen Primates gearbeitet hatte und somit als Agentur des Kalten Krieges kaum noch zu erkennen war. Im Gegensatz zum internationalen CCF und zu anderen nationalen Sektionen hatten die noch vorhandenen deutschen CCF-Gruppen also ausreichend Muße, sich zu entscheiden, wie es von jetzt an weitergehen sollte. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die westdeutschen CCF-Mitglieder von den spektakulären Enthüllungen in der angelsächsischen Presse überrascht wurden.63 Selbst die Deutschen im Internationalen Exekutivkomitee waren über die Neuigkeiten verblüfft. Im Unterschied zu den Angehörigen des inneren satz
63
zu
Gespräch des Autors mit Siegfried Lenz.
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XI. Das Ende
Kreises im CCF waren sie nie in Positionen gewesen oder hatten über Kontakte in der Organisation verfügt, die es ihnen ermöglicht hätten, irgend etwas über die Nähe zur CIA zu wissen. Entsprechend reagierte die Münchener Gruppe mit erkennbarer Verbitterung. Hatte Leonhard Reinisch auch noch Anfang Mai 1967 mit Plänen zur Reorganisation der Kölner Gruppe aufgewartet,64 so stellte das Münchener Büro kurz darauf seine Arbeit kommentarlos und ohne Paris zu informieren ein. Die Gräfin Ledebur meldete sich nicht einmal mehr in Paris, um zu kündigen. Weder sie noch Reinisch reagierten in der Folge auf Kontaktversuche der IACF.65 Der Münchener CCF verschwand einfach von der Bildfläche. In Hamburg war die Situation ganz anders. Der dortige CCF war deutlich tiefer in die regionale Intellektuellenszene verwoben als alle anderen CCFGruppen in ihren jeweiligen Tätigkeitsbereichen. Selbst ein neuerlicher Konflikt zwischen Josselson und Margot Schrepfer wegen des eigenwilligen Leitungsstils der Hamburger Kongreßsekretärta66 führte nicht dazu, daß sich der Hamburger CCF bei Ausbruch der CIA-Affäre einfach von Paris getrennt hätte. Dem Hamburger Kongreß kam nun zugute, daß er nie sonderlich eng mit der Pariser Zentrale verbunden war. So konnte er jetzt auch nicht für deren Fehler verantwortlich gemacht werden. Dennoch benötigten die Mitglieder des Hamburger Komitees eine gewisse Zeit, um über den Schock der Entwicklungen vom Mai 1967 hinwegzukommen. Erst im November 1967 meldete Margot Schrepfer der LACF-Zentrale in Paris, man sei bereit weiterzumachen.67 Konzeptionell änderte sich wenig. Die Hamburger Gruppe blieb ihrer personellen und inhaltlichen Tradition treu und wirkte etwa bis 1976/77 weiter. Mit Marion Gräfin Dönhoff stellten die Hamburger auch noch einen der internationalen Direktoren der IACF. Zwei Jahre nach der inzwischen weitgehend selbständig gewordenen Hamburger Gruppe endete die Geschichte der IACF. Obwohl deren internationale
64
65
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Leonhard Reinisch an Pierre Emmanuel vom 1.5.1967, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 185, Folder 9. Reinisch arbeitete zu diesem Zeitpunkt mit Waldemar Besson zusammen, der später in der IACF einige Bedeutsamkeit errang, ehe er 1971 unerwartet starb. Die beiden planten auch eine inhaltliche Neuausrichtung des deutschen CCF und zwar als Abkehr vom Ende der Ideologie hin zu einer popperianisch geprägten demokratischen Erkenntnistheorie, um so die Reformfähigkeit moderner demokratischer Industriegesellschaften besser ausnützen zu können. David Goldstein an Gertrud Gräfin Ledebur vom 1.3.1968, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 125, Folder 9 Obwohl sich in München nichts mehr tat, wurden 1968 noch einmal $ 6.000,- von der IACF überwiesen, ehe 1969 sämtliche finanziellen Zuwendungen eingestellt wurden. Vgl. David Goldstein an Shepard Stone vom 9.7.1968, Shepard Stone an Gertrud Gräfin Ledebur vom 16.7.1968, Shepard Stone an Gertrud Gräfin Ledebur vom 18.10.1968 und Shepard Stone an Gertrud Gräfin Ledebur vom 2.1.1969, ebda. Michael Josselson an Bruno Snell vom 1.2.1966, IACF/CCF-Archiv, Senes II, Box 242, Folder 11, hatte bemängelt, Frau Schrepfer sehe im Hamburger CCF „her own baby" und nicht „the
Congresses' ,baby'". Shepard Stone an Bruno Snell vom 9.10.1967 und Margot Schrepfer an Shepard Stone vom 30.11.1967, IACF/CCF-Archiv, Series II, Box 124, Folder
10.
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XI Das Ende
Leitungsgremien mit Waldemar Besson, der Gräfin Dönhoff und Richard von Weizsäcker über hochrangige deutsche Mitglieder verfügten und obgleich die Organisation prinzipiell denselben liberaldemokratischen Werten verpflichtet war wie der CCF, ist sie für unseren Zusammenhang nicht mehr von Interesse.
Mehr noch als beim zweiten CCF handelte es sich bei der IACF in der Bundesrepublik um das Instrument eines bereits durchgehend westernisierten deutschen Liberalismus und nicht mehr um eine Agentur der Westernisierung. Außerdem wäre der sachgemäße Platz für eine Geschichte der IACF weniger in einer Geschichte des CCF als in der der Ford-Foundation oder Shepard Stones. Mit dem CCF war die IACF hinsichtlich ihrer Mitgliederstruktur und ihrer Aufgabenstellung kaum noch vergleichbar. Es war das Jahr 1967 gewesen, in dem der „Congress for Cultural Freedom", der 1950 mit so gewaltigen Ambitionen gegründet worden war, und der über sechzehn Jahre hinweg alle Höhen und Tiefen einer Organisation von Intellektuellen erlebt hatte, sein fast kläglich anmutendes Ende gefunden hatte. Alles, was danach kam, war nur noch Abklatsch; ein sinnentleertes Nachspiel, sei es auf der internationalen Ebene, sei es in der Bundesrepublik. Aus diesem Grunde erscheint es zweckvoll, die Geschichte des CCF in Westdeutschland gleichfalls 1967 enden zu lassen.
XII. ZUSAMMENFASSUNG: EINE „AGENTUR DES KALTEN KRIEGES ALS VERMITTLERIN WESTLICHER WERTE
Der „Kongreß für kulturelle Freiheit" ist organisatorisch zweifellos gründlich gescheitert, zumindest in Deutschland; am Ende weltweit. Er verfiel, weil er zum selbstreferentiellen, als anachronistisch empfundenen Relikt aus den heroischen Tagen des Kalten Krieges geworden war. Hinzu kam, daß die dem
CCF zugrunde hegende Ideologie, der „consensus liberalism", obschon sie älter als der Kalte Krieg, eine derart enge Verbindung mit den politischen Realitäten der vierziger und fünfziger Jahre eingegangen war, daß man sie zum Schluß mit diesen vollkommmen in eins setzte. Der Konsensliberalismus als die zeitgemäße Form US-amerikanischer Ideologie seit circa 1935 basierte auf konsensualen Mustern, dem gesellschaftspolitischen und weltanschaulichen Ausgleich zwischen „radicals" und „liberals" und war befähigt zur gemeinsamen Aktion mit altliberalen und konservativen Kräften unter dem gemeinsamen Mantel des antistaltaistischen Antitotalitarismus. Ohne diese Form politischen Gestaltungswillens konnte er nicht existieren, weshalb der Kalte Krieg als zwangsweise konsensorientierte Phase in der Geschichte des Westens tatsächlich zum Lebenselixier dieser Ideologie wurde. Zugleich allerdings entzogen der Konventionalismus und Konformitätsdruck, die mit dem konsensualen Prinzip durchgehend etahergingen, dem „consensus liberalism" und damit auch dem CCF auf Dauer ihre Lebensfähigkeit, indem sie das reformorientierte Potential beider, der Weltanschauung und der Organisation, verkümmern ließen. In diesem ebenso problematischen wie zumindest zeitweise notwendigen Verhältnis des miteinander Müssens und doch nicht Könnens liegt nicht nur der Grund für das schließliche Scheitern des CCF, sondern auch die Voraussetzung dafür, daß er nicht, wie andere Agenturen des Kalten Krieges, frühzeitig verschwand. Der CCF war auch Agentur des Kalten Krieges, aber nie ausschließlich. Er war immer ebenso eine Agentur innersystemischen Wertetransfers und darin lag seine dann doch erstaunliche Lebensfähigkeit begründet. In ihm verwirklichte sich der Anspruch des „consensus liberalism", das Aufklärungspathos des 18. Jahrhunderts, den liberalen Fortschrittsoptimismus des 19. Jahrhunderts und sozial-technische Modernisierungsbestrebungen des 20. Jahrhunderts auf einem hohen kulturell-geistigen Niveau miteinander war
578
XII.
Zusammenfassung:
Eine „Agentur des Kalten Krieges"
verbinden. In ihm verknüpften sich zudem altliberal individualistische Gedankengänge mit dem sozial motivierten, keynesianischen „social engeneering" des US-amerikanischen Pragmatismus und dem Streben nach tatemationatistisch-kosmopolitischem Universalismus. Damit wurden Konsensliberalismus und CCF zu idealen Instrumenten einer ideellen Anpassung der westeuropäischen und besonders der westdeutschen nichtkommunistischen Linken an das auf individualistische und privatwirtschaftliche, liberaldemokratische Werte gegründete US-amerikanische Hegemonialsystem der Nachkriegszeit. Dies gilt umso mehr, als die Konsensliberalen auf den faktischen Erfolg des US-amerikanischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems und das Ausbleiben der vom orthodoxen Marxismus projektierten Pauperisierung breiter Schichten der Gesellschaft unter den Bedingungen des „welfare capitalism" verweisen konnten, der wiederum in der als konsumtiv empfunden Phase des New Deal grundgelegt worden war. Was allerdings erst sehr spät beachtet wurde, war die Tatsache, daß auch der „consensus liberalism" zeitbedingte Ideologie war und eben nicht eine a priori universelle Gegebenheit, die unterschiedslos überall und immer angewendet werden konnte. Der CCF war unter den konkreten Bedingungen des seit 1947/48 voll entflammten Kalten Krieges gegründet worden. Dementsprechend hatte er sich selbst lange über den Primat des antitotalitären Antikommunismus definiert und war bis zum Schluß als Instrument dieser Ideologie wahrgenommen worden, obwohl er intern viel wandlungsfähiger war als seine Kritiker annahmen. Als Organisation von Intellektuellen, die einen ideenorientierten Kampf führen wollten, haftete dem CCF durchgehend ein ambivalenter Charakter an, selbst wenn man die Nähe zur CIA erst einmal nicht weiter berücksichtigt. Die Intention der Gründerväter des CCF lief darauf hinaus, ihrem Selbstverständnis nach individualistische Persönlichkeiten nicht nur zu organisieren, sondern auch bis zu einem gewissen Grade unter einer zwar flexiblen, aber doch universalistische Einheit anstrebenden Ideologie zu versammeln, ein Widerspruch, der nie ganz aufzulösen war. Gleichzeitig diente der CCF der negativen Abgrenzung im Verhältnis zum Ostblock und der positiven Integration der Gesellschaften und intellektuellen Werteliten des Westens in das Hegemonialsystem der USA. Diese doppelte Aufgabe machte die Existenz des CCF zwar reizvoll, aber nicht eben einfach. Doch selbst diese Sicht erscheint noch zu simpel. Sogar dem primär negativ-abgrenzenden und nach außen gerichteten Ideologem des Antikommunismus lagen positive und nach innen zielende Motive zugrunde. Einerseits war man bemüht, den Einfluß kommunistischer Propaganda im Westen ebenso auszuschalten wie Versuche der „fellow-travellers", dem Staltaismus indirekt zum Erfolg zu verhelfen, andererseits diente der Antikommunismus aber auch dazu, die eigene Wertewelt innerhalb der westlichen Gesellschaften zu verankern. Auf diese Weise bekam der CCF die Chance, gestaltend in die ideell-kulturelle Entwicklung der von ihm penetrierten Gesellschaften einzugreifen. Dabei mußte er aber durchgehend auf die Folgebezu
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reitschaft einheimischer Werteliten bauen, da er durchweg die innere, echte Akzeptanz liberaldemokratischer Werte und nicht bloß die äußerliche Repetition immer gleicher Dogmen anstrebte. Nicht allein die Abgrenzung gegenüber dem kommunistischen Lager, sondern vor allem der Transfer eines bestimmten, flexiblen, aber nie inkohärenten Musters von Westlichkeit prägten Funktion und Organisation des CCF. Er bemühte sich, dem US-amerikanischen Hegemonialsystem über die politische, militärische und ökonomische Dominanz der USA hinaus ein verbindendes kulturelles und soziales Gefüge zu geben, um auf diese Weise die in dem Ringen mit der kommunistischen Gegenmacht notwendige gesellschaftliche und weltanschauliche Stabilität zu garantieren; eine Stabilität, die unversehens in Konformität umschlagen konnte. Die Ambivalenz im Charakter des CCF zeigt sich auch, wenn man organisatorische und ideologische Abläufe durch alle Phasen seiner Geschichte hin-
durch miteinander in Beziehung setzt. Durchgehend, von 1950 bis 1967, stand der CCF, in unterschiedlicher Gewichtung, unter dem Primat des Antikommunismus. Immerhin gründete er ursprünglich in dem Wissen ehemaliger Stalinisten und Trotzkisten um die vom Totalitarismus ausgehenden Gefahren. In der ersten Phase der Geschichte des CCF, dem Zeitraum von 1950 bis etwa 1952, dominierten der radikale, moralisch motivierte Antikommunismus und die unbedingte Bereitschaft, den bereits voll ausgebildeten Konsensliberalismus unter Hintansetzung eigener Ziele in den breiten gesellschaftlichen Antikommunismus des frühen Kalten Krieges einzubringen. Zu Beginn war dabei durchaus an eine Bewegung mit Massencharakter gedacht; ein Anspruch, der sofort nicht nur mit den begrenzten organisatorischen und finanziellen Möglichkeiten des CCF, sondern auch mit seinem ausgeprägten intellektuellen Elitarismus kollidierte. Mit dem Konsenszwang, der durch den Massencharakter noch intensiviert worden wäre, war aber zugleich die Gefahr verbunden, über das gemeinsame Feindbild die Konturen der eigenen Ideologie bis zur Unkenntiichkeit verwischen zu lassen und dazu beizutragen, eine Gesellschaft zu stabilisieren, die man eigentlich reformieren wollte. Dies wurde, anfangs unbewußt, seit 1955 dann reflektiert, von der Pariser Kongreßzentrale auch erkannt. Allerdings krankten sämtliche Gegenmaßnahmen an der Tendenz des Pariser Generalsekretariates, die Organisation des CCF übermäßig zu zentralisieren und zu bürokratisieren. Die „Gründungskrise" zwischen 1952/53 und 1955/56 war deswegen nicht allein Ergebnis exogener Faktoren, wie beispielsweise des Todes Stalins oder des damit verbundenen Niedergangs der Weltfriedensbewegung, sondern zugleich Ausdruck einer von innen kommenden Suche nach dem adäquaten Ausdruck konsensliberaler Ideologie innerhalb der Weltanschauungsgemeinschaft des Westens. Das Zusammenwirken beider Faktoren, innerer wie äußerer, führte zu einer gewissen Unsicherheit, der man anfangs durch intellektuellen Snobismus und Zentralismus beizukommen versuchte, ehe man erkannte, daß man sich in der Tat vom radikalen Antikommunismus verabschieden mußte. Zwischen dem Ende der radikalen
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Koestler-Bumham-Gruppe 1952 und dem Beginn der technokratischen Phase 1955/56 lag eine Phase der Suche nach dem angemessenen weltanschaulichen und organisatorischen Umgang mit den Gegebenheiten der nachstaltaistischen
Welt. Der „Snobismus" wurde bald als Irrweg erkannt, an den zentralistischen und bürokratischen Tendenzen hielt man indes bis zum Ende des CCF fest. Beginnend mit der Hamburger Konferenz von 1953, verstärkt seit der Mailänder Tagung von 1955, wurden neue konzeptionelle Wege eingeschlagen, ohne daß darüber der Primat des Antikommunismus vernachlässigt worden wäre. Die Lehre vom Ende der Ideologie als zeitgemäßer Ausdruck des konsensliberalen Antitotalitarismus der technokratischen Phase war aber immer auch nach innen gerichtet. In dem Zeitraum zwischen 1955/56 und 1962/64 diente sie als Vehikel im fortschreitenden Transformationsprozeß der nichtamerikanischen Linken, indem sie sie mit einem pragmatistischen Perzeptionsrahmen versah, der dazu beitrug, die bereits im Gang befindliche Umwandlung der westeuropäischen Arbeiterparteien in Volksparteien modernen Typs zu beschleunigen und zu erklären. Der CCF lieferte damit im Rahmen eines komplexen Kausalitätsbündels einen wichtigen konzeptionellen Beitrag zu einer Entwicklung, die er weder ausgelöst noch allein vorangetrieben hatte, an der er aber ein gesteigertes Interesse bewies. Parallel zu einer verstärkten Wendung des CCF nach innen, in die gesellschaftliche, kulturelle und ideologische Realität des Westens, trat eine verstärkte Bereitschaft zum Gespräch mit dem Osten, ohne daß dies den Antikommunismus des CCF wesentlich berührt hätte. Nachdem seit 1956 der weltanschauliche Konflikt zwischen Ost und West an Schärfe eingebüßt hatte und zunehmend ritualhaft erstarrt war, verstärkte sich unter dem Einfluß George F. Kennans die Bereitschaft des CCF, auch die frühe Entspannungspolitik innerhalb des Gesamtrahmens der Außenpolitik Kennedys und Johnsons mitzutragen. Ab 1960, vor allem aber seit 1962, ließ die Fähigkeit des CCF zur organisatorischen und weltanschaulichen Reform rapide nach, allen Globalisierungstendenzen des Kongresses zum Trotz; ein Prozeß, der eng mit dem gleichzeitigen Niedergang des Konsensliberalismus im Konflikt mit der Neuen Linken und dem Neokonservativismus verknüpft war. Inwieweit dieser doppelte Niedergang den Wandel sozioökonomischer Gegebenheiten reflektierte oder gar antizipierte, läßt sich beim gegenwärtigen Stand der Forschung nur unzureichend beantworten.1 Ideengeschichtlich ist der Sachverhalt deutlicher: Der CCF 1
D. Steigerwald: The Sixties, S. Ill, hat das Ende des US-Liberalismus in den sechziger Jahren mit dem von ihm diagnostizierten Obergang von der modernen Industriegesellschaft in ein postmodemes, postindustrielles Zeitalter der „consumer society" in Beziehung gesetzt, während Alan Brinkley im Sommer 1996 während einer Tagung des Deutschen Historischen Institutes (Washington) in Berlin mündlich daraufhingewiesen hat, die sechziger Jahre seien durch das rasante Nachholen partizipatorischer Erwartungen gekennzeichnet, die unter dem Einfluß der beiden großen Totalitarismen seit den 1920er Jahren zurückgestellt worden seien. Damit aber hätten die sechziger Jahre, die den Niedergang des „modernen" Konsensliberalismus besiegelten, Anteil an einem genuin modernen, nicht aber postmodernen ideen- und sozialgeschichtlichen Prozeß gehabt.
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konnte und wollte von den antitotalitären Idealen seiner Gründerphase auch dann nicht ablassen, als sie anachronistisch zu werden drohten, da sie allein positiv wie negativ das einheitsstiftende Moment seiner Tätigkeit garantierten. Alle Versuche, von diesen Grundprämissen abzurücken, mochten sie auch noch so vorsichtig eingeleitet worden sein, trieben den CCF regelmäßig in die Krise. Der Primat des Antikommunismus als Konstituens und Movens der Geschichte des CCF war also in der Tat gleichermaßen Antrieb des Aufstieges wie der diversen Niedergänge des CCF. Auf Grund dieses Zusammenhangs wurde der CCF spätestens seit 1965 auch von außen nicht mehr als Zirkel liberaldemokratischer, reformorientierter Intellektueller, sondern als konservative Organisation perzipiert, deren Ideologie wesentlich dazu beigetragen hatte, die als unmoralisch empfundene Nähe liberaler Intellektueller zum kapitalistischen System und zum hegemonialistischen Staat der USA zu rechtfertigen und zu intensivieren. Damit wurde dem CCF zugleich unterstellt, sozial beharrend zu sein und mit dem Ende der Ideologie eine auf unbedingten Systemerhalt bedachte Variante positivistischen Politikquietismus abgeliefert zu haben. Nichts lag dem Kongreß ferner. Die Zugeständnisse der Vergangenheit an die Notwendigkeiten des antikommunistischen Konsenses waren nie mit der Aufgabe der reformistischen Anliegen identisch gewesen. Die falsche Sicht, die die Neue Linke vom Konsensliberalismus und dem CCF entwickelt hatte, wurde vom ebenso fatalen wie unabdingbaren Festhalten des CCF am antikommunistischen Prinzip verursacht. Im Gegensatz zu 1950 einte der Antikommunismus 1967 die demokratische, hétérodoxe Linke nicht mehr, sondern trennte sie. Die Affäre um die Subsidien der CIA an den CCF war dann nur noch das äußerliche Zeichen des anhaltenden Zerfalls der seit etwa 1935/38 eingeleiteten und seit 1948 nahezu unangefochtenen kulturellen Hegemonie des Konsensliberalismus in den westlichen intellektuellen Milieus.2 Sie deckte das strukturelle Unvermögen des CCF zur Reform an Haupt und Gliedern auf und bereitete ihm dadurch sein organisatorisches Ende. In Wirklichkeit scheiterte der CCF nicht an der Nähe zur CIA, sondern an dem nicht auflösbaren Widerspruch zwischen der von ihm vertretenen konsensualistisch-konventionalistischen Ideologie und der pluralistisch-demokratischen Massengesellschaft, die er verteidigen wollte und die nun wiederum im Konflikt mit dem elitär-individualistischen Anspruch der Intellektuellen im CCF stand. Wie all diese Anliegen ohne den Druck eines realen oder wenigstens imaginierten Feindes dauerhaft hätten zusammengehalten werden sollen, ist schlicht nicht ersichtlich. Ein stabilisierendes Element in der Geschichte des CCF, das mindestens ebenso wirksam war wie der Antikommunismus, darf aber nicht unerwähnt bleiben: Der CCF war, jenseits aller Bürokratie und allen organisatorischen
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Frankreich bildet für diesen Befund eine bemerkenswerte Ausnahme, weswegen es kein Zufall ist, daß der CCF bes. dort seine Wirksamkeit entfaltete.
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Unvermögens, ein ausgesprochen wirksames, auf Freundschaft und Intellektuahtät aufgebautes personelles Netzwerk, das solange effektiv bleiben konnte, wie es die Fälligkeit zur Reproduktion besaß. Ausgerechnet das Potential einer geordneten Nachwuchsarbeit ging dem CCF allerdings ab. Sieht man von den akzidentiellen Neuzugängen im Zuge der organisatorischen Globalisierung einmal ab, erstaunt die hohe personelle Kontinuität in den Leitungsgremien des CCF seit 1955. In dem Moment, in dem die weltanschaulichen Grundlagen des CCF in die Krise gerieten, seine Organisationsstruktur zu schwerfällig, der äußere Rahmen mit dem eigenen Denksystem inkompatibel geworden war und der personelle Kern des CCF sich als überaltert erwies, war der Zusammenbruch nur noch eine Frage der Zeit. Im Zentrum dieses Netzwerkes agierte Michael Josselson, gleichzeitig der Mann der CIA im Kongreß und der Mann des CCF gegenüber dem USGeheimdienst. Er trug nicht allein die Verantwortung dafür, wie der CCF finanziert wurde, sondern zudem für sämtliche negativen Begleiterschetagen bürokratisch-zentralistischer Organisation, wie sie für den CCF charakteristisch
Auf der anderen Seite war es Josselson, der dem CCF seine Effizienz und Überlebensfähigkeit garantierte. Ursprünglich gemeinsam mit Irving Brown, dann unterstützt von seinem technokratischen Mitarbeiterstab goß er die oft diffusen und wenig praktikablen Ideen Melvin J. Laskys, Arthur Koestlers, Raymond Arons, Daniel Beils, Michael Polanyis oder Edward Shils' in sinnvolle organisatorische Formen und sorgte mit seinem auf Ausgleich bedachten Vorgehen bei allen Konflikten für einen längerfristigen Zusammenhalt, der in einem Intellektuellenzirkel keineswegs selbstverständlich war. Die strukturell defizitären Momente in Organisation und Ideologie des CCF verschärfen sich noch, wenn man seine Tätigkeit in Westdeutschland in die Überlegungen mitetabezieht. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der internationale CCF den organisatorischen und weltanschaulichen Rahmen für den westdeutschen CCF abgab, in den dieser ursprünglich recht rigide und ab 1955 ein wenig lockerer etagebunden war. Vor allem im finanziellen Bereich war der Zentralismus des internationalen Generalsekretariates in Paris sehr ausgeprägt. Freilich darf nicht außer acht gelassen werden, daß die Bundesrepublik für den CCF nie ein primäres Operationsgebiet darstellte und er sich dort von vorneherein weniger engagierte als in Frankreich, Italien, Indien oder Lateinamerika. Dieser Umstand allein kann aber nicht erklären, warum insbesondere der erste Anlauf des CCF in der Bundesrepublik zwischen 1951 und 1954 organisatorisch so gründlich mißlang. Hier stieß das an sich verständliche Zentralisierungsbestreben des Pariser Sekretariates in scharfer Form mit den Autonomieansprüchen der Deutschen zusammen, die gerade im inhaltlichen Bereich, beim Setzen von Schwerpunkten, mehr Mitsprache einforderten. Da der frühe CCF seine Durchschlagskraft in so hohem Maße vom radikalen Antikommunismus bezog und seiner Wertetransferfünktion nur am Rande nachkam, mußten die deutschen Forderungen nach verstärkter antifaschistischer Demokratisiewar.
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rungsarbeit deplaziert wirken. Verschärft wurden die Spannungen durch den zum Teil unsinnigen Kompetenzenwirrwarr zwischen Paris und den Deutschen.
Die internationalen Gremien, die deutsche Exekutive, der Stellenwert der beiden deutschen Büros und ihrer Sekretäre, das ungeklärte Verhältnis zwischen den einzelnen deutschen Stellen im CCF, all dies trug maßgeblich dazu bei, eine konzeptionell nur unzureichend durchdachte Organisation, die zu allem Überfluß auch noch von heftigen persönlichen Zerwürfhissen heimgesucht wurde, vollends in den Ruin zu treiben. Zu guter Letzt litten die frühen deutschen CCF-Strukturen darunter, daß der CCF von Intellektuellen konzipiert worden war, die an nationale kulturelle Zentren mit lebendigen intellektuellen Milieus gewohnt waren, wie sie in Deutschland einfach nicht existierten. Die Anpassung an die spezifisch deutschen Verhältnisse erfolgte erst nach 1954 und dann vornehmlich unter dem Gesichtspunkt des Machterhaltes der Pariser Zenfrale und Carlo Schmids. Man wird kaum umhin können zuzugestehen, daß der CCF mit seinen ersten organisatorischen Schritten in Westdeutschland komplett gescheitert ist. Dies trifft so uneingeschränkt für die ideelle Ebene nicht zu, wobei jedoch auch hier einige Punkte differenzierend ausgeführt werden müssen: Der unbedingte Primat des radikalen Antikommunismus erwies sich beim Versuch konsensliberalen Wertetransfers in die frühe Bundesrepublik als kontraproduktiv, obgleich eingeräumt werden kann, daß er prinzipiell in der intendierten Zusammenarbeit mit konservativen, christdemokratischen und selbst sozialdemokratischen Kreisen von erheblicher Bedeutung war. Wer wie der CCF eine große Koalition aus Christdemokraten und entideologisierten Sozialdemokraten für das politische Modell Europas hielt, bedurfte der integrativen Kraft des antistaltaistischen Antikommunismus. Problematisch wurde der kongreßinterne Antikommunismus immer dann, wenn die Pariser Zentrale ihn über die „re-orientation"-Anliegen stellte und damit verabsolutierte. Zwar verfolgte die Kongreßführung stets auch „re-orientation"-Ziele, sie verwehrte es aber ihren deutschen Mitarbeitern in der frühen Phase, diese Anliegen eigenständig einzubringen oder liberaldemokratische Ideologieangebote selbständig zu adaptieren. Erst nach 1955 wurden die Deutschen als handelnde Subjekte in der CCF-Hierarchie ernst genommen, und ihre Anliegen stießen auf erheblich größere Akzeptanz. Zuvor neigte das Internationale Generalsekretariat situationsbedtagt dazu, durchgehend antikommunistischantineutralistisches Engagement vor dem konsensliberalen Wertetransfer rangieren zu lassen, was diesen erheblich behinderte und die Folgebereitschaft der westdeutschen Intellektuellen auf eine harte Probe stellte. Ausgeglichen wurde dieser negative Befund einerseits durch den Willen eines nicht unerheblichen Teils der westdeutschen Intellektuellen, sich nach den Erfahrungen der Emigration oder des Dritten Reiches auf das US-amerikanische Ideologieangebot von sich aus einzulassen, und andererseits durch die Tatsache, daß der CCF natürlich nur ein Teilglied in einer ganzen Kette von Organisationen war.
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Diese Institutionen und Einrichtungen wirkten auf regierungsamtlicher oder transnationaler Basis und bedienten antikommunistisch-antineutralistische Ziele ebenso wie die grundlegendere „re-orientation"-Erwartung. Auf diese Weise wurde auch die Bundesrepublik ideell-kulturell intententional und gesteuert in den sich ausformenden Block antikommunistisch-liberaldemokratisch-privatkapitalistischer Nationen etabezogen, die das US-amerikanische Herrschaftssystem bildeten. Das genaue Ausmaß an transformatorischem Wirken, das dem CCF tannerhalb dieses Geflechtes zukam, ist allerdings quantitativ und qualitativ kaum abzuschätzen, solange keine sinnvollen Daten über individuelle, gruppen- oder schichtbezogene Westernisierungsabläufe vorliegen. Insgesamt macht es die Rezeptionsproblematik schwer, sichere Aussagen über den Stellenwert des CCF im Prozeß der Westorientierung der Bundesrepublik abzugeben. Spätestens ab 1955/60 kann man zwar auf allen Ebenen eine fortschreitende Westernisierung der Bundesrepublik erkennen; die Faktoren, die bei diesem Prozeß eine Rolle spielen, dürften aber derartig komplex sein, daß es nahezu unmöglich ist, einem davon den unbedingten Vorrang einzuräumen. Inwieweit dem CCF maßgebliche Funktionen in einem Ablauf zukam, in dem so wirkmächtige Umstände eine Rolle spielten, wie der ökonomische Aufstieg nach dem Zweiten Weltkrieg, die politische Situation im Rahmen des Kalten Krieges, das individuelle und kollektive Bedürfnis nach weltanschaulicher Neuorientierung nach dem Zerfall de Nationalsozialismus und der Gesamtablauf endogener Modernisierung, bleibt zumindest fraglich. Unter ideen- und organisationsgeschichtlichen Fragestellungen werden weiterhin vorrangig Intentionen und Methoden kultureller Penetration zu behandeln sein. Allen einschränkenden Ausführungen zum Trotz bleibt der Beitrag des CCF zur ideell-kulturellen Westorientierung der Bundesrepublik bemerkenswert. Insbesondere in der Zeit nach 1955, als der wiedererstarkte Konsensliberalismus dabei war, den Rahmen des antikommunistischen Konsenses zu relativieren, wurden die auf innerwestliche ideologische Anpassung zielenden Tätigkeiten des CCF in der Bundesrepublik deutlicher erkennbar. Gemeinsam mit der dezentral angelegten Reorganisation des CCF in der Bundesrepublik bildete dieser weltschanschauliche Neuanfang die Grundlage für den Versuch einer intensiven Adaption westlich-liberaldemokratischer Werte. Dabei veränderte sich zusätzlich der Modus der Anpassung an die weltanschaulichen Vorgaben des Westens. Was zuvor von OMGUS, HICOG, Institutionen wie dem CCF oder vor allem dem „Monat" grundgelegt worden war, entwickelte sich seit 1955 zu einem integralen Bestandteil der politischen Kultur und des Geisteslebens in der Bundesrepublik. Nicht mehr einige wenige, meist schon früher dem Westen nahestehende Intellektuelle beteiligten sich an diesem Vorgang, sondern er gewann an Breite und Tiefe, wobei der vom CCF begünstigte und ausgenutzte Elitenaustausch im metaungsbildenden Sektor der deutschen Gesellschaft kaum weniger wichtig gewesen sein dürfte als der parallel dazu einsetzende GenerationenWechsel. Der Übergang vom „Fall
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Schlüter" zur „Spiegelkrise" ist dafür paradigmatisch. Dem CCF gelang es in diesem Prozeß durchgehend, auch wenn er organisatorisch nicht immer signifikant vertreten war, seiner multiplikatorischen Funktion in der Bundesrepublik nachzukommen und selbst in der Phase eines ausgeprägt radikalen Antikommunismus wenigstens über den „Monat" immer die Werte des westlich-amerikanischen Liberalismus zu propagieren. Tatsächlich dürfte dem „Monat" als formal wie qualitativ hochrangigen Organ eines expliziten Konsensliberalismus auf der Ebene der Wertevermittlung ein deutlich höheres Gewicht zugefallen sein als der Organisation des CCF. Der CCF trug zu diesem Prozeß mit bei, indem er jene neuen aufgeschlossenen Werteliten bündelte, die dazu beitrugen, westliches Gedankengut weiter in die Gesellschaft hineinzutragen und darüberhinaus das Ideal des politisch aktiven, kritischen, demokratischen intellektuellen konsequent zu verbreiten und aktiv einzufordern. Ahnlich wie der internationale CCF wirkte der CCF in Deutschland dabei weniger als origineller „think tank", sondern als organisatorisches und ideologisches Relais mit multiplikatorischem Auftrag. An der Schnittstelle sämtlicher vom CCF und seinen „Auftraggebern" intendierter liberaldemokratischer Reformbestrebungen in der frühen Bundesrepublik befanden sich die SPD und der DGB. Sowohl htasichtlich der Versuche, westdeutsche Intellektuelle politisch einzubinden, als auch im Bereich gesamtgesellschaftlicher Reform in bewußter Abkehr von den Verhältnissen der Weimarer Republik, aber in nicht minder bewußter Akzeptanz des liberalkapitalistischen Wirtschafts- und Sozialsystems, war es unabdingbar, die ideologischen Positionen von SPD und DBG einer tiefgreifenden Revision zu unterziehen. Auch in diesem Bereich konnte Ideologietransfer nicht geleistet werden, wenn man nicht auf deutsche Mitarbeiter zurückgriff und bereits vorhandene Reformansätze aufgriff. Genau dazu aber war der Konsensliberalismus auf Grund der ihm eigenen Elastizität in der Lage. Besonders traf dies natürlich auf den Bereich der Ideologie im engeren Sinne zu. Hier gelang es dem „Monat", im Bereich personeller Netzwerke vom CCF willig unterstützt, dazu beizutragen, innerhalb der westdeutschen Sozialdemokratie den Perzeptionsrahmen für die Angebote des New Deal-Liberalismus zu öffnen und gemeinsam mit höchst heterogenen Gruppen westdeutscher reformorientierter Sozialdemokraten sowie der ADA den Weg nach Godesberg zumindest zu erleichtem. Dies lag im Interesse der deutschen Sozialdemokratie, unbestreitbar aber auch im Interesse der USA. Die Lehre vom Ende der Ideologie in modernen Industriegesellschaften lieferte in besonderem Maße einen Rahmen, in-
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nerhalb dessen eine „entideologisierte" Sozialdemokratie und eine „reformoffene" Christdemokratie zur Zusammenarbeit finden konnten. Analoges müßte vom DGB gesagt werden, wo jedoch die AFL mehr Wirksamkeit entfaltete als CCF oder ADA. Im Fall der SPD handelte es sich bei den deutschen Mitarbeitern des CCF überwiegend um milieufremde, antitraditionalistische Sozialdemokraten und
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war, daß eine mehrheitsfähige SPD nur dann zu erwarten war, wenn sie sich ideologisch von den Residualzonen der klassischen Arbeiterbewegung löste und Wähler in der bürgerlichen Mitte suchte. Diese bürgerliche Mitte wiederum war insofern Gegenstand der von „Monat" und CCF gleichermaßen durchgeführten weltanschaulichen Tätigkeit als hier die Relikte „deutscher" Denktraditionen der Rechten aus dem gleichen Geist heraus bekämpft wurden wie diejenigen der Linken. An diesem Punkt trafen sich „re-orientation" und „end of ideology". Insgesamt ist hinsichtlich der Deutschen im CCF festzuhalten, daß kaum einer von ihnen durch den CCF zur liberalen Demokratie bekehrt werden mußte. Darum war es dem Kongreß auch gar nicht zu tun, was in seiner sehr speziellen Form der Mitgliederrekrutierung begründet war. Man mußte bereits über eine gewisse gesellschaftliche oder intellektuelle Reputation verfügen, um für den CCF interessant zu werden. Erst dann kam man für Projekte ideellkulturellen Werterranfers überhaupt in Frage. Für den Fall der Bundesrepublik kann also konstatiert werden, daß der CCF sich sieht man von den „Jungen Gruppen" und der etwas anders gelagerten Mitgliedschaft im CSF oder dem „Hofgeismarer Kreis" ab -, auf vorab westernisierte oder doch westlichen Idealen gegenüber offene Persönlichkeiten stützte und auf Proselytenmacherei verzichtete; sein Einfluß auf breitere Kreise also immer indirekt bleiben mußte. Indem in dieser Arbeit US-amerikanische Intentionen bevorzugt behandelt wurden, besteht die Gefahr, daß das Eigeninteresse der Deutschen an der Tätigkeit des CCF nicht hinreichend gewürdigt werden konnte. Künftige Untersuchungen werden sicherlich die Rezipientenseite verstärkt in den Blick nehmen müssen, um die Handlungsinteressen und Optionen der am Prozeß der Westernisierung aktiv beteiligten Deutschen klarer zu machen und in einen breiteren innerdeutschen Rahmen zu stellen. Um genaueren Aufschluß über die Penetrationsbestrebungen zu erhalten, an denen der CCF Anteil hatte, wäre es zudem notwendig, die Frage nach der ideell-kulturellen Westorientierung auf weitere gesellschaftlich und ökonomisch relevante westdeutsche Eliten auszudehnen und dabei möglicherweise massenkulturelle Phänomene stärker in die Analyse einzubeziehen. In solchen Studien wären dann vor allem die jeweilig prägenden endogenen Faktoren intensiver einzubeziehen als es hier möglich war. Dies träfe insbesondere auf Untersuchungen zur Westorientierung sozialdemokratischer und gewerkschaftlicher Eliten im Kontext ihrer jeweiligen Organisationen zu, die anderen Gesetzen unterlagen als der transnational verfaßte CCF. Außerdem fehlen Monographien zum Entstehen westlicher ideeller Elemente in der Ideologie von CDU/CSU und FDP, muß doch gerade die Union als bedeutsame Trägerin bundesrepublikanischer Westorientierung auf allen Ebenen angesehen werden. Vergleichbare Fragen könnten beispielsweise an das Offizierskorps der Bundeswehr im Unterschied zur Weimarer Reichswehr, an die beiden großen Kirchen oder die westdeutschen Wissenschaftsverbände herangetragen werden. Darüberhtaaus wäre es sicherlich
Gewerkschafter, denen vollkommen bewußt
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1968" einmal jenseits apologetischer oder polehinsichtlich ihres Verhältnisses zur Westlichkeit der Stereotypie auf der Ideenebene zu untersuchen. Möglicherweise könnte Bundesrepublik sich dann auch einer erkennbaren man von Fixierung auf den vordergründig antiamerikanischen Charakter einer Bewegung lösen, die zumindest ihre Methoden und Parolen US-amerikanischen Vorbildern entlehnte. Allerdings darf der Untersuchungsrahmen nie ausschließlich auf die Bundesrepublik beschränkt bleiben. US-amerikanische Intentionen und Interessen etwa wird man nur dann in den Blick bekommen, wenn man die globalen Verflechtungen amerikanischer Außenpolitik und ihren durchgehend ideologischen Charakter im Auge behält. Dazu kann gegebenfalls auch die detaillierte Untersuchung des CCF und anderer transnational wirkender Organisationen in anderen Ländern
lohnend, die „Generation von
mischer
beitragen.
Der CCF kam in der Bundesrepublik wenn auch nicht immer vorrangig der Aufgabe nach, für reformorientierte, linke, aber antikommunistische deutsche Intellektuelle den Boden für politisches Engagement innerhalb eines kohärenten konsensliberalen weltanschaulichen Rahmens zu bereiten. Er leitete dadurch eine Entwicklung ein, die zur Selbstorganisation eines sozialliberalen und westorientierten intellektuellen Milieus in der Bundesrepublik führte, das seit der Mitte der sechziger Jahre anfing, meinungsführend zu werden. Dieses selbstorganisierte Milieu und die von ihm vertretenen Inhalte waren dann aber nicht mehr einfachhin identisch mit denen des zerfallenden US-amerikanischen „consensus liberalism". Dennoch blieb es Bestandteil einer vom CCF mitorganisierten und mitinitiierten Veränderung der kulturellen Signatur der bundesdeutschen Gesellschaft auf der Zeichen- und Bedeutungsebene, das heißt im Bereich gesamtgesellschaftlich akzeptierter Definitionshegemonien. Dabei war dem CCF bei der Weitergabe konsensliberaler Werthaltungen zweifelsohne ganz unterschiedlicher Erfolg vergönnt. Allein wegen der recht unterschiedlichen ideengeschichtlichen Voraussetzungen in der Bundesrepublik, vor allem hinsichtlich linksliberaler oder sozialdemokratischer Diskurse, standen beispielsweise der Vermittlung eines sozial und ökonomisch reformorientierten, moderat planerischen und keynesianisch geprägten liberalen Individualismus weitaus weniger Hemmnisse im Weg als im Falle des Pragmatismus. Wohl akzeptierte man in Westdeutschland pragmatische Elemente in Wirtschaft und Politik ebenso wie die von Mannheim bereits vorgedachte pragmatische Entideologisierung; der eigentliche Pragmatismus aber blieb der deutschen und westeuropäischen Geisteswelt mit ihren ganz anders gearteten Traditionen fremd. Der konsensliberale Kosmopolitismus hingegen mußte sich hinsichtlich seines ideengeschichtlichen Einflusses mit einer vorübergehenden Haupfrolle bescheiden. Sogar in CCF-nahen Kreisen hatte er um 1960 an Glanz eingebüßt. Immerhin hatte er, gemeinsam mit dem Gedankengut der europäischen Bewegung, dazu beigetragen, traditionell „deutsche", nationalstaatsfixierte Positionen zu relativieren. Auch wenn der CCF seine theo-
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retischen Anliegen nicht unumschränkt verwirklichen konnte, war es ihm doch gelungen, gerade auf dem ideellen Gebiet wesentliche Prinzipien liberaldemokratischen Denkens fest in der deutschen Geisteswelt zu verankern. Die unterschiedlichen praktischen Arbeitsschwerpunkte des CCF in Deutschland lassen sich anhand der einzelnen Phasen seiner Tätigkeit nachzeichnen. Zur Zeit der deutschen Exekutive unter Carlo Schmid stand auf Seiten der Pariser Zentrale eindeutig die antikommunistisch-antineutralistische Aktivität im Vordergrund, während dem liberaldemokratischen Wertetransfer nur beiläufige Bedeutung zukam. Die Mitglieder des deutschen Ausschusses hingegen neigten zu einer gleichrangigen Behandlung beider Bereiche, was die bereits angelegten Spannungen zwischen den Deutschen und der Kongreßzentrale noch einmal beförderte. Daß zudem Carlo Schmid und der Rest seiner Exekutive sich untereinander überwarfen und Paris aus Gründen, die nicht unbedingt sachbezogen waren, sich mit Schmid verbündete, trug nicht dazu bei, die Arbeit der deutschen Exekutive zu befördern. In der Zwischenphase von 1954 bis 1959 war der CCF in Deutschland, sieht man von Hamburg und Berlin ab, nur noch indirekt präsent. Dank der Filialorganisationen jener Zeit, des CSF und des „Hofgeismarkreises", aber auch wegen des Schwerpunktes der Hamburger Gruppe und wegen des Endes der radikalantikommunistischen Phase im internationalen CCF wandte sich der CCF nun verstärkt dem Tranfer westlicher Werte und dem Versuch, diese abzusichern, zu. An dieser neuen Prämisse hielt man auch nach 1959, in der Phase der regionalen Büros, uneingeschränkt fest, zumal die neuerliche Aktivität in Westdeutschland nicht zuletzt aus Sorge um die Wurzeln der Demokratie im Lande eingeleitet worden war. Es bedarf kaum weiterer Erörterung, daß selbstverständlich der Antikommunismus und der Antitotalitarismus durchgehend wichtige Triebfedern der Kongreßarbeit blieben. Dennoch sollte nicht vergessen werden, daß der CCF, und zwar nicht nur in der Bundesrepublik, westliche Liberalität vermitteln wollte. Unter diesem Gesichtspunkt war der Antikommunismus des CCF keine Restauration des bürgerlichen Antimarxismus der Weimarer Republik,3 sondern gleichzeitig Produkt des linken Antistaltaismus und Bedingung der Möglichkeit eine nichtstaltaistische Linke in der entstehenden Gesellschaft der Nachkriegszeit zu etablieren. Der instrumentelle Charakter des Antikommunismus in der bürgerlichen Gesellschaft, die emotionale Abwehrbereitschaft gegenüber dem stalinistischen Dominanzanspruch und die reflektierte Überzeugung, ein angemesseneres, moderneres Ordnungsmodell zu vertreten als der orthodoxe Marxismus, mischten sich innerhalb der Ideologie des CCF zu einem nicht mehr aufzulösenden Konglomerat. Um diesen Vorgang aber erst etamal in Gang zu setzen oder ihn, nachdem 3
Peter Reichel: Politische Kultur der Bundesrepublik, Opladen 1984, S. 68ff; s.a. ChriKlessmann: Zwei Staaten, eine Nation. Deutsche Geschichte 1955-1970, Göttingen 1988, S. 59.
Vgl
stoph
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er angelaufen war, abzusichern, war es unbedingt notwendig, retardierende Wertsysteme wahlweise auszuschalten oder zu reinterpretieren, um sie dann in
einen liberalen Horizont einbetten zu können. Hier eröffnete sich dem CCF, vor allem aber dem „Monat", ein reiches Spektrum möglicher Aktivitäten. Die subtile Analyse hegelianischer, marxistischer, existentialistischer, nihilistischer und positivistischer Gedanken gehörte zu den wichtigsten Feldern geistiger konsensliberaler Tätigkeit in Westdeutschland. Generell kann gesagt werden, daß besonders „Der Monat" versuchte, totalisierende, einer pragmatistischen Epistemologie, Ethik und Ontologie zuwiderlaufende, rivalisierende Konzepte einer fundierten Kritik zu unterziehen und auf diese Weise im Wettbewerb der Ideen in einer pluralistischen Gesellschaft so gut es ging in ihrer Rezeption zu behindern. Dieser ideelle Aspekt, der immer nur mit einem relativen Erfolg verbunden sein konnte, war eng verknüpft mit dem Bemühen, die medialen Wege der Wertevermittlung organisatorisch durch den Ausbau des eigenen Netzwerkes in den Griff zu bekommen. Besonders hieraus resultierte der für den deutschen CCF so typische Charakter einer Organisation von Hochschullehrern und Journalisten, während der eigentliche hochkulturelle Bereich merkwürdig randständig blieb. Ingesamt repäsentierte der CCF in Westdeutschland also den in dieser weltanschaulichen Geschlossenheit imponierenden Versuch, exogene und endogene Faktoren im Prozeß der Westorientierung miteinander zu verbinden, wodurch er Anteil an dem erhielt, was Christoph Kleßmann einmal treffend als die „Modernisierung unter konservativen Vorzeichen"4 genannt hat. Dem westernisierenden und modernisierenden Aspekt des CCF käme dabei unbedingter Vorrang gegenüber konservativen oder restaurativen Tendenzen zu. Abschließend muß auf eine letzte Frage ein wenig ausführlicher eingegangen werden. Der CCF kann weder international noch in einem deutschen Rahmen behandelt werden, ohne sich mit seiner Nähe zum US-amerikanischen Geheimdienst CIA auseinanderzusetzen. Im Verlaufe seiner ganzen Geschichte hing der CCF finanziell von der CIA ab. Mindestens ein hauptamtlicher Agent der CIA wirkte an der Schaltstelle der Macht im Kongreß. Die durchgängige Bereitschaft des US-Geheimdienstes, den CCF mit Subsidien zu unterstützen, belegt ein zweifelsohne vorhandenes und längerfristiges Interesse regierungsamtlicher Stellen in den USA an dessen Aktivitäten, ohne daß daraus ein unmittelbar kausales Verhältnis zu folgern wäre. Dieses ist in den Quellen nicht nachzuweisen; dieser Hypothese bedarf es auch gar nicht. Die Intellektuellen des CCF handelten, wie sie handelten, weil sie es so wollten, nicht weil die CIA sie dafür bezahlte. Das machte gerade ihre relative Effizienz aus. Dennoch ist die fortwährende finanzielle Beteiligung der CIA am Kulturkongreß ein Beleg für die Intentionalität amerikanischen Handelns. Diese Intentionalität 4
Christoph Klessmann: Ein stolzes Schiff und krächzende Möwen, in: Geschichte und Gesellschaft 11 (1985), S. 485.
590
XII.
Zusammenfassung: Eine „Agentur des Kalten Krieges"
erstreckte sich auf beide Aspekte der CCF-Tätigkeit den liberaldemokratischen Wertetransfer nicht weniger als den Antikommunismus in seiner doppelten Funktion. Vor allem der Umstand, daß es Michael Josselson war, der Sorge dafür trug, daß der radikale Antikommunismus der Koestler-Gruppe alsbald seinen Einfluß im CCF verlor, mag einen Hinweis darauf geben, wo die CIA die eigentliche Aufgabe des CCF erblickte: Nie in nachrichtendienstlicher Tätigkeit, auch im Antikommunismus, nicht zuletzt aber in der ideell-kulturellen Flankierung eines auf liberaldemokratischen Werten basierenden Imperiums. Genaue Aussagen über die Interessen der CIA werden jedoch erst dann möglich sein, wenn sie endlich ihre ebenso unverständliche wie intransigente Haltung hinsichtlich dieser Operation auf- und die CCF-Akten freigibt. Erst dann nämlich kann man sich sinnvoll von der rein im Subjektiv-Ethischen verbleibenden Frage nach der Redlichkeit von Intellektuellen, die zur Zusammemarbeit mit dem US-Geheimdienst bereit waren, lösen. So prinzipiell legitim ein derartiger Ansatz auch sein mag, erweist er sich aus historisch-wissenschaftlicher Sicht als nicht sonderlich ertragreich, kann also auch kaum primärer Gegenstand historischer Analyse sein. Andere Fragestellungen erscheinen wichtiger und reizvoller: Warum zum Beispiel unterstützte die CIA den CCF auch noch, nachdem sie andere Agenturen des Kalten Krieges längst hatte fallen lassen? Welche exakten Optionen verbanden demokratische und republikanische Administrationen mit der beständig globaler werdenden Aktivität einer Organisation dezidiert linker Intellektueller? Inwieweit diente der CCF Desinformationskampagnen US-amerikanischer Regierungsstellen, worauf die Tätigkeit der „Forum World Feature" einen Hinweis geben könnte? Welcher Stellenwert kam dem CCF in der Reihe der von der CIA gesponserten Organisationen zu? Und schließlich: War die Unterstützung des CCF durch die CIA möglicherweise Ausdruck einer sozial und/oder politisch motivierten Rivalität zwischen Vertretern der konsensliberalen Intelligenz in der CIA und altliberal-mittelwestlich geprägten, sozial und intellektuell vom Ostküstenestablishment ausgegrenzten Gruppen in FBI und HUAC? Die vom CCF und seinen Kritikern entwickelten Frage- und Antwortstrategien, die sich zuletzt noch einmal in den Rezensionsartikeln zur Monographie Colemans niederschlugen, aber fast gänzlich den Jahren 1966 und 1967 entstammen, wandten sich hauptsächlich der ethischen Problematik zu.5 Gegen revisionistische Vorwürfe haben die Angehörigen des CCF wahlweise betont, nichts gewußt zu haben oder wenigstens keiner direkten Einflußnahme der CIA unterworfen gewesen zu sein. Beides dürfte im Normalfall, gerade auch in der
5
Wollte man sich der ethischen Dimension im genanten Sinne zuwenden, müßte, was bislang ebenfalls nicht in hinreichendem Maße getan worden ist, begrifflich strenger zwischen dem institutionell-funktionellen Zusammenhang unterschieden werden, in dem der CCF stand, und den von ihm vertretenen inhaltlichen Positionen. Vor allem die Kritik am CCF leidet bis heute darunter, daß beide Ebenen nicht unterschieden werden
XII.
Zusammenfassung: „Eine Agentur des Kalten Krieges"
591
deutschen Sektion, korrekt gewesen sein. Nur der innere Zirkel des CCF, der Kreis der Eingeweihten, hatte genaue Kenntnis von den Zusamenhängen hinter der Organisation. Angesichts der Tasache, daß die Westdeutschen zu diesem inneren Kreis keinen Zugang fanden, erscheint es hochgradig unwahrscheinlich, daß ein deutsches CCF-Mitglied von den CIA-Geldern etwas wußte. Mögliche Ausnahmen bilden Carlo Schmid als langjähriges Mitglied des Internationalen Exekutivkomitees und Willy Brandt, der ja im Zweiten Weltkrieg über OSS-Kontakte verfügt hatte und seitdem gelegentlich direkt mit der CIA in Verbindung gebracht worden ist.6 Beides bleibt gegenwärtig Gegenstand der Speku-lation. Wichtiger allerdings als die Tatsache, daß die meisten CCF-Mitglieder nie etwas von den CIA-Geldern erführen, bleibt für die nachträgliche Untersuchung der Umstand, daß mit Michael Josselson ein Mann der CIA eine zentrale und auch für die konzeptionelle Arbeit des Kulturkongresses bedeutsame Position innehatte. Seine Art, den CCF indirekt oder bei Bedarf auch direkt zu lenken sollte aber ausgerechnet nicht als Beweis dafür genommen werden, daß die CIA die Inhalte des CCF durchgehend bestimmte. Im Gegenteil, Josselsons Wirken war so nur möglich, weil es im engeren Kreis des CCF einen vorab gegebenen weltanschaulichen Konsens gab. Dieser wiederum war mit den Zielen der CIA weitgehend identisch und erforderte deswegen keine direkte Lenkung. Die intellektuelle Redlichkeit der Beteiligten wurde also auf der inhaltlichen Ebene nicht berührt. Jenseits ethisch-moralischer Gedankengänge spielte in den Rechtfertigungsstrategien des CCF häufig der formale Hinweis eine Rolle, die USA hätten über keinen auswärtigen Kulturhaushalt verfügt und deswegen den CCF als rein kulturelle Organisation über die CIA finanziert. Dies trifft einerseits zu, greift aber andererseits zu kurz. Die spätere Finanzierung der IACF durch die Ford-Foundation ist ein Hinweis darauf, daß bei etwas weniger Aufwand seitens des CCF sicher auch früher schon eine privatfinanzierte Form des Kongresses denkbar gewesen wäre. Wichtiger ist jedoch ein anderer Gedanke: Dem CCF mußte es gerade darum gehen, nicht in die unmittelbare Nähe USamerikanischer Regierungsstellen gebracht zu werden. Selbst die Nähe zu den großen bona fide-Stiftungen in den USA trug dem CCF den Ruf ein, allzu einseitig an die USA gebunden zu sein. Die direkte und nicht verdeckte Zahlung US-amerikanischer Regierungsgelder hätte, jenseits der Frage, ob Senat -
-
6
Vgl. zu Brandts OSS-Kontakten Jürgen Heideking/Christof Mauch (Hg): American Intelligence and the German Resistance to Hitler. A Documentary History, Boulder 1996, S. 97115 und S. 210-213; vgl. zu den CIA-Spekulationen Heinz Höhne: Der Krieg im Dunkeln.
Macht und Einfluß des deutschen und russischen Geheimdienstes, München 1985, S. 477-479, der, wenn auch in populärwissenschaftlicher Form, auf die Interessen der US-Amerikaner an der
Person Willy Brandts und anderer früherer OSS-Informanten in SPD und DBG eingeht und dabei auf Informationen des einstigen CIA-Mitarbeiters Victor Marchetti zurückgreift, der aber angeblich einschlägige Details über die Nähe Brandts zur CIA aus seiner Monographie streichen mußte. S. den sehr allgemein gehaltenenen Hinweis bei V. Marchetti/J.D. Marks: The CIA, S. 23.
592 und
XII.
Zusammenfassung: Eine „Agentur des Kalten Krieges"
Repräsentantenhaus dies gebilligt hätten, den CCF um das Attribut der und organisatorischen Unabhängigkeit gebracht. Ganz abgesehen
geistigen
davon, daß ein erheblicher Teil der CCF-Intellektuellen in diesem Fall kaum dabei geblieben wäre, hätte er kaum mehr bewirkt, als eine geistig potentere
USIA. Somit lag der konspirative Charakter der Mittelvergabe an den CCF sehr wohl in der Natur der Sache und war Bestandteil einer der Situation im Kalten Krieg angemessenen Strategie. Dessenungeachtet war der CCF keine „Verschwörung" im engeren Sinn, wie der Titel von Colemans Monographie nahelegen mag. Die Organisation agierte überaus selbstbewußt in der Öffentlichkeit und verbarg ihre Ziele und Inhalte keineswegs. Klandestine Mitgliedschaften existierten ebensowenig wie praktisch wirksame politische Verschwörungskonzepte. Kein CCF-Angehöriger war je reiner Befehlsempfänger, wie sich an dem Konflikt zwischen Josselson und Torberg gut ablesen läßt. Es war die Herkunft der Geldquellen, die verheimlicht wurde und damit die Nähe der Ziele des CCF zu den Zielen der USA, die aber jeder vernünftige Beobachter auch so zu erkennen vermochte. Bestenfalls war der CCF Teil einer „Verschwörung der Ideen", die bemüht war, in einem System pluralistischer Gesellschaften die Gesetze des freien Marktes im Bereich der Meinungsbildung zu relativieren, ohne sie aufzuheben. In einer Zeit, in der politisches Handeln sich vor der Folie industrialisierter Massengesellschaften und eines erhöhten partizipatorischen Anspruches breiter gesellschaftlicher Gruppen abspielte, war es für die USA unbedingt notwendig, eigene Herrschaftsinteressen mit der weltweiten öffentlichen Meinung in Einklang zu bringen. Diesem Zweck diente der CCF. So hatte der CCF auch und gerade in der Bundesrepublik einen gewichtigen Anteil an einer Fülle bedeutsamer Entwicklungen, die hier unter dem Begriff der „Westernization" zusammengefaßt worden sind. Im Kontext des Kalten Krieges, als Agentur des Kalten Krieges, angetrieben von den Ideen des antitotalitären Konsensliberalismus, beförderte und unterstützte der CCF in Westdeutschland Prozesse, die allesamt dazu dienten, die deutsche Nachkriegsgesellschaft zu einer wirkungsvollen Anpassung an die Gegebenheiten und Bedürfnisse moderner Industriegesellschaften zu befähigen. Dabei kam den Realitäten der US-amerikanischen Gesellschaft als fortgeschrittenster Gesellschaft des Westens ein hoher normativer Wert zu, nicht allein formal, sondern wesentlich auch ideologisch. Der traditionelle Gegenentwurf, wie ihn die „deutschen" Werte, die „Ideen von 1914" repräsentierten, mußte ebenso ausgeschaltet werden wie das rivalisierende aufgeklärte Fortschrittsmodell des Marxismus/Leninismus. Die Angebote und Anstöße, die der CCF gab, sollten sich in der Folge, seit der Mitte der fünfziger Jahre, selbständig weiterentwikkeln und zu einem konstituierenden Bestandteil der politischen Kultur der Bundesrepublik weren. Sie blieben in der Ära Brandt auch dann noch lebensfähig, als der US-amerikanische Konsensliberalismus längst an Zugkraft eingebüßt hatte. Ob sie auch die neuerliche Wende von 1989/90 überstehen können, wird sich erst noch zeigen müssen.
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Norbert Mühlen
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[ÖNB/ÖLA]
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Band 219,220 und 244. Nachlaß Carlo Schmid
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793,826,863,893,945,1398,1400,1401,1453,1583,1776-1779,1827-1833, 1903,2015 und 2019.
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Langgässer [A: Langgässer]
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AJC ASTA
American Jewish Committee Allgemeiner Studentenausschuß
BDSV
Band/Bände Bund deutscher Jugend Bund demokratischer Studentenverbände
BR
Bayerischer Rundfunk
CAD CCF CDU CIA CIC
CSF CSU
Civil Affairs Division Congress for Cultural Freedom Christlich Demokratische Union Central Intelligence Agency Counter Intelligence Corps Congress of Industrial Organizations Campaign for Nuclear Disarmement Communist Party of the United States Committee for Science and Freedom Christlich Soziale Union
DGB DDR DP
Deutscher Gewerkschaftsbund Deutsche Demokratische Republik Deutsche Partei
ERP EU EVG
European Recovery Program Europa Union Europäische Verteidigungsgemeinschaft
FDP FDJ FIF FSK FU FWF
Freie Demokratische Partei Freie deutsche Jugend Fund for Intellectual Freedom
Bd./Bde. BdJ
CIO CND CPUSA
Freiwillige Selbstkontrolle
Freie Universität Berlin Forum World Features
Abkürzungsverzeichnis GLD
German Labour Delegation
HICOG HU HUAC
US High Commission for Germany Humanistische Union House Un-American Activities Committee
IACF ICCASP
International Association for Cultural Fre dom Independent Citizens Committee of Arts, Science and Professions Information Control Division Information Control Service International Ladies Garment Workers Union International Students Movement for United Nations United Students Federalists
ICD ICS ILGWU ISSF
KBG
KgU
-
Sowjetischer Auslandsgeheimdienst Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit
KPdSU
Kommunistisches Informationsbüro Kommunistische Internationale Kommunistische Partei Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei der Sowjetunion
LID
League for Industrial Democracy
NATO NCPAC
NWDR NYFO
North Atlantic Treaty Organisation National Citizens Political Action Committee Norddeutscher Rundfunk National Farmers Union Volkskommissariat des Inneren National Students Association Organisation russischer Exilsolidaristen Nordwestdeutscher Rundfunk New York Field Office
OMGUS OPC OSS
Office of Military Government, US Office of Policy Coordination Office for Strategic Studies
PCA PEN-Club PIB PWD
Poets, Essayists and Novelists-Club
KOMINFORM KOMINTERN KP KPD
NDR NFU NKWD
NSA NTS
Progressive Citizens of America
Political Information Branch Psychological Warfare Division
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Abkürzungsverzeichnis
R&A-Branch RFE RIAS
Research and Analysis-Branch Radio Free Europe Radio im amerikanischen Sektor
SBZ SDA SDS SDS
Sowjetische Besatzungszone
SMAD SOPADE SPD SS
Schutzverband deutscher Autoren Sozialistischer deutscher Studentenbund Students for a Democratic Society Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Süddeutscher Rundfunk Sowjetische Militäradministration in Deutschland Sozialdemokratische Partei Deutschlands (im Exil) Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffeln
TU
Technische Universität Berlin
UAW UDA UdSSR UEF UfJ USA USIA USIS
United Automobile Workers Union of Democratic Americans Union der sozialistischen Sowjetrepubliken Union europäischer Föderalisten Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen United States of America United States Information Agency United States Information Service
VDS
Verband deutscher Studentenschaften
WDR
Westdeutscher Rundfunk
ZDF
Zweites Deutsches Femsehen
SED SDR
PERSONENREGISTER
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Agée, J.
83 C. 503
Ahlers, Aichler-Scholl, J. 323f, 487 Allemann, F. R. 58, 166, 312, 463, 478, 529, 530, 548
Alpator, M. 456
Altaian, G. 247, 268, 270 Altmann, R. 380, 417, 503, 552 Améery, J. 34, 238, 244f, 312 Andersen, A. 62 Andres, S. 56, 154, 312, 324, 326f, 349, 368f, 378, 390, 407, 492, 515 Arboussier, G. 519,533 Arcienegas, G 245, 533 Arendt, H. 57, 83, 100, 155, 261, 483
Arndt, A. 308 Aron, R. 53, 91, 116f, 210, 223, 242, 270, 278, 397, 418, 419, 440, 443, 450, 454, 455, 459, 462, 464, 466, 468, 471, 473-476, 478, 483, 518, 523, 529, 536, 538, 54lf, 582 Arschot, R. 481 Asche, W. 499 Asmussen, H. 511 Attlee, C. 483 Augsteta, R 499, 503, 517, 550, 573
Ayer, A. J. 238, 246, 272 Bade, H. D. 487 Bahr, E. 18, 522f Baker, E. 512 Baker, J. 42lf, 439 Baldwin, B. 107 Baldwin, J. 83 Baldwin, R. 104, 107
Baring, A. 552
Barisch, 239 Barth, H. 478 Barth, K. 456 Bauer, A. 140 Bauer, F. 515 Bauer, W. 364 Beauvoir, S. 280 Becher, J. R 64, 135f, 140, 212, 227f, 250f, 266, 324, 335, 338344, 346-349, 365, 482 Becker, K. 499 Becker R. 492, 499f. 508 Becker, O. E. H. 297 Beichmann, A. 217, 225, 267 Bell, D. 55f, 59, 114, 210, 264, 279, 288f, 312,415, 450, 454, 466, 468f, 471- 476, 478, 534, 536538, 540, 542, 546, 568, 582 Bellow, S. 83 Beloff M. 114 Benenson, P. 512 Benesch 313
Benn, G. 227, 285 Bense, M. 323, 353
Berg, A. 283 Berger, L. 156, 311, 325f, 375, 377,380,393,519
666
Personenregister
Berger, M. 530 Bergstraesser, A. 35
Bemal 440 Besson, W. 575f, Betzold, O. 499 Bieber, M. 454, 485-487, 489,
49lf, 533, 540, Biel, U. 549
568
Biermann-Ratjen, H. H. 428 Bigsby, C. W. 35 Birkenfeld, G. 141, 154f, 165, 230-
232, 237, 281, 284f, 300f, 304306, 308-311, 315, 317-321, 324327, 332-335, 337-340, 342f, 348f, 356-358, 362f, 365-367, 369-371, 375, 380, 390-394, 396401,403- 408, 481,485,513
Bissinger, M. 499 Blacher, B. 324-326, 328, 369, 390, 393, 529 Bloch, E. 501, 511 Blum L. 224 Böhm, F. 450, 488 Böll, H. 62, 488, 508f, 518, 525 Bohlen, C. 463, 524 Bondy, F. 59, 164f, 167, 174, 222, 267-
269, 285f, 290, 292f, 300, 303, 306, 312, 315, 324, 342, 345, 347, 352, 354, 363f, 370, 376, 394-396, 398, 403, 406, 451, 458, 491, 493f, 498, 504, 507, 511, 530, 542f, 543, 557, 572 Bonedo, J. H. 512 Bonhoeffer, E. 330, 371
Brandt, H. 509 Brandt, W. 56, 59, 94, 128, 154, 157, 171, 175, 235,256, 305, 316318, 322, 325-327, 331, 345, 368f, 385, 388, 390, 393, 396,f, 401, 406f, 410, 422, 450, 463, 484-489, 495, 499, 505, 515, 520-525, 528f, 591
Brauer, M. 146, 154, 331, 385, 407, 412, 416, 450, 488 Brecht, B. 251, 347, 350f. Bredel, W. 140 Brehm, B. 364 Brill H. 331
Britten, B. 283 Broch, H. 233 Brohi, A. K. 533 Brown, I. 147, 220, 222, 230, 242, 244f, 267-271, 276, 289, 295, 300f, 305, 313f, 342, 403, 448, 460f,582 Brown, R. 126 Brücher, H. 441 Bruhns, W. 499
Buber-Neumann, M. 53, 146, 147, 230, 252, 256, 267, 270, 278f, 303, 314, 319, 322, 325-327, 330, 332Í, 356, 366, 369, 376, 381, 390, 405, 407f Bucerius503, 551 Bunche, R. 233 Buchmann 373
Bundy, M. 276, 563 Burisch, W. 478
Borée, K.-F. 154, 339, 341
Burnham, J. 55f, 62, 102f, 105, 114, 174, 206, 219, 230, 237, 241Í, 244, 251, 260, 269, 281, 284f, 346, 462, 477, 535,581 Busse, W. 499
Boveri, M. 231 Bowles, C. 108 Braden, T. 218, 567, 567, 568, 570
Calvocoressi, P. 517 Campenhausen, H. von 441
Borges, J. L. 523 Borgese, G. A. 230 Borkenau, F. 100, 147, 174, 219f, 224,230,235,237,260,331 Boutros-Ghali, B. 449
Camus, A. 117, 195, 454, 458-460
667
Personenregister
Caprivi, A. von 49, 257, 294, 300f.,303-305, 310, 313, 318, 362,
375f,485 Carlebach, E. 126, 330 Casals, P. 244 Caute, D. 86, 88 Chardin, P. P. T. 564 Chiaromonte, N. 116, 270, 403, 529 Croce, B. 174, 193, 194, 223, 224, 225, 415 Chruschtschow, N. 473 Churchill, W. 106 Clay, L. D. 123, 145, 146, 149, 153 Clemen, W. 431, 514 Cocteau, J. 320 Cohen, E. 83, 181, 217, 230, 235, 237, 289 Cohn 164
Coleman, P. 59, 60, 61, 67, 215, 218,230,532,590,592 Cooper, G. 312, 400 Corbin-Schuffels, A.-M. 64, 281 Cornides, W. 222 Coulmas, P. 345, 498f, 511 Cron, H. 278, 325f, 328, 330, 390, 394, 396, 406, 408, 409, 420, 424 Crosland, A. R. 114, 171, 264, 450, 529
54, 114, 115, 171, 215, 224, 233, 312, 389, 450 Crozier, B. 278, 559 Csokor, T. 344
Crossman,
R. H. S.
R. 151 J. 275
Curtius, E.
Czapski,
Dahrendorf, R. 479, 487, 573 Dale, Sir K. 415
Darlington, C. 421 DeGaulles, C.
117 283 Debussy, C. Dehio, L. 441 Dehler, T. 441 Desch, K. 486
Deuticke, 435 Dewey, J. 39, 73, 77, 78, 79, 99, 127, 142, 174, 183, 184, 185, 186, 187, 192, 194, 195, 198, 216, 223, 225, 235, 415, 432, 454
Dilthey, W. 420 Dirks, W. 353, 389
Djilas, M.
174
Döblin, A. 94, 286, 338, 341, 343, 347, 349f,
Dohnanyi, K. von 517
Dönhoff, M. Gräfin 345, 491, 502, 528, 575 Donovan, W. J. 115, 122,219 Dorsch, K. 361 Dos Passos, J. 233 Dubinsky, D. 109,217 Dulles, J. F. 169, 463 Dutschke, R. 573 Duve, F. 499
Dymschitz, A.
141
Eagan, E. 163 Eastman, M. 83, 181,289
Ebbinghaus, 432 Eberhard, F. 50, 230f, 318, 338, 376, 390, 394 Eckhardt, H. von 230, 296 Edschmid, K. 144, 343 Eggebrecht, A. 140Í, 344, 499
Egk, W. 230, 332 Ehre, I. 428, 443
Ehrenberg, J. 210f, 213
Einstein, A. 212 Eisenhower, D. D. 110, 289f, 419, 446, 459, 560 Eisler, G. 249f, 266 Eliot, T. S. 174, 270, 538 Emge, C. A. 478 Emmanuel, P. 279, 521, 533, 543 Emmet, C. 230, 461 Enderle, L. 353
668
Personenregister
Engels, F. 331 Enock, J. 403
Epinay, R. L. 229, 269, 342, 355 Epstein, J. 565 Erler, F. 521,
Eschenburg,
554 T. 330
Evers, C.-H. 311, 326f, 356, 366, 369, 375, 377, 380, 390, 392, 396, 402, 405, 406, 520
Fadejew 211,213
Farell, J. T. 83, 105, 217, 219, 230, 235, 237, 250, 389, 461 Fast, H. 232 Faulkner, W. 174 Fedin, K. 456 Ferber, C. 498, 500
Feuchtwanger, L. 95 Fichte 185, 194
Fiedler, L. 181 Fink, W. 154, 327, 330, 364 Fischer, H. 392 Fischer, L. 568 Fischer, R. 54, 97, 102, 113, 219221,251,266,303,310 Flade, H.-J. 349 Flechtheim, O. K. 528 Fleischmann, J. 276, 278, 383, 403,
414, 533 Fraenkel, E. 34, 528 Frank, L. 73
Frankfurter, F. 203 Frei, B. 54
Freund, M. 450, 528 Fried, E. 312
Friedländer, E. 353, 501 Friedmann, H. 338, 343f. Friedrich, C. J. 123, 230, 359, 461 Friedrich, W. 213 Fry, C. 174 Furtwängler, W. 155, 362 Fyvel, T. R. 270 Gablentz, O. H. Von der 528
Gaitskell 572 Galbraith, J. K. 53,
55f., 76, 105, 264, 450, 461, 109, 483, 529f, 535,
561
Galtaski, H.
361 A. 267 Gasperi, Gaus, G. 499 Gehrtag, H. 65 Geismar, M. 537 George, M. 140, 174 Gerlach, W. 440 Gerstenmaier, E. 503, 511, 554 Ghandi, I. 449 Gide, A. 89, 97, 174, 239, 233 Gilson, E. 197 Girschner, M. 392, 415 Glaser, G. 312, 390 Glaser, H. 152 Glick, N. 161f. Goldenberg, B. 312 Gollancz, V. 113,205 Gollwitzer, H. 528 Gompers, S. 388 Gomulka 459 Gorbatow, B. 141 Görlitz, W. 501 Grass, G. 512, 556 Graubard, A. 537 Gregor-Dellin, M. 335 Grémion, P. 61, 232, 254, 275, 419 Gresmann, H. 500, 573 Grewe, M. 371, 378 Grimm, H. 364f, Grimme, A. 224, 230f, 238, 312
Gross, B. 54, 331 Gross, J. 517 Große, H. 315, 325
Gründgens, G. Guardini, 415
R.
320
323, 329, 369, 407,
Guldenberg, B.
168
Gurland, A. 94, 102, 297, 300
Gysi, K. 140, 174, 250
669
Personenregister Habe, H. 493, 517, Haber, R. A. 536f Haffner, S. 517
Held, C. 499
560
Hagelstange, R 62, 140f, 144, 154,
Hellwege, H. 442 Hemingway, E. 174 Hentschel, H.
R. 161
174, 232, 312, 324-327, 333f,337, 340, 345, 353, 359, 368f, 390, 391-394, 396f, 405- 407, 409, 459f, 484f, 487f, 492, 507, 509,
Hermano, J. 65, 149 Hermlin, S. 140, 141, 250, 347 Hersch, J. 225, 242, 270, 294, 531,
528
Herzfeld, H. 417,
Hahn, O. 415, 438, 443 Haidane, J. 421 Hallstein, W. 349, 378, 483 Hamilton, I. 59
Handlin, 0. 187 Hannegan 107 Harich, W. 140f, Harlan, V. 255, 360, 363, 366f, Harpprecht, K. 345, 492, 505, 507f, 510f, 520, 550f, 554Í,572 Harrtagton, M. 83, 535, 537, 589, 591
345, 484f, 489, 491f, 494, 520, 528 Hasse, O. E. 320
487-
Hausenstein, W. 483 Haushofer, A. 359 Hausmann, M. 353 Havemann 250
Haves, J. 456 Haya de la Torre, V. R. 520 A.
von
451
Heald, H. 276 Healey, D. 114, 264, 450, 461, 529 Hebebrand, W. 498f, Hegel, G. 185, 194f,
Heidegger, M.
Heine, F. 226 Heinemann, G.
Heisenberg,
Heuss, T. 57, 345, 44 lf, 483, 488, 490, 528, 533 Hildebrandt, R. 256, 356, 399 Hiller, K. 193, 308
Hindemith, 283 Hitler, A. 235 Hochhuth, R. 196
Hodge, C. 386 Hoegner 147
Hofer, W. 230, 353, 417, 420, 426, 441 517 Hoffineyer, V. 392 Hofstadter, R. 55, 68, Hoggan, D. C.504 Hollitscher 250 Holthusen, H. E. 353
Höfer, W.
Härtling, P. 549 Hartz, L. 55, 69 Hasenclever, W.
Hayek, F.
528
Hesse, H. 227
Hammerskjöld, D. 459
Hayden, T. 564
584
194
353 W. 323
70, 74f
Hook, S. 53, 56, 79, 83, 99, 102f, 105, 114, 155, 192f, 196f, 216219, 221, 223, 230, 233, 237, 240f, 244, 247, 250, 292, 281, 284, 287, 289, 321, 389, 403, 418, 440, 443, 450,461,463,515,523,530 Horkheimer, M. 417, 431, 485 Howe, I. 53, 83, 181, 537 Höxter, S. 146 Hübinger, P. E. 510, 528 Huch, R. 141
Huchel, P.
347 Humphrey, H. 108 Hunt, J. C. 262, 279,
291, 454, 482, 489, 491f, 510, 518, 533, 537, 562, 564, 568, 570
670
Personenregister
Hupka,H. 390, 517, 563
Hurwitz, M. 65, 125, 157, 163, 169, 199f, 301f,310, 520, 531 Huxley, A. 174, 223, 233
Jünger, E. 194 Jungk, R. 493, 496
Ickes, H. 104, 107 Hau, H. 450 Italiaander, R. 429 Iwaskiewiz, J. 456
Jackson, A. 72 Jacobsohn, F. 463 Jaesrich, H. 151, 160, 165, 178, 239, 249, 260, 286, 303, 328, 345, 393, 407, 443, 483, 528, 548, 552, 555, 557 Jahnn, H. H. 341, 343f, 347,
174 Kaghan, T. 163, 288 Kaiser, J. 514
Kafka, F.
172, 326, 485, 350,
353
James, D. 287 James, W. 77 Jarme, H. 440
57f, 155, 174, 193, 197, 223-225, 234, 294, 415, 443, 454, 485 Jefferson, T. 72 Jelenski, K. 454, 456, 517, 529f,
Jaspers,
504-506, 517f, 521f, 524, 528, 533, 545, 552, 559, 561, 563f, 566-568, 570, 572, 575, 582, 590f. Jouvenal, B. 91, 450, 529, 530
K.
545
Jenkins, R. 450 Jens, W. 353 Johnson, L. B. 181,522,581 Joliot-Curie, I. 195, 208, 213, 272, 277, 419, 438, 442 Jordan, P. 441 Jores, A. 414, 439 Josselson, D. 49, 55, 568 Josselson, M. 48f, 54f, 59, 142, 155, 164, 165, 167f, 218-222, 238240, 243, 262, 270, 274f, 279f, 284, 286, 291, 306, 314, 321, 347, 362, 365t, 395-397, 399, 401- 404, 407-409, 416, 42 lf, 425, 427, 429, 440, 447-455, 458, 460, 466, 480483, 485, 488, 491, 493f, 498, 502,
Kaltenbrunner, G.-K. 552 Kant, I. 182, 473 Kantorowicz, A. 137, 140, 151 Kasack, H. 343, 359 Kästner, E. 338, 341, 343-345 Katajew, V. 140, 142 Kazin, A. 83 Kecskemeti, P. 152, 161f, Kellner, A. 161 Kennan, G. F. 53, 256, 261, 450, 461-463, 468, 483, 523, 529, 561, 571,581 Kennedy, J. Fill, 461, 522, 540, 581
Kesten, H. 96, 140, 230, 322, 515
Ketterle, M. 65, 149 Keynes, J. M. 175 Kiewert, W. 350 Kleßmann,
589
Klimow, G. 356 Klotzbach, K. 385 Koch, T. 471, 499 Koestler, A. 53, 59, 62, 66, 89, 91, 94, 97f, 113-117, 174, 177, 218f,
221, 224, 226, 236, 238, 240-249, 254f, 260, 262, 265f., 268f.,271, 273f., 277, 279, 281-283, 286f, 292, 303, 311, 321, 340, 345, 448, 460, 483, 580, 582, 590
Koestler, M. 113 Kogon, E. 50, 116, 223, 230f, 244f, 265, 270f, 278, 305, 312, 318, 322, 325f, 330, 332, 334, 339,
671
Personenregister 345, 352, 369, 371, 378, 389, 422, 470
Kohler, F. 249 Kohn, H. 56, 189, 269, 284, 531 Kolbenhoff, W. 144, 353
König, R. 417, 478
Kom, K. 230f, 353, 455 Kracauer, S. 201, 485 Krauss, W. 360f, 366f,
Krippendorf, E. 661 I. 83, 97, 105, 165, 167, 174, 181, 289f, 448, 476, 534, 542, 561, 568
Kristol,
Krüger, H. 501 Kuby, E. 429, 517 Kwizinskij, J. 57 Labedz, L. 571 Lader, L. 84 Landahl, H. 312, 331, 407, 415f, 420, 428f, 443, 487 Landshut, S. 439 Langgässer, E. 140f, 144 Laqueur, W. 53, 312, 414, 529 Lasch, C. 61, 565 Laski, H 113
Lasky, B. 567 Lasky, M. J. 48, 51, 59, 65, 83, 95, 115, 125, 140, 142, 144, 150-152, 154f,161- 172, 176, 178, 180-182, 192-194, 196f, 201, 203, 219, 221227, 233, 235, 237f, 241, 246f, 249f, 255f, 260, 262, 267, 269, 271, 274, 284, 292-294, 300f, 303, 305f, 309, 313, 316, 320, 325, 330, 336, 340, 342, 353f, 357, 360-363, 367, 371, 374, 389, 399, 404-406, 422, 426, 429, 454, 458, 460, 483486, 520, 527, 541-544, 548, 551, 553, 557, 561, 565-567, 582 Laue, M. von 416f, 438, 439, 441,
443
Leber, A. 330f, 373
Ledebur, G. Gräfin 511, 516f, Lehnartz, E. 431 Leisegang, H. 230, 323 Leithäuser, J. G. 177, 300, 306 Lemberg, E. 517 Lenk, K. 478 Lenz, S. 51, 62, 195, 410, 426, 498,
500,521,525 Leonhard, R. 140 Leonhard, W. 515 Leonhardt, R. W. 500,
509 104 M. Lemer, 77, Lestiboudois, H. 350 Levi, C. 219, 223 Levitas, S. 115, 217, 230, 242, 269, 284, 288f, 461 Lewis, A. 533 Lie H. 244, 271, 312, 399, 403, 529 Liebermann, R. 500 Liebowitz, N. 83 Lilje, H. 407 Linfert, K. 154, 174, 230f, 326,
328, 345, 389, 405-409, 487f, 508, 528
Lipper, E. 252 Lippmann, W. 181,461 Lipset, S. M. 56, 83, 450, 471, 536, 538
Litt, T. 327, 345, 390, 407, 416, 431,479,488 Litten, J. 573 Locke, J. 182
Lodge, H. C. 459 Loeb, A.
147
Loeb, J. 109,
147
Loeb, J. jr. 101 Loos, I. 347 Lorenz, K. 441 Lothar, F. 376 Lovestone, J. 456, 461
Löwenthal, G. 155, 366 Löwenthal, R. 50, 64, 147, 174, 187, 238, 270, 312, 366f, 385, 437,
672
Personenregister
531
K. 323 Mehrtag, W. 230, 312, 339, 350 Mehta, A. 533 Metaecke, E. 189, 323, 338 Meinhof, U. 499 Meissner, B. 417 Meistermann, G. 284, 324, 326,
Luft, F. 154, 231, 320, 361, 582, 528,531 Lüth, E. 312, 363, 367, 369, 378, 407, 428f, 443
332, 334, 369, 390, 405f, 408f, 488, 508, 528 Meitaer, L. 415, 439, 443 Mendelssohn, P. de 142, 155, 174,
Lyssenko 266, 438
237,246,285,312,335,345 Mendes-France, P. 426 Merkatz, H.-J. von 554 Merleau-Ponty 195, 219, 266, 277, 456, 459
450, 454, 463, 468, 483, 519, 529, 531,572 Löwith, K. 417, 439, 528
Lowry 560
Ludwig, G. 364, 482 Luehty, H. 174, 195, 230, 330, 517,
Macdonald, D. 83, 103, 107, 168, 217,288,549,569 Madariaga, S. de 116, 174, 254, 280, 443, 523 Mailer 83
Malraux, A. 91, 115-117, 226, 458 Maltz, A. 233 Mann, G. 155, 230, 237, 247, 312, 554
Mann, H. 95 Mann, T. 141, 174, 280, 344 Manshel, W. D. 421, 448, 440 Mao-Tse Tung 206 Marcuse, L. 95, 174, 194, 515, 554 Maritata, J. 117, 197, 224f, 415, 564 Marshall, W. D. 454 Marx, K. 195, 473 M.
279, 312, 403, 523, 541-544,562 Maslow, A. 54, 102 Matthews, F. P. 206 Maung, M. 523, 532f. Mauriac, F. 244
Masani,
Mayer, H. 57, 140, 144, 502 McCarthy, J. 111, 164, 181, 282, 287-289, 445, 537
McCarthy,
M. 83,
164, 181, 217,
287f, 543f. McClure, R. 123, 145, 161
Mehnert,
Merton, R. 471 Merz, K.-U. 233 Mills, C. W. 83, 536 Milocz, C. 174, 529 Mitscherlich, A, 58, 155, 224, 324, 326, 345, 390, 406-408, 417, 422, 432,441,506,515 Mohler, A. 552 Molo, W. von 141, 347, 352 Moosdorff, J. 554
Morgenthau, H.
104 483 Muggeridge, M. 114, 403 Mühlberger, J. 350 Mühlen, N. 49, 94, 116, 163,
Morrison, H.
174, 230, 235, 269, 273, 284, 288, 293, 300, 303, 305, 360, 369, 374, 426, 461, 520, 528 Müller, C. 173 Münzenberg, W. 43, 54, 86, 90f.,94- 96, 107, 131, 136, 207Í, 210, 214, 220, 231, 239, 331, 453, 514,524,528,546
Murphy, R. Nabokov,
145
N. 49, 54, 59, 126, 155, 218, 221, 226, 230, 244, 261, 270,
Personenregister
273f, 279f, 283, 285f, 290f, 301, 312, 314, 320, 323f, 326, 332, 347, 352-354, 365f, 375, 378, 390, 394397, 401-405, 407, 409, 414, 416, 424f, 427-429, 440, 443, 448-450, 452, 457, 461,463, 480f, 483, 484, 486f, 490f, 498, 508, 511, 519, 521-523, 533, 540, 543, 545, 56lf, Nachtsheim, H. 230, 323, 326, 328, 338, 390, 393, 403, 407, 416f, 42lf, 437, 448 Narayan, J. 452, 530, 533, 569 Nathan, R. S. 152, 161f Nehm, J. 449, 459, 524 Nellen, P. 330f, 333 Neumann, F. L. 102, 155, 230, 235 Nevermann, K. 573 Nicholls, A. 386
Nicolajewski, B. 245
Niebuhr, R. 83, 100, 105, 109, 223, 244, 454 Niemöller, M. 308, 352-354, 372 Niethammer, L. 552 Nietzsche, F. 194 Nohara, E. 161, 491 Nolte, E. 9 Norden, R.9126 Nottbeck, B. von 492, 508f, 528
Ogunsheye, A. 533 Oppenheimer, J. R. 420, 523, 529, 561
Oprecht, H. 116,512,517 Ortega y Gasset, J. 538
Orwell, G. 97, 113, 115f, 174
Osbome, J.
312
Oschenko 142
Oshinsky, D. O'Brien,
546 C. C. 565
Paeschke, H. 230f, Paetel, K. O. 94
Paget,
C. 113
673
Parsons, T. 47 lf Paszetor, T. 461 Pasternak, B. 174 Patinan, J. W. W. 560 Pechel, P. 316 Pechel, R. 50, 154, 230, 231, 249, 308, 309, 314, 316, 323, 325f, 328, 331, 333f, 343, 345, 349, 354, 369, 373, 382, 390f,393f, 396f, 400, 405-409, 422, 483, 488, 492, 542, 528
Pechenier, G. 358 Peirce, C. 77 Peitsch, H. 336f Pells, R H. 215 Pentzoldt, E. 140, 347, 353 Perkins, F. 104 Petersen, J. 316f, 319, 321, 326, 329-331, 365, 380f, 390f, 393397, 402, 405f, 423
Pferdmenges, R. 376 Philip, A. 238, 244, 483 Phillips, R. 113,289 Phillips, W. 83, 217,289 Pieper, J. 329, 415, 417f, 420, 439, 485, 528, 538
Piper, K. 514, 517 Papst 196
Pius XII.,
Plessner, H 58, 417, 420, 431, 435, 439, 441-443, 478, 488 Plievier, T. 50, 144, 154, 174, 224, 230, 244, 270, 311, 322, 325-328, 331, 334, 337, 339, 345, 389, 390 Plisnier, C. 244 Podhoretz, N. 83, 534, 558, 562, 569
Polanyi, G. 439-442 Polanyi, M. 113, 115, 174, 210,
264, 278, 403, 414, 418-420, 427, 439-442, 450, 452, 457f, 463, 471, 483, 523, 529, 531, 542, 560, 562, 582
Polevo, B. 456
674
Personenregister
Polodtae, P. 456 Popper, K. 195 Pöschl, V. 481
Rossevelt, D. F. jr. Roosevelt, J. 207 Roosevelt, T. 75
Potter, P. 80
Röpke, W. 175, 230 Rosenberg, L. 105, 290, 323f, 385,
Prokofjew, S. 283
Proske, R. 316, 353, 365 Pross, H. 57, 126, 231, 237, 247, 258
Puttkamer, J. 429 Raddatz, F. J. 499 Rahv, P. 83, 217 Raiser, L. 417, 43 lf, 434
Ranelagh, J. 66
Ranke, F. von 189 Rauch, G. von 417f, 439, 441 Rauh, J. Jr. 109 Rauthe, H. 331, 363 Read, H. 223 Redslob, E. 141, 154, 224, 239, 256,303,312,323,345 Reed, J. 103 Reich-Ranicki, M. 498f, 50If,
Reiffenberg, B. 407
Reinisch L. 504, 514, 516-518, 575 Reizinger, H. 350 Rengstorf, H. H. 499 Reuter, E. 59, 126, 147, 150, 154, 171f, 174, 220f, 224, 226, 233, 256, 303, 306, 312, 316, 320, 323, 334, 356, 361f, 378, 385, 398f, 413, 416f, 420, 483, 528 Reuther, W. 109, 233 Richter, H. W. 144, 353, 429, 493f. Riesman, D. 92 Rinser, L. 230, 232 Ristic, M. 456 Ristock, H. 573 Ritter, G. 189, 450
Rodenberg, L.
331 E. 233 Roditi, Rogge, J. 209 Roosevelt, E. 108, 233
108
389 Rosenthal 403 Rostow, E. 530 Roth, P. 83 Rougemont, D.
116, 174, 221f, 230, 244, 255, 260, 270, 271, 272, 279, 312, 314f, 324, 326, 352-354, 389, 394, 403, 455, 457, 524, 530, 544f, 56lf. Roure, R. 223, 247 Rousset, D. 116, 219, 221, 222, 223, 238, 244f, 270f, 313, 389, 403
Rovan, J. 426 Rovere, R. 181, 287f,
Rowolt, E. 140, 353 Ruge, G. 492, 508, 511, 512 Rühle, J. 482, 485, 492, 502, 508f, 528
Rühle, S. 502, 508f, 509,
51 If,
514
Rühmkorf, P. 62 Rush, D. 181 Russell, B. 101, 113-115, 194, 206, 223f, 260, 272, 290, 389, 415, 454 Sabais,
H.-W.
Saccho 92 Salomon, E.
345, 353, 359
von
364
Salter, E. 174, 300, 301, 305f, 308, 340, 482 Sanders, M. K. 161f, Santayana, G. 183f, 186, 198, 235 Sartre, J. P. 61, 116f, 195, 219, 247, 266, 277, 280, 410, 456, 459 Schalk, F. 492 Scheuch, E. K. 517 Schiller, D. 237
675
Personenregister
Schiller, K. 55, 386, 450, 498, 500, 520, 528
Schlaga, R. 212 Schlamm, W. 477 Schleimann, J.492
Seton-Watson, H. 312, 577
Schlesinger, A. M. jr. 83, 105, 109,
174, 181, 230, 238, 242, 244, 260, 312, 418, 450, 520, 524, 529, 535, 540, 542, 561 Schlüter, L. 442-444, 525, 584 Schmaus, M. 441 Schmid, C. 50, 56-59, 116, 223, 230, 242, 245, 249, 265, 270, 276, 278, 280, 298f, 309, 314-317, 319, 324-327, 329-334, 345, 351354, 359f, 364, 369-371, 382, 395397, 402-410, 416f, 420, 422-424, 427, 443, 450, 460, 463f, 480f, 484, 486-488, 491, 507f, 528, 533, 568, 583
Schmitt-Vockenhausen, H. 517 Schnabel, E. 326, 328, 498 Schneider, F. L. 393
Schneider, R. 323, 347, 352 Schnurre, W. 512 Scholl, I. 330, 371 Scholmer, J. 482 Schöntagh, F.-J. 230f, 235, 270, 323, 325, 328f, 334, 369, 390, 394, 407f, 528
Schrenk-Notzing, C. von 554 Schrepfer, M. 397, 413, 424, 426,
427-429, 452, 481, 498f, 501f, 575
Schröder,
R. A. 144 Schuddekopf, J. 230 Schultz, W. D. 498f Schulz, E- 350 Schulz, H. P. 230 Schulz, K.-P. 554 Schumacher, K. 64, 135,
Shapiro, M. 83
Shaw, G. B. 174,212 Shdanow 206, 258 Shils, E. 61, 83, 210, 264, 279, 415, 439f, 443, 452, 464, 466, 468, 471, 473-476, 478, 523, 527, 529-531, 536, 538, 540-543, 544, 546, 571, 582
Shine 164
Shub, B. 126, 155 Siedler, W. J. 405, 421, 424, 481, 483-485
Siemens, A. 230 Silone, I. 89, 91, 98, 115f, 155, 174, 219, 223, 227, 230, 233, 237, 241, 248f, 266, 268, 270f, 279, 311, 321, 389, 395, 420, 456f, 524, 543, 545, 571 Sinclair, U. 181,223,233 Statenis, R. 230, 322 Slater, H 113 Smend, R. 417, 441 Snell, B. 50, 278, 345, 369, 381, 398, 403, 405, 407, 410, 413, 415, 417f, 420, 422, 424-432, 435f, 439, 442, 463, 484, 487f, 490, 498f, 501f, 504-507, 510, 512f, 528, 533, 563, 572 Snow, C. P. 440 Solschynizyn, A. 61, 215 Sombart, K. 517 Sommer, T. 498f
Sontag, S.
83 T. Sorenson, 109 Spender, N. 567
146, 184,
362,385,515
Schwab-Felisch,
Seghers, A. 141, 347 Senghor, H. S. 533 Senghor, L. S. 452
Spender, S. 54, 97, 114, 205, 280, 290, 320, 403, 456, 458, 531, 561, 569
H.
174f, 366, 481
Sperber,
M. 50, 53f, 64, 91, 94,
676
Personenregister
97f, 116f, 155, 242, 254, 270, 279, 281, 286, 293, 374, 411, 454. 457f., 467, 480f, 488f, 491, 496f,
Thomas, M. 500 Thomas, N. 99, 101, 147, 217, 565 Thomas, S318
500, 503, 506, 508, 510-514, 516f, 524, 529, 539, 545, 563, 567f Spiel, H. 57, 142, 237, 320 Springer, A. 505, 572, 573 Stalin, J. 214, 438, 445, 456, 579
301, 303, 305, 310, 318, 342, 356358, 361 391, 465
Stehle, H.
Tingsten, H. 270
501
Stein 461
Stelzer, T. 353 Stepun, F. 417 Stem, C. 509, 512 Stemberg, F. 312 Stemberger, D. 154, 180, 224, 230f,237, 247f, 323, 324 Sternburg, W. 426 Sternfeld, W. 337 Stettinius, E. R. 104 Stevenson, A. 111, 446 Stiebler, W. 161 Stolz, O. 155, 266, 301, 312, 325327, 330, 371, 385, 389, 393, 407 Stone, I. F. 107 Stone, S. 127, 155, 163f, 330, 371,
521,545,551,563,570,576
Strawinsky, I. 283 Stromberg, K. 492 Stuckenschmidt, H. H. 508, 531 Stucki, L. 553 Suhr, O. 154, 224, 323, 385, 441 Süskind, W. E. 140, 144
Thomson, Sir G. 415
Tichy, F. 64
Tillich, E. 147, 155, 230, 270, 300,
Tito 176, 209, 459 Toller, E. 337 Topitsch, E. 478 Torberg, F. 48, 50, 165, 167, 255,
312, 320, 351, 455, 461, 465, 477, 495f, 531, 555, 592
Toynbee, A. 483 Tralow, J. 343f, 353 Trautmansdorff, M. K. Graf 222, 276, 304, 305, 312-315, 317f, 321, 323, 325, 330, 332, 334, 342, 349, 352, 356f, 362, 375, 389, 395 Treitschke 189
Trevor-Roper,
H. 114, 238, 246-
248, 250, 293
Trilling, D. 83 Trilling, L. 55f, 83f, 97, 103, 108, 181,287,517 Trotha, R. von 509, 512
Trotzky 86
Truman, H. S. 104-106, 108f, Ulf, 145,223,241 Tuchatschewski 313
Szczesny, G. 387,514-516 Tas, S. 312 Tavernier, R. 451, 504, 518, 533, 563
P. 225 Telschow, E. 442 Textor 153 Thesing, C.350 Thielicke, H. 417, 501 Thimig, H. 361
Taylor, J.
U Thant 449 Uexküll, G. von 498
Uhse, B. 231, 249 Ulbricht W. 512 Unruh, F. von 144 Vanzetti 92 Veblen, T. 183, 186, 198, 235 Vesper, W. 364 Vogel, H.-J. 429, 520
Personenregister
Volbracht, A. 309, 366
516
Voltaire 243, 419
Zweig, A 250, 347, 365
Wallace, H. 105f, 111, 152, 216 Wallenberg, H. 126, 163, 247, 288 Walter, H. 94, 520 Ward, B. 252 Ward, L. F. 72 Watson, H. S. 524 Webb, B. 99, 113 Webb, S. 101, 117 Weber, A. 50, 155, 174, 223, 230, 233, 235, 270, 322, 323, 334, 338, 345, 359, 385, 387, 389 Weber, M. 420 Wechsler, J. 105, 287 Wehner, H. 147, 318, 333, 390f, 395, 521
Wetaert, E. 140 Weischedel, W. 417 Weisenbom, G. 353
Weissberg-Cybulski, A. 414, 419 Weizsäcker, C. J. von 323 Weizsäcker, R. von 576 Wesemann, H. O. 508 Wilder, T. 174, 244 Willett, R. 149 Williams, D. C. 115,230,250 Willmann, H. 213 Wilson 243
Wischnewski, W. 141 Witsch, J. C. 371, 407, 451, 487, 492, 497, 506, 508, 510, 512f, 517, 528, 533, 550
Wittfogel, K. A. 102, 507
Wladimorow 455 Wolfe, B. 217, 287
Wördemann, E. 510f, Wördemann, F. 510,529 Yorck, R. Gräfin 375
Zwart-Spanger,
E. 492, 507, 509,
677
Ordnungssysteme Ideengeschichte der Neuzeit Herausgegeben von Dietrich Beyrau, \nselm Doenng-Manteuffel und Lutz Raphael Studien
zur
IBand
1 Michael Hochgeschwender Freiheit in der Offensive? Der Kongreß für kulturelle Freiheit und die Deutschen ISBN 3-486-56341-6
Band 2 Thomas Sauer A/estorientierung im deutschen Protestantismus? Vorstellungen und Tätigkeit des Kronberger Kreises ISBN 3-486-56342-4 Band 3 Gudrun Kruip Jas „Welt"-„Bild" des Axel Springer Verlages )urnalismus zwischen westlichen Werten und deutschen Denktraditionen. ISBN 3-486-56343-2
Band 4 Axel Schildt ^wischen Abendland und Amerika Studien zur Ideenlandschaft der 50er Jahre
ISBN 3-486-56344-0
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