Forschung an Einwilligungsunfähigen: Insbesondere strafrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte der fremdnützigen Forschung [1 ed.] 9783428546282, 9783428146284

Vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft stellt sich das Problem eines erhöhten Forschungsbedarfs in Bezug auf K

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Forschung an Einwilligungsunfähigen: Insbesondere strafrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte der fremdnützigen Forschung [1 ed.]
 9783428546282, 9783428146284

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Schriften zum Strafrecht Band 278

Forschung an Einwilligungsunfähigen Insbesondere strafrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte der fremdnützigen Forschung

Von

Scarlett Jansen

Duncker & Humblot · Berlin

SCARLETT JANSEN

Forschung an Einwilligungsunfähigen

Schriften zum Strafrecht Band 278

Forschung an Einwilligungsunfähigen Insbesondere strafrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte der fremdnützigen Forschung

Von

Scarlett Jansen

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-14628-4 (Print) ISBN 978-3-428-54628-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-84628-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinem Mann

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2014 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Martin Böse. Er hat die Erstellung dieser Arbeit beständig betreut und mich durch regelmäßige Rückmeldungen und Anregungen sowie Diskussionen sehr unterstützt. Außerdem hat er mein Interesse am Medizinstrafrecht gefördert, indem er nicht nur das Thema der Arbeit angeregt hat, sondern mir auch einen Einblick in die Arbeit einer Ethikkommission ermöglicht hat. Während der Erstellung dieser Arbeit war ich darüber hinaus als wissenschaftliche Hilfskraft an seinem Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht sowie Internationales und Europäisches Strafrecht tätig. Für all dies möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bei ihm bedanken. Eine bessere Betreuung hätte ich mir nicht wünschen können. Herrn Professor Dr. Hans-Ullrich Paeffgen möchte ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens danken. Auch Frau Dr. Anne Schneider, LL.M., bin ich zu Dank verpflichtet. Durch ihre Erfahrungen war sie mir stets ein große Hilfe. Bedanken möchte ich mich außerdem für die finanzielle Unterstützung durch ein Promotionsstipendium der Individuellen Graduiertenförderung der Universität Bonn, das mir ermöglicht hat, mich auf die Erstellung der Arbeit zu konzentrieren. Darüber hinaus möchte ich mich bei der Kanzlei Eimer Heuschmid Mehle aus Bonn für die Verleihung des Eimer Heuschmid Mehle-Preises für herausragende strafrechtliche Dissertationen 2014 bedanken. Der Druck dieser Arbeit wird durch einen Druckkostenzuschuss der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung, Hamburg gefördert. Über diese großzügige Unterstützung habe ich mich sehr gefreut und bedanke mich. Großer Dank gebührt auch meinem Mann, meinen Eltern und Catharina Conzen, die den Entwurf der Arbeit zügig Korrektur gelesen haben. Mein Mann hat die Erstellung der Arbeit durch seine Unterstützung sowie seinen Glauben an mich sehr gefördert. Er stand mir stets zur Seite und beruhigte mich bei scheinbar unlösbaren Problemen. Dafür möchte ich ihm danken. Auch bei meinen Eltern möchte ich mich für ihre Hilfe bedanken, die nicht nur die Erstellung von Kopien und die Korrektur umfasste, sondern auch die Betreuung meiner Tochter. Dafür möchte ich mich auch bei meinen Schwiegereltern und meiner Schwester Chiara bedanken. Bonn, im Dezember 2014

Scarlett Jansen

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einleitung und Begriffsbestimmungen

23

A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 B. Bestimmung einzelner Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I. Heilbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 II. Heilversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 III. Wissenschaftliche Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1. Potentieller mittelbarer Eigennutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Potentieller direkter Gruppennutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3. Rein fremdnützige Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 4. Methoden der wissenschaftlichen Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 IV. Kritik an der Einteilung in therapeutische und nicht-therapeutische Forschung . . 33 V. Die klinische Prüfung von Arzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 C. Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 I. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 II. Die Voraussetzungen der Einwilligungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2. Gesetzliche Regelungen zur Einwilligungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3. Analogie zu den gesetzlichen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 4. Anlehnung an andere Mündigkeitsstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 a) Einwilligungsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 b) Einwilligungsfähigkeit und Schuldfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 c) Einwilligungsfähigkeit und Strafantragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 5. Eigenständige Definition der Einwilligungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 III. Mitbestimmung und Vetorechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Kapitel 2 Historischer Rückblick – Die Forschung am Menschen in Deutschland

47

A. Die Vorkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 B. Die Zeit des Nationalsozialismus und ihre Aufarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

10

Inhaltsverzeichnis Kapitel 3 Regelungen zur medizinischen Forschung am Menschen

53

A. Regelungen zur Arzneimittelprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 I. Arzneimittelgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Systematik der Vorschriften über klinische Prüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3. Voraussetzungen der klinischen Prüfung von Arzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . . 56 a) Allgemeine Voraussetzungen nach § 40 Abs. 1 – 3 AMG . . . . . . . . . . . . . . . 56 b) Voraussetzungen für gesunde minderjährige Probanden . . . . . . . . . . . . . . . . 58 c) Voraussetzungen für kranke volljährige Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 aa) Voraussetzungen in Normalsituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 bb) Voraussetzungen in Notfallsituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 cc) Notfallsituationen bei dauerhaft Einwilligungsunfähigen . . . . . . . . . . . . 63 d) Voraussetzungen für kranke minderjährige Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 e) Voraussetzungen für kranke und einwilligungsunfähige Patienten . . . . . . . . 66 4. Die Zulässigkeit kontrollierter Studien nach dem Arzneimittelgesetz . . . . . . . . 67 a) Anwendbarkeit des Arzneimittelgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 b) Die Zulässigkeit kontrollierter Studien gegen ein Standardpräparat . . . . . . . 68 c) Die Zulässigkeit placebo-kontrollierter Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 aa) Generelle Zulässigkeit von placebo-kontrollierten Studien . . . . . . . . . . . 69 bb) Zulässigkeit placebo-kontrollierter Studien nach §§ 40, 41 Arzneimittelgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 (1) Generelle Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 (2) Zulässigkeit bei Gesunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 (3) Zulässigkeit bei kranken volljährigen Probanden . . . . . . . . . . . . . . . 73 (4) Zulässigkeit bei kranken minderjährigen Probanden . . . . . . . . . . . . . 74 (5) Zulässigkeit bei kranken volljährigen einwilligungsunfähigen Probanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 II. Richtlinie 2001/20/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2. Voraussetzungen für minderjährige Studienteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3. Voraussetzungen für einwilligungsunfähige erwachsene Studienteilnehmer . . . 76 B. Regelungen zur Prüfung von Medizinprodukten: Medizinproduktegesetz . . . . . . . . . . 77 I. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 II. Abgrenzung zum Arzneimittelgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 III. Grundlagen der klinischen Prüfung von Medizinprodukten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 IV. Voraussetzungen der klinischen Prüfung von Medizinprodukten . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Allgemeine Voraussetzungen nach § 20 Abs. 1 – 3 MPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

Inhaltsverzeichnis

11

2. Besondere Voraussetzungen für gesunde minderjährige Probanden . . . . . . . . . . 79 3. Besondere Voraussetzungen für kranke Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 4. Zulässigkeit placebo-kontrollierter klinischer Prüfungen nach dem Medizinproduktegesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 C. Regelungen zur Forschung mit Strahlenanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 I. Strahlenschutzverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2. Voraussetzungen der §§ 23 f. StrlSchV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3. Weitere Anforderungen nach §§ 87 ff. StrlSchV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 II. Röntgenverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2. Voraussetzungen der §§ 28a f. RöV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 3. Weitere Anforderungen nach §§ 28c f. RöV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 D. Allgemeine Regelungen zur Forschung am Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 I. Bioethik-Konvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2. Zulässigkeit medizinischer Forschung nach der Bioethik-Konvention . . . . . . . 84 II. ICH-GCP-Guidelines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Anforderungen an die Forschung mit nichteinwilligungsfähigen Personen . . . . 88 III. Die Deklaration von Helsinki . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2. Voraussetzungen für Forschung an einwilligungsunfähigen Personen . . . . . . . . 90 IV. Die Erklärung der UNESCO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 E. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 F. Forschung in den nicht spezial-gesetzlich geregelten Bereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 I. Möglichkeit einer Analogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 1. Bestehen einer planwidrigen Lücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Vergleichbarkeit der Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3. Verfassungsrechtliche Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 4. Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 II. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 G. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Kapitel 4 Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

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A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

12

Inhaltsverzeichnis

B. Anwendbarkeit und Relevanz der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen mit Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 I. Vereinbarkeit einer Einbeziehung von Einwilligungsunfähigen . . . . . . . . . . . . . . . 99 1. Betroffene Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 b) Art. 2 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 c) Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 d) Art. 6 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 e) Art. 3 Abs. 1, 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Möglichkeiten der Einbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 a) Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 b) Einbeziehung durch Sozialpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 aa) Pflichten zugunsten der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 bb) Vereinbarkeit einer Sozialpflicht mit den Grundrechten . . . . . . . . . . . . . 105 cc) Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 c) Einbeziehung durch Güter- und Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 d) Einbeziehung durch fehlenden Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 aa) Parallele zur Transplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 bb) Vereinbarkeit der Widerspruchslösung mit den Grundrechten . . . . . . . . 112 e) Einbeziehung durch Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 aa) Grundlagen der Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 (1) Gewillkürte Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 (2) Gesetzliche Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (a) Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (b) Betreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (aa) Inhalt und Schranken der Betreuung nach §§ 1896 ff. BGB . 119 (bb) Betreuung: Eingriff oder Leistung des Staates? . . . . . . . . . . 121 (a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 (aa) Verhältnis zu Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 (bb) Funktion der Betreuung: Verwirklichung der Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (cc) Alternativen zur Betreuung und deren Nachteile . 126 (dd) Herstellung von Rechtsgleichheit . . . . . . . . . . . . . 127 (ee) Betreuung als Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 (ff) Die Funktion der betreuungsrechtlichen Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 (gg) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

Inhaltsverzeichnis bb) Einschränkende Kriterien in Bezug auf die Repräsentation bei fremdnütziger Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vereinbarkeit fremdnütziger Forschungsmaßnahmen mit dem Wohl des Vertretenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Vereinbarkeit mit dem Kindeswohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

132 132 132 132

(bb) Zulässigkeit aus Gründen der Erziehung? . . . . . . . . . . . . . . . 133 (cc) Wertungen des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (dd) Konkretisierungen des Kindeswohls am Beispiel der Beschneidung und der Knochenmarkspende . . . . . . . . . . . . . . . 135 (ee) Vereinbarkeit nicht indizierter Maßnahmen mit dem Wohl . 138 (ff) Grenzen der Vereinbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (gg) Schlussfolgerungen für die fremdnützige Forschung . . . . . . 142 (b) Vereinbarkeit mit dem Wohl des Betreuten . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (aa) Beachtung von Wünschen des Betreuten . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (bb) Vereinbarkeit der Lösung mit dem Fürsorgeprinzip . . . . . . . (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Weitere betreuungsrechtliche Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Co-Consent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Co-Consent als Paternalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Alternative Lösungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Gleichbehandlung mit Volljährigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

145 146 146 147 147 152 154

(4) Vetorecht bezüglich einzelner Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Beachtlichkeit einer Ablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Vetofähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Erforderlichkeit eines assents . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ermittlung des Wohls und der Wünsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ermittlung des Kindeswohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

154 154 157 158 159 159

(2) Ermittlung von Wohl und Wünschen des Betreuten . . . . . . . . . . . . . dd) Zwischenergebnis zum Modell der Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Spezielle Schutzmaßnahmen hinsichtlich der Forschung an Einwilligungsunfähigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Beschränkung auf einen bestimmten Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Eigennutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

160 161

(b) Konsequenzen fehlenden Eigennutzens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Gruppennutzen oder Fremdnutzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Ungleichbehandlung durch Differenzierung zwischen minderjährigen und volljährigen Einwilligungsunfähigen . . . . . . . . . . . (e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Risiko-Nutzen-Abwägung und Begrenzung auf minimale Belastungen und Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

162 162 163 163 163 165 168 169 169

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Inhaltsverzeichnis (4) (5) (6) (7)

Körperliche Unversehrtheit als absolute Grenze der Forschung? . . . Besonderer Schutz kranker Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Straf- und Haftungsvorschriften, Probandenversicherung . . . . . . . . . Anforderungen an das Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Grundrechtsschutz durch Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Votum einer Ethikkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Genehmigung der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Erforderlichkeit von Aufklärung und Dokumentation . . . . . . . . . (8) Verbot der Gewährung von Vorteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Einbeziehung durch antizipierte Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vereinbarkeit einer Einbeziehung durch antizipierte Selbstbestimmung . bb) Erforderliche Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Änderung des Willens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Aktualisierungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Widerrufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Aufklärungs- und Beratungspflicht, Formerfordernisse . . . . . . . . . . (4) Beschränkung auf Volljährige? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Antizipierte Erklärungen bei Humanexperimenten . . . . . . . . . . . . . . cc) Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts durch Schutzmaßnahmen . dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Einbeziehung durch mutmaßlichen Willen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vereinbarkeit einer Einbeziehung durch mutmaßlichen Willen . . . . . . . bb) Mutmaßliche Einwilligung bei Fremdnutzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erforderliche Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Dringlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Nachholung der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zustimmung weiterer Instanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) „Gießener Modell“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) „Heidelberger Verfahren“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Rangfolge der Einbeziehungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gegenläufige Wertungen der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Betroffene Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Berufsfreiheit forschender Ärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Berufsfreiheit von Pharmaunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Eigentumsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

171 172 172 173 173 173 174 174 175 175 176 176 177 177 177 179 180 181 184 184 185 187 188 188 189 191 191 191 191 191 192 193 195 195 195 195 196 197 197 198 199

Inhaltsverzeichnis

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2. Vereinbarkeit der Begrenzung der Einbeziehungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . 200 3. Vereinbarkeit eines Ausschlusses der Einwilligungsunfähigen von fremdnütziger Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 a) Verletzung der Würde durch Ausschluss? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 b) Anspruch anderer auf Forschung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 c) Verstoß gegen Art. 3 GG durch Ausschluss? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 d) Grundrechtsverstoß durch Zulassung lediglich eigennütziger Forschung? . . 204 4. Vereinbarkeit weiterer Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 a) Genehmigungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 b) Zustimmendes Votum einer Ethikkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 c) Zustimmung weiterer Instanzen bei Notfallsituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 d) Strafvorschriften und zivilrechtliche Haftungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . 207 e) Begrenzung auf Niveau von Belastungen und Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 D. Übertragung der Ergebnisse auf die gruppennützige Forschung im Arzneimittelgesetz 209 I. Form der Einbeziehung der Einwilligungsunfähigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 1. Bestehen einer Sozialpflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 a) Die Ansicht von Freiers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 b) Kritische Überprüfung der Theorie von Freiers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 aa) Fehlende Repräsentation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 bb) Freistellung von der Wohlbindung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 c) Grundlegende Unterschiede zu einer Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 2. Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 3. Antizipierte Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 4. Mutmaßliche Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 II. Schutzmaßnahmen betreffend die Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 1. Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 2. Aufklärung und Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 3. Genehmigungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 4. Votum einer Ethikkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 5. Risiko-Nutzen-Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 6. Straf- und Haftungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 7. Verbot der Gewährung von Vorteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 8. Beschränkung auf Eigennutzen bzw. Gruppennutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 III. Vereinbarkeit der Verabreichung von Placebos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

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Inhaltsverzeichnis

E. Exkurs: Weitere verfassungsrechtliche Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 I. Regelung durch Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 II. Regelung durch Berufsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 III. Regelung durch Verweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

Kapitel 5 Europa- und völkerrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

227

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 B. Vereinbarkeit mit Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 I. U.N. Covenant on Civil and Political Rights . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 II. U.N. Convention on the Rights of Persons with Disabilities . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 III. Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 2. Verstoß gegen Art. 3 EMRK? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 3. Verstoß gegen Art. 8 EMRK? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 4. Verstoß gegen Art. 10 EMRK? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 5. Berufsfreiheit und Recht auf Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 6. Diskriminierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 C. Vereinbarkeit mit Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 I. Richtlinie 2001/20/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 II. EU-Grundrechte-Charta und Grundrechte der Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 2. Vereinbarkeit mit der Würde, Art. 1 bis 5 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 3. Vereinbarkeit mit den Freiheiten, Art. 6 bis 19 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 4. Vereinbarkeit mit den Gleichheitssätzen, Art. 20 bis 26 GRC . . . . . . . . . . . . . . 239 5. Vereinbarkeit mit der Solidarität, Art. 27 bis 38 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

Kapitel 6 Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

242

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 B. Tatbestandsmäßigkeit ärztlichen Erprobungshandelns nach dem Strafgesetzbuch . . . . 242 I. Tatbestand der §§ 223 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

Inhaltsverzeichnis

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1. Der Streit um die Tatbestandsmäßigkeit ärztlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . 243 a) Erfolgstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 b) Theorie des kunstgerechten Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 c) Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 d) Tatbestandsmäßigkeit ärztlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 2. Tatbestandsmäßigkeit verschiedener Forschungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . 249 3. Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 a) Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 b) Sozialadäquanz von Heilbehandlung und Beschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . 251 c) Sozialadäquanz von Heilversuch und wissenschaftlichem Experiment . . . . . 252 4. Anwendbarkeit der Qualifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 a) Heilbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 aa) § 224 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 (1) § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 (2) § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 (3) § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 (4) § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 bb) § 226 Abs. 1 StGB sowie § 227 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 cc) Anwendbarkeit bei eigenmächtigen Heilbehandlungen . . . . . . . . . . . . . 255 b) Heilversuch und wissenschaftliches Experiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 II. Tatbestandsmäßigkeit in Bezug auf weitere Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 III. Exkurs: Tatbestandsmäßigkeit bei Verabreichung von Placebos . . . . . . . . . . . . . . 258 1. Körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung durch Placebos . . . . . 258 2. Tun oder Unterlassen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 3. Garantenpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 4. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 C. Rechtfertigung einer tatbestandsmäßigen Handlung nach dem Strafgesetzbuch . . . . . 262 I. Rechtfertigung durch Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 1. Stellvertretende Einwilligung als Rechtfertigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 a) Grundlagen der Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 b) Die Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 aa) Strafrechtliche Relevanz der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 bb) Rechtfertigende Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 c) Rechtfertigende Wirkung der stellvertretenden Einwilligung . . . . . . . . . . . . 267 aa) Konsequenzen der verfassungsrechtlichen Betrachtung . . . . . . . . . . . . . 267 bb) Wahrnehmung des überwiegenden Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 cc) Gewillkürte Stellvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268

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Inhaltsverzeichnis 2. Voraussetzungen der stellvertretenden Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 a) Voraussetzungen der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 bb) Insbesondere: Sittenwidrigkeit von Forschungsmaßnahmen . . . . . . . . . . 270 (1) Sittenwidrigkeit ärztlichen Erprobungshandelns? . . . . . . . . . . . . . . . 270 (2) Bedeutung des § 228 StGB im Verhältnis zur Risiko-Nutzen-Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 b) Stellvertretende Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 aa) Gesetzliche Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 bb) Gewillkürte Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 3. Stellvertretung im höchstpersönlichen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 4. Einschränkungen der Entscheidungsbefugnis im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 277 a) Einschränkungen im Außenverhältnis durch das Innenverhältnis . . . . . . . . . 277 aa) Bindung an das Wohl des Vertretenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 bb) Bindung an Vorgaben des Vertretenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 b) Vetorecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 c) Einhaltung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 aa) Der Gedanke der Prozeduralisierung und Versuch einer Systematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 bb) Konsequenzen der Einhaltung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 cc) Konsequenzen bei Missachtung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 (1) Nichtbeachtung betreuungsrechtlicher Vorschriften . . . . . . . . . . . . . 283 (2) Nichtbeachtung von Schutzmaßnahmen in Bezug auf die Forschung 286 dd) Exkurs: Eigenständige Pönalisierung von Verfahrensverstößen . . . . . . . 287 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 d) Sittenwidrigkeit bei stellvertretender Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 5. Ergebnis zur stellvertretenden Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 II. Rechtfertigung durch antizipierte Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 1. Die antizipierte Einwilligung im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 2. Die antizipierte Einwilligung im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 a) Auswirkungen des § 1901a BGB auf das Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 b) Voraussetzungen einer antizipierten Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 c) Rechtfertigende Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 d) Konsequenzen bei Nichteinhaltung von Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . 294 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 III. Rechtfertigung durch mutmaßliche Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 1. Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 2. Ermittlung des mutmaßlichen Willens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 3. Rechtfertigende Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 4. Konsequenzen bei Nichteinhaltung von Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . 300

Inhaltsverzeichnis

19

IV. Rechtfertigung durch andere Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 2. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 a) Grundgedanke des rechtfertigenden Notstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 b) Rechtfertigung der Forschung durch § 34 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 3. Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 StGB (analog) . . . . . . . . . . . . . . . 307 4. Rechtfertigung durch das Grundrecht der Forschungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . 309 5. Rechtfertigung aufgrund erlaubten Risikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 D. Tatbestandsmäßigkeit und Rechtfertigung innerhalb der Spezialgesetze . . . . . . . . . . . 313 I. Tatbestandsmäßigkeit in den spezial-gesetzlich geregelten Bereichen . . . . . . . . . . 313 1. Tatbestandsmäßigkeit nach dem Arzneimittelgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 2. Tatbestandsmäßigkeit nach dem Medizinproduktegesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 II. Rechtfertigung innerhalb der Spezialgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 1. Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 2. Stellvertretende Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 3. Antizipierte Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 4. Mutmaßliche Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 III. Verhältnis der Strafbarkeit nach Spezialgesetz und Strafgesetzbuch . . . . . . . . . . . 318 1. Auswirkungen bei Strafbarkeit nach dem Spezialgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 2. Auswirkungen bei fehlender Strafbarkeit nach dem Spezialgesetz . . . . . . . . . . 319 IV. Ordnungswidrigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 E. Exkurs: Strafbarkeit anderer Beteiligter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 I. Strafbarkeit von Sponsoren und Vertretern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 II. Strafbarkeit von Mitgliedern von Ethikkommissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322

Kapitel 7 Ausblick: Neue Verordnungen auf europäischer Ebene

326

A. Neuregelungen auf europäischer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 B. Verordnung über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 II. Schutzvorschriften für Probanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 1. Allgemeine Schutzvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 2. Besondere Schutzvorschriften für einwilligungsunfähige Probanden . . . . . . . . 331 a) Nicht einwilligungsfähige Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332

20

Inhaltsverzeichnis b) Minderjährige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 c) Notfallpatienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

C. Verordnung über Medizinprodukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 II. Schutzvorschriften für einwilligungsunfähige Probanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 1. Nicht einwilligungsfähige Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 2. Minderjährige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 III. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339

Kapitel 8 Fazit und Vorschläge

341

A. Zusammenführung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 B. Erwägungen für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 I. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 II. Einbeziehung von Einwilligungsunfähigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 III. Schutzmaßnahmen in Bezug auf die Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 IV. Einzuhaltende Voraussetzungen für eine verfassungskonforme fremdnützige Forschung an Einwilligungsunfähigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 V. Mögliche zulässige Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 1. Katalog von Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 2. Notwendige Anhaltspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 C. Alternativer Gesetzesvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 I. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 2. Gesetzgebungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 II. Forschungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 III. Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 IV. Weitere Anregung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 V. Anpassung der Spezialgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413

Abkürzungsverzeichnis A&R AcP AöR APuZ ArchKrim DMW DtÄrztebl. EthikMed FPR GCP ICH

Arzneimittel und Recht Archiv für die civilistische Praxis Archiv des öffentlichen Rechts Aus Politik und Rechtsgeschichte Archiv für Kriminologie Deutsche Medizinische Wochenschrift Deutsches Ärzteblatt Ethik in der Medizin Familie Partnerschaft Recht Good Clinical Practice International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use KliFoRe Klinische Forschung und Recht KritV Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft MedKlin Medizinische Klinik MPJ Medizinprodukte Journal MPR Zeitschrift für das gesamte Medizinprodukterecht SuP Sozialrecht und Praxis ZeuS Zeitschrift für europarechtliche Studien ZME Zeitschrift für die medizinische Ethik ZSchwStR Zeitschrift für Schweizer Strafrecht Im Übrigen wird verwiesen auf: Kirchner, Hildebert: Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 7. Aufl., Berlin, 2013.

Kapitel 1

Einleitung und Begriffsbestimmungen A. Einführung Die Medizin wird vor immer neue Herausforderungen gestellt, gerade auch durch eine alternde Gesellschaft, in der Krankheiten wie Alzheimer häufiger auftreten. Dies macht medizinischen Fortschritt notwendig, der jedoch nur durch Forschung erreicht werden kann. Neue Medikamente oder Methoden müssen dabei auch im Hinblick auf ihre Wirksamkeit und ihre Nebenwirkungen an Menschen erprobt werden. Wie so oft im Medizinrecht handelt es sich dabei um ein ethisches und ein rechtliches Problem, bei dem sich die Frage stellt, inwieweit die Versuchspersonen geschützt werden müssen und Forschung eingeschränkt oder verboten werden muss. Schließlich ist die Forschung am Menschen ein sensibler Bereich, in dem die Würde der Person berührt werden kann. Andererseits ist aber auch die Freiheit der Forschung im Grundgesetz gewährleistet. Die Schwierigkeiten einer sachgerechten und einem allgemeinen Konsens entsprechenden Regelung verdeutlichen besonders die Diskussionen, die bei nahezu jeder Novelle oder Änderung von ethischen oder rechtlichen Regeln aufflammen. So war es 1997 die sogenannte Bioethik-Konvention, die zu erheblicher Kritik und Auseinandersetzungen führte.1 Auch der Vorschlag für eine Verordnung der Europäischen Union in Bezug auf die Zulässigkeit klinischer Prüfungen von Arzneimitteln sorgte für Diskussionen.2 Während im Normalfall die wichtigste Zulässigkeitsvoraussetzung für die Forschung am Menschen die Einwilligung der Person ist, bereitet die Forschung an Personen, die zu einer Einwilligung nicht fähig sind, größere Probleme. Der „informed consent“, eine Einwilligung nach Aufklärung, kann bei ihnen nicht eingeholt werden, weil sie entweder zu jung sind, an einer Krankheit oder Behinderung leiden oder sich in einem Zustand befinden, der eine Aufklärung und Einwilligung un1 Vgl. nur Bundestags-Plenarprotokoll 13/15, S. 985 ff.; Eser, FAZ 19. 11. 1996, S. 16; Kamp, Bioethik-Konvention; Klinnert, Der Streit um die europäische Bioethik-Konvention; Rössler, EthikMed 1996, 167, 171 f.; Spranger, SuP 2000, 71 ff. 2 Vgl. den Vorschlag der Kommission COM (2012) 369 final sowie der Bericht des ENVI-Ausschusses A7-0208/2013 sowie noch u. S. 326 ff.; vgl. zur Kritik nur BT-Drs. 17/ 12184 (neu); Stellungnahmen medizinischer Ethik-Kommissionen, abrufbar unter http://www. ak-med-ethik-komm.de/documents/StellungnahmeEUVerordnungklinischePruefungen.pdf. Die Verordnung ist verabschiedet und tritt voraussichtlich 2016 in Kraft.

24

Kap. 1: Einleitung und Begriffsbestimmungen

möglich macht. So können etwa Kinder, Demenz-Kranke im fortgeschrittenen Stadium, viele geistig Behinderte oder auch Bewusstlose nicht fähig sein, die für eine wirksame Einwilligung erforderliche Aufklärung zu verstehen oder die entsprechenden Abwägungen zu treffen. Ob diese Personen in die Forschung einbezogen werden dürfen, erscheint daher fraglich. Es stellt sich die Frage, ob und wie die persönliche aktuelle Einwilligung ersetzt werden kann. Als Alternative kommt dabei eine Pflicht zur Teilnahme an Versuchen zugunsten des medizinischen Fortschritts in Betracht, der gerade bei diesen Personengruppen besonders vorangetrieben werden muss. Andererseits könnten aber auch andere Formen der Einwilligung herangezogen werden, wie die Einwilligung eines Vertreters, eine antizipierte oder eine mutmaßliche Einwilligung. Noch mehr Diskussionsbedarf ergibt sich, wenn die Forschung den einwilligungsunfähigen Personen selbst keinen Nutzen verspricht. Diese rein fremdnützige Forschung betrifft insbesondere Fälle, in denen die Versuchsperson von den Erkenntnissen der Forschung nicht mehr profitieren kann, weil sie bei einer möglichen Umsetzung des Forschungserfolgs in der Heilkunde bereits von der Krankheit genesen ist, die Krankheit zu weit fortgeschritten ist oder sie gestorben ist. Es erscheint zunächst fragwürdig, an einwilligungsunfähigen Personen solche Forschungsmaßnahmen durchzuführen. Es ist jedoch auch zu beachten, dass ohne solch fremdnützige Forschung ein Fortschritt für die Heilkunde nur schwer zu erreichen ist. Viele Krankheiten können nur erforscht werden, wenn auch Einwilligungsunfähige einbezogen werden. So können etwa bestimmte Kinderkrankheiten oder auch die Dosierung von Medikamenten nur an jungen Menschen erprobt werden. Um zu erforschen, wie Schlaganfallpatienten behandelt werden, müssen bewusstlose Patienten mit neuen Methoden konfrontiert werden. Auch Alzheimer-Patienten können nicht durch gesunde Erwachsene ersetzt werden, wenn es um die Wirksamkeit eines neuen Medikaments gegen diese Krankheit geht. Deutlich wird hier schon, dass ein Kompromiss zu finden ist, der dafür sorgt, dass Einwilligungsunfähige nicht instrumentalisiert werden, andererseits aber auch nicht zu „Forschungswaisen“3 werden. Dazu darf das Thema aber auch nicht dramatisiert werden. Selbstverständlich sollen Kinder und Behinderte nicht für die wissenschaftliche Forschung geopfert werden. Es könnte jedoch möglich sein, dass beispielsweise eine geringe Menge Blut entnommen wird, auch wenn diese Forschungsmaßnahme dem Kind nicht mehr nutzen kann, weil eine Kinderkrankheit bereits abklingt. Ob und in welchen Grenzen solche Forschung zulässig ist, soll im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden. Dabei müssen, wie so oft im Medizinrecht, alle Rechtsgebiete beachtet werden. Aus dem Verfassungsrecht sollen grundsätzliche Vorgaben entwickelt werden. Das Völker- und Europarecht bietet dafür ebenfalls einige Grundsätze. Das Bürgerliche Recht und das Strafrecht können ebenso wie Spe3

Vgl. Spickhoff, Sommertagung, S. 22.

B. Bestimmung einzelner Begriffe

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zialgesetze die Einzelheiten zu Verfahren, Form und Voraussetzungen der Forschung am Menschen liefern, insbesondere, wie auch Einwilligungsunfähige in die Forschung einbezogen werden können. Es handelt sich also um ein fächerübergreifendes Problem. Nach der Begriffsbestimmung und dem historischen Hintergrund soll die einfach-gesetzliche Ausgangslage dargestellt werden. Im Folgenden sollen sodann im Schwerpunkt die verfassungsrechtlichen und strafrechtlichen Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen untersucht werden. Ziel soll es dabei sein, ein Ergebnis zu erzielen, das allen Belangen gerecht wird: den Interessen des Forschers und der Gemeinschaft an wissenschaftlichem Fortschritt, aber auch in besonderem Maß den Interessen der einwilligungsunfähigen Person an Schutz vor einer Instrumentalisierung.

B. Bestimmung einzelner Begriffe Die Beziehung zwischen Arzt und Patient kann unterschiedlich gestaltet sein, insbesondere kann sie verschiedenen Zwecken dienen. In den meisten Fällen kommt es nach einer Untersuchung zu einer Diagnose mit anschließender Behandlung. Doch gibt es nicht nur Heileingriffe, sondern auch Maßnahmen, die auf die Gewinnung von Erkenntnissen für die Wissenschaft gerichtet sind. Es können neue Behandlungsmethoden, Medikamente und andere Maßnahmen getestet werden, um zu Fortschritten in der Medizin zu gelangen. Diese Forschung kann dazu führen, dass Methoden gefunden werden, die Menschen in die Lage versetzt, bislang nicht heilbare Krankheiten, wie etwa HIVoder die Alzheimer-Krankheit, zu heilen. Daher sind sowohl Heil- als auch Forschungsmaßnahmen enorm wichtig für die Gesellschaft, denn durch dieses ärztliche Handeln können Patienten im Einzelfall geheilt werden bzw. zukünftige Generationen von neuen Heilmethoden profitieren. Nicht nur bei Heileingriffen, auch bei Forschungsmaßnahmen spielen vielerlei Belange eine Rolle: die Interessen des Patienten an seiner Gesundheit, berufliche und Forschungsinteressen des Arztes sowie auch das öffentliche Gesundheitsinteresse.4 Die Zulässigkeit der Eingriffe richtet sich nach diesen Interessen, zwischen denen ein angemessener Ausgleich zu erfolgen hat. Je nach Art ärztlichen Handelns spielen die Belange aber eine unterschiedlich wichtige Rolle. Die Zulässigkeit richtet sich also nach dem Zweck des Handelns. Dabei wird eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen der Heilbehandlung, dem Heilversuch und dem wissenschaftlichen Versuch vorgenommen.5 Diese Dreiteilung muss näher beleuchtet werden. Des Weiteren wird auf die klinische Prüfung von Arzneimitteln näher eingegangen. 4

Hart, MedR 1994, 94. Vgl. Bender, MedR 2005, 511 ff.; Holzhauer, NJW 1992, 2325, 2326; Keller, MedR 1991, 11 ff.; Laufs, in: Laufs/Kern, § 130 Rn. 4 ff.; Michael, Forschung an Minderjährigen, S. 11 ff.; Sprecher, Medizinische Forschung, S. 43 ff.; Wenz, Forschung, S. 5 ff. 5

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Kap. 1: Einleitung und Begriffsbestimmungen

I. Heilbehandlung Eine Heilbehandlung dient der individuellen Heilung des Patienten oder der Linderung seiner Schmerzen. Dabei werden anerkannte Methoden und Mittel eingesetzt.6 Der Arzt bedient sich also Verfahren, die zum ärztlichen Standard gehören. Unter Heilbehandlung fällt nicht nur die unmittelbare Heiltätigkeit, auch diagnostische Maßnahmen sind erfasst, wie die erste ärztliche Untersuchung, die auf Erkennung der Krankheit abzielt.7 Des Weiteren sind auch palliative und präventive Maßnahmen einbezogen.8 Beispiele für Heilbehandlungen sind vielfältig: So sind etwa die Behandlung mit einem zugelassenen Arzneimittel innerhalb der Zulassung und die Anwendung einer anerkannten Operationsmethode als Heilbehandlung anzusehen, sofern sie auf Heilung des Patienten abzielen. Die Zulässigkeit einer Heilbehandlung hat drei Grundvoraussetzungen: Sie muss medizinisch indiziert sein, nach der lege artis ausgeführt werden und durch eine Einwilligung nach erfolgter Aufklärung gerechtfertigt sein.9

II. Heilversuch Der Heilversuch unterscheidet sich von der Heilbehandlung darin, dass eine Abweichung vom ärztlichen Standard vorliegt.10 Der Arzt wendet nicht anerkannte Methoden an. Es handelt sich um eine „Behandlungsmaßnahme mit experimentellem Charakter“.11 Schon die Richtlinien des Reichsministeriums des Innern von 1931 differenzieren zwischen neuartigen Heilbehandlungen und wissenschaftlichen Versuchen.12 Neuartige Heilbehandlungen müssen danach der Heilbehandlung dienen und ihre Folgen sind noch nicht ausreichend zu übersehen. Diese Differenzierung besteht auch heute noch und beschreibt nun den Heilversuch. Zu unterscheiden ist zwischen dem individuellen Heilversuch und dem systematischen Heilversuch.13 Bei einem individuellen Heilversuch wird im Einzelfall eine Behandlung angewendet, die nicht dem Standard entspricht.14 Im Vor6

Biermann, Arzneimittelprüfung, S. 83; Keller, MedR 1991, 11, 13. BGH NJW 1978, 1197. 8 Wenz, Forschung, S. 5. 9 Koch, in: Bubner, S. 224, 227; Laufs, in: Laufs/Kern, § 130 Rn. 35. 10 Bender, MedR 2005, 511, 512; Deutsch, NJW 1979, 570; Eser, in: Eser/von Lutterotti/ Sporken, Sp. 505; Hart, MedR 1994, 94, 99; Sprecher, Medizinische Forschung, S. 43. 11 Laufs, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, XIII Rn. 27. 12 Reichsministerium des Innern, Richtlinien für neuartige Heilbehandlung und für die Vornahme wissenschaftlicher Versuche am Menschen, DMW 1931, 509, Ziffer 2. 13 Die Terminologie ist nicht einheitlich: Biermann, Arzneimittelprüfung, S. 339 ff. unterscheidet den Heilversuch und den „Ultima-ratio-Heilversuch; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1332 ff. verstehen unter Heilversuch nur den individuellen Heilversuch. 14 Vgl. BGH NJW 2006, 2467; BGH JZ 2007, 1104 mit Anmerkung Katzenmeier, JZ 2007, 1108 = BGH MedR 2007, 653; Pschyrembel, S. 865. 7

B. Bestimmung einzelner Begriffe

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dergrund steht die Heilung des Patienten, ein Erkenntnisinteresse kann aber hinzutreten. Es handelt sich um einen medizinischen Versuch, der jedoch zu individuelltherapeutischen Zwecken durchgeführt wird.15 Der individuelle Heilversuch wird wegen dieser Zwecksetzung meist der Therapie und nicht der Forschung zugeordnet.16 Er ist von der Therapiefreiheit des Arztes gedeckt17 und unterliegt folglich grundsätzlich den gleichen Zulässigkeitsvoraussetzungen wie die Heilbehandlung.18 Dennoch sind aufgrund der Unsicherheit bezüglich Wirksamkeit, Risiken und Nebenwirkungen der Behandlung erhöhte Anforderungen zu stellen. Der Eingriff kann nicht als indiziert im Sinne der Schulmedizin gelten.19 Es ist daher eine Vertretbarkeit erforderlich, d. h. der Arzt muss sich im Hinblick auf gewisse Anhaltspunkte oder Erfahrungen und nach einer Abwägung Hoffnung auf eine Heilung durch das neue Verfahren machen können.20 Es muss ein besonders sorgfältiger Vergleich von dem zu erwartenden Nutzen und den zu vermutenden Nachteilen erfolgen.21 Dabei gilt: Je aussichtsloser die Lage des mit der Standardbehandlung versorgten Patienten ist, desto eher darf ein Heilversuch auch mit geringer Chance vorgenommen werden.22 Darüber hinaus muss der Patient auch darüber aufgeklärt werden, dass es sich um einen Versuch handelt, dessen Folgen nicht abgesehen werden können.23 Als Beispiel für individuelle Heilversuche ist insbesondere der Off-label-Use zu erwähnen. Darunter ist der Einsatz von zugelassenen Arzneimitteln im Einzelfall für nach dem Arzneimittelgesetz nicht zugelassene Indikationen zu verstehen.24 Der Patient nimmt also Arzneimittel ein, die zwar nach dem Arzneimittelgesetz zugelassen sind, aber nicht zur Behandlung seiner Krankheit. Auch der Compassionate Use ist dem individuellen Heilversuch zuzuordnen: Dabei werden nicht zugelassene Arzneimitteln, die aber zulassungspflichtig sind, im Einzelfall bei Patienten in lebensbedrohlichen Situationen oder bei schwerwiegenden, nicht anders therapierbaren Krankheiten verabreicht.25

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BGH MedR 2007, 653, 657. Hirsch, in: Kleinsorge/Hirsch/Weißauer, S. 13, 14; Sprecher, Medizinische Forschung, S. 43 mit Abbildung, S. 44; Trockel, NJW 1979, 2329, 2331; Wachenhausen, Medizinische Versuche, S. 39; Wenz, Forschung, S. 7. 17 Hart, MedR 2007, 631. 18 Laufs, in: Laufs/Kern, § 130 Rn. 25. 19 Laufs, in: Laufs/Kern, § 130 Rn. 25; ders., VersR 1978, 385, 389; vgl. auch Fischer, Medizinische Versuche, S. 43. 20 Laufs, in: Laufs/Kern, § 130 Rn. 25. 21 BGH NJW 2007, 2767, 2768. 22 Laufs, in: Laufs/Kern, § 130 Rn. 25; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, XIII Rn. 30. 23 BGH NJW 2006, 2767, 2768. 24 Sander, § 40, S. 22; Schwarz, in: Schwarz, S. 135. 25 Franken, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 12 Rn. 10; vgl. Rehmann/Paal, A&R 2009, 195, 196; Schwarz, in: Schwarz, S. 127 ff., vgl. auch EMEA/27170/2006 sowie § 21 Abs. 2 Nr. 6 AMG. 16

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Kap. 1: Einleitung und Begriffsbestimmungen

Ein systematischer Heilversuch bzw. eine therapeutische Forschung liegt hingegen vor, wenn der Versuch an mehreren Patienten vorgenommen wird und eine systematische Vorgehensweise etwa bezüglich Datenerfassung und Dosisfindung gegeben ist.26 Im Unterschied zum individuellen Heilversuch spielt der Erkenntnisgewinn eine größere Rolle und es geht nicht nur um die Heilung des Patienten. Daher wird der systematische Heilversuch der medizinischen Forschung zugeordnet.27 Der systematische Heilversuch vereinigt Elemente der Heilbehandlung und der Forschung, indem der Versuch auf die Heilung des Patienten und auf die Gewinnung von wissenschaftlichen Erkenntnissen gerichtet ist.28 Bei der Absicht des Arztes dominiert daher die therapeutische Zielsetzung, objektiv betrachtet handelt es sich aber um ein Experiment wegen der Anwendung noch nicht gesicherter Verfahren.29 Eine Abgrenzung zum Compassionate use und damit zum individuellen Heilversuch kann auch Schwierigkeiten bereiten, etwa bei der Verabreichung eines noch nicht zugelassenen Medikaments bei einer Vielzahl von Patienten.30 Jedenfalls bei einer standardisierten Auswahl der Patienten sowie einer systematischen Erfassung und Auswertung der Ergebnisse ist kein individueller Heilversuch mehr anzunehmen.31 Diese Abgrenzung spielt auch eine wichtige Rolle für die Anwendbarkeit des Arzneimittelgesetzes. Nach § 41 AMG gelten besondere Voraussetzungen für die klinische Prüfung bei Personen, die an einer Krankheit leiden, zu deren Behandlung das zu prüfende Arzneimittel angewendet werden soll. Ob diese Voraussetzungen einzuhalten sind, hängt von dem vorrangigen Zweck der Behandlung, der Menge der Patienten und der Vorgehensweise ab. Beim Off-label-use und Compassionate use geht es primär um die Heilung und eine systematische Vorgehensweise fehlt, so dass noch ein individueller Heilversuch vorliegt.32 Der systematische Heilversuch ist auch vom Humanexperiment zu unterscheiden. Dies erfolgt mittels der Absicht des Arztes.33 Während beim Heilversuch auch eine 26

Graf von Kielmansegg, PharmR 2008, 517, 519. Sprecher, Medizinische Forschung, S. 43. 28 Helmchen/Lauter, Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen?, S. 2. 29 Eser, in: Kruse/Kumpf, S. 173, 182; ders., in: Eser/Fletcher, S. 1443, 1455; Eser/ Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 223 Rn. 50a. 30 Vgl. das Beispiel bei Bender, MedR 2005, 511, 515, die ab zehn Personen von einem systematischen Heilversuch ausgeht, der vom AMG erfasst ist. Dagegen Kratz, VersR 2007, 1448, 1453: Aus der Eilbedürftigkeit geborene Therapienansätze bleiben auch bei einer Vielzahl von Patienten Heilversuche, ähnlich: Rehmann, AMG, Vor § 40 Rn. 3: Auf die Zahl der Patienten dürfe es nicht ankommen, sondern auf den Zweck der Maßnahme. Zur Problematik der Anwendung des Arzneimittelgesetzes bei Heilversuchen, s. auch Deutsch, VersR 2005, 1009 ff; von Freier, Humanforschung, S. 97 ff.; Taupitz/Brewe/Schelling, in: Taupitz, S. 409, 417 f., gehen schon ab drei Versuchen davon aus, dass es einer besonderen Begründung bedarf, dass es sich noch um einen Einzelfall handelt. 31 Insoweit übereinstimmend: Bender, MedR 2005, 511, 515; Rehmann, AMG, Vor § 40 Rn. 3. 32 Sprecher, Medizinische Forschung, S. 65. 33 Hirsch, in: Kleinsorge/Hirsch/Weißauer, S. 13. 27

B. Bestimmung einzelner Begriffe

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therapeutische Absicht vorliegt, ist das Humanexperiment auf den Erkenntnisgewinn ausgerichtet.34 „Therapeutisch“ bedeutet, dass der Versuch geeignet und bestimmt ist, die Gesundheit des einzelnen Patienten unmittelbar zu fördern.35 Daher werden Humanexperimente auch als nicht-therapeutische, wissenschaftliche oder klinische Forschung bezeichnet.36

III. Wissenschaftliche Forschung Im Gegensatz zum Heilversuch, bei dem ein potentieller aktueller Nutzen für den Probanden vorliegt, geht es bei nicht-therapeutischer Forschung um eine generell therapeutische Zwecksetzung, die auf den zukünftigen Nutzen für die Allgemeinheit gerichtet ist.37 Diese Forschung hat ausschließlich oder vorrangig den Erkenntnisgewinn als Ziel,38 so etwa in der Weltraummedizin bei Fliehkraftversuchen mit Zentrifugen mittels derer die maximalen Belastungsgrenzen des menschlichen Körpers getestet werden.39 Wissenschaftliche Forschung ist im Grundsatz zulässig, wenn sie zunächst sachlich gerechtfertigt ist, d. h. wissenschaftlich vertretbar, mit einer den wissenschaftlichen Anforderungen genügenden Dokumentation durchgeführt wird und die Bedeutung der Forschung den Eingriff nach einer Abwägung

34 Eser, in: Eser/von Lutterotti/Sporken, Sp. 504; Eser, in: Schönke/Schröder, § 223 Rn. 50a; Hart, in: Rieger, Lexikon des Arztrechts, 2880, Rn. 6 definiert das Humanexperiment als Versuch am Menschen mit Medizinbezug, aber ohne Therapiebezug; Helmchen/Lauter, Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen?, S. 2; Hirsch, in: Kleinsorge/Hirsch/Weißauer, S. 13, 14; Rosenau, in: Deutsch/Taupitz, S. 63, 70; Sander, § 41, S. 8; s. auch Grahlmann, Heilbehandlung und Heilversuch, S. 25, der den Unterschied in dem „therapeutischen Zusatzzweck“ sieht. 35 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1295. 36 Die Bezeichnung Humanexperiment verwenden Eser, in: Schönke/Schröder, § 223 Rn. 50a; Hart, MedR 1994, 94; Keller, MedR 1991, 11, 13; Peter, Forschung am Menschen, S. 19; Rosenau, in: Deutsch/Taupitz, S. 63, 70; den Terminus nicht-therapeutische Forschung: Helmchen/Lauter, Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen?, S. 2; Sprecher, Medizinische Forschung, S. 47 f.; für die Bezeichnung als wissenschaftlicher Versuch bzw. Experiment: Deutsch, JZ 1980, 289; Helle/Frölich/Haindl, NJW 2002, 857 ff.; Grahlmann, Heilbehandlung und Heilversuch, S. 25; Laufs, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, XIII Rn. 44 ff.; ders.,VersR 1978, 385; dagegen verwendet den Ausdruck klinisches Experiment: Laufs, in: Laufs/Kern, § 130 Rn. 7. 37 Grahlmann, Heilbehandlung und Heilversuch, S. 25; Keller, MedR 1991, 11, 13; Schimikowski, Experimente am Menschen, 8; vgl. Deutsch, Medizin und Forschung vor Gericht, S. 38. 38 BGH NJW 1956, 629; Helle/Frölich/Haindl, NJW 2002, 857 f.; Helmchen/Lauter, Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen?, S. 2; Rosenau, in: Deutsch/Taupitz, S. 63, 70; so auch: Reichsministerium des Innern, Richtlinien für neuartige Heilbehandlung und für die Vornahme wissenschaftlicher Versuche am Menschen, DMW 1931, 509, Ziffer 3. 39 Hart, MedR 1994, 94, 100.

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Kap. 1: Einleitung und Begriffsbestimmungen

rechtfertigt.40 Darüber hinaus muss sie de lege artis durchgeführt werden, also wissenschaftliche Standards einhalten und ärztlich verantwortlich in Bezug auf die Gesundheit des Probanden erfolgen.41 Wiederum ist auch eine Einwilligung nach entsprechender Aufklärung erforderlich.42 Die Abgrenzung zum Heilversuch findet anhand der Absicht statt, wem der Versuch einen Nutzen bringen soll. Ein Nutzen kann in der Heilung, Besserung oder in der Verhinderung des Eintretens eines krankhaften Zustandes bestehen.43 Bei der wissenschaftlichen Forschung liegt kein potentieller aktueller Nutzen für den Probanden vor. Vielmehr besteht ein mittelbarer Nutzen für die Person, ein potentieller Nutzen für andere Personengruppen oder für die Allgemeinheit bzw. eine Kumulation dieser Elemente.44 1. Potentieller mittelbarer Eigennutzen Die Forschung, die auf den Erkenntnisgewinn ausgerichtet ist, kann dem Betroffenen im weiteren Verlauf seiner Krankheit oder bei einem späteren Wiederauftreten nützen, wenn die gewonnenen Erkenntnisse zu einem Fortschritt der Heilkunde in diesem Bereich geführt haben. Es handelt sich dann um einen potentiellen mittelbaren Nutzen für die Person,45 mithin nicht um einen Fremdnutzen.46 Ein potentieller mittelbarer Nutzen kommt insbesondere bei Versuchspersonen innerhalb der Kontrollgruppe bei einer kontrollierten Studie in Betracht.47 2. Potentieller direkter Gruppennutzen Es ist möglich, dass das Forschungsvorhaben einer bestimmten Personengruppe zugute kommt, der auch der Patient angehört. So ist nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 bei volljährigen einwilligungsfähigen Personen sowie gemäß § 41 Abs. 2 Nr. 2 lit. a AMG die Forschung an Minderjährigen bei sogenanntem Gruppennutzen zulässig, 40 Laufs, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, XIII Rn. 48.; Taupitz, in: Deutsch/Schreiber, S. 139, 145 f. sowie Taupitz/Brewe/Schelling, in: Taupitz, S. 409, 418 unterscheidet die Zulässigkeitsvoraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen, in objektive Schutzkriterien (NutzenRisiko-Abwägung und Qualifikation des Prüfleiters), das individuelle Selbstbestimmungsrecht (Einwilligung nach Aufklärung) und verfahrensförmige Sicherungen (Pflicht zur Vorlage bei der Behörde und zustimmendes Votum der Ethikkommission). 41 Laufs, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, XIII Rn. 51. 42 Laufs, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, XIII Rn. 44. 43 Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission zu Minderjährigen, Ziffer 2.3. 44 Zu dieser Dreiteilung in Eigen- Gruppen- und Fremdnutzen s. auch Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission zu Minderjährigen, Ziffer 2.3. 45 Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 13; ZEKO, DtÄrzteBl. 1997, A-1011; vgl. auch § 3 Abs. 3 der Marburger Richtlinien, abgedruckt bei Freund/Heubel, MedR 1997, 347, 349; Freund, in: MüKo-StGB, §§ 40 – 42b AMG, Rn. 17 ff. 46 Vgl. dazu auch Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 13 f. 47 s. noch zu kontrollierten Versuchen sogleich S. 32 f.; Freund, in: MüKo-StGB, §§ 40 – 42b AMG, Rn. 19; Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 14; ZEKO, DtÄrzteBl. 1997, A-1011.

B. Bestimmung einzelner Begriffe

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wenn die klinische Prüfung „für die Gruppe der Patienten, die an der gleichen Krankheit leiden wie diese Person, mit einem direkten Nutzen verbunden“ ist.48 Ähnlich setzt Art. 17 der Bioethik-Konvention als Voraussetzung fest, die Forschung müsse „zu Ergebnissen beitragen, die der betroffenen Person selbst oder anderen Personen nützen können, welche derselben Altersgruppe angehören oder an derselben Krankheit oder Störung leiden oder sich in demselben Zustand befinden.“ Auch Art. 4 lit. e der Richtlinie 2001/20/EG hat als eine Voraussetzung, dass „die klinische Prüfung für die Patientengruppe mit einem direkten Nutzen verbunden ist.“ Dieser Gruppennutzen spielt insbesondere bei Minderjährigen eine Rolle. Ein potentieller Eigennutzen ist häufig nicht zu erwarten, da bei Abschluss der Forschungsarbeit die Kinder oder Jugendlichen bereits aus der Altersgruppe herausgewachsen sind. Daher ist oft nur ein Nutzen für die Personen, die im gleichen Alter sind wie der Proband, zu erwarten.49 Auch bei Krankheiten, bei denen nach einer Infektion Immunität eintritt, können relevant sein, denn von einem Impfstoff oder einer Behandlung können Personen, die gegen diese Krankheit immun sind, nicht mehr profitieren. Der Gruppennutzen stellt eine Form des Fremdnutzens dar,50 denn auch die Mitglieder der Gruppe sind im Verhältnis zur Versuchsperson fremd. In den oben genannten Regelungen führt er zu einer Ausnahme von dem grundsätzlichen Verbot der fremdnützigen Forschung bei Einwilligungsunfähigen. 3. Rein fremdnützige Forschung Darüber hinaus gibt es Forschungsvorhaben, die weder dem Patienten selbst noch der Personengruppe, der er angehört, nützen, sogenannte rein fremdnützige Forschung. Ihr Nutzen bezieht sich auf zukünftige Patienten und die Allgemeinheit. Durch fremdnützige Forschung können Krankheiten zukünftiger Generationen geheilt werden, so etwa bei der Grundlagenforschung.51 Auch die Phase I der Arzneimittelprüfung52 ist eine rein fremdnützige Forschung,53 denn sie nützt weder den Probanden noch der Gruppe, der dieser angehört.

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Zur Kritik an dieser Definition: Hoffmann, in: Boos/Merkel, S. 1, 8; Irmer, Klinische Forschung, S. 95. 49 Vgl. Irmer, Klinische Forschung, S. 15 mit dem Beispiel der Blutabnahme bei gesunden Neugeborenen zwecks Dosisermittlung für eine Sauerstoffbehandlung bei Frühgeborenen. 50 Graf von Kielmannsegg, PharmR 2008, 517, 518, vgl. auch Mieth, in: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung, Prot. 15/50, abrufbar unter http://webarchiv.bundestag. de/archive/2005/0825/parlament/gremien15/a13/a13a_anhoerungen/50_Sitzung/t-Protokoll. pdf, S. 27. 51 Irmer, Klinische Forschung, S. 15. 52 Dazu noch sogleich. 53 Hart, MedR 1994, 95.

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Kap. 1: Einleitung und Begriffsbestimmungen

4. Methoden der wissenschaftlichen Forschung Damit die Absicht, wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen, Erfolg hat, werden bestimmte Methoden und Vorgehensweisen bei der wissenschaftlichen Forschung angewendet. Diese sollen gewährleisten, dass die Ergebnisse der Forschung verallgemeinerungsfähig sind und so zu Schlüssen führen, die einen wissenschaftlichen Fortschritt zulassen. Besonders bedeutsam ist der kontrollierte Versuch. Dabei handelt es sich um „jede bewusste diagnostische oder therapeutische Maßnahme, die im Hinblick auf ein bestimmtes Resultat unternommen und auf dieses Ergebnis hin überwacht wird.“54 Dabei werden die Probanden meist in zwei Gruppen eingeteilt: eine Vergleichs-, Verum- oder Interventionsgruppe und eine Kontrollgruppe.55 Die erste Gruppe wird mit der zu überprüfenden, neuen Behandlungsmethode versorgt, die Kontrollgruppe erhält die Standardbehandlung, keine Behandlung oder ein Placebo.56 Ein Placebo ist ein Scheinmedikament ohne Wirkstoff.57 Es ist in Farbe, Gewicht, Geschmack und Geruch mit dem zu prüfenden Arzneimittel soweit möglich identisch, aber objektiv unwirksam.58 Die Verabreichung eines Placebos wird allgemein nur für ethisch vertretbar und zulässig gehalten, wenn keine wirksame Standardtherapie zur Verfügung steht.59 Es besteht aber auch die Möglichkeit des Add-on-Verfahrens, bei dem der Standardbehandlung ein Placebo zugefügt wird.60 Die Zuteilung zu den Gruppen erfolgt in der Regel durch Randomisation, also durch Zufall.61 Dadurch wird eine bewusste oder unbewusste Beeinflussung der Ergebnisse vermieden.62 Eine Verzerrung kann zusätzlich durch Verblindung verhindert werden. Nach § 3 Abs. 10 GCP-V ist Verblindung das bewusste Vorenthalten der Information über die Identität eines Prüfpräparates in Übereinstimmung mit den Angaben des Prüfplanes. Bei einem offenen Versuch wissen sowohl die Probanden als auch Prüfer und Sponsoren, welcher Gruppe der jeweilige Proband zugeordnet 54

Deutsch, JZ 1980, 289, 290. Mit unterschiedlicher Terminologie: Biermann, Arzneimittelprüfung, S. 72; Hoffmann, in: Boos/Merkel, S. 1, 3; Laufs, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, XIII Rn. 61; Peter, Forschung am Menschen, S. 20. 56 Deutsch, NJW 1979, 570, 571; ders./Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 923; Hoffmann, in: Boos/Merkel, S. 1, 3; Laufs, VersR 1978, 385, 387; Sprecher, Medizinische Forschung, S. 55; vgl. auch Schwarz, in: Schwarz, S. 635 ff. 57 s. auch Schwarz, in: Schwarz, S. 637 ff.: von lat. placere: ich werde gefallen. 58 Kloesel/Cyran, § 40, Blatt 69 g1 f. 59 Deutsch, JZ 1980, 289, 291; Hoffmann, in: Boos/Merkel, S. 1, 9; zu weiteren Ausnahmefällen s. noch u. S. 69. 60 Baierl/Kellermann, B., Rn. 24; Deutsch, in: Deutsch/Lippert, § 41 AMG Rn. 5; Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission zu Minderjährigen, Ziffer 2.3. 61 Deutsch, NJW 1979, 570, 571; Hoffmann, in: Boos/Merkel, S. 1, 3; Laufs, in: Laufs/Kern, § 130 Rn. 32; Sander, § 40, S. 31. 62 Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 96; Koch/Schwarz, in: Schwarz, S. 608; Peter, Forschung am Menschen, S. 21. 55

B. Bestimmung einzelner Begriffe

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ist.63 Durch Verblindung wird das Wissen von Beteiligten über die Zuteilung ausgeschlossen. Bei einem einfachen Blindversuch ist dem Probanden unbekannt, welcher Gruppe er angehört.64 Kennt auch der prüfende Arzt die Zuteilung nicht, so spricht man von einem Doppelblindversuch.65 Ein dreifachblinder Versuch liegt vor, wenn zusätzlich auch die externen Beurteiler nicht die Zuteilung zu den Gruppen erfahren.66 Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass Probanden zu bestimmten Zeitpunkten die Gruppen wechseln, sogenanntes Cross-over-Verfahren.67 Oft werden die Studien multizentrisch, d. h. an mehreren Zentren, durchgeführt, die die gewonnenen Befunde als einen Datensatz behandeln.68

IV. Kritik an der Einteilung in therapeutische und nicht-therapeutische Forschung Gegen die Einteilung der Forschung in solche, die „therapeutisch“ und solche, die „nicht-therapeutisch“ ist, wird vorgetragen, die Termini seien wertbeladen, da man Konnotationen wie „Sicherheit“ mit „therapeutisch“ und „Unsicherheit“ mit „nicht-therapeutisch“ in Verbindung bringt und der Begriff „therapeutisch“ einen Heilerfolg des Versuchs voraussetze.69 Dem ist jedoch zu widersprechen: Die Bezeichnung „therapeutisch“ bzw. „nicht-therapeutisch“ beschreibt nur die Absicht, mit der der Versuch vorgenommen wird und nimmt daher den Erfolg des Versuchs nicht vorweg.70 Auch die Konnotationen sind nicht nachvollziehbar, denn „therapeutisch“ beschreibt die Nützlichkeit, nicht die Sicherheit. Kritiker bemängeln auch, dass die Risikoseite bei dieser Terminologie nicht ausreichend berücksichtigt werde: Durch eine Einordnung als therapeutische Forschung bestehe die Gefahr einer Manipulation des Patienten.71 Durch diese Aus63

Koch/Schwarz, in: Schwarz, S. 610; Sprecher, Medizinische Forschung, S. 56. Deutsch, NJW 1979, 570, 571; ders., JZ 1980, 289, 290; Hoffmann, in: Boos/Merkel, S. 1, 3; Peter, Forschung am Menschen, S. 21; Rehmann, AMG, vor § 40 Rn. 4; Sander, § 40, S. 31; Sprecher, Medizinische Forschung, S. 56. 65 Deutsch, NJW 1979, 570, 571; ders., JZ 1980, 289, 290; Hoffmann, in: Boos/Merkel, S. 1, 3; Kloesel/Cyran, Blatt 69 g1; Peter, Forschung am Menschen, S. 22; Rehmann, AMG, vor § 40 Rn. 4. 66 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1296; Hoffmann, in: Boos/Merkel, S. 1, 3; Kloesel/Cyran, Blatt 69 g1. 67 Baierl/Kellermann, B., Rn. 24; Deutsch, NJW 1979, 570, 571; ders., JZ 1980, 289, 290; Peter, Forschung am Menschen, S. 22; Sander, § 40, S. 31. 68 Biermann, Arzneimittelprüfung, S. 56 nennt sie auch „Multi-Center-Studien“; Laufs, in: Laufs/Kern, § 130 Rn. 42. Befinden sich die Zentren in verschiedenen Staaten, so spricht man auch von einer multinationalen Studie. 69 Maio, DtÄrteBl. 2000, 97, A-3242; Michael, Forschung an Minderjährigen, S. 15 f. 70 Gegen den Vorwurf der Widersprüchlichkeit vgl. auch von Freier, Humanforschung, S. 58 ff. 71 Vollmann, EthikMed 12 (2000), 65, 71; ebenso Helmchen, in: Taupitz, S. 83, 90. 64

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Kap. 1: Einleitung und Begriffsbestimmungen

drücke werden Patienten jedoch nicht in unzulässiger Weise in ihrer Entscheidung zur Teilnahme an der Studie beeinflusst, denn es erfolgt in jedem Fall eine ausführliche Aufklärung, auch über die Risiken. Die Zuordnung zur therapeutischen Forschung lässt die Notwendigkeit einer Aufklärung nicht entfallen. Somit dürften mögliche Konnotationen keine manipulative Wirkung auf mögliche Teilnehmer haben.72 Es ist jedoch zuzugeben, dass die Abgrenzung zwischen den Versuchsarten fließend sein kann. Es ist nicht immer genau bestimmbar, wem das Forschungsvorhaben einen Nutzen bringen soll und kann. Insbesondere bei der Forschung an kranken Minderjährigen kann eine Forschung ihnen selbst einen Nutzen bringen oder aber nur der Gruppe der Minderjährigen. Dennoch ist an der grundlegenden Unterscheidung festzuhalten, denn das Kriterium des Nutzens ist geeignet, die Arten ärztlichen Handelns so einzuteilen, dass eine sinnvolle Abstufung der Zulässigkeitsvoraussetzungen erfolgt. Denn „je ferner das Studienziel von Heilkunstzwecken liegt, desto sorgfältiger muss die Abwägung von allgemeinen Nutzen und Risiken für die Versuchsperson erfolgen.“73

V. Die klinische Prüfung von Arzneimitteln Eine besonders bedeutsame Form der wissenschaftlichen Forschung stellt die klinische Prüfung von Arzneimitteln dar. Vor Zulassung eines Arzneimittels muss seine Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nachgewiesen werden.74 Dazu erfolgt eine klinische Prüfung nach §§ 40 ff. AMG. Eine Verpflichtung zur Durchführung der klinischen Prüfung ergibt sich darüber hinaus auch aus der zivilrechtlichen Verkehrssicherungspflicht der pharmazeutischen Unternehmer.75 Bei den Teilnehmern unterscheidet man in der Regel Probanden, also gesunde Studienteilnehmer und Patienten.76 Letztere sind einschlägig kranke Studienteilnehmer; sie leiden an der Krankheit, die erforscht werden soll.77 Der Begriff der klinischen Prüfung ist in § 4 Abs. 23 Satz 1 AMG definiert: „Klinische Prüfung bei Menschen ist jede am Menschen durchgeführte Untersuchung, die dazu bestimmt ist, klinische oder pharmakologische Wirkungen von Arzneimitteln zu erforschen oder nachzuweisen oder Nebenwirkungen festzustellen oder die Resorption, die Verteilung, den Stoff72

Ähnlich auch: von Freier, Humanforschung, S. 63. Hart, MedR 1994, 94, 104. 74 Vgl. § 22 Abs. 2Nr. 3 AMG. 75 Kloesel/Cyran, § 40, Blatt 69 j. 76 Franken, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 12 Rn. 41; anders aber Sander, § 40, S. 32 f. 77 Vgl. auch die Definition in § 2 Abs. 3 Nr. 24a StrlSchV: Danach ist ein gesunder Proband eine „Person, an der zum Zweck der medizinischen Forschung ein radioaktiver Stoff oder ionisierende Strahlung angewendet wird und bei der in Bezug auf ein Forschungsvorhaben, das nach § 23 genehmigungsbedürftig ist, keine Krankheit, deren Erforschung Gegenstand des Vorhabens ist, oder kein entsprechender Krankheitsverdacht vorliegt“. 73

B. Bestimmung einzelner Begriffe

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wechsel oder die Ausscheidung zu untersuchen, mit dem Ziel, sich von der Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit der Arzneimittel zu überzeugen.“78 Klinische Prüfungen laufen – auch international79 – in vier Phasen ab.80 In Phase I wird die Substanz erstmals an gesunden freiwilligen Probanden getestet.81 Es handelt sich um in der Regel weniger als 100 Versuchspersonen,82 wobei in bestimmten Fällen auch ausgewählte kranke Patienten teilnehmen.83 Dabei geht es in erster Linie um die Überprüfung der Unbedenklichkeit und Verträglichkeit des Prüfpräparats.84 Phase I ist bei Anwendung an gesunden Probanden ein Humanexperiment.85 In Phase II findet eine Verabreichung an Patienten in ausgesuchten Kliniken statt.86 In dieser Phase soll die Wirksamkeit des Mittels und seine Überlegenheit im Verhältnis zur Standardtherapie nachgewiesen werden.87 Die Phase II kann nochmals untergliedert werden in Phase IIa, bei der eine Pilotstudie stattfindet, eine Kurzanwendung bei weniger als 100 Patienten, und Phase IIb, bei der mit vergleichenden Prüfungen insbesondere zur Dosisfindung bei mehreren hundert Patienten begonnen wird.88 Führen die bis hierhin gewonnenen Ergebnisse zu einer positiven Entscheidung über die Fortsetzung der klinischen Prüfung, so beginnt Phase III. Diese Phase umfasst eine Studie, die bis zu mehreren tausend Patienten umfassen kann.89 Es handelt sich um in der Regel kontrollierte, randomisierte und doppelblinde Studien,90 die Indikationen, Kontraindikationen, Art, Dauer und Häufigkeit von Nebenwirkungen, Dosis-Wirkungsbeziehungen sowie die Unbedenklichkeit und Überlegenheit oder Vergleichbarkeit zur Standardtherapie belegen soll.91 Nach erfolgreichem Abschluss dieser dritten Phase kann das Arzneimittel zugelassen werden.92 78

Kritisch zu der Definition: Saame, PharmR 2004, 309, 310. Vgl. die ICH Topic E 8 General Considerations for Clinical Trials: CPMP/ICH/291/95. 80 Vgl. Biermann, Arzneimittelprüfung, S. 53 ff.; vgl. auch die ausführliche Darstellung in Form einer Abbildung bei Demol/Weihrauch, MedKlin 92 (1997), 117, 118; die Synopse bei Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 104; Sander, § 40, S. 27 f.; sowie die Tabelle bei Schwarz, in: Schwarz, S. 105; Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 40 Rn. 22. 81 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1693; Laufs, in: Laufs/Kern, § 130 Rn. 39; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, XIII Rn. 67. 82 Demol/Weihrauch, MedKlin 92 (1997), 117, 118; Pschyrembel, S. 181. 83 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn wegen zu erwartender Risiken ein Versuch nur an Patienten ethisch vertretbar ist, bei denen eine günstige Wirkung der Substanz auf ihre Krankheit zu erwarten ist: Schwarz, in: Schwarz, S. 104. 84 Biermann, Arzneimittelprüfung, S. 54; Laufs, in: Laufs/Kern, § 130 Rn. 39; Schwarz, in: Schwarz, S. 104. 85 Hart, MedR 1994, 95. 86 Laufs, in: Laufs/Kern, § 130 Rn. 40; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, XIII Rn. 67. 87 Pschrembel, S. 179. 88 Demol/Weihrauch, MedKlin 92 (1997), 117, 118; Schwarz, in: Schwarz, S. 104. 89 Demol/Weihrauch, MedKlin 92 (1997), 117, 118; Franken, in: Fuhrmann/Klein/ Fleischfresser, § 12 Rn. 36; Pschyrembel, S. 181. 90 Schwarz, in: Schwarz, S. 105. 91 Demol/Weihrauch, MedKlin 92 (1997), 117, 118. 79

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Kap. 1: Einleitung und Begriffsbestimmungen

Die Phasen II und III sind dem Heilversuch zuzuordnen, da es sich um Versuche handelt, die einen potentiellen Eigennutzen umfassen.93 Nach der Zulassung des Arzneimittels folgt Phase IV, in der die Wirkungen des Präparats weiter beobachtet werden,94 um etwa seltene Nebenwirkungen zu erkennen und Wirksamkeit und Verträglichkeit weiter aufzuklären.95 Bei Phase IV handelt es sich um klinische Prüfungen an einer großen Anzahl von Patienten mit einer systematischen Kombination von Behandlung und Forschung.96 Davon abzugrenzen sind Anwendungsbeobachtungen, bei denen der Arzt keine studienspezifischen Vorgaben erhält, sondern allein die therapeutische Notwendigkeit maßgeblich ist.97 Anders als bei Studien der Phase IV handelt es sich also um eine nicht-interventionelle Prüfung i.S.v. § 4 Abs. 23 Satz 3 AMG.98

C. Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit I. Vorbemerkungen Die Legitimation einer ärztlichen Heilbehandlung oder einer Forschungsmaßnahme erfolgt meist durch Einwilligung. Sie ist Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts, das in Deutschland aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 GG im Lichte des Art. 2 Abs. 2 GG hergeleitet wird.99 Der Patient bzw. Proband entscheidet selbst über Eingriffe in seinen Körper. Dadurch wird das Autonomieprinzip verwirklicht. Volenti non fit iniura: Wer einen anderen an seinen Rechtsgütern verletzt, handelt bei Zustimmung des Verletzten im Grundsatz nicht rechtswidrig. Die Rechtsordnung berücksichtigt damit in Grenzen die individuelle Entscheidung des Rechtsgutsträgers. Allerdings wird diese Entscheidung nur anerkannt, wenn die Person einwilligungsfähig ist.100

92

Pschyrembel, S. 181. Hart, MedR 1994, 95. 94 „Drugmonitoring“: Pschyrembel, S. 181. 95 Demol/Weihrauch, MedKlin 92 (1997), 117, 118; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1696; Laufs, in: Laufs/Kern, § 130 Rn. 41; ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, XIII Rn. 67. 96 Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 40 Rn. 22; anders aber Hart, MedR 1994, 95, der innerhalb der Phase IV klinische Prüfungen und reine Anwendungsbeobachtungen, die Heilbehandlungen darstellen, unterscheidet; zu dieser Problematik s. auch Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1339. 97 Krüger, KliFoRe 2006, 15, 16; Sander, § 40, S. 24. Daher ist auch keine Genehmigung, sondern lediglich eine Anzeige nach § 67 Abs. 6 AMG erforderlich. 98 Franken, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 12 Rn. 6; Leitsch, KliFoRe 2006, 110, 112; Sander, § 40, S. 25. 99 Tolmein, KritV 81 (1998), 52, 61; vgl. Krey/Heinrich, BT 1, Rn. 223. 100 Vgl. dazu sogleich. 93

C. Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit

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II. Die Voraussetzungen der Einwilligungsfähigkeit 1. Vorüberlegungen Das Erfordernis der Einwilligungsfähigkeit stellt eine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts dar, denn Personen, die als einwilligungsunfähig qualifiziert werden, können nicht selbst über ihren Körper bestimmen.101 Dies kann jedoch gerechtfertigt werden. Der Staat hat grundrechtliche Schutzpflichten und auch aus dem Sozialstaatsprinzip folgt eine Pflicht des Staates, seine Bürger vor Verletzungen ihrer Rechtsgüter zu bewahren.102 Es besteht dabei ein Spannungsfeld: Wenn die Voraussetzungen der Einwilligungsfähigkeit zu niedrig sind, so kann ein Mangel an Schutz bestehen: Der Verletzte kann etwa aufgrund seines jungen Alters eine Entscheidung nicht verständig treffen. Andererseits kann es zu einer Bevormundung führen, wenn die Anforderungen zu hoch liegen: Würde man beispielsweise eine starre Altersgrenze von 25 Jahren einführen, ab der eine Person selbst einwilligen könnte, so wäre dem Paternalismus gegenüber der Freiheit der Vorrang eingeräumt.103 Um den Schutz des Rechtsgutsträgers zu gewährleisten, sollte das Selbstbestimmungsrecht nur so wenig wie möglich, aber auch so viel wie nötig eingeschränkt werden. 2. Gesetzliche Regelungen zur Einwilligungsfähigkeit Es fehlt bislang eine einheitliche Regelung oder Definition der Einwilligungsfähigkeit. Eine Legaldefinition war in einem Zwischenbericht der Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin zu Patientenverfügungen vorgesehen. Nach § 1901b Abs. 1 Satz 2 eines Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs liegt Einwilligungsfähigkeit vor, wenn „die Person Bedeutung, Umfang und Tragweite der Erklärung beurteilen kann.“104 Dies entspricht der Definition des Bundesgerichtshofs.105 Diese Legaldefinition ist aber nicht vom Gesetzgeber übernommen worden, denn der Entwurf wurde diesbezüglich nicht umgesetzt. In einigen Spezialgesetzen finden sich aber Umschreibungen, die die Einwilligungsfähigkeit betreffen. Einige Gesetze verknüpfen die Einwilligungsfähigkeit mit der Volljährigkeit. So ist in § 40 Abs. 1 Satz 3 lit. a AMG als Voraussetzung geregelt, dass die betroffene Person „volljährig und in der Lage ist, Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung zu erkennen und ihren Willen hiernach auszurichten“. Auch bei 101

Vgl. auch noch zum Selbstbestimmungsrecht u. S. 101 ff. Vgl. Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 828; Rönnau, in: LK, vor § 32 Rn. 192. 103 Vgl. zu diesem Spannungsfeld: Rönnau, in: LK, vor § 32 Rn. 192; vgl. auch noch zur Verfassungsmäßigkeit von Paternalismus u. S. 147 ff. 104 BT-Drs. 15/3700, S. 45. 105 BGH NJW 1969, 1582, 1583. Sie wurde von anderen Gerichten übernommen, vgl. nur BayObLG NStZ 1999, 458, 459. 102

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Kap. 1: Einleitung und Begriffsbestimmungen

Transplantationen ist außer bei Knochenmarkspenden Volljährigkeit neben der Einwilligungsfähigkeit gefordert, § 8 Abs. 1 Nr. 1 lit. a TPG. Allerdings ist darüber hinaus in § 40 Abs. 4 Nr. 3 AMG auch die Einwilligung eines Minderjährigen erforderlich, wenn er in der Lage ist, „Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung zu erkennen und seinen Willen hiernach auszurichten.“ Daraus ist ersichtlich, dass die Einwilligungsfähigkeit nicht mit der Volljährigkeit gleichgesetzt wird. In § 20 Abs. 2 Satz 1 MPG ist anstelle der Volljährigkeit Geschäftsfähigkeit erforderlich. Außerdem wird zusätzlich die Einschätzung der Risiken und statt „erkennen“ ein „einsehen“ gefordert. Ähnlich sind auch die Umschreibungen in § 28c Abs. 1 Satz 3 RöV und § 87 Abs. 1 Satz 3 StrlSchV: „Die Erklärung ist nur wirksam, wenn der Proband geschäftsfähig und in der Lage ist, das Risiko der Anwendung (…) einzusehen und seinen Willen hiernach zu bestimmen.“ Eine parallele Regelung findet sich auch in § 7 Abs. 4 Nr. 3 StrlSchV und in § 21 Nr. 2 Satz 2 MPG im Falle der geschäftsunfähigen Probanden. Auch die Geschäftsunfähigkeit ist somit nach Wertung dieser Gesetze von der Einwilligungsfähigkeit abzugrenzen. Im KastrG muss der Betroffene nicht nur nach § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 fähig sein, „Grund und Bedeutung der Kastration einzusehen und seinen Willen hiernach zu bestimmen“, sondern auch das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben. Eine starre Altersgrenze findet sich auch in § 1631c BGB, bei der die Sterilisation eines Kindes verboten ist. Auch in § 81c Abs. 3 Satz 2 StPO sind Minderjährige und Betreute als Personengruppe benannt, bei der es bei mangelnder Vorstellung von der Bedeutung ihres Weigerungsrechts auf die Entscheidung des gesetzlichen Vertreters ankommt. Auch wenn § 81c StPO nicht die Einwilligung betrifft, sondern Weigerungsrechte,106 wird durch die Regelung verdeutlicht, dass bestimmte Personengruppen besonders schutzbedürftig sind. Ohne eine zusätzliche Altersgrenze bestimmen § 18 Abs. 3 Satz 2 PsychKG NRW und § 17 Abs. 2 Satz 2 MRVG NRW: Können Betroffene „Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlung nicht einsehen oder sich nicht nach dieser Einsicht verhalten“, ist die Einwilligung des Vertreters erforderlich. Zusätzlich zu den Umschreibungen der Einwilligungsfähigkeit fordern viele Regelungen Erfordernisse wie die Volljährigkeit, Geschäftsfähigkeit oder das Überschreiten einer bestimmten Altersgrenze. Diese Erfordernisse betreffen also nicht die Einwilligungsfähigkeit selbst.107 Sie stellen weitere Schutzmechanismen für besonders schutzbedürftige Personengruppen dar.

106 107

Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 14. Anders aber: Rönnau, in: LK, vor § 32 Rn. 197.

C. Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit

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3. Analogie zu den gesetzlichen Regelungen Nachdem nun bestehende Regelungen dargestellt worden sind, ist die Möglichkeit einer Analogie zu untersuchen. Diese ist aber aufgrund mehrerer Aspekte abzulehnen: Eine Lücke in den nicht spezial-gesetzlich geregelten Bereichen ist zwar anzunehmen, es fehlt aber die Planwidrigkeit dieser Lücke. Der Gesetzgeber hat das Problem erkannt, was auch an § 1901b des Entwurfs erkennbar ist. Er hat jedoch eine Legaldefinition abgelehnt und eine Ausformung Praxis und Wissenschaft überlassen. Darüber hinaus sind sich die Umschreibungen zwar sehr ähnlich, sie entsprechen sich aber nicht vollkommen, so dass fraglich wäre, welche der Regelungen analog anzuwenden ist. Auch der Wille des Gesetzgebers, eine analogiefähige Regelung zu schaffen, spiegelt sich in den unterschiedlichen Regelungen nicht wider. Dies ist auch daraus ersichtlich, dass die Regelungen spezifische Situationen betreffen und auf diese zugeschnitten sind. So ist eine Kastration ein außergewöhnlich schwerwiegender Eingriff und die Altersgrenze daher auch sehr hoch. Da jedoch nicht alle Eingriffe derart folgen- und belastungsreich sind, besteht keine Vergleichbarkeit der Interessenlage. Daher sind die Spezialgesetze nicht analogiefähig.108 4. Anlehnung an andere Mündigkeitsstufen Des Weiteren ist die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, die Einwilligungsfähigkeit mittels anderer Mündigkeitsstufen zu bestimmen. a) Einwilligungsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit So könnte die Grenze der Geschäftsfähigkeit nach §§ 104, 106, 2 BGB zur Definition der Einwilligungsfähigkeit herangezogen werden. Eine direkte Anwendung setzt voraus, dass die Einwilligung eine Willenserklärung ist.109 Eine Willenserklärung unterscheidet sich von einer Einwilligung jedoch dadurch, dass die Willenserklärung „konstitutive“ Normen, die Einwilligung aber „regulative“ Normen betrifft.110 Die Geschäftsfähigkeit als Voraussetzung der Wirksamkeit von Willenserklärungen ist eine Bedingung, die eingehalten werden muss, um rechtliche Kunstgebilde hervorzubringen oder zu vernichten, während die Einwilligungsfähigkeit als Voraussetzung für eine wirksame Einwilligung Bedingung für die Außerkraftsetzung einer Schutznorm ist.111 Die Einwilligung führt nicht zu einer Rechtsänderung, sie hat nur zur Folge, dass eine später erfolgende Rechtsverletzung kein Unrecht darstellt. Zudem ist eine Einwilligung frei widerruflich, eine Wil108

Rönnau, in: LK, vor § 32 Rn. 197. Dies bejahend: Zitelmann, AcP 99 (1906), 1, 51.; vgl. auch RGSt 25, 375. 110 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 527; ders., Recht und Psychatrie 1995, 20; ders./ Eymann, JuS 2001. 937, 938. 111 Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 938. 109

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Kap. 1: Einleitung und Begriffsbestimmungen

lenserklärung hingegen bindend.112 Aufgrund des engen Zusammenhangs zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht, der im Vermögensbereich nicht gegeben ist, liegt auch kein Wertungswiderspruch zu der dort vorgesehenen Fremdbestimmung vor.113 Folglich scheidet eine direkte Anwendung der §§ 104 ff. BGB aus.114 Auch die Möglichkeit einer Analogie ist abzulehnen: Neben der fehlenden Planwidrigkeit der Lücke fehlt auch eine vergleichbare Interessenlage: Bei Willenserklärungen ist eine Regelung erforderlich, die einen Ausgleich zwischen Verkehrsschutz und Minderjährigenschutz erreicht.115 Bei der Einwilligung muss zwar auch eine gewisse Rechtssicherheit erreicht werden und der Minderjährige muss davor geschützt werden, Entscheidungen, deren Bedeutung er nicht erkennen kann, treffen zu müssen. Allerdings hat der Minderjährigenschutz bei der Einwilligung eine andere Ausprägung: Wegen des Selbstbestimmungsrechts soll der Minderjährige selbst entscheiden, sofern er dazu in der Lage ist. Eine zu strenge Regelung widerspricht dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und wäre auch mit dem Ultima-ratio-Prinzip des Strafrechts unvereinbar.116 Die Regelungen zur Geschäftsfähigkeit sind daher zu starr für die Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit, 117 bei der es nicht nur um Schadensersatz und das Vertrauen in den Bestand einer Erklärung, sondern um die Strafbarkeit geht. Aufgrund dieses Unterschieds ist auch eine Analogie im Bereich der Vermögensrechte, also in Bezug auf die Einwilligung in eine Sachbeschädigung, abzulehnen.118

112 Amelung, Recht und Psychatrie 1995, 20, 21; vgl. auch zur Nichtanwendbarkeit der rückwirkenden Anfechtung nach § 142 BGB: Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 419. Ein Widerruf einer Willenserklärung nach § 130 Abs. 1 S. 2 BGB ist nur vor oder gleichzeitig mit ihrem Zugang möglich und verhindert schon deren Wirksamwerden. 113 Wölk, MedR 2001, 80, 83. 114 BGH NJW 1959, 811, kritisch dazu Kothe, AcP 185 (1985), 105, 114 ff.; gegen die Anwendung von §§ 104 ff. BGB: Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 526; ders./Eymann, JuS 2001. 937, 938; Blei, Strafrecht I, S. 135; Engisch, in: Stich/Bauer, S. 1521, 1530; Helmchen/ Lauter, Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen?, S. 29; mit Einschränkungen: Honig, Einwilligung, S. 160; Knauer/Brose, in: Spickhoff, § 223 StGB, Rn. 8; Neyen, Einwilligungsfähigkeit, S. 7 f.; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 25 ff.; Roxin, AT I, S. 71. 115 Vgl. Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, vor § 32 Rn. 39; Paeffgen, in: NK, § 228, Rn. 14. 116 Neyen, Einwilligungsfähigkeit, S. 14, vgl. auch BGH NJW 1959, 811: „Der Minderjährige kann aber eines besonderen gesetzlichen Schutzes entraten, wenn er nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen vermag. Ist der Minderjährige hierzu in der Lage, kann er in einen ärztlichen Eingriff wirksam einwilligen mit der Folge, daß der Eingriff als rechtmäßig zu erachten ist.“ 117 Ähnlich Geilen, Einwilligung, S. 87: Die Regelungen zur Geschäftsfähigkeit seien nicht differenziert genug; vgl. auch Paeffgen, in: NK; § 227, Rn. 14. 118 Für eine Analogie: Jakobs, AT, 7/114; Lenckner, ZStW 1960, 446, 456; Schimikowski, Experimente am Menschen, S. 20; Traeger, GerSaal 44 (1927), 112, 148, dagegen: Wessels/ Beulke, AT, Rn. 375.

C. Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit

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b) Einwilligungsfähigkeit und Schuldfähigkeit Denkbar ist auch eine Anlehnung an die Schuldfähigkeit nach §§ 19, 20 StGB.119 Der Regelungsstandort im Strafrecht spricht für diese Möglichkeit. Jedoch betrifft die Schuldfähigkeit einen grundsätzlich von der Einwilligungsfähigkeit verschiedenen Sachverhalt: Bei der Schuldfähigkeit geht es um die Frage, ob jemand verantwortlich ist für die Verletzung fremder Rechtsgüter, bei der Einwilligungsfähigkeit hingegen kommt es auf die Einsicht für die Preisgabe eigener Güter an.120 Die „Preisgabe eigener Rechtsgüter ist kein Unrecht“,121 so dass die Fähigkeit zur Einsicht Unrecht zu tun bei der Einwilligungsfähigkeit unbeachtlich ist. So liegt schließlich auch bei einem Willensmangel bei Erteilung der Einwilligung nicht etwa ein Verbotsirrtum nach § 17 StGB vor. c) Einwilligungsfähigkeit und Strafantragsrecht Der Vorschlag der Anlehnung an das Strafantragsrecht hat nur noch historische Bedeutung.122 § 65 RStGB a.F. bzw. § 77 Abs. 3 S. 2 StGB a.F. gewährte auch minderjährigen Verletzten das Recht, einen Strafantrag zu stellen, sofern sie das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben.123 Wer die Kompetenz zur Einleitung einer strafrechtlichen Verfolgung besitze, der könne auch selbst in die Verletzung einwilligen,124 so Befürworter einer Analogie. Diese Befugnisse sind zwar vergleichbar durch die Möglichkeit, über die strafrechtliche Relevanz einer Handlung zu bestimmen, jedoch ist die Beurteilung einer Handlung im Vorhinein schwieriger. Beim Strafantrag hat der Minderjährige Kenntnis von Umfang und Bedeutung der verletzenden Handlung. Bei einer Einwilligung, die vor dieser Handlung erteilt werden muss, bedarf es eines besseren Überblicks über die Gefahren und die Folgen der Verletzungshandlung. Daher kann nicht vom Strafantragsrecht auf die Einwilligungsfähigkeit geschlossen werden. Durch die Änderung des Antragsrechts sind nun ohnehin nur noch Volljährige antragsberechtigt, so dass eine Anlehnung an diese Mündigkeitsstufe nicht mehr möglich ist.

119 Klee, GA 1901, 337, 343: Unter der Strafmündigkeitsgrenze habe die Einwilligung keine Bedeutung, zwischen dieser Grenze und der Vollendung des 18. Lebensjahres komme es auf die erforderliche Einsicht an; gegen die Grenze der Strafmündigkeit; Traeger GerS XCIV (1927), 112, 150; nach Köhler, AT, S. 250 ist die Einwilligungsfähigkeit strenger als die Schuldfähigkeit; gegen eine Anlehnung auch: Paeffgen, in: NK, § 228, Rn. 15. 120 Amelung, ZStW 104 (1992), 525; Helmchen/Lauter, Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen?, S. 29. 121 Neyen, Einwilligungsfähigkeit, S. 41. 122 Vgl. zur Entwicklung Pawlowski, FS Hagen, S. 5, 8, 20 ff. 123 In der Fassung vom 10. 3. 1987, aufgehoben durch Art. 7 § 34 Nr. 1, BGBl I 1991, 2002. 124 Vgl. Pawlowski, FS Hagen, S. 5, 8; nach Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 32 resultierte aus dem Strafantragsrecht auch die Ansicht, dass die Einwilligung des Minderjährigen allein ausreicht.

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Kap. 1: Einleitung und Begriffsbestimmungen

5. Eigenständige Definition der Einwilligungsfähigkeit Eine Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit kann also nicht im Gesetz gefunden werden und die bestehenden Regelungen sind nicht analogiefähig. Daher ist eine andere Definition zu finden. Die Rechtsprechung verlangt Einsichtsfähigkeit im konkreten Einzelfall.125 Dem ist zuzustimmen: Ob jemand die Bedeutung eines Eingriffs versteht, hängt von der Komplexität des Eingriffs, seinen Risiken, Folgen und den Alternativen ab. Je folgenschwerer und risikoreicher ein Eingriff ist, desto höher müssen auch die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit sein, andererseits sind die Anforderungen bei geringfügigen Beeinträchtigungen zu senken.126 Diese Bestimmung im Einzelfall gebietet auch das Selbstbestimmungsrecht. Dem sollte so weit wie möglich genügt werden. Damit ist zugleich entschieden, dass eine starre Altersgrenze für jegliche Eingriffe127 nicht mit dem Selbstbestimmungsrecht vereinbar ist, denn sie verringert die Entscheidungsbefugnisse unverhältnismäßig.128 Außerdem wäre durch eine Altersgrenze nur das Problem der jugendlichen Verletzten behandelt, bei psychisch Kranken bliebe es ohnehin bei einer Prüfung im Einzelfall, denn auch bei ihnen kann man keinesfalls auf die Tatsache abstellen, ob eine Betreuung vorliegt. Eine Betreuung führt nicht zur Geschäftsunfähigkeit und beschränkt sich nur auf begrenzte Bereiche. Unabhängig von starren Altersgrenzen wird auch vorgeschlagen, ab bestimmten Altersgrenzen die Einwilligungsfähigkeit zu vermuten.129 Eine Bestimmung der 125

BGHSt 4, 88, 90; BGH NJW 1959, 825. Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 833; Blei, Strafrecht I, S. 135; Bundesärztekammer, DtÄrzteBl. 1994, A-1011, A-1012; Dettmeyer, Medizin & Recht, S. 199; Geilen, Einwilligung, S. 90; Helmchen/Lauter, Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen?, S. 39; Heide, Zwangsbehandlung, S. 150; Kientzy, Mangel am Straftatbestand, S. 109 f.; Knauf, Mutmaßliche Einwilligung und Stellvertretung, S. 49; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/ Schröder, vor § 32 Rn. 40; Michael, Forschung an Minderjährigen, S. 102; Neyen, Einwilligungsfähigkeit, S. 45; Peter, Forschung am Menschen, S. 34; Traeger, GerSaal 44 (1927), 112, 151; Wölk, MedR 2001, 80, 86. 127 Der Vorschlag einer festen Altersgrenze wurde insbesondere im Zivilrecht diskutiert, vgl. Bosch, FamRZ 1973, 489, 499 f.; Knöpfel, FamRZ 1977, 600, 606; Quambusch, ZfJ 61 (1974), 138, 142 f. 128 Vgl. Wölk, MedR 2001, 80, 89; eine Altersgrenze bei speziellen Eingriffen, wie in § 2 I Nr. 3 KastrG, kann trotzdem zulässig sein, wenn diese Eingriffe besonders folgenschwer sind und daher ohnehin hohe Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit zu stellen sind. 129 Amelung, Recht und Psychatrie 1995, 20, 21 vermutet, dass geschäftsfähige Personen grundsätzlich auch einwilligungsfähig sind; Der Gesetzgeber geht von einer Einsichtsfähigkeit in der Regel ab 16 Jahren aus, BT-Drs. 15/2109, S. 31; Kloesel/Cyran, § 41, Blatt 70 r knüpft an § 50b Abs. 2 FGG (außer kraft) und somit an ein Alter von 14 Jahren an; Neyen, Einwilligungsfähigkeit, S. 66 schlägt eine Vermutung der Einwilligungsunfähigkeit unter 12 bis 14 Jahren vor; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 131 ff., spricht sich für eine absolute Altersuntergrenze von 14 Jahren und eine Obergrenze von 18 Jahren aus; Schimikowkski, Experimente am Menschen, S. 21 bevorzugt eine Vermutung der Einsichtsfähigkeit ab 14 Jahren; ebenso: Taupitz, MeDR 2012, 583, 585; nach Taupitz/Fröhlich, VersR 1997, 911, 913 sind die Probanden bei Forschungsmaßnahmen im Alter von 16 Jahren regelmäßig als einwilligungsfähig anzusehen, unter 14 jedoch grundsätzlich nicht; für eine Vermutung der Einwilligungsfähigkeit ab Volljährigkeit mit Ausnahme geistiger oder psychischer Mängel: Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 40 Rn. 48. 126

C. Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit

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Einwilligungsfähigkeit gänzlich ohne Vermutung ginge auch zu weit. Dürfte ein Arzt bei einer erwachsenen, gesunden Person nicht von der Einwilligungsfähigkeit ausgehen, so wäre seine Prüfungspflicht zu stark ausgedehnt. Allerdings muss er bei konkreten Anhaltspunkten für ihr Fehlen überprüfen, ob sie vorhanden ist. Welche Grenze für die Vermutung heranzuziehen ist, kann hier nicht endgültig geklärt werden und kommt auf entwicklungspsychologische Fragen an. Das Gesetz legt die meisten Mündigkeitsgrenzen zwischen sieben und fünfundzwanzig Jahren fest.130 Bei Heilund Forschungseingriffen sind die Maßnahmen im Regelfall komplex und folgenschwer. Folglich wird bei solchen Eingriffen regelmäßig ab Vollendung des achtzehnten Lebensjahres Einwilligungsfähigkeit zu vermuten sein. Eine Vermutung der Einwilligungsfähigkeit ab der Volljährigkeit ist zudem wegen der Wertung des Zivilrechts geboten, denn dann kann der Patient auch den Vertrag über eine Behandlungsoder Forschungsmaßnahme wirksam abschließen. Eine höhere Altersgrenze für die Vermutung liefe daher auch der Rechtssicherheit zuwider. Bei Forschungsmaßnahmen ist zusätzlich zu beachten, dass häufig – mit Ausnahme der Notfallpatienten – keine besondere Dringlichkeit besteht und daher schon bei geringen Anzeichen für ein Fehlen der Einwilligungsfähigkeit eine nähere Prüfung zu erfolgen hat.131 Die Formel der Rechtsprechung sowie in den Spezialgesetzen mit der Umschreibung der „Bedeutung und Tragweite“ bleibt aber vage und stellt letztlich eine leere Formel dar.132 Dies kann zwar zu Einzelfallgerechtigkeit führen, hat aber auch Rechtsunsicherheit zur Folge. Daher ist sie zu präzisieren. Wegweisend ist dabei der Vorschlag Amelungs133 : 1. „Einwilligungsunfähig ist, wer wegen Minderjährigkeit, geistiger Behinderung oder geistiger Erkrankung nicht erfassen kann, a) welchen Wert oder welchen Rang die von der Einwilligungsentscheidung berührten Güter und Interessen für ihn haben oder b) welche Folgen oder Risiken sich aus der Einwilligungsentscheidung ergeben oder c) welche Mittel es zur Erreichung der mit der Einwilligung erstrebten Ziele gibt, die ihn weniger belasten. 130 So etwa die beschränkte Geschäftsfähigkeit ab 7 Jahren, § 104 BGB, ebenso die beschränkte Deliktsfähigkeit, § 828 Abs. 3 BGB, die volle Religionsmündigkeit ab 14 Jahren, § 5 RelKErzG, ebenso die Strafmündigkeit, § 19 StGB, die beschränkte Ehefähigkeit ab 16 Jahren, Volljährigkeit, Geschäfts- und Deliktsfähigkeit ab 18 Jahren, §§ 2, 828 BGB. 131 Eine beispielhafte Aufzählung von zu beachtenden Kriterien bei Minderjährigen findet sich bei Dettmeyer, Medizin & Recht, S. 199. Eine nähere Erörterung der Prüfung der Einwilligungsunfähigkeit kann hier nicht erfolgen. Zu den Problemen und der Unzuverlässlichkeit dieser Prüfung vgl. auch Kölch, in: Nationaler Ethikrat, S. 9. 132 Amelung, Recht und Psychiatrie 1995, 20, 22; ders., ZStW 1992, 525, 537; Helmchen/ Lauter, Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen?, S. 30; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 39 f. 133 Amelung, ZStW 1992, 525, 558; ders., Recht und Psychiatrie 1995, 20, 26; ders./Eymann, JuS 2001, 937, 942.

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Kap. 1: Einleitung und Begriffsbestimmungen

2. Das gleiche gilt, wenn der Minderjährige, geistig Behinderte oder geistig Erkrankte zwar die erforderliche Einsicht hat, aber nicht in der Lage ist, sich nach ihr zu bestimmen.” In dieser Definition kommt zum Ausdruck, dass es sich bei der Einwilligung um eine Wertentscheidung handelt, bei der eine Abwägung von Kosten und Nutzen erfolgen muss (a).134 Auf der Seite der Kosten sind der Umfang des Eingriffs, die Folgen und Risiken zu berücksichtigen, auf der anderen Seite kann ein individueller Nutzen im Sinne eines Heilerfolgs oder einer Heilungschance oder ein Nutzen für andere stehen, wie etwa ein Forschungserfolg, der anderen Personen nützen kann. Diese sind miteinander abzuwägen. Darüber hinaus ist sie eine Tatsachenentscheidung, d. h. es ist die Kenntnis und das Verständnis von den zugrundeliegenden Tatsachen erforderlich (b).135 Zu diesen Tatsachen gehören der Eingriffsumfang, die Risiken, die mit dem Eingriff verbunden sind, die Folgen, die der Eingriff haben kann und die Alternativen, die zur Verfügung stehen. Zusätzlich stellt die Einwilligung eine Konfliktentscheidung dar, bei der die Erforderlichkeit der Zustimmung zu dieser Maßnahme zu prüfen ist (c).136 In Satz 2 der Definition wird des Weiteren die Steuerungsfähigkeit zur Voraussetzung erhoben, wie dies auch in einigen Spezialgesetzen geschieht.137 Im Grundsatz ist diesem Vorschlag zuzustimmen, allerdings mit einigen Präzisierungen. Zunächst sollte auf die Nennung bestimmter Personengruppen verzichtet werden.138 Eine abschließende Auflistung der einwilligungsunfähigen Personengruppen ist nicht möglich. Eine Prüfung der Einwilligungsfähigkeit muss ohnehin im konkreten Einzelfall erfolgen, so dass die Nennung zu einer ungerechtfertigten Präjudizwirkung führen kann.139 Es besteht nicht bei jeder psychischen Krankheit eine Vermutung für eine fehlende Einwilligungsfähigkeit. Daher ist die Auflistung auch überflüssig. Des Weiteren sollte eindeutiger zwischen den psychischen Fähigkeiten unterschieden werden, die notwendig sind um eine Einwilligungsentscheidung zu treffen: Erforderlich ist das Verständnis, die Bewertung und die Steuerungsfähigkeit.140 Das Verständnis muss sich auf den Eingriffsumfang sowie auf Folgen, Risiken, Behandlungsalternativen und den möglichen Nutzen beziehen. Durch die Aufklärung wird im Regelfall dieses Verständnis ermöglicht. Sodann muss die Person diese Informationen bewerten können, d. h., sie muss fähig sein, die betroffenen Güter und Alternativen zu bewerten und eine Abwägung dieser Kosten im Verhältnis zu dem zu 134

Amelung, Recht und Psychiatrie 1995, 20, 23. Amelung, Recht und Psychiatrie 1995, 20, 23. 136 Amelung, Recht und Psychiatrie 1995, 20, 23. 137 So etwa in §§ 28c Abs. 1 Satz 3 RöV, 87 Abs. 1 Satz 3 StrlSchV, 3 Abs. 3 Nr. 1 KastRG, 20 Abs. 2 Nr. 1 MPG mit der Umschreibung „und seinen Willen hiernach zu bestimmen“ sowie in § 40 Abs. 1 Satz 3 lit. A AMG mit der Umschreibung seinen „Willen hiernach auszurichten.“ 138 So auch Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 61. 139 Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 61. 140 Ähnlich: Helmchen/Lauter, Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen?, S. 42, und Stellungnahme der „Zentralen Ethikkommission“ bei der Bundesärztekammer DtÄrtztBl. 1994, A-1011, A-1012, die jeweils zusätzlich die Verarbeitung der Informationen fordern. 135

C. Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit

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erwartenden Nutzen vorzunehmen. Die Erforderlichkeitsprüfung ist Teil der Abwägung. Bei jedem alternativen Eingriff erfolgt eine Kosten-Nutzen-Abwägung. Die Alternative, bei der der Nutzen die Kosten am meisten überwiegt, wird gewählt. Problematisch ist, ob eine Prüfung stattfinden muss, inwiefern die Abwägung vernunftgemäß ist. Würde man die Bewertung im Hinblick darauf betrachten, ob sie objektiv vernünftig ist, käme es zu einer Bevormundung.141 Gerade auch unvernünftige Entscheidungen sind vom Selbstbestimmungsrecht gedeckt.142 Es muss also auf das Wertgefüge des Einwilligenden ankommen.143 Etwas anderes kann nur gelten, wenn die Unvernunft der Entscheidung auf einer Krankheit beruht.144 Bei einer objektiv unvernünftigen Entscheidung können also Nachforschungen erforderlich sein, ob der Rechtsgutsträger einwilligungsfähig ist. Eine solche Entscheidung ist aber nicht von vornherein unbeachtlich. Auf Grundlage dieser Bewertung muss eine Entscheidung getroffen werden können, der Einwilligende muss also Steuerungsfähigkeit besitzen.145 Sie fehlt, wenn die Person trotz einer Bewertung nicht in der Lage ist, danach auch zu entscheiden, etwa bei Suchtkranken. Folglich kann die Formel präzisiert werden: Einwilligungsfähig ist, wer im konkreten Einzelfall in der Lage ist, den Eingriffsumfang sowie mögliche Folgen, Risiken, Alternativen und den zu erwartenden Nutzen zu verstehen, diese mittels seiner eigenen Wertmaßstäbe zu bewerten und abzuwägen und auf dieser Grundlage eine Entscheidung zu treffen.146 Diese Definition kann bei jeder Einwilligung angewendet werden. Die entsprechenden Regelungen sollten dahingehend verstanden werden. Bei Heil- und Forschungsmaßnahmen gilt zusätzlich zum Schutz des Arztes eine Vermutung der Einwilligungsfähigkeit ab achtzehn Jahren, um seine Prüfungspflichten nicht zu weit auszudehnen. Da bei Forschungsmaßnahmen der Arzt nicht (nur) im Interesse des 141 So aber BGH NJW 1978, 1206 in der sog. Zahnextraktionsentscheidung, kritisch: Horn, JuS 1979, 29. 142 Roxin, AT I, § 13 E Rn. 87. 143 Es ist also ein „subjektiver Rationalitätsbegriff“ maßgeblich: Amelung, JR 1999, 45, 46; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 53 ff. 144 Amelung, JR 1999, 45, 47; Hruschka, JR 1978, 519, 521. 145 Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 51 ff. bezeichnet sie auch als voluntativ-emotionales Element. 146 Ähnlich: Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 46, der zusätzlich die Fähigkeit der Kundgabe und der Aufrechterhaltung der Entscheidung fordert. Die Notwendigkeit der Kundgabe des Willens ergibt sich jedoch schon aus den Voraussetzungen der Einwilligung. Das Erfordernis der Fähigkeit zur Aufrechterhaltung geht zum Teil zu weit: Sofern der Einwilligende die oben genannten Fähigkeiten besitzt, kann er über seine Rechtsgüter wirksam verfügen. Sollte er bei einer sehr lange andauernden Maßnahme die Entscheidung nicht aufrecht erhalten können, etwa weil er die Aufklärung vergessen hat, so ist sie zu wiederholen. Sollte der Einwilligende schon während der Aufklärung wegen eines fehlenden Kurzzeitgedächtnisses Informationen vergessen, so fehlt schon das Verständnis. Ähnlich auch die Stellungnahme der „Zentralen Ethikkommission“ bei der Bundesärztekammer DtÄrtztBl. 1994, A-1011, A-1012, die aber wiederum einzelne Personengruppen bildet.

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Kap. 1: Einleitung und Begriffsbestimmungen

Patienten handelt, könnte die Überprüfung der Einwilligungsfähigkeit durch einen anderen Arzt erfolgen, um eine etwaige Voreingenommenheit auszuschließen.147

III. Mitbestimmung und Vetorechte Diese Definition der Einwilligungsfähigkeit beschreibt die Grenze, von der an eine Einwilligung des Verletzten relevant ist. Ob darüber hinaus eine Einwilligung des gesetzlichen Vertreters erforderlich und verfassungsgemäß ist, ob also die Einwilligungsfähigkeit gleichzeitig die Grenze der Mitbestimmung durch die gesetzlichen Vertreter darstellt, ist zweifelhaft. Des Weiteren ist zu untersuchen, ob auch bereits unterhalb der Schwelle der Einwilligungsfähigkeit Mitbestimmungspflichten oder -rechte bestehen. In Betracht kommt eine zusätzlich zur Einwilligung des Einwilligungsfähigen erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters (Co-Consent),148 eine Zustimmung des Einwilligungsunfähigen zusätzlich zur Einwilligung des gesetzlichen Vertreters (assent)149 sowie das Veto eines Einwilligungsunfähigen (dissent).150

147 Vgl. dazu auch noch u. S. 191 ff. insbesondere zur Feststellung der Einwilligungsunfähigkeit bei Notfallpatienten. 148 Nach der Differenzierung Amelungs, Vetorechte beschränkt Einwilligungsfähiger, S. 26 handelt es sich um einen „Vernunft-Vorbehalt“. Einen Co-Consens setzen voraus: § 40 Abs. 4 AMG, § 21 Nr. 2 MPG, § 88 Abs. 4 Nr. 2 StrlSchV, § 28d Abs. 4 Nr. 3 RöV, vgl. auch § 219e Abs. 4 eines Entwurfs zum StGB, BT-Drs. 6/3434, S. 3, der bei einer Schwangeren unter sechzehn Jahren die zusätzliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters vorschreibt. Auch Biermann, Arzneimittelprüfung, S. 162 f. und Eberbach, Die zivilrechtliche Beurteilung der Humanforschung, S. 165 ff. verlangt die Einwilligung von Minderjährigem und gesetzlichem Vertreter. Diese Ansicht ist aber auch Folge der von ihnen befürworteten analogen Anwendung von §§ 104 ff. BGB bei der Einwilligungsfähigkeit. Für ein gemeinsames Entscheidungsrecht auch: Köhler, AT, S. 252; Lipp, FS Deutsch, S. 343, 356; ders., Freiheit und Fürsorge, S. 34; Olzen, in: MüKo-BGB, § 1666, Rn. 78. Gegen das Erfordrnis eines „Co-Consents“ auch: Honig, Einwilligung, S. 170 f.; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 155 ff; Reichmann/Ufer, JR 2009, 485, 486; Schmidt-Elsaeßer, Medizinische Forschung an Kindern und Geisteskranken, S. 219 ff.; s. zur Verfassungsmäßigkeit noch u. S. 147 ff. 149 In diesem Sinn wird die Formulierung „assent“ auch weiterhin genutzt. Anders dagegen: Kölch/Fegert, FPR 2007, 76, 78, der damit den Co-Consent umschreibt; s. zur Vereinbarkeit insbesondere mit dem Selbstbestimmungsrecht u. S. 158 ff. 150 Anders hingegen Amelung, Vetorechte beschränkt Einwilligungsfähiger, S. 19 ff., der zwischen „Würde-Vorbehalten“ und „Vernunft-Vorbehalten“ unterscheidet. s. dazu auch noch u. S. 154 ff.

Kapitel 2

Historischer Rückblick – Die Forschung am Menschen in Deutschland A. Die Vorkriegszeit Gerade in Deutschland hat die Forschung am Menschen einen besonderen historischen Hintergrund. Um zu verstehen, warum insbesondere in Deutschland die Zurückhaltung hinsichtlich der Zulassung von Forschung am Menschen groß ist, muss daher ein geschichtlicher Rückblick erfolgen. Nachdem zunächst nur ethische Ansätze in Bezug auf Humanexperimente entwickelt worden waren,1 begann eine rechtliche Kodifizierung von Standards erst zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Ende des Jahres 1900 hat das Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten eine Anweisung an die Vorsteher der Kliniken, Polikliniken und sonstigen Krankenanstalten herausgegeben.2 Dabei handelt es sich um die erste staatliche Richtlinie für Humanexperimente.3 Danach waren Maßnahmen zu „anderen als diagnostischen, Heil- und Immunisierungszwecken“ bei minderjährigen und nicht voll geschäftsfähigen Personen ausgeschlossen. Des Weiteren wurde bestimmt, dass eine Zustimmung nach sachgemäßer Erklärung vorliegen muss und dass Eingriffe nur vom Vorsteher oder mit Ermächtigung vorgenommen werden dürfen. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen ist auf dem Krankenblatt zu vermerken. Damit enthielt die Anweisung bereits den Grundsatz des „informed consent“,4 und zwar in einer so strengen Weise, dass 1 Nach Bernard, Einführung in das Studium der experimentellen Medizin (Paris 1865) waren beispielsweise Experimente, „die nur schaden können, verboten, jene, die harmlos sind, erlaubt, jene, die nützen können, geboten“. Nach Beaumont, zitiert in englischer Sprache in Beecher, Research and the individual, Appendix A, S. 219 etwa war die freiwillige Zustimmung Voraussetzung für Humanexperimente. 2 Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten, Anweisung an die Vorsteher der Kliniken, Polikliniken und sonstigen Krankenanstalten, Centralblatt für die gesamte Unterrichts-Verwaltung in Preußen, Berlin Jahrgang 1901, S. 188 f. 3 Heinrichs, Forschung am Menschen, S. 24; Katz, The Yale Journal of International Law 1997, 402, 410. 4 Auch in einem Cirkular an die Königlichen Regierungs-Präsidenten, in deren Bezirken sich Strafanstalten befinden, sowie an den Königlichen Polzei-Präsidenten zu Berlin vom 28. Januar 1891, betreffend die Behandlung von Strafanstalts-Gefangenen nach der Professor

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Kap. 2: Rückblick – Die Forschung am Menschen in Deutschland

wissenschaftliche Versuche in jedem Fall bei Einwilligungsunfähigen ausgeschlossen waren. Außerdem fand eine Unterscheidung zwischen Eingriffen zu diagnostischen, Heil- und Immunisierungszwecken und anderen Eingriffen, deren wissenschaftliche Zielrichtung im Vordergrund steht, statt.5 Die Anweisung wurde insbesondere beanstandet, weil sie keine Forschung an Minderjährigen zulässt und keine Unterscheidung zwischen geringfügigen und schweren Eingriffen vornimmt.6 Diese Unzulänglichkeit ist damit zu erklären, dass die Anweisung die Reaktion auf Experimente war, deren Ergebnisse der Dermatologe Neisser 1898 veröffentlichte: Er experimentierte an acht weiblichen, zum Teil minderjährigen Prostituierten ohne deren Zustimmung.7 Er injizierte zellfreies Serum von Syphiliskranken um zu erforschen, ob diese Injektion zur Immunität führte. Vier Probanden erkrankten an Syphilis. Daraus schloss Neisser, dass die Injektion weder schädlich noch nützlich gewesen sei. Obwohl derartige Versuche kein Einzelfall waren,8 berichtete die Presse ausführlich und in verzerrender Weise über den „Fall Neisser“.9 Im Jahr 1931 richtete das Reichsministerium an die Landesregierungen sodann „Richtlinien für neuartige Heilbehandlung und für die Vornahme wissenschaftlicher Versuche am Menschen“.10 Diese waren umfangreicher als die Anweisung von 1900 und, auch wenn sie keinen unmittelbaren Rechtscharakter hatten,11 sind sie als visionär in Tiefe und Reichweite anzusehen.12 Zunächst findet eine strikte Unterscheidung zwischen „neuartiger Heilbehandlung“ und „wissenschaftlichen Versuchen“ anhand des Zwecks statt. So wurden wissenschaftliche Versuche in der DeKoch’schen Methode, Ministerial-Blatt für die gesamte innere Verwaltung in den Königlich Preußischen Staaten Jg. 52 (1891), S. 27 findet sich schon die Regel, dass das Koch’sche Mittel „nicht gegen den Willen der Kranken“ angewendet werden soll. Allerdings handelt es sich hierbei nur um eine Voraussetzung, unter der der Minister des Innern die Verabreichung bei Strafgefangenen empfehlen kann, also nicht um eine rechtsverbindliche Regelung der Einwilligung. 5 Heinrichs, Forschung am Menschen, S. 24 kritisiert aber, dass im Wesentlichen für beide Eingriffe die gleichen Prinzipien gelten. 6 Moll, Ärztliche Ethik, S. 566 ff. etwa bildet den Fall, „dass einem 20jährigen Jüngling mit seiner Einwilligung die Spitze des Haares abgeschnitten oder ein Blutströpfchen zur mikroskopischen Untersuchung entnommen werden soll und diese Eingriffe nicht zur Behandlung oder Diagnose, sondern lediglich zu wissenschaftlichen Forschungen gewünscht werden.“ Nach der Anweisung wäre selbst dieser minimale Eingriff unzulässig. 7 Vgl. eine kurze Darstellung der Versuche in: Elkeles, Der moralische Diskurs über das medizinische Menschenexperiment, S. 191; Grodin, in: Annas/Grodin, S. 121, 127; Winau, in: Wiesemann/Frewer, S. 13, 21. 8 Vgl. Moll, Ärztliche Ethik, S. 562. 9 Elkeles, Der moralische Diskurs über das medizinische Menschenexperiment, S. 191. 10 Reichsministerium des Innern, Richtlinien für neuartige Heilbehandlung und für die Vornahme wissenschaftlicher Versuche am Menschen, DMW 1931, 509. 11 Biermann, Arzneimittelprüfung, S. 19; Fischer, Medizinische Versuche, S. 1; Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 40 Rn. 1. 12 Grodin, in: Annas/Grodin, S. 121, 131.

B. Die Zeit des Nationalsozialismus und ihre Aufarbeitung

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finition als Maßnahmen, die zu Forschungszwecken und nicht zur Heilbehandlung vorgenommen werden, beschrieben. Auch hier fand sich der Grundsatz der informierten Einwilligung wieder: Eine neuartige Heilbehandlung darf nur nach Zustimmung der betroffenen Person oder ihres gesetzlichen Vertreters erfolgen, nachdem diese belehrt worden sind. Somit war eine neuartige Heilbehandlung auch an Einwilligungsunfähigen statthaft, wenn der gesetzliche Vertreter zustimmt, allerdings sollte bei Kindern und Jugendlichen unter achtzehn Jahren eine besonders sorgfältige Prüfung erfolgen, ob die Maßnahme angewendet werden soll. Außerdem konnte eine unaufschiebbare Maßnahme auch ohne Einwilligung vorgenommen werden, wenn eine Erteilung nicht möglich war. Bei der neuartigen Heilbehandlung war also der Gedanke der mutmaßlichen Einwilligung bereits zu finden. Hingegen bei wissenschaftlichen Versuchen war die Vornahme bei fehlender Einwilligung unzulässig. Auch bei Kindern und Jugendlichen gab es eine weitere Einschränkung: Sofern die wissenschaftlichen Versuche diese im geringsten gefährdeten, waren sie unzulässig. Mithin reichte grundsätzlich die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters aus, bei Kindern und Jugendlichen waren aber weitere zusätzliche Voraussetzungen notwendig. Andere Einwilligungsunfähige wurden nicht in gleicher Weise geschützt. Darüber hinaus wurden weitere Voraussetzungen für die Zulässigkeit von neuartiger Heilbehandlung und wissenschaftlichem Versuch festgehalten: Eine Abwägung vom zu erwartenden Schaden und Nutzen, die Subsidiarität gegenüber dem Tierversuch, die Unzulässigkeit der Ausnutzung einer sozialen Notlage sowie die Aufzeichnung und Begründung des Versuchs. Auch diese Richtlinien sind als Reflex auf verschiedene Experimente anzusehen,13 so etwa auf die BCG-Impfung in Lübeck von 1930.14

B. Die Zeit des Nationalsozialismus und ihre Aufarbeitung In der Zeit des Nationalsozialismus wurden die in der Richtlinie aufgestellten Grundsätze häufig in eklatantem Maß missachtet.15 So sind Experimente oft ohne therapeutische Absicht und ohne Ziel der Wissenserweiterung angestellt worden.16 Auch gab es Versuche, die für ideologische Zwecke vorgenommen wurden, so etwa 13

Heinrichs, Forschung am Menschen, S. 32; Auch Grodin, in: Annas/Grodin, S. 121, 122 stellt fest: „The codes of human experimentation all appear to have been developed in response to specific abuses nd perceived need.“ 14 Vgl. Winau, in: Wiesemann/Frewer, S. 13, 27; BCG ist die Abkürzung für Bacille Calmette Guerin, einem Impfstoff gegen Tuberkolose. 15 Katz, The Yale Journal of International Law 1997, 402, 410 erklärt dies damit, dass die Richtlinien durch die Zulässigkeit der Forschung mit nicht lebenswertem Leben in Kriegszeiten unwirksam geworden waren. 16 Koanovitch, in: Tröhler/Reiter-Theil, S. 89 f. in den 90 ff. befindet sich auch eine kurze Darstellung einiger Versuche. Eine ausführliche Beschreibung der Experimente findet sich in Klee, Ausschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer, 2008.

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Kap. 2: Rückblick – Die Forschung am Menschen in Deutschland

die Experimente zur Erforschung einer operationslosen Sterilisation,17 die es ermöglichen sollte, die Fortpflanzung anderer Völker zu verhindern. Andere Experimente dienten der Sammlung von Erkenntnissen für die Kriegsführung, wie etwa die Unterdruckversuche. Dabei sollte unter anderem Schädigungen und Lebensdauer oberhalb der Atemgrenze und bei einem Fallschirmabsprung aus großer Höhe getestet werden.18 Nach Kriegsende wurden einige Ärzte im ersten Nürnberger Nachfolgeprozess angeklagt. Es handelte sich um ein Militärgericht, das nach Gesetz Nr. 10 des Kontrollratsgesetzes19 eingerichtet worden war. Die Ärzte wurden jedoch nicht wegen vorsätzlicher Tötung oder Körperverletzung angeklagt, sondern wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.20 Im Rahmen des Urteils sind zehn Punkte21 abgefasst worden, um diese Tatbestände in den speziellen Fällen der Humanexperimente anzuwenden.22 Wichtigster Grundsatz der zehn Punkte, die auch Nürnberger Codex genannt werden, ist wiederum die freiwillige und aufgeklärte Zustimmung der Versuchsperson.23 Des Weiteren sind unter anderem unnötige körperliche und geistige Leiden und Verletzungen zu vermeiden und die Versuchsperson muss jederzeit die Möglichkeit haben, den Versuch zu beenden. Besondere Regelungen für Einwilligungsunfähige finden sich im Nürnberger Codex nicht. Die Zustimmung eines voll Geschäftsfähigen ist Voraussetzung. Wegen des klaren Wortlauts ist daher die Forschung an Kindern und Jugendlichen sowie psy-

17

Lifton, Ärzte im Dritten Reich, S. 307, 313. Darstellung der Versuche in den Dokumenten zum Nürnberger Ärzteprozess: Mitscherlich/Mielke, Medizin ohne Menschlichkeit, S. 27 ff. sowie United States vs. Karl Brandt et al., The medical case, Vol I, speziell zu den Unterdruckversuchen: S. 82 ff. Eine genaue Versuchsbeschreibung findet sich in einem Brief von Dr. Rascher an den Reichsführer-SS, Doc No. 1971.A-PS, abgedruckt in Mitscherlich/Mielke, Medizin ohne Menschlichkeit, S. 30 ff. sowie in englischer Sprache in United States vs. Karl Brandt et al., Vol I, S. 144 ff. Dieser Brief gehörte zum Beweismaterial gegen Dr. Rascher. 19 „Gesetz Nr. 10 vom 20. Dezember 1945 bezüglich der Bestrafung von Personen, die sich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafbar gemacht haben“, Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland Nr. 3, 31. 1. 1946, S. 50. 20 s. United States vs. Karl Brandt et al., Vol I, S. 8 ff. (Anklage) sowie Vol. II, S. 171 ff. (Urteil); kritisch dazu: Deutsch, in: Tröhler/Reiter-Theil, S. 103, 107. Es handele sich in erster Linie um Mord, Totschlag oder gefährliche Körperverletzung und nicht um Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Darüber hinaus ist die Einführung der Straftatbestände erst nach der Tat im Hinblick auf den Grundsatz „nulla poena sine lege“ problematisch. 21 United States vs. Karl Brandt et al., Vol II, S. 181 f.; abgedruckt in deutscher Fassung in Deutsch FS Wassermann, S. 69 f. und in ders., in: Tröhler/Reiter-Theil, S. 103 ff. sowie bei Wille, NJW 1949, 377. 22 Arnold/Sprumont, in: Tröhler/Reiter-Theil, S. 115, 121; vgl. Deutsch, in: Tröhler/ReiterTheil, S. 103, 112. 23 Deutsch, Das Recht der klinischen Forschung am Menschen, S. 123 spricht sogar von „(Über-)betonung“ der Einwilligung. 18

B. Die Zeit des Nationalsozialismus und ihre Aufarbeitung

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chisch Kranken ausgeschlossen.24 Außerdem findet keine Unterscheidung zwischen Heilversuchen und wissenschaftlichen Experimenten statt,25 obwohl diese Unterscheidung bereits Allgemeinwissen war,26 wie auch aus den Richtlinien von 1931 ersichtlich ist. Ungeachtet der Kritik muss man den Nürnberger Codex in seinem Zusammenhang sehen. Er ist die Reaktion auf eine Wissenschaft, die außer Kontrolle geraten war,27 und auf Versuche, bei denen Menschen nicht mehr als Subjekt wahrgenommen wurden, wie etwa bei den „terminalen Versuchen“, bei denen die Tötung der Versuchsperson zum Experiment dazu gehörte.28 Daher ist es nicht verwunderlich, dass der Schutz des Menschen Hauptanliegen war.29 Auch wollte das Militärgericht wohl kaum jede klinische Forschung am Menschen für die Zukunft regulieren.30 Bedauerlich ist aber, dass die Experimente als wissenschaftliche Versuche klassifiziert worden sind, auch wenn es sich oft um „Grausamkeiten ohne wissenschaftlichen Zweck“ handelte.31 Dadurch sind Humanexperimente insgesamt stigmatisiert worden. Dennoch hatte der Nürnberger Codex großen Einfluss auf spätere Regelwerke.32 Eine Überarbeitung oder Fortschreibung des Nürnberger Codex ist in Erwägung gezogen worden, fand jedoch wegen der Deklaration von Helsinki nicht statt.33 Der „Nürnberger Kodex 1997“ vom IPPNW (Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.)34 hat kaum Anklang gefunden35 und kann trotz der begrifflichen Anknüpfung nicht als Fortschreibung gelten.

24 Deutsch, FS Wassermann, S. 69, 75; ders., in: Tröhler/Reiter-Theil, S. 103, 110; Wenz, Forschung, S. 12. 25 Deutsch, FS Wassermann, S. 69, 72; ders., in: Tröhler/Reiter-Theil, S. 103, 106; ders., NJW 1979, 570, 573. 26 Deutsch, in: Tröhle/Reiter-Theil, S. 103, 111, Rothmann, in: Tröhler/Reiter-Theil, S. 75, 80. 27 Grodin, in: Annas/Grodin, S. 121, 122. 28 Vgl. Mitscherlich/Mielke, Medizin ohne Menschlichkeit, S. 27 ff.; United States vs. Karl Brandt et al., The medical case, Trials of war Criminals Before the Nuremberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10, Vol I, S. 142 (Doc. No. 1602-PS). 29 Grodin, in: Annas/Grodin, S. 121 f. 30 Deutsch, in: Tröhler/Reiter-Theil, S. 103, 113. 31 Deutsch, FS Wassermann, S. 69, 73; ders., in: Tröhler/Reiter-Theil, S. 103, 108. 32 Arnold/Sprumont, in: Tröhler/Reiter-Theil, S. 115, 122; Perley/Fluss/Bankowski/Simon, in: Annas/Grodin, S. 149, 152 f. 33 Deutsch, FS Wassermann, S. 69, 72; ders., in: Tröhler/Reiter-Theil, S. 103, 106; ders., NJW 1978, 570, 573; vgl. zu der Deklaration von Helsinki noch u. S. 88 ff. 34 Abgedruckt in EthikMed 1997, 164. 35 Vgl. Wuermeling, EthikMed 1997, 156; Wunder, in: Ebbinghaus/Dörner, S. 476, 478.

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Kap. 2: Rückblick – Die Forschung am Menschen in Deutschland

C. Zusammenfassung Die historische Entwicklung ist in Deutschland durch die verbrecherischen Menschenversuche in der Zeit des Nationalsozialismus besonders zu berücksichtigen. Die Humanexperimente, die dort stattgefunden haben, mahnen zur Vorsicht bezüglich der Zulassung von Versuchen an Menschen. Festzuhalten bleibt, dass die Experimente in der Zeit des Nationalsozialismus auch heute noch ein abschreckendes Beispiel liefern, wie fehlgeleitet Forschung betrieben werden kann. Aus der Geschichte sollten die entsprechenden Schlüsse gezogen werden, oder wie Katz formuliert „We cannot resurrect the dead, but we learn from their suffering“.36 Ein solcher „Forschungsfanatismus“,37 bei dem Menschen nur „Rohmaterial für jedermanns medizinische Versuche“38 sind oder Versuche ohne wissenschaftlichen Zweck dürfen nicht zugelassen werden und sind durch den Gesetzgeber zu verhindern. Das bedeutet aber nicht, dass Forschung am Menschen verboten sein muss. Vielmehr müssen Regeln festgeschrieben werden, welche die Forschung am Menschen in klar definierten Grenzen zulassen. Heilversuche und Humanexperimente dienen schließlich der Gesundheit der Probanden bzw. der Gesundheit anderer Menschen und dürfen daher auch nicht tabuisiert werden.

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Katz, The Yale Journal of International Law 1997, 402, 403. Baader, in: Bleker/Jachertz, S. 103, 106. 38 Lifton, Ärzte im Dritten Reich,S. 347; ähnlich: Klee, Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer, S. 491, der von „Menschenmaterial“ und einer „Orgie verbrauchender Forschung“ spricht. 37

Kapitel 3

Regelungen zur medizinischen Forschung am Menschen Nach den Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Kodifizierung der Forschung am Menschen vorangetrieben. Nach dem Nürnberger Codex begann die Entstehung von verschiedenen internationalen Regelwerken. Neben der Deklaration von Helsinki von der Generalversammlung des Weltärztebundes und den Guidelines der International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH) ist auch ein Übereinkommen des Europarats zu erwähnen: die sogenannte Bioethik-Konvention. Auch die UNESCO hat eine Erklärung zur Forschung abgegeben. Die Europäische Union hat außerdem eine Richtlinie zum Bereich der Arzneimittelprüfungen verabschiedet. Neben diesen internationalen und europäischen Bestimmungen sind in Deutschland einige Spezialgesetze entstanden. Sie betreffen einzelne Teilbereiche der Forschung am Menschen. Eine einheitliche, allgemeine Regelung bezüglich jeglicher Forschung am Menschen fehlt jedoch in Deutschland. Eine Untersuchung der bestehenden Regelungen erfolgt in Anlehnung an diese Teilbereiche, so dass zunächst die Regelungen zu Arzneimittelprüfungen analysiert werden (A.). Daraufhin folgt eine Darstellung der Vorschriften in Bezug auf Prüfungen von Medizinprodukten (B.) und Strahlenanwendungen (C.). Zuletzt sollen allgemeine Regelungen untersucht werden (D.).

A. Regelungen zur Arzneimittelprüfung Eine besondere Bedeutung kommt im Rahmen der Forschung am Menschen der Prüfung von Arzneimitteln zu. Zu diesem Bereich sind eine Richtlinie der Europäischen Union und auf nationaler Ebene das Arzneimittelgesetz erlassen worden.

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Kap. 3: Regelungen zur medizinischen Forschung am Menschen

I. Arzneimittelgesetz 1. Vorbemerkungen Die wohl wichtigste Regelung in Deutschland hinsichtlich der Forschung am Menschen stellt das Arzneimittelgesetz1 dar. Nachdem zunächst das Recht der Arzneimittel nicht einheitlich geregelt war,2 entstand 1961 das erste Arzneimittelgesetz.3 In diesem war zwar schon eine Registrierungspflicht, aber noch keine klinische Prüfung und Zulassungspflicht von Arzneimitteln vorgeschrieben.4 Dies änderte sich in der Neufassung von 1976.5 Nach dem Contergan-Skandal6 hatte man die Erforderlichkeit einer Zulassungspflicht mit vorheriger Prüfung der Arzneimittel erkannt.7 Seit 1976 hat sich das Arzneimittelgesetz insbesondere durch die schnell voranschreitende Europäisierung geändert. Wegen der zunehmenden grenzüberschreitenden, multizentrischen und multinationalen Studien waren einheitliche europäische Regelungen erforderlich.8 Große Veränderungen bezüglich der klinischen Prüfung hat besonders die 12. Novelle9 hervorgerufen, die der Umsetzung der Richtlinie 2001/20/EG dient.10 Der Zweck des Arzneimittelgesetzes liegt vor allem in der staatlichen Risikovorsorge.11 Dadurch wird der Staat seiner Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 GG gerecht.12 Sein Ziel ist es, für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für deren Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit zu sorgen.13 1

BGBl. I 2005, S. 3394, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes v. 7. 8. 2013, BGBl I, S. 3108. 2 Vgl. nur die Verordnung über den Verkehr mit Arzneimitteln usw., die der ärztlichen Verschreibungspflicht unterliegen vom 13. März 1941, RGBl. 1941 I, 136; vgl. zur Geschichte des Arzneimittelrechts: Deutsch/Lippert/Ratzel/Tag/Koyuncu, in: Deutsch/Lippert, AMG, Einleitung Rn. 4 ff; Gall, Vergleich von Medizinproduktegesetz und Arzneimittelgesetz, S. 5 ff. 3 BGBl. I, S. 533. 4 Vgl. §§ 20 – 26 AMG in der Fassung von 1961. Eine Registrierungspflicht im Spezialitätenregister sah auch schon ein Entwurf des Arzneimittelgesetzes von 1958 vor: BT-Drs. 3/ 654, S. 5 f. Damit war das Arzneimittelrecht großindustriefreundlich, denn die Anforderungen an die vorgeschriebene Registrierung waren gering, vgl. Maio, DMW 2001, 1183, 1185. 5 BGBl. 1976 I, 2445. 6 LG Aachen JZ 1971, 507: Das Gericht stellte das Verfahren nach § 153 Abs. 3 StPO ein; vgl. Maio, DMW 2001, 1183 zu den Hintergründen der Contergan-Katastrophe. 7 Vgl. zur weiteren Entwicklung der Arzneimittelsicherheit und den weiteren Skandalen wie etwa die HIV-verseuchten Blutprodukte: Wille/Schönhofer, Internist 2002, 469 ff. 8 Kloesel/Cyran, § 40, Blatt 68. 9 BGBl. 2004 I, 2031. 10 BT-Drs. 15/2109, S. 1; vgl. auch Pestalozza, NJW 2004, 3374. 11 Heßhaus, in: Spickhoff, § 1 AMG, Rn. 1; Koyuncu, in: Deutsch/Lippert, AMG, § 1 Rn. 6; Rehmann, AMG, § 1 Rn. 1. 12 Rehmann, AMG, § 1 Rn. 1. 13 Vgl. § 1 AMG.

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2. Systematik der Vorschriften über klinische Prüfungen Die Voraussetzungen der klinischen Prüfungen sind in den §§ 40 ff. AMG geregelt. Die allgemeinen Voraussetzungen sind in § 40 AMG vorangestellt. § 40 Abs. 4 AMG erhöht die Anforderungen bei minderjährigen Probanden. Weitere Modifizierungen finden sich in § 41 AMG, der die besonderen Voraussetzungen für kranke Studienteilnehmer betrifft. § 40 AMG regelt also die Forschung an gesunden Probanden, die meist keinen Nutzen aus der Studie ziehen können, es geht dabei also in der Regel um fremdnützige Forschung. § 41 AMG hingegen bezieht sich auf kranke Probanden, die häufig einen individuellen Nutzen aus der klinischen Prüfung ziehen können. Der Ausgangspunkt des § 41 AMG ist also eigennützige Forschung. Er ist damit vergleichbar mit dem Heilversuch.14 Als Grund für die prinzipielle Begrenzung auf einen individuellen Nutzen wird die besondere Schutzwürdigkeit von kranken Teilnehmern angegeben. Sie genießen einen weitergehenden Schutz, da sie aufgrund ihrer therapeutischen Abhängigkeit zu Ärzten oder der medizinischen Einrichtung in ihrer Willensbildung geschwächt sein könnten.15 Bei einem individuellen Nutzen für die Teilnehmer können die Voraussetzungen innerhalb der eigennützigen Forschung wiederum niedriger sein. In § 41 AMG wird weiter differenziert zwischen volljährigen, § 41 Abs. 1 AMG, minderjährigen, § 41 Abs. 2 AMG, sowie volljährigen einwilligungsunfähigen Probanden, § 41 Abs. 3 AMG. Die besonderen Voraussetzungen treten zu den allgemeinen hinzu bzw. modifizieren sie.16 Die Systematik lässt sich in folgender Abbildung darstellen:

14 Deutsch, in: Deutsch/Lippert, § 41 Rn. 1; Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 41 Rn. 2. 15 Sander, § 41, S. 9. 16 BT-Drs. 15/2109, S. 29 f.; Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 41 Rn. 1.

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Kap. 3: Regelungen zur medizinischen Forschung am Menschen

Für alle klinischen Prüfungen gelten grundsätzlich die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 – 3 AMG. Bei volljährigen Kranken werden die Anforderungen nach § 41 Abs. 1 AMG modifiziert. Sollten diese Personen zusätzlich einwilligungsunfähig sein, treten die Voraussetzungen nach § 41 Abs. 3 AMG hinzu.17 Bei Minderjährigen gelten die allgemeinen Voraussetzungen zuzüglich der Modifizierungen in § 40 Abs. 4 AMG. Sind die Minderjährigen krank, so sind zudem die Anforderungen des § 40 Abs. 2 AMG zu erfüllen.18 3. Voraussetzungen der klinischen Prüfung von Arzneimitteln Die Voraussetzungen der klinischen Prüfung dienen zu einem großen Teil dem Schutz des Studienteilnehmers.19 Darüber hinaus findet eine Festlegung der Verantwortlichkeit von Sponsor, Prüfer, Hauptprüfer und Leiter statt.20 Da die Voraussetzungen aufeinander aufbauen, sind zunächst einige allgemeine Voraussetzungen zu erläutern (a), bevor auf die besonderen Voraussetzungen bei minderjährigen Probanden (b), volljährigen kranken Patienten (c), kranken minderjährigen Patienten (d) sowie kranken einwilligungsunfähigen Patienten (e) eingegangen wird. a) Allgemeine Voraussetzungen nach § 40 Abs. 1 – 3 AMG Gemäß § 40 Abs. 1 S. 2 AMG ist als Schutzmechanismus vor einer klinischen Prüfung sowohl die zustimmende Bewertung einer Ethikkommission als auch die Genehmigung der zuständigen Bundesoberbehörde erforderlich. Es handelt sich um voneinander unabhängige und kumulative Voraussetzungen der klinischen Prüfung.21 Anforderungen und Verfahren sind in § 42 AMG sowie in der auf der Grundlage des Arzneimittelgesetzes erlassenen Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen (GCP-V) geregelt. Während die Bundesoberbehörde schwerpunktmäßig die Qualität und Sicherheit des Arzneimittels prüft, soll die Ethikkommission den Schutz der Prüfungsteilnehmer gewährleisten.22 In § 40 Abs. 1 Satz 3 AMG sind weitere allgemeine Voraussetzungen aufgelistet. Von besonderer Bedeutung ist Nr. 2. Danach muss eine Risiko-Nutzen-Abwägung zwischen den vorhersehbaren Risiken, dem Nutzen für die betroffene Person und der Bedeutung für die Heilkunde stattfinden. Diese Regelung erfolgte unter Berücksichtigung des Art. 3 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 2001/20/EG. Die Abwägung muss 17

Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 41 Rn. 1. Vgl. Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 41 Rn. 1. 19 Vgl. die Überschrift zum sechsten Abschnitt; Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 41 Rn. 9. 20 Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 41 Rn. 9. 21 Kloesel/Cyran, § 40, Blatt 69 t. 22 Sander, § 40, S. 51. 18

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während des gesamten Verlaufs der klinischen Prüfung zu einem ärztlich vertretbaren Ergebnis führen.23 Sie erfolgt bei gesunden Patienten, wie in § 40 AMG, auf zwei verschiedenen Ebenen: Die Nachteile liegen auf der Seite der betroffenen Person, der mögliche Nutzen kann nur für die Allgemeinheit bestehen.24 Es ist also kein individueller Nutzen erforderlich.25 Die Prüfung der ärztlichen Vertretbarkeit darf nicht pauschal für eine Gesamtgruppe erfolgen, sondern ist für eine einzelne Person durchzuführen, die für die Gesamtheit der betroffenen Personen repräsentativ ist, wobei es erforderlich sein kann, unterschiedliche Patientengruppen zu bilden.26 Zu beachten ist, dass bei jeder klinischen Prüfung ein „kalkuliertes Risiko“ in Kauf genommen werden muss, weil jeder medizinisch-technische Fortschritt mit Risiken verbunden ist.27 Nr. 3 regelt die Einwilligung bei volljährigen einwilligungsfähigen Probanden. In Nr. 3 lit. a wird festgelegt, dass die Person volljährig sein muss. Des Weiteren wird die Einwilligungsfähigkeit umschrieben mit der Fähigkeit der Person „Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung zu erkennen und ihren Willen hiernach auszurichten.“ Nach lit. b i.V.m. § 40 Abs. 2 AMG muss vor der Einwilligung eine Aufklärung des Probanden erfolgen. Einwilligung und Aufklärung werden untrennbar miteinander verknüpft.28 In jedem Fall muss insbesondere über die Gefahren, den möglichen Nutzen der klinischen Prüfung und das Studiendesign aufgeklärt werden29 sowie über die Möglichkeit jederzeit die Einwilligung ohne Nachteile zu widerrufen. Zusätzlich ist eine Aufklärungsunterlage auszuhändigen und ein Beratungsgespräch anzubieten. Die Freiwilligkeit der Einwilligung wird nicht erwähnt.30 Die Einwilligungserklärung muss schriftlich erteilt werden, es sei

23 Deutsch, in: Deutsch/Lippert, AMG, § 40, Rn. 14; Sander, § 40, S. 53; Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 40 Rn. 44. 24 Vgl. Deutsch, in: Deutsch/Lippert, AMG, § 40, Rn. 14; Wachenhausen, in: Kügel/ Müller/Hofmann, § 40 Rn. 45. 25 Zwar verknüpft der Wortlaut den „Nutzen für die Person“ mit der „voraussichtlichen Bedeutung des Arzneimittels für die Heilkunde“ mit einem „und“, jedoch bedeutet dies nicht, dass beide kumulativ vorliegen müssen, um zu einer positiven Risiko-Nutzen-Abwägung zu gelangen. Es handelt sich lediglich um die beiden Elemente, die auf der Seite des Nutzens vorliegen und in die Abwägung einfließen können; dagegen: Mehlitz, Die rechtliche Zulässigkeit placebokontrollierter klinischer Prüfungen, S. 39. Daher muss man auch keine abändernde Auslegung und keine teleologische Reduktion vornehmen, durch die „und“ durch „oder“ ersetzt wird. So aber Deutsch, in: Deutsch/Lippert, AMG, § 40, Rn. 15. 26 Kloesel/Cyran, § 41, Blatt 70. 27 Sander, § 40, S. 54. 28 Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 40 Rn. 49. 29 Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 40 Rn. 49. 30 Der Gesetzgeber hielt eine ausdrückliche Regelung diesbezüglich für überflüssig; BTDrs. 15/2109, S. 30.

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Kap. 3: Regelungen zur medizinischen Forschung am Menschen

denn der Proband kann nicht schreiben, so dass die Ausnahme des § 40 Abs. 1 Satz 4 AMG eingreift.31 Zur Absicherung des Probanden muss nach Nr. 8 i.V.m. § 40 Abs. 3 AMG eine Versicherung abgeschlossen werden, die auch Leistungen gewährt, wenn kein anderer für einen etwaigen Schaden haftet.32 b) Voraussetzungen für gesunde minderjährige Probanden § 40 Abs. 4 AMG modifiziert diese allgemeinen Voraussetzungen für die klinische Prüfung an Minderjährigen. Zunächst muss nach § 40 Abs. 4 Nr. 1 AMG das Arzneimittel zum Erkennen oder zum Verhüten von Krankheiten bei Minderjährigen bestimmt und angezeigt sein um bei dem Minderjährigen Krankheiten zu erkennen oder ihn vor Krankheiten zu schützen, d. h. seine Anwendung muss bei dem Minderjährigen medizinisch indiziert sein. Durch diese Anforderungen ist eine rein fremdnützige Forschung an Minderjährigen ausgeschlossen.33 Dafür spricht insbesondere der Wortlaut: „angezeigt“ um bei „dem“ Minderjährigen Krankheiten zu erkennen oder „ihn“ vor Krankheiten zu schützen. Ein Individualnutzen ist folglich Voraussetzung.34 Die Systematik des § 40 AMG spricht auf den ersten Blick allerdings dagegen: Bei § 40 AMG geht es um Forschung an gesunden Probanden. Die historische Auslegung widerlegt dieses Argument jedoch: Nach der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung dient die Änderung der Klarstellung, dass beispielsweise die Erprobung eines Diagnostikums an einem gesunden Kind, bei dem kein zu diagnostizierender Krankheitsverdacht besteht, unzulässig ist.35 Es geht also um Prophylaktika und Diagnostika, so dass kein Widerspruch zur Systematik des § 40 AMG besteht, denn diese können am gesunden Probanden getestet werden. Auch eine teleologische Auslegung führt zu diesem Ergebnis: Sinn und Zweck ist der Schutz des Minderjährigen. Arzneimittel, die ausschließlich zum Erkennen und Verhüten von Kinderkrankheiten bestimmt sind, können aber nicht mit für Kinder verwertbaren Ergebnissen an Erwachsenen getestet werden.36 Der früher geführte Streit, ob rein fremdnützige Forschung an Minderjährigen möglich ist, hat sich also mit der eindeutigeren Formulierung erledigt.37

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Die Schriftform ist in § 126 BGB geregelt. Dabei ist umstritten, ob die Schriftlichkeit eine Zulässigkeitsvoraussetzung darstellt, so Kloesel/Cyran, § 41, Blatt 70 b; Krüger, KliFoRe 2007, 42, 48, oder ob diese Voraussetzung nur der Beweissicherung dient und deklaratorischer Natur ist, so Deutsch, in: Deutsch/Lippert, AMG, § 40, Rn. 43; Rehmann, AMG, § 40, Rn. 5. 32 Es handelt sich um einen Vertrag zugunsten Dritter, durch den der Teilnehmer einen unmittelbaren Anspruch gegen den Versicherer hat; Sander, § 40, S. 70. 33 Fischer, FS Schreiber, S. 685, 686. 34 Spranger, in: Boos/Spranger/Heinrichs, 59, 82. 35 BT-Drs. 15/2849, S. 61; kritisch zur Formulierung: Kloesel/Cyran, § 41, Blatt 70 p: Die Definition in Satz 2 sei eine Tautologie und weise Formulierungsunterschiede zu Satz 1 auf. 36 Irmer, Klinische Forschung, S. 58.

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Problematisch ist ferner, dass nur die Anwendung des Arzneimittels angezeigt sein muss, die Eigennützigkeit bezieht sich nicht ausdrücklich auf die gesamte klinische Prüfung. Dies kann insbesondere bei der Verabreichung von Placebos im Rahmen kontrollierter Studien von Belang sein. Dennoch ist die Formulierung “angezeigt“ so auszulegen, dass die klinische Prüfung einen individuellen Nutzen bringen muss. Dies verdeutlicht die Systematik. Die Formulierung steht bei den §§ 40, 41 AMG im Gegensatz zur gruppennützigen Forschung. Außerdem grenzt der Gesetzgeber die Fälle, in denen die Anwendung des Arzneimittels angezeigt sein muss, von denen des Gruppennutzens derart ab, dass der Gruppennutzen zu einer weitergehenden Zulässigkeit der Forschung führt.38 Daher muss es sich bei der Formulierung um eine Umschreibung der Eigennützigkeit handeln.39 Als weitere Voraussetzung für klinische Prüfungen an Minderjährigen statuiert § 40 Abs. 4 Nr. 2 AMG die Subsidiarität gegenüber der Forschung an Erwachsenen40 : Die klinische Prüfung oder andere Forschungsmethoden an Erwachsenen dürfen keine ausreichenden Ergebnisse erwarten lassen. Die klinische Prüfung an Erwachsenen ist vorrangig, an Minderjährigen ist sie daher nur zulässig, wenn die Forschungsergebnisse nur durch eine klinische Prüfung an Minderjährigen gewonnen werden können. Dies ist jedoch häufig der Fall, denn Minderjährige haben andere körperliche Eigenschaften. So kann die Dosierung eines Arzneimittels nicht durch einen Analogieschluss zur Dosierung bei Erwachsenen gewonnen werden. Bei Kleinkindern und Jugendlichen ist etwa durch schnellere Elimination eine höhere Dosierung im Verhältnis zum Körpergewicht als bei Erwachsenen notwendig.41 Auch gibt es Therapien und präventive Maßnahmen, die überwiegend bei Minderjährigen vorgenommen werden,42 wie etwa bestimmte Impfungen. Der Grundsatz der Subsidiarität wird aber umso eher zu einem Korrektiv, je älter der Minderjährige ist, denn umso mehr ähnelt er einem Erwachsenen in Bezug auf seine körperlichen Charakteristika.43 Nach § 40 Abs. 4 Nr. 3 AMG ist die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters erforderlich. Dies sind in der Regel nach § 1626 BGB die Eltern gemeinschaftlich.44 Diese müssen aufgeklärt werden und die Erklärung muss dem mutmaßlichen Willen 37 Eck, Zulässigkeit medizinischer Forschung, S. 325; Mand/Stückrath, KliFoRe 2006, 61, 63; Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 40 Rn. 99. 38 BT-Drs., 15/2109, S. 31 f. 39 Dies bedeutet aber nicht, dass auch die Placebogabe angezeigt sein muss. 40 BT-Drs. 15/2109, S. 31. 41 Schwarz, in: Schwarz, S. 572, zu den altersabhängigen Charakteristika: S. 569 ff. 42 Schwarz, in: Schwarz, S. 571. 43 Wachenhausen, Medizinische Versuche, S. 142; dies., in: Kügel/Müller/Hofmann, § 40, Rn. 100. 44 Ein Alleinvertretungsrecht könnte sich u. U. in Eil- und Notfällen ergeben, dies ist aber in den Fällen des § 40 Abs. 4 AMG kaum denkbar, vgl. Kloesel/Cyran, § 41, Blatt 70 q; Kölch/ Fegert, FPR 2007, 76, 78; Spranger, in: Boos/Spranger/Heinrichs, 59, 83.

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Kap. 3: Regelungen zur medizinischen Forschung am Menschen

des Minderjährigen entsprechen, soweit ein solcher feststellbar ist.45 Es muss die Annahme begründet sein, der Betroffene stimmte, wenn er einwilligungsfähig wäre, bei Kenntnis aller relevanten Umstände der Maßnahme zu.46 Auch der Minderjährige ist von einem im Umgang mit Minderjährigen erfahrenen Prüfer über die Prüfung, die Risiken und den Nutzen aufzuklären, soweit dies im Hinblick auf sein Alter und seine geistige Reife möglich ist. Falls der Minderjährige erklärt, er wolle nicht an der klinischen Prüfung teilnehmen, oder bringt er dies in sonstiger Weise zum Ausdruck, so ist dies zu beachten. Wie diese „Beachtlichkeit“ zu verstehen ist, ist nicht ganz eindeutig. In Betracht kommt insofern, dass eine ablehnende Haltung des Minderjährigen nur zu einer weiteren Überprüfung führt, wobei die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters nicht unwirksam wird und ein Abwägungsvorgang eröffnet ist.47 Für diese Auslegung spricht der Wortlaut, der eben nicht von einem zwingenden Ausschluss des ablehnenden Minderjährigen ausgeht. Zudem ist ein Formulierungsvorschlag der Enquete Kommission Ethik und Recht in der modernen Medizin, der vorsah, dass der Minderjährige in diesem Fall „von der Teilnahme an der klinischen Prüfung auszunehmen“ ist,48 nicht übernommen worden. Allerdings ist Sinn und Zweck dieses Rechts der Ablehnung der Schutz des Minderjährigen vor Fremdbestimmung. Daher hat die Teilnahme des Minderjährigen in diesem Fall zu unterbleiben.49 Eine Ausnahme ist lediglich anzunehmen, wenn ohne die Teilnahme schwere Gesundheitsschäden drohen.50 Sollte der Minderjährige in der Lage sein, Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung zu erkennen und seinen Willen hiernach auszurichten, so ist auch seine Einwilligung erforderlich. Bei Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen ist also eine kumulative Einwilligung, ein Co-Consent, notwendig. Erteilt der einwilligungsfähige Minderjährige nicht die Einwilligung, so darf keine klinische Prüfung vorgenommen werden. Allerdings kann er sich nicht alleine für die Teilnahme entscheiden, obwohl er einwilligungsfähig ist. Der Co-Consent im Arzneimittelgesetz ist im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht bedenklich.51 Die Gelegenheit zu einem Beratungsgespräch ist nach Nr. 3 neben dem gesetzlichen Vertreter auch dem Minderjährigen zu eröffnen.

45 Dieser ist neben dem wirklichen Willen maßgeblich und eng mit dem Kindeswohlgedanken verknüpft, so Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 40, Rn. 102. Dieses Erfordernis findet sich auch in Art. 4 lit. a der RL 2001/20/EG. 46 Freund, in: MüKo-StGB, §§ 40 – 42b AMG, Rn. 42. 47 Listl, in: Spickhoff, § 40, Rn. 36; Kloesel/Cyran, § 41, Blatt 70 r. 48 KOM-Drs. 15/125, S. 5. 49 Irmer, S. 75; Sander, § 40, S. 73 differenziert, ob es sich um eine Abwehrreaktion gegen eine Belastung durch medizinische Maßnahmen allgemein oder gegen die speziell mit der klinischen Prüfung verbunden Belastung handelt. 50 s. zum Vetorecht noch u. S. 154 ff. 51 Vgl. zur Verfassungsmäßigkeit s. u. S. 147 ff.

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Gemäß § 40 Abs. 4 Nr. 4 AMG darf die klinische Prüfung nur mit möglichst wenig Belastungen und anderen vorhersehbaren Risiken verbunden sein. Dabei müssen Belastungsgrad und Risikoschwelle im Prüfplan eigens definiert und vom Prüfer ständig überprüft werden. Es handelt sich um eine strenge Erforderlichkeitsprüfung.52 Zuletzt statuiert § 40 Abs. 4 Nr. 5 AMG, dass Vorteile mit Ausnahme einer angemessenen Entschädigung nicht gewährt werden dürfen. Dadurch sollen die körperliche Integrität und die Würde des Minderjährigen geschützt werden.53 Die Krankheit des Kindes soll nicht kommerzialisiert werden.54 c) Voraussetzungen für kranke volljährige Patienten In § 41 Abs. 1 AMG werden die allgemeinen Voraussetzungen im Hinblick auf volljährige, kranke Probanden modifiziert. Dabei gilt der Grundsatz, dass an kranken Probanden nur eigennützige Forschung zulässig ist.55 aa) Voraussetzungen in Normalsituationen Das Gesetz unterscheidet zwei mögliche zulässige Fälle: Zunächst ist die klinische Prüfung nach Nr. 1 zulässig, wenn die Anwendung des zu prüfenden Arzneimittels nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft angezeigt ist, um das Leben dieser Person zu retten, ihre Gesundheit wiederherzustellen oder ihr Leiden zu erleichtern. Die Anwendung des Arzneimittels muss also zu einem direkten Eigennutzen erfolgen. Darüber hinaus ist aber auch eine Zulässigkeit bei Gruppennützigkeit geregelt. Es reicht nach Nr. 2 auch aus, wenn die Anwendung des Arzneimittels für die Gruppe der Patienten, die an der gleichen Krankheit leiden wie der Proband, mit einem direkten Nutzen verbunden ist. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass dennoch eine therapeutische Indikation notwendig ist. Das zu prüfende Arzneimittel muss in beiden Fällen zur Behandlung der Krankheit, an der der Proband leidet, angewendet werden. Der Begriff des Gruppennutzens, wie das Gesetz ihn formuliert, ist auch Kritik ausgesetzt: Er sei uneindeutig, denn er könne auch so interpretiert werden, dass die klinische Prüfung zusätzlich mit einem direkten Eigennutzen verbunden sein müsse. Problematisch sei daher, ob der Proband auch einen Nutzen ziehen muss, damit das Erfordernis des Gruppennutzens erfüllt ist.56 Das Merkmal des Gruppennutzens ist aber gerade vom Eigennutzen abzugrenzen. So ist der Eigennutzen in § 41 Abs. 1 Nr. 1 AMG von § 41 Abs. 1 52

Sander, § 40, S. 73. Sander, § 40, S. 74. 54 Krüger, KliFoRe 2007, 42, 53. 55 Mit Ausnahme der neu eingeführten gruppennützigen Forschung. 56 Irmer, Klinische Forschung, S. 15, 92 ff., die aber dennoch nach einer Auslegung zu dem Ergebnis kommt, dass ein Gruppennutzen im fremdnützigen Sinne gemeint ist. 53

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Kap. 3: Regelungen zur medizinischen Forschung am Menschen

Nr. 2 AMG, in dem der Gruppennutzen geregelt ist, durch ein „oder“ getrennt.57 Auch würde eine Auslegung, bei der der Eigennutzen Teil des Gruppennutzens ist, dem Sinn und Zweck der Regelung des Gruppennutzens zuwiderlaufen, nämlich die Möglichkeiten der Forschung auszuweiten.58 Der Gruppennutzen ist daher dem Fremdnutzen zuzuordnen. bb) Voraussetzungen in Notfallsituationen § 41 Abs. 1 S. 2 AMG betrifft den Fall einer Notsituation. Bedeutsam kann er insbesondere bei Schlaganfallpatienten sein. Falls die Einwilligung wegen einer solchen Situation nicht eingeholt werden kann, darf eine Behandlung, die ohne Aufschub erforderlich ist, um das Leben der betroffenen Person zu retten, ihre Gesundheit wiederherzustellen oder ihr Leiden zu erleichtern, umgehend erfolgen. Eine Einwilligung zur weiteren Teilnahme ist, sobald möglich und zumutbar, einzuholen. Dies wird regelmäßig dann möglich sein, wenn keine akute Gefahr mehr besteht und der Proband seine Einwilligungsfähigkeit wiedererlangt hat.59 Nach von Dewitz ist diese Regelung nicht mit Europarecht vereinbar und daher unanwendbar.60 Die Richtlinie 2001/20/EG treffe keine spezielle Regelung zu Notfallsituationen. Die Richtlinie schreibe jedoch in Art. 3 Abs. 2 lit. d die vorherige Einwilligung für jede klinische Prüfung vor. Durch die Unterschreitung der Anforderungen sei § 41 Abs. 1 S. 2 AMG nicht mit Europarecht vereinbar.61 Es ist zuzugestehen, dass die Richtlinie 2001/20/EG keine Regelung zu Notfallsituationen enthält. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie klinische Prüfungen in diesen Fällen verbietet. In der Richtlinie werden als „sonstige nichteinwilligungsfähigen Personen“ Demenzkranke und psychiatrische Patienten beispielhaft aufgezählt, Notfallpatienten werden dabei nicht erwähnt.62 Nach den Gesetzgebungsmaterialien haben sich die Organe nicht mit Notfallsituationen beschäftigt.63 Auch die Europäische Kommission geht davon aus, dass solche Situationen nicht von der Richtlinie 2001/ 20/EG erfasst sind64 und erwägt eine Erfassung von Notfallsituationen.65 Auch nach 57

Irmer, Klinische Forschung, S. 94; Spranger, SuP 2006, 751, 753. Irmer, Klinische Forschung, S. 94. 59 Vgl. Sander, § 41, S. 13. 60 von Dewitz, A&R 2006, 243, 248. 61 von Dewitz, A&R 2006, 243, 248. 62 Vgl. Erwägungsgrund (4) der Richtlinie. 63 Vgl. KOM (97) 369 endg. beschäftigt sich noch nicht mit der Problematik der Einwilligungsunfähigen. Erst im Bericht A4-0407/98 wird auf Einwilligungsunfähige Bezug genommen, der Rat wollte aber zunächst den Schutz Einwilligungsunfähiger den Mitgliedstaaten überlassen (s. KOM (99) 193 endg.). Dies ändert sich erst nach der Empfehlung für die zweite Lesung, A5-0349/2000, in der erstmals zwischen Kindern und sonstigen Einwilligungsunfähigen unterschieden wird, jedoch nicht auf Notfallpatienten eingegangen wird. 64 Assessment of the functioning of the „Clinical Trials Directive“ 2001/20/EC. Public Consultation Paper, ENTR/F/2/SF D(2009) 32674, S. 24 ff. Auch die EMA sieht bislang noch 58

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dem Entwurf zu der Verordnung, die die Richtlinie in Zukunft ersetzt, sind Notfallsituationen von letzterer nicht erfasst.66 Entgegen von Dewitz verbietet die Richtlinie 2001/20/EG die Einbeziehung von Notfallpatienten nicht, denn sie erfasst diese Situation nicht. cc) Notfallsituationen bei dauerhaft Einwilligungsunfähigen Die Regelung der Notfallsituation bezieht sich durch ihre Stellung im Abs. 1 nur auf volljährige einwilligungsfähige Kranke. Eine entsprechende Regelung besteht für die anderen Personengruppen, namentlich volljährige einwilligungsunfähige Kranke und Minderjährige, nicht. Diskutiert wird aber eine Übertragbarkeit der Regelung auf dauerhaft einwilligungsunfähige Personen. Der Wortlaut spricht zwar von der nachträglichen Erteilung der Einwilligung sobald möglich,67 in Betracht kommt aber eine analoge Anwendung, so dass auch bei minderjährigen und einwilligungsunfähigen volljährigen Kranken im Notfall eine klinische Prüfung durchgeführt werden könnte, sollte dies dem mutmaßlichen Willen der Person entsprechen und der gesetzliche Vertreter nicht erreichbar sein.68 Parallel zum Wortlaut könnte die nachträgliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters eingeholt werden. Zweifelhaft ist dabei die Planwidrigkeit einer Lücke.69 Schließlich befindet sich in § 21 Nr. 3 MPG eine Regelung, nach der es der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters so lange nicht bedarf, wie eine Behandlung ohne Aufschub erforderlich ist, um das Leben des Kranken zu retten, seine Gesundheit wiederherzustellen oder sein Leiden zu erleichtern, und eine Erklärung über die Einwilligung nicht herbeigeführt werden kann. Mithin sind dort dauerhaft einwilligungsunfähige Personen erfasst. Die Einbeziehung von Notfallpatienten war jedoch auch schon vor der 12. AMG-Novelle geregelt. In § 41 Nr. 5 AMG a.F.70 beschränkte sie sich nicht auf eine bestimmte Personengruppe. Den Gesetzgebungsmaterialien ist auch nicht die Intention einer

keine Harmonisierung in dem Bereich, s. http://www.kks-netzwerk.de/uploads/download/ KKSN_2007_10_03_Aenderungsbedarf_2001_20_EG_EMA.pdf. 65 von Dewitz, A&R 2006, 243, 248. 66 COM(2012) 369 final, S. 7; vgl. zu dieser Verordnung auch noch u. S. 326 ff. 67 Aus diesem Grund verneinen von Dewitz, A&R 2006, 243, 245 und Mehlitz, Die rechtliche Zulässigkeit placebokontrollierter klinischer Prüfungen, S. 90 die Anwendbarkeit bei einwilligungsunfähigen Personen. 68 Listl, in: Spickhoff, § 41 AMG, Rn. 2; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, XIII, Rn. 94; Spickhoff, MedR 2006, 707, 709. Für eine direkte Anwendung bei § 40 Abs. 3 AMG: Brückner/ Brockmeyer/Norbert/Gödicke/Kratz/Scholz/Taupitz/Weber, MedR 2010, 69, 71; Kubiak, Notfallpatienten, S. 146 ff; Steiner/Walter-Sack/Taupitz/Hacke/Strowitzki, DMW 2008, 787, 788. 69 Sander, § 41, S. 17 geht von einem redaktionellen Versehen aus und befürwortet daher die Anwendung des § 41Abs. 1 S. 2 bei Minderjährigen. Dagegen: von Dewitz, A&R 2006, 243, 246. 70 In der Fassung vom 11. 12. 1998.

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Kap. 3: Regelungen zur medizinischen Forschung am Menschen

Beschränkung zu entnehmen.71 Die systematische Stellung resultiert vielmehr aus der Neustrukturierung des § 41 AMG im Rahmen der 12. AMG-Novelle. Eine vorangestellte allgemeine Regelung kranke Teilnehmer betreffend existiert nicht, die Vorschrift ist dreigeteilt in die Regelung zu volljährigen, minderjährigen und einwilligungsunfähigen Personen. Im Rahmen dieser Neustrukturierung ist von einem redaktionellen Versehen des Gesetzgebers auszugehen,72 so dass die Lücke als planwidrig einzustufen ist. Auch eine vergleichbare Interessenlage besteht. Der Sinn und Zweck des § 41 Abs. 1 S. 2 AMG besteht darin, bei besonderer Eilbedürftigkeit dem mutmaßlichen Willen des Notfallpatienten zu entsprechen. Dieses Interesse besteht auch bei Personen, die auch außerhalb der Notfallsituation einwilligungsunfähig sind. Es ist zuzugestehen, dass minderjährige und volljährige einwilligungsunfähige Notfallpatienten besonders schutzbedürftig sind.73 Jedoch darf ihnen deshalb nicht von vornherein die Teilnahme versagt werden.74 Schließlich sind die Grenzen des § 41 Abs. 1 S. 2 AMG selbst eng durch die Voraussetzung, dass die Teilnahme ohne Aufschub erforderlich sein muss um das Leben der betroffenen Person zu retten, ihre Gesundheit wiederherzustellen oder ihr Leiden zu erleichtern. Außerdem sind die Voraussetzungen der Abs. 2 bzw. 3 kumulativ zu Abs. 1 S. 2 zu erfüllen.75 Mithin sind bis auf die Einwilligung vor der Teilnahme alle weiteren Schutzkriterien zu erfüllen, so dass der Schutzbedürftigkeit der Personengruppen auch bei einer analogen Anwendung des § 41 Abs. 1 S. 2 AMG ausreichend Rechnung getragen werden kann. d) Voraussetzungen für kranke minderjährige Patienten In § 41 Abs. 2 AMG werden die Voraussetzungen für klinische Prüfungen an Minderjährigen gemäß § 40 Abs. 1 – 4 AMG für solche, die an einer Krankheit leiden, modifiziert. Auch hier unterscheidet das Gesetz zwei Fälle, bei denen eine klinische Prüfung zulässig ist. Im ersten Fall, nach § 41 Abs. 2 Nr. 1 AMG, muss die Anwendung des zu prüfenden Arzneimittels nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft angezeigt sein, um das Leben der betroffenen Person zu retten, ihre Gesundheit wiederherzustellen oder ihr Leiden zu erleichtern. Die Anwendung des zu prüfenden Arzneimittels muss mithin mit einem potentiellen individuellen Nutzen verbunden sein. Ob Prophylaktika und Diagnostika von dieser Vorschrift umfasst sind, ist nicht eindeutig. Nach § 41 Abs. 2 AMG geht es um Arzneimittel, die an Minderjährigen angewendet werden sollen, die an einer Krankheit leiden, zu deren Behandlung das zu prüfende Arzneimittel angewendet werden soll. Der Be71

BT-Drs. 15/2109, S. 31 nimmt keine Stellung zu der Verortung der Notfallsituationen in § 41 AMG. 72 Sander, § 41, S. 17. 73 Spranger, in: Boos/Spranger/Heinrichs, 59, 87 lehnt die Analogie insbesondere aus diesem Grund ab. 74 Vgl. Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 41, Rn. 9. 75 Steiner/Walter-Sack/Taupitz/Hacke/Strowitzki, DMW 2008, 787, 788.

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griff der Behandlung ist weit zu verstehen und umfasst auch Diagnostika.76 Zwar dienen Diagnostika nicht der Heilung im engen Sinn, das Erkennen der Krankheit stellt aber den notwendigen Beginn einer Therapie dar. Prophylaktika werden hingegen zur Vorbeugung einer Behandlung eingesetzt und sind daher von dieser abzugrenzen, so dass sie nicht von § 41 Abs. 2 AMG erfasst sind.77 Eine wesentliche Neuerung der 12. AMG-Novelle stellt die Einführung des Gruppennutzens in § 41 Abs. 2 Nr. 2 AMG bei kranken Minderjährigen dar. Danach muss die klinische Prüfung für die Gruppe der Patienten, die an der gleichen Krankheit leiden wie die betroffene Person, mit einem direkten Nutzen verbunden sein. Durch die Formulierung, dass ein direkter Nutzen erforderlich ist, sind keine Grundlagenforschung und keine Studien der Phase I an kranken Minderjährigen möglich,78 denn diese sind höchstens mit einem mittelbaren Nutzen für die Gruppe verbunden. Die Einführung dieser Regelung zum Gruppennutzen soll dem Off-label-use entgegen wirken.79 Gerade bei Minderjährigen spielt diese Anwendung des Arzneimittels im Einzelfall außerhalb der Zulassung80 besonders häufig eine Rolle mangels ausreichender klinischer Prüfungen. Im Gegensatz zu diesen werden beim Off-label-use selten wissenschaftliche Erkenntnisse über den Einzelfall hinaus erzielt.81 Außerdem hat meist ein einzelner Arzt die Entscheidung über die Anwendung zu verantworten und kann dabei nur auf wenig wissenschaftliche Erkenntnisse im Hinblick auf Dosierung und Nebenwirkungen zurückgreifen,82 so dass das Schutzniveau niedriger ist als bei klinischen Prüfungen, die neben weiteren Voraussetzungen schließlich auch die Genehmigung der Bundesoberbehörde und die Stellungnahme einer Ethikkommission erfordern. Zusätzlich zu diesem Gruppennutzen müssen aber noch weitere kumulative Voraussetzungen erfüllt sein, durch die gruppennützige Forschung zum Schutz des Minderjährigen stark eingeschränkt ist.83 Die Forschung muss für die Bestätigung von Daten, die bei klinischen Prüfungen an anderen Personen oder mittels anderer Forschungsmethoden gewonnen wurden, unbedingt erforderlich sein. Sie muss sich auf einen klinischen Zustand beziehen, unter dem der betroffene Minderjährige 76 Krüger, KliFoRe 2006, 15, 20; Pestalozza, NJW 2004, 3374, 3389 dort Fn. 38; Spranger, in: Boos/Spranger/Heinrichs, S. 59, 84. 77 Krüger, KliFoRe 2006, 15, 20; Spranger, in: Boos/Spranger/Heinrichs, S. 59, 84 f; anders aber Pestalozza, NJW 2004, 3374, 3389, dort Fn. 38, der die Einbeziehung von Prophylaktika in Betracht zieht. 78 Kloesel/Cyran, § 41, Blatt 72 b6 ; Krüger, KliFoRe 2007, 42, 48; Spranger, in: Boos/ Spranger/Heinrichs, S. 59, 86. 79 BT-Drs. 15/2109, S. 31. 80 s. o. S. 27. 81 BT-Drs. 15/2109, S. 31. 82 BT-Drs. 15/2109, S. 31. 83 Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 41, Rn. 6; Rehmann, AMG, § 41, Rn. 3 befürchtet sogar, dass die Voraussetzungen so eng sind, dass sie zu keiner wesentlichen Erweiterung der Einbeziehung kranker Minderjähriger führen.

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leidet und sie darf für die betroffene Person nur mit einem minimalen Risiko und einer minimalen Belastung verbunden sein. Dabei dürfen Erwägungen bezüglich eines möglichen weiteren Nutzens nicht herangezogen werden, um ein höheres Maß an Risiken oder Belastungen zu rechtfertigen.84 Es handelt sich also um eine absolute Schwelle.85 Der Gesetzgeber selbst definiert in § 41 Abs. 2 Nr. 2 lit. d 2., 3. Hs AMG, was unter minimalem Risiko bzw. minimaler Belastung zu verstehen ist: „Die Forschung weist nur ein minimales Risiko auf, wenn nach Art und Umfang der Intervention zu erwarten ist, dass sie allenfalls zu einer sehr geringfügigen und vorübergehenden Beeinträchtigung der Gesundheit der betroffenen Person führen wird; sie weist eine minimale Belastung auf, wenn zu erwarten ist, dass die Unannehmlichkeiten für die betroffene Person allenfalls vorübergehend auftreten und sehr geringfügig sein werden.“ Damit umschreibt er „minimal“ mit einer qualitativen und einer zeitlichen Komponente.86 Dennoch bleibt die Definition vage. Der Gesetzgeber hat von einer Aufzählung von minimal risikoreichen bzw. belastenden Maßnahmen abgesehen. So käme eine beispielhafte Auflistung von Maßnahmen in Betracht, die etwa das Wiegen, Messen, Befragen, Beobachten sowie Auswerten von Speichel-, Urin-, Stuhl- und bereits gewonnener Blutproben nennen könnte.87 Nach § 41 Abs. 2 S. 2 AMG ist die Regelung des Gruppennutzens nicht bei Minderjährigen anwendbar, für die nach Erreichen der Volljährigkeit Abs. 3 gilt, die also einwilligungsunfähig bleiben, etwa wegen einer Behinderung. Dies ist folgerichtig, da bei einwilligungsunfähigen volljährigen Patienten der Gruppennutzen nicht ausreicht. Sie werden also schon vorher dieser Gruppe gleichgestellt. e) Voraussetzungen für kranke und einwilligungsunfähige Patienten In § 41 Abs. 3 AMG werden die allgemeinen Voraussetzungen nach § 40 Abs. 1 – 3 AMG für kranke und einwilligungsunfähige Patienten verschärft. Anders als bei kranken minderjährigen Patienten ist die Anwendung des zu prüfenden Arzneimittels nach § 41 Abs. 3 Nr. 1 AMG nur bei potentiellem individuellem Nutzen für den Patienten zulässig, denn die Anwendung muss angezeigt sein um das Leben der betroffenen Person zu retten, ihre Gesundheit wiederherzustellen oder ihr Leiden zu erleichtern. Außerdem müssen sich derartige Forschungen unmittelbar auf einen lebensbedrohlichen oder sehr geschwächten klinischen Zustand beziehen, in dem sich die betroffene Person befindet. Unter den „sehr geschwächten Zustand“ soll nach der Intention des Gesetzgebers auch die Altersdemenz fallen.88 Bezüglich der 84

BT-Drs. 15/2109, S. 31. Paus, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, § 41 AMG, Rn. 1. 86 Spranger, in: Boos/Spranger/Heinrichs, S. 59, 86. 87 Dafür: Spranger, in: Boos/Spranger/Heinrichs, S. 59, 86 sowie die Gutachterliche Stellungnahme der Enquete-Kommission Ethik und Recht in der Medizin, KOM.-Drs. 15/125, S. 7. Diese lehnt freilich die Regelung des Gruppennutzens ab. Vgl. auch noch zu der Bewertung von einzelnen Maßnahmen als lediglich minimal risikoreich und belastend u. S. 347 ff. 88 BT-Drs. 15/2109, S. 32. 85

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Risiko-Nutzen-Abwägung findet sich eine ausführliche Regelung: Die klinische Prüfung muss für die betroffene Person mit möglichst wenig Belastungen und anderen vorhersehbaren Risiken verbunden sein. Dabei müssen Belastungsgrad und Risikoschwelle im Prüfplan eigens definiert und vom Prüfer ständig überprüft werden. Die klinische Prüfung darf nur durchgeführt werden, wenn die begründete Erwartung besteht, dass der Nutzen der Anwendung des Prüfpräparates für die betroffene Person die Risiken überwiegt oder keine Risiken mit sich bringt. Nach Nr. 2 ist die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters oder Bevollmächtigten erforderlich, nachdem er aufgeklärt worden ist. § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 2, 3 und 5 gilt entsprechend, so dass die Einwilligung dem mutmaßlichen Willen der Person entsprechen muss, diese selbst soweit möglich aufzuklären ist, die Möglichkeit zu einem Beratungsgespräch bestehen muss sowie der ablehnende Wille zu beachten ist. Gemäß Nr. 3 muss die Forschung für die Bestätigung von Daten, die bei klinischen Prüfungen an Personen, die zur Einwilligung nach Aufklärung fähig sind, oder mittels anderer Forschungsmethoden gewonnen wurden, unbedingt erforderlich sein. Darüber hinaus gilt auch hier der Grundsatz der Subsidiarität gegenüber der Forschung an anderen Personen. Wie auch bei Minderjährigen dürfen gemäß Nr. 4 Vorteile mit Ausnahme einer angemessenen Entschädigung nicht gewährt werden. 4. Die Zulässigkeit kontrollierter Studien nach dem Arzneimittelgesetz Klinische Prüfungen nach dem Arzneimittelgesetz werden häufig, um wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zu erhalten, als kontrollierte Studien durchgeführt. Dabei erhält die Vergleichsgruppe entweder die Standardbehandlung, ein Placebo oder eine Kombination. Diese Methoden zählen zum wissenschaftlichen Standard. Fraglich ist aber, inwiefern das Arzneimittelgesetz diese Methoden zulässt. a) Anwendbarkeit des Arzneimittelgesetzes Das Arzneimittelgesetz formuliert im Rahmen der §§ 40 ff. AMG nicht die Voraussetzungen einer kontrollierten klinischen Prüfung. Daher muss zunächst festgestellt werden, ob das Arzneimittelgesetz bei kontrollierten Studien und insbesondere auf die Kontrollgruppe anwendbar ist. Der Wortlaut schließt dies jedenfalls nicht aus. Außerdem ist nach Art. 2 lit. d der Richtlinie 2001/20/EG unter „Prüfpräparat“ eine pharmazeutische Form eines Wirkstoffs oder Placebos zu verstehen, die in einer klinischen Prüfung getestet oder als Referenzsubstanz verwendet wird. Folglich geht die Richtlinie von kontrollierten Studien aus. Zudem spricht auch der Sinn und Zweck für eine Einbeziehung der Kontrollgruppe, denn auch diese sollten in den Genuss der Schutzvorschriften kommen, insbesondere sollte sich auch der Versicherungsschutz der Probandenversicherung auf sie erstrecken.89 Folglich ist das Arzneimittelgesetz auch auf kontrollierte Studien anwendbar.90 89

Bundesärztekammer (Hrsg.), Placebo in der Medizin, S. 126; Möller, RPG 2001, 67, 73.

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Fraglich ist aber, ob für die Kontrollgruppe nur § 40 AMG anwendbar ist. Dieser setzt die Anforderungen für gesunde Probanden fest. Da es sich dabei um nicht-therapeutische Versuche handelt, könnten für die Kontrollgruppe dessen Voraussetzungen gelten,91 so dass etwa einwilligungsunfähige Erwachsene nicht einbezogen werden dürften. § 40 und § 41 AMG unterscheiden sich aber durch das Merkmal der Krankheit des Studienteilnehmers. Auch bei der Kontrollgruppe kommt es hinsichtlich der Maßgeblichkeit der Norm auf dieses Merkmal an.92 Durch den möglichen Nutzen für die Person kann auch die klinische Prüfung innerhalb der Kontrollgruppe therapeutisch sein.93 b) Die Zulässigkeit kontrollierter Studien gegen ein Standardpräparat Kontrollierte Studien wie im Rahmen der Phasen der Arzneimittelprüfung werden durchgeführt, um die Unbedenklichkeit, Wirksamkeit und die Überlegenheit gegenüber der Standardbehandlung zu testen. Letzteres macht deutlich, dass die Überlegenheit des Prüfpräparats noch nicht feststeht. Daher stellt die Verabreichung der Standardpräparats keinen Nachteil dar und ist im Rahmen des Arzneimittelgesetzes grundsätzlich zulässig.94

90 So etwa Deutsch, in: Deutsch/Lippert, AMG, § 41 Rn. 5; Loose, Strafrechtliche Grenzen, 74; Schroth, in: Roxin/Schroth, S. 669, 714; Wagner, Placebos in der Medizin, S. 100 f. gelangt durch richtlinienkonforme Auslegung zu diesem Ergebnis. Anders aber: Fincke, Arzneimittelprüfung, S. 116 sowie Meurer, in: Marburger Kreis für Sozialrecht und Sozialpolitik, S. 217, 222: Die §§ 40 ff. seien nur auf die Verumgruppe anwendbar. 91 Eser, Der Internist 1982, 218, 224 f. differenziert: Bei Überlegenheitsstudien sei § 41 AMG anzuwenden, bei Placebo-Studien § 40 AMG; Peter, Forschung am Menschen, S. 115, wendet § 40 AMG an, allerdings bei einem persönlichen Nutzen für Einwilligungsunfähige dennoch § 41 AMG; Stock, Probandenschutz, S. 48 ff. geht zwar davon aus, dass es sich um wissenschaftliche Versuche handelt, diese aber dennoch wegen therapeutischer Zielsetzung unter § 41 AMG fallen können. 92 Vgl. auch Schroth, in: Roxin/Schroth, S. 669, 714 f. 93 Bundesärztekammer (Hrsg.), Placebo in der Medizin, S. 127. 94 Vgl. dazu auch Helle/Frölich/Haindl, NJW 2002, 857, 861; kritisch lediglich: von Freier, Humanforschung, S. 459 in Bezug auf Einwilligungunfähige: Wenn das Testpräparat im Sinne des Heilversuchs indiziert sei, so sei regelmäßig nicht deutlich, dass das Risiko der Standardkontrollgruppe minimal sei; dem entgegen steht die Ansicht von Fischer, Medizinische Versuche, S. 48, nach dem sowohl das Test- als auch das Standardpräparat indiziert sein können. Letzterem ist zuzustimmen, denn die Überlegenheit des Prüfpräparats ist ungewiss. Auch die GCP-V spricht für die Möglichkeit kontrollierter Studien nach dem Arzneimittelgesetz. Dort werden Kontrollgruppen in § 3 Abs. 2a sowie Verblindung in § 3 Abs. 10 erwähnt.

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c) Die Zulässigkeit placebo-kontrollierter Studien aa) Generelle Zulässigkeit von placebo-kontrollierten Studien Ein Placebo ist ein Scheinmedikament ohne Wirkstoff.95 Zunächst ist zu untersuchen, ob die Verabreichung eines Placebos grundsätzlich erlaubt sein kann. Als Indiz für die Zulässigkeit kann die Erwähnung in vielen internationalen Regelwerken gelten. Nicht nur die Richtlinie 2001/20/EG,96 auch die Richtlinie 2001/83/EG setzt die Verabreichung von Placebos voraus.97 Auch die GCP-V98 sowie die Deklaration von Helsinki99 und die Guidelinie E6 des ICH100 nennen Placebos. Die Verabreichung eines Placebos ist aber grundsätzlich nur ärztlich und ethisch vertretbar, wenn keine Standardtherapie besteht, mit der das zu prüfende Arzneimittel verglichen werden kann.101 Wenn eine solche nämlich besteht, ist die Verabreichung eines Placebos eine schlechtere bzw. Nichtbehandlung, die nicht zu legitimieren ist. Man würde dem Patienten einen Nutzen entziehen, der bei der Standardbehandlung schon nachgewiesen ist. Eine Ausnahme von dieser Regel kann nur bei risikoarmen oder -losen Verabreichungsformen eines Placebos gemacht werden, wenn kein irreversibler Schaden droht und die Verwendung des Placebos aus wissenschaftlichen Gründen zwingend notwendig ist.102 Mithin kann unter bestimmten Voraussetzungen generell die Verabreichung eines Placebos erlaubt sein. bb) Zulässigkeit placebo-kontrollierter Studien nach §§ 40, 41 Arzneimittelgesetz Das Arzneimittelgesetz regelt die Zulässigkeit der Verabreichung von Placebos nicht eindeutig. In der Literatur ist die Zulässigkeit umstritten. Während einige Stimmen lediglich die Verabreichung von Placebos bei gruppennütziger Forschung für zulässig halten,103 gehen andere davon aus, dass bei minderjährigen und einwilligungsunfähigen Personen die Gabe von Placebos verboten ist.104 Nach einer 95

s. auch Schwarz, in: Schwarz, S. 637 ff.: von lat. placere: ich werde gefallen. Vgl. bereits o. S. 75 ff. 97 Vgl. Ziffern 5. 2. c, 5. 2. f. 4. sowie 5.2.5.1. 98 s. § 3 Abs. 3 sowie § 7 Abs. 7. 99 s. Ziffer 33. 100 Vgl. Ziffern 1.14, 1.33, 5.13.1, 6.4.2, 6.4.7. 101 Deutsch, JZ 1980, 289, 291; Hoffmann, in: Boos/Merkel, S. 1, 9; vgl. auch Ziffer 33 der Deklaration von Helsinki. 102 Vgl. Ziffer 33 der Deklaration von Helsinki. 103 So (zur Bioethik-Konvention): Fischer, in: Deutsch/Schreiber, S. 29, 33; vgl. auch Listl, in: Spickhoff, § 41 AMG, Rn. 2 f.; Pestalozza, NJW 2007, 3374, 3378; vgl. auch Schroth, in: Roxin/Schroth, S. 669, 717; Zahn, Einwilligungsunfähige, S. 156 ff. 104 Krüger, KliFoRe 2007, 42, 52; ders., MedR 2009, 33, 34; nach Sander, § 41, S. 16 geht davon aus, dass bei Minderjärhigen die Verabreichung von Placebos de facto ausgeschlossen sei, da sie nicht unbedingt erforderlich sei. 96

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weiteren Ansicht ist auch bei den Vorschriften, die einen individuellen Nutzen vorschreiben, die Verabreichung von Scheinpräparaten rechtlich möglich.105 Im Folgenden sind die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes im Hinblick auf die Vereinbarkeit des Placeboeinsatzes auszulegen. Darüber hinaus ist zu untersuchen, inwiefern überhaupt eine positive Risiko-Nutzen-Abwägung bei der Verabreichung von Scheinpräparaten möglich ist. (1) Generelle Zulässigkeit Bei der Analyse, ob eine positive Risiko-Nutzen-Abwägung möglich ist, muss zunächst die Frage beantwortet werden, welchen Nutzen die Probanden haben können und welchem Risiko sie bei einer placebo-kontrollierten Studie ausgesetzt sein können. Auf der Seite des Nutzens kommt der sogenannte Placebo-Effekt, eine positive Reaktion auf den Scheinwirkstoff, in Betracht.106 Allerdings ist diese nicht objektivierbar und daher bei einer Betrachtung ex ante des Nutzens nicht zu berücksichtigen.107 Darüber hinaus hat eine Aufklärung zu erfolgen, die auch das Studiendesign einschließt. Bei dem Wissen um die Möglichkeit der Gabe eines Placebos ist das Auftreten des Placebo-Effekts aber unwahrscheinlich. Nach einer Ansicht stellt aber die Chance, in die Verumgruppe zu gelangen, einen Nutzen dar.108 Dagegen wird vorgebracht, die Zulässigkeitsvoraussetzungen seien nicht nur eine Einstiegs- sondern auch eine Durchführungsvoraussetzung, so dass eine individuelle Überprüfung jedes Behandlungsarms notwendig sei.109 Die Chance auf Zuteilung zur Verumgruppe entfalle aber, sobald der Studienteilnehmer der Kontrollgruppe angehöre.110 Zuzugeben ist, dass die Risiko-Nutzen-Abwägung während der gesamten klinischen Prüfung positiv ausfallen muss. Jedoch besteht beim Cross-over-Verfahren die Chance fort, das Verum zu erhalten. Daher ist die Ansicht zu modifizieren, so dass beim Cross-over-Verfahren ein Nutzen durch die Chance, in die Verumgruppe zu gelangen, besteht. Folglich ist der oben genannten Ansicht mit dieser Einschränkung zu folgen. Darüber hinaus könnte ein Nutzen in der besseren me-

105 So wohl Brückner/Brockmeyer/Norbert/Gödicke/Kratz/Scholz/Taupitz/Weber, MedR 2010, 69, 71; Kloesel/Cyran, § 41, Bl. 72 b6 ; Mehlitz, Die rechtliche Zulässigkeit placebokontrollierter klinischer Prüfungen, S. 41 f., die jedoch nur durch eine teleologische Reduktion zu diesem Ergebnis kommt. 106 Bundesärztekammer (Hrsg.), Placebo in der Medizin, S. 127; Peter, Forschung am Menschen, S. 117. 107 Mehlitz, Die rechtliche Zulässigkeit placebokontrollierter klinischer Prüfungen, S. 31. 108 Brückner/Brockmeyer/Norbert/Gödicke/Kratz/Scholz/Taupitz/Weber, MedR 2010, 69, 71; Graf von Kielmannsegg, PharmR 2008, 517, 522; Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 558; Hoffmann, in: Brill, S. 122, 139; Kloesel/Cyran, § 41, Blatt 72 b6 ; Rosenau, RPG 2002, 94, 98; Steiner/Walter-Sack/Taupitz/Hacke/Strowitzki, DMW 2008, 787, 788; dagegen: von Dewitz, Klinische Bewertung von Medizinprodukten, S. 134. 109 Graf von Kielmannsegg, PharmR 2008, 517, 522. 110 Graf von Kielmannsegg, PharmR 2008, 517, 522.

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dizinischen Versorgung von kranken Studienteilnehmern liegen.111 Diese werden umfangreicher überwacht. Außerdem könnte ein mittelbarer Nutzen dadurch entstehen, dass sie früher das Verum erhalten.112 Es besteht insofern die Möglichkeit, dass das Verum nur im Rahmen der Studie bereits zu diesem Zeitpunkt zu erlangen ist. Der mögliche Nutzen für die Person ist nicht auf die Wirkung des Prüfpräparats beschränkt. § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AMG stellt auf den Nutzen der gesamten klinischen Prüfung ab. Daher können solche Aspekte einen Nutzen darstellen, auch wenn sie als eher gering einzustufen sind. Mithin enthält auch eine placebo-kontrollierte Studie einen individuellen Nutzen, der beim Cross-over-Verfahren noch größer ist, weil die Chance, in die Verumsgruppe zu gelangen, fortbesteht. Neben diesen Gesichtspunkten, die den individuellen Nutzen betreffen,113 besteht auch ein Nutzen für die Allgemeinheit. Dadurch, dass die Studie kontrolliert gegen ein Placebo durchgeführt wird, sind verlässliche und wissenschaftlich fundierte Ergebnisse zu erwarten, die zeigen, ob das Prüfmedikament unbedenklich und wirksam ist. Es handelt sich auch um einen potentiellen Gruppennutzen, da die Mitglieder von Kontroll- und Verumgruppe zur Vergleichbarkeit der gleichen Altersoder Patientengruppe angehören und die Verumgruppe einen potentiellen Nutzen hat. Als Risiken einer Placebogabe ist die Verabreichung selbst zu sehen. Das Placebo muss oral, invasiv oder auf andere Weise dargereicht werden. Dadurch können Risiken und Belastungen auftreten, insbesondere etwa bei der Darreichung mittels einer Spritze. Dies führt dazu, dass die Möglichkeit, in die Kontrollgruppe zu gelangen, auch dadurch ein Risiko darstellt, sofern es sich nicht um risikolose Darreichungsformen handelt. Darüber hinaus kommt als Risiko der sogenannte Nocebo-Effekt, ein negativer Placebo-Effekt, in Betracht. Dabei tritt eine negative Reaktion auf ein Placebo auf,114 etwa durch Beschwerden, die einer Nebenwirkung vergleichbar sind. Allerdings muss hier das gleiche wie beim Placebo-Effekt gelten, so dass er nicht berücksichtigt werden kann.115 111 Peter, Forschung am Menschen, S. 116; vgl. auch Walter-Sack/Haefeli, MedR 2000, 454, 457. 112 Freund, in: MüKo-StGB, §§ 40 – 42b AMG, Rn. 17. Auf der anderen Seite könnte auch in Erwägung gezogen werden, dass ein Vorteil darin bestünde, in die Kontrollgruppe zu gelangen, wenn sich das Verum als nachteilig erweist, etwa durch schwere Nebenwirkungen. Die Zuweisung zur Kontrollgruppe ist jedoch kein Vorteil gegenüber einer Nichtbehandlung außerhalb einer Studie, denn die (Nicht-)Behandlung ist dieselbe. Dann wäre nur der Vorteil der besseren Versorgung und Kontrolle gegeben. 113 Anders aber: Mehlitz, Die rechtliche Zulässigkeit placebokontrollierter klinischer Prüfungen, S. 41 f., die keinen persönlichen Nutzen erkennt, diesen aber auch im Rahmen des § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AMG für erforderlich hält, jedoch mithilfe einer teleologischen Reduktion zu dem Ergebnis gelangt, dass bei einer Placebogabe die Risiken und Nachteile nur bezüglich der Bedeutung für die Heilkunde ärztlich vertretbar sein müssen und nicht im Hinblick auf den persönlichen Nutzen. 114 Schwarz, in: Schwarz, S. 642. 115 Mehlitz, Die rechtliche Zulässigkeit placebokontrollierter klinischer Prüfungen, S. 26.

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Folglich besteht nach der hier vertretenen Auffassung bei einer placebo-kontrollierten Studie als Nutzen die Chance in die Verumgruppe zu gelangen, allerdings nur, sofern es sich um ein Cross-over-Verfahren handelt, und unabhängig davon eine möglicherweise bessere Versorgung und Überwachung. Auf der Seite der Risiken steht dem gegenüber die Verabreichung des Placebos. Da der Nutzen gering zu bewerten ist, dürfen keine risikoreichen Darreichungsformen zur Anwendung kommen. Nicht-invasive Verabreichungsformen sind daher in der Regel zulässig, es kommt aber immer auf den Einzelfall an, so dass auch eine invasive Darreichung erlaubt sein kann. (2) Zulässigkeit bei Gesunden Um einen Placebo-Einsatz zu rechtfertigen, muss diese Risiko-Nutzen-Abwägung positiv ausfallen. Bei Minderjährigen müssen zusätzlich die Voraussetzungen nach § 40 Abs. 4 AMG erfüllt sein. Das Arzneimittel muss also zum Erkennen oder zum Verhüten von Krankheiten bei Minderjährigen bestimmt und die Anwendung des Arzneimittels nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft angezeigt sein, um bei dem Minderjährigen Krankheiten zu erkennen oder ihn vor Krankheiten zu schützen. Diese Anforderungen werden an das Arzneimittel gestellt. Dabei handelt es sich nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG um Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind. Nach einer Ansicht handelt es sich bei Placebos dennoch um ein Arzneimittel i. S. d. § 40 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG.116 Dem ist jedoch zu widersprechen. Ein Placebo bei einer klinischen Prüfung ist nicht zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten bestimmt, sondern nur zum Vergleich. Es handelt sich also nicht um ein Arzneimittel. Nach der hier bevorzugten Auslegung muss das Placebo folglich selbst nicht angezeigt sein, lediglich das zu prüfende Arzneimittel.117 Ein individueller Nutzen der klinischen Prüfung ist aber dennoch erforderlich118 und unter Umständen möglich.119 Darüber hinaus ist die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters erforderlich. Seine Einwilligung muss wirksam sein. Bei einer Placebo-Gabe könnte seine Zustimmung aber nicht mit dem Wohl des Minderjährigen vereinbar sein. Dabei ist wiederum der Einzelfall entscheidend. Sollte es sich um eine risikoarme oder -lose Verabreichung handeln, so verstößt die Einwilligung nicht prinzipiell gegen 116 So etwa von Dewitz, A&R 2007, 65, 71, der selbst bei der Formulierung des „zu prüfenden Arzneimittels“ durch eine richtlinienkonforme Auslegung zu dem Ergebnis gelangt, dass davon auch Placebos erfasst seien. 117 Vgl. auch Graf von Kielmansegg, PharmR 2008, 517, 522; a.A.: von Dewitz, A&R 2007, 65, 71; für eine andere Auslegung auch: Zahn, Einwilligungsunfähige, S. 156, 159. 118 Vgl. o. S. 59. 119 Vgl. o. S. 70.

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§ 1666 BGB. Sofern die Darreichung nach Nr. 4 auch mit möglichst wenigen Belastungen und Risiken einhergeht,120 ist die Teilnahme von gesunden Minderjährigen an placebo-kontrollierten Studien nicht ausgeschlossen. Dieses Ergebnis ist auch mit der Richtlinie 2001/20/EG vereinbar, da dort auch gruppennützige Forschung an gesunden Minderjährigen möglich ist. Die Mitglieder der Verumgruppe haben einen potentiellen direkten Eigennutzen, so dass placebo-kontrollierte Studien immer gruppennützig sind.121 (3) Zulässigkeit bei kranken volljährigen Probanden Bei kranken volljährigen Probanden gilt nach § 41 Abs. 1 AMG, dass ebenfalls nur die Anwendung des zu prüfenden Arzneimittels nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft angezeigt sein muss, also nicht das Placebo. Auch durch den Gruppennutzen ist die Verabreichung eines Placebos im Rahmen einer kontrollierten klinischen Prüfung erlaubt.122 Bei Notfallsituationen darf eine Behandlung, die ohne Aufschub erforderlich ist, umgehend erfolgen. Ungeachtet der Bedenken, ob die Regelung richtlinienkonform ist, ist darüber hinaus die Zulässigkeit von Placebos zweifelhaft. Insbesondere ist fraglich, ob die Verabreichung eines Placebos im Rahmen einer klinischen Studie eine Behandlung darstellt, die derart dringend ist. Auch wird hier nicht auf das zu prüfende Arzneimittel abgestellt, sondern allgemein auf die Behandlung. Daher ist die Verabreichung eines Placebos bei Notfallpatienten nicht zulässig.123 Darüber hinaus ist sie insbesondere bei bewusstlosen Patienten nicht sinnvoll, da diese psychisch durch die Teilnahme an der Studie nicht beeinflusst werden.124 120

Näher zu Impfversuchen an Minderjährigen und zumutbare Belastungen: Deutsch, VersR 2007, 425 ff. 121 s. auch zur Gruppennützigkeit von placebo-kontrollierten Studien: Fischer, in: Deutsch/ Schreiber, S. 29, 33; Kloesel/Cyran, § 41, Blatt 72 b6.; Pestalozza, NJW 2004, 3374, 3378; anders wohl Spranger, SuP 2006, 751, 757, der bei Einwilligungsunfähigen wegen der überwiegenden Fremdnützigkeit randomisierte Studien für unzulässig hält. Vgl. noch zur Zulässigkeit fremdnütziger Forschung u. S. 163 ff. 122 Bundesärztekammer (Hrsg.), Placebo in der Medizin, S. 128. 123 Ebenso, wenn auch mit anderer Begründung: Lippert, in: Toellner/Wiesing, S. 91, 95; anders aber Brückner/Brockmeyer/Norbert/Gödicke/Kratz/Scholz/Taupitz/Weber, MedR 2010, 69, 71; zur allgemeinen Zulässigkeit unabhängig vom Arzneimittelgesetz: von Freier, Humanforschung, S. 467 ff., 595, der eine kontrollierte Studie an unvertretenen Personen nur für ärztlich vertretbar hält, wenn die „Indifferenzbedingungen“ auf Seiten des Forschers (also eine begründete Unsicherheit, welcher Studienarm der bessere ist) und auch eine „materielle Indifferenz“ des Patienten gegenüber den Behandlungsalternativen gemutmaßt werden kann. Eine Ausnahme sei möglich, wenn der Patient eine entsprechende Vorausverfügung getroffen habe. Vgl. zu der Zulässigkeit der Gabe von Placebos aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten noch u. S. 219 ff. 124 Noch weitgehender: Spickhoff, MedR 2006, 707, 714, der bei allen Einwilligungsunfähigen die Gabe von Placebos für verfehlt hält. Dieser These kann aber nur bei Extremsituationen wie Bewusstlosen oder Kleinstkindern gefolgt werden, da viele Einwilligungsunfähige trotzdem in der Lage sein können, an die Wirksamkeit einer Behandlung zu glauben, so

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Kap. 3: Regelungen zur medizinischen Forschung am Menschen

(4) Zulässigkeit bei kranken minderjährigen Probanden Bezüglich kranker Minderjähriger gilt wiederum, dass § 41 Abs. 2 Nr. 1 AMG nur auf die Angezeigtheit des zu prüfenden Arzneimittels abstellt, so dass das Placebo nicht indiziert sein muss. Auch im Rahmen der Nr. 2, des Gruppennutzens, ist die Gabe eines Placebos zulässig, allerdings müssen Risiken und Belastungen minimal sein, was wohl invasive Darreichungsformen ausschließt.125 Des Weiteren muss die Forschung für die Bestätigung von Daten unbedingt erforderlich sein. Wenn kein Standardpräparat zur Verfügung steht, ist auch dies gegeben.126 (5) Zulässigkeit bei kranken volljährigen einwilligungsunfähigen Probanden Bei einwilligungsunfähigen volljährigen Probanden ist ebenfalls nach der hier vertretenen Auslegung nicht erforderlich, dass das Placebo angezeigt ist. Nach § 41 Abs. 3 S. 1 2. Hs. AMG muss sich die klinische Prüfung auf einen lebensbedrohlichen oder sehr geschwächten klinischen Zustand beziehen, in dem sich die betroffene Person befindet, und die klinische Prüfung muss für die betroffene Person mit möglichst wenig Belastungen und anderen vorhersehbaren Risiken verbunden sein. cc) Ergebnis Placebo-kontrollierte Studien fallen unter das Arzneimittelgesetz. Sie sind insbesondere zulässig, wenn die Risiko-Nutzen-Abwägung positiv ausfällt. Im Rahmen der Regelungen, die eigennützige Forschung betreffen, ist zu beachten, dass nach der hier vertretenen Ansicht nur das zu prüfende Arzneimittel indiziert sein muss. Ein eigener Nutzen kann aber auch in der Chance, das Verum zu erhalten, bestehen, sofern es sich um ein Cross-over-Verfahren handelt oder in der besseren Versorgung. Bei gruppennütziger Forschung kann die Gabe eines Placebos ebenfalls zulässig sein, nicht jedoch bei Notfallpatienten.

dass auch bei vielen Einwilligungsunfähigen die Gabe von Placebos sinnvoll sein kann um den Glauben an die Heilung hervorzurufen. 125 Für einen noch weitergehenden Ausschluss: von Freier, Humanforschung, S. 459, der sogar die Zulässigkeit kontrollierter Studien gegen das Standardpräparat an Minderjährigen bezweifelt. 126 Dagegen: Krüger, KliFoRe 2007, 42, 52; Sander, § 41, S. 16: Weil placebo-kontrollierte Studien meist nicht unbedingt erforderlich sei, seien diese bei kranken Minderjährigen de facto ausgeschlossen. Vgl. auch Paeffgen, in: NK, vor § 32, Rn. 168, der die Zuweisung von einwilligungsunfähigen selbst bei Einwilligung eines Vertreters für „unannehmbar“ hält, da eine Heilungs-/Linderungschance vertan würde, ohne dass die Implikationen der Einwilligung zu einer randomisierten Zuordnung durchschauen können.

A. Regelungen zur Arzneimittelprüfung

75

II. Richtlinie 2001/20/EG 1. Vorbemerkungen Die Richtlinie 2001/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. April 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung der Guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln127 hatte erheblichen Einfluss auf das Arzneimittelgesetz. Zwar haben Richtlinien keine unmittelbare Wirkung im nationalen Recht, es besteht aber eine Pflicht der Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Richtlinie,128 der Deutschland durch die 12. AMG-Novelle nachgekommen ist. Daher ist auf die meisten Anforderungen zum Schutz der Studienteilnehmer bereits im Rahmen des Arzneimittelgesetzes eingegangen worden. Nach der allgemeinen Schutzvorschrift für Prüfungsteilnehmer in Art. 3 der Richtlinie 2001/20/EG folgen besondere Voraussetzungen für Minderjährige in Art. 4 und für nichteinwilligungsfähige Erwachsene in Art. 5. Diese besonderen Voraussetzungen modifizieren und erweitern die allgemeinen Voraussetzungen. Anders als das Arzneimittelgesetz beruht die Systematik nicht auf einer Unterscheidung von gesunden und kranken Studienteilnehmern. 2. Voraussetzungen für minderjährige Studienteilnehmer Besonders hervorzuheben ist Art. 4 lit. e der Richtlinie 2001/20/EG, der den Gruppennutzen betrifft. Die klinische Prüfung muss für die Patientengruppe mit einem direkten Nutzen verbunden sein und ist nur zulässig, wenn derartige Forschungen für die Validierung von Daten, die bei klinischen Prüfungen an zur Einwilligung nach Aufklärung fähigen Personen oder mittels anderer Forschungsmethoden gewonnen wurden, unbedingt erforderlich sind. Außerdem müssen sich derartige Forschungen unmittelbar auf einen klinischen Zustand beziehen, unter dem der betroffene Minderjährige leidet, oder ihrem Wesen nach nur an Minderjährigen durchgeführt werden können. Folglich reicht es auch schon aus, wenn der Minderjährige gesund ist, aber die klinische Prüfung nur an Minderjährigen ausgeführt werden kann.129 Dafür spricht nicht nur der Wortlaut, sondern auch die Ziffer 3 der Erwägungen, in denen auch die besondere Bedeutung der klinischen Prüfung von Impfstoffen hervorgehoben wird. Diese erfolgt an gesunden Minderjährigen. Auch die Formulierung „Patientengruppe“ deutet nicht auf eine andere Lösung hin,130 da 127

ABl. L 121 vom 1. 5. 2001, S. 34. Dies gilt auch nach dem Vertrag von Lissabon. Vgl. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Art. 288, Rn. 104; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 288, Rn. 23. 129 Kopetzki, in: Bernat/Kröll, S. 26, 38; Rosenau, RPG 2002, 94, 100; Taupitz, in: Deutsch/ Schreiber, S. 139, 153; ders., Biomedizinische Forschung, S. 107; anders aber Magnus, Medizinische Forschung an Kindern, S. 60. 130 So jedoch Magnus, Medizinische Forschung an Kindern, S. 60. 128

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Kap. 3: Regelungen zur medizinischen Forschung am Menschen

mit Patienten die kranken Mitglieder der Gruppe benannt sind, denen die Forschung zugute kommen soll. Das bedeutet nicht, dass auch der minderjährige Prüfungsteilnehmer krank sein muss. Damit geht die Richtlinie weiter als das Arzneimittelgesetz. Darüber hinaus ist nach Art. 4 lit. g der Richtlinie 2001/20/EG die klinische Prüfung so zu planen, dass sie mit möglichst wenig Schmerzen, Beschwerden, Angst und anderen vorhersehbaren Risiken verbunden ist. Diese relative Risikoschwelle unterscheidet sich auch von der des Arzneimittelgesetzes,131 das darüber hinausgeht, indem es nur minimale Risiken und minimale Belastungen akzeptiert.132 3. Voraussetzungen für einwilligungsunfähige erwachsene Studienteilnehmer Einwilligungsunfähige Erwachsene werden weitgehender geschützt als Minderjährige. So wird auch in Ziffer 4 der Erwägungen festgestellt, dass bei sonstigen nichteinwilligungsfähigen Personen die Einbeziehung in klinische Prüfungen noch restriktiver erfolgen soll. Warum insofern eine Ungleichbehandlung zwischen den Gruppen der einwilligungsunfähigen Personen erfolgt, bleibt offen. Die Forschung muss sich nach Art. 5 lit. e unmittelbar auf einen lebensbedrohlichen oder sehr geschwächten klinischen Zustand beziehen, in dem sich der betreffende nichteinwilligungsfähige Erwachsene befindet, d. h. klinische Prüfungen sind nur bei kranken nichteinwilligungsfähigen Erwachsenen zulässig. Teils wird daraus der Schluss gezogen, ein individueller Nutzen sei nicht erforderlich, denn eine Verbesserung des Zustands sei nicht gefordert.133 Dem entgegen steht jedoch nicht nur, dass nach den Erwägungsgründen die Forschung an sonstigen Einwilligungsunfähigen restriktiver erfolgen soll.134 Auch ist Art. 5 anders als Art. 4 formuliert. Wäre auch hier ein Gruppennutzen ausreichend, hätte man eine zumindest ähnliche Formulierung gewählt. Außerdem muss nach Art. 5 lit. i die begründete Erwartung bestehen, dass die Verabreichung des Prüfpräparates einen Nutzen für die Person hat, der die Risiken überwiegt oder keinerlei Risiken mit sich bringt. Grundsätzlich ist also ein Eigennutzen notwendig,135 es sei denn, es handelt sich um eine risikolose Verabreichung.136

131

Kritisch dazu Fischer, in: Deutsch/Schreiber, S. 29, 34; Laufs, MedR 2004, 583, 588. Vgl. o. S. 66. 133 Kopetzki, in: Bernat/Kröll, S. 26, 40; Taupitz, Biomedizinische Forschung, S. 107 f. 134 Rosenau, RPG 2001, 94, 100. 135 So wohl Deutsch, NJW 2001, 3361, 3363; Rosenau, RPG 2001, 94, 100. 136 Eine risikolose Verabreichung wird jedoch selten sein, vgl. Fischer, in: Deutsch/ Schreiber, S. 29, 32, der insgesamt der Differenzierung zwischen Minderjährigen und volljährigen Einwilligungsunfähigen kritisch gegenübersteht. 132

B. Regelungen zur Prüfung von Medizinprodukten: Medizinproduktegesetz

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Die Richtlinie wird in naher Zukunft durch eine Verordnung ersetzt.137 Diese wird unmittelbar auch in Deutschland gelten138 und damit auch das Arzneimittelgesetz ändern.

B. Regelungen zur Prüfung von Medizinprodukten: Medizinproduktegesetz I. Vorbemerkungen Neben dem Arzneimittelgesetz ist das Medizinproduktegesetz139 von Bedeutung. Nachdem es zunächst nur eine Verordnung über die Sicherheit medizinisch-technischer Geräte, die Medizingeräteverordnung,140 gab, ist 1994 das Medizinproduktegesetz eingeführt worden.141 Das Medizinproduktegesetz ist in erheblichem Maße durch das Europarecht geprägt und basiert auf der Umsetzung mehrerer Richtlinien und Verordnungen.142 Dabei wird das Konzept des „New Approach“ verfolgt: Zur Realisierung eines freien Binnenmarktes werden einheitliche technische Standards geschaffen, bei deren Erfüllung die Medizinprodukte im gemeinsamen Markt verkehrsfähig sind.143 Dies wird durch eine CE-Kennzeichnung erreicht, die in den Mitgliedstaaten anerkannt ist.144 Das Recht der Medizinprodukte soll in Zukunft durch eine Verordnung reformiert werden, die nach einem Entwurf auch Regelungen zum Schutz einwilligungsunfähiger Probanden enthält. Eine Einigung zwischen Kommission und Parlament ist jedoch noch nicht erzielt.145

137

Vgl. dazu noch ein Ausblick u. S. 326 ff. Vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV. 139 BGBl. I 2002, S. 3142, zuletzt geänadert durch Art. 11 des Gesetzes v. 19. 10. 2012, BGBl. I, S. 2192. 140 BGBl. I 1985, S. 93, aufgehoben durch Art. 6 des Gesetzes vom 13. 12. 2001, BGBl I, S. 3586; Nach §§ 5, 6 MedGV war nur bei bestimmten Gruppen von medizinisch-technischen Geräten eine Bauartzulassung vorgeschrieben. 141 BGBl. I 1994, S. 1963; vgl. zur Geschichte des Medizinproduktegesetzes: Gall, Vergleich von Medizinproduktegesetz und Arzneimittelgesetz, S. 3 ff. 142 So dient die Einführung des MPG (BGBl. I 1994, 1963) etwa der Umsetzung der Richtlinien 90/385/EWG, 93/42/EWG, 93/68/EWG. Beim 2. Änderungsgesetz (BGBl. I 2001, S. 3586) wurde die Richtlinie 98/34/EG beachtet. Das 4. Änderungsgesetz (BGBl. I 2009, S. 2326) dient der Umsetzung der Richtlinie 2007/47/EG sowie der Verordnung (EG) Nr. 765/ 2008. Im Entwurfsstadium befindet sich eine Verordnung über Medizinprodukte und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009: COM (2012) 542 (final). 143 Lücker, in: Spickhoff, Vorbemerkungen MPG, Rn. 2. 144 Rehmann, in: Rehmann/Wagner, MPG, Einführung, Rn. 6. 145 Vgl. zu der Verordnung noch u. S. 336 ff. 138

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Kap. 3: Regelungen zur medizinischen Forschung am Menschen

II. Abgrenzung zum Arzneimittelgesetz Vor Einführung des Medizinproduktegesetzes waren Medizinprodukte größtenteils als „fiktive Arzneimittel“ vom Arzneimittelgesetz erfasst.146 Das Gesetz selbst nimmt die Abgrenzung vor: In § 3 Nr. 1 MPG findet sich eine Legaldefinition eines Medizinproduktes. Die Abgrenzung zum Arzneimittel und damit zum Anwendungsbereich des Arzneimittelgesetzes erfolgt anhand der Wirkungsweise. Arzneimittel wirken pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch, Medizinprodukte nicht.147 Werden sie miteinander verbunden, kommt es auf die Hauptfunktion an.148 Eine Abgrenzung ist wichtig, da trotz erheblicher Angleichungen nicht die gleichen Voraussetzungen einzuhalten sind. Auch betrifft das Medizinproduktegesetz – anders als das Arzneimittelgesetz – ausschließlich Produkte zur Anwendung am menschlichen Körper.149

III. Grundlagen der klinischen Prüfung von Medizinprodukten Medizinprodukte bedürfen anders als Arzneimittel keiner behördlichen Zulassung. Ohne eine CE-Zertifizierung dürfen sie aber nicht in den Verkehr gebracht werden.150 Voraussetzung für eine solche CE-Zertifizierung ist jedoch ein Konformitätsbewertungsverfahren, das eine präventive Kontrolle ermöglicht.151 Durch dieses soll nachgewiesen werden, dass das Medizinprodukt den grundlegenden Anforderungen nach § 7 MPG genügt, der auf verschiedene europäische Richtlinien verweist. Der Nachweis erfolgt bei Medizinprodukten durch eine klinische Bewertung, bei in-vitro-Diagnostika durch Leistungsbewertung. Die Bewertung muss unterschiedlichen Anforderungen genügen, die sich nach einer Klassifizierung richten.152 Die jeweilige Bewertung kann entweder durch eine klinische Prüfung erfolgen oder durch den Rückgriff auf vorhandenes wissenschaftliches Erkenntnismaterial.153 Die klinische Prüfung ist also Teil der klinischen Bewertung.154 146 Deutsch, in: Deutsch/Lippert/Ratzel/Tag, MPG, Einleitung; Kloesel/Cyran, § 2, Blatt 3 v; Rehmann, in: Rehmann/Wagner, Einführung, Rn. 3. 147 Durch die Vorschriften ist sichergestellt, dass es kein Produkt mit mit einer doppelten Zuordnung gibt, vgl. Kloesel/Cyran, § 2, Blatt 6 a; vgl. auch zu den Schwierigkeiten der Abgrenzung: BGH NJW-RR 2010, 1705. 148 Vgl. Ratzel, in: Deutsch/Lippert/Ratzel/Tag, MPG, § 3 Rn. 3 mit Beispielen sowie § 2 Abs. 3 MPG. 149 Lücker, in: Spickhoff, § 1 MPG, Rn. 2. 150 Vgl. § 6 Abs. 1 S. 1 MPG. 151 Rehmann, in: Rehmann/Wagner, MPG, Einführung, Rn. 5. 152 Vgl. Art. 11 der RL 93/42/EWG sowie die Klassifizierungsregeln in Anhang IX, III. der Richtlinie. 153 Vgl. § 3 Abs. 25 MPG; Listl, in: Spickhoff, § 19 MPG, Rn. 2; Rehmann, in: Rehmann/ Wagner, MPG, § 19, Rn. 2. 154 Rehmann, in: Rehmann/Wagner, MPG, § 20, Rn. 1.

B. Regelungen zur Prüfung von Medizinprodukten: Medizinproduktegesetz

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IV. Voraussetzungen der klinischen Prüfung von Medizinprodukten Die Voraussetzungen der klinischen Prüfung von Medizinprodukten sind in den §§ 20 ff. MPG geregelt. Genauere Vorschriften finden sich in der Verordnung über klinische Prüfungen von Medizinprodukten (MPKPV)155. Die Systematik ist mit den Regelungen im Arzneimittelgesetz vergleichbar: § 20 MPG betrifft allgemeine Voraussetzungen der klinischen Prüfung, § 21 MPG besondere Voraussetzungen für kranke Studienteilnehmer. 1. Allgemeine Voraussetzungen nach § 20 Abs. 1 – 3 MPG Auch bei Medizinprodukten ist im Grundsatz eine zustimmende Stellungnahme der Ethikkommission und eine Genehmigung der zuständigen Behörde erforderlich.156 § 20 Abs. 1 S. 3 MPG zählt weitere Voraussetzungen auf, die größtenteils denen des Arzneimittelgesetzes entsprechen,157 so dass hier nur auf wichtige Abweichungen eingegangen wird. Die Abwägung von Nutzen und Risiken erfolgt hier ausdrücklich nur zwischen Risiken für die Person und der voraussichtlichen Bedeutung für die Heilkunde.158 Die Einwilligung ist nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 MPG nur wirksam, wenn die Person geschäftsfähig ist.159 2. Besondere Voraussetzungen für gesunde minderjährige Probanden Die Anforderungen an die klinische Prüfung bei gesunden minderjährigen Probanden nach § 20 Abs. 4 MPG entsprechen grundsätzlich denen des Arzneimittelgesetzes. Allerdings fehlen einige Aspekte, wie etwa die Definition des Begriffs „angezeigt“.160 Auch die Beachtlichkeit des entgegenstehenden Willens des Minderjährigen hat nicht Eingang in die Regelung gefunden.161 Ebenso ist die Begren-

155

BGBl. I 2010, 555. Vgl. § 20 Abs. 1 S. 1 MPG i.V.m. §§ 22 f. MPG. Bei geringem Sicherheitsrisiko kann die Behörde nach Satz 2 von einer Genehmigung absehen. 157 Eine weitere Annäherung der Vorschriften sei wegen der Besonderheiten der Medizinprodukte nicht möglich, so Hill/Schmitt, WiKo, vor §§ 19 – 24, Rn. 3. Auch sei an gesunden Probanden kaum Forschung mit Medizinprodukten möglich; Phase-1-Prüfungen gebe es kaum. 158 Vgl. § 20 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 MPG, Deutsch, in: Deutsch/Lippert/Ratzel/Tag, MPG, § 20, Rn. 12; vgl. zur Diskussion bezüglich der Regelung im Arzneimittelgesetz: S. 57. 159 Anders im Arzneimittelgesetz, hier ist Volljährigkeit erforderlich, vgl. o. S. 57. Die Geschäftsfähigkeit richtet sich nach §§ 104 ff. BGB. 160 Vgl. o. S. 58 zur Legaldefinition im Arzneimittelgesetz. 161 Vgl. o. S. 60. Nach Rehmann, in: Rehmann/Wagner, § 20, Rn. 4 soll dennoch der Widerspruch des Minderjährigen zu beachten sein. 156

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Kap. 3: Regelungen zur medizinischen Forschung am Menschen

zung auf möglichst wenig Belastungen und Risiken nicht zu finden162 sowie das Verbot der Gewährung von Vorteilen.163 3. Besondere Voraussetzungen für kranke Patienten § 21 MPG differenziert nicht bzw. nicht so deutlich wie § 41 AMG zwischen volljährigen, minderjährigen und volljährigen einwilligungsunfähigen Personen.164 Bei kranken volljährigen Patienten muss die Anwendung des zu prüfenden Medizinprodukts nach § 21 Nr. 1 MPG angezeigt sein, es ist also ein individueller Nutzen erforderlich.165 Der Gruppennutzen hat (noch) nicht Einzug in das Medizinproduktegesetz gefunden.166 Auch bei nicht geschäftsfähigen oder beschränkt geschäftsfähigen Patienten ist ein Eigennutzen Voraussetzung der klinischen Prüfung. Eine Regelung speziell für kranke volljährige einwilligungsunfähige Patienten fehlt völlig.167 Diese können aber unter die Bestimmung des § 21 Nr. 2 MPG subsumiert werden, wenn sie geschäftsunfähig sind. Wie bei kranken Minderjährigen ist also die Einwilligung des Vertreters und ein individueller Nutzen Voraussetzung. Für den Fall der Notfallsituation befindet sich in § 21 Nr. 3 S. 3 MPG eine deutlichere Regelung als im Arzneimittelgesetz168 : Der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters bedarf es so lange nicht, als eine Behandlung ohne Aufschub erforderlich ist und eine Erklärung über die Einwilligung nicht herbeigeführt werden kann. Dass diese Regelung auch und gerade Einwilligungsunfähige erfasst, ist angesichts der Stellung in § 21 Nr. 3 MPG, bei den Regelungen zur Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, zweifellos. Insgesamt sind die §§ 20 f. MPG dennoch verbesserungsbedürftig,169 insbesondere, da nur eigennützige Forschung bei minderjährigen, einwilligungsunfähigen oder kranken Personen zulässig ist. 4. Zulässigkeit placebo-kontrollierter klinischer Prüfungen nach dem Medizinproduktegesetz Auch bei Medizinprodukten ist die Verabreichung von Placebos durch die Gabe von wirkungslosen Produkten möglich. So zählen etwa Augentropfen, die auf

162

Vgl. hingegen o. S. 61. Vgl. jedoch o. S. 61. 164 Listl, in: Spickhoff, § 21 Rn. 3. 165 Ambs, in: Erbs/Kohlhaas/Ambs, § 21, Rn. 1. 166 Deutsch, in: Deutsch/Lippert/Ratzel/Tag, MPG, § 21 Rn. 2. Vgl. hingegen o. zum Gruppennutzen bei volljährigen Kranken S. 61 sowie bei minderjährigen Kranken S. 65. 167 Vgl. hingegen o. S. 63. 168 Vgl. o. S. 66 ff. 169 Zur Kritik an der mangelhaften Angleichung an das Arzneimittelgesetz vgl. auch Irmer/ Henßler, MPR 2009, 73 ff. sowie Wachenhausen, MPJ 2008, 211, 216. 163

C. Regelungen zur Forschung mit Strahlenanwendung

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physikalischem Wege wirken, zu Medizinprodukten.170 Werden sie durch wirkungslose Augentropfen ersetzt, handelt es sich um ein Placebo. Bei Medizinprodukten gilt bezüglich placebo-kontrollierter Studien im Wesentlichen das zum Arzneimittelgesetz Beschriebene:171 Die Angezeigtheit muss sich nach der hier vertretenen Ansicht nur auf das zu prüfende Medizinprodukt beziehen, dennoch ist bei dieser Formulierung ein Eigennutzen erforderlich, der auch bei einem Placebo vorliegen kann. Sofern die weiteren Voraussetzungen der klinischen Prüfung vorliegen, kann eine placebo-kontrollierte Studie auch nach dem Medizinproduktegesetz bei einer positiven Risiko-Nutzen-Abwägung zulässig sein. Eine Ausnahme bilden wiederum Notfallsituationen.

C. Regelungen zur Forschung mit Strahlenanwendung I. Strahlenschutzverordnung 1. Vorbemerkungen Die Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung) ist 1976 auf Grundlage des Atomgesetzes erlassen worden.172 Nachdem die Strahlenschutzverordnung 1989 neu gefasst wurde,173 unterlag sie 2001 erheblichen Veränderungen durch die Verordnung für die Umsetzung von EURATOM-Richtlinien zum Strahlenschutz.174 Die Strahlenschutzverordnung bezweckt den Schutz des Menschen und der Umwelt vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung.175 In den §§ 23 f. sowie 87 f. StrlSchV befinden sich Regelungen zum Schutz des Menschen bei der medizinischen Forschung. 2. Voraussetzungen der §§ 23 f. StrlSchV Nach § 23 StrlSchV ist eine Genehmigung des Bundesamts für Strahlenschutz erforderlich. Die Genehmigungsvoraussetzungen befinden sich in § 24 StrlSchV. Dort ist seit 01. November 2011176 zu unterscheiden zwischen dem ausführlichen 170

Kloesel/Cyran, § 2, Bl. 8. Vgl. o. S. 69 ff. 172 BGBl. I 1976, S. 2905. 173 BGBl. I 1989, S. 1321, ber. S. 1921. 174 BGBl I 2001, S. 1714, ber. 2002, S. 1459. Die Verordnung diente der Umsetzung der Richtlinie 96/29/EURATOM (ABl. EG Nr. L 159, S. 1), der Richtlinie 89/618/EURATOM (ABl. EG Nr. L 357 S. 31) sowie der sogenannten Patientenschutz-Richtlinie 97/43/EURATOM (Abl. EG Nr. L 180 S. 22), die bedeutsam für die Anwendung der radioaktiven bzw. ionisierenden Stoffe in der Heilkunde und der medizinischen Forschung ist. 175 Vgl. § 1 StrlSchV. 176 BGBl. I 2011, S. 2000. 171

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Kap. 3: Regelungen zur medizinischen Forschung am Menschen

Genehmigungsverfahren nach Abs. 1 und dem vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Abs. 2 bei Begleitdiagnostik, wenn die Anwendung radioaktiver oder ionisierender Stoffe nicht selbst Gegenstand des Forschungsvorhabens ist. Die Genehmigung nach Abs. 1 darf gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchV nur erteilt werden, wenn für das beantragte Forschungsvorhaben ein zwingendes Bedürfnis besteht, d. h. wenn die bisherigen Forschungsergebnisse und medizinischen Erkenntnisse nicht ausreichen. Das Vorliegen des zwingenden Bedürfnisses hat nach § 24 Abs. 1 Nr. 8 i.V.m. § 92 S. 2 StrlSchV die Ethikkommission zu prüfen. Außerdem ist die Forschung nach Nr. 2 und 4 mit radioaktiver oder ionisierender Strahlung subsidiär gegenüber anderen Untersuchungs- und Behandlungsarten und gegenüber Anwendungsarten mit geringerer Strahlenexposition. Neben weiteren Anforderungen zum Schutz des Probanden177 muss auch hier eine Abwägung von Risiken und Nutzen erfolgen: Nach Nr. 3 müssen die voraussichtlichen Risiken ärztlich vertretbar gemessen an der Bedeutung für die Heilkunde sein. Die Behörde kann in Abweichung von Abs. 1 die Genehmigung auch erteilen, wenn es sich um Begleitdiagnostik handelt und die Art der Anwendung radioaktiver Stoffe oder ionisierender Strahlung anerkannten Standardverfahren der Heilkunde am Menschen entspricht. Die Art und Häufigkeit der Anwendung radioaktiver Stoffe oder ionisierender Strahlung muss dem Zweck des Forschungsvorhabens entsprechen und es muss gewährleistet sein, dass ausschließlich einwilligungsfähige Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, in das Forschungsvorhaben eingeschlossen werden, bei denen eine Krankheit vorliegt, deren Behandlung im Rahmen des Forschungsvorhabens geprüft wird. 3. Weitere Anforderungen nach §§ 87 ff. StrlSchV Außerhalb der Genehmigungsvoraussetzungen in den §§ 87 ff. StrlSchV sind weitere Regelungen zur medizinischen Forschung am Menschen gegeben. Nach § 87 Abs. 1 – 3 StrlSchV ist die schriftliche Einwilligung eines geschäftsfähigen einwilligungsfähigen Probanden nach Aufklärung erforderlich. In Abs. 4 befindet sich eine Sonderregelung für geschäftsunfähige und beschränkt geschäftsfähige Probanden: Die medizinische Forschung mit radioaktiver oder ionisierender Strahlung ist mit ihnen nur zulässig, wenn das Forschungsziel anders nicht erreicht werden kann und die Anwendung an Probanden erfolgt, bei denen in Bezug auf das genehmigungsbedürftige Forschungsvorhaben eine Krankheit oder ein entsprechender Krankheitsverdacht vorliegt, und die Anwendung geeignet ist, diese Krankheit zu erkennen, das Leben der betroffenen Person zu retten, ihre Gesundheit wiederherzustellen oder ihr Leiden zu lindern. Mithin ist ein Eigennutzen Voraussetzung. Außerdem muss der gesetzliche Vertreter oder der Betreuer seine Einwilligung geben, nachdem er aufgeklärt worden ist. Sofern der geschäftsunfähige 177

Vgl. § 24 Abs. 1 Nr. 5 – 11, Abs. 3.

C. Regelungen zur Forschung mit Strahlenanwendung

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oder beschränkt geschäftsfähige Proband in der Lage ist, Wesen, Bedeutung und Tragweite der Anwendung einzusehen und seinen Willen hiernach zu bestimmen, ist zusätzlich dessen persönliche Einwilligung erforderlich. Wie das Medizinproduktegesetz unterscheidet die Strahlenschutzverordnung also nicht zwischen minderjährigen und volljährigen einwilligungsunfähigen Patienten.178 Jedoch fehlt hier eine Regelung betreffend der Zulässigkeit von Forschung in Notfallsituationen.

II. Röntgenverordnung 1. Vorbemerkungen Die Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen (Röntgenverordnung) ist 1973 ebenfalls auf Grund des Atomgesetzes erlassen worden179 und bis heute mehrmals geändert180 bzw. neu gefasst worden181. Die Röntgenverordnung gilt für Röntgeneinrichtungen und Störstrahler, während die Strahlenschutzverordnung das Gebiet ionisierender und radioaktiver Strahlung behandelt.182 In den §§ 28a ff. RöV befinden sich Regelungen zum Schutz des Menschen in der medizinischen Forschung. 2. Voraussetzungen der §§ 28a f. RöV Gemäß § 28a RöV ist eine Genehmigung des Bundesamts für Strahlenschutz notwendig. Ebenso wie die Strahlenschutzverordnung unterscheidet die Röntgenverordnung nun183 das vereinfachte und das ausführliche Genehmigungsverfahren. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Genehmigung nach § 28b RöV entsprechen denen der Strahlenschutzverordnung.184 3. Weitere Anforderungen nach §§ 28c f. RöV §§ 28c und 28d RöV entsprechen nahezu vollkommen §§ 87, 88 StrlSchV.185 Durch gemeinsame Änderungsverordnungen und ihr Beruhen auf europäischen 178

Vgl. o. S. 80. BGBl. I 1973, S. 173. 180 Vgl. nur BGBl. I 1987, S. 114. 181 BGBl. I 2003, S. 605. 182 Vgl. jeweils § 1 der Verordnungen. 183 BGBl. I 2011, S. 2000. 184 Vgl. o. S. 81 ff. 185 Bei § 28c RöV fehlen lediglich Abs. 5 und 6. Dies ist aber mit der Besonderheit radioaktiver und ionisierender Strahlung zu erklären. Bei § 28d RöV sind stillende Frauen nicht ausgeschlossen. 179

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Kap. 3: Regelungen zur medizinischen Forschung am Menschen

Richtlinien sind die Verordnungen stark harmonisiert worden. Mithin ist auch in der Röntgenverordnung bei geschäftsunfähigen und beschränkt geschäftsfähigen ein Eigennutzen erforderlich. Ebenso fehlt eine Vorschrift in Bezug auf Notfallsituationen.

D. Allgemeine Regelungen zur Forschung am Menschen Neben den Vorschriften, die sich nur einzelne Teilbereiche der Forschung am Menschen beziehen, gibt es auch einige internationale Regelungen, die sich mit der Forschung am Menschen allgemein beschäftigen.

I. Bioethik-Konvention 1. Vorbemerkungen Die Bioethik-Konvention stellt in Kapitel V Grundsätze zur wissenschaftlichen Forschung am Menschen auf.186 Es handelt sich um ein Übereinkommen des Europarates, das jedoch von Deutschland nicht unterzeichnet und ratifiziert worden ist.187 Daher ist es in Deutschland nicht rechtlich verbindlich. Dennoch ist es wichtig, das Übereinkommen zu untersuchen, da es ein allgemeines Regelwerk zur medizinischen Forschung darstellt und auch nicht auf einen Bereich beschränkt ist. Art. 16 der Bioethik-Konvention regelt die allgemeinen Voraussetzungen zum Schutz des Menschen bei Forschungsvorhaben, Art. 17 besondere Voraussetzungen bei einwilligungsunfähigen Personen. Durch diese Abgrenzung zwischen einwilligungsunfähigen und einwilligungsfähigen Personen ohne die Schwelle der Geschäftsfähigkeit oder Volljährigkeit wird das Selbstbestimmungsrecht von minderjährigen, einwilligungsfähigen Personen am besten gewahrt. 2. Zulässigkeit medizinischer Forschung nach der Bioethik-Konvention Bezüglich der allgemeinen Voraussetzungen ist hervorzuheben, dass bei einer Risiko-Nutzen-Abwägung nach Art. 16 lit. ii lediglich vorausgesetzt wird, dass die möglichen Risiken nicht im Missverhältnis zum möglichen Nutzen stehen. Damit

186

Im Internet abrufbar unter http://conventions.coe.int/Treaty/ger/Treaties/Html/164.htm. Der Überblick über Unterzeichnungen und Ratifikationsstand ist im Internet abrufbar unter http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/ChercheSig.asp?NT=164&CM=1&DF=& CL=GER. Bislang sind 29 Ratizifierungen abgeschlossen. Gegen eine Ratifizierung argumentiert auch das Mitglied des Bundestags Hüppe, idea 10/97, 3 ff. 187

D. Allgemeine Regelungen zur Forschung am Menschen

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unterscheidet sich die Bioethik-Konvention von den anderen Normen, in denen meist ärztliche Vertretbarkeit gefordert wird. Bei Einwilligungsunfähigen müssen zusätzlich zu den Schutzvorschriften für alle Versuchspersonen weitere Voraussetzungen nach Art. 17 Abs. 1 erfüllt sein: Die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, tatsächlicher und unmittelbarer Nutzen für die Person und keine Ablehnung. Des Weiteren ist auch hier die Forschung an Einwilligungsunfähigen subsidiär gegenüber der Forschung an Einwilligungsfähigen. In Ausnahmefällen soll nach Art. 17 Abs. 2 aber auch nicht eigennützige Forschung zulässig sein, wenn sie zum Ziel hat, zu Ergebnissen beitragen, die der betroffenen Person selbst oder anderen Personen nützen können, welche derselben Altersgruppe angehören oder an derselben Krankheit oder Störung leiden oder sich in demselben Zustand befinden, und wenn die Forschung nur mit minimalen Risiken und Belastungen verbunden ist. Demnach lässt die Bioethik-Konvention gruppennützige Forschung an Einwilligungsunfähigen in bestimmten Grenzen zu. Dabei unterscheidet die Konvention weder zwischen Minderjährigen und volljährigen einwilligungsunfähigen Personen noch zwischen gesunden und kranken Personen und lässt dadurch die Forschung in umfangreichsten Maße zu. Daher hat diese Regelung zu einer heftigen Diskussion in Deutschland geführt.188 Die teils niedrigeren Standards könnten eine „Sogwirkung“ und einen „Dammbruch“ bedeuten.189 Die Bioethik-Konvention legt jedoch nur einen Mindeststandard fest, der Deutschland nicht zu einer Herabsenkung der eigenen Schutznormen zwingt.190 Im Jahr 2005 wurde die Bioethik-Konvention durch ein Zusatzprotokoll, das „Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine, con188 Vgl. zur politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Diskussion Klinnert, Der Streit um die europäische Bioethik-Konvention; Bundestags-Plenarprotokoll 13/15, S. 985 ff. Vgl. zur rechtlichen Kritik: Eser, FAZ 19. 11. 1996, S. 16; Honnefelder, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 1996, 297 ff. (zum Entwurf); Kamp, Bioethik-Konvention; Kobusch, in: Rösler, S. 119; Köhler, ZRP 2000, 8 ff.; Spranger, SuP 2000, 71 ff.; Wölk, ZME 2001, 387 ff.; s. zu ethischen Bedenken: Rössler, EthikMed 1996, 167, 171 f.; vgl. auch den vorläufigen Entwurf DIR/JUR 94 (2) sowie die Stellungnahme der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 2. Februar 1995 184 (1995), jeweils abgedruckt als Anlagen in BT-Drs. 13/1816 sowie im Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 1996, S. 275 ff.; insgesamt zum Ablauf des Verfahrens: Reiter, APuZ 1999, 3, 5 ff. Diese Diskussion führte wohl zur Ablehnung der Unterzeichnung, obwohl das BMJ, Bioethik-Konvention, S. 20 eine Verletzung der Würde und eine Diskriminierung durch Art. 17 Abs. 2 der Konvention abgelehnt hatte. 189 Taupitz/Fröhlich, VersR 1997, 911, 912; vgl. auch kritisch zur Einführung des Themas durch Forschende: Neitzke, in: Dörr/Grimm/Neuer-Miebach, 217, 222. Von einer negativen Signalwirkung spricht auch Degener, KritV 1998, 7, 30 sowie die Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, WF III 155/96, S. 3. Zum „Anpassungsdruck nach unten“: Höfling/Demel, MedR 1999, 540, 546. 190 Giesen, MedR 1995, 353, 354; Kamp, Bioethik-Konvention, S. 104; Kern, MedR 1998, 485, 486; Spranger, MedR 2001, 238, 241 sowie ders., SuP 1000, 71, 73 verweist zurecht darauf, dass auch der niedrigere Schutzstandard der EMRK nicht zu einer Absenkung des Schutzniveaus in Deutschland geführt haben. Für einen Beitritt daher auch: Taupitz/Brewe/ Schelling, in: Taupitz, S. 409, 485. Reiter, APuZ 1999, 3, 11 erwägt sogar anlässlich dieser Gelegenheit, das Schutzniveau auch in Deutschland zu erhöhen.

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Kap. 3: Regelungen zur medizinischen Forschung am Menschen

cerning Biomedical Research” ergänzt.191 In diesem Zusatzprotokoll werden unter anderem die Regelungen zur Forschung an Einwilligungsunfähigen dahingehend erweitert, dass nach Art. 15 Abs. 2 lit. ii ZP Erwägungen in Bezug auf einen möglichen weiteren Nutzen der Forschung nicht herangezogen werden dürfen, um ein höheres Maß an Risiken oder Belastungen zu rechtfertigen. Des Weiteren wird in Art. 19 ZP die Forschung an Einwilligungsunfähigen in Notfallsituationen geregelt: Sie ist subsidiär gegenüber der Forschung an Personen, die sich nicht in einer Notsituation befinden, das Forschungsvorhaben muss speziell für Notfallsituationen von der zuständigen Stelle gebilligt worden sein, eine frühere Ablehnung ist zu respektieren und auch gruppennützige Forschung ist erlaubt, wenn die Forschung nur ein minimales Risiko oder eine minimale Belastung mit sich bringt. Art. 9 der Bioethik-Konvention betrifft früher geäußerte Wünsche: Solche sind zu berücksichtigen. Dies bezieht sich nicht nur auf Notfallsituationen, sondern auch auf die Situationen, in denen vorhersehbar war, dass ein einwilligungsunfähiger Zustand eintreten kann.192 Zusammenfassend erlaubt die Bioethik-Konvention i.V.m. dem Zusatzprotokoll gruppennützige Forschung bei allen einwilligungsunfähigen Personen.

II. ICH-GCP-Guidelines 1. Vorbemerkungen Als weitere internationale Regelungen sind die Guidelines der International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH) zu erwähnen. Diese Konferenz wurde im April 1990 gegründet. Sie besteht aus den Zulassungsbehörden der EU, USA und Japans gemeinsam mit den Spitzenverbänden der Pharmaindustrie.193 Die ICH erlässt „Guidelines“ zur Harmonisierung, die häufig in nationales und europäisches Recht unverändert übernommen werden.194 Die Guideline for Good Clinical Practice E6 (R1) von 1996 ist besonders hervorzuheben. Die ICH-Guideline ist vom Committee for Proprietary Medicinal Products (CPMP), heute Committee for Medicinal 191

Im Internet in englischer Fassung verfügbar unter http://conventions.coe.int/treaty/en/ treaties/html/195.htm. Eine amtliche deutsche Fassung liegt nicht vor. Auch dieses Protokoll hat Deutschland nicht unterzeichnet, vgl. http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/Cherche Sig.asp?NT=195&CM=&DF=&CL=ENG. Näheres zum Zusatzprotokoll: Kandler, Rechtliche Rahmenbedingungen biomedizinischer Forschung. 192 Erläuternder Bericht zu dem Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin: Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin, DIR/JUR (97) 5, Ziffer 61. 193 So sind Mitglieder auf Behördenseite etwa die Kommission als Vertreterin der EU, auf der Herstellerseite die European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA), die Japanese Pharmaceutical Manufacturers Association (JPMA) und die Pharmaceutical Research and Manufacturers of America (PhRMA); vgl. auch zur Mitwirkung und zum Verfahren: Engelke, MedR 2010, 619. 194 Engelke, MedR 2010, 619.

D. Allgemeine Regelungen zur Forschung am Menschen

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Products for Human Use (CHMP), einem Ausschuss für Humanarzneimittel der EUKommission,195 übernommen worden.196 Dabei handelt es sich um ein notwendiges Organ der European Medicines Agency (EMA, früher EMEA),197 das für die Abgabe wissenschaftlicher Stellungnahmen zuständig ist.198 Die ICH-Guidelines werden durch die Übernahme von der CHMP zu Richtlinien der EMA.199 Beide werden aber selbst als rechtlich nicht bindende Empfehlungen angesehen,200 denn die CHMPLeitlinie ist nicht in Form verbindlicher unionsrechtlicher Rechtsakte erlassen worden.201 Der ICH fehlt darüber hinaus auch die Ermächtigung zur rechtlich verbindlichen Normsetzung.202 Allerdings können die Empfehlungen durch Umsetzung in Sekundärrecht bzw. in nationales Recht rechtliche Verbindlichkeit erlangen.203 Durch die Richtlinie 2001/20/EG ist die Umsetzung hinsichtlich der klinischen Prüfung an Minderjährigen erfolgt.204 Durch die Umsetzung wiederum der Richtlinie in das Arzneimittelgesetz205 ist die ICH-Guideline diesbezüglich auch im nationalen Recht verbindlich. Darüber hinaus werden die Leitlinien in weiteren Bereichen als Stand der Wissenschaft und Technik als Auslegungsmaßstab herangezogen und dienen als antizipiertes Sachverständigengutachten.206 In Ziffer 2 der Guideline werden allgemeine Prinzipien aufgestellt, wie etwa die Risiko-Nutzen-Abwägung. Ziffer 4.8 beschäftigt sich mit der Einwilligung und in diesem Zusammenhang auch mit der Zulässigkeit der Einbeziehung von einwilligungsunfähigen Personen in die Forschung. 195

Engelke, MedR 2010, 619, 620; Sickor, Normenhierarchie im Arztrecht, S. 261. CPMP/ICH/135/95. 197 „Europäische Arzneimittel-Agentur“, vgl. Art. 55 VO 726/2004. Sie ist danach verantwortlich für die Koordinierung der vorhandenen Wissenschaftsressourcen, die ihr von den Mitgliedstaaten zur Beurteilung, Überwachung und Pharmakovigilanz von Arzneimitteln zur Verfügung gestellt werden. 198 Vgl. Art. 5, 56 VO 726/2005; Engelke, MedR 2010, 619, 620. 199 EMEA, Procedure for European Union guidelines and related documents within the pharmaceutical legislative frameworlk: EMEA/P/24143/2004 Rev. 1 corr., Nr. 4.1.3. 200 Engelke, MedR 2010, 619, 620; Sander, § 40, S. 16; Sickor, Normenhierarchie im Arztrecht, S. 262; Spranger, in: Boos/Spranger/Heinrichs, 59, 66. 201 Sickor, Normenhierarchie im Arztrecht, S. 262. 202 Sickor, Normenhierarchie im Arztrecht, S. 262. 203 Engelke, MedR 2010, 619, 620 ff. am Beispiel der Richtlinie 2001/83/EG, die bezüglich der Anforderungen an Zulassungsunterlagen die ICH-Guideline umsetzt, vgl. Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie i.V.m. Anhang 1 der Richtlinie. Durch richtlinienkonforme Auslegung der §§ 22 ff. AMG sei die ICH-Guideline diesbezüglich auch im deutschen Recht verbindlich. 204 Art. 4 lit. f der Richtlinie 2001/20/EG, Abl. L 121 vom 1. 5. 2001, S. 34. 205 Die Änderung des Arzneimittelgesetzes erfolgte ausdrücklich zur Umsetzung der Richtlinie 2001/20/EG: BT-Drs. 15/2109, S. 24. Anders als im Beispiel Engelkes muss man sich nicht mit einer richtlinienkonformen Auslegung behelfen, da der Verweis auf die Leitlinien der Agentur nicht in einer Anlage, sondern in der Richtlinie selbst in Art. 4 lit. f erfolgt. 206 Sander, § 40, S. 19; dagegen jedoch Sickor, Normenhierarchie im Arztrecht, S. 262, der eine Prüfung im Einzelnen für erforderlich hält, ob sich eine ICH-GCP-Leitlinie schon als Standard durchgesetzt hat und noch als aktuell angesehen werden kann. 196

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Kap. 3: Regelungen zur medizinischen Forschung am Menschen

2. Anforderungen an die Forschung mit nichteinwilligungsfähigen Personen Die ICH-GCP-Guideline unterscheidet nicht zwischen Minderjährigen und einwilligungsunfähigen Erwachsenen. Forschung mit individuellem Nutzen ist nach Ziffer 4.8.13 zulässig. Fremdnützige Forschung ist gemäß Ziffer 4.8.14 nur zulässig mit Einwilligung des gesetzlichen Vertreters. Auch hier gilt der Grundsatz der Subsidiarität und die voraussichtlichen Risiken und Belastungen müssen gering sein. Neben der zustimmenden Stellungnahme einer Ethikkommission darf ein Forschungsvorhaben nach nationalem Recht nicht verboten sein. Die Forschung sollte an Patienten durchgeführt werden, die an einer Krankheit leiden, zu deren Bekämpfung das Prüfmittel bestimmt ist. Eine Ausnahme kann aber gerechtfertigt sein. Mithin kann sogar bei kranken einwilligungsunfähigen Patienten fremdnützige Forschung zulässig sein. Damit lässt die ICH-GCP-Guideline Forschung an dieser Personengruppe im größten Umfang zu. Außerdem enthält die Guideline eine Regelung für Notfallsituationen, die auch bei einwilligungsunfähigen Personen anwendbar ist. Nach Ziffer 4.8.15 sollen Forschungsmaßnahmen zulässig sein, wenn weder der Studienteilnehmer noch der gesetzliche Vertreter seine Einwilligung erteilen kann. Es ist aber nur eigennützige Forschung erlaubt, da Ziffer 4.8.13 klarstellt, dass nicht-therapeutische Forschung mit Ausnahme der Zulässigkeit nach Ziffer 4.8.14 nur bei Einwilligungsfähigen möglich sein soll. Die ICH-GCP-Guideline ist damit auf der einen Seite bei Notfallsituationen eher streng in Bezug auf den Schutz der Probanden, bei anderen Einwilligungsunfähigen hingegen eher forschungsfreundlich.

III. Die Deklaration von Helsinki 1. Vorbemerkungen Die Generalversammlung des Weltärztebunds (World Medical Association, WMA) wurde am 18. 09. 1947 in Paris von den Delegierten der 27 Mitglieder gegründet207 und verabschiedete im Juni 1964 die Deklaration von Helsinki, die mehrmals revidiert worden ist, zuletzt 2013 in Fortaleza.208 Sie hat bedeutenden Einfluss durch Verweisungen der Berufsordnungen der Landesärztekammern und der Musterberufsordnung der Bundesärztekammer.209 Durch diese Verweisungen ist 207

Hohnel, Deklaration von Helsinki, S. 27. Im Internet abrufbar unter http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/DeklHelsin ki2013.pdf. 209 Vgl. Straßburger, MedR 2006, 462; so enthält § 15 Abs. 3 der (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte-MBO-Ä 1997 – in der Fassung der Beschlüsse des 114. Deutschen Ärztetages 2011 in Kiel die Regelung: „Ärztinnen und Ärzte beachten bei der Forschung am Menschen nach § 15 Abs. 1 die in der Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes in der Fassung der 59. Generalversammlung 2008 in Seoul niedergelegten 208

D. Allgemeine Regelungen zur Forschung am Menschen

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eine berufsrechtliche Sanktionierung möglich. Sie gilt als das wichtigste Dokument ärztlicher Standesauffassung zur medizinischen Forschung am Menschen.210 Die Bedeutung der Deklaration zeigt sich auch daran, dass zwei Fassungen im Bundesanzeiger veröffentlicht wurden.211 Die Deklaration hat nur empfehlenden Charakter, denn der Weltärztebund hat als privatrechtlicher Zusammenschluss nationaler Ärzteverbände keine Rechtsetzungsbefugnis.212 Daher wird sie auch als soft law klassifiziert.213 Durch eine „Dreifachverweisung“ über zwei Richtlinien ist sie aber auch in das Arzneimittelgesetz inkorporiert und damit verbindlich.214 Die Deklaration beginnt mit einer Präambel und allgemeinen Grundsätzen, in denen etwa festgelegt wird, dass vorrangiger Zweck der medizinischen Forschung ist, neues Wissen hervorzubringen, dieses Ziel aber niemals Vorrang vor den Rechten und Interessen der einzelnen Versuchspersonen haben darf.215 Ein Kapitel beschäftigt sich auch mit Risiken und Belastungen. Diese müssen insbesondere abgeschätzt und minimiert werden und Forschung am Menschen darf nur durchgeführt werden, wenn die Bedeutung des Ziels die Risiken und Belastungen für die Versuchspersonen überwiegt.216 Außerdem enthält die Deklaration unter anderem ein Kapitel zur Einwilligung, in dem es in den Ziffern 28 bis 29 um einwilligungsunfähige Personen geht.

ethischen Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen.“ Ähnlich die Verweisung in § 15 Abs. 2 der Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte vom 14. 11. 1998 in der Fassung vom 19. 11. 2011: „Ärztinnen und Ärzte beachten bei der Forschung am Menschen die in der Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes niedergelegten ethischen Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen.“ 210 Dettmeyer, Medizin & Recht, S. 435. Für eine Einordnung als internationales Standesrecht, das auf der ganzen Welt wirksam sei: Deutsch/Taupitz, in: Winter/Fenger/Schreiber, Rn. 527, 530. 211 Bundesanzeiger Nr. 152 vom 14. 08. 1976 und Nr. 108 vom 13. 06. 1987. Des Weiteren wird sie in der Richtlinie 2001/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. April 2001 in den Erwägungen genannt, ebenso in der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 in Anhang 1, Erwägung (8) sowie in der Universal Declaration on Bioethics and Human Rights der UNESCO vom 19. 10. 2005. 212 Biermann, Arzneimittelprüfung, S. 38; Hohnel, Deklaration von Helsinki, S. 55; Koch, in: Bubner, S. 224, 233 f. Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 67 Rn. 13; Lippert, MedR 2003, 680, 682; Rosenau, in: Hilgendorf/Beck, S. 117, 120; Sickor, Normenhierarchie im Arztrecht, S. 188; van Spyk, Recht auf Selbstbestimmung in der Humanforschung, S. 145; Straßburger, MedR 2006, 462; Taupitz, MedR 2001, 277; Wiesing/Parsa-Parsi, DtÄrzteBl 2009, A-503. 213 Magnus, in: Ehni/Wiesing, S. 77, 78; van Spyk, Recht auf Selbstbestimmung in der Humanforschung, S. 145. 214 § 40 Abs. 1 S. 1 AMG verweist auf Art. 1 Abs. 3 der RL 2001/20/EG. Die dort genannten Grundsätze der guten klinischen Praxis werden in der RL 2005/28/EG festgelegt, vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. 1 der RL 2005/28/EG. Dort ist sodann in Art. 3 Abs. 2 auf die Deklaration von Helsinki in der Fassung von 1996 verwiesen. Vgl. zur Verfassungsmäßigkeit u. S. 224; vgl. auch zu den Verweisungem im Landesrecht u. S. 96. 215 Vgl. Ziffer 8. 216 Vgl. Ziffern 16 – 18.

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Kap. 3: Regelungen zur medizinischen Forschung am Menschen

2. Voraussetzungen für Forschung an einwilligungsunfähigen Personen Nach Ziffer 28 ist sowohl eigen- als auch gruppennützige Forschung zulässig. Bei gruppennütziger Forschung muss der Grundsatz der Subsidiarität eingehalten werden und es dürfen nur minimale Risiken und minimale Belastungen mit der Forschung verbunden sein. Auch muss nach Ziffer 29 bei Fähigkeit der Versuchsperson, der Teilnahme an der Forschung zuzustimmen, auch deren Zustimmung, also ein Assent, eingeholt werden und eine Ablehnung respektiert werden. In Ziffer 30 findet sich auch eine Regelung zu Notfallpatienten: Sollte ein gesetzlicher Vertreter nicht verfügbar sein, kann die Forschung auch ohne Einwilligung vorgenommen werden, wenn die Forschung nicht aufgeschoben werden kann, Vermerke im Studienprotokoll verzeichnet werden und die zustimmende Bewertung einer Forschungsethik-Kommission vorliegt.217 Des Weiteren muss der Zustand, der die Einwilligungsunfähigkeit herbeiführt, ein notwendiges Kriterium für die Forschungspopulation sein. In Ziffer 30 findet sich keine Anordnung, welcher Nutzen für die Versuchsperson notwendig ist. Fraglich ist daher, ob auch fremdnützige Forschung an Notfallpatienten nach der Deklaration möglich ist. Dafür spricht die systematische Trennung von Notsituationen (Ziffer 30) gegenüber sonstigen Einwilligungsunfähigen (Ziffern 28, 29). Auch wird das Erfordernis der Einwilligung eines Vertreters in Ziffer 30 wiederholt. Daraus kann man den Schluss ziehen, dass die Voraussetzungen für Einwilligungsunfähige nicht auf Notfallpatienten zu übertragen sind, sondern dort alle Erfordernisse selbständig geregelt sind. Mangels Begrenzung wäre jegliche Art der Forschung, auch fremdnützige, erlaubt.218 Diese Voraussetzungen der Deklaration von Helsinki weisen eine starke Ähnlichkeit zu den Regelungen des Arzneimittelrechts auf. Allerdings unterscheidet die Deklaration von Helsinki nicht zwischen volljährigen Einwilligungsunfähigen und Minderjährigen. Auch findet keine Differenzierung zwischen kranken und gesunden Versuchsteilnehmern statt.219 217

Diese Regelung in Ziffer 29 der aktuellen revidierten Fassung von 2008 befand sich noch nicht in der revidierten Fassung von Tokio von 1975, abgedruckt in DtÄrzteBl. 1975, 3162 ff. und in Fischer, Medizinische Versuche, S. 115. Dies verdeutlicht, dass sich die Deklaration von Helsinki durch die Überarbeitungen anpassen und verbessern kann – eine Möglichkeit, die etwa der Nürnberger Codex nicht erhalten hat. Auch die Zulässigkeit nicht-therapeutischer Forschung an Einwilligungsunfähigen befindet sich erst seit der Neufassung von 2000 in der Deklaration, vgl. Taupitz, MedR 2001, 277, 282, dort ist auch die Deklaration in dieser Fassung abgedruckt. Zum Vergleich der Deklaration von 1996 und von 2000, vgl. auch Laufs/Kern, Anhang 1 und 2 zu § 130. Diese Flexibilität ist ein Vorteil der ethischen Regeln, die kein Gesetzgebungsverfahren durchlaufen muss, vgl. dazu Deutsch, in: Bernat/Kröll, 15, 18. 218 Im Ergebnis ebenso: Magnus, in: Ehni/Wiesing, S. 77, 81, allerdings insoweit widersprüchlich, als sie das Kriterium des charakteristischen Faktors für die Forschungspopulation in Ziffer 29 auch auf die anderen Einwilligungsunfähigen überträgt. 219 Zum Vergleich zwischen AMG und der Deklaration von Helsinki von 2008: Magnus, in: Ehni/Wiesing, S. 77, 84 ff.

E. Zwischenergebnis

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IV. Die Erklärung der UNESCO Auch die United Nations Educational Scientific and Cultural Organisation (UNESCO) hat sich des Problems der Forschung am Menschen angenommen. Am 19. 10. 2005 hat sie die Universal Declaration on Bioethics and Human Rights verabschiedet.220 Als Erklärung ist sie nicht rechtsverbindlich.221 Die Deklaration unterscheidet zwischen Heileingriffen und wissenschaftlicher Forschung, nicht jedoch zwischen Minderjährigen und volljährigen Einwilligungsunfähigen und auch nicht zwischen kranken und gesunden Studienteilnehmern. Bei Einwilligungsunfähigen sollen nach Art. 7 der Erklärung Maßnahmen jeweils im Interesse der Person liegen und diese soweit wie möglich in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Forschung ist zulässig bei Eigennutzen, aber auch bei Gruppennutzen, wenn nur minimale Belastungen und Risiken zu erwarten sind. Eine Ablehnung ist zu respektieren. Eine spezielle Regelung zu Notfallsituationen fehlt.

E. Zwischenergebnis Die internationalen und europäischen Regelungen zur Forschung am Menschen sind insgesamt forschungsfreundlich ausgestaltet. Auch bei einwilligungsunfähigen Personen ist häufiger ein Gruppen- oder sogar ein Fremdnutzen ausreichend. Das deutsche Recht hat sich hingegen nur durch die Pflicht zur Umsetzung einer Richtlinie geändert und den Gruppennutzen bei Minderjährigen eingeführt. Zwar sind die meisten internationalen Regelungen nicht rechtsverbindlich, dennoch stellen sie einen bedeutenden Anhaltspunkt für die weltweite Beurteilung der Zulässigkeit von Forschung am Menschen dar. Die nationalen Regelungen befassen sich jeweils mit einem Ausschnitt der medizinischen Forschung. Sie zeichnen sich immer mehr durch europäische Harmonisierung aus. Jedoch hat diese noch nicht dazu geführt, dass einheitliche Regelungen in den unterschiedlichen Bereichen entstehen. Die Gesetze und Verordnungen stellen noch immer verschiedene Anforderungen an die Zulässigkeit der Forschung. Besonders deutlich wird dies bei der Forschung an Minderjährigen und volljährigen einwilligungsunfähigen Personen. Während im Arzneimittelgesetz bei kranken Minderjährigen ein Gruppennutzen ausreicht, unterscheiden Medizinproduktegesetz, Strahlenschutz- und Röntgenverordnung nicht zwischen diesen beiden Gruppen und es ist bei ihnen immer ein Eigennutzen notwendig. Auch in diesen Bereichen ist aber ein Fortschritt der Wissenschaft in der Pädiatrie wichtig. Der Unterschied kann darüber hinaus kaum mit einem höheren Risiko bei Strahlenexposition erklärt 220

In englischer Sprache verfügbar im Internet unter http://portal.unesco.org/en/ev.phpURL_ID=31058&URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html. 221 van Spyk, Recht auf Selbstbestimmung in der Humanforschung, S. 151; Winkler, NVwZ-Extra 2009, 1, 4.

92

Kap. 3: Regelungen zur medizinischen Forschung am Menschen

werden, denn auch dort könnte eine strenge Risiko-Nutzen-Abwägung mit einer absoluten Grenze eingeführt werden. Neben der Problematik der Unterschiedlichkeit der Regelungen ist die Lückenhaftigkeit augenscheinlich.222 Verbindlich geregelt sind nur klinische Prüfungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie die Forschung mit radioaktiven und ionisierenden Strahlen und Röntgeneinrichtungen. Daher fehlen Regelungen zu anderen neuen Behandlungsmethoden, die nicht mit diesen Mitteln erfolgen. In Betracht kommt daher eine Analogie zu diesen Regelungen223 oder ein Forschungsgesetz, das alle möglichen Bereiche abdeckt. Einen Vergleich der Anforderungen, die die Regelungen im Hinblick auf den erforderlichen Nutzen festsetzen, soll die folgende Tabelle ermöglichen: Bei einer grundsätzlichen Unterscheidung von kranken und gesunden Forschungsteilnehmern ist jeweils eingetragen, bei welcher Art Nutzen (Eigen-/Gruppen-/oder Fremdnutzen) die Forschung in den Regelungen bei volljährigen, minderjährigen und einwilligungsunfähigen Personen zulässig ist.

222 223

Irmer, Klinische Forschung, S. 177; Peter, Forschung am Menschen, S. 100 f. Dazu s. o. S. 53 ff.

Fremdnutzen Eigennutzen

Fremdnutzen Eigennutzen

Fremdnutzen Nicht zulässig

Fremdnutzen Nicht zulässig

Fremdnutzen Gruppennutzen

Fremdnutzen Eigennutzen/ Gruppennutzen

Fremdnutzen Fremdnutzen

Fremdnutzen Eigennutzen/ Gruppennutzen

Fremdnutzen Eigennutzen/ Gruppennutzen

MPG

StrlSchV

RöV

RL 2001/20/EG

Bioethik-Konvention mit Zusatzprotokoll

ICH/GCP

Deklaration von Helsinki

UNESCO-Erklärung

Eigennutzen/ Gruppennutzen

Eigennutzen/ Gruppennutzen

Fremdnutzen

Eigennutzen/ Gruppennutzen

Nicht zulässig

Nicht zulässig

Nicht zulässig

Nicht zulässig

Nicht zulässig

Minderjährig

Fremdnutzen

Fremdnutzen

Fremdnutzen

Fremdnutzen

Fremdnutzen

Fremdnutzen

Fremdnutzen

Eigennutzen

Eigennutzen/ Gruppennutzen

Eigennutzen/ Gruppennutzen

Eigennutzen/ Fremdnutzen

Eigennutzen/ Gruppennutzen

Eigennutzen/ Gruppennutzen

Eigennutzen

Eigennutzen

Eigennutzen

Eigennutzen/ Eigennutzen/ Gruppennutzen Gruppennutzen

Volljährig

Einwilligungsunfähig

Volljährig

Minderjährig

Kranke Patienten

Gesunde Probanden

AMG

Studienteilnehmer

Eigennutzen/ Gruppennutzen

Eigennutzen/ Gruppennutzen

Eigennutzen/ Fremdnutzen

Eigennutzen/ Gruppennutzen

Eigennutzen

Eigennutzen

Eigennutzen

Eigennutzen

Eigennutzen

Einwilligungsunfähig

nicht geregelt

Fremdnutzen

Eigennutzen

Eigennutzen/ Gruppennutzen

nicht geregelt

nicht geregelt

nicht geregelt

Eigennutzen

Eigennutzen

Notfallpatienten

E. Zwischenergebnis 93

94

Kap. 3: Regelungen zur medizinischen Forschung am Menschen

F. Forschung in den nicht spezial-gesetzlich geregelten Bereichen Neben den spezial-gesetzlich geregelten Bereichen gibt es auch Forschung in anderen Gebieten. Nicht erfasst von den Spezialgesetzen sind beispielsweise Operationsmethoden und Behandlungstechniken mit bereits zugelassenen Arzneimitteln oder Medizinprodukten.224

I. Möglichkeit einer Analogie Die Forschung am Menschen ist in den Spezialgesetzen nur bruchstückhaft geregelt. Der Gesetzgeber ist nur im Hinblick auf einige Forschungsbereiche tätig geworden, jeweils in Bezug auf einzelne Forschungsgegenstände, wie Arzneimittel oder Medizinprodukte. Daher wird zum Teil vorgeschlagen, diese Vorschriften analog anzuwenden.225 1. Bestehen einer planwidrigen Lücke Das Bestehen einer Lücke ist unzweifelhaft gegeben.226 Die Forschung ist in manchen Bereichen nicht gesetzlich geregelt. Auch die internationalen und europäischen Regelungen ersetzen eine fehlende nationale Regelung nicht. Richtlinien der Europäischen Union bedürfen grundsätzlich einer Umsetzung227 und die internationalen Regelungen haben ebenfalls keine unmittelbare Wirkung. Die Planwidrigkeit der Lücke ist jedoch zu bezweifeln. Der Gesetzgeber hat mehrfach die bestehenden Gesetze geändert228 und müsste dadurch auf die Lücken aufmerksam geworden sein.229 Statt einer allgemeinen Regelung hat er aber lange nach Verabschiedung des Arzneimittelgesetzes das Medizinproduktegesetz geschaffen.230 Folglich ist die Lücke nicht planwidrig.231 224 Vgl. Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission zu Minderjährigen, Ziffer 3.2, http://www.zentrale-ethikkommission.de/page.asp?his=0.1.20.36. 225 So Bork, NJW 1985, 654 ff. (mit Einschränkungen in Detailfragen); Deutsch, NJW 1995, 3019, 3022; Kern, MedR 1991, 66, 70; so wohl auch Kolhosser/Kubillius, JA 1996, 339, 343; Laufs, MedR 2004, 583, 591; ders., in: Laufs/Kern, § 130, Rn. 9; Peter, Forschung am Menschen, S. 100 ff.; Rosenau, in: Deutsch/Taupitz, S. 63, 66. 226 Irmer, Klinische Forschung mit Nichteinwilligungsfähigen, S. 177; Peter, Forschung am Menschen, S. 100. 227 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 288, Rn. 23. Außerdem betrifft die Richtlinie 2001/20/ EG ebenfalls nur den Teilbereich der Arzneimittel. 228 Vgl. zum Arzneimittelgesetz: BGBl. 1976 I, 2445; BGBl. 2004 I, 2031; zum Medizinproduktegesetz: BGBl. I 2001, 3586; BGBl. I 2009, 2326. 229 Irmer, Klinische Forschung mit Nichteinwilligungsfähigen, S. 178. 230 BGBl. I 1994, 1963.

F. Forschung in den nicht spezial-gesetzlich geregelten Bereichen

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2. Vergleichbarkeit der Interessenlage Darüber hinaus ist auch fragwürdig, ob eine vergleichbare Interessenlage besteht. Zwar weist die Erforschung einer neuen Behandlungsmethode mit zugelassenen Arzneimitteln Ähnlichkeiten zur klinischen Prüfung von Arzneimitteln auf.232 Die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes und des Medizinproduktegesetzes haben sich jedoch über einen längeren Zeitraum entwickelt. Sie sind erheblich geprägt durch europäische Richtlinien. Dabei hat sich ihre Entwicklung nicht parallel vollzogen und die Regelungen weisen gravierende Unterschiede auf. Diese fehlende Deckungsgleichheit deutet ebenfalls darauf hin, dass der Gesetzgeber keine analogiefähige Regelung schaffen wollte.233 Es wäre daher des Weiteren fraglich, welche Regelung entsprechend angewendet werden sollte. Außerdem handelt es sich um sektoral eng begrenzte Vorschriften, die eng auszulegen sind.234 3. Verfassungsrechtliche Bedenken Eine fehlende gesetzliche Regelung der Forschung in allen Bereichen begründet auch verfassungsrechtliche Bedenken. Nach der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts besteht für wesentliche Fragen ein Parlamentsvorbehalt.235 Eine Analogie würde daher verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt sein. Es handelt sich dabei um äußerst sensible Fragen, bei denen die Mitwirkung des Parlaments notwendig erscheint.236 Auch aufgrund der Missbrauchsgefahr besteht ein Handlungsbedarf für den Gesetzgeber, der die Grenzen der Forschung festsetzen muss. 4. Konsequenzen Als Konsequenz einer fehlenden Möglichkeit zur Analogie ist jedoch weder eine Zulassung der Forschung ohne Beschränkung noch ein völliges Verbot der Forschung sinnvoll. Daher sind die verfassungsrechtlichen Wertungen heranzuziehen, an denen 231 von Dewitz, A&R 2006, 243, 246; Taupitz, in: Deutsch/Schreiber, S. 139, 141; ders./ Fröhlich, VersR 1997, 911, 912; dagegen aber Osieka, Humanforschung, S. 322, nach dem die Analogie lediglich an der Eignung der Spezialvorschriften scheitert, S. 323. 232 Für eine vergleichbare Interessenlage daher: Peter, Forschung am Menschen, S. 102. 233 Eck, Zulässigkeit medizinischer Forschung, S. 139; Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 125; Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission zu Minderjährigen, Ziffer 3.2, http:// www.zentrale-ethikkommission.de/page.asp?his=0.1.20.36. 234 Mand/Stückrath, KliFoRe 2006, 61, 65; von Dewitz, A&R 2006, 243, 246; dagegen aber: Laufs, in: Laufs/Kern, § 130, Rn. 9. 235 Vgl. nur BVerfGE 40, 237; 47, 46; 49, 89. 236 Vgl. von Dewitz, A&R 2006, 243, 246; Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 279. Einige befürworten auch eine Verallgemeinerung der übereinstimmenden Rechtsgrundsätze der spezial-gesetzlichen und internationalen sowie weiterer Regelungen: Elzer, Allgemeine und besondere klinische Prüfungen, S. 86; Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 126; Mand/Stückrath, KliFoRe 2004, 61, 65.

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Kap. 3: Regelungen zur medizinischen Forschung am Menschen

man sich zu orientieren hat. Aus diesen müssen daher allgemeine Grundsätze erarbeitet werden.237 Darüber hinaus sind auch die sonstigen Gesetze anzuwenden, wie das Strafgesetzbuch, das Bürgerliche Gesetzbuch, aber auch etwa das Heilberufsgesetz NRW i.V.m. den Berufsordnungen. Letztere schreiben die Beratung durch Ethikkommissionen sowie eine Bindung an die ethischen Grundsätze der Deklaration von Helsinki vor.238

II. Ergebnis Eine Analogie zum Arzneimittelgesetz und Medizinproduktegesetz ist nicht möglich. Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, eine allgemeine Regelung zu schaffen. Eine planwidrige Lücke ist daher nicht vorhanden. Des Weiteren ist es wegen der fehlenden Deckungsgleichheit nicht möglich, eine Analogie zu den Regelungen zu bilden. Wünschenswert wäre ein Tätigwerden des Gesetzgebers,239 auch um der Grundrechtsrelevanz der Forschung am Menschen gerecht zu werden.

G. Zusammenfassung In Bezug auf die Forschung am Menschen sind einige nationale Spezialgesetze sowie europäische und internationale Regelungen entstanden. Während die nationalen Gesetze aber nur bruchstückhaft und nicht analogiefähig einige Teilbereiche regeln, sind die internationalen Regelwerke nicht unmittelbar anwendbar. Insgesamt führt dies zu einer Rechtsunsicherheit, die noch gefördert wird durch die Verschiedenheit der Regelungen. Insbesondere die Zulässigkeit der Forschung an Einwilligungsunfähigen unterscheidet sich erheblich. Daher ist es notwendig, dass allgemeine Grundsätze erarbeitet werden. Dazu sollen im Folgenden die verfassungsrechtlichen und strafrechtlichen Aspekte der Forschung an einwilligungsunfähigen Personen untersucht werden.

237 So auch Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 125 f.; vgl dazu noch u. die praktischen Erwägungen S. 345 ff. 238 Vgl. § 7 Heilberufsgesetz NRW, § 15 MBO sowie § 15 BO NRW (Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte vom 14. 11. 1998 in der Fassung vom 10. 11. 2012 (in Kraft getreten am 13. 03. 2013)). 239 So auch schon der Beschluss des 52. Juristentags, NJW 1978, 2189, 2193; vgl. dazu auch noch der Gesetzesvorschlag u. S. 358 ff.

Kapitel 4

Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen A. Einleitung Die bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Forschung am Menschen müssen sich am Grundgesetz messen lassen. Es setzt als höherrangiges Recht dem einfachen Gesetz Grenzen, insbesondere durch die Grundrechte. Auch können durch die Grundrechte Vorgaben für den nicht geregelten Bereich erarbeitet werden. Diese haben gerade im Bereich der Forschung eine besondere Relevanz. Während der forschende Arzt seine Forschungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG ausübt, kann sich der Patient bzw. der Proband auf sein Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG und seine Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG berufen. Bei einwilligungsunfähigen Teilnehmern spielt darüber hinaus die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie die Frage, ob sie aus ungerechtfertigten Gründen eine Ungleichbehandlung gegen Art. 3 Abs. 1, 3 GG erfahren, eine besondere Rolle. Handelt es sich um minderjährige Teilnehmer, kommt außerdem das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG hinzu, das es zu berücksichtigen gilt. In Betracht kommt ferner ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Arztes aus Art. 12 GG sowie eine Beeinträchtigung des Eigentumsrechts aus Art. 14 GG der beteiligten Unternehmen. Ob und unter welchen Voraussetzungen Forschung an einwilligungsunfähigen Personen unter dem Grundgesetz zulässig ist, soll in diesem Kapitel untersucht werden. Zuerst soll überprüft werden, ob die Grundrechte anwendbar sind (B.), darauf folgt eine abstrakte Analyse der Verfassungsmäßigkeit der fremdnützigen Forschung (C.). Dazu soll insbesondere untersucht werden, welche Möglichkeiten der Einbeziehung der Einwilligungsunfähigen in die Forschung verfassungsgemäß sind. In Betracht kommt neben einer Einbeziehung durch Sozialpflicht auch eine Legitimation der Einbeziehung durch Repräsentation, antizipierten Willen sowie durch mutmaßlichen Willen, eine Güterabwägung oder mangels Widerspruchs. Auch ist zu prüfen, welche Schutzmaßnahmen aufgrund der Wertungen des Grundgesetzes erforderlich sind. Sodann erfolgt die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der gruppennützigen Forschung im Arzneimittelgesetz anhand der abstrakt erarbeiteten Kriterien, (D.) sowie die Übertragung der Ergebnisse auf den nicht spezial-gesetzlich geregelten Bereich (E.). In einem Exkurs werden weitere verfassungsrechtliche Bedenken behandelt (F.).

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

B. Anwendbarkeit und Relevanz der Grundrechte Die Grundrechte betreffen grundsätzlich das Verhältnis von Staat und Bürger. Sie sind Abwehrrechte gegen den Staat.1 In dieser Funktion begründen sie Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gegen diesen.2 Führt der Staat die Forschung durch, so ergibt sich die Anwendbarkeit der Grundrechte unmittelbar aus Art. 1 Abs. 3 GG, durch den die drei Gewalten an die Grundrechte gebunden sind. Bei der Forschung am Menschen handelt es sich jedoch meist nicht um ein Handeln des Staates. Sie wird in der Regel von Ärzten, Pharmaunternehmen und Universitäten durchgeführt. Diese werden als Privatpersonen tätig, deren Handeln nicht dem Staat zuzurechnen ist. Es erscheint daher zunächst fragwürdig, dieses Handeln einer Untersuchung der Vereinbarkeit mit Grundrechten zu unterwerfen. Die Grundrechte sind nicht unmittelbar auf das Handeln von Privatpersonen und die Beziehung zwischen einzelnen Bürgern anwendbar.3 Jedoch stellt das Grundgesetz in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine objektive Ordnung dar, die sich nicht in Abwehrrechten gegen den Staat erschöpft.4 Sie sind auch Ausdruck einer Wertordnung.5 Aus den Grundrechten lässt sich eine Pflicht des Staates zum Schutz der Rechtsgüter des Einzelnen herleiten, die nicht nur den Schutz vor finalen Eingriffen des Staates umfasst.6 Er ist verpflichtet, privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Normen zu erlassen, die die Beeinträchtigung der Grundrechte verhindern und grundrechtsgemäße Umstände schaffen.7 Wenn höchstwertige Rechtsgüter betroffen sind, verdichtet sich die Schutzfunktion zu einer Handlungspflicht.8 Der Staat muss sodann eine Abgrenzung der grundrechtlich geschützten Rechtssphären vornehmen9 und erforderlichenfalls vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer bewahren.10 Er muss also die Freiheitsgarantien schützen und fördern und einer Aushöhlung dieser Rechte vorbeugen.11 Diese Grundsätze lassen sich auch auf die Forschung am 1

BVerfGE 7, 198, 204; 88, 129, 136; Maurer, Staastrecht I, § 9 Rn. 23. Maurer, Staastrecht I, § 9 Rn. 23. 3 So aber Nipperdey, DVBl. 1958, 445, 448; ders., RdA 1950, 121 ff. 4 BVerfGE 7, 198, 205; 49, 89, 141 f.; 53, 20, 57; BVerfG NJW 1987, 827; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1575. 5 BVerfGE 7, 198, 205; 25, 256, 263; 30, 173, 188; 33, 303, 330; 35, 79; 88, 129, 136 f.; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1 III GG, Rn. 52 ff. 6 BVerfGE 46, 160, 164; 53, 30, 57; 79, 174, 201; 97, 169, 175. 7 Zu Art. 1 Abs. 1 GG: Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 1, Rn. 14; vgl. auch Klein, JuS 2006, 960; Maurer, Staatsrecht I, § 9, Rn. 21; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1575 f.; vgl. auch speziell zur klinischen Prüfung im Arzneimittelrecht: Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 230, der eine Schutzpflicht aus einer Garantenstellung kraft Ingerenz herleitet. 8 Stern, Staatsrecht III/1, S. 1576. 9 Stern, Staatsrecht III/1, S. 1578. 10 BVerfGE 53, 30, 57. 11 BVerfGE 39, 1, 41 (Schwangerschaftsabbruch); zur Forschungsfreiheit: BVerfGE 35, 79; vgl. auch zur Berufsfreiheit: BVerfGE 97, 169, 175; zur Erziehung des Kindes: BVerfGE 24, 2

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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Menschen übertragen. Bei einer lückenlosen Zulassung der Forschung, etwa auch gegen den Willen von Personen, wäre die Würde des Menschen tangiert, ebenso wie die körperliche Unversehrtheit. Andererseits wäre bei einem absoluten Verbot der Forschung die Forschungsfreiheit betroffen. Wegen dieser starken Grundrechtsrelevanz ist ein Handeln des Gesetzgebers zum Schutz und Ausgleich der kollidierenden Grundrechte geboten. Ob der Gesetzgeber bei den bestehenden Regelungen seiner Schutzpflicht in hinreichendem Maß nachgekommen ist bzw. inwiefern eine verfassungsgemäße Regelung möglich ist, ist Gegenstand der folgenden Untersuchung. Auch wenn es also um ein Handeln eines Privaten geht, sind die Grundrechte mithin relevant.12

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen mit Grundrechten I. Vereinbarkeit einer Einbeziehung von Einwilligungsunfähigen Für die Untersuchung, ob fremdnützige Forschung an Einwilligungsunfähigen mit den Grundrechten vereinbar ist, soll zunächst die Vereinbarkeit einer Einbeziehung dieser Personen überprüft werden, bevor die gegenläufigen Wertungen der Grundrechte betrachtet werden. Als Einführung sollen zunächst die betroffenen Grundrechte kurz erläutert werden, bevor auf die Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung mit diesen Grundrechten eingegangen wird. 1. Betroffene Grundrechte a) Art. 1 Abs. 1 GG Bei der gruppen- bzw. fremdnützigen Forschung an einwilligungsunfähigen Personen hat der Patient keinen individuellen Nutzen durch die Forschungsmaßnahme. Da er selbst nicht zustimmen kann, liegt der Vorwurf einer Instrumentalisierung nahe. Eine solche könnte nicht mit der Würde des Menschen aus Art. 1 Abs. 1 GG vereinbar sein.13 Der Schutz der Menschenwürde ist ein wesentlicher 119, 144; vgl. auch Ipsen, Staatsrecht 2, Rn. 237; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 433; Spranger, in: Boos/Spranger/Heinrichs, S. 59, 78. 12 Mit einem ähnlichen Ergebnis, aber anderer Herleitung und Begründung: Irmer, Klinische Forschung, S. 29 ff., die von einer mittelbaren Drittwirkung durch die unbestimmten Rechtsbegriffe ausgeht. Dieser Ansatz ist jedoch weniger weitreichend, da er sich nur auf bestehende Regelungen beziehen kann. Darüber hinaus handelt es sich bei den bestehenden Vorschriften um Verwaltungsrecht, nicht um Privatrecht. Die mittelbare Drittwirkung bezieht sich in der Regel aber auf die Wirkung der Grundrechte auf das Privatrecht, vgl. BVerfGE 7, 198, 204 ff. (Lüth); BVerfG NJW 1976, 1677; Guckelberger, JuS 2003, 1151 ff.; Dürig, FS Nawiasky, S. 176 ff. 13 Vgl. nur Spranger, Recht und Bioethik, S. 279; ders., MedR 2001, 238, 243; dagegen aber Fischer, FS Schreiber, 685, 694; Wolfslast, KritV 1998, 74, 84; sowie im Folgenden.

100 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Bestandteil der grundgesetzlichen Verbürgungen. Nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG ist es die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, sie zu achten und zu schützen. Damit besteht eine ausdrückliche Schutzpflicht. Der Gehalt der Menschenwürde ist schwer zu erfassen. Das Bundesverfassungsgericht verwendet dazu oft die auf Kant14 zurückgehende Objektformel: Der Mensch darf nicht zum Objekt herabgestuft werden.15 Ihm kommt ein sozialer Wertund Achtungsanspruch zu.16 Daher darf er keiner Behandlung ausgesetzt werden, die seine Subjektqualität grundsätzlich in Frage stellt.17 Eine Degradierung zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe muss unterbunden werden.18 Insbesondere muss der Staat vor Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung oder Ächtung eines Menschen schützen.19 Der Staat hat dafür zu sorgen, dass kein Mensch „unter vollständiger Verfügung eines anderen steht, zur Sache gemacht, als Nummer eines Kollektivs, als Rädchen im Räderwerk behandelt und dass ihm damit jede eigene geistig-moralische oder gar physische Existenz genommen wird“.20 Allerdings ist auch zu beachten, dass die Menschenwürde als unantastbares Grundrecht, das keiner Abwägung mit anderen Grundrechten offen steht, nicht bei jeder Berührung seines Gehalts verletzt ist. Der Mensch ist in der Gesellschaft und auch in Beziehung zum Staat nicht selten „Objekt“ des Handelns anderer und dies führt nicht immer zu einer Verletzung der Menschenwürde.21 Im Hinblick auf den allen Grundrechten innewohnenden Menschenwürdegehalt bedarf es einer besonderen Begründung, dass der Gebrauch des Grundrechts auf die unantastbare Menschenwürde durchschlägt und deshalb eine Abwägung ausgeschlossen ist.22 Der forschende Arzt übt seine Forschungsfreiheit aus. Ob die Forschung an einwilligungsunfähigen Personen die Menschenwürde verletzt, weil der Staat seiner Schutzpflicht gegenüber Eingriffen Privater nicht ausreichend nachgekommen ist, muss daher eingehend geprüft und begründet werden. b) Art. 2 Abs. 2 GG Fraglich ist auch die Vereinbarkeit mit Art. 2 Abs. 2 GG, der die körperliche Unversehrtheit und das Leben schützt. Es geht dabei um die konkrete Körperlichkeit 14 Kant, Die Metaphysik der Sitten, 2. Teil, § 38: „der Mensch kann von keinem Menschen (weder von Anderen noch so gar von sich selbst) blos als Mittel, sondern muß jederzeit zugleich als Zweck gebracht werden und darin besteht eben seine Würde“. 15 Vgl. BVerfGE 9, 89, 95; 27, 1, 6; 28, 386, 291; 45, 187, 228; 56, 205, 215; 87, 209, 228; 96, 375, 399; 109, 278, 312; kritisch: Dreier, in: Dreier, Art. 1 I, Rn. 55. 16 BVerfGE 27, 1, 6; 28, 386, 391; 45, 187, 228; 50, 166, 175; 56, 205, 215; 87, 209, 228; 96, 375, 399; 109, 279, 312. 17 BVerfGE 30, 1, 26; 50, 166, 175; 87, 209, 228; 96, 375, 399. 18 Dürig, AöR 81, 9, 127. 19 BVerfG NJW 2009, 3089, 3090. 20 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Abs. 1, Rn. 17. 21 BVerfG NJW 2004, 999, 1001; Höfling, in: Sachs, Art. 1, Rn. 15. 22 BVerfGE 109, 279, 312.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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des Menschen; der Schutz der körperlichen Unversehrtheit bezieht sich auf die vom Willen des Rechtsträgers umfasste Integrität der Körpersphäre.23 Aus Art. 2 Abs. 2 GG leitet sich ein Schutzauftrag für den Staat ab.24 Zu analysieren ist, wie er dem gerecht werden kann, insbesondere, welche Schutzmaßnahmen der Staat ergreifen muss. Einige mögliche Forschungsmaßnahmen, wie etwa Blutabnahmen, sind mit einem Eingriff in den Körper des Patienten bzw. Probanden verbunden und stellen daher einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar. Auch schon die Verursachung von Risiken ist ein Eingriff.25 Mit nahezu jeder Forschungsmaßnahme geht ein Risiko einher. So besteht etwa das Risiko unbekannter Nebenwirkungen oder der Unverträglichkeit bei der Arzneimittelprüfung. Auch könnten allergische Reaktionen auftreten. Nach wohl herrschender Meinung sind auch geringfügige Eingriffe erfasst.26 Folglich stellen viele Forschungsmaßnahmen einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar.27 Nimmt ein Arzt diese Maßnahmen vor, so liegt darin zwar kein finaler Eingriff des Staates, da der Arzt in der Regel als Privater handelt. Der Staat muss jedoch seiner Schutzpflicht nachkommen und den Patienten bzw. Probanden auch vor dem Handeln Dritter schützen. Dieser Schutz kann auf verschiedenen Wegen erfüllt werden.28 Möglich ist etwa die Bereitstellung geeigneter Verwaltungsverfahren,29 insbesondere Genehmigungsverfahren und -vorbehalte sowie die Überwachung von gefährlichen Tätigkeiten.30 Der Gesetzgeber hat jedoch einen Gestaltungsspielraum,31 so dass in der Regel nicht eine bestimmte Maßnahme angezeigt ist. c) Selbstbestimmungsrecht Jede Person hat grundsätzlich das Recht, selbst über ihre körperliche Unversehrtheit zu entscheiden. Nicht der Arzt bestimmt, ob eine Maßnahme durchgeführt wird, sondern im Regelfall die Person selbst durch Einwilligung. Im Hinblick auf die Herleitung des Selbstbestimmungsrechts aus dem Grundgesetz besteht keine Einigkeit. Während einige das Recht auf medizinische Selbstbestimmung aus Art. 2 23

Murswiek, in: Sachs, Art. 2, Rn. 148. BVerfGE 39, 1, 41; 46, 160, 164; 56, 54, 78; 77, 381, 402 f.; 79, 174, 201; Hofmann, JZ 1986, 253, 255; Murswiek, in: Sachs, Art. 2, Rn. 159; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 II, Rn. 82. 25 Murswiek, in: Sachs, Art. 2, Rn. 161. 26 Murswiek, in: Sachs, Art. 2, Rn. 163; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 II, Rn. 50. 27 Auch ist es in Ausnahmefällen möglich, dass ein Versuchsteilnehmer durch die Forschungsmaßnahme stirbt. Der Schwerpunkt der Betrachtung soll jedoch wegen der größeren Relevanz auf der Analyse der Vereinbarkeit mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit liegen. 28 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 2, Rn. 191. 29 Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 II, Rn. 91 ff. 30 Murswiek, in: Sachs, Art. 2, Rn. 180. 31 Murswiek, in: Sachs, Art. 2, Rn. 180. 24

102 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Abs. 2 GG herleiten,32 wird sein Ursprung auch in dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gesehen,33 teils im Lichte des Art. 2 Abs. 2 GG oder aus den drei Verbürgungen gemeinsam34 oder nur aus Art. 2 Abs. 1 GG.35 Diese Meinungsunterschiede lassen sich damit erklären, dass das Selbstbestimmungsrecht nicht ausdrücklich im Grundgesetz benannt ist. Es hat Berührungspunkte zu allen genannten Grundrechten, da es die körperliche Unversehrtheit und die Bestimmung über eigene Güter betrifft. Die dogmatische Herleitung hat jedoch keine größere Relevanz, da über den Inhalt Einigkeit herrscht: Das Selbstbestimmungsrecht umfasst nicht nur das Recht einer Bestimmung über Eingriffe in den Körper, sondern gewährleistet darüber hinaus auch ein Recht auf Aufklärung,36 sowie auf deren Verzicht37 und Dokumentation sowie Einsicht in die Patientenakten.38 Auch wer nicht einwilligungsfähig ist, ist Träger des Grundrechts auf medizinische Selbstbestimmung,39 so dass auch schon Kinder und Jugendliche Träger des Rechts auf Selbstbestimmung sind.40 Es endet auch nicht mit dem Verlust der Einwilligungsfähigkeit.41 Daher ist dieses Grundrecht auch bei der Forschung an Einwilligungsunfähigen von hoher Relevanz. Es wird dann durch die Vertreter oder durch antizipierte Erklärungen wahrgenommen.42

32 BVerfG NJW 2011, 2113, 2114; Sondervotum Hirsch/Niebler/Steinberger, in: BVerfG NJW 1979, 1925, 1930; Becker-Schwarze, FPR 2007, 52; Kreß, ZRP 2009, 69, 70; Panagopoulou-Koutnatzi, Selbstbestimmung, S. 89 f. differenziert: Das Selbstbestimmungsrecht im engen Sinn bezüglich Leben und Gesundheit sei in Art. 2 Abs. 2 GG verbürgt, das Selbstbestimmungsrecht im weiten Sinn, das die Freiheit in der Lebenssphäre als Patient garantiert, im allgemeinen Persönlichkeitsrecht. 33 BVerfG NJW 1994, 1590, 1591; FamRZ 2008, 2260, 2261; Harnika, MedR 1999, 149, 157; vgl. zum Bezug zur Würde: Nelson, System der philosophischen Rechtlehre und Politik, S. 359. 34 Duttge, in: Breitsameter, S. 34, 36; Harmann, NJOZ 2010, 819; Kim, Aufklärungspflicht, S. 48 f.; Koppernock, Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, S. 50 f. sieht die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 und Abs. 1 erfasst; ebenso: Hufen, NJW 2001, 849; Taupitz, in: Canaris, S. 497, 501; Tolmein, KritV 81 (1998), 52, 61; BT-Drs. 16/8442, S. 8; unentschieden bleibt Reuter, Kindesgrundrechte, S. 58. 35 BVerfG NJW 1979, 1925, 1930. 36 Harmann, NJOZ 2010, 819. 37 BGH NJW 1959, 811, 813; NJW 1973, 556, 558; NJW 1976, 363, 364. 38 Harnika, MedR 1999, 149, 157 f. 39 Vgl. Hufen, NJW 2001, 849, 852; vgl. auch BVerfG NJW 2011, 2113, 2114. 40 Belling/Eberl/Michlik, Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger, S. 123; Hufen, NJW 2001, 849, 852; Reichmann/Ufer, JR 2009, 485. 41 Hufen, NJW 2001, 849, 852; so zum Entwurf zur Patientenverfügung auch: BT-Drs. 16/ 8442, S. 8. 42 Vgl. dazu noch im Folgenden sowie zu den Möglichkeiten der Einbeziehung.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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d) Art. 6 Abs. 2 GG Das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG umfasst das Recht, für die Pflege und Erziehung zu sorgen. Es handelt sich um eine komplexe Verknüpfung von Rechten und Pflichten.43 Den Eltern wird ein Recht an einer Person eingeräumt. Um die Menschenwürde des Kindes zu respektieren, muss damit auch eine Pflicht verbunden sein.44 Die Schranke, die dem Elternrecht Grenzen setzt, ist das Kindeswohl.45 e) Art. 3 Abs. 1, 3 GG Neben der Vereinbarkeit mit den Freiheitsrechten muss auch untersucht werden, ob eine Differenzierung zwischen Einwilligungsfähigen und Einwilligungsunfähigen sowie zwischen Minderjährigen und Volljährigen mit dem Gleichheitssatz zu vereinbaren ist. Der Gleichheitssatz gebietet es, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die „Willkürformel“46 durch die sogenannte „neue Formel“47 ersetzt hat, muss nun bei großer Intensität der Beeinträchtigung eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgen.48 Bei einwilligungsunfähigen Personen, deren mangelnde Fähigkeit zur Einwilligung auf einer Behinderung beruht, könnte zudem Art. 3 Abs. 3 GG als spezieller Gleichheitssatz anwendbar sein. In Betracht kommt zunächst eine Verletzung des Gleichheitssatzes durch die Wahl einer bestimmten Einbeziehungsmöglichkeit bei Einwilligungsunfähigen in die Forschung. Insofern könnten diese gegenüber einwilligungsfähigen Personen ungleich behandelt werden. Außerdem ist zweifelhaft, ob minderjährige gegenüber volljährigen Einwilligungsunfähigen anders behandelt werden dürfen. Des Weiteren könnte eine unzulässige Ungleichbehandlung zwischen einwilligungsfähigen Minderjährigen und Volljährigen bestehen. 2. Möglichkeiten der Einbeziehung a) Vorbemerkungen Stellt man sich vor, dass Einwilligungsunfähige in fremdnützige Forschung einbezogen werden – wie dies etwa bei der gruppennützigen Forschung im Rahmen der klinischen Prüfung von Arzneimitteln möglich ist – stellt sich die Frage, auf 43 BVerfGE 72, 155, 172; vgl. auch BVerfGE 37, 217, 252; Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 109; Michael/Morlok, Grundrecht, Rn. 256. 44 BVerfGE 24, 119. 45 Vgl. BVerfGE 24, 119; Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 114, Rixen, MedR 1997, 351, 354; vgl. dazu auch noch u. S. 132 ff. 46 BVerfGE 1, 14, 52; 61, 138, 147; 68, 237, 250; 89, 132, 141 f. 47 BVerfGE 55, 72, 88 f.; 124, 199, 218 ff. 48 Vgl. BVerfGE 124, 199, 219 ff.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3, Rn. 472.

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welchem Weg eine solche Einbeziehung legitimiert werden kann. Dabei stehen sich insbesondere das Modell einer auferlegten Pflicht, die man mit einem Solidaritätsgedanken begründen könnte, und das Prinzip der Repräsentation gegenüber, das auf eine Vertreterentscheidung abstellt. Es soll dabei auch berücksichtigt werden, dass eine „Einbeziehung“ nicht bedeutet, dass einwilligungsunfähige Personen bei jeglicher Forschung, also auch solcher, die mit schwerwiegenden Eingriffen verbunden ist, teilnehmen. Im Hinblick auf die Würde dieser Personen ist im Gegenteil eine Beschränkung auf minimale Risiken und Belastungen geboten.49 b) Einbeziehung durch Sozialpflicht Einige Stimmen in der Literatur umschreiben die Einbeziehung der Einwilligungsunfähigen im Rahmen der gruppennützigen Forschung im Arzneimittelgesetz als Sozialpflicht50 bzw. Solidarpflicht.51 Wenn sie an Versuchen teilnähmen, handele es sich um eine „Pflicht zum solidarischen Duldenmüssen“.52 Auch wird eine „institutionalisierte Solidaritätsbeziehung“ zu allen Betroffenen des Systems, also zu allen Kranken konstruiert, durch die sich zwangssolidarische Pflichten für ein funktionierendes Gesundheitssystem herleiten ließen.53 aa) Pflichten zugunsten der Gemeinschaft Dem Grundgesetz und einigen Spezialgesetzen sind Pflichten des Einzelnen nicht grundsätzlich fremd. Gemäß Art. 12a Abs. 1 GG können Männer ab dem vollendeten 18. Lebensjahr zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.54 Es handelt sich dabei um eine Pflicht aus Solidarität und zum Schutz der Bevölkerung. Auch zur Duldung von ärztlichen Eingriffen und Unterbringungsmaßnahmen können Einzelne verpflichtet sein, so etwa nach §§ 29, 30 Infektionsschutzgesetz und § 17 Abs. 4 S. 3 Soldatengesetz, die den Schutz vor übertragbaren Krankheiten und damit der Gesamtbevölkerung bezwecken. Nach § 372a ZPO ist man zur Klärung der Abstammung unter Umständen auch zur Duldung der Blutabnahme verpflichtet. Im Strafprozess 49

Vgl. dazu noch ausführlich u. S. 169 ff. von Dewitz, Klinische Bewertung von Medizinprodukten, S. 144; Fischer, Medizinische Versuche, S. 38, ders., in: Deutsch/Schreiber, S. 29, 37; ders., FS Schreiber, S. 685, 696; Mehlitz, Die rechtliche Zulässigkeit placebokontrollierter klinischer Prüfungen, S. 167; Pap, in: Nationaler Ethikrat, S. 12; Picker, JZ 2000, 693, 701 ff.; Schmidt-Elsaeßer, Medizinische Forschung an Kindern und Geisteskranken, S. 169 ff. 51 von Freier, Humanforschung, S. 116, 288; Lang, GesR 2004, 166, 169. 52 Laufs, MedR 2004, 583, 588. 53 Magnus/Merkel, in: Boos/Merkel, S. 109, 119; Merkel, in: Bernat/Kröll, S. 171, 202. 54 Vgl. auch § 1 WPflG. Die Wehrpflicht ist seit dem 01. 07. 2011 ausgesetzt, BGBl. I 2011, S. 678 f. 50

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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darf eine körperliche Untersuchung des Beschuldigten zur Feststellung von Tatsachen angeordnet werden, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Dies ist nach § 81a StPO ohne Einwilligung des Beschuldigten zulässig, wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. Solche Eingriffe sind gerechtfertigt, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird.55 Auch bei anderen als Beschuldigten sind ärztliche Eingriffe gemäß § 81c StPO zu dulden, wenn zur Erforschung der Wahrheit festgestellt werden muss, ob sich an ihrem Körper eine bestimmte Spur oder Folge einer Straftat befindet. Zugunsten der Wahrheitserforschung wird dem Einzelnen also hier ein Opfer abverlangt. bb) Vereinbarkeit einer Sozialpflicht mit den Grundrechten Das Menschenbild des Grundgesetzes enthält kein generelles Verbot von Sozialpflichten. Davon zeugt nicht nur Art. 12a GG, sondern auch die Möglichkeit einer Enteignung nach Art. 14 Abs. 2 GG. Außerdem wird eine Verantwortung auch für künftige Generationen in Art. 20a GG klargestellt. Der Mensch wird nicht nur durch individualistische Motive geleitet. Wenn diese den Menschen schon nicht in seiner Subjektqualität in Frage stellen, kann nicht jede Vereinnahmung eines Menschen zugunsten eines anderen eine Verletzung der Würde darstellen. Eine Berücksichtigung von Vorteilen für andere entspricht dem Menschenbild des Grundgesetzes, das den Menschen als Teil einer Gesellschaft betrachtet.56 Das Hinnehmen von Nachteilen zugunsten eines Vorteils für andere ist Bestandteil eines gesellschaftlichen Lebens. Auch beim Notstand muss man ein Opfer bringen um eines anderen Nachteil zu vermeiden. Eine Abwägung von Vor- und Nachteilen – auch interpersonell – ist daher nicht von vornherein ausgeschlossen.57 Eine Ausnahme davon bilden auch nicht bestimmte Personengruppen, denn auch diese sind notstandspflichtig. Auch sie sind ein Teil dieser Gesellschaft und sollen nicht nur Teilhabe-, sondern auch Teilnahmerechte haben. Auf der anderen Seite stellt das Grundgesetz die Freiheit der Person in den Vordergrund. Das Autonomieprinzip bildet in einer freiheitlichen Grundordnung den Ausgangspunkt. Dies verdeutlichen insbesondere die Grundrechte, die die Freiheiten der Deutschen bzw. von jedermann gewährleisten. So ist neben etwa der Glaubens-, 55

BVerfG NJW 1963, 1597, 1598. BVerfGE 4, 7, 15 f.; 8, 274, 329: „Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit“; BVerfGE 7, 320, 323; vgl. Eser, FAZ 19. 11. 1996, S. 16; Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission zu Minderjährigen, Ziffer 3.1.2: „Solidarität und Hilfe für andere entsprechen dem Menschenbild des Grundgesetzes“; Rosenau, in: Hilgendorf/Beck, S. 136 spricht insoweit von „Gemeinschaftgebundenheit“; ders., in: Heun, Sp. 222; Taupitz, MedR 2012, 583, 586: vgl. auch zum Menschenbild der EMRK: Bergmann, Menschenbild, S. 91; so auch schon Aristoteles, der den Menschen als „zôon politikon“ bezeichnete; dagegen jedoch: Höfling/Demel, MedR 1999, 540, 545. 57 Taupitz/Brewe/Schelling, in: Taupitz, S. 409, 428; Taupitz, MedR 2012, 583, 586. Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass eine Einbeziehung auf eine Güterabwägung gestützt werden darf; dazu noch sogleich. 56

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Meinungs- und Versammlungsfreiheit sogar in Art. 2 Abs. 1 GG eine allgemeine Handlungsfreiheit garantiert. Jeder darf sich frei entfalten. Das Autonomieprinzip kann im Gegensatz zum Prinzip der Solidarität stehen.58 Wird einer Person eine Pflicht zugunsten der Gesellschaft auferlegt, der sie ohne oder gegen ihren Willen folgen muss, so steht diese Pflicht in Widerspruch zu der Freiheit der Person. Bei dem sodann erforderlichen Ausgleich ist der besondere Wert der Autonomie zu berücksichtigen. Gesellschaft und Staat dürfen nicht jedes Opfer aus Gründen der Solidarität fordern. Es besteht eine Opfergrenze, die nicht überschritten werden darf.59 Diese kann mithilfe der Wertungen der Grundrechte bestimmt werden, insbesondere mit der Würde des Menschen, die nach Art. 1 Abs. 1 GG unantastbar ist. Sollte Einwilligungsunfähigen in der Humanforschung eine solche Pflicht auferlegt werden, durch die sie gezwungen werden, ihren Körper für fremdnützige Maßnahmen zur Verfügung zu stellen, so liegt eine Verletzung der Würde nahe. Der Fortschritt würde auf dem Rücken einzelner erkauft,60 und dies sogar bei besonders wehrlosen Personen. Ein Zwang zur Teilnahme erinnert auch an die Experimente in der Zeit des Nationalsozialismus. Dort wurden Häftlinge zur Teilnahme an Experimenten gezwungen, um dadurch Erkenntnisse für die Kriegsführung zu gewinnen.61 Es handelt sich nicht nur um hochrangige Güter, wie der Leib und die Selbstbestimmung, über die verfügt wird. Eine Pflicht zur Teilnahme an der Forschung würde die Einwilligungsunfähigen zu einem Mittel für andere Personen und künftige Generationen herabstufen. Da sie selbst keinen Nutzen aus den Versuchen ziehen, wären sie nicht selbst Zweck der Maßnahme, sondern ein Instrument, das anderen dient. Sie würden also anderen Menschen zur Verfügung gestellt. Es handelt sich um eine besonders vulnerable Personengruppe, deren Schutz eine hohe Priorität genießt. Anders als die oben genannten Pflichten würde diese Pflicht nur diese schutzbedürftige Gruppe betreffen.62 Des Weiteren sind zwar auch die oben genannten Pflichten in erster Linie fremdnützig, begünstigen also die Gesamtbevölkerung oder eine andere Person, der Vorteil stellt sich jedoch unmittelbarer dar als bei der Forschung, bei der vielleicht erst nach Jahren ein Erkenntniserfolg eintritt. Ohne ein Recht sich zu wehren und ohne einen Interessenvertreter liegt auch die Gefahr eines Missbrauchs sehr nahe. Bei einer Pflicht würden Einwilligungsunfähige nicht mehr als Subjekt wahrgenommen, sondern als Objekt und „Material für die For-

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Freilich enthalten auch die Grundrechte solidarische Aspekte. Es besteht darin kein grundsätzlicher Widerspruch, vgl. Volkmann, Solidarität, S. 247, 299; vgl. zum Konflikt zwischen Autonomie und Solidarität, in: Bezug auf § 34 StGB: Erb, in: MüKo-StGB, § 34, Rn. 7; Günther, in: SK, § 34, Rn. 11; Neumann, in: NK, § 34, Rn. 11; Renzikowski, Notstand, S. 191; sowie noch u. S. 301 ff. 59 Vgl. zur Opfergrenze in Bezug auf § 34 StGB: Erb, in: MüKo-StGB, § 34, Rn. 7, 86; Frisch, FS Puppe, S. 291, 293; Gallas, FS Mezger, S. 311, 325. 60 Vgl. Lenckner, GS Noll, S. 243, 255 f. 61 Vgl. o. zu den Unterdruckversuchen: S. 50. 62 Zum Gleichbehandlungsproblem s. noch sogleich.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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schung“. Bei einem Verständnis der Würde, das eine Sozialpflicht in fremdnützige Forschung zulässt, stünden utilitaristische Positionen im Vordergrund.63 In Betracht gezogen wird – insbesondere im Hinblick auf die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit – auch eine Parallele zum Impfzwang,64 der als verfassungsgemäß eingestuft worden ist.65 Zur Vermeidung von Epidemien und damit zugunsten der Volksgesundheit wurden Personen zu einer Impfung verpflichtet, deren Verweigerung sogar eine Ordnungswidrigkeit darstellte.66 Gegen eine parallele Rechtfertigung spricht aber, dass bei einer Impfung auch ein individuelles Gesundheitsinteresse besteht. Durch die Impfung ist es wahrscheinlich, dass der Betroffene selbst nicht erkrankt. Er zieht damit einen individuellen Nutzen, anders als bei der fremdnützigen Forschung. Auch fehlt eine Vergleichbarkeit der klinischen Prüfungssituation zu Epidemien.67 Bei ersteren besteht in der Regel keine derartige Dringlichkeit und akute Gefahr für die Gesundheit oder das Leben eines großen Teils der Bevölkerung. Zwar bezwecken auch klinische Prüfungen die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern, jedoch sind sie regelmäßig auf einen längeren Zeitraum ausgelegt und es besteht keine akute Notfallsituation. Dasselbe muss auch für eine Parallele zu den Eingriffsbefugnissen nach § 81a StPO gelten. Anders als bei der fremdnützigen Forschung handelt es sich jedoch um staatliche Eingriffe, die sich gegen eine Person richten, die Anlass zu einer Untersuchung gegeben hat. Gegen andere Personen darf eine Untersuchung daher auch nur in restriktiveren Grenzen erfolgen.68 Die genannten Pflichten unterscheiden sich also von der Forschung an einwilligungsunfähigen Personen zum einen durch die Situation, in der sie eingreifen, zum anderen auch hinsichtlich der duldungspflichtigen Personen, ihrer Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit. Weitere Bedenken ergeben sich aus dem Selbstbestimmungsrecht der Versuchsperson, das bei einer Duldungspflicht missachtet würde. Wünsche und Interessen der Versuchsperson würden nicht berücksichtigt und ihre Persönlichkeit nicht beachtet. Nur, weil die Person selbst nicht in der Lage ist, zu entscheiden, würde ihr

63 Ähnlich: von Dewitz, Klinische Bewertung von Medizinprodukten, S. 143; vgl. Spranger, Recht und Bioethik, S. 74 f. 64 Letztlich ablehnend: Eck, Zulässigkeit medizinischer Forschung, S. 204 f. Eine Impfpflicht sah das Impfgesetz vom 8. April 1874 (RGBl 1874, S. 31) sowie § 1 der Nachfolgeregelung, des PockenSchImpfG vom 18. 5. 1976 (BGBl I S. 1216) vor. Auch dieses wurde aufgehoben zum 01. 07. 1983 durch § 1 des Gesetzes vom 24. 11. 1982 (BGBl. I S. 1529). Vgl. auch das Interview der FAZ vom 21. 07. 2013 mit dem damaligen Gesundheitsminister Bahr, der noch eine Debatte über die Einführung einer Impfpflicht gegen Masern ablehnt, aber auf den Erfolg der Impfpflicht gegen Pocken verweist, abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/politik/ inland/daniel-bahr-impfpflicht-hatte-bei-pocken-erfolg-12289160.html. 65 BGHSt 4, 375; BVerwG NJW 1959, 2325. 66 Vgl. § 13 PockenSchImpfG (außer Kraft). 67 Eck, Zulässigkeit medizinischer Forschung, S. 205. 68 Vgl. § 81c StPO.

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jegliche Möglichkeit genommen, auf eine Einbeziehung Einfluss zu nehmen und ihre Vorstellungen zu verwirklichen. cc) Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz Darüber hinaus ist auch der Gleichheitssatz zu beachten. Nach einer Ansicht verstößt die Einbeziehung von Einwilligungsunfähigen in die gruppennützige Forschung gegen Art. 3 Abs. 1 GG.69 Es handele sich um eine Ungleichbehandlung zwischen Einwilligungsfähigen und Einwilligungsunfähigen, die mit dem geistigen Status begründet werde.70 Bei Einwilligungsunfähigen werde auf Selbstbestimmung verzichtet, bei Einwilligungsfähigen jedoch nicht. Picker schlägt zur Lösung sogar eine Sozialpflicht für jedermann vor.71 Andere hingegen sehen – zum Teil selbst bei einer Sozialpflicht der Einwilligungsunfähigen – keine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG.72 Zunächst ist ein gemeinsamer Bezugspunkt, ein Oberbegriff zu Einwilligungsunfähigen und -fähigen zu bilden, um zu ermitteln, ob es sich um wesentlich Gleiches handelt.73 Bei beiden Personengruppen handelt es sich um Menschen, die an Versuchen teilnehmen. Fraglich ist nun, ob sie ungleich behandelt werden. Sind einwilligungsunfähige Personen zur Teilnahme verpflichtet, kommt es bei einwilligungsfähigen Personen aber auf eine aktuelle persönliche Einwilligung an, so werden sie ungleich behandelt. Die neue Formel des Bundesverfassungsgerichts ist bei großer Intensität der Ungleichbehandlung anzuwenden, insbesondere, wenn eine Unterscheidung nach Personengruppen erfolgt,74 der Betroffene das Kriterium der Ungleichbehandlung nicht beeinflussen kann oder das Kriterium einem der in Art. 3 69

von Dewitz, Klinische Bewertung von Medizinprodukten, S. 153 f.; Picker, JZ 2000, 693, 701. 70 Picker, JZ 2000, 693, 701. 71 Picker, JZ 2000, 693, 704; dagegen: Wunder, JZ 2001, 344 ff. 72 Fischer, in: Deutsch/Schreiber, S. 29, 37; ders., FS Schreiber, S. 685, 695; Magnus, Medizinische Forschung an Kindern, S. 70; Neuer-Miebach, in: Dörr/Grimm/Neuer-Miebach, S. 184; Spranger, SuP 2006, 751, 759. 73 Vgl. Heun, in: Dreier, Art. 3, Rn. 23; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3, Rn. 463 ff. 74 BVerfG NJW 1993, 1517: Danach kommt es für die Bindung des Gesetzgebers darauf an, wie sehr sich die personenbezogenen Merkmale den in Art. 3 Abs. 3 GG genannten annähern. Dann sei die Gefahr größer, dass eine an sie anknüpfende Ungleichbehandlung zur Diskriminierung einer Minderheit führe. Die engere Bindung sei jedoch nicht auf personenbezogene Differenzierungen beschränkt. Sie gelte vielmehr auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirke. Bei lediglich verhaltensbezogenen Unterscheidungen hänge das Maß der Bindung davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage seien, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Merkmale zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird. Überdies seien dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers um so engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken könne. Vgl. auch: BVerfG NJW 1981, 271 f.; NJW 1990, 2246 f.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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Abs. 3 GG genannten ähnelt.75 Der Einwilligungsunfähige kann die Krankheit, Behinderung oder das Alter, das zur Einwilligungsunfähigkeit führt, nicht beeinflussen. Bei einer Behinderung ist außerdem Art. 3 Abs. 3 GG einschlägig. Eine Behinderung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einen regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht.76 Das Differenzierungskriterium könnte aber dennoch verfassungsrechtlich zulässig sein. Legitimes Ziel der Ungleichbehandlung ist es, dass auch einwilligungsunfähige Personen an Forschung teilnehmen um dadurch einen Fortschritt der Medizin zu erlangen. Das Kriterium ist geeignet dieses Ziel zu erreichen. Ob es jedoch unter gleich geeigneten Mitteln das mildeste darstellt, also erforderlich ist, erscheint zweifelhaft. Einwilligungsunfähige sind selbst nicht in der Lage, eine Einwilligung zu erteilen. Befürworter einer Vereinbarkeit auch bei Sozialpflicht argumentieren jedoch, dass sich genügend einwilligungsfähige Probanden freiwillig zur Verfügung stellten, während dies bei Einwilligungsunfähigen nicht möglich sei.77 Dagegen lässt sich einwenden, dass damit eine mögliche freiwillige Befolgung als Differenzierungskriterium herangezogen wird, obwohl es das Wesensmerkmal einer Pflicht ist, dass es auf eine Freiwilligkeit nicht ankommt.78 Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass dieses (unzulässige) Differenzierungsmerkmal wegfällt. Zwar besteht zur Zeit wohl kein Mangel an freiwilligen Versuchspersonen. Bei einem Rückgang der Zahl der Freiwilligen müsste jedoch auch eine Sozialpflicht für jedermann eingeführt werden, um einen Gleichheitsverstoß zu vermeiden. Des Weiteren wäre es ein milderes Mittel, Einwilligungsunfähigen die Möglichkeit der Teilnahme auf anderem Weg einzuräumen, etwa durch einen Vertreter, der ihre Interessen im Einzelfall wahrnimmt, statt durch eine Pflicht. Auch die Angemessenheit dieser Ungleichbehandlung ist im Hinblick auf die Unvereinbarkeit mit der Menschenwürde, der körperlichen Unversehrtheit und dem Selbstbestimmungsrecht zu verneinen. Aufgrund dieser Unvereinbarkeit stellt auch eine Sozialpflicht für jedermann keine gangbare Lösung dar. dd) Ergebnis Eine Sozialpflicht ist daher nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren. Dies ergibt sich sowohl aus der Menschenwürde als auch dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie auf Selbstbestimmung. Bei einer Sozialpflicht Einwilligungsunfähiger in Bezug auf fremdnützige Forschung ist die Opfergrenze hinsichtlich der Freiheitsrechte überschritten, die von der Gesellschaft und dem Staat eingefordert werden kann. Sie ist mit bestehenden Pflichten nicht vergleichbar und verstößt gegen den Gleichheitssatz. 75 76 77 78

BVerfGE 124, 199, 220; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3, Rn. 470. BVerfGE 96, 288, 301. Fischer, in: Deutsch/Schreiber, S. 29, 37; ders., FS Schreiber, S. 685, 695. von Freier, Humanforschung, S. 241.

110 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

c) Einbeziehung durch Güter- und Interessenabwägung Als weitere Möglichkeit der Einbeziehung kommt auch eine Güter- und Interessenabwägung in Betracht, die mit dem Gedanken des Utilitarismus begründet werden könnte. Dabei ist der größtmögliche Nutzen für die Gesamtheit maßgeblich.79 Wenn der Proband bzw. Patient nur geringen Risiken und Belastungen, evtl. sogar im lediglich minimalen Bereich, ausgesetzt ist, auf der anderen Seite aber ein großer Nutzen für sie selbst oder den Fortschritt der Wissenschaft zu erwarten ist, so könnte die Einbeziehung schon allein dadurch gerechtfertigt werden.80 Eine Legitimation der Einbeziehung durch eine Güterabwägung unterscheidet sich von einer Sozialpflicht durch die Begründung mithilfe des Utilitarismus, sie liefe jedoch letztlich auf eine Sozialpflicht hinaus: Für geringfügige Eingriffe könnten Einwilligungsunfähige bei einem großen Nutzen für die Heilkunde oder sich selbst jederzeit für die Forschung herangezogen werden. Daher sprechen gegen eine Einbeziehung durch Güterabwägung dieselben Argumente wie gegen die Einbeziehung durch Sozialpflicht.81 Darüber hinaus missachtet ein derart strenger Utilitarismus die Eigenständigkeit der Person.82 Persönliche Wünsche und Entscheidungen könnten nicht berücksichtigt werden. Es sollte auch möglich sein, dass selbst Eingriffe mit nur minimalen Risiken abgelehnt werden können. Die Abwägung würde zu einer Objektivierung führen, die die Subjektstellung des Patienten und sein Selbstbestimmungsrecht missachtet. Dadurch würde er auf die Höhe von Risiko und Nutzen reduziert und damit zu einem Mittel degradiert. Von Belang wäre nicht der Einwilligungsunfähige als Person, sondern nur sein Nutzen. Eine solche Abwägung würde dazu führen, dass die Persönlichkeit und die Würde der Person nicht in der Waagschale lägen. Dort befänden sich auf der einen Seite Risiken und Belastungen, auf der anderen Seite der Nutzen für die Allgemeinheit oder auch für ihn selbst. Eine freiheitliche Grundordnung hat jedoch nicht die Maximierung des Gesamtinteresses zum Ziel, sondern dient dem Schutz individueller Interessen.83 Bei einer reinen Interessenabwägung würde nicht berücksichtigt, dass die Rechtsordnung nicht nur Interessen anerkennt, sondern auch Rechtspositionen zuweist und besonders schützt,84 insbesondere durch die Grundrechte. Der Utilitarismus könnte auch auf ein Gesellschaftsbild mit or79

Vgl. auch zur Begründung des rechtfertigenden Notstands durch das Prinzip des Utilitarismus: Meißner, Interessenabwägungsformel, S. 173; vgl. auch Joerden, GA 1993, 245, 247. Gegen diese Legitimation des rechtfertigenden Notstands: Kühl, AT, § 8, Rn. 8; Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 82; Pawlik, Notstand, S. 32; Renzikowski, Notstand, S. 42, 202 ff. 80 In diese Richtung geht die Argumentation von Taupitz, JZ 2003, 109, 116 sowie von Taupitz/Brewe/Schelling, in: Taupitz, S. 409, 427. 81 Vgl. o. S. 104 ff. 82 Zum rechtfertigenden Notstand: Renzikowski, Notstand, S. 205, der darüber hinaus auch den Grundsatz gleicher Lastenverteilung aus Art. 3 GG zur Kritik heranzieht. 83 Vgl. zum Notstand: Conincx, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, S. 175, 190. 84 Vgl. zu § 34 StGB: Neumann, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, S. 155, 162.

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ganizistischem Modell hinauslaufen, bei dem der Einzelne nur ein Glied des Körpers darstellt, den die Gesellschaft bildet.85 Eine solche Sichtweise auf die Person würde sie herabstufen und nicht individuell wahrnehmen, so dass ein Verstoß gegen die Würde vorläge.86 Auch eine Einbeziehung durch Güter- und Interessenabwägung ist mithin nicht mit den Grundrechten vereinbar. d) Einbeziehung durch fehlenden Widerspruch aa) Parallele zur Transplantation Als Legitimationsmöglichkeit einer Einbeziehung ist ferner das Fehlen eines vorab erklärten Widerspruchs in Erwägung zu ziehen. Bei der Transplantationsmedizin ist eine solche „Widerspruchslösung“ mehrfach diskutiert worden.87 Nach dieser Lösung soll eine Organspende zulässig sein, wenn der Spender keinen Widerspruch erklärt hat.88 Ein Widerspruch könnte etwa auf der Gesundheitskarte oder dem Personalausweis dokumentiert werden.89 In einer erweiterten Form kann auch ein Angehöriger der Organentnahme widersprechen.90 Nunmehr gilt in Deutschland eine Zustimmungslösung, die durch eine (freiwillige) Entscheidungslösung umgewandelt worden ist.91 Es kommt also auf die Einwilligung des Spenders an, wobei er aufgefordert wird, sich zu entscheiden. Fraglich ist, ob eine Übertragung der Widerspruchslösung auf den Fall der Forschung an Einwilligungsunfähigen möglich und mit den Grundrechten vereinbar ist. Im Rahmen der Organentnahme an Verstorbenen begegnet die Widerspruchslösung verfassungsrechtlichen Bedenken. Ihre Vereinbarkeit mit Art. 1 Abs. 1 GG ist umstritten. Einige Stimmen in der Literatur lehnen einen Verstoß gegen die Menschenwürde ab.92 Die aufgebürdete Pflicht, eine Entscheidung zu treffen, verletze 85

Neumann, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, S. 155, 163. Neumann, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, S. 155, 163. 87 Vgl. den Gesetzesentwurf BT-Drs. 8/2681 sowie den Gesetzesentwurf und die Beschlussempfehlung des Landtags Rheinland-Pfalz Drs. 12/2094 sowie 12/5037; vgl. zur Diskussion: Lemke, MedR 1991, 281 ff. Die Widerspruchslösung war in der DDR verbindliches Recht, vgl. § 4 der Verordnung über die Durchführung von Organtransplantationen, Gbl. DDR I 1975, S. 597 ff. 88 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2, Rn. 206; Grewel, ZRP 1995, 217, 219; Rosenau, in: Lilie, S. 61, 65; Tag, in: MüKo-StGB, § 4 TPG, Rn. 2; Voll, Einwilligung im Arztrecht, S. 282 ff. 89 Zum Widerspruch im Personalausweis: BT-Drs. 8/2681. Nunmehr wird für die Zukunft einer Dokumentation der Erklärung auf der Gesundheitskarte bevorzugt, vgl. BT-Drs. 17/9030, S. 4; BT-Drs. 17/9774, S. 4. 90 Diese erweiterte Widerspruchslösung wird häufig auch Informationslösung genannt, vgl. Grewel, ZRP 1995, 217, 220; Tag, in: MüKo-StGB, § 4 TPG, Rn. 2 ff. 91 Vgl. BT-Drs. 17/9030, 17/9774. 92 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Transplantation, S. 55; Rosenau, in: Lilie, S. 61, 68; SchmidtDidczuhn, ZRP 1991, 264, 268; Voll, Einwilligung im Arztrecht, S. 288. 86

112 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

nicht Art. 1 Abs. 1 GG, sondern sei Ausdruck eines selbstbestimmten und mündigen Menschen.93 Andere jedoch halten die Widerspruchslösung für mit der Menschenwürde unvereinbar, wenn vorab keine ausreichende Information erfolgt, auf deren Grundlage ein Widerspruch erfolgen könnte.94 bb) Vereinbarkeit der Widerspruchslösung mit den Grundrechten Die jeweiligen Argumente lassen sich auf die Forschung an Einwilligungsunfähigen übertragen. Zwar geht es um die Forschung an lebenden Personen, so dass der Würdeschutz ausgeprägter ist als beim Leichnam,95 jedoch geht es auch hier um die Frage, inwiefern ein fehlender Widerspruch Konsequenzen haben kann. Zumindest bei Personen, die einwilligungsfähig gewesen sind, ist die Lage vergleichbar, da sie die Möglichkeit hatten, sich mit der Materie auseinanderzusetzen und sich zu entscheiden, ob sie im einwilligungsunfähigen Zustand eine Maßnahme, die nur anderen nützt, dulden möchten. Wie bei der antizipierten Einwilligung96 wird den Personen bei Abstellen auf einen fehlenden Widerspruch im Vorhinein die Möglichkeit gegeben, Einfluss auf die Teilnahme an einem Versuch zu nehmen, indem sie darüber bestimmen können, ob sie in einem späteren einwilligungsunfähigen Zustand teilnehmen möchten oder nicht. Im Vergleich zur antizipierten Einwilligung würde dabei jedoch statt auf eine bestehende Erklärung auf deren Fehlen abgestellt. Die Bedenken gegen die Legitimität, die auch gegen die antizipierte Einwilligung vorgebracht werden, wie insbesondere die Aktualität des Willens,97 wiegen bei diesem Einbeziehungsmodell noch schwerer. Die Anhaltspunkte für den Willen des Einwilligungsunfähigen sind nur vage und nicht dokumentiert. Von einer etwaigen Zulässigkeit der Einbeziehung kraft antizipierter Einwilligung lässt sich daher nicht auf die Legitimität dieser Möglichkeit schließen. Anders als bei einer Sozialpflicht hat die Person die Möglichkeit einen Widerspruch zu erklären und damit Forschungsmaßnahmen an sich zu verbieten. Es besteht also ein Vetorecht, das bereits früh ausgeübt werden kann. Darüber hinaus ist der Einwilligungsunfähige nicht Gegenstand einer abstrakten Abwägung, sondern wird durch die Möglichkeit eines Widerspruchs als Person geachtet und respektiert. Wenn diese Möglichkeit realistisch durch eine ausreichende Information besteht, wird die Versuchsperson nicht objektiviert oder herabgestuft, so dass eine Verletzung des Art. 1 Abs. 1 GG ausscheidet. 93

268. 94

Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Transplantation, S. 55; Schmidt-Didczuhn, ZRP 1991, 264,

Kloth, Organentnahme, S. 156; Kühn, Motivationslösung, S. 125. Rosenau, in: Lilie, S. 61, 68; vgl. auch zum Vergleich des Schutzes bei Lebendspenden und Organspenden bei Verstorbenen: Schmidt-Didczuhn, ZRP 1991, 264, 265. 96 s. dazu noch u. S. 176 ff. 97 s. dazu noch u. S. 177 ff. 95

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

113

Wird die Einbeziehung mit einem fehlenden Widerspruch begründet, ergeben sich jedoch Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Selbstbestimmungsrecht. Auf der einen Seite ist es problematisch, dass eine Zustimmung durch einen fehlenden Widerspruch vermutet wird. Ein Widerspruch kann aus den unterschiedlichsten Gründen unterbleiben98 und sein Fehlen bedeutet nicht unbedingt, dass eine Zustimmung seinem tatsächlichen Willen entspricht. Diesem Vorwurf könnte allerdings begegnet werden, indem im Vorhinein eine umfassende Information erfolgt. Die Versuchsperson muss wissen, welche Konsequenzen ein fehlender Widerspruch hat. Auch muss die Information eine Aufklärung über mögliche Forschungsvorhaben beinhalten. Dies ist aber wohl kaum möglich, da die Art der Studie, die einzelnen Forschungsmaßnahmen sowie insbesondere deren Risiken noch nicht absehbar sind. Eine Aufklärung über alle in Zukunft möglichen Versuche für alle möglichen Krankheiten ist ebenfalls nicht möglich. Darüber hinaus beinhaltet das Selbstbestimmungsrecht nicht nur das Recht, aufgeklärt zu werden und einzuwilligen oder einen Eingriff zu untersagen, sondern auch ein Recht auf Nichtwissen.99 Dieses negative Selbstbestimmungsrecht garantiert auch das Recht, sich nicht mit einer Materie beschäftigen zu müssen.100 Eine Widerspruchslösung würde der Person eine Erklärungslast aufbürden.101 Sie hätte nicht die Freiheit zu entscheiden, ob sie sich überhaupt (schon) entscheiden möchte, denn wenn sie keine Erklärung abgibt, hat dies u. U. Folgen für ihre körperliche Unversehrtheit. Durch die Vermutung einer Zustimmung bei fehlendem Widerspruch kommt es also mittelbar zu einer Pflicht, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und eine Entscheidung zu treffen. Dies stellt einen Eingriff in das negative Selbstbestimmungsrecht dar. Es könnte aber eine Rechtfertigung mittels der Wertungen des Art. 2 Abs. 2 GG möglich sein. Bei der Organspende ist umstritten, ob der Eingriff in das negative Selbstbestimmungsrecht gerechtfertigt ist, insbesondere ob im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ein angemessener Ausgleich erfolgt.102 Auch hier sind die Argumente auf die Forschung an Einwilligungsunfähigen übertragbar. Der legitime Zweck, der Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Bevölkerung, könnte erreicht 98

Vgl. Carstens, Organtransplantation, S. 123; Maurer, DÖV 1980, 7, 12. Tag, in: MüKo-StGB, § 4 TPG, Rn. 4. 100 So zur Organspende: Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2, Rn. 206; Hirsch/ Schmidt-Didczuhn, Transplantation, S. 55; Kloth, Organentnahme, S. 158; Kühn, Motivationslösung, S. 126; Schmidt-Didczuhn, ZRP 1991, 264, 266; Voll, Einwilligung im Arztrecht, S. 289. 101 Zur Organspende: Nach Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Transplantation, S. 54 handelt es sich um eine „ihm aufgebürdete Sozialpflichtigkeit, eine Entscheidung zu treffen“; Rosenau, in: Lilie, S. 61, 67. 102 Für die Möglichkeit einer Rechtfertigung: Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2, Rn. 206; Rosenau, in: Lilie, S. 61, 70 f.; Rüping, GA 1978, 129, 137; Vogel, NJW 1980, 625, 628; dagegen aber Kloth, Organentnahme, S. 161; Voll, Einwilligung im Arztrecht, S. 292. 99

114 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

werden, wenn durch eine Widerspruchslösung mehr Studienteilnehmer angeworben werden könnten.103 Zweifelhaft ist aber, ob das Widerspruchsmodell erforderlich ist. Als ähnlich geeignetes, aber milderes Mittel kommt auch eine Lösung in Betracht, bei der die Personen aufgefordert werden, sich zu entscheiden, ohne sie dazu zu verpflichten.104 Sogar eine eingeschränkte Erklärungslösung, bei der jeder verpflichtet würde, eine Stellungnahme abzugeben, aber auch die Möglichkeit erhält, sich noch nicht zu entscheiden, stellt ein milderes Mittel dar.105 Zwar würden dadurch wahrscheinlich weniger Studienteilnehmer zur Verfügung stehen, so dass die Wirksamkeit nicht in gleichem Maße gegeben sein wird. Im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht der Personen ist dies aber vernachlässigenswert. Würde man hier die geringere Anzahl an Studeinteilnehmern als Begründung heranziehen, so wäre die Parallele zur Sozialpflicht offensichtlich. Daher ist die Angemessenheit des Eingriffs nicht gegeben. Die Auseinandersetzung mit der Möglichkeit eines späteren einwilligungsunfähigen Zustands fällt nicht leicht und die Entscheidung zu einer altruistischen Handlung sollte wohlüberlegt gefällt werden. Eine diesbezügliche Pflicht sollte nicht bagatellisiert werden und auch im Verhältnis zu Art. 2 Abs. 2 GG nicht gerechtfertigt werden können. Die Widerspruchslösung zielt nicht darauf ab, dass sich eine Person entscheidet, sondern hofft auf Passivität.106 Folglich stellt das Widerspruchsmodell einen Eingriff in das negative Selbstbestimmungsrecht dar, der nicht gerechtfertigt werden kann.107 e) Einbeziehung durch Repräsentation Nachdem nun festgestellt worden ist, dass eine Einbeziehung von Einwilligungsunfähigen nicht durch eine Rechtspflicht, Güterabwägung oder kraft fehlenden Widerspruchs erfolgen kann, ist nun zu prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Einbeziehung durch Repräsentation erfolgen kann, ohne gegen die Würde oder andere Grundrechte der einwilligungsunfähigen Personen zu verstoßen. Bei dem Modell der Repräsentation kann die Erklärung einer Person durch die Entscheidung eines Vertreters ersetzt werden, insbesondere, wenn der Betroffene geschäftsunfähig oder einwilligungsunfähig ist. Bei einem ärztlichen Eingriff ist anerkannt, dass dieser durch eine Einwilligung des Rechtsträgers gerechtfertigt 103 Kritisch in Bezug auf die Organspende: Lilie, in: Lilie, S. 55, 58; Voll, Einwilligung im Arztrecht, S. 284. 104 So jetzt auch in Deutschland bei der Organspende, vgl. BT-Drs. 17/9030 und 17/9774. 105 Zur Organspende: Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Transplantation, S. 60 f.; Schmidt-Didczuhn, ZRP 1991, 268 f. 106 Ähnlich: Kühn, Motivationslösung, S. 132: „Sie fordert nicht Aktivität, sondern vertraut auf Passivität“. 107 Anders jedoch und nur mit der Begründung, die Person habe es selbst in der Hand, den befürchteten Grundrechtsverletzungen vorzubeugen: BVerfG NJW 1999, 3403, 3404; Dass sie in ihren Grundrechten bereits dadurch verletzt werde, dass sie zur Abwehr der behaupteten Grundrechtsverletzung einen Widerspruch erklären müssen, sei nicht ersichtlich.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

115

werden kann.108 Wenn keine Einwilligung eingeholt werden kann, ist nach ganz herrschender Meinung auch verfassungsrechtlich eine Rechtfertigung eines möglichen Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit durch eine Einwilligung des Betreuers, Vormunds oder der Eltern möglich.109 Durch einen Vertreter, der die Interessen und Wünsche des Einwilligungsfähigen an seiner Stelle wahrnimmt, könnte seine Würde gewahrt sein.110 Andererseits erscheint es zunächst fraglich, ob die Entscheidung eines anderen, gerade auch, wenn dieser nicht vom Betroffenen selbst bestellt worden ist, mit seinem Grundrechten, insbesondere dem Selbstbestimmungsrecht, vereinbar sein kann. Es könnte sich im Gegenteil um Fremdbestimmung handeln, die es einem Vertreter ermöglicht, über die einwilligungsunfähige Person zu bestimmen und zu verfügen. Es wäre mithin möglich, dass das Modell der Repräsentation selbst einen Eingriff darstellt, der rechtfertigungsbedürftig wäre. Um zu entscheiden, ob eine Einbeziehung von Einwilligungsunfähigen in fremdnützige Forschung durch das Prinzip der Repräsentation erfolgen kann, bedarf es daher zunächst einer Untersuchung der verfassungsrechtlichen Grundlagen dieses Modells. aa) Grundlagen der Repräsentation Das Prinzip der Repräsentation führt dazu, dass eine andere Person Entscheidungen für den Betroffenen trifft. Diese Situation kann man aus zwei Blickwinkeln betrachten: Einerseits könnte man die Repräsentation als Einschränkung der eigenen Entscheidungsbefugnis, als aufgezwungene Fremdbestimmung, bewerten. Andererseits drängt sich jedoch auch auf, dass sich gerade bei nicht selbst einwilligungsfähigen Personen deren Möglichkeiten zur Teilnahme am Rechtsverkehr mehren statt verringern, indem der Vertreter ihre Entscheidungen trifft. (1) Gewillkürte Vertretung Bei der gewillkürten Vertretung tritt der zweite Aspekt in den Vordergrund: Bestimmt der Betroffene selbst über die Person des Vertreters oder gibt er diesem sogar noch Vorgaben für die Ausübung seiner Vertretungsmacht, so erweitert er damit den Kreis seiner Handlungsmöglichkeiten: Solange er selbst entscheidungsfähig ist, kann sowohl er selbst als auch der Vertreter Entscheidungen treffen. Bei eintretender Unfähigkeit zur Selbstbestimmung werden seine Belange sodann durch

108 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2, Rn. 69 schließt bei bestehender Einwilligung bereits den Tatbestand aus; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 II, Rn. 55 f. 109 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2, Rn. 69; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 II, Rn. 56; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 2, Rn. 237. 110 Vgl. Elzer, MedR 1998, 122 ff.; von Freier, Humanforschung, S. 70 ff.: nur in sehr engen Grenzen; vgl. auch die §§ 40 ff. AMG, die nach der hier vertretenen Ansicht dem Prinzip der Repräsentation folgen, s. u. S. 211 ff.

116 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

den von ihm gewählten Vertreter geregelt.111 Bei der gewillkürten Vertretung ist die Repräsentation Ausdruck der Privatautonomie, also der Gestaltungsfreiheit des Betroffenen. Er delegiert dadurch seine eigene Entscheidungsbefugnis.112 Dies ermöglicht ihm, dass er auch im einwilligungsunfähigen Zustand weiterhin handlungsfähig bleibt, wenn auch durch jemand anderen. Dadurch wird seine Personalität erhalten und größtmögliche Gleichheit im Verhältnis zu einwilligungsfähigen Personen hergestellt. Da er selbst den Vertreter bestimmt, handelt es sich nicht um eine aufgezwungene Fürsorge, sondern um einen Akt der Selbstbestimmung,113 so dass das entsprechende Grundrecht verwirklicht wird. Dies verdeutlicht auch eine im Zivilrecht vertretene Konzeption zur dogmatischen Begründung der gewillkürten Vertretung bei höchstpersönlichen Angelegenheiten. Diese Theorie führt die gewillkürte Stellvertretung auf die Übertragung des Persönlichkeitsrechts zur Ausübung zurück: Das Persönlichkeitsrecht als unübertragbares Recht verbleibt beim Inhaber, die Befugnis dieses Recht auszuüben, wird auf einen Stellvertreter übertragen.114 Vergegenwärtigt man sich diese Theorie, so wird deutlich, dass der gewillkürte Stellvertreter die Handlungsmöglichkeiten des Betroffenen nicht einengt oder in seinen Rechtskreis eingreift, sondern dessen Selbstbestimmungsrecht verwirklicht, nachdem der Betroffene ihn autonom zum Vertreter bestimmt hat. Die Entscheidungsbefugnis des gewillkürten Vertreters ist jedoch nicht unbegrenzt: Er muss sich an die Vorgaben des Betroffenen halten, damit sein Handeln als dessen „verlängerte Selbstbestimmung“ gelten kann. (2) Gesetzliche Vertretung Während bei der gewillkürten Vertretung die Erweiterung der Möglichkeiten und das Selbstbestimmungsrecht im Vordergrund stehen, erscheint dies bei gesetzlichen Vertretern nicht so deutlich. Zu diesen zählen insbesondere der Betreuer bei Volljährigen nach §§ 1896 ff. BGB sowie die Eltern bei minderjährigen Personen nach §§ 1626, 1629 BGB.115 Anders als gewillkürte Vertreter werden sie nicht durch den Betroffenen selbst bestimmt, sondern im Falle der Eltern direkt von Gesetzes wegen, im Falle der Betreuer nach § 1897 BGB durch Bestellung des Vormundschaftsge111 Vgl. dazu §§ 164 ff. BGB. Dies gilt selbstverständlich nur bei einer entsprechenden Vollmachtserteilung. Diese könnte etwa auch vorsehen, dass der Vertreter nur bei Entscheidungsunfähigkeit ermächtigt ist. 112 Kuhlmann, Einwilligung, S. 195. 113 Vgl. Thiele, Zustimmungen, S. 64. 114 Füllmich, Tod im Krankenhaus, S. 104 ff., 113 f.; vgl. BGH, Urt. Vom 26. 11. 1954, I ZR 266/52, Rn. 37 f. (Cosima Wagner); vgl. auch BGH NJW 1968, 1773, 1775 (Mephisto: Zur Wahrnehmung des Persönlichkeitsschutzes Verstorbener durch Dritte). Zur abweichenden Ansicht s. noch u. S. 268. 115 Außer Betracht bleiben soll hier der seltenere Fall der Vormundschaft nach den §§ 1773 ff. BGB, für den jedoch grundsätzlich dieselben Erwägungen gelten müssen. Nach § 1773 Abs. 1 BGB erhält ein Minderjähriger einen Vormund, wenn er nicht unter elterlicher Sorge steht oder wenn die Eltern weder in den die Person noch in den das Vermögen betreffenden Angelegenheiten zur Vertretung des Minderjährigen berechtigt sind.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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richts. Die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters stellt mithin kein selbstbestimmtes Handeln dar. Im Gegenteil ordnet der Staat an, dass ein gesetzlicher Vertreter bestellt wird und übernimmt letztlich deren Auswahl. Um die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Vertretung zu untersuchen, müssen zunächst auch die einfach-gesetzlichen Regelungen zu Elternschaft und Betreuung dargestellt werden. Nur so kann deutlich werden, ob es sich um eine staatliche Bevormundung handelt, die die Grundrechte des Betroffenen tangiert oder ob nicht vielmehr Hilfe und Fürsorge im Vordergrund stehen. (a) Eltern Wer rechtlich Mutter und Vater eines Kindes ist, ergibt sich aus den §§ 1591 bzw. 1592 ff. BGB und damit direkt von Gesetzes wegen, es bedarf keiner Bestellung. Nach Art. 6 Abs. 2 GG sind Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvorderst ihnen obliegende Pflicht. Somit ergibt sich schon aus dem Grundgesetz selbst, dass Eltern in Bezug auf ihre Kinder Befugnisse haben. Sie werden nicht vom Staat verliehen, sondern sind als vorgegebenes Recht anerkannt.116 Diese werden insbesondere durch die §§ 1626 ff. BGB näher ausgestaltet. Nach § 1626 Abs. 1 BGB haben die Eltern das Recht und die Pflicht für das minderjährige Kind zu sorgen und zwar in Bezug auf die Person des Kindes und sein Vermögen. Die elterliche Sorge umfasst dabei auch nach § 1629 Abs. 1 S. 1 BGB die Vertretung des Kindes. Den Eltern sind jedoch nicht nur Befugnisse eingeräumt, ihrem Handeln sind auch Schranken gesetzt. Sie müssen gemäß § 1626 Abs. 2 BGB die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln berücksichtigen. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind nach § 1631 Abs. 2 S. 2 BGB unzulässig. Weitere Schranken ergeben sich etwa aus den §§ 1631b ff. BGB: Eine Unterbringung des Kindes, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, bedarf grundsätzlich der Genehmigung des Familiengerichts. In eine Sterilisation dürfen Eltern nicht einwilligen, in eine Beschneidung eines Knaben nur unter engen Voraussetzungen. Ein Verbot der Vertretung kann sich aus § 1629 Abs. 2 i.V.m. § 1795 BGB ergeben. Genehmigungserfordernissse durch das Familiengericht sind durch § 1643 Abs. 1 i.V.m. §§ 1821, 1822 Nr. 1, 3, 5, 8, 11 BGB begründet. Die wohl wichtigste Schranke ist die des Kindeswohls. Beim Kindeswohl handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff und um ein gemäß der Auslegungspraxis des Bundesverfassungsgerichts implizit in Art. 6 Abs. 2 GG enthaltenes Rechtsgut mit Verfassungsrang.117 Bei Entscheidungen des Gesetzgebers muss das Kindeswohl

116

BGH MedR 2014, 244, 266. BVerfGE 24, 119, 144; 68, 176, 188; 72, 155, 172; teils auch i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG: BVerfGE 99, 145, 162; Jeand’Heur, Der Kindeswohl-Begriff, S. 17. 117

118 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Richtpunkt für die Ausübung des staatlichen Wächteramtes sein.118 Dieses Wächteramt wird insbesondere durch die §§ 1626 ff. BGB konkretisiert und findet seine Rechtfertigung im Kindeswohl.119 Inhalt dieses Wächteramts ist auch § 1666 BGB, nach dem bei Gefährdung des Kindeswohls gerichtliche Maßnahmen eingeleitet werden können. Zum Kindeswohl gehört die Möglichkeit, sich zu einer selbständigen, verantwortungsvollen Person zu entwickeln, die auch in einer Gesellschaft leben kann.120 Grundsätzlich haben die Interessen des Kindes Vorrang vor allen anderen Interessen.121 Bei den Eltern als gesetzlicher Vertreter gibt das Grundgesetz durch Art. 6 Abs. 2 GG also schon die grundsätzliche Befugnis der Eltern sowie auch die Schranke des Kindeswohls vor. Verfassungsrechtlich problematisch erscheint die gesetzliche Vertretung in diesem Fall daher nicht. Dies ergibt sich noch deutlicher, wenn man sich vor Augen führt, dass Kinder nie zuvor in der Lage gewesen sind, selbst Entscheidungen zu treffen. Außerdem spricht das enge verwandtschaftliche und persönliche Verhältnis dafür, die Eltern als verfassungsgemäß eingesetzte gesetzliche Vertreter anzusehen. Jede andere Lösung könnte mit Art. 6 Abs. 2 GG nicht in Einklang gebracht werden. (b) Betreuung Die Betreuung hat jedoch keine Grundlage im Grundgesetz. Betreuer können sich nicht auf ein natürliches Recht der Pflege und Erziehung berufen, während Eltern ein solches Recht und eine Pflicht aus Art. 6 Abs. 2 GG herleiten können. Man könnte die Betreuung mit dem Sozialstaatsgedanken begründen.122 Sie stellt eine Form der Fürsorge dar, die der Staat Personen zukommen lässt, die selbst keine Entscheidungen treffen können. Insofern ist die Betreuung eine Hilfe für diese Personen. Der Staat stellt dem Entscheidungsunfähigen einen Vertreter zur Verfügung, damit dieser am (Rechts-)Leben teilnehmen kann. Diese Pflicht zur Fürsorge könnte man auch aus der Menschenwürde selbst herleiten.123 Die rechtliche Anerkennung als Rechtssubjekt mit Rechten und Pflichten bleibt folgenlos, wenn dem zur Entscheidung Unfähigen der Zugang zum Rechtsverkehr verwehrt bleibt.124 Der Staat könnte durch die Einrichtung einer Betreuung also seiner Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 GG 118

BVerfGE 68, 176, 188, vgl. auch BVerfGE 55, 171, 181 sowie § 1666 BGB sowie Coester, in: Staudinger, § 1666, Rn. 65; Büte, in: Johansen/Henrich, § 1666, Rn. 22. 119 Vgl. Hufen, Staatsrecht II, § 16, Rn. 28; Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 110. 120 BVerfGE 57, 361, 383; Büte, in: Johansen/Henrich, § 1666, Rn. 22; Huber, in: MüKoBGB, § 1631, Rn. 4. 121 Coester, in: Staudinger, § 1666, Rn. 66; Weinreich/Klein, in: Weinreich/Klein, § 1666, Rn. 2; Ziegler, in: Prütting/Wegen/Weinreich, § 1666, Rn. 1. 122 Vgl. jeweils allgemein zur gesetzlichen Vertretung: Müller-Freienfels, Vertretung, S. 344; Thiele, Zustimmungen, S. 74; zum Verhältnis von Sozialstaatsgedanken und Fürsorge: BVerfGE 58, 208. 123 Reuter, Kindesgrundrechte, S. 60. 124 Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 142; ders., JZ 2001, 825, 827.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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nachkommen. Insofern ist auch Rechtsgleichheit im Verhältnis zu Entscheidungsfähigen geboten, so dass auch Art. 3 GG als weitere Grundlage herangezogen werden könnte.125 Daraus ergeben sich aber im Gegensatz zu Art. 6 Abs. 2 GG weder direkte Befugnisse noch Schranken einer Betreuung. Daher bedarf ihre verfassungsrechtliche Grundlage noch vertiefender Erörterung. (aa) Inhalt und Schranken der Betreuung nach §§ 1896 ff. BGB Einfach-gesetzlich findet sich die Regelung der Betreuung in den §§ 1896 ff. BGB. Wenn ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann, so bestellt das Betreuungsgericht nach § 1896 Abs. 1 S. 1 BGB auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer. Dabei handelt es sich um eine natürliche Person, die ehrenamtlich oder zur Berufsausübung Betreuungen führt. Der Volljährige kann auch einen Vorschlag für die Person des Betreuers machen, der jedoch gemäß § 1897 Abs. 3 BGB nicht zwingend zu einer Bestellung dieser Person führt. Daher führt auch ein solcher Vorschlag nicht zu einer Einordnung als gewillkürte Vertretung, denn er kann nicht als Bevollmächtigung angesehen werden. Die Betreuung umfasst gemäß § 1901 Abs. 1 BGB alle Tätigkeiten, die erforderlich sind, um die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen. Er ist nach § 1902 BGB der gesetzliche Vertreter des Betreuten innerhalb seines Aufgabenkreises und damit auch im Außenverhältnis berechtigt für den Betreuten zu handeln. Doch auch die rechtliche Betreuung ist nicht unbeschränkt. Im Gegenteil unterliegt sie vielen Begrenzungen und auch der Kontrolle von Gerichten. Zunächst bedeutet die Betreuung keine Entmündigung, denn die Willenserklärungen eines Betreuten sind weiterhin wirksam, es sei denn nach § 1903 Abs. 1 BGB wird ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet.126 Auch darf ein Betreuer gemäß § 1896 Abs. 1a BGB nicht gegen den freien Willen des Volljährigen bestellt werden und darüber hinaus nur für Aufgabenkreise, in denen die Betreuung erforderlich ist.127 Die Betreuung ist nach § 1896 Abs. 2 BGB nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen durch einen Bevollmächtigten, oder durch andere Hilfen, bei denen kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können.128 Eine weitere Schranke für die Befugnisse des Betreuers besteht in seiner Bindung an das Wohl des Betreuten nach § 1901 Abs. 2 BGB. Wie die Eltern ist also auch der Betreuer bei seinen Entscheidungen daran gebunden. Der Begriff des Wohls beim 125

Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 142; ders., JZ 2001, 825, 827; vgl. auch Böse, FS Roxin, S. 523, 527. 126 Vgl. Spickhoff, in: Spickhoff, § 1903 BGB, Rn. 1. 127 Zum Erforderlichkeitsgrundsatz vgl. auch BVerfG NJW-RR 1999, 1593 ff. 128 Vgl. dazu auch Kemper, in: Schulze, § 1896 BGB, Rn. 19; Schwab, in: MüKo-BGB, § 1896, Rn. 4.

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Betreuten soll die Befugnisse des Betreuers nach herrschender Ansicht im Zivilrecht im Innenverhältnis begrenzen.129 Zum Wohl des Betreuten gehört danach auch die Möglichkeit, im Rahmen seiner Fähigkeiten sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten. Das Wohl ist also nicht rein objektiv zu bestimmen, sondern wird auch durch den Lebensentwurf des Betreuten bestimmt.130 Anders als ein Kind hat der Betreute in der Regel vor seiner Betreuung eine selbstbestimmte Lebensgestaltung entworfen. Daher umfasst der Begriff des Wohls auch eine subjektive Komponente, sodass Wünsche und Bedürfnisse in bestimmten Grenzen berücksichtigt werden müssen.131 Neben der Erhaltung von Leben und Gesundheit ist also auch ein Freiraum zur individuellen Persönlichkeitsentfaltung zu gewähren.132 Darüber hinaus muss der Betreuer gemäß § 1901 Abs. 3 BGB den Wünschen des Betreuten entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist. Des Weiteren wird der Betreuer bei einigen Entscheidungen gerichtlich überwacht, indem die Genehmigung des Betreuungsgerichts erforderlich ist. Dies gilt insbesondere bei ärztlichen Maßnahmen: Nach § 1904 Abs. 1 BGB bedarf die Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff grundsätzlich der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet.133 In eine Sterilisation darf ein Betreuer unter engen Voraussetzungen nach § 1905 BGB einwilligen134 und benötigt auch dabei die Genehmigung des Betreuungsgerichts. Auch eine Unterbringung bedarf gemäß § 1906 BGB dessen Genehmigung, ebenso wie bei Aufgabe der Mietwohnung oder 129

Vgl. Bauer, in: Prütting/Wegen/Weinreich, § 1901, Rn. 1; Jürgens, in: Jürgens, § 1901, Rn. 14; vgl. zu der Wirkung im Außenverhältnis im Strafrecht auch noch u. S. 277 ff. 130 Schwab, in: MüKo-BGB. § 1901, Rn. 10; Spickhoff, in: Spickhoff, § 1901 BGB, Rn. 2. 131 Bauer, in: Prütting/Wegen/Weinreich, § 1901, Rn. 3; Götz, in: Palandt, § 1901, Rn. 3; Kieß, in: Jurgeleit, § 1901, Rn. 30; Roth, in: Dodegge/Roth, § 1901, Rn. 3; vgl. Schwab, in: MüKo-BGB, § 1901, Rn. 10. 132 Roth, in: Dodegge/Roth, § 1901, Rn. 4; ders., in: Erman, § 1901, Rn. 3. 133 Abweichendes gilt nur bei einer Gefahr bei Aufschub der Entscheidung. § 1904 Abs. 2 BGB trifft eine ähnliche Regelung für den Fall der Nichteinwilligung oder des Widerruf der Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt ist und die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund des Unterbleibens oder des Abbruchs der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. 134 Er darf nur einwilligen, wenn 1. die Sterilisation dem Willen des Betreuten nicht widerspricht, 2. der Betreute auf Dauer einwilligungsunfähig bleiben wird, 3. anzunehmen ist, dass es ohne die Sterilisation zu einer Schwangerschaft kommen würde, 4. infolge dieser Schwangerschaft eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustands der Schwangeren zu erwarten wäre, die nicht auf zumutbare Weise abgewendet werden könnte, und 5. die Schwangerschaft nicht durch andere zumutbare Mittel verhindert werden kann.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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Abschluss bestimmter Miet- und Pachtverhältnisse. Die Gewährung einer Ausstattung nach § 1907 f. BGB sowie weitere Rechtsgeschäfte insbesondere nach § 1908i Abs. 1 i.V.m. §§ 1821, 1822 Nr. 1 – 4, 6 – 13 BGB bedürfen ebenfalls der Genehmigung. Darüber hinaus kann die Vertretungsmacht auch ganz ausgeschlossen sein, etwa bei Rechtsgeschäften zwischen dem Betreuten und dem Ehegatten, Lebenspartner oder einem Verwandten in gerader Linie des Betreuers gemäß § 1908i Abs. 1 i.V.m. § 1795 BGB. (bb) Betreuung: Eingriff oder Leistung des Staates? Die Betreuung stellt sich damit dar als ein vom Staat eingesetztes Instrument, das Entscheidungen und deren Wirksamkeit nach außen bei Personen ermöglicht, die selbst dazu nicht in der Lage sind. Dabei ist sie vielfachen Beschränkungen und Überwachungsmaßnahmen unterworfen. Da die Person des Betreuers jedoch – anders als der gewillkürte Vertreter bzw. die Eltern – weder von dem Betroffenen selbst noch vom Grundgesetz mit besonderen Befugnissen ausgestattet ist, stellt sich die Frage, ob die Anordnung der Betreuung sowie die Maßnahmen des Betreuers einen Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen oder nicht vielmehr eine Leistung darstellen, die ihm erst die Teilnahme am Rechtsverkehr ermöglicht und Rechtsgleichheit zwischen ihm und entscheidungsfähigen Personen herstellt.135 (a) Meinungsstand In Rechtsprechung und Literatur überwiegt die Ansicht, dass zumindest die Anordnung der Betreuung einen Grundrechtseingriff darstellt.136 Die Bestellung eines Betreuers räumt diesem eine Vertretungsbefugnis ein, so dass ein Eingriff in das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit und freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG vorliege.137 Die Bestellung sei eine sozialstaatliche Fremdbestimmung und folglich das Gegenteil zur Selbstbestimmung bei der gewillkürten Vertretung.138 Auch die Maßnahmen des Betreuers könnten Eingriffe in Grundrechte darstellen, insbesondere, wenn sie gegen den Willen des Betreuten erfolgen. Dieser Ansicht liegt ein eher öffentlich-rechtliches Verständnis der Be135 s. zum zweiten Aspekt insbesondere Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 75, 129 ff. 142; ders., JZ 2001, 825 sowie im Folgenden. 136 BVerfGE 10, 302, 309, 324; BVerfG NJW 2002, 206; FamRZ 2002, 312, 313; FamRZ 2008, 2260, 2261 f.; NJW 2010, 3360; BGH JZ 2001, 821, 823 f.; Bienwald, in: Staudinger, § 1896, Rn. 3, 6; Holzhauer, ZRP 1989, 451, 455; Kemper, in: Schulze, § 1896, Rn. 8; Mayer, Medizinische Maßnahmen an Betreuten, S. 19, 96; Pawlowski, AT, Rn. 189 (zur Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt); Schwab, in: MüKo-BGB, § 1896, Rn. 2; Spickhoff, in: Spickhoff, § 1896 BGB, Rn. 3. 137 Vgl. Mayer, Medizinische Maßnahmen an Betreuten, S. 19; Pardey, Betreuung Volljähriger, S. 34; Pawlowski, AT, Rn. 189 (zur Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt); SchmidtRecla/Diener, MedR 2013, 6 ff.; vgl. Schwab, in: MüKo-BGB; § 1896, Rn. 2; Spickhoff, in: Spickhoff, § 1896 BGB, Rn. 3. 138 Müller-Freienfels, Vertretung, S. 344.

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treuung zugrunde: Es handele sich um eine Aufgabe öffentlicher Fürsorge139 und um die Ausübung hoheitlicher Gewalt.140 Zum Teil wird auch der Betreuer im Verhältnis zum Betreuten als mit staatlicher Macht Beliehener angesehen.141 Die Betreuung sei nicht tatsächliche Hilfe, sondern Beistand des Staates in der Form einer Rechtsfürsorge.142 Es handele sich um eine Zuweisung und Wahrnehmung von staatlichen Machtbefugnissen.143 Daher seien Grundrechtseingriffe durch Entscheidungen des Betreuers möglich und diese wie staatliche Eingriffe zu bewerten. Dies hat besondere Relevanz in Bezug auf einen möglicherweise erforderlichen Gesetzesvorbehalt bei Zwangsmaßnahmen,144 insbesondere bei Unterbringungen, die in das Grundrecht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 104 GG eingreifen könnten.145 Nach der neuesten Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof bedarf folglich auch eine Zwangsbehandlung einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage.146 Die Unterbringung nach § 1906 BGB sei nicht genehmigungsfähig, da die Zwangsbehandlung in den betreuungsrechtlichen Vorschriften nicht ausreichend geregelt sei.147 Nunmehr ist § 1906 Abs. 3, 3a BGB eingeführt worden, um dem abzuhelfen.148

139 BVerfGE 10, 302, 309; 324; BGH JZ 2001, 821; 823; Pardey, Betreuung Volljähriger, S. 132; Heide, Zwangsbehandlung, S. 130, 180; Dabei wird meist jedoch auch die privatrechtliche Seite betont, vgl. Bienwald, in: Staudinger, § 1896, Rn. 3; Mayer, Medizinische Maßnahmen an Betreuten, S. 19; Riedl, Vormundschaft, S. 25, 156; vgl. auch die Gesetzgebungsmaterialien: BT-Drs. 11/4528, S. 88, 100; sowie Prinz v. Sachsen Gessaphe, Betreuer, S. 59. 140 Heide, Zwangsbehandlung, S. 180. 141 Pardey, Betreuung Volljähriger, S. 132; dem zustimmend: Mayer, Medizinische Maßnahmen an Betreuten, S. 96. 142 Götz, in: Palandt, vor § 1896, Rn. 1. 143 Pardey, Betreuung Volljähriger, S. 34. 144 BVerfG NJW 2011, 2113 ff.; NJW 2011, 3571, 3571 f.; BGH NJW 2012, 2967, 2969 ff.; NJW 2012, 3234; Honds, Zwangsbehandlung, S. 116; vgl. zu den Auswirkungen auf diesen Meinungsstreit: Schmidt-Recla/Diener, MedR 2013, 6 ff. 145 Vgl. dazu nur BVerfGE 10, 302, 324; BVerfG FamRZ 2002, 312, 313; BGH JZ 2001, 821, 824; Pardey, Betreuung Volljähriger, S. 140; ders., Betreuungs- und Unterbringungsrecht, § 14, Rn. 3. 146 BVerfG NJW 2011, 2113 ff. (zu § 1 Abs. 2, § 6 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 RhPfMVollzG); NJW 2011, 3571, 3571 f. (zu § 8 Abs. 2 S. 2 BadWürttUBG). 147 BGH NJW 2012, 2967, 2969 ff. Dabei stellt der BGH zugleich jedoch klar (Lipp insofern zustimmend), dass die Betreuung die mit der Menschenwürde garantierte Selbstbestimmung des Einzelnen verwirklichen soll und der Betreuer die Rechte des Betroffenen auch gegenüber dem Staat wahrzunehmen hat. Dies ändere aber nichts daran, dass der Betreuer bei fehlender Einsichtsfähigkeit des Betroffenen neben der zivilrechtlichen Vertretung auch öffentliche Fürsorge ausübe.; BGH NJW 2012, 3234. 148 BGBl. 2013 I, S. 266; vgl. zur Neuregelung auch Dodegge, NJW 2013, 1265; vgl. dazu auch noch u. S. 156.

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Lipp hingegen verneint einen Eingriff in die Grundrechte des entscheidungsunfähigen Betroffenen.149 Wenn die Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Entscheidung fehle, scheide ein Eingriff in die Freiheitsgrundrechte aus.150 Im Gegenteil hätten die Regelungen des Betreuungsrechts eine freiheitssichernde Funktion, indem der Betreuer den Freiheitsbereich des Betreuten gegenüber dem Staat schütze und die §§ 1896 ff. BGB verfahrens- und materiell-rechtliche Anforderungen aufstellten.151 Die rechtliche Betreuung diene der Herstellung der Rechtsperson des Vertretenen, stelle Rechtsgleichheit her und schütze ihn vor Nachteilen.152 Die stellvertretende Entscheidung müsse grundsätzlich staatsfrei sein; der Staat dürfe und müsse die Entscheidung organisieren und überwachen.153 Auch von Freier betont in diesem Zusammenhang, dass es sich um privatrechtlich erforderliche Fürsorge handelt, die nicht zu einer Autonomiebeschränkung führe.154 Häufig wird auch die Janusköpfigkeit der rechtlichen Betreuung betont, die teils öffentlich-rechtlich, teils privatrechtlich sei.155 Einerseits sei sie staatliche Fürsorge, gleichzeitig diene sie der Herstellung der Rechtsperson des Betroffenen.156 Sie stelle daher sowohl eine Leistung als auch einen Eingriff dar.157 (b) Stellungnahme (aa) Verhältnis zu Eltern Der Gesetzgeber hat die Betreuung in das Familienrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch integriert. Allerdings beruft er sich bei seiner Gesetzgebungskompetenz sowohl auf die Fürsorge als auch auf das Bürgerliche Recht.158 Ob jedoch die Zuordnung zu der Aufgabe der Fürsorge zugleich bedeutet, dass es sich um eine rein öffentlich-rechtliche Angelegenheit handelt, die einen Eingriff bedeutet, erscheint fragwürdig.159 So dient auch die gesetzliche Vertretung durch die Eltern der Fürsorge des Minderjährigen. Das Eltern-Kind-Verhältnis ist jedoch privatrecht-

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Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 130 f., 143; ders., JZ 2001, 825 f. Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 131. 151 Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 132 f., 135 ff.; ders., JZ 2001, 825, 826. 152 Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 143 f.; vgl. auch von Freier, Humanforschung, S. 70 f.; zum ersten Gedanken s. auch schon Nelson, System der philosophischen Rechtlehre und Politik, S. 121. 153 Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 132, 134. 154 von Freier, Humanforschung, S. 70 f. 155 BVerfGE 58, 208; Bienwald, in: Staudinger, § 1896, Rn. 3; Mayer, Medizinische Maßnahmen an Betreuten, S. 19; Riedl, Vormundschaft, S. 25; Prinz v. Sachsen Gessaphe, Betreuer, S. 59. 156 Bienwald, in: Staudinger, § 1896, Rn. 3. 157 Schwab, in: MüKo-BGB, § 1896, Rn. 2. 158 BT-Drs. 11/4528, S. 100. 159 s. dazu BVerfGE 58, 208. 150

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lich.160 Die Betreuung ist diesem Verhältnis zwar nicht gleichgestellt, jedoch ähnlich.161 So lässt sich auch die Regelung im Vierten Buch des Bürgerlichen Gesetzbuchs erklären.162 Unterschiede bestehen lediglich darin, dass der Betreute volljährig ist und u. U. entscheidungsfähig gewesen ist und der Betreuer nicht notwendig ein verwandtschaftliches Verhältnis zu ihm hat. Zwar erhält der Betreuer seine Rechtsstellung durch den Staat,163 dennoch ist die Durchführung eher privatrechtlich164 und nicht als Eingriff zu qualifizieren. (bb) Funktion der Betreuung: Verwirklichung der Freiheitsrechte Die Funktion dieser gesetzlichen Vertreter, Eltern und Betreuer, ist die Gleiche: Jemand, der selbst rechtlich handlungsunfähig ist, erhält einen Vertreter zur Seite gestellt, um diesen Mangel zu beheben. Das Unvermögen des Betroffenen wird dadurch kompensiert.165 Die Forderung der Menschenwürde wandelt sich in Fürsorge.166 Die Repräsentation dient damit der Verwirklichung der Personalität. Der Betreute wird als Person wahrgenommen. Wird einer Person, die selbst keine Entscheidungen treffen kann, bei der Bewältigung ihrer Probleme nicht geholfen, könnte dies auch als Mangel an der Achtung ihrer Person gedeutet werden. Wird ihr hingegen ein Betreuer zur Verfügung gestellt, so wird sie mit ihren Fehlern respektiert, gerade auch, wenn ihre Wünsche und Vorstellungen berücksichtigt werden müssen. Der Entscheidungsunfähige wird durch die Stellvertretung auch als Subjekt wahrgenommen, wenn erforscht wird, welche Entscheidung er treffen würde. In einer Repräsentation liegt auch keine Degradierung, da eine eigene Entscheidung nicht möglich ist und der Vertreter an ihrer Stelle in erster Linie nicht über sie, sondern für sie bestimmen sollte.167 160 Pardey, FamRZ 1989, 1030, s. auch zum Pflegekindverhältnis: Windel, FamRZ 1997, 713, 716. 161 Vgl. zur Kritik an BVerGE 10, 302 und der Vergleich zur Vormundschaft: Gernhuber/ Coester-Waltjen, Familienrecht, § 71, Rn. 2. 162 Vgl. Dölle, Familienrecht II, S. 646; Roth, in: Erman, Vor § 1896, Rn. 1. 163 Vgl. zur Kritik an der Ähnlichkeit von Vormund und Eltern: Dunz, FamRZ 1961, 247, 248. 164 Vgl. Maurer, FamRZ 1960, 468, 470; sowie die Kritik an Dunz: Maurer, FamRZ 1961, 247, 248. 165 Prinz v. Sachsen Gessaphe, Betreuer, S. 78. Anders hingegen: Müller-Freienfels, Vertretung, S. 344: Jede Erteilung einer gesetzlichen Vertretungsmacht sei ein Akt sozialstaatlicher Fremdbestimmung. 166 Reuter, Kindesgrundrechte, S. 60. 167 Die Praxis mag mit dieser Idealvorstellung nicht immer übereinstimmen. Dennoch spricht dies nicht gegen das Modell der Repräsentation, vgl. noch sogleich zu den nachteiligeren Alternativen zur Betreuung. Die Betreuung sollte entsprechend ihrer Bedeutung für die Person und den Missbrauchsmöglichkeiten praktiziert werden. Dazu gehört auch eine entsprechende Menge an Personal, wie etwa bei den Betreuungsgerichten, um schnelle Entscheidungen zu ermöglichen. Außerdem muss die persönliche Betreuung dadurch ermöglicht werden, dass wirklich ein persönliches Verhältnis aufgebaut wird, was sicherlich nicht der Fall sein wird,

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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Des Weiteren ist der Betroffene durch seinen Mangel an Entscheidungsfähigkeit an der Verwirklichung seiner allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG gehemmt. Insbesondere seine Privatautonomie kann er nicht ausüben, sollte er geschäftsunfähig sein. Die Betreuung bietet ihm jedoch ein Mittel, diese durch den Vertreter ausüben zu lassen. Sie ermöglicht es dem Betroffenen, am Rechtsverkehr teilzunehmen, was ihm ohne gesetzlichen Vertreter – abgesehen von der Möglichkeit einer gewillkürten Vertretung oder antizipierter Erklärungen – nicht möglich wäre. Diese Freiheitsmängel werden durch den gesetzlichen Vertreter ausgeglichen,168 indem die Entscheidungsfähigkeit des Vertreters für ihn nutzbar gemacht wird.169 Durch einen gesetzlichen Vertreter wird der Betroffene daher grundsätzlich besser gestellt als ohne Repräsentant. Seine Freiheit wird nicht beschränkt, sondern erweitert. Durch den Repräsentanten kann er erst gewisse Grundrechte ausüben und erlangt Handlungsmöglichkeiten. Bildlich ist die Repräsentation daher in dieser Hinsicht vergleichbar mit einem Sprachcomputer, der die Hirnströme der kommunikationsunfähigen Person in Worte transformiert. Im denkbar besten Fall sollte der gesetzliche Vertreter das Sprachrohr für die Wünsche, Vorstellungen und Ansichten des Betroffenen darstellen, diese nach außen hin deutlich machen und im Rechtsverkehr verwirklichen. Zwar geht es bei diesen Beispielen eher um die fehlende Äußerungsfähigkeit, wie sie etwa bei Wachkomapatienten vorliegen kann, ähnliches sollte der gesetzliche Vertreter aber auch für den Betroffenen leisten, wenn sein Mangel die Bildung des Willens betrifft, indem er den Willen des Betroffenen ermittelt und verwirklicht. Im übertragenen Sinn sind dem Betroffenen durch seine Einwilligungsunfähigkeit ohne den Repräsentanten „die Hände gebunden“. Der Vertreter soll die Handgriffe für den Betroffenen in dessen Sinne ausführen und dadurch den Mangel an Fähigkeiten ausgleichen. Bestenfalls ist er das Werkzeug des Betroffenen und führt als Vordermann seine Wünsche aus. Auch das Selbstbestimmungsrecht kann der Betroffene ohne Betreuer nicht ausüben, wenn er selbst nicht einwilligungsfähig ist. Es ist ihm nicht möglich, Eingriffe in seinen Körper zu erlauben. Dies birgt die Gefahr, dass sich bei behandlungsbedürftigen Krankheiten ihr Zustand verschlechtert oder sogar zum Tode führt, weil der Betroffene keine Heilbehandlung erlauben kann. Um ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung zu schützen, muss der Staat daher der Person eine Hilfe zur Verfügung stellen. Die Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten verhilft ihr zur Wahrnehmung ihrer Grundrechte und beschränkt sie nicht darin, so dass kein Eingriff in ihre Grundrechte, auch nicht in ihr Selbstwenn ein Betreuer eine sehr große Zahl von Personen betreut. Die Betreuung sollte kein „Fließband-Geschäft“ sein. 168 von Freier, Humanforschung, S. 71; vgl. auch Nelson, System der philosophischen Rechtslehre und Politik, S. 121, der die Bevormundung für erlaubt hält, wenn sie zum Ziel hat, das noch nicht erwachte wahre Interesse des Einzelnen zu entwickeln. 169 Vgl. Thiele, Zustimmungen, S 72, der darüber hinaus auch ein subjektives Recht des Vertreters, eine Funktionalbefugnis, konstruiert, so dass dieser auch eine Freiheitsbetätigung in eigener Sache vornimmt, S. 73, dort Fn. 218.

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bestimmungsrecht, vorliegen kann. Zwar haben auch einwilligungsunfähige Personen ein Grundrecht auf Selbstbestimmung.170 Wenn sie es aber nicht selbständig ausüben können, kann diesem Recht jedoch nur durch das Prinzip der Repräsentation zur Geltung verholfen werden. Es erscheint zunächst zweifelhaft, dass eine Vertreterentscheidung mit dem Selbstbestimmungsrecht vereinbar sein kann. Wenn jedoch weder eine eigene aktuelle Entscheidung vorliegt noch eine antizipierte Einwilligung, stellt dieser Weg die Möglichkeit dar, die am ehesten dem Selbstbestimmungsrecht gerecht wird. Zwar handelt es sich um die Bestimmung durch einen anderen, im strengsten Sinne also um Fremdbestimmung. Jedoch ist es auch gerade Ausdruck einer Repräsentation, dass der Vertreter keine Entscheidung im eigenen Sinn trifft, sondern eine Entscheidung für den Vertretenen und ihn damit repräsentiert.171 An die Stelle einer eigenen Entscheidung tritt die treuhänderische Entscheidung eines Vertreters.172 Personen, die in ihren Fähigkeiten eingeschränkt sind, dürfen nicht an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, sondern sollten soweit wie möglich in diese integriert werden, auch, indem sie am Rechtsverkehr teilnehmen. Wenn der Staat dem Betroffenen einen Repräsentanten zur Verfügung stellt, kann er zumindest teilweise sein Minus an Möglichkeiten ausgleichen. Diese Fürsorge des Staats bewirkt mithin ein Mehr an Freiheit. Die Bestellung eines Betreuers ist folglich eher mit einer Leistung als mit einem Eingriff zu vergleichen. Die Freiheitsgrundrechte und die Würde der Person gebieten damit die Einrichtung einer Betreuung. (cc) Alternativen zur Betreuung und deren Nachteile Die Betreuung stellt eine Lösung dar, die dem Problem der Entscheidungsunfähigkeit abhelfen soll. Der Idealzustand wäre erreicht, wenn keine Betreuungen notwendig wären, sondern jede Person fähig wäre, selbst zu bestimmen. Da dieser Zustand jedoch in der Realität nicht erreicht werden kann, stellt sich auch die Frage, ob es Alternativen zur rechtlichen Betreuung gibt, die mit dem Grundgesetz vereinbar sind und eine bessere Lösung bieten. Eine Alternative stellt die Abschaffung der Betreuung dar. Folge wäre jedoch der Ausschluss der Person vom Rechtsleben und damit auch weiter Teile gesellschaftlichen Lebens. Viele Freiheitsrechte könnten nicht verwirklicht werden. Würde der Staat dem Betroffenen nicht durch die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters helfen, könnte er keinerlei Verträge abschließen und wäre bei Geschäftsunfähigkeit vom Rechtsverkehr ausgeschlossen. Eine Betreuung hingegen setzt nunmehr keine Entmündigung mehr voraus. Anders als bei dieser bewirkt die rechtliche Betreuung 170 Belling/Eberl/Michlik, Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger, S. 123; Hufen, NJW 2001, 849, 852; Reichmann/Ufer, JR 2009, 485; vgl. auch BVerfG NJW 2011, 2113, 2114. 171 Anders hingegen Honds, Zwangsbehandlung, S. 114: Der Betreuer verwirkliche nicht das Selbstbestimmungsrecht, da er im Konfliktfall sogar gegen den Willen der Person entscheiden könne. 172 Vgl. auch Hufen, NJW 2001, 849, 852.

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nicht den Ausschluss vom Rechtsverkehr.173 Außerdem würden dem Betroffenen alle Teilhabe- und Teilnahmemöglichkeiten versagt, ohne dabei die Person zu berücksichtigen. Daher wäre der Ausschluss vom Rechtsverkehr eine Form der Fremdbestimmung, die schwerer wöge als eine Bestimmung durch den Vertreter, da dieser die Interessen der Person im Einzelfall seiner Entscheidung zugrunde legen kann.174 Die Betreuung stellt daher als Hilfe ein milderes Mittel dar als der Ausschluss vom Rechtsverkehr. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass bei Abschaffung einer Betreuung die Entscheidungen automatisch zum objektiv Besten gefällt werden. Diese Lösung enthält aber ebenfalls undurchdringliche Schwierigkeiten. Im Gegensatz zum Ausschluss vom Rechtsverkehr bietet diese Lösung zwar den Vorteil, dass der Betroffene am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann, dabei wird jedoch seinen Wünschen und Interessen keine Bedeutung beigemessen, was seinem Selbstbestimmungsrecht widerspricht. Außerdem ist es schwierig, das objektiv Beste in vielen Bereichen des Lebens zu bestimmen. Während dies bei der Vermeidung von Risiken noch möglich sein kann, stellt es sich als unmöglich dar, diese Bewertung in vielen alltäglichen Belangen vorzunehmen, wie etwa bei dem Kauf einer Theaterkarte. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wer diese Beurteilung treffen soll. Sollte dies der jeweilige Vertragspartner sein, so wäre Missbrauch und Willkür Tür und Tor geöffnet. Müsste aber jedes Mal ein Gericht zustimmen, so würde dies eine immense Belastung der Gerichte bedeuten und eine viel zu lange Zeitspanne in Anspruch nehmen, was die Teilnahme am Rechtsleben erheblich behindern würde. Außerdem bietet die Betreuung im Gegensatz zu den Alternativen eine persönliche Komponente: Es gilt das Prinzip der persönlichen Betreuung. Der Betreuer muss die Rechtsfürsorge grundsätzlich in eigener Person leisten und darf seine Aufgaben nicht generell auf einen anderen übertragen.175 Es ist dem Betreuer daher eher möglich, die Interessen des Betroffenen und ihn als Person kennen zu lernen. Außerdem sind bei Bestellung des Betreuers die Wünsche und die verwandtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen.176 Die Betreuung kann daher der Person des Betroffenen besser gerecht werden, indem der Betreuer etwa auch eine Besprechungspflicht nach § 1901 Abs. 3 S. 3 BGB mit dem Betroffenen hat.177 (dd) Herstellung von Rechtsgleichheit Des Weiteren wird durch eine Betreuung Rechtsgleichheit hergestellt, denn ohne gesetzlichen Vertreter bliebe ihm die Teilnahme am Rechtsverkehr, anders als bei 173

Wolf, ZRP 1988, 313. Vgl. auch Taupitz, JZ 2003, 109, 117. 175 Schwab, in: MüKo-BGB, § 1897, Rn. 8; Spickhoff, in: Spickhoff, § 1897, Rn. 1. Selbstverständlich darf er sich zu seiner Unterstützung anderer Personen bedienen. 176 Vgl. § 1897 Abs. 3, 5 BGB. 177 Vgl. dazu auch Schwab, in: MüKo-BGB, § 1901, Rn. 21. 174

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Entscheidungsfähigen, versagt.178 Letzteren stehen alle rechtlichen Möglichkeiten zur Verfügung, wie der Abschluss von Verträgen oder auch die Erteilung einer Einwilligung in eine Heilbehandlung. Dem Einwilligungsunfähigen ist dies jedoch ohne Repräsentant grundsätzlich nicht möglich. Daraus ergibt sich, dass Einwilligungsunfähige mangels Handlungsmöglichkeiten im Rechtsverkehr gegenüber anderen Personen schlechter gestellt würden. Es käme folglich zu einer Ungleichbehandlung in Form einer Benachteiligung. Diese könnte auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass in der Entscheidungsunfähigkeit ein sachlicher Grund besteht, denn auch diese Personen müssen die Möglichkeit der Teilnahme am Rechtsverkehr haben. Dies gebieten die Grundrechte, auf die sich auch der Einwilligungsunfähige berufen kann. Ließe man ihn aufgrund seiner mangelnden Fähigkeiten im Rechtsverkehr vollkommen unberücksichtigt, wäre dies nicht mit seiner Würde vereinbar. Er würde missachtet und nicht als Person wahrgenommen, denn dazu gehört auch, dass man als Teil der Gesellschaft mit Teilnahmemöglichkeiten wahrgenommen wird. Auch könnten seine Belange, wie seine körperliche Unversehrtheit nicht ausreichend beachtet werden, wenn etwa Heilbehandlungen mangels Möglichkeit zur Einwilligung nicht vorgenommen werden könnten. Die Ablehnung einer Repräsentation wäre eine Diskriminierung des Betroffenen, die wegen der Relevanz der Handlungsmöglichkeiten für sein Leben und seine Personalität unverhältnismäßig wäre. Lipp ist daher zuzustimmen, dass auch Art. 3 GG es gebietet, einen gesetzlichen Vertreter zur Verfügung zu stellen.179 Die Repräsentation bedeutet zwar auch eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zum eigenständig Handelnden, da bei diesen auf die aktuelle persönliche Entscheidung abgestellt wird, bei Betreuten hingegen auf die Entscheidung des Vertreters. Diese ist jedoch gerechtfertigt durch die Unumgänglichkeit der Entscheidung eines anderen, wenn die Person selbst unfähig dazu ist und keine Vorkehrungen wie eine Vollmacht oder eine antizipierte Regelung getroffen hat. In diesem Fall ist sie geeignet und auch erforderlich um dem Betroffenen Teilnahme zu ermöglichen und ihn gleichzeitig zu schützen. Ein Abstellen auf die aktuelle persönliche Entscheidung wäre sinnlos und führte zu einer fehlenden Handlungsmöglichkeit. Zum Schutz ist es daher sachgerecht stattdessen auf die Repräsentation zurückzugreifen. Sie stellt folglich keine Diskriminierung dar, sondern eine Herstellung von größtmöglicher Freiheit, wo absolute Gleichheit aus tatsächlichen Gründen unerreichbar ist. Wenn schon eine eigene Entscheidung nicht zu erlangen ist, so kann zumindest der Vertreter die Interessen des Betroffenen repräsentieren und seinen Wünschen, wenn möglich, zur Wirksamkeit verhelfen. Dies ist auch angemessen, da nur so Teilnahme und Schutz ermöglicht werden können. Selbst im Rahmen der Betroffenheit des 178

Die zweite Alternative zur Betreuung soll hier aufgrund ihrer nicht möglichen Umsetzung und der Missachtung der Freiheitsrechte nicht weiter thematisiert werden. Auch sie würde eine Ungleichbehandlung darstellen, da Entscheidungsfähige nicht zu ihrem objektiv Besten handeln müssen. 179 Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 141 f.; vgl. auch Bienwald, in: Staudinger, § 1896, Rn. 3; Müller-Freienfels, Vertretung, S. 340; von Freier, Humanforschung, S. 71.

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Art. 3 Abs. 3 GG ist die Ungleichbehandlung gerechtfertigt, da sich die Behandlung als kompensatorische Maßnahme darstellt.180 Die Repräsentation ist somit nicht nur mit den Freiheitsgrundrechten vereinbar, sondern sogar verfassungsrechtlich zu fordern, auch, um Rechtsgleichheit herzustellen.181 (ee) Betreuung als Leistung Wenn die Person nicht entscheidungsfähig ist, werden ihre Möglichkeiten durch eine Betreuung nicht verringert, was einen Eingriff in ihre Grundrechte bedeuten könnte, sondern erweitert. Sie stellt sich als Leistung für den Betroffenen dar und nicht als Eingriff. Der Betreuer bestimmt nicht über die Person, sondern für sie. Er steht nicht über ihr, sondern ihr zur Seite. Dieses eher privatrechtlich geprägte Verständnis der Betreuung gebietet auch die heute herrschende freiheitliche Staatsauffassung im Gegensatz zu einem Polizeistaat, so dass möglichst wenig Staatsgewalt die zwischenmenschlichen Rechtsbeziehungen beeinflussen soll.182 Dennoch kann nicht geleugnet werden, dass auch öffentliche Elemente, wie die Bestellung und die Überwachung des Betreuers durch das Vormundschaftsgericht nach §§ 1897, 1904 ff. BGB die rechtliche Betreuung prägen. (ff) Die Funktion der betreuungsrechtlichen Beschränkungen Die Vorschriften des Betreuungsrechts haben keine freiheitsbeschränkende Funktion. Im Gegenteil kommen sie dem Betreuten zugute, indem sie die Möglichkeit einer Betreuung vorsehen und diese sodann zu seinem Schutz Beschränkungen unterwerfen.183 Die betreuungsrechtlichen Beschränkungen sind auch ein Ausdruck der staatlichen Schutzpflicht zugunsten des Betreuten. Sie sind freiheitssichernd, indem die Voraussetzungen und die Grenzen der Betreuung materiell festgelegt und verfahrensrechtlich wie organisatorisch abgesichert werden.184 So hat auch der Bundesgerichtshof festgestellt, dass § 1906 BGB nicht den Eingriff in die Rechte des Betroffenen, sondern die Kontrolle des Betreuers regelt.185 Bei einer Betreuung besteht die Gefahr von Grundrechtseingriffen, insbesondere, wenn die Fähigkeit zur selbständigen Entscheidung verkannt wird. Der Staat ist verpflichtet, seiner Schutzpflicht nachzukommen, auch im Verhältnis zwischen den Privatrechtssubjekten Betreuer und Betreuter.186 Daraus ergibt sich, dass der Betroffene nicht der Willkür des Betreuers unterworfen werden darf.

180 Vgl. zur Rechtfertigung im Rahmen des Art. 3 Abs. 3 GG und zur kompensatorischen Maßnahme: Michael/Morlok, Grundrechte, Rn. 831. 181 Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 143 f. 182 Vgl. Canaris, JZ 1987, 993, 994; Maurer, FamRZ 1960, 468, 471. 183 Vgl. dazu auch Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 132 f., 135 ff.; ders., JZ 2001, 825, 826. 184 Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 132 f. 185 BGH NJW 2012, 2967, 2970. 186 Prinz v. Sachsen Gessaphe, Betreuer, S. 78.

130 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Als Repräsentant trifft der Betreuer jedoch keine Entscheidung für sich, sondern im Sinne und für den Einwilligungsunfähigen. Der Betreuer darf nicht seine Vorstellungen an die Stelle der Wünsche des Betreuten setzen. Das Wohl des Betreuten ist subjektiv zu bestimmen, so dass dessen Interessen und Ansichten berücksichtigt werden. Eine Repräsentation ohne die Festlegung von den Vertreter bindenden Schutzkriterien würde dennoch die Gefahr der Willkür bergen. Einen Menschen der Willkür eines anderen zu unterwerfen, würde Art. 1 Abs. 1 GG missachten. Kein Mensch darf derart der Macht eines anderen ausgeliefert sein. Könnten gesetzliche Vertreter also nach Gutdünken über den Körper der Einwilligungsunfähigen verfügen, würden diese zu einem Objekt derer Interessen. Ganz im Gegensatz dazu sollten sie aber die Interessen der Vertretenen wahren und diese repräsentieren. Um dem gerecht zu werden und einer Instrumentalisierung vorzubeugen, müssen die gesetzlichen Vertreter daher in ihrer Entscheidungsbefugnis eingeschränkt werden.187 Eine Einwilligung eines Stellvertreters ohne Beschränkungen kann dem Schutz der Würde nicht gerecht werden. Des Weiteren muss der Staat die Einhaltung der Schutzkriterien überwachen und so eine den Interessen des Vertretenen entsprechende Ausübung der Vertretungsmacht gewährleisten.188 Das Betreuungsrecht enthält mehrere solcher Beschränkungen und Überwachungsmaßnahmen. So ist der Betreuer nach § 1901 Abs. 2 BGB an das Wohl der Person gebunden. Dies bedeutet eine Einschränkung der Entscheidungsmöglichkeiten des Betreuers, der grundsätzlich auch den Wünschen des Betreuten entsprechen muss. Das Handeln des Betreuers kann danach also schon nicht willkürlich erfolgen, sondern muss sich daran orientieren, wie sich der Betreute entscheiden und was ihm objektiv helfen würde. Das Wohl des Betreuten und die Bindung an dessen Wünsche bilden also eine wichtige Schranke des Betreuerhandelns, die Missbrauch vorbeugt. Auch wenn lediglich das Kindeswohl im Grundgesetz – wenn auch nur implizit – Eingang gefunden hat, so kann die Beschränkung auf das Wohl des Vertretenen dennoch nicht nur für die Eltern gelten. Sind diese durch die spezielle Regelung des Art. 6 Abs. 2 GG besonders hervorgehoben und mit dem Recht der Erziehung und Pflege ausgestattet, so müssen ähnliche Einschränkungen erst recht für Betreuer gelten, da diese sich nicht auf ein solches, spezielles Recht berufen können. Ebenso wie bei Eltern schützt die Bindung an das Wohl des Vertretenen diesen vor einer Instrumentalisierung durch den Betreuer. Die Erforderlichkeit der Betreuung stellt ein Prinzip dar, das vor Fremdbestimmung schützen soll. Solange der Betroffene sich anderweitig helfen kann, braucht er keine aufgedrängte Hilfe des Staates. Eine gesetzliche Vertretung stellt gegenüber der Wahrnehmung eigener Angelegenheiten trotz der Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten eine Gefahr für den Betroffenen dar, denn es verbleibt die Möglichkeit, dass der gesetzliche Vertreter nicht im Sinne des Vertretenen entscheidet. 187 188

s. auch zu der Pflicht, die mit dem Elternrecht verbunden ist o. S. 103. Vgl. auch Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 132; ders., JZ 2001, 825, 827.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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Daher darf eine gesetzliche Vertretung nur dort angeordnet werden, wo es auch notwendig ist. Dies gilt nicht nur, soweit man die gesetzliche Vertretung als Eingriff in die Freiheitsrechte des Betroffenen begreift, sondern auch, wenn man sie als Leistung ansieht.189 Der Erforderlichkeitsgrundsatz des Betreuungsrechts ist damit ebenfalls ein wichtiges Prinzip zur Freiheitssicherung des Betreuten. Dasselbe muss auch gelten für den Grundsatz, dass ein Betreuer nicht gegen den freien Willen des Betroffenen bestellt werden kann. Vertretungsverbote bewirken außerdem, dass bestimmte Missbrauchsgefahren ausgeschlossen werden. Die Genehmigungspflichten schließlich bedeuten eine verfahrensrechtliche Absicherung. Durch eine weitere unabhängige Instanz wird sichergestellt, dass Maßnahmen des Betreuers dem Wohl des Betroffenen nicht widersprechen. Das Verfahren beugt Missbrauch und Willkür vor. Insbesondere § 1904 BGB ist von hoher Relevanz. Diese Regelung schützt vor einem unkontrollierbaren Zusammenwirken von Betreuern und Ärzten in einem sensiblen Bereich.190 Durch eine solche Kontrollinstanz soll der Schutz von Leib und Leben, zu dem der Staat durch seine Schutzpflicht verpflichtet ist, gewährleistet werden. Es handelt sich um eine Form des Grundrechtsschutzes durch Verfahren, bei dem die Grundrechte bereits im Vorhinein bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden.191 Diese Regelungen verdeutlichen, dass der Staat den Betroffenen nicht einer Person ausliefert und dessen Willkür unterstellt, sondern Sicherungen vorsieht, die seinem Schutz und seiner Freiheit dienen. (gg) Zwischenergebnis Die gesetzliche Vertretung in Form der Betreuung erschließt dem Betroffenen ein Mehr an Möglichkeiten. Es handelt sich um eine Leistung des Staates, durch die der Person fürsorglich ein Betreuer zur Verfügung gestellt wird. Die Betreuung hat ihre verfassungsrechtliche Grundlage in den Freiheitsrechten und dem Gleichheitssatz: Der Betroffene kann durch die Betreuung seine Freiheitsrechte durch den Betreuer ausüben und größtmögliche Rechtsgleichheit im Verhältnis zu Entscheidungsfähigen erlangen. Da die Betreuung jedoch gleichzeitig auch die Gefahr der Fremdbestimmung und der Willkür in sich birgt, müssen Vorkehrungen getroffen werden, die den Betreuten schützen und seine Freiheit sichern. Solche Schutzmaßnahmen befinden sich in den betreuungrechtlichen Vorschriften, insbesondere werden sie ge-

189 Vgl. Schwab, in: MüKo-BGB, § 1896, Rn. 38; für eine Herleitung aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip: Spickhoff, in: Spickhoff, § 1896 BGB, Rn. 3, 11, so wohl auch: BayObLG BtPrax 1995, 64; für den Verfassungsrang der Erforderlichkeit der Betreuung: Jürgens, BtPrax 2002, 18. Nach Ansicht des Gesetzgebers dient der Erforderlichkeitsgrundsatz nicht nur dem Schutz des Betroffenen vor ungerechtfertigten Maßnahmen, sondern auch öffentlichen Interessen, BT-Drs. 11/4528, S. 121. 190 Kemper, in: Schulze, § 1904 BGB, Rn. 1; Spickhoff, in: Spickhoff, § 1904 BGB, Rn. 1. 191 Vgl. BVerfG NJW 1994, 1942, 1946 (zur Rundfunkfreiheit) sowie auch noch u. S. 173.

132 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

währleistet durch den Erforderlichkeitsgrundsatz, die Bindung an das Wohl des Betreuten und durch dort vorgesehene Genehmigungsverfahren. bb) Einschränkende Kriterien in Bezug auf die Repräsentation bei fremdnütziger Forschung Die erforderlichen Schutzkriterien und -maßnahmen des Staates müssen nun analysiert und im Hinblick auf die fremdnützige Forschung an Einwilligungsunfähigen untersucht werden. (1) Vereinbarkeit fremdnütziger Forschungsmaßnahmen mit dem Wohl des Vertretenen Können (und müssen) Einwilligungsunfähige demnach vertreten werden, so darf dies jedoch nicht bedeuten, dass der gesetzliche Vertreter seine Interessen an die des Vertretenen setzen darf. Dies hätte Willkür zur Folge. Als einschränkendes Kriterium einer Repräsentation bedarf es daher einer Bindung des Vertreters an das Wohl der Person. Die Vereinbarkeit der gruppen- bzw. fremdnützigen Forschung mit dem Wohl des Einwilligungsunfähigen wird meist abgelehnt.192 Wenn dem Vertreter die Realisierung und Legitimierung der Nutzbarmachung des Einwilligungsunfähigen für Dritte möglich sei, richte er sich gegen den Vertretenen.193 (a) Vereinbarkeit mit dem Kindeswohl (aa) Meinungsstand Wird gesetzlich geregelt, zu welchen Maßnahmen an ihren Kindern Eltern eine Einwilligung erteilen dürfen, wird ihr Recht auf Erziehung und Pflege dadurch beschränkt. Die Eltern haben das Wahrnehmungsrecht für die Grundrechte des Kindes, die es nicht selbständig wahrnehmen kann.194 Bei einer Einwilligung in eine ärztliche Maßnahme ist das Selbstbestimmungsrecht des Kindes betroffen. Das Wahrnehmungsrecht würde beschränkt und die Definitionsmacht darüber, was dem Wohl des Kindes entspricht, würde ihnen entzogen und staatlich verordnet. Ande192 von Dewitz, Klinische Bewertung von Medizinprodukten, S. 150, 159 f.; Freund, in: MüKo-StGB, §§ 40 – 42b AMG, Rn. 36; Jürgens, KritV 1998, 34, 42; Kern, MedR 1991, 66, 70 (allgemein zu medizinischen Experimenten); König, Übereinkommen, S. 308; Lippert, in: Toellner/Wiesing, S. 91, 97; ders., DMW 1994, 1796, 1798; Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 185; May, Autonomie und Fremdbestimmung, S. 133; Mayer, Medizinische Maßnahmen an Betreuten, S. 75; Pap, in: Nationaler Ethikrat, S. 10; Schimikowski, S. 21 f.; Spranger, Recht und Bioethik, S. 73, 279; ders., SuP 2000, 71, 76 f.; Thommen, Medizinische Eingriffe, S. 49; Tolmein, KritV 1998, 52, 68 f.; Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 437; Wunder, in: Ebbinghaus/Dörner, S. 476, 485; ders., in: Dörr/Grimm/Neuer-Miebach, S. 187, 196. 193 von Dewitz, Klinische Bewertung von Medizinprodukten, S. 150. 194 Vgl. Coelln, in: Sachs, Art. 6, Rn. 62.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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rerseits kann auch die Zulässigkeit einer Einwilligung in fremdnützige Forschung das Kindeswohl gefährden. Fraglich ist, ob eine Einschränkung durch das Kindeswohl geboten ist oder ob eine Einwilligung durch die Eltern auch in weitergehendem Umfang zulässig ist. Letztlich geht es also um die Frage, ob auch die Teilnahme an gruppen- oder fremdnütziger Forschung dem Wohl des Kindes entsprechen kann. Einige Stimmen in der Literatur sehen nicht zwingend einen Widerspruch zum Wohl des Kindes.195 Der Minderjährige werde auf ein selbstbestimmtes Leben vorbereitet. Im Rahmen des Erziehungsauftrags sei daher unter bestimmten Voraussetzungen die Befugnis der Eltern zur Einwilligung gegeben.196 Dabei wird teils auf die Erziehungsfähigkeit des Kindes abgestellt, sodass Versuche erst ab einer bestimmten geistigen Reife zulässig seien.197 (bb) Zulässigkeit aus Gründen der Erziehung? Bei Minderjährigen kommt also wegen des Erziehungsauftrags der Eltern in Betracht, dass gruppen- und fremdnützige Forschung aus Gründen der Erziehung zulässig ist. Das Erziehungsrecht könnte sich auch auf moralische und altruistische Interessen und das Erlernen von Solidarität beziehen.198 Kinder sollen in der Weise erzogen werden, dass sie später als Teil der Gesellschaft leben können. Dabei haben Eltern einen weiten Spielraum. Der Einwand, Einwilligungsunfähige bräuchten nicht mehr Erziehung als Einwilligungsfähige,199 kann daher nicht überzeugen. Problematisch ist diese Ansicht allerdings zum einen, weil eine Erziehungsfähigkeit Voraussetzung ist. Bei Forschungseingriffen wird diese Schwelle schon nahe der Einwilligungsfähigkeit liegen, denn anders als die meisten Erziehungsmethoden setzt diese ein Verständnis des eigenen Opfers für die Gesellschaft voraus. Eine gruppen- oder fremdnützige Forschung an Säuglingen und Kindern wäre also nicht möglich.200 Darüber hinaus ist fragwürdig, die Teilnahme an der Forschung als

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Elzer, MedR 1998, 122, 125; Fischer, Medizinische Versuche, S. 37 f.; so im Ergebnis auch Riedel, in: Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung, Prot. 15/50, S. 18, abrufbar unter http://webarchiv.bundestag.de/archive/2005/0825/parlament/gremien15/a13/a13a_anhoe rungen/50_Sitzung/t-Protokoll.pdf; Spickhoff, MedR 2006, 707, 709. 196 Eberbach, Die zivilrechtliche Beurteilung der Humanforschung, S. 168 f.; ders., FamRZ 1982, 450, 455; Eck, Zulässigkeit medizinischer Forschung, S. 160 ff.; von Freier, Humanforschung, S. 85; Michael, Forschung an Minderjährigen, S. 152 f.; vgl. zur Kritik auch: Schmidt-Elsaeßer, Medizinische Forschung an Kindern und Geisteskranken, S. 174 ff. 197 Eck, Zulässigkeit medizinischer Forschung, S. 160, allerdings mit der Einschränkung, dass dies nur unterhalb der Körperverletzungsschwelle zulässig ist; von Freier, Humanforschung, S. 87; Schmidt-Elsaeßer, Medizinische Forschung an Kindern und Geisteskranken, S. 175; dagegen: Michael, Forschung an Minderjährigen, S. 153. 198 So von Freier, Humanforschung, S. 85. 199 Spranger, SuP 2000, 71, 77. 200 Dagegen aber Michael, Forschung an Minderjährigen, S. 153: Das Kind könne auch „im Nachhinein den Wert der sozialen Aufopferung erfassen.“

134 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Erziehungsmethode einzuordnen.201 Es erscheint befremdlich, die Teilnahme an einem Versuch im Hinblick auf ihren Erziehungswert oder auch allgemein mit einer Bergwanderung zu vergleichen, zu der ein Kind mitgenommen wird,202 schließlich kann ein Versuch auch körperliche Eingriffe beinhalten und hat daher eine vollkommen anderer Qualität als eine Bergwanderung. Zudem stellt die Forschungsteilnahme wohl nicht das mildeste Erziehungsmittel dar, um den Altruismus zu erlernen.203 Es ist zweifelhaft, ob das Teilen von etwa Spielzeug und Süßigkeiten nicht geeigneter dazu ist, da sowohl das Opfer als auch der Gewinn des Anderen unmittelbar eintritt. Eine Parallele ergibt sich auch aus dem Züchtigungsrecht, das früher als Rechtfertigungsgrund anerkannt war.204 Nach der Neufassung des § 1631 Abs. 2 BGB205 und geänderter gesellschaftlicher Vorstellungen ist seine Existenz nun umstritten, wobei das Züchtigungsrecht tendenziell nur noch sehr einschränkend befürwortet wird.206 Dadurch wird deutlich, dass nicht jegliche Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit mit Erziehungszielen legitimiert werden können.207 Die Erziehung ist grundsätzlich ohne derart schwerwiegende Eingriffe durchzuführen. Aus Erziehungszielen allein kann also nicht die Befugnis der Eltern zu einer Einwilligung in fremdnützige Forschung hergeleitet werden. (cc) Wertungen des Grundgesetzes Die Teilnahme an der Forschung liegt aber auch nicht im Interesse der Eltern, auch sie ziehen keinen Nutzen aus der Teilnahme, insbesondere keine finanziellen Vorteile.208 Ein Konflikt zwischen den Interessen von Vertreter und Vertretenem besteht 201 Vgl. auch Eschelbach, in: OK-StGB, § 223, Rn. 35.2: Erziehung drücke sich in der Vermittlung von Wissen und Verhaltensregeln aus, aber nicht in einer Verletzung des Körpers. 202 Vgl. aber Eberbach, Die zivilrechtliche Beurteilung der Humanforschung, S. 169. 203 Ähnlich auch: Schmidt-Elsaeßer, Medizinische Forschung an Kindern und Geisteskranken, S. 177. 204 Vgl. Paeffgen, in: NK, § 223, Rn. 28. 205 BGBl. I 2000, S. 1479. 206 Eser, in: Schönke/Schröder, § 223, Rn. 21 f. stellt u. a. darauf ab, ob die Züchtigung als Vergeltung für begangenes Fehlverhalten zugefügt werden oder der Abschreckung für die Zukunft dienen sollen und es bei einer solchen repressiven „Bestrafung“ an einem konkreten Sicherungszweck fehlt; Paeffgen, in: NK, § 223, Rn. 29 spricht sich dafür aus, dass der leichte „Klaps“ nicht verboten ist; ähnlich: Wessels/Beulke, AT, Rn. 387a; anders hingegen Riemer, FPR 2006, 387, 389: Allein an der Züchtigungshandlung lasse sich dogmatisch nicht festmachen, ob eine Körperverletzung vorliege und wie schwerwiegend sie gegebenenfalls sei; vgl. auch: Joecks, in: MüKo-StGB, § 223, Rn. 66, der darauf abstellt, ob es sich um spontane, zeitnahe Züchtigungen als Reaktion auf ein von den Eltern ausdrücklich untersagtes Verhalten handelt. Nach Kühl, in: Lackner/Kühl, § 223, Rn. 11 ist das Erziehungsrecht nur insoweit abgeschafft worden, als es um körperliche Bestrafungen geht, die zugleich entwürdigend sind. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass das Züchtigungsrecht bereits abgeschafft ist, vgl. BTDrs. 14/1247, S. 6. 207 Vgl. auch von Dewitz, Klinische Bewertung von Medizinprodukten, S. 1160, nach dem das Interpretationsprimat an der Grenze der körperlichen Unversehrtheit endet. 208 Vgl. auch § 40 Abs. 4 Nr. 5 AMG.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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also insoweit nicht, denn es handelt sich um altruistische Interessen, die für eine Forschungsteilnahme sprechen. Als unbestimmter Rechtsbegriff ist das Wohl für die Wertungen der Verfassung offen. Dies deutet darauf hin, dass die Einbeziehung nicht rein-individueller Bedürfnisse in den Begriff des Wohls mit dem Grundgesetz vereinbar ist, denn dessen Wertungen sprechen für ein altruistisches Menschenbild.209 (dd) Konkretisierungen des Kindeswohls am Beispiel der Beschneidung und der Knochenmarkspende Der Begriff des Kindeswohls wird durch verschiedene Bestimmungen konkretisiert. Indem es Eltern in bestimmten Situationen ausdrücklich zugebilligt wird, für ihre Kinder zu entscheiden, drückt der Gesetzgeber gleichzeitig damit aus, dass er diese Maßnahme für mit dem Wohl des Kindes vereinbar hält. Diese Regelungen könnten hier vergleichsweise herangezogen werden. So regelt § 8a Transplantationsgesetz (TPG), dass Eltern unter bestimmten engen Voraussetzungen in die Knochenmarkspende ihres minderjährigen Kindes einwilligen können.210 Dieser Eingriff ist mit Risiken verbunden, wie etwa mit einem Infektions- und Narkoserisiko.211 Außerdem können Wundschmerzen und Blutergüsse auftreten.212 Er ist nach Ansicht des Gesetzgebers dennoch mit dem Kindeswohl vereinbar. Er verweist sogar in § 8a Nr. 4 S. 2 TPG auf § 1627 BGB. Ähnlich regelt auch Art. 20 Abs. 2 der Bioethik-Konvention, dass in Ausnahmefällen die Entnahme regenerierbaren Gewebes bei einer einwilligungsunfähigen Person zugelassen werden kann.213 209

s. bereits o. S. 105 f. Dazu zählen insbesondere ein eingeschränkte Empfängerkreis und das Erfordernis einer lebensbedrohlichen Krankheit. Eingeführt würde § 8a TPG durch das Gewebegesetz, BGBl. I 2007, 1574 anlässlich der RL 2004/23/EG, die allerdings keine bestimmte Regelung zu Minderjährigen voraussetzt; vgl. zu der Regelung auch Otto, JURA 2012, 745 ff.; Walter, in: Spickhoff, § 8a TPG, Rn. 1 ff. Auch vor der Regelung war die Zulässigkeit sehr umstritten: Gegen eine Befugnis der Eltern zur Einwilligung in die Knochenmarkspende: Rönnau, in: LK, Vor § 32, Rn. 180 f.; zu einem Fall der Praxis: Deutsch, VersR 1987, 949, 951. 211 Vgl. die Information der Stiftung Knochenmark- & Stammzellspende Deutschland, abrufbar unter http://www.knochenmarkspende-deutschland.de/informationen_fuer_stammzell spender/risiken_einer_spende.php; zur Darstellung von Ablauf und Risiken der Knochenmarkspende vgl. Schmidt-Recla, GesR 2009, 566 f. 212 Vgl. die Information des Zentralen Knochenmarkspender-Registers Deutschland, http:// www.zkrd.de/de/informationen_fuer_knochenmarkspender/risiken_einer_spende.php; sowie der Deutschen Stammzellspenderdatei, http://www.stammzellspenderdatei.de/informationenstammzell-knochenmarkspender/risiken-spende.php. 213 Dazu müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Ein passender einwilligungsfähiger Spender steht nicht zur Verfügung, der Empfänger ist ein Bruder oder eine Schwester des Spenders, die Spende muß geeignet sein, das Leben des Empfängers zu retten, die nach Art. 6 Abs. 2 und 3 erforderliche Einwilligung wurde spezifisch und in schriftlicher Form in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen und mit Zustimmung der zuständigen Gremien erteilt, der betreffende potentielle Spender widerspricht nicht. Gegen diese Regelung im Entwurfsstadium: Honnefelder, in: Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik, S. 297, 304. 210

136 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Als weitere Parallele kann auch die religiös motivierte Beschneidung von Knaben betrachtet werden. Insbesondere bei Muslimen und Juden handelt es sich um ein religiöses Ritual.214 Nach dem neu eingeführten § 1631d BGB soll die Personensorge der Eltern auch das Recht umfassen, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, es sei denn, das Kindeswohl wird auch unter Berücksichtigung des Zwecks gefährdet.215 Dabei beschränkt sich § 1631d BGB nicht auf Beschneidungen, die religiös motiviert sind.216 Diese Regelung bedeutet, dass auch medizinisch nicht indizierte Eingriffe in den Körper des Kindes nach Ansicht des Gesetzgebers mit dessen Wohl vereinbar sein können.217 Verfassungsrechtlich erscheinen die Ansichten des Gesetzgebers zur Knochenmarkspende und Beschneidung nicht selbstverständlich. So hat auch das Landgericht Köln, dessen Entscheidung zur Beschneidung zu einer umfangreichen juristischen und gesellschaftlichen Diskussion und zu § 1631d BGB geführt hat,218 bei einer Abwägung der betroffenen Grundrechte denen des Kindes den Vorrang eingeräumt.219 Auf Seiten des Kindes könnten neben dem Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG auch sein Persönlichkeits- und Selbstbestimmungs214

Zur Herkunft und Formen der Riten: Jerouschek, NStZ 2008, 313 ff. Vgl. § 1631d BGB; BGBl. 2012 I, S. 2749, dazu Rixen NJW 2013, 257 ff. sowie BTDrs. 597/12, S. 1; zustimmend: Radtke, Stellungnahme vom 23.11.12, abrufbar unter http:// www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a06/anhoerungen/archiv/31_Beschneidung/04_ Stellungnahmen/Stellungnahme_Radtke.pdf; Germann, MedR 2013, 412 ff.; vgl. Rixen, NJW 2013, 257 ff.; kritisch im Hinblick auf die Beschneidung von Mädchen und den Gleichheitsgrundsatz: Walter, JZ 2012, 1110, 1112. Vgl. auch § 226a StGB, nach dem die Genitalverstümmelung bei Mädchen als Verbrechen strafbar ist. In rechtsvergleichender Perspektive hat nur Schweden eine Regelung zur Beschneidung, vgl. dazu Ring/Olsen-Ring, FPR 2012, 522 ff. 216 BT-Drs. 679/12, S. 1, 20. 217 So auch LG Hamm, NJW 2013, 3362: Rein medizinisch-gesundheitliche Bedenken könnten nicht maßgeblich sein, da § 1631d BGB eine medizinisch nicht indizierte Beschneidung erlaube. 218 s. zur gesellschaftlichen Diskussion Zastrow, FAZ v. 21.07.12, http://www.faz.net/aktu ell/politik/inland/beschneidungsdebatte-noetiger-schmerz-11827980.html; vgl. auch die Empfehlung des Ethikrats: http://www.ethikrat.org/presse/pressemitteilungen/2012/pressemittei lung-09 – 2012; zur politischen Debatte die Entschließung des Bundestags: BT-Drs. 17/10331, S. 1 f. sowie das Bundestagsplenarprotokoll 17/189, S. 22829 ff. Eine gesetzliche Regelung fordert: Krüper, ZJS 2012, 547, 550. 219 LG Köln NStZ 2012, 449; kritisch dazu s. nur Rox, JZ 2012, 806 ff. Die Relevanz der Grundrechte ergibt sich hier aus der mittelbaren Drittwirkung, s. bereits o. S. 99. Zu einer anderen Bewertung kommt wohl das OVG Lüneburg NJW 2003, 3290, das für eine Beschneidung einmalige Leistungen nach § 21 Abs. 1a Nr. 7 BSHG zugesprochen hat. Das OLG Frankfurt NJW 2007, 3580 ging auch von einer Anmaßung des Sorgerechts aus, allerdings war der Einwilligende nicht Inhaber des Sorgrechts. Das LG Frankenthal, MedR 2005, 243 sprach ein Schmerzensgeld zu, allerdings handelte es sich um eine Beschneidung durch einen Nichtmediziner unter unsterilen Bedingungen. Ähnlich war auch der Fall des AG Düsseldorf vom 17. 11. 2004 – 411 Ds 60 Js 3518/00, das wegen Unkenntnis des Hygienezustands von der Unwirksamkeit der Einwilligung und daher von einer Strafbarkeit nach §§ 223, 224 StGB ausging. 215

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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recht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, sein Recht auf negative Religionsfreiheit aus Art. 4 GG sowie seine Würde aus Art. 1 Abs. 1 GG verletzt sein. Die Eltern können sich auf der anderen Seite auf ihr Erziehungsrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG, das bei der religiös motivierten Beschneidung durch Art. 4 GG auch ein religiöses Erziehungsrecht darstellt, berufen.220 Dieses Recht wird jedoch durch das Kindeswohl und die Grundrechte des Kindes begrenzt. Eine Verletzung der Würde des Kindes durch die Beschneidung ist zu verneinen, wenn der Eingriff unter hygienischen und möglichst schmerzfreien Bedingungen abläuft.221 Dasselbe muss für die Knochenmarkspende gelten.222 Nur wegen fehlenden individuellen gesundheitlichen Nutzens kann man nicht von einer Instrumentalisierung oder Degradierung ausgehen.223 Auch in die negative Religionsfreiheit wird bei einer Beschneidung nicht eingegriffen, da sie einen Religionswechsel nicht ausschließt und auch der Eintritt in eine Religionsgemeinschaft wie etwa bei einer christlichen Taufe vom elterlichen Erziehungsrecht gedeckt ist.224 Schließlich sind auch viele Jungen und Männer beschnitten ohne dem muslimischen oder jüdischem Glauben anzugehören. Ein Eingriff in Art. 2 Abs. 2 GG ist jedoch eindeutig durch das Abtrennen der Vorhaut gegeben. Die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist ebenso bei der Knochenmarkspende, insbesondere durch die Einstiche in die Haut, zu bejahen. Wägt man diese Eingriffe im Rahmen einer praktischen Konkordanz mit dem Erziehungsrecht ab, sind zwei Fragen zu stellen: Erstens ist zu erörtern, ob 220 Vgl. BVerfGE 93, 1, 17; Brocke/Weidling, StraFo 2012, 450, 453; Germann, in: Heil/ Kramer, S. 83, 88; Zur Verstärkung anderer Grundrechte durch die Glaubensfreiheit: BVerfG NJW 2002, 663 (zur Berufsfreiheit). Das Erziehungsrecht für hier ausschlaggebend hält Muckel, JA 2012, 636, 638; vgl. auch Paeffgen, in: NK, § 228, Rn. 103a ff., der die Reichweite der Glaubensfreiheit anhand von Beispielen hinterfragt, insbesondere auch im Hinblick auf die Unzulässigkeit der Beschneidung von Mädchen. 221 Anders hingegen zur Beschneidung: Czerner, ZKJ 2012, 374, 381; ders., ZKJ 2012, 433, 434. Das Kind wird in diesem Fall jedoch nicht instrumentalisiert. Zur Zulässigkeit abgesehen von der Vereinbarkeit mit der Würde noch sogleich. 222 Dagegen aber: Laufs, in: Hiersche/Hirsch/Graf-Baumann, S. 57, 64. Eine Verletzung der Würde kommt allerdings in Betracht bei Anenzephalen, d. h. Säuglingen, deren Hirnstamm intakt ist, deren Schädeldecke mit ausgedehnten Teilen des Gehirns aber fehlt und bei denen daher keine Entwicklungschance besteht und ein früher Tod gewiss ist. Vgl. zu der Problematik: Laufs, in: Hiersche/Hirsch/Graf-Baumann, S. 57, 66 f.; Ugowski, Lebendspende von Organen, S. 95. Auch die Zeugung von Kindern zum Zwecke der Organ- oder Gewebespende an deren Geschwister betrifft die Würde, vgl. dazu Lomb, Schutz des Lebendorganspenders, S. 91; Voll, Einwilligung,S. 241. Diese beiden Ausnahmefälle sollen hier allerdings außer Betracht bleiben. 223 s. auch noch ausführlich zur Vereinbarkeit nicht eigennütziger Forschung u. S. 163 ff. 224 Bartsch, StV 2012, 604, 608; Jahn, JuS 2012, 850, 851; Für einen Eingriff in die negative Religionsfreiheit hingegen: LG Köln NStZ 2012, 449; Czerner, ZKJ 2012, 374, 379; Dettmeyer/Parzeller/Laux/Friedl/Zedler/Bratzke, ArchKrim 2011, 85, 94; Neumann, DRiZ 2012, 221, 222; Putzke, RuP 2012, 138; Schlehofer, in: MüKo-StGB, Vor §§ 32 ff., Rn. 143. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass auch beschnittene Knaben weiterhin die Möglichkeit haben eine andere Religion anzunehmen. Der Eingriff ist für den Körper irreversibel, nicht aber im Hinblick auf die Zugehörigkeit zu einer Religion. Für die Kompetenz der Eltern zur Zustimmung in religiöse Rituale: Lack, ZKJ 2012, 336, 340.

138 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Eltern in aus gesundheitlichen Gründen unnötige, also medizinisch nicht indizierte Eingriffe einwilligen dürfen. Solle man dies bejahen, so muss man sich zweitens fragen, ob auch solche Eingriffe wie die Beschneidung oder die Knochenmarkspende noch von dem Erziehungsrecht gedeckt sind oder aber aufgrund ihrer Schwere darüber hinaus gehen. (ee) Vereinbarkeit nicht indizierter Maßnahmen mit dem Wohl Zur ersten Fragestellung ist zunächst auf den treuhänderischen, dem Kind dienenden Charakter des Elternrechts zu verweisen.225 Die Eltern sollen, solange das Kind selbst noch nicht dazu in der Lage ist, selbst rechtlich zu handeln, dessen Angelegenheiten regeln, auch solche, die den Körper betreffen. Sie können daher grundsätzlich auch, sollte dies aus bestimmten Gründen notwendig sein, in körperliche Eingriffe einwilligen. Es gibt dabei nicht nur gesundheitliche Gründe. Zum Teil wird die Befugnis des gesetzlichen Vertreters jedoch auf die Zustimmung zu einer Heilbehandlung beschränkt.226 Ein Opfer dürften die Eltern dem Kind nicht auferlegen,227 sonst wäre ihre Pflicht, ausschließlich die Interessen des Vertretenen wahrzunehmen, verletzt.228 Es bestünde vielmehr ein Interessenkonflikt, da sie häufig auch die Interessen eines Geschwisterkindes vertreten.229 Einen gesundheitlichen Nutzen ziehen die spendenden Kinder selbst nicht aus einer Knochenmarkspende. Als Vorteil für das Kind kommt jedoch in Betracht, dass das Kind durch die Spende einem nahen Verwandten das Leben rettet und so einen sozialen oder familiären Vorteil daraus zieht. Auch könnte es im Gegenteil sehr belastend sein, einer derart nahestehenden Person nicht geholfen zu haben.230 Dies wird besonders deutlich bei Isotransplantationen, z. B. bei eineiigen Zwillingen. Dort hat der Eingriff aufgrund der großen genetischen Übereinstimmung eine große Erfolgswahrscheinlichkeit und die Zwillinge sind in der Regel in besonderer Weise persönlich verbunden.231 225

BVerfG NJW 1982, 1375, 1376; NJW 1983, 101; NJW 2006, 1414, 1415; NJW 2009, 663, 664; Eschelbach, in: OK-StGB, § 223, Rn. 35.2; Krüper, ZJS 2012, 547, 549. 226 Brenner, in: Mergen, S. 126, 129; Giesen, Haftung des Arztes, S. 30; Korthals, Organtransplantation, S. 80; Laufs, NJW 1988, 1499, 1501; ders., in: Hiersche/Hirsch/GrafBaumann, S. 57, 65; ders., FS Narr, S. 34, 40; wohl auch: Kramer, Organtransplantation, S. 176; Rouka, Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen, S. 176; dagegen jedoch: DIJuF, JAmt, 2012, 98 f. 227 Bucher, in: Largiadèr, S. 75, 77. 228 Hanack, Studium Generale 1970, 428, 438. 229 Schreiber, in: Kaufmann, S. 73, 74 f. 230 Lomb, Schutz des Lebendorganspenders, S. 86 ff., allerdings mit einer Altersgrenze ab ca. drei Jahren; gegen diese Argument: Esser, in: Höfling, § 8 TPG, Rn. 23; Schmidt-Recla, GesR 2009, 566, 571; vgl. auch Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 245 f., der diese psychologische Belastung aber nur bei Minderjährigen, die später einwilligungsfähig werden, anerkennt. 231 Für eine Zulässigkeit bei Isotranplantationen daher: Carstens, Organtransplantation, S. 41; Giesen, Haftung des Arztes, S. 30, Fn. 83; dagegen: Hanack, Studium Generale 1970,

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Auch die religiös motivierte Beschneidung kann mit einem sozialen Aspekt verbunden sein: der Aufnahme in die religiöse Gemeinschaft und die Akzeptanz als Mitglied.232 Darüber hinaus können neben religiösen Gründen auch ästhetische Belange für einen Eingriff sprechen, so etwa bei dem Stechen eines Ohrlochs für Ohrringe oder die Operation von Segelohren oder einer Höckernase.233 Insbesondere bei letztgenannten Eingriffen wird deutlich, dass die Vereinbarkeit mit dem Wohl des Kindes nicht von einer Indikation abhängen kann.234 Ansonsten wären auch Einschränkungen der Sorge, wie bei der Sterilisation nach § 1631c BGB, überflüssig.235 Das Wohl des Kindes darf nicht auf eine gesundheitliche Unantastbarkeit reduziert werden. Die Eltern haben das Wahrnehmungsrecht für die Grundrechte des Kindes. Sie sollen in Eingriffe einwilligen, in die das Kind einwilligen würde, wenn es könnte. Wären sämtliche nicht indizierten Eingriffe nicht von ihrer Entscheidungsbefugnis umfasst, wäre die Entfaltungsmöglichkeit der Kinder stark eingeschränkt. Die Repräsentation, die größtmögliche Rechtsgleichheit und Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten erreichen soll, darf daher nicht auf medizinisch indizierte Eingriffe beschränkt sein. Sie darf jedoch auch den Zweck nicht völlig außer Betracht lassen. Stimmen Eltern in Eingriffe zu, die gegen die Wertungen des Grundgesetzes verstoßen, so endet dort auch ihr Interpretationsprimat in Bezug auf das Kindeswohl. Eine Zustimmung zu körperlichen Eingriffen zum Zwecke des Quälens des Kindes würde Art. 1 Abs. 1 GG verletzen. Handelt es sich jedoch um Gründe, denen das Grundgesetz nicht widerspricht, so dürfen sie grundsätzlich zustimmen. Dazu zählen religiöse Aspekte, aber auch die Solidarität gegenüber anderen, insbesondere innerhalb der Familie, da die Wertungen des Grundgesetzes diese sogar gutheißen.236 Auch muss in die Betrachtung einbezogen werden, inwiefern der Eingriff gerade an dieser minderjährigen Person notwendig ist, ob die Eltern also ihr Kind aus allgemeinen Beweggründen dem Eingriff unterziehen oder ein gewichtiger Anlass besteht. Im ersten Fall dürften um einer Instrumentalisierung vorzubeugen nur sehr begrenzt Eingriffe zulässig sein, im zweiten Fall jedoch können Eingriffe, die nicht 428, 438; Korthals, Organtransplantation, S. 81; Rouka, Selbstbestimmungsrecht, S. 177; Voll, Einwilligung im Arztrecht, S. 241. 232 Bartsch, StV 2012, 604, 607; Dettmeyer/Parzeller/Laux/Friedl/Zedler/Bratzke, ArchKrim 2011, 85, 95 geben dennoch der körperlichen Unversehrtheit den Vorrang; Yalcin, Betrifft Justiz 2012, 380, 384. 233 Zu diesen Eingriffen vgl. auch Putzke, MedR 2012, 621, 623; ders., FS Herzberg, 669, 696; Yalcin, Betrifft Justiz 2012, 380, 384. 234 Dettmeyer/Parzeller/Laux/Friedl/Zedler/Bratzke, ArchKrim 2011, 85, 95; Valerius, JA 2010, 481, 484; dagegen aber: Kern, NJW 1994, 753, 756; ders., FamRZ 1981, 738, 739; vgl. Voll, Einwilligung im Arztrecht, S. 244; vgl. auch Rixen, NJW 2013, 257, 258 f.: Auch „gesundheitsrelevante Entscheidungen der Eltern, wenn sie nicht evident dem Kindeswohl zuwiderlaufen,“ könnten legitim sein. 235 Valerius, JA 2010, 481, 484. 236 Vgl. Art. 4 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 GG sowie o. S. 105.

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schwerwiegend sind, von ihrer Entscheidungsbefugnis umfasst sein.237 So kann man etwa die Einwilligung der Eltern in die Blutspende des Kindes nur als zulässig erachten, wenn es sich nicht um einen gewöhnlichen Blutspendedienst handelt, sondern das Blut des Kindes individuell benötigt wird.238 (ff) Grenzen der Vereinbarkeit Fraglich bleibt daher nur noch, ob die Eingriffe nicht ein Maß erreichen, das wiederum die Grundrechte, nämlich das Recht auf körperliche Unversehrtheit, in schwerwiegender Weise berührt. Gegen eine Entscheidungsbefugnis im Hinblick auf die Beschneidung könnte die Intensität des Eingriffs sprechen. Letztlich handelt es sich um die Entfernung eines Körperteils, das eine Funktion im Körper hat und gesund ist. Die Vorteile und Risiken sowie die Schwere des Eingriffs werden sehr unterschiedlich bewertet. Während einige auch prophylaktische gesundheitliche Vorteile sehen und die Risiken als gering bewerten,239 gehen andere von einer schwerwiegenden körperlichen und womöglich psychischen Schädigung aus, die mit Komplikationen verbunden sein kann.240 Jedenfalls handelt es sich um einen Eingriff, der irreversibel den Körper des Kindes verändert.241 Im Hinblick darauf erscheint die Beschneidung als sehr schwerwiegender Eingriff, da er grundsätzlich unumkehrbar ist. Ob man ihn dennoch durch das religiöse Erziehungsrecht, insbesondere im Hinblick auf Art. 4 GG, rechtfertigen kann, erscheint fragwürdig, da sich dabei die Frage stellt, ob der Eingriff auch erforderlich und angemessen ist.242 Insoweit könnte 237

Vgl. der Gedanke der Subsidiarität, u. S. 162 f. Kern, FamRZ 1981, 738, 739; Rouka, Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen, S. 178. Für eine weitergehende Zulässigkeit von Blutspenden Minderjähriger: Lipp, in: Laufs/ Katzemmeier/Lipp, VI, Rn. 64; für eine Zulässigkeit nur bei der Eigenblutentnahme: Tag, in: MüKo-StGB, § 6 TFG, Rn. 10. 239 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 134 ff.; vgl. auch Schramm, in: Heil/Kramer, S. 134, 140 sowie Schwarz, in: Heil/Kramer, S. 98, 112; Valerius, JA 2010, 481, 485; Yalcin, Betrifft Justiz 2012, 380, 383; Zypries, RuP 2012, 139; Auch die WHO empfiehlt die Beschneidung zur Vorbeugung gegen HIV, vgl. http://www.who.int/hiv/mediacentre/news68/en/; kritisch dazu: Dettmeyer/Parzeller/Laux/Friedl/Zedler/Bratzke, ArchKrim 2011, 85, 88 ff. 240 So etwa der Sensibilitätsverlust sowie Schmerzen bei der Operation und Wundschmerzen, vgl. Putzke, RuP 2012, 138; ders., MedR 2012, 621, 623; ders., FS Herzberg, 669, 677 f.; Stehr/Putzke/Dietz, DÄBl 2008, A-1778. 241 LG Köln NStZ 2012, 449; Czerner, ZKJ 2012, 374, 375; Dettmeyer/Parzeller/Laux/ Friedl/Zedler/Bratzke, ArchKrim 2011, 85, 93; Eschelbach, in: OK-StGB, § 223, Rn. 35.2; Fischer, StGB, § 223, Rn. 11; Jahn, JuS 2012, 850, 851; Putzke, MedR 2012, 621, 624; ders., FS Herzberg, S. 669, 678; Schlehofer, in: MüKO-StGB, Vor §§ 32 ff., Rn. 143; Zähle, AöR 2009, 434, 451. Dies nicht beachtend: Valerius, JA 2010, 481, 485, dort Fn. 47, der den Eingriff im Verhältnis zu §§ 40 Abs. 4, 41 Abs. 2 für geringer hält, obwohl dort ausdrücklich nur Eingriffe mit möglichst wenig Belastungen und anderen vorhersehbaren Risiken bzw. mit minimalen Risiken und Belastungen erlaubt sind. 242 Für eine Rechtfertigung im überwiegenden Interesse der Religionsausübung: Gropp, AT, § 6, Rn. 231; Rohe, JZ 2007, 801, 802 dort Fn. 7; ähnlich auch: Germann, in: Heil/Kramer, S. 83, 93; Schramm, in: Heil/Kramer, S. 134, 140; Schwarz, JZ 2008, 1125, 1128; dagegen: 238

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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man fordern, die Vornahme des Ritus bis zur Volljährigkeit oder Einwilligungsfähigkeit zu verschieben243 und bis dahin lediglich eine symbolische Beschneidung vorzunehmen.244 Die Religionsfreiheit entbindet nicht von der Pflicht, die Gesetze, wie hier § 223 StGB, zu befolgen und ermächtigt nicht zu jeglichen körperlichen Eingriffen.245 Auch wenn es sich eher nicht um Gewalt oder eine entwürdigende Maßnahme nach § 1631 Abs. 2 BGB handelt,246 da zumindest bei einer nach medizinischem Standard vorgenommenen Beschneidung weder Zweck noch Umstände herabsetzend sind, ist der Eingriff schwerwiegend. Aus diesem Grund ist die Vereinbarkeit der Beschneidung des einwilligungsunfähigen Knaben mit dem Wohl des Kindes zweifelhaft. Auch bei der Knochenmarkspende besteht keine Einigkeit im Hinblick auf das damit verbundene Risiko: Manche stellen auf das Operationsrisiko ab.247 Bei einer Organentnahme, beispielsweise einer Niere, handelt es sich jedenfalls um einen schwerwiegenden Eingriff, der durch Risiken und Irreversibilität gekennzeichnet ist.248 Daher wird bei solchen Eingriffen eine Entscheidungsbefugnis des Vertreters verneint.249 Bei einer Knochenmarkspende aber handelt es sich um regeneratives Material, das bei einem risikoarmen Eingriff gewonnen wird.250 Es entsteht kein dauerhafter Schaden und der Körper des Minderjährigen wird nicht bleibend ver-

Coester, in: Staudinger, § 1666 BGB, Rn. 126; gegen eine Rechtfertigung durch das religiöse Motiv auch: Paeffgen, in: NK, vor § 32, Rn. 156 sowie § 228, Rn. 103a ff., 103d. 243 Jerouschek, NStZ 2008, 313, 319; ders., FS Dencker, S. 171, 180; Putzke, FS Herzberg, S. 669, 706; Stehr/Putzke/Dietz, DÄBl 2009, A-1778; dagegen: Beulke/Dießner, ZIS 2012, 338, 345; Zähle, AöR 2009, 434, 453; vgl. auch den Geestzesvorschlag BT-Drs. 17/11430, in dem eine medizinische nicht indizierte Beschneidung nur zulässig ist, wenn u. a. der Knabe das 14. Lebensjahr vollendethat, einsichts- und urteilsfähig ist und der Beschneidung zugestimmt hat. 244 Jahn, JuS 2012, 850, 851. 245 Vgl. Czerner, ZKJ 2012, 374, 380; Herzberg, MedR 2012, 169, 173; ders., ZIS 2010, 471. 246 Das LG Köln NStZ 2012, 449 sowie Schlehofer, in: MüKo-StGB, Vor §§ 32 ff., Rn. 143 ziehen dennoch dessen Wertungen heran. Anders hingegen: Brocke/Weidling, StraFo 2012, 454 f.; Eschelbach, in: OK-StGB, § 223, Rn. 35.2; Klinkhammer, FamRZ 2012, 1913, 1914; Lack, ZKJ 2012, 336, 339; Zähle, AöR 2009, 434, 446. 247 Esser, in: Höfling, § 8 TPG, Rn. 25; Kern, MedR 1998, 485, 489. 248 Brenner, in: Mergen, S. 126, 130; v. Bubnoff, GA 1968, 65, 68. 249 Brenner, in: Mergen, S. 126, 129; Eser, Chriurg, 1969, 152, 153; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende,S. 188; Giesen, Haftung des Arztes, S. 30; Korthals, Organtransplantation, S. 80; Mandel, NJ 1975, 621, 624; Peter, in: Greinert/Braun, S. 146, 169; Schreiber, in: Müller/Olbing, S. 225, 229; anders hingegen: Ugowski, Lebendspende von Organen, S. 93, der die Einwilligung in die Entnahme auch nicht regenerierungsfähiger Organe in Ausnahmefällen gestatten will, wenn dies nicht gegen den Willen der Person geschieht, ein unabhängiges Expertengremium zustimmt und dies Verwandten ersten Grades dient. 250 Schreiber, in: Müller/Olbing, S. 225, 230; Ugowski, Lebendspende von Organen, S. 82; Zahn, Einwilligungsunfähige, S. 106.

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ändert. Daher kann die Einwilligung der Eltern in eine Knochenmarkspende mit dem Wohl des Kindes vereinbar sein.251 (gg) Schlussfolgerungen für die fremdnützige Forschung Von diesen Überlegungen ausgehend, kann nun die fremdnützige Forschung an Einwilligungsunfähigen im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit dem Wohl des Kindes untersucht werden. Nachdem bereits festgestellt worden ist, dass die Entscheidungsbefugnis der Eltern sich nicht auf medizinisch indizierte Eingriffe beschränkt,252 muss nun noch der Frage nachgegangen werden, ob die Forschung zugunsten von anderen Personen einen hinreichenden Grund darstellt, der den Wertungen des Grundgesetzes nicht widerspricht und ob die Schwere des Eingriffs ein bestimmtes Maß nicht überschreitet. Es stellt sich zunächst die Frage, was das Wohl bei reiner Fremdnützigkeit ausmacht. Fremdnützige Maßnahmen begünstigen nicht unmittelbar das körperliche Wohl des Minderjährigen. Es gibt jedoch nicht nur körperbezogene Interessen. Menschen treffen nicht nur Entscheidungen, die ihrem Körper zugute kommen, ihn verbessern oder erhalten, sondern im Gegenteil auch solche, die ihm schaden. So entscheidet man sich um des Genusses willen zu rauchen oder Alkohol zu trinken. Möglich ist auch, dass man sich zugunsten anderer Personen entscheidet, ein Organ oder Blut zu spenden. Letztere Handlungen kann man als Taten aus wertbezogenem Interesse auffassen. Solche Interessen betreffen den Wunsch, ein bestimmter Mensch zu sein und sein Leben auf eine bestimmte Weise sinnvoll und gelungen zu gestalten.253 Auch die Teilnahme an fremdnütziger Forschung lässt sich unter diese wertbezogenen Interessen fassen, denn auch diese betrifft altruistisches Handeln. Bei der Bestimmung des Wohls einer Person geht es darum, seine Interessen wahrzunehmen. Dabei geht es nicht nur um die Interessen, die den Körper betreffen, sondern auch um Werte und Anschauungen, so dass auch fremdnützige Forschung dem Wohl der Person entsprechen kann. Es entspricht nicht dem Wohl einer Person, nur sein körperliches Befinden zu berücksichtigen, denn seine Wertvorstellungen machen einen mindestens ebenso wichtigen Teil seiner Person aus. Eine einwilligungsunfähige Person auf ihren Körper zu reduzieren, wäre mit ihrer Würde nicht vereinbar. Das Wohl einer Person bei fremdnütziger Forschung ist daher den Werten und Anschauungen zu entnehmen, nicht den rein körperlichen Interessen. Wie das Wohl dabei ermittelt werden kann, muss noch näher untersucht werden.254

251

311. 252 253 254

Erforderlich ist natürlich eine Abwägung im Einzelfall, vgl. auch Weilert, RW 2012, 293, s. o. S. 138 ff. Vgl. Schroth, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, S. 207 mt Verweis auf Dworkin. s. dazu noch u. S. 159 ff.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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Darüber hinaus ist fraglich, ob eine Stellvertretung insoweit auch möglich ist.255 Um Rechtsgleichheit mit Einwilligungsfähigen herzustellen und der Person auch die Entfaltung der Persönlichkeit in Bezug auf ihre Werte und Anschauungen zu ermöglichen, muss eine stellvertretende Entscheidung zulässig sein. Bei einer einwilligungsunfähigen Person darf es nicht nur darum gehen, ihren Körper zu erhalten. Vielmehr müssen auch ihre anderen Interessen gewahrt werden, darunter auch die wertbezogenen Interessen, denn auch gerade diese machen sie als Person aus und müssen daher durch einen Vertreter wahrgenommen werden können. Dies erlaubt auch das Arzneimittelgesetz im Rahmen der gruppennützigen Forschung.256 Das Arzneimittelgesetz ist nach der Gesetzesbegründung lex specialis im Verhältnis zum Bürgerlichen Gesetzbuch.257 Würde die Einwilligung der Eltern grundsätzlich gegen das Wohl des Minderjährigen verstoßen, wäre die gesetzliche Lage widersprüchlich. Selbst wenn ein Widerspruch zum Begriff des Wohls des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestünde, würde das Arzneimittelgesetz als lex specialis diesen Begriff des Wohls jedoch derart konkretisieren, dass auch gruppennützige Forschung dem Wohl entsprechen kann. Eine Ausgestaltung des Begriffs, wie sie im Arzneimittelgesetz erfolgt, ist auch mit dem Kindeswohl-Begriff des Art. 6 Abs. 2 GG vereinbar und konkretisiert diesen. Das Grundgesetz sieht in seiner Gesamtkonzeption nicht nur Egoismus vor, sondern betrachtet den Menschen als Wesen, das einer Gemeinschaft bedarf und für diese auch Opfer bringt. Aufgrund der Gemeinschaftsgebundenheit des Menschen widerspricht die gruppen- bzw. fremdnützige Forschung bei Minderjährigen nicht grundsätzlich seinem Wohl. Es handelt sich um ein billigenswertes Motiv und um einen Grund, der dem Grundgesetz nicht fremd ist.258 Der Zweck widerspricht also nicht der Erlaubnis in Bezug auf nicht indizierte Eingriffe. Anders als bei der Beschneidung ist aus rein tatsächlichen Gründen auch kein Aufschub der Forschungsmaßnahme möglich. Wartet man auf die Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen, so liegen die speziellen Eigenschaften, durch die er für die Forschung geeignet ist, durch Wachstum und Veränderung der körperlichen Merkmale nicht mehr vor. Die Forschung in Bezug auf etwa Kinderkrankheiten würde keinen Sinn mehr machen. Darüber hinaus ist der Minderjährige häufig bis dahin von der zu erforschenden Krankheit genesen, so dass die Forschung unmöglich wäre. Dennoch müssen auch hier in einem zweiten Schritt Einschränkungen gemacht werden: Die Entscheidungsbefugnis der Eltern kann nicht grenzenlos sein, insbesondere im Hinblick auf Risiken und Belastungen des Minderjährigen. Ohne eine Risiko-Nutzen-Abwägung und eine Beschränkung auf ein gewisses Maß an Risiken und Belastungen wären die Maßnahmen dennoch gegen dessen Wohl. Es muss daher 255 Schroth, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, S. 207 vertritt die Ansicht, dass solche wertbezogenen Interessen nicht stellvertretend von anderen wahrgenommen werden können. 256 s. §§ 41 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. 40 Abs. 4 Nr. 3 AMG. 257 BT-Drs. 15/2109, S. 32. 258 s. dazu bereits o. S. 105.

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eine konkrete Betrachtung erfolgen, inwiefern die Forschung den Minderjährigen belastet und gefährdet. Sofern er nur in geringem Maß Risiken und Belastungen ausgesetzt ist, ist sein Wohl nicht gefährdet.259 Der Staat muss im Rahmen seiner Schutzpflicht nicht jegliche Beeinträchtigungen von Kindern abwenden. Solange eine Erheblichkeitsschwelle nicht überschritten wird, müssen die Eltern die Definitionsmacht behalten und dürfen nicht bevormundet werden. Werden weitere Schutzkriterien, die noch zu erarbeiten sind,260 daher beachtet, darf der Gesetzgeber ohne Missachtung seines Wächteramtes auch die Einwilligung in fremdnützige Forschung zulassen. (b) Vereinbarkeit mit dem Wohl des Betreuten (aa) Beachtung von Wünschen des Betreuten Bei Betreuten haben deren Wünsche und Einstellungen eine besondere Relevanz. Anders als bei Minderjährigen bestehen bei Betreuten oft Anhaltspunkte für ihre Einstellungen und Wünsche aus der Zeit vor der Krankheit oder Behinderung, die zur Einwilligungsunfähigkeit führte. Nach § 1901 Abs. 3 Nr. 1 BGB sind die Wünsche zu berücksichtigen, sofern sie nicht dem Wohl zuwiderlaufen. Sie müssen also nicht dem Wohl entsprechen, sondern dürfen ihm nur nicht zuwiderlaufen, so dass die Anforderungen niedriger sind. Daraus wird zum Teil geschlossen, dass der Betreuer einwilligen dürfe, wenn man auf eine altruistische Einstellung schließen könne.261 Von Freier hingegen misst nur einer antizipierten Einwilligung eine solche Bedeutung zu.262 Die Betreuung muss einen größtmöglichen Freiraum zur Entfaltung ermöglichen. Das Betreuungsrecht soll nicht kranke Menschen besonders disziplinieren.263 Daher kann nicht jeder Gegensatz von den Wünschen des Betreuten zum objektivem Wohl den Wunsch unbeachtlich machen.264 Auch das Rauchen verschlechtert die Gesundheit des Betreuten, dennoch wird es bei einem entsprechenden Wunsch nicht verboten.265 Außerdem dürfen geringfügige Erkrankungen auf Wunsch des Betreuten 259 Die Beschränkung auf das Maß an Belastungen und Risiken im Arzneimittelgesetz ist letztlich geringer als bei einer Knochenmarkspende, vgl. Weilert, RW 2012, 292, 306. 260 Vgl. dazu insbesondere u. S. 162 ff. 261 Eck, Zulässigkeit medizinischer Forschung, S. 169, allerdings mit der Grenze der Verletzung der körperlichen Integrität; Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 170; Köhler, ZRP 2000, 8, 9; für eine weitgehende Berücksichtigung von Wünschen: Lipp, FS Deutsch, S. 343, 355. 262 von Freier, Humanforschung, S. 75. 263 Schwab, in: MüKo-BGB, § 1901, Rn. 14. 264 Roth, in: Erman, § 1901, Rn. 12. 265 Jürgens, in: Jürgens, § 1901, Rn. 9; Roth, in: Erman, § 1901, Rn. 12 mit der Ausnahme, dass der kettenrauchende Betreute wegen einer Krankheit, die auf dem Rauchen beruht, in ärztlicher Behandlung ist und seine Entscheidung zu rauchen durch eine Krankheit beeinträchtigt ist.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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unbehandelt bleiben.266 Die dem Betreuten zu verbleibende selbstbestimmte Lebensgestaltung kann also auch Selbstgefährdungen und Selbstschädigungen beinhalten.267 Eine Forschungsmaßnahme, die nur minimale Risiken und Belastungen mit sich bringt, ist insofern vergleichbar, als sie ebenfalls im geringen Maß die Gesundheit beeinträchtigen kann, aber seinem Wunsch entspricht. Daher müssen auch nicht medizinisch indizierte Maßnahmen von der Entscheidungsbefugnis des Betreuers gedeckt sein. Sonst wäre die Funktion der Repräsentation, die Herstellung von Rechtsgleichheit und Personalität, in Frage gestellt. Entgegen von Freier kommt es nicht darauf an, dass es sich um „unmittelbar erlebnisbezogene Interessen“ (wie dem Genuss des Rauchens) handelt, die der Betreute mit seinen Wünschen verfolgt.268 Auch muss es unerheblich sein, dass der Wunsch zur Teilnahme in der Regel erst durch Dritte veranlasst wird, also kein originärer Wunsch des Betreuten ist. Nahezu jeder Wunsch wird durch ein Verhalten Dritter veranlasst, insbesondere auch durch das Nachahmen von Vorbildern und so auch häufig bei dem Wunsch zu rauchen. Vielmehr ist maßgeblich, ob ein erheblicher Widerspruch zwischen Wohl und Wünschen vorliegt, also ob der dem objektiven Wohl drohende Schaden schwerwiegend ist.269 Sofern nur Forschungsmaßnahmen mit minimalen Belastungen und Risiken zugelassen sind, ist das rein objektive Wohl kaum beeinträchtigt, so dass Wünsche zu berücksichtigen sind. (bb) Vereinbarkeit der Lösung mit dem Fürsorgeprinzip Dies widerspricht nicht dem Fürsorgeprinzip, denn es würde sich um eine Ausnahme von der Eigennützigkeit handeln, wie sie das Gesetz auch an anderen Stellen bereits kennt. So besteht gemäß § 1641 S. 2 BGB bei Minderjährigen sowie nach §§ 1804 S. 2, 1908i Abs. 2 S. 1 BGB bei Betreuten kein Schenkungsverbot bei Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird. Zwar sind Schenkungen und Forschungseingriffe nicht unmittelbar vergleichbar,270 jedoch wird deutlich, dass auch zu einer wirksamen rechtlichen Entscheidung Unfähige wegen ihrer Einbindung in die Gesellschaft geringfügige Opfer bringen dürfen und ihre gesetzlichen Vertreter dazu auch entscheidungsbefugt sind. Zwar ist eine Knochenmarkspende volljähriger Einwilligungsunfähiger nicht möglich, jedoch war auch diese Regelung ursprünglich vorgesehen.271 Einschränkungen der Eigennützigkeit des Wohlbegriffs bestehen also 266

von Freier, Humanforschung, S. 79. Kieß, in: Jurgeleit, § 1901, Rn. 48; anders hingegen: Zahn, Einwilligungsunfähige, S. 194, der Wünsche des Betreuten bei fremdnütziger Forschung nur berücksichtigen möchte, wenn die Maßnahmen kein Risiko bergen. 268 von Freier, Humanforschung, S. 79. 269 Vgl. Bienwald, in: Bienwald, § 1901, Rn. 19; Lipp, FS Deutsch, S. 343, 357; Roth, in: Erman, § 1901, Rn. 12. 270 Dies ist von Freier, Humanforschung, S. 80 zuzugestehen. 271 Vgl. § 8a Abs. 2 des Entwurfs, BT-Drs. 16/3146, S. 10, 29. Die Streichung ist bedauerlich. Sie erfolgte einerseits aus Furcht vor einem Tabubruch, andererseits aber auch, weil 267

146 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

schon bzw. waren vorgesehen. Das Fürsorgeprinzip steht einer solchen Regelung nicht entgegen, da es keine absolute Maxime darstellt. Ihr gegenüber steht der Gedanke, dass auch Betreuten größtmögliche Handlungsmöglichkeiten verbleiben müssen und sie nicht schlechter gestellt werden sollen als Einwilligungsfähige. Allerdings gibt es insoweit eine Schranke, als der Widerspruch zum objektiv „Besten“ für den Einwilligungsunfähigen nicht zu groß sein darf, um den Betreuten zu schützen. Daher sind sowohl die Beachtung von Wünschen als auch die Möglichkeit von Schenkungen nicht unbegrenzt möglich. Dies sollte auch für die Forschung gelten, so dass nur geringfügige Eingriffe, die einer Risiko-Nutzen-Abwägung unterliegen, durchgeführt werden dürfen. (c) Zwischenergebnis Die Bindung des gesetzlichen Vertreters an das Wohl des Betroffenen schränkt seine Entscheidungsbefugnis ein. Jedoch können auch nicht medizinisch indizierte Maßnahmen dem Wohl der Person entsprechen. Auch fremdnützige Forschung zählt dazu, wenn weitere, noch zu erarbeitende Schutzkriterien,272 insbesondere eine Risiko-Nutzen-Abwägung, eingehalten werden. (2) Weitere betreuungsrechtliche Einschränkungen Die Erforderlichkeit der Betreuung muss auch bei fremdnütziger Forschung eingehalten werden, hat doch gerade hier der Schutz vor Missbrauch besondere Bedeutung. Auch bei Minderjährigen sollten die Eltern nur bei Erforderlichkeit entscheiden. Die Einwilligungsfähigkeit ist unabhängig von Volljährigkeit oder Geschäftsfähigkeit zu bestimmen.273 Ob jedoch mit Blick auf das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG die Eltern auch bei Einwilligungsfähigkeit ein Entscheidungsrecht haben oder der Minderjährige aufgrund seines Selbstbestimmungsrechts selbst entscheiden kann bzw. Veto- oder Mitbestimmungsrechte hat, ist noch zu untersuchen.274 Auch die Genehmigungspflichten können hier Wirkung entfalten, sollte die Gefahr bestehen. dass der Betreute auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Darüber hinaus Knochenmarkentnahmen bei volljährigen Einwilligungsunfähigen selten vorkommen, vgl. BTDrs. 16/5443, S. 51 f. s. dort auch die Kritik der FDP-Fraktion, dass es durch den vollständigen Ausschluss im Einzelfall zu nicht vertretbaren Situationen kommen könne. Für die Zulässigkeit auch bei dieser Personengruppe: König, Übereinkommen, S. XXX, XXXII; Lomb, Schutz des Lebensorganspenders, S. 94 f.; Zahn, Einwilligungsunfähige, S. 106. Auch der Gesetzgeber hatte bereits früher festgestellt, dass in Ausnahmefällen eine Organspende dem seelischen Wohl des Betreuten dienen kann und dass dieser Fall keiner gesetzlichen Regelung bedarf, da die allgemeinen Vorschriften zum Wohl des Betreuten ausreichten, um sachgemäße Ergebnisse zu erzielen, vgl. BT-Drs. 11/4528, S. 142. 272 s. dazu noch u. S. 162 ff. 273 s. o. zur Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit S. 37 ff. 274 s. ausführlich dazu sogleich sowie S. 147 ff.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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wäre es dem Gesetzgeber möglich, fremdnützige Forschungsmaßnahmen allgemein einer Genehmigungspflicht zu unterwerfen, um dadurch den Schutz des Betreuten noch besser zu gewährleisten. (3) Co-Consent Bei einwilligungsfähigen Betreuten ist ihre Einwilligung allein maßgeblich. Durch die Anordnung einer Betreuung werden sie keinesfalls entmündigt und können daher, sofern sie die Voraussetzungen der Einwilligungsfähigkeit besitzen, selbst und ohne Mitbestimmung durch ihren Betreuer einwilligen.275 Dies gebietet auch der Erforderlichkeitsgrundsatz des Betreuungsrechts.276 Weiterhin ist fraglich, ob ein Co-Consent, die zusätzliche Einwilligung eines gesetzlichen Vertreters trotz Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen, mit dem Selbstbestimmungsrecht vereinbar ist. (a) Co-Consent als Paternalismus Der Co-Consent wäre eine paternalistische Maßnahme des Staates, um den Minderjährigen vor sich selbst zu schützen. Paternalismus beschreibt ein Handeln zum Wohl des Betroffenen, auch gegen dessen Willen.277 Ob Personen durch den Staat vor sich selbst geschützt werden dürfen, auch wenn dies ihrem Willen widerspricht, erscheint fragwürdig. So ist auch die Gurtanlege- und die Helmpflicht eine zweifelhafte Maßnahme. Nach der Rechtsprechung stellen diese Pflichten jedoch keine unzulässige Bevormundung dar, weil auch die Allgemeinheit durch die Vermeidung von Folgekosten durch Verletzungen geschützt werde und die Person weiteren Schaden abwenden könne, wenn schwerere Verletzungen verhindert werden.278 Doch auch bei Schutzmaßnahmen, die lediglich die Person vor sich selbst 275

Vgl. Götz, in: Palandt, § 1904, Rn. 9; Kern, MedR 1991, 66, 68, 70; König, Übereinkommen, S. 64; Pardey, Betreuungs- und Unterbringungsrecht, § 5, Rn. 24; Roth, in: Erman, § 1901, Rn. 20 (zum ärztlichen Heileingriff); Taupitz, Gutachten 63. Deutscher Juristentag, A 67; Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 415; s. auch BT-Drs. 11/4538, S. 141. 276 Kuhlmann, Einwilligung, S. 145. 277 Eidenmüller, JZ 2011, 814, 815; vgl. auch Birnbacher in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, S. 11; Rehbock, EthikMed 2002, 131, 133; sowie Vossenkuhl, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, S. 275, 277. 278 Vgl. mit dieser fragwürdigen Begründung: BVerfG NJW 1982, 1276; NJW 1987, 180; vgl. auch schon BGH NJW 1979, 1363, 1365; OLG Hamm, NJW 1985, 1790 f.; vgl. zu der Diskussion: Dehner/Jahn, JuS 19888, 30, 34 f.; Hillgruber, Schutz des Menschen, S. 161; Lisken, NJW 1985, 3053 ff.; Müller, NJW 1983, 593, 594 f; kritisch zu dieser Argumentation auch Rigopoulou, Grenzen des Paternalismus, S. 98: Es handele sich um eine „Verschleierung der wahren paternalistischen Motive des Gesetzgebers“. Nach Möller, Paternalismus, S. 198 f. sind sowohl die Gurtanlege- als auch die Helmpflicht als paternalistische Maßnahmen erlaubt. Dem ist entgegen zu halten, dass es sich um eine Freiheitseinschränkung handelt, die nicht damit gerechtfertigt werden kann, dass die Person selbst vor Verletzungen geschützt werden soll. Auch die Rechtsprechung erkennt wohl diese Problematik und versucht daher den Kunstgriff über die Begründung, dass Fremdschäden vermeiden werden können.

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schützen sollen, wie die Einführung einer Altersgrenze für eine Geschlechtsumwandlung bei Transsexuellen, sei der Gesetzgeber befugt, Regelungen zu erlassen, die „den Betroffenen daran hindern sollen, sich selbst einen größeren persönlichen Schaden zuzufügen.“279 Auch etwa die Begrenzung des Spenderkreises bei Lebendspenden von Organen280 und die Risiko-Nutzen-Abwägung bei klinischen Prüfungen sind paternalistisch geprägt.281 Der Schutz des Menschen vor sich selbst bedeutet immer auch eine Freiheitseinschränkung, die gerechtfertigt werden muss.282 Nach Hillgruber ist dieser Schutz vor sich selbst allein kein ausreichender gesetzgeberischer Zweck für diesen Eingriff.283 Ausnahmen seien nur zulässig bei nicht selbstbestimmten Entscheidungen, etwa bei Kranken oder bei Kindern und Jugendlichen, deren Selbstbestimmungsrecht durch das elterliche Erziehungsrecht und die Jugendschutzgesetzgebung begrenzt sei.284 Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit paternalistischer Maßnahmen des Staates birgt Schwierigkeiten. Einerseits muss die Selbstbestimmung des Einzelnen respektiert werden, so dass dieser auch als Person geachtet wird. Auf der anderen Seite jedoch hat der Staat auch eine Schutzpflicht in Bezug auf den Körper und die körperliche Unversehrtheit. Es wurde insofern vertreten, dass es auch zu den Aufgaben der Polizei gehöre, „im Hinblick auf den verfassungsmäßig gebotenen Schutz des Lebens zu dessen Bewahrung auch gegenüber einem sich selbst gefährdenden Menschen einzuschreiten.“285 Auch die Menschenwürde wird dazu herangezogen, paternalistische Maßnahmen des Staates zu begründen.286 Die grundsätzliche Funktion der Grundrechte ist es zwar, Freiheiten zu gewährleisten, nicht einzu-

279 BVerfG NJW 1982, 2061. Auch die Unterbingung eines Geisteskranken sei zulässig, wenn er für sich gefährlich ist, BVerfG NJW 1982, 691, 692 f. Dies gelte allerdings nicht, wenn es nur um die Besserung der Person gehe, BVerfG NJW 1967, 1795, 1800. Vgl. auch zu dem aktuellen Problem des Neuro-Enhancements: Lindner, MedDR 2010, 463, 469, nach dem es auch in diesem Bereich gerechtfertigt sei, den Menschen vor sich selbst zu schützen, wenn die Selbstschädigung eine gewisse Intensität erreiche. 280 Kritisch dazu: Gutmann, NJW 1999, 3387, 3388. 281 Vgl. dazu insbesondere Oswald, Die strafrechtlichen Beschränkungen, S. 255 ff., 263. 282 Hillgruber, Schutz des Menschen, S. 116, 120 f. 283 Hillgruber, Schutz des Menschen, S. 120 f. 284 Hillgruber, Schutz des Menschen, S. 122 ff; vgl. auch Rigopoulou, Grenzen des Paternalismus, S. 73 ff., die aufgedrängten staatlichen Schutz für illegitim hält, es sei denn es handelt sich um defizitäre Entscheidungen Minderjähriger oder Geisteskranker; vgl. auch so: Woitkewitsch, Schutz des Täters, S. 38 ff. 285 BayObLG NJW 1989, 1815, 1816; dagegen: Rigopoulou, Grenzen des Paternalismus, S. 60 f. 286 BVerwG NJW 1982, 664; NVwZ 1990, 668 (jeweils zu Peep-Shows); VG Neustadt NvwZ 1993, 98, 99 (Zwergenweitwurf). Allerdings diente die Menschenwürde jeweils zur Ausfüllung des Begriffs der guten Sitten; dagegen: Fischer, Selbstschädigung, S. 200; Rigopoulou, Grenzen des Paternalismus, S. 62.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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schränken.287 Die Würde des Menschen könnte jedoch die Handlungsfreiheit beschränken. Sie stellt einen Wert dar, über den eine Person selbst nicht verfügen darf. So darf und muss der Gesetzgeber etwa verbieten, dass eine Person sich selbst in die Sklaverei verkauft,288 da dies mit der Würde des Menschen schlechthin unvereinbar ist. Insoweit könnte es daher auch verfassungsrechtlich zulässig sein, dass der Staat eine selbstbestimmte Entscheidung nicht respektiert, denn durch eine Anerkennung dieser Entscheidung würde er die Missachtung der Menschenwürde akzeptieren, die er jedoch zu schützen verpflichtet ist. Eine Rechtfertigung der Einschränkung der Handlungsfreiheit könnte daher mittels der Menschenwürde und der Schutzpflicht des Staates möglich sein. Dagegen spricht jedoch, dass gerade die Menschenwürde es gebietet, die eigenverantwortliche Entscheidung einer Person zu respektieren.289 Die Würde wäre durch den Staat also auch missachtet, wenn er die Entscheidung nicht akzeptiert, so dass er sich in einem Dilemma befindet. Daher müssen weitere Faktoren hinzutreten, damit eine paternalistische Maßnahme erlaubt ist, denn der Schutz des Menschen vor sich selbst reicht danach als Gesetzgebungszweck alleine nicht aus. Die Menschenwürde kann nicht gleichrangig dem Recht auf Selbstschädigung, das man etwa aus dem Selbstbestimmungsrecht ableiten kann, entgegengehalten werden.290 Schließlich kann auch die Verwirklichung des Ziels paternalistischer Maßnahmen, ein „gutes Leben“ zu fördern, nicht nachgewiesen werden.291 Als Anknüpfungspunkt für eine Legitimation kommt der Schutz der Gesellschaft in Betracht: Paternalistische Maßnahmen sollen die Unantastbarkeit von Verboten in den Vordergrund stellen und damit die Verletzung bestimmter Rechtsgüter tabuisieren.292 Außerdem können Rechte anderer Rechtsträger durch Selbstschädigungen beeinträchtigt und belästigt sein, so dass eine Verhinderung des schädigenden Verhaltens gerechtfertigt werden können.293 Darüber hinaus können Entscheidungen, die die Verletzung bestimmter Rechtsgüter in erheblichem Maß betreffen, ein Indiz für eine fehlende Eigenverantwortlichkeit darstellen.294 Dies kann besonders für die 287

Vgl. auch Gutmann, NJW 1999, 3387, 3388. Vgl. Eidenmüller, JZ 2011, 814, 815, der dies als Wertepaternalismus bezeichnet. 289 Rigopoulou, Grenzen des Paternalismus, S. 62. Die Grundrechte dürfen auch nicht in Grundpflichten umgedeutet werden, vgl. nur Woitkewitsch, Schutz des Täters, S. 40 ff. 290 Fischer, Selbstschädigung, S. 200. Ebenso ist eine Rechtfertigung mittels des Sozialstaatsprinzips oder des Sittengesetzes nicht möglich, vgl. Fischer, Selbstschädigung,S. 256 ff. sowie Möller, Paternalismus, S. 131 f. 291 Möller, Paternalismus, S. 119; vgl. auch Paeffgen, FS BGH, S. 695, 697 ff.: Eine Berechtigung des Staates, den Grundrechtsträger zwangsweise zu „beglücken“, könne es nicht geben, ebenso wie eine Rechtspflicht, die jemanden zwänge, sich gesund zu erhalten. 292 So zu § 216 StGB, nicht aber zu § 228 StGB: Sternberg-Lieben, Schranken der Einwilligung, S. 117 f., 123; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9, Rn. 18. 293 Fischer, Selbstschädigung, S. 201 ff. 294 Vgl. zur Risiko-Nutzen-Abwägung: Oswald, Die strafrechtlichen Beschränkungen, S. 257 ff.; anders hingegen: von Freier, Humanforschung, S. 356 f., der objektive For288

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Entscheidung zum Suizid oder das oben genannte Beispiel des selbst gewählten Verkaufs in die Sklaverei gelten, den der Staat nicht unterstützen darf.295 Darüber hinaus ist Paternalismus zulässig, wenn kein selbstbestimmter Wille ermittelt werden kann und daher ein Handeln zum Wohle des Betroffenen angezeigt ist.296 Wenn keine Selbstbestimmung vorhanden ist, ist Paternalismus die einzige Möglichkeit des Handelns für den Betroffenen und im Eilfall durch Fürsorge geboten. Bei Entscheidungen, die insbesondere aufgrund fehlender Einwilligungsfähigkeit nicht auf Selbstbestimmung beruhen, greift die staatliche Schutzpflicht durch und legitimiert paternalistische Maßnahmen. Kann nicht ermittelt werden, was dem Willen der Person entspricht, so muss nach dem objektiven Interesse entschieden werden.297 Dies kann allerdings nur gelten, sofern die Wünsche oder der Wille der einwilligungsunfähigen Person überhaupt nicht bestehen oder ermittelt werden können, wie etwa bei kleinen Kindern oder Notfallpatienten, bei denen keine Anhaltspunkte für ihren Willen zu finden sind. Der natürliche Wille auch einer einwilligungsunfähigen Person muss grundsätzlich beachtet werden, um der Würde der Person gerecht zu werden.298 Ob ein Co-Consent bei einwilligungsfähigen Minderjährigen aus diesen Gründen zulässig ist, erscheint jedoch fraglich. Der Eingriff in die Freiheit des Minderjährigen zugunsten der Mitwirkung der Eltern könnte durch das Elternrecht und die Wertung des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG gerechtfertigt sein. Die Erziehung des Kindes ist das Recht der Eltern. Dies gilt nach §§ 2, 1626, 1629 BGB bis zum achtzehnten Lebensjahr. Allerdings haben sie nach § 1626 Abs. 2 S. 1 BGB die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln zu berücksichtigen. Es handelt sich um ein pflichtgebundenes Recht zum Wohle des Kindes.299 Dies markiert die Innenschranke der elterlichen Sorge.300 In schungsregeln mit der institutionellen Garantie eines durch den Heilauftrag geprägten Arzt-Patienten-Verhältnisses legitimiert. Möller, Paternalismus, S. 179 ff., 187 legimiert Paternalismus auf einem ähnlichen Weg, indem er eine Rechtfertigung mittels des eigenen Integritätsinteresse für möglich hält: Paternalismus sei umso eher zulässig als sich „der Betroffene in Widerspruch zu seiner eigenen Integrität setzt“, es gehe also um das Verhältnis zwischen dem Ziel, das die Person verfolgt und dem Risiko, das sie eingeht. Dieser Ansatz ist jedoch vergleichbar mit einer Begründung über die Schutzpflicht des Staates. 295 Vgl. dazu auch § 216 StGB sowie BayObLG NJW 1989, 1815, 1816. 296 Uneinheitlich ist dabei die Beurteilung, ob Maßnahmen bei nicht eigenverantwortlich Handelnden überhaupt unter den Paternalismusbegriff fallen, vgl. Birnbacher, in: v. Hirsch/ Neumann/Seelmann, S. 11 ff.; Dworkin, Paternalism, abrufbar unter http://plato.stanford.edu/ar chives/sum2010/entries/paternalism/, nach denen sich die Maßnahmen gegen einen Willen richten müssen; Nach Rehbock, EthikMed 2002, 131, 133 stellt sich das Paternalismusproblem hingegen am stärksten bei einwilligugnsunfähigen Personen. 297 Vgl. noch zum mutmaßlichen Willen u. S. 188 ff. 298 Vgl. dazu noch im Folgenden in Bezug auf Minderjährige sowie noch u. S. 154 ff. zum Vetorecht. 299 BVerfGE 59, 360, 387; vgl. auch BVerfGE 75, 201, 288. 300 Belling/Eberl/Michlik, Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger, S. 126.

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dem Umfang, in dem das Kind mündig wird, wird das Elternrecht überflüssig.301 Das Bundesverfassungsgericht leitet daraus ab, dass in den verschiedenen Lebensbereichen jeweils eine Abwägung zwischen Erziehungsbedürftigkeit und Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen getroffen werden muss.302 Das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen bildet folglich eine Außenschranke der Sorge.303 Führt man eine solche Abwägung bei ärztlichen Eingriffen, insbesondere bei der Forschung durch, so sind dabei die besondere Situation und der Persönlichkeitsbezug zu berücksichtigen. Auf der einen Seite handelt es sich bei kranken Studienteilnehmern um eine Situation, in der sie unter Umständen unter Druck geraten können oder stark unter dem Einfluss des behandelnden Arztes stehen.304 Die zusätzliche Einwilligung der Eltern könnte daher einen Schutz vor „schädlicher Nachgiebigkeit“ bewirken.305 Allerdings kann dies nicht in jedem Fall gelten. Bei gesunden Probanden etwa ist nicht von einer Drucksituation auszugehen. Außerdem ist es – auch wenn ein Co-Consent nicht notwendig ist – erlaubt, den Minderjährigen zu beraten. Eine zwingende Mitbestimmung durch die Eltern würde aber das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen entwerten.306 Es wird nur im negativen Sinn gewahrt. Gegen seinen Willen findet keine klinische Prüfung an ihm statt. Im positiven Sinn findet aber eine Fremdbestimmung statt, denn der Minderjährige kann – selbst wenn er einwilligungsfähig ist – nicht ohne Einwilligung der gesetzlichen Vertreter an einer klinischen Prüfung teilnehmen. Obwohl er also keiner Fremdbestimmung mehr bedarf, wird ihm diese aufgezwungen. Dies könnte damit erklärt werden, dass unerprobte Arzneimittel besonders gefährlich sind und eine Abweichung vom Standard vorliegt.307 Die Schwelle der Einwilligungsfähigkeit ist jedoch durch diese Gefährlichkeit schon sehr hoch, denn sie steigt proportional mit der Höhe der Risiken und Belastungen. Sollte ein Minderjähriger bezüglich solch gefährlicher Eingriffe einwilligungsfähig sein, so ist nicht einzusehen, warum dennoch die gesetzlichen Vertreter zustimmen müssen. Des Schutzes durch die Eltern bedarf der Minderjährige dann nicht mehr. Es wäre also eine rein paternalistische Maßnahme, die nicht durch eine fehlende Selbstbestimmungsfähigkeit angezeigt ist. Ein weiterer Erklärungsversuch für den Co-Consent besteht in der fehlenden Möglichkeit des Minderjährigen zum Abschluss eines Vertrags über die Teilnahme 301

BVerfGE 59, 360, 387. BVerfGE 59, 360, 387. 303 Vgl. Belling/Eberl/Michlik, Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger, S. 126. 304 Vgl. Amelung, Vetorechte beschränkt Einwilligungsfähiger, S. 26. 305 Amelung, Vetorechte beschränkt Einwilligungsfähiger, S. 26; Taupitz, Gutachten 63. Deutscher Juristentag, A 64, ähnlich: Kothe, AcP 1985, 105, 148. 306 Vgl. Seizinger, Konflikt zwischen dem Minderjährigen und seinem gesetzlichen Vertreter, S. 83; Schmidt-Elsaeßer, Medizinische Forschung an Kindern und Geisteskranken, S. 223; für ein alleiniges Entscheidungsrecht unter bestimmten Umständen auch: Dahl/Wiesemann, EthikMed 2001, 87, 108. 307 Wachenhausen, Medizinische Versuche, S. 143. 302

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an der klinischen Prüfung.308 Auch dem ist jedoch zu widersprechen: Die Einwilligungsfähigkeit ist gerade nicht an die Geschäftsfähigkeit angelehnt. Auch bei einer Heilbehandlung ist daher der Vertragsschluss von der Einwilligung in die Maßnahme zu unterscheiden. (b) Alternative Lösungsvorschläge Zur Auflösung des Konflikts wird auch vorgeschlagen, die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters habe eine Kontrollfunktion und dürfe nur verweigert werden, wenn die Voraussetzungen der Einwilligung des Einwilligungsfähigen nicht vorlägen, weil etwa ein Irrtum vorliegt oder die Aufklärung nicht ausreichend ist.309 Eine weitergehende Verweigerung sei rechtsmissbräuchlich und könne durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden.310 Die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters würde dann nur noch eine zusätzliche Schutzfunktion haben. Darüber hinaus wäre es möglich, dass das Elternrecht mit zunehmender Verantwortung des Minderjährigen zu einem Aufsichtsrecht wird und nur zum Entscheidungsrecht erstarkt, wenn der Minderjährige aus sachfremden Erwägungen einwilligt.311 Auch kommt ein Stufensystem in Betracht, das die Entscheidungsbefugnis je nach Grad der Gefährdung und der Einsichts- und Urteilsfähigkeit variiert.312 Des Weiteren wird vorgeschlagen, dass der gesetzliche Vertreter als weitere Instanz die Eigenverantwortlichkeit des Minderjährigen beurteilt und seine Einwilligung dessen selbstbestimmter Entscheidung unterzuordnen hat.313 Diese Lösungsvorschläge führen aber zu Verzögerungen und enthalten eine Schranke für den einwilligungsfähigen Minderjährigen, die nicht mehr legitimierbar ist. Es ist hervorzuheben, dass die Entscheidung über die Teilnahme an einer Forschungsmaßnahme einen persönlichen Charakter hat. Obwohl der Minderjährige in der Lage wäre, zu verstehen, abzuwägen und sich zu entscheiden, wäre er fremdbestimmt. Diese Fremdbestimmung darf aber nur so lange wie nötig hingenommen werden. Sobald der Minderjährige nach der oben formulierten Definition selbst einwilligungsfähig ist, entfällt die Notwendigkeit einer Mit- und damit Fremdbestimmung. Eine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts kann nicht mehr mit 308

Wachenhausen, Medizinische Versuche, S. 143. Schmidt-Elsaeßer, Medizinische Forschung an Kindern und Geisteskranken, S. 225. Ähnlich auch: Duttge, in: Breitsameter, S. 34, 50 f.: Eine Information der Eltern ohne Einräumung einer Interventionsbefugnis sei wenig sinnvoll und der Personensorge nicht adäquat. 310 Schmidt-Elsaeßer, Medizinische Forschung an Kindern und Geisteskranken, S. 225. 311 Lenckner, ZStW 1960, 446, 463. 312 Coester-Waltjen, MedR 2012, 553, 559. Bei der ersten Stufe bestehe bei wenig gravierenden Eingriffen eine Alleinentscheidungsbefugnis des Minderjährigen, wenn er einsichtsund urteilsfähig ist, bei gravierenden Eingriffen sei in der zweiten Stufe ein Co-Consent erforderlich. Die dritte Stufe sei erreicht, wenn der Minderjährige nicht einsichts- und urteilsfähig sei, so dass ihm ein Vetorecht zustünde. Könnte, wie in der vierten Stufe, kein natürlicher Wille gebildet werden, bestehe ein Alleinentscheidungrecht der Eltern. 313 Oswald, Die strafrechtlichen Beschränkungen, S. 232. 309

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dem Schutz des Minderjährigen gerechtfertigt werden. Dieser kann nunmehr selbst seinen Schutz gewährleisten und bedarf daher keiner zustimmenden Entscheidung der Eltern mehr. Dem Minderjährigen muss bei solch persönlichen Entscheidungen mithin ein Alleinentscheidungsrecht zustehen.314 Das elterliche Sorgerecht soll im Interesse des Minderjährigen ausgeübt werden, aber nur, sofern es notwendig ist.315 Ist ein Minderjähriger einwilligungsfähig, entfällt aber diese Notwendigkeit. Auch ein Kontrollrecht ist nicht erforderlich. Stellen die Eltern fest, dass der Minderjährige unter einem Irrtum leidet, könnten sie diesen Irrtum auch aufklären. Es ist nicht ersichtlich, warum sie stattdessen eine Einwilligung verweigern sollten. Ebenso bedarf es bei bestehender Einwilligungsfähigkeit keines Aufsichtsrechts. Entscheidet ein Minderjähriger aus völlig sachfremden Erwägungen, etwa um seine Eltern zu ärgern, so ist schon zweifelhaft, ob er überhaupt einwilligungsfähig ist. Unvernünftige Entscheidungen bedeuten zwar nicht, dass der Person die Einwilligungsfähigkeit abgesprochen werden muss. Eine genauere Prüfung der Einwilligungsunfähigkeit kann jedoch angezeigt sein. Auch mit möglichen Unsicherheiten bei der Feststellung der Einwilligungsfähigkeit kann ein Co-Consent nicht legitimiert werden.316 Zur Absicherung des Arztes ist auch keine kumulative Einwilligung notwendig, denn bei Zweifeln an der Einwilligungsfähigkeit ist eine eingehende Prüfung vorzunehmen, die bei Forschungsmaßnahmen wegen der meist nicht notwendigen Eile auch möglich ist. Unterbleibt eine solche eingehende Prüfung, so kann der Arzt dem Vorwurf der Fahrlässigkeit ausgesetzt sein. Durch diese Prüfung wird jedoch gewährleistet, dass der Minderjährige nur so lange wie nötig fremdbestimmt ist. Der Co-Consent ist folglich nicht mit dem Selbstbestimmungsrecht vereinbar. Freilich wird es in der Praxis vorkommen, dass Ärzte dennoch beide Einwilligungen einholen, um sicher zu gehen. Von Relevanz ist aber der Fall, in dem die Eltern ihre Einwilligung verweigern. Dann kommt es nach der hier vertretenen Ansicht nur auf die Einwilligung des Minderjährigen an. Ob eine Teilnahme dann möglich ist, kommt darauf an, ob zivilrechtlich der Abschluss des Forschungsver314

Belling/Eberl/Michlik, Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger, S. 126, 135; Paino-Staber, Gesetzliche Vertretung, S. 145; einschränkend: Reuter, Kindesgrundrechte, S. 212, der nur bei einer Operation, die lebensgestaltend ist, das Entscheidungsrecht dem Minderjährigen zugesteht; Rouka, Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen, S. 39; Schmidt-Elsaeßer, Medizinische Forschung an Kindern und Geisteskranken, S. 219 (sofern nicht gesetzlich normiert); Spickhoff, AcP 2008, 345, 390; Zipf, Einwilligung, S. 43; zum Strafrecht: Schlehofer, in: MüKo-StGB, vor §§ 32 ff. Rn. 142 sowie Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 111; a.A.: Amelung, Vetorechte beschränkt Einwilligungsfähiger, S. 26; Jäger, Mitspracherechte Jugendlicher, S. 146; Taupitz, Gutachten 63. Deutscher Juristentag, A 64. 315 Vgl. Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 56; anders aber Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 34 f., der wegen der Verantwortlichkeit der Eltern für das Kind bis zur Volljährigkeit die zwingende Beteiligung der Eltern für notwendig hält. 316 So aber Freund, in: MüKo-StGB, §§ 40 – 42b AMG, Rn. 32. Auch Köhler, AT, S. 252 begründet das Erfordernis der Einwilligung der Eltern u. a. mit der sonst zu erwartenden Rechtsunsicherheit.

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trags trotz nur beschränkter Geschäftsfähigkeit bei Einwilligungsfähigkeit bejaht werden kann. Eine diesbezügliche Erörterung ginge hier aber zu weit. (c) Gleichbehandlung mit Volljährigen Darüber hinaus ist zu prüfen, ob Einwilligungsfähige, die minderjährig sind, anders behandelt werden dürfen als solche, die volljährig sind. Es geht dabei auch um die Frage der Gleichbehandlung von einwilligungsfähigen und einwilligungsunfähigen Minderjährigen. Dürfen minderjährige Einwilligungsfähige nicht alleine in eine ärztliche Maßnahme einwilligen oder keine antizipierten Einwilligungserklärungen abgeben,317 werden sie gegenüber Volljährigen ungleich behandelt. Das Differenzierungskriterium für die Ungleichbehandlung von Minderjährigen und Volljährigen, deren Oberbegriff die einwilligungsfähige Person ist, ist das Alter. Ob dieses verfassungsrechtlich zulässig ist, kann bezweifelt werden. Man könnte die Differenzierung mit dem Schutzbedürfnis junger Menschen begründen. Jedoch geht es um die Einwilligung in eine ärztliche Maßnahme und dabei sollte es allein auf die Einwilligungsfähigkeit ankommen. Eine Differenzierung, die sich nicht darauf bezieht, sondern nur auf das Alter, kann dem Selbstbestimmungsrecht nicht gerecht werden. Auch das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG kann die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen, da es bei wachsenden Fähigkeiten des Kindes gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht zurücktritt. Hierbei wird auch deutlich, dass die paternalistische Maßnahme nicht mit dem Tabuisierungsgedanken gerechtfertigt werden kann, da eine Einwilligung in Forschungsmaßnahmen auch Volljährigen erlaubt ist und daher nicht „tabu“ ist. Folglich müssen minderjährige Einwilligungsfähige ebenso wie volljährige die Möglichkeit haben, selbst und alleine in eine ärztliche Maßnahme einzuwilligen. Der Co-Consent bei einwilligungsfähigen Minderjährigen stellt eine nicht gerechtfertigte, paternalistische Maßnahme dar, die daher nicht mit dem Grundgesetz in Einklang steht. (4) Vetorecht bezüglich einzelner Maßnahmen (a) Beachtlichkeit einer Ablehnung Nicht nur Ziffer 29 der Deklaration von Helsinki, auch die Art. 4 lit. c, 5 lit. c der Richtlinie 2001/20/EG sowie § 40 Abs. 4 Nr. 3 AMG gehen von der Beachtlichkeit einer ablehnenden Entscheidung von einwilligungsfähigen Personen aus. Fraglich ist aber, ob bei einem Verzicht auf ein Vetorecht die Würde des Betroffenen verletzt wird. Gerade im Bereich der Forschung am Menschen könnte der Vorwurf einer Instrumentalisierung nahe liegen, wenn eine Ablehnung der Person unbeachtlich wäre. 317 Für eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG bei der Patientenverfügung: Müller, DNotZ 2010, 169, 182; Schumann, FPR 2010, 474, 478; Taupitz, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 2010, 155, 161.

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Nach von Freier ist der natürliche Wille unbeachtlich. Bei einem privatrechtlichen Verständnis der Betreuung, die sich demzufolge aus der durch den natürlichen Anspruch auf Personalität gebotenen Fürsorge herleiten lasse, sei widerspruchsfrei kein Vetorecht möglich.318 Dem ist zu widersprechen. Es ist durchaus denkbar, den Willen des Betroffenen, auch wenn er nicht einwilligungsfähig ist und daher nicht rechtserheblich entscheiden kann, zu berücksichtigen. Gerade eine Beachtung des Willens verdeutlicht seine Personalität und wird seiner Würde gerecht. Darüber hinaus tritt der Gedanke der Fürsorge zurück, je weiter man sich von eigennützigen Maßnahmen entfernt. Es bedarf daher einer Differenzierung zwischen fremd- und eigennütziger Forschung. Eine Duldungspflicht fremdnütziger Forschung ohne Widerspruchsrecht würde Einwilligungsunfähige zu einem Objekt herabstufen, so dass ihre Würde nach Art. 1 Abs. 1 GG verletzt wäre. Der Proband bzw. Patient würde gezwungen, Forschungsmaßnahmen ohne eigenen Nutzen an sich zu dulden. Damit würde er Mittel zum Zweck. Daher ist der „dissent“ bei fremdnütziger Forschung grundsätzlich zu beachten.319 Ohne ein Vetorecht des Einwilligungsunfähigen nähert sich deren Einbeziehung einer Rechtspflicht an. Das Vetorecht stellt ein erhebliches Kriterium für die Unterscheidung zu einer Sozialpflicht dar. Auch wird dadurch verhindert, dass der Einwilligungsunfähige zum willenlosen Objekt des Eingriffs wird, und diesem zwangsweise unterworfen werden kann. Die Unbeachtlichkeit einer Ablehnung bei fremdnützigen Maßnahmen würde dazu führen, dass der Einwilligungsunfähige nicht mehr als Subjekt, als Mensch, wahrgenommen wird, sondern als „Rohstoff für die Forschung“. Daher ist die Beachtlichkeit eines Vetos zwingend im Hinblick auf die Würde der Person. Eine Einschränkung könnte aber bei einer Gefahr für das Leben als Notstandsgrenze bestehen.320 Dann würde dem Einwilligungsunfähigen trotz seines aus der Menschenwürde abgeleiteten Ablehnungsrechts eine Maßnahme aufgezwungen. In diesem Fall geht es jedoch auch nicht um rein fremdnützige Maßnahmen, so dass die Würde nicht derart beeinträchtigt ist. Hier besteht der Konflikt zwischen dem Selbstbestimmungsrecht und dem Fürsorgeprinzip.321 Bei Heilversuchen kann eine 318

von Freier, Humanforschung, S. 71. Zu Betreuten im Ergebnis ebenso, aber mit anderer Begründung: von Freier, Humanforschung, S. 76; de lege ferenda auch Hoffmann, in: Brill, S. 122, 142; für eine Beachtlichkeit auch bei eigennütziger Forschung: Helmchen, in: Taupitz, S. 83, 114. 320 So Amelung, Vetorechte beschränkt Einwilligungsfähiger, S. 22 ff.; vgl. auch Böse, FS Roxin, S. 523, 528. 321 Vgl. zum Heileingriff: Golbs, Vetorecht, S. 137; ähnlich: Heide, Zwangsbehandlung, S. 172. Dies ergibt sich auch aus der einfach-gesetzlichen Ausgestaltung: Betreuer und Eltern sind gemäß § 1901 Abs. 3 bzw. § 1626 Abs. 2 BGB verpflichtet, die Wünsche der Vertretenen zu berücksichtigen. Jedoch müssen sie nach § 1901 Abs. 2 S. 1 bzw. § 1627 BGB ihre Befugnisse zum Wohl der Vertretenen ausüben. Bei Betreuten gilt nach § 1901 Abs. 2 S. 1 BGB, dass Wünsche nur berücksichtigt werden sollen, soweit dies dem Wohl des Betreuten nicht zuwiderläuft. Dies verdeutlicht, dass Äußerungen bei eigennützigen Maßnahmen nur ein Teil 319

156 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Zwangsbehandlung erforderlich sein, gerade auch weil der Einwilligungsunfähige den möglichen Nutzen für sich nicht absehen kann.322 Insofern kann daher Paternalismus zulässig sein, wenn eine selbstbestimmte, eigenverantwortliche Entscheidung nicht vorliegt und die Schutzpflicht des Staates ein Eingreifen erfordert. Zwar sind Betreuer und Eltern gemäß § 1901 Abs. 3 bzw. § 1626 Abs. 2 BGB verpflichtet, die Wünsche der Vertretenen zu berücksichtigen. Jedoch müssen sie nach § 1901 Abs. 2 S. 1 bzw. § 1627 BGB ihre Befugnisse zum Wohl der Vertretenen ausüben. Bei Betreuten gilt nach § 1901 Abs. 2 S. 1 BGB, dass Wünsche nur berücksichtigt werden sollen, soweit dies dem Wohl des Betreuten nicht zuwiderläuft. Dies verdeutlicht, dass Äußerungen bei eigennützigen Maßnahmen nur ein Teil der Abwägung einnehmen, die der gesetzliche Vertreter vorzunehmen hat.323 Dies gebietet auch die Schutzpflicht des Staates für die körperliche Unversehrtheit.324 Sollte es sich nicht nur um eine Behandlungsalternative handeln, so ist die Ablehnung daher unbeachtlich.325 Das Bundesverfassungsgericht und nunmehr § 1906 Abs. 3 BGB haben die Voraussetzungen einer zulässigen Zwangsbehandlung im Rahmen einer Unterbringung festgelegt: Wenn der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann, zuvor versucht wurde, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen, die ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen der Unterbringung zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden, der erhebliche gesundheitliche Schaden durch keine andere dem Betreuten zumutbare Maßnahme abgewendet werden kann und der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt,326 so kann auch eine Zwangsbehandlung verder Abwägung einnehmen, die der gesetzliche Vertreter vorzunehmen hat; vgl. auch Mayer, Medizinische Maßnahmen an Betreuten, S. 106; Schlehofer, in: MüKo, vor §§ 32 ff., Rn. 142. 322 Vgl. auch Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 178, der ein ablehnendes Verhalten bei Forschungsmaßnahmen nur dann nicht berücksichtigen will, wenn eine Behandlung außerhalb einer Studie nicht möglich ist, etwa wegen bestimmter Apparaturen. Nach von Freier, Humanforschung, S. 76 sei die Ablehnung von Betreuten nur zu beachten, wenn sie die Verlängerung des antizipiert erklärten Willens ist oder die Zwangsbehandlung das Wohl stärker beeinträchtigt als der ungehinderte Krankheitsverlauf. 323 Mayer, Medizinische Maßnahmen an Betreuten, S. 106; Schlehofer, in: MüKo-StGB, vor §§ 32 ff., Rn. 142. 324 Vgl. zur Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 GG: BVerfG NJW 1975, 573; NVwZ 2010, 702. Mit dieser Tendenz in Bezug auf die Heilbehandlung wohl auch BT-Drs. 11/4528, S. 72, 141, allerdings unter Ablehnung der Schaffung einer Regelung zur Zwangsbehandlung. Vgl. nun § 1906 Abs. 3, 3a BGB. 325 Rothärmel, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung, S. 180 geht davon aus, dass jede Teilnahme an einer Studie eine Behandlungsalternative darstelle, so dass die Ablehnung zu akzeptieren sei. 326 Vgl. § 1906 Abs. 3 BGB, vgl. dazu Dodegge, NJW 2013, 1265 ff.; BVerfG NJW 2011, 2113, 2116 f.; BT-DRs. 17/11513.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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hältnismäßig sein. Dazu müssen jedoch auch verfahrensrechtliche Absicherungen vorgesehen werden.327 Dadurch wird sichergestellt, dass dem Willen des Betreuten so weit wie möglich gefolgt wird, ohne ihn dabei einer erheblichen Gefahr auszusetzen. Eine solche Regelung könnte auch für die ambulante Behandlung geschaffen werden.328 Bei einwilligungsunfähigen Minderjährigen sind Eingriffe, die nur relativ indiziert, also aufschiebbar sind, bis zur Einwilligungsfähigkeit bei einem Veto entsprechend zu verschieben.329 Zusammenfassend ist also ein Vetorecht bei fremdnützigen Eingriffen wegen des besonderen Bezugs zur Würde zwingend notwendig, bei eigennützigen Eingriffen ist eine Zwangsbehandlung unter engen Voraussetzungen zulässig. (b) Vetofähigkeit Welche kognitiven und voluntativen Voraussetzungen ein Einwilligungsunfähiger erfüllen muss, damit sein „dissent“ beachtlich ist, ist nicht abschließend geklärt. Die Anforderungen an die Vetofähigkeit sind in jedem Fall geringer als die der Einwilligungsfähigkeit.330 Auch in § 2 Abs. 2 S. 3 Transplantationsgesetz sind die Anforderungen an die Einwilligung höher als an die des Widerspruchs, der bereits ab Vollendung des 14. Lebensjahres, mithin 2 Jahre früher als die Einwilligung erklärt werden kann.331 Der Bundesgerichtshof setzt eine „ausreichende Urteilsfähigkeit“ voraus, ohne dabei jedoch darauf einzugehen, worauf sich diese beziehen muss.332 Teils wird auch ein vom „natürlichen Willen getragener Widerstand“ gefordert.333 Andere wiederum differenzieren: Nach der Ansicht Amelungs kommt es auf den Grund des Vetorechts an: Bei „Vernunft-Vorbehalten“ seien Teilfähigkeiten erforderlich, nämlich die Fähigkeit, die Tragweite des Verlusts zu erfassen. Bei „WürdeVorbehalten“ seien die Fähigkeiten noch weiter zu senken.334 Gemäß der Definition von Golbs muss die ablehnende Person die Willensäußerung ernst meinen. Das Veto

327

BVerfGE NJW 2011, 2113, 2117; vgl. § 1906 Abs. 3a BGB, §§ 312 ff. FamFG. Vgl. auch Dodegge, NJW 2013, 1265, 1270; vgl zur Zulässigkeit einer ambulanten Zwangsbehandlung: Böse, FS Roxin, S. 523 ff. 329 BGH NJW 2007, 217, 218; vgl. auch Koch, in: Eser/von Lutterotti/Sporken, Sp. 604. 330 Amelung, ZStW 1992, 821, 832; Böse, FS Roxin, S. 523, 529 f.; Golbs, Vetorecht, S. 198; Helmchen/Lauter, Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen?, S. 37; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, V, Rn. 43; Taupitz, Biomedizinische Forschung, S. 104; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 110; ders., in: Laufs/Kern, § 139 Rn. 47; Voll, Einwilligung im Arztrecht, S. 219. 331 Vgl. dazu auch Böse, FS Roxin, S. 523, 529 f. 332 BGH NJW 2007, 217, 218. 333 Lipp, in: Laufs/Latzenmeier/Lipp, XIII, Rn. 102. 334 Amelung, ZStW 1992, 821, 832; ders., Vetorechte beschränkt Einwilligungsfähiger, S. 20 ff. 328

158 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

müsse eine gewisse Kontinuität aufweisen, beurteilt aus der subjektiven Sicht der Person nachvollziehbar und aus der konkreten Situation heraus vertretbar sein.335 Den beiden erstgenannten Kriterien ist zuzustimmen. Weder eine Scherzerklärung noch eine nur kurzzeitige Ablehnung ist zu beachten. Das Veto kann wie die Einwilligung widerrufen werden, wenn es also durch eine Zustimmung ersetzt oder davon Abstand genommen wird, ist es unbeachtlich. Die Nachvollziehbarkeit und Vertretbarkeit stellen jedoch zu hohe Anforderungen. Bei der Nachvollziehbarkeit sollen unter anderem die Motive und Hintergründe der Verweigerung ermittelt werden.336 Gerade im würderelevanten Bereich sollten die Beweggründe für eine Ablehnung aber unbeachtlich sein. Es spielt keine Rolle, warum eine Person eine Behandlung ablehnt. Zum Schutz vor einer Instrumentalisierung ist eine Überprüfung der Motive ausgeschlossen. Zur Ermittlung der Vertretbarkeit sollen Lebensauffassung, Zukunftsabsichten und Wertvorstellungen der Person untersucht werden.337 Auch dies muss aber außer Betracht bleiben. Das Vorhandensein dieser Fähigkeiten stellt eine hohe Hürde dar, die nur selten bei Einwilligungsunfähigen erfüllt sein wird. Einer so großen Gruppe von Einwilligungsunfähigen die Vetofähigkeit zu versagen würde dem Schutz der Würde aber zuwiderlaufen. Mithin ist aufgrund der besonderen Bedeutung der Würde für die Vetofähigkeit ausreichend, wenn eine Willensäußerung ernst gemeint ist und die Ablehnung nicht widerrufen wird. (5) Erforderlichkeit eines assents Um gerade bei einer gesetzlichen Vertretung dem Selbstbestimmungsrecht Genüge zu tun könnte die Verbindlichkeit eines assents erforderlich sein. Anders als beim Vetorecht wäre eine positive Zustimmung erforderlich. Dabei ist zunächst fraglich, welche Anforderungen an die „Zustimmungsfähigkeit“, der Fähigkeit zum „assent“ gestellt werden. Diese müssten unterhalb der Anforderungen der Einwilligungsfähigkeit liegen. In Betracht kommt eine „beschränkte“ Einwilligungsfähigkeit, wenn die Person zwar nicht uneingeschränkt einwilligungsfähig ist, aber einen Willen bilden und diesen kundgeben kann.338 Die Konstruktion der beschränkten Einwilligungsfähigkeit erinnert an die beschränkte Geschäftsfähigkeit nach den §§ 106 ff. BGB. Dort wird bezweckt, den Minderjährigen allmählich in den Rechtsverkehr einzuführen, indem man ihn beispielsweise lediglich rechtlich vorteilhafte Geschäfte alleine vornehmen lässt,339 grundsätzlich 335

Golbs, Vetorecht, S. 198. Golbs, Vetorecht, S. 199. 337 Golbs, Vetorecht, S. 198 f. 338 So § 2 Abs. 2 der Marburger Richtlinien zur Forschung mit einwilligungsunfähigem und beschränkt einwilligungsfähigen Personen der Kommission für Ethik in der ärztlichen Forschung der Phillips-Universität Marburg, abgedruckt bei Freund/Heubel, MedR 1997, 347, 348 ff sowie bei Freund, in: Dörr/Grimm/Neuer-Miebach, 225, 227 ff.; diese Unterscheidung übernehmend: Freund, in: MüKo-StGB, §§ 40 – 42b AMG, Rn. 35 ff. 339 Vgl. § 107 BGB. 336

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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aber die Zustimmung der Eltern fordert. Im Gegensatz zu den §§ 106 ff. BGB, die insbesondere vermögensschützenden Charakter haben, hat die Frage der Einwilligungsfähigkeit einen stärkeren Persönlichkeitsbezug. Daher erscheint es umso mehr noch notwendig, den Einwilligungsunfähigen einzubeziehen. Zwar ist die Einwilligungsfähigkeit eher ein kategoriales Merkmal:340 Entweder eine Person ist einwilligungsfähig oder nicht. Jedoch sollte unterhalb dieser Schwelle nicht jegliche Äußerung unbeachtlich sein. Zweifelhaft ist aber, ob eine Zustimmung erforderlich ist oder nicht nur eine Ablehnung berücksichtigt werden muss. Auch Einwilligungsunfähige sind Träger des Grundrechts auf medizinische Selbstbestimmung.341 Ihnen jegliche Möglichkeit der Mitbestimmung zu versagen, bedeutet einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht. Eine Rechtfertigung ist jedoch insbesondere durch die Wertungen des Art. 2 Abs. 2 GG und bei Minderjährigen durch Art. 6 Abs. 2 GG möglich. Auch bei fremdnütziger Forschung ist eine Rechtfertigung möglich. Zu beachten ist, dass der Eingriff im Gegensatz zum Co-Consent weit geringer ist, da die Person nicht einwilligungsfähig ist. Es ist zu beachten, dass Einwilligungsunfähige gerade nicht den Eingriff verstehen und bewerten oder keine darauf beruhende Entscheidung treffen können. Außerdem würde es zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen,342 eine zusätzliche Zustimmung als zwingend notwendig einzustufen. Daher kann anders als beim Co-Consent eine Rechtfertigung durch das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG sowie aus Art. 2 Abs. 2 GG folgen. Dieses wird mangels eigener Einwilligungsfähigkeit nicht durch die Selbstbestimmung des Minderjährigen verdrängt. Im Gegensatz zum Vetorecht geschieht der Eingriff bei fehlendem assent auch nicht unbedingt gegen den Willen der Person. Die Berücksichtigung einer Ablehnung343 als ein Weniger zur Zustimmung muss daher als ausreichend angesehen werden, um dem Selbstbestimmungsrecht Genüge zu tun. cc) Ermittlung des Wohls und der Wünsche (1) Ermittlung des Kindeswohls Bei der Bestimmung des Kindeswohls haben die Eltern grundsätzlich das Vorrecht der Interpretation. Sie dürfen bis zu einer gewissen Grenze, bei der das Wächteramt des Staates eingreift, bestimmen, was „gut“ für ihr Kind ist, was sie ihm erlauben oder zumuten. Die Grenze besteht nicht darin, dass nur in medizinisch indizierte Maßnahmen zugestimmt werden darf.344 Je jünger das Kind ist, desto geringer ist sein Einfluss auf die Entscheidungen der Eltern. Säuglinge oder 340

Helmchen/Lauter, Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen?, S. 39. Vgl. Belling/Eberl/Michlik, Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger, S. 123; Hufen, NJW 2001, 849, 852. 342 Taupitz, Gutachten 63. Deutscher Juristentag, A 79. 343 s. dazu schon o. S. 154 ff. 344 Vgl. o. S. 138. 341

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Kleinkinder können nicht nach ihren Anschauungen befragt werden bzw. haben solche noch nicht gebildet. Nach § 1626 Abs. 2 BGB müssen die Eltern aber die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln berücksichtigen. Sie besprechen sich danach mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, und streben Einvernehmen an. Bei älteren Kindern und Jugendlichen ist daher ihre Einstellung zu Forschungsmaßnahmen zu untersuchen und zu überprüfen, ob sie auch fremdnützigen Maßnahmen positiv gegenüber stehen. Dies kann insbesondere während des Aufklärungsgesprächs, in das das Kind ohnehin einbezogen werden muss, erfolgen oder etwa durch einen Fragebogen. Kann eine Meinung des Kindes nicht festgestellt werden, so können die Eltern allein kraft ihres Interpretationsprimats – innerhallb der Grenzen des Grundgesetzes345 – das Wohl bestimmen. Steht ein Kind dem Versuch ablehnend gegenüber und macht es dies deutlich, muss dies als Veto gewertet werden. (2) Ermittlung von Wohl und Wünschen des Betreuten Bei Betreuten stellen deren Wünsche eine wichtige Grundlage für die Bestimmung des Wohls dar. Daher müssen diese primär ermittelt werden. Man kann einem Betreuten nicht unterstellen, dass er auch fremdnütziger Forschung zustimmen würde. Daher müssen grundsätzlich Anhaltspunkte vorliegen, die den Schluss zulassen, dass der Betroffene eine forschungsfreundliche und altruistische Einstellung hat. Fraglich ist insoweit, wie die Wünsche des Betreuten kundgetan werden müssen, um beachtlich zu sein. Nach von Freier sind letztlich lediglich antizipierte Einwilligungen in diesem Zusammenhang von Bedeutung, da sie den mutmaßlichen Willen widerspiegelten.346 Der Wunsch eines einwilligungsunfähigen Betreuten an Forschung teilzunehmen sei aber nicht zu beachten.347 Diese Beschränkung entspricht jedoch nicht der Wertung des § 1901 Abs. 3 Nr. 1 BGB, wonach dem Betreuten ein Freiraum zur individuellen Lebensgestaltung belassen werden soll. Daraus ergibt sich, dass auch bei Einwilligungsunfähigkeit keine reine Fremdbestimmung vorgesehen ist. Die Ansicht von Freiers führt zu einer Entmündigung, wenn aktuelle Wünsche zur Forschungsteilnahme unbeachtlich sind. Soweit wie möglich müssen seine Lebensgestaltung und seine Interessen Berücksichtigung finden. Nur so kann man seiner Menschenwürde gerecht werden348 und eine größtmögliche Gleichheit mit Einwilligungsfähigen erreicht werden.

345

Vgl. o. S. 140 ff. von Freier, Humanforschung, S. 74. 347 von Freier, Humanforschung, S. 78. 348 Vgl. auch BGH NJW 2003, 1588, 1591 zur Beachtlichkeit einer Patientenverfügung: „denn schon die Würde des Betroffenen (Art. 1 Abs. 1 GG) verlangt, daß eine von ihm eigenverantwortlich getroffene Entscheidung auch dann noch respektiert wird, wenn er die Fähigkeit zu eigenverantwortlichem Entscheiden inzwischen verloren hat.“ 346

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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Es genügt daher, wenn dem Betreuer bestimmte Neigungen des Betreuten durch Äußerungen erkennbar werden.349 Eine Einstellung zum Altruismus aus der bisherigen Lebensgestaltung könnte man etwa auch aus der Bereitschaft zur Organspende oder häufigen Blutspenden entnehmen. Bei beiden Entscheidungen handelt es sich um die altruistisch begründete Bereitschaft zur Duldung eines Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit. Damit sind sie mit einer fremdnützigen Forschungsmaßnahme vergleichbar und können einen Schluss auf eine entsprechende Bereitschaft zulassen. Auch frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen können herangezogen werden sowie eine Befragung der Angehörigen zu der Lebenseinstellung der betroffenen Person. Eine Ausnahme zu der Berücksichtigung früherer Anschauungen muss allerdings vorgenommen werden, wenn Anhaltspunkte für eine Änderung der Einstellung vorliegen. Darüber hinaus müssen die Anforderungen höher liegen, je schwerwiegender sich eine Maßnahme für den Betroffenen darstellt. Bei Eingriffen, die in die körperliche Unversehrtheit in nicht nur unerheblichem Maß eingreifen, wie etwa bei einer Maßnahme, die mit Strahlung verbunden ist, sind daher mehr und genauere Anhaltspunkte zu fordern. Auf der anderen Seite sind die Anforderungen bei Bagatellmaßnahmen, wie etwa beim Beobachten der Person viel geringer einzustufen. Unterhalb einer Bagatellgrenze kann daher sogar auf Anhaltspunkte für eine forschungsfreundliche Einstellung verzichtet werden, wenn es sich um risiko- und belastungslose Maßnahmen handelt, durch die der Betroffene keinerlei Nachteile erleidet.350 Bei solchen Maßnahmen ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Person, wenn sie einwilligungsfähig wäre, zustimmen würde, sehr hoch. Ein Interesse der Person an einer Ablehnung bei einer Bagatellmaßnahme, die sie nicht gefährdet, besteht kaum. Daher kann bei diesen Maßnahmen auf besondere Hinweise für einen entsprechenden Willen der Person verzichtet werden. dd) Zwischenergebnis zum Modell der Repräsentation Die Repräsentation stellt auch in der Form der gesetzlichen Vertretung ein Mittel dar, mit dem einwilligungsunfähigen Personen ein Mehr an Teilnahme an der Gesellschaft ermöglicht werden kann. Sie kann dabei größtmögliche Rechtsgleichheit zu Personen herstellen, die zu selbständigen Handeln fähig sind, indem die Handlungsmöglichkeiten durch die Person eines Vertreters erweitert werden. Damit ist jedoch auch die Gefahr von Willkür und Missbrauch verbunden. Um dieser entgegen zu wirken und seiner Schutzpflicht nachzukommen, muss der Staat die Entscheidungsbefugnis des Vertreters einschränken und ihn überwachen, indem der Vertreter insbesondere an das Wohl des Betroffenen gebunden ist sowie u. U. sein Veto berücksichtigen und eine Genehmigung einholen muss. Bei der Untersuchung der einschränkenden Schutzmaßnahmen hat sich jedoch ergeben, dass auch eine Ein349 350

Schwab, in: MüKo-BGB, § 1901, Rn. 11. Vgl. noch genauer zu einzelnen Maßnahmen u. S. 356 ff.

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willigung in fremdnützige Forschung durch den Vertreter möglich ist, denn auch diese kann mit dem Wohl der Person vereinbar sein. ee) Spezielle Schutzmaßnahmen hinsichtlich der Forschung an Einwilligungsunfähigen Die Forschung stellt ein besonders risikoreiches und missbrauchsanfälliges Tätigkeitsfeld dar. Dies gilt in besonderem Maß für die vulnerable Gruppe der Einwilligungsunfähigen. Daher müssen nicht nur Schutzmaßnahmen berücksichtigt werden, die die Repräsentation als Einbeziehungsform betreffen. Es müssen darüber hinaus auch Schutzmaßnahmen beachtet werden, die speziell für die Forschung an Einwilligungsunfähigen zu gelten haben und die daher auch auf etwaige weitere Einbeziehungsarten anwendbar sind. (1) Subsidiarität Nach § 40 Abs. 4 Nr. 2 AMG, § 20 Abs. 4 Nr. 3 MPG sowie § 88 Abs. 4 Nr. 1 StrlSchV und § 28d Abs. 4 Nr. 1 RöV gilt das Prinzip der Subsidiarität: Die klinische Prüfung an Erwachsenen oder andere Forschungsmethoden dürfen nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft keine ausreichenden Prüfergebnisse erwarten lassen bzw. das Forschungsziel kann anders nicht erreicht werden. Zum einen dient dieses Prinzip dem Schutz der Einwilligungsunfähigen vor einer Instrumentalisierung. Neben den anderen Schutzmaßnahmen, insbesondere dem Verfahren, beugt die Subsidiarität daher einer Funktionalisierung vor. Mangels Schutzes durch reine Selbstbestimmung besteht die Gefahr, dass sie „leichter verfügbar“ sind. Anstelle einer Forschung an Einwilligungsfähigen könnte auch schon Grundlagenforschung an Einwilligungsunfähigen betrieben werden, obwohl die Versuche ebenso (oder sogar besser) mit Einwilligungsfähigen durchgeführt werden könnten. Einwilligungsunfähige dürfen kein leicht nutzbares Forschungsmaterial sein. Etwas Anderes wäre nicht mit ihrer Würde vereinbar und vernachlässigte die Schutzpflicht des Staates. Darüber hinaus ist die Subsidiarität auch ein Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Der Staat lässt trotz seiner Schutzpflicht Versuche zu, um Rechtsgleichheit herzustellen und die Forschung etwa auch im Bereich der Pädiatrie zu ermöglichen. Dazu ist die Zulassung der Forschung geeignet. Die Subsidiarität schränkt durch die verbotene Teilnahme bei Forschungsmaßnahmen, die auch an Einwilligungsfähigen durchgeführt werden können, die Rechtsgleichheit und das Selbstbestimmungsrecht ein. Ob Forschung auch in Bereichen, die nicht speziell Einwilligungsunfähige betreffen, erforderlich ist, erscheint fraglich. Wenn sie ebenso gut an Einwilligungsfähigen betrieben werden kann, stellt sie nicht das mildeste Mittel dar um wissenschaftlichen Fortschritt zu erreichen. Außerdem ist sie im Hinblick auf die Würde der Personen auch nicht angemessen, wie die vorangegangenen Ausführungen gezeigt haben. Im Hinblick auf die eingeschränkte

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Rechtsgleichheit und das Selbstbestimmungsrecht ist die Subsidiarität erforderlich, um den Schutz der besonders verletzlichen Personengruppe zu erreichen. Sie stellt dabei ein mildes Mittel dar, insbesondere ein milderes Mittel als der Ausschluss von jeglicher Forschung. (2) Beschränkung auf einen bestimmten Nutzen Besonders bedeutsam und umstritten ist die Frage, welchen Nutzen Einwilligungsunfähige aus der Forschungsmaßnahme erzielen müssen, damit diese verfassungsrechtlich einwandfrei ist. (a) Eigennutzen Unstreitig erscheint dabei die eigennützige Forschung zulässig zu sein: Der Einwilligungsunfähige zieht einen möglichen Vorteil aus der Teilnahme an der Forschung. Sie ist „gut“ für ihn, sofern nicht die Risiken den Vorteil noch überwiegen. Es ist jedoch der Frage nachzugehen, ob der Eigennutzen verfassungsrechtlich zwingend ist oder nicht vielmehr auch eine Maßnahme zum Nutzen von anderen mit der Würde der Versuchsperson vereinbar sein kann. (b) Konsequenzen fehlenden Eigennutzens Maßnahmen ohne individuellen Nutzen führen dazu, dass der Einwilligungsunfähige diese für andere hinnimmt. Man könnte daher davon sprechen, dass er für andere „aufgeopfert“ oder als Mittel zur Verfügung gestellt wird. In dieser Hinsicht kommt eine Verletzung der Würde in Betracht. Ob man jedoch nur mangels individuellen Nutzens von einer Degradierung zum Objekt und von einer Ausnutzung zugunsten von anderen sprechen kann, erscheint fragwürdig. Wenn man Schutzkriterien einführt, kann es zu keiner Ausbeutung der Einwilligungsunfähigen kommen. Dem entgegen steht nicht nur die Subsidiarität gegenüber der Forschung an Einwilligungsfähigen, sondern auch das Vetorecht. Außerdem bedarf es der Einwilligung eines Vertreters, der an das Wohl des Einwilligungsunfähigen gebunden ist. Auch wenn kein individueller Nutzen zu erwarten ist, kann der Einwilligungsunfähige daher nicht willkürlich zur Forschung herangezogen werden. Eine strikte Orientierung an Eigennützigkeit gebietet auch nicht das Grundgesetz in einer Gesamtschau, das sogar einige Rechtspflichten auferlegt. Dem Grundgesetz liegt ein Menschenbild zugrunde, das den Menschen nicht isoliert sieht, sondern als Teil einer Gesellschaft.351 Auch einfach-gesetzlich ist bei einer Repräsentation der Eigennutzen nicht zwingende Voraussetzung, wie die Möglichkeit einer Knochenmarkspende Minderjähriger verdeutlicht.352 Auch Schenkungen sind in gewissem Rahmen zulässig.353 351 352

s. auch schon o. S. 105. Vgl. § 8a TPG, s. bereits o. S. 135 f.

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Eine Teilnahme auch zugunsten anderer wird gerade der Würde des Einwilligungsunfähigen gerecht.354 Auch er ist Teil der Gesellschaft und sollte im Sinne der Gesellschaft altruistisch handeln dürfen. Die Einbindung des Einzelnen in die Gesellschaft bedeutet eine Achtung seiner Person.355 Zwar kann nicht jedem Einwilligungsunfähigen eine altruistische Einstellung unterstellt werden,356 ein reiner Egoismus kann aber ebenfalls nicht vermutet werden.357 Durch die nicht eigennützigen Maßnahmen würde er auch nicht zum Werkzeug für andere. Zwar ist die Förderung seines Gesundheitszustands nicht Zweck der Maßnahme, sondern die Gewinnung von Erkenntnissen für die Fortentwicklung der Heilkunde, jedoch steht der Degradierung zu einem Instrument entgegen, dass gerade seine Einbeziehung einen Grund in seiner Person hat. Einwilligungsunfähige werden durch den Schutz der Subsidiarität nur zu Forschungsteilnehmern, weil sie besondere Eigenschaften haben, die anderen Personen fehlen, wie etwa Minderjährigkeit oder eine Krankheit, die die Einwilligungsunfähigkeit hervorruft. Folglich wird ihre Personalität, ihre Subjektqualität gerade auch durch die Forschungsteilnahme respektiert und geachtet. Sie werden aufgrund persönlicher Merkmale gewürdigt. Es liegt darin keine Herabsetzung im Vergleich zu Einwilligungsfähigen, die schließlich auch die Möglichkeit der Teilnahme an fremdnütziger Forschung haben. Der Unterschied zwischen beiden Personengruppen besteht lediglich darin, dass Einwilligungsunfähige selbst keine Einwilligung erteilen können und dass Forschung aufgrund der Krankheit oder Behinderung oder des Alters, die die Einwilligungsunfähigkeit hervorrufen, einzig an ihnen sinnvoll möglich ist. Sie sind keine „Ressource für gesunde Population“.358 Die Einbeziehung ist daher keinesfalls als willkürlich oder als Missachtung der Einwilligungsunfähigen anzusehen. Gegen eine Objektstellung spricht außerdem die Art der Behandlung des Einwilligungsunfähigen. Er wird wie ein Patient behandelt, nämlich mit der gebüh-

353 Vgl. 1641 S. 2 BGB bei Minderjährigen sowie §§ 1804 S. 2, 1908i Abs. 2 S. 1 BGB bei Betreuten, s. auch o. S. 145. 354 Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission zu Minderjährigen, Ziffer 3.1.2.; vgl. auch Rosenau, in: Heun, Sp. 222; ders., in: Deutsch/Taupitz, S. 63, 85. 355 Wolfslast, KritV 1998, 74, 84; vgl. auch Taupitz/Fröhlich, VersR 1997, 911, 914; ähnlich auch: Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Art. 1 GG, Rn. 10: „Altruismus wird so zu einer wesentlichen (mit-)menschlichen Eigenschaft, welche dementsprechend auch die Würde menschlicher Individuen kennzeichnet.“ 356 So aber wohl Wolfslast, KritV 1998, 74, 85; dagegen auch Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 186; Mehlitz, Die rechtliche Zulässigkeit placebokontrollierter klinischer Prüfungen, S. 157; Spranger, Recht und Bioethik, S. 73 f. 357 Zutreffend: Eser, FAZ 19. 11. 1996, S. 16: „Wäre es denn nicht denkbar, daß ein Patient einerseits von Segnungen medizinischer Forschung, die ihm selbst nützen, sogar verschont bleiben möchte oder andererseits in möglichem Nutzen für andere durchaus ein bewußtes Opfer erblicken könnte? Oder soll nur gut und erlaubt sein, was einem selber nützt?“; Taupitz, in: Lippert/Eisenmenger, S. 13, 29. 358 So aber Picker, JZ 2000, 693, 703.

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renden ärztlichen Versorgung, Aufklärung359 und einem Vetorecht. Eine Herabsetzung ist durch die Teilnahme daher nicht zu befürchten.360 Es ist zuzugestehen, dass kranke Versuchspersonen eines besonderen Schutzes bedürfen, da sie in einem Abhängigkeitsverhältnis zum behandelnden Arzt stehen. Daraus folgt jedoch nicht, dass nur eigennützige Maßnahmen zugelassen werden dürfen. Als milderes Mittel sollte nur Forschung an kranken Personen erlaubt sein, wenn die Forschung in einem Zusammenhang zur Krankheit steht, an der die Person leidet. Kranke Personen sollten daher nicht, weil sie gerade verfügbar sind, zur Forschung herangezogen werden, die sich nicht auf ihre Krankheit bezieht. Eine Beschränkung auf einen individuellen Nutzen ist auch bei kranken Personen nicht notwendig. Zusammenfassend handelt es sich also bei Einhaltung der anderen Schutzkriterien nicht um eine Instrumentalisierung der Einwilligungsunfähigen. Sie werden auch bei Zulassung nicht eigennütziger Forschung nicht zum „Rohstofflager“ für die Forschung und die Bevölkerung. Daher ist eine Beschränkung auf den Eigennutzen nicht verfassungsrechtlich geboten. (c) Gruppennutzen oder Fremdnutzen? Es bleibt aber noch der Frage nachzugehen, ob nur gruppennützige Forschung, wie sie im Arzneimittelgesetz zugelassen ist,361 mit den Grundrechten vereinbar ist oder ob auch rein fremdnützige Forschung verfassungsrechtlich zulässig ist. Eine Beschränkung auf gruppennützige Forschung wird insbesondere bei einer auf dem Erziehungsziel basierenden Argumentation befürwortet. Minderjährige fühlten sich anderen Kindern besonders verbunden und verstünden daher ihr Opfer besser, wenn sie dadurch anderen Kindern helfen könnten. Wegen des gleich gelagerten Schicksals könnten sie deren Leiden nachvollziehen und würden daher, wenn es ihnen möglich wäre, eher zustimmen.362 Das Gefühl der Solidarität gelte in erster Linie Patienten, die an der gleichen Krankheit leiden wie der Patient.363 Mit dieser Begründung könnte man auch einen mutmaßlichen Willen der Betroffenen bejahen, der dann nur bei gruppennütziger, nicht jedoch bei fremdnütziger Forschung bestünde.364

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s. dazu noch u. S. 174 f. Anders als beim Zwergenweitwurf, bei dem „der Geworfene hierbei wie ein Sportgerät gehandhabt wird“, VG Neustadt NvwZ 1993, 98, 99. 361 Vgl. § 41 Abs. 2 Nr. 2 AMG. 362 Rosenau, in: Heun, Sp. 222. 363 Helmchen/Lauter, Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen?, S. 28; dagegen: von Freier, MedR 2003, 610, 611. 364 In diese Richtung wohl Rosenau, RPG 2002, 94, 101; dagegen: Eck, Zulässigkeit medizinischer Forschung, S. 183 ff.; vgl. auch Spickhoff, MedR 2006, 707, 714, der einen mutmaßlichen Willen nur annimmt, wenn die Person sich bereits früher zur Verfügung gestellt hat. 360

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Es erscheint jedoch fragwürdig, inwieweit Säuglinge oder schwerst demente Patienten ein Solidaritätsgefühl entwickeln. Auf der anderen Seite kann man auch ein Solidaritätsgefühl zu Personen haben, die weder gleich alt sind noch an der gleichen Krankheit leiden, wie etwa Familienmitglieder oder Freunde. Forschung zugunsten von ihnen wäre dennoch bei einer Begrenzung auf gruppennützige Forschung nicht zulässig. Nach der Begründung des Gesetzgebers ist das Solidaritätsgefühl auch nicht ausschlaggebend für die Einführung des Gruppennutzens. Seine Intention war es, die Arzneimittelsicherheit bei Kindern zu verbessern und einem ausufernden Off-label-use zu verhindern.365 Da sich ein etwaiges Solidaritätsgefühl also nicht auf eine bestimmte Gruppe festlegen lässt, wäre auch die Herleitung eines mutmaßlichen Willens daraus nicht sachgerecht. Dieser muss im Einzelfall ermittelt werden.366 Sollte sich dabei herausstellen, dass es dem Betroffenen darum geht, Menschen mit der gleichen Krankheit oder des gleichen Alters zu helfen, kann ein mutmaßlicher Wille angenommen werden. Jedoch ist es ebenso möglich, dass der Betroffene keinerlei Zugehörigkeits- oder Solidaritätsgefühl zu Personen seiner Alters- oder Krankengruppe hat. Man kann keineswegs behaupten, alle Alzheimer-Kranken wollten anderen Alzheimer-Kranken helfen. Andererseits könnte er aber durch eine Krankheit in seiner Familie Solidarität zu anderen Personen empfinden. Mithin stellt das Zusammengehörigkeitsgefühl eine rein generelle Vermutung dar, die im Einzelfall nicht zu einer Bejahung des mutmaßlichen Willens führen kann. Da ohnehin im Einzelfall ermittelt werden muss, ob die Maßnahme dem mutmaßlichen Willen der Person entspricht, vermag das Kriterium des Gruppennutzens keinen Fortschritt zu leisten. Darüber hinaus suggeriert der Begriff des Gruppennutzens eine Aufopferungspflicht von Minderjährigen.367 Eine ausschließliche Fremdnützigkeit werde mit einem semantischen Kunstgriff kaschiert.368 Wenn man die Einbeziehung von Minderjährigen als eine Rechtspflicht ansähe, wäre eine Begrenzung der Pflicht auf den Gruppennutzen in der Tat begründungswürdig. Eine Solidarpflicht nur zugunsten einer bestimmten Gruppe ist schwer vorstellbar.369 Fraglich ist außerdem, ob ein legitimer Unterschied zwischen Gruppennutzen und Fremdnutzen besteht, Gruppennutzen ist schließlich eine Form des Fremdnutzens.370 Auch die Gruppenmitglieder sind nicht mit dem Patienten identisch, auch sie sind andere Personen und ihm „fremd“. Gruppennützige Forschung nützt dem Patienten 365

BT-Drs. 15/2109, S. 31. Vgl. dazu noch u. S. 296 f. 367 Vgl. Riedel, in: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung, Prot. 15/50, S. 18, abrufbar unter http://webarchiv.bundestag.de/archive/2005/0825/parlament/gremien15/a13/a13 a_anhoerungen/50_Sitzung/t-Protokoll.pdf. 368 Spranger, in: Boss/Spranger, S. 59, 79. 369 Vgl. Merkel, in: Bernat/Kröll, S. 171, 202; Lang, GesR 2004, 166, 169. 370 Dahl/Wiesemann, EthikMed 2001, 87, 106; von Freier, MedR 2003, 610, 611; vgl. auch Freund, in: MüKO-StGB, § 40 – 42b AMG, Rn. 36: „Auch der gruppenspezifische Nutzen ist und bleibt (…) ein rein fremder Nutzen!“; Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 14. 366

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selbst nicht und ist damit fremdnützig. Dagegen spricht auch nicht, dass gruppennützige Forschung dem individuellen Wohl der Gruppenmitglieder dient.371 Jede Forschung zugunsten anderer ist zum Wohl einer anderen Person. Daher prägt das Merkmal des individuellen Wohls anderer nicht nur die gruppennützige, sondern ebenso die rein fremdnützige Forschung. Des Weiteren ist zweifelhaft, wie die Gruppen sinnvollerweise gebildet werden sollten. Während es im Arzneimittelgesetz und in der Richtlinie 2001/20/EG in Bezug auf Minderjährige darauf ankommt, dass die klinische Prüfung „für die Gruppe der Patienten, die an der gleichen Krankheit leiden wie diese Person, mit einem direkten Nutzen verbunden“ ist (§ 41 Abs. 2 Nr. 2 lit. a AMG, Art. 4 lit. e der Richtlinie), setzt Art. 17 der Bioethik-Konvention voraus, dass die Forschung zu Ergebnissen beiträgt, „die der betroffenen Person selbst oder anderen Personen nützen können, welche derselben Altersgruppe angehören oder an derselben Krankheit oder Störung leiden oder sich in demselben Zustand befinden.“ Die erstgenannten Regelungen sind damit enger gefasst, da sie nur Personen mit der gleichen Krankheit in eine Gruppe zusammenfassen. Es stellt sich aber die Frage, warum es nicht ausreichen sollte, dass der Gruppe der Minderjährigen mit der Forschung geholfen werden kann.372 Dies verdeutlicht, dass eine Gruppenbildung leicht zur Willkür führen kann, welche Forschung zugelassen ist und welche nicht. Gegen den Gruppennutzen könnte auch das Verhältnis zum Merkmal der Subsidiarität sprechen. Von Freier hält die Merkmale Gruppennutzen und Subsidiarität gar für miteinander unvereinbar. Wenn eine Pflicht wegen der fehlenden eigenen Einwilligungsunfähigkeit auferlegt werde, könnte man ebenso eine Pflicht wegen eines Mangels an freiwilligen Einwilligungsfähigen auferlegen. In beiden Fällen bestünde durch tatsächliche Gründe ein Forschungsbedarf, der nur durch die Forschung an Einwilligungsunfähigen befriedigt werden könne.373 Abgesehen davon, dass noch zu klären ist, ob es sich bei der Regelung im Arzneimittelgesetz um eine Rechtspflicht handelt, übersieht von Freier, dass sich diese tatsächlichen Gründe dennoch erheblich unterscheiden: Zunächst beruht die Nichtteilnahme der Einwilligungsfähigen auf einer persönlichen Entscheidung, die Einwilligungsunfähigen hingegen nicht möglich ist. Die Einwilligungsunfähigen werden einbezogen, wenn sie antizipiert, durch einen Vertreter oder mutmaßlich zustimmen. Ihre fehlende Einwilligungsfähigkeit lässt sich nicht kurzfristig oder sogar nie mehr ändern. Fehlende Freiwilligkeit von Einwilligungsfähigen hingegen ist durch eine entsprechende Anwerbung und Aufklärung unter Umständen umkehrbar. Folglich widersprechen sich die Merkmale der Subsidiarität und Gruppennützigkeit nicht. Im Gegenteil verfolgen sie den gleichen Zweck: Durch das Merkmal der Gruppennützigkeit soll letztlich verhindert werden, dass Einwilligungsunfähige in einem 371

So, wenig aussagekräftig: Taupitz/Brewe/Schelling, in: Taupitz, S. 409, 427. Irmer, Klinische Forschung, S. 9 sowie Magnus, Medizinische Forschung an Kindern, S. 63 erweitern daher den Gruppennutzen auch auf eine Nützlichkeit für Kinder insgesamt. 373 von Freier, Humanforschung, S. 121. 372

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ausufernden Maße zur Forschung herangezogen werden. Mit ihnen sollte nur geforscht werden, wenn es notwendig ist, wenn es also um Krankheiten geht, die gerade mit der Einwilligungsunfähigkeit in einem speziellen Zusammenhang stehen, weil sie sie hervorrufen oder zu einem Zeitpunkt auftreten, in dem man in der Regel einwilligungsunfähig ist, etwa im Kindesalter. Dieses Ziel wird aber bereits durch das Schutzkriterium der Subsidiarität erreicht: Wenn die Forschung an Einwilligungsfähigen möglich ist, darf sie nicht an solchen durchgeführt werden, die einwilligungsunfähig sind. Dieser Schutz ist mithin schon verwirklicht. Auch ohne das Schutzkriterium der Gruppennützigkeit ist also eine willkürliche, den Einwilligungsunfähigen herabsetzende Forschung, die nur durch seine einfache Verfügbarkeit und Verletzbarkeit abstellt, verboten. Das Merkmal der Subsidiarität ist sogar geeigneter als Schutzkriterium, da ohne dieses, nur mit dem Kriterium der Gruppennützigkeit, dennoch Forschung zulässig wäre, die auch an Einwilligungsfähigen möglich ist, etwa an reifen Minderjährigen oder Erkrankten im Frühstadium. Es ist zuzugestehen, dass ohne das Merkmal des Gruppennutzens ein leicht geringerer Schutz gewährleistet bzw. ein Mehr an Forschung möglich ist. Jedoch ist eine Begrenzung auf den Nutzen für die Gruppe nicht sinnvoll. Gerade im Säuglingsund Neugeborenenalter werden viele Krankheiten angelegt, die erst später auftreten. Zur Erforschung solcher Krankheiten ist es erforderlich, auch schon Säuglinge zu untersuchen, auch wenn die Krankheit erst im Erwachsenenalter ausbricht. Wenn die Krankheit schon im Säuglingsalter ausbrechen würde, wäre ein Gruppennutzen wegen des gleichen Alters gegeben. Sollte nur wegen einer späteren Inkubation ein Unterschied gemacht werden? Das erscheint willkürlich und nicht gerechtfertigt. Ein Verstoß gegen die Menschenwürde ist durch den Schutz insbesondere des Subsidiaritätskriteriums bei einem Verzicht auf das Merkmal des Gruppennutzens nicht gegeben. Einer Objektivierung und einer Ausbeutung wird schon genügend vorgebeugt. Der Gruppennutzen stellt ein willkürliches Kriterium dar, das die Forschung in nicht sinnvoller Weise begrenzt. Es sollte nicht darauf ankommen, wem durch die Forschung geholfen wird. Eine Solidarität besteht gegenüber der gesamten Gesellschaft. Vielmehr ist es von Bedeutung, unter welchen Umständen Einwilligungsunfähige in die Forschung einbezogen werden dürfen, nämlich nur, wenn die Forschung nicht an Einwilligungsfähigen möglich ist. (d) Ungleichbehandlung durch Differenzierung zwischen minderjährigen und volljährigen Einwilligungsunfähigen Weiterhin ist fraglich, inwiefern eine Differenzierung zwischen minderjährigen und volljährigen Einwilligungsunfähigen zulässig ist, ob etwa bei einer Gruppe fremdnützige Forschung verboten werden kann oder muss, bei der anderen Gruppe jedoch nicht.374 Der gemeinsame Oberbegriff ist die einwilligungsunfähige Person. Ein Differenzierungsgrund könnte der Schutz der minderjährigen Person sein. Al374 Vgl. zu dieser Frage: Deutsch/Spickhoff, Rn. 1768, die es jedoch bei einem „rechtspolitischen Fragezeichen“ belassen.

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lerdings ist sie nicht in größerem Maß schutzwürdig als eine ältere, einwilligungsunfähige Person. Auch eine Differenzierung wegen des Alters allein kann nicht zulässig sein, insbesondere ist der Körper eines alten Menschen nicht weniger „wert“ als der einer jungen Person. Ein Grund könnte jedoch in dem Bedarf der Forschung gesehen werden. So wird auf den „off-label-use“ bei Minderjährigen verwiesen, zu dessen Verhinderung die Zulassung gruppennütziger Forschung unverzichtbar sei.375 Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass auch bei der Forschung an älteren Personen Forschungsbedarf besteht, insbesondere im Rahmen der Forschung zur Altersdemenz. Mit dem wachsenden Alter der Gesellschaft wächst auch die Notwendigkeit der Forschung an Krankheiten älterer Menschen. Zudem ist auch bei Notfallpatienten, insbesondere bei Schlaganfallpatienten, erheblicher Forschungsbedarf vorhanden, so dass die Notwendigkeit der Forschung bei allen Altersstufen gegeben ist und kein taugliches Differenzierungskriterium darstellt. Ein Unterschied besteht jedoch im Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG, das sich nur auf minderjährige Personen bezieht. Dadurch haben sie einen anderen Vertreter. Dennoch rechtfertigt sich dadurch keine Ungleichbehandlung hinsichtlich der Zulässigkeit der Forschung, so dass bei einer Ungleichbehandlung durch die Differenzierung zwischen erwachsenen und minderjährigen Einwilligungsunfähigen Art. 3 Abs. 1 GG verletzt ist. Eine Gleichbehandlung kann erfolgen, indem bei beiden Gruppen nur eigennützige, nur gruppennützige oder rein fremdnützige Forschung in gleichem Maß zugelassen wird. Der Gleichheitsverstoß führt also nicht zwangsläufig zu einer Ausdehnung der Forschungsmöglichkeiten. Daraus ergibt sich zugleich, dass auch Minderjährige, die bei Erreichen der Volljährigkeit voraussichtlich einwilligungsunfähig bleiben, mit anderen Minderjährigen gleich behandelt werden müssen.376 (e) Zwischenergebnis Auch nicht eigennützige Forschung an Einwilligungsunfähigen kann mit den Grundrechten vereinbar sein. Das Merkmal der Gruppennützigkeit ist überflüssig. Auch rein fremdnützige Forschung ist bei Beachtung der anderen Schutzkriterien mit der Würde des Einwilligungsunfähigen vereinbar. Bei Zulassung auch fremdnütziger Forschungsmaßnahmen müssen jedoch minderjährige und volljährige Einwilligungsunfähige gleich behandelt werden. (3) Risiko-Nutzen-Abwägung und Begrenzung auf minimale Belastungen und Risiken Zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit müssen sowohl Risiken als auch Nutzen betrachtet werden. Nur bei einem angemessenen Verhältnis ist die Maß375 BT-Drs. 15/2109, S. 31; vgl. auch Rosenau, in: Hilgendorf/Beck, S. 117, 131; Saame, PharmR 2003, 184, 190. 376 Zahn, Einwilligungsunfähige, S. 154. Allerdings sieht er die Ungleichbehandlung zwischen minderjährigen und volljährigen Einwilligungsunfähigen nicht als Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG an, vgl. S. 155.

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nahme zulässig. Wäre die Höhe der Risiken gleichgültig und bedürfte keiner Analyse, so wären die Interessen des Einwilligungsunfähigen nicht ausreichend gewahrt. Es ist unumgänglich zur Wahrung seiner Würde, dass im Vorhinein und während der gesamten Dauer der Forschung eine positive Abwägung erfolgt, denn sie stellt den Kern der Interessenwahrnehmung dar. Bei nahezu jeder Entscheidung nimmt der Mensch eine solche Abwägung vor. Dem Einwilligungsunfähigen diesen essentiellen Vorgang zu versagen, nur weil er ihn selbst nicht vornehmen kann, würde ihn degradieren. Es darf nicht ohne Belang sein, dass hohe Risiken oder keinerlei Nutzen (auch nicht für die Fortentwicklung der Heilkunde) bestehen. Der Staat muss also durch eine Risiko-Nutzen-Abwägung eine Grenze für die Forschung setzen um so auch seiner Schutzpflicht nachzukommen. Wegen einer möglichen Degradierung der Person folgt dies aus der Würde des Menschen, aber auch aus der Schutzpflicht hinsichtlich der körperlichen Unversehrtheit. Fraglich ist darüber hinaus, ob die Schutzpflicht des Staates es gebietet, dass nur minimale Belastungen und Risiken mit einem Eingriff verbunden sein dürfen und Forschungsmaßnahmen, die darüber hinausgehen, zu verbieten sind. Grundsätzlich steht die körperliche Unversehrtheit zur Disposition des Rechtsträgers. Allerdings sind auch dabei Ausnahmen zu machen, wie es etwa auch bei der Sittenwidrigkeit im Rahmen des § 228 StGB geschieht. Bei der fremdnützigen Forschung an einwilligungsunfähigen Personen sind zwei Aspekte zu berücksichtigen, die den Staat dazu verpflichten, diese Personen besonders zu schützen: zum einen der fehlende individuelle Nutzen, zum anderen die fehlende aktuelle Selbstbestimmung. Es handelt sich daher um eine besonders vulnerable Personengruppe, die eines ausgeprägten Schutzes bedarf. Daher ist auch besondere Vorsicht zur Wahrung der Würde erforderlich. Abgesehen von der Schwierigkeit der Bestimmung, welche Maßnahmen nur eine minimale Beeinträchtigung mit sich bringen, scheint die Würde nicht zwingend betroffen zu sein. Jedenfalls schwerwiegende Belastungen und eine Gefahr für lang anhaltende Beschwerden oder irreparable Schäden oder gar das Leben sind sicherlich nicht mit der Würde vereinbar. Jedoch gibt es eine große Spannweite zwischen solch schwerwiegenden und nur minimalen Eingriffen. Die Zulassung von Forschungsmaßnahmen mit mehr als minimalen oder geringfügigen Belastungen und Risiken wird jedoch dem Schutzaspekt des Art. 2 Abs. 2 GG nicht gerecht. Die Rechtfertigungsmöglichkeit findet hier ihre Grenze. Der Gesetzgeber muss eine Schranke setzen, um die Möglichkeiten der Forschung an diesen Personengruppen zu begrenzen. An welcher Belastungs- und Risikoschwelle diese Schranke genau zu setzen ist, ist Sache des Gesetzgebers im Rahmen seines Gestaltungsspielraums. Jedenfalls muss er nicht jegliche Eingriffe in den Körper verbieten. Es ist ihm aber untersagt, auch schwerwiegende und risikoreiche Eingriffe zuzulassen, insbesondere, wenn sie rein fremdnützig sind. Sein Spielraum verengt sich also auf die Zulassung von minimalen, geringfügigen oder leichten und risikoarmen Eingriffen.

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Die Regelung, welche Maßnahmen genau darunter fallen, ist durch Auslegung oder durch den Gesetzgeber zu bestimmen. Dieser hat jedoch im Arzneimittelgesetz davon Abstand genommen, einen Maßnahmenkatalog aufzunehmen, was im Hinblick auf die große Vielfalt der Eingriffe abschließend auch kaum möglich sein wird. Daher könnten höchstens Beispiele genannt werden, wie das Messen, Wiegen, Beobachten, Auswerten von Speichel-, Urin- und Stuhlproben, das Auswerten bereits entnommener Blutproben, die zusätzliche Entnahme einer geringen Menge Blut sowie Elektroenzephalographie (EEG) oder ein Elektrokardiogramm (EKG).377 Ebenso könnte man eine geringfügige zusätzliche Liquorentnahme als minimal belastend und risikoreich ansehen sowie eine Magnetresonanztomographie (MRT). 378

(4) Körperliche Unversehrtheit als absolute Grenze der Forschung? Nach einer Ansicht ist die körperliche Unversehrtheit die absolute Grenze für die fremdnützige Forschung.379 Sie stelle die einzige Grenze dar, um uneingeschränkte Forschung verhindern zu können.380 Demnach wären nur Forschungsmaßnahmen möglich, die nicht mit einem Eingriff in den Körper verbunden sind, wie etwa das Messen, Wiegen oder Beobachten der Versuchsperson. Dem ist jedoch nicht zuzustimmen. Auch fremdnützige Eingriffe in den Körper können gerechtfertigt werden. Bei einer Einbeziehung der Einwilligungsunfähigen durch Repräsentation ist eine solche Rechtfertigung möglich, denn es liegt dann eine Entscheidung vor, die dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. Durch diesen Willen ist die Handlung nicht mehr gegen die Person gerichtet. Die Wünsche und Vorstellungen oder bei einer antizipierten Selbstbestimmung den ausdrücklichen Willen zu missachten, würde eine Degradierung bedeuten. Nur wegen einer aktuellen Einwilligungsunfähigkeit darf den Personen nicht jegliche Bestimmung über ihren Körper versagt werden. Der Staat muss auch dem Selbstbestimmungsrecht gerecht werden und muss daher nicht jegliche Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit verbieten um seiner Schutzpflicht nachzukommen. Es ist vielmehr ausreichend, wenn er Grenzen setzt und schützend Aufsicht führt. Er hat auch weitere kollidierende Grundrechte zu beachten, insbesondere die Forschungsfreiheit des Arztes. Daher sollte er nicht einseitig eine Seite schützen und die andere Seite vernachlässigen. Dass ein absolutes Verbot nicht verfassungsrechtlich zwingend ist, wird auch deutlich durch den einfachen Geset377 So die Enquete Kommission Ethik und Recht in der modernen Medizin, KOM-Drs. 15/ 125, S. 7. Unter Umständen könnte etwa bei älteren Kindern eine einzige Blutprobe als vertretbar angesehen werden, so der Erläuternder Bericht zu dem Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin: Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin, DIR/JUR (97) 5, Ziffer 111. 378 Vgl. auch noch zu der Bewertung verschiedener medizinischer Maßnahmen u. S. 347 ff. 379 Eck, Zulässigkeit medizinischer Forschung, S. 219; Kamp, Bioethik-Konvention, S. 97; so wohl auch: Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Art. 1 GG, Rn. 10; zu Minderjährigen: Zahn, Einwilligungsunfähige, S. 153, 189. 380 Eck, Zulässigkeit medizinischer Forschung, S. 212.

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zesvorbehalt in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG. Des Weiteren ist nicht jede Verletzung des Körpers eine schwerwiegende Beeinträchtigung. Es muss dabei auf den Einzelfall ankommen, welche Intensität ein Eingriff hat und wie er von der Person wahrgenommen wird. Eine absolute Schranke besteht folglich nicht. (5) Besonderer Schutz kranker Personen Kranke Personen sind besonders schutzbedürftig. Sie befinden sich in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Arzt und sind daher leicht Beeinflussung ausgesetzt. Außerdem sind sie u. U. durch ihre Krankheit auch körperlich oder geistig geschwächt. Um sie zu schützen ist jedoch nicht zwingend ein individueller Nutzen der Forschungsmaßnahme erforderlich.381 Um der Schutzpflicht nachzukommen, könnte der Staat aber vorsehen, dass nur Forschungsmaßnahmen erlaubt sind, die einen Bezug zur Krankheit der Person haben und solche, die in keinem Zusammenhang mit ihrer Krankheit stehen, verboten werden. Dadurch könnte verhindert werden, dass kranke Personen für die Forschung aufgrund ihrer Verfügbarkeit und leichten Erreichbarkeit herangezogen werden, wo dies nicht notwendig ist. Ihr ohnehin geschwächter Zustand könnte durch Forschungsmaßnahmen zusätzlich gefährdet werden. Außerdem könnte die bestehende Krankheit auch das Forschungsergebnis verfälschen, wenn diese Krankheit Einfluss auf den Erfolg der Forschungsmaßnahme hat. (6) Straf- und Haftungsvorschriften, Probandenversicherung Als ein weiteres Schutzkriterium könnten Strafvorschriften und zivilrechtliche Haftungstatbestände erlassen werden. Unter Umständen kann der Staat dazu verpflichtet sein, die körperliche Unversehrtheit mittels solcher Vorschriften zu schützen.382 Eine zivilrechtliche Haftung383 führt zu größerer Vorsicht im Umgang mit dem Probanden und wirkt damit zum einen präventiv. Andererseits wird ein Schaden kompensiert und der Proband retrospektiv möglichst schadlos gestellt. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit hat darüber hinaus eine gesellschaftliche Missbilligung zur Folge. Sie wirkt auch spezialpräventiv und kann daher den Schutz der Versuchspersonen unterstützen. Zur Absicherung der zivilrechtlichen Ansprüche besteht darüber hinaus die Möglichkeit, den Abschluss einer Probandenversicherung vorzuschreiben. Wenn die Gesundheit betroffen ist, können die Ansprüche die Leistungsfähigkeit der Schuldner übersteigen. Um sicherzustellen, dass der Proband dennoch befriedigt wird, stellt eine Probandenversicherung eine geeignete Maßnahme dar.384 381

Vgl. o. S. 165 f. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 2, Rn. 236. 383 s. dazu noch u. S. 218 f. 384 Es wäre auch denkbar, die Pflicht zum Abschluss einer Probandenversicherung durch hohe Prämien zur Beschränkung der Forschung zu nutzen. Dies wäre jedoch nicht zielführend, da es die nicht-kommerziellen Forscher benachteiligen würde, die anders als große Konzerne 382

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(7) Anforderungen an das Verfahren (a) Grundrechtsschutz durch Verfahren Der Grundrechtsschutz kann weiterhin durch Verfahren und Organisation gewährleistet werden. Wenn Grundrechte ihre materielle Schutzfunktion nicht ausreichend erfüllen können, bedarf es eines solchen Grundrechtsschutzes durch Verfahren.385 So ist es auch bei dem Fall der Forschung, denn dort kann eine Kontrolle zwar auch im Nachhinein noch stattfinden, etwaige Grundrechtsverletzungen sind jedoch möglicherweise irreversibel.386 Daher muss der Schutz der Grundrechte vorverlagert und bereits in den Prozess der Entscheidungsfindung einbezogen werden.387 Dies gilt in besonderem Maße, wenn ein Ausgleich zwischen Grundrechtspositionen verschiedener Beteiligter erforderlich ist, so wie bei Probanden und Forschern.388 Die Grundrechte beeinflussen daher nicht nur das materielle Recht, sondern auch das Verfahrensrecht.389 Dem kann der Gesetzgeber gerecht werden, indem er die Forschung einer Bewertung im Vorhinein zugänglich macht und die Forschung organisiert und überwacht. (b) Votum einer Ethikkommission So besteht die Möglichkeit, die Zulässigkeit der Forschung von der zustimmenden Stellungnahme einer Ethikkommission abhängig zu machen. Sie stellt ein Gremium dar, das aufgrund einer interdisziplinären Besetzung und Unabhängigkeit390 die klinische Prüfung sachgerecht beurteilen kann und zwar nicht nur aus medizinischer und pharmakologischer, sondern auch aus ethischer und rechtlicher Perspektive. Sie ist dadurch in der Lage, die Forschung ganzheitlich zu beurteilen. So beschreibt auch § 3 Abs. 2c GCP-V als Aufgaben der Ethikkommissionen die Absicherung der Rechte, der Sicherheit und des Wohlergehens von betroffenen Personen und die Schaffung von Vertrauen der Öffentlichkeit. Dies soll die Ethikkommission erreichen, indem sie zu dem Prüfplan, der Eignung der Prüfer und der Angemessenheit der Einrichtungen sowie zu den Methoden, die zur Unterrichtung der betroffenen Personen und zur Erlangung ihrer Einwilligung nach Aufklärung benutzt werden und zu dem dabei verwendeten Informationsmaterial Stellung nimmt. Das Erfordernis des von der Forschung faktisch ausgeschlossen würden. Außerdem wäre es eine Behinderung der Forschung, die nicht gezielt für den Schutz des Probanden eingesetzt werden kann, sondern vom Kapital des Forschers und dem zu erwartenden Profit abhängt. 385 BVerfG NJW 1994, 1942, 1946 (zur Rundfunkfreiheit). 386 Vgl. zur Rundfunkfreiheit: BVerfG NJW 1994, 1942, 1946. 387 Vgl. BVerfG NJW 1994, 1942, 1946 (zur Rundfunkfreiheit). 388 Vgl. BVerfG NJW 1980, 759, 761 (zu atomrechtlichen Verfahrensvorschriften). 389 BVerfG NJW 1980, 759, 761 (zu atomrechtlichen Verfahrensvorschriften); vgl. auch BVerfG NJW 1972, 1561 (zur Hochschulzulassung); BVerfG NJW 1979, 534 (zum Eigentumsrecht); BVerfG NJW 1981, 217 (zu Art. 6 GG). 390 So bei § 42 Abs. 1 S. 1 AMG, § 22b Abs. 1 S. 1 MPG, § 92 S. 1 StrlSchV, § 28 g S. 1 RöV.

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Votums einer Ethikkommission stellt ein Schutzkriterium dar, das sich innerhalb des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers befindet. Wünschenswert ist die Erforderlichkeit eines zustimmenden Votums, jedoch erscheint dies aufgrund des Spielraums nicht verfassungsrechtlich zwingend. (c) Genehmigung der Forschung Neben einer Genehmigung der einzelnen Maßnahme bezüglich der Zustimmung des Vertreters391 kommt auch eine Genehmigungspflicht einer Maßnahme allgemein, unabhängig von der Person, in Betracht. Die Genehmigung einer Behörde stellt eine Möglichkeit des Staates dar sich schützend vor die Betroffenen zu stellen und bestimmte Maßnahmen bereits bevor diese damit in Kontakt kommen zu verbieten. Dadurch könnte er seiner Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 GG nachkommen. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens können bei der Forschung am Menschen etwa die Geeignetheit der klinischen Prüfung für den Nachweis der Wirksamkeit des Mittels sowie die Geeignetheit der Prüfeinrichtung kontrolliert werden. Eine Genehmigungsregel kann ein geeignetes Mittel zum Schutz gefährdeter Dritter darstellen. Der Staat kann außerdem dadurch am ehesten seiner Aufgabe genügen, unter Berücksichtigung der Allgemeinbelange einen Ausgleich zwischen den Grundrechtspositionen herbeizuführen.392 Es ist ihm möglich die spezielle klinische Prüfung zu begutachten und dem Einzelfall daher eher gerecht zu werden als durch ein allgemeines Verbot. Der Funktion einer Aufsicht kann der Staat darüber hinaus nachkommen, indem er eine erteilte Genehmigung widerrufen, zurücknehmen oder ruhen lassen kann.393 (d) Erforderlichkeit von Aufklärung und Dokumentation Das Selbstbestimmungsrecht gebietet es darüber hinaus, die Versuchsperson sowie den gesetzlichen Vertreter aufzuklären. Ohne Aufklärung ist keine freie Selbstbestimmung möglich, denn es fehlt an den Informationen, die die Grundlage einer Entscheidung bilden.394 Eine Aufklärung ist aufgrund der Komplexität des Eingriffs, seiner möglichen Risiken, Belastungen und Alternativen notwendig. Ohne eine solche kann ein Vertreter den Willen des Einwilligungsunfähigen nicht repräsentieren. Eine Abwägung von Nutzen und Risiken könnte nicht erfolgen, so dass die Aufklärung wiederum zwingend notwendig ist. Darüber hinaus ist auch eine Aufklärung des Einwilligungsunfähigen erforderlich, soweit dies im Hinblick auf sein Alter und seine geistige Reife möglich ist. Im Hinblick auf die Möglichkeit eines Vetos ist es unumgänglich, den Einwilligungsunfähigen soweit wie möglich aufzuklären. Ohne diese Aufklärung würde sein Vetorecht konterkariert, denn er wüsste nicht, welchen Eingriff er ablehnen kann. Außerdem darf auch ein Einwilligungs391 392 393 394

s. o. zur Betreuung: S. 120. So zum Atomrecht: BVerfG NJW 1980, 759, 761. So nach § 42a AMG und § 22b MPG. Vgl. aber noch zur Möglichkeit eines Verzichts u. S. 183.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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unfähiger nicht über das Ob und Wie einer Maßnahme im Unklaren gelassen werden.395 Folglich ist sowohl die Aufklärung des Einwilligungsunfähigen als auch die des Vertreters unvermeidlich. Außerdem muss auch eine Dokumentation erfolgen, die nicht nur der Sicherheit des Prüfarztes und Sponsors dient, sondern auch dem Patienten die Möglichkeit bieten muss, später Einsicht in die Akten zu nehmen. (8) Verbot der Gewährung von Vorteilen Werden bei einer klinischen Prüfung für die Teilnahme große Summen an die einwilligungsunfähige Person oder deren Vertreter ausgezahlt, so besteht das Risiko, dass die Vertreter in erster Linie um des Geldes willen zustimmen. Der Körper der einwilligungsunfähigen Person darf jedoch nicht „verkauft“ werden.396 Dies wäre mit der Würde der Person unvereinbar. Finanzielle Vorteile dürfen daher in der Bewertung des Wohls oder des mutmaßlichen Willens keine Rolle spielen. Um der Gefahr der Instrumentalisierung vorzubeugen, sollten daher keine finanziellen Vorteile mit Ausnahme einer angemessenen Entschädigung gewährt werden.397 Der Staat kann damit seiner Schutzpflicht im Hinblick auf die körperliche Integrität und die Würde der Versuchsperson gerecht werden.398 ff) Zwischenergebnis Eine Einbeziehung von Einwilligungsunfähigen durch Repräsentation ist möglich. Durch die Vertretung wird der Einwilligungsunfähige als Person anerkannt, erhält Entfaltungsmöglichkeiten und wird mit Einwilligungsfähigen weitgehend gleichgestellt. Allerdings birgt das Prinzip der Repräsentation auch Gefahren für den Betroffenen. Daher muss der Staat durch Verfahren und Organisation sowie im Bereich der Forschung durch weitere spezielle Maßnahmen seiner Schutzpflicht zugunsten der Würde der Person und deren körperlicher Unversehrtheit nachkommen. Als Schutzmaßnahmen in Bezug auf die Repräsentation ist insbesondere die Bindung an das Wohl des Vertretenen von Bedeutung. Die Untersuchung hat jedoch gezeigt, dass auch die Einwilligung in fremdnützige Maßnahmen keinen Verstoß gegen das Wohl bedeuten muss. Bei solchen Maßnahmen darf der Vertreter allerdings nicht gegen das Veto der Person handeln. U. U. ist auch eine Genehmigung der 395

BVerfG NJW 2011, 2113, 2116. Krüger, KliFoRe 2007, 42, 53: Die Krankheit des Kindes solle nicht kommerzialisiert werden. 397 So etwa auch § 40 Abs. 4 Nr. 5 AMG. Vgl. zu der Problematik der Lebend-Spende von Nieren, die nur unter Verwandten erlaubt ist: Paeffgen, FS Schroeder, S. 579 ff. kritisch zu der paternalistischen Regelung, dass ine Lebend-Spende gegen Bezahlung damit ausgeschlossen ist. Es bleibt jedoch zu beachten, dass einwilligungsunfähige Personen besonders zu schützen sind und außerdem den Wert des Geldes nicht nutzen können. 398 Vgl. zum AMG: Sander, § 40, S. 74. 396

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stellvertretenden Einwilligung notwendig und eine gesetzliche Vertretung darf nur bei Erforderlichkeit angeordnet werden. Weitere Schutzmaßnahmen sind speziell im Hinblick auf die Forschung notwendig. So ist die Forschung an Einwilligungsunfähigen subsidiär zu Maßnahmen an Personen, die selbst einwilligen können. Eine Risiko-Nutzen-Abwägung muss positiv ausfallen, wobei Risiken und Belastungen auf ein geringes Maß zu beschränken sind. Auch muss der Staat Straf- und Haftungsvorschriften vorsehen und ein Verfahren zur Verfügung stellen, das dem Grundrechtsschutz gerecht wird, etwa durch das Erfordernis einer Genehmigung oder durch die Notwendigkeit eines Votums einer Ethikkommission. Darüber hinaus sollte er die Gewährung von Vorteilen, die über eine angemessene Entschädigung hinausgehen, verbieten. f) Einbeziehung durch antizipierte Selbstbestimmung Denkbar wäre auch eine Einbeziehung durch antizipierte Selbstbestimmung, die der Einwilligungsunfähige wahrgenommen hat, bevor er einwilligungsunfähig geworden ist. Möglich ist insbesondere eine antizipierte Einwilligung ähnlich einer Patientenverfügung, die festlegt, in welche Forschungsmaßnahmen der Noch-Einwilligungsfähige einbezogen werden möchte und zustimmt. Eine solche „Forschungsverfügung“399 könnte die Umstände, beteiligten Personen und die Art der Forschungsmaßnahmen festlegen und bestimmen, welche Belastungen und Risiken hingenommen werden können. Eine antizipierte Einwilligung kommt insbesondere bei erwachsenen Einwilligungsfähigen in Betracht, die an einer Krankheit leiden, die möglicherweise zur Einwilligungsunfähigkeit führen wird, insbesondere bei an Demenz Erkrankten.400 aa) Vereinbarkeit einer Einbeziehung durch antizipierte Selbstbestimmung Bei einer antizipierten Einwilligung würde es sich um einen Akt der Selbstbestimmung handeln, der vorweg genommen wird. Damit kommt diese Art der Einbeziehung einer Legitimation kraft aktueller Selbstbestimmung sehr nahe. Sie beachtet die Person selbst und nimmt sie als Individuum wahr, indem der antizipierte Wunsch erfüllt und den Anweisungen gefolgt wird. Prinzipiell wird die Einbeziehung durch antizipierte Selbstbestimmung der Würde des Einwilligungsunfähigen also gerecht. Im Vergleich zum Prinzip der Repräsentation wird ihr Wille unmittelbar zum Ausdruck gebracht, ohne die Zwischenschaltung eines Vertreters. Der antizipiert geäußerte Wille kommt daher der aktuellen persönlichen Erklärung noch näher als bei einem Vertreter. Nach der aktuell erklärten Einwilligung handelt es sich dabei 399 Vgl. das Muster von Helmchen/Lauter, Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen?, S. 52; Wachenhausen, Medizinische Versuche, S. 188 ff. 400 Vgl. Helmchen/Lauter, Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen?, S. 52 ff.

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also um die Form der Einbeziehung, die der Selbstbestimmung am ehesten gerecht wird. Da der antizipierte Wille Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts ist, muss er grundsätzlich rechtfertigende Wirkung haben. Dennoch gelten auch hier die für die Forschung erarbeiteten Einschränkungen, die dem Schutz der Versuchsteilnehmer allgemein, unabhängig von der Einbeziehungsart, dienen.401 Ob diese Einschränkungen mit dem Selbstbestimmungsrecht vereinbar sind, ist noch zu untersuchen.402 Bei einer Einbeziehung durch antizipierte Selbstbestimmung stellt sich allerdings zusätzlich das Problem, in welchem Verhältnis das Selbstbestimmungsrecht zur Schutzpflicht des Staates steht. Grundsätzlich muss das Selbstbestimmungsrecht über dem Schutz des Lebens stehen, da die Würde des Menschen es gebietet, ihn als autonom entscheidende Rechtsperson anzuerkennen.403 Ein Schutz darf ihm nicht aufgedrängt werden, wenn er selbstbestimmt entscheiden kann. Bei einer vorgreifenden Erklärung an Forschung teilnehmen zu wollen, bestehen jedoch mehrere Gefahren. So kann es etwa sein, dass der aktuelle Wille nicht mehr dem in der antizipierten Verfügung erklärten Willen entspricht. In Betracht kommen weiterhin Aufklärungs- und Beratungspflichten sowie Formerfordernisse um abzusichern, dass der Wille der Erklärung entspricht.404 Der Staat muss zum Schutz des Lebens gewährleisten, dass die antizipierte Erklärung Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts ist und andernfalls einschreiten. Kann dies nicht garantiert werden, gebietet es die Schutzpflicht des Staates, den Eingriff dennoch nicht zuzulassen, es sei denn eine Rechtfertigung kann auf anderem Wege erlangt werden. bb) Erforderliche Schutzmaßnahmen (1) Änderung des Willens (a) Aktualisierungspflicht Um dem Problem vorzubeugen, dass sich der Wille des Patienten zwischen der Errichtung der Erklärung und dem Eingriff ändert, kommt eine Aktualisierungspflicht innerhalb einer bestimmten Frist in Betracht.405 Ob dies eine geeignete Maßnahme darstellt um die Aktualität der Erklärung abzusichern, erscheint jedoch fragwürdig. Durch die schnelle Fortentwicklung der Wissenschaft ist es schwierig eine angemessene Frist festzusetzen, innerhalb derer eine Erklärung erneuert werden müsste. Außerdem ist fraglich, ob bei jeder Novellierung eine neue Auseinandersetzung mit der Materie erfolgen würde. Auch könnte man mit Zeitablauf von einer sich mindernden Befolgungspflicht ausgehen. So sollen früher geäußerte Wünsche 401

Vgl. dazu o. S. 162 ff. s. dazu noch u. S. 185 ff. 403 Taupitz, in: Canaris, S. 497, 502. 404 Vgl. dazu noch sogleich. 405 Eine solche Pflicht lehnt auch der Gesetzgeber bei der Patientenverfügung ab: BTDrs. 16/8442, S. 14; gegen eine Pflicht auch: Uhlenbruck, MedR 1992, 134, 137. 402

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nach Art. 9 der Bioethik-Konvention berücksichtigt werden, allerdings bedeute dies nicht, dass diesen in jedem Fall zu folgen sei. Sind die Wünsche z. B. lange vor der Intervention geäußert worden und ist die wissenschaftliche Forschung inzwischen weiter vorangeschritten, könne es gerechtfertigt sein, der Meinung des Patienten nicht zu folgen.406 Dies würde aber letztlich zu einer Aktualisierungspflicht führen, wenn der Betroffene seinen Willen auch verwirklicht haben möchte. Zweifelhaft ist die Vereinbarkeit einer solchen mit dem Selbstbestimmungsrecht. Auch ein Testament verliert durch Zeitablauf nicht seine Gültigkeit.407 Mit ablaufender Zeit würde die selbstbestimmte Entscheidung an Wert verlieren oder gänzlich ungültig werden. Darin liegt ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht. Eine Pflicht zur Aktualisierung wäre eine paternalistische Maßnahme, die der Person zugute kommen soll, ohne dass der Betroffene dies verlangt oder möchte.408 In Betracht kommt jedoch eine Rechtfertigung dieses Eingriffs mittels der Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 GG. Ungeachtet der Einordnung des Selbstbestimmungsrechts in das Grundgesetz unterliegt es zumindest verfassungsimmanenten Schranken.409 Allerdings müsste eine solche Beschränkung auch verhältnismäßig sein. Das legitime Ziel ist der Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Person. Fraglich ist aber schon, ob das Mittel der Aktualisierungspflicht geeignet ist, denn man kann nicht nur wegen Zeitablaufs von einer geänderten Meinung ausgehen. Allein der Zeitraum zwischen Errichtung oder der letzten Änderung oder Bestätigung und dem Behandlungszeitpunkt lässt keine Schlussfolgerung darauf zu, dass abgegebene Erklärungen nicht mehr gelten sollen.410 Man kann auch schon Jahre vor dem fraglichen Zeitpunkt wissen, welche Maßnahmen man dulden möchte und welche nicht. Eine Meinungsänderung kann sich andererseits auch kurzfristig durch ein außergewöhnliches Ereignis vollziehen, so dass der Zeitraum kein geeigneter Anhaltspunkt ist. Auch die Erforderlichkeit der Beschränkung ist fragwürdig. Die Gefahr eines Willenswechsels geht die Person eigenverantwortlich ein, um die Regelung ihrer Situation zu ermöglichen.411 Ändert sich ihre Meinung, kann 406

Erläuternder Bericht zu dem Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin: Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin, DIR/JUR (97) 5, Ziffer 62. Nach dem BMJ, Bioethik-Konvention, S. 15 bieten schriftliche Äußerungen aus der Zeit vor Eintritt der Äußerungsund Entscheidungsunfähigkeit die sicherste Gewähr für früher geäußerte Wünsche. Einer Patientenverfügung komme umso größere Bindungswirkung zu, je aktueller und konkreter sie gefasst sei. 407 Als Ausnahme sind jedoch die Nottestamente zu erwähnen, vgl. §§ 2249 ff. BGB. 408 s. bereits o. zur Verfassungsmäßigkeit von Paternalismus S. 147 ff. 409 Zu den verfassungsimmanenten Schranken gehören die Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestatte Rechtswerte, vgl. BVerfGE 28, 243, 244. 410 Zur Patientenverfügung: BT-Drs. 16/8442; Taupitz, Gutachten 63. Deutscher Juristentag, A 116. Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 323 betont jedoch die Gefahr, dass sich der Wille als irrtümlich oder falsch herausstellt oder überholt sein kann. 411 In Bezug auf die Patientenverfügung: Reus, JZ 2010, 80, 83; vgl. auch Sternberg-Lieben, NJW 1985, 2734, 2739; Taupitz, Gutachten 63. Deutscher Juristentag, A 108.

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sie eine neue Verfügung errichten. Wegen des Zeitablaufs nicht vom Bestand der Ansicht auszugehen, würde diese eigenverantwortliche Entscheidung unterlaufen. Schließlich ist es auch möglich, privatautonom die Wirkungsdauer der Erklärung zu begrenzen.412 Der Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht zeigt sich besonders deutlich, wenn man auf die fehlende Möglichkeit der Aktualisierung von bestimmten Personen abstellt, die etwa in ein Koma gefallen sind.413 Auch durch die Möglichkeit eines Widerrufs unter geringen Voraussetzungen ist die Erforderlichkeit nicht gegeben. Folglich ist auch eine Rechtfertigung nicht möglich. Die Entscheidung hätte nur ein maximales „Haltbarkeitsdatum“. Eine solche Entwertung der Autonomie ist mit dem Selbstbestimmungsrecht nicht vereinbar. Der Paternalismus ginge zu weit, indem auch eine selbstbestimmte Entscheidung keine ausreichende Berücksichtigung fände. Nur, weil die Entscheidung im Vorhinein gefallen ist, stellt dies kein Indiz für eine mangelnde Selbstbestimmung dar. Darüber hinaus kann auch der Tabuisierungsgedanke nicht auf alle Maßnahmen, die antizipierte Erklärungen betreffen, angewendet werden. Daher ist eine Aktualisierungspflicht nicht verfassungsgemäß. (b) Widerrufsrecht Um einer Diskrepanz zwischen antizipiert erklärtem und aktuellem Willen Ausdruck verleihen zu können, könnte dem Patienten jedoch ein Widerrufsrecht eingeräumt werden. Die Einräumung eines Widerrufsrechts, das auch im einwilligungsunfähigen Zustand bestehen soll und die Person vor einem Eingriff gegen ihren aktuellen Willen schützt, ist auch Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts. Da dieses Recht nicht erlischt, sobald eine Person einwilligungsunfähig wird, gilt grundsätzlich der geäußerte Wille. Um jedoch der Gefahr vorzubeugen, dass der antizipiert geäußerte Wille nicht mehr aktuell ist, ist ein Widerrufsrecht einzuräumen. Eine Widerrufsmöglichkeit steht nicht in Widerspruch zur Verbindlichkeit einer antizipierten Erklärung.414 Ansonsten käme man zu der absurden Konsequenz, dass man dem Betroffenen das Selbstbestimmungsrecht in Bezug auf die Erteilung einer antizipierten Einwilligung versagen würde, weil er das Selbstbestimmungsrecht auch durch einen Widerruf ausüben könnte.415 Dabei dürften auch aus der Perspektive des Selbstbestimmungsrechts nur geringe Anforderungen an die Fähigkeiten für die Erklärung des Widerrufs gestellt werden.416 Ein Widerruf sollte auch nicht an Formerfordernisse gebunden sein,417 um ihn 412

Zur Patientenverfügung: Taupitz, Gutachten 63. Deutscher Juristentag, A 116. Zur Patientenverfügung: Taupitz, Gutachten 63. Deutscher Juristentag, A 116. 414 Zur Patientenverfügung vgl. Füllmich, Tod im Krankenhaus, S. 74; Rickmann, Wirksamkeit von Patiententestamenten, S. 192; Sternberg-Lieben, FS Eser, S. 1185, 1193; ders., NJW 1985, 2734, 2735; Uhlenbruck, MedR 1992, 134, 136. 415 Sternberg-Lieben, FS Eser, S. 1185, 1193; ders., NJW 1985, 2734, 2735. 416 s. zur Patientenverfügung: Taupitz, Gutachten 63. Deutscher Juristentag, A 117 f.; anders hingegen Höfling/Demel, MedR 1999, 540, 543, die davon ausgehen, dass die Wider413

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zu erleichtern und auch Schreibunfähigen diese Möglichkeit zu geben. Der natürliche Wille ist ausreichend.418 Die Möglichkeit eines Widerrufs ist nicht nur eine Schutzmaßnahme zugunsten der körperlichen Unversehrtheit, sondern verwirklicht auch das Selbstbestimmungsrecht ähnlich einem Vetorecht. Es handelt sich letztlich um ein Vetorecht gegen eine eigene frühere Entscheidung. Darüber hinaus besteht durch einen möglichen Widerruf nicht das Problem, dass die Person durch ihre Erkrankung zu einem „anderen Menschen“ mit anderen Wertvorstellungen geworden ist, wie etwa bei einer lebensbejahenden Einstellung eines Kranken, der in das Stadium eines Kleinkindes zurückfällt.419 Wenn ein Widerruf mit geringen Anforderungen möglich ist, so besteht die Gefahr einer Verfügung über die veränderte Person nur in sehr geringem Maße. Diese verbleibende Gefahr wird letztlich in Kauf genommen, damit eine antizipierte Einwilligung erteilt werden kann. (2) Bestimmtheit Fraglich ist, ob die Schutzpflicht es gebietet, dass der antizipierte Wille einen gewissen Grad der Bestimmtheit erreicht. Bei der Forschung ist nicht immer absehbar, welche neuen Methoden sich entwickeln. Insbesondere ein Laie kann nicht voraussehen, welche Forschungsmaßnahmen und welche Studien in Zukunft in Frage kommen. Eine detaillierte antizipierte Einwilligung wird nur möglich sein, wenn die Person durch eine Krankheit während einer laufenden Studie absehbar einwilligungsunfähig wird und dies voraussehend eine solche Einwilligung erteilt, die die präzisen Forschungsmaßnahmen erfasst. Dennoch darf eine antizipierte Blankoeinwilligung nicht möglich sein. Eine Verfügung in der Form: „Ich erlaube jegliche Forschung an mir, auch wenn ich selbst nicht mehr einwilligen kann.“ ist zu unbestimmt um Ausdruck einer Selbstbestimmung zu sein.420 Daher muss der Staat hier schützend eingreifen. Auch eine Patientenverfügung ist wirksam, wenn sie eine bestimmte ärztliche Maßnahme betrifft.421 Andererseits wäre es eine Beschneidung des Selbstbestimmungsrechts, wenn ganz konkret auf den einzelnen Eingriff eingegangen werden müsste oder eine Liste von zu duldenden Maßnahmen notwendig rufsfähigkeit mit der Einwilligungsfähigkeit verloren geht und daher ein Widerruf unmöglich ist. 417 So auch bei der Patientenverfügung nach § 1901a Abs. 1 S. 3 BGB, vgl. auch BTDrs. 16/8442, S. 13; Taupitz, Gutachten 63. Deutscher Juristentag, A 115. 418 Vgl. zur Patientenverfügung: Golbs, Vetorecht, S. 216; Kutzer, FPR 2004, 683, 687; vgl schon o. zur Vetofähigkeit S. 157 f. 419 Vgl. zu diesem Problem bei der Patientenverfüung: Kutzer, FPR 2004, 683, 687; Merkel, JZ 1999, 502, 507 f.; ders., ZStW 1995, 545, 567 f.; Verrel, Gutachten 66. Deutscher Juristentag, C 88 f. 420 Das gilt auch für die Muster einer antizipierten Einwilligung bei Helmchen/Lauter, Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen?, S. 52; diese Muster wegen mangelnder Bestimmtheit ebenfalls ablehnend: Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 184. 421 BT-Drs. 16/8442, S. 13.

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wäre.422 Dies wäre einem Laien wohl kaum möglich und auch nicht vorhersehbar. Müsste ein Patient etwa genau beziffern in welcher Menge ihm Blut zu welchen spezifischen Zwecken entnommen werden dürfte, wäre eine antizipierte Einwilligung kaum möglich und sein Selbstbestimmungsrecht damit eingeschränkt. Allerdings ist ein gewisser Grad an Bestimmtheit geeignet und erforderlich zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit, so dass eine Rechtfertigung durch die Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 GG möglich erscheint. Es muss ein verhältnismäßiger Ausgleich zwischen dem Schutz seiner körperlichen Unversehrtheit und dem Selbstbestimmungsrecht erfolgen, so dass auf der einen Seite keine Blankoeinwilligung erteilt werden kann, auf der anderen Seite aber auch keine genauen Spezifizierungen notwendig sind. Zulässig ist daher eine Forschungsverfügung, die gängige Forschungsmethoden wie Blutentnahmen oder Magnetresonanztomographie sowie Beobachtungen oder Befragungen grob skizziert und etwa auch vergleichbare Methoden ohne sie genau zu benennen erfasst. Ergibt die Auslegung der antizipierten Einwilligung, dass sie nicht den eintretenden Fall abdeckt, so kann sie herangezogen werden im Rahmen der Ermittlung des Willens und der Wünsche der Person sowie auch für den mutmaßlichen Willen. (3) Aufklärungs- und Beratungspflicht, Formerfordernisse Zum Schutz des Patienten könnte auch eine Aufklärungs- und Beratungspflicht vor Errichtung einer antizipierten Erklärung notwendig sein.423 Ein Arzt könnte den Patienten vor der Erklärung über Art, Risiken, Nutzen und Bedeutung des Eingriffs aufklären und ihn hinsichtlich seiner Möglichkeiten beraten. Darüber hinaus wäre es möglich, die Errichtung der Form einer notariellen Beurkundung zu unterwerfen,424 um die juristische Beratung durch einen Notar zu erreichen oder die Schriftlichkeit der Einwilligung zu fordern. Das Erfordernis einer bestimmten Form wie etwa einer notariellen Beurkundung stellt grundsätzlich ebenfalls einen Eingriff in das Recht auf Selbstbestimmung dar, denn die Person kann in diesem Fall nicht ohne Hindernisse eine verbindliche Entscheidung treffen. Ihr Selbstbestimmungsrecht wird entwertet, indem Anforderungen an die Form der Entscheidungen gestellt werden. Eine Rechtfertigung durch die Wertungen des Art. 2 Abs. 2 GG zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit ist auch hier in Erwägung zu ziehen. Durch Formerfordernisse kann der Staat seiner Schutzpflicht nachkommen. Sie sind geeignet die körperliche Unversehrtheit zu 422 Dies wäre wohl auch kontraproduktiv, vgl. auch zur Bestimmtheit einer Patientenverfügung: Müller, DNotZ 2010, 169, 181; vgl. auch Neumann, in: NK; vor § 211, Rn. 115. Der Nationale Ethikrat, Stellungnahme Patientenverfügung, Sp. 16 ist sogar für die Zulässigkeit pauschaler Ermächtigungen zur Durchfürhugn ärztlicher Maßnahmen. 423 Eine Beratungspflicht lehnte der Gesetzgeber bei der Patientenverfügung ab: BTDrs. 16/8442, S. 14; anders hingegn der Entwurf des Abgeordneten Bosbach zur Patientenverfügung ohne Reichweitenbegrenzung, BT-Drs. 16/11360, S. 4, 14. 424 So der Entwurf des Abgeordneten Bosbach zur Patientenverfügung ohne Reichweitenbegrenzung, BT-DRs. 16/11360, S. 4, 14, 19.

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schützen, da sie einer Übereilung vorbeugen. Ärztliche Eingriffe können erhebliche Folgen haben, so dass eine Entscheidung wohlüberlegt gefällt werden sollte. Auch eine Beratung über die Tragweite der Entscheidung kann so erreicht werden. In Betracht kommt ferner eine zwingende Beratung durch den Arzt, der über die bessere Sachkenntnis verfügt.425 Darüber hinaus kann durch die Schriftform426 oder die notarielle Urkunde eine größere Sicherheit erreicht werden, dass der geäußerte Wille ernst gemeint ist und diese Situation betrifft. Durch die schriftliche Formulierung besteht als Beweis eine Urkunde, die einerseits für den Arzt Rechtssicherheit bedeutet, auf der anderen Seite den Patienten vor einer extensiven Auslegung des gesprochenen Wortes schützt. Anders als bei einer aktuell gegebenen Einwilligung betrifft die antizipierte Einwilligung eine Maßnahme in fernerer Zukunft, so dass ein weitergehender Schutz angezeigt erscheint. Welches Formerfordernis notwendig ist, liegt jedoch in der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers. Da ein Formerfordernis also verhältnismäßig sein kann, ist eine Rechtfertigung des Eingriffs möglich. Mithin ist es mit dem Selbstbestimmungsrecht vereinbar, wenn der Gesetzgeber innerhalb seines Gestaltungsspielraums Formerfordernisse für antizipierte Einwilligungen vorsieht. Weiterhin könnte eine Aufklärungs- und Beratungspflicht für Forschungsverfügungen vorgesehen werden.427 Wegen der Komplexität von Eingriffen bedarf es für die Wirksamkeit einer Einwilligung im Grundsatz einer Aufklärung. Problematisch ist dabei jedoch die fehlende Vorhersehbarkeit auch für Ärzte, welche Forschungsmaßnahmen zu welchem Erkenntniszweck in Zukunft eingesetzt werden könnten. Die Möglichkeit einer antizipierten Einwilligung wäre dadurch sehr begrenzt, denn dies würde dazu führen, dass Forschungsverfügungen nur errichtet werden könnten, wenn sowohl die zukünftige Krankheit, die zur Einwilligungsunfähigkeit führt, bekannt ist als auch die Studie, in die die Person einbezogen werden soll.428 Dies dürfte nur in seltenen Fällen, etwa bei Demenzkranken, vorliegen. Damit wäre eine antizipierte Selbstbestimmung auch bei Notfallpatienten nicht möglich. Kubiak hält eine Aufklärung in diesen Fällen für nicht erforderlich, da auch im Arzneimittelgesetz in Notsituationen Maßnahmen ohne Einwilligung und Aufklärung möglich seien.429 Dem ist aber entgegenzuhalten, dass es sich dort um eine andere Art der Einbeziehung in die Forschung handelt. Es geht dort um die mutmaßliche Einwilligung und bei dieser ist eine vorherige Aufklärung unmöglich. Bei 425

s. dazu noch sogleich. Diese wird vorgeschlagen von Eck, Zulässigkeit medizinischer Forschung, S. 282; Schöch/Verrel, GA 2005, 553, 566; Verrel, Gutachten 66. Deutscher Juristentag, C 82; ähnlich auch die Empfehlung im Zwischenbericht der Enquete-Kommission, BT-Drs. 15/3700, S. 40, die neben Schriftlichkeit eine Unterschrift fordert und ein Datum empfiehlt. 427 So auch die Empfehlung im Zwischenbericht der Enquete-Kommission, BT-Drs. 15/ 3700, S. 41. 428 Die Möglichkeit einer antizipierten Einwilligung daher ablehnend: Seelmann, FS Schreiber, S. 853, 860 f. 429 Kubiak, Notfallpatienten, S. 174. 426

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antizipierter Entscheidung ist unter Umständen eine Aufklärung möglich und zur Selbstbestimmung grundsätzlich erforderlich. Da sie jedoch nicht in allen Fällen erfolgen kann, stellt eine solche Aufklärungs- und Beratungspflicht einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht dar. Eine Rechtfertigung könnte aber wiederum durch die gegenläufigen Wertungen des Art. 2 Abs. 2 GG möglich sein. Eine Aufklärung ist geeignet und erforderlich, um den Patienten davor zu schützen, dass seine körperliche Unversehrtheit in einer Weise beeinträchtigt wird, die er nicht befürwortet. Damit schützt das Erfordernis einer Aufklärung auch sein Selbstbestimmungsrecht, denn eine freie Entscheidung gänzlich ohne Informationen ist nicht möglich bei solch komplizierten Sachverhalten wie in der Regel bei einem ärztlichen Eingriff. Ihr fehlt die Grundlage. Allerdings könnte auch ein Verzicht auf die Aufklärung möglich sein. Ein Aufklärungsverzicht für ärztliche Maßnahmen wird grundsätzlich für möglich gehalten,430 insbesondere auch, damit sich der Patient Angst und Sorge durch Kenntnis der Einzelheiten eines Eingriffs ersparen kann. Der Verzicht kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen.431 Sowohl das Recht auf Aufklärung als auch der diesbezügliche Verzicht sind Ausprägungen des Selbstbestimmungsrechts.432 Ein „Blankoverzicht“, ein Verzicht auf jegliche Aufklärung, ist jedoch nach herrschender Ansicht unzulässig.433 Zuzustimmen ist dem dahingehend, dass bei Fehlen jeglicher Kenntnis vom Verzichtsgegenstand eine selbstbestimmte Entscheidung wohl kaum gegeben ist. Daher muss zumindest eine vage Vorstellung bestehen,434 inwiefern etwa Risiken und Nutzen mit Forschung verbunden sein können. Auch muss der Patient wissen, dass er Anspruch auf eine Aufklärung hat.435 So ist beispielsweise auch bei der Organspendeerklärung keine Aufklärung über Einzelheiten notwendig, etwa wie Organe entnommen werden. Es reicht aus, wenn die Person Kenntnis davon hat, dass bei ihrem Tod Organe zugunsten von anderen entnommen werden. Sollte eine vage Kenntnis von der möglichen Forschung bestehen, verbietet auch die Schutzpflicht 430 Vgl. BGH NJW NJW 1959, 811, 813; 1973, 556, 558; NJW 1976, 363, 364; BT-Drs. 16/ 8442, S. 10, 14; Harmann, NJOZ 2010, 819, 823; Röver, Einflußmöglichkeiten des Patienten, S. 149; Schöch, in: Roxin/Schroth, S. 51, 71; Taupitz, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 2010, 155, 170; Nach Taupitz, Gutachten 63. Deutscher Juristentag, A 113 soll eine Aufklärung erforderlich sein, wenn ein Fall des § 1904 BGB vorliegt; Uhlenbruck, MedR 1992, 134, 137; Voll, Einwilligung im Arztrecht, S. 129; nach Osieka, Humanforschung, S. 201 ist der Verzicht auf Aufklärung bei der Forschung allerdings ausgeschlossen. 431 Harmann, NJOZ 2010, 819, 823; Voll, Einwilligung im Arztrecht, S. 129; anders hingegen: BT-Drs. 16/8442, S. 14. 432 Harmann, NJOZ 2010, 819, 822. 433 Vgl. BGH NJW 1973, 556, 558; Roßner, NJW 1990, 2291, 2294; Röver, Einflußmöglichkeiten des Patienten, S. 150 f.; Taupitz, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 2010, 155, 170; Voll, Einwilligung im Arztrecht, S. 130. 434 Vgl. auch Roßner, NJW 1990, 2291, 2294; ähnlich auch: Eck, Zulässigkeit medizinischer Forschung, S. 270, 275. 435 Schwill, Aufklärungsverzicht, S. 351 f. begrenzt die Möglichkeit eines Aufklärungsverzichts durch Art. 1 GG nur in der Hinsicht, dass eine „formale Metaaufklärung“ über das Aufklärungs- und Verzichtsrecht erfolgen muss.

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aus Art. 2 Abs. 2 GG nicht einen Verzicht. Mithin folgt aus dem Selbstbestimmungsrecht, dass grundsätzlich eine Aufklärung erfolgen muss, ein Verzicht auf die Aufklärung aber möglich ist, sofern eine vage Kenntnis von der möglichen Forschung besteht. (4) Beschränkung auf Volljährige? Zweifelhaft ist, ob, wie in § 1901a Abs. 1 BGB, antizipierte Einwilligungen nur durch volljährige Personen erteilt werden können. Eine solche Beschränkung auf Volljährige könnte minderjährige Patienten in ihrem Selbstbestimmungsrecht verletzen. Auch Minderjährige können einwilligungsfähig sein, aber schon vor Erlangung der Volljährigkeit durch Krankheit oder Unfall einwilligungsunfähig werden. Wenn sie keine Forschungsverfügung errichten dürfen, bedeutet dies für sie einen Eingriff in ihr Recht auf medizinische Selbstbestimmung. Sofern sie selbst einwilligungsfähig sind, dürfen sie Einwilligungen erteilen. Es ist jedoch schwer einzusehen, warum ihnen die Möglichkeit einer Einwilligung in antizipierter Weise versagt werden sollte. Eine Rechtfertigung dieses Eingriffs durch die staatliche Schutzpflicht zugunsten von Leben und Gesundheit ist nicht möglich. Zwar sind sie als junge, noch unerfahrene Personen besonders schutzwürdig, wenn sie jedoch einwilligungsfähig sind, sollten sie die gleichen Rechte haben wie andere einwilligungsfähige Personen.436 Ihnen jegliche Möglichkeit der Errichtung einer Forschungsverfügung zu versagen ist nicht erforderlich, da es nicht das mildeste Mittel des Schutzes darstellt. Eine erweiterte Aufklärungspflicht etwa wäre kein solch gravierender Eingriff in ihr Recht auf medizinische Selbstbestimmung. Folglich verstößt eine Beschränkung auf volljährige Personen gegen das Selbstbestimmungsrecht.437 (5) Antizipierte Erklärungen bei Humanexperimenten Die Zulässigkeit antizipierter Einwilligungen wird jedoch zum Teil für den Bereich der Humanexperimente verneint.438 Dies wird insbesondere damit begründet, dass die Voraussetzungen für einen Aufklärungsverzicht bei einem Heilversuch steigen und ein Verzicht bei einem Humanexperiment nicht möglich sei.439 Eine Forschungsverfügung sei lediglich als gewichtiges Indiz für den mutmaßlichen Willen anzusehen.440 Es ist jedoch nicht verständlich, warum eine Person für diesen 436

Daher wird auch eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes beim Patientenverfügungsgesetz kritisiert: Götz, in: Palandt, § 1901a, Rn. 10; Müller, DNotZ 2010, 169, 182; Schumann, FPR 2010, 474, 478; Taupitz, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 2010, 155, 161. 437 So jeweils zum Patientenverfügungsgesetz: Götz, in: Palandt, § 1901a, Rn. 10; Müller, DNotZ 2010, 169, 182; Schumann, FPR 2010, 474, 478; Sternberg-Lieben/Reichmann, NJW 2012, 257, 260; Taupitz, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 2010, 155, 161. 438 Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 234. Dagegen jedoch: Elzer, MedR 1998, 124. 439 Röver, Einflußmöglichkeiten des Patienten, S. 155, 160; zum Humanexperiment: Höfling/Demel, MedR 1999, 540, 542. 440 König, Übereinkommen, S. 77 ff.

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Bereich, der seine körperliche Unversehrtheit und sein Selbstbestimmungsrecht tief berühren kann, nicht im Vorhinein entscheiden können soll. Dies hätte auch zur Folge, dass antizipierte Einwilligungen zur Humanforschung nahezu ausgeschlossen würden, obwohl sie Ausdruck des Selbstbestimmungsrecht sind. Dadurch würde die Person in ihren Entfaltungsmöglichkeiten unverhältnismäßig eingeschränkt. Das Selbstbestimmungsrecht würde verletzt und bei Einhaltung der Schutzmaßnahmen kann dies nicht durch die Schutzpflicht des Staates gerechtfertigt werden. Das Recht auf medizinische Selbstbestimmung ist nicht auf den Bereich der indizierten Maßnahmen beschränkt, sondern bezieht sich auf den Körper und zwar unabhängig vom Nutzen des Eingriffs. Da durch die Schutzmaßnahmen einer Instrumentalisierung vorgebeugt und ein abweichender Wille berücksichtigt wird, ist es nicht erforderlich, antizipierte Einwilligungen nur für indizierte Maßnahmen zuzulassen. Darüber hinaus zeigt auch gerade die Möglichkeit einer Patientenverfügung mit einem Behandlungsabbruch, dass sogar indizierte Maßnahmen abgelehnt werden können und daher nicht nur objektiv für die Person sinnvolle Entscheidungen von der antizipierten Einwilligung erfasst sind. cc) Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts durch Schutzmaßnahmen Durch verschiedene Schutzmaßnahmen wird das Recht, selbständig über die Teilnahme an einer Studie zu entscheiden, beschränkt. So kann man etwa nicht entscheiden, dass man trotz eines ablehnenden Votums einer Ethikkommission, ohne Genehmigung oder bei einer negativen Risiko-Nutzen-Abwägung Versuche gestattet.441 Das Selbstbestimmungsrecht wird dabei zugunsten des Schutzes der körperlichen Unversehrtheit eingeschränkt. Bei einwilligungsunfähigen Personen ist dieser Konflikt zwar nicht bei der stellvertretenden oder mutmaßlichen Einwilligung, jedoch bei der Erteilung einer antizipierten Einwilligung gegeben. Es handelt sich um paternalistische Maßnahmen, die einer Rechtfertigung bedürfen.442 Die Kollision der Grundrechte auf medizinische Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit ist vergleichbar zu der Abwägung, die sich auch in § 216 StGB und § 228 StGB widerspiegelt. Auch bei diesen wird das Selbstbestimmungsrecht zum Schutz von Körper und Leben beschränkt.443 Zum Grund der Einschränkung werden im Wesentlichen drei Ansätze vertreten: das Interesse der Rechtsgemeinschaft an gesunden Mitgliedern,444 Paternalismus445 oder das Interesse der Rechtsgemein441 Vgl. dazu auch Held, Strafrechtliche Beurteilung, S. 59 ff.; Seelmann, FS Schreiber, S. 853, 859, der zu dem Ergebnis gelangt, dass die Risiko-Nutzen-Abwägung als Indiz für fehlende Einwilligungsmängel gelten kann und die Voraussetzung daher im Spielraum des Gesetzgebers sei. 442 s. zum Paternalismus bereits o. S. 147 ff. 443 Vgl. zur Kritik an § 216 StGB: Hoerster, ZRP 1988, 1 ff.; ders., NJW 1986, 1786 ff., der einer Einwilligung auch bei einer Tötung de lege ferenda rechtfertigende Wirkung beimessen will bei einer unheilbaren Krankheit, die das als Leben nicht mehr lebenswert erscheinen lässt. 444 Weigend, ZStW 1986, 44, 62 ff. geht dabei von einem Selbsterhaltungsinteresse der Gesellschaft aus und stellt einen Vergleich zu § 109 StGB uns § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG an;

186 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

schaft an der Tabuisierung schwerwiegender Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit.446 Während sich der erste Erklärungsversuch auf die Forschung am Menschen nicht übertragen lässt, da gerade durch die Forschung die Gesundheit der Mitglieder der Rechtsgemeinschaft gefördert werden soll, könnten die Erklärungsversuche des Paternalismus und der Tabuisierung hier Anwendung finden. Beide gehen letztlich auf den Gedanken zurück, dass das Selbstbestimmungsrecht nicht in jedem Fall Vorrang vor dem Recht auf körperliche Unversehrtheit genießt. Beim paternalistischen Ansatz werden die Personen vor unvernünftigen Entscheidungen, die zum Nachteil ihrer Gesundheit sind, geschützt.447 Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass jeder auch unvernünftige Entscheidungen treffen darf und solche nicht auf eine fehlende Selbstbestimmung schließen lassen. Paternalismus ist daher nur in engen Grenzen verfassungsrechtlich zulässig.448 Der Tabuisierungsgedanke schützt Körper und Leben noch grundsätzlicher, indem er die Unantastbarkeit der Verbote betont.449 Nach Oswald stellt die Risiko-Nutzen-Abwägung ein Indiz für eine nicht selbstbestimmte Einwilligung dar und kann daher die Einwilligungsmöglichkeit beschränken.450 Auch die Voraussetzung einer Aufklärung sichere die Autonomie der Entscheidung und sei daher verhältnismäßig.451 Oswald stellt dabei auf eine Rechtsgutstheorie ab, nach der strafbewehrte Vorschriften nur legitim seien, wenn sie dem Schutz eines legitimen Strafrechtsguts dienen und dieser Schutz verhältnismäßig ausgestaltet sei.452 Die Zulässigkeit von Paternalismus komme nur über die Schutzfunktion der Grundrechte in Betracht.453 Eine negative Risiko-Nutzen-Abwägung könne als Ausdruck einer Gefährdungslage für Eigenverantwortlichkeit der

dagegen: Dölling, GA 1984, 71, 85; Göbel, Einwilligung, S. 31; Stegmüller, Sittenwidrigkeit, S. 124. Gegen diese Ansicht wird insbesondere vorgebracht, auch der Suizid müsse dann strafbar sein; vgl. Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9, Rn. 17. 445 Frisch, FS Hirsch, S. 485, 495, der allerdings diesen Begriff ablehnt; Stegmüller, Sittenwidrigkeit, S. 136; dagegen: Hirsch, JZ 2004, 375, 476; Kargl, JZ 2002, 389, 397. 446 Vgl. Dölling, GA 1984, 71, 86; Hardtung, in: MüKo-StGB, § 228, Rn. 20 ff.; Hirsch, FS Welzel, S. 775, 798 f.; ders., ZStW 1971, 140, 168; Otto, FS Tröndle, S. 157, 158, 169; Sternberg-Lieben, Schranken der Einwilligung, S. 117 f. (zu § 216 StGB); Stratenwerth/ Kuhlen, AT, § 9, Rn. 18; s. auch dagegen Kargl, JZ 2002, 389, 397 f. sowie Niedermair, Körperverletzung, S. 181. 447 Frisch, FS Hirsch, S. 485, 495 ff. 448 s. o. S. 147 ff. 449 So zu § 216 StGB, nicht aber zu § 228 StGB: Sternberg-Lieben, Schranken der Einwilligung, S. 117 f., 123; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9, Rn. 18. 450 Oswald, Die strafrechtlichen Beschränkungen, S. 257 ff.; anders hingegen: von Freier, Humanforschung, S. 356 f., der objektive Forschungsregeln mit der institutionellen Garantie eines durch den Heilauftrag geprägten Arzt-Patienten-Verhältnisses legitimiert. 451 Oswald, Die strafrechtlichen Beschränkungen, S. 198. 452 Oswald, Die strafrechtlichen Beschränkungen, S. 187. 453 Oswald, Die strafrechtlichen Beschränkungen, S. 143.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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Entscheidung gelten.454 Die Regelung sei daher verhältnismäßig, wenn bei der Auslegung die für §§ 228, 216 StGB geltende Obergrenze übertragen werde.455 Der Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht ist als eher geringfügig einzustufen, da nur selten Versuche mit einer negativen Risiko-Nutzen-Abwägung vom Probanden gewünscht sein werden. Darüber hinaus kann der Staat seinem Schutzauftrag kaum auf andere Weise als durch eine Genehmigung oder das Votum einer Ethikkommission nachkommen. Es ist nicht möglich, die Zustimmung jedes einzelnen Probanden zu überprüfen und im Einzelfall auch höchst risikoreiche Versuche zuzulassen, wenn sich die Entscheidung des Betroffenen trotz negativer Risiko-Nutzen-Abwägung als selbstbestimmt darstellt.456 Es handelt sich daher um eine sehr sanfte Form des Paternalismus. Des Weiteren ist auch darauf hinzuweisen, dass die Würde bei risikoreichen oder lebensbedrohlichen Versuchen tangiert sein kann, so dass die Schutzpflicht des Staates noch erweitert wird.457 Der Tabuisierungsgedanke spielt hier außerdem ebenfalls eine wichtige Rolle: Gerade die Erfahrung der Experimente in der Zeit des Nationalsozialismus führt dazu, dass wissenschaftliche Forschung nicht um jeden Preis betrieben werden darf und daher Forschungsmaßnahmen mit einer negativen Risiko-Nutzen-Abwägung „tabu“ sein müssen. Folglich können diese paternalistischen Einschränkungen des Selbstbestimmungsrechts gerechtfertigt werden. dd) Zwischenergebnis Die Einbeziehung durch antizipierte Forschungsverfügung stellt ein Mittel dar, um Einwilligungsunfähige an der Forschung teilnehmen zu lassen und dabei im größtmöglichen Umfang ihrem Recht auf medizinische Selbstbestimmung gerecht zu werden. Neben den Schutzvorkehrungen, die auch schon im Rahmen der Einbeziehung durch Repräsentation speziell für die Forschung an Einwilligungsunfähigen erarbeitet worden sind,458 müssen weitere Besonderheiten beachtet werden: Forschungsverfügungen dürfen aber nicht auf Volljährige beschränkt werden, Formerfordernisse bewegen sich jedoch im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Ein Widerrufsrecht ist mit dem Selbstbestimmungsrecht vereinbar. Zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit ist ein gewisser Grad an Bestimmtheit erforderlich und eine Aufklärungspflicht notwendig. Allerdings ist bei vager Kenntnis ein Verzicht

454

Oswald, Die strafrechtlichen Beschränkungen, S. 258 f. Oswald, Die strafrechtlichen Beschränkungen, S. 262 f. Das bedeutet, dass bei einer konkreten Lebensgefährdung in der Regel eine Unvertretbarkeit des Verhältnisses von Risiken und Nutzen anzunehmen sei. 456 Vgl. auch Oswald, Die strafrechtlichen Beschränkungen, S. 259, nach der psychiatrische Untersuchungen insofern kein milderes Mittel darstellen als das Erfordernis einer RisikoNutzen-Abwägung. 457 Dabei ist auch auf die Unverfügbarkeit der Würde hinzuweisen, vgl. auch BVerfG NJW 1977, 1525, 1526. 458 Vgl. o. S. 162 ff. 455

188 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

auf Aufklärung möglich. Eine Aktualisierungspflicht kann hingegen nicht durch die Wertungen des Art. 2 Abs. 2 GG gerechtfertigt werden. g) Einbeziehung durch mutmaßlichen Willen aa) Vereinbarkeit einer Einbeziehung durch mutmaßlichen Willen Möglich wäre des Weiteren eine Einbeziehung kraft mutmaßlichen Willens. In Fällen, in denen eine selbstbestimmte Entscheidung wegen fehlender Einwilligungsfähigkeit ausscheidet, könnte eine Ersetzung dieser Entscheidung durch den mutmaßlichen Willen der Person sachgerecht sein. Der mutmaßliche Wille spielt sowohl im Bürgerlichen Gesetzbuch als auch im Strafrecht eine Rolle. So ist gemäß §§ 677, 680 BGB das Interesse und der mutmaßliche Wille des Geschäftsherrn im Rahmen der Geschäftsführung ohne Auftrag maßgeblich. Entspricht die Geschäftsführung dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherren, kann der Geschäftsführer Ersatz seiner Aufwendungen verlangen. Auf den mutmaßlichen Willen ist abzustellen, wenn der wirkliche Wille nicht zu ermitteln ist.459 Auch bei der ärztlichen Behandlung bzw. deren Untersagung ist der mutmaßliche Wille nach § 1901a Abs. 2 BGB zu ermitteln, sofern keine Patientenverfügung vorliegt oder deren Festlegungen nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Der mutmaßliche Wille ist dabei aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Auch zur strafrechtlichen Rechtfertigung ist die mutmaßliche Einwilligung gewohnheitsrechtlich anerkannt.460 Der mutmaßliche Wille hat also Eingang in unterschiedliche gesetzliche Regelungen gefunden. Er stellt zwar keine originäre Selbstbestimmung dar,461 knüpft aber an diese an, indem individuelle Bedürfnisse, Wünsche und Wertvorstellungen berücksichtigt werden.462 Auch eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung durch den mutmaßlichen Willen ist anerkannt.463 In Notsituationen müssen und dürfen nicht alle Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit unterbleiben. Ansonsten würde derjenige, der nicht entscheidungsfähig ist, unter Umständen benachteiligt.464 Bei fehlendem Vertreter und antizipierter Einwilligung kommt der mutmaßliche Wille der Selbstbestimmung am nächsten, so dass 459

Mansel, in: Jauernig, § 683, Rn. 4; Seiler, in: MüKo-BGB, § 683, Rn. 10. Knauer/Brose, in: Spickhoff, § 223 StGB, Rn. 9; Kühl, in: Lackner/Kühl, vor §§ 32 – 35, Rn. 19. 461 Nach Köhler, AT, S. 244 ff. beruht die mutmaßliche Einwilligung sogar auf dem Prinzip besonderer Selbstbestimmung und stelle eine Repräsentation des besonderen Willens dar. 462 Knauer/Brose, in: Spickhoff, § 223 StGB, Rn. 11; Kühl, in: Lackner/Kühl, vor §§ 32 – 35, Rn. 21. 463 Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 II, Rn. 56; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 2, Rn. 237. 464 Taupitz, in: Canaris, S. 497, 503 formuliert: „Wer von seinem Selbstbestimmungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat, hat eben ,Pech‘ gehabt. Das widerspricht den Grundprinzipien einer solidarischen Gemeinschaft.“ 460

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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auf ihn abgestellt werden kann. Es handelt sich nicht um eine Missachtung der Selbstbestimmung, da der Betroffene selbst nicht entscheiden kann und dem Entscheidungsnotstand nur durch das Surrogat des mutmaßlichen Willens am besten abgeholfen werden kann.465 Ist also die Herstellung von Rechtsgleichheit nicht durch Repräsentation möglich, muss zumindest der mutmaßliche Wille berücksichtigt werden. Bei einer Einbeziehung von einwilligungsunfähigen Personen in die Forschung durch mutmaßlichen Willen liegt zwar keine persönliche Einwilligung der Person vor, die Grundlage der Entscheidung kommt einer aktuellen Selbstbestimmung jedoch sehr nahe. Bei dem mutmaßlichen Willen ist kein rein objektiver Maßstab anzusetzen, sondern die persönlichen Wünsche, Ansichten und Vorlieben müssen Beachtung finden. Es wird also nicht gefragt, wie die Person vernünftigerweise entscheiden müsste, sondern wie sie entschiede, wenn sie dazu fähig wäre. Daher widerspricht eine Einbeziehung mittels mutmaßlichen Willens nicht dem Selbstbestimmungsrecht. Das Abstellen auf den mutmaßlichen Wille akzeptiert die Person als Subjekt mit ihren besonderen Eigenschaften und Interessen. Durch die subjektive Dimension des mutmaßlichen Willens darf die Entscheidung nicht in eine Pflicht umgedeutet werden, sobald objektiv ein Eingriff sinnvoll erscheint. Der Einwilligungsunfähige wird weiterhin als Person wahrgenommen. Die Einbeziehung durch mutmaßliche Einwilligung ist daher mit der Menschenwürde vereinbar. Allerdings ist auch die Einbeziehung aufgrund mutmaßlichen Willens nicht grenzenlos zulässig, so dass die für die Forschung erarbeiteten Einschränkungen auch hier gelten.466 Dazu bedarf es weiterer Schutzvorkehrungen speziell für die Einbeziehung durch mutmaßliche Einwilligung. bb) Mutmaßliche Einwilligung bei Fremdnutzen? Zweifelhaft ist, ob die Einbeziehung durch mutmaßliche Einwilligung auf Forschungsmaßnahmen mit einem individuellen Nutzen beschränkt ist. Die Zulässigkeit einer mutmaßlichen Einwilligung wird zum Teil für die fremdnützige Forschung verneint.467 Es wird darauf verwiesen, dass Notfallpatienten grundsätzlich die bestmögliche Behandlung möchten468 und daher randomisierte Studien in der Regel

465

Vgl. Stratenwerth, ZStW 1956, 41, 48. Vgl. dazu o. S. 162 ff. 467 von Dewitz, Klinische Bewertung von Medizinprodukten, S. 149 (zu Kindern); ders., A&R 2006, 243, 251; Eck, Zulässigkeit medizinischer Forschung, S. 147; Hüppe, idea 10/97, 3, 8 mit schweren Ausnahmefällen; Seelmann, FS Schreiber, S. 853, 862; zweifelnd auch: Eser, in: Kruse/Kumpf, S. 173, 186; Jürgens, KritV 1998, 34, 38. Vgl. auch Köhler, NJW 2003, 853, 854 ff.; a.A.: Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 557; Held, Strafrechtliche Beurteilung, S. 103; Held, Medizinische Diagnostik, S. 136; Rosenau, RPG 2002, 94, 101 hält eine mutmaßliche Einwilligung bei geringfügigen Belastungen für zulässig. 468 Köhler, NJW 2003, 853, 854, 856. 466

190 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

nicht vom mutmaßlichen Willen gedeckt sind.469 Teils wird die Möglichkeit einer Rechtfertigung durch mutmaßliche Einwilligung auch von der Risikoerhöhung abhängig gemacht: Bei Unklarheit darüber scheide eine mutmaßliche Einwilligung aus, nur bei gleichem Risikospektrum, etwa bei anderer Lagerung sei dies möglich.470 Diese verneinende Ansicht könnte auch zur Folge haben, dass ein Vertreter nicht einwilligen kann, wenn er an den mutmaßlichen Willen des Betroffenen gebunden ist.471 Hinsichtlich der objektiven Dimension des mutmaßlichen Willens kann auf die Ausführungen zu dem Wohl der Person verwiesen werden:472 Auch fremdnützige Maßnahmen müssen nicht dem Wohl der Person widersprechen, insbesondere, wenn sie nur minimal belastend und risikoreich sind. Auch können die anderen Vorteile, die durch die Teilnahme an einer Studie entstehen, berücksichtigt werden, wie insbesondere die intensive Betreuung. Zwar kann die mutmaßliche Einwilligung nicht auf eine Sozialbindung gestützt werden,473 einer Person ist jedoch nicht immer rein eigennütziges Verhalten zu unterstellen. Der mutmaßliche Wille einer Person lässt sich nämlich nicht auf eine objektive Seite reduzieren. Im Gegenteil sind vorrangig Wünsche und Vorstellungen zu berücksichtigen und nur bei Fehlen von Anhaltspunkten ist auf objektive Kriterien abzustellen. Die wertbezogenen Interessen der Person sind zu ermitteln. Daher sind Anhaltspunkte zu suchen, die den Schluss zulassen, die Person würde sich, wenn sie selbst einwilligen könnte, auch für fremdnützige Forschungsmaßnahmen zur Verfügung stellen.474 In Betracht kommt dabei etwa die Teilnahme an früheren Studien475 oder die Spendenbereitschaft im Hinblick auf Organe oder Blut. Außerdem besteht die Möglichkeit, Angehörige zu befragen um den mutmaßlichen Willen zu erforschen. Ergibt sich aus diesen Anhaltspunkten, dass die Person im Fall ihrer Einwilligungsfähigkeit zustimmen würde, so entspricht dies ihrem mutmaßlichen Willen. Daher kann auch in Notfallsituationen eine Einbeziehung in fremdnützige Forschung erfolgen. Würde man die Forschung in Notfallsituationen grundsätzlich mit Verweis auf den mutmaßlichen Willen ausschließen, würde die Autonomie des Betroffenen missachtet, indem auf rein objektive Kriterien abgestellt würde. Die Möglichkeit, dass Betroffene sich u. U. altruistisch verhalten würden und nicht nur auf den eigenen Nutzen bedacht sind, darf

469 Köhler, NJW 2003, 853, 856. Einschränkend: Lippert, DMW 1994, 1796, 1797, der eine mutmaßliche Einwilligung für möglich hält, wenn kein Nachteil oder nachweisbar ein therapeutischer Nutzen zu erwarten ist. 470 Spickhoff, MedR 2006, 707, 713 f. 471 So etwa nach § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 2 AMG. 472 Vgl. o. S. 138 ff. 473 Jürgens, KritV 1998, 34, 38. 474 Nach von Freier, Humanforschung, S. 36 reicht dies nicht aus, vielmehr müsste der Teilnahmewille durch vorherige Bestimmung des Probanden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen. 475 Spickhoff, MedR 2006, 707, 714.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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nicht verkannt werden. Auf den mutmaßlichen Willen lässt sich also kein Verbot nicht eigennütziger Forschung stützen. cc) Erforderliche Schutzmaßnahmen (1) Dringlichkeit Eine Einbeziehung durch mutmaßlichen Willen darf nur in Betracht kommen, wenn weder eine antizipierte noch die Entscheidung eines Vertreters eingeholt werden kann. Es handelt sich um eine Vermutung, die besonders anfällig für Fehleinschätzungen ist, so dass die anderen Formen der Einbeziehung vorrangig zu beachten sind.476 Daher ist in einer Notsituation zunächst zu prüfen, ob eine antizipierte Einwilligung gegeben ist oder ein Vertreter für die Person bestellt ist. Sollte dies nicht der Fall sein, so muss auch der Frage nachgegangen werden, ob die Maßnahmen so lange aufgeschoben werden können, bis ein Vertreter vorhanden ist. Ist dies zu bejahen, so muss auf eine Bestellung gewartet werden. Nur im Fall der Verneinung ist sodann auf den mutmaßlichen Willen abzustellen. (2) Nachholung der Einwilligung Die Maßnahmen können jedoch auch nicht auf Dauer auf den mutmaßlichen Willen gestützt werden. Die Bestellung eines Vertreters muss bei nicht nur sehr kurzfristiger Einwilligungsunfähigkeit dennoch erfolgen. Ist ein Vertreter bestellt oder wird die Person etwa durch Erwachen aus der Bewusstlosigkeit wieder einwilligungsfähig, so ist die Einwilligung nachzuholen, um dem Selbstbestimmungsrecht Genüge zu tun, indem die Maßnahmen durch die Einbeziehungsform gerechtfertigt werden, die diesem am ehesten gerecht werden. (3) Zustimmung weiterer Instanzen Für die Fälle der Notfallsituationen, in denen kein Betreuer vorhanden oder erreichbar ist, werden auch weitere Schutzmechanismen vorgeschlagen. In Betracht kommt eine Zustimmung weiterer Instanzen. (a) „Gießener Modell“ Teilweise wird insoweit etwa die Zustimmung eines weiteren Arztes befürwortet.477 Nach diesem Konsiliararztmodell, das im Rahmen der Forschung an Notfallpatienten bereits teilweise Anwendung findet, wenn die Entscheidung eines

476

Vgl. zu der Rangfolge der Einbeziehungsmöglichkeiten auch noch S. 193 f. Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 41, Rn. 29; dies., MPJ 2008, 211, 216; vgl. auch Brückner/Brockmeyer/Gödicke/Kratz/Scholz/Taupitz/Weber, MedR 2010, 69, 73; Kubiak, Notfallpatienten, S. 167. 477

192 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Vertreters nicht eingeholt werden kann,478 entscheiden zwei unabhängige Ärzte, ob die Voraussetzungen des Gesetzes vorliegen.479 Sowohl der behandelnde Arzt als auch der Konsiliararzt beurteilen, ob eine Behandlung ohne Aufschub notwendig ist, der Patient einwilligungsunfähig ist, ein persönlicher Behandlungsvorteil durch die Einbeziehung in die klinische Prüfung zu erwarten ist und keine Einwilligung eines Vertreters eingeholt werden kann.480 Durch dieses zweite Fachvotum wird der Prüfer in Bezug auf die zu treffende ärztliche Entscheidung entlastet und durch das VierAugen-Prinzip abgesichert.481 Dieses Modell findet sich auch im Code of Federal Regulation der U.S. Food ans Drug Administration (FDA).482 Das Konsiliararztmodell, das aufgrund seiner Anwendung in Gießen auch „Gießener Modell“ genannt wird, kann einer Missbrauchsgefahr entgegenwirken und vermag daher den Schutz des Patienten zu verbessern. Gerade in Notfallsituationen, in denen keine Zustimmung eines Vertreters eingeholt werden kann, ist ein besonderer Schutz durch eine weitere Stellungnahme geboten. Möglich wäre also eine gesetzliche Regelung, die ein zweites ärztliches Votum in Notfallsituationen voraussetzt. Allerdings sollte nicht nur festgestellt werden, ob ein persönlicher Behandlungsvorteil zu erwarten ist. Vielmehr muss – gerade wenn das Gießener Modell nicht mit einem weiteren Verfahren kombiniert wird – der mutmaßliche Wille der Versuchsperson ermittelt werden. Dieser kann einerseits auch bei einem persönlichen Behandlungsvorteil abzulehnen sein, andererseits aber auch ohne persönlichen Nutzen bestehen.483 (b) „Heidelberger Verfahren“ In Betracht zu ziehen ist ferner eine Eilentscheidung eines Richters.484 Wenn kein Betreuer vorhanden ist und auch nicht schnell genug bestellt werden kann, entscheidet ein Richter, ob es vertretbar ist, fernmündlich dem Einschluss des Patienten zuzustimmen. Eine Zustimmung wird schriftlich auf einem Formular festgehalten und später in die Patientendokumente eingefügt. Gleichzeitig wird eine Eilbetreuung 478 Vgl. das Formblatt der Universität Gießen, abrufbar unter http://fss.plone.uni-giessen.de/ fss/fbz/fb11/dekanat/ethikkommission/dateienethik/notfallsit/file/Feststellung_Notfallsituation. pdf. 479 Habermann/Lasch/Gödicke, NJW 2000, 3389, 3394; Steiner/Walter-Sack/Taupitz/ Hacke/Strowitzki, DMW 2008, 787, 791. 480 Vgl. das Formblatt der Universität Gießen, abrufbar unter http://fss.plone.uni-giessen.de/ fss/fbz/fb11/dekanat/ethikkommission/dateienethik/notfallsit/file/Feststellung_Notfallsituation. pdf. 481 Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 41, Rn. 29; dies., MPJ 2008, 211, 216. 482 Code of Federal Regulations, Revised as of April 1, 2011, Title 21, Volume 1, Subpart B, Sec. 50.23 (a); abrufbar unter http://www.accessdata.fda.gov/scripts/cdrh/cfdocs/cfcfr/CFRSe arch.cfm?CFRPart=50&showFR=1&subpartNode=21:1.0.1.1.19.2. 483 Vgl. auch noch zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens u. S. 296 f. 484 Brückner/Brockmeyer/Gödicke/Kratz/Scholz/Taupitz/Weber, MedR 2010, 69, 73; Kubiak, Notfallpatienten, S. 167; Steiner/Walter-Sack/Taupitz/Hacke/Strowitzki, DMW 2008, 787, 790 f.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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verfügt. Die Richter werden bereits im Vorhinein generell über Tragweite und Bedeutung der klinischen Studie und die Stellungnahme der Ethikkommission informiert und entscheiden in der Notsituation über den Einzelfall.485 Diese wegen seiner Herkunft auch „Heidelberger Verfahren“ genannte Vorgehensweise verspricht gegenüber dem Gießener Modell eine größere Unabhängigkeit der Entscheidung. Allerdings kann ein Richter wohl kaum eine medizinische Beurteilung über die Erforderlichkeit der Einbeziehung des konkreten Notfallpatienten treffen. Einem zweiten Arzt ist hingegen keine juristische Betrachtung möglich. Daher haben beide Modelle Vorteile und könnten auch kumulativ angewendet werden. h) Rangfolge der Einbeziehungsmöglichkeiten Als Einbeziehungsmöglichkeiten verbleiben danach nur noch die Repräsentation, die antizipierte und mutmaßliche Einwilligung. Diese Möglichkeiten sollen nun dahingehend untersucht werden, ob sich aus dem Selbstbestimmungsrecht eine Rangfolge ergibt, welche Legitimation der Einbeziehung vorrangig und welche subsidiär heranzuziehen ist. Eine Einbeziehung durch mutmaßlichen Willen birgt die größten Unsicherheiten. Die Person hat weder selbst entschieden noch gibt es einen Vertreter, der ihre Interessen wahrnimmt. Die Heranziehung von Vermutungen und hypothetischem Willen ist unsicher und daher grundsätzlich subsidiär. Sie darf nur erfolgen, wenn eine Einwilligung nicht möglich ist, etwa aufgrund Bewusstlosigkeit. Vorrangig sind die persönliche Einwilligung und die Einwilligung eines Vertreters. Würde der wirkliche Wille missachtet und an dessen Stelle der mutmaßliche Wille beachtlich, so würde das Selbstbestimmungsrecht missachtet. Das Übergehen des wirklichen Willens würde aber eine Degradierung der Person bedeuten. Folglich muss der mutmaßliche Wille subsidiär gegenüber der persönlichen oder vertretenen Selbstbestimmung sein. Dies muss auch in Bezug auf eine antizipierte Einwilligung gelten, denn sie stellt den wirklichen Willen dar, es sei denn sie wird widerrufen.486 Außerdem muss eine Einbeziehung durch Repräsentation vorrangig sein.487 Eine Repräsentation durch einen Vertreter stellt zwar eine Art der Fremdbestimmung dar, durch die Bindung des gesetzlichen Vertreters an das Wohl des Patienten bzw. durch die persönlichen 485

Zum Ganzen: Brückner/Brockmeyer/Gödicke/Kratz/Scholz/Taupitz/Weber, MedR 2010, 69, 73; Steiner/Walter-Sack/Taupitz/Hacke/Strowitzki, DMW 2008, 787, 791. In diesem Punkt unterscheidet sich das Verfahren auch vom „waiver-consent“, das in einigen Staaten in den USA angewendet wird: Nach einer öffentlichen Anhörung und einer Entscheidung für den „waiver-consent“ entscheidet nur noch der Prüfer, vgl. Steiner/Walter-Sack/Taupitz/Hacke/Strowitzki, DMW 2008, 787, 791. 486 Vgl. dazu auch Taupitz, in: Canaris, S. 497, 513: „Für möglichen Paternalismus ist nur dort Platz, wo der Patient nicht in einwilligungsfähigem Zustand eine Entscheidung getroffen hat.“ 487 Dagegen aber: König, Übereinkommen, S. 105.

194 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Kenntnisse und Verbundenheit kann er jedoch am besten eine Entscheidung treffen, die die Interessen und den mutmaßlichen Willen des Vertretenen respektiert und wahrt. Der Subjektqualität des Vertretenen wird eine Vertreterentscheidung eher gerecht. Er hat bei der Repräsentation einen Garanten für seine Interessenwahrnehmung und wird dadurch nicht Objekt der Entscheidung. Ein Vertreter soll gewährleisten, dass die Interessen des Patienten gewahrt werden, er ist Interessenvertreter. Bei einer Einbeziehung durch mutmaßlichen Willen besteht eher die Gefahr, dass auch gegenläufige Interessen, insbesondere auch Forschungsinteressen des Arztes eine zu große Rolle in der Abwägung spielen. Eine Missachtung der Entscheidung eines Vertreters, die die Interessen und Wünsche des Vertretenen beachtet, würde auch eine Missachtung des Vertretenen bedeuten. Der mutmaßliche Wille bildet eine schwächere Entscheidungsgrundlage, denn sie ist anfällig für Objektivierung, da häufig keine nähere Kenntnis von persönlichen Eigenschaften und Wertvorstellungen besteht. Der Vertreter ist anders als etwa der Arzt unabhängig vom Forschungsgegenstand und stellt daher eine Verfahrenssicherung dar, die der mutmaßlichen Einwilligung fehlt. Folglich ist bei Aufschiebbarkeit der Maßnahme die Bestellung eines Betreuers abzuwarten. Nur so kann Missbrauch vorgebeugt und eine Objektivierung verhindert werden. Mithin ist die Einbeziehung durch mutmaßlichen Willen subsidiär gegenüber der Einbeziehung durch antizipierte Einwilligung und Repräsentation. Einwilligungsunfähige können in die Forschung mittels mutmaßlichen Willen also nur einbezogen werden, wenn es sich um eine Notsituation handelt, bei denen eine Einwilligung des Vertreters nicht eingeholt werden kann. Hinsichtlich der Rangfolge zwischen antizipierter Einwilligung und Repräsentation ist ebenfalls darauf abzustellen, welche Form der Einbeziehung die Selbstbestimmung in größerem Maß verwirklicht. Eine antizipierte Einwilligung ist Selbstbestimmung und muss daher an erster Stelle stehen.488 Eine Repräsentation nimmt zwar auch die Interessen des Vertretenen wahr, ist jedoch keine originäre Selbstbestimmung, sondern lediglich ein Surrogat. Wenn eine eigene, wenn auch vorweggenommene Erklärung besteht, ist kein Bedarf für eine Vertreterentscheidung. Die Selbstbestimmung ist dann erfolgt und muss nicht durch Repräsentation ersetzt werden. Bei einer bestehenden antizipierten Erklärung wäre es lediglich möglich einen Vertreter zusätzlich zu befragen, wenn Unsicherheiten bestehen oder um die Befolgung der festgelegten Wünsche zu gewährleisten.489 Folglich ergibt sich aus dem Selbstbestimmungsrecht die Rangfolge, dass zunächst der antizipierte Wille maßgeblich ist, sollte dieser nicht bestehen, ist auf eine Vertreterentscheidung abzustellen. Ist auch ein solcher nicht vorhanden, so muss der mutmaßliche Wille ermittelt werden.

488 Vgl. auch Duttge, in: Breitsameter, S. 34, 42 zur Patientenverfügung im Verhältnis zur stellvertretenden Einwilligung. 489 Vgl. auch die Regelung in § 1901a BGB.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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i) Zwischenergebnis Die Forschung an Einwilligungsunfähigen verstößt nicht grundsätzlich gegen Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 GG sowie das Selbstbestimmungsrecht und das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG. Eine Einbeziehung durch Sozialpflicht oder mittels einer Güterabwägung ist nicht mit der Würde der Versuchsperson vereinbar. Eine Einbeziehung bei fehlendem Widerspruch verstößt nicht gegen die Menschenwürde, jedoch gegen das negative Selbstbestimmungsrecht. Durch Repräsentation kann die Einbeziehung von Einwilligungsunfähigen aber legitimiert werden. Die Einwilligung eines Vertreters vermag einen Eingriff zu rechtfertigen, wenn weitere Schutzkriterien eingehalten werden. Insbesondere die Bindung an das Wohl des Vertretenen ist dabei zu beachten. Es bedarf aber auch einer Organisation der Forschung sowie sichernder Verfahren durch Genehmigungen. Finanzielle Vorteile sollten nicht gewährt werden. Auch muss die Subsidiarität gegenüber der Forschung an Einwilligungsfähigen und ein Vetorecht des Einwilligungsunfähigen beachtet werden. Eine Risiko-Nutzen-Abwägung muss vorgenommen werden. Eine Einschränkung der Forschung auf lediglich eigennützige Maßnahmen folgt jedoch nicht aus diesen Grundrechten. Ebenso ist eine Vereinbarkeit der Einbeziehung durch antizipierten Willen möglich. Auch eine Einbeziehung durch mutmaßlichen Willen ist mit diesen Grundrechten vereinbar. Dabei sind auch jeweils weitere Schutzmaßnahmen zu beachten.

II. Gegenläufige Wertungen der Grundrechte Die Betrachtung der Grundrechte hat sich bislang weitgehend auf die Wertungen der Grundrechte, die die Forschung begrenzen könnten, beschränkt. Es sind jedoch auch gegenläufige Tendenzen denkbar. Möglich ist etwa, dass die Einschränkungen der Forschung einen Eingriff in Freiheitsgrundrechte darstellen oder dass sich aus diesen sogar ein Anspruch auf die Forschung ergeben könnte. 1. Betroffene Grundrechte a) Vorbemerkungen Die Menschenwürde, das Recht auf körperliche Unversehrtheit sowie der Gleichheitssatz könnten auch eine gegenläufige Wertung zulassen, indem sie die Einbeziehung in fremdnützige Forschung gebieten und damit einen Ausschluss der Einwilligungsunfähigen verbieten. Dies könnten die Forschungsfreiheit, die Berufsfreiheit sowie das Eigentumsrecht verstärken. Darüber hinaus müssen die Schutzmaßnahmen an ihnen gemessen werden.

196 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

b) Forschungsfreiheit Bei der Forschungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG handelt es sich auf der einen Seite um ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe und auf der anderen Seite um eine objektive Wertentscheidung, die zu einer Schutz- und Förderpflicht des Staates führt.490 Er muss als Kulturstaat für die Idee der freien Wissenschaft einstehen und sein Handeln positiv danach ausrichten um einer Aushöhlung der Freiheitsgarantie vorzubeugen.491 Die Freiheitsgarantie erstreckt sich auf alle Verhaltensweisen, die als planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen sind.492 Die Maßnahmen an Einwilligungsunfähigen stellen den Versuch dar, weitere Erkenntnisse über Krankheiten und den menschlichen Körper zu erlangen um so den medizinischen Fortschritt voranzutreiben. Es handelt sich daher um Forschung, die durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt ist. Auch, wenn diese Maßnahmen in Grundrechte Dritter eingreifen, bedeutet das nicht, dass der Schutzbereich der Forschungsfreiheit nicht eröffnet ist. Es handelt sich dabei um eine Frage der Schranken.493 Ebenso wenig begrenzt die Forschungsverantwortung des Wissenschaftlers den Schutzbereich.494 Folglich ist der Schutzbereich der Forschungsfreiheit betroffen. Durch Begrenzungen der Forschung, etwa die Erfordernisse einer Genehmigung sowie eines Votums einer Ethikkommission liegt auch ein Eingriff vor, der die Schutzpflicht des Staates tangiert. Darüber hinaus stellen auch weitere Schutzmaßnahmen, wie etwa auch die begrenzten Einbeziehungsmöglichkeiten der Einwilligungsunfähigen einen Eingriff dar, da die Forschung dadurch nicht grenzenlos frei ist. Die Forschungsfreiheit ist schrankenlos gewährleistet. Sie steht auch nicht unter dem Vorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG.495 Auch die in Art. 2 Abs. 1 GG genannte Schrankentrias ist wegen der Subsidiarität dieses Freiheitsrechtes gegenüber Art. 5 Abs. 3 GG nicht anwendbar.496 Dennoch findet die Forschungsfreiheit dort ihre Grenzen, wo Grundrechte anderer Personen verletzt werden, also in den verfassungsimmanenten Schranken.497 Im Bereich der Forschung am Menschen sind insbesondere die Menschenwürde, die körperliche Unversehrtheit sowie das Selbstbestimmungsrecht der Versuchspersonen tangiert. Eine Rechtfertigung kann sich daher insbesondere auf diese Grundrechte stützen, wobei ein angemessener

490 BVerfGE 35, 79, 112 ff.; 88, 129, 136 f.; Bethge, in: Sachs, Art. 5, Rn. 201; Spickhoff, in: Deutsch/Schreiber, S. 9, 19. 491 BVerfGE 35, 79, 114. 492 BVerfGE 35, 79, 112; 90, 1, 12; BVerfG NJW 1993, 916; ähnlich auch: Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 3, Rn. 361. 493 Pernice, in: Dreier, Art. 5 III (Wissenschaft), Rn. 35 ff. 494 Pernice, in: Dreier, Art. 5 III (Wissenschaft), Rn. 35 ff. 495 BVerfG 47, 327, 368; 90, 1, 12; Pernice, in: Dreier, Art. 5 III (Wissenschaft), Rn. 41. 496 BVerfGE 30, 173, 192; BVerfG NJW 1978, 1621. 497 Keller, MedR 1991, 11, 12.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

197

Ausgleich zwischen den betroffenen Positionen zu erfolgen hat, d. h. die Verhältnismäßigkeit muss eingehalten werden.498 c) Berufsfreiheit Darüber hinaus ist zu analysieren, inwiefern die Berufsfreiheit durch Regelungen zur Forschung an einwilligungsunfähigen Personen verletzt sein kann. Art. 12 GG gewährleistet dem Einzelnen das Recht, jede Tätigkeit, für die er sich geeignet glaubt, als Beruf zu ergreifen, also zur Grundlage seiner Lebensführung zu machen.499 Es konkretisiert damit das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.500 Als einheitliches Grundrecht werden nicht nur die Berufswahl, sondern auch die Berufsausübung geschützt.501 aa) Berufsfreiheit forschender Ärzte Durch das Erfordernis eines Votums einer Ethikkommission oder einer Genehmigung durch eine Behörde sowie durch Einschränkungen oder Verbote von Forschungsmethoden könnte die Berufsfreiheit forschender Ärzte tangiert sein. Fraglich ist, ob die Forschungsfreiheit Vorrang genießt oder die Berufsfreiheit daneben anwendbar bleibt. Diese Ergebnisse, die für die Forschungsfreiheit gewonnen werden, könnten auf die Berufsfreiheit übertragbar sein. Folgt man der Ansicht, nach der es auf die Gewichtung der Berührung eines Grundrechts ankommt, so dass bei stärkerer naturwissenschaftlicher Prägung die Forschungsfreiheit tangiert ist, bei therapeutischer Prägung die Berufsfreiheit,502 so wäre bei fremdnütziger Forschung Art. 5 Abs. 3 GG stärker berührt und die Wertungen des Art. 12 GG würden im Rahmen einer Abwägung bei der Prüfung der Verletzung der Forschungsfreiheit berücksichtigt. Hinsichtlich der Beurteilung der Zulässigkeit der fremdnützigen Forschung an 498 Die Prüfung der Rechtfertigung der Forschungsfreiheit steht nicht im Gegensatz zu der nicht überzeugenden Auffassung des VGH Kassel NVwZ 1990, 276, 277, das bei einer Konkurrenz der Grundrechte aus Art. 12, 14, 5 Abs. 3, 2 Abs. 2 GG von einer Umkehr der Begründungslast ausgeht, so dass es einer besonderen Zulassung durch den Gesetzgeber bedürfe. Es greift auch hier insoweit die Ausnahme des VGH Kassel, dass die öffentliche Gewalt bereits Vorkehrungen getroffen hat, die geeignet sind, das Schutzziel zu erreichen, indem es u. a. das Arzneimittelgesetz erlassen hat (anders als im Urteil Regelungen zur Gentechnologie); vgl. auch zur Kritik an dem Urteil: Deutsch, NJW 1990, 339; Hirsch, NJW1990, 1445 f.: Der Vorbehalt des Gesetzes schütze die Betroffenen auch davor in der Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit beschränkt zu werden, solange der Gesetzgeber dies nicht in verfassungskonformer Weise festgelegt habe; Rose, DVBl. 1990, 279 ff. 499 BVerfGE 7, 377, 397; 54, 301, 313. 500 BVerfGE 54, 301, 313. 501 BVerfGE 7, 377, 401 f. 502 Vgl. Bachof, in: Betterman/Nipperdey/Scheuner, S. 170; Laufs/Reiling, MedR 1991, 1, 3; Spickhoff, in: Deutsch/Schreiber, S. 9, 21.

198 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Einwilligungsunfähigen könnte auf das Ergebnis zu Art. 5 Abs. 3 GG verwiesen werden: Der Schutzbereich der Berufsfreiheit wäre nicht eröffnet. Nach einer anderen Ansicht besteht hingegen Idealkonkurrenz zwischen diesen Grundrechten503 und sie sind nebeneinander anwendbar.504 Demnach könnte auch die Berufsfreiheit verletzt sein. Muss ein forschender Arzt eine Genehmigung einholen oder sind Forschungsmaßnahmen verboten, kann er seinen Beruf nicht frei von Beschränkungen ausüben. Ein Eingriff in die Berufsfreiheit ist dann zu bejahen. Hinsichtlich der Schranken der Berufsfreiheit hat das Bundesverfassungsgericht die sogenannte Drei-Stufen-Theorie entwickelt, nach der Einschränkungen der Berufsausübung leichter gerechtfertigt werden können als subjektive oder objektive Zulassungsschranken zu Berufen.505 Die Schranken zu den Grundrechten unterscheiden sich sodann. Nach herrschender Ansicht sind jedoch, um größtmöglichen Schutz zu gewährleisten, aufgrund der Idealkonkurrenz zu der Forschungsfreiheit nur die verfassungsimmanenten Schranken des Art. 5 Abs. 3 GG anwendbar.506 Selbst wenn man jedoch die Schranken des Art. 12 GG, also die Drei-Stufen-Theorie anwendet, wäre der Eingriff aufgrund der geringeren Voraussetzungen gerechtfertigt.507 Die Überlegungen im Hinblick auf die Forschungsfreiheit ließen sich folglich auch auf die Berufsfreiheit übertragen und führten zu parallelen Ergebnissen. Während nach der ersten Ansicht der Schutzbereich der Berufsfreiheit schon nicht eröffnet ist, kann der Eingriff nach der zweiten Ansicht durch die mit ihr kollidierenden Schutzpflichten des Staates wie im Rahmen der Forschungsfreiheit gerechtfertigt werden.508 Letztlich erübrigen sich daher vertiefende Erörterungen zur Berufsfreiheit. bb) Berufsfreiheit von Pharmaunternehmen Darüber hinaus ist auch problematisch, inwiefern die Berufsfreiheit von Pharmaunternehmen betroffen sein könnte. Sie sind juristische Personen des Privatrechts. Nach herrschender Ansicht ist Art. 12 GG jedoch aufgrund Art. 19 Abs. 3 GG auch auf sie anwendbar,509 soweit sie eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit ausüben, 503

Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III, Rn. 180. So zum Votum einer Ethikkommission: Schenke, NJW 1991, 2313, 2318; Scholz/Stoll, MedR 1990, 58, 60; wohl auch: Meuser/Platter, PharmR 2005, 395, 400; Schröder, VersR 1990, 243, 245; Wieland, in: Dreier, Art. 12 GG, Rn. 172. 505 BVerfGE 7, 377, 401, 403, 405 ff. 506 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12, Rn. 184; Dickert, Forschungsfreiheit, S. 419 ff. gelangt durch eine vermittelnde Ansicht, die auf thematische Nähe zu einem Grundrecht abstellt, zum selben Ergebnis bei der wissenschaftlichen Forschung; a.A.: Klein, in: v. Mangoldt/Klein, 2. Aufl., Art. 5 Anm. X 6b. 507 Auf diesem Weg gelangt auch von Dewitz, Klinische Bewertung von Medizinprodukten, S. 84 zu einer Vereinbarkeit mit Art. 12 GG. 508 Dies muss auch für folgenden Überlegungen bezüglich anderer Schutzmaßnahmen gelten. 509 BVerfG NJW 1971, 1255; NJW 2003, 1232, 1233; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12, Rn. 106. 504

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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die ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise einer juristischen wie einer natürlichen Person offen steht.510 Bei der Herstellung und Erforschung von Arzneimitteln nimmt ein Pharmaunternehmen in organisierter Weise die Grundrechte des Individuums wahr, so dass Art. 12 GG anwendbar ist. Soweit es um die Forschung geht, ist auf die Ausführungen zu forschenden Ärzten zu verweisen. Allerdings könnte die Berufsfreiheit ferner dadurch betroffen sein, dass die Pharmaunternehmen bestimmte Arzneimittel nicht verkaufen dürfen: Arzneimittel dürfen gemäß § 21 Abs. 1 AMG in der Regel nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie zugelassen sind, eine Zulassung erhalten sie aber grundsätzlich nur nach einer klinischer Prüfung.511 Wird die klinische Prüfung an bestimmten Personengruppen verboten, erhalten sie keine Zulassung und dürfen die Arzneimittel nicht in den Verkehr bringen und verkaufen. Durch ein Verbot oder Einschränkungen von klinischen Prüfungen kann also mittelbar der Verkauf und Handel beeinträchtigt sein. Selbst wenn man in dieser Tangierung einen Eingriff in die Berufsfreiheit sähe, würde es sich lediglich um eine Berufsausübungsregelung handeln, bei der in weitem Maße Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit zur Geltung kommen und der Grundrechtsschutz auf die Abwehr in sich verfassungswidriger Auflagen beschränkt ist.512 Diese sind wiederum in dem Schutz der einwilligungsunfähigen Personen zu sehen. Die Schutzpflichten des Staates aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 GG haben Vorrang vor der Berufsfreiheit, insbesondere bei Berufsausübungsregelungen. Folglich ist Art. 12 GG bei pharmazeutischen Unternehmen nicht verletzt. d) Eigentumsrecht In Betracht kommt weiterhin eine Verletzung des Eigentumsrechts aus Art. 14 GG durch die fehlende Verkaufs- und Zulassungsmöglichkeit bei einem Verbot oder einer Beschränkung klinischer Prüfungen. Art. 14 GG gewährleistet das Privateigentum als Rechtsinstitut und in seiner konkreten Gestalt.513 Es soll Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sicherstellen und eine eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens ermöglichen.514 Fraglich ist zunächst, ob hier Art. 14 GG neben Art. 12 GG anwendbar ist. Während die Berufsfreiheit zukunftsbezogen ist515 und den Erwerb, die Betätigung selbst, schützt,516 bezieht sich die Gewährleistung des Eigentums lediglich auf bereits Erworbenes.517 Chancen oder Verdienstmöglichkeiten werden nicht geschützt.518 Die 510 511 512 513 514 515 516 517

BVerfG NJW 2003, 1232, 1233. Vgl. § 22 Abs 2 Nr. 3 AMG mit der Ausnahme des § 22 Abs. 3 AMG. BVerfGE 7, 377, 406. BVerfGE 24, 367, 389. BVerfGE 24, 367, 389; 51, 193, 218; 83, 201, 208; 89, 1, 6. BVerfG NJW 1971, 1255, 1260. BVerfG NJW 1971, 1255, 1260; NJW 1993, 2599. BVerfG NJW 1971, 1255, 1260; NJW 1992, 36, 37; NJW 1993, 2599.

200 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Rechtsposition muss dem Subjekt bereits zustehen.519 Die Einschränkung von Verkaufsmöglichkeiten, die überdies auch vorher nicht bestanden haben, fällt daher nicht in den Schutz der Eigentumsgarantie. Art. 14 GG ist also durch die Schutzmaßnahmen im Rahmen der klinischen Prüfung nicht berührt.520 Etwas anderes könnte sich ergeben, wenn der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb unter den Schutz des Art. 14 GG fallen würde und betroffen wäre. Das Bundesverfassungsgericht hat bislang nicht entschieden, ob der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb von Art. 14 GG geschützt wird.521 Selbst wenn er vom Schutzbereich der Eigentumsgarantie umfasst wäre, läge eine Verletzung der Eigentumsgarantie nur vor, wenn ein Eingriff in die Substanz der Sach- und Rechtsgesamtheit vorläge.522 Ansonsten handelt es sich lediglich um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung, die der Gesetzgeber selbst grundsätzlich vornehmen darf.523 Wird etwa lediglich auf die Ausgestaltung eines einzelnen Produkts Einfluss genommen, ohne dass dies zu einer Erdrosselung des Betriebs führt, so liegt kein Eingriff in Art. 14 GG vor.524 Es handelt sich bei der Verkaufsmöglichkeit auch nicht um den vorhandenen Bestand des Eigentums, sondern wiederum eher um eine Gewinnchance. Daher ist auch bei einer Regelung zur Zulassung und Forschung von Medikamenten kein Eingriff in Art. 14 GG zu sehen. Selbst, wenn man einen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als Schutzgut anerkennt, handelt es sich um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung. 2. Vereinbarkeit der Begrenzung der Einbeziehungsmöglichkeiten Durch die Zulassung der Forschung in eng begrenzten Möglichkeiten der Einbeziehung, nämlich durch Repräsentation, antizipierten und mutmaßlichen Willen besteht ein Eingriff in die Forschungsfreiheit. Die Ablehnung einer Einbeziehung durch eine Sozialpflicht oder durch eine Güterabwägung ist mit der Menschenwürde zu begründen.525 Art. 1 Abs. 1 GG ist einer Abwägung nicht zugänglich,526 so dass der Eingriff durch Nichtzulassung dieser Einbeziehungsmöglichkeiten ohne eine zu erfolgende Abwägung bereits gerechtfertigt und die Forschungsfreiheit nicht verletzt ist. 518

BVerfG NJW 1971, 1255, 1260; NJW 1977, 2024, 2026; NJW 1980, 383, 386; NJW 1985, 1385, 1389; NJW 1992, 36, 37. 519 BVerfG NJW 1966, 1211. 520 So auch schon: Kamp, Forschungsfreiheit, S. 217. 521 Vgl. BVerfG NJW 1962, 100, 101; NJW 1977, 2024, 2026; NJW 1980, 383, 386; NJW 1984, 1741, 1745; NJW 1992, 36, 37; gegen eine Einbeziehung: Wieland, in: Dreier, Art. 14 GG, Rn. 63. 522 BVerfG NJW 1962, 100, 101; NJW 1977, 2024, 2026. 523 BVerfG NJW 1962, 100, 101; NJW 1977, 2024, 2026; NJW 1992, 36, 37. 524 BVerfG NJW 1977, 2024, 2026. 525 s. o. S. 104, 110. 526 Vgl. Hufen, Staatsrecht II, § 10, Rn. 34; Jarass, in: Jarass//Pieroth, Art. 1, Rn. 16.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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Die Ablehnung einer Widerspruchslösung wird hingegen mit dem negativen Selbstbestimmungsrecht der Versuchspersonen begründet,527 bei dem grundsätzlich eine Abwägung möglich ist. Durch praktische Konkordanz sind die kollidierenden Grundrechte in Einklang zu bringen.528 Zwar hat Art. 5 Abs. 3 GG als vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht einen hohen Stellenwert, während das Selbstbestimmungsrecht weiteren Schranken unterliegt. Dennoch ist dem Recht auf medizinische Selbstbestimmung der Vorrang einzuräumen. Der Eingriff in die Forschungsfreiheit durch Ablehnung einer Einbeziehungsmöglichkeit ist als gering einzustufen. Forschung bleibt dennoch in großem Umfang durch die anderen, zulässigen Arten der Einbeziehung möglich. Auf der anderen Seite bedeutet die Widerspruchslösung einen erheblichen Eingriff in das negative Selbstbestimmungsrecht durch den mittelbaren Zwang, sich mit einem möglichen zukünftigen einwilligungsunfähigen Zustand zu befassen und sich zu entscheiden, ob in diesem Fall Forschung zulässig sein soll. Aufgrund der unterschiedlichen Eingriffsintensität ist daher im Rahmen der Abwägung dem negativen Selbstbestimmungsrecht der Vorzug zu geben. Die Begrenzung auf die erarbeiteten Einbeziehungsmöglichkeiten ist mithin ein gerechtfertigter Eingriff in die Forschungsfreiheit. Die mit ihnen zwingend verbundenen Schutzmaßnahmen, wie etwa die Bindung des Vertreters an das Wohl des Betroffenen, sind von dieser Rechtfertigung umfasst. 3. Vereinbarkeit eines Ausschlusses der Einwilligungsunfähigen von fremdnütziger Forschung Nachdem schon untersucht worden ist, inwiefern eine Einbeziehung der Einwilligungsunfähigen in die Forschung mit den Grundrechten vereinbar ist, ist nun auch der Frage nachzugehen, ob der Ausschluss der Einwilligungsunfähigen, also ein Verbot der Forschung mit diesen Personen mit dem Grundgesetz vereinbar ist. a) Verletzung der Würde durch Ausschluss? Wie bereits festgestellt, wird die Forschung auch zugunsten von anderen der Würde von einwilligungsunfähigen Personen gerade auch gerecht. Auch durch die Repräsentation als Einbeziehungsform wird der Betroffene als Person anerkannt und kann sich entfalten, was ihm ohne Vertreter nicht möglich wäre. Fraglich ist aber, ob die Einbeziehung aufgrund ihrer Würde geboten ist. So handelt es sich nach einer Ansicht um eine die Würde verletzende Diskriminierung, wenn man Einwilligungsunfähigen die Teilnahme an der Forschung versagt.529 Diejenigen, die bereits durch ihre Krankheit benachteiligt sind, würden durch das Forschungsverbot 527

s. o. S. 113. Vgl. Hufen, Staatsrecht II, § 9, Rn. 31: „Grundrechtsoptimierung“; Michael/Morlok, Grundrechte, Rn. 710. 529 Vgl. Rössler, EthikMed 1996, 167, 172; Wolfslast, KritV 1997, 74, 85. 528

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nochmals diskriminiert.530 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass eine Untersagung der Forschung nicht erfolgen würde, weil Einwilligungsunfähige es nicht „wert“ wären, dass an ihnen geforscht werde und die spezifischen Krankheiten der Einwilligungsunfähigen erforscht würden, sondern um sie zu schützen. Aufgrund ihrer Eigenschaften bzw. ihres Fehlens müssen sie nicht vollkommen mit Einwilligungsfähigen gleichgestellt werden. Es handelt sich in erster Linie um die Frage, ob ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz gegeben ist.531 In der Einschränkung oder dem Verbot der Forschung an Einwilligungsunfähigen eine Würdeverletzung zu sehen, ginge zu weit. Nicht mit jedem Teilnahmeverbot ist eine Herabsetzung der Person verbunden. So haben etwa auch Minderjährige und Betreute, bei denen eine Betreuung zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten eingerichtet ist, kein Wahlrecht,532 obwohl dies ein überaus wichtiges politisches Teilhaberecht darstellt. Sofern trotz und durch die Einschränkungen die Person als Subjekt wahrgenommen wird, ist die Würde daher nicht verletzt. b) Anspruch anderer auf Forschung? Zum anderen kommt auch eine Pflicht in Betracht, nach der zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit anderer Kranker, zugunsten der Bevölkerung und zukünftiger Generationen die Forschung in einem weiteren Umfang zuzulassen sei.533 Ein Ausschluss einwilligungsunfähiger Personen von der Forschung könnte zur Folge haben, dass Erkrankungen und Unfallfolgen nicht erforscht werden, je schwerwiegender die Folgen für die Betroffenen sind.534 Ein Verbot der Forschung könnte daher gegen Art. 2 Abs. 2 GG verstoßen und eine Vernachlässigung der Würde anderer Erkrankter darstellen.535 Die Schutzpflicht des Staates besteht gegenüber allen Personen. Wenn die Forschung blockiert würde, so könnte keine wirksame Krankenversorgung gewährleistet werden.536 Fraglich ist daher zunächst, ob ein subjektives Leistungsrecht in Bezug auf die Krankenversorgung besteht. Nachdem das Bundesverfassungsgericht ein Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 GG anerkannt hat,537 kommt auch ein Recht auf ein „medizinisches Exis-

530

Rössler, EthikMed 1996, 167, 172. s. dazu noch u. S. 204. 532 Vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 1 BWahlG, § 13 Nr. 2 BWahlG. 533 Sobota, FS-Kriele, S. 367, 376. 534 Taupitz/Brewe/Schelling, in: Taupitz, S. 409, 428 sowie Taupitz, MedR 2012, 583, 586 sehen dies als absurde Konsequenz an, thematisieren dies jedoch nicht speziell im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 2 GG. 535 So Elzer, MedR 1998, 122, 125. 536 Sobota, FS-Kriele, S. 367, 376. 537 BVerfG NJW 2010, 505 ff.; vgl auch schon Enders, VVDStRL 2005, 7, 39 f. 531

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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tenzminimum“ in Betracht.538 Auch zu dieser Frage hat sich das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach geäußert und dabei den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers betont.539 Der mit der Schutzpflicht einhergehende Anspruch richtet sich daher nur darauf, dass die öffentliche Gewalt Vorkehrungen zum Schutz des Grundrechts trifft, die nicht völlig ungeeignet oder völlig unzulänglich sind.540 Eine Verletzung staatlicher Schutzpflichten kann daher nur festgestellt werden, wenn die staatlichen Organe entweder gänzlich untätig geblieben oder wenn die bisher getroffenen Maßnahmen evident unzureichend sind.541 Auch die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht dazu angehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist.542 Nur wenn der Staat durch das System der gesetzlichen Krankenversicherung Verantwortung für Leben und körperliche Unversehrtheit der Versicherten übernimmt, folgt aus Art. 2 Abs. 2 GG in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung eine Mindestversorgung.543 Art. 2 Abs. 2 GG begründet regelmäßig also keine grundrechtlichen Leistungsrechte, da die Leistungen unter dem Vorbehalt der staatlichen Leistungsfähigkeit stehen und gesetzgeberischer Ausformung bedürfen.544 Ein allgemeines gesundheitliches Leistungssystem ist nicht vorgeschrieben und nur, wenn der Bürger mit seinen eigenen Kräften ersichtlich scheitert und der Hilfe bedarf, muss der Staat eine auffangende Infrastruktur gesundheitlicher Mindestversorgung bereithalten.545 Durch diese erheblichen Einschränkungen eines Leistungsrechts ist ersichtlich, dass es kein Recht auf klinische Forschung an anderen geben kann. Der medizinische Fortschritt ist noch zeitlich entfernt von der aktuellen Gesundheitsfürsorge und hilft aktuell Kranken zum Zeitpunkt der Forschung noch nicht. Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers würde zu sehr eingeengt, wenn er verpflichtet wäre, bestimmte Forschungsmaßnahmen zu erlauben. Wenn der Staat schon nur in begrenztem Umfang bestehende Leistungen gewähren muss, ist ein „Forschungszwang“ des Staates aus Art. 2 Abs. 2 GG nur schwer vorstellbar. Darüber hinaus kann kein Recht auf die Forschung an anderen Personen konstruiert werden. Dies wäre wiederum mit der Würde nicht zu vereinbaren, denn die Versuchspersonen würden zu For538

Mit dieser Terminologie: Neumann, NZS 2006, 393, 394; für eine Bereithaltungspflicht einer medizinischen Versorgung für alle Bürger aus Art. 2 Abs. 2 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip in Abwägung mit Schutzmaßnahmen für andere Rechtsgüter: Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 II, Rn. 96. Daraus folge aber kein Anspruch auf konkrete Leistungen. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2, Rn. 93 spricht sich gegen einen eigenständigen Anspruch auf eine medizinische Mindestversorgung aus. 539 BVerfG NJW 1997, 3085; NJW 1998, 2961, 2962. 540 BVerfG NJW 1997, 3085. 541 BVerfG NJW 1998, 2961, 2962. 542 BVerfG NJW 2006, 891, 893. 543 BVerfG NJW 2006, 891, 894. 544 Ipsen, Staatsrecht 2, Rn. 258. 545 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Rn. 46.

204 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

schungsmitteln degradiert.546 Ein Anspruch gegen den Staat, andere Personen zur Forschungsteilnahme zu verpflichten, räumte dem Anspruchsinhaber mittelbar auch Rechte an den Versuchsteilnehmern ein. Ein Anspruch liefe auf eine Sozialpflicht hinaus,547 denn unter Umständen könnte der Staat ausreichende Forschung nur durch eine solche Pflicht gewährleisten. Aus der Schutzpflicht resultiert keine Pflicht die Forschung zuzulassen. c) Verstoß gegen Art. 3 GG durch Ausschluss? In Betracht kommt ferner ein Gleichheitsverstoß, wenn an Einwilligungsunfähigen fremdnützige Forschung verboten wird, an Einwilligungsfähigen jedoch nicht. Versuchsteilnehmer werden dann ungleich behandelt. Ein legitimer Grund könnte aber in der Fähigkeit selbst einzuwilligen gesehen werden. Die Personengruppe der Einwilligungsunfähigen ist besonders schutzwürdig und vulnerabel. Sollte der Gesetzgeber ihren Schutz, insbesondere der körperlichen Unversehrtheit, bezwecken, läge in der Ungleichbehandlung daher keine Diskriminierung, sondern eine zulässige Differenzierung. d) Grundrechtsverstoß durch Zulassung lediglich eigennütziger Forschung? Fraglich ist weiterhin, ob eine Regelung, die lediglich eigennützige Forschung an Einwilligungsunfähigen zulässt, einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Forschungsfreiheit bedeutet. Indem sie nur diese Art der Forschung zulässt, verbietet sie gleichzeitig fremdnützige Forschung an den Personen und beschränkt die Forschungsfreiheit damit, so dass ein Eingriff vorliegt. Eine Rechtfertigung könnte durch Art. 2 Abs. 2 GG sowie Art. 1 Abs. 1 GG möglich sein. Einwilligungsunfähige Personen gehören zu einer besonders verletzlichen Gruppe, da sie selbst nicht über eine Teilnahme an der Forschung bestimmen können und daher leicht einer Fremdbestimmung ausgesetzt sein können. Eine Begrenzung der Forschung auf solche, die den Einwilligungsunfähigen selbst nützt, könnte die Folgen einer Fremdbestimmung abschwächen, indem die Teilnahme nicht nur Risiken und Belastungen birgt, sondern auch Vorteile für den Einwilligungsunfähigen bietet. Zwar ist eine Begrenzung der Forschung auf eigennützige Versuche bei einwilligungsunfähigen Personen nicht zwingend und folgt nicht aus der Menschenwürde.548 Der Gesetzgeber hat jedoch einen Ermessensspielraum, wie er dem Schutz von vulnerablen Personengruppen gerecht wird. Da eine Beschränkung der Forschung geeignet ist, den Schutz auszuweiten, und dies ein legitimes Ziel darstellt, kann die Forschungsfreiheit eine solche Regelung nicht verbieten. Der Eingriff kann somit gerechtfertigt werden. 546 547 548

Vgl. Birnbacher, in: Taupitz, S. 51, 63. s. dazu schon o. S. 104 ff. s. o. S. 163 ff.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

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Zusammenfassend ergibt sich aus den Grundrechten also keine Pflicht zur Zulassung fremdnütziger Forschung an Einwilligungsunfähigen. 4. Vereinbarkeit weiterer Schutzmaßnahmen a) Genehmigungspflichten Wenn als Schutzmaßnahme zugunsten von Würde und körperlicher Unversehrtheit eine Genehmigungspflicht durch eine Behörde eingerichtet wird, so wird die Forschungsfreiheit dadurch eingeschränkt, denn wird eine Genehmigung versagt, so wird die Forschung verboten, was einen erheblichen Eingriff in Art. 5 Abs. 3 GG bedeutet. Hier kollidieren die Schutzpflichten des Staates, der auf der einen Seite die Forschung fördern und gewährleisten soll, auf der anderen Seite aber auch die Würde und körperliche Unversehrtheit der Bürger schützen muss. Wiederum muss ein Ausgleich erfolgen. Eine Genehmigung durch eine staatliche Stelle kann im Einzelfall jeder der Schutzpflichten gerecht werden, indem eine Abwägung stattfindet, die alle Grundrechte einbezieht. Eine Genehmigungspflicht verletzt daher nicht die Forschungsfreiheit. Allerdings sollte sie die Forschungsfreiheit durch die Ausgestaltung der Genehmigung beachten. Daher sollte die Genehmigung als präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ausgestaltet sein. Während ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt zu einer Ausnahmebewilligung führt, die den Rechtskreis der Bürgers erweitert, handelt es sich beim präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt um eine Kontrollerlaubnis, die die vorläufige Einschränkung der Freiheit wiederherstellt.549 Die Genehmigung von Forschungsmaßnahmen schränkt die Forschung vorläufig ein. Sollten die Maßnahmen die Grundrechte der Versuchspersonen in ausreichendem Maß achten, ist die Genehmigung zu erteilen. Der Behörde darüber hinaus ein Ermessen einzuräumen, wäre mit der Forschungsfreiheit nicht zu vereinbaren, da sie sonst zur behördlichen Disposition stünde.550 Auch gebietet nicht nur Art. 19 Abs. 4 GG, dass gegen die Entscheidung der Behörde Rechtsschutz gewährt wird. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist eine Genehmigungspflicht mit Art. 5 Abs. 3 GG vereinbar. b) Zustimmendes Votum einer Ethikkommission Als weitere Schutzmaßnahme kommt das Erfordernis einer Stellungnahme durch eine Ethikkommission in Betracht.551 Diese kann sich in einer Beratungspflicht erschöpfen oder eine Zustimmung für den Beginn einer Prüfung voraussetzen. Schon

549

Maurer, Verwaltungsrecht, Rn. 55. So auch zu § 8 Abs. 3 TierSchG: VG Bremen, DVBl 2010, 1045. 551 Für eine Zulässigkeit vorbeugender Kontrollen durch Ethikkommissionen bei genetischer Forschung auch: BT-Drs. 10/6775, S. 285. 550

206 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

eine Beratungspflicht stellt einen Eingriff in die Forschungsfreiheit dar.552 Sie führt zu einer Verzögerung und hat auch weitere Konsequenzen: In der Regel können die Forscher nur bei einem positivem Votum staatliche Fördergelder erhalten.553 Dennoch handelt es sich um einen eher geringfügigen Eingriff.554 Das Erfordernis einer Zustimmung stellt einen erheblicheren Eingriff dar.555 Wie bei einer Genehmigungspflicht führt ein negatives Votum zu einem Verbot der Forschung. Allerdings kann ein Eingriff gerechtfertigt werden durch die gegenläufigen Schutzpflichten des Staates.556 Eine Ethikkommission ist interdisziplinär besetzt und nicht parteiisch, sondern unabhängig und kann daher eine objektive Beurteilung aus vielfältigen Perspektiven bieten. Es handelt sich um eine institutionalisierte Form der wissenschaftlichen Verantwortung, die zu einer verantwortungsvollen Grundrechtswahrnehmung führen kann.557 Außerdem dient das Votum einer Ethikkommission nicht nur dem Schutz der Probanden, sondern auch dem Schutz des Forschers, dessen Drang nach Wahrheit nicht die Grenze des ethisch Zulässigen überschreiten soll.558 Auch die Forschungseinrichtungen werden durch das Votum vor den Folgen unethischer Forschung, insbesondere der Haftung, geschützt.559 Folglich ziehen auch Forschende einen Vorteil aus dem Votum, was die Schwere des Eingriffs verringert. Ebenso wie eine Genehmigungspflicht ist daher das Erfordernis eines Votums einer Ethikkommission, selbst, wenn es Zulässigkeitsvoraussetzung ist, gerechtfertigt und verletzt nicht Art. 5 Abs. 3 GG. Allerdings sollte auch der Ethikkommission kein Ermessen zustehen.560 Fragwürdig erscheint jedoch die Ausdehnung der Befugnisse einer Ethikkommission auf die Beurteilung der ethischen Vertretbarkeit. Man könnte den Standpunkt vertreten, dass eine Beratung über Aspekte, die über den Gesundheitsschutz hinausgehen, nicht durch kollidierende Grundrechte gerechtfertigt werden könne.561 Es ist zuzustimmen, dass Ethikkommissionen keinesfalls moralische Vorstellungen, die keinerlei Bezug zum Grundgesetz aufweisen, in die Beurteilung einfließen lassen dürfen, wie etwa der Hinweis statt eines lipidsenkenden Antidepressivums reiche 552 von Dewitz, in: v. Dewitz/Luft/Pestalozza, S. 158, 174; Gramm, WissR 1999, 209, 216; Hohnel, Deklaration von Helsinki, S. 140; Laufs/Reilung, MedR 1991, 1, 3; Schenke, NJW 1991, 2313, 2318; Sobota, AöR 1996, 229, 246; Trute, Forschung, S. 167. 553 Scholz/Stoll, MedR 1990, 58, 60. 554 Laufs/Reilung, MedR 1991, 1, 3; dies., Ethik-Kommissionen, S. 49; Schröder, VersR 1990, 243, 252 f. 555 Kern, MedR 2008, 631, 636. 556 von Dewitz, in: v. Dewitz/Luft/Petsalozza, S. 158, 174; Gramm, WissR 1999, 209, 216; Pernice, in: Dreier, Art. 5 III (Wissenschaft), Rn. 41; Trute, Forschung, S. 167. 557 Losch/Radau, NZW 2003, 390, 394. 558 Deutsch, in: Toellner/Wiesing, S. 67, 73; ders., in: Deutsch/Lippert, § 40 AMG, Rn. 30. 559 Deutsch, in: Toellner/Wiesing, S. 67, 73; ders., in: Deutsch/Lippert, § 40 AMG, Rn. 30. 560 So zum AMG: Meuser, PharmR 2005, 395, 400. 561 Kamp, Forschungsfreiheit, S. 192; vgl. auch Sobota, AöR 1996, 229, 253, die gar auf den Begriff „Ethik“ in Ethikkommission verzichten möchte.

C. Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen

207

auch Fasten als Mittel gegen Fettleibigkeit aus.562 Sofern sich die ethischen Aspekte also nicht auch aus dem Grundgesetz herleiten lassen, vermögen sie nicht zu einer Rechtfertigung des Eingriff in die Forschungsfreiheit zu verhelfen.563 Gerade im Rahmen der Forschung an Einwilligungsunfähigen lassen sich die ethischen Bedenken jedoch zumeist aus der Menschenwürde ableiten. Ist dies gegeben oder können die ethischen Aspekte auf andere Grundrechte gestützt werden, kann der Eingriff gerechtfertigt werden. c) Zustimmung weiterer Instanzen bei Notfallsituationen Auch die Zustimmung weiterer Instanzen bei Notfallsituationen stellt einen Eingriff in die Forschungsfreiheit dar. Die Zustimmung eines weiteren Arztes oder eines Richters führt zu Verzögerungen oder gar einem Verbot bei einer Ablehnung. Der Eingriff kann jedoch durch die Schutzpflichten des Staates zugunsten der körperlichen Unversehrtheit und der Würde gerechtfertigt werden. Die Risiken eines Missbrauchs sind gerade bei Notfallsituationen so groß, dass zum Schutz der Patienten weitere Kontrollmaßnahmen erforderlich sind und die Forschungsfreiheit daher nicht verletzt wird. d) Strafvorschriften und zivilrechtliche Haftungsvorschriften Bestehen Strafvorschriften und zivilrechtliche Haftungsvorschriften, die ein Verhalten des Forschers sanktionieren, so stellt dies einen Eingriff in die Forschungsfreiheit dar. Sofern allerdings lediglich ein Fehlverhalten, das nicht im Einklang mit den bislang erarbeiteten Kriterien steht, zu einer Sanktion führt, ist der Eingriff wiederum gerechtfertigt. Auch der Zwang zum Abschluss einer Probandenversicherung ist aus diesen Gründen zu rechtfertigen.564 e) Begrenzung auf Niveau von Belastungen und Risiken Wenn der Gesetzgeber die Risiken und Belastungen auf ein gewisses Niveau begrenzt, liegt darin ein Eingriff in Art. 5 Abs. 3 GG. Dieser ist jedoch durch Art. 2 Abs. 2 GG sowie Art. 1 Abs. 1 GG gerechtfertigt. Die Eingriffsintensität ist darüber hinaus nicht sehr hoch, weil viele Versuche weiterhin möglich bleiben.

562

Vgl. Fall 21 aus van den Daele/Müller-Salomon, Kontrolle der Forschung, S. 54. Spickhoff, in: Deutsch/Schreiber, S. 9, 26 f. 564 Anders hingegen: Kamp, Forschungsfreiheit, S. 208, 215 mit der Begründung solch eine Versicherung sei nicht abschließbar. 563

208 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

5. Zwischenergebnis Die gegenläufigen Wertungen der Grundrechte verbieten nicht den Ausschluss Einwilligungsunfähiger von der fremdnützigen Forschung. Der Gesetzgeber hat also einen Gestaltungsspielraum im Hinblick auf den Nutzen, den Einwilligungsunfähige aus der Forschung ziehen. Die Begrenzung auf die Einbeziehungsarten ist mit den gegenläufigen Wertungen ebenfalls vereinbar. Die Schutzmaßnahmen, die der Staat zur Erfüllung seiner Schutzpflicht zugunsten der Würde und der körperlichen Unversehrtheit anordnen kann, stellen einen Eingriff in die Forschungsfreiheit dar. Gerade wegen dieser Schutzpflicht sind sie jedoch auch gerechtfertigt.

III. Ergebnis Die Grundrechte spielen im Rahmen der Forschung an einwilligungsunfähigen Personen eine große Rolle. Weil sie auch eine objektive Wertordnung darstellen, sind sie von großer Relevanz, denn der Staat hat eine Schutzpflicht zugunsten der Bürger und muss sie vor Beeinträchtigungen durch Dritte bewahren. Die Untersuchung hat gezeigt, dass es Möglichkeiten gibt, Einwilligungsunfähige in fremdnützige Forschung einzubeziehen, die mit dem Grundgesetz in Einklang stehen. Dazu zählt vorrangig die antizipierte Einwilligung, eine im Vorhinein erklärte Zustimmung zu den Forschungsmaßnahmen. Die wichtigste legitime Einbeziehungsmöglichkeit stellt die Repräsentation dar. Sollten diese Möglichkeiten nicht vorhanden sein, verbleibt eine Einbeziehung kraft mutmaßlichen Willens. Hingegen ist weder eine Sozialpflicht noch eine Einbeziehung durch Güterabwägung oder aufgrund fehlenden Widerspruchs mit den Grundrechten vereinbar. Aus den Grundrechten folgt jedoch nicht nur eine Begrenzung auf diese Möglichkeiten der Einbeziehung. Um seiner Schutzpflicht zu genügen muss der Staat auch weitere Maßnahmen ergreifen. Insbesondere im Rahmen der Repräsentation müssen die Befugnisse des Vertreters eingeschränkt werden. Zwar ermöglicht die Repräsentation dem Betroffenen erst die Verwirklichung seiner Freiheitsrechte und stellt ihn so weit wie möglich mit Einwilligungsfähigen gleich. Dennoch birgt sie Gefahren des Missbrauchs und der Willkür, denen durch betreuungsrechtliche und weitere Schutzmaßnahmen vorgebeugt werden muss. So ist der gesetzliche Vertreter an das Wohl gebunden. Auch hat der Einwilligungsunfähige ein Vetorecht und die Vertretung muss erforderlich sein. Unabhängig von der Einbeziehungsart ist die Forschung an Einwilligungsunfähigen subsidiär gegenüber der Forschung an Einwilligungsfähigen und eine Risiko-Nutzen-Abwägung muss erfolgen. Im Rahmen seines Gestaltungsspielraums, der dem Gesetzgeber zuzugestehen ist, sollte er außerdem eine Genehmigungspflicht der Forschung, das zustimmende Votum einer Ethikkommission und ausreichende Aufklärung und Dokumentation vorsehen. Finanzielle Vorteile mit Ausnahme einer Entschädigung sollten nicht gewährt werden.

D. Übertragung der Ergebnisse auf die Forschung im Arzneimittelgesetz

209

Darüber hinaus sind weitere Schutzmaßnahmen bei antizipierten und mutmaßlichen Einwilligungen notwendig. Bei ersteren bedarf es einer hinreichenden Bestimmtheit und ein Widerrufsrecht unter einfachen Voraussetzungen ist zuzugestehen. Bei mutmaßlicher Einwilligung muss es sich um eine Notfallsituation handeln, bei der die Einwilligung des Betroffenen oder seines Vertreters nachgeholt werden muss, sobald dies möglich ist. Wünschenswert wäre die Zustimmung weiterer Instanzen vor Beginn der Forschung. Die Analyse der gegenläufigen Wertungen von Grundrechten hat gezeigt, dass solche Maßnahmen auch mit diesen vereinbar sein können. Bei der Ausgestaltung einer Regelung muss der Gesetzgeber darüber hinaus den Gleichheitssatz beachten und insbesondere minderjährige und volljährige Einwilligungsunfähige gleich behandeln. Hinsichtlich des Merkmals des Fremdnutzens bleibt festzuhalten, dass die Grundrechte eine fremdnützige Forschung an einwilligungsunfähigen Personen nicht verbieten. Weder die Menschenwürde noch das Kindeswohl oder andere Schutzpflichten gebieten eine Beschränkung auf eigennützige Forschung. Die Unterscheidung zwischen Fremd- und Gruppennutzen erscheint willkürlich. Auf der anderen Seite lässt sich jedoch auch nicht aus dem Grundgesetz herleiten, dass mehr als nur eigennützige Forschung zuzulassen ist.

D. Übertragung der Ergebnisse auf die gruppennützige Forschung im Arzneimittelgesetz Nachdem abstrakt die Grenzen der Forschung an Einwilligungsunfähigen festgestellt worden sind, die sich aus dem Grundgesetz herleiten lassen, sind nun diese Ergebnisse auf das Arzneimittelgesetz zu übertragen. Dieses lässt als einzige deutsche Regelung die gruppennützige Forschung an einwilligungsunfähigen Personen zu. Zunächst ist zu untersuchen, welche Form der Einbeziehung im Arzneimittelgesetz vorgesehen ist und ob sie mit den oben erarbeiteten Kriterien in Einklang stehen (I.). Sodann ist auf die Schutzmaßnahmen und die weitere Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz einzugehen (II.). Eine Übertragung der Ergebnisse auf den nicht spezial-gesetzlich geregelten Bereich soll im Rahmen praktischer Erwägungen erfolgen.565

565

Vgl. dazu noch u. S. 345 ff.

210 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

I. Form der Einbeziehung der Einwilligungsunfähigen Zu analysieren ist also zunächst, ob das Arzneimittelgesetz eine Sozialpflicht oder eine andere verfassungswidrige Einbeziehungsform enthält und ob die legitimen Möglichkeiten der Einbeziehung in konformer Weise angewendet werden. 1. Bestehen einer Sozialpflicht? Die Regelung des Arzneimittelgesetzes in § 41 Abs. 2 Nr. 2 AMG könnte durch die Einführung der gruppennützigen Forschung eine Solidarpflicht für Minderjährige statuieren. a) Die Ansicht von Freiers Von Freier sieht als einzig dogmatisch zufriedenstellende Erklärung der ins Arzneimittelgesetz eingeführten gruppennützigen Forschung eine „Solidarpflicht des Leibes“.566 Der Gesetzgeber stelle die Eltern bei der Einwilligung zur Forschungsteilnahme von der Wohlbindung des Bürgerlichen Gesetzbuchs frei. Dadurch repräsentierten sie nicht mehr wirksam ihr Kind. Folglich sei „der Haushalt eingriffslegitimierender Gründe aus Selbst- und Wohlbestimmung mittels Einwilligung oder Einwilligungssurrogat aufgebraucht“ und es bleibe „nur noch der Weg der Rechtspflicht, die durch die Sorgeberechtigten mit Erlaubnis des Gesetzgebers auferlegt wird.“567 Mithin verstoße die gruppennützige Forschung in § 41 Abs. 2 Nr. 2 AMG gegen das Recht zur leiblichen Selbstverfügung und daher gegen Art. 1, Art. 2 Abs. 1, 2 Abs. 2 GG.568 Dem könne nur mit einer verfassungskonformen Reduktion abgeholfen werden: An einer Rechtspflicht fehle es, wenn die Einwilligung der Eltern das Kind repräsentiere. Dies sei bei fremdnütziger Forschung nur möglich, wenn moralische und altruistische Interessen und Erziehungsziele verfolgt werden, die vom Erziehungsauftrag gedeckt seien.569 Darüber hinaus müsse der Minderjährige erstens eine entsprechende „Erziehungsfähigkeit“ aufweisen, also „ein gewisses Verständnis für das Leid der potentiellen Nutznießer des Eingriffs und Art und Ausmaß des eigenen Beitrages in seiner Bedeutung für dessen mögliche Linderung oder Behebung und damit für die Folgen des Unterbleibens“.570 Zweitens müsse der Minderjährige zustimmen.571 Drittens müssen „Risiko und Belastung nach Art und Ausmaß für das Kind überschaubar sein“, also „objektiv-typisierend geringfügig sein und Risiken und Belastungen entsprechen, die 566

von Freier, Humanforschung, S. 116. von Freier, Humanforschung, S. 116 f. 568 von Freier, Humanforschung, S. 288. 569 von Freier, Humanforschung, S. 85. 570 von Freier, Humanforschung, S. 87; vgl. auch schon Schmidt-Elsaeßer, Medizinische Forschung an Kindern und Geisteskranken, S. 175. 571 von Freier, Humanforschung, S. 87 f. Die Zustimmung ist vergleichbar mit einem Assent. 567

D. Übertragung der Ergebnisse auf die Forschung im Arzneimittelgesetz

211

das Kind aus eigener Erfahrung bereits kennen gelernt und als zumutbar erlebt hat“.572 Zusammenfassend handelt es sich nach Ansicht von Freiers also um eine Rechtspflicht, sofern durch die Einwilligung der Eltern nicht altruistische Erziehungsziele verfolgt werden. b) Kritische Überprüfung der Theorie von Freiers Diese Theorie von Freiers, dass aufgrund der fehlenden Repräsentation durch die Eltern nur eine Rechtspflicht möglich ist, bedarf einer kritischen Auseinandersetzung. aa) Fehlende Repräsentation? Zunächst ist fraglich, ob die Eltern tatsächlich bei einer Entscheidung über die Teilnahme an gruppennütziger Forschung nicht ihr Kind repräsentieren können. Von Freier gelangt zu dem Ergebnis, dass gruppennützige Forschung nur dann dem Kindeswohl entsprechen kann, und folglich die Einwilligung der Eltern nur wirksam ist, wenn es um einen „moralisch-altruistischen Entschluss zur Beförderung fremden Wohlergehens zum Zwecke der moralischen Erziehung“ geht.573 Auch bei betreuten Personen sei ihre Zustimmung zu einer Maßnahme bei fehlender Einwilligungsfähigkeit nicht maßgeblich.574 Die Einwilligungsbefugnis des Betreuers erweitere sich nur, wenn eine antizipierte Einwilligung vorliege, die den mutmaßlichen Willen widerspiegele. Nur dann könne der Betreuer in nicht indizierte Forschung einwilligen.575 Ansonsten handele es sich nicht um Repräsentation, sondern um eine Rechtspflicht. Wie bereits festgestellt,576 kann jedoch auch eine Einwilligung in fremdnützige Forschung dem Wohl des Kindes entsprechen, denn das Wohl des Kindes ist nicht mit der Indikation gleichzusetzen. Das Wohl umfasst auch wertbezogene Interessen und ist nicht auf das körperliche Wohlbefinden beschränkt.577 Bei Einhaltung insbesondere eines geringen Belastungs- und Risikogrades widerspricht die Einbeziehung nicht dem Wohl der Person. bb) Freistellung von der Wohlbindung? Eine weitere Prämisse in von Freiers Theorie einer Rechtspflicht bei fehlender Repräsentation ist die Freistellung von der Wohlbindung des Bürgerlichen Gesetzbuchs durch das Arzneimittelgesetz und die daraus resultierende fehlende Reprä572

von Freier, Humanforschung, S. 89. von Freier, Humanforschung, S. 85. Nur unter diesen Umständen sei eine Einbeziehung durch Repräsentation bei Minderjährigen möglich. Andernfalls handele es sich um eine verfassungswidrige Einbeziehung durch Solidarpflicht. 574 von Freier, Humanforschung, S. 78. 575 von Freier, Humanforschung, S. 74. 576 Vgl. o. S. 132 ff. 577 Vgl. dazu bereits o. S. 142 f. 573

212 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

sentation des Minderjährigen durch seine Eltern. Aus den Gesetzgebungsmaterialien, die bestimmen, dass die Regelungen zur gruppennützigen Forschung an Minderjährigen „Spezialregelung zu den Vorschriften des BGB“ sind,578 zieht von Freier den Schluss, dass das Spezielle gegenüber den Regelungen des BGB (…) nur der Verzicht auf die personensorgende Wohlbindung der Forschung und der konsentierenden elterlichen Entscheidung an das individuelle Kindeswohl zugunsten einer Orientierung an einem allgemeinen Interesse“ sei.579 Die Gesetzgebungsmaterialien lassen jedoch auch eine andere Deutung zu. Dass das Arzneimittelgesetz speziell zu den Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch ist, muss nicht bedeuten, dass die Eltern von der Bindung an das Kindeswohl entbunden werden. Das „Spezielle“ kann auch darin liegen, dass der Inhalt des Kindeswohls konkretisiert wird und zwar dahingehend, dass gruppennützige Forschung dem Wohl des Kindes in diesem speziellen Fall entsprechen kann. Eine Konkretisierung des Inhalts einer Verpflichtung liegt näher als eine Aufhebung dieser Bindung. Spezifizierungen im Hinblick auf den Begriff des Wohls gibt es etwa auch bei der Knochenmarkspende von Minderjährigen.580 Darüber hinaus bleibt fraglich, warum eine Einwilligung der Eltern notwendig bliebe. Von Freier selbst lehnt eine Erforderlichkeit zur Wahrung der eigenen Rechte der Eltern ab.581 Nach seiner Theorie einer Rechtspflicht wäre die Einwilligung mangels Repräsentation also überflüssig, wenn es nicht um Erziehungsziele geht. Dass der Gesetzgeber sie dennoch in jedem Fall für erforderlich gehalten hat, spricht wiederum gegen seine Interpretation der Gesetzgebungsmaterialien. cc) Ergebnis Bei der Einwilligung von Eltern oder Betreuer in fremdnützige Maßnahmen handelt es sich entgegen der Ansicht von Freiers um eine Entscheidung, die den Einwilligungsunfähigen repräsentieren kann. Sie widerspricht nicht in jedem Fall dem Wohl der einwilligungsunfähigen Person und das Arzneimittelgesetz entbindet auch nicht von dieser Bindung an das Wohl. Daher kann seine Theorie von der Rechtspflicht nicht überzeugen, denn die Prämisse, dass eine Legitimation durch Repräsentation ausscheidet, ist nicht haltbar. c) Grundlegende Unterschiede zu einer Pflicht Darüber hinaus sprechen aber noch weitere Gründe gegen eine Sozialpflicht zur Forschungsteilnahme. Die gruppen- und fremdnützige Forschung nach den heutigen Regelungen unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von den Versuchen in der Zeit des Nationalsozialismus. Der wichtigste Unterschied besteht in den Schutzmaßnahmen 578 579 580 581

BT-Drs. 15/2109, S. 32. von Freier, Humanforschung, S. 115. Vgl. § 8a TPG; s. auch schon S. 135. von Freier, Humanforschung, S. 117.

D. Übertragung der Ergebnisse auf die Forschung im Arzneimittelgesetz

213

zugunsten der Versuchsteilnehmer. Neben der Risiko-Nutzen-Abwägung und weiteren Kriterien ist auch die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters erforderlich.582 Dieser muss nicht zustimmen. Daher kann schwerlich von einer Pflicht gesprochen werden. Es handelt sich nicht um Zwang zur Versuchsteilnahme. Des Weiteren kann auch der gesetzliche Vertreter nicht willkürlich einwilligen, sondern ist bei seiner Entscheidung an das Wohl des Vertretenen gebunden. Darin liegt auch der Unterschied zu den oben genannten Pflichten: Die Teilnahme wird an eine Zustimmung gebunden und nicht vom Staat auferlegt. Einer Rechtspflicht entgegen steht auch die Möglichkeit eines Vetos583 : Wer eine „Pflicht“ ohne Grund verweigern darf, den trifft keine Pflicht. Die Ablehnung einer Versuchsteilnahme oder die fehlende Bereitschaft zur Einwilligung muss nicht begründet werden. Eine Verweigerung des Kriegsdienstes muss hingegen aus Gewissensgründen erfolgen (Art. 12a Abs. 2 GG). Eine Ablehnung der Untersuchung nach § 81c StPO ist nur aus Gründen möglich, die auch ein Zeugnisverweigerungsrecht begründen. Im Gegensatz zu den Pflichten, die der Staat bestimmten Personen auferlegt, und bei denen entweder nur aus bestimmten Gründen oder überhaupt keine Verweigerung möglich ist, kann die Forschungsteilnahme ohne Angabe von Gründen abgelehnt werden. Von Freier wendet dagegen ein, damit wäre Passivität zur Legitimation ausreichend, was bei Einwilligungsfähigen undenkbar wäre.584 Bei diesen wird die positive Zustimmung gefordert. Der entscheidende Unterschied zwischen Einwilligungsfähigen und -unfähigen besteht jedoch gerade darin, dass eine positive Zustimmung von Letzteren selbst nicht wirksam erteilt werden kann. Ein Vetorecht hat selbstverständlich nicht die gleiche legitimatorische Kraft wie eine Einwilligung, dennoch steht es der Annahme einer Pflicht entgegen, weil eine Verweigerung ohne Grund möglich ist. Auch die Formulierung im Arzneimittelgesetz spricht gegen eine Rechtspflicht. Während in den oben genannten Regelungen meist die Umschreibung „dulden“ oder „verpflichten“ verwendet wird, findet sich eine solche bei der gruppennützigen Forschung im Arzneimittelgesetz nicht. Es wird nicht etwa formuliert: „Alle Einwilligungsunfähigen sind zur Teilnahme an Forschungsmaßnahmen verpflichtet, auch wenn sie ihnen keinen Nutzen bringt.“ Auch die Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission geht davon aus, dass niemand zur Hilfestellung verpflichtet werden kann, eine Einbeziehung von nicht-einwilligungsfähigen Personen aber vertretbar sein kann.585 Folglich geht auch sie davon aus, dass gruppennützige Forschung keine Pflicht statuiert, denn sie unterscheidet eine Pflicht von einer vertretbaren Einbeziehung. Die Notwendigkeit einer verfassungskonformen Re-

582

§ 40 Abs. 4 Nr. 3 AMG. § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 3 2. Hs., vgl. auch schon zur Bedeutung des Vetos: S. 154 ff. So auch schon Rosenau, in: Hilgendorf/Beck, S. 117, 137. 584 von Freier, Humanforschung, S. 117. 585 Bundesärztekammer, DtÄrztebl. 1997, A-1011. 583

214 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

striktion besteht nicht, da eine Einbeziehung durch Repräsentation auch in weiterem Rahmen möglich ist, ohne auf Erziehungsziele abstellen zu müssen. d) Zusammenfassung Bei der Einbeziehung von Minderjährigen in die gruppennützige Forschung durch das Arzneimittelgesetz handelt es sich nicht um eine Rechtspflicht. Einer solchen Sozialpflicht steht entgegen, dass die gesetzlichen Vertreter zu einer Einwilligung unter bestimmten Voraussetzungen befugt sind und es sich daher um einen Akt der Repräsentation handelt. Außerdem wäre das Vetorecht nicht mit einer Pflicht vereinbar. 2. Repräsentation Das Arzneimittelgesetz bestimmt in § 40 Abs. 4 Nr. 3, dass bei Minderjährigen die Einwilligung durch den gesetzlichen Vertreter erteilt werden kann. Volljährige Einwilligungsunfähige werden gemäß § 41 Abs. 3 Nr. 2 AMG durch ihren gesetzlichen Vertreter oder Bevollmächtigten vertreten. Folglich nutzt das Arzneimittelgesetz die Einbeziehungsmöglichkeit der Repräsentation. Die Bindung an das Wohl der Person sichert § 1627 BGB sowie § 1901 Abs. 2 BGB und wird durch die Regelung des Arzneimittelgesetzes konkretisiert. Nach § 40 Abs. 4 S. 3 2. Hs. AMG ist das Veto des Minderjährigen beachtlich.586 Bei volljährigen Einwilligungsunfähigen findet sich eine solche Regelung nicht. Allerdings sind bei ihnen nur eigennützige Maßnahmen erlaubt, so dass der Bezug zur Würde nicht in dem Maße gegeben ist und die Regelung daher dennoch nicht gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstößt. Die Erforderlichkeit der gesetzlichen Vertreter findet sich bei Betreuten in § 1896 Abs. 2 S. 1 BGB. Bei Minderjährigen ist sie in frühem Stadium selbstverständlich. Bei älteren Minderjährigen stellt sich die Frage einer Alleinentscheidungsbefugnis. In § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 4 AMG ist der Co-Consent geregelt. Wenn der Minderjährige in der Lage ist, Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung zu erkennen und seinen Willen hiernach auszurichten, so ist danach auch seine Einwilligung erforderlich. Der Co-Consent im Arzneimittelgesetz verstößt gegen das Selbstbestimmungsrecht. Darüber hinaus handelt es sich um eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung, wenn Einwilligungsfähige lediglich aufgrund ihres Alters in Angelegenheiten der medizinischen Selbstbestimmung ungleich behandelt werden. Eine Genehmigung der Einwilligung für die Teilnahme der bestimmten einwilligungsunfähigen Person sieht weder das Arzneimittelgesetz noch das Bürgerliche Gesetzbuch vor. Dort ist nach § 1904 Abs. 1 BGB eine Genehmigung des Betreuungsgerichts nur notwendig, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden ge586

Vgl. zur Auslegung bereits o. S. 60.

D. Übertragung der Ergebnisse auf die Forschung im Arzneimittelgesetz

215

sundheitlichen Schaden erleidet. Solche schweren Folgen sind jedoch bereits durch die zu erfolgende Risiko-Nutzen-Abwägung und die erforderliche Begrenzung auf einen niedrigen Risiko- und Belastungsgrad ausgeschlossen, so dass nach dieser Vorschrift im Regelfall keine Genehmigung des Betreuungsgerichts notwendig ist. Da dies zwar wünschenswert ist, um einen größeren Schutz des Betroffenen durch eine verfahrensrechtliche Absicherung zu erreichen, jedoch verfassungsrechtlich nicht zwingend ist, verstößt die Regelung diesbezüglich nicht gegen das Grundgesetz. 3. Antizipierte Selbstbestimmung Das Arzneimittelgesetz enthält keine ausdrückliche Regelung zu einer antizipierten Einwilligung. Bei einwilligungsunfähigen Personen wird in § 40 Abs. 4 Nr. 3 sowie § 41 Abs. 3 Nr. 2 AMG grundsätzlich auf die Einwilligung des Vertreters abgestellt. Fraglich ist, ob die Einbeziehungsmöglichkeit der antizipierten Einwilligung dennoch nach der Gesetzeslage möglich ist. § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 AMG stellt zwar auf die Einwilligung ab, bezieht sich jedoch ausdrücklich auf volljährige einwilligungsfähige Personen, so dass nur die aktuelle persönliche Einwilligung erfasst sein soll. Die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes knüpfen jedoch auch an die mutmaßliche Einwilligung an. Außerdem haben die anderen Vorschriften des Betreuungsrechts, insbesondere die Bindung an das Wohl des Vertretenen, auch im Anwendungsbereich des Arzneimittelgesetz Bedeutung. Der Wortlaut des § 1901a BGB enthält neben Untersuchungen des Gesundheitszustands und Heilbehandlungen auch andere ärztliche Eingriffe. Damit steht fest, dass nicht nur indizierte Eingriffe erfasst sind,587 was für eine weite Auslegung spricht. Der Begriff „Patientenverfügung“ betrifft also nicht nur Patienten im engsten Sinne. Auch § 1904 BGB nennt diese drei Arten ärztlichen Handelns, so dass auch die systematische Auslegung dafür spricht. Dies ergibt sich ebenfalls aus § 1904 Abs. 2 BGB, der besondere Voraussetzungen für die Nichteinwilligung des Betreuers bei angezeigten Maßnahmen statuiert. Die historische Auslegung ist wenig ergiebig. Forschungsverfügungen werden nicht genannt, jedoch erwähnt der Gesetzgeber, dass Heilbehandlungen und auch andere ärztliche Maßnahmen dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen gerecht werden müssen.588 Damit ist zugleich der Sinn und Zweck des Gesetzes deutlich: Es soll auf der einen Seite dem Selbstbestimmungsrecht und auf der anderen Seite dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit gerecht werden. Wenn man entgegen der hier vertretenen Ansicht annähme, dass antizipierte Einwilligungen bei fremdnütziger Forschung nicht möglich seien, so könnte man höchstens eine gewisse Bindungswirkung für den zur Entscheidung berufenen

587 588

Vgl. Jürgens, in: Jürgens, § 1901a, Rn. 7. BT-Drs. 16/8442, S. 8.

216 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Vertreter in Betracht ziehen.589 Wie oben erörtert, wird jedoch eine antizipierte Einwilligung dem Selbstbestimmungsrecht in besonderer Weise gerecht und ist grundsätzlich auch bei fremdnütziger Forschung möglich. Mithin ist § 1901a BGB anwendbar. Dieser setzt nach § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB Schriftlichkeit voraus, eine Formvorschrift, die sich innerhalb des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers befindet. § 1901a Abs. 1 S. 2 BGB erlaubt darüber hinaus den formlosen jederzeitigen Widerruf, so dass die Anforderungen eingehalten sind. 4. Mutmaßliche Einwilligung Gemäß § 41 Abs. 1 S. 2 AMG darf in Notfallsituationen eine Behandlung, die ohne Aufschub erforderlich ist um das Leben der betroffenen Person zu retten, ihre Gesundheit wiederherzustellen oder ihr Leiden zu erleichtern, umgehend erfolgen. Die mutmaßliche Einwilligung wird nicht ausdrücklich genannt. Die Gesetzgebungsmaterialien erwähnen sie ebenfalls nicht.590 Der Gesetzgeber nimmt jedoch u. a. Bezug auf die Rettung des Lebens der Person, die mit der Forschungsmaßnahme bezweckt werden muss. Die Auslegung ergibt daher, dass die mutmaßliche Einwilligung, die gewohnheitsrechtlich in vielen Fallgestaltungen anerkannt ist,591 auch hier Anwendung finden soll. Eine ausdrückliche Erwähnung und Ausgestaltung der mutmaßlichen Einwilligung ist jedoch wünschenswert. Die Subsidiarität gegenüber der Einbeziehung durch Repräsentation wird gewahrt, und eine Nachholpflicht besteht nach § 41 Abs. 1 S. 3 AMG. Die Vorrangigkeit der antizipierten Einwilligung wird durch § 1901a Abs. 2 BGB abgesichert. Das Arzneimittelgesetz sieht neben dem mutmaßlichen Willen und der Nachholung der Einwilligung keine weiteren Schutzvorkehrungen speziell für Notfallsituationen vor. Die Zustimmung eines weiteren Arztes oder die Eilentscheidung eines Richters wären wünschenswert, ihr Fehlen befindet sich aber im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.

II. Schutzmaßnahmen betreffend die Forschung 1. Subsidiarität Gemäß § 40 Abs. 4 Nr. 2 AMG dürfen die klinische Prüfung an Erwachsenen oder andere Forschungsmethoden nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft keine ausreichenden Prüfergebnisse erwarten lassen. Folglich ist die 589

So Oswald, Die strafrechtlichen Beschränkungen, S. 246 f., die freilich eine Erweiterung der Anwendbarkeit des § 41 Abs. 1 S. 2 AMG auf dauerhaft einwilligungsunfähige Notfallpatienten durch den Gesetzgeber als angezeigt bezeichnet. 590 Vgl. BT-Drs. 15/2109. 591 Vgl. bereits o. S. 188 f.

D. Übertragung der Ergebnisse auf die Forschung im Arzneimittelgesetz

217

Forschung an Minderjährigen subsidiär. Bei erwachsenen einwilligungsunfähigen Personen gilt die Vorschrift nach § 41 Abs. 3 Nr. 3 S. 2 AMG entsprechend, so dass die Anforderungen gewahrt sind. 2. Aufklärung und Dokumentation Der gesetzliche Vertreter des Minderjährigen muss nach § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 1 AMG i.V.m. Abs. 2 aufgeklärt werden. Auch der Minderjährige ist aufzuklären, sofern dies möglich ist, § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 3 AMG. Darüber hinaus ist nach S. 5 Gelegenheit zu einem Beratungsgespräch zu eröffnen. Dasselbe gilt bei einwilligungsunfähigen Volljährigen gemäß § 41 Abs. 3 Nr. 2 S. 1, 2 AMG. Die Dokumentation erfolgt nach den Regelungen der GCP-V. 3. Genehmigungspflicht Nach § 40 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 42 Abs. 2 AMG ist grundsätzlich die Genehmigung der klinischen Prüfung durch eine Behörde vorgeschrieben. § 42 Abs. 2 AMG enthält einen Verbotstatbestand mit Erlaubnisvorbehalt,592 denn die Genehmigung darf nur unter bestimmten Voraussetzungen nach Satz 3 versagt werden. Fraglich ist jedoch, ob eine explizite Genehmigung erforderlich ist. Der Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 2001/20/EG sowie § 42 Abs. 2 S. 4 AMG und § 22a Abs. 4 MPG setzen eine solche in der Regel nicht voraus.593 Die Genehmigung gilt als erteilt, wenn die Behörde innerhalb von höchstens 30 Tagen nach Eingang der Antragsunterlagen keine mit Gründen versehenen Einwände übermittelt. Dadurch wird der Schutz abgeschwächt, denn unter Umständen wäre es möglich, dass die klinische Prüfung beginnt, ohne dass die Behörde die Voraussetzungen geprüft hätte. Allerdings ist die Behörde nach § 9 Abs. 2 S. 1 GCP-V verpflichtet, den Antrag innerhalb der vorgeschriebenen Frist abschließend zu prüfen. Im Hinblick auf den Schutz der körperlichen Unversehrtheit ist eine solche implizite Genehmigung nicht zu begrüßen. Zu beachten ist jedoch, dass der Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum hat, wie er seiner Schutzpflicht gerecht werden kann. Solange also insgesamt ein Regelungskonzept vorliegt, dass den Schutz gewährleistet, verstößt eine implizite Genehmigung nicht gegen Art. 2 Abs. 2 GG. Es muss aber auch beachtet werden, dass eine implizite Genehmigung Bürokratieaufwand abbauen, Kosten einsparen und Verfahren verkürzen kann, insbesondere bei risikoarmen Forschungsvorhaben.

592 593

Listl, in: Spickhoff, § 40 AMG, Rn. 1; Rehmann, AMG, § 42, Rn. 5. Eine Ausnahme gilt jedoch gemäß § 42 Abs. 2 S. 6 AMG für bestimmte Arzneimittel.

218 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

4. Votum einer Ethikkommission Neben einer Genehmigung sieht § 40 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 42 Abs. 1 AMG das zustimmende Votum einer Ethikkommission vor. Tritt die Zustimmung einer Ethikkommission neben die Genehmigungspflicht, wie im Arzneimittel- und Medizinproduktegesetz, so wird der Schutz verstärkt. Es handelt sich dann um einen „doppelten Billigungsvorbehalt“.594 5. Risiko-Nutzen-Abwägung Nach § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AMG muss eine Risiko-Nutzen-Abwägung stattfinden. Bei Minderjährigen sowie volljährigen Einwilligungsunfähigen müssen Risiken und Belastungen nach § 40 Abs. 4 Nr. 3 AMG bzw. § 41 Abs. 3 Nr. 1 AMG möglichst gering sein. Die gruppennützige Forschung an Minderjährigen darf gemäß § 41 Abs. 2 Nr. 2 lit. c AMG nur mit minimalen Risiken und Belastungen verbunden sein.595 Ausreichender Schutz besteht damit in dieser Hinsicht. 6. Straf- und Haftungsvorschriften In § 96 Nr. 10, 11 AMG befinden sich Strafvorschriften, die den Patienten bzw. Probanden schützen. Außerhalb der Spezialgesetze sind die Strafvorschriften des Strafgesetzbuchs anwendbar.596 Eine zivilrechtliche Haftung ergibt sich innerhalb der klinischen Prüfung aus Vertrag, aus § 823 Abs. 1 BGB597 sowie nach umstrittener Auffassung aus dem Produkthaftungsgesetz.598 Zur Absicherung des Teilnehmers ist außerdem eine Probandenversicherung nach § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 8 i.V.m. Abs. 3 AMG vorgesehen. Nach diesen Vorschriften muss ihr Umfang in einem angemessenen Verhältnis zu den mit der klinischen Prüfung verbundenen Risiken stehen und auf der Grundlage der Risikoabschätzung so festgelegt werden, dass für jeden Fall des Todes oder der dauernden Erwerbsunfähigkeit einer von der klinischen Prüfung betroffenen Person mindestens 500.000 Euro zur Verfügung stehen. Solche 594

So: Pestalozza, NJW 2004, 3374, 3378. s. zum Inhalt dieser Abwägung und der Begrenzung auf minimale Risiken und Belastungen o. S. 66 f. 596 s. dazu noch u. S. 319 f. 597 Metzmacher, Schadensausgleich, S. 43 ff., 101 ff. 598 Für eine Anwendbarkeit des ProdHaftG: Kullmann, ProdHaftG, § 15, Rn. 4: Alle Arzneimittel unterfielen dem ProdHaftG, die nicht von § 84 AMG erfasst seien, also auch Arzneimittel in klinischen Prüfungen. Zu Recht zustimmend: Deutsch, VersR 2007, 187; Metzmacher, Schadensausgleich, S. 150 ff. hält das ProdHaftG zwar für anwendbar, jedoch sei die Voraussetzung des Inverkehrbringens bei einer klinischen Prüfung nicht erfüllt. Hingegen gilt nach Schiemann, in: Erman, § 15 ProdHaftG das AMG im Bereich der Arzneimittelhaftung ausschließlich. Auch nach Foerste, in: Foerste/Graf von Westphalen, ProdHaftG, § 24, Rn. 138 besteht bei der klinischen Prüfung keine Gefährdungshaftung. Weder § 84 AMG noch ProdHaftG seien also anwendbar. 595

D. Übertragung der Ergebnisse auf die Forschung im Arzneimittelgesetz

219

Strafvorschriften und zivilrechtliche Absicherungen sind geeignet, den Patienten bzw. Probanden zu schützen. Durch solche Regelungen kommt der Gesetzgeber seiner Schutzpflicht nach.599 7. Verbot der Gewährung von Vorteilen Nach § 40 Abs. 4 Nr. 5 sowie § 41 Abs. 3 Nr. 4 AMG dürfen bei Minderjährigen und einwilligungsunfähigen Personen keine Vorteile mit Ausnahme einer angemessenen Entschädigung gewährt werden. 8. Beschränkung auf Eigennutzen bzw. Gruppennutzen Das Arzneimittelgesetz verlangt bei volljährigen Einwilligungsunfähigen einen individuellen Nutzen gemäß § 41 Abs. 3 Nr. 1 AMG, bei kranken minderjährigen Patienten ist nach § 41 Abs. 2 Nr. 2 lit. a AMG auch ein Gruppennutzen ausreichend. Wie oben festgestellt, verstößt weder die eine noch die andere Regel gegen das Grundgesetz. Die Forschungsfreiheit ist bei einer Begrenzung auf eigennützige Forschung nicht verletzt; der Staat kann seiner Schutzpflicht aber andererseits auch bei der Zulassung von rein fremdnütziger Forschung nachkommen. Selbst bei Minderjährigen widerspricht sie nicht dem Wohl nach Art. 6 Abs. 2 GG. Zu kritisieren ist an der Regelung jedoch die Ungleichbehandlung zwischen minderjährigen und volljährigen Einwilligungsunfähigen, die ebenso schutzbedürftig sind. Sie vermag nicht gerechtfertigt zu werden, so dass ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt.

III. Vereinbarkeit der Verabreichung von Placebos Zudem stellt sich die Frage, ob auch die Verabreichung von Placebos mit den Grundrechten vereinbar ist. Wie bereits oben festgestellt,600 kann auch die Darreichung eines Placebos einen Nutzen für die Versuchsperson darstellen, so dass sogar bei der eigennützigen Forschung im Arzneimittelgesetz – soweit die anderen Voraussetzungen eingehalten werden – deren Verabreichung zulässig ist. Auch dieses Ergebnis ist am Grundgesetz zu messen.601 599

So auch schon Dickert, Forschungsfreiheit, S. 428. s. o. S. 70 f. 601 Im Vordergrund der Diskussion um placebo-kontrollierte Studien steht meist die einfach-gesetzliche Auseinandersetzung. Da vielfach schon ein individueller Nutzen innerhalb der Kontrollgruppe abgelehnt wird, vgl. dazu Fischer, in: Deutsch/Schreiber, S. 29, 33; Listl, in: Spickhoff, § 41 AMG, Rn. 2 f.; Pestalozza, NJW 2007, 3374, 3378; Schroth, in: Roxin/Schroth, S. 669, 717 sowie auch schon o. S. 70 wird häufig die Verabreichung von Placebos nur im Rahmen der Vorschriften, die Gruppennutzen voraussetzen, für zulässig gehalten. Dieser Gruppennutzen wiederum wird in der Literatur zu einem großen Teil als verfassungswidrig eingestuft, vgl. dazu insb. von Freier, Humanforschung, S. 85, 288 (verfassungskonforme 600

220 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Zunächst könnte wegen einer unzulässigen Objektivierung die Würde der Person verletzt sein, wenn sie ein wirkungsloses Präparat erhält, um die Wirksamkeit des zu testenden Arzneimittels zu prüfen. Placebo-kontrollierte Studien haben einen individuellen Nutzen.602 Selbst wenn man jedoch Placebostudien als rein fremdnützig ansieht, so bedeutet die Verabreichung von Placebos keinesfalls zwingend eine Verletzung der Würde. Fremdnützige Forschung ist mit der Würde nicht unvereinbar.603 Darüber hinaus ist die Vereinbarkeit mit dem Wohl des Vertretenen fragwürdig.604 Durch den individuellen Nutzen, nämlich insbesondere die bessere Überwachung sowie beim Cross-over-Verfahren die Chance, das Testpräparat zu erhalten, besteht sogar ein individueller Nutzen, so dass die Teilnahme dem Wohl der Person entsprechen kann. Zu beachten ist ferner, dass die Wirksamkeit des zu prüfenden Arzneimittels nicht feststeht. Daher ist es keineswegs sicher, dass der Versuchsperson ein wirksames und unbedenkliches Mittel vorenthalten wird. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass selbst fremdnützige Maßnahmen mit dem Wohl der Person vereinbar sein können, wenn entsprechende Anhaltspunkte vorliegen, so dass auch bei Fehlen eines individuellen Nutzens die Vereinbarkeit mit dem Wohl der Person nicht ausgeschlossen wäre.605 Allerdings dürfen Placebos nur verabreicht werden, wenn kein Standardpräparat vorhanden ist.606 Würde man dem Patienten dieses vorenthalten, so würde er nicht nur zum Zwecke der Wissenschaft degradiert, sondern sein Recht auf körperliche Unversehrtheit wäre verletzt. Obwohl es ein wirksames Mittel gäbe, würde ihm nicht geholfen. Etwas anderes kann nur gelten bei risikoarmen oder -losen Verabreichungsformen eines Placebos, wenn kein irreversibler Schaden droht und die Verwendung des Placebos aus wissenschaftlichen Gründen zwingend notwendig ist.607 In diesem Fall wäre die Vorenthaltung einer existierenden Standardbehandlung nicht mit einer Herabsetzung der Person verbunden und würde auch das Grundrecht der körperliche Unversehrtheit nicht berühren. Die Verabreichung eines Placebos wäre dann ein geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel um wissenschaftlichen Fortschritt zu erreichen.

Reduktion); zum AMG, vgl. nur Graf von Kielmannsegg, PharmR 2008, 517 ff.; Mehlitz, Die rechtliche Zulässigkeit placebokontrollierter klinischer Prüfungen; Bundesärztekammer (Hrsg.), Placebo in der Medizin; sowie zum StGB, vgl. dazu nur Fincke, Arzneimittelprüfung; Möller, RPG 2001. 67 ff.; Samson, NJW 1978, 1182. 602 Vgl. dazu schon o. S. 70 f.: Beim Cross-over-Verfahren besteht die Chance, in die Verumgruppe zu gelangen während der gesamten klinishcen Prüfung. Darüber hinaus erhalten die Probanden das Verum u. U. früher und werden besser überwacht. 603 Vgl. o. S. 114 ff. 604 Vgl. dazu Mayer, Medizinische Maßnahmen an Betreuten, S. 76; dagegen jedoch Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 558. 605 Vgl. o. S. 138 ff., 142 ff., 160 ff. 606 Vgl. auch schon o. S. 69. 607 Vgl. Ziffer 33 der Deklaration von Helsinki.

E. Exkurs: Weitere verfassungsrechtliche Bedenken

221

Bei einer kontrollierten Studie muss der Staat seiner Schutzpflicht nachkommen, indem auch die Genehmigungsbehörde und die Ethikkommission das Studiendesign erfahren und bewerten. Im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht muss eine Aufklärung darüber erfolgen, dass es sich um eine kontrollierte Studie handelt und der Patient entweder das Prüfpräparat oder ein Placebo erhält. Auch Elternrecht und Kindeswohl sind nicht verletzt.608 Es kann sogar ein individueller Nutzen bestehen. Wenn fremdnützige Forschung mit dem Kindeswohl vereinbar sein kann, muss dies mithin erst recht für kontrollierte Studien gelten. Auf der anderen Seite müssten die Grenzen der Forschung mit Placebos auch mit der Forschungsfreiheit vereinbar sein. Wenn dies etwa bei Notfallpatienten verboten ist, liegt ein Eingriff vor. Bei diesen besteht jedoch eine erhöhte Schutzbedürftigkeit. Daher erscheint eine Rechtfertigung durch die Schutzpflicht des Art. 2 Abs. 2 GG möglich. Der Gesetzgeber handelt innerhalb seines Ermessensspielraums, wenn er bei bestimmten Personengruppen die Verabreichung von Placebos verbietet. Folglich ist auch die Zulässigkeit von placebo-kontrollierten Studien im Arzneimittelgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar.

IV. Ergebnis Das Arzneimittelgesetz stimmt in einigen Punkten nicht mit den Wertungen der Grundrechte überein. So müssten gleiche Voraussetzungen für minderjährige und volljährige Einwilligungsfähige sowie für Einwilligungsunfähige vorgesehen werden. Der Co-Consent verstößt nicht nur gegen Art. 3 Abs. 1 GG, sondern auch gegen das Selbstbestimmungsrecht. Auch die Reichweite der Einbeziehung durch die Begrenzung auf einen bestimmten Nutzen müsste für beide Gruppen gleich sein. Insoweit ist das Arzneimittelgesetz also nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren. Es sollte durch den Gesetzgeber entsprechend an die Wertungen der Verfassung angepasst werden.609 Die sonstigen Schutzmaßnahmen befinden sich innerhalb des Gestaltungsspielraums. Der Gesetzgeber könnte jedoch die Forschung in weiterem Maß zulassen, indem er auch fremdnützige Forschung erlaubt.

E. Exkurs: Weitere verfassungsrechtliche Bedenken Die Regelungen zur Forschung am Menschen sind auch außerhalb des Bereichs der Grundrechte verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. 608

Anders hingegen nach der Konzeption von von Freier, Humanforschung, S. 597 f.: Von dem Indifferenzprinzip abzusehen, sei nicht mit dem Wohl vereinbar. Wenn jedoch solche Experimente nur dort in Betracht kämen, wo der Krankheit ebenso gut freien Lauf gelassen werden könne, so sei die erzieherische Legitimation, die nach seiner Theorie von der Rechtspflicht bei fehlender Repräsentation notwendig ist, kaum mehr vorhanden. 609 s. dazu noch unten S. 368 f.

222 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

I. Regelung durch Verordnungen Zunächst ist fragwürdig, ob auch Regelungen, die nicht als formelles Gesetz erlassen worden sind, mit dem Grundgesetz vereinbar sein können.610 Die Strahlenschutz- und die Röntgenverordnung sind nicht durch den parlamentarischen Gesetzgeber verabschiedet worden. Zum einen müssen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wesentliche Entscheidungen vom Parlament getroffen werden und können nicht auf die Exekutive übertragen werden.611 Wesentlich ist eine Materie insbesondere, wenn sie von grundlegender Bedeutung für die Verwirklichung und Ausübung der Grundrechte ist.612 Bei einer Kollision von Grundrechten, gerade auch von vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten, ist eine Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers notwendig, denn bei schrankenlosen Grundrechten müssen die verfassungsimmanenten Schranken durch Gesetz bestimmt und konkretisiert werden.613 Die Forschung am Menschen weist eine erhebliche Grundrechtsrelevanz auf. Die Regelung, inwiefern Forschung an einwilligungsunfähigen Personen zulässig ist, sollte nicht einem Verordnungsgeber überlassen werden. Sie ist komplex und wichtig und sollte von einem demokratisch legitimierten Organ geregelt werden. Zum anderen ist fragwürdig, ob der Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 80 Abs. 1 GG bei den Regelungen zur Forschung mit Strahlenanwendungen eingehalten wird. Demnach müssen in einem Ermächtigungsgesetz Inhalt, Zweck und Ausmaß geregelt werden. Das Ermächtigungsgesetz für die Verordnungen ist das Atomgesetz. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der medizinischen Forschung mit Strahlenanwendungen sind dort jedoch nicht festgesetzt. Gemäß § 11 AtG kann eine Genehmigung sachlichen und persönlichen Voraussetzungen unterworfen werden. Dass damit das Ausmaß hinreichend bestimmt geregelt ist, ist zweifelhaft, denn aus den Ermächtigungen wird etwa nicht hinreichend deutlich, inwiefern Versuche auch mit Einwilligungsunfähigen zulässig sind.614 Insgesamt stellen sich damit die Strahlenschutz- und Röntgenverordnung als verfassungsrechtlich fragwürdig dar, so dass eine Regelung in Form eines formellen Gesetzes wünschenswert ist.615

610

Vgl. zum Folgenden Böse/Jansen, MedR 2012, 720, 723 f. Vgl. zur „Wesentlichkeitstheorie“: BVerfGE 40, 237; 47, 46; 49, 89. 612 BVerfG NJW 1978, 807, 810. 613 BVerfGE 83, 130. 614 § 11 Abs. 2 AtG schreibt nur vor, dass Genehmigungen durch eine Rechtsverordnung „im Rahmen der Zweckbestimmung dieses Gesetzes von persönlichen und sachlichen Voraussetzungen abhängig“ gemacht werden. 615 Zum Ganzen vgl. auch Böse/Jansen, MedR 2012, 720, 723 f. 611

E. Exkurs: Weitere verfassungsrechtliche Bedenken

223

II. Regelung durch Berufsordnungen Ähnlichen Bedenken ist auch eine Regelung durch die Berufsordnungen ausgesetzt. Zwar ist Art. 80 Abs. 1 GG nicht auf die Verleihung autonomer Satzungsgewalt anwendbar,616 es stellt sich jedoch die Frage, ob der Satzungsgeber zu einer Einschränkung der Grundrechte, insbesondere der Forschungsfreiheit, befugt ist, wenn dort die Befugnisse der Forscher eingeschränkt werden, etwa durch die Pflicht, eine Ethikkommission anzurufen.617 Auf der einen Seite handelt es sich um eine grundrechtsrelevante Materie, so dass die Wesentlichkeitstheorie zu beachten ist.618 Nach einer Ansicht ist die Konkretisierung der Schranken Aufgabe des parlamentarischen Gesetzgebers und nicht des Satzungsgebers.619 Auf der anderen Seite hat die Pflicht keine großen Auswirkungen auf Außenstehende, die nicht dem Ärztestand angehören.620 Die Grenzen der Satzungsautonomie ergeben sich aus dem Zweck und dem Aufgabenbereich der Körperschaft. Der Ärztestand soll für eine ethisch korrekte Berufsausübung sorgen. Es handelt sich daher um eine interne Standesvorschrift, die durch die gebotene Selbstkontrolle gerechtfertigt werden kann.621 Die gesetzliche Ermächtigung findet sich in § 30 f. Heilberufsgesetz NRW. Zusätzlich legt § 7 Abs. 1 Heilberufsgesetz NRW fest, dass die Ärztekammern Ethikkommissionen zur Beratung ihrer Kammerangehörigen nicht nur zur Wahrnehmung bundes- oder landesrechtlich einer öffentlich-rechtlichen Ethikkommission zugewiesener Aufgaben, sondern auch bei berufsrechtlichen und berufsethischen Fragen errichten. Der Gesetzgeber hat also die Beratung dadurch anerkannt und die Ärztekammern in § 7 Abs. 4 Heilberufsgesetz NRW zum Erlass von Satzungen ermächtigt. Zusammenfassend stellt sich die Regelung in den Berufsordnungen zur Beratungspflicht durch eine Ethikkommission also nicht als verfassungswidrig dar.

616

BVerfGE 12, 319, 325; 21, 54, 62; 32, 346, 360 f; 33, 125, 157. So § 15 Abs. 1 MBO: „Ärztinnen und Ärzte, die sich an einem Forschungsvorhaben beteiligen, bei dem in die psychische oder körperliche Integrität eines Menschen eingegriffen oder Körpermaterialien oder Daten verwendet werden, die sich einem bestimmten Menschen zuordnen lassen, müssen sicherstellen, dass vor der Durchführung des Forschungsvorhabens eine Beratung erfolgt, die auf die mit ihm verbundenen berufsethischen und berufsrechtlichen Fragen zielt und die von einer bei der zuständigen Ärztekammer gebildeten Ethik-Kommission oder von einer anderen, nach Landesrecht gebildeten unabhängigen und interdisziplinär besetzten Ethik-Kommission durchgeführt wird.“ Auch § 15 Abs. 1 der Berufsordnung NRW schreibt eine Beratungspflicht vor. 618 Zu diesen Bedenken: Rupp, UTR 1990, 23, 47; Schenke, NJW 1991, 2313, 2319; Scholz/ Stoll, MedR 1990, 58, 60. 619 Schenke, NJW 1991, 2313, 2319. 620 Laufs/Reiling, MedR 1991, 1, 9. 621 Laufs/Reiling, MedR 1991, 1, 9; ähnlich auch: Schröder, VersR 1990, 243, 253; auch Hofmann, JZ 1986, 253, 256 geht davon aus, dass die forschenden Ärzte sich dem Berufsrecht beugen müssen, anders hingegen Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 222, der externe Risikoabschätzungen nicht als eine Angelegenheit der Selbstverwaltung einordnet. 617

224 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

III. Regelung durch Verweisungen Die Regelungen zur Forschung am Menschen zeichnen sich häufig durch Verweisungen aus. So verweist etwa § 40 Abs. 1 S. 1 AMG auf Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2001/20/EG. Die dort genannten Grundsätze der Guten klinischen Praxis werden in der Richtlinie 2005/28/EG festgelegt.622 Dort ist sodann in Art. 3 Abs. 2 auf die Deklaration von Helsinki in der Fassung von 1996 verwiesen. Problematisch bei diesen Verweisungen sind nicht nur die Länge der Kette und die daraus resultierende Unübersichtlichkeit.623 Auch werden teils statische624 und teils dynamische625 Verweisungen genutzt, so dass die Deklaration von Helsinki in unterschiedlichen Fassungen Anwendung findet und folglich unterschiedliche Voraussetzungen gelten, so etwa bei den Anforderungen bei placebo-kontrollierten Studien. Statische Verweisungen haben zwar den Vorteil, dass sie der Rechtssicherheit dienen, jedoch verhindern sie den Fortschritt der Regelungen.626 Auch dynamische Verweisungen sind rechtsstaatlich problematisch, da sie zur Unübersichtlichkeit und Rechtsunsicherheit beitragen und dabei die Rechtsetzungsbefugnis auf einen anderen Normgeber übertragen, was gerade bei nicht demokratisch legitimierten Normgebern wie dem Weltärztebund verfassungsrechtlich zu beanstanden ist.627 Verweisungsketten sind insbesondere im Rahmen des Strafrechts im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich bedenklich. Dieses Bestimmtheitsgebot hat zum einen eine individualschützende Funktion: Dem Einzelnen soll deutlich sein können, welches Verhalten unter Strafe gestellt ist.628 Zum anderen hat es eine kompetenzwahrende Funktion: Der Gesetzgeber darf sich nicht seiner Aufgabe entledigen, zu bestimmen, welches Handeln strafbewehrt sein soll.629 Die Strafvorschriften in §§ 95, 96 AMG enthalten einige Verweisungen.630 Für den Bereich

622

Vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. 1 der RL 2005/28/EG. Krüger, MedR 2009, 33, 35 geht daher von einem Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot und das Rechtsstaatsprinzip aus, bindet die Deklaration von Helsinki aber durch europarechtskonforme Auslegung in das Arzneimittelgesetz ein. Auch Kloesel/Cyran, § 40, Bl. 69 p hält die Verweisung für „nahezu unzumutbar“. 624 Vgl. Art. 3 Abs. 2 der RL 2005/28/EG mit Verweis auf die Fassung von 1996 sowie § 15 Abs. 3 MBO mit Verweis auf die Fassung von 2008. 625 Vgl. § 15 Abs. 2 BO NRW. Nach Straßburger, MedR 2006, 462, 465 handelt es sich um eine allgemeine Verweisung auf die Deklaration von Helsinki, die verfassungskonform in eine Verweisung auf die Fassung zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Norm auszulegen ist. 626 Vgl. Wachenhausen, in: Kügel//Müller/Hofmann, § 40, Rn. 15. 627 Vgl. Straßburger, MedR 2006, 462, 467 f. Gegen eine Zulässigkeit dynamischer Verweisungen auch: Sickor, Normenhierachie im Arztrecht, S. 189, 124, 233 ff. 628 BVerfGE 73, 206, 234 f.; 32, 346, 362; Sayeed, Herleitung des Klarheitsgebots, S. 24. 629 BVerfGE 73, 206, 234 f.; Sayeed, Herleitung des Klarheitsgebots, S. 25. 630 Vgl. dazu Tag, in: Deutsch/Lippert, § 95, Rn. 5, die Art. 103 Abs. 2 GG insbesondere beim Inverkehrbringen von Arzneimitteln unter bestimmten Voraussetzungen sanktionierenden 623

E. Exkurs: Weitere verfassungsrechtliche Bedenken

225

der klinischen Prüfung findet sich ebenfalls bei einer Norm eine lange Verweisungskette. So stellt § 96 Nr. 11 AMG den Beginn einer klinischen Prüfung bei Verstoß gegen § 40 Abs. 1 S. 2 AMG unter Strafe. Dieser verweist für den Fall der Genehmigung auf § 42 Abs. 2 AMG. Dort ist geregelt, dass eine Genehmigung unter bestimmten Umständen als erteilt gelten kann, als Ausnahme verweist § 42 Abs. 2 S. 6 Nr. 1 AMG jedoch auf Nr. 1 und Nr. 1a des Anhangs 1 der Verordnung (EG) 726/2004.631 Nr. 1a dieser Verordnung verweist zur Definition von neuartigen Arzneimitteln auf Art. 2 der Verordnung (EG) 1394/2007.632 Auch dort findet sich jedoch nicht die Definition, sondern Art. 2 Abs. 1 lit. a verweist auf Anhang I Teil IV der Richtlinie 2001/83/EG. Dort werden die Untergruppen Gentherapeutika und somatische Zelltherapeutika definiert. Erst über sechs Verweisungsstationen wird also deutlich, dass man bei diesen definierten Arzneimitteln eine schriftliche Genehmigung benötigt, ohne die der Beginn der klinischen Prüfung strafbewehrt ist. § 96 Nr. 11 AMG enthält nicht den Tatbestand, so dass es sich um ein Blankettstrafgesetz handelt, denn der Tatbestand lässt sich erst durch die Verweisungen erschließen.633 Daher ist zu prüfen, ob dies mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar ist. Einerseits ergibt sich nicht aus dem Arzneimittelgesetz, bei welchen Arzneimitteln eine schriftliche Genehmigung erteilt werden muss, also wann verschärfte Anforderungen gelten. Erst in der Verordnung (EG) 726/2004 wird deutlich, dass dies unter anderem bei Arzneimitteln für neuartige Therapien vorgesehen ist. Andererseits steht bereits im Arzneimittelgesetz fest, dass der Beginn einer klinischen Prüfung ohne Genehmigung strafbar ist. Schon aus dem Arzneimittelgesetz wird also deutlich, welches Verhalten unter Strafe gestellt ist. Das Weitere zur Genehmigung kann auch in anderen Vorschriften geregelt sein. Die individualschützende Komponente ist durch diese Binnenverweisung innerhalb des Fachgesetzes also gewahrt.634 Die darauf folgenden Verweisungen auf Verordnungen und Richtlinien der Europäischen Union haben nur noch konkretisierenden Charakter. Folglich entledigt sich der Gesetzgeber nicht seiner Kompetenz, sondern legt das Wesentliche selbst im Arzneimittelgesetz fest. Somit ist das Blankettstrafgesetz des § 96 Nr. 11 AMG mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar. Die § 95 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 6 AMG i.V.m. den jeweiligen Rechtsverordnungen für nicht gewahrt hält; vgl. auch Mayer, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 45, Rn. 5. 631 Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur, ABl. L 136 vom 30. 4. 2004, S. 1. 632 Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Arzneimittel für neuartige Therapien und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EG) Nr. 726/2004, Abl. L 324 vom 10. 12. 2007, S. 121. 633 Vgl. zu Blankettstrafgesetzen: BVerfG NJW 1992, 35; Puppe, in: NK, § 16, Rn. 18; Schmitz/Wulf, in: MüKo-StGB, § 370 AO, Rn. 326. 634 Vgl. zur Binnenverweisung in § 95 Abs. 1 Nr. 2 AMG auf § 96 Nr. 1 AMG auch Mayer, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 45, Rn. 5.

226 Kap. 4: Verfassungsrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Verweisungen des § 96 Nr. 10 AMG, der anderen Strafvorschrift im Arzneimittelgesetz betreffend klinische Prüfungen, enden jeweils schon in den §§ 40, 41 AMG und sind daher verfassungsrechtlich unbedenklich. Dasselbe gilt für die Strafvorschrift des § 41 Nr. 4 MPG.635

635 Lediglich die Verweisung von § 41 Nr. 4 MPG auf § 20 Abs. 1 S. 1 MPG, der auf § 22a MPG verweist, indem die Anhänge VI bzw. VII der Richtlinien 90/385/EWG bzw. 93/42/ EWG genannt werden, ist länger. Allerdings geht es bei den Anhängen lediglich um den Inhalt der Anträge und damit nur um Konkretisierungen.

Kapitel 5

Europa- und völkerrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen A. Einleitung Nachdem die fremdnützige Forschung an Einwilligungsunfähigen an den Vorschriften des Grundgesetzes gemessen worden ist, muss nun auch ihre Vereinbarkeit mit dem Europa- und dem Völkerrecht untersucht werden. Auch europarechtliche und internationale Vorschriften haben großen Einfluss und sind zu berücksichtigen. Gerade bei der Forschung am Menschen sind sie von besonderer Relevanz, da diese nicht räumlich begrenzt stattfindet. So werden nicht nur Medikamente im Inland erprobt, sondern auch in anderen Staaten und es gibt multinationale Studien. Im Folgenden wird analysiert, inwiefern das Völkerrecht (B.) und das Europarecht (C.) die bislang erarbeiteten Ergebnisse beeinflussen.

B. Vereinbarkeit mit Völkerrecht I. U.N. Covenant on Civil and Political Rights Fraglich ist die Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen mit Art. 7 der U.N. Covenant on Civil an Political Rights (Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte: IPBPR). Dieser Artikel schreibt vor: „No one shall be subjected to torture or to cruel, inhuman or degrading treatment or punishment. In particular, no one shall be subjected without his free consent to medical or scientific experimentation.“ Auch Deutschland ist dem Pakt beigetreten und hat ihn transformiert.1 Es handelt sich daher um unmittelbar geltendes Bundesrecht.2 Die Forschung an Einwilligungsunfähigen wird zum Teil für unvereinbar mit Art. 7 IPBPR gehalten.3 Auch das Human Rights Committee (HRC) hat festgestellt, 1

BGBl. 1973 II, 1533; 1976 II, 1068. Rosenau, in: Deutsch/Taupitz, S. 63, 81; ders., in: Hilgendorf/Beck, S. 117, 129. 3 Abbing, EJHL 1994, 147, 156 f. differenziert: Fremndützige Forschung sei nicht mit Art. 7 IPBPR vereinbar, es sei denn sie ist nicht-invasiv; Bair, ICCPR, S. 30; von Dewitz, Klinische Bewertung von Medizinprodukten, S. 162; Hendriks, KritV 1998, 111, 115; Kamp, 2

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Kap. 5: Völkerrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

dass Einwilligungsunfähige besonderen Schutzes bedürfen und in keine Forschung einbezogen werden sollen, die nachteilig für ihre Gesundheit ist.4 Sowohl in einem Kommentar bezüglich der Zustände in den USA5 als auch zu den Niederlanden6 wurde die Einbeziehung von Minderjährigen und anderen Einwilligungsunfähigen in nicht-therapeutische Forschung kritisiert. Die Ansicht des HRC ist jedoch nicht unmittelbar bindend, nicht einmal bei einer Individualbeschwerde.7 Zu untersuchen ist daher, ob dieser Auslegung des Art. 7 IPBPR zu folgen ist. Der Wortlaut der Norm spricht eher für eine restriktive Auslegung. Das Voranstellen von „in particular“ verbindet Satz 2 mit Satz 1, in dem nur grausame und entwürdigende Maßnahmen verboten sind. Satz 2 ist daher als speziell zu Satz 1 anzusehen, so dass nach dem Wortlaut nur entwürdigende, grausame oder unmenschliche Maßnahmen erfasst sind.8 Eine Betrachtung der Systematik unterstützt dieses Argument, da das Folterverbot und das Verbot medizinischer Experimente ohne Einwilligung in einem gemeinsamen Artikel geregelt wurde, wobei der medizinische Aspekt dem allgemeinen Folterverbot folgt. Betrachtet man Art. 7 IPBPR historisch, so ist der Bezug zur nationalsozialistischen Vergangenheit zu betonen. Die Experimente, die zu dieser Zeit in Konzentrationslagern stattgefunden haben, sollten verhindert werden.9 Es ging also nicht um eine Behinderung der Forschung, sondern darum, degradierende Experimente zu verbieten. Dies verdeutlicht auch die Entstehungsgeschichte des IPBPR: Es sollte eine Liste mit Ausnahmen zur persönlichen Einwilligung erarbeitet werden, die jedoch nicht angenommen wurde.10 Darunter befanden sich auch rechtmäßige medizinische oder wissenschaftliche Experimente in Krankenanstalten für psychisch Kranke mit Einwilligung von Eltern oder Vormund sowie Notfall-

Bioethik-Konvention, S. 53; Spranger, SuP 2000, 71, 77; Thommen, Medizinische Eingriffe, S. 60 f. 4 General Comment No. 20, Ziffer 7, abrufbar unter: http://www.unhchr.ch/tbs/doc.nsf/0/ 6924291970754969c12563ed004c8ae5; ähnlich auch: General Comment No. 7, Ziffer 3, abgedruckt bei Nowak, ICCPR, Appendix, S. 1093, 1094: Bei Einwilligungsunfähigen sei besonderer Schutz notwendig. 5 UN Doc. CCPR/C/79/Add.50, Ziffern 286, 300, abrufbar unter: http://www.unhchr.ch/ tbs/doc.nsf/0/b7d33f6b0f726283c12563f000512bd1?Opendocument; vgl. auch den Kommentar der USA: UN Doc. CCPR/C/USA/3, S. 107, abrufbar unter: http://www.state.gov/documents/or ganization/124143.pdf. 6 UN Doc. CCPR/CO/72/NET, Ziffer 7, abrufbar unter: http://www.unhchr.ch/tbs/doc.nsf/ 0/dbab71d01e02db11c1256a950041d732?Opendocument; vgl. auch Joseph/Schultz/Castan, ICCPR, S. 254. 7 Hofmann/Boldt, IPBPR, Einleitung, Rn. 3, 5; vgl. auch Abbing, International Organizations, S. 20. 8 So auch schon: Nowak, ICCPR, Art. 7, Rn. 58. 9 UN Doc A/2929, S. 31; Nowak, ICCPR, Art. 7, Rn. 51. 10 UN Doc. E/CN.4/95, S. 18 f., abrufbar unter: http://daccess-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/ GEN/GL9/001/66/PDF/GL900166.pdf?OpenElement; vgl auch: Abbing, International Organizations, S. 52.

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operationen zur Rettung des Lebens.11 Daraus ist ersichtlich, dass das Verbot der Forschung ohne persönliche Einwilligung nicht absolut gelten sollte. Außerdem wurde Satz 2 aufgenommen, obwohl die Gefahr einer Wiederholung gesehen wurde.12 Der Sinn und Zweck der Regelung ist es, kriminelle Menschenexperimente zu verbieten, insbesondere mit Blick auf solche aus der Zeit des Nationalsozialismus.13 Folglich ist einer restriktiven Auslegung der Vorzug zu geben: Forschungsmaßnahmen an einwilligungsunfähigen Personen sind nur verboten, wenn sie unmenschlich, entwürdigend oder grausam sind. Die fehlende Einwilligung ist lediglich ein Indiz für die Unmenschlichkeit eines Experiments.14 Wenn die Schutzmaßnahmen und Einbeziehungsmöglichkeiten, die insbesondere im Rahmen der Analyse des Art. 1 Abs. 1 GG erarbeitet worden sind, eingehalten werden, handelt es sich daher nicht um eine grausame, entwürdigende oder unmenschliche Behandlung, der der Einwilligungsunfähige ausgesetzt ist. Auch fremdnützige Forschung ist daher mit Art. 7 IPBPR vereinbar.

II. U.N. Convention on the Rights of Persons with Disabilities Art. 15 Abs. 1 der Convention on the Rights of Persons with Disabilities (Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen)15 stimmt im Wesentlichen16 mit Art. 7 IPBPR überein. In Art. 15 Abs. 2 des Übereinkommens verpflichten sich die Vertragsstaaten alle wirksamen gesetzgeberischen, verwaltungsmäßigen, gerichtlichen oder sonstigen Maßnahmen zu ergreifen, um auf der Grundlage der Gleichberechtigung zu verhindern, dass Menschen mit Behinderungen der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Deutschland hat das Übereinkommen unterzeichnet und ratifiziert. Hinsichtlich der Beurteilung der Vereinbarkeit fremdnütziger Forschung mit diesem Übereinkommen ist auf die Auslegung des Art. 7 IPBPR zu verweisen. Auch die besondere Bedeutung der Gleichberechtigung, die auch im Abs. 2 zur Geltung kommt, vermag dies nicht zu ändern. Ein Gleichheitsverstoß liegt auch bei Einbeziehung von Einwilligungsunfähigen in fremdnützige Forschung

11 UN Doc. E/CN.4/95, S. 18 f., abrufbar unter: http://daccess-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/ GEN/GL9/001/66/PDF/GL900166.pdf?OpenElement. 12 Vgl. Bossuyt, Guide to the „Travaux préparatoires“, S. 151 f.: Nach einer Ansicht war Satz 2 bereits in Satz 1 enthalten, nach anderer Ansicht war Satz 1 nicht präzise genug. 13 Bossuyt, Guide to the „Travaux préparatoires“, S. 151; Nowak, ICCPR, Art. 7, Rn. 56; Vasak, in: Vasak/Alston, S. 146. 14 Nowak, ICCPR, Art. 7, Rn. 59. 15 BGBl. II 2008, 1419. 16 Einziger Unterschied ist die Differenzierung zwischen „his“ or „her“ free consent, die im IPBPR nicht getroffen wird. Ein sachlicher Unterschied ergibt sich dadurch wohl kaum.

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Kap. 5: Völkerrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

nicht vor.17 Ein Verstoß gegen das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen liegt daher nicht vor.18

III. Europäische Menschenrechtskonvention 1. Vorbemerkungen Darüber hinaus ist zu prüfen, ob fremdnützige Forschung an Einwilligungsunfähigen mit der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK)19 vereinbar ist. Die EMRK hat den Rang eines Bundesgesetzes und ist daher kein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab.20 Über das Rechtsstaatsprinzip und die Grundrechte sind die Gewährleistungen der EMRK und die Rechtsprechung des EGMR jedoch im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu berücksichtigen.21 Sie ist außerdem eine Auslegungshilfe.22 Bei der Auslegung des Grundgesetzes sind Inhalt und Entwicklungsstand der EMRK in Betracht zu ziehen, sofern dies nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes führt, dabei ist auch die Rechtsprechung des EGMR als Auslegungshilfe heranzuziehen.23 Die Europäische Union ist gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 1 EUV verpflichtet, der EMRK beizutreten. Aufgrund dieser großen Relevanz ist zu untersuchen, welche Auswirkungen die Gewährleistungen der EMRK für das erarbeitete Ergebnis haben. Die Vertragsstaaten der EMRK treffen nicht nur Unterlassungspflichten,24 sondern auch Schutzpflichten.25 Ein effektiver Menschenrechtsschutz setzt gerade im medizinischen Bereich auch Schutz vor Eingriffen von Privaten voraus.26 Gesetz-

17

Vgl. schon o. S. 128. Anders hingegen: von Dewitz, Klinische Bewertung von Medizinprodukten, S. 162. 19 BGBl. 1954 II, S. 14. 20 BVerfG NJW 2004, 3407, 3408. Es bestanden auch Bemühungen, der EMRK einen höheren Rang einzuräumen, z. B. durch Art. 24 GG, so Ress, EuGRZ 1996, 350, 353 wobei er die Frage der Übergesetzlichkeit offen lässt; oder durch Art. 25 GG, so Bleckmann, EuGRZ 1994, 149, 153 ff. Vgl. jeweils dagegen: Sommermann, AöR 1989, 391, 407, 408; Weigend, StV 2000, 384, 386. 21 BVerfG NJW 2004, 3407, 3410. 22 BVerfGE 74, 358, 370; 82, 106, 120; 83, 119, 128; vgl. auch zur „menschenrechtskonformen Auslegung des Grundgestzes: Sommermann, AöR 1989, 391, 414 ff. 23 BVerfGE 74, 358, 370; NJW 2004, 3407, 3408; vgl. auch Eisele, JR 2004, 12, 14. 24 Vgl. Sinner, in: Karpenstein/Mayer, Art. 3 EMRK, Rn. 9 ff. 25 EGMR EuGRZ 1985, 297, 298; NJW 2002, 2851, 2852; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 133; Gollwitzer, in: Gollwitzer, Art. 3 MRK/Art. 7 IPBPR, Rn. 11; Grabenwarter/Pabel, § 20, Rn. 33 („grundrechtliche Gewährleistungspflichten“); zu Art. 3 EMRK: Sinner, in: Karpenstein/Mayer, Art. 3 EMRK, Rn. 21. 26 Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Art. 14 EMRK, Rn. 4. 18

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gebung und Strafverfolgung müssen einen effektiven Schutz gewährleisten,27 haben jedoch einen Spielraum.28 2. Verstoß gegen Art. 3 EMRK? Nach einer Ansicht verstößt fremdnützige Forschung an Einwilligungsunfähigen gegen Art. 3 EMRK.29 Dieser verbietet absolut Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung. Zwischen diesen Ausprägungen besteht eine graduelle Abfolge.30 Die Folter als stärkster Eingriff ist nach Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe31 jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden. Die muss zum Beispiel erfolgen um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund. Diese Schmerzen oder Leiden müssen von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Diese Definition wird auch bei Art. 3 EMRK herangezogen.32 Eine unmenschliche Behandlung ist gegeben, wenn absichtlich schwere psychische oder physische Leiden und Gefühle von Furcht und Erniedrigung hervorgerufen werden.33 Bei der erniedrigenden Behandlung steht hingegen das Element der Demütigung im Vordergrund.34 Sie liegt vor, wenn der Betroffene in einer seiner Menschenwürde beeinträchtigenden, ihn als Person gröblich missachtenden Weise erheblich herabgesetzt oder gedemütigt wird.35 Art. 3 EMRK enthält zwar nicht ausdrücklich medizinische Experimente, umfasst sie aber nach einer Ansicht dennoch.36 Auch wird die zwangsweise Heranziehung zu 27

Zu Art. 3 EMRK: Sinner, in: Karpenstein/Mayer, Art. 3 EMRK, Rn. 21. EGMR EuGRZ 1989, 522, 524; Grabenwarter/Pabel, § 20, Rn. 39; Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Art. 14 EMRK, Rn. 4. 29 Kamp, Bioethik-Konvention, S. 69; Schmidt, ZeuS 2002, 631, 655. 30 Meyer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig, Art. 3 EMRK, Rn. 20; Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Art. 14 EMRK, Rn. 4; Sinner, in: Karpenstein/Mayer, Art. 3 EMRK, Rn. 5. 31 BGBl. 1990 II, S. 246. 32 EGMR NJW 2001, 56; Grabenwarter/Pabel, § 20, Rn. 28; Sinner, in: Karpenstein/ Mayer, Art. 3 EMRK, Rn. 7. 33 Grabenwarter/Pabel, § 20, Rn. 29. 34 Vgl. EGMR NJW 2006, 3117, 3119; Grabenwarter/Pabel, § 20, Rn. 31. 35 Esser, in: Löwe/Erb, Art. 3 EMRK/Art. 7 IPBPR, Rn. 71; diese Defintion verdeutlicht auch, dass die Menschenwürde in Art. 3 EMRK enthalten ist, vgl. zur Menschenwürde in der EMRK: vgl. Bergmann, Menschenbild, S. 123; Meyer-Ladewig, NJW 2004, 981, 982. 36 Abbing, International Organizations, S. 61. 28

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Kap. 5: Völkerrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Versuchen als Beispiel für unmenschliche Behandlung genutzt.37 Werden jedoch die Schutzmaßnahmen, die oben erarbeitet worden sind, eingehalten, so handelt es sich nicht um eine zwangsweise Heranziehung, da ein Vetorecht existiert. Darüber hinaus handelt es sich nicht um eine demütigende Behandlung, da insbesondere eine Risiko-Nutzen-Abwägung stattfinden muss, wobei sogar die Risiken und Belastungen begrenzt sein müssen. Auch wird der Einwilligungsunfähige weiterhin als Subjekt wahrgenommen.38 Außerdem bedarf es für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eines Mindestmaßes an Schwere.39 Ob dieses erreicht ist, hängt vom Einzelfall ab.40 Bei der Fülle an Schutzkriterien kann dieses Maß jedoch nicht erreicht sein. Durch Genehmigungserfordernisse und das Votum einer Ethikkommission wacht der Staat über deren Einhaltung und kommt daher seiner Schutzpflicht nach. Außerdem sind nur minimal risiko- und belastungsreiche Maßnahmen zugelassen.41 Art. 3 EMRK ist folglich nicht verletzt. 3. Verstoß gegen Art. 8 EMRK? Wenn eine Behandlung unter dem Mindestmaß des Art. 3 EMRK bleibt, kann dennoch eine Verletzung des Art. 8 EMRK vorliegen.42 Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens bietet auch Schutz vor erzwungenen medizinischen Untersuchungen und Behandlungen.43 Art. 8 EMRK garantiert das Selbstbestimmungsrecht über den Körper als intimsten Bereich.44 Er umfasst auch die physische 37 Esser, in: Löwe/Erb, Art. 3 EMRK/Art. 7 IPBPR, Rn. 67; Gollwitzer, in: Gollwitzer, Art. 3 MRK/Art. 7 IPBPR, Rn. 25. 38 Vgl. auch schon o. S. 114 ff. 39 EGMR NJW 1979, 1089; NJW 1990, 2183, 2186; NJW 2000, 2089, 2095; NJW 2001, 2694, 2695; NJW 2002, 2851, 2853; NJW 2006, 3117, 3119; EKMR EuGRZ 1990, 86, 87; Esser, in: Löwe/Erb, Art. 3 EMRK/Art. 7 IPBPR, Rn. 66; Grabenwarter/Pabel, § 20, Rn. 27; Meyer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig, Art. 3 EMRK, Rn. 19; Sinner, in: Karpenstein/Mayer, Art. 3 EMRK, Rn. 6. 40 EGMR NJW 1979, 1089, 1090; NJW 1990, 2183, 2186; NJW 2001, 2694, 2695; NJW 2006, 3117, 3119; NVwZ 2009, 1547; Esser, in: Löwe/Erb, Art. 3 EMRK/Art. 7 IPBPR, Rn. 66. 41 So erreicht auch eine Blutentnahme nach § 81a StPO nicht das Mindestmaß an Schwere, vgl. EGMR, Entscheidung vom 05.01.06 über die Zulässigkeit der Individualbeschwerde Nr. 32352/02 D.-H. S. gegen Deutschland, abrufbar unter http://www.coe.int/t/d/menschen rechtsgerichtshof/dokumente_auf_deutsch/volltext/entscheidungen/20060105-DHS.asp#TopOf Page. 42 EGMR NVwZ 2009, 1547, 1549; Grabenwarter/Pabel, § 22, Rn. 7; Pätzold, in: Karpenstein/Mayer, Art. 8 EMRK, Rn. 7; Uerpmann-Wittzack, in: Ehlers, § 3 II, Rn. 39. 43 EGMR NVwZ 2009, 1547, 1549; Frowein, in: Frowein/Peukert, Art. 8 EMRK, Rn. 8; Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Art. 14 EMRK, Rn. 16; Pätzold, in: Karpenstein/Mayer, Art. 8 EMRK, Rn. 8. 44 Pätzold, in: Karpenstein/Mayer, Art. 8 EMRK, Rn. 5, 101. Nach einer Ansicht ist auch die körperliche Unversehrtheit durch die Teilgewährleistungen des Art. 2 und 8 EMRK gewährleistet: Schorkopf, in: Ehlers, § 15 II 1, Rn. 223.

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und psychische Integrität des Menschen.45 Die Autonomie ist ein wichtiger Grundsatz der Garantien von Art. 8 EMRK.46 Auch diesbezüglich hat der Staat eine Schutzpflicht.47 Es handelt sich jedoch bei der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen nicht um eine Zwangsbehandlung, wenn ein Vetorecht besteht. Das Recht auf Autonomie wird außerdem dadurch gewahrt, dass die antizipierte Einwilligung vorrangig ist und bei der stellvertretenden und mutmaßlichen Einwilligung die Wünsche und Interessen des Einwilligungsunfähigen zu beachten sind. Auch Art. 8 EMRK ist daher nicht verletzt. 4. Verstoß gegen Art. 10 EMRK? Fraglich ist auch, ob Art. 10 EMRK verletzt ist. Es ist umstritten, ob die Forschungsfreiheit von der dort garantierten Meinungsfreiheit erfasst ist. Nach einer Ansicht ist sie lediglich in ihrem kommunikativen Gehalt geschützt,48 da die vorhergehende Forschungstätigkeit selbst mangels kommunikativem Akt nicht mit der Meinungsäußerung vergleichbar sei.49 Die Gegenansicht bezieht auch die wissenschaftliche Tätigkeit zur Erzielung von Ergebnissen im Vorfeld des Kommunikationsvorgangs in den Schutz ein.50 Unabhängig davon, ob der Schutzbereich eröffnet ist, kann ein Eingriff in den Schranken des Art. 10 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt werden. Dazu muss die Einschränkung gesetzlich vorgeschrieben sein und einem der dort genannten Ziele dienen. Für den Fall des Arzneimittelgesetzes liegen diese Voraussetzungen vor, da die Einschränkung der Forschungsfreiheit durch das Genehmigungserfordernis, das Erfordernis einer zustimmenden Stellungnahme einer Ethikkommission und weitere Beschränkungen zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit notwendig sind.51 Folglich ist Art. 10 EMRK in keinem Fall verletzt. 5. Berufsfreiheit und Recht auf Eigentum Die Berufsfreiheit und das Recht auf Eigentum erwähnt die EMRK nicht. Jedoch schützt Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutze der Menschen-

45

EGMR EuGRZ 2002, 234, 239; vgl. auch Berka, Grundrechte, Rn. 464; Gollwitzer, in: Gollwitzer, Art. 8 MRK/Art. 17 IPBPR, Rn. 2; Grabenwarter/Pabel, § 22, Rn. 7. 46 EGMR NJW 2002, 2851, 2853. 47 EGMR NJW 2004, 2505, 2508; Berka, Grundrechte, Rn. 461; Meyer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig, Art. 8 EMRK, Rn. 13. 48 Esser, in: Löwe/Erb, Art. 10 EMRK/Art. 19, 20 IPBPR, Rn. 24; Mensching, in: Karpenstein/Mayer, Art. 10 EMRK, Rn. 24; nach noch weitgehender Auffassung ist sie nicht in der EMRK gewährleistet: Bergmann, Menschenbild, S. 167. 49 Vgl. Mensching, in: Karpenstein/Mayer, Art. 10 EMRK, Rn. 24. 50 So wohl: Gollwitzer, in: Gollwitzer, Art. 10 MRK/Art. 19 IPBPR, Rn. 11; Grabenwarter/Pabel, § 23, Rn. 12; Marauhn, in: Ehlers, § 3 II, Rn. 39. 51 Vgl. auch schon zu Art. 5 Abs. 3 GG S. 205 ff.

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rechte und Grundfreiheiten52 auch das Eigentum. Davon sind aber, wie auch im Grundgesetz, nur erworbene Rechte erfasst,53 so dass die Aussichten der Pharmaunternehmen nicht ausreichen um einen Verstoß zu begründen. 6. Diskriminierung? Die EMRK enthält in Art. 14 keinen allgemeinen, sondern einen akzessorischen Gleichheitssatz, der Gleichheit nur in Bezug auf die in der Konvention erkannten Rechte und Freiheiten garantiert.54 Aus Art. 8 i.V.m. Art. 14 EMRK folgt daher auch, dass minderjährige Einwilligungsfähige mit volljährigen gleich behandelt werden müssen, wenn es um ihr Selbstbestimmungsrecht geht. Ein Co-Consent scheint damit schwerlich vereinbar und nicht zu rechtfertigen.55 Darüber hinaus gibt es einen allgemeinen Gleichheitssatz in Art. 1 des 12. Zusatzprotokolls, der jedoch nicht für Deutschland Geltung hat, da dieses das Protokoll noch nicht ratifiziert hat.56

IV. Ergebnis Weder aus dem IPBPR, der UN-Behindertenkonvention noch aus der EMRK ergeben sich folglich weitere Einschränkungen der Forschung an Einwilligungsunfähigen als sie ohnehin aus dem Grundgesetz folgen.

C. Vereinbarkeit mit Europarecht I. Richtlinie 2001/20/EG Die Richtlinie 2001/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. April 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung der Guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln57 setzt einige Voraussetzungen für die Forschung an Einwilligungsunfähigen fest. Bei Richtlinien besteht eine Pflicht zur Umsetzung in nationales Recht.58 Zu analysieren ist daher, ob der nationale Gesetzgeber die Richtlinie richtig umgesetzt hat und welche Grenzen die Richtlinie darüber hinaus setzt. 52 53 54 55 56 57 58

BGBl. 1956 II, S. 1879. Grabenwarter/Pabel, § 25, Rn. 3; vgl. zu Art. 14 GG S. 199 f. Grabenwarter/Pabel, § 26, Rn. 1. Vgl. auch zu den Ausführungen zu Art. 3 GG S. 154. Uerpmann-Wittzack, in: Ehlers, § 3 III, Rn. 67. ABl. L 121 vom 1. 5. 2001, S. 34. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 288, Rn. 23.

C. Vereinbarkeit mit Europarecht

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Nach Art. 4 lit. e der Richtlinie 2001/20/EG darf Forschung an Minderjährigen bei Gruppennutzen erfolgen. Da auch gesunde Minderjährige von dieser Regelung erfasst sind,59 geht die Richtlinie weiter als das Arzneimittelgesetz bzw. der Schutz des Probanden ist im nationalen weitreichender. Auch bei der Risikoschwelle, die in der Richtlinie relativ, im Arzneimittelgesetz aber absolut festgelegt ist, wird der Proband umfangreicher geschützt.60 Bei einwilligungsunfähigen Erwachsenen ist grundsätzlich ein individueller Nutzen erforderlich,61 wie es auch im Arzneimittelgesetz vorgesehen ist. Die Umsetzung ist also im Einklang mit der Richtlinie vollzogen worden, denn die Richtlinie berührt gemäß Art. 3 Abs. 1 nicht etwaige Maßnahmen, die in den Mitgliedstaaten zum Schutz von Prüfungsteilnehmern getroffen werden, wenn die Bestimmungen eine größere Tragweite als die der Richtlinie haben und sofern sie mit den darin vorgesehenen Verfahren und Fristen im Einklang stehen. Dies bedeutet, dass die Richtlinie Regelungen erlaubt, die über ihren Schutzstandard hinausgehen, mithin, dass die Zulässigkeit der Forschung zugunsten des Schutzes der Prüfungsteilnehmer weitergehend eingeschränkt werden darf. Dem entgegen steht auch nicht der Erwägungsgrund (7), nach dem zum Wohl der Bevölkerungsgruppe der Kinder Forschungen wichtig sind, die Alter und Entwicklungsstand berücksichtigen, denn gleichzeitig wird dort betont, dass die dafür erforderlichen klinischen Studien unter optimalem Schutz der Prüfungsteilnehmer stattfinden und es dafür notwendig ist, Kriterien zum Schutz von Kindern bei klinischen Prüfungen festzulegen. Der Schutzaspekt steht also auch hier im Vordergrund und einer die Forschung einschränkenden Regelung nicht entgegen. Dennoch ist die Richtlinie weiterhin von Belang, da sie auch Grenzen festsetzt, über die ein nationales Gesetz nicht hinausgehen darf. So darf nach der Richtlinie insbesondere nicht die gruppennützige Forschung an erwachsenen Einwilligungsunfähigen eingeführt werden. Die Richtlinie selbst muss sich jedoch auch an Grundrechten messen lassen, nämlich an der EU-Grundrechte-Charta und den Unionsgrundrechten.

II. EU-Grundrechte-Charta und Grundrechte der Union 1. Vorbemerkungen Die EU-Grundrechte-Charta (GRC) ist seit dem Vertrag von Lissabon gemäß Art. 6 Abs. 1 EUV rechtsverbindlich. Sie ist ein eigenständiger Vertrag mit primärrechtlicher Qualität.62 Sie gilt nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRC für Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Union und für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union. Dementsprechend ist sie Maßstab sowohl für 59 60 61 62

s. bereits o. S. 75. s. o. S. 76. s. o. S. 76. Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur, Anh. 1 GR-Charta, Einf., Rn. 5.

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Kap. 5: Völkerrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

die Richtlinie als auch für deren Umsetzung in nationales Recht. Auch aus der GRC leiten sich Schutzpflichten ab.63 Die Grundrechte der Union stellen allgemeine Grundsätze dar und sind damit Teil des Unionsrechts.64 Sie werden aus dem mitgliedstaatlichen Grundrechtsstandard und den internationalen Verträgen über Menschenrechte, insbesondere der EMRK als Erkenntnisquelle hergeleitet65 und autonom rechtsvergleichend von dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gewonnen.66 Sie bestehen neben der GRC und auch nach dem Beitritt der Union zur EMRK fort67 und verpflichten die Organe der Union sowie die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Unionsrechts.68 Auch die Grundrechte der Union begründen Schutzpflichten.69 Der EuGH hat im Laufe seiner Rechtsprechung einige Grundrechte anerkannt.70 So hat er auch die Würde genannt, aber nicht näher ausgeformt.71 Durch ihre Herleitung haben die Grundrechte der Union eine ähnliche Tragweite wie die EMRK und die nationalen Grundrechte. Daher ergeben sich in Bezug auf die Vereinbarkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen keine abweichenden Ergebnisse. 2. Vereinbarkeit mit der Würde, Art. 1 bis 5 GRC Die Würde bildet das Fundament der Grundrechte.72 Art. 1 GRC ist Art. 1 Abs. 1 GG nachgebildet. Eine Definition der Menschenwürde im Unionsrecht gibt es nicht, da unterschiedliche Standards in den Mitgliedstaaten dies nicht erlauben.73 63

Calliess, in: Calliess/Ruffert, Art. 1 EU-GRCharta, Rn. 5; Schmidt, ZeuS 2002, 631, 643. Vgl. Art. 6 Abs. 3 EUV; EuGH NJW 1971, 343; NJW 1975, 518, 520 EuZW 2004, 753, 755; Streinz, Europarecht, Rn. 737. 65 EuGH NJW 1980, 505, 506; EuZW 2004, 753, 755; Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur, Anh. 1 GR-Charta, Einf., Rn. 2; Streinz, Europarecht, Rn. 740. 66 Streinz, Europarecht, Rn. 740; ders., in: Streinz, Vor GR-Charta, Rn. 13. 67 Heintschel von Heinegg, in: Vedder/Heintschel von Heinegg, Art. 6 EUV, Rn. 12 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 737. 68 Hatje, in: Schwarze, Art. 6 EUV, Rn. 20. 69 Calliess, EuZW 2001, 261, 263; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 218. 70 Vgl. die Übersicht bei Hatje, in: Schwarze. Art. 6 EUV, Rn. 21 ff.; zur körperlichen Unversehrtheit: EuGH GRuR Int 2001, 1043, 1047; zur Berufsfreiheit: EuGH NJW 1975, 518, 520; NJW 1980, 505, 507; NJW 1987, 568, 569; zum Eigentumsrecht: EuGH NJW 1975, 518, 520; NJW 1980, 505, 506; zur Altersdiskriminierung: EuGH NZA 2010, 85; 87. 71 EuGH NJW 1996, 2421, 2422; EuZW 2001, 691, 695; EuZW 2004, 753, 755; Rau/ Schorkopf, NJW 2002, 2448. 72 So ausdrücklich die Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. 2007, C 303, S. 17; Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur, Anh. 1 GR-Charta, Art. 1. So ist nicht nur das spezielle Grundrecht der Menschenwürde, in: Art. 1 GRC, sondern die ersten fünf Grundrechte mit „Würde“ überschrieben. 73 Calliess, in: Calliess/Ruffert, Art. 1 EU-GRCharta, Rn. 28; Folz, in: Vedder/Heintschel von Heinegg, Art. 1 GR-Charta, Rn. 4; Voet van Vormizeele, in: Schwarze, Art. 1 GRC, Rn. 5; vgl. aber die Fallgruppen bei Rixen, in: Heselhaus/Nowak, § 9, Rn. 13 ff. 64

C. Vereinbarkeit mit Europarecht

237

Auch der EuGH hat von einer Definition abgesehen.74 Wegen der Ähnlichkeit zu Art. 1 Abs. 1 GG wird jedoch vorgeschlagen, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts heranzuziehen.75 Wie auch zum Grundgesetz wird die Ansicht vertreten, fremdnützige Forschung verstoße gegen Art. 1 GRC.76 Dieser biete Schutz der Tabuzone körperlicher und geistiger Integrität.77 Wie auch bei der Diskussion zur Menschenwürde im Grundgesetz ist darauf hinzuweisen, dass nicht jede Maßnahme, die die Menschenwürde berührt, schon einen Eingriff darstellt. Darüber hinaus verdeutlicht die gemeinsame Überschrift der Art. 1 bis 5 GRC, dass diese Vorschriften Ausdruck der Würde sind. Folglich lässt sich aus diesen Vorschriften, insbesondere aus Art. 4 GRC, der das Folterverbot wie in Art. 3 EMRK enthält, herleiten, dass ein gewisser Grad der Beeinträchtigung notwendig ist.78 Dieses Gewicht der Verletzung ist bei Einhaltung der Schutzmaßnahmen und innerhalb der legitimen Einbeziehungsmöglichkeiten nicht gegeben. Neben Art. 1 GRC ist auch Art. 3 Abs. 2 lit. a GRC zu beleuchten. Während Art. 3 Abs. 1 GRC die körperliche Unversehrtheit garantiert, werden im Abs. 2 vier Verbote für den Bereich der Medizin und Biologie festgelegt, die zugleich Grundrechte und Grundsätze sein dürften.79 Art. 3 Abs. 2 lit. a GRC verlangt die freie Einwilligung nach vorheriger Aufklärung entsprechend den gesetzlichen Modalitäten. Er geht auf Art. 7 S. 2 IPBPR zurück.80 Der Wortlaut deutet zunächst darauf hin, dass keine Eingriffe ohne persönliche Einwilligung vorgenommen werden dürfen. Durch die Klausel „entsprechend den gesetzlich festgelegten Einzelheiten“ wird jedoch deutlich, dass es dem unionalen oder mitgliedstaatlichen Normgeber zusteht, sämtliche Details zu regeln. Dazu zählt auch die Forschung an Einwilligungsunfähigen.81 Es besteht also ein Gesetzgebungsauftrag zur weiteren Ausformung.82 Für die Union kommt dabei auch eine Orientierung an Art. 6, 17, 20 der Bioethik-Konvention in Betracht.83

74

Vgl. EuGH EuZW 2004, 753, 755. Meyer, in: Meyer, Art. 1, Rn. 26; vgl. Schmidt, ZeuS 2002, 631, 636. 76 Schmidt, ZeuS 2002, 631, 655, 656: Zwar gebe die Bioethik-Konvention eine Orientierung, müsse aber wegen des Verstoßes gegen die Menschenwürde zurücktreten. Rixen, in: Heselhaus/Nowak, § 9, Rn. 16 hält hingegen nur die fremdnützige Forschung, die zu massiven Verletzungen oder zum Tod führt, für mit der Würde unvereinbar. 77 Höfling, in: Tettinger, Art. 1 Rn. 22. 78 Vgl. auch Jarass, GRC, Art. 1, Rn. 9. 79 Meyer, in: Meyer, Art. 3, Rn. 40. 80 Calliess, in: Calliess/Ruffert, Art. 3 EU-GRCharta, Rn. 13. 81 Höfling, in: Tettinger, Art. 3 Rn. 17; Meyer, in: Meyer, Art. 3, Rn. 43; Schorkopf, in: Ehlers, § 15 II 1, Rn. 30. 82 Meyer, in: Meyer, Art. 3, Rn. 43. 83 Meyer, in: Meyer, Art. 3, Rn. 43. 75

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Kap. 5: Völkerrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Art. 4 GRC entspricht Art. 3 EMRK. Nach Art. 52 Abs. 3 S. 1 GRC stimmen daher Bedeutung und Tragweite überein.84 Folglich kann auf die Ausführungen zu Art. 3 EMRK verwiesen werden.85 Mithin verstößt die fremdnützige Forschung nicht gegen die Art. 1 bis 5 GRC. 3. Vereinbarkeit mit den Freiheiten, Art. 6 bis 19 GRC Art. 13 GRC garantiert die Freiheit der Wissenschaft, das methodisch geleitete Generieren neuen Wissens.86 In die Freiheit des forschenden Arztes wird eingegriffen. Als Schranken bestehen neben Art. 52 Abs. 1 GRC auch Art. 3 Abs. 2 GRC87 und Art. 10 Abs. 2 EMRK88 unter Wahrung des Art. 1 GRC.89 Da die Beschränkung im Arzneimittelgesetz vorgesehen ist und den Wesensgehalt der Wissenschaftsfreiheit nicht berührt und auch verhältnismäßig ist,90 kann der Eingriff nach Art. 52 Abs. 1 GRC gerechtfertigt werden. Auch eine Rechtfertigung nach Art. 10 Abs. 2 EMRK ist möglich, wie schon die Prüfung im Rahmen der Untersuchung der EMRK gezeigt hat.91 Die Berufsfreiheit wird in Art. 15 GRC gewährleistet. Es handelt sich wie im Grundgesetz um ein einheitliches Grundrecht aus Berufswahl und -ausübung.92 Die Schranken sind in allgemeinen Regelungen des Art. 52 Abs. 1 GRC bestimmt,93 so dass auch hier eine Rechtfertigung erfolgen kann. Es besteht Idealkonkurrenz zur Forschungsfreiheit.94 Die in Art. 16 GRC garantierte unternehmerische Freiheit ist 84 Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. 2007, C 303, S. 17, 18; Calliess, in: Calliess/Ruffert, Art. 4 EU-GRCharta, Rn. 2; Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur, Anh. 1 GRCharta, Art. 4; Meyer, in: Meyer, Art. 4, Rn. 14; Voet van Vormizeele, in: Schwarze, Art. 4 GRC, Rn. 1. 85 Vgl. S. 231 f. 86 Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. 2007, C 303, S. 22; Ruffert, in: Calliess/ Ruffert, Art. 13 EU-GRCharta, Rn. 6. 87 Bernsdorff, in: Meyer, Art. 13, Rn. 15; Meyer, in: Meyer, Art. 3, Rn. 41; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 13 EU-GRCharta, Rn. 11. 88 Dies wird mit der Herleitung der Wissenschaftsfreiheit von den Kommunikationsgrundrechten begründet, vgl. Bernsdorff, in: Meyer, Art. 13, Rn. 13; Folz, in: Vedder/Heintschel von Heinegg, Art. 13 GR-Charta, Rn. 6; Jarass, GRC, Art. 13, Rn. 13; Kotzur, in: Geiger/ Khan/Kotzur, Anh. 1 GR-Charta, Art. 13; Streinz, in: Streinz, Art. 13 GRC, Rn. 1; a.A.: Sparr, in: Schwarze, Art. 13 GRC, Rn. 6; Mann, in: Heselhaus/Nowak, § 26, Rn. 68 würde es bevorzugen, Art. 10 Abs. 2 EMRK als Schranke nur anzuwenden, soweit die EMRK die Wissenschaftsfreiheit schützt. 89 Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. 2007, C 303, S. 22. 90 s. bereits o. die Ausführungen zu Art. 5 Abs. 3 GG, S. 205. 91 Vgl. o. S. 233. 92 Schwarze, in: Schwarze, Art. 15 GRC, Rn. 2. 93 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 14 EU-GRCharta, Rn. 12; Schwarze, in: Schwarze, Art. 15 GRC, Rn. 6. 94 Jarass, GRC, Art. 13, Rn. 4.

C. Vereinbarkeit mit Europarecht

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eine Teilausprägung der Berufsfreiheit,95 sodass bezüglich der Rechtfertigung und der Konkurrenz zur Forschungsfreiheit auf die Ausführungen zur Berufsfreiheit verwiesen werden kann.96 Das Eigentumsrecht wird in Art. 17 GRC garantiert. Es hat wiederum die gleiche Tragweite wie in der EMRK,97 so dass das Eigentumsrecht der Pharmaunternehmen nicht verletzt ist. Die Regelungen zur fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen berühren also die Forschungs-, Berufs- und die unternehmerische Freiheit, sind jedoch gerechtfertigt. 4. Vereinbarkeit mit den Gleichheitssätzen, Art. 20 bis 26 GRC In Art. 21 GRC ist ein besonderer Gleichheitssatz aufgestellt, der Diskriminierungen wegen bestimmter Merkmale verbietet. Ein Merkmal ist auch das Alter, das auch bei Kindern Anwendung findet.98 Diese werden insbesondere beim Co-Consent anders als volljährige Einwilligungsfähige behandelt. Jede Diskriminierung kann zwar durch objektive Erwägungen gerechtfertigt werden,99 jedoch ist ein wichtiger Grund für die Ungleichbehandlung bei bestehender Einwilligungsfähigkeit mangels erhöhter Schutzwürdigkeit nicht gegeben.100 Darüber hinaus verstößt auch die Einbeziehung der Minderjährigen in gruppennützige Forschung bei gleichzeitigem Verbot dieser Forschung an volljährigen Einwilligungsunfähigen gegen dieses Gebot der Gleichheit. Zwar mag international ein weiterer Spielraum des Gesetzgebers vorliegen, der auch das Erziehungsrecht der Eltern zu berücksichtigen hat, jedoch besteht jeweils ein hoher Forschungsbedarf bei volljährigen und minderjährigen Personen. Außerdem sind die Personen auch jeweils in gleicher Weise schutzbedürftig, denn sie können nicht selbst für sich entscheiden und sind daher der Gefahr ausgesetzt, dass sie für Forschungszwecke missbraucht werden. Auch das Erziehungsrecht der Eltern kann keine gegenüber der Einbeziehung von volljährigen Einwilligungsunfähigen weitergehende Zulässigkeit begründen, denn gerade bei 95

Schwarze, in: Schwarze, Art. 16 GRC, Rn. 1; Streinz, in: Streinz, Art. 16 GRC, Rn. 1. Vgl. Jarass, GRC, Art. 13, Rn. 4; Schwarze, in: Schwarze, Art. 16 GRC, Rn. 6. Sie gewährleistet die Ausübung der Wirtschafts- und Geschäftstätigkeit insbesondere auch für juristische Personen, vgl. Schwarze, in: Schwarze, Art. 16 GRC, Rn. 3, 4; Streinz, in: Streinz, Art. 16 GRC, Rn. 7. 97 Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur, Anh. 1 GR-Charta, Art. 17; Streinz, in: Streinz, Art. 17 GRC, Rn. 1. Bloße kaufmännische Interessen oder Aussichten sind vom Eigentumsschutz nicht erfasst, sondern nur bestehende, vorhandene Positionen; vgl. Calliess, in: Calliess/ Ruffert, Art. 17 EU-GRCharta, Rn. 8; Depenheuer, in: Tettinger, Art. 17 Rn. 22; Jarass, GRC, Art. 17, Rn. 14; vgl. auch Schwarze, in: Schwarze, Art. 17 GRC, Rn. 4. Auch wenn der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb geschützt ist, muss jedenfalls auch hier der Bestand des Unternehmens betroffen sein, vgl. dazu Calliess, in: Calliess/Ruffert, Art. 17 EUGRCharta, Rn. 9; Depenheuer, in: Tettinger, Art. 17 Rn. 14 f. 98 Jarass, GRC, Art. 21 Rn. 23; Streinz, in: Streinz, Art. 21 GRC, Rn. 4. 99 Rossi, in: Calliess/Ruffert, Art. 21 EU-GRCharta, Rn. 9. 100 Vgl. o. S. 154. 96

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Kap. 5: Völkerrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

erwachsenen Einwilligungsunfähigen sind wertbezogene Interessen in der Regel weiter ausgebildet (gewesen) und daher nicht weniger berücksichtigungswürdig. Ihnen die Teilnahme an der Forschung zu versagen, lediglich mit der Begründung, dass sie keine Eltern als Vertreter haben, die sich auf ihr Erziehungsrecht berufen können, wäre nicht gerechtfertigt. Daher besteht kein ausreichender Grund für die Ungleichbehandlung.101 Daran ändert auch Art. 24 Abs. 1, 2 GRC nichts. Es handelt sich um ein Grundrecht,102 aus dem ein Schutzanspruch des Kindes folgt.103 Das Kindeswohl soll eine vorrangige Erwägung sein. Art. 24 GRC geht auf das Übereinkommen über die Rechte des Kindes zurück.104 Ein Eingriff liegt vor, wenn der Staat nicht ausreichenden Schutz und Fürsorge für das Wohlergehen des Kindes bietet.105 Da jedoch auch fremdnützige Forschung nicht dem Kindeswohl widerspricht,106 kann der Staat auch bei der Zulassung dieser Forschung seiner Schutz- und Fürsorgepflicht durch geeignete Aufsichtsmaßnahmen nachkommen. Art. 25 GRC konkretisiert die Gleichheit für ältere Menschen, deren Recht auf ein würdiges und unabhängiges Leben die Union anerkennt und achtet. Es handelt sich um einen Grundsatz nach Art. 52 Abs. 5 GRC,107 der keinen Anspruch bietet, aber bei der Auslegung herangezogen werden kann. Auch ältere Menschen sollen ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können.108 Dies bedeutet auch, dass ihre Vorstellungen, Wünsche und Ansichten berücksichtigt werden müssen. Auch die Analyse der Gleichheitssätze der GRC bestätigt also das im Grundgesetz gefundene Ergebnis, dass fremdnützige Forschung an Einwilligungsunfähigen zwar möglich ist, aber Volljährige und Minderjährige bezüglich der Einbeziehung und der Mitbestimmung gleich behandelt werden müssen. 5. Vereinbarkeit mit der Solidarität, Art. 27 bis 38 GRC Art. 35 S. 2 GRC verpflichtet die Union bei der Festlegung und Durchführung der Politik und Maßnahmen in allen Bereichen ein hohes Gesundheitsniveau sicherzu101

Vgl. bereits o. S. 168 f. Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Art. 24 EU-GRCharta, Rn. 2; Ross, in: Schwarze, Art. 24 GRC, Rn. 1. 103 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Art. 24 EU-GRCharta, Rn. 2; Hölscheidt, in: Meyer, Art. 24, Rn. 18. 104 Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur, Anh. 1 GR-Charta, Art. 24; BGBl. 1992 II, S. 122. 105 Jarass, GRC, Art. 24, Rn. 15. 106 Vgl.o. S. 117. 107 Hölscheidt, in: Meyer, Art. 25, Rn. 8; Jarass, GRC, Art. 25, Rn. 3; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Art. 25 EU-GRCharta, Rn. 1. 108 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Art. 25 EU-GRCharta, Rn. 3. 102

D. Ergebnis

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stellen. Es handelt sich um einen Grundsatz gemäß Art. 52 Abs. 5 GRC.109 Ein Anspruch auf klinische Forschung zur Erhöhung des Gesundheitsniveaus lässt sich daher nicht daraus ableiten.110

D. Ergebnis Die völkerrechtlichen und europarechtlichen Regelungen bestätigen das abstrakt erarbeitete Ergebnis zur Zulässigkeit der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen. Sie verstößt weder gegen den IPBPR noch gegen die EMRK, die GRC oder die Grundrechte der Union. Grenzen auch für das deutsche Recht ergeben sich aus der Richtlinie 2001/20/EG, die gruppennützige Forschung nur an Minderjährigen erlaubt. Diese Unterscheidung anhand des Alters ist jedoch nicht mit der GRC und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen vereinbar. Da die GRC und die allgemeinen Rechtsgrundsätze den Rang des Primärrechts haben, gehen sie der Richtlinie vor. Daher muss der Gleichheitsverstoß beseitigt werden durch eine Angleichung.111 Der EuGH vermeidet es meist, eine gleichheitswidrige Maßnahme für nichtig zu erklären und setzt den gesetzgebenden Organen eine Frist, innerhalb derer sie den Verstoß auf die eine oder andere Weise beseitigen können.112

109

Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. 2007, C 303, S. 27; Riedel, in: Meyer, Art. 35, Rn. 9; Jarass, GRC, Art. 35, Rn. 3; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Art. 35 EUGRCharta, Rn. 6; Nußberger, in: Tettinger, Art. 35 Rn. 47; Sichert, in: Schwarze, Art. 35 GRC, Rn. 13. 110 Vgl. schon o. S. 202 ff. 111 Vgl. Rossi, in: Calliess/Ruffert, Art. 21, Rn. 29 unterscheidet drei Möglichkeiten: Heraufgleichen, „Heruntergleichen“ oder beide Gruppen auf eine dritte Weise gleich behandeln. 112 Rossi, in: Calliess/Ruffert, Art. 21, Rn. 30.

Kapitel 6

Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen A. Einleitung Neben den verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Aspekten soll im Folgenden die Forschung an einwilligungsunfähigen Personen auch aus strafrechtlicher Perspektive beleuchtet werden. Das Handeln des Forschers im Rahmen der Versuche könnte gegen spezielle Strafvorschriften oder solche des Strafgesetzbuchs verstoßen. Dabei soll einerseits ein Augenmerk auf den Schutz der Versuchspersonen, der auch verfassungsrechtlich notwendig ist, andererseits aber auch auf den Arzt gelegt werden, der keinem zu großen Strafbarkeitsrisiko ausgesetzt sein darf. Die Analyse beginnt mit der Frage der Tatbestandsmäßigkeit ärztlichen Handelns nach dem Strafgesetzbuch (B.), von der Heilbehandlung ausgehend zur fremdnützigen Forschung. Daraufhin werden die Möglichkeiten einer Rechtfertigung einer solchen Handlung (C.) untersucht. Davon zu unterscheiden ist die Tatbestandsmäßigkeit und Möglichkeit einer Rechtfertigung nach dem Spezialgesetzen, insbesondere dem Arzneimittelgesetz (D.). Die in den Gesetzen und Verordnungen geregelten Ordnungswidrigkeiten sollen dort ebenfalls kurz dargestellt werden. Darüber hinaus stellt sich auch die Frage der Strafbarkeit weiterer Beteiligter in einem Exkurs (E.).

B. Tatbestandsmäßigkeit ärztlichen Erprobungshandelns nach dem Strafgesetzbuch Ärztliches Handeln ist in der Regel darauf ausgerichtet „Gutes“ zu tun. Ein Patient soll geheilt oder die Forschung soll vorangetrieben werden um künftig Patienten besser helfen zu können. Dennoch stellt sich das Problem einer Strafbarkeit von Ärzten in vielen Fallgestaltungen. So können Kunstfehler unterlaufen oder eine Behandlung wird ohne wirksame Einwilligung vorgenommen.

B. Tatbestandsmäßigkeit ärztlichen Erprobungshandelns nach dem StGB

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I. Tatbestand der §§ 223 ff. StGB 1. Der Streit um die Tatbestandsmäßigkeit ärztlichen Handelns Die Strafbarkeit der Heilbehandlung nach § 223 Abs. 1 bzw. § 229 StGB und – dieser Frage vorgelagert – ihre Tatbestandsmäßigkeit ist Gegenstand jahrelanger Kontroversen. Es stellt sich die Frage, ob ein Arzt, dessen Motiv eigentlich die Heilung des Patienten ist, gleich einem „Messerstecher“ den Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB erfüllt.1 Dies mag auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, ist schließlich nicht nur das Motiv ein anderes, sondern auch das Verhältnis von „Opfer“ und „Täter“. Ärzte könnten daher durch die Erfüllung des Tatbestands stigmatisiert werden.2 Auch müsse der Arzt u. U. operieren um sich nicht wegen Unterlassens strafbar zu machen.3 Eine Strafbarkeit wegen der Vornahme einer Operation sei daher widersprüchlich. Während einige Stimmen in der Literatur die Tatbestandsmäßigkeit daher ablehnen,4 erfüllt die Heilbehandlung den Tatbestand nach der Rechtsprechung und einem Teil der Literatur.5 Um den Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB zu erfüllen, müsste eine seiner Alternativen verwirklicht sein. Eine körperliche Misshandlung ist nach herrschender Ansicht jede üble, unangemessen Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinflusst.6 Eine Gesundheitsschädigung liegt vor, wenn ein pathologischer, ein vom Normalzustand abweichender Körperzustand hervorgerufen oder gesteigert wird.7 a) Erfolgstheorie Gegen die Tatbestandsmäßigkeit wird angeführt, es handele sich nicht um eine Gesundheitsschädigung, wenn ein Behandlungserfolg eintritt.8 Die Gesundheit sei bei einer Heilung nicht verschlechtert. Auch sei es keine Misshandlung, wenn der Eingriff für das Wohlsein förderlich ist, das Leben gerettet oder Nachteile gegenüber

1 Kritisch zu diesem Vergleich: Cramer, FS Lenckner, 761, 774; Frister/Lindemann/Peters, Arztstrafrecht, Rn. 3; Schmidt JZ 1958, 226. 2 Vgl. Eser, ZStW 1985, 1, 19: insbesondere zur Strafbarkeit einer eigenmächtigen Heilbehandlung. 3 Bockelmann, JZ 1962, 525, 527. 4 Engisch, ZStW 1939, 1, 6; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 223, Rn. 8; Schmidt, Arzt im Strafrecht, S. 91; Stooß, Chirurgische Operation, S. 6. Nach Welzel, Strafrecht, S. 289 sind nur missglückte, nicht de lege artis vorgenommene Heilbehandlungen tatbestandsmäßig. s. zu den einzelnen Ansichten auch noch im Folgenden. 5 RGSt 25, 375, 378 f.; 74, 91, 95; BGH NJW 1971, 1887; BGHR § 223 Abs. 1 StGB Heileingriff 4, S. 1; Paeffgen, in: NK, § 228, Rn. 57; Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 27; Schroth, in: Roxin/Schroth, S. 21, 27 (mit Beispielen). 6 Vgl. RGSt 19, 136, 139; BGHSt 14, 269; 25, 277, 278. 7 Vgl. BGH NJW 1960, 2253. 8 Heimberger, Strafrecht und Medizin, S. 48; Schröder, NJW 1961, 951, 952.

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

dem Wohlsein zurücktreten.9 Nach dieser Ansicht in der Literatur, der sogenannten Erfolgstheorie, kommt es also auf den Erfolg der Heilbehandlung an.10 Der Gesamtakt wird betrachtet; stellt sich sodann der Eingriff als die Gesundheit fördernd dar, handelt es sich also um eine gelungene Behandlung, so sei der Eingriff nicht tatbestandsmäßig.11 Eine solche Gesamtbetrachtung finde auch bei der Arbeit eines Kochs oder Schneiders statt, denn sonst würde es sich auch in diesen Fällen um tatbestandsmäßige Sachbeschädigungen handeln.12 Bei misslungenen Eingriffen sei eine Rechtfertigung durch eine Einwilligung möglich.13 Gegen die Erfolgstheorie wird insbesondere der Einwand vorgebracht, bei einer Gesamtbetrachtung entstünde ein Schwebezustand,14 der zu Rechtsunsicherheit führe15 und daher nicht mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar sei.16 Darüber hinaus sei selbst bei vorübergehender Einschränkung des Wohlbefindens und der Leistungsfähigkeit der Erfolgsunwert verwirklicht.17 Würde man bei experimentellen Methoden den Erfolg einer Behandlung für maßgeblich halten, so käme es auf das Gelingen des Versuchs an. Dabei wird der Schwachpunkt deutlich, dass gerade bei diesen Methoden der Erfolg ungewiss ist und noch überprüft werden soll. Daher wird diese Theorie zum Teil ausdrücklich auf Behandlungen mit Heilzweck beschränkt.18 b) Theorie des kunstgerechten Eingriffs Eine andere Ansicht stellt darauf ab, ob der Eingriff nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausgeführt wird.19 Ein indizierter, mit Heilabsicht vorgenommener 9

Beling, ZStW 1923, 220, 230. Beling, ZStW 1923, 220, 230; Bockelmann, JZ 1962, 525, 527 f.; ders., in: Ponsold, S. 1, 34 f.; Hardwig, GA 1965, 161, 166; Lilie, in: LK, vor § 223, Rn. 5; nach Rogall, NJW 1978, 2344 muss es auf die subjektive Zielrichtung und den Erfolg ankommen; vgl. auch Welzel, Strafrecht, S. 289, der zusätzlich auf die Einhaltung der lege artis abstellt. 11 Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 154; Bockelmann, JZ 1962, 525, 527; ders., in: Ponsold, S. 1, 34 f.; Heimberger, Strafrecht und Medizin, S. 46 f.; dagegen: Arzt/Weber/ Heinrich/Hilgendorf, BT, § 6, Rn. 100. 12 Heimberger, Strafrecht und Medizin, S. 46 f.; s. auch der Vergleich zum Mechaniker: Schröder, NJW 1961, 951, 952. 13 Schröder, NJW 1961, 951, 953. 14 Behr, GerS 1902, 400, 401; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 185. 15 Behr, GerS 1902, 400, 402. 16 Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 185. 17 Krauß, FS Bockelmann, S. 557, 561. 18 Welzel, Strafrecht, S. 289. 19 Behr, GerS 1902, 400, 410 leitet aus dem Gewohnheitsrecht eine „ärztliche Norm“ her: „die Summe aller derjenigen Regeln, welche aufgrund medizinisch-wissenschaftlicher Ueberzeugung und Uebung gewissenhafter und gebildeter Aerzte die Richtschnur für ein objectiv richtiges Handeln jedes Arztes bilden sollen“; Engisch, ZStW 1939, 1, 9; Grünwald, ZStW 1961, 5, 9; vgl. auch die Reichstagsvorlage 1923 in Materialien zur Strafrechtsreform, 10

B. Tatbestandsmäßigkeit ärztlichen Erprobungshandelns nach dem StGB

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Eingriff sei, wenn die Regeln der Heilkunde eingehalten werden, nicht unangemessen20 und verletze daher nicht die körperliche Unversehrtheit.21 Auch die Theorie des kunstgerechten Eingriffs ist Kritik ausgesetzt. Die Regeln der ärztlichen Kunst beträfen die Art und Weise, die Körperverletzung werde aber durch den Erfolg charakterisiert.22 Die Theorie bevorzuge die Ärzteschaft außerdem zu sehr.23 Auch diese Theorie vermag bei experimentellen Methoden kaum zu helfen. Bei einer Methode, die noch nicht ausreichend geprüft worden ist, gibt es keinen ärztlichen Standard. Auch eine Indikation wie bei der Heilbehandlung kann noch nicht bestehen.24 Aus diesem Grund schlägt Eser vor, die fehlende Indikation durch eine Risiko-Nutzen-Abwägung zu ersetzen.25 Dabei werden jedoch Tatbestands- und Rechtfertigungsfragen vermischt, denn eine Risiko-Nutzen-Abwägung, die mit dem Notstand nach § 34 StGB vergleichbar ist, betrifft keinesfalls den objektiven Tatbestand. Ebenso wenig kann man auf den Forschungszweck der Maßnahme abstellen.26 c) Gewohnheitsrecht Nach einer weiteren Ansicht sind ärztliche Eingriffe aus Gewohnheitsrecht berechtigt.27 Dies gelte auch bei solchen Eingriffen, die zu experimentellen Zwecken durchgeführt werden, denn der Versuch sei von jeher vorgenommen und gebilligt

Nachdruck 1954, S. 27, 123 sowie die Begründung zum Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1927 (Reichstagsvorlage), Nachdruck 1954, S. 28, 133; dagegen: RGSt 74, 91, 95 f. 20 Heimberger, Strafrecht und Medizin, S. 39; vgl. ähnlich auch Noll, Uebergesetzliche Rechtfertigungsgründe, S. 89, der auf den objektiven und subjektiven Heilzweck abstellt; vgl. auch Mezger, GerS 1924, 207, 282 f., der den Heilzweck als „subjektives Unrechts(rechtfertigungs)element“ ansieht. 21 Grünwald, ZStW 1961, 5, 9. 22 Beling, ZStW 1923, 220, 228. 23 Hardwig, GA 1965, 161, 164. 24 Grahlmann, Heilbehandlung und Heilversuch, S. 26. 25 Eser, ZStW 1985, 1, 14: Der Erfolgsunwert des Heilversuchs sei zu verneinen, wenn andere Heilverfahren nicht bestehen oder unzureichend sind und wenn bei Unterlassen der Maßnahme eine Gesundheitsverschlechterung zu erwarten wäre. Der Handlungsunwert sei jedoch nur bei dieser Ersetzung zu verneinen. 26 So aber von Lilienthal, FG Bekker, S. 1, 54; wie hier schon Stooß, Chirurgische Operation, S. 81: „Der im allgemeinen menschenfreundliche oder rein wissenschaftliche Zweck der Handlung verändert die strafrechtliche Natur der Handlung nicht.“ Auch Schmidt, in: Ponsold, S. 1, 75 hält zwar Heileingriffe für nicht tatbestandsmäßig, sieht aber bei Versuchen am lebenden Menschen den Tatbestand als erfüllt an. 27 Oppenheim, Der ärztliche Eingriff, S. 17 ff.; ders., ZSchwStR 1893, 332, 333; dem entgegen tritt jedoch Stooß, Chirurgische Operation, S. 89: Auch mit Einwilligung handele es sich u. U. um eine körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung.

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

worden.28 Es dürften zwar niemals Experimente ohne Einwilligung und nur bei Möglichkeit des Gelingens auf Grund der medizinisch-wissenschaftlichen Überzeugung vorgenommen werden.29 Beim Heilversuch dürfe die Gefahr nicht in Missverhältnis zur Krankheit stehen, beim wissenschaftlichen Versuch dürften überhaupt keine großen Gefahren bestehen.30 Dass ein derartiges Gewohnheitsrecht anzunehmen ist, muss jedoch bezweifelt werden. Insbesondere sind in vielen Regelungen nun auch Experimente zugelassen, die ohne persönliche Einwilligung vorgenommen werden. d) Tatbestandsmäßigkeit ärztlichen Handelns Nach Ansicht der Rechtsprechung und eines Teils der Literatur kann es sich auch bei einer Heilbehandlung um eine tatbestandsmäßige Körperverletzung handeln, die insbesondere durch Einwilligung gerechtfertigt werden kann.31 Nur so könne das Selbstbestimmungsrecht des Patienten gewahrt werden.32 In der Patientenautonomie finde die Pflicht des Arztes seine Grenze.33 Der Arzt habe keine rechtliche Befugnis, nach eigenem Ermessen in die Rechtssphäre des Anderen einzugreifen.34 Niemand dürfe sich zum Richter aufschwingen über die Frage, unter welchen Umständen jemand bereit ist, seine körperliche Unversehrtheit zu opfern.35 Diese Ansicht wird dem Recht auf medizinische Selbstbestimmung am besten gerecht, da sie vorrangig auf die Einwilligung des Patienten abstellt. Durch eine fehlende Tatbestandsmäßigkeit würde auch das Erfordernis einer Aufklärung unterlaufen, da sie zur Abwendung einer Strafbarkeit nicht notwendig wäre. Nur, wenn bei Heilbehandlungen grundsätzlich eine Einwilligung erforderlich ist, wird das Selbstbestimmungsrecht hinreichend geschützt. Diese Ansicht ist auch nicht extrem

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Oppenheim, Der ärztliche Eingriff, S. 34. Oppenheim, Der ärztliche Eingriff, S. 36 ff. 30 Oppenheim, Der ärztliche Eingriff, S. 36 ff; ähnlich auch, aber nicht mit einer Begründung aus Gewohnheitsrecht: Noll, Uebergesetzliche Rechtfertigungsgründe, S. 92. 31 RGSt 25, 375, 378 f.; 74, 91, 95; BGH NJW 1971, 1887; BGHR § 223 Abs. 1 StGB Heileingriff 4, S. 1; Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 27; Mitsch, Strafrechtlicher Schutz, S. 22; Schroth, in: Roxin/Schroth, S. 21, 27; einschränkend: für eine Straflosigkeit nur durch Einwilligung und den verfolgten Zweck: von Lilienthal, FG Bekker, S. 1, 42 ff.; vgl. auch die Gegenansicht: Behr, GerS 1902, 400, 407 f., 412, nach dem es nie auf die Einwilligung ankommt. 32 BGHR § 223 Abs. 1 StGB Heileingriff 4, S. 1; zustimmend: Rengier, BT 2, § 13, Rn. 17: Sonst wäre es eine partielle Entmündigung des Patienten. 33 BGHSt 11, 111, 114. 34 RGSt 25, 375, 378 f. unterstreicht dies noch durch die rhetorische Frage, warum sonst nicht auch dem Geistlichen zum Zwecke des Heils der Seele solche Befugnisse zustehen sollten und warum dann nicht auch Freiheitsberaubungen, Nötigungen oder Sachbeschädigungen durch eine solche rechtliche Befugnis zulässig sein sollten. 35 BGHSt 11, 111, 114. 29

B. Tatbestandsmäßigkeit ärztlichen Erprobungshandelns nach dem StGB

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liberalistisch,36 sondern entspricht dem freiheitlichen Leitbild des Grundgesetzes. Darüber hinaus werden Ärzte auch nicht stigmatisiert oder mit einem Messerstecher gleichgesetzt. Vielmehr verbleibt die Möglichkeit der Rechtfertigung, nach deren Prüfung auch erst das Unrecht der Tat feststeht.37 Diese Ansicht gerät auch nicht in Konflikt mit dem Wortlaut des § 223 Abs. 1 StGB. Eine Heilbehandlung kann eine körperliche Misshandlung sein, etwa durch Schmerzen oder Beeinträchtigung des Wohlbefindens,38 sie kann auch eine Gesundheitsschädigung darstellen. Zumindest in einem Zwischenstadium weicht der Zustand des Patienten vom Normalzustand ab, etwa durch die bei der Operation beigebrachte Wunde. Zwar deutet das Präfix „miss“ in dem Merkmal Misshandlung auf eine negative Sinnesdeutung hin,39 ebenso wie das Wort „schädigen“ in der zweiten Alternative. Dennoch ist die Heilbehandlung dadurch nicht ausgeschlossen. Wenn man sie objektiv betrachtet, etwa das Schneiden mit dem Skalpell in die Haut des Patienten, so wird der Patient geschädigt und auch „miss-“handelt.40 Die Absicht des Arztes darf im objektiven Tatbestand keine Rolle spielen. Auch seine berufliche Kompetenz ist hier nicht von Belang. Die Wortbedeutung des § 223 StGB erscheint zwar abwertend, aber sollten sämtliche Wertungen bereits hier einbezogen werden, so wären auch Körperverletzungen in Notwehr nicht tatbestandsmäßig.41 Die abschließende Bewertung des Unrechts muss hier wie dort in der Rechtswidrigkeit getroffen werden. Nach Ansicht der Rechtsprechung sind auch Heilbehandlungen, die lediglich ohne Einwilligung vorgenommen werden, tatbestandsmäßig. In einem solchen eigenmächtigen Eingriff liege ein „rechtswidriger Eingriff in Freiheit und Würde der menschlichen Persönlichkeit“.42 Daraus lässt sich schließen, dass auch das Selbstbestimmungsrecht nach dieser Ansicht von den §§ 223 ff. StGB geschützt sein soll. Dem stimmen Teile der Lehre zu,43 wobei es teils nicht als eigenständiges Schutzgut,

36 So aber Engisch, ZStW 1939, 1, 13 ff., der den Willen des Patienten nur innerhalb der Interessenabwägung berücksichtigen will, dabei wurde er freilich von nationalsozialistischen Erwägungen geleitet, vgl. a.a.o., 14; anders hingegen Kohlrausch, ZStW 1932, 383, 392, der trotz der antiliberalistischen Strömungen zu dieser Zeit an der Einwilligung festhalten will. 37 Cramer, FS Lenckner, S. 761, 774; vgl. auch Frister/Lindemann/Peters, Arztstrafrecht, Rn. 3 mit einem Vergleich zu Richtern; Mitsch, Strafrechtlicher Schutz, S. 22. 38 Riedelmaier, Ärztlicher Heileingriff, S. 30 f. 39 Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 175. Stooß, Chirurgische Operation, S. 6 lehnt eine Misshandlung ab. 40 Vgl. auch RGSt 38, 34 f.; s. auch schon Oppenheim, ZSchwStR 1893, 332, 338. 41 Mit diesem Beispiel und dem der Züchtigung: Baumann, NJW 1958, 2092, 2094. 42 BGHSt 11, 111, 114. 43 Krey/Heinrich/Hellmann, BT 1, Rn. 220; Riedelmaier, Ärztlicher Heileingriff, S. 65; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 92 geht von alternativen Schutzzwecken aus; Tolmein KritV 1998, 52, 62.

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

sondern als indirekt mitgeschützt angesehen wird.44 Eine Meinung in der Literatur sieht hingegen nur die körperliche Unversehrtheit als Schutzgut der Körperverletzungsdelikte an.45 Für die Ansicht, die das Selbstbestimmungsrecht nicht als Schutzgut der §§ 223 ff. StGB ansieht, spricht zwar der Wortlaut, der dieses nicht erwähnt, sowie die Abschnittsüberschrift, die nur die körperliche Unversehrtheit nennt. Des Weiteren würde sonst die Verschiedenheit von Freiheits- und Körperverletzungsdelikt verwischt.46 Eigenmächtigkeit sei vielmehr nach den Freiheitsdelikten, §§ 239, 240 StGB, strafbar.47 Diese bieten jedoch keinen ausreichenden und effektiven Schutz des Patienten.48 Auch ist zu beachten, dass es auch bei Einwilligung oder Nichteinwilligung nicht um eine Freiheitsverletzung, sondern um die Rechtmäßigkeit einer Körperverletzung geht.49 Das Selbstbestimmungsrecht muss als Schutzgut 44 Eser ZStW 1985, 1, 2, 8; Eser, in: Schönke/Schröder, § 223, Rn. 31: Es sei also nur soweit mitgeschützt, als der Betroffene keine materialen Einbußen der körperlichen Integrität ohne seine Zustimmung hinnehmen muss. Davon abweichend wird nach der sogenannten zweispurigen Lösung zwischen der körperlichen Misshandlung und der Gesundheitsschädigung unterschieden. Die Misshandlung umfasse auch die Verletzung des körperbezogenen Selbstbestimmungsrechts, die Gesundheitsschädigung sei unabhängig von einer Einwilligung; vgl. Horn/Wolters, in: SK-StGB, § 223, Rn. 36 f.; dagegen: Tag, Körperverletzugstatbestand, S. 196. 45 Joecks, in: MüKo-StGB, vor § 223, Rn. 9; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 223, Rn. 1; Lilie, in: LK, vor § 223, Rn. 1; vgl. zur Übersicht: Momsen/Momsen-Pflanz, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, § 223, Rn. 25 ff.; Schmidt, JZ 1958, 226, 227. Dieser Streit führte auch zu mehreren Reformbestrebungen, bei denen die Heilbehandlung gesondert geregelt und der Tatbestand der eigenmächtigen Heilbehandlung eingeführt werden sollte; vgl. § 123 des Alternativentwurfs eines Strafgesetzbuchs Besonderer Teil, Straftaten gegen die Person, 1. Halbband, 1970; vgl. auch § 162 des Entwurfs 1962 mit Begründung; und § 229 des Entwurfs von 1996, abgedruckt in: Eser, FS Hirsch, S. 465, 468. Vgl. auch zu einem früheren Vorschlag: Heimberger, FG Frank, S. 289, 406 ff. Diese Reformbestrebungen scheiterten jedoch, vgl. nur BT-Drs. 13/7164; Befürworter einer Reform finden sich im Schrifttum zahlreich: Ebermayer, Arzt im Recht, S. 153 f.; Eser, ZStW 1985, 1, 19; Hirsch, GS Zipf, S. 353 ff.; Jescheck/Weigend, AT, § 34 III 3; Grünwald, ZStW 1961, 5, 9; Katzenmaier, ZRP 1997, 156, 157; Schröder, NJW 1961, 951, 955; vgl. auch schon v. Lilienthal, FG Bekker, S. 1, 57 sowie Stooß, Chirurgische Operation, S. 38; kritisch hingegen: Cramer, FS Lenckner, 761, 780; Freund, ZStW 1985, 455, 478; Hardwig, GA 1965, 161, 172; Krauß, FS Bockelmann, S. 557, 574. Das Scheitern dieser Reformen spricht ebenfalls dafür, dass der Gesetzgeber eigenmächtige Heileingriffe von den §§ 223 ff. StGB erfasst sieht. Damit könnte zugleich ein Indiz für den Willen des historischen Gesetzgebers gegeben sein: Schroth, in: Roxin/Schroth, S. 21, 30. Es ist konsequent bei Fehlen eines speziellen Tatbestands auch die Patientenautonomie als geschützt anzusehen; Sonnen, JA 1987, 461. 46 Lilie, in: LK, vor § 223, Rn. 1. 47 Zu § 240 RStGB: Schmidt, Arzt im Strafrecht, S. 118; Welzel, Strafrecht, S. 289. 48 Katzenmaier, ZRP 1997, 156, 157; Rengier, BT 2, § 13, Rn. 17; Schroth, in: Roxin/ Schroth, S. 21, 28. Nur selten, insbesondere bei Gewaltanwendung wären sie erfüllt; so Bockelmann, JZ 1962, 525, 529; ders., NJW 1961, 945, 947; Kargl, GA 2001, 538, 541; Krey/ Heinrich/Hellmann, BT 1, Rn. 217; Lilie, in: LK, vor § 223, Rn. 6. 49 Baumann, NJW 1958, 2092, 2093.

B. Tatbestandsmäßigkeit ärztlichen Erprobungshandelns nach dem StGB

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mit Verfassungsrang auch strafrechtlich abgesichert werden.50 Ein wirksamer Integritätsschutz ist ohne ein Selbstbestimmungsrecht nicht zu erreichen,51 da nur die Person selbst darüber entscheiden sollte, was ihrer Integrität förderlich ist. Gegen diesen Standpunkt wird argumentiert, auch die §§ 242, 263 und 303 StGB schützten nicht zusätzlich das Freiheitsrecht der Selbstbestimmung.52 Allerdings ist auch bei diesen in gewisser Hinsicht die Dispositionsfreiheit mitgeschützt, da durch Einverständnis oder Einwilligung eine entsprechende Handlung nicht tatbestandsmäßig oder aber gerechtfertigt ist. Daher ist das Selbstbestimmungsrecht im Rahmen der §§ 223 ff. StGB zwar nicht als eigenständiges Schutzgut jedoch als mitgeschützt anzusehen. Nur so kann dem grundgesetzlichen Schutzauftrag der Patientenautonomie Genüge getan werden. Diese Lösung verstößt auch nicht gegen das Analogieverbot,53 da die körperliche Integrität bei einem ärztlichen Eingriff in beeinträchtigender Weise verletzt sein kann.54 Wenn man die Heilbehandlung als tatbestandsmäßige Körperverletzung einstuft, so hat dies eine zwingende Folge für die Einordnung von Heilversuch und Humanexperiment: Bei diesen steht das Heilungsinteresse nicht allein im Vordergrund und je näher man an das rein fremdnützige wissenschaftliche Experiment gelangt, desto weniger spielt es überhaupt eine Rolle. Daher ist eine tatbestandliche Privilegierung des Forschers noch weniger angezeigt als bei einem heilenden Arzt. Er handelt nicht (nur) zugunsten des Probanden. Folglich muss hier erst recht gelten, was für die Heilbehandlung vorzugswürdig ist.55 Heilversuch und wissenschaftliches Experiment sind tatbestandsmäßig, aber einer Rechtfertigung zugänglich. Eine Abgrenzung nach dem Zweck ärztlichen Handelns erübrigt sich somit auf tatbestandlicher Ebene.56 2. Tatbestandsmäßigkeit verschiedener Forschungsmaßnahmen Wann eine Forschungsmaßnahme eine körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung darstellt, muss im Einzelfall entschieden werden. Sie kann durch die Verabreichungsform oder die Wirkung des erprobten Behandlungsmittels hervorgerufen werden, insbesondere durch invasive Verfahren oder bei Nebenwirkungen. So kann etwa das Verabreichen mittels einer Spritze eine körperliche Misshandlung darstellen, ebenso wie beispielsweise starke Kopfschmerzen als Nebenwirkungen. Auch das Abnehmen von Blut greift in die körperliche Unversehrtheit ein und stellt 50

Schroth, in: Roxin/Schroth, S. 21, 28. Eser, ZStW 1985, 1, 8. 52 Schmidt, JZ 1958, 226, 227. 53 So aber Bockelmann, Strafrecht des Arztes, S. 71; dagegen: Krey/Heinrich/Hellmann, BT 1, Rn. 219. 54 Schroth, in: Roxin/Schroth, S. 21, 28. 55 Vgl. auch Jürgens, KritV 1998, 34, 35. 56 Fischer, StGB, § 223, Rn. 18. 51

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

eine körperliche Misshandlung dar. Selbst Experimente, bei denen nicht unmittelbar auf den Körper selbst eingewirkt wird, können den Tatbestand der §§ 223 ff. StGB erfüllen. Psychische Einwirkungen können eine Körperverletzung darstellen, wenn sie den Körper im weitesten Sinne in einen pathologischen Zustand versetzen.57 Auch die Erregung oder Steigerung einer psychischen pathologischen Störung kann daher Gesundheitsschädigung sein.58 Ebenso ist die Zuführung radioaktiver Strahlung an sich als Tathandlung geeignet.59 Es ist jedoch jeweils zu beachten, dass eine Erheblichkeitsschwelle überschritten werden muss.60 Die Überschreitung dieser Grenze wird beispielsweise vereinzelt auch für eine geringe Mehrentnahme von Blut verneint.61 3. Sozialadäquanz a) Vorbemerkungen Eine Einschränkung des Tatbestands könnte sich jedoch im Hinblick auf den Aspekt der Sozialadäquanz ergeben. Diese Rechtsfigur wird – sofern man ihr überhaupt noch Bedeutung beimisst62 – nach der herrschenden Meinung auf Ebene des Tatbestands eingeordnet.63 Danach scheiden alle „Handlungen für den Unrechtsbegriff aus, die sich funktionell innerhalb der geschichtlich gewordenen Ordnung bewegen.“64 Sozialadäquat ist ein Verhalten, wenn es den anerkannten 57

BGH NStZ 1996, 131, 132; NStZ 1997, 123; vgl. auch OLG Düsseldorf NJW 2002, 2118; Eschelbach, in: OK-StGB, § 223, Rn. 2. 58 Eser, in: Schönke/Schröder, § 223, Rn. 6. 59 BGH NJW 1998, 833, 835 f.; LG München I NStZ 1982, 470; Jerouschek, JuS 1999, 746 f.; Rigizahn, JR 1998, 523, 524. 60 Vgl. OLG Stuttgart, NJW 1959, 831; Eschelbach, in: OK-StGB, § 223, Rn. 22; Eser, in: Schönke/Schröder, § 223, Rn. 4a; Joecks, in: MüKo-StGB, § 223, Rn. 21 ff.; Knauer/Brose, in: Spickhoff, § 223, Rn. 3; Paeffgen, in: NK, § 223, Rn. 9. 61 Joecks, in: MüKo-StGB, § 223, Rn. 23. 62 Hirsch, ZStW 1962, 78, 134 sieht keine Notwendigkeit an der Sozialadäquanz festzuhalten. Auch Roxin, FS Klug, S. 303, 304, 313 misst ihr keine selbständige Bedeutung mehr zu. Ähnlich auch: Rönnau, JuS 2011, 311, 313. Nach Martín, FS Tiedemann, S. 205, 209 kann sie eigenständige Bedeutung haben. Die Rechtsprechung hat sie im Einzelfall anerkannt, vgl. BGHSt 19, 152, 154; 23, 226, 228; OLG München NStZ 1965, 549, 550; vgl. auch die „Sozialadäquanzklausel“ in § 86 Abs. 3 StGB. 63 OLG München NStZ 1965, 549, 550; Altermann, FS Eisenberg, S. 233, 235, 243; Dölling, ZStW 1984, 36, 57; Ebert/Kühl, JURA 1981, 225, 226; Martín, FS Tiedemann, S. 205, 210; Otto, FS Amelung, S. 225, 245 sieht sie als Auslegungsprinzip an; Ransiek, wistra 1999, 401, 403; Rönnau, JuS 2011, 311, 312; Welzel, ZStW 1939, 491, 529; Zipf, ZStW 1970, 633 prüft die Sozialadäquanz im Anschluss an die Tatbestandsprüfung; a.A.: Klug, FS Schmidt, S. 249, 262 ff., der zwischen Sozialkongruenz und Sozialadäquanz unterscheidet und letztere der Rechtfertigungsebene zuordnet; a.A.: Schaffstein, ZStW 1960, 369, 393, der die Frage, ob sie als „Mangel am Tatbestand oder als Unrechtsausschließungsgründe anzusehen sind“ als gegenstandslos betrachtet. Als Rechtfertigungsgrund der sozialen Angemessenheit eines rechtsgutverletzenden Handelns sieht Schmidhäuser, AT, 6/102 die soziale Adäquanz an. 64 Welzel, ZStW 1939, 491, 516.

B. Tatbestandsmäßigkeit ärztlichen Erprobungshandelns nach dem StGB

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sozialen Verhaltensnormen entspricht,65 es also gebräuchlich und nach der Vorstellung der Gemeinschaft im Interesse des sozialen Zusammenlebens notwendig und richtig ist.66 Das Prinzip der Sozialadäquanz wird beispielsweise bei geringfügigen Geschenken im Rahmen der Bestechungsdelikte herangezogen.67 b) Sozialadäquanz von Heilbehandlung und Beschneidung Die Rechtsfigur der Sozialadäquanz könnte auch für den Bereich ärztlichen Handelns fruchtbar gemacht werden.68 Insbesondere der Aspekt der „professionellen Adäquanz“ kommt in Betracht, wenn ein Arzt kunstgerecht vorgeht. Sein Verhalten könnte der professionellen Adäquanz entsprechen, wenn es sich um sozial akzeptiertes und regelgeleitetes berufliches Verhalten handelt, das Strafrechtsnormen konkretisiert.69 Auch die religiös motivierte Beschneidung von Knaben wird von einer Mindermeinung als sozial adäquat eingestuft,70 da sie sozial unverdächtig sei und sich durch allgemeine Billigung und geschichtliche Üblichkeit auszeichne.71 Unabhängig davon, dass eine allgemeine Billigung der Knabenbeschneidung bestritten werden kann, sind ärztliche Maßnahmen nicht aufgrund Sozialadäquanz tatbestandslos. Heilbehandlungen sind üblich und von der Gesellschaft als wichtig und geboten anerkannt. Wie bereits festgestellt,72 darf eine Heilbehandlung jedoch nicht ohne Einwilligung oder andere Rechtfertigung durchgeführt werden. Dies gebietet das Selbstbestimmungsrecht. Der Stellenwert dieses Grundrechts würde missachtet, wenn man ärztliche Maßnahmen ohne derartige Rechtfertigung zuließe,73 nur weil sie üblich sind, denn u. U. kann auch eine solche Behandlung nicht vom Willen der Person erfasst sein.

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312. 67

Zipf, ZStW 1970, 633. Zipf, ZStW 1970, 633; vgl. auch Eser, FS Roxin, S. 198, 211; Rönnau, JuS 2011, 311,

Vgl. dazu nur Altermann, FS Eisenberg, S. 233, 241 ff.; Kuhlen, in: NK, § 331, Rn. 63; vgl. zu weiteren Fallgruppen: Altermann, FS Eisenberg, S. 233, 237 ff.; Otto, FS Amelung, S. 225, 232 ff. 68 So sieht etwa Klug, FS Schmidt, S. 249, 262 f. die ärztliche Heilbehandlung als „sozialkongruentes“ Verhalten an, da es sozialethisch geboten sei. 69 Hassemer, wistra 1995, 81, 85; dagegen: zu § 258 StGB: Altenhain, in: NK, § 258, Rn. 26; Müller, in: MüKo-StGB, § 153, Rn. 87. 70 Exner, Sozialadäquanz, S. 171, 174, 182 ff.; Rohe, JZ 2007, 801, 805; dagegen; LG Köln NStZ 2012, 449; Brocke/Weidling, StraFo 2012, 450, 453; Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 122; Fischer, StGB, § 223, Rn. 11; Herzberg, MedR 2012, 169, 171; Jerouschek, NStZ 2008, 313, 317; Putzke, FS Herzberg, S. 669, 680; Rox, JZ 2012, 806, 807; Stehr/Putzke/Dietz, DtÄrzteBl. 2008, A-1178; Yalcin, Betrifft Justiz 2012, 380, 381. 71 Exner, Sozialadäquanz, S. 171, 174, 182 ff. 72 Vgl. o. S. 243 ff. 73 Vgl. dazu auch Schmikowski, Experimente am Menschen, S. 41.

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

c) Sozialadäquanz von Heilversuch und wissenschaftlichem Experiment Bei Heilversuch und Experiment wird zum Teil ebenfalls angenommen, diese seien aufgrund Sozialadäquanz nicht strafbar.74 Das zur Heilbehandlung erarbeitete Ergebnis lässt sich jedoch auch auf den Bereich ärztlichen Erprobungshandeln übertragen. Zwar sind Versuche am Menschen gebräuchlich und es ist wohl auch in der Gesellschaft anerkannt, dass diese durchgeführt werden müssen um wissenschaftlichen Fortschritt zu erreichen. Jedoch gilt dies keinesfalls unabhängig von einer Einwilligung oder einem entsprechenden Surrogat. Es ist nicht anerkannt, dass Versuche ohne oder gegen den Willen der Person durchgeführt werden, gerade auch im Hinblick auf die Versuche zur Zeit des Nationalsozialismus.75 Um dem Selbstbestimmungsrecht Genüge zu tun entfällt die Tatbestandsmäßigkeit ärztlichen Erprobungshandeln also auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Sozialadäquanz. 4. Anwendbarkeit der Qualifikationen Weiterhin ist zu beantworten, ob bei einer vorsätzlichen Begehung neben § 223 Abs. 1 StGB auch die Qualifikationen sowie Erfolgsqualifikationen §§ 224, 226, 227 StGB Anwendung finden können. Wenn man mit der Rechtsprechung – wie hier – eine Tatbestandsmäßigkeit bejaht, ist die Anwendung der Qualifikationen und Erfolgsqualifikationen stringente Folge. Würde man Ärzte grundsätzlich von Qualifikationen freistellen, müsste man dies auch bei den anderen Berufsgruppen erstrecken. Dennoch könnten Ausnahmen angezeigt sein. a) Heilbehandlung aa) § 224 Abs. 1 StGB Die Legitimation für die Strafschärfung durch § 224 Abs. 1 StGB ist die besondere Gefährlichkeit von Tat und Täter.76 Gerade diese könnte beim Handeln eines Arztes fehlen. Dazu ist jedes in Betracht kommende Merkmal der Qualifikation zu überprüfen. (1) § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB setzt voraus, dass Gift oder andere gesundheitsschädliche Stoffe beigebracht werden. Gift ist jeder anorganische oder organische Stoff, der in der konkreten Verwendung durch chemische oder chemisch-physikalische 74

Vgl. Trockel, NJW 1979, 2329, 2333; zurecht dagegen von Freier, Humanforschung, S. 31; Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 467 f.; Held, Strafrechtliche Beurteilung, S. 102; Held, Medizinische Diagnostik, S. 134; Schmikowski, Experimente am Menschen, S. 40 f. 75 Vgl. o. S. 47 ff. 76 Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 422.

B. Tatbestandsmäßigkeit ärztlichen Erprobungshandelns nach dem StGB

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Wirkung die Gesundheit erheblich zu beeinträchtigen vermag.77 Insbesondere Medikamente können durch erhebliche Nebenwirkungen die Gesundheit auch schädigen, so dass bei einer Verabreichung von Arzneimitteln Nr. 1 erfüllt sein kann.78 Tag stellt einschränkend auf den funktionalen Einsatz ab: Nur, wenn die Stoffe gerade gegen das Opfer verwendet würden, sei die Qualifikation verwirklicht.79 Dem entgegen steht jedoch, dass Arzneimittel auch bei der Verabreichung durch einen Arzt Gefahren durch Nebenwirkungen bergen. Eine Einschränkung, die nicht auf die Gefährlichkeit abstellt, vermischt die tatbestandliche Verwirklichung mit subjektiven und rechfertigenden Elementen und ist daher abzulehnen. (2) § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB Im Rahmen des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist beim Gebrauch von Skalpellen und anderen Gegenständen umstritten, ob es sich dabei um gefährliche Werkzeuge handelt.80 Ein gefährliches Werkzeug ist ein Gegenstand, der nach Art seiner konkreten Verwendung dazu geeignet ist, nicht unerhebliche Verletzungen hervorzurufen.81 Die wohl herrschende Meinung lehnt die Verwirklichung dieses Merkmals ab, da der Gegenstand in der Hand eines Arztes weder zu Angriffs- noch zu Verteidigungszwecken genutzt werde.82 Bei Behandlungen lege artis, etwa bei einer ärztlichen Blutentnahme, wäre folgerichtig § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht verwirklicht.83 Der Ergänzung durch dieses Merkmal wird zustimmend,84 teils aber auch ablehnend begegnet.85 Es lässt sich schwerlich aus dem Wortlaut herleiten. Auch aus der 77

Fischer, StGB, § 224, Rn. 3a; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 9 II, Rn. 13. BayOblG NJW 1998, 3366, freilich nicht auf den Fall der Heilbehandlung bezogen; Hardtung, in: MüKo-StGB, § 224, Rn. 34. 79 Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 427 f. 80 Vgl. nur Fischer, StGB, § 224, Rn. 9a; Kargl, NStZ 2007, 489, 490, dort Fn. 17; Stree/ Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 224, Rn. 8; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 4284 f; sowie im Folgenden. 81 Vgl. BGHSt 3, 105, 109; BGH NStZ 2002, 30. 82 BGH NJW 1978, 1206; NStZ 1987, 174; LG Köln NStZ 2012, 449; Knauer/Brose, in: Spickhoff, § 224, Rn. 4; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT, § 9 II, Rn. 15; Rüping, JURA 1979, 90, 92; Sonnen, JA 1987, 461; differenzierend: Horn/Wolters, in: SK-StGB, § 223, Rn. 38, 46, der bei der Gesundheitsschädigung wie die h.M. argumentiert und bei der Misshandlung die Qualifikationen für überhaupt nicht anwendbar hält, da das Selbstbestimmungsrecht nicht quantifizierbar sei; vgl. dazu auch noch sogleich. 83 Paeffgen, in: NK, § 224, Rn. 17. 84 Knauer/Brose, in: Spickhoff, § 224, Rn. 4 begründen dies mit einer Gleichstellung von gefährlichem Werkzeug und Waffe; Küper, BT, S. 452; Muckel, JA 2012, 636, 637. 85 Bartsch, StV 2012, 604, 605; Bockelmann, in: Ponsold, S. 1, 20; Brocke/Weidling, StraFo 2012, 450, 452; Exner, Sozialadäquanz, S. 34; Hardtung, in: MüKo-StGB, § 224, Rn. 34; Lilie, in: LK-StGB, § 224, Rn. 24 gelangt dennoch zum selben Ergebnis; Putzke, MedR 2012, 621, 622; ders, FS Herzberg, S. 669, 682; vgl. auch Held, Strafrechtliche Beurteilung, S. 72 f.; Stree/ Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 224, Rn. 8 halten das Merkmal für entbehrlich; 78

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Systematik lässt es sich nicht erschließen. Der Bundesgerichtshof stellte in seiner Entscheidung darauf ab, dass das gefährliche Werkzeug ein Beispiel für eine Waffe sei und daher die erhöhte Strafbarkeit nur bei einer Vergleichbarkeit zu einer Waffe gegeben sei, was jedoch nur bei einer Nutzung zu Angriffs- oder Verteidigungszwecken vorliege.86 Es ist aber durch die Fassung des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nun eindeutig, dass das gefährliche Werkzeug der Oberbegriff zu einer Waffe ist.87 Daher muss sich die Auslegung des gefährlichen Werkzeugs nicht an den Eigenschaften und Motiven zur Nutzung einer Waffe orientieren.88 Die Absicht und der Hintergrund der Handlung sind außerdem nicht innerhalb des objektiven Tatbestands von Belang. Ob jemand zur Verteidigung handelt, ist vielmehr im Rahmen der Rechtfertigung, insbesondere der Notwehr, zu berücksichtigen, ebenso wie die Frage, ob die Handlung einen rechtswidrigen Angriff darstellt oder durch eine Einwilligung oder andere Gründe gerechtfertigt werden kann. Darüber hinaus müsste man bei einem Abstellen auf die Finalität der Handlung auch bei einer nur eventualvorsätzlichen gefährlicher Körperverletzung zu einer Ablehnung dieses zusätzlichen Handlungsmotivs gelangen.89 Ein weiterer Schwachpunkt der Ansicht der Rechtsprechung besteht in der Unterscheidung von approbierten Ärzten und anderen Personen.90 Es ist nicht einzusehen, nur den Arzt zu privilegieren und die Krankenschwester, die u. U. geschickter und erfahrener im Setzen von Spritzen ist, nicht.91 Auch abgesehen von dem zusätzlichen Handlungsmotiv besteht eine hohe Gefahr durch die ärztlichen Instrumente. Es handelt sich um besonders scharfe Messer, Sägen, Zangen und vieles mehr. Nur weil sich diese in der Hand eines Arztes befinden, verlieren sie nicht ihre Gefährlichkeit. Dadurch ergibt sich auch keine unangemessene Kriminalisierung der Ärzte, da eine Rechtfertigung, insbesondere durch Einwilligung, möglich bleibt. (3) § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB In Betracht kommt weiterhin eine Verwirklichung des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, wenn mehrere Ärzte etwa bei einer Operation zusammen wirken. Diese QualifikaHilgendorf, ZStW 2000, 811, 818 verlangt stattdessen, dass der Gegenstand gerade im Hinblick auf die Ausbildung des Verwenders im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. 86 BGH NJW 1978, 1206; vgl. auch schon zu der Definition des gefährlichen Werkzeugs und dem Nutzen als Angriffsmittel: RGSt 4, 397. 87 Fischer, StGB, § 224, Rn. 7; Hardtung, in: MüKo-StGB, § 224, Rn. 34; Küper, BT, S. 453; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 9 II, Rn. 15; Momsen/Momsen-Pflanz, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, § 224, Rn. 14. 88 Vgl. auch: Hardtung, in: MüKo-StGB, § 224, Rn. 34. 89 Hardtung, in: MüKo-StGB, § 224, Rn. 34. 90 Diese Unterscheidung trifft: BGH NStZ 1987, 174; kritisch dazu Hardtung, in: MüKoStGB, § 224, Rn. 34; Paeffgen, in: NK, § 224, Rn. 17, der das Handlungsmotiv als „KampfParadigma“ bezeichnet; gegen die Unterscheidung wohl auch: Frister/Lindemann/Peters, Arztstrafrecht, Rn. 8; Sowada, JR 1988, 123, 124 f.; Wolski, GA 1987, 527 ff. 91 Vgl. Paeffgen, in: NK, § 224, Rn. 17.

B. Tatbestandsmäßigkeit ärztlichen Erprobungshandelns nach dem StGB

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tion wird meist abgelehnt, da schon abstrakt keine Gefahrsteigerung vorliege.92 Während bei einem arbeitsteiligen Vorgehen mehrerer Beteiligter von einer erhöhten Gefahr für das Opfer ausgegangen werden könnte, sei dies bei Ärzten nicht gegeben. Einerseits ist dem zuzustimmen, sofern sie sich gegenseitig kontrollieren und fachspezifisch ergänzen. Andererseits hingegen kann es auch dazu kommen, dass sie sich aufeinander verlassen und dadurch Fehler begangen werden. Dies würde jedoch lediglich einen Fahrlässigkeitsvorwurf begründen, auf den die Qualifikation nicht anwendbar ist. Dennoch könnten Ärzte verschiedener Fachrichtungen ihr Sonderwissen zur Schädigung des Patienten teilen und dadurch besonders gefährlich sein. Gerade auch bei experimentellen Methoden ist das Zusammenwirken mehrerer Ärzte nicht unbedingt gefahrverringernd, bedenkt man auch die Humanexperimente zur Zeit des Nationalsozialismus. Daher ist auch die Verwirklichung von § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB möglich. (4) § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB Auch bei § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB wird eine teleologische Reduktion in Betracht gezogen.93 Eine das Leben gefährdende Behandlung ist jedoch in vielen ärztlichen Handlungen, insbesondere in schwerwiegenden Operationen zu erblicken. Eine Lebensgefahr kann daher auch bei einer Heilbehandlung bestehen. Eine teleologische Reduktion ist nicht angezeigt, da es auch auf die Gefahr der Tat ankommt. bb) § 226 Abs. 1 StGB sowie § 227 Abs. 1 StGB Auch eine Verwirklichung der Erfolgsqualifikation des § 226 Abs. 1 StGB erscheint möglich. Die schwere Folge, insbesondere der Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit nach Abs. 1 Nr. 1 Var. 4 oder eines wichtigen Glieds nach Abs. 1 Nr. 2 Var. 1 können bei ärztlichen Eingriffen eintreten, so etwa bei einer Sterilisation oder einer Amputation. Tritt diese Folge ein, besteht wegen des erhöhten Unrechts kein Anlass, § 226 Abs. 1 StGB nicht anzuwenden. Dasselbe muss für § 227 Abs. 1 StGB gelten, wenn der Tod als Folge eintritt. cc) Anwendbarkeit bei eigenmächtigen Heilbehandlungen Problematisch verbleibt die Fallgruppe der eigenmächtigen Heilbehandlungen. So wird vertreten, dass bei diesen die Qualifikationen und Erfolgsqualifikationen nicht anzuwenden seien, da sich der Erfolg als schlichte Einwirkung auf den Körper als Substrat des körperbezogenen Selbstbestimmungsrechts darstelle. Das Ausmaß 92 Hardtung, in: MüKo-StGB, § 224, Rn. 34; Knauer/Brose, in: Spickhoff, § 224, Rn. 6; Momsen/Momsen-Pflanz, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, § 224, Rn. 27; gegen die Verwirklichung auch: Frister/Lindemann/Peters, Arztstrafrecht, Rn. 7; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 428. 93 Knauer/Brose, in: Spickhoff, § 224, Rn. 7.

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

der Einwirkung sei bedeutungslos, denn das Selbstbestimmungsrecht sei nicht quantifizierbar.94 Tag stellt im Rahmen des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB bei eigenmächtigen Heilbehandlungen darauf ab, ob das Werkzeug dazu eingesetzt wird, das Selbstbestimmungsrecht über das im Grundtatbestand vorausgesetzte Maß zu beeinträchtigen.95 § 226 StGB könne verwirklicht werden, da der Arzt sich die Vernunfthoheit mit massiven Auswirkungen über einen autonomen Dritten anmaße,96 § 227 hingegen in der Regel nicht, weil sich durch die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der Tod nicht unmittelbar entwickeln könne.97 Das Selbstbestimmungsrecht lässt sich jedoch nicht ohne die körperliche Unversehrtheit betrachten, es ist körperbezogen und mitgeschützt. Unter Strafe gestellt ist schließlich auch nicht die Täuschung oder die fehlerhafte Aufklärung, sondern die darauf folgende Vornahme der den Körper verletzenden Handlung. Erst beides zusammen ergibt das Unrecht einer eigenmächtigen Heilbehandlung. Daher muss das Werkzeug nicht gegen das Selbstbestimmungsrecht eingesetzt werden. Ein erhöhtes Unrecht ergibt sich auch schon, wenn das Werkzeug beim ärztlichen Heileingriff selbst genutzt wird. Offensichtlich wird dies, wenn man sich folgendes Beispiel vergegenwärtigt: Ein Arzt täuscht seinen Patienten über die Vorgehensweise bei einem Eingriff. Wenn der Arzt mit dem Skalpell den völlig überraschten Patienten schneidet, sollte nun das Unrecht nicht auch dadurch erhöht sein, dass er ein Skalpell benutzt? Auch die Unterscheidung von § 226 StGB und § 227 StGB ist nicht einleuchtend. Betrachtet man die Schutzgüter körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmungsrecht zusammen, so stellt sich ein Eingriff, der zu einer schweren Folge oder gar dem Tod führt, als gleichsam unrechtserhöhend dar. Der Eintritt einer Folge wiegt nicht weniger schwer, wenn vorrangig das Selbstbestimmungsrecht verletzt ist. b) Heilversuch und wissenschaftliches Experiment Die Qualifikationen und Erfolgsqualifikationen sind bei Forschungsmaßnahmen ebenso wie bei der Heilbehandlung anzuwenden und auch bei eigenmächtigem Handeln des forschenden Arztes. Ohne eine vorrangige Heilintention ist die Gefährlichkeit der Handlungen noch offensichtlicher. Die Qualifikationen des § 224 Abs. 1 StGB sind anwendbar, sofern sie auf die Gefährlichkeit der Tat abstellen. So können § 224 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4, 5 StGB auch von einem Arzt verwirklicht werden, weil von dem Tatmittel eine solche Gefahr ausgeht oder eine Gefahr für das Leben des Patienten besteht. Die Erfolgsqualifikationen sind ebenfalls anwendbar.

94 So nach der zweispurigen Lösung von Horn, in: SK, § 224, Rn. 38; gegen dieses Argument: Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 438. 95 Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 424. 96 Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 437. 97 Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 438.

B. Tatbestandsmäßigkeit ärztlichen Erprobungshandelns nach dem StGB

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5. Ergebnis Ärztliches Erprobungshandeln kann ebenso wie eine Heilbehandlung eine tatbestandsmäßige Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB sowie § 229 StGB darstellen. Dies gilt auch für eigenmächtige Eingriffe. Auch die Qualifikationen und Erfolgsqualifikationen der § 224 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4, 5 StGB sowie §§ 226, 227 StGB sind im Falle einer vorsätzlichen Verwirklichung und ebenso bei Eigenmächtigkeit anwendbar. Eine Rechtfertigung insbesondere mittels Einwilligung ist jedoch möglich.

II. Tatbestandsmäßigkeit in Bezug auf weitere Delikte Die Körperverletzung stellt im Bereich ärztlichen Handelns das bei weitem bedeutendste Delikt dar. Dennoch sollen hier noch kurz weitere Delikte, deren Tatbestand verwirklicht werden könnte, dargestellt werden. Stirbt ein Patient oder Proband, so kommt die Tatbestandsmäßigkeit eines Totschlags nach § 212 StGB oder einer fahrlässigen Tötung nach § 229 StGB in Betracht. Darüber hinaus könnte ein Arzt auch den Tatbestand der Aussetzung nach § 221 StGB erfüllen, wenn er Patienten in eine hilflose Lage versetzt oder in einer solchen im Stich lässt und sie dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt. Der verantwortliche Arzt kann sogar eine Garantenstellung innehaben und daher auch Täter des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB sein. Bei der Forschung könnte eine Aussetzung vorliegen, wenn der mit Sonderwissen ausgestattete Arzt für eine sichere Durchführung der klinischen Prüfung notwendig ist, bei Gefahr aber untätig bleibt.98 Des Weiteren könnte eine Freiheitsberaubung nach § 239 StGB oder eine Nötigung gemäß § 240 StGB begangen werden, wenn Patienten gegen ihren Willen eingesperrt werden oder mit Gewalt oder Drohung zu einer Forschungsteilnahme gezwungen werden.99 Außerdem besteht auch die Möglichkeit, § 203 StGB zu verwirklichen, insbesondere durch die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen.100 Bei der Anwendung von ionisierenden oder Röntgenstrahlen sind auch § 309 StGB und § 311 StGB zu berücksichtigen. Unabhängig von der Indikation scheidet eine Strafbarkeit jedoch aus, wenn die Anwendung der Strahlen durch einen Arzt angeordnet worden ist und in einer genehmigten, technisch einwandfreien 98

Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 414 f. Vgl. auch Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 422. 100 Vgl. Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 425 ff. Darüber hinaus sind auch noch Strafvorschriften in Spezialgesetzen zum Datenschutz zu berücksichtigen, vgl. § 44 BDSG, § 33 LDSG NRW; vgl. dazu auch Lippert/Strobel, VersR 1996, 427 ff. 99

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Röntgeneinrichtung von dafür ausgebildetem Personal ausgeführt wird.101 Es fehlt insofern an einer unkontrollierten Ausdehnung im Raum und damit an einer gemeingefährlichen Handlung.102 Außerdem müsste der Täter zur Verwirklichung des § 309 StGB in der Absicht, die Gesundheit eines anderen Menschen zu schädigen, handeln. Eine Tatbestandsmäßigkeit nach diesen Delikten bedeutet jedoch noch keineswegs auch eine Strafbarkeit, verbleibt schließlich in der Regel noch die Möglichkeit einer Rechtfertigung, insbesondere mittels Einwilligung.103 Dem wird noch nachgegangen, wobei sich die Betrachtung dabei auf die Rechtfertigung einer Tat nach den § 223 ff. StGB beziehen soll.

III. Exkurs: Tatbestandsmäßigkeit bei Verabreichung von Placebos Besondere Probleme wirft die Frage auf, ob bei placebo-kontrollierten Versuchen eine Strafbarkeit nach §§ 223 ff. StGB gegeben sein kann. Durch die Aufteilung in Verum- und Kontrollgruppe werden die Patienten, die in die letztere gelangen, nicht mit einem Wirkstoff behandelt. Diese Nichtbehandlung könnte eine Strafbarkeit begründen. 1. Körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung durch Placebos So wird vertreten, dass es sich bei Todesfällen innerhalb der Kontrollgruppe sogar um eine vollendete Tötung von „irgendwelchen“ Personen dieser Gruppe handeln könne.104 Eine körperliche Misshandlung oder eine Gesundheitsschädigung kann bei der Verabreichung durch Salben oder Tabletten nur in der Wirkung liegen,105 nämlich in 101 BGH MedR 1998, 326, 327; vgl. auch die Anmerkung von Matrin, JuS 1998, 563, 564; Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 452; Jerouschek, JuS 1999, 746, 749; Möhrenschlager, in: LK, § 311, Rn. 7; für eine Erweiterung des § 311 StGB um einen weiteren Absatz daher Götz/ Hinrichs/Seibert/Sommer, MedR 1998, 505, 511. 102 BGH MedR 1998, 326, 327; Jerouschek, JuS 1999, 746, 749. 103 Auf die Einzelheiten soll hier nicht näher eingegangen werden. Eine Ausnahme muss hier jedenfalls gelten für die Tötungsdelikte, bei denen eine Rechtfertigung durch Einwilligung nicht möglich ist. Beim Datenschutz ist die besondere Form der Einwilligung nach § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 lit. c i.V.m. Abs. 2a AMG zu beachten. Bei § 239 StGB ist das Einverständnis als Tatbestandsausschluss von Relevanz. 104 Fincke, Arzneimittelprüfung, S. 120 ff.; ders., NJW 1977, 1095, 1096. In seinem Beispiel bejaht er die Strafbarkeit wegen Tötung von „irgendwelchen 100 Personen“; kritisch zu seinem gebildeten Fall: Hasskarl, DtÄrzteBl. 1978, 1150; Liedtke, NJW 1977, 2113, 2114.; Wartenstein, FS Bruns, S. 339, 342. 105 Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 108; Meurer, in: Marburger Kreis für Sozialrecht und Sozialpolitik, S. 226.

B. Tatbestandsmäßigkeit ärztlichen Erprobungshandelns nach dem StGB

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dem Nocebo-Effekt106 oder aber der Gesundheitsverschlechterung durch Nichttherapie.107 Bei invasiven Methoden kann auch schon in der Darreichung eine körperliche Misshandlung liegen.108 2. Tun oder Unterlassen? Schwierigkeiten bereitet dabei die erste Gruppe der nicht-invasiven Verfahren: Wenn in der Kontrollgruppe Personen unter Beschwerden leiden oder gar sterben, ist es fraglich, ob es sich um eine Verwirklichung durch Unterlassen oder Tun handelt. Die Abgrenzung findet nach der Rechtsprechung anhand des Schwerpunkts der Vorwerfbarkeit statt.109 Die Verabreichung des Placebos stellt ein Tun dar, die nicht erfolgte Behandlung mit dem Testpräparat ein Unterlassen. Die Zuweisung zur Kontrollgruppe, die in der Regel durch Randomisation geschieht, kann kaum zugeordnet werden. Es werden differenzierende Lösungen vorgeschlagen: Es handele sich um ein Unterlassen, es sei denn aktives Tun, etwa durch Irreführung, trete hinzu,110 so dass aktiv verhindert werde, dass sich der Kranke eine andere Behandlung verschaffe.111 Wenn ein indiziertes Präparat bestehe, stelle die Behandlung ein Tun dar, ansonsten ein Unterlassen,112 denn dann werde die Zuweisung zur Verumgruppe unterlassen.113 Dem ist nur zum Teil zuzustimmen. Es darf hinsichtlich der Begehungsform keinen Unterschied darstellen, ob ein Standardpräparat besteht, denn in beiden Fällen wird die Zuweisung zur Verumgruppe unterlassen. Welches Präparat in der Kontrollgruppe verabreicht wird, kann darauf keinen Einfluss haben. Der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt nicht in der Tatsache, dass der Person ein Placebo oder ein Standardpräparat verabreicht wird, sondern darin, dass sie nicht das Testpräparat erhält. Daher muss es sich grundsätzlich um ein Unterlassen handeln.114 Etwas anderes kann u. U. aber anzunehmen sein, wenn aktiv die Zuweisung verändert wird, etwa durch Manipulation der Randomisation.

106 Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 108. Nach Jordan, Zulässigkeit placebokontrollierter Therapiestudien, S. 30 f. handelt es sich dabei jedoch um ein erlaubtes Risiko. 107 Meurer, in: Marburger Kreis für Sozialrecht und Sozialpolitik, S. 226. 108 Meurer, in: Marburger Kreis für Sozialrecht und Sozialpolitik, S. 226. 109 BGHSt 6, 46, 59; BGH NStZ 1999, 607; NStZ 2003, 657. 110 Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 124. 111 Meurer, in: Marburger Kreis für Sozialrecht und Sozialpolitik, S. 225. 112 Meurer, in: Marburger Kreis für Sozialrecht und Sozialpolitik, S. 224 f.; Samson, NJW 1978, 1182, 1184. 113 Meurer, in: Marburger Kreis für Sozialrecht und Sozialpolitik, S. 224 f. 114 Vgl. auch Wagner, Placebos in der Medizin, S. 106.

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

3. Garantenpflicht Bei einem Unterlassen ist darüber hinaus eine Garantenpflicht erforderlich. Auch diese wird im Rahmen der Fragestellung unterschiedlich beurteilt und hergeleitet. Nach einer Ansicht besteht eine Garantenstellung durch die Behandlungsübernahme, da der Arzt damit eine qualifizierte Verpflichtung übernehme.115 Auch aus dem Behandlungsvertrag könne eine Garantenpflicht folgen, denn das Optimum, also das erfolgsversprechende Verum müsse geleistet werden.116 Mehrheitlich wird die Verletzung der Garantenpflicht jedoch abgelehnt. Ohne Vertrag habe auch der Arzt keinen Zugriff auf das Verum.117 Selbst wenn dennoch eine Garantenstellung bestünde, wäre er nur zum Ausgleich des durch die Übernahme geschaffenen Gefährdungspotentials verpflichtet.118 Da nur der Prüfer das Verum zur Verfügung habe, würde der Patient das Verum ohne die Teilnahme auch nicht erhalten.119 Eine weitere Begründung zielt auf die statistische Ungewissheit der Überlegenheit des Testpräparats: Der Arzt sei nicht verpflichtet ein Präparat zu verabreichen, dessen Wirksamkeit er nicht kenne.120 Durch die Übernahme der Behandlung ist der Arzt verpflichtet, sein „Bestes“ zur Heilung des Patienten zu tun. Ob das Testpräparat überlegen ist, also das „Beste“ darstellt, soll aber noch durch den Versuch bewiesen werden. Eine Pflicht zur Verabreichung des Verums besteht daher nicht. Ausnahmen können aber angezeigt sein, wenn der Tod oder eine schwere Gesundheitsverschlechterung andernfalls sehr wahrscheinlich ist.121 Wenn ein Standardpräparat vorhanden ist, bezieht sich die Pflicht grundsätzlich auf die Verabreichung von diesem, die Gabe eines Placebos würde die Garantenpflicht verletzen. 4. Kausalität Selbst bei der Annahme der Verletzung einer Garantenpflicht ist fraglich, ob das Unterlassen auch kausal für den Erfolg ist. Leiden mehrere Personen der Kontrollgruppe unter Beschwerden oder sterben sie, in der Verumgruppe sind jedoch weniger solcher Fälle zu verzeichnen, so stellt sich die Frage, ob dies bereits ausreichend für die Feststellung der Kausalität ist.122 Nach der für die Unterlassensdelikte modifi115

Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 126. Fincke, Arzneimittelprüfung, S. 102; dagegen: Wagner, Placebos in der Medizin, S. 107. 117 Möller, RPG 2001, 67, 75. 118 Jordan, Zulässigkeit placebokontrollierter Therapiestudien, S. 61, 94; Möller, RPG 2001, 67, 75. 119 Jordan, Zulässigkeit placebokontrollierter Therapiestudien, S. 61; Meurer, in: Marburger Kreis für Sozialrecht und Sozialpolitik, S. 225; Möller, RPG 2001, 67, 75. 120 Hasskarl, DtÄrzteBl. 1978, 1151; Meurer, in: Marburger Kreis für Sozialrecht und Sozialpolitik, S. 225; Wartenstein, FS Bruns, S. 339, 342. 121 Vgl. auch Hasskarl, DtÄrzteBl. 1978, 1150. 122 Fincke, Arzneimittelprüfung, S. 39 f.,121 f. verneint die Kausalität in Bezug auf die vorsätzliche Tötung eines bestimmten Patienten, bejaht sie jedoch hinsichtlich der Tötung „irgendwelcher 100 Patienten“. 116

B. Tatbestandsmäßigkeit ärztlichen Erprobungshandelns nach dem StGB

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zierten Condicio-sine-qua-non-Formel ist ein Unterlassen kausal, wenn das gebotene Handeln nicht hinzu gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele.123 Nach der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung steht ein Unterlassen immer dann in einem gesetzmäßigen Zusammenhang mit dem eingetretenen tatbestandlichen Erfolg, wenn die ausgebliebene Handlung, gegebenenfalls erst im Zusammenspiel mit anderen Umständen, den Erfolg abgewendet hätte.124 Beide Lehren führen nicht weiter, wenn Erfahrungswissen über naturwissenschaftliche Kausalzusammenhänge fehlt.125 Die kontrollierten Versuche werden jedoch gerade dazu durchgeführt, um dieses Wissen zu erlangen. Vorgeschlagen wird daher eine der Lederspray-Entscheidung126 nachgebildete Lösung: Danach reicht eine „generelle“ Kausalität aus. Es genüge, wenn sämtliche andere Ursachen, die in Betracht kommen, ausgeschlossen werden können.127 Im medizinischen Bereich ist es aber schwierig festzustellen, welche Ersatzursachen in Betracht kommen, gerade auch wegen der Vielfältigkeit und großen Zahl der möglichen Ursachen für körperliche Veränderungen.128 Der Beweis, dass andere Ursachen auszuschließen sind, wird ebenfalls nur durch experimentelle Methoden zu erreichen sein, so dass ironischerweise u. U. wieder placebo-kontrollierte Studien durchgeführt werden müssen.129 Andere wiederum lassen eine statistisch gestützte Kausalität ausreichen: Wenn Todesfälle oder Beschwerden bei hundert Prozent der Kontrollgruppe oder signifikant häufiger als in der Verumgruppe auftreten, sei die Kausalität zu bejahen.130 Auch hier müsste der prozessuale Beweis aber durch Experiment mit einer großen Anzahl von Patienten erfolgen.131 Wenn man diesen Weg vermeiden will, erscheint auch diese Lösung nur schwer gangbar, auch im Hinblick auf den Grundsatz in dubio pro reo. 123

Vgl. nur BGH NJW 1998, 1568, 1573; NStZ-RR 2002, 303; NJW 2003, 522, 526. Engisch, Kausalität, S. 21; vgl. Puppe, in: NK, Vor § 13, Rn. 102 ff.; Samson, Kausalverläufe, S. 31 ff.; zur Formel auch: Jescheck/Weigend, AT, S. 283. 125 Freund, in: MüKo-StGB, vor §§ 13 ff., Rn. 334. 126 BGH NJW 1990, 2560. 127 So die Lederspray-Entscheidung: BGH NJW 1990, 2560, 2562. Zur Anwendung dieser Formel in diesem Problemkreis: Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 120. 128 Nach Tiedemann/Tiedemann, FS Schmitt, S. 139, 146 kann dies überhaupt nicht festgestellt werden. 129 Dieses Problem ergibt sich nicht nur bei placebo-kontrollierten Studien, sondern besteht in ähnlicher Weise auch bei der Verabreichung von Arzneimitteln als Heilmittel oder innerhalb einer Studie. Ob die Wirkung eines Arzneimittels kausal für eine Gesundheitsverschlechterung ist, kann nur schwer nachgewiesen werden. So hat das Gericht im Contergan-Fall eine subjektive Gewissheit ausreichen lassen, deren strafrechtlicher Beweis sich vom naturwissenschaftlich-mathematischen Beweis unterscheide, so dass keine klinische Prüfung zum Nachweis erforderlich sei, vgl. LG Aachen, JZ 1971, 507, 510 f., zur Kritik: Jescheck/Weigend, AT, § 28 II 4, Rn. 283; Kaufmann, JZ 1971, 569, 572 ff.; Maiwald, Kausalität, S. 109 f. 130 Jordan, Zulässigkeit placebokontrollierter Therapiestudien, S. 58; Meurer, in: Marburger Kreis für Sozialrecht und Sozialpolitik, S. 227; Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 131. 131 Tiedemann/Tiedemann, FS Schmitt, S. 139, 145. 124

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

5. Ergebnis Zusammenfassend ist eine Strafbarkeit durch die Nichtbehandlung der Kontrollgruppe bei placebo-kontrollierten Studien durch Unterlassen möglich. Sollte eine Garantenpflicht bestehen, bezieht sich diese jedoch nicht auf die Verabreichung des Testpräparats. Allerdings wäre die Garantenpflicht verletzt, wenn ein Placebo verabreicht wird, obwohl ein Standardpräparat existiert. Darüber hinaus kann die Kausalität zwischen der Nichtbehandlung und dem tatbestandlichen Erfolg wohl kaum nachgewiesen werden. In Betracht kommt in diesem Falle höchstens eine Versuchsstrafbarkeit. Sollten bei einer placebo-kontrollierten Studie andere Fehler geschehen oder eine Voraussetzung der §§ 40 ff. StGB nicht eingehalten werden, so folgt die Prüfung der Strafbarkeit den allgemeinen Regeln.132

C. Rechtfertigung einer tatbestandsmäßigen Handlung nach dem Strafgesetzbuch Nachdem nun festgestellt worden ist, dass ärztliche Maßnahmen tatbestandsmäßig sein können, stellt sich die Frage, ob eine Rechtfertigung möglich ist. Die Rechtfertigung ergibt sich daraus, dass der Verbots- oder Gebotsnorm andere Normen, die ihr vorgehen, gegenübertreten, die das Verbot oder Gebot für den Einzelfall aufheben oder nicht wirksam werden lassen.133 Es handelt sich um Erlaubnisnormen.134 Dadurch ist das Verhalten zwar nicht sozial unauffällig, aber durch seinen Kontext sozial erträglich.135

I. Rechtfertigung durch Repräsentation Ist wegen akuter oder dauernder Einwilligungsunfähigkeit die Möglichkeit einer aktuell erteilten, persönlichen Einwilligung verschlossen, stellt sich die Frage, wie die Einwilligung ersetzt werden kann und ob dies überhaupt möglich ist. Bei einer stellvertretenden Einwilligung bedarf es einer Unterscheidung zwischen dem gesetzlichen Vertreter und dem gewillkürten Vertreter. Nachdem bereits der verfassungsrechtliche Teil der Arbeit gezeigt hat, dass die Repräsentation ein Mittel darstellt, das der einwilligungsunfähigen Person die Teilnahme am Rechtsverkehr ermöglichen kann und so größtmögliche Rechts132 Die §§ 40 ff., 96 f. AMG sind auch auf die Kontrollgruppe anwendbar, vgl. dazu schon o. S. 67; vgl. zu der Strafbarkeit nach den Spezialgesetzen noch u. S. 313 ff. 133 Lenckner/Sternberg-Lieben, vor §§ 32 ff., Rn. 4. 134 Lenckner/Sternberg-Lieben, vor §§ 32 ff., Rn. 4. 135 Jakobs, AT, 11. Abschn., Rn. 1.

C. Rechtfertigung tatbestandsmäßiger Handlung nach dem StGB

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gleichheit und Personalität herzustellen vermag,136 muss nun auch strafrechtlich untersucht werden, inwieweit eine stellvertretende Einwilligung einen Eingriff rechtfertigen kann. Für eine eingehende Analyse der Einwilligung eines Stellvertreters bedarf es im Ausgangspunkt einer Betrachtung der persönlichen Einwilligung, um aus ihrer Stellung und ihrem Prinzip Erkenntnisse für die stellvertretende Einwilligung zu ziehen. 1. Stellvertretende Einwilligung als Rechtfertigungsgrund a) Grundlagen der Rechtfertigung Auf welches oder welche gemeinsamen Prinzipien sich die Rechtfertigungsgründe zurückführen lassen, ist nicht abschließend geklärt. Nach einer monistischen Theorie liegt allen Rechtfertigungsgründen das Prinzip des überwiegenden Interesses zugrunde.137 Danach ist eine Handlung bei einer Kollision verschiedener rechtlich geschützter Interessen gerechtfertigt, wenn sie „zur Wahrung des Interesses erforderlich ist, das nach den dafür maßgeblichen Wertungen als höherwertig einzustufen ist.“138 Der rechtfertigende Notstand wird dabei zum Teil als Grundfigur aller Rechtfertigungskonstellationen angesehen.139 Im Besonderen ist auch die sogenannte Zwecktheorie eine monistische Theorie: Eine Handlung sei nicht rechtswidrig, wenn sie sich als angemessenes Mittel zur Erreichung eines Zwecks des staatlich geregelten Zusammenlebens darstelle.140 Vertreter der pluralistischen Theorien sehen darüber hinaus weitere Prinzipien in den Rechtfertigungsgründen angelegt. Eine dualistische Betrachtungsweise fügt dem Prinzip des überwiegenden Interesses mit Blick auf die Einwilligung das Prinzip des mangelnden Interesses hinzu.141 Einige Stimmen erweitern die Auswahl der Prinzipien noch weiter.142 Nach 136

Vgl. o. S. 115 ff. Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 16, Rn. 52 (ergänzt durch Prinzip der kumulativen Interessenbefriedigung); Paeffgen, in: NK, vor § 32 ff., Rn. 46; Roxin, in: Eser/Fletcher, S. 229, 235; Rudolphi, GS Kaufmann, S. 371, 378; Schlehofer, in: MüKo-StGB, Vor 32 ff., Rn. 58 ff. mit der Ausnahme der Pflichtenkollision. Teils wird das Prinzip erweitert um das Prinzip des gleichwertigen Interesses: Lenckner/Sternberg-Lieben, vor §§ 32 ff., Rn. 7; Roxin, JuS 1988, 425, 426. 138 Rudolphi, GS Kaufmann, S. 371, 393. 139 Paeffgen, in: NK, vor § 32 ff., Rn. 46. 140 Graf zu Dohna, Rechtswidrigkeit, S. 48; v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, S. 187. 141 Blei, Strafrecht I, S. 130 f.; Dreher, FS Heinitz, S. 207, 218; Eser, in: Eser/Fletcher, S. 17, 48; Jescheck/Weigend, AT, § 31 II; Lenckner, Notstand, S. 134 f.; ders., GA 1985, 295, 302; Mezger, GerS 1924, 207, 270. Eine andere dualistische Theorie von Schmidhäuser, AT; 6/ 19 f. unterscheidet zwischen überindividueller Zweckhaftigkeit und individueller Zweckverfolgung. 142 Vgl. Gropp, AT, S. 174 sieht neben der Angemessenheit des Mittels, dem Überwiegen des Nutzens oder des Erhaltungsinteresses auch den Interessenmangel als Prinzip; Jakobs, AT, 11. Abschn., Rn. 1 erkennt drei Gruppen an: Das Prinzip der Verantwortung, der Interessendefinition durch das Eingriffsopfer und das Solidaritätsprinzip; ebenso: Röttger, Unrechtsbe137

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

jeder Ansicht bleiben die Rechtfertigungsprinzipien jedoch abstrakt, allgemein und ausfüllungsbedürftig.143 Auch wenn dieser grundsätzliche Streit hier nicht entschieden werden kann, können die möglichen Prinzipien dennoch einen Hinweis darauf geben, mit Hilfe welchen Grundgedankens eine Rechtfertigung auch bei der Forschung an Einwilligungsunfähigen möglich sein könnte. Insbesondere könnte diese Frage mit Hilfe des überwiegenden Interesses beantwortet werden, dem Prinzip, das wohl unstreitig einer Rechtfertigung zugrunde liegen kann. Es wird insbesondere der Frage nachzugehen sein, ob sich auch die Einwilligung und die stellvertretende Einwilligung auf eines der Rechtfertigungsprinzipien zurückführen lassen oder sich nicht in dieses System einfügen lassen. b) Die Einwilligung aa) Strafrechtliche Relevanz der Einwilligung Die wohl herrschende Ansicht sieht in der Einwilligung einen Rechtsschutzverzicht.144 Nach der G üterabwägungstheorie ist die Einwilligung unter das allgemeine Prinzip der Wertabwägung zu fassen:145 Zwar werde eine Einwilligung grundsätzlich um der individuellen Freiheit willen anerkannt, der Erfolgs-, Handlungs- und Gesinnungsunwert der verletzenden Handlung müsse ihr jedoch gegenübergestellt werden, so dass ihre Wirksamkeit auch von der Schwere und dem Zweck der Verletzung abhängig sei.146 Der Grund für die Relevanz der Einwilligung ist in erster Linie im ungehinderten Gebrauch der auch verfassungsrechtlich garantierten Dispositionsfreiheit zu sehen.147 Sie ist Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 2 GG. Auch strafrechtlich muss die Möglichkeit der Verfügung über gründung und Unrechtsausschluss, S. 280 ff.; Sauer, Strafrechtlehre, S. 61 f. schlägt die Einteilung in drei Prinzipien vor: Ausübung formaler, typisch ausgeprägter Rechte und Befugnisse, Förderung von Lebensinteresssen in Richtung auf das Allgemeinwohl und Schutz von Lebensinteressen, wobei die Prinzipien zu einer einheitlichen Entscheidung verbunden werden können. 143 Lenckner/Sternberg-Lieben, vor §§ 32 ff., Rn. 7; von der Linde, Rechtfertigung, S. 103, 114; Rönnau, in: LK, vor § 32, Rn. 80. 144 Fischer, StGB, vor § 32, Rn 3b; Geerds, ZStW 1960, 42, 43; Lenckner, ZStW 1960, 446, 453; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, vor § 32, Rn. 33; Paeffgen, in: NK, § 228, Rn. 3; Wessels/Beulke, AT, Rn. 370. 145 Geppert, ZStW 1963, 947, 951; Noll, Uebergesetzliche Rechtfertigungsgründe, S. 75; ders., ZStW 1965, 1, 15; ders., ZStW 1956, 181, 183: mit der Ausnahme der Delikte gegen die persönliche Freiheit; dagegen aber: Stratenwerth, ZStW 1956, 41, 42, 45. 146 Noll, Uebergesetzliche Rechtfertigungsgründe, S. 74 f. Damit könne auch die Unwirksamkeit der Einwilligung bei dem Rechtsgut Leben erklärt werden: Die Abwägung fällt hier zugunsten des Schutzes aus, vgl. Geppert, ZStW 1963, 947, 951; Noll, ZStW 1965, 1, 15. 147 Zu diesem rechtspolitischen Grund: Jescheck/Weigend, AT, § 34 II 3; vgl. auch Noll, ZStW 1956, 181, 183.

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Rechtsgüter zur Folge haben, dass die Handlung des Verletzenden nicht strafbar ist, denn er handelt mit Zustimmung des Rechtsgutsträgers: volenti non fit iniura. bb) Rechtfertigende Wirkung Ob die Einwilligung überhaupt einen Rechtfertigungsgrund darstellt, ist nicht unumstritten. Nach einer Ansicht in der Literatur schließt sie schon den Tatbestand aus.148 Es handele sich nicht um einen Rechtfertigungsgrund,149 da bei ihrem Vorliegen kein Eingriff in die Rechtsgütersphäre gegeben sei.150 Durch den Akt der Selbstdarstellung, der Disposition des Rechtsgutsträgers, sei es keine Verletzung.151 Der Rechtsgutsträger mache sich das Handeln des Verletzenden vielmehr zu eigen.152 Insbesondere bei einigen Vertretern der monistischen Theorie wird die Einwilligung als Fremdkörper empfunden, da es bei ihr nicht um eine Interessenabwägung gehe.153 Die wohl herrschende Ansicht sieht in der Einwilligung einen Rechtfertigungsgrund.154 Dem ist zuzustimmen, denn zum einen handelt es sich auch bei Vorliegen einer Einwilligung um eine Verletzung fremder Güter. Zum anderen lässt sie sich einem der Rechtfertigungsprinzipien zuordnen. Umstritten ist jedoch, welches Prinzip ihr zugrunde liegt. Die Einwilligung wird meist dem Prinzip des mangelnden Interesses zugeordnet.155 Sie kann jedoch unter das Prinzip des überwiegenden Interesses gefasst werden:156 Einerseits verfolgt der Einwilligende seine Interessen, wie etwa bei einer Heilbehandlung oder auch bei einer Tätowierung. Es handelt sich insofern um eine interne Abwägung, der normativ der Vorrang vor der Erhaltung des Rechtsguts eingeräumt wird.157 Der Betroffene verfolgt damit ein für ihn höher148

Hoyer, in: SK, vor § 32 ff., Rn. 30 ff.; Kindhäuser, FS Rudolphi, S. 135, 139; ders., GA 2010, 490, 502 ff. sieht sie davon abweichend als Normaufhebungsgrund an; Kindhäuser, BT 2, S. 95 sieht die Einwilligung auch als Tatbestandsausschluss an, wenn der Eingriff nach der lex artis erfolge. Nowakowski, ZStW 1951, 287, 328; Riedelmaier, Ärztlicher Heileingriff, S. 65; Roxin, AT 1, § 13 B, Rn. 12; Schroth, in: Roxin/Schroth, S. 21, 32; Zipf, Einwilligung, S. 29. 149 Roxin, AT, § 14 F Rn. 43. ders., in: Eser/Fletcher, S. 229, 235; Rudolphi, GS Kaufmann, S. 371, 393. 150 Rudolphi, GS Kaufmann, S. 371, 393. 151 Roxin, AT 1, § 13 B, Rn. 12; Schroth, in: Roxin/Schroth, S. 21, 31 ff. 152 Kindhäuser, FS Rudolphi, S. 135, 139. 153 Roxin, AT 1, § 13 B, Rn. 22 f.; Schroth, in: Roxin/Schroth, S. 21, 31 ff. 154 Vgl. nur RGSt 38, 34, 35; BGHSt 12, 378; 16, 309; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 6, Rn. 27; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17, Rn. 96.; Haft, AT, S. 73; Kühl, AT, § 9, Rn. 22; Noll, ZStW 1965, 1, 15; Stratenwerth, ZStW 1956, 41 ff. 155 Vgl. insoweit zur dualistischen Theorie: Blei, Strafrecht I, S. 130 f.; Dreher, FS Heinitz, S. 207, 218; Eser, in: Eser/Fletcher, S. 17, 48; Jescheck/Weigend, AT, § 31 II; Lenckner, Notstand, S. 134 f.; ders., GA 1985, 295, 302; Mezger, GerS 1924, 207, 270. 156 Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 16, Rn. 53; Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 149 f.; Paeffgen, in: NK, vor §§ 32 ff., Rn. 46; Schlehofer, in: MüKo-StGB, Vor 32 ff., Rn. 60. 157 Paeffgen, in: NK, vor §§ 32 ff., Rn. 46; vgl. zu dem Widerstreit der Interessen beim Einwilligenden: Noll, ZStW 1956, 181, 183; vgl. auch Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 16,

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

rangiges Ziel.158 Die Einwilligung ist kein Unterfall des § 34 StGB. Ihr liegt zwar eine Interessenabwägung zugrunde. Diese wird jedoch nicht objektiv, sondern von dem Betroffenen selbst vorgenommen. Der Rechtsgutsträger entscheidet sich frei zwischen zwei oder mehreren möglichen Alternativen für eine Verletzung seines Rechtsguts. Bei der Entscheidung, ob er das Rechtsgut preisgeben will, wägt er in der Regel Vor- und Nachteile ab. Es handelt sich also um einen internen Interessenkonflikt, bei dem der Rechtsgutsinhaber und nicht die Rechtsordnung über die Vorzugswürdigkeit der widerstreitenden Interessen entscheidet.159 Besonders deutlich wird dies bei der Heilbehandlung: Der Patient wird von seinem Arzt über mögliche Behandlungen seiner Krankheit aufgeklärt. Nun kann er sich entscheiden, ob er einen Heileingriff erlauben will oder ob die Krankheit aus seiner Sicht das geringere Übel darstellt. Er wägt also ab und wählt die Alternative, die seinem überwiegenden Interesse entspricht. Darüber hinaus kann ein überwiegendes Interesse auch in dem Selbstbestimmungsrecht gesehen werden.160 Das Interesse an Selbstbestimmung muss nur in Ausnahmefällen, wie bei § 216 oder § 228 StGB, hinter dem Erhaltungsinteresse zurücktreten. Auch bei den Fällen der Einwilligung besteht eine prinzipielle Kollisionslage zwischen der Freiheit der Selbstbestimmung und dem geschützten Rechtsgut.161 Der Gesetzgeber hat der Selbstbestimmung bei seiner Abwägung auch gegenüber dem Interesse an der Unverletzlichkeit des Rechtsguts grundsätzlich Vorrang eingeräumt. Zum Teil wird die Güterabwägung zwischen Handlungsfreiheit und Rechtsgutsverletzung nicht als Grundlage der Rechtfertigung, sondern als rechtspolitischer Ausgangspunkt angesehen.162 Nicht die Rechtsordnung lasse die Handlung zu, sondern der Rechtsgutsträger.163 Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass die Rechtsordnung die Handlung durch die allgemeine Anerkennung und konkrete Berücksichtigung der Einwilligung zulässt. Sie misst der Einwilligung eine entsprechende Bedeutung bei, da bei der zugrunde liegenden Abwägung das Selbstbestimmungsrecht höherrangig gegenüber dem Interesse an der Erhaltung des Rechtsguts ist. Diese Grundentscheidung spricht also neben der internen Abwägung Rn. 53; Auch wird angenommen, dass trotzdem eine Güterabwägung stattfinde, da die volle Rechtfertigung erst eintrete, wenn zur Interessenpreisgabe des Opfers ein legitimes Interesse des Täters hinzukomme, sodass ein Interessenübergewicht entstehe, so Schlehofer, in: MüKoStGB, Vor 32 ff., Rn. 60, darüber hinaus erfolge die Abwägung, um zu beurteilen, ob die Einwilligung dem Opfer als gewollt zuzurechnen sei, Schlehofer, in: MüKo-StGB, Vor 32 ff., Rn. 61. 158 Paeffgen, in: NK, vor §§ 32 ff., Rn. 46; dagegen: Hoyer, in: SK, vor § 32 ff., Rn. 31: Der Einwilligende beziehe die Interessen des Staates nicht mit in seine Einwilligung ein. 159 Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17, Rn. 97. 160 Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 149 f; vgl. auch zur Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts für die Rechtfertigung: Kühl, AT, § 9, Rn. 23. 161 Noll, ZStW 1965, 1, 19. 162 Zipf, Einwilligung, S. 58 f. 163 Zipf, Einwilligung, S. 59.

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für eine rechtfertigende Wirkung der Einwilligung. Diese lässt sich mit dem Prinzip des überwiegenden Interesses begründen. c) Rechtfertigende Wirkung der stellvertretenden Einwilligung aa) Konsequenzen der verfassungsrechtlichen Betrachtung Es stellt sich jedoch die Frage, ob auch der stellvertretenden Einwilligung eine rechtfertigende Wirkung zukommt. Das Strafgesetzbuch nennt ausdrücklich keine stellvertretende Einwilligung, was nicht verwunderlich ist, da auch die Einwilligung nicht geregelt, sondern nur in § 228 StGB erwähnt worden ist. Es sind einige übergesetzliche Rechtfertigungsgründe anerkannt, wie etwa auch die mutmaßliche Einwilligung, die rechtfertigende Pflichtenkollision oder der übergesetzliche Notstand. Im Sinne der Einheit der Rechtsordnung wäre es zu begrüßen, wenn man im Strafrecht die Vertretungsregeln des Zivilrechts übernähme. Auch entzöge eine fehlende strafrechtliche Anerkennung der stellvertretenden Einwilligung dem Vertreter und damit auch dem Betroffenen die Handlungsfähigkeit: Er könnte nicht über die Güter der einwilligungsunfähigen Person verfügen, denn strafrechtlich würde sich ein Vertragspartner weiterhin strafbar machen. So wäre nicht nur etwa der operierende Arzt, sondern auch u. U. der Friseur einer Körperverletzung oder auch ein Handwerker wegen Sachbeschädigung zu bestrafen, wenn er beispielsweise die Wohnung der Person behindertengerecht umbaut. Die verfassungsrechtliche Untersuchung hat gezeigt, dass eine stellvertretende Einwilligung der Wahrung des Selbstbestimmungsrechts, dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit und der Herstellung von Rechtsgleichheit dient.164 Diese Ziele sollen durch das Strafrecht nicht vereitelt werden. Da die Einwilligung eines Stellvertreters die persönliche Einwilligung im Falle der Einwilligungsunfähigkeit ersetzt, um der Person Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen, darf ihr die strafrechtliche Relevanz nicht abgesprochen werden. Ansonsten würde das Risiko einer Strafbarkeit das Ziel der Repräsentation durchkreuzen. bb) Wahrnehmung des überwiegenden Interesses Der Grund für die Anerkennung der Einwilligung ist insbesondere in der Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts zu sehen.165 Auch für einwilligungsunfähige Personen muss die Möglichkeit bestehen, Handlungen anderer Personen auch mit strafrechtlichen Folgen zuzulassen, indem ein Repräsentant zustimmt. Die stellvertretende Einwilligung ist ebenfalls in erster Linie im Selbstbestimmungsrecht zu legitimieren, denn das Recht auf medizinische Selbstbestimmung wird für den Betroffenen durch den Vertreter wahrgenommen. 164 165

s. o. S. 115 ff. s. bereits o. S. 264.

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Die rechtfertigende Wirkung ist daher auch hier mit dem Prinzip des überwiegenden Interesses zu begründen.166 Die Relevanz des Selbstbestimmungsrechts führt auf zwei Wegen dazu, dass bei einer stellvertretenden Einwilligung das überwiegende Interesse als Rechtfertigungsprinzip gewahrt wird: Zunächst werden bei einer stellvertretenden Einwilligung die Interessen des Betroffenen durch den Vertreter ermittelt und wahrgenommen. Auch hier findet ein Abwägungsvorgang statt, den der Vertreter für den Betroffenen vornimmt. Indem der Vertreter prüft, ob der Betroffene seine Einwilligung erteilen würde, wägt er inzident ab, ob das Erhaltungsinteresse des Rechtsguts oder das Interesse an dem Eingriff Vorrang genießt. Damit wird auch bei der stellvertretenden Einwilligung ein höherrangiges Ziel verfolgt; der Unterschied besteht lediglich darin, dass der Betroffene selbst die Abwägung nicht vornehmen oder äußern kann. Dies ist jedoch unschädlich, da die Repräsentation dazu dient, dem Betroffenen die gleichen Möglichkeiten zur Teilnahme am Rechtsverkehr zu ermöglichen wie Personen, die einwilligungsfähig sind. Da der Vertreter die Abwägung für den Betroffenen und in seinem Sinne vornimmt, sollte mit seiner Entscheidung das überwiegende Interesse des Betroffenen wahrgenommen werden. Zweitens wird dadurch das Selbstbestimmungsrecht lediglich über den „Umweg“ des Vertreters ausgeübt. Diesem Selbstbestimmungsrecht wird gegenüber dem Erhaltungsinteresse am Rechtsgut der Vorrang eingeräumt. Daher besteht bei einer stellvertretenden Einwilligung ebenfalls ein überwiegendes Interesse, das eine Rechtfertigung legitimieren kann. Grundsätzlich muss mithin die stellvertretende Einwilligung auch im Strafrecht als Rechtfertigungsgrund anerkannt werden. Sie führt dazu, dass ein Verhalten, dass grundsätzlich verboten ist, in diesem Ausnahmefall erlaubt ist. So ist die Durchführung von Forschungsmaßnahmen ohne Einwilligung grundsätzlich als Eingriff in die körperliche Unversehrtheit verboten, die stellvertretende Einwilligung rechtfertigt ihn jedoch, da in ihr durch die ausgeübte Selbstbestimmung ein überwiegendes Interesse des Betroffenen an der Durchführung der Maßnahme zum Ausdruck kommt. cc) Gewillkürte Stellvertretung Fraglich ist, ob diese Überlegungen auch für die gewillkürte Vertretung Geltung beanspruchen können. Es war lange unklar, ob die Anerkennung einer gewillkürte Stellvertretung bei Einwilligungen im Zivilrecht auf einer analogen Anwendung der §§ 164 ff. BGB oder auf einer Übertragung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zur Ausübung basiert. Bei der ersten Konzeption werden die Vorschriften zur Stellvertretung analog angewendet, da die Einwilligung kein Rechtsgeschäft ist.167 Nach der zweiten Theorie verbleibt das Persönlichkeitsrecht beim Inhaber, die Befugnis zur Ausübung, also zur Einwilligung, wird jedoch auf den Stellvertreter 166

Vgl. dazu bereits zur Einwilligung o. S. 265 mit den entsprechenden Verweisen. Füllmich, Tod im Krankenhaus, S. 100 ff., der sich jedoch weder auf diese noch auf die folgende Theorie festlegt; Schwab, FamRZ 1992, 493, 495; Uhlenbruck, MedR 1992, 134, 140. 167

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übertragen.168 Durch die Anerkennung der gewillkürten Vertretung in Gesundheitsangelegenheiten in § 1896 Abs. 2 BGB sowie weiteren Vorschriften des Betreuungsrechts besteht eine weitere zivilrechtliche Grundlage. Alle Konzeptionen haben ihre Wurzel im Gedanken der Selbstbestimmung, die auch Grundlage für die strafrechtliche Relevanz der Einwilligung ist. Die Repräsentation durch gewillkürte Stellvertretung verwirklicht das Selbstbestimmungsrecht sogar in noch größerem Maß als die gesetzliche Vertretung. Die Entscheidungsbefugnis wird im Vorhinein delegiert. Daher muss auch die Einwilligung eines gewillkürten Vertreters strafrechtliche Bedeutung haben. Die rechtfertigende Wirkung ist auch hier mit dem Prinzip des überwiegenden Interesses zu begründen: Neben der Interessenwahrnehmung durch den Vertreter wie bei der gesetzlichen Vertretung entspricht auch die Bestellung genau dieser Person als gewillkürter Vertreter durch die Bevollmächtigung dem Interesse des Betroffenen. Wenn bei der gesetzlichen Vertretung ein überwiegendes Interesse bejaht werden kann, so muss dies bei der gewillkürten Vertretung erst recht gelten. 2. Voraussetzungen der stellvertretenden Einwilligung a) Voraussetzungen der Einwilligung aa) Allgemeines Voraussetzung für eine Rechtfertigung durch Einwilligung ist zunächst ein disponibles Rechtsgut169 : So ist die Verfügungsfreiheit bei bestimmten Rechtsgütern eingeschränkt, wie etwa beim Leben durch die Wertung des § 216 StGB. Des Weiteren muss die Kundgabe der Einwilligung vor der Tat erfolgen.170 Darüber hinaus ist die Grenze der Sittenwidrigkeit zu wahren.171 Auch muss die Einwilligung frei von Willensmängeln erteilt werden.172 Dabei ist insbesondere bei Heileingriffen und Forschungsmaßnahmen zu beachten, dass eine Aufklärung erfolgt, bei der die 168

Füllmich, Tod im Krankenhaus, S. 104 ff., 113 f; vgl. BGH, Urt. vom 26. 11. 1954, I ZR 266/52, Rn. 37 f. (Cosima Wagner); vgl. auch BGH NJW 1968, 1773, 1775 (Mephisto); vgl. auch schon o. S. 116 f. 169 Kindhäuser, AT, § 12 Rn. 10. 170 BGHSt 17, 359, 360; Jescheck/Weigend, AT, § 34 IV 4; Paeffgen, in: NK, § 228 Rn. 13; Roxin, AT I, § 13 Rn. 79. 171 BGHSt 4, 88, 90. s. dazu noch sogleich. 172 Die Einzelheiten sind umstritten: Nach BGHSt 4, 113, 118; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 109 ist gänzliche Freiheit von Willensmängeln erforderlich; teils wird auch zwischen Irrtümern, die sich auf das Rechtsgut beziehen und zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen sollen und Motivirrtümern differenziert: Arzt, FS Baumann, S. 201, 209; Kühl, AT, § 9 Rn. 37; Roxin, AT I, § 13 Rn. 99; ders., FS Noll, S. 275, 281; Lencker/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, vor §§ 32 ff. Rn. 46; nach einer weiteren Ansicht kommt es darauf an, wem der Irrtum zugerechnet werden kann: Amelung, ZStW 109 (1997), 490, 512, 518; Rönnau, in: LK, vor § 32 Rn. 199.

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Person ordnungsgemäß über Eingriff, Verlauf, Erfolgsaussichten, Risiken und Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt worden ist, denn gerade diese Maßnahmen sind besonders komplex und mit vielen Risiken behaftet.173 Auch muss der Patient bzw. Proband einwilligungsfähig sein.174 Sind diese Voraussetzungen gegeben und handelt der Arzt in Kenntnis von deren Vorliegen,175 so ist er nach herrschender Ansicht gerechtfertigt.176 bb) Insbesondere: Sittenwidrigkeit von Forschungsmaßnahmen (1) Sittenwidrigkeit ärztlichen Erprobungshandelns? Verstößt eine Einwilligung gegen die guten Sitten, so hat sie nach § 228 StGB keine rechtfertigende Wirkung. Ärztliches Erprobungshandeln, insbesondere rein fremdnützige Forschungsmaßnahmen könnten mit § 228 StGB unvereinbar und daher nicht rechtfertigungsfähig sein. Nach der Rechtsprechung ist für die Auslegung dieses Begriffs der Sittenwidrigkeit das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden maßgeblich.177 Es kommt dabei auf die Sittenwidrigkeit der Tat an, nicht der Einwilligung.178 Ungeachtet der Zweifel an der Vereinbarkeit des § 228 StGB mit Art. 103 Abs. 2 GG179 ist es darüber hinaus umstritten, wie diese Formel der Sittenwidrigkeit zu konkretisieren ist. Nach einer Ansicht kommt es auf den mit der Tat verfolgten Zweck an.180 So seien insbesondere Körperverletzungen zu deliktischen Zwecken181 und (in früherer Zeit) zu Unzuchtszwecken sittenwidrig.182 Es komme auf das Anstößige der Tat an.183 Eine andere Ansicht, die sogenannte Rechtsgutslösung, stellt auf den Körperverletzungserfolg und damit den Umfang und das 173

BGHR StGB § 223 Abs. 1 Heileingriff 4 2. Vgl. dazu bereits o. S. 37 ff. 175 Lackner/Kühl, StGB, § 228 Rn. 9; Paeffgen, in: NK, § 228, Rn. 113; Lencker/SternbergLieben, in: Schönke-Schröder, vor §§ 32 ff. Rn. 51; Wessels/Beulke, AT, Rn. 379. 176 s. o. S. 264 f. 177 RG JW 1938, 30, 31; BGHSt 4, 24, 32; 49, 35, 41. 178 BGHSt 49, 35, 41 f.; BGH NStZ 2000, 87, 88; Berz, GA 1969, 145, 150 f. 179 Für eine Verfassungsmäßigkeit von § 228 StGB: BGHSt 49, 35, 41; Breithaupt, JZ 1964, 283, 284 ff., der allerdings anstelle der gebräuchlichen Formel „verwerflich“ oder „gemeinschaftswidrig“ als Umschreibung verwenden will; Hardtung, JURA 2005, 401, 405; dagegen: Hanack, JZ 1964, 393, 396; Paeffgen, in: NK, § 228, Rn. 43 ff., 53; Reinhardt, JR 1964, 368, 374; Schmitt, GS Schröder, S. 263, 265; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 228, Rn. 2 ff.; Sternberg-Lieben, FS Amelung, S. 325, 336; ders., JuS 2004, 954, 955; Woesner, NJW 1963, 273, 275; für eine enge Auslegung: BGHSt 4, 24, 32; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 8 III, Rn. 14. 180 RG JW 1928, 2229, 2231 f.; JW 1929, 1017; im Schwerpunkt BGHSt 4, 24, 31; Horn/ Wolters, in: SK; § 228, Rn. 9; dagegen: Fischer, StGB, § 228, Rn. 9. 181 Berz, GA 1969, 145, 146; Horn/Wolters, in: SK; § 228, Rn. 9; Roxin, JuS 1964, 373, 379. 182 RG JW 1928, 2229, 2231 f.; JW 1929, 1017; dagegen nun: BGHSt 49, 166, 172. 183 RGSt 74, 91, 95: Zwar ging es um eine Heilbehandlung, die masturbatorisch wirkende Behandlungsweise sei dennoch sittenwidrig. 174

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Gewicht des tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs ab.184 So sei bei einer konkreten Todesgefahr eine Sittenwidrigkeit der Tat anzunehmen.185 Wenn die Einwilligungsschranke mit dem Interesse der Allgemeinheit begründet werde,186 so könne eine Beschränkung der Verfügungsmöglichkeit nur legitimiert werden, wenn der Einwilligende außer Stande gesetzt würde, an den Vorteilen des sozialen Lebens teilzuhaben und die gesellschaftlichen Erwartungen zu erfüllen.187 Auch werden diese Meinungen miteinander verbunden.188 Eine weitere Ansicht sieht § 228 StGB als Konkretisierung der Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 GG an.189 Bei Unterschreitung des von der Menschenwürde garantierten „Daseins-Minimums“ liege Sittenwidrigkeit vor.190 Ärztliches Handeln kann nicht allein deshalb sittenwidrig sein, weil es nicht medizinisch indiziert ist.191 Die drei Ansichten kommen insofern nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen: Stellt man auf den Zweck der Forschungsmaßnahme ab, so widerspricht dieser keineswegs dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden. Der Forschungszweck ist durch die Forschungsfreiheit auch grundrechtlich in Art. 5 Abs. 3 GG geschützt und hat langfristig die Verbesserung der Gesundheit, wenn schon nicht der Versuchsperson, so zumindest der Bevölkerung zum billigenswerten Ziel. Der Zweck ist also weder deliktisch noch anstößig. Auch wenn man die Menschenwürde zur Konkretisierung heranzieht, ist wegen der grundsätzlichen Vereinbarkeit fremdnütziger Forschung bei Einhaltung der Schutzmaßnahmen mit Art. 1 Abs. 1 GG192 eine Sittenwidrigkeit ausgeschlossen. Nach der Rechtsgutslösung ist eine Sittenwidrigkeit der fremdnützigen Forschung zu verneinen, sofern ausgeschlossen ist, dass schwerwiegende Folgen eintreten. Bei einer positiven Risiko-Nutzen-Abwägung, die zwingende Voraussetzung für die Forschung sein muss, sowie der Einhaltung der Subsidiarität ist die Forschungsmaßnahme nicht sittenwidrig.193 184

Vgl. BGHSt 49, 35, 42 lässt offen, ob der Zweck zusätzlich relevant ist; BGHSt 49, 166, 171 f.; BGH NStZ 2000, 87, 88; Hirsch, FS Amelung, S. 181, 197 f.; in diese Richtung auch: BayObLG JR 1999, 122, 123; dagegen: Paeffgen, in: NK, § 228, Rn. 43. 185 BGHSt 49, 35, 44; 49, 166, 173; Otto, JR 1999, 124, 125. 186 Vgl. dazu auch schon o. S. 185 f.; Hardtung, JURA 2005, 401, 405. 187 Weigend, ZStW 1986, 44, 64; vgl. auch Otto, JR 1999, 124, 125. 188 Jeweils zum Autosurfen: OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1997, 325, 327; LG Mönchengladbach, NStZ-RR 1997, 169, 170; Knauer/Brose, in: Spickhoff, § 228, Rn. 3. 189 Duttge, GS Schlüchter, S. 775, 783 f.; vgl. auch BayObLG JR 1999, 122, 123, das u. a. mit der Herabwürdigung zum Objekt einen Widerspruch zu sozialethischen Wertvorstellungen begründet; dagegen: Kühl, FS Jakobs, S. 293, 306 f.: Die Menschenwürde werde gegen ihren Träger ausgespielt; mit ähnlicher Kritik zur Einschränkung der Möglichkeit zur Organspende: Schroth, FS Roxin, S. 869, 874: Die Menschenwürde dürfe sich nicht gegen die Freiheitsrechte der Einzelnen wenden; Sternberg-Lieben, FS Amelung, S. 325, 347; ders., JuS 2004, 954, 955. 190 Duttge, GS Schlüchter, S. 775, 786 (Hervorhebung von Duttge). 191 Knauer/Brose, in: Spickhoff, § 228, Rn. 3. 192 s. dazu den verfassungsrechtlichen Teil dieser Arbeit. 193 s. zum Verhältnis des § 228 zur Risiko-Nutzen-Abwägung auch noch sogleich.

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Werden diese beiden Merkmale jedoch nicht eingehalten, so kann dies die Sittenwidrigkeit der Forschung begründen. Ist die Risiko-Nutzen-Abwägung negativ, so können schwerwiegende Folgen eintreten, die nicht durch den Nutzen der Forschung aufgewogen werden können. Der Zweck rechtfertigt dann wegen Unverhältnismäßigkeit den Eingriff nicht mehr und das Rechtsgut ist stark beeinträchtigt. Dasselbe muss für die Missachtung der Subsidiarität der Forschung an Einwilligungsunfähigen gelten: Die Forschung wäre nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar und würde in Konflikt mit der Menschenwürde geraten. Die anderen Schutzmaßnahmen, die speziell die Forschung betreffen, wie beispielsweise das Votum einer Ethikkommission, betreffen nicht die Tat selbst, sondern sind der Tat vorgelagerte Schutzbestimmungen durch Verfahren. Die Missachtung dieser Maßnahmen kann daher nicht die Sittenwidrigkeit der Tat begründen. Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass bei Einhaltung der Subsidiarität und der Risiko-Nutzen-Abwägung Forschungsmaßnahmen grundsätzlich nicht sittenwidrig sind. (2) Bedeutung des § 228 StGB im Verhältnis zur Risiko-Nutzen-Abwägung Zweifelhaft erscheint, ob die Einwilligung im Rahmen der Forschung am Menschen in Bezug auf eine Strafbarkeit nach §§ 223 ff. StGB als alleiniger Rechtfertigungsgrund ausreicht oder ob nicht noch weitere Rechtfertigungselemente, wie eine Risiko-Nutzen-Abwägung, hinzutreten müssen. Im Arzneimittelgesetz handelt es sich schließlich um eine strafbewehrte Voraussetzung. An dieser Stelle dürfen aber keinesfalls der Rechtfertigungsgrund der Einwilligung mit den sie einschränkenden Merkmalen vermischt werden. Die Risiko-Nutzen-Abwägung könnte allenfalls als Maßstab für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit, wie sie in § 228 StGB vorausgesetzt wird, herangezogen werden. Dies wird zum Teil abgelehnt, da es sich sonst um die Sanktionierung standeswidrigen Verhaltens handele, welches nicht durch ein formelles Gesetz legitimiert sei.194 Nach anderer Ansicht konkretisieren die Spezialregelungen den Maßstab der Sittenwidrigkeit i. S. d. § 228 StGB.195 Werden die Voraussetzungen nicht eingehalten, begründet dies grundsätzlich die Sittenwidrigkeit.196 § 228 StGB kann innerhalb der Spezialregelungen keine weitere Bedeutung haben, da es sich um Konkretisierungen handelt und sonst eine Umgehung der speziellen Risikozulassung zu befürchten wäre.197 Insbesondere die Risiko-Nutzen-Abwägung stellt dann eine Konkretisierung der Sittenwidrigkeitsklausel dar.198 Außerhalb dieses Bereichs ist das Sittenwidrigkeitsurteil auch einer vergleichbaren Abwägung zugänglich. Die Ansichten zur Auslegung der Sittenwidrigkeit sollten kombiniert werden, da nur so ein Gesamtbild der Tat entsteht, das ein Sittenwid194

Oswald, in: Roxin/Schroth, S. 669, 697; dies., Die strafrechtlichen Beschränkungen, S. 308. 195 Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 477; Raum, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 96 AMG, Rn. 27. 196 Raum, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 96 AMG, Rn. 27. 197 Niedermair, Körperverletzung, S. 199 f. 198 Oswald, Die strafrechtlichen Beschränkungen, S. 309.

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rigkeitsurteil, auch im Hinblick auf die verfassungsrechtlich erforderliche restriktive Auslegung, ermöglicht. Eine Risiko-Nutzen-Abwägung ergibt sich schon aus den Grundrechten, insbesondere aus der Menschenwürde und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit, aus denen auch eine Schutzpflicht des Staates resultiert. Eine Versuchsperson darf sich daher nicht zum willenlosen Objekt des Prüfers herabwürdigen oder einem Risiko aussetzen, dessen Ausmaß und Gewicht nicht annähernd durch den erhofften Erkenntnisgewinn aufgewogen würde.199 b) Stellvertretende Einwilligung Die Voraussetzungen einer stellvertretenden Einwilligung müssen grundsätzlich denen der Einwilligung entsprechen.200 Das Rechtsgut muss für den Rechtsgutsträger disponibel sein. Der Vertreter muss die Einwilligung vor der Tat kundtun und darf dabei keinen Willensmängeln unterliegen, so dass auch bei ihm eine entsprechende Aufklärung erforderlich ist. Der Vertreter muss einwilligungsfähig sein. Als subjektives Rechtfertigungselement ist auch hier die Kenntnis vom Vorliegen der stellvertretenden Einwilligung zu fordern. Ob die Grenze des § 228 StGB für stellvertretende Einwilligungen Geltung beanspruchen kann, ist noch zu untersuchen.201 aa) Gesetzliche Vertretung In der Regel haben volljährige einwilligungsunfähige Personen einen gesetzlichen Vertreter, der ihre Angelegenheiten für sie wahrnimmt. Ausnahmen können sich insbesondere bei nur vorübergehender oder erst seit kurzer Zeit oder nicht erkannter Einwilligungsunfähigkeit ergeben. Bei volljährigen Personen wird ein Betreuer nach § 1897 BGB durch das Betreuungsgericht bestellt, der nach § 1902 BGB die Person innerhalb seines Aufgabenkreises vertritt. Die Einwilligung des Betreuers in einen ärztlichen Eingriff ist davon auch erfasst, wie sich insbesondere aus der Regelung des § 1904 Abs. 1 BGB ergibt. Für die Einwilligung in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff bedarf es gemäß § 1904 Abs. 1 BGB für die Wirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Die gesetzliche Vertreter bei minderjährigen Personen sind nach §§ 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1 S. 1, 2 BGB die Eltern gemeinschaftlich. Die Personensorge erfasst dabei auch die Zustimmungen in ärztliche Maßnahmen.202

199 200 201 202

Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 470. Vgl. o. S. 269. Vgl. dazu noch u. S. 288. Götz, in: Palandt, § 1626, Rn. 10.

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

bb) Gewillkürte Vertretung Die Vertretung einer Person wird in §§ 164 ff. BGB geregelt. Die Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten ist durch die §§ 1896 ff. BGB im Zivilrecht anerkannt. § 1901c S. 2 erwähnt die Vorsorgevollmacht, ein Schriftstück, in dem der Betroffene eine andere Person mit der Wahrnehmung seiner Angelegenheiten bevollmächtigt hat. Die Vorschriften betreffend die Bevollmächtigung in den §§ 1896 ff. BGB stellen den gewillkürten Vertreter dem Betreuer weitgehend gleich.203 Sie erfassen auch die Einwilligung in ärztliche Maßnahmen. Die §§ 164 ff. BGB betreffen jedoch grundsätzlich Willenserklärungen, so dass die Einwilligung, die nicht unter diese zu fassen ist,204 nicht unmittelbar in deren Anwendungsbereich fällt. Insofern kommt im Zivilrecht aber eine analoge Anwendung in Betracht.205 Darüber hinaus gibt es einige Anforderungen an die Vollmacht. Für die Vollmachtserteilung in Gesundheitsangelegenheiten reicht Einwilligungsfähigkeit aus.206 Nach anderer Ansicht muss der Betroffene zumindest beschränkt geschäftsfähig sein.207 Dem ist nicht zuzustimmen, würde dies schließlich bedeuten, dass eine einwilligungsfähige Person, die nicht beschränkt geschäftsfähige ist, zwar selbst einwilligen, nicht aber eine entsprechende Vollmacht für die Einwilligung erteilen könnte. Der Bevollmächtigte kann seine Einwilligung nach § 1904 Abs. 5 BGB in einen ärztlichen Eingriff nach § 1901 Abs. 1 BGB, bei dem die begründete Gefahr besteht, dass der Betroffene auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet, nur erteilen, wenn die Vollmacht diese Maßnahmen ausdrücklich umfasst und schriftlich erteilt ist. Nach § 1896 Abs. 3 BGB kann darüber hinaus ein sogenannter Kontrollbetreuer bestellt werden. Wenn der Betroffene selbst den Bevollmächtigten nicht überwachen kann und ein Überwachungsbedarf besteht, dem nicht anders abgeholfen werden kann, wird ein Kontrollbetreuer zum Schutz des Betroffenen bestellt, der dessen Rechte gegenüber dem Bevollmächtigten ausüben kann.208 Dies soll einer unkontrollierten Fremdbestimmung und möglichem Missbrauch entgegen wirken, ohne dass dabei sogleich ein Betreuer die Aufgaben des Bevollmächtigten übernimmt.209

203 Vgl. §§ 1896 Abs. 2 S. 2, 1901a Abs. 5, § 1901b Abs. 3, 1901c S. 2, 1904 Abs. 5, 1906 Abs. 5 BGB. 204 Vgl. o. S. 39. 205 Füllmich, Tod im Krankenhaus, S. 100 ff.; Uhlenbruck, MedR 1992, 134, 140. 206 Marschner, in: Jürgens, § 1904, Rn. 1. 207 Schwab, in: MüKo-BGB, § 1904, Rn. 70. 208 Vgl. Schwab, in: MüKo-BGB, § 1896, Rn. 236. 209 Schwab, in: MüKo-BGB, § 1896, Rn. 237; vgl. auch LG Stuttgart, Rpfleger 1994, 209, 211.

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Damit stellt die Kontrollbetreuung ein Mittel dar um den gewillkürten Vertreter zu überwachen, ohne ihm dabei die Entscheidungsbefugnis zu entziehen.

3. Stellvertretung im höchstpersönlichen Bereich Zunächst könnte die Stellvertretung nicht in höchstpersönlichen Bereichen zulässig sein. Zum Teil wird mit diesem Argument auch die Zulässigkeit der Einbeziehung von Einwilligungsunfähigen in fremdnützige Forschung ausgeschlossen.210 Es wird vertreten, dass die stellvertretende Einwilligung bei höchstpersönlichen Rechtsgütern rechtlich nicht zulässig sei, allerdings mit der Ausnahme der ärztlichen Behandlung zu Heilzwecken.211 Auch wäre es möglich, die stellvertretende Einwilligung bei „unvertretbaren Entscheidungen existenzieller Art“, wie der Organspende, auszuschließen.212 Bei diesen Differenzierungen wird jedoch verkannt, dass der Nutzen der Maßnahmen oder die Intention, mit der diese vorgenommen werden, keinen Einfluss auf die Höchstpersönlichkeit hat. Es kann in beiden Fällen zu einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit kommen. Eine Unterscheidung ist erst bei der Frage der Vereinbarkeit mit den Grenzen der stellvertretenden Einwilligung, insbesondere mit dem Wohl der Person, vorzunehmen. Würde man die Zulässigkeit einer stellvertretenden Einwilligung bei höchstpersönlichen Entscheidungen grundsätzlich ablehnen, wäre das Dilemma offensichtlich: Wenn die einwilligungsunfähige Person behandlungsbedürftig ist, könnte keine Einwilligung erteilt werden.213 Da die Repräsentation aber ein Mittel darstellt, das dem Selbstbestimmungsrecht und dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit gerecht wird und Rechtsgleichheit und Handlungsmöglichkeiten erzeugt, wäre ein Weg abgeschnitten, der dem Schutz des Einwilligungsunfähigen dient. Daher ist die Stellvertretung auch in höchstpersönlichen Angelegenheiten anzuerkennen,214 und zwar unabhängig vom Zweck der Maßnahme. Bei einer gewillkürten Stellvertretung wird die Zulässigkeit einer Einwilligung durch den Vertreter im höchstpersönlichen Bereich in noch größerem Ausmaß in Frage gestellt als bei der gesetzlichen Vertretung. Auch im Zivilrecht war dies zunächst unklar. Es wurde vertreten, dass Eingriffe unzulässig seien, wenn sie den Persönlichkeitskern berührten.215 Die gewillkürte Vertretung sei qualitativ nicht vergleichbar mit der gesetzlichen Vertretung.216 Der Bevollmächtigte dürfe höchs210

Laufs, FS Narr, S. 34, 40. Mezger, GerS 1924, 207, 280 f.; Rönnau, in: LK-StGB, vor § 32., Rn. 180; Traeger, GerS 1927, 112, 153. 212 Roxin, AT 1, § 13 E, Rn. 93. 213 Vgl auch Kern, NJW 1994, 753. 214 Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 940. 215 Roxin, AT 1, § 13 E, Rn. 95; vgl. auch zum Betreuungsrecht: Stolz, FamRZ 1993, 642, 644. 216 Mayer, Medizinische Maßnahmen an Betreuten, S. 114. 211

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

tens den mutmaßlichen Willen des Betroffenen ermitteln.217 Dennoch wird die gewillkürte Stellvertretung auch bei höchstpersönlichen Entscheidungen nunmehr für zulässig erachtet.218 Auch der Gesetzgeber hat dies anerkannt, indem er in den §§ 1896 ff. BGB den Bevollmächtigten dem Betreuer weitgehend gleichstellt219 und die sogenannte „Vorsorgevollmacht“ anerkennt. Dies entspricht auch dem Selbstbestimmungsrecht. Der Betroffene darf seine Entscheidungskompetenz delegieren.220 Wenn ein Betreuer seine Entscheidung übernehmen darf, muss dies erst recht für Bevollmächtigte gelten.221 Dem Betroffenen dürfen im Hinblick auf seine Selbstbestimmung diesbezüglich nicht weniger Rechte zustehen als dem Gesetzgeber.222 Das Selbstbestimmungsrecht würde konterkariert, wenn einer Person verwehrt wird, einen Vertreter für die Zeit der Einwilligungsunfähigkeit zu bestimmen, der auch in höchstpersönlichen Angelegenheiten zuständig ist.223 Dies entspricht auch den Interessen des Betroffenen, der dem gewillkürten Vertreter Vertrauen entgegen bringt, das bei einem Betreuer nicht vorliegen muss.224 Auch besteht bei der Betreuung die Gefahr, dass das Wohl durch Betreuer anders ausgelegt wird oder bei einer Betreuungsverfügung dennoch nicht die gewünschte Person gewählt wird.225 Der gewillkürte Vertreter ist im Notfall schneller erreichbar. Das Warten auf eine Betreuerbestellung entfällt und man muss nicht auf den mutmaßlichen Willen abstellen.226 Daher ist die gewillkürte Vertretung sogar gegenüber der Betreuung vorrangig.227 Fraglich ist jedoch, ob dies auch für den Bereich der fremdnützigen Forschung gilt. Da sie Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts ist und dieses nicht auf indizierte Maßnahmen beschränkt ist, spricht nichts dagegen. Wenn sogar Betreuer in 217

Roxin, AT 1, § 13 E, Rn. 95; Traeger, GerS 1927, 112, 152. LG Stuttgart, Rpfleger 1994, 209, 210; vgl. auch LG Göttingen VersR 1990, 1401; mit dieser Tendenz auch: Amelung/Eymann, JuS 1001, 937, 940; Kern, NJW 1994, 753, 759; Kientzy, Mangel am Straftatbestand, S. 115; Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 444, mit der Einschränkung, das Vormundschaftsgericht solle kontrollieren. 219 Vgl. §§ 1896 Abs. 2 S. 2, 1901a Abs. 5, § 1901b Abs. 3, 1901c S. 2, 1904 Abs. 5, 1906 Abs. 5 BGB. 220 Kuhlmann, Einwilligung, S. 195. 221 Elzer, Allgemeine und besondere klinische Prüfungen, S. 91; ders., MedR 1998, 122, 127; Helmchen/Lauter, Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen?, S. 59; Rönnau, in: LKStGB, Vor § 32, Rn. 186 mit der Ausnahme, dass keine genauen Vorgaben bestehen und die Vollmacht daher nicht als Ausdruck einer fortwirkenden Selbstbestimmung des Patienten erscheint. 222 Kuhlmann, Einwilligung, S. 195. 223 Vgl. LG Stuttgart, Rpfleger 1994, 209, 210. 224 LG Stuttgart, Rpfleger 1994, 209, 210; Eisenbart, MedR 1997, 305; Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 191; vgl. Füllmich, Tod im Krankenhaus, S. 93; Uhlenbruck, MedR 1992, 134, 139. 225 Eisenbart, MedR 1997, 305, 308. 226 Eisenbart, MedR 1997, 305, 309. 227 Vgl. § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB. 218

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fremdnützige Forschungsmaßnahmen einwilligen dürfen,228 muss dies erst recht für Bevollmächtigte gelten, denn diese sind selbstbestimmt durch den Betroffenen ausgewählt worden. Teils wird angenommen, die gewillkürte Stellvertretung sei bei Heilversuchen anzunehmen, wenn die Vollmacht nicht ausdrücklich darauf erstreckt sei, nicht aber bei Humanexperimenten.229 Es muss dabei jedoch darauf ankommen, ob sich die Vollmacht auf Heilbehandlungen oder nur auf indizierte Eingriffe bezieht oder allgemein alle ärztlichen Maßnahmen erfassen kann. Im letzteren Fall kann die Entscheidungsbefugnis sich auch auf fremdnützige Forschung erstrecken.230 4. Einschränkungen der Entscheidungsbefugnis im Strafrecht Weiterhin ist zu überprüfen, inwiefern der Vertreter in seiner Entscheidungsbefugnis auch in strafrechtlicher Hinsicht eingeschränkt ist. Dabei ist insbesondere problematisch, wie sich die Missachtung der Schutzvorschriften, die es zugunsten des Betroffenen gibt bzw. die speziell zum Schutz bei Forschungsmaßnahmen erarbeitet worden sind, im Strafrecht auswirken. a) Einschränkungen im Außenverhältnis durch das Innenverhältnis aa) Bindung an das Wohl des Vertretenen Der gesetzliche Vertreter ist nach § 1627 BGB bzw. § 1901 Abs. 2 S. 1 BGB an das Wohl des Betroffenen gebunden. Dies schließt jedoch nicht aus, dass auch Einwilligungen in fremdnützige Forschungsmaßnahmen zulässig sind, wie schon die verfassungsrechtliche Untersuchung gezeigt hat.231 Allerdings dürfen diese ein Maß an Belastungen und Risiken nicht überschreiten und die weiteren Schutzkriterien müssen eingehalten werden.232 Fraglich ist jedoch, was die strafrechtlichen Konsequenzen bei einer Entscheidung gegen das Wohl des Vertretenen, etwa bei einem Überschreiten der Belastungsgrenze, sind. In Betracht kommt, dass die Einwilligung dadurch unwirksam wird. Andererseits könnte dies jedoch auch nur das Innenverhältnis zwischen Vertretenem und Vertreter betreffen, so dass die Einwilligung im Außenverhältnis wirksam wäre. Im Zivilrecht findet bei der Vertretung eine Trennung zwischen Innen- und Außenverhältnis statt. § 1901 BGB regelt das Innenverhältnis der Betreuung mit der Bindung an das Wohl des Betreuten und dessen Wünschen, in § 1902 BGB ist die Vertretung im Außenverhältnis geregelt, die grundsätzlich vom Innenverhältnis 228 229 230 231 232

Vgl. insbesondere o. S. 138 ff. Röver, Einflußmöglichkeiten des Patienten, S. 212. Vgl. auch Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 197. Vgl. o. S. 138 ff. Vgl. o. S. 162 ff.

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

unabhängig ist.233 Ausnahmen von der strikten Trennung ergeben sich bei Kollusion, dem bewussten Zusammenwirken von Vertragspartner und Vertreter, sowie bei einem Missbrauch der Vertretungsmacht, wenn der Dritte dies erkennt oder sich ihm diese Kenntnis aufdrängt.234 Bei Minderjährigen stellt die elterliche Sorge nach §§ 1626, 1627 BGB das Innenverhältnis dar, die Vertretung das Außenverhältnis nach § 1629 BGB.235 Innen- und Außenverhältnis sind hier im Wesentlichen deckungsgleich.236 Die elterliche Vertretungsmacht ist grundsätzlich unbeschränkt.237 Folge dieser Unabhängigkeit von Innen- und Außenverhältnis ist im Zivilrecht, dass eine Erklärung im Außenverhältnis grundsätzlich wirksam ist, obwohl gegen das Wohl der Person oder die Wünsche des Betreuten verstoßen wurde. Es erscheint jedoch fragwürdig, ob dieses Verhältnis auf die Wirkung einer Einwilligung im Strafrecht zu übertragen ist. In der Literatur wird die zivilrechtliche Wertung in der Regel nicht problematisiert und einer stellvertretenden Einwilligung, die nicht dem Wohl des Vertretenen entspricht, die Wirkung abgesprochen.238 Bei Berücksichtigung des Zivilrechts wird die Einwilligung teils wegen der nur analogen Anwendung des Betreuungsrechts für unwirksam gehalten, da Entscheidungen gegen das Wohl bereits im Vorhinein verhindert werden sollen.239 Teils wird die Wertung auch in das Strafrecht übernommen, so dass für eine wirksame Vertretung ausreiche, dass den Eltern die Gesundheitsfürsorge zustehe.240 Die Einheit der Rechtsordnung könnte für eine parallele Anwendung dieser Wertungen im Verhältnis zum Zivilrecht sprechen. Allerdings ist die Abstraktheit zwischen Innen- und Außenverhältnis nicht zwingend, da es sich bei einer Einwilligung nicht um eine Willenserklärung handelt, auf die die Regelungen jedoch zugeschnitten sind. Es handelt sich um konstitutive, nicht um regulative Normen.241 Außerdem verfolgen Zivil- und Strafrecht zum Teil andere Ziele. Während es bei Ersterem um den Verkehrsschutz geht, soll das Strafrecht in erster Linie Rechts233

Jürgens, in: Jürgens, § 1901, Rn 14; Spickhoff, in: Spickhoff, § 1902, Rn. 1; zur Unbeachtlichkeit von Vorrang von Willen und Wünschen im Außenverhältnis: Götz, in: Palandt, § 1901, Rn. 2; Roth, in: Erman, § 1901, Rn. 25; Schwab, in: MüKo-BGB, § 1902, Rn. 15; ders., FamRZ 1992, 493, 503. 234 Roth, in: Erman, § 1901, Rn. 25; Schwab, in: MüKo-BGB, § 1902, Rn. 15; Spickhoff, in: Spickhoff, § 1902, Rn. 1. 235 Götz, in: Palandt, § 1629, Rn. 1. 236 Götz, in: Palandt, § 1629, Rn. 2. 237 Peschel-Gutzeit, in: Staudinger, § 1629, Rn. 133. 238 Eschelbach, in: OK-StGB, § 223, Rn. 35; Kindhäuser, AT, § 12, Rn. 18 (bei Überschreiten der Entscheidungsbefugnis); Lenckner, ZStW 1960, 446, 461; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, vor § 32, Rn. 41c. 239 Kuhlmann, Einwilligung, S. 209 ff; vgl. auch Knauf, Mutmaßliche Einwilligung und Stellvertretung, S. 122 ff. 240 Klinkhammer, FamRZ 2012, 1913, 1914. 241 Böse, FS Roxin, S. 523, 530 f., der ebenfalls die Außenwirkung in Bezug auf das Veto eines Betreuten befürwortet.

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güterschutz gewährleisten. So ist es etwa auch möglich, dass eine Willenserklärung wirksam ist und einen Vertragsschluss zur Folge hat, gleichzeitig aber eine Strafbarkeit wegen Untreue nach § 266 Abs. 1 1.Alt. StGB nach sich zieht, weil das rechtliche Dürfen im Rahmen des Innenverhältnisses überschritten worden ist. Dem Rechtsgüterschutz ist am besten gedient, wenn die Beschränkungen des Innenverhältnisses auch für das Außenverhältnis gelten. Die gesetzliche Vertretungsmacht ist beschränkt, damit der Vertreter keine grenzenlose Macht über den Betroffenen hat. Während im Zivilrecht die Wirksamkeit im Außenverhältnis mit dem Verkehrsschutz begründet werden kann, vermag dies im Strafrecht nicht zu überzeugen. Jemand, der in die körperliche Unversehrtheit eingreift und dadurch den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt, dem ist es zuzumuten, sich über die Vereinbarkeit seines Tuns mit dem Wohl der Person zu vergewissern. Eine Strafbarkeit besteht außerdem nur, wenn der Arzt von dem pflichtwidrigen Handeln des Betreuers weiß oder dieses hätte erkennen müssen.242 Ein unzumutbares Strafbarkeitsrisiko ist damit nicht verbunden, handelt es sich doch um eine Einschränkung, die mit § 228 StGB vergleichbar ist. Die Sittenwidrigkeit schließt sogar die rechtfertigende Wirkung der persönlichen Einwilligung aus. Insoweit liegt eine Einschränkung der rechtfertigenden Wirkung einer stellvertretenden Einwilligung sogar näher. bb) Bindung an Vorgaben des Vertretenen Im Innenverhältnis ist der gewillkürte Vertreter an die Vorgaben des Vertretenen gebunden. Im Zivilrecht kann jedoch aus Gründen des Verkehrsschutzes die Vertretungsmacht im Außenverhältnis davon abweichen.243 So können auch bei der Vorsorgevollmacht in einem Vertrag über das Innenverhältnis Beschränkungen der Befugnisse des Vertreters geregelt werden, die die Wirkung der Vollmacht zivilrechtlich nicht beeinflussen sollen, etwa die Anweisung, erst bei einer Handlungsoder Geschäftsunfähigkeit von der Vollmacht Gebrauch zu machen.244 Aus strafrechtlicher Perspektive muss jedoch wiederum aufgrund des gegenüber dem Verkehrsschutz hier vorrangigen Rechtsgüterschutzes die Bindung an Wünsche und Vorgaben des Vertretenen zwingend sein und eine Missachtung zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen. b) Vetorecht Wird ein beachtliches Veto nicht berücksichtigt und eine Forschungsmaßnahme gegen den Willen der Person durchgeführt, so kann die Handlung nicht gerechtfertigt sein. Die Wünsche des Betreuten nach § 1901 Abs. 3 BGB bzw. die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwor242

So zum Veto: Böse, FS Roxin, S. 523, 531. So z. B. bei der Prokura, §§ 49 ff. HGB, vgl auch die §§ 170 – 173 BGB, nach denen der Rechtsschein der Vollmacht im Außenverhältnis ausreicht. 244 Kropp, FPR 2012, 9, 10; vgl dazu auch OLG Frankfurt, FGPrax 2011, 273, 274. 243

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tungsbewusstem Handeln nach § 1626 Abs. 2 BGB werden nicht ausreichend beachtet. Da diese Vorschriften nach der hier den Vorzug gegebenen Ansicht im Strafrecht auch Außenwirkung haben und die Entscheidungsbefugnis des Stellvertreters einschränken, ist seine Einwilligung unwirksam.245 Dies entspricht auch der Wertung des Art. 1 Abs. 1 GG, der die Beachtlichkeit eines Vetos gebietet. Das Veto ist als so wichtig einzustufen, dass es angezeigt ist, eine strafrechtliche Rechtfertigung nur zu erlauben, wenn ein solches nicht vorliegt. c) Einhaltung des Verfahrens Zu untersuchen ist ferner das Verhältnis von zivilrechtlichen Verfahrensvorschriften zu einer möglichen Strafbarkeit. Im Rahmen der stellvertretenden Einwilligung hat dies insbesondere Bedeutung für die strafrechtliche Relevanz des § 1904 BGB. Auch bei einer antizipierten Einwilligung stellt sich die Frage, inwiefern die Vorgaben der §§ 1901a, b BGB auch strafrechtlich verbindlich sind, welchen Einfluss die Einhaltung der Verfahrensvorschriften oder ihre Missachtung also für eine Strafbarkeit des Handelnden hat. Dasselbe ist auch für die Schutzmaßnahmen, die speziell die Forschung betreffen, zu untersuchen. aa) Der Gedanke der Prozeduralisierung und Versuch einer Systematisierung Die Frage nach der Bedeutung der Verfahrensregeln im Strafrecht wurde bislang nur unzureichend unter dem Stichwort der Prozeduralisierung diskutiert,246 und hat dabei noch keine ausreichende Systematisierung und Grundlage erhalten.247 Prozeduralisierung kann als Grundrechtsschutz durch Verfahren verstanden werden.248 Die Besonderheit des Prozeduralisierungsgedankens liegt in der Perspektive: Das Verhalten wird im Vorhinein, ex ante, beurteilt.249 Damit könne ein effektiver Rechtsgüterschutz gewährleistet werden.250 245

530 f.

Vgl. zur Beachtlichkeit des Vetos im Außenverhältnis auch: Böse, FS Roxin, S. 523,

246 Den Begriff der „prozeduralen Rechtfertigung“ prägte besonders Hassemer, FS Mahrenholz, S. 731 ff., insbesondere in Bezug auf den Schwangerschaftsabbruch. Saliger, KritV 1998, 118, 145 versteht unter prozeduraler Legalisierung von medizinischer Intervention „die von der Einhaltung spezifischer Verfahren abhängende Straffreiheit entsprechender rechtsgutsverletzender und -tangierender Handlungen.“ 247 Vgl. auch Lenz, ZStW 1994, 676, 681, der in dem Tagungsbericht zum rechtsvergleichenden Kolloqium mit Japan zur Rechtfertigung und Entschuldigung von 1993 die Einschätzung von Jakobs wiedergibt, dass die Diskussion über die Frage des Strafausschlusses durch Verfahren gerade erst begonnen habe. 248 Saliger, ARSP Beiheft 2000, 101 ff.; ders., in: Bernat/Kröll, S. 124, 126; vgl. dazu auch schon o. S. 173. 249 Popp, ZStW 2006, 639, 667; Saliger, JuS 1999, 16, 21; ders., KritV 1998, 118, 146; ders., ARSP Beiheft 2000, 101, 143. 250 Saliger, ARSP Beiheft 2000, 101, 143.

C. Rechtfertigung tatbestandsmäßiger Handlung nach dem StGB

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Es sind unterschiedliche strafrechtliche Konsequenzen von verfahrensrechtlichen Bestimmungen denkbar. Erstens kann bei deren Einhaltung eine Legalisierung bzw. Rechtfertigung der Handlung eintreten, und zwar unabhängig vom Vorliegen der materiellen Voraussetzungen. Zweitens kann die Rechtfertigung von ihrer Einhaltung abhängig gemacht werden, so dass es nicht allein ausreicht, wenn die materiellen Voraussetzungen vorliegen. Schließlich kann die Missachtung des vorgeschriebenen Verfahrens gesondert unter Strafe gestellt sein. bb) Konsequenzen der Einhaltung des Verfahrens Die erste Variante einer Rechtfertigung durch Prozeduralisierung wurde vertreten für den Fall der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bei einer Einwilligung des Betreuers in einen Behandlungsabbruch.251 Vor Einführung des § 1901a BGB entschied der Bundesgerichtshof, dass ein Betreuer die Einwilligung in eine ärztlicherseits angebotene lebenserhaltende oder -verlängernde Behandlung nur mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts wirksam verweigern dürfe.252 Der Betreuer solle durch das vormundschaftsgerichtliche Prüfungsverfahren entlastet werden. Es vermittle der Entscheidung des Betreuers eine „Legitimität, die geeignet ist, den Betreuer subjektiv zu entlasten sowie seine Entscheidung objektiv anderen Beteiligten zu vermitteln und die ihn zudem vor dem Risiko einer abweichenden strafrechtlichen ex-post-Beurteilung“ schütze.253 Dieses Urteil wurde so gewertet, dass die Zustimmung des Betreuers lediglich von der Entscheidung des Vormundschaftsgerichts abhängt und daher diese Entscheidung eine Strafbarkeit ausschließt.254 Wer sein Verhalten am Ausgang eines solchen Verfahrens orientiere, handele nicht rechtswidrig.255 Insofern wird eine freie Konkurrenz der Rechtfertigungsgründe angenommen.256 Die Funktion von Strafrecht verändere sich, indem es hinter das Zivilrecht zurücktrete.257 Das Strafrecht sei aber aktualisierbar bei Ver-

251 Vgl. Popp, ZStW 2006, 639, 677; Saliger, JuS 1999, 16, 20 f.; ders., MedR 2004, 237, 239 f.; ders., ARSP Beiheft 2000, 101, 102 ff., 133 ff. 252 BGH NJW 2003, 1588 f.; s. auch OLG Frankfurt NJW 1998, 2747 ff., dazu: Saliger, JuS 1999, 16, 20 f. Seit der Neuregelung ist nach § 1904 Abs. 4 BGB eine Genehmigung des Betreuungsgerichts nicht erforderlich, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901a BGB festgestellten Willen des Betreuten entspricht. 253 BGH NJW 2003, 1588, 1593. Anders hingegen noch OLG Schleswig, JR 1985, 474 zur Freiheitsentziehung, nach dem es nur auf das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen und der wesentlichen Förmlichkeiten ankomme; vgl. zur Kritik daran insbesondere in Bezug auf die Übernahme des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs aus § 113 StGB: Amelung/Brauer, JR 1985, 474 ff. 254 Popp, ZStW 2006, 639, 676; Saliger, MedR 2004, 237, 239 f. 255 Popp, ZStW 2006, 639, 665. 256 Saliger, KritV 1998, 118, 143; ders., FS Hassemer, S. 599, 613. 257 Saliger, JuS 1999, 16, 21 (zu OLG Frankfurt NJW 1998, 2747).

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

fahrensverletzungen, wenn im Verfahren ergebnisrelevant getäuscht oder die Genehmigung trotz erheblicher Veränderungen vollzogen werde.258 Diese Beurteilung erscheint fragwürdig, kann die Strafbarkeit doch letztlich nur von der Einhaltung der materiellen Voraussetzungen der Rechtfertigung abhängen,259 denn nur dann liegt ein überwiegendes Interesse vor, dass dem Eingriff den Vorrang vor der Erhaltung des Rechtsguts einräumt. Die Einhaltung eines Verfahrens allein reicht dafür nicht aus. Die Genehmigung eines Gerichts alleine führt nicht dazu, dass die Rechtsordnung den Eingriff in das Rechtsgut höher bewertet. Anders als bei einigen Strafbestimmungen im Umweltrecht befindet sich die Regelung zum Verfahren eben nicht im Strafgesetzbuch. Die Verletzung verwaltungsrechtlicher oder zivilrechtlicher Vorschriften ist kein Merkmal, das im Tatbestand genannt ist.260 Außerdem geht es anders als in der Regel bei behördlichen Genehmigungen um höchstpersönliche Rechtsgüter.261 Eine Parallele zur Verwaltungsakzessorietät im Wirtschaftsstrafrecht lässt sich daher für die gerichtliche Genehmigung nicht ziehen. Dennoch gelangt man auch dann nicht zu wesentlich anderen Ergebnissen, wenn man die subjektive Seite berücksichtigt: Wenn die Verfahrensvorschriften eingehalten worden sind, wird man dem Handelnden kaum einen strafrechtlichen Vorwurf machen können, dass er den Patientenwillen nicht hinreichend berücksichtigt hat oder beachten wollte.262 Insofern befindet er sich in einem unvermeidbaren Irrtum, weil er sich auf die Bewertung des Gerichts verlassen kann. Etwas anderes könnte nur etwa bei der Manipulation einer schriftlichen antizipierten Einwilligung gelten263 sowie bei Verfahrensverletzungen, Täuschungen oder bei Kollusion zwischen Arzt und Betreuer.264 Dasselbe kann man auch für das positive Votum einer Ethikkommission im Rahmen seiner Reichweite annehmen.265 Eine „Aktualisierung“ des

258 Saliger, KritV 1998, 118, 146; ders, JuS 1999, 16, 21 (zu OLG Frankfurt NJW 1998, 2747); ders., ARSP Beiheft 2000, 101, 131. 259 Vgl. auch Neumann, in: NK, vor § 211, Rn. 133: Die Einhaltung der Regeln sei zwar ein Indiz, nicht aber ein zwingendes Kriterium dafür, dass die materiellen Voraussetzungen objektiv und subjektiv gegeben seien. 260 So aber etwa in §§ 324a, 325, 325a, 327, 328 StGB. 261 Sternberg-Lieben, FS Roxin, S. 537, 547. 262 Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544, 548; vgl. auch Sternberg-Lieben, FS Roxin, S. 537, 545, dort Fn. 45. 263 Vgl. Verrel, NStZ 2011, 274, 277; ähnlich auch (zur Patientenverfügung): Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 330. 264 Im Falle des kollusiven Zusammenwirkens zwischen Arzt und Betreuer ist aber auch der Wille des Vertretenen nicht gewahrt, so dass die Maßnahme in der Regel auch dem Wohl der Person widersprechen wird. 265 Vgl. zum Irrtum bei fehlerhaftem Votum einer Ethikkommission: Bork, Verfahren vor den Ethik-Kommissionen, S. 79 (zum Zivilrecht); Held, Medizinische Diagnostik, S. 152; Kolhosser, in: Toellner, S. 79, 84; Rosenau, RPG 2002, 94, 97; Tiedemann/Tiedemann, FS Schmitt, S. 139, 156; gegen einen Irrtum noch Samson, DMW 1981, 667, 669; dagegen wiederum Eser/Koch, DMW 1982, 443, 446.

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Strafrechts, wie sie teilweise vorgeschlagen wird,266 ist dabei nicht notwendig. Die Relevanz dieser Variante ist daher auch für den Bereich der Forschung an Einwilligungsunfähigen abzulehnen. cc) Konsequenzen bei Missachtung des Verfahrens (1) Nichtbeachtung betreuungsrechtlicher Vorschriften Problematisch sind jedoch die Konsequenzen bei Nichtbeachtung von Verfahrensvorschriften, wie etwa das Fehlen einer Genehmigung nach § 1904 Abs. 1 BGB. Diese Konstellation könnte unter die zweite Variante zu fassen sein, wenn die Straflosigkeit von der Einhaltung des Verfahrens abhängig wäre. Ein Fall der zweiten Variante findet sich etwa in §§ 218a Abs. 1, 219 StGB i.V.m. dem Schwangerschaftskonfliktgesetz, wonach ein Schwangerschaftsabbruch auf Verlangen der Schwangeren und bei Vorliegen einer Bescheinigung über eine Beratung nicht den Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs erfüllt. Auch die Schwangere ist nach §§ 218a Abs. 4, 219 StGB unter bestimmten Voraussetzungen nicht strafbar, wenn eine Beratung erfolgt ist. Eine solche Technik des Strafausschlusses bietet sich an bei Fragen, die der Gesetzgeber nicht abschließend beantworten kann, etwa aufgrund eines besonderen ethischen Konflikts oder wegen beschleunigter Entwicklung der Technologie.267 Wenn klare und der allgemeinen Überzeugung entsprechende Normen fehlen, kann das Prinzip der Prozeduralisierung dafür sorgen, dass die Rechtsgüter durch situationsadäquate Verfahrenspflichten ausreichend geschützt werden.268 So ist es beim Schwangerschaftsabbruch nicht möglich, eine gerechte und rechtsstaatlich einwandfreie Güterabwägung vorzunehmen.269 Es ist jedoch zweifelhaft, dass die Verfahrensvorschriften im Betreuungsrecht eine vergleichbare Regelung treffen sollen, denn anders als in § 218a StGB wird hier nicht ausdrücklich die Straflosigkeit von der Einhaltung des Verfahrens abhängig gemacht. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshof zur Patientenverfügung sollen die verfahrensrechtlichen Absicherungen in §§ 1901a, b BGB zu beachten sein.270 Diese dienten der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts und dem Schutz menschlichen Lebens.271 Bei der Bestimmung der Grenze der Rechtfertigung müssten sie auch für das Strafrecht Wirkung entfalten.272 Wenn dies be266 Vgl. Saliger, KritV 1998, 118, 146; ders, JuS 1999, 16, 21 (zu OLG Frankfurt NJW 1998, 2747); ders., ARSP Beiheft 2000, 101, 131. 267 Hassemer, FS Mahrenholz, S. 731, 750; vgl. auch Eser, KritV Sonderheft 2000, 43, 45 f. 268 Hassemer, FS Mahrenholz, S. 731, 750 f.; Wolter, GA 1996, 207, 226 f.; vgl. auch Eser, KritV Sonderheft 2000, 43, 45. 269 Vgl. Wolter, GA 1996, 207, 226 f. 270 BGH NJW 2011, 161, 162. 271 BGH NJW 2011, 161, 162. 272 BGH NJW 2011, 161, 162.

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deutet, dass eine strafrechtliche Rechtfertigung kraft stellvertretender oder antizipierter Einwilligung nur bei Einhaltung aller zivilrechtlicher Voraussetzungen möglich ist, so muss dem widersprochen werden. Bei einem Behandlungsabbruch hätte dies zur Folge, dass die Strafbarkeit wegen einer Tötung von der Beachtung des betreuungsrechtlichen Verfahrens abhinge.273 Auch das Unrecht einer Körperverletzung bei Forschungsmaßnahmen darf nicht in Abhängigkeit von der Einhaltung des Verfahrens bestimmt werden. Es muss vielmehr darauf ankommen, ob die Handlung objektiv und subjektiv mit dem Willen der Person übereinstimmt, unabhängig davon, ob der Wille nun ausdrücklich, antizipiert oder mutmaßlich ist.274 Grund für eine Strafbarkeit ist die Verletzung von Leib und Leben ohne den Willen der Person, also entgegen seines Selbstbestimmungsrechts. Wird dieses jedoch gewahrt, besteht kein Anlass zur Bestrafung. Die Strafbarkeit muss sich nach autonom strafrechtlichen Kriterien richten.275 Ein Verstoß gegen das Verfahren kann die Strafbarkeit daher nicht begründen.276 Ansonsten würden die Tötungs- und Körperverletzungsdelikte in ihrem Unrechtsgehalt umdefiniert.277 Sie schützen Leib und Leben sowie das Selbstbestimmungsrecht. Nur, weil die Verfahrensvoraussetzungen denselben Schutz bezwecken, bedeutet dies nicht, dass auch sie selbst in den strafrechtlichen Schutz einbezogen werden. Das Verfahren stellt auch keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Einwilligung, auch nicht der stellvertretenden oder antizipierten Einwilligung dar, sondern soll dafür sorgen, dass der wahre Wille der Person ermittelt und beachtet wird.278 Auch die Einheit der Rechtsordnung gebietet es nicht, ein Handeln, das nur betreuungsrechtswidrig ist, unter die Körperverletzungs- und Tötungsdelikte zu fassen.279 Wenn dem Willen des Betroffenen gefolgt wird, ist das Selbstbestimmungsrecht gewahrt und das Unrecht der Delikte ausgeschlossen. Nur durch Missachtung des Verfahrens wird das Schutzgut der körperlichen Unversehrtheit 273 Verrel, NStZ 2011, 276, 277; a.A.: Walter, ZIS 2011, 76, 81 f.; undeutlich (zur Patientenverfügung): Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 331: Das Fehlen der Genehmigung führe auch im Außenverhältnis zur Unwirksamkeit der Einwilligung, im Strafrecht wirke die Einwilligung entlastend, wenn „sie sich im Rahmen ordnungsgemäßer Erfüllung der Betreuerpflichten“ bewege. 274 Putz, FPR 2012, 13, 16; Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544, 548; Verrel, NStZ 2003, 449, 452; ders., Gutachten 66. Deutscher Juristentag, C 98 f.; ders., NStZ 2010, 671, 674; ders., NStZ 2011, 276, 277. 275 Verrel, NStZ 2010, 671, 674; so auch noch der BGH, NJW 2010, 2963, 2965; vgl. Neumann, in: NK, vor § 211, Rn. 133; vgl. auch schon Sax, JZ 1959, 778, 779, nach dem anerkannte Rechtfertigungsgprinzipien einen Eingriff auch zu rechtfertigen vermögen, wenn zivilrechtliche Vorschriften nicht eingehalten sind, dort noch mit dem Beispiel der Züchtigung eines Minderjährigen bei übertragener Sorgerechtsausübung aus Notwehr. 276 Neumann, in: NK, vor § 211, Rn. 133; Verrel, NStZ 2011, 276, 277; a.A.: Walter, ZIS 2011, 76, 81 f. 277 Vgl. Verrel, NStZ 2011, 276, 277; vgl. auch zum KastrG: BT-Drs. 5/3702, S. 22. 278 Verrel, NStZ 2003, 449, 452. 279 Sternberg-Lieben, FS Roxin, S. 537, 553.

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nicht verletzt.280 Das Strafrecht ist die ultima ratio. Daher muss nicht jedes Verhalten, das zivilrechtswidrig ist, auch strafrechtswidrig sein.281 Insofern erscheint die Nichtbeachtung von Verfahrensvorschriften eher bußgeldwürdig282 und muss nicht mit dem „scharfen Schwert“ des Strafrechts bekämpft werden. Jedenfalls wäre die Strafandrohung für reine Verfahrensverstöße auch unverhältnismäßig hoch. Auch die dritte Variante der Prozeduralisierung, bei der es um die gesonderte Pönalisierung der Missachtung von Verfahrensverstößen geht, verdeutlicht, dass die Strafwürdigkeit bei rein formellen Verstößen geringer ist und hier als nicht ausreichend für eine Bestrafung angesehen werden kann.283 Diese Strafbestimmungen, die nur formelle Verstöße sanktionieren, sind sämtlich nur mit einer geringeren Strafdrohung verbunden als Verstöße gegen materielles Recht.284 Dies macht es umso deutlicher, dass der Verstoß gegen formelle Voraussetzungen ein geringeres Unrecht darstellt.285 Da eine solche Bestimmung zu den betreuungsrechtlichen Vorschriften fehlt, begründet die Missachtung von Verfahrensvoraussetzungen keine Strafbarkeit. Auch verfassungsrechtlich ist die strafrechtliche Beachtung des betreuungsrechtlichen Verfahrens nicht zwingend. Zum einen handelt es sich um Vorgaben, die im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liegen, die also nicht einmal zivilrechtlich als zwingend vorzusehen sind.286 Zum anderen muss das Strafrecht als ultima ratio den Schutz des Betroffenen nicht vollkommen absichern, so dass Verfahrensvoraussetzungen auch aus verfassungsrechtlicher Perspektive nicht mit Strafe bewehrt sein müssen. Die Nichtbeachtung des Verfahrens hat trotz der grundsätzlichen strafrechtlichen Unbeachtlichkeit in Bezug auf die Rechtfertigung Bedeutung hinsichtlich des Risikos, den Willen falsch einzuschätzen.287 Die Beurteilung durch das Gericht bietet

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Vgl. Hirsch, JR 2011, 37, 39; Rosenau, FS Rissing-van Saan, S. 545, 563. Vgl. zum Urteil des BGH NJW 2003, 1588 zur Patientenverfügung: Sternberg-Lieben, FS Eser, 1185, 1202. 282 Rosenau, FS Rissing-van Saan, S. 545, 563. Die Möglichkeit einer eigenständigen Pönalisierung sieht auch Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbots, S. 325. 283 Vgl. § 218b StGB, dazu Hirsch, JR 2011, 37, 39, § 7 KastrG, zu beiden Vorschriften: Saliger, KritV 1998, 118, 142, ders., FS Hassemer, S. 599, 612; § 96 Nr. 10, 11 AMG sowie noch sogleich. 284 § 96 AMG, § 218b StGB und § 7 KastrG sind jeweils mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mit Geldstrafe belegt, während § 223 StGB mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren strafbewehrt ist, § 218 StGB mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren und § 226 StGB mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren. 285 Vgl. zum KastrG: BT-Drs. 5/3702, S. 22; vgl. Saliger, KritV 1998, 118, 142; ders., FS Hassemer, S. 599, 612; ders., in: Bernat/Kröll, S. 124, 126., 161; zur Unverhältnismäßigkeit auch: Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbots, S. 325.; vgl. auch Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544, 548. 286 Vgl. o. S.120. 287 Rosenau, FS Rissing-van Saan, S. 545, 563; Saliger, KritV 1998, 118, 143; Verrel, NStZ 2011, 276, 277. 281

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Absicherung und ein unvermeidbarer Erlaubnisirrtum wird bei Nichtbeachtung des Verfahrens kaum anzunehmen sein.288 (2) Nichtbeachtung von Schutzmaßnahmen in Bezug auf die Forschung Während im spezial-gesetzlich geregelten Bereich in § 96 AMG die Nichteinhaltung bestimmter Schutzmaßnahmen unter Strafe gestellt ist, stellt sich die Frage, ob ihre Missachtung auch eine Rechtfertigung innerhalb der Körperverletzungsdelikte ausschließt. Es ist dabei zwischen den verschiedenen Schutzmaßnahmen zu unterscheiden. Einige Schutzvorschriften, die speziell die fremdnützige Forschung betreffen, gehen im Begriff des Wohls auf: So ist etwa eine stellvertretende Einwilligung entgegen einer negativen Risiko-Nutzen-Abwägung oder bei mehr als nur geringen Risiken und Belastungen nicht mit dem Wohl des Betroffenen vereinbar. Ebenso führt eine Missachtung der Subsidiarität zu einer Unvereinbarkeit mit dem Wohl, denn sie ist auch mit der Würde des Betroffenen unvereinbar.289 Bei beiden Schutzmaßnahmen handelt es sich um materiell-rechtliche Voraussetzungen, denn sie dienen nicht der Absicherung anderer Vorgaben, sondern stellen eigene zu befolgende Kriterien auf. Die Risiko-Nutzen-Abwägung betrifft die Schwere des Eingriffs, das Merkmal der Subsidiarität die Verhältnismäßigkeit. Eine Forschungsmaßnahme, die jedoch zu hohe Risiken und Belastungen mit sich bringt oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht wahrt, ist mit dem Wohl der Person unvereinbar, denn dann ist eine Grenze überschritten, bei der ein Repräsentant nicht mehr entscheiden darf. Die Erfordernisse des Votums einer Ethikkommission oder die Genehmigungspflicht sowie die Probandenversicherung führen jedoch bei einer Missachtung nicht zu einer Unwirksamkeit der Einwilligung, da diese Erfordernisse nur der präventiven Sicherung der Gesundheit des Probanden und seiner Absicherung dienen, so dass ein Verstoß gegen das Wohl nicht daraus folgt. Es handelt sich um Verfahrensvorschriften, die für das Strafrecht nicht zwingend sind. Insoweit ist auf die Ausführungen zur Einhaltung des Verfahrens zu verweisen.290 Zu untersuchen ist weiterhin, welche Konsequenzen das Vorliegen einer Genehmigung hat. Da es sich um ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt handelt,291 könnte die Genehmigung den Tatbestand ausschließen.292 Im Arzneimittelgesetz ist der Beginn der klinischen Prüfung ohne vorherige Genehmigung oder ohne das zustimmende Votum einer Ethikkommission unter Strafe gestellt.293 Allerdings 288 289 290 291 292 293

Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544, 548; Verrel, NStZ 2011, 276, 277. s. bereits o. S. 162 f. Vgl. o. S. 280 ff. Vgl. o. S. 217. Vgl. Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 320. Vgl. § 96 Nr. 11 i.V.m. § 40 Abs. 1 S. 2 AMG.

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ist auch bei Befolgung dieser Verfahrensvorschriften eine Strafbarkeit nach § 96 Nr. 10 AMG möglich, so dass eine Genehmigung bzw. ein Votum die Strafbarkeit in diesen Fällen nicht ausschließt. Dies muss auch für eine Strafbarkeit nach §§ 223 ff. StGB gelten, denn die Genehmigung kann eine Strafbarkeit nicht ausschließen, wenn die Anforderungen im Einzelfall nicht eingehalten worden sind, wie etwa das Vorliegen einer Einwilligung, von Einwilligungsfähigkeit oder die positive Risiko-Nutzen-Abwägung im Einzelfall. Nur die Einhaltung aller Voraussetzungen führt dazu, dass das Verhalten erlaubt ist.294 Im nicht spezial-gesetzlich geregelten Bereich würde eine Strafbarkeit im Hinblick auf etwa die Nichteinholung des Votums einer Ethikkommission oder der Genehmigung auch in Konflikt geraten mit Art. 103 Abs. 2 GG. Während die Subsidiarität und die Beachtlichkeit des Vetos sowie die Risiko-Nutzen-Abwägung im Begriff des Wohls im Bürgerlichen Gesetzbuch eine Grundlage haben, finden sich die verfahrensrechtlichen Schutzmaßnahmen nur in Spezialgesetzen zur Forschung, die jedoch nicht analogiefähig sind. Daher kann die Missachtung dieser Schutzvorschriften keine Strafbarkeit begründen. dd) Exkurs: Eigenständige Pönalisierung von Verfahrensverstößen Bei der dritten Variante, bei der die Einhaltung von Verfahrensvorschriften gesondert unter Strafe gestellt wird, verschiebt sich der Rechtsgüterschutz des Strafrechts auf eine zweite Ebene, indem das Verfahren selbst geschützt wird.295 Eine Strafbarkeit reiner Verfahrensverstöße statuiert etwa § 218b Abs. 1 StGB, hinsichtlich der schriftlichen Feststellung eines Arztes über die Voraussetzungen der § 218a Abs. 2, 3 StGB. Auch § 7 KastrG enthält solche Strafbestimmungen, die auf das Fehlen einer Bestätigung der Gutachterstelle nach § 5 KastrG bzw. der erforderlichen Genehmigung des Betreuungsgerichts gemäß § 6 KastrG abstellen. Das Arzneimittelgesetz sieht ebenfalls für den Bereich der klinischen Prüfung einige Verfahrensvorschriften vor, die insbesondere die körperliche Unversehrtheit der Patienten und Probanden schützen sollen. In § 96 Nr. 10 und 11 AMG werden unter anderem der Beginn der klinischen Prüfung ohne Genehmigung oder Votum einer Ethikkommission oder etwa auch die vorherige Durchführung einer pharmakologisch-toxikologischen Prüfung des Arzneimittels unter Strafe gestellt. Eine solche Lösung böte sich auch insgesamt für die Forschung an, damit das Verfahren besonders abgesichert wird. Die Verfahrensvorschriften sollten nicht als überflüssig angesehen werden. Der Bedeutung des Verfahrens für den Grundrechtsschutz wird es gerecht, wenn die Missachtung wichtiger Verfahrensvor-

294 295

Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 323; vgl. auch schon o. S. 319. Saliger, KritV 1998, 118, 146; ders., JuS 1999, 16, 21.

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schriften unter Strafe gestellt wird. Dabei könnte es auch als ausreichend angesehen werden, wenn ein Bußgeld bei Missachtung der Vorschriften verhängt wird. 296 ee) Zwischenergebnis Die Einhaltung des Verfahrens hat für das Strafrecht keine überragende Bedeutung. Es kommt vielmehr auf die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Rechtfertigung an. Die Missachtung reiner Verfahrensverstöße ist daher nur relevant, wenn dies gesondert mit Strafe bedroht ist, wie bei den Regelungen des Arzneimittelgesetzes. Für die Forschung an Einwilligungsunfähigen ergibt sich aus dieser Betrachtung Folgendes: (1) Werden Verfahren und materiell-rechtliche Voraussetzungen eingehalten, besteht Straflosigkeit, sowohl im Hinblick auf das Arzneimittelgesetz297 als auch auf das Strafgesetzbuch; (2) Ist das Verfahren zwar eingehalten worden, liegen die materiell-rechtlichen Voraussetzungen jedoch nicht vor, besteht eine Strafbarkeit, zu beachten ist jedoch die hohe Wahrscheinlichkeit eines Irrtums in Bezug auf das Bestehen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen; (3) Wurde das Verfahren missachtet, die materiell-rechtlichen Voraussetzungen liegen aber vor, besteht Straflosigkeit nach dem Strafgesetzbuch, nach dem Arzneimittelgesetz kommt eine Strafbarkeit nach §§ 96 Nr. 10, 11 in Betracht; (4) Werden weder das Verfahren noch materiell-rechtliche Voraussetzungen eingehalten, ist eine Strafbarkeit gegeben. d) Sittenwidrigkeit bei stellvertretender Einwilligung Darüber hinaus könnte bei einer Unvereinbarkeit mit dem Wohl des Vertretenen die Tat als sittenwidrig i.S.v. § 228 StGB zu beurteilen sein. Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob § 228 StGB bei stellvertretenden Einwilligungen anwendbar ist. Von dem Wortlaut erfasst ist nur die „Einwilligung der verletzten Person“, also nicht die Einwilligung des Vertreters der verletzten Person. Daher wird vertreten, bei Einwilligungen anderer Personen sei § 228 StGB nicht anwendbar, da sonst ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG vorliege.298 Andere hingegen wenden § 228 StGB

296 Vgl. zu den Anforderungen an prozedurale Sanktionierungen: Saliger, FS Hassemer, S. 599, 614; ders., in: Bernat/Kröll, S. 124, 168 f. Dabei argumentiert er gegen eine eigenständige Sanktionierung in Bezug auf die Einholung eines Votums einer Ethikkommission, S. 157. 297 Vgl. dazu noch u. S. 313 ff. 298 Hardtung, in: MüKo-StGB, § 228, Rn. 10; vgl. zu § 228 StGB in diesem Zusammenhang auch Eschelbach, in: OK-StGB, § 223, Rn. 35.2.

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auch bei stellvertretenden Einwilligungen an.299 Dies würde wohl auch dem Zweck des § 228 StGB entsprechen. Außerdem dürfen die Befugnisse des Stellvertreters nicht weiter gehen als die des Betroffenen. Bei Anwendung des § 228 StGB auf stellvertretende Einwilligungen würde jedoch die Wortlautgrenze überschritten. Allerdings ergibt sich dadurch keine weitergehende Befugnis des Vertreters im Verhältnis zum Betroffenen, denn die Bindung an das Wohl und die Pflicht zur Berücksichtigung von Wünschen beschränken den Vertretenen in ausreichendem Maß. Da diese auch im Außenverhältnis gelten, ist eine Anwendung des § 228 StGB nicht notwendig zum Schutz des Betroffenen.300 5. Ergebnis zur stellvertretenden Einwilligung Die Einwilligung des gesetzlichen oder gewillkürten Vertreters hat auch im Strafrecht Relevanz und vermag eine tatbestandsmäßige Handlung selbst im höchstpersönlichen Bereich zu rechtfertigen. Auch die stellvertretende Einwilligung verwirklicht das Selbstbestimmungsrecht. Ihre rechtfertigende Wirkung ist mit dem Prinzip des überwiegenden Interesses zu begründen. Die Bindung des Vertreters an das Wohl des Betroffenen sowie an dessen Vorgaben beschränken die Vertretungsmacht jedoch auch im Außenverhältnis, so dass bei einem Verstoß gegen das Wohl des Betroffenen oder dessen Vorgaben keine wirksame Einwilligung vorliegt, ebenso wie bei einer Missachtung der Subsidiarität oder eines Vetos sowie bei einer negativen Risiko-Nutzen-Abwägung. Die Nichteinhaltung verfahrensrechtlicher Vorschriften allein führt jedoch nicht zu einer Strafbarkeit nach den Körperverletzungsdelikten.

II. Rechtfertigung durch antizipierte Einwilligung Die Einbeziehung durch antizipierte Einwilligung ist verfassungsrechtlich möglich.301 Nun muss untersucht werden, inwiefern eine antizipierte Einwilligung auch strafrechtlich den Eingriff zu rechtfertigen vermag. 1. Die antizipierte Einwilligung im Zivilrecht Im Zivilrecht war die Verbindlichkeit einer antizipierten Einwilligung in Form einer Patientenverfügung, die insbesondere den Abbruch lebenserhaltender Maß299 So zur Beschneidung von Knaben: Brocke/Weidling, StraFo 2012, 450, 457; Germann, in: Heil/Kramer, S. 83, 87; ders., MedR 2013, 412, 421; Lack, ZKJ 2012, 336, 337; Jerouschek, NStZ 2008, 313, 318; ders., FS Dencker, S. 171, 177, der jedoch auch erkennt, dass § 228 StGB nicht auf die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters zugeschnitten ist. 300 Vgl. o. S. 277 f. sowie Hardtung, in: MüKo-StGB, § 228, Rn. 10. 301 Vgl. o. S. 176 ff.

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nahmen regeln sollte, lange umstritten.302 Während einige für die Verbindlichkeit eintraten,303 wurde ihr eine solche Wirkung lange abgesprochen.304 Der Bundesgerichtshof hat sodann im Jahr 2003 geurteilt, dass bei einem einwilligungsunfähigen Patienten, dessen Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen hat, lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen unterbleiben müssen, wenn dies seinem vorab, etwa in Form einer so genannten Patientenverfügung, geäußerten Willen entspricht.305 Der Gesetzgeber ist tätig geworden und hat § 1901a BGB geschaffen, durch den ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegen kann, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt. Der Betreuer prüft dann, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebensund Behandlungssituation zutreffen und bejahendenfalls muss er dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung verschaffen. Damit ist die Verbindlichkeit der Patientenverfügung und somit einer antizipierten Einwilligung zivilrechtlich festgelegt. 2. Die antizipierte Einwilligung im Strafrecht a) Auswirkungen des § 1901a BGB auf das Strafrecht Auch im Strafrecht galten antizipierte Einwilligungen in Bezug auf den Behandlungsabbruch zum Teil als nicht verbindlich.306 Sie wurden häufig nur als Indiz für den mutmaßlichen Willen angesehen.307 So hat auch die Rechtsprechung früheren schriftlichen Äußerungen nur Indizwirkung beigemessen.308 Dagegen wurde auch früher schon Widerspruch geäußert.309 Eine Regelung auch im Strafrecht war er302 Zu den Entwicklungen im Zivilrecht vgl. auch Verrel, Gutachten 66. Deutscher Juristentag, C 34 ff. 303 BT-Drs. 15/3700, S. 37; Deutsch, NJW 1979, 1905, 1908; Nationaler Ethikrat, Stellungnahme Patientenverfügung, Sp. 31; Taupitz, Gutachten 63. Deutscher Juristentag, A 105 ff.; Uhlenbruck, NJW 1978, 566, 569, s. auch das Muster auf S. 569 f. 304 Spann, MedR 1983, 13, 14, 16; Spickhoff, AcP 2008, 345, 408; Tolmein, KritV 1998, 52, 66. 305 BGH NJW 2003, 1588. 306 Seelmann, FS Schreiber, S. 853, 861; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 332 f; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 115e. 307 Baronin von Dellinghausen, Sterbehilfe, S. 372 mit der Ausnahme irreversibler Bewusstlosigkeit; Detering, JuS 1983, 419, 422; Joecks, in: MüKo-StGB, § 223, Rn. 98; Knauf, Mutmaßliche Einwilligung und Stellvertretung, S. 56; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 115e. 308 BGHSt 40, 257, 263. 309 Zur Sterbehilfe: Rönnau, Vor § 32, Rn. 172; vgl. Rickmann, Wirksamkeit von Patiententestamenten, S. 207; Sternberg-Lieben, NJW 1985, 2734, 2738; Verrel, Gutachten 66. Deutscher Juristentag, C 80.; zur Forschungsverfügung: Eck, Zulässigkeit medizinischer Forschung, S. 260 ff.; Elzer, Allgemeine und besondere klinische Prüfungen, S. 97; Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 163 f.

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wünscht.310 Nach Einführung des § 1901a BGB mehren sich die Stimmen, die die Verbindlichkeit einer antizipierten Einwilligung anerkennen.311 Der Bundesgerichtshof hat ebenfalls Stellung zu den Konsequenzen der Einführung des § 1901a BGB für das Strafrecht bezogen, ist dabei aber undeutlich geblieben.312 Die Neuregelung entfalte Wirkung für das Strafrecht, die Frage einer strafrechtlichen Rechtfertigung könne aber nicht nur als zivilrechtsakzessorisches Problem behandelt werden.313 Die Reichweite einer rechtfertigenden Einwilligung sei eine strafrechts-spezifische Frage, über die grundsätzlich autonom nach materiell strafrechtlichen Kriterien zu entscheiden sei.314 Dann wiederum wird auf die Einheitlichkeit der Rechtsordnung verwiesen, so dass die Neuregelung berücksichtigt werden müsse.315 Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist wohl so zu verstehen, dass § 1901a BGB die Verbindlichkeit der antizipierten Einwilligung festlegt und dass dies auch für das Strafrecht gelten muss. Allerdings müssen nicht alle Verfahrensvoraussetzungen für eine strafrechtliche Rechtfertigung eingehalten werden.316 Es handelt sich um eine neue Form der Einwilligung, nämlich eine antizipierte Einwilligung, die der aktuell geäußerten Einwilligung gleichstehen muss.317 Dies gebietet das Verfassungsrecht, insbesondere das Selbstbestimmungsrecht, dessen einfach-gesetzliche Umsetzung § 1901a BGB darstellt.318 Darüber hinaus kann ein Verhalten, das zivilrechtsgemäß ist, nicht strafrechtswidrig sein.319 Das Strafrecht als ultima ratio darf nicht weiter reichen und strenger sein als das Zivilrecht. Außerdem würde eine mögliche Strafbarkeit die zivilrechtliche Wirksamkeit einer antizipierten Erklärung wieder ad absurdum führen, da Betroffene aufgrund des Strafbarkeitsrisikos dem antizipierten Willen nicht folgen würden. Dies kann jedoch nicht im Sinne des Gesetzgebers und des Selbstbestimmungsrechts sein. Im Hinblick auf die antizipierte Einwilligung in eine Forschungsmaßnahme, also eine Forschungsverfügung, werden ebenfalls unterschiedliche Ansichten vertreten.

310 Nationaler Ethikrat, Stellungnahme Patientenverfügung, Sp. 30; Schöch/Verrel,GA 2005, 553, 584 ff. mit einem Gesetzesvorschlag; Tendenziell insgesamt gegen eine Regelung: Spickhoff, AcP 2008, 345, 408; auch im Nachhinein: Putz, FPR 2012, 13, 14. 311 Eidam, GA 2010, 232, 237 ff.; Gaede, GA 2010, 2925, 2926 f.; Klöpperpieper, FPR 2010, 260, 264; Magnus, NStZ 2013, 1, 4; Neumann, in: NK, § 211, Rn. 112; Reus, JZ 2010, 80, 83. 312 BGH NJW 2010, 2963, 2965 f.; vgl. auch Verrel, NStZ 2010, 671, 674. 313 BGH NJW 2010, 2963, 2966. 314 BGH NJW 2010, 2963, 2966. 315 BGH NJW 2010, 2963, 2966. 316 Vgl. o. S. 280 ff. 317 Eidam, GA 2010, 232, 240. 318 Vgl. zu der verfassungsrechtlichen Begründung: S. 176 ff.; Eidam, GA 2010, 232, 237. 319 So zur Sterbehilfe: Gaede, NJE 2010, 2925, 2927.

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Während sie teils auch hier für möglich gehalten wird,320 spricht ihr ein Teil der Literatur keine verbindliche Wirkung zu.321 Im Unterschied zu einer Patientenverfügung in Bezug auf lebenserhaltende Maßnahmen gehe es bei der Forschungsverfügung nicht um eine Eingriffsabwehr.322 Auch bedürfe es hier der Aufklärung und de lege ferenda Formerfordernisse und ständiger Aktualisierungen.323 Es spielten schließlich nicht rein autonome Erwägungen, sondern altruistische Aspekte eine Rolle.324 Daher sei sie nur ein Hinweis für den mutmaßlichen Willen325 und der Betreuer könne aufgrund dieses Indizes auch in fremdnützige Forschung einwilligen.326 Dem ist jedoch zu widersprechen. Das Selbstbestimmungsrecht ist nicht von geringerer Bedeutung, wenn es um altruistische Motive geht. Die Gründe für eine Verfügung über den eigenen Körper dürfen keine Rolle spielen. Sogar Einwilligungen in unvernünftige Behandlungen sind wirksam. Auch ist es nicht richtig, dass es bei einer Patientenverfügung nur um Eingriffsabwehr geht, § 1901a BGB betrifft auch die Einwilligung in ärztliche Eingriffe und nicht nur die Untersagung. Daher sind bei Forschungsverfügungen auch keine erhöhten Anforderungen zu stellen als bei „klassischen“ Patientenverfügungen.327 Darüber hinaus geht es bei der antizipierten Einwilligung in Forschungsmaßnahmen in der Regel auch nur um einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit und nicht in das Leben, so dass die Forschungsverfügung wegen des geringeren Eingriffs erst recht Verbindlichkeit beanspruchen muss.328 Die antizipierte Einwilligung stellt also eine neue Form der Einwilligung dar, die auch strafrechtlich zu berücksichtigen ist und eine Tat zu rechtfertigen vermag.

320 Elzer, Allgemeine und besondere klinische Prüfungen, S. 97; Freund/Heubel, MedR 1997, 347; Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 163 f; Wölk, Risikovorsorge und Autonomieschutz, S. 425 ff. 321 Fröhlich, Forschung wider Willen?, S. 183; Höfling/Demel, MedR 1999, 540, 542; Kandler, Rechtliche Rahmenbedingungen biomedizinischer Forschung, S. 168; Kloesel/Cyran, § 41, Bl. 72c1; Odenwald, Einwilligungsunfähigkeit, S. 236 (in Bezug auf Humanexperimente); Röver, Einflußmöglichkeiten des Patienten, S. 160 (in Bezug auf Humanexperimente). 322 von Freier, Humanforschung, S. 51. 323 von Freier, Humanforschung, S. 51 f. 324 König, Übereinkommen, S. 77. 325 Helmchen/Lauter, Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen?, S. 55; König, Übereinkommen, S. 77, 80: Antizipierte Einwilligungen seien hier nur möglich, wenn eine gewisse Nähe zur Krankheit bestünde und das Eintreten der Einwilligungsunfähigkeit absehbar sei; Peter, Forschung am Menschen, S. 41. 326 von Freier, Humanforschung, S. 72; Helmchen/Lauter, Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen?, S. 57. 327 s. bereits o. S. 184 f. 328 Eck, Zulässigkeit medizinischer Forschung, S. 261 f.

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b) Voraussetzungen einer antizipierten Einwilligung Die Voraussetzungen einer antizipierten Einwilligung müssen grundsätzlich denen der Einwilligung entsprechen, denn es handelt sich um eine Einwilligung, die nur vorab erklärt würde.329 Allerdings könnten einige Modifizierungen angezeigt sein. Es bedarf zunächst eines disponiblen Rechtsguts. Die Kundgabe der Einwilligung muss erfolgen und zwar in einem Zeitpunkt der Einwilligungsfähigkeit. Fraglich ist, ob diese Kundgabe in einer bestimmten Form erfolgen muss. In § 1901a BGB ist Schriftlichkeit festgelegt.330 Diese Formvorschrift muss jedoch für das Strafrecht unbeachtlich sein.331 Es geht dabei in erster Linie um die Beweisfunktion einer solchen Erklärung. Strafrechtlich soll es aber darauf ankommen, ob der Eingriff materiell in Übereinstimmung mit dem antizipierten Willen der Person vorgenommen wird.332 Daher muss auch schon eine mündliche Erklärung wie auch bei der Einwilligung ausreichend sein, auch wenn eine schriftliche Abfassung zu empfehlen ist. Die antizipierte Einwilligung muss frei von Willensmängeln sein. Grundsätzlich ist also wiederum eine Aufklärung erforderlich. Bei einer vagen Vorstellung von der möglichen Forschung ist jedoch in Grenzen ein Aufklärungsverzicht möglich, der ebenfalls Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts ist.333 Darüber hinaus muss auch hier die Grenze der Sittenwidrigkeit gewahrt sein. Der Wortlaut des § 228 StGB kann auch so ausgelegt werden, dass die antizipierte Einwilligung erfasst ist, denn es geht dort um die Einwilligung „der verletzten Person“. Dass es sich um eine aktuell erteilte Einwilligung handeln muss, gibt der Wortlaut nicht vor. Da die antizipierte Einwilligung eine Form der Einwilligung darstellt, und sie ebenso das Selbstbestimmungsrecht verwirklicht, betrifft § 228 StGB daher auch die vorab erteilte Einwilligung. Als Besonderheit der antizipierten Einwilligung muss noch der mögliche Widerruf erwähnt werden, für den schon der natürliche Wille ausreichend ist.334 Auch eine klassische Einwilligung kann widerrufen werden. Bei der antizipierten Einwilligung ist der Widerruf jedoch wegen der möglicherweise großen Zeitspanne zwischen Kundgabe der antizipierten Einwilligung und dem Eingriff sowie der möglichen Abweichung des aktuellen Willens von besonderer Relevanz. Als sub-

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Vgl. zu den Voraussetzungen der Einwilligung o. S. 269. Der Vorschlag von Schöch/Verrel, GA 2005, 533, 566, 584 ff. zu einem § 214 StGB sieht Schriftlichkeit vor. Ebenso: Verrel, Gutachten 66. Deutscher Juristentag, C 82. 331 Gaede, NJW 2010, 2925, 2927 sieht weiter Klärungsbedarf; Putz, FPR 2012, 13, 16 sieht auch mündliche Patientenverfügungen als bindend an. 332 Vgl. auch schon o. S. 280 ff. 333 s. dazu schon o. S. 183 f. 334 s. dazu schon o. S. 179 f. 330

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jektives Rechtfertigungselement ist die Kenntnis der antizipierten Einwilligung zu fordern. c) Rechtfertigende Wirkung Die antizipierte Einwilligung muss ebenso wie die Einwilligung selbst rechtfertigende Wirkung haben.335 Der Unterschied besteht lediglich in der zeitlichen Differenz. Auch bei der antizipierten Einwilligung wird das Selbstbestimmungsrecht verwirklicht. Das überwiegende Interesse wird gewahrt durch den Vorrang des Selbstbestimmungsrechts und die interne Abwägung, in der der Rechtsgutsträger dem Eingriff den Vorrang gegenüber der Erhaltung seines Rechtsguts einräumt. Auch strafrechtlich kann somit eine Forschungsmaßnahme durch eine antizipierte Einwilligung gerechtfertigt werden. d) Konsequenzen bei Nichteinhaltung von Schutzmaßnahmen Die Auswirkungen bei der Missachtung von Schutzvorkehrungen im Rahmen der Forschung sind wie bei der Einwilligung durch § 228 StGB geregelt. Bei einer negativen Risiko-Nutzen-Abwägung oder wenn der Grundsatz der Subsidiarität nicht beachtet wird, ist die Forschungsmaßnahme sittenwidrig.336 Es handelt sich um zwingende Voraussetzungen der Forschung an Einwilligungsunfähigen, die einen engen Bezug zur Würde haben. Sie betreffen die Tat selbst. Ihre Missachtung führt mithin dazu, dass die Forschung nicht mit dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden vereinbar wäre. Etwas anderes muss jedoch im Hinblick auf die Beachtlichkeit der Verfahrensvoraussetzungen, wie insbesondere das Votum einer Ethikkommission und die Genehmigung einer Behörde, gelten. Ihre Missachtung allein macht die Forschung noch nicht sittlich verwerflich, solange der antizipierte Wille der Person gewahrt ist. Die Missachtung muss daher auch bei der antizipierten Einwilligung keine strafrechtlichen Konsequenzen im Rahmen der Körperverletzungsdelikte haben. Dasselbe muss auch für die weiteren Voraussetzungen des § 1901a BGB gelten.337 3. Zwischenergebnis Die antizipierte Einwilligung ist auch im Strafrecht verbindlich und vermag einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit zu rechtfertigen. Sie ist der Einwilligung im Hinblick auf die rechtfertigende Wirkung und die Voraussetzungen im Grundsatz gleichzustellen, da auch sie Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts ist, lediglich mit dem Unterschied des Zeitpunkts der Ausübung. Die zivilrechtlichen Verfahrensvorgaben und Schutzmaßnahmen speziell für die Forschung vermögen die rechtfertigende Wirkung der antizipierten Einwilligung nicht auszuschließen mit Aus335 336 337

s. zur rechtfertigenden Wirkung einer Einwilligung o. S. 265 f. Vgl. dazu bereits o. S. 271. Vgl. schon o. S. 280 ff.

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nahme der Subsidiarität und der Risiko-Nutzen-Abwägung, die eine Sittenwidrigkeit der Tat begründen können.

III. Rechtfertigung durch mutmaßliche Einwilligung Darüber hinaus kommt eine strafrechtliche Rechtfertigung der Forschungsmaßnahmen durch mutmaßliche Einwilligung in Betracht. Die verfassungsrechtliche Betrachtung hat bereits gezeigt, dass der mutmaßliche Wille eine zulässige Einbeziehungsart darstellt.338 Nun sind sie strafrechtlichen Voraussetzungen und Konsequenzen zu untersuchen. 1. Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung Die mutmaßliche Einwilligung ist ein eigenständiger Rechtfertigungsgrund,339 der gewohnheitsrechtlich anerkannt ist.340 Sie ist gegenüber der Einwilligung subsidiär und wird nur in Situationen angewendet, die notstandsähnlich sind und in denen die Einwilligung entweder unmöglich oder zwecklos ist.341 Dies hat auch die verfassungsrechtliche Untersuchung deutlich gemacht: Der mutmaßliche Wille darf nur herangezogen werden, wenn weder eine aktuelle noch antizipierte oder stellvertretende Einwilligung erteilt werden kann.342 Die Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung können darüber hinaus der Einwilligung entnommen werden:343 Anstelle der tatsächlichen Einwilligung muss der mutmaßliche Wille treten. Es muss sich um ein disponibles Rechtsgut handeln,344 und die Person muss 338

Vgl. o. S. 188 ff. BGHSt 16, 309, 312; 35, 246, 249; BayObLG JZ 1983, 268; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17, Rn. 114; Kindhäuser, GA 2010, 490, 505; ders., BT 3, S- 95; Knauer/Brose, in: Spickhoff, § 223 StGB, Rn. 9; Kühl, in: Lackner/Kühl, vor §§ 32 – 35, Rn. 19; Lenckner/ Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, vor §§ 32 ff., Rn. 54; Müller-Dietz, JuS 1989, 280, 281; Roxin, FS Welzel, S. 447, 448; Wessels/Beulke, AT, Rn. 380; Yoshida, FS Roxin, S. 401, 404; Für einen Tatbestandsausschluss hingegen: Hoyer, in: SK, vor §§ 32 ff., Rn. 34 f. Knauf, Mutmaßliche Einwilligung und Stellvertretung, S. 137 ff. sieht in der mutmaßlichen Einwilligung sogar den alleinigen Rechtfertigungsgrund bei Einwilligungsunfähigen, innerhalb dessen der Vertreterentscheidung nur ein angemessener Platz einzuräumen sei. Zipf, Einwilligung, S. 54 ff. hält die Rechtsfigur für überflüssig, da die Fälle über den rechtfertigenden Notstand oder über den Gedanken der Sozialadäquanz zu lösen seien. 340 Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17, Rn. 114; Eschelbach, in: OK-StGB, § 228, Rn. 27; Kühl, in: Lackner/Kühl, vor §§ 32 – 35, Rn. 19; Müller-Dietz, JuS 1989, 280, 281; Kindhäuser, AT, § 19, Rn. 1; Wessels/Beulke, AT, Rn. 380. 341 BGHSt 16, 309, 312; Kindhäuser, AT, § 19, Rn. 2; Kühl, AT, § 9, Rn. 46. 342 Vgl. o. S. 193 ff. 343 Vgl. zu den Voraussetzungen der Einwilligung o. S. 269; Geppert, JZ 1988, 1024, 1026; Gropp, AT, § 6, Rn. 206; Jescheck/Weigend, AT, § 34 VII 3; Paeffgen, in: NK; vor §§ 32 ff., Rn. 160. 344 Gropp, AT, § 6, Rn. 206; Mitsch, ZJS 2012, 38, 39. 339

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grundsätzlich einwilligungsfähig sein.345 Wenn es sich um eine dauerhaft einwilligungsunfähige Person handelt, so ist die Einwilligung ihres Vertreters einzuholen und sollte dieser nicht vorhanden oder erreichbar sein, so kommt es auf dessen mutmaßliche Einwilligung an.346 Darüber hinaus darf die Tat nicht sittenwidrig sein.347 § 228 StGB erwähnt die mutmaßliche Einwilligung zwar nicht. Allerdings stellt sie ein Surrogat dar und kann als Unterfall der Einwilligung gelten. Dieses Verhältnis spricht auch für eine Erfassung der mutmaßlichen Einwilligung durch § 228 StGB: Wenn nicht einmal eine erklärte Einwilligung bei Sittenwidrigkeit der Tat das Unrecht ausschließen kann, kann dies erst recht nicht für eine mutmaßliche Einwilligung gelten.348 Anders als bei der stellvertretenden Einwilligung handelt es sich bei der mutmaßlichen Einwilligung auch um die Zustimmung der „verletzten Person“, die eben nur im Gegensatz zur Einwilligung gemutmaßt werden muss. Der Stellvertreter hingegen gibt eine eigene Einwilligung im fremden Namen ab, während bei der mutmaßlichen Einwilligung keine Einwilligung einer anderen Person vorliegt. Zusätzlich muss der Täter als subjektives Rechtfertigungselement in Kenntnis der Umstände, die die mutmaßliche Einwilligung begründen, handeln.349 Ob darüber hinaus auch eine pflichtgemäße Prüfung als subjektives Rechtfertigungselement anzuerkennen ist, ist umstritten.350 Sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass der mutmaßliche Wille nicht dem tatsächlichen Willen des Betroffenen entspricht, ist die Tat dennoch gerechtfertigt.351 2. Ermittlung des mutmaßlichen Willens Der mutmaßliche Wille ist zu ermitteln, indem die persönlichen Umstände, individuellen Interessen, Wünsche, Bedürfnisse und Wertvorstellungen betrachtet werden.352 Objektive Kriterien, beispielsweise, ob die Entscheidung vernünftig ist, dürfen dabei keine eigenständige Bedeutung haben.353 Das objektive Interesse darf 345

Gropp, AT, § 6, Rn. 206; Mitsch, ZJS 2012, 38, 40. Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17, Rn. 114; Jescheck/Weigend, AT, § 34 VII 3. 347 Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17, Rn. 119; Gropp, AT, § 6, Rn. 204; Kühl, AT, § 9, Rn. 46; Mitsch, ZJS 2012, 38, 41; Schlehofer, in: MüKo-StGB, Vor §§ 32 ff., Rn. 163, 165. 348 Mitsch, ZJS 2012, 38, 41. 349 Gropp, AT, § 6, Rn. 204; Kindhäuser, AT, § 19, Rn. 7; Rönnau, in: LK, vor § 32, Rn. 229; Rosenau, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, vor §§ 32 ff., Rn. 49. 350 Für dieses Merkmal als subjektives Rechtfertigungselement: Gropp, AT, § 6, Rn. 206; Jescheck/Weigend, AT, § 34 VII 2; Roxin, FS Welzel, S. 447, 453; als objektives Merkmal als „Prüfungsobliegenheit“: Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17, Rn. 124; Mitsch, ZJS 2012, 38, 41 f.; gegen diese Voraussetzung: Geppert, JZ 1988, 1024, 1026. 351 BayObLG JZ 1983, 268; Paeffgen, in: NK; vor §§ 32 ff., Rn. 161; Wessels/Beulke, AT, Rn. 382. 352 BGH NJW 1988, 2310; Knauer/Brose, in: Spickhoff, § 223 StGB, Rn. 11; Kühl, in: Lackner/Kühl, vor §§ 32 – 35, Rn. 21; Wessels/Beulke, AT, Rn. 381. 353 BGHSt 35, 246, 249; 40, 257, 263; 45, 219, 221; StV 2004, 371; Geppert, JZ 1988, 1024, 1026; Kühl, AT, § 9, Rn. 47; Knauer/Brose, in: Spickhoff, § 223 StGB, Rn. 11; Schlehofer, in: 346

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nur ein widerlegbares Indiz sein.354 Nur wenn kein mutmaßlicher Wille ermittelt werden kann, ist ein Rückgriff auf allgemeine Wertvorstellungen erlaubt.355 Der Wille ist aus einer ex-ante-Perspektive356 und zwar aus der Sicht eines unbeteiligten Beobachters357 zu bestimmen. Man muss sich die Frage stellen, ob der Patient bei Vornahme des Eingriffs zustimmen würde, wenn es ihm möglich wäre. Als Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen können frühere schriftliche oder mündliche Äußerungen dienen sowie ethische und religiöse Überzeugungen und allgemeine Wertvorstellungen der Person ebenso wie ihr Schmerzempfinden.358 Auch kann man das frühere Verhalten in vergleichbaren früheren Situation heranziehen: Hat er seine Einwilligung damals erklärt, so stellt dies ein Indiz für einen mutmaßlichen Willen dar, wenn man nicht aufgrund von starken Indizien von einem Sinneswandel ausgehen kann.359 Bei der Forschung in Notfallsituationen könnte man also etwa auf eine frühere bewusste Förderung des medizinischen Fortschritts bei ähnlichen Versuchen abstellen.360 Auch frühere Äußerungen, die nicht die Bestimmtheit oder die Verbindlichkeit einer Forschungsverfügung erreichen, stellen wichtige Indizien dar. Ethische Überzeugungen und Wertvorstellungen lassen sich beispielsweise der Bereitschaft zur Blut- oder Organspende entnehmen und können daher auf einen mutmaßlichen Willen hindeuten. Liegen hinreichend deutliche Indizien vor, so kann auch fremdnützige Forschung durch mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt werden, da es auf die subjektiven Vorstellungen der Person ankommt.361 3. Rechtfertigende Wirkung Zum Teil wird die mutmaßliche Einwilligung, ebenso wie häufig die Einwilligung, auf das Prinzip des mangelnden Interesses gestützt.362 Andere hingegen sehen auch hier die rechtfertigende Wirkung durch das überwiegende Interesse legitiMüKo-StGB, Vor §§ 32 ff., Rn. 165; Wessels/Beulke, AT, Rn. 381; nach Yoshida, FS Roxin, S. 401, 417 muss das Selbsbestimmungsrecht der „Herr“ sein, die Interessenabwägung der „Diener“; anders hingegen noch: Noll, ZStW 1965, 1, 27. 354 Geppert, JZ 1988, 1024, 1026; Kühl, in: Lackner/Kühl, vor §§ 32 – 35, Rn. 21; Mitsch, ZJS 2012, 38, 42 f.; Paeffgen, in: NK; vor §§ 32 ff., Rn. 158; Schlehofer, in: MüKo-StGB, Vor §§ 32 ff., Rn. 165. 355 BGHSt 40, 257, 263; Erb, in: MüKO-StGB, § 34, Rn. 37; Eschelbach, in: OK-StGB, § 228, Rn. 29. 356 Kindhäuser, AT, § 19, Rn. 14. 357 BayObLG JZ 1983, 268. 358 Wessels/Beulke, AT, Rn. 381; vgl. auch Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17, Rn. 121 sowie Rönnau, in: LK, vor § 32, Rn. 223. 359 Mitsch, ZJS 2012, 38, 42. 360 Spickhoff, Sommertagung, S. 23; ders., MedR 2006, 707, 714. 361 Vgl. dazu schon die verfassungsrechtliche Diskussion o. S. 189 ff. 362 Blei, Strafrecht I, S. 130; Haft, AT, S. 72, 80 („weichendes Interesse“).

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miert.363 Ansonsten müsse man eine 100 %ige Wahrscheinlichkeit verlangen, dass ein mangelndes Interesse an der Erhaltung des Rechtsguts bestehe.364 Auch die Subsidiarität könne nur so begründet werden: Wenn eine Einwilligung erteilt werden könne, überwiege nicht das Interesse, die Tat aufgrund mutmaßlicher Einwilligung zuzulassen.365 Das Schrifttum unterscheidet meist zwei Formen der mutmaßlichen Einwilligung: Die Handlung könne einerseits im materiellen Interesse des Betroffenen vorgenommen werden, wie beispielsweise bei einer Operationserweiterung, andererseits könne eine mutmaßliche Einwilligung aufgrund mangelnden Interesses möglich sein, wenn es nach der persönlichen Einstellung der Person an einem schutzwürdigen Erhaltungsinteresse fehlt366 oder sie die Erhaltung zugunsten eines anderen preisgibt.367 Diese Unterscheidung kann auch damit begründet werden, dass der Eingreifende entweder im Interesse des Betroffenen handelt oder aber im eigenen Interesse bzw. im Interesse eines Dritten.368 Man kann insoweit passender von einer mutmaßlichen eigennützigen bzw. einer mutmaßlichen fremdnützigen Einwilligung sprechen.369 Letztlich lassen sich beide Formen wegen der Relevanz des Selbstbestimmungsrechts auf das Prinzip des überwiegenden Interesses stützen.370 Auch bei der mutmaßlichen Einwilligung findet eine Abwägung statt, die sich nur – anders als beim rechtfertigenden Notstand – an den individuellen Vorstellungen orientiert.371 Wenn bei der mutmaßlichen Einwilligung die Frage gestellt wird, wie sich der Betroffene entscheiden würde, wenn ihm dies möglich wäre, so findet eine Abwägung wie auch bei der Einwilligung statt. Zum einen wird auch hier dem Selbst363 Rudolphi, GS Kaufmann, S. 371, 393; Schlehofer, in: MüKo-StGB, Vor §§ 32 ff., Rn. 163. 364 Schlehofer, in: MüKo-StGB, Vor §§ 32 ff., Rn. 163. 365 Schlehofer, in: MüKo-StGB, Vor §§ 32 ff., Rn. 163. 366 Wessels/Beulke, AT, Rn. 381, 384; vgl. auch Blei, Strafrecht I, S. 139 ff; Gropp, AT, § 6, Rn. 204; Heinrich, AT, Rn. 474; Kindhäuser, AT, § 19, Rn. 1; Kühl, AT, § 9, Rn. 46; Rönnau, in: LK, vor § 32, Rn. 218. Schmidhäuser, AT, 6/92 will auf die Figur der mutmaßlichen Einwilligung bei Wahrnehmung eigener oder fremder Interessen zum Nachteil des Betroffenen ganz verzichten. 367 Schlehofer, in: MüKo-StGB, Vor §§ 32 ff., Rn. 162. 368 Kühl, in: Lackner/Kühl, vor §§ 32 – 35, Rn. 19; vgl. auch Roxin, AT, § 18 A, Rn. 19 ff. 369 Schlehofer, in: MüKo-StGB, Vor §§ 32 ff., Rn. 162. Durch diese Begriffe wird auch deutlicher, dass die zweite Fallgruppe nicht nur bei fehlendem Erhaltungsinteresse eingreift. 370 So auch, aber mit anderer Begründung: Schlehofer, in: MüKo-StGB, Vor §§ 32 ff., Rn. 163: Nach dem Prinzip des mangelnden Interesses müsste man eine 100 %ige Wahrscheinlichkeit verlangen. Dann stünde fest, dass es an einem Interesse an der Erhaltung des Rechtsgutsobjekts mangele. Eine solche Prognose sei in der Realität nicht möglich. Es gebe also immer zwei Wahrscheinlichkeiten, nämlich, dass der Rechtsgutsträger zustimmen würde oder nicht. Die Abwägung finde zwischen dem Interesse an der Erhaltung des Rechtsguts und dem Interesse an dem Eingriff statt. Dem überwiegenden Interesse werde dann der Vorzug gegeben. 371 Rudolphi, GS Kaufmann, S. 371, 393.

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bestimmungsrecht der Vorrang gegenüber dem Erhaltungsinteresse eingeräumt, indem die persönlichen Vorstellungen des Betroffenen ausschlaggebend sind. Zum anderen versetzt man sich in die Person des Betroffenen und führt die interne Abwägung für ihn durch, so dass das für ihn (mutmaßlich) höherrangige Gut den Vorzug erhält. Bei den Fällen der fremdnützigen mutmaßlichen Einwilligung kann dabei ebenfalls das Interesse an dem Eingriff überwiegen, da das Erhaltungsinteresse fehlt oder aber altruistische Motive zu einer höheren Bewertung des Eingriffs führen. Damit ist gezeigt, dass auch die fremdnützige mutmaßliche Einwilligung rechtfertigende Wirkung haben muss, sofern konkrete Umstände einen Schluss auf diesen Willen des Rechtsgutsträgers zulassen.372 Die mutmaßliche Einwilligung wird strukturell häufig zwischen Einwilligung, rechtfertigendem Notstand und erlaubtem Risiko eingeordnet,373 teils sogar als verselbständigter Fall des erlaubten Risikos374, da auf die Gefahr hin eingegriffen werden darf, dass der wirkliche Wille der Handlung entgegensteht.375 Zum Teil wird sie auch als Figur zwischen Einwilligung und rechtfertigendem Notstand angesehen.376 Die mutmaßliche Einwilligung hat die größten Berührungspunkte mit der Einwilligung, da anstelle einer objektiven Interessenabwägung wie beim rechtfertigenden Notstand der mutmaßliche Wille ermittelt377 und damit ein subjektiver Wertmaßstab angelegt wird.378 Die rechtfertigende Kraft erwächst also aus dem vermutetem Willen der Person,379 mithin aus dem Selbstbestimmungsrecht.380 Die mutmaßliche Einwilligung soll ebenso wie das Prinzip der Repräsentation dafür sorgen, dass auch der Entscheidungsunfähige am Rechtsleben teilnehmen kann. Durch das Abstellen auf die persönlichen Bedürfnisse und Wünsche des Betroffenen wird das Selbstbestimmungsrecht nicht verletzt, sondern im Gegenteil verwirklicht. Es handelt sich nicht um Fremdbestimmung381 oder um eine Anmaßung fremder 372 Vgl. zu diesem Ergebnis auch: Jescheck/Weigend, AT, § 34 VII 1 b; Roxin, FS Welzel, S. 447, 473; ders., AT, § 18 A, Rn. 17, 26. Blei, Strafrecht I, S. 140 f. sieht diese Fallgruppe hingegen restriktiver. 373 Müller-Dietz, JuS 1989, 280, 281; Yoshida, FS Roxin, S. 401, 404. 374 Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17, Rn. 116 ff.; Geppert, JZ 1988, 1024, 1026; Gropp, AT, § 6, Rn. 202; Jescheck/Weigend, AT, § 36 II 3; Paeffgen, in: NK, vor §§ 32 ff., Rn. 161; Roxin, AT, § 18 A, Rn. 1; dagegen jedoch: Schmidhäuser, AT, 6/92. 375 Roxin, AT, § 18 A, Rn. 1. 376 Mitsch, ZJS 2012, 38, 39; Roxin, FS Welzel, S. 447, 448; gegen die Einordnung als Unterfall des Notstands: Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17, Rn. 114; Haft, AT, S. 80. 377 Müller-Dietz, JuS 1989, 280, 282; Rönnau, in: LK, vor § 32, Rn. 214; Roxin, AT, § 18 A, Rn. 5. 378 Kindhäuser, AT, § 19, Rn. 2. 379 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, vor §§ 32 ff., Rn. 56; Roxin, FS Welzel, S. 447, 451. 380 Vgl. auch Yoshida, FS Roxin, S. 401, 404, 419. Nach Köhler, AT, S. 244 beruht sie sogar auf dem Prinzip besonderer Selbstbestimmung. 381 So aber: Heidner, Bedeutung der mutmaßlichen Einwilligung, S. 124: Die mutmaßliche Einwilligung könne daher nicht mit dem Selbstbestimmungsrecht begründet werden. Dem ist

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Autonomie.382 Fehlen antizipierte Erklärungen oder ein Repräsentant, so stellt die mutmaßliche Einwilligung im Gegenteil die beste Möglichkeit dar, dem Willen der Person gerecht zu werden und Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen. Der Zweck der mutmaßlichen Einwilligung ist die Erweiterung der tatsächlichen und rechtlichen Reichweite der persönlichen Autonomie.383 Nachdem dies schon verfassungsrechtlich begründet worden ist,384 muss dies auch für das Strafrecht gelten, damit das Selbstbestimmungsrecht nicht durch dessen Wertungen unterlaufen wird. 4. Konsequenzen bei Nichteinhaltung von Schutzmaßnahmen Werden Schutzvorkehrungen in Bezug auf die Forschung nicht eingehalten, so wirkt die mutmaßliche Einwilligung nicht rechtfertigend, wenn dies zur Sittenwidrigkeit nach § 228 StGB führt. Insofern kann auf die Ausführungen zur Einwilligung und antizipierter Einwilligung verwiesen werden.385 In Bezug auf die Schutzmaßnahmen, die speziell die mutmaßliche Einwilligung betreffen, gilt, dass bei fehlender Dringlichkeit eine Rechtfertigung nicht möglich ist, da in diesem Fall die Subsidiarität gegenüber der Einwilligung nicht eingehalten ist. Auch kann die mutmaßliche Einwilligung nur solange rechtfertigend wirken, wie eine Einwilligung des Betroffenen oder seines Vertreters nicht eingeholt werden kann. Die Zustimmung weiterer Instanzen wäre jedoch im Falle ihrer Einführung eine Verfahrensvorschrift, die die strafrechtliche Rechtfertigung unberührt lassen würde.

IV. Rechtfertigung durch andere Rechtfertigungsgründe 1. Vorbemerkungen Nachdem nun festgestellt ist, dass eine strafrechtliche Rechtfertigung von fremdnützigen Forschungsmaßnahmen an Einwilligungsunfähigen durch stellvertretende, antizipierte oder mutmaßliche Einwilligung möglich ist, stellt sich nun die Frage, ob nur mit der Einwilligung verwandte Rechtfertigungsgründe solche Eingriffe zu rechtfertigen vermögen. Dabei kann wiederum auf die Ergebnisse im verfassungsrechtlichen Teil dieser Arbeit zurückgegriffen werden: Die Rechtfertigungsgründe dürfen nicht auf eine Sozialpflicht Einwilligungsunfähiger in Bezug auf Forschung hinauslaufen oder die Grundrechte der Betroffenen missachten. Das Strafrecht ist an das höherrangige Verfassungsrecht gebunden. Eine Untersuchung zu widersprechen, denn durch das Abstellen auf subjektive Präferenzen wird nicht fremdbestimmt, sondern darauf abgestellt, wie die Person selbst entschieden hätte. 382 So jedoch Kindhäuser, GA 2010, 490, 505; ähnlich auch: Blei, Strafrecht I, S. 139. 383 Merkel, ZStW 1995, 545, 563. 384 Vgl. o. S. 188 ff. 385 s. schon o. S. 270 ff. sowie S. 294.

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insbesondere der einfach-gesetzlichen Rechtfertigungsgründe soll zeigen, ob diese überhaupt Forschungsmaßnahmen an Einwilligungsunfähigen rechtfertigen können. 2. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB a) Grundgedanke des rechtfertigenden Notstands In Betracht kommt zunächst eine Rechtfertigung durch den rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB.386 Schmikowski hält eine Rechtfertigung mittels § 34 StGB für möglich, wenn die potentielle Gefährdung das Leben betrifft und die Körperschäden der Versuchsperson die unterste Grenze nicht überschreiten.387 Der rechtfertigende Notstand wird allgemein unter das Prinzip des überwiegenden Interesses gefasst,388 zum Teil sogar als Verkörperung dieses Prinzips schlechthin verstanden.389 Bei der fremdnützigen Forschung kommt die Variante des aggressiven Notstands in Betracht, bei dem in Rechtsgüter von unbeteiligten Dritten eingegriffen wird.390 Der Einwilligungsunfähige hat die Notwendigkeit von Forschung weder verschuldet noch verursacht. Beim aggressiven Notstand wird dem Betroffenen ein Sonderopfer auferlegt.391 Dieses ist auch vergleichbar mit der Handlungspflicht zur Hilfeleistung nach § 323c StGB, wobei § 34 StGB zur passiven Duldung verpflichtet und Gegenmaßnahmen durch die rechtfertigende Wirkung ausschließt. Zur Begründung dieser Duldungspflicht werden im Wesentlichen zwei Ansätze vertreten. Zum einen wird das Sonderopfer mit dem Gedanken des Utilitarismus legitimiert.392 Die Rechtsgemeinschaft habe ein Interesse an der Erhaltung wesentlich höherwertiger Rechtsgüter. Daher könne eine Verrechnung der Rechtsgüter

386 In Betracht zieht dies: Eser, in: Kruse/Kumpf, S. 173, 193; ders., in: Eser/Fletcher, S. 1443, 1461; ders., GS Schröder, S. 191, 212; ders., in: Troschke/Schmidt, S. 123, 128; für eine Rechtfertigung unter bestimmten Voraussetzungen: Schmikowski, Experimente am Menschen, S. 37 ff.; dagegen: Eberbach, Die zivilrechtliche Beurteilung der Humanforschung, S. 178 f.; Eck, Zulässigkeit medizinischer Forschung, S. 145 f.; Fincke, Arzneimittelprüfung, S. 110 ff. (in Bezug auf placebo-kontrollierte Studien); Fischer, Medizinische Versuche, S. 9; von Freier, Humanforschung, S. 147 f.; Freund, MedR 2001, 65, 70; Held, Strafrechtliche Beurteilung, S. 104. 387 Schmikowski, Experimente am Menschen, S. 38 f.; ähnlich auch: Eser, in: Troschke/ Schmidt, S. 123, 128. 388 Erb, JuS 2010, 17; Kindhäuser, AT, § 17, Rn. 10; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 34, Rn. 1; hingegen Neumann, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, S. 155, 164 f. sieht das überwiegende Interesse lediglich als Kriterium an. 389 Gropp, AT, § 6, Rn. 112. 390 Vgl. zum aggressiven Notstand: Kindhäuser, AT, § 17, Rn. 5. 391 Kühl, AT, § 8, Rn. 7; Renzikowski, Notstand, S. 198. 392 Joerden, GA 1993, 245, 247; Meißner, Interessenabwägungsformel, S. 173. s. zu diesem Prinzip auch schon o. im Rahmen der Frage, ob eine Einbeziehung aufgrund Güterabwägung verfassungsrechtlich möglich ist, S. 110 f.

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stattfinden.393 Die wohl herrschende Ansicht hingegen führt den rechtfertigenden aggressiven Notstand auf das Prinzip der Solidarität zurück.394 Es bestehe eine Mindestsolidarität,395 die zu einer Rechtspflicht erhoben werden könne.396 Man kann dies etwa mit dem verallgemeinernden Ansatz begründen, dass sich Menschen unter dem „Schleier des Nichtwissens“, welche Rolle sie in einer Notstandssituation einnehmen, so einigen würden.397 Es wird also ermittelt, was ein potentielles Notstandsopfer vernünftigerweise wollen würde.398 Vergleichbar ist dieser Ansatz mit der Vorstellung einer maßvollen Versicherung auf Gegenseitigkeit.399 Teils werden strafrechtliche Solidaritätspflichten aber auch aus der Verfassung hergeleitet: Es handele sich um einen Sozialstaat, der auch die Würde aller garantiere. Bei Gefahrsituationen könne jedoch der Staat u. U. selbst nicht rechtzeitig eingreifen und müsse daher die Bürger in die Pflicht nehmen.400 Das Prinzip des Utilitarismus ist schwerlich mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen.401 Eine objektive Verrechnung von Interessen kann kaum der Würde und der Persönlichkeit gerecht werden. Auch bei einer Legitimation durch das Prinzip der Solidarität ist Vorsicht geboten. Zwar sind Solidaritätspflichten nicht mit dem Grundgesetz unvereinbar,402 jedoch handelt es sich um eine Einschränkung des Autonomieprinzips, das grundsätzlich den Ausgangspunkt bilden muss.403 Jeder darf sich frei entfalten und seine Rechtsgüter schützen, in begründeten Ausnahmefällen muss er jedoch aus Gründen der Gemeinschaftsbezogenheit und Solidarität geringe 393

Joerden, GA 1993, 245, 247. Böse, ZStW 2001, 40, 59; Engländer, GA 2010, 15, 20; Frisch, FS Puppe, S. 425, 439; Frister, GA 1988, 291, 292; Günther, in: SK, § 34, Rn. 1, 11; Jakobs, in: Eser/Nishihara, S. 143, 145 f., 166 (Prinzip der Rücksichtnahme, das bei fehlender Entschädigung Solidarität entspricht); Joerden, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, S. 49, 50 f.; Kühl, AT, § 8, Rn. 9 f.; ders., FS Lenckner, S. 143, 157; Kühnbach, Solidaritätspflichten, S. 82, 223; Meyer, GA 2004, 356, 366; Neumann, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, S. 155, 164; ders, JA 1988, 329, 333; ders., in: NK, § 34, Rn. 9; Perdomo-Torres, Duldungspflicht, S. 36 f.; Renzikowski, Notstand, S. 191 ff.; Seelmann, in: Jung, S. 295 f.; anders jedoch: Pawlik, Notstand, S. 57 ff., 104, 148 der dem Notstand eine freiheitsermöglichende Funktion beimisst, indem Schutz auch dort ermöglicht werden soll, wo eine organisierte Notbekämpfung zu spät käme. Er spricht insofern von „quasi-institutionell fundierter Solidarität“. 395 Erb, JuS 2010, 17, 18; Kindhäuser, AT, § 17, Rn. 10. 396 Kühl, in: Jung, S. 139, 175 (zu § 323c StGB). Auch Hegel, Grundlinien der Philosphie des Rechts, § 127, S. 186 sah das „Nothrecht“ als Recht und nicht als Billigkeit an. In seinem Beispiel geht es jedoch um den Diebstahl als Mittel gegen das Verhungern. Seine Argumentation weist darauf hin, dass er nur das Leben als notstandsfähiges Rechtsgut ansah. 397 Conicx, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, S. 175, 195. 398 Conicx, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, S. 175, 194. 399 Engländer, GA 2010, 15, 20; Frisch, FS Puppe, S. 425, 439. 400 Joerden, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, S. 49, 50 f. 401 Vgl. dazu schon o. S. 110 f. 402 Vgl. schon o. S. 104 ff. 403 Vgl. Günther, in: SK, § 34, Rn. 11; Neumann, in: NK, § 34, Rn. 9. 394

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Eingriffe dulden.404 Wegen des hohen Stellenwerts des Autonomieprinzips darf dieses nur bei einer deutlichen Diskrepanz zwischen den betroffenen Interessen eingeschränkt werden und gewisse absolute Grenzen der Opferpflicht müssen eingehalten werden.405 Die verfassungsrechtliche Untersuchung einer Sozialpflicht zur fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen hat ergeben, dass eine solche nicht mit den Grundrechten in Einklang zu bringen ist, weil sie insbesondere das Selbstbestimmungsrecht und die Würde der Person missachtet.406 Auch dort kollidieren Autonomie und Solidarität miteinander. Der Forschungseingriff überschreitet dabei jedoch die Grenze der einzufordernden Solidarität, gerade auch, wenn nur einwilligungsunfähigen Personen eine Pflicht auferlegt würde. Eine Rechtfertigung durch § 34 StGB hätte jedoch eine solche, auf dem Gedanken der Solidarität begründete Pflicht, zur Folge. Die Unmöglichkeit der Rechtfertigung mittels § 34 StGB soll dennoch nun auch einfach-gesetzlich gezeigt werden. b) Rechtfertigung der Forschung durch § 34 StGB Der rechtfertigende Notstand setzt objektiv eine Notstandslage und eine Notstandshandlung voraus. Für erstere bedarf es zunächst eines notstandsfähigen Rechtsguts. In Betracht gezogen wird für die Forschung insoweit der wissenschaftliche Fortschritt.407 Dieser ist jedoch wohl kaum genügend konkretisiert,408 er ist schließlich ungewiss und noch entfernt. Dies muss umso mehr gelten für die Rechtsgüter körperliche Unversehrtheit und Leben der aktuell oder zukünftig Kranken, ebenso wie für den Sozialetat des Staates.409 Ob und wie den Erkrankten in Zukunft geholfen werden kann, soll erst durch die Forschung geprüft werden. Ungeachtet dessen erscheint es auch fraglich, ob eine gegenwärtige Gefahr besteht.410 Dabei handelt es sich um einen Zustand, in dem eine bestimmte Wahrscheinlichkeit des Schadens besteht.411 Diese ist gegenwärtig, wenn ein Schaden zwar nicht unmittelbar bevorsteht, eine Abwehr aber später nicht mehr oder nur unter sehr viel größeren Risiken möglich wäre,412 ein unverzügliches Eingreifen aus der Perspektive 404

Vgl. Erb, in: MüKo-StGB, § 34, Rn. 7. Erb, in: MüKo-StGB, § 34, Rn. 7. 406 Vgl. dazu o. S. 104 ff. 407 Schmikowski, Experimente am Menschen, S. 37; dagegen: Eberbach, Die zivilrechtliche Beurteilung der Humanforschung, S. 179; Fischer, Medizinische Versuche, S. 9; Held, Strafrechtliche Beurteilung, S. 104. 408 Fischer, Medizinische Versuche, S. 9. 409 Tolmein, KritV 1998, 52, 68. 410 Gegen eine gegenwärtige Gefahr: Fincke, Arzneimittelprüfung, S. 112 (zu placebo-kontrollierten Studien); Fischer, Medizinische Versuche, S. 9; Held, Strafrechtliche Beurteilung, S. 104. 411 Erb, in: MüKo-StGB, § 34, Rn. 60; Neumann, in: NK, § 34, Rn. 39. 412 Neumann, in: NK, § 34, Rn. 56; Roxin, AT, § 16 A, Rn. 17. 405

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eines objektiven Betrachters413 also notwendig ist.414 Erfasst ist auch die Dauergefahr, bei der der Zustand jederzeit in eine Rechtsgutsbeeinträchtigung umschlagen kann,415 so etwa wenn ein Kranker noch ohne Medikamente auskommt, diese aber bald braucht.416 Bei der Forschung könnte die Gefahr darin begründet sein, dass sich der Zustand erkrankter Menschen verschlechtert oder mehr Menschen erkranken, die auf neu entwickelte Methoden angewiesen sind. Die Gefahr, krank zu werden, besteht jedoch immer und ist daher als allgemeines Lebensrisiko einzuordnen.417 In diesem Fall ist die einzufordernde Solidarität durch sozialstaatliche Leistungsansprüche festgelegt418 und nicht durch § 34 StGB. Außerdem ist auch nur schwer einzuschätzen, wie akut, also gegenwärtig diese Gefahr ist. Darüber hinaus handelt es sich nicht um eine unvorhergesehene Notstandslage, von der der Staat überrascht wird. Vielmehr würde der rechtfertigende Notstand zur Begründung einer generellen Pflicht herangezogen.419 Die Rechtfertigung mittels § 34 StGB würde hier dazu herangezogen, eine Personengruppe zu verpflichten, um damit ihr Selbstbestimmungsrecht zu umgehen. Der rechtfertigende Notstand wäre als Mittel zur Rechtfertigung missbraucht. Sollte dennoch eine Notstandslage bejaht werden, ergeben sich aber auch Zweifel am Bestehen einer Notstandhandlung. Die Gefahr dürfte nicht anders abwendbar sein, d. h. die Notstandhandlung müsste erforderlich sein,420 also ein geeignetes und relativ mildestes Mittel darstellen.421 Die Forschung an Einwilligungsunfähigen könnte geeignet sein, wenn sie einen Fortschritt der Wissenschaft herbeiführen kann.422 Ob ein bestimmtes Experiment dazu führt, muss sich jedoch gerade noch herausstellen. Darüber hinaus stellt es ein milderes Mittel dar, die Personen in die Forschung einzubeziehen, deren Vertreter eine Einwilligung erteilen, deren mutmaßlicher Wille der Forschung entspricht oder die antizipiert eingewilligt haben. Im Rahmen der Interessenabwägung sind Rang und Gewicht der Rechtsgüter abstrakt423 sowie Art, Ursprung, Intensität und Nähe der Gefahr, Art und Umfang der

413

Gropp, AT, § 6, Rn. 117; Wessels/Beulke, AT, Rn. 304. Erb, in: MüKo-StGB, § 34, Rn. 83 ff. 415 Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17, Rn. 58; Roxin, AT, § 16 A, Rn. 18; Wessels/Beulke, AT, Rn. 306. 416 Schmidhäuser, AT, 6/37. 417 Eck, Zulässigkeit medizinischer Forschung, S. 145. 418 Neumann, in: NK, § 34, Rn. 40. 419 von Freier, Humanforschung, S. 147. 420 Gropp, AT, § 6, Rn. 124; Roxin, AT, § 16 A, Rn. 19. 421 Wessels/Beulke, AT, Rn. 308. 422 Schmikowski, Experimente am Menschen, S. 37; dagegen: Eberbach, Die zivilrechtliche Beurteilung der Humanforschung, S. 179; Eck, Zulässigkeit medizinischer Forschung, S. 146. 423 Bundestagsvorlage, Entwurf 1962, S. 159; Erb, in: MüKo-StGB, § 34, Rn. 111; Gropp, AT, § 6, Rn. 128; Wessels/Beulke, AT, Rn. 311. 414

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Werteinbußen und die Größe der Rettungschancen zu berücksichtigen.424 Bei der Forschung an Einwilligungsunfähigen handelt es sich in erster Linie um die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit, die auf beiden Seiten betroffen sein können. Es geht also in der Regel nicht um ein überwiegendes Interesse, sondern um eine Abwägung gleichwertiger Güter.425 Umstritten ist, ob darüber hinaus auch allgemeine Rechtsprinzipien wie das Selbstbestimmungsrecht bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen sind. Zum Teil wird dies mit der Begründung verneint, das Autonomieprinzip bestimme schon die äußeren Voraussetzungen des aggressiven Notstands und führe dazu, dass die geschützten Rechtsgüter das Eingriffsgut wesentlich überwiegen müssen.426 Andere hingegen berücksichtigen das Selbstbestimmungsrecht als Faktor zugunsten des Eingriffsguts, da es beim aggressiven Notstand verletzt werde.427 Dafür spricht auch, dass das Selbstbestimmungsrecht auch in §§ 223 ff. StGB als Rechtsgut mitgeschützt ist. Bliebe es bei der Interessenabwägung unbeachtet, so würde dies der Bedeutung daher nicht gerecht. Selbst wenn man das Selbstbestimmungsrecht nicht im Rahmen der Interessenabwägung einbezieht, so muss es dennoch bei der Angemessenheit nach § 34 S. 2 StGB Niederschlag finden.428 Die Notstandhandlung muss in die Gesamtrechtsordnung und die sie prägenden Prinzipien, wie das Autonomieprinzip, passen.429 Das Rangverhältnis von Solidaritätsprinzip und Selbstbestimmung kann hier nochmals bestimmt werden,430 so dass etwa auch trotz Höherrangigkeit des geschützten Rechtsguts erhebliche Eingriffe nicht geduldet werden müssen.431 Die Angemessenheitsklausel bietet also die Möglichkeit, die absolute Opfergrenze der Person zu bestimmen und darüber hinaus gehende Eingriffe zu verbieten. So kann auch die Zulässigkeit der erzwungenen Blutspende an dieser Stelle diskutiert werden. Der Streit um deren Zulässigkeit könnte auch zur Argumentation in Bezug auf die Angemessenheit der Forschung an Einwilligungsunfähigen her-

424

Vgl. Erb, in: MüKo-StGB, § 34, Rn. 114; Gropp, AT, § 6, Rn. 130; Wessels/Beulke, AT, Rn. 311. 425 Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 188. 426 Erb, in: MüKo-StGB, § 34, Rn. 108 f.; Neumann, in: NK, § 34, Rn. 66; Pawlik, Notstand, S. 143; Renzikowski, Notstand, S. 61. 427 Perron, in: Schönke/Schröder, § 34, Rn. 38; Roxin, AT, § 16 A, Rn. 46; vgl. auch zur Forschung: Eck, Zulässigkeit medizinischer Forschung, S. 146., die mit Blick auf das Selbstbestimmungsrecht ein wesentliches Überwiegen ablehnt. Gropp, AT, § 6, Rn. 128 sieht bei der Arzneimittelprüfung ein wesentliches Überwiegen bei Einwilligung der Person als gegeben an. Dabei bleibt jedoch fraglich, warum ein Rückgriff auf § 34 StGB in diesem Fall notwendig sein sollte. 428 Perron, in: Schönke/Schröder, § 34, Rn. 46 misst Satz 2 keine eigenständige Bedeutung mehr zu. 429 Kühl, AT, § 8, Rn. 166 ff. 430 Wessels/Beulke, AT, Rn. 319. 431 Zieschang, in: LK, § 34, Rn. 68.

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angezogen werden. Die erzwungene Blutspende wird selten als zulässig erachtet.432 Ihre Angemessenheit wird damit begründet, dass die Freiheit des anderen durch die Rettung vor dem Tod mittels der Blutspende erhalten werden könne.433 Daher dürfe sie auch in einer freiheitlichen Ordnung gefordert werden.434 Die herrschende Ansicht sieht die erzwungene Blutspende jedoch als unzulässig an.435 Der essenzielle Kern der Grundrechte müsse unangetastet bleiben.436 Die erzwungene Blutspende verstoße gegen die Würde der Person.437 Außerdem sei das Selbstbestimmungsrecht der Person verletzt438 und das Opfer der Blutspende dürfe in einem freiheitlichen Staat nur aufgrund sittlicher Entscheidung erbracht werden.439 Nicht nur der Körper, auch der Leib der Person sei betroffen, so dass eine besondere symbolische Schwere vorliege.440 Der herrschenden Meinung ist zuzustimmen.441 Bei Eingriffen in den Körper, die auch immer das Selbstbestimmungsrecht betreffen, ist Vorsicht geboten. Auch, wenn es sich um einen eher geringfügigen Eingriff handelt, der regeneratives Material betrifft, ist die Autonomie der Person höher einzuschätzen. Das Veto der Person muss beachtet werden. Dasselbe muss auch, hier noch deutlicher, für die Organentnahme gelten,442 da auch hier die absolute Opfergrenze überschritten wird.443 432 Roxin, AT, § 16 A, Rn. 49 f. hält sie für unerlaubt, wenn ewa eine Person neun Monate an den Blutkreislauf eines anderen angeschlossen würde, ansonsten verstoße die erzwungene Blutspende nicht unbedingt gegen die Würde. 433 Kühl, AT, § 8, Rn. 172. 434 Kühl, AT, § 8, Rn. 172. 435 Erb, in: MüKo-StGB, § 34, Rn. 193 f.; Gallas, FS Mezger, S. 311, 325 f.; Gropp, AT, § 6, Rn. 144; Günther, in: SK, § 34, Rn. 51; Kindhäuser, AT, § 17, Rn. 31; Laufs, FS Narr, 34, 39; Lenckner, Notstand, S. 117; Noll, ZStW 1965, 1, 29; Pawlik, Notstand, S. 248 ff., 264; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34, Rn. 41e; Schmidhäuser, AT, 6/40; Zieschang, in: LK, § 34, Rn. 68. Ausnahmen bei Schutz- und Beistandspflichten werden zum Teil angenommen, vgl. Heinrich, AT, Rn. 427; Renzikow ski, Notstand, S. 269; Wessels/Beulke, AT, Rn. 320. 436 Wessels/Beulke, AT, Rn. 319. 437 Laufs, FS Narr, 34, 39; Lenckner, Notstand, S. 117; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34, Rn. 41e. 438 Vgl. Gallas, FS Mezger, S. 311, 325 f.; Günther, in: SK, § 34, Rn. 51; Heinrich, AT, Rn. 427; Köhler, AT, S. 291; Noll, ZStW 1965, 1, 29; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34, Rn. 41e. 439 Jescheck/Weigend, § 33 IV 3; Wessels/Beulke, AT, Rn. 320. 440 Pawlik, Notstand, S. 264. 441 Dem entgegen steht auch nicht die Regelung des § 81c StPO, nach dem Blutentnahmen auch bei anderen Personen als Beschuldigten zulässig sind. Zwar ermöglicht diese Vorschrift die Anordnung der Blutentnahme auch ohne Einwilligung der Person, jedoch sind dazu weitere Voraussetzungen zu erfüllen: Ein Arzt muss sie vornehmen, es dürfen keine gesundheitlichen Nachteile zu erwarten sein und die Maßnahme muss unerlässlich und zumutbar sein. Damit sind die Voraussetzungen präziser gefasst. Des Weiteren ist die Menge einer Blutspende weit größer als die für eine Blutuntersuchung erforderliche Menge, vgl. zu diesen Argumenten: Pawlik, Notstand, S. 164, dort Fn. 92. 442 Frisch, FS Puppe, S. 425, 440; Jescheck/Weigend, § 33 IV 3; Kindhäuser, AT, § 17, Rn. 31; Kühl, AT, § 8, Rn. 174.

C. Rechtfertigung tatbestandsmäßiger Handlung nach dem StGB

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Dieses Ergebnis lässt sich auf die fremdnützige Forschung übertragen. Das Selbstbestimmungsrecht verbietet es, die Teilnahme an medizinischen Versuchen zu erzwingen.444 Ein solches Opfer kann aus Gründen der Solidarität nicht gefordert werden, gerade auch, da es sich um Personen handelt, die die Gefahr nicht veranlasst haben und selbst keinen Nutzen aus der Forschung ziehen können. Würde man bei fremdnütziger Forschung eine Rechtfertigung mittels § 34 StGB zulassen, so würde sich die Gewichtung von Solidarität und Selbstbestimmung gegen die Wertungen der Rechtsordnung richten, die das Autonomieprinzip in einem freiheitlichen Staat als Ausgangspunkt hat. Die verfassungsrechtlichen Erwägungen spielen daher auch bei der einfach-gesetzlichen Untersuchung eine Rolle. Dies muss umso mehr für einwilligungsunfähige und damit besonders schutzbedürftige Personen gelten. Folglich gelangt auch die einfach-gesetzliche Untersuchung zum gleichen Ergebnis wie die verfassungsrechtliche Analyse. 3. Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 StGB (analog) Weiterhin könnte die Möglichkeit einer Rechtfertigung mittels § 193 StGB bzw. einer analogen Anwendung dieser Vorschrift bestehen. Grahlmann hält eine Rechtfertigung von Heilversuchen durch eine Rechtfertigungskumulation von Wahrnehmung berechtigter Interessen in Verbindung mit der subjektiven Indikation, der Heilintention, und der Einwilligung des Patienten für gangbar.445 Die Einwilligung allein reiche aufgrund ihrer Schranken häufig nicht aus, diese Kumulation sei jedoch eine Möglichkeit zur Rechtfertigung, da die Dispositionsbefugnis für die Einwilligung durch die beiden anderen Elemente erweitert werde.446 § 193 StGB enthält nach herrschender Ansicht Rechtfertigungsgründe,447 deren Hauptanwendungsfall die Wahrnehmung berechtigter Interessen ist. Ehrverletzungen sind danach unter bestimmten Voraussetzungen nicht strafbar, wenn sie der Wahrnehmung berechtigter Interessen dienen. § 193 StGB wird teils als Fall des erlaubten Risikos angesehen.448 Seine rechtfertigende Wirkung wird meist mit dem Prinzip des überwiegenden Interesses begründet.449

443

Frister, GA 1988, 291, 293. Vgl. dazu Jescheck/Weigend, § 33 IV 3. 445 Grahlmann, Heilbehandlung und Heilversuch, S. 54 f. 446 Grahlmann, Heilbehandlung und Heilversuch, S. 54 f. 447 Bzw. einen Rechtfertigungsgrund. Fischer, StGB, § 193, Rn. 1; Lenckner/SternbergLieben, in: Schönke/Schröder, vor § 32, Rn. 79/80; Merz, Ehrenschutz, S. 91; Rudolphi/Rogall, in: SK, § 193, Rn. 2; Schaffstein, NJW 1951, 691; Welzel, Strafrecht, S. 320 ff. 448 Fischer, StGB, § 193, Rn. 1; Hilgendorf, in: LK; § 193, Rn. 3; Hirsch, ZStW 1962, 78, 100 (Fn. 87a); Jescheck/Weigend, AT, § 36 II 1; Lenckner, Notstand, S. 142 ff.; Lenckner/ Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, vor § 32, Rn. 79/80 (im Fall des § 186 StGB); Roxin, AT, § 18 A, Rn. 1; Welzel, Strafrecht, S. 320; Zaczyk, in: NK, § 193, Rn. 3; dagegen: Joecks, in: MüKo-StGB, § 193, Rn. 1. 444

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

§ 193 StGB bezieht sich seinem Wortlaut nach nur auf Urteile, Äußerungen, Vorhaltungen, Rügen, dienstliche Anzeigen und ähnliche Fälle und damit nur auf die Delikte gegen die Ehre. Daher kommt nur eine analoge Anwendung in Betracht. Ob § 193 StGB auch auf andere Tatbestände auszuweiten ist, erscheint fragwürdig. Zum Teil wird der Rechtsgedanke für verallgemeinerungsfähig gehalten, so dass bei Rechtsgütern mit besonderer Sozialverpflochtenheit eine Rechtfertigung mittels der Wahrnehmung berechtigter Interessen möglich sei.450 Zu solchen sozialbezogenen Rechtsgütern gehörten insbesondere die Ehre und Freiheit.451 Bei diesen müsse aufgrund ständiger Aktualisierung menschlicher Aktivität Raum gegeben werden für eine Entwicklung und Durchsetzung neuer Werte.452 Die herrschende Ansicht lehnt hingegen zu Recht eine Analogie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen ab.453 Nicht nur der Wortlaut ist dabei eindeutig. Auch ist § 193 StGB systematisch in den Vierzehnten Abschnitt in den Beleidigungsdelikten integriert. Dies spricht auch gegen eine planwidrige Regelungslücke. Darüber hinaus ist zweifelhaft, ob ein Anlass zur Ausdehnung besteht454 und ob der Rechtsgüterschutz durch eine vage, nicht auf andere Schutzbereiche zugeschnittene Formulierung nicht gefährdet würde.455 Doch auch bei einer analogen Anwendung könnten fremdnützige Forschungsmaßnahmen an Einwilligungsunfähigen nicht mit dieser Begründung gerechtfertigt werden. Zwar kann man die Wahrnehmung der Forschungsfreiheit und das Interesse am wissenschaftlichen Fortschritt als berechtigtes Interesse ansehen, das der Forscher verfolgt.456 Es handelt sich jedoch nicht um sozialbezogene Rechtsgüter, wie Ehre und Freiheit, sondern um die körperliche Integrität, die auch nach der verallgemeinernden Ansicht ein individualisierbares Rechtsgut darstellt.457 Daher können

449 Lenckner, GS Noll, S. 243, 249; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, vor § 32, Rn. 79/80; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, § 193, Rn. 1; Rudolphi/Rogall, in: SK, § 193, Rn. 2; dagegen: Schaffstein, NJW 1951, 691; Zaczyk, in: NK, § 193, Rn. 2. 450 Eser, Wahrnehmung berechtigter Interessen, S. 50 ff.; zustimmend: Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 466; Held, Strafrechtliche Beurteilung, S. 104; eine Verallgemeinerung befürwortet auch: Geppert, JA 1985, 25, 28. 451 Eser, GS Schröder, S. 191, 213; ders., in: Kruse/Kupf, S. 713, 194; ders., in: Eser/ Fletcher, S. 1443, 1462. 452 Eser, Wahrnehmung berechtigter Interessen, S. 54. 453 Fischer, StGB, § 193, Rn. 4; Joecks, in: MüKo-StGB, § 193, Rn. 1; Kühl, in: Lackner/ Kühl, § 193, Rn. 2, 4; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, § 193, Rn. 3; Lenckner, GS Noll, S. 243, 253; Rönnau, in: LK, vor § 32, Rn. 304; Roxin, AT, § 18 A, Rn. 37; Schmidt, Verfassungsunmittelbare Strafbefreiungsgründe, S. 50 ff.; Sinn, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, § 193, Rn. 6. 454 Vgl. Lenckner, GS Noll, S. 243, 247 mit der Ausnahme des § 240 StGB. 455 So Roxin, AT, § 18 A, Rn. 37. 456 Vgl. Grahlmann, Heilbehandlung und Heilversuch, S. 38. 457 Vgl. zur Unterscheidung zwischen sozialbezogenen und individualisierbaren Rechtsgütern: Eser, Wahrnehmung berechtigter Interessen, S. 50.

C. Rechtfertigung tatbestandsmäßiger Handlung nach dem StGB

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Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit auch nach dieser Ansicht nicht durch Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt werden.458 Selbst bei einer noch weiteren Ausdehnung der Wahrnehmung berechtigter Interessen kann keine Rechtfertigung mittels dieses Prinzips erfolgen. So wurde vertreten, dass derjenige, der durch Ausübung seiner Freiheitsrechte bedeutende Werte schaffe oder wahre, gerechtfertigt sei, auch wenn er dabei weniger bedeutende Werte verletze.459 So sei die mit Tierversuchen unvermeidlich verbundene Tierquälerei gerechtfertigt um wissenschaftliche Erkenntnisse zu erlangen.460 Es handelt sich hier jedoch nicht um weniger bedeutende Werte oder Rechtsgüter. Neben der körperlichen Unversehrtheit ist auch das Selbstbestimmungsrecht verletzt, wenn ohne Einwilligung der Versuchsperson Forschungsmaßnahmen durchgeführt werden. Dieses Interesse kann daher nicht den Eingriff in Rechtsgüter von Versuchspersonen rechtfertigen.461 Bei einer Abwägung zwischen diesen Interessen und der Forschungsfreiheit kann letzterer nicht der Vorrang eingeräumt werden. Dies hätte zur Folge, dass einer Person Rechte an einer anderen Person eingeräumt werden. Bei fremdnütziger Forschung kann dies nicht mit dem Gedanken der Solidarität begründet werden, sondern nur aus dem Selbstbestimmungsrecht folgen, das bei einer Anwendung des § 193 StGB aber missachtet würde. Eine Rechtfertigung mittels § 193 StGB ist daher nicht möglich. 4. Rechtfertigung durch das Grundrecht der Forschungsfreiheit Ferner kommt eine Rechtfertigung durch die Grundrechte direkt in Betracht. Der Arzt könnte gerechtfertigt sein, weil er durch den Eingriff in die körperliche Unversehrtheit seine verfassungsrechtlich garantierte Forschungsfreiheit ausübt. Ob die Grundrechte jedoch unmittelbar zur Rechtfertigung herangezogen werden können, ist zweifelhaft. Die direkte Anwendung der Grundrechte zur Rechtfertigung wird zum Teil bejaht,462 sofern eine mittelbare Berücksichtigung über den Grundrechtseinfluss auf das einfach-gesetzliche Recht ausscheidet.463 Es gebe exzeptionelle 458 Vgl. Eser, in: Kruse/Kumpf, S. 173, 194; ders., in: Eser/Fletcher, S. 1443, 1462; Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 466; Held, Strafrechtliche Beurteilung, S. 104. 459 Noll, ZStW 1965, 1, 32. 460 Noll, ZStW 1965, 1, 32. 461 Eberbach, Die zivilrechtliche Beurteilung der Humanforschung, S. 182. 462 Rönnau, in: LK, vor § 32, Rn. 139; Rosenau, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, vor §§ 32 ff., Rn. 29; Schmidt, Verfassungsunmittelbare Strafbefreiungsgründe, S. 62 f.; 138; vgl auch zur Kunstfreiheit: Roxin, AT, § 18 C, Rn. 50 ff.; zu Art. 5 Abs. 1 GG: Kissel, Ungehorsam, S. 213; zur Gewissensfreiheit: Radtke, GA 2000, 19, 27 f. Das Bundesverfassungsgericht hat Art. 8 GG als Rechtfertigungsgrund in Betracht gezogen, vgl. BVerfGE 73, 206, 250. Gegen eines Rechtfertigung von Forschungsmaßnahmen mittels Art. 5 Abs. 3: Held, Medizinische Diagnostik, S. 133. 463 Rönnau, in: LK, vor § 32, Rn. 139; Rosenau, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, vor §§ 32 ff., Rn. 29; zu Art. 5 Abs. 1 GG: Kissel, Ungehorsam, S. 213.

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Konflikte zwischen der Strafrechtsnorm und dem Grundgesetz, bei denen ausnahmsweise das Verfassungsrecht als unmittelbarer Rechtfertigungsgrund herangezogen werden könnte.464 Demgegenüber begegnet ein Teil der Literatur diesem Vorschlag zu Recht ablehnend.465 Die Grundrechte haben lediglich eine mittelbare Rechtfertigungswirkung durch Auslegung des einfachen Gesetzes.466 Das einfache Recht ist auch präziser.467 Außerdem muss die grundrechtskonkretisierende Leistung des Gesetzgebers berücksichtigt werden: Der Gesetzgeber ist grundsätzlich zuständig für die Setzung von Recht, auch von Rechtfertigungsgründen. Das verfassungsrechtliche Kompetenzgefüge würde durch die Anerkennung verfassungsunmittelbarer Rechtfertigungsgründe unterlaufen.468 So kann der Gesetzgeber insbesondere Verfahren für die Berücksichtigung der Grundrechte bereitstellen, wie etwa Genehmigungsverfahren.469 Dies hat der Gesetzgeber auch im Arzneimittelgesetz durch das Genehmigungsverfahren in Bezug auf die klinische Forschung unternommen. Auf diese Weise kann im Einzelfall den kollidierenden Grundrechten auch schon im Vorhinein Rechnung getragen werden. Auch kommt ein Konflikt mit Art. 100 GG in Betracht. Wenn sich die Anwendung des Strafgesetzes als unvereinbar mit den Grundrechten erweist, könnte man erwägen, dass der Richter zur Vorlage vor dem Bundesverfassungsgericht verpflichtet ist, statt sich eines verfassungsunmittelbaren Rechtfertigungsgrundes zu bedienen.470 Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in einigen Bereichen dem Grundrechtsbezug durch Rechtfertigungsgründe Rechnung getragen, so etwa auch bei der Meinungsfreiheit im Hinblick auf § 193 StGB. Ihm kann daher keine grundsätzliche planwidrige Regelungslücke vorgeworfen werden. Des Weiteren sind die Grundrechte als Rechtfertigungsgründe vage und systemfremd. Auch die Notwendigkeit einer Anwendung erscheint selten oder nie gegeben zu sein, sind

464

Eilsberger, JuS 1970, 321, 323 f. Andere Möglichkeiten seien eine Teilnichtigkeit des Strafgesetzes oder die Nichterfüllung des Tatbestands. 465 Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 36 f.; zur Glaubens- und Gewissensfreiheit: Böse, ZStW 2001, 40 ff.; zur Meinungsfreiheit: Merz, Ehrenschutz, S. 58. 466 Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 36 f.; vgl. zur Anwendung des § 34 StGB bei Taten im Zusammenhang mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit: Böse, ZStW 2001, 47 ff. 467 So zur Glaubens- und Gewissensfreiheit: Böse, ZStW 2001, 42. 468 So zur Glaubens- und Gewissensfreiheit: Böse, ZStW 2001, 42; dagegen zu Art. 5 Abs. 1 GG: Kissel, Ungehorsam, S. 214 ff. 469 Vgl. zur Glaubens- und Gewissensfreiheit: Böse, ZStW 2001, 45. 470 Gegen einen Konflikt mit Art. 100 GG: jeweils mit der Begründung, dass es nur um die Rechtfertigung im Einzelfall gehe: Rönnau, in: LK, vor § 32, Rn. 139; zu Art. 5 Abs. 1 GG: Kissel, Ungehorsam, S. 217; für den Fall der verfassungskonformen Rechtsfortbildung in Abgrenzug zur Teilnichtigkeit: Schmidt, Verfassungsunmittelbare Strafbefreiungsgründe, S. 92. Eilsberger, JuS 1970, 321, 325 schlägt vor, dem Strafrichter einen Ermessenspielraum einzuräumen.

C. Rechtfertigung tatbestandsmäßiger Handlung nach dem StGB

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doch in der Regel allgemeine Rechtfertigungsgründe, wie etwa § 34 StGB471 oder die Einwilligung anwendbar. Selbst wenn man jedoch die Forschungsfreiheit als Rechtfertigungsgrund anerkennen würde, könnte ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit damit allein nicht gerechtfertigt werden. Nach Ansicht der Befürworter der Anwendung der Grundrechte als Rechtfertigungsgrund muss im Rahmen der Rechtfertigung geprüft werden, ob der Schutzbereich des Grundrechts betroffen ist und welches Grundrecht bei einer Abwägung der Vorrang einzuräumen ist.472 Bei der Fragestellung der Forschung an Einwilligungsunfähigen liefe dies darauf hinaus, dass der Schutzbereich der Forschungsfreiheit eröffnet ist. Auf der anderen Seite sind jedoch als verfassungsunmittelbare Schranken die Würde473 und die körperliche Unversehrtheit sowie das Selbstbestimmungsrecht der Versuchsperson betroffen. Bei einer Abwägung wird deutlich, dass die fremdnützige Forschung nur mit den Grundrechten vereinbar ist, wenn eine stellvertretende, antizipierte oder mutmaßliche Einwilligung vorliegt, was im Rahmen der verfassungsrechtlichen Untersuchungen gezeigt worden ist.474 Die Forschungsfreiheit reicht nicht so weit, dass weitere Einbeziehungsmöglichkeiten zulässig sind.475 Daher kann sie nicht als Rechtfertigungsgrund herangezogen werden. 5. Rechtfertigung aufgrund erlaubten Risikos Darüber hinaus ist eine Rechtfertigung aufgrund erlaubten Risikos in Erwägung zu ziehen. Bei experimentellen Methoden ist der Ausgang ungewiss. Es besteht daher das Risiko von Nebenwirkungen oder einer Verschlimmerung der Krankheit. Dabei könnte es sich um ein erlaubtes Risiko handeln. Es ist jedoch schon fragwürdig, ob es sich um einen Rechtfertigungsgrund476 oder um einen Tatbestandsausschluss477 handelt oder nicht vielmehr lediglich um ein Strukturprinzip, das vielen Rechtfer-

471

Vgl. dazu Böse, ZStW 2001, 47 ff. Rönnau, in: LK, vor § 32, Rn. 139; zur Gewissensfreiheit: Radtke, GA 2000, 19, 27; zur Kunstfreiheit Roxin, AT, § 18 C, Rn. 51 ff., der den Zwischenschritt der Schranke vornimmt, die in der Strafnorm zu sehen ist. Bei Grundrechten, die nur verfassungsunmittelbaren Schranken unterliegen, bedürfe das in der Strafnorm geschützte Rechtsgut einer verfassungsrechtlichen Verankerung. 473 Vgl. zum Vorrang der Würde gegenüber der Forschungsfreiheit als Rechtfertigungsgrund: Eberbach, Die zivilrechtliche Beurteilung der Humanforschung, S. 174. 474 s. dazu o. S. 114 ff. 475 Vgl. dazu bereits o. S. 200 f. 476 Paeffgen, in: NK, vor § 32, Rn. 25 stellt zwar die Notwendigkeit in Frage, möchte ihn jedoch in der „Hinterhand“ behalten; Schmidhäuser, AT, 6/107; dagegen: Jakobs, AT, 7. Abschnitt, Rn. 39. 477 Kindhäuser, GA 1994, 197 ff.; Rönnau, in: LK, vor § 32, Rn. 58. 472

312

Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

tigungsgründen innewohnt.478 Das erlaubte Risiko betrifft Fallgestaltungen, die absehbar rechtsgutsgefährdend, allerdings sozial akzeptiert sind.479 Es besteht dabei eine starke Ähnlichkeit zu dem Gedanken der Sozialadäquanz.480 Wenn das Interesse an der Aufrechterhaltung der allgemeinen Handlungsfreiheit gegenüber dem Sicherungsinteresse überwiegt, ist das Risiko erlaubt.481 Eine Rechtfertigung von Forschungsmaßnahmen wird nur vereinzelt kraft erlaubten Risikos bei Fahrlässigkeit in Betracht gezogen.482 Die vorsätzliche Eingehung eines erlaubten Risikos ist ohnehin schwer vorstellbar,483 dennoch wird auch die Anwendbarkeit auf Vorsatzdelikte befürwortet.484 Gegen eine Rechtfertigung kraft erlaubten Risikos – sollte diese überhaupt möglich sein – spricht insbesondere, dass aus diesem Prinzip keine Eingriffsbefugnis resultiert.485 Wenn ein Verhalten erkennbar den Charakter eines Verletzungshandelns annimmt, ist es unerlaubt.486 Darüber hinaus ist es eben nicht erlaubt, eine andere Person ohne ihre Einwilligung ärztlich zu behandeln oder an ihr zu forschen. Ohne eine Einwilligung, eine stellvertretende oder mutmaßliche Einwilligung ist die Eingehung von Risiken nicht erlaubt. Dies folgt insbesondere aus den Grundrechten, die nur Einbeziehungsformen in fremdnützige Forschung erlauben, die das Selbstbestimmungsrecht in den Vordergrund stellen. Dieses würde jedoch durch die Anerkennung eines erlaubten Ri478

Gropp, AT, Rn. 198 ff.; Jescheck/Weigend, AT, § 36 I 1; Maiwald, FS Jescheck, S. 405, 423; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, vor § 32, Rn. 11; Wessels/Beulke, AT, Rn. 283. 479 Rönnau, in: LK, vor § 32, Rn. 53. 480 Rönnau, in: LK, vor § 32, Rn. 53; vgl. auch Klug, FS Schmidt, S. 249, 264; Schmidhäuser, AT, 6/107; Welzel, ZStW 1939, 491, 518, der das erlaubte Risiko als Sonderfall der sozialen Adäquanz ansieht, da es sich von sonstigen sozialadäquaten Handlungen nur durch den Grad der Rechtsgutsgefährdung unterscheide. 481 Rönnau, in: LK, vor § 32, Rn. 58. 482 Eser, in: Kruse/Kumpf, S. 173, 193; ders., GS Schröder, S. 191, 212; ders., in: Eser/ Fletcher, S. 1443, 1461; ders., in: Troschke/Schmidt, S. 123, 128; Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 468; gegen eine solche Rechtfertigung: Held, Strafrechtliche Beurteilung, S. 102; Magnus/Merkel, in: Boos/Merkel, S. 109, 120 für den Fall der invasiven Eingriffe; Merkel, in: Bernat/Kröll, S. 171, 186 f. 483 Vgl. Hassemer, wistra 1995, 41, 45; Kindhäuser, GA 1994, 197, 221; Schmidhäuser, AT, 6/109. 484 Vgl. nur Rönnau, in: LK, Vor § 32, Rn. 57; vgl. auch BGH, Urteil vom 04. 02. 2004 – 2 StR 355/03 zu Risikogeschäften: Nicht schon wegen des Risikos als solchen oder wegen des Eintritts eines Verlustes werde der Tatbestand der Untreue verwirklicht. Wirtschaftlich vernünftige Ausgaben im Rahmen kaufmännischen Unternehmergeistes dürften nicht ohne weiteres pönalisiert werden. Ein riskantes Handeln, dessen Folgen einen anderen treffen, sei allerdings in der Regel pflichtwidrig, wenn der Handelnde den ihm gezogenen Rahmen nicht einhält, insbesondere die Grenzen des verkehrsüblichen Risikos überschritten habe. 485 von Freier, Humanforschung, S. 31; vgl. auch zum fehlenden Eingriffsrecht: Lenckner/ Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, vor § 32, Rn. 11; Maiwald, FS Jescheck, S. 405, 424. 486 Merkel, in: Bernat/Kröll, S. 171, 186.

D. Tatbestandsmäßigkeit und Rechtfertigung innerhalb der Spezialgesetze

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sikos in diesem Fall umgangen.487 Das Interesse an der Aufrechterhaltung der allgemeinen Handlungsfreiheit bzw. hier der Forschungsfreiheit überwiegt daher nicht gegenüber dem Sicherungsinteresse, das nicht nur die körperliche Unversehrtheit der Versuchsperson, sondern auch deren Selbstbestimmung umfasst. Der Gedanke des erlaubten Risikos kann lediglich dann herangezogen werden, wenn sämtliche Voraussetzungen im einschlägigen Spezialgesetz eingehalten worden sind und kein anderes unerlaubtes Risiko geschaffen worden ist. Sodann ist eine Sorgfaltspflichtverletzung zu verneinen, so dass bei Fahrlässigkeit keine Strafbarkeit gegeben sein kann.488

V. Ergebnis Die Rechtfertigung fremdnütziger Forschung an einwilligungsunfähigen Personen kann auch strafrechtlich auf drei Wegen erfolgen: Durch stellvertretende, antizipierte oder mutmaßliche Einwilligung. Wird die Subsidiarität der Forschung nicht eingehalten oder fällt die Risiko-Nutzen-Abwägung negativ aus, so vermag eine Rechtfertigung nicht zu gelingen. Werden jedoch lediglich Verfahrensvorschriften nicht beachtet, so begründet dies nicht die Strafbarkeit wegen der Körperverletzungsdelikte. Eine Rechtfertigung auf anderem Weg ist nicht möglich. § 34 StGB kann auch einfach-gesetzlich keine Solidarpflicht Einwilligungsunfähiger zu fremdnütziger Forschung begründen. § 193 StGB analog und die Forschungsfreiheit können nicht als Rechtfertigungsgründe angesehen werden, würden aber ohnehin nicht zu einer Rechtfertigung der Forschung in dieser Konstellation führen, ebenso wie der Gedanke des erlaubten Risikos.

D. Tatbestandsmäßigkeit und Rechtfertigung innerhalb der Spezialgesetze I. Tatbestandsmäßigkeit in den spezial-gesetzlich geregelten Bereichen Im Bereich der medizinischen Forschung sind nicht nur die Vorschriften des Strafgesetzbuchs von Relevanz. Daneben spielen auch das Arzneimittelgesetz und das Medizinproduktegesetz eine Rolle, die spezielle Strafvorschriften vorsehen. Die Strahlenschutz- und Röntgenverordnung enthalten lediglich Ordnungswidrigkeiten.

487

Schimikowski, Experimente am Menschen, S. 41. Oswald, in: Roxin/Schroth, S. 669, 725; Rosenau, RPG 2002, 94, 99; sowie bereits o. S. 319. 488

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

1. Tatbestandsmäßigkeit nach dem Arzneimittelgesetz Das Arzneimittelgesetz enthält in den §§ 95, 96 AMG Strafvorschriften. § 96 Nr. 10, 11 AMG betreffen die klinische Prüfung der Arzneimittel. Es handelt sich um Blankettstraftatbestände, die auf die §§ 40, 41 AMG verweisen.489 Sie stellen abstrakte Gefährdungsdelikte dar,490 denn ein Erfolg im Sinne einer Verletzung ist nicht Voraussetzung, vielmehr reicht der Beginn oder die Durchführung der klinischen Prüfung unter Verletzung bestimmter Voraussetzungen bereits aus. Der Versuch ist mangels ausdrücklicher Strafbedrohung bei diesen Vergehen straflos.491 Nur die vorsätzliche Verwirklichung ist von § 96 AMG erfasst. § 96 Nr. 10 AMG ist die Sanktionsnorm zu den Verhaltensnormen des § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2, 2a lit. a, Nr. 3, 4, 5, 6 oder 8 AMG, jeweils auch in Verbindung mit § 40 Abs. 4 oder § 41 AMG. Neben der ärztlichen Vertretbarkeit von Risiken und Nutzen und den Voraussetzungen der Einwilligung492 ist u. a. auch die Notwendigkeit des Abschlusses einer Probandenversicherung davon erfasst. Adressat der Norm ist neben dem Sponsor jeder Prüfer und der Leiter der klinischen Prüfung.493 Die Strafbarkeit hängt von der individuellen Zuordnung der Verantwortlichkeiten ab.494 Während der Sponsor verantwortlich für die Rahmenbedingungen der klinischen Prüfung ist, muss der Prüfarzt etwa für die Aufklärung im Einzelfall sorgen.495 Relevanz für die Forschung an Einwilligungsunfähigen hat insbesondere der Verweis auf § 40 Abs. 4 und § 41 AMG. Diese Verweisung, die „jeweils auch in Verbindung“ mit diesen Normen gelten soll, wird teils für verfassungsrechtlich problematisch gehalten.496 Der Wortlaut sei insoweit nicht eindeutig, da nicht daraus ersichtlich sei, ob alle Voraussetzungen des § 41 AMG strafbewehrt sein sollen oder aber nur diejenigen, die strafbewehrte Voraussetzungen des § 40 AMG modifizieren.497 Die Regelungen der § 40 f. AMG stellen ein Gesamtkonzept dar. Wäre nur auf die modifizierten strafbewehrten Voraussetzungen Bezug genommen, so wäre die Angezeigtheit des zu prüfenden Arzneimittels keine strafbewehrte Voraussetzung, 489

Vgl. zur Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 2 GG schon o. S. 224 f. Kloesel/Cyran, § 96, Bl. 110 s; Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 85 f; Mayer, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 45, Rn. 4; Oswald, in: Roxin/Schroth, S. 669, 722; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 399. 491 Vgl. §§ 23 Abs. 1, 12 Abs. 1, 2 StGB. 492 Diesbezüglich wird eine teleologische Reduktion des Straftatbestands auf einwilligungsrelevante Umstände vorgeschlagen, vgl. Raum, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 96 AMG, Rn. 25. 493 Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 392 ff.; Oswald, Die strafrechtlichen Beschränkungen, S. 184. 494 Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 392 f. 495 Vgl. Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 392 ff.; Oswald, Die strafrechtlichen Beschränkungen, S. 184; zum Aufgabenbereich des Sponsors: Geiger, MedR 2009, 67, 68. 496 von Freier, Humanforschung, S. 314 f. 497 von Freier, Humanforschung, S. 315, dort Fn. 60. 490

D. Tatbestandsmäßigkeit und Rechtfertigung innerhalb der Spezialgesetze

315

obwohl sie einen Kern des § 41 AMG darstellt. Da §§ 40 Abs. 4 und § 41 AMG dem Schutz von besonders verletzlichen Personen dienen, nämlich Minderjährigen, Kranken und Einwilligungsunfähigen, liefe eine restriktive Auslegung dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz dieser Gruppen zuwider. Die Wortlautgrenze wird dabei auch nicht überschritten, denn § 40 Abs. 4 und § 41 AMG werden jeweils ohne Einschränkung genannt. Daher ist davon auszugehen, dass sämtliche Verletzungen des § 40 Abs. 4 und § 41 AMG unter Strafe gestellt sind. Der Streit, ob die Strafbewehrung des § 96 Nr. 10 AMG a.F.498 sich auch auf die Einwilligung des Vertreters beziehe, ist durch die Neufassung entschieden.499 Die Rechtsprechung hatte dies trotz des fehlenden Verweises auf § 41 Nr. 3 AMG a.F., in dem die Einwilligung des Vertreters geregelt war, angenommen.500 Auch § 96 Nr. 11 AMG betrifft die klinische Prüfung. Unter Strafe gestellt ist dabei schon der Beginn der klinischen Prüfung ohne zustimmende Bewertung der zuständigen Ethikkommission und der Genehmigung der zuständigen Bundesoberbehörde entgegen § 40 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 42 Abs. 1, 2 AMG. Die Verpflichtung, die Bewertung und Genehmigung einzuholen, trifft den Sponsor, so dass es sich um ein Sonderdelikt handelt.501 2. Tatbestandsmäßigkeit nach dem Medizinproduktegesetz Auch die Strafvorschriften des Medizinproduktegesetzes, §§ 40, 41 MPG, stellen abstrakte Gefährdungsdelikte dar.502 § 41 Nr. 4 MPG betrifft die klinische Prüfung der Medizinprodukte. Der Versuch ist nicht strafbar und lediglich eine vorsätzliche Begehung ist unter Strafe gestellt. Wer entgegen § 20 Abs. 1 S. 1, 4 Nr. 1 – 6, 9, jeweils auch in Verbindung mit § 20 Abs. 4, 5 oder § 21 Nr. 1 oder entgegen § 22b Abs. 4 MPG mit einer klinischen Prüfung beginnt, diese durchführt oder fortsetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Auch hier ist der Beginn ohne zustimmende Bewertung der Ethikkommission und die Genehmigung der Behörde strafbewehrt. Auch das Einholen der Einwilligung der Versuchsperson und die Einhaltung der

498 § 96 Nr. 10 AMG a.F. lautete: Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen einer Vorschrift des § 40 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3, 4, 5 oder 8, Abs. 4 oder des § 41 Nr. 1, jeweils auch in Verbindung mit § 73 Abs. 4, die klinische Prüfung eines Arzneimittels durchführt. 499 Oswald, in: Roxin/Schroth, S. 669, 724; zur Darstellung des Streits vgl. Freund, in: MüKo-StGB, §§ 40 – 42b, Rn. 90 ff.; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 397a f. 500 BayObLG NJW 1990, 1552, 1553; dagegen: Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1755.; Freund, in: MüKo-StGB, §§ 40 – 42b AMG, Rn. 90 ff. 501 Oswald, Die strafrechtlichen Beschränkungen, S. 183. 502 von Dewitz, Klinische Bewertung von Medizinprodukten, S. 99; Lücker, in: Spickhoff, § 41 MPG; Rehmann, MPG, § 41.

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

ärztlichen Vertretbarkeit von Risiken und Nutzen sind Voraussetzungen, deren Missachtung mit Strafe bedroht ist. Auch im Medizinproduktegesetz wird auf die Modifizierung für gesunde Minderjährige in § 20 Abs. 4 MPG verwiesen, so dass die Vorschriften zum Schutz der Minderjährigen strafrechtlichen Schutz genießen. Problematisch ist hingegen der Verweis auf § 21 Nr. 1 MPG, der sich für die klinische Prüfung an kranken Personen nur auf die Angezeigtheit des zu prüfenden Medizinproduktes bezieht, nicht jedoch auf die Modifizierungen der Einwilligung bei Geschäftsunfähigen oder nicht voll Geschäftsfähigen. Hier könnte man wie das BayObLG zum Arzneimittelgesetz eine weite Auslegung erwägen, so dass durch die Erfassung der Einwilligung in § 20 Abs. 1 S. 4 Nr. 2 MPG durch den Verweis auch die Verletzung des Erfordernisses einer stellvertretenden Einwilligung strafbewehrt wäre. Der Verweis bezieht sich jedoch ausdrücklich nur auf § 21 Nr. 1 MPG, anders als nun in der Neufassung der Arzneimittelgesetzes. Der Wortlaut würde daher überdehnt und der Bestimmtheitsgrundsatz verletzt. Der Schutz ist dadurch jedoch unzureichend, da die mangelnde Einwilligung des Vertreters keine strafrechtlichen Konsequenzen hätte. Eine Analogie ginge aber zu Lasten des Täters und wäre daher unzulässig.503

II. Rechtfertigung innerhalb der Spezialgesetze Die Spezialgesetze enthalten besondere Voraussetzungen, die nicht nur die Tatbestandsmäßigkeit, sondern auch die Rechtfertigung betreffen und die Möglichkeiten der Rechtfertigung innerhalb ihres Anwendungsbereichs einschränken. 1. Einwilligung Das Fehlen der Einwilligung ist eine strafbewehrte Voraussetzung in § 96 Nr. 10 i.V.m. § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 AMG sowie in § 41 Nr. 4 i.V.m. § 20 Abs. 1 S. 4 Nr. 2 MPG. Ihre Reichweite und die Möglichkeit ihrer Erteilung ist aber gegenüber dem gewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtfertigungsgrund der Einwilligung erheblich eingeschränkt. So ist auch Volljährigkeit bzw. Geschäftsfähigkeit erforderlich und die Einwilligung muss schriftlich erteilt werden.504 Eine Ausnahme von der Schriftlichkeit ist vorgesehen, so dass eine Einwilligung auch mündlich gegenüber dem behandelnden Arzt in Gegenwart eines Zeugen abgegeben werden kann.505 Darüber hinaus ist die Disponibilität des Rechtsguts eingeschränkt. Die Einwilligung ist eine eigenständige Voraussetzung für die Zulässigkeit einer klinischen Prüfung, die mit den anderen Voraussetzungen durch ein „und“ verbunden ist. Daraus lässt 503 So zum Streit im AMG: Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1755; Freund, in: MüKoStGB; §§ 40 – 42b AMG, Rn. 92, 94. 504 Vgl. § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 lit. a und b bzw. § 20 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MPG. 505 Vgl. § 40 absl. 1 S. 4, 5 AMG bzw. § 21 Nr. 4 MPG.

D. Tatbestandsmäßigkeit und Rechtfertigung innerhalb der Spezialgesetze

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sich folgern, dass die Strafvorschriften keiner Rechtfertigung durch eine Einwilligung zugänglich sind, denn in § 96 Nr. 10 AMG bzw. § 41 Nr. 4 MPG wird durch ein „oder“ deutlich, dass das Fehlen der Einwilligung oder die Missachtung einer der anderen strafbewehrten Voraussetzungen alternativ für eine Strafbarkeit ausreicht. Der Rechtfertigung mittels Einwilligung sind also innerhalb der Spezialgesetze enge Grenzen gesetzt.506 § 228 StGB hat innerhalb der Spezialregelungen keine weitere Bedeutung.507 Insbesondere die Risiko-Nutzen-Abwägung ist eine Konkretisierung der Sittenwidrigkeitsklausel.508 2. Stellvertretende Einwilligung Eine stellvertretende Einwilligung ist nach den Spezialgesetzen möglich, jedoch ebenfalls nur eingeschränkt. So ist eine stellvertretende Einwilligung innerhalb des Arzneimittel- bzw. Medizinproduktegesetzes nur bei Minderjährigen zulässig bei diagnostischen oder prophylaktischen Maßnahmen509 oder der gruppen- oder eigennützigen Forschung an kranken Minderjährigen510 sowie bei eigennütziger Forschung an kranken erwachsenen Einwilligungsunfähigen511 bzw. bei eigennützigen Maßnahmen an kranken Geschäftsunfähigen.512 Darüber hinaus gelten die gleichen Restriktionen wie bei der Einwilligung, so dass etwa die Vornahme eines Versuchs trotz negativer Risiko-Nutzen-Abwägung nicht rechtfertigungsfähig ist. Auch die stellvertretende Einwilligung muss schriftlich erteilt werden.513 3. Antizipierte Einwilligung Auch die antizipierte Einwilligung ist in den Spezialgesetzen unter den Voraussetzungen des § 1901a BGB zulässig.514 Dies bedeutet, dass sie schriftlich erteilt sein muss und der Betreuer prüft, ob die Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Auch hier gelten darüber hinaus die gleichen Einschränkungen wie bei der Einwilligung.

506 Vgl. in diesem Zusammenhang zur negativen Risiko-Nutzen-Abwägung: Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 181. 507 Niedermair, Körperverletzung, S. 199 f; vgl. bereits o. S. 272 f. 508 Oswald, Die strafrechtlichen Beschränkungen, S. 309. 509 Vgl. § 40 Abs. 4 Nr. 3 AMG sowie § 20 Abs. 4 Nr. 4 MPG. 510 Vgl. § 41 Abs. 2 AMG. 511 Vgl. § 41 Abs. 3 Nr. 2 AMG. 512 Vgl. § 21 Nr. 2 MPG. 513 Vgl. dem Verweis in § 40 Abs. 4 und § 41 Abs. 3 auf § 40 Abs. 1 bis3 AMG bzw. die Verweis in § 20 Abs. 4 und § 21 auf § 20 Abs. 1 bis 3 mit der Ausnahme des § 21 Nr. 4. 514 s. bereits o. zum Arzneimittelgesetz: S. 215 f.

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

4. Mutmaßliche Einwilligung Die mutmaßliche Einwilligung ist in den Spezialgesetzen ebenfalls anerkannt.515 Sie ist dort nur bei eigennütziger Forschung und in Notfallsituationen zulässig. Auch sie unterliegt den genannten Beschränkungen durch die anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen klinischer Prüfungen.

III. Verhältnis der Strafbarkeit nach Spezialgesetz und Strafgesetzbuch Fraglich ist nun, welche Konsequenzen die Eröffnung des Anwendungsbereichs der spezial-gesetzlichen Strafvorschriften für eine Strafbarkeit nach dem Strafgesetzbuch hat. Die Strafbarkeit nach dem Spezialgesetz könnte etwa erst recht eine Strafbarkeit nach dem Strafgesetzbuch begründen oder dessen Anwendbarkeit ausschließen. Auch ein Nebeneinander der Regelungen ist denkbar. 1. Auswirkungen bei Strafbarkeit nach dem Spezialgesetz Im Falle einer Strafbarkeit nach dem Arzneimittel- oder dem Medizinproduktegesetz stellt sich die Frage, ob sich daneben auch eine Strafbarkeit nach dem Strafgesetzbuch ergeben kann oder ob diese abschließend sind. Die ganz herrschende Ansicht wendet die Vorschriften nebeneinander an.516 Die Vorschriften haben eine unterschiedliche Konzeption und Schutzrichtung517, sind ansonsten u. U. nicht ausreichend518 und stellen keine abschließende Regelung dar.519 Wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 223 ff. StGB erfüllt sind, insbesondere muss nicht nur eine Gefährdung, sondern ein Verletzungserfolg vorliegen, ist daher Tateinheit nach § 52 StGB möglich.520 Eine Strafbarkeit nach dem Strafgesetzbuch tritt also nicht erst recht ein, sofern sich eine Person nach dem Spezialgesetz strafbar macht, da die Voraussetzungen unterschiedlich sind. Nicht immer, wenn die Voraussetzungen der Spezialvorschriften nicht eingehalten worden sind, besteht auch eine Strafbarkeit nach dem Strafgesetzbuch. Es fehlt etwa auch daran, wenn Vor515

Vgl. § 41 Abs. 1 S. 2, 3 AMG sowie § 21 Nr. 3 S. 3 MPG. Zum AMG: Däbritz, Bestimmung strafbaren fahrlässigen Verhaltens, S. 94; Held, Strafrechtliche Beurteilung, S. 76; Kloesel/Cyran, § 96, Bl. 110 s; Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 88; Mayer, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 45, Rn. 4; Oswald, in: Roxin/ Schroth, S. 669, 724; dies., Die strafrechtlichen Beschränkungen, S. 296, 310; Pelchen/Anders, in: Erbs/Kohlhaas, § 96 AMG, Rn. 45; Rehmann, AMG, § 96, Rn. 28; Tag, in: Deutsch/Lippert, § 95 AMG, Rn. 4. Zum MPG: Ambs, in: Erbs/Kohlhaas, § 40 MPG, Rn 20; von Dewitz, Klinische Bewertung von Medizinprodukten, S. 99; Lücker, in: Spickhoff, § 41 MPG; Rehmann, MPG, § 41. 517 Mayer, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 45, Rn. 4. 518 Oswald, in: Roxin/Schroth, S. 669, 724. 519 Loose, Strafrechtliche Grenzen, S. 88. 520 Rehmann, AMG, § 96, Rn. 28; Sander, § 95, S. 8, § 96, Rn. 6. 516

D. Tatbestandsmäßigkeit und Rechtfertigung innerhalb der Spezialgesetze

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schriften verletzt sind, die den präventiven Schutz der Versuchsteilnehmer bezwecken, insbesondere der fehlende Abschluss einer Probandenversicherung allein kann keine Tatbestandsmäßigkeit nach §§ 223 ff. StGB begründen.521 Daher geht die Strafbarkeit nach dem Spezialgesetz in vielen Fällen weiter. Dort sind schließlich auch bestimmte Qualifikationen der Prüfer vorgeschrieben und deren Missachtung strafbewehrt,522 was aber allein nicht schon zu einer Tatbestandsmäßigkeit nach dem Strafgesetzbuch führt. Sofern es sich um Voraussetzungen handelt, die auch innerhalb der Strafbarkeit nach dem Strafgesetzbuch eine Rolle spielen, wie insbesondere die Einwilligung und die dort zu berücksichtigende Risiko-Nutzen-Abwägung, so konkretisieren die spezial-gesetzlichen Vorschriften diese Voraussetzungen. Die speziellen Vorgaben sind also bei Anwendbarkeit der Spezialgesetze auch im Bereich des Kernstrafrechts verbindlich.523 Ist etwa eine schriftliche Einwilligung vorgeschrieben, so kann eine mündliche Einwilligung auch innerhalb des Strafgesetzbuchs nicht zu einer Rechtfertigung führen, ebenso wie eine Einwilligung in eine klinische Prüfung mit negativer Risiko-Nutzen-Abwägung. 2. Auswirkungen bei fehlender Strafbarkeit nach dem Spezialgesetz Weiterhin ist zu untersuchen, ob eine fehlende Strafbarkeit nach dem Spezialgesetz trotz dessen Anwendbarkeit auch eine Straflosigkeit nach dem Strafgesetzbuch nach sich zieht, ob insoweit also eine Sperrwirkung eintritt. Werden die Vorschriften zum Schutz der Patienten und Probanden eingehalten, so besteht in der Regel keine Strafbarkeit nach den §§ 223 ff. StGB524 Dies wird auf unterschiedliche Weise begründet. Es werde kein unerlaubtes Risiko geschaffen, so dass die Pflichtwidrigkeit entfalle.525 Wenn also kein anderes unerlaubtes Risiko geschaffen werde, stellten die Maßnahmen keine Sorgfaltspflichtverletzung im Sinne der Fahrlässigkeitsdelikte dar.526 Bei einer positiven Risiko-Nutzen-Abwägung sei die Sittenwidrigkeit abzulehnen.527 Dem ist eine weitere Begründung hinzuzufügen: Wer die Schutzvorschriften einhält, der handelt legitim. Was jedoch erlaubt ist, kann nicht gleichzeitig mit Strafe verboten sein. Die Einheit der Rechtsordnung gebietet daher 521

Vgl. dazu: Niedermair, Körperverletzung, S. 201 f. Vgl. § 96 Nr. 10 i.V.m. § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 AMG bzw. § 41 Nr. 4 i.V.m. § 20 Abs. 1 S. 4 Nr. 4 MPG. 523 Oswald, Die strafrechtlichen Beschränkungen, S. 295. 524 Däbritz, Bestimmung strafbaren fahrlässigen Verhaltens, S. 95; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 400. 525 Rosenau, RPG 2002, 94, 99; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 323; Tiedemann/ Tiedmann, FS Schmitt, S. 139, 150 f. 526 Oswald, in: Roxin/Schroth, S. 669, 725; dies., Die strafrechtlichen Beschränkungen, S. 311 f. 527 Oswald, in: Roxin/Schroth, S. 669, 724 f. 522

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Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

eine einheitliche Betrachtung im Hinblick auf die Einhaltung der Voraussetzungen der §§ 40 f. AMG bzw. §§ 20 f. MPG. Für den Fall, dass zwar nicht alle Voraussetzungen eingehalten sind, diese aber in den speziellen Strafvorschriften nicht erwähnt sind, kommt es darauf an, um welche Voraussetzung es sich handelt. In der Regel ist die Einhaltung der wichtigsten Schutzvorschriften strafbewehrt, insbesondere die Einwilligung und die RisikoNutzen-Abwägung. Werden andere Vorschriften verletzt, wie etwa die Kontaktstelle nach § 40 Abs. 5 AMG, führt dies sicherlich nicht zu einer Strafbarkeit nach §§ 223 ff. StGB. Ist jedoch, das Erfordernis der Einwilligung des Vertreters nicht von den Strafvorschriften erfasst – wie im Medizinproduktegesetz – kann dies aufgrund der elementaren Bedeutung zu einer Verwirklichung der §§ 223 ff. StGB führen und zwar trotz fehlender Strafbarkeit nach dem Spezialgesetz. Folglich hat die Strafbarkeit nach dem Spezialgesetz im Gegensatz zur Einhaltung der Voraussetzungen zum Schutz der Patienten und Probanden keine Sperrwirkung. Wenn der Heilversuch bzw. das wissenschaftliche Experiment nicht unter eine spezial-gesetzliche Vorschrift fällt, sind die §§ 223 ff. StGB in jedem Fall anwendbar. Die speziellen Strafvorschriften sind nicht auf diese Bereiche anzuwenden.528 Eine Heranziehung für andere als dort geregelte Versuche würde eine unerlaubte Analogie darstellen.529 Eine fehlende hypothetische Strafbarkeit kann mangels Analogiefähigkeit auch keine Sperrwirkung entfalten.

IV. Ordnungswidrigkeiten Neben den Strafvorschriften sind in den Spezialgesetzen auch Ordnungswidrigkeiten vorgesehen. Im Arzneimittelgesetz kann eine Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu 25.000 Euro geahndet werden. Erfasst ist nach § 97 Abs. 1 AMG die fahrlässige Begehung der in § 96 AMG bezeichneten Handlungen, so dass insoweit auf die Ausführungen dazu verwiesen werden kann.530 In § 97 Abs. 2 AMG sind weitere Ordnungswidrigkeiten aufgezählt, wobei für die klinische Prüfung § 97 Abs. 2 Nr. 9 AMG Bedeutung hat, der die Information jedes Prüfers über die Ergebnisse der pharmakologisch-toxikologischen Prüfung und die voraussichtlich mit der klinischen Prüfung verbundenen Risiken nach § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 7 AMG erfasst. § 42 MPG ist ebenso aufgebaut: Abs. 1 regelt fahrlässige Begehungen des § 41 MPG, Abs. 2 zählt weitere Ordnungswidrigkeiten auf, wobei im Hinblick auf die klinische Prüfung nicht nur eine Information des Prüfers erfasst ist, sondern auch das Vorhandensein eines Prüfplans. 528 529 530

Oswald, in: Roxin/Schroth, S. 669, 695. Niedermair, Körperverletzung, S. 204. Vgl. S. 314 ff.

E. Exkurs: Strafbarkeit anderer Beteiligter

321

Auch in der Strahlenschutzverordnung sind Ordnungswidrigkeiten geregelt. In Bezug auf Versuche am Menschen handelt nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. g StrlSchV ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig ohne Genehmigung nach § 23 Abs. 1 StrlSchV radioaktive Stoffe oder ionisierende Strahlung zum Zwecke der medizinischen Forschung am Menschen anwendet. Nach § 116 Abs. 3 Nr. 1 StrlSchV muss sich der Strahlenschutzverantwortliche oder Strahlenschutzbeauftragte dafür verantworten, wenn er nicht dafür sorgt,531 dass die §§ 87 Abs. 1 S. 2 oder Abs. 3 – 7, § 88 Abs. 1, 2 S. 1 oder Abs. 3 oder Abs. 4 eingehalten werden. Dazu zählen insbesondere die Einwilligung und die Anwendungsverbote und Anwendungsbeschränkungen für einzelne Personengruppen, insbesondere auch für nicht voll Geschäftsfähige. Die Röntgenverordnung sieht größtenteils parallel dazu Ordnungswidrigkeiten gemäß § 44 Nr. 1 lit. c. i.V.m. § 28a Abs. 1 RöV sowie nach § 44 Nr. 12 i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 4 oder Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 28c Abs. 1 S. 2 oder Abs. 2 – 5, § 28e, 29 Abs. 1, 2 oder Abs. 4 S. 1, 2 sowie § 28d Abs. 1, 2 S. 1, Abs. 3 oder 4 vor. Zu beachten ist weiterhin, dass juristische Personen zwar nicht fähig sind, sich strafbar zu machen, jedoch besteht die Möglichkeit einer Geldbuße nach § 30 OWiG. Darüber hinaus muss auch § 130 OWiG bei einer Aufsichtspflichtverletzung des Inhabers berücksichtigt werden.

E. Exkurs: Strafbarkeit anderer Beteiligter I. Strafbarkeit von Sponsoren und Vertretern Zu prüfen ist nicht nur eine Strafbarkeit des forschenden Arztes, auch andere Personen könnten sich durch die Mitwirkung an einer Forschungsmaßnahme strafbar machen. Allerdings kommt es dabei jeweils auf den Einzelfall der Beteiligung an, so dass an dieser Stelle nur einige allgemeine Erörterungen und Beispiele angestellt werden können. Mehrere Prüfer können je nach Tatbeitrag Mittäter nach § 25 Abs. 2 StGB oder Gehilfen nach § 27 StGB sein. Der Sponsor, der auch nach § 96 AMG strafbar sein kann,532 kommt auch als Anstifter gemäß § 26 StGB in Betracht, wenn er etwa den Arzt zu einer unzulässigen Forschungsmaßnahme animiert, indem er ihm beispielsweise ein hohes Honorar für die Durchführung unzulässiger Versuche anbietet. Ruft er einen Irrtum hervor, kommt außerdem eine mittelbare Täterschaft nach § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB in Betracht.

531 Und zwar entgegen § 33 Abs. 1 Nr. 2 lit. a, b aa, bb aaa cc bbb ee bbb ff gg aaa hh c oder d oder Abs. 2 Nr. 1 lit. a. 532 Vgl. auch schon o. S. 314 f.

322

Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

Auch der Vertreter kann sich strafbar machen. Zunächst ist es möglich, dass er den Arzt zu einem Forschungseingriff anstiftet. Eltern und Betreuer können dabei auch den Tatbestand des § 225 StGB erfüllen, wenn die Eingriffe länger dauernde oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden verursachen, also ein Quälen darstellen.533 Auch könnte es zu einer rohen Misshandlung kommen, wenn sie aus einer gefühllosen gegen die Leiden des Opfers gleichgültigen Gesinnung heraus handeln.534 Möglich erscheint auch die Verwirklichung der Qualifikation nach § 225 Abs. 3 StGB, wenn die Person in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung gebracht wird. § 225 StGB ist nach herrschender Ansicht ein unechtes Sonderdelikt und mit der Ausnahme des seelischen Quälens eine Qualifikation zu § 223 StGB,535 so dass grundsätzlich § 28 Abs. 2 StGB anzuwenden ist. Eltern und Betreuer haben eine besondere Fürsorgepflicht und sind damit taugliche Täter des § 225 StGB.536 Stiften sie nun den forschenden Arzt aus gefühlloser Gesinnung zu einer Maßnahme an, die als Quälen oder rohe Misshandlung gelten kann, wie etwa die mehrmalige Durchführung von schmerzhaften Versuchen, so sind sie wegen einer Anstiftung zu einer Misshandlung Schutzbefohlener zu bestrafen. Nach herrschender Ansicht sind auch seelische Leiden erfasst,537 was für die Tatbestandsmäßigkeit bei rein psychischen Beeinträchtigungen etwa durch Experimente, die Angst auslösen können, von Belang ist. Darüber hinaus könnte eine mittelbare Täterschaft vorliegen, wenn der Vertreter dem Arzt falsche Tatsachen vorspiegelt, durch den dieser einem strafbarkeitsausschließenden Irrtum unterliegt.

II. Strafbarkeit von Mitgliedern von Ethikkommissionen Darüber hinaus ist auch eine strafrechtliche Verantwortlichkeit von Mitgliedern einer Ethikkommission in Betracht zu ziehen. Eine solche wird für möglich gehalten538 beispielsweise bei einer Fehleinschätzung von Risiken.539 Sie muss jedoch 533

BGH NStZ 2004, 94; NStZ-RR 2007, 304, 306. BGH NStZ 2004, 94. 535 Kühl, in: Lackner/Kühl, § 225, Rn. 1; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 225, Rn. 1/2. Nach Paeffgen, in: NK, § 225, Rn. 2 ist das seelische Quälen nicht weiter erfasst als bei § 223 StGB, so dass es sich insgesamt um eine Qualifikation handelt und § 28 Abs. 2 StGB anzuwenden ist. 536 Eschelbach, in: OK-StGB, § 225, Rn. 9; Paeffgen, in: NK, § 225, Rn. 5. 537 BGH, Beschluss vom 28. 10. 2010 – 5 StR 411/10, Rn. 2; Hardtung, in: MüKo-StGB, § 225, Rn. 12, 17; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 225, Rn. 12; einschränkend: Paeffgen, in: NK, § 225, Rn. 13: Seelische Leiden seien nur erfasst, wenn sie mit körperlichen Leiden verbunden seien. 538 Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 694 ff.; Held, Medizinische Diagnostik, S. 152; Kolhosser, in: Toellner, S. 79, 88; Samson, DMW 1981, 667, 669; Tiedemann/Tiedemann, FS Schmitt, S. 139, 156. 534

E. Exkurs: Strafbarkeit anderer Beteiligter

323

ausscheiden, wenn es um die Voraussetzungen im Einzelfall geht, wie etwa in Bezug auf die Einwilligungsfähigkeit einer konkreten Person.540 Bei der wohl in der Regel höchstens anzunehmenden Fahrlässigkeit der Mitglieder könnten sie Täter sein. Bei Vorsatz von Prüfer und Kommissionsmitglied ist auch eine Strafbarkeit wegen Anstiftung oder Beihilfe möglich.541 Darüber hinaus ist auch eine mittelbare Täterschaft in Erwägung zu ziehen, wenn durch ein vorsätzlich gefälltes fehlerhaftes Votum ein Irrtum beim Prüfer hervorgerufen wird, durch den dieser nicht strafbar ist. Die Strafbarkeit der Mitglieder hängt daher vom Einzelfall ab und kann in diesem Exkurs nicht in allen Einzelheiten erörtert werden. Es sollen hier jedoch einige grundsätzliche Probleme angesprochen werden. Auch bei Mitgliedern einer Ethikkommission muss gelten, dass die Einhaltung sämtlicher Voraussetzungen des Spezialgesetzes dazu führt, dass ihr Handeln erlaubt ist, sofern kein anderes unerlaubtes Risiko geschaffen wird.542 Problematisch ist jedoch, ob der Beitrag der Mitglieder kausal für die Verletzung der Person ist. Ein Votum setzt einen Entscheidungsablauf in Gang.543 Aufgrund ihrer interdisziplinären Zusammensetzung und Fachkenntnis wird sich ein Forscher wohl kaum über ein Votum hinwegsetzen.544 Damit ist es kausal für das Handeln des Prüfers und damit auch für die Verletzung. Obwohl dieser eigenverantwortlich als Dritter handelt, hat die Ethikkommission daher auch ein Risiko geschaffen, das sich im Erfolg realisiert hat und dieser ist ihr daher objektiv zurechenbar.545 Es stellt sich jedoch weiterhin die Frage, ob auch die Mitwirkung eines Mitglieds kausal für das Votum ist. Nach den Satzungen der Ethikkommissionen sollen die Mitglieder einen Konsens anstreben, ansonsten entscheidet eine Mehrheit.546 Es 539 540 541

157. 542

156.

Held, Medizinische Diagnostik, S. 152. Held, Medizinische Diagnostik, S. 153. Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 695; Tiedemann/Tiedemann, FS Schmitt, S. 139, Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 695; Tiedemann/Tiedemann, FS Schmitt, S. 139,

543 Bork, Verfahren vor den Ethik-Kommissionen, S. 83 (zum Zivilrecht); Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 696 f. 544 So zur zivilrechtlichen Haftung jeweils: Bork, Verfahren vor den Ethik-Kommissionen, S. 83; Koch, in: Bubner, S. 224, 236. 545 Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 697. 546 Vgl. exemplarisch § 6 Abs. 4 der Satzung der Ethikkommission an der Medizinischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn vom 07. März 2006 (Mehrheit der an der Beschlussfassung beteiligten Mitglieder), zuletzt geändert am 03. Dezember 2010, abrufbar unter http://ethik.meb.uni-bonn.de/satzung.html; vgl. auch § 8 Abs. 4 der Satzung der Ethikkommission an der Medizinischen Fakultät der Universität Rostock vom 23. November 2006 (Mehrheit der anwesenden Mitglieder), abrufbar unter http://www.ethik.med.uni-rostock. de/index.php?id=24; sowie § 8 Abs. 1 der Satzung für die Ethik-Kommission der FriedrichSchiller-Universität Jena an der Medizinischen Fakultät (Mehrheit der anwesenden Mitglieder), Amtsblatt des Thüringer Kultusministeriums und des Thüringer Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Nr. 12/1999.

324

Kap. 6: Strafrechtliche Aspekte der Forschung an Einwilligungsunfähigen

besteht daher die Möglichkeit, dass ein Votum nicht einstimmig, aber mit mehr Stimmen zustande kommt, als für eine Mehrheit erforderlich sind. Sodann stellt sich die Frage, ob sich ein Mitglied darauf berufen kann, dass die Entscheidung auch ohne seine Stimme zustande gekommen wäre.547 Dieses Problem ergibt sich auch etwa in Kollegialorganen in Wirtschaftsunternehmen oder bei Kollegialgerichten.548 Dort wird zum Teil eine Mittäterschaft der Mitglieder angenommen.549 Ein gemeinsamer Tatentschluss sei gegeben, wenn die Abstimmenden sich als gleichberechtigte Partner für den Beschluss entscheiden.550 Dadurch wird das Problem der Kausalität durch die Zurechnung der Tatbeiträge umgangen. Auch eine Mittäterschaft im Bereich der Fahrlässigkeit wird für möglich gehalten.551 Denkbar ist jedoch auch eine Lösung im Bereich der Kausalität. Insofern könnte es zur Begründung der Kausalität ausreichen, „wenn das Täterverhalten notwendiger Bestandteil einer von möglicherweise mehreren hinreichenden und tatsächlich erfüllten Erfolgsbedingungen“ ist.552 Die einzelne Stimme wäre sodann ein solch notwendiger Bestandteil. Ein Kommissionsmitglied kann sich also nicht darauf berufen, dass seine Stimme unerheblich gewesen sei. Ob den Mitgliedern aber ein Vorwurf gemacht werden kann, hängt von ihrem persönlichen Verschulden ab.553 Fragwürdig ist insofern, ob für alle Mitglieder die gleichen Anforderungen gelten oder ob sich nicht jedes Mitglied nur bei Falschbeurteilung innerhalb seines Fachbereichs strafbar machen kann. Dies könnte etwa mit dem Vertrauensgrundsatz begründet werden, würde aber wohl gleichzeitig auch zu einer überproportionalen Verantwortlichkeit der Juristen führen. Auch der Nachweis von Vorsatz oder Fahrlässigkeit wird sich als schwierig erweisen, könnte er lediglich durch beweiskräftige Unterlagen wie Anwesenheitslisten oder Sitzungsprotokolle geführt werden.554 Keine Strafbarkeit besteht jedenfalls 547 Heine, in: Schönke/Schröder, § 25, Rn. 77; vgl. zu diesem Problem auch BGH NJW 2003, 522 ff. 548 Nach Tiedemann/Tiedemann, FS Schmitt, S. 139, 157 ist die Rechtsprechung zum Abstimmungsverhalten in richterlichen Spruchkörpern hier nicht übertragen wegen der Besonderheiten richterlicher Urteilsfindung. 549 BGH NJW 1990, 2560, 2566; Beulke/Bachmann, JuS 1992, 737, 743; Heine, in: Schönke/Schröder, § 25. Rn. 76; Knauer, Kollegialentscheidung, S. 133 ff.; Kuhlen, NStZ 1990, 560, 570; Murmann, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, § 25, Rn. 37, Ransiek, in: Schönke/ Schröder, § 324, Rn. 64; ders., Unternehmensstrafrecht, S. 58 ff.; Schaal, Gremienentscheidungen, S. 209; vgl. auch Neudecker, Verantwortlichkeit der Mitglieder von Kollegialorganen, S. 210, 221; dagegen: Puppe, ZIS 2007, 234, 240; dies., JR 1992, 30, 32; dies., in: NK, vor §§ 13 ff., Rn. 94; Samson, StV 1991, 182, 184. 550 Vgl. Heine, in: Schönke/Schröder, § 25, Rn. 79. 551 Schaal, Gremienentscheidungen, S. 209 ff., 242 ff.; vgl. dazu auch: Brammsen, JURA 1991, 533, 537 f.; Hilgendorf, NStZ 1994, 561, 563; Knauer, Kollegialentscheidung, S. 181 ff.; Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 70 ff. 552 Puppe, ZIS 2007, 234, 240; vgl. dies., JR 1992, 30, 32. 553 Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 699; Kolhosser, in: Toellner, S. 79, 88. 554 Hägele, Arzneimittelprüfung, S. 702.

E. Exkurs: Strafbarkeit anderer Beteiligter

325

grundsätzlich, wenn ein Mitglied dagegen gestimmt hat.555 Dieser Nachweis könnte durch ein Sondervotum beigebracht werden. Insgesamt erscheint mithin eine Strafbarkeit von Mitgliedern einer Ethikkommission möglich. Sie wirft jedoch auch erhebliche dogmatische und prozessuale Probleme auf.

555 Heine, in: Schönke/Schröder, § 25, Rn. 81; anders hingegen: OLG Stuttgart NStZ 1981, 27, 28 zu einer Redaktionsentscheidung.

Kapitel 7

Ausblick: Neue Verordnungen auf europäischer Ebene A. Neuregelungen auf europäischer Ebene Der Bereich der medizinschen Forschung ist nicht nur in naturwissenschaftlicher Hinsicht ein Gebiet, das sich äußerst schnell fortentwickelt. Auch die Regeln und Gesetze werden laufend angespasst. Aufgrund der steigenden Bedeutung von multinationalen Studien werden auch Regelungen auf europäischer Ebene immer wichtiger. Die Europäische Union hat daher eine Verordnung zu Humanarzneimitteln beschlossen. Eine Verordnung, die Medizinprodukte betrifft, befindet sich noch im Entwurfsstadium.

B. Verordnung über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln Die Verordnung (EU) Nr. 536/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/20/EG1 ist bereits in Kraft getreten. Sie gilt jedoch erst ab sechs Monate nach der Veröffentlichung einer Mitteilung im Amtsblatt der Union, dass das einzurichtende EU-Portal und die EU-Datenbank voll funktionsfähig seien. Die Verordnung soll keinesfalls vor dem 28. 05. 2016 gelten.2 Die Richtlinie 2001/20/EG wird durch die Verordnung zu diesem Zeitpunkt ersetzt.3 Rechtsgrundlage für die Verordnung ist Art. 114 AEUV sowie Art. 168 Abs. 4 lit. c AEUV.4 Die Kommission beruft sich damit auf ihre Kompetenz zur Harmonisierung um den Binnenmarkt zu verwirklichen und außerdem auf die spezielle Kompetenz im Gesundheitswesen, nach der das Parlament und der Rat Maßnahmen zur Festlegung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Arzneimittel und Medizinprodukte festlegen können.

1 2 3 4

Amtsblatt L 158/1 vom 27. 5. 2014. Vgl. Art. 99, 82 Abs. 3. Vgl. Art. 96 Abs. 1. Erwägungsgrund (82) sowie COM(2012) 369 final, S. 12.

B. Verordnung über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln

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I. Allgemeines Die Europäische Union wählt zur Ablösung der Richtlinie 2001/20/EG die Rechtsform einer Verordnung. Damit wird die Verordnung auch national unmittelbar geltendes Recht..5 Der harmonisierte Ansatz der Regulierung klinischer Prüfungen durch die Richtlinie sei nur teilweise verwirklicht worden.6 Ein einheitliches Verfahren in Bezug auf Anträge und Genehmigungen klinischer Prüfungen könne so gewährleistet und Schwierigkeiten durch unterschiedliche Umsetzungsvorschriften vermieden werden.7 Die Regelung als Verordnung ist grundsätzlich zu begrüßen, da viele Studien multinational durchgeführt werden und einheitliche Standards sowie ein harmonisiertes Genehmigungsverfahren die Forschung erleichtern und den Schutz der Probanden fördern können. Es soll ein neues Genehmigungsverfahren für klinische Prüfungen mit einem harmonisierten Genehmigungsdossier eingeführt werden. Es soll danach nur ein Antragsdossiers eingereicht werden, das über ein zentrales Einreichungsportal an alle betroffenen Mitgliedstaaten übermittelt wird.8 Außerdem wird eine Datenbank eingerichtet, in der alle relevanten Informationen zu klinischen Prüfungen erfasst werden, so dass der Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten untereinander und den Sponsoren erleichtert wird.9

II. Schutzvorschriften für Probanden 1. Allgemeine Schutzvorschriften In den Erwägungsgründen verweist die Verordnung auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union.10 Die Bestimmungen zum Schutz der Prüfungsteilnehmer, die in der Richtlinie 2001/20/EG enthalten sind, sollen beibehalten werden.11 Nachdem im ursprünglichen Entwurf der Kommission kein Votum einer Ethikkommission vorgesehen war12 und dies erhebliche Kritik ausgelöst hat,13 sieht die 5

Vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV. Erwägungsgrund (4). 7 COM(2012) 369 final, S. 12; Erwägungsgrund (5) 8 Erwägungsgrund (4), Art. 5 sowie auch schon COM(2012) 369 final, S. 4. 9 Vgl. Erwägungsgrund (67) sowie auch schon COM(2012) 369 final, Erwägungsgrund (51) f. 10 Erwägungsgrund (27). 11 Erwägungsgrund (27). 12 Die Bestimmung von geeigneten Stellen soll den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, vgl. COM(2012) 369 final, Erwägungsgrund (14). 6

328

Kap. 7: Ausblick: Neue Verordnungen auf europäischer Ebene

Verordnung nun Bewertungen von Ethikkommissionen vor.14 Eine klinische Prüfung muss wissenschaftlich und ethisch überprüft und vorab genehmigt werden.15 Als allgemeinen Grundsatz stellt Art. 3 auf, dass eine klinische Prüfung nur durchgeführt werden darf, wenn „die Rechte, die Sicherheit, die Würde und das Wohl der Prüfungsteilnehmer geschützt sind und Vorrang vor allen sonstigen Interessen haben“. Dies hatte die Richtlinie 2001/20/EG noch nicht so deutlich herausgestellt.16 Art. 28 enthält allgemeine Bestimmungen für den Schutz des Probanden, Art. 28 Abs. 1 lit. b, c; Art. 29 betrifft die Einwilligung nach Aufklärung. Dabei enthält der Verordnungsentwurf kaum inhaltliche, jedoch einige sprachliche und redaktionelle Änderungen: Die Risiko-Nutzen-Abwägung und deren Überwachung in Art. 28 Abs. 1 lit. a ist in ähnlicher Weise auch in Art. 3 Abs. 2 lit. a der Richtlinie enthalten. Das Bekenntnis zu den Rechten des Probanden auf körperliche und geistige Unversehrtheit, Privatsphäre und Schutz der personenbezogenen Daten stammt aus Art. 3 Abs. lit. c der Richtlinie und findet sich nun in Art. 28 Abs. 1 lit. d. Art. 28 Abs. 1 lit. g entspricht weitgehend Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie, wonach für die medizinische Versorgung eines Prüfungsteilnehmers ein angemessen qualifizierter Arzt verantwortlich sein muss. Mit Art. 28 Abs. 1 lit. e wird ein allgemeines Erfordernis aufgestellt, das bislang in der Richtlinie nur für nicht einwilligungsfähige und minderjährige Personen galt17: Die klinische Prüfung muss so geplant sein, dass sie mit möglichst wenig Schmerzen, Beschwerden, Angst und allen anderen vorhersehbaren Risiken für die Prüfungsteilnehmer verbunden ist und sowohl die Risikoschwelle als auch das Ausmaß der Belastung im Prüfplan eigens definiert und ständig überprüft werden. Darüber hinaus dürfen die Prüfungsteilnehmer nun nach Art. 28 Abs. 1 lit. g keiner unzulässigen Beeinflussung, etwa finanzieller Art ausgesetzt sein. Die Kontaktstelle, die bereits in Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie erwähnt war, ist nun in Art. 28 Abs. 1 lit. h geregelt.

13 Vgl. die Stellungnahme des ENVI-Ausschusses: A7-0208/2013, Änderungsantrag 2, Erwägungsgrund 2; Änderungsantrag 25, Erwägungsgrund 14; vgl. auch die Definition nach Änderungsantrag 64, Art. 2 Abs. 2 Nr. 10a (neu); Änderungsantrag 77 Art. 3 Spiegelstrich 1; Änderungsantrag 79 Art. 4a (neu); vgl. zur Genehmigung von Änderungen: Änderungsantrag 137 Art. 15; vgl. auch die Stellungnahme des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie, S. 159, 160; vgl. BT-Drs. 17/12183; BT-Drs. 17/12184 (neu); Pressemitteilung des Marburger Bunds v. 24. 09. 2012 – 28/12, abrufbar unter http://www.marburger-bund.de/artikel /2012/europaeische-kommission-will-patientenschutz-aushebeln; Stellungnahme des Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen, S. 4 ff., abrufbar unter http://www.ak-med-ethikkomm.de/documents/StellungnahmeEUVerordnungklinischePruefungen.pdf; Stellungnahme der Bundesärztekammer, S. 3, abrufbar unter http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/STN_ BAeK_EU-VO-Vorschlag_KOM_2012_369_27082012.pdf; Deutsch/Spickhoff, Rn. 1762. 14 Art. 4, vgl. auch die Definition in Art. 2 Abs. 2 Nr. 11. 15 Art. 4. 16 Vgl. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie, nach dem die Grundsätze der guten klinischen Praxis dies gewährleisten sollen. 17 Vgl. Art. 4 lit. g und Art. 5 lit. f der Richtlinie.

B. Verordnung über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln

329

Die Möglichkeit in Art. 28 Abs. 3, die Teilnahme zu beenden, ohne dass dem Probanden daraus Nachteile entstehen, fand sich auch schon in Art. 3 Abs. 2 lit. e. Die Einwilligung nach Aufklärung, in der Richtlinie in Art. 3 Abs. 2 lit. d, soll nun in Art. 28 Abs. 1 lit. b, c, Abs. 2, 3 sowie Art. 29 geregelt werden. Sie muss nach Art. 29 Abs. 1 der Verordnung in Schriftform nach einer angemessenen Frist erfolgen. In Ausnahmefällen kann sie mündlich vor mindestens einem unparteiischen Zeugen erteilt werden. Nicht in der Richtlinie enthalten waren Anforderungen an die schriftlichen Informationen, die nach Art. 29 Abs. 2 dem Probanden oder seinem rechtlichen Vertreter zur Verfügung gestellt werden. Dort sind detailliert erforderliche Inhalte einer Aufklärung aufgezählt. So muss der Prüfungsteilnehmer oder sein gesetzlicher Vertreter „das Wesen, die Ziele, der Nutzen, die Folgen, die Risiken und die Nachteile der klinischen Prüfung“ verstehen können,18 sowie auch welche Rechte und Garantien dem Prüfungsteilnehmer zu seinem Schutz zustehen, insbesondere auch, dass die Teilnahme an der klinischen Prüfung verweigert oder beendet werden kann, ohne dass ihm Nachteile daraus entstehen.19 Außerdem muss die Aufklärung Informationen über die Bedingungen und die Dauer der klinischen Prüfung sowie alternative Behandlungsmöglichkeiten erfassen.20 Darüber hinaus müssen die Informationen „umfassend, knapp, klar, zweckdienlich und für Laien verständlich sein“ und das Gespräch von einem Mitglied des Prüfungsteams geführt werden.21 Außerdem muss über Möglichkeiten der Entschädigung und die Verfügbarkeit der Ergebnisse aufgeklärt werden.22 Die Aufklärung muss dokumentiert werden und es muss sichergestellt sein, dass der Prüfungsteilnehmer die Informationen verstanden hat.23 Die Anforderungen an die Aufklärung und das Vorgespräch werden durch diese Verordnung verbessert, so dass in dieser Hinsicht ein höheres Schutzniveau als durch die Richtlinie erreicht wird. Der Prüfer kann anhand der Verordnung überprüfen, ob er alle wichtigen Aspekte berücksichtigt hat. Auch die Einführung eines Artikels, der nur die Einwilligung betrifft, betont ihre Bedeutung. Art. 30 der Verordnung sieht eine „Einwilligung nach Aufklärung im vereinfachten Verfahren“ vor. Danach reicht es aus, wenn der Prüfungsteilnehmer die Informationen erhalten hat und keine Einwände gegen die Teilnahme erhebt.24 Dazu muss dieses Verfahren im Einklang mit dem Recht des betroffenen Mitgliedstaats stehen, die Methodik der klinischen Prüfung muss es erfordern, dass Gruppen von 18 19 20 21 22 23 24

Art. 29 Abs. 2 lit. a i. Art. 29 Abs. 2 lit. a ii. Art. 29 Abs. 2 lit. a iii, iv. Art. 29 Abs. 2 lit. b, c. Art. 29 Abs. 2 lit. d, e. Art. 29 Abs. 3, 5. Art. 30 Abs. 2.

330

Kap. 7: Ausblick: Neue Verordnungen auf europäischer Ebene

Prüfungsteilnehmern in einer klinischen Prüfung eingeteilt werden, um unterschiedliche Prüfpräparate verabreicht zu bekommen und es handelt sich um eine minimalinterventionelle Prüfung, bei der Prüfpräparate gemäß den Bedingungen ihrer Zulassung verwendet werden. Es dürfen keine Interventionen vorgenommen werden außer der Standardbehandlung.25 Es stellt sich bei dieser Regelung die Frage, warum auf die Einwilligung verzichtet werden sollte. Die Möglichkeit der Verweigerung verbleibt den Patienten zwar, jedoch wird damit das Selbstbestimmungsrecht nicht im gleichen Maß gewahrt wie bei einer ausdrücklichen Einwilligung. Ohne Not soll hier auf dieses Legitimationserfordernis verzichtet werden, obwohl es von größter Bedeutung für die Achtung der Grundrechte der Probanden ist. Im ursprünglichen Entwurf war eine Überarbeitung des Erfordernisses der Probandenversicherung vorgesehen: Während in der Richtlinie lediglich Vorschriften über Versicherung oder Schadenersatz zur Deckung der Haftung des Prüfers und des Sponsors bestehen mussten,26 sollte nach dem Entwurf eine Entschädigung gewährleistet werden, wenn ein höheres Risiko besteht. Dies könnte durch eine Versicherung geschehen oder durch eine andere Schadensersatzdeckung. Die Mitgliedstaaten sollten dazu einen nationalen Entschädigungsmechanismus einrichten, der nicht gewinnorientiert sein sollte, damit auch nicht-kommerzielle Sponsoren die Möglichkeit haben, eine Deckung zu erhalten.27 Die Nutzung dieses Mechanismus solllte nach Art. 73 Abs. 3 des Entwurfs kostenfrei sein, wenn die klinische Prüfung zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags objektiv nicht dazu dienen sollte, eine Zulassung für ein Arzneimittel zu erhalten. Wenn kein höheres Risiko als bei einer normalen Behandlung bestehe oder sich dieses vernachlässigenswert darstelle, sei keine spezielle Entschädigungsdeckung notwendig.28 Diese Regelung ist in der endgültigen Fassung nicht mehr enthalten. Art. 76 der Verordnung regelt lediglich, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Verfahren zur Entschädigung für jeden Schaden, der einem Prüfungsteilnehmer durch seine Teilnahme an einer klinischen Prüfung auf ihrem Hoheitsgebiet entsteht, in Form einer Versicherung oder durch Garantie oder ähnliche Regelungen bestehen, die hinsichtlich ihres Zwecks gleichwertig sind und der Art und dem Umfang des Risikos entsprechen. Eine Ausnahme davon gilt bei minimalinterventionellen klinischen Prüfungen.29 Die aktuelle Regelung lässt den Mitgliedstaaten einen größeren Freiraum in der Gestaltung der Entschädigung. Dennoch war der ursprüngliche Entwurf vorzugswürdig, da dieser den Probanden auf der einen Seite abgesichert hat, auf der anderen Seite aber eine Erleichterung für nicht-kommerzielle Prüfer darstellte.

25 26 27 28 29

Vgl. im Einzelnen Art. 30 Abs. 3. Art. 3 Abs. 2 lit. f. COM(2012) 369 final, S. 10; vgl. Art. 72 des Entwurfs. COM(2012) 369 final, S. 10; vgl. Art. 72 des Entwurfs. Art. 76 Abs. 3.

B. Verordnung über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln

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Neben Minderjährigen, nicht einwilligungsfähigen Personen und Notfallpatienten werden auch besondere Schutzvorschriften für schwangere und stillende Frauen vorgesehen.30 Eine Beachtung auch dieser Personengruppe ist zu begrüßen, da es sich um eine vulnerable Personengruppe handelt, bei der medizinische Forschung dennoch von großer Bedeutung ist, um Fortschritte auch in der pränatalen Behandlung und der Behandlung von schwangeren Frauen zu erlangen. Darüber hinaus können zusätzliche nationale Maßnahmen beibehalten werden, die Personen betreffen, die einen Pflichtwehrdienst leisten oder denen die Freiheit entzogen wurde, die in einem Pflegeheim untergebracht sind oder die aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung nicht an einer klinischen Prüfung teilnehmen dürfen. 2. Besondere Schutzvorschriften für einwilligungsunfähige Probanden Für nicht einwilligungsfähige Personen, Minderjährige, schwangere und stillende Frauen seien besondere Schutzmaßnahmen erforderlich.31 Bei der Bewertung des Antrags und der Genehnmigung soll entsprechendes Fachwissen herangezogen oder entsprechende Beratung eingeholt werden.32 Die Verordnung differenziert zwischen Minderjährigen und nicht einwilligungsfähigen Personen: Ein Minderjähriger wird definiert als „eine Person, die gemäß dem Recht des betroffenen Mitgliedsstaats noch nicht alt genug ist, um eine Einwilligung nach Aufklärung zu erteilen“.33 Eine nicht einwilligungsfähige Person soll demgegenüber eine Person sein, „die aus anderen als aus Altersgründen gemäß dem Recht des betroffenen Mitgliedstaats nicht in der Lage ist, eine Einwilligung nach Aufklärung zu erteilen“.34 Trifft auf eine Person beides zu, so soll sie als nicht einwilligungsfähige Person behandelt werden.35 Nach diesen Definitionen handelt es sich also bei beiden Personengruppen grundsätzlich um einwilligungsunfähige Personen, wobei die erste Gruppe aufgrund ihres Alters nicht einwilligungsfähig ist. Die Verordnung geht damit davon aus, dass die Mitgliedstaaten Altersgrenzen festgesetzt haben, bis wann eine Person einwilligungsunfähig ist. Dabei wird aber ausgeblendet, dass die Schwelle der Einwilligungsfähigkeit höher liegt, je schwerwiegender ein Eingriff ist und dass eine strenge Altersgrenze nicht sachgerecht ist.36

30 31 32 33 34 35 36

Vgl. Art. 33. Erwägungsgrund (27). Art. 10. Art. 2 Abs. 2 Nr. 18. Art. 2 Abs. 2 Nr. 19. Art. 2 Abs. 3. Vgl. dazu bereits o. S. 37 ff.

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Kap. 7: Ausblick: Neue Verordnungen auf europäischer Ebene

a) Nicht einwilligungsfähige Personen Art. 31 der Verordnung stellt Voraussetzungen für die Teilnahme nicht einwilligungsfähiger Personen auf. Zunächst darf sie nicht vor Verlust ihrer Einwilligungsfähigkeit die Teilnahme verweigert haben. Sollte sie im noch einwilligungsfähigen Zustand eine Einwilligung erteilt haben, so sind die weiteren Voraussetzungen nicht einzuhalten.37 Leider wird dadurch die Bedeutung der antizipierten Einwilligung nicht recht deutlich, nämlich, dass sie eine persönliche Einwilligung darstellt. Fehlt eine antizipierte Einwilligung, so wird die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters eingeholt.38 Der nicht einwilligungsfähige Prüfungsteilnehmer muss Informationen erhalten und soweit wie möglich in den Einwilligungsprozess einbezogen werden.39 Das Veto muss vom Prüfer „beachtet“ werden. In der Richtlinie musste dieses lediglich „berücksichtigt“ werden, so dass hier ein Fortschritt in der Formulierung errreicht worden ist. Allerdings wäre die Formulierung „befolgt“ noch deutlicher.40 Es dürfen außerdem ähnlich wie schon in Art. 5 lit. d der Richtlinie keine finanziellen oder anderweitigen Anreize über eine Entschädigung hinaus gewährt werden.41 Die klinische Prüfung muss „im Hinblick auf nicht einwilligungsfähige Prüfungsteilnehmer unerlässlich“ sein und „Daten von vergleichbarer Aussagekraft können nicht im Rahmen klinischer Prüfungen an einwilligungsfähigen Personen oder mit anderen Forschungsmethoden gewonnen werden“.42 In der Richtlinie musste die Forschung noch „unbedingt erforderlich“ sein. Welche Intention die Kommission mit diesen Veränderungen verfolgt, ist fraglich. Des Weiteren muss die klinische Prüfung im direkten Zusammenhang mit einem klinischen Zustand, unter dem der Prüfungsteilnehmer leidet, stehen.43 Sodann wird in Art. 31 Abs. 1 lit. g der erforderliche Nutzen geregelt: Es muss wissenschaftliche Gründe für die Erwartung geben, dass die Teilnahme an der klinischen Prüfung entweder einen direkten Nutzen für den nicht einwilligungsfähigen Prüfungsteilnehmer zur Folge haben wird, der die Risiken und Belastungen überwiegt, oder einen Nutzen für die repräsentierte Bevölkerungsgruppe, zu der der betroffene nicht einwilligungsfähige Prüfungsteilnehmer gehört. Die Regelung unterscheidet also Eigen- und Gruppennutzen. Bei letzterem müssen weitere Voraussetzungen erfüllt werden: Die klinische Prüfung muss im direkten Zusammenhang 37

Vgl. Art. 31 Abs. 1. Vgl. Art. 31 Abs. 1 lit. a. 39 Vgl. Art. 31 Abs. 1 lit. b, Abs. 3. 40 So der Änderungsvorschlag des ENVI-Ausschusses, A7-0208/2013, Änderungsantrag 171, Art. 30 Abs. 1 lit. c. Ein Handeln gegen den Willen der Person verstieße nach der Begründung gegen Art. 3 i.V.m. Art. 8 EMRK sowie Art. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1GRC, jeweils i.V.m. Art. 6 Abs. 1 und 3 des EU-Vertrags. 41 Art. 31 Abs. 1 lit. d. 42 Art. 31 Abs. 1 lit. e. 43 Art. 31 Abs. 1 lit. f; vgl. auch schon Art. 5 lit. e der Richtlinie. 38

B. Verordnung über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln

333

mit dem lebensbedrohlichen oder zu Invalidität führenden klinischen Zustand stehen, unter dem der Prüfungsteilnehmer leidet, und die Prüfung darf den nicht einwilligungsfähigen Prüfungsteilnehmer im Vergleich zur Standardbehandlung nur einem minimalen Risiko und einer minimalen Belastung aussetzen. Es folgt eine Öffnungsklausel, nach der strengere nationale Regelungen unberührt bleiben, die einen individuellen Nutzen voraussetzen.44 Diese Öffnungsklausel beruht auf einem Kompromiss: Die Richtlinie hatte noch grundsätzlich einen individuellen Nutzen bei einwilligungsunfähigen Personen vorgeschrieben mit der Ausnahme der risikolosen Prüfung.45 Im ersten Entwurf der Verordnung sollte dies beibeahlten werden.46 Der Bericht des ENVI-Ausschusses47 wollte sodann auch eine Ausnahme bei einem geringen Risiko zulassen, da die Verordnung nur für klinische Prüfungen mit Risiken gelte.48 Auch dadurch wäre schon fremdnützige, mit Risiken verbundene Forschung an einwilligungsunfähigen Probanden zugelassen worden, ohne dies jedoch mit ausreichender Klarheit deutlich zu machen. Daher ist es nun zu begrüßen, dass gruppennützige Forschung möglich ist, davon jedoch in den Mitgliedstaaten Abweichungen zugunsten des Schutzes der Probanden erlaubt sind. Leider kann nach der Verordnung nur der gesetzliche Vertreter zustimmen. Die Möglichkeit einer Bevollmächtigung ist nicht gegeben. Die Verordnung lässt nationales Recht unberührt, nach dem auch die Unterschrift der nicht einwilligungsfähigen Person auf dem Formular verlangt werden kann. Ist die Person nicht einwilligungsfähig, hat ihre Unterschrift jedoch insofern keine rechtliche Bedeutung. Ein Assent ist nicht notwendig.49 b) Minderjährige In Art. 32 werden die Voraussetzungen für klinische Prüfungen mit Minderjährigen im Wesentlichen parallel zu Art. 31 festgelegt. Auch hier wird die Einwilligung durch den gesetzlichen Vertreter erteilt, die Minderjährigen müssen informiert werden und finanzielle Anreize werden verboten mit Ausnahme von Entschädigungen.50. Auch der Minderjährige muss soweit wie möglich in den Einwilligungsprozess einbezogen werden und seine Einwilligung muss nachgeholt werden, falls er während der klinischen Prüfung einwilligungsfähig wird.51 44 Vgl. Art. 31 Abs. 2; vgl. auch schon die Stellungnahme der Bundesärztekammer zu dem Entwurf, S. 5, 36, abrufbar unter http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/STN_BAeK_ EU-VO-Vorschlag_KOM_2012_369_27082012.pdf. 45 Vgl. Art. 5 lit. i der Richtlinie. 46 Vgl. COM(2012) 369 final,Art. 30 Abs. 1 lit. h. 47 Ausschuss für Umwelt, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI). 48 A7-0208/2013, Änderungsantrag 173 (Begründung). 49 Vgl. dazu bereits o. S. 158 ff. 50 Vgl. Art. 32 Abs. 1 lit. a, b, d. 51 Art. 32 Abs. 2, 3.

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Kap. 7: Ausblick: Neue Verordnungen auf europäischer Ebene

Das Veto eines Minderjährigen wird „respektiert“. In der Richtlinie solle er noch „berücksichtigt“ werden, wie auch dort bei nicht einwilligungsunfähigen Personen. Auch die Verordnungsentwürfe sahen vor, die Formulierung beizubehalten.52 Aus welchem Grund nun eine abweichende Formulierung gewählt wird, die darüber hinaus nicht mit Art. 31 übereinstimmt, ist nicht einzusehen und wird zu Rechtsunsicherheit führen. Darüber hinaus werden die Rechte des Minderjährigen nicht im gleichen Maß gewahrt wie die eines Einwilligungsunfähigen. Dies bedeutet nicht nur einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz, sondern kann auch im Falle nicht eigennütziger Forschung die Würde der Person berühren. Bei Minderjährigen muss das Ziel der klinischen Prüfung die Erforschung von Behandlungen für einen klinischen Zustand, der nur Minderjährige betrifft, sein oder die klinische Prüfung ist zur Bestätigung von im Rahmen klinischer Prüfungen an einwilligungsfähigen Personen oder mittels anderer Forschungsmethoden gewonnener Daten in Bezug auf Minderjährige unerlässlich.53 Auch hier wurde „unbedingt erforderlich“ durch „unerlässlich“ ersetzt, ohne dass dieser Formulierungswechsel deutlich macht, ob auch eine andere Bedeutung beabsichtigt ist. Es handelt sich weiterhin um das Erfordernis der Subsidiarität. Die klinische Prüfung muss des Weiteren entweder unmittelbar im Zusammenhang mit dem klinischen Zustand, unter dem der betroffene Minderjährige leidet, stehen, oder kann aufgrund ihrer Beschaffenheit nur mit Minderjährigen durchgeführt werden.54 Auch bei Minderjährigen wird zwischen Eigen- und Gruppennutzen unterschieden. Ein Gruppennutzen ist ausreichend, wenn der Minderjährige im Vergleich zur Standardbehandlung nur einem minimalen Risiko und einer minimalen Belastung ausgesetzt wird.55 Der Gruppennutzen ist – wie auch bei einwilligungsunfähigen Erwachsenen – eine überflüssige Begrenzung der Forschung und könnte durch Fremdnutzen ersetzt werden. Bei Minderjährigen wurde keine Öffnungsklausel in Bezug auf die Zulässigkeit gruppennütziger Forschung eingefügt. Dies liegt wohl daran, dass bei Minderjährigen auch schon nach der Richtlinie gruppennützige Forschung erlaubt war. Aus welchem Grund weiterhin ein Unterschied gemacht wird und einwilligungsunfähige Erwachsene einen höheren Schutzstandard genießen können, ist nicht einzusehen. Nationales Recht bleibt unberührt, das vorschreibt, dass ein Minderjähriger, der in der Lage ist, sich eine Meinung zu bilden und die ihm erteilten Informationen zu bewerten, zusätzlich zu der Einwilligung nach Aufklärung durch den gesetzlichen Vertreter selbst der Teilnahme zustimmen muss.56 Damit ist nicht der Co-Consent 52

COM(2012) 369 final, Art. 31 Abs. 1 lit. c, wobei dort eine Berücksichtigung nur je nach Alter und Reife des Probanden erfolgen sollte; A7-0208/2013, Änderungsantrag 178, Art. 31 Abs. 1 lit. c. 53 Art. 32 Abs. 1 lit. e. 54 Art. 32 Abs. 1 lit. f. 55 Art. 32 Abs. 1 lit. g ii. 56 Art. 29 Abs. 8; Erwägungsgrund (32).

B. Verordnung über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln

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gemeint, nämlich die Einwilligung der Eltern neben der Einwilligung des einwilligungsfähigen Jugendlichen, sondern die Frage der Notwendigkeit der Einwilligung des einwilligungsfähigen Jugendlichen selbst. Aus Sicht des deutschen Rechts ist dies allerdings selbstverständlich: Eine einwilligungsfähige Person muss selbst einwilligen, wenn dies möglich ist. c) Notfallpatienten Neu eingeführt wird eine Regelung zu Notfallpatienten in Art. 35 der Verordnung. Es gehe dabei beispielsweise um Fälle wie multiple Traumata, Gehirnschläge oder Herzinfarkte.57 Eine solche Regelung fehlte in der Richtlinie. Sie gilt auch bei minderjährigen und einwilligungsunfähigen Personen, die gleichzeitig Notfallpatienten sind. Die Einwilligung kann erst nach Beginn der klinischen Prüfung eingeholt werden bzw. die Informationen können erst dann zur Verfügung gestellt werden, nachdem die Entscheidung getroffen wurde, den Prüfungsteilnehmer in die Prüfung einzubeziehen, wenn mehrere Voraussetzungen erfüllt sind: Wegen Dringlichkeit der Situation, die sich aus diesem plötzlichen lebensbedrohlichen oder anderweitig schwerwiegenden Gesundheitszustand ergibt, ist eine vorherige Einholung der Einwilligung nach Aufklärung des Probanden und vorherige Bereitstellung der betreffenden Informationen nicht möglich.58 Auch die vorherige Einwilligung des gesetzlichen Vertreters ist nicht möglich.59 Es muss vom Prüfer bescheinigt werden, dass nach seiner Kenntnis keine Einwände gegen die Teilnahme geäußert worden sind.60 Damit wird – leider etwas umständlich – die Beachtlichkeit des Vetos geregelt. In Notfallsituationen soll nur Forschung mit einem direkten Nutzen für den Prüfungsteilnehmer erlaubt sein.61 Außerdem wird die Subsidiarität der Forschung in Notfallsituationen geregelt: Die klinische Prüfung muss in direktem Zusammenhang mit dem klinischen Zustand des Prüfungsteilnehmers stehen, der die vorherige Einholung der Einwilligung unmöglich macht und die klinische Prüfung kann ausschließlich in Notfallsituationen durchgeführt werden.62 Die klinische Prüfung darf im Vergleich zur Standardbehandlung nur ein minimales Risiko und eine minimale Belastung darstellen.63 In Art. 32 Abs. 2 wird die Nachholung der Einwilligung geregelt: Bei nicht einwilligungsfähigen Personen und Minderjährigen wird die Einwilligung nach lit. a beim rechtlichen Vertreter eingeholt, bei anderen Probanden beim rechtlichen Vertreter oder beim Probanden, je nachdem, welche Einwilligung zuerst eingeholt werden kann. Trifft ersteres zu, wird die Einwilligung des Probanden nachgeholt, sobald er einwilligungsfähig ist. 57 58 59 60 61 62 63

So im Entwurfsstadium: COM(2012) 369 final, Erwägungsgrund (23). Art. 35 Abs. 1 lit. a. Art. 35 Abs. 1 lit. c. Art. 35 abs. 1 lit. d. Art. 35 Abs. 1 lit. b. Art. 35 Abs. 1 lit. e. Art. 35 Abs. 1 lit. f.

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Kap. 7: Ausblick: Neue Verordnungen auf europäischer Ebene

Die Einführung einer Regelung zu Notfallsituationen ist zu begrüßen, jedoch verbleiben einige Unsicherheiten. Zwar sind die Entwürfe dahingehend zu loben, dass sie auch für einwilligungsunfähige und minderjährige Personen gelten, wichtige Voraussetzungen für die Einbeziehung von Notfallpatienten aber fehlen. Es ist erstaunlich, dass der mutmaßliche Wille des Notfallpatienten nicht erwähnt wird. Damit fehlt das für die Einbeziehung von bewusstlosen Patienten unbedingt notwendige Surrogat der Einwilligung. Es wird lediglich festgelegt, dass ein direkter Nutzen für den Notfallpatienten erwartet werden muss. Ein mutmaßlicher Wille ist jedoch nicht nur bei einem individuellen Nutzen möglich und kann auf der anderen Seite auch bei einem direkten Nutzen fehlen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Patient diese Art der Behandlung ablehnt. Der Patient darf zuvor keine Einwände geäußert haben. Dies erinnert aber eher an eine Widerspruchslösung als an eine Einbeziehung kraft mutmaßlichen Willens. Darüber hinaus ist es versäumt worden, die Zustimmung weiterer Instanzen vorzusehen. Der Besonderheit von Notfallsituationen wird man aber am besten gerecht, wenn ein Richter oder ein weiterer Arzt die Prüfung im Einzelfall genehmigen.

C. Verordnung über Medizinprodukte I. Allgemeines Neben einer Verordnung, die Humanarzneimittel betrifft, befindet sich auch eine Verordnung in Bezug auf Medizinprodukte im Entwurfsstadium: die Verordnung des Europaischen Parlaments und des Rates über Medizinprodukte und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009. Es liegen ein Vorschlag der Kommission sowie ein Vorschlag des ENVI-Ausschusses vor. Bei der Verordnung geht es nur am Rande um klinische Prüfungen. Die Darstellung soll sich auf die wesentlichen Regelungen zum Schutz von einwilligungsunfähigen Probanden beschränken.

II. Schutzvorschriften für einwilligungsunfähige Probanden Nur der Vorschlag des ENVI-Ausschusses befasst sich mit den Voraussetzungen klinischer Prüfungen mit einwilligungsunfähigen Personen. Dort geschieht dies auch nur im Anhang XIV betreffend klinische Prüfungen. Nach dem Entwurf des ENVI-Ausschusses soll ein Teil Ia vor dem Teil eingefügt werden, der die mit dem Antrag auf Genehmigung einer klinischen Prüfung vorzulegende Unterlagen festlegt. Dabei handelt es sich jedoch um eine sehr versteckte Stelle, die nicht dazu geeignet ist, eine derart sensible Materie umfassend zu regeln.

C. Verordnung über Medizinprodukte

337

Der Entwurf des ENVI-Ausschusses besteht in großen Teilen aus Passagen der Richtlinie sowie des Änderungsvorschlags des selben Ausschusses zur Verordnung betreffend Arzneimitteln. Dies ist wohl damit zu erklären, dass sich auch diese Verordung zu dem Zeitpunkt des Berichts des ENVI-Ausschusses noch im Entwurfsstadium befand. Dabei wird aber keine klare Linie verfolgt, sondern die Teile vermischt. Eine Begründung zur Übernahme von Regelungen oder zu Änderungen erfolgt nicht. Leider fehlt eine Regelung zu Notfallpatienten völlig, obwohl diese bereits im Entwurf der Kommission ebenso wie des ENVI-Ausschusses zur Verordnung zu Arzneimitteln vorgesehen war.64

1. Nicht einwilligungsfähige Personen Bei nicht einwilligungsfähigen Probanden muss der rechtliche Vertreter einwilligen und auch der nicht einwilligungsfähige Prüfungsteilnehmer muss Informationen erhalten. Der ersten beiden Spiegelstriche entsprechen damit im Wesentlichen Art. 5 lit. a und b der Richtlinie. Das Veto wird vom Prüfer „befolgt“, „auch wenn dafür keine Gründe genannt werden und ohne dass dem Probanden oder seinem rechtlichen Vertreter dadurch Haftungsverpflichtungen oder Nachteile“ entstehen. Dies entspricht dem Änderungsantrag des ENVI-Ausschusses zur Verordnung betreffend Arzneimittel.65 Das Verbot von finanziellen oder anderweitigen Anreize ist auch in Art. 5 lit. d der Richtlinie zu finden. Der erforderliche direkte Zusammenhang der Forschung mit dem Krankheitsbild, unter dem die Person leidet, ist an die Formulierung des Art. 31 Abs. 1 lit. f der Verordnung betreffend Arneimittel angelehnt. Die vorhersehbaren Risiken müssen so gering wie möglich gehalten werden. Dabei stellt sich die Frage, ob diese Formulierung eine abweichende Regelung darstellen soll im Verhältnis zur Richtlinie, nach der gemäß Art. 5 lit. f die Prüfung mit „möglichst wenig Schmerzen, Beschwerden, Angst und anderen vorhersehbaren Risiken“ verbunden sein soll. Die Subsidiarität wird deutlich herausgehoben, indem die Forschung nur zulässig ist, wenn sie nicht mit einwilligungsfähigen Probanden durchgeführt werden kann. Dies entspricht dem Vorschlag des ENVI-Ausschusses zur Verordnung zu Arzneimitteln.66 Auch der erforderliche Nutzen für den Probanden scheint diesem Vorschlag entnommen zu sein, da jeweils Gründe zu der Annahme vorliegen müssen, dass die 64

COM(2012) 369 final, Art. 32; A7-0208/2013, Änderungsantrag 190. Vgl. den Bericht über den Vorschlag fur eine Verordnung des Europaischen Parlaments und des Rates uber klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/20/EG (COM(2012)0369 – C7-0194/2012 – 2012/0192(COD)), abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+REPORT+A7-20130208+0+DOC+XML+V0//DE, A7-0208/2013, Änderungsantrag 171. 66 A7-0208/2013, Änderungsantrag 174. 65

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Kap. 7: Ausblick: Neue Verordnungen auf europäischer Ebene

Teilnahme für den Patienten einen Nutzen zur Folge haben wird, der die Risiken überwiegt, oder nur ein geringes Risiko mit sich bringt.67 Eine Abweichung ergibt sich lediglich daraus, dass in dem Vorschlag zur Verordnung zu Arzneimitteln ein „Vorteil“ anstelle eines „Nutzens“ verlangt wird. Ob damit unterschiedliche Anforderungen gestellt werden sollen, wird nicht deutlich. Die Zulässigkeit solcher klinischer Prüfungen mit geringem Risiko auch ohne individuellen Nutzen für den Probanden ist grundsätzlich nicht zu kritisieren. Die dadurch ermöglichte fremdnützige, mit Risiken verbundene Forschung an einwilligungsunfähigen Probanden steht jedoch in Widerspruch zu der Richtlinie. Mangels weitergehender Begründung erscheint es daher fraglich, ob sich der ENVI-Ausschuss der Bedeutung dieser Änderung bewusst ist. Die Befürwortung durch eine Ethikkommission ist mit Art. 5 lit. g der Richtlinie zu vergleichen, während sich die Klausel, dass der Proband so weit wie möglich in den Einwilligungsprozess einbezogen wird, ebenso in Art. 31 Abs. 3 der Verordnung zu Arzneimitteln zu finden ist. 2. Minderjährige Bei Minderjährigen ist ebenfalls die Einwilligung des Vertreters, die Information des Minderjährigen sowie das Veto an die Richtlinie und den Verodnungsentwurf zu Arzneimitteln angelehnt.68 Allerdings wird das Veto lediglich „gebührend“ berücksichtigt. Damit weicht die Formulierung auch von den Entwürfen zur Verordnung betreffend Arzneimittel ab. Die Formulierung ist äußerst ungenau, da sie nicht deutlich macht, wovon die Berücksichtigung abhängt, ob etwa von der Art des Eingriffs, dem Alter, der Form oder Vehemenz des Widerspruchs. Wird infolge dessen ein Veto nicht befolgt, kann dies die Würde und das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen verletzen. Außerdem muss der Minderjährige seine Einwilligung erteilen, wenn er nach dem einzelstaatlichen Recht seine Einwilligung erteilen kann. Damit ist wohl die Einwilligung des einwilligungsfähigen Minderjährigen gemeint, die in der Verordnung zu Arzneimitteln den Mitgliedstaaten überlassen bleibt.69 Aus welchem Grund hier davon abgewichen wird, ist fraglich. Jedenfalls ist die Einwilligung eines einwilligungsfähigen Minderjährigen aufgrund seines Selbstbestimmungsrechts erforderlich im Gegensatz zum Co-Consent der Eltern. Das Verbot von finanziellen oder anderen Anreizen sowie das Maß an Risiken ist ebenso wie bei nicht einwilligungsfähigen Personen geregelt. Die Regelung zur Subsidiarität wird wie in der Verordnung betreffend Arzneimittel vorgeschlagen: Die Forschung steht entweder unmittelbar im Zusammenhang

67 68 69

A7-0208/2013, Änderungsantrag 173. Vgl. Art. 4 lit. a, b, c und A7-0208/2013, Änderungsanträge 175, 177, 178. Vgl. Art. 29 Abs. 8 der Verordnung.

C. Verordnung über Medizinprodukte

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mit dem Krankheitsbild, unter dem der Minderjährige leidet, oder kann aufgrund ihrer Beschaffenheit nur mit Minderjährigen durchgeführt werden. Bei Minderjährigen soll ein Gruppennutzen ausreichend sein, wobei der „Kategorie von Patienten, die Gegenstand der Studie ist, aus der klinischen Untersuchung möglicherweise zumindest ein gewisser direkter Nutzen entsteht“. Die Formulierung „Gruppe“ wird also durch „Kategorie“ ersetzt. Nach der Begründung des gleichlautenden Entwurfs des ENVI-Ausschusses zu Arzneimitteln passe der Begriff besser.70 Dies ist zweifelhaft, nicht nur, weil dadurch von der Formulierung der Richtlinie abgewichen wird und damit Rechtsunsicherheit geschaffen werden kann. Auch ist es ungewöhnlich und unter Umständen sogar abfällig von einer „Kategorie“ von Menschen zu sprechen. Es folgen Klauseln zur Befolgung der einschlägigen wissenschaftlichen Leitlinien der EMA sowie dazu, dass die Interessen des Patienten sind den Interessen der Wissenschaft und der Gesellschaft grundsätzlich übergeordnet und eine Ethikkommission den Prüfplan befürworten muss. Diese sind an Art. 4 lit. f, i und lit. h der Richtlinie angelehnt.71 Außerdem dürfen keine anderen Studien wiederholt werden, die auf der gleichen Hypothese basieren und es muss altersgerecht Technologie verwendet werden, was an den Vorschlag des ENVI-Ausschusses zur Verordnung betreffend Arzneimittel angelehnt ist.72 Der Minderjährige wird seinem Alter und seiner Reife entsprechend in den Einwilligungsprozess einbezogen, wie auch nach Art. 31 Abs. 3 der Verordnung zu Arzneimitteln. Es folgt eine Wiederholung der Einwilligung des einwilligungsfähigen Minderjährigen mit anderer Formulierung. Der Entwurf scheint insbesondere an dieser Stelle nicht gut geprüft und durchdacht zu sein, da eine Wiederholung wohl kaum gewollt sein wird. Wie in Art. 32 Abs. 3 der Verordnung zu Arzneimitteln darf die klinische Untersuchung erst nach Einholung seiner ausdrücklichen Einwilligung weiter fortgesetzt werden, wenn der Minderjährige volljährig wird.

III. Ausblick Die entsprechende Plenarsitzung zu dem Entwurf fand im Oktober 2013 statt. Es ist aufgrund der bisherigen Ausgestaltung des Entwurfs mit seiner Orientierung an den Entwürfen zur Verordnung betreffend Arzneimittel wohl davon auszugehen, dass die Verordnung an diese noch weiter angepasst wird und eine ähnliche Einigung erzielt wird. Abgesehen von den Kritikpunkten an dieser Regelung ist es zu be70 71 72

A7-0208/2013, Änderungsantrag 180 (Begründung). Vgl. auch A7-0208/2013, Änderungsantrag 181 f. A7-0208/2013, Änderungsantrag 183.

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Kap. 7: Ausblick: Neue Verordnungen auf europäischer Ebene

grüßen, ähnliche Regelungen für die beiden Bereiche zu schaffen, da viele Medizinprodukte und Arzneimittel vergleichbar sind. Mit einer Einigung ist jedoch erst 2015 zu rechnen.

Kapitel 8

Fazit und Vorschläge A. Zusammenführung der Ergebnisse Die Untersuchung der verfassungs-, völker- und strafrechtlichen Aspekte der Forschung an einwilligungsunfähigen Personen muss nun einem einheitlichen Ergebnis zugeführt werden. Wird an einer Person geforscht, ist die Schutzpflicht des Staates in Bezug auf ihre Grundrechte gefordert. Forschungsmaßnahmen bedürfen daher einer Rechtfertigung. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich die Experimente in der Zeit des Nationalsozialismus vergegenwärtigt. Strafrechtlich kann es sich bei einer Forschungsmaßnahme um eine tatbestandsmäßige Körperverletzung handeln, die ebenfalls gerechtfertigt werden kann. Die Analyse hat deutlich gemacht, dass insbesondere das Selbstbestimmungsrecht einen hohen Stellenwert in der Rechtsordnung genießt und daher besonderer Beachtung bedarf. Die Einwilligung ist folglich der Ausgangspunkt einer Rechtfertigung. Wenn die Person aufgrund ihrer Einwilligungsunfähigkeit jedoch nicht in der Lage ist, ihr Selbstbestimmungsrecht aktuell und persönlich auszuüben, so kommen andere Möglichkeiten der Einbeziehung in Betracht. Dies hat insbesondere die verfassungsrechtliche Analyse verdeutlicht. Eine Sozialpflicht zur Teilnahme kann weder verfassungsrechtlich noch einfach-gesetzlich begründet werden. Sie verstieße nicht nur gegen das Selbstbestimmungsrecht, sondern auch gegen die Würde der Person. Gerade bei fremdnütziger Forschung liefe eine Sozialpflicht darauf hinaus, dass Einwilligungsunfähige zu Gunsten anderer Menschen zur Verfügung gestellt und ihrer Subjektstellung beraubt würden. Darüber hinaus gerät eine Sozialpflicht auch in Konflikt mit dem Gleichheitssatz, wenn nur für die Gruppe der Einwilligungsunfähigen eine solche statuiert wird. Strafrechtlich muss auch eine Rechtfertigung mittels § 34 StGB ausscheiden. Die wohl bedeutendste zulässige Einbeziehungsart stellt die Repräsentation dar. Sie verwirklicht das Selbstbestimmungsrecht, indem die Ausübung dieses Grundrechts sowie weiterer Freiheitsrechte durch die Person des Vertreters ermöglicht wird. Die Repräsentation stellt ein Mittel dar, um dem Einwilligungsunfähigen trotz seiner fehlenden Fähigkeiten die Teilnahme am Rechtsverkehr und eben auch an der Forschung zu ermöglichen. Auch wird so größtmögliche Rechtsgleichheit im Verhältnis zu einwilligungsfähigen Personen hergestellt. Bei gewillkürten Vertretern

342

Kap. 8: Fazit und Vorschläge

beruht die Bestellung zusätzlich auf einem Akt der Selbstbestimmung, so dass die Verwirklichung der Grundrechte dabei noch deutlicher in den Vordergrund rückt. Um seiner Schutzpflicht gerecht zu werden, muss der Staat die Repräsentation aber auch einschränken und durch Verfahren schützen. Der gewillkürte Vertreter ist daher an die Vorgaben des Betroffenen, der gesetzliche Vertreter an dessen Wohl gebunden. Eine gesetzliche Vertretung darf nur bei Erforderlichkeit angeordnet werden. Das Veto des Einwilligungsunfähigen, aber Vetofähigen, ist bei fremdnütziger Forschung zu beachten. Eine Genehmigung der Einwilligung durch ein Gericht ist u. U. einzuholen. Strafrechtlich ist die Repräsentation ausgeformt als stellvertretende Einwilligung eines gewillkürten oder gesetzlichen Vertreters. Aufgrund ihrer Verwandtschaft zur aktuellen persönlichen Einwilligung, gerade auch im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht, entfaltet die stellvertretende Einwilligung rechtfertigende Wirkungen. Die Schutzmaßnahmen des Staates haben dabei strafrechtlich unterschiedliche Wirkung: Die Bindung an Vorgaben und das Wohl des Betroffenen haben strafrechtlich im Außenverhältnis Relevanz. Wird jedoch lediglich eine Genehmigung eines Gerichts nicht eingeholt, kann dies eine Strafbarkeit wegen einer Körperverletzung nicht begründen. Die antizipierte Selbstbestimmung stellt eine weitere zulässige Einbeziehungsform dar, da sie als persönliche, lediglich vorab erteilte Erklärung das Selbstbestimmungsrecht in besonderem Maße verwirklicht. Folglich ist sie gegenüber der Repräsentation sogar vorrangig. Durch eine Forschungsverfügung, die mit einer Patientenverfügung vergleichbar ist, kann die Person selbst verbindlich festlegen, welche Forschungsmaßnahmen an ihr durchgeführt werden dürfen. Dies ist gerade für den Bereich der Forschung an Personen, deren Krankheit allmählich zur Einwilligungsunfähigkeit führt, von Relevanz. Da diese Art der Einbeziehung ebenfalls gleichzeitig eine Gefahr für den Betroffenen darstellt, wenn sich etwa sein Wille geändert hat, ist auch hier besonderer Schutz erforderlich. Die antizipierte Selbstbestimmung bedarf eines gewissen Grads der Bestimmtheit und einer Aufklärung, auf die jedoch auch bei rein fremdnütziger Forschung bei vager Kenntnis verzichtet werden kann. Ein Widerruf unter geringen Voraussetzungen an die Fähigkeiten des Betroffenen muss möglich sein. Strafrechtlich handelt es sich um eine Form der Einwilligung, die eben nur vorab erklärt wird. Sie hat daher ebenso wie die Einwilligung rechtfertigende Wirkung. Subsidiär gegenüber der Repräsentation und einer antizipierten Selbstbestimmung verbleibt die Möglichkeit der Einbeziehung kraft mutmaßlichen Willens, die nur Eingriffe legitimiert, wenn es sich um unaufschiebbare Maßnahmen handelt und weder die Person selbst noch ein Vertreter einwilligen kann. Deren Einwilligungen müssen bald möglichst nachgeholt werden. Eine Zustimmung weiterer Instanzen, wie eines Arztes oder eines Richters, erscheint zusätzlich wünschenswert. Der mutmaßliche Wille ist aus den Wünschen, Interessen und Wertvorstellungen der Person zu ermitteln. Im Strafrecht ist die mutmaßliche Einwilligung als Rechtfertigungsgrund anerkannt.

A. Zusammenführung der Ergebnisse

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Weitere Schutzmaßnahmen ergeben sich auch unabhängig von den drei zulässigen Einbeziehungsarten Einwilligungsunfähiger in die Forschung, da es sich um eine besonders vulnerable Personengruppe handelt, deren Wehrlosigkeit ausgenutzt werden könnte. Um dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit und der Würde gerecht zu werden muss eine positive Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen, wobei Risiken und Belastungen auf ein niedriges Maß begrenzt sein müssen. Darüber hinaus ist die Forschung an einwilligungsunfähigen Personen subsidiär gegenüber solcher an Einwilligungsfähigen. Erforderlich ist weiterhin, dass der Staat Straf- und Haftungsvorschriften vorsieht, Aufklärung und Dokumentation vorschreibt und die Forschung von einer unabhängigen Instanz überprüfen lässt, indem das Votum einer Ethikkommission oder die Genehmigung einer Behörde vor dem Beginn des Versuchs einzuholen ist. Vorteile mit Ausnahme einer Entschädigung sollten nicht gewährt werden. Bei diesen Schutzmaßnahmen sind auch die gegenläufigen Wertungen von Grundrechten zu beachten, insbesondere die Forschungsfreiheit. In diese wird eingegriffen, wenn die Forschung verboten oder eingeschränkt wird, jedoch kann der Eingriff durch die Schutzpflicht des Staates insbesondere im Hinblick auf die körperliche Unversehrtheit gerechtfertigt werden. Die strafrechtlichen Konsequenzen bei Missachtung der Schutzvorschriften gestalten sich dabei wie folgt: Fällt die Risiko-Nutzen-Abwägung negativ aus oder wird der Grundsatz der Subsidiarität nicht gewahrt, so kann eine Rechtfertigung nicht gelingen. Dies folgt bei der stellvertretenden Einwilligung aus der damit verbundenen Missachtung des Wohls, bei antizipierter und mutmaßlicher Einwilligung aus einem Verstoß gegen die guten Sitten nach § 228 StGB. Reine Verfahrensvorschriften berühren die Wirksamkeit bei den drei Rechtfertigungsmöglichkeiten jedoch nicht. Es ist in diesem Zusammenhang lediglich möglich, die Missachtung von reinen Verfahrensvorschriften gesondert zu pönalisieren. Die europa- und völkerrechtlichen Vorgaben entsprechen im Wesentlichen den verfassungsrechtlichen Wertungen. Allerdings engt die Richtlinie 2001/20/EG den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ein. Jedoch muss auch sie sich an höherrangigem Recht messen lassen, so dass eine Ungleichbehandlung von minderjährigen und volljährigen Einwilligungsfähigen bzw. -unfähigen weder mit Verfassungs- noch mit Europarecht vereinbar ist. Daher ist ein Co-Consent legitim nicht möglich, ebenso wie eine Unterscheidung zwischen Minderjährigen und Volljährigen in Bezug auf die Reichweite der Einbeziehung in die Forschung. Das Arzneimittelgesetz ist insofern also auch mit höherrangigem Recht unvereinbar und sollte angepasst werden. Die anderen Spezialgesetze, das Medizinproduktegesetz, die Strahlenschutz- und die Röntgenverordnung, betreffen ebenso nur einen Teilbereich der Forschung am Menschen und sind uneinheitlich. Außerdem besteht dadurch eine Gesetzeslücke, die nicht durch Analogie geschlossen werden kann. Um Rechtssicherheit zu schaffen und einen möglichst umfassenden Schutz der Versuchspersonen, insbesondere der

344

Kap. 8: Fazit und Vorschläge

Einwilligungsunfähigen, unter Beachtung der gegenläufigen Grundrechte, wie der Forschungsfreiheit, zu gewährleisten, sollte daher ein Forschungsgesetz geschaffen werden. Dieses sollte einen sachgerechten Ausgleich zwischen den kollidierenden Grundrechten der beteiligten Personen erreichen. Es ist deutlich geworden, dass der Gesetzgeber innerhalb der Einbeziehungsmöglichkeiten einen weiten Gestaltungsspielraum hat. Insbesondere bei der Ausformung der einzelnen Schutzmaßnahmen sowie bei Organisation und Verfahren hat der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten, ob er etwa das Votum einer Ethikkommission oder die Genehmigung einer Behörde oder beides vorschreibt oder inwiefern er Formvorschriften bei der antizipierten Selbstbestimmung erlässt. Der Gesetzgeber darf rein fremdnützige Forschung an einwilligungsunfähigen Personen zulassen. Er darf aber auch die Forschung an ihnen auf eigennützige Maßnahmen begrenzen. Die Untersuchung hat ergeben, dass bei ausreichenden Schutzmaßnahmen rein fremdnützige Forschung nicht gegen die Würde der Einwilligungsunfähigen verstößt und auch bei Repräsentation des Willens mit dem Wohl des Betroffenen vereinbar sein kann. Der Begriff des Wohls kann nicht auf indizierte Maßnahmen beschränkt werden und kann bei einer Begrenzung auf eine gewisse Eingriffsintensität auch Maßnahmen erfassen, die nicht dem körperlichen Wohl der Person zugute kommen. Insoweit ist das Elternrecht zu beachten, das den Eltern das Interpretationsprimat zuweist. Auch bei Betreuten können fremdnützige Maßnahmen zulässig sein. Der Begriff des Wohls umfasst auch eine subjektive Komponente, indem Wünsche und der bisherige Lebensentwurf des Betreuten zu beachten sind. Nicht nur bei der Repräsentation ist fremdnützige Forschung zulässig: Auch der mutmaßliche Wille kann sich aufgrund seiner subjektiven Dimension bei entsprechenden Anhaltspunkten auf fremdnützige Maßnahmen beziehen. Es kommt nicht auf das objektiv Vernünftige und Beste für die Person an, sondern auf die Wertvorstellungen und Anschauungen. In einer antizipierten Einwilligung kann der Betroffene ebenfalls fremdnützige Forschung zulassen. Placebo-kontrollierte Studien können auch einen individuellen Nutzen für die Versuchsperson haben, insbesondere bei Cross-over-Verfahren durch die Chance das Verum zu erhalten. Die weiteren Schutzmaßnahmen sind einzuhalten. Die Zulässigkeit placebo-kontrollierter Studien sollte jedoch explizit geregelt werden um auch insoweit Rechtssicherheit zu schaffen. Ein Forschungsgesetz sowie eine Anpassung der bestehenden spezial-gesetzlichen Regelungen müssen die verfassungsrechtlichen Wertungen berücksichtigen, ebenso wie höherrangiges Völker- und Europarecht. Außerdem sollte das Straf- und Zivilrecht so einbezogen werden, dass eine widerspruchsfreie gesetzliche Regelung geschaffen wird. Solange kein solches Forschungsgesetz besteht und die Spezialgesetze nicht angepasst sind, müssen praktische Erwägungen genügen. Insofern soll die folgende Handlungsanweisung eine Hilfe bei der Entscheidung bieten, wie Forschungsmaßnahmen auch mit Einwilligungsunfähigen verfassungsgemäß durchführbar sind,

B. Erwägungen für die Praxis

345

insbesondere auch, welche Maßnahmen zulässig sein können. Ein Entwurf eines Forschungsgesetzes schließt sich diesen Erwägungen an.

B. Erwägungen für die Praxis I. Vorüberlegungen Es bestehen neben den Regelungen im Arzneimittel- dem Medizinproduktegesetz sowie der Röntgen- und Strahlenschutzverordnung keine weiteren spezial-gesetzlichen Regelungen zur Forschung am Menschen in Deutschland. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass die Forschung in den anderen Bereichen verboten ist – dies müsste nämlich folgerichtig dann für die gesamte Forschung gelten, d. h. auch für die Forschung an freiwilligen Einwilligungsfähigen. Eine solche Lösung wäre mit der verfassungsrechtlich garantierten Forschungsfreiheit keinesfalls zu vereinbaren. Ebenso wenig bedeutet die Lücke jedoch eine grenzenlose Zulassung aller möglichen Forschungsmaßnahmen. Dies würde gerade im Bereich der Forschung an Einwilligungsunfähigen bedeuten, dass der Staat seiner Schutzpflicht in Bezug auf die Würde des Menschen, dessen körperliche Unversehrtheit und sein Selbstbestimmungsrecht nicht nachkommen würde. Solange kein allgemeines Forschungsgesetz besteht, sind daher die verfassungsrechtlichen Wertungen als höherrangiges Recht heranzuziehen, um die Lücke zu füllen und einen schonenden Ausgleich zu finden. Problematisch ist jedoch dabei, dass das Grundgesetz abstrakt gefasst ist und keine klaren Vorgaben für die spezielle Thematik der Forschung gibt, erst recht nicht für die fremdnützige Forschung an einwilligungsunfähigen Personen. Die Untersuchung hat jedoch gezeigt, dass die Wertungen des Grundgesetzes dennoch Schlüsse auf die Zulässigkeit solcher Forschungsmaßnahmen zulassen. Allerdings ist damit häufig ein Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers verbunden.

II. Einbeziehung von Einwilligungsunfähigen Die Formen der Einbeziehung und ihre Rangfolge der Berücksichtigung ergeben sich aus den Wertungen des Grundgesetzes: Das Selbstbestimmungsrecht gebietet zunächst die Beachtung einer antizipierten Erklärung zur Forschungsteilnahme. Liegt eine antizipierte Erklärung nicht vor, so soll die Einbeziehung durch Repräsentation stattfinden. Ist wegen Dringlichkeit kein Vertreter vorhanden und fehlt auch eine antizipierte Einwilligung, so muss auf den mutmaßlichen Willen der Person abgestellt werden. Dabei müssen jeweils die Schutzmaßnahmen betreffend die jeweilige Einbeziehungsform eingehalten werden.1 1

Vgl. dazu auch noch die folgende Handlungsanweisung.

346

Kap. 8: Fazit und Vorschläge

III. Schutzmaßnahmen in Bezug auf die Forschung Neben der Festlegung auf diese Einbeziehungsarten gebieten die Wertungen des Grundgesetzes auch, dass die Forschung an Einwilligungsunfähigen weiteren Schutzvorkehrungen unterworfen ist.2 Neben der Subsidiarität der Forschung gegenüber derjenigen an Einwilligungsfähigen muss eine Risiko-Nutzen-Abwägung stattfinden, wobei Risiken und Belastungen eine niedrige Schwelle nicht überschreiten dürfen. Wünschenswert ist eine Kombination von einer Genehmigung einer Behörde und dem zustimmenden Votum einer Ethikkommission. Letzteres ist berufsrechtlich vorgeschrieben.3 Ausreichend im Hinblick auf die Schutzpflicht ist wohl eine der beiden Maßnahmen. Aufklärung und Dokumentation haben zu erfolgen. Der Abschluss einer Probandenversicherung erscheint verfassungsrechtlich nicht zwingend, wäre jedoch erstrebenswert, wenn Schäden entstehen können. Möglichst sollten keine Vorteile mit Ausnahme einer angemessenen Entschädigung gewährt werden, dies erscheint jedoch als nicht verfassungsrechtlich zwingend. Für den nicht spezial-gesetzlich geregelten Bereich gibt es keine Festlegung auf einen bestimmten Nutzen durch das Grundgesetz. Wenn die anderen Schutzvorkehrungen eingehalten werden, dürfen daher auch fremdnützige Forschungsmaßnahmen an einwilligungsunfähigen Personen vorgenommen werden. Dies gilt sowohl für minderjährige als auch für erwachsene Einwilligungsunfähige.

IV. Einzuhaltende Voraussetzungen für eine verfassungskonforme fremdnützige Forschung an Einwilligungsunfähigen Wird eine fremdnützige Forschungsmaßnahme an Einwilligungsunfähigen vorgenommen, die nicht unter die Spezialgesetze fällt, so müssen – solange kein Forschungsgesetz existiert – folgende Voraussetzungen und Maßnahmen eingehalten werden, damit die Forschung verfassungsgemäß ist und de lege lata den Vorgaben entspricht. Diese werden hier zusammenfassend in einer Liste dargestellt: *

Bei einer Einbeziehung durch Repräsentation – Vereinbarkeit mit dem Wohl der Person im Einzelfall, – Erforderlichkeit der Vertretung, – Fehlen eines beachtlichen Vetos, 2

s. dazu im Folgenden und o. S. 162 ff. Vgl. § 15 MBO sowie § 15 Abs. 1 BO NRW (Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte vom 14. 11. 1998 in der Fassung vom 10. 11. 2012 (in Kraft getreten am 13. 03. 2013)); vgl. auch § 7 Heilberufsgesetz NRW. 3

B. Erwägungen für die Praxis

347

– Aufklärung von Vertreter und wenn möglich Betroffenen; *

Bei einer Einbeziehung durch antizipierte Einwilligung – bestimmte, aber nicht unbedingt Einzelheiten festlegende Einwilligung, die im einwilligungsfähigen Zustand erteilt wurde, – zumindest vage Kenntnis der Forschung;

*

Bei einer Einbeziehung durch mutmaßlichen Willen – Forschung ist nicht aufschiebbar, – Einwilligung ist nachzuholen;

*

Unabhängig von der Einbeziehungsart – Subsidiarität der Forschung an Einwilligungsunfähigen, – Risiko-Nutzen-Abwägung und Begrenzung auf geringe Risiken und Belastungen, – zustimmendes Votum einer Ethikkommission, – Dokumentation der Forschung.

V. Mögliche zulässige Maßnahmen Ob Maßnahmen mit dem Wohl der Versuchsperson vereinbar sein können, hängt zum einen von der Person, zum anderen von der Art der Forschungsmaßnahme ab. Zunächst soll daher ein Katalog erarbeitet werden, in dem Maßnahmen aufgelistet werden, die nur eine minimale Belastung und ein minimales Risiko mit sich bringen und daher auch bei einwilligungsunfähigen Personen zulässig sein können und zwar auch dann, wenn sie rein fremdnützig sind. In einem zweiten Schritt soll sodann untersucht werden, welche Anhaltspunkte für den Willen der Person bei diesen Maßnahmen erforderlich ist. 1. Katalog von Maßnahmen In Bezug auf die Forschungsmaßnahmen kann hier mangels genauer medizinischer Kenntnisse nur ein grober Katalog möglicher zulässiger Maßnahmen zur Orientierung gegeben werden.4 Es handelt sich um Beispiele von – in der Regel diagnostischen – Maßnahmen, die wohl häufiger in der Forschung zum Einsatz kommen um die Wirkung von anderen Forschungsmaßnahmen auf den Körper der Versuchsperson zu untersuchen. Mit dieser Aufzählung soll jedoch nicht ausge4 Vgl. auch den kurzen Katalog an Beispielen von Maßnahmen mit minimalen Risiken und Belastungen im Leitfaden für Mitglieder von Ethikkommissionen des Lenkungsausschusses für Bioethik, S. 62 f., abrufbar unter: http://www.coe.int/t/dg3/healthbioethic/activities/02_biomedi cal_research_en/guide/Guide_DE.pdf.

348

Kap. 8: Fazit und Vorschläge

schlossen sein, dass andere, vergleichbar risiko- und belastungsarme Maßnahmen zulässig sein können. So können auch neue Methoden zuläsig sein, wenn sie nur mit minimalen Risiken und Belastungen verbunden sind. Damit Forschungsmaßnahmen dem Wohl der einwilligungsunfähigen Versuchsperson entsprechen, muss nicht nur der Nutzen die Risiken überwiegen, sondern Belastungen und Risiken dürfen auch eine niedrige Schwelle nicht überschreiten. Inwiefern eine Maßnahme mit Risiken und Belastungen verbunden ist, muss immer im Einzelfall entschieden werden. So kann gerade eine einwilligungsunfähige Person besondere Ängste haben, die eine im Normalfall belastungsarme Maßnahme für den Betroffenen nicht erträglich erscheinen lassen. Hat die Person etwa Angst vor Spritzen, so ist eine Blutentnahme für sie mit erheblichen Belastungen verbunden, ebenso wie eine Magnetresonanztomographie für eine Person, die sich in engen Räumen unwohl fühlt. Außerdem sollte bei bestehenden Kontraindikationen von der Forschungsmaßnahme abgesehen werden. Daher kann der folgende Katalog nur zur Orientierung dienen; die Prüfung, ob eine Maßnahme nur minimale Risiken und Belastungen birgt, muss immer konkret am Einzelfall ausgerichtet sein. Darüber hinaus ist zu beachten, dass das Gesetz in der aktuellen Fassung Beschränkungen für bestimmte Arten von Untersuchungen enthält, insbesondere innerhalb der Strahlenschutz- und der Röntgenverordnung. Werden dort fremdnützige Forschungsmaßnahmen an Einwilligungsunfähigen ausgeschlossen, erübrigt sich eine Analyse, inwiefern etwa Röntgen- oder CT-Untersuchungen nur mit einem minimalen Risiko verbunden sind. Dennoch sollen hier für den Fall einer Gesetzesänderung auch solche Maßnahmen (Ziffer 9-11) im Hinblick auf ihre Risiken und Belastungen erörtert werden. Mithin sollten folgende Maßnahmen grundsätzlich als nur mit minimalen Risiken und minimalen Belastungen verbunden eingestuft werden: 1.

Nicht-invasive Maßnahmen, wie das Messen, Wiegen, Beobachten, Auswerten von Wangenschleimhaut-, Speichel-, Urin- und Stuhlproben sowie deren nicht-invasive Gewinnung5 und das Auswerten bereits entnommener Blutproben.

2.

Die geringfügige Entnahme von zusätzlichen Gewebeproben während eines medizinisch indizierten Eingriffs,6 sofern die Gesamtmenge der Gewebeprobe nicht zu einem erhöhten Risiko oder einer Belastung für die Versuchsperson führt.

5

So auch der Leitfaden für Mitglieder von Ethikkommissionen des Lenkungsausschusses für Bioethik, S. 62 f., abrufbar unter: http://www.coe.int/t/dg3/healthbioethic/activities/02_bio medical_research_en/guide/Guide_DE.pdf. 6 Ähnlich auch der Leitfaden für Mitglieder von Ethikkommissionen des Lenkungsausschusses für Bioethik, S. 62 f., abrufbar unter: http://www.coe.int/t/dg3/healthbioethic/activi ties/02_biomedical_research_en/guide/Guide_DE.pdf.

B. Erwägungen für die Praxis

349

3.

Eine Blutentnahme, d .h. die Blutgewinnung zu diagnostischen Zwecken; sie kann für geringe Mengen kapillär durch Einstich mit einer Lanzette in die Fingerbeere oder ein Ohrläppchen geschehen oder aber venös oder arteriell durch Punktion.7 Zu unterscheiden sind zwei Risiken- und Belastungsfaktoren: Zunächst der Einstich bzw. die Punktion und sodann der Verlust von Blut. Bei ersterem kann es zu Schmerzen kommen, die jedoch nur von kurzer Dauer und geringer Intensität sind. Die Belastungen sind daher grundsätzlich minimal. Risiken bestehen bei ordnungsgemäßer Ausführung, insbesondere Desinfektion und einer ungebrauchten Nadel in der Regel nicht.8 Die Möglichkeit einer Hämatombildung9 stellt ebenfalls kein erhebliches Risiko dar. Darüber hinaus kann es durch den Einstich zu einer Verletzung der Nerven kommen.10 Dabei handelt es sich jedoch um eine sehr seltene Komplikation.11 Daher ist nicht nur die zusätzliche Entnahme von Blut im Rahmen einer medizinisch indizierten Punktion minimal risikoreich und -belastend,12 vielmehr ist es auch grundsätzlich zulässig, Blut zu Forschungszwecken zu entnehmen. Der Blutverlust muss jedoch dabei auf das Notwendigste beschränkt bleiben. Keinesfalls sollte er bei gesunden erwachsenen Personen über der Menge einer Blutspende liegen,13 bei Kindern oder Kranken muss er dem Zustand und Gewicht entsprechend geringer sein. Dabei sollte jedoch im Verhältnis zur medizinisch indizierten Blutentnahme eine umfangreichere Aufklärung stattfinden, die auch seltenere Komplikationen erfasst.14

4.

Eine Liquorentnahme im Rahmen einer medizinisch indizierten Lumpalpunktion, d. h. die Entnahme von Nervenwasser aus dem Lendenwirbelsäulenkanal 7

Pschyrembel, S. 293. Ausnahmen sind selbstverständlich möglich, etwa bei großer Angst vor Einstichnadeln oder bei der Bluterkrankheit. Vgl. auch zur geringeren Aufklärungspflicht bei Blutentnahmen wegen Harmlosigkeit Künnell, VersR 1980, 502, 507. Nach dem BGH NJW 2006, 2108, 2109 muss der Patient bei einer Blutspende nur im „Großen und Ganzen“ über die Risiken der Blutspende aufgeklärt werden. 9 Vgl. dazu LG Essen MedR 2013, 112, 113. 10 Vgl. BGH NJW 2006, 2108, 2109 (zur Blutspende); LG Heidelberg NJOZ 2012, 856 ff. (zur Blutentnahme). 11 BGH NJW 2006, 2108; vgl. auch etwa die Informationen des Roten Kreuzes, http://www. roteskreuz.at/blutspende/informationen-zur-blutspende/tests-sicherheit/risiken-einer-blutspen de/. 12 So ist auch die Entnahme von Blut mittels eines peripheren Venenkatheters oder die Entnahme von Kapillarblut nach dem Leitfaden für Mitglieder von Ethikkommissionen des Lenkungsausschusses für Bioethik nur minimal belastend und minimal risikoreich, vgl. S. 62 f. des Leitfadens, abrufbar unter: http://www.coe.int/t/dg3/healthbioethic/activities/02_biomedi cal_research_en/guide/Guide_DE.pdf. 13 Die Spende von Vollblut erfasst 500 ml, vgl. http://www.blutspendedienst-west.de/blut spende/spenderinformationen/ablauf_einer_vollblutspende.php. 14 Vgl. zur fremdnützigen Blutspende: BGH NJW 2006, 2108 f.; vgl. in Abgrenzung dazu die Aufklärungspflicht bei einer medizinisch indizierten Blutentnahme: LG Heidelberg NJOZ 2012, 856 ff. 8

350

Kap. 8: Fazit und Vorschläge

mit einer langen Hohlnadel:15 Nervenwasser wird mit einer dünnen Punkionsnadel im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule entnommen, indem die Nadel zwischen zwei Wirbelbögen eingeführt wird. Die Liquordiagnostik ist etwa auch bei der Diagnostik einer Demenz anzuwenden.16 Die Lumpalpunktion birgt mehrere Risiken. Durch den Einstich kann es häufig zu lokalem Schmerz an der Einstichstelle, ausstrahlendem Schmerz bei Berührung der Nervenwurzel durch die Punktionsnadel sowie zu kleinen Blutungen durch Verletzung von Blutgefäßen kommen.17 Als weitere Belastung kann selten ein wenige Sekunden anhaltendes elektrisierendes Gefühl während der Punktion eintreten sowie vorübergehende Hörstörungen und Ohrgeräusche oder Nachblutungen in den Rückenmarkskanal.18 Besonders hervorzuheben ist das sogenannte postpunktionelle Syndrom, das sich durch Übelkeit, Erbrechen und Rückenschmerzen äußern kann, aber insbesondere durch Kopfschmerzen gekennzeichnet ist, und mehrere Tage andauern kann.19 Auch durch die Verwendung einer atraumatischen Nadel, die meist empfohlen wird, kann das Risiko nicht ausgeschlossen werden.20 Allerdings bestehen einige Risikofaktoren, bei deren Vorliegen auf eine zusätzliche Liquorentnahme zu Forschungszwecken verzichtet werden sollte. So kommt es in der Altersgruppe zwischen 18 und 30 Jahren, bei Frauen mit niedrigem Body-Maß-Index,21 und Personen, die bereits vorher häufig unter Kopfschmerzen gelitten haben, vermehrt zu solchen postpunktuellen Kopfschmerzen.22 Kontraindikationen für eine Lumbalpunktion stellen Entzündungen, Blutungsneigung oder erhöhter Hirndruck dar.23 Aufgrund der vielfältigen und nicht auszuschließenden Risiken ist eine nicht medizinisch indizierte Lumpalpunktion daher grundsätzlich nicht risiko- und belastungsarm. Wird sie jedoch als medizinisch indizierte Maßnahme vorgenommen, so stellt eine ge15 Vgl. zur technischen Durchführung: Diener/Weimar, Leitlinien DGN, S. 1018 f.; vgl. auch Pschyrembel, S. 1246, s. auch dort die Abbildung einer Lumbalpunktion. 16 Diener/Weimar, Leitlinien DGN, S. 218. 17 s. zu den möglichen Risiken und Komplikationen die Tabelle bei Diener/Weimar, Leitlinien DGN, S. 1018; s. weiterhin zu selteneren Komplikationen, wie Dysfunktionen an Hirnnerven oder bakterielle Meningitis die Tabelle und die Ausführungen bei Evans, Neurologic Clinics 1998, 83, 84 ff.; vgl. auch Ellenby/Tegtmeyer/Lai/Braner, New England Journal of Medicine 2006, 355, e12. 18 s. zum Ganzen: Klinische Neurophysiologie, Universität Göttingen, abrufbar unter: http://www.neurologie.uni-goettingen.de/index.php/lumbalpunktion.html. 19 Vgl. Diener/Weimar, Leitlinien DGN, S. 1019 f.; Kuntz/Kokmen/Stevens/Miller/Offord/ Ho, Neurology 1992, 1884, 1887; Pschyrembel, S. 1246. 20 Vgl. dazu Diener/Weimar, Leitlinien DGN, S. 1018 f.; Evans, Neurologic Clinics 1998, 83, 92; Pschyrembel, S. 1219. 21 s. dazu die Studie von Kuntz/Kokmen/Stevens/Miller/Offord/Ho, Neurology 1992, 1884, 1886 f. 22 Evans, Neurologic Clinics 1998, 83, 90, vgl. auch die Tabelle der Risikofaktoren dort auf S. 91. 23 Diener/Weimar, Leitlinien DGN, S. 1021 f.; vgl. zu weiteren Kontraindikationen auch Ellenby/Tegtmeyer/Lai/Braner, New England Journal of Medicine 2006, 355, e12.

B. Erwägungen für die Praxis

351

ringfügige Mehrentnahme keine zusätzliche Belastung oder Risiko dar, wenn dadurch das Risiko für Beschwerden oder Komplikationen nicht steigt. Wird ein Gesamtvolumen von 15 ml nicht überschritten,24 so steigt die Wahrscheinlichkeit postpunktueller Kopfschmerzen, die als wohl größte Belastung der Maßnahme anzusehen sind, nicht.25 Mithin kann eine Mehrentnahme von Liquor bei einer medizinisch indizierten Lumbalpunktion bis zu einer Gesamtmenge von 15 ml nur minimal risiko- und belastungsreich sein, sofern keine Kontraindikation vorliegt und die Person nicht zu der Risikogruppe für postpunktuelle Kopfschmerzen gehört. 5.

Eine Magnetresonanztomographie/Kernspintomographie, d. h. eine Schichtbilduntersuchung, die in einem Magnetfeld ohne Röntgenstrahlung erfolgt. Mangels ionisierender Strahlen besteht kein Strahlungsrisiko,26 denn bei der MRT-Untersuchung wird mit Magnetfeldern und Radiowellen gemessen, wie stark die Wassermoleküle des Körpers durch einen starken Magneten abgelenkt werden.27 Die MRT-Diagnostik ist sehr vielfältig und kann etwa auch Krankheiten des Hirns, wie Atrophie oder intrazelebrale Blutungen betreffen.28 Schädigende Wirkungen der MRT-Untersuchung sind nicht bekannt.29 Es kann jedoch zu Klaustrophobie kommen.30 Risiken bestehen lediglich bei ferromagnetischen Implantaten oder bei der Gabe von Kontrastmitteln,31 durch die insbesondere Hautrötungen, Quaddeln, Übelkeit, Erbrechen und ein Hitzegefühl entstehen können.32 Daher stellt die Anwendung von Kontrastmitteln kein minimales Risiko dar. Ein Gehörschutz muss verwendet werden, da ein er24

So die Empfehlung von Diener/Weimar, Leitlinien DGN, S. 1020, aus liquoranalytischer Sicht sollten 10 – 15 ml entnommen werden. 25 Nach der Studie von Kuntz/Kokmen/Stevens,Miller/Offord/Ho, Neurology 1992, 1884, 1887 besteht kein Zusammenhang zwischen der Menge des entnommenen Liquors und postpunktuellen Kopfschmerzen. 26 Kiefer, Strahlen und Gesundheit, S. 58. 27 Vgl. dazu die Informationen des German Institute for Quality and Efficiency in Health Care (IQWiG), abrufbar unter http://www.gesundheitsinformation.de/glossar.57.de.html?bab [char]=m&bab[reset]=1&bab[entry_id]=603&bab[search_offset]=0; vgl. zur Funktionsweise auch: Pschyrembel, S. 1386 f. sowie genauer: Brix, in: Reiser/Semmler, S. 5 ff.; Semmler, in: Reiser/Semmler, S. 3 ff.; vgl. auch die Abbildung bei Kiefer, Strahlen und Gesundheit, S. 56.; eine für Laien verständliche Erklärung findet sich bei Oestmann, Radiologie, S. 10 f. 28 Vgl. zu den Anwendungsfeldern: Reiser/Semmler, Magnetresonanztomographie. 29 Hauert, in: Reiser/Semmler, S. 69, 72. 30 Kiefer, Strahlen und Gesundheit, S. 57. 31 Vgl. Pschyrembel, S. 1387: Es stellt eine Kontraindikation dar, wenn eisenhaltiges Fremdmaterial im Körper enthalten ist, ebenso wie bei künstlichen Herzschrittmachern; s. zu deren Kontraindikationen auch Hauert, in: Reiser/Semmler, S. 69, 77 f.; zu Letzterem auch die Informationen des Bundesamts für Strahlenschutz, abrufbar unter http://www.bfs.de/de/ion/me dizin/diagnostik/alternative_schnittbildverfahren/mrt.html sowie Oestmann, Radiologie, S. 32. 32 Pschyrembel, S. 1387.

352

Kap. 8: Fazit und Vorschläge

heblicher Geräuschpegel bis zu 100 dB entstehen kann.33 Solange jedoch keine Klaustrophobie besteht, keine ferromagnetischen Implantate vorhanden sind und kein Kontrastmittel verwendet wird, handelt es sich grundsätzlich um eine Maßnahme, die nur eine minimale Belastung und ein minimales Risiko birgt. 6.

Eine Elektroenzephalographie (EEG), d. h. eine diagnostische Methode zur Registrierung von Hirnströmen durch nicht-invasive Ableitung der Potentiale.34 Pathologische mögliche Befunde sind etwa Hirnatrophie oder lokale Hirnerkrankungen, z. B. ein Schlaganfall.35 Sie kann auch bei Kindern und Bewusstlosen angewendet werden.36 Bei der nicht-invasiven Methode werden Elektroden schmerzfrei auf der Kopfhaut befestigt, die die vom Gehirn ausgehende elektrische Aktivität ableiten. Es handelt sich um eine schmerzfreie und ungefährliche Methode. Etwas anderes kann im Einzelfall gelten, wenn Provokationsmethoden wie Photostimulation durch Lichtblitze angewendet werden.37 Dasselbe gilt für die weiteren Provokationsmethoden der Hyperventilation (Mehratmung) und Schlafentzug, der eine erhebliche Belastung darstellen kann.38 Folglich stellt das nicht-invasive EEG ohne Provokationsmethoden eine nur minimal risiko- und belastungsreiche Maßnahme dar.

7.

Eine Elektrokardiographie (EKG), ein diagnostisches Verfahren zur Registrierung der kardialen Aktionspotentiale.39 Das EKG reflektiert Potentialveränderungen, die sich als Folge der elektrischen Aktivität der Herzmuskulatur ergeben.40 Ein EKG stellt eine risikolose Maßnahme mit vielfältigen diagnostischen Möglichkeiten dar.41 So können etwa Herzinfarkte in 60-70 % der Fälle durch ein Ruhe-EKG erkannt werden,42 was für Einwilligungsunfähige aufgrund Bewusstlosigkeit eine Rolle spielt. Daher stellt auch ein EKG eine Maßnahme dar, die nur minimale Risiken und Belastungen birgt. 33

Oestmann, Radiologie, S. 33. Pschyrembel, S. 546. Die Ableitung kann auch invasiv durch auf der Gehirnoberfläche platzierte Elektroden vorgenommen werden; vgl. eine detaillierte Beschreibung bei Zschocke/ Hansen, Elektroenzephalographie, S. 1 ff.; vgl. zu der Methodik der Ableitung: Walter, Klinische Elektroenzephalographie, S. 5 ff., vgl. auch das Ableitungsschema dort auf S. 7. 35 Pschyrembel, S. 546; vgl. auch zu den Anwendungsbereichen: Walter, Klinische Elektroenzephalographie, S. 74 ff. 36 Zschocke/Hansen, Elektroenzephalographie, S. 281 ff., 523 ff. 37 Vgl. zum Ganzen: Klinische Neurophysiologie, Universität Göttingen, abrufbar unter: http://www.neurologie.uni-goettingen.de/index.php/elektroenzephalographie-eeg.html; vgl. auch Zschocke/Hansen, Elektroenzephalographie, S. 138 ff. Die Photostimulation ist nicht nachweislich ungefährlich. 38 Vgl. Zschocke/Hansen, Elektroenzephalographie, S. 138 ff, 143, vgl. auch zur Anwendung an Kindern S. 553 f. 39 Pschyrembel, S. 559; vgl. zur den technischen Grundlagen: Lepeschkin/Schenetten, Elektrokardiogramm, S. 1 ff. 40 Schunkert, Rationelle Diagnostik, S. 23. 41 Schunkert, Rationelle Diagnostik, S. 23. 42 Schunkert, Rationelle Diagnostik, S. 28. 34

B. Erwägungen für die Praxis

353

8.

Ultraschalldiagnostik (Sonographie), ein diagnostisches Verfahren mit Anwendung von Ultraschall, d. h. mit Schwingungen mit einer Frequenz oberhalb der menschlichen Hörgrenze.43 Die Wellen von 1 - 15 mHz werden künstlich mit piezoelektrischen Kristallen erzeugt, die über ein Ultraschallgel an den Körper angekoppelt werden. Die Wellen pflanzen sich im Körper fort, werden dort absorbiert, gebrochen oder reflektiert.44 Die Ultraschalldiagnostik wird regelmäßig sogar in der Pränataldiagnostik bei Schwangeren durchgeführt45 und birgt weder Risiken noch Belastungen.46 Sie ist damit die „’harmloseste’ Technologie der Radiologie“.47 Thermische Effekte durch Ultraschall sind unbedenklich. Die Möglichkeit einer Kavitation, d. h. die Bildung von Hohlräumen, die zu Schwingungen angeregt werden, was im Extremfall zu einer explosionsartigen Vergrößerung der Hohlräume mit anschließendem Kollaps führen kann, gilt bei Geräten der medizinischen Ultraschalluntersuchung als ausgeschlossen.48

9.

Eine Computertomographie (CT) (Röntgen-Schichtaufnahme), ein röntgendiagnostisches, computergestütztes bildgebendes Verfahren.49 Dabei wird ein Röntgenfächerstrahl innerhalb der durchstrahlten Körperschicht unterschiedlich stark geschwächt. Dieses Signal wird im Computer zu einem Bild verarbeitet.50 Das kraniale CT (CCT) dient der Primärdiagnostik von Schlaganfällen.51 Bei Kindern bietet das CT Vorteile, da es in wenigen Sekunden abgeschlossen ist und weniger Sedierung bedarf.52 Als Röntgenuntersuchung besteht die geringe Möglichkeit von Veränderungen des Erbgutes oder von Auslösung

43

Pschyrembel, S. 2193. Oestmann, Radiologie, S. 9; vgl. auch die Abbildung dort auf S. 10; vgl. zur Funktionsweise auch: Kiefer, Strahlen und Gesundheit, S. 16 f. 45 Kiefer, Strahlen und Gesundheit, S. 59 f. 46 Vgl. Kiefer, Strahlen und Gesundheit, S. 17; Rott, Ultraschall in der Medizin 1988, 2 ff. m.w.N.; Oestmann, Radiologie, S. 31. 47 Oestmann, Radiologie, S. 9. 48 Vgl. Kiefer, Strahlen und Gesundheit, S. 36 sowie die Informationen des Bundesamts für Strahlenschutz, abrufbar unter http://www.bfs.de/de/ion/medizin/diagnostik/alternative_schnitt bildverfahren/sono.html. 49 Pschyrembel, S. 430. Zu beachten ist bei dieser und den folgenden Maßnahmen, dass z. Z. die RöV und die StrlSchV engere Grenzen setzen, vgl. auch schon o. S. 348. 50 Pschyrembel, S. 430; vgl zur Funktionsweise auch: Oestmann, Radiologie, S. 8 sowie die Abbildung dort auf S. 9; vgl. zu den physikalsichen-technischen Grundlagen: Grillenberger/ Fritsch, Computertomographie, S. 44 ff. sowie zum Prinzip der CT die Abbildung bei Kalender, Computertomographie, S. 27 sowie die Abbildung bei Kiefer, Strahlen und Gesundheit, S. 50. 51 Pschyrembel, S. 430. Weitere Arten des CT sind etwa das Ganzkörper–T, das Kardio-CT (des Herzens), die CT-Angiographie (der Blutgefäße) sowie das CT-Entersoklysma (des Dickoder Dünndarms), vgl. S. 428 f. 52 Prokop, Radiologe 2008, 229. 44

354

Kap. 8: Fazit und Vorschläge

von Tumoren sowie einer Linsentrübung.53 Die Strahlenexposition liegt in den meisten Organregionen unter den Referenzwerten der EU.54 Die effektive Gesamtkörperdosis liegt bei einem CT des Kopfes bei 2,0 mSv, was einer äquivalenten Hintergrundstrahlung von einem Jahr entspricht.55 Mithin ist eine CT-Untersuchung grundsätzlich minimal belastend und nur mit minimalen Risiken verbunden,56 es muss jedoch im Einzelfall die Strahlenexposition und das Risiko für den konkreten Patienten abgeschätzt werden, insbesondere bei mehrmaligen Untersuchungen innerhalb eines kurzen Zeitraums kann das Risiko zu groß sein. Daher kann nur eine einmalige CT-Untersuchung als minimal risikoreich angesehen werden. Dasselbe muss auch allgemein für Röntgenuntersuchungen gelten.57 10. Eine Szintigraphie, ein nuklearmedizinisches, bildgebendes Verfahren zur Funktionsdiagnostik, z. B. des Stoffwechsels.58 Bei der Szintigraphie wird dem 53 Vgl. zum Ganzen: Klinische Neurophysiologie, Universität Göttingen, abrufbar unter: http://www.neurologie.uni-goettingen.de/index.php/computertomographie.html; vgl. zu den einzelnen Wirkungen ionisierender Strahlen: Pschyrembel, S. 2031 f.; vgl. zu möglichen Strahlenschäden Kiefer, Strahlen und Gesundheit, S. 61 ff. sowie das Schema S. 62. 54 Die Referenzwerte sind keine Grenzwerte, da solche für medizinische Expositionen nicht existieren, vgl. die Leitlinien für diagnostische Referenzwerte bei medizinischen Strahlenexpositionen der Europäischen Kommission, abrufbar unter https://www.klinikum.uni-heidelberg. de/uploads/media/Referenzwerte_Leitlinie_109.pdf. Es handelt es sich bei ihnen um Dosis- bzw. Aktivitätswerte für typische Untersuchungen an einer Gruppe von Patienten mit Standardmaßen oder an Standardphantomen und nicht für individuelle Expositionen einzelner Patienten, s. dort S. 8. Vgl. zu den Referenzwerten die Tabelle 3.1 in den Leitlinien. Bei kardialen Untersuchungen ist etwa eine erheblich höhere Organdosis von 100 mGy möglich, bei der eine Malignominduktion bewiesen ist, vgl. Prokop, Radiologe 2008, 229 ff.; vgl. zu der Höhe der Strahlenexposition und Vergleichswerten: Wannewitsch, ZAllgMed 2008, 16, 17. Als Orientierung können auch die Referenzwerte für diagnostische und interventionelle Röntgenuntersuchungen des Bundesamts für Strahlenschutz dienen, die nach § 16 Abs. 1 S. 2, 3 RöV vorgesehen sind. Dort werden in Tabellen Referenzwerte für Erwachsene und Kinder für verschiedene Organe angegeben und zwar für CT- und für Röntgenuntersuchungen, abrufbar unter http://www.bfs.de/de/ion/medizin/referenzwerte02.pdf. Diese dienen zwar der Qualitätssicherung, können aber gleichzeitig einen Anhaltspunkt dafür liefern, ob eine Röntgenuntersuchung risikoreich oder gefährlich ist. 55 Vgl. dazu die Tabelle bei Oestmann, Radiologie, S. 31. Die CT-Untersuchung des Thorax ist mit einer vierfach höheren Gesamtkörperdosis verbunden und damit weitaus risikoreicher; vgl. auch zur Organdosis die Tabelle bei Kalender, Computertomographie, S. 180 sowie das Diagramm bei Kiefer, Strahlen und Gesundheit, S. 158. 56 So auch der Leitfaden für Mitglieder von Ethikkommissionen des Lenkungsausschusses für Bioethik, S. 62 f., abrufbar unter: http://www.coe.int/t/dg3/healthbioethic/activities/02_bio medical_research_en/guide/Guide_DE.pdf. 57 So auch der Leitfaden für Mitglieder von Ethikkommissionen des Lenkungsausschusses für Bioethik, S. 62 f., abrufbar unter: http://www.coe.int/t/dg3/healthbioethic/activities/02_bio medical_research_en/guide/Guide_DE.pdf; s. zu den effektiven Gesamtkörperdosen die Tabelle bei Oestmann, Radiologie, S. 31: So ist etwa das Röntgen des Schädels mit einer Gesmatkörperdosis von nur 0,1 mSv verbunden, was einer äquivalenten üblichen natürlichen Hintergundstrahlung von 2 Wochen entspricht. 58 Pschyrembel, S. 2076.

B. Erwägungen für die Praxis

355

Patienten ein Radiopharmakon verabreicht, das sich in einem Organ anreichert. Die Strahlung, die durch den Zerfall entsteht, wird sodann gemessen.59 Die Szintigraphie wird zur Untersuchung des Skeletts, der Schilddrüse und des Herzens eingesetzt.60 Die Strahlenbelastung des Ganzkörpers ist so gering, dass somatische Strahlenschäden ausgeschlossen werden können, auch eine Belastung der Erfolgsorgane ist nur selten kritisch.61 Das genetisches Risiko liegt im gleichen Rahmen wie bei der Röntgendiagnostik,62 so dass auch die Szintigraphie im Regelfall bei nicht mehrfacher Anwendung nur minimal risiko- und belastungsreich ist. 11. Eine Positronenemissionstomographie (PET), ein diagnostisches Verfahren der Nuklearmedizin,63 bei dem qualitativ und quantitativ Stoffwechselprozesse und die Rezeptoraktivität bestimmt werden können.64 Es handelt sich um ein bildgebendes, nicht-invasives Verfahren.65 Dabei werden Schichtbilder eines Organs oder Gewebes gemacht, indem radioaktive Stoffe verabreicht werden, die sich dort anreichern, Strahlung aussenden und so die Stoffwechselaktivität des untersuchten Gewebes anzeigen.66 Die PET eignet sich insbesondere zur Darstellung von Gewebe mit hohem Energiebedarf, wie beispielsweise im Gehirn.67 Die PET wird im Rahmen der Krebsdiagnose, aber auch bei der Behandlung von Demenz eingesetzt.68 Die Strahlung, der der Proband ausgesetzt ist, hat etwa den Stand der Jahresbelastung durch die Umwelt und ist damit sehr niedrig.69 So 59 Vgl. Pschyrembel, S. 2076; vgl. zur Funktionsweise auch: Kiefer, Strahlen und Gesundheit, S. 51 ff. 60 Vgl. die Informationen des German Institute for Quality and Efficiency in Health Care (IQWiG), abrufbar unter http://www.gesundheitsinformation.de/glossar.57.de.html?bab[entry_ id]=602&bab[refpage]=743&bab[urlparams]=. 61 Oeser/Schumacher/Ernst/Frost, Szintigraphie, Kap. III, S. 3; vgl. dazu die Tabelle bei Oestmann, Radiologie, S. 31. 62 Oeser/Schumacher/Ernst/Frost, Szintigraphie, Kap. III, S. 3; s. auch die Tabelle mit gebräuchlichen Substanzen und deren Strahlenbelastungen, dort S. 4 f. 63 Kramme, Medizintechnik, S. 286; Perleth/Gerhardus/Velasco-Garrido, PositronenEmissions-Tomographie, S. 28. 64 Pschyrembel, S. 1647 f. 65 Perleth/Gerhardus/Velasco-Garrido, Positronen-Emissions-Tomographie, S. 28. 66 Vgl. Kiefer, Strahlen und Gesundheit, S. 53 f. sowie die Abbildung S. 54; vgl. dazu auch die Angaben des German Institute for Quality and Efficiency in Health Care (IQWiG), abrufbar unter http://www.gesundheitsinformation.de/was-passiert-bei-einer-pet-untersuchung.743.de. html, vgl. auch zu den physikalischen, radiochemischen und radiopharmazeutischen Aspekten: Perleth/Gerhardus/Velasco-Garrido, Positronen-Emissions-Tomographie, S. 29 ff. 67 Vgl. die Informationen des German Institute for Quality and Efficiency in Health Care (IQWiG), abrufbar unter http://www.gesundheitsinformation.de/glossar.57.de.html?bab[char] =p&bab[reset]=1&bab[entry_id]=606&bab[search_offset]=0. 68 Kramme, Medizintechnik, s. dazu die Tabelle auf S. 288 mit den Angaben der Einsatzgebiete, Isotope und deren Halbwertszeit. 69 German Institute for Quality and Efficiency in Health Care (IQWiG), Informed Health Online, abrufbar unter http://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK54412/; die natürliche mittlere

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Kap. 8: Fazit und Vorschläge

beträgt die Halbwertzeit der häufig verwendeten Fluor-Desoxy-Glukose ca. zwei Stunden.70 Aufgrund der kurzen Halbwertzeit besteht keine Gefahr akuter Strahlenschäden,71 da die Gesamtdosis einer Ganzkörperuntersuchung mit diesem Isotop nur etwa 10 mSv beträgt, und damit weit unter der kritischen Schwelle von 250 mSv liegt.72 Die PET wird häufig mit einer Computertomographie oder einer Magnetresonanztomographie kombiniert.73 Auch bei einer solchen Kombination muss im Einzelfall der Risikograd bestimmt werden. Bei einer zusätzlichen CT-Untersuchung wird der minimale Risiken- und Belastungsbereich in der Regel nicht mehr eingehalten sein. Bei einer Kombination mit einer MRT-Untersuchung entsteht jedoch keine weitere Strahlenbelastung, so dass diese wohl noch als minimal risiko- und belastungsriech einzustufen ist. Insgesamt stellt sich damit das PET-Verfahren als nur gering risikoreich und -belastend dar, sofern es nicht mehrfach durchgeführt werden muss.

2. Notwendige Anhaltspunkte Im Hinblick auf die Person kommt es darauf an, inwiefern Anhaltspunkte für eine forschungsfreundliche Einstellung vorliegen. Es sind Wünsche und insbesondere bei nicht äußerungsfähigen Personen allgemeine Anschauungen und Wertvorstellungen zu berücksichtigen um die wertbezogenen Interessen der Person zu eruieren. Ergibt sich daraus keine Präferenz, kann nur in bestimmten Fällen auf Anhaltspunkte verzichtet werden, so bei Kindern, die noch keine Wertvorstellungen entwickelt haben, oder bei Maßnahmen, die belastungs- und risikolos sind.74

jährliche Strahlenexposition liegt bei 2,1 mSv/a, vgl. Pschyrembel, S. 2031; vgl. auch das Diagramm bei Kiefer, Strahlen und Gesundheit, S. 158, nach dem allerdings die effektive Dosis bei einer PET-Untersuchung bei ca. 6 mSv liegt. 70 Vgl. Kramme, Medizintechnik, S. 288 sowie die Tabelle; Perleth/Gerhardus/VelascoGarrido, Positronen-Emissions-Tomographie, S. 35; vgl. auch dort die Tabelle, in der die Halbwertzeit mit 109, 8 min angegeben wird. Kiefer, Strahlen und Gesundheit, S. 53; vgl. auch German Institute for Quality and Efficiency in Health Care (IQWiG), abrufbar unter http:// www.gesundheitsinformation.de/was-passiert-bei-einer-pet-untersuchung.743.de.html. Dieses Isotop wird auch bei der Demenzabklärung verwendet, vgl. Pschyrembel, S. 1648. 71 Nach Perleth/Gerhardus/Velasco-Garrido, Positronen-Emissions-Tomographie, S. 35 liegt das Risiko einer strahleninduzierten Spätkarzinoms bei 5 – 6 pro 10000, bei einer Latenzzeit von 25 Jahren. 72 Perleth/Gerhardus/Velasco-Garrido, Positronen-Emissions-Tomographie, S. 35. 73 Vgl. Kiefer, Strahlen und Gesundheit, S. 53 sowie die Angaben des German Institute for Quality and Efficiency in Health Care (IQWiG), abrufbar unter http://www.gesundheitsinforma tion.de/was-passiert-bei-einer-pet-untersuchung.743.de.html; zur Verbindung mit der CT: Pschyrembel, S. 1647 f. 74 Vgl. zum Ganzen o. S. 160 f.

B. Erwägungen für die Praxis

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Grundsätzlich muss gelten, dass mehr und deutlichere Anhaltspunkte erforderlich sind, je größer die Risiken und Belastungen sind, die eine Maßnahme mit sich bringt. Bei Kindern gilt, dass sie mit höherem Alter auch wachsenden Einfluss auf die Entscheidung haben: Während bei Kleinkindern die Eltern alleine entscheiden, verringert sich deren Entscheidungsbefugnis bis schließlich bei bestehender Einwilligungsfähigkeit der Jugendliche selbst und alleine die Entscheidung treffen kann. Der Anhaltspunkt für Wünsche und Willen der Versuchsperson, der wohl am schwersten wiegt, stellt eine aktuelle Äußerung dar. Als wichtiger, aber nicht ebenso aussagekräftiger Hinweis sind frühere Äußerungen zu berücksichtigen. Bei früherem tatsächlichen Handeln, wie einer Blutspende oder der Bereitschaft zur Organspende, lässt sich ebenso wie bei Angehörigenbefragungen ein nicht so deutlicher Schluss auf die Bereitschaft zur fremdnützigen Forschung ziehen, wie bei den vorgenannten Hinweisen. Zuletzt ist es auch möglich, dass keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen. Bei letzterem dürfen nur Maßnahmen bei einwilligungsunfähigen Personen zugelassen werden, wenn sie risiko- und belastungslos sind. Bei Maßnahmen, die Bagatellcharakter haben, weil von ihnen keinerlei Gefahren für die Person ausgehen, ist die Wahrscheinlichkeit für eine hypothetische Zustimmung sehr groß, so dass auf besondere Hinweise, die auf eine forschungsfreundliche Einstellung schließen lassen, nicht notwendig sind. Zu solchen Maßnahmen zählen insbesondere die nicht-invasiven Maßnahmen unter Ziffer 1 des Katalogs, wie beispielsweise das Messen, Wiegen und Beobachten. Solche Bagatellen sind außerdem folgende Maßnahmen: die zusätzliche Entnahme von Gewebe (Ziffer 2) sowie von Liquor in geringen Mengen (Ziffer 4) und die zusätzliche Entnahme einer geringen Menge Blut jeweils im Rahmen eines medizinisch indizierten Eingiffs. Ohne Anhaltspunkte sollte außerdem eine Ultraschalluntersuchung (Ziffer 8) möglich sein, denn sie ist vollkommen risikolos. Eine MRT-Untersuchung (Ziffer 5), ein EEG (Ziffer 6) sowie ein EKG (Ziffer 7) sind unter den oben genannten Einschränkungen, also bei Ausschluss von Kontraindikationen und etwa Provokationsmethoden ebenfalls mit einer lediglich minimalen Belastung verbunden und nahezu vollkommen risikolos, so dass sie ebenso ohne Hinweise auf eine Einstellung der Person vorgenommen werden können. Eine höhere, aber dennoch minimale Eingriffsintensität hat die Blutentnahme ohne indizierten Eingriff (Ziffer 3), denn es handelt sich um einen forschungsbedingt invasiven Eingriff. Diese Maßnahme sollte nicht ohne Anhaltspunkte für eine forschungsfreundliche Einstellung der Versuchsperson vorgenommen werden. Allerdings sollten hier Hinweise, die durch Angehörigenbefragungen und durch die Auswertung von früherem tatsächlichen Handeln gewonnen werden, ausreichen. Noch deutlichere Anhaltspunkte sind bei den CT- und Röntgen-Untersuchungen zu fordern (Ziffer 9) sowie bei der Szintigraphie (Ziffer 10) und der PET-Untersuchung (Ziffer 11). Bei diesen Maßnahmen besteht ein Strahlungsrisiko, so dass sie zwar immer noch minimal risikoreich, aber dennoch als riskanter einzustufen sind als die anderen genannten Maßnahmen. Daher sollten bei diesen mehrere Hinweise auf

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Kap. 8: Fazit und Vorschläge

einen Willen der Versuchsperson hindeuten oder aber frühere oder aktuelle Äußerungen bestehen.75

C. Alternativer Gesetzesvorschlag I. Vorüberlegungen 1. Allgemeines Die Forschung am Menschen ist in weiten Teilen in Deutschland noch nicht geregelt. Die Ergebnisse dieser Arbeit sollen daher auch zu einem Gesetzesvorschlag führen, der diese Lücke schließt. Ein Gesetz über die medizinische Forschung am Menschen soll den Schutz der Versuchspersonen, aber auch den Fortschritt der Medizin bezwecken. Wenn der Schutz der Probanden in den Vordergrund gerückt werden soll, empfiehlt es sich, das Gesetz entsprechend aufzubauen, indem für unterschiedliche Personengruppen besondere Anforderungen an deren Schutz gestellt werden. Als Normalfall gilt die einwilligungsfähige Person. Besonderen Schutzes bedarf sodann die Gruppe der Einwilligungsunfähigen. Eine Begründung folgt im Anschluss an den Gesetzesentwurf. 2. Gesetzgebungskompetenz Um den Schutz der Probanden zu gewährleisten und um die Wissenschaft zu fördern, wäre es zielführend ein Bundesgesetz zu erlassen. Der Bund hat jedoch keine allgemeine Gesetzgebungskompetenz für das Medizinwesen.76 Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG erfasst nur die Förderung der wissenschaftlichen Forschung in finanzieller, organisatorischer und planerischer Hinsicht,77 nicht jedoch die Forschung selbst.78 Die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG betrifft nur Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten, die Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe, sowie das Recht des Apothekenwesens, der Arzneien, der Medizinprodukte, der Heilmittel, der Betäubungsmittel und der Gifte. Auf dieser Zuständigkeit beruht insbesondere auch das Arzneimittelgesetz.79 Das Forschungsgesetz soll jedoch gerade nicht nur diese einzelnen Bereiche erfassen, sondern die gesamte me75 Zusätzlich zu beachten sind bei diesen Maßnahmen z. Z. die Einschränkungen der StrlSchV und RöV. 76 Steiner, in: Spickhoff, Art. 74 GG, Rn. 4. 77 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 74, Rn. 38; Stettner, in: Dreier, Art. 74, Rn. 72. 78 Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 74, Rn. 179. 79 Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 74, Rn. 219; vgl. zur Erweiterung des Kompetenzmittels auch auf die Herstellung solcher Arzneimitte, die von Ärzten, Zahnärzten und Heilpraktikern zur unmittelbaren Anwendung bei eigenen Patienten hergestellt werden: BT-Drs. 16/813, S. 13 als Reaktion auf BVerfG NJW 2000, 857, 858.

C. Alternativer Gesetzesvorschlag

359

dizinische Forschung am Menschen. Für den Bereich des Gesundheitswesens enthält das Grundgesetz jedoch keine allgemeine Zuständigkeitszuweisung an den Bund.80 Mangels zugewiesener Gesetzgebungskomptetenz an den Bund haben daher die Länder das Recht der Gesetzgebung in diesem Bereich.81 Damit einheitliche Standards geschaffen werden können, müssten sich die Länder folglich verständigen. Eine weitere Lösung könnte darin bestehen, die Gesetzgebungskompetenz durch eine Änderung des Grundgesetzes dem Bund zuzuweisen. Ein solches Gesetz zur Änderung bedarf nach Art. 79 Abs. 2 GG der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates. So könnte in Art. 74 Abs. 1 ein Nr. 19b eingefügt werden, der die medizinische Forschung am Menschen als weitere konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich des Gesundheitswesens einführt.

II. Forschungsgesetz Gesetz über die medizinische Forschung am Menschen (Forschungsgesetz – ForschG) § 1 Anwendungsbereich 1

Dieses Gesetz gilt für medizinische Forschungsmaßnahmen, die an Menschen durchgeführt werden. 2Die Vorschriften des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln, des Gesetzes über Medizinprodukte, der Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen und der Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen bleiben unberührt. § 2 Zweck des Gesetzes Es ist Zweck dieses Gesetzes, für den Schutz von Patienten und Probanden bei der medizinischen Forschung am Menschen zu sorgen sowie wissenschaftlichen Fortschritt in der Medizin zu ermöglichen. § 3 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieses Gesetzes 1. sind Versuchspersonen diejenigen Personen, bei denen Forschungsmaßnahmen durchgeführt werden sollen, 2. sind einwilligungsfähige Personen diejenigen Personen, die im konkreten Einzelfall in der Lage sind, den Eingriffsumfang sowie mögliche Folgen, Risiken, Alternativen und den zu erwartenden Nutzen zu verstehen, diese mittels eigener Wertmaßstäbe zu bewerten, abzuwägen und auf dieser Grundlage eine Entscheidung zu treffen; einwilligungsunfähige Personen sind solche Personen, die dazu nicht in der Lage sind, 3. ist eine Ethikkommission ein unabhängiges Gremium aus im Gesundheitswesen und in nichtmedizinischen Bereichen tätigen Personen, dessen Aufgabe es ist, den Schutz der 80 81

Vgl. Degenhart, in: Sachs, Art. 74, Rn. 83; Stettner, in: Dreier, Art. 74, Rn. 91. Vgl. Art. 70 Abs. 1 GG.

360

Kap. 8: Fazit und Vorschläge Rechte, die Sicherheit und das Wohlergehen von Versuchspersonen zu sichern und diesbezüglich Vertrauen der Öffentlichkeit zu schaffen, indem es unter anderem zu der Planung und Organisation des Versuchs, der Eignung des Forschers und der Angemessenheit der Einrichtungen sowie zu den Methoden, die zur Unterrichtung der Versuchspersonen und zur Erlangung ihrer Einwilligung nach Aufklärung benutzt werden und zu dem dabei verwendeten Informationsmaterial Stellung nimmt,

4. ist ein Forscher in der Regel ein mit der Durchführung von Forschungsmaßnahmen bei Menschen in einer Forschungsstelle verantwortlicher Arzt oder in begründeten Ausnahmefällen eine andere Person, deren Beruf auf Grund seiner wissenschaftlichen Anforderungen und der seine Ausübung voraussetzenden Erfahrungen in der Patientenbetreuung für die Durchführung von Forschungen am Menschen qualifiziert. § 4 Allgemeine Voraussetzungen der medizinischen Forschung am Menschen (1) Medizinische Forschung am Menschen darf nur durchgeführt werden, wenn und solange 1.

eine Ethikkommission die Forschung zustimmend bewertet hat,

2.

die zuständige Behörde die Forschung genehmigt hat,

3.

die vorhersehbaren Risiken und Nachteile gegenüber dem Nutzen für die Versuchsperson und der voraussichtlichen Bedeutung der Forschungsergebnisse für die Heilkunde ärztlich vertretbar sind,

4.

sie in einer geeigneten Einrichtung von einem angemessen qualifizierten Forscher verantwortlich durchgeführt wird,

5.

ausreichende vorbereitende Forschungen durchgeführt worden sind, so dass eine Forschung am Menschen erforderlich ist und der Forscher davon Kenntnis hat,

6.

die Forschung an kranken Versuchspersonen in einem Zusammenhang zu der Krankheit steht, an der die Versuchsperson leidet,

7.

die Person, bei der sie durchgeführt werden soll, nicht auf gerichtliche oder behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt ist,

8.

eine Probandenversicherung nach Maßgabe des Abs. 4 besteht, sofern die Forschung mehr Risiken birgt als eine normale Behandlung, und die auch Leistungen gewährt, wenn kein anderer für den Schaden haftet,

9.

ein dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechender Plan für die Durchführung des Forschungsvorhabens vorhanden ist,

10. eine Dokumentation der vorgenommenen Forschungsmaßnahmen stattfindet und 11. für die medizinische Versorgung der Versuchspersonen ein Arzt verantwortlich ist. (2)

1

Eine einwilligungsfähige Versuchsperson muss persönlich und schriftlich ihre Einwilligung erteilen, nachdem sie durch einen Arzt über Wesen, Bedeutung und Tragweite der Forschungsmaßnahmen aufgeklärt worden ist und mit dieser Einwilligung zugleich erklärt, dass sie mit der im Rahmen der Forschung erfolgenden Aufzeichnung von Gesundheitsdaten und mit der Einsichtnahme zu Prüfungszwecken durch Beauftragte des Auftraggebers oder der zuständigen Behörde einverstanden ist. 2Sie ist auch über ihr Recht aufzuklären, die Teilnahme an der Forschung jederzeit ohne

C. Alternativer Gesetzesvorschlag

361

Nachteile zu beenden. 3Eine Einwilligung in die Teilnahme an der Forschung kann jederzeit schriftlich oder mündlich widerrufen werden, ohne dass der Versuchsperson dadurch Nachteile entstehen dürfen. 4Eine allgemein verständliche Aufklärungsunterlage ist ihr auszuhändigen. 5Der Versuchsperson ist Gelegenheit zu einem Beratungsgespräch zu geben. 6Kann die Versuchsperson nicht schreiben, so kann in Ausnahmefällen eine mündliche Einwilligung in Anwesenheit von mindestens einem Zeugen, der auch bei der Information der Versuchsperson einbezogen war, erteilt werden. 7Der Zeuge darf keine bei der Forschungsstelle beschäftigte Person und kein Mitglied der Forschungsgruppe sein. 8Die mündlich erteilte Einwilligung ist schriftlich zu dokumentieren, zu datieren und von dem Zeugen zu unterschreiben. (3)

1

Kontrollierte Versuche an gesunden Versuchspersonen sind zulässig. 2Kontrollierte Versuche an kranken Versuchspersonen sind zulässig, wenn in der Kontrollgruppe die Standardbehandlung durchgeführt wird. 3Kontrollierte Versuche, bei denen die Kontrollgruppe nicht behandelt wird oder eine Behandlung erfährt, die einer Nichtbehandlung gleichzusetzen ist, sind nur zulässig, wenn und solange

a)

kein Standardpräparat existiert oder

b)

die Nichtbehandlung aus zwingenden und wissenschaftlich fundierten methodischen Gründen notwendig ist, um die Wirksamkeit oder Sicherheit einer Maßnahme festzustellen und die Patienten, die nicht behandelt werden, keinem Risiko eines ernsten oder irreversiblen Schadens ausgesetzt werden.

4

Dies gilt auch für randomisierte und doppelblinde Versuche.

(4) Die Versicherung nach Absatz 1 Nr. 8 muss zugunsten der Versuchsperson abgeschlossen werden. Ihr Umfang muss in einem angemessenen Verhältnis zu den mit der klinischen Prüfung verbundenen Risiken stehen und auf der Grundlage der Risikoabschätzung so festgelegt werden, dass für jeden Fall des Todes oder der dauernden Erwerbsunfähigkeit einer von der klinischen Prüfung betroffenen Person mindestens 500 000 Euro zur Verfügung stehen. Soweit aus der Versicherung geleistet wird, erlischt ein Anspruch auf Schadensersatz. § 5 Besondere Voraussetzungen für einwilligungsunfähige Versuchspersonen (1) Bei einer Versuchsperson, die einwilligungsunfähig ist, findet § 4 mit folgender Maßgabe Anwendung: 1

1.

Die persönliche aktuelle Einwilligung kann ersetzt werden durch eine antizipierte Einwilligung, in der die Versuchsperson vorab schriftlich ihre Einwilligung zu Forschungsmaßnahmen erklärt. 2Die Einwilligung kann jederzeit ohne Nachteile widerrufen werden. 3Auf eine ausführliche Aufklärung kann verzichtet werden, wenn die Forschungsmaßnahmen bei Erteilung der antizipierten Einwilligung noch nicht bekannt sind. 4Dies gilt auch für Forschungsmaßnahmen, die der Versuchsperson voraussichtlich keinen individuellen Nutzen bringen. 5§§ 1901a, 1904 Abs. 1, 3, 4, 5 BGB gelten entsprechend.

2.

1

a)

Der Vertreter ist entsprechend § 4 Abs. 2 aufzuklären.

Liegt keine antizipierte Einwilligung vor, so kann ein Bevollmächtigter oder ein gesetzlicher Vertreter der Versuchsperson eine stellvertretende Einwilligung unter folgenden Voraussetzungen erteilen:

362

Kap. 8: Fazit und Vorschläge

b) Erklärt die Versuchsperson, nicht an der Forschung teilnehmen zu wollen, oder bringt sie dies in sonstiger Weise zum Ausdruck, so darf eine Forschungsmaßnahme nicht durchgeführt werden. c)

Handelt es sich um eine Forschungsmaßnahme, die der Versuchsperson voraussichtlich keinen individuellen Nutzen bringt, ist die Einwilligung des Vertreters zulässig, wenn sie im Falle des Bevollmächtigten den Vorgaben der Versuchsperson oder im Falle eines gesetzlichen Vertreters dem Wohl der Versuchsperson nach § 1627 BGB bzw. § 1901 Abs. 2 S. 1 BGB entspricht. Die Einwilligung des Betreuers oder des Bevollmächtigten in die Teilnahme an der fremdnützigen Forschung bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts. § 1904 Abs. 3 BGB gilt entsprechend.

2.

1

Erlaubt die Forschung keinen Aufschub und liegt weder eine antizipierte Einwilligung vor noch ist ein Vertreter vorhanden oder erreichbar, so darf eine Forschungsmaßnahme vorgenommen werden, wenn sie dem mutmaßlichen Willen der Versuchsperson entspricht. 2Dieser ist aus den persönlichen Umständen der Versuchsperson und ihren individuellen Interessen, Wünschen, Bedürfnissen und Wertvorstellungen zu ermitteln. 3 Er kann auch Forschungsmaßnahmen erfassen, die ihr keinen individuellen Nutzen versprechen. 4Die Voraussetzungen sind durch den behandelnden Arzt sowie durch einen Konsiliararzt zu beurteilen, dessen Zustimmung schriftlich zu dokumentieren ist. 5 Die Genehmigung eines Richters über die Einbeziehung der Versuchsperson ist einzuholen, nachdem dieser bereits im Vorhinein generell über Tragweite und Bedeutung der Forschung und die Stellungnahme der Ethikkommission informiert worden ist. 6Die Genehmigung wird schriftlich auf einem Formular festgehalten und später in die Patientendokumente eingefügt. 7Die Einwilligung der Versuchsperson oder, falls dies nicht möglich ist, die Einwilligung des Vertreters zur weiteren Teilnahme ist einzuholen, sobald dies möglich und zumutbar ist. 8Wird die Einwilligung eines Vertreters eingeholt, so ist bald möglichst die Einwilligung der Versuchsperson nachzuholen.

(2) Die Forschung darf an einwilligungsunfähigen Personen nur unter folgenden kumulativen Voraussetzungen durchgeführt werden: 1

1.

Die Forschung darf für die Versuchsperson nur mit einem minimalen Risiko und einer minimalen Belastung verbunden sein. 2Die Forschung weist nur ein minimales Risiko auf, wenn nach Art und Umfang der Intervention zu erwarten ist, dass sie allenfalls zu einer sehr geringfügigen und vorübergehenden Beeinträchtigung der Gesundheit der betroffenen Person führen wird; sie weist eine minimale Belastung auf, wenn zu erwarten ist, dass die Unannehmlichkeiten für die betroffene Person allenfalls vorübergehend auftreten und sehr geringfügig sein werden. 3Zu solchen Maßnahmen gehören insbesondere das Messen, Wiegen, Beobachten, Auswerten von Wangenschleimhaut-, Speichel-, Urin- und Stuhlproben, das Auswerten bereits entnommener Blutproben, die Entnahme einer geringen Menge Blut, die geringfügige zusätzliche Liquorentnahme im Rahmen einer medizinisch indizierten Lumbalpunktion, die geringfügige Entnahme von zusätzlichen Gewebeproben während eines medizinisch indizierten Eingriffs sowie eine Magnetresonanztomographie, Ultraschall, Elektroenzephalografie oder ein Elektrokardiogramm. 4Der Grad von Risiken und Belastungen muss im Einzelfall bestimmt werden.

2.

1

Die Forschung an einwilligungsfähigen Personen darf nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft keine ausreichenden Prüfergebnisse erwarten lassen. 2Die Forschung muss für die Bestätigung von Daten, die bei klinischen Prüfungen an ein-

C. Alternativer Gesetzesvorschlag

363

willigungsfähigen Personen oder mittels anderer Forschungsmethoden gewonnen wurden, unbedingt erforderlich sein. 3.

Die einwilligungsunfähige Versuchsperson ist vor Beginn der Forschung von einem im Umgang mit einwilligungsunfähigen Personen erfahrenen Arzt alters- und krankheitsgerecht über die durchzuführenden Forschungsmaßnahmen, die Risiken und den Nutzen aufzuklären, soweit dies im Hinblick auf ihr Alter, ihre Krankheit, ihren Zustand oder ihre Behinderung möglich ist.

4.

Vorteile mit Ausnahme einer angemessenen Entschädigung dürfen nicht gewährt werden.

(3) Wird die einwilligungsunfähige Person im Verlauf der Forschung einwilligungsfähig, so ist ihre Einwilligung nach § 4 Abs. 2 einzuholen. § 6 Verfahren bei der Ethikkommission, Genehmigungsverfahren bei der Bundesoberbehörde (1) 1Die nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 erforderliche zustimmende Bewertung der Ethikkommission ist bei der für den Forscher zuständigen unabhängigen interdisziplinär besetzten Ethikkommission zu beantragen. 2Zur Bewertung der Unterlagen kann die EthikKommission eigene wissenschaftliche Erkenntnisse verwerten, Sachverständige beiziehen oder Gutachten anfordern. 3Sie hat Sachverständige beizuziehen oder Gutachten anzufordern, wenn es sich um eine klinische Prüfung bei Minderjährigen handelt und sie nicht über eigene Fachkenntnisse auf dem Gebiet der Kinderheilkunde, einschließlich ethischer und psychosozialer Fragen der Kinderheilkunde, verfügt. 4Die zustimmende Bewertung darf nur versagt werden, wenn 1.

die vorgelegten Unterlagen auch nach Ablauf einer angemessenen Frist zur Ergänzung unvollständig sind,

2.

die vorgelegten Unterlagen nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen oder

3.

die in §§ 4 und 5 geregelten Anforderungen nicht erfüllt sind.

5

Die Ethikkommission hat eine Entscheidung über den Antrag nach Satz 1 innerhalb einer Frist von höchstens 60 Tagen nach Eingang der erforderlichen Unterlagen zu übermitteln. (2) 1Die nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 erforderliche Genehmigung ist bei der zuständigen Bundesoberbehörde zu beantragen. 2Die Genehmigung darf nur versagt werden, wenn 1.

die vorgelegten Unterlagen auch nach Ablauf angemessenen Frist zur Ergänzung unvollständig sind,

2.

die vorgelegten Unterlagen nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen,

3.

die in §§ 4 und 5 geregelten Anforderungen nicht erfüllt sind.

3 Die Genehmigung gilt als erteilt, wenn die zuständige Bundesoberbehörde innerhalb von höchstens 30 Tagen nach Eingang der Antragsunterlagen keine mit Gründen versehenen Einwände übermittelt. 4Wenn der Forscher auf mit Gründen versehene Einwände den Antrag nicht innerhalb einer Frist von höchstens 90 Tagen entsprechend abgeändert hat, gilt der Antrag als abgelehnt.

364

Kap. 8: Fazit und Vorschläge

(3) 1Die Genehmigung ist zurückzunehmen, wenn bekannt wird, dass ein Versagungsgrund nach Absatz 2 Satz 2 bei der Erteilung vorgelegen hat; sie ist zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die die Versagung nach Absatz 2 Satz 3 Nr. 2 oder Nr. 3 rechtfertigen würden. 2In den Fällen des Satzes 1 kann auch das Ruhen der Genehmigung befristet angeordnet werden. 3Die zuständige Bundesoberbehörde kann die Genehmigung widerrufen, wenn die Gegebenheiten der Forschung nicht mit den Angaben im Genehmigungsantrag übereinstimmen oder wenn Tatsachen Anlass zu Zweifeln an der Unbedenklichkeit oder der wissenschaftlichen Grundlage der Forschung geben. 4In diesem Fall kann auch das Ruhen der Genehmigung befristet angeordnet werden. 5Die zuständige Bundesoberbehörde unterrichtet unter Angabe der Gründe unverzüglich die anderen für die Überwachung zuständigen Behörden und Ethikkommissionen. 6Vor einer Entscheidung ist dem Forscher Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb einer Frist von einer Woche zu geben. 7§ 28 Abs. 2 Nr. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes gilt entsprechend. 8Ordnet die zuständige Bundesoberbehörde die sofortige Unterbrechung der Forschung an, so übermittelt sie diese Anordnung unverzüglich dem Forscher. 9Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Widerruf, die Rücknahme oder die Anordnung des Ruhens der Genehmigung sowie gegen Anordnungen nach Absatz 10 haben keine aufschiebende Wirkung. (4) Ist die Genehmigung der Forschung zurückgenommen oder widerrufen oder ruht sie, so darf die Forschung nicht fortgesetzt werden. (5) 1Die zustimmende Bewertung durch die zuständige Ethikkommission ist zurückzunehmen, wenn die Ethikkommission nachträglich davon Kenntnis erlangt, dass ein Versagungsgrund nach Absatz 1 Satz 4 vorgelegen hat; sie ist zu widerrufen, wenn die Ethikkommission davon Kenntnis erlangt, dass nachträglich die Anforderungen nach Absatz 1 Satz 4 Nr. 2 oder 3 nicht mehr gegeben sind. 2Absatz 3 gilt entsprechend. 3Die zuständige Ethikkommission unterrichtet unter Angabe der Gründe unverzüglich die zuständige Bundesoberbehörde und die anderen für die Überwachung zuständigen Behörden. (6) Wenn der zuständigen Bundesoberbehörde im Rahmen ihrer Tätigkeit Tatsachen bekannt werden, die die Annahme rechtfertigen, dass der Forscher oder ein anderer Beteiligter seine Verpflichtungen im Rahmen der ordnungsgemäßen Durchführung der Forschung nicht mehr erfüllt, informiert die zuständige Bundesoberbehörde die betreffende Person unverzüglich und ordnet die von dieser Person durchzuführenden Abhilfemaßnahmen an; betrifft die Maßnahme nicht den Forscher, so ist dieser von der Anordnung zu unterrichten. § 7 Strafvorschriften Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. entgegen § 4 Abs. 1 Nr. 3, 4, 5, 6, 7 Forschungsmaßnahmen durchführt, 2. entgegen § 4 Abs. 2 S. 1 – 3 die Forschungsmaßnahmen ohne Einwilligung nach ordnungsgemäßer Aufklärung durchführt, 3. entgegen § 4 Abs. 3 kontrollierte Versuche durchführt, 4. entgegen § 5 Abs. 1 oder Abs. 3 Forschungsmaßnahmen ohne antizipierte, stellvertretende, mutmaßliche oder nachgeholte Einwilligung durchführt oder ein beachtliches Veto nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. b missachtet,

C. Alternativer Gesetzesvorschlag

365

5. entgegen § 5 Abs. 2 Nr. 1 – 3 Forschungsmaßnahmen durchführt. § 8 Bußgeldvorschriften (1) Ordnungswidrig handelt, wer eine der in § 7 bezeichneten Handlungen fahrlässig begeht. (2) Ordnungswidrig handelt auch, wer vorsätzlich oder fahrlässig 1.

entgegen § 4 Abs. 1 Nr. 1, 2, 8 Forschungsmaßnahmen durchführt,

2.

entgegen § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1904 1, 3, 4, 5 BGB oder entgegen § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. c i.V.m. § 1904 Abs. 3 BGB oder Forschungsmaßnahmen ohne Genehmigung durchführt,

3.

entgegen § 5 Abs. 1 Nr. 3 S. 4, 5 Forschungsmaßnahmen ohne Zustimmung eines weiteren Arztes oder ohne gerichtliche Genehmigung durchführt.

(3) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu fünfundzwanzigtausend Euro geahndet werden.

III. Begründung Der Gesetzesvorschlag basiert auf den verfassungsrechtlichen und strafrechtlichen Untersuchungen der Forschung an Einwilligungsunfähigen. Dennoch sollen hier noch einige Erläuterungen hinzugefügt werden, die den Entwurf begründen. Das Forschungsgesetz soll die Spezialgesetze zur Forschung am Menschen unberührt lassen. Es handelt sich bei diesen um Spezialregelungen, die besondere Voraussetzungen für den jeweiligen Gegenstand der Forschung enthalten. Daher sind sie gegenüber dem Forschungsgesetz vorrangig. Dies stellt § 1 S. 2 ForschG klar. § 2 ForschG soll deutlich machen, dass das Gesetz sowohl den Schutz der Versuchspersonen zum Ziel hat als auch den wissenschaftlichen Fortschritt der Medizin, dass mithin ein Ausgleich der kollidierenden Grundrechte erreicht werden soll. Die Begriffsbestimmungen dienen zum Teil der leichteren Formulierung in den folgenden Paragraphen. Die Definition der Einwilligungsfähigkeit soll eine Abgrenzung unabhängig von Altersgrenzen und anderen Mündigkeitsstufen ermöglichen. Die §§ 4 und 5 enthalten die Voraussetzungen für eine zulässige medizinische Forschung am Menschen. Die Voraussetzungen sind zum Teil dem Arzneimittelgesetz und dem Medizinproduktegesetz nachgebildet und es sind Formulierungen übernommen worden. Die Systematik ist jedoch eine andere: § 4 und § 5 unterscheiden sich nicht durch Forschung an gesunden bzw. kranken Personen, sondern § 4 stellt allgemeine Voraussetzungen auf, die für den Normalfall der Forschung an Einwilligungsfähigen gelten und § 5 enthält besondere Voraussetzungen für die Forschung an Einwilligungsunfähigen. Ist der Eigennutzen nicht notwendiger Ausgangspunkt bei der Forschung an kranken Personen, erübrigt sich eine solche strikte Trennung. Eine deutliche Unterscheidung zwischen einwilligungsfähigen und einwilligungsunfähigen Personen erscheint sinnvoller, da zwischen diesen Personengruppen in Bezug auf ihre Einbeziehung größere Unterschiede bestehen.

366

Kap. 8: Fazit und Vorschläge

§ 4 Abs. 1 Nr. 6 betrifft kranke Versuchspersonen, bei denen jedoch kein individueller Nutzen erforderlich ist, sondern nur ein Bezug der Forschung zur Krankheit. Eine Probandenversicherung ist nach § 4 Abs. 1 Nr. 8 nicht in jedem Fall notwendig, sondern nur, wenn die Forschungsmaßnahme über das Risiko einer normalen medizinischen Behandlung hinausgeht. § 4 Abs. 2 regelt Einwilligung und Aufklärung der einwilligungsfähigen Versuchsperson. § 4 Abs. 3 betrifft kontrollierte Versuche. Dabei ist die Formulierung an Ziffer 33 der Deklaration von Helsinki angelehnt. § 5 modifiziert die Voraussetzungen des § 4 für den Fall der Forschung an Einwilligungsunfähigen. Dabei wird bis auf den Verweis auf § 1627 BGB und § 1901 Abs. 2 BGB nicht zwischen minderjährigen und volljährigen Einwilligungsunfähigen unterschieden, da sie als gleich schutzwürdig einzustufen sind und gleichfalls bei beiden Gruppen Forschungsbedarf besteht. § 5 Abs. 1 modifiziert § 4 Abs. 2 und regelt die drei zulässigen Einbeziehungsarten der Einwilligungsunfähigen in die Forschung. Sie sind geordnet nach dem Rang ihrer Berücksichtigung. § 5 Abs. 1 Nr. 1 betrifft die antizipierte Einwilligung, die schriftlich sein sollte um als Beweis dienen zu können. Widerruf und Aufklärungsverzicht werden geregelt. Es wird klargestellt, dass eine antizipierte Einwilligung auch bei fremdnütziger Forschung möglich ist. Der Verweis auf §§ 1901a, 1904 Abs. 1, 3, 4, 5 BGB macht deutlich, das die dort getroffenen Regelungen auch auf Forschungsverfügungen anwendbar sind, wie die Prüfung durch Betreuer und die u. U. erforderliche Genehmigung des Gerichts. § 5 Abs. 1 Nr. 2 regelt die wichtigste Einbeziehungsmöglichkeit, die Repräsentation. Die Beachtlichkeit eines Vetos wird deutlicher als im Arzneimittelgesetz herausgestellt. Auch im Rahmen der Repräsentation befindet sich eine Klarstellung, dass auch fremdnützige Forschung zulässig sein kann, wenn diese im Einzelfall mit dem Wohl des Einwilligungsunfähigen vereinbar ist. Ein Co-Consent ist nicht vorausgesetzt. Die Genehmigung des Betreuungsgerichts ist bei der Einwilligung in die Teilnahme an fremdnütziger Forschung erforderlich. Wiederum wird auf § 1904 BGB verwiesen. § 5 Abs. 1 Nr. 3 regelt die zu den beiden anderen Einbeziehungsmöglichkeiten subsidiäre mutmaßliche Einwilligung. Hervorzuheben ist hier die erforderliche Zustimmung weiterer Instanzen durch eine Kombination des Gießener Modells und des Heidelberger Verfahrens bei Notfallsituationen. Der Grundrechtsschutz durch Verfahren wird dadurch erweitert. Die weiteren Schutzmaßnahmen für Einwilligungsunfähige befinden sich in § 5 Abs. 2. Die Risiko-Nutzen-Abwägung nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 wird durch § 5 Abs. 2 Nr. 1 modifiziert und begrenzt Risiken und Belastungen auf eine minimale Stufe. Eine Definition und eine beispielhafte, nicht abschließende Aufzählung folgen. § 6 betrifft das Verfahren der Ethikkommissionen und die Genehmigung durch eine Behörde. Die Vorschrift ist an das Arzneimittelgesetz angelehnt, jedoch gekürzt.

C. Alternativer Gesetzesvorschlag

367

§ 7 enthält Strafbestimmungen. Es handelt sich um Gefährdungsdelikte, bei denen nur bei Vorsatz eine Strafbarkeit besteht. § 7 Nr. 1 verweist dabei auf § 4 Abs. 1 Nr. 3 – 7 und damit auf besonders wichtige allgemeine Voraussetzungen. Zu beachten ist besonders, dass sich § 7 Nr. 4 nur auf eine fehlende wirksame antizipierte, stellvertretende und mutmaßliche Einwilligung bezieht, nicht aber auf die Missachtung von Verfahrensverstößen. § 8 Abs. 1 bewehrt fahrlässige Verstöße gegen ein Verbot des § 7 mit einem Bußgeld. § 8 Abs. 2 Nr. 1, 2, 3 betreffen Verstöße geringeren Unrechts, da sie keine materiellen Voraussetzungen enthalten, wie insbesondere die fehlende Genehmigung eines Gerichts. Die Höhe der Geldbuße entspricht der im Arzneimittelgesetz und Medizinproduktegesetz festgelegten Geldbuße.

IV. Weitere Anregung Neben Einwilligungsunfähigen gibt es auch weitere besonders schutzbedürftige Personengruppen. So sollten auch schwangere und stillende Frauen nur unter Einhaltung strenger Schutzmaßnahmen in klinische Prüfungen einbezogen werden. Der Schutz des ungeborenen Lebens bzw. des Säuglings ist ebenfalls von großer Bedeutung. Auch hier besteht jedoch Forschungsbedarf, da bei der medizinischen Behandlung von schwangeren und stillenden Frauen gewollte oder auch unbeabsichtigte Wirkungen für das Kind eintreten können. Krankheiten oder Behinderungen können etwa durch die Einnahme von Medikamenten während der Schwangerschaft entstehen,82 sie könnten aber auch dadurch verhindert werden. Der Staat hat auch eine Schutzpflicht in Bezug auf das ungeborene Leben.83 Die Lage ist also vergleichbar zu der von einwilligungsunfähigen Personen.84 82 Vgl. dazu den Contergan-Skandal, s. dazu LG Aachen JZ 1971, 507 sowie zu den Hintergründen Maio, DMW 2001, 1183. 83 BVerfG NJW 1975, 573: „Das sich im Mutterleib entwickelnde Leben steht als selbständiges Rechtsgut unter dem Schutz der Verfassung (Art. 2 II 1, Art. 1 I GG). Die Schutzpflicht des Staates verbietet nicht nur unmittelbare staatliche Eingriffe in das sich entwickelnde Leben, sondern gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen.“ BVerfG NStZ 1993, 483. Das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren tritt insofern zurück. Dennoch ist u. U. sogar eine Abtreibung möglich, d. h. nicht rechtswidrig, vgl. § 218a StGB sowie BVerfG NStZ 1993, 483. 84 Eine nähere Betrachtung würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Eine Regelung könnte jedoch etwa wie folgt aussehen: Besondere Voraussetzungen für schwangere und stillende Frauen Bei einer schwangeren oder stillenden Versuchsperson findet § 4 mit folgender Maßgabe Anwendung: 1. Die Forschung darf für die Versuchsperson und für das ungeborene oder gestillte Kind nur mit einem minimalen Risiko und einer minimalen Belastung verbunden sein. 2. Die Forschung an Personen, die nicht schwanger sind oder stillen, darf nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft keine ausreichenden Prüfergebnisse erwarten lassen. Die Forschung muss für die Bestätigung von Daten, die bei klinischen Prüfungen an

368

Kap. 8: Fazit und Vorschläge

V. Anpassung der Spezialgesetze Da die Spezialgesetze wegen ihrer Besonderheiten erhalten bleiben, müssen sie zum Teil angepasst werden. Dabei bieten sich meist mehrere Möglichkeiten an, da der Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum hat. Bei allen Spezialgesetzen sollte innerhalb der Begriffsbestimmungen die Definition der Einwilligungsfähigkeit eingefügt werden. Der Co-Consent sollte gestrichen werden. Um minderjährige und volljährige Einwilligungsunfähige gleich zu behandeln, sind die Voraussetzungen jeweils für die Gruppe der Einwilligungsunfähigen zu modifizieren und es ist nicht auf Geschäftsfähigkeit oder Volljährigkeit abzustellen. Es bieten sich zwei Möglichkeiten der Anpassung an: Man könnte erstens das Forschungsgesetz um die Besonderheiten der Spezialgebiete ergänzen oder zweitens in die bestehenden Spezialgesetze die Schutzmaßnahmen und Einbeziehungsmöglichkeiten des Forschungsgesetzes integrieren. Die folgenden Erörterungen gehen von der zweiten Variante aus. Beim Arzneimittelgesetz ergibt sich die Besonderheit, dass die Richtlinie 2001/ 20/EG Schutzvorschriften vorgibt, über die der Gesetzgeber zwar hinausgehen, die er aber nicht unterschreiten darf. Die Verordnung, die die Richtlinie ablösen soll, wird wahrscheinlich 2016 gelten.85 Eine Transformation in deutsches Recht muss nicht erfolgen. Die Verordnung gilt dann unmittelbar.86 Der deutsche Gesetzgeber hat lediglich die Möglichkeit von der Öffnungsklausel in Bezug auf den erforderlichen Nutzen bei einwilligungsunfähigen Erwachsenen Gebrauch zu machen. Im Hinblick auf die erforderliche Gleichbehandlung der einwilligungsunfähigen Personen verbietet sich diese Lösung jedoch. Sollte die Verordnung betreffend Medizinprodukte verabschiedet werden, so werden dort vergleichbare Erwägungen anzustellen sein. Sollte keine Verordnung in Kraft treten, die klinische Prüfungen betreffend Medizinprodukte und den Schutz der Probanden betrifft, so muss Folgendes beachtet werden: Das Medizinproduktegesetz war bislang hinsichtlich der Systematik an das Arzneimittelgesetz angeglichen. Da letzteres jedoch an die Richtlinie gebunden ist, die das Medizinproduktegesetz nicht betrifft, bietet sich eher eine Anlehnung an das zu schaffende Forschungsgesetz an. Dabei sollten Besonderheiten in Bezug auf klinische Prüfungen bei Medizinprodukten beibehalten werden, wie etwa die erforderlichen Vorprüfungen. In § 20 MPG könnten sodann allgemeine Voraussetzungen für die Forschung an einwilligungsfähigen Personen geregelt werden, etwa auch in Bezug auf kontrollierte Studien. Die Voraussetzungen könnten in einem § 20a MPG für Schwangere und Stillende, in § 21 MPG entsprechend dem Forschungsgesetz für einwilligungsunfähige Personen modifiziert werden, so dass auch fremdnützige Forschung in engen Grenzen möglich Personen, die nicht schwanger sind oder stillen, oder mittels anderer Forschungsmethoden gewonnen wurden, unbedingt erforderlich sein. 3. Vorteile mit Ausnahme einer angemessenen Entschädigung dürfen nicht gewährt werden. 85 Vgl. schon o. S. 326 ff. 86 Vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV.

C. Alternativer Gesetzesvorschlag

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wäre. Die §§ 41, 42 MPG sollten wiederum an das Forschungsgesetz angeglichen werden, so dass insbesondere das Fehlen einer Einwilligung oder eines Surrogats strafbewehrt ist, die Missachtung von Verfahrensvorschriften aber lediglich mit Bußgeld bewehrt ist. Bei der Strahlenschutz- und Röntgenverordnung ist ein Tätigwerden des Gesetzgebers wünschenswert. Die Verordnung stellt nicht das angemessene Regelungsinstrument für den Bereich der Forschung am Menschen dar. Die Regelungen sind unter Wahrung der Besonderheiten an das Forschungsgesetz anzugleichen. § 88 Abs. 4 StrlSchV bzw. § 28d Abs. 4 RöV können in Bezug auf einwilligungsunfähige Personen wie auch das Medizinproduktegesetz so geändert werden, dass auch fremdnützige Forschung innerhalb der drei zulässigen Einbeziehungsmöglichkeiten bei Beachtung der Schutzmaßnahmen zulässig ist. Durch die Gesetzesform ist es auch möglich, Strafvorschriften zu erlassen, so dass wiederum eine Unterscheidung zwischen erheblichen, materiellen Verletzungen und rein formellen Verfahrensverstößen möglich ist.

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Stichwortverzeichnis Aktualisierungspflicht 177 ff. assent 46, 158 f. Aufklärung 57, 174 f., 181 ff., 217, 256, 329 Beschneidung 117, 135 ff., 251 f. Bioethik-Konvention 31, 84 f., 93, 135, 167, 187 Blutspende 140, 161, 305 f., 349 Co-Consent 46, 60, 147 ff., 214, 234, 239 Cross-over 33, 70 ff., 344 Deklaration von Helsinki 154, 224 Dissent 46, 154 ff.

51, 69, 88 ff., 93,

Einwilligung 36, 191, 264 ff. – antizipierte 112, 144, 160, 176 ff., 193 ff., 200, 215, 280, 289 ff. – mutmaßliche 160, 182, 188 ff., 193 ff., 216, 276, 295 ff. – stellvertretende 114 ff., 193 ff., 214 f., 262 ff. Einwilligungsfähigkeit 36 ff., 57, 102, 146 ff., 157 ff., 274331 Ethik-Kommission 65, 79, 82, 88, 96, 173 f., 185, 205 ff., 218, 223, 286 ff., 322 ff. Forschungsfreiheit 97, 99 f., 171, 196 ff., 223, 233, 271, 309 ff. Fremdnutzen 30 f., 62, 93, 163 ff., 189 f., 209 Genehmigung – der Behörde 56, 65, 79, 81 ff., 174, 185, 205 ff., 217, 222, 225, 286 ff., 310, 315, 321, 327 – des Gerichts 117, 120 ff., 131, 146 f., 214 f., 281 ff. Gießener Modell 191 f., 366

Gruppennutzen 30 ff., 59, 61 f., 65 f., 71 ff., 91, 93, 165 ff., 219 f., 235, 332, 334, 339 Heidelberger Verfahren 192 f., 366 Heilbehandlung 26 ff., 48 f., 125, 128, 243 ff., 251 ff., 266 Heilversuch 26 ff., 36, 48 f., 55, 155 f., 184, 246, 249, 252, 256, 307, 320 Impfzwang

107

klinische Prüfung 34 ff., 54 ff., 78 ff., 326 ff. Knochenmarkspende 38, 135 ff., 212 Nürnberger Codex Organspende

49 ff.

111 ff., 161, 183, 275

Placebo 32, 67 ff., 219 ff., 258 ff., 344 Probandenversicherung 67, 172, 207, 218 f., 286, 330 Prozeduralisierung 280 ff. Risiko-Nutzen-Abwägung 56 f., 66 f., 70, 84 f., 87, 143 f., 169 ff., 186 f., 218, 272 f., 286, 294, 319 f. Selbstbestimmungsrecht 42, 45, 101 f., 107, 110, 113 ff., 125 f., 147 ff., 158 ff., 174 ff., 185 ff., 193 ff., 232, 246 ff., 255 f., 264 ff., 276, 292 ff., 305 ff. Sittenwidrigkeit 170, 269 ff., 279, 288 f., 293, 300, 319 Sozialadäquanz 250 ff., 312 Sozialpflicht 104 ff., 155, 200, 204, 210 ff., 300 ff. Subsidiarität – der Forschung 59, 67, 88, 90, 162 ff., 216, 271 f., 286 f., 334 f. – der mutmaßlichen Einwilligung 216, 298, 300

414 Utilitarismus

Stichwortverzeichnis 110 f., 301 f.

Veto 46, 112, 146, 154 ff., 160, 174, 180, 213 f., 232, 279 f., 287, 306, 332 ff. Vetofähigkeit 157 f.

Widerruf 39, 57, 158, 174, 179 f., 193, 209, 216, 293 Widerspruchslösung 111 ff., 201, 336 Wohl 72, 119 f., 130 ff., 156 f., 159 ff., 163, 167, 190, 210 ff., 219 f., 276 ff., 286 ff.