Verfassungsrechtliche Probleme der Forschung an humanen pluripotenten embryonalen Stammzellen und ihre Würdigung im Stammzellgesetz [1 ed.] 9783428520084, 9783428120086

Ziel der vorliegenden Publikation ist es, die Forschung an humanen pluripotenten embryonalen Stammzellen und das deutsch

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Verfassungsrechtliche Probleme der Forschung an humanen pluripotenten embryonalen Stammzellen und ihre Würdigung im Stammzellgesetz [1 ed.]
 9783428520084, 9783428120086

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Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Band 73

Verfassungsrechtliche Probleme der Forschung an humanen pluripotenten embryonalen Stammzellen und ihre Würdigung im Stammzellgesetz Von Karsten Klopfer

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

KARSTEN KLOPFER

Verfassungsrechtliche Probleme der Forschung an humanen pluripotenten embryonalen Stammzellen und ihre Würdigung im Stammzellgesetz

Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Herausgegeben von Wo l f g a n g G r a f Vi t z t h u m in Gemeinschaft mit M a r t i n H e c k e l, K a r l - H e r m a n n K ä s t n e r Fe r d i n a n d K i r c h h o f, H a n s v o n M a n g o l d t M a r t i n N e t t e s h e i m, T h o m a s O p p e r m a n n G ü n t e r P ü t t n e r, B a r b a r a R e m m e r t Michael Ronellenf itsch sämtlich in Tübingen

Band 73

Verfassungsrechtliche Probleme der Forschung an humanen pluripotenten embryonalen Stammzellen und ihre Würdigung im Stammzellgesetz Von Karsten Klopfer

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen hat diese Arbeit im Sommersemester 2005 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

D 21 Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-6061 ISBN 3-428-12008-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

magistris meis

Vorwort Ziel der Untersuchung ist es, die Forschung an humanen pluripotenten embryonalen Stammzellen und das deutsche Stammzellgesetz im Spiegel verfassungsrechtlicher Schutzgüter zu bewerten. Nach einem Einblick in den naturwissenschaftlichen Hintergrund der Forschung an embryonalen Stammzellen und ihrer Alternativen werden Forschungsfreiheit, Menschenwürde und Lebensschutz als zentrale Grundrechte erörtert. Einen Schwerpunkt der Untersuchung bildet der Versuch, aus dem Grundgesetz, der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und den in der Literatur geäußerten Ansichten die Frage nach dem grundrechtlichen Schutz pränidativer Embryonen, aus denen Stammzellen gewonnen werden, zu beantworten. Im Ergebnis wird die Nidation als das entscheidende Ereignis für die Erhebung des Embryos in den Schutzbereich der Grundrechte gesehen. Die Untersuchung mündet in die verfassungsrechtliche Würdigung der Vorschriften des Stammzellgesetzes. Die vorliegende Abhandlung wurde im Sommersemester 2005 von der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Ich empfinde tiefe Dankbarkeit gegenüber meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Michael Ronellenfitsch. Er hat diese Arbeit nicht nur angeregt und betreut, sondern mich in vielfältiger Weise gefördert. Die Zusammenarbeit mit ihm war in höchstem Maße fruchtbar und angenehm. Seine stete Diskussionsbereitschaft war eine wertvolle Bereicherung. Die herzliche und aufgeschlossene Atmosphäre am Lehrstuhl wird mir in bester Erinnerung bleiben. In gleichem Maße richtet sich mein aufrichtiger Dank an Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Wolfgang Graf Vitzthum. Er hat mich bei der Verwirklichung meines Promotionsvorhabens außerordentlich unterstützt. Für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und die bereitwillige Aufnahme der Arbeit in diese Schriftenreihe bin ich besonders dankbar. Tübingen, im Oktober 2005

Karsten Klopfer

Inhaltsverzeichnis

9

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung................................................................................................................ 17 I. Stammzellforschung als gesellschaftliches und als rechtliches Problem............ 17 II. Sachverhaltsdarstellung und Sachverhaltseingrenzung...................................... 18 III. Gang der Untersuchung...................................................................................... 19 B. Naturwissenschaftlicher Hintergrund ............................................................. 20 I.

Stammzelldefinition und Stammzellarten ...................................................... 20 1. Stammzelldefinition und Überblick über die Stammzellarten...................... 20 2. Gewinnung, Vermehrung und Differenzierung von embryonalen Stammzellen aus In-vitro-Fertilisationsembryonen............................................... 21 3. Gewinnung, Vermehrung und Differenzierung von pluripotenten embryonalen Stammzellen durch Zellkerntransfer (Klonierung) ............................ 23 4. Gewinnung, Vermehrung und Differenzierung von zu embryonalen Stammzellen alternativen Stammzellen................................................................ 25 a) Embryonale Keimzellen aus Schwangerschaftsabbrüchen...................... 25 b) Neonatale Stammzellen aus Nabelschnurblut ........................................ 26 c) Adulte Stammzellen ............................................................................. 27

II. Bedeutung von Stammzellen ......................................................................... 28 1. Gegenwärtige Anwendungen nicht-embryonaler Stammzellen ................... 28 2. Erwarteter zukünftiger Nutzen embryonaler Stammzellen .......................... 29 a) Grundlagenforschung ........................................................................... 29 b) Zell-, Gewebe- und Organersatz ........................................................... 29 C. Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Forschung an humanen pluripotenten embryonalen Stammzellen in Deutschland........................................... 31 I. Die rechtliche Lage vor Inkrafttreten des Stammzellgesetzes .......................... 31 II. Der Weg zum Stammzellgesetz vom 28.6.2002.............................................. 32 III. Der Regelungsgehalt des Stammzellgesetzes ................................................. 34

10

Inhaltsverzeichnis

D. Rechtsgut Forschungsfreiheit in der Stammzellforschung.............................. 36 I. Adressat der Forschungsfreiheit..................................................................... 37 II. Grundrechtsträger ......................................................................................... 37 III. Kompetenz für die Bestimmung des Rechtsguts............................................. 39 IV. Inhalt des Rechtsguts.................................................................................... 40 V. Forschungsfreiheit in der Stammzellforschung und Eingriff durch das Stammzellgesetz...................................................................................................... 42 VI. Zusammenfassung von Kapitel D.................................................................. 43 E. Mögliche Schranken der Forschungsfreiheit im Rahmen der Stammzellforschung ............................................................................................................. 44 I. Schrankenproblem bei vorbehaltlos gewährten Grundrechten ......................... 44 II. Schutzgut Leben im Rahmen der Stammzellforschung aus Sicht des Stammzellgesetzgebers und derjenigen Literatur, die dem Embryo in vitro Grundrechtsschutz zukommen lässt......................................................................... 47 III. Menschenwürdegarantie im Rahmen der Stammzellforschung ....................... 48 1. Garantiegehalt der Menschenwürde ............................................................ 48 2. Menschenwürde und Stammzellforschung aus Sicht derjenigen Literatur, die dem Embryo in vitro Grundrechtsschutz zukommen lässt............................ 50 a) Notwendige Unterscheidungen ............................................................... 50 b) Gewinnung von Stammzellen aus Forschungsembryonen........................ 50 c) Gewinnung von Stammzellen aus überzähligen Embryonen .................... 51 3. Menschenwürde und Stammzellforschung aus Sicht des Gesetzgebers des Stammzellgesetzes..................................................................................... 53 IV. Zusammenfassung von Kapitel E. ................................................................. 55 F. Existiert ein Grundrechtsschutz von Embryonen? .......................................... 57 I. Vorbereitender Überblick .............................................................................. 57 II. Dogmatische Ableitung eines Grundrechtsschutzes........................................ 57 1. Grundrechtlicher Schutz für Grundrechtssubjekte ...................................... 57 2. Grundrechtlicher Schutz für Nichtgrundrechtssubjekte............................... 59 III. Grundrechtsschutz des Embryos vor Nidation?.............................................. 60 1. Grundrechtssubjektivität des Embryos gemäß der Primärrechtsquelle Grundgesetz............................................................................................. 60

Inhaltsverzeichnis

11

2. Grundrechtsschutz des Embryos vor Nidation im Mutterleib gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts........................................ 63 IV. Der Grundrechtsschutz von Embryonen unabhängig vom obiter dictum des Bundesverfassungsgerichts ........................................................................... 66 1. Ansichten zum Beginn der menschlichen Grundrechtssubjektivität............. 66 a) Vorbemerkung ..................................................................................... 66 b) Grundrechtssubjektivität aller Embryonen............................................. 66 c) Grundrechtssubjektivität erst zum Zeitpunkt der Geburt ........................ 67 d) Zäsuren in der Embryonalentwicklung als Beginn der Grundrechtssubjektivität .............................................................................................. 68 2. Beweisbarkeit der Grundrechtssubjektivität von Embryonen? .................... 69 3. Argumente, dass mit Nidation eine Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte zu erfolgen hat...................................................................... 71 4. Argumente gegen eine Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte vor Nidation in vivo ....................................................................................... 73 5. Argumente gegen die Notwendigkeit der Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte speziell wegen der In-vitro-Situation ............................... 75 6. Argumente gegen die Notwendigkeit der Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte für Forschungsembryonen............................................... 76 7. Argumente gegen die Notwendigkeit der Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte für klonierte Forschungsembryonen................................. 77 V. Zusammenfassung von Kapitel F................................................................... 78 G. Probleme der Legitimität, Verhältnismäßigkeit und Bestimmtheit von Regelungen des Stammzellgesetzes.......................................................................... 79 I. Vorbemerkung .............................................................................................. 79 II. Legitimer Zweck der Regelungen des Stammzellgesetzes zur Beschränkung der Forschungsfreiheit? ................................................................................ 80 1. Definition................................................................................................. 80 2. Legitimität des Zwecks ÿLebens- und Menschenwürdeschutz von Embryonenþ......... ................................................................................................ 80 3. Legitimität des Zwecks ÿLebens- und Menschenwürdeschutz von Embryonen im Auslandÿ ...................................................................................... 81 4. Legitimität des Zwecks ÿAbwehr einer Vorteilsziehung aus einer früheren Menschenwürdeverletzungþ ..................................................................... 83

12

Inhaltsverzeichnis III. Geeignetheitsprobleme von Regelungen des Stammzellgesetzes..................... 85 1. Definition................................................................................................. 85 2. Geeignetheit der Stichtagsregelung in § 4 Abs. 2 Nr. 1 a StZG .................. 85 IV. Erforderlichkeitsprobleme von Regelungen des Stammzellgesetzes................ 86 1. Definition................................................................................................. 86 2. Erforderlichkeit der Stichtagsregelung gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 a StZG ....... 86 3. Erforderlichkeit der Strafvorschriften des § 13 StZG.................................. 87 V. Gebotenheitsprobleme von Regelungen des Stammzellgesetzes ..................... 88 1. Notwendige Abwägungen im Rahmen der Gebotenheitsprüfung ................ 88 2. Verbotsgleiche Wirkung der Stichtagsregelung gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 a StZG auf die Forschungsfreiheit ............................................................... 89 3. Verbot der Verwendung von Stammzellen zu Therapiezwecken gemäß § 4 Abs. 2 StZG............................................................................................. 89 4. Verbot der Verwendung von Stammzellen aus Forschungsembryonen gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 b StZG .................................................................... 91 VI. Bestimmtheitsprobleme von Regelungen des Stammzellgesetzes ................... 92 1. Charakterisierung des Bestimmtheitsgebots ............................................... 92 2. Unbestimmtheit bezüglich des Begriffs der Hochrangigkeit in § 5 Nr. 1 StZG...... .................................................................................................. 93 3. Unbestimmtheit des Begriffs der wissenschaftlich begründeten Darlegung in § 5 StZG im Bezug auf das Alternativlosigkeitserfordernis in § 5 Nr. 2 StZG............................................................................................................... 95 4. Bestimmtheitsprobleme der Strafvorschriften in § 13 StZG........................ 96 VII. Zusammenfassung von Kapitel G. ............................................................... 98

H. Zusammenfassung der Ergebnisse....................................................................... 100 Literaturverzeichnis................................................................................................... 106 Sachwortverzeichnis................................................................................................... 132

Abkürzungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis °C

Grad Celsius

Abs.

Absatz

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

ARSP

Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie

Art.

Artikel

BayVfGH

Bayrischer Verfassungsgerichtshof,

Bd.

Band

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen

BT

Bundestag

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerfGG

Bundesverfassungsgerichtsgesetz

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

bzw.

beziehungsweise

ca.

circa

CDU

Christlich Demokratische Union

CSU

Christlich Soziale Union

d.

der

DFG

Deutsche Forschungsgemeinschaft

d. h.

das heißt

Diss.

Dissertation

DNA

Desoxyribonukleinsäure

DöV

Die öffentliche Verwaltung

DP

Demokratische Partei

DPSC

dental pulp stem cells

13

14

Abkürzungsverzeichnis

Dr.

Doktor

DRiZ

Deutsche Richterzeitung

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

EG

Europäische Gemeinschaft

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

Einf.

Einführung

ES

Embryonale Stammzelle

ESchG

Embryonenschutzgesetz

ESF

European Science Foundation

EU

Europäische Union

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EuGRZ

Europäische Grundrechte-Zeitschrift

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

f.

folgende

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

FDP

Freie Demokratische Partei

ff.

fortfolgende

FS

Festschrift

GA

Goltdammerþs Archiv für Strafrecht

GG

Grundgesetz

ggf.

gegebenenfalls

GS

Gedächtnisschrift

Habil.

Habilitation

h. c.

honoris causa

Hdb.

Handbuch

Hrsg.

Herausgeber

hrsg.

herausgegeben

IVF

In-vitro-Fertilisation

JBl.

Juristische Blätter

JR

Juristische Rundschau

Abkürzungsverzeichnis JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

KJ

Kritische Justiz

KV

Kritische Vierteljahresschrift

LAG

Länderausschuss Gentechnik

MDR

Monatsschrift für deutsches Recht

MedR

Medizinrecht

MPG

Max-Planck-Gesellschaft

NIH

National Institutes of Health

NJW

Neue juristische Wochenschrift

Nr.

Nummer

NuR

Natur und Recht

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

OVG

Oberverwaltungsgericht

OVGE

Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte

PID

Präimplantationsdiagnostik

PNAS

Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America

S.

Seite

s.

siehe

Sp.

Spalte

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

StGB

Strafgesetzbuch

StZG

Stammzellgesetz

StZGE

Entwurf des Stammzellgesetzes

u. a.

und andere

USA

United States of America

v.

von

VerwRspr.

Verwaltungs-Rechtsprechung

VGH

Verwaltungsgerichtshof

vgl.

vergleiche

15

16

Abkürzungsverzeichnis

Vol.

Volume

VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

WissR

Wissenschaftsrecht

WiVerw

Wirtschaft und Verwaltung

z. B.

zum Beispiel

ZES

Zentrale Ethik-Kommission für Stammzellforschung

ZfP

Zeitschrift für Politik

zit.

zitiert

ZKBS

Zentrale Kommission für die biologische Sicherheit

ZöR

Zeitschrift des öffentlichen Rechts

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZStW

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

A. Einleitung I. Stammzellforschung als gesellschaftliches und als rechtliches Problem Die Akzeptanzkrise, der sich die Stammzellforschung gegenübersieht, steht in engem Zusammenhang mit wachsendem Wissenschaftspessimismus1 und der fehlenden Bereitschaft, die Ambivalenz des technologischen Fortschritts hinzunehmen.2 Biomedizinische Techniken werden gegenüber anderen Technikbereichen3 besonders kritisch beurteilt, da sie die biologischen Grundlagen des Menschen unmittelbar berühren.4 Die Biomedizin hat sich daher mit dem Schreckensbild der Verwirklichung alter Mythen auseinander zu setzen, indem sie den Menschen zum Schöpfer erheben soll,5 wodurch sie als Inbegriff menschlicher Hybris gedeutet wird, die zum Scheitern verurteilt scheint.6 Deutschland im Speziellen tut sich mit der Einschätzung der biomedizinischen Forschung besonders schwer, weil geschichtliche Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus wachgerufen werden: Vor Augen liegen menschenverachtende Experimente und von Rassenwahn getriebene eugenische Bestrebungen.7 Als Resultat konnten in weiten Teilen der Gesellschaft Angst und Fortschrittsfeindlichkeit entstehen, die auch für die Forschung an humanen embryonalen Stammzellen nicht folgenlos geblieben ist. Sie manifestiert sich in einer ___________ 1

Vgl. Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Biomedizin, Juni 2005, Bd. IV, Teil II, A, Rn. 1 f.; vgl. auch Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch, § 27, 1994, Rn. 14; sowie Zacher, in: MPG, Forschung, S. 7 ff. (8); das Verhältnis von Wissenschaft zu Ethik wird philosophisch beleuchtet von Agazzi, Gute, 1995, S. 15 ff. 2 Vgl. van der Pot, Bewertung, Bd. I, 1985, S. 153 ff. 3 Vgl. für eine Unterscheidung der verschiedenen Technikbereiche Schelsky, Wahrheit, 1965, S. 444 f. 4 Vgl. Kirchhof, in: NVwZ, 1988, S. 97 ff. (98); zur biotechnologischen Entwicklung vgl. auch Giesen, in: Schwab/Giesen/Listl/Strätz, FS Mikat, 1989, S. 55 ff. (55). 5 Vgl. van der Pot, Bewertung, Bd. I, 1985, S. 113 ff.; Riedel, in: EuGRZ, 1986, S. 469 ff. (470). 6 Vgl. van der Pot, Bewertung, Bd. I, 1985, S. 288 ff.; vgl. auch Hoffmann, in: Flöhl (Hrsg.), S. 104 ff. (138). 7 Vgl. Müller-Hill, in: Schmitt/Altner/Burkhardt, Wissenschaft, 1991, S. 41 ff.; vgl. auch Selb, Rechtsordnung, 1987, S. 49 und S. 123; vgl. Ostendorf, in: JZ, 1984, S. 595 ff. (598).

18

A. Einleitung

breit angelegten Beschränkung der Forschung an humanen embryonalen Stammzellen, indem das deutsche Embryonenschutzgesetz die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen in Deutschland gänzlich verbietet und das Stammzellgesetz die Gewinnung von pluripotenten Stammzellen aus dem Ausland sowie die Forschung mit ihnen einschränkt. Die oben angeführten Gründe der Technikfeindlichkeit verstellen dabei häufig den Blick auf rechtliche Argumente, wobei insbesondere solche verfassungsrechtlicher Art bei der vorliegenden Problematik von Bedeutung sind. Denn der Gesetzgeber selbst sieht es als Zweck des Stammzellgesetzes an, die Forschungsfreiheit sowie die Menschenwürde und das Recht auf Leben zu schützen.8 Die rechtliche Beurteilung der Stammzellforschung stellt gegenwärtig eines der besonders kontrovers diskutierten Themen in Deutschland dar, trotz oder gerade wegen des am 1.7.2002 in Kraft getretenen Stammzellgesetzes. Daher ist eine verfassungsrechtliche Würdigung der rechtlichen Rahmenbedingungen der Forschung mit humanen pluripotenten embryonalen Stammzellen in Deutschland erforderlich und begründet die Untersuchung des vorliegenden Themas.

II. Sachverhaltsdarstellung und Sachverhaltseingrenzung Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich auf verfassungsrechtliche Probleme der Forschung an menschlichen pluripotenten embryonalen Stammzellen, soweit sie durch das Stammzellgesetz beschränkt wird. Dies mündet in eine verfassungsrechtliche Würdigung des Stammzellgesetzes. Die verfassungsrechtliche Problematik der Stammzellforschung resultiert nicht aus der (die Gewinnung ausblendende) Forschung an Stammzellen direkt, denn bei Stammzellen handelt es sich gerade nicht um Embryonen. Diese Zellen haben nämlich die Fähigkeit zur Entwicklung zu einem vollständigen Menschen (Totipotenz) verloren. Verfassungsrechtliche Brisanz erhält die Stammzellforschung durch das notwendige Element der Stammzellgewinnung.9 Denn diese erfolgt aus gesunden menschlichen Embryonen im frühesten Entwicklungsstadium (deutlich vor dem 14. Tag ihrer Entwicklung), wobei es zur Abtötung des Embryos kommt. Das verfassungsrechtliche Gegengewicht ist die Forschungsfreiheit mit der Hoffnung auf Forschungsergebnisse, die fremdem Leben, nämlich heute schon lebender oder zukünftiger Kranker, zugute kommt.

___________ 8 9

Vgl. § 1 StZG. Vgl. Wuermeling, in: Braun/Mieth/Steigleder, Gentechnologie, 1987, S. 48 ff. (54).

III. Gang der Untersuchung

19

III. Gang der Untersuchung Zunächst erfolgt in Kapitel B. die Darstellung des naturwissenschaftlichen Hintergrundes der Stammzellforschung, soweit es für die vorliegende rechtliche Beurteilung erforderlich ist. Dabei soll besonders auch auf Alternativen der Forschung an humanen pluripotenten embryonalen Stammzellen eingegangen werden, um die Erforderlichkeit der Forschung speziell an diesen Zellen beurteilen zu können. Dann erfolgt in Kapitel C. ein Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen der Stammzellforschung in Deutschland vor und nach Inkrafttreten des Stammzellgesetzes am 1.7.2002. Im Anschluss daran werden die verfassungsrechtlichen Fragen der Stammzellforschung erörtert. Sie werden zunächst in Kapitel D. aus der Sicht der Forschungsfreiheit und anschließend in Kapitel E. aus der Sicht des Embryonenschutzes präzisiert. Entscheidend wird in diesem Zusammenhang die Klärung der Frage in Kapitel F. sein, ob ein Grundrechtsschutz von Embryonen überhaupt existiert und wenn ja, welcher Art dieser Grundrechtsschutz ist. Dies mündet in Kapitel G. in die Erörterung der aus verfassungsrechtlicher Sicht problematischen Regelungen des Stammzellgesetzes.

20

B. Naturwissenschaftlicher Hintergrund

B. Naturwissenschaftlicher Hintergrund I. Stammzelldefinition und Stammzellarten 1. Stammzelldefinition und Überblick über die Stammzellarten Stammzellen sind Zellen, die in einzelne oder mehrere Zelltypen ausreifen können (Differenzierung).10 Totipotente Stammzellen können sich zu einem vollständigen Individuum entwickeln und werden im Rahmen dieser Arbeit aus Klarstellungsgründen und in Übereinstimmung mit dem Stammzellgesetz als Embryonen bezeichnet.11 Ein Embryo ist damit die Frühform menschlichen Lebens in den ersten drei Entwicklungsmonaten ab Verschmelzung von Ei- und Samenzelle bis zum Ende der Organentwicklung. Pluripotente Stammzellen sind Stammzellen im engeren und dem im Stammzellgesetz, der klassischen Embryologie und in dieser Arbeit verwendeten Sinn.12 Sie können sich in zahlreiche Zellen, Gewebe oder Organe differenzieren, sich jedoch nicht zu einem ganzen Individuum entwickeln. Darüber hinaus werden unter Stammzellen im Rahmen der Arbeit und in Übereinstimmung mit dem Stammzellgesetz nur menschliche Zellen verstanden.13 Experimentelle Befunde zeigen, dass eine Totipotenz während der menschlichen Entwicklung nur bei der befruchteten Eizelle und den Tochterzellen der ersten Teilungsstadien gegeben ist. Die Implantation von pluripotenten Stammzellen in eine Gebärmutter führt nicht zur Entwicklung eines Individuums. Daran ändert auch die Entdeckung nichts, dass sich embryonale Stammzellen auch in Eizellen differenzieren lassen,14 denn diese Oozyten sind (vor einer Befruchtung) nicht totipotent. ___________ 10

Vgl. Deutscher Bundestag, Stammzellforschung, BT-Drucksache 14/7546, 2001,

S. 8. 11

Vgl. § 3 Nr. 4 StZG. Vgl. § 3 Nr. 1 StZG. 13 Vgl. § 3 Nr. 1 StZG. 14 Vgl. Hübner/Fuhrmann/Christenson/Kehler/Reinbold/De La Fuente/Wood/Strauss III/Boiani/Schöler, in: Science, 2003, S. 1251 ff.; vgl. Meyer, in: Deutsches Ärzteblatt, 2005, S. 1641. 12

I. Stammzelldefinition und Stammzellarten

21

Es existieren zwei Hauptarten von pluripotenten Stammzellen: pluripotente embryonale und pluripotente nicht-embryonale Stammzellen. Pluripotente embryonale Stammzellen sind aus Embryonen im Stadium der Blastozyste gewonnene Stammzellen.15 Pluripotente nichtembryonale Stammzellen sind nicht aus Blastozysten, sondern aus anderen Quellen, gewonnene Stammzellen. Pluripotente embryonale Stammzellen weisen folgende für die Wissenschaft und spätere Therapiemöglichkeiten bedeutsame charakteristische Eigenschaften auf: die Vermehrung ist über einen unbegrenzten Zeitraum im undifferenzierten Zustand möglich, sie besitzen stabile, unveränderte Chromosomensätze, sie besitzen die Fähigkeit, in vivo und in vitro spontan in verschiedene Zellen aller drei Keimblätter zu differenzieren und sie können potenziell in alle Zelltypen des adulten Organismus, inklusive der Keimzellen, differenzieren.16 Man unterscheidet ferner hinsichtlich der Art der Erzeugung der Embryonen als Quelle der pluripotenten embryonalen Stammzellen die durch Verschmelzung von Eiund Samenzelle (in der Regel nach In-vitro-Fertilisation) erzeugten Embryonen [vgl. Kapitel 2.] von durch Zellkerntransfer (Klonierung) erzeugten Embryonen [vgl. Kapitel 3.]. Bei den pluripotenten nicht-embryonalen Stammzellen unterscheidet man entsprechend ihrer Herkunft: embryonale Keimzellen aus Schwangerschaftsabbrüchen [vgl. Kapitel 4. a)], neonatale Stammzellen aus Nabelschnurblut [vgl. Kapitel 4. b)] und adulte (somatische) Stammzellen, die gewebespezifisch bis ins Erwachsenenalter zu finden sind [vgl. Kapitel 4. c)]. Wenn aus Gründen der Verständlichkeit im Rahmen der vorliegenden Arbeit nur von ýStammzellenÿ gesprochen wird, sind humane pluripotente embryonale Stammzellen gemeint.

2. Gewinnung, Vermehrung und Differenzierung von embryonalen Stammzellen aus In-vitro-Fertilisationsembryonen Embryonale Stammzellen werden in der Regel aus Embryonen gewonnen, die durch In-vitro-Fertilisation (IVF) entstanden sind. Ein Haupteinsatzgebiet der IVF ist die Erzeugung von Embryonen bei unerfülltem Kinderwunsch. Die Erfolgsraten dieser künstlichen Befruchtungstechnik sind aber mit ca. 25 %17 relativ gering, so dass meist mehrere Eizellen in vitro, das heißt im Reagenzglas, befruchtet werden, von denen dann nur ein Teil in den mütterlichen Ute___________ 15

Vgl. § 3 Nr. 2 StZG. Vgl. Pera/Reubinoff/Trounson, in: Journal of Cell Sciences, 2000, S. 5 ff. 17 Die Erfolgsquoten solcher Verfahren werden in BGHZ 99, 228 (235) zwischen 15 und 30 % geschätzt; vgl. dazu Krebs/Giesen/Hilpert, Art. ýIn-vitro-Fertilisationÿ, in: Korff/Beck/Mikat, Lexikon, Bd. II, 1998, S. 291 ff. (294). 16

22

B. Naturwissenschaftlicher Hintergrund

rus übertragen wird. Die übrig gebliebenen befruchteten Eizellen (häufig kurz nach der Kernverschmelzung als Embryonen oder aber im Vorkernstadium kurz vor der Kernverschmelzung18) werden bei -196 °C kryokonserviert. Sie stehen damit für eine spätere Schwangerschaft zur Verfügung, falls der erste Versuch, eine Schwangerschaft zu induzieren, nicht erfolgreich war. Der Frau wird auf diese Weise nur eine einzige hormonelle Überstimulation und nur eine operative Entnahme von Eizellen zugemutet. Es ist also bereits vor Anwendung dieses Verfahrens abzusehen, dass ein Teil der kryokonservierten Embryonen keine Chance hat, in einen weiblichen Uterus implantiert zu werden, z. B. wegen eines erfolgreichen ersten Versuch oder wegen Wegfalls des Kinderwunsches. Diese Embryonen nennt man überzählig, um deren Überflüssigkeit für die Herbeiführung einer Schwangerschaft zu betonen. Diese überzähligen Embryonen können für die Gewinnung von embryonalen Stammzellen genutzt werden. Werden Embryonen eigens zum Zwecke der Stammzellgewinnung hergestellt, spricht man nicht von überzähligen Embryonen, sondern von Forschungsembryonen. Die Isolation von pluripotenten embryonalen Stammzellen gelang bereits 1981 erstmalig aus Mäusen,19 das Verfahren wird aber seit 1998 entsprechend auch bei der Gewinnung menschlicher pluripotenter embryonaler Stammzellen erfolgreich angewandt.20 Nachdem die Vereinigung der männlichen und weiblichen Vorkerne stattgefunden hat, welche aus der Eizelle und der Samenzelle abgeleitet sind, finden Zellteilungen statt. Nach etwa vier Tagen erreicht dieser Zellhaufen das Blastozystenstadium. Eine Blastozyste hat einen Durchmesser von ca. einem Zehntel Millimeter und besteht aus etwa 100 bis 200 Zellen. Aufgebaut ist sie aus der äußeren Zellschicht, dem Trophoblast, und der inneren Zellmasse, dem Embryoblast. Aus dieser inneren Zellmasse können etwa am fünften Entwicklungstag pluripotente embryonale Stammzellen gewonnen werden, was die Zerstörung der Blastozyste und damit den Tod des Embryos bedeutet. Diese pluripotenten embryonalen Stammzellen können schließlich einerseits in vitro auch im noch nicht differenzierten Zustand vermehrt werden, wobei eine Fähigkeit zu mehr als 250 Zellteilungen beschrieben wurde.21 Andererseits können sie auch über längere Zeit tiefgefroren aufbewahrt werden. Wenn die Stammzellen etabliert wurden und diese dann in vitro vermehrt oder ___________ 18

Vgl. Günther, in: Keller/Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, 1992, § 1 Abs. 1 Nr. 5, Rn. 4. 19 Vgl. Evans/Kaufman, in: Nature, 1981. 20 Vgl. Thomson/Itskovitz-Eldor/Shapiro/Waknitz/Swiergiel/Marshall/Jones, in: Science, 1998, S. 1145 ff. 21 Vgl. Amit/Carpenter/Inokuma/Chiu/Harris/Waknitz/Hskovitz-Eldor/Thomson, in: Developmental Biology, 2000, S. 271 ff.

I. Stammzelldefinition und Stammzellarten

23

auch kryokonserviert gelagert werden, bezeichnet man sie als embryonale Stammzelllinien.22 Zahlreiche Forscher sind davon überzeugt, dass die bisher etablierten Stammzelllinien aufgrund ihres begrenzten Vermehrungspotenzials bei Weitem nicht ausreichend sein werden.23 Auch sind die meisten der bereits existierenden Stammzelllinien mit Mausnährzellen aus dem Kulturmedium verunreinigt, die diese für eine therapeutische Anwendung unbrauchbar machen. Für eine therapeutische Anwendung ist aber auch ganz abgesehen von der Tatsache der Verunreinigung zu erwarten, dass weitaus mehr Zelllinien erforderlich sein werden, weil zum Zweck des Zell- und Gewebeersatzes bei Patienten Zelllinien mit verschiedenen Gewebemerkmalen û insbesondere zur Verhinderung von immunologischen Abstoßungsreaktionen û benötigt werden. Die European Science Foundation spricht deshalb von der Notwendigkeit von Zellbanken mit 4000 embryonalen Stammzelllinien.24 Um bestimmte Gewebe zu erhalten, ist eine Differenzierung der pluripotenten embryonalen Stammzellen erforderlich, was durch die Zugabe oder den Entzug bestimmter Wachstums- und Differenzierungsfaktoren in die Zellkultur erreicht wird. Unter diesen Bedingungen erfolgt eine Zusammenlagerung zu Embryoidkörpern.25 Embryoidkörper sind Zellkolonien, welche Derivate aller drei Keimblätter enthalten können. Nach einer Vermehrungsphase erfolgt in der Aufreinigungsphase die Separierung der differenzierten Zellen von den undifferenzierten pluripotenten embryonalen Stammzellen, welche nach einer Transplantation zur Tumorbildung (Teratome) führen können.

3. Gewinnung, Vermehrung und Differenzierung von pluripotenten embryonalen Stammzellen durch Zellkerntransfer (Klonierung) Auch klonierte Embryonen können als Quelle von pluripotenten embryonalen Stammzellen dienen. In diesem Fall erfolgt die Übertragung eines somatischen Zellkerns in eine entkernte, unbefruchtete Eizelle.26 Dieses Verfahren er___________ 22

Vgl. § 3 Nr. 3 StZG. Vgl. Deutscher Bundestag, Stammzellforschung, BT-Drucksache 14/7546, 2001, S. 10. 24 Vgl. ESF, research, 2001. 25 Vgl. Kawasaki/Mizuseki/Nishikawa/Kaneko/Kuwana/Nakanishi/Nishikawa/Sasai, in: Neuron, 2000, S. 31 ff. 26 Vgl. Lanza/Cibelli/West, in: Nature Medicine, 1999, S. 975 ff. zu den Möglichkeiten des therapeutischen Klonens menschlicher Embryonen. 23

24

B. Naturwissenschaftlicher Hintergrund

möglicht auch bei Säugern eine ungeschlechtliche Vermehrung, wobei dieser Zellkern sogar aus adulten Körperzellen stammen kann. Dieses Klonverfahren gelang bei zahlreichen Säugern wie z. B. Schafen (erstmals bei ýDollyÿ), Ziegen, Mäusen, Rindern und Schweinen.27 Durch dieses Verfahren entstehen Individuen, deren Kerngenom identisch mit der Ursprungszelle ist. In weit mehr als 95 % der Experimente kam es zu schweren gesundheitlichen Schädigungen der neugeborenen Tiere und zu Aborten,28 wahrscheinlich hervorgerufen durch eine beschleunigte Zellkernreprogrammierung, die, statt verglichen mit der natürlichen Entwicklung innerhalb von Monaten, innerhalb weniger Minuten in vitro erfolgt und damit zur unvollständigen Reprogrammierung und einer fehlerhaften Aktivierung entwicklungsrelevanter Gene führen kann.29 Aufgrund der beschriebenen Probleme bei der Erzeugung geklonter Embryonen ist auch in den daraus gewonnenen pluripotenten embryonalen Stammzelllinien mit einer Vielzahl genetischer Fehler zu rechnen, die aber ggf. durch Testverfahren ausgeschlossen werden könnten. Werden aus diesen klonierten Embryonen pluripotente embryonale Stammzellen gewonnen, wird das Verfahren im Unterschied zum reproduktiven Klonen (mit dem Ziel der Erzeugung eines vollständigen Individuums) als therapeutisches Klonen bezeichnet, weil man mit diesem Verfahren z. B. aus der Körperzelle eines Patienten pluripotente embryonale Stammzellen mit dem Erbgut dieses Patienten (autologe Zellen) zu therapeutischen Zwecken gewinnen kann. Somit können Abstoßungsreaktionen, welche das Hauptproblem bei der Transplantation von Geweben aus heterologen Spendern darstellt, vermieden werden. Nach dem bisher üblichen Verfahren der Transplantation heterologer Zellen, aber möglicherweise auch bei der Verwendung patientenfremder Stammzellen, ist eine Unterdrückung der körpereigenen Immunabwehr erforderlich, die mit einer Vielzahl von Nebenwirkungen für den Patienten verbunden ist. Nach der Transplantation autologer Zellen aus durch Klonierung erhaltenen pluripotenten embryonalen Stammzellen ist wahrscheinlich keine Immunsuppression erforderlich. Über das Vermehrungs- und Differenzierungspotenzial der durch Klonierung gewonnenen emb-

___________ 27

Vgl. Wilmut/Schnieke/McWhir/Kind/Campbell, in: Nature, 1997, S. 810 ff.; vgl. Wakayama/Rodriguez/Perry/Yanagimachi/Mombaerts, in: PNAS, 1999, S. 14984 ff.; vgl. Betthauser/Forsberg/Augenstein/Childs/Eilertsen/Enos/Forsythe/Golueke/Jurgella/ Kopang/Lesmeister/Mallon/Mell/Misica/Pace/Pfister-Genskow/Strelchenko/Voelker/ Watt/Thompson/Bishop, in: Nature Biotechnology, 2000, S. 1055 ff.; vgl. Polejaeva/ Chen/Vaught/Page/Mullins/Ball/Yifan/Boone/Walker/Ayares, in: Nature, 2000, S. 86 ff. 28 Vgl. Rideout/Eggan/Jaenisch, in: Science, 2001, S. 1093 ff. 29 Vgl. Deutscher Bundestag, Stammzellforschung, BT-Drucksache 14/7546, 2001, S. 11.

I. Stammzelldefinition und Stammzellarten

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ryonalen Stammzellen ist bisher nur wenig bekannt. Experimente mit Mäusen deuten auf eine nur begrenzte Entwicklungsfähigkeit hin.30 Die Vor- und Nachteile beider Gewinnungsmethoden vor Augen soll wie folgt Stellung bezogen werden: Es wäre denkbar, die Vorteile der Verwendung pluripotenter embryonaler Stammzellen aus klonierten Embryonen durch Verwendung pluripotenter embryonaler Stammzellen aus IVF-Embryonen zu erzielen. Nämlich dann, wenn die humanen pluripotenen embryonalen Stammzellen aus IVF-Embryonen nach Histokompatibilitätsklassen in Gewebebanken zusammengefasst oder die genetische Ausstattung von Stammzellen aus IVFEmbryonen genetisch so verändert werden könnten, dass Abstoßungsreaktionen verhindert werden. Es lässt sich nicht abschätzen, welches der beiden Stammzellgewinnungsverfahren und ihre Anwendung beim Menschen medizinisch vorteilhafter sein wird. Daher stellt das Verfahren der Gewinnung von pluripotenten embryonalen Stammzellen aus IVF-Embryonen keine Alternative zur Gewinnung aus klonierten Embryonen dar.

4. Gewinnung, Vermehrung und Differenzierung von zu embryonalen Stammzellen alternativen Stammzellen a) Embryonale Keimzellen aus Schwangerschaftsabbrüchen Nach Schwangerschaftsabbrüchen können embryonale Keimzellen aus primordialen Keimzellen, den Vorläuferzellen von Ei- und Samenzellen, im späten Embryonalstadium oder im frühen Fetalstadium gewonnen werden.31 Wie bei Mäusen gezeigt wurde, verfügen embryonale Keimzellen über ein Vermehrungs- und Differenzierungspotenzial in eine Vielzahl von Zelltypen aller drei Keimblätter, z. B. Herz-, Skelettmuskel- und Nervenzellen.32 Im Rahmen der Beurteilung der Geeignetheit dieser Alternative zu pluripotenten embryonalen Stammzellen muss Folgendes betont werden: Versuche mit Mäusen haben gezeigt, dass embryonale Stammzellen und embryonale Keimzellen mit unterschiedlicher Effizienz zu bestimmten Zelltypen differenzieren ___________ 30

Vgl. Deutscher Bundestag, Stammzellforschung, BT-Drucksache 14/7546, 2001,

S. 12. 31

Vgl. Shamblott/Axelman/Wang/Bugg/Littlefield/Donovan/Blumenthal/Huggins/ Gearhart, in: PNAS, 1998, S. 13726 ff.; vgl. Shamblott/Axelman/Littlefield Blumenthal/Huggins/Chui/Cheng/ Gearhart, in: PNAS, 2001, S. 113 ff. 32 Vgl. Rohwedel/Sehlmeyer/Shan/Meister/Wobus, in: Cell Biology International, 1996, S. 579 ff.

26

B. Naturwissenschaftlicher Hintergrund

können.33 Außerdem zeigen embryonale Keimzellen verglichen mit embryonalen Stammzellen eine geringere Vermehrungsfähigkeit.34 Daraus folgt, auch wegen unzureichender Keimfreiheit bedingt durch die Gewinnungsmethode, dass embryonale Keimzellen keine medizinische Alternative zum Einsatz von pluripotenten embryonalen Stammzellen darstellen.

b) Neonatale Stammzellen aus Nabelschnurblut Die Stammzellenentnahme aus Nabelschnurblut direkt nach der Entbindung wird seit mehreren Jahren zur Gewinnung hämatopoetischer Stammzellen als Alternative zur Knochenmarktransplantation eingesetzt. Neonatale Stammzellen weisen eine akzeptable Vermehrungsfähigkeit in der Zellkultur auf. Inzwischen konnte sogar gezeigt werden, dass aus menschlichem Nabelschnurblut auch mesenchymale Stammzellen gewonnen werden können, die in Knorpel-, Knochen-, Muskel-, Sehnen- oder Fettzellen differenzieren.35 Bei der Abwägung dieser Alternative ist aber zu berücksichtigen, dass die für die Gewinnung notwendige frühzeitige Durchtrennung der Nabelschnur mit Nachteilen für das Kind verbunden sein kann.36 Ein Hauptproblem ist, dass Stammzellen zwar in hoher Konzentration im Nabelschnurblut enthalten sind, aber ihre absolute Zahl wegen der geringen Menge an Nabelschnurblut sehr gering ist. Daher sind sie meist nur für die Therapie von Kindern geeignet: nur vereinzelt wurden erwachsene Patienten mit neonatalen Stammzellen transplantiert.37 Außerdem ist eine Differenzierung in nur erheblich weniger spezifische Gewebe möglich als bei pluripotenten embryonalen Stammzellen, so dass neonatale Stammzellen embryonale Stammzellen bei Gewebeersatztherapien nicht ersetzen können.

___________ 33

Vgl. Badura-Lotter, in: Engels/Badura-Lotter/Schicktanz, Transplantationsmedizin, 2000, S. 56 ff. (59). 34 Vgl. Shamblott/Axelman/Littlefield/Blumenthal/Huggins/Chui/Cheng/Gearhart, in: PNAS, 2001, S. 113 ff. 35 Vgl. Erices/Conget/Minguell, in: British journal of haematology, 2000, S. 235 ff. 36 Vgl. Gordijn, in: Ethik in der Medizin, 2000, S. 16 ff. 37 Vgl. Laporte/Lesage/Portnoi/Landman/Rubinstein/Najman/Gorin, in: Bone Marrow Transplantation, 1998, S. S76 ff.

I. Stammzelldefinition und Stammzellarten

27

c) Adulte Stammzellen Auch im erwachsenen Menschen existieren in bestimmten Geweben Stammzellen, die eine Selbstregeneration ermöglichen und noch die Fähigkeit zur Differenzierung besitzen. Zu diesen adulten Stammzellen zählen insbesondere die hämatopoetischen Stammzellen des Knochenmarks, die in alle Blutzellen differenzieren können. Es wurden aber auch adulte Stammzellen in Leber, Darm, Lunge, Netzhaut, Zähnen, Haut, Haaren und sogar im Nervensystem nachgewiesen.38 Insgesamt wurden über 20 Haupttypen adulter Stammzellen gefunden.39 Aus dem Fettgewebe wurden mesenchymale Stammzellen gewonnen, die in Knorpel-, Knochen-, Muskel- oder Sehnenzellen differenzieren können.40 Die Gewinnung von adulten Stammzellen ist problematisch, denn die Zellen in vielen Organen wie Herz, Gehirn oder Pankreas liegen nur in geringer Zahl vor, ganz abgesehen von der unter operativen Bedingungen für den Spender risikobehafteten Entnahme. Auch ist die Vermehrungsfähigkeit hämatopoetischer Stammzellen in vitro nur sehr gering, mesenchymale Stammzellen besitzen ein besseres Vermehrungspotenzial. Entscheidend für den medizinischen Einsatz von adulten Stammzellen ist aber vor allem ihre Differenzierungsfähigkeit auch in andere Zelltypen als dem Ursprungsgewebe (Transdifferenzierungspotenzial). Adulte neurale Stammzellen der Maus konnten nach Implantation in Embryonalstadien im Skelettmuskel, Herz, Blut, in der Lunge und Haut nachgewiesen werden.41 Stammzellen des Knochenmarks können sich bei der Maus in Leberzellen, Muskelzellen und neuronale Zellen differenzieren,42 möglicherweise auch in jeden anderen Zelltyp.43 Vielleicht können die adulten Stammzellen durch Reprogrammierung so___________ 38 Vgl. Emura, in: In vitro animal cellular & developmental biology, 1997, S. 3 ff.; Ahmad/Tang/Pham, in: Biochemical Biophysical Research Communications, 2000, S. 517 ff.; vgl. Gronthos/Mankani/Brahim/Robey/Shi, in: PNAS, 2000, S. 13625 ff.; vgl. Eriksson/Perfilieva/Björk-Eriksson/Alborn/Nordborg/Peterson/Gage, in: Nature Medicine, 1998, S. 1313 ff. 39 Vgl. DFG, Empfehlungen, 2001, S. 9. 40 Vgl. Zuk/Zhu/Mizuno/Huang/Futrell/Katz/Benhaim/Lorenz/Hedrick, in: Tissue Engineering, 2001, S. 211 ff. 41 Vgl. Bjornson/Rietze/Reynolds/Magli/Vescovi, in: Science, 1999, S. 534 ff.; vgl. Clarke/Johansson/Wilbertz/Veress/Nilsson/Karlström/Lendahl, in: Science, 2000, S. 1660 ff.; vgl. Krause/Theise/Collector/Hene/Hwang/Gardner/Neutzel/Sharkis, in: Cell, 2001, S. 369 ff. 42 Vgl. Ferrari/Cusella-De Angelis/Coletta/Paolucci/Stornaiuolo/Cossu/Mavilio, in: Science, 1998, S. 1528 ff.; vgl. Petersen/Bowen/Patrene/Mars/Sullivan/Murase/Boggs/ Greenberger/Goff, in: Science, 1999, S. 1168 ff.; vgl. Mezey/Chandross/Harta/Maki/ McKercher, in: Science, 2000, S. 1779 ff. 43 Vgl. Melton gemäß Vogel, in: Science, 2001, S. 1820 ff.

28

B. Naturwissenschaftlicher Hintergrund

gar in ein Stadium zurückverwandelt werden, welches dem pluripotenter embryonaler Stammzellen ähnlich ist.44 Schon aus den Problemen bei der Gewinnung, Vermehrung und Differenzierung folgt, dass adulte Stammzellen keine echte Alternative zu pluripotenten embryonalen Stammzellen darstellen. Darüber hinaus kann die therapeutische Anwendbarkeit von adulten Stammzellen dadurch eingeschränkt sein, dass sie aufgrund ihres Alters bereits zahlreiche DNA-Schäden aufweisen.45 Schließlich ist zu beachten, dass die Untersuchung der Mechanismen, die an der Transdifferenzierung und Reprogrammierung adulter Stammzellen beteiligt sind, nur über eine vergleichende Untersuchung der Vorgänge bei der Differenzierung von embryonalen Stammzellen erfolgen kann.

II. Bedeutung von Stammzellen 1. Gegenwärtige Anwendungen nicht-embryonaler Stammzellen Die klinische Anwendung von Stammzellen beschränkt sich bisher im Wesentlichen auf adulte Stammzellen und auf neonatale Stammzellen, mit denen Gewebetransplantationen meist innerhalb ihrer Gewebespezifität durchgeführt werden.46 Am häufigsten werden als adulte Stammzellen hämatopoetische Stammzellen aus dem Knochenmark zur Regeneration des blutbildenden Systems nach einer Chemo- oder Strahlentherapie in der Tumortherapie verwendet. Außerhalb ihrer Gewebespezifität werden aus dem Knochenmark aber auch mesenchymale Stammzellen zur Differenzierung in Knorpel-, Knochen-, Muskel-, Sehnen- oder Fettzellen verwendet. Diese Stammzellen werden für die Transplantation bei Knorpel- und Knochenkrankheiten verwendet.47 Stammzellen aus der Haut werden in vitro vermehrt und als Hautersatz nach Verbrennungen verwendet.48 Neonatale Stammzellen werden für die Regeneration des Immunsystems anstelle einer Knochenmarktransplantation vor allem bei Kindern, wie in Kapitel I. 4. b) beschrieben, verwendet. ___________ 44

Vgl. Watt/Hogan, in: Science, 2000, S. 1427 ff. Vgl. Deutscher Bundestag, Stammzellforschung, BT-Drucksache 14/7546, 2001, S. 19. 46 Vgl. Strauer/Brehm/Zeus/Gattermann/Hernandez/Sorg/Kögler/Wernet, in: Deutsche Medizinische Wochenschrift, 2001, S. 932 ff. 47 Vgl. Bruder/Fink/Caplan, in: Journal of Cellular Biochemistry, 1994, S. 283 ff.; vgl. Horwitz/Prockop/Fitzpatrick/Koo/Gordon/Neel/Sussman/Orchard/Marx/Pyeritz/ Brenner, in: Nature Medicine, 1999, S. 309 ff.; vgl. Caplan, in: Clinical orthopaedics and related research, 2000, S. 67 ff. 48 Vgl. Fuchs/Segre, in: Cell, 2000, S. 143 ff. 45

II. Bedeutung von Stammzellen

29

2. Erwarteter zukünftiger Nutzen embryonaler Stammzellen a) Grundlagenforschung Von der Forschung an embryonalen Stammzellen verspricht man sich bedeutsame Erkenntnisse über die Mechanismen der Selbsterneuerung, Vermehrung und Differenzierung von Geweben und Organen. Diese werden das Verständnis der Ursachen von Unfruchtbarkeit, Entwicklungsstörungen und Erkrankungen, deren Ursachen man in der frühen Embryonalentwicklung vermutet (z. B. juveniler Diabetes mellitus), verbessern.49 Von besonderer Bedeutung wird dabei die Erforschung der Unterschiede zwischen embryonalen und nichtembryonalen Stammzellen sein. Diese Untersuchungen können auch nicht allein mit tierischen Stammzellen durchgeführt werden, da Ergebnisse aus Tierexperimenten nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragbar sind: In der Embryonalentwicklung, z. B. von Maus und Mensch, sind zahlreiche bedeutsame Unterschiede bekannt und menschliche Zellen reagieren auf bestimmte Substanzen zum Teil völlig anders als Mauszellen.50

b) Zell-, Gewebe- und Organersatz Pluripotente embryonale Stammzellen können in der Transplantationsmedizin eine große therapeutische Bedeutung erlangen, da sie für den Zell- und Gewebeersatz vor allem solcher Gewebe des Menschen dienen könnten, die ein nur geringes Regenerationspotenzial aufweisen. Einsatzfelder sind dann z. B. neurodegenerative Erkrankungen wie Morbus Parkinson und Chorea Huntington, aber auch Herzinfarkte, Schlaganfälle und Lähmungen, Epilepsie, Diabetes mellitus Typ I, Leukämien und Immunschwächen.51 Es gelang im Tierexperiment, neue Myelinscheiden von Nerven zu bilden, was die Hoffnung auf die Behandlungsmöglichkeit von Myelinkrankheiten, z. B. der Multiplen Sklerose, berechtigt.52 Außerdem gelang die Differenzierung zu insulinbildenden Zellen zur Therapie des Diabetes mellitus, zu dopaminergen Neuronen zur Therapie des Morbus Parkinson sowie zu Herzmuskel___________ 49

Vgl. National Bioethics Advisory Commission, Vol. I, 1999, S. 17. Vgl. Deutscher Bundestag, Stammzellforschung, BT-Drucksache 14/7546, 2001, S. 17. 51 Vgl. Deutscher Bundestag, Stammzellforschung, BT-Drucksache 14/7546, 2001, S. 17. 52 Vgl. Brüstle/Jones/Learish/Karram/Choudhary/Wiestler/Duncan/McKay, in: Science, 1999, S. 54 ff. 50

30

B. Naturwissenschaftlicher Hintergrund

zellen zur Therapie der Herzinsuffizienz.53 Ob diese Erfolge auch mit humanen embryonalen Stammzellen beim Menschen erzielt werden können, lässt sich zwar derzeit nicht mit Sicherheit beantworten, die bisher im Tiermodell erhaltenen Ergebnisse lassen aber einen vielversprechenden Einsatz zum Zell- und Gewebeersatz auch beim Menschen erwarten.54 Auch die Entwicklung komplexer Organe wie Herz, Niere oder Leber aus pluripotenten embryonalen Stammzellen wird von Wissenschaftlern diskutiert.55 Das Problem einer ausreichenden Anbindung dieser Organe an Nervensystem und Blutgefäßsystem wird aber in absehbarer Zeit wohl nicht gelöst werden können.

___________ 53 Vgl. Klug/Soonpaa/Koh/Field, in: Journal of Clinical Investigation, 1996, S. 216 ff.; vgl. Lee/Lumelsky/Studer/Auerbach/McKay, in: Nature Biotechnology, 2000, S. 675 ff.; vgl. Soria/Roche/Berna/Leon-Quinto/Reig/Martin, in: Diabetes, 2000, S. 157 ff.; vgl. Lumelsky/Blondel/Laeng/Velasco/Ravin/McKay, in: Science, 2001, S. 1389 ff. 54 Vgl. Deutscher Bundestag, Stammzellforschung, BT-Drucksache 14/7546, 2001, S. 18 f. 55 Vgl. Kaihara/Vacanti, in: Archives of surgery, 1999, S. 1184 ff.

III. Menschenwürdegarantie im Rahmen der Stammzellforschung

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C. Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Forschung an humanen pluripotenten embryonalen Stammzellen in Deutschland I. Die rechtliche Lage vor Inkrafttreten des Stammzellgesetzes Die Forschung an humanen totipotenten Stammzellen war und ist nach dem Embryonenschutzgesetz verboten. Dies ergibt sich aus § 2 Abs. 1 und 2 ESchG, weil es sich bei diesen Stammzellen zugleich um Embryonen im Sinne von § 8 Abs. 1 ESchG handelt. Nach Überschreiten des 8-Zellstadiums des Embryos sind dessen Stammzellen dann nicht mehr totipotent, sondern nur noch pluripotent. Dieser Übergang vom totipotenten zum pluripotenten Zellstadium erfolgt innerhalb der ersten 24 Stunden nach Befruchtung der Eizelle. Diese 24Stunden-Grenze ist daher auch in § 8 Abs. 2 ESchG als Grenze der Entwicklungsfähigkeit zugrunde gelegt.56 Die Forschung an humanen pluripotenten Stammzellen wurde vor dem Inkrafttreten des Stammzellgesetzes bereits dadurch behindert (und ist es auch nach Inkrafttreten des Stammzellgesetzes geblieben), dass ihre Gewinnung aus Embryonen in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz verboten ist, da die Gewinnung der pluripotenten Stammzellen den Tod des Embryos zur Folge hat.57 Das Embryonenschutzgesetz verbietet aber den Import von pluripotenten Stammzellen und die Forschung an diesen nicht.58 Das Verwendungsverbot des Gesetzes meint nämlich neben Embryonen nur die diesen entnommenen totipotenten Stammzellen, so dass der Import und die Verwendung von pluripotenten embryonalen Stammzellen zu Forschungszwecken hiervon nicht umfasst ist. Der Gesetzesvorbehalt gilt nur für staatliches Tun, nicht aber für individuelle Freiheitsentfaltung, zu der auch die Forschungsfreiheit gehört. Rechtlich war also kein den Stammzellimport und die Stammzellforschung gestattendes Gesetz notwendig.59 Das im deutschen Strafrecht in § 3 StGB verankerte Territorialitätsprinzip stellt sicher, dass der deutschen Strafgewalt nur die Taten unter___________ 56 Vgl. Keller, in: Keller/Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, 1992, § 8 Rn. 12; vgl. Taupitz, in: NJW, 2001, S. 3433 ff. (3434). 57 Vgl. §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 1 ESchG i.V.m. § 8 Abs. 1 ESchG. 58 Vgl. Lilie/Albrecht, in: NJW, 2001, S. 2774 ff. (2776). 59 Vgl. VGH Kassel, in: NJW, 1990, S. 336 ff., vgl. Kloepfer, in: Badura/Scholz, FS Lerche, 1993, S. 756 ff.

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C. Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Stammzellforschung

worfen sind, die innerhalb des deutschen Staatsgebietes begangen werden.60 Gemäß § 9 Abs. 2 S. 2 StGB konnte sich der Importeur von pluripotenten embryonalen Stammzellen û bei einer Teilnahmehandlung im Inland û zwar der Beihilfe oder Anstiftung gemäß § 2 Abs. 1 ESchG i.V.m. §§ 26, 27 StGB strafbar machen, auch wenn die Tat im Ausland nicht mit Strafe bedroht ist;61 das gilt sogar dann, wenn die Haupttat auch nach dem deutschen internationalen Strafrecht nicht bestraft werden kann, also überhaupt keiner Strafe unterliegt.62 Eine Strafbarkeit war aber dennoch in der Regel zu verneinen, da die embryonenverbrauchende Erzeugung nicht aus Deutschland veranlasst wurde und auch ein Hilfeleisten nicht vorlag.63 Daher konnten vor Inkrafttreten des Stammzellgesetzes im Ausland hergestellte humane pluripotente embryonale Stammzellen frei importiert und zu wissenschaftlichen Zwecken verwendet werden.64

II. Der Weg zum Stammzellgesetz vom 28.6.2002 Der Bonner Neurobiologe Oliver Brüstle stellte im August 2000 bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) einen Antrag auf Forschungsförderung, der den Import humaner pluripotenter embryonaler Stammzellen beinhaltete. Die darauf ergangenen Empfehlungen der DFG65 führten dazu, dass der Deutsche Bundestag die Enquete-Kommission ýRecht und Ethik der modernen Medizinÿ einberief, der kurz darauf durch die Bundesregierung der Nationale Ethikrat gegenüber gestellt wurde. Während sich die Enquete-Kommission im November 2001 mehrheitlich gegen die Einfuhr von menschlichen pluripotenten embryonalen Stammzellen aussprach,66 sprach sich der Nationale Ethikrat mehrheitlich zugunsten eines vorläufigen, befristeten und an strenge Bedingungen geknüpften Importes aus.67 Im Januar 2002 lagen im Bundestag drei Anträge vor: Die Gegner der Forschung an humanen pluripotenten embryonalen Stammzellen um die Abgeord___________ 60

Vgl. Wessels/Beulke, Strafrecht, 2004, Rn. 64. Vgl. Schroth, in: JZ, 2002, S. 170 ff. (171). 62 Vgl. BGHSt 4, S. 335. 63 Vgl. Schroth, in: JZ, 2002, S. 170 ff. (171). 64 Vgl. Herdegen, in: JZ, 2001, S. 773 f.; vgl. Keller, in: Keller/Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, 1992, § 8 Rn. 12; vgl. Taupitz, in: NJW, 2001, S. 3433 (3435); vgl. Lilie/Albrecht, in: NJW, 2001, S. 2774. 65 Vgl. DFG, Empfehlungen, 2001; vgl. Müller-Terpitz, in: WissR, 2001, S. 276 ff. 66 Vgl. Deutscher Bundestag, Stammzellforschung, BT-Drucksache 14/7546, 2001, S. 1 ff. 67 Vgl. Nationaler Ethikrat, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Biomedizin, Juni 2005, Bd. IV, Teil II, F, S. 1 ff. 61

II. Der Weg zum Stammzellgesetz vom 28.6.2002

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neten Hubert Hüppe (CDU) und Wolfgang Wodarg (SPD) beantragten das gesetzlich abgesicherte vollständige Verbot des Importes der Stammzellen (NeinAntrag).68 Die Befürworter der Forschung an embryonalen Stammzellen um die Abgeordneten Ulrike Flach (FDP) und Peter Hintze (CDU) sprachen sich in ihrem Antrag für den nahezu vorbehaltlosen Import aus (Ja-Aber-Antrag).69 Die Abgeordneten um Margot von Renesse (SPD) und Andrea Fischer (Grüne) hingegen befürworten in ihrem Antrag die Kompromisslösung eines Importes in Ausnahmefällen (Nein-Aber-Antrag).70 In der ersten Abstimmung am 30. Januar 2002 entschied sich die Mehrheit des Bundestages gegen den Ja-AberAntrag.71 In der zweiten Abstimmung erhielt der Antrag auf eine Kompromisslösung (Nein-Aber-Antrag) die Mehrheit von 340 Stimmen, während 265 Abgeordnete gegen jeden Import ihre Stimme abgaben.72 Am 28.2.2002 wurde dann ein Gesetzentwurf vorgelegt, in dem der Ja-AberAntrag umgesetzt wurde und es entstand der ýEntwurf eines Gesetzes zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz û StZG)ÿ73 Nach der Verweisung an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung brachten die Initiatoren selbst noch einen Änderungsantrag vor, der am 17.4.2002 im Ausschuss angenommen wurde und als Beschlussempfehlung74 der Abstimmung am 25.4.2002 im Bundestag zugrunde lag. In dieser Abstimmung votierten 360 Abgeordnete aus verschiedenen Fraktionen für diesen Entwurf, 190 dagegen, neun Abgeordnete enthielten sich.75 Der Entwurf wurde dem Bundesrat zugeleitet, das Stammzellgesetz wurde auf Basis des Entwurfs am 28.6.2002 verabschiedet und trat am 1.7.2002 in Kraft.76 ___________ 68 Vgl. Deutscher Bundestag, Wodarg/Kues/Knoche, Antrag, BT-Drucksache 14/ 8101, 2002. 69 Vgl. Deutscher Bundestag, Flach/Reiche/Hintze, Antrag, BT-Drucksache 14/8103, 2002. 70 Vgl. Deutscher Bundestag, Böhmer/v. Renesse/Fischer, Antrag, BT-Drucksache 14/8102, 2002. 71 Vgl. Deutscher Bundestag, BT-Plenarprotokoll 14/214, 2002, S. 21194 ff. (21236 B). 72 Vgl. Deutscher Bundestag, BT-Plenarprotokoll 14/214, 2002, S. 21194 ff. (21236 D). 73 Vgl. Deutscher Bundestag, BT-Plenarprotokoll 14/211, 2002, S. 21907 ff. (21907 A); vgl. Deutscher Bundestag, StZGE, BT-Drucksache 14/8394, 2002. 74 Vgl. Deutscher Bundestag, Beschlussempfehlung, BT-Drucksache 14/8846, 2002. 75 Vgl. Deutscher Bundestag, BT-Plenarprotokoll 14/233, 2002, S. 23209 ff. (23231 D). 76 Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz û StZG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28.06.2002, BGBl. I Nr. 42, 2002, S. 2277 ff.

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C. Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Stammzellforschung

III. Der Regelungsgehalt des Stammzellgesetzes Das Stammzellgesetz ist in seiner Geltung gemäß § 2 StZG auf die Einfuhr (Verbringung in den Geltungsbereich dieses Gesetzes, § 3 StZG) und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen beschränkt. Die Begriffsbestimmungen des § 3 StZG verdeutlichen, dass damit nur die Einfuhr jener Stammzellen und Stammzelllinien gemeint ist, die zum einen nur noch pluripotenten Charakter haben und zum anderen aus Embryonen gewonnen wurden, die zwar durch künstliche Befruchtung (IVF) entstanden sind, für diese Zwecke aber nicht mehr verwendet werden und daher ýüberzähligÿ sind. In § 1 StZG werden die Zielsetzungen des Gesetzes genannt, die ýim Hinblick auf die staatliche Verpflichtung, die Menschenwürde und das Recht auf Leben zu achten und zu schützen und die Freiheit der Forschung zu gewährleistenÿ geboten seien: Durch das Stammzellgesetz soll verhindert werden, dass durch die Forschung an embryonalen Stammzellen in Deutschland und der sich daraus ergebenden Nachfrage Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen im Ausland getötet oder gar zu diesem Zweck erzeugt werden. Darüber hinaus ist das Stammzellgesetz von der Vorstellung getragen, dass es sich bei Stammzellen um menschliches Leben handelt, mit dem nicht beliebig verfahren werden darf. Andererseits ist sich der Gesetzgeber bewusst, dass auch den Forschern zu ihrem Recht auf Forschungsfreiheit verholfen werden müsse. Daher wird zwar die grundsätzliche Unzulässigkeit des Importes embryonaler Stammzellen postuliert, aber gleichzeitig ein schmaler Rahmen festgelegt, in dem die Einfuhr dennoch und ausnahmsweise zulässig sein soll.77 In drei Vorschriften sind die Voraussetzungen der Zulässigkeit des Importes geregelt. Seinem Ausnahmecharakter entsprechend ist gemäß § 6 Abs. 1 i.V.m. § 7 StZG eine Genehmigung durch die zuständige Behörde erforderlich. Diese wird nur dann erteilt, wenn folgende Kriterien erfüllt sind: 1. Erfüllung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 und 3 i.V.m. § 6 Abs. 4 Nr. 1 StZG Embryonale Stammzellen dürfen nur dann importiert werden, wenn sie im Herkunftsland vor dem 1. Januar 2002 und in Übereinstimmung mit der dortigen Rechtslage gewonnen wurden. Sie müssen aus Embryonen gewonnen sein, die im Wege der extrakorporalen künstlichen Befruchtung erzeugt worden sind, aber dann zur Herbeiführung einer Schwangerschaft endgültig nicht mehr eingesetzt wurden und die Überlassung unentgeltlich erfolgte. Ein bloßer Aufwen___________ 77

Vgl. Raasch, in: KJ, 2002, S. 285 ff.

III. Regelungsgehalt des Stammzellgesetzes

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dungsersatz erfüllt den Tatbestand der Vorschrift aber nicht.78 Schließlich ist eine Genehmigung ausgeschlossen, wenn ýder Einfuhr oder Verwendung der embryonalen Stammzellen sonstige gesetzliche Vorschriften, insbesondere solche des Embryonenschutzgesetzesþ79 entgegenstehen oder ýdie Gewinnung der embryonalen Stammzellen offensichtlich im Widerspruch zu tragenden Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung erfolgt istÿ80. Allein das Argument, für die Stammzellen seien menschliche Embryonen verbraucht worden, kann dabei jedoch nicht zum Tragen kommen.81 Die Stichtagsregelung soll sicherstellen, dass zum einen der Verbrauch, also die Tötung, menschlicher Embryonen von deutscher Seite auch nicht nur indirekt veranlasst wird und zum anderen Embryonen nicht eigens zu Forschungszwecken erzeugt werden.82 2. Erfüllung der Voraussetzungen des § 5 i.V.m. § 6 Abs. 4 Nr. 2 StZG Das Forschungsvorhaben, für das die Genehmigung beantragt wird, muss gemäß § 5 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 4 Nr. 2 StZG ýhochrangigen Forschungszielenÿ dienen. Damit sind Arbeiten sowohl aus dem Bereich der Grundlagenforschung als auch solche für die Erweiterung medizinischer Kenntnisse bei der Entwicklung diagnostischer, präventiver oder therapeutischer Verfahren zur Anwendung beim Menschen gemeint. Es muss darüber hinaus ýnach dem anerkannten Stand von Wissenschaft und Technikÿ sichergestellt sein, dass das Forschungsvorhaben, für das der Import embryonaler Stammzellen beantragt wird, schon das Stadium des Tierexperiments passiert hat und nur mit embryonalen Stammzellen zum Erfolg geführt werden kann.83 Diese Auflage soll die Stammzellnachfrage deutscher Wissenschaftler für die Zukunft auf das unbedingt nötige Minimum reduzieren.84 3. Erfüllung der Voraussetzungen des § 6 Abs. 4 Nr. 3 StZG Die Genehmigung wird erst dann erteilt, wenn eine Stellungnahme der Zentralen Ethik-Kommission vorliegt.85 Dieses Gremium ist gemäß § 8 Abs. 1 StZG ___________ 78

Vgl. StZGE, Begründung, S. 9. § 4 Abs. 2 Nr. 2 StZG. 80 § 4 Abs. 3 Satz 1 StZG. 81 Vgl. § 4 Abs. 3 Satz 2 StZG. 82 Vgl. StZGE, Begründung S. 9. 83 § 5 Nr. 2 i.V.m. § 6 Abs. 4 Nr. 2 StZG. 84 Vgl. StZGE, Begründung S. 9.; vgl. Deutscher Bundestag, BT-Drucksache 14/8846, 2002, S. 13. 85 Vgl. § 6 Abs. 4 Nr. 3 StZG. 79

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C. Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Stammzellforschung

bei der zuständigen Behörde, dem Robert Koch Institut, eingerichtet und interdisziplinär aus vier Sachverständigen aus den Fachrichtungen Ethik und Theologie und fünf Sachverständigen aus den Fachrichtungen Biologie und Medizin zusammengesetzt. Seine Aufgabe ist es gemäß § 9 StZG, die Erfüllung der Voraussetzungen von § 5 StZG für das Forschungsvorhaben zu überprüfen und seine ethische Vertretbarkeit zu beurteilen. Die Stellungnahme der Zentralen Ethik-Kommission ist insoweit von Relevanz, als die Behörde gemäß § 6 Abs. 5 Satz 3 StZG eine abweichende Entscheidung schriftlich begründen muss. Wenn all diese Voraussetzungen vorliegen, hat der Antragsteller gemäß § 6 Abs. 4 StZG einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Genehmigung. Ein Import oder eine Verwendung ohne die erforderliche Genehmigung wird gemäß § 13 Abs. 1 StZG mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe geahndet. Die Bundesregierung hat gemäß § 15 StZG alle zwei Jahre einen Erfahrungsbericht betreffend die Umsetzung des Gesetzes und zu Alternativen vorzulegen.

III. Regelungsgehalt des Stammzellgesetzes

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D. Rechtsgut Forschungsfreiheit in der Stammzellforschung I. Adressat der Forschungsfreiheit Aus dem vorgegebenen Zweck des Stammzellgesetzes in § 1 StZG, die Forschungsfreiheit zu gewährleisten, ergibt sich als Ausgangspunkt der folgenden Erörterung das in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG garantierte Abwehrrecht.86 Denn das Stammzellgesetz bedeutet eine freiheitsbeschränkende Einwirkung der öffentlichen Gewalt auf den Forscher, vor der die grundrechtliche Ordnung als freiheitssichernde Ordnung schützt.87 Dies folgt aus Art. 1 Abs. 3 GG, der die Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte festschreibt, und aus Art. 19 Abs. 1 und 2 GG, der die Eingriffsmöglichkeiten im Grundrechtsbereich begrenzt. Die Freiheitsgarantie führt für den Gesetzgeber zu einem Entzug der Regelungsbefugnis im Sinne einer negativen Kompetenzbestimmung,88 die er nur unter bestimmten Umständen wiedererlangt. Denn die Freiheit des Einzelnen ist prinzipiell unbegrenzt, die Befugnis des Staates dagegen prinzipiell begrenzt.89

II. Grundrechtsträger Grundrechtsträger der Forschungsfreiheit ist jeder, der eigenverantwortlich im Bereich der Forschung tätig ist oder tätig werden will.90 Eine spezielle Aus___________ 86 Vgl. Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 143 ff.; vgl. Scholz, in: Maunz/ Dürig/Badura/Di Fabio/Herdegen/Herzog/Klein/Korioth/Lerche/Papier/Randelzhofer/ Schmidt-Aßmann/Scholz, Grundgesetz, Bd. I, 2005, Art. 5 III, Rn. 81; vgl. SchulzeFielitz, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch, 1994, § 27, Rn. 6 ff.; vgl. Badura, Staatsrecht, 2003, C, Rn. 78, S. 204 ff.; vgl. Häberle, in: AöR, 1985, S. 329 ff. (358 f.); vgl. Krüger, in: Flämig/Kimminich/Krüger/Meusel/Rupp/Scheven/Schuster/Graf StenbockFermor, Handbuch, Bd. I, 1996, S. 261 ff. (276 f.); vgl. Losch, in: NVwZ, 1993, S. 625 ff. (625); vgl. Losch, Wissenschaftsfreiheit, 1993, S. 136 ff.; vgl. Classen, Wissenschaftsfreiheit, 1994, S. 125 ff.; vgl. Meusel, in: WissR, 1992, S. 124 ff. (129); vgl. Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Bd. VI, 2001, § 145, Rn. 35 und 60; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. I, 1999, Art. 5 Abs. 3, Rn. 268. 87 Vgl. BVerfGE 7, S. 198 ff. (204) û Lüth. 88 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, 1999, Rn. 291. 89 Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, 1993, S. 158 und 175. 90 Vgl. BVerfGE 15, S. 256 ff. (263 f.) û Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre; vgl. BVerfGE 35, S. 79 ff. (112) û Niedersächsisches Gesamthochschulgesetz;

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D. Rechtsgut Forschungsfreiheit in der Stammzellforschung

bildung ist einerseits nicht erforderlich,91 reicht andererseits alleine auch nicht aus, um eine wissenschaftliche Tätigkeit bejahen zu können.92 Vielmehr muss die Wissenschaftlichkeit der ausgeübten Tätigkeit selbst für die Beurteilung herangezogen werden [vgl. Kapitel IV.]. Inländische juristische Personen des Privatrechts können gemäß Art. 19 Abs. 3 GG Grundrechtsträger sein,93 auch juristische Personen des öffentlichen Rechts, wenn sie unmittelbar dem durch die Grundrechte geschützten Bereich zuzuordnen sind,94 also insbesondere Hochschulen,95 aber auch außeruniversitäre öffentlich-rechtliche Forschungseinrichtungen.96

___________ vgl. BVerfGE 47, S. 327 ff. (367) û HUG; vgl. BVerfGE 88, S. 129 ff. (136) û Lehrer des Rechts; vgl. BVerfGE 90, S. 1 ff. (11) û Wahrheit für Deutschland; vgl. BVerfGE 95, S. 193 ff. (209) û Hochschullehrer im Beitrittsgebiet; vgl. BVerwGE 102, S. 304 ff. (307); vgl. Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein, Grundgesetz, 2002, Art. 5 Abs. 3 I, Rn. 27. 91 Vgl. BVerwGE 80, S. 265 ff. (266); vgl. Classen, Wissenschaftsfreiheit, 1994, S. 108. 92 Vgl. BVerwGE 29, S. 77 ff. (78). 93 Vgl. Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Bd. VI, 2001, § 145, Rn. 35; vgl. Ipsen, Grundrechte, 2005, Rn. 497; vgl. Manssen, Staatsrecht, Bd. I, 1995, Rn. 171; vgl. Classen, Wissenschaftsfreiheit, 1994, S. 115 ff.; vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Bd. V, 2000, § 118, Rn. 58; vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. I, 1999, Art. 5 Abs. 3, Rn. 370. 94 Vgl. BVerfGE 15, S. 256 ff. (262) û Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre; vgl. BVerfGE 21, S. 262 ff. (373) û Inländische juristische Personen des Privatrechts; vgl. BVerfGE 31, S. 314 ff. (322) û Rundfunkanstalten; vgl. BVerfGE 39, S. 302 ff. (313) û Ortskrankenkassen; vgl. Classen, Wissenschaftsfreiheit, 1994, S. 117; vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. I, 1999, Art. 5 Abs. 3, Rn. 257; vgl. Rüfner, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Bd. V, 2000, § 116, Rn. 71. 95 Vgl. Smend, in: VVDStRL, 1928, S. 44 ff. (57) sieht die Freiheit des Art. 5 Abs. 3 GG als ein ýGrundrecht der deutschen Universitätÿ selbst an; vgl. auch BVerfGE 85, S. 360 ff. (384) û Akademie der Wissenschaften; vgl. ferner Wendt, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz, Bd. I, 2000, Art. 5, Rn. 112; Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 2004, Art. 5 III (Wissenschaft), Rn. 35; vgl. Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem/ Schneider/Stein, Grundgesetz, 2002, Art. 5 Abs. 3 I, Rn. 59; vgl. Rüfner, in: Isensee/ Kirchhof, Handbuch, Bd. V, 2000, § 116, Rn. 75; vgl. Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Bd. VI, 2001, § 145, Rn. 35 f.; vgl. Bethge, in: Sachs, Grundgesetz, 2003, Art. 5, Rn. 210; vgl. Schmalz, Grundrechte, 2001, Rn. 729; vgl. Wegehaupt, Wissenschaftsfreiheit, 1994, S. 59 f., der die Wissenschaftsfreiheit durch Art. 19 Abs. 3 GG der Universität zuordnet. 96 Vgl. Meusel, in: WissR, 1992, S. 124 ff. (129 ff.).

III. Kompetenz für die Bestimmung des Rechtsguts

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III. Kompetenz für die Bestimmung des Rechtsguts Nach einer Meinung soll das ursprünglich für die Kunstfreiheit formulierte staatliche Definitionsverbot97 auf die Forschungsfreiheit übertragen werden, denn rechtliche Freiheit sei dadurch charakterisiert, dass der Staat den Inhalt der Freiheit nicht definiert.98 Damit ist aber noch nicht gesagt, wem dann die Definitionsmacht zustehen soll. Nach einer Ansicht soll dies der einzelne Wissenschaftler sein.99 Dadurch entsteht aber eine individuelle Willkür in der Definition, so dass letztendlich alles als Wissenschaft ausgelegt werden kann. Die Definitionsmacht der Gruppe der etablierten Wissenschaftler zu überlassen, kann auch nicht überzeugen,100 denn sie bleibt subjektiv und daher in ihrer Tendenz, neue Forschungsansätze zu verhindern, kreativitätshemmend.101 Die Gegenmeinung kritisiert am staatlichen Definitionsverbot, dass eine staatliche Freiheitsgarantie auch die Macht voraussetzt zu definieren, worin diese Freiheit besteht.102 Sonst verliert sie aufgrund ihrer Unbestimmtheit an Durchsetzbarkeit103 und lässt die rechtsstaatlich geforderte Rechtsklarheit104 vermissen.105 Diese Ansicht geht also von einem Definitionsgebot zugunsten der öffentlichen Gewalt, insbesondere des Gesetzgebers, aus.106 Das Handeln ___________ 97

Vgl. Knies, Schranken, 1967, S. 217 ff. Vgl. Knies, Schranken, 1967, S. 218 in Anlehnung an Schmitt, in: Schmitt, Aufsätze, 2003, S. 140 ff. (167): ýWas Freiheit ist kann nämlich in letzter Instanz nur derjenige entscheiden, der frei sein soll.ÿ; vgl. auch Denninger, in: JZ, 1975, S. 545 ff. (545); vgl. Höfling, Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 65. 99 Vgl. Ridder, Ordnung, 1975, S. 135; vgl. Knies, Schranken, 1967, S. 217 ff.; a.A. das Sondervotum von Hirsch, in: BVerfGE 48, S. 185 ff. (188) û Wehrpflicht. 100 Vgl. Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein, Grundgesetz, 2002, Art. 5 Abs. 3 I, Rn. 18; vgl. Preuß, Mandat, 1969, S. 105. 101 Vgl. Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 175; vgl. Bauer, Wissenschaftsfreiheit, 1980, S. 26. 102 Vgl. Arndt, in: NJW 1966, S. 25 ff. (28); vgl. Isensee, Freiheitsrechte, 1980, S. 35; vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig/Badura/Di Fabio/Herdegen/Herzog/Klein/Korioth/ Lerche/Papier/Randelzhofer/Schmidt-Aßmann/Scholz, Grundgesetz, Bd. I, 2005, Art. 5 III, Rn. 25 und 88; vgl. Bauer, Wissenschaftsfreiheit, 1980, S. 27 f.; vgl. aber Kimminich, in: WissR, 1985, S. 116 ff. (122), der eine Notwendigkeit zur Definition des Begriffs bestreitet. 103 Vgl. Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 171. 104 Vgl. Schnapp, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz, Bd. II, 2001, Art. 20, Rn. 29 f. 105 Vgl. Iliadou, Forschungsfreiheit, 1999, S. 72. 106 Vgl. BVerfGE 35, S. 79 ff. (112) û Niedersächsisches GesamthochschulG; vgl. Isensee, Freiheitsrechte, 1980, S. 36; vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig/Badura/Di Fabio/ Herdegen/Herzog/Klein/Korioth/Lerche/Papier/Randelzhofer/Schmidt-Aßmann/Scholz, Grundgesetz, Bd. I, 2005, Art. 5 III, Rn. 88; vgl. Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 176; vgl. Freundlich, Wissenschaftsfreiheit, 1984, S. 89. 98

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D. Rechtsgut Forschungsfreiheit in der Stammzellforschung

des einfachen Gesetzgebers steht dabei unter der Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts (§ 78 S. 1 BVerfGG).107 Daraus kann abgeleitet werden, dass eine letzte Definitionsmacht nur dem verfassungsändernden Gesetzgeber im Lichte des interpretierenden Bundesverfassungsgerichts innerhalb der Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG zukommt.108

IV. Inhalt des Rechtsguts Das durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 geschützte Rechtsgut ist die Freiheit, ohne staatliche Kontrolle von Zwecken, Zielen109 und Methoden110 Forschung auszuüben. Man spricht daher vom Postulat der forschungspolitischen Neutralität des Staates.111 Nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts ist Wissenschaft ýalles, was nach Inhalt und Form als planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen istÿ112, und Forschung ÿdie geistige Tätigkeit mit dem Ziele in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neue Erkenntnisse zu gewinnenþ.113 Der freie Forschungsbereich umfasst dabei ýinsbesondere die Fragestellung und die Grundsätze der Methodik sowie die Bewertung des Forschungsergebnisses und seine Verbreitungÿ.114 Auf diese Weise werden vom Begriff die wesentlichen Merkmale der wissenschaftlichen Tätig___________ 107 Vgl. Stern, in: Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, § 95, S. 1702 ff.; vgl. Isensee, in: Piazolo, Bundesverfassungsgericht, 1995, S. 49 ff. (53); vgl. Hesse, Verfassungsrecht, 1999, Rn. 50; vgl. Häberle, Wesensgehaltgarantie, 1983, S. 180 ff. (184 f.). 108 Vgl. Steiner, Verfassunggebung, 1966, S. 90. 109 Vgl. Schmitt Glaeser, in: WissR, 1974, S. 107 ff. (129). 110 Vgl. BVerfGE 90, S. 1 ff. (11 ff.) û Wahrheit für Deutschland; vgl. Morlok, Selbstverständnis, 1993, S. 380; vgl. Smend, in: VVDStRL, 1928, S. 44 ff. (61 ff.); vgl. Schmitt Glaeser, in: WissR, 1974, S. 107 ff. (115; 130); vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. I, 1999, Art. 5 Abs. 3, Rn. 322. 111 Zur forschungspolitischen Neutralitätsverpflichtung des Staates vgl. Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Bd. VI, 2001, § 145, Rn. 24; vgl. Papier, in: NuR, 1991, S. 162 ff. (168); vgl. Kloepfer/Rossi, in: JZ, 1998, S. 369 ff. (337). 112 BVerfGE 47, S. 327 ff. (367) û HUG; vgl. BVerfGE 90, S. 1 ff. (12) û Wahrheit für Deutschland; vgl. BVerwGE 102, S. 304 ff. (308, 311); vgl. Bethge, in: Sachs, Grundgesetz, 2003, Art. 5, Rn. 206; vgl. die Kritik von Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch, 1994, § 27, Rn. 2; vgl. Schmalz, Grundrechte, 2001, Rn. 728; vgl. Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein, Grundgesetz, 2004, Art. 5 Abs. 3 I, Rn. 14; vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. I, 1999, Art. 5 Abs. 3, Rn. 322; vgl. Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 203 ff.; vgl. Riedel, in: EuGRZ, 1986, S. 469 ff. (471 f.). 113 Deutscher Bundestag, Bundesbericht Forschung, BT-Drucksache 5/4335, 1969, S. 4. 114 BVerfGE 35, S. 79 ff. (112) û Niedersächsisches GesamthochschulG; vgl. BVerfGE 47, S. 327 ff. (367) û HUG; vgl. BVerwGE 102, S. 304 ff. (307).

IV. Inhalt des Rechtsguts

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keit, d. h. das Streben nach Erkenntnisgewinn,115 das methodische Bemühen darum,116 die Irrtumsoffenheit117 und die prinzipielle Offenheit zur Kommunikation118 miteingeschlossen. Der Staat darf nicht über den richtigen oder falschen Gebrauch der Freiheit entscheiden,119 über den ethischen oder moralischen Charakter der Freiheitsausübung urteilen.120 Er hat keine Befugnis zur Bestimmung von Zielen, Gegenständen oder Methoden des einzelnen Forschers121 und darf auch nicht zwischen Grundlagenforschung oder angewandter Forschung differenzieren.122 Es gibt keinen Bereich des Wissens über Natur und Menschen, der dem Wissenschaftler verschlossen bleiben müsste.123 Auch Mindermeinungen und Forschungsansätze, die sich als irrig erweisen, werden durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG

___________ 115 Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig/Badura/Di Fabio/Herdegen/Herzog/Klein/Korioth/ Lerche/Papier/Randelzhofer/Schmidt-Aßmann/Scholz, Grundgesetz, Bd. I, 2005, Art. 5 III, Rn. 101; vgl. Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Bd. VI, 2001, § 145, Rn. 41. 116 Vgl. Schmitt Glaeser, in: WissR, 1974, S. 107 ff. (116); vgl. Scholz, in: Maunz/ Dürig/Badura/Di Fabio/Herdegen/Herzog/Klein/Korioth/Lerche/Papier/Randelzhofer/ Schmidt-Aßmann/Scholz, Grundgesetz, Bd. I, 2005, Art. 5 III, Rn. 101; vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. I, 1999, Art. 5 Abs. 3, Rn. 323; Riedel, in: EuGRZ, 1986, S. 469 ff. (472) äußert sich kritisch zum Erfordernis der Planmäßigkeit. 117 Vgl. Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein, Grundgesetz, 2002, Art. 5 Abs. 3 I, Rn. 17. 118 Vgl. Kimminich, in: WissR, 1985, S. 116 ff. (120); vgl. Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein, Grundgesetz, 2002, Art. 5 Abs. 3 I, Rn. 17; vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig/Badura/Di Fabio/Herdegen/Herzog/Klein/Korioth/Lerche/Papier/Randelzhofer/Schmidt-Aßmann/ Scholz, Grundgesetz, Bd. I, 2005, Art. 5 III (Wissenschaft), Rn. 101. 119 Vgl. BVerfGE 90, S. 1 ff. (12) û Wahrheit für Deutschland; vgl. BVerfGE 5, S. 85 ff. (145) û KPD-Urteil. 120 Vgl. Graf Vitzthum, in: Braun/Mieth/Steigleder, Gentechnologie, 1987, S. 263 ff. (275); vgl. Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein, Grundgesetz, 2002, Art. 5 Abs. 3 I, Rn. 15. 121 Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig/Badura/Di Fabio/Herdegen/Herzog/Klein/Korioth/ Lerche/Papier/Randelzhofer/Schmidt-Aßmann/Scholz, Grundgesetz, Bd. I, 2005, Art. 5 III, Rn. 8; vgl. Schlink, Abwägung, 1976, S. 202; vgl. Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 2004, Art. 5 III (Wissenschaft), Rn. 36. 122 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch, 1994, § 27, Rn. 3; vgl. Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Bd. VI, 2001, § 145, Rn. 28; vgl. Kloepfer/Rossi, in: JZ, 1998, S. 369 ff. (377); a.A. Lübbe, in: NuR, 1994, S. 469 ff. (472); zur Unterscheidung zwischen angewandter Forschung und der Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse, welche von der Wissenschaftsfreiheit nicht geschützt wird, vgl. auch Wegehaupt, Wissenschaftsfreiheit, 1994, S. 41 f. 123 Vgl. Herzog, in: ZStW, 1993, S. 727 ff. (729).

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D. Rechtsgut Forschungsfreiheit in der Stammzellforschung

geschützt.124 Denn der wissenschaftliche Pluralismus verbietet die Durchsetzung einer bestimmten Wissenschaftsauffassung,125 was aus der steten Vorläufigkeit von Forschungsmethoden und Forschungsergebnissen folgt.126

V. Forschungsfreiheit in der Stammzellforschung und Eingriff durch das Stammzellgesetz Soweit die Merkmale des dargelegten Forschungsbegriffs vorhanden sind, ist auch die Forschung an embryonalen Stammzellen ohne Weiteres als Forschung zu qualifizieren.127 Zu dieser Forschung an embryonalen Stammzellen gehört auch ihre Gewinnung û sei es aus Embryonen oder aus dem Ausland û als notwendige Voraussetzung der Forschung. Durch den Erlass des Stammzellgesetzes erfolgt ein Eingriff in diese Forschungsfreiheit, wie in Kapitel C. III. gezeigt. Während die Gewinnung aus Embryonen in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz, welches nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist, verboten wird, ist die Gewinnung aus dem Ausland durch das Stammzellgesetz beschränkt und daher neben den Beschränkungen der Forschungsausübung direkt im vorliegenden Zusammenhang von Interesse. Damit dieser Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, müssten Grundrechte von Embryonen bei der Durchführung der Stammzellforschung beeinträchtigt werden, wie dies im gesetzgeberischen Zweck des Stammzellgesetzes in § 1 StZG impliziert ist. Diese möglichen Rechtsgüter von Embryonen müssen daher in Kapitel E. herausgearbeitet werden. Zur Frage, ob diese Rechtsgüter für Embryonen tatsächlich bestehen, wird in Kapitel F. Stellung bezogen. Danach erfolgt eine verfassungsrechtliche Würdigung der StZG-Vorschriften in Kapitel G. ___________ 124

Vgl. BVerwGE 102, S. 304 ff. (307, 311); vgl. Bethge, in: Sachs, Grundgesetz, 2003, Art. 5, Rn. 206; vgl. Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein, Grundgesetz, 2002, Art. 5 Abs. 3 I, Rn. 15; vgl. BVerfGE 90, S. 1 ff. (12) û Wahrheit für Deutschland; vgl. Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch, 1994, § 27, Rn. 3. 125 Vgl. BVerfGE 35, S. 79 ff. (113) û Niedersächsisches GesamthochschulG; vgl. BVerfGE 47, S. 327 ff. (367) û HUG; vgl. BVerfGE 90, S. 1 ff. (12) û Wahrheit für Deutschland; vgl. das Sondervotum Dr. Simon und Rupp-v. Brünneck, in: BVerfGE 35, S. 148 ff. (157 f.) û Hochschulreform; vgl. Bethge, in: Sachs, Grundgesetz, 2003, Art. 5, Rn. 206; vgl. Bauer, Wissenschaftsfreiheit, 1980, S. 40; vgl. Dickert, Naturwissenschaften, S. 158; vgl. Häberle, in: AöR, 1985, S. 329 ff. (356); vgl. Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein, Grundgesetz, 2002, Art. 5 Abs. 3 I, Rn. 24. 126 Vgl. Trute, Forschung, 1994, S. 59. 127 Vgl. Wahl, in: Freiburger Universitätsblätter, 1987, S. 19 ff. (29); vgl. Eser, in: FIöhl, Genforschung, 1985, S. 248 ff.; vgl. Riedel, in: EuGRZ, 1986, S. 469 ff. (472).

VI. Zusammenfassung von Kapitel D.

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VI. Zusammenfassung von Kapitel D. Als erste Verfassungsnorm, die einen Regelungsanspruch für die Forschung an embryonalen Stammzellen enthält, wurde Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG untersucht. Es wurde erläutert, dass die Forschung an embryonalen Stammzellen als Forschung im Sinne des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG anzusehen ist und dass das Stammzellgesetz einen Eingriff in diese Forschungsfreiheit darstellt. Dieser Eingriff besteht in der Beschränkung der Forschungsausübung selbst als auch in der Behinderung der Gewinnung von Stammzellen aus dem Ausland als notwendige Voraussetzung der Forschung.

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E. Mögliche Schranken der Forschungsfreiheit

E. Mögliche Schranken der Forschungsfreiheit im Rahmen der Stammzellforschung I. Schrankenproblem bei vorbehaltlos gewährten Grundrechten Wenn gegenläufige Freiheitsrechte der Grundrechtsträger aufeinander prallen, muss ein Gleichgewicht zwischen diesen gefunden werden.128 Auch der Gesetzgeber hat dies zu beachten und muss das Nebeneinander der verschiedenen Freiheitsinteressen durch normierten Freiheitsausgleich129 ermöglichen,130 was auch zur Notwendigkeit einer gesetzlichen Freiheitsbegrenzung führen kann.131 Besonders problematisch ist diese gesetzgeberische Aufgabe aber, wenn diejenigen Grundrechte eingeschränkt werden sollen, die û wie die Forschungsfreiheit132 û im Grundgesetz ohne ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt gewährleistet werden.133 Nach der herrschenden Meinung134 finden die vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte ihre Grenzen ausschließlich in der Verfassung ___________ 128

Vgl. Isensee, in: Paus, Werte, S. 131 ff. (157). Vgl. Schmidt-Aßmann, in: JZ, 1989, S. 205 ff. (210); vgl. Waechter, in: Der Staat, 1991, S. 19 ff. (22 f.). 130 Vgl. Isensee, in: Schwartländer, Freiheitsethos, 1981, S. 70 ff. (87), der den Staat als ýKoordinatorÿ der Freiheitsrechte beschreibt; vgl. auch Isensee, in: Paus, Werte, 1979, S. 131 ff. (159); vgl. des Weiteren Paus, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Bd. V, 2000, § 111, Rn. 142. 131 Vgl. Saladin, Verantwortung, 1984, S. 132 und 210 ff. 132 Vgl. Losch, Wissenschaftsfreiheit, 1993, S. 166 ff. 133 Vgl. Sachs, in: Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, § 81, S. 501 ff. 134 Vgl. Stern, in: Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, § 82, S. 624 f. und Stern, in: Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, § 69, S. 930; vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Grundgesetz, Bd. I, 1999, Art. 1, Rn. 240 f.; vgl. v. Münch, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz, Bd. I, 2000, Vorb., Rn. 57; vgl. Hesse, Verfassungsrecht, 1999, Rn. 312 und 403; vgl. Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, 2004, Rn. 260 und 318 ff.; vgl. Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 2004, Vorb., Rn. 139; vgl. Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 2004, Art. 5 III (Wissenschaft), Rn. 39 f.; vgl. Bethge, in: Sachs, Grundgesetz, 2003, Art. 5, Rn. 223; vgl. Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 2003, Vor Art. 1, Rn. 94 ff.; vgl. Mahrenholz, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch, 1994, § 26, Rn. 64 ff.; vgl. SchuIze-Fielitz, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch, 1994, § 27, Rn. 9; a.A. Kriele, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Bd. V, 2000, § 110, Rn. 70. 129

I. Schrankenproblem bei vorbehaltlos gewährten Grundrechten

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selbst,135 sind also auch einschränkbar.136 Dies geschieht aber nicht durch eine etwaige Übertragung von Schranken anderer Grundrechte137 oder der Treuklausel des Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG.138 Denn dadurch würde die Sonderstellung hinsichtlich ihrer Freiheitsgewähr gegenüber den Grundrechten mit Gesetzesvorbehalt aufgehoben.139 Die Einschränkung erfolgt durch die Kollision mit anderen Verfassungsgütern. Bei den Grundrechten mit Gesetzesvorbehalt wird dem einfachen Gesetzgeber die Einschätzungsprärogative zugestanden, auch nicht verfassungsrechtlich normierte Schutzgüter für eine Beschränkung von Grundrechten heranzuziehen mit entsprechend nur eingeschränkten Prüfungsmöglichkeiten durch das Bundesverfassungsgericht. Denn das Grundgesetz selbst ermächtigt den Gesetzgeber in diesen Fällen, Grundrechte einzuschränken. Eine weitere verfassungsrechtliche Legitimation bedarf es für den Gesetzgeber nicht. Bei vorbehaltlos gewährten Grundrechten fehlt diese Legitimation des Gesetzesvorbehalts. Wenn der Gesetzgeber hier grundrechtseinschränkend tätig werden will, so bedarf es eines von der Verfassung zwingend vorgeschriebenen Rechtsgutes zu Gunsten dessen die Einschränkung des Grundrechts, wie der Forschungsfreiheit, möglich ist. D. h. der Einschränkungszweck muss durch ___________ 135

Vgl. für die Glaubensfreiheit BVerfGE 28, S. 243 ff. (261) û Kriegsdienstverweigerung; vgl. BVerfGE 93, S. 1 ff. (21) û Kruzifixurteil; vgl. für die Kunstfreiheit BVerfGE 30, S. 173 ff. (193) û Mephisto; vgl. BVerfGE 33, S. 52 ff. (71) û Der lachende Mensch; vgl. BVerfGE 35, S. 202 ff. (244) û Lebach; vgl. BVerfGE 67, S. 213 ff. (228) û Anachronistischer Zug; vgl. für die Koalitionsfreiheit BVerfGE 94, S. 268 ff. (284) û Lektoren. 136 Vgl. Schmidt, in: NJW, 1973, S. 585 ff. (586 f.); vgl. Bettermann, Grenzen, 1976, S. 7 f.; vgl. Wahl, in: Freiburger Universitätsblätter, 1987, S. 19 ff. (24); vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig/Badura/Di Fabio/Herdegen/Herzog/Klein/Korioth/Lerche/Papier/Randelzhofer/Schmidt-Aßmann/Scholz, Grundgesetz, Bd. I, 2005, Art. 5 III, Rn. 51; vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. I, 1999, Art. 1 Abs. 3, Rn. 240; vgl. Schmidt-Aßmann, in: JZ, 1989, S. 205 ff. (210); vgl. Waechter, in: Der Staat, 1991, S. 19 ff. (21); vgl. Lerche, in: Däubler-Gmelin/Kinkel/Meyer/Simon, FS Mahrenholz, 1994, S. 515 ff. (522). 137 Vgl. Klein, in: v. Mangoldt/Klein, Grundgesetz, Die Grundrechte, Bd. I, 1957, Vorb. B XV 3 a; vgl. speziell für die Forschungsfreiheit Klein, in: v. Mangoldt/Klein, Grundgesetz, Bd. I, 1957, Art. 5, Anm. X 6; vgl. auch die Kritik von Alexy, Theorie, 2001, S. 107 ff. 138 Vgl. BVerfGE 30, S. 173 ff. (191 f.) û Mephisto; vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. I, 1999, Art. 5 Abs. 3, Rn. 302; vgl. Dreier, in: DVBl., 1980, S. 471 ff. (472); vgl. Hailbronner, in: WissR, 1980, S. 212 ff. (221); vgl. Bethge, in: Sachs, Grundgesetz, 2003, Art. 5, Rn. 223; vgl. Schulze-Fielitz, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch, § 27, Rn. 10; vgl. Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Grundgesetz, 2004, Art. 5, Rn. 33 i.V.m. Vorb. Art. 1, Rn. 20. 139 Vgl. Bleckmann, Staatsrecht II, 1997, S. 432 f.

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E. Mögliche Schranken der Forschungsfreiheit

das Grundgesetz allein legitimiert sein.140 Das Erfordernis des zwingenden Vorgeschriebenseins folgt daraus, dass andernfalls eine Freiheitsgewährung nach den Vorstellungen des Gesetzgebers, nicht nach den Vorstellungen des Verfassunggebers, eingeschränkt würde, was gerade durch das Fehlen des Gesetzesvorbehalts verhindert werden soll. Die Nachweispflicht trifft den Gesetzgeber, dass die der Forschungsfreiheit entgegenstehende Gewährleistung zwingendes Verfassungsrecht darstellt. Die bloße Behauptung, dass der Schutz eines ÿhöherrangigen Gemeinschaftsgutesþ141 die Begrenzung erfordere, reicht zu diesem Nachweis nicht aus.142 Das Vorhandensein widerstreitender Verfassungsgüter hat zur zwangsläufigen Folge, dass nicht alle verfassungsgeforderten Rechte ohne Berücksichtigung anderer Rechte verwirklicht werden können.143 Es wurde eingewandt, das Kollisionsmodell führe zu einem zu starken Rückgriff auf die Verfassung, zu einer Vergrundrechtlichung des einfachen Rechts144 mit einer übermäßigen Ausweitung der Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts.145 Diese Kritik verkennt aber, dass die Verfassung eine Rahmenordnung darstellt, woraus sich der Verfassungsbezug aller einfachgesetzlichen Regelungen ergibt. Ist nun ein solches verfassungsrechtlich zwingendes Schutzgut gefunden, hat daher eine darauffolgende Abwägung zwischen den kollidierenden Rechtsgütern zu erfolgen, um eine Kollisionslösung unter Zugrundelegung einer Verhältnismäßigkeitskontrolle zu ermöglichen. Im Kapitel G. soll geprüft werden, ob das Stammzellgesetz diesen Ausgleich verfassungsrechtlich zulässig vornimmt. Abzulehnen ist die Kritik an einem Abwägungsvorgehen wegen der damit zusammenhängenden Rechtsunsicherheit,146 bedingt durch subjektivirrationale Wertungen.147 Denn jede Interpretation ist von einem gewissen Maß an Unsicherheit geprägt, welche die Berechtigung des Abwägungsvorgangs an sich nicht in Frage stellen kann. ___________ 140

Vgl. BVerfGE 47, S. 327 ff. (370) û HUG. BVerwGE 2, S. 89 ff. (93), abgelehnt durch BVerfGE 7, S. 377 ff. (411) û Apotheken-Urteil. 142 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, 1999, Rn. 309. 143 Vgl. Iliadou, Forschungsfreiheit, 1999, S. 99. 144 Vgl. Starck, in: JuS, 1981, S. 237 ff. (246); vgl. Kriele, in: JA, 1984, S. 629 ff. (631); vgl. Peters, in: ZöR, 1996, S. 159 ff. (178 f.). 145 Vgl. Starck, in: JuS, 1981, S. 237 ff. (246); vgl. Habermas, Faktizität, 2001, S. 315. 146 Vgl. Leisner, in: NJW, 1997, S. 636 ff. (638); vgl. Habermas, Faktizität, 2001, S. 315 f. 147 Vgl. Müller/Christensen, Methodik, 2004, S. 72 f.; vgl. Peters, in: ZöR, 1996, S. 159 ff. (172 ff.). 141

II. Schutzgut Leben bei Grundrechtsschutz von Embryonen

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Für die die Forschungsfreiheit im Zusammenhang mit der Stammzellforschung möglicherweise einschränkenden Verfassungsrechte wird wieder von den Vorstellungen des Gesetzgebers ausgegangen, der in § 1 StZG als Gesetzeszweck anführt, ýdie Menschenwürde und das Recht auf Leben zu achten und zu schützen.ÿ Der Gesetzgeber ist offensichtlich vom Gedanken getragen, dass durch das Stammzellgesetz das Recht auf Leben und die Menschenwürde von Embryonen (indirekt) geschützt werden sollen, denn die Stammzellen sind unstreitig keine Menschen. Aus ihnen kann sich nämlich nicht einmal mehr ein Mensch entwickeln. Der Gesetzgeber geht also davon aus, dass Embryonen der Menschenwürde- und Lebensschutz des Grundgesetzes zukomme. Dieser Annahme soll für die weiteren Abschnitte des Kapitels A. gefolgt werden, bevor in Kapitel F. untersucht wird, ob diese Annahme des Lebens- und Menschenwürdeschutzes für In-vitro-Embryonen verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.

II. Schutzgut Leben im Rahmen der Stammzellforschung aus Sicht des Stammzellgesetzgebers und derjenigen Literatur, die dem Embryo in vitro Grundrechtsschutz zukommen lässt Das Bundesverfassungsgericht legte im zweiten Fristenlösungsurteil dar, dass das Grundgesetz vom Staat in bestimmten Grenzen einen Schutz des menschlichen Lebens aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG fordert.148 Wenn man dem Embryo Grundrechtsschutz zukommen lässt, so wird dieses Grundrecht durch die Stammzellgewinnung aus Embryonen beeinträchtigt, da der Embryo bei der Stammzellgewinnung stirbt, was auch nach Ansicht des Stammzellgesetzgebers zutrifft und damit die Beschränkung der Forschungsfreiheit rechtfertigt. Die Stammzellen selbst sind durch das Grundgesetz nicht geschützt, da sie nicht einmal das Potenzial besitzen, sich zu einem Menschen zu entwickeln, sondern nur zu unterschiedlichen Geweben. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass eine Beeinträchtigung des Lebensrechts von Embryonen durch die nach dem Stammzellgesetz ausnahmsweise genehmigungsfähige Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen bereits durch die Stichtagsregelung gänzlich ausgeschlossen ist, nach der nur an solchen embryonalen Stammzellen geforscht werden darf, für welche menschliche Embryonen in vitro vor dem 1.1.2002 gestorben sind (vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 1 a StZG). Dieser Stichtag liegt vor dem Inkrafttreten des Stammzellgesetzes am 1.7.2002 (vgl. § 16 StZG), vor dem Gesetzesbeschluss des Bundestages am 25.4.2002 und vor dem Ankündungsbeschluss des Bundestages am 30.1.2002, ein Stammzellgesetz zu erlassen. Es ist unmittelbar einsich___________ 148

Vgl. BVerfGE 88, S. 203 ff. (251) û Zweites Fristenlösungsurteil.

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E. Mögliche Schranken der Forschungsfreiheit

tig, dass es hierbei nicht mehr um den Lebensschutz bereits getöteter Embryonen gehen soll,149 denn die Annahme eines ÿpostmortalen Lebensschutzesþ wäre paradox.150 Der Gesetzeszweck des Stammzellgesetzes, das Leben menschlicher Embryonen in vitro zu schützen, entfaltet sich also nur für die Zukunft, indem durch die Stichtagsregelung des § 4 Abs. 2 Nr. 1 a StZG im Sinne des Gesetzeszwecks vermieden wird, dass zukünftig von Deutschland aus eine embryonenverbrauchende Gewinnung embryonaler Stammzellen auch nur indirekt durch steigernde Nachfrage veranlasst wird.151

III. Menschenwürdegarantie im Rahmen der Stammzellforschung 1. Garantiegehalt der Menschenwürde Bevor eine mögliche Relevanz der Menschenwürdegarantie aus Art. 1 Abs. 1 GG für den Sachverhalt der Forschung an embryonalen Stammzellen untersucht werden kann, ist die Erörterung ihres Garantiegehalts erforderlich.152 Die Menschenwürde ist untrennbar mit der Anerkennung des Menschen durch die Rechtsordnung als Rechtssubjekt verknüpft.153 Daher ist der Begriff der Menschenwürde durch die Anknüpfung an die menschliche Personalität festzustellen.154 Die Personalität der Menschen wiederum beruht auf ihrer (prinzipiellen) Fähigkeit, autonom und selbstbestimmt zu handeln.155 ___________ 149

Vgl. Haltern/Viellechner, in: JuS, 2002, 1197 ff. (1200). Vgl. Correll, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein, Grundgesetz, 2002, Art. 2 Abs. 2 Rn. 32, 38, 44; vgl. Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz, Bd. I, 2000, Art. 2 Rn. 46, 49; vgl. Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, 2003, Art. 2 Rn. 141 f.; vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.) Grundgesetz, Bd. I, 1996, Art. 2 Abs. 2 Rn. 16, 23; vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. I, 1999, Art. 2 Abs. 2 Rn. 176: ýDas Recht auf Leben endet mit dem Hirntod.ÿ 151 Vgl. § 1 Nr. 2 StZG. 152 Vgl. Höfling, in: JuS, 1995, S. 857 ff. (857); vgl. Leisner, Privatrecht, 1960, S. 140 ff.; vgl. Geddert-Steinacher, Menschenwürde, S. 22 ff. 153 Vgl. Kriele, Staatslehre, 2003, S. 184; vgl. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 501 ff.; vgl. Stern, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Bd. V, 2000, § 108, Rn. 3 ff.; vgl. Stern, in: Achterberg/Krawietz/Wyduckel, FS Scupin, 1983, S. 627 ff. (629); vgl. Hesse, Verfassungsrecht, 1999, Rn. 116; vgl. BVerfGE 5, S. 85 ff. (204) û KPD-Urteil; vgl. BVerfGE 30, S. 1 ff. (25) û Abhör-Urteil; vgl. Hofmann, in: AöR, 1993, S. 353 ff. (364); vgl. Häberle, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Bd. II, 2004, § 22, Rn. 52. 154 Vgl. BVerfGE 30, S. 173 ff. (194) û Mephisto; vgl. Dürig, in: JR, 1952, S. 259 ff.; vgl. die Kritik von Künkele, Auswirkungen, 1958, S. 12 f. 155 Vgl. Nettesheim, in: AöR, 2005, S. 71 ff. (93). 150

III. Menschenwürdegarantie im Rahmen der Stammzellforschung

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Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umschreibt den Garantiegehalt der Menschenwürde negativ durch Verletzungssachverhalte.156 Dadurch können auch solche Sachverhalte erfasst werden, die neuartige Bedrohungen der Menschenwürde darstellen,157 wobei aber ein Vorverständnis des Verletzbaren notwendig ist.158 Die Objektformel kann diesem Menschenwürdeverständnis zugeordnet werden.159 Sie wurzelt in der Moralphilosophie Kants und diente dem Bundesverfassungsgericht häufig als Interpretationsansatz, nach dem eine Menschenwürdeverletzung vorliegt, wenn der Mensch zum bloßen Objekt im Staat gemacht wird.160 Der Mensch wird mittels der Autonomie seiner Freiheit als Zweck an sich verstanden und es wird als praktischer Imperativ formuliert: ýHandle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.ÿ161 Dagegen existieren auch verschiedene Ansätze, den Garantiegehalt der Menschenwürde positiv zu bestimmen, was meist durch eine Aufzählung der Komponenten der Würde geschieht.162 So werden die Wahrung menschlicher Identität, Integrität, Existenzsicherung und rechtlicher Gleichheit sowie die Begrenzung staatlicher Gewaltanwendung als Elemente der Würde genannt.163 Es ist aber problematisch, dass dieses Konzept eine zureichende Unterscheidung zwischen einfachem Grundrechtseingriff und Verstoß gegen die Menschenwürde nicht ermöglicht.164 Insbesondere stellt nicht jeder Eingriff in das Lebensrecht zugleich eine Verletzung der Menschenwürde dar.165 Der polizeiliche Todesschuss zur Rettung einer Geisel verletzt zwar das abwägbare Lebensrecht des ___________ 156

Vgl. BVerfGE 30, S. 1 ff. (25) û Abhör-Urteil; vgl. Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, 2004, Rn. 358; vgl. Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz, Bd. I, 2000, Art. 1, Rn. 22; vgl. Stern, in: Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, § 58, S. 24; vgl. Classen, in: Beckmann/Istel/Leipoldt/Reichert, 1991, S. 93 ff. (93 f.). 157 Vgl. Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 2004, Art. 1 I, Rn. 51. 158 Vgl. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 386; vgl. Suhr, Entfaltung, 1976, S. 76 f. 159 Vgl. Wintrich, in: Süsterhenn/Freiherr v. d. Heydte/Geiger, FS Laforet, 1952, S. 227 ff. (235 f.); vgl. Dürig, in: AöR, 1956, S. 117 ff. (127). 160 Vgl. BVerfGE 45, S. 187 ff. (228) û Lebenslange Freiheitsstrafe. 161 Kant, hrsg. von Vorländer, Metaphysik, 1994, S. 52. 162 Vgl. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 10 ff. 163 Vgl. Gallwas, Grundrechte, 1995, Rn. 24; vgl. Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, 2003, Art. 1, Rn. 19 ff. 164 Vgl. Geddert-Steinacher, Menschenwürde, 1990, S. 117. 165 Vgl. Lerche, in: Lukes/Scholz, Vorträge, 1986, S. 88 ff. (108); vgl. Steiner, Leben, 1992, S. 13; vgl. Vollmer, Genomanalyse, 1989, S. 88; a.A. Starck, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. I, 1999, Art. 1 Abs. 1 Rn. 84; vgl. Neumann, in: ARSP, 1998, S. 153 ff. (159).

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E. Mögliche Schranken der Forschungsfreiheit

Geiselnehmers, verletzt aber seine unabwägbare Menschenwürde nicht.166 Es wird daher dem Konzept der negativen Umschreibung der Menschenwürde der Vorzug gegeben.167

2. Menschenwürde und Stammzellforschung aus Sicht derjenigen Literatur, die dem Embryo in vitro Grundrechtsschutz zukommen lässt a) Notwendige Unterscheidungen Die Gewinnung embryonaler Stammzellen vom Embryo in vitro unter Inkaufnahme seines Absterbens zu Forschungszwecken ist nicht anders zu bewerten als die unmittelbare Forschung am Embryo selbst, soweit hierbei ebenfalls sein Absterben in Kauf genommen wird. Denn beiden Sachverhalten ist die Inanspruchnahme des Lebens der Embryonen für Drittinteressen gemeinsam. Dies ermöglicht es, im Rahmen dieser Erörterung auch auf Stellungnahmen zum Bereich ýForschung an Embryonenÿ Bezug zu nehmen. Eine differenzierte Betrachtung der Stammzellgewinnung aus überzähligen Embryonen einerseits und eigens zu diesem Zweck hergestellter Forschungsembryonen andererseits ist wegen einer eventuell unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Bewertung der beiden Sachverhalte im Hinblick auf eine Menschenwürdeverletzung geboten. Das therapeutische Klonen ist dabei als Unterfall des zweckgerichteten Herstellens von Embryonen in vitro zur Stammzellengewinnung zu sehen, bei dem die Embryonen durch ungeschlechtliche Vermehrung erzeugt werden.168

b) Gewinnung von Stammzellen aus Forschungsembryonen Die Benda-Kommission sah mehrheitlich die Erzeugung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken und damit entsprechend auch zur Stammzellgewinnung als einen Verstoß gegen die Menschenwürde an, da diese so bloßes Mittel zum Zweck seien.169 Ähnlich äußerte sich Günther vor dem Hintergrund des Gesetzgebungsverfahrens zum Erlass des Embryonenschutzgesetzes: ýHandelt es sich aber beim menschlichen Embryo um einen úMenschenù im ___________ 166

Vgl. Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 2004, Art. 1 I, Rn. 68. Vgl. Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 2004, Art. 1 I, Rn. 58; vgl. Häberle, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Bd. II, 2004, § 22, Rn. 45. 168 Vgl. May, Fortpflanzungsmedizin, 2003, S. 194 ff. 169 Vgl. Benda (u. a.), in: Bundesministerium der Justiz und Bundesministerium für Forschung und Technologie (Hrsg.), Kommissionsbericht, 1985, S. 49. 167

III. Menschenwürdegarantie im Rahmen der Stammzellforschung

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Sinne des Art. 1 Abs. 1 GG und kommt ihm die Würdegarantie dieser Verfassungsnorm zu, dann stellt die gezielte Erzeugung menschlicher Embryonen ausschließlich zum Zwecke, sie für Drittinteressen zu úbenutzenù geradezu den klassischen Fall einer Menschenwürdeverletzung dar: Die Existenzberechtigung solcher Art erzeugter menschlicher Keimlinge erschöpfte sich darin, als (Forschungs-)Objekt für andere zu dienen.ÿ170 Ähnlich äußern sich zahlreiche andere Stimmen, die dem Embryo in vitro Grundrechtsschutz zukommen lassen, von denen Pap stellvertretend zitiert werden soll: ýIm Dienste wissenschaftlicher Erkenntnis werden Embryonen zum bloßen Experimentiermaterial degradiert. Indem man das in ihnen angelegte Lebensprogramm von vorneherein an seiner Entfaltung hindert, wird ihnen jede Entwicklungschance genommen. Dadurch wird ihre potentielle û und damit im Rahmen des Art. 1 I GG bereits aktuelle û Subjektqualität bewusst vollständig negiert.ÿ171 Ist ein Sachverhalt, der einer grundrechtsberechtigten Person zugerechnet werden kann, als menschenwürdewidrig zu klassifizieren, dann ist er grundgesetzlich unter keinen Umständen zu rechtfertigen.172 Von diesen Überlegungen geleitet, wird daher die Gewinnung von Stammzellen aus Forschungsembryonen bei Zuerkennung eines Grundrechtsschutzes für Embryonen in vitro zurecht als verfassungswidrig abgelehnt.173

c) Gewinnung von Stammzellen aus überzähligen Embryonen Die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus überzähligen IVF-Embryonen wird zum Teil nicht als Menschenwürdeverstoß angesehen174 und eine ___________ 170

Günther, in: MedR, 1990, S. 161 ff. (162); vgl. Graf Vitzthum, in: MedR, 1985, S. 249 ff. (256); vgl. Laufs, in: NJW, 2000, S. 2716 ff. (2717); vgl. Höfling, in: FAZ, 10.07.2001, S. 8; vgl. Eser, in: Günther/Keller, Fortpflanzungsmedizin, 1991, S. 263 ff. (288); vgl. Schreiber, in: Schütz/Kaatsch/Thomsen, Medizinrecht, 1991, S. 120 ff. (127); vgl. Selb, Rechtsordnung, 1987, S. 124. 171 Pap, in: MedR, 1986, S. 229 ff. (234); vgl. Pap, Embryotransfer, 1987, S. 258; vgl. Laufs, Grenzen, 1987, S. 29 f.; vgl. Graf Vitzthum, in: Günther/Keller, Fortpflanzungsmedizin, 1991, S. 66 ff. (73 f.); vgl. Herdegen, in: JZ 2001, S. 773 ff. (776); vgl. Taupitz, in: NJW 2001, S. 3433 ff. (3438). 172 Vgl. May, Fortpflanzungsmedizin, 2003, S. 198; vgl. Losch, in: NJW, 1992, S. 2926 ff. (2930); vgl. Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz, Bd. I, 2000, Art. 1 GG, Rn. 26; vgl. Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, 2003, Art. 1 GG, Rn. 6, 10 und 11; vgl. Graf Vitzthum, in: Günther/Keller, Fortpflanzungmedizin, 1991, S. 66 ff. (73 f.). 173 Vgl. Taupitz, in: NJW, 2001, S. 3433 ff. (3438 f.); vgl. Herdegen, in: JZ, 2001, S. 773 ff. (776). 174 Vgl. Graf Vitzthum, in: ZRP, 1987, S. 33 ff. (36) als Frage aufgeworfen; vgl. Graf Vitzthum, in: Günther/Keller, Fortpflanzungmedizin, 1991, S. 66 ff. (74 f.).

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E. Mögliche Schranken der Forschungsfreiheit

Lockerung des Embryonenschutzgesetzes für diesen Fall als verfassungsrechtlich möglich angenommen.175 Es wird argumentiert, dass der überzählige Embryo keine Möglichkeit hat, jemals geboren zu werden bzw. ohnehin dem Tode geweiht sei176 und dass eine ÿDegradierung zum Forschungsobjekt durch hochrangige medizinische Erkenntniszieleÿ177 aufgewogen werden könne. Auch sei in diesen Fällen eine staatlich zugelassene Entscheidung über lebenswert oder lebensunwert nicht möglich, da die embryonale Weiterentwicklung ausgeschlossen sei. Das Absterbenlassen und das Verbrauchen zu hochrangigen Forschungszwecken zum Wohle der Menschheit weichen qualitativ nicht voneinander ab.178 Es wird gar argumentiert, der ursprüngliche Zweck der Embryonenherstellung, die Schaffung menschlichen Lebens mittels In-vitro-Fertilisation, decke im Falle der Nichttransferierbarkeit auch den Zweck des Verbrauchs für die Zielsetzungen ab, ýdie einen definitiven Beitrag zur Erhaltung von Leben und Gesundheit konkreter und konkretisierbarer Individuen leistenÿ.179 Von der Gegenmeinung, auch vom Gesetzgeber des Stammzellgesetzes, wird auch in der Gewinnung embryonaler Stammzellen aus überzähligen Embryonen, unabhängig von möglichen hochrangigen Zielen, ein Menschenwürdeverstoß gesehen und daher abgelehnt.180 Geht man davon aus, dass Embryonen in vitro ein Grundrechtsschutz zukommt, so ist dies die vorzugswürdige Ansicht. Denn der Menschenwürdeschutz verbietet gerade eine Abwägung zwischen einem Nutzen für die Allgemeinheit und dem einzelnen menschlichen Leben.181 Insbesondere kann dann aber auch das Argument des ýOhnehinTodgeweihtseinsÿ entkräftet werden, da diese für den Embryo aussichtslose Lage bezüglich seines Weiterlebens nicht noch eine Tötung zu fremden Zwecken rechtfertigt. Man denke sich zur Verdeutlichung den Sachverhalt mit ge___________ 175

Vgl. DFG, Empfehlungen, 2001, Ziffer 9, 10 i.V.m. 14; vgl. Taupitz, in: Die Zeit, 05.07.2001, S. 26 ff.; vgl. Eser, in: Eser/v. Lutterotti/Sporken, Lexikon, 1992, Sp. 511 f.; vgl. Eser, in: Günther/Keller, Fortpflanzungmedizin, 1991 S. 263 ff. (288); vgl. Merz, Reproduktionsmedizin, 2000, S. 295 ff. (296). 176 Vgl. Bernat, Rechtsfragen, 1989, S. 75-77; vgl. Deutsch, in: MDR, 1985, S. 177 ff. (180); vgl. Fechner, in: JZ, 1986, S. 653 ff. (659). 177 Eser, in: Opolka, Respekt, 1989, S. 112 ff. (126 f.). 178 Vgl. Hofmann, in: JZ 1986, S. 253 ff. (258). 179 Graf Vitzthum, in: Günther/Keller, Fortpflanzungmedizin, 1991, S. 66 ff. (74 f.). 180 Vgl. Graf Vitzthum, in: Maurer/Häberle/Schmitt Glaeser/Dürig, FS Dürig, 1990, S. 185 ff. (196 f.); vgl. Günther, in: GA, 1987, S. 433 ff. (438 f. und 452 f.); vgl. Pap, in: MedR, 1986, S. 229 ff. (234); vgl. Graf Vitzthum, in: MedR, 1985, S. 249 ff. (256); vgl. Selb, Rechtsordnung, 1987, S. 122. 181 Vgl. Born, in: Jura, 1988, S. 225 ff. (228); vgl. Laufs, Grenzen, 1987, S. 31; vgl. Günther, in: MedR, 1990, S. 161 ff. (164); vgl. Pap, Embryotransfer, 1987, S. 248 ff.; vgl. Beckmann, in: ZRP, 1987, S. 80 ff. (85); vgl. Selb, Rechtsordnung, 1987, S. 123.

III. Menschenwürdegarantie im Rahmen der Stammzellforschung

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borenen Menschen, die man gerade nicht töten darf, um wissenschaftliche Experimente zu ermöglichen, deren Erkenntnisse viele Menschen heilen könnten. Dies wäre ein Verhalten, welches in die Nähe der grausamen Menschenversuche während der Naziherrschaft zu bringen wäre. Etwas anderes kann auch selbst dann nicht gelten, wenn diese Menschen sowieso etwa aufgrund einer Krankheit dem sicheren Tod geweiht sind. Denn auch den sicheren Tod vor Augen, darf der Mensch nicht bloß zum Mittel für wenigstens noch für Dritte nützliche Zwecke gemacht werden. Instrumentalisierung fremden Lebens ist bei Sterbenden und damit ýohnehin Verlorenenÿ genauso verboten wie bei Gesunden, gerade weil sie menschenwürdewidrig ist.182

3. Menschenwürde und Stammzellforschung aus Sicht des Gesetzgebers des Stammzellgesetzes Durch die Stichtagsregelung ist einerseits eine Menschenwürdeverletzung von noch lebenden Embryonen durch ihre Tötung ausgeschlossen. Andererseits verletzt die Forschung an Stammzellen nicht die Menschenwürde der Stammzellen, da diese nicht einmal mehr das Potenzial besitzen, sich zu einem geborenen Menschen zu entwickeln. Um daher eine über die Stichtagsregelung hinausgehende Beschränkung der Forschungsfreiheit zu rechtfertigen, ist eine weitere Schutzrichtung nach Vorstellung des Gesetzgebers erforderlich: Die Menschenwürdegarantie aus Art. 1 Abs. 1 GG vermag prinzipiell eine postmortale Schutzdimension zu entfalten.183 Es ist daher davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit dem Genehmigungsvorbehalt des § 6 Abs. 1 StZG und den strikten Genehmigungsvoraussetzungen der §§ 4 Abs. 2 und 3 sowie § 5 StZG einem postmortal nachwirkenden Menschenwürdeschutz im Sinne einer Theorie der ýFrüchte des verbotenen Baumesÿ Rechnung tragen wollte, wenn in Deutschland Nutzen aus einer vor dem Stichtag des 1.1.2002 im Ausland begangenen Menschenwürdeverletzung gezogen wird. Die Nutzung der Früchte ___________ 182

Vgl. Merkel, Forschungsobjekt, 2002, S. 227. Vgl. BVerfGE 30, S. 173 ff. (194) û Mephisto; vgl. Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 2004, Art. 1 I Rn. 72 ff.; vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig/Badura/Di Fabio/ Herdegen/Herzog/Klein/Korioth/Lerche/Papier/Randelzhofer/Schmidt-Aßmann/Scholz, Grundgesetz, Bd. I, 2005, Art. 1 Abs. 1 Rn. 52 ff.; vgl. Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Bd. I, 2005, Art. 1 Rn. 53 f.; vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 2002, Art. 1 Rn. 6; vgl. Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz, Bd. I, 2000, Art. 1 Rn. 15; vgl. Podlech, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein, Grundgesetz, 2002, Art. 1 Abs. 1 Rn. 49, 59; vgl. Robbers in: Umbach/Clemens, Grundgesetz, Bd. I, 2002, Art. 1 Rn. 21; vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. I, 1999, Art. 1 Abs. 1 Rn. 19; vgl. Wiedemann, in: Umbach/Clemens, Grundgesetz, Bd. I, 2002, Art. 2 Abs. 2 Rn. 294, 295 ff. 183

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E. Mögliche Schranken der Forschungsfreiheit

des verbotenen Baums solle noch einmal die Menschenwürde der verstorbenen Embryonen nachwirkend verletzen: ýDie Tatsache, dass die Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen die Vernichtung eines Embryos zum Ursprung hatte, gebietet es jedoch, über eine Stichtagsregelung hinaus die Einfuhr und die Verwendung embryonaler Stammzellen von weiteren strengen Voraussetzungen abhängig zu machen.þ184 Als weitere wichtige Schlussfolgerung bezüglich des gesetzgeberischen Verständnisses im Zusammenhang mit der Stammzellforschung kann gesagt werden, dass nach Meinung des Gesetzgebers dem Embryo der Schutz der Grundrechte zukommen muss und dass durch die Stammzellgewinnung auch aus überzähligen Embryonen die Menschenwürde der Embryonen verletzt wird. Denn wenn schon die Gewinnung aus Embryonen keine Menschenwürdeverletzung darstellt, sind auch die Stammzellen keine Frucht des verbotenen Baums, weil der Baum eben gerade nicht hinsichtlich einer Menschenwürdeverletzung ein verbotener ist. Dieses Ergebnis ist nun auch mit der Lösung des Embryonenschutzgesetzes leicht in Einklang zu bringen: Die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen, selbst wenn sie überzählig sind, ist durch das Embryonenschutzgesetz verboten, eben weil jedem Embryo auch in vitro der Schutz der Menschenwürde zukommen soll, die durch deren Verwendung ýzu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweckþ185 verletzt wird. Mit anderen Worten: Einen Menschenwürdebezug im Sinne des Schutzes noch lebender Embryonen hat daher die Stichtagsregelung in § 4 Abs. 2 Nr. 1 a StZG. Die Genehmigungsvoraussetzungen des § 4 Abs. 2 Nr. 1 b und c StZG haben dagegen einen Menschenwürdebezug in der Verhinderung der postmortalen Perpetuierung des vor dem 1.1.2002 im Ausland stattgefundenen Menschenwürdeverstoßes. Danach dürfen nur ýüberzähligÿ gewordene, ursprünglich zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugte (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 b StZG), ýnicht-kommerzialisierteÿ (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 c StZG) menschliche Embryonen zur Gewinnung der menschlichen embryonalen Stammzeilen ýdiskriminierungsfreiÿ (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 b StZG) ausgewählt worden sein.186

___________ 184

Deutscher Bundestag, StZGE, BT-Drucksache 14/8394, S. 8, 2002; Ablehnend zu dieser Verfassungskonzeption des Gesetzgebers Taupitz, in: Amelung/Beulke/Lilie/Rosenau/Rüping/Wolfslast, FS Schreiber, 2003, S. 903 ff. (906 f.); vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig/Badura/Di Fabio/Herdegen/Herzog/Klein/Korioth/Lerche/Papier/Randelzhofer/Schmidt-Aßmann/Scholz, Grundgesetz, Bd. I, 2005, Art. 1 Abs. 1, Rn. 109; vgl. Kloepfer, in: JZ, 2002, S. 417 ff. (427). 185 § 2 Abs. 1 ESchG. 186 Vgl. Dederer, in: JZ, 2003, S. 986 ff. (993).

IV. Zusammenfassung von Kapitel E.

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Als letzte Schlussfolgerung kann gezogen werden, dass der Gesetzgeber diesen postmortal nachwirkenden Menschenwürdeschutz nicht als absolut, sondern abwägungsoffen, ansieht.187 So konnte er unter den im Stammzellgesetz genannten strengen Genehmigungsvoraussetzungen eine Einfuhr und Verwendung embryonaler Stammzellen selbst im Lichte dieses postmortal nachwirkenden Menschenwürdeschutzes für verfassungsrechtlich vertretbar erachten. Denn so würde ein verhältnismäßiger Ausgleich mit der Forschungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG wie auch mit dem Lebens- und Gesundheitsschutz zugunsten von Patienten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, die auf die Entwicklung neuer Therapien durch die Stammzellforschung hoffen, erreicht. Hochrangig und alternativlos im Sinne des § 5 StZG sind im Lichte dieser verfassungsrechtlichen Konzeption dann diejenigen Forschungsziele, welche der absolut notwendigen Forschung ein solches Gewicht beimessen, dass ihr der Vorrang vor dem postmortal nachwirkenden Schutz der Menschenwürde zukommt,188 also wenn sie die Therapie schwerer Krankheiten zum Gegenstand haben und die Erkenntnisse nicht auf anderem Wege als durch Stammzellforschung erhalten werden können.189 Ob ein so aufgefasster postmortaler Menschenwürdeschutz vor der Verfassung Bestand haben kann, soll in Kapitel G. II. 4. geprüft werden.

IV. Zusammenfassung von Kapitel E. In diesem Kapitel wurde gezeigt, dass bei Annahme eines Grundrechtsschutzes von Embryonen jede Art der Gewinnung von Stammzellen û aus überzähligen Embryonen oder aus Forschungsembryonen û nach vorzugswürdiger Ansicht eine Verletzung des grundgesetzlichen Lebensrechts und der Menschenwürdegarantie darstellt. Dann wurde abgeleitet, dass das Stammzellgesetz nur ___________ 187

Vgl. BVerfGE 30, S. 173 ff. (196 ff.) û Mephisto; a.A. Haltern/Viellechner, in: JuS, 2002, S. 1197 ff. (1202 f.). In BVerfG, in: NJW, 2001, S. 2957 ff. (2958 f.) hat das Bundesverfassungsgericht aber für das aus Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete postmortale Persönlichkeitsrecht die Abwägbarkeit verneint: ýSteht fest, dass eine Maßnahme in den Schutzbereich des postmortalen Persönlichkeitsrechts eingreift, ist zugleich ihre Rechtswidrigkeit geklärt. Der Schutz kann nicht etwa im Zuge einer Güterabwägung relativiert werden.ÿ Den hierin liegenden, offensichtlichen Widerspruch zum Mephisto-Beschluss hat die Kammer offenbar nicht bemerkt. In der älteren Entscheidung BVerfGE 30, S. 173 ff. (196) û Mephisto hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich den Ansatz der Fachgerichte bestätigt, die ýSpannungslage zwischen den durch die Art. 1 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Bereichen [...] in einer Abwägung der widerstreitenden Interessenÿ zu lösen. 188 Vgl. Dederer, in: JZ, 2003, S. 986 ff. (993). 189 Vgl. Schroth, in: JZ, 2002, S. 170 ff. (178).

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E. Mögliche Schranken der Forschungsfreiheit

dann in sich logisch ist, wenn dem Gesetzgeber die Vorstellung einer ganz bestimmten verfassungsrechtlichen Konzeption im Rahmen der Stammzellforschung unterstellt wird. Es wurde erörtert, dass auch der Gesetzgeber davon ausgeht, dass den Embryonen der volle Grundrechtsschutz von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zukommt und dass die Gewinnung von Stammzellen eine Verletzung dieser Grundrechte darstellt. Die entscheidende Frage war dann, inwiefern der Gesetzgeber nach seinen Vorstellungen in der Stammzellforschung eine Menschenwürdeverletzung sieht. Es wurde gezeigt, dass der Gesetzgeber sowohl die Menschenwürde noch lebender Embryonen schützen wollte als auch einem postmortal nachwirkenden Menschenwürdeschutz Rechnung tragen wollte, der aus der Verletzung der Menschenwürde bei der Stammzellgewinnung im Sinne der Verwendung einer Frucht des verbotenen Baumes resultiert und durch die Stammzellforschung perpetuiert wird. Während der erste Aspekt einen absoluten Menschenwürdeschutz lebender Embryonen gebietet, der durch die Stichtagsregelung gewährleistet wird, fordert der zweite Aspekt einen relativen Menschenwürdeschutz, der gegen die Forschungsfreiheit abgewogen wird und durch die Stichworte Hochrangigkeit und Alternativlosigkeit der Forschung charakterisiert wird.

II. Dogmatische Ableitung eines Grundrechtsschutzes

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F. Existiert ein Grundrechtsschutz von Embryonen? I. Vorbereitender Überblick Die bisherige Untersuchung unterstellte, dass Embryonen der Menschenwürde- und Lebensschutz des Grundgesetzes zukommt. Für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des Stammzellgesetzes ist aber zu prüfen, ob dieser Status dem Embryo von Verfassung wegen tatsächlich zukommt. Hierzu ist es erforderlich, den Status des Embryos zu bestimmen, auf dessen Schutz es im Stammzellgesetz ankommt. Für die Legitimität des Zwecks, die Embryonen in ihrem Lebensrecht und ihrer Menschenwürde zu schützen, ist bei der vorbehaltlos gewährten Forschungsfreiheit nämlich notwendigerweise darzulegen, dass den In-vitro-Embryonen tatsächlich das verfassungsrechtlich verbürgte Lebensrecht und die Menschenwürdegarantie zukommt. Dies kann entweder dann der Fall sein, wenn Embryonen selbst a priori Grundrechtssubjekte sind oder wenn bei Ablehnung einer Grundrechtssubjektivität verfassungsrechtlich zwingende Gründe vorliegen, die eine Erhebung der Embryonen als Nichtgrundrechtssubjekte in den Schutzbereich der Grundrechte gebieten. Denn nichtverfassungsrechtliche Überlegungen sind nicht in der Lage, als Gegengewicht zur vorbehaltlos gewährten Forschungsfreiheit zu fungieren. Denn sonst könnte der Gesetzgeber gesellschaftliche (nicht verfassungsrechtliche) Erwägungen zur Einschränkung der Forschungsfreiheit benutzen, was durch die Vorbehaltlosigkeit gerade verhindert werden soll.

II. Dogmatische Ableitung eines Grundrechtsschutzes 1. Grundrechtlicher Schutz für Grundrechtssubjekte In den Fällen, in denen nicht der Staat in Grundrechte eingreift, wie etwa in ein irgendwie geartetes Lebensrecht der Embryonen, sondern der daran interessierte Wissenschaftler, ist selbst bei Annahme einer Grundrechtssubjektivität von Embryonen zu klären, ob die Unterlassungspflicht der abwehrrechtlichen Dimension überhaupt als Basis für die Begrenzung der Forschungsfreiheit dienen kann, mit anderen Worten, ob der Gesetzgeber etwa aus der abwehrrechtlichen Dimension des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eine verfassungsrechtliche Pflicht hat, embryonales Leben durch den Erlass des Stammzellgesetzes zu schützen.

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F. Existiert ein Grundrechtsschutz von Embryonen?

Nach einer Meinung sind Beeinträchtigungen von Grundrechtsgütern durch Dritte stets dem Staat als eigener Eingriff zuzurechnen,190 weil der Staat das Verhalten des privaten Störers nicht durch Verbot verhindert und dadurch dem Betroffenen eine Duldungspflicht auferlegt wird.191 Dagegen ist aber einzuwenden, dass eine solche Ableitung das zu Beweisende voraussetzt, nämlich eine staatliche Verpflichtung zum Schutz der Grundrechtsgüter.192 Eine zusätzliche Begründung für die staatliche Pflicht zum schützenden Tätigwerden für Grundrechtssubjekte gibt die Lehre von den allgemeinen193 Schutzpflichten als Elemente des objektiv-rechtlichen Gehalts der Grundrechte.194 Diese Lehre ist heute weitgehend anerkannt,195 da geänderte soziale Umstände deutlich gemacht haben, dass Freiheit in einer Gesellschaft nur gewährleistet werden kann, wenn durch staatliche Schutzmaßnahmen ihre Voraussetzungen geschaffen und erhalten werden.196 Seit dem Schleyer-Urteil entnimmt das Bundesverfassungsgericht das Rechtsgut als Wert197 aus den Einzelgrund___________ 190

Vgl. Murswiek, in: WiVerw, 1986, S. 179 ff. (183). Vgl. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 1997, S. 213; vgl. Schwabe, Drittwirkung, 1971, S. 16 f.; vgl. Murswiek, Verantwortung, 1985, S. 91 ff.; vgl. Schlink, in: EuGRZ, 1984, S. 457 ff. (464); vgl. Haverkate, Verfassungslehre, 1992, S. 216 ff. 192 Vgl. Stern, in: Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, § 69, S. 947; vgl. Alexy, Theorie, 2001, S. 417 f.; vgl. Hermes, Leben, 1987, S. 96 f. und 220; vgl. Robbers, Sicherheit, 1987, S. 190 f.; vgl. Hellermann, Freiheitsrechte, 1993, S. 210. 193 Vgl. Unruh, Schutzpflichten, 1996, S. 26 ff.: Das vorangestellte ýAllgemeinÿ soll diese Schutzpflichten von den ausdrücklich im GG vorgesehenen Schutzpflichten wie denen in Art. 1 Abs. 1 S. 2 und Art. 6 Abs. 1, 2 und 4 GG abgrenzen; vgl. auch Bethge, in: DVBl., 1989, S. 841 ff. (848). 194 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, 1999, Rn. 350; vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Bd. V, 2000, § 111, Rn. 3. 195 Vgl. BVerfGE 1, S. 97 ff. (104) û Fürsorgeentscheidung; vgl. BVerfGE 7, S. 198 ff. (205) û Lüth; vgl. BVerfGE 9, S. 338 ff. (347) û Hebammenbeschluss; vgl. BVerfGE 35, S. 79 ff. (114) û Niedersächsisches GesamthochschulG; vgl. Robbers, Sicherheit, 1987, S. 130; vgl. Unruh, Schutzpflichten, 1996, S. 29; vgl. Stern, in: Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, § 69, S. 931; vgl. Dietlein, Schutzpflichten, 1992, S. 51; vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Bd. V, 2000, § 111, Rn. 19 f.; vgl. Badura, Staatsrecht, 2003, C, Rn. 22, S. 107 ff.; vgl. Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 2003, Vor Art. 1, Rn. 22; vgl. Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 2004, Vorb., Rn. 101 ff.; vgl. Haverkate, Verfassungslehre, 1992, S. 216 ff.; vgl. Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, 2004, Rn. 94 ff.; vgl. v. Münch, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz, Bd. I, 2000, Vorb. Art. 1-19, Rn. 20; vgl. Bethge, in: DVBl., 1989, S. 841 ff. (848); a.A. Preu, in: JZ, 1991, S. 265 ff.; ablehnend auch Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein, Grundgesetz, 2002, Vor Art. 1, Rn. 33 f.; vgl. Enders, in: Der Staat, 1996, S. 351 ff. (360 ff.); einen Überblick der ablehnenden Meinungen findet man bei Hermes, Leben, 1987, S. 62 f. 196 Vgl. Hesse, in: Däubler-Gmelin/Kinkel/Meyer/Simon, FS Mahrenholz, 1994, S. 541 ff. (544). 197 Vgl. Unruh, Schutzpflichten, 1996, S. 35 f. 191

II. Dogmatische Ableitung eines Grundrechtsschutzes

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rechten und leitet die Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG ab.198 Werte beanspruchen, befolgt zu werden, weshalb sie staatliche Schutzpflichten erzeugen können.199 So folgt zum Beispiel aus dem verfassungsrechtlich anerkannten Wert des Lebens der Grundrechtssubjekte die staatliche Schutzpflicht für das Leben der Grundrechtssubjekte. Die Verletzung einer solchen staatlichen Schutzpflicht verletzt zugleich das jeweilige Grundrecht. Auch diese Schutzpflicht des Staates ist mit der Verfassungsbeschwerde durchsetzbar.200 Wichtig ist bereits in diesem Zusammenhang, dass die Schutzpflichten nur zugunsten derjenigen wirken, die in den persönlichen Schutzbereich der Grundrechte fallen, selbst wenn die Schutzpflichten aus dem ýobjektiv-rechtlichenÿ Gehalt der Grundrechte abgeleitet werden.

2. Grundrechtlicher Schutz für Nichtgrundrechtssubjekte Der grundrechtliche Schutz kommt im Grundsatz nur Grundrechtssubjekten zu. Wenn der grundrechtliche Schutz einem Nichtgrundrechtssubjekt zukommen soll, so ist eine weitergehende Begründung erforderlich, warum im konkret beurteilten Fall die Notwendigkeit einer Erhebung dieses Nichtgrundrechtssubjekts in den persönlichen Schutzbereich der Grundrechte erfolgen muss. In diesem Fall kann der Grundrechtsschutz anders als bei Grundrechtssubjekten von äußeren Umständen abhängig sein, je nachdem ob im speziellen Fall zwingende Gründe für eine Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte vorliegen oder nicht. Sind in anderen Fällen diese Gründe nicht vorhanden, so bleibt es beim fehlenden Grundrechtsschutz. Auch das Bundesverfassungsgericht schließt sich dieser Vorstellung an. So ist Menschenwürde ýnicht nur die individuelle Würde der jeweiligen Person, sondern die Würde des Menschen als Gattungswesenþ.201 Das bedeutet, dass eine individuelle Grundrechtsverletzung einer Person, also eines Grundrechtssubjekts, nicht erforderlich ist, wenn der Mensch als Gattungswesen, die Menschheit, durch eine bestimmte Handlung verletzt wird.202 In diesen Fällen kann es notwendig sein, dass auch ___________ 198

Vgl. BVerfGE 46, S. 160 ff. (164 f.) û Schleyer. Vgl. Bleckmann, Staatsrecht II, 1997, S. 315 f.; vgl. Badura, Staatsrecht, 2003, C, Rn. 22, S. 107 ff.; vgl. Graf Vitzthum, in: Henne/Riedlinger, Lüth-Urteil, 2005, S. 349 ff. (350). 200 Vgl. Merkel, Forschungsobjekt, 2002, S. 39; vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Bd. V, 2000, § 111, Rn. 165 ff. und 183 ff.; vgl. Alexy, 2001, S. 410 ff.; vgl. Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 2003, Vor Art. 1, Rn. 41; vgl. Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 1 Rn. 38; vgl. Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 2004, Vor Art. 1 Rn. 103. 201 BVerfGE 87, S. 209 ff. (228) û Tanz der Teufel. 202 Vgl. Faßbender, in: NJW, 2001, S. 2745 ff. (2750). 199

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F. Existiert ein Grundrechtsschutz von Embryonen?

einem Nichtgrundrechtssubjekt der volle Schutz der Grundrechte zukommt, wenn etwa nur so ein effektiver Schutz der Gattung Mensch erreicht werden kann. Der Staat ist insbesondere zur Abwehr von Entwicklungen verpflichtet, die den Bestand und die Unverwechselbarkeit der Spezies Homo sapiens bedrohen. Beispiele sind das reproduktive Klonen von Menschen und der ýverbesserndeþ genetische Eingriff in die menschliche Keimbahn.203 In diesen Fällen wird es den künftig geborenen Menschen unmöglich gemacht, eine eigene, nicht vom Willen Dritter bestimmte Identität zu entwickeln.204 Der an der Keimbahn genetisch manipulierte Mensch trägt dieses veränderte Genmaterial in sich, welches er an nachfolgende Generationen weitergibt.205 Die entscheidende und in den Kapiteln III. und IV. zu beantwortende Frage ist also, ob dem Embryo der Schutz des Grundgesetzes als Grundrechtssubjekt oder als Nichtgrundrechtssubjekt durch Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte tatsächlich zukommt. Andere Möglichkeiten, zu einem Grundrechtsschutz von Embryonen zu gelangen, existieren nicht. Denn sonst würden die Grundrechte der echten Grundrechtssubjekte entwertet. Nur zu ihrem Schutz dient die Verfassung.

III. Grundrechtsschutz des Embryos vor Nidation? 1. Grundrechtssubjektivität des Embryos gemäß der Primärrechtsquelle Grundgesetz Aus dem Wortlaut des Grundgesetzes kann die Frage des Vorliegens oder Nichtvorliegens eines subjektiv grundrechtlichen Status des Embryos vor Nidation, des Embryos überhaupt, nicht direkt beantwortet werden. Dies ist auch nicht mithilfe der klassischen Auslegungsmethoden Systematik, Telos und Historie möglich, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Aus dieser Tatsache kann daher die Schlussfolgerung gezogen werden, dass aus der Primärrechtsquelle Grundgesetz allein ein Grundrechtsschutz von Embryonen nicht abgeleitet werden kann.

___________ 203 204

Vgl. Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, 2003, Rn. 23, 42. Vgl. Günther, in: Tübinger Strafrechtsprofessoren, GS Keller, 2003, S. 37 ff.

(38). 205

Vgl. Nettesheim, in: AöR, 2005, S. 71 ff. (111); vgl. Werner, Menschenwürde, in: Kettner, Biomedizin, 2004, S. 191 ff. (218 f.); vgl. Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 2004, Art. 1 I, Rn. 111.

III. Grundrechtsschutz des Embryos vor Nidation?

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Nach dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG ist die Würde ÿdes Menschenþ unantastbar und nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG hat ÿjederþ, also jeder Mensch, das Recht auf Leben. Bei Betrachtung der einfachgesetzlichen Normen fällt aber auf, dass sie mit dem Begriff ÿMenschþ nur den geborenen Menschen meinen, wie sich dies z. B. aus § 1 BGB für das bürgerliche Recht ergibt. Die einfachgesetzliche Bezeichnung für Embryonen ist entweder ÿLeibesfruchtþ (§ 1615 o Abs. 1 S. 2 BGB), ÿUngeborenesþ (§ 219 Abs. 1 S. 2 StGB) oder wie im Embryonenschutzgesetz ÿEmbryoþ. Daraus folgt zwar nicht, dass der Begriff ÿMenschþ in der Verfassung ebenso gebraucht wird und der Embryo kein Mensch im verfassungsrechtlichen Sinn mit den an das Menschsein gekoppelten subjektiven Grundrechten ist. Denn einfachgesetzliche Vorstellungen lassen als niederrangigeres Recht keine zwingenden Rückschlüsse auf Verfassungsrecht zu. Es zeigt jedoch, dass aus dem Wortlaut ÿMenschþ in der Verfassung nicht entnehmbar ist, dass auch der Embryo Grundrechtsträger ist.206 Die systematische Auslegung hilft bei der Problemlösung nicht weiter, weil die Grundrechte zum einen gerade den für den Embryo ungeklärten Status als Grundrechtsträger voraussetzen und zum anderen als Grundrechte für Embryonen in den meisten Fällen sachlich nicht in Betracht kommen.207 Auch die teleologische Auslegung setzt voraus, dass die Frage des grundrechtlichen Status des Embryos bereits entschieden ist: Wer den Embryo als verfassungsrechtlich schutzwürdig erachtet, wird ihm den Schutz von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zukommen lassen; und wer in jener Frage anders denkt, wird ihm den Lebens- und Menschenwürdeschutz nicht zukommen lassen. Die Behauptung, man habe die eine oder die andere Deutung durch teleologische Interpretation den Normen entnommen, ist nicht mehr als das Hineinlesen des eigenen Zwecks in die Norm, eine petitio principii.208 Die historische Auslegung geht auf die Vorgänge von 1948 im Parlamentarischen Rat zurück. Wernicke berichtet über den Ablauf:209 Die DP-Fraktion forderte in den Beratungen des Parlamentarischen Rates mit dem schriftlichen Antrag vom 19.11.1948 und 16.12.1948 die Aufnahme folgender Bestimmung in das Grundgesetz: ýJeder Mensch hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Das keimende Leben wird geschütztÿ. Denn es sei Auffassung der DP-Fraktion û so der Abgeordnete Dr. Seebohm û dass das Recht auf Leben ýnicht unbedingt auch das keimende Lebenÿ umfasse; sollte aber die Formulie___________ 206

Vgl. Merkel, Forschungsobjekt, 2002, S. 26 f. Vgl. Merkel, Forschungsobjekt, 2002, S. 27 f. 208 Vgl. Merkel, Forschungsobjekt, 2002, S. 28. 209 Vgl. Wernicke, in: v. Mangoldt/Klein, Grundgesetz, Bd. I, 1957, Art. 2, Erl. II. 2. b) mit Nachweisen; vgl. Merkel, Forschungsobjekt, 2002, S. 28 ff. 207

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F. Existiert ein Grundrechtsschutz von Embryonen?

rung ÿRecht auf Lebenþ dieses Recht einschließen, so müsste dies ausdrücklich festgestellt werden. Dem widersprach die Abgeordnete Dr. Weber im Namen der CDU/CSU-Fraktion, denn das Recht auf Leben meine das Leben schlechthin und der Schutz des keimenden Lebens sei darin enthalten. Der Abgeordnete Dr. Greve verwahrte sich daraufhin dagegen, dass diese Meinung der CDU/ CSU-Fraktion, dass das keimende Leben auch ohne ausdrückliche Klarstellung geschützt sei, einhellige Meinung des Hauptausschusses sei. In der Abstimmung lehnte der Hauptausschuss dann den DP-Antrag auf Aufnahme des Satzes ÿDas keimende Leben wird geschütztþ bei einem Stimmenverhältnis von 7 dafür und 11 dagegen ab. Es verwundert, dass das Bundesverfassungsgericht im ersten Fristenlösungsurteil von 1975 bemerkt, die Entstehungsgeschichte des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG lege es nahe, ÿdaß die Formulierung ýjeder hat das Recht auf Lebenû auch das keimende Leben einschließen sollteþ.210 Eine solche Ansicht ist nur logisch, wenn man unterstellt, dass der Antrag der DP-Fraktion, einen besonderen Satz über den Schutz des keimenden Lebens einzufügen, nur deshalb keine Mehrheit gefunden hat, weil das zu schützende Gut auch ohne ausdrückliche Klarstellung gesichert war. Dies trifft aber deshalb nicht zu, da im Hauptausschuss gegen die ausdehnende Auslegung (dass das Leben von Embryonen bereits durch die gegenwärtige Fassung geschützt war) ausdrücklich Widerspruch erhoben worden ist. Das Bundesverfassungsgericht erklärt jedoch zugleich, dass es sich lediglich um eine Vermutung handelt, die nicht als zwingendes Auslegungsergebnis aufgefasst werden soll.211 Es ist festzuhalten, dass es nicht möglich ist, eine eventuelle Grundrechtssubjektivität des Embryos durch den Text des Grundgesetzes mit einer der klassischen Auslegungsmethoden zu beweisen oder zu widerlegen. Denn die streitige Frage ist im Parlamentarischen Rat ýnicht voll ausgetragen wordenÿ.212 Es wäre außerdem falsch, sich nun einer im persönlichen Schutzbereich nicht existierenden Maxime einer weiten Grundrechtsauslegung213 zu bedienen, wie sie in der Literatur und Rechtsprechung hinsichtlich des sachlichen Schutzbereichs angenommen wird.214 Denn die Grundrechte dienen eben nur dem Schutz der ___________ 210

BVerfGE 39, S. 1 ff. (40) û Erstes Fristenlösungsurteil. Vgl. Merkel, Forschungsobjekt, 2002, S. 31. 212 Herzog, in: JR, 1969, S. 441 ff. (441 f.). 213 Vgl. BVerfGE 39, S. 1 ff. (38) û Erstes Fristenlösungsurteil; vgl. Adam, Fortpflanzungmedizin, 1989, S. 39; vgl. Steiner, Leben, 1992, S. 22; vgl. Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 372; vgl. Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, 2003, Art. 2, Rn. 146; vgl. aber auch Vollmer, Genomanalyse, 1989, S. 70, die sich kritisch zu diesem Argument äußert. 214 Vgl. Höfling, Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 47 f. und 172 ff.; vgl. Höfling, in: JZ, 1995, S. 26 ff. (31 f.); vgl. BVerfGE 6, S. 55 ff. (72) û Einkommensteuerzusam211

III. Grundrechtsschutz des Embryos vor Nidation?

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Rechte von Subjekten. Die Auslegungsregel ýin dubio pro personaÿ gibt es nicht.215 Da auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsrechtsquelle dient, ist im folgenden Kapitel zu untersuchen, ob dem Embryo vor seiner Nidation aus dessen Sicht ein Grundrechtsschutz zukommt.

2. Grundrechtsschutz des Embryos vor Nidation im Mutterleib gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Die Meinung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage des Grundrechtsschutzes für pränidative, nicht in vitro befindliche, Embryonen kann aus einem obiter dictum des zweiten Fristenlösungsurteils abgeleitet werden: § 218 Abs. 1 S. 2 StGB bestimmt, dass Handlungen, die den Embryo in vivo vor dem Abschluss seiner Nidation (ca. am 14. Tag seiner Entwicklung) im Uterus abtöten, kein Schwangerschaftsabbruch sind und stellt sie damit rechtlich frei.216 Daher ist die Verwendung von Hilfsmitteln, die die Nidation einer befruchteten Eizelle verhindern und sie somit abtöten, straflos. Auch existiert kein Produkt- und Vertriebsverbot für derartige Hilfsmittel.217 In dem Gesetzentwurf, der dem Bundesverfassungsgericht 1993 vorlag, entsprach der heutige § 218 Abs. 1 S. 2 StGB einer damals vorgeschlagenen Neufassung des § 218 Abs. 1 S. 1 StGB. Das Bundesverfassungsgericht stellte zu dieser rechtlich freigestellten Abtötung pränidativer Embryonen im Mutterleib fest: ýEntscheidungserheblich ist daher nur der Zeitraum der Schwangerschaft. Dieser reicht nach den û von den Antragstellern unbeanstandeten und verfassungsrechtlich unbedenklichen û Bestimmungen des Strafgesetzbuchs vom Abschluss der Einnistung des befruchteten Eis in der Gebärmutter [...] bis zum Beginn der Geburt.þ218 Würde das Bundesverfassungsgericht dem pränidativen Embryo einen grundrechtlichen Schutz zuerkennen, so wäre die Abtötung des pränidativen ___________ menveranlagung; vgl. BVerfGE 32, S. 54 ff. (71) û Wohnung; vgl. BVerfGE 39, S. 1 ff. (38) û Erstes Fristenlösungsurteil. 215 Vgl. BVerfGE 6, S. 55 ff. (72) û Einkommensteuerzusammenveranlagung; vgl. BVerfGE 32, S. 54 ff. (71) û Wohnung mit Verweis auf Thoma, in: Nipperdey, Reichsverfassung, Bd. I, 1929, S. 1 ff. (9); vgl. Stern, in: Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, § 95, S. 1741; a.A. Hillgruber, in: JZ, 1997, S. 975 ff. (976). 216 Vgl. Ipsen, in: NJW, 2004, S. 268 ff. (269); vgl. Günther, in: Günther/Keller, Fortpflanzungsmedizin, 1991, S. 137 ff. (148). 217 Vgl. Dreier, in: ZRP, 2002, S. 377 ff. (379). 218 BVerfGE 88, S. 203 ff. (251) û Zweites Fristenlösungsurteil.

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F. Existiert ein Grundrechtsschutz von Embryonen?

Embryos gerade nicht verfassungsrechtlich unbedenklich, denn dann müsste das Leben zumindest in einem Mindestmaß geschützt werden, wie es nach Nidation z. B. durch die Schwangerschaftsabbruchberatung auch der Fall ist.219 Wenn aber ein Rechtfertigungsgrund für die pränidative Tötung bestehen würde, so dass § 218 Abs. 1 S. 2 StGB einen gesetzlich geregelten Fall eines Rechtsfertigungsgrundes darstellt, dürfte aus der verfassungsrechtlich unbedenklichen Zulässigkeit der Tötung gemäß § 218 Abs. 1 S. 2 StGB von pränidativen Embryonen nicht auf deren nicht vorhandenen Grundrechtsschutz geschlossen werden.220 Im Defensivnotstand können Rechte derjenigen, von denen die Gefahr ausgeht für eine Gefahrbeseitigung in Anspruch genommen werden,221 wenn das geschützte Interesse nicht außer Verhältnis zum geschädigten Interesse steht.222 Eine Schwangerschaft beeinträchtigt die körperliche Integrität der Schwangeren erheblich und die ganze Person in ihrem allgemeinen Freiheitsrecht, dem Eigentumsrecht und der Berufsausübungsfreiheit.223 Diese Rechtsgüter stehen nicht außer Verhältnis zum Leben.224 Voraussetzung ist aber für den Defensivnotstand, dass der Embryo die Gefahrentstehung vorrangig zu vertreten hat. Es ist mit Ausnahme von Vergewaltigungen aber gerade die Schwangere, die für die Gefahr verantwortlich ist.225 Es handelt sich eben nicht nur um eine ýbloße Mitwirkung an erlaubter Triebbetätigungÿ226, sondern um die bewusste Entscheidung der Schwangeren, das ýProblemÿ, sofern es denn eintritt, durch Abtötung des Embryos zu lösen und nicht durch andere Arten der Schwangerschaftsverhütung erst gar nicht dazu kommen zu lassen. Etwa bei Einsetzen der Spirale und dem darauf folgenden Geschlechtsverkehr kann die Frau nicht begründet darauf vertrauen, dass es nicht zur Entstehung von Embryonen kommt, die dann durch die Spirale abgetötet werden. Denn in vielen Fällen kommt es eben beim Geschlechtsverkehr zu der Entstehung von Embryonen und dann nimmt die Frau die Abtötung durch die Spirale zumindest billigend in Kauf, was für einen Eventualvorsatz und die Verantwortlichkeit für den Konflikt ausreicht. Es verblieben für eine Rechtfertigung noch Aggressivnotstandserwägungen, bei denen der Embryo auch als unbeteiligter Dritter bei einer Gefahr in Anspruch genommen werden kann, um die Ge___________ 219

Vgl. Schroth, in: JZ, 2002, S. 170 ff. (177); vgl. Schlink, Fragen, 2002, S. 8. Vgl. Merkel, Forschungsobjekt, 2002, S. 93 ff. 221 Vgl. Hoerster, Abtreibung, 1995, S. 29. 222 Vgl. Kühl, in: Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch, 2004, § 34, Rn. 9. 223 Vgl. Köhler, in: GA, 1988, S. 435 ff. (452). 224 Vgl. Seelmann, in: Maio, Forschung, 2003, S. 156 ff. (165). 225 Vgl. Merkel, in: Britz/Jung/Koriath/Müller, FS Müller-Dietz, 2001, S. 493 ff. (500). 226 Köhler, in: GA, 1988, S. 435 ff. (456). 220

III. Grundrechtsschutz des Embryos vor Nidation?

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fahr zu beseitigen. In diesen Fällen darf aber niemals das Leben eines Unbeteiligten in Anspruch genommen werden, da dies außer Verhältnis zu den zu schützenden Gütern steht, selbst wenn es sich auch hier um das Leben handelt. Da ein weiterer Rechtfertigungsgrund nicht ersichtlich ist, hat das Bundesverfassungsgericht indirekt einen Grundrechtsschutz für Embryonen vor dem 14. Tag ihrer Entwicklung zumindest im Mutterleib abgelehnt. Statt des Kriteriums der ýNidationÿ wird das Kriterium ý14. Tag seiner Entwicklungÿ herangezogen, da für die weitere Diskussion des grundrechtlichen Schutzes allein die Entwicklungsstufe (repräsentiert durch die Entwicklungszeit) als ein von äußeren Umständen unabhängiges Kriterium (was die Nidation nicht erfüllt) herangezogen werden soll. Insbesondere ist der Embryo vor dem 14. Tag seiner Entwicklung nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts kein Grundrechtssubjekt. Diese Erkenntnis der fehlenden Grundrechtssubjektivität ist dann auch auf den Fall der In-vitro-Embryonen (welche noch nicht 14 Tage alt sind) übertragbar, da der Aufenthaltsort nicht über die Frage der Grundrechtssubjektivität entscheiden kann. Die Notwendigkeit einer Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte könnte aber speziell für den In-vitro-Embryo eventuell gegeben sein [vgl. Kapitel IV. 5.]. Im folgenden Kapitel IV. soll die Frage des Grundrechtsschutzes von Embryonen vor Nidation theoretisch untersucht werden. Denn bislang wurde sein Fehlen lediglich aus einem obiter dictum des Bundesverfassungsgerichts abgeleitet. Sollte sich beweisen lassen, dass Embryonen auch schon im pränidativen Fall ein Grundrechtsschutz zukommt, entweder als Grundrechtssubjekt oder durch Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte, wäre das obiter dictum des Bundesverfassungsgerichts zu kritisieren. Es wird sich aber in Kapitel IV. 2. zeigen, dass eine Grundrechtssubjektivität von Embryonen logisch nicht begründet werden kann, vielmehr die Neutralitätsverpflichtung des Staates dafür spricht, einen Grundrechtsschutz von Embryonen allein durch Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte vorzunehmen. Um dann die Vorstellung des Bundesverfassungsgerichts zum fehlenden Grundrechtsschutz pränidativer Embryonen im Mutterleib nachzuvollziehen, sollen Begründungen für die Erhebung in den Schutzbereich postnidativer Embryonen geliefert werden, welche für pränidative Embryonen nicht zutreffen. Dadurch wird die Nidation als das entscheidende Ereignis für eine Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte erkannt werden [vgl. Kapitel IV. 3. bis IV. 7.].

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F. Existiert ein Grundrechtsschutz von Embryonen?

IV. Der Grundrechtsschutz von Embryonen unabhängig vom obiter dictum des Bundesverfassungsgerichts 1. Ansichten zum Beginn der menschlichen Grundrechtssubjektivität a) Vorbemerkung Die Frage, ob und wenn ja ab welcher Entwicklungsstufe menschliche Embryonen als Grundrechtssubjekte anzusehen sind, ist in der Literatur sehr umstritten.227 Wie in Kapitel III. 2. gezeigt wurde, hat das Bundesverfassungsgericht zumindest bei Embryonen vor dem 14. Tag ihrer Entwicklung die Grundrechtssubjektivität verneint. Um diese Ansicht des Bundesverfassungsgerichts in die Diskussion einordnen zu können, sollen die Meinungen in der Literatur, zu welchem Entwicklungsstadium die Grundrechtssubjektivität zu beginnen habe, in mehrere Gruppen eingeteilt werden:228 Grundrechtssubjektivität für alle menschlichen Embryonen, erst zum Zeitpunkt der Geburt oder nach Zäsuren in der menschlichen Entwicklung.

b) Grundrechtssubjektivität aller Embryonen Die Vertreter dieser Meinung behaupten, dass Embryonen schon mit Verschmelzung von Ei- und Samenzelle Grundrechtssubjekte sind. Sie gehen davon aus, dass biologisches zugleich auch personales menschlichen Leben sei. Jede zeitlich der Verschmelzung der Gametenkerne nachfolgende Zäsur, selbst die Geburt, sei willkürlich gewählt und ändere qualitativ nichts am Menschsein.229 Diese Ansicht übersieht aber, dass die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle nur notwendiger, aber nicht hinreichender Schritt auf dem Weg der Menschwerdung/menschlichen Entwicklung ist. Ferner darf aus der Tatsache, dass eine Entwicklung kontinuierlich verläuft, nicht geschlossen werden, dass eine Zäsur (z. B. die Geburt für den Beginn der Grundrechtssubjektivität) nicht sinnvoll gesetzt werden kann.230 Das dieser Argumentation zugrundeliegende Kontinuumsargument lautet: ýDer [menschliche] Entwicklungsprozeß ist ein kontinuierlicher Vorgang, der keine scharfen Einschnitte aufweist [...]; zwischen den einzelnen Abschnitten des sich entwickelnden Lebens vor der Geburt ___________ 227 Vgl. Rüfner, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Bd. V, 2000, § 116, Rn. 17; vgl. Geddert-Steinacher, Menschenwürde, 1990, S. 66. 228 Vgl. May, Fortpflanzungsmedizin, 2003, S. 125-130. 229 Vgl. Keller, in: Günther/Keller, Fortpflanzungsmedizin, 1991, S. 111 ff. (115). 230 Vgl. Walton, Arguments, 1992, S. 37 ff.; vgl. Leist, Frage, 1990, S. 50 ff.; vgl. Merkel, Früheuthanasie, 2001, S. 473 ff.; vgl. Graf Vitzthum, in: JZ, 1985, S. 201 ff.

IV. Der Grundrechtsschutz von Embryonen unabhängig vom obiter dictum

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oder zwischen ungeborenem und geborenem Leben kann hier kein Unterschied gemacht werden.ÿ231 Dieser Fehlschluss ist seit der Antike unter dem Namen Sorites-Paradoxon bekannt,232 nach dem bei der Entstehung eines Sandhaufens aus einzelnen Sandkörnern nicht gesagt werden kann, welches kontinuierlich hinzukommende Sandkorn den Sandhaufen zu einem solchen werden lässt. Daraus folgt, dass auch bei kontinuierlichen Vorgängen normativ verbindliche Einschnitte vorliegen können. Das Kontinuumsargument trägt also nichts zur Klärung der Frage bei, warum menschlichen Wesen vor der Geburt der Grundrechtsschutz zukommen sollte.

c) Grundrechtssubjektivität erst zum Zeitpunkt der Geburt Mehrere Autoren bezweifeln die Grundrechtssubjektivität vor Geburt, weil sie dann nur aufgrund einer Zugehörigkeit zur biologischen Spezies Mensch begründet werden kann.233 Für die Anerkennung der Grundrechtsberechtigung stellt diese Ansicht auf die Fähigkeit zum autonomen Handeln ab [vgl. Kapitel E. III. 1.] die erst den Personstatus eines Lebewesens begründen können.234 Da nach dem Stand der embryologischen Erkenntnisse frühestens nach Vollendung der Geburt die Fähigkeit zum autonomen Handeln in rechtlich relevantem Sinn vorhanden ist, Embryonen auch jede Einsichts-, Selbstachtungs- und Selbststeuerungsfähigkeit fehlt,235 verfügen sie über keine Persönlichkeit236 und die Grundrechtssubjektivität kann erst im Moment der Geburt beginnen.237

___________ 231

BVerfGE 39, S. 1 ff. (37) û Erstes Fristenlösungsurteil; vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Grundgesetz, Bd. I, 1999, Art. 1 Abs. 1 Rn. 18. 232 Vgl. Walton, Arguments, 1992, S. 37 ff.; vgl. Leist, Frage, 1990, S. 50 ff.; vgl. Merkel, Früheuthanasie, 2001, S. 473 ff.; vgl. Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 2004, Art. 1 I, Rn. 85. 233 Vgl. Hoerster, in: NJW, 1991, S. 2540 ff.; vgl. Hoerster, Abtreibung, 1995, S. 56 ff.; vgl. Hoerster, in: NJW, 1997, S. 773 ff. (773); vgl. Hoerster, in: JuS, 1989, S. 172 ff. (174). 234 Vgl. Hoerster, Abtreibung, 1995, S. 74 ff. 235 Vgl. Braun, Menschenwürde, 2000. 236 Vgl. Ronellenfitsch, in: Hendler/Marburger/Reinhardt/Schröder, Jahrbuch, 2000, S. 91 ff. (104). 237 Vgl. Hamann/Lenz, Grundgesetz, 1970, Art. 1, Erl. B 2 und Art. 2, Erl. B 8; vgl. Stein/Frank, Staatsrecht, 2004, S. 269; vgl. Hofmann, in: AöR, 1993, S. 353 ff.; vgl. Lübbe, in: ZfP, 1989, S. 138 ff. (144 f.); vgl. Ipsen, Grundrechte, 2005, Rn. 233; vgl. Manssen, Staatsrecht, Bd. I, 1995, Rn. 115; kritisch Hilgendorf, in: MedR, 1994, S. 429 ff. (431).

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d) Zäsuren in der Embryonalentwicklung als Beginn der Grundrechtssubjektivität Im Wesentlichen werden zwei Zeitpunkte als Zäsur für den Beginn der Grundrechtssubjektivität angeführt, wenn sie nicht allen Embryonen oder erst dem geborenen Menschen zukommen soll: Die Nidation des Embryos in der Gebärmutter ca. 14 Tage nach der Befruchtung238 bzw. die Entwicklung des zentralen Nervensystems beim Embryo ca. 35 Tage nach der Befruchtung.239 Beide Meinungen gehen also davon aus, dass zwar biologisches Leben für die Grundrechtssubjektivität genüge, aber ein bestimmter Differenzierungsund Entwicklungsgrad erforderlich sei.240 Problematisch ist an diesen Ansichten aber, dass sie nicht begründen, warum diese Differenzierungs- und Entwicklungsstufen eine Grundrechtssubjektivität begründen können. So ist zwar ab dem Zeitpunkt der Nidation das vollständige Entwicklungsprogramm des Menschen angelegt,241 warum aber soll gerade dies den Personstatus, eine Fähigkeit zum autonomem Handeln begründen? Die Ansicht, dass die Entwicklung des zentralen Nervensystems der maßgebliche Zeitpunkt für die Grundrechtssubjektivität des Embryos ist, argumentiert in Entsprechung zur Todesdefinition, nach der das Ende der Hirntätigkeit für das Ende der Personalität und damit der Grundrechtssubjektivität maßgeblich ist. Sie verkennt aber, dass zum Zeitpunkt des Hirntodes, im Gegensatz zum Lebensbeginn, der Hirntod ein unverrückbarer Zeitpunkt ist, ab dem das Individualleben medizinisch sein Ende gefunden hat. Gerade beim frühen Embryo ist ein solcher unverrückbarer Anfangszeitpunkt jedoch nicht feststellbar.242 Im folgenden Kapitel 2. soll nun untersucht werden, ob die Richtigkeit einer dieser Ansichten durch Logik bewiesen werden kann, insbesondere dass die Grundrechtssubjektivität vor dem Zeitpunkt der Geburt zu beginnen habe.

___________ 238

Vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig/Badura/Di Fabio/Herdegen/Herzog/Klein/Korioth/Lerche/Papier/Randelzhofer/Schmidt-Aßmann/Scholz, Grundgesetz, Bd. I, 2005, Art. 1 I, Rn. 61. 239 Vgl. Pap, in: MedR, 1986, S. 229 ff. (232); vgl. Dressler, Verfassungsfragen, 1992, S. 32 ff.; vgl. Laufs, Fortpflanzungsmedizin, 1992, S. 45 f. 240 Vgl. Coester-Waltjen, Befruchtungs- und Gentechnologie, 1985, S. 92-93; vgl. Hofmann, in: JZ, 1986, S. 253 ff. (258); vgl. Dressler, Verfassungsfragen, 1992, S. 46 ff. 241 Vgl. Nüsslein-Volhard, in: FAZ, 02.10.2001, S. 55. 242 Vgl. Laufs, Fortpflanzungsmedizin, 1992, S. 45 f.; vgl. Pap, in: MedR, 1986, S. 229 ff. (232); vgl. Pap, Embryotransfer, 1987, S. 209.

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2. Beweisbarkeit der Grundrechtssubjektivität von Embryonen? Der Aussage ÿEmbryonen sind Grundrechtssubjekteþ liegt ein Schluss der folgenden Art zugrunde: ú Es gilt Satz 1: Embryonen sind Menschen. ú Es gilt Satz 2: Menschen sind Grundrechtssubjekte. ú Daraus folgt Satz 3: Embryonen sind Grundrechtssubjekte. Die Richtigkeit dieser Schlussfolgerung wird dadurch suggeriert, dass das Wort ÿMenschþ in unterschiedlicher Bedeutung verwendet wird: Im ersten Satz wird der Begriff ÿMenschþ im Sinn von ÿExemplar der biologischen Spezies Menschþ verwendet. Diese Aussage ist richtig, denn menschliche Embryonen gehören zweifellos genetisch-biologisch zur Spezies Mensch. Der Satz 1 heißt also: Embryonen sind genetisch-biologische Menschen. Im zweiten Satz wird der ÿMenschþ als Träger von Grundrechten dargestellt. Diese Aussage ist richtig, wenn der Begriff ÿMenschþ in diesem Satz normativ verstanden wird. Wird der Begriff Mensch in diesem zweiten Satz aber biologisch verstanden ú und dies ist die Voraussetzung, um die Aussage des Satzes 1 mit der Aussage des Satzes 2 zur Schlussfolgerung 3 zu verknüpfen ú fehlt das entscheidende Argument, warum allen biologisch-menschlichen Wesen auch vor Geburt die Grundrechtssubjektivität zukommen soll.243 Man erkennt also, dass für den Satz 2, der nur biologisch verstanden werden darf, um die Schlussfolgerung zu gewährleisten, eine Erweiterung notwendig ist entweder gemäß Satz 2 a oder Satz 2 b, von denen nur einer richtig sein kann.244 Satz 2 a: Genetisch-biologische Menschen sind Grundrechtssubjekte, auch als Embryonen. Denn für die Grundrechtssubjektivität genügt es, ein genetischbiologisch menschliches Wesen zu sein. Satz 2 b: Genetisch-biologische Menschen sind Grundrechtssubjekte, aber erst mit der Geburt. Denn Rechte kann ein Wesen nicht allein aufgrund biologischer Tatsachen haben, sondern nur aufgrund rechtlich relevanter Eigenschaften wie der Fähigkeit zum autonomen Handeln, die Embryonen nicht besitzen.

___________ 243 244

Vgl. Gethmann, in: DRiZ, 2002, S. 204 ff. (205). Vgl. Bayertz, in: Maio, Forschung, 2003, S. 178 ff.

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Zunächst kann bezüglich der beiden Sätze 2 a und 2 b festgehalten werden, dass beide schlüssig sind, wenn ihre jeweilige Prämisse anerkannt wird. Beide Positionen beruhen auf divergierenden metaphysischen Voraussetzungen:245 Satz 2 a geht von der Voraussetzung aus, dass ein von den jeweiligen Individuen unabhängiges Wesen existiert, an dem auch solche Individuen der gleichen biologisch-genetischen Art teilhaben, die aktuell nicht alle Eigenschaften besitzen, die für das Wesen konstitutiv sind. Im hier vorliegenden Fall heißt das: Obwohl menschliche Embryonen nicht alle Eigenschaften besitzen, die für das (normativ bedeutsame) Wesen des Menschen konstitutiv sind, müssen sie dennoch als individuelle Ausprägungen dieses Wesens angesehen werden; ihnen kommt daher auch der grundrechtliche Status zu, den die Menschheit allgemein besitzt. Satz 2 b geht dagegen von der Voraussetzung aus, dass ein von Individuen unabhängiges Wesen nicht existiert. Daraus ergibt sich, dass ein Individuum nicht schon dadurch, dass es bestimmte biologische Eigenschaften hat, als Person und damit als Grundrechtssubjekt angesehen werden kann. Für diesen Status muss sich ein Individuum durch bestimmte Eigenschaften erst qualifizieren. Metaphysische Annahmen dieser Art sind weder eines Beweises noch einer Widerlegung zugänglich. Daraus ergibt sich, dass eine argumentativ zwingende Antwort auf die Frage nach dem Personstatus menschlicher Embryonen nicht gegeben werden und daher auch nicht bewiesen werden kann, ob Embryonen als Grundrechtssubjekte aufzufassen sind oder ab welchem Zeitpunkt der Entwicklung dies zu geschehen habe.246 Auch nicht die staatliche Gewalt (weder Gesetzgeber noch Rechtsprechung noch die Exekutive) ist in der Lage, die Frage nach dem Personstatus menschlicher Embryonen und damit ihrer Grundrechtssubjektivität argumentativ zu entscheiden, weshalb sie in dieser substanziellen weltanschaulichen Frage Neutralität zu üben und nicht eine bestimmte Ansicht mit Hilfe des Rechts verbindlich zu machen hat.247 Wahrscheinlich folgte das Bundesverfassungsgericht diesem für das liberale Staatsverständnis der Neuzeit grundlegenden Prinzip,248 als es sich ausdrücklich nicht zur Grundrechtssubjektivität von menschlichen Embryonen äußerte: ýHingegen braucht die im vorliegenden Verfahren wie auch in der Rechtsprechung und im wissenschaftlichen Schrifttum umstrittene Frage nicht entschieden zu werden, ob der nasciturus selbst Grundrechtsträger ist oder aber wegen mangelnder Grund___________ 245

Vgl. Quante, Leben, 2002, S. 92. Vgl. Bayertz, in: Maio, Forschung, 2003, S. 178 ff. 247 Vgl. Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 2004, Art. 1 I, Rn. 84. 248 Vgl. Rawls, in: Rawls, Liberalismus, 1992, S. 364 ff. (375 ff.); vgl. Raz, Freedom, 2001, S. 110 ff. 246

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rechtsfähigkeit nur von den objektiven Normen der Verfassung in seinem Recht auf Leben geschützt wird.ÿ249 Auch der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Frage offen gelassen, in welchem Stadium der Entwicklung ein rechtlicher Schutz des Ungeborenen einsetzen müsse.250 Als Gegenargument könnte nun vorgebracht werden, dass sich der Staat bei Ablehnung der Grundrechtssubjektivität menschlicher Embryonen gerade nicht neutral verhalten würde, sondern zugunsten der embryonenforschenden Wissenschaftler Partei ergreifen würde.251 Dem ist aber zu entgegnen, dass bei Unmöglichkeit absoluter Neutralität der Staat zumindest diejenige Option wählen sollte, die am wenigsten parteilich und mit den geringsten Freiheitseinschränkungen für die Bürger verbunden ist. Dann folgt auch aus dieser Überlegung, dass allein die Zugehörigkeit zur Gattung Mensch nicht zur Begründung einer Grundrechtssubjektivität ausreichen darf, da die kollidierenden Freiheitsrechte von unstreitigen Grundrechtssubjekten, etwa die Forschungsfreiheit, allein aufgrund dieser weltanschaulichen Annahme beschränkt werden könnten. Embryonen sollte also aus staatlicher Sicht keine Grundrechtssubjektivität aus eigenem Recht zukommen. Dennoch hat aber die schon weiter oben beschriebene Aussage weiterhin Gültigkeit, dass in bestimmten Fallgestaltungen eine Erhebung von Nichtgrundrechtssubjekten in den Schutzbereich der Grundrechte zu erfolgen hat und Embryonen dann der volle Grundrechtsschutz zuerkannt werden muss. Im nun folgenden Kapitel 3. soll untersucht werden, ob dies für Embryonen nach Nidation zutrifft.

3. Argumente, dass mit Nidation eine Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte zu erfolgen hat Denkbar wäre, dass Embryonen ein voller Grundrechtsschutz mit der bildlichen Vorstellung einer Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte zukommen muss. Denn es besteht ein gesellschaftliches Interesse am Schutz gegenüber biologisch menschlichem Leben in jeder Form,252 weil dies für den Erhalt der Gesellschaft als Ganzes notwendig ist. Es existieren mehrere Argumente, warum der Schutz des Embryos eng mit dem Schutz der Gesellschaft ver-

___________ 249

BVerfGE 39, S. 1 ff. (41) û Erstes Fristenlösungsurteil. Vgl. EGMR, in: NJW, 2005, S. 727 ff. (730 f.). 251 Vgl. Raz, Freedom, 2001, S. 110 ff. (117 ff.). 252 Vgl. Hoerster, Abtreibung, 1995, S. 108 f. 250

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F. Existiert ein Grundrechtsschutz von Embryonen?

knüpft werden kann. Diese Argumente werden im Folgenden als Spezies- und Identitätsargument sowie als Potenzialitätsargument behandelt.253 Spezies- und Identitätsargument Das Speziesargument besagt, dass die biologische Zugehörigkeit des Embryos zur Spezies Mensch einen Grundrechtsschutz gebietet, da ohne diesen Schutz die Gesellschaft nicht existent wäre, weil alle geborenen Menschen zuerst Embryonen waren. Daher hat die Gesellschaft selbst ein Interesse daran, diesen Vertreter ihrer Spezies zu schützen, das embryonale Leben zu schützen, um die Voraussetzungen des Weiterlebens der Menschheit zu sichern. Ganz ähnlich ist das Identitätsargument zu verstehen, welches aber die genetische Identität mit dem einzelnen geborenen Menschen, an dem die Gesellschaft auch ein vitales Interesse hat, herausstellt. Da dieser konkrete Mensch zunächst ein mit diesem genetisch identischer Embryo ist, müsse der Embryo ebenso geschützt werden wie die geborene Person.254 Sowohl das Speziesargument als auch das Identitätsargument begründen das Interesse der Gesellschaft am Schutz der Embryonen mit biologischen Tatsachen, entweder mit der genetischen Ausstattung, die alle geborenen Menschen haben (Speziesargument) oder mit der genetischen Ausstattung, die ein bestimmter geborener Mensch haben wird (Identitätsargument). Die genetische Ausstattung allein kann aber noch keine normative Pflicht begründen, weshalb diese beiden Argumente allein untauglich sind für die Begründung einer Notwendigkeit, Embryonen in den Schutzbereich der Grundrechte zu erheben. Anders wird dies, wenn zusätzlich das Potenzialitätsargument herangezogen wird, was im Folgenden begründet werden soll. Potenzialitätsargument Das Bundesverfassungsgericht formuliert das Potenzialitätsargument folgendermaßen: ýDie von Anfang an im menschlichen Sein angelegten potentiellen Fähigkeiten genügen, um die Menschenwürde zu begründenÿ.255 Der Status ad quem führt zur Rechtezuschreibung schon im Status quo.256 Die Existenz und die Personalität aller Menschen resultiert aus einem ursprünglich vorhandenen Potenzial. Daher muss der Embryo, der dieses Potenzial aufweist, ein le___________ 253

Vgl. Steinbock, Life, 1992; vgl. Warren, Status, 1997; vgl. Reiman, Abortion, 1999; vgl. Leist, Frage, 1990. 254 Vgl. Belling, in: Medizinrecht, 1995, S. 184 ff.; vgl. Geiger, in: Jescheck/Vogler, FS Tröndle, 1988, S. 647 ff. (653). 255 BVerfGE 39, S. 1 ff. (41) û Erstes Fristenlösungsurteil. 256 Vgl. Merkel, Früheuthanasie, 2001, S. 476 ff.; vgl. Leist, Frage, 1990, S. 83 ff.; vgl. Tooley, Abortion, 1983.

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bender Mensch bzw. eine lebende Person zu werden, geschützt werden. Nicht irgendein biologisches Entwicklungspotenzial, sondern erst das Potenzial eines Wesens, das zur Gattung Homo sapiens (Speziesargument) gehört und mit dem späteren geborenen Wesen genetisch identisch ist (Identitätsargument) und das sich zur geborenen Person mit allen Schutzrechten (aus eigenem subjektivem Grundrecht) entwickeln kann, reicht aus, zum Schutz dieses Potenzials zu verpflichten, d. h. zu seiner Erhaltung und damit zur Erhaltung der Gesellschaft als Ganzes.

4. Argumente gegen eine Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte vor Nidation in vivo Die Besonderheit des Embryos vor Nidation ist seine Vorläufigkeit im Bezug auf die Entwicklung zum geborenen Menschen.257 Die Nidation ist auch bei natürlichem Geschehensablauf kein Naturereignis, da sich nur etwa 30 % der befruchteten Eizellen in die Gebärmutter einnisten. Nicht, was vielleicht möglich ist, sondern, was tatsächlich möglich ist, ist im Zusammenhang mit dem Potenzialitätsargument entscheidend. Denn es muss stets die zufällige von der realen Möglichkeit unterschieden werden. Im ersten Fall ist man das Opfer äußerer Umstände (ýim Leben ist alles möglichÿ), weshalb man hier auch von passiver Möglichkeit spricht. Im zweiten Fall kann ein gestecktes Ziel aufgrund dieses in einem liegenden Potenzials erreicht werden und darum wird die reale Möglichkeit auch aktive Möglichkeit oder Potenz genannt. Der Embryo muss im Sinne dieser aktiven Möglichkeit das reale Entwicklungspotenzial zum geborenen Menschen besitzen, damit die Gesellschaft ein Interesse an seiner Geburt haben kann, welche durch eine Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte zu schützen ist. Denn wer nicht real geborener Mensch werden kann, verdient auch dessen Schutz nicht. Anders ausgedrückt: Da nicht jede Bewegung von vornherein schon ein Ziel hat, kann nicht aus dem Vorliegen von Bewegung schon auf die Anwesenheit eines bestimmen Ziels geschlossen werden. Diejenigen, die das Potenzialitätsargument schon vor Nidation anwenden, setzen stillschweigend voraus, dass es für die befruchtete, sich entwickelnde, ýsich bewegendeÿ Eizelle um kein anderes Ziel gehen könne als darum, ein geborener Mensch zu werden. Die Möglichkeit, dass dieses Ziel noch gar nicht vorhanden ist, also Bewegung vorliegt, aber diese noch nicht eindeutig definiert ist, wird häufig außer acht gelassen. Und damit wird für be___________ 257

Vgl. Koch, in: Geburtshilfe und Frauenheilkunde, 2000, S. M 67 ff. (M 71); vgl. Kloepfer, in: JZ, 2002, S. 417 ff. (420 f.); vgl. Eser/Koch, in: Tübinger Strafrechtsprofessoren, GS Keller, 2003, S. 15 ff. (28).

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F. Existiert ein Grundrechtsschutz von Embryonen?

wiesen gehalten, was zu beweisen ist: dass der Embryo von allem Anfang an das reale Potenzial zur Geburt besitze.258 Diese Annahme ist sogar aus tatsächlichen Gründen naturwissenschaftlich widerlegbar, denn das Genom allein ermöglicht in diesem realen Sinn noch keine Entwicklung zum geborenen Menschen.259 Es bedarf zusätzlicher, nicht im Genom des Embryos vorliegender Information, um das in allen Embryonalzellen gleiche Erbgut zu differenzieren, indem eine Kontrolle über das Ein- und Ausschalten bestimmter Gene durch den mütterlichen Uterus ausgeübt wird. Es handelt sich um ein auf Kommunikation zwischen Embryo und Mutter gegründetes Anerkennungsverhältnis.260 ýErst mit der Einnistung in den Uterus der Mutter hat der Embryo das volle Entwicklungsprogramm. Erst während dieser erstaunlichen und wundersamen Symbiose wird das Programm ausgeführt. Gene sind nicht alles, was der Mensch zur Menschwerdung braucht.ÿ261 Erst der Steuerungsapparat der Mutter gibt die Befehle zur konkreten Embryogenese.262 Die Notwendigkeit des Wechselspiels zwischen Embryo und Uterus zeigte sich bei einem an Mäusen durchgeführten Experiment, bei dem man noch nicht in den Uterus implantierte Embryonen in eine ortsfremde Umgebung, nämlich die Hoden oder die Nieren erwachsener Wirtsindividuen, verpflanzt hat. Die wenigen überhaupt überlebenden Embryonen entwickelten sich nicht zu einem Organismus, sondern zu Teratomen, tumorartigen Wucherungen.263 Festzuhalten bleibt: Wenn die Gesellschaft den Embryonen vor Nidation den Grundrechtsschutz nicht zuschreibt, gefährdet sie ihre eigene Existenz nicht, denn ohne Nidation kann der Embryo real gar nicht geboren werden. Sobald sich der Embryo aber in die Gebärmutter eingenistet hat, ist diese Entwicklung zum geborenen Menschen bei natürlichem Verlauf der Dinge real gewährleistet. Die Gesellschaft hat ein Interesse daran und nur daran, dass alle Menschen, die real geboren werden können auch geboren werden und nicht abgetötet werden. Auch an dieser Stelle vergegenwärtige man sich: Wäre dies anders und hätte die Gesellschaft ein Interesse am Überleben des Embryos vor Nidation, so wäre ___________ 258

Vgl. Kummer, in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl, Stammzellforschung, 2002, S. 148 ff. (152). 259 Vgl. Ipsen, in: NJW, 2004, S. 268 ff. (269). 260 Vgl. Kummer, in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl, Stammzellforschung, 2002, S. 148 ff. 261 Nüsslein-Volhard, in: FAZ, 02.10.2001, S. 55; vgl. Wolfrum, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 2001, S. 3 ff. (4). 262 Vgl. Huber, Abstract, zitiert bei: Taupitz, NJW, 2001, S. 3433 ff. (3438, Fußnote 42); vgl. Nüsslein-Volhard, in: FAZ, 02.10.2001, S. 55. 263 Vgl. Illmensee/Stevens, in: Scientific American, 1979, S. 86 ff.

IV. Der Grundrechtsschutz von Embryonen unabhängig vom obiter dictum

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die völlige Schutzlosstellung von Embryonen vor Nidation in § 218 Abs. 1 S. 2 StGB nicht verfassungsrechtlich unbedenklich. Vielmehr ist die Entwicklungsperspektive des Embryos von der û verfassungsrechtlich hinzunehmenden û Entscheidung über eine Nidation in die Gebärmutter abhängig.264 Anders ist dies nach Nidation: ýDer Staat muß grundsätzlich von einer Pflicht zur Austragung der Schwangerschaft ausgehenþ.265 Auch ausländische Rechtsordnungen lassen, wie z. B. das britische Beispiel zeigt, den Schutz für embryonale Zellen erst mit der Nidation einsetzen. Damit kann als Ergebnis festgehalten werden, dass pränidative Embryonen im Mutterleib nicht in den Schutzbereich der Grundrechte zu erheben sind. Anders könnte dies bei In-vitro-Embryonen sein, aus denen Stammzellen gewonnen werden, was im nächsten Kapitel untersucht werden soll.

5. Argumente gegen die Notwendigkeit der Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte speziell wegen der In-vitro-Situation Man könnte nun noch vorbringen, dass aufgrund des In-vitro-Daseins ein besonderer Schutz notwendig sei, der für pränidative Embryonen im Mutterleib nicht erforderlich ist (These der Ortsrelevanz266). Im Mutterleib vor Nidation hänge es vom Zufall ab, ob die befruchtete Eizelle zu jenen 30 % gehört, die die Nidation und damit das reale Potenzial zur Geburt erreiche, in vitro aber sei es vom Willen des Arztes abhängig, ob dieses Stadium der Realpotenz und damit des Grundrechtsschutzes erreicht wird. Der Mutterleib stelle gewissermaßen den Schutz des Zufalls dar, ob die Realpotenz erreicht wird. Die Gesellschaft habe ein Interesse daran, dass nur der Zufall über das Erreichen der Realpotenz entscheide, denn so könne ein Maximum an geborenen Menschen erreicht werden. Der Embryo in vitro sei dagegen schutzlos den Händen der Forscher ausgeliefert, ohne dass der Zufall noch eine Rolle spiele. Daher sei eine Kompensation dieses Zufallselements dadurch erforderlich, dass In-vitro-Embryonen in den Schutzbereich der Grundrechte zu erheben sind. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch die Parallelität der Fälle: Die ýschützende Sphäre der Frauÿ stellt nämlich keinen Schutz für den Embryo dar, wenn sich die Frau eine Spirale eingesetzt hat. Die Wahrscheinlichkeit der Nidation ist damit wie beim Embryo in vitro auf Null reduziert. Der Zufall spielt keine Rolle mehr. Die Frau nimmt billigend in Kauf, dass sie Embryonen ýerzeugtÿ, die nachher getötet werden könnten. Auch der Mediziner, der zu In___________ 264

Vgl. Dederer, in: AöR, 2002, S. 1 ff. (16). BVerfGE 39, S. 1 ff. (44) û Erstes Fristenlösungsurteil. 266 Vgl. Junker-Kenny, in: Düwell/Mieth, Ethik, 2000, S. 302 ff. 265

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F. Existiert ein Grundrechtsschutz von Embryonen?

vitro-Fertilisations-Zwecken Embryonen erzeugt, erzeugt zur Verbesserung der In-vitro-Fertilisations-Technik zahlreiche Embryonen und nimmt dabei billigend in Kauf, dass diesen nicht zum Leben verholfen werden kann. Die Embryonen im Mutterleib werden durch die Spirale getötet; die Embryonen in vitro werden durch den Wissenschaftler zur Stammzellgewinnung getötet. Dieser Vergleich zeigt, dass eine Frau mit Spirale keinen größeren Schutz für den Embryo bietet als ein Forscher. Das Abtöten des Embryos in vitro und in vivo ist also vor Nidation gleich zu behandeln: In beiden Fällen ist eine Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte nicht geboten.

6. Argumente gegen die Notwendigkeit der Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte für Forschungsembryonen Es müssen verfassungsrechtlich überzeugende Gründe vorgebracht werden, den Forschungsembryo, der ausschließlich mit dem Ziel der Stammzellgewinnung erzeugt wurde, aufgrund dieser Tatsache in den Schutzbereich der Grundrechte zu erheben. Zahlreiche Stellungnahmen begründen das Verbot der Herstellung von Forschungsembryonen mit dem Hinweis, eine solche Herstellung für die Stammzellforschung sei nicht erforderlich. Denn man habe im Augenblick genügend tiefgefrorene Embryonen aus der Reproduktionsmedizin. Diesem Argument wird aber der Boden entzogen, sobald diese überzähligen Embryonen nicht mehr ausreichen [vgl. Kapitel B. I. 2.]. Auch genügt ein bloßer Verweis auf die ÿverwerfliche Instrumentalisierungþ267 des Embryos nicht aus. Denn die Instrumentalisierung von etwas, das keinem grundrechtlichen Schutz unterliegt, ist erlaubt.268 Aus der Tatsache einer Instrumentalisierung kann nicht auf die Notwendigkeit einer Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte geschlossen werden. Die Vornahme einer wertfreien Handlung (Erzeugung von Embryonen) zu einem moralisch hochwertigen Zweck (Stammzellforschung, um Kranken zu helfen) bedroht den Bestand der menschlichen Gattung nicht. Vielmehr sichert es den Bestand der menschlichen Gattung und es gehört zu unserem Menschenbild, schwerkranken Menschen zu helfen, wenn das mit einer Handlung möglich erscheint. Harris betont: ýÜberzählige Embryonen werden hergestellt, um eine erfolgreiche Schwangerschaft in Gang zu setzen, und Forschungsembryonen, um Forschungsvorhaben durchzuführen oder um als Quelle für Zellen und Gewebe zu dienen, die dem Wohl anderer dienen sollen. Es gibt weder ei___________ 267 268

Morgan/Lee, Blackstoneùs, 1991, S. 26. Vgl. Merkel, Forschungsobjekt, 2002, S. 228.

IV. Der Grundrechtsschutz von Embryonen unabhängig vom obiter dictum

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nen Unterschied im moralischen Status dieser verschiedenen Embryonen, noch besteht ein Unterschied in dem, was schließlich mit ihnen getan wird. Der einzige Unterschied besteht in der ursprünglichen Absicht hinter ihrer Erzeugung. Nach meinem Urteil kann nur gelten: Wenn die Forschung an Embryonen erlaubt ist, dann ist es auch zulässig, sie zu diesem Zweck herzustellen. Und wenn es unzulässig ist, Embryonen für die Forschung zu verbrauchen, dann dürfen sie auch dann nicht dafür benutzt werden, wenn sie nicht absichtlich zu diesem Zweck hergestellt wurden.ÿ269 Daraus folgt, dass die Intention hinter der Erzeugung allein keine Erhebung von Forschungsembryonen in den Schutzbereich der Grundrechte erforderlich macht.

7. Argumente gegen die Notwendigkeit der Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte für klonierte Forschungsembryonen Schließlich können Stammzellen aus Forschungsembryonen durch Klonierung gewonnen werden. Es handelt sich dabei im Unterschied zum reproduktiven Klonen um die Methode des therapeutischen Klonens, da Ziel die Ermöglichung von Therapien für lebende Menschen ist, nicht die Entwicklung des klonierten Menschen bis zur Geburt. Daher ist der Bestand der menschlichen Gesellschaft in ihrer Unverwechselbarkeit durch einen klonierten Embryo, der nicht zum geborenen Menschen werden kann, nicht tangiert. Da er das Stadium der Geburt nicht erreicht, besteht insbesondere keine Gefahr der Weitergabe seiner veränderten Erbinformation an nachfolgende Generationen [vgl. Kapitel II. 2.]. Es wird zum Teil befürchtet, die Zulassung des therapeutischen Klonens könne dazu führen, dass die Methode des Zellkerntransfers eines Tages zum reproduktiven Klonen missbraucht werde, weshalb die Technik des therapeutischen Klonens als ýVorspielÿ ebenfalls zu verbieten sei. Diesen Dammbruchargumenten ist zu entgegnen, dass nicht jede noch so positive medizinische Möglichkeit ausgeschlossen werden darf, um einen möglichen Missbrauch zu verhindern, denn jede technische Entwicklung kann in irgendeiner Weise missbraucht werden.270 Daraus folgt, dass auch zu therapeutischen Zwecken klonierte Embryonen nicht in den Schutzbereich der Grundrechte zu erheben sind.

___________ 269 270

Harris, in: Dyson/Harris, Experiments, 1990, S. 65 ff. Vgl. Merkel, Forschungsobjekt, 2002, S. 251 f.

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F. Existiert ein Grundrechtsschutz von Embryonen?

V. Zusammenfassung von Kapitel F. Nach geltendem Recht ist jeglicher Schutz von pränidativen Embryonen durch § 218 Abs. 1 S. 2 StGB abgezogen. Der Inhalt dieser Regelung wurde vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen. Wegen des Fehlens von Rechtfertigungsgründen für die Tötung wurde daraus gefolgert, dass der Embryo vor dem 14. Tag seiner Entwicklung in vivo und in vitro (da der Ort des Aufenthaltes nicht über die Grundrechtssubjektivität entscheiden kann) kein Grundrechtssubjekt ist und ihm vor Nidation in vivo ein Grundrechtsschutz auch nicht aus Gesellschaftsschutzerwägungen zukommt. Daraufhin wurde begründet, dass es sich bei der Aussage, ob und ab welchem Entwicklungspunkt der Embryo Grundrechtssubjekt ist, um eine metaphysische Frage handelt. Daher ist auch aus Neutralitätspflichterwägungen von staatlicher Seite die Grundrechtssubjektivität des Embryos abzulehnen, um die Einschränkung von grundrechtlichen Freiheiten echter Grundrechtssubjekte nicht von weltanschaulichen Fragen abhängig zu machen. Die Frage des grundrechtlichen Schutzes von Embryonen ist daher über eine Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte zu lösen, wenn dies Gesellschaftsschutzerwägungen erfordern. Sodann wurde geklärt, warum die Nidation das entscheidende Ereignis für die Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte darstellt: Zu diesem Zeitpunkt besitzt der Embryo das reale Potenzial, zum geborenen Menschen zu werden, was erst Gesellschaftsschutzerwägungen auslöst. Denn den Schutz eines geborenen Menschen kann nur erhalten, was tatsächlich zu einem geborenen Menschen werden kann und somit den Bestand der Gesellschaft sichert. Dieser Automatismus setzt erst mit der Nidation ein, da die Entwicklung des Embryos den mütterlichen Uterus voraussetzt. Abschließend wurde gezeigt, dass die In-vitro- und die In-vivo-Situation vor Nidation keine unterschiedliche Beurteilung begründen können ebenso wenig wie die Intention der Erzeugung zu Forschungszwecken oder zu Fortpflanzungszwecken oder die Methode des therapeutischen Klonens. Damit kommt den Embryonen vor Nidation in allen diesen Fällen der Schutz der Grundrechte nicht zu.

II. Legitimer Zweck der Regelungen des Stammzellgesetzes

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G. Probleme der Legitimität, Verhältnismäßigkeit und Bestimmtheit von Regelungen des Stammzellgesetzes I. Vorbemerkung Die bisherige Untersuchung führte zum Ergebnis, dass für die Stammzellforschung mehrere Verfassungsschutzgüter gleichzeitig einen Regelungsanspruch erheben, wenn von einem grundrechtlichen Schutz von Embryonen ausgegangen wird. Dies führt zur Kollision, welche daraus resultiert, dass zwei Normen gleichen Rangs für denselben Sachverhalt gleichzeitig Regelungsanspruch erheben und dabei gegenteilige Rechtsfolgen anordnen.271 Es wurde gezeigt, dass der Gesetzgeber des Stammzellgesetzes von diesem Grundrechtsschutz für Embryonen ausgeht und zwar sowohl von einem Lebensschutz [vgl. Kapitel E. II.] als auch von einem Menschenwürdeschutz für noch lebende Embryonen im Ausland sowie von einem nachwirkenden Menschenwürdeschutz von bereits für die Stammzellgewinnung getöteten Embryonen [vgl. Kapitel E. III. 3.]. Auf der anderen Seite steht die Forschungsfreiheit [vgl. Kapitel D.]. Die Garantie der nachwirkenden Menschenwürde ist dabei vom Gesetzgeber nur abwägbar garantiert, da sie bei Hochrangigkeit und Alternativlosigkeit der Forschung zur Gewinnung von Erkenntnissen für die Therapie schwerer Erkranken, wie in Kapitel E. III. 3. gezeigt, zurücktreten muss. Die Menschenwürde und das Leben noch lebender Embryonen wird dagegen durch die Stichtagsregelung vollständig geschützt. Im Folgenden wird das Stammzellgesetz anhand der Elemente des Übermaßverbots (legitimer Zweck, Geeignetheit, Erforderlichkeit und Gebotenheit)272 und auf die Einhaltung des Bestimmtheitsgebotes hin untersucht, welche als Grenze der Kompetenzausübung des Gesetzgebers273 bezüglich des Ausgleichs der kollidierenden Verfassungsgüter fungieren.

___________ 271 Vgl. BVerfGE 36, S. 342 ff. (363) û Landesverfassung; vgl. Blaesing, Grundrechtskollisionen, 1974, S. 2; vgl. Lepa, in: DVBl., 1972, S. 161 ff. (161, 165). 272 Vgl. Gentz, in: NJW 1968, S. 1600 ff. (1601). 273 Vgl. Jakobs, Verhältnismäßigkeit, 1985, S. 7; vgl. Stern, in: Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, § 20, S. 788; vgl. Isensee, in: JZ, 1996, S. 1085 ff. (1093).

80 G. Legitimitäts-, Verhältnismäßigkeits- und Bestimmtheitsprobleme des StZG

II. Legitimer Zweck der Regelungen des Stammzellgesetzes zur Beschränkung der Forschungsfreiheit? 1. Definition Das Übermaßverbot gebietet, dass das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel des Embryonenschutzes bei Erlass des Stammzellgesetzes einer Legimitätsprüfung standhält.274 Die Legitimität des Zwecks wird nicht als Bestandteil der Verhältnismäßigkeitsprüfung275 aufgefasst, da die Verhältnismäßigkeit eine ZweckMittel-Relation betrifft und die Zweckmäßigkeit als erfüllt voraussetzt.276 Legitimität bedeutet allgemein, dass der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck (des Embryonenschutzes) von der Verfassung nicht verboten sein darf.277 Wird ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht (die Forschungsfreiheit) beschränkt, bedeutet Legitimität des Zwecks aber speziell, dass der gesetzgeberische Zweck der Beschränkung auf einem verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgut basiert,278 dessen Schutz also durch die Verfassung vorgeschrieben ist. Das macht für die Legitimität zur Bedingung, dass der Embryonenschutz nicht nur von der Verfassung nicht verboten sein darf, sondern von der Verfassung gefordert sein muss.

2. Legitimität des Zwecks ÿLebens- und Menschenwürdeschutz von Embryonenÿ Wie sich aus den Darlegungen in Kapitel F. ergibt, kommt Embryonen in vitro vor dem 14. Tag ihrer Entwicklung überhaupt kein Grundrechtsschutz zu, weder als Grundrechtssubjekt noch durch die Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte aus Gesellschaftsschutzerwägungen. Nur darauf kommt es bei der Einschränkbarkeit der Forschungsfreiheit an, welche ohne Gesetzesvorbehalt gewährt ist und damit nur durch andere Verfassungsschutzgüter beschränkbar ist. Daraus folgt, dass schon der Zweck des Stammzellgesetzes ge___________ 274

Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Bd. V, 2000, § 111, Rn. 74; vgl. Stern, in: Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, § 84, S. 777; vgl. Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 2003, Art. 20, Rn. 97. 275 Vgl. Ipsen, Grundrechte, 2005, Rn. 172 ff.; vgl. v. Münch, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz, Bd. I, 2000, Vorb. Art. 1-19, Rn. 55; vgl. Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, 2004, Rn. 279. 276 Vgl. Stern, in: Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, § 84, S. 777. 277 Vgl. Schlink, Abwägung, 1976, S. 192. 278 Vgl. Stern, in: Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, § 84, S. 807 ff.

II. Legitimer Zweck von Regelungen des Stammzellgesetzes

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mäß § 1 StZG, der Schutz und die Achtung embryonalen Lebens und seiner Menschenwürde in vitro, keinen verfassungsrechtlichen Rückhalt hat. Die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit könnte an dieser Stelle enden, da das Stammzellgesetz aus diesem Grund verfassungswidrig ist. Um aber eine vollständige verfassungsrechtliche Überprüfung der Vorschriften zu ermöglichen, wird die Überprüfung im Folgenden unter der (vom Gesetzgeber verfassungswidrig vorausgesetzten) Annahme fortgesetzt, dass auch dem In-vitroEmbryo der Grundrechtsschutz zuteil wird. Auch bei allen anderen Prüfungspunkten im weiteren Verlauf der Arbeit wird von einer ansonsten verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der konkret geprüften und aller anderer Vorschriften des Stammzellgesetzes ausgegangen, so dass sich die Verfassungswidrigkeit von Vorschriften des Stammzellgesetzes unter mehreren Gesichtspunkten ergeben kann. Zu prüfen sind also nun neben der Legitimität des Zwecks ýLebens- und Menschenwürdeschutz von Embryonen im Auslandÿ [vgl. Kapitel 3.] und des Zwecks ýAbwehr einer Vorteilsziehung aus einer früheren Menschenwürdeverletzungÿ bei der Beschränkung der Forschungsfreiheit [vgl. Kapitel 4.] die drei klassischen279 Anforderungen der Verhältnismäßigkeit, nämlich Geeignetheit [vgl. Kapitel III.], Erforderlichkeit [vgl. Kapitel IV.] und Gebotenheit [vgl. Kapitel V.],280 schließlich Bestimmtheitsprobleme [vgl. Kapitel VI.].

3. Legitimität des Zwecks ÿLebens- und Menschenwürdeschutz von Embryonen im Auslandÿ Intention des Gesetzgebers ist es, die Tötung von Embryonen im Ausland zu verhindern, weil er ihnen im Inland grundrechtlichen Lebens- und Menschenwürdeschutz zukommen lässt.281 Er versucht dabei, im Ausland begangene ___________ 279 Es existieren darüber hinaus einige Abwandlungen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, wie etwa das von Schlink, Abwägung, S. 192 ff., 1976, vorgeschlagene Abwägungsmodell, in dem statt der Gebotenheit die Gewahr der Mindestpositionen des Bürgers geprüft wird. Diese Abwandlungen sollen hier keine Berücksichtigung finden. Für die verschiedene Fassungen der Verhältnismäßigkeit vgl. aber Albrecht, Zumutbarkeit, 1995, S. 67 ff. 280 Vgl. BVerfGE 30, S. 292 ff. (316) û Indienstnahme Privater; vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig/Badura/Di Fabio/Herdegen/Herzog/Klein/Korioth/Lerche/Papier/Randelzhofer/Schmidt-Aßmann/Scholz, Grundgesetz, Bd. VI, 2005, Art. 20 VII, Rn. 73; vgl. Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 2004, Vorb., Rn. 144 ff.; vgl. Stern, in: Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, § 84, S. 776 ff. 281 Vgl. Benda, in: NJW, 2001, S. 2147 ff.; vgl. Benda/Hufen, in: DRiZ, 2002, S. 175 ff.; vgl. Classen, in: DVBl., 2002, S. 141 ff.; vgl. Dederer, in: AöR, 2002, S. 1 ff.; vgl. Herdegen, in: JZ, 2001, S. 773 ff.; vgl. Heun, in: JZ, 2002, S. 517 ff.; vgl. Hufen, in:

82 G. Legitimitäts-, Verhältnismäßigkeits- und Bestimmtheitsprobleme des StZG

Grundrechtsverletzungen (nach deutschem Verständnis), welche mit den dortigen Rechtsordnungen im Einklang stehen, dadurch zu verhindern, dass er im Inland die Forschungsfreiheit beschränkt.282 Um die Forschungsfreiheit zu beschränken, müsste diese Verhinderung im Ausland vom Grundgesetz vorgeschrieben sein. Das Grundgesetz enthält aber keine Verpflichtung, auf die Durchsetzung deutscher Grundrechtsstandards im Ausland hinzuwirken.283 Dem Grundgesetz ist eine Verabsolutierung deutscher Verfassungsentscheidungen fremd.284 Der Gesetzgeber des Stammzellgesetzes verkennt, dass der Schutz von Embryonen im Ausland keinen grundgesetzlich legitimen Zweck darstellt, um die vorbehaltlos gewährleistete Forschungsfreiheit einzuschränken.285 Eine Berechtigung kann auch nicht aus dem Völkerrecht oder dem EG-Recht hergeleitet werden, denn das Völkerrecht enthält weder ein Verbot der embryonenverbrauchenden Stammzellerzeugung286 noch ein Klonierungsverbot und auch auf Ebene des EG-Rechts existieren keine verbindlichen Regeln.287 Die Anwendbarkeit eines Weltrechtsprinzips durch deutsches Recht288 setzt einen internationalen ýminimum standard of justiceÿ289 voraus, der aber bei der embryonalen Stammzellerzeugung nicht existiert,290 so dass der Schutz menschlicher Embryonen vor verbrauchender Forschung nicht der Sicherung eines international geschützten Rechtsguts dient.291 ÿSoweit dagegen Bedenken geltend gemacht werden, weist die DFG darauf hin, dass der Respekt vor der Souveränität anderer Staaten und ihrer Rechtsetzungsgewalt, wie er umgekehrt auch ___________ MedR, 2001, S. 440 ff.; vgl. Ipsen, in: JZ, 2001, S. 989 ff.; vgl. Kloepfer, in: JZ, 2002, S. 417 ff.; vgl. Schwarz, in: KV, 2001, S. 182 ff.; vgl. Sendler, in: NJW, 2001, S. 2148 ff.; vgl. Taupitz, in: NJW, 2001, S. 3433 ff.; vgl. Taupitz, in: ZRP, 2002, S. 111 ff. 282 Vgl. Müller-Terpitz, in: WissR, 2001, 271 ff. 283 Vgl. Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, 2003, Art. 5 Rn. 79 ff.; vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Bd. V, 2000, § 115, Rn. 62; vgl. Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz, Bd. I, 2000, Art. 5, Rn. 52; vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, § 72, S. 1228 f.; vgl. Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 2004, Art. 1 I, Rn. 104. 284 Vgl. BVerfGE 18, S. 112 ff. (117) û Todesstrafe. 285 Vgl. Müller-Terpitz, in: WissR, 2001, S. 271 ff. (280). 286 Vgl. Müller-Terpitz, in: WissR, 2001, S. 271 ff. (280). 287 Art. 3 Abs. 2 der EU-Grundrechtscharta ist rechtlich nicht verbindlich. 288 Vgl. § 6 StGB. 289 Jescheck/Weigend, Allgemeiner Teil, 1996, S. 176; vgl. BGHSt 27, S. 30 ff. 290 Zu den verschiedenen nationalen Schutzkonzeptionen vgl. Classen, in: DVBl., 2002, S. 141 ff. (145 f.); vgl. Herdegen, in: JZ, 2001, S. 773 ff. (775); vgl. Kloepfer, in: JZ, 2002, S. 417 ff. (427); vgl. Schulz, Biomedizin, 2002, S. 64 f.; vgl. Schulz, in: ZRP, 2001, S. 526 ff. 291 Vgl. Kloepfer, in: JZ, 2002, S. 417 ff. (427).

II. Legitimer Zweck von Regelungen des Stammzellgesetzes

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von anderen Staaten gegenüber dem deutschen Recht und seinen Lösungen erwartet wird, es gebietet, grundsätzlich nur Handlungen im Inland an heimischen Rechtsvorstellungen zu messen. Akzeptiert man daher, dass Rechtsunterschiede im nationalen Vergleich nicht per se anstößig sind und Handlungen im Ausland, abgesehen von Fällen weltweit geächteten Unrechts, an den jeweils dort geltenden Rechtsvorstellungen zu messen sind, dann gibt es mit Blick auf die verfassungsrechtliche Garantie der Forschungsfreiheit keine Rechtfertigung dafür, die Forschung mit legal im Ausland hergestellten embryonalen Stammzellen grundsätzlich auszuschließen.ÿ292 Damit ist die Stichtagsregelung des § 4 Abs. 2 Nr. 1 a StZG, welche diesen Schutz von Embryonen im Ausland erreichen will,293 unter Legitimitätsgesichtspunkten verfassungswidrig.

4. Legitimität des Zwecks ÿAbwehr einer Vorteilsziehung aus einer früheren Menschenwürdeverletzungþ § 1 StZG nennt eine staatliche Verpflichtung, die Menschenwürde zu achten und zu schützen. Gemäß einer Begründung zum Entwurf des Stammzellgesetzes vom 27. Februar 2002 bezieht sich diese Verpflichtung auf den Schutz von Embryonen durch das Stammzellgesetz.294 Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers des Stammzellgesetzes perpetuiert sich eine Menschenwürdeverletzung von im Ausland zur Stammzellentnahme getöteten Embryonen, wenn Stammzellen als ýFrüchteÿ dieses Embryonenverbrauchs nach Deutschland eingeführt und hier verwendet werden, also Nutzen aus dieser ersten Menschenwürdeverletzung gezogen wird. Ein solcher nachwirkender Schutz der Menschenwürde ist aber nach Vorstellung des Gesetzgebers abwägbar gegen andere Güter, so dass bei Hochrangigkeit der Forschungsziele und Alternativlosigkeit der Forschungsmethoden dieser Nutzen aus einer früheren Menschenwürdeverletzung doch gezogen werden darf [vgl. Kapitel E. III. 3.].295 Zu Recht wird in der Begründung zum Stammzellgesetz ausdrücklich hervorgehoben: ýDer Erwerb nicht in Deutschland hergestellter embryonaler Stammzellen sowie die Forschung mit ihnen einschließlich ihrer Vermehrung und Kultivierung steht nicht im Konflikt mit anderen Verfassungsgütern, sofern er auf bereits existierende Stammzellen (vgl. Stichtagsregelung, Anm. K. K.) ___________ 292

DFG, Empfehlungen, 2001. Vgl. Deutscher Bundestag, Böhmer/v. Renesse/Fischer, Antrag, BT-Drucksache 14/8102, 2002, S. 3. 294 Vgl. Deutscher Bundestag, StZGE, BT-Drucksache 14/8394, 2002, S. 7 f. 295 Vgl. Taupitz, in: Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik, 2003, S. 335 ff. 293

84 G. Legitimitäts-, Verhältnismäßigkeits- und Bestimmtheitsprobleme des StZG

beschränkt wird.þ296 Die Gesetzesbegründung verweist aber weiter darauf, dass embryonale Stammzellen nicht wie jedes andere menschliche Material angesehen werden könnten, da zu ihrer Gewinnung unter einem Menschenwürdeverstoß Embryonen verbraucht werden müssen.297 Diese Begründung ist jedoch nicht überzeugend. Es wird nicht deutlich, inwiefern die Beurteilung embryonaler Stammzellen als ýFrucht einer Menschenwürdeverletzungÿ zu einem zwingenden verfassungsrechtlichen Kriterium wird. Eine zweite Verletzung der Menschenwürde von Embryonen durch Forschung an Körperzellen (nichts anderes sind Stammzellen) dieser ýembryonalen Menschenÿ kann nur dann angenommen werden, wenn die Verwendung dieser Zellen noch einmal den Embryo (wenn er noch leben würde) zum bloßen Mittel fremder Interessen machen würde. Denn nur der Embryo kann, wenn überhaupt, Subjekt der Menschenwürdeverletzung sein. Die Forschung an Stammzellen verletzt aber die Menschenwürde des Embryos nicht, da durch diese Handlung nicht der Embryo zum Mittel fremder Interessen gemacht wird, sondern nur noch die Stammzellen. In diesem Fall ist es genauso wie im Fall der Forschung an Körperzellen von Menschen, die etwa aus einem operierten Organ entnommen wurden, was die Menschenwürde dieses Menschen nicht verletzt. Dies geschieht auch täglich in Kliniken und Laboratorien. Der Stammzellgesetzgeber kann sich bei der Begründung eines nachwirkenden postmortalen Schutzes der Menschenwürde auch nicht auf die MephistoRechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berufen, denn es hat aus Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG nur einen auf menschliche Embryonen in vitro überhaupt nicht übertragbaren postmortalen Persönlichkeitsschutz abgeleitet. Denn diese Gewährleistung bezieht sich auf den ýsittliche[n], personale[n] und soziale[n] Geltungswert, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hatÿ.298 Embryonen erbrachten diese Lebensleistung nicht und eine Lebensleistung kann auch durch die Forschung an ihren Zellen nicht entwürdigt werden. Insofern kann also nicht begründet werden, inwiefern dieser postmortale Würdeschutz pränatalen Lebens ein verfassungsrechtliches Anliegen ist und die nach dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 GG nicht einschränkbare Forschungsfreiheit unter Hinweis darauf doch eingeschränkt werden kann. Die die postmortale Menschenwürde schützenden Vorschriften, insbesondere betreffend die Hochrangigkeit und Alternativlosigkeit in § 5 StZG, sind damit unter Legitimitätsgesichtspunkten verfassungswidrig.299 ___________ 296

Deutscher Bundestag, StZGE, BT-Drucksache 14/8394, 2002, S. 8. Vgl. Deutscher Bundestag, StZGE, BT-Drucksache 14/8394, 2002, S. 7. 298 BVerfG, in: NJW, 2001, S. 2957 ff. (2959). 299 Vgl. Taupitz, in: ZRP, 2002, S. 111 ff. (114). 297

III. II. Geeignetheitsprobleme Regelungen Stammzellgesetzes Legitimer Zweck vonvon Regelungen desdes Stammzellgesetzes

85

III. Geeignetheitsprobleme von Regelungen des Stammzellgesetzes 1. Definition Eine gesetzliche Beschränkung der Stammzellforschung muss geeignet sein, den Schutz von Embryonen in ihrem In-vitro-Zustand zu bewirken. Geeignet ist ein Mittel, wenn es zur Erreichung des angestrebten Zwecks tauglich ist,300 wobei nicht unbedingt die beste Möglichkeit gewählt werden muss.301 Es genügt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht, dass mit dem ausgewählten Mittel eine teilweise Verwirklichung des gesetzgeberischen Zwecks möglich ist.302

2. Geeignetheit der Stichtagsregelung in § 4 Abs. 2 Nr. 1 a StZG Besonders bei Regelungen im durch Dynamik geprägten technologischen Bereich der Stammzellforschung trifft den Gesetzgeber eine ständige Überprüfungspflicht,303 ob eine die Forschungsfreiheit einschränkende Vorschrift noch geeignet zur Zweckerreichung des Embryonenschutzes ist. Die Stichtagsregelung, nach der nur solche embryonale Stammzellen verwendet werden dürfen, die vor dem 1.1.2002 aus Embryonen gewonnen wurden, erfüllt diesen Zweck aber nicht mehr, wenn es im Ausland dennoch zur Produktion neuer Stammzelllinien nach dem 1.1.2002 gekommen ist. Sie muss daher dynamisch mit der Entwicklung neuer Stammzelllinien angepasst werden, damit die deutsche Forschung nicht unverhältnismäßig beschränkt wird. Die Stichtagsregelung wird sich aber auch insgesamt als ungeeignet zur Zweckerreichung, eine Tötung von Embryonen im Ausland zu verhindern, erweisen: Es muss nämlich davon ausgegangen werden, dass es auch ohne die Nachfrage aus Deutschland zu einer embryonenverbrauchenden Stammzellenproduktion im Ausland (möglicherweise sogar durch dort tätige deutsche Wis___________ 300

Vgl. BVerfGE 30, S. 292 ff. (316) û Indienstnahme Privater; vgl. BVerfGE 33, S. 171 ff. (187) û Honorarverteilungsmaßstäbe. 301 Vgl. Lerche, Übermaß, 1999, S. 19 f.; vgl. Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 50 f.; vgl. Albrecht, Zumutbarkeit, 1995, S. 69. 302 Vgl. BVerfGE 13, S. 97 ff. (113) û Handwerksbefähigungsnachweis; vgl. BVerfGE 16, S. 147 ff. (181 ff.) û Berufsausübungsregelung; vgl. BVerfGE 19, S. 119 ff. (126 f.) û Kuponsteuergesetz; vgl. Gentz, in: NJW, 1968, S. 1600 ff. (1603); vgl. Grabitz, in: AöR, 1973, S. 568 ff. (572); vgl. Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 51 f.; vgl. Stern, in: Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, § 84, S. 776 ff. 303 Vgl. BVerfGE 49, S. 89 ff. (141) û Kalkar; vgl. Roßnagel, in: ZRP, 1992, S. 55 ff. (56).

86 G. Legitimitäts-, Verhältnismäßigkeits- und Bestimmtheitsprobleme des StZG

senschaftler) kommen wird, und zwar in dem für Forschungszwecke weltweit erforderlichen Maße. Denn die Nachfrage aus Deutschland ist nicht so hoch, dass sie international eine quantitative Rolle spielt.304

IV. Erforderlichkeitsprobleme von Regelungen des Stammzellgesetzes 1. Definition Erforderlichkeit bedeutet, dass es kein milderes Mittel gibt, um den gleichen Erfolg im Hinblick auf den angestrebten Zweck des Embryonenschutzes zu erreichen. Von eventuell mehreren gleich geeigneten Maßnahmen,305 die dem Gesetzgeber zur Wahl stehen, muss er diejenige auswählen, die die Freiheit am wenigsten beschränkt.306 Die Prüfung der Erforderlichkeit basiert also auf einem Mittel-Mittel-Vergleich.307

2. Erforderlichkeit der Stichtagsregelung gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 a StZG Erhebliche Zweifel an der Erforderlichkeit der Stichtagsregelung gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 a StZG ergeben sich aus der Überlegung, dass eine Regelung, wonach die Gewinnung von Stammzellen im Ausland unabhängig von deutschen Forschungsprojekten stattgefunden haben muss, eine weniger eingreifende Maßnahme darstellen würde.308 Denn auch durch eine derartige Regelung kann verhindert werden, dass eine Tötung noch lebender Embryonen von Deutschland aus veranlasst wird. Wenn diese Stammzellen aber unabhängig von einer ___________ 304

Vgl. Kloepfer, in: JZ, 2002, S. 417 ff. (428). Vgl. Wittig, in: DöV, 1968, S. 817 ff. (817); vgl. Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 59 und S. 64; vgl. Dechsling, Verhältnismäßigkeitsgebot, 1989, S. 55 f.; vgl. Jakobs, Verhältnismäßigkeit, 1985, S. 66; vgl. Ipsen, Grundrechte, 2005, Rn. 178; vgl. Albrecht, Zumutbarkeit, 1995, S. 71; vgl. Stern, in: Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, § 84, S. 780 f. 306 Vgl. Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 65; vgl. Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 2003, Art. 20, Rn. 100; vgl. Stern, in: Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, § 84, S. 779; vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig/Badura/Di Fabio/Herdegen/Herzog/Klein/Korioth/ Lerche/Papier/Randelzhofer/Schmidt-Aßmann/Scholz, Grundgesetz, Bd. III, 2005, Art. 20 VII, Rn. 75. 307 Vgl. BVerfGE 30, S. 250 ff. (263) û Zwecktauglichkeit; vgl. BVerfGE 50, S. 290 ff. (335) û Mitbestimmungsurteil. 308 Vgl. Taupitz, in: ZRP, 2002, S. 111 ff. (114). 305

IV. Erforderlichkeitsprobleme von Regelungen des Stammzellgesetzes

87

Nachfrage aus Deutschland erzeugt worden sind, könnte mit diesen neueren, nach dem 1.1.2002 erzeugten Stammzellen dann auch in Deutschland geforscht werden. Dies würde den Anschluss deutscher Forscher an internationale Fortentwicklungen der Wissenschaft ermöglichen, der durch die Stichtagsregelung verhindert werden kann.

3. Erforderlichkeit der Strafvorschriften des § 13 StZG Die gesetzgeberische Formulierung ýDer Import humaner embryonaler Stammzellen ist verbotenÿ könnte zwar den Eindruck erwecken, dass ein repressives Verbot des Stammzellimports geschaffen wurde. In § 6 Abs. 4 StZG ist aber geregelt, dass die Genehmigung zwingend zu erteilen ist, wenn die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 StZG und des § 5 StZG sowie die Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission vorliegen. Daher liegt vielmehr ein präventives Verbot mit gebundener Erlaubnis vor.309 Der Gesetzgeber hatte hier verfassungsrechtlich auch keine andere Möglichkeit. Da Verbote einen bedeutsamen Eingriff in Grundrechte darstellen, ist er aufgrund von Erforderlichkeitserwägungen gezwungen, sich der gebundenen Erlaubnis als geringer eingreifendem Mittel zu bedienen, wenn dies zur Erreichung des Gesetzeszweckes im Wesentlichen genauso geeignet ist wie ein repressives Verbot. Dies ist beim Stammzellgesetz der Fall, denn die Regelungen des Stammzellgesetzes stellen sicher, dass der Gesetzeszweck vollständig erreicht wird. Die Strafvorschriften in § 13 StZG schützen im Wesentlichen die Vorschriften des § 4 Abs. 2 StZG, also die Stichtagsregelung und die ausschließlich unentgeltliche Gewinnung aus überzähligen IVF-Embryonen, sowie des § 5 StZG, also das Hochrangigkeits- und Alternativlosigkeitserfordernis. Soweit aber diese Vorschriften entsprechend der Ausführungen in dieser Untersuchung verfassungsrechtlich zu beanstanden sind, sind auch die sich auf sie beziehenden Strafvorschriften verfassungswidrig.

___________ 309 Vgl. Huber, Verwaltungsrecht, 1997, S. 174; vgl. Maurer, Verwaltungsrecht, 2004, § 9, Rn. 51.

88 G. Legitimitäts-, Verhältnismäßigkeits- und Bestimmtheitsprobleme des StZG

V. Gebotenheitsprobleme von Regelungen des Stammzellgesetzes 1. Notwendige Abwägungen im Rahmen der Gebotenheitsprüfung Die Gebotenheit einer Norm ist das letzte Kriterium des Verhältnismäßigkeitsprinzips.310 Sie besagt, dass der Verlust an Freiheit nicht in einem unangemessenen Verhältnis zu dem zu erreichenden Zweck stehen darf.311 Dabei wird untersucht, ob die gesetzliche Vorschrift den jeweils kollidierenden Verfassungsgütern so weit wie möglich zu ihrem Recht verhilft. Eine abstrakte Rangordnung312 zwischen den Verfassungsbestimmungen gibt es außer bei den Verfassungsbestimmungen, die gemäß Art. 79 Abs. 3 GG von der Verfassungsänderung ausgeschlossen sind, nicht.313 Im vorliegenden Fall muss also der Lebens- und Menschenwürdeschutz des Embryos gegen die Forschungsfreiheit abgewogen werden und geprüft werden, ob der Gesetzgeber diese richtig gewichtet hat. Wenn man sich der Mindermeinung der Literatur anschließt, dass (bei Annahme eines Grundrechtsschutzes von Embryonen) die Tötung überzähliger Embryonen zur Stammzellgewinnung keine Menschenwürdeverletzung darstellt [vgl. Kapitel E. III. 2. c)], so ist allein der Lebensschutz von Embryonen (aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) gegen die Forschungsfreiheit (aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) abzuwägen. Eine Verletzung des nachwirkenden Menschenwürdeschutzes im Zusammenhang mit der Stammzellforschung ist dann logisch nicht möglich [vgl. Kapitel E. III. 3.]. Wenn man nicht nur von einer Verletzung des Lebensrechts bei einer Abtötung der Embryonen ausgeht, sondern mit der herrschenden Meinung der Literatur [vgl. Kapitel E. III. 2. c)] und der Meinung des Gesetzgebers [vgl. Kapitel E. III. 3.] auch von einer Menschenwürdeverletzung, und wenn ihnen der Grundrechtsschutz zugebilligt wird, so ist keine Abwägbarkeit mit der Forschungsfreiheit gegeben. Der Schutz noch lebender Embryonen überwiegt die Forschungsfreiheit. Der Gesetzgeber kann aber im Zusammenhang mit der Be___________ 310

Die Begriffe Gebotenheit, Verhältnismäßigkeit i.e.S., Proportionalität und Zumutbarkeit werden von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gleichermaßen verwendet; vgl. Albrecht, Zumutbarkeit, 1995, S. 91 ff. 311 Vgl. Lerche, Übermaß, 1999, S. 22; vgl. Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 75 ff.; vgl. Stern, in: Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, § 84, S. 782 f.; vgl. BVerfGE 67, S. 157 ff. (173) û Überwachung Briefverkehr. 312 Vgl. Alexy, Theorie, 2001, S. 142. 313 Vgl. Goerlich, Wertordnung, 1973, S. 67 und 84; vgl. Alexy, Theorie, 2001, S. 138 ff.; vgl. Dreier, Dimensionen, 1993, S. 12 ff.; vgl. Losch, Wissenschaftsfreiheit, 1993, S. 195 ff.

V. Gebotenheitsprobleme von Regelungen des Stammzellgesetzes

89

urteilung der Stammzellforschung den nachwirkenden und relativen Menschenwürdeschutz von Embryonen gegen die Forschungsfreiheit abwägen.

2. Verbotsgleiche Wirkung der Stichtagsregelung gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 a StZG auf die Forschungsfreiheit Die Stichtagsregelung hat eine verbotsgleiche Wirkung für die Wissenschaft, wenn die verbleibenden alten Stammzellkulturen quantitativ oder qualitativ für die Forschungsbedürfnisse in Deutschland unzureichend sind: Wenn Forscher im Ausland qualitativ verbesserte Stammzellkulturen besitzen, mit denen in Deutschland nicht geforscht werden darf, können die deutschen Forscher möglicherweise allein schon aus diesem Grund den Stand der internationalen Wissenschaft nicht mehr halten. Forschern in Deutschland würde sogar eine mögliche Nutzung von im Ausland erzielten Fortschritten verwehrt werden.314 Dies kann dazu führen, dass in Deutschland wie bei einem Verbot jede sinnvolle Stammzellforschung verhindert wird. Es ist davon auszugehen, dass die vor dem 1.1.2002 erzeugten Stammzelllinien nicht ausreichen werden, auch nur ansatzweise Forschungserfolge zu erzielen: Zwar werden im NIH-Register über 70 Stammzelllinien geführt, der Zugang zu ihnen ist jedoch wegen privatwirtschaftlicher Hindernisse nicht gesichert und außerdem ist ihr wissenschaftliches Potenzial nicht abschätzbar. So eignen sich diese etablierten Stammzelllinien wahrscheinlich nicht für eine therapeutische Verwendung, da sie alle mit Hilfe von Mausnährzellen gezüchtet wurden und daher verunreinigt sind.

3. Verbot der Verwendung von Stammzellen zu Therapiezwecken gemäß § 4 Abs. 2 StZG Die Forschungsfreiheit besitzt nicht nur die individuelle Komponente des einzelnen Forschers,315 sondern auch eine gesellschaftliche. Denn Forschung, insbesondere die medizinische, hat eine tiefgreifende Bedeutung für das Zusammenleben:316 Forschung ist eine der wichtigsten Grundlagen des Fort___________ 314

Vgl. Kloepfer, in: JZ, 2002, S. 417 ff. (427). Vgl. BVerfGE 35, S. 79 ff. (114) û Niedersächsisches GesamthochschulG; vgl. Losch, Wissenschaftsfreiheit, 1993, S. 151 f. 316 Vgl. Püttner, in: Günther/Keller, 1991, S. 79 ff. (81); vgl. Losch, Wissenschaftsfreiheit, 1993, S. 150 f.; vgl. BVerfGE 47, S. 327 ff. (368) û HUG. 315

90 G. Legitimitäts-, Verhältnismäßigkeits- und Bestimmtheitsprobleme des StZG

schritts der Zivilisation und hat damit einen allgemeinen Wohlfahrtsbezug317 und ist ÿein Stück Daseinsvorsorge für die nachfolgenden Generationenþ.318 Sie wird sogar in den Kontext der Menschenwürde gebracht.319 Beachtung verdient dabei insbesondere die Bewältigung von Krankheiten durch medizinische Fortschritte, was als ein Aspekt des Rechts auf körperliche Unversehrtheit bzw. Leben gesehen werden kann.320 Der medizinische Fortschritt bei der Erforschung von Krankheitsursachen und ihrer Therapiemöglichkeiten durch Zellersatz setzt auch die Forschung mit Stammzellen und ihre Gewinnung aus Embryonen voraus.321 Denn neue Therapieverfahren müssen zwangsläufig zuerst das Stadium des Versuchs durchlaufen, welches erst für ihre Anwendungsmöglichkeiten Beweise liefern kann.322 Anderseits setzt der medizinische Fortschritt und die wissenschaftliche Forschung die therapeutische Anwendung voraus, aus der Erkenntnisse für weitere Forschungen gewonnen werden. Stammzellen dürfen aber gemäß § 4 Abs. 2 StZG selbst bei Erfüllung aller Voraussetzungen des Gesetzes nur zu ýForschungszweckenÿ, nicht zu therapeutischen Zwecken verwendet werden. Das Stammzellgesetz verbietet also gerade die grundrechtlich geschützten Anwendungsfälle einer Therapie, zu deren Zweck nach Vorstellung des Gesetzgebers Einschränkungen vom postmortalen Menschenwürdeschutz angenommen wurden. Selbst wenn die vorhandenen Stammzelllinien für Therapien ausreichen sollten, werden deutsche Forscher dadurch den Anschluss an die internationale Forschung verlieren, da das Verbot therapeutischer Anwendungen in Deutschland das unerlässliche Miteinander von wissenschaftlicher Forschung und klinischer Anwendung verhindert. Es ist damit zu rechnen, dass auch auf diese Weise in Deutschland gleich einem Verbot eine sinnvolle Stammzellforschung unmöglich gemacht wird.

___________ 317 Vgl. Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Bd. VI, 2001, § 145, Rn. 62; vgl. Losch, Wissenschaftsfreiheit, 1993, S. 127. 318 Wegehaupt, Wissenschaftsfreiheit, 1994, S. 51; vgl. Oppermann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Bd. VI, 2001, § 145, Rn. 62; vgl. BVerfGE 35, S. 79 ff. (114) û Niedersächsisches Gesamthochschulgesetz. 319 Vgl. Losch, Wissenschaftsfreiheit, 1993, S. 129 ff. 320 Vgl. BVerfGE 56, S. 54 ff. (74 f.) û Fluglärm; die psychische Integrität ist nur dann durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützt, wenn auch die körperliche Integrität beeinträchtigt wird, vgl. Lorenz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Bd. VI, 2001, § 128, Rn. 18; vgl. Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, 2003, Art. 2, Rn. 149 f.; vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 2004, Art. 2 Abs. 2, Rn. 35 f.; vgl. Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz, Bd. I, 2000, Art. 2, Rn. 62 f.; eine extensivere Ansicht vertritt Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, 2004, Rn. 393; vgl. Hermes, Leben, 1987, S. 224 ff. 321 Vgl. Deutsch, in: NJW, 1995, S. 3019 ff. (3021). 322 Vgl. Deutsch, Forschung, 1979, S. 13 und S. 153 f.; vgl. Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 53.

V. Gebotenheitsprobleme von Regelungen des Stammzellgesetzes

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4. Verbot der Verwendung von Stammzellen aus Forschungsembryonen gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 b StZG Die Gewinnung von Stammzellen aus Forschungsembryonen, besonders auch aus durch therapeutische Klonierung gewonnenen Embryonen, ist gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 b StZG verboten. Bei der Herstellung von Embryonen zu Forschungs- und Therapiezwecken und anschließender Tötung zur Stammzellgewinnung handelt es sich nach Vorstellung des Stammzellgesetzgebers um einen derart verwerflichen Vorgang, dass selbst bei Erfüllung aller sonstigen Genehmigungsvoraussetzungen des Stammzellgesetzes der postmortale und eigentlich abwägbare Menschenwürdeschutz zu einem vollständigen Forschungsverbot mit diesen Stammzellen führt. Abgesehen davon, dass auch zu Forschungszwecken erzeugten Embryonen kein Grundrechtsschutz zukommt [vgl. Kapitel F. IV. 6.], ist diese Beurteilung verfassungsrechtlich zu beanstanden, da in dieser Abwägung der nachwirkenden Menschenwürdeverletzung ein tatsächlich nicht vorhandenes Gewicht ýaufgrund besonderer Verwerflichkeitÿ beigemessen wird: ýDie Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken [stellt] in ethischer Hinsicht ein Problem dar, das sich von der Nutzung überzähliger Embryonen noch einmal deutlich unterscheidet, wird doch hier ein Embryo eigens deshalb hergestellt, um die angestrebte Entnahme von Stammzellen zu ermöglichen.þ323 Hier wird also argumentiert, dass das absichtliche Schaffen einer Situation, in der dann verwerflich gehandelt werden soll, ebenfalls verwerflich ist, weil so erst die verwerfliche Anschlusstat ermöglicht wird. Es sei gleichgültig, dass die absichtlich herbeigeführte Situation für sich alleine betrachtet nicht verwerflich ist, wie dies für die Erzeugung eines Embryos zutrifft und in der Reproduktionsmedizin durch In-vitro-Fertilisation häufig erfolgt. Entsprechend wie die Anschlusstat die Verwerflichkeit der Vortat erzeugt, wird auch die Verwerflichkeit der Anschlusstat erhöht, da sie die Vortat veranlasst hat. Denn der erste Teil (die Erzeugung der Embryonen) wäre ohne den erwarteten zweiten Teil (Gewinnung von Stammzellen) überhaupt nicht vorgenommen worden.324 Dieser Argumentation ist aber zu entgegnen, dass auch ýnurÿ die Abtötung von überzähligen Embryonen als ývollständigerÿ Menschenwürdeverstoß zu betrachten ist und dass dieser Menschenwürdeverstoß auch bei der Gewinnung aus Forschungsembryonen als genau gleich einschneidend zu bewerten ist. Denn es gibt keine mehr oder weniger verwerflichen Menschenwürdeverletzungen. Da jede Menschenwürdeverletzung nicht hinnehmbar ist, ist die Tötung von Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen jeder Art, unabhängig ___________ 323 324

DFG, Empfehlungen, 2001, Ziff. 10. Vgl. Merkel, Forschungsobjekt, 2002, S. 223 ff.

92 G. Legitimitäts-, Verhältnismäßigkeits- und Bestimmtheitsprobleme des StZG

von der Weise ihrer Herstellung, als gleich zu beurteilende Menschenwürdeverletzung zu sehen, wenn man Embryonen einen Grundrechtsschutz zubilligt. Daraus folgt, dass es unlogisch ist, im Fall der Stammzellgewinnung aus überzähligen Embryonen zum Ergebnis einer abwägbaren Nachwirkung des Menschenwürdeverstoßes zu gelangen, im Fall der Gewinnung aus Forschungsembryonen, auch durch Klonierung, zu einer nicht abwägbaren Nachwirkung des Menschenwürdeverstoßes. Denn die Tatsache der Abwägbarkeit der nachwirkenden Menschenwürdewürdeverletzung hat ihren Grund nicht in einem ýweniger verwerflichenÿ Menschenwürdeverstoß bei der Tötung von überzähligen Embryonen, die genauso ein voller Menschenwürdeverstoß ist wie die Tötung von Forschungsembryonen, sondern in der Tatsache der Nachwirkung. Damit wurde gezeigt, dass der Stammzellgesetzgeber der nachwirkenden Menschenwürde in den Fällen der Verwendung von (klonierten) Forschungsembryonen ein zu starkes Gewicht beigemessen hat, welches zum Verbot der Einfuhr und Verwendung von Stammzellen aus diesen Quellen führte. Diese Verbote sind daher nicht geboten.

VI. Bestimmtheitsprobleme von Regelungen des Stammzellgesetzes 1. Charakterisierung des Bestimmtheitsgebots Das Bestimmtheitsgebot ist eine der bedeutsamsten Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips an das Gesetz und findet für Strafgesetze in Art. 103 Abs. 2 GG seine spezielle Ausprägung.325 Es ist aber auch für die gesetzgebende ___________ 325

Vgl. BVerfGE 14, S. 174 ff. (185 f.) û Ermächtigung zur Strafandrohung; vgl. BVerfGE 14, S. 245 ff. (251 f.) û Öffentliche Wege; vgl. BVerfGE 25, S. 269 ff. (285) û Berechnungsgesetz; vgl. BVerfGE 26, S. 186 ff. (204) û Ehrengerichtshöfe; vgl. BVerfGE 28, S. 175 ff. (183) û Bestimmtheitsgebot; vgl. BVerfGE 32, S. 346 ff. (363) û Gemeindesatzungen; vgl. BVerfGE 37, S. 201 ff. (208f.) û Mineralölsteuerhinterziehung; vgl. BVerfGE 41, S. 314 ff. (319) û Heimarbeit; vgl. BVerfGE 45, S. 363 ff. (370 ff.) û Landesverrat; vgl. BVerfGE 48, S. 48 ff. (56 f.) û Konkursordnung; vgl. BVerfGE 50, S. 142 ff. (164 f.) û Unterhaltspflicht; vgl. BVerfGE 51, S. 60 ff. (73 f.) û Hilfsmotor; vgl. BVerfGE 55, S. 144 ff. (152) û Gewerblicher Binnenschiffsverkehr; vgl. BVerfGE 57, S. 29 ff. (35) û Uniformtrageverbot; vgl. BVerfGE 57, S. 250 ff. (262 ff.) û Zeugenbefragung; vgl. BVerfGE 60, S. 215 ff. (233 f.) û Berufsausübung von Steuerberatern; vgl. BVerfGE 58, S. 358 ff. (365) û Arbeitsauflage; vgl. Schünemann, Nulla poena, 1978; vgl. Krey, Gesetzesvorbehalt, 1977; vgl. Löwer, in: JZ, 1979, S. 621 ff. (629 ff.); vgl. Höpfel, in: JBl., 1979, S. 505 ff. und S. 575 ff.

VI. Bestimmtheitsprobleme von Regelungen des Stammzellgesetzes

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Gewalt in allen anderen Bereichen bindend:326 ÿWenn die Fassung eines Gesetzes seinen wirklichen Gehalt nicht zum Ausdruck bringt, wenn sie mißverständlich oder irreführend ist, oder wenn das Gesetz in sich widerspruchsvoll ist, kann es wegen Widerspruchs mit den Grundsätzen des Rechtsstaates nichtig sein.þ327 Zwar ist nicht zu beanstanden, dass allgemeine Auslegungsmethoden zur Interpretation herangezogen werden;328 verlangt wird aber aus Gründen der Rechtssicherheit ausreichende Genauigkeit dessen, was das Regelungsgebot oder Regelungsverbot enthalten soll, damit die Normadressaten die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten entsprechend ausrichten können.329

2. Unbestimmtheit bezüglich des Begriffs der Hochrangigkeit in § 5 Nr. 1 StZG Obwohl die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ýRecht und Ethik der modernen Medizinÿ den Gesetzgeber aufgefordert hat, ýdie allgemeinen Kriterien der Hochrangigkeit müssten vom Gesetzgeber festgelegt werdenÿ330, lässt § 5 Nr. 1 StZG eine Konkretisierung vermissen. Der Normadressat kann nicht erkennen, was eine ýhochrangigeÿ Forschung ausmacht. Der ___________ 326

Vgl. BVerfGE 59, S. 104 ff. (114) û Umschreibung; vgl. Dubs, in: Schweizerischer Juristenverein, Rechtsetzung, 1974, 2. Halbbd., S. 223 ff.; vgl. Geitmann, Bundesverfassungsgericht, 1971; Klarheit, Eindeutigkeit und Nachvollziehbarkeit verlangt das OVG Lüneburg, in: OVGE 34, S. 367 ff. (368 f.); Überschaubarkeit verlangt der BayVfGH, in: VerwRspr. 1981, S. 897 ff. 327 BVerfGE 1, S. 14 ff. (16) û Neugliederung des Bundesgebietes; vgl. BVerfGE 14, S. 13 ff. (16) û G131-Zahlungen; vgl. BVerfGE 17, S. 306 ff. (308, 314) û Gesetzesgestaltung. 328 Vgl. BVerfGE 17, S. 67 ff. (82) û Umsiedler; vgl. BVerfGE 31, S. 255 ff. (264) û Tonbandvervielfältigungen; vgl. BVerfGE 37, S. 132 ff. (142) û Mieter-Kündigungsschutz; vgl. BVerfGE 45, S. 400 ff. (420) û Gymnasiale Oberstufe; vgl. BVerfGE 49, S. 89 ff. (134) û Kalkar; vgl. BVerfGE 49, S. 168 ff. (181 f.) û Aufenthaltsgenehmigung; vgl. BVerfGE 50, S. 290 ff. (378) û Mitbestimmungsurteil; vgl. BVerfGE 57, S. 29 ff. (35) û Uniformtrageverbot; vgl. BVerfGE 57, S. 250 ff. (262 ff.) û Zeugenbefragung; vgl. BVerfGE 59, S. 104 ff. (114 ff.) û Umschreibung. 329 Vgl. BVerfGE 17, S. 306 ff. (314) û Gesetzesgestaltung; vgl. BVerfGE 19, S. 253 ff. (267) û Besteuerungsrecht einer Religionsgemeinschaft; vgl. BVerfGE 21, S. 209 ff. (215) û Nachprüfung einfachen Rechts; vgl. BVerfGE 37, S. 132 ff. (142) û MieterKündigungsschutz; vgl. BVerfGE 49, S. 343 ff. (362) û Abgabe wegen Änderung der Gemeindeverhältnisse; vgl. BVerfGE 50, S. 166 ff. (173) û Ausweisung eines Ausländers; vgl. BVerfGE 54, S. 237 ff. (247) û Sozietätsverbot; vgl. BVerfGE 57, S. 250 ff. (262) û Zeugenbefragung; vgl. BVerfGE 59, S. 104 ff. (114) û Umschreibung. 330 Enquete-Kommission, in: Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik, Bd. VII, 2002, S. 445 ff. (453).

94 G. Legitimitäts-, Verhältnismäßigkeits- und Bestimmtheitsprobleme des StZG

Begriff ist eine Worthülse und suggeriert in seiner Unbestimmtheit eine Entscheidungskompetenz der Behörde, die ihr tatsächlich nicht zukommt. Dies soll im Folgenden gezeigt werden. Wesensmerkmal der in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gewährleisteten wissenschaftlichen Forschung ist ihre Irrtumsoffenheit.331 ÿDer Staat darf eine bestimmte Forschungsrichtung und ihre -methoden nicht unterdrücken, weil er sie für erfolglos und vielleicht schon im Ansatz für verfehlt hält.ÿ332 Gesellschaftliche Nützlichkeitserwägungen oder politische Zweckmäßigkeitserwägungen dürfen keine Rolle bei der Frage der Beurteilung des Rangs von Forschungszielen spielen.333 Auch ýunorthodoxes oder intuitives Vorgehenÿ334 genießt den Schutz der Forschungsfreiheit. Denn die Forschungsfreiheit untersagt ýdem Staat eingriffsrechtlich jedes Wissenschaftsrichtertumÿ335. Wenn der Staat nun eine Forschung als nicht hochrangig qualifiziert (ganz gleich mit welcher inhaltlichen Begründung), tut er aber genau dies: Er unterdrückt bestimmte Forschungsrichtungen. Daraus folgt, dass sich die Behörde bei einer Entscheidung über die Hochrangigkeit eines Forschungsvorhabens nur auf die Begründung der Hochrangigkeit des Forschers beziehen und selbst diese Begründung nicht inhaltlich hinterfragen darf. Jede eigene inhaltliche Einschätzung der Behörde ist eine willkürliche Begrenzung der schrankenlos gewährten Forschungsfreiheit. Selbst bei formalen Mängeln der Begründung der Hochrangigkeit der Forschungsziele, das scheinbar ýsystematische Ausblenden von Fakten, Quellen, Ansichten und Ergebnissenÿ336, können nicht ausreichen, die eigene Einschätzung der Hochrangigkeit des antragstellenden Forschers in Frage zu stellen. Denn häufig geschieht die Auseinandersetzung mit anderen Quellen, Ansichten und Ergebnissen erst im Fortgang wissenschaftlicher Tätigkeit. Die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheit ist nicht darlegungs- und begründungsbedürftig.337 Daraus folgt, dass Zweifel an der Hochrangigkeit nur dann begründet sind, wenn der Forscher seine Forschung selbst nicht als hochrangig ansieht, das Prüfungskriterium ist also in Wirklichkeit keines. Dies ist in der Genehmigungspraxis nicht gewährleistet, da dem Begriff aufgrund der dies nicht klar___________ 331

Vgl. Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein, Grundgesetz, 2002, Art. 5 Abs. 3 l, Rn. 17; vgl. BVerfGE 90, S. 1 ff. (12) û Wahrheit für Deutschland. 332 Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein, Grundgesetz, 2002, Art. 5 Abs. 3 l, Rn. 15. 333 Vgl. BVerfGE 47, S. 327 ff. (370) û HUG. 334 BVerfGE 90, S. 1 ff. (12) û Wahrheit für Deutschland. 335 BVerfGE 47, S. 327 ff. (369) û HUG. 336 BVerfGE 90, S. 1 ff. (13) û Wahrheit für Deutschland. 337 Vgl. Nationaler Ethikrat, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Biomedizin, Juni 2005, Bd. IV, Teil II, F, S. 1 ff. (11).

VI. Bestimmtheitsprobleme von Regelungen des Stammzellgesetzes

95

stellenden Unbestimmtheit der Anschein einer inhaltlichen und formalen Überprüfungskompetenz der Behörde anhaftet. Die von der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ýRecht und Ethik der modernen Medizinÿ genannten inhaltlichen Kriterien der ýDringlichkeitÿ, der ýZahl der [...] betroffenen Menschenÿ, des ýVorhandensein[s] von Behandlungsalternativenÿ oder der ýaufzuwendenden Ressourcenÿ338 sind daher für eine hinreichende wissenschaftlich begründete Darlegung der Hochrangigkeit von Forschungszielen im Sinne des § 5 Nr. 1 StZG unbeachtlich.339

3. Unbestimmtheit des Begriffs der wissenschaftlich begründeten Darlegung in § 5 StZG im Bezug auf das Alternativlosigkeitserfordernis in § 5 Nr. 2 StZG § 5 StZG fordert den wissenschaftlich begründeten Nachweis der Alternativlosigkeit der Stammzellforschung für die im Forschungsvorhaben zu bearbeitende Fragestellung. Diese Formulierung suggeriert in ihrer Unbestimmtheit eine Entscheidungskompetenz der Behörde über die wissenschaftliche Begründung, die ihr tatsächlich nicht zukommt. Ob und wann nämlich embryonale Stammzellen in Forschungen einzubeziehen sind, ist eine rein naturwissenschaftliche Frage, die nur von den Naturwissenschaftlern selbst beantwortet werden kann. Werden Wissenschaftler zunächst auf In-vitro-Modelle, tierische Zellen, Tierexperimente oder andere Stammzellen, wie adulte Stammzellen, verwiesen, ist dies mit Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG nicht vereinbar. Denn es sei nochmals betont, dass es keine Begründungsnotwendigkeit grundrechtlicher Freiheit gibt.340 Die Behörde darf die Begründung des Wissenschaftlers also auch nicht überprüfen. Darüber hinaus ist eine wissenschaftlich begründete Darlegung der Alternativlosigkeit meist unmöglich, denn Forschungsprognosen sind zwingend mit Unsicherheit behaftet. Durch die gewählte Formulierung des Erfordernisses der wissenschaftlich begründeten Darlegung der Alternativlosigkeit wird aber suggeriert, dass der Nachweis, dass die Forschung mit anderen Zellen nicht in gleicher Weise erfolgversprechend ist, den Forscher trifft.341 Wegen des Fehlens klarstellender ___________ 338 339

Deutscher Bundestag, Stammzellforschung, BT-Drucksache 14/7546, 2001, S. 29. Vgl. Dederer, in: Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik, 2003, S. 305 ff. (309-

311). 340

Vgl. Nationaler Ethikrat, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Biomedizin, Juni 2005, Bd. IV, Teil II, F, S. 1 ff. (11). 341 Vgl. Zentrale Ethik-Kommission für Stammzellforschung, Zweiter Tätigkeitsbericht, 2004.

96 G. Legitimitäts-, Verhältnismäßigkeits- und Bestimmtheitsprobleme des StZG

Regelungen ist also gesetzgeberisch nicht ausgeschlossen, dass diese Unsicherheit, die jeder Forschung inhärent ist, zu Lasten der Forschungsfreiheit geht.342

4. Bestimmtheitsprobleme der Strafvorschriften in § 13 StZG Aufgrund der Gebietshoheit der souveränen Staaten geht das deutsche Strafrecht in § 3 StGB vom Territorialgrundsatz aus, nach dem grundsätzlich nur Inlandstaten der deutschen Strafgewalt unterliegen.343 Eine umstrittene344 Durchbrechung dieses Grundsatzes liegt in § 9 Abs. 2 S. 2 StGB, der den staatlichen Strafanspruch auf die Fälle einer Straftat im Ausland erstreckt, die zwar nach deutschem, nicht jedoch nach dem ausländischen Recht mit Strafe bedroht ist.345 Nach § 2 Abs. 1 ESchG i.V.m. § 9 Abs. 2 S. 2 StGB wird eine von Deutschland ausgehende Beteiligung an der Gewinnung von embryonalen Stammzellen, nach § 13 StZG i.V.m. § 9 Abs. 2 S. 2 StGB eine von Deutschland ausgehende Beteiligung an ausländischen Forschungsarbeiten mit im Ausland bereits bestehenden Stammzellen verfolgt.346 Der Bundestag hat einen Antrag mehrheitlich abgelehnt,347 der darauf gerichtet war, dass § 9 Abs. 2 S. 2 StGB auf die Strafbarkeit nach § 13 Abs. 1 und 2 StZG keine Anwendung finden sollte.348 Die jetzt bestehende Rechtslage führt zur Situation, dass eine Beteiligung deutscher Wissenschaftler (sofern sie nicht im Ausland tätig sind) an ausländischer Stammzellforschung, die in Deutschland verboten wäre (etwa weil sie nicht auf überzähligen Embryonen beruht), auch dann strafbewehrt ist, wenn diese Forschung im Ausland erlaubt ist.349 Ein deutscher Forscher könnte nun ___________ 342

Vgl. Merkel, Forschungsobjekt, 2002, S. 261. Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder/Lenckner/Cramer/Eser/Stree, Strafgesetzbuch, 2001, § 3, Rn. 1; vgl. Jescheck/Weigend, Allgemeiner Teil, 1996, S. 167. 344 Vgl. Jung, in: JZ, 1979, S. 325 ff. 345 Vgl. Jescheck/Weigend, Allgemeiner Teil, 1996, S. 176 und S. 179. 346 Vgl. Deutscher Bundestag, Beschlussempfehlung, BT-Drucksache, 14/8846, 2002, S. 14. 347 Vgl. Deutscher Bundestag, Änderungsantrag Flach/Pieper/Homburger, BTDrucksache 14/8869, 2002. 348 Vgl. Deutscher Bundestag, BT-Plenarprotokoll, 14/233, 2002, S. 23209 ff. (23229). 349 Vgl. zu den Konsequenzen dieser Regelung die Abgeordneten v. Renesse, Lensing, Catenhusen, Hintze und Flach, die übereinstimmend auf die für deutsche Forscher damit verbundenen unkalkulierbaren Risiken einer Strafverfolgung hingewiesen haben: Deutscher Bundestag, BT-Plenarprotokoll, 14/233, 2002, S. 23209 ff. (23210 f. und 23212 und 23214 und 23221 und 23223). 343

VI. Bestimmtheitsprobleme von Regelungen des Stammzellgesetzes

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von Deutschland aus Beiträge zu einer Forschung an Stammzellen liefern, welche in Deutschland verboten ist und sich dadurch strafbar machen, obwohl er selbst mit diesen Zellen überhaupt nicht arbeitet. Dies bringt Bestimmtheitsprobleme auch dieser Regelung mit sich.350 Für deutsche Forscher ist nämlich nicht mehr vorhersehbar, wann eine Beteiligung an internationalen Forschungskooperationen als strafwürdiges Unrecht zu werten ist.351 Forschungsergebnisse lassen sich nicht nur einem bestimmten Staat zuordnen, sondern sind vom grenzüberschreitenden Austausch der Ideen und internationalen Forschungsarbeiten abhängig.352 Die Gewährleistung des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG muss sich daher auch auf diese internationale Dimension erstrecken.353 Dies trägt auch der zunehmenden Bedeutung der Forschungspolitik im gemeinschaftsrechtlichen Kontext (vgl. Art. 163 ff. EGV) Rechnung.354 Das Bestimmtheitsgebot erfordert es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass der Einzelne das Risiko einer Bestrafung,355 das durch die Strafnorm geschützte Rechtsgut und das Verbotensein einer bestimmten Verhaltensweise erkennen kann.356 Die Beteiligungsregelung des § 9 Abs. 2 S. 2 StGB i.V.m. § 13 StZG genügt diesen Anforderungen nicht.357 Denn es ist nicht erkennbar, in welchen Grenzen sich eine internationale Forschungstätigkeit bewegen darf. Die damit einhergehende Unsicherheit ist mit Behinderung oder Verhinderung internationaler Forschung gleichzusetzen.

___________ 350

Vgl. Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, 2003, Art. 103, Rn. 60 ff.; vgl. Nolte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. III, 2001, Art. 103, Rn. 138 ff.; vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig/Badura/Di Fabio/Herdegen/Herzog/Klein/Korioth/ Lerche/Papier/Randelzhofer/Schmidt-Aßmann/Scholz, Grundgesetz, Bd. VI, 2005, Art. 103 II, Rn. 178 ff.; vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. III, 2000, Art. 103 II, Rn. 33 ff. 351 Vgl. Deutscher Bundestag, BT-Plenarprotokoll, 14/233, S. 23209 ff. (23223). 352 Vgl. Pernice, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 2004, Art. 5 III (Wissenschaft), Rn. 23. 353 Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, 1993, S. 126; vgl. Schmitt, in: Schmitt, Aufsätze, 2003, S. 181 ff. (208). 354 Vgl. Calliess/Meiser, in: JuS, 2002, S. 426 ff.; vgl. Oppermann, Europarecht, 1999, Rn. 1941 ff.; vgl. Schulz, Biomedizin, 2002, S. 21 ff. 355 Vgl. BVerfGE 47, S. 109 ff. (121) û Umgehungsfähige Strafvorschriften; vgl. BVerfGE 71, S. 108 ff. (115) û Meinungsfreiheit und Analogieverbot; vgl. BVerfGE 87, S. 209 ff. (224) û Tanz der Teufel; vgl. BVerfGE 92, S. 1 ff. (12) û Sitzdemonstration. 356 Vgl. BVerfGE 45, S. 363 ff. (372) û Landesverrat; vgl. BVerfGE 92, S. 1 ff. (12) û Sitzdemonstration. 357 Vgl. Schwarz, in: MedR, 2003, S. 158 ff. (163).

98 G. Legitimitäts-, Verhältnismäßigkeits- und Bestimmtheitsprobleme des StZG

VII. Zusammenfassung von Kapitel G. Die Überprüfung der einzelnen Eingriffe in die Forschungsfreiheit zeigte, dass zahlreiche Regelungen des Stammzellgesetzes verfassungsrechtliche Bedenken auslösen. Um eine umfangreiche verfassungsrechtliche Prüfung zu ermöglichen, wurde in jedem Prüfungspunkt davon ausgegangen, dass ansonsten eine verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit gegeben ist. Wie sich aus den Überlegungen in Kapitel F. ergibt, kommt Embryonen in vitro vor dem 14. Tag ihrer Entwicklung überhaupt kein Grundrechtsschutz zu. Die Einschränkbarkeit der vorbehaltlos gewährleisteten Forschungsfreiheit ist aber nur durch Verfassungsschutzgüter möglich. Daraus folgt, dass schon der Zweck des Stammzellgesetzes gemäß § 1 StZG, der Schutz und die Achtung embryonalen Lebens und seiner Menschenwürde in vitro, keinen verfassungsrechtlichen Rückhalt hat. Selbst wenn man von der Legitimität dieses Zwecks ausgeht, ist die Verhinderung einer im Ausland nach deutscher Vorstellung begangenen Grundrechtsverletzung verfassungsrechtlich nicht vorgeschrieben, woraus sich die Verfassungswidrigkeit der Stichtagsregelung, die genau dies voraussetzt, unter Legitimitätsgesichtspunkten ergibt. Schließlich wurde die Illegitimität des Zwecks der ýAbwehr einer Vorteilsziehung aus einer früheren Menschenwürdeverletzungÿ gezeigt, die die Hochrangigkeits- und Alternativlosigkeitserfordernisse verfassungsrechtlich kritisieren lässt. Die Stichtagsregelung ist ungeeignet zur Zweckerreichung, eine (weitere) Tötung von Embryonen im Ausland zu verhindern, da Stammzellen unabhängig von Deutschland im weltweit erforderlichen Maße hergestellt werden. Die Möglichkeit, ein weniger einschneidendes Erfordernis (die von Deutschland unabhängigen Gewinnung von Stammzellen im Ausland) zu finden, führt zur fehlenden Erforderlichkeit der Stichtagsregelung. Die Stichtagsregelung kann sogar verbotsgleich wirken, wodurch sie auch ihre Gebotenheit verliert: Die alten Stammzellkulturen werden in Zukunft für die internationale Konkurrenzfähigkeit deutscher Forschung nicht mehr ausreichen. Das Verbot von Stammzelltherapien in Deutschland und das Verbot der Verwendung von Stammzellen aus Forschungsembryonen zielt in dieselbe Richtung. Außerdem ergeben sich Zweifel an der ausreichenden Bestimmtheit der Anforderungen an den Nachweis der Hochrangigkeit und der Alternativlosigkeit. Bestimmtheitsprobleme wirft auch die Anwendung von § 9 Abs. 2 S. 2 StGB auf die Stammzellforschung auf. Denn für Forscher, die sich von Deutschland aus an einem internationalen Forschungsprojekt mit Stammzellen beteiligen wollen, an denen nach deutschem Stammzellgesetz nicht geforscht werden dürfte, ist es unvorhersehbar, unter welchen Voraussetzungen dies strafbewehrt ist.

VII. Zusammenfassung von Kapitel G.

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Damit ergibt die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Stammzellgesetzes anhand der klassischen Elemente des Übermaßverbots sowie des Bestimmtheitsgebots eine Verfassungswidrigkeit des Stammzellgesetzes unter den beschriebenen Aspekten.

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H. Zusammenfassung der Ergebnisse

H. Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Die Stammzellforschung und ihre erwarteten Fortschritte ermöglichen einen vielversprechenden Ansatz für die Behandlung schwerer menschlicher Erkrankungen, wie Diabetes mellitus, Morbus Parkinson und Herzinsuffizienz. Andererseits gibt sie Anlass zu verfassungsrechtlichen Fragen, die mit der Gewinnung und Verwendung dieser Stammzellen im Zusammenhang stehen. In der vorliegenden Abhandlung werden die verfassungsrechtlichen Probleme des deutschen Stammzellgesetzes, welches Einfuhr und Verwendung dieser Zellen regelt, behandelt. Die Untersuchung erfolgte in der Zusammenschau mit den verfassungsrechtlichen Problemen der Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen, woraus sich erst die verfassungsrechtliche Relevanz des Themas ergibt, da die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen mit dem Tod der Embryonen verbunden ist. 2. Vor dem Inkrafttreten des Stammzellgesetzes war nach Ansicht des Gesetzgebers die Rechtslage in Deutschland durch Lücken in Bezug auf den Schutz menschlicher Embryonen vor dem Verbrauch bei der Stammzellgewinnung charakterisiert. Denn in vielen Ländern der Welt ist die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen nicht verboten und es war die unbeschränkte Einfuhr und Verwendung dieser im Ausland gewonnenen Stammzellen in Deutschland möglich. Jedoch löste die Tatsache, dass die Rechtsfragen der Stammzellforschung Grundrechtsrelevanz haben, eine langjährige Diskussion in der Öffentlichkeit aus, in der die Notwendigkeit einer speziellen Regelung des Problems der Stammzellforschung wiederholt betont wurde. 3. In deren Folge kam es zum Erlass des Stammzellgesetzes, welches Import und Verwendung von Stammzellen seit dem 1.7.2002 an strenge Zulässigkeitsvoraussetzungen knüpft. Diese Zulässigkeitsvoraussetzungen werden vor allem von zahlreichen Wissenschaftlern kritisiert, die im Stammzellgesetz Hindernisse für den wissenschaftlichen Fortschritt sehen. Auch aufgrund dieser Kritik ist es notwendig, die verfassungsrechtlichen Parameter der Stammzellforschung zu erörtern. 4. Erörtert wurden die Rechtsfragen der Stammzellforschung zunächst unter dem Aspekt der Forschungsfreiheit. Die Auseinandersetzung mit der Freiheitsgewährleistung des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG führte zum Ergebnis, dass die Stammzellforschung als Forschung im Sinne des Grundgesetzes zu charakterisieren ist. Damit wird anerkannt, dass auch die Stammzellforschung verfas-

H. Zusammenfassung der Ergebnisse

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sungsrechtlichen Schutz genießt. Die Freiheitsgarantie im Forschungsbereich bedeutet jedoch keine schrankenlose Macht der Wissenschaftler, willkürlich mit menschlichem Leben umzugehen. 5. Das für die Einfuhr und Verwendung embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken im Stammzellgesetz formulierte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt im Zusammenhang mit den inhaltlichen und verfahrensförmigen Bestimmungen stellt einen Eingriff in die vorbehaltlos gewährleistete Forschungsfreiheit dar. 6. Insofern die Forschungsfreiheit ohne Gesetzesvorbehalt im Grundgesetz gewährleistet ist, ist es notwendig zu bestimmen, auf welche verfassungsrechtlichen Grenzen sie trifft. Auf diese Weise soll die Forschungsfreiheit in ihren diskursiven Zusammenhang mit den anderen verfassungsrechtlichen Gütern gestellt werden, die im Rahmen der Stammzellforschung relevant sind, um möglicherweise eine Rechtfertigung für den gesetzgeberischen Eingriff in die Forschungsfreiheit zu finden. 7. Als grundrechtliche Diskussionsgrundlagen des Embryonenschutzes kommen in der Literatur und nach Vorstellung des Gesetzgebers der Schutz des Lebens (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) menschlicher Embryonen in vitro in Betracht. Ein vorschneller Rückgriff auf die Garantie der Menschenwürde ist wegen ihrer strukturellen und funktionellen Eigenart im Verfassungsgefüge zu vermeiden. Daher bestehen in der Literatur Zweifel daran, ob durch die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen eine Menschenwürdeverletzung vorliegt. Die Auseinandersetzung mit den Besonderheiten des Art. 1 Abs. 1 GG führte aber zum Ergebnis, dass sowohl das Lebensrecht als auch die Menschenwürde bei der Stammzellgewinnung dann verletzt sind, wenn den Embryonen ein Grundrechtsschutz zukommt. Dies gilt nach Ansicht des Gesetzgebers und der vorzugswürdigen Ansicht in der Literatur selbst für den Fall der Verwendung überzähliger Embryonen, welche im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation erzeugt wurden, dann aber zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nicht mehr benötigt werden und daher ýunrettbar verlorenÿ sind. 8. Ein Lebensschutz und Menschenwürdeschutz ist zunächst in dem Sinne zu verstehen, dass eine zukünftige Abtötung von Embryonen zur Stammzellgewinnung vermieden wird. Durch das Stammzellgesetz soll daher verhindert werden, dass eine Beeinträchtigung des Lebensrechts und eine Menschenwürdeverletzung von In-vitro-Embryonen von Deutschland aus durch Steigerung der Nachfrage nach embryonalen Stammzellen indirekt veranlasst wird. Durch die Stichtagsregelung, nach der nur solche embryonalen Stammzellen zu Forschungszwecken eingeführt und verwendet werden dürfen, zu deren Gewinnung menschliche Embryonen in vitro vor dem Stichtag des 1.1.2002 getötet

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H. Zusammenfassung der Ergebnisse

wurden (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 a StZG) ist dieser Lebens- und Menschenwürdeschutz heute noch lebender Embryonen vollständig gewährleistet. 9. Da aber über die Stichtagsregelung hinaus weitere Genehmigungsvoraussetzungen im Stammzellgesetz existieren, muss eine postmortal nachwirkende Menschenwürdegarantie angenommen werden, um das Stammzellgesetz logisch stimmig erhalten zu können. Diese Verletzung der postmortal nachwirkenden Menschenwürdegarantie resultiert nach Vorstellung des Gesetzgebers aus der Verletzung der Menschenwürde bei der Stammzellgewinnung, welche bei der Verwendung dieser Stammzellen noch einmal geschehe, indem nun Nutzen aus der ýFrucht des verbotenen Baumesÿ gezogen wird. Diese postmortal nachwirkende Menschenwürdegarantie ist nach Vorstellung des Gesetzgebers abwägbar gegen andere, hochrangige Interessen bei der Stammzellforschung, soweit der Einsatz embryonaler Stammzellen alternativlos ist. Denn im Fall absoluter Abwägungsresistenz auch der postmortal nachwirkenden Menschenwürdegarantie hätte der Gesetzgeber die Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken nicht für ausnahmsweise genehmigungsfähig erklären dürfen. 10. Grundrechtsschutz wird grundsätzlich nur jedem Grundrechtssubjekt gewährt, welches aufgrund seines Personstatus Träger von Grundrechten ist. Grundrechtsschutz kann aber auch Nichtgrundrechtssubjekten durch eine Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte zukommen, wenn dies Gesellschaftsschutzerwägungen erforderlich machen. Solche Gesellschaftsschutzerwägungen betreffen insbesondere den Fortbestand der Spezies Homo sapiens in ihrer Unverwechselbarkeit. Weitere Möglichkeiten, zu einem Grundrechtsschutz zu gelangen, existieren nicht. 11. Die Untersuchung der Primärrechtsquelle Grundgesetz bezüglich der Fragestellung, ob dem Embryo ein Grundrechtsschutz zukommt, brachte mit keiner der Auslegungsmethoden Wortlaut, Systematik, Telos und Historie Klarheit. 12. Die Heranziehung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zeigt aber, dass dem Embryo vor Nidation dieser Grundrechtsschutz zumindest im Mutterleib verwehrt wird, da die ungehinderte Tötung von Embryonen vor der Nidation vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsrechtlich unbedenklich charakterisiert wird. Diese Ansicht ist mit einem Grundrechtsschutz von Embryonen vor Nidation im Mutterleib nicht vereinbar, da Rechtfertigungsgründe, etwa Defensivnotstandsargumente, nicht einschlägig sind. 13. Da der Aufenthaltsort von Embryonen nicht über ihre Grundrechtssubjektivität entscheiden kann, wurde aus diesem Ergebnis gefolgert, dass dem Embryo auch in vitro keine Grundrechtssubjektivität vor dem 14. Tag seiner Entwicklung (was dem Nidationszeitpunkt entspricht) zukommt. Weiter wurde

H. Zusammenfassung der Ergebnisse

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gefolgert, dass dem Embryo im Mutterleib vor dem 14. Tag seiner Entwicklung nach Vorstellung des Bundesverfassungsgerichts ein Grundrechtsschutz auch nicht aus Gesellschaftsschutzerwägungen zukommt. Ob dies auch für den Embryo in vitro, aus dem Stammzellen gewonnen werden, gilt, war dann zu klären. 14. Zu diesem Zweck wurden die erhaltenen Ergebnisse des Bundesverfassungsgerichts zum Grundrechtsschutz von Embryonen in einen größeren Zusammenhang mit den in der Literatur zu diesem Thema geäußerten Ansichten gestellt. Es wurde gezeigt, dass die Beantwortung der Frage, ob und zu welchem Entwicklungszeitpunkt der Embryo Person und damit Grundrechtssubjekt wird, eine metaphysische Entscheidung ist. Daher sollte von staatlicher Seite die Grundrechtssubjektivität des Embryos bis zum Zeitpunkt der Geburt tatsächlich abgelehnt werden, um die Einschränkung von grundrechtlichen Freiheiten echter Grundrechtssubjekte nicht von weltanschaulichen Fragen abhängig zu machen. Die Frage des grundrechtlichen Schutzes ist dann allein über eine eventuelle Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte zu lösen, wenn es Gesellschaftsschutzerwägungen erfordern. 15. Die Nidation stellt das entscheidende Ereignis für die Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte dar. Denn erst zu diesem Zeitpunkt besitzt der Embryo das reale Potenzial, zum geborenen Menschen zu werden, was erst Gesellschaftsschutzerwägungen auslöst. Den Schutz eines geborenen Menschen kann nur erhalten, was tatsächlich zu einem geborenen Menschen werden kann, denn nur dessen Schutz schützt gleichzeitig den Bestand der Gesellschaft. Dieser Automatismus setzt erst mit der Nidation ein, da die Entwicklung des Embryos den mütterlichen Uterus voraussetzt. Abschließend wurde gezeigt, dass die In-vitro- und die In-vivo-Situation vor Nidation keine unterschiedliche Schutzwürdigkeit des Embryos begründen kann ebenso wenig wie die Intention der Erzeugung zu Forschungszwecken oder zu Fortpflanzungszwecken. Damit wurde gezeigt, dass dem Embryo in vitro selbst bei Herstellung zu Forschungszwecken, gar durch Anwendung der Methode der therapeutischen Klonierung, der Schutz der Grundrechte nicht zukommt. 16. Die Überprüfung der einzelnen Eingriffe in die Forschungsfreiheit zeigte, dass zahlreiche Regelungen des Stammzellgesetzes verfassungsrechtliche Bedenken auslösen. Um eine umfangreiche verfassungsrechtliche Prüfung zu ermöglichen, wurde in jedem Prüfungspunkt davon ausgegangen, dass ansonsten eine verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit gegeben ist. 17. Schon der Zweck des Stammzellgesetzes gemäß § 1 StZG, der Schutz und die Achtung embryonalen Lebens und seiner Menschenwürde in vitro, hat keinen verfassungsrechtlichen Rückhalt. Denn es wurde gezeigt, dass Embryonen in vitro vor dem 14. Tag ihrer Entwicklung überhaupt kein Grundrechtsschutz zukommt.

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H. Zusammenfassung der Ergebnisse

18. Das Grundgesetz gebietet es nicht, eine im Ausland begangene ýGrundrechtsverletzungÿ, welche mit den dortigen Rechtsordnungen im Einklang steht, zu verhindern. Dies ist genau die Intention der Stichtagsregelung, nach der nur solche embryonale Stammzellen verwendet werden dürfen, die vor dem 1.1.2002 aus Embryonen gewonnen wurden. Der darauf beruhende Lebensund Menschenwürdeschutz von Embryonen im Ausland ist daher ein illegitimer Zweck bei der Beschränkung der vorbehaltlos gewährten Forschungsfreiheit. 19. Die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Legitimität des Zwecks ýAbwehr einer Vorteilsziehung aus einer früheren Menschenwürdeverletzungÿ bei Beschränkung der Forschungsfreiheit ist nicht gegeben. Eine zweite (postmortale) Menschenwürdeverletzung tritt nicht ein, wenn Nutzen aus einer ersten Menschenwürdeverletzung gezogen wird. Denn eine zweite Verletzung der Menschenwürde von Embryonen durch Forschung an Zellen dieser ýembryonalen Menschenÿ kann nur dann angenommen werden, wenn die Verwendung der Zellen noch einmal den Embryo (wenn er noch leben würde) zum bloßen Mittel fremder Interessen machen würde. Denn nur der Embryo (nicht die Stammzellen, die wie jede andere Körperzelle zu behandeln sind) kann Subjekt der Menschenwürdeverletzung sein. Die Verwendung der Zellen, selbst wenn diese menschenwürdewidrig gewonnen wurden, verletzen aber die Menschenwürde des Embryos nicht ein zweites Mal, da durch diese Handlung nicht der Embryo zum Mittel fremder Interessen gemacht wird, sondern nur noch die Stammzellen. 20. Die Stichtagsregelung ist ungeeignet zur Zweckerreichung, eine (weitere) Tötung von Embryonen im Ausland zu verhindern. Denn es ist davon auszugehen, dass es auch ohne die Nachfrage aus Deutschland zu einer embryonenverbrauchenden Stammzellproduktion im Ausland kommen wird und zwar in dem für Forschungszwecke weltweit erforderlichen Maße. 21. Die Stichtagsregelung ist auch nicht erforderlich, denn auch durch eine Regelung, wonach die Gewinnung der Stammzellen im Ausland unabhängig von dem inländischen Forschungsprojekt stattgefunden haben muss, kann für die Forschungsfreiheit weniger belastend verhindert werden, dass eine Tötung noch lebender Embryonen von Deutschland aus veranlasst wird. 22. Die Stichtagsregelung kann sogar eine verbotsgleiche Wirkung entfalten, wenn die verbleibenden, verfügbaren Stammzellkulturen aus dem Ausland für die Forschungsbedürfnisse in Deutschland nicht mehr ausreichen und damit eine erfolgversprechende Forschung in Deutschland unmöglich gemacht wird. Daher ist die Stichtagsregelung unter diesem Gesichtspunkt verfassungsrechtlich nicht geboten. 23. Der Import wird lediglich für ýForschungszweckeÿ gemäß § 4 Abs. 2 StZG erlaubt. Das Stammzellgesetz verhindert damit die Möglichkeit von

H. Zusammenfassung der Ergebnisse

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Stammzelltherapien, zu deren Zweck nach Vorstellung des Gesetzgebers Einschränkungen vom Schutz der nachwirkenden Menschenwürde angenommen wurden. Dadurch wird das notwendige Miteinander von Forschung und klinischer Anwendung verhindert, eine sinnvolle international wettbewerbsfähige Stammzellforschung de facto verboten, was diese Regelung ebenfalls als nicht verfassungsrechtlich geboten erscheinen lässt. 24. Die Beschränkung auf die Verwendung von Stammzellen aus überzähligen Embryonen ist unter Gebotenheitsgesichtspunkten verfassungsrechtlich problematisch. Denn der ýMenschenwürdeverstoßÿ der Gewinnung von Stammzellen aus überzähligen Embryonen ist genauso ein vollständiger wie im Falle der Gewinnung aus Forschungsembryonen. Wenn der Aspekt der Nachwirkung zur Abwägbarkeit dieses Menschenwürdeverstoßes (wie vom Stammzellgesetzgeber angenommen) führt, dann muss der Zweck ýVerwirklichung hochrangiger Forschungszieleÿ die Menschenwürdeverletzung der Tötung von Embryonen in beiden Fällen gleich legitimieren. 25. Außerdem ergeben sich Zweifel an der ausreichenden Bestimmtheit der Anforderungen an den Nachweis der Hochrangigkeit und der Alternativlosigkeitserfordernisse. Es besteht Gefahr, dass die Behörde eine Genehmigung verweigert, weil sie ihre eigenen Vorstellungen von Hochrangigkeit zum Maßstab ihrer Prüfung macht und dass die Unsicherheit als spezifisches Merkmal jeder wissenschaftlichen Forschung im Rahmen des Alternativlosigkeitserfordernisses zulasten der Forschungsfreiheit wirkt. 26. Bestimmtheitsprobleme wirft auch die Anwendung von § 9 Abs. 2 S. 2 StGB auf die Stammzellforschung auf. Denn für Forscher, die sich von Deutschland aus an einem internationalen Forschungsprojekt mit Stammzellen beteiligen wollen, an denen nach deutschem Stammzellgesetz nicht geforscht werden dürfte, ist es unvorhersehbar, unter welchen Voraussetzungen dies strafbewehrt ist. 27. Damit ergibt die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Stammzellgesetzes anhand der klassischen Elemente des Übermaßverbots sowie des Bestimmtheitsgebots eine Verfassungswidrigkeit des Stammzellgesetzes unter den beschriebenen Gesichtspunkten.

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Sachwortverzeichnis Abstoßungsreaktionen 23, 24, 25

Embryo

Akzeptanzkrise 17

û postnidativer 65

Alternativlosigkeit 56, 79, 83, 84, 87, 95, 98, 105

û pränidativer 63, 64, 65, 75, 78

Anerkennungsverhältnis 74 Auslegung û historische 61 û systematische 61 û teleologische 61 û Wortlaut 61 Behandlungsalternativen 95 Benda-Kommission 50 Bestimmtheitsgebot 79, 92, 97, 99, 105 Blastozyste 21, 22 Chorea Huntington 29

Embryoblast 22 Embryoidkörper 23 Embryonen û tiefgefrorene 22, 76 û überzählige 22, 34, 50, 51, 52, 54, 55, 76, 87, 88, 91, 92, 96, 101, 105 Enquete-Kommission ýRecht und Ethik der modernen Medizinÿ 32, 93, 95 Entwicklungsstufe 65, 66, 68 Epilepsie 29 Erforderlichkeit 19, 79, 81, 86, 87, 98 Erhebung in den Schutzbereich der Grundrechte 59, 60, 65, 71, 73, 75, 76, 77, 78, 80, 102, 103 Ethikrat, nationaler 32

Dammbruch 77

Fetalstadium 25

Daseinsvorsorge 90

Forschungsembryonen 22, 50, 51, 55, 76, 91, 92, 98, 105

Defensivnotstand 64, 102 Diabetes mellitus 29, 100 Differenzierung 20, 21, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 68 Dimension, abwehrrechtliche 57 Dringlichkeit 95 Duldungspflicht 58

Forschungsfreiheit 18, 19, 31, 34, 37, 38, 39, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 53, 55, 56, 57, 71, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 88, 89, 94, 96, 98, 100, 101, 103, 104, 105 Forschungskooperationen, internationale 97 Forschungsziele, hochrangige 35, 55, 83, 94, 95, 105 Frage, weltanschauliche 70, 78, 103

EG-Recht 82

Fristenlösungsurteil

Einschätzungsprärogative 45

û erstes 62

Sachwortverzeichnis ú zweites 47, 63

Keimzellen

Früchte des verbotenen Baumes 53, 54, 56, 102

û embryonale 21, 25, 26

133

û primordiale 25 Klonen

Gebietshoheit 96 Gebotenheit 79, 81, 88, 98, 105 Geeignetheit 25, 79, 81, 85 Gesetzeszweck 47, 48, 87 Gewebebanken 25 Gewebespezifität 28 Grundlagenforschung 29, 35, 41

û reproduktives 24, 60, 77 û therapeutisches 24, 50, 77, 78, 91, 103 Klonierungsverbot 82 Kollision 45, 46, 79 Kompetenzbestimmung, negative 37 Kontinuumsargument 66, 67 kryokonserviert 22

Grundrechtsschutz, dogmatische Ableitung 57 ff. Grundrechtssubjektivität 57, 60, 62, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 78, 102, 103

Lähmungen 29 Leukämie 29

Herzinfarkt 29

Mausnährzellen 23, 89

Herzinsuffizienz 30, 100

Mensch, genetisch manipulierter 60

Histokompatibilitätsklassen 25

Menschenversuche 53

Hochrangigkeit 56, 79, 83, 84, 87, 93, 94, 95, 98, 105

Menschenwürdeverstoß, postmortale Perpetuierung 54, 56, 83 Mephisto-Rechtsprechung 84

Identitätsargument 72, 73

metaphysisch 70, 78, 103

Immunschwäche 29

minimum standard of justice 82

Immunsuppression 24

Mittel-Mittel-Vergleich 86

Imperativ, praktischer 49

Möglichkeit

in dubio pro persona 63

û aktive 73

Instrumentalisierung 53, 76

û reale 73

In-vitro-Embryo 47, 57, 65, 75, 81, 100, 101

Moralphilosophie (Kant) 49

In-vitro-Fertilisation 21, 52, 76, 91, 101

Multiple Sklerose 29

Morbus Parkinson 29, 100

In-vitro-Modelle 95 Nabelschnurblut 21, 26 Ja-Aber-Antrag 33

Nachweispflicht 46 Nachwirkung 92, 105

Keimbahn 60

nasciturus 70

134

Sachwortverzeichnis

Nein-Aber-Antrag 33

Selbststeuerungsfähigkeit 67

Nein-Antrag 33

Separierung 23

Nervensystem 27, 30, 68

Sorites-Paradoxon 67

Neutralität, forschungspolitische 40

Souveränität 82

Nichttransferierbarkeit 52

Speziesargument 72, 73

Nidation 60, 63, 64, 65, 68, 71, 73, 74, 75, 76, 78, 102, 103

Spirale 64, 75, 76

Normen, objektive 71 Nützlichkeitserwägungen, gesellschaftliche 94

Stammzellen û adulte 21, 27, 28, 95 û Arten 20, 21 û Definition 20

obiter dictum 63, 65, 66 Objektformel (Dürig) 49 Ohnehin-Todgeweihtsein 52

û embryonale 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 42, 43, 47, 48, 50, 51, 52, 54, 55, 82, 83, 84, 85, 87, 95, 96, 101, 102, 104 û hämatopoetische 26, 27, 28

Personalität 48, 68, 72 petitio principii 61

û Import 31, 32, 33, 34, 35, 36, 87, 100, 104

Potenz 73

û mesenchymale 26, 27, 28

Potenzialitätsargument 72, 73

û neonatale 21, 26, 28 û nicht-embryonale 21, 28, 29

Rahmenbedingungen, rechtliche 18, 19, 31 Rat, Parlamentarischer 61, 62 Rechtssicherheit 93 Rechtsstaatsprinzip 92 Reproduktionsmedizin 76, 91 Reprogrammierung 24, 27, 28 Robert Koch Institut 36

û Nutzen 29, 53, 83, 102, 104 û pluripotente 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 28, 29, 30, 31, 32, 34 û somatische 21 û totipotente 20, 31 Stammzellgesetz û Entwurf 33, 83 û Regelungsgehalt 34 ff. Stammzelllinien 23, 24, 34, 85, 89, 90 Stand von Wissenschaft und Technik 35

Schrankenproblem 44 Schutzdimension, postmortale (der Menschenwürde) 53

Status ad quem 72 Status quo 72

Schwangerschaftsabbruch 63

Stichtagsregelung 35, 47, 48, 53, 54, 56, 79, 83, 85, 86, 87, 89, 98, 101, 102, 104

Schwangerschaftsabbruchberatung 64

Strafvorschriften 87, 96

Schutzpflicht 58, 59

Sachwortverzeichnis

135

Teratom 23, 74

Vermehrung, ungeschlechtliche 23, 50

Territorialitätsprinzip 31

Verschmelzung (von Ei- und Samenzelle) 20, 21, 22, 66

These der Ortsrelevanz 75 Tierexperiment 29, 35, 95 Todesschuss, polizeilicher 49

Weltrechtsprinzip 82

Transdifferenzierung 27, 28

Wissenschaftsrichtertum 94

Transplantation 23, 24, 26, 28, 29

Wohlfahrtsbezug, der Forschungsfreiheit 90

Trophoblast 22 Tumortherapie 28

Zellen Übermaßverbot 79, 80, 99, 105 Überstimulation, hormonelle 22 Unterlassungspflicht 57

û autologe 24 û heterologe 24 Zellkern, somatischer 23 Zellkerntransfer 21, 23, 77

Verbot

Zufall 75

û repressives 87

Zweck, des Stammzellgesetzes 18, 37, 42, 47, 48, 80, 81, 82, 83, 85, 86, 87, 88, 98, 103, 104, 105

Verfassungsbeschwerde 59

Zweck-Mittel-Relation 80

û präventives 87

SUMMARY The stem cell research delivers promising results for the treatment of severe human diseases. Science refers to freedom of research guaranteed in article 5 paragraph 3 sentence 1 of German constitution. Nevertheless the German legislator restricted the in former times free import and use of human pluripotent embryonic stem cells by the stem cell law dated 28th June 2002. The law shall prevent interferences regarding the right to live (article 2 paragraph 2 sentence 1 of constitution) and the violation of human dignity (article 1 paragraph 1 of constitution) of embryos which are killed in the process of establishing stem cell lines. This investigation puts a main emphasis on the question if embryos enjoy the protection of the constitution out of which the constitutional discussion of stem cell research is developed. It tries answering the question regarding the constitutional protection of embryos before nidation considering the constitution and the previous dispensation of the Federal Constitutional Court. Finally the result is discussed in connection with the opinions in literature. The nidation is recognized as being the decisive event for the raise of the embryo into the state of constitutional protection. Finally, the investigation meets the constitutional appreciation of the regulations of the German stem cell law.

RÉSUMÉ La recherche sur la cellule souche ouvre des horizons prometteurs aux traitements des personnes atteintes de maladies graves. La science fonde ses activités sur le droit garanti à la liberté des recherches dans l’article 5 paragraphe 3 phrase 1 de la constitution allemande. Par la loi sur les cellules souches du 28 Juin 2002, le législateur allemand a toutefois limité l’importation et l’utilisation des cellules souches d’embryon humain pluripotentiel, autrefois illimité. La loi doit empêcher en Allemagne l’autorisation de porter atteinte au droit à la vie (article 2 paragraphe 2 phrase 1 de la constitution) et à la dignité humaine (article 1 paragraphe 1 de la constitution) des embryons puisqu’ils doivent être tués pour obtenir les cellules souches. D’un point principal de l’enquête ressort la question de savoir si les embryons font l’objet d’une protection des droits fondamentaux. Après quoi la discussion constitutionnelle de la recherche sur les cellules souches est possible. Face à la constitution et à la jurisprudence actuelle de la cour constitutionnelle, on va essayer de répondre à la question de la protection légale des embryons prénidatifs. Le résultat sera finalement mis en relation avec les différents avis exposés dans la littérature. La nidation est reconnue comme un phénomène décisif pour lever l’embryon dans la protection des droits fondamentaux. L’examen débouche sur l’appréciation constitutionnelle des règles de la loi allemande sur les cellules souches.