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German Pages 444 [448] Year 1970
Janke · Fichte Sein und Reflexion — Grundlagen der kritischen Vernunft
Wolfgang Janke
Ficht* Sein und Reflexion Grundlagen der kritischen Vernunft
Walter de Gruyter & Co. Berlin 1970
Archiv-Nummer 37 94 701 © 1970 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit k Comp., Berlin 30 Printed in Germany Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Thormann & Goetsch, l Berlin 44
Diese Untersuchung ist aus einer Reihe von Vorarbeiten erwachsen. Das Verhältnis von Leben und Begriff ist in „Leben und Tod in Fichtes Lebenslehre" (Philos. Jb. 74, 1966) vorgezeichnet worden. In Fichtes Lehre von der Wahrheit und in die These vom Sein suchte der Kommentar zur W.-L. 1804 (Quellen der Philosophie II, Frankfurt a. M. 1966) einzuführen. Über den Nihilismus des Reflektiersystems und das Verhältnis von Ichheit und menschlichem Dasein wurde in einem Vortrag an der Universität Hamburg im Dezember 1968 gehandelt, der inzwischen in erweiterter Fassung veröffentlicht ist („Das empirische Bild des Ich", in: Philos. Perspektiven I, 1969). Die entscheidenden Anregungen für meine Fichte-Studien verdanke ich den großen Fichte-Seminaren, die mein Lehrer K. H. Volkmann-Schluck im Sommer 1957 und durch das Jahr 1963 hindurch an der Universität zu Köln abgehalten hat.
Köln, im März 1970
Inhaltsverzeichnis Vorwort
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Einleitung Sinn und Grenze philosophischer Reflexion a) b) c) d) e) f) g) h) i)
Reflexion und Logik Die Reflexion des philosophierenden Subjekts Die intellektuelle Anschauung Äußere und innere Reflexion Der Nihilismus des Reflektiersystems Absolute Reflexion und absolutes Sein Absolute Abstraktion und Reflexibilität Reflexionsformen des Daseins Das Dasein des Menschen
i 7 14 19 26 36 41 46 59
Teill Das Wesen des Ich Die Herausarbeitung der absoluten Reflexion (Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre 1794/95 §1-5) 1. Kap. 2. Kap. 3. Kap. 4. Kap.
Tathandlung und Reflexion Die Fundierung der Gewißheit im Grundsatz Ich=Ich . . . . Die Dialektik der Reflexion Die Dialektik der Methode. Das Leitfadenproblem der Deduktion 5. Kap. Transzendentale und metaphysische Deduktion der Kategorien 6. Kap. Produktive Einbildungskraft — die Lebensform der theoretischen Vernunft
69 84 95 109 122 145
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Inhaltsverzeichnis
7. Kap. Praktische Wissenschaftslehre: die Deduktion des Strebens 162 8. Kap. Existenz und Anstoß 181 9. Kap. Die absolute Reflexion 191
Teil II Das absolute Wissen Die Grenze der absoluten Reflexion (Darstellung der Wissenschaftslehre. Aus dem Jahre 1801) 1. Kap. 2. Kap. 3. Kap. 4. Kap. 5. Kap. 6. Kap. 7. Kap.
Die Wendung des Wissens zum Absoluten Beschreibung des absoluten Wissens Die Vereinigung von Sein und Freiheit im Wissen Die intellektuelle Anschauung Vom Wesen der Freiheit Das Gefühl Schlechthinniger Abhängigkeit Göttliches Sein und Wissen des Nicht-Wissens
207 223 233 249 259 275 290
Teil III Wahrheit und Erscheinung Die Vernichtung der Reflexion und das Absolute (2. Darstellung der „Wissenschaftslehre" aus dem Jahre 1804) 1. Kap. Der Weg zur Wahrheit 2. Kap. Das Grundgesetz allen Wissens: Begreifen des Unbegreiflichen 3. Kap. Das Gesetz des natürlichen Bewußtseins 4. Kap. Der Urbegriff. Gesetze des Bildes 5. Kap. Absolute Realität: das göttliche Leben 6. Kap. Das lebendige Durch 7. Kap. Das absolute Ansich. Der Aufstieg zur Ansicht eines höheren Realismus 8. Kap. Die Widerlegung des höheren Idealismus 9. Kap. Die Abdankung des höheren Realismus . Kap. Absolute Abstraktion und absolutes Sein 11. Kap. Wahrheit, Schein, Erscheinung
301 314 325 330 340 348 359 376 384 391 400
Verzeichnis der zitierten Schriften
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Sachverzeichnis
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Vorwort „Ein Hauptsatz der Fichteschen Lehre, nicht nur ein im Vorbeigehen hingeworfener Gedanke, sondern eine Grundlehre war bekanntlich die: daß der Begriff des Seyns ein bloß negativer sey, indem er nur die absolute Verneinung von Thätigkeit ausdrücke: deßgleichen, daß er von Gott und göttlichen Dingen völlig verbannt werden müsse. Nun tritt Hr. Fichte herzhaft hin und spricht: Alles Seyn ist lebendig, und es gibt kein anderes Seyn als das Leben. Das Absolute, oder Gott ist selbst das Leben. Gott ist alles Seyn, und außer ihm ist kein Seyn" (Darlegung des wahren Verhältnisses der Naturphilosophie zu der verbesserten Fichteschen Lehre. 1806; SW VII, 25). Schellings entschieden polemische These eröffnet den langatmigen Streit um Fichtes veränderte Lehre. Sie markiert eindeutig den Angelpunkt dieser Kardinalfrage: den Wandel im Begriff des Seins. Die undurchsichtige Wende des kritischen Denkens zum Absoluten besteht in einer Umwendung des Seinsverständnisses. Die anfängliche Vorsicht im bloß negativen Begreifen von Sein schlägt in den Mut einer absoluten Position um. An der Rechtfertigung dieses Umschlages hängt der Anspruch der Transzendentalphilosophie auf absolute Wahrheit. Sein bedeutet anfänglich Bestehen von Seiendem. Der Anfang transzendentalen Denkens hat das Seiende als Gegen- und Widerständiges (obiectum) vorverstanden und endgültig geklärt, daß dessen Sein allein aus der Negation zu begreifen ist. Das Sein des Objekts ist das, was das Subjekt nicht ist. „Sein ist ein negativer Begriff" (W.-L. nova methodo; NS II, 366). Sein ist nicht Werden, Sein ist nicht Sehen, Sein ist nicht Leben. Das Sein und Bestehen des Seienden drückt die absolute Verneinung von Tätigkeit aus. Die von sich und für sich werdende Tätigkeit des Sehens, das ist das Leben des Ich. „Sein ist also der Charakter des Nicht-Ich" (NS II, 366). Indem dem Sein des Seienden der Charakter des Nicht-Ich aufgeprägt wird, befestigt sich die Herrschaft von endlicher Subjektivität und Reflexion. „Das Wort Seyn bedeutet unmittelbar immer ein Object des Den-
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kens" (Rückerinnerungen; SW V, 359). Das Seiende befestigt sich zum Gegenstande im Sinne des obiectum, wenn das subiectum zum Idi und das Ich zum Vorstellen unter dem Geleit der Gewißheit im Sinne der Selbstsicherung geworden ist. Dieses Geschehen vollendet sich in der ersten Grundlegung der Wissenschaftslehre von 1794/95. Der Grundzug des Vorstellens enthüllt sich als Reflexion und Reflexion als der Selbstbezug des Ich, welcher alles Seiende als Nicht-Ich auf sich zurückbezieht und sich entgegenstellt; und durch die Rückgründung des vorgestellten Nicht-Ich auf das Wollen und die praktische Vernunft setzt sich der willenhafte Grundzug der Reflexion durch: das Sich-selber-Wollen im Vor-sich-Bringen des Seienden als des zu überwindenden Widerstandes. Wird der Sinn von Sein dem reflektierten Bezug zum gegenständlich Seienden entnommen, dann muß er von Gott und den göttlichen Dingen völlig verbannt werden. Die Rückstellung des Seienden in seinem Sein auf das Ich und die Kritik an der rationalen Theologie, die auf Gott als auf das höchste Seiende baut, ist ein und derselbe Schlag. Gott kann kein Sein und besonderes Bestehen (Substanzialität und Personalität) zugedacht werden; denn Gott ist kein Objekt für das Ich. Der Satz 'Gott ist kein Seiendes' hält den negativen Begriff des Seins fern und besagt 'Das Göttliche ist nicht Gegenstand unserer Reflexion5. Also verpflichtet sich die kritische Vernunft hinsichtlich der nicht objektivierbaren 'göttlichen Dinge' — also in Fragen des Theismus, Pantheismus, Atheismus — zur Enthaltsamkeit. Fichtes „Grundlage der gesamten W.-L." von 1794/95 hat dieses kritische Seinsverständnis systematisch ausgelegt. Es ist dieser Grundlagen-Entwurf, der im Laufe der Geschichte für das Ganze des/ Fichteschen Denkens genommen wurde. Er gilt heute allgemein als die überholte Gestalt einer wirklichkeitslosen und existenzfernen Subjektivität und wird in kaum verhüllter Parteilichkeit zum Beispiel für die selbstvermessene, alle Objektiven' Tatsachen verrückende Verstiegenheit eines extremen Subjektivismus stilisiert. In der voreingenommenen Verurteilung des 'subjektiven Idealismus' herrscht weithin Eintracht, z. B. zwischen der marxistisch-leninistischen und der neopositivistischen Position. Dabei steht im Hintergrund die maßgebende Abschätzung, welche von den Partnern des idealistischen Systemdenkens selbst betrieben wurde. So hat Schelling in seiner 'Darlegung des wahren Verhältnisses der Naturphilosophie zu der verbesserten Fichteschen Lehre' befunden, „daß die ganze Fichtesche Philosophie ein in Reflexionsaberglauben verhärteter und in formeller Wissenschaft erstarrter Verstand
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sey" (SW VII, 26). Worin besteht nach Schelling (und seinen Nachrednern) der Aberglaube der ganzen Fichteschen Philosophie? Darin, die Selbstreflexion und das Ich für das Absolute und für das unerschütterliche Fundament aller Wirklichkeiten zu halten, dem Nicht-Ich aber bloß einen negativen Sinn von Sein zuzuerkennen. Im Horizonte solchen Seinsglaubens kommt die lebendige Natur nur noch als Schranke, und d. h. für Schelling als völliges Nichts vor; die Welt wird zur moralischen Prüfungsanstalt reduziert, und Gott verschwindet in der moralischen Weltordnung des sich selbst bestimmenden Ich. Der Grund für die Nichtung all dessen, was dem Ich und der Reflexion entgegensteht, liegt in der Übersteigerung der endlichen Subjektivität. In Wahrheit ist die Reflexion des Ich-Subjektes gar nicht absolut, sondern relativ, nämlich bezogen auf das Nicht-Ich. Das Sich-Denken bleibt dem Unterschied zum Gedachten, das es nicht ist, verhaftet. Es ist daher, weil der Unterschied das Element des Verstandes ist, ein Verstand, der sich für vernünftig hält, und etwas Relatives, das zum Absoluten verfälscht wird. Es ist Schellings Einsatz des objektiven Idealismus, der die Einseitigkeit des subjektiven Idealismus zu ergänzen sucht, indem er nicht bloß das Reelle auf das Ideelle zurückführt, sondern ebenso, vom Objektiven (der Natur) ausgehend, das Ideelle aus dem Reellen erklärt. Und es ist Hegels Prozeß-Gedanke, der den Gegensatz von subjektivem und objektivem Idealismus in die Einheit des absoluten Idealismus aufhebt und darin dem Fichteschen Reflexionsstandpunkt (und dessen Dialektik) nurmehr die Teilwahrheit einer Durchgangsstufe auf dem Wege zur Ausbildung der wahrhaft absoluten Reflexion, der konkreten Dialektik und der Idee, in welcher das Sein erfüllt ist, übrig läßt. Diese überlegen auftretende Herabsetzung des Fichteschen Reflektiersystems hatte durchschlagenden Erfolg. Freilich stand sie von Anbeginn an vor einem Rätsel; denn offenkundig ist doch aus der Grundlage der Wissenschaftslehre selbst eine eigenständige Gestalt des absoluten Idealismus und ein absoluter Sinn von Sein erwachsen. Die neue These vom Sein besagt: Sein ist Leben, Licht, das Absolute, Gott. In ihm erscheint alle Negativität und Relativität getilgt. Der grundlegende Spruch des Seins lautet danach: Das Sein schlechthin als Sein ist das Leben Gottes oder des Absoluten, und dieses ist alles Sein, und außer ihm ist kein Sein (vgl. Über das Wesen d. Gel.; SW VI, 361). Das Beunruhigende dieser Wende im Begriff des Seins ist, wo es überhaupt noch vermerkt wurde, längst verwunden. Die Umwendung ist als Bruch mit dem kritischen Geiste und als Abfall in Mystizismus,
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d. h. in die Verschwommenheit religiöser Schwärmerei abgetan. Und auch solcher gedankenlosen Abfindung leistet das Schellingsche Urteil Vorschub. Schillings abschließende Stellungnahme zum Gedankenwerk Fichtes verhärtet sich zu den drei Behauptungen: Das Fichtesche Unternehmen, welches das Ich zum Anfangsgrunde erhob, versinkt in völlig unfruchtbare Subjektivität; eine Verbindung zur späteren Lehre vom absoluten, göttlichen Sein als dem einzig Realen konnte nicht glücken; und darum hat sich die Fichtesche Lehre — aus Resignation gegenüber dem Identitätssystem — schließlich auf das Gebiet der Popularphilosophie verlegt. Solche Art Aburteilung ist schon aus einem äußeren Grunde haltlos. Schelling und dem durch Hegel geprägten Zeitalter sind die Arbeiten Fichtes, welche einen Aufstieg zum Absoluten unternehmen, unbekannt geblieben. Erst die vom Klischee eines dialektischen Fortschrittes Von Kant zu Hegel' frei und für die reiche Differenzierung der Geisteswelten des Deutschen Idealismus offen gewordene Forschung der letzten Jahrzehnte hat begonnen, diese Texte, die zu den lichtesten und sprödesten philosophischer Sprache gehören, zu entziffern. Für die Frage nach dem grundlegenden Verstehen von Sein sind drei Grundlagenschriften noch einmal durchzunehmen: die 'Grundlage der gesamten 'Wissenschaftslehre3 von 1794/95 (§ i—5), der Aufstieg zum Absoluten in der "Wissenschaftslehre' von 1801 (§ i—26) und der Aufstieg zur Wahrheit in der sogenannten Wahrheitslehre der 'Wissenschaftslehre' von 1804 (2. Darstellung, Vortrag i—16). Ihr Zusammenhang kann den Übergang im Begreifen von Sein und Wahrheit verstehbar machen, den Schelling für unerklärbar erklärte und den Hegel und die von ihm geblendete Philosophiehistorie nicht mehr zur Kenntnis nahm. Dafür muß die 'Grundlage' von 1794/95 von ihrem Anfange, der Tathandlung, bis an ihr Ende, die absolute Reflexion, durchlaufen werden. Erst die Schlußstellung der absoluten Reflexion ermöglicht es, den Willen und die praktische Vernunft aus dem Innersten des Selbstbewußtseins abzuleiten, absolutes, theoretisches und praktisches Ich zu einigen und den 'Anstoß' in die Möglichkeit des Ich-Wesens hineinzunehmen, sich von sich her dem fremden Einfluß offen zu halten. Am Ende ergibt sich, was das Ich anfänglich ist: nicht das unbeschränkte Sichsetzen und die Gewißheit des Subjekt-Objekt, alle Realität zu sein, sondern dessen Nachbildung in der Abständigkeit des 'Als'. Die Formel für die das Absolute nachbildende absolute Reflexion lautet: Das Ich setzt sich schlechthin selbst als sich setzend. Das Ich ist Bild oder Schema und, auf sich
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selbst gestellt, von höchster Ungenügsamkeit. Die vielfache Indigenz des Ich im Verhältnis seiner Reflexion zu Leben, Wirklichkeit, Realität und Wahrheit wird durch die Herausarbeitung der absoluten Reflexion nicht verschwiegen, sondern geradezu herausgetrieben. Es ist der Wandel des Ich (apperceptio) zum Bilde, der die Selbstgenügsamkeit der Reflexion erschüttert. Fichtes Denken erliegt nicht dem Reflexionsaberglauben, es vernichtet ihn, und zwar dadurch, daß es sich entschieden dem im subjektiven Idealismus steckenden Problem des Nihilismus stellt. Die Herausarbeitung der absoluten Reflexion macht klar, daß die Reflexion des Ich in Rücksicht auf sich selbst das Nichts von der Art eines Bildes, Schemas, Schattens ist und daher die Gefahr der Leere und des 'Sturzes der Realität' heraufbeschwört. Die Unruhe des Fichteschen Denkens wächst aus dieser Frage: „Was wäre denn das wahre Mittel, diesem Sturze der Realität, diesem Nihilismus zu entgehen?" (W.-L. 1812; NW II, 325). Nun kann eine transzendental-kritische Selbstbesinnung die Reflexion weder verleugnen noch abbrechen oder gar zur unendlichen Reflexion eines göttlichen Sich-Begreifens mit dem Ansprüche totaler Durchsichtigkeit erhöhen. Aber sie kann die Reflexion durch eine Grenzbesinnung, welche in den Ursprung und die Grenze des absoluten Wissens eingeht, bis zu ihrem Endpunkte und in das ursprüngliche Schweben zwischen reinem Sein und Wissen zurückführen. Das ist die grundlegende Arbeit der 'Wissenschaftslehre' von 1801. Sie zergliedert das absolute Wissen bis in seinen tief verborgenen Zusammenhalt mit dem Absoluten als dem bindenden Halt der formalen Freiheit und dem Realgrunde des Wissens. Sie zeigt, daß zu allem Weltund Freiheitsbewußtsein der endlichen Reflexion ein Gefühl schlechthinnigen Gebundenseins an das unverfügbare Sein oder an Gott gehört. In ihr vollzieht sich die eigentliche Zuwendung zur Seinsfrage, die nicht mehr das gegenständlich Seiende auf sein Sein hin befragt, sondern das Sein schlechthin als Sein in eine Überprüfung des absoluten Wissens einbezieht. In mühseliger Selbstbesinnung erfährt sich das absolute Wissen als des Seins Bild. Füglich ist es nicht das reine Sein selbst, welches es darstellt. Aber es hat auch keinen gesonderten Bestand neben und außer dem Sein. Absolutes Wissen ist weder das absolute Sein selbst noch ein negatives Nichtsein, sondern das Sein in der Form der Sichtbarkeit. Von der Seite des reinen Seins formuliert: Gott oder das Sein liegt nicht als ein gegenständliches Etwas dem Wissensbilde voraus. Es ist nicht
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Seiendes und dennoch nicht ein nichtiges Nichts. Es ist das Nicht-Sichtbare, das sich, indem es ins Bild kommt, dem Bilden des Wissens entzieht. Dieses stehende Hin und Her zwischen Sein und Nichtsein von Sein und Wissen ist der Focus des Bewußtseins: das Schweben einer ursprünglich bildenden Einbildungskraft. So hält sich die kritische Einstellung durch. „Nur der Anfang des Wissens ist reines Seyn; wo das Wissen schon ist, ist sein Seyn" (W.-L. 1801, §26; SW II, 63). Das reine Sein (die lebendige Vernunfteinheit von Subjekt und Objekt oder Gott) ist der Halt und Leben gewährende Anfang des Wissens, mit dem das Wissen im Wissen nichts anzufangen weiß. Darum gleitet die Wissenschaftslehre nicht in die traditionelle Metaphysik zurück, welche die Welt von Gott als dem höchsten Seienden ableitet. Die unbeschränkte Selbstsetzung des reinen Seins kommt als Prinzip der Weltkonstitution überhaupt nicht in Betracht; denn das absolute Wissen ist über sein Nichtwissen belehrt. Nur das negative Sein des welthaft Gegenständigen bleibt dem Wissen und seinen Reflexionsgesetzen unterworfen; die Reflexion selbst aber wirft sich ein reines Sein voraus, dergestalt, daß das vorausgesetzte Ansich allein als das im Bilde Nicht-Anwesende (als Nicht-Wissen) begreiflich wird. Wissenschaftslehre ist transzendental-kritische docta ignorantia. Den unverfälschten Sinn des reinen Seins sichert die 'Wahrheitslehre' von 1804, indem sie ihn aus allen möglichen realistischen und idealistischen Verdeckungen heraushebt. Sie durchstreicht genau jene Formen des subjektiven Idealismus, mit denen man die Wissenschaftslehre herkömmlicherweise verwechselt. Sie übersteigt jenen Gegensatz von Idealismus und Realismus, in welchen man die Wissenschaftslehre gemeinhin zurückfallen läßt. Sie vernichtet jenen Reflexionsstandpunkt, auf den man die Wissenschaftslehre festlegt. Ihre durchschlagende Einsicht besteht darin: Das reine Sein darf nicht als vorausgesetztes Ansich verstanden werden; denn der Sinn des Ansich geht darin auf, nicht für uns zu sein, und im Verhältnis von Ansich und Füruns besteht eben die Relation des Bewußtseins, die so doch wieder als Grund des Seins hervortritt. Das objektivierende Selbstbewußtsein und sein Gewißheitsanspruch aber verstellen die Wahrheit, daß das Sein das Geschehen einer sich entziehenden Entbergung ist. Fichtes Lehre von der Wahrheit weist die Gewißheit zurecht. Die totale Selbstsicherung der Reflexion führt zur Absperrung des Wissens von seinem Ursprünge, zur Herrschaft des Scheins, zur Selbstentfremdung des Menschen. Zwar sichert die Gewißheit des Selbstbewußtseins
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das Sein als Vorgestelltheit des Seienden, für das Sein als Sein aber bedeutet das Sich-Vorstellen des Bewußtseins ein Sich-Stellen vor die Wahrheit. Das Bewußtsein nämlich „kann Nichts bewahrheiten" (W.-L. 1804, 13. Vortr.; NW II, 195), weil es alles Seiende zum Faktischen und Entgegenliegenden objektiviert und auch das Sein nur als nicht für uns Seiendes begreift. „Die Quelle alles Faktischen ist das Bewußtsein" (NW II, 195). Dem auf Selbstsicherung versessenen Selbstbewußtsein fehlt die freie Gelassenheit, das Sein in der Unverfügbarkeit der Lichtung sein zu lassen. Zur Wahrheit gehört seinlassende Freiheit, „nicht als affirmativ, erschaffend die Wahrheit, sondern nur als negativ, abhaltend den Schein" (NW II, 199). Erst wenn vom Schein, den die Reflexion wirft, aus Freiheit abstrahiert wird, eröffnet sich die Wahrheit als „das Allerklarste und zugleich das Allerverborgenste" (NW II, 205), als das Licht, in dessen gelichteter Lichtung das Sehen sieht, ohne das Licht selbst zu sehen. Wahrheit ist eben das Geschehen, in dem das unvordenkliche Sein, indem es sich in die Bildformen des Wissens einläßt, sich entzieht. Solche Grundlegung der Wahrheit verliert sich nicht in maßloser Unwirklichkeit. Sie ergibt vielmehr erst das Maß für die Wahrheit der Wirklichkeiten (von Natur, Recht, Moralität, Religion und Philosophie) und für die Faktizität des Menschen (hinsichtlich seines In-derWelt-Seins, des Mitseins mit anderen, des Aufgerufenseins im Gewissen); denn das Ausmaß der Wahrheit ist der Grad von Verbergung und Entborgenheit, und das Ausmaß der Unwahrheit der Grad der Verfallenheit, nach welchem der Mensch sich auf das Gegebene dogmatisch versteift bzw. in wachsender Freiheit aus der Befangenheit im Seienden zur Offenheit des Seins aufsteigt. Die Nähe und Ferne zum Sein, das ist das Maß für die Wahrheit alles Wirklichen. Fichtes Überdenken von Reflexion, Sein und Wahrheit vollendet das Geschäft der kritischen Vernunft. Sie bildet eine eigene Vollendungsgestalt der platonischen Metaphysik. Und indem sie das Sein aus dem Unterschied zum Seienden (wenngleich nicht als diesen Unterschied) und die Wahrheit aus der Verborgenheit (wenngleich nicht als Verborgenheit) erfährt, findet sich in ihr die Spur der unbekannten Wahrheit der Metaphysik.
EINLEITUNG
Sinn und Grenze philosophischer Reflexion a) R e f l e x i o n und Logik Reflexion ist ein Kunstwort der formalen Logik. Reflektieren heißt, Vorstellungen in das logische Verhältnis der Vielgültigkeit bringen. In Einheit mit comparatio und abstractio macht reflexio das Wesen des Denkens als des Vermögens der Begriffe aus. So definiert Hegels „Philosophische Propädeutik" (§ 167): „Reflektieren ist das Hinausgehen über eine einzelne Bestimmung, ihr Vergleichen mit anderen und das Zusammenfassen derselben in eine bestimmte" (SW III, 212—213). Und seit Hegel ist der Mangel einer solchen 'abstrahierenden Reflexion' fühlbar geworden. Sie ist das Tun des trennenden Verstandes. Ihr Grundzug ist die Entzweiung. Die logische Reflexion entzweit den Begriff mit der Wirklichkeit; denn was wirklich ist, ist immer ein Einzelnes in der materiellen Fülle seiner Einzelheit. Davon sieht das Denken ab, um die Form der Allgemeinheit zu gewinnen. In der dürren, lichtlosen Trockenheit des logisch reflektierten Begriffs verschwindet die Vielfalt des Jeweiligen, der Reichtum sinnlicher Einzelheiten. Auf solcher Entzweiung beruht die Reflexionsbildung unseres Zeitalters. Das Wort Reflexionsbildung trifft die elementare Tendenz des Verstandes und der Wissenschaft, sich im Allgemeinen und an das Gesetz zu halten, um nicht durch das Besondere in seiner Besonderheit verwirrt zu werden. Daher rührt Hegels Klage, daß die Bildung des Zeitalters wohl der Reflexion über Kunst, nicht aber der Kunst selber günstig sei. Das versöhnende Wesen der Kunst nämlich sei Einigung von Allgemeinem und Besonderem im Besonderen, von Idee und Sinnlichkeit im Einzelanblick eines je einzigartigen Werkes; die logische Reflexion aber trennt und entzweit Besonderes und Allge-
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Einleitung
meines. Der Verstand und seine Logik richtet sich und seine Welt im Unterschied und Gegensatz von Begriff und Realität ein. Die Reflexionsbildung der Moderne geht mit der Herrschaft der formalen Logik zusammen. Diese nämlich denkt das Denken vorzüglich als abstrahierende Entzweiung und begreift den Begriff ausschließlich in der Form abstrakter Allgemeinheit. Solange diese Art Logik behauptet, die Elementarwissenschaft zu sein, welche allem Wissen zugrunde liegt, ist der Zugang zur Einsicht in ein tieferes Wesen des Denkens, einen konkreteren Begriff des Begriffs und in die absolute Gestalt von Reflexion und Abstraktion versperrt. Und dieses Verdikt gilt auch für die mathematische Logik, sofern und soweit diese nichts anderes als die Mathematisierung von Denk- und Urteilsbezügen ist, wie sie durch eine flache und formale Logik nahegelegt wird. Der Deutsche Idealismus hat die maßlos anmaßende rationale Logik entmündigt. Fichtes Wissenschaftslehre setzt die Logik als eine philosophische Disziplin ab. Sie sei weder die ganze Philosophie noch ein Teil von ihr, sie sei eine eigenständige, abgesonderte Einzelwissenschaft von unleugbar hohem Rang. Dieses vernünftige Urteil nimmt der Logik das Privileg, Denken des Denkens und Begreifen des Begriffs zu sein und über das zu entscheiden, was Reflexion in Wahrheit ist und wirklich vermag. Fichte hat das Verhältnis der Ersten Philosophie zur Logik in einer Schrift „Über den Begriff der Wissenschaftslehre" (§6), deren i. Auflage 1794 erschien, auseinandergesetzt. Die Auseinandersetzung von Logik und Philosophie geht um die Grundlegung allen Wissens; denn beide beanspruchen, für alle möglichen Wissenschaften die Form aufzustellen. Beide behaupten, diejenige Elementarwissenschaft zu sein, welche die Axiome erstellt, denen alles Wissen und Sein, um bestehen zu können, immer schon entsprochen haben muß. Dieser Grundlagenstreit ist hier nicht thematisch zu untersuchen. Es sollen im Umfange einer einleitenden Abgrenzung lediglich die Art und der Ursprung der logischen Reflexion und der Logik zur Anzeige gebracht werden. Dafür ist es zweckmäßig, die Reflexionshaltung zu studieren, welche den Logiker zum Logiker macht und die Logik als Wissenschaft entstehen läßt; denn die Art und das Verfahren der Reflexion, welche die Logik stiftet, dürfte wohl überhaupt in ihrem Gebiete herrschen. Nun liegt auf der Hand: Die Wissenschaft der formalen Logik entspringt aus dem Vollzug der Entzweiung. Durch ihn werden Form und Gehalt getrennt. „Die freie Absonderung der bloßen Form vom Gehalte wäre es sonach, durch welche eine Logik zustande käme" (Über den Begriff
Reflexion und Logik
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der W.-L. §6, Zusatz der 2. Aufl.; Akad.-Ausg. I, 2; 138). Der Logiker thematisiert eben die Form allen urteilenden Wissens bei Absonderung des Gehaltes. Seine Gegenstände werden die bleibenden Beziehungen von Subjekt- und Prädikatsvorstellung im Satz. Indem er darauf achtet, wie beides verbunden ist, läßt er unbeachtet, was in den Formen aufeinander bezogen ist. Das zeigt die Logik an ihren höchsten Beispielen, den Sätzen A = A und — A nicht =A. Die logische Einstellung hebt Formen heraus, nämlich die Beziehungen von Identität und Widerspruch, in denen A und non A stehen, unangesehen dessen, was A ist und ob es ist. Die urstiftende Leistung der Logik also ist Abstraktion im Sinne einer Abtrennung von Form und Gehalt. Sie geschieht durch einen willkürlichen Kunstgriff. Ihr Produkt, die Logik, ist Erzeugnis einer freien Kunst. Natürlicherweise und von sich her liegt das logisch Ausgesonderte nicht auseinander. Das natürliche Bewußtsein bewegt sich in der undurchschauten Einheit von Form und Gehalt, und die ursprüngliche Natur allen Bewußtseins, das Selbstbewußtsein, ist überhaupt nur als deren ungetrennte Einheit zu finden. In ihr ist die Form (das Sich-mit-sich-Identischsetzen) nichts anderes als der Gehalt (das Ich) und nicht davon getrennt, sondern dasselbe. Das Bewußtsein vollzieht deren Trennung daher nicht aus Natur, die Trennung geschieht aus Freiheit. Aber diese Freiheit wird durch keine Wesensnotwendigkeit geadelt, sie besitzt bloß den Rang der Willkür; denn logische Abstraktion und Logik sind dem Geiste nicht notwendig. Das Wissen und die Wissenschaften können ohne Logik leben, ohne Philosophie nicht. Die Logik erleichtert und befördert durch künstliches Heraussondern von Denkregeln den irrtumsfreien Fortgang des Wissens, die Philosophie bedingt ihn. Denn Philosophie (nicht als deutlich und vollständig ausgearbeitetes System, aber doch als Naturanlage) schreibt dem menschlichen Wissen seine Gesetze und seine Grenze ein und verbürgt ihm so allererst seinen Stand. „Die Logik aber ist ein künstliches Produkt des menschlichen Geistes in seiner Freiheit" (Akad. Ausg. I, 2; 139)· Indessen genügt die Operation der frei abstrahierenden Trennung und Entzweiung allein nicht, um Sätze der Logik hervorzubringen. Diese Weiterung wird durch ein einfaches Problem erzwungen. Die Sätze der Logik sollen bloße Form und vom Gehalte getrennt sein. Das aber ist unmöglich; „denn es liegt im Begriffe des Satzes überhaupt, daß es beides, Gehalt so wohl als Form, habe" (Akad. Ausg. I, 2; 138). Jeder Satz setzt Sachgehalte in bestimmter Form ins Verhältnis. Dabei
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Einleitung
drücken die Subjekt- und Prädikatsbestimmungen den Gehalt, das Verhältniswörtchen 'ist' die Form aus. Das gilt auch für die Sätze der Logik, z. B. für ihre Grundsätze ist A' oder ist nicht non A'. Was aber ist in ihnen der Gehalt? Die Antwort kann nur lauten: die Form selbst. So sprechen die Grundsätze der Logik nicht von bestimmten Sachgehalten, sie verstehen das Subjekt- und das Prädikat- vielmehr als Formbestände. Und diese bedeuten nichts anderes als formale Relate der Identitäts- oder Widerspruchsrelation. Die Gehalte logischer Sätze sind die reinen Bezüge der Form. Für solche Rücksicht nun reicht die Handlung der Abstraktion, sofern sie sich eben im Trennen des Gehaltes von der Form erschöpft, nicht zu. „Diese zweite Handlung der Freiheit, durch welche die Form zur Form der Form selbst, als ihres Gehaltes, wird, heißt Reflexion" (Akad. Ausg. I, 2; 138). Die 2. Auflage der Schrift „Über den Begriff der Wissenschaftslehre" strafft und verdeutlicht diese Definition: „Diese zweite Handlung der Freiheit, durch welche die Form zu ihrem eigenen Gehalte wird, und in sich selbst zurückkehrt, heißt Reflexion". Durch die logische Reflexion geschieht es, daß die Form nicht in den durch sie verbundenen Sachgehalten aufgeht und dem sachbezogenen Blick entschwindet, sondern daß sie in sich zurückkehrt. Die logische Reflexion hält die Form als den zu betrachtenden Gehalt selbst vor den Blick. Reflexio im logischen Verstande bedeutet mithin mehr als ein Teilmoment der Begriffsbildung außer und neben den Momenten der comparatio und abstractio, sie ist das Element aller logischen Einstellung. Wie aber stehen Abstraktion und Reflexion zueinander? Darüber läßt sich hier schon ein grundsätzlicher Bescheid einholen. „Keine Abstraktion ist ohne Reflexion; und keine Reflexion ist ohne Abstraktion möglich" (Akad. Ausg. I, 2; 138). Dieser Satz behält in jeder Art und auf jeder Stufe der Reflexion recht, solange der sichere Boden der Endlichkeit nicht verlassen wird. Das nämlich wird sich zeigen: Auch die absolute Reflexion, welche die logische weit hinter sich zurückläßt, geht unlöslich mit einer absoluten Abstraktion zusammen. Im Falle der logischen Reflexion jedenfalls hat sich ergeben, daß beide Handlungen untrennbar als zwei Seiten einer Handlung zusammen auftreten. Indem die Abstraktion den Blick vom Gehalte abschneidet, biegt ihn die Reflexion auf die Form als seinen einzigen Gehalt um, und umgekehrt: Indem die Reflexion dem Sehen die Form als seinen einzigen Gehalt vorhält, entzieht die Abstraktion ihm allen materialen Gehalt. Der Grundzug der abstrahierenden Reflexion, welche die Logik
Reflexion und Logik
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durchherrscht, ist Trennung und Entzweiung. Wovon aber trennt sich die Logik in dieser ihrer spezifischen Haltung eigentlich ab? Die Antwort führt zum ursprünglichen Fund der Wissenschaftslehre: Die Logik trennt das Wissen des Wissens vom Sein. Die Verführungen ihrer Abstraktion machen den, der ihr vorbehaltlos folgt, seinsblind. Die Logik nämlich reflektiert auf die Form des Denkens, unbekümmert darum, wie weit die Seinsgeltung des Denkens sich erstreckt. Ob und wodurch das logisch Festgestellte seiend ist, darüber enthält sich die Logik des Urteils. Solchen Befund belegt das Beispiel des Identitätssatzes. Dessen logische Fassung lautet: A = A. Seine Position ist immer richtig, aber nicht unbedingt wahr; denn sie hat eine Bedingung. A ist A, wenn A ist. Und über das objektiv-reale clst' vermag die formale Logik nichts zu befinden. Ihr richtunggebendes Reflektieren blendet den Bezug zum Sein gerade ab. Sie verliert daher aus dem Blick, inwiefern die Formen der Logik Gesetze des in Wahrheit Seienden sind. Die formale Logik beginnt damit, von dem, was Gesetz von Denken und Sein ist, die pure Denkgesetzlichkeit abzunehmen. Die Wissenschaftslehre ihrerseits beginnt damit, die Logik auf ihre ursprünglichen Bedingungen zurückzuführen. Ihr erster, epochaler Fund wird befinden: „Der Satz A = A gilt ursprünglich nur vom Ich; er ist von dem Satze der Wissenschaftslehre: Ich bin Ich, abgezogen" (Akad. Ausg. I, 2; 140). Das wird eingehend zu verfolgen sein. Über den Stand der Logik aber läßt sich bereits folgern: In ihrem ersten Schritt trennt sich die Logik von dem, was in Wahrheit ist, vom Ich. Je entschiedener sich die Logik gegen ihre transzendentale Rückgründung sperrt, um das Ansehen der ersten und universalen Wissenschaft für sich zu retten, desto eindeutiger verfestigt sie sich zu einer (mathematischen) Einzelwissenschaft, die ihre philosophischen Grundlagen nicht mehr kennen will. Die Wendung der logischen Reflexion ist eine Abkehr von ihrem eigenen Grunde. Sie verlegt sich selber den Weg zu einer philosophischen Reflexion, die das Selbstbewußtsein und dessen Ursprünglichkeit bewußt macht. Das sollte durch die Beschreibung der logischen Abstraktion und ihrer Trennungen deutlich geworden sein. Die formale Logik betreibt eine Selbsterkenntnis des Verstandes lediglich der leeren Form nach, sofern sie eben von allem (vom empirischen und reinen) Gegenstandsbezug absieht. Und das bedeutet: Sie bringt es nur zur Form der Wahrheit oder zur Gewißheit, d. i. zur total überprüfbaren Übereinstimmung des formellen Denkens mit sich selbst; sie kommt nicht zur Wahrheit, d. i. zur Begründung der Übereinstimmung des Denkens mit dem Gegen-
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Einleitung
stände. Die moderne Logik enthüllt, indem sie die Gewißheit von der Wahrheit abspaltet, ihre Herkunft. Sie entstammt dem Gewißheitsstreben der neuzeitlichen Ratio in der Gestalt ängstlichster Selbstsicherung. Die formale Logik vollzieht den Rückzug des Wissens auf das Regelverfahren des Denkens zum Zwecke absoluter Selbstsicherung. Aber sie dringt gar nicht zu einer reflektierten Selbstbegründung allen Wissens durch, sondern verfestigt sich in der Haltung einer Naivität höherer Stufe. Daran hat das rigorose Ausmaß der Entzweiungen schuld, durch welche die formale Logik das Denken von ihrem Ursprünge, dem Ichdenke, fernhält. Daher bedeutet das Denken für die Logik eine verknüpfende Tätigkeit von irgendwie schon vorhandenen Vorstellungen. Denken als ursprünglich verbindendes Tun des Ich-denke bleibt ihr verborgen. Und darum wird von ihr das Denken naiv als ein gegebenes Vorkommnis aufgenommen, ohne die Möglichkeit, es auf seinen Ursprung durchzureflektieren. Im Grunde zerstört das formelle Denken des Denkens den ursprünglichen Bezug von Denken und Sein. Die Durchregelung des naiv hingenommenen Logos in Gesetzlichkeiten mathematischer Bezüge geht mit der Seins- und Sinnentleerung des Logos zusammen. Die Ersetzung des objektiven Ist durch das Gleichheitszeichen signalisiert diese Trennung von Logik und Onto-Logik. Freilich könnte es sein, daß ohne eine Reflexion auf die synthetische Einheit von Denken und Sein, d. h. eben ohne Rückgang auf das Ich, weder ein zureichender Begriff vom Denken noch vom Sein zu gewinnen ist. Angesichts der Entfremdung von Logik und Erster Philosophie können nun nicht einfach die allgemeine, formale und eine transzendentale, philosophische Logik auf verschiedene Gebiete wissenschaftlicher Forschung aufgeteilt und aus je eigenen Wurzeln spezifisch unterschiedener Abstraktions- und Reflexionsleistungen hergeleitet werden. Die formale Logik und ihre konsequenteste Entfaltung, die Logistik, sind einer Selbstbegründung so lange nicht fähig, als ihr Medium die sinn- und seinsentleerende Abstraktion und ihr Selbstbewußtsein das naive Pochen auf formale Gewißheiten bleibt. Hält sich die Logik an ihre einfachzertrennende, abstrakt-reflektierende Einstellung, dann richtet sie sich als eine positive Wissenschaft ein, die das Denken als ihren Gegenstand untersucht, ohne sich auf jene Reflexion einlassen zu können, in der das Denken und Wissen sich selbst aus seinen Gründen und Ursprüngen verstehen lernt, um die Wahrheit des Wissens und das Wissen der Wahrheit zu lernen. Selbst wenn die Logik als Metawissenschaft auftritt, welche
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das letzte Urteil über die formalen und formalisierbaren Strukturen und Abhängigkeiten jeglichen Urteils fällt, denkt sie vom Urteil zu gering, wenn sie dessen apriorische Elemente verwirft. Will sie die Notwendigkeiten ihrer Setzungen durchsichtig machen und nicht einfach faktisch als Gegebenheiten unterstellen, dann kann sie der Aufgabe nicht ausweichen, auf die Strukturen des Wissens im Wissen selbst zurückzugehen, das Bewußtsein in seinen Leistungen und gesetzgeberischen Handlungen zu analysieren, und d. h. Wissenschaftslehre zu betreiben1.
b) Die R e f l e x i o n des p h i l o s o p h i e r e n d e n Subjekts Der Eingang in die Philosophie ist die freie Tat einer Reflexion. Die Philosophie fordert eine Umwendung der ganzen Seele. Fichtes i. Einleitung in die Wissenschaftslehre von 1797 hebt mit der Forderung an, diese Periagoge als Reflexion zu vollziehen. „Merke auf dich selbst: kehre deinen Blick von allem, was dich umgibt, ab und in dein Inneres" (SW I, 422). Gemeinhin geht der Blick des Menschen nicht in sein Inneres, er ist nach außen auf das gewendet, was ihn umgibt, die Welt. Das Weltverhalten des Menschen ist Vorstellen, wobei Vorstellung vorund aufdringlich das Vorgestellte meint. Vorstellungen, das sind die körperhaften Dinge, deren Eigenschaften, logische, mathematische Sachverhalte, aber auch Phantasiegebilde, Stimmungen, Strebungen, Gefühle usw. Und jegliche Vorstellung fällt aus dem Ganzen, der Welt, als Welthaftes in den Blick. Von all dem soll sich der Philosophierende abkehren. Philosophie ist die Zumutung, den Blick von der Welt loszureißen. 1
Die Diskussion um das genetisdie Verhältnis zwischen Logik und Transzendentalphilosophie und überhaupt der Dialog zwischen der heutigen Logik und dem 'zusammengebrochenen' Idealismus wird kaum von Seiten der modernen Logik und erst ansatzweise von einer philosophischen Reflexion geführt, vgl. die bedeutenden Arbeiten von G. Günther und H. Krings. Wichtig für die Stellung der Fiditeschen Wissenschaftslehre zur Logik sind das Buch von P. K. Schneider, 'Die wissenschaftsbegründende Funktion der Transzendentalphilosophie', Symposion 17. Freiburg 1965 und der programmatische Aufsatz von M. Zahn, 'Die Idee der formalen und transzendentalen Logik bei Kant, Fichte und Hegel', in: Sdielling-Studien, Festschrift für M. Schröter, 153—191. München/Wien 1965. Beide Arbeiten gehen auf Fichtes 'Transzendentale Logik' von 1812 ein, welche den Unterschied von formeller Logik und reeller Metaphysik als Vorbereitung für die Erste Philosophie behandelt und im Grunde noch einmal zeigt, daß und warum die Logik das Denken und Verbinden nicht in seiner vollen Struktur (Ich bilde etwas als von mir Gebildetes) versteht.
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Einleitung
Der sich vom Außen frei abkehrende Blick kehrt sich dem Inneren zu. Was ist aber ist das Innere? Das Innere ist das Ich-Selbst allen Bewußtseins, das in allen Vorstellungen von Welt immer schon mit-vorgestellt ist. Das mitgängige Vorstellen meiner selbst als des Vorstellenden, vor den die Weltvorstellungen gebracht werden, gehört von Grund auf zu jeglichem Vorstellen von etwas. Diesem mitgängig Vorgestellten, das wir selber sind, soll sich der Blick ganz zuwenden. Reflektieren gewinnt die Bedeutung des Sich-Bewußtwerdens. Aber von Anfang an unterscheidet sich auf der Höhe transzendentalen Denkens die philosophische von der bloß psychologischen SelbstReflexion. Seit Locke wird der Titel 'reflection5 als eine der beiden Quellen der Erfahrung, nämlich vermittels des inneren Sinnes, beansprucht. In der Bedeutung empirischer Selbstbeobachtung ist Reflexion das Organ einer empirischen Psychologie. Und das Ich, das empirisch in seinen zeitlich verlaufenden Zuständen und zufälligen Befindlichkeiten beobachtet wird, gehört selbst zur Welt. Die psychologische Reflexion bleibt nach außen gewendet. Wohin sich die philosophische Blickwendung richten soll, das ist das reine Selbstbewußtsein in seinen notwendigen und apriorischen Handlungen. Das Innerste der Welt und das 'Vehikel5 aller Vorstellungen ist das Ich-denke (die ursprünglich synthetische Apperzeption oder die Intelligenz an sich) in den Formen seines Denkens. Und diese sind notwendig als diejenigen Bedingungen, ohne welche die Einheit des Selbstbewußtseins in allem Vorstellen von Welt verrückt wäre. Um das vor den Blick zu bringen, muß alles Äußere auf seine inneren Bedingungen hin überstiegen (transzendiert) werden. Die philosophische Reflexion verfährt, so gesehen, nicht psychologisch, sondern transzendental. Sie übersteigt alle Vorstellungen gegenständlicher Erfahrung auf die Bedingungen ihrer Möglichkeit hin und faßt so die Intelligenz in ihren notwendigen Handlungen ins Auge. Das ist der 'gegebene5 Stoff für eine philosophische Wissenschaft, die sich als Transzendentalphilosophie im Stadium ihrer systematischen und kritischen Vollendung versteht und dabei fraglos voraussetzt, daß Wissenschaft Systembildung und philosophische Wissenschaft systematische Grundlegung des menschlichen Geistes sei. Ihre Leitfrage lautet daher: Wie ist aus diesem Stoff ein System zu bilden? Nun ist, um alle notwendigen Handlungen menschlichen Geistes systematisch und aus ihrem innersten Grunde aufstellen zu können, offenbar eine Handlung nötig, die selber nicht unter den notwendigen Handlungen enthalten
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ist, „nemlich die, seine Handlungsart überhaupt zum Bewußtseyn zu erheben" (Über den Begriff dtr W.-L. § 7; Akad. Ausg. I, 2; 141). Das reine Selbstbewußtsein ist notwendigerweise in einer Reihe von Handlungen tätig, sofern und solange menschliches Bewußtsein ist. Aber der menschliche Geist ist nicht ebenso notwendig sich dieser seiner notwendigen Handlungen in der Deutlichkeit eines Systems bewußt. Für dieses Sich-Bewußtwerden bedarf es der freien Tat abstrahierender Reflexion, die unterbleiben kann und im gewöhnlichen Bewußtsein, im sach- und tatbestimmten Weltverhalten menschlichen Daseins, auch ständig unterbleibt. Die transzendentale Reflexion ist das künstliche Instrument einer freien Kunst. Die Kunst, dieses Instrument frei handhaben zu können, heißt Philosophie. Auch die philosophische Reflexion hat die schon bekannte Gestalt, eine Form auf sich zurückzubeugen. Jetzt aber ist nicht mehr von logischen Denkformen, den Beziehungen von Subjekt und Prädikat im Satz oder den bleibenden Verhältnissen zwischen Vorstellungen, die Rede, sondern von transzendentalen Formen des Ich-denke: nämlich den gesetzhaften Beziehungen zwischen Vorstellung und Gegenstand oder zwischen Ich und Nicht-Ich. Der Gehalt, der durch philosophisches Reflektieren ins Bewußtsein gehoben wird, ist nichts als diese Form. „Durch diese freie Handlung wird nun etwas, das schon an sich Form ist, die nothwendige Handlung des menschlichen Geistes, als Gehalt in eine neue Form, die Form des Wissens, oder des Bewußtseyns aufgenommen, und demnach ist jene Handlung eine Handlung der Reflexion" (Akad. Ausg. I, 2; 142). Und auch diese Reflexion des philosophierenden Subjekts geht mit der Tätigkeit des Abstrahierens zusammen. „Es ist unmöglich zu reflektiren, ohne abstrahirt zu haben" (Akad. Ausg. I, 2; 142). Abstrahiert wird von der Vermischung einer notwendigen Bewußtseinshandlung mit anderen. Es muß davon abgesehen werden, in welcher zufälligen Reihe sie an sich vorkommen möge, weil sie nur dadurch in ihrer spezifischen Gesetzlichkeit und ihrem systematischen Zusammenhange herausgestellt werden kann. Diese Reflexionseinstellung ist im Grunde allem Philosophieren gemeinsam. „Alle Philosophen... haben durch Reflexion die nothwendige Handlungsart des menschlichen Geistes von den zufälligen Bedingungen desselben absondern wollen" (Akad. Ausg. I, 2; 143). Alle Philosophie sieht im Absehen vom bloß Mitgängigen und Zufälligen auf das Wesenhafte und Immer-Seiende in allem Sein und Bewußtsein. Aber erst der Transzendentalphilosoph hat die Reflexion vollständig durchgeführt.
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So findet sidi in der Vollendungsphase des kritischen Idealismus, in Fichtes 'Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre5 von 1794/95, die Reflexion als Methodenmittel der Systembildung planvoll eingesetzt. Das gilt sowohl für die Findung des Prinzips wie für dessen systematische Explikation. Der Anfangsgrund der frühen Grundlegung heißt Tathandlung. Er kann als erster Anfang und Grund nicht aus früheren Gründen bewiesen, er muß gefunden werden. Die Findung der Tathandlung geschieht eben auf dem Wege einer „abstrahierenden Reflexion" (Grundlage § i; Akad. Ausg. I, 2; 255). Das soll hier nur angemeldet werden. Ausgang des Suchens ist eine zuhöchst gewisse Tatsache des Bewußtseins, die Vorstellung logischer Identität (A = A). Philosophische Betrachtung dringt auf ein unumstößliches Prinzip, indem sie von der bedingten Tatsächlichkeit logischer Identität abstrahiert und auf die ihr zugrunde liegende reine Tathandlung reflektiert. So stößt sie auf das Ich-bin, die Handlung des Sich-mit-sich-identisch-Setzens, welche das Sein des Ich selber ist. Und die systematische Entwicklung des Anfangsgrundes geschieht eben so, daß die Gesetze der Tathandlung reflektiert und ins Bewußtsein gehoben werden. Die methodische Zurüstung der philosophischen Reflexion in Fichtes Wissenschaftslehre ist als Dialektik erörtert und in einen Rangstreit mit der spekulativen und materialistischen Dialektik verwickelt worden; denn sie treibt offenkundig den Prozeß der Systembildung aus einer Thesis im Wechsel von Antithesis und Synthesis methodisch fort. Was es mit der Dialektik im Vernunftsystem der Wissenschaftslehre auf sich hat, wird innerhalb der Entfaltung der Grundlegung auch darum ausführlich darzulegen sein, weil ihr Eigenwesen und ihre Berechtigung durch den zweiseitigen Zugriff der spekulativen Logik und des dialektischen Materialismus entwurzelt und verschüttet worden ist. In einer Einleitung, welche Sinn und Grenze der Reflexion sicherzustellen sucht, ist die Dialektik vorerst als diejenige Methode vorzulegen und abzugrenzen, nach der eine äußere Reflexion des philosophierenden Subjekts ihrem Gegenstande, der inneren Reflexion des Ich, sachlich angemessen nachgeht. Die Kunst der Reflexion beginnt mit dem rechten Einsatz ihres Entzweien-Könnens. Das trennende Vermögen der Reflexion entzweit die Einheit des Selbstbewußtseins mit sich selbst und legt sie in Satz und Gegensatz auseinander. „Die Reflexion hat diese antithetische Handlung aufzustellen: und diese Reflexion ist insofern zuförderst analytisch"
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(Grundlage § 4; Akad. Ausg. I, 2; 284). Aber die Herausgliederung von Gegensätzen zwingt zur Entdeckung von Synthesen. Synthesis besagt dabei eine synthetische Handlung a priori, welche die durch den Widerspruch bedrohte Einheit des Selbstbewußtseins zusammenhält. Sie wird durch Limitation, d. i. durch Einschränkung der totalen Herrschaftsansprüche von Thesis und Antithesis, aufgedeckt. In der neuentdeckten Synthesis aber gliedert die Reflexion abermals ungehobene antithetische Glieder heraus, um sie zu einer komplizierteren Synthesis zu limitieren, und das solange, bis sich das System der notwendigen synthetischen Handlungen schließt und die Einheit des Geistes von jedem Widerspruch — vor allem von den alles durchragenden Gegensätzen zwischen Unendlichkeit und Endlichkeit und zwischen Theorie und Praxis — erlöst sein wird. Dieser dialektische Prozeß entsteht weder durch das subjektive Schaukelsystem eines hin- und her über gehen den Räsonnements über die Sache, und er lebt auch nicht als die Seele und die immanente Selbstbewegung der Sache selbst. Beide Ansichten sind von Anfang an fernzuhalten. Fichtes Dialektik der Einschränkung in der 'Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre5 wird als Kunstgriff des philosophierenden, endlichen Subjekts eingeführt. Sie ist nicht der unabänderliche Fortgang des absoluten Geistes, sondern ein Instrument der willkürlich über das Wesen endlichen Geistes reflektierenden, endlichen philosophischen Vernunft. So bleibt die Methode von ihrem Gegenstande verschieden. Das Worüber der methodisch fortschreitenden Reflexion liegt ihr vor und zugrunde. Sie macht und produziert nicht ihren Gegenstand, sie sucht ihn auf. Daher erscheint jede neu erzeugte Synthesis „nicht als Produkt der Reflexion, sondern als ihr Fund" (Grundlage §4; Akad. Ausg. I, 2; 284). Die frühe 'Grundlage' verhält sich gegenüber der Macht der Dialektik zurückhaltend, und sie kann nicht anders. Das Prinzip einer spekulativen Logik nämlich entspricht eben doch letztlich der Vorstellung von der Macht Gottes im reinen Logos sowohl wie in allen besonderen Gebieten und Gestaltungen der natürlichen und geistigen Welt. (Und die materialistische Dialektik ist die Säkularisierung dieser Vorstellung.) Eine transzendentale Methode lehrt kritische Enthaltsamkeit in den göttlichen Dingen. Daher kommen für sie die Dialektik als Bewegungsgesetz des göttlichen Begriffs und die Dreiheit von Thesis, Antithesis und Synthesis als Weisen des unendlichen Geistes nicht in Betracht. Ihre Explikation von entgegengesetzten Merkmalen im synthetischen Begriff „ge-
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schieht durch Reflexion, die eine willkührliche Handlung unseres Geistes ist" (Akad. Ausg. I, 2; 284). Nun sucht die Freiheit der Methode nicht nach Belieben und auf gut Glück herum; denn sie ist zwar nicht die Seele der Sache selbst, aber sie läßt sich auch nicht von außen an die Sache herantragen. Sie gewinnt ihre Deutlichkeit und Verbindlichkeit m strenger Bindung an die Sache, die sie verdeutlicht. Die Methode der Philosophie richtet sich nach dem, worüber sie philosophiert. Aber was ist ihre Sache? Und warum rechtfertigt diese eine dialektische Analysis? Die Sache der Philosophie ist kein gegenständlich vorliegender Sachbereich, etwa die Natur, die Geschichte, die Ökonomie oder die menschliche Gesellschaft. Ihre erste Sache ist das aller Gegenständlichkeit zugrunde liegende Geschehen des Selbstbewußtseins. Daran ist die Methode gebunden. Weil sie im ursprünglichen Geschehnis des Selbstbewußtseins ihren Halt hat, kann sie nicht formalistisch als Schema der Triplizität abgehoben und auf andere Sachbereiche, z.B. eben auf die Natur oder die Gesellschaft, übertragen und die Dimension historischer Entwicklung in sie hineingetragen werden. Gerade das aber ist der Fichteschen Dialektik widerfahren, daß sie ihren Formelementen nach als ahnungsvolle Vorläuferin einer wahren dialektischen Logik gefeiert, ihr sachlicher Ausgangspunkt dagegen als einseitiger Subjektivismus und als abstrakt-idealistische Konstruktion verdammt worden ist2. Solche Ausein2
Das ist durchgängig die Linie, auf der Fidite vom Standpunkt des philosophischen Materialismus in eine Geschichte der Dialektik eingeordnet wird: Die drei Grundsätze und die weitere Deduktion der Kategorien und logischen Gesetze bringen keimhaft eine dialektische Systemstruktur zum Austrag, und die Dialektik der Wechselbestimmung bereitet die Einsicht vor, daß das Ich und der Mensch, indem er das Nicht-Ich verändert und bearbeitet, in eins sein eigenes Wesen verändert. Aber der Boden dieser Dialektik, der subjektive Idealismus, ist falsch, vgl. D. Bergner, 'J.G.Fichte', in: Wissen und Gewissen, S. i6ff. Berlin 1962. Nach einer These von G. Stiehler ('Fichtes dialektischer Idealismus', in: Wissen und Gewissen, S. 127 ff.) ersetzt Fichte die mechanisch-materialistische Denkmethode durch die vorwissenschaftliche, idealistische Dialektik, anstatt sie durch eine objektive dialektische Methode, welche das Leben des Stoffes ideell widerspiegelt, zu überwinden. Ungleich differenzierter und auf spekulativem Niveau nimmt T. Oisermann dieselbe Unterscheidung vor: Durch Fichte ist die Dialektik erstmals bewußt als Methode, als ein System philosophischer Grundbegriffe ergriffen. Indem aber alle Widersprüche auf die Dialektik der subjektiv aufgefaßten Entäußerung reduziert und das Bedingtsein des Subjekts durch das Objekt als Selbstbeschränkung des Subjekts interpretiert werden, bleiben die immanente Dialektik des Gegenstandes, das Problem der Einheit und des Kampfes seiner Gegensätze und die Seite ihrer historischen Entwicklung übersehen ('Die Dialektik in der Philosophie J. G. Fichtes', in: Wissen und Gewissen, S. 99 ff.). Letztlich verurteilt die dogmatische Dialektik des wissenschaftlichen
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andersetzung weicht dem Entweder-Oder aus. Entweder ist diese Methode und in eins der Grund und Boden, in welchem sie wurzelt, als wahr anzuerkennen, oder sie ist samt ihrer Sache, dem Ich (als dem metaphysisch-travestierten Geist in der Trennung von der Natur), zu verwerfen. Die Methode der Wissenschaftslehre ist dialektisch, sofern und soweit ihr Gegenstand es ist. Die grundsätzliche Sache der Ersten Philosophie ist das Ich, das Ich aber ist ein Sich-auf-sich-Beziehen im Austrag von Setzen (Position), Entgegensetzen (Negation) und einschränkendem Zusammensetzen (Limitation), und zwar als ein und dasselbe, ungetrennte Geschehen in einem Schlage. Diese Urgeschichte des Geistes ist kein Geschehen, das in raumzeitlicher Bewegung und historisch abläuft. Es versagt sich aller Gesetzlichkeit der naturhaften Bewegung und der historischen Entwicklung. Es liegt ja der Natur und Geschichte und deren Unterschied voraus. Die metahistorische und überzeitliche Geistesgeschichte ist die freie Erzeugung einer dreifachen Handlung mit einem Schlage. Und deren systematische Zergliederung in unterschiedene, aufund auseinanderfolgende Momente geschieht durch die freie Kunst der philosophischen Abstraktion. Dies alles bedarf einer ausführlichen Untersuchung. Einleitend und mit gebotener Vorläufigkeit sollte lediglich erklärt werden: Die Reflexion des philosophierenden Subjekts bezieht die Methode der Systementwicklung aus dem Wesen ihres Gegenstandes, des Ich, das selber Reflexion ist — aber sie fällt nicht mit dieser zusammen. Im ersten großen Einsatz der Wissenschaftslehre treten das philosophierende Subjekt und sein Objekt in einem distanzierenden Unterschiede auf. Worin aber besteht denn nun die Differenz zwischen dem Wissen des Philosophen und dem Wissen, worüber er reflektiert? Die Reflexion als freie Tat des philosophierenden Subjekts hat ihrem Objekt gegenüber einen Mangel: Sie ist nur vorstellend. „Das Ich als philosophierendes Subjekt ist unstreitig nur vorstellend; das Ich als Objekt des Philosophierens könnte wohl noch etwas mehr seyn" (Über den Begriff der W.-L. §7; Akad. Ausg. I, 2; 149). Die philosophische Reflexion ist ein Materialismus die Antithetik der Wissenschaftslehre, indem sie ihr ein zweifaches Versagen vorhält, i. Die intellektuelle Anschauung des reinen Ich schließt die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Analyse des objektiven Bewegungsprozesses und seiner Bedingungen (Raum, Zeit, Natur, Gesellschaft) aus. z. Weil die Antithesis keine neue Stufe der Entwicklung erbringt, darum läßt die Beziehung der Gegensätze eine historische Betrachtung unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung nicht zu.
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Vorstellen. Audi das Worüber der Reflexion ist Handlung des Vorstellens, nämlich das Ich oder das sich selber vorstellende Vorstellen. Aber das, was dieses Vorstellen vorstellt, ist nichts anderes als es selbst. Hier sind Vorstellendes und Vorgestelltes identisch, und dieses Sichselber-Setzen ist das vorausgesetzte Wesen und der Ursprung dieses Vorstellens. Darin liegt das Mehr an Realität, welches das Objekt der philosophischen Besinnung gegenüber dem philosophierenden Subjekt besitzt. Das Ich macht nicht bloß anderes bewußt, und sein Vorstellen ist nicht bloß Attribut eines Subjekts; es ist Sich-Vorstellen, und diese Handlung des Vorstellens geht auf sein Sein und Wesen. Die 'Grundlage' beginnt mit dieser Unterscheidung zwischen der unbedingten Handlung des philosophierenden Subjekts und der absolut ersten Handlung des menschlichen Geistes. Die bahnbrechende Tat des Philosophen ist die totale Umwendung des Blicks in freier, abstrahierender Reflexion. Das aber ist nicht die Grundhandlung des menschlichen Geistes an ihm selbst. Diese ist auch Reflexion, aber eine reine Reflexion über sich. So macht die Philosophie „die blosse Reflexion zum Objecte einer neuen Reflexion" (System der Sittenlehre 1798 §2; SW IV, 31). Aus diesen Vorüberlegungen ergibt sich: Philosophie ist Reflexion der Reflexion. Die obere und erste Reflexion ist Instrument des philosophierenden Ich, die zweite und tiefer gelegene Reflexion ist das Wesen des Ich selber. Und diese vorläufige Abhebung nötigt zur Frage: Was ist das für ein reflektierendes Vorstellen, in welchem das Sehen des Philosophen das Innerste und den Zusammenhalt der Welt (die Ichheit) unmittelbar zu Gesicht bekommt? Solches Organ der Philosophie heißt intellektuelle Anschauung.
c) Die i n t e l l e k t u e l l e A n s c h a u u n g Die 'Grundlage' von 1794/95 setzt die Reflexion des philosophierenden Subjekts an ihren Anfang. Ohne deren freien Vollzug bleibt die Philosophie gegenstandslos. Das ursprüngliche Ersehen seines Objekts ist ein besonderes Sehtalent des Philosophen. Im natürlichen Bewußtsein ist das, was thematisch aufgefaßt wird, das gedachte Ding. Das Denken selbst wird nur begleitend miterfaßt; denn für das gemeine, gegenständliche Bewußtsein hat das Ding ursprüngliche, wahre Realität. Das philosophische Bewußtsein dagegen macht das gewöhnlich nur beiher Erfaßte wesentlich thematisch. Es reflektiert eben auf den
Die intellektuelle Anschauung
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Denkakt selbst und kehrt sich ihm als dem primären Gegenstand seines Sehens zu. In dieser Sicht ist das Ich-denke das ursprüngliche und einzige Reale. Um sich in diese Blickwendung zu bringen und sich in ihr zu halten, dafür muß der Transzendentalphilosoph ein besonderes Organ entwickeln. Das Auge und Organ für solches Ersehen nennt Fichte intellektuelle Anschauung. Der Name spricht genau. Anschauung benennt im Unterschied zum stets vermittelten Begriff ein unmittelbares Bewußtsein. Diejenige Anschauung, die vermöge des Gefühls auf ein Bestehen und gegebenes Sein trifft, ist sinnlich und heißt Wahrnehmung. Jene Anschauung dagegen, welche die Intelligenz als solche unmittelbar zu Bewußtsein bringt, heißt intellektuelle Anschauung. Intelligenz ist kein Sein, sondern ein Handeln; denn Intelligenz ist ein anderes Wort für Ichheit, und das Sein des Ich ist nichts Vorliegendes und an sich Bestehendes, sondern die Tathandlung des Sich-selber-Setzens. So bezeichnet intellektuelle Anschauung zwar ebenso wie die Wahrnehmung ein unmittelbares Bewußtsein, aber sie macht nicht ein gegebenes und an sich bestehendes Sein, sondern ein Handeln bewußt. Sie nennt das unmittelbare Innesein und Sehen derjenigen Tätigkeit, die das Wesen der Intelligenz ausmacht. „Die intellectuelle Anschauung, von welcher die Wissenschaftslehre redet, geht gar nicht auf ein Seyn, sondern auf ein Handeln" (2. Einleitung, Art. 6; SW I, 472). Das ist die Feststellung, durch die Fichte seinen Begriff der intellektuellen Anschauung definitiv vom Kantischen abtrennt. Bekanntlich berichtigt die 2. Einleitung in die Wissenschaftslehre von 1797 im sechsten Kapitel das grobe Mißverständnis, die Wissenschaftslehre stelle den von Kant kritisch behandelten Gedanken einer intellektuellen Anschauung an die Spitze ihres Systems. Fichte unterscheidet eben: Die intellektuelle Anschauung, von der die Vernunftkritik Kants redet, gehe auf ein Sein, die intellektuelle Anschauung im Vernunftsystem der Wissenschaftslehre auf ein Handeln. Dasselbe Wort drücke somit verschiedene Begriffe aus, der Terminus sei äquivok. Der in der 2. Einleitung vollzogenen Begriffsscheidung geht unmittelbar der scharfe Angriff vorher, den Kant in der Schrift 'Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie' (1796) gegen eine platonisierende Gefühlsphilosophie gerichtet hatte. Kant trifft, indem er sich gegen J.E. Schlosser wendet, zugleich den Jacobi-Kreis. Danach besteht die unpassende Vornehmheit in der Anmaßung der Philosophie, auf die Arbeit des diskursiven Verstandes zu verzichten, und in der Versicherung, den Gegenstand selbst unmittelbar und auf
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einmal fassen zu können. Solche Unternehmung hintergeht alle Kritik, welche die Endlichkeit menschlicher Erkenntnis beachtet. Sie übergeht den schon in Kants Dissertatio aufgestellten Satz: Intellectualium non datur homini intuitus5, indem sie eine intellektuelle Anschauung beansprucht, durch die der Mensch das Seiende in seinem Ansichsein unvermittelt antrifft. Sie proklamiert zum Organ der Erkenntnis ein höheres, allen Subjekten gemeinsames Gefühl, durch welches ich das Sein selbst empfinde und mir solcher Wesensfindung sicher bin. Ein solches Philosophieren, das einfach in einem geniemäßigen Scharfblick auf das Innere besteht, ist für Kant ein Ausdruck von Mystagogie. Für Kant gibt es nur einen Sinn von intellektueller Anschauung, der als Grenzbegriff problematisch hingestellt werden kann, der intuitus originarius des Urwesens. Diese intellektuelle Anschauung ersieht das nichtsinnliche Ansichsein des Seienden unmittelbar, weil sie sich ihre Objekte selbst gibt. Aber diese Anschauungsweise des Seins selbst ist nicht die unsrige. Wir kennen nicht einmal die Bedingungen ihrer Möglichkeit. Unsere Anschauung ist sinnliche Wahrnehmung, welche unmittelbar auf das Sein der Erscheinung geht. Eine uns zugesprochene Anschauung des Seins an sich ist Schwärmerei. Intellektuelle Anschauung im Fichteschen Verstande hat keine der Kantischen Bedeutungen. Der Terminus benennt kein unmittelbares Bewußtsein des Dinges an sich durch ursprüngliche Intuition und keine Vergewisserung des Seins an sich in der Evidenz von Gefühl und Glauben. In der Begriffssprache Fichtes bedeutet intellektuelle Anschauung das unmittelbare Bewußtsein einer Handlung, und zwar derjenigen, welche das Wesen und den Ursprung der Intelligenz ausmacht und darum auch Intelligieren' heißen kann. Das ist die Art Anschauung, „welche, da sie die Anschauung des absoluten Intelligirens selbst ist, vorzugsweise intellectuelle zu nennen wäre" (W.-L. 1801, § 16; SW II, 33). So hat Fichte den Namen erklärt und gegen den Mißbrauch der Äquivokation geschützt. Intellektuelle Anschauung sei das unmittelbare Sichanschauen des Bewußtseins in seinem ursprünglichen Handeln, das unmittelbare Innesein der Tathandlung. So verstanden, ist sie nicht bloß ein problematischer Gedanke und erst recht keine Fiktion. Die intellektuelle Anschauung ist ein unumstößliches Faktum des Bewußtseins. Nur durch sie nämlich bin ich mir meiner selbst in allem Tun unmittelbar bewußt. Ohne sie wäre alles Vorstellen und Tun selbstvergessen und vom Vorgestellten nicht abhebbar. „Nur durch diese Anschauung weiss ich, dass
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ich es thue" (2. Einl., Art. 5; SW I, 463). Die intellektuelle Anschauung kommt mithin in jedem Momente meines Bewußtseins vor, und sie verbürgt, daß der Idealismus sein Prinzip, die Tathandlung und Freiheit des Ich, als seiend im Bewußtsein nachweisen kann. Freilich kommt die intellektuelle Anschauung nicht isoliert vor; denn das von ihr Angeschaute, das Ich, besteht nur in Vereinigung mit einem Gegenstande, der nicht Ich ist und von dem sich das Ich unterscheidet. Und weil der Gegenstand oder das Nicht-Ich sich im Wahrnehmen bekundet, muß sogar eingeräumt werden, daß die intellektuelle Anschauung „nur in Verbindung mit einer sinnlichen möglich sey" (SW I, 464). Also bedarf es, um die intellektuelle Anschauung rein zu erhalten, der freien und künstlichen Abstraktion. Durch sie löst der Philosoph das Ganze von Selbst- und Gegenstandsbewußtsein auf; er blendet vom sinnlichen Gegenstandsbewußtsein ab, um auf das reine Ichbewußtsein zu reflektieren, und zwar so, daß er von dessen Tatsächlichkeit auf ein es ermöglichendes intellektuelles Anschauen schließt. „Sonach findet der Philosoph diese intellectuelle Anschauung als Factum des Bewußtseyns (für ihn ist es Thatsache; für das ursprüngliche Ich Thathandlung) nicht unmittelbar, als isoliertes Factum seines Bewußtseyns, sondern, indem er unterscheidet, was in dem gemeinen Bewußtseyn vereinigt vorkommt, und das Ganze in seine Bestandtheile auflöst" (SW I, 465). Auf dem herausgelösten Faktum der intellektuellen Anschauung baut die Transzendentalphilosophie ihr System. Ihr Anfang wäre somit das unmittelbare und evidente Bewußtsein der Handlung einer unbedingten Selbsttätigkeit und Freiheit. Aber solcher Anfang scheint keineswegs über jeden Zweifel erhaben und gewiß zu sein. Der Dogmatismus verdächtigt ihn jedenfalls des Trugs. Die intellektuelle Anschauung beruhe auf einem trügerischen Glauben. In der Tat gesteht die i. Grundlegung der Wissenschaftslehre zu, das Innesein der freien Selbstbestimmung könne durch kein Räsonnement andemonstriert werden. „Jeder muß es unmittelbar in sich selber finden" (SW I, 463). Soll aber nun das Prinzip der intellektuellen Anschauung vor dem Zweifel gesichert werden, dann kann es nicht einfach als vorauszusetzendes Faktum behauptet, es muß in den Stand der Gewißheit gehoben werden. „Dies geschieht nur lediglich durch Aufweisung des Sittengesetzes in uns" (SW I, 466). Was aber haben Sittengesetz und Selbstanschauung miteinander zu tun? Und warum verleiht das Sittengesetz dem Faktum der intellektuellen Anschauung Gewißheit? Das Sittengesetz mutet dem Ich ein absolutes und in sich selbst gründendes Handeln zu. Das Gesetz
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fordert midi in kategorischer Weise auf: Sei unbedingt selbsttätig; bestimme dich selbst. Indem ich mich also im Medium des Sittengesetzes erblicke, finde ich mich selbsttätig. Ich komme zu mir, indem ich als ein Wesen absoluter Selbsttätigkeit und Freiheit herausgefordert werde. Dieser Zumutung eines absoluten Handelns durch das Sittengesetz sind wir uns bewußt. Die (von Kant nicht verfolgte3) Grundfrage ist nun die: Was ist das für eine Art von Bewußtsein? Dieses Bewußtsein ist unmittelbar. Es ist kein Begreifen, Folgern, Erklären, sondern ein Anschauen. Und dieses Anschauen ist nicht sinnlich. Die unmittelbare, nicht sinnliche Anschauung meiner selbst als absoluter Tätigkeit im Medium des Sittengesetzes, das ist die intellektuelle Anschauung. So wird die intellektuelle Anschauung nicht nur als Faktum des Bewußtseins behauptet, ihr ist die einzige unabgeleitete Gewißheit beigebracht, die es gibt, die moralische. „Es giebt keine Gewissheit als die moralische und alles, was gewiss ist, ist es nur insofern, inwiefern es unser moralisches Verhältniss andeutet" (Appellation an das Publikum 1799; SW V, 211). Das theoretische Selbstbewußtsein bringt es alleine niemals zur Gewißheit über die Realität der Welt; denn das eigentlich Reelle in den Dingen ist, versinnlichtes Material unserer Pflicht zu sein. Die Quelle solcher Vergewisserung ist die Selbstanschauung meiner als des reinen Selbstseins im Bewußtsein des kategorischen Imperativs. So ist die intellektuelle Anschauung als das allein Gewißheit Gebende das zuhöchst Gewisse und das fundamentum inconcussum der Philosophie. „Die intellectuelle Anschauung ist der einzig feste Standpunct für alle Philosophie" (SW I, 466). Aus dem Bewußtsein des Sittengesetzes entspringt der feste Glaube: Ich bin frei — meine Freiheit ist das einzig wahre Sein und der Grund alles anderen Seins. Soweit ist die Erörterung von Reflexion und intellektueller Anschauung in der 2. Einleitung von 1797 geführt worden4. Sie hängt am Gedanken vom Primat der prakti3
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Kant konnte die Frage, von welcher Art das Bewußtsein ist, durch welches das Ich ein Wissen von seiner Spontaneität und Selbstbestimmung gewinnt, nicht entscheiden, weil er eben nur zwei Wissenszugänge zuließ, Anschauung und Begriff. Für ein Anschauen sprach die Unmittelbarkeit dieses Bewußtseins, ihm widersprach die Freiheit dieses Sich-Ersehens. Umgekehrt sprach diese Spontaneität für ein Begreifen, dem Begreifen widersprach die Unmittelbarkeit. Als Zugänge zum Wissen des gewissesten Wissens führen beide Erkenntnisquellen zu nichts. Vgl. dazu J. Barion, 'Die intellektuelle Anschauung bei J. G. Fichte und Schelling und ihre religionsphilosophische Bedeutung'. Würzburg 1929. Diese Kritik der intellektuellen Anschauung (auf dem Stande der 2. Einleitung) unterstellt: Das intellektuell Angeschaute sei die Selbsttätigkeit Gottes. Sie kritisiert diese These mit den Argumenten: Der abstrakte Grund des Bewußtseins wird mit dem meta-
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sehen Vernunft. Und sie läßt es im Hinblick auf die Seinsweise der intellektuellen Anschauung bei einer vorläufigen Distinktion bewenden. Zum einen ist die intellektuelle Anschauung Faktum des Bewußtseins und kommt wirklich und ursprünglich ohne künstliche Abstraktion in jedem Menschen vor. Zum anderen ist diese Anschauung, die dem Philosophen zugemutet wird, nicht die wirkliche Wesensweise des Bewußtseins selbst, sondern eine darüber reflektierende, künstlich abstrahierende Reflexion (vgl. System der Sittenlehre 1798, §3; SW IV, 47). In der zweiten Hinsicht bedeutet intellektuelle Anschauung die Sichtweise des Philosophen. „Dieses dem Philosophen angemuthete Anschauen seiner selbst im Vollziehen des Actes, wodurch ihm das Ich entsteht, nenne ich intellectuelle Anschauung" (SW I, 463). Sie bedeutet die Kunst, die Selbstanschauung in ständiger Abstraktion von allem Gegenstandsbewußtsein habituell zu machen. In dieser zweifachen Bedeutung wiederholt sich die Unterscheidung zwischen der inneren Reflexion der Ichheit selbst und der darüber schwebenden Reflexion des philosophierenden Subjekts. Bleibt es bei der Konstatierung dieser Differenz, dann bleibt das philosophische Wissen in der Abständigkeit einer äußeren Reflexion stecken. Aber vielleicht überholt die Durchführung der philosophischen Reflexion diesen Unterschied, und das Ende hebt diesen Anfang auf. Denn es wird sich herausstellen, daß das philosophische Wissen nichts als die höchste Reflexionsmöglichkeit des absoluten Wissens ist.
d) Ä u ß e r e und i n n e r e R e f l e x i o n Der Anfang der 'Grundlage' von 1794/95 ist die Einsetzung der intellektuellen Anschauung als dem Instrument einer äußeren Reflexion über die Ichheit. Das Ende der 'Grundlage' ist die Absetzung der äußeren und deren Ersetzung durch eine innere Reflexion. Der 3. Teil verabschiedet die äußere und verkündet die unbedingte Forderung einer absoluten Reflexion: „Das Ich soll sich nicht nur selbst setzen für irgendeine Intelligenz außer ihm; sondern es soll sich für sich seihst setzen; es soll sich setzen, als durch sich selbst gesetzt" (Grundlage § 5; Akad. physisdien Weltgrund verwechselt, und etwas Undenkbares (die Subjekt-ObjektIdentität der absoluten Selbsttätigkeit) wird als Geschautes ausgegeben. Solche Kritik verkehrt zuerst die Fichtesche Grundlage, um sie dann als verkehrt zu widerlegen. Das gilt analog für D. H. Kerler, 'Die Fichte-Schellingsdie Wissenschaftslehre, Erläuterung und Kritik'. Ulm 1917.
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Ausg. I, 2; 406). Damit ist der Grundsatz von Tathandlung und Freiheit zum Satz der absoluten Reflexion durchformuliert. Diese Schlußformel liegt keineswegs auf der Hand. Zu ihr führt ein langer Weg, der vom Befund der Tathandlung und der unbeschränkten Selbsttätigkeit ausgeht, um im Durchgang durch die Gesetzesreihen der theoretischen Vernunft und die notwendigen Handlungen der praktischen Vernunft bereichert in den Anfang, die Idee unendlicher Selbsttätigkeit, zurückzulaufen. Eine Einleitung kann nur vorläufige Resultate über den Endstand der Ich-Verfassung vorausschicken. Sie werden vorgelegt, um zu zeigen, wie in ihr der Abstand von äußerer und innerer Reflexion verschwindet und wie sich die zweifache Bedeutung der intellektuellen Anschauung zusammenhängend aufklärt. Der Weg zur absoluten Reflexion als dem Innersten des Ich führt über das Streben und über die praktische Vernunft hinweg. Streben (appetitus) heißt das Grundvermögen der praktischen Vernunft und des Willens. Die Wissenschaftslehre unternimmt es, das Streben und die praktische Vernunft aus dem allgemeinen Grunde des Ich herzuleiten. Die Herleitung dient ihr zum Leitfaden, um das Ich in seiner konstituierenden Urleistung aufzudecken, nämlich als absolute Reflexion. Sie wird in einer reich gegliederten, umsichtigen Deduktion freigelegt und gerechtfertigt. Deren erster großer Schritt ist die Deduktion des Strebens. Darin wird das Streben als diejenige synthetische Handlung a priori festgestellt, die notwendig ist, um den äußersten Gegensatz zwischen der unendlichen Tätigkeit des absoluten Ich (dem unbeschränkten SichSetzen) und der beschränkten, objektiven Tätigkeit des theoretischen Ich zu verknüpfen und aufeinander zu beziehen. Aber das unendliche, objektive Streben ist selbst nicht ohne Bedingung. Der zweite, steil in den Ursprung der Ichheit führende Schritt ist die Herleitung einer Bedingung, die notwendig ist, damit das Streben und der Wille möglich seien. Das ist die absolute Reflexion. Und es wird sich zeigen: Sie ist der Ursprung, der absolutes, theoretisches und praktisches Ich mit einem Schlage eint und sondert. Das Innerste des Ichwesens ist die Tathandlung und Freiheit, aber nicht an sich, sondern im unbedingten Selbstverhältnis einer absoluten Reflexion. „Demnach muß das Ich, so gewiss es ein Ich ist, unbedingt und ohne allen Grund das Princip in sich haben, über sich selbst zu reflectiren" (Grundlage, § 5; Akad.Ausg. I, 25407). Diese Besinnung auf die absolute Selbstbesinnung ist umwälzend. Sie verlegt das Fundament der praktischen Vernunft auf ein tieferes
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Fundament zurück. Die Bewahrheitung von Sein und Selbst dringt über das Gebiet der praktischen Vernunft hinaus und in den Wurzelgrund aller endlichen Vernunft hinab. Gewiß bleiben der Primat der praktischen gegenüber der theoretischen Vernunft und das Verständnis von Sein als Wille ein elementarer Bestandteil des Systems. Aber Sein und Sollen decken sich nicht. Die Gewißheit der Reflexion stützt sich nicht bloß auf das unmittelbare Bewußtsein des Du-sollst. Der Sinn von Selbstreflexion geht nicht darin auf, Platzhalter des moralischen Glaubens zu sein. Nur das äußerlich reflektierende Wissen kommt in die Lage, sich einschränken zu müssen, um dem Glauben Platz zu machen. Verläßt sich das Wissen allein auf die moralische Gewißheit, dann kommt es zu einer unbedingten Überzeugung, aber nicht zu einem absoluten Wissen. Das absolute Wissen formiert eine Selbstdurchdringung, die das praktische Sich-Wissen übersteigt und die äußere Reflexion absetzt. Die An- und Übernahme solcher Besonnenheit ist die wachsende Einsicht des transzendentalen Denkens in seinen Grund. Anfänglich wird die 'Grundlage3 von einer Dialektik bewegt, welche die Reflexion des philosophierenden Subjekts vorwärts treibt. Ihr geheimes Ziel ist, sich am Ende überflüssig zu machen. Nur dadurch erringt die Philosophie ein widerspruchsloses Verhältnis zu ihrem Gegenstande. Ein Widerspruch nämlich ist leicht entworfen. Objekt der Philosophie sei das Seiende im Ganzen, neuzeitlich gedacht das absolute Wissen als die totale Einheit von Subjekt und Objekt. Es ist absolut, weil nichts außer dieser Einheit ist — außer dem Wissen, das diese Einheit reflektiert. Das Außerhalbsein des philosophierenden Wissens widerspricht dem Absolutsein seines Gegenstandes. Der Schein des Widerspruchs verfliegt, wenn einleuchtet: Die philosophische Reflexion ist das Fürsichwerden der Subjekt-Objekt-Einheit, das aber ist die ursprüngliche Handlung des Ich selbst. Philosophisches Wissen bildet die höchste Klarheit und Deutlichkeit aus, deren das absolute Wissen fähig ist. 'Historisch' gewendet: Philosophie ist die Stufe des sich durchdringenden Wissens, in der es der Geist zu lichterer Selbstanschauung bringt als auf den Stufen des Rechts, der Moralität, der Religion. Die Entfaltung der Philosophie ist somit zugleich die Selbstentfaltung ihres Objekts, d. i. des absoluten Wissens in seiner originären Selbstanschauung. „Die Wissenschaftslehre erklärt in Einem Schlage und aus einem Principe sich selbst und ihren Gegenstand, das absolute Wissen, ist also selbst der höchste Focus, die Selbstvollziehung und Selbsterkenntnis des absoluten Wissens, als sol-
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dien; und trägt daran das Gepräge ihrer Vollendung" (W.-L. 1801, §29; SW II, 77)· Wie also steht es in Wahrheit mit der eigenständigen und willkürlichen Reflexion des Wissenschaftslehrers? Sie ist als die Kunst dialektischer Zergliederung dem Objekte äußerlich. Aber die Philosophie braucht die Äußerlichkeit ihrer Reflexionen nicht zu fürchten. Sie kann sich der stetig fortlaufenden Reflexion überlassen; denn sie hat die Ruhe gegen sich empfangen, daß am Ende die Reflexion des philosophischen Wissens über das Wissen und die Selbstreflexion ihres Objekts nichts Verschiedenes, sondern das Eine und Selbe sind. Daher wird die Reflexion, sofern sie sich als die Arbeit des Trennens und Zusammenfügens an einem ihr fremden Objekte darstellt, verabschiedet. „Die Reflexion des Wissenschaftslehrers... (tritt) völlig ab" (W.-L. 1801, § 18; SW II, 37). Philosophie wird zum System absoluter Reflexion, zur Selbstdurchdringung des absoluten Wissens. Und wie steht es auf diesem überlegenen Standpunkte mit dem Doppelsinn der intellektuellen Anschauung? Die intellektuelle Anschauung ist beides, Organ der Philosophie und die Seinsweise des Ich — sie ist das Vermögen der äußeren wie der inneren Reflexion. Aber jetzt ist das Fundierungsverhältnis beider Bedeutungen durchsichtig geworden. Die intellektuelle Anschauung eignet sich nur darum zum Auge philosophischen Sehens, weil sie das Auge bildet, das dem absoluten Wissen selbst eingesetzt ist. Sie ist Organ des Philosophierens, weil es die Wesensweise des Ich ist, alles durchdringende Selbstanschauung zu sein. Das Ende der 'Grundlage' von 1794/95 ist der Anfang einer vertieften Grundlegung, wie sie im ersten Teil der Wissenschaftslehre von 1801 vorliegt. Im Ausbau des Ich-Fundamentes herrscht nicht mehr die äußere Reflexion vermittels einer durch uns geübten dialektischen Kunst, in ihr regiert die innere Reflexion der Selbstbesinnung. Ihr Methodengang ist die Selbstdurchdringung, in der sich das absolute Wissen durchdringt. „Das Wissen reflectirt sich nun selbst, als ein Wissen, und als ein absolutes; d. h. keinesweges, es ist eben äusserlich für sich, so wie es für uns in unserer wissenschaftlichen Reflexion... war" (W.-L. 1801, §20; SW II, 42). Absolutes Wissen ist nicht das Absolute, aber es ist als Wissen absolut. Es duldet kein endliches Wissen außer sich, durch das es relativiert und objektiviert werden könnte. Wie also stellt sich in einem allerersten Umrisse das Wissen in seiner Absolutheit dar? Wissen ist Anwesenheit von Gewußtem; das ist sein Sein. Wissen ist zudem Sich-Wissen; das ist
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seine Freiheit. Absolutes Wissen ist beides, Freiheit und Sein, und zwar nicht als Summe, sondern als Wechselbestimmung: Es ist die untrennbare, organische Einheit von Sein (Objektivität) und Freiheit (Subjektivität). Das ist sein Grundbestand. Aber kein Wissen kann bestehen, ohne für sich zu sein. Das absolute Wissen ist diese Einheit, und weil es Wissen ist, ist es diese Einheit für sich. „Es ist ferner absolut für sich, reflectirt sich und wird dadurch erst ein Wissen" (W.-L. 1801, §20; SW II, 41). So erhebt sich das wahre Wissen über die einseitige Reflexion oder das einfache Fürsich eines abstrakten Subjektivismus. Es ist das Fürsich des Fürsich, nämlich die Reflexion, welche die Einheit von SeinWissen (Ansichsein) und Sich-Wissen (Fürsichsein) weiß. In diesem absoluten Umfange reflektiert sich das Wissen selbst als Wissen und schickt sich nicht mehr zum äußerlichen Gegenstande für eine darüber sich erhebende wissenschaftliche Forschung. Daraus folgt eine für die Methode der Wissenschaft maßgebliche Einsicht: Der Grund Verfassung des absoluten Wissens vermag allein eine innere Reflexion angemessen zu entsprechen. Auf diesen Weg begibt sich die Wissenschaftslehre von 1801. „Die gegenwärtige Reflexion ist das Innere des Wissens selbst, das Sichdurchdringen desselben" (W.-L. 1801, § 13; SW II, 27). Dieses Verständnis der inneren Selbstdurchdringung erbringt die entfaltete Fassung des obersten Grundsatzes der Transzendentalphilosophie, und es vermag die Bedeutung und Grenze der Ich-Reflexion zu ermessen. Der Grundsatz und die Reflexion waren am Anfange in der Thesis aufgestellt worden: Das Ich setzt sich schlechthin selbst. Das ist der Anfang des Systems und der Ichheit, aber es macht nicht deren Wesen aus. Der Anfang und das Ich sind beide nur, indem das Ich aus Freiheit sich auf seinen Anfang besinnt und in absoluter Reflexion durch innere Selbstbesinnung auf den Anfang zurückkommt. Das Ich und seine Reflexionsform bestehen nicht einfachhin in der Reflexion der Tathandlung. Die Tathandlung hat den Grundzug einer reellen Reflexion. Sie ist die Tätigkeit, welche, indem sie in sich zurückkehrt, eine Identität von Tätigsein und Getätigtem im absoluten Ausmaße der Vernunftgewißheit erzeugt. Keinesfalls aber bedeutet Tathandlung schon den Reflexionsvorgang des endlichen, gegenstandsbezogenen Bewußtseins, in welchem sich das Bewußtsein auf sich selber wendet, indem es sich vom Gegenstandsbezug losreißt. Die unendliche Reflexion des Ich = Ich gibt ein Sich-Erzeugen aus schrankenloser Freiheit, das Urbild absoluter Selbstbestimmung, zu sehen, aber sie klart nicht das Phänomen des endlich-unendlichen Ich auf. Deshalb ist es hoffnungslos, das
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Ich aus der Selbstkonstruktion und absoluten Genesis der Tathandlung erklären zu wollen. Ein so verkürzter Ansatz verkennt die Funktion des Anfangs in der 'Grundlage' und verwickelt das Bewußtsein in den fehlerhaften Zirkel der causa-sui-Hypothese. Das Ich ist kein Sichselbst-Erwirken aus Nichts. Denn das schlechthinnige Sich-Erzeugen und das Auf-sich-Zurückkommen der endlichen Subjektivität schließen einander aus. Um reflektierend auf sich zurückzukommen, muß das Subjekt von sich schon wissen; um auf sich zurückzukommen, muß das Subjekt schon sein. Die Reflexion der Tathandlung kann das Ich so wenig erklären, daß sie es in einen Zirkel verstrickt. Das endlich-unendliche Phänomen des Ich darf eben nicht mit der Reflexion im unendlichen Ausmaße der Tathandlung gleichgesetzt werden. Das Ich ist nicht Selbsterzeugung und Selbstkonstruktion, die einer philosophischen Betrachtung als ihr zu erforschender und zu bearbeitender Gegenstand vorliegt. Solch äußere Reflexion der absolut reell verstandenen Reflexion als dem Wesen des Ich verfängt sich von vornherein in einem Zirkel. Die besonnene Reflexionstheorie nimmt wahr, daß das Ichwesen in einer inneren Reflexion gründet, in der das Wissen nicht die Einheit von Subjekt und Objekt, von Tat und Handlung ist, sondern sich als solche weiß. Daher lautet der volle Grundsatz des sich wissenden Wissens, welches das Ich konstituiert: „Dieses Wissen erblickt sich (in der intellektuellen Anschauung) als absolutes Wissen" (W.-L. 1801, §19; SW II, 38). Das kritische Gewicht dieser Fassung muß in Hinblick auf Sinn und Grenze der Ich-Reflexion wohl erwogen werden. Der Satz besagt: Sich-wissen und Sein des Ich gehen nicht im ursprünglichen Sich-Konstruieren auf — sie sind Nachkonstruktion der absoluten Freiheit, Genesis und Identität. Die Selbstkonstruktion ist das Nachkonstruierte und das Worüber der Reflexion im Gefüge inneren Reflektierens. Also erzeugt das Ich nicht sein Sein schlechthin, es ist seiend, indem es sich aus Freiheit und darum aus Nichts zum Bilde der absoluten Subjekt-Objekt-Einheit und unbeschränkten Selbstbestimmung macht. Das aber bedeutet: Das Ich, dessen Sein in einem freien Sich wissen besteht, das sich als Bild und Nachkonstruktion der unendlichen Tathandlung weiß, erblickt die absolute Einheit als eine Voraussetzung, welche sie nachbildend einholen soll; denn die absolute Identität ist dem Sichwissen des Ich nicht gegeben, sie ist seinem Streben aufgegeben. Unmittelbar also verbindet sich das Sichwissen des Ich mit dem Sichwollen. Das Bildwesen des Ich enthält den Willen zum Nachmachen und das Streben, die der Reflexion vorausgesetzte, unerreichbare Vernunfteinheit zu erreichen.
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Die Reflexion lebt als der endlos-unendliche Wille, in den Anfang zurückzukehren. So erklärt sich der Einschlag des Sollens in die Formel der absoluten Reflexion: Das Ich soll sich setzen als schlechthinniges Setzen. Die Ichheit ist der aus dem unbedingten Anfange unbedingt herausgeforderte Wille, den Anfang zur Sichtbarkeit zu bringen. Somit ist vorläufig aufgeklärt: Die Reflexion, welche den Grundzug des Ich ausmacht, hat nicht die Bedeutung der absoluten Genesis und der Selbstkonstruktion der Tathandlung. Diese Sinngebung wird dem endlichen Wissens- und Wollenscharakter des Ich nicht gerecht; denn das Ich ist nicht der Bestand absoluter Freiheit, sondern das Streben danach, und es ist kein selbstmächtiges Machen von Sein aus Nichts, sondern ein Machen, das sich zum selbstbewußten Wissen und Wollen von Sein macht. Seine Freiheit läßt nicht das Sein, sondern das Wissen von Sein anfangen, sie bildet nicht den Grund des Ansichseins, sondern des Fürsichwerdens. Darin allein besteht die Selbsterzeugung des Ich, daß es sich ursprünglich und von sich her seines unendlichen Anfanges bewußt wird. Mithin besteht das Wesen der Ich-Konstruktion in einem sich wollenden Sich-Begreifen, in dem sich das Ich als Bild der Tathandlung und Nachkonstruktion der unendlichen Vernunfteinheit begreift und will. Solche Einsicht in die Bedeutung der inneren Reflexion entwirrt die Idee des Ich und setzt sie einer Verwirrung aus. Einerseits kann sie das Zirkelproblem des Selbstbewußtseins auflösen. Andererseits kann sie das Seinsproblem des Gegenstandsbewußtseins in Verwirrung bringen. Die Grundstruktur der inneren Reflexion nämlich ist das Als und ihr ontologischer Charakter der des Bildes. Das Sein des Bildes aber ist, generell geurteilt, das Nichtsein des Seins. Als Bild ist das Wissen nicht das vorausgesetzte Sein. Es ist nicht selbst die reflektierte Vernunftgewißheit des Ich = Ich und die Urrealität des Subjekt-Objekt. Das Ich ist seinem Sein nach bloß Bild des Seins. Bild macht sichtbar. Das WissensBild ist Sichtbarmachung eines an ihm selbst niemals Ersichtlichen; es ist das Schema der absoluten Vernunfteinheit. Diese besonnene Einsicht hat bestürzende Folgen für die Welt und ihren gegenständlichen Bestand. Besitzt nämlich das Ich einzig den Seinscharakter des Bildes und ist die Objektivität der Welt ein Trojekt' des Ich, dann ist das Sein des Gegenstandes das Schema eines Schemas, die Welt ein Schattenwurf des Schattens und die Reflexion, die sich von der Welt auf sich als den Weltgrund zurückwendet, die Selbstbespiegelung eines Spiegels. So wird die Gefahr der zweifachen Hypertrophie der Reflexion
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und darin die doppelte Gefährdung idealistischen Denkens sichtbar. Wird die Reflexion in die absolute Vernunfteinheit des Ich = Ich aufgehoben, so verschwindet der Bild-Charakter, d.h. die Endlichkeit des Ich. Wird die Reflexion allein in den Bild-Charakter ohne Rücksicht auf das dem Bilde Vorausliegende absolute Sein' und reale Leben der göttlichen Vernunft versetzt, so verschwindet der Seinscharakter, d.h. die Unendlichkeit des Ich, und es bleibt nichts übrig als das Bilden von Bildern eines Bildes. Der Idealismus wird zum Nihilismus.
e) Der N i h i l i s m u s des R e f l e k t i e r s y s t e m s Historisch und systematisch tritt die Selbstreflexion als Hort der Gewißheit und als Quelle der Realität auf. Das Ich behauptet sich, weil es vor dem Zweifel schützt, der durch die Zweiheit von Wissen und Sein erregt wird; denn im Ich-Wesen fallen Sein und Wissen zusammen. Indem das Ich weiß, d.h. das Sich-selber-Wissen vollzieht, ist es seiend, und indem es seiend ist, setzt es sich selbst. „Sich selbst setzen, und Seyn, sind, vom Ich gebraucht, völlig gleich" (Grundlage, § i; Akad.-Ausg. I, 2; 260). Der erste Satz des Fichteschen Systems sublimiert den Cartesischen Einfall der unleugbaren Untrennbarkeit von Wissen und Sein im sum cogitans. Und er scheint ihn aus der Selbstgewißheit des Einzel-Ich in die Dimension der Vernunftgewißheit zu erheben, die darin besteht, in allem Gewußten bei sich selbst anwesend und so wahrhaft frei zu sein. In eins tritt die Selbstreflexion die Herrschaft über alle Realität an. Real heißt solches, was etwas ist und nicht nichts. Etwas heißt solches, was mit sich selbst identisch ist; denn was nicht mit sich selbst übereinstimmt, ist nicht etwas und nicht real. Transzendental bedacht, heißt real nurmehr das, was als identisch mit sich selbst gesetzt ist. Demzufolge gründet alle Realität in der Handlung des Sich-mit-sich-identischSetzens, und eben das ist das (verbale) Wesen des Ich. Darum trägt das erste Gesetz des Selbstbewußtseins den kategorialen Titel der Realität. Solcher Ansatz zieht die Konsequenz nach sich: Alle Realität stammt aus dem Ich. Die Selbstreflexion ist die auf den Stand der Vernunftgewißheit gebrachte omnitudo realitatum. Das ist der Thesenanschlag der 'Grundlage'. Er durchstreicht endgültig das rational-theologische Dogma, die omnitudo realitatis sei der begreifliche Begriff Gottes. An die Stelle des Gottesbegriffs setzt sich das omnireale Ich. Wie aber steht es mit solchem Realitäts- und Wahrheitsboden, wenn
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die Gefahr entsteht, „dass die ganze Reflectionsform in absolut Nichts zerfalle" (Bericht über den Begriff der W.-L. 1806, i.cap.; SW VIII, 364) und zu einem leeren 'Reflektiersystem' wird? Dann enthüllt sich der Idealismus als ein verborgener und unheimlicher Nihilismus. Mit Gott als einer begreifbaren Allheit an Realität und als dem sicheren Grunde der Wahrheit ist es nichts — und mit der Vernunftkategorie der Realität und dem Gewißheitsgrunde der Selbstreflexion wäre es auch nichts. Die Krise des Idealismus ist die Krise des Reflexionsprinzips, und die Krise der Reflexion ist der Aufbruch des Nihilismus. Die Krise bricht aus, sobald dem positiven Sinn von Sein nachgefragt und nicht mehr das Ich im Hinblick auf das Nicht-Ich und die Erklärung der selbstbewußten Weltvorstellung, sondern das absolute Wissen im Hinblick auf das absolute Sein in Frage gestellt wird. Im geschlossenen Horizonte von Ichheit und absoluter Reflexion kommt das urreale und wahre Sein überhaupt gar nicht vor. Sein als herausgesondertes Glied absoluten Wissens bringt es nur zur negativen Bedeutung des Entgegenstehens und Nicht-Ich-Seins. „Seyn ist kein Handeln" (2. Einl. in die W.-L., Art. 4; SW I, 461). Sein (ruhiges, substantes Bestehen) bedeutet Nicht-Tätigkeit des Ich und schuldet seine Realität dem Gegensetzen des Ich. Das Positive und wahrhaft Reale an Sein wäre allein die Urhandlung der Reflexion. Aber wie steht es damit, wenn die Reflexion gar nicht Urrealität und beseeltes Sein, sondern etwas anderes wäre, nämlich die in sich selbst leere und tote Form einer Relation? Und wenn sie von sich her außerstande wäre, die Seinsgewißheit von Wirklichem aufzubringen, weil sie in sich eine unauflösbare Zweiheit, und d. h. den Stachel des Zweifels trüge? Wie also steht es wirklich? Gründet und bewahrt die Reflexion alle Realität und Gewißheit, oder zerstört sie gerade alle Realität und erregt überhaupt erst den metaphysischen Zweifel? Daraufhin ist das Prinzip der Reflexion noch einmal durchzunehmen. Ein einleitender Vorblick kann sich dafür an den „vorläufigen Unterricht über das Wesen der Reflexion" halten, wie er in der Wissenschaftslehre von 1812 erteilt worden ist (NW II, 324 ff.). Die erste Regel dieser Unterrichtung lautet: „Alle Reflexion zerstört die Realität" (NW II, 325). Sie weist auf das trennende und entzweiende Element im reflektierten Wissen zurück. Unreflektiertes Wissen geht in sich selber faktisch auf. Es ist nichts als das Dasein von Gewußtem, und es weiß von keiner Entzweiung zwischen sich und der Realität. Ihm ist die Realität fraglos im Wissen vorhanden. Die Reflexion dagegen setzt das Wissen in den Stand, sich als Wis-
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sen zu setzen und vom gewußten Sein zu unterscheiden. Das Wissen verliert so die naive Einheit mit der Realität. Es hat sehen gelernt, daß das von ihm Gewußte nur sein Bild und nicht das Sein ist. „Daraus nun Zweifel und Ungewissheit" (NW II, 325). Das ist die zweite Regel der Unterweisung. Mit der Reflexion steigt der Zweifel im Wissen auf. Zwar läßt sich alles Vorgestellte durch die methodische Reflexion, die den Prozeß unseres Vorstellens nach Regeln überprüft, absichern, aber unausweichlich bringt die Reflexion den metaphysischen Zweifel mit, ob das reflexiv gesicherte Vorgestellte auch in Wahrheit seiend ist. Beide Angaben über den zerstörerischen und zweifelerregenden Charakter der Reflexion sind vorläufig. Sie kommen ans Ziel, sobald sie den Anfangsgrund des Transzendentalsystems angreifen: die Realität und Gewißheit der absoluten Reflexion. Der Grundzug der Zerstörung gilt für alle Reflexion. Er kennzeichnet nicht allein die logische Reflexion, welche das Allgemeine vom Besonderen trennt; und sie trifft auch nicht bloß die gegenständliche Reflexion, welche das Wissen vom gewußten Gegenstande unterscheidet. Die Reflexion spaltet sich vermöge dieses ihres Wesens in sich selber. Die absolute Reflexion ist das sich mit sich Entzweiende. Das ist leicht zu belegen. Absolute Reflexion meint ja nicht das einfache und gediegene Sichwissen eines einseitigen Subjektivismus, sie ist die Einheit von Subjekt und Objekt als sich wissende Einheit. Das Gelenk und die Mitte der absoluten Reflexion ist das 'Als'. „Dieses Als... ist zunächst in sich selber absolute Trennung, und das Princip aller nachmaligen Trennung und Mannigfaltigkeit" (Anweisung 4. Vorl.; SW V, 452). Vermöge seiner Ais-Struktur also spaltet sich das absolute Wissen in sich selbst; denn absolute Reflexion ist die SubjektObjekt-Einheit, die sich als solche weiß und sich durch diese Fügung des Als in die Zweiheit von Reflektierendem und Reflektiertem zerteilt. Zufolge dieser von ihnen unabtrennlichen Selbstzertrennung bringen das Wissen und die Reflexion in allen ihren Gestalten die Entzweiung mit. In der absoluten Reflexion geht der Bild-Charakter des Sichwissens auf, und in der Bildung des Bildes geht unausweichlich eine Zweiheit und Trennung mit. Bild ist zwar nicht eine eigene Sache neben und außer der Sache, deren Bild es ist. Bild ist die Sache selbst in der Wesensweise der Sichtbarkeit und des Erscheinens. Darum aber ist das Bild andererseits auch nicht identisch mit der in ihm ersichtlichen Sache, sondern davon unterschieden und getrennt. Die 'Sache', welche in der Sichtbarkeit des Ich-Bildes vom Wissen getrennt ist, das ist das absolute
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Sein oder das Subjekt-Objekt, als dessen Bild und Schema sich das Ich begreiflich geworden ist. Das bedeutet für das Ausmaß der Spaltung, die mit dem Ich auftritt: Durchdringt sich das Ich in dem, was es ist, nämlich Bild und Schema (oder das Als) des absoluten Seins, dann muß es ein Ansich, dessen Sichtbarkeit es ist, aus sich heraussetzen. So weit also die absolute Reflexion, die Ais-Relation oder das Bildwesen gebieten, leben Wissen und Sein in Trennung. Das im Grunde der absoluten Reflexion entspringende Als schlägt in allen Bedeutungen der Reflexion entzweiend durch. Das gilt z. B. für den Fall der logischen wie für den der objektivierenden Reflexion. Die logische Reflexion faßt etwas als etwas (als vielgültig Allgemeines) auf. Hier treten der Begriff als Bild und das Einzelne als der Seinsbestand, der begreiflich und ersichtlich wird, auseinander. Die gegenständliche Reflexion faßt etwas als von mir Entgegengesetztes auf. Hier trennen sich das Bilden des Subjekts und das Gegenständlichsein der Welt, deren Schema und Gesetz das Bilden ist. In aller Reflexion also herrscht die ursprüngliche Selbstentzweiung, und aus dieser Zweiheit nährt sich aller Zweifel. So eröffnet sich eine niederschlagende Aussicht. Die Selbstreflexion ist nicht der feste Grund von Gewißheit und Wahrheit, sie ist die tiefste Quelle des Zweifels und der bohrende Stachel der Verzweiflung. Daraus folgt die Abweisung des Anspruches, die Selbstreflexion sei Ursprung der Realität. Drückt sich nämlich die Reflexion wesenhaft im Als aus und ist das Als reine Relation, dann ist die Reflexion, auf sich gestellt, nichts als eine selbstbezügliche Relation ohne Sachgehalt und Realität. Streng genommen, bedeutet Reflexion nur den Bezug, in dem etwas als etwas und das eine durch ein anderes aufeinander bezogen werden können. Ihre Grundform ist die Relation des Sich-auf-sichBeziehens, in der das eine (das Ich) durch ein anderes (das Nicht-Ich) oder das eine (das Sein) als das Nicht-Andere (Nicht-Handeln) gesetzt ist. Daher konnte Fichte die Reflexion oder Ichheit auch das reine Durch oder die bloße Form des Durcheinander nennen. Nun weiß sich das Ich als Bild des absoluten Seins. Das Sein des Ich besitzt also die reine Form des Als und Durch in der Gestalt der Bildheit. Offenkundig ist das Sein des Bildes das Durcheinander von Sichtbarsein (Wissen) und Sein. Das Bild ist eben nicht das Sein der Sache selbst, welche es darstellt. Es ist aber auch keine eigene Sache außer der Sache selber, sondern deren Sichtbarkeit. Und entsprechend ist auch die Sache nicht ein Seiendes außer dem Bilde, sondern nichts als das
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Nicht-Sichtbare im Sichtbarsein des Bildes. Erscheinung und Sein durchdringen einander im Bilde, die Bildheit bestimmt eines durch das andere. Solche Besinnung hat für den Realitätsanspruch eines Reflexionssystems verheerende Folgen, das sich auf die Autonomie des Ich verläßt, ohne das im Bilde vorausgesetzte absolute Sein ernst zu nehmen. Solches System baut auf das urreale Handeln des Ich und setzt daraus das Sein der objektiven Welt ab. Aber das isolierte Ich ist kein autonomer Seinsgrund, sondern leeres Bild und Schatten. Die Ichheit ist ein sich bildendes Bilden, kein sich bildendes Sein. Folglich wäre die aus dem Ich-Bilde übertragene Realität des Nicht-Ich nicht die Objektivität von Welt, sondern Projektion von Nichts. Und also ist ein System, das die Ichheit zum Allrealen erhebt, Traum-Bildung, „bildend aus sich selber heraus, durch ihre gleichfalls vollständig, und aus einem Principe zu erfassenden Zerspaltungen in sich selbst, ein System von anderen, ebenso leeren Schemen und Schatten" (Bericht über den Begriff d. W.-L., i. cap.; SW VIII, 368). Diese Überprüfungen erbringen den Schluß: Eine sich absolut gebärdende Reflexion taugt nicht bloß nicht zum Prinzip von Gewißheit und Realität, sie ist die Quelle des Zweifels und der Leere. „Nicht die Reflexion, welche vermöge ihres Wesens sich in sich selber spaltet und so mit sich selbst entzweit... ist die Quelle aller Gewißheit, aller Wahrheit und aller Realität" (Anweisung, 10. Vorles.; SW V, 541). Ein System, das mit der Reflexion anhebt und mit ihr endet, stürzt in die Krise. Das Wissen des Wissens sieht sich scheinbar unausweichlich vor ein Entweder-Oder gestellt. Entweder behält es die Reflexionshaltung bei — dann verzichtet es wissentlich oder unwissentlich auf Realität; oder es dringt zur wahren Realität durch — dann muß es von der Reflexionseinstellung ablassen. Radikal verschärft: Entweder ist das Wissen und das in den Gesetzen seines Reflektierens und Einbildens Gewußte das Ein und Alles — dann ist das Ich Gott; oder das Wahre und die Realität ist außer dem Wissen — dann ist das sich absolut setzende Ich nichtig und das autarke System der total abstrahierenden Reflexion ein Nihilismus. Es ist Friedrich Heinrich Jacobi, der diese Alternative der Wissenschaftslehre vor Augen stellt. Er hat auch das Wort 'Nihilismus' gestiftet. In seinen großen Briefen vom März 1799, die den Gang Fichteschen Denkens zum Wahren und Absoluten hin beschleunigt haben, heißt es: „Wahrlich mein lieber Fichte, es soll mich nicht verdrießen,
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wenn Sie, oder wer es sey, Chimärismus nennen wollen, was ich dem Idealismus, den ich Nihilismus schelte, entgegensetze" (WW III, 44). Nihilismus ist hier der polemisch gebrauchte Titel für den Vorgang, durch den der Idealismus sinnlos und leer wird, weil es nichts mit der Gewißheit und Allrealität des Ich ist, das darauf beharrt, daß das Gesamte 'eine bloße That-That' ist, und das durch seinen Prozeß des reinen Vernehmens alles außer ihm in nichts verwandelt (vgl. WW III, 20). Der Name markiert indessen nicht wie das Grundwort Nietzsches das Ende der Metaphysik als den Zerfall der Herrschaft des Übersinnlichen im Wahrheitsentzug der Vernunftkategorien. Das Wort wird eingesetzt, um die Verirrung einer gegen sich selbst unkritisch gewordenen Vernunftkritik zu brandmarken. Es soll eine Wende kennzeichnen, durch die eine Vernunftlehre vom Nichtwissen den zerrissenen Zusammenhang zwischen Reflexion und Leben, zwischen Hervorbringung der Erscheinungswahrheit und Wahr-nehmung des Übersinnlichen gerade wiederherstellen soll. Jacobis Gedanken können hier nur in Rücksicht auf die Sinnklärung der Reflexion auf dem Standpunkt der Nihilismus-Briefe einbezogen werden5. Reflexion und Abstraktion bedeuten für Jacobi die Mittel der Destruktion und Konstruktion aller Erkenntnisgegenstände, durch die sich das Ich als alleiniges Einheits- und Sonderungsprinzip einsetzt. Die Abstraktion besorgt das zergliedernde Auflösen, das es zum 'Nichtsaußer-Ich5 bringt; das Reflektieren besorgt die Rückwendung auf das einzig Reale, nämlich das Ich selbst in seinem Handeln aus, in und auf sich selbst. „Beide sind unzertrennlich und im Grunde Eins, eine Handlung des Auflösens alles Wesens im Wissen" (WW III, 2j). Die abstrahierende Reflexion vollzieht das Begreifen einer reinen Vernunft, die, indem sie alles außer ihr in Nichts verwandelt, nur sich selbst vernimmt. Der Reflexionsprozeß macht die Gestalt zur Sache und zugleich die Sache zu nichts; er vernichtet die Sache oder das für sich Bestehende in Gedanken und begreift sie als Gestalt und Schema, indem er die Sache 'konstruiert', d. h. in Gedanken vor uns in der Durchsichtigkeit 5
Das komplizierte und fruchtbare Wechselverhältnis zwischen den Denkansätzen Fidites und Jacobis ist in der neuesten Jacobi-Forschung deutlicher ins Licht gerückt worden, vgl. K. Hammacher, 'Die Philosophie Friedrich Heinrich Jacobis', S. 166— 184. München 1969. Die Bedeutung der Jacobi-Briefe für den Problemstand der W.-L. 1801 hat M. G^roult, 'L'e volution et la structure de la Doctrine de la Science chez Fichte', II, 3—6, der die W.-L. 1801 durch das Auseinandertreten von Spekulation und Realität, von Philosophie und Leben im Gegensatz von Nichtsein und Sein charakterisiert, gesehen.
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der transzendentalen Entstehungsgesetze entstehen läßt. So wird das Wesen der Dinge im Begreifen aufgelöst. Dieser Prozeß der abstrahierenden Reflexion kommt aus dem Ich über es selbst. Der menschliche Geist muß sein Wesen vernichten, um sich zu haben „in dem Begriffe eines reinen Ausgehens und Eingehens, ursprünglich — aus Nichts, zu Nichts, für Nichts, in Nichts" (WW III, 22). Daher ist das sich wollende Selbst der Selbstbestimmung und Freiheit zwar das Höchste im Begriff und das Moralprinzip der Vernunft, aber es ist nicht das Wesen. Es wird, auf sich gestellt, das Unwesen: „der Wille, der Nichts will" (WW III, 37). Der Mensch, der alles auf diesen Willen setzt, ergreift überall nur sein eigenes Nichts und erliegt seiner eigenen endlichen Nichtigkeit. „Alles löset sich ihm dann allmählig auf in sein eigenes Nichts" (WW III, 49). Jacobi setzt dem philosophischen Wissen des Nichts eine Philosophie des Nicht-Wissens entgegen. Er unterscheidet die Wahrheit, welche in der Wissenschaft des Wissens liegt, und das Wahre, welches die Vernunft notwendig als etwas vor und außer dem Wissen annimmt, so daß die sich selbst überlegene Vernunft zugleich das Bewußtsein ihrer Unwissenheit des Wahren und der Unbegreiflichkeit des Seins ist. Diese Vernunft lebt aus der Ahnung eines Grundes, der höher als das Selbst und besser als das Ich ist — aus dem Sein oder aus Gott als einem cganz Anderen'. Alle Metaphysik strebt danach, hinter die Wahrheit, also zum Wahren zu kommen. Aber das Wahre ist nicht zu wissen. Wird es gewußt, dann ist es nicht mehr das Wahre, sondern eben das wesenlose Objekt menschlicher Konstruktion. Von solcher Anmaßung ist die Menschheit durch die Vernunftkritik der Transzendentalphilosophie befreit. Aber der Mensch findet sich angesichts dieser Befreiung zu seiner eigenen Freiheit vor eine verfängliche Wahl gestellt: 'das Nichts oder einen Gott' zu wählen. Das ist nach Jacobi die primäre Wahl, welche das Schicksal des Menschen entscheidet. Der über seine Verstandesanmaßung aufgeklärte Mensch kann das Sein oder Gott als Prinzip absetzen, weil es doch für sein Wissen nichts ist. So wählt er das Nichts. Er macht sich zu Gott und Gott zum Gespenst. Oder er vernichtet das Wissen und gibt das immanente Vernunftsystem auf, nach welchem alles aus der reinen Vernunft oder dem Ich hergeleitet werden kann, weil alles in ihr enthalten ist. So gründet er das Wissen in der Synthesis mit dem NichtWissen des transzendenten Seins. Daher lautet das Entweder-Oder, angesichts dessen der Mensch zu entscheiden hat: „Gott ist, und ist außer
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mir, ein lebendiges, für sich bestehendes Wesen, oder Ich bin Gott. Es giebt kein drittes" (WW III, 48). Fichtes Denken hat sich solchem Nihilismus-Problem nicht entzogen. Die große Wissenschaftslehre von 1804 wird Jacobis Alternative im Zwange des eigenen Grundlagenproblems aufnehmen. „Diess war eben die Schwierigkeit aller Philosophie..., daß entweder wir zugrunde gehen mußten oder Gott. Wir wollten nicht, Gott sollte nicht!" (W.-L. 1804, 8. Vortr.; NW II, 147). Und es ist dem kritischen Überdenken der Reflexion klar geworden, daß die Radikalisierung des Reflexionsprinzips alle Realität verliert und ins Nichts abstürzt. Die folgenreichste Frage des Deutschen Idealismus lautet daher: „Was wäre denn das wahre Mittel, diesem Sturze der Realität, diesem Nihilismus zu entgehen?" (W.-L. 1812; NW II, 325). Fichtes Entscheidung in dieser entscheidenden Sache ist eindeutig. Das Ich muß zugrunde gehen, d. h. es muß als adäquates Prinzip für Realität und Wahrheit abgesetzt werden. Was zerstört werden muß, ist die Form der zerstörenden Reflexion. Von ihr muß abstrahiert werden, damit die bruchlose Einheit des realen und absoluten Seins einleuchtet. „Im Hintergrunde der Form, und nach ihrer Zerstörung (kommt) erst die wahrhafte Realität zum Vorschein" (Bericht über den Begriff der W.-L., i. Kap.; SW VIII, 368). Aber der Untergang des Ich und Aufgang des Absoluten darf nicht so geschehen, daß — mit Absicht oder aus Schwäche — die Reflexion auf halbem Wege verlassen wird. Das Reflektieren konstruiert ebensowenig das Nichts wie das bloße Beiseiteschaffen der Reflexion für das Sein Platz macht. Diese Ansicht verführt zu einem vorzeitigen Abbruch der Reflexion und zu einer unzeitigen Abschätzung der Wissenschaftslehre. Fichte hat solche Meinung im 'Vorläufigen Bericht über das Wesen der Reflexion' referiert: „Also man muß eben nicht reflektiren. Das Reflektiren der Wissenschaftslehre ist der Grund ihres vermeinten Nihilismus. Sie hieß ein Reflektirsystem" (W.-L. 1812; NW II, 325). Man entgeht dem Nihilismus nicht schon dadurch, daß das Wissen sein Reflektieren einstellt, um durch Ahnung und 'Glauben' zum Absoluten nach der Maxime durchzubrechen: „Das Absolute ist da, wo man nicht mehr reflektiren soll" (W.-L. 1812; NW II, 325). Wo der Abbruch der Reflexion geschieht, da ist „die Unbesonnenheit zur Grundmaxime gemacht" (NW II, 325). Der Vorwurf der Unbesonnenheit ist begrifflich streng gemeint. Besonnenheit bedeutet Selbstbesinnung und ist ein Fichtescher Terminus für intellektuelle
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Einleitung
Anschauung. Unbesonnenheit meint das Fehlen einer radikalen Selbstbesinnung. Es ist klar, daß diese Selbstbesinnung noch nicht vollzogen und der Nihilismus noch nicht zurückgeschlagen ist, wo die Realität in Hinblick auf den moralischen Glauben nachgewiesen ist. Danach gewinnt die Welt ihre Realität als Objekt sittlichen Handelns; die dem Ich nötige Gewißheit entspringt in der moralischen Gewißheit, und die höchste Besonnenheit ist die intellektuelle Anschauung und das unmittelbare Bewußtsein des kategorischen Imperativs. Dieser Position gelingt es, die Realität und Gewißheit der Welt tiefer zu fundieren, als alles theoretische Wissen es vermag, aber sie bringt es in Hinblick auf das Wahre und das Sein bloß bis zur These: Das Unbedingte ist das Unbedingte der sittlichen Forderung. Das aber ist der einseitige Reflexionsstandpunkt der Moralität. Die ganze Wahrheit geht erst da auf, wo die Reflexionsklarheit der 'Wissenschaft' erreicht ist. Hält die Reflexion auf einer ihrer Stufen an und erklärt diese beschränkte Ansicht für das Absolute, dann allerdings verfällt die transzendentale Grundlegung dem Nihilismus. „Man muß darum gerade reflektiren bis zum Ende" (W.-L. 1812; NW II, 326)". Das Beenden der Reflexion aber ist nicht ihre Herabsetzung zur bloßen Tätigkeit des Verstandes und Aufhebung im spekulativen Begriff der Vernunft. Danach bestünde das Unwesen der Reflexion darin, Gegensätze heraus- und festzustellen und sie unvermittelt im Elemente der Entzweiung von Unendlichkeit und Endlichkeit, Idealität und Realität, Sein und Begriff hin und her zu bewegen. Und es würde erst einer * Wird Fidites Grundlage mit dem Prinzip des Glaubens gleichgesetzt und vom 3. Buch der 'Bestimmung des Menschen' her beurteilt, so ergibt sich eine Auffassung, wie sie K. Löwith skizziert hat: vgl. 'Gott, Mensch und Welt in der Metaphysik von Descartes bis zu Nietzsche', S. 89—99. Göttingen 1967. Die Durchsetzung des Ich als unbedingt Selbständigem verkürzt die dreieinige Frage nach dem Verhältnis von Gott, Mensch und Welt. Das Ich vernichtet selbstbewußt alles, was die Welt ist. Vom christlich-transzendentalen Gesichtspunkt aus stellt sich Welt nur als eine moralische Prüfungsanstalt wieder her. Und Gott verschwindet in der moralischen Weltordnung des sich selbst bestimmenden Ich. So hält Löwith Jacobis Einwand des Nihilismus für treffend und diskutiert allein die Beseitigung des Nihilismus der Freiheit durch die moralische Positivität. Diese Ansicht steht im Dienste der Absicht, die theologischen Implikationen der nachchristlichen Philosophie und deren Reduktionsprozeß sichtbar zu machen. Sie nimmt nicht mehr davon Kenntnis, daß Fichte selbst die Gleichsetzung von Gott und moralischer Weltordnung zerstört, die moralische Weltordnung im Zusammenhang mit dem 'Geisterreich' zum Moment der Erscheinung des Absoluten herabsetzt und das Verhältnis von Ich und Sein angesichts des Nichts in der immensen Arbeit einer Grenzbesinnung neu ordnet.
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spekulativen Vernunfthandlung gelingen, in allen gegensätzlichen Denkbestimmungen die absolute Einheit zu begreifen. Dieser Prozeß der Aufhebung aller Verstandesgegensätze in die Einheit und die Durchsichtigkeit des absoluten Begriffs ist das in einer spekulativen Logik angewandte Mittel, um dem subjektiven Nihilismus zu entgehen. Es steigert den Begriff zum Göttlichen selbst und wahrt dadurch das Wissen vor der Leere und dem halben Nichts; denn der absolute Begriff begreift sich als die sich wissende und wollende Einheit des Wissens und des Seins. Hegel hat die von Jacobi aufgebrachte Nihilismus-Frage auf die Position des absoluten Nichts heraufgeschraubt und dadurch zu entkräften versucht7. Die spekulative Vernunft setzt auf das absolute Nichts, in dem die Trennungen der Reflexion untergegangen sind und es nichts mehr mit dem Unterschied von Ich und Nicht-Ich ist. Das absolute Nichts ist die Negation des relativen Nichtseins und darum das positive Sein, mit dem das Wissen und der Logos anhebt. Mit dieser Erkenntnis beginnt die wahre Philosophie. Sie erhebt das absolute Nichts zum Prinzip und ist darum der eigentliche Nihilismus. Aus dieser Sicht kreisen Jacobis und Fichtes Bedenken des Nihilismus lediglich um das relative und halbe Nichts. So heißt es in "Glauben und Wissen': „Das Erste der Philosophie aber ist, das absolute Nichts zu erkennen, wozu es die Fichtesche Philosophie so wenig bringt, so sehr es die Jacobische darum verabscheut" (SW I, 409). Im Transzendentalsystem gibt es daher gar keinen Nihilismus, weil in ihm das absolute Nichts gar nicht vorkommt. Weil das unendliche Nichts relativ auf die Endlichkeit des Für-uns-Seins bleibt, bringt es das reflektierende Wissen im Hinblick auf das absolute Nichts zu nichts, und nur die spekulative Logik kommt von der Identität von Sein und Nichts zu 'Etwas'. „Dagegen sind beide (Jacobi und Fichte) in dem der Philosophie entgegengesetzten Nichts. Das Endliche, die Erscheinung hat für beide absolute Realität. Das Absolute und Ewige ist beiden das Nichts für das Erkennen" (SW I, 409). 7
Vgl. den beißenden Aufsatz von W. Beyer, 'Hegels ungenügendes Fichte-Bild', S. 259—63, in: Wissen und Gewissen. Freilich mutet die Voraussetzung, daß erst der wissenschaftliche Materialismus, der die Materie als unersdiaffen und unerschaffbar weiß, die zu nichts führende spekulative Ergründung des Nichts (die Fichte wenigstens dem Glauben überläßt) erspart, wie ein ungenügendes Materie-Bild an. Wie es um die Materie ( ) und das Nichts ( ) steht, darüber hat z. B. Aristoteles die bemerkenswerte Auskunft erteilt: Zum Prinzip und Wesen erhoben, ist die das ' im Sinne des allem anderen Sein zugrunde liegenden, alles sein-könnenden Nichts (Met. Z 3).
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Nun entwickelt die erste Grundlegung der Wissenschaftslehre in der Tat das Nichts nicht als absolute, sondern nur als negative Größe. Und der Glaubensdurchbruch um 1800 führt das absolute Nichts letztlich als das Nichts für das Wissen ein, um alle Gewißheit in den Bereich des Glaubens einzuweisen. Aber der Fortgang der absoluten Reflexion auf dem Boden kritischer Besonnenheit kommt zu einem absoluten Nichts, welches ihr das konkrete Sein wird, ohne der Spekulation Einlaß zu gewähren. Dabei kommt es eben darauf an, die Reflexion weder abzubrechen noch zu übersteigern. Eine kritische Klärung führt die Reflexion bis in ihren Ursprung und an ihre Grenze durch. Im Durchgang durch eine Grenzbesinnung, in welcher ihr das konkrete Sein und absolute Nichts als ihre Grenze aufgeht, begrenzt und vernichtet sich die Reflexion. Sie wird wieder als die Urform zu sich selber finden, in der das Sein zwar niemals selber anwesend ist, aber doch im Bilde erscheint. „Diese Durchführung der Reflexion ist nun eben die Wissenschaftslehre" (W.-L. 1812; NW II, 326).
f) Absolute Reflexion und absolutes Sein Die absolute Reflexion ist die Selbstdurchdringung des absoluten Wissens, in welcher sich das Wissen bis in die Tiefe seines Ursprunges durchsichtig wird. Das Reflektieren bis zum Ende ist das Ende des absoluten Wissens und in eins der Anfang des absoluten Seins. Diesen Prozeß des Wissens hat die Wissenschaftslehre von 1801 aufgedeckt (vgl. § 26 und 23). „Es dringt wissend zu seinem absoluten Ursprünge (aus dem Nichtwissen) vor, und kommt so durch sich selbst (d. i. infolge seiner absoluten Durchsichtigkeit und Selbsterkenntnis) an sein Ende" (SW II, 63). Das Schlußresultat der Philosophie als der tiefsten Selbsterkenntnis menschlichen Geistes kann in der Einleitung nur thesenhaft vorgetragen werden. Der Prozeß der absoluten Reflexion findet im Fortschritt dreier Einsichten sein Ende. 1. Der Ursprung des absoluten Wissens ist eine Wechselwirkung von absoluter Freiheit und Notwendigkeit-schlechthin; er ist, auf die apriorische Handlung des Ich gesehen, eine Synthesis von Sichfassen und Sichvernichten. 2. Das absolute Wissen ist eine Selbstanschauung, die ihren eigenen Ursprung sieht. Es sieht daher in seinem Anfange sein Ende. Und es kommt so zu einer Selbsterkenntnis, die darüber belehrt ist, daß im
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Ursprünge unumgänglidi Selbstbegrenzung durch Sichvernichten statthat. 3. Dieses Wissen ist Wissen des Nicht- Wissens. Es sieht, daß es im Hinblick auf seinen Anfang nichts weiß und daß sein absoluter Anfang Nicht- Wissen ist. Dieses Resultat befremdet die Metaphysik des Verstandes wie die Spekulation der Vernunft gleichermaßen. Es ist in seinen drei zueinander fortschreitenden Einsichten vorläufig zu erläutern. i. Die Wissenschaftslehre von 1801 hat in der Selbstanalyse intellektuellen Anschauens das absolute Wissen nach allen Seiten hin erschöpft. Sie stellt am Ende dieser Ermittlungen (§ 26) die Frage: „Wo ist denn nun der Sitz des absoluten Wissens? Nicht in A; denn dann wäre es kein Wissen: nicht in B; denn dann wäre es kein absolutes Wissen, — sondern zwischen beiden in + " (SW II, 62). A ist das Merkzeichen für das Absolute. Der Ursprung des absoluten Wissens liegt nicht im Absoluten; das Wissen ist nicht göttlicher, sondern menschlicher Geist, und aus dem Absoluten ist es niemals mit Wissen zum Wissen zu bringen. Im Standpunkte des Absoluten herrscht nur Absolutheit ohne das Sich verstehen des Wissens; denn zum ichhaften Wissen gehört Freiheit, das Werden des Fürsichwerdens und ein Sich-von-sich-Unterscheiden. Das alles verschwindet im einfachen, gediegenen Sein des Absoluten. Also findet sich der Sitz des Wissens in B? B dient zum Merkzeichen für das Selbstbewußtsein, das immer zugleich Freiheitsbewußtsein ist (B — F). Der überraschende Bescheid lautet: B ist nicht der gesuchte Anfangsgrund absoluten Wissens; solches Prinzip nämlich ergäbe bloß eine einseitige, subjektive Subjekt-Objekt-Einheit. Die Leerform des Sichwissens muß sich ursprünglich als Verstehen von Sein erfüllen. Es kommt darauf an, das absolute Wissen nicht bloß als Subjekt, sondern auch als Substanz zu erfassen. „B darf von dem A sich nicht losreißen und es verlieren, oder es gäbe überhaupt kein absolutes, sondern nur ein freies und zufälliges, überhaupt ein inhalt- und substanzloses Wissen" Im Ursprünge herrschen nicht Freiheit und Zufall, sondern unzertrennlich davon auch Gebundenheit und Notwendigsein. Die absolute formale Freiheit mit der Notwendigkeit-schlechthin zu synthetisieren, das ist der Leitfaden im Gedankengang von 1801. Dabei erweist es sich: Das Wissen findet auf dem Boden der unbedingten formalen Freiheit keinen Halt. Formale Freiheit ist das Vermögen des Wissens, die Begebenheit des Fürsichwerdens aus Nichts anfangen oder nicht anfangen zu können. Diese freie Möglichkeit, von sich für sich zu werden, aber ist
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untauglich, überhaupt etwas zu begründen, solange ihr die Bindung fehlt. Die formale Freiheit als solche zerfließt haltlos in sich selbst, ihr Gedanke kommt im Widerspruch von Sein (-können) und Nichtsein (-können) um. Der Selbstbesinnung fällt angesichts dieses Befundes ein: Ursprünglich gehöre zum Bewußtsein nicht nur die Gewißheit seiner selbst und der Freiheit, gleich unmittelbar walte in ihm ein Bewußtsein absoluter Notwendigkeit. Diese wird in einem Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit manifest. Unmittelbar mit dem Freiheitsbewußtsein geht das einer absoluten Gebundenheit auf. In der Tiefe des Bewußtseins wurzelt das Gefühl der Abhängigkeit und Bedingtheit. Solche Feststellungen haben sich davor zu hüten, dieses religiöse Grundgefühl bloß faktisch als ein Innesein der Ohnmacht und als fromme Scheu des Endlichen vor dem übermächtigen Sein zu behaupten. Diese Befindlichkeit muß vielmehr transzendental-kritisch als dasjenige Wechselverhältnis abgeleitet werden, in welchem sich das Absolute im Menschen als der Stätte seiner bewußten Anwesenheit selbst bewußt wird. „Hieraus folgt zuförderst ein schlechthin unmittelbarer, selbst absoluter Zusammenhang des A und B ( + ), der ohne B (Vollziehung der Freiheit) zwar nicht seyn würde, der aber, wenn B ist, durchaus unmittelbar aufgeht, und in dem A selbst, nach seinem Wesen, sich zum Bewußtseyn kommt, also als Gefühl der Abhängigkeit und Bedingtheit gewußt wird" (SW II, 61—62). Wie aber ist dieses Gefühl oder die Anwesenheit des Absoluten im Bewußtsein vom Tun des Wissens her abzuleiten? Durch welche Operation des Wissens fällt der Gedanke absoluten Notwendigseins und das Gefühl Schlechthinniger Abhängigkeit ein? Das Absolute ist Notwendigkeit-schlechthin, das nie wankende, ewig sich selbst gleiche Sein. Es kann nur als die ungesonderte Einheit und Identität von Subjektivem und Objektivem gedacht werden. Aber es kann nicht an ihm selbst ins Wissen treten. Das Absolute, das die Freiheit bindet, ist eben das absolute Sein, welches sich dem Wissen, indem es ihm Halt gibt, entzieht und an dem sich das begreifende Wissen, indem es sich daran bindet, vernichtet. Dieses 'Durcheinander3 läßt sich wiederum an der Bild-Struktur der Ichheit klar machen. Das Wesen des Ich ist die unbedingte, formale Freiheit des Sich-Bildens. Als Bild kann es sich aber nur bilden, indem es ein Sein, das nicht selbst sichtbar ist, ersichtlich macht. Dieses nur im Bilde des Bewußtseins auftretende Sein ist das unbegreifliche Ineinanderaufgehen von Subjekt und Objekt. An ihm vernichtet sich das Wissen; denn das Wissen und Reflektieren lebt im Elemente des Sonderns
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und im Lichte des Unterschieds, es ist in der Helle des ungesonderten Ansidi und angesichts der ununterschiedenen Identität am Ende. So vernichtet sich das Wissen am Absoluten, weil es das Sein selbst niemals ergreifen kann. Es faßt sich aus Freiheit, indem es sich bewußt wird, daß es das Sein im Bilde hat. Und das ist der Ursprungspunkt des absoluten Wissens. Das Wissen ist nicht die leere Freiheit des Sich-Bildens und Fürsichseins, es ist nicht die absolut selbstlose Gebundenheit an das Sein. Es schwebt zwischen dem freien Durchbilden des Bildes und der Unerreichbarkeit des Seins, das sich, indem es sich im Bilde zeigt, selbst gerade dem Wissen entzieht. „Der eigentliche Focus und Mittelpunct des absoluten Wissens ist hiermit gefunden. Er liegt nicht in dem Sichfassen als Wissen (vermittelst der formalen Freiheit), auch nicht in dem Sichvernichten am absoluten Seyn, sondern schlechthin zwischen beiden" (W.-L. 1801,523; SW II, 51). 2. Der Ursprung allen Bewußtseins ist eine ursprüngliche Synthesis. Deren innerer Zusammenhang gliedert sich auf dem Wege einer wachsenden Selbsterkenntnis heraus, die bis ans Ende durchdringt. Das Ende der Methode ist das Ende des Wissens, eben das unumgängliche Sichvernichten. Über diesen Widerspruch, sich zu fassen und gleich ursprünglich zu vernichten, kommt das Wissen nicht hinweg. Das ist seine Grenze. Im Wissen des schlechthin bindenden Seins ist es mit der Form des Ichbewußtseins zu Ende. Das aber ist bisher erst unmittelbar hingestellt und muß reflektiert werden, sofern das Ende des Wissens ein Ende des Wissens ist. „Heisst Wissen selbst Fürsichseyn, Innerlichkeit des Ursprungs; so ist es eben klar, dass sein Ende und seine absolute Grenze auch innerhalb dieses Fürsich fallen muß" (SW II, 63). Wissen nennt man erst dann wahr und gründlich, wenn es etwas aus seinem Ursprünge und Grunde zugänglich gemacht hat. Wissen ist Feststellung und Versicherung des Ursprungs. Solche Anforderung trifft zuerst und vor allem das Wissen, mit dem das Wissen von sich selber weiß. Es muß seinen Ursprung finden und ins Fürsichsein heben. Der absolute Ursprung ist festgestellt: die Synthesis von Sichfassen und Sichvernichten, das ursprüngliche Schweben zwischen Sein und Nichtsein des Ich. Diesen Ursprung muß das Wissen als Wissen erblicken. „Mithin kann es seinen ursprünglichen Ursprung nicht erblicken, ohne seine Grenze, sein Nichtseyn, zu erblikken" (SW II, 63). Das Ende absoluten Reflektierens ist das anfängliche Bewußtsein der Endlichkeit. Die absolute Durchsichtigkeit intellektuellen Anschauens, in der das Wissen seinen Ursprung erblickt, erzeugt die
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Selbsterkenntnis der Vernunft, ursprünglich beschränkt zu sein. Im Ursprünge findet das Wissen seine anfängliche Freiheit und in eins sein Ende. 3. Endet also die Selbstbesinnung im Nichtwissen? In der Tat erbringt die Besinnung auf den Ursprung ein Wissen des Nichtwissens. Das zuhöchst besonnene Wissen ist die transzendental fundierte docta ignorantia. Das Wissen ist durch das Erblicken seines Ursprunges über sein Nichtwissen belehrt. Zu welchem Wissensstand bringt es also die docta ignorantia der absoluten Reflexion? Das Wissen ist darüber belehrt, daß es das Absolute selbst nicht weiß, sondern daß es nur ist und aus Freiheit entsteht, indem es Bild des Absoluten wird. So begreift das Wissen, daß das Sein dasjenige Ansichsein ist, das mit dem Bildsein gesetzt ist. Indem das Wissen nämlich das Nichtsein seiner selbst poniert, d. h. sich als bloßes Bild begreift, setzt es ein reines Ansich (das im Bilde Nicht-Seiende) voraus. „Es ist klar, dass durch ein solches positives Nichtseyn seiner selbst das Wissen zum reinen Seyn hindurchgehe" (W.-L. 1801, §24; SW II, 53). Aber immer fällt das Wissen an der Grenze des reinen Seins auf das Nichtwissen zurück; denn es hat auch begreifen gelernt, daß das Ansich selbst eben nur als das im Bilde NichtPräsente zu verstehen ist. So erhält das Ansich den einzig zulässigen Sinn, nicht für uns und für uns unerreichbar zu sein. Das im Bilde des Wissens nicht gebildete reine Sein behält den Charakter des NichtWissens. Bis zu diesem Verständnis von Sein hat es die Sich-Reflexion des Wissens im Horizonte der Wissenschaftslehre von 1801 gebracht. Aber dieses Resultat genügt nicht. Der Zusammenhang von reinem Selbstbewußtsein und wahrem Sein ist noch nicht hergestellt. Das Sein erhielt den Charakter des reinen Ansich doch bloß, indem es ihn gleich wieder verlor, sofern das Wissen behauptete: Allein so wird ein Sein an sich verstehbar, daß es das Nichtsein des Bildes (Wissens), also Nicht-Wissen ist. Das Ansich hat die Bedeutung des Nicht-für-uns. So aber geht das Wissen gar nicht wahrhaft auf das Sein ein, es läßt sich auf das Bewußtsein zurückfallen; denn die Relation des Ansich und Füruns, das ist doch eben die Grundrelation und das Element des Bewußtseins. So ist die Reflexion immer noch nicht aus ihren Trennungen und das Wissen aus der Nichtigkeit seines Bild-Wesens herausgekommen. Damit das geschieht, bedarf es des Vorganges einer absoluten Abstraktion.
Absolute Abstraktion und Reflexibilität
g) Absolute Abstraktion und
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Reflexibilität
Keine Reflexion geschieht ohne Abstraktion. Das Ende der absoluten Reflexion ist der Vollzug einer absoluten Abstraktion. Ein immer radikaler werdendes Abstrahieren, das ist der Methodenweg der Wissenschaftslehre von 1804. Sein erster, durchdringender Abschnitt vollbringt den 'Aufstieg' zum Ursprünge absoluten Wissens und das Hindurchgehen zum reinen Sein (Vortrag i—15: Wahrheits- und Vernunftlehre). Er trägt die im §26 der Wissenschaftslehre von 1801 hingestellten Thesen in einer subtilen Selbstbesinnung vor, die alle Glieder und Positionen des Wissens berücksichtigt und dadurch übersteigt, daß sie deren Einseitigkeiten und deren Faktizität bewußt macht, um sich von ihnen als vorgeblichen Prinzipien loszureißen. Eine Einleitung, die dem Sinn und der Grenze der Reflexion nachgeht, sollte zuerst das Verhältnis von Reflexion und Abstraktion im Ausmaße absoluten Abstrahierens thematisch machen. „Alle Reflexion ist Losreissung von einem faktischen Gesetze: ... die der Wissenschaftslehre durchaus vor allem" (W.-L. 1812; NW II, 326). Die absolute Reflexion, die das philosophische Wissen vom Wissen erwirkt, bewährt sich im Losreißen vorzüglich von zwei faktischen Gesetzen. Beide bilden Gegensätze, und beide suchen sich in immer umgreifenderen Fassungen zu behaupten und durchzusetzen. Das eine Gesetz formuliert die Maxime und den Geist des Realismus: Nur das Inhalt gebende Ansich solle als Prinzip gelten, vom Bewußtsein als dem Sekundären sei grundsätzlich abzusehen. Dem widerspricht der Geist des Idealismus: Ursprung und Grund für alles Sein und Bewußtsein sei die Freiheit und Energie des Selbstbewußtseins; vom vorausgesetzten Ansich sei als einem vorauszusetzenden Gedanken grundsätzlich abzulassen. Ein methodisch fortschreitendes Reflektieren dringt über beide Positionen hinaus. Es macht bewußt, daß diese Gesetze Aufstellungen eines Faktums und daher ohne gründliche Klarheit sind. Beide rekurrieren auf unerforschte und für unerforschlich ausgegebene Tatsachen. Die idealistischen Ansprüche beruhen auf der Tatsache des Selbstbewußtseins, in welcher Sein und Bewußtsein undurchschaut zusammenliegen. Der Realismus zieht sich auf die Tatsache des realen Ansich zurück, ohne zu durchschauen, daß der Sinn des Ansich faktisch die ganze Bewußtseinsrelation impliziert. (Ansich nämlich bedeutet Nicht-für-uns und wird erst aus dieser Relation verstehbar.) Das wird mit besonnener Präzision zu verfolgen sein. Hier interessiert die methodische Konsequenz. Das
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Reflektieren der Philosophie erzwingt das Sichlosreißen vom Ansichsein sowohl wie vom Selbstbewußtsein, eine Abkehr von den vermeintlichen Prinzipien des Dinges an sich und der Intelligenz an sich und eine Überwindung der orthodoxen Standpunkte von Realismus und Idealismus. Das eröffnet die Dimension und Radikalität absoluten Abstrahierens. Solches Verfahren überbietet die methodischen Lösungen einer bloß relativen Abstraktion. An dieser Steigerung läßt sich das Absolutwerden des Wissens und die Radikalisierung der Grenzziehung ablesen. Die i. Einleitung von 1797 suchte den Grund aller Erfahrung sicherzustellen und stellte sich dem Methodenproblem: Wie kann ein erfahrungsgebundenes Wissen zum Grunde aller Erfahrung durchdringen? Der damals gefundene Weg war die Abstraktion8. Dabei bedeutete Abstrahieren, das Konkretum der Erfahrung durch Freiheit des Denkens trennen. Was als das erfahrbar Seiende unzertrennt vorliegt, ist das vorgestellte Ding. Die Abstraktion vermag daher auf eine doppelte Weise zu trennen, und es ergeben sich daraus zwei Anlagen philosophischer Systembildungen. Der Idealismus trennt das Ding ab, um die Vorstellung (idea qua perceptio) als Prinzip zurückzubehalten. Der Realismus beschreitet den einzig möglichen Gegenweg philosophischer Grundlegung. Er abstrahiert von der Vorstellung und Idee und stellt das an sich seiende Ding als Prinzip aller Erfahrung heraus. Jetzt sind beide Abstraktionsverfahren als einseitige Prozesse durchschaut. Sie reichen für eine solide Grundlegung nicht aus. Dabei ist der in ihnen bewegte Gedanke nicht falsch, die Aufgabe ist weiter geworden. Die i. Einleitung sah die Aufgabe einer Systembildung darin, das Verhältnis von Sein (Nicht-Ich) und Denken (Ich) auf der Grundlage und im Horizonte des Ich systematisch zu entfalten. Jetzt gilt es, das absolute Wissen (dessen Form die Ichheit ist) im Verhältnis zum Absoluten zu durchdenken. Das bislang 8
Die genaue Interpretation der i. Einleitung bei W. Flach, 'Fichte über Kritizismus und Dogmatismus', Zeitschr. philos. Forschung, 18, 1964, S. 585—96 kann zeigen, welche Reflexionshaltung diese Abstraktion mit sich zieht: die universale prinzipientheoretische Reflexion, welche sich ihrer Geltung und Absolutheit durch intellektuelle Anschauung versichert und durch einen Akt der Freiheit zustande kommt. Solche reflexionsanalytische Prinzipientheorie ist die einzige autochthone Methodik kritischen Philosophierens — jedenfalls in der Dimension der relativen Abstraktion. (Im Zuge absoluten Abstrahierens muß sie in sich gehen.) Von der anderen Seite her überführt L. Pareyson, 'Die Wahl der Philosophie nach Fichte', in: Epimeleia, S. 30—60. München 1964, den Dogmatismus oder Realismus im Anschluß an die 'Einleitungen' des Widerspruchs zwischen Sagen und Tun, weil der Realismus die Erfahrung transzendiert, ohne das, was er tut, zu reflektieren, d. h. ohne den gemeinen vom philosophischen Standpunkt zu unterscheiden.
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fraglos als Grund der Erscheinungen vorausgesetzte Ich wird selbst in seinem Grund-Verhältnis zum reinen Sein fragwürdig. Bisher herrschte der bloß negative Sinn von Sein als Gegenständlichkeit. Jetzt gilt es, das urreale, göttliche Sein im Verhältnis zur leeren Form des Ich zu bedenken. Das Thema Ich und Welt hat sich in konsequentem Verfolgen der Ursprungsfrage zum Thema Ich und Gott vertieft. Diese Fragestellung verlangt die Schärfe absoluten Abstrahierens. Der absolut betriebenen Abstraktion genügt es nicht, die Ding-Vorstellung einseitig aufzulösen, um ein Glied zum Absoluten zu steigern. Sie dringt darauf, die Subjekt-Objekt-Relation gänzlich aufzugeben. Absolute Abstraktion ist die „Aufgabe der absoluten Relation" (W.-L. 1804, 15. Vortrag; NW II, 205). Ein einleitendes Überdenken solcher Abstraktion hat zwei Fragen zu beantworten: Was ist in ihr aufgegeben? Und was bleibt ihrem hinwegsehenden Zusehen übrig? Die totale Abstraktion ist das Sichlosreißen von sich selbst. Sie tritt ein, wenn die Reflexion in ihrem Ursprünge ihr Ende erblickt. Das Ende der Reflexion erlaubt die Arbeit der Abstraktion, alles abzuziehen, was aus der Entzweiung der Reflexion stammt. Nun ist die Wurzel dieser Entzweiung das Als. Mithin verlangt eine absolute Abstraktion, die absolute Reflexion als Prinzip der Seinserfassung aufzugeben und keine der Disjunktionen, die aus dem Als entspringen, als Modus des wahren Seins gelten zu lassen. Damit reißt sich das Wissen von den in der Reflexion angesiedelten Grundunterscheidungen zwischen Sein und Denken und zwischen Sinnlichem und Übersinnlichem los. Es abstrahiert von allen Formen des Bewußtseins. Das schließt eine andere, ebenso unerhörte Abstraktion ein, die von der Sprache. Die Begründung dafür findet sich in Fichtes Grundsatz: „Die erste Grundwendung aller Sprache (ist) die Objectivität" (W.-L. 1804, 15. Vortrag; NW II, 205). Diese These versteht Sprache als Ausdruck des Begriffs. Das abstrahierend-reflektierende Begreifen konstruiert etwas als etwas. Es bringt dadurch, transzendental gesehen, das Seiende als Gegenstand unserer Anschauung mit dem Vorstellen des Subjekts zusammen. Somit heißt Begreifen Objektivieren. Dieser Wendung entstammt die Sprache. Sie benennt in Begriffen, redet in Urteilen und stellt das Angesprochene in entgegenstellender Objektivation fest. Die absolute Abstraktion stellt mit dem Abzug der Ichheit zugleich den Abzug der Sprachbezüge in Rechnung. Was aber bleibt nach Abzug dieser Relationen eigentlich für das Sehen übrig? Nicht das objektive Sein; denn das ist ja selbst ein Glied
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der durdistrichenen Relation. Aber auch nicht das reine Nichts. In transzendentaler Verbindlichkeit nämlich läßt sich erweisen, daß dem Ich notwendig etwas vorausgesetzt sein muß. Ichheit und Reflexion sind ja nichts als die tote Form und das leere Schema des Sich-auf-sich-Beziehens im Entzweien vom anderen. Die Ichheit hat den Modus der Möglichkeit. Sie lebt nicht aus sich selbst, sondern aus einem aus sich selbst lebenden Leben jenseits von ihr. Und dieses vorausgesetzte Sein und Leben leuchtet ein, wenn von allem Ichbezug und vom Urteil der Sprache abstrahiert ist. „Was ist nun in dieser Abstraktion von der Relation dieses reine Seyn?" (NW II, 205). In gebotener Abstraktion kann die Philosophie vom unsäglichen Sein nur einen einzigen haltbaren Satz sagen. Er lautet: „Das Sein ist durchaus ein in sich geschlossenes Singulum des Lebens und des Seins, das nie aus sich herauskann" (W.-L. 1804, 16. Vortrag; NW II, 212). Fichtes These vom Sein ist hier noch nicht zu erläutern, lediglich ihre methodische Bedeutung ist klarzumachen. Der Satz zieht dem Wissen die Grenze. Er versperrt den Weg einer Logik, welche die Trennung der Abstraktion und die Entzweiung des Reflektierens unter sich glaubt und das absolute Sein in seinen Seinsbestimmungen in deutlichster Begrifflichkeit zu entwickeln vermeint. In Wahrheit kann der Begriff auf dem Grat des Seins keinen Schritt vorwärts gehen, ohne in die Bodenlosigkeit der Spekulation abzustürzen. Das Hindurchgehen zum Sein auf dem Wege der absoluten Abstraktion eröffnet weder die alte rationale noch eine neue spekulative Theologie, es verschließt dem Wissen rigoros diese Möglichkeit. Das Sein und der Gott kann nie aus sich heraus, an ihm selbst ist das Sein immer verborgen. Das Licht der Wahrheit, in dem alles Erscheinende gesehen wird, ist selber unsichtbar. Der Gott der Philosophen ist Deus absconditus. Die Konsequenz des Satzes vom in sich geschlossenen Sein für das kritische Geschäft kann hier nur thesenhaft in Vorgabe von vier Folgesätzen vorgestellt werden. (Sie werden in der Durcharbeitung der „Wahrheitslehre" von 1804 einzuholen sein.) 1. „Nur Gott ist" (Staatslehre 1813; SW IV, 431). Das Prädikat „ist" ohne Zusatz spricht das einfache, durch keine Reflexion zu teilende und sprachlich zu konstruierende Sein aus, das allein Gott oder dem Absoluten zukommt. Wahrhaft seiend ist nur Gott. 2. „Alles = Gottes Erscheinung und Bild" (W.-L. 1812; NW II, 335). Was außer Gott ist und weder ist noch nicht ist, ist Erscheinung. Erscheinung ist Bild, und dessen Wesen ist die Sichtbarkeit eines an ihm
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selbst nicht ersichtlichen Seins, des Absoluten. Daher ist alles Offenbarung Gottes, Gott selbst aber der verborgene Gott. 3. Bild oder Schema Gottes ist das Wissen; denn offenkundig ist doch außer dem in sich geschlossenen Sein ein Wissen davon. Und es wird sich zeigen: Dieses Wissen ist die Urerscheinung (der Logos) und selbst der Grund aller anderen Erscheinung. Damit erst ist das Wesen des Wissens umgrenzt. Es ist Dasein Gottes oder die Offenbarkeit des Seins in den Bild- und Schemaformen der Ichheit. 4. Das Grundgesetz der erschienenen Erscheinung ist das Gesetz der Reflexibilität. Das ist genauer, obwohl immer noch in einleitender Vereinfachung auf Grundsätzliches, anzuzeigen. Die absolute Abstraktion ist für das Eintreten des reinen Seins, das Eingehen in die innigste Einheit und das Aufleuchten der reinen Wahrheit am Werke. Sie räumt die Reflexionsformen ichhaften Wissens beiseite. Im Hinblick auf die Erscheinung dagegen wird alles Vernichtete rehabilitiert. Das am Sein Abgesetzte wird als Prinzip der Erscheinung des Seins wieder eingesetzt. Solche Rehabilitierung stellt in einer 'Allgemeinen Phänomenologie' die höchsten Prinzipien des einseitigen Idealismus und Realismus wieder ein. (Soweit die erste Erscheinung in ihrem Erscheinen in Frage kommt, kommt das realistische Prinzip wieder zum Zuge. Fichte hat es das Von genannt. Nach dem Gesetze des Von läßt sich die Unableitbarkeit der Erscheinung in ihrem Erscheinen aus dem Absoluten ableiten und der Hiat von Sein und Erscheinung als Hiat erklären.) Die wieder aufzunehmende idealistische Position bietet einen Grund für die Erscheinung in ihrem Erschienensein. Fichte nennt ihn Reflexibilität. Deren Gesetz schreibt dem Wissen grundsätzlich vor: „Es soll sich sehen als Schema des göttlichen Lebens" (W.-L. 1810, §6; SW II, 659). Die Selbstdurchdringung absoluten Wissens findet sich unter einem Soll wieder. Das Wissen hat sich nicht immer schon wirklich verklärt, und es muß sich nicht notwendig bis in seinen Ursprung und an sein Ende hin verdeutlichen. Das Wissen untersteht dem Imperativ des Soll: Sehe dich selbst, reflektiere bis zu Ende. Die durch das Gesetz des Soll herausgeforderte Reflexion ist die Wesensmöglichkeit des Wissens. Sie ist Reflexibilität. Dabei reicht das Soll so weit, wie die Möglichkeit der Reflexion reicht. Die frühe Grundlage verbindet Sollen und Reflexion zu einer grundlegenden Auslegung des kategorischen Imperativs. Danach fordert das Soll unbedingt, weil die Forderung an die endliche Wirklichkeit der Vernunft aus deren eigenem unendlichen Wesen ergeht. Das Soll nötigt
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das endliche Ich, sich von der es bestimmenden Welt loszureißen und sich auf sein unbedingtes Selbstsein zu besinnen. Das Soll fordert die freie Tat dieser Reflexion. Die Reflexion zeigt sich darin als ein 'Sich mit Freiheit'. Das Ich ist frei, sofern es sich auf sein Selbstsein, und d. h. auf seine unbedingte Selbsttätigkeit, verpflichtet. Eine vertiefte Grundlegung der Erscheinungslehre vertieft den Zusammenhang von Soll und Reflexion. Das Soll fordert das absolute Wissen zu äußerster Grenzbesinnung und Selbsterkenntnis auf. Das Wissen soll sich als Bild des absoluten Seins oder als Schema göttlichen Lebens sehen; es soll seinen Anfang und sein Ende reflektieren. Das ist eine doppelte Herausforderung an die Freiheit. Soll sich das Wissen nicht als Prinzip des Seins sehen, so bedarf es dazu einer freien Selbstüberwindung. Sie glückt durch die Arbeit der negativen Freiheit, die den Schein abwehrt, als sei das Selbstbewußtsein der Anfangsgrund des wahren Seins. Und das Wissen soll sich als Bild göttlichen Lebens sehen. Dazu ist die positive Freiheit notwendig, sich von den bloß sinnlichen Weisen des Selbst- und Seinsverständnisses loszureißen, um sich zum höchsten übersinnlichen Sich verstehen zu erheben: Ich bin nichts als die Bildform, in welcher das Absolute erscheint. So enthüllt sich das Geschick der Reflexion. Sie wird im Aufstieg zum Sein mit der Methode der absoluten Abstraktion fallen gelassen. Sie wird im Abstieg zur Erscheinung des Seins rehabilitiert, weil es eben doch die Prinzipien der Freiheit und Reflexion unter dem Gesetze des Soll sind, auf welchen alle Welterscheinung beruht. Die Analyse der Reflexibilität also eröffnet die wissenschaftlich-kritische Ausarbeitung einer Phänomenologie des absoluten Geistes. „Sich verwandelt in Reflexibilität; ein freies Sich. Alles Frühere nur Hinleitung zu diesem Begriffe. Mit dessen Analyse wird die Deduktion der Wissenschaftslehre enden" (W.-L. 1812, 3. Kap.; NW II, 379).
h) Reflexionsformen
des Daseins
Die Philosophie vollbringt ihre wissenschaftliche Arbeit als Bildund Erscheinungslehre. Sie ist Phänomenologie des absoluten Geistes in den Maßen der kritischen Vernunft (zum Titel „Phänomenologie" vgl. W.-L. 1804; NW II, 195, 208 u. ö.). Sie hält ihr Maß ein, indem sie sich dem obersten Grundsatze unterstellt: „Der Verstand versteht sich als Bild des absoluten Seins" (W.-L. 1813, 6. Vortr.; NW II, 40).
Reflexionsformen des Daseins
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Die Ausarbeitung der Lehre vom Bilde und vom Erscheinen des Absoluten in den Bildformen und Schemata des sich verstehenden Verstandes oder des Ich gehört nicht mehr in das Feld der Grundlagenerörterung. Wohl aber muß wenigstens in einem Ausblick angezeigt werden, inwiefern der gelegte Grund die ganze Weite und Mannigfaltigkeit philosophischer Forschung trägt. Für diese Absicht kann der Entwurf ausgenützt werden, den die „Anweisung zum seligen Leben" (1806) vorgelegt hat. Bekanntlich verkündet die „Anweisung" (im 10. Vortrage) die Liebe als den tiefsten Ursprungs- und Einheitspunkt des Bewußtseins. Sie findet dessen Zusammenhang mit dem Absoluten (den 'Durchkreuzungspunct von A und B') in einer „zu zweien scheidenden, so wie zu Einem bindenden Wechselliebe" (SW V, 540). Hier setzt Fichtes Denken Spinozas tiefsten — und in der Spinoza-Auseinandersetzung des Deutschen Idealismus durchgängig verschwiegenen — Gedanken vom amor Dei intellectualis ein: „das Band des reinen Seyns... und der Reflexion, die Liebe Gottes" (SW V, 540). Die systematische Bedeutung und der geschichtliche Tiefgang solcher Rede von der Gottesliebe können nicht weiter verfolgt werden9. Wohl aber ist das Verhältnis von Liebe und Reflexion thematisch aufzunehmen. Die Liebe verbürgt innigste und bruchlose Einheit. Das Einessein in der Zweiheit, das wechselseitige Sichfinden des einen durch das Sichverlieren im anderen, das ist der ungeheure Widerspruch der Liebe, den der Verstand niemals löst. Vor ihm wird die alles entzweiende Macht der Reflexion zunichte. Die „absolute Liebe" nun ist das Band, welches Selbstbewußtsein und reines Sein ungetrennt bindet. „In dieser Liebe ist das Seyn und das Daseyn, ist Gott und der Mensch Eins" (SW V, 540). Sie ist darum höher als alle Reflexion, weil die Synthesis der Reflexion immer mit Trennung und Entzweiung zusammengeht. Sogar in ihrer höchsten Wendung noch setzt die Reflexion das Sein als Sein und das Dasein (oder Wissen des Seins) als ein solches gegeneinander ab. Liebe dagegen ist das im Menschengeiste aufgeweckte reine Gefühl, in ' Zu Spinozas Lehre vom Amor Dei intellectualis vgl. W. Janke, 'Tugend und Freiheit. Spinozas kontemplative Begründung der Ethik', in: Walberberger Studien I, S. 342 ff. 1963. Die Absetzung der Reflexion zugunsten der intellektuellen Liebe markiert nicht bloß eine überholte Episode, die Johanneische Episode, im überholten Denken Fidites (Zum Ansatz einer 'Johanneischen Periode' vgl. F. Medicus, 'Fichtes Leben', S. 198. 2. Aufl. Leipzig 1922), sie bildet einen haltbaren systematischen Gedanken, der in Schellings Grund-Existenz-Ontologie durchschlägt und in Hegels 'Theologischen Jugendschriften' den spekulativen Begriff vorbereitet. Der geschichtliche Tiefgang dieses Vorganges ist immer noch undurchschaut.
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welchem Fühlendes (Subjektives) und Gefühltes (Objektives) ganz ineinander aufgehen. „Die Liebe ist ewig ganz und in sich gedrungen...; und sie hat in sich, als Liebe, ewig die Realität ganz; bloss und lediglich die Reflexion ist es, welche theilt und spaltet" (SW V, 545). Also ist die Liebe höher als alle reflektierende Vernunft. (Diese These, die Liebe und nicht der Geist sei das Höchste, wird in Schellings Grund-Existenz-Ontologie wiederkehren.) Daher stammt die Liebe auch gar nicht aus der Reflexion; denn der Verstand und sein unterscheidendes Reflektieren vernichtet sich ja an dem Paradox der Liebe und gibt seine kritische Haltung, welche Sein und Dasein, das Absolute und das absolute Wissen in jeder Hinsicht trennen will, auf, indem er eine ursprüngliche Bindung im Gefühl anerkennt. „Es giebt schlechthin ein solches Band, welches, höher denn alle Reflexion, aus keiner Reflexion quellend und keiner Reflexion Richterstuhl anerkennend — mit und neben der Reflexion ausbricht. In dieser Begleitung der Reflexion ist dieses Band — Empfindung, und da es ein Band ist, Liebe, und da es das Band des reinen Seyns ist und der Reflexion, die Liebe Gottes" (SW V, 541). Diejenige Wechselwirkung also, welche den reinen und ungebrochenen Bezug von Reflexion und Sein knüpft, trägt den Namen „absolute Liebe". Über die sprachlose Fülle dieses Gefühls, der die Sprache des Begriffs nicht gewachsen ist (aus der vielleicht aber die Sprache des Dichters quillt), ist philosophisch nichts weiter zu sagen. Dringlich aber wird die Lebensfrage der Philosophie: Besteht Philosophie in der Betrachtung des Seins und fällt die Reflexion als Instrument des Philosophierens hinter die Liebe zurück, „was bleibt der Reflexion?" (SW V, 541). Der erste Bescheid lautet: „Ihn (Gott oder das Sein) objektiv hinzustellen und ins Unendliche fortzugestalten" (SW V, 541). Angesichts dieser Zuweisung vergewissert sich die Philosophie noch einmal dessen, was die Reflexion im Grunde ist und was sie vermag. Dazu kann an die 4. Vorlesung der „Anweisung" erinnert werden. Sie versteht unter Reflexion ausdrücklich „die selbständige Sicherfassung des Begriffs" (SW V, 455). Eindeutig ist in dieser Definition, daß zur Reflexion die Selbständigkeit und Freiheit gehört, sich loszureißen und auf sich zu wenden. Diese Freiheit ist Freiheit des Begriffs. Was für ein Begriff vom Begriff aber spricht in dieser Wesensumgrenzung? Es ist abermals deutlich abzugrenzen: Der Begriff kann nicht das Göttliche selbst sein. In Wahrheit ist es angesichts des gediegenen Seins mit der Distinktheit des Begriffs prinzipiell zu Ende. Der Begriff kann das in sich geschlossene Sein nicht beurteilen. Andererseits fällt das Denken darum nicht
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in die ohnmächtige Auffassung zurück, welche die formale Logik vom Begriff und von der abstrahierenden Reflexion als dem Vermögen der Begriffe anbietet. Eine besonnene Grundlegung hält daran fest, daß der Begriff nicht mehr, aber auch nicht weniger sei, „denn das Als zum göttlichen Seyn und Daseyn" (SW V, 454). Die Reflexion als selbständige Sicherfassung des Begriffs bedeutet sonach die freie Selbstanschauung, in welcher sich der Begriff als Bild des absoluten Seins versteht. Tieferes und distinkteres Sichbegreifen ist nicht möglich. Aus dem, was die Reflexion ist, läßt sich entnehmen, was sie vermag. Sie vermag es, das Sein in Welt zu verwandeln und ins Unendliche zu spalten. Diese Leistung kann hier nur angedeutet werden. Die „Anweisung" führt sie am Problem eines Widerspruchs ein. Es widersprechen einander der Gedanke des unmittelbar-unveränderlichen und die Wahrnehmung des in Wirklichkeit unendlich geteilten und wandelbaren Seins. Der Widerspruch wird geschlichtet, indem auf das Prinzip der Spaltung, die Reflexion, zurückgegangen wird. Die Reflexion faßt etwas als etwas auf. Dieses alles Bewußtsein durchdringende Als ist längst in seiner prinzipiellen Bedeutung ins Auge gefaßt. Es ist in sich selbst absolute Trennung und „das Princip aller nachmaligen Trennung und Mannigfaltigkeit" (SW V, 452). Das Als hat seinen ersten, alles entscheidenden Auftritt, indem es Sein und Dasein als solche voneinander scheidet. Da dieses Unterscheiden sich nicht im unterschiedslosen Sein, sondern nur im Dasein (oder dem Wissen) ereignen kann, fügt sich das Als und die Reflexion als Grundform an das Dasein oder das Wissen. Und dadurch verwandelt das Wissen das reine, aus sich lebende Sein in tote Gegenständlichkeit. Das Wissen begreift und konstruiert das Sein, aber es versteht es nicht, wie es unmittelbar und einfach in sich lebt, sondern wie es für den Begriff da ist. Das als solches aufgefaßte Sein ist vom reinen Sein geschieden und von dessen Leben abgeschieden. Durch diese Trennung fällt Sein immer nur als gegenständliches Vorhandensein für ein objektivierendes Begreifen in den Blick. Es lebt nicht mehr in und aus sich selbst, es ist nurmehr das stehende Gegenständige für das alles durchgreifende und auf sich beziehende Begreifen. „ Tenes stehende Vorhandenseyn ist der Charakter desjenigen, was wir die Welt nennen" (SW V, 454). „Also der erste Gegenstand der absoluten Reflexion ist die Welt" (SW V, 456). Indem das Dasein sich auf sich bezieht und vom Sein absetzt, eröffnet sich Welt. Daher gibt es kein weltloses Ich und keine ichlose Welt. Welt liegt niemals an sich vor, und der Begriff lebt niemals
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bloß für sich. Welt ist nur durch den Begriff und im Begriff, und der dem verborgenen Sein gegenüber machtlose Begriff ist der Schöpfer der Welt. Das ist in Rücksicht auf die Urspaltung der Reflexion angezeigt worden. Zu zeigen bleibt: „Diese Welt muß, zufolge der soeben abgeleiteten inneren Form der Reflexion, in dieser Reflexion zerspringen und sich zerspalten" (SW V, 456). Auch diese Disjunktion wird durch die Form garantiert, welche der Reflexion wesentlich ist, nämlich durch die Form des Als. Im Als ist das Sein vom reinen Sein unterschieden und zum Weltbestande abgesetzt. Aber im selben Schlage findet sich auch das Dasein als solches vor. Auch das Dasein und der Logos oder das Wissen erfaßt sich nicht unmittelbar, wie es ist, sondern im Bilde. So spaltet sich das Wissen durch sich selbst. Es weiß sich nicht nur, es weiß sich als das und das. Und das bedeutet: Das Als verleiht dem unbestimmten, unendlich sich setzenden Wissen die Bestimmbarkeit und bringt, weil alle Bestimmtheit (determinatio) Beschränktheit (negatio) ist, die Hinsichten der Schranke, der Abhebung und Teilung mit sich. Das Als, in welchem sich das Wissen auf sich wendet und spaltet, ist das Prinzip für die Teilbarkeit (Quantitabilität) des zur Welt herab- und festgestellten Seins. Worauf der Blick des Wissens fällt, das zerteilt sich in unendlicher Bestimmbarkeit. Nun fällt der reflektierte Blick des Wissens zuerst auf die Welt. Daher wendet das Als zwar das Eine Sein zur Einheit der Welt, „der Reflexionsact aber spaltet unwiderbringlich die Eine Welt in unendlich viele Gestalten" (SW V, 457). So spaltet Wissen die Welt, indem es das Vorgestellte zur Bestimmtheit bringt und je als dieses selbst, und d. h. als alles andere nicht, konzipiert. Das geschieht, weil etwas als solches nur erfaßt werden kann, indem die unendliche Mannigfaltigkeit dessen, was es nicht ist, mitgesetzt wird und das Reflektieren auf das bestimmende Herausheben eines Mit-Gesetzten und dadurch in ein unendliches Fortgestalten der Welt führt. (So leitet Fichte perceptio und appetitus einheitlich auf ihre Wurzel, die Form des Als und das Prinzip der Reflexion, zurück.) Die Einsichten, daß das Sein der Welt und deren Unendlichkeit dem Reflexionsgesetz unterworfen sind, leitet die Philosophie an zu einer apriorischen Herleitung der Zeit (deren Unendlichkeit aus der absoluten Freiheit der Reflexion erzeugt wird), zur Deduktion des Raumes (als einem Grundbilde der unendlichen Spaltung), zur Deduktion der unendlichen Vielheit von Ichen (mitsamt den anhängenden Problemen der Individualität, der Fremderfahrung, InterSubjektivität usw.). Diese gewöhnlich zerstreuten Fragen der Philosophie haben in Fichtes
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Darlegung der absoluten Reflexion ihre Klammer erhalten. Indessen sind die daraus erwachsenden Fragestellungen und Lösungen, sofern sie überhaupt diskutiert und nicht durch Vorurteile entstellt wurden, verworfen und vergessen worden. Die Reflexion steht als Prinzip der Spaltung im Hinblick auf die Unendlichkeit der Weltvorstellungen fest. Aber darin erschöpft sich nicht ihr Vermögen. Sie vollbringt „noch eine andere, mit der ersten Spaltung unabtrennlich verbundene Spaltung derselben Welt, nicht in eine unendliche, sondern in eine fünffache Form ihrer möglichen Ansicht" (SW V, 460). Diese zweite Spaltung unterscheidet sich von der ersten. Sie zerteilt nicht unmittelbar das Objekt, sondern die Weise, auf das Objekt zu reflektieren. Sie spaltet nicht das welthafte Sein, sondern die Ansicht davon. Aus ihr resultieren die verschiedenen Weisen, die eine bleibende Welt innerlich anzusehen. Beide Spaltungen sind verschieden, aber nicht getrennt. Sie verbinden sich organisch und geschehen mit demselben Schlage; denn sie entspringen aus demselben Prinzip. Unabtrennlich gehören zur Reflexionsform des Daseins sowohl das Bewußtsein einer unendlich fortzubestimmenden Welt wie auch eine Fünffachheit der Weltansicht, die in einer Fünffachheit des Selbstverständnisses gründet. Bekanntlich hat der 5. Vortrag der „Anweisung" die fünf Stufen der Weltansicht und des Seinsverständnisses als Grade des Sichverstehens 'historisch3 bekannt gemacht und die Ansicht der Welt aus dem Standpunkte der Sinnlichkeit, der Rechts- und Pflichtordnung, der 'höheren Moralität', der Religion und der 'Wissenschaft' charakterisiert. Das aber ist bloß historisch, d. h. als Beschreibung von Tatsachen ohne begründende Ableitung geschehen. Die fixierende Beobachtung und abhebende Beschreibung dieser Fünffachheit hat Fichte in immer neuen, je nach der thematischen Absicht modifizierten und tiefer differenzierenden Untersuchungen vorgetragen. Einen glänzenden Abschluß der historischen Erfassung bietet der (von der Forschung mit Recht herausgestellte) 20. Vortrag der „Tatsachen des Bewußtseins" von 1813. Wir stellen hier nur schematisch Resultate zusammen. Abgehoben und in ihren Zusammenhängen und Spaltungsfundamenten beschrieben sind „die vier Haupt- und Grundtatsachen des Bewußtseins" (Tatsachen 1813; NW I, 573). Die Tatsachen werden analysiert, indem das zugehörige Sichverstehen analysiert wird. Das ist der methodische, transzendentale Leitgedanke der Tatsachenforschung, das Weltund Seinsverständnis durch das zugrundeliegende Selbstverständnis
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zu explizieren; denn die Ansichten der Welt sind ja Spaltungen des Sichverstehens. 1. Als erstes Faktum bietet sich die Tatsache der objektiven Erfahrung einer sinnlich gegebenen Welt an. Zu dieser Ansicht der Welt als Sinnenwelt versteht sich das zugehörige Ich 'als Substanz', d. h. als das ständig Zugrundeliegende im Wechsel der Vorstellungen. In der Dimension dieser Tatsache ist das angeschaute Objekt bestimmend, sofern eben das theoretisch vorstellende Subjekt durch das bestimmt wird, was es vorstellt. 2. Die zweite Haupttatsache ist das Vernunftfaktum der Sittlichkeit und die Ansicht einer übersinnlichen Welt, die nicht ist, sondern wird. Das zugehörige Sichverstehen ergibt das (praktische) Ich als Prinzip, dessen Wesen Freiheit ist. In diesem Bereich herrscht das rein gedachte Subjekt als Prinzip einer übersinnlichen Weltordnung. 3. Das dritte Grundfaktum bildet das Bewußtsein einer Vielheit von Ichen, der Tatbestand von Individuum und Person. Die Weise des zugehörigen Reflektierens ist attentionale Wahrnehmung, d. h. das freie Sichzuwenden auf mich und meine, nur mir eigentümliche Anschauungs- und Handlungssphäre. Diese innere Anschauung ist Sehen des jeweiligen sittlichen Bewußtseins. Sie ersieht die Sphäre meines Wählens, Wollens, Beschließens und ist wesentlich Sache des persönlichen Selbstbewußtseins in Ansehung seiner je individuellen, nur von ihm und keinem anderen zu vollbringenden Bestimmung. Das Ich nimmt sich als ein Subjekt unter anderen wahr, das für sein Welterkennen und Handeln einen eigenen Bereich für sich in Anspruch nimmt. In dieser Sphäre herrscht das angeschaute Subjekt vor. 4. Die vierte Haupttatsache hebt die Einheit des Ich hervor. Ich bin nicht nur im Unterschied und Bezug zu anderen Ichen, Ich bin einfach und Geist. Der Akt des zugehörigen Sichverstehens ist das Denken, welches wahrhaft Einheit erzeugt und als reines Denken eben die Einheit des Ich entstehen läßt, und zwar aus der Einheit des Gedachten. Das Ich versteht sich einheitlich als Geist, indem es sich ganz durch den Gedanken des Absoluten bestimmen läßt. In diesem Selbstbezug ist das gedachte Objekt führend. Was auf dem Hintergrunde von Weltansichten (der Sinnenwelt, der moralischen Weltordnung, der Welt individueller Personen, der Welt des Geistes) analysiert wird, ist offenkundig die eine Verstandesform. Sie legt sich in der bisherigen Beschreibung in vier Glieder von zwei Disjunktionen auseinander: in Subjekt und Objekt (Denken und Sein)
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wie in Anschauung (sinnliche Welt, Notwendigkeit) und Denken (intelligible Welt, Freiheit). Aber Tatsache ist auch deren Einheit, die in einem fünften Gliede liegen muß, welches die vier Momente zusammenhält und in eins sondert. Dieses Moment ist das Als. Somit läßt sich die Einheit der Verstandesform oder das Ich als eine fünffach gegliederte Einheit beobachten und aus den vorliegenden Gliedern in einer Synthesis post factum zusammenstellen. Die genetische Ableitung dieser Einheit aus dem Grundgesetze der Reflexion überfordert die Tatsachenforschung. Das ist Sache der Philosophie. Die subtile philosophische Deduktion der Fünffachheit kann in einem einleitenden Ausblick auf die Aufgaben der Phänomenologie nicht ausgebreitet werden. Es muß ein Wink genügen, der auf die letzte Formulierung des obersten Grundsatzes verweist. Diese ist in der Wissenschaftslehre von 1813 vorgetragen und analysiert worden. Sie lautet: „Der Verstand versteht sich als Bild des absoluten Seins" (NW II, 40). Einem äußeren Blick schon erschließt diese Formel die im Als zusammengehaltene Vierheit zweier Disjunktionen. Der Satz enthält den Teilsatz: Das Wissen versteht sich. Wissen ist die identische Einheit der Zweiheit von Subjekt und Objekt. Subjekt ist das verstehende, Objekt das im Sich-Verstehen verstandene Ich. Und dieser Sonderung fügt sich untrennbar die Unterscheidung von Sinnlichem und Übersinnlichem an; denn das Sichverstehen versteht sich sowohl als Bild des Seins wie als Bild des Seins. Versteht sich der Verstand als Bild des absoluten Seins, so hält er sich an die fertige Erscheinung des Seins, d. h. an die empirische Welt, welche eben durch die Bildformen und Vorstellungsgesetze des Ich geregelt ist. Versteht er sich dagegen als des Absoluten Bild, so geht ihm in wachsender Durchsichtigkeit eine tiefere Ansicht der Welt auf: Welt als die Sphäre, worin sich das Übersinnliche bildet. Der verschränkende Durchkreuzungspunkt der vierfach formierten Verstandesform ist das Als. Das Subjekt versteht sich grundsätzlich als Subjekt eines Objekts und umgekehrt. Ebenso prinzipiell ist Bild beides, Nichtsein des Seins wie des Seins Bild, und daher fällt das Bild oder die Vorstellung des Sinnlichen (als das Nichtsein von Sein) niemals ohne die Möglichkeit eines Bildes vom Übersinnlichen (als Bild des Seins) ins Bewußtsein. Und endlich sind beide Bezüge so gefügt, daß keines der beiden ohne das andere sein kann. Das Sichverstehen ist nur wahr, wenn es sich als Bild des Seins versteht, und das Bild des Seins ist nur wirklich, wenn es als Bild des sich verstehenden Verstandes da ist. An solcher Entfaltung der Totalstruktur des Bewußtseins in seine
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Fünffachheit bewährt sich die Einsicht, welche Vorstellung (cogitatio) als Bild auslegt. Zur Bildheit gehört eben ein fünffacher Bezug der beiden Bildelemente, des Bildes und des Seins. Das Bild ist nicht Sein, aber doch vom Sein untrennbar, weil es nichts als dessen Sichtbarkeit ist. Das Sein ist nicht Bild, aber doch vom Bild untrennbar, sofern es überhaupt nur als das Nichtsein des Bildes in Betracht kommt. Dieses Durcheinander von Bild und Sein läßt sich zweifach fixieren. In der einen Hinsicht läßt sich das Sein aus dem Bilde verstehen; dann ist das Sein die Gegenständlichkeit des sich bildenden und ausbildenden Bildes (des Selbstbewußtseins). In entgegengesetzter Hinsicht läßt sich das Bild aus dem Sein verstehen; dann versteht sich das Bild als Sichtbarmachung eines Übersinnlichen. So verknüpfen sich Sein und Bild in entgegengesetzter Richtung, und die Bildheit ist das Bild dieser doppelten Verknüpfung. Die Durchsichtigkeit dieser Bildverhältnisse, das ist der allen übrigen Weltansichten überlegene Standpunkt der Philosophie. Von der Höhe dieser Ansicht läßt sich die Vielheit der Ansichten über das Sein der Welt erklären. Die Fünffachheit des Weltbewußtseins, wie sie in der „Anweisung" historisch fixiert wurde, geht auf einen Entwurf zurück, der im letzten, Ausblick verschaffenden Vortrag der Wissenschaftslehre von 1804 vorgegeben war. Dort ist die Fünffachheit vorbildlich vorgelegt und in „fünf und zwanzig Hauptmomente, und ursprüngliche Grundbestimmungen des Wissens" (W.L. 1804, 28. Vortr.; NW II, 313) exponiert worden. Wir gehen dieser „Zerspaltung in fünfundzwanzig Formen" nach, um die Reflexion als Prinzip dieser Spaltung wenigstens schematisch auszuschöpfen. Die philosophische Vernunftansicht vom Selbst und Sein besteht in der Durchsichtigkeit, in welcher sich die vier Glieder der Verstandesform und die Haupttatsachen des Bewußtseins aus dem Zusammenhange des Reflexionsprinzips sondern und als Momente zusammenfügen. Die Mannigfaltigkeit anderer Weltansichten ergibt sich aus dem „Mangel des Zusammenhanges der Einsicht dieser vier Glieder, also in ihrer Auffassung als gesonderter Principe" (NW II, 312). Der Mangel an Einsicht in den untrennbaren Zusammenhang verleitet dazu, ein Moment selbständig zu machen und zum Prinzip zu übersteigern. Daraus resultiert ein Auseinanderfall in vier mangelhafte und einseitige Ansichten von Welt und Wahrheit. i. So pflegt zuerst das angeschaute Objekt zum Prinzip erhoben und die sinnlich sich bezeugende Welt der Erfahrung oder das absolut Wandelbare für das Wahre genommen zu werden. Prinzip dieser Weltausle-
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gung ist die Sinnlichkeit, und das Ich findet sich im Vorstellen und Handeln durch das Nicht-Ich bestimmt. Wird diese Ansicht zur absoluten Wahrheit erhoben, so versteift sich die Vernunft auf den Standpunkt des Materialismus und 'Eudämonismus'. 2. Wendet sich das Anschauen dagegen nicht auf die Objekte, sondern auf die innerlich wahrnehmbaren Subjekte, dann erhebt sich das angeschaute Subjekt zum abgesonderten Prinzip. Das individuelle Ich rückt in das Ansehen, beherrschender Anfangsgrund aller Selbst- und Weltauslegung zu sein. Das Wahre ist nicht mehr das wahrgenommene Objekt, sondern das im inneren Sinn bezeugte personale Subjekt. Im Glauben an die Persönlichkeit wird für wahr gehalten, daß alle Individuen gleich sind und an alle die Aufforderung ergeht, die Sphäre jedes Einzelnen durch freie Selbstbeschränkung der eigenen Sphäre anzuerkennen. Das ist der Standpunkt der Legalität. Das Recht ist das Ordnungsprinzip, welches die Welt menschlicher Gemeinschaften ermöglicht. 3. Über das bloße Legalitätsprinzip erhebt sich eine Weltansicht, welche das gedachte Subjekt als Prinzip anerkennt. Im reinen Denken ist die individuelle Mannigfaltigkeit der Iche zur Einheit des Ich als dem allen gemeinsamen Prinzip absoluten Handelns aufgehoben. Hier wird dem Ich nicht mehr die Anerkennung der Rechtssphäre des anderen unter der Bedingung der Gegenseitigkeit zugemutet. Das Ich unterstellt sich selbst der Forderung einer unbedingten Gesetzlichkeit des Sittengesetzes. Dabei wird dem individuellen Subjekt seine Einzigartigkeit nicht versagt, sondern aus dem Bezug zum Ganzen gerade verbürgt. Dieser Standpunkt erhebt sich über die legale Abgrenzung persönlicher Handlungssphären. Er hat die Übersicht gewonnen, daß der Einzelne, indem er seine, nur von ihm und von keinem anderen sonst auf der Welt zu vollbringende Bestimmung erfüllt, eben nicht für sich selbst, sondern in Bezug auf das Ganze der sittlichen Weltordnung als Mitglied des einen Reiches der Individuen Bedeutung hat. Das ist der Standpunkt der Moralität. 4. So erhaben dieser Standpunkt ist, seine Verabsolutierung zerreißt den Zusammenhang von selbstbewußter Freiheit und göttlichem Sein. Daher wendet sich die Vernunft einem vierten, herauszusondernden Momente zu und steigert das gedachte Objekt zum Prinzip. Das Wissen sieht sich danach durch das bestimmt, was als das wahrhaft Gewußte da ist, das Absolute oder Gott. Es findet sein angemessenes Sichverhalten in der Andacht, dem ergriffenen Hingegebensein im Andenken Gottes. Das ist der Vernunftstandpunkt der Religion.
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Diese Position wurzelt zwar im Zusammenhange von Selbstbewußtsein und Absolutem, aber doch nur im Modus andächtigen Hingegebenseins an das Bild Gottes. Ihr fehlt die Durchsichtigkeit. Die volle Deutlichkeit lichtet sich erst in der Helle einer Reflexion, durch welche der Verstand sich als Bild des Absoluten versteht und darin alle Hauptformen und Stufen des Seins in seinem Erscheinen durchschaut. Das ist der Standpunkt der Wissenschaft auf der Höhe der Wissenschaftslehre. Damit ist gezeigt, wie die fünffach gegliederte Einheit der Verstandesform oder Ichheit in fünf verschiedene und nach dem Grade der Deutlichkeit abgestufte Ansichten von Sein und Selbst zersprengt ist. Aber wie läßt sich daraus eine systematische Aufstellung von fünfundzwanzig Grundbestimmungen des Wissens entnehmen? Zufolge der Einsicht, daß in allen fünf Standpunkten mehr oder minder deutlich die eine und selbe Vernunft sich durchringt, „die Vernunft aber, wo sie nur ist, ganz ist, so wie sie ist" (NW II, 312). Jedes Vernunftmoment zieht die anderen gänzlich nach sich; denn die Vernunft ist immer nur ganz als fünffach gegliederte Einheit da. Folglich müssen sich auf jedem möglichen Vernunftstandpunkt alle zur Vernunftganzheit gehörigen Teile auffinden lassen, freilich so, daß ihr gerechter Zusammenhang zerstört und ein Glied, das die anderen sich einfindenden Momente der Vernunft 'tingiert', herausgesondert und zum Prinzip erhoben wird. Erst auf der Höhe der aufgeklärten Wissenschaft, der Philosophie, herrscht in der Vernunftverfassung Sinn und Gerechtigkeit. Somit zeichnen sich, da die Fünffachheit der ganzen Vernunft auf allen fünf Standorten, wenn auch in Färbungen und Übermalungen, auftritt, fünfundzwanzig Hauptmomente des Wissens ab. Die fünffache Differenzierung der Reflexionsspaltung braucht nicht in allen fünf Fällen aufgezählt, sie soll in einem Falle erörtert werden. Das Prinzip der äußeren Rechtlichkeit baut auf dem Grundsatz: Mehrere freie Wesen sollen nebeneinander leben, ohne daß die Freiheit der einzelnen sich gegenseitig störe. Dieser Satz trennt die Position des Rechts von der Moralität in mehrfacher Weise, so daß der Rechtsbegriff nicht aus dem Sittengesetz abgeleitet und das Rechtsverhältnis nicht moralisch begründet werden kann. Die Moral ist Gewissenssache. Sie unterliegt der Verantwortlichkeit des Einzelnen vor seinem eigenen Gewissen. Recht dagegen ist Sache der Übereinkunft einer Rechtsgemeinsdiaft. Das Sittengesetz nötigt kategorisch; es gebietet unbedingt und ohne Einschränkung die Pflicht (u. a. die Pflicht, die Gemeinschaft zu wollen). Das Rechtsgesetz gebietet keine Pflichten, es erlaubt die
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Ausübung von Rechten. Und seine Verbindlichkeit basiert auf einer Bedingung. Ich muß das Recht nur dann anerkennen, wenn ich eine Gemeinschaft will. Kein Rechtsverhältnis baut auf dem guten Willen. Alles Recht gilt nur unter der Bedingung der Gegenseitigkeit. Allein das Sittengesetz fordert die innere Freiheit heraus. (Darum gibt es im Hinblick auf Denk- und Gewissensfreiheit keinerlei Rechte, wohl aber Pflichten.) Die Sittlichkeit erhebt den Menschen über äußere Zwänge. Das Recht fügt sich dem Zwange, weil seine Ordnung mit Widersetzlichkeiten und Übergriffen rechnet. Daher kann überhaupt nur das Inhalt einer Rechtsbeziehung werden, was sich erzwingen läßt. Ansprüche der Rechtlichkeit erstrecken sich eben auf die Äußerungen der Willkür in der Sinnenwelt, sie machen vor Fragen der inneren Gesinnung halt. Und einzig das sittliche Handeln ist Zweck an sich selbst. Das Rechttun ist nichts als ein Mittel zur Verwirklichung und Sicherung der äußeren Freiheit. Demgemäß beziehen sich die Urrechte (das Recht jedes Einzelnen auf Leib, Leben und Eigentum) auf die Sicherstellung von individuellen Handlungsmöglichkeiten in der äußeren Wirklichkeit. Sie bilden den Inbegriff von Bedingungen, unter denen das freie Wirken persönlichen Daseins in der Sinnenwelt möglich ist. Und sie werden durch ein Zwangsrecht geschützt, das nur der rechtmäßig Handelnde ausüben darf, wenn seine Urrechte verletzt und die Rechtsgemeinschaft gefährdet ist. Diese Umreißung des Rechtsstandpunktes macht sein Charakteristikum deutlich, nämlich die radikale und vernünftige Trennung von Recht und Sittlichkeit als gesonderter Reflexionsformen des Daseins. Das Wahre in der Ansicht des Rechts, das ist die Vielheit nebeneinander lebender Idie, die ihre Freiheit durch den Begriff der möglichen Freiheit des anderen beschränken. Wird nun das so herausgestellte Recht zur alles beherrschenden Ansicht des Selbst- und Weltverstehens ausgeweitet, dann verschwinden die anderen Ansichten (die Vernunfthaltungen der Moralität, Religiosität, Sinnlichkeit und der Wissenschaft) nicht, sie erscheinen einseitig verkürzt in der Perspektive des Rechtsstandpunktes. Nach dieser Ansicht fällt Moralität mit der äußeren Rechtlichkeit in Verhältnissen zum anderen Ich zusammen. Moralität wird zur Legalität. Die Religion besteht auf dieser Stufe der Reflexion im Vertrauen auf Gott als einer „höheren Polizei", d. h. einer überweltlichen Richter- und Strafinstanz zur Sanktionierung zwischenmenschlicher Rechtsordnungen. Von diesem Blickpunkte her erblickt die Sinnlichkeit die Welt vorzüglich unter dem Aspekte, Sphäre des deklarierten und durch Verträge zu sichernden
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Besitzes an Eigentum zu sein. Und als Grundfrage der Wissenschaft wird sich die Frage nach Recht und legaler Gerechtigkeit und in deren Gefolge die Frage nach der menschlichen Gesellschaft und dem Staate vordrängen. In solcher Weise lassen sich alle Vernunfteinsichten ausrechnen. Und vom überlegenen Standpunkt der Wissenschaft auf der Reflexionshöhe der Wissenschaftslehre läßt sich eine Kritik der einseitigen Vernunft und eine systematische Grundlegung aller Vernunftzweige (d. h. der Natur-, Rechts-, Sitten- und Religionslehre) ins Werk setzen. Was Natur, Recht und Staat, Sittlichkeit, Religion und Wissenschaft in Wahrheit sind, das erschließt sich allein im Blick auf das in sich gesonderte Ganze und auf die Seinsweise der Vernunft, wie er einer absoluten Reflexion eignet. Das Geschäft einer solchen kritischen Grundlegung soll wiederum nur anhand eines bedeutenden Falles angedeutet werden, nämlich für den Anfang einer Sittenlehre (vgl. das System der Sittenlehre von 1812). Die Sittenlehre stellt sich in den Reflexionsstandpunkt des Begriffs und der praktischen Vernunft. Für sie ist die Welt die durch den reinen Begriff geschaffene Geisterwelt. Ihr ist das Subjekt und die Freiheitstat des Willens oberstes Prinzip. Und das ist auch ausschließlich der einer Sittenlehre notwendig und rechtmäßig zukommende Grund und Boden. „Die Sittenlehre muss von Gott Nichts wissen, sondern den Begriff selbst für's Absolute halten, da nur bis zu ihm ihre Reflexion reicht" (NW III, 4). Sie hat das Prinzip der Sittlichkeit zu ihrem Ausgang und Anfangsgrunde zu nehmen. Aber sie muß darüber Bescheid wissen, daß sie nur einen und nicht den höchsten Aspekt der Vernunft ausarbeitet. Ein Denken dagegen, das den Standpunkt der Sittlichkeit für den der Vernunftwissenschaft selber hält, ist die nicht zu Ende gekommene Philosophie. „So bei Kant" (NW III, 5). Die tiefer dringende Reflexion findet, daß der Begriff, mit dem die Sittenlehre beginnt, gar kein für sich bestehender Anfang, sondern Repräsentant eines anderen, nämlich Bild Gottes, ist. Im Rahmen einer Phänomenologie des absoluten Geistes kommt das Wissen wieder auf das abgeschätzte Prinzip der Reflexion zurück. In ihm findet es den Mittelpunkt alles menschlichen Selbst- und Weltverstehens und die einheitliche Wurzel für alle Zweige philosophischer Forschung. Die schwer errungene Bedingung für solche Rehabilitierung aber bleibt die kritische Einsicht, daß die Reflexion nichts im Hinblick auf das Sein, alles dagegen in Rücksicht auf Dasein vermag, weil die Gesetze und Formen, nach denen das Sein da ist und erscheint, einheitlich
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in der Verfassung der absoluten Reflexion begründet liegen. „Das Seyn — ist da; und das Daseyn des Seyns ist nothwendig Bewußtseyn oder Reflexion, nach bestimmten, in der Reflexion selber liegenden und aus ihr zu entwickelnden Gesetzen: dieses ist der von allen Seiten nunmehr sattsam auseinandergesetzte Grund unserer ganzen Lehre" (Anweisung, . Vorles.;SWV, 539).
i) Das Dasein des Menschen Die Grundlegung der Ersten Philosophie ist eine Abgrenzung von Sinn und Grenze der absoluten Reflexion. Sie hinterlegt ein kritisches Resultat: Die Subjektivität in der Gestalt der Reflexion verfügt nicht über das wahre Sein; das Wissen, auch und gerade in seiner absoluten Gestalt, ist nicht das Absolute. Solches Ergebnis erwächst aus dem Bedenken derjenigen ontologischen Grundbestimmungen, die der Deklaration vom Zusammenbruch des Deutschen Idealismus zufolge gerade verdrängt worden seien: von Endlichkeit und Existenz. Freilich eröffnet sich am Ende ein befremdlicher Anblick von Dasein. Das Dasein ist das Da des Seins. Ek-sistieren bedeutet das Offenbar- und Herausgetretensein des in sich geschlossenen Seins. Der Ort seines Erscheinens ist das Wissen, und sein lebendiges Vorkommen in der Erscheinung ist der Mensch. Während der prinzipiellen Besinnung auf Wesen und Maß der Reflexion ist nirgends vom Menschen die Rede. Die Grundlegung geht ausschließlich auf das absolute Ich und absolute Wissen ein und weist ausdrücklich eine Differenz zwischen einer endlichen Vernunft überhaupt und der menschlich-endlichen Vernunft ab. Aber sie überspringt das Wesen der menschlichen Existenz nicht und löst die wirkliche Menschlichkeit nicht in der Absolutheit eines unendlich reflektierenden Ich auf. Vielmehr weist die Grenzbesinnung der Reflexion dem Menschen überhaupt erst seine einzigartige Bestimmung und seine Sonderstellung im Ganzen des Seienden zu. „Allein das menschliche Geschlecht ist da" (Wesen des Gelehrten 1805; SW VI, 362). Diese These spricht der Menschheit die Auszeichnung zu, da zu sein, und offenbar hat dieser Zuspruch nur Sinn, wenn Dasein eine eigene und höhere Bedeutung als gewöhnlich erhalten hat. Gemeinhin wird auch den anderen Geschlechtern des Seienden Dasein und Existenz zuerkannt. Wir sagen unbedenklich, ein Stein, ein Baum,
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ein Stern, eine Stimmung, ein Ereignis sei da, und wir ziehen unausweichlich die Existenz Gottes in Betracht. Existenz scheint ein universal-ontologischer Begriff. Aber Fichte hat eingeschärft, den Namen Sein und Dasein nicht an solches wegzuwerfen, was weder ist noch da ist. „Das Todte ist weder, noch ist es, im höheren Sinne des Wortes, da" (SW VI, 362). Tot heißt alles, was nicht die Lebendigkeit und Spontaneität des sich frei erzeugenden und alles auf sich beziehenden Geistes hat. Das Tote existiert in einem niederen Sinne des Wortes. Es kommt dinghaft-gegenständlich an einer Stelle der Zeit und des Raumes vor. Es hat im negativen Sinne des Nicht-Ich Wirklichkeit, aber es ist nicht da. Der höhere Sinn von Dasein braucht Lebendigkeit, Freiheit und das Fürsichwerden des Selbstbewußtseins. Und weil nun Gott kein Selbstbewußtsein hat (sondern ein Bewußtsein, das jenseits und höher als das Selbstbewußtsein ist), existiert er nicht. Das Sein selbst ist nicht da (offenbar), sondern an ihm selbst verborgen. Sein ist allein in der Lebendigkeit menschlicher Selbstbesinnung unverborgen, und im Felde der Erfahrung findet sich nur ein einziges Wesen, das Repräsentant des Seins und Ort seiner möglichen Anwesenheit zu sein vermag, das sich auf seinen Ursprung besinnende Menschentum. „Dieses lebendige Daseyn in der Erscheinung nun nennen wir das menschliche Geschlecht" (SW VI, 362). Der Mensch repräsentiert inmitten der Welt die Oifenbarkeit des Seins und des ursprünglichen Lebens. „Der Mensch (ist) ja selbst die Darstellung des ursprünglichen und göttlichen Lebens" (Über das Wesen des Gelehrten, 2. Vorles.; SW VI, 364). Wie also steht es zufolge dieses Ansatzes mit der Wesensbestimmung des Menschen? Und wie steht es mit dem Verhältnis von menschlichem Dasein und Reflexion? Der Mensch ist nicht das Ich; denn er ist in seiner Wurzel Empirie. Er lebt und leibt als ein Teil der Erfahrungswelt und als ein Glied der Naturordnung. „Der Mensch ist in seiner Wurzel Empirie" (Transzend. Logik 1812; NW I, 362). Sein Begehrungsvermögen wird durch sinnliche Antriebe bestimmt, sein Erkenntnisvermögen ist auf sinnliches Anschauen angewiesen. Mit den Wurzeln seiner Sinnlichkeit und Leiblichkeit hängt der Mensch in der Empirie fest, aber er stammt nicht aus ihr. „Der Mensch ist nicht Erzeugnis der Sinnen weit" (Best. d. Menschen; SW II, 308). Das ist die durchschlagende Einweisung des Deutschen Idealismus: Der Mensch ist das an sich seiende Glied der Natur, in dem das Fürsichsein aufbricht, so daß es sich über sein Ansichsein frei erheben kann; der Grund für die Erzeugung und Abstammung des Menschen sind nicht Natur und Animalität, sondern Geist und Ichheit. Der Mensch
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wird nicht nach dem Gesetze der Naturkausalität gebildet, er bildet sich selbst nach dem Gesetze einer Kausalität aus Freiheit. „Der Mensch ist in seiner Wurzel Empirie, er ist aber empirisches Bild des Ich" (NW I, 362). Er bleibt ein empirisches Vorkommnis, das leibhaft als individuelles Einzelwesen in den Raum-, Zeit- und Bewegungsordnungen der Erfahrungswelt unter unendlich vielen anderen Dingen und Menschen mit vorkommt. Aber sein Vorkommen hat die Seinsverfassung eines Bildes. Der vordringliche Charakter von Bild ist ein Nichtsein. Bild ist nicht Sein, es ist Repräsentation eines an ihm selbst nicht Präsenten. So ist der Mensch ein Bild. Er hat sein Sein, seine Bestimmung und Würde nicht an ihm selbst, sondern in dem, was in ihm zur Vorstellung kommt. Der Mensch ist empirisches Bild des Ich. Und so greift die Frage nach dem Wesen des Menschen auf die Frage nach dem Wesen des Ich zurück. (Und weil die Frage nach dem Wesen des Ich die Grundfrage der Ontologie ist, ist die anthropologische Forschung ontologisch fundiert.) Der Mensch ist ichhaft. Seine Definition bleibt solange unzureichend, wie der Tiefe der Ichheit nicht Rechnung getragen wird. Es sind vor allem drei Bestimmungen des Ich, die in einer undurchschauten Vorläufigkeit stecken bleiben: Das Ich sei der sich auf sich verstehende Verstand, das Ich sei individuelle Person, das Ich sei Selbstbestimmung und Freiheit. Daraus folgen die bekannten Bestimmungen des Menschen: Der Mensch sei animal rationale, individuelle Selbstverwirklichung, Verkörperung der Freiheit (sei es der moralischen, der politischen oder der ästhetischen Freiheit). Solche Festlegungen der Humanität sind nicht falsch. Aber sie verfolgen das Bildsein des Menschen nicht so weit, daß sie die Abgründigkeit von Reflexion und Ichheit zu durchdringen vermöchten. Die gemeinste Erklärung hält das Ich oder die Intelligenz im Menschen für den berechnenden Verstand (ratio) und legt die Ratio als das Vermögen aus, sich auf die Mittel und Wege zu verstehen, durch die sich das Lebewesen Mensch im Andränge der Welt zu behaupten und seinen Naturtrieb, der auf Genuß drängt, durchzusetzen weiß. So findet sich der Mensch als das berechnendste Lebewesen unter das Tier zurückgestellt. „Der Mensch wird auf dieser Stufe ein verständiges Thier" (System d. Sittenlehre § 16; SW IV, 180). Das Ich als Verstand ist in den Dienst der Lebenserhaltung eingespannt, und der Mensch kommt so nur als Tier und Gattungswesen, aber nicht als Person und Individuum vor. Der Einsicht, daß der Mensch nur Mensch unter Menschen ist und
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daß er sein Ich erst im Mit- und Gegeneinander zu den Mitmenschen gewinnt, scheint die Ansicht Rechnung zu tragen: Die Bestimmung des Menschen sei, seine Individualität zu verwirklichen und seine Persönlichkeit zu entfalten. Nach Fichte bedeutet Individuum das vereinzelteinzigartige Selbstsein unter unendlich vielen anderen, Person das Ich im Verhältnis zum Du und alter ego. Und nach Fichtes Kritik an einem 'idealistischen Individualismus' ist der Gedanke der Selbstverwirklichung des individuellen und personalen Ich verstiegen. In Wahrheit ist es dem Menschen aufgegeben, „das kleine, enge Selbst der Person" (Bestimmung d. Menschen; SW II, 277) und die Individualität abzustreifen. Die Person und das empirische, individuelle Ich haben den Zweck in sich selbst, Mittel für die Realisierung der Vernunft, Instrument des Sittengesetzes zu sein. „Jeder wird gerade dadurch, dass seine ganze Individualität verschwindet und vernichtet wird, reine Darstellung des Sittengesetzes in der Welt" (System d. Sittenlehre §19; SW IV, 256). Erst wenn die ganze Personalität verschwunden und vernichtet ist, kann der Mensch werden, was er ist, empirisches Bild des Ich und der Freiheit; denn das Ich ist nicht monadisches Selbstbewußtsein und individuelle Substanz, es ist die unendliche Idee von Tathandlung und Selbstbestimmung. Also erschöpfen sich Sinn und Endzweck des Menschen darin, empirisches Bild und Darstellung der Freiheit in der Sinnenwelt zu sein? Durchgängig hatte das Zeitalter des Idealismus die Frage nach dem Menschen als die Frage nach dem Einheit gebenden Grunde seiner Zweiheit und Entzweitheit in Richtung auf Freiheit hin verfolgt. Der Mensch ist der Bürger zweier Welten, die Zweiheit von Person und Zustand, das „Glied zweier Ordnungen" (Best. d. Menschen; SW II, 288). Seine Einheit versprechende Bestimmung ist seine Selbstbestimmung, und das Ziel seines Daseins in der Welt ist die Verwirklichung von Freiheit im unendlichen Streben nach ihr. An diesem Maßstabe muß die überkommene Definition des Menschen als eines politischen Lebewesens gemessen werden. Der Mensch ist das politische Wesen. Seine spezifische Differenz besteht darin, Recht und Gerechtigkeit in einem Staate einrichten zu können. Indessen haben Fichtes Ableitungen von Recht und Staatlichkeit gezeigt: Politisches Wesen zu sein, macht nicht die höchste Bestimmung des Menschen aus. Unumgänglich verbindet sich nämlich die Freiheit im Rechtsstaate mit Zwang und Staatsgewalt, sofern eben Recht oder Legalität die Selbstbeschränkung der eigenen zugunsten der Freiheitssphäre des ande-
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ren auf der Basis der Gegenseitigkeit und unter Einberedmung von Zwang durch eine dem Staat vertraglich übertragene Gewalt bedeutet. Darum bedeutet Staat gar nicht das an und für sich Vernünftige und die selbstbewußte sittliche Substanz. Der Staat ist nicht die Wirklichkeit der sittlichen Idee, sondern deren zu übersteigende Vorstufe. Alles kommt darauf an, Wesen und Macht des Staates mittels der Einsicht zu begrenzen, daß seine einzige Legitimation in der Wahrung des Rechtszustandes ohne Übergriffe seiner Gewalt besteht. Niemals kann es die Bestimmung des Menschen sein, in einem staatlichen Organismus mit Leib und Seele aufzugehen. Das ist im Unterschied zum Staatssozialismus des 'Geschlossenen Handelsstaates3 oder gar zu den späteren Gedanken eines nationalen Macht- und Erziehungsstaates das Vernünftige und Interessante der in Fichtes Naturrecht entwickelten Idee des Rechtsstaates: Die durch Zwang und Gewalt belastete Institution des Staates hat sich selbst überflüssig zu machen; sie ist zum Verschwinden bestimmt zugunsten einer Gesellschaft, in der die Beziehung vernünftiger Wesen aufeinander die vollkommene Wechselwirkung einer von allen Zwängen erlösten Freiheit ist10. Liegt also das ursprüngliche Sein des Menschen darin, ein Wesen der Gemeinschaft und ein Glied im Reiche der Geister zu sein? Es ist in der Tat eine der originalen Leistungen Fichteschen Denkens, durch die Entdeckung der Aufforderung zur Selbsttätigkeit aus dem Prinzip der Freiheit das Gespenst des Solipsismus gebannt und die Monadizität des Ich gesprengt zu haben; denn niemals kann das Wesen von Ich und Mensch aus der Isoliertheit eines auf sich vereinzelten Selbstbewußt10
Über die umstrittene Zweideutigkeit des Begriffes vom Staat in Fichtes 'Naturrecht' (i. als bloßes Mittel zur Sicherung des Rechtszustandes, 2. als Selbstzweck und Ausdruck eines naturhaften Organismus) vgl. die Einleitung von M. Zahn in: 'J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts', Hamburg 1960. Zur 'Überwindung' der individualistischen durch eine organische Staatsauffassung vgl. den Überblick bei A. Messer, 'Fichte', S. 62—103. Leipzig 1920. Als prominentes Beispiel für eine Auffassung, welche in der Entwicklung zum nationalen Macht- und Erziehungsstaat und in der Verbindung von Staat und Volk im Geiste der Deutschheit den Gipfel der politischen Gedanken Fichtes gesehen hat, vgl. M. Wundt, 'Fichte', S. 149—211. Stuttgart 1927. Zum ungeschichtlichen Vorwurf, Fichtes politisches Denken sei die Konstruktion einer nationalistischen, totalitären Herrschaftsform, vgl. die Apologie von G. Funke, 'Fichte 1962', in: Miscellanea Moguntina, S. 100—133. Wiesbaden 1964. Darin wird die These nachgewiesen: Weltbürgertum und Nationalismus, durch den Freiheitsforderungen der Menschheit im konkreten Falle erfüllt werden sollten, schlössen einander nicht aus, sie fielen ineinander. Über den Stand der Forschung zu Fichtes politischer Philosophie unterrichtet vorzüglich B. Willms, 'Die totale Freiheit. Fichtes politische Philosophie', S. i—14. Köln/Opladen 1967.
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seins ergründet werden. Das Wesen des Ich scheint weder individuelle Monade noch absolut selbstbezüglicher Geist, sondern das einzelne Freiheitswesen in seinem Handeln für die 'Gemeinde5 zu sein. Und darin wächst ihm seine unverwechselbare individuelle Bestimmung zu. In seiner puren Vereinzelung gewinnt der empirische Mensch überhaupt keine Einzigartigkeit. Seine unersetzliche, unwiederholbare personale Individualität ist schlechthin moralisch. Und das Individuationsprinzip ist dasjenige Gebot, welches dem Einzelnen seine nur von ihm und von keinem anderen zu verrichtende Aufgabe für die Realisierung der Gemeinde der Iche zuspricht. So liegt die eigentümliche Bestimmung des Menschen in der Bestimmung für die Gesellschaft, in welcher jeder freie Geist für die Freiheit aller anderen verantwortlich einzutreten hat, geleitet von dem Telos, daß die Menschheit in der Welt und durch die Geschichte alle ihre Verhältnisse mit Freiheit nach der Vernunft einrichte. So wäre der Mensch der Repräsentant einer in der Welt um sich greifenden absoluten Freiheit, und er hätte seine Würde und Bestimmung im übersinnlichen Willen, der sich in ihm und durch ihn Bahn bricht? Aber so könnte das Ich, dessen empirisches Bild der Mensch ist, immer noch um seinen Ursprung verkürzt sein. Ichheit ist nicht einfach Sichsetzen und unbeschränkte Selbstbestimmung, das Ich ist ein Sichsetzen, das sich setzt als Bild des absoluten Seins. Was, so gedacht, durch das Medium der Freiheit und des Willens innerhalb des Menschengeschlechtes und der Geschichte zur Darstellung kommt, ist das Absolute. Daher lautet die unverkürzte Wesensbestimmung des Menschen: „Der Mensch ist in seiner Wurzel Empirie, er ist aber empirisches Bild des Ich, welches ist Bild der Erscheinung, welche ist Bild Gottes" (NW I, 362). Wird das Wesen des Ich radikal genug durchdacht, dann zeigt sich der Mensch als die Darstellung des ursprünglichen und göttlichen Lebens und seine Freiheit als das Gesetz, nach dem das göttliche Sein erscheint. Und es wird sich zeigen: Die Freiheit als Tat der selbstbewußten Selbstbestimmung ist nur Freiheit auf einem unvordenklichen Grunde, aus welchem der formalen Freiheit die ihr unumgängliche Einigung mit der Notwendigkeit zukommt. Die Freiheit des Menschen ist nichts als die Weise, in der sich der unfaßliche, ewige Grund der Freiheit offenbart. Darin hat der Mensch Dasein. Er hat seinen Sitz in der Sinnenwelt, aber er existiert nicht einfachhin wie Stein und Baum oder Stern, er ist da — er ist die Stätte, an der das Sein oder Gott offenbar wird. Ist mithin der Mensch empirisches Bild des Ich und die Ichheit die Bildform, in welcher der erscheinende Gott da ist, so ruht das Wesen des Menschen im Gottesbezug.
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„Der Mensch hat seinen Sitz nicht bloss in der Sinnenwelt, sondern die eigentliche Wurzel seines Daseyns ist, wie wir gesehen haben, in Gott" (Über d. Wesen d. Gelehrten, 2. Vorles.; SW VI, 370). Dem Menschen kommt Dasein zu, weil er das Da des Seins repräsentiert. Aber er stellt nicht nur das Sein der Welt dar, er weiß sich als dessen Darstellung. „Der Mensch kann es (das Sein) einsehen, d.h. die Darstellung kann zurückgehen in ihren Ursprung" (SW VI, 364). So erst wird das ausgezeichnete Dasein des Menschen zureichend artikuliert. Seine Auszeichnung ist es, Sein zu verstehen und, Sein verstehend, sich zu sich selbst und allem Seienden verhalten zu können. (In theologischer Relevanz formuliert: Menschlichen Wesens ist es, seinen Ursprung in Gott zu sehen und daraus zu leben.) Also wäre das Sein verstehende Welt- und Selbstverhalten des Menschen letztlich doch Ausdruck des sich unendlich reflektierenden Ich? Und die Wirklichkeit des endlichen Menschen würde im absoluten Geiste der Selbstreflexion verschwinden? Die Frage nach dem Dasein des Menschen fordert den Rückgriff auf die Auseinandersetzung von Reflexion und Sein. Allein dadurch kann deutlich werden: Bestimmt sich der Mensch durch eine sich unbeschränkt behauptende Reflexion, dann entfremdet er sich selbst. Das ist Fichtes These über das Verhältnis von Reflexion und menschlichem Dasein. Der Mensch als Austräger der unbegrenzt sich durchsetzenden Reflexion ist das sich selbst entfremdende Wesen. Das dem Menschen eigene Sein ist das Sichverhalten-Können zum absoluten Sein. „Seine Reflexion nur ist es, welche dieses sein eigenes, keineswegs ein fremdes Seyn ihm erst entfremdet" (Anweisung, i o. Vorl.; SW V, 543). Die Reflexion läßt das Sein selbst in seinem Eigenwesen nicht zu, sie bringt es in die Form einer fünffachen und unendlichen Gespaltenheit. Aller Reflexion bleibt das lebendige Sein fremd; durch diese Entfremdung entfremdet sich der Mensch seinem eigenen Wesen, Austrag des reinen Seins zu sein. Eben solche Selbst verdeckung des Menschen formuliert der populäre Vortrag der „Anweisung" so: „Das Auge des Menschen verdeckt ihm Gott und spaltet das reine Licht in farbige Strahlen" (Anweisung, 10. Vorl.; SW V, 543). Unverhülltes Dasein gewinnen der Mensch und das Sein erst, wenn sich die Reflexion durch- und zu Ende reflektiert und sich in ihrem Ende aufgibt. Das Sein gibt sich dem Menschen nicht in der Deutlichkeit unterscheidender Reflexion anheim, es öffnet sich ihm allein in der Unmittelbarkeit einer ursprünglichen Befindlichkeit. Nur in einer Zuständlichkeit absoluter Gelassenheit, die vom Verstande läßt, um das Unbegreif-
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liehe und Unsägliche da sein zu lassen, existiert der Mensch frei vom Zweifel und der Verzweiflung der Reflexion. Das Eingehen der Verbindung mit dem Sein und in eins das Untergehen der entzweienden Reflexion hat Fichte den Vorgang der absoluten Liebe genannt. Sie ist der Urgrund menschlicher Existenz und ungeteilten Daseins. „Diese Liebe (ist)... die tiefste Wurzel aller vernünftigen Existenz" (Grundzüge, 3. Vorl.; SW VII, 39).
TEIL!
Das Wesen des Ich Die Herausarbeitung der absoluten Reflexion (Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre 1794/95 §1-5; zit. nach Akad. Ausg. I, 2; 249-416)
. KAPITEL Tathandlung und Reflexion „Das Wesen des Idi besteht in seiner Thätigkeit" (§ 5; 405). Dieser Satz antwortet auf die Frage nadi dem, was in Wahrheit und an ihm selber seiend ist. Die Umkehr des neuzeitlidien Denkens hat soldies Fragen auf das Idi gelenkt. Seitdem riditet sich das Suchen nach dem, was denn das Sein des eigentlich und in Wahrheit Seienden sei, auf das Ich: Was ist die Ichheit oder das Wesen des Ich? Der vorläufige Bescheid in der ersten Grundlegung der Fichteschen Wissenschaftslehre besagt, das Wesen des Ich bestehe in seinem Tätigsein. Diese Richtung gebende Feststellung enthält eine Abwehr und eine Zukehr. Sie wehrt die Auskunft einer verkümmerten Tradition ab, die Wesenheit des Wesens sei bloßes Ansichsein und Insichberuhen und das Sein des Ich beruhe auf solchem Bestand. Gegen die dogmatische These, Sein bedeute Bestehen im Sinne des Insichstehens oder der Substanzialität, wendet sich der idealistische Satz: Sein im ersten und höchsten Sinne sei Tätigsein, und zwar jene Tätigkeit, die das Wesen des Ich oder der Intelligenz ausmacht. „Die Intelligenz ist dem Idealismus ein Thun, und absolut nichts weiter; nicht einmal ein Thätiges soll man sie nennen, weil durch diesen Ausdruck auf etwas bestehendes gedeutet wird, welchem die Thätigkeit beiwohne" (i. Einl., Art. 7; SW I, 440). Solch einleitende Versicherung entzieht der immer wieder, sei es kritisch oder unkritisch, vorgetragenen Fehldeutung des idealistischen Ansatzes den Boden, die sich an die zweideutige Cartesische Verdeutlichung des ego als einer substantia cogitans hält. Tiefer dringendes Denken hat das Ich niemals als ein an sich bestehendes Substrat und seine Tätigkeit, das Vorstellen, als ein beiwohnendes oder inhärierendes Attribut verstanden. Freilich verstößt solches Ich-Verständnis gegen Gewohnheiten der Grammatik, gegen die überlieferten Schemata der Logik und gegen die Metaphysik der Substanz. Darüber vermag ein Hinweis zu belehren, der sich mit Nietzsches Destruktion des Subjekt-Begriffes auseinandersetzt.
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Nietzsche erschüttert den Subjekt-Begriff des Cartesischen Idealismus. Sein Einwand lautet: Die Theorie der voraussetzungslosen IchGewißheit hat eine unbemerkte Voraussetzung, nämlich den Glauben an den Substanzbegriff. Der Grundsatz des Cartesianismus 'Es wird gedacht: folglich gibt es Denkendes' ist eine Formulierung unserer grammatischen Gewöhnung und ein logisch-metaphysisches Postulat. Das Fundament Descartes' baut auf den Glauben, der die Substanzialität für wahr und für das Wesen der Dinge hält. Nun verlangt unstreitig die grammatische Gewöhnung zum Prädikat (verbum, Tätigkeitswort) ein zuvor zu nennendes Subjekt (nomen, Nennwort), sonst kommt kein ganzer Satz zustande. So läßt uns unsere grammatische Gewohnheit in Rücksicht auf die ausgesagte Tätigkeit des Denkens fragen: Wer oder was denkt? Und die Grammatik ist auf dem Boden einer von der Metaphysik noch unzertrennten Logik gewachsen. Ihre (aristotelische) Grundlage besteht in der Ansicht: Das im Prädikat ( ) Ausgesagte ist das Sein, welches ein zuvor- und zugrundeliegendes Seiendes, das Subjekt ( v), in dem offenbar macht, was und wie es ist. Diese ontologische Basis stützt die Forderung, das Denken (cogitare) als ein Akzidens oder Attribut der Substanz zu beurteilen. Soweit trifft Nietzsches Kritik zu. Sie zersetzt einen abgeflachten Cartesischen Idealismus. Aber sie stößt im Angriff gegen einen tiefer angelegten Subjekt-Begriff ins Leere. Schon die erste Kennzeichnung des Ich-Wesens durch die Wissenschaftslehre löst dessen Sein von einem versteckten Substanz-Begriff (und wendet sich von der Substanz-Logik und der darauf bauenden grammatischen Gewöhnung ab). Wie es in Wahrheit mit dem Rangverhältnis von Substanzialität und einer durch Tätigsein geprägten Subjektivität steht, läßt sich zureichend freilich erst der systematischen Sicherstellung und Entwicklung des Ich-Subjekts entnehmen. Die i. Einleitung in die Wissenschaftslehre stellt programmatisch die Intelligenz im Sinne eines leidenslosen, durch nichts beschränkten Tätigseins als das Erste und Höchste auf. „Es kommt... ihr auch kein eigentliches Seyn und Bestehen zu, weil dies das Resultat einer Wechselwirkung ist, und nichts da ist, noch angenommen wird, womit die Intelligenz in Wechselwirkung gesetzt werden könnte" (SW I, 440). Darin liegt die Zurechtweisung: Substanzsein und Bestehen sind nicht Ursprung, sondern Resultat. Substanzialität ist eine Art Wechselwirkung (Relation) und aus dem Verhältnis des absoluten zu dem durch das Nicht-Ich eingeschränkten Ich zu begreifen. Somit trifft diese Kategorie nicht das
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erste und absolute Sein des Ich, sie wird sich umgekehrt allein aus diesem herleiten lassen. In dieser These — freilich nicht in der Begründung und in den Konsequenzen — stimmt die Wissenschaftslehre mit Nietzsches Einsicht überein, der Substanz-Begriff sei eine Folge des SubjektBegriffes und nicht umgekehrt. Jedenfalls verabschiedet die erste Abgrenzung des Ich als Nicht-Tätiges endgültig den Anspruch der dogmatischen Überlieferung, die Substanzialität im Sinne von Ansichsein und Bestehen präge die erste und ursprüngliche Bedeutung von Sein. Sie wendet sich von einem Vorverständnis ab, welches das Subjekt als etwas Vorhandenes und Subjektivität im Sinne einer dinghaft verstandenen Vorhandenheit unterstellt. Das Ich ist nicht etwas Vorfindliches, das unter anderen vorkommt, sein (verbales) Wesen ist ursprunghafte Tätigkeit. Dieser Bescheid durchbricht den Auslegungshorizont einer Ontologie des Substanzialen, der die Seinsfrage einzukreisen droht, indem er die Möglichkeit verschließt, das Wesen des Ich sachgemäß zu erfassen. Das Wesen des Ich ist kein Tätiges, sondern reines Tätigsein. Mit diesem Bescheide wendet sich das Denken der Aufgabe zu, eine solche Tätigkeit aufzusuchen, in der die Ichheit evident wird. Es schickt sich an, endgültig das Wesen des Selbstbewußtseins zu entsubstanzialisieren, indem es die Dinghaftigkeit der 'Ich-Substanz' in die Bewegung einer Selbstvermittlung auflöst. Fichte gebraucht den Terminus Tätigkeit synonym mit Handeln und Setzen. Handeln meint dabei nicht menschlichwillenhaftes Tun oder technische Handhabung und schon gar nicht die merkantile Tätigkeit gewinnbringenden Warenumsatzes. Handeln bedeutet Am-Werke-Sein des Vorstellens. Diesen Sinn hat auch das Wort Setzen. Setzen heißt, etwas als seiend vorstellen. Nun gilt es, ein Handeln des Bewußtseins zu finden, das der Grund des Ich selber ist. Solch grundlegende Tätigkeit findet sich in demjenigen Setzen, durch welches das Ich sich selber setzt. „Das Setzen des Ich durch sich selbst ist die reine Thätigkeit desselben" (§ i; 259). Die erste und reine, durch kein Leiden getrübte Geistestätigkeit, die das Ich konstituiert, nennt Fichte bekanntlich Tathandlung. „Ich bin, Ausdruck einer Thathandlung" (§ i; 259). Dieser Titel spricht den Akt aus, welcher das Ich anfänglich bedingt und wesenhaft ermöglicht. Tathandlung ist der sprechende Name für die ursprünglich-synthetische Einheit des Selbstbewußtseins. Die darin getroffene Handlung des Subjekts gerät in seinem Produkte, der Tat, nicht außer sich, sondern kehrt in sich zurück. In einem Vorstellen, das sich selbst zum Vorgestellten nimmt, sind Handlung und Tat, Pro-
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duzierendes und Produkt, Anfang und Ende, Subjekt und Objekt dasselbe. Die Ausgabe C der 'Grundlage' fügt der Aufstellung einer Tathandlung die Anmerkung hinzu: „Das alles heißt nun mit ändern Worten, mit denen ich es seitdem ausgedruckt habe: Ich ist nothwendig Identität des Subjekts und des Objekts: Subjekt-Objekt: und dies ist es schlechthin ohne weitere Vermittlung" (§ i; 261). Mit diesem Ausdruck kündigt sich die Tathandlung als Prinzip von Einheit und Wahrheit an. Das Einheitsproblem wird im kritischen Denken unter dem Begriff einer Synthesis ausgetragen. Synthesis meint dabei die vermittelte Zusammennähme von Entgegengesetztem, nämlich von Vorstellung (Subjekt) und Sein (Objekt). Deren transzendentale Untersuchung sucht nach den Bedingungen, die notwendig sind, um solche Einigung zu ermöglichen. Sie findet: Die reine Einigung von Subjekt und Objekt ist letztlich nur möglich, wenn beide in einem Punkte unmittelbar zusammenfallen. Die Identität des Subjekts und des Objekts ohne weitere Vermittlung als oberste Bedingung für synthetische Einigung ist die Tathandlung. Sie bildet eben darum auch den Grund für die Erkenntniswahrheit im Sinne der Richtigkeit. Wird diese nämlich für die Übereinstimmung von Intellekt und Sache (res) erklärt und wird intellectus als Subjekt unseres Erkennens und res als Objekt interpretiert, dann verlangt solche Übereinstimmung einen Wahrheitsgrund, in dem Subjekt und Objekt unvermittelt zusammenstimmen. Die Tathandlung also bildet die einigende Einheit und den Wahrheitsgrund, und zwar im Ausmaße der Vernunft und nicht bloß in der individuellen Form der Selbstgewißheit. Das Ich als Ausdruck der Tathandlung existiert nicht als das wirkliche Selbstbewußtsein. Es wird nicht durch die Kategorie der Einzelheit und Individualität, sondern durch die der Allrealität geprägt; denn die reine Vernunfttätigkeit der Tathandlung ist absolut und unendlich. Sie offenbart im anderen immer nur sich selbst und ist aller Beschränkung durch ein anderes überhoben. Tathandlung ist unendliche, d. i. leidenslose Tätigkeit. So hat die i. Einleitung das anfängliche Handeln der Intelligenz vom Standpunkte des Idealismus aus charakterisiert: „Diese ist ihm nur thätig und absolut, nicht leidend; das letzte nicht, weil sie seinem Postulate zufolge erstes und höchstes ist, dem nichts vorhergeht, aus welchem ein Leiden desselben sich erklären Hesse" (SW I, 440). Leiden, das einer Tätigkeit widerfährt, kann nur deren Hemmung sein. Fichte wird auf dem Boden transzendentaler Kategorialanalyse das Leiden als gehemmte Tätigkeit des Ich aufklären. Der Einschlag des
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Leidens in das Tun der Vernunft aber hat doch ein dem tätigen Ich wider- und entgegenstehendes Anderes, das nicht Ich ist, zur Voraussetzung. Tathandlung dagegen benennt die voraussetzungslose Grundvoraussetzung und den Selbstanfang des Ich. Sie kann darum kein Anderes, kein hemmendes und das Selbst entfremdendes Fremdes vor und über sich haben. In der Tathandlung west das Ich nur im unendlichen Selbstbezug. Es ist 'absolutes Subjekt', d. h. losgelöst von jeder Relation auf anderes. Reine Tätigkeit ist nicht von Leiden, Hemmung und Schranke betroffen. Und daraus folgt schlagend: Das leidenslose Ich hat den Standpunkt des individuellen Selbstbewußtseins unter sich; denn zur Selbstgewißheit auf der Stufe des individuellen Ich gehört ein reich entwickelter Wechselbezug von Tun und Leiden. Letztlich gründet das individuelle Ich und das Sein der Person in der Relation zu einem anderen, das die Struktur des Nicht-Ich-Ich hat. Das ego kommt zu persönlichem Selbstbewußtsein in der Aufforderung durch ein alter ego. Der Wechselbezug, der konstitutiv zum Sein der Person gehört, ist in Fichtes Lehre von der Aufforderung analysiert worden. Hier sind nur Resultate beizubringen11. Ich finde zu mir als einem individuellen Freiheitswesen erst im Ereignis der Aufforderung durch vernünftige Wesen außer mir. Daher führt der Weg der Fremderfahrung gar nicht vom ego durch analogisierende Appräsentation zum alter ego, er verläuft grundsätzlich in umgekehrter Richtung. Durch den anderen und seine praktische Aufforderung komme ich zu mir selbst. Die Aufforderung unterscheidet sich sowohl von Zwang wie von Nötigung. Der Terminus benennt die Art, in der ein sich selbst bestimmendes Vernunftwesen als solches zu freier Wirksamkeit durch andere bestimmt werden kann. Die Aufforderung bildet das einzige Kriterium für die gewisse Existenz von Ichen außer mir, indem sie bezeugt, daß ich von anderen freien Wesen als freies Wesen herausgefordert und anerkannt werde. Und die Anerkennung ist ein Wechselbezug. Nur unter der Be11
Aufbauend auf den Feststellungen von H. Heimsoeth, 'Fichte', S. 133 ff. München I9Z3 und W. Weischedel, 'Der Aufbruch der Freiheit zur Gemeinschaft', § 34—36. Leipzig 1939 findet sich eine, durchdringende Interpretation des Phänomens der Aufforderung, welche den Bedingungen nachgeht, die ihr zugrunde liegen, bei J. Schurr, 'Gewißheit und Erziehung', S. 89—99. Ratingen 1965. Zur geschichtsphilosophischen Bedeutung der Aufforderungslehre vgl. K. Kammacher, 'Die ethische Teleologie in Fichtes System als Grundlage seiner Geschiditsphilosophie'. Aachen 1958. Eine durchschlagende Auseinandersetzung der Fichteschen Einsichten in den Grund von Fremderfahrung und InterSubjektivität mit der heute weithin herrschenden Theorie, wie sie im Gange von Husserls fünfter Cartesianischer Meditation angelegt wurde, steht immer noch aus.
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dingung, daß ich selbst als freies Wesen anerkannt werde, erkenne ich anerkennend den anderen als anderes Ich. Sinn und Bedeutung des Verhältnisses der Anerkennung etwa für das Problem der Fremderfahrung und Intersubjektivität oder für die Dialektik von 'Herr und Knecht' können hier nicht ausgezogen werden. Worauf es im Zusammenhang einer anfänglichen Abhebung von absolutem und individuellem Ich ankommt, ist das Resultat. Das Ich des Selbstbewußtseins in der Gestalt der Einzelheit und Individualität gewinnt seine Selbständigkeit in wechselseitiger Anerkennung gegenüber dem fremden Ich, das Ich der Vernunft setzt sich schlechthin selbst. Es besitzt das Ausmaß des Absoluten und die Gewißheit der Vernunft, in der totalen Einheit von Subjektivem und Objektivem alle Realität zu sein12. Diese Vernunfteinheit des Ich ist die Tat und das Ereignis absoluter Freiheit. „Das Ich sezt ursprünglich schlechthin sein eigenes Seyn" (§ i; 261). Zwar ist in diesem Satze und seiner Entdeckung nicht ausdrücklich von Freiheit die Rede. Aber das in ihm angelegte Freiheitswesen ist auch wenig geläufig. Es übertrifft die gewöhnlich diskutierten Weisen der Freiheit, die moralische und kosmologische, an Ursprünglichkeit und Weite. Die moralische Freiheit ist die Selbstbestimmung bloß im Felde moralisch-praktischen Handelns und bleibt auf den menschlichen Willen eingeschränkt. Kosmologische Freiheit ist Selbstanfang im Hinblick auf Wirkungen in einer kausal geregelten Weltordnung. Als deren verborgene, gemeinsame Wurzel kündigt sich eine Freiheitstat an, die denjenigen Selbstanfang bildet, in dem sich das Ich überhaupt zu seinem Sein bestimmt. Das Ich liegt nicht wie ein Ding vor und ist nicht gänzlich zu anderem bestimmt wie eine Sache. Das reine Ich ist, indem es sich selbst als Ich 'aus dem Nichts' hervorbringt. Die Freiheit, von sich her für sich zu werden, ist sein Anfang und sein Ende. Und weil dieser Anfang 12
Vorgreifend ist freilich anzumerken: Das Ich als Grundlage der kritischen Vernunft ist weder das absolut göttliche noch das individuell menschliche Ich. Es hat die Verfassung der Einheit einer Reflexion, welche das wirkliche und objektgebundene Ich mit der unendlichen Idee eines absoluten Ich zusammenhält und so das unendliche Streben endlicher Freiheit ermöglicht. In solcher 'Grundlage' ist die Interpersonalität mitangelegt. Darum ist der verbreitete Vorwurf eines 'philosophischen Egoismus' bodenlos. Zur begrenzt-unbegrenzten Einheit unseres Selbstbewußtseins gehört als Bedingung ihrer wirklichen Freiheit und Menschlichkeit die freilassende, wechselseitige Begrenzung von ego und alter ego hinzu. So hat R. Lauth auch nachweisen können, daß die Fichtesche Konzeption der Interpersonalität ebenso alt ist wie der Gesichtspunkt der W.-L. überhaupt und nicht erst um 1801 als Synthesis der Geisterwelt entworfen wurde. Vgl. 'Le probleme de l'interpersonalit£ diez J. G. Fichte', Archives de Philosophie 25, S. 325—44. 1962.
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sich sowohl in der Spontaneität der theoretischen wie in der Selbstbestimmung der praktischen Vernunft entfaltend durchhält, durchragt die Freiheit alle Gebiete im System der Vernunft. Solche Proklamation des Ich als freie Tathandlung und absolutes Subjekt scheint die Schranken des Bewußtseins überwunden und allen Gegensatz und Unterschied, das Element des Verstandes, in Vernunft aufgelöst zu haben. Nimmt mithin die Philosophie des Ich das Absolute und die schrankenlose Vernunft zur Grundlage? Anders gefragt: Ist der Boden der Transzendentalanalyse theologisch? Unleugbar kommen doch dem Ich der Tathandlung Attribute wie Unendlichsein oder Allrealität zu, die den Gott der Philosophen verdeutlichen. Wenn aber andererseits die Grenzlinie der Endlichkeit nicht überschritten und ein verläßlicher Grund innerhalb der Grenzen kritischer Vernunft gelegt sein soll, wie wären dann Unendlichkeit und Absolutheit des Ich zu verstehen? Das ist am Anfang schwer ersichtlich. Um die Seinsart und das Vermögen der Tathandlung festzustellen, dazu ist es nötig, den langen Weg der Ich-Analyse bis zu Ende zu durchlaufen. Das, was es mit dem Anfange auf sich hat, kommt erst am Ende heraus, sofern das Ende, dem Systemanspruch solcher Grundlage gemäß, als Vollendung des Anfangs ausgetragen und verstanden sein muß. Dennoch ist in Richtung gebender Vorläufigkeit eine ontologische Abgrenzung der Tathandlung vorzunehmen. Tathandlung ist nicht die Wirklichkeit des Unendlichen. Aber transponiert denn nicht ihre Aufstellung die überkommene Lehre von der Energeia des göttlichen Nous (von der Wirklichkeit eines durch kein Nichtsein beschränkten Vernehmens, das nur das Würdigste, sich selbst, vernimmt) in die Begrifflichkeit der Subjektivität? Dagegen stemmt sich die Einrede des Kritizismus, das Selbstbewußtsein Gottes bleibe für alle Vernunft unbegreiflich. Der Begriff und alles Begreifen, wie hoch sie sich auch über ihre empirische Fassung und ein bloß formal-logisches Abstrahieren und Reflektieren erheben mögen, behalten, um deutlich zu sein, den Unterschied in sich. Begriff und Bewußtsein löschen im unterschiedslosen All-Einen aus. Die im Elemente von Unterschied und bestimmender Schranke lebende Vernunft kann die Wirklichkeit unendlichen Selbstbewußtseins nicht fassen. Daher hat Fichte das Selbstbewußtsein Gottes für das Unerklärbare erklärt. Aller Rück- und Selbstbezug des Selbstbewußtseins währt in und aus dem Unterschied von Reflektierendem und Reflektiertem. „Da aber in Gott das reflektirte Alles in Einem, und Eins in Allem, und das reflektirende gleichfalls Alles in Einem, und Eins in Allem seyn würde, so würde in und durch Gott re-
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flektirtes, und reflektirendes, das Bewußtseyn selbst, und der Gegenstand desselben, sich nicht unterscheiden lassen, und das Selbstbewußtseyn Gottes wäre demnach nicht erklärt, wie es denn auch für alle endliche Vernunft, d. i. für alle Vernunft, die an das Gesetz der Bestimmung desjenigen, worüber reflektirt wird, gebunden ist, ewig unerklärbar, und unbegreiflich bleiben wird" (§ 5; 407). Um Gott zu vernehmen, steht der Vernunft ihre Endlichkeit im Wege. Endliche Vernunft ist Reflexion auf das Wesen des selbstbewußten Geistes im Modus der Gebundenheit. Sie bleibt daran gebunden, auf ein solches Ich-Wesen zu reflektieren, das bestimmt, d.h. durch Gesetze seines Handelns eingeschränkt ist. Einem durch nichts bestimmten Geist vermag die endliche Vernunft nichts Bestimmtes zu entnehmen. Der Versuch, aus der Unbestimmtheit des Geistes die Bestimmtheit der Selbst- und Weltvorstellung zu folgern, ist nach Fichte transzendenter Idealismus. Darum weitet sich dem endlichen Begreifen der Begriff niemals zum Göttlichen aus. Gott ist nicht Begriff, sondern das Unbegreifliche. Diese These bildet den Scheidesatz für die Fassung des transzendentalen Prinzips, auch und gerade für das spätere Grundverhältnis von absolutem Wissen und Absolutem. Für den Seinssinn der Tathandlung ergibt sich: Sie bildet die Absolutheit des Ich als des endlichen Selbstbewußtseins, nicht das Selbstbewußtsein des Absoluten. Ihre unendliche Wirksamkeit ist nicht die Wirklichkeit des Unendlichen". Ebensowenig aber bedeutet Tathandlung die Wirklichkeit des Endlichen. Ihre Möglichkeit widerspricht dem Ich in seinem Dasein. So wie sich das Ich in Wirklichkeit findet, ist es beschränkte Tätigkeit. Die Endlichkeit des Selbstbewußtseins wird darin befunden, daß es sich von dem unterscheidet, was es nicht ist. Selbstbewußtsein braucht zum Dasein den vollzogenen Unterschied zum Gegenstande. Es kommt durch die Tat, sich vom bestimmenden Anderen loszureißen, wirklich zu sich. So existiert das Ich im Wechsel von Tun und Leiden. Tätigkeit, beschränkt durch Leiden, das ist der generelle Charakter von Wirklichkeit. Wäre also die unendliche, leidenslose Wirksamkeit des Ich unwirklich? Die anfängliche Wesensbestimmung des Ich scheint ausweglos. Sie 1S
Über den Satz, das absolute Ich sei mit Gott identisch, und gegen die These R. Kroners, die drei ersten Grundsätze wiederholten die alte metaphysische Dreigliederung Gott, Ich und Welt, vgl. W. Wundt 'Das absolute Ich', in: Fichte-Forschungen, 8.265—281. Stuttgart 1929. Wundt hat richtig geurteilt: Um vom Selbstbewußtsein zu einem Gottesbegriff zu kommen, bedarf es des besonderen Aktes einer Projektion (eines Aussichheraussetzens) in ein absolutes Bewußtsein, welches im Ich selbst nicht gefunden wird.
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stiftet weder die wirkliche Geistesverfassung des göttlich Unendlichen noch die des seiner selbst bewußten Endlichen. Was aber ist dieses Setzen dann, wenn es nicht ein zum Irrtum verleitender Schein, sondern die Wahrheit über das Wesen sein soll? Zwar kommt die Wahrheit der Tathandlung erst in ihrer Bewährung am Ende der Grundlegung zum Vorschein, aber Fichte gibt schon am Anfang einen Wink, der auf das aufmerksam machen soll, was sich erst am Ende herausstellen kann. Er liegt in einem Hinweis auf den Irrtum Spinozas. Spinozas Denken erliege dem Schein der unbedingten, leidenslosen Tätigkeit. Sein Versehen sei, „dass er etwas wirklich gegebnes aufzustellen glaubte, da er doch bloss ein vorgestektes, aber nie zu erreichendes Ideal aufstellte" (§ i; 263). Die stete Auseinandersetzung mit Spinoza begleitet die sich vertiefende Grundlegung des Transzendentalismus. Die frühe Grundlegung von 1794/95 erkennt die Größe des Spinozismus im Streben nach einer höchsten, alles in sich befassenden und aus sich heraussondernden Einheit an. Diese ist im 'reinen Bewußtsein' oder in Gott angelegt, der im Lichte Fichtescher Kritik „seiner sich nie bewußt wird, da das reine Bewußtseyn nie zum Bewußtseyn gelangt" (§i; 263). Und das reine Bewußtsein wird als die freie Notwendigkeit des Sichselbersetzens definiert, das sich in unendlicher Wirksamkeit selbst erwirkt. Die Voraussetzung eines absoluten Sichselbersetzens besteht zurecht. Ihr Fehler ist, es als wirklich Gegebenes zu unterstellen. Die Tathandlung ist weder wirklich noch unwirklich, sie ist unbedingt seiend und zuhöchst wirksam als Gesolltes. Spinoza versieht sich an der Unbedingtheit des Sollens. „Seine höchste Einheit werden wir in der Wissenschaftslehre wiederfinden; aber nicht als etwas, das ist, sondern als etwas, das durch uns hervorgebracht werden soll, aber nicht kann" (§ i; 264). Die unendliche, den Gegensatz von Subjekt und Objekt, Ich und Nicht-Ich, Theorie und Praxis aufhebende Einheit ist in der Wissenschaftslehre nicht als Gegebenes, sondern als Aufgegebenes thematisch. Das Unbedingte ist im Bewußtsein als die unbedingte Forderung wirklich, alle Realität zu sein. Zwar kann die unterschiedslose Einheit im Selbstbewußtsein niemals wirklich werden, weil das Bewußtsein im unbestimmt Unterschiedslosen vergeht, aber sie ist als das unbedingt zu Verwirklichende wirksam. Der Forderung des absoluten Sollens entspricht das Bewußtsein im Streben. Streben ist der Fichtesche Name für den Grundzug der praktischen Vernunft. Es nennt den Drang des Geistes, das Anderssein der Natur sich anzugleichen, indem er in der Sphäre der geistlosen Natur die Verfassung des Geistes einrichtet. Das Streben ist darauf aus, die Ungleichheit
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von Ich und Nicht-Ich an die absolute Gleichung Ich = Ich anzugleichen. Das strebende Ich ist Wille und praktische Vernunft, weil das Erstrebte als ein zu Verwirklichendes vorgestellt wird. Und das Wollen ist freier Wille, weil sich in ihm das Ich aufgrund eines unbedingten Sollens selbst bestimmt. So zeigt sich das Absolute als das in der Arbeit des Vernunftstrebens Erstrebte. Das Göttliche ist seiend als das im freien Willen unbedingt Gesollte. Nun ist solche Richtigstellung kein behaupteter Einfall, sondern ein Resultat methodischer Arbeit. Das Streben muß sich als diejenige Bedingung für die Einheit des Selbstbewußtseins deduzieren lassen, welche das absolute Ich-Wesen und die Allrealität mit der beschränkten, objektbezogenen Wirklichkeit des theoretischen Ich vermittelt. Und eine genaue Ableitung wird zeigen: Nur als unendliches Streben bezieht sich die reine Tätigkeit des unendlichen Ich grundgebend auf die objektive Tätigkeit der endlichen Intelligenz; nur im freien Willen löst sich die Spannung zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit, zwischen unbeschränkter Selbstvorstellung und beschränkter Weltvorstellung, welche das endlich-menschliche Ich zu zerreißen droht; und der Forderung, welche an das Streben ergeht, liegt das absolute Ich als Idee zugrunde. Die Seinsart der Tathandlung kündigt sich also als Idee und Ideal an. Idee bedeutet dabei den Begriff der Vernunft selbst, nämlich die freie und vernunfthafte Allrealität im Sinne einer unbedingten und unerreichbaren Forderung. Und der Titel Ideal benennt die im Streben objektivierte Welt im Unterschied zur wirklichen Welt der Erfahrung, sofern und soweit in ihr diese Forderung verwirklicht ist. Was so in vorläufiger Vorzeichnung angegeben ist, erschließt sich erst am Ende einer alles aufund zusammenschließenden Kritik der praktischen Vernunft. „Hier erst wird der Sinn des Satzes: das Ich setzt sich selbst schlechtbin, völlig klar. Es ist in demselben gar nicht die Rede von dem im wirklichen Bewußtseyn gegebnen Ich; denn dieses ist nie schlechthin, sondern sein Zustand ist immer, entweder unmittelbar oder mittelbar durch etwas ausser dem Ich begründet; sondern von einer Idee des Ich, die seiner praktischen unendlichen Forderung nothwendig zu Grunde gelegt werden muß, die aber für unser Bewußtseyn unerreichbar ist" (§ j; 409). Soweit im Systemzusammenhang der Primat der praktischen Vernunft vordringlich ist und das Streben als das alles Vermittelnde und das absolute Sein als Sollen eingesetzt wird, soweit ist die Etikettierung solcher Grundlegung als spekulativ-ethischer Idealismus berechtigt. Aber die These vom Sein als Sollen und die Aufdeckung von Streben und
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"Wollen in ihrem Vermittlungssinn schließen die Grundlegung des Transzendentalismus noch nicht ab. Die praktische Vernunft ist ja selbst nur ein Teil des Vernunftganzen und ein Relat der Bewußtseinsrelation und daher selbst aus dem Grunde der Vernunft abzuleiten. Eine tiefer angelegte Aufgabe sucht die einheitliche Wurzel von absolutem, theoretischem und praktischem Ich. Steht es so, dann ist in allen bisherigen Auskünften diejenige Tätigkeit, welche die Ichheit des Ich selber ist, noch nicht aufgedeckt worden. Sie wird in allen Beschreibungen unterschlagen, welche den durch Fichte vollendeten Idealismus auf den Standpunkt des ethischen Idealismus reduzieren und dem Widerspruch der zugehörigen Logik eines vollendeten System-Ganzen aussetzen14. Am entschiedensten, weil auf dem Boden des eigenen Systems, hat Hegel solche polemische Auseinandersetzung innerhalb der „Phänomenologie des Geistes" vorgetragen. Danach habe der Idealismus in seinem Grundsatze Ich = Ich die Stufe der Vernunft und der absoluten Einheit erreicht, aber er sei dem Widerspruch erlegen, die Gewißheit, alle Realität zu sein, in sich zu haben und doch niemals alle Realität sein zu können. Daher flüchte der Idealismus zum Satz: Die Vernunft soll alle Realität sein. Diese Ausflucht nehme die Inkonsequenz auf sich, die Vernunft, die doch im Grundsatze der Allrealität zum Absoluten gekommen ist und zu sich selbst gefunden hat, doch wieder als ein suchendes Streben auszulegen: „Diese bleibt ein unruhiges Suchen, welche in dem Suchen selbst die Befriedigung des Findens für schlechthin unmöglich erklärt" (ed. Hoffmeister, S. 182). Indessen baut die transzendentale Grundlegung gar nicht auf das alles vermittelnde Vernunftstreben, sie leitet dieses vielmehr selbst aus dem innersten Wesen des Ich ab und hat darin einen Leitfaden, der zur Wurzel führt, aus welcher alle Einheit und Sonderung von Bewußtsein und Sein einheitlich entspringt. Dieser wahre Vereinigungspunkt ist schwer zugänglich. Aber er muß von Anfang an vor der komplizierten Schrittfolge des Ableitungsganges fest in den Blick gefaßt werden. Der Ich-Grund liegt in der Vertiefung des Grundsatzes von der Tathandlung zum Gesetze der absoluten Reflexion. „Durch 14
Diese Ansidit ist in dem für die Philosophiehistorie weitgehend maßgebenden Werk von R. Kroner niedergelegt worden. „Der Widerspruch zwischen der spekulativ-logischen Forderung, die im System liegt, sofern es ein Ganzes, sich in sich Vollendendes sein will, und dem spekulativ-ethischen Systemprinzip, das seinerseits die Unerfüllbarkeit dieser Forderung fordert, macht das innerste Wesen des Fichteschen Systems aus" ('Von Kant bis Hegel' I, 395. Tübingen 1921.) Die Konstruktion dieses Widerspruchs beruht auf einer Verkürzung der Fichteschen Analyse. Sie ist von Hegel selbst inauguriert worden.
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dasselbe erhalten wir erst den wahren Vereinigungspunkt zwisdien dem absoluten, praktischen und intelligenten Ich" (§5; 405). Er wird auf dem Wege einer direkten Herleitung des Strebens gefunden. Der Weg einer direkten Ableitung führt in das Innerste des Ich. Er kann hier nur in einigen richtunggebenden Punkten vorgezeichnet werden. Solche Vorzeichnung dient der Absicht, von Anfang an die Idee der Tathandlung mit dem Begriff der absoluten Reflexion zu verknüpfen; denn die Auswicklung des anfänglichen Grundsatzes der Tathandlung (das Ich setzt sich selbst) in den Schlußsatz der absoluten Reflexion (das Ich setzt sich als sich setzend) ist der Prozeß in der 'Grundlage' von 1794/9 S15· Streben ist ein Herausgehen. Das unendliche Streben geht über das 15
Nun hat D. Henridis wichtige Untersuchung 'Fichtes ursprüngliche Einsicht'. Frankfurt a. M. 1967 gezeigt: Fichtes ursprüngliche Einsicht besteht darin, den Zirkel in der Theorie vom Ich als Reflexion zu durchschauen. Reflektieren meint danach die Tätigkeit des Vorstellens, die, ursprünglich auf Gegenstände bezogen, sich in sich selbst zurückwendet und so den einzigen Fall einer Identität von Tätigkeit und Getätigtem bewerkstelligt. Jede Theorie, welche diese Reflexion für das Wesen und den Ursprung des Ich (und nicht für ein abgeleitetes Phänomen) erklärt, verfällt einem Zirkel. Ist nämlich das Ich das Subjekt, das sich selbst erkennt, indem es sich in sich selbst zurückwendet, so ergreift sich ein bereits vorhandenes Wesen. Die Reflexion erklärt nur die Deutlichkeit, nicht den Ursprung des Selbstbewußtseins. Und ist das Subjekt ein Ich, indem es weiß, daß sein Objekt mit ihm identisch ist, so kann das Selbstbewußtsein nur von sich wissen, daß es sich selbst ergriffen hat, wenn es zuvor schon von sich weiß. Aus dieser Einsicht zieht Fichte die Konsequenz: Das Ich darf nicht aus dem Vollzug der faktischen Reflexion, die Möglichkeit der Reflexion muß aus dem ursprünglichen Wesen des Ich verstanden werden. Die Stadien in der Entwicklung der W.-L. sind ebensoviele, einander korrigierende und dementierende Versuche, das neugestellte Problem des Bewußtseins zu lösen. Dabei baut die 'Grundlage' von 1794 auf der Ich-Formel 'Das Ich setzt schlechthin sich selbst'. Sie bildet sich im Gegensatz gegen die Reflexionstheorie aus, ohne zu verhindern, daß sich deren Mängel in sie einschleichen. Die frühe Grundlegung wird daher durch die neue Ich-Formel aus dem Jahre 1797 überholt: 'Das Ich setzt sich schlechthin als sich setzend'. Dagegen soll hier gezeigt werden: Der Erste unbedingte Grundsatz eröffnet nur das Sein des Ich, nicht das Grund-gebende Sichwissen darin. Die Gründung der Ichheit und die Herausstellung der vollen Ich-Formel, das ist der Gang der 'Grundlage' von 1794, der mit der Einsicht endet: Anfangsgrund ist das Ich, das sich schlechthin setzt als sich setzend. Und die Überlegungen, welche nach Henrich zur Entsetzung der Reflexionstheorie und zur Überholung des Ersten Grundsatzes geführt haben sollen, finden sich im Zusammenschluß der 'Grundlage' selbst. Was hier geschieht, ist die Explikation der faktischen oder reellen Reflexion der Tathandlung zur absoluten. Die faktische Aktuosität einer rückbezüglichen Kraft wird als die st'cfc wissende, ursprüngliche Einheit von Identität und Differenz, von Subjekt und Objekt, von unendlichem (übersinnlichem) und endlichem (sinnlichem) Sein ausgelegt. Und darin bewährt sich das Ich und die absolute Reflexion als der Grund allen Bewußtseins.
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begrenzte Objekt der wirklichen Welt hinaus, indem es dessen Grenze ins Unendliche hinausschiebt. Diese Tätigkeit der praktischen Vernunft ist. Soll sie aus dem Wesen der Vernunft überhaupt erklärt werden können, so muß sich im Ich-Wesen selbst ein ursprüngliches Herausgehen aus sich zu einem Fremden finden lassen. Nun kann eine Kritik der reinen Vernunft darüber belehren: Die wirkliche Selbstentfremdung und das tatsächliche Herausgehen aus sich schuldet das Ich zwar dem Nicht-Ich im Sinne des Anstoßes, aber dennoch ist im Ich die wesenhafte Möglichkeit angelegt, sich von einem Fremden betreifen zu lassen. Das Ich hält sich von sich her für eine Bestimmung durch ein von ihm Verschiedenes offen, weil es etwas Fremdartiges und von ihm selbst zu Unterscheidendes in sich hat. Das Ich ist nicht nur prinzipiell mit sich identisch, es ist ebenso ursprünglich von sich selbst verschieden. Nun kann das Fremdartige in ihm nicht Nicht-Tätigkeit sein, sonst wäre es nicht das Heterogene des Ich. Es kommt nicht als etwas von der Tätigkeit Verschiedenes, sondern als eine Verschiedenheit in der Tätigkeit vor, nämlich als Unterschied der Richtungen, in denen das Ich tätig ist. Fichte hat die heterogene Richtung in Korrelation zur 'zentripetalen' Eigenrichtung der Ich-Tätigkeit 'zentrifugale5 Richtung genannt. Sie kehrt nicht in sich zurück, sondern richtet sich in das Unendliche hinaus. Diese Differenz tritt im Wesen des Ich selber auf. Das Wesen des Ich erschöpft sich also gar nicht in der unterschiedslosen Einerleiheit des Sichsetzens, welche die Bestimmbarkeit des Ich und seine Betreffbarkeit durch anderes außer ihm grundsätzlich unerklärbar läßt. Die Ichheit ist absolute Reflexion. Scharf formuliert, taugt der inexplizierte Ansatz einer Tathandlung nicht einmal dazu, das Ich vom Ding abzuheben. „Liegt im Wesen des Ich nichts weiter, als lediglich diese konstitutive Thätigkeit, so ist es, was für uns jeder Körper ist" (§ 5; 406). Das ist ein erstaunlicher Satz. Er bestreitet, daß in der puren Freiheitstat des Sichsetzens das spezifische Wesen des Geistes liegt. Auch dem Körper nämlich kann eine sich bestimmende und durchsetzende Kraft zugesprochen werden. Daß er dinghaft bleibt, liegt an der Bezüglichkeit des Bewußtseins. Ding heißt das Seiende, das an sich besteht, aber nicht für sich, sondern nur für anderes sein kann. Das Ding wird allein für eine Intelligenz außer ihm zum Objekt. Das Ich dagegen ist an und für sich. Es hat sein Sein darin, sich selbst als Objekt zu repräsentieren, und zwar so, daß es in diesem Sichsetzen für sich ist. Ichsein bedeutet letztlich nicht einfach die gediegene Tathandlung, die unterschiedslose Identität von Subjekt und Objekt und die sich durchsetzende Kraft der Selbstbestimmung. Der Begriff
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der absoluten Reflexion vertieft das unbedingte Sichsetzen zum Handlungsgefüge, in welchem das Ich sich schlechthin setzt als sich setzend. Nur in Rücksicht auf die absolute Reflexion läßt sich die vorkonstruierte Verschiedenheit der Richtungen sachgerecht ausweisen. Und erst die absolute Reflexion beansprucht das Ich als Prinzip von Identität und Differenz. Zur Struktur der Reflexion nämlich gehört die Einfachheit und Geschlossenheit des Selbstbezuges ebenso wie die Unterschiedenheit von Reflektierendem und Reflektiertem. Vom reflektierenden Ich kann man in 'übertragener Weise' sagen, es halte die zentripetale Richtung ein, da Reflektieren ja besagt, sich auf sich zurückbiegen. Dem reflektierten Ich dagegen kann eine zentrifugale Richtung zugesprochen werden. Es geht vom unbestimmten Selbst des Selbstbewußtseins weg nach außen auf die Bestimmtheit der Realität ins Unendliche hinaus. Diese eingeschlagene Richtung entspringt im Einschlag des Als; denn das Als fixiert ja jegliches Etwas als Etwas und verleiht ihm seine Bestimmtheit und sein Beschränktsein. Und das Als der absoluten Reflexion legt natürlich eine ins Unendliche gehende Bestimmtheit an, da das, was als solches gesetzt und bestimmt wird, das Sichsetzen oder die unendliche Realität ist. Diese Hinweise mögen genügen, um die absolute Reflexion als den Grund zur Anzeige zu bringen, der das Streben ermöglicht. Sie können die Aussicht auf den Vereinigungspunkt von praktischem, theoretischem und absolutem Ich eröffnen. Der Wink für die Auflösung dieses umfassendsten Synthesis-Problems steckt in der Bemerkung: Ist das unendliche Streben oder die praktische Vernunft das Vermögen, welches absolutes und theoretisches Ich vermittelt und leitet sich das Streben seinerseits aus der absoluten Reflexion her, so müßte in dieser der gesuchte Vereinigungspunkt für alle Vernunft zu finden sein. Mit der Dimension der absoluten Reflexion ist das Innerste des Ich erreicht, und es ist das Gebiet der äußeren Reflexion verlassen. Bisher lag die Subjekt-Objekt-Einheit als Objekt einem philosophierenden Subjekt vor und entgegen. Solcher Reflexionsbezug vergegenständlicht und relativiert das absolute Wesen des Ich. Von ihm ist daher am Ende transzendentaler Selbstbesinnung abzulassen. „Das Ich soll sich nicht nur setzen für irgend eine Intelligenz ausser ihm, sondern es soll sich für sich seihst setzen; es soll sich setzen als durch sich selbst gesezt" (§ 5; 406). Von diesem noch formelhaften Resultat kann doch schon auf den Anfang zurückgeblickt werden. In welchem Verhältnis also steht die Ichheit zur Handlung der Reflexion? In welcher Tätigkeit oder Hand-
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lung besteht das Wesen des Ich? Offensichtlich in einer Handlung des Reflektierens oder des auf sich zurückkommenden Sich-Ergreifens; denn das Ich bildet sich doch im Akt des Sichwissens und Sichwollens, in dem das Vorstellen sich auf sich zurückbiegt. Aber es ist deutlich geworden: Das Ich findet nicht schon in der unendlichen Tätigkeit der Tathandlung zu sich; diese liegt der Ich-Reflexion vielmehr als das Worüber des Reflektierens voraus. Das vorausliegende Reflektierte ist eben jene Identität von Subjekt und Objekt, von Geist und Natur, von Handlung und Tat, welche das Ich niemals ist und sein wird, die es aber, um zu sein, was es ist, werden soll. Diese Einheit ist nicht das unbedingte Sein des Ich, sondern ein unbedingtes Gebot für das Ich. Das Ich verfügt über keine schrankenlose Freiheit, die sich in der Tat immer schon verwirklicht hat. Als ontische Selbstverwirklichung und Selbstkonstruktion kann das Ich niemals ausgelegt werden. Vielmehr kommt alles darauf an, von vornherein auszumachen: Das Wesen des Ich besteht in demjenigen Machen, welches sich macht und erzeugt, indem es die Selbstkonstruktion nachmacht. Die Bildung des Ich besteht in demjenigen Bilden, in dem es sich aus Freiheit zum Bilde des unendlichen Anfangs und der absoluten Einheit macht. Indem das Wissen auf seinen Anfang, die Identität der Tathandlung, eingeht, weiß es sich — nämlich als dessen Bild. Und indem es sich so weiß, erwacht das Streben, sich ganz und gar als Bild durchzubilden, d. h. die absolute Identität von Geist und Natur zu sichtbarer Wirklichkeit zu bringen. Darum geht unmittelbar im Fürsichwerden das Sollen mit, und darum fügt das Bilden der absoluten Reflexion Sein, Wissen und Wollen ursprünglich zusammen. Die Handlung dieses Bildens ist das Wesen des Ich.
2. KAPITEL Die Fundierung der Gewißheit im Grundsatz Ich = Ich Das Wesen des Wesens ist die Idiheit des Idi. Was das wesenhafte Idi ist, hat sidi als Reflexion und Tathandlung angemeldet. Es rückt an den Anfang der philosophischen Besinnung durch die Aussicht, in ihm einen verläßlichen Anfangsgrund gefunden zu haben, auf dem sich ein System begründeter Sätze durch Unterstellung eines Fundamentalsatzes bauen läßt. Die neuere Philosophie stellt ihren Grundbegriff in die Form eines Satzes und nimmt ihren Ausgang von obersten Grundsätzen. Diese Wendung, nicht von Grundbegriffen wie Einheit oder Telos usw., sondern von Grundsätzen auszugehen, stammt einer Hegelschen Erklärung zufolge aus dem Bedürfnis des neuzeitlichen Denkens nach dem Subjekt als dem Wahren. Das Sein des Subjekts ist ein seiner selbst gewisses Sich-auf-sich-Beziehen. Es ist der Ursatz der Gewißheit, der diesen Selbstbezug ausdrückt, und es ist das Drängen nach Gewißheit, welches die Suche nach einem solchen Satze antreibt1*. Fichtes Vorhaben, einen obersten Grundsatz zu gewinnen, folgt fraglos der Tendenz des neuzeitlichen Denkens, alles Wissen in einem unbedingt Gewissen auf- und sicherzustellen. Dabei kann sich die Versicherung gegenüber dem universalen Zweifel nicht mehr mit der Existenz-Gewißheit des Selbstbewußtseins in der Gestalt der Einzelheit beruhigen, indem sie einfach den Satz vorlegt: Ich selbst existiere, sofern und solange ich vorstelle. Die Sicherstellung hat den Satz vom Ich zur Vernunftgewißheit zu steigern, alle Realität zu sein (Ich = Ich). Descar18
Der Neukantianismus erblickt darin eine Umbiegung der transzendentalen Grundfrage ins Psychologische. Exemplarisch dafür ist die Untersuchung von E. Kraus, 'Der Systemgedanke bei Kant und Fichte', Kant-Studien, Erg.H. 37. 1916: Im neukantianistischen Verständnis besteht das System einzig in der Einheit der transzendentalen Methode, und Grundsätze haben nur als methodische Bedingungen wissenschaftlicher Gegenstandsbestimmungen Bedeutung. Dagegen ist Fichtes Frage nach der Gewißheit Psychologismus; und es ist erst die W.-L. 1804, welche diesen Psychologismus der Gewißheit zu überwinden sucht.
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tes hatte die Sicherung des Wissens vor der Täuschung, bloß Vorgestelltes schon für Sein zu nehmen, auf dem Wege eines Gottesbeweises vollbracht, der zur Existenz des ens perfectissimum, eines nicht täuschen könnenden Gottes, und zur Aufstellung der verbindlichen Synthesis von Denken (Begriff) und Sein (Existenz) im Gedanken des ens realissimum führt. Diese Sicherungen sind durch die Gewalt der Kantischen Kritik an einer rationalen Theologie gesprengt worden. Das bedeutet: Der Satz vom Ich muß die Last der Seinsgewißheit und die Aufhebung aller Zweiheit, aus der sich der Zweifel nährt, in eine ursprüngliche Einheit alleine tragen. Und es ist abzusehen, zu welchem Problem sich dieser Austrag zuspitzt. Entfaltet sich der Satz des Ich in den Satz der Reflexion, dann wird die Frage nach der Gewißheit in der Alternative wieder aufzunehmen sein: Ist die absolute Reflexion als die Wesenheit des Ich Prinzip der Einigung oder Fundament der Spaltung und Entzweiung? Sollte sich die Reflexion als das Element der Unterscheidung und als der eine Grund aller Bewußtseinsspaltungen enthüllen, dann steht es vielleicht mit dem Gewißheitsanspruch des Ich nicht so gut. Wie stünde es nämlich, wenn in ihm der Zweifel nicht still gestellt wäre, sondern in bisher unbekannter Radikalität wieder aufbräche? Der Idealismus setzt auf den grundsätzlichen Charakter des Ich. Er gerät dadurch unausweichlich in Widerstreit mit den Sätzen, die bisher im Ansehen oberster Grundsätze standen, den Axiomen von Identität und Widerspruch sowie dem Grundsatz vom zureichenden Grunde. Und sofern diese Sätze von der Logik verwaltet werden, rechten Logik und Transzendentalphilosophie um den höchsten Rang in der Begründung von Wahrheit und Wissen. Es ist Kants Vernunftkritik, welche die totalen Herrschaftsansprüche des Widerspruchssatzes (und in eins des Identitäts- und Grundprinzips) eingeschränkt hat. Sie seien zwar notwendige, aber keinesfalls hinreichende Bedingungen für alle Arten von Urteilen; sie bildeten das hinreichende Prinzip allein im Felde analytischer Urteile; für die synthetischen Urteile sei ein neuer, oberster Grundsatz aufzustellen, der Satz vom Ich-denke. Das ist das grundsätzliche Ereignis der Kantischen Logik. Aber die Vernunftkritik ist kein Vernunftsystem. Sie hat das Fundierungsverhältnis von logischen und transzendentalen Grundsätzen nicht ins reine gebracht und darum die Entstehung der formalen Logik nicht begriffen. Kant hat den Begriff des Ich-denke als Satz von der transzendentalen Apperzeption (die alle meine Vorstellung muß begleiten können) nur zur Anzeige gebracht; „er hat ihn aber nie als Grundsatz bestimmt aufgestellt" (§ i; 262).
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Ein absoluter Satz ist als solcher bestimmt, wenn er in seinem Grundsatzcharakter eigens nachgewiesen ist. Dafür muß gezeigt werden, daß sein Urteil unableitbar und nach jeder Hinsicht unbedingt ist. Dieses allgemeine und äußerliche Programm einer nachkantischen Systembildung, das in Reinholds 'Satz des Bewußtseins5 in Angriff genommen war, hat Fichte mit der durchdringenden Energie seines Geistes erfüllt17. Der erste Schritt der 'Grundlage' von 1794/95 sucht das Wesen des Ich in einem Grundsatze darzutun, der als schlechthin unbedingter Grundsatz unmittelbar evident und für alles menschliche Wissen verbindlich ist. Gesicherte Grundsätze des Wissens stehen auch den Wissenschaften voran. Eine Hypothese vom Raum liegt der Geometrie zugrunde, der Satz von der Kausalität eröffnet das Feld der Physik, ein Verständnis von Geschichtlichkeit leitet die Historic. Die Grundsätze der Einzelwissenschaften sind erste, aber nicht absolut erste Sätze. Sie formulieren erste Anfangsgründe in Rücksicht auf Objekte eines je abgegrenzten Wissens- und Forschungsgebietes. Sie bilden Folgesätze in Rücksicht auf den Grundsatz, der alles menschliche Wissen im Gesamtbereich des Wißbaren anführt. „Alle Sätze demnach, die in irgend einer besondern Wissenschaft Grundsätze sind, sind zugleich auch einheimische Sätze der Wissenschaftslehre; ein und ebenderselbe Satz ist aus zwei Gesichtspuncten zu betrachten: als ein in der Wissenschaftslehre enthaltener Satz, und als ein an der Spitze einer besondern Wissenschaft stehender Grundsatz" (Über den Begriff der W.-L., § 3 , 2 . Aufl.; Akad.-Ausg. I, 2; 128). Steht es so, dann würde mit einem absolut ersten Satz, der auch noch den relativ ersten Grundsätzen der Wissenschaft Grund gibt, eine Wissenschaft der Wissenschaften oder ein Wissen vom Wissen überhaupt anheben. In einem solchen Urteil sucht sich die Philosophie als Wissenschaftslehre zu befestigen. Eine absolute Hypothesis wäre gefunden, wenn ihr Satz sich als schlechthin unbedingt erweisen ließe. Dafür ist im voraus anzugeben, unter welchen Bedingungen ein Satz als Satz steht. Ein Satz, z.B. 'Der 17
Die Leistung als Systematiker der wissenschaftlichen Philosophie hat der programmatische Aufsatz von R. Lauth, 'Die Bedeutung der Fichteschen Philosophie für die Gegenwart', Philos.Jb. 70, S. 252—270. 1963 eindrücklich herausgehoben. Durch die W.-L. habe die Philosophie mit ihrem Objekt (dem Bewußt-Sein) zugleich ihre Methode (das Nachgehen nach den Bedingungen der Möglichkeit des Bewußtseins als Rückgang von mittelbaren Evidenzen zur unmittelbaren Evidenz) gefunden, ihre Durchführung (die vollständige und erschöpfende Entfaltung aller Momente des Wirklichen qua Bewußtseins) erfahren und ihre Rechtfertigung (die kritische Begründung ihres Prinzips aus der Wahrheit und dem Absoluten) vollzogen.
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Körper ist schwer', verbindet gegebene Begriffe. Die im Urteil zu verbindenden Vorstellungen sind das, wovon geurteilt wird. Sie machen die Materie oder den Inhalt aus, z. B. die Sachgehalte Körper und Schwere. Die in der Stellung von Subjekt und Objekt aufgestellten Begriffe sind das, was gewußt ist. Sie haben den Charakter der Materie, weil sie das im Verbinden vorgegebene Mannigfaltige sind. Die Form besteht in dem bleibenden Verhältnis von Subjekt und Prädikat. Das Feste und Bleibende im Satz ist die im 'ist5 hinterlegte Beziehung. Die Form betrifft das Wissen als solches und ist die Gewußtheit, die bei allem Wissen dieselbe bleibt. Das läßt sich flach und formal-logisch abnehmen, z. B. als Urteilsform der Quantität und Partikularität ('Einige Körper sind schwer') und als Form der Qualität und Affirmation ('Der Körper ist schwer — und nicht leicht'). Tiefer läßt sich die Form der Verbindung transzendental begreifen. Dann wird das In-Beziehung-Setzen des IstSagens als Ausdruck einer Handlung des Ich durchschaut, die das in Subjekt und Prädikat Zusammengestellte als etwas Objektives in Bezug zum Subjekt setzt. So gesehen, spricht sich im Ist des Urteils ein vielfältiges gesetzhaftes Tun des Verstandes aus, der das Objekt mit sich, dem Verstande, verbindet und so Objekte allererst ermöglicht. Diese Hinweise über Materie und Form eines jeden Urteils genügen für das Ergebnis: Die Materie des Urteils liegt im Sachgehalt des Subjekt- und Prädikat-Begriffs, die Form in der Bezüglichkeit des Ist. Diese Vorerörterung scheint abzuschweifen. Recht besehen aber, bietet sie die äußerliche Anleitung für die Topik aller möglichen Grundsätze. Grundsätze dürfen nicht bedingt und in anderen begründet, sie müssen wenigstens in einer Hinsicht unbedingt sein und in sich selber gründen. Diese Hinsichten sind Form und Materie des Satzes. Mithin kann ein Grundsatz bloß der Form nach unbedingt, der Materie nach aber bedingt sein. Oder er ist umgekehrt zwar der Form nach ableitbar, in seinem Stoff jedoch unbedingt. Die dritte und offenbar vortreffliche Möglichkeit eines in sich gefestigten Grundsatzes wäre ein Satz, der sowohl nach Form und Materie, also schlechthin unbedingt ist. Mehr als diese drei Möglichkeiten von Grundsätzen gibt es nicht. Der absolut erste Satz hat ganz und gar, also nach jeder der beiden Hinsichten unbedingt zu sein. In ihm käme das Streben des Menschen nach Gewißheit zur Ruhe. Wie aber kommt das Wissen in den Besitz solch eines einzigartigen Satzes, der weder seine Inhalte noch das Beziehungsgesetz einem anderen, vorausliegenden Satze schuldet? Offenbar nicht durch das Mittel
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des sicheren Beweises; denn apodiktisch beweisen heißt, etwas mit Notwendigkeit aus vorausgesetzten Vordersätzen entnehmen. Der schlechthin unbedingte Satz kann nicht bewiesen, er muß gefunden werden18. Der Weg des Suchens kann seinen Anfang nur bei etwas im Grundsatze Begründetem nehmen, um von da zu den höchsten Bedingungen durchzustoßen. Nun begründet ein absoluter Anfangsgrund alles, was überhaupt im Bewußtsein vorgefunden werden kann, d. h. alle Tatsachen des Bewußtseins. Diese sind insgesamt empirisch. Freilich benennt 'empirisch' im Fichteschen Gedankengange nicht mehr bloß (wie bei Kant) solches, was vermittels von Empfindungen vorgestellt ist, sondern alles, worauf man im Bewußtsein stößt. In diesem Sinne sind auch logische Gesetze empirische Tatsachen. Die Rückführung des Tatsächlichen auf einen dieses ermöglichenden Grund müßte zu etwas führen, was selbst nicht wieder Tat-Sache ist: die Tat-Handlung. Die transzendentale Reduktion verfährt dabei abstrahierend-reflexiv. Die philosophische Methode abstrahiert von allem Tatsächlichen der Tatsachen und sieht zu, ob sie etwas zurückbehält, was nicht empirisch ist und was dennoch als Grundlage allen Bewußtseins notwendig gedacht werden muß. Bei diesem Verfahren steht es der abstrahierenden Reflexion des Philosophen frei, von welcher Tatsache sie ausgehen will. Der methodisch beste, d. h. kürzeste Weg zur Gewißheit aber sollte seinen Anfang bei einer Tatsache nehmen, die selbst im Ansehen einer festen Grundlage und einer unumstößlichen Gewißheit steht. So würde eine philosophische Grundlegung vom faktisch Gewissen zu unbedingter Gewißheit durchdringen. Eine zweifellose Tatsache nun ist im Satze aufgestellt: A = A. „Man anerkennt ihn für völlig gewiss und ausgemacht" (§i; 256). Das logische principium identitatis scheint jeden Beweises überho18
Es sollte klar sein, daß solches Finden nicht das Stoßen auf ein verdeckt Vorliegendes bedeutet und daß solcher Fund niemals gegenständlich als etwas Seiendes und Substantes ausgewiesen werden kann. Das Finden setzt einen Sprung voraus; denn das im Ersten Grundsatz Gefundene erschließt sich in keinem folgernden Denken. Zu diesem Wissen, das eine 'unabhängige Gewißheit' besitzt (eine Gewißheit, von der alle anderen Sätze abhängig sind, die aber selbst dann gewiß ist, wenn alle anderen nicht gewiß sind), trägt kein Schluß hinüber. Das Wissen kommt zu unabhängiger Gewißheit allein dadurch, daß es aus dem Bezug zur objektiven Tatsadienwelt und deren Zusammenhängen herausspringt und in freiem Erfinden sein Selbstsein findet. So konnte Fichte das ursprüngliche Finden als 'Experiment', als ein er-findendes Sich-Finden bezeichnen (vgl. nova methodo; NS II, 351). Auf den Experiment-Charakter des Ersten Grundsatzes und seiner Gewißheit hat K. Kammacher, 'Der Begriff des Wissens bei Fichte', Zeitschr. philos. Forschung 22, S. 345—68. 1968 hingewiesen.
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ben und „schlechthin, d.i. ohne allen weiteren Grund gewiss" zu sein (§i; 256). In der Urteilsgleichung A = A stellt sich ein Satz vor, der nicht durch anderes begründet, sondern anderes begründend ist, weil er in sich selbst gründet. Ihm muß alles Wissen immer schon entsprochen haben, um haltbar zu sein. Findet mithin der alles Wissen schwanken machende Zweifel nicht an diesem Grundsatz sein Ende? Indessen — prüft man den Satz der Identität mit der Schärfe des metaphysischen Zweifels, dann wird offenbar, daß die Gewißheit dieser Tatsache nur bedingt ist und die unbedingte Gewißheit der Tathandlung zur Voraussetzung hat, wie sie sich im Satze 'Ich bin' ausdrückt. „Soll der Satz A = A (oder bestimmter, dasjenige, was in ihm schlechthin gesezt ist = X) gewiss seyn, so muss auch der Satz: Ich bin, gewiss seyn" (§ i; 258). Die logische Identitätsgewißheit verweist auf die transzendentale Vernunftgewißheit des Ich und hat jene zur Bedingung. Die Vorzeichnung dieses Weges der Vergewisserung des Wissens eröffnet eine für alle rationale Metaphysik und positivistische Logik paradoxe Ansicht. Die großen Prinzipien von Identität, Widerspruch und zureichendem Grunde gründen nicht schlechthin in sich selbst. Ihnen liegen transzendentale Grundsätze voraus, die Handlungen des Ich ausdrücken. Aus ihnen sind die Sätze der Logik abgezogen. Von dieser Aussicht her wird sich auch der skeptizistische Einwand gegen eine Elementarphilosophie, der Satz des Bewußtseins sei kein absolut erster Satz, weil er wie alle Urteile dem Satze des Widerspruchs unterstehe, erledigen lassen (vgl. Rezension Aenesidemus); und es wird der Prioritätenstreit von Logik und Metaphysik zur Entscheidung kommen. Im vorzüglichsten Falle des Identitätssatzes kommt an den Tag: Das principium identitatis bildet kein Fundament, das dem Zweifel widersteht; es schuldet seine Gewißheit einer ungeprüften, ja nicht einmal entdeckten Voraussetzung. Das wird durchsichtig, sobald auf die Seinsbedeutung des Ist geachtet und die logische Betrachtung so zu einer ontologischen gezwungen wird. „Seyn, ohne Prädikat gesezt, drückt etwas ganz anders aus, als seyn mit einem Prädikate" (§ i; 256). Im Urteil A = A steht das Gleichheitszeichen für die bloß logische Position des Ist; diese setzt Begriffe ins Verhältnis der Gleichheit ohne Rücksicht auf das objektive Sein des Beurteilten. Im Satze A = A setzt die logische Position etwas ins Verhältnis der Gleichheit mit sich selbst. Sie bleibt aber außerstande zu beurteilen, ob A ist oder nicht ist; denn das Urteil ist' drückt etwas anderes aus, nämlich 'Etwas ist seiend als Gegenstand eines Subjekts'. Dieser Ausdruck verlangt eine ganz andere
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Position des Seins. Kant hat sie die absolute oder objektive Position genannt. Er hat sie bekanntlich für eine radikale Widerlegung der Ontotheologie herausgearbeitet. Fichte nimmt sie in Anspruch, um die unbedingte Position des 'Ich bin' in Abhebung gegen den Identitätssatz A = A freizulegen. Dabei zeigt sich sofort: Der Satz A = A urteilt bloß logisch, indem er einen formalen Bezug zwischen gegebenen Vorstellungen grundsätzlich herausstellt; das Urteil darüber, ob das vorgestellte Etwas (A) ist oder nicht ist, steht der logischen Setzung nicht zu. So erweist sich die absolute Verbindlichkeit des Satzes A = A als haltlos. Diese Setzung des Grundsatzes erbringt nur die Gewißheit eines reinen Denkens (und nicht die des Wissens). Wenn ich A denke, denke ich nichts anderes als A. Der Identitätssatz der Logik bleibt gegenüber dem metaphysischen Zweifel, ob das Gedachte und im Denken als identisch Gesicherte auch seiend ist, hilflos. Der Satz A = A spricht ausschließlich vom ens qua cogitatum, er schweigt vor der Zweifelsfrage nach dem cogitatum qua ens. Bei ihm kann daher eine Forschung, die auf ontologisdie Gewißheit dringt, nicht stehenbleiben. Ontologisch geprüft, ergibt das logisch gefaßte principium identitatis keineswegs absolute Gewißheit, sondern bloß certitudo ex hypothesi: A ist A, wenn A ist. Anders formuliert: A ist mit sich selbst gleich, wenn A Sein hat. Mithin basiert die von der Logik angebotene Gewißheit auf dem notwendigen Zusammenhange eines Wenn-So. Wenn etwas seiend ist, so ist es mit sich identisch. Der Grund und Boden dieses Zusammenhanges ist unbekannt. Fichte nennt diese Unbekannte in der logischen Gewißheitsrechnung 'X'. „Es entsteht also die Frage: unter welcher Bedingung ist denn A?" (§ i; 257). Die Auflösung dieser Frage wird zugleich den verdeckten Zusammenhang von Sein und Identischsein aufdecken. Beides glückt nur in Rücksicht auf den Fundus des Selbstbewußtseins. A ist etwas Seiendes allein dadurch, daß es im Ich gesetzt wird; denn Sein bedeutet, Gegenständlichkeit oder Objekt für ein Subjekt zu sein. Und eben dadurch, daß A in und durch das Ich gesetzt ist, ist es mit sich identisch. Ein Objekt bleibt dadurch sich selbst gleich, daß es im bleibenden Bezug zu dem mit sich identischen Ich besteht. Etwas ist ein Eines und Selbes, weil es in der Einheit einer Vorstellung gesetzt und durchgehalten wird. Durch diese Operation einer transzendentalen Umrechnung kommt die Berechnung des unbekannten X zu dem Ergebnis: Ich = Ich. Wenn etwas (A) durch den Bezug auf die Identität des Selbstbewußtseins (Ich = Ich) seiend ist, ist es ebendadurdi mit sich identisch. Die Selbigkeit des Ich steht für das Sein von A und dessen
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Gleichsein mit sich selbst ein. So hat eine reflektierende Abstraktion in der Gleichung A = A das Ungewisse abgezogen und die gesuchte Gewißheit (X) in der Gleichung Ich = Ich herausgerechnet. Aber sie hat darin das vorausgesetzte Wesen des Ich noch nicht erblickt. Bislang ist das 'Ich bin' erst als Tatsache und noch nicht als Tathandlung zur Sprache gekommen. Es wurde ja einfach an die Stelle einer Tatsache gesetzt. „X ist schlechthin gesezt: das ist Thatsache des empirischen Bewußtseyns. Nun ist X gleich dem Satze: Ich bin Ich: mithin ist auch dieser schlechthin gesezt" (§ i, 258) — und Tatsache wie jener. Es kommt nun alles darauf an, die unterschiedliche Struktur dieser beiden notwendigen Bedingungsverhältnisse klarzumachen. „Aber der Satz: Ich bin Ich, hat eine ganz andere Bedeutung als der Satz: A ist A" (§i;2 5 8). Der Satz 'Ich bin Ich' gilt unbedingt. „In ihm ist das Ich, nicht unter Bedingung, sondern schlechthin, mit dem Prädikate der Gleichheit mit sich selbst gesezt" (§ i; 258). Im Ich leuchtet der unmittelbare, unbedingte Zusammenhang von Seiendsein und Identischsein ein. Mit dem Satze vom Ich (Ich bin) hat sich der nach Form und Inhalt unbedingte Grundsatz gefunden, der auch noch den logischen Satz der Identität trägt. Das eben ist der schöpferische Fund der Transzendentalphilosophie: Das Ich schuldet sein Identischsein nicht einem von woandersher vorausgesetzten Sein, Sein und Gleichheit mit sich selbst bedingen sich ursprünglich wechselseitig. Darin geht das Wesen des Selbstbewußtseins auf. Wenn immer es ist, ist es mit sich selbst identisch — und umgekehrt: Wenn das Bewußtsein sich mit sich identisch setzt, ist das Ich seiend. Diese Einheit von Sein und Selbigkeit ist Ausdruck der Ichheit. „Sich selbst setzen, und Seyn, sind, vom Ich gebraucht, völlig gleich" (§ i; 260). Das Ich hat die ausgezeichnete Verfassung, in der Tätigkeit des sich selbst vorstellenden Vorstellens so zu sein, daß es nur für sich selbst ist. „Dasjenige, dessen Seyn (Wesen) blos darin besteht, daß es sich selbst als seyend sezt, ist das Ich als absolutes Subjekt" (§ i; 259). Und diese einfache, unbeschränkte Reflexion des absoluten Subjekts kann als das zuhöchst Gewisse behauptet werden. Sie stellt sich in dem Grundsatze 'Ich bin' auf, der dem Anspruch auf absolute Gewißheit gerecht wird und der auch noch den Grundsätzen der Logik zuvorliegt. Beides ist abschließend sicherzustellen. Die Operation, die den logischen auf den transzendentalen Grundsatz reduziert, ist umständlich. Aber sie muß genau verfolgt werden; denn ihr Resultat ist umstürzend. Es erweist die einseitige Abhängigkeit
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der Logik von der Transzendentalphilosophie. Die Logik vermag die Wissenschaftslehre nicht zu begründen, wohl aber die Wissenschaftslehre die Logik. „Die Wissenschaftslehre kann schlechterdings nicht aus der Logik bewiesen werden, und man darf ihr keinen einzigen Satz, auch den des Widerspruchs nicht, als gültig vorausschicken; hingegen muß jeder logische Satz, und die ganze Logik aus der Wissenschaftslehre bewiesen werden" (Über den Begriff der W.-L. § 6; Akad.-Ausg. I, 2; 138). Eine Verstandesmetaphysik, die ihre Grundsätze der Logik entlehnt, ist ahnungslos darüber, daß deren Prinzipien und Axiome selbst einem tieferen Grundbestande des Wissens entlehnt sind. Jede Systembildung, die auf den logischen Grundsätzen von Identität und Widerspruch oder auf dem Prinzip vom zureichenden Grunde aufbaut, ist bodenlos. In Wahrheit sind die in der Logik aufgestellten Denkformen, die für alles Wissen verbindlich sind, Produkte einer Abstraktion. Sie sind künstlich von den wirklichen Wissensformen, die vom Gehalte unzertrennlich sind, von den Grundformen des Ich, abgezogen. Die Logik entsteht eben durch künstliche Abstraktion. Sie trennt aus der im Ich unzertrennten Konkretion von Form und Gehalt die leere Form ab. Das ist im vorzüglichsten Falle für die Form der Identität aufgeklärt worden. „Nemlich der Satz: A = A gilt ursprünglich nur vom Ich; er ist von dem Satze der Wissenschaftslehre: 'Ich bin Ich' abgezogen" (Über den Begriff der W.-L. § 6; Akad.-Ausg. I, 2; 140). Im Lichte des so aufgehellten Fundierungsverhältnisses löst sich der Schein der leichtfertigen Zirkeleinrede auf. Der Vorwurf des Zirkels befindet: Die Gesetze der allgemeinen Logik sollen aus vorauszusetzenden Grundsätzen der Philosophie abgeleitet werden; sie sind jedoch ihrerseits den philosophischen Setzungen immer schon vorausgesetzt, sofern diese sich eben nach den Regeln der Logik vollziehen. Die 'Grundlage5 nimmt zu Beginn ihrer Aufstellung des höchsten Grundsatzes diesen Zirkel als unvermeidlich in Kauf und in Acht. „Dies ist ein Zirkel; aber er ist ein unvermeidlicher Zirkel" (§i; 255/56). Die Grundlegung der Grundsätze erweist am Ende eine Priorität im Zirkel. Weil die Transzendentalphilosophie die Logik, nach deren Gesetzen sie sich vollzieht, allererst begründet, gründet sie nicht in der Logik, sie vollzieht sich nach ihr. Und genau besehen, folgt sie, sofern sie die Logik begründet, im Befolgen der logischen Grundsätze nur sich selbst. Die Zurückstellung der logischen Grundsätze war durch den Ausgriff des metaphysischen Zweifels motiviert. Dieser hat das Denken zu einem absolut gewissen Satz getrieben. Genügt dieser Satz nun dem An-
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sprudi, der Form und der Materie nach unbedingt zu sein? Die Materie des Satzes 'Ich bin Ich5 bilden die in der Subjekt- und Prädikat-Stellung auftretenden Begriffe, das Subjekt-Ich und das Objekt-Ich. Die Form des obersten Grundsatzes ist die Beziehung, welche beide Begriffe einigt und in der Copula 'ist' ausgedrückt wird. Das Ist im Urteil 'Ich bin' bedeutet ein Setzen als Identisch-Setzen. Wie aber läßt sich erweisen, daß diese Form und diese Materie unbedingt sind? Nur so, daß gezeigt wird: Sie entspringen durcheinander; beide sind in eins durcheinander gesetzt. Das leuchtet ein, wenn das eröffnete Wesen des Ich im Blick behalten ist. Von Seiten der Materie stellt sich der Zusammenhang so dar: Materiell betrachtet, tritt das Ich im Satze als Subjekt- und Objekt-Ich auf. Indem dieser Inhalt ist, ist auch schon die Form, nämlich das entsprechende Gesetz der Verknüpfung, da. Seiend ist das Ich, indem es sich als Subjekt und Objekt identisch setzt. Dasselbe, von der Seite der Form her durchgesprochen, ergibt: Die Form des Grundsatzes bedeutet das Sichsetzen als ein Sich-mit-sich-identisch-Setzen. Indem sich aber ein Vorstellen auf sich zurückbezieht, entsteht und ist Ichbewußtsein. Diese Form des Satzes bringt unmittelbar den Inhalt, das seiende Ich in der Selbigkeit von Subjekt- und Prädikat-Ich, auf. Mit diesen Überlegungen hat die philosophische Wissenschaft ihr Prinzip in einem absolut gewissen Grundsatze zur Sprache gebracht. In dem so erworbenen Satze vom Ich kommt das Bedürfnis zum Ausdruck, das Subjekt (im Sinne der Reflexion und des Sich-auf-sich-Beziehens) als das Wahre und Gewisse durchzusetzen. Denn in diesem Satz fallen Inhalt und Form, Subjekt, Prädikat und Copula nicht in eine Zweiheit auseinander und dem Irrtum und Zweifel anheim. Sie treten in untrennbarer Einheit auf. Das Satzgefüge bringt angemessen die Gewißheit zum Ausdruck, daß Sein und Denken, Realität und Idealität, Subjekt und Objekt dasselbe sind. Insoweit ist der oberste Grundsatz als Grundsatz bestimmt aufgestellt. Indessen gehört doch zu einem Grundsatze außerdem, daß er zum Systemgrunde taugt. Und dieser Satz stellt in der Tat die Thesis des Systems dar. Er formuliert das Prinzip, das unaufhebbar allen Grundbestimmungen des Wissens zugrunde liegt. Das Erste und sich Durchhaltende in allem Wissen ist die Reflexion in der Gestalt einer in sich zurückkehrenden Tätigkeit. Die sich selbst bestimmende Identität, der freie Selbstbezug im Ausmaße der absoluten Vernunft, das liegt dem Bewußtsein (als ein ihm aufgegebenes, unbedingtes Sollen) zugrunde.
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Diese Fassung des Anfangsgrundes schützt vor einem Mißverständnis. Der absolute Grundsatz drückt nicht das Absolute oder Gott aus, sondern das schlechthin Unbedingte und unzweifelhaft Gewisse im absoluten Wissen, das absolut, aber nicht das Absolute ist. Eine Interpretation, welche die Wissenschaftslehre als den Versuch versteht, den Weg von Gott zur Welt zu gehen und das Selbstbewußtsein aus dem göttlichen Absoluten entstehen zu lassen, erliegt einem profunden Irrtum. Darum ist es auch gar kein Widerspruch, wenn die Unbedingtheit der unbeschränkten Identität nicht ausreicht, um die Verfassungs-Wirklichkeit des Wissens aus sich zu begründen. Das wäre nur ein Widerspruch, wenn die Absolutheit des Wissens mit dem Absoluten identisch wäre. Die konkrete Struktur der ursprünglichen Apperzeption und Reflexion wird erst dann durchsichtig, wenn noch andere unbedingte und gewisse Handlungen aufgefunden und das Gesetz ihrer Einheit entdeckt ist. Die freie Position der absoluten Selbstbestimmung ist nicht die alleinige Voraussetzung des Systems, aber die zuhöchst gewisse. Sie enthält das System nicht in sich, aber sie gibt ihm Halt.
3-KAPITEL Die Dialektik der Reflexion Dem obersten Grundsatz sind zwei weitere Grundsätze beizufügen. Die äußere Anweisung der Topik unbedingter Sätze hat vorgeschrieben, daß außer dem schlechthin unbedingten noch zwei weitere Grundsätze aufzufinden sind, die der Form bzw. der Materie nach unbedingt sein müssen. Die Aufstellung des Systems verbietet es, einen Satz zu überspringen. Und eine philosophische Reflexion, die den Systemgrund allen Bewußtseins, die Reflexion des Selbstbewußtseins, in seiner Entstehung beschreiben will, muß das dialektische Gefüge dieser Dreiheit herausgliedern. Ein Satz, der etwas Unbedingtes aussagt, kann nicht abgeleitet und aus höheren Gründen begründet werden. Er ist ein Fund und leuchtet mit Evidenz ein. So wäre ein zweiter Grundsatz in einer Hinsicht vom ersten abhängig, in einer anderen unabhängig. Er stellt eine neue Unbedingtheit neben und gegen die Position der Tathandlung. Um diese aufzufinden, ist wiederum der Ausgang des Suchens bei einer zweifellos anerkannten Tatsache des Bewußtseins zu nehmen. Eine Tatsache, von der kein Beweis gefordert wird, ist der logische Sachverhalt c — A nicht = A'. Fichte nennt diese Fassung des Satzes vom Widerspruch den 'Satz des Gegensetzens'. Dieser Satz steht seit seiner aristotelischen Feststellung im Ansehen eines Axioms. Auch ihm muß alles Wissen immer schon entsprochen haben, um als Wissen Bestand zu besitzen. Was aber ist an diesem Satze eigentlich das Unableitbare und schlechthin Gewisse? Das springt heraus, wenn die Unmöglichkeit demonstriert wird, ihn aus dem ersten logischen Grundsatze abzuleiten. Der Satz der Identität A = A läßt sich nämlich im Hinblick auf Negation lediglich zur Gleichung — A = — A entwickeln, welche die Gewißheit enthält: „Wenn das Gegentheil von A gesezt ist, so ist es gesezt" (§ 2; 264). Das aber ist doch nichts anderes als der unbedingte Bedingungszusammenhang der logischen Identität und ergibt keinen
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neuen, abgeleiteten Satz, sondern stellt den bekannten Ursatz selbst nochmals vor. Was dagegen durch eine Ableitung aus der Identität nicht zu ermitteln ist, das ist das negative Beziehen oder das Setzen des Gegenteils. Das Ist-nicht-Sagen betrifft die bleibende Beziehung von etwas auf etwas, also die Form des Satzes. Somit ergibt sich in logischem Betracht: Das Unbedingte am Widerspruchssatz ist die Form des Entgegensetzens. (Darum heißt das Widerspruchsprinzip genauer Satz des Gegensetzens.) Und diese Form kann niemals aus der Form des Identitätssatzes herausgeklaubt werden, „da die Form des Gegensetzens in der Form des Setzens so wenig enthalten wird, dass sie ihr vielmehr selbst entgegengeseztist" (§2; 265). Dieser logische Befund ist transzendental zu reduzieren, sofern eben die Unbedingtheit der Tatsachen des Bewußtseins in der Unbedingtheit von Ichhandlungen gründet und das Grundsätzliche der formalen Logik aus Prinzipien der Ichheit abgezogen und auf diese zurückführbar ist. Das hat Konsequenzen für die Form des Gegensetzens im Widerspruchssatz. „Demnach kommt unter den Handlungen des Ich, so gewiss der Satz —A nicht =A, unter den Thatsachen des Bewußtseyns vorkommt, ein Entgegensetzen vor" (§2; 265). Das Ich ist nicht bloß ein Sich-Setzen, sondern ebenso ursprünglich ein Entgegensetzen. Dieses Resultat muß im Hinblick auf seine Unbedingtheit präzisiert werden. Offenkundig nämlich ist die Handlung des Entgegensetzens nicht in jeder Hinsicht von der Urhandlung des Sichsetzens unabhängig, weil sie doch der darin aufgestellten Identität des Bewußtseins untersteht. Sie setzt die Identität des A (d.h. ursprünglich des Ich) voraus: denn sie setzt einem identischen A ein non A entgegen. Und sie nimmt in Anspruch, daß das setzende und entgegensetzende Ich das eine und selbe ist. Ohne die Einheit des Bewußtseins von Setzendem und Entgegensetzendem wäre das zweite Setzen kein Entgegensetzen, sondern ein Setzen schlechthin. Ein Entgegensetzen gibt es nur im bewußt unterscheidenden Bezug zum Setzen. Wie also steht es mit der Absolutheit des transzendentalen Entgegensetzens, wenn es auf die Identität des Ich und die Handlung des Sich-selber-Setzens bezogen und durch diese bedingt ist? Die Entscheidung darüber liegt in einer Unterscheidung. Daß ein Entgegensetzen überhaupt als Handlung des Ich gegeben ist, hängt von der Handlung ab, in der das Ich sich selbst setzt. Daß aber so, nämlich in der Weise der Negation, gehandelt wird, das bleibt unableitbar. Die Unbedingtheit des zweiten Grundsatzes beruht nicht darauf, daß, sondern wie gehandelt wird; sie betrifft nicht ihre Gegebenheit
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(Materialität), sondern ihre reine Form. Unbedingt ist das Wie des Handelns, das Wie des Negierens als Entgegen-Setzen. Anders steht es mit der Unbedingtheit des transzendentalen Grundsatzes des Gegensetzens, wenn nicht mehr auf die Art und Weise des Produzierens, sondern auf dessen Produkt geachtet wird. Dazu leitet wiederum eine logische Vorbetrachtung an. Produkt des Ist-nicht-Sagens ist das non A. Daß das non A ein Gegenteil ist, schuldet es dem unableitbaren Entgegensetzen. Seinen bestimmten Sachgehalt (die Materie) aber verdankt es einem vorausgesetzten A; denn non A ist dasjenige nicht, was A ist, „und sein ganzes Wesen besteht darin, dass es nicht ist, was A ist" (§2; 266). Dasselbe gilt in reiner Ursprünglichkeit vom transzendentalen Produkt des Entgegensetzens. Was das Entgegengesetzte ist, kenne ich nur, wenn ich dasjenige kenne, von dem es das Gegenteil ist. Das Entgegengesetzte des reinen Entgegensetzens kann somit nichts anderes als das Gegenteil von allem sein, was dem Ich zukommt: ein Nicht-Ich. Damit ist in transzendentaler Reduktion des logischen Widerspruchssatzes der zweite Grundsatz vom Ich aufgefunden und nach Form und Materie im Blick auf das Unbedingte abgeschätzt. Er lautet: Das Ich setzt sich ein Nicht-Ich entgegen. Der Satz ist im Hinblick auf seine Materie bedingt; denn das Worüber des Urteils, das Nicht-Ich, ist abgeleitet. In Hinsicht auf seine Form ist er unbedingt und gewiß; denn der Bezug von Ich und Nicht-Ich ist die Entgegensetzung, die sich gegen jede Ableitung sperrt. Aus der Ursprünglichkeit und Apriorität des Entgegensetzens entsteht dem Ichbewußtsein das Nicht-Ich als Gegenstand im Sinne des Entgegen-Gesetzten. Diese Einsicht vernichtet die seichte Ansicht der gewöhnlichen Meinung, das Nicht-Ich sei bloß ein allgemeiner, „durch Abstraktion von allem Vorgestellten entstandner Begriff" (§2, Zusatz von C; 267). Das Bewußtsein kann diese Erfahrung, daß das Vorgestellte nicht das Vorstellende und so Nicht-Ich ist, gar nicht von dem Gegenstande ablesen. „Um nur irgend einen Gegenstand setzen zu können, muß ich es schon wissen; es muß sonach ursprünglich vor aller möglichen Erfahrung in mir selbst, dem Vorstellenden liegen" (§ 2 C; 267). Damit wir überhaupt irgendeinen Gegenstand und nicht immer nur uns selbst vorstellen können, muß schon ein Grundakt des Entgegensetzens vollzogen sein. Ich muß das Vorzustellende als solches dem Vorstellenden ursprünglich entgegengesetzt haben, um überhaupt einen Begriff von einem Gegenstand und Fremden, das nicht Ich bin, zu ge-
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winnen. Von dem Vorgestellten nämlich ist das Entgegengesetztsein nicht abzulesen, weil eben auch das sich setzende Ich als Vorgestelltes vorkommt. Mithin erscheint etwas als Objekt im Sinne des Gegen-Standes erst dadurch, daß eine Entgegensetzung den Unterschied, den Gegensatz und das Anderssein aufbringt. Sie scheidet das Objekt als ein Anderes vom Subjekt und eröffnet, indem sie den Gegensatz einführt, allererst die Möglichkeit des Werdens und des Lebens selbstbewußten Geistes. Es bleibt dem äußerlichen Stellenplane nach ein dritter Grundsatz übrig, welcher der Form nach bedingt, der Materie nach unbedingt ist. Seiner Form sind die zwei anderen Grundsätze als Vordersätze vorgegeben, und es wird sich zeigen: In Rücksicht auf die bisherigen Grundsätze läßt sich gänzlich die Aufgabe ableiten, welche die Aufstellung eines dritten Grundsatzes notwendig macht; die Lösung der Aufgabe verlangt etwas Unbedingtes. „Die leztere geschieht unbedingt und schlechthin durch einen Machtspruch der Vernunft" (§ 3; 268). Die Aufgabe stellt sich so, daß ein aufzulösender Widerspruch abgeleitet wird. Dafür ist der nächstliegende, zweite Grundsatz für sich auf seine Konsequenzen hin durchzudenken. Aus ihm folgt: Ist das Nicht-Ich gesetzt, dann ist das Ich nicht gesetzt. Und weiter: Weil das Nicht-Ich im Ich gesetzt ist, so wird eben dadurch das Ich im Ich aufgehoben. Der zweite Grundsatz impliziert diese Aufhebung. Sofern im Ich das Nicht-Ich gesetzt ist, ist das Ich darin nicht gesetzt. (Stellen wir Dinghaftes vor, dann ist die Vorstellung vom Ich negiert.) Andererseits aber muß doch im Ich ein Ich gesetzt sein; sonst könnte die Vorstellung eines Nicht-Ich gar nicht zustande kommen, weil dessen Gehalt ein zuvor gesetztes Ich fordert. Mithin liegt im zweiten Grundsatze auch die These: Ist Nicht-Ich gesetzt, muß auch Ich gesetzt sein. Beide streng gefolgerten Sätze widersprechen einander. „Also ist der zweite Grundsatz sich selbst entgegengesezt, und hebt sich selbst auf" (§3; 268). Andererseits hebt er sich nicht auf; denn zum Aufheben im Gegensatz muß ja das Entgegensetzen sein. „Der zweite Grundsatz hebt sich auf und er hebt sich auch nicht auf" (§3; 269). Wird der transzendentale Satz des Gegensetzens gänzlich auf sich gestellt und konsequent durchdacht, dann wird offenbar: Das Ich kann ohne das Entgegensetzen nicht sein und in der Entgegensetzung nicht währen. Dieser Wirbel des Widerspruchs zieht in die Gegensatzlosigkeit des ersten Grundsatzes ein. Das Ich = Ich besagt: Alles, was im Ich gesetzt ist (d. h. alles, dessen ich mir bewußt bin oder was ich als seiend
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vorstelle), ist in der Einheit und Identität des ursprünglichen Selbstbewußtseins gesetzt. Folglich nimmt diese Einheit auch den ungehobenen Widerspruch auf, daß das Nicht-Ich sowohl die Aufhebung wie die Nicht-Aufhebung des Ich einschließt. Dadurch wird das clch bin' zwiespältig. Das an ihm selbst unaufhebbare Ich = Ich wird durch die Aufnahme des zweiten Grundsatzes aufgehoben, sofern im Setzen des Nicht-Ich das Ich eben aufgehoben ist. „Mithin ist Ich nicht = Ich, sondern Ich = Nicht-Ich, und Nicht-Ich = Ich" (§ 3; 269). Diese Erhebungen erarbeiten die Stellung einer Aufgabe. Ihre Folgerungen sind richtig. (Sie gehorchen ja gerade dem logischen Gesetz des Widerspruchs, das innerhalb einer Priorität im Zirkel vorausgesetzt werden muß.) „Sind sie aber richtig, so wird die Identität des Bewußtseyns, das einzige absolute Fundament unsers Wissens aufgehoben" (§ 3; 269); denn der Widerspruch dringt ja zersetzend in die Identität des Ich = Ich ein. Indessen — diese äußerste Konsequenz formuliert nicht das abschließende Resultat, das menschliche Bewußtsein sei von Grund auf durch den Widerspruch zweier Prinzipien zerrissen, sie erstellt die weiterführende Aufgabe. Die Einheit und Identität des Ich ist das einzige, was schlechthin und absolut gewiß ist. So gewiß dieses Fundament ist, so gewiß werden sich die Widersprüche, die es zu zerstören drohen, auflösen lassen. Also stellt sich die Aufgabe, eine notwendige Bedingung für die Einheit des Selbstbewußtseins im Widerspruch eines Gegensatzes zu finden. Dabei käme es darauf an, die Auflösung des Widerspruchs so zu führen, daß jene Antithesen richtig bestehen bleiben, ohne daß die ursprüngliche Identität des Bewußtseins in ihren Gegensätzen vergeht. Es ist ein Identitätspunkt zu suchen, in dem die sich aufhebenden Urakte des Entgegensetzens und des Setzens so zusammenfallen, daß die Einheit des Selbstbewußtseins bewahrt wird. „Es soll nemlich irgendein X gefunden werden, vermittelst dessen alle jene Folgerungen richtig seyn können, ohne daß die Identität des Bewußtseyns aufgehoben werde" (§ 3; 269). Diese Stellung der Aufgabe richtet das Prinzip jeglicher Deduktion ein: die Entdeckung von Grundbestimmungen als Bedingungen für die absolut gewisse, ursprüngliche Einheit des Selbstbewußtseins, welche notwendig sind, um die Identität in einem Gegensatze zu halten, der sie nicht zerstört. Die Aufstellung der Aufgabe bestimmt zuerst und vor allem die Form des dritten Grundsatzes: eine Handlung des Ich, welche Entgegengesetztes, nämlich Ich und Nicht-Ich, in einer ersten Synthesis gleichsetzt, ohne daß das Entgegengesetzte sich selbst und gegenseitig aufhebt.
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„Obige Gegensätze sollen in die Identität des einigen Bewußtseyns aufgenommen werden" (§ 3; 269). Diese Aufgabe schreibt die Form einer reinen Handlung vor, nämlich ein Zusammensetzen von Entgegengesetztem in unzerstörter Einheit. Sie rechtfertigt diese Vereinigung als notwendige Bedingung für die Identität des Ich. Soweit läßt sich ein dritter Grundsatz ableiten und seine Form als Synthesis von Gegensätzen erschließen. „Wie dies aber geschehen könne, und auf welche Art es möglich seyn werde, ist dadurch noch gar nicht bestimmt" (§ 3; 269). Die Suche nach dem Unableitbaren des dritten Grundsatzes legt wiederum den Rückgang auf eine logische Gewißheit nahe. Die Frage, wie sich A und — A zusammendenken lassen, ohne daß sie einander aufheben, führt zu einem Satz der Logik, der ebenfalls im Ansehen prinzipieller Würde und zweifelloser Gewißheit steht, dem Satz vom Grunde. Fichte stellt ihn in seiner logischen Reinheit in der Gleichung auf: A zum Teil = — A und umgekehrt. (A ist dadurch begründet, d. h. in dem bestimmt, was es ist, daß es sich auf das, was es nicht ist, bezieht und von ihm unterscheidet.) Dieser Satz vom Grunde als dem Beziehungs- und Unterscheidungsgrunde, der einheitlich alles Bestimmte betrifft, läßt sich transzendental reduzieren und als Satz des Ich herausarbeiten. Fichte hat dieses Verfahren übersprungen. Er setzt sofort ontologische Größen in die Fragestellung ein, also für A Ich bzw. Position und Sein und für non A Nicht-Ich bzw. Negation und Nicht-Sein. Ohne deren Gegensatz kann die Einheit des Selbstbewußtseins sich nicht lebendig entwickeln, mit ihm kann sie nicht bestehen. Unter welcher Bedingung also bleibt der Gegensatz und die Nicht-Identität in der Identität bestehen? Die Spitze dieser Frage stößt an die Antwort: Sein und Nicht-Sein sind in der Einheit des Selbstbewußtseins als Gegensätze verbunden, die sich nicht vernichten, sondern gegenseitig einschränken. Die Handlung, deren Form durch unbedingtes Setzen und Entgegensetzen bedingt war, ist das Einschränken, und der gesuchte Identitätspunkt (X) die Schranke. Die Schranke bildet die neue, unbedingte Fundamentalbestimmung des Anfangsgrundes und das unableitbare Urelement konkreter Reflexion. Was aber besagt Schranke? Und in welcher Bedeutung taugt das Sein der Schranke dazu, den gesuchten Identitätspunkt von Sein und Nicht-Sein, Identität und Nicht-Identität zu bilden? Eine Schranke legt fest: Bis hierhin und nicht weiter. Die Schranke des Bewußtseins sagt: Bis hierhin, aber nicht weiter, bin ich Ich — das andere ist Nicht-Ich. Darin spricht sich das reine Wesen der Schranke als ein teilweises Ein-
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schränken von totalen Ansprüchen und Befugnissen aus. Der eigentümliche Sinn der Schranke leuchtet aus der Differenz zwischen Einschränkung und reiner Aufhebung ein. Die Schranke hebt so auf, wie man z.B. Befugnisse einschränkt. Ihr Einschränken hebt die Befugnis und Ansprüche des einen zum Teil auf und überträgt den aufgehobenen Teil einem anderen. Einschränkung ist niemals totale Aufhebung, sondern Zerteilung einer Totalität. Die transzendentale Schranke schränkt die Befugnis des Ich, allein seiend zu sein, und seinen Anspruch, alle Realität zu besitzen, ein. Sie hebt ihn zum Teil auf und überträgt diesen Anspruch auf das Nicht-Ich. Im Walten dieser Schranke löst sich die Antinomie des Bewußtseins auf. Solche Dialektik des Einschränkens nimmt Kants Auflösung der Dritten Antinomie auf und verwandelt sie prinzipiell. In der Dritten Antinomie bestreiten bekanntlich Freiheit und Notwendigkeit einander den Anspruch, einziges Prinzip der Weltordnung zu sein. Die von beiden Seiten betriebene apagogische Argumentation beweist: Jedes der beiden Prinzipien hebt sich, wenn es seine Ansprüche unbeschränkt durchsetzt, selber auf. Der Machtspruch der richterlichen Vernunft entscheidet daher: Beider Ansprüche bestehen zu Recht, aber nicht im Ausmaße der Totalität, sondern nur zum Teil. Ihr Zusammenbestehen wird durch die Schranke ermöglicht, die der Freiheit wie der Notwendigkeit wechselseitig Befugnisse wegnimmt und überträgt. Soviel an Befugnis, wie der Freiheit im Bereich der sinnlichen Natur entzogen wird, wird der Notwendigkeit übertragen und umgekehrt. Die Rechte, die der Notwendigkeit im übersinnlichen Teil des Ganzen der Dinge abgesprochen werden, werden der Freiheit übertragen. In der Grundlegung des Vernunftsystems stellt sich nun nicht das Problem einer kosmologischen, sondern einer ontologischen Antinomie. Was einander das Bestehen bestreitet, sind Sein (Position) und Nichtsein (Negation), und das heißt im Lichte transzendentalen Seinsverständnisses: absolutes Ich und absolutes NichtIch oder reines Setzen und Entgegensetzen. Beides fällt im Begriff der Schranke unversehrt zusammen. Das rettende Moment der Schranke ist die Teilbarkeit. Die Teilbarkeit garantiert: Das absolute Ich kann nicht total negiert werden; die Negation trifft nur einen Teil, der andere Teil des Ich bleibt von der Negation unbetroffen und erhält sich der Negativität gegenüber in seiner Positivität. Und umgekehrt kann das NichtIch niemals total vom Ich aufgehoben werden; immer bleibt ein Teil des Nicht-Ich der Bestimmung durch das Ich, sei es theoretisch, sei es praktisch, entzogen. So teilt das unableitbare, unbedingte Wesen der Schranke
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die Befugnisse von Sein und Nichtsein auf und bewahrt dadurch die Einheit des Selbstbewußtseins vor dem Widerspruch zweier Absoluta. Damit sind die Begründungsverhältnisse des dritten Grundsatzes freigelegt. Er ist der Form nach durch die Aufgabe bedingt, die sich aus den vor- und zugrundeliegenden Grundsätzen notwendig ergibt. Die Form muß danach in einer Handlung des Ich bestehen, welche das sich widersprechende Setzen und Entgegensetzen einigend in Beziehung setzt. Die vorgezeichnete Form ist die Bestand gebende Synthesis von Setzen und Entgegensetzen. In der abgeleiteten Aufgabe bleibt unableitbar, daß die Synthesis in einem Einschränken geschieht, welches auf der Teilbarkeit der Gegensätze basiert. Das in den dritten Grundsatz und in die erste Synthesis des Geistes eintretende Unbedingte ist die Schranke, das Teilbarsein von Ich und Nicht-Ich. Dieser Gehalt eines teilbaren, endlich bestimmten Ich und Nicht-Ich läßt sich aus dem vorausgesetzten Ich und Nicht-Ich nicht entwickeln, da diese unendlich und unbestimmt sind. Bestimmtheit folgt niemals aus Unbestimmtheit. Die Teilbarkeit von Sein und Nichtsein oder die wechselseitige Bestimmbarkeit und Beschränkung von Ich und Nicht-Ich, das ist die irreduzible Grundgegebenheit der Endlichkeit. Die Teilbarkeit von Ich und Nicht-Ich also ist die unbedingte Materie des dritten Grundsatzes. Seine bedingte Form besteht in dem vorgeschriebenen Verbinden von Setzen und Entgegensetzen. Der Satz lautet daher: Das Ich schränkt das teilbare Ich und Nicht-Ich ein. Dieser Spruch ist ein Machtspruch der Vernunft. Die Vernunft bleibt ihrer selbst mächtig, indem sie sich in kritischer Besonnenheit ganz auf den Boden der Endlichkeit stellt und entscheidet, die Synthesis von Sein und Nichts brauche die Teilbarkeit der Schranke. Und der Machtspruch schließt das Verbot ein, zu einer unbeschränkten Identität von Sichsetzen (Identität) und Entgegensetzen (Nicht-Identität) sei der Geist nicht ermächtigt. Die Richtigkeit des dritten Satzes läßt sich in einer Probe verifizieren, welche nachprüft, ob er die Aufgabe, die ihn erzwungen hat, auch richtig gelöst hat. Löst er die Gegensätze wirklich auf, indem er die Einheit des Selbstbewußtseins im Gegensatze bewahrt? Dafür ist zu erinnern: Der erste Widerspruch entstand daraus, daß das Nicht-Ich im Ich gesetzt und folglich das Ich zugleich aufgehoben und vorausgesetzt war; denn durch die Setzung eines Nicht-Idi wird das Ich negiert, durch die Setzung eines Nicht-/c& wird das Ich vorausgesetzt. Der Begriff der Teilbarkeit liefert die Auflösung. Im Setzen des Nicht-Ich wird das Ich zum Teil aufgehoben und zum anderen Teil nicht aufgehoben. Das
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Nicht-Ich hebt das Ich in seiner Einschränkbarkeit und Bestimmbarkeit auf, aber nicht total, sondern eben nur zum Teil. Und von da löst sich auch derjenige Widerspruch, der in den ersten Grundsatz eingedrungen war. Das Ich als unteilbares All der Realität (Ich = Ich) und das Ich als vom Nicht-Ich getilgte Realität (Ich = Nicht-Ich) scheinen einander heillos zu widerstreiten. Jetzt wird der Gegensatz durch die Einsicht zerteilt, das Ich sei beides, aber in verschiedener Hinsicht. Das unteilbare Ich als absolutes Subjekt bleibt gegensatzlos. Im Gegensatz zum NichtIch dagegen ist das Ich teilbar. Mithin betreffen die entgegengesetzten Prädikate Unteilbarkeit und Teilbarkeit das Ich nicht in derselben Hinsicht. Die Teilbarkeit geht das Ich an, sofern es dem Nicht-Ich durch Einschränkung entgegengesetzt ist, die Unteilbarkeit dasjenige Ich, innerhalb dessen Einheit die Entgegensetzung spielt. Damit ist die transzendentale Axiomatik vollendet19. Alle drei möglichen Grundsätze sind auf- und zusammengestellt. „Die Masse deßen, was unbedingt, und schlechthin gewiß ist, ist nunmehr erschöpft" (§3; 271—72). Schlechthin unbedingt ist dreierlei: das Setzen und die Selbstbestimmung der Vernunft, die Form der Entgegensetzung und die materiale Schranke der Teilbarkeit. Das heißt: Das einzig Gewisse sind die Einheit und Freiheit der Vernunft, das Anderssein der Welt und die Endlichkeit. Diese Gewißheiten schließen sich zum ersten synthetischen Satze a priori zusammen, das Ich setze im Ich dem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegen. In ihm wird die Masse des Unbedingten und Gewissen in ihrer gefügten Gliederung transparent. Die Grundverfassung des selbstgewissen Ich gibt eine Dreiheit von Thesis, Antithesis und Synthesis vor. Das Wesen des Ich, das Geschehnis der Reflexion, ist dialektisch. Die transzendentale Untersuchung des Selbstbewußtseins bekommt 19
J. Widmann hat darauf aufmerksam gemacht, daß man in der W.-L. ein Axiomensystem im modernen Sinne zu erblicken habe; denn ihre Grundlegung erfülle die drei Bedingungen, welche z.B. Hilbert an ein streng axiomatisiertes System stellt: Unabhängigkeit, Vollständigkeit, Widersprudisfreiheit ('Analyse der formalen Strukturen des transzendentalen Wissens in J. G. Fichtes z. Darstellung der W.-L. aus dem Jahre 1804', S. 21—23. München 1961). Freilich besteht ein gravierender Unterschied. An ein geometrisches Axiomensystem werden diese drei Kriterien von außen unbefragt herangetragen. In der Philosophie ergeben sie sich aus dem Anfangsgrunde selbst. Die obersten Grundsätze der Philosophie sind unabhängig (unbedingt), vollständig (nicht mehr als drei) und widerspruchsfrei (in ihren Gegensätzen eingeschränkt), sofern und solange sie die Freiheit, Abgeschlossenheit (Horizontalität) und die Dialektik des reinen Selbstbewußtseins ausdrücken.
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dessen Genesis und überzeitliches Geschehen zu Gesicht20. Die ursprüngliche Geistesgeschichte spielt sich als ein Übergehen zwischen äußersten Gegensätzen und als deren unmittelbare, endliche Versöhnung ab. Ausgang dieses zeitlosen Werdens ist das in der Thesis aufgestellte, schlechthin unbedingte Sein des Ich. Dessen vernünftige Identität hält sich unaufhebbar durch. Sie bedingt als anfängliche Bedingung der Möglichkeit allen Bewußtseins alle folgenden Bedingungen. Andererseits sind die ihr unterstehenden Prinzipien in einer Hinsicht selbst unbedingt. Daher ließ sich ja ein System von Grundsätzen nicht einfach durch Auswicklung des ersten Satzes entwickeln. Das bedeutet für die thetische Struktur des Anfangs: Das absolute Ich ist ohne Gegensatz; seine Position ist vom Widerspruche frei. Daher ist das Sichsetzen nicht schon an sich selbst das Sichunterscheiden und die absolute Einheit von beidem. Die Thesis 'Ich bin3 hat die logische Form eines thetischen (unendlichen) und nicht eines synthetischen Urteils. Das dem Subjekt-Ich entgegenliegende und mit ihm zu synthetisierende Prädikatsnomen ist leer ('Ich bin —'); darum genügt solch unbestimmte Thesis nicht, um aus sich das Leben des Geistes zu entfalten. Dazu bedarf es des Gegensatzes, und dieser entsteht durch eine eigene unbedingte Weise des Handelns, durch das Entgegensetzen. Das unbedingte Entgegensetzen ist mithin nicht dasselbe wie die absolute Setzung. Die Negation ist nicht umgeschlagene Position. Sie stellt sich als ein eigener Anfang in der Urgeschichte der Reflexion heraus. Erst das Element der Entgegensetzung treibt die Position des Ich in den 20
Damit fällt der Einspruch Hegels, das Auftreten des Idealismus in der Gestalt der W.-L. sei der Ansatz einer bloß unmittelbaren Vernunft, welche den Weg ihres Werdens im Rücken und vergessen habe: Dem Fichteschen Idealismus ist der Anfangsgrund ein Fund. So sieht er nicht, daß der Geist auf dem Standpunkte der Vernunftgewißheit Resultat ist und einen Weg hinter sich hat. Und er kann sich an den Weg nicht erinnern, weil er das Gesetz und die Methode des Gewordenseins nicht reflektiert. Daher bleibt solche Vernunfthaltung ein bloßes Versichern, daß Ich = Ich der höchste Standpunkt sei, und wird hilflos gegen die gegenteilige Versicherung, daß Anderes für mich sei, welche mit demselben Rechtsanspruch auf unmittelbare Gewißheit auftritt. Im Streite dieser Gegensätze herrscht die Geschichtslosigkeit, der Mangel an Reflexion auf das Sein als Prozeß. Dabei ist richtig, daß die Unbedingtheiten des Ich als ein Fund und als ein unmittelbares Sichfinden der Vernunft auftreten. Indessen: Das Durchreflektieren dieses dreifachen Befundes als eines dialektischen Geschehens in einer Reflexion, die sich am Ende als das Innerste der Vernunft und ihre Methode enthüllt, das ist doch Reflexion auf das Sein als Prozeß. Der Prozeß ist der verwickelte Gang der W.-L. von ihrem aufgefundenen Grunde aus in den absolut reflektierenden Grund zurück.
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Widerspruch und belebt sie. Und im Hinblick auf die im ersten Grundsatze angelegte Selbstbestimmung leuchtet auch sogleich ein: Soll diese absolute Freiheit wirklich und wirksam werden, dann braucht sie den reellen Gegensatz; denn die Freiheit lebt im Sichlosreißen von der Fremdbestimmung und im Überwinden eines Entgegenwirkenden. Nur durch den Urakt der Negation findet sich der endliche Geist von sich her in die Zweiheit (von Übersinnlichem und entgegengesetztem Sinnlichen) eingelassen. Das Element, in welchem er allein zu leben vermag, ist der Gegensatz (und nicht die Identität) von Identität und NichtIdentität, von Selbstbestimmung und Bestimmtwerden durch das andere, das nicht Ich bin. Wie aber vereinbart sich die Identität mit der Unterschiedenheit unter Erhaltung des Primats der Identität? Diese spekulative Grundfrage neuzeitlichen Denkens hat die Wissenschaftslehre durch den Machtspruch der Vernunft entschieden: Die synthetische Einheit des Gegensatzes basiert auf dem Wesen der Schranke, der Teilbarkeit. Der durch die Schranke geschiedene Widerstreit von Realität und Negation, von absolutem Ja und absolutem Nein, von Freiheit und Gebundenheit, von Selbstbestimmung und Weltbestimmtheit, das ist die konkrete Ursituation endlichen Geistes. Die Grundstruktur des Selbstbewußtseins baut sich in der Doppelspannung von Selbst und Welt und von Sinnlichem und Übersinnlichem auf. Die Ichheit ist der einende Zusammenhalt dieser zweifachen Spaltung in vier Glieder; denn dasselbe Ich ist bei sich und bei anderem, das nicht Ich, sondern Welt ist; und es ist das im Bezug zum entgegengesetzten Sinnlichen befangene Ich ebenso wie das absolute Ich in seiner übersinnlichen Freiheit. (Schiller hat diese Verfassung des endlichen Geistes auf die Bedingungen der Möglichkeit des Menschseins adäquat angewendet. Menschheit [humanitas] ist die Einheit in der Zweiheit von Person und Zustand, die Versöhnung der entgegengesetzten Kräfte des Stoff- und des Formtriebes. Vor ihrem alle Menschlichkeit vernichtenden Antagonismus rettet die Synthesis einer Wechselwirkung, durch die sich das absolut Entgegengesetzte gegenseitig einschränkt.)21 21
Wie sich die aporetische Frage nach der Möglichkeit des Menschen bei Schiller aus den Grundzügen neuzeitlichen Denkens ergibt, ist bei K. H. Volkmann-Schluck gezeigt worden (vgl. 'Die Kunst und der Mensch'. Frankfurt a. M. 1964). Das Wesen des Menschen (die Person) gründet in der Subjektivität, deren volle Bestimmung in dem sich wollenden, sich wissenden Bei-sich-selbst-Sein besteht. Seine Wirklichkeit gründet im Welt-Zustand, auf den eine endliche Subjektivität angewiesen
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Also bringt der dritte Grundsatz die dialektische Struktur der Ichheit zum Austrag. Diese besteht nun, genau gesehen, nicht darin, Gott, Ich und Welt zu scheiden und in Gott zu vereinigen. Ihre Synthesis ist endliche Einheit eines widerstreitenden Bezugs, nämlich die angespannte Bezogenheit des endlichen Geistes zum Göttlichen und Unbedingten, zur Welt und zu sich selbst. Hier kündigt sich die Einsicht an, die Ichheit sei nichts als der gründende Austrag dieser Relation. Und jetzt wird der Reflexionscharakter des Ich deutlicher, nämlich der selbstbezügliche Bezug, der nicht einfach in sich zurückkehrt, sondern der den Unterschied des Anderen als eines zu überwindenden Gegensatzes in sich hat. Das Ich und die Reflexion ist das Sich-auf-sich-Beziehen im Austrag von Setzen, Entgegensetzen und einschränkendem Zusammensetzen, und zwar als die eine und selbe, ungetrennte Tätigkeit. Darüber ist Klarheit zu schaffen. In der Reflexion als dem verbalen Wesen des Ich vollziehen sich die dialektischen Urhandlungen untrennbar und mit einem Schlage. Ihre Trennung in verschiedene, aufeinander folgende Momente geschieht allein durch die freie Kunst der philosophischen Analytik. Weil wir (das philosophierende Subjekt) die Gliederung des Selbstbewußtseins immer nur in einer künstlichen Trennung durchsprechen können, darum muß ihre natürliche Ungetrenntheit eingeschärft werden. Dabei leuchtet sofort die organische Einheit von Synthesis und Antithesis sein. Die Synthesis ist nicht möglich ohne Antithesis; denn die ursprüngliche Handlung des Verbindens Entgegengesetzter (in der Zerteilung der Schranke) verlangt die Handlung des Entgegensetzens. Ebenso ist die Antithesis nicht möglich ohne Synthesis; denn das entgegensetzende Ich fordert, um sich nicht im Entgegengesetzten zu vernichten, die Einigungstat der Synthesis. Das eben hat die Aufstellung des dritten Grundsatzes ergeben, „daß die ursprüngliche Handlung, die er ausdrückt, die des Verbindens Entgegengesezter in einem Dritten, nicht möglich war, ohne die Handlung des Entgegensetzens; und daß diese gleichfalls nicht möglich war, ohne die Handlung des bleibt. Die besondere Auflösung dieses Gegensatzes verlegt Schiller in eine limitierende Wechselwirkung von Freiheit und Zeit (vgl. W. Janke, 'Die Zeit in der Zeit aufheben', Kant-Studien 58, 8.433—457· I967)· Darin trennt sich Schillers 'transzendentaler Weg1 von dem Fidites (nicht etwa vom abstrakten Formelwesen der Transzendentalphilosophie in Richtung auf eine psychologische Trieblehre — so H. Lossow, 'Schiller und Fichte'. Breslau 1935). Für Fichte ist die Zeit-Bildung die letzte Synthesis in der Einheit des menschlichen Geistes überhaupt. Für Schiller ist die Zeit die Schranke, welche den Menschen bedroht, und ihre Aufhebung in der Zeit ist die wirkliche Bezeugung für die Möglichkeit 'harmonischer Humanität'.
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Verbindens: daß also beide in der That unzertrennlich verbunden, und nur in der Reflexion zu unterscheiden sind" (§3; 274). Ohne Synthesis bricht die Vernunfteinheit des Selbstbewußtseins im Gegensatze von Geist und Natur, Intelligenz und Ding oder von Ich und Nicht-Ich auseinander. Ohne Antithesis verlöscht das Selbstbewußtsein in der Unbestimmtheit gegensatzloser Ununterschiedenheit. Und es bedarf (wider polemische Einreden) der Versicherung: Von der organischen Verbindung zwischen Synthesis und Antithesis ist die Thesis nicht getrennt. Zwar ist die absolute Thesis nicht in sich selber antithetisch-synthetisch (dann wäre das dialektische Geschehen der Prozeß und das Wesen des Absoluten), wohl aber ist sie niemals abzuschneidendes Vollzugsmoment in der Genesis des Selbstbewußtseins. Die Thesis, d. h. die Vernunftgewißheit, alle Realität zu sein, bildet die unverlierbare Basis derjenigen Synthesis, die von einem cDu sollst' angetrieben wird, den beschränkten Gegensatz von Ich und Nicht-Ich in die Schrankenlosigkeit des Ich = Ich aufzuheben. Ohne antithetische Synthesis mangelt es der Thesis an Wirklichkeit und konkreter Erfüllung. Ohne Thesis fehlt der endlichen, antithetischen Synthesis ihre unendliche Möglichkeit. In der Urgeschichte des Selbstbewußtseins geschehen Thesis, Antithesis und Synthesis in untrennbarer Einheit und mit demselben dialektischen Schlag. Das unmittelbare Vorgehen aller drei Handlungen mit einem Schlage (tout d'un coup) kann leicht rekonstruiert werden. Das Entgegensetzen braucht, um real zu sein, das Setzen und geht diesem nicht vorher. Es folgt ihm aber auch nicht nach; denn das Wie dieses Setzens gründet gar nicht im Setzen schlechthin. In Wahrheit wird keine Handlung durch die andere vermittelt, beide sind unmittelbar eins. Indem sich das Ich setzt, setzt es sich ein Nicht-Ich entgegen und umgekehrt. Und ebenso gehören die Handlungen des Limitierens und des Gegensetzens in den einen und selben Vorgang der Ich-Entstehung. Das Einschränken kann dem Gegensetzen nicht nachgehen; denn ohne das In-Schranken-Setzen würde das Gegensetzen im Schwanken zwischen dem Sich-Aufheben und Sich-nicht-Aufheben auseinanderfallen. Aber die Handlung des Einschränkens kann der des Gegensetzens auch nicht vorhergehen; denn die Teilbarkeit ist nichts ohne Teilbares, und es ist das entgegengesetzte Ich und Nicht-Ich, das in der Teilbarkeit steht. „Also geht sie unmittelbar in und mit ihr vor; beide sind Eins, und eben Dasselbe, und werden nur in der Reflexion unterschieden" (§ 3; 270). Es ist die Reflexion des philosophierenden Bewußtseins, welche die
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lebendige Einheit der Ich-Reflexion zergliedert und die zeitlose Genesis des Selbstbewußtseins im Nacheinander auseinanderlegt. Aber diese Analyse verfährt nicht willkürlich. Sie gewinnt ihre Methode in strenger Bindung an die Sache. Freilich ist die hier vorliegende Sache eben kein abgegrenzter, gegenständlicher Sachbereich, sondern das aller Gegenständlichkeit zugrundeliegende Geschehen des Selbstbewußtseins. Die transzendentale Analytik der Wissenschaftslehre hält sich an den Grund aller Erfahrung, das Ich, und zertrennt dessen dialektische Einheit in Thesis, Antithesis und Synthesis, aber im Wissen um deren untrennbare Einheit. So entnimmt die Systembildung des Vernunftsystems ihren methodischen Leitfaden der Verfassung der höchsten Synthesis, so daß ihre leitende Regel besagt: Keine Antithesis ohne Synthesis, keine Synthesis ohne Antithesis. Die Wissenschaftslehre gibt sich selbst ihre Form: „Die Form des Systems gründet sich auf die höchste Synthesis" (§3; 276). Der Prozeß philosophischer Systementfaltung ist dialektisch, weil das zu Entfaltende in seinem Anfange und Grunde dialektisch ist.
4· KAPITEL
Die Dialektik der Methode Das Leitfadenproblem der Deduktion Am Leitfaden der Dialektik vollbringt der erste Absdinitt im Bau eines Systems der kritisdien Vernunft die Wiederentdeckung und Herleitung der obersten Denkbedingungen, die Deduktion der Kategorien. Die Lehre von den Kategorien hat vom Organon des Aristoteles bis zur transzendentalen Logik Kants keinen Schritt rückwärts tun dürfen, sie hat auch keinen Schritt vorwärts tun können. Solche Bewegung setzt einen Wandel in der Bedeutung von Sein und eine Umwälzung der obersten Gründe und Ursprünge voraus. Es ist die Vernunftkritik Kants, welche für die Wiederentdeckung der Kategorien eine neue Untersuchungsrichtung einschlägt und für ihre systematische Erörterung einen eigentümlichen Leitfaden ergreift. Die kritische Bearbeitung der Kategorien ist unter die Titel einer metaphysischen und einer transzendentalen Deduktion gestellt worden. Das Kantische Denken versteht unter „metaphysischer Deduktion" (Kr. d. r. V. B 159) die systematische Entdeckung und Ableitung der Kategorien als den reinen StammbegrifFen des Verstandes am Leitfaden der Urteilsfunktionen. Diese Art Deduktion sucht die Kategorien in ihrem Ursprünge und ihrer Abstammung auf und findet: Sie stammen nicht bloß wie alle Begriffe der Form, sondern auch dem Gehalte nach aus dem Verstande, d. h. aus dem Vermögen des Denkens. Die Entdeckung der Kategorien beruht auf der Einsicht: Es gibt beim Denken ein zuvor und bei allem Gedachten schon Mitgedachtes; solch reine, erfahrungsfreie Begriffe als das dem Denken immer schon Bekannte sind die Kategorien. Deren systematische Freilegung geschieht nach dem Stellenplan der Urteilstafel. Mit ihrer Hilfe soll jedem reinen Verstandesbegriff seine Stelle und allen insgesamt ihre Vollständigkeit nachgewiesen werden; denn die Grundformen des Denkens decken sich mit den Urteilsformen.
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Der Grund für solche Kongruenz ergibt sich in Rücksicht auf das eine und selbe bestimmende Vermögen, den Verstand. Denken ist das Vermögen des Vorstellens von etwas im Begriff. Es geschieht mittelbar oder diskursiv, weil es etwas im Durchgang durch den Begriff als etwas bestimmt. Seine Vollzugsart ist das Urteil, weil Urteil heißt, etwas als etwas aussagen. Wird nun allein auf die Verrichtung des Verstandes im Urteilen überhaupt und im reinen Denken geachtet, so zeigt sich: Es ist dieselbe Funktion am Werke, nämlich die gesetzhafte Einigung einer Mannigfaltigkeit zur Einheit. Im Urteil sind ein Subjekt- und ein Prädikatbegriff zusammengenommen, wobei sich der sprachliche Ausdruck dieser Verbindung verschiedener Vorstellungen zur Einheit eines Verhältnisses im ''Verhältniswörtchen3 ist, dem Band oder der Copula des Urteils, einfmdet. Der Verstand nun, der seine Kraft des Denkens im Urteilen und Ist-Sagen zeigt, spricht sich darin als das Vermögen aus, Vorstellungen zu verbinden, und d. h. das Verhältnis von Subjekt- und Prädikatbegriff im Hinblick auf eine Einheit und in verschiedenen gesetzmäßigen Formen zu einigen. (Die Einheit, vermittels deren der Verstand die mannigfaltigen Vorstellungen einigt, heißt analytische Einheit. Sie bleibt auf die Einigung von Gedachtem beschränkt.) Das gesetzhafte Einigen einer Mannigfaltigkeit zur Einheit, das ist auch die Verrichtung des Denkens. Das Denken regelt durch seine reinen Hinblicke, die der Verstand von sich aus mitbringt, das Mannigfaltige in der Anschauung. Es bringt eine Einheit auf, welche das Objekt als Objekt bestimmt. (Diese Einheit ist synthetisch; denn ihre Einigung nimmt a priori das Denken mit dem Objekt zusammen und bringt das ganze Verhältnis der Vorstellungen in den Bezug zum Gegenstand.) In Rücksicht auf diesen Vergleich kündigt sich das Principium der metaphysischen Deduktion an. Bei solchem Vergleich ist von der Ungleichheit des zu Vergleichenden abzusehen, vom Unterschied der analytischen Urteilseinheit und der synthetischen Einheit des reinen Denkens22; 22
Dennodi hat sich innerhalb der Kant-Forschung der Auslegungsstreit gerade an diesem Unterschied festgehakt. Darum sei angemerkt, wie es m. E. damit an der umstrittenen Leitfadenstelle (Kr.d.r.V. § 104—j) steht. Der Verstand bringt vermittels der analytischen Einheit die logische Form eines Urteils zustande. Die analytische Einheit ist die durchgängige Identität des Bewußtseins, sofern in jeglicher Vorstellung der Bezug auf das vorstellende Ich herausgegliedert werden kann. Das Urteil 'Die Rose ist rot' vereinigt Begriffe auf Grund dieser Einheit; denn das logisch einigende Ins-Verhältnis-Setzen unterschiedener Vorstellungen ist nur möglich auf Grund der Einheit des Ich-stelle-vor. Derselbe Verstand bringt vermittels der synthetischen Einheit den apriorischen Objektbezug zustande. Die synthetische Einheit des Selbstbewußtseins ist das Bewußtsein eines apriorischen Verbindens von Subjekt
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es ist auf das Gleiche zu sehen, auf die Selbigkeit der Funktion. In diesem Hinblick wird evident: Es ist dieselbe Funktion des Verstandes, die im Ist-Sagen des Urteils (z.B. Die Rose ist rot) und im Ist-Sagen des reinen Denkens (z. B. Rose ist Akzidenz einer Substanz) am Werke ist, nämlich die eine und selbe Verrichtung des gesetzmäßigen Einigens einer Mannigfaltigkeit zur Einheit. Daher schließt eine Kategorialanalyse von den Arten des Urteilens auf die Arten des reinen Denkens zurück und enthüllt, indem sie alle Urteilsformen der allgemeinen Logik aufstellt, die vollständige Tafel der Kategorien. Das Resultat der metaphysischen zieht das Problem der transzendentalen Deduktion nach sich. Das Denken hat sich zwar der Kategorien als seiner eigenen Vorstellungsweisen vergewissert, es bleibt aber im Ungewissen darüber, ob diese Denkbestimmungen auch die Bestimmungen der Dinge selber sind. Im Denken wird aber doch das jeweils Gedachte als Seiendes ausgesprochen. Der Verstand urteilt z. B. „Dieses ist rot" und hat in diesem Urteil mitgedacht „Seiendes ist Akzidenz einer Substanz". Fraglos werden die kategorialen Gestalten des Denkens als Gestalten des Seienden beansprucht. Eben diesen Anspruch stellt die transzendentale Deduktion in Frage. Mit welchem Recht spricht unser Verstand seine Weisen des Denkens den Dingen als deren Seinsweisen immer schon zu? Deduktion bedeutet hierbei die Rechtfertigung eines Anspruches durch Beibringung eines Rechtsgrundes und transzendentale Deduktion die Rechtfertigung der reinen Stammbegriffe des Verstandes in ihrem Anspruch auf objektive Gültigkeit. Das Principium der transzendentalen Deduktion, aus dem der Leitfaden für die Auflösung dieser Rechtsfrage entspringt, nimmt sich im Kontext der „Kritik der reinen Vernunft" so aus: Reine Stammbegriffe des Verstandes sind in ihrer objektiven (allgemeinen) Gültigkeit bezeugt, wenn sie als Bedingungen nachgewiesen werden, die a priori Erfahrung, also gegenständliche Erkenntnis, ermöglichen. Sie sind objektiv gültig, d.h. sie betreffen das Sein der Gegenstände unserer Erkenntnis, weil ohne sie Erfahrung nicht möglich wäre. Und sie sind es mit derselben Gewißheit, mit der es objektive (allgemeingültige) Erfahrung für die menschliche Erkenntnis gibt. und Objekt durch das Subjekt. Die Thesis 'Etwas Gegenständliches (rote Rose) ist Substanz von Akzidenzen' ist nur möglich auf Grund von synthetischen Leistungen des Subjekts. Vom Unterschied und vom Fundierungsverhältnis der analytischen und synthetischen Einheit aber sieht die Entdeckung des Leitfadens ab. Sie hält sich an die Selbigkeit in der Verstandesverriduung des Einigens.
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Das Wesen des Ich
Es ist selbstverständlich, daß dieses bündig formulierte Prinzip nicht mehr als eine Arbeitsanweisung darstellt. Es weist in das schwer zu durchdringende Sachgebiet einer transzendentalen Analyse ein, die den Bezug von Objekt (als dem Gegenstande der Erkenntnis) und Subjekt (als dem erkennenden Ich) daraufhin zergliedert, wie in ihm die Kategorien einbezogen sind. Solche Analyse der vollen intentionalen Struktur des Bewußtseins (Ich stelle etwas als von mir Vorgestellt-Seiendes vor) durchläuft einen langen Weg. Und es ist nicht zufällig, daß dieser Weg abermals über die Struktur des Urteils führt. Nur dieses Gelenk der Beweisführung ist hier herauszuarbeiten (Kr. d. r. V. §19/20): die neu eingesetzte Wesensbestimmung des Urteils und die das Urteil leitende Funktion des Verstandes. Erst in der Aufklärung dieses Problemzusammenhanges nämlich gelingt es, den Wesensbau des Urteils angemessen zu fassen. Im Blick auf das Subjekt-Objekt-Verhältnis stellt sich heraus, das Urteil sei nichts anderes „als die Art gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen" (B 141). Diese Definition kommt dem Ist-Sagen im Urteil auf die Spur. Herkömmlicherweise wird von den Logikern das Urteil als die Vorstellung eines Verhältnisses zwischen zwei Begriffen definiert und das Verhältniswörtchen ist für das Band und die Kopula erklärt, welches Subjekt- und Prädikatbegriff zur Einheit eines Verhältnisses verbindet. Solche Bestimmung läßt unbestimmt, worin dieses Verhältnis im Grunde besteht. Sie versteht das Ist im Urteil nicht wörtlich, nämlich ontologisch. Die transzendentale Logik ist Ontologie. Sie bedenkt die im Ist hinterlegte Bedeutung des Seins. Das Ist im Urteil zielt darauf ab, die objektive (allgemeingültige) Einheit gegebener Vorstellungen von der einseitig subjektiven zu unterscheiden. 'Etwas ist etwas' hat den Sinn: Es liegt im Objekte selbst und nicht bloß in meiner Wahrnehmung nach Gesetzen der Assoziation zusammen vor. Wodurch aber wird aus dem Verhältnis von Vorstellungen ein Urteil, also ein im Ist-Sagen dargelegtes Verhältnis von objektiver Gültigkeit? Die elementare transzendentale Einsicht lautet: Das Objekt schuldet seine Objektivität dem Subjekt; die oberste Bedingung für das Gegenständlichsein des Gegenstandes ist die ursprüngliche Einheit der Apperzeption. In dieser transzendentalen Rücksicht wird das Ist verstehbar. Alles im Urteil Verbundene (z.B. das Schwersein des Körpers im Urteil 'Körper ist schwer') gehört zur notwendigen Einheit der Apperzeption und unterliegt deren Prinzipien. Das Ist bedeutet: ist objektiv durch den Bezug auf das reine Subjekt des Ich-denke.
Die Dialektik der Methode
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Wird nun der schon bekannte Zusammenhang von Kategorie und Urteil herangezogen, dann leuchtet die Bedeutung der Urteilsdefinition für die transzendentale Deduktion ein. Jetzt lassen sich die konkreten Analysen in ihren vereinzelten Gedankenschritten zur Schärfe eines Schlusses zuspitzen. Seiendes ist Seiendes für uns, d. i. Objekt, durch den vorgängigen Bezug auf die Einheit des Ich-denke. Im Bezug auf das Ich-denke gründet das Urteil, das aussagt: Etwas ist objektiv. Die bestimmten und gesetzhaften Vollzüge des Ist-Sagens aber sind die Kategorien. „Nun sind aber die Kategorien nichts anderes als eben die Funktionen zu urteilen" (B 143). Also beziehen sich die Kategorien auf das Seiende als Gegenstand; sie sind objektiv gültig, indem sie dessen Gegenständlichsein ermöglichen. Mit diesen Abgrenzungen ist umrißhaft angegeben, was metaphysische Deduktion und ihr Leitfaden und was transzendentale Deduktion und deren Principium im Kantischen Verstande bedeutet. Dieser Deduktionsansatz ist einer zersetzenden Kritik ausgesetzt worden. So haben Hegel und nach ihm Herbart eingewendet, der Leitfaden der metaphysischen Deduktion sei bloß empirisch aufgefaßt, nämlich durch die Beobachtung, wieviel Urteilsarten es gebe. Der Marburger Neukantianismus (Cohen) hat die Unzuständigkeit der allgemeinen Logik angezeigt. Die allgemeine Logik habe es nur mit analytischen Urteilen zu tun. Die Deduktion suche die Formen des Denkens als Formen des synthetischen Urteils herzuleiten; denn die Kategorien seien Formen des synthetischen Denkens, weil sie nur als Vollzugsformen der synthetischen Einheit des Ich-denke zu begreifen seien. Mithin könnten sie unmöglich den Arten des analytischen Denkens entnommen werden. Und die Kant-Kritik der Philosophiehistorie (Kroner) hat das Prinzip der transzendentalen Deduktion in einen gnoseologischen Zirkel abgedrängt. Die objektive Gültigkeit der Kategorien stütze sich auf die Tatsache der Erfahrung überhaupt (und vorzüglich auf die Wirklichkeit der Naturwissenschaft, die Erfahrung von wahren Naturgesetzen); die Objektivität der Erfahrung stütze sich ihrerseits auf die Geltung der Kategorien. Das ist bekannt und soll hier nicht erörtert werden23. 23
Dazu und zur Abwehr dieser Kritiker vgl. K. Reich, 'Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel'. 2. Aufl., Berlin 1948. Diese scharfsinnigste Rechtfertigung des Systemanspruchs der Deduktion sucht zu erkennen, wie die rein logischen Bedingungen der Urteile nach einer Idee unter sich zusammenhängen. Das ist gerade der Leitfaden der Entdeckung der Kategorien, welche auf die Selbigkeit der Funktion des Einigens in der logischen und objektiven Position des Seins rekurriert und auf die transzendentale Gegründetheit der logischen Grundfunktionen vorläuft.
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Unbekannt ist die Kritik Fichtes geblieben. Und gerade sie hat die reinliche Scheidung zwischen dem adäquaten Sinn der Kantischen Deduktion und ihrer unangemessenen Ausführung vollzogen. In ihr sind die von Kant liegen gelassenen Aufgaben der Kategorialanalyse auf das einzig zureichende Prinzip zurückverwiesen und mit Hilfe eines angemessenen methodischen Leitfadens auf dem Boden der Transzendentalphilosophie, also in den Grenzen endlichen Geistes, systematisch bewältigt worden. In der i. Einleitung in die Wissenschaftslehre von 1797 findet sich ein Einspruch gegen die Systemanlage des sogenannten 'unvollständigen kritischen Idealismus'. Dieser betreibe die Ableitung der Kategorien nicht von dem höchsten Punkte der Logik, dem Ich-denke, aus; er entwickle sie mithin nicht als die bestimmten gesetzlichen Vollzüge des reinen Selbstbewußtseins selber. „Er faßt diese Gesetze etwa so, wie sie schon unmittelbar auf die Objecte angewendet werden, also auf ihrer tiefsten Stufe (man nennt sie auf dieser Stufe Kategorien) irgendwoher auf" (SW I, 442). Mit diesem Urteil fällt der von Kant gegen Aristoteles erhobene Vorwurf, er raffe die Kategorien planlos irgendwoher auf, auf das Kantische Verfahren zurück. Und eigentlich betrifft solcher Einspruch allein die neuzeitlichen Systemansprüche. Die aristotelische Ontologie hat die Einheit in der Vielzahl kategorialer Seinsbedeutungen aufgedeckt. Alle Arten der (wie viele es auch immer sein mögen) sind geeint und einheitlich seiend durch den Bezug auf das von ihm selbst her Seiende, die . Solche Analogie bildet Einheit und verschafft der philosophischen Wissenschaft, die keine generische Einheit besitzt, den Zusammenstand eines Verhältnisses — aber sie ist kein System im neuzeitlichen Verstande und untersteht nicht dessen Anforderungen. Neuzeitlich gedacht, ist das von sich her Seiende, auf das sich alle Seinsbestimmungen beziehen, das Subjekt des Ich. Dessen Wesen ist absoluter Selbstbezug unter dem Wahrheitsgebot der Gewißheit. Es ist erfüllt, wenn die Grundbezüge des Objekts als Selbstbezüge des einen Subjekts enthüllt und lückenlos aus seinem Wesen abgeleitet sind. Ein bloß rhapsodistisches Auflesen dagegen starrt auf die Kategorien in In Abhebung dazu sollte erkannt werden: Der Leitfaden für die Systembildung ist die dialektische Methode. Er bestätigt sich an der formalen Struktur des Urteils, aber er entspringt nicht aus ihr; denn die Formen der allgemeinen Logik sind doch von den Ursätzen des Ich abgezogen. Die Idee und der Leitfaden für den systematischen Zusammenhang ist demnach nichts anderes als das dialektische Urverhältnis der endlichen, ursprünglich-synthetischen Apperzeption.
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ihrem empirischen Gebrauch, d. h. in ihrer Anwendung auf gegenständliche Erfahrung. „Es sind die Gesetze, die unmittelbar auf die Objecte angewendet werden: und er kann sie nur durch Abstraction von diesen Objecten, also nur aus der Erfahrung geschöpft haben" (SW I, 442). Dieser polemisch überspitzte Satz will nicht behaupten, das unvollständige Transzendentalsystem verfalle dem Unsinn, reine Verstandesbegriffe auf dem Wege einer empirischen Deduktion zu gewinnen. Die Einrede konstatiert lediglich: Eine Methode der Herleitung, welche die Kategorien sogleich als Bedingungen der Erfahrung und nicht als Grundgesetze des Ich-denke auslegt, bleibt der Empirie zugewandt und schielt auf die Tatsachen der Erfahrung. Sie wendet sich nicht unverwandt dem Prinzip, dem ursprünglich synthetischen Selbstbewußtsein, zu, sondern klammert sich an das Prinzipiat, das Bewußtsein der gegenständlichen, ohne unser Zutun bestehenden Welt. „Es hilft nichts, wenn er (der unvollständige Idealist) sie (die Kategorien) etwa durch einen Umweg aus der Logik hernimmt; denn die Logik selbst ist ihm nichts anders als durch Abstraction von den Objecten entstanden" (SW I, 442). Dieser Einwand deckt sich im Resultat mit der Abschätzung Hegels, die abwegige Herleitung einer metaphysischen, d. h. der Erfahrung, dem Zufall, der Geschichte überhobenen Deduktion verfahre grob empirisch. Aber die Argumentation verläuft anders: Der Kantische Idealismus borgt den Leitfaden der Deduktion (die Topik der Urteilstafel) von der formalen Logik in der Absicht, dadurch von der Empirie und dem objektiven Sachbestande loszukommen. Aber er kehrt auf einem Umweg doch wieder zur Bindung an die Erfahrung zurück. Er kennt nämlich die Entstehung der allgemeinen Logik durch Abstraktion aus den Grundgesetzen des Ich nicht. Nach ihm entsteht die Logik durch eine mindere Abstraktion, die, indem sie von aller Beziehung der Erkenntnis auf das Objekt absieht, allein die Formen des Denkens übrig behält. Aber die so entstandene Logik bleibt auf dieser niedrigen Stufe abstrahierender Reflexion an das gebunden, wovon sie abstrahiert, an die sachhaltige Erfahrung. Darum bleibt solche Deduktion durchaus einsichtslos. „Es entsteht bei diesem Verfahren keine Einsicht, dass und warum die Intelligenz gerade so handeln müsse" (SW I, 443). Bleibt die metaphysische Deduktion gegenüber dem Prinzip der gesamten Logik, dem Ich-denke, blind, so verschließt sich ihr die Aussicht, die Kategorien (z. B. Substanzialität oder Kausalität) als dessen notwendige Handlungsgesetze einzusehen. Es liegt nahe, die Tendenz dieser Kritik auf das Principium der trän-
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szendentalen Deduktion hin auszuziehen. Denn Kants Rechtfertigung der reinen Denkbestimmungen als Bestimmungen des Seienden hält sich dem Buchstaben nach ebenso an den unzweifelhaften Bestand der Erfahrung, indem sie eben die reinen Verstandesbegriffe als notwendige Bedingungen für die Möglichkeit objektiv-gültiger Erfahrung aufweist. Die Drehung zur Erfahrung hin verfehlt den wahren Grund des Systems und läßt den einzig gewissen Nachweis außer acht, nämlich die Kategorien als notwendige Bedingungen für die unzweifelhafte und unbedingt gewisse Einheit des Ich zu erweisen. Diesen Mangel kreidet Fichtes z. Einleitung der Vernunftkritik an. Kant habe „ein solches System keinesweges aufgestellt", er habe „die von ihm aufgestellten Kategorien keinesweges als Bedingungen des Selbstbewusstseyns erwiesen" (2. Ein!., Art. 6; SW I, 4/8)24. Fichtes Kritik hat eine positive Absicht. Sie drängt darauf, den Sinn der idealistischen Deduktionen zu erfüllen und deren einziges Prinzip zu erschöpfen, das Selbstbewußtsein im Ausmaße der ursprünglich synthetischen Apperzeption. Dabei gesteht die „Transzendentale Logik" von 1812 zu: „Kant hat diese Apperception erkannt als Einheit oder Deduktionsgrund aller Denkgesetze oder Kategorien" (NW I, 177). Und sicherlich besteht der Geist einer transzendentalen Deduktion innerhalb der Vernunftkritik in folgender Einsicht: Alles, was uns als Seiendes soll begegnen können, muß der Einheit des Ich-denke gemäß sein; sonst ist eben das den Sinnen sich Zeigende kein Seiendes. Die Kategorien nun sind die Weisen, in denen sich das Ich-denke vollzieht. Also 24
Angemerkt sei die radikalste Infragestellung des transzendentalen Deduktionsprinzips im Denken Nietzsches. Nietzsches Gedanke ist folgender: Lassen sich die Einheit des Selbstbewußtseins und die Kategorien als deren Einigungsweisen nur als Bedingung der Möglichkeit gegenständlicher Erkenntnis nachweisen, so sind sie eben durch das bedingt, dessen Möglichkeitsbedingung sie sind. Die Einheit der Subjektivität ist notwendig, wenn die Erfahrung es ist. Inwiefern ist aber jene notwendig? Nietzsches Antwort lautet: um der Seinsbehauptung einer bestimmten Lebewesenart, nämlich des Menschen willen; denn die Kategorien in ihrem Vorblick auf die beständigende Einheit und Selbigkeit der transzendentalen Apperzeption beständigen das Werden zum gegenständlichen Bestand, sie verschaffen dem Menschen innerhalb des unaufhörlich sich selbst überdrängenden Lebens einen Halt an etwas Beständigem. Daher enthüllt sich der Glaube an das Ich als eine notwendige Bedingung dafür, daß sich das Lebewesen Mensch im Werden behaupten kann. (Vgl. K. H. Volkmann-Schluck, 'Leben und Denken', S. 79 ff. Frankfurt a. M. 1968.) Der prinzipielle Abstand zur Metaphysik Fichtes ließe sich aus dem Bescheid ermessen, den diese erteilt: Die Welt der Erfahrung hat überhaupt nur Sein und Berechtigung als Herausforderung für die fortwährende Selbstbehauptung der aus- und übergreifenden Einheit des Geistes. Insofern ist der Glaube an die Realität der Welt eine notwendige Bedingung für die Selbstverwirklichung des Ich.
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muß alles, was uns als Seiendes soll begegnen können, den Kategorien gemäß sein. Daraus folgt: Unsere Denkgesetze haben objektive Gültigkeit. Aber die Kantische Vernunftkritik hat diesen Grundgedanken nicht entfaltet, und Fichte läßt es offen, ob sie diese Aufgabe für ein künftiges System der reinen Vernunft ausgespart oder vor ihr versagt habe (vgl. 2. Einl., Art. 6). Die Wissenschaftslehre jedenfalls schließt alles, was in der Vernunftkritik an Bruchstücken und Resultaten für die Aufstellung einer Transzendentalphilosophie vorliegt, zusammen und vollendet die Arbeit der Deduktion im Geiste des Kantischen Genieblicks. „Die Wissenschaftslehre", so pointiert die W.-L. von 1812, „ist nichts Anderes, als die Nachlieferung dieser von Kant schuldig gebliebenen Deduktion" (NW II, 192}™. Fichte macht mit der autochthonen Kantischen Idee Ernst, die Deduktion vom Principium des Ich aus durchzuführen. Er hat in ihm den wahren methodischen Leitfaden festgemacht und ausgewickelt. Der so gewonnene Leitfaden der Methode lautet: keine Antithesis ohne Synthesis, keine Synthesis ohne Antithesis. In ihm kündigt sich die Methode der Dialektik an. Den Titel 'Dialektik' hat Kant bekanntlich als Namen für die transzendentale Logik des natürlichen Scheins in Gebrauch genommen. Der natürliche Schein erhebt sich unvermeidlich aus Si
Warum Kant die Deduktion nicht vom Idi betrieben und zum Vernunftsystem ausgearbeitet hat, läßt sich an den zwei Wegen in der Kr.d.r.V. (B) studieren. Der i. Weg (§ 16—25) geht von der Einheit der Apperzeption aus. Aber er legt diese als Moment einer Verbindung an, in welcher das gegebene Mannigfaltige das zu Verbindende, das Tun das Verstandes das Verbinden und das Ich-denke das Wohinein des Verbindens ist (§ 15). Die Absicht der Deduktion besteht darin, das Ich-denke, die kategorialen Verstandeshandlungen und das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung in der Notwendigkeit ihres Zusammenhanges nachzuweisen. (Die Vernunftkritik setzt die intentionale Struktur des Bewußtseins voraus, das Vernunftsystem läßt sie entstehen.) Kants i. Weg schlägt nicht bis zur Aufklärung des endlidi-menschlichen Bewußtseins durch; denn die universale Form, wie uns das Mannigfaltige gegeben ist, ist die Zeitlichkeit, und diese läßt sich aus dem Ichdenke nicht ableiten. Daß wir die Wahrnehmungsdaten in den Formen von Raum und Zeit geordnet haben, das bleibt für Kant ein unableitbares Faktum. Weil sich also aus dem Wesen der Intelligenz überhaupt ein notwendiger Bezug zu unserem spezifischen Anschauen nicht herleiten läßt, muß sich der Deduktionsweg wenden und von der Zeitordnung unserer Sinnlichkeit und deren Synthesen vermittels Einbildungskraft und reinen Verstandeshandlungen zur Einheit des Ich-denke zurücklaufen (§ 26). Das Vernunftsystem der W.-L. kennt nur einen Weg: vom Prinzip des Ich in strenger methodischer Explikation seiner notwendigen Handlungen über die Deduktion von Zeit und produktivem Einbilden bis zur Aufdeckung aller für die Einheit von Subjekt und Objekt, von praktischer und theoretischer Vernunft notwendigen Gesetze.
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der Natur, d. i. dem Wesen der menschlichen Vernunft selbst und verleitet den Menschen zu Irrtümern über das Unbedingte, indem er dazu verführt, die Grenzen endlicher Erkenntnis zu überfliegen. Dialektik heißt das kritische Instrument, dieses unvermeidliche Blendwerk in seinen Fehlschlüssen durchschaubar zu machen. Auch Fichte nennt Dialektik die Kunst der transzendentalen Logik. Aber er setzt sie nicht für die Sicherung gegen den Schein, sondern für die systematische Vergewisserung der Wahrheit ein und zu diesem Zwecke dem plötzlichen Einfall der Evidenz entgegen. „Durch Genie nur plötzliche Evidenz, die wieder entschwinden kann; wahre Dialektik aber die gesetzmäßige Methode, zu dieser Evidenz zu kommen" (Transzend. Logik 1812; NW I, 188). Evidenz meint hier die vollständige Präsenz des Selbstbewußtseins (Subjekt-Objekt) in der Durchsichtigkeit seines Grundgesetzes und Dialektik die Methode, diese Evidenz der Zufälligkeit eines Geittesblitzes zu entreißen und ständig verfügbar zu machen. „Die dialektische Kunst der Entwickelung" (NW I, 184) sucht daher die Grundstruktur der Apperzeption methodisch durchzugliedern und so disponibel zu halten. Die Wissenschaftslehre von 1794/95 hat den Leitsatz dieser freien dialektischen Kunst formallogisch erläutert und transzendentallogisch fundiert. Die formallogische Erläuterung der Dialektik darf nicht übersprungen werden. Seit der Kategorienschrift des Aristoteles bietet das IstSagen des Logos (d. i. im Grunde das Seinsverständnis des den Logos habenden Menschen) den Leitfaden für die Entdeckung und Zusammenstellung der Kategorien auf. An der Durchdringung des Urteils und des Logos bemessen sich Tiefen und Untiefen der Kategorialanalyse und die Tragweite ihrer Methode. Daher geht mit der festeren Deduktion der Kategorien eine vertiefte Lehre vom Urteil zusammen. Was also ist innerhalb der Fichteschen Vorbetrachtung das Urteil? Und warum läßt sich aus ihm eine Unzertrennlichkeit von Antithesis und Synthesis entnehmen? Urteilen besagt, etwas als etwas ansprechen, und zwar entweder als es selbst oder als etwas anderes. Der dihairetischsynthetische Aufbau des Logos offenbart sich im Darlegen von etwas als etwas anderes, z. B. T)ie Rose ist rot3; denn in ihm wird Verschiedenes (Rosesein und Rotsein) auseinander- und in eins zusammengehalten. Die identischen Sätze, in denen etwas nur mit sich selbst gleichgesetzt wird, bleiben ausdrücklich außer Betracht. In ihnen wird einzig eine Thesis vollzogen, und diesem Vollzug fehlt die Handlung der Entgegensetzung. Fichte nennt sie daher thetische Sätze und stellt sie den Urteilen gleich, die Kant als unendliche Urteile erörtert hat. Nach Kant ist z. B. der
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Satz 'Die Seele ist nicht-sterblich5 ein unendliches Urteil; denn er setzt das Subjekt in eine unendliche und unbestimmte Sphäre. (Die Seele ist alles, was nicht sterblich ist.) Fichte fügt die Erklärung hinzu, dem Subjekt des unendlichen Urteils fehle das Bestimmende und Begrenzende, weil in ihm keine Antithesis vollzogen sei. Die antithetisch-synthetische Aussage dagegen besteht darin, etwas mit etwas anderem in einer Hinsicht gleichzusetzen, in anderer Hinsicht entgegenzusetzen. Das entspricht durchaus der Urteilsdefinition der Schulmetaphysik. (So gibt z.B. die „Logik" Wolffs im § 39 an: „actus iste, quo aliquid a re quadam diversum eidem tribuimus, vel ab ea removemus, iudicium appellatur".) Fichte hat in diese formale Urteilsformel die Fügung von wahrem Urteil und zureichendem Grunde eingefügt. Wo Verschiedenes gleichgesetzt wird, da bedarf es eines Beziehungsgrundes, und wo die Gleichsetzung Verschiedenes betrifft, bedarf es in anderer Rücksicht eines Unterscheidungsgrundes — und umgekehrt. Die Richtigkeit des Urteils hängt an der Suffizienz des Grundes. Um den Zusammenhang der Urteilsbestimmung mit dem Satz vom Grunde in Rücksicht auf die logische Fassung des principium rationis reddendae sufficientis zu erhellen, ist diese in der Schreibweise Fichtes durchzusehen. Fichte hat den Satz vom Grunde so formuliert: „A zum Theil = —A und umgekehrt" (§3; 272). Darin den Satz vom Grunde, der in der Fassung cnihil fit sine ratione5 herrscht, wiederzuerkennen, scheint schwer. Und doch ist leicht zu sehen: Begründen ist ein bestimmendes In-Beziehung-Setzen von etwas (dem Grunde) mit etwas (dem Begründeten, der Folge). In der Begründung wird etwas in dem bestimmt und zu dem eingeschränkt, was und wie es ist, indem es zugleich in dem abgegrenzt wird, was es nicht ist. In der begründenden Zuerteilung von Bestimmtheit wird etwas (A) demjenigen zum Teil gleichund zum Teil entgegengesetzt, was es nicht ist (non A). So gelesen, sagt der Satz zum Teil = —A und umgekehrt': Nichts Bestimmtes ist in seinem Bezug zu anderem ohne einen Grund, der es mit diesem gleichsetzt und ihm entgegensetzt. Solches Begründetsein findet im Ist-Sagen des antithetisch-synthetischen Urteils seinen Ausdruck. Urteilen besagt, etwas mit etwas anderem über einen Beziehungsgrund in einer Hinsicht gleichsetzen und in einer anderen über einen Unterscheidungsgrund entgegensetzen. Jedes begründete Urteil ist somit durch die Entgegensetzung antithetisch und durch die Gleichsetzung synthetisch, und es kann nicht antithetisch sein, ohne synthetisch zu werden, und umgekehrt. Es ist dialektisch aufgebaut.
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Nun genügt es nicht, diese dialektische Struktur des Logos den Beobachtungen der formalen Logik zu entnehmen; dann wäre sie auch nur empirisch als etwas vorgefunden, was es gibt. Sie muß in ihren transzendentalen Grundverhältnissen freigelegt werden, so daß sich auch im Hinblick auf das Wesen des Urteils das Fundierungsverhältnis von Logik und Metaphysik aufklärt. Nun sind es die ursprünglichen Handlungen des Ich-denke, in denen die logischen Handlungen des Urteilens gründen. Auf dem Wege einer Abkürzung läßt sich das noch einmal im Blick darauf bestätigen, worin das im Verhältniswörtchen 'ist5 ausgesprochene Verhältnis eigentlich besteht. Logisch betrachtet, bedeutet das Ist im Urteil: Etwas ist zum Teil gleich, zum Teil ungleich mit etwas anderem; Entgegengesetztes ist vereinigt durch den Begriff der Teilbarkeit. Dieses Verhältnis ist auf die vereinigende Einheit des Selbstbewußtseins und die Entgegensetzung von Ich und Nicht-Ich zurückzubeziehen. In transzendentaler Reduktion bedeutet das Ist: Seiendes ist etwas von mir Vorgestelltes — ist Objekt eines Subjekts; es ist zum Teil gleich, sofern es von mir Vorgestelltes ist, und es ist zum Teil entgegengesetzt, sofern es bloß Vorgestelltes und nicht selbst Vorstellendes, also eben das ist, was Ich nicht bin. Die Setzung des Ist ist antithetisch-synthetisch auch und vor allem im transzendentalen Sinn. Damit trennt sich der synthetische Satz vom bloß thetischen Urteil. Der unendliche, thetische Ursatz lautet: Ich bin. Er läßt die Stelle des Prädikatsnomens leer und für die Bestimmbarkeit des Ich ins Unendliche offen. Vom Seinssinn des thetischen Urteils aber hebt sich das dialektische Urteil scharf ab. In ihm bedeutet das Ist nicht: Ich bin, sondern: Es ist Bewußtes unter Bedingungen des Selbstbewußtseins. Zur Fundierung des wohlgegründeten dialektischen Satzes gehört eben die Gleichsetzung Ungleicher in der Formel: Ich ist zum Teil Nicht-Ich und umgekehrt. Und das ist offenkundig die transzendentale Gestalt des Satzes vom Grunde, der bloß in seiner logischen Nivellierung lautet: A zum Teil = —A. Ihre transzendentale Formel drückt das dialektische Gefüge des endlichen Bewußtseins aus, das nur in der synthetischen Vereinigung von Entgegengesetzten auf Grund der Teilbarkeit bestehen kann. Diese Erörterungen klären die formallogische und transzendentallogische Struktur des Logos ii> der Absicht, den Leitfaden der Methode unzerreißbar zu machen. Sie stellen fest: Keine Synthesis (von Subjekt und Objekt, Natur und Geist, Ding und Intelligenz, Ich und Nicht-Ich) kommt ohne deren Antithesis und keine Antithesis ohne Synthesis vor.
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Das ist das dialektische Verhältnis des Geistes. Es schlägt sich im IstSagen nieder. Ihm hat die philosophische Analytik den Leitfaden der Methode zu entnehmen. Die so gewonnene Methodenregel 'Keine Antithesis ohne Synthesis v. v.' dirigiert unser Vorgehen. Wir, das philosophierende Subjekt, haben zuzusehen, welcher Hauptgegensatz sich in der Verfassung des Selbstbewußtseins finden läßt. So werden sich die Gegensätze von Position (Sein) und Negation (Nichts) und von Theorie und Praxis auf den Begriff bringen lassen. Jede herausgehobene Antithesis aber muß der Generalregel gemäß eine Synthesis in sich haben. So werden sich synthetische Handlungen a priori konzipieren lassen, und zwar in strenger Folge: die Kategorien. Ist nämlich eine Synthesis gefunden, dann sind wiederum regelrecht tiefer liegende Gegensätze herauszugliedern, die auf eine verwickeitere Synthesis a priori hinweisen. Und so wird die Deduktion in wechselweisem Fortgang von Antithesis und Synthesis systematisch fortschreiten, bis sie auf eine Antithesis stößt, die nur noch durch die Tat, also praktisch aufgelöst werden kann. Dann wird zugleich deduziert sein, daß unser Bewußtsein praktisch sein muß, um in Einheit bestehen zu können. So wird der Leitfaden der Dialektik über das Gebiet der theoretischen Vernunft und die Systematik der Kategorialanalyse in das Gebiet der praktischen Vernunft herrüberreichen, um dort weiter zu führen und zu herrschen, bis er in den Grund, aus dem er herausgezogen wurde, zurückschlägt.
y. KAPITEL
Transzendentale und metaphysische Deduktion der Kategorien Sein ist Bewußt-Sein. Alles, was ist, kommt im Bewußtsein vor. Alles Bewußtsein aber ist durch das Selbstbewußtsein bestimmt. Mithin gründet alles, was ist und im Bewußtsein vorkommt, auf den Bedingungen des Selbstbewußtseins. Einen Grund außer dem Selbstbewußtsein gibt es ganz und gar nicht. Diesem Grund und Boden entnimmt die transzendentale Deduktionsmethode die Anweisung, die vorherrschenden Gestalten des Seins, die Kategorien, als Grundhandlungen des Selbstbewußtseins aufzufassen, sie einheitlich aus dessen ursprünglich einigender Einheit herzuleiten und in der absoluten Gewißheit des Ich sicherzustellen. Die Kategorialanalyse hält an der ursprünglich synthetischen Einheit des Selbstbewußtseins als dem punctum deductionis fest. Sie entfaltet die Einsicht: Alle Kategorien sind jene Apperzeption selbst, nur weiter bestimmt durch besondere Fälle der Anwendung (vgl. NW I, 177 ff.). Ihre Entwicklung und Rechtfertigung besteht einfach darin, sie durch die freie Kunst der Dialektik schrittweise als eine notwendige Handlung des Selbstbewußtseins einsichtig zu machen. „Der Philosoph hat von dieser bestimmten Handlung zu zeigen, daß sie eine Bedingung des Selbstbewußtseyns sey, welche die Deduction derselben ausmacht" (Grundlage des Naturrechts, SW III, 8). Deduzieren oder ableiten bedeutet sonach im Sprachgebrauch Fichtes, etwas aus dem absoluten Prinzip, d. h. der Ichheit des Ich, als notwendig erfolgend nachweisen (vgl. SW IV, 14). Die Kategorien aus dem Ich ableiten, bedeutet in eins, sie als Seinsbestimmungen zu rechtfertigen. Bildet nämlich das Ich die unmittelbare Einheit von Sein (Objekt) und Denken (Subjekt) und sind die Kategorien nichts als die bestimmten und gesetzhaften Vollzüge des Ich, dann sind die Kategorien Modi des Denkens sowohl wie des Seins. Indem die Kategorien als Vollzugsweisen des Ich-denke dialektisch
Transzendentale und metaphysische Deduktion der Kategorien
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hergeleitet werden, genügen sie dem methodischen Verlangen nach Gewißheit. „Durch unsre Deduction aber wird bewiesen, daß es Handlungen, und Handlungen des Ich sind. Nemlich, sie sind so gewiß, so gewiß die erste Synthesis, aus der sie entwickelt werden, und mit der sie Eins, und dasselbe ausmachen, eine ist; und diese ist eine, so gewiß als die höchste Thathandlung des Ich, durch die es sich selbst setzt, eine ist" (§4; 284). Der Grundriß eines Vernunftsystems zeichnet diese Leitlinien vor: Die Wissenschaftslehre führt ihre Deduktionen aus dem einen Prinzip der selbstgewissen Einheit des Selbstbewußtseins. Sie erweist die Notwendigkeit der Kategorien, weil ohne sie die Wahrheit, d. h. die absolute Vernunftgewißheit des Ich, nicht wäre. Sie rechtfertigt den Anspruch auf Realität, weil jede Kategorie aus dem Ich abgeleitet, das Ich aber das zuhöchst Reale ist. Und ihre Ableitung geschieht in lückenloser Vollständigkeit und systematischer Ordnung, weil ihr methodischer Leitfaden aus der Verfassung des reinen Selbstbewußtseins selber entspringt und in diesen Grund zurückschlägt. Die Bewährung dieser Prinzipien verspricht, zuerst die zerteilte Aufgabe einer metaphysischen und transzendentalen Deduktion aus einem Anfangsgrunde und mit einem Schlage in den Grenzen endlich-besonnenen Geistes zu Ende zu bringen26. Die Auflösung der Kategorienfrage muß systematisch entfaltet und kritisch überprüft werden. Dabei ist der Entfaltungsprozeß methodisch gebahnt. Er wird eben durch diejenige Dialektik angetrieben, welche die Antithesen der Vernunft heraussondert, um die ursprünglich synthetischen Handlungsweisen des Ich aufzudecken und als notwendige Be26
Dem widerspricht das Resultat der Untersuchung von W. Ripke, 'Über die Beziehung der Fichteschen Kategorienlehre zur Kantischen'. Heidelberg 1913. Danach wird der Mangel der metaphysischen Deduktion bei Kant (in welcher eben die Kategorien nach der Tafel der Urteilsfunktionen, diese selbst aber nach gar keinem Prinzip angeordnet seien) durch Fichtes ersten vernünftigen Versuch in der Welt, die Kategorien aus der Einheit des Bewußtseins abzuleiten, ausgebessert. Andererseits ist der Mangel der (apriorisch-deduktiven) transzendentalen Deduktion Fichtes, welche das Problem der Gegenständlichkeit nicht löst, in Kants (empirisch-induktivem) Prinzipium der transzendentalen Deduktion überhaupt vermieden. Dagegen ist daran festzuhalten: Transzendentale Deduktion bedeutet den Nachweis der Kategorien als notwendiges Glied im Zusammenhange der Verbindung von Subjekt und Objekt. Fichte führt den Nachweis, indem er die Kategorien als Gesetzlichkeit der gesetzhaften Handlungen des Ich lückenlos entwickelt. Kants transzendentale Deduktion benutzt wiederum den Umweg über die Urteilsfunktionen. Das aber heißt: In der metaphysischen wie in der transzendentalen Deduktion findet sich bei Kant derselbe Mangel, bei Fichte derselbe Fortschritt. In der W.-L. vollziehen sich eben metaphysische und transzendentale Deduktion in dem einen und selben Schritt.
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dingungen für die Bewahrung vor dem Widerspruch nachzuweisen. Die synthetischen Handlungen, auf den Begriff gebracht, heißen Kategorien. Somit vollzieht sich eine Untersuchung über die Deduktion der Kategorien in zwei Schritten. Der erste Schritt bringt im Geleit der dialektischen Anweisung die Ableitung der bestimmten Handlungen des Ich hinter sich, der zweite erbringt die Konzeption der Kategorien in ihren triadischen Ordnungen. In ihrer ersten Explikation war die Wissenschaftslehre bereits der Anweisung der Dialektik gefolgt. Die Untrennbarkeit von Synthesis und Antithesis hat die Strukturanalyse der Vernunft-überhaupt geleitet, und die absolute Gewißheit der Vernunfteinheit hat abgesichert, daß die im Entgegensetzen aufbrechenden Widersprüche, die das Selbstbewußtsein durch den totalen Gegensatz von Negation und Position zu sprengen drohten, in der Synthesis der Schranke versöhnt zusammenfallen. So war zwar schon der Vernunftbau überhaupt, noch nicht aber der Aufbau von theoretischer und praktischer Vernunft aus seinen konstituierenden Gesetzen durchschaut. Soll das verbindlich einsichtig gemacht werden, dann müssen sich im Schlußsatze der endlichen Vernunft und der darin begriffenen Tätigkeit Gegensätze entdecken lassen. Jetzt, wo alles Unbedingte gefunden ist, kommt die Kunst der dialektischen Ableitungen souverän ins Spiel. Aus dem vorliegenden, reinen Grundbestande müssen Antithesen herausgegliedert und diese zu Synthesen fortgeführt werden. Und offensichtlich liegen im Gesetz der Einschränkung bisher noch verdeckte Gegensätze. Der Grundsatz besagte: Das Ich setzt einem bestimmten Ich ein bestimmtes Nicht-Ich entgegen. Er enthält zwei Teilsätze in sich. Er impliziert die These: Das Ich setzt sich als bestimmt durch den Gegensatz, das Nicht-Ich. Und unschwer läßt sich ein anderer, gegenlaufender Satz herausgliedern: Das Ich (sofern es das Nicht-Ich doch setzt) setzt sich als bestimmend das Nicht-Ich. Diese beiden Sätze formulieren die Grundsätze der theoretischen und der praktischen Vernunft. Als Prinzip der praktischen Vernunft tritt das Ich in seiner Freiheit auf. Frei ist es davon, vom Nicht-Ich bestimmt zu werden. Das Wesen und Handeln freien Selbstbewußtseins wird nicht von der Welt, ihren Zuständen und Umständen determiniert. Es ist dazu frei, das Nicht-Ich zu bestimmen. Das kann geschehen, weil unsere Vorstellungen Kausalität haben; denn die positive Freiheit des Willens besteht nur dann, wenn Gedanken etwas bewirken können. Die Formel des praktischen Ich lautet daher: Es setzt sich selbst als bestimmend das Nicht-Ich.
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Deren Antithesis grenzt das Ich im theoretischen Verstande ab. Sie lautet: Das Ich setzt sich als bestimmt durch das Nicht-Ich. Dieses Gesetz verfaßt das theoretische Verhalten, das Erkennen und seine Wahrheit. In seinem erkennenden Weltverhalten wird das Selbstbewußtsein durch den zu erkennenden Gegenstand beschränkt und bestimmt. In allem Erkennen bemessen sich Art und Rang des Erkennenden an dem, was er erkennt. Und nur darin ist die Erkenntniswahrheit eingerichtet. Indem sich unser Vorstellen nach den Dingen richtet, gewinnt es Wahrheit im Sinne der Richtigkeit. Indem die Dinge erkannt werden, lassen wir uns von ihnen bestimmen. In diesem Gegeneinander von Bestimmendsein und Bestimmtwerden bricht das eine Ich in die unterschiedliche Haltung von Theorie und Praxis (und das Bewußt-Seiende in die Kluft von sinnlich erfahrbarer und intelligibler Welt) auseinander. In ihrem Ursprünge bedacht, sind Theorie und Praxis nicht einfach unterschiedliche Lebenshaltungen, die dem Menschen zu beliebiger Wahl stehen. Beide treiben gleich anfänglich das Vernunftwesen Mensch in den Zwiespalt mit sich selbst. Sie entspringen als ein elementarer Gegensatz, der die Einheit und Übereinstimmung der Vernunft mit sich selbst zu zerstören scheint. Die theoretische Einstellung des Geistes ist auf Wahrheit und Erkenntnis aus. Das Ich läßt sich in seinem Vorstellen vom Nicht-Ich bestimmen, weil und sofern es ergründend auf die Sache eingeht, ohne sie zu verändern. Im praktischen Verhalten dagegen sind unsere Vorstellungen ursächlich bestimmend. Sie verändern das Nicht-Ich. (So unterwirft der Geist die Natur den größten Veränderungen, indem er, die Sinnlichkeit überwindend, in ihrer Sphäre Recht, Staatlichkeit, Moralität, Religion einrichtet.) Also liegen Erkenntniswahrheit und Willensfreiheit von Anbeginn an im Streit. Und es erscheint unbegreiflich, wie unser Erkennen Wahrheit haben kann, wenn unser Wollen Realität besitzen soll — und umgekehrt. Ist nämlich das Ich allein das Bestimmbare, dann gibt es kein freies Wollen. Ist es ausschließlich das Bestimmende, dann gibt es keine Erkenntnis. Es leuchtet ein, daß sich dieser Riß, der das Selbstbewußtsein und die Welt zerreißt, nicht durch den eiligen Schritt einer einzigen Einschränkung heilen läßt. Wie es mit der Synthetisierung von theoretischer und praktischer Vernunft, von sinnlicher und intelligibler Welt steht, wird sich erst erörtern lassen, wenn deren Gebiete und die darin herrschenden Gesetze deduziert worden sind. Die Aufgabe der Kategorialanalyse ist dabei auf die Herausarbeitung der theoretischen Vernunft in ihrer Gesetzlichkeit beschränkt.
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Dafür ist der Grundsatz des theoretischen Ich auf tiefere Antithesen hin vorzunehmen. Nun liegt im Grundsatz der Theoria der Teilsatz: Das Nicht-Ich bestimmt das Ich. Dieser Satz ist wahr, weil eben der theoretischen Vorstellung durch das vorgestellte Nicht-Ich Bestimmung und Richtigkeit verliehen und Grenzen gesetzt werden. Nur dadurch nämlich, daß das teilbare Ich eine Einbuße an Realität durch ein es bestimmendes Nicht-Ich erleidet, wird das sich vorstellende Vorstellen zum Vorstellen von etwas Bestimmtem außer ihm. Offensichtlich liegt aber in der Formel vom theoretischen Ich auch der gegenteilige Teilsatz: Das Ich bestimmt sich selbst; denn das Ich hält doch seine Ichheit im Gebiete der theoretischen Vernunft durch und tritt als ein sich selbst setzendes oder bestimmendes Subjekt auf. Beide Sätze widersprechen einander. Einerseits soll das Nicht-Ich bestimmen und das Ich bestimmt werden. Andererseits und im Gegenzuge soll das Ich sich selbst bestimmen. Dieser Widerspruch muß sich lösen lassen, soll nicht die Einheit des Ich verrückt und der Boden der Gewißheit verlassen werden. Nun bietet sich eine Schlichtung des Streites nach dem Gesetze der Limitation oder Teilbarkeit an. Das Ich bestimmt sich zum Teil, es wird zum Teil bestimmt. Diesen Bescheid erteilt das Gesetz der Bestimmung, das Ich sei einerseits bestimmt, andererseits bestimmend. Indessen wird jetzt eine tiefere Einsicht verlangt: „Aber beides soll gedacht werden, als Eins und eben Dasselbe" (§4; 289). Und das Gesetz der Bestimmung gibt bloß die generelle Auskunft her, das Ich sei zu einem Teil bestimmend oder tätig, zu einem anderen leidend. Gefordert aber wird jetzt die Darlegung eines Gesetzes, wie diese Einteilung vor sich geht. Dazu ist eine spezifischere Synthesis erforderlich. Diese legt fest, daß das Bestimmen und Bestimmtwerden in derselben Rücksicht und nach festem Gesetz vor sich gehen. Die Selbigkeit der Rücksicht bietet dieselbe Quantität von Realität oder Sein bzw. Negation oder Nichtsein. Setzt das Ich nur einen Teil Realität in sich, so setzt es kraft des Gesetzes des Gegensetzens den aufgehobenen Teil Realität in das NichtIch, und zwar eben denselben Teil; denn die Quantität bleibt im Ganzen des Teilbaren, innerhalb der Totalität des Bewußtseins und der Allrealität des Ich, gleich. Mehr an Sein oder Nichtsein als Ich und Nicht-Ich oder Subjektivität und Objektivität fällt nicht in die Rechnung der Transzendentalphilosophie. Selbstbewußtsein und Ding sind die konstituierenden Bestandteile in der selbstbewußten Vorstellung einer von unserem Zutun unabhängigen Welt. Je größer der Anteil des Selbstbewußtseins und der Spontaneität an der konkreten Ding-Vorstellung ist, desto
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kleiner ist der Anteil des Dinges und der Rezeptivität und umgekehrt. Nach diesem Gesetz also erfolgt die Auflösung: Soviel Negation ins Ich gesetzt wird, soviel Realität ist ins Ich gesetzt, und umgekehrt. Unter diesem Gesetz finden sich Bestimmen und Bestimmtwerden in die Einheit eines Wechsels zusammengenommen. Es klärt sich auf, wie das Ich zugleich und in derselben Hinsicht bestimmend ist und bestimmt werden kann. Das Ich bestimmt sich, d. h. jetzt: Es setzt einen Teil Realität in sich und denselben Teil Negation ins Nicht-Ich. In eins aber setzt es den anderen Teil an Negation in sich und eben diesen Teil an Realität ins Nicht-Ich, und d. h.: Das Ich wird bestimmt. Sofern und soweit es sich also bestimmt, wird es bestimmt, und umgekehrt. Damit hat sich die Synthesis der Bestimmung überhaupt zur Wechselbestimmung spezifiziert, und die Art des Quantitierens ist unter ein Sondergesetz gestellt worden. Die neue Synthesis legt fest, das Bestimmen des Ich und das Bestimmtwerden durch das Nicht-Ich geschehe im Wechsel. Die Wechselbestimmung fundiert grundsätzlich die Vereinigung von Subjekt und Objekt im Zuge der Theoria. Aber ihrer Angabe haftet etwas Vorläufiges und Unzulängliches an. Sie bleibt zweideutig, weil sie offen läßt, bei welchem Glied der Wechsel anhebt. Die Einsetzung der Wechselbestimmung bleibt dagegen gleichgültig, auf welcher Seite ihre Beziehung anfänglich festgesetzt ist, ob auf der Seite des Ich oder der des Nicht-Ich. Sie läßt damit die Hauptprobleme der theoretischen Vernunft in der Schwebe, ob die Bestimmung des Vorstellens vom Ding ausgehe oder von der Selbstbestimmung des sich einschränkenden Ich. Daher kann es bei der generellen Auskunft, im Gebiete der theoretischen Vernunft bestimmen sich Subjekt und Objekt wechselseitig, nicht bleiben. Folgerichtig besteht die neue Aufgabe darin, den Wechsel eindeutig zu fixieren, und zwar in strengem, methodischem Fortschritt. Dafür ist weiter nach bisher noch ungeklärten Gegensätzen zu suchen, und zwar zuerst im Blick auf den vorgelegten, aber noch nicht durchdrungenen Teilsatz: Das Nicht-Ich bestimmt das Ich. Die Zergliederung geht der darin enthaltenen, drückenden Frage nach: In welchem Sinne ist die Unterstellung, die Ding Vorstellung werde durch das Ding bestimmt, idealistisch sinnvoll und haltbar? Im Gesetzesrahmen der Wechselbestimmung besagt der fragliche Satz, das Nicht-Ich hebe einen Teil der Realität im Ich dadurch auf, daß es den gleichen Teil Realität in sich setzt. Das aber hat zur Bedingung: Das Nicht-Ich kann nur bestimmen und Schranken setzen, sofern und soweit es selbst Realität besitzt oder tätig ist. Gegen solche Konsequenz erhebt sich der
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Anspruch des absoluten Subjekts, daß alle Realität und Tätigkeit auf Seiten des Ich liege. Demzufolge wäre das Nicht-Ich als bloße Negation der Realität zuzulassen und als pures Leiden anzusetzen. Diese Rücksicht erzwingt den Satz: Das Nicht-Ich hat keine Realität. Beide Vordergrundsthesen im erkenntnistheoretischen Streit, die idealistische (das Nicht-Ich hat keine Realität) und die dogmatische (das Nicht-Ich hat Realität), scheinen einander zu vernichten. Dieser Widerspruch bedroht den ganzen Vernunftbestand. Er muß durch Beibringung einer neuen Synthesis aufgelöst werden. Es muß sich eine Bedingung finden lassen, die es grundsätzlich ermöglicht, daß das Nicht-Ich Realität haben und doch keine haben kann. Dann wird auch die Frage aufgeklärt sein, was es bedeutet, zu sagen, das Nicht-Ich habe Realität. Offenbar bedrückt eben dieses Problem die idealistische Erklärung der Erkenntnis: Wie kann im Erkenntniszusammenhange das Nicht-Ich angesichts der totalen Realität des Ich und der einfachen Negativität des Nicht-Ich als bestimmend und tätig zugelassen werden? Der Bescheid der neuen limitierenden Synthesis lautet: Das NichtIch hat an sich selbst keine Realität; es hat Realität nur, insofern das Ich leidet. Leiden besagt dabei, in einen eingeschränkten Zustand versetzt werden, und Leiden des theoretischen Ich, in den begrenzten Zustand des endlich erkennenden Subjekts eingewiesen zu sein. Die Tätigkeit des Nicht-Ich ergibt sich mithin aus dem Leiden des Ich. Diese Regelung spezifiziert die Wechselbestimmung-überhaupt. Sie verlegt das Leiden anfänglich ins Ich und überträgt das entsprechende Quantum Tätigkeit von da ins Nicht-Ich. Dadurch ist der Wechsel geordnet. Er hat beim Leiden des Ich anzufangen und aus ihm Sein und Ausmaß der Tätigkeit im Nicht-Ich zu folgern. Die rätselhafte Tätigkeit des NichtIch im Affektions- und Erkenntnisgeschehen folgt lediglich dem Leiden oder der Rezeptivität des Ich. Die AfFektion als die Art, von Gegenständen affiziert zu werden, bezieht die Tätigkeit des Dinges vom Leiden des Gemütes her mit in den Erkenntnisprozeß ein. Somit läßt sich das bislang zweiseitige Gesetz des Wechsel-Tun-und-Leidens in der Wendung festlegen: durch Leiden (des Ich) gesetzt Tätigkeit (des Nicht-Ich). Mit der Auskunft, das Nicht-Ich habe Realität, soweit Negation oder Leiden in das Ich gesetzt sei, begegnet der Idealismus der hartnäckigen Frage, wie Realität und Tätigkeit im Nicht-Ich gedacht werden können. Aber sie fällt eben dadurch in die andere Schwierigkeit der theoretischen Vernunft. Wie in aller Welt können denn Leiden und Negation im Ich gesetzt sein, wenn doch das Ich in seinem Wesen unendliches Tätigsein
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und Allheit der Realität ist? Überdies und problemnäher gefragt: Die angegebene Art des Wechsels heißt Kausalität; reicht aber das Kausalitätsgesetz aus, um die Struktur der selbstbewußten Vorstellung von nicht-bewußten Dingen aufzuklären? Das Kausalgesetz macht klar, wie das Ich durch ein Nicht-Ich bestimmt wird, es läßt undeutlich, wie das Bewußtsein des Bestimmtwerdens zustande kommt. Danach wäre das Ich durch anderes bestimmt, aber es erschiene sich nicht als bestimmt; denn um sich als bestimmt zu wissen, müßte das Ich doch seine absolute Tätigkeit (das Ich-überhaupt) mit seiner eingeschränkten Tätigkeit (dem Ich-denke-etwas) vergleichen können. Sonst ist es eben nur leidend, ohne sich als leidend zu erfahren. Der Satz von der Wirksamkeit eröffnet den Vergleich von erwirktem Ich und ursächlichem Nicht-Ich, er läßt aber die Möglichkeit des Ich, sich mit sich selbst zu vergleichen, dunkel. Das hat Fichte immer gegen die dogmatischen Erklärungsversuche, die sich auf die Realität des Dinges an sich und das Gesetz der Naturkausalität stützen, geltend gemacht: Durch eine Wechselbestimmung im Sinne der Kausalität kann das Bewußtsein von Welt aufgehellt werden, aber nicht das Selbstbewußtsein darin. Es ist nötig, tiefer in die Gesetze des Bewußtseins einzudringen. Der Weg ist vorgezeichnet. Er läuft auf eine weitere synthetische Handlung a priori hinaus, die notwendig ist, um die Einheit des Selbstbewußtseins vor dem Widerspruch einer weiteren Antithese zu retten. Der neue Gegensatz findet sich im zweiten Teilsatz der Wechselbestimmung. Dieser lautet: Das Ich bestimmt sich. In ihm bricht bei näherer Analyse ein Widerspruch durch. In der Stellung des Satzsubjekts ist das Ich das Bestimmende. Indem es bestimmt, ist es tätig. Aber dasselbe Urteil beinhaltet auch den Gegensatz: Das Ich bestimmt — sich. In der Stellung des Satzobjektes kommt das Ich als eingeschränktes und dadurch, daß es bestimmt wird, als leidendes vor. In dieser Fassung der Relation tritt der alte Gegensatz zwischen Bestimmen und Bestimmtwerden wieder auf. Nun aber kann er durch den Einsatz der Wechselbestimmung allein nicht mehr geschlichtet werden, weil die Aufgabe jetzt spezifischer geworden ist. In einer Wechselbestimmung soll das Ich als tätig und leidend in eins denkbar werden. Für solche Aufklärung taugt auch der Einsatz der ersten Art von Wechselbestimmung, die Kausalität, nichts; denn sie spielt zwischen dem Leiden des Ich und der Tätigkeit des Nicht-Ich und verfährt nach der Formel: durch Leiden gesetzt Tätigkeit. Jetzt soll umgekehrt das Leiden durch Tätigkeit bestimmt werden, und es soll das Ich selber sein, das vermittels seiner Tätigkeit durch eine
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Wechselbestimmung sein Leiden bestimmt. Wie aber ist diese Lösung zu denken? Für die Problemlösung muß vom Leiden ausgegangen werden; denn das Leiden des Ich ist das Problematische. Wird der Begriff des Leidens expliziert, so ergibt sich, daß Leiden nur als Nicht-Tätigkeit verstanden werden kann. Leiden ist nur durch Bezug auf Tätigkeit zu bestimmen. Das erzwingt die Frage: Wie kann denn überhaupt das Leiden auf die Tätigkeit bezogen werden? Zu jedem gegründeten Bezug gehört ein Beziehungsgrund (und ein Unterscheidungsgrund). Nun ist der Beziehungsgrund von Leiden (Negation) und Tätigkeit (Realität) längst im Begriff der Quantität oder der Teilbarkeit gefunden. Ohne diesen Bezugspunkt würde das Bewußtsein in seiner Tätigkeit und Spontaneität und in seinem Leiden, im Bestimmtwerden durch den Gegenstand, widerstrebend auseinanderfallen. Leiden also ist auf Tätigkeit über die Quantität bezogen. Das führt zur weiterführenden Einsicht: „Leiden ist ein Quantum Tbätigkeit" (§4; 297). Leiden ist selbst Tätigkeit, aber ein abgemessener Teil. Nun bedarf alles Abmessen eines Maßstabes. Der hier erforderliche Maßstab kann nichts anderes als das absolute Ganze aller Realität oder die Tätigkeit überhaupt sein. Im Blick auf diesen Maßstab idealistischer Einschätzung leuchtet der Zusammenfall von Leiden und Tätigkeit ein. Ein Quantum Tätigkeit ist, am Maßstabe des Ganzen gemessen, ein Mangel. Es ist nicht das Ganze der Realität und ist so eine Verminderung an Tätigkeit. In der Entgegensetzung zum Ganzen also ist eine bestimmte Tätigkeit Leiden, sofern Leiden eben bedeutet, nicht unbegrenzte, sondern geminderte Tätigkeit zu sein. (Und diese Abschätzung macht den Unterscheidungsgrund zwischen Leiden und Tun aus.) Die Aufdeckung dieses Zusammenhanges zeigt, wie das Ich tätig und leidend zugleich zu sein vermag. „Wenn in das Ich überhaupt alle Thätigkeit gesezt ist, so ist das Setzen eines Quantum der Thätigkeit Verringerung derselben; und ein solches Quantum ist, insofern es nicht alle Thätigkeit ist, ein Leiden; ob es an sich gleich Thätigkeit ist" (§ 4; 297). Das bedeutet: An sich und seiner Qualität (dem Wesensgehalte) nach ist das Leiden nichts anderes als die Tätigkeit. Der Quantität nach aber ist Leiden eine mindere Tätigkeit als die Totalität. Die am Maßstabe der Totalität bemessene verminderte Tätigkeit ist Leiden, die verminderte Tätigkeit ist Tun. Und dieser Koinzidenz von Leiden und Tun gemäß ist das Ich bestimmend und bestimmt in eins. Es ist bestimmt, heißt, es ist dieses und kein anderes Ich, z.B. dasjenige Ich, welches durch das
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Prädikat des Denkens oder des Strebens zum denkenden oder strebenden Ich eingeschränkt worden ist. Das strebende Ich bedeutet am Maßstabe der Allrealität eine Verringerung: Es ist nicht denkend, fühlend oder anschauend und ist aus der Sphäre totaler Bestimmbarkeit ausgeschlossen. In eins aber bedeutet das Ich-strebe, Ich-denke, Ich-fühle usw. eben doch Tätigkeit; denn ihm kommt Spontaneität zu, weil es sich von sich aus in eine der Sphären verlegt, die in der absoluten Möglichkeit des Ich-bin enthalten ist. Das Ich versetzt sich unter Ausgrenzung des Denkens, Fühlens usw. ins Streben. Diese Überlegungen haben aufgeklärt, wie das Ich durch Tätigkeit sein Leiden bestimmt, und das aufgegebene Problem ist gelöst. Die zweite Art des Wechsel-Tun-und-Leidens, auf den Begriff gebracht, heißt Substanzialität. Sie scheint geeignet, die Stichfrage der theoretischen Vernunft nach dem Leiden und Eingeschränktsein des Ich aufzufangen. Ihre zusammenfassende Synthesis regelt den Bezug des denkenden Subjekts zur Erfahrung durch. Sie bietet den Haltepunkt, um in einem freien Rückblick auf die Systematik kategorialer Deduktion zurückzufragen. In der Analytik transzendentaler Logik treten die Kategorien als die Gesetze heraus, unter denen das Selbstbewußtsein handelt. Sie werden konzipiert, indem das philosophierende Subjekt vom Akt des handelnden Ich abstrahiert und auf die Art, das Allgemeinverbindliche und Gesetzliche, seines Handelns reflektiert. Die synthetischen Handlungen a priori, allgemein vorgestellt, heißen Kategorien. Sofern Begriff Vorstellung von etwas im Allgemeinen bedeutet, sind sie reine Begriffe. Sie sind Gesetze, sofern Gesetz das Allgemeinverbindliche einer Handlung besagt. Kategorien sind die des reinen Selbstbewußtseins im Sinne begriffener Gesetze. Inwiefern aber haben sich in der Logik der Wissenschaftslehre die Kategorien nicht bloß als Grundgestalten des Logos, sondern in eins als Gestalten des Seienden formiert? Und inwiefern sind sie lückenlos und vollständig abgeleitet? Nun sollte die Kunst der Methode gesichert haben: Die Kategorien sind am ununterbrochen fortlaufenden Faden der Dialektik aufgereiht und durch ihn zu triadischen Ordnungen zusammengebunden. So konstituiert sich das Grundgesetz der Vernunft-überhaupt in die Dreiheit von Realität, Negation und Limitation. Diese Gruppe trägt bei Kant den kategorialen Obertitel der Qualität. Und so bildet sich das Gefüge der theoretischen Vernunft in der Trias der Relation: Wechselbestimmung, Kausalität und Substanzialität. Erschöpfen
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sich aber in diesen Dreiheiten der Qualität und Relation Zahl und Arten der Kategorien? Wo bleiben die klassischen Titel einer Kategorientafel, nämlich Quantität und Modalität? Wie steht es ferner mit den überkommenen Kategorien des Tuns und des Leidens? Und ist nicht abzusehen, daß der Ausfall der Modalität, vor allem der 'Kategorie' der Wirklichkeit (Dasein), die Geschlossenheit kategorialer Systematik sprengt? Das sind einfache Fragen. Sie stellen gleichwohl den Systemanspruch der Transzendentalphilosophie und die Tragfähigkeit ihres Grundes in Frage. Die Fragen sind im Durchgang durch die deduzierte Kategorienreihe zu prüfen. Realität ist der kategoriale Titel für Sein und Bejahung und bedeutet das rein Gedachte im affirmativen Ist, welches das Seiende vom Nichtsein abhebt und ihm Qualität oder Wasbestimmtheit überhaupt verschafft. Seiendes ist real, das besagt: Es ist etwas und nicht nichts. So trifft Realität überhaupt den positiven Sinn von Sein. Was aber bedeutet Sein im Sinne schlichter Position? Die kritische Seinsthese der 'Grundlage' hat geantwortet: Positives Sein ist Selbstbewußtsein. Weil Selbstbewußtsein der ursprüngliche Sinn von Sein ist, darum bleibt der Begriff der Realität ohne die Konzeption des Ich sinnlos. „Erst durch und mit dem Ich ist der Begriff der Realität gegeben" (§4; 293). Das Reale ist Bewußtes auf dem Grunde und in den Grenzen des Selbstbewußtseins. „Aller Realität Quelle ist das Ich" (§4; 293). Mit dem Ich hebt alles Sein für das Bewußtsein an, und außer dem im Selbstbewußtsein gesetzten Sein gibt es für uns kein Sein. Das also ist die Ausgangsstellung eines konsequenten Kritizismus: Das Ich ist omnitudo realitatum. Diese These vernichtet den rational-theologisch beschwerten Urbegriff des ens realissimum (den Namen für den Gott der Philosophen), sie setzt durch die Tat den transzendenten Gottesbegriff als einen tragfähigen Anfangsgrund ab und setzt an seiner Statt das Ich in der Fülle absoluter Realität ein. „Alle Realität ist im Ich gesezt" (§4; 296). Kein real Seiendes entzieht sich dem Horizont des Selbstbewußtseins. Somit zieht sich die Frage nach der Seinsbedeutung der Realität auf die Frage nach dem Sein des Ich zurück und sieht sich wieder auf den Fund der Wissenschaftslehre verwiesen, Selbstbewußtsein bedeute die unmittelbare Einheit von Sich-Setzen und Sein. Das Ich ist, weil es sich selbst setzt, und weil es sich setzt, ist es. Sein währt im Sich-mit-sichidentisch-Setzen. Im Blick auf diesen Akt konzipiert die Wissenschaftslehre die Kategorie der Realität. Sie hat dafür eine eigene Reflexion nötig. Im Blick auf das Urteil A = A ist vom Urteilsvollzug ab- und auf
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die Art des Allgemeinen der Handlung hinzusehen. (In dieser Rücksicht geben doch wieder das Urteil und seine Arten den Leitfaden her. Aber inzwischen sind in der dialektischen Struktur formallogischen Urteilens die Vollzüge und Gesetze transzendentalen Ist-Sagens durchsichtig geworden.) Realität läßt sich von da als Mit-sich-identisch-Gesetztsein begreifen. „Alles, worauf der Satz A = A anwendbar ist, hat, inwiefern derselbe darauf anwendbar ist, Realität" (§i; 261). Real und etwas (res) ist nur solches, was mit sich identisch gesetzt ist. Die Quelle des Selbigseins ist das, dessen Wesen im Sich-selber-Setzen und Verselbigen besteht: das Ich. Der Reflexion auf die erste Kategorie geht die Einsicht auf, daß Sein keineswegs Vorliegen und Ruhen im Sinne dinghaften Substantseins bedeutet. Realsein heißt Tätigsein; denn der Begriff des Sich-Setzens ist mit dem der Tätigkeit-überhaupt identisch. Deshalb decken sich die Kategorien von Realität und Tun. Positives Sein ist nicht anders denn als Tätigsein zu denken. „Also — alle Realität ist thätig, und alles Thätige ist Realität" (§4; 293). Freilich ist der Begriff der Tätigkeit hier ganz rein und abgesondert von allen Bezügen auf Objekte, von Leiden und Zeit aufzufassen. Die Urrealität ist absolute Tätigkeit, nämlich das reine, durch kein Objekt begrenzte In-sich-Zurückkehren des Geistes. „Thätigkeit ist positive (im Gegensatz gegen bloß relative} Realität" (§4; 293). Die Kategorie der Realität bringt so die Handlung des reinen Sich-Setzens auf den Begriff. Die Kategorie der Negation begreift die Handlungsart des Entgegensetzens. Sie wird durch Reflexion auf das Urteilen in Form des Istnicht-Sagens ( — A nicht =A) gewonnen. „Abstrahirt man endlich von der bestimmten Handlung des Urtheilens ganz, und sieht blos auf die Form der Folgerung vom Entgegengeseztseyn auf das Nicht-Seyn, so hat man die Kategorie der Negation" (§ 2; 267). Negation ist der reine Gedanke des Nichtseins als Folge des Entgegengesetztseins. Ihr Begriff konzipiert das Gesetz einer ursprünglichen Handlung des Ich. Mit ihm tritt die Kategorie des Leidens in absolutem Ausmaße auf. Es ist eben die Kongruenz mit dem ursprünglichen Leiden, welche die Kategorie der Negation charakterisiert. Leiden ist Nicht-Sein, wenn Sein TätigSein bedeutet. „Das Gegentheil der Thätigkeit aber heißt Leiden. Leiden ist positive Negation, und ist insofern der bloß relativen entgegengesezt" (§4; 293). Das dem Wechselbezug zur Tätigkeit enthobene Leiden ergibt die absolute Verneinung von Tätigkeit und prägt den negativen Sinn von Sein. Sein in bloß negativem Verstande bedeutet
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Vor- und Entgegenliegen ohne das Leben des Selbstbezugs. Indessen tritt der das Endliche betreffende Sinn von Sein und Nichts erst heraus, wenn beide Kategorien in der Bestimmtheit der Schranke zusammentreten. „Wenn von der bestimmten Form des Urtheils... völlig abstrahirt, und bloß das allgemeine der Handlungsart — das, eins durch das andere zu begränzen — übriggelassen wird, haben wir die Kategorie der Bestimmung (Begrenzung, bei Kant Limitation). Nemlich ein Setzen der Quantität überhaupt, sei es nun Quantität der Realität, oder der Negation, heißt Bestimmung" (§3; 282). Wieder wird ein Rückgang auf das Urteil vollzogen. Aber jetzt wird die volle Urteilsstruktur in transzendentalen Betracht gezogen. Die erste Kategorie ergab sich aus der Abstraktion des reinen Ist-Sagens, die zweite aus der des reinen Istnicht-Sagens. Jetzt liegt die erste Synthesis und die konkrete dialektische Struktur des Urteils 'Etwas ist etwas' vor. Wird vom Vollzug des Urteilens abstrahiert und auf das Allgemeine der Handlungsart reflektiert, so ergibt sich die Kategorie der Bestimmung. Bestimmung (determinatio) ist synonym mit Begrenzung und Limitation; denn etwas bestimmen heißt, es unter dem reinen Vorblick der Schranke in Grenzen setzen. Rein bedacht, bedeutet Bestimmen ein Setzen der Quantität überhaupt. Daß die Kategorie der Quantität zusammen mit der Limitation auftritt, überrascht nicht. Alle Bestimmung hat ja die Schranke an sich, und im Begriff der Schranke liegt Teilbarkeit oder Quantitätsfähigkeit überhaupt (nicht etwa eine bestimmte Quantität). Beschränkbar sein besagt, in ein Soviel an Sein und Nichtsein abteilbar zu sein. Die Qualität oder das reale Sein gewinnt durch die Quantität im Begriff der Schranke die Bestimmtheit. Und über die Bestimmung verliert die Negation das Ansehen von Nichts-schlechthin und wird zur negativen Größe. Die Notwendigkeit der Einschränkung ist eindrücklich gemacht worden. Ein Nicht-Ich ohne alle Quantität, also unbeschränkt setzen, würde bedeuten, das Ich nicht zu setzen. Weil die Negation ohne Quantität alle Realität vernichtet, muß das Nicht-Ich in bestimmter Quantität gesetzt werden. Und weil dadurch die Realität des Ich um die gesetzte Quantität des bestimmenden Nicht-Ich eingeschränkt wird, ergibt sich: Unter dem reinen Vorblick der Quantität sind die Ausdrücke 'ein NichtIch setzen' und 'das Ich einschränken' gleichsinnig. Im Zusammenhange mit Quantität und Bestimmtheit besondert sich die Bedeutung von Leiden. „Bestimmtheit zeigt seiner innern Bedeutung nach immer ein Leiden, einen Abbruch der Realität an" (§4; Ausg. C;
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295). Im Lichte der Limitation definiert sich das Leiden von der spezifischen Differenz des Mangels her als „die Quantität eines Mangels an Realität" (§4; 296). Und es wird diejenige kategoriale Fassung sichtbar, die sich im Felde der theoretischen Vernunft durchhält und in der Relation der Substanzialität präzisiert: Leiden ist ein Quantum (geminderte) Tätigkeit. Die dialektische Koinonie von Realität und Negation, von Tun und Leiden, von Qualität und Quantität betrifft das Seiende im Ganzen. Schon von Kant war beobachtet worden, „daß die dritte Kategorie allenthalben aus der Verbindung der zweiten mit der ersten ihrer Klasse entspringt" (Kr. d. r. V. B no). So resultiert in der Klasse der Qualität die Bestimmtheit aus der Verbindung von Realität und Negation. Auch das hat die Vernunftkritik Kants konstatiert. „Die Einschränkung (ist) nichts anderes als Realität mit Negation verbunden" (B no). Entsprechend hat die Wissenschaftslehre die Limitation als Synthesis von Realität und Negation im Wesen von Teilbarkeit und Schranke aufgedeckt. Aber das Vernunftsystem Fichtes erbringt mehr als eine artige Bemerkung über die Tafel der Kategorien, sie verschafft Einsicht in die Notwendigkeit einer dialektischen Fügung, und sie macht klar, daß die Gruppe der Qualität diejenige Grundgesetzlichkeit konstituiert, die im Gebiete der Vernunft-überhaupt vor der Trennung in theoretische und praktische Vernunft herrscht. Sein, Nichts, Schranke sind die Gesetze des Setzens, Entgegensetzens, Einschränkens. Sie liegen der gegensätzlichen Verfassung von theoretischer und praktischer Vernunft einheitlich vor und zugrunde. „Aus ihnen sind durch Gegensetzung und Gleichung alle übrigen reinen Begriffe abzuleiten" (Über den Begriff der W.-L., § 8; Akad.-Ausg. I, 2; 150). So tritt im Felde der theoretischen Vernunft die Relation als diejenige Kategorie auf, welche den Begriff der Bestimmung weiterführt. Die Relation begreift eine neue Synthesis a priori, eine Vereinigung von Entgegengesetzten durch Einschränkung. Zu vereinigen sind die absolute Totalität der Realität im Ich und die absolute Totalität der Negation im Nicht-Ich. Beides findet sich durch das Gesetz der Bestimmung auf dem Grunde der Teilbarkeit oder der Quantität vereinigt. Hier wird begreifbar, daß das Ich selbst bestimmt und in eins bestimmt wird. Es ist zum Teil bestimmend und zum Teil bestimmt. Zu dieser Einsicht reicht die Bestimmung, das apriorische Denken von Quantität, zu. Aber diese Kategorie reicht nicht aus. Sie läßt offen, nach welchem Gesetz es dazu kommt, daß das Ich zum Teil selbst bestimmt und zu einem Teil
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bestimmt wird. „Durch Bestimmung überhaupt wird bloß Quantität festgesezt; ununtersucht wie, und auf welche Art" (§4; 289—90). Das genaue Gesetz, wie Bestimmen und Bestimmtwerden vereinigt sind, ermittelt erst eine Reflexion, welche die neue synthetische Handlung als Relation und die Bestimmung als Wechselbestimmung begreift. Auf diesen Wechsel war die Deduktion am Leitfaden der Dialektik gestoßen. Das Ich setzt einen Teil Realität in sich, d.h. es setzt soviel Negation in das Nicht-Ich. Und in eins setzt es Negation in sich (nämlich den nichtgesetzten Teil der Totalität an Realität), und d.h. es setzt soviel Realität in das Nicht-Ich. Nun kommt eben alles darauf an, diese Setzungen nicht als verschiedene Handlungen in unterschiedlichen Rücksichten zerstreut zu denken, sondern als die eine und selbe Handlung in derselben Rücksicht. Insofern das Ich sich bestimmt (ein Soviel an Realität in sich setzt), wird es bestimmt (nämlich durch das ins Nicht-Ich gesetzte Quantum Negation). Insofern das Ich bestimmt wird (durch die Negation des Nicht-Ich), bestimmt es sich selbst (in der durch die bestimmte Negation des Nicht-Ich ins Ich gesetzte Realität). „Es sezt sich demnach sich bestimmend, insofern es bestimmt wird; und bestimmt werdend, insofern es sich bestimmt" (§ 4; 289). So ist im Unterschied zur generellen Kategorie der Bestimmung oder Limitation das Gesetz faßlich geworden, welches die Quantitäten (das Soviel an Sein und Nichtsein) festlegt. „Durch unsern eben aufgestellten synthetischen Begriff wird die Quantität des Einen durch die seines Entgegengesezten gesezt, und umgekehrt" (§ 4; 290). Das Gesetz schreibt vor: Soviel Realität im Ich, ebensoviel Negation im Nicht-Ich, und soviel Negation im Ich, soviel Realität im Nicht-Ich; und umgekehrt: Soviel Realität im Nicht-Ich, soviel Negation im Ich, und soviel Negation im Nicht-Ich, soviel Realität im Ich. „Durch die Bestimmung der Realität oder Negation des Ich wird zugleich die Negation oder Realität des Nicht-Ich bestimmt und umgekehrt" (§ 4; 290). Damit ist die Kategorie der Bestimmung in die der Wechselbestimmung überführt. Die Aufdeckung einer neuen synthetischen Handlung hat das unbestimmte Gesetz der Einschränkung präzisiert, indem sie begreifbar macht, wie die Einschränkung vor sich geht. „Diese bestimmtere Bestimmung könnte man füglich Wechselbestimmung (nach der Analogie von Wechselwirkung) nennen. Es ist das gleiche, was Kant Relation heißt" (§4; 290). Wechselbestimmug ist Wechselwirkung im Sinne des Wechsel-Tun-und-Leidens; das Tun und mitgesetzte Leiden des einen ist Leiden bzw. Tun des anderen und umgekehrt. Diese Wechsel-
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Wirkung stiftet Gemeinschaft, sofern in ihr das gemeinsame ('gleichzeitige') Bestehen besteht. Fichte setzt diese Kategorie in Analogie zur Wechselwirkung im Kantischen Verstande, und es ist handgreiflich, worin die Gleichheit der Verhältnisse besteht. Kants Kategorie der Wechselwirkung bedeutet den reinen Verstandesbegriff von der wechselseitigen Folge der Bestimmungen von außereinander existierenden Dingen. Die Analogie liegt in der wechselseitigen Folge der Bestimmungen. Das Nicht-Identische beider Wechselverhältnisse liegt darin, daß Fichtes Kategorie grundsätzlicher und genereller ist. Sie konzipiert das allgemeine Gesetz, welches das theoretische Verhältnis von Subjekt und Objekt regelt. Subjekt und Objekt beziehen sich demnach so aufeinander, daß das Subjekt, sofern und soweit es sich bestimmt, vom Objekt bestimmt wird, und umgekehrt. Dieses Grundgesetz der theoretischen Vernunft konstituiert das erkennende Verhalten des Ich im Verhältnis zu etwas, das nicht Ich bin. Das sich vorstellende Subjekt ist nur Vorstellen von etwas als einem Objekt, sofern und soweit es nicht Sich-Vorstellen ist. Freilich läßt sich die unbestimmte Allgemeinheit auch dieses Gesetzes schwerlich übersehen. Die Kategorie der Wechselbestimmung läßt ja offen, wie Realität ins Nicht-Ich gesetzt wird und wie das Ich Negation in sich selber setzt. Beide Regelungen ergeben sich in den Kategorien der Kausalität und Substanzialität. Kausalität oder Wirksamkeit ist die eine Art der Relation. Sie konstituiert ein spezifisches Gesetz der Wechselwirkung und bildet die auf den Begriff gebrachte Synthesis a priori, die den Widerspruch im Ansätze eines tätigen Nicht-Ich ausräumt; denn sie vereinigt den Gegensatz von Realität und Nicht-Realität im Nicht-Ich vermittels einer Wechselwirkung, in der das Nicht-Ich tätig ist, sofern und soweit das Ich leidet. Diese neue Kategorie fixiert das gleichgültige Wechsel-Tun-und-Leiden der Relation. Ihr Gesetz ordnet an, welchem der beiden entgegengesetzten Glieder anfänglich Realität und welchem Negation zugeordnet wird. Es ist das Leiden des Ich, von dem der Wechsel ausgeht. „Diese Synthesis wird genannt die Synthesis der Wirksamkeit (Kausalität)" (§4; 294). Wirksamkeit ist ein eigener kategorialer Titel und nicht univok mit Tätigkeit-überhaupt. Wirksamkeit benennt dasjenige Tun, dessen Anwesenheit das Leiden des anderen ist und das seine Quantität am Ausmaße des Leidens bemißt, das es erwirkt. Und in Abgrenzung gegen die absolute Tätigkeit bezieht sich die Wirksamkeit auf das Objekt als ein Bewirktes. Nicht dagegen darf die Wirksamkeit sogleich mit empirischen Zeitbedingungen verknüpft werden. Hier ist der
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Logos in seinen reinen zeitlosen Denkgesetzen vor dem Einschlag von produktiver Einbildungskraft und Zeit zu reflektieren. Nur eine rein gedachte Wirksamkeit ergibt diejenige Wechselbestimmung von Tun und Leiden, welche die Relation von Ursache und Bewirktem (Effekt) bildet. Dem genauen Sprachgebrauche nach heißt dasjenige Relat, dem Tätigkeit und insofern Nicht-Leiden zugesprochen wird, die Ursache. Das andere Glied, dem Leiden und insofern Nicht-Tätigkeit zugeordnet wird, heißt das Bewirkte. „Beides in Verbindung gedacht, heißt eine Wirkung" (§45294). Unter der Hand ist die Zuordnung der Kategorien Kausalität, Tun und Leiden deutlich geworden. Die Kantische Logik zählt die Kausalität zu den Stammbegriffen des Verstandes und so zu den ursprünglichen und primitiven Begriffen. Tun und Leiden werden von ihm unter die Prädikabilien gerechnet, also unter die zwar reinen, aber abgeleiteten Verstandesbegriffe; sie werden der Kategorie der Kausalität zu- und untergeordnet. Die Kantische Anordnung ist die Nebenbemerkung einer Vernunftkritik, welche die Arbeit eines Systembaues aus Materialien bewerkstelligen zu können glaubt, die in ontologischen Handbüchern bereitliegen (Kr.d.r. V.B 108). Im anfänglichen Zuge der Entsubstanzialisierung des Seins begreift die Wissenschaftslehre Tätigkeit und Leiden als Elemente der Subjektivität und zeigt: Der Bezug von Tun und Leiden bildet die generelle Relation von Erkenntnissubjekt und Erkenntnisgegenstand, unter welche als eine neue Synthesis die Wechselwirkung oder Kausalität fällt. Kausalität ist ein Grundgesetz aller Erfahrung. Es findet sich ursprünglich als ein apriorisches Gesetz angelegt, welches das Selbstbewußtsein in seinem Handeln bestimmt und einschränkt. Die Kausalität fixiert die Wechselbestimmung so, daß der Wechsel vom Leiden des Ich ausgeht und zum Nicht-Ich als dem das Leiden erwirkenden Tun übergeht. Dieser Wechsel stellt das erkennende Subjekt als Erwirktes, das Objekt der Erfahrung als Ursache fest und klärt die Rede von der Affektion auf. In das Verhältnis der Ursächlichkeit geht die Ursache eben als das Tätigsein ein, das sich vom Leiden her ergibt und bemißt. Dasein und Ausmaß einer Ursache bestimmen sich durch die Wirksamkeit, die sich allein im Blick auf das Bewirkte ersehen läßt. Nimmt man die Affektion als Wirkung, dann ergibt sich das Leiden und Eingeschränktsein des Ich als Ausgang der Relation, an dem sich das tätige Nicht-Ich als Ursache bemißt und als seiend ausweist; denn Wirksamkeit ist seiend, sofern Bewirktes ist.
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Nun hatte die Dialektik aufgespürt: Der aus der Verfassung der Kausalität erwachsende Widerspruch erzwingt eine neue Synthesis. Diese sucht die Ursprungsfrage nach dem Leiden im Ich zu lösen und aufzuklären, wie das Ich tätig und leidend zugleich und in derselben Rücksicht sein kann. In der auflösenden synthetischen Handlung a priori bestimmt das Ich vermittels seiner Tätigkeit sein Leiden. Leiden besagt hierbei Begrenztsein und Leiden des Ich Begrenztsein auf eine Sphäre seiner Tätigkeit. Und Tätigkeit besagt hierbei die Spontaneität des Ich, sich zu dieser Sphäre zu bestimmen. Indem sich also das Ich selbst in eine begrenzte Sphäre (die in der absoluten Totalität seiner Realitäten enthalten ist) setzt, wird das Leiden des Ich durch Tätigkeit bestimmt. Das Begreifen dieser Synthesis erhellt die Substanzialität von Grund auf. Die zusammenschließende und Einheit versprechende Kategorie der Ousia oder Substanz tritt in idealistischer Interpretation als die lebendige Wechselbestimmung heraus, in der das Ich sich zu sich selber verhält. Orientiert sich die Kategorialanalyse nicht am Ding und seinem sachhaltigen Bestände, sondern am Ich, dann wird Substanzialität als die kategorial voll entwickelte Gestalt der Subjektivität faßlich. Innerhalb der transzendental verstandenen Relation benennt Substanz das Ich in einem spezifischen Betracht. „Insofern das Ich betrachtet wird, als den ganzen schlechthin bestimmten Umkreis aller Realitäten umfassend, ist es Substanz" (§4; 299). Substanz ist das umfassende Ich, rein in seinem Umfange begriffen. Was darin umfaßt wird, sind alle möglichen Weisen des Vorstellens (modi cogitandi). „Die Realitäten des Ich sind seine Handlungsweisen" (§4; 299—300). So zeigt sich: Substanz meint das Ego als die Einheit, welche die Totalität der modi cogitandi umfaßt. Das Denken, Fühlen, Anschauen, Streben, Wollen usf. wird im Ich umfassend als Ich-denke, Ich-fühle, Ich-will usf. gesetzt (und entsprechend das cogitatum als von mir Gedachtes, Gewölkes, Gefühltes usf.). Der eigenste Charakter der Substanz ist mithin, allumfassend zu sein. Diese These setzt die Kennzeichnung der Substanz als des Dauernden (im Wechsel) ab. „Ferner ist klar, daß durch die Substanz nicht das daurende, sondern das allumfassende bezeichnet werde. Das Merkmal des daurenden kommt der Substanz nur in einer sehr abgeleiteten Bedeutung zu" (§4; 341). Ständiges Anwesendsein im Sinne eines dauernden Beharrens bildet ein bloß derivatives Kriterium der Substanz. Dazu bedarf es der noch nicht abgeleiteten Zeit und des Schaffens der Einbildungskraft. Beides liegt außer und unterhalb der ersten
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Wesenserfassung der Substanz im systematischen Betracht reinen Denkens. Das ausgezeichnete Idion der Ousia, das ist der Charakter einer umfassenden Totalität. Dieselbe Betrachtungshinsicht entdeckt das Sein des Akzidenz: das Ich, gesetzt in eine begrenzte Sphäre als denkendes, wollendes, fühlendes Ich. Es ist klar, daß diese Umfangshinsichten von der Kategorie der Quantität dirigiert werden. Das Ich ist Substanz sowohl wie Akzidenz, sofern das Sich-Setzen in einer doppelten Bezeichnung der Quantität in Betracht kommt. Die absolute Totalität des Ich-bin bildet den Vorblick der Substanz. Das Ich-denke, Ich-strebe usf. als der bestimmte Teil einer unbestimmten Größe bildet den Vorblick des Akzidenz. Und damit leuchtet auch ein: Der Grund, welcher das Akzidenz von der Substanz unterscheidet, ist die Grenze; sie scheidet den besonderen vom ganzen Umfange ab. Daher zeigt sich das Akzidenz als etwas an der Substanz, das vom ganzen Umfange ausgeschlossen ist. Es hat den Charakter des Ausgeschlossenseins. Akzidenz heißt das, was nicht zum Wesen selbst gehört, weil es von ihm ausgeschlossen ist. (So gehört das Akzidenz 'weiß' nicht zum Wesen des Körpers und bleibt von dessen Begriff ausgeschlossen.) Die Wissenschaftslehre vermag diese Bestimmtheit des Akzidenz ursprünglich aufzuklären. Sie unterstellt sich dabei der Aufgabe, das, was das Akzidenz zum Akzidenz macht, als ursprüngliche Handlung des Ich aufzudecken: Die Substanzialität begreift die Urhandlung des Ausschließens, und zwar im wechselseitigen Bezug von Substanz und Akzidenz. Diese transzendentale Untersuchung der Substanzialität macht die Relation verständlich: Keine Substanz ohne Akzidenz; denn sonst wären alle Realitäten schlechthin Eins (nämlich das unabgegrenzte SichSetzen), und sonst entfiele mit dem Wegfall herausgegrenzter Handlungsweisen des Ich auch der reine Hinblick einer allumfassenden Substanz. In eins leuchtet die Umkehrung ein: Kein Akzidenz ohne Substanz; denn die Akzidenzen als die ausgeschlossenen modi cogitandi sind nur seiend und als solche zu erkennen durch den Bezug auf den gesamten Inhalt, aus dem sie ausgeschlossen sind. So gelingt es, das untrennbare Verhältnis der Substanzialität genau zu denken. „Die Glieder des Verhältnisses einzeln betrachtet, sind die Accidenzen, ihre Totalität ist Substanz" (§4; 349). Diese Einsicht beseitigt das Mißverständnis, das die Substanz-Theorie weithin überschattet. Substanz ist kein Träger von Akzidenzen. In Wahrheit ist sie nichts anderes als die Akzidenzen in ihrer Totalität, die nicht an sich, sondern in der Vollständig-
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keit eines Verhältnisses besteht. Substanz ist nichts Fixiertes und an sich Festes, substanzielles Sein ist bloßer Wechsel. Worin aber besteht der substanzielle Wechsel? Im Wechsel von Entgegengesetzten, nämlich der umfassenden Tätigkeit und des Leidens des Ich, die sich nicht gegenseitig vernichten, sondern im wechselseitigen Ausschließen nebeneinander bestehen. Substanz ist der Titel für das Umfassende in diesem Wechsel gegenseitigen Sich-Ausschließens. „Die Substanz ist aller Wechsel im allgemeinen gedacht: das Accidenz ist ein bestimmtes, das mit einem anderen wechselnden wechselt" (§4; 300). Die Substanz bildet also kein Glied, das in den Wechsel eintritt, das verdrängt und durch ein eintretendes anderes aufgehoben werden könnte. „Die Substanz kommt nicht in den Wechsel" (§4; 329). Das Wassein der Substanz ist die Selbstvermittlung des Ich, das sich vermittels seiner Bestimmungen in den Wechsel mit sich selber setzt. Solche Aufschlüsse entscheiden den alten Streit über Art und Zahl der Substanz. „Es ist ursprünglich nur Eine Substanz, das Ich: In dieser Einen Substanz sind alle mögliche Accidenzen, also alle mögliche Realitäten gesezt" (§4; 300). Dieses positive Resultat enthält in seiner negativen Wendung den Satz, das Nicht-Ich sei keine Substanz. Das schlägt endgültig eine Zwei-Substanzen-Theorie nieder. Das Nicht-Ich hat keine Realität außer der Vorstellung. Das Ding besteht nicht als substantia corporea, es ist bloßes accidens des ego. Im systematischen Zusammenhang wird die Meinung des dogmatischen Realismus ausgeräumt, und zwar dadurch, daß der Idealismus die Kategorie des Leidens (des Ich) vor Einseitigkeit und Mißbrauch schützt. Es wird jetzt klargestellt: Einer Betrachtung, die sich ausschließlich an die Kategorie der Wirksamkeit hält, erscheint das Leiden als etwas Qualitatives, eine eigenständige Wesensbestimmtheit neben und außer der Tätigkeit. Aus der dem Ich zukommenden Leide-Qualität schließt der 'qualitative Realismus' auf einen Realgrund im Nicht-Ich und versteift sich so auf das Nicht-Ich als Grund und Ursache aller Vorstellung und Erfahrung. Diese Einstellung kennt das Wesen der Substanz nicht und bleibt gegenüber dem wahren Verhältnis von Leiden und Tun ahnungslos. „So wie wir den zweiten Wechselbegriff, den der Substantialität, untersuchen werden, wird sich zeigen, daß in der Reflexion über ihn das Leiden gar nicht als etwas qualitatives, sondern bloß als etwas quantitatives gedacht werden könne, als bloße Verminderung der Thätigkeit" (§4; 310). So war das Leiden endgültig im Wechsel-Tun-und-Leiden der Substanzialität kategorial festgestellt worden. Leiden ist die Tätigkeit des Ich, das
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seine absolute Sphäre einschränkt, und daher nichts als verminderte Tätigkeit. Das Wechsel- und Zusammenspiel von Leiden und Tun in der kategorialen Fixierung durch Kausalität und Substanzialität scheint den Triumph des Idealismus sicherzustellen. Es bestimmt und bemißt das Tätigsein des Nicht-Ich aus dem Leiden des Ich, und es erklärt das Leiden des Ich daraus, daß das Ich sich durch eigene Tätigkeit in eine Bestimmtheit setzt und sich darin als ein ens per se subsistens behauptet. Die Intelligenz bewährt sich als das Prinzip, nach dessen kategorialen Gesetzen sich alle Erfahrung richtet. Seiendes ist Bewußt-Seiendes und den Gesetzen des Selbstbewußtseins unterworfen. Anders formuliert: Die Kategorien legen den Gegenstand in seinem Gegenständlichsein fest. Das ist (im Überblick) dem Schlußstand transzendentaler Kategorienforschung zu entnehmen. Die Kategorie der Realität schreibt vor, was seiend und real ist. Seiend und real ist jedwedes Etwas, das als mit sich selbst Identisches in der Identität des Selbstbewußtseins gehalten wird. Das Gesetz der Negation regelt das Nicht-Sein des Gegenstandes, nämlich Nicht-Ich und dem Ich entgegengesetzt zu sein. Die Kategorie der Limitation macht das Seiende überhaupt erst als (quantitativ) bestimmten Gegenstand vorstellig; denn bestimmt erscheint das Seiende erst, wenn es im reinen Gedanken von Schranke und Teilbarkeit gesetzt wird. Die Kategorie der Relation bindet das Seiende als Objekt gegenständlicher Erkenntnis an das Subjekt und eröffnet generell die besonderen Denk- und Seinsweisen von Kausalität und Substanzialität. Weil das Selbstbewußtsein unter dem Gesetze der Kausalität handelt, erscheint Seiendes im Bezug von Ursache und Effekt. Und da das Ich-denke notwendig nach dem Gesetz der Substanzialität verfährt, zeigt sich das Objekt als Totalität von Akzidenzen. So konstituieren die Synthesen des Ich die Ding-Vorstellungen. Sie bestimmen das Ding als ein Etwas, das an sich ist, ohne für sich zu sein, dergestalt, daß es in die Relation von Ursache und Bewirktem und in den Wechsel von Substanz und Akzidenzen eingelassen ist. Somit läßt sich der Gegenstand in seinem Wesensbestande ableiten. Wodurch aber ist der Gegenstand wirklich und existent? Im Blick auf die Ansprüche transzendentaler Deduktion gefragt: Wie steht es mit der Modalkategorie der Wirklichkeit (Dasein) und deren Herkunft aus der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption? Diese Frage greift vor und überschreitet die Kategorialanalyse im Gebiete der theoretischen Vernunft. Sie wird zum Bescheid führen: Ein Objekt ist ein Wirkliches, wenn es durch eine Tätigkeit des Ich bestimmt
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wird, die durch den Anstoß beschränkt ist. Die Kategorie der Wirklichkeit ergibt sich nicht aus der Reflexion auf die Allgemeinheit ursprünglich synthetischen Handelns des Ich, Wirklichkeit findet sich in der Reflexion auf den Anstoß ein. Die Reihe des Wirklichen entsteht dadurch, daß das Ich sein Herausgehen als beschränkt betrachtet, und zwar durch etwas anderes als durch die Gesetze seines Handelns. Nur seinem Wesensbestande (essentia) und Stande nach ist der Gegen-Stand durch die kategorialen Leistungen des Ich bestimmt, seinem reinen Dawider, seiner Wirklichkeit (existentia) nach ist er durch den Anstoß bestimmt. Anstoß meint das für unser Erkennen unableitbare Nicht des Nicht-Ich. Ohne Anstoß gäbe es keine Wirklichkeit. Der Subjekt-Objekt-Bezug bliebe im Modus der Möglichkeit einbehalten; denn das Ich enthält nur den Grund seiner Möglichkeit; seine reinen Setzungen lassen kein wirkliches Leben (ein empirisches Leben in der Zeit) entstehen. „Soll ein solches wirkliches Leben möglich seyn, so bedarf es dazu noch eines besonderen Anstoßes auf das Ich durch ein Nicht-Ich" (§55411). Diese Ankündigung sollte zur Anzeige bringen: Die Modalität der Wirklichkeit entzieht sich den Befugnissen kategorialer Vorschriften. Sie gehört nicht in die Tafel der Kategorien. Weil also das Seiende nur der Essenz, nicht aber der Existenz nach durch die Subjektivität geprägt ist und weil umgekehrt die Existenz und ihr Prinzip, der Anstoß, notwendige Bedingungen der Subjektivität und außerhalb dieser sind, scheint die Grundlegung des Idealismus in seiner Reinheit verdorben zu sein. Indessen gilt es von vornherein, die Kompetenzen von Wesen und Wirklichkeit scharf abzugrenzen. Zwar schränkt das bewußtseinsunabhängige Nicht-Ich als Anstoß die an sich unendliche Realität des Ich ein, aber der Anstoß wird dadurch nicht zum Prinzip der im Ich erscheinenden Realität. Er bleibt Prinzip der Wirklichkeit des Ich, indem er die Tätigkeit des Ich hemmt und zurücktreibt und dadurch in Bewegung setzt, sein mögliches Leben zu verwirklichen. Wirklichkeit betrifft eben nicht den Sachgehalt und Wesensbestand, sondern bloß die Seinsweise oder Modalität der im Ich enthaltenen Realität. (So hatte Kant ja die Sonderstellung der Modalkategorien, auf der die großen Erträge des kritischen Geschäftes beruhen, herausgegliedert: Sie betreffen nicht das Sein des Gegenstandes selbst, sondern dessen Bezug zum Subjekt; Wirklichsein ist kein reales Prädikat.) Diese Einsicht bietet der Wissenschaftslehre einen Einblick in die Tragfähigkeit ihres Grundes und Bodens und einen Ausblick auf den Gewißheitsanspruch des Ich. Neuzeitliche Grundlegung sucht alles, was
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ist, in der Vernunftgewißheit der absoluten Gleichung Ich = Ich sicherzustellen. Dieser Antrieb durchherrscht die Wahrheitssuche der 'Wissenschaftslehre von ihrem ersten Satze an. Sie ist jetzt an eine Wand gestoßen: Sie vermag sich des Wirklichen nicht zu vergewissern. Darin aber bestand doch gerade das lastende Problem seit dem Cartesischen Einsatz der veritas qua certitudo, das Gewisse als Wirkliches sicherzustellen. Es genügt einer philosophischen, d.h. ontologischen Anstrengung des Denkens nicht, das Seiende bloß als Vorgestelltes durch methodische Selbstprüfung des Vorstellens verfügbar zu machen und das so Vergewisserte für das Wahre auszugeben. Gefordert ist, das Wahre als WirklidiSeiendes prinzipiell sicherzustellen. Nun holt die Ausarbeitung der transzendentalen Deduktionsmethode den Wesensbestand des BewußtSeienden in den Ursatz der Gewißheit ein — sie versagt angesichts der Differenz zwischen Gewißheit und Wirklichkeit. Sie wird das besonnene Denken zu einer Betrachtung herumreißen, in der das Ich die Grenzen und den Ursprung seines Seins reflektieren muß. Solch absolute Reflexion begibt sich in die Alternative: Entweder gelingt es, die durch die Gewißheit geprägte Wahrheit im Absoluten zu gründen — oder das Wissen hat sich einem anderen Wahrheitswesen anheimzugeben27. Am Ende der dialektischen Kategorialanalyse, der die metaphysische und transzendentale Deduktion der obersten Denkgesetze in einer Explikation des zuhöchst gewissen Anfangsgrundes gelingt, kündigt sich das Krisenproblem im Ausbau des transzendentalen Idealismus an: die Unableitbarkeit der Wirklichkeit oder der Existenz und des Daseins. 27
Die ausgezeichnete Untersuchung von I. Schüßler, 'Die Auseinandersetzung von Idealismus und Realismus in Fichtes Wissenschaftslehre'. Köln 1969 macht den durch Fichte ausgetragenen Gegensatz von Idealismus und Realismus als das Element einer Denkbewegung durchsichtig, welche die neuzeitliche Frage nach der Wahrheit im Ganzen bewegt. Die leitende Konzeption ist die: Der anfängliche Ort der Wahrheit ist die Gewißheit des Ich; aber ihr Anspruch, der darauf dringt, das Gewisse als Wirkliches sicherzustellen, scheitert an der Differenz von Gewißheit und Wirklichkeit. Es ist darum der Gewißheitsanspruch selbst, der die Aufhebung dieser Differenz, und d. h. den Transzensus zum Absoluten betreibt. Und darum verlegt die W.-L. 1804 die durch Gewißheit geprägte Wahrheit in das Absolute. Die Auflösung der genau getroffenen Krise des Wahrheitsproblems bedarf der Präzisierung. Die absolute Wahrheit als die Wahrheit des Absoluten ist nicht durch Gewißheit geprägt. Der grundsätzliche Anspruch der Selbstgewißheit hängt am Prinzip des Selbstbewußtseins. Beides aber wird angesichts des absoluten Seins und der Lichtung seiner Wahrheit vernichtet. Die volle Gewißheit als selbstbewußte Vergewisserung des Wirklichen gründet in einer höheren Wahrheit, welche die Aussicht eröffnet, die Gewißheit als das abgeleitete Wahrheitswesen des erschienenen Seins innerhalb einer Phänomenologie wiederzugewinnen.
6. KAPITEL
Produktive Einbildungskraft — die Lebensform der theoretischen Vernunft Sein ist Substanzialität: Eine transzendentale Interpretation kann diese Seinsthese nicht halten. Substanzialität markiert zwar die Endgestalt der Synthesen des reinen Verstandes, aber sie bildet nicht einmal einen verläßlichen Anfangsgrund für Sein und Leben der theoretischen Vernunft. Ihr Mangel offenbart sich sofort an einer Unklarheit. Wieso stellt sich das Ich im Bezug der Substanzialität, der doch ein Vergleich des Ichwesens mit sich selber ist, als beschränkt durch ein Nicht-Ich vor? Das Gesetz der Substanzialität klärt das Bewußtsein der Eingeschränktheit auf, es läßt die Tatsache ungeklärt, daß das Ich durch den Gegenstand beschränkt ist. Werden beide Arten der Wechselbestimmung prinzipiell auf sich gestellt, dann baut das Denken auf seichtem Grund. Das ist einzuschärfen. Sonst bleibt die Philosophie im naiven Prinzipienstreit zwischen einem transzendenten Realismus und einem transzendenten Idealismus stecken. Der Relation der Kausalität gemäß verhält sich das Ich bloß leidend, dergestalt, daß sich aus dem Leiden als einem Effekt das tätige Nicht-Ich als Ursache aufdrängt. In diesem Verhältnis mangelt es dem Ich an der Tätigkeit des Sich-Setzens. Es ist zwar als bestimmt durch das Nicht-Ich gesetzt, aber es ist darin nicht für sich. „Das Ich wäre im angenommenen Falle allerdings eingeschränkt, aber es wäre seiner Einschränkung sich nicht bewußt" (§4; 303). Unter der realistischen Herrschaft des Kausalgesetzes bleibt eben das Selbstsein im Selbstbewußtsein dunkel. Der absolute Einsatz der Substanzialität dagegen vermag die Vorstellung von Ding, Welt, Natur nicht zu erklären. Das Ich setzt und bestimmt sich danach selbst, aber es setzt sich nicht als bestimmt durch das Nicht-Ich. Unter dem einseitigen Diktat der Substanzialität bleibt eben der Gegenstandsbezug im Selbstbewußtsein dunkel. Diese Einsichten legen die Auskunft nahe: Vielleicht vermag eine
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einfache Summierung von Kausalität und Substanzialität klarzumadien, wie es zur selbstbewußten Vorstellung von bewußtseinsunabhängigen Dingen kommt; denn der reine Begriff der Kausalität erfaßt doch die Regel, wie sich das Vorstellen der mich bestimmenden Welt bildet, der apriorische Begriff der Substanzialität konzipiert die Regel, wie sich endlich bestimmtes Selbstbewußtsein bildet. Müßte also deren Zusammenstellung nicht die gesuchte Einsicht in den gesetzmäßigen Aufbau der theoretischen Vernunft verschaffen? Indessen ist leicht zu bemerken: Das unvermittelte Ineinandergehen der kategorialen Verstandeshandlungen ergibt nicht den aus sich lebenden Kreisgang des Bewußtseins, sondern einen alles zerstörenden Zirkel. In einem fehlerhaften Zirkel wird das erst Abzuleitende unvermerkt als Grund der Ableitung vorausgesetzt. Im Falle der theoretischen Vernunft sollte die problematische Tätigkeit im Nicht-Ich aus dem Leiden des Ich folgen. Das verlangt jedenfalls die kausale Festlegung der Bewußtseinshandlung. Und das Leiden im Ich sollte als geminderte Tätigkeit begreifbar werden. Das jedenfalls erklärt die Substanzregel, wonach ein Quantum Tätigkeit, am Maßstabe der Totalität gemessen, Leiden im Sinne geminderter Tätigkeit bedeutet. „Aber das Ich kann kein Vermögen haben, schlechthin einen mindern Grad der Thätigkeit in sich zu setzen; denn es sezt, laut des Begriffs der Substantialität, alle Thätigkeit in sich" (§4; 302). Dieses Hemmnis lenkt die Erklärung wieder auf den Begriff der Kausalität zurück. Und der sucht hinsichtlich der Frage nach der Einschränkung des an sich unbeschränkten Ich seine Zuflucht wieder bei einer Tätigkeit des Nicht-Ich, die dem Ich, es einschränkend, vorausgeht. Diese aber sollte doch gerade nach dem Gesetze der Kausalität aus dem Eingeschränktsein und Leiden des Ich folgen. So verwickelt sich die unvermittelte Synthesis von Substanzialität und Kausalität in einen Zirkel, der das Leben und Bewußtsein lahmlegt. Gerade den verborgenen Grund von Leben und Bewußtsein aber sucht das Denken. Es ist zuhöchst bedeutsam, daß und wie die neuzeitliche Philosophie Leben und Bewußtsein zusammendenkt. Das aus sich lebende Belebende, die Seele, ist seit dem Cartesischen Beginnen vorrangig oder gar ausschließlich als denkende Seele und Denken als Sich-Denken im Denken von etwas ausgelegt worden. (Daher konnte Kant in seiner Auseinandersetzung mit der rationalen Psychologie Seele, cogito und Ich-denke synonym gebrauchen.) Die geschichtliche Dimension solchen Zusammenschlusses von Leben und Bewußtsein kann im systematischen Aufschluß des transzendentalen Lebensprinzips nicht ausgemes-
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sen werden. Es genügt, festzuhalten, daß die Blickwendung Descartes' zwar modifiziert und korrigiert, aber nicht rückgängig gemacht worden ist: Nicht die Natur ( ), sondern das Bewußtsein biete den originären Anblick von Lebendigkeit und Beseeltheit. Diese Wendung ist in der Leibnizschen Monadologie gerechtfertigt und ausgebeutet worden. Beseelt- und Lebendigsein heißt, im Stande von Vorstellungen währen; Tod ist Auslöschung des Bewußtseins. Fichtes Grundlegung geht dem Leben in all seinen Gestalten auf den Grund. Sie verfährt dabei so, daß sie in methodisch kontinuierlicher Vertiefung das Ich als Prinzip von Bewußtseinsformen und Lebensgestalten erprobt, weil eben die Grundformen des Bewußtseins fraglos als Grundgestalten des Lebendigseins vorverstanden sind. Solches Vorverständnis bestimmt den Duktus der Systementwicklung. Es führt zur Grundgestalt von Leben und Bewußtsein im Bereiche der theoretischen Vernunft und von da zum Lebensschema im tiefer gelegenen Gebiete der praktischen Vernunft, um zum Quellgrund von Bewußtsein und Leben überhaupt, zum Prinzip der absoluten Reflexion, hinzuleiten. Die frühe Wissenschaftslehre läßt sich durch die Zusammengehörigkeit von Leben und Bewußtsein führen, ohne diese zu bedenken oder gar in Frage zu stellen. Aber dies Unbedachte ist das Bedenkliche. Wie steht es nämlich mit der Ich-Philosophie, wenn sich herausstellen sollte, daß der Grund des Lebens und das Prinzip des Bewußtseins gar nicht zusammenfallen, sondern auseinanderliegen? Das kann freilich erst bedacht werden, wenn die Gestalt der Ichheit in der Form absoluter Reflexion unverstellt vor Augen liegt. Dafür muß die Gründungsfunktion des Satzes erschlossen und in Frage gestellt sein: „Es (das Ich) soll demnach, so gewiß es ein Ich ist, das Prinzip des Lebens, und des Bewußtseyns lediglich in sich selbst haben. Demnach muß das Ich, so gewiß es ein Ich ist, unbedingt, und ohne allen Grund das Princip in sich haben, über sich selbst zu reflectiren" (§ 5; 406—07). Dafür hat die Reflexion der Reflexion eine gewaltige Arbeit zu vollbringen. Sie beginnt damit, die Lebensform der theoretischen Vernunft zu schematisieren. Das theoretische Bewußtsein ist seiend und lebt in bleibendem Bestände, wenn es weder im Vorgestellten erstarrt und seine Anwesenheit allein im Gedachten sucht noch im leeren Rückbezug auf sich selbst verödet. Es kreist nur dann lebendig in und aus sich selbst, wenn es im Gange zur Welt den Rückgang zum Selbst gewinnt und umgekehrt. Wechselweise nämlich beleben und bereichern sich das Sich-Begreifen und das Ergreifen von Welt. Diese Wechselbeziehung scheint durch die
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Kategorialverfassung des Ich gesichert und in geregeltem Gange gehalten. Tiefer gesehen aber, verwickeln sich die bloßen Verstandesgesetze allein untereinander in einen Zirkel. Der Zirkel dreht sich im Widerspruch, der zwischen den radikalen Ansprüchen der beiden Arten von Wechselbestimmung herrscht. „Das Ich kann kein Leiden in sich setzen, ohne Thätigkeit in das Nicht-Ich zu setzen; aber es kann keine Thätigkeit in das Nicht-Ich setzen, ohne ein Leiden in sich zu setzen" (§4; 304). Der Zirkel liefert das Leben und Bewußtsein der Verwirrung und Auflösung aus. Dieses fatale Resultat treibt den Methodengang der Deduktion weiter und über den Kreis des reinen Verstandes und seiner Denkgesetze hinaus. Es muß eine Tätigkeit oder ein Vermögen im Ich aufgetrieben werden, das von den Verstandesbezügen unabhängig ist, weil es sie ermöglicht. Eine solche 'unabhängige Tätigkeit' tritt als diejenige Bedingung auf, die notwendig ist, um das Bewußtsein vor dem Widerspruch der obersten Denkgesetze zu schützen. Sie verhindert, daß das Vorstellen zufolge des Kausalgesetzes im Gedachten erstarrt oder sich zufolge des Substanzgesetzes in denkender Selbstanschauung verliert. Ein lebendiger Bestand der Vorstellung vermag sich nur dadurch vom Widerspruch freizuhalten, daß zu der Wechselbestimmung, die zwischen tätig-leidendem Ich und leidend-tätigem Nicht-Ich herrscht, noch eine Tätigkeit hinzukommt, die nicht dem Wechsel mit einem entsprechenden Leiden unterliegt. Eine solche Tätigkeit wäre vom Gesetz der Kausalität unabhängig, und das hieße: Sie wäre eine vom Ich ins Nicht-Ich gesetzte Tätigkeit, der kein Quantum Leiden im Ich entspricht. Und sie wäre vom Gesetze der Substanzialität unabhängig, das hieße: Sie setzte eine Tätigkeit im Ich fest, die mit keinem Leiden (geminderter Tätigkeit) wechselt. Dabei ist der Titel 'unabhängige Tätigkeit' vorläufig. Er kennzeichnet ein Element des Bewußtseins vorerst bloß negativ, nämlich als den Gesetzen des Denkens nicht unterworfen. Die positive Leistung und das Eigenwesen dieser Urhandlung wird erst deutlich sein, wenn der Organismus des Bewußtseins gänzlich durchsichtig und die Deduktion der Vorstellung klar geworden ist. „Wir wollen diese Art der Thätigkeit vor der Hand unabhängige Thätigkeit nennen, bis wir sie näher kennen lernen" (§4; 305). Die unabhängige Tätigkeit wird sich als Produzieren der produktiven Einbildungskraft enthüllen. „Diese unabhängige Thätigkeit... heißt Einbildungskraft" (§4; 314). Die Einbildungskraft wird als die vom Denken und seinen Gesetzen unabhängige Tätig-
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keit in Ansatz gebracht, welche den Zirkel des bloßen Verstandes zum Kreislauf endlichen Bewußtseins schließt. So ist die Einbildungskraft niemals hochgeschätzt und niemals zur tiefsten Bedingung von Sein und Leben erhoben worden. Dieses „fast immer verkannte Vermögen . . . ist dasjenige, was allein Leben und Bewußtseyn . . . möglich macht" Bei der einfachen Hinzufügung einer unabhängigen Tätigkeit aber kann sich die Methode nicht beruhigen. Denn offenkundig verwickelt sich das Ganze der Bewußtseinseinheit in einen neuen Widerspruch. Die an die Gesetzlichkeit kategorialer Relation gebundene Tätigkeit (das reine Denken) und eine davon unabhängige Tätigkeit (das reine Einbilden oder die ursprüngliche Anschauung) widerstreiten einander. Würde der Anspruch beider total durchgesetzt, dann wäre die Einheit des Selbstbewußtseins zunichte. Das Unverlierbare, die Selbigkeit des Ich, ginge verloren. Um mithin der zuhöchst gewissen Hypothesis von der unzerstörbaren Einheit des Ich folgen zu können, ohne die Richtigkeit der Deduktion verwerfen zu müssen, bietet sich das Mittel der gegenseitigen Einschränkung an. Schränken sich die einander entgegengesetzten Tätigkeiten (Denken und Anschauen) von Grund auf ein, indem sie sich ursprünglich wechselseitig bestimmen, dann wird das Schema transparent, nach dem das selbstbewußte Vorstellen von Welt weilt und lebt. Die unabhängige Tätigkeit geht in sich zurück durch den Wechsel und umgekehrt. Die Vereinigung von kategorialer Wechselbestimmung und der davon unabhängigen Tätigkeit der produktiven Einbildungskraft bildet die Schlußsynthesis der theoretischen Vernunft. In ihr wird die Lebensform der Theoria deutlich, die lebendige Reproduktion. Das ist ein elementarer Grundzug alles Lebendigen. Er erfüllt sich in der sich reproduzierenden Produktion des Bewußtseins. So ist es das Bewußtsein, das den Anblick des Lebens rein darbietet. Die Ganzheit des Bewußtseins gibt das Urbild einer organischen, sich selbst reproduzierenden Einheit. Im Kreislauf seiner Tätigkeiten ist die eine Art Tätigkeit nur durch die andere in bestimmtem Vollzuge und umgekehrt; keine darf fehlen, sonst ist das Ganze nicht da. Und ist ein Teil der Tätigkeit da, dann ist es auch das Ganze des Bewußtseins; denn es wird sich zeigen: Jede der Tätigkeiten wird, indem sie andere setzt, selbst wieder von diesen gesetzt und reproduziert so, indem sie anderes produziert, mittelbar sich selbst. Das Bewußtsein lebt im Stande der Selbstreproduktion. Es währt in der Reproduktion dessen, was es immer schon war. Hält man nun ernstlich daran fest, daß alles, was
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lebt, auf dem Grunde der Beseeltheit und Bewußtheit lebt, dann ist das Urbild des Organischen im elementaren Bewußtseinsleben aufgeklärt und die organisch belebte Natur als Abbild und Erscheinung des Lebens in den zweiten Rang gewiesen. So vorgetragen, hat die These die anmaßende Form einer bloßen Behauptung. Sie wird erst dann zum gesicherten Satz, wenn das sich reproduzierende Produzieren der theoretischen Vernunft vollständig durchgegliedert vorliegt. Dabei ist vorab die unabhängige Tätigkeit daraufhin zu befragen, in welcher Hinsicht sie unabhängig ist, ob von der Form oder von der Materie des Wechsels; denn bei aller Tätigkeit sind ja Form und Materie voneinander abzuheben. Form meint das Wie der Tätigkeit. Weil alle Tätigkeit des Bewußtseins ein Synthetisieren ist, bedeutet ihre Form die bleibende Verfassung oder das Gesetz des zusammensetzenden In-Beziehung-Setzens. Mit Materie dagegen wird das bezeichnet, was getan und verbunden wird. Lassen sich nun auch beim Wechsel-Tun-und-Leiden Form und Materie abheben, dann muß im voraus festgelegt werden, von welcher unabhängigen Tätigkeit die Rede ist. Vor solcher Distinktion bleibt verschwommen, ob die von der Form oder die von der Materie unabhängige Tätigkeit beansprucht ist. Für solche Vorklärung müssen Form und Materie des Wechsels fixiert werden. Die Materie bilden die im Wechsel begriffenen Glieder Ich und Nicht-Ich, und zwar als je bestimmt Leidendes bzw. Tätiges. Die Form bildet der Wechsel selbst, und zwar als ein Übergehen von einem zum anderen, indem das Tun des einen in die Sphäre des anderen eingreift, um sie durch Leiden zu bestimmen. Fichte hat die Form des Wechsels daher als Eingreifen gekennzeichnet. Entsprechend läßt sich die Tätigkeit, die von der so herausgehobenen Form und Materie des Wechsels unabhängig ist, nach Form und Materie auseinanderlegen. Durch diese Explikationen wird der komplizierte Vorgang der Schlußsynthesis im Felde der theoretischen Vernunft durchsichtiger. Sollen sich Wechsel und unabhängige Tätigkeit durch Einschränkung oder — was dasselbe besagt — durch gegenseitige Begründung vereinigen lassen, so müssen zuvor zwei Vorsynthesen geschehen, nämlich die Synthesis von Form und Materie des Wechsels sowohl wie die von Form und Materie der unabhängigen Tätigkeit. Diese Vereinigungen brauchen hier, wo es um die generelle Struktur des theoretischen Bewußtseins geht, nur generell, d. h. ohne ihre spezifische Anwendung auf die Wechselarten der Kausalität und Substanzialität, vorgetragen zu werden (vgl. § 4; 318—22)28. 18
Man hat immer den verwirrenden Gang der Synthesis E beklagt (vgl. J. E. Erd-
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Um die erste Vorsynthese aufzuschließen, ist die von der Form bzw. der Materie unabhängige Tätigkeit des Bewußtseins festzulegen. Von der Form des Wechsels ist diejenige Tätigkeit unabhängig, die diese Form bestimmt. Etwas bestimmen heißt, es begründen. Etwas ist bestimmt, wenn der Grund dafür beigebracht ist, warum es dieses und nicht etwas anderes ist. Diejenige Tätigkeit, die die Form des Wechsels, also das Eingreifen, begründet, ist das Übergehen als solches. Diese unabhängige Tätigkeit ist ein Hin- und Hergehen des Bewußtseins, das nicht an die Wechselform des Übergehens gebunden, sondern davon frei ist, daß zwischen Tun und Leiden oder zwischen Unbegrenztem und Begrenztem übergegangen wird. Im Grunde ist mit dem Übergehen als einem solchen das Schweben der produktiven Einbildungskraft getroffen. Das Hin- und Herschweben ist ort- und standlos und unabhängig von einem festen Wechsel. Es hat keine fixen Pole und bestimmten Richtungen. So schwebt die unabhängige Tätigkeit. Sie setzt daher, weil sie selbst keinen festen Standpunkt hat, keine festen Grenzen. Erst der Verstand fixiert und beständigt das in sich verschwebende Einbilden. Aber die Einbildungskraft läuft auch nicht ins Grenzenlose fort. Lediglich im Praktischen geht die Einbildungskraft auf das Unendliche. An ihr selbst und in theoretischem Betracht schwebt die Einbildungskraft in der Mitte zwischen Unvereinbarem, der Grenze und der Grenzenlosigkeit. „Die Einbildungskraft ist ein Vermögen, das zwischen Bestimmung und Nicht-Bestimmung, zwischen Endlichem, und Unendlichem schwebt" (§4; 360). Das ist der elemenmann, 'Die Entwicklung der deutschen Spekulation seit Kant' Bd. II, S. 71—76. 1931). Zugleich ist von Erdmann das Entscheidende berührt worden, die Einführung der produktiven Einbildungskraft. K. Fischer, Tichtes Leben, Werke und Lehre' S. 339—347. Heidelberg 1914 hat die Aufgabe der Synthesis E darin erblickt, in ihrem Geflecht die Charaktere jener unabhängigen Tätigkeit aufzufinden, ohne welche die Wechselbestimmung nicht möglich ist. Die vollständige Entwirrung der Synthesis E unter Herausarbeitung der unabhängigen Tätigkeit ist D. Schäfer gelungen (vgl. 'Die Rolle der Einbildungskraft in Fichtes W.-L. von 1794/95' S. J7—171. Köln 1967). F. Duyckaerts, 'L'Imagination productrice dans la Logique transcendentale de Fichte', Revue philosophique de Louvain 50, 8.230—250. 1952, hat das 'ursprüngliche Faktum der produktiven Einbildungskraft* als den Angelpunkt im Kreisgange der abstrakten und konkreten Dialektik der 'Grundlage' exponiert und in der Entdeckung der produktiven Einbildungskraft als der FundamentalRelation (nicht in der Annahme der absoluten Autonomie des Ich) die ursprüngliche Einsicht Fichtes erblickt. Seine Kritik ist eigenwillig: Indem Fichte die Einbildungskraft in den Wechselbezug von Subjekt und Objekt hinein entfaltet und nicht für den dialogischen Bezug zwischen 'Seienden' (zwischen Mensch und Ding, zwischen Mensch und dem Anderen) fruchtbar macht, hat er seine Entdeckung aus der Hand gegeben.
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tare Übergang des Bewußtseins überhaupt. Er wird als die von der Form des Wechsels unabhängige Tätigkeit eingeführt. Die materialiter unabhängige Tätigkeit bestimmt und begründet die Materie des Wechsels. Sie macht es möglich, daß die Inhalte des Wechsels, nämlich Ich und Nicht-Ich als Leidendes bzw. Tätiges, nur in Gemeinsamkeit sein können. In dieser Hinsicht verbürgt die Einbildungskraft dem Bewußtsein, daß seine Hauptinhalte, vorstellendes Selbstund vorgestelltes Weltbewußtsein, nicht zeitlos im anderen verschwinden. Die der Materie nach unabhängige Tätigkeit sorgt demnach nicht für das Übergehen als solches, sondern dafür, daß das, woran sich das Übergehen abspielt, eine Einheit in der Zweiheit bleibt. Sie stiftet den Beziehungsgrund zwischen Tun und Leiden. Beides schließt sich aus. Leiden ist Nicht-Tun und Nicht-Leiden Tun. Wie also vermögen Leiden und Tun in Einheit zu bestehen? Niemals unmittelbar, sondern höchstens vermittels eines bisher unbekannten Dritten. Dessen Vermittlung aber ist unabwendbar; denn ohne vermittelnde Mitte klaffte im Bewußtsein ein Hiat. Seine Glieder brächen auseinander. Das Leidende ließe das Tätige, das Tätige das Leidende nicht zu. Indessen bleibt diese brüchige Materie in die Einheit des Bewußtseins durch eine bisher verkannte Tätigkeit geborgen, die den Zusammenhalt ermöglicht, weil sie in beiden Gliedern enthalten ist. Fichte hat diese Art Tätigkeit 'Leiter' genannt. Sie leitet das Bewußtsein von einem Glied zum anderen hinüber. Getroffen ist wiederum ein Grundzug der Einbildungskraft, die hier nicht in ihrem Schweben als solchem in Betracht kommt, sondern in ihrem Vermögen, vergegenwärtigend in der Schwebe festzuhalten. Die Tätigkeit der Einbildungskraft hält den einen materialen Bestandteil, das Ich in seinem Leiden z.B., fest, und zwar solange, bis das andere Glied erscheint. Nur im Medium dieses Moments der Gewärtigung läßt sich das, was einander die Anwesenheit verwehrt, zu gemeinsamer Anwesenheit vermitteln. Im Vor- und Überblick gesprochen: Erst durch die Einbeziehung dieser Tätigkeit läßt sich der Zusammenstand von Subjekt und Objekt aufklären und die Aufgabe, den vernichtenden Gegensatz von Ich und Nicht-Ich zu lösen, fördern. Bislang nämlich war der Subjekt-Objekt-Bezug durch das Gesetz des 'mittelbaren Setzens' gestiftet: Das Sein des Subjekts ist das Nichtsein des Objekts und umgekehrt; das Leiden des Ich ist das Tun des Nicht-Ich und umgekehrt. Dieses Gesetz schreibt aber doch vor, daß beide Glieder der Relation im Entgegengesetztsein aufgehen. Sie sind nicht unmittelbar, sondern nur
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mittelbar gesetzt; das eine ist seiend durch das Nichtsein des anderen. Wie aber kann überhaupt mittelbar gesetzt werden? Wodurch bildet das im mittelbaren Setzen Entgegengesetzte einen einheitlich zusammenstehenden Bestand? Die Einberechnung der produktiven Einbildungskraft erledigt solche Frage; denn deren Tätigkeit leitet das Bewußtsein ohne Bruch von einem entgegengesetzten Glied zum anderen hinüber. Nach dem strikten Verstandesgesetz des mittelbaren Setzens wäre das Verschwinden des einen (des subjektiven Bestandteils) das Aufkommen des anderen (des objektiven) und umgekehrt. Im Denken von etwas wäre das Sich-selber-Denken weggesetzt, und im S/c&-Denken entglitte das Denken von etwas, das nicht ich selber bin. Folglich bestünde unter dieser Zweiheit gar keine Einheit, und die Identität wäre gegensatzlos. Das Bewußtsein wäre kein endliches. Bestand hätte allein das gegensatzlose Absolute, das im Vernichten des entgegengesetzten Anderen herrscht. In Wahrheit aber leitet die Einbildungskraft das Bewußtsein von einem zum anderen, dergestalt, daß sie das Aufhören des einen und das Anfangen des anderen vermittelnd zerdehnt. Sie dehnt die Grenze zwischen Subjekt und Objekt aus und faßt beide vermittels solcher Grenzbildung zusammen. Diese überleitende Funktion der Einbildungskraft ist es, welche die Herausgliederung einer von der Materie des Wechsels unabhängigen Tätigkeit ins Spiel bringt. Deren Beschreibung greift vor. Sie bringt im Grunde die Aufgabe einer Deduktion der theoretischen Vernunft zur Auflösung. „Die Aufgabe war die, die entgegengesetzten, Ich und Nicht-Ich, zu vereinigen. Durch die Einbildungskraft, welche widersprechendes vereinigt, können sie vollkommen vereinigt werden" (§4; 361). Damit sind die vorbereitenden Abgrenzungen bewerkstelligt. Nunmehr ist sicherzustellen, daß die beiden abgehobenen Tätigkeiten, das Übergehen als Übergehen und das Leiten der Glieder, nicht zwei, gar einander ausschließende Tätigkeiten darstellen, sondern in Einheit vorkommen, und zwar so, daß sie einander bestimmen und begründen. Für die Herstellung solcher Synthesis ist zunächst der Satz zu erarbeiten: Die der Form nach unabhängige Tätigkeit oder das Übergehen begründet das, woran es übergeht. Konkret und im Blick auf das einschlägige Vermögen gesehen, besagt das: Das Hin und Her des Schwebens macht es möglich, daß unvermittelt Entgegengesetztes, Leidendes und Tätiges, vermittelt und zur Einheit hinübergeleitet wird. Im faktischen Vollzug des bloßen Übergehens bestimmen sich die Glieder des Wechsels nicht als einander vernichtende Absoluta, sondern als durch einen Leiter Verbun-
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denes. Das gleiche Recht aber hat die umgekehrte Behauptung auf ihrer Seite, das Woran des Ubergehens begründe das Übergehen; denn erst dadurch, daß es einen Leiter zwischen Gliedern gibt, kann das Bewußtsein schweben. Die Wahrheit liegt darin, daß beides sich gegenseitig begründet und ermöglicht. Das Schweben ist nur möglich, wenn die Glieder, zwischen denen es schwebt, nicht getrennt auseinander- und absolut entgegenliegen. Und umgekehrt kann dasjenige in den Gliedern, das überleitet, erst durch das Schweben erscheinen. Schweben und festhaltendes Überleiten sind unmittelbar als ein Ganzes da, das alles äußere Begründen und Vermitteln von sich abweist. Es gründet in sich selbst und ist absolute Tätigkeit. Das ursprüngliche Sein der Einbildungskraft ist eine „absolute Handlung, ohne allen Bestimmungsgrund, und ohne alle Bedingung ausser ihr selbst" (§4; 320). Im Vermögen der produktiven Einbildungskraft wäre somit eine neue schlechthin unbedingte Tätigkeit gefunden. Dieser Fund begegnet nicht einem Suchen auf gut Glück, er ist mit den Methodenmitteln der transzendentalen Deduktion gehoben. Es muß, soll nicht der Unsinn eines gegensatzlosen, d. h. toten Bewußtseins an den Anfang gestellt und an Stelle des Lebens der Tod zum Alpha und Omega gemacht werden, eine solche absolute Tätigkeit geben. Das Bewußtsein muß übergehend schweben und einen Leiter, ein Medium, zwischen beiden Gliedern haben, „schlechthin darum, weil es dann kein Bewußtseyn wäre" (§4; 320). Generell also hat diese Untersuchung die produktive Einbildungskraft als eine notwendige Bedingung für Leben und Bewußtsein offenbar gemacht. Ihr Weg war die Erschließung einer Synthesis, welche die der Form nach unabhängige Tätigkeit mit der Tätigkeit, die der Materie nach vom Wechsel unabhängig ist, vereinigt. Es steht eine zweite Vorsynthese aus. Diese Synthesis hat den Wechsel zum Thema. „Die Form des Wechsels, und die Materie desselben sollen sich gegenseitig bestimmen" (§4; 320). Die Form des Wechsels heißt Eingreifen und regelt das Übergehen von Tun und Leiden. Indem das Ich z.B. Leiden in sich setzt, greift es in die Sphäre des Nicht-Ich ein und setzt dorthinein Tätigkeit und umgekehrt. Die Materie des Wechsels ist das, woran sich der Wechsel abspielt, nämlich Ich und NichtIch, sofern beide im Verhältnis von Tun und Leiden stehen. Fichte legt als Materie in diesem Sinne „das gegenseitige Verhältniß der Wechselglieder" (§4; 3 20) fest. Die Vereinigung von Form und Materie des Wechsels ist wieder im
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Dreischritt der möglichen Bestimmungen zu durchlaufen. Zunächst gilt es, zu sehen, daß die Form die Materie bestimmt. Das Eingreifen begründet das Verhältnis der Wechselglieder; denn das Ich bzw. Nicht-Ich wird offenkundig erst dadurch zu einem bestimmten Soviel an Tun oder Leiden, daß ein Eingreifen in seine Sphäre geschieht. Das Gesetz des Eingreifens gehört zu dem Prozeß, nach welchem die Glieder ihren bestimmten Inhalt, das abgemessene Quantum an Tätigkeit bzw. Leiden, bekommen. Freilich leuchtet sogleich ein, daß dieser Bestimmungsversuch einseitig ist. Es drängt sich der umgekehrte Aspekt vor, wonach die Materie die Form bestimmt. Dadurch nämlich, daß Ich und NichtIch im Wechselverhältnis von Tun und Leiden vorliegen, kann allererst ein Eingriff geschehen. Beide Begründungsversuche sind, werden sie getrennt durchgeführt, abstrakt oder einseitig. Die konkrete Wahrheit geht in ihrer Vereinigung auf. „Ihr Eingreifen, und ihr Verhältniß ist Eins, und eben Dasselbe" (§4; 321). Darin liegt die Synthesis von Form und Materie des Wechsels. Weder liegen leidendes Ich und tätiges Nicht-Ich (bzw. tätiges Ich und leidendes Nicht-Ich) gleichsam als Substrat vor und zugrunde, zu dem dann noch ein Eingreifen beiläufig hinzukäme, noch liegt das Eingreifen zugrunde, das akzidentell zum Begründen dieses Verhältnisses wird. Beides geschieht in Wesenseinheit. Indem Ich und Nicht-Ich in einem Wechselverhältnis sind, greifen sie ineinander ein, und nur indem sie eingreifen, sind sie in einem Wechsel Verhältnis. Ein unterscheidendes Auseinanderlegen nach Grund und Folge vergriffe sich am synthetischorganischen Leben der Subjekt-Objekt-Relation. Eine angemessene Betrachtung dagegen bringt die zweite Vorsynthese an den Tag: Der Wechsel ist seiner Form und Materie nach synthetische Einheit. Damit sind die Zurüstungen beendet, um die Synthesis des vorstellenden Bewußtseins (freilich nur generell und formell) aufstellen zu können. Die Darlegung des theoretischen Bewußtseins in seiner vollen Struktur macht die ursprüngliche synthetische Einheit der Apperzeption als eine Synthesis von Synthesen ansichtig: die synthetische Einheit der unabhängigen Tätigkeit in Synthesis mit der synthetischen Einheit des Wechsels. Die Einheit der (theoretischen) Vernunft bildet eine Synthesis produktiver Einbildungskraft in Synthesis mit der Synthesis reinen Denkens. Die Tätigkeit des Ich hat sich im Felde der theoretischen Vernunft zu einer komplizierten Geschehnisstruktur entwickelt, die sich im vielfältigen Produzieren seiner Teile im Ganzen reproduziert. Die Syn-
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thesis der Synthesis bietet das durchsichtige Schema ursprünglicher, 'organischer' Lebendigkeit des Geistes. Für die Durchsicht dieser Organischen Synthesis' sei noch einmal das, was darin vereinigt werden soll, charakterisiert. Die synthetische Einheit der unabhängigen Tätigkeit läßt sich als absolutes Übergehen kennzeichnen, die des Wechsels als absolutes (durch sich selbst bestimmtes) Eingreifen. Bestimmen beide Tätigkeiten sich gegenseitig, müßte sich wieder ein Dreischritt der Begründung finden lassen. Und wirklich läßt sich die These hören, das absolute Übergehen begründe das Eingreifen der Wechselglieder; denn begründet nicht das schwebende Fest- und Zusammenhalten der Einbildungskraft allen möglichen Subjekt-ObjektWechsel? Aber auch eine umgekehrte Begründung wäre nicht sinnlos. Erst das absolute Eingreifen läßt das absolute Übergehen bestimmt sein; denn nur im Subjekt-Objekt-Wechsel kann die Einbildungskraft zur Bestimmtheit ihrer selbst kommen. Nur im schwebenden Fest- und Zusammenhalten von Subjekt und Objekt ist die Einbildungskraft, was sie ist: vermittelnde Mitte des Bewußtseins. Somit bestimmt keine Tätigkeit einseitig die andere, beide bestimmen sich gegenseitig. Auch hierbei ist das bloß verständige Nach- und Auseinander von Grund und Folge beiseite zu lassen und mit dem Schema des organischen, autarken Durcheinander vernünftig ernst zu machen. Indem das eine gesetzt ist, ist das andere da und umgekehrt. „Von jedem Gliede der Vergleichung kann und muß man zu dem ändern übergehen. Alles ist Eins und eben Dasselbe. — Das Ganze aber ist schlechthin gesezt; es gründet sich auf sich selbst" (§ 4; 321)29. Um eindringlicher vor Augen zu führen, was in dieser Gestalt lebendig-organischer Einheit zusammengeht, ist nochmals in einem zusammenraffenden Vorgriff der Anteil der produktiven Einbildungskraft herauszurechnen. Die produktive Einbildungskraft produziert die Zeit; sie vermittelt im Medium der Zeit die einander entgegengesetzten Glieder des Bewußtseins, Subjekt und Objekt (oder Denken und Sein) sowie Sinnliches und Übersinnliches (oder Denken und Anschauung). 28
Wird der Aufbau des Organismus aus dem Verhältnis von Ganzem und Teil bedacht, so ergibt sich, daß sich das Ganze ebenso durch die Teile bestimmt wie der Teil durch das Ganze. Eine lebendige Einheit ist durch eine Wechselbestimmung von Teil und Ganzem geprägt, welche sich nicht kausal in die einseitige Abfolge von Ursache und Wirkung bringen läßt. Kausal ausgedrückt, wäre eben jedes Glied des Organismus ebenso Ursache wie Wirkung des Ganzen. Solch wechselseitige Kausalität bleibt mechanisch unbegreifbar. Sie ist Ausdruck des Lebens. Darum läßt sich der ganze 'Mechanismus des Bewußtseins* und Lebens zwar reflexiv aufhellen, aber niemals mechanisch nachmachen und herstellen.
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Die Einbildungskraft schwebt, und zwar zwischen dem unvereinbaren Gegensatz von Endlichkeit und Unendlichkeit, d. h. zwischen der unendlichen (durch nichts begrenzten) Tätigkeit und der endlichen oder objektiven (durch das Nicht-Ich begrenzten) Tätigkeit des Ich. „Dieses Schweben der Einbildungskraft zwischen unvereinbaren, dieser Widerstreit derselben mit sich selbst ist es, welcher... den Zustand des Ich in demselben zu einem Zej'f-Momente ausdehnt" (§4; 360). In diesem Durchblick kommt das Medium der Vermittlung in seinem Ursprünge zur Sprache, die Zeit. So nämlich vermittelt die Einbildungskraft den unvereinbaren Gegensatz des Bewußtseins, daß sie das eine Glied in seinem Verschwinden solange festhält, bis das andere erscheint. Das läßt sich im Hinblick auf die substanziale Struktur des Ich verdeutlichen. „Das setzende Ich, durch das wunderbarste seiner Vermögen... hält das schwindende Accidenz solange fest, bis es dasjenige, wodurch dasselbe verdrängt wird, damit verglichen hat" (§4; 350). Das wunderbare Vermögen ist die produktive Einbildungskraft. Seine Kraft ermöglicht durch tief verborgene Synthesen das Wunder des Geisteslebens. Die Einbildungskraft vermag fest- und gegenwärtigzuhalten. Im Falle der Substanzialität hält diese wunderbare und unbedingte Kraft das akzidentelle Ich in seinem Verschwinden fest. Das akzidentelle Ich sei das im Modus des Denkens bestimmte Bewußtsein. Es verschwindet, wenn der akzidentelle Modus wechselt, indem es z. B. durch den Modus des Ahnens verdrängt wird. Die Einbildungskraft vermag nun, das Verschwindende in seinem Schwinden zu gegenwärtigen, und eben solange* bis es mit dem aufkommenden Bewußtseinszustand verglichen worden ist. Nur dadurch kommt ein durchgängiges Bewußtsein zustande, daß die akzidentellen Modi wie Denken, Anschauen, Fühlen, Ahnen, Streben usw. gleich und verglichen sind, nämlich als Modi desselben Ich. Ohne das Moment der Zeit schlügen sie unvermittelt um und in Bruchstücke auseinander. Das bedeutet, auf das Ganze des weltvorstellenden Selbstbewußtseins gesehen: Nur im Medium der Zeit fügen sich Welt- und Selbstvorstellung bruchlos zusammen. Wäre das Bewußtsein nicht in der Wurzel zeitigend, es zerbräche an seinen Gegensätzen. Die transzendentale Analytik der theoretischen Vernunft enthüllt Wesen und Ursprung der Zeit. Zeit entspringt aus der überleitendschwebenden Tätigkeit der Einbildungskraft. Sie erhält aus diesem Ursprünge die Struktur eines Verhältnisses und den Charakter des Solange einer Bewegung. In dieser Einsicht gewinnt die überlieferte Bestimmung der Zeit als eines Wielange der Bewegung ihren transzendentalen Boden.
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Die Bewegung, deren Solange die Zeit ist, ist die Bewegung der Seele und deren Element das Schweben der produktiven Einbildungskraft. Schwebend-leitend dehnt die Einbildungskraft den Zusammenhalt von Subjekt und Objekt im ausschließend-zusammennehmenden Jetzt aus. Im Solange-bis dehnt sich das Moment des Zusammenstoßens zum Vorher und Nachher aus und bildet so die 'Teile' der Zeit vor. Indem die Einbildungskraft das Vergehende als solches aufbehält, bildet sie Vergangenheit. (Dabei ist nicht von einer empirischen Reproduktion in der Zeit die Rede. Hier kommt die apriorische, zeitbildende Macht der produktiven Gewärtigung zur Sprache.) Indem die Einbildungskraft dasjenige, was das Vergehende verdrängt, als solches aus- und offenhält, bildet sie Zukunft. Indem sie beides, das Vergehende und Zukommende in einem ausgedehnten Jetzt zusammenstoßen läßt, zeitigt sie die Gegenwart. Diese Überlegungen, die dem Fichteschen Ansätze frei folgen, erkennen die wahre Bedeutung der Zeit und Leben produzierenden Einbildungskraft an. „Dieses fast immer verkannte Vermögen ist es, was aus steten Gegensätzen eine Einheit zusammenknüpft, — was zwischen Momente, die sich gegenseitig aufheben müsten, eintritt, und dadurch beide erhält. — Es ist dasjenige, was allein Leben und Bewußtseyn, und insbesondre Bewußtseyn als eine fortlaufende Zeitreihe möglich macht" (§45350). Diese Vorerinnerung sollte das Schema der organischen Einheit des Bewußtseins greifbarer machen. Sie hat zur Anzeige gebracht: Was im Leben der Theoria organisch zusammenhängt, sind die kategorialen Grundhandlungen des Verstandes und die zeitbildende Tätigkeit der produktiven Einbildungskraft. Darin kommt zugleich zur Einsicht: Was sich so ursprünglich wechselseitig ermöglicht, sind Denken und Anschauen, sofern die zeitigende Einbildungskraft die Bedingungen für die Möglichkeit endlicher Anschauung mit sich bringt. Aus ihr entspringen die Ausdehnungen von Zeit (und Raum), also die Formen unseres Anschauens. Ihr unfixiertes Schweben läßt das ungesonderte Mannigfaltige der Anschauung begegnen. Und ihre Unabhängigkeit vom Subjekt-Objekt-Wechsel erklärt, warum das Ding als etwas von unserem Zutun Unabhängiges zur Anschauung kommt. Für die Rechtlichkeit dieser Thesen ist daran zu erinnern: Das schwebend-ausdehnende Tun der Einbildungskraft verhindert es, daß Kausalität und Substanzialität auseinanderlaufen. Die Einbildungskraft erzwingt es vielmehr, daß jene sich zum Bilde des Dinges vereinigen.
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Somit ist es die Einbildungskraft, welche die Vorstellung eines raumzeitlich geordneten, substanzial und kausal geregelten Etwas zusammenfassend bildet. Dieses Etwas heißt Ding. „Das Ding entsteht allerdings durch ein Handeln nach diesen Gesetzen, das Ding ist ja nichts anderes als — alle diese Verhältnisse durch die Einbildungskraft zusammengefaßt, und alle diese Verhältnisse mit einander sind das Ding" (i. Einl., Art. 7; SWI, 443). Und das Ding ist Objekt der Anschauung, weil das Selbstbewußtsein sich durch das Walten der Einbildungskraft im Produkt seiner Handlung vergißt, um sich anschauend in den Gegenstand versenken zu können. „Das Ich vergisst in dem Objecte seiner Thätigkeit sich selbst... — Diese Handlung heisst eine Anschauung" (Grundriß des Eigenthümlichen der W.-L., §2; SWI, 349). Der Grund und die Notwendigkeit des Vergessens liegt in einem ursprünglichen Handeln, das Vorbewußte Tätigkeit' ist. In der vorbewußten Tätigkeit des reinen Einbildens vergißt das Ich, daß das hingeschaute Ding sein Produkt und daß das Angeschaute (das Ich, sofern es empfindet) und das Anschauende gleichfalls Ich ist. Solche Einlassung bleibt solange eine eingängige, aber ungerechtfertigte Aussage, als das Vorbewußtsein der Einbildungskraft nicht verbindlich hergeleitet ist. Das eben ist in Fichtes Analytik der reinen theoretischen Vernunft geleistet, weil sie die produktive Einbildungskraft als eine Tätigkeit deduziert, die vom Subjekt-Objekt-Wechsel unabhängig und nur zu einem eingeschränkten Teil von ihm bestimmt ist. Das aber heißt doch: Die Einbildungskraft bleibt in ihrem freien Teile vom denkenden Rückbezug des Subjekts auf sich in der Relation zum Objekt unbetroffen. Sofern sie diese Reflexion bestimmt und allererst eröffnet, unterliegt sie ihr nicht. Vom selbstbewußten Handeln des sich denkenden Denkens her erscheint das Produzieren der produktiven Einbildungskraft als ein vorbewußtes Handeln. Ihr Tun birgt die Begründung dafür, daß das Ich, sofern es anschaut, über sein Anschauen nicht reflektiert und auch gar nicht darüber reflektieren kann. All das sind Resultate, abgeschnitten von ihren ausführlichen Ableitungen. Sie müssen vorgezogen werden, soll die lebendige Verfassung der theoretischen Vernunft faßlich und überschaubar werden. Was sich im gegenseitigen Übergänge durchdringt und wechselseitig belebt, ist die Relation von Subjekt und Objekt (Denken und Sein) und — mit demselben Schlage der zeitigenden Zeit — der Bezug von Anschauung (Sinnlichkeit) und Denken (Übersinnlichem). Dieses Schema macht Grundsätzliches evident. Anschauung und Begriff bilden gar nicht zwei geschie-
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dene Stämme der Erkenntnis, die vielleicht aus einer gemeinsamen Wurzel stammen, sie lassen sich vielmehr gleicherweise als notwendige Bedingungen für die lebendige Einheit des Welt erkennenden Selbstbewußtseins ermitteln, und zwar so, daß sie sich wechselseitig fundieren. Dadurch wäre ins reine gebracht: Weder steht die Anschauung prinzipiell im Dienste des Denkens noch spielt das Denken den Diener der Anschauung, beides lebt und herrscht durch- und auseinander. Das muß reinlich und in strenger Ableitung herauskommen: Die Bezüge von Subjekt und Objekt wie von Anschauung und Denken sind erst dann zureichend begriffen, wenn ihr Wechselbezug als eine lebendige Einheit eingesehen ist, in der kein Teil vom anderen getrennt und keiner einseitig Grund oder Folge ist. Die synthetische Einheit dieser Verhältnisse lebt und bleibt in einem Kreislauf, in dem jeder als produzierender Anfang gesetzte Teil im Durchgang durch alle anderen auf sich als Produkt zurückläuft. Im Setzen von anderem wird es selbst von diesem gesetzt und setzt wiederum das andere. In dieser ständig reproduktiven Selbstproduktion west das Bewußtsein an. Diese Anwesenheit ist das Wesen der endlich-theoretischen Vernunft. Der Kreislauf des sich reproduzierenden Produzierens kann an den vier herausgegliederten Tätigkeiten des vorstellenden Bewußtseins leicht nachkonstruiert werden. Zur Tätigkeit des theoretischen Ich gehört 1. ein Übergehen als solches (die formal unabhängige Tätigkeit), 2. ein Eingreifen (die Form des Wechsels), 3. das Verhältnis des Wechsel-Tun-und-Leidens (die Materie des Wechsels), 4. ein Leiter (die materialiter unabhängige Tätigkeit). Einer Nachkonstruktion steht es frei, mit welchem Glied des organischen Ganzen der Anfang gemacht werden soll. Hebt die Konstruktion mit dem Übergehen an, so hat sie den Zusammenhang mit dem Eingreifen herzustellen. Nun begründet und bestimmt das Übergehen das Eingreifen; denn ohne das schwebende Hin und Her wäre ein Eingreifen in die Sphäre von Subjekt und Objekt nicht möglich. Aber die Tätigkeit des Eingreifens wirkt zurück, so daß sich durch sie hindurch das Übergehen reproduziert. Werden nämlich die Wechselglieder als eingreifend gesetzt, dann ist eben dadurch notwendig das Übergehen gesetzt. Also gilt: „Kein Eingreifen, kein Uebergehen, kein Uebergehen, kein Eingreifen" (§4; 322). In eins bestimmt das absolute Übergehen das Material des Wechsels. Es ist ja von Form und Materie des Wechsels unabhängig und somit auch für die Materie des Wechsels bestimmend. Das bedeu-
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tet, speziell auf den Leiter angewendet: Erst durch die Leitung der Einbildungskraft werden die Glieder des Subjekt-Objekt-Bezuges, Ich und Nicht-Ich, ins Wechsel-Tun-und-Leiden hinübergeleitet. Aber darin reproduziert sich das Leiten; denn so wie Glieder als Wechselglieder gesetzt sind, ist die Überleitung geschehen und damit der Wechsel als Eingreifen und damit auch das Übergehen als solches, das pure Schweben — und die Nachkonstruktion kehrt dahin zurück, woher sie ausgegangen war. Im Blick auf den Wesensbestand von Bewußtsein und Leben bestätigt sich die These, der Grundriß, der die Leistungen von Einbildungskraft und Denken aufzeichnet, zeige das Schema organischer Einheit. Organisch besagt dabei eben eine solche Unabtrennbarkeit von Gliedern, daß die Abtrennung eines Teiles die Zerstörung des Ganzen und die Setzung eines Gliedes notwendig den Wechselbezug aller Glieder mit sich führt, und zwar in der lebendigen Gestalt einer sich reproduzierenden Produktion. Untrennbar und mit einem Schlage sind alle vier Disjunktionsglieder des endlichen Bewußtseins (Subjekt und Objekt, Anschauung und Denken) gesetzt, wenn eines gesetzt ist. Fällt eine der Leistungen von Einbildungskraft oder reinem Verstande aus, dann zerfällt das Bewußtsein im Widerspruch. Die organische Unzertrennlichkeit basiert auf der Selbst-Reproduktion. Weil nämlich jedes Glied jedes andere produziert, reproduziert es sich im Durchgang durch das andere selber. Darum läuft eine äußerlich reflektierende Nachkonstruktion im Fortgange von Glied zu Glied auf das willkürlich gewählte Anfangsglied zurück. So kehrte die vorgelegte Konstruktion vom Übergehen als dem Produzierenden zum Übergehen als dem Produkt zurück und entsprach damit dem Schema einer Reproduktion, die, weil sie nicht etwas anderes, sondern sich selbst reproduziert, die beständigste Form des Produzierens und Tätigseins ist. In dieser Weise hält sich das theoretische Ich in bleibender Anwesenheit. Es lebt in der Lebensform eines verschlungenen Kreislaufs, der zwischen der Tätigkeit produktiver Einbildungskraft und dem kategorial fixierten Wechsel schwingt. Der Schlußsatz der theoretischen Wissenschaftslehre bringt diese Verfaßtheit von Bewußtsein und Leben zur Sprache. Er lautet: „Also die Thätigkeit geht in sich selbst zurük vermittelst des Wechsels, und der Wechsel geht in sich selbst zurük, vermittelst der Thätigkeit. Alles reproducirt sich selbst, und es ist kein Hiatus möglich" (§ 4; 322).
7· KAPITEL Praktische Wissenschaftslehre: die Deduktion des Strebens Eine transzendentale Analytik hat die Grundverfassung und den Bedingungszusammenhang der theoretisdien Vernunft freigelegt und die Vorstellung erklärt. Das Sein des theoretisdien Bewußtseins besteht in einem lebendigen Wechsel von Subjekt und Objekt. Indessen — dieser Bescheid ist unvollständig. Er weist eine Frage von sich ab: „Welches ist denn der Grund des ganzen so eben aufgestellten Wechsels?" (§4; 328). Die Theoria gründet in einem komplizierten Wechsel von Ich und Nicht-Ich. Worin aber gründet dieser Wechsel selber? Es liegt die Antwort nahe, der Wechsel sei ohne allen Grund gesetzt. Die Annahme eines schlechthin gesetzten Wechsels aber kann nicht zugelassen werden. Schlechthin und ohne allen Grund gesetzt ist einzig das absolute Ich des Ersten Grundsatzes. In ihm kommt kein Wechsel vor; denn ihm steht kein Nicht-Ich entgegen, und es gibt kein Leiden, mit dem sein Tun wechselt. Also müßte der Grund des Wechsels, wenn nicht im absoluten Ich, dann in einer bisher unterschlagenen Handlung des theoretischen Ich oder in der Intelligenz zu finden sein. Aber auch das ist unmöglich. Der Grundsatz, auf den die theoretische Vernunft alle ihre Ableitungen stützt, lautet: Das Ich setzt sich — als bestimmt durch das Nicht-Ich. Der Satz unterstellt bereits einen Wechsel von Ich und Nicht-Ich. Er setzt den Wechsel und seinen Grund voraus. Daraus folgt: Entweder bleibt dieser Grund des Lebens und der Vorstellung verborgen, oder er ist außerhalb des theoretischen Wissens zu suchen. „Mithin müste ein solcher Grund, wenn er sich dennoch sollte aufzeigen lassen, ausserhalb der Grenze der theoretischen Wissenschaftslehre liegen" (§4; 328). So weist die theoretische Vernunft unumgänglich aus sich selbst über sich hinaus. Die Bescheidung des Wissens vom theoretischen Wissen illustriert den Geist des kritischen Idealismus. Die kritische Theorie der Theorie zieht der Vernunfteinsicht in die ersten Anfänge und Gründe eine gehörige Grenze. Sie hat einen dogmatischen Realismus abgewehrt, indem sie
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zur Einsicht brachte, die bloße Tätigkeit des Nicht-Ich sei nicht der Grund für das Leiden und Bestimmtsein des Ich. Sie hat den dogmatischen Idealismus, der darauf setzt, daß die bloße Tätigkeit des Ich die Realität des Nicht-Ich begründe, unter sich gelassen. Der kritische Idealismus deckt den Wechsel zwischen Ich und Nicht-Ich als Grund und Boden der theoretischen Vernunft auf. Über den Anfang und Ursprung dieses Wechsels aber erklärt er im Gebiete des theoretischen Wissens seine Unwissenheit. Die dialektische Analytik der theoretischen Vernunft kann verbindlich aufweisen, wie die Einheit des Bewußtseins im Wechsel Entgegengesetzter bestehen kann. Sie kann nicht mehr zeigen, wo dieser Wechsel herkommt. Die Grundlegung eines Systems allein auf dem Boden und mit den Mitteln einer Theorie der Theorie ist unvollständig. „Und durch diese Unvollständigkeit werden wir denn auch über die Theorie hinaus und in einen praktischen Theil der Wissenschaftslehre getrieben" (§45328). Nun wird sich zeigen: Der Anfang für den Kreislauf des Bewußtseins ist der Anstoß. Ohne Anstoß gewinnt die Anlage des theoretischen Geistes nicht die Wirklichkeit, sich lebendig zu entwickeln. Das Verhältnis von beschränkendem Anstoß und unbeschränktem Ich kann nur über einen Begriff aufgeklärt werden, der das Reich der praktischen Vernunft konstituiert, das Streben. „Dieser als nothwendig zu erweisende Begriff des Strebens wird dem zweiten Theile der Wissenschaftslehre zum Grunde gelegt, welcher der Praktische heisst" (Über den Begriff der W.-L., § 8; Akad.-Ausg. I, 2; 151). Damit kündigt sich das wahre Fundierungsverhältnis von Theorie und Praxis und der Primat der praktischen Vernunft an. In der praktischen Vernunft „bekommt der theoretische Theil erst seine sichere Begrenzung und seine feste Grundlage" (Akad.-Ausg. I, 2; 151). Die unaufgelösten Schlußfragen der theoretischen Vernunft werden „aus dem aufgestellten nothwendigen Streben ... beantwortet werden" (Akad.-Ausg. I, 2; 151). Im Durchdenken des Anstoßproblems zeichnet sich das Bild einer höheren Wirklichkeit und eine neue Gestalt des Lebendigseins ab. In seinem tieferen Grunde ist Bewußtsein Streben. Wohl ließen sich Vorstellung und Wille oder Selbstreproduktion und Streben gleichrangig nebeneinanderstellen — und die Leibnizsche Deduktion von perceptio und appetitus als den beiden Bedingungen wahrer, d. i. monadischer Bewußtseinseinheit hat das auch getan —, aber die angemeldete Einsicht in den Vorrang der praktischen Vernunft legt nahe, dem Streben eine Vorrangstellung und dem von ihm zu Verwirklichenden eine höhere
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Wirklichkeit einzuräumen. Fichte hat das Fundierungsverhältnis von Wille und Vorstellung erschlossen. Er hat es in den Formeln niedergelegt: Ohne Streben kein Objekt qua Anstoß, ohne Anstoß kein Vorstellen. In eins mit diesem Zusammenschluß stellt sich ein höherer Seinscharakter des Lebens heraus. Leben bedeutet mehr als Selbsterhaltung. Sein höherer Sinn ist Streben. Im Vorblick auf Sein und Struktur des Strebens läßt sich vorentwerfen, welche Wesensmomente des Lebens innerhalb der praktischen Vernunft führend und transzendental gründend werden. Leben als Streben ist über sich hinausschaffender Drang, der sich nicht an Grenzen binden und durch Schranken zurückweisen läßt. Nur im Streben vermag das Bewußtsein von der jeweiligen Lage freizukommen und die bestimmenden Grenzen wirklich gegebener Zustände und Situationen zu überwinden. Das bedeutet, aufs Ganze des Seienden gesehen: Im Streben übersteigt das Bewußtsein die beschränkte Wirklichkeit empirisch gegebener, objektiver Welt, und zwar so, daß es das Objektive nurmehr als das Gegen- und Widerständige für sein Streben zuläßt und setzt. Dieser Grundzug strebenden Lebens kann als appetitio charakterisiert werden, nämlich als der aus sich drängende Drang, über den jeweiligen Stand der Wirklichkeit hinauszudringen. Mit ihm verbindet sich ein anderer Charakter strebenden Lebendigseins, die assimilatio oder Angleichung. Wonach nämlich der Geist strebt, ist, die Natur sich — nicht etwa sich der Natur — anzugleichen. Darin liegt alle Praxis und Arbeit des Ich beschlossen, das Nicht-Ich ichhaft zu machen oder das Ungeistige zu begeisten. Diese Angleichung ist das Gesollte, auf das der Geist verpflichtet ist, ohne die Forderung jemals erfüllen zu können. Die Spaltung von Natur und Geist, von Wirklichkeit und Ideal soll aufgehoben werden. Die empirische Wirklichkeit darf nur noch als Sphäre zugelassen werden, worin sich die höhere Wirklichkeit bildet. Dem Streben ist aufgegeben, die in der Wirklichkeit ungleich gewordene absolute Gleichheit des Geistes mit sich selbst wieder gleich zu machen. In dieser Tätigkeit versetzt sich das Leben in die Freiheit. Das sind weite, ins Ungefähre deutende Vor- und Ausblicke. Sie schärfen aber den Blick für die konkrete, naheliegende Kardinalfrage der praktischen Vernunft: die Deduktion des Strebens als notwendige Bedingung für die berechtigte Einsetzung des Anstoßes in einen Systemzusammenhang, der in der Selbstbestimmung und Unabhängigkeit des Ich seinen einzig zuträglichen Anfangsgrund auszutragen sucht. Für diese Aufgabe muß zurückgefragt werden: An welcher Stelle im Ablei-
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tungsprozeß der theoretischen Vernunft wird ein 'Anstoß' gebraucht? Und was besagt eigentlich Anstoß in transzendentalem Verstande? Das Wissen vom theoretischen Wissen hatte den rätselvollen Sachverhalt ergründet, warum sich das in seinem Wesen bloß tätige Ich beim Vorstellen durch das Vorgestellte bestimmt und eingeschränkt findet, und d.h. zugleich, warum das vorgestellte Nicht-Ich als tätig in der Weise des Einwirkens und Affizierens befunden wird. Das war im Grundsatz der Kausalität aufgeklärt worden. Danach ist das Nicht-Ich tätig, sofern und soweit das Ich leidet. So war zwar die scheinbar unerklärliche Tätigkeit des Nicht-Ich aus dem Leiden des Ich grundsätzlich aufgeklärt, aber mit dieser Antwort hatte sich ein noch befremdlicheres Rätsel eingestellt. Wenn die kausale Tätigkeit des Nicht-Ich aus seiner Wirkung, dem Leiden des Ich, erkannt und bemessen wird, woher dann das Leiden? Der grundsätzliche Bescheid, der im Satze der Substanzialität erteilt wurde, hatte letztlich nur lauten können: Das Leiden des Ich ist nichts anderes als geminderte oder gehemmte Tätigkeit. So scheint der ganze Vorgang des selbstbewußten Weltvorstellens auf die Tätigkeit des Ich zurückverlagert zu sein. Aber es steht die unscheinbare Frage aus: Woher stammt die Hemmung, welche die unendliche Tätigkeit hemmt und die grenzenlose Realität mindert? Der Höhepunkt des idealistischen Triumphes ist die Entwicklung der Dingvorstellung aus dem substanzial geregelten Selbstverhältnis des Ich. Dieser Triumph wird realistisch ernüchtert. Die ganze Ableitung schließt nur unter der Voraussetzung, daß es etwas außerhalb des Ich gibt, was die unendliche Tätigkeit des Ich hemmt und zurücktreibt. Das die Tätigkeit des Ich Hemmende und Zurücktreibende nennt Fichte den Anstoß. Der Anstoß setzt der Position des Ich ein Nein entgegen. Es ist dasjenige „im Nicht-Ich, was übrig bleibt, wenn man von allen erweisbaren Formen der Vorstellung abstrahirt" (§5; 389). Um den Anstoß zu ersehen, ist auf das Nicht-Ich oder den Gegenstand unter Absehung all dessen hinzusehen, was das Objekt dem Subjekt verdankt. Das Nicht-Ich ist vom Ich in all dem gesetzt, was an ihm vorstellig wird. Der Gegenstand schuldet seinen Stand den Formen der Vorstellung, d. i. den Gesetzen und Ordnungen, unter denen er allein für uns seiend ist. Dem Zugriff des sich in seinem Handeln und dessen Bestimmungen begreifenden Ich bleibt aber der Umstand entzogen, daß etwas überhaupt zur Vorstellung kommt. Das Faktum, daß ein Gegenstand dem sich setzenden Setzen entgegensteht, befremdet das Ich. Anders und im Blick auf den hier durchbrechenden Bruch der metaphysi-
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sehen Darlegung des Seienden formuliert: Das Wesen (Essenz), der bleibende Bestand des Gegenstandes, läßt sich aus den Bedingungen herleiten, unter denen er vom Ich gesetzt und als seiend vorgestellt wird. Aber das Dasein, die Existenz und Wirklichkeit, bleibt unableitbar. Und solange die Gegenständlichkeit nicht auch der Existenz nach notwendig dargetan ist, bleibt die Transzendentalphilosophie unvollständig. Als Wissenschaft vom Dasein bliebe sie Fragment. Sie vermöchte allein die Essenz, den Stand des Gegenstandes, aber nicht die Existenz, das Gegen des Gegenstandes, zureichend zu erfassen. Mithin bedeutet der Anstoß des Nicht-Ich das, was übrig bleibt, wenn die Weisen des Vorgestelltseins von ihm abgezogen werden. Diese Abstraktion hat nicht nur die Raum- und Zeitordnungen und alle Kategorialverhältnisse, deren Synthesis die Dingheit des Dinges für uns ausmacht, abzuziehen. Auch das Ansichsein des Dinges ist zu streichen, soweit es durch die vorbewußte Tätigkeit produktiver Einbildungskraft zustande kommt. Was demnach als Anstoß vom Nicht-Ich übrig bleibt, ist das 'Nicht', das dem Ich ganz und gar Fremde. Es tritt im theoretischen Bewußtsein als das bloß subjektive Gefühl des Nichtweiterkönnens auf. Mitten in dem Anschein also, als wäre die Herleitung des Gegenstandes und des Dinges aus den Gesetzen und den Vermögen der theoretischen Vernunft gelungen, bricht der Anspruch eines eigenständigen Dinges an sich ein. Ohne Anstoß bleibt die gesamte Deduktion Stückwerk. Bei solch unglücklichem Stande aber kann die Wissenschaftslehre als systematische Lebenslehre nicht stehenbleiben. Dann nämlich nähme die gesamte Konstruktion der Welt aus dem Ich doch bei einem Ding an sich ihren Anfang. Das tote, weil selbstlose Ding aber taugt nicht als Anfangsgrund für das Leben. Soll nicht das aufgebaute System zusammenbrechen, dann muß der Anstoß aus dem Ich — wenn nicht aus dem theoretischen, dann eben aus dem praktischen — verstehbar gemacht werden. Diese Aufgabe ist der Wissenslehre des praktischen Wissens aufgebürdet. Sie übernimmt als Erbe der theoretischen Wissenschaftslehre einen heillos erscheinenden Widerspruch. Es hat sich nämlich ein Abgrund zwischen dem theoretischen Ich oder der Intelligenz auf der einen und dem absoluten Ich auf der anderen Seite aufgetan. Die Prüfung des Ich als Intelligenz hatte zum Resultat: Das theoretische Ich ist nicht selbständig. Zwar stammt alles, was es vorstellt, aus dem Ich selbst, aber daß es überhaupt Gegenständliches zur Vorstellung bringt,
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schuldet es etwas außer dem Ich, nämlich dem Nicht-Ich, sofern es Anstoß ist. Die Intelligenz hängt mithin ihrem Wassein nach von sich selbst, ihrem Daßsein nach vom Anstoß (als dem außer ihr liegenden Nicht des Nicht-Ich) ab. An dieser Abhängigkeit der Intelligenz hängt die Endlichkeit endlichen Geistes. Das Ich als absolutes Subjekt dagegen ist schlechthin selbständig. Es ist Setzen, das sich selbst setzt, und somit bloß von sich selbst abhängig. Hier bricht die Antithese in ihrer umfassenden Fassung durch. Das Ich ist abhängig vom Anstoß und so endlich — und es ist unabhängig vom Anstoß und so unendlich. Das absolute und das theoretische Ich scheinen im Widerspruch von Endlichkeit und Unendlichkeit außerstande, das eine und selbe Ich auszumachen; „welches der absoluten Identität widerspricht" (§ 5; 387). Wie aber lassen sich die Gegensätze dieser 'Haupt-Antithese' vereinigen? Das angemessene Vereinigungsmittel wird im praktischen Vermögen des Ich aufzusuchen sein. Und es wird Ziel des Aufweises sein, in der Synthesis dieser durchschlagenden Haupt-Antithesis das praktische Vermögen als notwendige Bedingung für die umfassende Einheit des Ich zu deduzieren. Der Ertrag dieser Deduktion wird die Fundierung des Selbstbewußtseins in der praktischen Vernunft sein. Demnach muß das Bewußtsein, um überhaupt sein zu können, praktisch sein. Nur durch die praktische Tätigkeit und ihr Element, die Freiheit, erträgt das Bewußtsein die Spannung zwischen Unendlichkeit und Endlichkeit. Diese Aufgaben der neuen Synthesis werden von Seiten der Intelligenz her in Anspruch genommen; denn was 'aufgehoben5 werden soll, ist doch die Abhängigkeit des theoretischen Ich vom Anstoß und damit die Fremdbestimmung des Ich durch etwas außer ihm. In einer Aufhebung im Sinne der Limitation bleibt freilich die Wahrheit, daß das vorstellende Ich vom Anstoß abhängig sei, erhalten, allerdings nicht als die ganze Wahrheit. Wie stünde es, wenn sich zeigen ließe, daß das Ich durch eine unendliche Handlung das Nicht-Ich qua Anstoß bestimmt? Dann würde das die Vorstellung bestimmende Nicht-Ich unmittelbar und das vorstellende Ich mittelbar durch das absolute Ich bestimmt. Die Intelligenz wäre bloß unmittelbar vom Anstoß, mittelbar aber vom Ich abhängig. „Das Ich würde lediglich von sich selbst abhängig, d. i. es würde durchgängig durch sich selbst bestimmt" (§ 5; 387—88). So wäre der Widerspruch behoben, und das Prinzip der Selbstbestimmung und Freiheit hätte sich durchgesetzt. Diese Aussicht erweitert und verabsolutiert das Verhältnis der Kausalität; denn am Begriff der Kausalität orientiert sich die Erörterung
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von praktischer Vernunft, Selbstbestimmung und Freiheit. Und es wird durchsichtig, warum Freiheit fraglos als eine Art Kausalität in Anschlag gebracht werden kann. Der Stachel für eine vertiefte Betrachtung der Kausalität ist die Unverträglichkeit des Kausalgesetzes im theoretischen Verstande. „Das Ich, als Intelligenz, stand mit dem NichtIch, dem der postulirte Anstoß zugeschrieben ist, im Kausal-Verhältnisse" (§5; 388). Das gründlich abgeleitete Gesetz der Wirksamkeit nimmt jetzt den Anstoß als das Wirksame für sich in Anspruch. Das Nicht-Ich ist wirksam vermöge des Anstoßes, sofern und soweit das Ich leidet. Das bedeutet jetzt: Das ins Unendliche hinausgehende, durch den Anstoß gehemmte Tätigsein des Ich ist zu demjenigen Teile leidend, zu dem das Nicht-Ich qua Anstoß tätig ist. Das aber bringt die absolute Voraussetzung des Systems ins Wanken, das Ich sei schlechthin tätig und keines Leidens fähig. Soll diese Grundlage nicht einbrechen, dann steht nurmehr die Auskunft offen: Im Verhältnis zum theoretischen Ich ist das Nicht-Ich als Anstoßendes ursächlich tätig, im Verhältnis zum absoluten Ich ist es ein Leidendes und Bewirktes. Das Nein des Nicht-Ich und die Grenze haben, absolut gedacht, die Seinsart deo Leidens. Ihm muß eine ins absolute Ich gesetzte Tätigkeit entsprechen, die für dieses Leiden ursächlich einsteht. „Das absolute Ich soll demnach Ursache vom Nicht-Ich seyn, insofern dasselbe der lezte Grund aller Vorstellung ist, und dieses insofern sein bewirktes" (§ 5; 388). Das jetzt veranschlagte Kausalverhältnis ist absolut. Bisher war Kausalität bloß relativ gedacht worden. Das Nicht-Ich fungierte als Ursache für etwas anderes, das Ich. Jetzt soll auch das als Anstoß wirksame Nicht-Ich erwirkt werden, und zwar durch ein Ich, das füglich nurmehr das absolute Ich sein kann. Damit tritt das Ich als erste Ursache auf, die im Erwirken des Anstoßes mittelbar auf sich als theoretisches Ich einwirkt. Dieses Ursachverhältnis wäre nicht mehr relativ auf ein anderes, sondern absolut. Selbstverständlich bleibt es dabei, daß die besonderen Bestimmungen des Nicht-Ich als eines Vorgestellten dem Wasgehalte nach durch das intelligente Ich verursacht oder nach Gesetzen seines Vorstellens bestimmt werden. Hier dreht es sich allein darum, daß im Nicht-Ich ein Anstoß geschieht. Und nur dann, wenn sich das unbezweifelbare Faktum des Anstoßes als ein Bewirktes aus einer Handlung des unendlichen Ich einsichtig machen läßt, bewahrt das endliche Selbstbewußtsein seine Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Der Vorschlag einer solchen Lösung zielt nun zwar auf eine Schlich-
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tung des Widerspruches zwischen intelligentem und absolutem Ich, aber doch offenkundig nur auf Kosten eines noch fundamentaleren Widerspruches. Der vorgeschlagene und auch unumgängliche Weg der Deduktion treibt die Antithesis in das absolute Ich hinein; denn wie vermöchte dieses ohne Widerspruch mit sich selbst den Anstoß zu bewirken und Ursache für das Nicht-Ich zu sein? Das absolute Ich setzt ohne Ende sich selbst. Das Nicht-Ich setzen könnte es nur, indem es sich einschränkte; denn ein Nicht-Ich setzen oder den Anstoß bewirken, entgegensetzen und sich einschränken bedeuten letztlich dasselbe. Wie aber ist solches Einschränken des unbeschränkten Ich widerspruchsfrei denkbar? Wie kann das Ich sich schlechthin setzen und sich ebenso schlechthin und ohne Grund nicht setzen? Klar ist, daß solche Einschränkung nicht derselbe Prozeß sein kann, der eingerechnet werden mußte, um die Vorstellung unter der kategorialen Hinsicht der Substanzialität aufzuklären. Für diese Art Selbsteinschränkung gab ja gerade das, was hier erklärt werden soll, den letzten Erklärungsgrund ab, der Anstoß. Vielmehr gerät die Transzendentalphilosophie unausweichlich in den nämlichen, totalen Widerspruch zurück, von dem sie ausgegangen war, in den Widerspruch der beiden obersten Grundsätze. Das Ich setzt sich selbst — das Ich setzt sich ein Nicht-Ich entgegen und setzt so, indem es ein Nicht-Ich setzt, sich selbst nicht. Das Ich setzt sich schlechthin als unbeschränkt — es setzt sich schlechthin als beschränkt. Im Wesen des Ich also lagert der höchste Widerspruch von Endlichkeit und Unendlichkeit. Jetzt, am Ende des transzendentalen Weges im Felde der praktischen Vernunft kommt die anfängliche und alles durchragende Streitsache zum endgültigen Austrag. Aus dem Anfange stammt die methodische Anweisung, den Widerspruch aufzuheben, indem die beiden Gegensätze eingeschränkt und auf einen besonderen Sinn festgelegt werden. „In welchem Sinne nun ist das Ich als unendlich, in welchem ist es endlich gesezt?" (§ 5; 392). Beide Setzungen beanspruchen, das Wesen des Ich zu sein. In beiden handelt das Ich. Beide sind spontan, aber in bestimmtem und also unterschiedlichem Sinne: Die unendliche Tätigkeit ist rein, die endliche objektiv. Deren verschiedene Bedeutung muß jetzt noch einmal fixiert werden. Die reine oder unendliche Tätigkeit läßt sich negativ und positiv bestimmen. Rein heißt die Handlung des Ich, die sich nicht durch ein Objekt begrenzt und verendlicht. Rein bedeutet sonach auch, daß die Tätigkeit in sich zurückkehrt. In ganz anderem Sinne ist das Ich endlich tätig. So betrachtet, setzt sich das Ich auch selber — aber in Schranken. In
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dieser Handlung geht das Ich unmittelbar nicht auf sich selbst, sondern es setzt sich ein Nicht-Ich entgegen. Weil sie auf einen ihr widerstehenden Gegenstand geht, heißt diese Tätigkeit objektiv. Und es ist bedeutsam, wie der Gegenstand in der objektiven Tätigkeit auftritt. Der Gegenstand ist das, was der Ich-Tätigkeit widersteht und ausschließt, daß sie rein in sich zurückkehrt. Gegenständlichsein besagt WiderständigSein. „Das Wort Gegenstand bezeichnet vortreflich, was es bezeichnen soll. Jeder Gegenstand einer Thätigkeit, insofern er das ist, ist nothwendig etwas der Thätigkeit entgegengeseztes, ihr wider- oder gegen-stehendes. Ist kein Widerstand da, so ist auch überhaupt kein Object der Thätigkeit und gar keine objective Thätigkeit da" (§ 5; 393). Weil aber die so unterschiedenen Tätigkeiten nicht bloß zwei zufällige und unverbundene Eigenschaften, sondern das wesenhafte Sein des Ich-Subjekts selbst sind, muß ein Vereinigungspunkt gesucht werden, in welchem sich die beiden verschieden bezogenen Tätigkeiten ursprünglich zu einer Gesamthandlung des Bewußtseins zusammenschließen. Das vereinigende Band war schon zur Sprache gekommen. Es ist das Verhältnis der Kausalität. Die vorgeschlagene absolute Kausalität präzisiert sich nunmehr zum Ursachverhältnis von reiner und objektiver Tätigkeit; „nemlich daß die in sich zurückgehende Thätigkeit des Ich zu der objectiven sich verhalte, wie Ursache zu seinem bewirkten" (§ j; 393). Das bedeutet eben: Das Ich bestimmt durch die reine Tätigkeit sich selbst zur objektiven; und so bestimmt das Ich, obwohl es theoretisch unmittelbar vom gesetzten Objekt bestimmt wird, mittelbar sich selbst. Indessen scheint es doch von Anfang an hoffnungslos, reines und objektives Setzen in ein Begründungsverhältnis versetzen zu wollen. Sowohl das (im Ersten Grundsatze formulierte) reine Setzen wie das (im Zweiten Grundsatze formulierte) Entgegensetzen enthalten doch Grundsätzliches und Unbedingtes und folgen daher aus keinem Grunde außer sich. Andererseits aber war doch auch festgelegt worden, daß der Zweite Grundsatz in einer Hinsicht bedingt sei. Für unbedingt befunden war allein das Geschehnis, daß ein Gegensetzen geschieht. Begründet erschien der Umstand, „daß das durch die Handlung des Gegensetzens entstandne nothwendig ein Nicht-Ich seyn müsse" (§ j; 394). Das Produkt des Entgegensetzens ist der Gegenstand als das Widerständige, das dem Ich ein Nein und Nicht entgegensetzt. Jetzt erst, im Felde der praktischen Vernunft, könnte es gelingen, die Bedingtheit des Gegen-Standes spezifischer zu begreifen. Offenbar nämlich hat das Widerständigsein des Gegenstandes eine Tätigkeit zur Voraussetzung, der es
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widersteht. Und läßt sich verbindlich aufweisen, daß diese vorausgesetzte Tätigkeit den Charakter des Strebens hat, dann würde das Streben als der ermöglichende Grund für die Objekte setzende Tätigkeit des Subjekts eingeführt sein. Solch folgenreicher Schritt auf der Gedankenbahn des Idealismus ist sorgfältig zu ermitteln. Unter welchen Bedingungen also steht das Entgegensetzen des Gegenstandes? Zum Entgegensetzen gehört zuerst das Setzen einer Grenzeüberhaupt. Das heißt: Im Setzen des gegenstehenden Nicht-Ich wird das Ich zwar begrenzt, jedoch nicht an eine bestimmte Grenze gebunden. Das garantiert die im Entgegensetzen waltende unendliche Tätigkeit des Ich. In Rücksicht darauf, daß die Entgegensetzung Tat des sich setzenden Ich ist und von dessen Spontaneität abhängig bleibt, steht die begrenzende Entgegensetzung unter der Bedingung, ihre Grenze ins Unendliche immer weiter hinaussetzen zu können. Darum ist das Ich „seiner Endlichkeit nach unendlich; und seiner Unendlichkeit nach endlich" (§ 5; 394)· Wird nun nicht auf das Entgegengeseizisein, sondern auf das Entgegense'm des Gegenstandes gesehen, so fällt eine weitere Bedingung in den Blick. Im Gegenstande als Widerständigem ist eine Tätigkeit des Nicht-Ich vorzustellen, die der unendlichen Tätigkeit des Ich Widerstand leistet, indem sie ihr hemmend entgegenwirkt. Ihr muß irgendeine Tätigkeit im Ich entgegengesetzt werden. Was ist das für eine vorauszusetzende Tätigkeit, welcher der Gegenstand widersteht? Das kann nicht die Tätigkeit des absoluten Setzens überhaupt sein. Setzen heißt doch, etwas als seiend vorstellen, und das vorgestellte Widersetzen des NichtIch wäre als Vorgestelltes im Ich und nicht außerhalb. „Es muß mithin ... noch eine von der Thätigkeit des Setzens verschiedne Thätigkeit ( = X) im Ich vorkommen. Welches ist diese Thätigkeit?" (§ 5; 395). Diese Tätigkeit ist bisher noch unbekannt. Aber die Unbekannte ( = X) läßt sich aus den gegebenen Größen ausrechnen. Wird sie als die noch unbekannte Bedingung für das Setzen des Gegenstandes in Rechnung gestellt, dann wird das Resultat lauten: X = Streben. Vorerst aber ist es nötig, Charaktere dieser noch unbekannten Tätigkeit sicherzustellen, i. Diese Tätigkeit wird am Gegenstande nicht aufgehoben; denn sie ist ja dem Widerständigsein entgegengesetzt und läßt sich daher durch das Objekt nicht aufhalten und bestimmen. Sie ist unabhängig vom Sein des Gegenstandes.
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2. Ist sie vom Gegenstand-Setzen unabhängig, so gründet sie im Ich schlechthin und ist reines Setzen. 3. Sie muß ins Unendliche und über alle möglichen Objekte hinausgehen können; denn das war als Bedingung des Entgegensetzens veranschlagt worden. Eine so charakterisierte Tätigkeit ist unentbehrlich. Sie bietet den ermöglichenden Grund für die objektive Tätigkeit und verhält sich zu ihr wie der Grund zum Begründeten. „Nur inwiefern jener Thätigkeit widerstanden wird, kann ein Gegenstand gesezt werden; und inwiefern ihr nicht widerstanden wird, ist kein Gegenstand" (§ 5; 395). Es muß eine unendliche Tätigkeit im Ich geben, der das Widerständigsein des Entgegengesetzten entsprechen kann; sonst bildet sich das Entgegengesetzte eben nicht als das, was es primär und wesentlich ist, nämlich als das dem Ich Widerständige. „Der Gegenstand wird bloß gesezt, insofern der Thätigkeit des Ich widerstanden wird; keine solche Thätigkeit des Ich, kein Gegenstand" (§ 5; 395). Bisher aber ist diese unterstellte höchste Bedingung für die Ermöglichung des Gegenstandes weder beim Namen genannt noch auf den vollen Begriff gebracht. Das springt erst heraus, wenn die Beziehung der bisher gekennzeichneten Tätigkeit auf das Dawidersein des Gegenstandes in Betracht gezogen wird und wenn sich der Beziehungsgrund offenbart. Für sich betrachtet, bestehen die reine Tätigkeit des Ich und die widerstehende Tätigkeit des Nicht-Ich unabhängig voneinander. Im Blick auf die Bedingungen der Gegenständlichkeit müssen sie in ihrer Bezogenheit untersucht werden. In ihrem Bezug nämlich gründet das Sein des Gegenstandes. Es ist das Ich, welches diese Beziehung stiftet. Das Beziehen ist ein unbedingtes Tun, so daß hier die Unbedingtheit des Entgegensetzens faßbar wird. Das absolute Entgegensetzen ist ein absolutes In-Beziehung-Setzen. Ist das Beziehen ein absoluter Akt, dann folgt daraus der Zusammenfall von Beziehen und Gleichsetzen. „Sie werden schlechthin bezogen, heißt: sie werden schlechthin gleich gesezt" (§ 5; 396). In Beziehung gebracht werden das reine, unendliche Setzen des Ich und das Widerstehen des Nicht-Ich, und zwar in absolutem Ausmaße. Sie werden nicht über ein Drittes aufeinander bezogen, aus dem sich Unterschiede des Bezogenen entnehmen ließen. Beides wird absolut und unterschiedlos in Bezug gesetzt und so rücksichtslos gleichgesetzt. Aber beides kann nicht in eins zusammenfallen. Der Gegensatz der Tätigkeit ist ja konstitutiv für das Objekt. Die Ungleichheit des Bezogenen muß
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bestehen bleiben, sonst entfällt der Bezug von Tätigkeiten, von denen die eine der anderen widersteht. Wie also ist der fragliche Bezug, die absolute Gleichheit von notwendig Ungleichem, widerspruchsfrei zu denken? So, daß ihre Gleichheit in Wahrheit nicht wirklich, sondern gefordert ist. Sie sind niemals gleich, sie sollen gleich sein. „Da sie aber, so gewiß ein Object gesezt werden soll, nicht gleich sind, so läßt sich nur sagen, ihre Gleichheit werde schlechthin gefordert: sie sollen schlechthin gleich seyn" (§ 5; 396). Die durchsuchte Beziehung hat sich als ein Gleichsetzen im Modus eines unbedingten Gebotes herausgestellt. Dieses Resultat entwickelt aus sich die Frage: Welches von beiden ist Zielgrund und Maß der Angleichung? Soll sich das reine Ich und der Unendlichkeiten setzende Geist der widerständigen, Geist hemmenden Natur anpassen? Oder soll die sinnlich beschränkte Natur in Übereinstimmung mit dem lauteren Geist gebracht werden? Das ist für den Idealismus eine durch seine Geburt entschiedene Frage. Der Idealismus wird aus der Einsicht geboren, die Allrealität sei das Ich. Dieser Grundsatz gibt jetzt seinen Sinn frei. Das Ich ist nicht das All-Setzende wirklich. Es gibt nicht einfachhin absolute Freiheit und die totale Unabhängigkeit des Ich — aber alles soll im Ich gesetzt sein, und das Ich soll schlechthin frei sein. Das schlechthin unbedingte Ich ist eine schlechthin unbedingte Forderung oder ein kategorischer Imperativ. Durch Kant ist die unbedingte Forderung als Gebot des moralischen Gesetzes aufgerichtet worden. Das Sittengesetz ist reines Vernunftgesetz. Es gibt dem Willen keine inhaltlichen Willensziele vor, weil diese aus der Erfahrung stammen. Es hat allein die Gesetzlichkeit des Gesetzes zum Inhalt, weil die Form der Gesetzlichkeit übrigbleibt, wenn man von einem Gesetz alle materiellen Bestimmungen abzieht. Sonach gebietet das Sittengesetz dem Willen, die Grundsätze seines Handelns daraufhin zu prüfen, ob sie für eine allgemeine Gesetzgebung tauglich sind. Dieser Anspruch besagt für die Tätigkeit des Ich: Die Vernunft soll sich ihrem eigenen Gesetz unterwerfen — sie soll frei sein. Es ist Fichtes Grundlegung der praktischen Vernunft, die diesen von Kant herausgehobenen Tatbestand systematisch begründet (vgl. §5; 396 Anm.). Der kategorische Imperativ erhält hier seine bisher verborgene Grundlage und seine ursprüngliche Formel zuerteilt. Seine Grundlage ist die Grundlage des transzendentalen Systems selbst, das absolute Sein des Ich als ein Gesolltes. Und seine generelle Formel gebietet: Stimme mit dem reinen Ich überein. Diese Überlegungen haben entschieden: Das
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Beziehen ist eine kategorisch geforderte Angleichung des Objekts an das Subjekt durch das Subjekt, und der Grund dieser Beziehung ist eben die Forderung, daß alle Tätigkeit der Tätigkeit des Ich nach dem Richtmaße der absoluten Realität des Ich gleich sein solle30. Wie steht es jetzt mit der verfolgten unendlichen Tätigkeit (dem X) als dem Ermöglichungsgrunde der objektiven Tätigkeit? Sie ist das Beziehen der reinen Tätigkeit des Ich auf die Widerständigkeit des Objekts. Die darauf bezogene unendliche Tätigkeit heißt Streben. „Die reine, in sich selbst zurükgehende Thätigkeit des Ich ist in Beziehung auf ein mögliches Object ein Streben" (§ 5; 397). Die umfänglichen Vorarbeiten bringen das Streben und die praktische Vernunft als die erste Bedingung für den Bestand des Selbstbewußtseins zu Tage. Dieser Titel ist sachgerecht. Streben meint Aussein auf etwas, das noch aussteht. Was im Streben des Geistes aussteht, ist die Gleichheit von absolutem Ich und entgegengesetztem Nicht-Ich. Die Subjekt-Objekt-Relation enthüllt sich so in ihrem ursprünglichen Bezug als ein Aussein auf Gleichwerden; und dieses Streben überkommt das Ich nicht beiläufig und von außen, es kommt aus dem Wesen des Geistes über es. Das wesenhafte Streben ist unendlich, weil das Erstrebte unerreichbar ist. Was dem freien Geiste des Ich angemessen gemacht werden soll, ist der Gehalt des Nicht-Ich. Was niemals gleichwerden kann, ist dessen Form, wonach das Nicht-Ich überhaupt etwas außer dem Ich ist. Die Vollendung der Gleichsetzung von Ich und Nicht-Ich wäre das Ende des Selbstbewußtseins, dessen Element der Unterschied ist. Wird der aufzuhebende Unterschied wirklich zur unterschiedslosen Identität gebracht, dann erlischt das endliche Bewußtsein; es wäre „Alles in Allem und gerade darum... Nichts" (§ 5; 397). Weil also die unendliche Tätigkeit (X) ein Beziehen in der Weise der schlechthin geforderten, aber niemals erreichbaren Gleichsetzung ist, heißt sie Streben. „Es ist bloß eine Tendenz, ein Streben" (§5; 397). Das reine Ich hat die Tendenz, ausschließlich sich selbst zu setzen. Es schlägt aus sich diese Richtung ein und hält sie von 30
Verliert also das Sittengesetz bei Fichte wirklich den Charakter, auf den Kant dessen unbedingte Geltung gründete, nämlich die Formalität, welche von aller beabsichtigten Wirkung abstrahiert? Bei Fichte scheinen dem Pflichtgebote materielle Inhalte zugrunde zu liegen, etwa die Natur technisch zu bewältigen oder die Menschheit moralisch zu vervollkommnen. Der Streit scheint nurmehr um die Einschätzung dieses Vorganges zu gehen. Nach der einen Ansicht fällt Kants Lehre von der Pflicht zur Kulturpredigt herab (J. Ebbinghaus), nach der anderen schreitet der sittliche Formalismus notwendig und in dialektischem Umschlag zu einer konkreten Ethik fort (G. Gurwitsch).
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sich her ein. Die Tendenz wird zum Streben, wenn sie (durch den Anstoß) gehemmt wird, so daß sie darauf ausgeht, die ursprüngliche Tendenz wiederherzustellen. Und erst im Vollzuge des Strebens wird das Hemmende zum Widerstrebenden. Erst in der unendlichen Bezugsstiftung des Strebens erscheint der Anstoß als das Nicht des Ich und der Gegenstand im Ursinne des Wider- und Gegenständigen. So ist die These gerechtfertigt: „Kein Streben, kein Object" (§ 5; 397). Das Streben ist abgeleitet. Es ist nicht bloß im Rahmen einer Vermögenspsychologie aufgezählt und klassifiziert, sondern seinem Range, seinem Wesen und seiner Leistung nach aus dem Widerstreit von Endlichkeit und Unendlichkeit im endlichen Geist deduziert. Nun hatte schon Leibniz in genialer Vorläufigkeit den Gedanken entworfen: Was die wahre Einheit des endlichen Bewußtseins, das doch das Unendliche in sich birgt und austrägt, konstituiert, ist Streben (appetitus); und weil, monadologisch gedacht, die Bedingungen wahrer Einheit Bedingungen wahren Seins sind, ist Streben und Wille die alles wahrhaft Seiende bestimmende Bedeutung von Sein. Die Wissenschaftslehre geht der Tiefe dieser Geistesblitze der Verstandesmetaphysik systematisch nach. Das Streben wird sichergestellt und herauskonstruiert als notwendige Bedingung für die in ihrer Wurzel gefährdete, zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit ausgespannte Einheit des Selbstbewußtseins. Nur strebend bezieht sich die reine Tätigkeit des unendlichen Ich auf die objektivierende der endlichen Intelligenz. Nur im Lichte des Strebens läßt sich das Fundierungsverhältnis klären, auf dem das Weltverhalten des endlichen Geistes und der Bezug von Subjekt und Objekt beruhen. An dem Punkte, an dem die Deduktion des Strebens zu Ende ist, muß in einem prüfenden Rückblick gefragt werden: Ist der die Deduktion antreibende Widerspruch gelöst? Und in einem freien Überblick sollte gefragt werden: Was bedeutet diese Heraushebung von Streben und praktischer Vernunft für den Weltbezug des Geistes und des Menschen? Die Prüfung der Auflösung konzentriert sich auf die Frage nach dem Verhältnis einer absoluten Kausalität. Inwiefern verhält sich die reine Tätigkeit des Ich zur davon unterschiedenen objektiven Tätigkeit wie die Ursache zum Bewirkten? Die Antwort ist schon erteilt worden. Das Objekt-Setzen wird durch ein Beziehen in der Gestalt unendlichen Strebens und durch den Beziehungsgrund des reinen Ich gestiftet. Das absolute Ich hat absolute Kausalität als unbedingte Forderung der praktischen Vernunft. Wie stehen also Streben und praktische Vernunft und wie praktische
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Vernunft und Vernunft überhaupt zueinander? Praktische Vernunft ist Wille. Wille und praktische Vernunft sind seit Kant austauschbare Titel. Das Streben des Ich ist Wille, weil das Erstrebte als ein Gesolltes vorgestellt wird. Und das Streben ist freier Wille; denn es ist eine Tätigkeit, die sich auf Grund des kategorischen Imperativs zur Wirksamkeit bestimmt. Es ist die eigentümliche Leistung der Wissenschaftslehre, den freien Willen in die Reflexion zurückgegründet zu haben. Freiheit ist Selbstbestimmung in Unterwerfung unter ein unbedingtes Gebot. Sie entsteht durch die Reflexion des Ich auf sich selbst; denn was das Gesetz fordert, ist reine Selbsttätigkeit im Losreißen von der bestimmenden Welt, und es ist die Reflexion, die das Ich im Losreißen vom Nicht-Ich auf sich selbst und eine unbeschränkte Selbsttätigkeit zurückbringt. Die Reflexion eröffnet somit überhaupt erst den Ausblick auf reine Gleichheit und Übereinstimmung des Ich mit sich selbst. Weil aber Übereinstimmung mit dem absoluten Ich für die endliche Vernunft unerreichbar ist, wird sie zum Ziel unendlichen Strebens. Daher wirkt das Streben als freier Wille im Vollbringen der Tat, die sich vom Gegenstande losreißt, und müht sich in der endlosen Arbeit, den Gegenstand zu überwinden. So ist die Vernunft in ihrem Fundamente praktisch. Und das ist kein bloß behaupteter Machtspruch. Die Deduktion des Strebens hat bewiesen: „Die Vernunft könne selbst nicht theoretisch seyn, wenn sie nicht praktisch sey" (§ 5; 399). Der Nerv des Beweises lag in der These, erst das Streben begründe die Beziehung von Subjekt und Objekt. So wird in folgerichtigem Fortgang der Methode durch eine Dialektik der praktischen Vernunft die Aufgabe der 'Grundlage' gelöst, die Objektivität der Subjektivität zu entnehmen oder das Bewußtsein von der Realität der Welt genealogisch aus dem Ich und seinen Handlungsgesetzen herzuleiten. Als Gewißheitsboden für die Bezeugung einer uns entgegen- und widerstehenden Welt hat sich die Handlung des Strebens aus der Freiheit des Willens unter dem Gebote des Sittengesetzes herausgestellt. Das Resultat ist noch einmal zusammenzufassen. Notwendigerweise muß das Streben nach der Wiederherstellung der Einheit des Geistes ein Entgegenstehendes überwinden. Käme die Freiheit ohne Widerstand in einem Nu ans Ziel, dann wäre das endliche Selbstbewußtsein in der ununterschiedenen Einheit eines Absoluten erloschen. Und würde der Gegenstand im unendlichen Streben nicht ständig überwunden, dann wäre das endliche Selbstbewußtsein in der Unfreiheit erstarrt. Ohne Gegenstand wäre das Selbstbewußtsein nicht endlich, ohne überwundenen Widerstand nicht frei. Die Freiheit in
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ihrem Streben braucht ein Gesamt des widerständig Gegenständlichen, die Welt. Nur am Gegenstande und durch Überwinden seiner Widerständigkeit gewinnt sie ihre Wirklichkeit. Also ist es die Wirklichkeit der Freiheit, welche die Wirklichkeit der Welt nach sich zieht und deren Charakter prägt. Als Widerstand für das sittliche Streben besteht das Ansehen der Welt darin, Objekt und Sphäre meiner Pflichten zu sein. Und weil die Wirklichkeit der Freiheit niemals theoretisch erkannt, sondern allein praktisch geglaubt wird, so ist es der notwendige Glaube an unsere Freiheit, welcher alles Bewußtsein einer aktual realen Welt begründet. So werden die Bildung der Welt und der Gegensatz des Objekts als notwendige Bedingung für die Möglichkeit unseres Freiheitsstrebens durchsichtig. Die streng bewiesene Letztbegründung der Subjekt-Objekt-Relation in der praktischen Vernunft erzwingt eine längst fällige Revision. Es ist nicht das vorstellende Vergegenständlichen und theoretische Erkennen, das dem praktischen Verhalten seinen Spielraum schafft. Das Streben geht dem Vorstellen — es ermöglichend — voran. Das Bedürfnis des Handelns geht nicht vom Bewußtsein der Welt, das Bewußtsein der Welt geht vom Bedürfnis des Handelns aus. Auf den Menschen gewendet, besagt diese Umkehr: Sein Verhältnis zur Welt kann ursprünglich nicht theoretisch sein. Welt eröffnet sich und wird primär zugänglich als Feld des Handelns. Denn das objektivste Sein des Objekts ist das Nein und Nicht zum Ich, und das ist nichts als das spröde und widerstrebende versinnlichte Material der Pflichterfüllung. Es ist das Dawider einer Forderung, die aus dem unbedingten Ich unbedingt an das endliche ergeht. Daher kann die endliche selbstbewußte Vernunft nicht theoretisch werden und Welt objektiv entgegensetzen, ohne praktisch zu sein. Die Intelligenz ist dem Menschen nur möglich, weil in ihm praktisches Vermögen ist. So ergibt sich für die Grundgestalten des Lebens: Die Lebendigkeit der apperceptio setzt die Lebendigkeit des appetitus voraus. Und die Grundformel allen Idealismus 'kein Subjekt, kein Objekt' spezifiziert sich zum Schlußsatze 'kein Streben, kein Objekt'. Der Widerspruch zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit im Selbstbewußtsein scheint von Grund auf behoben. Die Gegensätze des endlich bedingten Ich im Sinne der Intelligenz und des unbedingten, unendlichen Ich sind in einem Begründungsverhältnis vermittels des Strebens zusammengebunden. „Kein unendliches Streben des Ich, kein endliches Object im Ich" (§ 5; 401). Unbefangen gesehen aber, wird dadurch der Widerspruch bloß weiter geschoben. Dasselbe Ich nämlich wird als unend-
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lieh objektive Tätigkeit (Streben) und als endlich objektive (theoretisches Vorstellen) beansprucht. Diese Unverträglichkeit zwingt zum Eingeständnis, daß die Tätigkeit des Strebens immer noch nicht zureichend expliziert und streng genug abgegrenzt ist. Vielmehr werden das Wesen dieser Tätigkeit und die Verfaßtheit der praktischen Vernunft erst sicher umgrenzt sein, wenn eine neue Unterscheidung abgeleitet ist, die Scheidung von Ideal und Wirklichkeit. In ihr hellt sich die Struktur der praktischen Vernunft und, da diese das Fundament des Selbstbewußtseins ist, zugleich das Wesen des Ich tiefer auf. Die Schlichtung des neu aufbrechenden Widerspruchs geschieht wiederum durch Bestimmen und Einschränken. Und es ist naheliegend, die unendlich-objektive und die endlich-objektive Tätigkeit des Ich in einem unterschiedenen Sinne aufzunehmen. Dafür ist die Annahme schnell bei der Hand: Die endlich-objektive Tätigkeit und der Weltbezug der theoretischen Vernunft geht auf ein wirkliches Objekt, die unendliche Tätigkeit und der Weltbezug des Strebens auf ein eingebildetes Objekt. Das erkennende Vorstellen lebt im Feststellen der Wirklichkeit, das Streben lebt im Entwerfen von Idealen. Das endliche Objektivieren läßt sich von der Welt bestimmen, wie sie wirklich ist, das Streben hängt einer 'eingebildeten' Welt nach. Diese Auskunft ist eingängig und richtig, aber sie muß zu einem durchsichtigen Wissen befestigt werden. Sie setzt nämlich die Unterscheidung von Ideal und Wirklichkeit im Ungefähren eines Vor Verständnisses voraus und erliegt einem Zirkel; denn das Vorausgesetzte ist das, was abgeleitet werden muß. Die Rede vom Unterschied zwischen Ideal und Wirklichkeit ist nicht irgendwoher (etwa aus Selbsterfahrung) aufzuraffen, sie ist das Resultat der genauen Sinnbestimmung des Ich hinsichtlich seiner unendlichen und endlichen objektiven Tätigkeit. Vor einer Abgrenzung ist generell auszumachen: Was ist das Gemeinsame aller Art objektiver Tätigkeit? Sie ist als objektive Tätigkeit bestimmend, als objektive Tätigkeit bestimmt und begrenzt. Da das Bestimmt- und Begrenztsein das Gepräge der Endlichkeit verleiht, so muß auch das unendliche Streben als eine Objekt-bezogene Tätigkeit endlich sein. Das Streben hat ein Ende. „Es fragt sich nur, welches dieses Ende se y" (§ 5 5 402)· Die Endlichkeit des Strebens wird aus der unterschiedlichen Rücksicht auf die Endlichkeit der Intelligenz ersichtlich. Im WeltSetzen der theoretischen Vernunft hängt die Grenze nicht vom Ich, sondern von etwas außerhalb des Ich ab. Im Objektbezug des praktischen Ich hängt sie vom Ich selber ab. Der theoretische Weltbezug hängt an
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einer Wechselwirkung des Ich mit dem Nicht-Ich, und es ist das Nicht des Nicht-Ich, das, indem es der unbedingten Tätigkeit des Ich Schranken setzt, dieser Relation unverrückbare Wirklichkeit verschafft. „Ein durch diese insofern beschränkte Tätigkeit bestimmtes Object ist ein •wirkliches" (§ 5; 402). Die Welt-bezogene Tätigkeit des Strebens dagegen prallt nicht an der vorgezeichneten Grenze der Erfahrungswelt als einer unverrückbaren Wirklichkeit ab, sie greift darüber hinaus. Streben verfährt derart mit der Grenze, daß es sie ständig hinausschieben kann. Das Streben ist objektiv und endlich; denn Streben ist Aussein auf etwas Bestimmtes und dadurch bestimmt und in Grenzen fixiert. Da aber die Grenzbestimmung in der Souveränität des Ich verbleibt, kann die Grenze ins Unendliche erweitert und das Streben zum elementaren Grundzug des Geistes werden. Der Geist lebt so im unaufhörlichen Über-sich-hinaus-Streben aus Ungenügen an der Wirklichkeit. Darum bezieht sich das Streben gar nicht auf die Welt, wie sie wirklich ist, sondern, wie sie sein würde: nämlich wenn das Nicht-Ich vollständig dem Ich angeglichen, wenn der Ungeist der Sinnlichkeit aufgehoben und alles in die Freiheit der Selbstbestimmung eingelassen wäre. Das ist das Ideal. „Das Ideal ist absolutes Product des Ich" (§ 5; 403). Was durch das Streben auf das Objekt bezogen wird, heißt Idee. Das Wort 'Idee' benennt nach Kant einen Vernunftbegriff. Bei Fichte ist Idee der Begriff der Vernunft selbst, nämlich die unbedingte Tathandlung oder der reine freie Geist, der als unbedingte Forderung wirksam ist. 'Ideal' benennt dann die im Streben vorgestellte Welt, sofern in ihr diese Forderung verwirklicht ist. Der Widerspruch ist behoben. Das nämliche Ich setzt Welt endlich und unendlich, aber die gesetzten Welten haben gänzlich unterschiedene Dimensionen und Grenzen. Indessen — ist das vom Widerspruch zum Erkennen befreite Streben nicht in sich selbst widersprüchlich? Streben ist unendlich und objektiv und „die Zusammensetzung unendlich, und objectiv ist selbst ein Widerspruch" (§ 5; 403). Diesem Gegensatz bleibt das endliche Ich verhaftet, weil er nur entfiele, wenn das Objekt überhaupt zugunsten einer ungetrübten Unendlichkeit wegfiele. Der endliche Geist jedoch ist nicht unendlich, er strebt nach Unendlichkeit. Er kann das Objekt nicht vernichten und mit sich identisch machen, aber er kann den endlichen Objektbezug und die reine Unendlichkeit strebend vereinigen. „Das Ich kann das Object seines Strebens zur Unendlichkeit ausdehnen" (§ 5; 403). Wodurch kann es das? Durch das schwebende Zusammenfassen und entgrenzende Ausdeh-
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nen der produktiven, Ideal bildenden Einbildungskraft. Es ist das Vermögen der Einbildungskraft, das die Grenze des Ideals in freier Bewegung hält. Es dehnt die Grenze aus und schwebt zwischen Fixierung und Ausdehnung der Grenze, und zwar von Moment zu Moment. Im Moment des Entwurfs ist das Ideal fixiert und hat eine bestimmte Grenze; denn ich erstrebe immer etwas, und nur dadurch ist ein Bewußtsein (als Sich-Vorstellen im Vorstellen von etwas) des Ideals möglich. Nun dehnt die Einbildungskraft diese Grenze aus, sonst wäre der Geist nicht im Stande des Strebens. Aber das ins Unendliche bewegte Ideal wird in dem Moment wieder fixiert, in dem das Bewußtsein prüft, ob denn die Unendlichkeit in der ausgedehnten Grenze vollendet sei. Und der Geist hält sich im Gegensatz von Ausdehnung und Fixierung vermittels des Schwebens der Einbildungskraft. Einbildungskraft ist die Geburtsstätte der Zeit. Die produktive Einbildungskraft läßt die Zeit als ein Wielange der Dauer entspringen, die Ideal bildende Einbildungskraft entbirgt die Zeit als Abbild der Ewigkeit. Denn im Streben strebt die Zeit in unendlicher Abfolge von Moment zu Moment zur Ewigkeit. Diese Zeitlichkeit (nicht die Uhrzeit) prägt das Dasein des Menschen. In keinem festen Momente kann der menschliche Geist das, was er wesensnotwendig erstrebt, erreichen. Dennoch reißt die Idee der zu vollendenden Unendlichkeit das Dasein über alle Grenze der Zeit hinweg. „Eben dies ist das Gepräge unserer Bestimmung für die Ewigkeit" (§ j; 404). Das Wesen des Ich kommt an den Tag. Das Innerste des endlichen Geistes ist unendliches Streben: das Aussein auf Angleichung der Wirklichkeit an die Idee im unentwegten Verwirklichen des Ideals durch alle Zeiten bis in Ewigkeit. Das geschieht in geschichtlicher Zeit, indem Recht, Staat, Religion, Wissenschaft, Kunst in der Sphäre der Wirklichkeit eingerichtet werden. Im Geiste leben heißt eben, das Bild der Erfahrung nach dem Urbilde der Ubererfahrung umbilden, entschlossener formuliert: das Göttliche in die bloße Wirklichkeit hineinbilden. Davon kann sich der Geist nicht fernhalten. Ohne Ideal hätte er keine Wirklichkeit. Und er kann diese Bildung nicht vollenden. In vollendeter Unendlichkeit wäre das Bewußtsein nichts. In der unendlichen Arbeit der Angleichung des immer Ungleichen lebt der endliche Geist. In solchem Streben manifestieren sich seine Ohnmacht und seine Macht.
8. KAPITEL Existenz und Anstoß Der Weg der Transzendentalphilosophie scheint zu Ende. Das Streben ist deduziert, nämlich in apagogischer Beweisführung als notwendige Bedingung für die Einheit des Selbstbewußtseins nachgewiesen. Sein Einsatz rettet vor der Absurdität, daß das Bewußtsein in absoluter und objektiver Tätigkeit, in unbeschränkter Selbst- und beschränkter Weltvorstellung auseinanderklafft. Die Analytik der reinen praktischen Vernunft enthüllt die unvermischten Bezüge von Endlichkeit und Unendlichkeit im endlichen Geist. Praktische Vernunft oder Wille ist das Streben nach dem Ideal, das darauf aus ist, das Widerstreben des Nicht-Ich zu überwinden. Weil das unbedingte Streben dem unbedingten Wesen des Ich entspricht, ist seine Wirksamkeit das eigentliche Selbst des Selbstbewußtseins. Was wahrhaft wirklich und selbstbewußt wirksam ist, ist Wollen. Der Wille und seine Freiheit drängen als die eigentliche Wirklichkeit des Bewußtseins vor. In ihnen scheinen Wesen und Wirklichkeit des Ich zu bestehen. Aber das Sein des Willens ist nicht das Absolute. Auch im unendlichen Streben bleibt das Ich von etwas Fremdem außer ihm abhängig, dem Anstoß. Wie nämlich stellt sich, kritisch resümiert, das Verhältnis von Streben und Anstoß dar? Zweierlei ist durchsichtig geworden. Erst durch den Zug des Strebens erscheint das dem Ich Fremde als das Widerständige und als Gegen-Stand; in Betracht des erstrebten Ideals tritt es als das dem Ich Ungemäße, als Nicht-Ich hervor. Und durch die Freiheit des Strebens macht das Ich den begrenzenden Gegenstand von sich abhängig; es rückt dessen Grenze immer weiter ins Unendliche hinaus. So waltet im Streben das „Mittelvermögen der Freiheit" (§5; 411). Es vermittelt zwischen der faktischen Beschränktheit des Ich und dem Ideal. Im Sidi-Losreißen von der Grenze ist negative Freiheit am Werke. Positive Freiheit ist die entgrenzende Selbstbestimmung nach dem Ideal. Indessen vermögen doch das Streben und die Freiheit keines-
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falls den Anstoß selbst, sondern allenfalls das Nicht-Ich-Sein und Objektiv-Werden des hemmenden Fremden vom Ich abhängig zu machen. Der Sinn, nicht das Sein des Anstoßes läßt sich aus dem Grundbestande des Ich entnehmen. Der Anstoß behält etwas Unableitbares. Worin also bestehen, transzendental-idealistisch bedacht, die Unabhängigkeit von Anstoß und Nicht-Ich und die Abhängigkeit des Ich? (vgl. § 5; 410—16). Unzweifelhaft läßt sich das Ich als Prinzip des Lebens und Bewußtseins behaupten, aber eben nicht absolut, sondern nur in einer Hinsicht. Diese Relativität wird erst bemerkbar, wenn die Differenz von Möglichkeit und Wirklichkeit, von Existenz und Essenz in Betracht gezogen wird. Das Ich hat die Anlage zum Leben, es ist Grund der Möglichkeit. Ermöglichende Möglichkeit (possibilitas) meint dabei soviel wie Wassein im Sinne von essentia. Was etwas ist und wodurch es werden kann, das ist seine Form oder, neuzeitlich ausgedrückt und kausal definiert, das Gesetz. Nun war verbindlich herausgegliedert: Das bestimmende Wesen alles Seienden und Bewußten ist ursprünglich in den Gesetzen enthalten, welche die Grundverfassung des Ich konstituieren. In Rücksicht auf ermöglichende Möglichkeit und Wasbestand bleibt das Ich absolut und in seiner Gesetzgebung unabhängig. „Nach der so eben vorgenommenen Erörterung ist das Princip des Lebens und Bewußtseyns, der Grund seiner Möglichkeit, — allerdings im Ich enthalten, aber dadurch entsteht noch kein wirkliches Leben, kein empirisches Leben in der Zeit; und ein anderes ist für uns schlechterdings undenkbar. Soll ein solches wirkliches Leben möglich seyn, so bedarf es dazu noch eines besondern Anstoßes des Ich durch ein Nicht-Ich" (§55411). Diese Sätze sprechen in der Entschiedenheit Kantischer Entscheidungen. An die kritische Herausstellung der Modalkategorien in Kants Tostulaten des empirischen Denkens' ist rückdeutend zu erinnern. Kants grundsätzliche Besinnung hat das Möglichsein aus der anmaßenden Äußerlichkeit einer bloß logischen Möglichkeit qua widerspruchsfreier Denkbarkeit herausgeholt und auf empirische Brauchbarkeit bezogen; als real möglich zuzulassen sei nurmehr das, was mit den formalen Bedingungen des Denkens (den kategorialen Verhältnissen) und denen der Anschauung (den Verhältnissen von Raum und Zeit) übereinstimme. Mehr als das Mögliche aber ist das Wirkliche. Der ontologische Sinn dieses alten und hinterhältigen Lehrsatzes ist erst in transzendental-kritischer Modalanalyse aufgeklärt worden. Der Seins- und Vermögenszuwachs des Wirklichen gegenüber dem bloß Möglichen liege in der Wahrnehmbarkeit; denn nur das könne zurecht wirklich heißen, was
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mit den materialen Bedingungen der Erscheinungen (der Empfindung) zusammenhängt. Und damit ist der untrennbare Zusammenhang von empirischer Zeitlichkeit und Wirklichkeit geknüpft. Was immer sich im Gefühl oder der Empfindung bekundet, unterliegt den Ordnungsverhältnissen der Zeit. Das Wirkliche ist Seiendes in empirischer Zeit. Fichte nimmt diese Restriktion des Wirklichseins auf und geht ihr auf den Grund. Was nämlich ist das, was sich ursprünglich im Gefühl als das Wirkliche bezeugt? Es ist ein Gehemmtsein, das sich im Gefühl offenbart und dessen Grund sich als die Tätigkeit des Anstoßes anmeldet. Das Wirklichkeit bekundende Gefühl ist das unmittelbare Innesein eines Fremden im Ich. Dieses Fremde ist, weil es aller objektiven Tätigkeit vorausliegt, nicht objektiv erkennbar, sondern geht im Gefühl auf. Das Ich wird so des Zustandes der gehemmten Tätigkeit, eines Zwanges und Nichtkönnens, inne (vgl. §7; 419). Es fühlt, daß da etwas wirkt, was nicht aus dem Bewußtsein ist. Diese sich im Gefühl unvermittelt bezeugende Kraft des Anstoßes ist das Prinzip von Existenz und Wirklichkeit. Der Existenzgrund ist dem Ich nicht zu entnehmen. In der Handlungsbefugnis des Ich liegen alle Bedingungen der Möglichkeit von Leben und Bewußtsein versammelt. Aber mit der Bereitstellung von Wesensgesetzen ist noch nicht die Existenz des Ich und sein Dasein in einer wirklichen, empirischen Welt gegeben. Selbst die Einführung der absoluten Kausalität konnte dem Ich das Dasein nicht verbürgen. Absolute Kausalität bezeichnete ein Abhängigkeitsverhältnis von absolutem Ich und Intelligenz. Im Hinblick auf Existenz aber stellt sich dieses Verhältnis nicht als ein Kausal-, sondern als ein Bedingungsverhältnis heraus. (Das Ich ist nicht causa sui.) Die Rede von der absoluten Kausalität behauptet nicht, das Ich sei die Ursache, welche die Intelligenz ihrem Dasein nach erwirkt. Sie besagt lediglich: Wenn die Beziehung auf ein Entgegengesetztes hergestellt ist, dann ist das absolute Ich Grund des Strebens und vermittels des Strebens Grund der objektiven Tätigkeit (vgl. §5; 398). Den Existenzerweis verweist der kritische Idealismus an das empirische Leben. Die absolute Kausalität des Ich, als praktisches Postulat durchschaut, braucht das tatsächliche Leben als die Stätte, in der ihre Forderung durchgesetzt werden kann. Aber sie bringt das Dasein nicht von sich her mit. „Das Ich ist demnach abhängig seinem Daseyn nach" (§5; 411). Um die Existenz des Ich und die Wirklichkeit seiner Welt zu erklären, dafür muß ein Prinzip außer dem Ich ange-
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nommen werden; denn letztlich wäre alles unendliche Handeln unwirklich, würde es nicht durch den Anstoß gehemmt und rückstoßend in Bewegung gesetzt werden. „Das Ich wird durch jenes Entgegengesezte bloß in Bewegung gesezt, um zu handeln, und ohne ein solches erstes bewegendes ausser ihm würde es nie gehandelt, und da seine Existenz bloß im Handeln besteht, auch nicht existirt haben" (§5; 411). So wird der Terminus 'Anstoß' im Sinne eines anstoßenden ersten Bewegers sprechend. Es ist die Unterscheidung von Möglichkeit und Wirklichkeit (Dasein), welche die Frage nach den ersten Anfangsgründen bescheidet. Die Bedingungen der Möglichkeit von Leben und Bewußtsein bringt das Selbstbewußtsein auf, die Bedingung für Dasein und wirkliches Leben findet sich im Anstoß des Nicht-Ich. Das aber bedeutet zugleich: Das Nicht-Ich ist bloß Prinzip für die Wirklichkeit des Ich; denn das NichtIch als Anfangsgrund betrifft bloß eine Modalität, und Modalbestimmungen fügen dem durch sie Bestimmten keinen Sachgehalt (realitas) zu. Darum setzt zwar das Nicht-Ich das Ich in Bewegung und verwirklicht so dessen Lebensmöglichkeiten, aber es bestimmt nicht die durch das Ich bestimmte Realität. Das Nicht-Ich ist Prinzip des Daseins, das Ich Wesensgrund. Das ist die „wichtige Bemerkung, welche allein wohl hinreichen dürfte, die Wissenschaftslehre in ihren wahren Gesichtspunct zu stellen" (§5; 410). Welches also ist der Standort der Wissenschaftslehre? Und was ist der leitende Gesichtspunkt eines konsequent und besonnen durchgeführten Transzendentalismus? „Die Wissenschaftslehre ist demnach realistisch" (§5; 411). Das ist ein Satz, der das herkömmliche Vorverständnis über die Wissenschaftslehre erschüttern sollte. Denn gilt nicht die Wissenschaftslehre für das irrealste Gespinst des Idealismus? Sind es nicht die Argumente gegen die idealistischen Abstraktionen und Einseitigkeiten, welche die Wissenschaftslehre schlagen? Und hat denn nicht, historisch konstatiert, gerade die Rückbesinnung auf den prinzipiellen Rang der 'Kategorien' von Wirklichkeit, Dasein, Existenz den Zusammenbruch des Fichteschen Systems heraufgeführt? Aber die Wissenschaftslehre ist realistisch. Sie hat sich öffentlich für eine 'Wissenschaft vom Dasein' erklärt, und die eingestandene Vorliebe für den Realismus wird in der konsequenten Vertiefung der Grundlegung noch profilierter heraustreten. Die Wissenschaftslehre belehrt darüber, daß etwas als „erster Beweger" angenommen werden muß, das, weil die Existenz des Bewußtseins davon abhängt, vom Bewußtsein unabhängig ist. Ohne solche bewußtseinsunab-
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hängige Kraft wäre das Ich mit allen seinen Möglichkeiten nicht da und in Tätigkeit. Aber verfällt der Transzendentalismus damit nicht einem transzendenten Realismus, und verkehrt sich der absolute Apriorismus nicht in einen absoluten Empirismus? So jedenfalls hat Hegels schneidende Kritik geurteilt. Und hat sich nicht wirklich die dogmatische Hypothese eines Dinges an sich in den Abstraktionsrest des Ansichseins, den Anstoß, geflüchtet? Erwartet das Ich nicht ausdrücklich seine Lebenserfüllung vom empirischen Leben? Verleugnet also die realistisch gewordene Wissenschaft vom Wissen ihre transzendentale Herkunft? „Ohnerachtet ihres Realismus aber ist diese Wissenschaft nicht transcendent, sondern bleibt in ihren innersten Tiefen transcendental" (§ 5; 411). Niemals hat die Wissenschaftslehre die Wahrheit der Transzendentalphilosophie verlassen. Sie bleibt innerhalb der Endlichkeit des Bewußtseins und auf dem festen Grunde des Selbstbewußtseins. Die Wissenschaftslehre sieht zwar auf etwas Absolutes hinaus, das von der Gesetzgebung der Apperzeption losgelöst und so real ist, aber sie hält in acht: Das außer dem Ich gesetzte Reale ist doch gesetzt. Als Bewußtseinsunabhängiges bleibt es auf das Bewußtsein zurückbezogen und so ideal. Die Erklärungen der Wissenschaftslehre sind real-idealistisch. Sie ziehen sich auf die These zurück: Keine Idealität, keine Realität, und umgekehrt (§ 55413). Das gilt sowohl für das erklärende Bewußtsein (die philosophische Reflexion) wie für das erklärte Bewußtsein (die Reflexion des Ich selbst). Beides ist klarzumachen. Dasjenige Bewußtsein, das alles Bewußtsein zu erklären sucht, ist die Philosophie. Diese erklärt jetzt: Alles Bewußtsein schuldet seine Wirklichkeit und sein Handeln dem bewußtseinsunabhängigen Anstoß oder einem Ding an sich. Aber die Philosophie reflektiert auch darauf, daß der Anstoß von ihr erklärt und so durch sie und ihr Bewußtsein als seiend vorgestellt ist. Insofern das philosophische Bewußtsein das Ich-Bewußtsein erklärt, ist der Anstoß und das Sein des Dinges für das Bewußtsein und ideal. Aber das Bewußtsein, das dieses erklärt, ist seinerseits auch wirklich. Es schuldet mithin die Verwirklichung seiner Möglichkeit einem unabhängig von ihm Vorhandenen. Insofern also das erklärende Bewußtsein wirklich ist, ist der Anstoß und das Sein des Dinges real und an sich. Diese Überlegung findet heraus: Die Philosophie kommt nur zustande, wenn sie für ihr Erklären einen ideal-realen Anstoß in Rechnung stellt. Allein solche Erklärungsart ist adäquat, weil die Methode der Philosophie eben in dem gründet, worüber sie philosophiert. Das Worüber der
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philosophischen Reflexion und das von ihr zu Klärende ist das Ich-Bewußtsein im Gefüge seiner theoretischen und praktischen Tätigkeit. Wie also steht es mit dem Anstoß und Ding in Bezug auf das theoretische und praktische Vermögen des Ich selber? Es ist unabhängig und an sich seiend in Rücksicht auf die praktische Vernunft. Von Seiten der praktischen Vernunft tritt das Nicht-Ich als das pure Nicht auf und begegnet allein als das Wider- und Gegenständige, welches das Streben vergeblich ganz zu überwinden trachtet. Abhängig dagegen ist das Sein und die Bestimmung des Gegenständigen vom theoretischen Ich. In der Sphäre des erkennenden Vorstellens ist kein an sich seiendes Ding zugelassen. Seiend ist nur das vom vorstellenden Subjekt den Gesetzen seines Vorstellens gemäß Vorgestellte. Das Nicht kommt so nur als Nicht-Ich, das Ding als für mich Seiendes vor. Und so lautet der Bescheid dieser Rückfrage: „Nur inwiefern etwas bezogen wird auf das praktische Vermögen des Ich, hat es unabhängige Realität; inwiefern es auf das theoretische bezogen wird, ist es aufgefaßt in das Ich, enthalten in seiner Sphäre, unterworfen seinen Vorstellungsgesetzen" (§5; 413). Also wäre der Anstoß in Bezug auf die praktische Vernunft real und Ding an sich, in Bezug auf die theoretische ideal und Ding für uns? Indessen dürfen diese zwei Seiten des Sachverhaltes nicht gesondert aufgefaßt werden. Wie sich theoretische und praktische Vernunft verschränken, so beziehen sich auch Abhängigkeit und Unabhängigkeit des Anstoßes, d.h. die reale und ideale Ansicht des Dinges, aufeinander, nämlich in einem Wechselverhältnis. Der Anstoß, wie er sich in praktischer Vernunft meldet, ist abhängig vom Bewußtsein. Nun kann aber doch die Kraft des Anstoßes nur vermittels des theoretischen Vermögens auf das praktische bezogen werden. Damit sie Bedingung für das selbstbewußte Streben sei, muß das Fremde und Widerständige als solches ins Bewußtsein fallen. Sonst ist kein Wille: das sich wissende Überwinden erfahrener Gegenständlichkeit. So verschränken sich reale und ideale Ansicht des Anstoßes: Er ist real, indem er ideal ist. Ebenso gilt die Umkehrung. Denn für die Fundierung der Vernunft war hinlänglich der Satz erwiesen: Ohne Streben kein Objekt und ohne praktische Vernunft keine Intelligenz. Das bedeutet, auf die Anstoß-Problematik übertragen: Ohne reale Ansicht ist die ideale nicht möglich. Indem der Anstoß ideal angesehen wird, ist er real. In diesen Überlegungen konkretisiert sich das Urverhältnis 'Keine Idealität, keine Realität, und umgekehrt'. Die Selbstvermittlung des Ich im Wechsel von Ich und Nicht-Ich braucht ein Nicht-Id\, das wechselweise real wie ideal zu
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denken ist. „Der lezte Grund alles Bewußtseyns ist eine Wechselwirkung des Ich mit sich selbst vermittelst eines von verschiednen Seiten zu beobachtenden Nicht-Ich" (§ 5; 413). Die reale Ansicht folgt aus der idealen und diese aus jener. Das ist ein Zirkel. Dessen unbefangene Aufdeckung steuert die verfolgte Frage nach dem rechten Standort der Philosophie. Dem Objekt' der Philosophie liegt ein Zirkel zugrunde. Um seinem Gegenstande angemessen zu sein, hat sich das philosophische Bewußtsein selbst in diesem Zirkel, in dem sich die reale und ideale Ansicht wechselseitig voraussetzen, zu halten. Wer diesen Zirkel verläßt, gerät in die schiefe Position des Dogmatismus, sei dieser von idealistischer oder realistischer Couleur. Es ist gleich verstiegen, alles Sein und Bewußtsein gänzlich aus der Idee (dem Ich) oder aus dem Realen (dem bewußtseinsunabhängigen Ding) ableiten zu wollen. Der dogmatische Realist beginnt mit dem toten Ding an sich. Er hält sich einseitig an die realistische Ansicht und steigert das Prinzip des Daseins zum Absoluten, das ohnmächtig bleibt, aus sich das Selbstbewußtsein und die Freiheit und daraus den Wesensbestand der Dinge zu entwickeln. Dagegen hält sich der Idealist an die idealistische Ansicht der Sache und übersteigert das Prinzip des Wesens. Er verfügt von Anfang an über alle Formen und Gesetze des Bewußtseins und Lebens, aber seine Explikationen bleiben in der Sphäre der Möglichkeiten und Essenzen. Er entwickelt die Gesetzlichkeit des Lebens, aber dessen Dasein bleibt ihm unerklärlich. Nun wird einer philosophischen Grundlegung das Bedenkliche eines Zirkels nicht darum zugemutet, weil so noch größere Übel vermieden werden. Es ist die Endlichkeit, welche den Geist in diesen Zirkel bannt. Will sich die endliche Vernunft nicht als endliche verleugnen, so muß sie Sein als Fürsich- und nicht als Ansichsein vernehmen. Die endliche Vernunft begnügt sich so mit einem negativen Sinn von Sein. Ihr endliches Seinsverständnis erstreckt sich auch auf das Sein des Anstoßes. Die dem Ich entgegengesetzte Kraft des Anstoßes „ist für das Ich nur, inwiefern sie durch dasselbe gesezt wird, und ausserdem ist sie nicht für das Ich" (§5; 413). Will andererseits die endliche Vernunft ihre Vernichtung vermeiden, so darf das Ansich und das Unabhängigsein des Anstoßes nicht allseitig aufgehoben werden. Ohne hemmenden und zurücktreibenden Anstoß außer ihm wäre das Setzen des Ich in einem Nu am Ziele unendlicher Erfülltheit, und die Faktizität der Endlichkeit wäre übersprungen: das Dasein endlichen Geistes als das ins Unendliche strebende Überwinden der Endlichkeit. „Dies ist der Zirkel, aus dem der endliche
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Geist nicht herausgehen kann, noch, ohne die Vernunft zu verläugnen, und seine Vernichtung zu verlangen, es wollen kann" (§ 5; 4i3) sl . Der endliche Geist muß, um sich halten zu können, im Zirkel aushalten. Das Ding an sich muß als etwas für das Ich, also im Ich und doch nicht im Ich vorgestellt werden. Was für ein Vorstellen hält diesen Widerspruch aus? „Dies ist nun das Geschäft der schaffenden Einbildungskraft" (§5; 414). Durch das schwebende Festhalten der Einbildungskraft werden diese Gegensätze vereinigt. (Und nur durch Einbildungskraft vermag das philosophierende Bewußtsein den so konstruierten Geist aufzufassen.) Die Einbildungskraft kann die gegensätzlichen realen und idealen Bestimmungen des Anstoßes in ihrem Wechsel festhalten, weil sie es vermag, in ihrer Mitte zu schweben und die Vorstellung des Realen so lange festzuhalten, bis die ideale auftritt. Ohne solche Synthesis gibt es kein wirkliches Bewußtsein. Nur in der idealen Ansicht nämlich ist sich das Bewußtsein eines Fremden und Unabhängigen bewußt; ohne sie wäre es kein wirkliches Bewußtsein. Und nur in der realen Ansicht ist sich das Bewußtsein eines Unabhängigen bewußt; ohne sie wäre es nicht wirkliches Bewußtsein. So bewährt sich die produktive Einbildungskraft endgültig als vermittelnde Mitte. Die Zeit-bildende Einbildungskraft hatte den Bezug von Sein und theoreti31
Im 'Zirkel' schlägt sich der Zwiespalt nieder, den W. Weischedel im Zusammengriff seiner umfassenden Fichte-Studien als Mitte Fichteschen Denkens herausgearbeitet hat. Der Zwiespalt entspringt aus der Übersteigerung des menschlichen zum absoluten Ich, welche der neuzeitlichen Tendenz zur Selbstmächtigkeit des Ich so weit folgt, daß das Ich die Stelle des Gottes der Metaphysik einnimmt. Solcher Ansatz erleidet den (vierfachen) Verlust der Wirklichkeit von Ich, Welt, alter ego und Gott. Und die Wirklichkeit des Ich ist eben nur zurückzugewinnen, wenn in dessen Ursprung aus der Absolutheit der Anstoß, d. h. die Endlichkeit mitaufgenommen wird. So aber enthüllt sich das wirkliche Ich oder der Mensch als das zwiespältige Wesen, das unter dem Anspruch der Absolutheit und im ständigen Einbruch der Endlichkeit existiert. Daher ist Fichte gar nicht der Prophet des titanischen Ich, sondern der Denker des Widerspruchs, in welchem das Dasein des Menschen gründet. Der hier greifbare Zwiespalt hat ein noch umgreifenderes Ausmaß. Er spannt sich zwischen dem Gedanken der absoluten Tat im Anfange und dem Sich-Versenken des tätigen Ich in den Abgrund der Gottheit aus. Am Ende tritt wieder in totaler Kehre der absolute Gott an die Stelle des absoluten Ich, weil die Freiheit entdeckt, daß sie sich des Grundes nicht bemächtigen kann, da der Grund nie das Gemachte der selbstmächtigen Freiheit ist, vgl. 'Der Zwiespalt im Denken Fichtes'. Berlin 1962. Wird aber nicht der Bruch und Zwiespalt in der Brechung der Selbstmächtigkeit gerade entwirklicht? Und ergibt sich hieraus nicht die interpretatorische Aufgabe, die Einkehr der Freiheit auf dem Wege einer Grenzbesinnung als Aufhebung der Differenzen, die in der ersten Grundlegung aufbrachen, durchsichtig zu machen? Dann wäre die Rede vom zwiespältigen Dasein des Menschen nicht das letzte Wort.
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scher Vernunft, die Ideal-bildende Einbildungskraft den von Sein und praktischer Vernunft vermittelt; die schaffende Einbildungskraft vermittelt zwischen dem Wesen der endlichen Vernunft überhaupt und der Wirklichkeit des Daseins. Sie schafft wirkliches Bewußtsein. „Das ganze Geschäft des menschlichen Geistes (geht) von der Einbildungskraft aus" (S5J4I5)· Die Einbildungskraft ist das spezifische Vermögen des Geistes in seiner Endlichkeit, weil sie den endlichen und den menschlichen Geist in der Zweiheit von Wesen und Dasein, von idealem und realem T)ing an sich5 erhält. Diese Zweiheit ist Ausdruck der Endlichkeit und unaufhebbar; denn das absolute Prinzip eines realen Dinges an sich würde das Wesen des Ich, das absolute Prinzip eines idealen Dinges can sich' würde das Dasein des Ich aushängen. Das Verhältnis zum Ding an sich muß in der Schwebe von Idealität und Realität gehalten werden. „Auf dieses Verhältniß des Dings an sich zum Ich gründet sich der ganze Mechanismus des menschlichen, und aller endlichen Geister. Dies verändern wollen, heißt alles Bewußtseyn, und mit ihm alles Daseyn aufheben" (§5; 414). Der Wille, das Ich-Wesen absolut durchzusetzen, bezahlt mit dem Ausfall von Wirklichkeit und Existenz. Er versieht sich an der Faktizität und Endlichkeit von Ich und Mensch32. 32
Angesichts des so entwickelten Verhältnisses von Ich und Anstoß stößt der wuchtige Angriff von J. Ebbinghaus ins Leere (vgl. Tichtes ursprüngliche Philosophie', in: Gesammelte Aufsätze, S. 211—25. Darmstadt 1968). Danach steht Fichtes ungeheure Drehung in vollem Widerspruch zur Lehre der 'Kritik der reinen Vernunft': Kants Lehre von der subjektiven Bedingtheit unserer Erkenntnis besagt, der Grund für die Form, in welcher das Mannigfaltige zur Möglichkeit begrifflich bestimmbarer Objekte zusammenstimmt, liegt in der Handlung des Selbstbewußtseins. Der Grund, daß uns überhaupt etwas erscheint, liegt in dem, was unabhängig von allem Verhältnisse auf unsere Sinnlichkeit existiert, dem gänzlich unbekannten Ding an sich. Fichtes Aufstellung des Selbstbewußtseins als dem obersten Prinzip dagegen baut auf zwei Thesen: i. Das Ich hängt von nichts außer von sich selbst ab; 2. kein Sein ist vom Denken unabhängig. Sie beseitigen die Angewiesenheit des Ich-denke auf ein von ihm selbst unabhängiges Sein. Sie beruhen auf dem Fehlschluß, das Ich besitze dieselbe Unabhängigkeit, die es im Verhältnis zur Möglichkeit meines Denkens hat, auch im Verhältnis zu dem, was überhaupt möglich ist. In Wahrheit bezieht sich der Gedanke von etwas, das nicht ich bin, auf solches, das durch den Aktus 'Ich denke' nicht mit analytischer Notwendigkeit gesetzt ist. Diese Kritik ist stringent, aber sie trifft niemanden. Fichte jedenfalls hat Kants These von der Angewiesenheit unserer Verstandeserkenntnis auf ein gänzlich unbekanntes Ansich in der Lehre vom Anstoß aufgenommen und weiterentwickelt. Die Frage ist nur, ob es bei dieser von Kant ererbten Dualität bleiben kann oder ob nicht die Zweiheit von Ich-Tätigkeit und Anstoß, von Essenz und Existenz, Wesen und Wirklichkeit eine Philosophie, die mit dem Suchen nach Einheit Ernst macht, zu einer ungeheuren Drehung zwingt: zur Selbstbesinnung des abhängigen Ich auf seinen Ursprung und seine Grenze, die Einheit des Absoluten.
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Von der Höhe des gewonnenen Standpunktes aus läßt sich die Deduktionsleistung der Transzendentalphilosophie überblicken. Das Wesen des Ich besteht in seiner Tätigkeit. Dies ist, schlechthin unendlich befunden, absolutes Sich-selber-Setzen und reine Freiheit. Sie kommt von keinem ändern her und stößt auf kein anderes. Die Wirklichkeit des (theoretischen) Ich dagegen besteht in der Tätigkeit des Vorstellens, die an der Schranke des Nicht-Ich leidet. Die Wirksamkeit des praktischen Ich besteht in der Tätigkeit des Strebens, die aufgegebene Unendlichkeit ausfüllen zu wollen, indem sie die Schranke ins Unendliche hinausschiebt, ohne sie jemals aufheben zu können. Der Bezug zwischen Wesen und Wirklichkeit nun hat zur Voraussetzung, daß die unendliche Tätigkeit des Ich in irgendeinem Punkte angestoßen und zurückgetrieben wird. „Daß dies geschehe, als Factum, läßt aus dem Ich sich schlechterdings nicht ableiten, wie mehrmals erinnert worden; aber es läßt sich dartun, daß es geschehen müsse, wenn ein wirkliches Bewußtseyn möglich seyn soll" (§5; 408). Die Transzendentalphilosophie sieht sich genötigt, wenn schon nicht die Wirklichkeit, so doch die Möglichkeit des Anstoßes aus der Verfassung des Ich abzuleiten. Sie hat darzutun, wodurch das in sich geschlossene Ich sich für einen Anstoß und 'Einfluß' von außen zu öffnen vermag, so daß zwar nicht die Wirklichkeit, von einer äußeren Einwirkung beschränkt zu sein, wohl aber die Möglichkeit, von ihr überhaupt betroffen zu werden, ersichtlich wird. Solche Ableitung ist bisher noch nicht ins Werk gesetzt. Für diese Aufgabe wird auf das Streben zurückgegangen und auf neuem Wege eine tiefere Ableitung versucht werden müssen. Am Ende muß die transzendentale Methode den indirekten Weg der bisherigen Beweisführung verlassen. Der neue Weg führt direkt ins innerste Wesen des Ich.
9- KAPITEL Die absolute Reflexion Mit der Aufdeckung des fundamentalen Begriffs des Strebens schien die Wissenschaftslehre am Ziel und die Möglichkeit des Bewußtseins auf ihre tiefste Bedingung zurückgeführt. Das Element der praktischen Vernunft war entdeckt, ihr Primat gesichert und die Fundierung der Theorie in der Praxis schlüssig nachgewiesen. Und eben weil das theoretische Ich-Wesen im Praktischen wurzelt, gab sich die Wissenschaftslehre das Ansehen eines spekulativ-ethischen Idealismus, der das absolute Sein als Sollen versteht und in dieser radikalen Gleichsetzung sein mitreißendes Pathos und seine entschlossene Beschränktheit findet. Solche gängig gewordene Abstempelung übersieht nur, daß die bisherige Deduktion des Strebens eigentlich kein abschließendes Resultat, sondern eine aufschließende Aufgabe zu Tage gebracht hat. Der Schlüsselbegriff des Strebens ist noch nicht völlig geklärt. Seine Wurzel und damit der Ursprung des Bewußtseins liegen noch im Dunkel. In der Tat begibt sich die Grundlegung der Wissenschaftslehre noch einmal auf den Weg. „Wir legen das bis jezt deduzirte noch auf einem ändern Wege dar, um den für den praktischen Theil der Wissenschaftslehre höchstwichtigen Begriff des Strebens völlig klar zu machen" (§ 5; 404). Dieser 'andere3 Weg ist keine müßige Wiederholung des schon durchlaufenen durch ein anders geartetes Verfahren. Er bedeutet diejenige Umstellung der Methode, die allererst auf den Grund des Ich dringt. Darüber muß, sollen der Endweg transzendentalen Denkens und sein Methodenanspruch nicht von Anfang an verkürzt werden, Klarheit geschaffen sein. Bisher verlief alle Analytik der reinen Vernunft auf transzendentalem Wege. Mit Hilfe dieser Methode wurden Begriffe deduziert, d. h. in ihrem Ansprüche auf objektive Gültigkeit dadurch gerechtfertigt, daß sie als notwendige Bedingung für die Möglichkeit des in seiner Einheit feststehenden Selbstbewußtseins erwiesen und hergeleitet wurden. So
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war auch das Streben folgerichtig auf- und nachgewiesen. Allein diese Tätigkeit ermöglicht das Gefüge einer absoluten Kausalität und bewahrt die Einheit des Ich vor dem sonst unlöslichen Widerspruch zwischen seinem objektivierenden (Welt setzenden) und seinem absoluten (unendlich sich selbst setzenden) Wesen. Aber dieser Weg hat eine Sicht verstellende Bahn. Er verschafft allein durch eine indirekte Methode Durchblicke. Seine Beweisführung verläuft immer nur so, daß die Annahme des Gegenteils in den Widerspruch führt, das Selbstbewußtsein sei in eins und zumal mit sich identisch und mit sich im Gegensatz. „Demnach ist der Beweiß apagogisch geführt, es ist gezeigt worden, daß man die Identität des Ich aufheben müsse, wenn man die Forderung einer absoluten Kausalität nicht annehmen wolle. Diese Forderung muß sich auch direkt, und genetisch aufweisen lassen" (§ 5; 404). Mit der Zielsetzung einer direkten Ableitung und genetischen Aufweisung bahnt sich der Umschwung im Denken des Transzendentalismus und seiner Grundlegung an. Die Methode der indirekten Deduktion wird verlassen. Ihr Mangel als bloß apagogische Beweisführung mußte spürbar werden, wenn am Ende das höchste Prinzip selbst als der alles zusammenschließende und trennende Grund in die Untersuchung rückt. Darum sind die indirekten Deduktionen keine Irrwege, aber sie bleiben vorläufig, weil sie die Gewißheit von der Einheit des Selbstbewußtseins bloß im Gewißheitsgrad eines Faktums in Anspruch nehmen. Ihr Methodengang hatte lediglich unterstellt, daß es so ist und daß es sich auf Grund dieses Vernunftfaktums mit dem Abgeleiteten nicht anders verhalten könne. Wohl begründetes Wissen aber begnügt sich nicht damit, einzusehen, daß etwas so ist und nicht anders sein kann, es dringt darauf, einzusehen, wie und wodurch etwas ist, wird und erkannt wird. Die Wissenschaftslehre ist gewissestes Wissen des zuhöchst Wißbaren, nämlich des Wissens selbst. Sie am allerwenigsten kann beim Aufweis bloß faktischer Evidenz stehenbleiben. Sie muß, will sie sich nicht selbst als Wissen verleugnen, zeigen können, wie, d. h. aus welchem Ursprünge und Gesetz das Streben und die absolute Kausalität entspringen. Solange das nicht geleistet ist, gibt es lediglich die Versicherung des Faktums, daß die unendliche, reine Tätigkeit einzig als Streben auf die objektive Tätigkeit zu beziehen sei und daß es sich angesichts der Absurdität des Gegenteils nicht anders verhalten könne. Die künftige Aufgabe läßt sich noch grundsätzlicher formulieren. Die Identität des Selbstbewußtseins, welche sowohl die Einheit wie die Sonderungen des Bewußtseins in sich trägt, kann nicht mehr fraglos
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vorausgesetzt, sie muß selbst als Einheits- und Sonderungspunkt zur Evidenz gebracht werden. Es muß einleuchten, wie und nach welchem Gesetze die Unterschiede von theoretischem, praktischem und absolutem Ich einheitlich zusammenhängen. Erst mit dieser Methodenforderung beginnt die eigentliche Sachaufweisung. Sie verlangt die direkte Einsicht in die Sache der Transzendentalphilosophie, die Ichheit des Ich. Die im Ersten Grundsatz gemachte Voraussetzung muß auf ihren Grund gebracht werden. Dort fanden sich die absolute Freiheit der Tathandlung und die unendliche Einfachheit der in sich zurückkehrenden Tätigkeit als Wesen und Ursprung des Ich ausgesprochen. Aber mit diesem Ausspruch war das Ich noch nicht als Ich zur Sprache gebracht. Der Erste Grundsatz hat als die voraussetzungslose Voraussetzung von Bewußtsein und Sein das Axiom vorgelegt: Im Anfang ist die Tat. Dieser anfängliche Grundsatz ist am Ende einer Grundlegung eingeholt und durchdrungen. Er wird in der Formel durchsichtig werden müssen: Im Anfang ist die Tat, die das Ich selber ist. Im Anfange waltet nicht einfach die Freiheitstat des Sich-Setzens, sondern die Reflexion oder das 'Als': das Sich-Setzen, das sich setzt als Sich-Setzen. Heißt diese Selbstbesinnung des 'absoluten Subjekts' absolute Reflexion, dann tritt am Ende die Reflexion als Anfangsgrund und Gesetz allen Bewußtseins heraus. Und indem die absolute Reflexion sich Bahn bricht, hört die äußere Reflexion des philosophierenden Subjekts in Bezug auf ein davon unterschiedenes transzendentales Ich-Subjekt auf. Erst dann wird wahrhaft anfänglich gedacht, wenn das philosophische Reflektieren nichts anderes mehr ist als der Vollzug einer Selbstbesinnung, in der sich das Subjekt in seinem ursprünglichen Tun auf sich besinnt. Freilich darf man diese Grundstiftung nicht leichtfertig als das Fürsichsein hinzusetzen, das eben zur Tathandlung als der Tätigkeit eines Wissens, das doch füglich sich wissendes Wissen sein muß, auch noch hinzukommt. Die Arbeit des Systembaus ist langwierig. Seine Sicherstellung verlangt die direkte Ergründung des Strebens und der absoluten Kausalität im Aufbau der absoluten Reflexion. Darum ist noch einmal die aufschließende Fragestellung im systematischen Schlußschritt der Untersuchung zu fixieren. Es ist der Begriff des Strebens in der erklärten Absicht wieder vorzunehmen, ihn direkt aus dem Ursprungsverhältnis des Ich herzuleiten. Dabei wird diese direkte Herleitung bis zum Ich in seiner Ursprünglichkeit und konstituierenden Urleistung durchstoßen müssen. Streben läßt sich als ein Hinausgehen kennzeichnen. So war der appetitus, das willenhafte Streben,
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als Grundbedingung aller endlichen Bewußtseinseinheit durch Leibniz definiert worden, nämlich als unendliches, aus sich drängendes Hinausgehen über den jeweiligen Gegenstand ins Ganze der Vorstellungen. Aber dieser Begriff des Strebens ist nicht voraussetzungslos, er nimmt ein zu überwindendes Objekt als Voraussetzung für das Streben an. Diesem Streben kommt eine bestimmte Kausalität zu, nämlich wirksam zu werden als Überwindung der die Freiheit und den Geist hemmenden Sinnlichkeit und Erfahrungswelt. Soll dies im Ich-Wesen überhaupt gründen, dann muß sich ein grundlegenderes Streben finden lassen. „Es muß sich nicht bloß ein Streben nach einer (durch ein bestimmtes NichtIch) bestimmten Kausalität, sondern ein Streben nach Kausalität überhaupt aufzeigen lassen, welches leztere das erstere begründet" (§ 5; 404). Dieses gründliche Streben wäre keine Wirksamkeit im Sinne des Hinausgehens über ein irgendwie gesetztes, widerständiges Objekt, sondern ein Über-sich-Hinausgehen und Wirksam-werden-Wollen im unbeschränkten Ich-Wesen vor aller Entgegensetzung von Schranke und Welt. „Es muß sich ein Grund des Herausgehens des Ich aus sich selbst, durch welches erst ein Object möglich wird, aufzeigen lassen" (§ 5; 404/05). Aber ist damit nicht etwas Undenkbares zu denken aufgegeben? Das Grund-gebende Wesen des Ich war doch das ständige und freie Bei-sichselbst-Bleiben. In dieser bei sich bleibenden Geschlossenheit eines Sehens, das sich selber sieht, geht die Sicht nicht zu einem ihm Fremden heraus. Wie aber wären in solchem Ich-Wesen Streben und Hinausgehen auf und über eine Weltvorstellung zu begründen? Und wie steht es überhaupt mit dem Unterschied und einem Fremdartigen, das ursprünglich zum Selbstbewußtsein gehört? Selbstbewußtsein ist doch nur im Unterschied zu einem fremden Anderen möglich. Es ist nur, sofern es sich von einem Gegenstande unterscheidet. Woher stammt der Unterschied und das Heterogene in ihm? Eine richtige, aber leicht dogmatisch abgleitende Antwort liegt in der Aufstellung des Nicht-Ich als Grund für die Wirklichkeit des im Ich-Horizont vorkommenden Verschiedenen und Fremden. Dieser Bescheid ist auch unerschütterlich. Das wirkliche Hinausgehen aus sich und die Selbstentfremdung des Ich wird durch das Nicht-Ich als Anstoß verschuldet. Ist aber darum schon der Gedanke eines im Ich-Wesen begründeten Hinausgehens undenkbar? Wie stünde es denn, wenn sich zeigen ließe, daß das Wesen des Ich die Möglichkeit anlegt, sich von einem Anderen und Fremden betreffen zu lassen? Dann wäre das Ich nicht nur Prinzip des Einfachseins, son-
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dem auch des Verschiedenseins, eben so, daß es sich für den Andrang des ihm Fremdartigen offenhält. Dann wäre das Ich gleidiursprünglich dazu veranlagt, sich verschließend bei sich zu bleiben und, sich Anderem öffnend, aus sich hinauszugehen. Die Wirklichkeit des fremden Einflusses verbliebe unbestritten beim Nicht-Ich, aber die seinlassende Möglichkeit, beeinflußt zu werden, ruhte im Grunde des Ich. Das Ich bliebe leidenslose Tätigkeit, aber es enthielte die Möglichkeit des Leidens. Wie aber ist das zu denken? Nur so, daß der Ichheit nicht bloß Einfachheit, sondern ebenso ursprünglich Verschiedenheit zugedacht werden muß. Es ist einfältig, eine leere Einerleiheit im Ich anzunehmen und daraus Bestimmtheit und Verschiedenheit herausklauben zu wollen. Stünde es so, dann hülfe wirklich nur ein Schielen auf die Erfahrung, und der Fichtesche Apriorismus wäre von Hegel zu Recht des absoluten Empirismus beschuldigt worden33. In Wahrheit wird die transzendentale Grundlegung von der Frage getrieben, wie im Ich-Wesen selbst zur Einfachheit die Vielheit, zur Selbstheit die Verschiedenheit anzufügen ist; denn nur dadurch ließe sich das Ich als einheitlicher Anfangsgrund vor den Einbrüchen von Empirismus und Dualismus retten. „Demnach müßte schon ursprünglich im Ich selbst eine Verschiedenheit seyn, wenn jemals eine darein kommen sollte; und zwar müßte diese Verschiedenheit im absoluten Ich, als solchem, gegründet seyn." (§5; 405). Damit ist die Fragestellung festgelegt. Sie fragt jetzt nach einer direkten Begründung des Strebens qua Herausgehens und sucht nach einem schwer faßlichen, 33
Für Hegel ist der 'leere Idealismus' Fichtes zugleich 'absoluter Empirismus'. Sein Gedanke ist: Solcher Idealismus faßt die Vernunft als das Ich auf, das alle Realität ist, weil alles, was ist, meine Vorstellung ist. Er zeigt daher in allem Sein bloß auf, was von mir stammt (die reinen Formen des Denkens) und läßt die inhaltliche Erfüllung und die Umerschiedenheit außerhalb der Ableitung. Darum bedarf solche Systemanlage „eines fremden Anstoßes, in welchem erst die Mannigfaltigkeit des Empfindens oder Vorstellens liege" (Thän. d. Geistes', ed. J. Hoffmeister, SW II, 181). Damit Unterschiede entwickelt werden können, bedarf es des Anstoßes, der so fremd ist, daß sich die Vernunft darin nicht wiedererkennt. An dieser Kritik ist richtig: Der transzendentale Idealismus 'konkretisiert' den Gegensatz von Sein (Sichsetzen) und Nichts (Entgegensetzen) nicht; das Nicht- und Anderssein des Nicht-Ich wird nicht in den absoluten Begriff der Vernunft (Ich = Ich) aufgehoben. Aber ebensowenig, wie die Vernunft des Ich gegenüber dem dialektischen Geschehen ihres Gewordenseins reflexionslos ist, ist es gegen den Aufbruch des Unterschiedes und der Heterogenität in sich selbst unempfänglich. Damit die Form der Umerschiedenheit — mit inhaltlichen Unterschieden hat es die W.-L., welche allein die Form der Vernunft und die Klarheit des Auges klärt, nicht zu tun — wirklich entwickelt werden kann, bedarf es des fremden Anstoßes; damit das möglich ist, bedarf es einer Einheit von Identität und Differenz im Ich selber.
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im geschlossenen Ich selbst angelegten Herausgehen aus sich. Aber solche Begründung muß beigebracht werden, soll das Ich als Anfangsgrund für Einheit und Vielheit, Selbigkeit und Verschiedenheit, Einigung und Sonderung tragfähig sein. Und weil erst durch ein so begründetes Herausgehen die Möglichkeit des Strebens überhaupt (und vermittels dieser praktischen Tätigkeit auch die gespannte Fügung der objektivierenden Tätigkeit des theoretischen Ich mit der reinen Tätigkeit des absoluten Ich) aufgeklärt wird, rücken hier erst Ursprung und Mitte des Ich in den Blick; „durch dasselbe erhalten wir erst den wahren Vereinigungspunct zwischen dem absoluten, praktischen, und intelligenten Ich" (§ j; 405). Bisher hatte sich der Wille und das Streben als verbindendes Band angeboten, aber erst in deren Grundlegung entdeckt sich die alles vermittelnde Mitte (vgl. §5; 405—10). Dieser direkte Weg ist kurz, aber steil und abschüssig. Er ist behutsam zu verfolgen, und sein Ausgangspunkt ist genau zu fixieren. „Das Ich soll etwas heterogenes, fremdartiges, von ihm selbst zu unterscheidendes in sich antreffen: von diesem Puncte kann am füglichsten unsere Untersuchung ausgehen" (§5; 405). Die Besinnung auf die erstaunliche Struktur des Ich, mit sich selbst identisch und von sich unterschieden zu sein, muß von Anbeginn alle Anstrengung darauf verwenden, den Widerspruch aus dieser Fügung auszuschließen. Sie darf nicht in die Spekulation abspringen, das absolute Ich sei im Grunde das Negative seiner selbst und nur dadurch sei aus der Einfachheit des Seins im Sinne der absoluten Ich = Ich-Gleichheit zur Vielheit und Bestimmtheit herauszukommen. Es muß Klarheit über die Fragwürdigkeit des Unternehmens herrschen, etwas Fremdartiges (nicht das Negative) im gediegenen Ich auszumachen. Die gesuchte Verschiedenheit kann nicht ganz und gar fremdartig sein, sonst wäre es nicht das Heterogene des Ich. Soll das Heterogene ein Verschiedensein des Ich (und d.h. für das Ich) sein, so muß es fremdartig und zugleich in einer Hinsicht mit dem Ich gleichartig sein. Nun ist die Eigenart des Ich seine Tätigkeit. Darin bleibt das Fremdartige gleichartig, nicht Nicht-Tätigsein, sondern selbst Tätigkeit zu sein. Die Fremdartigkeit resultiert nicht aus Wesen und Art des Tätigseins, sie liegt in einer der Ich-Tendenz fremdartigen Richtung. Die bildhafte Vorläufigkeit des Bescheides zwingt zu einer dreifachen Frage: 1. Was ist das für eine heterogene Richtung? 2. Wie kann diese Richtung des Ich von der Eigenrichtung unterschieden werden?
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3. Warum wird die andere, verschiedenartige Richtung als fremdartig angesehen? Das Gespinst dieser Fragen läßt sich nur mühevoll entflechten; „mit deren Beantwortung (dringen) wir in das Innerste des Wesens des Ich ein" (§ 5; 406). i. Die Eigenhandlung des Ich ist die in sich zurückkehrende Tätigkeit der Tathandlung. Diese Richtung läßt sich mit einem freilich erst abzuleitenden Begriff aus der Naturlehre als zentripetal beschreiben. Nun ist aber die Vorstellung von Richtung ein Wechselbegriff. Jeder Richtung korrespondiert eine entgegengesetzte andere. „Eine Richtung ist gar Keine" (§ 5; 406). Die Richtung hier-hin führt die Gegenrichtung weg-von-dort bei sich. Mithin ist die in sich zurückgerichtete Tätigkeit des Ich gar nicht ohne eine entgegengerichtete Geistestätigkeit vorstellbar. Um die andere Richtung als entgegengesetzte zu konstruieren, muß sie als zentrifugal festgelegt werden. Sie richtet sich nicht in das Ich zurück, sie wendet sich als unendliche Ich-Tätigkeit in das Unendliche hinaus. Das ist verständige Konstruktion. Worauf es ankommt, ist aber, dieses Resultat gleichsam phänomenologisch durch einen sachlichen Aufschluß der Ichheit herauszuholen. Das geschieht, indem die Einsicht angeeignet wird, die ursprüngliche Verschiedenheit von Richtungen im Ich sei nur zu belegen, wenn der Ursprung des Ich als Reflexion zur Sprache kommt. Das Wesen des Ich ist eben nicht die einsinnige Tätigkeit des Sich-Setzens, sondern die Reflexion dieses Tuns. Nur dadurch läßt sich die Ichheit (die transzendentale Apperzeption in der Gesetzesverfassung der Reflexibilität) zureichend begreifen und in Entschiedenheit vom Dingsein des Dinges absetzen. „Liegt im Wesen des Ich nichts weiter als lediglich diese konstitutive Thätigkeit, so ist es, was für uns jeder Körper ist" (§5; 406). Ist das Ich nur das Einessein des Sich-Setzens, dann ist es wie ein Ding, nämlich ausgezeichnet durch substanziale Kraft ohne adäquate Subjektivität; es ist, indem es schlechthin an sich und durch sich ist. Erschöpfte sich das Ich seinem Wesen nach in diesem Tun, dann wäre es so, wie für uns jeder Körper ist. Es wäre wohl für anderes, aber nicht für sich. Und so steht es mit dem Ich des Ersten Grundsatzes wirklich. Es drückt die reelle Aktuosität einer Tätigkeit aus, die in sich zurückkehrt. Tathandlung benennt eine Kraft, die, indem sie sich auf sich bezieht, nicht nach außen und auf anderes, sondern nach innen und auf sich wirkt. Aber das sich setzende Setzen ist nur für uns. Indem es vom philosophierenden Subjekt (als Objekt seiner For-
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schung) vorgestellt wird, ist es in äußerer Reflexion verdinglicht und relativiert; denn das absolute und allreale Ich wird zu einer Intelligenz außer ihm in Bezug gesetzt. Solche Objektivierung des absoluten Subjekts läßt das Element des sich im Ich-Sein gründenden Wissens außer acht, die transzendentale Apperzeption in ihrer Reflexibilität; dem Ich als oberstem Wissensgrund ist aufgegeben, vor allem sich selbst zu wissen. „Das Ich soll sich nicht nur selbst setzen für irgend eine Intelligenz ausser ihm; sondern es soll sich für sich seihst setzen; es soll sich setzen, als durch sich selbst gesezt" (§ 5; 406). Ohne den entschiedenen, von aller äußeren Reflexion ablassenden Vollzug der absoluten Reflexion bleibt die Transzendentalphilosophie hinter ihren Möglichkeiten zurück. Sie hat sonst die Subjekt-ObjektEinheit, aber nur als Gegenstand der philosophierenden Vernunft, und sie versteift sich auf die Haltung einer unangemessenen Reflexion. Ist Reflexibilität „die Beziehung des Bewußtseyns auf sich selbst" (W.-L. 1812; NW II, 391), so besteht die tiefste Fassung der Reflexibilität in demjenigen Bezug, in welchem die absolute Einheit des Bewußtseins sich auf sich bezieht. Solange sich der transzendentale Idealismus nicht zu Ende reflektiert, indem sein Denken, von sich ablassend, auf den Vollzug der absoluten Reflexion eingeht, solange bleibt er unfähig, das Ganze des Seienden in seinen Verschiedenheiten von empirischem, intelligiblem und absolutem Sein, von theoretischer, praktischer und unendlicher Vernunft aus einer Wurzel und mit einem Schlage zu entfalten. Allein eine Besinnung, die sich in das Als der absoluten Reflexion stellt, entspricht dem Gesetz, nach welchem die Verschiedenheit dieser Einheit entsteht. Sonst bleibt das Ich in seiner Ichheit verborgen. „Demnach muß das Ich, so gewiss es ein Ich ist, unbedingt und ohne allen Grund das Princip in sich haben, über sich selbst zu reflectiren" (§ 5; 407). Was erbringt nun eine so entschlossen geforderte Besinnung auf die Besonnenheit des Ich für die Frage nach dem Grunde des Verschiedenseins? Sie läßt die vorgesehene Verschiedenheit der Richtungen heraustreten. Immer gehört zur Reflexionsstruktur Unterschiedenheit, nämlich das Unterschiedensein von Reflektierendem und Reflektiertem. Ihre Anwendung auf die Richtungsdifferenz in der Urreflexion ergibt: Das reflektierende Ich hält sich seiner Tätigkeit nach in zentripetaler Richtung; Reflektieren ist ein Wieder-auf-sich-Zurückkommen. Dem als solches gesetzten Sich-Setzen, demjenigen also, worauf reflektiert wird, ist eine zentrifugale Richtung zuzuerkennen. Eine zentrifugale Richtung des Bewußtseins überhaupt richtet sich vom Selbst des Selbstbewußt-
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seins weg nach außen auf die Bestimmtheit der Realität. Das wird durch das Als vermittelt. Etwas als etwas setzen, besagt ja, es in seiner Bestimmtheit und Abgegrenztheit vorstellen. Das Als eröffnet Bestimmtund Beschränktsein oder das Quantum. Wird nun durch eine absolute Reflexion die unendliche Tätigkeit oder die Allrealität als solche gesetzt und bestimmt, dann grenzt sie offenbar kein endliches Quantum heraus. Es kommt ein unendliches Quantum zur Vorstellung. Somit entspringt in der Besinnung auf das Worüber einer absoluten Reflexion eine zentrifugale Richtung, die in das Unendliche hinausgeht, und es zeichnet sich das Als, der Einheitspunkt der absoluten Reflexion, als die Mitte ab, in der ein von sich verschieden seiendes Ich gründet. „Demnach sind centripetale und centrifugale Richtung der Thätigkeit beide auf die gleiche Art im Wesen des Ich gegründet" (§5; 407). So ist das aufgegebene Rätsel der Gleichartigkeit des Fremdartigen gelöst. Dadurch ist die Möglichkeit des Bewußtseins, das auf Unterschiedenheit als seinem Elemente insistieren muß, weil es sonst im Unterschiedslosen zerflösse, vorgezeichnet. Das Selbstbewußtsein als Grund allen Bewußtseins bringt die Unterschiedenheit mit auf. Indessen ist bisher der Unterschied als Verschiedenheit von Richtungen einfach beansprucht. Aber läßt sich diese zweifache Richtung überhaupt unterscheiden? 2. So wie sie bisher gefaßt wurden, fallen beide Richtungen ununterscheidbar ineinander; denn das reflektierende und reflektierte Ich differieren nicht. Beide sind unendliche Tätigkeit ohne Negation der Realität. Damit aber wäre gar kein Bewußtsein abgeleitet. Nur im unbegreiflichen Selbstbewußtsein Gottes fallen das Reflektierende und das Reflektierte ununterschieden zusammen; denn beides ist alles in einem und eins in allem. Das endliche Selbstbewußtsein aber braucht, um leben zu können, diese Unterscheidung. Nun gehört zu allem Unterscheiden ein Drittes, worauf das zu Unterscheidende bezogen werden muß. Erst das Dritte verschafft die Hinsicht und den Maßstab der Unterscheidung. Sonst wäre in der Ich-Tätigkeit der Weg hinaus und hinein derselbe. Woher aber stammt das den Unterschied wirklich eröffnende Dritte? Es ist das unableitbare Faktum des Anstoßes, welches das Unterschiedensein markiert. Dies ist hinreichend erklärt worden: Der Anstoß ist das Nein und Nicht, das übrig bleibt, wenn von allem Ich-Bestand des Nicht-Ich abstrahiert wird, und das darum dem Ichwesen nicht entnommen werden kann. Anstoß nennt den Punkt, an dem die ins Unendliche hinausgehende Tätigkeit anstößt und in sich (in eine zentripetale
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Richtung) zurückgetrieben oder reflektiert wird. Dieser Tatbestand ermöglicht eine tatsächliche Unterscheidung der Richtungen. Der Unterschied bricht im Blick auf die zentrifugale Richtung des Ich auf. Sie sollte in die Unendlichkeit hinausgehen, in Wirklichkeit aber wird sie im Punkte des Anstoßes zurückgebogen. Das Dritte, worauf sich das Unterschiedene bezieht und das den Maßstab für den Unterschied hergibt, ist die aus dem unendlichen Wesen des Ich geborene und ständig bleibende Forderung nach Unendlichkeit. Im Lichte dieser Forderung eröffnet sich die Differenz zwischen der zentrifugalen und der durch den Anstoß reflektierten (insofern endlich zentripetalen) Richtung. Die unendliche, zentrifugale Richtung entspricht der Forderung, die endliche, zentripetale widerspricht ihr. Natürlich sollte bemerkt werden, daß die zentrifugale Richtung diejenige ist, welche das Streben nach dem Ideal einschlägt und innehält, während die endlich reflektierte diejenige ist, zu der das Vorstellen von Wirklichkeit bestimmt wird. Was so als Differenz heraustritt, ist der Unterschied zwischen Ideal und Wirklichkeit. Er ist jetzt bis in die Grundverfassung des Ich verfolgt und im Aufbau der absoluten Reflexion direkt nachgewiesen, weil eben die zentrifugale Richtung im Worüber der absoluten Reflexion angelegt ist. 3. „Zugleich wird dadurch klar, warum diese zweite Richtung als etwas fremdartiges betrachtet, und aus einem dem Princip des Ich entgegengesezten Princip abgeleitet wird" (§5; 408). Die Fremdartigkeit der Richtung stammt aus dem Fremdsein des Prinzips. Sie wird durch den Anstoß eingerichtet, der dem Ich ewig fremd bleibt und niemals vom Ich angeeignet werden kann, da der Anstoß die Endlichkeit, über die das Ich und die endliche Subjektivität keine Macht hat, anzeigt. Wie sehr die Vernunft das Nicht-Ich auch aufzehrt und die Natur sich aneignet, sie stößt auf etwas, in welchem sie ihre Tätigkeit und das Gepräge ihrer Arbeit nicht wiederfindet: die notwendig widerstehende Fremdheit des Anstoßes. Mithin kann die durch den Anstoß gehemmte und in zentripetaler Richtung zurückgetriebene Tätigkeit des Ich zu Recht eine ihm fremde Richtung heißen, weil sie eben durch ein fremdes Prinzip zur Wirklichkeit kommt. Damit sind die Fragen aufgelöst, die auf den schwer faßlichen Gedanken eines im Ich angelegten Heterogenen im Ich abzielten. Das Vonsich-Verschiedensein der gediegenen Ich-Identität ist aufgehellt. Ist damit zugleich dem Leitproblem entsprochen, das Streben direkt und genetisch aus dem Innersten des Ich herzuleiten? Als das Innerste des Ich hat sich die absolute Reflexion herausgestellt. Ihr Gesetz liefert die Ab-
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leitung des Strebens. „Das ursprüngliche Streben nach einer Kausalität überhaupt im Ich ist genetisch abgeleitet aus dem Gesetze des Ich, über sich zu reflectiren und zu fordern, daß es in dieser Reflexion als alle Realität erfunden werde; beides, so gewiß es ein Ich seyn soll" (§5; 408). Das ist unschwer in der Gesetzesformel des Als zu erläutern. Das Ich setzt sich schlechthin selbst, indem es sich mit sich gleichsetzt. Die Tathandlung in ihrer Gleichung Ich = Ich umfaßt alle Realität. Aber das allreale Sich-selber-Setzen ist doch nur Ich, indem es das Worüber seiner eigenen Besinnung wird. Erst das Sich-Setzen, das sich als solches setzt, konstituiert Ichheit. Beides zusammen, Tathandlung und deren Reflexibilität, macht das absolute Sein des Ich aus. Nach dem Gesetze dieser Reflexion geht das Ich aus sich heraus und schwebt gleichsam über sich. Dieses Aus-sich-Herausgehen wird zum Streben nach Ursächlichkeit-überhaupt durch die Forderung, daß es die Unendlichkeit ausfüllen soll. (Zum Streben nach bestimmter Kausalität wird es dadurch, daß die Unendlichkeit im Unterschied zur wirklichen Beschränktheit bewußt und diese gegebene Diskrepanz als aufzuhebende aufgegeben ist. Dieses strebende Ich entspringt aus der Reflexion auf die Ungemäßheit seiner Existenz; denn in seinem Dasein findet es sich niemals der Allheit der Realität gemäß, als welche sich das absolut freie Ich ansetzt.) Diese Einsichten entwickeln den Grundzug des Strebens aus dem Grundgesetze des Ich und zeigen, wie das Streben aus dem Urgründe des Ich entsteht. Sie genügen so den Ansprüchen einer genetischen Methode. Die Entschiedenheit dieser Besinnung nimmt der Einrede den Stachel, daß durch die Unableitbarkeit des Anstoßes schließlich doch das Nicht-Ich siegreich bleibe und den absoluten Prinzipienanspruch und die Einheit der Systembildung zuschanden mache. Sie erteilt den Bescheid: Die Wirklichkeit des beschränkenden Einflusses gehe vom Nicht-Ich aus, die Bedingung der Möglichkeit dafür aber ruhe in der Grundverfassung des Ich. Fichte hat das nochmals so formuliert: In sich geschlossen und allem Äußeren verschlossen wäre das Ich nur, wenn es ausschließlich in der Tätigkeit aufginge, schlechthin sich selbst zu setzen. „Aber es muß auch, wenn es ein Ich seyn soll, sich setzen, als durch sich gesezt; und durch dieses neue, auf ein ursprüngliches Setzen sich beziehende Setzen öffnet es sich, daß ich so sage, der Einwirkung von aussen" (§ 5; 409). Das ist so, weil in der Reflexion Unterschiede eröffnet werden. Das über die Tathandlung reflektierende, dieses Setzen als solches setzende Setzen hält die Möglichkeit offen, daß etwas im Ich ist, was nicht durch das Ich ist. Im Als nämlich sind immer Bestimmtheit und
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d.h. Beschränktheit durch anderes angelegt. In seiner Umwendung zu sich als von sich Gesetztem eröffnet das Ich von sich her die Möglichkeit, durch den Anstoß wirklich betroffen und bestimmt zu sein. Und es ist die Frage gelöst, wie das in sich geschlossene Ich den Einfluß von außen selbst ermöglicht. „Dadurch haben wir endlich auch den gesuchten Vereinigungspunct zwischen dem absoluten, praktischen und intelligenten Wesen des Ich gefunden" (§5; 409). Mit diesem Fund erst kommt die Arbeit einer rechtschaffenen Grundlegung zur Ruhe. Sie dringt bis zu dem Punkte vor, in welchem praktische und theoretische Vernunft zusammenhängen, getrieben durch die Aufgabe, zwei entgegengesetzte Wesenheiten des Ich zu vermitteln: die Freiheit absoluter Selbstsetzung und Selbstbestimmung mit der Beschränktheit der Welt der Erfahrung. Deren einheitlicher Bezug offenbart sich im Streben; und so bietet sich die praktische Vernunft als das Band an, welches Unendlichkeit und Endlichkeit in einer Handlung verknüpft. Der Wille wird zum großen Vermittler, der die Kluft von Erfahrung und Ubererfahrung, sinnlicher und intelligibler Welt zu überbrücken verspricht. Aber die praktische Vernunft ist selber nur Teil des Vernunftganzen und als Moment einer vielfältigen Einheit selbst auf einen tieferen Grund zurückführbar. Der ursprünglich einigende und besondernde Zusammenhalt ist die absolute Reflexion. Wie also ist das absolute Ich in den Reflexionsakt eingebunden? Das absolute Ich oder das unendliche Sich-selber-Setzen liegt zugrunde, sofern es als Worüber der Reflexion in die Grundverfassung des IchSeins eingeht. Und jetzt leuchtet ein: Das, worauf sich das Ich besinnt, hat die Seinsart der Idee. Das muß noch einmal fixiert werden, weil erst hier die mit dem Ersten Grundsatze verfügte Aufstellung eines absoluten Ichwesens ihren verbindlichen Sinn erhält, indem sie in ihrem ursprünglichen Zusammenhange verstehbar wird. „Hier erst wird der Sinn des Satzes: das Ich sezt sich selbst schlechthin, völlig klar" (§5; 409). Verständlich wird die Unendlichkeit, die das Selbstbewußtsein anfänglich durchwaltet. Das absolute Ich-Wesen ist nicht das wirkliche Ich. Wirklich und in seinem Dasein befindlich ist immer nur das beschränkte Ich, das in seiner weltbezogenen Tätigkeit und Existenz durch ein anderes als es selbst bestimmt wird. Aber darum ist die Absolutheit des Ich nichts Unwirkliches und chimärisch. Sie ist sogar zuhöchst wirksam, nämlich als „die Idee des Ich, die seiner praktischen unendlichen Forderung nothwendig zu Grunde gelegt werden muß" (§5; 409). Die Unendlichkeit der Selbstbestimmung ist weder wirklich noch
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unwirklich, sie fordert Verwirklichung. Als solche, als nie zu erreichende, aber gleichwohl allenthalben zu verwirklichende Idee tritt das absolute Ich-Wesen in der absoluten Reflexion auf. Und in der Reflexion hat auch das praktische Ich seinen Grund. Reflektiert das Ich nämlich im Hinblick auf die geforderte unendliche Realität darüber, ob es denn auch die Idee erfülle, so wird es praktisch; denn die Praxis unendlichen Strebens entspringt aus dem unbedingt Gesollten. Und hält sich das Bewußtsein in der Ausschließlichkeit dieser Reflexionseinstellung, blendet es also die theoretische, anstoßbedingte Vorstellung empirischer Welt ab, so entsteht die ideale, intelligible Welt. „Hierdurch entsteht die Reihe dessen, was seyn soll" (§ 5; 409). Gleich ursprünglich aber ist das theoretische Ich und die Wirklichkeit der Empirie in den Reflexionsvorgang eingebunden. Es entsteht in der Reflexion auf den Anstoß. Die Wirklichkeit der Erfahrungswelt und deren Subjekt, das theoretische Ich, gründen in der Reflexion auf die Beschränktheit der durch den Anstoß gehemmten Tätigkeit. Diese Hinsicht ist ja als das, was die Unterschiedenheit festlegt, in den Vorgang der absoluten Reflexion miteingerechnet worden. Freilich genügt nicht die Angabe, daß absolutes, praktisches und theoretisches Ich-Wesen, ideales und erfahrbares Sein gemeinsam in der absoluten Reflexion auftreten. Alles kommt darauf an, zu zeigen, daß sie mit einem Schlage heraustreten. Nur so bewahrt sich deren Einheit als organische und untrennbare Einheit. Das ist im Vorzeigen ihrer wechselseitigen Bestimmung nachzukonstruieren. „Ist kein praktisches Vermögen im Ich, so ist keine Intelligenz möglich" (§ 5; 409). Darin gipfelte ja die Herausgliederung des Strebens, nämlich in der fundierenden These 'kein Streben, kein Objekt'. Nur indem das Ich über den Anstoß strebend hinausgeht, wird das Fremde zum Wider- und Gegenständigen und kann das Nicht-Ich für das Ich sein. Sonst bliebe es eben das dem Ich schlechthin Fremde und würde nicht für das Ich. Aber dasselbe Recht liegt auf der Seite der umgekehrten Fundierung. Ist das Ich nicht Intelligenz, so ist kein Bewußtsein seines praktischen Vermögens und überhaupt kein Selbstbewußtsein möglich, weil erst mit der fremdartigen, durch den Anstoß entstandenen Richtung die Unterscheidung verschiedener Richtungen möglich wird. Und ohne Unterschiedenheit ist kein Selbstbewußtsein. Das ist ausführlich erörtert worden. Dadurch werden nun am Ende der ersten Grundlegung des vollständigen kritischen Idealismus absolute, theoretische und praktische Tätigkeit des Ich als gleich notwendige und voneinander untrennbare Momente im Ur-
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Das Wesen des Ich
Sprungsakt der absoluten Reflexion durchsichtig. Das Ende der ersten Grundlegung nimmt den Anfang erschließend auf. Der Anfang war das schrittweise Auffinden dreier Grundsätze. Der Satz der absoluten Reflexion versammelt alle drei ursprünglich in sich. Sein Gesetz schreibt vor: Das ganze Wesen des Ich sei das Ich, das sich schlechthin setzt als sich setzend. Das sind die drei Grundsätze in Einheit. Der Satz enthält das absolute Sich-Setzen des Ersten Grundsatzes. Er enthält in den als solchem gesetzten Setzen die Möglichkeit des Entgegensetzens eines NichtIch. Und er enthält das Als, die Teilbarkeit und Bestimmtheit der Realität des Ich. Das Urgesetz der absoluten Reflexion umfaßt somit das ganze Wesen der endlichen Vernunft, und aus ihm läßt sich die gespannte Auseinandersetzung zwischen absoluter, theoretischer und praktischer Vernunft erschöpfend und aus einem Punkte ableiten. „Und so ist denn das ganze Wesen endlicher vernünftiger Naturen umfasst und erschöpft"
Teil II
Das absolute Wissen Die Grenze der absoluten Reflexion (Darstellung der Wissenschaftslehre. Aus dem Jahre 1801 l — 26; zit. nach SW II, l — 64)
i. KAPITEL Die Wendung des Wissens zum Absoluten Fidites 'Bericht über die Wissenschaftslehre und die bisherigen Schicksale derselben' aus dem Jahre 1806 beginnt mit der Feststellung: Philosophie sei die Ausmessung der Vernunft bis an ihre Grenzen und die Inbesitznahme ihres abgegrenzten Gebietes aus einem Mittelpunkte. Der Anfang dieser Arbeit sei die Vernunftkritik Kants. Aber dessen Werk sei unvollständig geblieben; Kants Vernunftkritik bringe es nicht zur Einheit, weil sie in drei Absoluta (in theoretische, praktische und urteilende Vernunft) zerfalle und weil sie „eine wahre Deduction aus der Urquelle" nicht vollbringe (SW VIII, 362). Die Vollendung der Vernunftkritik ist die Aufhebung dieser Mängel in einem System der kritischen Vernunft. Dieses Programm eines 'vollständigen kritischen Idealismus' teilt Fichte mit der Kantischen Vollendungsbewegung seit Reinhold: die Einheit eines transzendentalen Systems auf einen obersten Grundsatz, den Satz des Bewußtseins, zu gründen und aus ihm die einzelnen Zweige der Vernunft zu entfalten. Nach diesem Plane ist die 'Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre' angelegt. Das Ich in der Form der sich wissenden Tathandlung bildet den Anfang und das Ende des Systems. Diesem Prinzip einer absoluten Reflexion schuldet alles Bewußt-Sein seinen Stand und seine Einheit. Dementsprechend hat Fichte im Rückblick von 1806 den Grundriß der 'alten Darstellung der W.-L.' skizziert. „Das Wesen der ehemals dargelegten Wissenschaftslehre bestand in der Behauptung, dass die Ichform oder die absolute Reflexionsform der Grund und die Wurzel alles Wissens sey, und dass lediglich aus ihr heraus Alles, was jemals im Wissen vorkommen könne, sowie es in demselben vorkomme, erfolgt; und in der analytisch-synthetischen Erschöpfung dieser Form aus dem Mittelpuncte einer Wechselwirkung der absoluten Substantialität mit der absoluten Causalität" (SW VIII, 369). Diese Grundlage hat die Wissenschaftslehre von 1794/95 analytisch-
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Das absolute Wissen
synthetisch, d.h. im Prozeß einer Dialektik ausgeschöpft: das Innerste des Bewußtseins oder die Ichheit als den Mittelpunkt des Ganzen. Und sie hat das Ich als eine Wechselwirkung von Substanzialität und absoluter Kausalität auseinandergesetzt. Substanzialität ist die Art der Relation, die zwischen der unbeschränkten und der beschränkten Tätigkeit des theoretischen Ich herrscht. Absolute Kausalität ist die Art Relation, in welcher das absolute Ich im Streben vermittels des Nicht-Ich auf das beschränkte objektive Ich wirkt. Ihr Gesetz konstituiert die praktische Vernunft. Die Mitte des Ich ist eine Relation von Relationen, die Wechselwirkung, in welcher sich die Wechselbestimmungen von theoretischem und praktischem Ich wechselseitig sondern und vereinigen. Dieser Mittelpunkt ist die Form der absoluten Reflexion. Ihr Grundsatz lautete als Anfangssatz der Systembegründung: Das Ich bestimmt sich schlechthin selbst. Ihr Schlußsatz besagt: Das Ich soll sich setzen als durch sich gesetzt. Diese Fassung der Ichverfassung schließt den Mittelpunkt von theoretischem, praktischem und absolutem Ich auf. Der Satz von der absoluten Reflexion ist anfänglich-zusammenschließendes Resultat. Er drückt am Ende den Anfang des kritischen Vernunftsystems in der 'Grundlage' von 1794/95 aus. Die Wissenschaftslehre von 1801 stellt den Satz von der absoluten Reflexion an den Anfang ihrer Untersuchung. Sie nimmt ihn in der Gestalt vor: „Dieses Wissen erblickt sich (in der intellectuellen Anschauung) selbst als absolutes Wissen" (§19; 38). Ihre Formel spricht den obersten Grundsatz nicht mehr als Satz vom Ich, sondern als einen Satz vom absoluten Wissen aus. Was bedeutet diese Änderung der Terminologie? Ist die Änderung der Grundbegriffe eine bloße Abwechslung gleichsinniger Wörter? Oder meldet sich in ihr eine Wendung der Grundlagenproblematik an? Das Wort Ich5 verklammert sich offenkundig sofort mit dem Worte 'Nicht-Ich3. Eine analytisch-synthetische Erschöpfung der Ich-Form durchforscht systematisch das hochkomplizierte Wechselverhältnis von Ich und Nicht-Ich mit dem Ziel, alles Seiende als Nicht-Ich in dem Wesen des Ich zu gründen. Ihr Thema ist das Verhältnis von Ich und Welt, und ihr Seinsverständnis wird durch den Gegensatz von (Nicht-Ich-haftem) Sein und Handeln (des Ich) geprägt. Der Titel 'absolutes Wissen' dagegen stellt Wissen und Absolutheit zusammen. Er bringt nicht den Bezug des Ich zum Nicht-Ich, sondern den von Wissen und Absolutem zur Sprache. Dabei ist 'absolutes Wissen' beileibe kein Name für Gott oder das Absolute; es bedeutet Wissen, das in der Form des Fürsichseins steht. Fichtes Lehre vom absoluten Wissen
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fällt nicht in einen transzendenten Dogmatismus ab, mit ihr hebt die transzendentale Grenzziehung eigentlich erst an. Eine Selbstdurchdringung des absoluten Wissens nämlich durchdringt das Wissen bis an seinen Ursprung und an seine Grenze. Das geschieht auf dem Wege einer Selbstbesinnung. Das Wissen erblickt sich in der intellektuellen Anschauung als absolutes Wissen. Intellektuelle Anschauung bedeutet dabei die Wesensweise des Wissens selbst, jene Verklärung und Selbstanschauung, durch die das absolute Wissen sich bis an seinen Ursprung und sein Ende durchdringt, dergestalt, daß die Grenze des Wissens, das Nicht-Wissen, als das positive Nichtsein des Wissens einleuchtet: als reines Sein, als Gott oder das Absolute. Beides, der aufbrechende Zusammenhang und die unübersteigbare Kluft zwischen dem absoluten Wissen und dem Absoluten, zeigt sich an dieser Grenze. An ihr bildet sich die tiefste Fassung der Wechselbestimmung: Kein Selbstsein ohne absolutes (und nicht bloß objektives) Sein, kein Sichfassen ohne Sichvernichten. So wird Philosophie zur Grenzbesinnung. Ihre Weisheit erwächst aus der Erfahrung, daß das Wissen am umfassenden Sein scheitert, ihr Wissen besteht in der besonnenen Ergründung dieses Scheiterns. Nur dem absoluten Wissen, das sich selbst erschöpft, geht in seinem Ursprünge sein Ende auf, nämlich das reine Sein als Grenze des Wissens oder das Göttliche als das positive Nichtsein des Nichtwissens34. Das Wissen vom absoluten Wissen bleibt Wissenslehre, und deren Form, die Ichheit der Apperzeption, bleibt Mittelpunkt eines Systems der kritischen, endlichen Vernunft. Aber die absolute Apperzeption wird jetzt nicht mehr nur in ihrem Zusammenhange mit der Welt thematisiert, sondern in ihrem tiefsten Zusammenhange mit dem Absoluten. „Dies ist die Erörterung des Tiefsten, worauf es in der Wissenschaftslehre ankommt, das genaue Bild der reinen und absoluten Apperception, des absoluten Verstandes in seinem tiefsten Zusammenhange mit dem Absoluten. Kant hatte nur eine entfernte Ahnung davon" (W.-L. 1813, 7. Vortr.; NW II, 42). Die Tiefe einer absoluten Reflexion 34
D. Henrich ('Fichtes ursprüngliche Einsicht') hat in einem perspektivischen Hinweis erkannt: Mit Hilfe des Gottesbegriffs will Fichte das Ich und seine Freiheit nicht suspendieren, sondern verständlich machen. Die Wissenschaft vom Ich hat zum Ergebnis, daß Selbstsein Einheit aus unverfügbarem und unausdenkbarem Grunde ist. Nun kommt auch dieses Wissen noch aus dem Wesen des Selbstseins und tritt dann ein, wenn das Selbstbewußtsein sich vollendet: als ein Wissen, das die unausdenkbare Einheit nur aus seiner Wirkung und sich als die Manifestation des lebendigen Gottes versteht, der als das Unergründbare manifest wird.
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wird die Einsicht zum Vorschein bringen, daß das absolute Wissen nichts denn das Dasein des Absoluten in der Form des Ich ist. Und sie wird die Ansicht der Vernünftigen begründen, „die sich und die Welt in Gott anschauen" (§47; 155). Für die Wendung des Wissens zum Absoluten hat die Forschung eine Reihe von Motiven vorgetragen: das im System ausgesparte und durch Sdiellings Naturphilosophie dringlich gewordene Naturproblem, die unfertige Synthesis der Geisterwelt, die Durchbildung der ethischen Idee zu einer Philosophie der Freiheit, das seit dem Atheismus-Streit immer stärker hervortretende religiöse Element Fichteschen Denkens. Alle diese Motivationen sind richtig, aber sie betreffen jeweils nur modifizierende Ausgestaltungen des Systems und zwingen nur dann zu einer tieferen Erörterung der Grundlage, wenn sie in eine Kluft und Lücke des Grundes selbst zurückschlagen. Das aber wird überhaupt nur dadurch möglich, daß sich das vorgelegte Prinzip an ihm selbst als überholungsbedürftig erweist. Ist aber nun wirklich das Ich als Anfangsgrund von Wissen und Sein unzureichend, so daß es sich in einer Wendung zum Absoluten selbst übersteigen müßte, um als Prinzip standzuhalten? Diese Frage fixiert den Wendepunkt im transzendentalen Suchen nach den ersten Anfängen und Ursprüngen. Um sie zu überblicken, bedarf es eines Vor- und eines Rückblickes. Rückblickend gilt es, die Grenzen und Differenzen im System des Ich ein- und zusammenzusehen. Vorblickend gilt es, die Absicherung einer vertieften Grundlegung vorzuzeichnen. Denn nur dann bleibt die kritische Vernunft besonnen, wenn sie nicht versucht, die Endlichkeiten des Ich zu überwinden und das Absolute im Bewußtsein zu konstruieren — so wäre alle Vernunft in Nichts verschwunden —, sondern wenn sie es unternimmt, die transzendentale Apperzeption in ihrem tiefsten Zusammenhange mit dem Absoluten durchzureflektieren. Dann scheidet die Vernunft, was ihr im Hinblick auf das reine Sein zusteht und was ihr nicht zusteht. Der Rückblick bedenkt die Abgründigkeit des Ich. Diese offenbart sich im vierfachen Verhältnis der Reflexion zu Leben, Wirklichkeit (Dasein), Realität und Wahrheit. Dem Ansehen nach ist das Ich und sein Handeln das, was wesenhaft, d. i. real und wirklich-wirksam, seiner selbst gewiß und lebendig seiend ist. Selbstkritisch bedacht jedoch, bringt es das Ich gar nicht von sich her zu Leben, Wirklichkeit, Realität und Wahrheit. Auf sich allein gestellt, hat es in sich den Tod. Es verhält sich im Modus bloßer Möglichkeit. Es ist in sich selbst die Leere und der
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Quell des Zweifels. So besäße der Anfangsgrund gar nicht die nötige einfache Einheit, er wäre durch die Differenz von Essenz und Existenz, die Diskrepanz von Gewißheit und Wahrheit, die Entleerung der Realität und durch den Auseinanderfall von Reflexion und Leben in sich zerrissen. Solche Revision zwingt zum Überdenken. Das Ich bliebe zum Systemgrunde nur dann tauglich, wenn eine bisher thematisch stets mitgesetzte, aber nicht eigens erörterte Voraussetzung in ihm enthalten ist, welche die vierfache Indigenz des Reflexionsprinzips auffängt. Um diesem notwendigen Zusammenhange auf die Spur zu kommen, ist die vierfache Indigenz durchzunehmen. Wie stehen also Reflexion und Leben zueinander? Die Ausarbeitung der 'Grundlage' als Grundlegung von Bewußtsein und Leben hatte ergeben: Die Reflexion bringt die drei Grundgestalten des Bewußtseinslebens auf, nämlich die Formen des sich reproduzierenden Produzierens, des willenhaften Uber-sich-hinaus-Strebens und der absoluten Assimilation. Aber es hatte sich in eins die Bedürftigkeit dieses Lebensprinzips gezeigt. Die Reflexion besitzt alle wesenhaften Möglichkeiten zum Leben in sich, aber zum wirklichen Leben, dem empirischen Lebendigsein in der Zeit, bedarf es eines anderen außer ihm, des Anstoßes. Die 'Grundlage' bewahrheitet den Satz: Das Ich „hat bei aller Anlage des Lebens, dennoch in sich selber nur den Tod" (W.-L. 1804; NW II, 170). Reflexion und Leben treten auseinander. Die klassische Dokumentation für ihren Auseinanderfall bietet der 'Sonnenklare Bericht' aus dem Jahre 1801. Darin wird Leben als der reflexionslose Zustand der Selbstvergessenheit definiert. Leben ist das Aufgehen des Bewußtseins in seinem Objekt. Das Bewußtsein lebt, wenn es geradehin tätig ist, ohne Reflexion auf die eigene Tätigkeit. Daraus folgt die Lebensregel: Je mehr wir uns selbst über einer Sache vergessen, desto lebensvoller ist unser Dasein. Von hier aus läßt sich eine Stufenfolge der Bewußtseinsphänomene (der Fortgang der Sinnlichkeit zur Vernunft) in drei Potenzen artikulieren: Leben, Reflexion, intellektuelle Anschauung. Und für die Abstufung ergibt sich das Gesetz: Steigt die Reflexion auf, dann steigt das Leben ab, und umgekehrt. So treten Leben und Reflexion auseinander, indem sie einander entmächtigen. Ihr Auseinanderfall macht die Bedürftigkeit des Ich-Wesens manifest. Im selben Zuge trennen sich Reflexion und Wirklichkeit. Für diese Scheidung ist dasselbe in eine andere Hinsicht zu stellen, nämlich das wirkliche Leben in die modalkategoriale Rücksicht der Wirklichkeit (Existenz, Dasein). Dabei muß daran erinnert werden, daß die Restriktion
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der Modalkategorien für die Vernunftkritik zum schärfsten Instrument der Abgrenzung geworden war. Ihre Schärfe trifft vor allem die rationale Ontotheologie. Indem gezeigt wurde, daß Notwendigkeit und Wirklichkeit (Existenz) nur von empirischem Gebrauch und auf den Begriff des allerrealsten und schlechthin notwendigen Wesens nicht anwendbar sind, fiel das Absolute als verbindlicher Anfangsgrund für das Wissen aus. Aber ein selbstkritisches Überdenken eines Vernunftsystems, welches das Ich und die Reflexion zur Grundlage hat, muß einsehen: Wirklichkeit (Existenz) sperrt sich auch gegen eine Grundlegung der selbstbewußten Vernunft. Jedenfalls läßt sie sich nicht als eine Kategorie unter anderen, d. h. als ein notwendiges Handlungsgesetz selbstbewußter Weltsetzung deduzieren. Das Ich ist nichts als die wesenhafte Möglichkeit eines komplizierten Selbstbezuges, es ist dem Dasein und der Wirklichkeit nach eines anderen bedürftig. Letzlich ist es die metaphysische Differenz von Wesensmöglichkeit (essentia) und Wirklichkeit (existentia), die in das transzendentale System einbricht und die bruchlose Einheit des IchPrinzips suspekt macht; denn in ihm selbst liegen Essenz und Existenz unversöhnt auseinander. Und von da trennt sich die Realität von der Reflexion. Das Ich besitzt gar keine wirkliche Realität (realitas actualis). Das Ich, allein auf sich gestellt, ist Bild und leeres Schema, und sein Abgebildetes, die Welt, der Schatten des Schattens. Das ist kein Gegenbeweis gegen die Wissenschaftslehre, sondern ein Beweis der sich selbst überlegenen Reflexion. „Die Wissenschaftslehre hat den Beweis geführt, dass die, in ihrer absoluten Einheit erfasst werden könnende und von ihr also erfasste Reflexionsform keine Realität habe, sondern lediglich ein leeres Schema sey" (Bericht über den Begriff der W.-L.; SW VIII, 367—68). Die 'Grundlage' beginnt damit, das Ida als die Allheit der Realität einzusetzen. Sie hat die Absetzung Gottes als des begreiflichen ens realissimum hinter sich. Ihr erster Fund belehrt darüber: Die kategoriale Urhandiung der Realität ist das Sich-mit-sich-identisch-Setzen oder das Sein des Ich. Und von da heißt real nurmehr solches, was mit sich selbst identisch gesetzt ist, anders gesagt: worauf das Ich Realität überträgt. Aber unausweichlich folgt diesem Einsatz die Einsicht, daß das Selbstbewußtsein, wenn es seinen Anspruch auf Allrealität verabsolutiert, in den Nihilismus abstürzt und in die Falle der Leerheit fällt. Denn das Selbstbewußtsein ist an ihm selbst ohne Realität. Es zieht seine Realität aus dem, wovon es Bewußtsein ist. Das Sich-mit-sich-identisch-Setzen ist ein an sich leerer Selbstbezug und eine Relation von Relationen, das
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bloße 'Durcheinander'. Darum zerstört die Reflexion alle Realität (realitas actualis), weil sie alle Realität nurmehr als Relat ihres Selbstbezuges begreift. Und so ist ihr auch das urreale Sein nicht mehr als ein realer Gedanke. Die sprechendste Darstellung dieser Selbstauflösung des Wissens im Zuge einer sich übersteigenden Selbstreflexion findet sich im 2. Buch der 'Bestimmung des Menschen' aus dem Jahre 1800. Es ist immer als Zeugnis für die Wende des Wissens zum Absoluten und für die Herausarbeitung des Begriffs einer eigentlichen Realität beansprucht worden, welcher die Leere der Selbstreflexion übersteigt, ohne aus dem Bezug zum sich wissenden Ich herauszufallen. Hier soll lediglich die Trennung von Reflexion und Realität belegt und angezeigt werden, wie das Ich als Prinzip eines Wissens vom Sein erschüttert und wie das Band zwischen dem sich wissenden und wollenden Wissen und der Realität zerschnitten wird. Der Gedankengang ist folgender35: Das Wissen erlöst den Menschen vom Zweifel, der ihn zwischen dem Wunsche des Herzens, frei zu sein, und der Erklärung des Verstandes, durch Kausalität aus Natur determiniert zu werden, hin und her treibt. Das geschieht durch die Besinnung der Reflexion auf das Ich als den Anfangsgrund in allem Vorstellen von etwas. So verlieren das Ding und der Gegenstand das Ansehen, das mich Bestimmende zu sein, und es erhebt sich die Einsicht, daß das Ding das vom Selbstbewußtsein Gesetzte und durch die Gesetze seines Handelns Bestimmte ist. Damit verflüchtigt sich die Furcht vor 33
Vgl. die Interpretation von W. Sdiulz, €J. G. Fichte, Vernunft und Freiheit'. Pfullingen 1962. Hier ist auch die Auflösung durchdacht, welche das 3. Buch anbietet. Die Gefahr, daß das Ich sich verliert, liegt in seiner Unbestimmtheit und Grenzenlosigkeit. Daher kann das Ich nur Stand gewinnen und der Gefahr, ins Unbestimmte zu verschweben, entgehen, wenn es eine wirkliche und unbedingte Grenze entdeckt. Nun kann das Ding diese Grenze nicht bilden, weil es für das Subjekt ein von ihm Gesetztes und durch sein Streben zu Entgrenzendes bleibt. Eine unbedingt anzuerkennende Grenze aber sind für das Ich der Andere und das Wir, die vereinigende moralische Ordnung oder das Göttliche. Dieses übergreifende Gemeinsame ist die eigentliche Realität, die sich im Glauben, d. h. in der Gewißheit meiner Bestimmung, bezeugt. Dabei ist die thematische Beschränkung in der 'Bestimmung des Menschen' festzuhalten. Der Bestand gebende Seinsbezug wird aus der Fügung von Handlung, Moralität und Realität in einer Wechselbestimmung gewonnen, in welcher ich von der moralischen Ordnung ebenso bestimmt und getragen werde, wie ich diese durch mein Tun im Sinne der Verwirklichung bestimme. Die W.-L. 1801 dringt über den Standpunkt der Moralität hinaus. Auch sie sucht die bindende Grenze der in sich verschwebenden Freiheit. Aber hier stößt die Grenzbesinnung bis an das absolute Sein als Grenze der absoluten Freiheit durch und zeigt, wie das Ich an dieser Grenze Halt gewinnt, nämlich in einem Wechselbezug von Wissen und Sein.
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den meine Freiheit vernichtenden Dingen; denn ich bin nicht mehr abhängig von den Dingen, sondern die Dinge sind abhängig von mir. Was über die Realität herrscht, ist die Selbstbestimmung oder Freiheit des Ich im Ausmaße reiner Unbedingtheit. Aber in diesem Prozeß der Selbstreflexion werden die Dinge nicht bloß entmachtet, sie verflüchtigen sich zum Traumbilde, letztlich darum, weil sich das reine Ich als der Halt allen Wissens selbst dem Wissen entzieht. Das unbedingte Ich nämlich ist als das Unbedingte auch das Unbestimmteste. Wird daran festgehalten, daß Wissen immer Wissen von Bestimmtem ist, dann ist das Ich oder der Wissensgrund ein Nicht-Gewußtes, das sich allem Wissen entzieht. Das aber heißt: Das Ich ist gar nicht als das in allem Wissen von etwas zuerst Gewußte, es wird vom Wissen 'hinzugedichtet'. Dadurch verrückt sich das Problem der Subjektivität. Die anfängliche Problemrichtung war, das Reale im Überstieg zum Ich als der Bedingung seines Bewußt- und Gewußtseins sicherzustellen. Jetzt zeigt sich: Das Subjekt ist nicht bloß unvermögend, ein Objekt beständig entgegenzustellen, es kann vor allem sich selbst nicht feststellen und festhalten. In der Reflexion auf das unbedingte Ich als dem vermeinten Halt allen Welt- und Selbstbezugs entgleitet dem Wissen die Gewißheit, Wissen von Sein und von Realem zu sein. „Ich weiß überall von keinem Seyn, und auch nicht von meinem eigenen. Es ist kein Seyn. — Ich selbst weiß überhaupt nicht, und bin nicht. Bilder sind: sie sind das Einzige, was da ist, und sie wissen von sich, nach Weise der Bilder... Alle Realität verwandelt sich in einen wunderbaren Traum, ohne ein Leben, von welchem geträumt wird, und ohne einen Geist, dem da träumt" (SW II, 245). Das Wissen, das auf die Autarkie und Unbedingtheit des Sichwissens setzt, bleibt in der Leerheit eines bloßen Bildbezuges, im Bilde eines sich abbildenden Bildes, befangen und verfängt sich in der Selbstbespiegelung der Reflexionsform. Setzt sich die Reflexion absolut, so absolviert sie sich vom höher gelegenen Bezug zur wahren Realität und zerstört, weil sie nichts als Schemata von Bildern zurückbehält, das Sein. So wie eine selbstgenügsame und selbstherrliche Reflexion die Realität zerstört, so verwandelt sie die Wahrheit in Schein. Zwar ist das Selbstbewußtsein siegessicher als Garant der Gewißheit aufgetreten, aber es war seit dem Cartesischen Auftritt immer einer zusätzlichen Sicherung bedürftig geblieben. Diese Indigenz wird in der 'Grundlage' von 1794/95 nicht unterschlagen, sie bildet ihr weitertreibendes Resultat. Die Selbstgewißheit des Ich differiert mit der Ungewißheit von
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Leben, Wirklichkeit, Realität. An dieser Differenz leuchtet das Ungenügen der Ichgewißheit ein. Der Wahrheitsanspruch der Selbstgewißheit stellte sich doch gerade dem metaphysischen Zweifel mit der Behauptung entgegen, das Wahre als Wirkliches sicherstellen zu können. In der zu Tage tretenden Differenz von Selbstgewißheit und Wirklichkeit, von Essenz und Existenz, von Reflexion und Leben bricht diese Behauptung zusammen. Beharrt das Bewußtsein wissentlich oder unwissentlich auf seinem Wahrheitsanspruch, dann wird es zum Ursprung des Scheins. Es verleitet nämlich zum grenzenlosen Irrtum, das schon für wirkliches und reales Sein zu halten, was nur Bild oder Vorstellung des Seins ist. Das über sich und seine Grenzen systematisch aufgeklärte Wissen dagegen bringt es zur Einsicht: Nichts ist darum wahr und gewiß, weil wir uns dessen bewußt sind; wir können uns einer Sache mit Bewußtsein und in Gewißheit nur darum bemächtigen, weil sie wahr ist. „Der Grund der Wahrheit, als Wahrheit, liegt doch wohl nicht in dem Bewußtsein, sondern durchaus in der Wahrheit selber" (W.-L. 1804, i3.Vortr.;NWII, 195). Eine Bestandsaufnahme der vierfachen Indigenz des Ich hat dieses Resultat: Isoliert und auf sich gestellt, taugt das Ich nicht zum Einheitsgrunde und Systemboden; denn es sieht sich der vierfachen Zweiheit von Reflexion und Leben, Essenz und Existenz, Form und Realität, Selbstgewißheit und Wahrheit ausgeliefert. Dieses Resultat eröffnet geschichtlich wie systematisch eine weit gespannte Alternative. Entweder ist es nichts mit der Ichheit und Subjektivität, und eine Systembildung aus dem Wesen der Reflexion bricht im Aufstande der ihr unfaßlichen Grundbestimmungen wie Leben, Wirklichkeit, Existenz zusammen — oder das Ich nimmt sich mit einem Sein zusammen, das in Wahrheit wirklich, lebendig, real und die Wahrheit ist. Das verlangt eine kritische Durchdringung der transzendentalen Apperzeption in ihrem tiefsten Zusammenhange mit dem Absoluten. Und darin besteht im Fortschreiten der Fichteschen Grundlegung die Wendung des absoluten Wissens zum Absoluten. Der Weg dieser Wende kann in einem vorläufigen Vorblick am Beispiele des Lebens angedeutet werden. Der 'Sonnenklare Bericht' faßt Leben als die erste Potenz von Sein und Bewußtsein auf. Wir leben, das ist das erste. Sein besagt Aufgehen im unmittelbaren Lebensakt. Nun gilt aber: Was wir auf der ersten Stufe sind, das sind wir auf der höchsten mit Bewußtsein, Das höchste Bewußtsein ist die Selbstbesinnung des absoluten Wissens auf seine Indigenz und Grenze. Ihr geht
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über das einfache Sein und Leben ein ungeahntes Licht auf. Der unmittelbare Lebensakt ist ein Aufgehen im Objekt. Das reine und göttliche Leben ist ein solches Aufgehen im Objekt, daß Subjektivität und Objektivität ununterscheidbar ineinander aufgehen. Kommt das zur Evidenz, dann heißt, im unmittelbaren Lebensakte stehen, in Gott sein39. Durchdringt sich das absolute Wissen so weit, daß es sich als Bild des absoluten Seins intellektuell anschaut, dann geht ihm ein tieferes Verstehen von Sein auf. Die vierfache Indigenz des Ich hat eine einzige Wurzel, nämlich das Verstehen von (negativem) Sein, das sich an die Korrelation von Sein und Handeln (Reflexion) bindet. Wahres Sein kommt erst zu Gesicht, wenn diese Korrelation zurückgelassen und das sich begreifende Begreifen mitsamt seiner stets objektivierenden und das Sein substantivierenden Sprache als adäquates Seinsprinzip aufgegeben ist. Im Lichte des reinen Seins erst fällt der unverstellte Sinn von Leben, Dasein, Realität und Wahrheit zu. Um ihre Bedeutungen im Vorblick festzumachen: Leben und Urrealität werden den Sinn erhalten, das nicht objektivierbare Ineinander-Aufgehen von Subjektivität und Objektivität zu sein, welches als ein Jenseits des Begriffs dem an sich toten Begriif oder dem Ich notwendig voraus- und zugrunde liegt; Existenz oder Dasein wird die Auszeichnung erhalten, das Da des Seins in der Bildform der Ichheit zu bedeuten. Und das alle Gewißheit und Richtigkeit als ihre Erscheinungsweisen ermöglichende Wesen der Wahrheit wird sich als die entbergende und in eins verbergende Lichtung und Offenbarkeit des Seins herausstellen. 38
Diese Frage nach dem Leben wird sidi allein um das Verhältnis von Ichheit und absolutem Leben im Problemrahmen der Grundlegung drehen. Wie sich dieser Bezug im Gesamtsystem auswirkt, hat der thesen- und beziehungsreiche Entwurf von R. Lauth, 'J. G. Fichtes Gesamtidee der Philosophie', Philos. Jb. 71, S. 253—8j. 1963 durchkonstruiert. Die Gesamtidee beruht auf dem Begriff der Vermittlung von Philosophie und Leben. Dabei steigt das geistige Leben in einem Prozeß, in welchem sich das Leben zum wahren Menschsein und zum Wissen der Wahrheit bestimmt, bis zur philosophischen Selbstanschauung auf, die zum Punkte der Einheit und Vereinigung des Wissens und der sich in ihm enthüllenden absoluten Wahrheit durchdringt. Weil aber der philosophische Geist nur das Denkbild, nicht aber das geistige Leben selber ist, stellt sich rücklaufend die Frage nach deren Vermittlung. Diese geschieht auf dem Wege der 'Verklärung', des 'Umschaffens' oder der 'Wiedergeburt'. Das neue Leben verändert den Menschen, die Welt, das Geisterreich mit dem Ziel, aus der Liebe Gottes, die sich interpersonal realisiert, zu leben. Es zeigt sich, daß solche zyklische Lebenslehre ein System umspannt, welches die Lehre vom Menschen, die Tatsachen des Bewußtseins, die materialen Disziplinen der Philosophie, die angewandte Philosophie dem Verhältnis von lebendigem Wissen und absolutem Leben zuordnet. Allein diese letzte, alles umspannende Relation ist Thema einer Grundlegung.
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Der Wandel des Wissens ist ein Umschwung im Verständnis von Sein. Wodurch aber erfährt das Seinsverständnis der Objektivität und sein erkorenes Prinzip, das Ich, solchen Umbruch? Anders gefragt: Wann bekommt das unbedürftig scheinende Ich seine wahre Bedürftigkeit zu Gesicht? Die Antwort lautet: am Ende der ersten Grundlegung. Deren Resultat legt eine Ableitung und Rechtfertigung des Seinssinnes der Objektivität vor; es läßt zugleich dasjenige Problem aufspringen, welches im Anfange des Ich geruht hatte und das erst geweckt werden kann, wenn das Ich zur klaren Verdeutlichung seiner Verfassung gekommen ist. Das ist in der Selbstbesinnung der absoluten Reflexion der Fall. Die Verfassung der absoluten Reflexion ist im Als verankert: Das Ich setzt sich schlechthin selbst als sich setzend. Dieses Grundgesetz fördert das Reflexionsproblem in voller Deutlichkeit zu Tage und bereitet seine Auflösung vor. Das Problem dreht sich um die Erzeugung und Genesis des Ich. Das Ich steht im Ansehen einer Selbsterzeugung aus Freiheit. Aber die Genesis-Struktur der absoluten Reflexion macht noch einmal klar: Das Wissen kann sich nicht erzeugen, ohne sich schon zu haben. Um sich zu reflektieren, muß das Wissen als Reflektiertes schon sein; um in seinem Fürsichsein zu entstehen, kann das Wissen nicht schon sein. Die Genesis der Reflexion verwickelt das Bewußtsein in einen fehlerhaften Zirkel. In seinem Anspruch auf Selbstermächtigung scheint das Ich den Widersprüchen der (Spinozistischen) causa-sui-These zu verfallen. Die Auflösung des Reflexionsproblems steckt in der Beachtung der Ais-Struktur. Die Ichheit ist gar nicht einfaches Sich-selbst-Erwirken der Selbstsetzung. Subjektivität bedeutet keine eigenmächtige Selbstkonstruktion und kein originäres Sich-Machen. Das gilt für das wirkliche wie für das absolute Leben und Tun des Ich. Im Blick auf ihre Wirklichkeit, ihr reales Leben und Dasein ist die ichhafte Vernunft als beschränkt erfahren worden. Das wirkliche Ich lebt nicht wirklich aus sich. Um sich selbst zu verwirklichen, bedarf es des Anstoßes; denn das Tun der endlichen Vernunft kann sich nicht selbst in Tätigkeit setzen und bleibt dem Dasein nach ohne Selbstbewegung und Leben. Das Leben der endlichen Vernunft hat über sich selbst keine Macht, weil dem Ich das Vermögen fehlt, sich selbst zu machen. Und im Blick auf die absolute Tätigkeit des Sichsetzens wird jetzt einsichtig: Sie ist ein immer schon Entstandenes, welches durch die Reflexion nicht erzeugt wird, auf welche die Reflexion vielmehr als auf ihren Anfang und unverfüg-
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baren Grund zurückkehrt. Wo aber bleibt angesichts solcher Ohnmacht und Gebundenheit die Tat und Freiheit des Ich? Reflexion bedeutet nicht Urkonstruktion in der widerspruchsvollen Mächtigkeit einer causa sui. Ein Konstruieren, das sich als schon seiend konstruiert, ist Nachkonstruktion. Es bedeutet kein Entstehenlassen von Sein, sondern die Entstehung eines Bildes vom Sein. So ist das Ich Genesis, Freiheit, Selbstermächtigung und doch keine causa sui. Das Machen und Tätigsein, welches das Ich selber ist, indem es sich erzeugt, ist kein Machen von Sein, Leben, Wirklichkeit und Dasein, sondern ein Bild-Machen. Das ist eine auflösende und weithin reichende Einsicht. Das Reflexionsgeschehen wird durch die Einsetzung des Als aus dem Zirkel befreit. In diesem Als steckt die Ichheit. Es markiert die Freiheit, von sich her für sich zu werden, aber so, daß das Fürsichwerden ein Zurückkommen auf ein immer schon seiendes Sichsetzen, ein nachbildendes Klarmachen seines Anfanges ist. Darin erschafft das Ich nicht sein Sein. Es ist, indem es sein Sein zum Sehendsein umschafft. Seine Genesis ist nicht ein unerfindliches Sich-Machen aus Nichts, sondern ein Sichzum-Sehen-Machen aus Nichts, d.h. aus der Indifferenz der Freiheit. Und sein Tun ist kein Bilden des Seins, sondern ein Bilden des Bildseins vom Sein. So wandelt sich der Grundsatz der Reflexion zum Satze vom Bild: Das Ich ist ein Sichwissen, das sich als Bild des Seins weiß. Um die Bildverfassung des absoluten Wissens vor dogmatischen Mißverständnissen zu schützen, muß von Anbeginn vor Augen gehalten werden: Wissen als Bild eines Seins außer dem Bilde konstruiert nicht ein Verhältnis von zwei Seienden, der Sache und ihrem dinghaften Bilde, die nachträglich im Akte des Abbildens zusammenkommen. Bild meint nicht ein Ding außer und neben dem abgebildeten Ding. Das Sein des Bildes besitzt ein dialektisches Gefüge. Es ist einersetis die Sache selbst, nämlich nichts als deren Sichtbarkeit; es ist andererseits nicht die Sache selbst, nämlich nur deren Erscheinung. Und umgekehrt ist die Sache einerseits nichts als das Bild, nämlich das im Bilde Ersichtliche; andererseits ist sie eben das, was das Bild nicht ist, das NichtBild. So ist das Bild weder die Sache selbst noch eine andere Sache außer der Sache, und die Sache ist nicht das Bild selbst, aber auch nicht eine Sache außer dem Bilde. Die Bildheit ist das Durch oder Durcheinander von Sache und Bild. (Und in den Begriffen des Durch und Durcheinander wird die spätere Wissenschaftslehre das Wesen des Wissens und des Ich fassen.)
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Das Wesen des Ich ist Sein des Bildes. So vertanden, läßt sich die Reflexion als der Akt aufklären, in dem das Ich als Bild auf ein Sein und Leben zurückgeht, das nicht Bild ist. Und wieder leuchtet mit höchster Evidenz ein, daß und wie die Reflexion Spaltung ist. Sie trennt in einem Schlage das Sein in Ansichsein und Bildsein; denn das Wissen, das sich als Bild weiß, setzt ein Ansichsein, dessen Sichtbarkeit es ist, aus sich heraus. Diese Lösung des Reflexionsproblems hat weittragende Konsequenzen. Sie hat das Denken Fichtes zu den Fortschritten der Grundlagenschriften von 1801 und 1804 angetrieben. Die dort eingeschlagene Untersuchungsrichtung der Reflexion ist vorlaufend kenntlich zu machen. Die Wissenschaftslehre von 1801 verfolgt das Reflektieren als ein Sich-Erinnern. Sie legt das Wissen als Einheit von Sein und Fürsichsein vor; denn das absolute Wissen kann eben nicht auf sich zurückkommen, ohne zu sein, es kann nicht zurückkommen, ohne für sich zu werden. Aber die so strukturierte Reflexion schlägt den Weg einer Selbstbesinnung ein, welche weiß, daß sie nicht ihr eigener Anfang ist, sondern zu diesem zurückkehrt. Die Kehre im Fichteschen Denken erhält hier den 'mystischen' Zug der Einkehr in seinen unvordenklichen Grund. Das Wissen nimmt vollends den Charakter der Erinnerung im Sinne des Ins-InnereGehens an. In solcher Erinnerung festigt das Wissen die Einsicht, daß es selbst Bild des Seins und sein Ursprung, das Sein, Nicht-Bild ist. Mithin weiß es, daß das im Bildgefüge mit- und herausgesetzte Sein kein anderes Seiendes und das Absolute nicht das schlechthin Andere, sondern Nichtsein des Wissens ist. Damit schneidet die Wissenschaftslehre von 1801 Irrtümer über das absolute Sein oder das Göttliche ab. Das absolute Sein, das untrennbar zum Bildsein des absoluten Wissens gehört, ist kein begreiflich Seiendes außerhalb des Wissens, das mit irgendwelchen Qualitäten ausgestattet werden könnte. Es eignet sich weder zum Gott der rationalen Theologie noch zum göttlichen Begriff der spekulativen Logik. Die Grenzbesinnung der Wissenschaftslehre von 1801 erfährt das Scheitern des Begriffs. Das Sein erscheint in der Einkehr des Wissens in seinen Ursprung und Grund als das Nichtsein des Wissens. Die 'Wahrheitslehre' der Wissenschaftslehre von 1804 wird diese Selbstbesinnung noch einen letzten Schritt weiter treiben und die Selbstbegrenzung des Wissens zur Vernichtung aller Bewußtseinsansprüche steigern. Die Wissenschaftslehre von 1801 hält sich an den Reflexionssatz 'Das Wissen weiß sich als Bild des absoluten Seins'. Sie entfaltet
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ihn in einer Grenzbesinnung, in welcher das zum absoluten Bildwesen gehörende absolute Sein allein darin faßlich wird, Nicht-Wissen zu sein. Damit aber wird das von der Bildlichkeit des Ich herausgesetzte (projizierte) Ansich als ein Nicht-für-uns-Sein erklärt. Die Wissenschaftslehre von 1804 überwindet diese Position37. Sie verwickelt das absolute Wissen aus dem Mittelpunkte des Organischen' Bildgefüges in eine Dialektik von Ansich und Füruns und kommt zur Einsicht: Die Unterstellung eines Ansich, dessen Bedeutung darin aufgeht, Nicht-Wissen zu sein und dessen Position in der Negation des Für-uns-Seins besteht, das ist die Seinsthese eines höheren Realismus, der nicht durchschaut, daß er in der Relation des Bewußtseins hängen- und in einem hartnäckigen, einseitigen Idealismus verfangen bleibt. Erst wenn die Reflexion von der ganzen Ansich-Füruns-Relation (d. h. von sich selber) losläßt, kommt es zu einem positiven Verstehen des absoluten Seins und zum Absetzen eines Seinsverständnisses, welches das Seiende, weil es allein die Seinsbedeutung der Objektivität kennt, nur als Gegenstand zuläßt und beurteilt. Das Verstehen des absoluten Seins verlangt ein alle Reflexion durchdringendes Verständnis dafür, daß das Sein der nicht objektivierbare Lebensakt ist, in dem wir wahrhaft sind und leben. In diesen selbstkritischen Gängen kehrt sich das Denken vom Ich als allrealem Anfangsgrunde ab und dem Absoluten zu, um in dieser Zuwendung die Wahrheit über das Bildwesen des Wissens und das tragende Sein zu erfahren. So löst sich die Frage 'nach der veränderten Lehre' auf. Die Streitfrage nach der inneren Einheit des Fichteschen Werkes zieht sich bekanntlich auf die scheinbaren Gegenthesen zusammen: Die Methode der Wissenschaftslehre bleibt sich gleich, während der Gehalt sich ändert — die Einheit des Systems beruht auf dem Gehalt, während die methodische Form sich ändert38. Unsere Untersuchung der drei 'GrundlagenSchriften' sollte die Alternative auflösen. In Fichtes Denken ereignet 37
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Die überaus klärenden Interpretationen von K. Giel, 'Fichte und Fröbel, die Kluft zwischen konstruierender Vernunft und Gott und ihre Überwindung in der Pädagogik'. Heidelberg 1959 haben das Bildwesen des Wissens im Durchdringen des Zirkelproblems der Reflexion aufgeschlossen. Freilich scheint mir, daß Giels Analyse den letzten Schritt der Wahrheitslehre über die Position von 1801 hinaus nicht mitvollzieht und bei der Vernunft als einem Sich-Nachmachen und dem Sein in der negativen Bestimmung des Nicht-Nachmachens stehenbleibt. Vgl. den kritischen Rechenschaftsbericht, den F. A. Schmid von der historischen Frage nach der veränderten Lehre vorgelegt hat. Er reicht von Schellings polemischer Stellungnahme bis zur Auseinandersetzung zwischen Erdmann, Löwe, Fischer,
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sich eine Kehre als Ausdruck der beharrlichen Konsequenz, welche das Denken eines einzigen Gedankens (des Gedankens vom Ich) ins Äußerste treibt. Die Grundlegung des Systems kehrt sich, getrieben durch die vierfache Indigenz des Ich-Prinzips, im Lichte des Bildwesens der Reflexion vom Ich als dem unbedingten Anfangsgrund allen Wissens und Seins ab und dem Absoluten zu. Ihre thematische Untersuchung wendet sich von der Entfaltung der Weltvorstellung aus dem Subjekt-Objekt ab und einer Durchdringung des absoluten Wissens bis an seinen Ursprung und seine Halt gebende Grenze zu. Und entsprechend ändern sich Art und Richtung der Methode; denn der Weg ist durch das Ziel bestimmt, das den Zugang zu ihm anzieht. Die frühe Grundlegung beginnt mit einer künstlichen Dialektik, welche in apagogischem Verfahren die vorausgesetzte Subjekt-Objekt-Einheit auf ihre gesetzgebenden Handlungen hin zergliedert. Sie endet mit einer direkten Strukturerhellung des Subjekt-Objekt selbst, in welcher die absolute Reflexion zu genetischer Evidenz kommt. Die dem Absoluten zugewendete Methode des Aufsteigens vom Selbstbewußtsein zum absoluten Sein beginnt mit einer höheren Dialektik. Diese bildet nicht das kritische Organ des philosophierenden Subjekts, welches durch Analyse seines 'Gegenstandes' (des Ich) die Grundgesetze der objektiven Welt zu ermitteln sucht. Sie bahnt den Weg, auf dem das Selbstbewußtsein über die sich steigernden Gegensätze von Füruns und Ansich und über alle möglichen Antithesen von Idealismus und Realismus hinweg direkt und genetisch zur Selbstbesinnung auf ihr höchstes Entstehungsgesetz kommt. Sie endet mit dem Vollzug der absoluten Abstraktion, in der die Selbstbesinnung und absolute Reflexion von sich ablassen, um sich — in gebotener Abstraktion — in das Wechselverhältnis von Sein und Ichsein zu stellen. Solche Wendung zum Absoluten bahnt sich in der Grundlagenerörterung von 1801 an und vollendet sich in der 'Wahrheitslehre' von 1804. Sie bildet die folgerechte Vertiefung der 'Grundlage' von 1794/95, und zwar der Methode wie dem Sachgrunde nach, ohne daß der Horizont transzendentaler Besonnenheit durchbrochen und der Boden endlichen Wissens verlassen würde. In der Wende zum Absoluten erst erwirbt die Wissenschaftslehre die transzendentale Vollendungsgestalt der platonisch-christlichen Metaphysik. Sie kommt in die Lage, nicht bloß die Disjunktionen von Denken und Sein, von sinnlicher und intelligibWindelband, von Hartmann und Talbot ('Fidites Philosophie und das Problem ihrer inneren Einheit*. Freiburg 1.8.1904). Vgl. dazu J.Drechsler, 'Fidites Lehre vom Bild', S. 31 ff. Stuttgart
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ler Welt aus der Einheit und Ursprünglichkeit des Ich-Wesens zu versöhnen, sondern auch die von Endlichkeit und Absolutem — nämlich durch die Vermittlung des 'Bildes'. Für diese letzte versöhnende Vermittlung fängt die 'neue Darstellung der Wissenschaftslehre' dort an, wo die alte Grundlage aufhört.
2. KAPITEL Beschreibung des absoluten Wissens Die Explikation des absoluten Wissens beginnt mit einer Beschreibung seines Tatbestandes und die Beschreibung mit der nominellen Scheidung von absolutem Wissen und Absolutem. Natürlich ist eine Beschreibung, weil sie das absolute Wissen in seinen Dimensionen und äußeren Abgrenzungen umschreibt, vorläufig; denn sie erfaßt ihren Gegenstand von außen. Sie läßt sich noch nicht von ihm erfassen, so daß sie gleichsam von innen her sähe. Die erste Konstruktion von absolutem Wissen und absoluter Konstruktion ist deren Beschreibung durch uns, das philosophierende Subjekt. Das ist eine Sacherfassung unter Vorbehalt. Im Nacheinander beschreibt sie die einzelnen Teile und faßt deren Konstruktion von außen in den Blick. Sie läßt ausdrücklich das Problem liegen, wie diese Relation von absolutem Sich-Wissen und philosophischem Wissen des absoluten Wissens zu denken sei. Die Konstruktion des absoluten durch das philosophische Wissen bereitet die Selbstkonstruktion des absoluten Wissens vor und ist nichts als deren Einführung. Die allererste Kennzeichnung verweilt daher in einer Beschreibung durch äußere Reflexion. Sie ist leicht und leicht fertig, so weit sie sich nur auf grobe Abhebungen und auf eine unvermittelte Kennzeichnung der Bestandteile des absoluten Wissens nach Materie und Form einläßt (§ 5—9; 12—20). Die allererste Sicht auf das absolute Wissen hebt absolutes Wissen und Absolutes voneinander ab. Das absolute Wissen ist nicht das Absolute. Dafür braucht es bloß beim Wort genommen zu werden. Der Ausdruck 'absolutes Wissen' setzt zum Absoluten etwas anderes hinzu, nämlich Wissen. Jegliche Hinzufügung von anderem aber stört und zerstört die Absolutheit, d. h. das Losgelöstsein von jeglichem Bezug auf anderes. Mithin verhindert der Bezug und die Rücksicht auf Wissen das Absolutsein als solches. Diese ganz und gar vorläufige Abhebung schärft noch und wieder einmal den bestimmenden, niemals zu überspringenden
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Ausgangspunkt transzendental-kritischer Besinnung und Besonnenheit ein. Das in aller möglichen Wissensanstrengung zutiefst Wißbare ist immer nur Wissen. Auch das Sein selbst ist als Gewußtes Wissen und eben nicht absolutes Sein. Zwar ist das absolute und göttliche Sein in sich selber Wissen und Bewußtsein, aber dieses fällt nicht als Wißbares in den Begriff unseres Wissens. Es bleibt als Unbegreifliches und Unsägliches allem begreifend-konstruierenden Wissen entzogen. „Da wir aber in der Wissenschaftslehre, und vielleicht auch ausser derselben in allem möglichen Wissen, nie weiter kommen, denn bis auf das Wissen, so kann die Wissenschaftslehre nicht vom Absoluten, sondern sie muss vom absoluten Wissen ausgehen" (§6; 13). Diese Erklärung legt lakonisch den Ausgang allen Philosophierens, das bei Besinnung bleiben will, fest und versperrt in einer weit vorausweisenden Voranzeige den Weg einer Ableitung, die das absolute Wissen und das Bewußtsein aus dem Absoluten herzuleiten gedächte. Aber ist dann nicht mit gleichem Recht die Denkmöglichkeit eines absoluten Denkens versperrt? Denn all unser mögliches und wirkliches Wissen ist doch niemals absolut, „sondern nur ein relatives, so oder anders bestimmtes und beschränktes Wissen" (§6; 13). Dieser Befund kann nicht geleugnet werden. Alles schon wirkliche Wissen ist durch das Nicht-Ich und den Anstoß in Stand gesetzt. Es findet sich daher in der beschränkenden Bestimmtheit vor, Wissen von diesem oder jenem zu sein. Wie aber ist es dann wirklich zu einem absoluten Wissen zu bringen? Diese Frage erzwingt die Abhebung von absolutem und wirklichem Wissen. Das absolute Wissen ist nicht das wirkliche Wissen. Es ist weder bestimmt noch beschränkt, weil es nicht in einem Bezug zum Gegenstande steht. Es ist vielmehr der Grund dieses Bezuges. Mehr als solche Abgrenzungen will die Vorklärung nicht leisten. Sie erbringt das definitive Resultat: Das absolute Wissen west weder als das Absolute noch existiert es als das wirkliche Wissen. Wie aber rechtfertigt sich dann der Anspruch der Absolutheit im absoluten Wissen39? 39
Den Hiat zwischen absolutem Wissen und Absolutem unaufgehoben sein zu lassen und ihn gleichwohl aus dem Begriff des absoluten Wesens zu entwickeln, das ist das Grundproblem der Fichteschen Dialektik auf der Höhe der W. L. 1801. H. Rademacher hat die Eigenart solcher Vermittlung in Abhebung gegen den übermächtigen Dialektikbegriif Hegels (und im Abstoß gegen die These von E. Lask, im Werke Fichtes verschlängen sich die Tendenzen einer analytischen und einer emanatistischen Dialektik, vgl. 'Fichtes Idealismus und die Geschichte'. 2. Aufl. Tübingen 1914) durchdiskutiert ('Fichte und das Problem der Dialektik', Studium Generale 21, 8.474—jo2. 1968). Die Frage wird sich am Sein des Fürsichseins, dessen formaler
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„Das Wissen ist nicht das Absolute, aber es ist selbst als Wissen absolut" (§ n; 22). Diese Wendung läßt den Grund sehen, warum nicht das Ich, sondern das absolute Wissen den Titel für das Thema der Untersuchung hergibt. Thematisiert wird nicht mehr das Grundverhältnis von für sich seiendem Ich und an sich seiendem Nicht-Ich, sondern von absolutem Wissen und Sein. Und Sein bedeutet dabei nicht mehr Gegenständlichkeit, es bedeutet Gott oder das Absolute. Der Sinn des behaupteten Absolutseins läßt sich am leichtesten in einer cWorterklärunga beibringen. Eine definitio nominalis unterlegt dem Namen der dunklen Sache andere, verständlichere Wörter, um die Sache zu klären. Im Falle des absoluten Wissens verweist die Worterklärung auf das selbstverständliche Gegenteil, das Relativsein des wirklichen Wissens, und gibt von da eine Anweisung, um einen Begriff von der Absolutheit zu bekommen. Wirkliches Wissen ist Wissen von diesem Etwas. Es wird durch diesen bestimmenden Bezug geprägt. Weil es in dem, was es ist, jeweils durch das Gewußte bestimmt wird und dieses ein je Verschiedenes ist, ist sein Grundzug das Verschiedensein von sich selbst. Das absolute Wissen ist dem Worte nach das Nicht-Relative. Es ist das, was sich in allem noch so verschiedenen Wissen von etwas als das eine und selbe durchhält. Worin alles besondere Etwas-Wissen gleichermaßen übereinkommt, das ist, Wissen zu sein. Absolutes Wissen hat somit den Grundcharakter des Sich-selber-Gleichseins. Solche Ablösung von der Relation ist einzuschärfen, um den Ausgang der Untersuchung nicht in schiefe Einseitigkeiten zu bringen. Er ist vorzüglich vor der Meinung zu schützen, als wäre das absolute Wissen ein Relat in der Relation des Wissens von Etwas und stünde auf der Seite des Subjektiven, das die andere Seite, das Objektive, außer sich hat. Dann wäre die Absolutheit des Wissens wirklich nichts als das zu Unrecht verabsolutierte Bezugsglied einer Relation. Dagegen legt schon die allererste Einführung fest: Das absolute Wissen ist nicht dem Etwas entgegengesetzt, „es wird entgegengesetzt dem Wissen von Etwas" (§7; 15). In dieser Nominaldefmition des absoluten Wissens als des NichtRelativen im Wissen fallen eben diese negativen Züge auf. Es ist nicht ein Wissen von Etwas. Also wäre es ein Wissen von Nichts und darum Freiheit und seinem 'Selbsterzeugen durchaus aus Nichts' entscheiden. Weil dieses Erzeugen nämlich bloß die Form des Sichwissens, nicht aber den Inhalt 'Selbsterzeugen' erzeugt, ist es nicht das Absolute. Weil das Wissen in diesem Nichterzeugen seine eigene Grenze erblickt, nimmt es sich mit dem Absoluten als seinem unverfügbaren Grunde im Wissen zusammen.
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null und nichtig? Es ist kein Wissen von Nichts, sofern unter Nichts Nicht-Etwas verstanden ist; denn ein Wissen von Nicht-Etwas besäße doch wieder die Struktur, Wissen von Etwas (als einem Negierten) zu sein. „Es ist nicht einmal ein Wissen von sich selbst, denn es ist überhaupt kein Wissen von" (§ 7; 14). Im Von liegt das Relative, nämlich die objektivierende Bezugnahme auf gegenständliches Etwas. In solcher Bezüglichkeit weiß das sich wissende absolute Wissen nicht von sich. Das Sich-Wissen des absoluten Wissens kann keine Vergegenständlichung seiner selbst sein. Diese Erklärungen sollten genügen, um das Grundgebende Wissen nicht als das Subjektive im Unterschied zum Objektiven (zum Ding an sich, zur Natur) zu relativieren. Absolutes Wissen ist kein Disjunktionsglied, es hat alle Grunddisjunktionen wie Subjektivität-Objektivität als das einigende und besondernde Prinzip in sich selbst. Und schon von hier aus läßt sich die Aufgabe einer transzendentalen Grundlegung des Bewußtseins unmißverständlich formulieren. „Es ist nicht die Aufgabe die, dass du bedenken sollest, du wissest von dem Gegenstandet und nun dein Bewußtseyn (eben vom Gegenstande) als ein subjectives, und den Gegenstand, als ein objectives, begreifest, sondern dass du innigst lebendig erfassest, beides sey Eins, und sey ein sieb Durchdringen" (§9; 19). Der Anfang der Untersuchung der Subjekt-ObjektRelation ist nicht deren Unterschieden- und Getrenntsein. Darum verrätselt eine Frage, wie denn das Subjekt zum Objekt hinaus- bzw. das Objekt ins Subjekt hineinkomme, das Problem dieses Bezuges, ohne jemals auf Auflösungen hoffen zu können. Und darum läuft auch der Angriff, der gegen den Dualismus von Sich-Setzen (Position) und Entgegensetzen (Negation) polemisiert, ins Leere. Der Anfang ist gar nicht die Unterschiedenheit von Getrenntem, zu dem dann noch ein einigendes Band gesucht werden müßte, der Anfang ist das untrennbare Ineinander von Subjektivem und Objektivem im absoluten Wissen. Und die grundlegende Aufgabe besteht darin, nicht ein Wissen vom Gegenstande zu begreifen, sondern das absolute Wissen als die innigste Einheit zu adäquater Anschauung zu bringen. Freilich sind dafür noch nicht einmal die ersten Vorbereitungen getroffen. Offensichtlich kann es bei einer Worterklärung nicht bleiben. Diese muß sich zu einer Realerklärung vertiefen. In transzendentaler Beanspruchung macht die Realerklärung nicht bloß einen Begriff, sondern zugleich dessen objektive Realität deutlich. Das geschieht dadurch, daß der Begriff als real, nicht bloß als logisch möglich und als Gegenstand
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der Anschauung nachgewiesen wird. Wie aber kann eine so anspruchsvolle Realerklärung vom absoluten Wissen abgegeben werden? „Es läßt sich nicht etwa durch Denken schliessen" (§ 8; 16). Etwas durch Denken Erschlossenes wird ja als notwendige Folge seinen Voraussetzungen entnommen. Das absolute Wissen aber ist unbedingt und voraussetzungslos. Und das absolute Wissen entzieht sich auch der Anschauung, sofern Anschauung im Stile sinnlicher Wahrnehmung auf ein Einzelnes und Besonderes geht; denn es ist ja das Unbestimmte und Unbesonderte. Stellt sich mithin das absolute Wissen überhaupt gar nicht den Bedingungen unserer, menschlich-endlicher Erkenntnis, oder geht es in einem Sehen auf, das in der geläufigen Unterscheidung der Erkenntnisquellen unberücksichtigt blieb? Nur im letzten Falle wäre Wissenschaftslehre möglich. „Das absolute Wissen müsste daher durch eine gleichfalls absolute Anschauung seiner selbst erfasst werden" (§8; 16). Das ist die Lebensfrage der Philosophie. Sie muß sich in die Sicht einer absoluten oder intellektuellen Anschauung begeben, in welcher das absolute Wissen sich selbst anschaut. Bis dahin ist ein weiter Weg. Er wird zwar von Anfang an unausdrücklich von intellektueller Anschauung begleitet (sonst wäre das absolute Wissen gar nicht in der Sicht), aber erst am Ende kehrt dieses Anschauen sich ausdrücklich seiner eigenen Helle zu. Zu Beginn legt die Erklärung des absoluten Wissens eine Beschreibung seiner Bestandteile vor, indem sie Materie und Form des absoluten Wissens auseinanderlegt. Die Materie oder die Inhalte sind das, was im absoluten Wissen unmittelbar anschaubar ist. Form ist die bleibende Art und Weise, wie die Inhalte vorliegen. (So wird über das schlechthin Unbedingte ebenso befunden wie im Ersten Grundsatze der 'Grundlage' von 1794/95. Indessen verzichtet der neue Zugriff auf den Rückgang zu den Bedingungen des Urteils und vermeidet alle Rücksicht auf die Logik. Er übergibt sich ganz dem Intuitus einer unmittelbaren Anschauung.) Vorerst aber bedient sich Fichte, um die absolute Materie des Wissens zu finden und abzuschildern, des folgenden hinleitenden Gedankens. Das absolute Wissen ist zwar nicht das Absolute, aber es ist selbst als Wissen absolut. Folglich muß seine Beschreibung Merkmale des Absolutseins treffen. Mithin müßten Kriterien des Absolutseins überhaupt aufzustellen und auf die Kennzeichnung des Wissens als eines absoluten anwendbar sein. Jede Konzeption des Absoluten stößt auf zwei Merkmale, „theils, dass es sey schlechthin, was es sey... theils, dass es sey, was es sey, schlechthin, weil es sey" (§8; 16). Das Absolute besteht in dem, was es
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ist, in sich selbst. Es ist kein Derartiges, das nur im Hinblick auf anderes bestimmbar wird. In sich geschlossen, ruht es in sich selbst. Es ist unendliche Substanz. Und das Absolute schuldet dieses Sein keinem anderen außer ihm selbst; denn alles, was nicht das Absolute selbst ist, ist verschwunden. Mithin besteht das Absolute nicht bloß in sich selbst und nicht in anderem (in se et non in alio), es entsteht auch von sich selbst und nicht von anderem her (a se et non ab alio). Das Absolute besitzt das Merkmal der Aseität. „Wir können das erstere absolutes Bestehen, ruhendes Seyn usw. nennen; das letztere absolutes Werden oder Freiheit" (S 8; 17). Diese leicht ablesbaren und in der Tradition geläufigen Merkmale des Absoluten sind lediglich in der Absicht vorgetragen, die Absolutheit des Wissens zu kennzeichnen. Die Inhalte des absoluten Wissens wären sonach Sein ( = absolutes In-sich-Beruhen) und Freiheit ( = absolutes Sich-Begründen). Freilich ist sofort in Rechnung zu stellen, daß substanziales Sein und Freiheit als materiale Momente des Wissens beschrieben werden müssen. Nun war ein Grundzug des Wissens schon eingeführt, die Sich-selbst-Gleichheit. Sonach darf das absolute Wissen auch nicht durch die Verschiedenheit seiner Inhalte von sich unterschieden werden. Wie ist das zu denken? Sein und Freiheit treten im Wissen nicht als zwei separate Bestandteile auf, die als Summe von Verschiedenen inhaltlich das absolute Wissen ergeben. Wissen ist in seinem Grunde nicht Sein und Bestehen und außerdem auch noch mit Freiheit begabt, oder umgekehrt. Also wären Sein und Freiheit im Grunde des Wissens nicht unterschieden, und diese Nicht-Verschiedenheit indizierte dessen Absolutheit? Die Aufstellung des absoluten Wissens in die Indifferenz und NichtVerschiedenheit aber brächte es bloß zu einer negativen Einheit. Alles kommt aber darauf an, diejenige Einigung und Gebundenheit positiv nachzuweisen, durch die Sein und Freiheit zum materialen Bestände des Wissens werden. Zu solcher Einsicht verhilft der Sprung in die Indifferenz nicht. Vielmehr ist zu sehen: Sein und Freiheit geben im Wissen ihre Unterschiedenheit auf, indem sie sich gegenseitig durchdringen und verschmelzen; „und eben in dieser absoluten Verschmelzung würde das Wesen des Wissens, als solchen, oder das absolute Wissen bestehen" (§8; 17). Wie ist nach dieser materialen Beschreibung das Wissen in seinem Grunde ausgelegt? Es müßte ja anhand dieser Vorgaben gelingen, das ganze Wesen des Wissens zu erfassen, ohne den Einseitigkeiten relativer Auslegungen zu verfallen. Vor einem Rückfall in einseitige Fassungen
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des Wissens schützt eben die Erinnerung an den materialen Grundbestand. „Nicht das ruhende Seyn ist das Wissen, und ebensowenig ist es die Freiheit, sagten wir, sondern das absolute sich Durchdringen und Verschmelzen beider ist das Wissen" (§9; 19). Soll das nicht eine überflüssige Mahnung sein, so muß irgendeine sinnvolle Annahme der Einzelthesen vorliegen: Wissen ist ruhendes Sein bzw. Wissen ist Freiheit. Die Ansicht, daß Wissen ruhendes Sein sei, galt bis Descartes. Sie erklärte die Anwesenheit von Wissen aus der Anwesenheit von Gewußtem. Denken ist nichts als die Anwesenheit von Gedachtem. Wo nichts gedacht ist, ist auch das Denken nicht und nichtig. Streng genommen, gehen die denkende Seele und das Wissen darin auf, mögliche Anwesenheit von Gedanken, der Ort der Ideen zu sein. Dieses im ganz umfassenden Sinne griechische Verstehen vom Wissen hängt daran, daß erst dann unverstelltes Wissen ist, wenn das Wissen selbstlos und ganz bei der Sache ist. Die neuzeitliche Prinzip-Erhebung des sich selbst bestimmenden Selbstbewußtseins führt das Wissen vom Wissen aus dem Schatten der Selbstlosigkeit heraus, aber sie verfällt der Gefahr, sich einseitig in die These zu verrennen: Wissen ist Freiheit. Sicherlich ist Wissen nicht bloß Sein beim Gewußten, sondern elementar ein Sich-Wissen. Und der losreißende Rückbezug vom Gewußten auf das sich in allem Wissen von etwas zuerst wissende Sich-Wissen macht die Freiheit als Tat ursprünglicher Selbstvergewisserung sichtbar. Aber eine absolut gesetzte Subjektivität der Freiheit droht, durch sich hindurch und ins Leere zu fallen. Wissen ist nicht nur Sich-selber-Wissen und nicht nur mögliche Anwesenheit von Gewußtem. Beides, Freiheit und Gebundenheit, Objektivität und Subjektivität, gehört untrennbar zum Wissen. Wissen ist Gegenwärtigsein von Gewußtem. In dieser Hinsicht gehört zum Wissen Objektivität und Gebundenheit. Wissen kann erst verbindlich sein, wenn es sich gründlich an seinen Gegenstand bindet. In diesem Bezug bestimmt sich der Wissende nicht selbst, er wird durch das bestimmt, was er weiß. Zu allem Wissen gehört aber gleich ursprünglich das Wissen des Wissens selbst. Ich weiß immer, daß ich weiß. Und in dieser Rücksicht gebührt dem Wissen Freiheit und Subjektivität. Freiheit bedeutet dabei Selbstbestimmung. Das Wissen nämlich, das sich selber weiß, bildet den einzigartigen Fall, daß es, indem es vom Objekt bestimmt wird, durch sich selbst bestimmt ist. Beide Bestimmungen, Wissen sei Anwesendsein von Gewußtem und Wissen sei Sich-selber-Wissen, sind relativ. Sie halten sich einseitig entweder an das inhaltslose Subjekt oder an das selbstlose Objekt des Wissens und verfehlen, ausschließlich gesetzt, den mate-
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rialen Absolutheitsdiarakter absoluten Wissens. Absolutes Wissen löst sich von den Einseitigkeiten beider Relationen, indem es beides, Subjekt und Objekt, Freiheit und Gebundenheit, in Einheit zusammennimmt. Sein konkretes Wesen nimmt beides in sich auf, aber nicht als Summe von Separaten, sondern in ursprünglicher Durchdrungenheit. Absolutes Wissen liegt nicht zuerst im Sein des Gewußten ruhend vor und wird außerdem noch mit der Freiheit des Sich-selber-Wissens ausgestattet, und es ist auch umgekehrt nicht zuerst ein Sich-selber-Wissen, das sich außerdem noch auf das Sein als seinen Wissensbestand erstreckt. Im absoluten Wissen durchdringen Sein und Freiheit einander so, daß sie ihren Unterschied verlieren und in diesem Verlust erst das Ansehen absoluten Wissens gewinnen. Sein als beständig ruhende Objektivität ist nur durch die Selbstbestimmung der Subjektivität, und keines, das freie Sich-Wissen und das Wissen einer bestehenden Gegenstandswelt, kann ohne das andere sein. Der Akt des Sich-mit-sich-Zusammennehmens ist in eins ein Unterscheiden von dem sich nicht wissenden Sein als dem beständig ruhenden Objekt. Und diese Untrennbarkeit von Subjektivität und Objektivität, von Sein und Freiheit macht materialiter das absolute Wissen aus. Das Resultat der Inhaltsanalyse legt das ruhende Sein und die Freiheit in ihrer Verschmelzung als Materie des absoluten Wissens in der Formel vor: Wissen ist die Unabtrennbarkeit von Sein und Freiheit. Von diesem Resultat her gelingt es leicht, die Form des absoluten Wissens beschreibend vorzulegen. Meinen die Inhalte das, was sich im Wissen vereinigt, so bedeutet Form das bloße Wie der Vereinigung, unangesehen dessen, was sich verbindet. Diese Form ist eben das SichDurchdringen als solches. Ihre erste Beschreibung schon belegt sie mit ungewöhnlichen Namen. Die Form sei ein lebendiger Lichtzustand oder das eingesetzte Auge. Diese metaphorischen Beschreibungen bezeichnen das, was als das Allerbekannteste das Unbekannteste, als das Nächste das Fernste ist: die Ichheit als die in allem Wissen herrschende Wissensform. Die Form ist absolutes Sich-Durchdringen und darin Sich-offenbarWerden und Fürsichsein. „Dieses Türsickseyn eben ist der lebendige Lichtzustand, und die Quelle aller Erscheinungen im Lichte" (§9; 19). Dem gewöhnlichen Wissen vom Wissen bleibt dieser Lichtzustand verborgen. Es ist ganz dem im Lichte sich vollziehenden Sehen von erscheinenden Gegenständen hingegeben und treibt sich so in den Sonderungen von Subjektivem und Objektivem herum. Dem philosophischen Wissen ist
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eine Zumutung aufgegeben. Diese mutet dem Sehen zu, sich der Helle des eigenen Sehens in solch lebendiger Erfassung zuzukehren, daß es selbst der Lichtzustand wird, aus dem alles Sehen und Bewußtsein lebt. Das ist das Schwerste und Ungewohnteste, weil alles Sehen im Lichte sieht, ohne die Helle, worin es sieht, selber zu sehen. Gemeinhin bleibt das Sehen gegenüber dem Grunde des Sehens blind. Dem Sehen wird sein eigenes Wesen erst durch eine Selbstbesinnung hell, in der das absolute Wissen als die untrennbare Einheit von Sein und Freiheit nicht bloß ist, sondern für sich, und d. h. eben sich offenbar ist. Dieses Sichoffenbar-Sein ist der lebendige Lichtzustand. In dieser Form ist dem absoluten Wissen ein Auge eingesetzt, dergestalt, daß es ein in sich geschlossenes Auge aufschlägt. Diese Lieblingsmetapher Fichtescher Begriffssprache spricht in Rücksicht auf die absolute Form des Wissens. Welche Deutungen legt sie nahe? Ein Auge einsetzen, besagt vor allem, die Blindheit dadurch aufheben, daß das Organ des Sehens in einen Organismus eingefügt wird. Der hier zur Rede stehende Organismus ist der organische Zusammenhang von Sein und Freiheit im absoluten Wissen. „Es ist schlechthin, was es ist, und ist dieses schlechthin, weil es ist. Aber dadurch ist ihm noch immer kein Auge eingesetzt" (§9; 19). Bisher war das Wissen als ein Absolut-Seiendes beschrieben, das an sich besteht, ohne für sich zu sein. Wird nicht die absolute Form berücksichtigt, so ist das absolute Wissen blind. Das absolute Sehen ist ein Sehen, das sich nicht selber sieht. Bisher lag das Auge bestenfalls außer ihm. Das untrennbare Zusammen von Sein und Freiheit war ja gewußt, aber nicht vom absoluten Wissen selbst, sondern vom philosophischen Wissen außerhalb. „Aber dieses Auge liegt nicht ausser ihm, sondern in ihm, und ist eben das lebendige sich Durchdringen der Absolutheit selbst" (§ 9; 19). Dem absoluten Wissen ein Auge einsetzen, heißt zudem, den Blick ins Innere versenken. Dieses Aug-Organ ist ein in sich geschlossenes Auge. Es kann sich nicht für ein anderes außer ihm öffnen, so wie das Körperauge den Blick für die im Sonnenlicht sinnlich-farbig leuchtende Natur öffnet. Dieses Auge sieht nichts außerhalb seiner (extra) und nichts außer (praeter) sich. Das absolute Auge ist ja das Sehvermögen des absoluten Wissens, durch das es sich selbst durchdringt. Sein Sehen ist ein Durchdringen, das die Durchdrungenheit und Verschmolzenheit von Sein und Freiheit durchdringt, d. h. für sich offenbar macht. Es ist das Fürsichsein des Fürsichseins. Die Herausgliederung der so umschriebenen Form legt das innerste
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Wesen des Wissens frei. Fichte hat sie mit dem Terminus clchheit' belegt. „Die Wissenschaftslehre hat dieses absolute sich selbst in sich selbst Durchdringen und für sich selbst Seyn mit dem einigen Wort in der Sprache, welches sie ausdrückend fand, dem der Ichheit bezeichnet" (§ 9; 20). Das wesenhafte Sein des Ich ist hier zur Sprache gebracht als die Form und nicht als Seinsbestand des absoluten Wissens. Ich und Wissen sind nicht dasselbe. Vielmehr ist deutlich zu scheiden: Der Titel 'absolutes Wissen3 drückt die Absolutheit des Wissensbestandes aus, nämlich absolutes Bestehen und absolutes Werden in Einheit. Der Name 'Ichheit' zielt auf die Form des absoluten Wissens40. Besteht die Struktur des Ich in der Reflexion im Sinne des Fürsichseins, so ist der tiefste Sinn des Ich jenes unübersteigbare Fürsichsein, in welchem das absolute Wissen oder die innige Einheit von Freiheit und Sein nicht nur an sich und für anderes, sondern für sich selber ist. Ichheit benennt die Gewißheit eines Sich-Wissens, worin das Gewußte die Untrennbarkeit von Subjekt und Objekt ist. Und es ist klar, daß diese Formanalyse den Gewinn der absoluten Reflexion wieder eingeholt hat. Das Sich-Durchdringen im Durchdrungensein von Sein und Freiheit entspricht dem Reflektieren, in welchem das Ich sich schlechthin setzt als Sich-Setzen. Der Anfang der Wissenschaftslehre von 1801 hat sich das Ende der Grundlegung von 1794/95 angeeignet, um es vorerst beschreibend auszulegen.
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Die Konsequenz dieses Tatbestandes ist klar. Ist die sich bildende Ichheit bloße Form des Wissens und Seins (die Erscheinungshaftigkeit des Erscheinens), dann kann sie nie zum Besonderen durchbrechen und niemals ein bestimmtes Sosein deduzieren. Die Wirklichkeit bleibt in materialer Hinsicht undurchdringlich. Die W.-L. begründet eben gar kein besonderes, materielles Wesen, sie begründet die Form des Wissens in allen Objekten oder die Klarheit des Auges, vgl. M. Zahn, 'Die Bedeutung neuer Fichte-Funde', Zeitsdir. philos. Forschung 13, S. 117.
3· KAPITEL Die Vereinigung von Sein und Freiheit im Wissen Eine erste Beschreibung hat alle Glieder des absoluten Wissens artikuliert. Das Wissen ist seiner Materie nach als Sein und Freiheit in Verschmolzenheit herausgegliedert, es ist seiner Form nach als das absolute Fürsichsein und Sich-Durchdringen (die Ichheit als absolute Reflexion) beim Namen genannt. Aber eine Beschreibung bereitet nur vor. Sie durchläuft das Beschriebene gleichsam von Außen und dringt darum nicht konstruierend in den Mittelpunkt des Wissens ein, so daß die Einzelglieder auseinandergerissen liegenbleiben. Bisher sind doch erst Sein und Freiheit als Charaktere des absoluten Wissens und ihr Vereinigtsein als Momente des absoluten Wissens behauptet. Ein verläßliches Wissen darüber verlangt eine Konstruktion. Diese neue Aufgabe liegt nicht darin, neue Glieder herbeizuschaffen. Die Wesensmomente des Wissens liegen vor: Sein oder In-sich-Beruhen, Freiheit und Ichheit oder absolute Reflexion. Worum es geht, ist, diese Einzelglieder in einen gründlichen Zusammenhang aufzunehmen (§ 10—15). Dafür wird tiefer in die Zusammenhänge von Sein, Freiheit und Wissen einzugehen sein. Verlangt wird eine Besinnung auf das Wissen seinem Sein und ruhigem Bestehen nach. Gleichzeitig wird eine Betrachtung gefordert, welche das Wissen in seiner Freiheit und seiner immanenten Erzeugung nach genauer untersucht. Erst aus der vertieften Ansicht des Wissens in seinem Sein und seiner Freiheit lassen sich die Versuche einer Konstruktion beurteilen, die Sein bzw. Freiheit zum Prinzip der Einheit machen; denn wieder drängen sich Meinungen vor, die idealistisch bzw. realistisch eingeschworen sind und entweder den realen Seinsbestand oder die ideale Freiheitstat als Anfangsgrund durchzusetzen suchen. Die besonnene Methode aber wird darin bestehen, beide Unternehmen als einseitig bloßzustellen. Die Nachkonstruktion der Einheit von Sein und Freiheit im absoluten Wissen durch ein philosophisches Wissen fängt bei der Erwägung einer der Grundbestimmungen an. Und sie sieht sich genötigt, diese als Prin-
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zip fallen zu lassen, um sie als unselbständiges Moment für eine tiefer gelagerte Einheit zu gewinnen. Solche Untersuchung beginnt damit, das absolute Sein als Wesen des Wissens zu durchdringen. Worin also hat das Wissen sein beharrendes Bestehen? Worin ruht es ohne Werden und ohne Rücksicht auf Freiheit? Der Bescheid lautet: „Nun ruht, welches noch wohl zu merken ist, das Wissen keineswegs im Vereinen, noch ruht es im Zerstreuen, sondern es ruht selbst schlechthin im Verschmelzen dieser beiden, in ihrer realen Identität" (§ 10; 22). Diese dunkle Auskunft wird klarer, wenn man das Vereinen als Grundtätigkeit des zusammengreifend-begreifenden Denkens und das Zerstreuen als das sinnliche An- und Hinschauen von Mannigfaltigkeit versteht. Daran erinnert Fichte in einem Rückverweis selbst. „Uebrigens bleibt es bei unserer obigen Erklärung, dass das Wissen weder in der Einheit ruhe, noch in der Mannigfaltigkeit, sondern in und zwischen beiden; denn weder das Denken ist ein Wissen, noch ist es die Anschauung, sondern nur beide in ihrer Vereinigung sind das Wissen" (§ 12; 25). Das Denken verschafft Einheit und entspricht den synthetisierenden Gesetzen der ursprünglich synthetischen Einheit des Ich-denke. Die Anschauung hält, sich hinschauend, der Einheit das zu einigende Mannigfaltige vor. Das absolute Wissen ruht, indem es innerhalb beider schwebt. Das hatte die Analytik in der 'Grundlage0 von 1794/95 herausgebracht. Es ist die Tätigkeit der schwebend festund zusammenhaltenden Einbildungskraft in ihrem dreifachen Produzieren als Zeit-, Ideal- und Anstoß-Bilden, die der Vernunft Bestand verschafft. Die Neubesinnung auf das Bestehen und In-sich-Ruhen des absoluten Wissens rekurriert unausdrücklich auf das Schweben der produktiven Einbildungskraft, sofern diese in der Dimension der theoretischen Vernunft und in Betracht des Ganzen gegenständlicher Erkenntnis (oder der Erfahrung) Anschauung und Denken verschwebend verknüpft. Im Schweben ruht das Wissen. Solche Ruhe ist Synthesis von Bewegung und Stillstand; denn ihr verschweben die Gegenbewegungen, die vom Gegenstande der Anschauung zur Einheit des Ich-denke und von dieser Einheit zu jener Mannigfaltigkeit hin- und zurücklaufen, zu einem in sich bewegten Stehen. Die innerste Bewegtheit des Wissens ist solches Schweben zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Einheit und Mannigfaltigkeit, zwischen Anschauung und Denken. „Es schwebt daher innerhalb beider, und ist vernichtet, wenn es nicht innerhalb beider schwebt" (§ 10; 22). Das in sich beharrende und verschwebende Wissen wird durch keine
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Freiheitstat aus dem Erfahrungsstande emporgerissen. Es findet sein Sein beharrlich im Gewußtsein der empirisch anschaulichen Welt. Das Sein des Wissens gründet im Bestehen des Gewußten, sofern eben Wissen ist, wenn Gewußtes ist. Aber alle Anstrengung des Begriffs muß darauf verwendet werden, nicht ein vorliegendes Gewußtes hinzunehmen, das dem Wissen Bestand verleiht. Und noch vordringlicher ist es, die Mannigfaltigkeit, die doch elementar in dem Anschauungsbestande der schlechthin bestehenden Erfahrung einliegt, nicht einfach dem Ding an sich zuzuschanzen. Das Sein des Wissens, d. i. das beharrende Bestehen von Gewußtem, sollte doch die Wesenheit des absoluten Wissens selber sein. Es ist verständlich, daß die Beweislast im Hinblick auf die Ableitung der unendlichen Mannigfaltigkeit des Gewußten schwer erträglich ist. Die Frage nach dem absoluten Sein des Wissens konzentriert sich daher auf das Scheideproblem: Woher stammt die unendliche Mannigfaltigkeit? Es wird in der Fragestellung diskutiert: Worin gründet die unendliche Teilbarkeit oder Quantitabilität allen Wissens (§ 10)? Diese Frage impliziert drei Teilfragen: 1. Was heißt Quantitabilität? 2. Wie geht das Quantitieren vor sich? 3. Worin hat es seinen Grund? Alle drei Fragen sind lediglich im Horizonte einer Durchdringung des Verhältnisses von Sein (In-sich-Ruhen) und Wissen zu erörtern. 1. Quantitabilität kommt als ein Charakter zur Diskussion, der die Mannigfaltigkeit des Gewußten und des beharrenden Seins betrifft, nicht aber die Freiheit des Sich-Wissens und Fürsichseins (deren Charakter wird sich als teillose Einheit herausstellen). Quantitabilität bedeutet sonach die Spaitbarkeit und unendliche Teilbarkeit des einen Wissens in das Besondere des mannigfaltig Gewußten. So ist das Wissen immer schon in die Unendlichkeit der Vorstellungen gespalten, und zwar sowohl in die Unendlichkeit der Körperdinge oder Objekte, die in ihrer abgehobenen Bestimmtheit und Beschränktheit durch das bestimmende Festsetzen des Wissens im Kontinuum des Raumes herausgehoben sind, wie in die unendliche Mannigfaltigkeit der Iche oder Subjekte, die sich als anschaulich Gewußtes aus dem Zeitkontinuum und Geschichtsfluß abheben. Die Sphäre der Quantitabilität also ist die Natur oder Sinnenwelt als das Gesamt des zeitlich und räumlich Anschaubaren, in welchem sich eine Unendlichkeit von besonderen Objekten und Subjekten bestimmt heraussondern läßt. 2. Wie geht aber dieses Heraussondern und fortgesetzte Teilen des
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Gewußten vor sich? Die Antwort lautet: im schlichten Auffassen von etwas als etwas. Das kann jedermann im Achten auf sein Auffassen von irgendetwas ausmachen. Er wird von Fichte dazu angeleitet. „Was du auch auffassen mögest mit deinem Wissen, das ist Einheit, denn nur in der Einheit ist Wissen, und ergreift sich das Wissen. Wie du aber wiederum dieses Wissen ergreifest, zerstiebt dir das Eine in Separate" (§ 10; 21). Zur Erläuterung halten wir uns an ein Fichtesches Beispiel. Wissen beginnt mit dem Auffassen einer einheitlichen, herausgesonderten Bestimmtheit, z. B. als Vorstellung dieses bestimmten Baumes. Es weilt, gleichsam im Angeschauten versunken, in dieser abgegrenzten Einheit, solange das Ergreifen des Dieses-da (X) nicht selbst ergriffen wird. Im Besinnen auf Dieses als dieses Bestimmte (als dieser Baum) aber eröffnet sich unendliche Mannigfaltigkeit; denn das Eine als Bestimmtes zeigt sich nurmehr im Unterschied zu unendlich vielen anderem, was es nicht ist (Bäume und Nicht-Bäume). Dieses Unterscheiden ist nur möglich, wenn die unendliche Mannigfaltigkeit alles anderen (Nicht-X) mitgesetzt ist. Durch dieses Mitgesetztsein zerstiebt das Eine in Separate. Es zerstiebt, weil sich diese Versetzung des bestimmten Einen ins davon getrennte Mannigfaltige unendlich und kontinuierlich fortsetzt. Jeder Teil des Separaten (z.B. Haus) erfährt im bestimmten Ergreifen und im Besinnen auf das Bestimmte als solches dieselbe Zerteilung des Gewußten. Die Beschreibung dieses Prozesses bereitet die Antwort auf die Frage nach seinem Grunde vor. 3. Die gewöhnliche Ansicht führt die unendliche Teilbarkeit auf das Ding an sich zurück. Die Einheit im Gewußten werde vom einigenden Tun des Subjekts aufgebracht, die unendliche Mannigfaltigkeit liege im Ding an sich unabhängig vom Wissen vor. Diese Auskunft bietet ein Asyl für die schnell ermüdete philosophische Forschung und läßt es, da das Ding an sich außerhalb des Wissens liegt, bei einem Unerforschten als Unerforschlichem bewenden. Sie kennt eben nur ein relatives Wissen. Das Wissen vom absoluten Wissen dagegen hat den Grund für die unendliche Mannigfaltigkeit des Gewußten und die Teilbarkeit des Wissens im Wissen selbst aufzusuchen. „Du wirst dir daher nicht ferner einfallen lassen, dass sie etwa in einem Dinge an sich begründet sey, welches, wenn es wahr wäre, zuletzt doch nichts weiter hiesse, als dass du den Grund nie erforschen könntest" (§ 10; 21). In Wahrheit läßt sich die Unendlichkeit dieser Mannigfaltigkeit aus dem Wissen selbst ableiten. Freilich ist dazu eine angemessene Ansicht vom absoluten Wissen und eine Durchsicht seiner Bestandteile nö-
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tig. Die Systemgründung der Mannigfaltigkeit hätte also ihren Anfang bei der Einheit zu nehmen. Sie fragt nicht von einem substanziellen Bestand des Mannigfaltigen her nach einem beizubringenden Band der Einheit, ihr Ausgang ist vielmehr die Einheit des absoluten Wissens und ihre Problemlast die Begründung der Besonderung41. (Wie bedeutend diese Wendung der Fragestellung in der Einzelanalyse sein wird, läßt sich im Blick auf die unendliche Vielheit der Iche entwerfen. Die Ansicht, in welcher die Vielheit der Iche im Sinne von an sich selbst bestehenden Substanzen vorliegt, ist die eines 'idealistischen Individualismus'. Dieser sucht von der Vielheit monadischer Iche aus zur Einheit von Welt und Geist zu kommen. Er wird vergebens nach einem einsichtigen Grunde der Übereinstimmung der anfänglich solipsistisch angelegten Ich-Substanzen Ausschau halten, weil er in verkehrter Richtung sucht. Der terminus a quo solcher Ableitung ist die Einheit des Ich, und die Vielheit individueller Iche ist Resultat ihrer Spaltung; denn das Wesen des Ich stellt einen Einheits- und Sonderungspunkt dar. Es ist fundamentum divisionis auch für die Teilung der Iche ins Unendliche ihrer individuellen Gestalten.) Gibt es also ein Strukturmoment, welches das eine Wissen zu unendlicher Teilbarkeit vorbestimmt? Hier findet sich das Prinzip der Spaltung-überhaupt angedeutet. „Und zwar ist diese unendliche Theilbarkeit alles Wissens abgeleitet aus dem absoluten Wesen des Wissens als eines Formalen" (§ 10; 21). Die Durchforschung des absoluten Wissens hat die Ableitung von dem Augenblick an in der Hand, da sie die Form des absoluten Wissens in den Blick gefaßt hat. Diese Form ist das ursprünglich lebendige Als: das absolute Wissen (die Unzertrenntheit von Sein und Freiheit) als sich wissende. Dieses Als ist ja eben als Element im Prozeß des Quantitierens bekannt gemacht, und es war schon als Prinzip einer Spaltung im Gefüge der absoluten Reflexion angemeldet worden. Es bringt, weil in ihm Bestimmtheit, Abgrenzung, Aussonderung, unendliche Vielheit liegt, aus dem Wesen des Wissens die Bestimmbarkeit mit. Von Grund auf also verfährt 41
M. Gueroult (a.a.O. II, 40—43) hat den eigentümlichen Gesichtspunkt der W.-L. 1801 im Versuch gesehen, die Welt der Individuen genetisch abzuleiten. Das System von Individuen kann im Grunde nicht durch die Wechselbestimmung eines jeden mit allen Anderen, es muß durch ein Verhältnis zur Einheit eines 'absolut Seyenden' bestimmt sein. Und es läßt sich beweisen: Dieses Verhältnis ist unendliche Quantitabilität; und diese kann nicht mehr als der Prozeß einer Selbstbeschränkung des absoluten Subjekts, sie muß als der Vorgang eines Abbildens gefaßt werden, welcher nicht das Absolute selbst, wohl aber das Bild seiner geschlossenen Ordnung zu realisieren strebt.
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alles Sehen und Auffassen so, daß das Gewußte als unendlich Mannigfaltiges und Separates in die Einheit des Selbstbewußtseins kommt; denn im Als oder im absoluten Für-sich ist das Wissen selbst Einheit von Separatem. „Das Wissen ist ein Fürsich für sich selbst, sagten wir, und kommt auf diese Weise aus der Einheit der Separaten, somit aus den Separaten nie heraus" (§11; 23). Zufolge dieser beständig bleibenden Wissensform zerspringt die gegenständlich hingeschaute eine Welt zu unendlicher Vielheit und spaltet sich in unendlich viele Gestalten, seien es Körper oder Iche. Indem also der Blick des Wissens in der Form der Ichheit auf der einen Welt der Erfahrung ruht, zerteilt sich das Gewußte unvermeidlich zu unendlich weiter bestimmbarer Bestimmtheit. Wo Wissen ist, da ist Einheit und Unendlichkeit der Mannigfaltigkeit. Dies könnte nur getilgt werden, wenn das Wissen bis in seine Wurzel vernichtet würde. Das Sein und Bestehen des Wissens im Gewußten ist vom Wissen selbst geleistet. Wissen ruht nicht einfach in der Einheit des Sich-selberDenkens, und es ruht nicht anschauend in an sich bestehenden Separaten. Es hat sein Sein weder im bloßen Synthetisieren des Denkens noch im bloßen Zerstreuen des Anschauens; „denn es ist keine Einheit ausser der der Separaten, und es sind keine Separaten ausser in der Einheit" (§ 10; 22). Wissen besteht nur als Sich-Wissen im Wissen von etwas als etwas. Es ist die Einheit von Einheit (Sich-Wissen) und Separatem (dem Etwas als Etwas). Und dieses Bestehen ist ruhendes Beharren, indem das Wissen zwischen der unendlichen Mannigfaltigkeit der Anschauungsgegenstände und dem Einheit-gebenden Denken schwebt. In diesem Stande beharrt das Wissen im Zustande der Gebundenheit. Es ist durch Sein ohne Freiheit geprägt. In den späten 'Tatsachen des Bewußtseins' von 1812 hat Fichte das hier führende Selbst- und Seinsverständnis so ausgesprochen: Weil das Ich sich selbst als Substanz versteht, versteht es das Seiende als das Bestehende. Dieses Verständnis von Sein und Wissen folgt der Ansicht vom Absoluten als dem ruhig in sich Bestehenden, und solche Besinnung des Wissens auf sein absolutes Sein bleibt ohne Freiheit, weil es nicht vermag, sich von der anschaulich dargebotenen Erfahrungswelt als dem wahrhaft Seienden loszureißen und sich zu einem höheren Selbst- und Seinsverständnis zu erheben. Das ruhig beharrende Bestehen der in ihren Wesens- und Wissensgesetzen unveränderlichen Erfahrungswelt aber macht nur ein abgerissenes Absolutheitsmoment des Wissens aus. „Das Absolute ist ferner, von Seiten des Werdens oder der Freiheit angesehen, — und es muß von dieser Seite
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angesehen werden, um als Absolutes angesehen zu werden — was es ist, schlechthin weil es ist. Dasselbe muß vom Wissen eben als Wissen, gelten" (§ 11; 22). Wie also stehen Freiheit und Wissen zusammen? Eine Untersuchung dieser Frage hat vorsorglich daran zu erinnern: Bei der Freiheit, die als Grundbestand des absoluten Wissens analysiert werden soll, kann es sich nur um Freiheit in der Dimension einer absoluten Freiheit handeln, vor und über der Trennung in theoretisches und praktisches Wissen und der damit mitziehenden Spaltung in moralische und kosmologische Freiheit. Vor allem die vorschnelle Gleichsetzung der Freiheit mit der moralischpraktischen Freiheit und der Freiheitstat mit der Entscheidung des Willens ist zurückzuhalten. Die Freiheit des absoluten Wissens bedeutet nicht sogleich das Vermögen der praktischen Vernunft, Handlungen von sich aus anzufangen, indem sich der Wille in den Vollzug des von ihm selbst gegebenen Gesetzes begibt und den Menschen dadurch in den Bereich der intelligiblen Welt vernünftiger Wesen erhebt, deren Ordnung im moralischen Gesetz gründet und deren Miteinander durch dieses Gesetz geregelt wird. Durchgreifenderes kündigt sich an; denn wird die Freiheit als materiales Grundmoment des absoluten Wissens durchsichtig, dann geht die Einsicht auf: Das Ganze des Seienden hat seinen Grund in der Freiheit. Unausgesprochen ist der erste Satz der Wissenschaftslehre ein Satz von der absoluten Freiheit. Er verkündet, daß das Ich sich schlechthin selbst setzt und selbst bestimmt. Aber die erste Grundlegung thematisiert den eingelegten Zusammenhang von Wissen und absoluter Freiheit nicht. Die absolute Freiheit wird erst dort zum Gegenstand einer thematischen Untersuchung, wo die Hinsichten von absolutem Sein und absolutem Werden zur Sprache kommen. In der 'Grundlage' fand sich das frei erzeugte Ich vorangestellt, jetzt wird die Erzeugung und ihr Gesetz selbst in Betracht gezogen. Und es ist wieder zu beachten: Diese Erzeugung kann im Horizonte einer Wissenslehre nur eine 'immanente Genesis' meinen, d.i. eine Erzeugung des Ich und des Wissens, die ihren Entstehungsgrund nicht überschwenglich im Absoluten sucht, sondern sich auf die Inhalte des absoluten Wissens selbst besinnt. Und nur, wenn das absolute Werden von der Freiheit des Wissens her beschrieben wird, kommt es vom Widerspruch frei. Das absolute Werden wird nicht von anderem (ab alio), sondern von sich her (a se). Als Charakter des Absoluten erhält es den undurchdringlichen Status einer causa sui. Als Charakter des absoluten Wissens verliert es seine Unbegreiflichkeit. Die
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klärende Synthesis von absolutem Wissen und Freiheit (im Hinbiidt auf das absolute Werden) stellt Wissen als Ausdruck der Freiheit auf und die Freiheit in den gehörigen Zusammenhang des Wissens. Die thematische Betrachtung kennzeichnet die Freiheit des Wissens in formaler und materialer Rücksicht. Sie legt dar, wie Freiheit Wissen erzeugt und was sie erzeugt. Formale Freiheit benennt immer den Anfang, der aus Nichts erfolgt, der von selbst gesetzt werden, aber ebenso grundlos nicht gesetzt werden kann. Sie übernimmt darin den Charakter der libertas indifferentiae. Das durch formale Freiheit Gestiftete ist, weil es unterbleiben kann, nicht notwendig, und das Nicht-notwendigSein impliziert den Charakter des Zufalls. Wie steht es angesichts dieser formalen Freiheitscharaktere mit dem Wissen? Wissen ist nicht nur Dasein von Gewußtem, es ist ebenso elementar Sich-Wissen. Wissen ist im Stande des Fürsichseins, und zwar einfach darum, weil es ist. „Nur für sich kann es seyn, weil es ist" (§ n; 23). Besteht das absolute Wissen im Sich-selber-Setzen, dann kommt das Wissen zum absoluten Fürsichsein, „inwiefern es sich setzt, als seyend, weil es ist" (§ n; 23). Woher kommt dieses Weil? Es ist nicht Ausdruck des absoluten Seins des Wissens, „sondern es ist Ausdruck seiner Freiheit, und seiner absoluten Freiheit" (§n; 23). Das pure Sein und bewegungslose Bestehen zieht nicht notwendig den Charakter der Freiheit nach sich. Die absolute Substanzialität impliziert nicht Selbstanfang und Selbstbestimmung. Diese Geschiedenheit von Insichsein und Vonsichsein leuchtet im Blick auf das Phänomen allen Wissens ein. Wissen ist, wenn Gewußtes ist, und das Wissen und Denken ruht und besteht im Anwesendsein von Gedanken. Aber während des Seins ist das Wissen nicht frei und für sich. Es ist vielmehr im Gewußten versenkt, selbstvergessen ganz bei der Sache und von ihr bestimmt. Um für sich zu sein und selbsthaft zu werden, braucht das Wissen formale Freiheit, den durch nichts begründeten Akt des Sich-Losreißens vom Gedanken und des Reflektierens auf das alles Gedachte Denkende. Diese Tat der Freiheit ist formal. Sie kann geschehen, sie kann auch unterbleiben; denn das Wissen hat Bestand, wenn es Gewußtes hat, auch ohne sich dieses Habens ausdrücklich bewußt zu sein. Dies gilt auch für das absolute Wissen. Es könnte bestehen, ohne für sich zu werden und ausdrücklich ichhaft zu sein. Das Für-sichGewordensein „folgt nicht aus dem Seyn des Wissens, und dieses Seyn könnte auch ohne dasselbe seyn" (§ n; 23). So erzeugt sich das absolute Wissen gleichsam aus Nichts. Seine Ichform ist Produkt absoluter Freiheit.
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Damit ist Freiheit formal beschrieben, wie sie ist, nämlich als Akt unvermittelten Aufbrechens und unbeeinflußbaren Selbstanfangs. Und es ist zugleich angezeigt, was sie ist. Material betrachtet, ist absolute Freiheit nichts anderes als der Akt des absoluten Sich-Durchdringens. Was durch Freiheit schlechthin erzeugt wird, ist eben die Ichheit oder die Fürsichheit. Diese war als derjenige Reflexionsstatus beschrieben worden, in welchem das Einigsein von Sein und Freiheit im Wissen sich als solches weiß. Freiheit als Freiheit des Wissens ist Selbstdurchdringung und Erzeugung der Ichheit. Erst diese Fassung verknüpft die Freiheit zureichend mit dem Wissen. Das Wissen ist ein Tun und kein Tätiges, weil es durch Freiheit beseelt wird. Aber es ist ein Akt derjenigen Selbstbestimmung, durch die das seiende Wissen sich selbst ergreift und sich so als Ich erzeugt. Das ist die tiefste transzendentale Konzeption der Freiheit. Durch Kant ist die große Idee der Selbstbestimmung auf den Weg gebracht worden. Nun kommt heraus: Freiheit ist keine Bestimmung, in welcher ein seiendes Ich sich selber fortbestimmt, in ihr ergreift sich das Ich allererst im Wissen selbst. Selbstbestimmung ist Selbsterzeugung. Wissen ist anfänglich Freiheit: „ein Act, weil es Freiheit ist, ein Act der Ichbeit, des Fiirsich, des sich Ergreifens, weil es Freiheit des Wissens ist" (§ 11; 24). Was leisten solche Erhebungen? Sie durchschauen den Zusammenstand von absolutem Sein und Wissen und besinnen sich auf den fundamentalen Zusammenhang von absoluter Freiheit und Wissen. So aber erscheint das absolute Wissen bisher nur in einer Gedoppeltheit, einmal als schlechthin seiend, zum ändern als schlechthin frei. Das ist eine zwar förderliche, aber durchaus vordergründige Betrachtung. Und ihre Vorbeschreibung hat angekündigt: Sein (Objektivität) und Freiheit (Subjektivität) liegen im Wissen nicht auseinander oder unvermittelt nebeneinander, sie sind in Einheit verschmolzen. Es gibt also einen Vereinigungspunkt für den doppelten, bisher separat behandelten Absolutheitscharakter des Wissens. Dieser liegt im Wissen und dürfte das Innerste des absoluten Wissens selber sein. „Auf diesen Vereinigungspunct — nicht mehr auf die Separaten, als welche nun zur Genüge beschrieben worden — richten wir von nun an unsere Aufmerksamkeit" (§12; 25). Dafür ist zuerst das vorentworfene Vereinigtsein von Sein und Freiheit nachzukonstruieren und deren organische Einheit sicherzustellen. Diese Einigung bringt sogleich weitere grundlegende Vereinigungen mit sich, nämlich die von Einheit und Mannigfaltigkeit und von Denken und Anschauen. Aus den Vorklärungen ergaben sich ja die Zuordnun-
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gen von Mannigfaltigkeit und Anschauen zum Sein, von Einheit und Denken zur Freiheit. Mannigfaltigkeit und Anschauung gehen mit dem Sein mit. Mannigfaltigkeit hat ihren Grund in der Quantitabilität des absolut seienden Wissens, und das Wissen ist seiend, indem es im Gewußten, der Welt der Anschauung, ruht. Demgegenüber ist die absolute Freiheit im Wissen Einheit: „Einheit, ein durchaus untheilbarer Punct, des sich Ergreif ens und Berührens" (§11; 24). Die Freiheit ist unteilbar, weil sie nichts ist denn der Ursprungsakt des Sich-auf-sichBeziehens. In ihr ist nichts, was quantitiert werden könnte. Freiheit des Wissens bedeutet ja absolutes Werden und bildet die Spitze, den Erzeugungspunkt für alles Sich-Wissen. Mannigfaltigkeit aber verlangt ein vorgegebenes Sein, das geteilt und gesondert wird. Und mit dieser Einheitsform geht das reine (nicht das sinnliche) Denken mit; „denn nur das Denken ruht vermöge seiner Einheits-Form auf sich selbst, dagegen das Anschauen nie auf einer Einheit, die sich nicht wieder in Separaten auflöste" (§ 14; 30). Denken hat die Form der Einheit auf dem Grunde der Freiheit. (Das ist die tiefste Begründung dafür, daß das Kriterium allen Denkens die Spontaneität ist.) Diese Hinweise müssen hier genügen. Sie sollen anzeigen, welche Bedeutung der gesuchten Einheit zukommt. Die Untersuchung ist auf dem Wege, das Vereinigtsein von Sein und Freiheit, Einheit und Mannigfaltigkeit, Denken und Anschauung zu konstruieren. Das ist darum eine mühsame Untersuchung, weil sie Standpunkte zu überwinden hat, welche dem Eindringen in das Innerste des Wissens im Wege stehen und die wahre Gestalt des Vereinigtseins von Sein und Freiheit im Wissen verstellen. Diese Positionen nehmen das Nächstliegende an, daß entweder das Sein oder die Freiheit Anfangsgrund der Vereinigung ist. Sie erklären die Einheit von Sein und Freiheit, die Synthesis von Subjekt und Objekt, indem sie ein Glied oder Moment zum Prinzip erheben. Die Lehre, welche die Freiheit zum Prinzip erhebt, ist idealistisch. Die idealistische Ansicht legt das Wissen als Beleuchtung aus. Eine Lehre, die von dem Sein im Sinne des Zugrundeliegens eines in sich Bestehenden ausgeht, heißt Realismus. Die realistische Ansicht versteht Wissen als Aufklärung. Beide Ansichten ergründen die Vereinigung von dem her, was in ihr vereinigt ist. Der Idealismus klammert sich an das Moment der Freiheit. Die gesuchte Einheit und ihr Vereinigungspunkt haben ja die Freiheit als ein Glied vorausgesetzt. In sie geht die Freiheit ein, und zwar als ihr ermöglichender Grund. So lehrt der Idealismus die Hypothesis der
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Freiheit. Freiheit wird als der in sich gründende Grund unterstellt, der allen Zusammenstand verschuldet und auch die „höhere vereinigende Reflexion" (§12; 25) verursacht, nämlich die Einheit, in der sich das absolute Wissen als Subjekt-Objekt-Einheit weiß. Diese These argumentiert mit der Freiheit als einer unableitbaren Voraussetzung. Zu welchen Einheiten es das Wissen auch bringen mag und welche Einheitspunkte offenbar werden mögen, sie sind Produkte der Freiheit; denn alles Wissen, auch das höchste und absolute, ist ein Ich-Wissen und schuldet die Form des Fürsichseins der Tat absoluter Freiheit. Wird der Freiheitsakt unterlassen, dann bleiben Bewußtsein und Sein im Dunkel der Selbstlosigkeit. Die Behauptung der Freiheit als Grund-gebende Voraussetzung behauptet zugleich den Primat von Einheit und reinem Denken. Das folgt aus der herausgearbeiteten Konvertibilität von Freiheit, Einheit und Denken im Gegensatz zum Zusammengehen von Sein, Mannigfaltigkeit und Anschauung. Demzufolge wäre Wissen die Einheit von Anschauung und Denken, die vom Denken ausgeht. Das anfänglich Bestimmende wäre der reine, sich in Freiheit bewegende Geist, nicht das Anschauen, das sich im Erkennen der Erfahrungswelt erschöpft. Dasselbe, auf Einheit und Mannigfaltigkeit gewendet, besagt: Wissen ist Einigung von Einheit und Mannigfaltigkeit, und der Primat der Freiheit entscheidet, daß der bestimmende Ausgang nicht im vorliegenden Mannigfaltigen liegt, von dem prinzipiell auszugehen wäre, um die entsprechende Einheit zu suchen. Heißt die Voraussetzung Freiheit, so folgt, „dass daher, da die Freiheit Einheit ist, von der Einheit fortgegangen werde zur Mannigfaltigkeit" (§ 12; 25). Und es ist von hier aus schon vorauszusagen: Die Hartnäckigkeit der idealistischen Freiheitsthese erstreckt sich auch auf den Prozeß der absoluten Reflexion. Auch diese hat ihren Ruhe- und Wendepunkt in der Freiheit; denn auch ihre Bewegung ist ein letztes Fürsichwerden, welches eben den Akt der Freiheit voraussetzt. Die 'höhere vereinigende Reflexion' hat die Gestalt des in sich zurückgehenden Fortganges vom Sein zur Freiheit, und umgekehrt. Der Punkt, in welchem diese Kreisbewegung des Fürsichwerdens anhält und sich wendet, ist die Freiheit. Ohne sie würde eben jede Reflexion im Reflektierten erstarren. „Der ganze Standpunct dieser Ansicht ist eben Form, oder Freiheit des Wissens, Ichheit, Innerlichkeit, Licht" (§13528). Das Wesen des Wissens ist Licht, und Licht ist dem Freiheitsstandpunkte zufolge wesenhaft Beleuchtung. Das absolute Wissen auf dem
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Grunde der Freiheit stellt sich als Beleuchtung dar (vgl. § 13; 29). Beleuchten heißt, das Seiende ins Licht stellen und ihm dadurch Sichtbarkeit und Unterschiedenheit verschaffen, so daß es uns ins Auge fallen kann. Beleuchten ist mehr als Aufhellung eines schon Vorhandenen. Die Beleuchtung gewährt Sein, sie läßt das Seiende für uns und unser Sehen überhaupt erst hervor- und in Erscheinung treten. In diesem Sinne des Seinlassens ist das absolute Wissen Beleuchtung, gesetzt, es werde zweierlei beachtet, nämlich daß Sein Fürsichsein bedeutet und daß Fürsichsein Ausdruck der Freiheit ist. Gegen die Unterstellung der Freiheit setzt die realistische Ansicht die Hypothesis des Seins. Grund-gebende Voraussetzung sei das Sein im Sinne des Bestehens schlechthin. „Der bleibende Standpunct dieser Ansicht ist absolutes Bestehen" (§ 12, 28). Damit Wissen durch Freiheit zum Fürsichsein erhoben werden kann, muß ein zu erhebender Bestand vorliegen. Was mithin anfänglich bestimmend in die Vereinigung des Wissens eingeht, ist nicht die Freiheit, sondern das, was der Tätigkeit der Freiheit vorausliegt, das Sein. Jede vereinigende Reflexion ist die Vereinigung von etwas, was ist, indem es an sich besteht. Das Pochen auf ein schlechthin vorauszusetzendes Bestehen, welches 'später' durch Freiheit zu einem Bestehen für sich erhoben werde, wird sich auch auf die Strukturanalyse der höchsten vereinigenden Reflexion erstrecken. Diese eint die separaten Glieder Sein und Freiheit. Die realistische Ansicht insistiert auf dem Vorschub des Seins. Ohne das Vorliegen der zu vereinigenden Glieder hätte das frei vereinigende Reflektieren keinen Halt. Das Worüber der Reflexion muß im voraus bestehen. Von diesem Standpunkte aus gilt: „Diese vereinigende Reflexion setzt offenbar ein Seyn, nemlich der zu vereinigenden Glieder voraus, und hat eben dieses Seyn derselben in sich" (§ 12; 26). Das hat Konsequenzen für den angeblichen Vorrang von Einheit und reinem Denken. Beides wird ins Gegenteil verkehrt. Über die Einheit von Anschauen und Denken herrscht das Gesetz der Anschauung. Es besagt: Wissen ist Einheit von Separaten. Wissen ist eben nur, wenn es in seinem Einigen ein zu vereinigendes Getrenntes voraussetzt. Dieses Gesetz herrscht für die Synthetisierung des anschaulich Gegebenen im Wissen, soweit es Erkennen von Erfahrbarem ist. Seine Herrschaft bleibt aber auch auf derjenigen Wissensstufe ungebrochen, auf welcher das absolute Wissen sich als die Einheit von Subjekt und Objekt weiß. Auch hier ist ja ein Getrenntes und Gesondertes als zu Vereinendes voraussetzbar. Das Wissen „ist mithin insofern an das Gesetz des Seyns des
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Wissens, das der Anschauung gebunden, dass sie in sich selbst, soweit sie sich trage, nie auf eine andere Einheit, als die von Separaten, kommen kann" (§12; 26). Mithin fügt sich die Verbindung von Denken und Anschauen nach dem Gesetze der Anschauung. Und entsprechend wird proklamiert: Die Vereinigung von Einheit und Mannigfaltigkeit geht von der Mannigfaltigkeit aus. Solcher Ausgang erst gibt dem Einheit-stiftenden Wissen und der vereinigenden Reflexion Halt. Diese kann ihr Sein im Tun nicht abschütteln, und das Sein und Bestehen hat das Gepräge der Mannigfaltigkeit. „Was sie nicht thut, sondern eben ist, und ohne ihr Zuthun mit sich bringt, ist Mannigfaltigkeit" (§12; 26). Eine so dezidierte Ansicht behauptet auch für den Kreisgang der 'höheren vereinigenden Reflexion' einen anderen Ruhe- und Wendepunkt als den der Freiheit. Die freie Bewegung dieser Reflexion hat das absolute Sein und Bestehen zum Ausgangspunkt. Davon geht die Reflexionsbewegung aus, weil sie nichts anderes tut, als ein Ansich in ein An-und-für-sich zu erheben. Somit ist die Tat der Freiheit nicht voraussetzungslos. Ihre Voraussetzung ist das Sein. Diese Entgegnung vernichtet die Freiheit nicht, aber sie schränkt ihren Primat ein. Nach wie vor bleibt unbestritten: Die Freiheit ist Anfangsgrund dafür, daß das Ansich ins Fürsichsein gelangt. Aber das dies geschehen kann, dafür bürgt das Sein. Und die Freiheit bliebe ohne das Sein ungebunden und ohne Notwendigkeit. Sie bildet sich ja aus der Aufforderung, welche an sie aus dem Sein ergeht, nämlich das bloße Ansich in ein An-und-für-sichSein zu verwandeln. Einer so gearteten Ansicht stellt sich das absolute Wissen in seinem wesentlichen Inhalte als Aufklärung dar. Wissen heißt aufklären, und der Sinn der Aufklärung ist streng von dem der Beleuchtung zu unterscheiden. Das aufklärende Wissen bringt das Seiende nicht wie ein Beleuchten überhaupt erst für uns ins Sein, es bringt lediglich etwas Dunkles und Verworrenes ins Klare. Wissen kann bis in seine Wurzel nicht mehr als Durchklären eines an sich bestehenden noch nicht Klaren sein. Wie steht es nach der Proklamation dieser beiden Standpunkte um die Frage nach der Vereinigung des nach Sein und Freiheit gedoppelten Wissens? Diese Frage entartet in den unversöhnlichen Streit zweier Ansichten. Offenbar können sich andere Ansichten nicht in den Streit einmischen. Ist die Beschreibung des Wissens als Einheit einer Duplizität (von Sein und Freiheit) kompetent, dann scheint es nur die einzige Alternative zwischen Realismus und Idealismus zu geben. Eines der beiden in die Einheit eingehenden Glieder kann doch nur vorherrschen, und
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keiner der beiden Standpunkte kommt mit dem anderen zusammen. Ihre Explikationen laufen aneinander in entgegengesetzter Richtung vorbei: von der Freiheit zum Sein bzw. vom Sein zur Freiheit. Aber diese Auskunft versieht sich an der wahren Einheit des Wissens. Anstatt in einsichtiger Konstruktion die Einheit der Duplizität herzustellen, verfällt sie in eine neue, unnachgiebige Duplizität. Freilich bleibt dieser inhaltliche Fehlschlag nicht ohne methodischen Nutzen; er weist, weil er die Irrwege kenntlich gemadit hat, den rechten Weg zur Einsicht in das wahre Einheitsverhältnis von Sein und Freiheit. Sind beide Versuche, eines der beiden in den Zusammenhang tretenden Glieder zum Prinzip des Zusammenhanges zu machen, ausweglos, dann bleibt nur der Weg übrig, das Vereinigtsein als Wechselbeziehung beider zu demonstrieren und eine organische Unzertrennlichkeit nachzuweisen (§ 15). Bisher ist die Unzertrennlichkeit von Sein und Freiheit apagogisch bewiesen. Keines der beiden Glieder kann als Prinzip herausgetrennt werden, ohne durch den Widerspruch des anderen widerlegt zu sein. Was aussteht, ist eine unvermittelte Besinnung darauf, daß keines von beiden ohne das andere und die Einheit nur in der Verschmelzung beider sein kann, weil sonst das Wissen nicht als das Licht oder das absolut Durchsichtige begriffen wäre. „Das Seyn und die Freiheit dieses Lichts in ihrer innigen Verschmelzung ist das absolute Wissen" (§ 15; 31). Die Verschmelzung und Unzertrennlichkeit muß von beiden Seiten her evident gemacht werden können. Von Seiten des unmittelbaren Seins leuchtet ein: „Kein absolutes, unmittelbares Wissen, ausser das von der Freiheit" (§15; 30). Wissen nämlich ist seiend und besteht als Einheit von Getrenntem oder Entgegengesetztem — zur Vereinigung aber kommen Entgegengesetzte dem Wissen nur durch das Einigen aus Freiheit. Und das, was das Wissen zuerst und unmittelbar von sich weiß, ist sein Freiheitswesen. Mithin kann kein Wissen als solches bestehen, ohne daß es seines Freiheitsgrundes inne wird. „(Anders: das Wissen geht nur an vom Selbstbewußtseyn)" (§15; 31). Bewußtsein ist, indem es sich des mannigfaltig Gewußten als von mir Verbundenem bewußt ist. Dieses Bewußtsein von sich als der ursprünglich verbindenden Einheit ist Selbstbewußtsein: Wissen von sich selbst als dem Actus der Spontaneität, welcher Ausdruck der Freiheit ist. Somit ist das Selbstbewußtsein qua Freiheitsbewußtsein vom Sein des Wissens nicht abzutrennen. Wo Wissen besteht, da ist Wissen von der Freiheit. Aber vielleicht ist umgekehrt die absolute Freiheit vom Seinsbestande des Wissens zu trennen? Dagegen schützt die These: „Keine un-
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mittelbare, absolute Freiheit, ausser in einem und für ein Wissen" (§15; 31). Freiheit gibt es nur im Geiste, nicht in der Natur. Der Naturtrieb z. B. bricht zwar auch von sich, aus sich drängend, auf und hat das Ansehen von Spontaneität und Selbstbewegung, aber es genügt nicht dem Ansprüche unmittelbarer, durch nichts außer sich begründeter Freiheit. Er wird ja in der Neigung zum Erstrebten von diesem angetrieben. So wird Naturhaftes durch ein anderes und Entgegengesetztes bestimmt. Um sich selbst zu bestimmen, muß die Freiheit in sich Entgegengesetztes vereinen. Sie lebt als Selbstbestimmung aus der Vereinigung des Gegensatzes von Subjektivität und Objektivität, und diese geschieht allein im Wissen, das sich schlechthin selber weiß. So verflechten sich Selbstbestimmung und Selbstbewußtsein. „Denn nur eine solche Freiheit vereinigt in sich absolut Entgegengesetzte: Entgegengesetzte sind aber nur in einem Wissen vereiniget" (§15; 31). Von der Freiheit als Selbstbestimmung ist die Selbstheit des Wissens nicht zu trennen, und zur totalen Selbstbestimmung gehört die Gewißheit der Vernunft, daß nichts außer ihr ist, durch das sie bestimmt werden könnte. Indem die Unzertrennlichkeit von Sein und Freiheit von beiden Seiten her unmittelbar anschaulich wird, leuchtet deren Einheit im Wissen als organisches Durcheinander ein. „Also Wissen und Freiheit sind unzertrennbar vereiniget" (§15; 31). Dadurch erst läßt kritisches Philosophieren die einseitigen Standpunkte im Streite der Ansichten zurück und gewinnt eine überlegene Position. Wissen ist Durchdrungenheit von Sein und Freiheit: „das freie Licht, das sich erblickt, als seyendes: das seyende, das auf sich ruht, als freies: — dies ist sein Standpunct" (§ 15; 31). Der überlegene Standpunkt der Transzendentalphilosophie scheidet nicht Freiheit und Substanzialität; denn sie schaut das Wissen in seiner konkreten Einheit an. Das absolute Wissen ruht nicht erst in sich selbst, um später für sich zu werden, und es ergreift sich nicht früher in seiner Freiheit, um von da zum Sein und Bestehen zu kommen. Insichsein oder Substanzialität und Fürsichsein nrier Freiheit fallen in eins. „Diese Sätze sind entscheidend für die ganze Transzendentalphilosophie" (§ 15; 31). Dieses Resultat hat Fichte in einem Bilde einprägsam gemacht. Es holt Kants Beispiel vom Linien-Ziehen in die Dimension des absoluten Wissens. Für Kant gibt das Linien-Ziehen das Bild einer synthetisierenden Handlung ab, in deren Einheit die Einheit des Objekts, der PunktMannigfaltigkeit, ruht. Nun behauptet die idealistische Vereinseitigung, tragende Voraussetzung und absoluter Anfangsgrund allen Wissens sei
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der Akt der Freiheit. Das zugehörige Bild ist der Punkt (der teillose, in keine Dimension des Vor und Nach sich erstreckende Punkt, an dem eine Handlung von sich her anfängt). Die realistische These behauptet dagegen, Wissen sei freie Vereinigung einer prinzipiell vorauszusetzenden, seienden Mannigfaltigkeit. Dieser Begriff hat die vorliegende, ruhende Linie zum Bilde. (An der potentiellen Unendlichkeit der Linie wird die Separierung, die Teilbarkeit in immer wieder Teilbares, anschaulich.) Die transzendentale Einsicht stellt beide Ansichten richtig und liefert für das Wesen des Wissens ein adäquateres Bild. Die Fassung des Wissens als der untrennbar-organischen Verschmolzenheit von Sein und Freiheit stellt sich im Bilde des Linien-Ziehens dar. Das tertium comparationis leuchtet sofort ein. In der Form des Linien-Ziehens liegt keine Linien-Mannigfaltigkeit vor — und es bleibt auch nicht bei dem leeren, sich in keine Richtung erfüllenden Punkt. Vielmehr ist die Linie nur in der Tätigkeit des Linien-Ziehens, und der gesetzte Punkt ist nur im Ausziehen einer Linie. Das ist das treffende Bild für den Begriff des Wissens, welcher begreift, daß im absoluten Wissen Bestehen und freies Tun zusammenfallen. „Also eine lebendige, in sich leuchtende Form des Linienziehens" (§ 12; 26). Fichtes 'Liniengleichnis5 veranschaulicht das Vereinigtsein von Sein und Freiheit im Wesen absoluten Wissens.
4. KAPITEL Die intellektuelle Anschauung Wissen oder Sehen ist durch die Nachkonstruktion einer Wechselbeziehung von Freiheit und Sein (und im Bilde des Linien-Ziehens) eingesehen. Die Unzertrennlichkeit von Sein und Freiheit oder von Objektivem und Subjektivem ist evident geworden. Aber wir haben nicht nur diese unmittelbare Anschauung erzeugt, wir sind dieser Anschauung inne geworden. Dieses Innewerden ist selber unmittelbares Anschauen und hat die Struktur der Anschauung einer Anschauung. In ihr kommt die unmittelbar angeschaute Einheit von Subjekt und Objekt selbst zur Anschauung. Die angeschaute Einheit ist nichts anderes als die Synthesis der reinen Apperzeption, die bei Fichte auch den Titel 'Intelligenz' hat. Das Anschauen der Intelligenz heißt intellektuelle Anschauung. Es ist die bedeutende Leistung der Wissenschaftslehre von 1801, die intellektuelle Anschauung als die Form absoluten Wissens in das Grundgefüge des Bewußtseins eingegliedert und als dessen alles durchragende Mitte ermittelt zu haben. Sie kann selbst eine dreifache Vorentscheidung für ihre Konzeption ausnutzen. 1. Der Titel ist mit dem von Kant aufgebrachten Begriff äquivok. Das hat die '2. Einleitung' geklärt, daß „mit demselben Wort ganz verschiedene Begriffe ausgedrückt werden" (SW I, 471). 2. Intellektuelle Anschauung ist Selbstanschauung der Intelligenz, d.h. sie ist die Ichheit in ihrer höchsten Durchsichtigkeit selbst. Mit Worten der Analytik von 1801 ausgedrückt: Was sich in der Form des Fürsich durchdringt, ist die sich ständig durchdringende Einheit der Zweiheit von Sein und Freiheit. „Dieser lebendige Gedanke nun ist's, der in der intellectuellen Anschauung sich selbst anschaut" (§ 16; 33). Also nur darum kann die intellektuelle Anschauung zum Organ des Philosophierens werden, weil das absolute Wissen in seiner Grundform selber intellektuelles Anschauen ist. 3. Da alle Philosophie darauf ausgeht, die ersten Anfänge und Ur-
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sprünge von Sein und Freiheit zu suchen, so findet sie allein in der intellektuellen Anschauung einen durchdringenden Blickpunkt. „Die intellectuelle Anschauung ist der einzige feste Standpunct für alle Philosophie" (SW I, 466). Die Vorzeichnung der intellektuellen Anschauung legt der Untersuchung die neue Aufgabe vor und macht die Beschränktheit des bisherigen Resultats empfindlich. Bisher war ja erst das Vereinigtsein von Sein und Freiheit im Wissen zur Gewißheit geworden, es war noch nicht der Vereinigungspunkt ergriffen. Die Erinnerung an die längst bereit gestellten Glieder muß konstatieren: Das absolute Wissen ist seinen Inhalten nach vollständig dargestellt, aber die Aufnahme der angezeigten Form steht noch aus. Die Untersuchung der intellektuellen Anschauung greift also nicht etwas gänzlich Neues auf. Die Grundlegung der Wissenschaftslehre geht überhaupt nicht so vor sich, daß sie ständig neue Glieder ersinnt und neue Themen bearbeitet. Philosophieren ist das stete und eindringliche Sinnen, das nichts anderes tut, als sich tiefer und tiefer in die Selbstbesinnung des absoluten Wissens einzulassen. Die Einlassung der intellektuellen Anschauung ist also nicht neu. Sie ist als Einzelglied schon kenntlich gemacht und als in sich geschlossenes Auge oder als das Fürsich des Fürsichseins beschrieben. Neu ist lediglich, daß dieses 'Als5 und 'reine Für' in den Zusammenhang aller Glieder des Wissens aufgenommen wird, und zwar so, daß es als der gesuchte Vereinigungs- und Sonderungspunkt durchsichtig wird (vgl. § 16—19). Dadurch wird das Auge erst wirklich in den Mittelpunkt des Wissens eingesetzt. Gelingt das, dann müßte das Bewußtsein aus seinem Mittelpunkte abgeleitet worden sein. Die Probe auf diesen Anspruch ist aber nur zu machen, wenn die intellektuelle Anschauung ins Ganze der absoluten Reflexion eingefügt ist; denn sie ist nichts anderes als der Akt absoluten Reflektierens. Unsere Untersuchung geht konzentrisch in einer dreifachen Frage vor. Wie ist die Reflexion überhaupt in ihrem generellen Wesen gefügt? Wie stellt sich das Reflexionsgefüge im Falle des absoluten Wissens dar? Und wie fügt sich das intellektuelle Anschauen darein? „Richten wir jetzt unsere Betrachtung auf das innere Wesen der Reflexion, als solcher selbst. Sie ist ein Fürsichseyn des Wissens oder des Fürsichseyns, und in dieser Ansicht der wir auch bisher gefolgt sind, erhalten wir ein doppeltes Wissen, ein solches, für welches das andere ist (in der Anschauung das obere, oder das subjective), und ein solches, welches für das andere ist (in der Anschauung das unten liegende, das
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objective)" (§13; 28). Jede Reflexion ist Wissen des Wissens und hat folglich die Struktur eines doppelten Wissens. In ihr erhebt sich ein Wissen, für welches das andere ist. Dies reflektierende Wissen wird als das subjektive Wissen der Reflexion eingeführt, nämlich als das wissende Wissen. Es ist das obere, weil es sich über das andere Wissen erhebt, indem es dieses zu seinem Objekte macht. In jeder Reflexion liegt aber auch ein Wissen vor, das für das andere ist. Das Worüber der Reflexion ist das gewußte Wissen, das objektive und 'unten liegende'. Nun ist klar, daß diese Duplizität von reflektiertem und reflektierendem Wissen nicht eine auseinanderliegende Zweiheit, sondern ein Wissen ausmacht. Zur Reflexion gehört wesenhaft ein Band, welches beides zusammenbindet, und zwar nicht in äußerlicher Verknüpfung, sondern in innigem Durchdringen. Also finden sich in aller Reflexion drei Strukturmomente: das subjektive Moment als das reflektierende Wissen, das objektive als das reflektierte Wissen und dessen Durchdringung als der Akt des Reflektierens selbst. Diese generelle Strukturerhellung ist auf den Fall des absoluten Wissens anzuwenden. Erst dadurch läßt sich die absolute Reflexion in ihrer gegliederten Einheit erfassen. Solche Klärung gewinnt einen Anhalt am Generalsatz der absoluten Selbstanschauung: „Dieses Wissen erblickt sich (in der intellectuellen Anschauung) als das absolute Wissen" (§ 19> 38)· An dieser Formel des Grundsatzes heben sich die drei Reflexionsmomente heraus: ein reflektierendes Wissen, für welches ein anderes ist, ein reflektiertes Wissen, welches für das andere ist, und das Reflektieren oder intellektuelle Anschauen. Das hier vorliegende Wissen, welches als das Untere und Objektive das Worüber der absoluten Reflexion abgibt, ist selbst absolutes Wissen, aber im Status des Seins und noch nicht in der Helle des Reflektiertseins. Es ist das absolute Wissen, sofern in ihm Sein und Freiheit vereinigt sind, ohne daß diese Einheit für sich ist. Davon unterscheidet sich eben das darauf reflektierende Wissen. Auch dieses Wissen ist absolut, aber es ist nicht bloß absolut seiend, es hat die Freiheit gewonnen, für sich geworden zu sein. Es ist das absolute Wissen, das sich als absolutes gesetzt hat. Dieses unterschiedliche Wissen ist durch ein Drittes vermittelt, eben durch die Setzung des Als oder den Akt absoluten Reflektierens. „Eben in dem Mittelpuncte, d. i. in dem Acte des Reflectierens, steht die intellectuelle Anschauung und vereinigt beides, und in beiden die Nebenglieder beider" (§17; 35). Offenbar tut sich hier ein vielfach verschlungenes Geflecht auf, das behutsam entworren sein will. Was sich wie haarfeine Subtilität
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ausnimmt, das ist die Grundverfassung des Bewußtseins, sobald es die Augen aufschlägt und dazu kommt, Ich zu sagen. Um dem Gefüge des Bewußtseins auf den Grund zu kommen, muß das absolute Wissen aus dem Mittelpunkte der intellektuellen Anschauung heraus analysiert werden. Die Analyse sucht ein Doppeltes herauszugliedern: Was für ein Wissen sich im Vollzuge der intellektuellen Anschauung bildet und wie es sich bildet. Dies beides wird als Inhalt und Form der intellektuellen Anschauung diskutiert. Was so zur Sprache kommt, ist — im Rahmen der absoluten Reflexion gesprochen — das obere Wissen. Dies ist bislang noch unbekannt, während das untere und objektive hinreichend erörtert ist. Aber eine Vorüberlegung vermag im voraus festzulegen: Ist das zu Untersuchende ein Wissen, dann muß es Freiheit und Sein in sich enthalten. Auch hier werden sich diese zwei Momente als Nebenglieder finden lassen. Sie sind als Inhalt und Form der intellektuellen Anschauung herauszustellen. In dieser Analyse also wiederholt sich auf dem Niveau der absoluten Reflexion der Dreischritt, der zuerst auf das Sein des reflektierenden Wissens, dann auf dessen Freiheit geht, um beider Unzertrennlichkeit aufzusuchen. Worin das Sein und der Inhalt besteht, ist leicht anzugeben. Das, was in der höchsten Reflexion gewußt wird, also das Gewußte, worin das Wissen ruht, das ist der „Gedanke (Lebens- und Denkact) jener absoluten Identität der Freiheit und des Wissens" (§ 16; 33). Das war ja der bisher entwickelte Gedanke der Transzendentalphilosophie: Kein Wissen kann sein ohne Freiheit, und es gibt keine Freiheit ohne Wissen. (Das macht die Wissenschaftslehre zur Freiheitsphilosophie, nämlich die Idee der ursprünglichen Identität von absoluter Freiheit und Wissen schlechthin.) Das ist der höchste Gedanke. Indem das Wissen in ihm ruht, hat es sich vom Gesetze der Anschauung gelöst. Das anschauungsgebundene Denken konzipiert Einheit immer nur als Einheit von Separaten, und eben so, daß sich die gefaßte Einheit unendlich auflösen läßt. Hier ist es mit dem Zerstieben in die unendliche Mannigfaltigkeit zu Ende. Im reinen Denken ist Übersinnliches gefaßt, die Einheit von Freiheit und Sein jenseits aller sinnlichen Anschauung. Also ruht das durch die intellektuelle Anschauung geborene Wissen im Gedanken jener absoluten Identität. „Soviel genüget über den Inhalt der intellectuellen Anschauung. Jetzt über ihre Form" (§ 16; 33). Form des Wissens ist Fürsichsein als Ausdruck der Freiheit. Was für ein Wesen der Freiheit ist am Werke, wenn sich der 'Gedanke' selbst ergreift? „Dies setzt voraus ein von sich selbst sich Losreissen des Ge-
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dankens, um dann sich wieder fassen (objectivieren) zu können, eine Leerheit der absoluten Freiheit, um für sich selbst zu seyn" (§ 17; 34). Das Sich-Losreißen ist ein Grundzug der Freiheit auf allen Stufen des Wissens. Elementar bedeutet es das Sich-Losreißen des Subjekts vom es bestimmenden Objekt. Hier aber handelt es sich nicht um das Sich-Losreißen vom Objekt — das Nicht-Ich ist ja in die Subjekt-Objekt-Einheit des absoluten Wissens eingegangen —, sondern um ein Sich-Losreißen von sich selbst. Das absolute Wissen befreit sich davon, daß es nur ist und in Gedanken steht. In dieser Losgerissenheit ist die absolute Freiheit leer. Leerheit besagt, durch nichts erfüllt und bestimmt sein. Aber eben dadurch findet sich die Freiheit in das Vermögen einer Selbstbestimmung gesetzt. In der Befreiung von seinem Ansichsein ist das Wissen frei für sich selbst. So wurzelt auch das absolute Fürsich in einer absoluten Freiheit, und das Obere' Wissen der absoluten Reflexion ist nach seinen zwei Gliedern artikuliert. Für deren Vereinigung kommen wiederum je eine idealistisch und realistisch getrübte Ansicht auf. Die eine behauptet das Sein, die andere die Freiheit als unbedingte Voraussetzung für die Vereinigung. Aber es wiederholt sich auch die Einsicht in den untrennbaren Zusammenfall beider. Sie fallen in eins durch den Akt der intellektuellen Anschauung. „Hierdurch wird die Freiheit eigentlich zur Freiheit, was ohne Mühe einleuchtet — der Gedanke zum Gedanken, was zu erinnern ist" (§17; 34). Die Freiheit wird zur Freiheit. Jetzt erst erhält sie ihren eigentlichen Rang, nämlich Ursprung der absoluten Reflexion zu sein. Der Gedanke wird zum Gedanken, einfach dadurch, daß er für sich wird. Beides ist nicht zu trennen; denn die intellektuelle Anschauung vereinigt beides in der Einheit eines Aktes. Die intellektuelle Anschauung tritt als ein Synthetisieren heraus. Ihr Akt ist der Grundakt der Einigung. Sie vereinigt Sein und Freiheit in einem Wissen, das sich als absolutes weiß. „Sie steht im Mittelpuncte und vereinigt: was heisst das?" (§ 18; 35). Die Vereinigung ist nachzukonstruieren, indem die Wechselbestimmung von Sein und Freiheit dargelegt wird. Von Seiten des Seins leuchtet ein: Absolutes Wissen ist erst sehendes Wissen, wenn mit seinem Sein das Fürsichsein verknüpft wird. Sonst wäre die Subjekt-Objekt-Einheit zwar seiend, aber es wäre eben ein Sehen, dem kein Auge eingesetzt ist. Erst das Zugleich des Seins und des durchdringenden Fürsich erbringt Wissen; „sonst wäre das Seyn blind" (§ 18; 35). Dasselbe, von der entgegengesetzten Seite her verfolgt, ergibt: Bloß als Vollzug der Freiheit bliebe das absolute
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Wissen ohne Bestand und Anhalt. Wird Freiheit als das freieste Fürsidi isoliert, so fehlt ihr die Bestimmtheit. Sie halbiert sich zur negativen Freiheit, nicht mehr ins Bewußte versunken und ans Sein gebunden zu sein. Von ihr ist das Sein, die Sicht-gebende Subjekt-Objekt-Einheit unzertrennlich. Dadurch nämlich erhält die Freiheit erst ihre oberste Bestimmung, daß sie dem Sein des absoluten Wissens die Sichtbarkeit seiner selbst verschafft. („Dies ist die absolute Reflexion, d. i. sich Sichtbarmachung der Sichtbarkeit" (W.-L. 1812; NW II, 489).) So erst, in der erhellenden Rücksicht der absoluten Freiheit auf das Sein, west Wissen; „ausserdem wäre die Freiheit des Fürsich leer" (§ 18; 35). Die Wendungen dieser BegrifFssprache spielen auf eine aufhebende Wiederholung an. Sie wiederholen die These, Anschauungen ohne Begriffe seien blind, Begriffe ohne Anschauungen leer. Im Kantischen Verstande spricht dieser Satz für die theoretische Erkenntnis. So folgenreich er ist, so schlecht ist er begründet. Die Wissenschaftslehre hebt ihn in die alles umfassende Dimension des absoluten Wissens. Wissen ohne Freiheit ist blind (gegenüber seinem eigenen Ursprung), Freiheit ohne Wissen ist leer (sie erfüllt sich nicht als Fürsich des absoluten Wissens). „So ist Wissen theils sein Seyn erleuchtend, theils sein Fürsich (Licht) bestimmend: die absolute Identität beider ist die intellectuelle Anschauung" (§ 18; 36). Intellektuelles Anschauen ist Akt des Reflektierens. Es setzt die Gedoppeltheit eines oberen (subjektiven) mit einem unteren (objektiven) Wissen in eins. Seine Tätigkeit hält das Reflektierende (die Freiheit und das erhellende Licht) mit dem Worüber der Reflexion (dem Sein und ruhenden Gedanken) in die Einheit eines Reflexionsaktes zusammen. „Und so sind beide Ansichten vereinigt in dieser Anschauung" (§ 17; 34). Die Ansicht des Idealismus steht auf dem Standpunkte der Freiheit, die realistische Ansicht beharrt auf der Voraussetzung des Ansichseins. Beide sind überholt. Was ihnen fehlt, ist ein zureichendes Verstehen der intellektuellen Anschauung und die Kraft zur absoluten Reflexion. Sie sind vom Geiste des transzendentalen Idealismus nicht berührt. Dieser bricht erst da durch, wo der Sinn zweier Sätze in eins gesetzt wird: 'Alles Sein ist Wissen3 und 'Alles Wissen ist Sein'. Hat diese Analyse die vorgezeichnete Aufgabe gelöst? Es sollte die Form, also die Ichheit oder intellektuelle Anschauung, in das Grundgefüge des absoluten Wissens eingepaßt werden. Das ist geschehen. Es sollte aber dadurch zugleich der Grundriß des Bewußtseins durchsichtig werden. Ist das geglückt? Für die Frage nach der Ableitung des Bewußt-
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seins aus dem Ganzen der absoluten Reflexion hat die Grundlegung der Wissenschaftslehre von 1801 eine gedrängte Antwort erteilt. Sie ist nicht leicht zu entziffern. „Dem Ganzen jener absoluten Reflexion wird nun ein Seyn des Gedankens sowohl (§ 16 sub finem), wie der — hier der stehenden und seyenden — Freiheit vorausgesetzt. Und auch hier ist Eins nicht ohne das Andere. Zugleich liegt aber im unteren Wissen, wie gezeigt, auch Freiheit und Seyn (d. h. Möglichkeit der Reflexion — und der reine, absolute Gedanke), und beide sind auch nicht Eins ohne das Andere, ebenso wie oben. Endlich sind die beiden Beziehungen derselben, des oben und des unten, auch nicht ohne einander; und wir bekämen so, wie das Bewusstseyn anhebt, ein untrennbares Fünffache, als eine vollkommene Synthesis" (§17; 35). Im Ganzen der absoluten Reflexion hebt sich die Duplizität eines oberen und eines unteren Wissens ab. Das Schema der Vollkommenen Synthesis' gibt den Beziehungswörtern Oben' und 'unten' einen überraschenden Sinn. Das obere Wissen verschafft der absoluten Reflexion überhaupt Grund und Boden. Sein Aufbau ist durchgesprochen. Das obere Wissen hat sein Sein und Bestehen im 'Gedanken', und es offenbart seine Freiheit im Fürsichsein des 'Gedankens'. Die zugehörige Form war als ein absolutes Sich-Losreißen, nämlich von sich selbst, eingerechnet, welches nicht zielloses Werden, sondern höchste Selbstbestimmung ist, indem sich die leere Freiheit zum Fürsichwerden des 'Gedankens' (der an sich seienden Subjekt-ObjektEinheit) bestimmt. Das obere Wissen hält sich in der Sphäre des reinen Gedankens. Weil das reine Denken die unendliche Separabilität der Anschauung unter sich hat, ruht es nicht in der Mannigfaltigkeit. Noch entschiedener gesprochen: Das Bewußtsein des oberen Wissens erhebt sich über das Bewußtsein von Gegenständen sinnlicher Anschauung. Das Bewußtsein der absoluten Freiheit ist für das übersinnlich-ideale Sein in der Sphäre der praktischen Vernunft geöffnet. Das aber ist nicht das einzige Verhältnis von Sein und Freiheit. Im unteren Wissen liegt ein anders gearteter Wechselbezug der beiden Glieder vor. Auch hier gehen in dasjenige Wissen, worüber die intellektuelle Anschauung reflektiert, die beiden Nebenglieder ein und verschmelzen organisch. Aber dieser Bezug von Sein und Freiheit oder von Subjektivem und Objektivem bildet eine andere Sphäre des Bewußtseins. Dem unteren Wissen fehlt ja noch der Sinn der intellektuellen Anschauung, es verschließt sich dem Übersinnlichen und hat nur Sinn für die erkennbare Welt anschaulich gegebener Objekte. Anders gewendet: Dieses untere Wissen trennt sich nicht vom Grundsatze der Separabilität
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und faßt daher das Gewußte in der Form unendlicher Mannigfaltigkeit auf. Auch hier ist Sein als der 'reine, absolute Gedanke5 im Spiel, nämlich das Ich im Sinne des reinen Selbstbewußtseins. Aber das Ich versteht sich — in einer Distinktion der 'Tatsachen des Bewußtseins' gesprochen — als Substanz und nicht als Prinzip. Es liegt als ursprüngliche Einheit dem sinnlich angeschauten und unendlich hingeschauten Mannigfaltigen vor und zugrunde. Und auch hier im Bereich der theoretischen Vernunft waltet Freiheit, nämlich das Sich-Losreißen vom Vorgestellten und das Zu-sich-Kommen des vorstellenden Subjekts in allem Vorstellen von etwas. Die obere und untere Sphäre des Wissens sind Hauptstufen der Reflexion. Sie liegen nicht beziehungslos auseinander, sie sind in unzertrennlicher Einheit verbunden. Die Welt der Erfahrung und der Übererfahrung, Theorie und Praxis, Subjektivität und Objektivität sind in das Ganze der absoluten Reflexion eingebunden. Dessen Analysis erbringt damit ein Zugleich von vier Gliedern: Freiheit (Subjekt) und Sein (Objekt) 'unten' im Gebiete des Sinnlichen und übersinnliche Freiheit und Sein. Das fünfte Glied ist das Vermittelnde, eben der Akt intellektueller Anschauung oder das Setzen des Als. Es steht vermittelnd dazwischen und vereinigt beide und in beiden die Nebenglieder beider. Solche Vermittlung ist ganz formal von der Stellung im Ganzen der absoluten Reflexion her zu belegen. Intellektuelle Anschauung ist der Akt des Reflektierens, und das ist der einigend-auseinanderhaltende Vorgang eines Hin- und Zurückganges zwischen dem Worüber der Reflexion und dem Reflektierenden. Es ist die intellektuelle Anschauung, welche in die Grundformel des Wissens und Bewußtseins das Als einsetzt: Das absolute Wissen erblickt sich (in der intellektuellen Anschauung) als absolutes Wissen. Die Vermittlungsfunktion des Als für die Vereinigung der Nebenglieder ist leicht festzustellen. Die Nebenglieder sind Freiheit und Sein. Sie kommen im Bereich des unteren Wissens, der Anschauungswelt, unzertrennt vor; denn die Freiheit oder das subjektive Fürsich (das vom Nicht-Ich sich losreißende Sich-auf-sich-Beziehen) ist nur als Subjekt eines entgegenstehenden Objekts, und umgekehrt ist das Objekt oder Sein nur als Gegenstand für ein Subjekt, das die unendliche Mannigfaltigkeit a priori synthetisiert. Entsprechend fungiert in der intelligiblen Sphäre der Gedanke (die Subjekt-Objekt-Einheit) nur als sich denkender Gedanke, d.h. eben als die Einheit, die aus absoluter Freiheit für sich geworden ist. Und die Freiheit ist nur, was sie ist, nämlich Selbstbestim-
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mung, als Sich-Ergreifen des Gedankens. Damit sind in einem verkürzenden Durchblick die Hauptverbindungen des Wissens sichtbar gemacht. „Und wir bekämen so, wie das Bewußtseyn anhebt, ein untrennbares Fünffache, als eine vollkommene Synthesis" (§17; 35). Das Phänomen des Bewußtseins ist ergründet. Seine Grundbestände sind aus dem absoluten Wissen und dessen absoluter Form abgeleitet. Bewußtsein hebt an, indem es Ich sagt. Wo solches Bewußtsein die Augen aufschlägt, da ist der Blick durch die untrennbare Zweiheit von Subjekt und Objekt gefügt. Das Sehen ruht im objektiven Sein. Es ist seiend im BewußtHaben von Welt und deren unendlichen Mannigfaltigkeit. Und es ist zugleich in die Freiheit eingelassen, sich auf sich selbst wenden zu können. Gleich ursprünglich wird das Bewußtsein sich seiner Freiheit wie seiner Gebundenheit bewußt. Und das Bewußtsein ist nicht zuerst oder gar ausschließlich theoretisches Gegenstandsbewußtsein. Nur im Zustande dumpfer Selbstbefangenheit bleibt es im Vorstellen von Naturund Dinghaftem befangen. Ein Selbstverständnis, das sein Selbst als Ding versteht, ist unnatürlich. Die Natur menschlichen Bewußtseins hat ein höheres Selbst- und Seinsverständnis mit angelegt: das Bewußtsein seiner selbst als Freiheitswesen und des Seins als Sollen. Dem Bewußtsein ist der Blick für die intelligible Welt eingeboren. Dabei ist es so angelegt, daß es übersinnliches und sinnliches Sein, Natur und Geist als ein untrennbares Zusammen versteht. Darum vermag das Bewußtsein die Natur als die Sphäre auszulegen, worin der Geist wirken soll. Und ist sittliche Freiheit strebendes Überwinden des Widerstandes, dann haust der Geist nicht für sich, er ist nur als das sich in der Natur Verwirklichende. Diese Aussichten sollen nichts weiter als den Satz illustrieren: Wie ein Bewußtsein anhebt, trägt es diese Vierfachheit in sich, die Bezüge von Subjekt und Objekt und von sinnlichem und übersinnlichem Sein; und dieses Geviert ist vermittelt und wird gehalten durch die intellektuelle Anschauung. Hat diese Analyse nun die Grundlage transzendentalen Philosophierens endgültig in Besitz genommen? Eine Besinnung auf das Erreichte soll den Fluß der Untersuchung anhalten. Was haben wir bisher getan und zustande gebracht? „Bis jetzt sind wir heraufgestiegen, haben alle Glieder, durch die wir heraufstiegen, liegen lassen, und stehen nun in dem höchsten Puncte, in der absoluten Form des Wissens, dem reinen Für" (§18; 36). Und das bisherige Verfahren war ein Aufsteigen. Gleichsam als Leitersprossen hat es die einzelnen Glieder des absoluten Wissens benutzt. Diese Glieder sind überstiegen worden. Sie wurden als
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vereinzelte Momente zurückgelassen und ins Gefüge des absoluten Wissens eingefügt, so daß nach und nach dessen Einheitsstruktur ansichtig wurde. Jetzt sind alle Glieder gehörig in den einen, unteilbaren Akt der intellektuellen Anschauung gefügt. Dem Ganzen des absoluten Wissens ist eein in sich helles, stehendes und geschlossenes Auge' wirklich eingesetzt. „In diesem also in sich geschlossenen Auge, in welches nichts Fremdes hineintreten, und welches nicht aus sich herausgehen kann zu einem Fremden, steht nun unser System" (§ 18; 37). Nichts Fremdes tritt hinein; denn im absoluten Sich-Sehen sind die Grundformen allen Wissens, das Sein und die Freiheit, die sinnliche und intelligible Welt, enthalten. Es geht nicht zu einem Fremden hinaus; denn jenseits des Wissens gibt es für das Wissen nichts zu wissen. So wäre wirklich einem alles umfassenden System der Grund gelegt und die Arbeit der Grundlegung abgeschlossen? Was übrig bleibt, scheint lediglich die Ausarbeitung der Teile, die konkrete Strukturerhellung der sinnlichen und der intelligiblen Welt und deren Vermittlung. Das ist eine ausgedehnte Detailarbeit, die aber keine Grundfragen mehr stellt. Aber bisher ist der Grund und Boden des Systems noch gar nicht frei durchmessen. „Bisher suchten wir nun den Eingang" (§ 18; 37). Der Eingang ist jetzt in der intellektuellen Anschauung oder in der Form der absoluten Reflexion gefunden. Damit tritt „die Reflexion des Wissenschaftslehrers als thätig und als etwas aus sich selbst herbeiliefernd, was nur ihm bekannt und vorbehalten wäre, völlig ab. Sie ist von hier an nur leidend, verschwindet also als ein Besonderes" (§ 18; 37). Bisher war die äußere Reflexion des philosophischen Bewußtseins am Werke. Wir, die philosophierende Vernunft, hatten analysiert und das absolute Wissen durchdrungen. Das aber heißt: Mit der absoluten Selbstdurchdringung ist noch nicht ernst gemacht worden; das absolute Wissen und seine Besonnenheit ist nur im Tun der philosophischen Betrachtung da. Diese hat jetzt als besondere zu verschwinden. Das kann nur so geschehen, daß die philosophische Reflexion sich jeder Einmischung enthält, indem sie ihr künstliches Abstrahieren und willkürliches Konstruieren einstellt. Sie verhält sich künftig leidend. Sie geht ganz in den Prozeß einer Selbstbesinnung ein, in welchem das Wissen selber für sich ist. Zwar ist das Ziel der verbleibenden Aufgabe dasselbe wie bisher, nämlich die vollständige Synthesis des Bewußtseins aus dem Mittel- und Einheitspunkte der intellektuellen Anschauung analytisch zu entwickeln. „Doch analysieren wir nicht, sondern das Wissen selbst analysiert sich" (§ 18; 37).
5. KAPITEL Vom Wesen der Freiheit Die Philosophie hat ihr Thema zusammengestellt und verdeutlicht: die vollständige Synthesis des Wissens. Sie hat ihre Methode von einer Nachkonstruktion (durch die wissenschaftliche Reflexion) zur Selbstkonstruktion geläutert. Transzendentale Analysis folgt nunmehr hingegeben einer Durchdringung, in welcher sich das absolute Wissen selbst erschöpfend zergliedert. Die zwar kritische, aber doch bloß äußere Besonnenheit weicht der absoluten Selbstbesinnung. Freilich darf im Verlaufe dieses Weges abermals nicht auf die Gewinnung gänzlich neuer Inhalte und Formen gehofft werden. Die im 'Aufstiege' fallen gelassenen Glieder werden auf dem höchsten Niveau der Reflexion wiederaufgenommen und von ihrem Mittelpunkte her vereinigt. Diese Wiederholung ist jetzt eine Einholung in den Horizont eines Wissens, welches nichts Fremdes außer sich sieht und nichts anderes sieht außer sich selbst. „Es sieht nichts ausser sich, aber es sieht sich selbst" (§19; 38). In dieser Sicht sieht das Wissen bis auf seinen Grund. Es ergründet aus sich die großen Fragen über das Verhältnis von Einheit und Vielheit, über die Wurzel von Anschauung und Denken, vor allem über den Gegensatz von Freiheit und Notwendigkeit. Und es ist der Einblick in Grund und Wesen der Freiheit, welcher die Grundverhältnisse des absoluten Wissens erschließt. Indem das Wesen der Freiheit verfolgt wird, klärt sich das Grundgefüge der absoluten Reflexion, und indem die absolute Reflexion sich aufklärt, wird der tiefste Grund und das Wesen der Freiheit klar. (In diesem Verfolg blendet die Darstellung die vielfältigen Bezüge, in welche die Explikation der Freiheit verschlungen ist — eben die Bezüge von Anschauung und Denken, von Einheit und Mannigfaltigkeit, von absolutem und gegenständlichem Sein — vorerst ab, um den grundlegenden Bezug von Freiheit und Reflexion ohne Seitenblicke auf die anderen Synthesen kontinuierlich darzulegen.)
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Solche Besinnung auf die Freiheit ist befremdlich und ungewohnt. In ihr findet sich kein Anhalt an vertrauten Fragehinblicken. Fichtes Erörterung der Freiheit orientiert sich nicht am Themenkreis der Antinomie von Naturkausalität und Kausalität aus Freiheit im Hinblick auf Weltordnung. Sie bedenkt nicht sogleich die Freiheit aus dem Bezug zum Menschen und seinem sittlichen Handeln im Hinblick auf eine intelligible Ordnung. Sie läßt sich auch nicht vom Bedenken der menschlichen Freiheit (als dem Erwirken des Guten) zum Problem des Bösen im Hinblick auf einen Urwillen hinlenken. Das sind spezielle Fragen nach der Freiheit. Sie werden in der Wissenschaftslehre ebenso radikal unterlaufen, wie die Frage nach der Freiheit des Absoluten oder Gottes — in welcher Problemstellung und mit welchem Methodenbewußtsein auch immer — abgeschnitten wird. Das Wissen dringt zum Grunde der Freiheit nur, indem es sie auf Reflexion bezieht und als Grundmoment des absoluten Wissens freilegt. Von Anfang an besteht Fichtes Bedenken der Freiheit darin, das Wesen der Freiheit in der Tat der Reflexion aufzusuchen. Das ist die Rücksicht, die alle anderen Relationen der Freiheit (zum Willen, zum Menschen, zur Sittlichkeit) überbietet. Sie gewinnt da ihre wahre Tiefe, wo die Reflexion absolut vollzogen ist. Die Freiheit ist dann systematisch ergründet, wenn sie vollständig in den Systemgrund der absoluten Reflexion aufgenommen ist. So nur schränkt sich der Einsatz der Freiheit nicht mehr auf einen Teil der Vernunft und des Seienden ein, er bezieht sich auf die Vernunft überhaupt und das Seiende im Ganzen. Ausgang und Orientierung für solche Art Besinnung bietet der Grundsatz, der den neu errungenen Standpunkt für das Wissen vom Wissen ausspricht: Das Wissen erblickt sich in der intellektuellen Anschauung als absolutes Wissen. Was dieser ihrer selbst gewissen Vernunft nämlich zuerst in den Blick fällt, ist das Wissen als absolutes. Ihr sondern sich daher sofort zwei Merkmale des Absolutseins heraus, sofern das Wissen eben absolut ist und absolut wird. Die sich so herausstellenden Absoluta sind wiederum absolutes Werden und absolutes Bestehen. Aber die schrankenlose Freiheit und unbeschränkte Substanzialität werden nun nicht mehr wie beim Aufstieg äußerlich als Kriterien für Absolutheit überhaupt eingeführt, jetzt werden sie von innen, von der absoluten Reflexion und intellektuellen Anschauung her, entwickelt und gesetzhaft ins Wissensgefüge einbezogen. Wie stellt sich solchem Wissen die Freiheit vor? Dem absoluten Wissen kommt ein absolutes Sein zu. Sein besagt dabei immer Bestehen im
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Stande der Substanzialität: Ruhen in sich (per se et in se esse). Das Wissen ruht schlechthin in sich. Es ist ja das Sehen, das darin besteht, daß es sich selbst anschaut. So ruht es in einem Angeschauten, das nicht ein wechselndes Fremdes, sondern sein bleibendes Selbst ist. „Insofern es für sich absolut ist, ruht es eben auf sich selbst, ist vollendet in seinem Seyn und seiner Selbstanschauung" (§19; 38). „Aber das Absolute ist zugleich, weil es ist" (§19; 38). Auch der Charakter absoluten Werdens läßt sich von der intellektuellen Anschauung her ins Wissen einbeziehen. Diese ist ja nichts anderes als der ursprüngliche Akt, durch den das absolute Wissen für sich wird. Und dieses alles umfassende und alles Sein durchgreifende Fürsichsein ist Ausdruck einer absoluten Freiheit. So wird das absolute Werden verbindlich ins Wissen eingeholt, nämlich von der alles verbindenden Mitte, der intellektuellen Anschauung, her. „Die intellectuelle Anschauung ist für sich ein absolutes Sicherzeugen, durchaus aus Nichts: ein freies Sichergreifen des Lichts, und dadurch Werden zu einem stehenden Blicke und Auge" (§19; 38). In Bezug auf den Akt intellektueller Anschauung wird ein durchschlagender Grundzug der Freiheit vordringlich: die Tat des Sich-Losreißens und Für-sich-Werdens. (Es ist klar, daß dieses Freiheitsmoment alles Wissen durchgreift, so daß das Wissen in all seinen Gebieten und Bezügen die Möglichkeit in sich hat, von sich her für sich zu werden.) Die Rücknahme der Freiheit in den Ursprungspunkt des Selbstbewußtseins ergibt einen rein formalen Sinn von Freiheit. Und an der Aufstellung der 'formalen' Freiheit entzündet sich das Problem der Erzeugung des selbstbewußten Geistes aus dem Ursprünge der Freiheit. Formale Freiheit grenzt sich von 'materialer oder quantitativer Freiheit3 ab. Vom materialen Sinn der Freiheit nämlich muß im Überdenken der Reflexionsfreiheit entschieden abgesehen werden. Quantitative Freiheit bedeutet zuerst und vor allem Selbstbestimmung in einer Sphäre, die durch Teilbarkeit und Schranke bestimmt ist. Das ist die Art der Freiheit, die im frühen Fichteschen Denken in Betracht gezogen wurde. Der Sinn von Freiheit innerhalb der Teilung von Ich und beschränkendem Nicht-Ich hatte sich als ein Sich-Losreißen des Ich von der Welt, die Ich nicht bin, und als ein fortwährend strebendes Sich-Bestimmen im Überwinden der mich bestimmenden Welt ergeben. Solchem Verständnis liegt die Kategorie der Quantität, das Gesetz der Schranke und Teilbarkeit zugrunde. Die formale und nicht quantitative Freiheit dagegen tritt in der Sphäre des Wissens auf, in welcher Quantität und Bestimmtheit nicht zugrunde liegen, weil sie selbst in dieser ihren Grund haben.
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In der Dimension absoluten Wissens bedeutet Freiheit „immer die formale — mit der materialen oder quantitativen innerhalb der Quantität, weldie letztere hier selbst durch die erstere herbeigeführt ist — haben wir es in diesem ganzen Abschnitte nicht zu thun" (§ 22; 49). Diese Abgrenzung bereitet die Umgrenzung des formalen Freiheitsbegriffes vor. Während sich quantitative Freiheit im Hinblick auf Bestimmtes bewegt, ist formale Freiheit nichts als unbestimmte Möglichkeit. Sie ist die Möglichkeit absoluten Wissens, von sich her für sich zu werden, und hat darin den Charakter reiner Unentschiedenheit und des Zufalls. Das durch Freiheit geprägte Wissen kann für sich und so Licht und Ich werden, es kann auch im bloßen Sein verharren. „Formale Freiheit (ist) die Indifferenz gegen das Licht" (§25; 59). So erscheint der Ursprung des Geistes im Anscheine souveräner Willkür und die Freiheit im Ansehen einer libertas indifferentiae. Dieser Schein ist fragwürdig. Die transzendentale Lehre von der Freiheit ist die klassische Beseitigung der Hypothese von der Freiheit als unbeschränkter Willkür und die endgültige Durchsetzung des Gedankens, daß Freiheit nur in Vereinigung mit Gebundenheit und Unterwerfung Bestand hat. Das hatte Kant im Gebiete der praktischen Vernunft nahegebracht: Freiheit besteht nicht in der souveränen Gleichgültigkeit des Willens, sich für oder gegen das Sittengesetz entscheiden zu können. Der Wille, der sich nicht dem Gesetz unterwirft, bezeugt darin gerade nicht seine Ungebundenheit; er ist unfrei, nämlich durch Naturursachen bestimmt. Frei herrscht die Vernunft nur, wenn sie sich selbst an das Gesetz bindet. Freiheit gibt es nur in der Bindung. Und Fichtes frühe Grundlegung der Sittenlehre hat gezeigt: Der Begriff unserer notwendigen Unterwerfung unter ein Gesetz entsteht durch die freie Reflexion des Ich auf sein Wesen, d. i. seine unbedingte Selbsttätigkeit; denn was das Gesetz in seiner ursprünglichen Gestalt fordert, ist reine Selbsttätigkeit. Es erhebt die kategorische Forderung: Reiße dich von der dich bestimmenden Welt los und gehe auf dich selbst zurück. Diese Forderung entspricht dem Wesen der Vernunft als abstrahierender Reflexion. (Von da her gewinnt und behält die Reflexion den Gesetzescharakter des Sollens.) Die Verpflichtung des Sittengesetzes ist also im Grunde eine Verpflichtung der Vernunft auf sich selbst. Und daraus entspringt die Idee der Verbindlichkeit; denn die Verbindlichkeit ist das Sich-Verpflichten selbstbewußten Handelns auf sein wahres Wesen. Die hier geleistete Verknüpfung von ungebundener Freiheit mit einer wesenhaften Verbindlichkeit aber verbleibt immer noch in der Sphäre quantitativer oder materialer Freiheit. Wird die for-
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male Freiheit in der Dimension der absoluten Reflexion und des absoluten Wissens thematisch, so erhebt sich wieder die Gefahr, Freiheit einseitig als souveräne Willkür zu nehmen. Im Bezug auf die intellektuelle Anschauung als Mitte absoluter Reflexion stellt sich eine formale Freiheit ein, welche nichts als Möglichkeit zur Tat ist, ein Sicherzeugen-Können aus Nichts. So steht auf der höchsten Stufe der Besinnung die Ungebundenheit einer Tat gegen alle Gebundenheit des Geistes auf. Es ist die unermüdliche Arbeit des Begriffes, aus dieser überall sich vordrängenden Einseitigkeit herauszukommen. Die Wissenschaftslehre von 1801 legt dazu folgenden Gedanken vor: Die formale Freiheit oder die souveräne Willkür der reinen Selbstanschauung reicht zur Gründung absoluten Wissens nicht aus. Denn warum entsteht, wenn das Wissen durch Freiheit erzeugt wird, ein solches Wissen und Bewußtsein? Warum eröffnet sich im freien Sich-Ergreifen des Wissens das Bewußtsein der Subjekt-Objekt-Einheit in ihrer Fünffachheit und nicht ein anders bestimmtes Bewußtsein? Daß das Wissen sich selbst anschaut, stammt aus der Freiheit, daß es sich als ein solches Wissen, als SubjektObjekt, anschaut, kann nicht durch Freiheit zustande kommen. Die Freiheit als unbestimmte Möglichkeit steht nicht ursächlich für diese Bestimmtheit ein. „In dem Weil liegt nicht zugleich die Bestimmung des Was" (§19; 38). Die absolute Freiheit (das Weil) und der absolute Wesensbestand (das Was) liegen, unmittelbar genommen, auseinander. Die Spontaneität setzt das Für-sich-Werden in Bewegung und bringt allein das Dasein des Lichtes auf. Freiheit im Sinne des Weil und des Selbstanfangs ist eben nur für das Daß und das Dasein zuständig, aber nicht für das Was und das Wesen. Daraus ergibt sich eine Einschränkung der Kausalität aus Freiheit. Daß das absolute Wissen für sich wird, schuldet es der formalen Freiheit. Daß es diese bestimmte Subjekt-Objekt-Einheit ist, welche in die Helle des Fürsichseins rückt, kann nicht aus der zufälligen Freiheit stammen. Die Auseinandersetzung macht klar: In der absoluten Freiheit vermag sich das absolute Wissen nicht ganz aufzustellen. Das Wissen braucht Notwendigkeit und Gebundenheit. Erst deren organische Verbundenheit erbringt die Einheit von Existenz und Wesen. Nur, indem sich das absolute Wissen frei erzeugt, findet es sich überhaupt als das, was es ist. Und nur, indem es sich an das reine Sein bindet, vermag es sich als das zu finden, was es ist. Ohne absolute Freiheit kein Finden des Wissenswesens, ohne absolute Bindung kein Finden des Wesens. Aber dieser
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Stand der Selbstdurchdringung ist vorläufig. Das Wissen weiß Bescheid darüber, daß es weder in der Freiheit der Selbstanschauung noch in der Notwendigkeit des Seins, sondern allein in der Vereinigung von Freiheit und Notwendigkeit werden und sein kann. Bisher aber hat die Besinnung bloß ein faktisches Vereinigtsein konstatieren können. Das Wissen ist sich des Umstandes sicher, daß im Wissen zwei Glieder als Ausdrücke ungebundener Freiheit und bindender Notwendigkeit auseinanderliegen und „daß diese, also auseinanderliegenden Glieder doch nicht an sich ein zweifaches seyen" (§20; 41—42). Es mangelt an Einsicht in den Grund und das Gesetz der Vereinigung. Einsicht in das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit soll im Horizonte des absoluten Wissens gewonnen werden. Die Aufgabenstellung ist folgende. Das Wissen hat sich darauf besonnen, daß es nicht allein in der zufälligen Freiheit, sondern zudem in einer Notwendigkeit gründen muß. Weil aber nun doch die Freiheit und intellektuelle Anschauung der Ursprungspunkt des Geistes ist, kann die fragliche Notwendigkeit nichts anderes als Gebundenheit der Freiheit sein. „Nun ist diese Nothwendigkeit freilich hier keine andere als die der Freiheit..., aber immerhin doch Nothwendigkeit, Gebundenheit derselben" (§24; 52). Mithin stellt sich die Aufgabe, die Vereinigung von Gebundenheit und Ungebundenheit der Freiheit zu begreifen und daraus den Wesensbestand des sich wissenden Wissens abzuleiten. Das wird geglückt sein, wenn das Gesetz ihrer Synthesis festgestellt ist. Das Resultat wird lauten: Das gesuchte Gesetz ist eine Wechselbestimmung von Freiheit und Notwendigkeit, welche besagt, daß sich formale Freiheit und materiale Gebundenheit gegenseitig setzen und vernichten. Diese Wechselwirkung wird im Gange einer Selbstbesinnung nicht mehr deduktiv in einem indirekten Beweise erschlossen, sie ist in eingehender Reflexion auf den Vollzug der reinen Selbstanschauung zu exponieren. Die Exposition wendet sich an die Seite der Anschauung. „Alle Anschauung aber ist Freiheit, ist daher schlechthin, weil sie ist" (§19; 39). Dieser Satz ist ein Gegensatz. Er wendet sich vom Denken ab; denn im Denken kündigt sich das 'absolut in sich Gebundensein des Wissens' an. Die Entgegenstellung von Anschauung und Denken soll hier so weit erläutert werden, daß der Ausgang für die Exposition der Freiheitsfrage von Seiten der Anschauung her einleuchtet. Daher muß der hier anfallende Begriff des Denkens genau gefaßt werden. Fernzuhalten ist das Denken in der Form des Denkens von etwas. Solche Art Denken nämlich verkoppelt sich nicht mit absoluter Gebundenheit. Es besitzt die
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Form der Freiheit, dem Ganzen des Seienden von sich her geöffnet zu sein, und unterscheidet sich so spezifisch von der Anschauung der Wahrnehmung, die an einzelne Sinnesfelder gebunden und auf Hinnahme von Gegebenem angewiesen ist. Hier dreht es sich um das Denken des Seins, nicht von bestimmtem Seienden. Dies ist „ein durchaus reines Denken, das da als solches verschwindet, sobald man sich dessen bewusst wird: — eben ein absolutes Waswissen, ohne ein Woher angeben zu können" (§ 19; 39). Das Gedachte des reinen Denkens ist das Sein: die Unzertrenntheit von Subjektivem und Objektivem als solche. Dieser Gedanke des reinen Ist verschwindet (und mit ihm das Denken, das die Präsenz dieses Gedankens ist), sobald sich das Selbstbewußtsein seiner zu bemächtigen sucht; denn das Selbstbewußtsein bringt die Form des Fürsich und des Sich-von-sich-Unterscheidens mit sich. Dem Angriff dieses Unterschiedes entzieht sich das unterschiedslose Sein und sein Andenken. Daher kommt es, daß das reine Denken alles Selbstbewußtsein und dessen freie Möglichkeiten abweist. „Absolutes Denken und Notwendigkeit sind ja Eins" (§21; 43). Die Notwendigkeit im Andenken des Seins verträgt sich nicht mit der Freiheit des Selbstbewußtseins. Sie wird am Ende der Selbstdurchdringung als das Ende der Freiheit durchbrechen. Vorerst aber gilt es, von ihr und dem reinen Denken Abstand zu nehmen, um das Wesensgesetz der Freiheit von Seiten der Anschauung her zu konstruieren. Alle Anschauung ist Freiheit. Das ist eine Korrektur der herkömmlichen Auffassung. Die spezifische Differenz zum Denken ist gar nicht das Gebundensein im Leiden und in der Rezeptivität. Das gilt sogar für das sinnliche Anschauen, weil dessen Grundzug Attention, d. h. die formale Freiheit ist, sich auf ein bestimmtes 'Dieses5 hin zusammennehmen zu können. Und es liegt nahe, daß die reine Selbstanschauung mit einer höchsten Freiheit des Bewußtseins zusammengeht. In Abhebung gegen reines Denken ist Anschauung der Titel für alle sich vorstellende Vorstellung; deren Kriterium ist die freie Selbstanschauung. „Nur das auf sich Ruhen oder die Innerlichkeit der Freiheit (heisst) Anschauung" (§21; 45). Diese Freiheit hat einen formalen Sinn. Er muß jetzt in Verknüpfung mit der Anschauung schärfer gefaßt werden. „Die formale Freiheit (ist) die Indifferenz gegen das Licht und die Attention; — sie kann sich diesem hingeben oder auch nicht, — eben die... Zerstreuung des sich in sich selbst auflösenden Denkens" (§25; 59). Generell bedeutet attentio die hin- und angespannte Aufmerksamkeit des Bewußtseins auf etwas Bestimmtes. Formale Freiheit ist Indiffe-
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renz gegen die Attention. In solch freier Haltung verhält sich das Bewußtsein gegenüber den je Bestimmten gleichgültig und wahrt in der Unentschiedenheit den Modus selbstvermögender Möglichkeit. So bleibt das Wissen den Gegenständen gegenüber in der Schwebe. Die Anschauung ist dank dieses Freiheitsmomentes „ein Schweben des Wissens in der unbedingten Separabilität (noch ununterschiedenen Unendlichkeit)" (§21; 45). Separabilität meint hier wieder die Spalt- und Teilbarkeit der einen angeschauten Welt in unendlich viele Vorstellungen. Das ist erörtert und ergründet worden. Die selbstbewußte Welt-Anschauung bringt unmittelbar die Separabilität mit. Im Modus der formalen Freiheit findet sich das unendlich Mannigfaltige nicht fixiert; denn das formal freie Anschauen ist eben nichts als das Sich-hinwenden-Können auf die Unendlichkeit des noch unentschiedenen Mannigfaltigen. Das Wissen verschwebt in der Ununterschiedenheit, und die Freiheit zerfließt im Unbestimmten. Offenkundig aber beschreibt solche Fassung weder die Freiheit noch die Anschauung vollständig. Dem Wissen vom Wissen ist aufgegeben, das absolute Wissen in der Besonnenheit einer Selbstbesinnung aufzuklären. Die Untersuchung folgt diesem Ziel, wenn nicht bloß das Freisein der Anschauung hingestellt, sondern wenn dessen Fürsichsein in Rechnung gestellt wird. „Diese formale Freiheit der Anschauung — denn dies ist ja unser Zweck — soll sich selbst anschauen" (§21; 45). Wie also stellt sich in dieser Selbstanschauung der Prozeß des Anschauens dar? „Jeder ohne Zweifel findet es so: Die ins unbestimmte Separable aufgelöste und zerfliessende Freiheit muß, um Anschauung zu werden, in Einem Punct sich zusammenfassen und in ihm sich ergreifen (verdoppeln), eben für sich seyn. Hierdurch kann sie sich erst zum Lichtpuncte bilden, und nun aus sich das Licht über das unbestimmte Separable verbreiten" (§21; 45). Die Freiheit in ihrer Möglichkeit und ihrem Können legt ein Wissen an, das ins unbestimmt Gesonderte aufgelöst ist. Zum wirklichen Anschauen kommt es dadurch, daß die formale Freiheit nicht zerfließt, sondern auf sich zurückkommt, indem sie sich ergreift und im Sich-Fassen verdoppelt. Sie ist so nicht nur Anfangspunkt des Anschauens, sie wird sich ihrer als des Anfanges inne. Dadurch bildet sich der Lichtpunkt des anschauenden Ich. Worüber geht dem Bewußtsein das Licht auf? Zuerst über die Freiheit selbst. Das Wissen wird von der Einsicht seines Freiseins ergriffen. Sodann über das Separable. Das Unterscheidbare wird als von mir zu Unterscheidendes gewußt. Vorzüglich aber geht „auch über die beiden Ansichten des Separablen ein Licht auf. Diese sind, theils ein in sich
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selbst Zerfliessen, theils ein in sich selbst Erfassen und Gehaltenseyn des Lichts" (§21; 45—46). Das Wissen qua formale Freiheit der Anschauung bietet in der einen Ansicht den Anblick des In-sich-Zerfließens. So findet sich die Freiheit in die unbestimmte Unendlichkeit des Anschaubaren zerstreut, und daher stellt sich auch das anschaubare Separable in einer ungeschiedenen Unendlichkeit dar, in welcher die Unterschiede zerfließen. Ein anderer Anblick bietet sich, wenn der Zentralpunkt erzeugt ist. Dann erhält das Separable den Zusammenhalt, von mir einheitlich angeschaut und verdeutlicht zu sein. Und beide Anblicke leuchten als Ansichten ein. Sie sind als einseitige Zustände des Wissens durchschaut. Der ursprüngliche Brennpunkt kann daher nicht in ihnen, er muß zwischen ihnen gesucht werden. Nur so kann ein ausgewogener Standpunkt gewonnen werden. „Man muss daher von diesem Standpuncte her sagen: der Focus dieser Anschauung der formalen Freiheit liegt weder in dem Centralpuncte (als von sich durchdrungenem), noch in den beiden qualitativen Terminis desselben (als den durchdringenden), sondern zwischen beiden" (§21; 46). Die formale Freiheit der Anschauung soll sich ihrer bewußt werden. Das ist die Aufgabe. Dafür darf die Reflexion sich nicht in dem Zentralpunkte des anschauenden Ich festsetzen. So stünde sie vor der leeren Möglichkeit, bar jeder qualitativen Beziehung und Bestimmtheit. Sie darf sich aber auch nicht ganz den Gehalten zuwenden, auf welche das freie Anschauen durchdringend aus ist. So hielte sich die Reflexion bei den qualitativen Termini auf: beim Separablen, in welchem die Freiheit zerstreut und haltlos zerflossen ist, oder beim Anschaubaren, das so durchdrungen ist, daß es sich in seinen gesonderten Inhalten bestimmt abhebt. So verbliebe das Freiheitswissen entweder im Zustande bloß zerstreuter Möglichkeit oder im Zustande bloß fixierter Gebundenheit. In Wahrheit liegt der eigentliche Focus des Bewußtseins gar nicht fest. Er ist ein Schweben zwischen dem wirklichen Sich-Binden und dem Zerfließen der Freiheit. Was aus diesen Betrachtungen herausspringt, ist ein Geistesblitz. Der alles vermittelnde Anfangsgrund des Bewußtseins schwebt zwischen dem Setzen und der Vernichtung der Freiheit. Nur dann wird die formale Freiheit der Anschauung bewußt, wenn wirkliche Freiheit gesetzt und diese Setzung vernichtet wird. So befremdlich und widersprüchlich dieses Wissensgesetz klingt, so einleuchtend ist es im analysierten Zusammenspiel von formaler Freiheit und Anschauungsmannigfaltigkeit. Formale Freiheit ist erst dann als tatsächlich seiend vorgestellt, wenn
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sie sich hinsichtlich der unentschiedenen Mannigfaltigkeit des Anschaubaren entschieden hat und, sich mit sich zusammenfassend, die Mannigfaltigkeit bestimmt durchdringt. Klar ist dabei, daß diese Setzung faktischer Anschauung eine Fixierung und Bindung der Freiheit gefordert hat. Die formale Freiheit kann nur faktisch werden, indem sie sich selbst aufhebt. Sie hebt sich auf, indem sie ihre Indifferenz vernichtet und in den Zustand des Gebunden- und Entschiedenseins übergeht. Aber ebenso unzweifelhaft geschieht eine notwendige Vernichtung der Gebundenheit. Um sich seiner als frei inne zu werden, muß das Bewußtsein die Gebundenheit aufheben. Sonst käme eben nur das Sich-Binden und die Fixiertheit, nicht aber die freie Möglichkeit der formalen Freiheit zu Gesicht. Zur Reflexion des Wissens gehört also beides, Entschiedenheit und Bindung wie Unentschiedenheit, das Sich-Setzen und Vernichten der Freiheit in der faktischen Setzung und das Zurückgenommenhaben der Bindung in die ungebundene Möglichkeit. Beides ist in der Bewegung des Schwebens zusammenzuhalten. So kommt sich das Wissen in einer tiefen Synthesis auf den Grund. „Dieses absolute Schweben zwischen Setzen des Factums und Vernichten desselben (Vernichten, um es setzen zu können, Setzen, um es vernichten zu können) ist von Seiten der Anschauung der einheitliche Focus des absoluten Bewußtseyns" (§21; 46). Das Gesetz der Freiheit ist aufgestellt und darin der eigentliche Brennpunkt des Bewußtseins gefunden. Weil dieses Gesetz für alles Anschauen gilt, kann nachträglich das abgeleitete sinnliche Anschauen als Beispiel für die Konstitution der absoluten Anschauung dienen. „Das Anschauen des bestimmten Hier und Jetzt ist ebenso Vernichten der unbestimmten Unendlichkeit des Räumlichen oder Zeitlichen, als beides doch im Hier und Jetzt mitgesetzt und umgekehrt das jedes Hier und Jetzt Vernichtende ist" (§21; 46). Bis in die sinnliche Wahrnehmung hinein herrscht das Gesetz der sich bindenden Freiheit und das Schweben im Wechsel von Setzen und Vernichten. Das Sich-Zusammennehmen des anschauenden Wissens auf eine abgegrenzte Stelle im Raum und eine bestimmte Phase in der Zeit ist ein Vernichten. Die unbestimmte Mannigfaltigkeit wird negiert. Eigentlich vernichtet wird das Zerfließen-Können der Anschauung in der kontinuierlichen Raum- und Zeitmannigfaltigkeit durch die Konzentration auf ein bestimmtes Hier und Jetzt. Gleichwohl ist im Setzen des Hier und Jetzt die Unendlichkeit des Räumlichen und Zeitlichen mitgesetzt. Das Hier ist doch bestimmt als das, was in keiner Hinsicht dort ist, und das Jetzt als der Punkt der
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Gegenwart, welcher in keiner Hinsicht das Frühere oder Spätere ist. So gehört zur Anschauung auf der Stufe sinnlicher Gewißheit der Wechselbezug von Setzen und Vernichten, d. h. die Bindung und Entbindung der im Anschauen herrschenden formalen Freiheit. Um sich auf ein Bestimmtes zu konzentrieren, muß die Freiheit ihre Möglichkeit hingeben und sich binden. Aber die gebundene Freiheit bleibt ihrem Gebundensein überlegen. Sie muß im selben Atemzug die Bindung der Attention auf das bestimmte Einzelne aufheben. Sonst bringt sie nicht das Bestimmte als solches zur Anschauung, d. h. als ein Herausgegrenztes, das definitiv im Zusammenhange mit dem Ganzen des Anschaubaren steht. Also schwebt die Anschauung zwischen Ungebundenheit und Bindung, und ihr Brennpunkt liegt „zwischen Freiheit und Nichtfreiheit" (§22; 49)· Freilich kann das Grundgesetz allen Wissens nicht einfach am Vollzuge des sinnlichen Wahrnehmens und am Monstrieren von 'bestimmten Diesen' abgelesen werden. Die Freiheitsverhältnisse der Wahrnehmung gestatten nur eine nachträgliche Erläuterung durch ein Exempel. Gewonnen war diese Einsicht auf dem Wege einer Selbstbesinnung des absoluten Wissens. Das ist noch einmal in der Fassung des Resultats durchzugehen. Die formale Freiheit der reinen Anschauung kann sich nur als 'Zusammenziehen eines verfließenden Mannigfaltigen möglichen Lichts' anschauen. Dabei vernichtet das Wissen seine Möglichkeit und indifferente Ungebundenheit, um sich als freies Anschauen zu sehen. Aber um sich zugleich als freies Anschauen zu wissen, vernichtet es seine Gebundenheit. Dasselbe, im Hinblick auf die Macht der hierin waltenden Notwendigkeit artikuliert, ergibt: Nur durch Nicht-Freiheit bezieht sich das Wissen auf etwas Bestimmtes. Die Nicht-Freiheit bindet die formale Freiheit, indem sie das ruhelose Werden anhält. Ohne diesen Anhalt würde das frei bewegte Wissen in sich zerfließen. Aber das Aufkommen der Notwendigkeit und das Verschwinden der Indifferenz fesselt das Wissen nicht einseitig an die Bestimmtheit des Gewußten. So wäre die Hingabe der Indifferenz ein einmaliges, unwiderrufliches Abtreten der Freiheit zugunsten der Notwendigkeit. Aber die Notwendigkeit ist kein absoluter Souverän. Sie bleibt als Gebundenheit der Freiheit mit dieser verbunden. Daher vermag es das Wissen, sich immer wieder aus der Bindung auf die reine Möglichkeit der Freiheit zurückzubringen. Also auch die Notwendigkeit wird nur gesetzt, um wieder vernichtet werden zu können. Und so einigen sich Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit im Wissen. Das Wissen bewahrt seine Möglichkeit allein
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in der Freiheit; denn das Sich-Setzen und Für-sich-Werden ist freie Tat. Nur dadurch kommt Wissen in der Form des Ich wirklich zustande. Ist es indessen wirklich, dann herrscht Nicht-Freiheit und Notwendigkeit, eben das Gebundensein der Freiheit. „Die Freiheit... ist selbst nichtfrei; d. i. sie ist gebundene Freiheit, diese in Form der Nothwendigkeit, — wenn einmal ein Wissen ist. — Möglichkeit des Wissens allein durch Freiheit, Nothwendigkeit derselben fürs wirkliche Wissen" (§22; 49). Mit dem Wechsel von Setzung und Vernichtung der formalen Freiheit ist das Gesetz für die Vereinigung von Notwendigkeit und Freiheit von allen Seiten her aufgestellt. „Die Aufgabe ist gelöst, und der Mittelpunct der vorigen Synthesis selbst ins Wissen aufgenommen, d.h. der Mittelpunct der jetzigen aufgestellt" (§22; 49). Der Gang der Selbstbesinnung artikuliert sich in einer Schrittfolge von Synthesen. Die erste Synthesis betraf die unmittelbar auseinanderliegenden Glieder von Sein und Freiheit bzw. von reinem Denken und Anschauen. Ihr Mittelpunkt war die Einsicht, daß beide nicht ein Zweifaches sein können, sondern im absoluten Wissen ungetrennt zusammenliegen. Dieses Vereinigtsein ist jetzt durchdrungen. Durch das Gesetz von Sich-Setzen und Sich-Vernichten der Freiheit ist das Wie der Vereinigung beigebracht. Indessen sollte klar sein, daß dieser Wissensstand nicht die letzte Synthesis darstellt. Der Standpunkt einer dritten, der 'vollständigen Synthesis' ist erst erreicht, wenn die Reflexion sich auf dasjenige Denken richtet, das Freiheit und Notwendigkeit von Grund auf vereinigt hat. „Dieses Denken, das Freiheit und Nothwendigkeit verschmelzende, muß für sich seyn" (§23; 50). Auf dieser Reflexionsstufe löst sich das Problem, welches die Freiheitsuntersuchung angetrieben hat. Es kommt zur Evidenz, wie sich das Bewußtsein durch Freiheit als dieses Bewußtsein, nämlich als sich wissende Subjekt-Objekt-Einheit erzeugt. (Zugleich geht ein Licht darüber auf, wie sich mit demselben Schlage die Einheit von Anschauung und Denken bildet.) Die Reflexion über die freiheitliche Verfassung des Ich eröffnet zugleich den synthetischen Aufbau des Bewußtseins in seinem vollständigen Grundriß. Die langwierige Arbeit dieser Analyse (vgl. § 24—25) wird hier auf ihre bahnbrechenden Gedanken hin verkürzt und auf das Freiheitsproblem hingewendet. Die Reflexion auf Setzung und Vernichtung der formalen Freiheit läßt das Subjektive ins Bewußtsein treten, sie gibt dem Objektiven Sinn, und sie klärt die Einheit von beiden. „Zuvörderst tritt hier Subjectivität und Objectivität, ideale und reale Thätigkeit des Wissens ein,
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welches sehr anschaulich ist" (§ 24; 54). Indem die gesetzte formale Freiheit für sich ist, entsteht das Bewußtsein des Subjekts als eines solchen. „Das unveränderlich Subjective, die ideale Thätigkeit, ist die formale Freiheit des Seynkönnens oder auch nicht, überhaupt" (§25; 57). Unveränderlich in allem Bewußtsein bleibt die ideale Tätigkeit, etwas als von mir Vorgestelltes setzen zu können. Indern andererseits das Wissen seiner Freiheit als aufgehobener inne wird, entsteht ihm das Bewußtsein des Objektiven. In diesem Aufschluß der Objektivität wird die Gegenständigkeit des Seienden verstehbar. Das Sein des unveränderlich Objektiven ist das Gebundensein, in welchem die Freiheit aufgehoben ist. „Das unveränderlich Objective, Reale, ist die Gebundenheit, als solche, durch welche die formale Freiheit, als Indifferenz des Seyns und Nichtseyns, aufgehoben wird" (§25; 57). Und so tritt die reale Tätigkeit im Bewußtsein auf, nämlich das Setzen eines objektiv Realen. Und beides, Subjektivität und Objektivität, erscheint niemals getrennt voneinander und absolut, eben weil das Setzen der Freiheit mit dem Vernichten der Freiheit und dieses mit jenem wechselt. In Besinnung auf den Vollzug der Freiheit im absoluten Wissen reflektiert sich der Leitsatz des Transzendentalismus heraus: 'Kein Subjekt ohne Objekt, kein Objekt ohne Subjekt'. Und es ist der Zustand beseitigt, in welchem Daßsein und Wassein im Wissen auseinanderliegen. Bisher war ja dunkel geblieben, wie mit dem freien Akte des Fürsichwerdens und dessen unbestimmter Möglichkeit eine solche Wesensbestimmtheit, nämlich der Geist als Subjekt-Objekt, mitgeht. Das ist durch eine vertiefte 'Verklärung5 des Wissens ins Klare gebracht: Das absolute Wissen als das für sich seiende Subjekt-Objekt hat seine Wurzel im Wechsel von Setzen und Vernichten der Freiheit. Und in eins ergibt sich in dieser höheren Reflexion die unzertrennte Einheit von Anschauen und Denken. Dabei ist zu behalten: Anschauung bedeutet hier wurzelhaft das selbstbewußte Wissen der Selbstanschauung. Sie kommt demjenigen Wissen zu, das die absolute Freiheit als sich vollziehende weiß und das sich im Wechsel von formaler Freiheit und Gebundenheit bewegt. Davon kann das Denken nicht getrennt werden. Denken bedeutet in diesem tiefsten Zusammenhange das Berühren des reinen Seins. Es kommt dem Wissen zu, welches die sich vollziehende Freiheit als absolute weiß. Absolute Freiheit ist ja reine Möglichkeit, eben die Indifferenz gegen Sein und Nichtsein. Das Zugleich von Sein und Nichtsein ist der Widerspruch. Daraus folgt: Die absolute Freiheit denken, heißt, den Widerspruch denken. Und weiter:
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Das Denken des Widerspruchs ist Selbst Vernichtung. Aber was darin vernichtet wird, ist lediglich eine Wissenshaltung, welche den Gegensatz und die Widerspruchslosigkeit braucht. Das ist das Selbstbewußtsein. Die Selbstvernichtung im Denken des Widerspruchs bedeutet das Ablassen von Selbstheit und Selbstbewußtsein als Denkprinzip. Was verschwindet, ist der Horizont eines Seinsverständnisses, welches Sein lediglich als Objektivität versteht und daher nur einen negativen Sinn von Sein (Nicht-Ich) kennt. Die Vernichtung einer Negation ist Position. Das Negieren alles Selbstbezuges ist die Position des reinen Seins, das Denken des einfachen Gedankens 'Ist'. Hier kündigen sich ganz neue kritische Einsichten und Grenzbesinnungen an. Vorerst kann lediglich der behauptete untrennbare Zusammenhang von Denken und Anschauung konstatiert werden. Das reine Denken fügt sich untrennbar an das reine Anschauen. Deren Unabtrennlichkeit leuchtet einfach dadurch ein, daß sich das Wissen auf den untrennbaren Bezug von Möglichkeit und Wirklichkeit der Freiheit besinnt. „Hier sonach finden wir durch eine leichte und überraschende Bemerkung Anschauung und Denken in einer höheren Anschauung unzertrennlich vereint und Eins nicht möglich ohne das andere" (§ 24; 54). Im Durchreflektieren seiner Freiheitsverfassung also findet das absolute Wissen in seinen Mittelpunkt und stellt sich im Einheits- und Sonderungspunkt einer vollständigen Synthesis (nämlich von Subjektivem und Objektivem und in eins von Anschauung und Denken) sicher. Daher kommt es im intellektuellen Anschauen seines Freiheitswesens an sein Ende. „Das Wissen ist in sich selbst zu Ende: es umfasst sich und ruht auf sich selbst als Wissen" (§ 22; 49—50). Der Mittelpunkt des Wissens ist das Schweben zwischen Gebundenheit und Ungebundenheit, Freiheit und Nicht-Freiheit. Dieser Satz macht die Wissenschaftslehre zu einer Philosophie der Freiheit. Erst das zureichende Wissen des Wissens vermag es, die Idee der Selbstbestimmung und der Verbindlichkeit der Freiheit herauszustellen. Und das im Mittelpunkte der Vernunft herausgearbeitete Freiheitswesen strahlt in alle Teile und Gebiete der Vernunft aus. „Es versteht sich, dass die Behauptung nicht nur für den Mittelpunct des Wissens, sondern eben vermittelst desselben und von ihm aus, für alle seine Synthesen gilt" (§21; 45). Das ist leicht anzuzeigen. Die aufgestellte Behauptung bewährt sich in der Synthesis von Selbst und Welt im Felde der theoretischen Vernunft; denn auch dort herrschen Freiheit und Gebundenheit im Wechsel. Die theoretische Vernunft ist Vernunft und daher durch Freiheit und Sich-selber-Setzen bestimmt. Solche Freiheit heißt Sponta-
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neität. Der erkennenden Vernunft steht es frei, von sich her über sich und ihr Weltverhältnis zu reflektieren. Aber ihr Verhältnis ist zugleich durch ein Gebundensein an die Gegenstände, zu denen sie sich erkennend verhält, geprägt. Nur durch Bindung an die Sachen im Sinne des Bestimmtwerdens kann sich die Vernunft im Vorstellungsmodus des Erkennens halten. Und entsprechend regelt ein Wechsel von Freiheit und Notwendigkeit die Synthesis von Ich und Welt im Gebiete der praktischen Vernunft. Zwar zeichnet sich die Vernunft als praktische durch die Tat aus, in welcher sich das Ich von der es bestimmenden und beschränkenden objektiven Welt losreißt, um sich ganz auf sich selbst zu stellen. Aber sie reißt sich damit nicht auch aus allem Wechsel mit der Gebundenheit heraus. Endliche Vernunft wird nur dann frei, wenn sie ihre Freiheit bindet, und die praktische Vernunft fixiert ihren freien Willen durch eine solche Bindung an die Welt, daß die Welt einem unendlichen Streben zum Medium der fortwährenden Selbstbestimmung wird. Diese Hinweise sollen zeigen: Die Freiheitsverhältnisse in Theorie und Praxis gründen nicht in sich selbst, sie empfangen ihr generelles Gesetz von der Vernunft überhaupt. Das Gesetz der Freiheit leitet sich aus der Verfassung der Vernunft überhaupt ab. Eben darum erschließt seine Aufstellung das Grundgesetz der Vernunft selbst. Das Gesetz absoluten Wissens legt das Geschehnis einer Reflexion fest, in dem die Freiheit so herrscht, daß sie sich unentwegt bindet und entbindet. Das Wissen lebt als dieser Wechsel von Freiheit und Gebundenheit. Sofern das Wissen sich weiß, setzt es sich schlechthin und hat darin schrankenlose Freiheit. Sofern das absolute Wissen sich in der intellektuellen Anschauung als solches weiß, gewinnt es seine Bestimmung durch Bindung. Endlicher Geist konstituiert sich durch unbeschränktes Setzen und einschränkende Unbeschränktheit im Wechsel von Lösung und Bindung der Freiheit. Das ist die durchschlagende Einsicht in den Wesensbestand der absoluten Freiheit42. Freiheit kann nur in einem Wechselbezug zu einem Anderen lebendig sein; 42
Diejenige Darstellung, welche die schwer zu durchdringende Explikation der Freiheit in der W.-L. 1801 am gründlichsten durchschaut, findet sich in 'Fichtes Freiheitslehre', zusammengestellt und eingeleitet von Th. Ballauff, S. 37—48. Düsseldorf 1956. Ballauff hat gezeigt: Das absolute Wissen weiß in diesem Widerspruch, daß es notwendig gebunden sein muß, gerade um nicht-notwendig und frei sein zu können. Nicht mehr gezeigt ist, daß das Wissen an seinem Widerspruch vergeht, wenn es nicht eine höhere Bindung mit der Notwendigkeit-schlechthin eingeht und einen letzten Halt an derjenigen Grenze gewinnt, welche das absolute Sein (und nicht bloß das Gegenständlichsein) bildet.
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denn ohne Halt und Begrenzung am Anderen würde die reine Bewegtheit freiheitlichen Tuns halt- und grenzenlos zerfließen. Das beständigende Andere ist das Sein, das ohne Wandel in sich geschlossen steht. Nur in der Bindung an das Sein entgeht die Freiheit ihrer bedrohlichen Möglichkeit, in nichts zu verströmen. Aber das Bedingungsverhältnis ist wechselseitig. Das Sein gibt der Freiheit Halt, die Freiheit gibt dem Sein Sinn; denn nur in der Bindung an die Freiheit als dem Vermögen, von sich für sich zu werden, entgeht das Sein dem Unsinn, im Ansich zu erstarren. So also steht die Freiheit im Wechselbezug zum Anderen ihrer selbst, zum Sein, daß sie sich an diesem hervorbringt und zugleich vernichtet, indem sie das Andere zum Erscheinen bringt. Diese wechselseitige Gebundenheit von Sein und Freiheit ist Wissen, und Wissen währt als der unablässige Prozeß, sich an das Sein zu binden und sich auf seine Freiheit zurückzunehmen. Also klären sich in eins das Wesen der Freiheit und der Begriff des absoluten Wissens.
6. KAPITEL Das Gefühl Schlechthinniger Abhängigkeit „Nachdem der Begriff des absoluten Wissens nach allen Seiten erschöpft und zugleich in ihm selber gefunden worden, wie es sich selber also begreifen könne, d.h. wie Wissenschaftslehre möglich sey: steigen wir jetzt auf zu seinem eigenen höchsten Ursprünge und Grunde" (§ 26; 60). Der Begriff des absoluten Wissens ist vollständig durchgegliedert. Die Analytik hat ihn nach Form und Inhalt auseinandergelegt und in wachsender Durchdringung seiner Synthesen entwickelt. Dadurch ist die Verfassung allen Bewußtseins durchsichtig geworden. Und es ist die Methode gefunden, wie dieser Begriff zu begreifen ist, nämlich durch die intellektuelle Anschauung als dem Elemente der Selbsterkenntnis. Zugleich ist darüber befunden, wie Wissenschaftslehre möglich ist. Wissen vom Wissen kann nur durch Eingehen auf die absolute Reflexion und durch Verzicht auf alles äußere Reflektieren erlangt werden. Bezeichnet nun das Wissen vom Wissen diejenige Wissenschaft, welche Erste Philosophie heißt, dann ist kein anderes Selbstverständnis der Philosophie möglich. Sie ist Selbstbesinnung absoluten Wissens. Solche Selbstbesinnung ist allseitig vollzogen. Warum aber ist bei solcher Vollendung noch ein weiterer Aufstieg nötig und möglich? Und warum verspricht erst dieses fernere Aufsteigen, den höchsten Ursprung und Grund des absoluten Wissens zu erreichen? Ein weiteres 'Aufsteigen5 ließe sich rechtfertigen, wenn im Horizonte absoluten Wissens eine Frage offen geblieben wäre, die einzig dadurch gelöst werden könnte, daß sich das Wissen selbst übersteigt. Solche offene Stelle läßt sich finden und vom Standort der Freiheit aus angeben. Das Gesetz der Freiheit war als Grundgesetz allen Bewußtseins behauptet worden. Radikal befragt, reicht es jedoch nicht aus. Die Freiheit stößt an eine Notwendigkeit, vor der sie als Anfangsgrund zunichte wird. Woher nämlich kommt das, woran sich die Freiheit des Bewußtseins als an ihren bleibenden Inhalt oder an ihre Substanz bindet? For-
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mell bindet sie sich an das Gesetz der Selbsttätigkeit. Materiell findet sie sich an etwas gebunden, das nicht Wissen, sondern Sein ist. Was bislang als Sein beachtet wurde, ist das Gegenständlichsein. Aber das Bewußtsein des Objektiven entsteht ja gerade erst aus der Wechselwirkung der sich bindenden und entbindenden Freiheit. Demnach müßte das, was dem in sich freien Wissen, es substanziell bindend, vorausliegt, eine andere Bedeutung von Sein und einen anderen Sinn von Gebundenheit haben. Diese werden als das reine, absolute Sein und als die Notwendigkeit-schlechthin einleuchten. Innerhalb des Wissens war Notwendigkeit nur als die unablässig zu überwindende Gebundenheit der Freiheit an das Objekt und die Welt zugelassen. Jetzt wird Notwendigkeit als Vernichtung der Freiheit auftreten, und an ihr wird das ganze Wechselspiel von indifferenter und gebundener Freiheit zerschellen. Solch neue Gebundenheit ist das In-sichGebundensein des absoluten Seins, von dem das Wissen (im Bedenken des reinen Denkens) lernt, daß es dieses Sein niemals vergegenständlichen und daß es sich niemals von ihm losreißen kann. Das Resultat solcher Einsichten erst kann den Sinn der materialen Freiheit aufklären. „Wenn die formale Freiheit, die an sich freilich immer bleibt, ebensogut aber auch nicht seyn, sich nicht vollziehen kann, stattfindet; so ist sie schlechthin und durchaus bestimmt durch das absolute Seyn und ist in dieser Verbindung materiale Freiheit" (§ 27; 68). Und es wird zur Einsicht kommen: Im Andenken des reinen Seins gibt sich die absolute Reflexion als adäquater Anfangsgrund auf. Gerade dadurch aber, daß das Wissen seine Form der Selbstheit abgibt, gewinnt es wahrhafte Realität. Ohne diese Operation gibt es nur ein Reales, das vom Ich gesetzte, Nidit-Ich-hafte Objektive. So hat das real Seiende die Seinsart des Bildes und der Vorstellung und läßt im Ungewissen darüber, was für ein Sein sich in den Spaltungsformen der Ichheit abbildet. Einer Selbsterkenntnis, welche die Grenze der Freiheit an der Notwendigkeit-schlechthin erkennt und anerkennt, leuchtet auf, was in Wahrheit real ist: das göttliche Sein. Erst dadurch also, daß die Reflexion ihrer Gründungsleistung gegenüber kritisch wird, gewinnt sie einen sich selbst überlegenen Standpunkt. Das Wissen sieht nun, daß sein Brennpunkt eine Einheit von Freiheits- und Gottesbewußtsein ist. Ihm geht auf, daß zur Klarheit intellektuellen Anschauens untrennbar das Innesein einer unlösbaren Bindung an das unausdenkliche Absolute gehört: das Gefühl Schlechthinniger Abhängigkeit. Diese Aussichten sind systematisch einzuholen (vgl. § 26).
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Der Ursprung des Wissens muß zwischen dem Wissen und dem Absoluten liegen. Unmöglich kann der Aufstieg zu den ersten Ursprüngen und Gründen ein Überstieg in das Absolute als das Prinzip sein, von dem aus das Wissen und seine Form, die Ichheit, ableitbar wären. Die Arche-Forschung der Wissenschaftslehre vollzieht keinen unkritischen Transcensus, so als hätte sie am Ende doch ihre transzendentale Bescheidenheit vergessen. Die Frage nach dem Ursprünge ist nur durch eine „Unterscheidung des Seyns des Wissens und des absoluten Seyns" (§ 24; 52) zu entscheiden. Solche Kritik wird den Brennpunkt allen Wissens endgültig als Schweben zwischen absolutem Wissen und dem Absoluten sichern. Die Endfassung des Wissens kehrt zum Anfange der ganzen Untersuchung zurück. Dort waren im Dienste einer Hinleitung zum absoluten Wissen zwei allgemein anerkannte Sachbestimmungen des Absoluten zur Sprache gebracht, das absolute Werden und das In-sich-Ruhen schlechthin. Aber diese vagen inhaltlichen Vorgaben vom Absoluten sind im Verlaufe der Untersuchung präzisiert worden. Es ist ein schärferer Begriff vom Absoluten im Hinblick auf die Form gewonnen worden. Form meint jetzt den beständigen Wissenszustand des Absoluten selbst. Wie aber kann solche Form in den Grenzen kritischer Selbstbesinnung gefaßt und beschrieben werden? Sie kam schon als das durch absolute Gebundenheit geprägte Denken zur Anzeige. Darin fand sich eine Notwendigkeit-schlechthin, welche dem Denken verwehrt, für sich zu werden. Das reine Denken hat die Form, im Gedachten zu verharren und nichts zu sein als die ständige, in sich lebende Anwesenheit des 'Gedankens', d. i. des ununterscheidbaren Ineinanderaufgehens von Subjekt und Objekt. So kann das Absolute nicht aus sich heraus, wenn Herausgehen bedeutet, sich vom Gedachten losreißen, darüber schweben und es in Entgegenstellung zu sich als dem Subjekt objektivieren; denn das Absolute west als die Identität von Subjekt und Objekt im Sinne des einfachen Seins, das keine Entzweiung, keine Reflexion und Freiheit zuläßt. Das Denken als die Form des Absoluten verschließt sich in sich selbst und geht in sich selber auf. Was also bleibt über solche Form zu sagen? „Es ist zwar ein Wissen, Fürsich, das aber schlechthin nicht wieder für sich ist, ein Wissen ohne Selbstbewußtseyn" (§19; 39). Das Absolute hat die Form des Wissens — es ist ja Tätigkeit und Geist —, aber es ist nicht Wissen in der Gestalt des Selbstbewußtseins. Weil es nicht das Auge intellektuellen Anschauens oder das Fürsichsein des Fürsichseins besitzt, darum ist es nicht Wissen im Sinne selbstbewußten Wissens. Das
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reine Sein hat die Form eines in sich gebundenen Denkens, d.h. eines Bewußtseins ohne Selbstbewußtsein und Freiheit. Gott hat kein Selbstbewußtsein, Gott ist das reine Sein, dessen geistige Form höher ist denn alle Reflexionsformen. Das aber läßt sich kritisch vom Absoluten herausbringen, „dass es, in Beziehung auf ein mögliches Wissen, ein reines, durchaus und schlechthin an sich gebundenes Denken sey, das nie aus sich herauskann, um auch nur nach einem Warum seines formalen oder materialen Seyns zu fragen, oder ein Weil desselben, wenn es auch ein absolutes Weil wäre, zu setzen; in welchem, eben wegen dieser absoluten Negation des Weil, das Fürsich (das Wissen) noch nicht gesetzt ist, das also eigentlich ein blosses reines Seyn ohne alles Wissen ist" (§ 26; 60). Aus dem negativen Verhältnis zum selbstbewußten Wissen fallen dem Sein Prädikate zu. Das Sein ist das ursprünglich Eine; denn es wird von der Vielheit und Unterschiedenheit, die im Selbstbewußtsein aufbrechen, nicht berührt. Das Sein ist sich selber gleich und unveränderlich und ewig; denn alles Werden und Anderswerden liegt auf der Seite der Freiheit, die an das absolute Denken nicht heranreicht. „Das Wissen müsste daher als absolutes und in seiner Ursprünglichkeit schlechthin gebundenes, bezeichnet werden als das Eine (in jeder Bedeutung des Wortes, deren verschiedene es freilich nur im Relativen bekommt), sich selbst gleiche, unveränderliche, ewige und unaustilgbare Seyn schlechthin (Gott — wenn man ihm doch ein Andenken von Wissen und Verwandtschaft zum Wissen lassen will) und im Zustande dieser ursprünglichen Gebundenheit, als Geftihl = A" (§ 26; 61). Reines Sein bedeutet das eine, unveränderliche Ist ohne jeden objektivierenden Zusatz. Solches Ist kommt einzig dem Absoluten zu. Nur von Gott ist einfach, ohne Zusatz zu sagen: Gott ist. Und Gott oder das Sein ist ohne Selbstbewußtsein, aber darum nicht etwa bewußtlos und, wenn Bewußtsein Leben bedeutet, in sich tot. Wie aber kann dann der Bewußtseinszustand des Absoluten angegeben werden? Einen Hinweis liefert das Merkmal des In-sich-Gebundenseins. Das Sein ist nicht nur das in sich Gebundene, es ist sich des Gebundenseins unmittelbar bewußt. Die Empfindung absoluter Gebundenheit nennt Fichte Gefühl = A. Gefühl bedeutet Empfindung und ist das Bewußtsein des Empfindenden, abhängig und nicht frei zu sein. Im Gefühl der subjektiven sinnlichen Empfindung fühlt sich der Empfindende an die Präsenz von Sinnesdaten gebunden. Im Gefühl, durch welches sich eine Welt außer uns bekundet, wird das Ich seiner Beschränktheit, des Gebundenseins an Gesetze, unmittelbar inne. Das absolute Gefühl ist die Empfindung schlecht-
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hinniger Abhängigkeit und ursprünglicher Gebundenheit. Es betrifft die Form des absoluten Seins und kommt noch nicht im Hinblick auf den Akt sinnlicher Wahrnehmung oder in Rücksicht auf die Handlungsgesetze des Ich, sondern erst im Andenken des Seins auf. Indessen läßt sich am Gefühl sinnlichen Empfindens der andere, sich bis in die Tiefe des Seins durchhaltende Charakter ablesen. Gefühl ist unmittelbares Innesein einer Abhängigkeit; es ist auch unterschiedsloses Ineinanderaufgehen einer Zweiheit von Fühlendem und Gefühltem. Dieser Charakter prägt den Bewußtseinszustand des Absoluten; denn eben dieses, das für den Verstand unkonstruierbare Ineinanderaufgehen von Subjektivem (Freiheit) und Objektivem (Sein) ist ja der Denkbestand des einfachen Seins. In diesem Betracht kommt heraus: Gefühl ist kein Perzeptionsgrad, welcher der Deutlichkeit verständiger Apperzeption durchweg unterlegen wäre. Selbstbewußtsein lebt in der Einheit und Klarheit des Unterschiedes. Gefühl nennt eine absolute Innigkeit, die einhafter ist als die Einheit des Ich. Es bringt ein selbstloses Bewußtsein jenseits des Selbstbewußtseins zur Anzeige. Soweit läßt sich das Absolute seiner Form nach kennzeichnen. Aber die Wissenschaft vom absoluten Wissen ist längst darüber verständigt, daß es mit dem Absoluten als Absolutem nichts anzufangen weiß. Von Gott ist nicht mehr zu sagen als ist', eben das eine, unterschiedslose, unsägliche Ist. Für das bei Besinnung bleibende intellektuelle Anschauen gibt es keine Möglichkeit, das reine Ist auf der Höhe des Absoluten fortzuentwickeln. Darum war das Absolute ja auch von vornherein als Absolutheitsmoment des Wissens in acht genommen worden. „Nun soll dieses Absolute doch seyn ein absolutes Wissen" (§ 26; 61). Noch einmal also muß das absolute Wissen durchgegliedert werden, und jetzt in der Absicht, das Absolute als Glied sichtbar zu machen. Als Wissen ist das absolute Wissen durch sein Fürsichsein ausgezeichnet. Wissen ist immer und zuerst sich wissendes und wollendes Wissen. Dazu gehört, wie hinlänglich nachgewiesen, der Vollzug der Freiheit; denn das Wissen wird schlechthin von sich für sich. Dieses freie Sich-Wissen versieht Fichte mit dem Zeichen 'B'. Zum Selbstbewußtsein ( = B) tritt untrennbar das Freiheitsbewußtsein, da ja die Erzeugung des Ich nicht aus einem Prinzip jenseits des Wissens, sondern aus einem Erzeugungsgrunde im Wissen stammt. Also weiß das absolute Wissen auch von der Freiheit als dem Grunde des Wissens und von sich als Produkt seiner Freiheit ( = F-B). Diese Synthesis erschöpft die Struktur des absoluten Wissens noch
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nicht. Sein wahrer Ursprung ist noch nicht gefunden und der entscheidende Schritt im Aufstieg zum höchsten Ursprung und Grunde erst vorbereitet. Er wird durch die Einsicht gefördert: Gesetzt, der Ursprung des Bewußtseins wäre allein die Freiheit, dann fände sich das Wissen immer und überall im Stande seinslosen Selbstbewußtseins. Das Wissen, das sich nur als Produkt seiner Freiheit weiß, ist einseitige Subjektivität ohne Substanzialität. Zudem ist solches Wissen unmöglich. Absolute Freiheit nämlich ist der Widerspruch von Sein (-Können) und Nichtsein (-Können). Sie ist das absolute Werden, das ohne Anhalt in sich zerfließt. Das Wissen aus solchem Ursprünge vermöchte nicht widerspruchslos zu sein und in sich zu ruhen. Solches Eingeständnis zwingt zur These: Das Selbst- und Freiheitsbewußtsein ( = B) erhält den es bindenden Bestand und die beständigende Substanz allein aus seinem Zusammenhange mit dem Absoluten (A) und wird wesenlos, wenn es sich von ihm trennt. „B darf von dem A sich nicht losreissen und es verlieren, oder es gäbe kein absolutes, sondern nur ein freies und zufälliges, überhaupt ein inhalt- und substanzloses Wissen" (§26; 61). Das Gebot fordert den Zusammenhalt von Absolutem und Selbstbewußtsein. Dieser stand von Anfang an als Untersuchungsziel im Blick. Darüber herrschte von Anbeginn an Klarheit: Das Absolute allein ergibt den Gedanken des absoluten Seins, aber kein absolutes Wissen; das Bewußtsein allein und prinzipiell als Freiheitsbewußtsein erbringt Wissen, aber kein absolutes Wissen. Das vom Absoluten, dem unveränderlichen Ist abgelöste Wissen stellt nur die Leerform des Sich-Wissens als Produkt der Freiheit und den Seinssinn der Objektivität bereit. In Wahrheit gründet das absolute Wissen in einer Synthesis von Absolutem und Ich, von Bewußtsein und Gott. Diese von Anbeginn unterstellte Verbindung kommt am Ende der Selbsterkenntnis des Wissens wieder vor. Sie ist jetzt so durchsichtig, daß in ihr der Brennpunkt allen Bewußtseins zu Tage tritt. Der Zusammenhang des Selbst- und Freiheitsbewußtseins mit dem Absoluten hat zum Merkzeichen die Formel (+). Thematisch muß jetzt der Zusammenhang als solcher ( + ) werden. Er wird als absolut und schlechthin unmittelbar angegeben. Das besagt: Er kann nicht aus einem höheren Grunde, sei es das Ist, sei es das Bewußtsein, hergeleitet werden. Dabei wird zugestanden, daß dieser Zusammenhang ohne den Vollzug der Freiheit nicht bestünde. Schließlich fällt er, sofern von ihm doch gewußt und gesprochen wird, ins Wissen. Indessen bleibt davon die Unmöglichkeit unberührt, aus dem Vollzug der Freiheit eine Verbindung
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mit dem Gegenteil, dem absoluten Sein und Gebundensein, herzuleiten. Zudem ist für das Bewußtsein zwar das Selbst- und Freiheitsbewußtsein elementar, gleich ursprünglich aber ist eine Grundbefindlichkeit, das Gefühl absoluter Abhängigkeit und Bedingtheit. Wenn Bewußtsein aus vollzogener Freiheit substanziell besteht, dann ist die Freiheit schlechthin gebunden, und es ist ein Bewußtsein absoluter Gebundenheit. Sobald Bewußtsein wesenhaft ist, geht unmittelbar das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit auf. Darin kommt das Absolute zum Bewußtsein. Diese Einsicht hebt einen bisher ungehobenen Sinn des Wortes 'Gefühl' hervor. In seinen 'Rückerinnerungen, Antworten, Fragen' (1799) hatte Fichte eine doppelte Bedeutung auseinandergesetzt, das sinnliche und das intellektuelle Gefühl. Sinnliches Gefühl (des Bitteren, Kalten, Harten usw.) besagt Empfindung in Rücksicht auf den Empfindenden. Das ist die sich vordrängende Bedeutung. Weithin unterschlagen wird das intellektuelle Gefühl; dabei bleibt doch das Bewußtsein unbegreiflich, wenn diese Art Gefühl nicht beachtet wird. Fichte definiert es als „das unmittelbare Gefühl der Gewissheit und Notwendigkeit eines Denkens" (SW V, 356). Das Denken, dessen Gewißheit in diesem Gefühl aufgeht, besteht im Gedanken, daß die pflichtgemäße Bestimmung unseres Willens den Zweck der Vernunft, d.h. die absolute Selbständigkeit des Ich in steter Annäherung realisieren kann. In einem intellektuellen Gefühl kommt die Einheit (nicht ein Folgeverhältnis) von Setzung des sittlichen Zwecks und Glauben an seine Ausführbarkeit zur Gewißheit. Dieses Gefühl ist der religiöse Sinn. In ihm wurzelt der Glaube an eine göttliche Weltregierung. Das 'intellektuelle Gefühl' muß von der intellektuellen Anschauung genau unterschieden werden. Solche Differenzierung macht eine Deduktion des religiösen Sinnes und den Rückgang auf den Problemstand des 'Atheismusstreites' nötig43. Die Unterscheidung zwischen dem angegebenen intellektuellen Gefühl und der intellektuellen Anschauung folgt 43
Zum Atheismus-Streit vgl. die bedeutende Arbeit von E. Hirsdi, 'Fichtes Religionsphilosophie'. Göttingen 1914. Hier ist der Gottesgedanke der lebendigen moralischen Weltordnung aus den Widersprüdien zwischen Gesinnungs- und Kulturethik und zwischen einzelnem Gewissensanspruch und allgemeinem Sittengesetz entwickelt. Die Säkularbetrachtung von H. Rickert ('Fichtes Atheismusstreit und die Kantische Philosophie', Kant-Studien 4, S. 137—66. 1900) diskutiert den Standpunkt Fichtes als die legitime Weiterbildung des Kantischen Gedankens vom Primat des Willens zu einer (unvollendeten) Philosophie der Religion. Einen klaren Überblick gibt A.Messer, 'Fichtes religiöse Weltanschauung'. Stuttgart 1923. 'Über das Gottesverständnis der Transzendentalphilosophie, Bemerkungen zum Atheismusstreit von 1798/99' vgl. neuerdings H. Baumgartner, Philos. Jb. 73, S. 303—21. 1966.
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im Grunde dem Unterschied, der zwischen Religiosität und Moralität besteht. Nun sind Moral und Religion nicht voneinander zu trennen, gleichwohl fallen sie nicht zusammen. Es gibt keinen sittlichen Gehorsam ohne religiösen Glauben und umgekehrt, aber Sittlichkeit ist nicht schon Religion. Moralität besteht im Handeln eines durch das Pflichtgebot bestimmten Willens. Das unmittelbare Innesein der Freiheit unter dem Anspruch der Pflicht, das ist die intellektuelle Anschauung (auf dem Stande der 2. Einleitung). Auf ihrer Evidenz beruht die Gewißheit von einer realen Welt; denn allein der moralische Glaube — und niemals theoretisches Wissen — überzeugt mich von der objektiven Realität der Sinnenwelt als dem versinnlichten Material der Pflicht. Darin festigt sich der Gedanke: Alle Wahrheit ist praktisch gegründet, weil die Vergewisserung der Wirklichkeit die Kompetenz der theoretischen Vernunft übersteigt. Gewißheit gibt es für den Menschen nur, weil er ein moralisches Wesen ist. Der Gewißheitsboden der moralischen Überzeugung wird durch den religiösen Glauben ergänzt. Religiosität manifestiert sich im Glauben, daß jede sittliche Tat ein Mittel ist, welches unfehlbar den absoluten Zweck einer sittlichen Weltordnung befördert. Solcher Glaube verbreitet stille, aber unerschütterliche Freudigkeit über das ganze Dasein. Er besitzt die Überzeugung, daß das sittliche Wirken unfehlbar für die Beförderung der 'Seligkeit', d. h. die Selbstbefreiung des Menschen auf dem Wege zur absoluten Selbstgenügsamkeit der Vernunftwesen in einer moralischen Weltordnung Folgen hat. Und dieser Glaube ist der Realität Gottes sicher; denn Gott ist nichts anderes als die lebendige Ordnung (der ordo ordinans — nicht etwa eine besondere Person, die ordnet), welche die Wirkung sittlichen Tuns sichert. Wie die Wirklichkeit die Möglichkeit einschließt, so schließt ein Wirken aus Pflicht die lebendige, moralische Weltordnung ein. So betrachtet, bedeutet das intellektuelle Gefühl das unmittelbare Innesein des Zusammenhanges von sittlichem Handeln und übergreifender Ordnung, von moralisch-praktischer Freiheit und göttlicher Realität. In der Unmittelbarkeit dieses Gefühls wurzelt die umfassendste Gewißheit. (Darum weist die wahre Religion einen Existenzbeweis des Göttlichen durch das Schließen vom Begründeten, der Sinnenwelt, auf einen substanziellen Gott als Grund ab.) Das ist die Position des Atheismusstreites. Sie ist in der Kehre des Fichteschen Denkens überstiegen worden. Und diese Wende hat auch die Stellung des religiösen Glaubens innerhalb des absoluten Wissens verändert.
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Fidites Philosophie der Religion ist Deduktion. Ihre Deduktion vollbringt keine psychologische Beschreibung des Gotteserlebnisses und kein schlüssiges Ableiten aus vorausgesetzten Grundsätzen. Deduktion bedeutet Ortsanweisung. Sie gibt den Ort des Glaubens im System der Vernunft an. Sie weist nach, daß und wie das religiöse Gefühl notwendig in das gesamte System des Bewußtseins gehört. Dabei hat eben die erste Deduktion im Horizonte des Atheismusstreites die Religiosität in engsten Konnex mit der praktischen Vernunft und Moralität gestellt. Und letztlich war die religiöse Gewißheit als ein Moment ausgewiesen worden, das notwendig in den Zusammenhang unseres Bewußtseins gehört, weil sie die Gewißheit des moralischen Glaubens übergreift und dadurch die Verknüpfung des Ich mit der Realität der sinnlichen Welt als der Sphäre unserer Pflicht unzerreißbar macht. Solche Deduktion gewinnt ein neues Ausmaß, wenn der Zusammenhang von Sein und Bewußtsein auf das Verhältnis von absolutem Leben und Sein und auf das sich am Leben vernichtende Freiheitsbewußtsein zurückgeführt worden ist. Als notwendiges Moment dieser Ursprungsrelation rückt das religiöse Gefühl aus seiner einseitigen Verbindung mit der Sittlichkeit und ihren Gewißheiten heraus. Es wird in Fichtes zentraler Religionslehre, der 'Anweisung zum seligen Leben5, unter dem Namen einer absoluten Liebe im Verhältnis von Dasein und absolutem Leben zur Sprache kommen. In dem Stufengang des Bewußtseins, wie er durch die 'Anweisung' angelegt ist, übersteigt die Position der Religion die der Sittlichkeit. Zwar tritt auf der Stufe der 'höheren Sittlichkeit' das Selbst- und Weltverständnis des religiösen Bewußtseins schon hervor, aber eben immer noch in Reduktion auf die freie Tat unseres Handelns unter der Gewißheit des Soll. Tieferes religiöses Bewußtsein ruht in der faktischen Einsicht, daß dieses Soll Dasein des Absoluten im Menschen und daß unser wahres Leben und Tun nichts als das Leben Gottes in uns ist. Religiosität ist die faktische Evidenz, durch Liebe in Gott zu leben. Absolute Liebe ist der sprechende Ausdruck für das religiöse Gefühl, das uns Gott gewiß macht. Sie bildet diejenige Bedingung, unter welcher das 'selige Leben' an uns kommt. Und sie eröffnet eine unerschütterliche Seinsgewißheit; denn sie erhebt das Bewußtsein über die trennende und den Zweifel hegende Reflexion. Liebe ist ein wechselseitig Halt gebender, unbegreiflicher Zusammenhalt. Absolute Liebe meint das Zusammenhalten von Sein und seiner Äußerung, dem Dasein, welches im Menschen und seinem Selbstbewußtsein davon bedroht ist, sich im Scheinleben zu
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verlieren. „Des Seins Tragen und Halten seiner selbst in dem Dasein, ist seine Liebe zu sich" (Anw.; SW V, 540). So ist die Liebe ein Zurückholen aus dem Scheinleben ins wahre Leben, und so wird sie unmittelbar erfahren. Die Liebe holt das Dasein oder Wissen, sofern es sich in den Trennungen der Reflexion verfestigt und sich haltlos an deren Objekte als dem Wahren hält, in den Zusammenhalt zurück, in welchem die Objekt-Dinge zum wesenlosen Schein verblassen und nur das Eigentliche, das göttliche Sein und sein Dasein, einbehalten bleibt. In der unmittelbaren Erfahrung des zurückholenden Zusammenhaltes wird der Mensch des wahren Seins unmittelbar inne. Damit scheiden sich intellektuelle Anschauung und intellektuelles Gefühl endgültig. Die intellektuelle Anschauung ist der Akt absoluten Reflektier ens. Sie hält den Geist überall in die Deutlichkeit des Unterschiedes von Reflektierendem und Reflektiertem ein und erregt durch diese Zweiheit den Zweifel. Die Liebe bildet dagegen die äußerste Gelassenheit, in welcher die begreifende Reflexion durch Einkehr in ihren Ursprung von sich abläßt, um sich vom absoluten Leben ergreifen und erfüllen zu lassen. Dieses Geschehnis des 'Stirb und Werde', durch welches der Mensch für die zerstreuende Vielheit des Scheinlebens abstirbt und zur Einheit wahren Lebens versammelt wird, ist die Quelle der Religiosität. Auch dieser Vorgang der Liebe im Sichvernichten und Sichfinden darf niemals psychologisch, er muß ontologisch deduziert werden44. Das aber heißt: Die 'Empfindung' der Liebe, in welcher das sich besinnende Bewußtsein, durch sich vernichtet, an der Grenze Halt findet, muß als notwendiges und ursprüngliches Glied innerhalb der Relation von selbstgewissem Wissen und Wahrheit des Seins nachgerechnet werden. Also ist der Sinn des religiösen Gefühls und der Ort seiner ontologischen Erörterung im Gange des Fichteschen Denkens zu differenzieren. Das in den Schriften zur Atheismusfrage behandelte intellektuelle Gefühl sichert im Zusammengriff mit der moralischen Gewißheit die Realität sinnlichen Seins. Die 'Empfindung' der Liebe in der 'Anweisung' ermöglicht die unbegreifliche Einheit von menschlicher Existenz, Dasein und göttlichem Sein. Die Wissenschaftslehre von 1801 begründet die
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Diese ontologisdie Bedeutung ist von der Metakritik durchgängig übersehen und das intellektuelle Gefühl der Abhängigkeit und Liebe doch psychologisch genommen und dann freilich als bloß subjektives Gotteserleben des religiösen Menschen einer streng objektiven wissenschaftlichen Gotteserkenntnis gegenüber herabgesetzt worden. (Vgl. J. Barion, a.a.O., S. 44—61.)
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religio im Gefühl unbedingter Abhängigkeit45. In ihr wird dieser Sinn erstmals so deduziert, daß er im Zusammenhange des absoluten Wissens mit dem Absoluten erörtert wird. Hierbei erweist sich der scheinbare Nachteil des Gefühls, nicht objektiv zu sein und keine Vorstellung vom Gegenstand ausmachen zu können, als der Vorteil, der das Gefühl befähigt, ein Nicht-Objektivierbares auszumachen. Und dabei wird ein durchschlagendes Resultat vorbereitet. Im Gefühl der unbedingten Abhängigkeit überkommt das Wissen die Gewißheit, nichts anderes als Darstellung des Göttlichen in den Formen endlicher Reflexion und Freiheit zu sein. Unüberhörbar ist der Gleichklang dieser Konzeption mit Schleiermachers Darlegungen des Gefühls als des eigentümlichen Gemütszustandes, welcher die Religion konstituiert. Aber Schleiermachers Deduktion verläuft in anderer Dimension und ungleich sprunghafter und unausgewiesener. So bildet in den 'Reden über die Religion5 von 1799" das individuelle Sein im Ganzen der Welt den bestimmenden Ausgang. Der Mensch existiert zugleich für sich und im Ganzen und kann nur für sich werden, wenn er im Ganzen ist und im Ganzen nur sein, sofern er für sich wird. Das Fürsich und das Sein im Ganzen bilden einen Gegensatz, der aus dem Hervorgegangensein von Subjekt und Universum aus dem Ureinen stammt. Ihre Kluft kann weder durch willentliches Handeln noch durch selbstbewußtes Erkennen geschlossen werden. (Das Selbstbewußtsein lebt ja aus diesem Unterschied.) Soll mithin die menschliche Existenz sein können, was sie ist, so muß eben ein vorbewußtes Erleben die Einheit der Gegensätze im Innewerden des Ureinen wiedererlangen. Dieses Gefühl ist das Organ der Religion. Schleiermacher hat solches Gefühl im Gegensatz zur Freiheitsempfindung und zur intellektuellen Anschauung schlechthinnigen Sich-selberSetzens als Gefühl der Abhängigkeit bestimmt. (Der Terminus eines Gefühls Schlechthinniger Abhängigkeit ist von F. Dellbrück entlehnt.) Dabei hat sein 'höherer Realismus' grundsätzlich bis zur 'Glaubenslehre' von 1822 behauptet: Wovon wir uns schlechthin abhängig fühlen, ist Gott, und Gott ist das alle Gegensätze ausschließende Ureine 4S
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Es ist merkwürdig, daß E. Hirsch, der doch die W.-L. 1801 unter dem Gesichtspunkt ihres religionsphilosophischen Ertrages untersucht hat, diesen Anfangsgrund der religio nicht weiter beachtet hat. Zur Deduktion der 'Reden' vgl. W.Ritzel, 'Fichtes Religionsphilosophie', C. IV, § i: 'Fichte und die Mystik; die Mystik Schleiermachers'. Stuttgart 1956. Hier sind die Unterschiede der Ableitungen und der Resultate zwischen der Mystik Schleiermachers und der Fichtes herausgearbeitet.
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oder das absolute Sein als Negation aller Gegensätze jenseits des erkennenden Selbstbewußtseins. Dieses Gefühl und der darin sich bezeugende Grund aller Gewißheit läßt sich nur durch den 'Schreck der Selbstvernichtung' und auf dem Wege des Selbstgewinns durch Selbsthingabe gewinnen und niemals in reflektierender Erkenntnis verdeutlichen; denn das über den Gegensätzen stehende unvordenkliche Sein kann nicht in das Gebiet der Gegensätze herabgezogen werden. Bewußtsein von Gott und absolutem Sein bricht allein in einem Abhängigkeitsgefühl auf. Während aber Schleiermacher (zumal in seiner 'Dialektik') das Sich-inGott-Empfinden unter Aufgabe von Reflexion und Freiheit durch ein Eingehen auf die absolute Indifferenz des Seins und des Denkens abstützte, verfolgt die Wissenschaftslehre von 1801 das Gefühl der absoluten Abhängigkeit innerhalb einer Analytik des absoluten Wissens. Hierbei wird der Grundgedanke der Mystik (der in einer Theorie der intellektuellen Liebe Gottes wiederholt werden wird) herauskonstruiert, daß sich in unserem Fühlen Gottes Gott selbst in uns fühlt. Das Gefühl der Abhängigkeit ist nicht einseitig unser menschlich-endliches Abhängigkeitsgefühl vom Absoluten, das unsere Freiheit bindet. In ihm bringt sich das Absolute selbst zum Bewußtsein. Das In-sich-Gebundensein des ewigen Gedankens ist an sich ohne Selbstbewußtsein, es wird sich seiner in der Form der Ichheit bewußt. Das bedeutet für die Existenz des Menschen: Der Mensch ist die Stätte, in welcher das Absolute zu Selbstbewußtsein kommt, aber eben nicht in der Gestalt einer alles verdeutlichenden Vernunft, sondern im Modus eines ursprünglichen Gefühls. Das Gefühl stiftet und bezeugt die Unmittelbarkeit eines Zusammenhangs, „der ohne B (Vollzug der Freiheit) zwar nicht seyn würde, der aber, wenn B ist, durchaus unmittelbar aufgeht, und in dem A selbst, nach seinem Wesen, sich zum Bewußtseyn kommt, also als Gefühl der Abhängigkeit und Bedingtheit gewusst wird" (§ 26; 61). Wie also steht es nach der Freilegung dieser unmittelbaren Vereinigung im Gefühl mit dem Vorkommen des Absoluten? Das ist nicht einfach zu sagen. Einerseits hält das Absolute und das Ist mit sich zurück, andererseits tritt es ins Wissen ein. „A kommt sichtbar doppelt vor" (§ 26; 62), Das reine Sein und in sich gebundene Denken bleibt unausdenklich und allem Wissen vorausgesetzt. Die Voraussetzung und notwendige Bedingung für die Möglichkeit allen Wissens ist selbst nicht zu wissen. Das ist eben die unterschiedslose Gebundenheit von Subjektivem und Objektivem, an der nichts zu unterscheiden und daher für das Selbstbewußtsein nichts zu sehen ist. Andererseits aber gibt es einen
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Wissenszustand, in welchem das Wissen seiner Einheit mit dem Absoluten gewiß ist und einer Durchdrungenheit des absoluten Seins mit der selbstbewußten Freiheit inne wird. Im Gefühl Schlechthinniger Abhängigkeit eben findet sich das absolute Wissen von demjenigen Wissenszustand ergriffen, in welchem das Absolute lebt, und vermittels dieses Bewußtseins wird sich das Absolute seiner selbst bewußt. Wird dieses zweiseitige Vorkommen des Absoluten im rechten Zusammenhange bedacht, dann läßt sich der ursprüngliche Ort des Bewußtseins grundsätzlich angeben. „Wo ist denn nun der Sitz des absoluten Wissens? Nicht in A; denn dann wäre es kein Wissen; nicht in B; denn dann wäre es kein absolutes Wissen, — sondern zwischen beiden, in + " (§ 26; 62). Das ist eine Absage nach zwei Seiten, sowohl an die Ansprüche der Freiheitsphilosophie wie an das System der absoluten Substanz. Der Grund-gebende Ort des Wissens kann nicht das Freiheitsund Selbstbewußtsein sein. Seinem Wesen nach nämlich ist das Ich nichts als die Form formal freien Für-sich-Werdens. Seine Grundlegung bringt es zu einer Subjektivität ohne Substanzialität. Andererseits kann diese Form, will Philosophie verbindliches Wissen bleiben, niemals übersprungen, ausgeklammert und zur Form des empirischen Ich abgesetzt werden. Der definitive Sprung in den Standpunkt der absoluten Substanz bringt es ewig fort nur zum Sein, er kann nicht in das Reich der Subjektivität, zu Selbstbewußtsein und Freiheit zurück. Das konkrete absolute Wissen ist zwischen absoluter Substanzialität und abstrakter Subjektivität, zwischen fataler Notwendigkeit und formaler Freiheit angesiedelt. Wir versichern uns des Resultates. Ursprung allen Bewußtseins ist nicht die Subjektivität im Sinne des sich erzeugenden und schlechthin setzenden Ich und seiner formalen Freiheit. Eine Grundlegung, die alles auf das durch nichts gebundene Vermögen der Freiheit setzt, unterschätzt die Macht der Notwendigkeit. Auch wenn sie die relative Gebundenheit des Ich, nämlich die unumgängliche, im Streben hinauszuschiebende, aber nie ganz zu überwindende Schranke des Nicht-Ich miteinrechnet, fehlt ihr das Wissen von der Notwendigkeit-schlechthin. Sie kommt nicht zur Eingebung des reinen Ist. Andererseits ist der Anfangsgrund auch nicht das in sich ruhende Sein, an dem sich das Ich so vernichtet, daß es nicht mehr vom Selbstverlust im Absoluten zu sich zurückfindet. Das ist der Prozeß Spinozas, der den substanziellen Bestand des Seins auf Kosten des Selbstbewußtseins überhöht und das Ich nur-
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mehr als empirisches Ich wiederfindet. Die ursprüngliche Synthesis und alles vermittelnde Mitte ist ein Zwischen ( + ). Das Zwischen ist das seinlassende Zusammenhalten von absolutem Sein und Selbstbewußtsein. In ihm lagert die organische Einheit allen Bewußtseins, die Unabtrennbarkeit von Absolutem und absolutem Wissen, dergestalt, daß sich das Wissen vermittels der Freiheit faßt und am absoluten Sein vernichtet. (Es vernichtet sich, indem es seine Form des Unterscheidens am unterschiedslosen Sein aufgibt.) „Keines von beiden ist möglich, ohne das andere" (§23; 51). Ohne Selbstvergessenheit kann die Notwendigkeit nicht als schlechthin seiende gefaßt werden, ohne Sich-Fassen kann sie nicht als solche gefaßt werden. Ohne dies wäre das absolute Wissen bloß ein selbstloses Seinsdenken oder bloß ein seinsloses Sich-Wissen. Es wäre nicht, was es in Wahrheit ist, sich wissendes Andenken des Seins. Dieser Befund faltet die zentrale Kategorie des transzendentalen Idealismus, die Wechselbestimmung ins Äußerste aus. Im Felde der theoretischen Vernunft entschied die Wechselbestimmung prinzipiell das Erkenntnisproblem. Sie hat den Grundsatz eingerichtet: 'Kein Objekt ohne Subjekt, und umgekehrt5. Die Überführung des Wechselverhältnisses in das Fundierungsgebiet der praktischen Vernunft brachte es zum Satz 'Kein Objekt ohne Streben, und umgekehrt'. Jetzt wird diejenige Wechselbestimmung ansichtig, die alle Arten und Gestalten des Wissens in sich einbehält: 'Kein Sich-Fassen ohne Sich-Vernichten, keine absolute Freiheit ohne Bindung an die Notwendigkeit schlechthin'. Noch umgreifender formuliert: 'Kein Selbstbewußtsein ohne absolutes Sein, und umgekehrt'. Wie aber kann sich das Selbstbewußtsein in diesem alles vermittelnden Wechsel halten? Der Bescheid lautet: „Der Mittel- und Wendepunct des absoluten Wissens ist ein Schweben (§23) zwischen Seyn und Nichtseyn des Wissens, und eben damit zwischen nicht absolut Seyn und absolut Seyn des Seyns; indem das Seyn des Wissens die Absolutheit des Seyns aufhebt und das absolute Seyn die Absolutheit des Wissens" (§24; 51—52). Hier ist das Schweben oder der synthetisierende Urzustand des Bewußtseins auf seinen Grund gebracht. Schweben bezeichnet einen Zwischenzustand zwischen Bewegung und Ruhe. Es ist die Bewegung, die in sich ruht, indem sie richtungslos hin und her geht. Der Mittelpunkt des absoluten Wissens ist das ursprüngliche Schweben. Wissen ist nicht bloße Selbstbewegung, also das absolute Werden aus Freiheit. Es ist auch nicht starres Ruhen im Sein. In seinem Ursprünge ist Wissen das 'Und' im Hin und Her der Wechselbestimmung, welche zwischen
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Sein und Nichtsein des Wissens sowohl v/ie des Seins verschwebt und das Bewußtsein des Menschen in der Schwebe hält zwischen dem elementaren Selbstbewußtsein seiner Freiheit und dem abgründigen Gefühl Schlechthinniger Abhängigkeit.
7· KAPITEL Göttliches Sein und Wissen des Nicht-Wissens Das absolute Wissen hat sich in seinem Ursprünge als Sdiweben zwisdien dem absoluten Sein und dem Sidi-Wissen hingestellt. Darin ist die Synthesis von Freiheit (deren Ausdruck das Fürsichsein ist) und Notwendigkeit (die sich in der Gebundenheit des Ansichseins ausdrückt) gelungen. Indessen löst doch solche Fassung des Ursprungs nicht alle Antithesen auf, sie drängt den alles durchragenden Widerspruch im Mittelpunkte zusammen; denn das Absolute, d. i. das reine gedachte Wasund Substanzsein, widerspricht dem Fürsichsein, und umgekehrt. Beide im Ursprünge absoluten Wissens verschwebende Seinsbestimmungen bestreiten einander die Anwesenheit und schließen einander von der Präsenz aus wie Tag und Nacht. Dieser Widerspruch hatte sich durch alle Vorsynthesen hindurchgezogen. Er wurzelt im Ursprungsort des absoluten Wissens selbst. „Es ist für sich ( = F) schlechthin, was es ist ( = A), worin eben der Widerspruch in seiner Spitze zusammengedrängt ist" (S 26; 62). Enthüllt sich also am Ende der Reflexion und aller Entzweiung der Widerspruch als Element und bestimmender Anfang allen Bewußtseins? In der Tat ist der Widerspruch nicht einfach als der Widerpart des Wissens auf die Seite zu bringen. Er muß als Negation des Wissens durchdrungen werden, und zwar so, daß die Negation des Wissens (das NichtWissen) eine Position des reinen Seins einbringt. Im schroffen Gegensatz zum Vorgehen einer spekulativen Dialektik hat aber die besonnen bleibende Reflexion nicht nur an der Endlichkeit des Wissens festzuhalten, sondern die Endlichkeit im Ursprünge des Wissens selbst zu fixieren. Gelingt das, dann zeichnet sich das Resultat ab: Der Widerspruch und die absolute Negation bieten keinen Anfangsgrund, der eine Explikation des Denkens im Ausmaße des Absoluten ermöglicht; er ist und bleibt das Ende und die Grenze des Wissens. Die Versetzung des Widerspruchs in den Ursprung des absoluten Wissens „kann nur heissen: seine
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Freiheit und sein Türsich, sein Wissen, ist — demnach eben für sich — zu Ende" (§ 26; 63). In welcher ursprünglichen Handlung das Wissen sein Ende findet, ist schon ausgemacht. Unabweisbar waltet im Wissen eine Vernichtung seiner Ichform. Im Prozeß der Selbstdurchdringung sind zwei Wege der Selbstvernichtung schon durchlaufen, i. Will sich das absolute Wissen auf das absolute Denken besinnen, so muß sich die Anschauung aufheben. „In ihm vernichtete sich die Anschauung" (§24; 53). Diese Anschauung vernichtet ihre Form schlechthin durch ihre Materie. Der materielle Inhalt ihres intellektuellen Gefühls ist der reine Gedanke der ununterscheidbaren Unzertrenntheit von Subjektivem und Objektivem. Solche Materie schlägt alle Form des Rückbezugs und des Sich-von-sichUnterscheidens nieder. Im Eingehen auf das in sich gebundene Denken fallen Selbstanschauung und Freiheit ab. 2. Aber mit dem Sich-Wissen war es auch zu Ende, wo die absolute Freiheit als solche bedacht wurde. Es galt ja, den Widerspruch des Sein- und Nichtseinkönnens auszuhalten; „hier vernichtete daher das Denken sich selbst" (§24; 53). Im Blick auf formale Freiheit und alles Entstehen im Selbstanfang ist eben ein Hiat und Ende deutlichen Wissens einzugestehen. Die Urhandlung eines Sich-Vernichtens durchzieht alles Bewußtsein. Es trifft das Bewußtsein der sich selbst bestimmenden Freiheit ebenso wie das Bewußtsein von ruhendem Sein. Angesichts des Absoluten, das notwendig als das Notwendige-schlechthin ins absolute Wissen tritt, sieht das Wissen, daß die Form des Ich als angemessenes Prinzip hinfällig wird. Das Ich in der sondernd-einigenden Form der Reflexion kann Gott oder das absolute Sein nicht konstruieren. „Gott selbst ist nicht durch das Denken, sondern an ihm vernichtet sich das Denken" (Tats. d. Bew. 1813; NW I, 563). Darum gehören zum Wissen gleich ursprünglich das Sich-Fassen in der Ichform und das Sich-Vernichten der Ichheit. Der Anfang des Wissens vereinigt sich im selben Schlage mit seinem Ende. Diese Einigung ist nun nicht bloß unmittelbar und einfachhin am Werke, sie ist dem Wissen, sofern es sich selbst gründlich genug erkennt, offenbar. Das absolute Wissen erblickt seinen Ursprung und darin seine Grenze und sein Nichtsein. Die Behauptung solcher Reflexion treibt die Fragen auf: Inwiefern erblickt das Wissen seinen Ursprung? Was bedeutet die Besinnung auf die Grenze? Und was ist im Sehen von Grenze, Nichtsein, Nicht-Wissen Großes zu sehen? Jegliches Wissen weist sich als Wissen im Darlegen von Gründen und Ursprüngen aus. Darin ist Wissen begründet, daß es einen Grund
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und Ursprung ins Bewußtsein hebt. Daher „heisst Wissen selbst — Fürsich-seyn, Innerlichkeit des Ursprunges" (§ 26; 63). Dieser Anspruch an das Wissen wird auch und vor allem für dasjenige Wissen erhoben, welches Wissen vom Wissen ist. Auch dieses kann seinen Wissensstand nur dadurch rechtfertigen, daß es den Ursprung des Wissens weiß. Berechtigte Wissenschaftslehre ist die Reflexion, welche bis zum Ursprünge absoluten Wissens, d. h. bis zum Ursprünge ihrer selbst durchstößt. Der Ursprung absoluten Wissens aber ist zugleich sein Ende. Wissen ist wesentlich Reflexion oder sich begreifender Begriff. Aber die Reflexion ist nicht Ursprung, und der Ursprung des Sich-Begreifens ist nicht begreifbar. Denn zum Selbstanfange des sich frei erzeugenden Ich gehört der Widerspruch von Sein und Nichtsein. Diese undenkliche, reine Möglichkeit liegt dem Entspringen des Ich voraus. Und zum Anfange gehört die Notwendigkeit-schlechthin, welche ebenso unbegreiflich ist wie die absolute Freiheit. Das hat einleuchtende Folgen für den Begriff des Begriffs. Weil der Anfang und Ursprung des Wissens ein unbeschränktes Sich-Begreifen verwehrt, darum kann der Begriif nicht das Göttliche selbst sein. Das absolute Wissen kann niemals das sich seiner ganz und gar durchsichtige Absolute werden, die Grenze überwinden und den Abgrund zum Sein überspringen. In Wahrheit kommt das Wissen, indem es sich bis in seinen Ursprung durchdringt, an sein Ende. „Es dringt wissend zu seinem absoluten Ursprünge (aus dem Nichtwissen) vor, und kommt so durch sich selbst (d.i. infolge seiner absoluten Durchsichtigkeit und Selbsterkenntniss) an sein Ende" (§ 26; 63). Daraus ergibt sich die Gedankenfolge: Wissen ist Einsehen des Ursprungs. Wissen des Wissens ist Sehen des Ursprunges vom Wissen. Zum Ursprünge des Wissens gehört ein Sich-Vernichten der Ichheit. So sieht das absolute Wissen in seinem Ursprünge sein Ende. „Mithin kann es seinen absoluten Ursprung nicht erblicken, ohne seine Grenze, sein Nichtseyn zu erblicken" (§ 26; 63). Nun ist aber vorsorglich von dieser Reflexion auf den Ursprung die Reflexion zu unterscheiden, die ein Fürsichsein des Ursprungs als Entspringen bildet. „So ist dieser Satz von dem früheren verschieden" (§ 27; 68). Um diese Verschiedenheit abzuklären, sei der Satz über die Reflexion des Entspringens erläutert. In ihm herrscht der Standpunkt der Freiheit, und die Autarkie des Ich erscheint ungeschmälert; denn er fügt noch einmal Sein und Freiheit zusammen und belehrt darüber, daß das Sein nicht aus der Freiheit und diese nicht aus jenem folgt, sondern daß das Wissen ebenso die Freiheit wie sein eigenes Sein voraussetzt. Die Reflexion sieht das Entspringen, also den Sprung aus der In-
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differenz in den wirklichen Vollzug des losreißenden Sich-auf-sich-Wendens. Wird auf das Entspringen als solches geachtet, dann muß ein Nicht-Entspringen vorausgesetzt werden. Das folgt nicht bloß aus dem Begriff des absoluten Entspringens, sondern vor allem aus dem trennenden Entgegensetzen der Reflexion. Das Nicht-Entspringen bedeutet (ruhendes) Sein, das Nicht-Entspringen des Wissens das Sein des Wissens. Mithin setzt die Reflexion auf das Entspringen des Wissens das Sein des Wissens voraus. So artikuliert sich im Blick auf das Entspringen die Selbigkeit von Sein und Sich-Setzen des Ich. „Das Wissen kann sich nicht erzeugen, ohne sich schon zu haben; und es kann sich nicht für sich und als Wissen haben, ohne sich zu erzeugen. Sein eigenes Seyn und seine Freiheit sind unzertrennlich" (§ 27; 68). Tiefer gesehen aber, fällt nicht mehr das Entspringen aus formaler Freiheit, sondern der Ursprung des ganzen Wissens in seiner Unzertrennlichkeit von Sein und Freiheit in den Blick. Dabei fragt das Wissen sich nicht mehr nach der Voraussetzung seines eigenen, sondern nach der eines göttlichen Seins. Zur Frage steht nicht mehr das Ist im Ich-bin, sondern das einfache Ist jenseits des Ich. Das wird im Erblicken des absoluten Ursprungs thematisch. Diese Reflexion bringt die Anblicke von Nichtsein und Grenze mit. Ein absoluter Ursprung setzt nicht etwas anderes, ihm geht ein Nichtsein voraus. Und der Ursprung bietet den Anblick der Grenze; er grenzt das Sein des Wissens von seinem Nichtsein ab. Das Nichtsein des Wissens ist Nicht-Wissen und muß ganz umfassend verstanden werden. Was das Nichtsein nicht ist, ist das absolute Wissen als das sich wissende SubjektObjekt. Und das Reflektieren auf solches Nichtsein und solche Grenze bekommt die Begrenztheit des Ich und des damit verbundenen Seinsverständnisses zu Gesicht. Es macht den Blick für die Positivität von etwas frei, das Nicht-Wissen ist, für das einfache, ungebrochene Ist. Der Blick in den Ursprung enträtselt das Geheimnis des Seins. „Dies ist nun eben das grosse Geheimnis, das da Keiner hat erblicken können, weil es zu offen da liegt und wir allein in ihm Alles erblicken" (§ 26; 63). Das Geheimnis ist ein verborgen-entborgener Grund. Geheimnisvoll ist ein Grund, der sich, indem er sich entschleiert, gerade entzieht. Das ist das Wesen des Geheimnisses, daß es von allen übersehen wird, weil es zu nahe vor Augen liegt. Was dem Wissen zu offen vorliegt, ist das Sein. Es ist das göttliche Sein, worin wir alle Sonderungen des Bewußtseins erblicken und worin wir sind und leben; (der wahre, Johanneische Gott, „in welchem wir alle sind und leben und selig seyn können, und ausser
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welchem nur Tod ist und Nichtseyn" [SW VII, 98]). Aber wie es möglich ist, daß uns das Sein ungebrochen vom Bewußtsein selbst angeht, scheint schleierhaft. Das Geheimnis enthüllt sich einer Selbsterkenntnis. Erblickt das Wissen seinen Ursprung, dann findet es sein Ende, und es geht ihm im Anblick des Nichtseins das reine Sein auf. Das Nicht des Wissens ist nicht Nichts, sondern Sein. Die kritische Philosophie verendet nicht im Nicht-Wissen. Sie ist eine docta ignorantia, ein über sein radikales Nicht-Wissen belehrtes Wissen, aber eben so, daß im Nichtsein des Wissens eine Negation negiert und das Sein poniert wird. Das Wissen wird als ein Negatives negiert. Die Form des Ich wird als unangemessen beiseite gestellt. Und indem das Wissen die alles vergegenständlichende Ichheit als adäquates Prinzip aufgibt, entsteht ihm ein reines Sein. „Es ist klar, dass durch solch ein positives Nichtseyn seiner selbst das Wissen zum absoluten Seyn hindurchgehe" (§24; 53). Das ist kein willentlicher Akt künstlicher philosophischer Reflexion, sondern das Ursprungsgeschehen des Wissens, das ein Ist-Sagen überhaupt erst ermöglicht. Da diese 'Negation der Negation5 als Position des Seins anfänglich in der Dimension des absoluten Wissens geschieht, ist das Sein qua Nichtsein des Wissens absolut. „Was ist denn nun das absolute Seyn? Der im Wissen ergriffene absolute Ursprung desselben und daher das Nichtseyn des Wissens" (§ 26; 63). Diese Überlegung wendet die Seinsthese der frühen Grundlegung ins Absolute. Die erste Grundlegung „nova methodo" hatte festgelegt: „Sein ist ein negativer Begriff" (W.-L. 1798, § i; NS II, 366). Diese These bestreitet dem Namen 'Sein', das Erste, Wahrhafte und Unmittelbare in allem Seienden zu benennen. Das Erste und Positive war der frühen Grundlegung die unmittelbare Tätigkeit des Sich-selber-Setzens. Sein ist danach nichts als dessen Negation. Ihm wird der Charakter der Untätigkeit, des unbeweglichen und toten In-sich-Ruhens aufgeprägt. In diesem Sinne kann Sein nur in einer dogmatischen Metaphysik zum Ersten und Positiven erhoben werden, nämlich als Sein des an sich seienden Dinges oder als absolute Substanzialität. Die Transzendentalphilosophie enthüllt den bloß negativen Charakter von Sein. Sein ist Nicht-Tätigkeit. Und da die wahrhaft lebendige, in sich zurückkehrende Tätigkeit das Wesen des Ich kennzeichnet, folgert die Seinsthese der frühen Wissenschaftslehre: „Sein ist also der Charakter des Nicht-Ich" (NS II, 366). Die absolute Reflexion hat die Einsicht geweckt, daß der Sinn von Sein nicht in dieser einfachen Negation aufgeht. Sein ist das Nichtsein des Wissens. Aber das Nichtsein des absoluten Wissens ist kein negativer
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Begriff, sondern als die Negation der inadäquaten Ichform die Position eines absoluten Seins. Im Erblicken seines Ursprunges geht das Wissen zum reinen Sein hindurch und erfüllt darin sein Wesen. Das Wesen des Ich nämlich ist absolute Reflexion oder Selbstdurchdringung. Es durchdringt sich im Reflektieren auf seinen Ursprung und seine Grenze selbst und dringt bis zu einem Sein, das nicht mehr Akzidenz und Folge des Wissens ist, weil das Wissen gelernt hat, sich als dessen Folge und Akzidenz zu sehen. Aber es überschreitet in diesem Durchgange nicht die Grenze kritischer Besonnenheit, es legt diese dadurch endgültig fest. „Nur der Anfang des Wissens ist reines Seyn; wo das Wissen schon ist, ist sein Seyn, und Alles, was sonst noch für Seyn (objectives) gehalten werden könnte, ist dieses Seyn und trägt seine Gesetze" (§ 26; 63). Das reine Sein ist der Anfang des Wissens, mit dem das Wissen nichts anzufangen weiß. Das reine Sein läßt sich nicht spekulativ entwickeln, da es nichts zu sehen gibt als das unendlich einfache Ist. Das einfache Sagen 'ist' beruht eben auf einem unaufhebbaren Hiat; denn das wahre Ist tritt auf, indem sich das Ich und seine Freiheit vernichtet. Das Absolute oder das Sein ist das positive Ende des Wissens und dessen undurchdringlicher Anfang. Absolut gedacht, bedeutet Sein die Position des Nicht-Wissens. Alles Sein dagegen, welches deutlich dem Bewußtsein zukommt, bleibt Eigentum des Wissens oder sein Sein. Sein qua Gegenständlichsein von Seiendem ist ja durch die Handlungsgesetze geprägt, in denen sich das ursprüngliche Selbstbewußtsein bestimmt. Die transzendental-analytische Deduktion der Seinsbestimmungen des objektiv Seienden aus der Gesetzlichkeit des absoluten Wissens, das ist die Aufgabe, welche die Wissenschaftslehre von Anfang an systematisch in Angriff genommen hatte. Die absolute Reflexion hat nun das Wissen darüber belehrt, daß es in seinem Ursprünge der synthetische Zusammenhang von Selbst- und Freiheitsbewußtsein (F—B) mit dem Absoluten (A) ist. Daraus erwächst ein tieferes Verstehen des objektiven Seins. Das Sein unter den formalen Gesetzen des Wissens ist nichts anderes als das Da und die Erscheinung des an sich verborgenen, reinen Seins. Alles = Gottes Erscheinung und Bild. In der Formelsprache von 1801 ausgedrückt: „Es sind die formalen Gesetze des Wissens, nach denen ganz B = A—F—B ist. Mit anderen Worten: der ganze Inhalt (A) muss, durch Vollziehung der Freiheit vermittelt (F), in die Form des Lichts (B) eintreten" (§ 26; 62). Der Hindurchgang zum reinen Sein versteigt sich nicht zur unkritischen Zumutung, das Werden und Währen des Bewußtseins aus dem
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Absoluten herleiten zu wollen. Das in seinen Ursprung eindringende Wissen hat das Sein als den Seins- oder Realgrund des Wissens erblickt und sich selbst als den Erkenntnis- oder Idealgrund des Seins erwiesen. Aber es hat in eins erfahren: Vom Sein als dem Realgrunde des Wissens kann nicht ausgegangen werden; denn das Sein gewährt dem Wissen nur so Bestand, daß es sich ihm in seiner überschwänglichen Einfachheit entzieht. Legitim und unumgänglich aber ist es, das Wissen als Ideal- und Erkenntnisgrund des Absoluten durchsichtig zu machen. Idealiter ist das Sein aus dem Wissen abgeleitet. Es war ja aus der Reflexion auf den Ursprung entstanden und bleibt als Nicht-Wissen oder Negation des objektivierenden Wissens bewußt. „Dies nemlich ist das reine Seyn für die Wissenschaftslehre, eben weil sie Wissens-Lehre ist, und das Seyn aus diesem als seine Negation ableitet, also eine ideale Ansicht desselben, und zwar die höchste ideale Ansicht ist" (§ 26; 64). Dieses Resultat ist noch einmal zusammenzufassen, um davor kritisch zurückzutreten und um die behauptete Sich-Vernichtung des Bewußtseins und die Rede von der Positivität des Seins zu überprüfen. Herausgefunden war der Focus des Bewußtseins. Das Wissen entspringt, indem es zwischen dem Sich-Fassen und Sich-Vernichten, zwischen Freiheit und Nicht-Freiheit schwebt. Nun ist klar: Zum absoluten Wissen gehört unmittelbar das Sich-Fassen aus formaler Freiheit, das Fürsichwerden rein von sich aus. Aber ebenso ist klar geworden: Dieses Sich-Fassen ist in sich selbst leer und zerfließend. Es gewinnt nur Halt, wenn es das für sich wird, was es immer schon war. Das absolut freie Fürsichwerden gewinnt seinen Anhalt durch Bindung an das, was das absolute Wissen in seinem Anfange und Grunde immer schon war, an das unbegreifliche Ineinanderaufgehen von Subjekt und Objekt, von Sein und Freiheit. So vollzieht das Fürsichwerden eine Einkehr in den eigenen Ursprung, den es nicht faßt, und erleidet daran den Verlust des Fürsichseins. Mithin geht das Wissen weder im leeren Sichwissen noch im selbstlosen Präsentieren des absoluten Seins auf, es schwebt in der fortwährenden Bewegung von Bindung und Entbindung dazwischen. Indem das Wissen dieses sein Schweben nicht nur vollzieht, sondern im Vollzug weiß, begreift es sich als Bild des absoluten Seins und ist dadurch über sich selbst belehrt. Das Wissen hat eben die doppelte Erfahrung gemacht, daß das Sein (und nicht es selbst) der Realgrund des Wissens und daß das Wissen (und nicht das Sein selbst) Idealgrund des Seins ist. Das Wissen sieht, daß es sich nur als Bild des Seins fassen kann und als Bild des Seins aufgeben muß. Das Schweben dazwischen ist seine
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Bildung. Indem es sich zum Bilde des Seins ausbildet, erfährt es die Wirklichkeit seiner Freiheit. Indem es das Sein nur abbildet und darin als das Nichtsein des Bildes vom Bilde selbst unterschieden hält, erfährt es die Wirkungslosigkeit seiner Freiheit. Beides gehört zusammen, sofern eben zum Bilden des Bildes zweierlei gehört: Das Bilden macht sich und seine Kraft des Sichtbarmachens zum Maße des Bildes, und es leistet zugleich Verzicht darauf, das im Bilde sichtbar gemachte Sein selbst als sein Gemachte auszugeben. Was bedeutet das für die Position des reinen Seins innerhalb des Bildgefüges absoluten Wissens? Gezeigt war: Das absolute Wissen erfährt sich, indem es daran scheitert, in seinen Anfang und Grund begreifend einzudringen, als das, was es wahrhaft ist, nämlich als Bild des unverfügbaren Seins. Daraus folgt für die Position des Seins: Indem sich das Wissen bloß als Bild des Seins weiß, setzt es sein reines Ansich aus sich heraus; denn das Bild ist die Sichtbarkeit des Seins, nicht aber das Sein an ihm selbst. Das Sein an sich ist das im Bilde Nicht-Anwesende. Andererseits aber ist das Sein an sich nicht anders als aus diesem Bezug heraus zu fassen. Der Sinn des reinen Seins erschöpft sich darin, NichtBild und daher Nicht-Wissen zu sein. Wissen ist Bild und darum NichtSein, das reine Sein ist die Negation dieses Nicht-Seins, mithin NichtWissen. Zu einem anderen Seinsverständnis hat sich die Wissenschaftslehre von 1801 nicht erhoben. Das reine Sein ist das in der Negativität des Bildes notwendig auftretende Ansich; aber dieses Ansich bleibt eben nur in diesem einzigen Sinne verstehbar und sinnvoll, nämlich Negation des Füruns und des Bildseins zu bedeuten. Das aber heißt doch: Solches Seinsverständnis orientiert sich immer noch an der Relation des Bewußtseins, dem Wechselbezug von Ansich und Füruns. Es nimmt das realistische Verstehen von Sein, welches doch die Inadäquatheit des Bewußtseins und seiner Relationen angesichts des Anfanges und des ursprünglichen Seins gezeigt hatte, nicht ernst. Und es verkürzt den zum Seinsverständnis gehörenden Sinn der Wahrheit. Bedeutet nämlich das Schweben zwischen Sein und Nichtsein des Seins ein Schweben zwischen Entbergung und Verbergung, dann wäre Wahrheit eben dieser sein-lassende Vorgang, durch den sich das Sein im Bilde des Bewußtseins als das an ihm selbst Unsichtbare sichtbar macht47. 47
Um das Schweben als das Anfangen des Wissens selbst kreist die kühn und konstruktiv übergreifende Zusammenschau von K. Schuhmann, welche die Grundlage von 1794 von der W.-L. 1810 her überlichtet ('Die Grundlage der Wissenschaftslehre
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Aber die Wissenschaftslehre von 1801 ist nicht imstande, diesem Wahrheitswesen zu entsprechen. Sie interpretiert es einseitig idealistisch vom Bewußtsein aus. Der Entzug der Wahrheit kommt so nur als Begrenztheit des Bewußtseins vor, und ihre Entzogenheit wird als Nicht-Fürunssein verständlich gemacht. Entsprechend wird die Entbergung der Wahrheit zur Sich-Erfassung des Bewußtseins umgedeutet und das Entborgensein als Klarheit und Deutlichkeit des selbstgewissen Begreifens ausgelegt. Aber es könnte sein, daß das Maß aller Wahrheit nicht im Bewußtsein liegt, weil das Bewußtsein die Wahrheit gar nicht ergreift bzw. nicht-ergreift, sondern weil die Wahrheit das Bewußtsein ergreift bzw. mit sich zurückhält. Und es wäre zu fragen, ob nicht das Bewußtsein gerade dadurch, daß es sich zum Maße und Ursprung der Wahrheit ernennt und ein anderes Wesen der Wahrheit nicht anerkennt, die verborgenste Quelle des Scheins ist. So treibt der Schlußstand in der Grundlegung der Wissenschaftslehre von 1801 das Denken weiter48. Das Resultat drängt zur Überprüfung des Wechselverhältnisses von Ansich und Füruns, also zur endgültigen Revision der Positionen von Realismus und Idealismus, zu einer radikalen Scheidung von Wahrheit und Schein und zur erlösenden Vermittlung der Erscheinung und des Bildes mit der Wahrheit und dem Sein.
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in ihrem Umrisse'. Den Haag 1968). Danach ist der Ausgang der Reflexionsphilosophie der (im 3. Grundsatze ausgesprochene) haltlose Schwebezustand des Ich, in welchem die Wediseltätigkeit zirkelhaft ins Endlose verläuft und welcher ein Wissen außerhalb des Wissens (Erfahrung) braucht. Indem das Schweben thematisiert wird, erfährt das Wissen den Grund seines Widerspruchswesens, das NichtIdi-Sein (Natur, Mitmensch, Pflichtgebot, Absolutes). So erfährt sich das Wissen schließlich als das Außersidisein des Absoluten und das Absolute als ein schwebendes Entgleiten, in welchem es, indem es das Wissen stiftet, diesem entgleitet (i. Grundsatz). Dieser Umriß der Grundlegung kann zeigen, daß die Reflexionsphilosophie des einseitigen Idealismus nur möglich ist, weil sie von einem absoluten Idealismus gehalten wird. Das widerspricht der Beurteilung von W. Wundt ('Über den Geist der verschiedenen Darstellungen der W.-L.', in: Fichte-Studien S. 141—234. Stuttgart 1929). Danach bietet die W.-L. 1801 den tiefsten Ausdruck und den prinzipiellen Abschluß der Fichteschen Lehre. Sie bildet ihren höchsten Standpunkt aus, weil das Wissen erst hier zum Absoluten als dem letzthin bestimmenden Grunde allen Wissens hindurchdringt. Die W.-L. 1804 setzt diese Bindung des Wissens durch das Absolute voraus. Während nämlich die W.-L. 1801 das Absolute im Aufstieg durch Analyse des Begriffs vom absoluten Wissen gewonnen hat, vertauscht die W.-L. 1804 diesen aufsteigenden mit dem absteigenden Weg. Sie nimmt ihren Ausgang unmittelbar vom Absoluten und leitet aus ihm seine Spaltungen ab; diese Ansicht Wundts ignoriert den letzten Aufstieg des Wissens zum Absoluten in der 'Wahrheitslehre' von 1804.
TEIL πι Wahrheit und Erscheinung Die Vernichtung der Reflexion und das Absolute (2. Darstellung der „Wissenschaftslehre" aus dem Jahre 1804 Vortrag 1-15; zit. nach NWII, 87-212)
i. KAPITEL Der Weg zur Wahrheit Das Grundwort aller philosophischen Grundlegung ist bereitgestellt: reines und absolutes Wissen. Das absolute Wissen ist im ersten Teil der Wissenschaftslehre von 1801 bis an seine Grenze, das NichtWissen und Sein, durchdrungen. Solche Vorgabe nimmt die Wissenschaftslehre von 1804 auf. Dieser — dreimal publice in Berlin vorgetragene, aber erst postum veröffentlichte — Systementwurf vollendet die Grundlegung des Transzendentalismus49. Sein erster Teil hat den Titel 'Wahrheitslehre'. In ihm sichert sich die methodische Selbstbesinnung des absoluten Wissens gegen Schein und Irrtum ab, indem sie die Grenze zwischen Wahrheit und Erscheinung auszieht. Sie erteilt den inappellablen Richterspruch über das Sein des Wißbaren und die Wißbarkeit des Seins. Durch einen 'Aufstieg zum Absoluten' gelingt ihr eine unübersteigbare Scheidung von wahrem Sein und Erscheinung. Was dem menschlichen Begriff und seiner Sprache im philosophischen Suchen nach den ersten Anfängen und Ursachen zugänglich ist, das ist bloß Erscheinung, nämlich das Dasein des absoluten Seins in Bild- und Vorstellungsformen des ichhaften Bewußtseins. Die Wahrheit und das Sein selbst dagegen leuchten nur im Vernichten des Begriffs als Unbegreif« Dem Text der W.-L. 1804* (nach der Ausg. von I. H. Fichte: A) habe ich an wichtigen Stellen Varianten der sogen. 'Copia' hinzugefügt (vgl. W.-L. i8o42, herausg. von W. Janke, S. 23—24. Frankfurt a. M. 1966). Inzwischen ist die i. W.-L. 1804 in vorbildlicher Edition von H. Gliwitzky aus dem Nachlaß herausgegeben worden ('J. G. Fichte, Erste W.-L. von 1804', herausg. von H. Gliwitzky, mit einem Strukturvergleich zwischen der W.-L. 1804* und der W.-L. i8o42 von J. Widmann. Stuttgart 1969). Die erste Fassung hat denselben Aufbau und stellt dieselbe 'Hauptaufgabe' wie die zweite, nämlich die Sicherung der wahren Einheit als der einen Wahrheit im Aufsteigen aus der Disjunktion durch Conjunktion und im Umschlag von faktischer zu genetischer oder intelligibler Evidenz. Die erste Vortragsreihe kann das Verständnis der späteren, ausgearbeiteten Fassung in vielen Punkten fördern und schärfen. Dieser bisher unbekannte Entwurf der W.-L. konnte leider für diese Arbeit nicht mehr herangezogen werden.
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liches und Unsägliches ein. Das Göttliche ist nicht der Begriff selbst, sondern die Grabstätte des Begriffs, und die Wahrheit ist nicht die gänzliche Durchsichtigkeit des sich wissenden absoluten Wissens, sondern „das Allerklarste und zugleich das Allerverborgenste, da wo keine Klarheit ist" (15. Vortr.; 205). Wahrheit ist Licht. Es ist das Allerklarste, weil alle Klarheit des Sehens im Lichte gründet, und das Allerverborgenste, weil die Helle, worin das Sehen sieht, selbst nicht zu durchdringen ist. Gott ist das Absolute, das sich entborgen hat, weil alle Modifikationen und Stufen der Erscheinung die vielfachen Bewußtseinssonderungen sind, in denen der Eine Gott da ist. Und das Absolute ist der verborgene Gott, weil sich der Begriff an dessen Sein vernichtet. Das sind schwer durchschaubare Sätze. Sie sind dem konstruierenden Verstande und der spekulativen Vernunft gleichermaßen ein Ärgernis. Man hat sie als Ausdruck der Mystik ein- und abgeschätzt50. Und das trifft zu: Die Wahrheitslehre von 1804 ist ihrem Resultate nach Mystik. Sie trägt Züge und Erträge der Mystik vor: die Einkehr des Wissens in seinen unvordenklichen Ursprung, die Selbstvernichtung des Ich und den Seinsgewinn in Gott, das Aufleuchten der koinzidentellen Wahrheit, die Unsäglichkeit des Seins, die Angabe des Absoluten in den Metaphern von Licht und Leben. In diesem Vortrag wird dem höchsten Gedanken der Religionslehre Fichtes, der absoluten Gottesliebe, durch den Vollzug 50
Als Beispiele für das Urteil, die Neufassung der W.-L. in der 'mytischen Periode' seit 1800 bedeute den Bruch mit dem kritischen Geiste und die Verwandlung des Ich in eine göttliche Idee mit mystischen Zügen, vgl. H. G. Haack, 'J. G. Fichtes Theologie'. Bonn/Leipzig 1914; D. Bergner, 'J.G.Fichte' in: Wissen und Gewissen, S. 17. Für die Gegenthese, die Mystik der großen Nachkantianer entspringe geradezu aus der Wahrheitslogik der transzendental-kritischen Analytik, vgl. F. Medicus, 'Die religiöse Mystik und die klassische deutsche Philosophie', Beiträge z. Philos. d. Deutschen Idealismus I, S. 158—169. 1918. Gegen die Annahme der Verwandlung Fichtes aus einem sittlichen Revolutionär zu einem Mystiker wendet sich die Arbeit von F. Gegarten, 'Fichte als religiöser Denker'. Jena 1914, welche die tragenden Strukturen der Fichteschen Mystik in ihren Bezügen zu Sittlichkeit, Individualität und Geschichte aufhellt. Zur These, die Mystik Fichtes sei das Resultat einer in sich geschlossenen Entwicklung, vgl. E. Hirsch, 'Fichtes Religionsphilosophie'. Göttingen 1914. Danach ist das spekulative System des reinen Moralismus der Ausgang. Es wird durch den Gedanken der Gemeinschaft bedroht, weil es einer Synthesis der Geisterwelt keinen Raum gibt. Es rettet sich, indem es sich zur Mystik einer spekulativen Gotteslehre entwickelt. Dieses Schema entspricht der Absicht des bedeutenden Buches, nämlich einer immanenten Selbstkritik jeglicher rein ethischer Weltanschauung. Zur Abgrenzung gegenüber der älteren Mystik vgl. E. von Bracken, 'Meister Eckhard und Fichte'. Würzburg 1943 und W.Ritzel, a.a.O., 8.163—176. (Hier wird das mystische Motiv der W.-L. 1804 unvermittelt als eine Dialektik von Individuellem und Göttlichem angesetzt, welche alles menschliche Sein umspannt.)
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einer absoluten Abstraktion das methodische Fundament gelegt. Die absolute Abstraktion bedeutet, so gesehen, das Losreißen der Reflexion von sich selbst, die Selbstaufgabe, durch die das Bewußtsein das Nichts schafft, in dem das reine Sein auftritt. Aber solche Mystik bedeutet keinesfalls einen Abfall von der transzendentalen Idee der Philosophie als strenger Wissenschaft und den Absprung vom festen Boden deutlichen, transzendental-kritischen Denkens in die Verworrenheit religiöser Schwärmerei. Sie ist, bei aller handgreiflichen Analogie zur älteren Mystik, die unvergleichliche Vollendung des transzendentalen Weges neuzeitlichen Denkens, das mit der Selbstbesinnung des Bewußtseins auf seine eigene Freiheit und Selbstbestimmung beginnt und in der Reflexion auf die absolute Gebundenheit aller Freiheit an die Wahrheit und das Sein endet. Bekanntlich hat Hegel das, was früher das Mystische genannt wurde, mit dem Spekulativen gleichgesetzt. Beides vollbringt die konkrete Einheit derjenigen Bestimmungen, die dem Verstande nur in ihrer Trennung und Entgegensetzung für wahr gelten (vgl. SW VIII, 197—98). Solche Einheit und Wahrheit ist geheimnisvoll, und das Mystische bleibt das Geheimnisvolle — aber eben nur für den Verstand, dessen Prinzip die abstrakte Identität ist. Das Mystische ärgert den Verstand, der seinen Standpunkt, die Unvereinbarkeit von Gegensätzen, und sein Auge, den unterscheidenden Begriff, um keinen Preis hergeben will. Die Philosophie ist mehr als Verstandeskonstruktion von Begriffen. Sie ist die Zumutung an den Verstand, aus sich herauszugehen, und darum für ihn ein Ärgernis. Aber der Verstand und die sich absolut gebärdende Reflexion haben in Ansehung der Wahrheit keinerlei Recht, weil sie die Hüter des Scheins sind. Das zeigt die Fichtesche Mystik. Das Wahre ist die unbegreifliche, konkrete Einheit in der Zweiheit. Aber es verdeutlicht sich nicht wie in Hegels Mystik in der Spekulation des absoluten Begriffs, es ist für das endliche Begreifen das absolut Abstraktive. In der absoluten Abstraktion fällt das ungeteilte Eine als das Sein oder Absolute ein. Aber es deckt sich nicht mit dem Begriff, und das am Absoluten abgeschiedene Begreifen gibt sich nicht zugunsten andächtiger Schwärmerei auf. Es hat sich vielmehr dem Widerspruch zu stellen, daß es außer dem Absoluten noch ein (begriffsloses) Wissen davon gibt. In der Auflösung dieses Widerspruchs gewinnen die Verstandesklarheit und die Deutlichkeit des Begreifens ihre Rechte zurück. Das Wissen löst den Widerspruch zwischen der Absolutheit des Absoluten und einem davon getrennten absoluten Wissen, indem es sein eigenes Wesen begreifen
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lernt, das darin besteht, Schema oder Bild des Absoluten zu sein. Die Dialektik des Bildes bildet die endgültige Vermittlung, welche zwischen der Identität des Absoluten und der zum endlichen Begriff gehörigen Differenz im Wissen vermittelt51. Das Wissen ist identisch mit dem absoluten Sein und verschieden von ihm. Als reine Äußerung oder einfaches Bild fällt Wissen in seiner Wurzel mit dem Leben des Absoluten zusammen; denn Bild ist kein anderes Seiendes neben dem Sein, es ist nichts als dessen Sichtbarkeit. Als Bild, das sich als Bild des Seins bildet, trennen sich dagegen Wissen und Sein. So vernichtet die philosophische Mystik den Schein, als wäre das Selbstbewußtsein die Quelle des Seins. Diese Vernichtung geschieht indessen in der Absicht, die Wahrheit des Bewußtseins als Bild oder Erscheinung des Seins wiederzugewinnen. Dafür aber muß die Philosophie das dialektische Verhältnis von Reflexion und Sein aufklären. So ist die Mystik Verklärung und Aufklärung. Die Geisteshaltung, welche den Widerspruch ungelöst läßt und die Selbstbehauptung des Begriffs gegenüber der Alleinheit Gottes aufgibt, ist Mystizismus. Mystizismus ist Schwärmerei. Für ihn ist die Auflösung des Widerspruchs und die Rehabilitierung des Verstandes ohne Interesse. „Warum soll er denn überhaupt gelöst werden? Es ist das Interesse des Verstandes, der Klarheit. Man kann ihn allerdings auch ungelöst lassen. Myticismus: Alles in Gott. Nur er ist; haben Viele gesagt. Giebt ein andächtiges Schwärmen" (W.-L. 1812; NW II, 329—30). Mithin ereignet sich die unio mystica nicht durch irrationale Aufschwünge des Gemütes, sie verlangt disziplinierte Selbstbesinnung des Begriffs. Bis zum Aussichtspunkte der absoluten Einheit führt ein beschwerlicher, zu immer höheren Reflexionen aufsteigender Weg. Das Einleuchten der wahren Einheit und der einen Wahrheit fordert die Arbeit des Begriffs, und zwar bis zur Erschöpfung. Fichtes Denken hat den Aufstieg zur Wahrheit auch nur einmal zurückgelegt. Seit der Wissenschaftslehre von 1804 liegen die Ergebnisse über die Wißbarkeit Gottes und des Seins, über das Wesen des Wissens und die Ursprünge der Er81
Die Aufgabe solcher Vermittlung hat M. Brüggen, 'Der Gang des Denkens in der Philosophie J. G. Fichtes'. München 1964 als das Grundproblem Fichtescher Gedankenarbeit klar entfaltet. Danach löst die dialektische Vermittlung des Bildes den vergeblichen Versuch des frühen Denkens ab, den Widerspruch zwischen dem unendlichen und endlichen Ich durch die Vermittlung der praktischen Vernunft und des Strebens aufzulösen. (Um noch deutlicher zu machen, warum Fichte diesen ersten Versuch aufgegeben hat, wäre der unauflösbare Widerspruch zwischen Wollen und Sein aus der Indigenz des Ich und seiner Selbstverwirklichung herauszuarbeiten.)
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scheinung fest. Der Boden dieser Grundlegung ist nidit mehr verlassen worden52. So tragen die Erlanger Vorlesungen 'Über das Wesen des Gelehrten' (1805) in voller Klarheit als gesicherte Thesen vor, was Resultat einer anderen „tieferen Untersuchung und vollkommen erweislich" ist (SW VI, 361). Die Grundsätze, welche die populären Vorträge der folgenden Jahre tragen, wurden eben in der letzten großen transzendentalen Grenzziehung, der 'Wahrheitslehre' von 1804, erarbeitet. Und vielleicht rührt das Mißverständnis, dem sie begegnen, einfach daher, daß nur Resultate — populär vorgetragen — bekannt geworden, die esoterischen Ableitungen jedoch im Dunkel der Geschichte geblieben sind. Aber auch die späteren Ausarbeitungen und Fortführungen des Systems selber verlassen sich auf die Ergebnisse dieser Wahrheitslehre. Alle unterstellen definitiv drei Thesen: 1. Wissen ist Bild des absoluten Seins oder Schema Gottes. 2. Gott selbst — das reine Sein und einfache Ist — ist nicht wißbar; eine Seinslehre gibt es nicht. 3. Dasein ist das Da des Seins in der Form des sich verstehenden Verstandes (der Ichheit); Philosophie ist Daseins- oder Erscheinungslehre, Phänomenologie des absoluten Geistes. So beginnt die einzige von Fichte selbst noch herausgegebene Abhandlung der Wissenschaftslehre, der 'Umriß' von 1810, unvermittelt mit der Feststellung: Wissen sei „Gottes Sein außer seinem Sein", Wissen sei Bild und Schema Gottes (SW II, 696). Und die unvollendete 52
Die 'Fichtesche Kehre' macht zwei Etappen der Grundlegung unterscheidbar. Die erste fußt auf dem Gewißheitsboden endlichen Selbstbewußtseins, die zweite sucht ihren Halt im Aufstieg zur absoluten Wahrheit. Nun ist in weitgehender Übereinstimmung von der Fichte-Forschung eine dreiteilige Periodisierung der Systementwicklung akzeptiert worden. So unterscheidet J. Drechsler drei Perioden. Die erste ist durch das Problem des absoluten Ich, die zweite durch das Problem des absoluten Wissens, die dritte durch das Problem des absoluten Seins oder Gottes bestimmt. G. Gurwitsch hat im Anschluß an E. Lask drei Phasen so unterschieden, daß die verschiedenen Fassungen der W.-L. als notwendige Momente einer dem Transzendentalismus eigenen Dialektik auftreten. Sie konstituieren den Gegensatz eines panlogistischen und eines irrationalistischen Moments, der sich zu einer synthetischen Einheit zusammenschließt (vgl. G. Gurwitsch, 'Die Einheit der Fichteschen Philosophie". Berlin 1922). Nun hat J.Drechsler dieses Schema in einer Lehre vom Bild, also in der Erscheinungslehre, Gurwitsch in einem System der konkreten Ethik durchgeführt. Aber die Prozesse in der Ausarbeitung der Bildlehre und in der Vollendung der Grundlage decken sich nicht. Die Grundlagendiskussion erfährt um 1800 ihre Wende und schließt 1804 ab. Sie eröffnet eben dadurch eine tiefer und weiter greifende Fassung der Lehre vom Bild und der materialen Disziplinen, also auch der Ethik.
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Wissenschaftslehre von 1813 entspricht dieser Definition: „Das Wissen ist durch und durch Bild; und zwar Bild des Einen, welches ist, des Absoluten" (NW II, 9). Folgerichtig übernehmen die 'Tatsachen des Bewußtseins' von 1813 — die große Propädeutik des letzten Systementwurfs — die Trennung von Gott oder Sein und Wissen. „Gott selbst ist nicht durch das Denken, sondern an ihm vernichtet sich das Denken" (NW I, 563), und sie lehren die Scheidung von Seinslehre und Phänomenologie. „So ist demnach die Wissenschaftslehre nicht Seinslehre, denn eine solche giebt es unmittelbar gar nicht, sondern sie ist Erscheinungslehre" (NW I, 564). Von Anfang an entfaltet daher die Wissenschaftslehre von 1813 die Erscheinungs- oder Bildlehre als Analyse des obersten Grundsatzes: „Der Verstand versteht sich als Bild des absoluten Seins" (NW II, 44). Findung, Ableitung und Rechtfertigung dieser vorausgesetzten Thesen schuldet der Systembau der späteren Wissenschaftslehre der 'Wahrheitslehre' von 1804. In ihr wurde die Aussonderung von absolutem Wissen und absolutem Sein, die radikale Scheidung von Schein und Wahrheit und die transzendental besonnene Konfundierung von Erscheinung und Wahrheit ins Werk gesetzt. Daher kann die Wissenschaftslehre von 1813 das Wesen der Philosophie so bestimmen: Sie sei „transzendentaler Idealismus, d.i. absolute Aussonderung des Seins vermittelst der Besonnenheit über sich selbst" (NW II, 4). Der Gang einer Selbstbesinnung oder des intellektuellen Anschauens im absoluten Wissen bis an den Abgrund des Absoluten hat in der 'Grundlegung5 von 1801 begonnen. Die Wissenschaftslehre von 1804 geht ihn zu Ende53. Ihre einleitenden Vorträge ziehen den Grundriß des Wissens in der Dimension absoluten Wissens nach. Sie weisen dadurch die Philosophie aufs neue in ihre Aufgabe ein, Wissen vom absoluten Wissen zu sein. Solche Aufgabe stellt sich jetzt in der Forderung 53
Die große Arbeit von M. Gueroult hat zwischen den Wissenschaftslehren von 1801 und 1804 einen Gegensatz herauskonstruiert (a.a.O., S. 146—60). Danach ist das Gemeinsame die Auffindung der höchsten Disjunktion zwischen der Freiheit des Selbstbewußtseins und der Selbstkonstruktion des Absoluten in der Reflexion des Seins an sich. Was beide Wissenschaftslehren trennt, ist die Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit und Notwendigkeit, aus dieser Disjunktion herauszukommen. Die Antwort der W.-L. 1804 fällt positiv, die der W.-L. 1801 negativ aus. So läßt sich ihr Gegensatz als der Gegensatz des Problems der Grenze und der Grundlage charakterisieren. Dabei muß das Problem der Grundlage in legitimer Weise die Grenze übersteigen, um ein haltbares Fundament zu legen. Dies geschieht eben m. E. durch eine konsequente Radikalisierung der Problematik von Bild und Sein und durch die Überholung der These 'Sein = Nicht-Bildsein'.
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auf, alles Mannigfaltige auf absolute Einheit zurückzuführen54. 'Alles Mannigfaltige' meint natürlich nicht die unendliche Vielheit des inhaltlich verschiedenen Seienden, sondern die mannigfaltigen, alles Seiende als solches bestimmenden Seinsbestimmungen. Eine Zurückführung auf absolute Einheit prüft, ob die vorherrschenden Seinsgründe einen Gegensatz an sich haben. Sind sie mit dem Gegensatz behaftet, d.h. bestehen sie in und aus einer Relation zu anderem, dann taugen sie nicht zum Prinzip. Das Relative hat Vielheit in sich und entspricht nicht der einfachen Gediegenheit absoluter Einheit. Philosophie ist ein erprobendes Suchen eines von jeglichem Bezug auf anderes losgelösten Absoluten. Nur ein in sich ganz und gar Eines gibt die Gewähr, verläßlicher Anfangsgrund alles Mannigfaltigen zu sein. Im Ansehen, solch verläßliches Prinzip abzugeben, steht das Sein im Sinne des Ansichbestehens und In-sich-Ruhens. Sein besagt vordringlich Substanzialität: Ansichsein des beharrenden Dinges. Aber die transzendentale Reduktion hat dieses Sein zum Relativen gemacht. Sein setzt ein Denken des Seins voraus. Das Ding ist seiend nur, indem es für uns und in Bezug auf das ihm gegenüberstehende Bewußtsein ist. Eben darum kann aber auch das Bewußtsein als Bewußtsein von etwas nicht zum Absoluten und Prinzip erhoben werden. Weder das Ding noch die Vorstellung, weder Sein noch Denken entkommen der Relation. Beides 54
Diese Fragen und Aufgaben sind bei M. Zahn, 'Die Bedeutung neuer Fichte-Funde*. Zeitschr. philos. Forschung 13, S. no—18. 1959 als allgemeine Aufgabenstellung des Deutschen Idealismus gekennzeichnet worden. Die von Kant aufgestellten absoluten Unterschiede (zwischen der theoretischen Einheit reiner apriorischer Formen des Sinnlichen und der entgegengesetzten Einheit des Praktischen, die als das Unbedingte der sittlichen Forderung im Übersinnlichen liegt) sind aus einer absoluten Einheit zu deduzieren, und zwar so, daß das Bewußtsein selbst die Entwicklung aus der Einheit in die Unterschiedenheit und Zweiheit auf dem Wege einer Dialektik des Bildes durchmacht. Für Fichte liegt das Problem dieser Aufgabe in der Frage: Hat die Überwindung der Spaltungen die Annahme einer totalen Bewußtseinsimmanenz zur Folge, so daß die sich dialektisch entwickelnde synthetische Einheit schon das Absolute selbst ist? Oder muß gerade durch die Überwindung der Unterscheidungen die Transzendenz des Absoluten aufrecht erhalten werden? Die Lösung des Problems liegt im Aufweis der Grenze der Bewußtseinsbewegung. Sie ist nicht unmittelbares, sondern vermitteltes Leben. Was sie bildet, ist bloß das Bild der ersten Äußerung des Lebens, das Absolute bleibt materialiter transzendent. Das sind bedeutende Leitsätze, die zu Fichtes Einsicht hinführen: Die Vollendung der Sich-Erscheinung als Bild des Seins und die Selbstpreisgabe der Ichheit als Prinzip von Leben und Wirklichkeit bedingen einander wechselseitig. Nun liegt eben m. E. eine dreistufige Grenzbesinnung in den Grundlagenerörterungen der W.-L. von 1794, 1801 und 1804, wenn auch weithin immer noch unentziffert, vor. Sie scheinen durch neue Fichte-Funde nach dem Bericht von M. Zahn grundsätzlich nicht mehr verändert worden zu sein.
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behält den Gegensatz an sich und besteht im Bezug zum anderen. Keines von beiden, nicht das Ding an sich und nicht die Intelligenz an sich, kann das Versprechen halten, den Grund absoluter Einheit zu bilden. Der Materialismus, der das Ding zum Prinzip erhebt, verfehlt die Einheit ebenso wie ein Idealismus, der das Bewußtsein einseitig zum Prinzip steigert; denn beide erheben etwas Relatives zum Absoluten. „Die absolute Einheit kann daher eben so wenig in das Sein, als in das ihr gegenüberstehende Bewußtsein; eben so wenig in das Ding, als in die Vorstellung des Dinges gesetzt werden; sondern in das so eben von uns entdeckte Princip der absoluten Einheit und Unabtrennbarkeit beider, das zugleich... das Princip der Disjunktion beider ist; und welches wir nennen wollen reines Wissen" (i. Vortr.; 96). Als Prinzip absoluter Einheit ist die Einheit des Ich oder das reine Selbstbewußtsein entdeckt worden. Das ist die epochale Entdeckung Kants. Der Einheit ermöglichende Grund heißt transzendentale Apperzeption. Sie bedeutet die ursprüngliche Synthesis von Vorstellung und Gegenstand; denn der Sinn von Synthesis besteht ja nicht bloß darin, die Erkenntnis so zu erweitern, daß sie die Subjekt-Vorstellung mit einer nicht darin liegenden Prädikats-Vorstellung zusammennimmt. Kants Lehre von der Synthesis lehrt eine apriorische Zusammennähme der Vorstellung mit dem Gegenstande der Anschauung. Die oberste Bedingung und der höchste Punkt solcher Vereinigung von Bewußtsein und Sein ist die Einheit des Ich. Fichte hat diese absolute Einheit zur Grundlage seines Systembaues gemacht. Und deren Übernahme und Ausfaltung als Grund der Wissenschaftslehre hat erst die dihairetisch-synthetische Struktur des Ich gänzlich freigelegt. So wie das Ich das 'absolute Band' von Gegenstand und Vorstellung oder von Sein (S) und Denken (D) ist, so ist es — zugleich und 'mit einem Schlage' — Einheits- und Sonderungsgrund von sinnlicher Erfahrung (x) und moralischer Welt (z). Nur auf dem Grunde des Ich also ist das Thema, mit dem die Metaphysik beginnt, zu lösen: die Scheidung und Vermittlung von Aistheton und Noeton. Nur eine Durchdringung der Ich-Einheit bietet Aussicht, beide Welten und das sie konstituierende Seins- und Selbstverständnis, also theoretische und praktische Vernunft, einheitlich abzuleiten und für ihre Vermittlung (y) den Boden zu bereiten. Worauf es einer einleitendhinweisenden Hinleitung zur absoluten Einheit ankommt, ist die Feststellung: Die absolute Einheit gibt sich nicht erst als Einheit der Hauptdisjunktion von Denken und Sein und abgetrennt davon (in besonderer Reflexion) als Einheit von sinnlicher und moralischer Welt oder als Ein-
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heitsgrund von Theorie und Praxis zu sehen. Die Unzertrennlichkeit von sinnlicher und intelligibler Welt bildet nicht die eine organische Einheit und die von Sein und Bewußtsein eine andere. Höchste Einheit geht auf „in der Einsicht der unmittelbaren Unabtrennbarkeit dieser beiderlei Weisen, sich zu spalten" (2. Vortr.; 105). Das hatte die Grundlegung schon herausgearbeitet: Die bekannte Fünffachheit allen Bewußtseins hat die absolute Einheit einer Grundverfassung zur Voraussetzung, in welcher die fünf Glieder, nämlich Subjekt-Objekt, sinnlicheübersinnliche Welt und das verbindende Band, ursprünglich geeint sind. Der Name dieser Einheit ist absolutes oder reines Wissen. Er ist längst terminologisch gegen 'Bewußtsein1 abgegrenzt. Bewußtsein bedeutet Wissen-von und Bewußtseinsphilosophie einseitiger Subjektivismus. Soll alles Mannigfaltige auf das Wissen als die gesuchte absolute Einheit zurückgeführt werden, dann ist das Wissen eben absolut zu nehmen, nämlich als die gegensatzlose Einheit, welche die Vielheit und den Gegensatz in sich enthält und zum Austrag bringt. Und es ist auch schon verständlich geworden, warum diese Einheit den Sinn reinen Wissens ausmacht. Wissen läßt sich als Dasein von Gewußtem darlegen. So bedeutet Wissen Aufgehen im gewußten Objekt. Wissen läßt sich immer auch als Sich-Wissen thematisieren. So bedeutet Wissen den Rückgang auf das Subjekt. Wissen kann sich als theoretische Vernunft auf die Erfassung der sinnlichen Welt beschränken. So wäre Wissen an die Erfahrung gebunden. Und Wissen läßt sich praktisch zur Vernünftigkeit des Willens erweitern, der sich selbst das Gesetz einer übersinnlichen Ordnung auferlegt. Das reine Wissen ist keines dieser Auslegungen des Wissens und alle in eins. Es ist die ungesonderte Einheit dieser vierfachen Bedeutung. „In der Durchsichtigkeit dieser Einheit besteht die ganze Philosophie" (2. Vortr.; 99). Damit rücken Wesen und Aufgabe der Philosophie in das transzendentale Maß ein. Philosophie ist Wissen vom absoluten Wissen, und zwar so, daß darin die Einheit zu einer alles 'verklärenden' Durchsichtigkeit kommt. Im Suchen der Einheit wird das Wissen wieder an seine Grenze stoßen, das reine Sein. Die wahre, gegensatzlose Einheit nämlich ist das Sein, das einfach unteilbare Ist. Was aber bedeutet wahres Sein, d.h. wahre Einheit? Und wie kommt das Wissen zu einem Seinsverständnis, das den Begriff Gottes und die Fülle des Absoluten eröffnet, ohne die Grenze des Gebietes zu überfliegen, welches die Vernunftkritik menschlich-endlichem Wissen absteckt? Vorerst aber muß untersucht werden:
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Was für eine Methode könnte geeignet sein, den Weg zu der wahren Einheit und zu der einen Wahrheit zu bahnen? Die Antwort liegt bereit: die Methode der Aufklärung als Verklärung des absoluten Wissens durch sich selbst. Die Wissenschaftslehre von 1804 hat die Methode intellektuellen Anschauens oder der Selbstentfaltung der absoluten Reflexion nicht fallen gelassen. Sie hat das totale Fürsichwerden des absoluten Wissens im Aufstieg zur Wahrheit bis an den Punkt verfolgt, wo das Wissen von seinem Fürsich und seiner Freiheit abläßt, um dem Sein zu entsprechen. Die übernommene Methode wird in die Gestalt einer neuen Formel versetzt. Das Reflektieren folgt der Methode, von der faktischen Evidenz solange zur genetischen aufzusteigen, bis Evidenz über die absolute Genesis von Wissen und Sein erreicht ist. Was besagen diese Methodenbegriffe: Evidenz, faktische Evidenz, genetische Evidenz? Unzweifelhaft ist, daß alle Forschungsergebnisse auf dem Boden des reinen Wissens Evidenz besitzen. Evidenz besagt in der Begriffssprache Fichtes dasselbe wie Apriorität; und alle Aussagen des reinen Wissens über sich selbst sind a priori und bleiben vom wandelbaren Wissen unberührt. Das absolute Wissen ist gar nicht wandelbar, sondern die Einheit von Wandelbarkeit und Unwandelbarkeit. Also bringt das Wissen vom reinen Wissen Apriorität oder Evidenz mit sich. Es wird durch keine Veränderung aus Ungewisser Erfahrung bedroht. Im Horizonte der absoluten Reflexion herrscht die Gewißheit unveränderlicher Tatbestände. Im Anfang aber herrscht lediglich faktische Evidenz. Sie bringt es bloß zur Gewißheit, daß es sich mit dem Eingesehenen tatsächlich und zweifellos so verhält. Das evidente Wissen einer Tatsache beteuert: So ist es und nicht anders, und das haben wir rein und unmittelbar eingesehen. Solche Art Wissen und Gewißheit bleibt unzureichend. „Aller faktischen Evidenz, sei es auch die absolute, bleibt etwas Objektives, Fremdes, sich selbst Construirendes, aber nicht von ihr Construirtes, daher innerlich Unerforschtes übrig" (3. Vortr.; uo). Faktische Evidenz wird durch ein Vernunftgesetz hervorgebracht, welches das Erfassen der Vernunfttatsache leitet. Das antreibende Vernunftgesetz ist nichts anderes als „das Grundgesetz der Einheit" (3. Vortr.; no), welches fordert, alle Disjunktionen und Gegensätze auf ursprüngliche Einheit zurückzuführen. Und jenes die Einsicht leitende Vernunftgesetz wird in der faktischen Einsicht des Vernommenen nicht zur Einsicht gebracht. So ist das Wissen konstruierend, es weiß sich aber nicht als konstruierend.
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Wirkt es bloß mechanisch, dann bleibt die höchste Einheit und die Wahrheit unerforscht und wird von einer ermatteten Reflexion als das Unerforschliche ausgerufen. Das Wissen mit dem Range faktischer Evidenz bringt es zur Feststellung und Abhebung von Tatsachen. Das ist eine für die Philosophie förderliche Propädeutik, die Grundtatsachen des Bewußtseins sicherzustellen, gegeneinander abzuheben und ihre Beziehungen zu erwägen. Die Fixierung von Tatsachen des Bewußtseins bildet darum die große Einleitung in die späteren Entwürfe der Bildlehre. So stellen die 'Tatsachen des Bewußtseins' von 1812 im abschließenden, lichtvollen 20. Vortrag eben die vier bekannten Haupt- und Grundtatsachen des Bewußtseins heraus: Das Faktum der Empirie, das 'Vernunftfaktum' des Sittengesetzes, die Tatsache der Vielheit von Ichen und das evidente Faktum der gemeinsamen Ichheit in allen Ichen. Den Zugang zum Verstehen dieser Tatsachen bildet der Rückgang auf das zugehörige Sichverstehen: das Sich verstehen als Substanz, d.h. als das allen Gegenständen der Erfahrung zugrunde liegende Subjekt, das Selbstverständnis als Prinzip, d. i. als freier Anfangsgrund für die gewordene sittliche Welt, das Sichanschauen als Person in der Selbstbeobachtung des inneren Sinnes und das intellektuelle Anschauen seiner als Intelligenz. Das alles aber ist — hier nicht weiter zu verfolgende — Beobachtung. Diese vermag das absolute Faktum hinzustellen, nämlich die in einem fünften Gliede verbundene Vierfachheit allen Bewußtseins, aber sie bringt es nicht zu eigentlichem Wissen. Wissen im strengen Sinne ist Einsehen aus Gründen. Es darf sich nicht mit der Feststellung begnügen, daß es sich so verhält. Wissen dringt auf die Erklärung, warum etwas so und nicht anders ist. Etwas ist in seinem Wesen und Grunde festgestellt, wenn es kausal definiert ist, d. h. wenn das Gesetz seiner Entstehung eingesehen ist. Darauf beruht ja die Sicherheit und Evidenz, welche Descartes dem intuitus zugesprochen hatte. Der Intuitus besitzt Evidenz, weil er mit einem 'stehenden' Blick einen Sachverhalt zu vollständiger Präsenz bringt, indem er sich das Gesetz der Entstehung vor Augen hält. So ist das Dreieck evident gewußt, wenn alle möglichen und wirklichen Dreiecke mit einem Blick präsent sind. Und das geschieht eben nicht, wenn ein Einzeldreieck mechanisch konstruiert wird, sondern erst, wenn die Konstruktionsregel gefunden ist. Genetische Evidenz überhaupt also ist die Einsicht in die Genesis oder das Entstehungsgesetz des Faktums. Dasjenige Faktum nun, welches der Philosophie vorliegt, ist nicht
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ein einzelner Sachverhalt wie der mathematische Tatbestand des Dreiecks. Die Philosophie hat die höchste Tatsache des Bewußtseins zu genetisieren. Und die ist bisher überhaupt noch gar nicht vollständig vor den Blick philosophischer Forschung gerückt. Die absolute Tatsache wäre die ursprüngliche Einheit des Ich. Kant hat die reine Apperzeption als Grund-gebendes Thema der Philosophie zur Sprache gebracht und auch die Erwartung ausgesprochen, es vielleicht dereinst bis zur Einsicht der Einheit des ganzen reinen Vernunftvermögens bringen zu können. Aber der Kantische, unvollständige Transzendentalismus hat es nicht einmal zur faktischen Evidenz, zur Beobachtung des absoluten Wissens in seiner synthetischen Fünffachheit, gebracht. Er mußte darum gegenüber der eigentlichen Aufgabe der Philosophie, die faktische Klarheit genetisch zu verklären, hilflos bleiben. Ein gesteigertes Methodenbewußtsein fordert unumgänglich, das Faktum des absoluten Wissens als eines absoluten in seiner Genesis zu durchdringen. Die Wissenschaft der Philosophie verlangt, den Entstehungsgesetzen und Anfangsgründen nachzuforschen, nach denen das absolute Wissen sich selbst 'immanent' erzeugt. Die Wahrheitslehre von 1804 macht sich auf diesen Weg. Sie schärft dabei noch einmal ein, daß sie der Methode einer absoluten Reflexion folgt und daß es nicht so steht, als wendete ein philosophierendes Subjekt die Methode des Genetisierens auf ein fremdes Objekt, eben das Wissen, an. „Das urwesentliche Wissen ist construirend, also genetisch in sich selber" (3. Vortr.; no). Das urwesentliche Wissen ist das absolute Wissen, das sich als solches weiß und in einem Ursprünge für sich ist. Die Wissenschaftslehre ist nichts anderes als solches Wissen vom Ursprünge und Grunde des Wissens. „Es ist daher klar, daß die Wissenschaftslehre und das sich selber in seiner wesentlichen Einheit darstellende Wissen ganz und gar dasselbe sind" (3. Vortr.; uo). Der Bewußtseinsstand, der im philosophischen Wissen erreicht wird, ist die höchste Stufe, die das Wissen erreicht: die vollendete Selbstverklärung absoluten Wissens. Die Methode solch absoluter Selbstbesinnung entspricht der thematischen Wendung des Wissens zum Absoluten. Sie dringt immer tiefer in die Gesetzlichkeit ein, nach welcher das Wissen sich als Wissen vom Sein und als Bild des Absoluten erzeugt. Und es wird sich zeigen: Diese absolute Reflexion hat wiederum 'dialektische* Strukturen. Aber ihre 'Antithetik' deckt sich nicht mit der Dialektik der frühen Grundlage. Diese erwuchs aus dem Widerspruch von Setzen und Entgegensetzen und lebte aus dem Gegensatz zwischen der Tätigkeit des Subjekts
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und dem entgegenstehenden Sein des Objekts. Und sie leitete aus der Grundverfassung des Ich-überhaupt in die immer komplizierter werdende Gesetzlichkeit von theoretischer und praktischer Vernunft hinaus. Die neue Dialektik leitet den Aufstieg von faktischer zu genetischer Evidenz. Ihre Antithesen entwickeln sich so, daß der Anfang und das Gesetz, welches ein beschriebenes Faktum begründet, einerseits in die Energie des Bewußtseins, andererseits in den Bestand eines Ansich zurückverlagert wird. Der ständig sich steigernde und sublimierende Widerspruch der idealistischen und der realistischen Wahrheiten bezieht die Gewißheit seiner Schlichtung nicht aus der selbstgewissen Einheit des Ich, er findet seine Auflösung in der Einheit des absoluten Seins jenseits des Selbstbewußtseins. Auf diesem Methodenweg geht das Wissen von der faktischen Grundverfassung des Ich in seinen genetischen Zusammenhang mit dem Absoluten hinein. Diese Vorüberlegungen stecken das Ziel der Philosophie als Lehre von der Wahrheit ab und zeichnen den Gang der Methode vor. Der Weg der Wahrheit beginnt mit dem Aufsuchen und Bereitstellen des absoluten Faktums. Der Gewinn einer höchsten, faktischen Einsicht muß durch eine höhere Reflexion überboten werden. Die Reflexion fragt der Entstehung der gewonnenen Einsicht nach. Wie, aus welchem Prinzip und nach welchem Gesetz entstand uns (d. i. dem absoluten Wissen selbst) diese Einsicht? „Auf diese Weise nun werden wir von faktischen Gliedern aufsteigen zu genetischen; welches Genetische denn doch wieder in einer ändern Ansicht faktisch sein kann, wo wir daher gedrungen sein werden, wieder zu dem, in Beziehung auf diese Factizität, Genetischen aufzusteigen, so lange, bis wir zur absoluten Genesis, zur Genesis der Wissenschaftslehre hinaufkommen" (5. Vortr.; 128). Damit ist der Weg zur Wahrheit angelegt. Er zielt auf die Frage: Nach welchem Grundgesetz geht dem Wissen die Wahrheit auf?
2. KAPITEL Das Grundgesetz allen Wissens: Begreifen des Unbegreiflichen Der erste Sdiritt ist der bestimmende Anfang des Weges. Er sdilägt die Richtung auf das Ziel ein. Wird er im absoluten Wissen verfehlt, dann ist auf dem Wege der Wahrheit nichts mehr zu hoffen. Eine Besinnung auf die adäquate Methode hatte den Prozeß der Wahrheitsfindung als das Genetisieren eines Faktums erläutert. Das Gesetz muß reflektiert werden, nach dem die Einsicht entstanden war55. Es gilt daher, eine eingesehene Tatsache auf den Grund des Einsehens hin zu befragen. Da alle Genesis sich von dem her bestimmt, was sie entstehen läßt, liegt alles daran, eine zureichende faktische Einsicht bereitzustellen. Die Grundtatsache, von der das Ergründen erfolgversprechend ausgehen kann, ist bereits abgesichert. Sie darf sich nicht auf eine beschränkte und isolierte Haupttatsache des Bewußtseins stützen, etwa auf das empirische Faktum der Vielheit von Ichen oder auf das Vernunftfaktum der sittlichen Welt. (Der eine Ausgang führt zu einem System, 55
Die bravouröse Nadikonstruktion durch M. Gueroult (a.a.O., 108—43) unterscheidet fünf Reflexionsstandpunkte des Wissens. Weil nun zu jeder Reflexion die fünf Momente der Fünffachheit gehören, ergeben sich 25 Synthesen, deren methodische Ausfaltung durch die Antithetik des jeweiligen realistischen und idealistischen Gesichtspunktes betrieben wird. Freilich muß dieser gleichförmig abrollende Methodengang die Sonderstellung der Wahrheitslehre verkennen. Er unterschätzt den Zusammenfall von Realismus und Idealismus in Fichtes These vom Sein und vernachlässigt den inhaltlichen Aufbau, in welchem die im Aufstieg zur Wahrheit fallen gelassenen Prinzipien als Momente der Erscheinungslehre wieder aufgenommen werden. Den von Gueioult vorgezeichneten Zyklus der W.-L. 1804 hat die ebenso kenntnisreiche wie scharfsinnige Arbeit von J. Widmann zugespitzt. In ihr wird die jeweilige Synthesis unter den Hinsichten von Affirmation und Negation, Grund und Folge, Einheit und Nicht-Einheit schematisiert und die Entwicklung der Bewußtseinsformen zu den fünf historischen Standpunkten der Sinnlichkeit, Legalität, Moralität, Religion und der philosophischen Wissenschaft in Entsprechung gebracht. Aber solche Strukturanalyse erschwert, indem sie die mathematische Kombinatorik im Systemzyklus überlichtet, doch wohl eine Besinnung auf die 'Sachen', nämlich auf das Phänomen des Bewußtseins und dessen dialektisch-genetisches Verhältnis zur Wahrheit.
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welches Fichte den subjektiven Idealismus nennt, der andere in den spekulativ-ethischen Idealismus des Glaubens.) Der Aufstieg der absoluten Reflexion muß die evidente Einsicht in das absolute Wissen als den Einheits- und Sonderungspunkt aller Haupttatsachen des Bewußtseins zum Anhalt haben. Es muß evident sein, daß das reine Wissen der Mittelpunkt aller Hauptgestalten des Bewußtseins ist. Das ist vor allem Aufsteigen noch einmal sicherzustellen. Erst danach kann die erste, alles wendende genetische Wendung vollzogen werden. Sie analysiert nicht mehr den Inhalt des Gewußten, sondern die Form, d. i. das Verfahren, in welchem der Inhalt des Grundfaktums allen Wissens entstanden ist. Die Frage nach der Genesis fragt nach dem Wie und Wodurch der Entstehung von Einsichtsformen. „Wie haben wir es denn gemacht, daß uns diese Einsicht entstanden? Wir reflektieren daher ja gar nicht mehr auf den Inhalt, den wir ganz fallen lassen, sondern auf das Verfahren; fragen somit nach der Genesis" (5.Vortr.; 129). In dieser Umstellung, welche die philosophische Reflexion im Gefolge der absoluten vollzieht, wird das Grundgesetz allen Wissens sichtbar werden. „Also, welches war das Faktische? Nicht in A, noch im Punkte, sondern schlechthin in beiden" (5. Vortr.; 129). Das Zeichen A bedeutet das reine Wissen in seinem Unwandelbarsein. Dies war ja ein hervorstechender Charakter des reinen Wissens. Alles objektive Wissen von etwas ist haltlosem Wandel ausgesetzt, weil es jeweils durch das bestimmt ist, was es weiß. In allem Wandel durch die Verschiedenheit der Wissensobjekte hindurch aber gibt es ein Unwandelbares und sich selbst Gleiches: das Wissen in jeglichem Wissen-von. So verschieden das Wissen in der Verschiedenheit des Gewußten auch sein mag, darin ist es eines, daß es Wissen ist. Dieses Eine und Selbe entsteht und vergeht nicht mit dem objektiv Wißbaren, es ruht unveränderlich in sich selbst. Diese Einsicht in A läßt sich nicht auf dem Wege der Erfahrung finden; denn unmöglich kann die unendliche Vielheit des Objekt-Wissens durchlaufen und die darin auftretende Selbigkeit des Wissens durchgeprüft sein. „Schlechthin a priori, leuchtet dieses Wissen durch sich selber ein, als unabhängig von aller Subjektivität und Objektivität für sich bestehend und sich selber gleich" (3. Vortr.; 107). Aber in A ist nicht der Brennpunkt des Wissens; denn A ist, allein auf sich gestellt, innerlich tot. Das heißt: Dem Wissen als dem ewig mit sich selbst gleichen Insichstehen fehlen die Lebendigkeit, der Wandel und die Freiheit. Wissen wäre bloßes, substantes Sein. Steht also das absolute Wissen, wenn nicht in der Substanzialität, dann in der absoluten Freiheit als dem Punkt der Sonderung
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und Unterscheidung, in welchem aller Wandel entspringt? Von diesem Punkte hebt das Unterschiedensein von Subjekt und Objekt und die Sonderung von Sinnlichem und Übersinnlichem an. Aber als absolute Freiheit wäre das Wissen bloßes Werden und pures Entstehen. „Der Punkt ist bloß genetisch. Bloße Genesis ist überhaupt Nichts" (4. Vortr.; 114). Die Reflexion auf die absolute Freiheit hatte ja längst ausgemacht: In der absoluten Freiheit stehend, ist das Wissen nichtig; es hält nicht Stand, sondern vergeht im Widerspruch und zerflattert in der Zerstreutheit. „Auch ist hier gar nicht bloße Genesis, sondern die bestimmte Genesis des absolut qualitativen A gefordert worden" (4. Vortr.; 114. Lesart A: statt gefordert: gesondert). Die Aufstellung des höchsten Faktums bringt das Resultat wieder bei, das sich in der Synthesis von Substanzialität (In-sich-Ruhen) und Freiheit (absolutes Werden) durch die Wissenslehre von 1801 ergeben hatte. Der Mittelpunkt des absoluten Wissens ist ein zusammenhaltendes Schweben zwischen beiden. Darin kommen Unwandelbarkeit und reiner Wandel niemals isoliert, sondern in untrennbarer Einheit als Glieder einer höheren Synthesis vor, so daß vermittels der Einsicht in die Unwandelbarkeit des Wissens der Wandel aufgehen müßte, und umgekehrt. Wie dies vor sich geht, daß die Konstruktion von A, dem unwandelbaren Ist, zugleich den Wandel und das Ganze des Bewußtseins mitkonstruiert, das kann erst am Ende durchsichtig werden. Am Weganfang steht ja nur ein Faktum, nämlich die Einsicht, daß das absolute Wissen seinen eigentümlichen Ort zwischen dem absoluten Insich-Ruhen und dem absoluten Von-sich-her-Werden des Wissens hat. Diese Einsicht in die Unzertrennlichkeit von Substanzialität und Freiheit erst hat die ganze Einheit absoluten Wissens im Blick. Sie hebt zugleich eine andere, 'tiefer gelegene' organische Einheit in die Sichtbarkeit: das unzertrennliche Durcheinander jener beiden Grundspaltungen, die mit dem Selbst- und Freiheitsbewußtsein aufgehen und in welche die unwandelbare Einheit (A) sich zerteilt. Im Wissen findet sich das eine einfache Ist in Sein und Denken sowohl wie in Sinnliches und Übersinnliches gespalten. Und beide Sonderungen sind selbst wiederum Divisionsglieder einer Einheit, welche organisch ist. Die eine Teilung kann sich nicht vollziehen, ohne daß in eins die andere mitvollzogen wäre. Die Sonderung in die beiden Grunddisjunktionen geschieht mit einem Schlage (tout drun coup). Sie liegt vor und außerhalb aller Verhältnisse zeitlichen Nacheinanders und kausalen Durcheinanders; denn Zeit und Kausalität sind ja allererst aus der Entwicklung die-
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ser Grundspaltungen abzuleiten. Es wäre also eine unangemessene Ansicht, erst die Sonderung von Denken und Sein anzusetzen und danach bzw. dadurch die von Sinnlichem und Übersinnlichem — sei es historisch, sei es systematisch — folgen zu lassen oder eine umgekehrte Reihenfolge auszudenken. Das Ereignis des Chorismos ist ein Schlag. Wo das Wissen über das Wissen aufgeht, da treten beide Sonderungen als ein Bezugsganzes hervor. „A absolut in S und D und in x, y, z gespalten; durchaus in Einem Schlage: Eins nicht ohne das Andere" (3. Vortr.; 106). Alles Bewußtsein findet sich daher in dem Bezug von Denken und Sein geschieden, und diese Sonderung ist immer schon durch die Spaltung in Sinnliches (x) und Übersinnliches (z) modifiziert: als sinnliches und übersinnliches Sein bzw. sinnliches (anschauungsgebundenes) und übersinnliches Denken (reines Denken von Ideen). Und dasselbe Gefüge läßt sich natürlich auch von der Spaltung in Sinnliches und Übersinnliches aus konstruieren. Deren Chorismos (und Methexis) wird unmittelbar von der Sonderung in Denken und Sein betroffen. (Platos Liniengleichnis wäre eine Aufzeichnung dieser Wissensbezüge in griechischer Sprache.) „Dieses tiefere Verhältnis möchte wohl selbst eine Folge und ein niederer Ausdruck des so eben beschriebenen höhern sein" (4. Vortr.; 115). Das ist leicht einzusehen. Das 'tiefere Verhältnis5 bedeutet die Spaltungen von Denken und Sein wie von Sinnlichem und Übersinnlichem in ihrer Unzertrennlichkeit. Das höhere Verhältnis betrifft die organische Einheit von absolut-unwandelbarem Sein und absolutwandelbarer Freiheit. Nun entspringt das tiefere Spaltungsverhältnis in dem Punkte der absoluten Freiheit. (Ohne das Fürsichwerden aus unbedingter Freiheit wäre keine Subjektivität und keine übersinnliche Welt im Unterschied zur Dingheit und deren Erfahrungsboden.) Freiheit und absolutes Werden aber können ihrerseits nur als Glied eines höheren Verhältnisses angemessen reflektiert werden. So umfaßt die höhere Synthesis die tiefere, und die umfassendste Synthesis ist als die Haupttatsache des Bewußtseins hingestellt. Diese Einheit stellt eine Synthesis a priori dar. Sie darf nicht als 'Synthesis post factum' aufgefaßt und konstruiert werden. Synthesis post factum heißt jede vereinigende Einheit, die zu schon vorhandenen Gliedern hinzukonstruiert wird. In ihr sind erst die Einzelglieder aufgefunden, und sodann wird deren Einheit erschlossen. Das absolute Wissen stellt dagegen eine ursprüngliche Synthesis a priori dar. Ihre Glieder lassen sich eben nicht eines nach dem anderen zur nachträglichen Einheit zusammenfügen, so als wäre zuerst ein Wissen von der sinnlichen Welt
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und später dann ein Wissen von der intelligiblen Welt oder erst ein Objektwissen und sodann ein Sichwissen lose und stückweise aufgefunden und dieser Vielheit eine womöglich unerforschliche Einheit unterstellt. Das ist unhaltbar. Das absolute Wissen ist die ursprünglich synthetische Einheit, welche ist, indem sie alle diese Glieder in ihrer Unabtrennbarkeit mit einem Schlage erzeugt. Die apriorische Einheit absoluten Wissens läßt beides, Einheit und Vielheit, mit einem Schlage aufgehen; denn sie liegt „zwischen den zwei Principien der Sonderung und der Einheit" (4. Vortr.; 116). Damit ist der Tatbestand des Wissens in seinem Ursprungs- und Mittelpunkte beschrieben. „Also, welches war das Faktische? Nicht in A, noch im Punkte, sondern schlechthin in beiden. Das ist nun eingesehen, hat uns eingeleuchtet, und so ist es" (5. Vortr.; 129). Wie aber haben wir, die wissenschaftlich Reflektierenden, diesen Einheitspunkt? Nicht so, daß wir das absolute Wissen zu unserem Objekt herabsetzen — es wäre sofort wieder relativiert. Vielmehr hat das philosophische Wissen die Einsicht in das Schweben des Anfangsgrundes nur, indem es dieses Schweben in sich selbst vollzieht. Darum geht das philosophische im absoluten Wissen auf. „Dieser Einheitspunkt kann nun allerdings schlechthin unmittelbar, und in dem selben verschwebend und aufgehend realisirt werden, und was wir als Wissenschaftslehre innerlich (ich sage innerlich, und uns selber verborgen) sind, ist diese Realisation" (4. Vortr.; 114). Der Stand dieser Einsicht hat etwas Unerforschtes in sich. Er besitzt nur faktische Evidenz; denn es ist klar und deutlich geworden, daß es sich so und nicht anders mit der Synthesis des absoluten Wissens verhält. Dunkel bleibt, aus welchem Grunde und nach welchem Gesetz dieses Wissen entstanden ist. Diese Dunkelheit sucht die Frage nach der Genesis aufzuhellen. „Wie haben wir es denn gemacht, daß uns diese Einsicht entstanden?" (5. Vortr.; 129). Und eigentlich ist das nicht unsere Frage, sie folgt dem Zuge der Selbstbesinnung, welcher dem absoluten Wissen wesentlich ist. Deren Leben besteht ja darin, sich als absolutes Wissen zu durchdringen. Darum fragt die absolute Reflexion selbst nach dem Grunde des Wissens, das sich faktisch als apriorische Synthesis und Durchdrungenheit von Sein und Freiheit weiß. In dieser Frage nach der Genesis wird etwas bisher Verborgenes offenbar: „das Grundgesetz alles Wissens" (4. Vortr.; 119). Das Grundgesetz legt als oberste Bedingung dafür, daß das reine Licht und absolute Wissen als solches einleuchtet, ein Begreifen des Unbegreiflichen als eines solchen fest. Seine Anweisung lautet: „Soll das
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absolut Unbegreifliche, als allein für sich bestehend, einleuchten, so muß der Begriff vernichtet, und damit er vernichtet werden könne, gesetzt werden; denn nur an der Vernichtung des Begriffs leuchtet das Unbegreifliche ein" (4. Vortr.; 117). Das ist das Resultat der ersten genetischen Betrachtung. Wir holen es ein, indem der Frage nachgestellt wird: Wie entstand uns wirklich die Einsicht in das eingesehene absolute Faktum? Zur Einsicht war eine organische Einheit gebracht worden, die das Gefüge ihrer Glieder unmittelbar mit einem Schlage erzeugt. Solche Einsicht kann nicht durch das Begreifen des Begriffs zustande kommen. Das Konstruktionsverfahren und der Sprachsinn des Begriffs bleiben dem Gesichteten immer inadäquat. Das unvermittelt einige, absolute Wissen „kann in seiner Unmittelbarkeit nicht ausgesprochen oder nachconstruirt werden; denn alles Aussprechen oder Nachconstruiren = Begreifen, ist in sich mittelbar" (4. Vortr.; 114—15). Begreifen (con-cipere) ist ein Zusammenfassen. Sein zusammengreifendes Konstruieren wird durch Mittelbarkeit geprägt. Es begreift das eine durch das andere und vermittels des Andersseins alles anderen. Jeglicher Begriff umgrenzt das, was alles andere nicht ist. Fichte kennzeichnet daher den Begriff des Begriffs als „Durch". Solche ungewöhnliche Substantivierung einer Präposition soll das gewöhnlich verdeckte Verstehen für die „allbekannte Denkform" wecken, „in der Jeder sein Lebelang sich bewegt hat: A ist mithin B; A das Durch für das B" (W.-L. 1813; NW I, 47). Begründen und rechtfertigen läßt sich die Begrifflichkeit in diesem ihrem Mittelbarsein an dem, was der Begriff zuerst und durchdringend begreift, am Sich-Begreifen des Bewußtseins selbst. Das wirklich begreifbare Ich ist das durch das Nicht-Ich eingeschränkte Ich. Begreifen geschieht in und aus der vermittelnden Relation von Subjekt und Objekt. Mithin begreift sich das Ich als das, was das Nicht-Ich nicht ist, und es konstruiert sich in einem sich losreißenden Durchgang durch das Nicht-Ich. Ebenso steht es mit der Konzeption des Nicht-Ich. Es wird nur als das Nicht des Ich begreiflich und nur vermittels des Ich konstruiert. Der Begriff begreift Sein durchgängig als Nicht-Handeln und Handeln als Nicht-Sein. In solcher Rücksicht kommt heraus: Der Begriff konstruiert; er setzt Einheiten zusammen, indem er mittelbar eins durch das andere zusammenfügt. Darum gehört zu solchem Konstruieren die Sonderung. „Princip der Sonderung = Princip der Construktion, also des Begriffes" (5. Vortr.; 130). Das Prinzip allen Begreif ens wäre somit ein sonderndes Zusammenhalten des einen mit dem anderen. Dem Begreifen folgt die Sprache. Der Logos ist Aussprechen des
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Begriffenen. Sein Urteil hat die dihairetisdi-synthetische Struktur, etwas Auseinandergehaltenes zusammenzuhalten, und zwar mittelbar das eine durch das andere. Alles Ausdrücken von Begriffen spricht etwas durch etwas aus. Wird dieser Begriff des Begriffs erinnert und seine Mittelbarkeit, d.h. zugleich seine Begrenztheit, festgehalten, dann wird evident, daß die Einsicht in das absolute Faktum nicht durch den Begriff zustande gekommen sein kann. Das Wissen, in dem das absolute Wissen sich weiß, ist kein Begreifen. Die Form des Begriffs und der durch sie geprägten Rede ist dem eingesehenen Inhalt unangemessen. Über die Inadäquatheit des Begriffs und seiner Redeweise belehrt schon die genetische Untersuchung der „absolut organischen Spaltung in S und D und x, y, z" (4. Vortr.; 115). Gemeint sind, wie eingesehen war, die beiden Disjunktionsfundamente, die sich aus dem 'Punkte', d. i. dem Freiheits- und Selbstbewußtsein als Prinzip der Sonderung ergeben haben. Von ihnen beiden ist gesagt worden, sie seien nicht im Nacheinander gefunden und nachträglich, eines vermittels des anderen, zur Einheit gebracht worden, sie seien vielmehr mit einem Schlage erzeugt. Die Form des Sagens aber widerspricht offenkundig dem Inhalte des Gesagten. „Wie habe ich mich nun da ausgedrückt?" (3. Vortr.; 106). Die begrifflich urteilende Rede muß zufolge ihrer Subjekt-Prädikat-Sonderung immer bei einem der besprochenen Glieder, also etwa bei der Sonderung von Sein und Denken, anheben und diese als unabtrennlich mit der anderen Sonderung in Sinnliches und Übersinnliches zusammenfügen. Die Aussage vermag den eingesehenen Sachgehalt des Erzeugtseins 'mit einem Schlage5 nicht auszudrücken. Die Rede bleibt in der Vermittlung des Begreifens befangen. Dieselbe „Befangenheit meiner Rede" (3. Vortr.; 106) und des Begriffs stört die Einsicht in die ursprüngliche Synthesis von absolutem In-sich-Ruhen und absolutem Werden im reinen Wissen. Auch hier stehen der sondernd-konstruierende Begriff und seine Sageweise dem zu Begreifenden im Wege. Das Begreifen kommt auch nicht weiter als bis zur vermittelten Nachkonstruktion dieser vermittelten Einheit; denn die Beschreibung fängt doch mit einem Gliede an und konstruiert von ihm her die Einheit durch vermittelnde Zusammensetzung mit dem später aufgenommenen anderen. Die Konsequenz dieser Besinnung auf die Bedingungen, welche die Einsicht in die Durchdrungenheit absoluten Wissens ermöglicht haben, ist überraschend und für alle Verstandesaufklärung bestürzend. Zur fraglichen Einsicht ist nur zu gelangen, sofern der Begriff vernichtet
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wird. In diesem Gesetz bedeutet Vernichtung freilich nicht totale und endgültige Auslöschung endlich begrenzten Verstehens und ein Verstummen der Begriffssprache. Vernichtung besagt Zerstörung eines Anspruches, nämlich zureichendes Prinzip zu sein. Angesichts des höchsten Faktums (des reinen Wissens als des zuhöchst Wißbaren) sieht sich der endlichbegrenzte Begriff genötigt, seinen Anspruch, erstes und adäquates Prinzip der Erkenntnis zu sein, aufzugeben. Der Begriff hat sein Ansehen zu vernichten, als vermöchte er aus eigenem Vermögen das absolute Wissen angemessen zu konstruieren und zu beurteilen. Wie aber ist dann die Einsicht zu gewinnen? Wenn nicht durch den Prozeß endlichen, vermittelnden Begreifens, dann vielleicht im Vorgange des unendlichen, sich mit sich vermittelnden Begriffs? Dieser Weg ist ausweglos. Der Begriff eines unendlichen Begriffs ist überschwänglich, weil sich die Gleichung von absolutem Wissen und Absolutem an der Grenze des Nicht-Wissens versieht. Die Philosophie ist Grenzbesinnung, nicht Grenzüberschreitung. Sie achtet das Scheitern des Verstehens und bedenkt die 'Vernichtung' und nicht die 'Aufhebung' des Verstandes. Die Vernichtung des endlich-befangenen Begriffs, d. i. die Aufhebung der Endlichkeiten, führt nicht zu einer Konstruktion des Absoluten im Bewußtsein und zur Vergötzung des Begriffs. Sie läßt die absolute Einheit und Durchdrungenheit als Unbegreifliches begreiflich werden. Indem nämlich der Begriff als inadäquat ausdrücklich gemacht wird, geht in seinem Vergehen die Ansicht von der absoluten Einheit und ihren Unzertrennlichkeiten als dem Unbegreiflichen auf. „Also da Nachconstruiren Begreifen ist, und dieses Begreifen hier, als an sich gültig, ausdrücklich sich selber aufgiebt, so ist hier eben das Begreifen des durchaus Unbegreiflichen, als Unbegreiflichem vollzogen" (4. Vortr.; 115). Der Vollzug der fraglichen Einsicht ist jetzt vorgeschrieben. Die Vorschrift verlangt ein Begreifen des Unbegreiflichen als Unbegreiflichen. Um ihr zu entsprechen, genügt kein distanziertes philosophisches Überdenken. Die philosophische Reflexion hat sich in den Akt der Selbstbesinnung absoluten Wissens zu versetzen. Welcher Prozeß muß also vollzogen werden? Unumgänglich ist, zuerst das absolute Wissensgefüge begrifflich nachzukonstruieren und durchzusprechen, um auf die Form des Sagens und Begreifens in Rücksicht auf den beurteilten Sachverhalt reflektieren zu können. Darin liegt die Versicherung: Auf dem Wege zur Wahrheit wird der Begriff nicht entmachtet und ganz und gar abgesetzt. Er wird vernichtet, aber damit er vernichtet werden kann, muß er gesetzt
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werden; sonst würde ja überhaupt nicht gedacht. Und die Sprache wird nicht einfach als etwas durchstrichen, was das Sein verstellt und die Sache in ihrer Eindeutigkeit verhext, so daß sie durch ein Zeichensystem ersetzt oder zugunsten mystischer Sprachlosigkeit aufgehoben werden müßte. Das Äußerste muß gesagt sein, damit im Versagen das Unsägliche als solches zur Sprache kommt. So muß der Prozeß mit dem Begriff und dessen Sprache anfangen, aber er darf nicht beim Konstruieren und dessen sprachlichem Ausdruck stehenbleiben. Sonst brächte es die wissenschaftliche Reflexion nur zu einer Nachkonstruktion im schlechten Stile einer Synthesis post factum. Sie kann zwar nur nach Maßgabe des Begriffs reden und konstruieren, aber ihr kann einleuchten, daß etwas Unkonstruierbares konstruiert und etwas Unsägliches ausgesprochen wird. „Ich construire daher ein nicht zu Construirendes, mit dem guten Bewußtsein, daß es nicht zu construiren ist" (3. Vortr.; 106). Nur als Unbegreifliches in Setzung und Vernichtung des Begriffs also ist die Einsicht in das absolute Wissen entstanden; „und so ist die nothwendige Vereinigung und Unabtrennbarkeit des Begriffs und des Unbegreiflichen, klar eingesehen worden" (4. Vortr.; 117). Das einleuchtende Unbegreifliche ist 'Licht'. Was besagt hier dieses unausschöpfliche Gleichniswort? Licht benennt in einem ersten Sinn den Zustand ungesonderter Helle (lumen). So eben erscheint das Absolute des absoluten Wissens: als ein ungesondertes Ineinander, an dem alle Sonderungen des Verstandes vergehen. Das reine Wissen leuchtet als das unbegreiflich Ungesonderte, das an sich selbst keine Unterscheidungen zuläßt, in dem vielmehr alle Unterschiedenheit und alles Gesondertsein aufgeht. So treten in der Helle des ungesonderten Lichtes alle Bestimmtheiten des vom Lichte Beschienenen heraus. Licht bedeutet überdies: aufspringender Strahl, der von sich her auf- und einleuchtet (lux). Die Einsicht in die Identität des absoluten Wissens ist Lichtung in diesem Sinne. Sie wird nicht durch den Begriff erzeugt, dieser ist ja gerade vernichtet. Die Setzung und Vernichtung des Begriffs, die vom Verstande ausgeht, räumt lediglich das vorstellende Konstruieren beiseite, damit die absolute Identität von sich her einleuchtet und uns als das nicht mehr zu begreifende Verstehen ergreift. So gedeutet, vermag die Metapher des Lichtes zu erläutern, wie uns die höchste Einsicht entstanden ist. „Wie haben wir es denn gemacht? Offenbar eine Sonderung vollzogen, was jenseits doch Eins sein soll. Diese Sonderung leuchtet uns nun ein als ungültig, in einem unmittelbaren Einleuchten, das wir nicht erzeugten, weil wir es wollten, sondern das sich selber erzeugte, nicht aus irgendeinem
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Grunde oder einer Prämisse, sondern absolut; also in einer absolut sich selber erschaffenden und darstellenden Evidenz, oder reinem Lichte" (5. Vortr.; 129—30). Damit ist das Grundgesetz des Wissens entdeckt. Ihm muß entsprochen werden, wenn das Wissen nicht über sich selbst (und über das wahre Sein) im Unklaren bleiben will. Das Gesetz fordert die Negation des Verstandes. Die Verständigkeit des Verstandes, dessen Erkenntnisweise das sondernd-entgegensetzende Unterscheiden ist, steht der Selbsterkenntnis des absoluten Wissens im Wege. In Reflexion auf seine eigene Helle ist dem Wissen zugemutet, sich von dem Lichte ergreifen zu lassen, das wir gewöhnlich nicht sehen, weil wir in ihm sehen. Das Verfahren solcher Umstellung ist deutlich geworden. Es muß der Begriff vom absoluten Wissen gesetzt und die Form des Begreifens an der Materie des Begriffenen vernichtet sein. Indem das geschieht, leuchtet das Licht ein. „Soll es zu diesem wirklich kommen, so muß der Begriff gesetzt und vernichtet, und ein an sich unbegreifliches Sein gesetzt werden: gesetzt, das Licht solle sein, so ist durch diesen Satz alles das Gesagte gesetzt. Dies haben wir nun eingesehen, es ist wahr, und drückt das Grundgesetz alles Wissens aus; und als solches können wir es uns merken" (4. Vortr.; 119). Die Verkündung des Grundgesetzes erlaubt einen weiten Vorblick. Es ist zu vermuten, daß die absolute Reflexion sich daran machen wird, das offenbar gewordene Licht weiter zu durchforschen. Dabei wird sich das Licht in seiner ihm eigentümlichen Existenzform als 'lebendiges Licht' zeigen: als das in sich selber aufgehende Sein und Leben. Das nennen alle Gott. So kommt es, daß „die Gottheit nicht mehr in das todte Sein, sondern in das lebendige Licht gesetzt werden muß" (8. Vortr.; 147). Wie aber steht es, wenn das Wissen solch lebendiges Licht weiß, mit dem Prinzipienanspruch des Ich? An dieser Stelle einer radikalen Selbstbesinnung stellt sich die Alternative, die Jacobi in seinem großen Brief an Fichte heraufbeschworen hatte: „Gott ist, und ist außer mir, ein lebendiges, für sich bestehendes Wesen, oder Ich bin Gott. Es gibt kein drittes" (SCH. II, 47). Die Wissenschaftslehre von 1804 begreift diese Alternative als das Problem aller Systembildungen auf dem Boden des Ich oder des sich schlechthin wissenden und wollenden Wissens. „Dieß war eben die Schwierigkeit aller Philosophie, die nicht Dualismus sein wollte, sondern mit dem Suchen nach Einheit Ernst macht, daß entweder wir zu Grunde gehen mußten, oder Gott. Wir wollten nicht, Gott sollte nicht" (8. Vortr.; 147).
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Die Findung des Grundgesetzes allen Wissens entscheidet die Alternative. Beherrscht es alles Wissen von Anfang bis zu Ende, dann kommt es auch bei jenem Wissen zum Zuge, in welchem das absolute Wissen sich ins Verhältnis zur Gottheit oder dem lebendigen Lichte versetzt sieht. Gott oder das absolute Sein leuchtet nur ein, indem sich der Begriff daran vernichtet. Das Gesetz legt fest: Soll das Licht in der Daseinsweise der Gottheit einleuchten, dann muß sich das Ich in seiner Ichheit vernichten. Das begreifende Wissen weiß vom Göttlichen nur als vom Unsäglichen und Unbegreiflichen. Unter dem Gesetz der SichVernichtung ist das Wissen angetreten.
3· KAPITEL Das Gesetz des natürlichen Bewußtseins Das Grundgesetz allen Wissens ist gefunden. Es muß schrittweise in Besitz genommen werden. Taugt es überhaupt etwas, dann muß es sich im einfachsten Falle bewähren, nämlich als Erklärungsgrund für die Spaltung des einen Wissens in Denken und Sein auf der Stufe und in der Einstellung des natürlichen Bewußtseins. Alles natürliche Bewußtsein bewegt sich fraglos in dieser Spaltung. Es denkt aus diesem Unterschied: Hier bin ich, und dort ist der von meinem Bewußtsein unabhängige Gegenstand. Die Wahrheit und das Licht, das diesem Wissen leuchtet, ist die Richtigkeit als Entsprechung von Vorstellung und Sache. Inwiefern aber läßt sich dieser Befund aus der Verklärung des absoluten Wissens und aus der Einsicht in das Grundgesetz allen Wissens aufklären? Nach den Worten des Grundgesetzes ist ein reines Licht als die vermittelnde Mitte allen Sehens ausgesprochen. Dies war ja das Resultat der ersten genetischen Untersuchung, „daß das Licht einziger Mittelpunkt" ist (5. Vortr.; 130). Von ihm ist bisher gesagt, daß im wirklichen Aufgehen des Lichtes der Begriff gesetzt und vernichtet und ein an sich unbegreifliches Sein abgesetzt ist. Das Licht ist so als Mittelpunkt zweier Glieder — des an sich unbegreiflichen Seins und des vernichteten Begriffs, des an sich seienden Gegenstandes und des entmachteten Bewußtseins — hingestellt. Und es ist gefordert, daß dieses Licht den Zusammenhang dieser Glieder erleuchte und stifte. Die Analyse des Lichtes als Mittelpunkt von Denken und Sein nimmt undiskutiert den Charakter von Licht und Wahrheit in Anspruch, der in der Dimension dieser Ableitung führend ist: Licht als das Durchlässige und Wahrheit als Angemessenheit. Licht ist Wirklichkeit des Durchlässigen an ihm selbst. Es läßt das Sehen des Auges zum sichtbaren Seienden durch (und umgekehrt) und ist so durchlässig wie das Glas. Während das Glas aber nicht an ihm selbst, sondern nur in der Helle des Lichtes die Sicht freiläßt, ist das
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Licht das, was an ihm selbst Denken und Sein durchläßt. Eben die Durchlässigkeit des Lichtes stiftet die Wahrheit als Entsprechung. Sie ermöglicht die Prüfung, ob die Sicht dem Gesichteten angemessen ist oder nicht. Um diese Ankündigung zu erfüllen, ist eine dreifache Feststellung nötig. Das reine Licht muß als Prinzip des Seins sichergestellt werden. Dafür wird darauf zu achten sein, daß im Lichte ein unbegreifliches Sein abgesetzt wird. Zudem muß das reine Licht als Prinzip des Begriffs wiederholt werden. Dafür ist die Forderung des Lichtes vorzunehmen, den Begriff zu setzen und zu vernichten. Und natürlich ist daran zu erinnern, daß beides, die Absetzung des unbegreiflichen Seins und die Vernichtung des Begriffs, ein und derselbe Vorgang ist. Erst nach diesen Meditationen wird konstatiert werden können: „Und so ist nun das reine Licht als der Eine Mittelpunkt und das Eine Princip sowohl des Seins als des Begriffes durchdrungen" (4. Vortr.; 118). Wie also entsteht nach diesem Gesetz der im natürlichen Bewußtsein vorherrschende Anblick von Sein? Im Lichte erscheint das Gewußte als das Unbegreifliche. „Nun ist die Unbegreiflichkeit doch nur die Negation des Begriffes, Ausdruck seiner Vernichtung" (4. Vortr.; 117). Die unwandelbare, absolute Einheit war mit der Qualität des Unbegreiflichseins ausgestattet. Aber diese Wesensbeschaffenheit kommt ihr doch nur von Seiten des Begriffs und nicht an ihr selber zu. Das Absolute ist ja unbegreiflich nur, wenn sich der Begriff an ihm versucht. Es schuldet mithin die einzige Qualität, die von ihm auszusagen ist, dem Bezug zum Begriff. Gleichwohl ist das, was als Unbegreiflich-Seiendes einleuchtet, nicht nichts. Ihm kann in einer Methode entsprochen werden, die den ganzen Aufstieg zum Absoluten begleiten wird, in der Methode der Abstraktion. Sie schreibt vor, alles, was aus dem Wissen stammt, abzuziehen und zuzusehen, was übrig bleibt. (Solche Abstraktion machte ja schon das Ansichsein qua Anstoß verständlich, nämlich als das Nicht des Nicht-Ich, das übrig bleibt, wenn aller Ichbezug abgezogen ist.) Was also bleibt übrig, wenn vom Merkmale des Unbegreiflichseins abstrahiert wird? „Von diesem Merkmale abstrahirt, bleibt Nichts an der Einheit übrig, als die Absolutheit, oder das reine Bestehen für sich" (4. Vortr.; 117). eln sich und nicht in anderem Bestehen5 (in se et non in alio esse) ist der überlieferte Titel des substanzialen Seins. Von der als Unbegreifliches begriffenen Einheit bleibt in dieser abstrahierenden Reduktion das in sich ruhende Sein übrig: das eine, einfache Ist, von dem weiter nichts auszumachen ist, als daß es in sich selbst und unabhängig vom Bewußt-
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sein besteht. Damit ist das natürliche Bewußtsein von Sein genetisch erklärt. Seiendes liegt nicht anfänglich und bestimmend an sich selber vor. Das ist das Dogma in allem Dogmatismus: Was ist, das bestehe unabhängig vom Bewußtsein und sei Grund des Wissens. Die Arbeit einer absoluten Reflexion macht dagegen evident, daß solches Ansichbestehen nicht Ursprung, sondern Resultat ist. Es ist Resultat eines dem natürlichen, reflexionslosen Bewußtsein verborgen bleibenden Prozesses, in welchem der Begriff gesetzt und vernichtet, ein Absolutes als Unbegreifliches eingesehen und das Unbegreiflichsein abgezogen wird. So nur äußert sich das Licht und die Wahrheit. „Das Resultat aber, und gleichsam der todte Absatz dieser Aeusserung ist das Sein an sich, welches darum, weil das reine Licht zugleich Vernichtung des Begriffes ist, ein Unbegreifliches wird" (4. Vortr.; 118). Über das Sein und Ansichbestehen des Seienden kann eben nicht so befunden werden, daß das Wissen die Reflexionshaltung verläßt und gleichsam die Hand ausstreckt, um auf ein Ansichseiendes zu stoßen und zu konstatieren: Es ist. Das Prädikat Ist besagt: ist objektiv und unabhängig von uns bestehend. Aber diese Position findet ihren Halt nicht im Ansichsein von Seiendem außer uns, sie stammt aus dem absoluten Wissen, von dem eine absolute Reflexion einsieht: Es ist durch ein Licht und eine Wahrheit konstituiert, durch die Sein abgesetzt wird. „Selber dieses Prädikat is t, kommt aus der Evidenz" (5. Vortr.; 130). Am Unbegreiflich-Seienden wird das tote Sein abgesetzt. 'Abgesetzt' besagt hierbei: Es bleibt zurück, wenn vom Absoluten die verliehene Qualität der Unbegreiflichkeit, eben weil sie vom Wissen nur geliehen war, zurückgenommen wird. Was so abgesetzt wird, ist das 'tote Sein'. Totes Sein besagt immer ein bloßes Ansichsein des Objekts, welchem das Leben und die Freiheit des Fürsichwerdens fehlt. Damit ist der Vorgang, durch den das Bewußtsein ein entgegenstehendes Sein setzt, als komplexer Prozeß der Selbstvernichtung des Begriffes beschrieben. Damit wir überhaupt 'ist' sagen können, muß der Begriff gesetzt und vernichtet, das Unbegreifliche als solches begriffen und in der Abstraktion davon ein 'totes Sein' abgesetzt sein. Der Grund für die natürliche Vorstellung von an sich bestehenden, substanten Dingen läge mithin nicht, wie der naive Realismus meint, im Ansichsein der Dinge, aber auch nicht, wie der spekulative Idealismus zu begreifen wähnt, in der Selbstentzweiung des göttlich absoluten Begriffs. Er liegt in der Selbstvernichtung des endlichen Begreifens.
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So ist das Licht Prinzip des Seins. Es bewährt sich gleichermaßen als Prinzip des Denkens. Die Gestalt, in der das Denken hier abgeleitet wird, ergibt sich aus der Relation zum Sein. Es ist eben das subjektive Denken, das sich als gegenständliches Bewußtsein vom Objekt bestimmen läßt. In Frage steht also das wandelbare Bewußtsein als Relat zum Gegenstand. „Das Eine Glied ist Sein: das andere, der vernichtete Begriff, ist ohne Zweifel das subjektive Denken oder Bewußtsein" (8. Vortr.; 148). Um das Licht als Prinzip des gegenständlichen Bewußtseins haftbar zu machen, ist auf das zweite Merkmal des Lichtes — und nicht mehr auf das Absetzen des toten Seins — zu achten: Das Entstehen von Licht sei die Vernichtung des Begriffs. Das Setzen des Begriffs war unumgänglich; sonst könnte er nicht vernichtet werden. Die Vernichtung des Begriffs bedeutete die Absetzung des Ich-Subjekts als angemessenes Prinzip für das absolute Wissen. Was also bleibt, wenn von der grundsätzlichen Ichheit abstrahiert wird, vom Ich übrig? Nicht nichts; denn das Bewußtsein muß ja gesetzt werden. Nicht das Bewußtsein als Prinzip; darin ist es gerade vernichtet worden. Was übrig bleibt, ist das abgesetzte Bewußtsein als Relationsglied zum abgesetzten Sein. Das Setzen, Vernichten und Absetzen des Begriffs also ist der Prozeß, durch den das Bewußtsein als Gegenglied im Wandel der Subjekt-ObjektRelation zustande kommt. Und es leuchtet ein, wie es mit der Einheit von Bewußtsein und Sein steht. Beides findet sich nicht nacheinander und faktisch ein wie zwei Bestandteile, die nachträglich in eine dahinter liegende Einheit zusammengebracht werden. So bildete sich die Einheit von Ding und Vorstellung in der schlechten Form einer Synthesis post factum. In Wahrheit sind beide als Glieder einer Sonderung mit einem Schlage erzeugt. Indem der Begriff sich selbst vernichtet, leuchtet das Licht auf, dessen Wesenszug und Wahrheitscharakter darin besteht, mit einem Schlage Sein abzusetzen und Bewußtsein zu bilden und eines zum anderen hindurchzulassen. Das ist die Bedingung für die Möglichkeit von Wahrheit, welche das Bewußtsein als einzige anerkennt: die Richtigkeit als Angemessenheit von Denken und Sein. Damit ist der Befund des gegenständlichen Bewußtseins und dessen Wahrheitsstandpunkt genetisch aus dem Grundgesetz allen Wissens erklärt, und der Schein, der zu fundamentalen Irrtümern über das Verhältnis von Begriff und Sein verführt, ist aufgelöst. Der Irrtum des Dogmatismus besteht darin, das Denken aus dem Sein des Gegenstandes ableiten zu wollen. In Wahrheit ist das objektive Sein tot und abgesetzt. Der Idealismus irrt, wo er das Sein
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aus dem Begriff zu deduzieren gedenkt. In Wahrheit stammt das einfache Ist nicht aus dem Begriff. Es tritt ja erst ein, wenn sich der Begriff vernichtet hat. Beide Wege sind Irrwege. Die Philosophie kann weder das Denken aus dem Sein ableiten noch das Sein aus dem Denken deduzieren, sie muß beides in seiner Untrennbarkeit evident machen. Das geschieht, indem Denken und Sein als Relate einer Spaltung angesehen und das Gesetz dieser Sonderung eingesehen ist. Gelingen kann das nur, indem das Wissen sich auf sich selbst als absolutes Wissen besinnt. Im Lichte solcher Besonnenheit verirrt sich die Philosophie nicht mehr zu einem falschen Realismus und zum verfälschten Idealismus. Sie wird Wissenschaftslehre.
4- KAPITEL Der Urbegriff. Gesetze des Bildes Die Aufklärung des natürlichen Bewußtseins mit den Mitteln des Transzendentalismus und im Vollzuge einer absoluten Reflexion ist vollendet. Aber damit ist der Weg des Philosophierens nicht am Ende und der Aufstieg zur Wahrheit nicht vollbracht. Das Ziel der Philosophie ist längst nicht mehr nur das durchdringende Verstehen von Sein als Gegenständlichkeit. Das Wissen vom Wissen hat den positiven Begriff eines lebendigen Seins in den Blick gefaßt. Der ist bisher noch nicht zur Sprache gekommen. Und auch das Wesen der Wahrheit liegt noch im Dunkel. Aufgehellt ist bislang lediglich ein derivativer Wesenszug der Wahrheit, die Entsprechung von Denken und Sein in der Durchlässigkeit des Lidites. Auf diesem Stande kann eine gründliche Selbstbesinnung nicht verharren; denn sie wird von der Forderung nach genetischer Evidenz angetrieben und findet sich in faktischer Evidenz gefangen. Die vorgetragene Einsicht in das Licht und die Wahrheit als Prinzip von Denken und Sein in der Dimension des natürlichen, gegenständlichen Bewußtseins ist bloß faktisch. Sie behauptet die Evidenz, daß es sich so und nicht anders damit verhalte. Das Vorliegen einer faktisdien Einsicht fordert eine Reflexion heraus, die sich dem Entstehungsgrunde dieser Einsicht zuwendet. Woher also kommt uns die Einsicht, daß das Licht einziger Mittelpunkt im dihairetisch-synthetischen Verhältnis von Sein und Denken ist? Der Fortschritt der Untersuchung ist „wieder ein Genetisiren der zu Stande gebrachten Einsicht: — daß das Licht einziger Mittelpunkt, sehen doch wohl wir ein. Sogleich durch diese Reflexion wurde nun das, worin wir erst auf gingen, selber wieder faktisch" (5. Vortr.; 130). Das Wissen, welches das Werden der Einsicht in Betracht zieht, geht nicht mehr verschwebend im eingesehenen Inhalte auf. Es reißt sich vom Inhalte los, um auf die Form zu reflektieren und die Gründe und Gesetze zu suchen, aus denen dieses Einsehen entsteht.
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Welche Gründe und Möglichkeitsbedingungen bieten sich an? Im Verfolg dieser Frage offenbart sich die Zweideutigkeit, welche das philosophische Wissen in seiner Selbstbegründung und seinem Selbstverständnis beschwert. Zwei entgegengesetzte Ansichten drängen sich vor. Auf den ersten Blick hin läßt sich der Bescheid hören: Diese Einsicht ist durch uns, das philosophierende Subjekt und seine freie Zuwendung, erzeugt. Es ist doch das verständige Ich der wissenschaftlichen Reflexion, das damit angefangen hat, Begriffe zu sondern und zusammenzufügen und dadurch in einer freien Besinnung die Evidenz von der Unbegreiflichkeit des Absoluten herbeizuführen. Denn ist es nicht die Tat unserer Willkür, vom Wandel des objektiven Wissens, dem wir uns gemeinhin hingeben, zu abstrahieren und uns auf die wandellose Einheit des reinen Wissens zusammenzunehmen? Und bedurfte es nicht des energischen Entschlusses zu höherer Reflexion, dieses Wissen in seiner komplizierten Struktur zu erläutern und die faktisch gewonnene Einsicht genetisch zu verfolgen? Offenkundig ist es die Energie einer ungewohnten Reflexionshaltung, welche „die neue unbekannte Geisteswelt, in der wir unser Wesen treiben" (8. Vortr.; 149), erschließt. Das gesamte Grundgefüge des Geistes bliebe terra incognita, wenn das Ich nicht aus Freiheit die angemessene Einstellung bezöge. Der Anfangsgrund dieser Einsicht ist die absolute Freiheit des Ich, eine Reihe von Operationen anfangen oder auch unterlassen zu können. „Nun erscheint es uns ferner, daß wir dieses Verfahren sehr füglich auch hätten unterlassen können; wie wir es denn ohne Zweifel alle die Tage unseres Lebens, ehe wir an die Wissenschaftslehre kamen, unterlassen haben" (8. Vortr.; 149). Die Welt des sich auf sich wendenden Geistes bleibt in allem natürlichen Bewußtsein und im alltäglichen Philosophieren unerschlossen und dunkel, das nicht an die Wissenschaftslehre herankommt. Die natürliche, gegenständliche Einstellung des Bewußtseins übersieht das Licht, in dem es sieht, und die dogmatisch-philosophische Wissenschaft bestreitet die Möglichkeit absoluter Reflexion, die zu vollziehen sie weder Kraft noch Freiheit genug hat. Die wahre Wissenschaft vom absoluten Wissen gewinnt ungeahnte Einsichten. Als deren Anfangsgrund bieten sich die absolute Freiheit und die Kunst unseres Wissens an. Ohne das freie Abstrahieren und künstliche Reflektieren wären die Bedingungen nicht gegeben, unter denen die Wahrheit und das Licht aufgehen. „Also wir erzeugten wenigstens die Bedingungen der sich ergebenden Einsicht" (4. Vortr.; 120). Dagegen gibt eine entgegengesetzte Ansicht zu bedenken, der Beginn unseres Konstruierens sei gar nicht willkürlich und regellos. Wie wir die
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Begriffe Einheit, Mannigfaltigkeit, Spaltungsweisen usw. zusammenhalten, das liege gar nicht in unserm freien Ermessen. Unser Begreifen sei vielmehr von einem uns ergreifenden Wissen geleitet. „Also wir konnten die Bedingungen nicht erzeugen, sondern sie erzeugten sich unmittelbar durch sich selber: die von aller Willkühr und Freiheit und Ich durchaus unabhängige Vernunft mußte sie aus und durch sich selber erzeugen" (4. Vortr.; 120). Diese Besinnung auf den Entstehungsgrund der durchgesprochenen Einsicht verwirft die Freiheit und Willkür des philosophierenden Ich als Grund für das Begreifen der Wahrheit. Das Licht ergreift uns ohne unser Zutun. Die Wahrheit leuchtet ein, wenn die Hartnäckigkeit des Konstruktionswillens zugunsten der Haltung aufgegeben wird, sich von der Evidenz der Vernunft ergreifen zu lassen. Die gegensätzliche Einstellung drückt die Antinomie hinsichtlich einer Selbstbegründung der Philosophie aus. Die (idealistische) Thesis behauptet: Wir sind Prinzip für das Zustandekommen der Wahrheit. Am Anfang steht die freie Tat des Denkens; denn ohne die formale Freiheit wissenschaftlicher Arbeit wird keine Abstraktion und Reflexion vollzogen, und die Welt des Geistes bleibt unaufgehellt und dunkel. Aber diese Maxime ist unbedacht. Sie bedenkt nicht, woher die Notwendigkeit der Konstruktion, die eben doch nicht willkürlich, sondern gesetzhaft verfährt, kommt. Die (realistische) Antithesis behauptet dagegen: Der Vernunftgehalt ist es, der unsere Einsicht ergreift; denn er leitet unser Konstruieren mit einer die freie Willkür vernichtenden Notwendigkeit. Indessen ist auch solche 'Illuminationstheorie' bedenklich. Konstruierte sich nämlich die Einsicht des Lichtes selbst, dann wäre die freie Tat des Philosophierens hinfällig, und das Absolute müßte allerorts und jederzeit einleuchten. Der Unterschied zwischen natürlichem und philosophischem Bewußtsein wäre unerklärlich. Jeder der beiden Sätze beansprucht die ganze Wahrheit. „Welcher nun ist wahr, und bei welchem sollen wir uns beruhigen?" (4. Vortr.; 120). Die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach. Allerdings ist schon vorauszusehen, wie sie ausfällt. Im Horizont der Transzendentalphilosophie geschieht die Synthesis deduzierter Gegensätze durch Einschränkung. Keine der beiden Thesen kann durchstrichen werden, weil sie aus dem strengen Gang der gesicherten Methode folgen. Sie sind also wahr, aber sie sind nicht die ganze Wahrheit. Der Anspruch beider Prinzipien erfüllt sich nicht absolut, sondern nur in eingeschränktem Maße. Soweit ist die Entscheidung des Problems leicht. Keines der Prinzipien ist falsch, „beides leuchtet ein"; aber „die Evidenz ruht weder in dem Einen, noch
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in dem Ändern, sondern durchaus zwischen beiden" (4. Vortr.; 121). So verlagert sich das genetische Prinzip in ein Schweben zwischen beiden Standpunkten. Aber diesen vorläufigen Bescheid einzuholen, das ist schwer. Dafür sind neue, noch unentdeckte Unterscheidungen zu treffen. Offenbar wird Wissen immer noch für zu einfach gehalten und dasjenige schon für wahre Einheit angesehen, was doch in sich Unterschiede und Gegensätze hat. Diese Vermutung trifft den bisherigen Mittelpunkt, das 'Licht'. Der Streit um das Prinzip der Einsicht des Lichtes erzwingt einen Rückgang des Lichtes selber. Die genetische Frage wird zugunsten einer gründlicheren Beschreibung des zu genetisierenden Faktums zurückgeschoben. Die eingesehene Tatsache, daß das Licht Mittelpunkt allen Wissens sei, muß inhaltlich subtiler zergliedert werden. Sonst ist die strittige Frage nach dem ersten Woher dieser Einsicht nicht zu lösen. „Ehe wir auf die Beantwortung uns einlassen, gehen wir wieder zurück zu dem Inhalte der in Rücksicht ihres Princips streitig gewordenen Einsicht, um erst ihren wahren Werth und ihre Bedeutung scharf ins Auge zu fassen" (4. Vortr.; 120). Die Analyse des Licht-Begriffs erbrachte bisher nur zwei Merkmale: Das Licht leuchtet in Vernichtung des Begriffs ein, und es setzt das Sein ab. Jetzt — in Rücksicht auf die Einsicht von ihm — muß das Licht seinem Dasein im Bewußtsein nach beschrieben werden. Die Rücksicht auf die Existenzform des Lichtes erbringt eine Unterscheidung. „Das Licht hat eine doppelte Aeusserung und Existenz, theils seine innere Existenz und Leben, bedingt durch Vernichtung des Begriffes, bedingend und setzend absolutes Sein; theils ein Aeusseres und Objectives, in und für unsere Einsicht" (8. Vortr.; 148). Es ist die hier zu Tage tretende Unterscheidung, welche das philosophische Streben nach der absolut-einfachen Einheit und die absolute Selbstbesinnung bis an ihre Grenze führt. Welches also sind die unterschiedlichen Daseinsformen oder Äußerungen (denn Licht ist nur da in seiner Äußerung) des Lichtes? Die äußere Existenzform des Lichtes und der Wahrheit beruht darauf, daß wir das Licht als Mittelpunkt von Sein und Denken vorgestellt und durchgesprochen haben. So gesehen, gehen wir nicht in der uns ergreifenden Evidenz auf, wir haben das Licht zum Objekt unseres Wissens. Das bedeutet für das Dasein: Das Licht existiert nur äußerlich; es ist in einem Abbilde und Stellvertreter da, nämlich als Abgebildetes und Vorgestelltes in einem abbildenden, objektivierenden Bewußtsein. „So gehen wir in diesem Lichte nicht unmittelbar auf, sondern wir haben es nur in dem Stellvertreter und Repräsentanten einer Einsicht
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von dem Lichte, von seiner Ursprünglichkeit, und seiner absoluten Qualität" (5. Vortr.; 131). Das ist die legitime Beschreibung des äußeren Daseins des Absoluten durch ein kritisches Wissen; die absolute Einheit ist nicht an sich und unmittelbar, sondern durch unser Einsehen von ihr da. Und diese Vermittlung ist nur durch den Verlust von Erkenntnis und Begreiflichkeit aufzulösen. Wissen und Erkenntnis von der absoluten Einheit kann nur gewonnen werden, sofern sie in unserem Wissen von ihr erscheint. Dennoch muß die andere, einer Objektivierung durch uns verschlossene Daseinsform des Absoluten in Anschlag gebracht werden. Sonst steht das Wissen in Gefahr, am Ende doch dem Scheine zu erliegen, nämlich das schon für absolutes Sein zu halten, was doch nur des Seins Erscheinung ist. Diese Existenzweise hat die Vernichtung des Begriffs zur Bedingung. An ihr findet das Entgegensetzen des Begriffs, d. h. auch unser Konstruieren, sein Ende. Von ihrer Bedeutung ist das Unterschiedensein von Subjekt und Objekt, also auch die Objektivierung durch das philosophierende Subjekt fernzuhalten. Die innere Existenz des Lichtes bedeutet die Äußerung, in der das Absolute für sich selber da ist und innerlich lebt. In dieser Art Dasein gehen Subjektives und Objektives ununterschieden ineinander auf und treten nicht in einem Objektbezug gegenüber. Solche allererste Sinnklärung des inneren Daseins absoluten Lebens sollte klarmachen: Einsicht davon ist niemals durch freies Konstruieren und durch keine Energie des Begreifens zu gewinnen, sie geht von sich her dem Wissen auf, das von seiner Selbstbezüglichkeit abläßt. Solche Unterscheidung wird letztlich darüber entscheiden, wie sich die Prinzipienansprüche von selbstbewußter Freiheit und von notwendigem Einleuchten verteilen. Das äußere Dasein des Lichtes ist durch die Freiheit bedingt, die innere Existenzweise nur durch das inwendige Leben, dessen wir innewerden, indem wir von ihm ergriffen werden und es sprachlos leben. Aber sie legt vorerst eine einseitige Überlegung nahe, nämlich eine Untersuchung des Lichtes in seiner äußeren Existenzialform. Diese bringt das Wissen zu einem fundamentalen Selbstverständnis: Das absolute Sein ist Abgebildetes, Wissen ist Bild, und die Untrennbarkeit von absolutem Sein oder Licht und Wissen ruht in der Untrennbarkeit des Gefüges von Bild und Abgebildetem. Diese Einsicht bereitet dem letzten Grundsatz allen Wissens den Boden: Der Verstand versteht sich als Bild des absoluten Seins. Die späte Wissenschaftslehre ist Bild-Lehre. Sie kann das Selbstbewußtsein in den Potenzen des Bildes ausdrücken. Ich ist B3 — Selbstbewußtsein ist Bild des Bildes (sich vor-
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stellende Vorstellung), das sich als Bild weiß. Und das absolute Sein wird ausschließlich daraufhin durchgegliedert und abgestuft werden, in welcher Bildform es da ist. Hier geht es vorerst darum, der These 'Selbstbewußtsein ist Bild' methodisch auf den Grund zu kommen58. Das Licht (die absolute Einheit und das unwandelbare Sein) ist seiner äußeren Existenzform nach nur als Abgebildetes in einem Bilde da. In welchem Punkte steht hier das wahre Prinzip allen Wissens? Nicht mehr im Lichte; denn das Abgebildete und Repräsentierte ist auf etwas Abbildendes, ein repräsentierendes Subjekt, angewiesen. Und auch nicht im Repräsentanten; „denn es ist klar, daß ein Repräsentant, ohne die Repräsentation des darin Repräsentirten, ein Bild, ohne Abbildung des Abgebildeten, Nichts ist: kurz, daß ein Bild, als solches, schon seiner Natur nach, keine Selbstständigkeit in sich hat, sondern auf ein Ursprüngliches aus sich hinweist" (7. Vortr.; 141). Selbst- und Freiheitsbewußtsem ist Bild. Das absolute Sein (die Einheit und das Licht der Wahrheit) ist Abgebildetes. Beide sind Relate einer Relation. Das Relative darf nicht zum Absoluten gesteigert und als das einzige Prinzip ausgerufen werden. Jetzt erst setzt sich die Anfangsthese in klarer Deutlichkeit durch. Der Brennpunkt allen Bewußtseins liegt weder im Disjunktionspunkte des frei aufbredienden Selbstbewußtseins noch in A, der wandellosen Einheit. Das ursprünglich synthetische Bewußtsein schwebt als der untrennbare Wechselbezug von Abgebildetem und Abbildendem im Gefüge des Bildes dazwischen. »Hier ist daher nicht mehr, wie oben, nur in faktischer Evidenz, wie bei A und., sondern sogar begreiflich, sage ich: ein Abgebildetes, wie hier das Licht, ist nicht ohne Bild denkbar, und wiederum Bild, als Bild, nicht ohne ein Abgebildetes" (7. Vortr.; 58
Eine bewundernswert intensive Analyse des Bewußtseins als Bild (cogitatio) durch alle Fassungen der Fichteschen Erscheinungs- oder Bildlehre hindurch hat J. Drechsler, 'Fichtes Lehre vom Bild'. Stuttgart 1955 vorgelegt. P. K. Schneider hat in seiner Interpretation der Transzendentalen Logik von 1812 die fünf Elemente des Denkens als eines Bildens freigelegt (i.Sein, 2. Bild, 3. Deduktion des Bildes aus dem Sein, 4. Deduktion des Seins aus dem Bilde, j. Bild des Verhältnisses der beiden Deduktionen) und daraus die Totalstruktur des Bewußtseins in der fünffachen Bezogenheit des allumfassenden Bildes nachkonstruiert. Bild bedeutet somit die Einheit einer doppelten Verknüpfung, nach der einmal das Sein sich stets ins Bild einschließt und somit das Bild vom Sein begründet wird und zum anderen alles Sein im Bilde beschlossen liegt, somit das Sein vom Bilde begründet wird (a.a.O., S. 105—33). Vgl. die treffende Analyse des Bildes bei K. Giel, a.a.O., S. 66—97. Das Gesetz des Bild-Bewußtseins als einer Wechselbeziehung, in welcher formales Bildsein und inhaltliches Gehaltensein untrennbar verknüpft sind, ist auf dem Wahrheitswege der Grundlegung von 1804 systematisch eingesetzt worden.
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141. Lesart A und M: nur eine faktische Evidenz: nur in faktischer Evidenz). Die Ontologie des Bildes kann hier nicht ausgebreitet werden; denn der zugehörige Begriff des Seins ist noch nicht erarbeitet. Was hier eingesetzt wird, ist das untrennbare, organische Gefüge von Bild und Abgebildetem. Das ist am Bildwesen überhaupt nachzuweisen, um es ins Wissen als absolutes Bild zu übertragen. Bild ist Nichtsein. „Was ist Bildwesen überhaupt? Es giebt davon nur einen negativen Begriff: Bild ist Nicht-Sein" (Tats. d. Bew. 1813; NW I, 564). Bild ist seiend, sofern es sich auf ein Sein außer ihm bezieht. Es ist als Bild seiend, sofern es Sichtbarkeit eines Abgebildeten ist. Bild nimmt in der Begriffssprache Fichtes die Stelle der Vorstellung (cogitatio) ein. Zum Vorstellendsein der Vorstellung gehört untrennbar das in ihr Vorgestellte; sonst ist die Vorstellung nichtig und das Bild als Bild von Nichts ganz und gar unseiend. Diese Korrelation von Noesis und Noema ist ebenso zwingend vom Begriff des Abgebildeten her. Abgebildetes als solches kann nur als repraesentatum eines repräsentierenden Bildes sein. Dem Gedanken eines Abgebildeten fügt sich notwendig der des Bildes an. Bei diesen Überlegungen kommt es auf die Einsicht in die Selbigkeit des untrennbaren Verhältnisses an. Die Konstruktion ist zweimal durchgeführt worden. Sie hob einmal beim Bild an, um das Abgebildete hinzuzufügen. Sie begann das andere Mal mit dem Abgebildeten, um ihm das Bild anzufügen. Der Unterschied der Richtungen liegt in der unterschiedlichen Stellung der Glieder. Diese Disjunktion aber ist der Bild-Einheit außerwesentlich; denn beide Male ist dasselbe ergriffen, nämlich das eine und selbe Bildgefüge als untrennbare Einheit. Das ist auf das Verhältnis von Selbstbewußtsein und Sein anzuwenden. Das reine, einfach-wandellose Sein (A) ist nur als Abgebildetes da. Die absolute Einheit ist als solche in der Vorstellung. Das selbstbewußte Wissen ist Bild. Und die wahre Einheit liegt so nicht im absoluten Sein und nicht im Ich, sondern in der Untrennbarkeit beider. Das organische Wechselverhältnis von absolutem Sein und freiem Selbstbewußtsein ist als der ursprüngliche Einheitspunkt des absoluten Wissens begreiflich geworden; er ist in die Mitte eines absoluten Bildverhältnisses gerückt worden. Und es ist auch die der Einheit außerwesentliche, aber stets mit ihr auftretende Disjunktion begreiflich geworden. Diese lag in der Stellung der Glieder. Selbstbewußtsein und absolutes Sein treten getrennt und in unterschiedlichen Bezügen auf, sofern eben das Denken in
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seinem Vollzuge ein Übergehen von einem Gesonderten zum anderen, vom Bild zum Abgebildetem bzw. vom Abgebildeten zum Bilde ist. „Verhält sich dies nun also, so ist ja hier offensichtlich absolute Einheit, im Inhalte, welche nur in der lebendigen Vollziehung des Denkens sich in eine ausserwesentliche, dem Inhalte gar nichts verschlagende, und in ihm nicht begründete Disjunktion spaltet, entweder ohjectiv, in das Abgebildete und sein Bild, oder, wenn Sie lieber wollen, subjectiv-objectiv" (7. Vortr.; 141). An der Bildverfassung des Wissens wird ein folgenreiches Gesetz deutlich: Die Disjunktion und Sonderung des Bewußtseins gründet nicht im Inhalte der absoluten Einheit. Das einfache Sein gibt an ihm selbst keinen Unterschied zu sehen. Alle Sonderung entspringt aus der Form, in welcher unser Denken die absolute Einheit denkt, d.i. seinem äußerlichen Dasein nach im Bewußtsein aufnimmt. Das ist so, weil das lebendige Begreifen die absolute Einheit nur im unterscheidenden Durchgang vom Abgebildetem zum Bild bzw. vom Bild zum Abgebildeten faßt. So tritt die Hauptdisjunktion als Unterschied von Bild (Subjekt) und Abgebildetem (einfachem Sein), auf, entweder objektiv: als seiende Differenz und Gespaltenheit in Abgebildetes und Bild, oder — genauer — subjektiv-objektiv: als Unterschied, der zwischen dem Begreifen des Bildes aus dem schlechthin gesetzten Abgebildeten und dem Begreifen des Abgebildeten aus dem unmittelbar gesetzten Bilde besteht. Der Ausdruck 'subjektiv-objektive Disjunktion' hat den Vorzug; denn es ist ja mein Begreifen, das sich in das Begreifen des Bildes aus dem Abgebildeten und umgekehrt spaltet. Die genetische Betrachtung des Lichtes steht vor einem neuen Resultat. Es ist ein bisher unentfaltetes Prinzip für die Einsicht des Lichtes, seinem äußeren Dasein nach, gefunden. Fichte nennt es den Urbegriff. Er einigt Einheit und Disjunktion. Sein Inhalt, das in diesem tiefen Begreifen Gewußte und Abgebildete, ist die unmittelbare, absolute Einheit. Seine Form, der lebendige Vollzug seines Denkens, ist die absolute Disjunktion. „Und so wäre denn dermalen in der genetisirten Betrachtung des Lichtes unser Princip, die verborgene, nicht weiter zu beschreibende, sondern nur unmittelbare, eben in jener Beschreibung zu lebende Einheit, welche als Inhalt des Urbegriffes, sich als absolute Einheit, und in lebendiger Vollziehung als absolute Disjunktion darstellt" (7. Vortr.; 142). Mit einem Wort: 'Urbegriff' ist der Titel, der die zusammen-auseinander-haltende Mitte im absoluten Gefüge von Abgebildetem und Bild bezeichnet. Er nennt so den Ursprung von Einheit und Vielheit. Er ist ursprünglicher als der bislang zur Sprache gebrachte Be-
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griff des Begriffs. „Der Begriff ist weiter bestimmt, und tiefer gefaßt, als er es bisher war" (7. Vortr.; 142). Der Urbegriff ist jetzt so tief angelegt, daß er auch das Licht begründet. Der Urbegriff ist das Ursprüngliche — er überragt den Begriff und das Licht. Das ist zu befestigen. Um den Vorrang des Urbegriffs darzutun und den Begriff des Begriffs zu vertiefen, ist er gegen das bisher herrschende Verständnis vom Begriff abzusetzen. Was war bisher vom Begriff berichtet worden? Der Begriff ist das aussondernde Prinzip und geht am Licht als der ungesonderten Helle zugrunde. Er gibt sich als zureichender Anfangsgrund auf, das aber heißt: Er existiert als Erscheinung. Der Begriff ist nicht Wesen und Grund, aber auch nicht nichts. Er muß ja fortwährend gesetzt sein, damit das Licht in der Vernichtung als Unbegreifliches einleuchtet. Darum hat der Begriff keinen Inhalt, den er von sich her zur Erscheinung brächte, weil der Inhalt (das absolute Sein) ja erst in der Vernichtung des Begriffs aufgeht. Diese Erinnerungen machen die Seinsweise des Begriffs in seiner bisherigen Funktion deutlich. Er ist nichts als „Erscheinung, die die Erscheinung des Urlichtes bedingt" (7. Vortr.; 142). Die tiefer dringende Selbstanschauung des absoluten Wissens entdeckt den Begriff als das Ursprüngliche. Als /rbegriff rückt er ins Ansehen, unversehrbarer Anfangsgrund der Einheit zu sein, als Urbegriff hängt ihm der Charakter jedes Begriffes an, immer bloß konstruieren und sondern zu können. Wie ist beides zu vereinbaren? Der Urbegriff schuldet die Unvernichtbarkeit seinem Inhalte. Der Inhalt ist das im Urbegriff Abgebildete, nämlich das absolut eine, in sich stehende Sein. Dieses ist da, nicht wenn sich der Begriff vernichtet, sondern wenn er es als das Abgebildete im Griff hält. Was am Urbegriff als Begriff vernichtet werden muß, ist sein Sondern; sonst kann er sich nicht an das verläßliche Eine halten. Und in der Tat fand sich am Urbegriff ein unangemessenes Konstruieren. Der Vollzug seines Begreifens ging ja auch so vor sich, daß er die ungesonderte Einheit des Bildgefüges immer nur gesondert vortrug in einem unterschiedlich auseinanderhaltenden Zusammenfügen von Bild und Abgebildetem. Das muß vernichtet werden. Im Unterschied zum gemeinen Begriff aber hatte sich ergeben: Durch diese Vernichtung wird das Wesen des Urbegriffs nicht betroffen. Der Urbegriff bleibt das Innere der Bild-Abbild-Relation selbst, die gesonderte Stellung der Glieder bleibt ihm außerwesentlich. So erhebt sich der Urbegriff über den Verstandesbegriff bloßen Konstruierens. „Das Princip der Sonderung, welches freilich wieder an ihm vorkommt, und, wie vorher, in Beziehung auf an sich Gültigkeit vernichtet wird, ist ihm nicht mehr wesentlich,
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sondern nur bedingend sein Leben, d.h. seine Erscheinung" (7. Vortr.; 142—43)· Diese Erhebungen verändern das Verhältnis von Sein und Erscheinen des Begriffs von Grund auf. Bisher herrschte ein äußeres Begründungsverhältnis. Der Begriff bedingte die Erscheinung des Lichtes; er mußte eben gesetzt und vernichtet werden, damit das Licht unverstellt erscheinen konnte. Umgekehrt bedingte das Licht den Begriff; denn das Licht, als Mittelpunkt des Wissens und Prinzip des Begriffs durchschaut, läßt den Begriff als zu vernichtenden sein. „Es war daher gegenseitige Bedingtheit, und jedes Denken der Glieder war von Aussen bedingt. Hier begründet derselbe Eine Begriff durch sein eignes wesentliches Sein seine Erscheinung" (7. Vortr.; 143). Das wesentliche Sein des Urbegriffs ist das 'Durcheinander' von Bild und Abgebildetem, seine Erscheinung das gesonderte Heraustreten der Glieder als Selbstbewußtsein (Bild) und als Sein (Abgebildetes). Die wesenhafte Einheit des Urbegriffs kommt im Verstehen des Begriffs zur Erscheinung, nämlich im sondernden Nacheinander einer Begriffskonstruktion, die in ihrem Erklären eben so vorgeht, daß sie eines durch das andere erklärt, das Bild durch das Abgebildete und umgekehrt. „Demnach ist hier absolute Einheit durch sich selbst begründet und erklärt" (7. Vortr.; 143). Der Urbegriff ist höher als der Verstandesbegriff, und er ist anfänglicher als das Licht. Diese Rangstellung nimmt das Licht in seiner äußeren Existenzialform und ordnet es als Abgebildetes einer Relation unter, deren vermittelnder Mittelpunkt eben der Urbegriff ist. „Er ist daher ursprünglicher, als das Licht selber, in jener Bedeutung; daher so weit, als wir bisjetzt sahen, das wahre Ursprüngliche" (7. Vortr.; 142). Die Leitfrage war, wie und aus welchem Prinzip uns, dem philosophierenden Bewußtsein, die Einsicht in das Licht als den Mittelpunkt von Denken und Sein entstanden war. Es ist klar, wie der Entscheid ausfällt, wenn das Licht in der Bedeutung seiner äußeren Daseinsgestalt entwickelt wird: Das Ursprüngliche ist der Begriff, freilich nicht der relative Verstandesbegriff, sondern der das absolute Wissen tragende Urbegriff. Er allein ist vermögend, das Licht als Abgebildetes in den Bezug des Fürsichseins zu setzen. Und da das Fürsichwerden die Freiheit zu seinem Elemente hat, so stellt sich doch wieder die freie Tat des Begreifens an den Anfang aller Einsicht. „Nur in ihr, und für sie, und ausserdem durchaus nicht, kommt es zu dieser äussern Existenz" (8. Vortr.;
5. KAPITEL Absolute Realität: das göttliche Leben Das Wissen hat sich im Urbegriff als dem Ursprünglichen festgemacht. Diese Festlegung ist unbestreitbar, aber sie bleibt tot und leer, wenn sie ausschließlich auf den Urbegriff pocht. Solch angemaßte Verabsolutierung läßt die andere Existenzweise des Lichtes unbeachtet liegen. Die Thematisierung der anderen Daseinsform ist geeignet, eine selbstgerechte und bedrohliche Autarkie des Begriffs zu überprüfen. In dieser Rücksicht dürfte die Frage nach der Genesis des Lichtes anders ausfallen; denn das innere Dasein ist per definitionem nicht durch uns bedingt. Die Freiheit unseres Reflektierens und die Arbeit der begrifflichen Synthesis bleiben hier aus dem Spiel, weil diese das Licht ja gerade objektivieren und bloß äußerlich dasein lassen: als den abgebildeten Inhalt im sich ursprünglich behauptenden Begriff. Wie also stellen sich Ursprung und Verfassung des absoluten Wissens dar, wenn das innere Dasein des Lichtes in Rechnung gestellt wird? Diese Frage verlangt die Explizierung der inneren Daseinsform des Absoluten. 'Innerlich5 ist das Licht da, „ob es auch Keiner einsieht, und der Strenge nach, daß es wirklich durchaus Keiner einsieht, sondern dieses inwendige Leben des Lichtes durchaus unbegreiflich wird" (8. Vortr.; 149). Die Rede von der 'innerlichen Existenz1 hat zuerst einen negativen Sinn. Sie bedeutet: nicht als Objekt für ein einsehendes Subjekt erscheinen, und das nicht etwa aus Unaufmerksamkeit des Begreifens. Die innere Daseinsform des Lichtes kann auch durch angespannteste Reflexion nicht zum Gegenstand einer thematischen Untersuchung gemacht werden. Dem Begriff überhaupt und der Logik bleiben der Eingang in diese Existenz versagt. Der Begriff vermag diese Existenzform allein als das Unbegreifliche zu charakterisieren. Indessen kommt alles darauf an, außer der negativen Qualität der Nichtbegreiflichkeit einen positiven Sinn anzuerkennen. Das innerlich existierende Licht ist ja, wenn das Negative abgezogen wird, nicht nichts.
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In Abstraktion von der Negation bleibt die wahre Position übrig: die 'absolute Realität', die als das ungebrochen-einfache Sein in immanenter Äußerung lebt. Diese Bedeutung von Sein und Realität ist der inneren Existenzform oder Äußerungsweise des Lichtes abzugewinnen. Das Licht ist da. Untrennbar vom Lichte ist die Äußerung, weil Licht nur im Scheinen aufbrechender Helle seiend ist. Licht ist der metaphorische Name für den Einheits- und Sonderungsgrund des absoluten Wissens. Solcher Ursprung und Grund äußert sich, indem er sich in der Grundspaltung von Sein und Denken zur Erscheinung bringt. Und nun ist zu sehen: Das innerlich existierende Licht äußert sich in immanenter Äußerung. In der Äußerung, die sich nach außen wendet, geht das Licht im Sinne der Vergegenständlichung auf und existiert als Abgebildetes im Bewußtsein. Der Ort seiner erscheinenden Anwesenheit ist das repräsentierende Subjekt. Dabei entfremdet sich das Absolute in der Spaltung von Begriff und Sein und geht als relatives Glied in ein Begriffsgefüge ein. Auch die immanente Äußerung des Lichtes ist Vollzug der Grunddisjunktion in Sein und Denken. Aber es spaltet sich in sich und durch sich, ohne daß die Glieder in ein Verhältnis des Gegenüber treten. In der 'transzendenten' Äußerung entfremdet sich das Licht, indem es dem Bewußtsein erscheint und zum Abgebildeten abgespalten wird. In der immanenten Äußerung spaltet sich das Licht in sich selbst. Es geht in sich selber auf und bleibt ungebrochene Einheit. Was hat diese Sinnklärung ergeben? Die negative Bedeutung betraf die Form, die positive erschloß einen Inhalt: „Ausser der schon eben gefundenen, sehr wohl begriffenen Form der Unbegreiflichkeit, einen ewig unbegreiflich bleibenden materialen Inhalt des Lichtes als reine Einheit" (8. Vortr.; 150). Das absolute Wissen ist auf den allem Wissen zugrunde liegenden, ihm ewig unfaßlich bleibenden Inhalt gestoßen. Solcher Sachgehalt ist das schlichte Sein, das sich in der unveränderlich einfachen Position ausspricht: ist und ist nicht nicht. Das Sein hält mit sich zurück, indem es in immanenter Äußerung ewig in sich lebt. Die Urrealität oder das absolute Sein verausgabt sich nicht und geht nicht selbst in die äußere Disjunktion zum Subjekt ein. Sein geht nicht darin auf, die Objektivität für ein Subjekt mit dem Charakter des Nicht-Ich zu bilden. Die Realität in ihrer Wahrheit ist „zum einigen, lebendigen Sein, ohne alle Disjunktionsglieder geworden" (8. Vortr.; 151). Ein Blick auf die innere Daseinsform der Urrealität belehrt darüber: Realität besagt hier nicht bloße Objektivität. Das Reale ist aber auch nicht allein das Subjektive. Beides ist einseitig. Die Urrealität ist die ungeson-
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derte Einheit von Objektivität und Subjektivität und somit alle Realität; denn mehr als subjektive und objektive Seins- und Sachgehalte gibt es nicht. Die Weise, in welcher die Allrealität lebt, ist das unbegreiflich ungesonderte Ineinanderaufgehen von Sein und Denken bzw. von Objektivität und Subjektivität. Das ist nicht die Lebendigkeit und Freiheit der sich im Losreißen von anderem auf sich beziehenden und alles in seine Denk- und Willensformen einholenden Ichheit, sondern ein göttliches Leben, das über den Verstand des Selbstbewußtseins geht. Das besagt: Der wahre Gehalt all dessen, was ist, und der Inhalt allen Lebens und Wissens ist das göttliche Leben. Es lebt als solches in sich selbst und jenseits allen Bewußtseins. Wie aber steht es dann mit den Sonderungen und Abstufungen des Seins? Und welches ist das Prinzip, das die an sich einfache und bruchlose Realität sondert und abstuft? Die Sinnklärung der absoluten Realität erlaubt eine vertiefte Einsicht in die Grundverfassung des Wissens. Sie nötigt zu Korrekturen und zwingt zu Konsequenzen im Überdenken des Reflexionsstandes. Bedeutend geworden ist das urreale, lebendige Sein als das ungesonderte Ineinanderaufgehen von Subjektivität und Objektivität aus sich selbst, ohne auf die Bedingung eines konstruierend-begreifenden Verstandesverfahrens angewiesen zu sein. „Aber schlechthin durch sich, heißt auch, unabhängig von aller Einsicht, und absolut negirend die Möglichkeit der Einsicht" (8. Vortr.; 150). Indessen — ist denn die Spaltung des einen Lichtes in Sein und Denken von uns nicht längst klar eingesehen, hinlänglich beschrieben und eindeutig begriffen worden? Diese Ableitungen fallen nun nicht als unwahr dahin, aber sie bedürfen einer Korrektur. Die Spaltung als eingesehene liegt gar nicht im Lichte. Diese Berichtigung wird unumgänglich, sobald das Licht in seiner Urrealität, d. h. als unspaltbares Eines angesehen wird. „Die Disjunktion in S und D . . . geht somit die Realität und das Licht gar nichts an" (8. Vortr.; 151). Wohin aber ist dann der Ursprung aller Disjunktionen zu placieren? Es bleibt nur die Auskunft: Wenn nicht ins Licht selber, dann eben auf die Seite der Einsicht vom Licht. Dieser Bescheid richtet die Arbeitsrichtung philosophischer Forschung ein. Die Sonderungen des Seins und ihr Prinzip können nicht im Inhalte, der Urrealität, gefunden werden. In Rücksicht auf den Gehalt ist nur das einfache Sein festzustellen und dessen höchste Bedeutung als das ewig ungesonderte Ist festzulegen. Alle Disjunktionen und Abstufungen fallen in die Form, in der das Sein in einem Verstande verstanden ist, der das Seinsverständnis aus der Form des
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Selbstverständnisses zieht. Die Art und Tiefe des Sichverstehens ergibt alle Differenzen im Verstehen von Sein. Dieses Gesetz gilt nicht nur für die Disjunktion in Sein und Denken. Der Unterschied von subjektivem Bewußtsein und objektivem Sein geht offenkundig in der Form auf, in der ein selbstbewußtes Begreifen Sein versteht. Derselbe korrigierende Grundsatz betrifft auch die in den Hintergrund gerückte, aber niemals fallen gelassene Disjunktion in Sinnliches und Übersinnliches. „Nun soll es, nach der Aussage der Erscheinung im Leben, welcher auch provisorisch unser System schon die phänomenologische Wahrheit zugestanden hat, doch noch zu einer Disjunktion kommen, die entweder höher oder wenigstens auf gleicher Stufe mit Sein und Denken liegt, da sie über Sein und Denken sich erstreckt; und die für eine Disjunktion in der Realität selber gehalten wird" (8. Vortr.; 151—152). Über Sein und Denken erstreckt sich die Kluft von Sinnlichem und Intelligiblem; denn diese Spaltung modifiziert ja das Sein in eine intelligible und eine sinnliche Welt und das Denken in sinnliches, d.i. anschauungsgebundenes und reines Denken (intellektuelles Anschauen). Diese Spaltung scheint so auf höherer Stufe zu liegen und später einzutreten. Aber die absolute Reflexion ist längst zur Einsicht durchgedrungen, daß beide Spaltungen mit einem Schlage aufbrechen. Wie aber ist dann deren Spaltungsprinzip zu umgrenzen? Gemeinhin wird es für eine Disjunktion in der Realität gehalten, so daß sich die Realität selbst in einen sinnlichen und einen übersinnlichen Gehalt scheidet. Die Einsicht in das Wesen der Realität lehrt: Auch diese Spaltung geht die reine Realität nichts an und ist gar keine Disjunktion des Inhaltes. Der alles durchdringende Gehalt ist das lebendige Sein. Es bleibt seinem inneren Dasein nach und in seiner immanenten Äußerung für uns undurchdringlich und ohne ersichtliche Disjunktion. Folglich kann der begreifliche Disjunktionsgrund nicht im Inhalte, er muß in der Form liegen. Auch die Spaltung in Sinnliches und Übersinnliches hat ihren Grund in einer Weise, wie das absolute Eine von uns eingesehen wird und immer schon begriffen ist. Die Ergründung des Chorismos von Noeton und Aistheton wird sich mithin vom Sein und Inhalt weg- und dem Begriffe und der Form zuzuwenden haben. „So müßte dieser neue Disjunktionsgrund doch auch in einer, bisher noch nicht bekannten, oder nicht sattsam untersuchten Bestimmung des Begriffes liegen" (8. Vortr.; 152). Für die Herleitung und Ergründung aller Sonderungen und Spaltungen des Seins und Bewußtseins eröffnet sich der Forschung ein freies Feld. Sie braucht sich nicht mehr durch den Einspruch zu begrenzen, die
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Prinzipien seien etwas Unbegreifliches, weil diese nun auf die Seite des Begriffes fallen, der als ein Begreifen, das zuerst und vor allem sich selbst begreift, durch und durch begreiflich sein muß. Wird die im Begriff disjungierte Realität des Seins als Erscheinung verstanden, dann läßt sich programmatisch der Logos der erscheinenden Realität oder die Lehre von der Erscheinung umreißen. Die Besinnung darauf, was Realität in Wahrheit ist und wodurch sie erscheint, legt die Gesetzesformel für die erscheinende Realität frei. „Welcherlei Verschiedenheit in der erscheinenden Realität auch vorkommen möchten, jetzt und in alle Ewigkeit; so ist einmal und für immer a priori klar, daß sie sind S—D + B + L" (8. Vortr.; 152). Diese Basis-Zeichen sind leicht entziffert. Das Zeichen L steht für das Licht, das, in seiner immanenten Äußerung bedacht, als der eine ewig gleiche Gehalt allen Wissens bedeutend geworden ist: Gott oder das lebendige Sein. Undurchdringlich und unvergänglich liegt es allem Wissen zuvor und zugrunde. Wo Sein erschienen ist, da verknüpft es sich mit dem Begriff (B). Und dadurch erscheint es mit all den Disjunktionen versehen, die aus den Formen des sich verstehenden Verstandes stammen. Dadurch tritt das Sein vor allem und zuerst in die Relation der gesonderten Relate Subjekt (D) und Objekt (S) begreiflich ein. Die gesonderte Realität wäre in ihre Spaltung in eine Welt der Erfahrung und in die Welt der Ubererfahrung zu entfalten, und es müßte deren Vermittlung ausfindig gemacht werden. Das sind hochkomplizierte Aufgaben. Sie gehören zur Erscheinungslehre. Eine Grundlegung hat der Phänomenologie das sicher abgegrenzte Forschungsfeld anzuweisen. Solche Anweisung ist durch die Sinnklärung der absoluten Realität ergangen. Die transzendentale Grundlegung gibt acht, daß sie die Rücksicht auf den Inhalt nicht verfehlt. Nur dadurch, daß sie zur 'absoluten Realität' durchdringt, schützt sie das System vor dem Gebrechen der Leere. Und sie bedenkt, daß die Urrealität göttliches Leben ist. Sie verfolgt dadurch den Tod bis in seine letzte Bastion. Beides ist noch einmal — dem Stande der Einsicht gemäß — herauszustreichen. Die Leerheit ist das weit verbreitete Übel, das fast alle philosophischen Systeme bedroht. Die dogmatische Verstandesmetaphysik ist leer, weil sie sich in bloßen Vernunftschlüssen unter dem Gebot des Widerspruchsprinzips über die Realität der Anschauungsgegebenheit hinwegsetzt. Das idealistische 'Reflektiersystem3 ist leer, wenn es die Realität begreifen will, indem es die Formen des Wissens reflektiert und es so doch bloß zum Wissen, aber nicht zum lebendigen Sein und zur Realität
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bringt. Und diese Gefahr droht auch der Wissenschaftslehre selbst, wenn sie sich damit begnügt, das sich setzende Ich als die Allrealität auszugeben, welcher das Nicht-Ich die Realität durch 'Übertragung' schuldet. Die Ichheit ist nur Form, und sie kann es von sich aus nicht zu Realität und Inhalt bringen. Wenn sie verkennt, daß sie nichts als das Schema und die Urform der absoluten Realität ist, dann fällt die Ich-Philosophie in die Leere eines Reflektiersystems hinab. Die empirische Gewißheit gar, im Ausstrecken der Hand das Reale und das Sein zu greifen, ist naiv; denn es stößt auf das Nicht des Nicht-Ich. Die Fülle der Realität geht erst auf, wenn das philosophische Wissen zu Ende reflektiert und am nicht mehr Objektivierbaren und Unbegreiflichen das urreale Dasein findet. Nur auf dem Wege radikaler Selbstdurchdringung stößt das absolute Wissen auf 'die wirkliche, wahre Realität'. „Hierdurch ist nun unser System gegen das größte Gebrechen, welches man einem philosophischen System vorwerfen kann, und beinahe allen ohne Ausnahme mit Recht, gegen den Vorwurf der Leerheit geschützt" (10. Vortr.; 163)"· Aber erliegt das System, welches seine Realität dem begriifslosen Absoluten verdankt, nicht der Tod bringenden Negation? Alle Bestimmtheiten der Realität sind doch von Gnaden des Begriffs. Der Realität selbst verbleiben von ihrer Begriffsbestimmung her nur negative Prädikate. Es ist das Nicht-Einzusehende, das Nicht-Gesonderte, Nicht-Objektivierbare, Nicht-Teilbare usw. „Alle diese Prädikate daher, mit dem gewaltigsten an seiner Spitze, dem absolut Substanten, sind nur negative Merkmale, in sich todt und nichtig" (8. Vortr.; 150—51). Das fragloseste Prädikat, das dem Absoluten zugeschrieben wird, ist das fragwürdigste: Das Sein bestehe geschlossen in sich selbst. Kommt dieser Zuspruch nicht aus der tödlichsten Negation: Das Sein sei dem freien Fürsichwerden und dem Selbstbewußtsein nicht geöffnet? Und setzt man die freie, aus sich entspringende, zu sich zurückkehrende und sich reproduzierende Produktion selbstbewußten Geistes mit cLeben' gleich, muß dann Fichte nicht dem Vorwurfe weichen: „Hebt denn nun dein System mit Negation, und mit Tod an?" (8. Vortr.; 151). 57
Dennoch ist Fichtes System immer wieder als abstrakter Monismus des absoluten Ich, welches keine Wahrheit gibt, weil es in sich leer ist, hingestellt worden. Beispielhaft dafür ist der Durchblick von A. Drews, 'Das Ich als Grundproblem der Metaphysik', S. 61—73. Freiburg i. Br. 1897. Die Darstellung ist von dem Willen eingenommen, eine Metaphysik auf dem Boden des Ich-denke zu negieren.
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Fidites Transzendentalphilosophie ist Lebenslehre im Ausmaße absoluten Lebens. Die Besinnung auf die absolute Realität verlagert das System in den Urgrund des Lebens; denn Leben ist nicht tief genug begründet, wenn sein Sinn von der Lebendigkeit des Begriffs und des Selbstbewußtseins abgelesen wird. Der Begriff ist angesichts des wahren Lebens zum Tode bestimmt. Die Realität ist die Grabstätte des Begriffs. „Diese ganze Realität als solche ihrer Form nach, ist überhaupt nichts mehr, als die Grabstätte des Begriffes, der am Lichte sich vernichten wollte" (8. Vortr.; 151). Der endliche Begriff lebt nur aus der Sonderung, er verblaßt angesichts der ungesonderten Allrealität. Sein Tod macht den Weg frei, um dem absoluten Leben auf die Spur zu kommen. Die Urrealität (omnitudo realitatum) oder die immanente Äußerung der Grunddisjunktion von Denken und Sein, das ist der Gehalt göttlichen Lebens. Seine Äußerung ist Selbstbewegung des Geistes. Aber sein Denken stößt nicht wie das Bewußtsein auf ein dem Denken fremdes Anderes. Dieses Denken ist mit dem Gegenstande völlig eins. Es wirft sich nicht am Objekte auf sich zurück, sondern geht, da der Gegenstand ganz und gar mit ihm eins ist, nur in sich selber auf. Das einige In-sich-Aufgehen einer Zweiheit, das ist das Grundschema des Lebens. Und da alle „das absolut selbstständige, Eine, in sich selber aufgehende Sein Gott nennen" (8. Vortr.; 146), so meidet ein System, das zur wahren Realität durchdringt, den Tod, indem es die Lebendigkeit Gottes in seinen Anfang aufnimmt. Die anderen Systemgründungen erliegen dem Tod. Die dogmatische Grundlegung hält sich an das Ding an sich. Dieses Prinzip ist tot, ihm fehlt das Fürsich, die Freiheit, die Lebendigkeit des Geistes. Solches Denken vertraut im Grunde der Tragfähigkeit substanziellen Seins. Aber die Substanz-Gleichung ergibt eine negative Seinsbestimmung: „Substanz = Sein ohne Leben" (8. Vortr.; 147). Und da, wo Gott wie im Spinozismus als absolute Substanz zum all-einen Prinzip erhoben wird, dort ist Gott ertötet. Da ist Gott tot, und die Philosophie versorgt das Göttliche nur noch „als Leichnam" (vgl. Einl. in die W.-L. 1813; NW I, ). Aber vom Tode bedroht sind auch die Reflektiersysteme. Diese kennen zwar das Schema des erscheinenden Lebens (als Freiheit und absolutes Fürsichwerden, als Wille und Uber-sich-hinaus-Streben), aber sie sind dem Gehalte des Lebens gegenüber blind, solange das Wissen sich nicht zur Bedeutung der Urrealität durchringt. Die wahre und wirkliche Realität „ist nur im Leben, und das Leben nur in ihr, sie kann
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nicht anders denn leben; und so ist unser System vor dem Tode, der alle Systeme ohne Ausnahme zuletzt irgendwo in der Wurzel faßte, gesichert, weil es das Leben selbst zu seiner Wurzel aufgenommen" (10. Vortr.; 163).
6. KAPITEL Das lebendige Durch Im Aufsteigen zur Wahrheit steht das Wissen am Kreuzweg. Es sieht sich auf zwei Absoluta verwiesen. Die erste Weisung deutet auf den Begriff in der Gestalt des Urbegriffs, sofern sich das absolute Wissen auf solches Begreifen als das wahrhaft Ursprüngliche und den unbedingten Anfang besinnt. Die andere Weisung deutet auf das Sein in der Gestalt der Urrealität. Darauf hat sich das absolute Wissen besonnen, um der Leere und dem Tode zu entgehen. Der Aufstieg zur Wahrheit scheint ausweglos. Er sollte den Gegensatz und die Zweiheit auf Einheit zurückführen, ohne das Mittel einer Synthesis post factum zu verwenden. Die Methode sollte einen genetischen Zusammenhang knüpfen, d.h.: Sie sollte im Wissen vom Einheit bildenden Gesetz synthetisieren. Statt eines einzigen Prinzips aber bieten sich nun zwei an, und es ist nicht abzusehen, wie sich beide zu einer höheren Einheit verbinden. Der genetische Zusammenhang ist völlig unterbrochen. Die Verdeutlichung dieses verzweifelten Standes aber bringt die weiterführende Aufgabe vor Augen. „Der, als unterbrochen eingeleuchtete, genetische Zusammenhang muß wiederhergestellt werden" (9. Vortr.; 156). Wenn das nicht gelingt, dann muß das Denken den Dualismus eingestehen, zwischen endlichem Selbstbewußtsein und absolutem Sein als den letzten Gründen und Ursprüngen zu schwanken, zwischen der absoluten Form des Begreifens ohne Realität und der absoluten Realität des Seins ohne Zusammenhang mit dem Begriff. Wie aber wäre eine Vermittlung, die wahre Einheit und einheitliche Wahrheit, zu erlangen? „Dies kann nun nicht etwa also geschehen, daß wir neue Glieder hineinsetzen, und dadurch die Lücken füllen" (9. Vortr.; 156). Die Suche nach einem Lückenbüßer wäre vergeblich. Alles, was als Mittel- und Einheitspunkt aufgefaßt werden kann, ist schon vergeben: das Sein als die urreale Einheit von Subjektivem und Objektivem und das Denken im Stile des Urbegriffs, der als Einheits- und Sonderungs-
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prinzip Sein und Bewußtsein 'im Bilde' vermittelt. Ein neues Glied ist nicht auszudenken, weil sich in einer Durchgliederung von Urrealität und Urbegriff alle Grundbegriffe erschöpfen lassen. Diese Erinnerung zwingt zum Schluß: „Also, der jetzt ermangelnde genetische Zusammenhang muß in den vorhandenen Gliedern selber liegen" (9. Vortr.; 156). Damit ist die Aufgabe des weiteren Verfahrens vorgezeichnet und die Einheit der Methode, welche die Einheit des Systems beseelt, gewahrt. Der nächste Schritt zur Wahrheit ist ein vertiefter Fortgang vom faktischen Wissen zur genetischen Einsicht. Dafür ist eine Besinnung auf dasjenige anzustellen, was bisher bloß faktisch eingeführt war. Aber woran soll sich die Untersuchung halten? Jedes der vielen vorgelegten Glieder wäre zum Ausgang einer genetischen Vertiefung geeignet: Abgebildetes, Bild, Unbegreiflichkeit usw. Aber das alles sind selbst vermittelte Glieder, und ihre Untersuchung mutet weitschweifige Wiederholungen zu. Der kürzeste Weg schreibt vor, „daß wir uns an das halten, was bisher uns als das Allerunmittelbarste erschienen ist, und worin wir wechselnd das Absolute gesetzt haben, nämlich Licht und Begriff, und in Absicht deren wir uns eben in Zweifel befinden, welches von beiden das wahre Absolute sei" (9. Vortr.; 156). Ausgang der neuen Synthesis ist das, was sich bisher als Absolutum empfohlen hat. Vielleicht gelingt es, beides so zu durchdringen, daß jedes sich als Prinzip des anderen zeigt. So verlören beide ihre vermeintliche Absolutheit und gingen als Glieder ins Verhältnis einer Wechselbestimmung ein, die als Mittelpunkt zwischen beiden liegt und beide als einigende Einheit vermittelt. Aber warum begeht solche Konstruktion nicht den Fehler einer Synthesis post factum? Sie läßt sich doch zwei Glieder vorgeben, welche sie im nachhinein synthetisiert. Der Mangel der Faktizität wird unterlaufen, weil das Wissen in den Gliedern ja gerade das Faktische bewußt machen soll; und so wäre „dieses Aufsteigen in seinem innern Wesen selber genetisch" (9. Vortr.; 157). Das Wissen, mechanisch durch das Vernunftgesetz gedrängt, alles Mannigfaltige in Einheit zu überführen, beläßt es nicht bei der Behauptung, es müsse da ein noch unerforschter, vielleicht ewig unerforschlicher Einheitsgrund sein. Die Einheit von Urbegriff und wirklicher Realität muß in genetischer Durchsichtigkeit gefunden werden. Das ist die Aufgabe. „Die Einheit des L und B zu finden, und sie auf die so eben kurz, aber bestimmt, angegebene Weise zu finden, ist unsere Aufgabe" (9. Vortr.; 157). Den Zusammenhang zwischen dem göttlichen Leben jenseits des Begriffs mit dem Begriff durchsichtig zu
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machen, um die Form der Ichheit mit dem Gehalte wirklicher Realität zu vermitteln, das ist die Aufgabe, die zu einer bisher unbekannten Lösung führen muß, weil selbst die Glieder in allem herkömmlichen Philosophieren unbekannt sind; denn was Realität ist, bleibt allen dunkel, welche das intellektuelle Anschauen nicht üben und zur Position in der Negation (der Vernichtung des Ich) nicht durchdringen können oder wollen. Ebenso unerhört ist dem geläufigen (gar dem formallogischen) Denken der vorgelegte Begriff vom Begriff. Der Urbegriff als die vermittelnde Mitte in einem Bildgefüge, in welchem das absolute Sein zur Abbildung kommt, ist unbekannt. Und die Vermittlung von zwei Unbekannten dürfte wohl das Unbekannteste sein. Das Licht (L), inneres Leben und Urrealität, soll Prinzip des Urbegriffs (B) sein und umgekehrt. Und da, wie gezeigt, in B, also in der Einsicht vom Lichte, alle Sonderungen liegen, dürfte hier das Rätsel zur Auflösung kommen, wie das Einheitsprinzip Einheit der unendlichen Mannigfaltigkeit und der Mannigfaltigkeitsgrund Mannigfaltigkeit des ewig Einen entspringen lassen. Zwei Wege stehen offen. Der erste hätte das Licht zum Ausgange und zielte darauf, Licht so zu durchdringen, daß es als Prinzip des Begriffs und in eins als des Begriffs Prinzipiat evident würde. Die Gangbarkeit dieses Weges aber ist problematisch. Wie steht es denn mit der Durchdringlichkeit des Lichtes, wenn dieses seinem innerlichen Dasein und in sich geschlossenen Leben nach in Betracht gezogen wird? Diese Sinnklärung nimmt Fichte nicht zurück: Das Licht ist das bloß zu lebende Positive, und für ein begreifen wollendes Wissen ist es Nichts ( = o). „Die Einsicht, sage ich, wird im lebendigen Lichte durchaus vernichtet" (10. Vortr.; 163). Und das hat eben die Folge: „Der Begriff rückt höher, das wahre Licht zieht sich zurück" (10. Vortr.; 163). Das Gesetz vom Rückzug des Lichtes formuliert die schon beigebrachte Korrektur. Nur anfänglich — im Verhältnis zum Denken und Sein in der Dimension des natürlichen Bewußtseins — fungierte das Licht als durchsichtiger Mittel- und Sonderungspunkt. Im Anblick des absolut einfachen, bruchlosen Seins aber ergab sich, daß keine Disjunktion im inneren Leben und in der immanenten Spaltung des Lichtes, daß alle Disjunktion in unserer Einsicht vom Lichte liegt. So war die Einsicht in der Form des Urbegriffs in das Ansehen des Ursprünglichen und Absoluten gerückt. Das Licht zieht sich zurück, d.h. bekanntlich: Es geht nur in sich selber und nicht in unserer Einsicht auf. Für die Einsicht ist das Licht Null. Es ist, vom Begriff her gesehen, bloße Negation. „Absolute Negation des Begriffes, welche für die Wissenschaftslehre, die ihr Wesen
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im Begriffe hat, wohl ewig=o bleiben dürfte, und nur im Leben zur Position wird" (10. Vortr.; 163). Diese Gleichung legt der Selbsterkenntnis Schranken auf, begrenzt philosophische Erkenntnis auf das Wissen vom Wissen und scheidet es vom Verstandeshochmut, Sein begreifen zu können. Philosophie hat ihr Wesen und Treiben im Begriff, d. h. im Horizonte deutlicher Unterscheidbarkeit, in der selbstgewissen Klarheit der Konstruktion, in der Distinktion der Glieder. Im Unbegriff göttlichen Lebens ist nichts zu erkennen. Diese Erinnerungen machen klar, daß der erste Weg ungangbar ist. Licht ist innerlich lebende Urrealität und undurchdringlich. Es weist daher jegliche Einsicht des konstruierend-aufklärenden Begriffes ab. Das bedeutet: Niemals läßt sich aus dem göttlichen Leben selbst das Gesetz entnehmen, nach dem der Urbegriff aus ihm entsteht. Vom Absoluten her sind absolutes Wissen und Absolutes nicht zu verknüpfen. „Unser wahres L ist dermalen = o, und daß diesem unmittelbar nicht weiter beizukommen ist, ist klar: es vernichtet alle Einsicht. Jener erste Weg wäre daher durch den ersten Versuch schon erschöpft" (10. Vortr.; 167). Unerschöpft ist die Forderung der Methode, nicht bei der faktischen Evidenz stehenzubleiben, daß B mit L zusammenhängt, weil der Begriff sonst eben leer wäre. Es soll in die Einsicht eingedrungen werden, wie B zu seinem unverrückbaren Gehalte kommt. Um zu dem tiefsten Zusammenhange der transzendentalen Apperzeption mit dem Absoluten vorzudringen, bleibt nur der zweite Weg übrig. Dieser nimmt seinen Ausgang beim Urbegriff und steckt sich zum Ziel, den Begriff so zu durchdringen, daß er als Prinzip von L und zugleich als dessen Prinzipiat evident wird. Diese Methode allein gibt noch Hoffnung, Realität und Begriff genetisch zu verbinden. Der methodische Vorgang ist projiziert. Es muß etwas Faktisches im Urbegriff festgestellt werden, um dieses in einen faktischen Zusammenhang überführen zu können. Was also war in Betracht des Urbegriffs notwendig, und was hatte sich bloß faktisch als wirklich vorfindlich miteingefunden? Gesetzmäßig war offenkundig der organische Zusammenhang von Bild und Abgebildetem; denn Bild setzt notwendig Abgebildetes und umgekehrt. Die Notwendigkeit herrscht im 'Und', die Bestimmtheit der Glieder dagegen ist nicht notwendig. Sie kommt aus der beliebigen Stellung in der Reihe her. Bild ist consequens, wenn das Abgebildete antecedens ist. Diese Reihenfolge aber ist äußerlich, wandelbar und beliebig. Was also ist, präzise gesagt, das immer gleichbleibende Notwendige und Gemeinschaftliche an diesem Gefüge? „Offenbar nur das
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eine Durcheinander, das alle Consequenz, wie sie auch gefaßt werden möge, innerlich erst zusammenhält" (7. Vortr.; 144). Das Durch oder Durcheinander gehört zum Wesen des Begriffs. Der Urbegriff ist nichts als die absolute Beziehung von Abgebildetem und Bild als Beziehung. Als unwesentlich fällt die jeweilige Bestimmtheit des Bezuges ab. Dasjenige gehört nicht zum Bezüglichsein als solchem, was in dem Bildbezug auftritt. Auf die Sache gewendet, bedeutet das: Es ist nicht notwendig aus dem Urbegriff als dem puren Durcheinander herzuleiten, daß sein Bild das Subjekt (die Einsicht vom absoluten Sein) und sein Abgebildetes das Licht (das absolute Sein als Eingesehenes) sein muß. „Abgebildetes und Bild, bloß als solches, reicht nicht hin" (9. Vortr.; 155). Das bloß Faktische am Urbegriff steckt noch tiefer. Sieht man nämlich darauf, daß das Innere des Begriffs das Durch als bloßes Durcheinander ist, dann läßt sich fragen: Woher stammt eigentlich die Notwendigkeit, daß der Begriff ein Durcheinander von Bild und Abgebildetem ist? Und noch radikaler: Woher kommt die Verbindlichkeit, daß ein Durch da sein und einleuchten müsse? Das hatte sich doch auch bloß faktisch eingefunden. „Daß dieses Durcheinander, als eben existent, am Bild und Abgebildeten eingeleuchtet, hat sich faktisch also gefunden" (9. Vortr.; 155). Denn warum könnte der Begriff, unter anderen Bedingungen, nicht auf andere Art konstruiert werden, unter der Bedingung sinnlicher Anschauung z. B. als Durcheinander von Hier und Dort oder als Durcheinander von Ursache und Wirkung usw.? Bestehen diese Erwägungen zurecht, dann schwankt das Prinzip des Urbegriffs bedenklich. Für beide Grundspaltungen fehlt es ihm an genetischer Notwendigkeit. Ist dem Begriff allein das Durch wesenhaft und die Gliederung in Bild (Subjekt) und Abgebildetes (Objekt) außerwesentlich, dann fällt er als das Prinzip, welches die Subjekt-Objekt-Spaltung notwendig herbeiführt, aus. Und gleichermaßen ist zu bestreiten, daß das Durcheinander den Grund für die Fügung von Licht als Urbild (übersinnliches Sein) und Ab- und Nachbildung des Urbildes (sinnliches Sein) darbiete; denn auch diese Beziehung kommt ihm zufällig zu. Das Resultat dieses verschärften methodischen Zweifels, der alles verwirft, was bloß faktisch evident ist, und der nur dasjenige unbestritten läßt, was genetisch als notwendig einleuchtet, setzt den Urbegriff als absoluten Anfangsgrund ab. Er wird als Prinzip der Spaltungen so lange eingeklammert, bis er in einem tieferen genetischen Zusammenhange durchdrungen und als Glied einer höheren Einheit aufgestellt sein wird. Gesetzt nämlich, der Urbegriff wäre das Absolute, so hätte nichts
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als das absolute Durcheinander wahren Bestand. Alles außer ihm wäre verschwunden58. Die radikalste Zweifelsfrage aber verfolgt den Urbegriff in seiner Existenz. Woher stammen Notwendigkeit und Gewißheit, daß das Durch überhaupt da ist und sich existierend als Durcheinander vollzieht? Dieser Zweifel erschüttert das Fundament der bisher errichteten Grundlegung; denn für die spätere Arbeit der Philosophie und die Ausarbeitung der Erscheinungslehre in all ihren Sonderbereichen war doch das Durch aufgestellt worden. Die Disjunktionen waren prinzipiell auf die Seite des Begriffes, der Einsicht vom absoluten Sein als solcher, hin- und vom absoluten Sein weggestellt worden. Nun aber wird die Absolutheit des Durch nicht nur seinem Wesen, sondern auch seinem Dasein nach fragwürdig. Auch das Dasein findet sich nur faktisch am Durch, ohne aus ihm selbst hergeleitet werden zu können. Seine Existenz, d. i. der lebendige Vollzug des Durch, ist Faktum. Das faktische Zusammenvorliegen von Leben und Durch ist zu durchdringen. Wie steht es mit dem Lebendigsein von Ichheit, Urbegriff, Subjektivität, wenn sie in methodischer Strenge auf das ihnen allein wesentliche Durch reduziert sind? Vom Durch ist zu konstatieren: „Es hat bei aller Anlage zum Leben, dennoch in sich selber nur den Tod" (u. Vortr.; 170). Inwiefern ist das Durch zum Leben veranlagt? Aus sich selbst hat der Begriff allein die Form des Durcheinander. Das ist aber das Schema das Lebens. Die Form des Durch impliziert die Zweiheit von Gliedern und die Einheit ihres organischen Zusammenhanges, dergestalt, daß die Einheit im durchgängigen Fort- und Zurückgehen von einem zum anderen besteht. Solche Einheit einer Zweiheit, das ist die Grundanlage von Leben überhaupt. Somit besitzt der Begriff die Fähigkeit zum Leben in einem Fort- und Übergehen zum anderen, das sich nicht im anderen verliert und endlich verströmt, das sich vielmehr im unaufhörlichen Durcheinander eines in sich zurückgehenden Fortganges erhält. Aber weshalb hat das zu höchster Lebendigkeit veranlagte Durch in sich selber den Tod? Das Durch ist tot, „weil es keinen Grund in sich hat" (10. Vortr.; 58
Es leuchtet ein, daß die Suspendierung von Urbegriff und Durch die höchste idealistische Position der 'Grundlage' von 94/95 erschüttert. Die 'Grundlage' nämlich hatte als Grundgesetz, unter dem die Erscheinung und das Bewußtsein stehen, das Gesetz des mittelbaren Setzens ermittelt. Dieses Gesetz konstituiert die Verfassung des höheren qualitativen Idealismus der 'Grundlage'. Es kehrt in der Gestalt des Urbegriffs oder des Durch wieder und wird jetzt radikaler in Frage gestellt, als es auf dem Boden der 'Grundlage' geschehen konnte.
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168). Das Durch existiert allein als Übergehen und lebt im unauflöslichen Hin und Her, im Fließen von einem zum anderen, aber es existiert nicht aus sich selbst. Dem Begreifen eignet die Bewegung eines fortwährenden In-Beziehung-Setzens, aber es bewegt sich nicht selbst. Das Leben und die Selbstbewegung des Begriffs wird von der kritischen These betroffen: Daß alle in Beziehung zu setzenden Glieder des Seienden nur durch das andere sind und begreifbar werden, schulden sie den Begriffsweisen; daß dagegen das Begreifen wirklich lebt, ist nicht mehr dem Durch zu entnehmen. Das Durch enthält, wie man es auch immer durchdringen und analysieren mag, nicht die Ursprünglichkeit eines in sich gründenden Grundes. Aber brüskiert dieser Bescheid nicht die Rede von der Ursprünglichkeit und Spontaneität der transzendentalen Apperzeption und die Verkündigung der schlechthinnigen Freiheit im Ich? Die herabsetzende Präzisierung der absoluten Freiheit und des Selbstanfanges in der Dimension von Urbegriff und Wissen ist längst vorbereitet. Dem endlichen Wissen kommen die absolute Indifferenz und ein aus sich aufbrechendes Leben gar nicht zu. Absolute Freiheit ist ein Charakter des Absoluten. Im absoluten Wissen verknüpft sie sich untrennbar mit Notwendigkeit, und die Synthesis von Notwendigkeit und Freiheit besteht selbst in der Form eines Durcheinander. Die Notwendigkeit kommt erst durch die Freiheit zu ihrem Wesen und Bewußtsein, Bindung der Freiheit zu sein, und die Freiheit kommt erst durch die Bindung zu ihrer Bestimmung. Das Durch hat also die absolute Freiheit und das in sich gründende Leben nicht innerlich und von sich selbst her, es nimmt alles Leben in seine Form auf. „Es ist daraus klar, daß das Leben als Leben nicht im Durch liegen könne, obwohl die Form, welche hier das Leben annimmt, als ein Uebergehen von Einem zum Ändern, im Durch liegt" (n. Vortr.; 170). Dieses Resultat macht klar, wieweit der Urbegriff und das Bewußtseinsleben bisher erst faktisch genommen waren. Evident ist allein die Möglichkeit und Anlage des Begriffs zum Leben, uneinsichtig ist der Grund seines Wirklich-Gewordenseins; denn in sich hat der Begriff als reines Durch und bloßes Beziehungsschema den Tod. Wird das eingestanden, dann bedrückt die Frage: „Wie soll es... mit diesem also beschaffenen Durch, jemals zum Leben kommen?" (10. Vortr.; 168). Es kann nur eine Konsequenz gezogen werden. Ist das Durch in allem Bewußtseinsleben unleugbar da und im Vollzuge und lebt es nicht aus sich selbst, dann lebt es aus etwas anderem, das aus sich selber lebt. Und in die Bedeutung sol-
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dien Lebens hat sich das Wissen im Bedenken der Urrealität schon hineinversetzt. Das Licht in seiner immanenten Äußerung lebt aus sich selbst. Es entspringt von sich und bleibt in sich, weil es in keiner begrifflichen Sonderung geschieden und durch keine Objektivierung und Sprache festgestellt und ertötet werden kann. Das bedeutet: Der Lebensvollzug des sich zutiefst und umfassend begreifenden Wissens vollzieht nicht sein eigenes Leben; es ist das Leben des Absoluten selbst, freilich in der Seinsweise der Erscheinung, nämlich gemäß der Form des Begriffs oder im Schema des Logos. Diese Rücksicht auf Dasein und Leben bahnt der höchsten Genesis den Weg. Was bisher strittig auseinanderlag, nämlich die gleich ursprünglichen Prinzipien von Realität und Begriff, schließt eine untrennbare Fügung zusammen. Ihr Beziehungszusammenhang leuchtet einer deutlichen Selbstbesinnung nur von Seiten des Begriffes ein. Die faktisch evidente Existenz des Urbegriffs oder des Durch setzt ein Leben jenseits seiner voraus, eben das Absolute oder die Urrealität. „Existenz eines Durch setzt ein ursprüngliches, an sich gar nicht im Durch, sondern durchaus in sich selber begründetes Leben voraus" (n. Vortr.; 171). So ist der verloren gegangene genetische Zusammenhang von Seiten des Begriffs wieder aufgenommen. In ihm sollte der Urbegriff Prinzip des Lichtes und in eins dessen Prinzipiat sein. Er ist Prinzip des Lichtes; denn er weist in unumgänglicher Schlüssigkeit aus sich auf das Licht. Zugleich aber begreift er sich als dessen Prinzipiat; denn sein Leben und der Vollzug des absoluten Geistes ist nichts als Erscheinung eines nicht im Begriffe, sondern in sich selbst gründenden und sich immanent äußernden Lichtes und Lebens. Das Wissen weiß sich als Idealgrund des absoluten Seins und in eins das Sein als Realgrund des Wissens. Diese Fügung löst die Aufgabe, Begriff und Sein (wirkliche Realität) in ihrer ursprünglichen Fassung zu verknüpfen. „Durch die Lösung dieser Aufgabe ist die Wissenschaftslehre im Wesentlichen beendet" (10. Vortr.; 162). Der Grundbestand ist bereitgestellt, um ein haltbares System zu entwickeln. Dessen Mittelpunkt ist das lebendige Durch als einheitlicher Grund der Hauptspaltungen in allem Bewußtsein. Fichte hat solche Aufspaltung zusammengedrängt vorgetragen. Das Durch lebt, heißt, es spaltet sich und lebt fortwährend in dieser Spaltung. Es spaltet sich zuerst in sich selbst und in das, wodurch es lebt. Das Wodurch seines Lebens erscheint in dieser Spaltung als Sein (das undurchdringliche, einfache Ist). Das andere Glied im Zusammenhange des lebendigen Durch ist das Durch selbst. Dies erscheint als das Denken, und das Denken hat sich als
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die Form begriffen, in welcher allein das absolute Sein dazusein vermag. Sofern das Wissen nun nicht nur im Vollzuge des Durch lebt, sondern darin für sich ist, eröffnet sich das Verhältnis von Idee und Erscheinung, von Übersinnlichem und Sinnlichem in seinem höchsten Punkte. In dieser Reflexion durchschaut sich das Durch in seinem Leben als Abbild eines jenseitigen Urbildes, nämlich des aus sich und in sich lebenden göttlichen Lebens über und jenseits allen Begreifens. Und das in die Form des Durch eingehende absolute Leben oder die eine, ungeteilte Realität hat im lebendigen Durch den Grund für die Teilbarkeit ins Unendliche; denn alles Vorstellen von Sein verläuft im Durch in der Form eines Urteilens und Absonderns. So läßt sich jeder Sachgehalt nur durch einen anderen auffassen und als consequens eines antecedens absondern. Und weil der vorhergehende Sachgehalt, durch den der erstere begriffen wird, selbst wiederum im Durchgang durch ein antecedens erfaßt ist, teilt sich die Realität ins Unendliche. Die Urrealität teilt sich eben nicht an ihr selbst, sondern nur, sofern sie als Leben und Realität des Bewußtseins erscheint und in die Form des Durch eintritt. Damit ist das Bewußtsein abgeleitet. Überall, wo Bewußtsein ist, wird im Grunde ein lebendiges Durch vollzogen. Indem das geschieht, gehen unabtrennlich die Spaltung in Denken und Sein, Sinnliches und Übersinnliches und eine Unendlichkeit (vorstellbar Seiender) auf. In der Reflexion des lebendigen Durch stößt die Selbstdurchdringung des absoluten Wissens an ihre Grenze. Das Sich-Begreifen als lebendiges Durch ist zugleich Begreifen der Grenze. „Der Begriff findet seine Gränze; begreift sich selber als begränzt, und sein vollendetes sich Begreifen ist eben das Begreifen dieser Gränze" (8. Vortr.; 152). Begriff und Grenze gehen unlösbar zusammen, und die höchste Vollendung des Begriffs oder der Vernunft ist das Begreifen der Grenze. Dieser Anker kritischen Denkens ist noch einmal in seinen Gründen festzumachen. Vernunft ist sich begreifendes Begreifen. Sie stellt sich unter dieses Soll, im Losreißen von anderem in sich zurückzukehren, um sich als das, was sie ist, zu begreifen: als unbegrenzte Selbsttätigkeit. Die Vernunft soll sich Verklären3, d. i. als absolute Selbstbestimmung des Geistes ins Klare und zu wirklicher Erscheinung bringen. Darin, in der Erscheinung oder dem Dasein der Vernunft als solcher, wäre das Sich-Begreifen in seinem höchsten Stand. Aber das vollendete Erscheinen der Vernunft scheitert am Problem der Grenze. Es bedarf der Grenze, damit etwas wirklich erscheinen kann; denn nur an der Grenze zeigt sich seine Abgrenzung und Bestimmtheit, also seine Begreifbarkeit. Am Grenzenlo-
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sen erscheint nur das pure Nichts (und das reine Sein). Das gilt vor allem und zuerst für das Erscheinen der Vernunft oder des Begriffs. Weil der Begriff im grenzenlosen und ununterscheidbaren All-Einen vergeht, muß er, um sich fassen zu können, seine Grenze finden. So scheint das Verhältnis von Begriff und Grenze in eine Ausweglosigkeit zu führen. Die Vernunft bedarf, will sie wirklich werden (was sie unbedingt soll), der Grenze. Aber an der Grenze erscheint sie nicht in ihrem Wesen, nämlich als unbegrenztes Sich-Begreifen. Vermag also die Vernunft niemals, wirklich und wesenhaft dazusein? Diese Aporie erzwingt eine maßgebende Grenzbesinnung. Die frühe Grundlegung des Vernunftsystems hatte dabei die Einsicht gewonnen: Die Vernunft erscheint, indem sie ihre Grenze endlos entgrenzt. Sie setzt die Grenze, um 'wirklich zu erscheinen, sie hebt sie auf, um in ihrem Wesen zu erscheinen. Ihre Freiheit bindet sich an die Grenze, um sie zu überwinden. Sie bindet sich, um wirklich zu sein; sie entbindet sich, reißt sich, sie überwindend, los, um unentwegt als Freiheit sein zu können. Im Begreifen dieser Grenz- und Freiheitsverhältnisse vollendet sich die Reflexion des Ich. Aber das Ich begreift sich so bloß einseitig aus dem Bezüge zum Nicht-Ich und faßt daher das andere, an dessen Grenze es erscheint, als das gegenständliche Sein und die Natur. Einer so eingerichteten Reflexion wird die gegenständliche Welt zur Sphäre, in der die Vernunft und ihre Freiheit erscheinen können. Diese Auffassung ist richtig, aber nicht durchdringend genug. Die Erörterung der Grenze hat noch nicht die tiefste Grenze des Bewußtseins thematisiert. Es ist das Wissen des absoluten Wissens, welches das Absolute oder das reine Sein als Grenze begreifbar macht. Und von hier aus läßt sich die Natur als eine Erscheinung des Absoluten durchschauen, welches in der Form der Ichheit und auf einer bestimmten Stufe des endlich-unterscheidenden Selbst- und Seinsverständnisses erscheint. So erhält die Natur das Ansehen einer Selbstversichtbarung des Göttlichen oder der absoluten Vernunft, aber eben nur im Medium und in der Brechung der endlichen. Der kritische Ansatz bleibt unverrückbar. Der Begriff ist nicht das Absolute, das Absolute ist nicht der Begriff. Und nur in abhebender Unterscheidung gegen das andere ihrer selbst kann die Vernunft oder der Geist erscheinen. Daher fällt das Absolute, sein Geist und Leben, immer nur als solches, d.h. bestimmt und vergegenständlicht, in den Begriff. Und der Begriff oder das Durch kann nur erscheinen und sich vollständig begreifen, indem er seine Wirklichkeit aus dem anderen, dem absoluten Sein und Leben, begreift.
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Wie also stellt sich das Grenzproblem der Vernunft im tiefen Blick auf Leben und Sein dar? Ohne die Setzung eines anderen jenseits seiner kann der Begriff sein Dasein und Leben nicht begreifen. Mit dem Einschluß der Grenze kann er seine absolute Tätigkeit nicht begreifen. Die Lösung dieses Dilemmas ist innerhalb der Grenzbesinnung der 'Wissenschaftslehre von 1801 vorgezeichnet worden. Der Begriff begreift sich im Durchdringen seiner Grenze. Das absolute Wissen gibt in dieser Selbsterkenntnis das Ich als Prinzip und Allheit der Realität auf und faßt sich als die Form, in der das Absolute erscheint. Das absolute Wissen begreift seine Grenze, heißt danach: Es begreift, daß die Reflexion innerlich tot und nur Anlage zum Leben ist. (Das überholt den alten Gedanken: Das Ich kann sich absolut und ohne anstoßende Grenze nicht zum Erscheinen bringen.) In Wahrheit ist die Reflexion oder das Sichverstehen nichts als die Form und Urersdieinung eines anderen, des Lebens und absoluten Geistes jenseits seiner. Indem das sich durchdringende absolute Wissen auf diese Grenze stößt, verweist es auf ein jenseitiges Leben. Das geschieht in transzendental-deduktiver Verbindlichkeit; denn das Leben fügt sich als die Bedingung an, die notwendig ist, damit das lebendige Durch möglich sei. An ihrem Ende verweist die absolute Reflexion „aus sich hinaus an das Leben,... an diejenige Erfahrung, die allein Neues enthält, an ein göttliches Leben" (8. Vortr.; 152).
7- KAPITEL
Das absolute Ansich. Der Aufstieg zur Ansicht eines höheren Realismus Die letzte Synthesis nimmt Begriff und Realität zusammen. Sie stellt sich in der Formel des lebendigen Durch auf: „Soll es wirklich zu einem Durch kommen, so wird ein inneres, an sich vom Durch unabhängiges, auf sich selber ruhendes Leben, als Bedingung der Möglichkeit voraus gesetzt" (12. Vortr.; 179). Inhaltlich ist nicht weiter zu dringen. Aber die Form muß tiefer befragt werden. Wie, aus welchem Prinzip erzeugte sich uns diese Einsicht des Zusammenhanges von Durch und Leben? Bislang ist doch nur evident, daß der Urbegriff seine Lebendigkeit einem Jenseits seiner selbst schulde. Das ist mit gebotener Schlüssigkeit nachgewiesen und faktisch sichergestellt. Uneinsichtig ist noch, woraus uns diese Einsicht entstand. Daher muß der Schlußstand der materialen Synthesis noch einmal reflektiert und das Faktum, daß der sich als Durch begreifende Begriff ein nicht in ihm, sondern in sich selbst gründendes Leben voraussetzt, zum Gegenstande einer zergliedernden Betrachtung gemacht werden. Angesichts der Frage, wie die Einsicht der höchsten Synthesis einleuchtet, stellen sich sogleich zwei entgegengesetzte Ansichten ein. Sie sind durch Geist und Maxime von Idealismus und Realismus geprägt. Dabei wird der Idealismus auf der Form der Einsicht bestehen. Er hält daran fest, daß ein vorausgesetztes Absolutes doch von uns gesetzt ist und daher im Prinzip des Wissens, der Freiheit, seinen Ursprung hat. Der Realismus wird sich dagegen an den Inhalt der Einsicht halten. Er sieht darauf, daß wir nicht die Wahrheit begreifen, sondern daß die Wahrheit uns ergreift. Ihm gilt daher das geduldige Hingeben an das Licht der Wahrheit als die höchste Tugend des Denkens, und er begreift, daß das Wahre und das absolute Ansich uns erst ergreifen, wenn wir davon ablassen, dem Bewußtsein als der Quelle der Wahrheit zu folgen. Die Vermutung liegt nahe, daß beide Standpunkte einseitig sind und
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ungehobene Gegensätze in sich enthalten. Das ist methodisch nachgewiesen, sobald beide Sehweisen in ihrer faktischen Wurzel bloßgestellt sind. Eine neuerliche genetische Untersuchung wird also beide Positionen daraufhin in die Prüfung nehmen, inwieweit sie sich auf undurchforschte Tatsachen berufen. So geraten Idealismus und Realismus, Freiheit und Wahrheit in einen haltlosen Streit. Die Wissenschaftslehre bringt diese Streitsache auf dem langen Wege gegenseitiger Einschränkung und Vertiefung zu Ende, indem sie die Antithesis in einer Synthesis auflöst und durch den Schein der einseitigen gegensätzlichen Prinzipien zur Wahrheit durchdringt. Und es wird sich zeigen: In solchem Aufstieg zur Wahrheit spielt der Realismus die vorantreibende, der Idealismus die retardierende Rolle; denn der Idealismus beharrt auf der Wahrheit als Selbstgewißheit und auf dem Sein als Gewußtem, er läßt ein anderes Wesen von Sein und Wahrheit nicht zu. Dieser Standpunkt des einseitigen Subjektivismus kann offenbar nur dann überwunden werden, wenn sich die bornierte Selbstgewißheit des Bewußtseins erschüttern läßt. Das eben besorgt der Angriff des Realismus. Freilich wird auch offenbar werden, daß der Realismus, indem er den Idealismus angreift, sich selbst zerstört, weil er in seinem faktischen Bestände ein sich selbst nicht kennender Idealismus ist. Der aufgehobene Gegensatz von Idealismus und Realismus, das ist der kritische Standpunkt der Wissenschaftslehre59. Ihre kritischen Gänge sollten darüber belehren: Keine realistische Position ist in der Lage, den kritischen Idealismus zu widerlegen. Solcher Versuch kann überhaupt nur dort unternommen werden, wo die Wissenschaftslehre mit einer der beschränkten Positionen des Idealismus verwechselt wird, welche sie in ihrer vollständigen Vereinigung von Idealismus und Realismus gerade aufgehoben hat. Für die Wissenschaftslehre von 1804 sind die unterschiedlich fundierten Standpunkte aller Idealismen und Realismen nichts als Stufen, die, indem sie überstie59
Das widerspricht der These von H. Girndt ('Die Differenz des Fichteschen und Hegeischen Systems in der Hegelschen ,Differenzsdirift". Bonn 1965), die W.-L. 1804 sei gegenüber der 'Grundlage' nichts als eine weitere Ausführung der Argumentationen gegen Realismus und Idealismus und unterscheide sich von dieser lediglich in der Darstellung der Prinzipien. Aber die W.-L. 1804 bedeutet mehr als eine endgültige Differenzierung der in der 'Grundlage' noch ineinander verwobenen Momente des Ich-Prinzips, sie verschafft ihnen in einer Kehre ein erweitertes Fundament. Erst dann kann das Verhältnis von Erscheinung und Absolutem thematisch werden, wenn die Ichheit der 'Grundlage' als absoluter Anfang vernichtet und als erste und absolute Erscheinung des Absoluten begriffen worden ist. An solcher Richtigstellung des Ich arbeitet die Dialektik von Realismus und Idealismus in der W.-L. 1804.
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gen werden, zur Wahrheit hinaufführen, die aber, indem sie absolut gesetzt werden, Schein und Irrtum über das Ganze des Seienden verbreiten. Sie sind schon einmal in der 'Grundlage' von 1794/95 durchlaufen worden. Aber damals waren sie lediglich in ihren Prinzipien für die Erklärung des Bewußtseins von Dingen durchgenommen und zurückgelassen worden. Jetzt werden sie als stufenweise zu übersteigende Prinzipien für die Erklärung des Bewußtseins vom Absoluten eingesetzt. Im Überwinden dieser Positionen also verläßt das Wissen den Horizont der Ansichten und den trügerischen Grund tief verwurzelten Irrtums, um endlich zur Wahrheit durchzudringen. Der erste Schritt in diesem letzten Aufstieg bringt es zu einer idealistischen Ansicht. Deren Generalthese lautet: Die ganze Operation, in der das absolute Wissen seiner Ursprünge und Grenzen bewußt wird, beginnt damit, daß der Begriff vom lebendigen Durch energisch gedacht wird. Die Energie und der freie Vollzug, das ist der Anfang für die Einsicht in die Untrennbarkeit von Durch und Leben. „Das innere Leben dieses Begriffes sei Princip der uns ergreifenden organischen Einsicht eines Lebens jenseits" (12. Vortr.; 179). Und diese These verbindet sich sogleich mit der kritischen Einschränkung, die Notwendigkeit eines bewußtseinsunabhängigen, göttlichen Lebens sei nichts als ein notwendiger Gedanke. Der alles bestimmende Ausgang alles Wißbaren ist und bleibt die Energie der Reflexion. Dieses Resultat ist aus der Zergliederung des höchsten Faktums erwachsen: Soll es zu einem wirklichen Durch kommen, so muß ein in sich gründendes Leben vorausgesetzt sein. Danach hebt die Einsicht in die Wechselbestimmung von Durch und Leben (Sein) damit an, daß ein Durch oder das Wesen des Begriffs auf den Begriff gebracht wird. Ohne dieses vorgängige Begreifen des Durch stellt sich nichts von der folgenden Einsicht ein. Dabei ist dieses Reflektieren auf das Durch problematisch. Es steht im Modus des problematischen Soll. Die Zusammenfügung von Durch und Leben kann geschehen, sie kann auch unterbleiben. Am Begriff liegt es, sie zu stiften. „Es ist unmittelbar klar, daß ein problematisches Soll sich auf gar kein Dasein gründet, sondern lediglich ist im Begriffe und hinfällt, wenn der Begriff hinfällt: daß sonach in ihm, diesem Soll, der Begriff sich ankündigt, als rein, und an sich existirend, und als Schöpfer und Erhalter aus sich, von sich, durch sich" (n. Vortr.; 171). In diesem Soll kündigt sich der selbständige Begriff als bestimmender Ausgang an. Das Soll legt fest: Das Unbedingte und absolute Leben ist unter einer Bedingung vorausgesetzt, nämlich daß es zum wirklichen
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Durch kommen soll. Inwiefern aber soll es zum Durch kommen? Das Soll ist Ausdruck eines Gebotes. Es wendet sich an den Begriff mit dem Imperativ: Sei selbständig! „Das Soll ist eben der unmittelbare Ausdruck seiner Selbstständigkeit" (n. Vortr.; 171). Das Soll fordert die Freiheit des Bewußtseins heraus, von sich für sich zu werden und sich so durch sich selbst zu schaffen und zu erhalten. Von dieser freien Selbständigkeit des Begriffs wird der ganze Zusammenhang des Bewußtseins mit dem Absoluten abhängig gemacht. Existiert der Begriff in seiner Selbständigkeit nicht, dann kann der angenommene Zusammenhang nicht existieren. Dieser Standpunkt aber korrigiert sich sofort selbst, indem er sich vertieft. Recht besehen, fängt es nicht mit dem Begriff, sondern mit der Energie des Begreifens an. Das Durch kann ja flach und verblaßt als die tote Form gedacht werden. So könnte das Durch begriffsanalytisch in eine Zweiheit von Gliedern und deren Durcheinandergesetztsein auseinandergelegt werden, ohne daß die Intuition (das unmittelbare Bewußtsein oder die Anschauung eines vorauszusetzenden absoluten Lebens) sich einstellte. Damit uns die Intuition eingeht, muß das lebendige Durch wirklich vollzogen werden. Das Begreifen muß sich in das Hin- und Hergehen des Durch versetzen. So gesehen, meldet sich die Energie des Denkens als das erste an. Aber die Energie ist selbst nur Exponent eines inwendigen Lebens. Energie ( ) meint hier Wirksamkeit als Äußerung eines inne-bleibenden Vermögens ( ). Die Energie des Begriffs ist Äußerung und Exponent eines inwendigen Lebens ichhaften Geistes. „Somit ist der wahre Mittelpunkt, das eigentlich ideale prius, nicht einmal mehr der Begriff, sondern das inwendige Leben" (n. Vortr.; 172). Das Leben der Vernunft, das unmittelbar seiend ist und gar nicht selbst erscheint, ist ein Actus der Spontaneität. Dieser erscheint in der energischen Durch- und Zusammennähme des Durch (des Durcheinander von Subjekt und Gegenstand). Anders ausgedrückt: Der Idealismus setzt gar nicht auf den Begriff des zergliedernden Verstandes auf dem flachen Niveau der Verstandesmetaphysik, er unterstellt ein absolutes Leben ichhafter Vernunft. Diese Vernunfthaltung leugnet gar nicht die Notwendigkeit eines unbedingten Seins jenseits des Begriffs und unabhängig vom Bewußtsein. Sie läßt aber ein an sich seiendes Leben nur als notwendigen Gedanken zu. Das absolute Leben ist intuiert als Intuiertes. Es kann das Als und Begriffensein nicht abschütteln. Die Energie und das Vermögen des vernünftigen Begriffsvollzuges bewahrt somit die Absolutheit; denn
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außerhalb des Bewußtseins wird nichts zugelassen. Der Begriff hat sich vom Bezug auf ein Ansich außerhalb des Gedankens losgelöst und stellt sich ganz auf sich. Daher erhebt sich sein inneres Leben zum „Princip des Begriffes und der Intuition zugleich und in demselben Schlage: — also das absolute Princip von Allem" (n. Vortr.; 172). Das innere Leben ist Prinzip des Begriffs; denn der Begriff und das sich denkende Denken entspringt ja aus einem Leben und einer Spontaneität, die sich in der Energie des Reflektierens äußert. Und es ist zugleich Prinzip des Seins; denn das Sein ist Produkt des sich ganz durchdringenden Denkvollzuges, der Gedanke eines bewußtseinsunabhängigen Lebens. Mit solchen Ausführungen behauptet sich der Begriff seinem unmittelbaren Vollzuge nach als absoluter Anfangsgrund seiner selbst (des Denkens) und des an sich seienden Lebens (des Seins). „Dies... wäre idealistisch argumentirt" (n. Vortr.; 172). Diese Ansicht der Sache aber läßt sich durch eine entgegengesetzte in Zweifel ziehen. Der zweite Schritt im Verfolg der neuen Synthesis geht mithin 'dialektisch' in entgegengesetzter Richtung auf die Behauptung einer realistischen Grundlegung hin. Deren Grundüberzeugung lautet: Prinzip ist das vorausgesetzte Leben (das aus sich selbst lebende alles Belebende); und dieses Leben, das zu seinem Inhalte alle Realität hat, ist schlechthin an sich. Darauf konzentriert sich der Ursatz jedes Realismus: Das Wahre ist das Ansich. Er koppelt sich mit der abwehrenden These: Das Wahre, das an sich seiende Reale, steht nicht unter der Bedingung, durch die Energie des Denkens als der Gedanke eines urrealen Ansich entstanden zu sein. Womit das Andenken des Seins beginnt, ist nicht die formale Tätigkeit eines Ergreifens von sich her, sondern das Ergriffenwerden vom absoluten Inhalte. Die Generalregel des Realismus ermahnt daher, „daß man nur nicht hartnäckig auf dem Princip des Idealismus, der Energie der Reflexion beharre, sondern sich nur geduldig jener gegenüberstehenden Einsicht hingebe" (12. Vortr.; 179). Auch diese Wendung der Sache ist aus der Betrachtung des Grundfaktums herausgeholt: „Soll es zu einer Existenz des Durch kommen; so wird ein absolutes, in sich selbst begründetes Leben vorausgesetzt" (n. Vortr.; 173). Dabei wird eben nicht auf die anfänglich alles in Gang setzende Form des Begreifens geachtet, sondern auf den alles ergreifenden und begründenden Inhalt. In dieser Wendung erscheint das vorgeblich gründende Begreifen selber als bedingt. In dem Augenblick nämlich, wo ich den Begriff durchdringe, ist ein Leben notwendig vorausgesetzt, in welchem der Begriff und sein Vollzug, die vorgeblich absolute Energie
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der Reflexion, gründen. So gesehen, stellt sich ein sich begründendes Leben, das die Allheit der Realität ist, als das vorausgesetzte, Grundgebende Erste dar. Wie aber vereinbart sich damit der doch unbestreitbare Tatbestand, daß dieses Leben als das wahre Absolute vorgestellt und unser Gedanke ist? „Dieses Bewußtsein in seiner Facticität wird gar nicht bestritten. Es wird nur behauptet, und bewiesen, daß es nicht nur unbegreiflich sei, sondern sogar begreiflich als unmöglich" (n. Vortr.; 174—75). Daß wir das Absolute als solches anschauen und intuieren, wird nicht geleugnet. Aufgegeben jedoch wird der Versuch, die Form des Gedachtseins prinzipiell über den Inhalt dieses Gedankens zu erheben. Die Energie der Reflexion vermag am Absoluten nichts. Die ständige Berufung darauf, daß alles von der Form des Gedankens abhänge, verfällt hier dem Widerspruch. Sie widerspricht dem Inhalt, nämlich dem denkunabhängigen Leben. Und so beginnt sich die Aussage des Selbstbewußtseins über das Sein als trügerischer Schein zu enthüllen. Diese Polemik ist darauf aus, den Idealismus der Halbbildung zu überführen. Der Idealist hat das Bewußtsein des Selbstbewußtseins errungen. Das ist seine philosophische Bildung. Er weigert sich aber hartnäckig, das einmal Errungene wieder aufzugeben, auch nicht im Hinblick auf das absolute und immanente Leben, das er nicht als Ansich anerkennt, sondern doch wieder nur als Objekt des selbstbewußten Denkens behandelt. Darin liegt die Unbildung des Idealismus. Der Realist dagegen erkennt das vorausgesetzte Leben als wahres Ansich an. „Durch die Anerkennung des absolut immanenten Lebens ist die Intuition vernichtet in Absicht ihrer genetischen Erklärbarkeit" (n. Vortr.; 174). Das Einsehen des immanenten Lebens gibt sich ganz dem Eingesehenen hin. Es muß im Eingesehenen aufgehen, ohne von ihm (als seinem Objekt) zu sich (als dem einsehenden, abbildenden Subjekt und Bild) zurückkehren zu können; denn das Einzusehende ist ja ein in sich geschlossenes Leben. Ist mithin das Einsehen nichts als der Vollzug des in sich geschlossenen Lebens, das immanent lebt und sich so äußert, daß es eben niemals objektiv wird, dann kann es nicht zu einer Objektivation kommen. Der Realismus begreift die Unmöglichkeit, aus dem in sich geschlossenen Leben eine es objektivierende Anschauung genetisch abzuleiten. In dieser realistischen Ansicht vom zuhöchst Wißbaren bewährt sich das vorgelegte 'Grundgesetz allen Wissens'. Damit das Absolute einleuchte, hat sich der Begriff zu vernichten. Alles Durch findet hier seine
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Grenze. In Rücksicht auf den absoluten Gehalt wird die Anwendbarkeit der Genesis geleugnet. Der Begriff kann das Gesetz des Einleuchtens nicht reflektieren, weil er sich selbst am eingesehenen Inhalte vernichtet. Und Vernichtung bedeutet ja hier eben die Absetzung der Ichheit oder der Form absoluten Wissens als oberstes Prinzip. Das geschieht nicht aus Gedankenlosigkeit; denn die synthetisierende Macht des Begriffs ist im Begreifen des Urbegriffs wohl verstanden. Und das Fallenlassen des Begriffs geschieht auch nicht aus Energielosigkeit; denn die Reflexion ist nicht erlahmt, sondern energisch bis zu ihrer Grenze fortgetrieben. Sie betrachtet im Bedenken des absoluten Lebens das, was sie vermag und was sie nicht vermag. Sie sieht ein, daß nicht jegliche Einsicht in ihrer Entstehung durchsichtig zu machen ist. Die Reflexion zieht sich mithin zurück, und das absolute Ansich rückt als das Wahre vor. „Dieses so eben geführte und näher charakterisirte Räsonnement ist nun das realistische" (n. Vortr.; 175). Es sind also zwei Grundhaltungen, die ihr Prinzip für den Grund ausgeben, welcher die Einsicht in den Zusammenhang von Begriff und Realität entstehen läßt. Die Selbstbesinnung hat diese Zweiheit und den Gegensatz der in ihr liegenden Ansichten bewußt gemacht. Dadurch entgeht das Wissen der Gefahr, in einer der beiden Ansichten zu erstarren. Es gewinnt die Beweglichkeit, sich über beide zu erheben und sie zum Gegenstande einer Wesensbetrachtung zu machen. Damit ist der Weg zu höherer genetischer Einsicht frei; denn die Objektivierung macht die fraglos vorausgesetzten Tatbestände, auf welche sich die voreiligen Ansichten stützen, ohne das Entstehungsgesetz zu reflektieren, deutlich. Dafür ist eine Untersuchung anzustellen, die in den Geist eindringt, der die Argumentationsweisen von Idealismus und Realismus bestimmt. Sie wird zugleich die Beschränktheit dieses Geistes aufdecken: die selbstgenügsame Beschränkung auf ein Faktum aus Mangel an Reflexionswillen. Beide Positionen, Idealismus wie Realismus, leiden an halber Aufklärung. Den Geist der Argumentationsweise aufzusuchen und seine Beschränktheit aufzudecken, ist eine und dieselbe Aufgabe. Indem die Denkweisen bloßgestellt werden, leuchtet ein, daß sie in ihrer Wurzel faktisch sind. Was also ist der Geist und worin liegt die Beschränktheit der idealistischen Argumentation? Anfang und Ende idealistischen Sinnens und Trachtens ist die Seinsgewißheit der einseitigen, weil bloß subjektiven Reflexion. Sie impliziert die Überzeugung: Die Vorstellung von Sein ist, wenn lebendiges Denken ist. An dieser Tatsache, daß sich Sein
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ursprünglich im sich denkenden Denken findet, läßt die idealistische Ansicht keinen Zweifel, und sei der Zweifel noch so methodisch universal vorgetragen und theologisch ausgerüstet. Sie setzt das Sein des in sich gründenden Denkens voraus und unterstellt daher eine absolute Genesis: die Entstehung des Selbstbewußtseins aus der Freiheit, schlechthin sich selber zu setzen. Der idealistischen Ansicht ist das durch nichts vermittelte Sein, das nur in einer in sich zurückkehrenden Tätigkeit besteht, das Absolute; „und es ist sehr natürlich, daß sie dasselbe Sein, welches sie als absolut vorausgesetzt, in der genetischen Ableitung wieder als absolut findet" (n. Vortr.; 173). Vorausgesetzt ist das selbstbewußtselbstgewisse In-Vollzug-Sein (die Energie und ) des Denkens. Das eben findet eine genetische Untersuchung als das Absolute wieder. Die Ableitung der Genesis bestand ja darin, die Einsicht vom in sich gründenden Leben (als Voraussetzung für das wirkliche Durch) zu erzeugen. Wird nun das in sich lebende Sein allein als ein von uns zu vollziehender Gedanke in Betracht gezogen, dann findet sich die Energie des Denkens als Anfang und Erzeugungsgrund wieder ein. Das Licht und Leben existiert nur als das im lebendigen Durch Abgebildete. „Die Maxime der äussern Existenzial-Form ist das Princip und der charakteristische Geist der idealistischen Ansicht" (n. Vortr.; 173). Diese Maxime läßt kein absolutes Ansich zu und beharrt eben darauf, daß einem in seiner Notwendigkeit erschlossenen Ansich doch nur die Notwendigkeit eines Gedankens zukomme. Darin bleibt die idealistische Ansicht gänzlich in ihrer Einseitigkeit befangen. Sie ist einseitig, weil sie sich gänzlich auf die Form aller Einsicht versteift und den Inhalt für ein daraus ableitbares Glied hält. Der Idealismus erklärt: Der Inhalt, das Ansich oder Sein oder Leben, ist ein Projekt der Form. Das Denken projiziert das Ansich. Es wirft das Ansich aus sich heraus, d.h. es setzt es als von sich unabhängig. So verbleibt das inhaltliche Ansich als proiectum der Form im Horizonte der äußern Existenzialform; es wird als unabhängig seiend von mir projiziert und herausgestellt. So wird beteuert, daß die Bestimmtheit eines vorauszusetzenden absoluten Seins und Lebens „nicht an sich gilt, sondern aus der bloßen Form der Intuition, als projicirend ein für sich Bestehendes, in der äussern ExistentialForm, vollkommen erklärbar ist" (12. Vortr.; 179). „Dies war auch aus einem ändern Ausdrucke klar: in der idealistischen Ansicht ist, oder lebt die Vernunft, als absolute Vernunft. Lebt sie aber nur als absolut (im Bilde dieses Als); so lebt sie nicht absolut, ihr Leben oder ihre Absolutheit ist selber durch ein höheres Durch vermittelt, wovon sie in diesem
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Standpunkte nur das posterius ist" (n. Vortr.; 173). Gezeigt war: Der Idealismus stellt in seiner ersten Findung eine Unterscheidung an, indem er die Energie des Denkens von einem inwendigen Vernunftleben abhebt. Ihm stellt sich der energische Vollzug des sich begreifenden Begriffs als Äußerung einer selbst nicht erscheinenden Lebendigkeit dar. So dringt der Idealismus zwar zu einem absoluten Leben der Vernunft durch, aber die idealistische Reflexion kennt dieses Leben auch nur nach Maßgabe des Unterscheidens und abhebenden Konstruierens. Die Vernunft wird als Kraft einer Äußerung begriffen und nur im Durchgang durch ihre Äußerung gesetzt. Damit drängt sich ein höheres Durch und ein umfassenderer Begriff als erster Anfangsgrund vor. Das aber bedeutet: Der Idealismus kann es auf diesem Standpunkte nicht zur freien Anschauung des wahren Geisteslebens bringen. Ihm bleibt die absolute Vernunft durch den selbstbezüglichen Begriff vermittelt, dergestalt, daß der Begriff das Leben zum Gegenstand herabsetzt und relativiert. Die Einseitigkeit rührt von der Faktizität dieser Denkart her. „Sie war daher in ihrer Wurzel faktisch, nicht etwa in Bezug auf etwas Anderes ausser ihr (z.B. der Kantische höchste Satz:) sondern in Beziehung auf sich seiher. Sie setzt sich eben schlechthin, woraus nun alles Uebrige von selbst folgt; und über dieses ihr absolutes Setzen entbindet sie sich der weiteren Rechenschaft" (12. Vortr.; 180—81). Das Faktum des Idealismus ist die evidente Tatsache, daß das Denken ist, sofern und solange es sich selbst denkt. Wird dieser Sachverhalt als das Unmittelbare und ganz und gar Durchsichtige ausgegeben, dann verhindert das die 'Verklärung' des Wissens im großen Stil der absoluten Reflexion. Solche Selbstbesinnung ist in Kants oberstem Grundsatze von der ursprünglichen Synthesis der Apperzeption angelegt, der das Selbstbewußtsein als die ursprüngliche Synthesis von Vorstellung und Gegenstand ausspricht, freilich ohne diese ursprüngliche Einigung als sich wissende Einigung zu entwickeln, also ohne ihr das Auge intellektuellen Anschauens einzusetzen. Die einseitige Ansicht des Idealismus verharrt in der Ängstlichkeit der Selbstgewißheit und verstellt die Selbstbesinnung absoluten Wissens. Sie behauptet das Faktum des sich setzenden Setzens als das unerschütterliche Fundament allen Wissens und aller Wahrheit, ohne auch nur den Versuch einer tiefer reflektierenden Rechtfertigung zu machen. Erzwingt dieser Mangel also eine Umkehr der Ansicht und eine Neubesinnung auf den realistischen Geist und dessen Maxime? Indessen stößt eine Untersuchung, die den Geist des Realismus prüft, ebenso un-
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ausweichlich auf eine Beschränktheit, die sich mit undurchsichtigen Tatsachen begnügt und daher an einem Mangel an Selbstaufklärung leidet. Der Geist findet sich in der Maxime ausgedrückt, die er aufstellt und befolgt. Die Maxime realistischen Geistes schrieb vor, grundsätzlich solle nur der Inhalt (das Reale) gelten, auf die Form der Gedachtheit (das Ideale) brauche nicht weiter geachtet zu werden; vielmehr sei endlich von der hartnäckigen Reflexion abzulassen, daß das absolute, vorausgehende Leben doch gedacht sei. „Offenbar ging die ganze Ansicht von der Maxime aus, auf das faktische Sichbegeben unseres Denkens und Einsehens, und die Erscheinung desselben im Gemüthe gar nicht zu reflektiren, sondern nur den Inhalt dieses Einsehens gelten zu lassen" (n. Vortr.; 175). Diese Maxime fordert das Wissen auf, die subjektive Reflexion zu ignorieren und von sich abzulassen, um sich geduldig dem Eingesehenen hinzugeben. Dadurch stellt sich die Einsicht im höchsten Inhalte auf: in dem vom Denken unabhängigen Ansich als dem Grunde des Bewußtseins. In anderer Formulierung besagt dieselbe Vorschrift, „die äussere Existential-Form des Denkens in uns selber nicht zu beachten, sondern nur die innere desselben Denkens" (n. Vortr.; 175). Das Urreale ist Geist und Denken, das Ineinanderaufgehen von Subjektivem und Objektivem. In seiner äußeren Existenzialform ist dieses Denken lediglich in uns da. Die Notwendigkeit des vorauszusetzenden absoluten Denkens und Lebens ist bloß die Notwendigkeit eines von uns auszutragenden Gedankens. Nun darf nach realistischer Vorschrift das Dasein des Absoluten in unserem Bewußtsein nicht beachtet werden. Vielmehr muß der inneren Existenzialform des göttlichen Denkens und Lebens Achtung erwiesen werden, nämlich dem Dasein in der ungebrochenen Geschlossenheit einer immanenten Äußerung, an der jegliche Objektivierung und alles konstruierende Begreifen scheitern. Die hier zugesprochene Notwendigkeit ist keine Modalkategorie unseres Denkens, sondern die 'Wesensweise des inneren Lebens selbst. Aber so verharrt der Realismus in einer einseitigen Stellung. Er verabsolutiert die inhaltliche Seite und gibt die Form preis. Mit einem Schlage verliert sich sein Denken an das absolute Sein und schneidet die genetische Darlegung des Bewußtseins ab. Dadurch bringt es ein realistisches System wohl zur reinen Einheit des Absoluten, aber es verliert die Mannigfaltigkeit, sofern eben das Prinzip aller Spaltung und Mannigfaltigkeit in der Form des Bewußtseins liegt. Deren Erzeugungsgesetze kann die einseitige Blickrichtung des Realismus nicht erfassen.
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Die Maxime des Realismus fällt auch ein Urteil über das Wesen der Wahrheit. Die Begriffswahrheit weicht der Offenbarungswahrheit. Im Ursprünge ist Wahrheit nicht die Richtigkeit des Begriffs als die Entsprechung von urbildhaftem Sein und abbildender Vorstellung. Wahrheit ist anfänglich die Offenbarung eines Inhaltes, der uns ergreift. „Wir setzen eine absolute, als Gehalt des Denkens sich offenbarende Wahrheit, die allein wahr sein könne" (n. Vortr.; 175). Das ist eine tiefsinnige, aber einseitige Fassung der Wahrheit; denn sie läßt der Urteilswahrheit und Richtigkeit kein Recht. Nun hatte sich gezeigt: Die Einseitigkeit des Idealismus gründet in der Faktizität seines Prinzips. Entsprechend haben die Einseitigkeiten realistischen Geistes in einem unausgerotteten Faktum ihren Nährboden. Inwiefern aber wurzelt ein so hingebungsvoller und der Wahrheit geöffneter Geist im Faktischen? Er entflieht doch dadurch entschieden der Faktizität, welche den Idealismus so borniert macht, daß er vom Faktum des Selbstbewußtseins abstrahiert. Indessen verfällt der Realismus einem anderen absoluten Faktum. Er stützt sich auf den vorfindlichen Inhalt des Ansich, den er als das Absolute voraussetzt, ohne das Gesetz der Findung zu reflektieren. „Dieses Beruhen im Inhalte aber ist selber ein absolutes Faktum" (12. Vortr.; 181). Das Wissen in realistischem Geiste gibt sich der Einsicht hin, daß ein vorausgesetztes Leben ist. Und die Hingabe ist so total, daß alle Rechenschaft darüber, wie sich denn solche Einsicht mache, abgeschnitten wird. Indem sich die Einsicht ganz und gar an den Inhalt wendet, sieht sie sich außerstande, darüber zu reflektieren, wie ihr der Inhalt entsteht. Das Faktum des Realismus ist das unreflektierte Ansich. Und so hängt auch dem realistischen Prinzip, eben dem urrealen Ansich, der Makel des bloß Faktischen an. Diese Besinnung klärt die Positionen des Wissens von Grund auf. Das Wissen poniert die Wahrheit entweder in die Form des Vorstellens (die Richtigkeit des Urteilens) oder in die Offenbarkeit des Inhaltes. Solche gewissermaßen natürliche Alternative wurzelt in den unterschiedlichen Ansichten über die Herkunft der Synthesis von Urbegriff und Urrealität. Beide Positionen sind unzulänglich, weil sie in ihrer Wurzel faktisch bleiben und sich auf zwei einander entgegengesetzte Tatsachen berufen, welche als absolute Voraussetzung unterstellt und nicht erforscht, sondern als Unerforschliches hingenommen werden: die Fakten des Ansich und des Selbstbewußtseins. Das bedeutet für den Geist philosophischer Systembildungen: Alles Philosophieren, das im Problemfeld von Realismus und Idealismus hängenbleibt, ist ein hartnäckig borniertes
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Wissen, das seine eigenen Prinzipien nicht durchschaut. Beide Richtungen leiden an der Ohnmacht, genetisch nicht begründen zu können, wie ein Leben jenseits des Begriffs evident wird. Der Weg zur Wahrheit und die Rückführung alles Mannigfaltigen in eine gegensatzlose Einheit waren auf die Zweiheit eines äußersten Gegensatzes gestoßen, auf die Disjunktion von urrealem Leben (Sein) und Urbegriff (Begriff). Es ist der Widerstreit dieser Glieder, der den Gegensatz von Realismus und Idealismus unversöhnt beherrscht. Deren Geist sucht Sein (S) bzw. Begriff (B) als Absolutes zu rechtfertigen, indem er deren Verhältnis in realistischer oder in idealistischer Beleuchtung belichtet. „Es ist, daß ich es noch mit diesen Formeln beschreibe, dies nun auf seiner höchsten Spitze der Widerstreit der beiden absolut zu vereinigenden Glieder: S und B oder der Form und des Inhaltes, oder der äussern und innern Existential-Form" (12. Vortr.; 181). Dies ist ja ausführlich dargelegt worden. Der Geist des Realismus hält sich einseitig an den Inhalt; er fordert, die Form des Gedachtseins aufzugeben, und überspringt die Arbeit des Begriffs, indem er sich dem einleuchtenden Inhalte hingibt und in der inneren Existenzialform des Lebens aufgeht. Für ihn ist alle Wahrheit Offenbarung des Seins und nicht Angleichung des Begriffs. Die entgegengesetzte Tendenz treibt den Geist des Idealismus. Er sorgt dafür, die Grenze des Begriffs nicht zu verletzen, das absolute Sein nur als Abgebildetes zuzulassen und so allein die äußere Existenzialform für verbindlich zu nehmen. Für ihn reduziert sich Wahrheit auf die Selbstgewißheit des Bewußtseins. Was ergibt dieser Fund für den Stand der Selbstbesinnung? Es ist Klarheit darüber gewonnen, daß weder der Realismus noch der Idealismus die gesuchte, gegensatzlose Einheit zu finden vermag; denn ihr Geist bewegt sich im Gegensatz des Widerspruchs. Eben diese Einsicht aber bringt den Widerspruch und die Disjunktion zwischen Sein und Begriff zu höchster Entschiedenheit und Prägnanz. Sie macht die Kluft zwischen Sein und Begriff, Inhalt und Form des Wissens deutlich und bereitet dadurch die höchste Synthesis vor. „Die absolute Disjunktion scheinen wir zu haben; ihre Vereinigung verspricht die absolute Einheit herbeizuführen, und so unsere Aufgabe gründlich zu lösen" (12. Vortr.; 181). Die Synthesis von Urbegriff und Urrealität findet eine neue, genetisch vertiefte Problemgestalt: als Synthesis von Realismus und Idealismus; denn beide Systembildungen suchen die Einheit von Licht (Sein) und Begriff genetisch zu durchdringen und beide aus Prinzipien, die noch
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einseitig sind, weil sie noch etwas Faktisches an sich haben. Das Faktum des Idealismus war das unabgeleitete Selbstbewußtsein, das des Realismus das unreflektierte Ansich. Der Idealist insistiert auf dem Faktum der Form des Denkens und stellt allen Inhalt unter Bedingungen der Formbestimmtheit. Im Gegensatz dazu insistiert der Realist auf dem Faktum des absoluten Inhaltes und vergißt die Form der Gedachtheit. Wie also ist solcher Gegensatz zur Einheit und auf einen verläßlichen Grund zu bringen? Vorläufiger gefragt: Von welcher Seite her ist die Synthesis in Angriff zu nehmen? Solche Vorklärung muß darauf achten, in welcher der beiden Ansichten der Zusammenhang ganz und gar abgeschnitten und in welcher ein Zusammenhang irgendwo doch aufzuspüren ist. Der Idealismus vernichtet offenbar den Realismus. Er besteht darauf, daß es sich beim denkunabhängigen Sein (dem wirklich Realen) um einen notwendigen Gedanken handelt und daß ein an sich seiendes Leben für uns ein grober Widerspruch ist. Im einfachen Idealismus läßt die subjektive Reflexion nicht locker, sie hebt die Möglichkeit des Realismus auf. In ihrer Ansicht kommt das Prinzip des Realismus, die Wahrheit als Offenbarung des Ansich, gar nicht vor. Ihre einseitige Reflexionshaltung rottet die Möglichkeit eines realistischen Ansatzes aus. Also findet ein tiefer blickender Einigungsversuch von Seiten des Idealismus keine Ermutigung. Ist die Haltung des Realismus nachgiebiger? Der Realist nimmt zwar ebensowenig die Wahrheit der anderen Seite an, aber er vernichtet den Idealismus nicht ganz und gar. Er läßt ihm Raum, indem er die Form der Gedachtheit nicht leugnet, sondern nur degradiert. Der Idealismus ignoriert das realistische Wesen völlig. Es ist für ihn nicht vorhanden. Der Realismus leugnet zwar die prinzipielle Zuständigkeit der Bewußtseinsform für das Wesen der Wahrheit, aber ignoriert diese nicht völlig. Ihm sind die Ermittlungen des Begriffs nicht nichts, sie bleiben lediglich angesichts der Offenbarung des Wahrheitsgehaltes machtlos. So eröffnet sich in der realistischen Position „eben durch dieses Abläugnen doch nicht ein negativer Zusammenhang mit dem Idealismus, da dieser hingegen jenen sogar der Möglichkeit nach ausrottet" (12. Vortr.; 182). Also hat eine Synthesis auf dieser Stufe der absoluten Reflexion von der Position des Realismus auszugehen. Andernfalls käme der Realismus überhaupt nicht mehr zu Gesicht. Der Weg zur höchsten Einheit steigt von der Seite desjenigen Prinzips auf, das der einfache Realismus entwickelt hat, und zwar nach dem bisher geübten Verfahren. Die Methode sieht vor, in dem als einfach-einheitlich vorgegebenen Prinzip einen Rest blo-
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ßer Tatsächlichkeit aufzuspüren und ihn genetisch zu durchdringen. Dabei herrscht Einverständnis darüber, daß hier nicht mehr idealistischgenetisch nach dem Gesetz einer Bewußtseinsleistung in der Fragestellung geforscht werden kann: Durch welche Operation sind wir uns des Faktums bewußt geworden? Es bleibt der Weg, das faktische Prinzip des Realismus in einen Widerspruch zu bringen, der es mit sich und seinem Geiste entzweit. In solcher Entzweiung würde ein Gegensatz aufbrechen, der zu höherer Synthesis zwingt. „Durch diesen Widerspruch, der ja eine Disjunktion in ihm herbeiführt, würde sein faktisches Princip genetisch" (12. Vortr.; 182). In dieser methodischen Absicht ist das schon herbeigeschaffte Faktum der realistischen Ansicht durchzunehmen: das Ansichsein absoluten Lebens. Die genetische Betrachtung verweilt jetzt beim hervorstechenden Merkmal dieses Prinzips, dem Ansich. Dem Realismus ist evident geworden, daß das Ansich ist und alles Fürunssein ausschließt. „Wie bringt er denn nun dieses Ansich selber zu Stande?" (12. Vortr.; 183). Darüber herrscht im simplen Realismus Unkenntnis. Sein bedeutet ihm eben Ansichsein und Insichbestehen. Was aber bedeutet das Ansich? „Das Ansich hat keine Bedeutung, ausser inwiefern es das Construirte, alles Construiren und alle Construirbarkeit durchaus negirt" (12. Vortr.; 183). Dieser Sinn schlägt in allem Reden durch, das da sagt: So ist es an sich. Solche Redewendung bedeutet: Es ist so, ob ich es denke und anspreche oder nicht. Ansichsein bedeutet Unabhängigkeit vom Bewußtsein oder Nicht-Fürunssein. Isoliert genommen, in seiner Einfachheit, hat das Ansich keinen Sinn. Will man es verstehen und verständlich machen, dann muß man den Gegensatz (das Bewußtsein als Konstruieren des Begriffs) hinzunehmen, und zwar in der Fügung: Ansichsein bedeutet die Negation aller Konstruktion. Seine Aufstellung hat den einzigen Sinn, alles vom Begriff Aufgestellte zu vernichten. Diese Sinnerläuterung macht deutlich: Die Position des Ansich ist in eins eine Negation; sie weist ab, daß all das durch Bewußtseinsleistungen Konstruierte wahrhaft seiend ist. „Wir haben daher allerdings etwas am Realismus, das vorher nur faktisch war, aus seinem Princip, also genetisch durchdrungen" (12. Vortr.; 183). Bisher bestand die faktische Evidenz, daß nichts außer dem immanenten Leben wahrhaft seiend ist. Jetzt leuchtet der Grund für diese Einsicht ein. Das absolute Ansich hat den Sinn, daß alles außer ihm nichtig ist. Das energische Durchdenken des Ansich in seiner zwiespältigen Bedeutung klärt auf, wie die Einsicht vom Ansich entstand, nämlich im
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Vernichten des Denkens. Damit stellt sich der Sachverhalt so dar: „Im Denken vernichtet sich das Denken am Ansich" (12. Vortr.; 184). Aus ihm sind die richtigen Konsequenzen zu ziehen: die Vernichtung des Idealismus in der Wurzel und die Selbstkonstruktion des Absoluten. Der Idealismus ist in seiner Wurzel vernichtet. Das muß gegen eine mögliche Anmaßung des Idealismus im voraus bemerkt werden. Zwar hebt die Sinnklärung des Ansich wieder mit einer freien Reflexion und einem energischen Durchdenken an, aber das Vernichten des Denkens am Ansich ist nicht das Resultat dieser unserer Energie. Es leuchtet unmittelbar ein. Solch unmittelbares Einleuchten nennt Fichte in Abhebung gegen das mittelbar konstruierende Denken 'Intuition'. Hier ist die absolute Intuition erreicht. Sie scheidet alles konstruierende Denken von sich ab; denn was unmittelbar einleuchtet, ist ja nichts anderes als die Vernichtung des Begriffs am Ansich. Damit ist die letzte Ausflucht des Idealismus abgeschnitten, der die absolute Intuition des Ansich immer noch setzen, d. h. zur Vorstellung selbstbewußten Denkens machen wollte. „Und so wäre der Idealismus, der eine absolute Intuition des Lebens setzte, in seiner Wurzel, gerade durch noch tiefere Begründung des Realismus widerlegt" (12. Vortr.; 184). Aber das Ansich war doch gedacht und die Vernichtung des Denkens intuiert worden. Jetzt kann der Realismus der genetischen Frage nicht mehr ausweichen: „Wie und auf welche Weise wurde es gedacht?" (12. Vortr.; 184). Dabei bleibt es bei dem einsichtigen Eingeständnis, daß das Konstruieren ohnmächtig ist. Und das Ansich war auch gar nicht konstruiert, also als Einheit von Gliedern vor- und zusammengestellt. Die Einsicht in den Sinn des Ansich, Vernichtung des Begriffs zu sein, war nicht von uns herbeigeschafft und aus Voraussetzungen ermittelt, sie ergriff uns; denn die Einsicht in die Bedeutung des Ansich enthält die Evidenz, daß es sich so damit verhält, unabhängig von unserem Denken und Sagen. „Wir daher — es ist dies bedeutend — construirten es gar nicht, sondern es construirte sich durch sich selbst" (12. Vortr.; 184—85). Diese Konsequenz ist unausweichlich und bedeutend. Sie ist unausweichlich; denn heißt Denken Konstruieren durch uns im Sinne des begreifenden Zusammenfügens von zuvor Gesondertem, dann ist das Absolute nicht von uns konstruiert. Entsteht aber nun ein Wissen des absoluten Ansich, dann konstruiert sich das Absolute in unserer Intuition und Einsicht selbst. Es bringt sich von sich her ins Erscheinen. Und diese Konsequenz ist bedeutend. Das Licht ist absolutes Entspringen; Licht und Sich-Konstruieren sind untrennbar.
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Bisher war vorzüglich das Licht als die Helle besprochen, in der das Bewußtsein unterscheiden und sehen kann. Jetzt ist vom Licht die Rede, in dessen Aufleuchten dem Bewußtsein der Sinn des absoluten Seins qua Ansich aufgeht. (Was mit der Frage nach der Herkunft des Lichtes zur Entscheidung gestellt wird, ist der Ursprung des Bewußtseins als Verstehen von Sein.) Die jetzt errungene Position belehrt darüber: Dieses Licht ist nicht von uns erzeugt; denn es ergreift uns ohne Zutun, indem das Ansich sich selbst konstruiert. Und indem das Licht, in welchem die Bedeutung des Ansich aufblitzt, das Einsehen mit sich fortreißt und alle Konstruktion niederschlägt, konstruiert das Absolute sich selbst. Das ist ein und derselbe Schlag. „Also die absolute Sichconstruktion des Absoluten, und das ursprüngliche Licht, sind ganz und gar das Eine, Unzertrennliche" (12. Vortr.; 185). So erlöscht der Anspruch des Begriffs auf Selbständigkeit und prinzipielle Geltung. Die Intuition des Absoluten leitet sich, genetisch durchdacht, nicht aus der Energie der Reflexion und aus dem inwendigen Leben der objektivierenden Vernunft her, sie ergibt sich aus dem sich selbst konstruierenden und das Denken zurücksetzenden Ansich. Dieser Gedanke der Absetzung des Begriffs zugunsten der Selbstkonstruktion des Absoluten erlaubt es, die Spaltung von Sein und Bewußtsein noch tiefer anzulegen und gründlicher zu erklären, wie ein vom Denken unabhängiges Sein auftreten kann. Auf vertiefter Grundlage wird die schon entdeckte These wiederaufgenommen, das Sein trete an die Stelle des vernichteten Begriffs. Das wird jetzt auf das Prinzip des Ansich zurück verlager t; denn in der Intuition des Ansich aus der Vernichtung des Begriffs „bleibt demnach hiervon einem vorgegebenen Uns nichts übrig" (12. Vortr.; 185). Die Selbstkonstruktion des Absoluten setzt das konstruierende Selbstbewußtsein als Prinzip ab, und dadurch setzt sich dem Denken ein von ihm unabhängiges Sein gegenüber. Diese Disjunktion geschieht in jedem Ist-Sagen, sofern eben Ist bedeutet: Ist an sich und nicht abhängig vom Bewußtsein. Diese Sonderung hat jetzt ihre höchste genetische Aufklärung gefunden. Sie entsteht nach dem Gesetz, wonach die sich selbst konstruierende Evidenz des Ansich das Selbstbewußtsein negiert. In eins damit tritt dem Denken ein von ihm unabhängiges Sein gegenüber. Zu welcher Stufe der Klarheit hat es die Selbstbesinnung und Verklärung des reinen Wissens damit gebracht? In methodischem Fortschritt ist die Position des Realismus mit sich in Streit versetzt worden. Der niedere Realismus besteht auf dem evidenten Faktum des Ansich. Ihm
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ist gezeigt worden, daß das Ansich den Sinn enthält, Negation des Begriffs zu sein. Es ist geklärt, wie dieser Sinn bei Vernichtung aller Begriffskonstruktion allein einleuchten kann, nämlich durch Selbstkonstruktion des Absoluten. Und es ist deutlich geworden, wie die Spaltung in Denken und denkunabhängiges Sein vor sich geht, nämlich durch die Negation des Begriffs im Einleuchten des Ansich. Eine solche Grundlegung des Wissens hat die realistische Position offenkundig nicht verlassen. Aber sie hat den einfachen Realismus zu einem höheren Realismus überstiegen. „Und dies wäre die höhere realistische Ansicht" (12. Vortr.; 185).
8. KAPITEL Die Widerlegung des höheren Idealismus Bildet die Position des höheren Realismus die unübersteigbare Grundlage der Wahrheit und des Wissens? Wendet sich in ihr der vollendete Transzendentalismus endlich von der subjektiven Befangenheit idealistischer Ansichten ab und einer freieren, der Wahrheit als OfFenbarkeit weit angemesseneren Stellungnahme zu? Dafür spricht viel, und das argumentative Übergewicht des Realismus ist bedeutend. Aber es ist schon vorgemerkt worden: Im realistischen Beweisgang fand sich eine Voraussetzung, die der Idealismus zu seiner Rehabilitierung ausnutzen konnte. Und in der Tat versucht ein höherer Idealismus, den Weg zur Wahrheit in seine Gründe zurückzuleiten. Der Idealismus kehrt zum energischen Denken als derjenigen Bedingung zurück, welche die Aufstellung des Ansich allererst ermöglicht hat. Der Ansatz des Ansich hatte ja zur Voraussetzung, daß sein Sinn durchdacht wurde. Das Einleuchten des Ansich nimmt somit seinen Anfang bei dem energischen Durchdenken dessen, was es begrifflich bedeutet. Das stürzt die Situation der Begründungsverhältnisse um. Ohne die Energie und Freiheit dieses wirklichen Denkvollzuges durch uns käme die ganze folgende Operation nicht in Gang. So beharrt der Idealismus auf seiner Ansicht, „daß daher ja doch diese unsere Energie das Grundprincip, das erste Glied der ganzen Begebenheit sein würde" (15. Vortr.; 210). Die neuerliche Berufung auf die Wirklichkeit des Denkens begeht keine ignorantia elenchi. Sie ist nicht in anmaßender Unwissenheit stumpf gegen die siegreichen Beweise, die den Standpunkt des Idealismus überwunden hatten. Davon hat ein höherer Idealismus Kenntnis genommen. Worin also liegt der Niveauunterschied der idealistischen Begründung? Der flache Idealismus basierte auf dem energischen Denken des Durch. Danach schulde die Einsicht, daß dem Durch notwendig ein in sich lebendes Leben vorauszusetzen sei, ihr Entstehen der Energie des
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Bewußtseins, welches das Durch durchdacht hat. Das durchdachte Durch aber war, sofern es durch ein ursprüngliches Leben bedingt war, kein Unbedingtes. Der höhere Idealismus geht auf ein Unbedingtes, das energische Denken wendet sich direkt auf das absolute Ansich. Und diese Grundlegung ist darüber belehrt, daß ihr Denken dazu führt, daß sich das Selbstbewußtsein einer lebendigen Selbstkonstruktion im Lichten des Ansich hingeben muß; „welches einen neuen, jedoch höher liegenden Idealismus gäbe" (12. Vortr.; 185). Das ist ein überlegener Standpunkt. Er weitet die enge Einseitigkeit des simplen Idealismus, der jegliches Ansich abstreitet, aus; denn er leugnet die Selbstkonstruktion des Absoluten mit all ihren Folgen nicht. Aber er betont, daß auch dieser Aufstieg mit der Energie einer Reflexion anhebe. „Also, ungeachtet wir nicht läugnen können, daß es sich selber construirt und mit sich das Licht, war doch dieses Alles bedingt durch unsere energische Reflexion, diese sonach das höchste Glied von Allem" (18. Vortr.; 188). Bleibt somit die Freiheit und das energische Denken die oberste Bedingung für den Prozeß der Selbstkonstruktion, die Erzeugung des Lichtes und die Vernichtung des Ich, dann spielt sich dieser ganze Vorgang doch im Bewußtsein ab. Und so wird das absolute Sein und sein Einleuchten wieder in die Verfügung des Ich und auf die Maxime zurückgestellt: Das erste und wirkliche Sein ist das Tätigsein des Denkens. Worauf stützt sich der hartnäckige Wahrheitsanspruch dieser Behauptung? Der wirkliche Vollzug und das Sein des Denkens finden ihre Bezeugung in der Unmittelbarkeit des Bewußtseins. Ich bin mir im wirklichen Denken unmittelbar bewußt, daß ich denke und denkend wirklich bin. Das Sein (Tätig- und Wirklichsein) des Denkens ruht in der Gewißheit, daß es unmittelbar bewußt ist. Das Selbstbewußtsein als unmittelbares Bewußtsein der energischen Reflexion ist Kronzeuge der Wahrheit und des Seins und Stützpunkt aller idealistischen Behauptungen. Der unmittelbare, unbedingte Anfang oder das Absolute ist also eigentlich nicht die Energie des Denkens, sondern das Bewußtsein davon. „In deiner Behauptung, daß du denkest, weil du dir dessen bewußt bist, mußtest du dein Bewußtsein als das Absolute setzen" (18. Vortr.; 190). Im Hinblick auf jegliches Seiende im Horizonte des Wissens kann also gesagt werden: cEs ist', nämlich von mir gedacht, und ich bin mir dessen bewußt, daß es als von mir Vorgestelltes ist. Diese absolute Einheit des Bewußtseins hat in der Besinnung eines höheren Idealismus ihren Grund in dem unmittelbaren Bewußtsein eines Denkens und Seins, welches wirklich das Ansich denkt.
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Das Grund-gebende Selbstbewußtsein, das hier zur Ansidit kommt, heißt das 'absolute Ich'. „Das hier vorkommende Selbst oder Ich ist mithin das reine, sich selber ewig gleiche, unveränderliche — nicht das Absolute, wie bald sich näher finden wird, aber das absolute Ich" (13. Vortr.; 193). Wird das absolute Ich für unfähig erklärt, dann dürfte der Idealismus endgültig abdanken. Und tatsächlich erweist sich sein Prinzip als unfähig; es kann nicht „das Denken in seiner Realität und Wahrhaftigkeit... ableiten" (15. Vortr.; 210). Was das Bewußtsein des Denkens nicht vermag, ist, den Zusammenhang zwischen dem unmittelbar einleuchtenden Ansich und dem im Bewußtsein gesicherten Denken zu durchschauen. Ihm bleibt ewig unklar, wie sich das Denken des Ansich erzeugt und wie das Licht des Denkens entsteht; denn das Bewußtsein weigert sich, sich von der Selbstkonstruktion und von der Genesis des Lichtes fortreißen zu lassen. Es läßt sich nicht selbstlos auf den Vorgang des sich lichtenden Absoluten ein. Sein Sehen bildet diesen Prozeß ab und 'erlebt' ihn nicht. Das konstruierende Bewußtsein bleibt bei sich selbst und stellt die absolute Genesis objektivierend fest. So aber wird ihm lediglich bewußt, daß sich an das energische Denken des Ansich die Intuition, das Leben im Ansich bedeute die Vernichtung des Denkens, anfügt. Vom hartnäckigen Konstruieren und Objektivieren her bleibt der Zusammenhang undurchdringlich, und das Bewußtsein davon bringt es zu keiner tieferen genetischen Erhellung, es verschafft nur das Bewußtsein der Undurchdringlichkeit. Das Grundverhältnis bleibt dunkel, „so daß durchaus zweideutig bleibt, ob das Denken aus dieser Intuition, oder die Intuition aus dem Denken entspringe, oder ob vielmehr beide nur die Erscheinungen einer ihnen zum Grunde liegenden, verborgenen Einheit seien" (13. Vortr.; 189). Die Hypothesis des absoluten Ich stürzt das ganze Grundgefüge in Verwirrung. Es ist alles wieder fragwürdig geworden. Läßt nun eigentlich das Denken das Ansich entspringen? Ist das Ansich nachweisbar ein Gedanke und Produkt des energischen Denkens, oder verdankt das Denken umgekehrt sein Sein dem sich konstruierenden Gedanken vom Ansich? Oder ist keines von beiden Grund und Anfang für das andere, und beide wären Erscheinungen einer verborgenen Einheit? Vor diesen Fragen ist der idealistische Ansatz hilflos und hilft sich mit der Flucht in die Unerforschlichkeit von Unerforschtem heraus. In Wahrheit aber begrenzt er sich nicht durch besonnene Selbstbeschränkung am Unerforschlichen, er bleibt in ungehobener Faktizität befangen. Das Faktische des idealistischen Prinzips ist jetzt herauszuheben. Es
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ist die unzweifelhafte Untrennbarkeit von wirklichem Denken und Bewußtsein; denn nichts vermag das Ich wirklich zu denken, ohne ein Bewußtsein davon zu haben. Und vom Bewußthaben ist das Sein (das Tätig- und Wirklichsein des Denkens) nicht zu lösen, weil eben im Wissen von diesem Sein das Bewußtsein besteht. „Es ist daher freilich klar, und unmittelbar faktisch, daß du das wirkliche Denken von dem Bewußtsein desselben, und umgekehrt, nicht trennen kannst" (i3.Vortr.; 190). Dieser Befund besitzt bloß faktische Evidenz und durchschaut nicht, wie Sein oder Wirklichkeit (des Denkens) und Bewußtsein in der Wurzel zusammenhängen. Die Anschauung des Selbstbewußtseins sichert, daß Bewußtsein ist, wenn wirklich gedacht wird, und daß das Denken wirklich ist, wenn wir Bewußtsein davon haben. Wie aber steht es mit der genetischen Durchsichtigkeit dieses Fundes? Dies ist zweideutig. Geht das Sein (des Denkens) aus dem Bewußtsein hervor oder das Bewußtsein aus der Energie des Denkens? Entstehung und Entstehungsgrund dieses Zusammenhanges bleiben einem Idealismus, der sich auf faktische Evidenz beruft, verborgen. Für den Idealismus ist das Bewußtsein eine Tatsache. Nun gilt ihm das Bewußtsein als das Absolute. Mithin stützt er sich auf eine absolute Tatsache und verwirrt sich im unentwirrten Zusammenhange von Sein und Bewußtsein. Um die Angemessenheit und Anmaßung des höheren Idealismus zu scheiden, dafür ist bereits ein Gerichtshof vorhanden: das Wissen in der Position des höheren Realismus. Er erteilt dem Idealisten folgenden Bescheid: Das Ansich ist nicht erdacht; es ist ja unkonstruierbar. Das Erdenken, also die Energie und Freiheit unseres Denkens, bringt es daher nicht zu einer Konstruktion des Ansich. Das Ansich ergreift das Wissen unmittelbar als das alles Denken und Bewußtsein Vernichtende. „Es setzt sich selber in deinem Wissen und als dein Wissen ab" (12. Vortr.; 186). Begibt sich mithin das Einleuchten des Ansich ohne Zutun des freien und spontanen Denkens, dann fällt die Freiheit als erzeugendes Prinzip aus. „Ueber die Begebenheit selber wirst du demnach deiner Freiheit und Energie kein Verdienst beimessen. Nur, daß du jetzt dieses Verfahrens und seiner Bedeutung dir bewußt worden, missest du deiner Energie bei" (12. Vortr.; 186). Dieser Bescheid ist eine kritisch-scheidende Zurechtweisung. Die Energie und Freiheit im Durchdenken des Ansich waren gar nicht am Einleuchten des Ansich und an der ursprünglichen Scheidung in Denken und Sein schuld; sie stehen für das nachträgliche Bewußtwerden dieses Geschehens ein. Damit sind die Ursachverhältnisse zurechtgerückt. Wir denken das Ansich nicht, weil
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wir uns dessen bewußt sind; wir sind uns dessen bewußt, weil das Ansich im Denken als das Denken Vernichtende einleuchtet. Hat sich das Ansich als Prinzip durchgesetzt, welches die Disjunktion von Sein und Bewußtsein genetisch klärt, dann ist es unsinnig, das Bewußtsein zum Prinzip des Ansich zu erheben. „Geht es (das Bewußtsein) aber aus dem Ansich hervor, so kann dieses nicht hinwiederum... aus jenem hervorgehen" (13. Vortr.; 190). Diese Richtigstellung hat eine Konsequenz für die Lehre von der Wahrheit. Sie stellt die Regel auf, die Aussage des unmittelbaren Bewußtseins in Beziehung auf Wahrheit, nämlich daß es das Wahre von sich her ergreift, zu verwerfen. Die Wissenschaftslehre leugnet die Gültigkeit der Aussagen des unmittelbaren Bewußtseins schlechthin als solche. Eine tiefer gehende Prüfung hat ergeben: Nichts ist darum wahr, weil wir uns dessen bewußt sind, vielmehr können wir uns einer Sache mit Bewußtsein bemächtigen, weil sie wahr ist. Die Wahrheit ist ein SichOfTenbaren des Seins und der ermöglichende Grund für die Richtigkeit oder Unrichtigkeit des Bewußtseins in seinem Sagen und Urteilen. „Der Grund der Wahrheit, als Wahrheit, liegt doch wohl nicht in dem Bewußtsein, sondern durchaus in der Wahrheit selber" (13. Vortr.; 195)"°. Steht es so, dann wird, um zur Wahrheit durchzudringen, das Verfahren der Abstraktion unumgänglich: „immer das Bewußtsein abziehen, als derselben durchaus nichts verschlagend" (13. Vortr.; 195. Lesart A: vorschlagend : verschlagend). Diese Operation des Selbstbewußtseins ist ebenso notwendig wie künstlich; denn natürlicherweise kommt das Wissen nie aus dem Bewußtsein heraus. Immer wieder stellt sich bei allem Denken, auch dem realistischen des Ansich, die Reflexion ein: Aber dessen sind wir uns doch bewußt. Notwendigerweise aber sind der Einspruch des Bewußtseins und die Aufzählungen der Bewußtseinsleistungen abzuziehen, wo es um die reine Wahrheit und das In-Wahrheit60
Es ist nicht verwunderlich, daß die W.-L. 1804 als Grundlage für die Überwindung des Psychologismus und als Lösung im Streit um die Heterogenität von intentionalem Bewußtsein und ontologischer Geltung der Wahrheit usurpiert wurde. (Vgl. H. Lanz, Tichte und der transzendentale Wahrheitsbegriff', Archiv Gesch. Philos. 26, S. i—25. 1913.) Diese Wiederholung der Fichteschen Wahrheitslehre hält sich an den Abweis des Bewußtseins in seiner 'Sichgültigkeit' (weil es die Ansidi-Gültigkeit der Wahrheit nicht begründen kann) und an die Anweisung, vom Effekt des bloßen Bewußtseins (unserer psychischen Bewußtseinsvorgänge) zu abstrahieren und die reinen Inhalte zur 'Geltung' zu bringen. Freilich nimmt diese Übernahme der Wahrheitslehre ihren Ausgang vom psychologischen Mißverständnis des Bewußtseins und findet ihr Ende beim Ansich des höheren Realismus.
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Seiende geht. Wo das Bewußtsein als Grund der Wahrheit in unbeschränkter Geltung bleibt, da breitet sich der Schein aus, das schon für das Wesen zu halten, was doch nur Erscheinung der Wahrheit ist, das Bewußt-Seiende. Der durch diesen Schein herbeigeführte Irrtum verrechnet sich ständig, weil seine Grundgleichung 'ist bewußt = ist wahr' falsch ist. Das Wissen löst sich aus diesem Schein, indem es das Bewußtsein als Urfaktum durchschaut. „Das Urfaktum und die Quelle alles Faktischen ist das Bewußtsein" (13. Vortr.; 195). Das ist nun eingeschärft. Das Bewußtsein findet sich in einem von ihm undurchschaubaren Zusammenhang mit dem Sein als dem wirklichen Denkvollzug. Es ist selbst faktisch und wird zur Quelle alles Faktischen. Soweit das Bewußtsein herrscht, hellt sich der Entstehungsbezug von Denken und Sein nicht auf. „Dieses kann Nichts bewahrheiten" (13. Vortr.; 195). Bewahrheiten heißt hier, aus der Helle seines wahren Ursprunges in Erscheinung treten lassen. Steht es nun so, daß das Bewußtsein und seine Leistungen unmittelbar nichts zur Wahrheit beitragen, sondern diese durch ihre Ansprüche verstellen und den Schein verbreiten, der zum Grundirrtum über das Sein verleitet, dann wird die Aufgabe vordringlich, von allem Effekte des Bewußtseins zu abstrahieren. Nur durch die Anstrengung solcher Abstraktion könnten die Wahrheit und das Absolute rein zu Tage treten. Was aber ist eigentlich abzuziehen, damit die verstellte Wahrheit unverstellt vor Augen kommt? „Was war nun eigentlich der Effekt des Bewußtseins, um dessen willen es verworfen wurde; was daher dasjenige, das man allemal von der Wahrheit abziehen muß?" (15. Vortr.; 210). Abzuziehen ist das, worin das Bewußtsein sein Unvermögen bewiesen hat und worüber sein Richtspruch und Urteil nichts gilt: der im unmittelbaren Bewußtsein lagernde Zusammenhang von Sein (Realität) und Bewußthaben; denn das Bewußtsein stellt Sein nur durch eine Kluft an Unbegreiflichkeit hindurch vor, durch den Hiat zwischen wirklichem Denken und Bewußtsein. Das ist im Hinblick auf den Hiat nochmals vorzutragen: Der Idealist beteuert deren untrennbaren, täuschungsfreien Zusammenhang. „Du wirst nicht annehmen, daß du wirklich denken könntest, ohne dir dessen bewußt zu sein, und umgekehrt, daß du dir deines Denkens bewußt sein könntest, ohne daß du wirklich dächtest, und dieses Bewußtsein dich nur täusche" (13. Vortr.; 200). Denke ich wirklich, dann bin ich mir des Denkens bewußt. Und bin ich mir des Denkens bewußt, dann ist wirkliches Denken. Das leidet keinen Zweifel. Und der Idealist baut auf diesen täuschungsfreien Zusammenhang von
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Sein und Bewußthaben im Bewußt-Sein. Aber er täuscht sich in der Unterstellung, der evidente Zusammenhang sei in jeder Hinsicht evident. Evident ist bloß, daß er nicht zu zerreißen ist, undeutlich bleibt, wie und wodurch die Glieder dieses Zusammenhanges zusammenhängen. Wird er vom Bewußtsein als dem Unmittelbaren und Absoluten her geknüpft, dann eben durch ein gewaltsames Sich-hinweg-Setzen über etwas Unerforschtes. Woher nimmt denn die Behauptung ihr Recht, daß das Bewußtsein des Denkens das Wirklichsein eines wahrhaft und realiter vorhandenen Denkens erwirkt? Sie gibt über ihren Fund keine Rechenschaft. Rechenschaft geben heißt, sich einen zureichenden Grund zustellen (rationem reddere). Aber es ist kein Grund beigebracht, der den faktisch bezeugten Zusammenhang von Sein und Denken erklärbar macht. Das Bewußtsein läßt zwar keinen Zweifel daran, daß das bewußte Denken Realität hat und kein Schein ist, aber es kann auch keinen Grund für diese Seinsthese finden. Läßt der Idealismus aber das Grundverhältnis zwischen Sein und Bewußthaben offen, wie steht es dann mit dem Selbstbewußtsein als fundamentum inconcussum für die Vergewisserung von Sein? Der Bescheid lautet: Das Bewußtsein projiziert das Sein per hiatum irrationalem. Es projiziert Sein, heißt, es hält sich das Sein vor und entgegen, indem es das Sein aus sich herauswirft und gleichsam zu Boden niederlegt. Sein ist ein Projekt und nicht bloß ein Objekt der Bewußtheit. Aber der Vorgang des Aus-sich-heraus-undNiederlegens geschieht durch eine Kluft hindurch (per hiatum). Diese Kluft ist für das Wissen ein Abgrund (hiatus irrationalis); denn die Bewußtheit kann über ihr Projizieren und Sein-Setzen keine Rechenschaft geben und von ihnen keine Entstehungsgründe beibringen. „Dieses Bewußtsein projicirt daher eine wahrhafte Realität, per hiatum einer absoluten Unbegreiflichkeit und Unerklärbarkeit hindurch" (14. Vortr.; 200). „Diese Projektion per hiatum ist sichtbar dasselbe, was wir ehemals und jetzt auch genannt haben: die äussere Existential-Form, die sich offenbart in allem kategorischen Ist" (14. Vortr.; 200)". Der Idealismus 61
Es ist wichtig, in dieser Formel die Struktur des Zweiten Grundsatzes der Grundlage und das Wesen der Anschauung wiederzuerkennen (vgl. K. Giel 'Fichte und FröbeP a.a.O., S. j6 ff.). Die Grundlage hatte das Entgegensetzen als ein unbedingtes Machen gefunden, das sich nicht selbst macht, dergestalt, daß es sich in seinem Sichmachen machend verliert und sich aus sich heraussetzt (projiziert). Weil sich nun die unbedingte Tätigkeit im 'Sichhinauswerfen' nicht setzt, begreift sie die Tätigkeit in der Projektion nicht als Machen. Die Projektion, die sich nicht als Projizieren begreift, heißt proiectio per hiatum. Zugleich ist natürlich das Projizierte nicht als solches
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hat einen unausrottbaren Hang, Sein nur in der äußeren Existenzialform gelten zu lassen. Er bleibt bei dem objektivierenden Licht als einem Absoluten stehen. Ihm bedeutet daher das kategorische Ist überall: ist uns bewußt. Sein ist Gegenständlichsein durch und für das ichhafte Bewußtsein; denn das durch einen irrationalen Hiat hindurch projizierte proiectum verfällt der niederen Seinsbedeutung, Heraus- und Entgegengesetztes oder obiectum zu sein. Und das Objekt ist tot, weil das lebendige Wissen am Hiat abbricht. Diese Grundsätze gelten auch für das Ansich. Auch das notwendig vorauszusetzende, bewußtseinsunabhängige Leben ist nur im wirklichen Denken auf Grund des Bewußtseins real. Es existiert nur in der Form eines notwendigen Gedankens und wird der Projektion per hiatum ausgeliefert. Ein Wissen aber, das zur Wahrheit aufsteigen will, sollte sich darüber erheben. Ihm wird ein Äußerstes an Abstraktionskraft zugemutet. Vom Ansich und vom in sich lebenden Leben muß der als grundlegend behauptete Umstand abgezogen werden, daß wir uns seiner, sofern wir darüber sprechen und objektivierende Betrachtungen anstellen, bewußt sind. „Diese Projektion nun, oder äussere Existential-Form, sollen wir, ungeachtet wir faktisch uns ihrer nicht entledigen können, dennoch als wahr nicht gelten lassen" (14. Vortr.; 200). Wird dieser Forderung entsprochen, dann ist der Idealismus entwurzelt. Der Gang der Methode geht über das 'absolute Ich' hinweg. Er läßt sich durch die Einsprüche des Bewußtseins nicht mehr vom Aufstieg zur Wahrheit und zum reinen Sein aufhalten.
gesetzt. Das per hiatum gesetzte proiectum, das ist das Sein an sich. Und das ist auch die innere Struktur der Anschauung, ein Sichhinausschauen per hiatum, und das Angeschaute ist das aus der Begreifbarkeit herausgeworfene proiectum: das nicht begriffene Sein in sinnlicher Anschauung oder das Daß des Entgegenstehens.
5>. KAPITEL Die Abdankung des höheren Realismus Fidites Auseinandersetzung mit Idealismus und Realismus kritisiert keine geschichtlichen Systemansätze. Zwar ließen sich die zeitlosen Stationen auf dem Wege zur Wahrheit auch historisch belegen und als Überwindung der Idealismen im Sinne von Descartes, Leibniz, Bardili oder als Abgrenzung gegen realistische Systeme im Stile von Spinoza oder von Reinhold nachweisen, aber das ist außerwesentlich'2. Wesentlich ist die Herausarbeitung der idealistischen und realistischen Positionen in ihrer schrittweisen, wechselseitigen Widerlegung und Erhöhung als systematisch eingelegten Stufen (als 'Leiter') im Aufstieg zur Wahrheit. Es ist ein dialektischer Prozeß, der das Bewußtsein mehr und mehr dazu zwingt, seine Prinzipienansprüche aufzugeben, und der die Möglichkeit eröffnet, das Absolute unverstellt zum Vorschein kommen zu lassen. Solcher Prozeß verlangt die subtile Arbeit einer immer tiefer dringenden Reflexion, welche Idealismus und Realismus in die Spannung von Gegensätzen stellt, die im Zeitalter vorher nicht gekannt und nachher mit dem 'Zusammenbruch5 des Deutschen Idealismus wieder verdrängt oder nivelliert worden sind. Ihre begriffliche Höhe und methodische 62
Sicherlich ist der Angriff von Reinhold, das reine Ich Fichtes sei kein reales, absolutes Urwahres, sondern ein bloß relatives Ideales, dessen absolute Tat Selbstbeschränkung ist, ein bedeutender Antrieb für die Problementwicklung der W.-L. 1804 gewesen (vgl. H. Girndt a.a.O., n. Kap.). Er hat sicherlich die realistische Wahrheit verstärkt, daß die Erkenntnis als Reflexibilität kein sich selbst tragendes Prinzip sein kann, sondern ein sie transzendierendes Urwahres vorausgesetzt. Wird nun zugleich der idealistischen Wahrheit Rechnung getragen, daß sich das Problem des Verhältnisses von Ich-Erscheinung und Urwahrem nur innerhalb und für die Reflexibilität stellt, so ergibt sich die antreibende Antithesis für den Aufstieg zur Wahrheit. Nun läßt sich wohl die systematische Position des Realismus mit dem 'rationalen Realismus' Reinholds, keinesfalls aber die des Idealismus mit der Position Hegels und Schellings gleichsetzen, wie es Girndt versucht. Gleichwohl bleibt seine Leitthese richtig, daß die Differenz der Fichteschen Transzendentalphilosophie gegenüber dem Idealismus Schellings und Hegels eine grundsätzlich andere ist als die, welche Hegels Differenzschrift behauptet.
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Konsequenz hebt die Fichtesche Auseinandersetzung weit über die Niederungen eines Weltanschauungskampfes hinweg und befreit sie von Trivialitäten, in denen dieser Kampf gemeinhin und weltweit befangen ist. Und die Wissenschaftslehre kann darüber belehren: Der Austrag dieses Streites ist kein Irrweg, der einfach beiseite gelassen werden kann, er bildet eine notwendige Phase auf dem Wege der absoluten Reflexion. Zu welcher Höhe ist dieser Weg gelangt? Zu welcher Steigerung des Gegensatzes hat sich das Denken bisher verstanden? Der Idealismus ist niedergeschlagen, der höchste Realismus hat sich durchgesetzt. In seinem Geiste nämlich geschah die Zurückweisung der idealistischen Anmaßung. Der Idealismus ist unterlegen; denn er kann den Zusammenhang von Ansich und Denken nicht durchschauen, weil er sich nicht auf den Anfang einer Sichkonstruktion des Absoluten einläßt. Daran wird er durch den Umstand gehindert, daß sich das Bewußt-Sein von der Realität und Tätigkeit des Denkens grundsätzlich einmischt. Der Realismus erklärt die Rückgründung des Seins ins Bewußtsein für Schein. Das wirkliche Denken, die Energie und Freiheit des Denkvollzuges als Ursprung des Ansich, sei vom Bewußtsein nur 'hingespiegelt5. In Wahrheit läßt sich das Ansich gar nicht von uns konstruieren, es wird eingesehen als durch sich selbst konstruiert. Die Selbstkonstruktion des absoluten Ansich verlangt die überlegene Vernunfthaltung, die sich an den Inhalt hingibt. Nur einer solchen Einstellung kann evident werden, wie das reine Sein in Vernichtung des Begriffes zu Bewußtsein kommt. Und sie duldet keine Hinspiegelung und Projektion des Seins per hiatum irrationalem, d. h. durch eine Kluft, über die sich der begrifflich konstruierende Verstand hinwegsetzt, ohne Rechenschaft über das ihn leitende Vernunftgesetz abgeben zu können. Ausdrücklich unterstellt sich der höhere Realismus dem Gesetz: Wahr ist allein das, was genetisch einsichtig ist. Er formuliert seine regula generalis negativ so: Es ist keine proiectio per hiatum irrationalem, also keine Setzung wahren Seins, in welcher die Wahrheit durch Nicht-Genesis getrübt ist, zuzulassen; die reine Wahrheit erscheint, wenn sie vom Effekt des Bewußtseins, also von der faktischen Projektion des Seins gereinigt ist. Bereitet also der Realismus den Wahrheitsgrund, auf dem sich die Philosophie und Wissenslehre ansiedeln und systematisch ausbreiten kann? „Ehe wir nun unter seiner Leitung weiter gehen, dürfte es rathsam sein, ihn selbst nach dem von ihm aufgestellten Gesetze zu prüfen, also geradezu vor seinen eigenen Richterstuhl ihn zu ziehen, um zu finden, ob er denn selber reiner Realismus sei" (14. Vortr.; 201). Der Realismus
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muß sich prüfen, ob er seinen eigenen Anforderungen entsprochen hat. In dieser Prüfung wird nicht mehr ein anderer (der Idealismus) überprüft, in ihr sind Prüfender und Geprüfter der eine und selbe. Und es wird zum Bekenntnis kommen: Der höhere Realismus verstößt gegen sein eigenes Gesetz; sein Prinzip wird per hiatum projiziert. In ihm wurzelt ein Rest an bloßer Tatsächlichkeit. Der realistisch unausrottbare Rest an Faktizität steckt im Inhalte des Ansich; dessen einheitliche Bestimmtheit nämlich wird das voraussetzen, wovon gerade abstrahiert werden sollte, die Faktizität des Bewußtseins. Noch einmal ist das zum Absoluten erhobene Ansich vorzunehmen. Dabei bleiben die Resultate unberührt, welche die Form betreffen, also die Einsicht, daß das Ansich nicht durch die bewußte Energie des Denkens aufgebracht wird und sich selbst konstruiert, dieweil unser Konstruieren sich an der Unbegreiflichkeit vernichtet. Thema der kritischen Analyse ist der als fertig vorausgesetzte Inhalt. Somit muß das sich besinnende absolute Wissen „diese ursprünglich fertige Construktion, ihrem stehenden Inhalte nach, näher untersuchen" (14. Vortr.; 201). Aber verläuft so die Untersuchung nicht in einem Zirkel? Die thematische Besinnung auf die Realität des Ansich hatte ja ein energisches Durchdenken seiner Bedeutung verlangt und den Idealismus auf den Plan gerufen; dessen Aufhebung führt wiederum vor die Inhaltsanalyse des Ansich und so auf den Ausgangspunkt zurück. „Wir wollen doch nicht das schon Vollzogene abermals vollziehen, wodurch wir, in einem Zirkel befangen, nicht von der Stelle kommen würden" (14. Vortr.; 201). Worin aber besteht, wenn der Gang zur Wahrheit nicht im Kreise herumirren soll, der neue, unterschiedliche Frageansatz? In einer ersten Untersuchung war die Bedeutung des Ansich im Hinblick auf die Selbstkonstruktion des Absoluten und das Aufscheinen eines ursprünglichen Lichtes und reinen, objektivierenden Bewußtseins durchgenommen worden. In dieser Rücksicht wurde aus einem vorausgesetzten Ansich der Ursprung des Bewußtseins entnommen. „Oben setzten wir das Ansich voraus, und erwägten seine Bedeutung, indem wir Leben, oder Urphantasie hinzuthaten und in dieser aufgingen; und unsre Wurzel hatten" (14. Vortr.; 201—02). Diese erinnernde Verdeutlichung bringt zur Einsicht: Die Wurzel unseres menschlich-endlichen Bewußtseinslebens ist Urphantasie. Der Titel nennt die Weise, wie das absolute Sein seine Bedeutung erzeugt, und nennt zugleich, indem unser Bewußtsein darin aufgeht, den Urzustand unseres Bewußtseins. Urphantasie ist der Urakt der produktiven Einbildungskraft (phantasia), nämlich das Schweben
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zwischen der Ansicht des Ansich und der Negation aller Konstruktion. So hält die Urphantasie Anwesendes (das Ansich als reines Sein) mit Abwesendem (dem negierten Für-uns) zusammen. Was dadurch gleichsam im Überschlag mitpräsent gehalten wird, ist die im Für-uns lagernde Gesamtheit aller Bewußtseinsbezüge. Der originäre Zusammenhalt von Seinseinheit und Bewußtseinsmannigfaltigkeit kann nur im Bilde angeschaut werden; denn das Begreifen des Begriffs ist ja abgesetzt. So war in einem ersten Zugang zum Sinn von Sein die Bedeutung des Ansich versinnlicht, und es war gezeigt worden, wie aus dem vorausgesetzten Ansich der Quell unseres spezifisch menschlichen Bewußtseins, die produktive Einbildungskraft, entspringt. In der Wiederaufnahme des Verfahrens wird jetzt das vorausgesetzte Ansich als vorausgesetztes in Betracht gezogen. Jetzt kommt die Urbedeutung, welche der lebendigen Nachkonstruktion der Selbstkonstruktion voraus- und zugrunde liegt, zur Sprache. Die Nachkonstruktion ist ja eine Verdeutlichung, welche einem notwendig im voraus festgelegten Sinn von Ansich folgt. Jetzt wird der stehende Inhalt des Ansich als das absolut Vorausgesetzte nachgewiesen werden müssen. Und das kann nicht einfach durch plane Begriffszergliederung geschehen. Dazu ist eine tief gehende Abstraktion erforderlich. Es muß die Urphantasie, die unabweislich zum Ansich gehört, faktisch erregt und in eins ferngehalten werden. Die Bedeutung des Ansich darf jetzt nicht mehr versinnlicht werden; sie muß in einem reinen Denken aufgehen, das sich ganz dem Inhalte anheimgibt und nichts ist als das Dasein des Gedachten. Damit ist der Fortgang der Untersuchung abgesteckt und die Zirkelbeschwerde abgewiesen. Die Formel zwischen dem schon vollzogenen und dem jetzt anhebenden Vorgehen, das Ansich in seiner Bedeutung aufzuhellen, lautet: „In jener Construktion ist die versinnlichte, in dieser soll sein die rein intelligirte Bedeutung des Ansicb" (14. Vortr.; 202). Was also ist der Sinn des seinem fertigen Inhalte nach vorausgesetzten Ansich? Die 'abstrakte' Antwort ist einfach. Ansich ist allein als Negation verständlich. Ansich-überhaupt bedeutet, wie man es auch auffaßt, nicht-für-uns. Sein an sich erhält nur in Korrelation zum Seinfür-das-Bewußtsein Bedeutung und wird nur als dessen Negation sinnvoll. Das ist eine vernichtende Feststellung. Das Ansich war als das Absolute veranschlagt worden — es ist seinem Inhalte nach selbst nur Glied einer Relation. Es hat Disjunktion und Sonderung an sich selbst und taugt nicht zum Prinzip der Philosophie. Deren Aufgabe bestand ja darin, alles Mannigfaltige auf gegensatzlose Einheit zurückzuführen.
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Sie wurde mit der Methode betrieben, in vorgeblichen Prinzipien Gegensätze aufzudecken, und sie kommt in der Grundlegung des Ansich nicht zur Ruhe. „Mit einem Worte, das Ansich, tiefer erwogen, ist kein Ansich, kein Absolutes; denn es ist keine wahre Einheit, und sogar unser Realismus ist nicht zum Absoluten durchgedrungen" (14. Vortr.; 202). In Betracht des Ansich zeigte sich eine Einheit zweier Glieder (von Ansich und Nichtansich), welche nicht die gesuchte absolute Einheit sein kann, sofern diese ja in sich gegensatzlos sein soll. Mithin bringt es der Realismus nur zu einer relativen Einheit zweier Relate. Zudem entwirft er sie in einer Synthesis post factum. Er setzt das Ansich und dessen Gegenglied, das Nichtansich, voraus und projiziert von da die beides vermittelnde Einheit. Darum bringt es das Wissen, das diese Einheit als das Ursprüngliche aufstellt, bloß zu faktischer Evidenz. Ihm wird einsichtig, daß die Glieder (also Ansich und Füruns oder Objektivität und Subjektivität) unzertrennlich sind und sich gegenseitig sowohl bedingen wie aufheben. Unerfindlich bleibt, wie aus der reinen Einheit gerade diese bestimmten Disjunktionsglieder entstehen. Das aber heißt: Das Verhältnis von Sein (Ansich) und Denken (Für-uns) ist per hiatum gestiftet. „Denn wie aus der Einheit, als bloßer reiner Einheit, ein Ansich und Nicht-ansich folge, läßt sich nicht erklären" (14. Vortr.; 203). Der Realismus bricht sein eigenes Gesetz, kein proiectum per hiatum irrationalem zu dulden. Er entwirft eine bestimmte Einheit, ohne über deren Zustandekommen Rechenschaft zu geben. Wodurch aber wird die Bestimmtheit der Einheit verbürgt? Worauf stützt sich die Annahme der Einheit der Glieder von Ansich und Füruns, die sich in der Realität gegenseitig vernichten und zur Erklärung gegenseitig setzen? Auf das Zeugnis des unmittelbaren Bewußtseins. „Diese Bestimmtheit hätte kein anderes Unterpfand, als das unmittelbare Bewußtsein" (14. Vortr.; 203). Das ist ein bestürzendes Eingeständnis. Das Denken des Ansich hat zur Bedingung seiner Möglichkeit, daß die Differenz von Ansich und Für-uns unmittelbar bewußt gemacht werden kann. Die Möglichkeit dieses Unterschiedes aber ist das Element des begreifenden Bewußtseins. „Unser höchster Realismus daher, d. h. der höchste Standpunkt unserer Spekulation, ist hier selber als ein bisher nur in seiner Wurzel verborgen gebliebener Idealismus aufgedeckt" (14. Vortr.; 203). Die Spekulation im Stile der Selbstdurchdringung des absoluten Wissens konnte meinen, im Erringen der realistischen Position und in der genetischen Ableitung des Ansich seine Voll-
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endung gefunden zu haben und zur wahren Einheit und zum absoluten Sein hindurchgedrungen zu sein. Ihr gehen jetzt die Augen über. Sie glaubte, da sie sich ja an ein reines Ansich anhalte und die einseitige Bewußtseinsreflexion abhalte, über das Bewußtsein hinausgekommen zu sein. Nun aber wird ihr klar: Sinn und Bedeutung des Ansich beruhen doch auf dem Verhältnis zwischen Ansich und Für-uns, und die Relation von Ansich und Für-uns ist gerade die Grundform und Anlage des Bewußtseins; sie ist ja „das ganze bekannte Durch, und die ganze darin bekannte Fünffachheit" (15. Vortr.; 212). Offenkundig läßt sich das Durcheinander von Subjekt und Objekt eben so ausdrücken: Kein Ansich ohne die Negation des Für-uns und umgekehrt. Und der Bezug von Sinnlichem und Übersinnlichem ergibt sich aus dem Bestimmungsverhältnis von Ansich und Für-uns: das Übersinnliche durch die Vernichtung des Für-uns am einleuchtenden Ansich, das Sinnliche durch die bestimmende Rücksicht des Ansich auf das Für-uns. Also hat sich der Realismus als ein Idealismus enthüllt, der sich nur nicht kennt. Er hat unwissentlich das faktische Selbstbewußtsein zum Zeugen seiner Wahrheit bestellt. Dieser Rückschlag ist notwendig. Er bricht der Anwendung des Grundgesetzes, das vom ersten Schritt an die absolute Reflexion leitete, rücksichtslos Bahn. Das Grundgesetz allen Wissens lautete: Soll das Absolute einleuchten, dann muß sich der Begriff vernichten. Es schreibt vor, von allem Bewußtseinsbezug abzulassen, damit evident werde, wie ein Leben jenseits des Begriffs vorauszusetzen sei. Jetzt ist die Hartnäckigkeit des Begriffs, der nicht von sich lassen will, in seiner letzten Verschanzung, dem urrealen Ansich, gebrochen, und dadurch ist alle bisher geübte Absetzung des Bewußtseins und seiner Relationen übertroffen. Anfänglich war bloß das Konstruieren des Begriffs als unangemessen durchschaut. Danach wurden durch tieferes Eindringen in die Zusammenhänge von absolutem Sein und absolutem Wissen der Urbegriff und das Durch als inadäquat in Rechnung gestellt und schließlich der idealistische Rückfall in ein absolutes Ich zuschanden gemacht. Jetzt ist die Einsicht gewachsen: Nicht nur die idealistische Ansicht operiert kurzsichtig, weil sie in der vom Bewußtsein konstituierten Relationseinheit befangen bleibt und es nicht zur reinen Wahrheit bringen kann, auch der höchsten realistischen Ansicht hängt die Relation auf das Bewußtsein an. Mithin ist dem Grundgesetze allen Wissens erst ganz entsprochen, wenn nicht nur die offensichtliche Bewußtseinsform, sondern auch das Ansich als Prinzip der Wahrheit und des Seins fallen gelassen und so das Ich und
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der Begriff in seiner höchsten und letzten Möglichkeit vernichtet ist. Damit erfüllt sich das Grundgesetz nicht bloß wie auf den bisherigen Stufen der Selbsterkenntnis nur zum Teil, sondern ganz und gar. Wird das Ansich grundsätzlich aufgegeben, dann tritt das Wissen endgültig aus dem Unterschied von Objekt und Subjekt heraus und verläßt den Horizont der äußeren Existenzialform, in dem auch das Höchste, das absolute Sein, nur als Abgebildetes im Bilde da ist. „Kurz, die ganze äussere Existential-Form ist in jeder Gestalt zu Grunde gegangen; denn sie ist es in der höchsten, in der sie vorkam, in dem Ansich" (14. Vortr.; 204).
. KAPITEL Absolute Abstraktion und absolutes Sein Die Entscheidung ist gefallen. Das Ich muß zugrunde gehen, damit Gott Prinzip sein kann. Jetzt tritt die anfänglich leitende Alternative in voller Klarheit heraus. Ist das endliche, seiner selbst gewisse Ich Prinzip, dann ist Gott nur in äußerer Existenzialform zugelassen, und das ens necessarium ist ein für uns notwendiger Gedanke. Ist Gott der absolute Seinsgrund und Wahrheitsboden und ist die innere Existenzialform ernst zu nehmen, dann muß das Ich zugrunde gehen. Die Macht und Freiheit des Ich besteht darin, sich selber schlechthin zu setzen, sich das objektive Sein entgegenzusetzen und sich in diesem Gegensatze durchzusetzen. Die Größe und eigentliche Würde des Ich besteht darin, sich selber schlechthin abzusetzen, um nichts als das Bild zu sein, in welchem göttliches Sein zur Erscheinung kommt. Um zum reinen göttlichen Sein aufzusteigen, muß das Wissen wissen, daß die Form seines Bewußtmachens dem gesuchten Inhalte einer gegensatzlosen Einheit widerspricht. Also ist davon gänzlich zu abstrahieren. Und damit verbindet sich die Auflage, auch von der Form der Sprache abzusehen. Die Sprache darf für ein Ersehen des Absoluten nicht eingesetzt werden. Sie kann auch das Sein weder definieren noch durch Beschreibungen und Umschreibungen dem Verständnis nachhelfen, „da die erste Grundwendung aller Sprache, die Objectivität, schon längst in unserer Maxime aufgegeben ist, und hier in absoluter Einsicht vernichtet werden soll" (15. Vortr.; 205, Lesart A: aller Sprachen : aller Sprache). Die urteilende Spracherfassung war ja schon als unangemessen abgeschrieben worden, als klar wurde, daß unsere nachkonstruierende Rede dem Moment des 'tout d'un coup5 nicht nachkommen kann, mit dem die Grunddisjunktionen des Bewußtseins aufgehen. Wieviel weniger vermag die Sprache dem Einleuchten des Absoluten zu entsprechen. Sprache wird von Fichte hier als Ausdruck des Begriffs genommen. Die Sprache spricht ja in Allgemeinheiten und fixiert diejenigen
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Abhebungen und Unterscheidungen, die der Begriff in seinem durchnehmenden Vernehmen trifft. Und die Rede folgt in ihrem Urteil dem begrifflich sondernden und zusammenhaltenden Als des Bewußtseins; sie beurteilt immer etwas als etwas, sei es als es selbst oder als etwas anderes. Das zeigt: Die Sprache entspricht niemals dem Sein, sondern immer nur unserem Bewußtsein von ihm. Darum ist ihre Grundwendung Objektivation. Sie läßt das Sein in Bestimmtheit entgegenstehen und hilft so dem Begriff, es betrachtend durchzunehmen. Die Sprache nimmt diese Wendung nicht zurück. Sie verfestigt die begriffliche Vorstellung, indem sie Sein substantivisch nimmt. Die Sprache sagt 'das Sein' und mißachtet durch ihre Substantivierung den verbalen Charakter des Seins (Sein als Tätigkeit und Leben) und dient dem Seinsverständnis der Substanzialität (Sein als In-sich-Stehen). Fichte hat die substantivierende Seinsfassung der Sprache aufgeklärt. „Das ganze substantive Sein ist Objectivität" (15. Vortr.; 206). Das Bewußtsein ertötet das Sein und stellt es als Gegenstand und Satz-Gegenstand vor, indem es das Sein per hiatum projiziert und von sich abschneidet. Die Sprache folgt dem Bewußtsein. Daher ist mit der proiectio per hiatum des Bewußtseins auch die Zeugniskraft der Sprache abzuwerten. Und folglich spricht das Wissen, das die Sprache durchschaut, vom Sein als einem Unsäglichen. Die Methode, welche der Forderung, Begriff und Sprache ganz und gar abzutrennen, genügt, ist das Verfahren der 'absoluten Abstraktion'68. Es nimmt auf den Umstand Rücksicht, daß wir das Absolute, sobald wir uns dessen bewußt sind und darüber reden, immer schon in der Form der Vergegenständlichung und in der Grundwendung der Sprache beur63
Diesen Weg zur reinen Aussage des Absoluten hat K. Schuhmann mit einem Hilfsbegriff als die 'Zweite Methode' bezeichnet und als Konsequenz ausgewiesen, welche zu ziehen der Inhalt der W.-L. selbst zwingt. Sie ist die Regel des Denkens, welche „die Folge des Bildens im Bilde selbst wieder vernichtet" (Transzendentale Logik; N.-W. I, 279). Die Vernichtung des Begriffs bedeutet das Zurücklassen seiner Form, die Abblendung der Relation von Bedeutung und Gegenstand, das gänzliche Absehen von der Weltbezogenheit des Begriffs. Nach dieser Regel hat Fichte das unsägliche Absolute als Leben, Licht, Sein aussagen können. Diese Methode der Prädizierung des Unprädizierbaren schwebt zwischen Setzen und Vernichten des Begriffs und entspricht dadurch dem Schwebecharakter des Absoluten, welcher das Sein der Fixierung entzieht (a.a.O., S. 88—92). Der Einwand Hegels, das Wegnehmen dessen, was das Werkzeug des Begriffs am Absoluten getan hat, lasse das Absolute, wie es war, und sei eine überflüssige Bemühung, trifft den Prozeß dieser Methode nicht. Was weggenommen wird, ist die Verstellung des Bewußtseins. Solche Auflösung des Scheins ist das notwendige Bemühen, die Wahrheit rein scheinen zu lassen.
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teilen. Indem wir aber darauf achten, kommen wir in den Stand, von allem zu abstrahieren, was am vergegenständlichten Absoluten Produkt unserer Vergegenständlichung ist. Zwar können wir unser endlich-selbstbewußtes Reflektieren niemals vom Urteil über das Absolute fernhalten, aber wir können es als inadäquat in Rechnung stellen und gleichsam vom Resultate abziehen. Das verlangt die Operation, das selbstbewußte Begreifen und objektivierende Ansprechen des absoluten Seins zu vollziehen und zugleich von den Modi des Begreifens und von den Ausdrucksformen der Sprache zu abstrahieren. Abstraktion ist ein positives Wegsehen. Die absolute Abstraktion ist ein hinwegsehendes Zusehen, das zusieht, was nach dem Abzug der Vergegenständlichung vom Absoluten 'übrig' bleibt. Was übrig bleibt, ist nicht nichts. Solange nämlich der Begriff lebt, bleibt etwas und nicht nichts als notwendige Bedingung seines Lebendigseins vorausgesetzt: das reine Sein. Das Verfahren der Abstraktion ist absolut gesetzt. Von Anbeginn hatte die Wissenschaftslehre ja die Abstraktion als das einzige Mittel bezeichnet, mit dessen Hilfe ein erfahrungsgebundenes Erkennen alle Erfahrung auf ihren Grund hin übersteigt. Aber es war, da es nur um die Herausstellung des Ich aus dem Zusammenhange mit dem Ding ging, bei einer 'relativen Abstraktion' geblieben. Abstrahieren besagte dabei: das in der Erfahrung Verbundene durch Freiheit des Denkens trennen. Was in aller Erfahrung verbunden vorliegt, sind Ding und Intelligenz; denn das Ding erfahren wir nur als vorgestelltes Ding und das Vorgestellte als vorgestelltes Ding (d. h. als etwas an sich Vorliegendes, nach dem sich die Intelligenz richtet). Der Streit der beiden möglichen Systemgründungen ist ein Streit um die Abstraktions-Tendenz. Wird nämlich vom vorgestellten Ding als 'vorgestelltem abgesehen, dann bleibt das Ding (Ansich) als Prinzip übrig; und aller Ansich-Dogmatismus, vom groben Materialismus bis zum subtilen Realismus, beruht auf dieser Abstraktion. Wird umgekehrt vom vorgestellten Ding als Ding abgesehen, dann bleibt die Intelligenz oder die sich selbst vorstellende Vorstellung als Prinzip aller Erfahrung übrig. Und darauf stützt sich aller Idealismus, vom grob Cartesianischen bis zum Nachkantischen, ohne freilich aus der Faktizität des Bewußtseinsgrundes herauszukommen. Darüber herrscht jetzt Klarheit: Beide Ansätze verfahren einseitig, sie bleiben in der Subjekt-Objekt-Relation hängen. Um dem, was wahrhaft ist, zu entsprechen, muß absolut und nicht bloß relativ abstrahiert werden. Es muß vom Ding als Vorgestelltem sowohl wie vom Vorgestellten als Ding und nicht bloß entweder vom Ding oder von der Vorstellung
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abgesehen werden. Die absolute Abstraktion läßt die ganze SubjektObjekt-Relation fallen. Erst dadurch erfüllt die absolute Reflexion die Forderung ihres Grundgesetzes, den Begriff zu vernichten, damit das Absolute einleuchte. Dieses hinwegsehende Sehen aber sieht zu, was übrig bleibt. „Was ist nun in dieser Abstraktion von der Relation dieses reine Sein?" (i j. Vortr.; 205). Was übrig bleibt, ist nicht das reine Nichts, aber auch nicht Sein mit einem Zusätze des Bewußtseins. Übrig bleibt das reine Sein. Was aber bedeutet 'reines Sein'? In einem Satz zusammengefaßt, lautet Fichtes These vom Sein: „Das Sein ist durchaus ein in sich geschlossenes Singulum des Lebens und Seins, das nie aus sich heraus kann" (16. Vortr.; 212). Die Lehre vom Sein enthält nicht mehr als diesen Satz. Er kann mit gebotener Abstraktion erläutert, aber nicht in spekulativer Logik entwickelt werden. Sein bedeutet Anwesendsein, ständiges Beruhen. Das ist der vom Sein unlösliche Charakter der Substanzialität. Er darf nicht durch den Zusatz des Ansidi in der gedankenlosen Formel 'Beruhen-an-sich' verfälscht werden; denn das 'sich' eröffnet die Bewußtseinsrelation. Das bleibende Beruhen des Seins aber ist nicht erstarrtes, beharrendes Vorund Zugrundeliegen. Sein hat in sich nidit die Starre des Todes, sondern Geist und Leben. „Das Seyn, durchaus und schlechthin als Seyn, ist lebendig und in sich thätig, und es gibt kein anderes Seyn, als das Leben: keineswegs aber ist es todt, stehend und innerlich ruhend" (Über das Wesen d. Gel., 2. Vorles.; SW VI, 361). Das ist der heilloseste aller Irrtümer, das Beruhen des reinen Seins mit der Substanzialität des Dinges zu verwechseln; denn das Ding beharrt ohne Leben und Tätigkeit, einfach weil es das Bewußtsein und die Freiheit, für sich werden zu können, außer sich hat und bloß an sich als Objekt für ein Bewußtsein vorund zugrunde liegt. Für solche Auffassung gilt die Gleichung: „Substanz = Sein ohne Leben" (8. Vortr.; 147). Nun hat auch das reine Sein das Bewußtsein im Sinne des Selbstbewußtseins außer sich, aber es ist darum nicht bewußtlos, sondern voll eines Geistes, der höher ist als das im Wesen des endlichen Ich aufgefundene Selbstbewußtsein. Das Tätigsein dieses Geistes — und nicht schon das Bewußtseinsleben — ist wahre Lebendigkeit. „Im Geiste, in der in sich selber gegründeten Lebendigkeit des Gedankens, ruhet das Leben" (Anweisung, i. Vorles.; SW V, 410). Diese Einsicht bildete die Basis für den Aufstieg zum reinen Sein: Das Selbstbewußtsein (die Durchheit) hat nur die Anlage zum Leben und in
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sich selbst den Tod; es setzt, um wirklich leben zu können, ein in sich selbst gründendes Leben voraus. Der Geist jenseits des Bewußtseins ist „lauter Leben" (W.-L. 1810, § i; SW II, 696). Die spontane Tätigkeit des endlichen Ich bestimmt und beschränkt sich durch das notwendig entgegenzusetzende Nicht-Ich. Endlicher Geist erringt das Leben durch den Tod. Er lebt nur im ständigen Durchbrechen der Schranke. Dagegen ist das reine Sein lauter Leben: lauteres, durch keinen Gegensatz gebrochenes, durch keine Objektivität getrübtes Bei-sich-Bleiben. Dieses Sein und Leben ist das Absolute oder Gott64. „Das einzige Leben, durchaus von sich, aus sich, durch sich, ist das Leben Gottes oder das Absolute, welche beiden Worte eins und dasselbe bedeuten" (Über das Wesen d. Gel., 2. Vorles.; SW VI, 361). Absolut heißt, was von aller Relation gelöst ist. Das reine Sein und Leben ist das Absolute, sofern es in der Tat von jeglicher Relation abgelöst wird, welche das Sein in Beziehung auf Selbstbewußtsein festsetzt. Die Relation zum Subjekt macht das Sein zum Sein des Objekts und stellt es in dieser Entgegenstellung fest. So ist es in sich erstarrt und tot. Das absolute Sein ist von dieser Erstarrung bloß und lauter Leben. Und das nennen alle Gott. Leben ist der überlieferte Titel für das Göttliche selbst. Jedenfalls ist das die theologische Anfangsthese der Metaphysik. Die 'Theologie' des Aristoteles hat das als reine Wirklichkeit vernommene Sein des Einen Gottes Leben ( ) genannt. Reine Wirklichkeit und Leben des Nous bedeutet in neuzeitlich-transzendentaler Wendung leidensloses Tätigsein des Geistes, welches nicht durch das Anders- und Nichtsein des Objekts gehemmt und bestimmt wird. In diesem Sinne versteht Fichte den Gott der Philosophie (und der Offenbarung) als „lauter That und Leben" (Anweisung, 5. Vorles.; SW V, 462). 64
Diese kritischen Resultate einer Gotteslehre aus spekulativer Vernunft durchkreuzen den Versuch, Fichtes Denkentwicklung am Ziel einer neuen christlichen Philosophie zu messen. Die daran interessierten Thesen von E. Coreth ('Zu Fichtes Denkentwicklung', Bydragen 20, S. 229—241. 1959·) unterstellen dem Fichteschen Streben, im Durchbrechen der Bewußtseinsimmanenz Gott als das absolute Prius endlichen Geistes zu erreichen, das Ziel, im Gegenzug gegen die monistisch-pantheistische Tendenz des Deutschen Idealismus eine christliche Metaphysik und einen neuen theistischen Gottesbegriff aufzurichten. Zugleich unterwerfen sie Fichtes These vom absoluten Sein der Kritik, doch im Rationalismus einer natürlichen Vernunftreligion befangen zu bleiben; denn sie gibt für die christliche Lehre von der Schöpfung und vom persönlichen Gott keinen Anhalt. Aber es steht eben doch so, daß das Christentum und die W.-L. sich nicht gegenseitig beweisen können. Beide müssen sich selber als übereinstimmend mit der Vernunft bewähren.
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Sein bedeutet ständig anwesendes Ruhen. Und Sein bedeutet unbegrenztes Tätigsein des lauteren Geistes. Wie aber sind diese beiden 'Bestandteile' ohne Relativität, ohne Zweiheit und Gegensatz zusammen zu denken? Von dem Konstruktionsverfahren des Begriffs muß abstrahiert werden. „Es ist daher, um uns auf eine scholastische Weise auszudrücken, construirt als ein esse in mero actu, so daß beides Sein und Leben, und Leben und Sein, durchaus sich durchdringen, in einander aufgehend, und dasselbe sind, und dieses dasselbe Innere das Eine und alleinige Sein" (15. Vortr.; 205—06). Das Göttliche ist die ungesonderte Einheit von Sein und Leben, die nur als das Unkonstruierbare zu konstruieren ist: Sein ist Leben, und Leben ist Sein. Sein ist Leben. Niemals darf Sein, grammatisch gesprochen, als Substantiv und Dingwort ausgedrückt werden. Sein und Wesen sind immer verbal zu nehmen und im Tätigkeitswort auszudrücken. Sein ist Leben im Sinne des Tätigseins absoluten Geistes. Dabei bedeutet Leben nicht Fortentwicklung, Wandel und Veränderung. Im Leben bleibt das Sein, was es ist, und ist das Gegenteil zum Werden. Sein „ist kein Werden, welches das Gegentheil des Seyns ist" (Tats. d. Bew. 1813, 5. Vortr.; NW I, 450). Das braucht auf der Höhe der Abstraktion nicht erst bewiesen zu werden; denn alles Werden spielt sich zwischen Gegensätzen ab, etwa zwischen Jung- und Altsein, Klein- und Großsein, zwischen Subjekt- und Objektsein und letztlich zwischen dem mächtigsten Gegensatz, zwischen Sein und Nichtsein. Das reine Sein schließt allen Gegensatz aus. Es ist ja von aller Relation erlöst und das Gegensatzlose an ihm selbst. So ist Sein (ruhende Anwesenheit) Leben, und Leben ist Sein; denn das Leben geht nicht aus dem Nichtsein hervor und ins Anderssein über. Es bleibt über aller Zeit so, wie es ist, und wird niemals anders: wandelloses Ruhen, das nicht regungslose Ruhe, sondern lebendigstes Leben ist. Leben (Tätigsein des Geistes) und Sein (wandelloses Ruhen) durchdringen einander und sind die ungesonderte Einheit von Wandel und Wandellosigkeit, gleichsam das In-sich-Fluten des reinen Lichtes. Im Grunde und in Wahrheit bedeutet Leben nicht Assimilation als Aneignung von Fremdem, nicht Fortentwicklung und Sich-Ubersteigen und nicht ein sich reproduzierendes Produzieren im Stile der freien, sich wissenden und sich wollenden Ichheit. Leben bedeutet eine ausgezeichnete Weise von Anwesenheit. (Auf die Sinnverwandtschaft von Leben und Leiben deutet das Wort. Leben gehört zu got. bileiban und hängt mit verbleiben, beharren zusammen.) Die Seinsverfassung des reinen
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Seins ist ein immerwährendes Tätig-Bleiben: das ständige und fortwährende Ineinanderaufgehen von Sein (Beruhen) und Leben (Tätigsein). Was bedeutet dieser Aufschluß des reinen Seins für den Stand der philosophischen Arbeit? Besteht die systematische Aufgabe einer philosophischen Grundlegung darin, alles Mannigfaltige auf absolute Einheit zurückzuführen, so ist die Aufgabe vollbracht. Methodisches Aufsteigen hat eine Einheit erreicht, von der aller Gegensatz und alle Zweiheit fern ist. Zwar spricht die auseinandersetzende Rede dem wahren Sein und wahrhaft Einen zwei Charaktere zu, nämlich Sein (Substanzialität) und Leben (Geist); das abstrahierende Sagen weiß aber, daß die beiden Momente nicht als verschiedene in einen Gegensatz zueinander treten, sondern ungesondert ineinander aufgehen. Die Einheit des Absoluten ist absolut. Von der Vielheit losgelöst, ist sie ein in sich geschlossenes Singulum. „Es findet durchaus und schlechthin nicht Zweiheit, oder Vielheit Statt, sondern nur Einheit; denn das Sein eben selber führt durch sich die in sich geschlossene Einheit bei sich, und darin steht ihr Wesen" (15. Vortr.; 206). Die Einheit des Seins ist in sich geschlossen, heißt: Sie ist dem Begriff nicht geöffnet. Ihrem inneren Wesen nachkommt sie nicht im endlich-begreifenden Bewußtsein, sondern nur in sich selber vor. Das im selbstbewußten Bewußtsein existierende Sein ist nur das Da des Seins, das Sein im Modus der Erscheinung, d. i. in den Disjunktionsformen von Vielheit und Unendlichkeit. Das einfach-teillose Ist bleibt solchen Spaltungen entzogen. Diese kritische Einsicht kann nicht mehr durch den Einwand beunruhigt werden, daß das ungesonderte Eine doch Leben, folglich Wirksamkeit sei und daß alle Wirksamkeit in der Äußerung bestehe. Gewiß, das in sich geschlossene Leben äußert sich, aber eben so, daß es ganz innerlich bleibt. Es weilt in immanenter Äußerung. Da sich alles Vernunftleben nun so äußert, daß es sich in Denken und Sein spaltet, so spaltet sich eben auch das Eine Leben der unendlichen, göttlichen Vernunft fortwährend in die Zweiheit von Denken und Sein, aber immanent, also nicht im Stile der entzweienden und teilenden Vergegenständlichung. In ihrem Grunde, in der Einheit des Absoluten, treten Denken und Sein nicht gegenüber, beide durchdringen einander in stets bleibender, nie auseinanderfallender Zweiheit. Das ist die wahrhaft lebendige Einheit und Identität und die einzig zureichende Erfassung von dem, was Leben und Sein besagt: Tätig-Bleiben als einigende Einheit einer ständig ineinanderaufgehenden Zweiheit. Aber wo bleiben denn wir, die wir diese Einsicht in das in sich ge-
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schlossene Sein im entschlossenen Vollzuge absoluten Abstrahierens vollbringen? Bleiben nicht doch Unterschied und Sonderung zwischen dem absoluten Sein und uns, die wir uns in philosophisch-kritischer Katharsis bis zur Selbstaufgabe und zur relationslosen Annahme des lebendigen Seins geläutert haben? Das 'Wir' ist der Titel für das Ich im Hinblick auf seine Veranlagung für Teilbarkeit und Pluralität. Jeder von uns steht jetzt als reines Ich in seinem Verhältnis zum wahren Leben in der Frage. Wir in unserem Urverhältnis zum Sein sind nicht das Ich des Selbstbewußtseins. 'Wir3 sind noch etwas anderes als bloßes Subjekt aller Begriffe, und unser Seinsverständnis hängt in der Wurzel nicht am Sichverstehen des begreifenden Verstehens. Wir sind, sofern wir alle Vermittlungen des 'Durch' aufheben, Vernunft und lebendiges Sein selbst. Das ist, obwohl nur folgerichtig, dennoch eine „überraschende Einsicht" (15. Vortr.; 207). Wir sind, sofern wir nur bei Vernunft bleiben, das Absolute. „Wir leben aber unmittelbar im Lebensakte selber; wir sind daher das Eine ungetheilte Sein selber" (15. Vortr.; 206). Wahres Sein und unmittelbarer Lebensakt sind dasselbe. Halten wir uns durch das absolute Abstrahieren von allem ertötenden Objektivieren frei, dann haben wir Sein und Leben nicht bloß im Begriff und als Gegenstand unseres Denkens, wir sind das Sein, indem wir es er-leben. „In der erzeugten Einsicht (werden) wir selber das Sein" (15. Vortr.; 208). Anders als im unmittelbaren Erleben läßt sich 'Sein' nicht bewahrheiten. Stehen wir im unmittelbaren Lebensakte, dann ist das Wir lebendiges Sein und „das Sein selber absolutes Ich oder Wir" (15. Vortr.; 207). Die Disjunktion zwischen uns und dem Sein löst sich auf. In diese wechselseitige Durchdringung stellt sich die höchste Einheit und Innigkeit. Das war in der Wissenschaftslehre von 1801 durch die Lehre vom Gefühl Schlechthinniger Abhängigkeit vorbereitet worden. Und das wird durch Fichtes Lehre von der absoluten Gottesliebe (amor Dei intellectualis) vorzüglich in der 'Anweisung zum seligen Leben' weiter getragen werden. Den rechten Grund dafür arbeitet die 'Wahrheitslehre' von 1804 aus. Hier ist nicht nur die Einsicht, Sein sei unmittelbarer Lebensakt, vollzogen, es ist auch die Einsicht in das Gesetz dieses Vollzuges (die absolute Abstraktion) beigebracht85. es
Solch inneren, systematischen Problemzusammenhang ersetzt die Arbeit von M. Horneffer ('Die Identitätslehre Fichtes in den Jahren 1801/1806 in ihren Beziehungen zu der Philosophie Schellings'. Leipzig 1925) durch den äußeren Einfluß Schellings. Danach bietet die W.-L. 1804 eine Erkenntnismystik, welche auf die 1801
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Diese Einsicht in das Wie des Vollzuges muß ständig bereit gehalten werden. Sie muß sofort der Einrede entgegenwirken, daß wir doch dieses 'Wir mit seinem inwendigen Leben' wiederum objektivieren und daß wir uns dessen unmittelbar bewußt sind, sofern wir bei Besinnung bleiben und nicht in Gefühl, Leben und Liebe schwärmend versinken. Also wäre doch das Absolute in der Unbedingtheit und Unmittelbarkeit von Abhängigkeitsgefühl, Lebensakt, Gottesliebe durch unser Vorstellen und den durchgreifenden Begriff vermittelt? „Wir müssen aber einsehen, daß diese Objectivität eben so wenig, als irgend eine andere, Etwas bedeutet, und wir wissen ja, daß gar nicht von diesem Wir an sich die Rede ist, sondern lediglich von dem einen insichselber lebenden Wir in sich, welches wir begreifen lediglich durch unsere eigene kräftige Vernichtung des Begreifens, das sich uns hier faktisch aufdrängte" (15. Vortr.; 206). Frei wird ein überraschender Ausblick: Das reine Sein ist ein Wirin-sich, und das reine Wir ist in sich geschlossenes Sein. Hier wird der Abstand, den der begreifende Verstand und das Schein projizierende Selbstbewußtsein zwischen uns und das Sein setzen, vernichtet. Wir sind vernünftig geworden. Die Einsicht ist erzeugt, „in welcher die Vernunft und die Wahrheit rein aufgeht" (15. Vortr.; 207).
vorgetragene Spinozistische Lehre vom absoluten Sein folgt und die bis 1806 durch eine Liebesmystik ergänzt und überboten wird. Antrieb dieser Entwicklung sei jeweils Schellings vorangehende Idee von der höchsten Einheit. Diese Arbeit bleibt ihren Thesen und Begründungen nach hinter ihrem bedeutenden Anspruch hoffnungslos zurück.
ii. KAPITEL Wahrheit, Schein, Erscheinung Die Philosophie hat ihre grundlegende Arbeit vollendet. Alles Mannigfaltige ist auf absolute Einheit zurückgeführt. Zugleich ist Wahrheit aufgegangen, der Schein, der zum Irrtum über das Sein verleitet, ist untergegangen, und alle Erscheinung ist im Sein wohl begründet. Denn die Zurückführung alles Mannigfaltigen auf absolute Einheit und die Gründung aller Erscheinung in die eine Wahrheit dürfte ein und dieselbe Arbeit sein. Die Grundlegung von 1804 hat daher auch die ins Äußerste dringende Reduktion auf absolute Einheit als Lehre von der Wahrheit vorgetragen. Ihr erster Teil trägt die Überschrift 'Wahrheitslehre'66. Philosophie ist Darstellung der Wahrheit. Sie ist nicht die Jagd auf diese oder jene abgerissene Wahrheit, sie ist auf das Wesen der 88
Die große und umfassende Strukturanalyse dieser W.-L. durch J. Widmann hat die Aufgliederung in eine Wahrheits- und eine Erscheinungslehre verworfen (vgl. a.a.O., 8.41,64,183 if.). Die Wahrheitslehre bestehe nur in einem einzigen Punkte, im Satze vom Sein im i$./i6. Vortrage. Dieser Wahrheitsthese gebühre eine Sonderstellung. Sie bilde kein synthetisches Moment unter anderen (etwa die j. Synthesis des zweiten Standpunktes in der Zählung M. Guiroults). Daher gehörten die Vorträge 3—15, so sehr sie dem Prahlern der Wahrheit gelten, inhaltlich nicht zur Wahrheitslehre, sondern zum Gegenstandsbereich der Phänomenologie. Nun besteht der Inhalt der Wahrheitslehre wirklich nur in Fichtes kritischer These vom Sein, das Sein sei das geschlossene Singulum von Leben und Sein. Dieser einzige Satz festigt das kritische Resultat: Ein Wissen von Sein und ein Begreifen der Wahrheit gibt es so wenig, wie es irgend ein Wissen und eine Wahrheit außer des Seins Erscheinung gibt. Aber dieser Inhalt gewinnt nicht die geringste Verbindlichkeit, wenn sich nicht der Begriff im Aufsteigen der Wahrheit abgearbeitet und alle Selbstverblendung unter sich gelassen hat. Die Beirrung der Wahrheit durch den Schein, das dürfte das Problem der Wahrheit sein; und den Inhalt bekommt man nur, indem man ihn von den Trübungen des Scheins reinigt. Unumgänglich bewegt sich dabei das Suchen nach der Wahrheit im Felde der Erscheinung. Nur in ihm kann sich ja der Begriff bewegen. Aber in diesem Prozeß wird der Gegenstandsbereich der Phänomenologie nicht untersucht, sondern durchschritten, und die Prinzipien der Erscheinung werden nicht aufgenommen, sondern fallen gelassen, um das Ziel dieser Untersuchung zu erreichen, nämlich zur Wahrheit durchzudringen.
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Wahrheit aus, das alle Einzelwahrheiten einheitlich ermöglicht. Die Sicherstellung der Wahrheit bereitet der philosophischen Analytik den Boden. Sie soll den Schein und das Blendwerk der Vernunft vernichten, das Verhältnis von Wissen und Wahrheit klären, um dadurch den Sinn der Erscheinung als Scheinen der Wahrheit zu erhellen. Erst auf der Basis solcher Abklärungen kann die Philosophie mit vernünftiger Gewißheit ihre Forschung beginnen: als eine „wahre und auf Wahrheit gegründete Erscheinungs- und Scheinlehre" (15. Vortr.; 205). Was also sind Wesen und Grund von Wahrheit, Schein und Erscheinung? Dieselben einseitigen Ansichten, welche den Weg zur absoluten Einheit sperren, hemmen auch den Weg zur Wahrheit. Im Streite der relativen Ansichten schwankt der Anblick der Wahrheit. Die dogmatische Grundlegung des Seins gibt das Sein an sich als das maßgebliche aus. Das ist der hartnäckige Richtspruch allen gegenständlichen Bewußtseins, welcher das selbstbewußte Bewußtsein zum Sekundären herabsetzt: Die absolute Wahrheit bestehe in der Richtigkeit des Urteils, in welchem sich das Vorstellen angemessen nach dem vorliegenden Sachverhalt richtet. Das Sich-Richten nach dem Ansich erlegt dem realistischen Verhalten auf, sich unbedingt der Wahrheit hinzugeben; denn die Wahrheit ergreift uns, während das Selbstbewußtsein, wenn es sich nicht einfach an die aufleuchtende Wahrheit hingibt, die Einsicht verstellt. Der einseitige oder abstrakte Idealismus reduziert Wahrheit zu einer Gewißheit des Selbstbewußtseins, die nicht mehr die Gestalt sinnlicher Gewißheit und noch nicht das Ausmaß der Vernunftgewißheit hat. Der Spruch des Selbstbewußtseins, der alle Zweifel lösen soll, urteilt: Wahrheit bestehe in der Selbstgewißheit des Wissens, das sich im Wissen seines Seins versichert weiß. Dazu gehört die Freiheit, sich vom vorliegenden Sachverhalt und vom abgetrennten Sachbereich als dem vorgeblichen Richtmaß der Wahrheit loszureißen und sich auf die selbstbewußte Vernunft und auf die universale Methode ihrer Selbstsicherung zurückzuwenden. In der freien Sicherheit radikaler Selbstbezogenheit steigert sich die Selbstgewißheit zum Richtmaße aller Wahrheit. Der Standpunkt der absoluten Reflexion ist beiden Fassungen der Wahrheit überlegen. Beide werden als einseitig durchschaut. Die eine ist gegen die Selbstgewißheit blind, die andere vom Sachbezuge leer. Das System, welches die Selbstgewißheit zum unerschütterlichen Fundamente nimmt, zerstört wohl den Zweifel, gibt aber keine Wahrheit. „Wahrheit geben kann es nicht; denn es ist in sich selbst absolut leer" (Best. d. Menschen; SW II, 247). Und die Freiheit ist nicht allein ihr
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Ursprung und positive Bedingung der Wahrheit; denn sie verhält sich gegen die Selbstkonstruktion und gegen das Selbst-Erschaffen der Wahrheit abweisend. Ebensowenig aber taugt die einfache, unbedingte Hingabe zum Wahrheitsprinzip, da sie gegenüber den Freiheitsbedingungen stumpf bleibt, denen sie untersteht. Wie also, wenn beides, Freiheit und Hingabe, in wechselseitiger Einschränkung zur Heraufkunft der Wahrheit gehörte? Und wie, wenn Richtigkeit und Selbstgewißheit zwar von der Wahrheit untrennbar, aber eben nicht ihr Wesen, sondern bloß ihre Wesensfolgen wären? Das Wesen der Wahrheit kommt in den Blick, wenn die Rede von der Übereinstimmung meiner Erkenntnis mit dem Objekte als Worterklärung geschenkt und auf die Bedingungen gesehen wird, unter denen solche Übereinstimmung möglich ist. Dabei wird nicht bloß nach brauchbaren, allgemein-formalen Kriterien der Wahrheit (gar der logischen Erkenntniswahrheit) gefragt, sondern nach dem transzendentalen Grunde von Übereinstimmung und individueller Selbstgewißheit. Die transzendentale Fragerichtung konzentriert das Suchen nach der Wahrheit auf den Punkt, in welchem Vorstellung und Gegenstand ursprünglich eines sind. Sie förderte den Gedanken: Wahrheit ist Übereinstimmung von Gesondertem und hat die ursprüngliche Identität des Gesonderten zur Voraussetzung. Das hat Schelling im 'System des transzendentalen Idealismus' schlagend formuliert: „Wie Vorstellung und Gegenstand übereinstimmen können, ist schlechthin unerklärlich, wenn nicht im Wissen selbst ein Punkt ist, wo beide ursprünglich Eins — oder wo die vollkommenste Identität des Seyns und des Vorstellens ist" (SW III, 364). Diese Wendung erklärt, warum das Dringen auf Einheit zugleich ein Suchen der Wahrheit ist. Alles Ringen um das Verständnis von Einheit im Sinne von absoluter Identität (oder Indifferenz), welches die Untersuchung des Deutschen Idealismus in Atem hält, ist in eins das Streben, den Quellpunkt der Wahrheit zu finden. Nach transzendentaler Maßgabe leuchtet ein, in welchem Punkte Wahrheit entspringt. Die überkommene Fassung der Wahrheit, Wahrheit sei Adäquation von Sein (res) und Denken (intellectus), bedeutet in transzendentaler Einstellung die Übereinstimmung von Subjekt und Objekt. Die unvermittelte Einheit von Subjekt und Objekt findet sich in der Gleichung Ich = Ich aufgestellt: Der Ursprung ihrer Einigung ist der Ursprung der Wahrheit, nämlich die ursprünglich einigende Synthesis der Apperzeption. Nun hat die Durchdringung absoluten Wissens die Einsicht erbracht, die reine Apperzeption oder die Ichheit sei nicht die Wahrheit oder das
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Wesen selbst. Sie ist nichts als Form — und ihre Form, das Durch, hat bei aller Anlage zur Wahrheit in sich selbst bloß Schein und Irrtum. Die Ichheit in ihrer Freiheit, für sich zu werden, ist der Disjunktionsgrund aller Erscheinung und Quellpunkt aller Erscheinungswahrheit. In ihm entspringen die Wahrheitsformen von Richtigkeit und Selbstgewißheit als verschiedene Gestalten, in denen die eine Wahrheit erscheint. Was in den Bewahrheitungsformen des reinen Selbstbewußtseins erscheint, ist eine höhere Wahrheit — die des Absoluten. Die absolut genommene Wahrheit ist Wahrheit des Absoluten. Das Absolute ist in sich geschlossene Einheit des aus sich lebenden Lebens. Es ist der Punkt, in welchem Vorstellen und Sein unterschiedslos ineinanderaufgehen und vollkommen identisch sind. Das ist die Einsicht, „in welcher die Vernunft und die Wahrheit rein aufgeht" (15. Vortr.; 207). In ihr herrscht nicht mehr das herrschsüchtige Wahrheitsverständnis des konstruierenden Verstandes, in ihr waltet das Wahrheitswesen der Vernunft. Diese ist so vernünftig, daß sie einsieht, das Urteil sei nicht der ausschließliche Ort der Wahrheit. Die Vernunft hat gelernt, daß die Wahrheit nur rein aufgeht, wenn sich der Begriff vernichtet und wenn die Sprache, das Urteil, die Entgegensetzung von Subjekt und Objekt abgehalten werden. Die Vernunft entzieht der Freiheit im Bezug zur Wahrheit ihren positiven Sinn und weist ihr eine negative Bedeutung zu. Die Freiheit, ohne die Wahrheit nicht rein erscheinen kann, ist die Freiheit absoluten Abstrahierens. Die Vernunft soll aus Freiheit vom Effekt des Bewußtseins absehen; sie muß sich, will sie zur Wahrheit kommen, vom Scheine, d. i. der Projektion des Seins per hiatum, losreißen, der aus der Faktizität des Selbstbewußtseins stammt. „Endlich zeigt sich hier die Freiheit in einer ihrer ursprünglichsten Gestalten, in Rücksicht ihrer realen Wirkung, wie wir sie immer beschrieben haben, nicht als affirmativ, erschaffend die Wahrheit, sondern nur als negativ, abhaltend den Schein" (14. Vortr.; 199). Die vernünftige Freiheit ist weder der Schöpfer noch der Widersacher der Wahrheit, sie ist dessen negative Bedingung. Ohne sie kann die reine Wahrheit nicht erscheinen; denn das Bewußtsein kann seinen Schein nur aus eigener Freiheit abhalten. So beschränkt sich der Wahrheitsanspruch der Freiheit. Wahrheit wehrt den Schein ab, führt aber nicht selbst die Wahrheit herauf. Die Beschränktheit der Freiheit zeigt sich am positiven Zugang zur Wahrheit: an der Hingabe an die Selbstkonstruktion und das Licht. Freilich muß auch diese Hingabe vernünftig geschehen. Die Vernunft weiß in ihrer Hingabe an die uns ergreifende Wahrheit, daß
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sie durch die Freiheit beschränkt und durch eine negative Freiheit bedingt ist. Ein einfaches Sichhingeben ohne das freie Tun des absoluten Abstrahierens bleibt unwissentlich im Scheine des Bewußtseins befangen. Erst die vernünftige Synthesis und Wechselwirkung von Freiheit und Hingabe läßt Wahrheit rein aufgehen. In welchem Punkte aber steht denn die innigste Einheit und die alles gründende Wahrheit? Dieser Punkt ist „das Allerklarste und zugleich das Allerverborgenste, da wo keine Klarheit ist" (15. Vortr.; 205). Die Wahrheit ist das Allerklarste. Sie ist die klärende Helle, in der wir sehen. Sie ist die Evidenz, die uns ergreift. Als der Grund aller Klarheit ist sie das, was sie verursacht, am meisten. Die alles ins Klare bringende Wahrheit ist das zuhöchst Klare. Sie ist zugleich das Allerverborgenste; denn die Helle, in der wir sehen, ist niemals selbst zu sehen. Auf die Sache gewendet: Die Wahrheit ist die Offenbarkeit des Seins. Das Sein ist im Bewußtsein da. Sein ist immer schon in allen Formen und auf allen Stufen des Selbstverständnisses entborgen. Als das Einfache und Naheliegendste ist es auch immer schon übersprungen; denn das wahre Sein hält mit sich zurück. Was da ist, ist Sein — aber in den Formen der Erscheinung als das Objektsein selbstbezüglichen Wissens und als das Ist im Urteil der Sprache. Das, was als Erscheinung sichtbar wird, ist das an ihm selbst Unsichtbare. Alles, was ist, ist Offenbarung Gottes, Gott selbst aber ist der verborgene Gott. Wahrheit ist entbergende Verbergung, sich verschließende Offenbarung. Daher nennt Fichte Wahrheit auch das Licht. Alles, was ist, wird im Lichte sichtbar, das Licht aber selbst nur in seinem Scheinen. Licht oder Sein bleibt an ihm selbst und in seinem Ursprünge das Allerverborgenste. Das Zeitalter hat Fichtes Lehre von der Wahrheit nicht beachtet. Es war von der Aufklärung des absoluten Begriffs in Hegels spekulativer Logik besessen. Wo es Fichtes späteres Denken überhaupt zur Kenntnis nahm (als Pflichtarbeit philosophiegeschichtlicher Chronistik), da wurde es als Ausdruck einer mystischen Periode, welche die transzendental-kritische ablöste, abgetan. Fichtes Thesen von der Wahrheit aber entspringen nicht überschwänglicher Schwärmerei. Sie sind vernünftiges Resultat einer absoluten Reflexion und Selbstbesinnung, welche die Grenze des Wissens nicht überfliegt, sondern als Grenze bedenkt. Der mühsame Weg transzendentaler Grenzbesinnung führt über alle Ansichten hinweg, die sich in den einseitigen Wahrheitsstandpunkt idealistischer oder realistischer Herkunft festgesetzt haben — über die Selbstgewißheit des Bewußtseins wie über die Richtigkeit als Sich-Richten der Vorstellung nach
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dem Ansich. Erst der mühsame Aufstieg zur Wahrheit macht klar, daß Selbstgewißheit und Adäquation nicht das Wesen der Wahrheit betreffen. Sie werden als die Wahrheitsgestalten der Erscheinung ihr Recht zurückerhalten — als Wahrheitswesen des Seins sind sie rechtlos. Wahrheit west (verbal verstanden) als Entbergung und Entzug. Wahrheit ist die Identität von Offenbarung und Verborgenheit. Das ist dem Verstande ein Rätsel, der Vernunft die Lösung alles Fragens. So ist das Wesen der Wahrheit aufgestellt. Wie aber stellen sich von hier aus das Sein und die Herkunft der Erscheinung dar? Die vernünftige Fassung der Wahrheit liefert den einzig umfassenden Begriff der Erscheinung. Erscheinung ist, wie sie auch immer spezifisch bestimmt werden mag, nicht Erscheinung von Nichts, sondern des Seins Erscheinung. Sie ist Erscheinung von etwas, das als es selbst unsichtbar ist. Das erscheinende Sein ist in Fichtes Wahrheitslehre als göttliches und absolutes Sein vernommen, das mit sich selbst zurückhält. Was da und offenbar (geoffenbart) ist, ist allein Erscheinung des Absoluten, und die Formen seines Erscheinens sind nichts anderes als die Formen und Gesetze des reinen Selbstbewußtseins. Erscheinung bedeutet somit Sichtbarkeit (Bild) eines an ihm selbst nicht ersichtlichen Seins, nämlich des Absoluten. Das Phänomen wird ins Absolute zurückverlagert. Leibniz hatte das phaenomenon auf die Wirklichkeit der raum-zeitlichen Körperwelt beschränkt, Kant auf die Gegenständlichkeit aller anschauungsgebundenen Erfahrung bezogen. Fichte begreift mit dem Namen Erscheinung das Ganze des Seienden als Dasein oder Bild des Absoluten auf allen Stufen ichhaften Selbst- und Seinsverständnisses. Alles = Gottes Erscheinung und Bild. Fichtes Lehre von der Erscheinung hat eine grundlegende Arbeit zur Voraussetzung, in welcher sich der Begriff bis zur Erschöpfung abarbeitet: die Wahrheits- und Vernunftlehre. Sie wehrt das reine Sein als solches vom Gebiete des Wissens ab und belehrt darüber, daß eine Seinslehre, und d. h. eine Theologie des Begriffs unmöglich ist. Wovon Wissen zu erlangen ist, das ist allein das erscheinende Sein in seinem Erscheinen. Und da die Grundform für das Erscheinen oder das Da des Seins das Wissen ist, welches sich als Bild des absoluten Seins weiß, ist Philosophie Wissenschaftslehre, Wissen vom absoluten Wissen. Solche Restriktion resultiert aus der Besinnung auf den verborgen-offenbaren Charakter der Wahrheit. Die Wahrheitslehre „besteht in einer einzigen Einsicht" (ij. Vortr.; zoj): Sein ist das in sich geschlossene Singulum des Lebens und des Seins. Das ist der oberste Grundsatz der Vernunft. Nach
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ihm bedeutet Ist: ist lebendig als Ineinanderaufgehen von Subjektivität und Objektivität. Dieses einfädle Ist ist allein Gott oder dem Absoluten zuzusprechen. „Das Wort ist, kurz und gut, und ohne Zusatz, läßt sich nur aussagen vom Absoluten, und durchaus von nichts Anderem ausser ihm. Gott oder das Absolute ist, und nur er ist" (Tats. d. Bew. 1813, i. Vortr.; NW I, 408). „Nur Gott ist" (Staatslehre 1813,3. Abschn.; SW IV, 431), aber mehr läßt sich von Gott auch nicht aussagen als das einfache Ist. Das Sein ist für das Sagen das Unsägliche und für den Begriff das Unbegreifliche. Die Wahrheit des Seins ist sein Verborgensein. Es entzieht sich selbst allem Wissen, indem es sich ihm als Erscheinung eröffnet und offenbart. „Nur Gott ist. Ausser ihm ist nur seine Erscheinung" (SW IV, 431). Und die Erscheinung des Seins ist das Feld des Wissens. Will Philosophie strenge und erste Wissenschaft, nämlich Wissen vom absoluten Wissen bleiben, dann muß sie sich im System einer Phänomenologie des absoluten Geistes ausbreiten, belehrt darüber, daß sie in der Dimension des reinen Seins — in der Verborgenheit der Wahrheit — kein Heimatrecht besitzt. Fichtes Erscheinungslehre bildet also nicht die methodische Hin- und Einführung ins eigentliche Feld eines Philosophierens, das aus der spekulativen Logik des Seins seine Kategorien bezieht. Während Hegels Phänomenologie im Grunde die Aufhebung des transzendental-kritischen Unterschiedes von Erscheinung und Sein betreibt, bildet sich Fichtes Phänomenologie auf dem Grunde einer Wahrheitslehre aus, welche diese Differenz gerade befestigt. Und die durchdringende Besinnung auf das Wesen der Wahrheit verschafft eine entschiedene Fassung von Dasein und Existenz. Dasein heißt Da des Seins. Vom Verständnis des Da ist freilich nicht nur alle Bedeutung von Räumlichkeit abzuhalten, sondern auch diejenige Kategorie, die Hegels Begriff vom Dasein ausmacht: der Gedanke einer alles andere ausschließenden Bestimmtheit. Im Lichte der Wahrheitslehre bedeutet Da Offenbarkeit des in sich geschlossenen Absoluten. Das Sein ist da, besagt, es ist im Wissen von Sein verstanden. Diesen Charakter des Ist hat Fichte an dem bekannten Beispielsatz erläutert: 'Die Wand ist'. Hierbei besage das Ist nicht 'Ich bin die Wand', sondern 'Da ist Wand'; das Da betreffe nicht das Sein des Seienden selbst, sondern sein Ansichtiggewordensein im Wissen. Dem Selbstverständnis absoluten Wissens gemäß verkündet das Ist: Es ist da Sein, Leben, Gott. Dasein ist Offenbarsein des an ihm selbst verborgenen Seins in der Form des nichtwissenden Wissens.
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Wissen ist Da des Seins, und Dasein ist Wissen. In Wahrheit und im eigentlichen Sinne existiert allein das Wissen. „Alles andere, was noch als Daseyn uns erscheint, — die Dinge, die Körper, die Seelen, wir selber, inwiefern wir uns ein selbstständiges und unabhängiges Seyn zuschreiben, — ist gar nicht wahrhaftig und an sich da" (Anweisung, 4. Vorl.; SW V, 448). Natur, Welt, Geschichte sind mithin nicht Dasein oder Bild Gottes selbst, sondern das, worein Gott sich bildet und das Seinsverständnis sich ausbildet durch die Bildung des Wissens. Solche Konzentrierung des Daseins bedeutet einen tiefgreifenden Wandel des Begriffs von Existenz oder Dasein. Bekanntlich hatte die mittelalterliche Metaphysik den Titel existentia universal-ontologisch angesetzt, so daß alles Seiende sich durch die Differenz bzw. Identität von existentia (esse) und essentia, von Dasein und Wassein, seinsmäßig schätzen ließ. Schellings Grund-Existenz-Ontologie der Freiheitsschrift sondert den Titel Existenz für das sich wissende und sich wollende Wissen aus, so daß allein Gott und Mensch wahrhaft da sind. Fichtes Wissenschaftslehre hat alles darauf angelegt, Sein und Dasein, göttliches Wesen und Existenz zu scheiden. Existenz im genauen Sinne der Wahrheitslehre betrifft nicht das göttliche Sein, es benennt das Da des Seins, das sich im Wissen findet. Und weil das ichhafte Wissen den Menschen in seiner Ab- und Herkunft, d. i. seinem Geschlecht nach, bestimmt, kann Fichte schließen: „Also allein das menschliche Geschlecht ist da" (Über das Wesen d. Gelehrten, 2. Vorl.; SW VI, 362). Philosophie ist Wissenschaft vom Dasein. Nach dieser Feststellung von Dasein und Existenz sind Phänomenologie und Existenzphilosophie dasselbe. Die Aufstellung der Wahrheit hat ihnen die grundlegende Aufgabe zugestellt. Die Aufgabenstellung einer 'allgemeinen Phänomenologie', einer gewöhnlich unbekannten Wissenschaft, ist zu exponieren. Fichtes These vom Sein besagt: Was ist, ist Gott oder das reine Sein. Aber es ist nicht nur das Sein, es ist auch noch evident und unleugbar Wissen da, nämlich die Einsicht, daß das Sein ein Singulum ist. Dieses vernünftige Wissen ist nicht das Sein selbst, aber das Sein „in seiner ursprünglichen Erscheinung" (17. Vortr.; 222). Daher muß das Faktum der Untersuchung befragt werden: Wie, nach welchem Gesetz entsteht die Erscheinung des Seins? Dabei hat die Wahrheitslehre schon die Fragestellung kritisch zurechtgerückt. Die in uns erscheinende Konstruktion des Seins gründet notwendig im Sein selbst. Nicht wir ergreifen verständig begreifend die Wahrheit (diese geht über unseren Verstand), sie ergreift uns und konstruiert sich selbst in uns. Darin besteht ja Ver-
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nunft: im Bewußtsein des reinen Seins und dessen Selbstkonstruktion. Das hat folgenschwere Konsequenzen für die Kluft zwischen Sein und Erscheinung. Das Erscheinen des Seins gehört organisch, d. i. ohne Hiat, zum Absoluten. Es gehört zum Wesen des sich selbst konstruierenden Seins, daß es erscheint. Zur verborgenen Wahrheit gehört wesensnotwendig seine Offenbarung im Logos, in der Vernunft. Im Wesen des Absoluten selbst gibt es keine unüberspringbare Kluft zwischen Sein und Erscheinung. „Der Hiatus, welcher zufolge der absoluten Einsicht im Wesen durchaus nicht ist, ist nur in Rücksicht auf das Wie" (16. Vortr.; 216). Daß das Sein erscheint, ist faktisch evident. (Daß Gott sich offenbart, ist ihm wesentlich — und hierin ist kein Zufall und keine willkürliche Freiheit zuzulassen.) Wie, nach welchem Gesetze das Sein in die Erscheinung übergeht, das bleibt dem Wissen verschlossen. Dem Logos verbirgt sich das Gesetz seiner Erzeugung (theologisch gesprochen: Warum Gott sich offenbart, kann nicht ergründet werden). Somit liegt im Lichte der Wahrheit eine zweifache faktische Evidenz vor: daß das Sein sich selbst bruchlos in der Urerscheinung offenbart und daß das Wie des Übergangs vom Sein zum Wissen für das Wissen undurchsichtig bleibt und sich daher als Hiat darstellt. Die genetische Methode beherrscht auch den Prozeß einer 'allgemeinen Phänomenologie'. Sie treibt zur Frage nach den Bedingungen dieser Einsicht. Damit ist die Grundfrage der Erscheinungslehre unter das kritische Maß gebracht. Nicht darum geht es, die Erscheinung aus dem Sein herzuleiten, sondern die Unableitbarkeit der Erscheinung abzuleiten oder den Hiat von Sein und Bewußtsein als Hiat zu erklären. Für die Lösung dieser ungewohnten Aufgabe hat die Wahrheitslehre vorgearbeitet. Das nämlich, was im 'Aufsteigen' als faktisch und unangemessen zurückgelassen wurde, kann jetzt wieder aufgenommen werden; denn es wird ja nicht mehr als adäquates Seinsprinzip beansprucht, es wird nurmehr als Bedingung für die Erscheinungsweise des Seins erprobt. Und erst in solch wiederholendem Rückgang schließt sich der Kreis systematischer Grundlegung; denn nachdem die Wahrheit im Absoluten gegründet ist, muß noch gezeigt werden, wie das Absolute in Wahrheit erscheint67. 67
D.Julia hat in seinem weittragenden Expose der W.-L. 1804 ('Le savoir absolu chez Fichte', Archives de Philosophie 25, S. 345—370. 1962) dargelegt: Der erste Teil vollendet eine Logik aller möglichen Reflexion. Er stellt den Logos des Seins in den Möglichkeiten des Ansich- und Insich-Seins aus der Relation zur Reflexion vor. Der zweite Teil erbringt eine Phänomenologie der Reflexion unter dem
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Die Aufklärung der phänomenologischen Grundfrage rehabilitiert den Geist und die Maxime des Realismus. Sie findet das Gesetz, indem sie sich nicht an die Form, also an die Freiheit und Energie des Bewußtseins, sondern an den Inhalt, das Reale des eingesehenen Absoluten, hält. In Betracht gezogen wird eine Qualität des 'Lichtes' selbst, das Von; denn das Entspringen des Lichtes kann nicht durch unsere absolute Abstraktion hervorgebracht werden. Abstraktion ist bloß negatives Tun. Sie schafft die hinderlichen Verstandesrelationen weg, aber ihr fehlt das Kreative. Die Vernunfteinheit (das Licht) ist nicht von uns erzeugt. Sie ist „Einheit von sich. Auf diesen letztern Punkt kommt Alles an" (18. Vortr.; 232). Licht ist absolutes Vonsich. Es ist aus der Relation zum anderen Gliede, dem Nicht-Vonsich und dem Von-Anderem, herausgelöst. Der realistische Geist der Phänomenologie analysiert „den Inhalt des Satzes: Das Licht ist absolutes Von" (20. Vortr.; 249). Eine grundlegende Vorbestimmung dringt in gewaltsamer Verkürzung auf Resultate. Die Analyse sieht auf ein Doppeltes: Im Von liegt Disjunktion, und in ihm liegt qualitative Einheit. Das ist vordringlich: Licht ist qualitative Einheit des Von. Warum? Licht bedeutet Wissen, wie Dunkel Unwissenheit bedeutet. Alles Wissen ist Begründen von etwas und alles Gewußte ein von einem Grunde Begründetes. Letztlich ist das Denken Begründen von Sein und das Sein vom Denken Begründetes, bzw. ist umgekehrt das Denken das vom Sein Begründete und das Sein Begründen von Denken. Im absoluten Geist gehen Grund und Begründetes ineinander auf — er ist ein sich von sich begründender Grund. Im reinen Lichte und im höchsten Wissen jenseits des Selbstbewußtseins herrscht nicht diese zweideutige Zweiheit, sondern die wesenhafte Einheit des Von. Indem sich das Sein vom Denken her begründet, begründet sich in eins und zumal das Denken von Sein. Das reine Licht durchdringt Denken und Sein von allen beiden Seiten. Seine Wesensbestimmtheit und Qualität ist das absolute Von. An dieser Stelle fügt sich die entscheidende Argumentation ein. Als qualitative Einheit des Von kann das Licht nur sein, wenn schon Licht Gesichtspunkt des reellen Bewußtseins, die den Menschen aufruft, sich mit den Mitteln phänomenologischer Beschreibung konkret in den Resultaten des ersten Teils wiederzuerkennen. Somit vereinigt die W.-L. 1804 eine ontologische Analyse der reinen Reflexion mit einer Phänomenologie des reellen Bewußtseins. Sie ist die den Weg aller W.-L. abschließende Synthesis von begrifTslogischer und phänomenologischer Reflexion. Und indem sie den Menschen verstehen macht, daß das absolute Wissen eben sein reelles Wissen ist, verbindet sie den idealistischen Rationalismus mit dem 'modernen Existentialismus'.
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da ist. Eine Wasbestimmtheit setzt Licht voraus, in welchem sie erscheint. „Dieses alles... hat seinen Grund im Lichte selber, nicht mehr als qualitative, sondern eben als weiter unerforschliche Einheit; es ist daher zwischen dem ganzen frühern Verhältnisse und dem Lichte an sich ein neues, durchaus nur einseitiges Von" (19. Vortr.; 244—45). Was jetzt transzendental-methodisch zur Anzeige kommt, ist das Epekeina alles Wesens und Grundes. Das Grund-gebende Von weist als qualitative Einheit in ein Jenseits seiner. Und dieser jenseitige Grund ist selbst Von und sich begründender Grund oder das sich effizierende Licht, der ursprüngliche Vollzug des Sehens. Dies bleibt ewig unerforschlich. Dem Lichte kann nicht zugesehen werden, wie es sich selbst effiziert, weil wir nur in seinem Effekte, nämlich der Helle, sehen. Evident ist, daß sich das Licht effiziert, und ebenso einleuchtend ist, daß diesem Sicheffizieren nicht wieder zugesehen werden kann. Somit stellt sich ein höheres Begründungsverhältnis oder Von auf. Fichte nennt es das Urvon: Die unerforschliche Einheit des Lichtes ist Grund, die qualitative ist vom Grunde bestimmte Folge. Dieses Von ist nur einseitig und nicht wechselseitig wie im zuerst betrachteten Verhältnis. In jenem begründeten sich a — b (Denken und Sein) von beiden Seiten her in eins. Hier im Urvon sind die Glieder nicht zu vertauschen. Die unerforschliche Einheit des sich effizierenden Lichtes bleibt eindeutig gründender Grund und die qualitative Einheit die von ihm begründete Folge. Was bedeutet diese Herausfindung eines 'Von des Von' für die Grundlegung der Daseins- oder Erscheinungslehre? „Dieses letztere bedeutet den absoluten Effekt des Lichtes; dagegen das ganze erstere Verhältniß bloß angiebt die Erscheinung dieses Effektes" (19. Vortr.; 245). Die bisher bestimmte qualitative Einheit des Von ist nur Erscheinung. Was erscheint, ist der Effekt des sich effizierenden Lichtes, das eben nur in seinem Effekte, aber nicht an ihm selbst erscheint. Sein ist Licht, das in seiner eigenen Helle erscheint. Es wirft sich gleichsam selbst voraus, um darin zu erscheinen. Mit der Beschreibung des Von als Einheit geht die im Von liegende Zweiheit und Disjunktion auf. Weil das Von nicht nur ist, sondern auch erscheint, spaltet es sich in ein seiendes und erscheinendes Von, ein unzugängliches und ein phänomenales Sichbegründen. Die Urdisjunktion ist diese primäre Spaltung des Urvon. „Im Von liegt durchaus Disjunktion, absolut aus einem anderen Von" (20. Vortr.; 250). Das Von spaltet sich ursprünglich in Glieder auf. Das eine Glied ist das Von des Ur-
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lichtes, der reine vollzugshafte Akt des Sichsetzens. Das ist der Von-Charakter des reinen Seins: das sich selbst effixierende Licht und der in sich gründende Grund, „der Grund und Urquell selber des ist, und alles dessen, was da ist" (20. Vortr.; 251). Aber eben als Urgrund ist das Sein niemals nur Eines; Grund ist immer Grund von etwas. Ihm fügt sich mithin ein zweites Glied als Folge an, das Gesetztsein dieses Sich-Setzens oder der Effekt des Lichtes, in dem das Von als Von erscheinen kann. So eröffnet sich die primäre Disjunktion von Sein und Erscheinung als Disjunktion des unerforschlichen Von als dem einen Glied und des urerscheinenden Von als dem anderen. (Daß sich im urerscheinenden Von das Divisionsfundament für die bekannte Fünffachheit finden läßt, ist sekundär und braucht hier nicht ausgeführt zu werden.) Die realistische Inhaltsanalyse der Gleichung Licht = Von in Hinsicht auf Einheit und Disjunktion hat ein Grundverhältnis vor Augen geführt, das zwischen einem Urlicht, das sich selbst effiziert, und dem Wissen besteht, das in dessen Effekt erscheint. Dadurch ist die Geschlossenheit des Seins neu erschlossen. Das reine Sein und das sich effizierende Licht bilden als der absolute Grund für den konstruierenden Verstand den Abgrund. Das Sein setzt sich in einem durchaus einseitigen Von so ins Erscheinen, daß es mit sich selbst zurückhält und nur als Bild da ist. Der Feststellung dieser Einsichten folgt die Besinnung auf die Entstehung dieser Einsicht. Wir haben zweierlei eingesehen, daß das Von da ist, indem es in seinem eigenen Lichte erscheint, und daß es im Wie seiner Selbstbegründung unzugänglich bleibt. „Dies ist das Faktum" (19. Vortr.; 245). Das Gesetz, nach dem uns diese Einsicht entstanden ist, ist unschwer aufzufinden. Offenbar kann es kein Gesetz unseres Bewußtseins sein; denn die reinen Gesetze unseres Verstehens regeln a priori die Phänomene und gelten erst für die Erscheinungen der Urerscheinung, nicht schon für das Erscheinen der Urerscheinung selbst. Es darf eben nicht vergessen werden: Unsere faktische Einsicht steht auf der Höhe „unmittelbaren Sehens", sie ist nicht durch die Energie unseres ichlichen Denkens vermittelt. Unsere Einsicht ist Vernunft (Logos) und die Urerscheinung des Absoluten selbst. Sie entspringt nach demselben Gesetz, nach welchem sich die Urerscheinung des Seins macht. Fichte nennt es das 'Urgesetz des Lichtes'. Es lautet: Das Licht effiziert sich für uns unsichtbar selbst und ist da in seiner eigenen Helle. Bedeutet Dasein oder der Logos die alles sichtbar machende Helle oder den absoluten Effekt des Lichtes, dann ist das Sein oder Leben das sich unmittelbar effizierende Licht. Weil mithin das Sich-Effizieren verborgen bleibt und
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allein der Effekt offenbar wird, bleibt ewig unerforschlich, wie sich das Licht hervorbringt. Damit ist das faktische Daß in seiner Wurzel gefaßt. Daß Leben oder Licht sich effiziert und absolutes Von ist, kennen wir durch den Effekt, nämlich das sich als Licht im Lichte sehende Licht. Wie sich die Helle des Bewußtseins bildet, bleibt notwendig uneinsichtig. Daher kommt es, daß sich das Bewußtsein als daseiend findet und sich, indem es sich sieht, als seiend vorstellt, ohne seine Genesis durchschauen zu können. „Und so ist denn das Urfaktische; die absolute Objekt!virung der Vernunft, als seiend, genetisch, aus dem Urgesetze des Lichtes selber erklärt; und unsere Aufgabe in ihrem höchsten Principe gelöst" (19. Vortr.; 245). Das Prinzip des Realismus leitet den Hiat von Sein und Erscheinung als Hiat im Erscheinen des Seins ab, der Idealismus erklärt die Grundverhältnisse der erschienenen Erscheinung. So wird auch das Prinzip des Idealismus, nämlich das Soll und die Freiheit, rehabilitiert, eben als Einheits- und Disjunktionsgrund der erschienenen Erscheinung. Und diese Unterscheidung entscheidet über die Erscheinungsweisen der Wahrheit. Das Soll und die Freiheit richten ihr Wahrheitswesen im erschienenen Sein ein. Auf allen Stufen des in die Erscheinung getretenen Seins herrscht das Wahrheitsstreben der Selbstvergewisserung und einer immer höher steigenden Selbstdurchdringung. Aber die Selbstgewißheit leistet nichts für die Aufklärung des erscheinenden Absoluten in seinem Erscheinen. Dafür ist die 'realistische' Angleichung an das Sein zu vollziehen. In dieser Angleichung findet die Adäquation ihren tiefsten Grund. Das erscheinende Sein ist nur zu bewahrheiten, wenn der Geist des Realismus auf den Inhalt des Von eingeht und das Urgesetz des Lichtes selbst achtet. Der Geist des Idealismus dagegen sieht vom Inhalte dessen, was erscheint, ab und beruft sich auf die Form des Erschienenseins. Im Rahmen einer Grundlegung genügt es, das Gesetz des Daseins zur Anzeige zu bringen. Idealistische Grundlegung hält sich an das 'Wesen des Soll'. Das Soll nämlich scheint zur Vermittlung zwischen dem unbedingten, kategorischen Sein und dem willkürlichen, problematischen Bewußtsein geeignet. Es enthält Troblematizität'; denn das Soll ist kein Muß. Und es enthält kategorische Unbedingtheit; denn das Dusollst ist kein willkürliches Du-kannst. Die genaue Analyse des Soll und der herausgeforderten Freiheit als dem Mittelgliede zwischen dem Absoluten und dem höchsten Gliede der Erscheinung, dem Vernunftwissen, kann hier nicht weiter verfolgt werden. Das würde zu weit in die "allgemeine Phänomenologie' hineinführen. In einem übergreifenden Zu-
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sammenschluß aber kann eine Grundlegung transzendentalen Denkens das rehabilitierte Prinzip des Soll — das nicht höchstes Prinzip des Seins, sondern Ableitungsgrund für das erschienene Sein als ein solches sein will — mit den Möglichkeiten der Reflexion zusammendenken. Das Soll erscheint auf der Höhe der Vernunft am Anfange eines Begründungsverhältnisses: Soll es zur absoluten Einsicht kommen (nämlich daß das Sein Singulum ist), dann muß das Absolute sich selbst konstruieren. Das Soll ist die Seele des Idealismus. Es soll Wahrheit sein. Das Wissen soll, indem es sich von Meinung und Schein losreißt, seinen wahren Ursprung sichtbar machen, damit der Geist über den Ungeist herrsche. Die Wissenschaftslehre von 1810 hat das Gesetz des Soll schlagend formuliert: Das Wissen „soll sich sehen als Schema des göttlichen Lebens, was es ursprünglich ist, und durch welches Seyn allein es Daseyn hat" (§6; SW II, 699). „Es soll sich sehen als Schema des göttlichen Lebens" (SW II, 699). Die Forderung des Soll ist radikaler geworden. Generell bedeutet das Soll den Imperativ, der das Wissen zur befreienden Tat der Reflexion aufruft. Das Soll befiehlt: Sieh dich selbst. Die frühe Grundlegung hatte das Soll als das unbedingte Gebot angelegt, das an die endliche Vernunft aus ihrem unendlichen Wesen ergeht: Reiße dich von der dich bestimmenden Welt los und kehre zu deinem Selbstsein zurück. Und sofern das Selbst im Ansehen von Selbstbestimmung und absolutem Sichsetzen steht, verpflichtet sich die Vernunft im Befolgen des Soll auf ihr eigenes Wesen, auf unbedingte Selbsttätigkeit. In der vertieften Grundlegung der späteren Wissenschaftslehre halten sich die Herausforderung des Soll an das absolute Wissen und die Antwort der Freiheit durch. Das Wissen soll sich in dem sehen, was es ursprünglich ist. Aber das Wissen dringt jetzt unter dem Geleit des Soll tiefer. Es treibt sein Reflektieren bis an den Ursprung und die Grenze des absoluten Wissens und befreit zur Einsicht, daß das Wissen ursprünglich und wesenhaft Schema oder Bild des sich selbst konstruierenden Wissens sei. Daher lautet die Aufforderung des Soll zur vollendeten Reflexion: Sieh dich an als Schema oder Bild des göttlichen Lebens. Das im Soll Gesollte ist der 'Endzweck', daß das absolute Wissen ganz bei sich sei, d. h. sich bis in seine Wurzel durchdrungen habe. Darin, daß der hell gewordene Geist das letzte Worumwillen allen Tuns und Strebens ist, besteht die Weisheit. Fichtes Analytik der reinen Vernunft ist Weisheitslehre. „Das gesammte Resultat unserer Lehre ist daher dies: Das Dasein schlechthin, wie es Namen haben möge, vom allerniedrigsten
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bis zum höchsten, dem Dasein des absoluten Wissens, hat seinen Grund nicht in sich selber, sondern in einem absoluten Zwecke, und dieser ist, daß das absolute Wissen sein solle" (25. Vortr.; 290). In ihrer niedersten Gestalt ergeben die Daseinsformen des Bewußtseins eine stehende Sinnenwelt und ein System von Ichen. Das sind zwar notwendige Formen der Selbstanschauung des lebendig existierenden Geistes, aber sie haben ihre Bestimmung nicht in sich. Sie sind da, damit Freiheit als Freiheit sichtbar werde. Und die Freiheit ist ebensowenig um ihrer selbst willen da. Sie erhält durch ein Gesetz ihre Bestimmung, nämlich Mittel und Instrument des Sittengesetzes zu sein. So wird das Sittengesetz zur Anschauung gebracht, indem es die Freiheit in der Sphäre der äußeren Anschauung realisiert. Aber auch die Sichtbarmachung des Sittengesetzes ist nur ein Mittel. „Das Sittengesetz muß angeschaut werden, damit das Absolute angeschaut werden könne" (Tats. d. Bew. 1810; SW II, 657). Was aber ist, mit dem guten Rechte idealistischer Argumentation gefragt, die Bedingung, welche die Erreichung des Endzweckes ermöglicht? Der Bescheid lautet: die Reflexibilität. Deren Formel besagt: 'ein Sich mit Freiheit'. „Sich ist verwandelt in Reflexibilität, ein freies Sich. Alles frühere nur Hinleitung zu diesem Begriffe. Mit dessen Analyse wird die Deduktion der Wissenschaftslehre enden" (W.-L. 1812, 3. Kap.; NW II, 379). Das Wesen des Wissens ist nicht einfach Reflexion und Sichanschauung. Das Sich (-wissen und -wollen) untersteht dem Gesetze des Soll und verbindet sich mit Freiheit. Das ist die innere Bestimmung des Wissens, sich aus Freiheit zu immer höherer Durchsichtigkeit zu erheben, um sich in absoluter Durchdrungenheit als Bild Gottes und Gott im Bilde zu wissen68. Dieser weite und daher ungefähre Vorblick schließt die Grundlegung ab. Es ist ausführlich gezeigt, daß die Wahrheit im Absoluten gründet. Es ist angezeigt, wie das Absolute in Wahrheit erscheint. Und es ist der Schein aufgelöst, der den Menschen zum Irrtum über sich selbst, die Welt und Gott verleitet. Die Analytik der Wahrheit ist zugleich eine gründliche Dialektik R. Lauth ('Die Bedeutung der Fichteschen Philosophie für die Gegenwart', a.a.O., S. 256—57) faßt den durchschlagenden Gedanken so zusammen: Im Wesen des Ich bildet sich das alles Selbstbewußtsein übersteigende Absolute ab; denn das Absolute ist Selbstbegründung, eben das durch kein anderes genötigte Vonsich. Soll es sich offenbaren, dann muß es eben diesen Charakter der Selbstbegründung mitteilen. Das Bild der Selbstbegründung des Absoluten ist unsere sittliche Freiheit. So führt die W.-L. 1804 das Problem der Transzendenz durch, während die 'Grundlage* eben nichts anderes ist als die systematische Entfaltung aller immanenten Positionen des Bewußtseins.
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des Sdieins. Die radikale Auseinandersetzung von Sein und Erscheinung zerstört den Schein in der Wurzel. „Schein und Irrtum (tritt) da ein, wo die Erscheinung für das Wesen selber genommen wird" (n. Vortr.; 178). In allen seinen Gestalten verfällt der Dogmatismus dem Irrtum, das, was bloß für uns und Erscheinung ist, für an sich seiend und das Wesen zu halten. Weil er gegenüber der Unterscheidung von Erscheinung und Wesen überheblich ist, nimmt er auch das Wesen selbst im Sinne der Erscheinungen und vermischt Ontologie als Theologie mit der Phänomenologie; denn Wesen im höchsten und eigentlichen Sinne ist das göttlichabsolute Sein, und ein natürlicher Schein verleitet dazu, das reine Sein mit den Mitteln des Bewußtseins, durch den Begriff und die Sprache, zu konstruieren. Der Schein, der dazu verleitet, das Unbegreifliche zu begreifen und das Unsägliche zu besprechen, ist erst gänzlich durchschaut, wenn die Differenz von Erscheinung und Sein, von Dasein und Wesen in der Wurzel des Wissens selbst nachgewiesen ist. Das leistet die Wahrheitslehre. Sie weist das unsägliche Sein Gott und das Bildsein Gottes dem Wissen zu und scheidet dadurch Bild von Sein. „Aller Irrthum ohne Ausnahme besteht darin, daß man Bilder für das Sein hält. Wieweit dieser Irrthum sich erstrecke, den ganzen Umfang desselben hat wohl zuerst die Wissenschaftslehre ausgesprochen, indem sie zeigt, daß das Sein nur in Gott sei, nicht ausser ihm; daß darum Alles, was im Wissen vorkomme, eben nur sein könne Bild" (W.-L. 1812, 2. Kap.; NW II, 365). Philosophie ist Kritik. Philosophische Kritik besorgt eine deutliche Scheidung zwischen dem, was dem absoluten Wissen zusteht, und dem, was ihm unangemessen ist. Dazu muß das absolute Wissen bis an seine Grenze, seinen Grund und Abgrund durchdrungen werden. Die Methode der Kritik ist mithin die Grenzbesinnung, durch welche das Wissen sich als absolutes Wissen schätzen und bis zu seinem Ursprünge und seiner Grenze durchlaufen lernt. Auf diesem Wege scheiden sich endgültig das anmaßende Wissen als Begreifen des Göttlichen und das angemessene Sichwissen als Bild und Erscheinung des Absoluten. Und Philosophie ist Vermittlung. Die philosophische Vermittlung besorgt die Synthesis von Entgegengesetztem. Dabei ist es die Philosophie selber, welche in der Gestalt der Metaphysik die Gegensätze in ihrer Tiefe und Tragweite allererst herausarbeitet, um den Grund ihrer Versöhnung nicht zu flach oder einseitig festzulegen. In ihrer grundlegenden Arbeit, die äußersten Gegensätze um der wahren Vermittlung willen zu entwickeln, ist alle Philosophie Dialektik. Der Weg, auf dem diese Gegensätze aufgestellt und zur Vermittlung gebracht werden, ist
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eben der Rückgang des absoluten Wissens in seinen Anfang und Grund, die absolute Reflexion. Erst auf diesem Reflexionsgange treten die Gegensätze von Theorie und Praxis, von Anschauung und Denken, von sinnlichem und übersinnlichem Sein und schließlich der umfassendste aller Gegensätze, der von Endlichkeit und Unendlichkeit, von absolutem Wissen und Absolutem in ihrer Reinheit hervor und aus einem vermittelnden Mittelpunkte zusammen. Die kritische Vermittlung durchläuft einen langen Weg69. Sie beginnt mit der Proklamation der absoluten Freiheit und Selbstsetzung im Ersten Grundsatz der 'Grundlage'. Den Einsatz der Tathandlung bis zur vollen Verfassung der absoluten Reflexion dialektisch zu entfalten und darin die ursprünglich-synthetische Einheit von absoluter, theoretischer und praktischer Vernunft aufzufinden, das ist die Arbeit der frühen Grundlegung von 1794. Es ist das Dringen in die vierfache Indigenz des Ich und an die Unbegreiflichkeit des Absoluten, welche die Selbstbesinnung angesichts der leeren Bildheit und der daraus wachsenden Gefahr des Nihilismus zum Durchdenken des Verhältnisses von absolutem Wissen und Absolutem treibt. Und es ist die Kehre der Wissenschaftslehre von 1801, welche durch die Einkehr des absoluten Wissens bis an seine Grenze und in seinen unverfügbaren Grund das Wissen über seinen Wissensbezug zum Nichtwissen belehrt. Diese Lehre von der docta ignorantia ist Kritik und Vermittlung zumal. Sie ist Kritik; denn sie lehrt einsehen, daß das reine Sein, an welchem das formale Bild- und Freiheitswesen des Ich seinen verbindlichen Halt hat, niemals in seinem Ansich, sondern allein als das Nicht-für-uns (als das Nichtsein des Wissens) zu verstehen ist. Und sie erringt die Vermittlung; denn sie hat begreifen gelernt, daß der alles vermittelnde Mittelpunkt des Bewußtseins in einem Schweben zwischen dem Sichfassen und Sichvernichten, zwischen Freiheit und Nichtfreiheit — also zwischen dem Fürsich des 69
Die von D. Henrich zur Geltung gebrachte Drei-Stadien-Theorie artikuliert den Fortgang der W.-L. in den drei Formeln: Das Ich setzt sich schlechthin selbst (1794), das Ich setzt sich schlechthin als sich setzend (1797), das Ich ist eine Tätigkeit, der ein Auge eingesetzt ist (1801). Jede beinhaltet eine Revision der vorhergehenden auf dem Wege, die unvergleichliche Verfassung des Selbstbewußtseins in den Griff zu bekommen (vgl. 'Fichtes ursprüngliche Einsicht'. Frankfurt a. M. 1967). Dagegen kann eine Entzifferung der drei Grundlagentexte an den drei Ich-Formeln Halt gewinnen: Das Ich setzt sich schlechthin als sich setzend (1794), das Wissen erblickt sich in der intellektuellen Anschauung als absolutes Wissen (1801), der Verstand versteht sich als Bild des Absoluten (nach 1804). Keine dementiert die andere, jede setzt die andere vertiefend fort auf dem Wege, die Metaphysik in der kritischen Grundlegung des Selbstbewußtseins zu vollenden.
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Selbstbewußtseins und dem Ansich des reinen Seins liegt. Der Aufstieg der Wissenschaftslehre von 1804 führt die Kritik und Vermittlung bis zu ihrem unübersteigbaren Höhepunkt. Der im Grunde unversöhnte Gegensatz von realistischem Ansich und idealistischem Füruns wird endgültig überstiegen und das Schweben zwischen Ansich und Füruns im Aufstieg zur wahren Einheit zurückgelassen. Die innigste Einheit von 'Wir' und absolutem Sein kann nur geschehen, wenn von der trennenden Reflexion, d.h. von der ganzen Bewußtseinsrelation, vom AnsichFüruns-Bezug, methodisch radikal abstrahiert wird. Dann sind 'Wir' das eine ungeteilte Sein, der Lebensakt selbst, aus dem die Reflexion lebt. Wir sind nicht mehr vom Leben und das Leben nicht mehr von uns geschieden; denn es ist die Reflexions- und Bildform, welche Leben und Vernunft trennt. Freilich ist zugleich klar geworden, daß diese innigste Einheit keine Objektivierung mehr erlaubt und in keiner Sprache begriffen und beurteilt, sondern einzig gelebt werden kann. Und die philosophische Besonnenheit, die nicht in Schwärmerei entartet, weiß, daß die vernichtete Reflexion nicht in Nichts aufgelöst und die entfremdende Ich-Form nicht in jeder Hinsicht zerstört ist. Alles kommt darauf an, die am ungesonderten Sein und Leben zerschellte Reflexion als vermittelnde Mitte für die Erscheinung, das Dasein, das Bild des Seins wieder aufzunehmen. Das Ich rehabilitiert sich als die Bildform eines Bildgefüges. Und das war gezeigt worden, daß der Sinn des Bildes eine vollständige Vermittlung zwischen Sein und Bewußtsein entwirft und die Fünffachheit unserer Vorstellung durchsichtig werden läßt. Die 'Wahrheitslehre' von 1804 hat dem selbstgewissen Bewußtsein die Selbsterkenntnis abgerungen, daß sein Bilden und Sehen-Machen das Licht und Leben nicht sich selber, sondern der nur zu lebenden Wahrheit verdankt. In der Selbstbesinnung auf die Faktizität und Ohnmacht des reflektierenden Bewußtseins angesichts der Wahrheit und des Seins vollendet sich das kritische Geschäft der Transzendentalphilosophie. In der Reflexion, in welcher sich der Verstand als Bild des absoluten Seins verstehen gelernt hat, gewinnt die Arbeit der Vermittlung ihren festen Ausgang. Kritische Selbstvermittlung, das ist das Wesen der Vernunft und die Grundlage allen Bewußt-Seins.
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SACHVERZEICHNIS A = A 3—5, 88—90, Reduktion auf den Satz Ich = Ich 90—93 non A nicht = A 3, 95—98 Abstraktion logische A. i—7, relative A. 42, 393, absolute A. 41—44, 392 —394, Anm. 63, Methode der A. 326 Absolutes s. Gott, Leben, Licht, Sein Als Gelenk der Reflexion 28, 217— 218, 256—257, Prinzip aller Trennung 28—29, 49—5°. 2 37— 2 3 8 Anschauung Ding-A. 159, A. und Begriff 159—160, A. und Denken 241 —247, 264—265, 271—272, A. und Freiheit 264—269, A. des bestimmten Hier und Jetzt 268—269 Anschauung, intellektuelle 14—19, 209, 249—258, i. A. (bei Kant) 15—16, Anm. 3, 249, in Verbindung mit sinnlicher A. 17, i. A. und Sittengesetz 17—18, die zweifache Bedeutung der i. A. 19, 20—22, Inhalt und Form der i. A. 252—253, i. A. als Mittelpunkt des Wissens 253, i. A. und intellektuelles Gefühl 281—284 Ansich das absolute A. 220, 363—365, 386—388, A. und Bild 297, Bedeutung des A. (= Negation der Konstruktion) 372, 387—389, Vernichtung des Denkens am A. 373—374, versinnlichte und intelligierte Bedeutung des A. 386—387, A. und Urphantasie 387, Projektion des A. 388 Anstoß A. und wirkliches Leben 143, A. und Streben 163—165, 181—182, Bedeutung von A. 165—166, A. und Endlichkeit 167, A. und Existenz 181 —190, A. als Erster Beweger 184, Ideal-Realität des A. 185—187, A. und Unterschied im Selbstbewußtsein 199—200 Antithesis antithetische Handlung 10, A. und Synthesis 121, A. und Thesis 104—105, 107, Haupt.-A. von End-
lichkeit und Unendlichkeit 167, 169 —171 Apperzeption synthetische Einheit der A. 155, 308—309, A. und Reflexibilität 197—198, 367, A. in ihrem Zusammenhange mit dem Absoluten 209 —222, 351, A. als Bedingung der Wahrheit 402—403 appetitus 163—164, 193—194, a. und Streben 175, a. und apperceptio 177 Atheismusstreit 281—283, Anm. 43 Attention 265—266 Auge 230—231, in sich geschlossenes A. 250, 258 Aufforderung 63, 73—74, Anm. n Axiomatik 103, Anm. 19
Begreifen B. = Nachkonstruieren 319 —321, B. des Unbegreiflichen 314— 324 Begriff das Als zum göttlichen Sein 48 —49, B. als Weltschöpfer 50, B. und Anschauung 159—160, B. als Durch 319, B. und Sprache 319—320, 391— 392, Vernichtung des B. 320—321, B. als Disjunktionsgrund 342—344, genetischer Zusammenhang von B. und Leben 352—355, Energie des B. 362 Bewußtsein vier Haupttatsachen des B. 51—53, 311, Fünffachheit des B. ji —54, 255—257, 309, B. und Leben 146—147, Schlußsynthesis des theoretischen B. 145—161, Mechanismus des B. Anm. 29, Organismus des B. 156, 161, Ding-B. 307—308, natürliches B. 325, B. und Wahrheit 378—382, Anm. 60 Bild Sein des B. 25—26, Ich als B. 28— 30, 212, 2i8—220, Fünffachheit des B. 54, empirisches B. des Ich 59—66, Wissen als B. des absoluten Seins 44 —45, 296—297, 335—337, Dialektik
Sachverzeichnis des B. 304, Potenzen des B. 334—335, Anm. 56, Gesetz des B. 337 Dasein höherer Sinn von D. 60, D. des menschlichen Geschlechts 59—60, D. und Liebe 65—66, D. und Anstoß 181—190, D. (= Existenz) 406—407, 411 Deduktion Leitfadenproblem der D. 109 —i2i, metaphysische D. (bei Kant) 109—in, Prinzip der metaphysischen D. no—HI, Anm. 22, transzendentale D. (bei Kant) in—113, Anm. 25, Prinzip der transzendentalen D. HI—113, Kritik der kantischen D. durch Hegel, Herbart 113, durch Fichte 114—117, durch Nietzsche Anm. 24, Terminus bei Fichte 122, Leitfaden der D. (bei Fichte) 117—i2i, Selbstbewußtsein als punctum deductionis 122, D. der Kategorien in „Grundlage" 122—144, Anm. 26, indirekte D. des Strebens 162—180, apagogische Beweisführung der D. 192, direkte D. des Strebens 78, 191—201
Denken Einheit von D. und Anschauung 241—247, 264—265, 271—272, reines D. 252, 255, 264—265, 277, absolutes D. und Notwendigkeit 265, D. von etwas 264—265 Dialektik D. der Einschränkung 10—13, , D. (bei Kant) , 117—118, D. des „subjektiven Idealismus" Anm. 2, D. der Reflexion 103—108, Terminus bei Fichte 118, D. des Urteils 118— 120, höhere D. 221, 224, Anm. 39, 312—313, D. des Bildes 304, D. von Idealismus und Realismus 359—361, Anm. 59, 384—385 Ding D. und Einbildungskraft 158— 159, D. an sich und Anstoß 166, 185, D. und endlicher Geist 189, Anm. 32, real-ideale Ansicht des D. 186, D. und Bild 218, D. an sich 236, 346 Durch 29, D. und Bild 218, D. und Begriff 319, lebendiges D. 348—358, D. als Disjunktionsprinzip 355—356 Durcheinander 213, D. und Begriff 352— 353
4*3
Einbildungskraft 145—161, E. als unabhängige Tätigkeit 148—149, Schweben der E. 150—152, 288—289, 296 —297, E. und mittelbares Setzen 152 —153, Zeit bildende E. 156—158, E. und Ding 158—159, E. als vorbewußte Tätigkeit 159, Ideal bildende E. 179—180, schaffende E. 188—189 Einheit E. und Mannigfaltigkeit 241 — 247, absolute E. 307—309, E. der Spaltungen 316—318, 328—329, E. und Wahrheit 401—402 empirisch (bei Kant und Fichte) 88 Empirismus absoluter E. 185, 195, Anm. 33 Endlichkeit E. und Anstoß 167, E. und Unendlichkeit im Ich 169—171, Zirkel der E. 187—188, Anm. 31, E. und Einbildungskraft 189 Endzweck 413—414 Erscheinung s. Bild, Phänomen Erscheinungslehre s. Phänomenologie Entgegensetzen Satz des E. 95—97, Form des E. 95—97, Grenze des E. 171, Bedingungen des E. 171—172 Evidenz E. und a priori 310, faktische E. 310—311, genetische E. 310—312, E. und intuitus 311, Dialektik von faktischer und genetischer E. 312— 313 Existenz E. und Anstoß 181—190, E. und Essenz 166, 182, 212, doppelte E. des Lichtes 333—339, E. (= Dasein) 406—407, 411 Focus F. des Bewußtseins XIV, 39, 267 —268 Form F. des Urteils 87, F. der Grundsätze 86—87, F. der unabhängigen Tätigkeit ( = Übergehen) 150—152, F. der Wechselbestimmung (= Eingreifen) 150, F. des absoluten Wissens 230—232, F. der absoluten Freiheit 240 Freiheit formale F. 37—38, 261—270, F. und Notwendigkeit 37—39, 264— 274, 287—288, moralische-kosmologische-absolute F. 74, 239, 260, das Mittelvermögen der F. 181. F. und absolutes Wissen 239—241, 274, Form und Materie der absoluten F. 240— 241, Einheit von F. und Sein 241—
Sachverzeichnis
424
247, Leerheit der absoluten F. 253, F. und Reflexion 259—260, F. und Gesetz (bei Kant und Fichte) 262, materiale oder quantitative F. 261— 262, 276, F. und Anschauung 264— 269, F. und Wahrheit 403—404 Fünffachheit historische F. 51—53, Deduktion der F. 53—59, 255—257, 309, F. und Von 411 Fürsich 23, F. des Fürsichseins 230—231, das reine F. 257 Gedanke
G. des reinen Denkens 252,
255
Gefühl G. Schlechthinniger Abhängigkeit 38, 27$—289, (bei Schleiermacher) 285—286, sinnliches-intellektuelles G. 281—284, G. und Gewißheit 282 Gegenstand G. als Entgegengesetztes 97 —98, das Wort G. 170, G. und Widerstand 170—175 Genesis 315, immanente G. 239, 341, 346, 397, bloße G. 316 Gewißheit G. und Wahrheit XIV— XV, G. und formale Logik 5—6, moralische G. 17—18, G. und Reflexion 26—30, 214—215, 219, Fundierung der G. im Ich bin 84—94, G. und Wirklichkeit 143—144, Anm. 27, G. und Gefühl 282 Gott der verborgene G. 44, Wissen als Schema G. 45, 305—306, G. und Mensch 64—66, G. und Tathandlung 75—76, Anm. 13, sein unbegreifliches Bewußtsein 75, 199, 277—278, der G, Spinozas 77, G.-Ich-Welt im 3. Grundsatz 106, G. als Licht 323— 324, G. als Leichnam, 346, G. als Leben 346, 395, Anm. 64 Gotteslehre 44—45, 219 Gottesliebe 47—48, Anm. 9, 283—285 Grenze G. des absoluten Wissens 39— 40, 292, 356—358, G. und Streben 179 Grund Satz vom G. 98—100 Grundgesetz G. allen Wissens 314—324, 364—365, 389—390 Grundsätze 84—85, G. der Wissenschaften 86, Topik der G. 87, Form und Materie der G. 86—87, schlechthin unbedingter G. 86, 91—94, G. der
praktischen Vernunft 124, G. der theoretischen Vernunft 125, G. des absoluten Wissens 208, 251, G. der absoluten Reflexion 80, Anm. 15, 204 Ich Ich = Ich (in Hegels Phänomenologie) 79, in Fichtes i. Grundsatz 84 —94, Ich und Substanzialität 69—71, Widerspruch von theoretischem und praktischem Ich 125, Widerspruch von theoretischem und absolutem Ich 166 —167, Widerspruch von endlichem und unendlichem Ich 169—171, Vereinigung von absolutem, praktischem und theoretischem Ich 196—204, vierfache Indigenz des Ich VI, 210—216, Ich als Bild und Schema 212, 218— 220, Vielheit der Iche 237, das absolute Ich 378—383 Ichheit 232 Ideal I. und Wirklichkeit 178—179, 200, I. bildende Einbildungskraft 179 —180 Idee I. und Tathandlung 78, I. und Streben 179, 202—203, I. und Ideal 179 Idealismus subjektiver-objektiver I. X— XI, transzendenter I. 76, spekulativ-ethischer I. 78—79, Anm. 14, 191, unvollständiger I. 114, kritischer I. 162—163, dialektisches Verhältnis zum Realismus 356—361, Anm. 59, 384—385, niederer I. 361—363, Geist und Beschränkung des I. 365—367, Faktizität des I. 367, der höhere I. 376—383, das Faktum des höheren I. 37S—379 Identität logische I. 3—5, 88—90, I. des Selbstbewußtseins 90—92 Imperativ kategorischer I. (bei Kant) 173, Grundlegung bei Fichte 173 — 174, Anm. 30 Individualismus idealistischer I. 62, 237 Individuationsprinzip 64 Individuum 52, 62, 73, individuelles Ich 73—74 Intelligenz I. und intellektuelle Anschauung 15, Antithesis von I. und absolutem Ich 167 Intuition (bei Descartes) 311, I. und Durch 362, absolute I. 373
Sachverzeichnis Kategorien als synthetische Handlungen des Ich 122—131, K. der Qualität 131—135, K. der Relation 135—142, K. der Modalität 142—144, Einheit der K. (bei Aristoteles und im Idealismus) 114 Kausalität Wechsel der K. 127—129, Kategorie der K. (Wirksamkeit) 137 —138, Verhältnis zum Tun und Leiden 138, absolute K. 167—175, 183 Konstruktion K. und Bild 218, K. und Begriff 319—321, die Sichkonstruktion des Absoluten 374 Leben L. und Bewußtsein 146—147, L. als Selbstreproduktion 149—15 o, L. als Streben 163—164, L. als Angleichung 164, 180, empirisches L. in der Zeit 182, L. und Reflexion 211, 215 —216, göttliches L. 340—347, L. und Urrealität 346, L. und Durch 353— 355, L. = Sein 396—397 Lebensakt 216, 398—399 Leiden L. des theoretischen Ich 128, L. als ein Quantum Tätigkeit 130, 134 —135, 141, Kategorie des L. 133— 134, L. als Prädikabil 138, WechselTun-und-L. 148, 150—161 Licht (lumen — lux) 322, L. und Gott 323—324, L. als Durchlässiges an ihm selbst 325, L. als Prinzip von Sein und Begriff 326—328, äußere Existenzform des L. 333—339, innere Existenzform des L. 334, 340—341, immanente Äußerung des L. 341, 346, Sichkonstruktion des L. 374, L. und Wahrheit 404, L. = absolutes Vonsich 409—411, sich effizierendes L. 410—412, Urgesetz des L. 411 Lichtzustand lebendiger L. 230—231 Liebe L. Gottes 47—48, Anm. 9, 283— 285, absolute L. und Religion 283— 284, L. und Reflexion 284 Linie 247—248 Limitation Methode der L. (Einschränkung) 13, —102, Kategorie der L. (Bestimmung) 126—127, 134—135 Logik formale L. und Reflexion i—2, L. und Wissenschaftslehre 2—7, 85— 92, 120
4*5
Mannigfaltigkeit unendliche M. 236— 238, Einheit und M. 241—247 Materie M. des Urteils 87, bedingte M. der Grundsätze 97, unbedingte M. der Grundsätze 102, M. der unabhängigen Tätigkeit (Leiter) 150, M. des Wechsels 150, M. des absoluten Wissens 227—230, M. der absoluten Freiheit 241 Mensch Dasein des M. 59—60, M. und Sinnenwelt 60—61, Glied zweier Ordnungen 62., M. als politisches Lebewesen 62—63, als Person 62, Selbstentfremdung des M. 65, M. (bei Schiller) 105, Anm. 21 Methode Dialektik der M. 109—121, transzendentale (indirekte) M. 191— 192, der andere Weg der M. 191 — 193, 22l, M. der Wahrheitsfindung 310—313, M. der Abstraktion 326, die zweite M. Anm. 63 Modalkategorien (bei Kant) 143, 182, (bei Fichte) 142—144, 184, 212 Möglichkeit M. und Wirklichkeit (bei Kant) 182, M. und Wirklichkeit des Bewußtseins 183—190 Moralität Standpunkt der M. 55, 58, M. und Recht j6—57, M. und Religion 282 Mystik 286, 302—304, Anm. 50 Mystizismus 304 Negation N.-Position 100—101, 104— 105, Kategorie der N. 133—134, negative Größe 134, N. und Tod 345 —347 Nicht-Ich 97—98, N.-I. als Charakter des Seins V, 294, N.-I. und Anstoß 165—166 Nihilismus XIII, N. des Reflektiersystems 26—36, N. (bei F. H. Jacobi) 30—33, N. (bei Hegel) 35 Notwendigkeit N. schlechthin 37—39, N. als Gebundenheit der Freiheit 264 —274, 287—288, absolutes Denken und N. 265 organisch o. Einheit des Bewußtseins 156, 161, 316—317, o. Spaltung 320 Person 52, 61—62, Anm. 12 (Interpersonalität)
426
Sachverzeichnis
Phänomen (bei Leibniz, Kant, Fichte) 405 Phänomenologie 405—407, allgemeine Ph. 45—46, 407—414, Aufgaben der Ph. 46—59, Abgrenzung gegen Hegels Ph. 406 Potenzen 211 (Leben, Reflexion, intellektuelle Anschauung), P. des Bildes 334—33i> Anm· 5? Primat P. der praktischen Vernunft 163, 177 proiectio per hiatum irrationalem 381 —383, Anm. 61, 385, p. und äußere Existentialform 382—383, p. des Ansich 388 Qualität Kategorie der Qu. 134, kategoriale Klasse der Qu. 131—135 Quantitabilität s. Teilbarkeit Quantität Zusammenhang mit Limitation 134 Quantitieren 235—236 Realismus Maxime des R. 41, 368, qualitativer R. 141, dialektisches Verhältnis zum Idealismus 359—361, Anm. 59, 384—385, der niedere R. 363—365, Geist und Beschränkung des R. 367—369, Faktizität des R. 369, Widerspruch im R. 372—375, der höhere R. 375—376, Gesetz des höheren R. 385, R. als verborgener Idealismus 386—390 Realität Kategorie der R. 132—133, Allheit der R. 132, R. und Tätigkeit 133, leere R. und Reflexion 212—214, Anm. 35, absolute R. 340—347, erscheinende R. 344 Recht Standpunkt des äußeren R. 55, Prinzip des R. 56-—58, Urrechte 57, Zwangsrecht 57, R. und Staat 65 Reflektiersystem Nihilismus des R. 26— 36, Leerheit des R. 344—345 Reflexibilität 45—46, 414 Reflexion Sinn und Grenze der R. i— 66, logische R. i—7, 29, analytische R. , R. und Abstraktion 4—6, 41 —44, 392—394, R. des philosophierenden Subjekts 7—14, 22, 106—108, äußere und innere R. 19—26, 82, 193, 197—198, 258—259, 312, 318, Zirkel der R. 23, Anm. 15, 217, abstra-
hierende R. (bei F. H. Jacobi) 31— 32, R.-Entzweiungs-Zweifel 26—30, 219, R. als Sicherfassung des Begriffs 48—49, absolute R. V—VI, 80—83, 191—204, 416, Anm. 69, zentripetale und zentrifugale Richtung der R. 196 —200, Dialektik der R. 103—108, R. und Leben 211, 215—216, R. und Wirklichkeit 211—212, R. und Realität 212—214, Anm. 35, R. und Gewißheit 214—215, inneres Wesen der R. 250—251, absolute R. (Sichtbarmachung der Sichtbarkeit) 254, R. und Liebe 284 Reflexionsbildung i—2 Reflexionsstufen 46—59, Anm. 55 Relation Kategorie der R. (Wechselbestimmung) 135—137, R. von Substanz und Akzidenz 139—142, R. von Idealität und Realität 184—187, R. von Ansich und Füruns 220, 387— 389 Religion Standpunkt der R. 55—56, R. und Moralität 282, Deduktion der R. 283—285, R. und absolute Liebe 283 —284 Richtung R. als Wechselbegriff 197, heterogene R. 196, zentripetale-zentrifugale R. 197—200 Schein S. und Reflexion 30, 213—215, 301, 380—382, S. und Wahrheit 400 —415 Schlag in einem S. 316—320 Schranke 100—102, 105 Schweben S. der Einbildungskraft (Übergehen als solches) 150—152, S. der Ideal bildenden Einbildungskraft 180, S. zwischen Anschauung und Denken 234, S. zwischen Setzen und Vernichten (Freiheit und Nicht-Freiheit) 268—269, 272, 296—297, S. als Mittelpunkt des absoluten Wissens 288—289 Sein Sinn von S. IX—XV, Gegensatz zum Handeln 15, 27, Charakter des Nicht-Ich V, 294, S. als negativer Begriff 272, 294, reines S. 44, S. = Nichtsein des Wissens 294, objektivesreines S. 294—295, ideal-reale Ansicht des S. 296, Wissen als Bild des S. 296—297, Absetzung des S. 326—
Sachverzeichnis 327, S. als Singulum 394, 397, S. und Werden 396, S. = Leben 396—397 Selbstbewußtsein individuelles S. 73, S. als punctum deductionis 122, S. und Wahrheit 297—298, Gewißheit des S. 401—403 Selbstentfremdung 65 Separabilität 266 Setzen 71, Sidi-S. 71—83, mittelbares S. 152—153 Sittengesetz Bewußtsein des S. 17—18, 173—174, Anm. 30, S. und Endzweck 413—414 Soll S. und Sein. 21, 45—46, das problematische S. 361—362, Wesen des S. 412—413, S. und Reflexion 414 Spaltung Reflexion als Prinzip der S. 28—29, 48—49. 342—343» S. der Welt 50, S. in Fünffachheit 51—54, 255—257, S. in 25 Hauptmomente des Wissens 54—59, organische Einheit der S. 308—309, 316—318 Sprache Objektivität als Grundwendung aller S. 43, 391—392, S. und Begriff 319—320, Befangenheit der S. 320, Vernichtung der S. 322, Substantivierung des Seins durch S. 392 Staat 63, Anm. 10 Streben 77—78, S. als Lebensform der praktischen Vernunft 163—164, S. und Anstoß 163—165, 181—182, Unendlichkeit des S. 171—172, 179, indirekte Herleitung des S. 162—180, Tendenz und S. 174—175, S. und Wille 175, S. und Freiheit 176—177, direkte Ableitung des S. 78, 191— 201
Subjekt Nietzsches Kritik des S.-Begriffs 70—71, absolutes S. 72—73 Subjekt-Objekt 72 Substanz Glaube an S. 70—71, substantia cogitans und Ichheit 69—71, Wechsel der Substanzialität 130— 131, Relation von S. und Akzidenz 139—142, Einheit der S. 141, S. = Sein ohne Leben 346, 394 Synthesis S. A—E in der „Grundlage" 69—161, S. der Limitation 99—103, 124, S. und Antithesis 121, S. von Wechsel und unabhängiger Tätigkeit 145—161, S. von Form und Materie
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der unabhängigen Tätigkeit 153— 154, S. von Form und Materie des Wechsels 154, S. der praktischen Vernunft 166—167, vollkommene S. des absoluten Wissens 255—257, 270— 272, S. (bei Kant) 308, 25 Synthesen der W. L. Anm. 55, S. post factum — a priori 317, S. von Idealismus und Realismus 370—372 Tathandlung Bild der T. 23—24, T. und Reflexion 69—83, 416, Anm. 69, T. und Subjekt-Objekt 72, T. und absolutes Subjekt 72—73, T. und Freiheit 74—75, T. und Gott 75, T. und Wirklichkeit 76, T. als Idee und Ideal 78, 202—203 Tatsachen 4 Haupt-T. des Bewußtseins 51—53, 311, absolute T. 314—317 Tätigkeit reine T. des Ich 69—73, 169 —170, in sich zurückkehrende T. 71, unabhängige T. 148—149, Form und Materie der unabhängigen T. 150— 152, vorbewußte T. 159, reine und objektive T. 169—170, unendliche und endliche objektive T. 177—179, heterogene Richtung der T. 196, zentripetale-zentrifugale Richtung der T. 81—82, 197—199, T. als Bilden 218, ideale und reale T. des absoluten Wissens 270—271 Teilbarkeit —102, 126—127, 235— 238 Theorie Widerspruch von T. und Praxis 125, Lebensform der T. 145—161, Fundierung in der Praxis 163, 177 Thesis T. des Ich 104, T.-AntithesisSynthesis 106—108, thetisdies Urteil 118—120 Tod T. und Bewußtsein 60, T. und Leben 146—147, T. und Negation 345 —347, der tote Gott 346 Unendlichkeit U. der Tätigkeit 69—73, 169—170, U. der Spaltung 50, 237— 238, U.-Endlichkeit im Ich 169—171, U. des Strebens 171—172, 179 Urbegriff 337—339 Urphantasie 386—387 Urrealität 340—347 Urteil Form und Materie des U. 87, Wesensbestimmung des U. (bei Kant)
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Sachverzeichnis
no, in, (bei Fichte) 118—120, (bei Wolff) 119, U. und Kategorie 109— 113, unendliches (thetisches) U. 118 —120, Richtigkeit des U. 401—403 Urteilstafel 109—in, Anm. 23 Urvon 410—411 Vernunft Prinzip der theoretischen und praktischen V. 124—125, Kreislauf der theoretischen V. 160—161, Grenze der theoretischen V. 162, praktische V. und Streben 162—180, Primat der praktischen V. 163, 177, Synthesis der praktischen V. 166—167 Von 45, V. als Qualität des Lichtes 409, V. des Von 410—411, V. und Fünffachheit 411, Genesis des V. 411—412 Wahrheit W. und Gewißheit XIV— XV, 401—402, W. und das Wahre bei F. H. Jacobi 32, W. und Selbstbewußtsein 72, 297—298, 378—382, W. und Reflexion 214—215, W. als Richtigkeit 325—326, 401—403, W. als Offenbarkeit 369, 380, 404, W. und Einheit 401—402, W. des Absoluten 403—404, W. und Licht 404 Wahrheitslehre 301—302, Anm. 66, Resultate der W. 305—306, 400, Anm. 66 Wechselbestimmung Gesetz der W. 126 —127, Zweideutigkeit der W. 127, Kategorie der W. (Relation) 135— 137 Wechselwirkung (bei Kant) 137 Welt W. und Reflexion 49—51, W. als Sphäre der Pflicht 177, 282, Gewißheit der objektiven Realität von W. 282 Werden absolutes W. 239—240, 277, W. und Sein 396 Widerspruch logischer W. 3, 95—96, Satz des W. (bei Kant) 85, unbedingte Form und bedingte Materie des Satzes vom W. 96—97 Wir 397—399,417 Wirklichkeit 142—144, W. und Gewißheit 143—144, Anm. 27, W. und Anstoß 143, 183, W. und Ideal 178
—179, W. und Möglichkeit (bei Kant) 182, W. und Möglichkeit des Bewußtseins 183—190, W. und Reflexion 211—212 Wirksamkeit Kategorie der W. (Kausalität) 137—138 Wirkung 138 Wissen absolutes W. 22—23, 208—209, Grundsatz des absoluten W. 208, 251, W. als Bild 218—219, 296—297, 335 —337» Worterklärung des absoluten W. 223—226, Realerklärung des absoluten W. 226—232, Materie des absoluten W. 227—230, Form des absoluten W. 230—232, W. als Beleuchtung 243—244, W. als Aufklärung 245, realistische-idealistische Begründung des W. 242—246, 253— 254, W. und Freiheit 274, absolutes W. und das Absolute 279—281, W. des Nicht-Wissens 40, 290—298, Ursprung und Ende des absoluten W. 39—40, 291—292, Entspringen des absoluten W. 292—293, Grundgesetz allen W. 314—324, 364—365 Wissenschaftslehre Standpunkt der W.L. 56, 247, 360—361, Gegenstand der W.-L. 2i—22, Real-Idealismus der W.-L. 184—185, die veränderte Lehre der W.-L. 207—222, Anm. 38, Anm. 52, W.-L. als docta ignorantia 294— 297, W.-L. als Mystik 302—304, Anm. 50, Aufgabe der W.-L. 306—307, Anm. 54, W.-L. als Wissenschaft vom Dasein 407, W.-L. als Weisheitslehre 413—414 Zeit Ursprung in der produktiven Einbildungskraft 157—158, Wesen der Z. (Solange der Bewegung des Bewußtseins) 157—158, Zeitigung der Teile der Z. 158, Z. als Abbild der Ewigkeit 180 Zirkel Z. der Reflexion 23, Anm. 15, 217, Z. von Logik und W.-L. 92, Priorität im Z. 92, Z. von Kausalität und Substanzialität 145—148, Z. von Idealität und Realität des Anstoßes 187—188, Anm. 31, Zirkel von Ansich und Bewußtsein 386—387
Fichtes Werke Herausgegeben von IMMANUEL HERMANN FICHTE 11 Bände Oktav. Etwa 6416 Seiten. 1970. Paperback DM 132,—
JOHANN GOTTLIEB FICHTE
Nachgelassene Werke Herausgegeben von IMMANUEL HERMANN FICHTE 3 Bände. 1834/1835. Photomechanischer Nachdruck 1963. Ganzleinen DM 108,—
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Sämmtliche Werke 8 Bände. 1845/1846. Nachdruck 1965/1966. Ganzleinen DM 340,—
Der Zwiespalt im Denken Fichtes Rede zum 200. Geburtstag Johann Gottlieb Fichtes gehalten am 19. 5. 1962 an der Freien Universität Berlin von WILHELM WEISCHEDEL Oktav. 28 Seiten. 1962. DM 1,50
Kants Werke Akademie Textausgabe Unveränderter photomechanischer Abdruck des Textes der von der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1902 begonnenen Ausgabe von Kants gesammelten Schriften 9 Bände. Kunststoff kaschiert. Rund 4370 Seiten. 1968. Pro Band DM 12,80
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Die Marxsche Theorie Groß-Oktav. XII, 593 Seiten, 1970. Ganzleinen DM 78,— Der Autor stellt eine im Laufe der Marxschen Denkbewegung sich zwar wandelnde, aber doch kontinuierliche Theorie heraus, die er als Theorie vom transzendentalen Theorietyp bezeichnet. Entsprechend gibt er eine transzendentale Analyse dieser Theorie, wobei Themen wie Anthropologie, Kritik des Bestehenden, Kritik der Ökonomie, Theorie der Praxis und Geschichtlichkeit ihre kritische Behandlung finden. Sowohl für den Marxschen Denkansatz wie für die Ausführung des Marxschen Theorieprogramms in einer Dialektik eigener Art bietet der Autor neue Aufschlüsse, und zwar in Konfrontation mit Hegel, den Junghegelianern, Proudhon und Sartre, wie auch mit der Grenznutzentheorie. In die Untersuchung werden alle Marxschen Hauptschriften, sowie eine repräsentative Auswahl wichtiger Marxliteratur miteinbezogen.
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Quellen und Studien zur Geschichte der Philosophie Herausgegeben von PAUL WILPERT
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Fallgesetz und Massebegriff Zwei Untersuchungen zur Kosmologie des Johannes Philoponus. Materialien für eine Geschichte der Naturwissenschaften Groß-Oktav. Etwa 168 Seiten. 1970. Ganzleinen DM 36,— In zwei methodisch voneinander unabhängigen Abhandlungen werden Philoponus' »Kritik an Aristoteles' Bewegungsproportionen und seine Kritik des aristotelischen Materiebegriffs genetisch analysiert und auf ihre Stringenz hin geprüft. Die zentrale Funktion von Frühformen der ,vis impressa' und der ,quantitas materiae' und deren Beziehung zur neuplatonischen Metaphysik werden herausgearbeitet. Einleitend wird die Möglichkeit einer einheitlichen historischen Erklärung dieser doppelten Aristoteleskritik aufgezeigt.
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