Fehlentscheidungen: Warum wir tun, was wir später bereuen 3534235495, 9783534235490

Warum treffen wir Entscheidungen, die wir nachträglich bedauern? Wieso entscheiden wir uns einmal zu schnell und zu leic

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Titel
Impressum
Inhalt
1 Einführung
1.1 Entscheidungsdefekte
1.2 Auswahl der Defekte
1.3 Vorgehen
2 Logik und Wahrscheinlichkeit
2.1 Relative Häufigkeiten
2.1.1 Begriff
2.1.2 Studie
2.1.3 Erklärung
2.1.4 Zusammenhänge
2.1.5 Beispiele
2.1.6 Würdigung
2.2 Versunkene Kosten
2.2.1 Begriff
2.2.2 Beispiele
2.2.3 Erklärung
2.2.4 Zusammenhänge
2.2.5 Studie
2.2.6 Würdigung
3 Wahrnehmen und Denken
3.1 Bestätigungstendenz
3.1.1 Begriff
3.1.2 Beispiele
3.1.3 Erklärung
3.1.4 Studie
3.1.5 Zusammenhänge
3.1.6 Würdigung
3.2 Aberglaube
3.2.1 Begriff
3.2.2 Beispiele
3.2.3 Studie
3.2.4 Erklärung
3.2.5 Zusammenhänge
3.2.6 Würdigung
4 Wünsche und Motivationen
4.1 Egoismus
4.1.1 Begriff
4.1.2 Beispiele
4.1.3 Erklärung
4.1.4 Studie
4.1.5 Zusammenhänge
4.1.6 Würdigung
4.2 Besitztumseffekt
4.2.1 Begriff
4.2.2 Beispiele
4.2.3 Studie
4.2.4 Erklärung
4.2.5 Zusammenhänge
4.2.6 Würdigung
5 Selbst
5.1 Selbsttäuschung
5.1.1 Begriff
5.1.2 Beispiele
5.1.3 Erklärung
5.1.4 Zusammenhänge
5.1.5 Studie
5.1.6 Würdigung
5.2 Kontrollillusion
5.2.1 Begriff
5.2.2 Beispiele
5.2.3 Erklärung
5.2.4 Zusammenhänge
5.2.5 Studie
5.2.6 Würdigung
6 Das Soziale
6.1 Emotionale Ansteckung
6.1.1 Begriff
6.1.2 Beispiele
6.1.3 Studie
6.1.4 Erklärung
6.1.5 Zusammenhänge
6.1.6 Würdigung
6.2 Macht korrumpiert
6.2.1 Begriff
6.2.2 Beispiele
6.2.3 Studie
6.2.4 Erklärung
6.2.5 Zusammenhänge
6.2.6 Würdigung
7 Literatur
8 Stichwortverzeichnis
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Fehlentscheidungen: Warum wir tun, was wir später bereuen
 3534235495, 9783534235490

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Albert Martin

Fehlentscheidungen Warum wir tun, was wir später bereuen

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2012 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Redaktion: Katharina Gerwens, Eichendorf Satz: SatzWeise Föhren Umschlaggestaltung: Peter Lohse, Heppenheim Umschlagabbildung: Entweder oder? © bluedesign – Fotolia.com Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-23549-0 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73166-4 eBook (epub): 978-3-534-73167-1

Inhalt 1

Einführung . . . . . . . 1.1 Entscheidungsdefekte 1.2 Auswahl der Defekte 1.3 Vorgehen . . . . . .

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Logik und Wahrscheinlichkeit 2.1 Relative Häufigkeiten . . . 2.1.1 Begriff . . . . . . . . . 2.1.2 Studie . . . . . . . . . 2.1.3 Erklärung . . . . . . . 2.1.4 Zusammenhänge . . . . 2.1.5 Beispiele . . . . . . . . 2.1.6 Würdigung . . . . . . 2.2 Versunkene Kosten . . . . 2.2.1 Begriff . . . . . . . . . 2.2.2 Beispiele . . . . . . . . 2.2.3 Erklärung . . . . . . . 2.2.4 Zusammenhänge . . . . 2.2.5 Studie . . . . . . . . . 2.2.6 Würdigung . . . . . .

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Wahrnehmen und Denken 3.1 Bestätigungstendenz . 3.1.1 Begriff . . . . . . . 3.1.2 Beispiele . . . . . . 3.1.3 Erklärung . . . . . 3.1.4 Studie . . . . . . . 3.1.5 Zusammenhänge . . 3.1.6 Würdigung . . . .

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3.2 Aberglaube

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Wünsche und Motivationen 4.1 Egoismus . . . . . . . . 4.1.1 Begriff . . . . . . . . 4.1.2 Beispiele . . . . . . . 4.1.3 Erklärung . . . . . . 4.1.4 Studie . . . . . . . . 4.1.5 Zusammenhänge . . . 4.1.6 Würdigung . . . . . 4.2 Besitztumseffekt . . . . . 4.2.1 Begriff . . . . . . . . 4.2.2 Beispiele . . . . . . . 4.2.3 Studie . . . . . . . . 4.2.4 Erklärung . . . . . . 4.2.5 Zusammenhänge . . . 4.2.6 Würdigung . . . . .

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Selbst . . . . . . . 5.1 Selbsttäuschung 5.1.1 Begriff . . . 5.1.2 Beispiele . . 5.1.3 Erklärung .

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3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6

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Begriff . . . . . Beispiele . . . . Studie . . . . . Erklärung . . . Zusammenhänge Würdigung . .

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5.1.4 Zusammenhänge 5.1.5 Studie . . . . . 5.1.6 Würdigung . .

5.2 Kontrollillusion . 5.2.1 Begriff . . . . 5.2.2 Beispiele . . . 5.2.3 Erklärung . .

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5.2.4 Zusammenhänge 5.2.5 Studie . . . . .

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Inhalt

5.2.6 Würdigung

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Das Soziale . . . . . . . . 6.1 Emotionale Ansteckung 6.1.1 Begriff . . . . . . . 6.1.2 Beispiele . . . . . . 6.1.3 Studie . . . . . . . 6.1.4 Erklärung . . . . . 6.1.5 Zusammenhänge . . 6.1.6 Würdigung . . . . 6.2 Macht korrumpiert . . 6.2.1 Begriff . . . . . . . 6.2.2 Beispiele . . . . . . 6.2.3 Studie . . . . . . . 6.2.4 Erklärung . . . . . 6.2.5 Zusammenhänge . . 6.2.6 Würdigung . . . .

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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 Einführung Die menschliche Rationalität ist beschränkt. Das ist zweifellos ein Gemeinplatz. Man kann immer auf ihn zurückkommen, beispielsweise wenn man wieder einmal beobachten muss, wie jemand (z. B. man selbst) eine völlig unverständliche, ja „unvernünftige“ Entscheidung trifft. Besser als auf Gemeinplätzen zu verweilen ist es natürlich, wenn man sich etwas bewegt und nach möglichen Gründen für das jeweilige Verhalten Ausschau hält. Als hilfreich erweist sich hierbei die Verwendung von handlungstheoretischen Einsichten. Mit Hilfe einer Theorie kann man gewissermaßen „von oben“ auf das konkrete Geschehen herabblicken und es mit den – im Idealfall gehaltvollen – Kategorien beschreiben, die einem die Theorie zur Verfügung stellt. Problematisch ist hierbei die Selektivität, die sich zwangsläufig aus dem Gebrauch einer bestimmten Theorie ergibt. Ökonomen suchen überall nach dem Nutzen, der in einer Handlung steckt, Dissonanztheoretiker nach der Unordnung im Kopf, Psychoanalytiker nach verdrängten Impulsen usw. Und es gibt ein zweites Problem, mit der es jede Erklärung zu tun hat, die sich theoretischer Einsichten bedient. Theorien abstrahieren von der Vielfalt und Vielschichtigkeit ganz konkreter Vorgänge; man wird dem Geschehen aber nur dann gerecht, wenn man bei seiner Erklärung eben diese Komplexität nicht ignoriert. Ein Beispiel soll diese Überlegung verdeutlichen. Ein Freund hat sich beim Hausbau finanziell übernommen. Um sein Verhalten zu verstehen, bediene ich mich einer naheliegenden Erklärung, die entsprechend einfach ausfällt, und sage ihm auf den Kopf zu, er habe das Desaster seiner Extravaganz zuzuschreiben, schließlich hätte es ja auch ein kleineres Haus sein können. Er widerspricht mir heftig und kann (mit Recht) darauf hinweisen, dass er in vielerlei Hinsicht sehr bescheiden und meine Vermutung daher völlig abwegig sei. Dann müsse es eben ein anderes (übertriebenes) Bedürfnis sein, das ihn bewegt habe, so meine Schlussfolgerung, schließlich habe er sich von seiner Entscheidung ja etwas versprochen. Auf solche nichtssagenden Aussagen könne er gern verzichten, so seine Antwort. Also mute ich meinem Freund eine Analyse seiner Bedürfnisstruktur zu, versuche zu

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Einführung

klären, welche Gedanken ihn bei seiner Entscheidung bewegten, wie er seine Einkommenssituation beurteilte, wie es zu dieser Beurteilung kam, welche Pläne er sich gemacht hatte, wie er sie umsetzte, was er sich von einzelnen Handlungsschritten versprach usw. Über manche dieser Punkte sind wir uns einig, über andere nicht, zu vielen können wir nichts Genaues sagen. Um meine oben angeführte „theoretische“ Aussage (Erwartungen und Bedürfnisse bestimmten das Handeln) zu konkretisieren, muss ich jedenfalls viel Detailwissen zur Anwendung bringen. Das ist immer so, wenn man einen Einzelfall mit Hilfe einer bestimmten Theorie erklären will: Man konstruiert ein Erklärungsmodell, verwendet hierzu die Konstrukte der Theorie, füllt sie mit dem empirischen Gehalt, den der konkrete Fall bereithält oder zumindest bereit halten sollte und versucht, die herausgearbeiteten Sachverhalte in den Zusammenhang zu bringen, den die Theorie postuliert. Das führt sehr schnell zu einer ziemlichen Verästelung der Überlegungen und zur Notwendigkeit, mit vielen ungeprüften Annahmen zu arbeiten. Die Theorieanwendung (wenn sie sorgfältig vorgenommen wird) ist also eine komplexe Angelegenheit. Dass sie sogar sehr komplex sein kann, wird einsichtig, wenn man darüber hinaus berücksichtigt, dass man konkrete Vorgänge nicht ausschließlich aus dem Blickwinkel einer einzelnen Theorie betrachten sollte. Im angeführten Beispiel ging es ja nur um die Nutzenabschätzung (und um Überlegungen, die hierbei eine Rolle spielen), eine konkrete Entscheidung kann jedoch noch von ganz anderen Größen beeinflusst worden sein. Vielleicht war die Nutzeneinschätzung des Freundes ja negativ ausgefallen (oder hat gar nicht stattgefunden) und die Entscheidung für das große Haus erfolgte auch deswegen, weil die Zeit drängte und sonst kein einigermaßen passables Haus angeboten wurde, weil die Verwandten ungeduldig waren, wegen der Freundlichkeit und Überzeugungskraft des Maklers, weil mein Freund gerade in einer großartigen ausgabefreudigen Stimmung war, weil er jemandem imponieren wollte oder warum auch sonst. Um derartige Einflüsse zu erklären gibt es eine Fülle weiterer Theorien, die man natürlich auch in Betracht ziehen sollte. Zusammengefasst haben wir es bei der Erklärung von Entscheidungen (und von Fehlentscheidungen als Beispielen beschränkter Rationalität) mit zwei Schwierigkeiten zu tun: zum einen mit der Reichhaltigkeit konkreter Geschehnisse, die von einzelnen Theorien nur schemenhaft erfasst werden können und zum anderen mit der Vielzahl von Theorien, die für eine fundierte Erklärung in Frage kommen. Was heißt dies aber nun für das vorliegende Buch? Es geht darin um

Einführung

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die Erörterung von Prozessen, die dafür verantwortlich sind, dass Menschen nur in einem sehr eingeschränkten Ausmaß rational handeln, oder, anders ausgedrückt, dass die häufig angestrebte Rationalität – die ja immerhin vorstellbar ist – aus nicht zufälligen Gründen oft verfehlt wird. Für die Erörterung der damit verbundenen Fragen taugen isolierte theoretische Betrachtungen und opulente Einzelfallbeschreibungen nur sehr bedingt. Glücklicherweise gibt es einen dritten Weg, der hier denn auch beschritten werden soll. Betrachtet werden im vorliegenden Buch typische und häufig auftretende Entscheidungsdefekte, und zwar jeweils aus dem Blickwinkel unterschiedlicher theoretischer Ansätze. Damit entfällt die Notwendigkeit, sich in unergiebigen Detailschilderungen einzelner Fehlentscheidungen zu verlieren, und es eröffnet sich die Möglichkeit, durch die gleichzeitige Inanspruchnahme unterschiedlicher theoretischer Perspektiven der Vielseitigkeit des konkreten Geschehens gerecht zu werden.

1.1 Entscheidungsdefekte Wenn man von Defekten spricht, stellt sich die Frage nach dem Maßstab, an dem man das Defizitäre des Geschehens bemisst. Aufgeklärte Menschen haben den Anspruch, vernünftig zu handeln. Als Maßstab für die Qualität von Entscheidungen empfiehlt sich daher auch schlichtweg „die Vernunft“. Mit der Vernünftigkeit oder der „Rationalität“ von Entscheidungen beschäftigt sich die so genannte „Normative Entscheidungstheorie“. Es ist also naheliegend, die Ergebnisse dieser Forschungsrichtung als Maßstab zu nehmen. Und viele empirische Forscher tun genau das, sie untersuchen, inwieweit das tatsächliche Entscheidungsverhalten mit den Axiomen der normativen Theorie übereinstimmt – und kommen normalerweise zu dem betrüblichen Ergebnis, dass dies sehr häufig nicht der Fall ist. Daraus folgt allerdings nicht zwingend, dass Menschen grundsätzlich unvernünftig sind. Möglicherweise ist ja auch der Maßstab falsch und es ist die Normative Entscheidungstheorie, die Defekte aufweist. Ein häufig gemachter Vorwurf an diese Theorie lautet denn auch, dass sie Verhaltensanforderungen formuliert, die aus grundsätzlichen, in der Natur des Menschen liegenden Gründen, gar nicht oder nur in Ausnahmefällen einlösbar sind. Auf die Diskussionen, die sich mit diesem Vorbehalt befassen, gehe ich nicht ein, weil die im vorliegenden Buch behandelten Entscheidungsdefek-

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Einführung

te in aller Regel einem ganz einfachen Kriterium genügen: Sie veranlassen Entscheidungen, deren Konsequenzen die handelnden Personen selbst nicht wünschen dürften, jedenfalls dann nicht, wenn sie darüber „in aller Ruhe und Umsicht“ nachdenken würden. Dabei kann die Frage durchaus offen bleiben, ob sich Entscheidungsdefekte bei entsprechender Vorsorge immer und unter allen Umständen vermeiden lassen. Es gibt einen weiteren wichtigen Grund dafür, sich bei der Betrachtung von Entscheidungsdefekten nicht ausschließlich an den Vorstellungen der normativen Entscheidungstheorie zu orientieren. Diese betrachtet das Entscheidungsgeschehen nämlich sehr statisch als Ergebnis von Nutzenabwägungen, während es tatsächlich ja das Ergebnis von manchmal sehr verwickelten Prozessen ist. Und bei näherer Betrachtung wird man zugeben, dass die Probleme mit der Rationalität gerade in diesen Prozessen stecken und nicht so sehr in der – wie auch immer stattfindenden – Nutzenverrechnung. Will man verstehen, warum viele Entscheidungen „defekt“ sind, muss man daher alle wichtigen Elemente eines Entscheidungsprozesses ins Auge fassen, also beispielsweise Fragen wie die, worauf Menschen ihre Aufmerksamkeit richten, von welchen „Störgrößen“ die Wahrnehmung beeinträchtigt wird, wie Informationen gewonnen und verwendet werden, wie Probleme analysiert und wie Handlungen geplant werden.

1.2 Auswahl der Defekte Im vorliegenden Buch werden 10 + 5 Entscheidungsdefekte ausführlich dargestellt. Zehn dieser Defekte werden in der vorliegenden Druckausgabe behandelt, fünf weitere (das St.-Petersburg-Paradox, das Eskalierende Commitment, Selbstwertdienliche Attributionen, Framing-Effekte und das Gruppendenken) in einer Online-Version, die über die Internetseiten der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft zugänglich sind: unter www.wbgwissenverbindet.de, hier im Bereich Service 3 Downloads. Außerdem findet sich auf der genannten Internetseite der WBG eine Übersicht von 250 weiteren Entscheidungsdefekten. Die getroffene Auswahl ist zwangsläufig selektiv und stark von den Vorlieben des Autors geprägt. Wenn man erst einmal damit begonnen hat, die Probleme zu sammeln, die Menschen mit ihren Entscheidungen haben, findet man kein Ende und man sieht sich

Einführung

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zwangsläufig mit der Frage konfrontiert, welche Probleme eine intensivere Betrachtung verdienen und wo man Schwerpunkte setzen soll. Am überzeugendsten wäre es wohl, die Defekte, die eine gewisse konzeptionelle Kohärenz aufweisen, jeweils zu thematischen Clustern zusammenzufassen, genau zu klären, in welcher Weise sie zusammenhängen und zu ermitteln, welche theoretischen Schlussfolgerungen sich aus der Analyse dieser Zusammenhänge ergeben. In der Literatur gibt es Bemühungen, in dieser Richtung voranzugehen, insbesondere den Versuch, Verwandtschaften von Entscheidungsdefekten zu ergründen und sie möglichst auf gemeinsame Bestimmungsgründe zurückzuführen. Die hierzu angestellten Überlegungen betreffen aber immer nur wenige Defekte und die herausgearbeiteten begrifflichen und theoretischen Bezugspunkte finden im Übrigen bislang auch keine ungeteilte Zustimmung. Ein weiterer möglicher Systematisierungsansatz orientiert sich an den Phasen eines Entscheidungsprozesses, was aber auch nur bedingt weiterhilft, weil sich die Teilaktivitäten im Entscheidungshandeln weder inhaltlich und schon gar nicht zeitlich säuberlich voneinander trennen lassen. Man kann Entscheidungsdefekte außerdem nach ihrer theoretischen Verankerung anordnen, nach dem Grad der Aufmerksamkeit, den man ihnen in der Fachöffentlichkeit schenkt, oder auch einfach nach den Wissenschaftszweigen, die sich mit ihnen beschäftigen. Gegen entsprechende Klassifizierungsversuche ist nichts einzuwenden. Aber der hiermit erzielbare Erkenntnisgewinn ist nicht sonderlich groß. Bei der für dieses Buch schließlich getroffenen Auswahl kam es mir vor allem darauf an, zumindest in gewissem Umfang der Vielschichtigkeit des Entscheidungsgeschehens gerecht zu werden und unterschiedliche theoretische Perspektiven zur Geltung zu bringen. Die so genannte verhaltensorientierte Entscheidungsforschung beispielsweise befasst sich vor allem mit Prozessen der Präferenzbildung, mit Risikoerwägungen und mit der Frage, wie Menschen mit Wahrscheinlichkeiten umgehen. Dabei rekurriert sie wie selbstverständlich auf die Konstrukte, die in der Normativen Entscheidungstheorie ganz im Zentrum stehen. Sie stehen auch in den ersten Kapiteln dieses Buches im Vordergrund, in denen es um den oft fehlerbehafteten Umgang mit Wahrscheinlichkeiten geht und um den Irrtum, dass bei einer Entscheidung immer zu beachten sei, wie viel man bereits in die Entscheidungsfindung investiert habe. Auf ein Problem, das in der Geschichte der Entscheidungstheorie eine große Bedeutung gewonnen hat, geht das Kapitel zum „St. Petersburg Paradox“ ein, das als Online-

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Einführung

Beitrag zu finden ist. Weitere Kapitel beschäftigen sich mit Defekten bei der Wahrnehmung und beim Denken, also mit Vorgängen, die eher Themen der Denkpsychologie als der Entscheidungstheorie sind. Gleichwohl lassen sich hier, wie auch bei allen anderen Entscheidungsdefekten, keine eindeutigen Disziplinen-Zuweisungen vornehmen, für jeden Entscheidungsdefekt lassen sich Erklärungen aus sehr unterschiedlichen wissenschaftlichen Bereichen finden. Die nächsten Kapitel beschäftigen sich mit der Motivationsseite, also mit der Frage, was unser Handeln antreibt. Die menschlichen Bestrebungen leiten sich, anders als dies manchmal suggeriert wird, nicht aus einem obersten Motiv in logisch und kausal eindeutiger Weise ab, sie lassen sich oft nicht einmal klar umreißen und sind auch nicht sonderlich stabil und bisweilen schlichtweg bizarr und irrational, woraus sich naturgemäß zahlreiche Probleme für eine kohärente Entscheidungsfindung ergeben. Ein sehr grundsätzliches Kapitel beschäftigt sich mit dem Thema „Egoismus“, also mit der Frage, warum egoistische Haltungen zu schlechten Entscheidungen führen, was sich auf den ersten Blick etwas paradox anhört, weil die Entscheidungstheorie ja schlichtweg davon ausgeht, dass Menschen egoistisch sind. Eine weitere Themengruppe befasst sich mit dem Selbstverständnis von „Entscheidern“. Anders als in der klassischen Entscheidungstheorie behauptet, geht es im menschlichen Handeln aber nicht allein um Zwecke, manches macht man nur deswegen, weil alles andere nicht zu einem passen würde und weil das Bild, das man von sich hat, durch ein anderes Verhalten getrübt würde. Auch das eigene Denken wird davon geprägt, wie man sich selbst sieht, manche betrübliche Einsicht erspart man sich lieber, damit man weiter gut mit sich leben kann. Schließlich werden noch zwei Defekte behandelt, die sich aus der sozialen Verfasstheit menschlichen Handelns ergeben und die zeigen, dass Menschen keine isolierten Entscheidungseinheiten sind, die alles um sich herum nur als „Umwelt“ begreifen. Meine Darstellung der 15 Entscheidungsdefekte erhebt keinen Anspruch auf eine wie immer geartete Repräsentativität. Sie soll zwar einen gewissen Eindruck von der Breite der Fragestellungen liefern, die mit der Entscheidungsfindung verbunden sind, vor allem aber will ich auf einige grundlegende Mechanismen aufmerksam machen, die das menschliche Handeln bestimmen. Die im Onlinekapitel aufgeführten 250 weiteren Defekte verdeutlichen die Breite des Themenspektrums fehlerbehafteter Entscheidungen, es handelt sich dabei aber um keine erschöpfende Auflistung, und sie ist auch nicht unvoreingenommen. Die meisten der angeführten

Einführung

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Defekte entstammen der verhaltensorientierten Entscheidungsforschung, der sozialkognitiven und sozialpsychologischen Literatur. Angeführt sind auch einige Abwehrmechanismen aus der tiefenpsychologischen Forschung, die ja nachgerade eine Defizitliteratur ist. Aufgelistet sind auch logische Fehler und Fallen, die sich mit erkenntnistheoretischen Irrtümern und Denkfehlern verknüpfen, und die schon allein deshalb eine genauere Betrachtung verdient hätten, weil sie vielfach mit den Defekten des Alltagsdenkens korrespondieren. Zum großen Teil ausgespart sind die vielfältigen Probleme, die sich bei der wissenschaftlichen Datenerhebung und beim Umgang mit statistischen Verfahren der Datenauswertung ergeben. Nur am Rande angeführt sind Beispiele aus der Kommunikationsforschung, weil diese sich häufig mit eher modischen und wenig tiefgreifenden Themen befasst. Außerdem wird die Literatur zur Spieltheorie wenig berücksichtigt, diese thematisiert vor allem „logisch-strategische“ Aspekte, die wenig Aufschluss über das reale Entscheidungshandeln geben. Eine ausführliche Behandlung verdiente der Umgang mit sozialen Dilemmata, weil sich diese aber weniger auf das individuelle als vielmehr auf das kollektive Entscheiden beziehen, gehe ich hierauf nur vereinzelt ein.

1.3 Vorgehen Den folgenden Ausführungen liegt ein einheitliches Schema zugrunde, von dem im Einzelfall aus Darstellungsgründen leicht abgewichen wird. Zuerst wird der jeweilige Entscheidungsdefekt näher erläutert. In aller Regel stellt sich dabei heraus, dass die Phänomene, die den Defekt kennzeichnen, sehr facettenreich sind. Das erklärt auch, warum die Begriffe in der Literatur nicht immer einheitlich verwendet werden. Letzteres hat mit dem Blick zu tun, den man auf die Phänomene wirft: je nach theoretischer Perspektive zeigen sich unterschiedliche Nuancen, Varianten und Formen – ein Tatbestand, der insbesondere bei der Erklärung der Defekte nochmals deutlich zutage tritt. Begriffliche und theoretische Überlegungen lassen sich eben nicht voneinander trennen, die Art und Weise, mit der man auf die Realität blickt, bringt nur die Aspekte zum Vorschein, die sich aus der jeweils gewählten Perspektive erschließen lassen. Nach der Begriffserläuterung werden Beispiele aus unterschiedlichen Lebensbereichen angeführt, um die Bedeutung der jeweiligen Defekte zu illustrieren. Die ver-

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Einführung

wendeten Darstellungen machen klar, dass Entscheidungsdefekte keine akademischen Merkwürdigkeiten sind, sondern Ausdruck grundlegender Zusammenhänge, die unser Handeln in eine unerwünschte Richtung lenken können. Anschließend wird exemplarisch eine empirische Studie vorgestellt, wobei es sich in der Regel um eine „klassische“ Demonstration der einzelnen Defekte handelt. Diese Studien wurden sehr häufig als ein Experiment angelegt. Ein Experiment ist zwar nicht so lebensvoll wie eine konkrete Fallschilderung, dafür aber von großer Klarheit, was die postulierten Zusammenhänge und deren Prüfung angeht. In einem weiteren Teilabschnitt werden verschiedene Einflussgrößen behandelt, also kulturelle, soziale und persönlichkeitsbedingte Tatbestände, die die Anfälligkeit für den jeweiligen Entscheidungsdefekt steigern oder vermindern können. Zum Abschluss erfolgt eine Würdigung im Hinblick auf theoretische, methodologische oder auch praktische Gesichtspunkte.

2 Logik und Wahrscheinlichkeit 2.1 Relative Häufigkeiten Inwiefern ist denn das Spiel schlechter als irgendeine andere Art Geldgewinn, als zum Beispiel – nun, sagen wir, der Gewinn im Handel? Allerdings gewinnt hier von hundert nur einer und neunundneunzig verlieren. Aber was geht das mich an? Fjodor M. Dostojewski: Der Spieler Menschen haben mit der Abschätzung von Wahrscheinlichkeiten große Probleme. Sie folgen intuitiv plausiblen, aber fehlerhaften Regeln, die konsequenterweise zu falschen Schlussfolgerungen führen. Ein eindrückliches Beispiel hierfür liefert die so genannte „Base Rate Fallacy“, die im folgenden Absatz erklärt wird. Zur Relevanz dieses Entscheidungsdefekts gibt es eine etwas überspannte Debatte. In Frage steht, ob Menschen der Base Rate Fallacy tatsächlich immer unterliegen. Diese Auffassung hat eigentlich nie jemand ernsthaft vertreten. Menschen sind den Begrenzungen ihres Verstandes und den intuitiv sich aufdrängenden Denkimpulsen nicht hilflos ausgeliefert, man kann den richtigen Umgang mit Wahrscheinlichkeiten lernen und man kann darüber reflektieren, ob die Schlussfolgerungen, die eine Situationsbeschreibung nahezulegen scheint, tatsächlich richtig sind. Dessen ungeachtet bleibt es ein wichtiges Anliegen, verstehen zu wollen, warum Menschen so häufig ihren falschen statistischen Intuitionen und nicht den richtigen Regeln der Wahrscheinlichkeitstheorie folgen (Kahneman/Tversky 1996).

2.1.1. Begriff Unter der „Base Rate Fallacy“ versteht man die Neigung, bei der Wahrscheinlichkeitsabschätzung von Ereignissen die relative Häufigkeit dieser

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Ereignisse zu ignorieren oder – etwas anders ausgedrückt – die Tendenz, sich bei der Einschätzung der Wahrscheinlichkeit von Ereignissen eher von den vorliegenden Einzelfallinformationen als von den die Wahrscheinlichkeit bestimmenden relativen Häufigkeiten leiten zu lassen. Sehr schön veranschaulicht wird die (falsche) Logik der Base Rate Fallacy von Casscells, Schoenberger und Graboys (1978). Sie stellten 60 Mitgliedern der Harvard Medical School die folgende Aufgabe: „Wenn eine Diagnosemethode, die sich auf die Identifikation einer Krankheit richtet, die eine Verbreitung von 1/1000 hat, in 5 % der Fälle falsche positive Resultate liefert, wie wahrscheinlich ist es dann, dass eine Person, bei der man ein positives Resultat findet, tatsächlich die Krankheit hat, wobei wir annehmen, dass man außer diesem Testergebnis nichts über die Symptome der Person weiß?“

Unterstellt wird bei dieser Aufgabe, dass bei jeder Person, in der die in Frage stehende Krankheit steckt, der Test positiv anschlägt (man spricht in diesem Fall auch davon, dass die Sensitivität des Tests den Maximalwert ausweist, also gewissermaßen 100%ige Sicherheit aufweist, d. h. p = 1,0). In 5 % der Fälle schlägt der Test allerdings, so die Fallschilderung, auch bei Personen an, die nicht krank sind („falsche positive Resultate“). Fast die Hälfte der von Casscells u. a. befragten Mediziner kommen zu dem Ergebnis, die Wahrscheinlichkeit, dass die untersuchte Person krank sei, liege bei 95 % – obwohl sie es eigentlich besser wissen müssten. Nur 11 % der Befragten gaben die richtige Antwort: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person die Krankheit hat, wenn der Test positiv anschlägt, beträgt im beschriebenen Fall tatsächlich nur etwa 2 %. Zu der richtigen Antwort gelangt man, wenn man die Verbreitungsquote der Krankheit berücksichtigt. Angenommen, man untersucht 1000 Personen. Von diesen Personen hat nur eine diese Krankheit (die Verbreitung der Krankheit oder ihre Prävalenz beträgt, wie in der Aufgabenstellung ausgeführt wird, p = 0,001). Man wird aber bei 50 der 1000 untersuchten Personen ein positives Ergebnis finden – obwohl diese Personen gesund sind. Anders ausgedrückt: von den 1000 untersuchten Personen kommt man (im Durchschnitt) in einem Fall zu einem richtigen positiven Befund. Das ist wenig im Verhältnis zu den fünfzig Fällen (im Durchschnitt), bei denen man zwar auch einen positiven Befund findet, der aber falsch ist, bei denen also der Test „ausschlägt“, obwohl gar keine Krankheit vorliegt. Die vor-

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liegenden positiven Befunde können also nur selten als gültige Anzeichen für das Vorliegen der Krankheit gelten (in knapp 2 % der Fälle). Zusammengefasst wird bei der Base Rate Fallacy häufig übersehen, dass bei der konkreten Abschätzung von (bedingten) Wahrscheinlichkeiten auch die Auftrittswahrscheinlichkeiten der betrachteten Merkmale insgesamt zu berücksichtigen ist.

2.1.2 Studie Um die Base Rate Fallacy nachweisen zu können, wurden verschiedene Experimentalaufgaben entwickelt (Bar-Hillel 1980; Bar-Hillel/Neter 2002). Viel diskutiert und in unterschiedlichen Varianten eingesetzt wurde das Taxi-Problem (Kahneman/Tversky 1972): In der Stadt gibt es zwei Taxiunternehmen, die Blauen und die Grünen (benannt nach der Farbe ihrer Taxis). 85 % der Taxis sind blau, 15 % grün. Eines Nachts kommt es zu einem Fahrerflucht-Unfall. Ein Zeuge behauptet, an dem Unfall sei ein grünes Taxi beteiligt gewesen. Um die Fähigkeit des Zeugen zu prüfen, zwischen blau und grün bei nächtlichen Lichtverhältnissen unterscheiden zu können, wird ein Test durchgeführt. Es stellt sich heraus, dass der Zeuge in 80 % der Fälle die beiden Farben richtig auseinanderhalten kann, in 20 % gelingt ihm dies nicht. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass das fahrerflüchtige Taxi tatsächlich grün war?

Wie man sieht, gleicht die Grundstruktur dieses Falles dem Fall in der oben angeführten Ärztestudie von Casscells, Schoenberger und Graboys. Auch beim Taxiproblem geht es um die Abschätzung der Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses angesichts unsicherer Beobachtungen und einer gegebenen Verteilung der Beobachtungsmerkmale. Die Ergebnisse sind ähnlich: die Base Rates, also die relativen Häufigkeiten der beiden Farben, werden sehr oft ignoriert. Eine etwas andere Struktur hat das Experiment zum „Linda-Problem“, das es ebenfalls in verschiedenen Abwandlungen gibt. Im ursprünglichen Experiment von Tversky/Kahneman (1982) geht es um die folgende Aufgabe:

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Linda ist 31 Jahre alt, Single, geradeheraus und sehr gescheit. Sie machte ihren Examensabschluss in Philosophie. Als Studentin beschäftigte sie sich intensiv mit Fragen der Diskriminierung und der sozialen Gerechtigkeit und sie nahm an Anti-Atomkraft-Demonstrationen teil. Bilden Sie eine Rangfolge der folgenden Beschreibungen entsprechend der Wahrscheinlichkeit, dass die jeweilige Beschreibung auf Linda zutrifft: (a) Linda ist Grundschullehrerin (b) Linda arbeitet in einem Buchladen und macht Yoga-Kurse (c) Linda ist in der Feminismus-Bewegung aktiv (d) Linda ist Sozialarbeiterin (e) Linda ist Mitglied in der „League of Women Voters“ (f) Linda ist Bankangestellte (g) Linda ist Versicherungsagentin (h) Linda ist Bankangestellte und aktiv in der Frauenbewegung

Die interessanten Antworten sind (f) und (h), alle anderen Antwortvorgaben sind nur Lückenfüller. Welche der beiden Antworten ist mit größerer Wahrscheinlichkeit richtig? Logisch gesehen ist die Lösung eindeutig: Personen, die mit dieser Aufgabe konfrontiert werden, sollten (f) einen höheren Rangplatz einräumen als (h). Tatsächlich ergibt sich aber ein genau umgekehrtes Ergebnis: etwa neun von zehn Personen finden es wahrscheinlicher, dass Linda eine Bankangestellte ist, die gleichzeitig in der Frauenbewegung aktiv ist (h), als dass sie „nur“ eine Bankangestellte ist (f). Dass diese Schlussfolgerung nicht richtig sein kann, folgt aus der Konjunktionsregel der Wahrscheinlichkeitstheorie: die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Objekt nur eines von zwei Merkmalen besitzt [p (A)]) ist aus rein logischen Gründen kleiner als die Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Objekt dieses Merkmal und dazu auch noch das zweite Merkmal besitzt [(p (A & B)] – von dem trivialen Fall abgesehen, in dem die beiden Merkmale immer gemeinsam auftreten, dann sind die beiden Wahrscheinlichkeiten natürlich identisch. Dafür, dass Linda eine Bankangestellte ist, spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sie eine Bankangestellte und dazu noch eine feministische sein soll, dafür ist die Wahrscheinlichkeit naturgemäß geringer. Oder nochmals allgemein und etwas anders ausgedrückt: die „Base Rate“ des einfachen Falls (Bankangestellte) ist höher als die des kombinierten Falles (Bankangestellte und Feministin), die erste Base Rate schließt die zweite mit ein.

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Nun sollte man meinen, dass Personen, die Erfahrung mit statistischen Argumenten haben, mit dem Linda-Problem besser zurechtkommen als Personen ohne Statistikkenntnisse. Diese Vermutung teilten auch Tversky und Kahneman. Sie präsentierten die Linda-Aufgabe drei Studentengruppen. Die erste Gruppe bestand aus Studierenden des Grundstudiums, die bislang keine Statistikkurse besucht hatten, die zweite Gruppe hatte bereits einige Kurse in Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie belegt und die dritte Gruppe bestand aus Graduierten der Entscheidungstheorie, die Fortgeschrittenenkurse in Statistik und Wahrscheinlichkeit absolviert hatten. Erstaunlicherweise erzielten alle drei Gruppen sehr ähnliche Ergebnisse. Wenn man so will, kann man bei den „naiven“ Studierenden einfach Unwissen unterstellen, bei den Studierenden mit (z. T. erheblichen) Statistikkenntnissen zeigten sich dagegen eher Schwächen in der Anwendung ihres Wissens. Tatsächlich erwiesen sich die letzteren bei der Diskussion der Ergebnisse als aufgeschlossen und sahen ihren Fehler ein. Das Experiment wurde in der Folge vielfach variiert. In einem der Experimente wurde z. B. auf die Auflistung der acht Berufe verzichtet und die beiden in Frage stehenden Alternativen (Bankangestellte versus Bankangestellte und gleichzeitig feministisch tätig) wurden direkt gegenübergestellt. Im Wesentlichen ergaben sich dadurch keine anderen Ergebnisse. In einem strukturgleichen Experiment, in dem es um die Abschätzung geht, welches Fach „Tom W.“ wohl studieren dürfte, wenn man sein Persönlichkeitsprofil betrachtet, ließen Tversky und Kahneman die Versuchsteilnehmer auch die „Base Rates“, also die relativen Häufigkeiten der Studierenden in den angegebenen Studienfächern, schätzen, auch dadurch ergab sich kein grundsätzlich anderes Ergebnis (zu Studien über den Effekt der direkten „Erfahrung“ mit den zugrunde liegenden Base Rates vgl. Goodie 1996; zur Kritik an dem Experiment und dem damit verbundenen Forschungsprogramm vgl. Koehler 1996 und die Kommentare zu seinem Artikel in der Zeitschrift „Behavioral and Brain Science“, sowie Kahneman/Frederick 2002 und Kahneman 2002).

2.1.3 Erklärung (1) Die einfachste Erklärung für die Base Rate Fallacy verweist auf die eingeschränkte Fähigkeit des Menschen, statistische Zusammenhänge zu

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verstehen. Wie schwer der Umgang mit der Statistik ist, zeigt sich allein schon darin, dass man ihre Regeln erst mühsam lernen muss, dass viele Studierende in der Statistikklausur schlechte Noten schreiben und nicht selten auch durchfallen. Manche Forscher sehen im Base Rate Fehler daher einen Spezialfall der Schwierigkeiten im Umgang mit Formeln und Zahlen. Ob diese Erklärung hinreicht, kann man allerdings bezweifeln, das eigentliche Problem mit dem Base Rate Fehler scheint eher in der Schwierigkeit zu stecken, die Struktur des dahinterliegenden Problems zu durchschauen. Dafür spricht, dass viele Personen, ungeachtet ihrer durchaus vorhandenen statistischen Kenntnisse, Base Rates ignorieren. Möglicherweise hat das damit zu tun, dass es generell nicht einfach ist, abstrakte Konzepte auf konkrete Situationen anzuwenden. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die Bemühungen, didaktische Konzepte zu entwickeln, die helfen sollen, eben dies besser zu lernen (Fong/Krantz/Nisbett 1988; Larrick/Morgan/Nisbett 1990). (2) Für Jonathan Baron liefern die angeführten Fähigkeitsargumente aber nur oberflächliche Erklärungen. Bedeutsamer erscheinen ihm ganz allgemeine Defekte im menschlichen Bemühen, mit Problemen zurechtzukommen. Bezeichnend dafür wäre die Neigung, sich nur unzureichend um die Gewinnung und Nutzung von Informationen zu kümmern. Außerdem lasse man es oft am Nachdruck bei der Suche nach alternativen Lösungsmöglichkeiten fehlen und man bevorzuge gern Lösungen, die auf Anhieb plausibel erscheinen (Baron 2000, S. 148). (3) Eine attributionstheoretische Erklärung macht geltend, dass Menschen dazu neigen, die Verursachung von Ereignissen vor allem Personen und nicht etwa Situationen zuzuschreiben (diese Neigung wird häufig auch als „fundamentaler Attributionsfehler“ bezeichnet, Ross 1977). Base Rates sind nun geradezu ein Paradebeispiel für die situative Bedingtheit von Geschehnissen und werden daher bei der Ursachenattribution häufig vernachlässigt. Eine Stützung erhält die attributionstheoretische Erklärung durch Experimente, die zeigen, dass der Base Rate Fehler kleiner wird, wenn Base Rates als kausal bedeutsam wahrgenommen werden. Ob es zu dieser Wahrnehmung kommt, hängt nicht zuletzt vom Informationskontext und von der Darstellung des Problems ab (Tversky/Kahneman 1980). (4) Maya Bar-Hillel (1980) liefert zur Erklärung der Base Rate Fallacy eine Irrelevanz-Interpretation. Wenn zwei Aspekte gleichermaßen relevant erscheinen, werden beide bei der endgültigen Abschätzung der Wahr-

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scheinlichkeit auch berücksichtigt. Wenn aber einem der Aspekte mehr Relevanz zugeschrieben wird, wird er die Urteilsfindung dominieren. Wird einer der beiden Aspekte gar als irrelevant eingestuft, dann wird er zur Diagnose auch nicht mehr herangezogen. Das psychologische Vorgehen gleiche – so Bar-Hillel – einem Gerichtsverfahren, in dem Einbringungen, die vom Richter als irrelevant zurückgewiesen werden, zur Urteilsfindung nicht herangezogen werden dürfen. Die Frage, die sich bei dieser Betrachtung sofort stellt, lautet natürlich, welche Merkmale einer Information deren Relevanzeinstufung bestimmen. Nach Bar-Hillel kommt hier vor allem der Spezifität eine zentrale Bedeutung zu: spezifische Informationen würden allgemeinen Informationen vorgezogen, was für viele Probleme auch vernünftig sei, aber eben nicht für die typischen Base Rate Probleme. Verantwortlich für die Base Rate Fallacy ist nach dieser Argumentation die unreflektierte Anwendung der Spezifitätsregel zur Abschätzung der Relevanz. (5) Kahneman und Tversky erklären die Ergebnisse des Linda-Experiments mit dem Hinweis auf einen statistischen Beurteilungsfehler, die „conjunction fallacy“, d. h. den fehlerhaften Umgang mit logischen „Und“-Verknüpfungen (s. o.). Außerdem zeige sich in der falschen Aufgabenbearbeitung die Wirksamkeit der so genannten „RepräsentativitätsHeuristik“. Als repräsentativ für ein „Modell“ (eine Personengruppe, bestimmte Ereignisklassen usw.) gilt ein Objekt dann, wenn es die wesentlichen Merkmale aufweist, die man auch dem Modell zuschreibt. So ist in unserer Wahrnehmung beispielsweise ein Rotkehlchen eher ein typischer Vogel als z. B. ein Pfau. Beim Lesen der charakteristischen Züge von Linda gewinnt man nun nicht den Eindruck, es handele sich bei ihr um eine „normale“ Bankangestellte, sondern eben um eine feministische Bankangestellte – eine Wahrnehmung, gegen die statistische Überlegungen kaum ankommen. Wahrscheinlichkeitsüberlegungen kosten einiges an Anstrengungen, die man auch deswegen scheut, weil ja eine naheliegende und scheinbar überzeugende Lösung angeboten wird. Sehr schön wird die Überzeugungskraft der Repräsentativitätsheuristik von Stephen J. Gould beschrieben: „Ich kenne [die richtige Antwort], aber ein kleiner Homunculus in meinem Kopf springt dennoch immer auf und ab und ruft: sie kann einfach keine Bankangestellte sein: lies die Beschreibung!“ (Gould 1991, S. 469). Die Repräsentativitätsüberlegung passt recht gut auf Probleme des Typs „Linda“, für Probleme vom Typ „Taxi“ scheint sie dagegen nicht geeignet (Tversky/Kahneman 1982). Allenfalls könnte man argu-

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mentieren, dass auch hier der Einzelfall (die Beobachtung eines blauen oder grünen Taxis unter schlechten Lichtverhältnissen) als Repräsentant für die vielen richtigen Beobachtungen steht, die in einer vergleichbaren Situation gemacht wurden (der Beobachter führt zahlreiche Tests durch und hat eine Trefferquote von 80 %, s. o.). (6) Auf einer eher grundsätzlichen Ebene gehen Kahneman und Frederick (2002) die Frage an, wie es möglich ist, dass eine Denkvereinfachungsregel wie die Repräsentativitätsheuristik das Denken in die Irre führen kann. Ihre Überlegungen lassen sich am besten anhand von Abbildung 1 verdeutlichen.

Abb. 1: Das Zwei-Stufen-Modell der Urteilsbildung

Danach finden Denk- und Urteilsprozesse in zwei voneinander getrennten Systemen statt. Im System 2 herrscht ein mehr oder weniger geordnetes Denken, das die verschiedenen Seiten und Dimensionen eines Problems umgreift und nach einer situationsgerechten und befriedigenden Lösung sucht. Entsprechend aufwändig sind die Denkprozesse, sie brauchen ihre Zeit und sind mitunter auch anstrengend, dafür sind sie flexibel und der kritischen Reflexion zugänglich. Die Prozesse im System 1 verlaufen dagegen schnell, reibungslos und quasi-automatisch, man kann sie allerdings kaum kontrollieren und sie sind dem Lernen nur schwer zugänglich. Das System 2 zeichnet sich durch tendenziell diskursives, das System 1 durch

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intuitives Denken aus. Intuitives Denken gleicht, was die gedanklichen Prozesse angeht, der Wahrnehmung, inhaltlich gibt es jedoch einen deutlichen Unterschied: Die gedanklichen Vorgänge befassen sich beim intuitiven Denken nicht mit Wahrnehmungsinhalten, sondern mit kognitiven Einheiten, mit Denkkonstrukten und Denkkategorien, die denen im System 2 entsprechen. Aus diesem Grund ist das System 2 auch in der Lage, diese aufzunehmen, zu bearbeiten und zu kanalisieren. Es gibt keine kognitiven Problemlösungen und Entscheidungen, die am System 2 vorbei laufen könnten. Allerdings übt das System 2 seine Kontrollfunktion oft eher „lax“ aus, sodass es nicht selten vorkommt, dass die im System 1 lokalisierten Denkvereinfachungsregeln die Urteils- und Entscheidungsfindung bestimmen. Intuitive Gedanken sind dadurch bestimmt, dass sie einem – wie Wahrnehmungsinhalte – spontan in den Sinn kommen, woraus sich die Frage ergibt, was dafür verantwortlich ist, dass manche Gedanken sehr einfach, andere dagegen wesentlich schwerer Zugang zum Bewusstsein finden. Die „Zugänglichkeit“ von Informationen wird – so Kahneman und Frederick – vor allem von drei Determinanten bestimmt: der Sichtbarkeit („salience“) von Situationsmerkmalen, der selektiven Aufmerksamkeit und der Reaktionsbereitschaft. Angewandt auf die hier behandelte Frage heißt das: Die Repräsentativitätsheuristik gewinnt immer dann eine bestimmende Kraft, wenn die Aufgabenstellung den Blick auf das „Typische“ einer Situation oder Person lenkt, wenn man auf diese Betrachtung z. B. durch entsprechende Instruktionen eingestimmt wurde und wenn keine deutlichen Hinweise dafür vorliegen, dass man die Situation auch aus einer anderen Perspektive betrachten könnte. (7) Schließlich gibt es noch die Möglichkeit, dass jemand ganz bewusst die Base Rates ignoriert, die gegen seine Überzeugungen stehen. Das Eingangszitat des Aleksej Iwanowitsch (der Hauptfigur im Roman „Der Spieler“ von Dostojewski) wäre ein Beispielfall. Man kann natürlich bezweifeln, ob hier tatsächlich ein Base-Rate-„Fehlschluss“ vorliegt. Schließlich werden die „Base Rates“ ja anerkannt und lediglich nicht beachtet. Aber vielleicht liegt auch gar keine Ignoranz, sondern lediglich eine extreme Risikoneigung vor. Diesem Argument lässt sich allerdings entgegenhalten, dass die geäußerte Überzeugung nicht sonderlich ernst gemeint sein kann. Angesichts der gegen ihn stehenden Spielchancen, die ihn zwangsläufig in den Ruin treiben müssen, hat Iwanowitsch wohl doch nicht richtig verstanden, was auf dem Spiel steht – und insoweit die Bedeutung der „Base

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Rates“ maßlos unterschätzt. Möglicherweise haben wir es aber auch einfach mit der Spielsucht und damit mit einer Krankheit zu tun.

2.1.4 Zusammenhänge Im vorangegangenen Abschnitt wurden bereits einige Determinanten dafür benannt, warum Menschen bei ihrer Urteilsfindung grundlegende statistische Zusammenhänge wie die Base Rates nicht beachten. Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang die Frage, ob jemand Informationen über Base Rates nur als mehr oder weniger interessante Hintergrundinformationen ansieht oder ob er ihnen auch eine kausale Bedeutung beimisst. Die Logik ist zwar in beiden Fällen die gleiche, die Psychologik macht allerdings einen deutlichen Unterschied. So kann man die Durchfallquote in einer Klausur beispielsweise als einfache Häufigkeitsinformation betrachten oder aber als Indikator für die Schwere der Klausur. Ist Letzteres der Fall, dann wird man die Information stärker gewichten und seltener bei einer entsprechenden Prognose vernachlässigen. Auch eine weitere Einflussgröße wurde oben bereits erwähnt: die Spezifität. Je spezifischer eine Information ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man die Base Rates vernachlässigt. Beispielhaft zeigt sich das an einer Modifikation des Taxi-Problems: Wenn der Augenzeuge keine Auskunft über die Farbe des Taxis machen kann, sondern sich lediglich an ein Sprechfunkgerät erinnert, das in Betrieb war (die grünen und blauen Taxis sind unterschiedlich häufig mit Sprechfunkgeräten ausgestattet), kommt es zu einem deutlich abgeschwächten Vernachlässigungseffekt der Base Rates (Bar-Hillel 1980). Im Zusammenhang mit den Fähigkeiten, die notwendig sind, um statistische Informationen angemessen zu würdigen, kommen (neben den statistischen Kenntnissen) Größen wie Zeitdruck, Überschaubarkeit der Situation und Informationsüberlastung ins Spiel. Wem beispielsweise wenig Zeit zur Verfügung steht um die verschiedenen Wahrscheinlichkeiten abzuwägen, der wird eher auf eine schnelle heuristische Lösung zurückgreifen als jemand, der sich gelassen einer soliden Problembearbeitung widmen kann. Wichtig ist außerdem die Rolle, die man bei der Bearbeitung mit Base Rate Problemen einnimmt. Zukier und Pepitone (1984) fanden heraus, dass Personen, die aufgefordert wurden, wie Statistiker zu denken, den

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Base Rate Fehler seltener begingen als Personen, die aufgefordert wurden, wie Psychologen zu denken. Schließlich hängt die Interpretation einer Situation auch von Vorurteilen, Stereotypen oder ganz allgemein von den persönlichen Hintergrundvorstellungen ab (Evans u. a. 2002). Wer eine unverbrüchliche Meinung über einen Sachverhalt hat, lässt sich weder vom Augenschein noch von statistischen Informationen sonderlich beeindrucken (Rokeach 1960). Die Experimente zur Base Rate Fallacy wurden verschiedentlich heftig kritisiert. Moniert wurden Verständnisprobleme, die durch die Aufgabenformulierung entstehen könnten, die Reihenfolge, in der die Informationen dargeboten werden, die sprachlichen Wendungen, die Präsentation von Hintergrundinformationen usw. Bei dieser methodischen Kritik geht es oft um die Frage, inwieweit die Art der Aufgabenstellung dazu führt, dass man die wichtigen Informationen über die Base Rates nicht genügend beachtet. Die Aufmerksamkeitslenkung ist in der Tat ein wichtiger Faktor. Wird das Aufgabendesign so gestaltet, dass sich der Blick auf die gesamte Situation und nicht so sehr auf das einzelne Handeln der Akteure richtet, dann tritt der Base Rate Fehler tatsächlich auch seltener auf (Bar-Hillel 1990, S. 206). Die methodischen Kritikpunkte lösen die Wirklichkeit der Base Rate Fallacy – anders als manche Kritiker meinen – allerdings nicht auf, im Gegenteil, sie erfüllen den eigentlichen Forschungszweck, in dem sie darauf hinweisen, unter welchen Umständen Menschen dazu neigen, Base Rates bei ihrer Urteilsfindung zu ignorieren.

2.1.5 Beispiele Die Base Rate Fallacy wurde vor allem in Experimenten und nicht in realen Handlungssituationen untersucht. Daraus ergibt sich allerdings keine grundsätzliche Kritik, im Gegenteil, die Experimentalmethode ist immer dann besonders gut geeignet, wenn es um sehr allgemeine und grundlegende Aspekte der Urteilsfindung geht. In Experimenten lassen sich, anders als in komplexen Anwendungssituationen, Bedingungen variieren, Wechselwirkungen mit anderen Variablen prüfen und die Grenzen der Wirksamkeit bestimmen. In konkreten Entscheidungen kommt der Base Rate Fallacy eigentlich immer eine große Bedeutung zu, jedenfalls immer dann, wenn es in besonderem Maße auf die Abschätzung von Wahrscheinlichkeiten ankommt, also zum Beispiel bei der Bewertung der Zuverlässig-

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keit von Beobachtungen und Zeugenaussagen, bei Voraussagen über den Erfolg kleinerer oder auch größerer Projekte, also beispielsweise bei der Gründung eines Unternehmens oder bei der Beurteilung des voraussichtlichen Schul-, Studien- oder Karriereerfolgs. Auf die mitunter bedenkliche Wirkung der Base Rate Fallacy in der medizinischen Diagnostik wurde ja bereits hingewiesen. Nicht selten wird kurzschlüssig aus dem Auftreten eines bestimmten Symptoms auf das Vorliegen einer damit verknüpften Krankheit geschlossen, wobei vergessen wird, dass das Symptom ja durch andere als krankheitsbedingte Ursachen entstehen kann und manchmal auch einfach spontan entsteht (und wieder verschwindet). Dass es unzulässig ist, von einem empirischen Sachverhalt, zum Beispiel von einem Messergebnis, ohne weiteres auf eine ganz bestimmte dahinterliegende Ursache zu schließen, wird häufig vergessen. Immer wieder für Diskussionen sorgen beispielsweise Dopingproben, auch hier kommt es nicht nur auf ein „positives“ Testergebnis an, sondern gleichermaßen auf die Sensitivität und die Prävalenz (s. o.). Die eingangs beschriebene Studie von Casscells u. a. über die Missachtung von Base Rates durch den Medizinernachwuchs steht im Übrigen nicht allein; eine ganze Reihe von Studien belegt, dass Ärzte erstaunlich häufig der Base Rate Fallacy unterliegen (Gigerenzer 2002; Jungermann/Pfister/Fischer 2011). Da mit falschen Diagnosen häufig auch ungeeignete therapeutische Maßnahmen einhergehen, ist dies ein durchaus bedenklicher Tatbestand. Aber nicht nur bei der Beurteilung der Gesundheit, sondern auch beim Umgang mit Geld kommt die Base Rate Fallacy zum Zuge. Chalos (1989) berichtet in einer Studie, dass Bankleute dazu neigen, Base Rate Informationen umso eher zu vernachlässigen, je mehr sich ein bestimmter Fall als typischer Risikofall beschreiben lässt. Wie oben beschrieben wurde, resultiert die Neigung, Base Rates – und damit „blasse“ statistische Informationen – zu vernachlässigen, häufig aus der verführerischen Kraft, die die Anschaulichkeit und der Aufforderungscharakter von Einzelfällen entfalten. Dass dies auch in der psychologischen Diagnostik leicht dazu führen kann, statistische Überlegungen zu vernachlässigen und bei der Beurteilung der Fälle Ad-hoc-Überlegungen anzustellen und subjektive Lieblingstheorien ins Spiel zu bringen, wurde bereits vor über fünfzig Jahren eindrücklich von Paul Meehl beschrieben (Meehl/Rosen 1955; Meehl 1957). Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass es bei Base Rate Fehlern nicht nur um die Unterschätzung negativer Konsequenzen geht, sondern

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auch um die Überschätzung positiver Sachverhalte. Wer beispielsweise zum wiederholten Male mit seinem Wagen unversehrt durch eine vereiste Kurve gerutscht ist, mag sich für einen begnadeten Autofahrer halten: Ein Fehlschluss, der zwar das Selbstgefühl steigern, sich aber auch gefährlich rächen kann. Ähnliches gilt für Schüler, die es ungeachtet ihrer großen Faulheit schaffen, doch noch versetzt zu werden sowie für Schwarzfahrer, Ladendiebe, Lügner und Spieler, die ihre Erfolge oft deutlich überbewerten und die Wahrscheinlichkeit des Misserfolgs unterschätzen.

2.1.6 Würdigung Wer die Base Rates bei seiner Urteilsfindung nicht berücksichtigt, begeht einen logischen Fehler. Veranlasst wird der Fehler allerdings – wie beschrieben – nicht allein durch statistisches Unvermögen. Zwar ist es durchaus hilfreich, die eigenen statistischen Kenntnisse zu verbessern, um sich gegen Fehler wie beispielsweise die Missachtung der Konjunktionsregel zu wappnen, ebenso wichtig ist es aber auch, es sich zur selbstverständlichen Angewohnheit zu machen, immer auch auf die Base Rates zu achten. Wenn es um konkrete Anwendungen geht, neigen nämlich auch gute Statistiker dazu, diese wichtige Hintergrundinformation zu übersehen. Man sollte sich nicht von Darstellungseffekten blenden lassen, sondern danach trachten, die logische Struktur einer Aufgabe zu durchschauen. Hilfreich ist es dabei, sich neben den relativen Häufigkeiten auch die absoluten Häufigkeiten zu vergegenwärtigen (Gigerenzer 2002). Ganz generell zu empfehlen ist es – und zwar nicht nur bei Problemen, die mit statistischen Zusammenhängen zu tun haben – bei der Urteilsfindung kritisch und selbstkritisch zu sein, man sollte komplizierte und komplexe Probleme nicht in einem Zug lösen wollen, sich nicht unter Zeitdruck setzen und, soweit wie möglich, andere (kritische) Personen in die Lösungsfindung einbeziehen. Angemerkt sei zum Schluss, dass es nicht immer sinnvoll ist, Informationen über Base Rates zu nutzen. Manchmal gibt es einfach bessere Prognosegrundlagen, zuweilen sind die allgemeinen Base Rates zu unspezifisch und man fährt besser damit, erst einmal spezielle Subgruppen zu bilden und dann deren jeweilige Base Rates miteinander zu verrechnen (was nicht immer ganz einfach ist). Und bei manchen Prognosen spielen Base Rates (und damit die Bayes-Regel) für das in Frage stehende Problem gar keine

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Rolle. Es kann also nicht darum gehen, statistische Informationen schematisch zu verwenden, man muss immer genau prüfen, welche Relevanz sie für die Lösung des in Frage stehenden Problems besitzen und welche Aussagekraft ihnen zukommt (Bar-Hillel 1990).

Versunkene Kosten

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2.2 Versunkene Kosten Too Much Invested to Quit. Titel des Buches von Allan Teger zum psychologischen „Entrapment“ Versunkene Kosten soll man ignorieren. Dieses „Theorem“ gehört zum traditionellen Gedankengut der Ökonomie (als klassisch gilt die Darstellung von Wicksteed aus dem Jahr 1910). Wie das mit guten Ratschlägen aber so geht, sie werden häufig missachtet. Das ist im vorliegenden Fall jedoch nicht unbedenklich, wer versunkene Kosten wie wertschaffende Kosten behandelt, wer sie nicht schlichtweg ignoriert, trifft schlechte Entscheidungen und kann damit auch einigen Schaden anrichten.

2.2.1 Begriff Unter versunkenen Kosten versteht man Kosten, auf die man keinen Einfluss mehr hat, sei es, dass sie zu Ausgaben geführt haben, die man nicht mehr zurückholen kann oder sei es, dass sie zu Ausgaben führen werden (z. B. aufgrund von Verpflichtungen), die man nicht mehr verhindern kann. Versunkene Kosten sind zu tragen, ganz gleichgültig, was man in Zukunft zu tun gedenkt, ob man also ein Projekt, zu dessen Förderung die Kosten gedacht waren oder sind, nun weiter führt oder nicht (Steele 1996). Versunkene Kosten werden daher manchmal auch irreversible Kosten genannt. Sie sollten für die anstehende Entscheidung keine Rolle spielen, sie sind sozusagen „Geschichte“ und als solche zu betrachten. Dabei kann man durchaus unterstellen, dass sie einmal ganz bewusst aufgebracht wurden, um einen bestimmten Zweck zu erreichen. Anhand von Beispielen lässt sich das Wesen von versunkenen Kosten am besten verstehen. „Wenn ich eine Fahrkarte von London nach Glasgow kaufe und während meiner Reise ein Telegramm erhalte, dass das Treffen in Manchester stattfinden muss, ist es nicht vernünftig meine Reise nach Glasgow fortzusetzen, nur weil in der Fahrkarte ‚versunkenes Kapital‘ steckt, das verloren ist“ (Robbins 1948, S. 51). Die gleiche Grundstruktur weist der folgende Fall auf: Ich habe vor einem halben Jahr den Arbeitgeber gewechselt und bin deswegen umgezogen. Die Suchkosten für die neue Wohnung in der fremden Stadt und die Umzugskosten erreichten ein beträchtliches Aus-

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maß. Nun erhalte ich erneut ein Angebot von einem weiteren Unternehmen, das wiederum in einer anderen Stadt angesiedelt ist. Nehme ich dieses Angebot an, werden erneut Umzugskosten entstehen. Aber das Angebot ist sehr attraktiv. Bei den Überlegungen, ob man die angebotene Stelle annehmen will, sollte man nun ausschließlich in die Zukunft schauen, also abwägen, ob die besseren Vertragsbedingungen die neu entstehenden Kosten aufwiegen. Die Such- und Umzugskosten, die man vor einem halben Jahr zu tragen hatte, sollten hierbei keinerlei Rolle mehr spielen, sie sind – wie gesagt – Geschichte, sie sind versunken und haben mit der Zukunft nichts zu tun. Nun gibt es aber viele Personen, die dies nicht einsehen wollen und die versunkenen Kosten weiterhin in ihre Berechnung einbeziehen. Als Grund wird häufig angeführt, die erst kürzlich entstandenen Such- und Umzugskosten hätten sich noch nicht amortisiert, deswegen sei es zu früh, schon wieder den Arbeitgeber zu wechseln und umzuziehen. Dieses Argument ist schon allein deswegen fehlerhaft, weil die Rede von der Amortisierung der Umzugskosten keinerlei Sinn macht. Woraus sollte sich eine solche Amortisierung denn speisen? Aus dem Einkommen in der bisherigen Stelle? In der neu angebotenen Stellung erzielt man doch – so das Beispiel – ein erheblich höheres Einkommen, warum sollte man es ausschlagen? Wenn Kosten versunken sind, sollte man sie nicht mehr zur Grundlage von Entscheidungen machen. Diese Einsicht ergibt sich jedenfalls aus einer ökonomischen Perspektive und diese Perspektive wiederum aus einer Psychologie der Zukunft. Was zählt ist, welche Handlungsalternative, ausgehend vom gegebenen Status, den größten Erfolg verspricht (vgl. z. B. Johnstone 2003, S. 209). Menschliches Handeln folgt allerdings nicht selten einer Psychologie der Vergangenheit, Menschen würdigen versunkene Kosten und machen sie zur Grundlage ihrer Entscheidungen über die Zukunft. In der Literatur wird diese „falsche“ Orientierung auch als „Sunk-Cost-Bias“ bezeichnet und definiert die verstärkte Neigung, ein Vorhaben weiterzuführen, wenn man bereits Zeit, Anstrengungen und Geld investiert hat (Arkes/Blumer 1985, S. 124), obwohl es mehr Nutzen brächte, das Projekt zu beenden (zur Abgrenzung des Sunk-Cost-Fehlers vom eskalierenden Commitment, siehe den diesbezüglichen Online-Beitrag www.wbg-wissenverbindet.de). Einen etwas anderen Akzent setzen die Entscheidungsforscher John Hammond, Ralph Keeney und Howard Raiffa, sie verstehen unter dem SunkCost-Bias die Neigung, durch gegenwärtige Entscheidungen vergangene Entscheidungen zu rechtfertigen (Hammond/Keeney/Raiffa 2006,

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S. 122). Diese äußert sich zum Beispiel darin, dass man schlechtem Geld gutes Geld hinterherwirft (um wenig ergiebige Investitionen vielleicht doch noch ergiebig zu machen), statt sein gutes Geld für bessere Projekte zu verwenden. Wesentlich enger ist die Definition von Thomas Kelley (2004). Ein „Bias“ liegt danach nicht immer vor, wenn man versunkene Kosten berücksichtigt, es könnten nämlich gute Gründe dafür vorliegen. Falsch sei sicher eine Kostenbetrachtung, die keinen Unterschied zwischen versunkenen und produktiven Kosten kennt, allerdings müsse man auch das Bedauern berücksichtigen, das entstehen kann, wenn man versunkene Kosten ignoriert. Kelley führt das folgende Beispiel an: Vor einiger Zeit haben Sie sich eine recht teure Theaterkarte gekauft (z. B. zum Preis von $ 200). Dummerweise kann die Karte nicht zurückgegeben werden, auch ist es zu spät, sie zu verschenken oder zu verkaufen. Nun befällt Sie am Theaterabend die Lust, an einem Roman weiterzulesen. Es ist nicht so, dass Sie nicht auch gern ins Theater gingen, Sie würden nur (etwas) lieber den Roman lesen. Im strengen Sinne sind die Ausgaben, die Sie für den Kartenkauf getätigt haben, versunkene Kosten, Sie sollten also zu Hause bleiben. Wäre das vernünftig? Für Kelley nicht. In der geschilderten Situation stehen Sie vor zwei Alternativen:  Sie bleiben zuhause und bedauern heftig, 200 Dollar verschwendet zu haben.  Sie gehen ins Theater und spüren kein Bedauern. Sie haben also einen guten Grund, versunkene Kosten nicht zu ignorieren: Das Bedauern, das Sie sich durch die Ignoranz dieser Kosten einhandeln, erzeugt nämlich erhebliche psychische Kosten, die Sie in Rechnung stellen sollten. Es wäre also klüger, ins Theater zu gehen. Leider ist die Sache begrifflich etwas vertrackt. Denn es stellt sich die Frage, ob man in diesem Fall tatsächlich die versunkenen Kosten ignoriert hat. Nach Kelley ist das nicht der Fall. Man stelle bei seiner Entscheidung nämlich gar nicht auf die versunkenen Kosten ab, das entscheidende Argument sei vielmehr die Vorwegnahme des Bedauerns nach der Entscheidung. Man gehe also nicht deswegen ins Theater, weil man das falsche mentale Kalkül anwende (also versunkene Kosten irrtümlich als solche behandle), sondern weil man ein gutes psychologisches Argument dafür habe, die Ausgaben nicht zu ignorieren. Die Argumentation von Kelley wird nicht jeden überzeugen, denn schließlich liegt der Grund für das Bedauern in dem „Gefühl“, etwas falsch zu machen, wenn man die Ausgabe, also die versunkenen Kosten, einfach

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vergisst. Doch unabhängig davon, wie man diesen Punkt beurteilen will, er verweist auf den wichtigen Aspekt, dass es nämlich einen Unterschied macht, ob man das Verhalten oder das Denken betrachtet. Man hat es dabei nämlich unter Umständen mit zwei verschiedenen Fragen zu tun. Die eine Frage richtet sich darauf, ob das konkrete Sunk-cost-sensitiveVerhalten tatsächlich durch ein falsches Sunk-Cost-Denken verursacht wird – oder ob es im konkreten Fall auf andere Gründe zurückgeführt werden kann, was ja grundsätzlich durchaus möglich ist. Bei der anderen Frage geht es darum, herauszufinden, wie es zu einem falschen „SunkCost-Denken“ kommt.

2.2.2 Beispiele Das falsche Sunk-Cost-Denken ist weit verbreitet, man findet es in allen Handlungsfeldern und in allen Lebenslagen:  Man isst den merkwürdig schmeckenden Hasenbraten, wenn auch mit Widerwillen, denn man leistet sich ja nicht jeden Tag einen teuren Restaurantbesuch.  Man studiert weiter, selbst wenn einem das Fach nicht liegt und ungeachtet der Tatsache, dass die Klausurergebnisse dürftig ausfallen.  Man tritt den langersehnten Abenteuerurlaub an, selbst wenn man krank und ruhebedürftig ist.  Man lässt sein Auto nochmals reparieren, weil ohnehin schon so viel Geld in ihm steckt.  Man nimmt weitere Gitarrenstunden, auch wenn man inzwischen gemerkt hat, dass man kein Musiktalent ist.  Man verlässt seinen Partner nicht, weil dann die vielen gemeinsamen Jahre verloren wären. In Politik und Wirtschaft erkennt man das fehlende Bewusstsein für die Natur von versunkenen Kosten gewöhnlich an folgendem Argumentationsmuster: „Nun wurde so lange investiert, nun muss das Projekt auch zu Ende kommen …“. Irgendwann taucht es in jeder Diskussion über ein Großprojekt auf, das finanziell aus dem Ruder gelaufen ist (vgl. u. a. Arkes 1993). Der folgende Satz zitiert den Anführer des Kriegszugs gegen Troja, Agamemnon: „Dieser Krieg muss fortgeführt werden, er hat schon zu viele Tote gefordert“ (Schaub 1997, S. 160). Ganz ähnliche Argumente konnte

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man hören, als es um die Entscheidung ging, den Vietnamkrieg weiterzuführen oder zu beenden. Auch auf dem angeblich von wirtschaftlicher Rationalität beherrschten Finanzmarkt offenbart sich nicht selten verfehltes Sunk-Cost-Denken. Ein Beispiel liefern Personen, die beim Verkauf einer Aktie in Rechnung stellen, zu welchem Kurs sie die Aktie gekauft hatten – ein Orientierungspunkt, der für die Beurteilung der Aktie schlichtweg irrelevant ist (Interesse verdient ausschließlich die zukünftige Entwicklung der Aktie), an dem sich oft allerdings selbst professionelle Anleger ausrichten (Shefrin/Statman 1985). Häufig tritt man auch bei Investitionsentscheidungen in die Sunk-Cost-Falle. So gehen Produkteinführungen am Markt oft mit hohen Kosten einher, erweist sich das Produkt nun als „Flop“, dann sollte man kühl bleiben und nicht – wie das oft geschieht – auf die bereits investierten Kosten starren, sondern sich bei der Entscheidung über die Zukunft des Projektes ausschließlich an den künftigen Ertragschancen orientieren. Es gibt im Übrigen nicht nur materielle, sondern auch mentale Investitionen, die zu versunkenen Kosten werden können. Wer sein Leben bestimmten Überzeugungen gewidmet hat (z. B. einer bestimmten Theorie, einer Weltanschauung, einem religiösen Dogma) und sich an den entsprechenden Überzeugungen lange abgearbeitet hat, der wird sich schwer tun, sie über Bord zu werfen, wenn die Einsicht dämmert, dass man damit nicht weiterkommt und sich vielleicht sogar gründlich geirrt haben könnte. Eine der Ursachen für die Schwierigkeit, einmal gewonnene Überzeugungen aufzugeben (siehe den Abschnitt über die Bestätigungstendenz), liegt sicher auch im Investitionscharakter des Wissenserwerbs: „Überzeugungen sind wie Besitztümer“ (Abelson 1986). Die Problematik des Sunk-Cost-Denkens sei nochmals an folgendem Beispiel veranschaulicht. Am 10. Mai 1996 starben am Mount Everest acht Bergsteiger. Jedes Unglück entsteht aus der Verkettung vieler Umstände, es war daher auch hier nicht etwa ausschließlich der falsche Umgang mit versunkenen Kosten, der das tragische Geschehen bestimmte. Allerdings spielten Sunk-Cost-Überlegungen eine nicht unbedeutende Rolle (Krakauer 1997; Roberto 2002; Tempest/Starkey/Ennew 2007). Wenn man Achttausender bezwingen will, dann sollte man sich nicht die falschen Ziele setzen. Hat man den Gipfel erreicht, dann ist noch nicht einmal die halbe Arbeit getan. Die meisten Unfälle (am Mount Everest sind bereits über 160 Personen verunglückt) passieren beim Abstieg. Scott

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Fischer war einer der Bergführer vom 16. Mai. Von ihm stammt die berühmte Zwei-Uhr-Regel: „Wenn Du nicht um zwei Uhr oben bist, ist es Zeit, umzukehren, die Dunkelheit ist nicht Dein Freund.“ Scott wurde nicht müde, diese Regel allen immer wieder in Erinnerung zu rufen, gleichgültig wie nah der Gipfel auch sein mochte, man muss rechtzeitig umkehren, um vor der Nacht wieder im Basislager zu sein (das Basislager IV, von dem der letzte Aufstieg unternommen wird, liegt etwa 12.500 Fuß unterhalb des Gipfels). Die bittere Ironie der Geschichte liegt darin, dass sich Scott an jenem 16. Mai selbst nicht an diese seine Regel hielt und beim Abstieg ums Leben kam. Nüchtern betrachtet, lässt sich leicht nachvollziehen, wie schwer es fallen kann, kurz vor dem Ziel umzukehren. „Um erfolgreich zu sein muss man außerordentlich ambitioniert sein, aber wenn du allzu ehrgeizig bist, wirst du sterben. Außerdem wird in einer Höhe von mehr als 26000 Fuß die Linie zwischen dem angemessenen Eifer und leichtsinnigem Gipfelfieber schmerzhaft dünn. Daher sind die Hänge des Everest mit Leichen übersät. Taske, Hutchison, Kasischke und Fischbeck [4 Teilnehmer der Expedition] hatten alle mehr als $ 70000 ausgegeben und wochenlang Qualen ertragen für diese eine Möglichkeit, den Gipfel zu erreichen … und doch, mit dieser harten Entscheidung konfrontiert, waren sie unter den wenigen, die die richtige Entscheidung an diesem Tag trafen“ (Krakauer 1997, S. 84).

Fünfzehn Personen entschieden sich anders und erklommen den Gipfel (sie erreichten ihn z. T. erheblich nach 2 Uhr). Acht von ihnen kamen zu Tode, die übrigen trugen zum Teil irreparable Gesundheitsschäden davon. Es ist nicht immer ganz leicht zu entscheiden, ob in einem konkreten Fall tatsächlich Sunk-Cost-Überlegungen im Spiel sind oder nicht. Häufig findet man beispielsweise zur Erläuterung des Sunk-Cost-Phänomens das Bushaltestellenbeispiel: Der Bus lässt auf sich warten und man denkt mit zunehmend verstreichender Zeit immer intensiver darüber nach, ob es überhaupt noch Sinn hat, weiter zu warten – verharrt dann aber dennoch, weil ja sonst die ganze Warterei vergeudet wäre. In diesem Beispiel mögen Sunk-Cost-Erwägungen tatsächlich eine Rolle spielen, wir haben es allerdings nicht mit einem „reinen“ Sunk-Cost-Effekt zu tun und zwar deswegen nicht, weil das weitere Warten nicht völlig umsonst ist, denn tatsächlich erhöht sich ja die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Bus dann

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doch kommt, mit jeder weiteren Minute des Wartens (jedenfalls meistens). Ähnliches gilt für den Langzeitstudenten: Weil anzunehmen ist, dass das Studium nicht gänzlich ohne Folgen bleiben wird. Es ist fast unvermeidlich, dass jemand, der lange genug studiert, schließlich auch Lernfortschritte macht. Gerade bei komplexen Entscheidungen ist es nicht immer klar, welche Rolle hierbei das Sunk-Cost-Denken spielt. So war den Verantwortlichen bei der Entwicklung der „Concorde“ schon früh klar, dass diesem High-Tech Überschallflugzeug kein wirtschaftlicher Erfolg beschieden sein dürfte, dennoch wurde das Projekt zu Ende geführt (Eichstädt 1974). Wenn im Zuge derartiger Projekte falsche Sunk-Cost-Argumente ins Spiel gebracht werden, dann sind diese nicht zwangsläufig ernst gemeint, nicht selten dienen sie nur dazu, Projektgegner oder das staunende Publikum zu beeindrucken. Möglicherweise war auch Agamemnon nicht so naiv, seinem Argument wirklich zu glauben (s. o.) und nutzte es einzig zu dem Zweck, um seinen Kriegern einen Motivationsschub zu verpassen (Schaub 1997).

2.2.3 Erklärung (1) Man kann das Sunk-Cost-Denken – wie ja schon die Bezeichung nahelegt – kostentheoretisch erklären. Thaler (1980) erläutert dies an folgendem Beispiel: Eine Familie hat $ 40 für die Eintrittskarten zu einem Basketball-Spiel bezahlt, das in einer 60 Meilen entfernten Stadt ausgetragen wird. Am Tag des Spiels gibt es einen Schneesturm. Die Familie entscheidet sich dennoch zu fahren, wobei sich die Familienmitglieder darüber einig sind, dass sie das nicht tun würden, wenn sie die Karten geschenkt bekommen hätten. Der Kartenpreis gilt den Handelnden als angemessen, sie kaufen sich sozusagen den Genuss, dem Spiel beiwohnen zu können. Fahren sie nun nicht, dann kommt es entsprechend zu einem Verlust von $ 40. In dem Schneesturm-Beispiel würde die Familie nicht fahren, wenn sie die Karten geschenkt bekommen hätte, die (psychischen) Kosten, die ihr durch die Mühsal entstünden, sich durch den Schnee zu kämpfen, sind zu hoch, sie würden durch den Genuss, den der Spielbesuch bereitet, nicht ausgeglichen. Wenn man fährt, erreicht der Nettonutzen (Nutzen des Spielbesuchs minus Wegekosten) keinen positiven Wert und bleibt man zuhause, dann ist der Nettonutzen gleich Null (kein Spiel, kein Weg). Anders stellt sich die Situation dar, wenn man für die Karten bezahlt

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hat und zuhause bleibt. Dann sinkt der Nettonutzen deutlich in den negativen Bereich (kein Spiel, kein Weg, aber ein hoher entrichteter Preis). In diesem Fall steigt die Neigung, zu fahren, weil man damit ja den entstandenen negativen Nutzen durch den positiven Besuchsnutzen ausgleichen kann. Zwar entstehen in diesem Fall Wegekosten und man bleibt deswegen – in der Summe – im negativen Nutzenbereich (Nutzen des Spielbesuchs minus negativer Preisnutzen minus Wegekosten), solange dieser aber nicht die Höhe des negativen Preisnutzens erreicht, wird man sich zur Fahrt entschließen. (2) Eine Ergänzung erhält die angeführte Erklärung durch die Prospect Theorie (vgl. den Online-Beitrag zu Framing-Effekten auf www. wbg-wissenverbindet.de). Interessant ist für den vorliegenden Fall nur der Verlustbereich. Hier kommt es gemäß der Prospect-Theorie zu einem konvexen Nutzenverlauf, das heißt mit zunehmendem Verlust wächst der negative Nutzen überproportional. Dabei ist zu beachten, dass ein Verlust von $ 40 nominal zwar doppelt so hoch ist wie ein Verlust von $ 20, wegen des konvexen Nutzenverlaufs, ist der „gefühlte“ negative Nutzen eines Verlusts von $ 40 allerdings deutlich größer, also mehr als doppelt so hoch. Mit zunehmendem Abstand des negativen Preisnutzens von den Wegekosten steigt – wegen der unterstellten Konvexität des negativen Nutzenverlaufs – die Neigung zu fahren, überproportional an. (3) Die beiden vorangegangenen Erklärungen setzen eine bestimmte Art des Umgangs mit Kosten und Nutzen, also eine bestimmte Art und Weise der „mentalen Buchführung“ voraus. So wird unterstellt, dass es sinnvoll ist, den Kaufpreis, der ja bereits vor einiger Zeit entrichtet wurde, mit dem aktuellen (fehlenden) Nutzengewinn ohne weiteres aufzurechnen. Zum Zeitpunkt des Kartenkaufs wird gewissermaßen ein mentales Konto eröffnet. Der Kartenkauf bringt keinen unmittelbaren Gewinn (es sei denn, man berücksichtigt Dinge wie Besitzerstolz, Vorfreude usw.), dieser entsteht erst bei der Einlösung der Karten am Spieltag. Dann kann das Konto wieder „geschlossen“ werden. Bis dahin ist die Kontobilanz negativ (minus $ 40). Welche Bedeutung hat nun der Schneesturm? Nun: man kann das Konto abschließen. In diesem Fall verwandelt sich die Ausgabe in einen endgültigen Verlust. Das fällt normalerweise leicht und geschieht eigentlich (weil häufig) routinemäßig. Ist der Verlust jedoch hoch oder ist die Situation aus sonst einem Grund besonders auffällig, dann tut man sich dagegen schwer. Das ist bei einem Spiel, auf das man sich lange gefreut hat, sicher der Fall. Entsprechend strebt man danach, den Gefähr-

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dungen des Sturms zum Trotz einen Ausgleich des Kontos herbeizuführen. Dies ist aber nur möglich, indem man sich auf den Weg macht. Der Ausgleich gelingt vor allem auch dadurch, dass man die Reisebeschwernisse nicht in die Kontierung einbezieht. Da es sich bei ihnen um keine monetären Kosten handelt, werden sie in einer anderen Kontenklasse verbucht und mit dem ursprünglichen „Geschäftsvorfall“ gar nicht in Verbindung gebracht (Heath 1995). Dass auch fälschlich im Bewusstsein gehaltene (also eigentlich „versunkene“) Kosten ihre Verfallzeit haben, dass sie gewissermaßen einer mentalen Kostenrechnung unterliegen, zeigt das folgende Beispiel (Thaler 1999): Man hat sich aus dem Urlaub schöne und teure Schuhe mitgebracht. Nun stellt sich heraus, dass sie nicht recht passen, sondern sehr drücken. Davon muss man sich nicht aus der Ruhe bringen lassen, es ist jedenfalls vernünftig sie noch oft anzuziehen um zu sehen, ob sie sich nicht „einlaufen lassen“. Wenn dies nicht fruchtet, sollte man die Schuhe allerdings abschreiben. Tatsächlich wirft man die Schuhe aber normalerweise nicht einfach weg, sondern stellt sie in seinen Schrank, wo sie lange liegen bleiben. Solange die Schuhe noch im Schrank sind, kann man sich der Illusion hingeben, das viele Geld nicht verschwendet zu haben. Oft nach langer Zeit, wird man sie bei irgendeiner Gelegenheit dann doch wegwerfen, ohne dass einen ein allzu großer Schmerz über den Verlust befällt. (4) Viele psychologische Erklärungen des Sunk-Cost-Denkens stützen sich auf die Überlegung, dass es schwer fällt, Misserfolge anzuerkennen. Gibt man zu, dass man, etwas salopp ausgedrückt, Kosten „versenkt“ hat, dann gesteht man ein, dass etwas schief gelaufen ist, dass ein Projekt gescheitert ist. Das ist mit dem Selbstverständnis nicht immer so ohne weiteres vereinbar. Man betreibt das Projekt also weiter, obwohl es besser wäre, sein Geld und seine Kraft anderen Projekten zuzuwenden. Einen etwas anderen Akzent setzt das Streben nach Kohärenz. Wenn man ein „missratenes“ Projekt gänzlich neu angehen muss oder wenn man sich einem neuen Projekt zuwenden will, dann verlangt das oft einen Abschied von bisherigen Verhaltensmustern und -gewohnheiten und damit Veränderungen, die einem sehr schwer fallen können. Neben der Weigerung, sich einen neuen Verhaltensstil anzugewöhnen, können auch inhaltliche Gründe die Fortführung wenig effizienter Projekte motivieren, denn schließlich fühlt man sich manchmal einem Projekt innig verbunden und wenn man etwas zu seiner Herzenssache gemacht hat, wird man diese selbst dann nicht aufgeben, wenn sie sich auf ein bitteres Ende hin bewegt.

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(5) Unter Umständen resultiert die Verpflichtung, ein unergiebiges Projekt zu Ende zu führen, aber gar nicht aus dem eigenen Selbstverständnis, sondern aus den Erwartungen Dritter. Es gibt also auch soziale Gründe für Sunk-Cost-Verhalten. Ein Commitment gegenüber Dritten kann sogar wirkungsvoller sein als die Verankerung des Verhaltens in eigene Überzeugungen. Insbesondere dann, wenn man soziale Sanktionen zu befürchten hat, wie beispielsweise die Abwahl von einem Amt oder Einbußen in der Reputation. Außerdem macht es sich schlecht, wenn man sich vom Befürworter zum Gegner eines Projekts entwickelt, insbesondere dann, wenn die Bezugsgruppe, der man sich verbunden fühlt, diesen Schwenk (noch) nicht mitgemacht hat. Man kann aber auch aus ethischen Gründen einem Projekt treu bleiben, zum Beispiel weil man die Moral seiner Gefolgsleute nicht untergraben will oder weil einem ein gegebenes Versprechen wichtiger ist als der effiziente Mitteleinsatz. (6) Erwähnung verdient schließlich noch die dissonanztheoretische Erklärung des Sunk-Cost-Denkens. Kognitive Dissonanz entsteht aus Informationen, Einstellungen und Verhaltensweisen, die miteinander unverträglich sind. Wie ist das in dem obigen Beispiel des verhinderten Spielbesuchs? Man hat für etwas bezahlt (die Eintrittskarten), für das die Gegenleistung (der Besuch des Basketball-Spiels) aussteht. Führt dieser Tatbestand zu kognitiven Dissonanzen? Und würde der Entschluss, sich durch den Schneesturm zu wagen, die Dissonanz reduzieren? Das ist höchst unplausibel. Dass für eine Leistung die Gegenleistung aussteht, dürfte keine Unordnung im Kopf hervorrufen, so etwas gehört zur alltäglichen Erfahrung und gibt keinen Anlass für mentale Beunruhigung. Etwas näher kommt die Analyse dieses Falls durch Arkes und Blumer. Danach könnten Dissonanzen entstehen, wenn man sich dazu entschließt, auf die Fahrt zum Basketball-Spiel zu verzichten und man sich dabei vergegenwärtigt, was einem damit entgeht. Die Antizipation des Bedauerns könnte einen daher dazu veranlassen, sich dann doch, gewissermaßen zur „Dissonanzvermeidung“, auf den Weg zu machen (Arkes/Blumer 1985, S. 137). Aber auch diese Argumentation überzeugt nur bedingt, denn schließlich hat man einen guten Grund dafür, nicht zu fahren. Das antizipierte Bedauern kann zwar den Wunsch stimulieren, dem Sturm zu trotzen – das Gefühl des Bedauerns ist aber nicht dasselbe wie das Empfinden kognitiver Dissonanz. Dissonanz entsteht erst, wenn man an dem Geschehen selbst einen Anteil hat, wenn man also beispielsweise nicht führe, obwohl sich „ein wackerer Mensch“ von dem „bisschen Wetter“ nicht beein-

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drucken ließe. Die Theorie der kognitiven Dissonanz liefert also am ehesten dort wertvolle Erklärungsbeiträge, wo das Sunk-Cost-Verhalten mit der Beurteilung des eigenen Verhaltens verknüpft ist oder wo es zu Widersprüchen mit tief verankerten Einstellungen kommt, also zum Beispiel dann, wenn es um die Beendigung oder das Weiterführen von persönlich verantworteten Projekten geht. Betrachtet man die angeführten Erklärungsansätze, dann zeigt sich die oben angemahnte Trennung zwischen der verhaltens- und der denkbezogenen Sunk-Cost-Problematik in einem neuen Licht. Denken und Handeln lassen sich nämlich nicht säuberlich voneinander trennen. Falsches Sunk-Cost-Denken ist einem Menschen nicht „eingebrannt“. Es kristallisiert sich im Zuge des Denkhandelns manchmal heraus, um sich im Zuge anderer Bewusstseinsströme wieder aufzulösen. Bei dem Bestreben, Dissonanzen zu vermeiden und zu bewältigen, bei der Bemühung, sozialen Anforderungen nachzukommen sowie bei der Rechtfertigung der eigenen Projekte vor sich selbst, werden mitunter verfehlte Sunk-Cost-Argumente herangezogen, die man an anderer Stelle irritiert beiseiteschiebt. Solange man noch einem (eigentlich „überholten“) Ziel nachjagt, ist es schlicht vernünftig, versunkene Kosten auferstehen zu lassen. Wenn man sich einem Projekt nicht mehr widmen kann, wird man die entstandenen Kosten begraben. Die Unschärfe von versunkenen Kosten entsteht auch daraus, dass oft strittig ist, wann man sich von einem Projekt wirklich verabschieden sollte und aus der Unbestimmtheit darüber, ob die getätigten und nun scheinbar nutzlosen Investitionen nicht auch anderen, alternativen Zwecken zugeführt werden können. Die damit gegebenen Deutungsspielräume können einen zwar verunsichern, sie können aber auch genutzt werden, um angesichts von Fehlentscheidungen sein psychologisches Gleichgewicht wiederzuerlangen.

2.2.4 Zusammenhänge Sehr drastisch beschreibt Robert Sutton die verfehlte Neigung, versunkenen Kosten Macht über unsere Entscheidungen zu geben: „Je mehr Zeit und Kraft man in eine Sache investiert, gleichgültig, wie sinnlos, dysfunktional oder schlicht dumm sie sein mag, umso schwerer fällt es einem, von ihr zu lassen – sei es eine schlechte Investition, eine destruktive Beziehung,

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ein Sklavenjob oder ein Arbeitsplatz, an dem es von Mistkerlen, Mobbern und Monstern nur so wimmelt“ (Sutton 2007, S. 94). Das Zitat stellt auf eine wichtige Einflussgröße ab, nämlich den Umfang der Investition, den es als verloren zu bedauern gilt (Garland 1990; Garland/Newport 1991). Das ist unmittelbar einsichtig, hat man bislang wenig investiert, dann hat man auch wenig „vergeudet“, das kann man leicht verschmerzen, denn dies gehört zu den alltäglichen Erfahrungen des Lebens. Hat man sich einer Sache allerdings lange, engagiert und mit hohem Mitteleinsatz gewidmet, dann will man nicht so ohne weiteres einsehen, dass alles umsonst war. Eine weitere wichtige Einflussgröße ist die Strecke, die man auf seinem Weg bereits zurückgelegt hat. Je näher man dem anvisierten Ziel kommt, desto größer wird die Versuchung, es möglichst rasch und ohne Umstände zu erreichen – wobei man leicht übersieht, dass der Einsatz unverhältnismäßig ansteigen kann (Brockner/Shaw/Rubin 1979). An dem oben beschriebenen Bergsteiger-Beispiel lässt sich dies leicht nachvollziehen: „Ziel aller Anstrengung ist und bleibt der Gipfel. Ein Verfehlen des höchsten Punktes, und sei es nur um wenige Meter, empfindet jeder Bergsteiger als eine bittere Enttäuschung. ‚Alles umsonst‘, lautet die nüchterne Bilanz, über die auch nicht die aufmunternde und in Bergsteigerkreisen beliebte asiatische Weisheit des Tao (‚Der Weg ist das Ziel‘) hinwegtäuschen kann“ (Schneider 2000, S. 1144). Eine wichtige Einflussgröße ist außerdem die Verantwortlichkeit. Man muss allerdings genauer hinsehen, was mit diesem Begriff gemeint ist. Wurde einem eine Aufgabe übertragen und muss man bei Gelegenheit Rechenschaft darüber ablegen, dann dürfte dies dazu führen, dass man sein Vorgehen wohl abwägt und einiges an gedanklicher Schärfe aufbringt, wodurch sich die Gefahr, einem fehlgeleiteten Sunk-Cost-Denken zu verfallen, vermindern dürfte (Simonson/Nye 1992). Andererseits gründet die falsche Würdigung versunkener Kosten eben gerade darauf, dass man sich nicht eingestehen kann, einen Fehler gemacht zu haben. Je mehr man in eigener Person die vorangegangenen Fehlentscheidungen getroffen hat, je weniger man also die Verantwortung abschieben kann, desto eher wird man die Einsicht, dass ein Projekt gescheitert ist, verdrängen und daher die entstandenen Aufwendungen nicht als „versunkene Kosten“ abschreiben wollen (Arkes/Blumer 1985). Das hängt natürlich auch von Persönlichkeitseigenschaften ab. Wer es mit seinem Selbstbild nur schwer vereinbaren kann, einen Fehler gemacht zu haben, wird dem „Sunk-Cost-Bias“

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leichter verfallen als jemand, der zu sich selbst und seinem Handeln eine kritische Distanz einnimmt. Und auch kulturelle Größen sind diesbezüglich wichtig. In Kulturen, in denen die Gesichtswahrung eine große Rolle spielt, fällt das Eingeständnis des Scheiterns schwerer und man wird dort eher ein fehlgeleitetes Sunk-Cost-Denken antreffen (Chow u. a. 1997). In entscheidungstheoretischen Kategorien ausgedrückt handelt es sich bei dem letztgenannten Punkt um eine mögliche Konsequenz, die aus dem Zugeständnis des Scheiterns erwachsen kann. Neben dem Prestigeverlust gibt es eine ganze Reihe weiterer negativer Konsequenzen, an die man hier denken kann (berufliche Zurücksetzung, Einschränkung des Budgets, negative Gefühle, Verminderung des Selbstvertrauens usw.). Wichtig ist aus entscheidungstheoretischer Sicht außerdem, ob es attraktive Alternativprojekte gibt, dann fällt es nämlich leichter, die verlorenen Kosten zu akzeptieren (zu weiteren Einflussgrößen vgl. Brockner/Shaw/Rubin 1979; Schaub 1997; Keil u. a. 2000; McAfee/Mialon/Mialon 2010).

2.2.5 Studie Es gibt zahlreiche empirische Studien über das Sunk-Cost-Denken. Die meisten dieser Studien sind Laborexperimente mit Studierenden, relativ häufig sind die Versuchsteilnehmer aber auch Fach- und Führungskräfte (Arkes/Blumer 1985; Garland 1990; Conlon/Garland 1993; Schaub 1997; Keil u. a. 2000). Das typische Design dieser Studien sieht eine Schilderung von Entscheidungsszenarien vor, in denen verschiedene Einflussfaktoren variiert werden. Diesem Schema folgt auch die Studie von Elmer Thames (1996). Die Aufgabe, die den Teilnehmern gestellt wurde, lautete: „Stellen Sie sich vor, dass Sie vor zwei Wochen eine Konzertkarte zum Preis von $ 20 gekauft haben. Sie haben sich sehr darum bemüht, an eine Karte zu kommen.“

Die weitere Situationsbeschreibung wurde variiert. Die eine Hälfte der 160 Versuchsteilnehmer erhielt die folgende Fallschilderung: „Eine Stunde vor Konzertbeginn fällt Ihnen ein, dass Sie das Auto Ihrer Freundin für diesen Abend nicht ausleihen können. Als einzige Möglichkeit, zum Konzert zu kommen, bleibt Ihnen, ein Taxi zu nehmen.

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Für die Hin- und Rückfahrt kostet das $ . Es ist zu spät, die Eintrittskarte zurückzugeben oder zu verkaufen.“

Für die andere Hälfte der Versuchsteilnehmer wurde der Fall wie folgt beschrieben: „Am Vortag des Konzerts stellen Sie fest, dass Sie die Eintrittskarte verloren haben. Später am Tag treffen Sie jemanden, der Ihnen eine Eintrittskarte um $ verkaufen würde.“

Diese beiden Bedingungen dienen dazu, den Effekt der „mentalen Buchführung“ (s. o.) zu überprüfen. Im ersten Fall ist zu vermuten, dass die Teilnehmer die zusätzlichen Taxikosten zwar bedauern, aber auf sich nehmen werden, weil der Kauf der Eintrittskarte ja sonst verschwendet wäre. Im zweiten Fall wäre dagegen ein neuer Anlauf notwendig: Bliebe man bei seiner Absicht, dann hätte man die Eintrittskarte ja zweimal gekauft, und es ist sehr die Frage, ob man dazu bereit ist. Rein logisch gesehen entstehen in beiden Fällen dieselben „Zusatzkosten“, entscheidend ist aber nicht die Logik, sondern die Art und Weise, wie die Kosten psychologisch verrechnet werden. Variiert wird in dem skizzierten Experiment nicht nur die mentale Buchführung, sondern auch der Zusatzbetrag, der aufzuwenden wäre, falls man am Konzertbesuch festhalten will: das Taxi (bzw. in gleicher Höhe die neue Karte) kostet jeweils entweder $ 30, $ 40 oder $ 50. Es liegen also 3  2 = 6 Versuchsbedingungen vor. Die Ergebnisse bestätigten die theoretischen Voraussagen. Im Taxi-Fall entscheiden sich deutlich mehr Personen dafür, die Zusatzkosten zu tragen und ins Konzert zu gehen (95 %) als in dem Fall, in dem die Eintrittskarte verloren gegangen war (71 %). Der Neukauf der Karte wird demselben mentalen Konto zugeschlagen, die Taxikosten werden dagegen auf einem anderen mentalen Konto verbucht. Bemerkenswert ist außerdem ein Interaktionseffekt, der sich bei der Analyse der Daten herausstellte. In dem Fall, in dem die zusätzlichen Kosten lediglich $ 10 betrugen, gab es praktisch keinen Unterschied zwischen den beiden Experimentalbedingungen, fast alle Teilnehmer waren bereit, die zusätzliche Ausgabe zu tätigen. Das änderte sich mit zunehmender Kostenhöhe. Waren $ 20 aufzubringen, so mieteten zwar immer noch alle das Taxi, aber nur noch zwei Drittel kauften eine neue Eintrittskarte. Und bei $ 30 Zusatzkosten wollten immer noch 85 % das Taxi nehmen, eine neue Karte wollten allerdings nur noch

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48 % der Versuchsteilnehmer kaufen. Anders ausgedrückt: Je höher die Zusatzkosten, desto stärker ist der Sunk-Cost-Effekt.

2.2.6 Würdigung Kritischen Beobachtern fällt es oft leicht, fremdes Sunk-Cost-Verhalten zu erkennen, bezüglich ihres eigenen Verhaltens sieht das meistens anders aus. Bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Projekt gescheitert ist, kommt es offenbar auch auf den Betrachtungswinkel an. Außerdem wird das Urteil von der jeweiligen Interessenlage bestimmt. Und schließlich gibt es kein endgültiges Wissen darüber, ob es sich nicht doch noch lohnen könnte, Kosten nicht einfach abzuschreiben, man kann nämlich auch dem umgekehrten Sunk-Cost-Effekt erliegen und ein (vermeintlich) erfolgloses Projekt allzu rasch aufgeben. Abschließend sei noch über ein Beispiel für einen klugen Umgang mit versunkenen Kosten berichtet (Thomas 1981; Arkes/Blumer 1985). Thomas Edison, der berühmte Erfinder und Unternehmer, erzielte mit den von ihm erfundenen Glühlampen keine großen Markterfolge. Entsprechend wenig ausgelastet waren die Anlagen und Maschinen, die für die Produktion erstellt und angeschafft worden waren. Edison machte den Vorschlag, die Produktion bis an die Kapazitätsgrenzen zu steigern und die zusätzlichen Lampen zu einem Preis unterhalb der Produktionskosten zu verkaufen. Seine Mitgesellschafter waren davon alles andere als begeistert. Edison setzte sich allerdings durch, die Produktionsmenge stieg um 25 %, die Produktionskosten erhöhten sich dagegen um nur 2 %. Die zusätzlich erstellten Glühlampen konnte Edison in Europa zu einem Preis verkaufen, der deutlich über den zusätzlichen Produktionskosten lag. Die Produktionsausweitung erbrachte einen hohen Ertrag, obwohl sie nur wenig kostete: Die im Aufbau der Produktionskapazitäten steckenden versunkenen Kosten wurden also höchst sinnvoll genutzt.

3 Wahrnehmen und Denken 3.1 Bestätigungstendenz Wenn das Aug nicht sehen will, helfen weder Licht noch Brill. Sprichwort Die Bestätigungstendenz ist eng mit unserem Bedürfnis nach Wissen und Gewissheit verknüpft. Man begegnet ihr auf Schritt und Tritt, sie befeuert unterkühlte Diskurse zur Erkenntnistheorie, sie ist Triebfeder wissenschaftlichen Ehrgeizes und im täglichen Leben gilt sie fast schon als psychologisches Grundrecht.

3.1.1 Begriff Unter der Bestätigungstendenz versteht man die Neigung, Informationen, die unsere Auffassung bestätigen, zu bevorzugen und Informationen, die ihr widersprechen, zu vermeiden (Hammond/Keeney/Raiffa 2006, S. 123; vgl. auch Russo und Shoemaker 1989, die von einem „Preferential Bias“ sprechen; auf Wason (1960) geht der Begriff „Confirmation Bias“ zurück). Unsere Vorlieben bestimmen unser Informationsverhalten. Informationen werden nicht neutral behandelt: Wenn sie den Wünschen und Präferenzen einer Person entgegenkommen, werden sie gern aufgenommen, wenn sie ihnen widersprechen, werden sie abgeblockt oder abgewertet. Im Ergebnis führt dies dazu, dass wir unsere einmal gefassten Meinungen behalten und dadurch, dass wir sie immer wieder bestätigen, auch noch stärken. Viele Studien zur Bestätigungstendenz findet man daher auch unter dem Stichwort „Meinungspersistenz“ („Belief Perseverance“ bzw. „Belief Persistence“). Überzeugungsfestigkeit und Bestätigungsneigungen sind eng aufeinander bezogen: Unsere Überzeugungen sind parteiisch, sie lenken unsere Wahrnehmungen, die dann wieder un-

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sere Überzeugungen bestätigen usw., wir haben es hier also mit einem sich selbst verstärkenden Kreislauf zu tun. Einen etwas anderen Akzent setzt der so genannte „Hindsight-Bias“ (Wissen im Nachhinein). Gemeint ist damit die Überschätzung der eigenen Fähigkeit, bereits geschehene Ereignisse vorherzusagen: man hat „es immer schon gewusst“, was aber gar nicht stimmt, man glaubt es nur (z. T. aufrichtig), weil sich der Eintritt des Ereignisses im Lichte der eigenen Überzeugungen als plausibel erweist (Fischhoff 1975). Gemeinsam ist der Bestätigungstendenz, der Meinungspersistenz und dem Wissen im Nachhinein die Lernverweigerung. Man möchte die Welt so sehen, wie man sie immer schon gesehen hat. Das kommt auch in der Definition von Raymond Nickerson zum Ausdruck. Für ihn ist der Begriff der Bestätigungstendenz ein „… Gattungsbegriff, der mehrere speziellere Ideen umfasst, die das unangemessene Auspolstern von Hypothesen oder Überzeugungen zum Thema haben“ (Nickerson 1998, S. 175). Nickerson unterscheidet die folgenden Erscheinungsformen:  Man richtet seine Aufmerksamkeit auf die favorisierte Überzeugung oder Hypothese. Im Extremfall hat man nur eine Hypothese und ignoriert jede andere und übersieht dabei, dass die beobachteten Ereignisse aus dem Blickwinkel anderer Hypothesen ebenso wahrscheinlich oder sogar noch wahrscheinlicher sein könnten.  Man bevorzugt Daten, Beobachtungen und Erkenntnisse, die die bestehenden Überzeugungen bestätigen. Unpassendes oder den Überzeugungen Widersprechendes wird nicht unbedingt ignoriert, es wird aber relativiert und wegerklärt.  Man beachtet vor allem die „positiven Fälle“. Wenn man etwas erklären will, bildet man üblicherweise eine Hypothese und schaut, ob sie mit den Beobachtungen übereinstimmt. Hierbei sucht man nun leider häufig nur nach Anhaltspunkten, die für die Hypothese sprechen. Besser wäre es, nach den Punkten Ausschau zu halten, die der Annahme widersprechen, weil das die Chance eröffnet, zu besseren Hypothesen zu gelangen.  Bestätigungen werden über-, Widerlegungen unterbewertet. Man sieht in Daten vor allem die Muster, die einem die eigenen Hypothesen nahelegen. Die angeführten Punkte erklären in gewisser Weise bereits, warum viele Menschen die Bedeutung ihrer Hypothesen überbewerten und an ihnen

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festhalten. Andererseits handelt es sich dabei um Varianten der Bestätigungstendenz und sind selbst erklärungsbedürftig. Ähnliches gilt im Übrigen auch für andere Ausdifferenzierungen des Prozesses der Hypothesenprüfung. Pyszczynski und Greenberg (1987) diskutieren beispielsweise motivationale Einflüsse auf die Hypothesenprüfung, die Hypothesengenerierung, die Generierung von Ableitungsregeln und die Informationssuche und -bewertung und schließlich die Hypothesenbeurteilung. Hager und Weißmann (1991) differenzieren zwischen der Auswahl, der Bewertung und der Interpretation der Prüfinstanzen. Im Übrigen gehen die meisten Forscher davon aus, dass die Bestätigungstendenz ein Phänomen ist, das dem Bewusstsein der handelnden Person normalerweise verborgen bleibt. Wenn jemand gezielt versucht, Recht zu behalten und sich durchzusetzen, dann spricht man besser von mikropolitischer Rechthaberei und nicht vom Vorliegen einer Bestätigungsneigung. Weniger trennscharf ist die Unterscheidung zwischen der Bestätigungs- und der Assimilationstendenz. Letztere bezeichnet die Neigung, neue und widerspenstige Informationen „passend zu machen“, damit sie in das bestehende Überzeugungssystem integriert werden können. Die Bestätigungstendenz geht diesbezüglich einen Schritt weiter, sie richtet sich nicht nur auf die Zurichtung der Informationen, es geht ihr auch darum, die eigenen Auffassungen zu stabilisieren, sie vor Kritik zu bewahren und sie gegen Widerlegungen zu immunisieren.

3.1.2 Beispiele Francis Bacon, der ein innovativer Wissenschaftler war und als Begründer der neuzeitlichen Wissenschaftsphilosophie gelten kann, beklagte bereits im 17. Jahrhundert die fatale Neigung seiner Kollegen und der Menschen allgemein, die eigenen Auffassungen gegen Kritik abzuschirmen. Habe sich der menschliche Verstand einmal eine Meinung gebildet, lasse er sich von gegenläufigen Tatsachen und Einsichten nicht beirren, er finde vielmehr immer die Bestätigung, die er suche. Aus diesem Grund finde auch jeder Aberglaube seine Anhänger (Bacon 1620; 1999). Es gibt zahllose Beispiele dafür, wie Wissenschaftler zäh an ihren defekten Theorien festhalten, man denke nur an das Ptolemäische Planetenmodell oder an den Kampf um die richtige Interpretation von Daten. Bekanntlich wurde vehement bestritten, dass Galilei in seinem Fernrohr tatsächlich Jupitermonde

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hat sehen können, die Bedeutung der Brownschen Bewegung (Pollen zeigen in Wassertropfen zuckende Bewegungen) für die thermodynamische Theorie wurde heruntergespielt, die von Darwin gesammelten Beobachtungen über die Artenvielfalt und -verwandtschaft wurden hinwegerklärt. Nach Paul Feyerabend werden erfolgreiche Theorien mit einem Schutzmantel von Interpretationsregeln und Hilfsargumenten umgeben, was dazu führe, dass sie praktisch nicht mehr zu widerlegen seien und kaum mehr Unterschiede zu zweitrangigen Mythen aufwiesen (Feyerabend 1975, S. 51). Die Bestätigungsneigung gilt aber nicht nur überkommenen Lehrmeinungen, ihr Objekt sind durchaus auch neue und revolutionäre Theorien. Im Jahr 1919 unternahm ein Forscherteam unter Leitung von Arthur Eddington eine Expedition nach Westafrika, um anlässlich einer Sonnenfinsternis die Einsteinsche Gravitationstheorie zu prüfen. Die Messungen galten als grandiose Bestätigung der Theorie. Tatsächlich stellte sich nachträglich heraus, dass der Messfehler mindestens ebenso groß war wie der gemessene Effekt: „Die Messung des britischen Teams beruhte auf reinem Glück oder darauf, dass man das Resultat, das man sich wünschte bereits voraus bestimmt hat – kein ungewöhnlicher Vorgang in der Wissenschaft“ (Hawking 1988, S. 32). In den praktischen Wissenschaften kann Ignoranz großen Schaden anrichten, wie die traurige Erfahrung zeigt, die Ignaz Semmelweis machen musste. Semmelweis war in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts Arzt am Allgemeinen Krankenhaus in Wien. Er fand heraus, dass das seinerzeit häufig auftretende Kindbettfieber vor allem auf die mangelnde Hygiene der Ärzte zurückzuführen war. Seine empirischen Befunde wurden alles andere als begeistert aufgenommen, er wurde als Nestbeschmutzer aus seiner Stelle gedrängt, seine Forschungsergebnisse wurden unterdrückt und es brauchte Jahrzehnte, bis die Ärzteschaft zur Einsicht kam. Geradezu beunruhigend sind die Ergebnisse eines Versuchs, über den Paul Watzlawick (2006) berichtet. Forscher ließen sich mit vorgetäuschter Symptomatik in die Psychiatrie aufnehmen. Die Mitinsassen bemerkten recht bald, dass es sich bei den neu aufgenommenen Personen nicht um wirklich Kranke handelte, die Ärzte hielten dagegen an ihren ursprünglichen Diagnosen fest. Aus dem Alltag ist uns die Bestätigungstendenz wohlvertraut. Nicht wenige Menschen weisen beispielsweise dem Wetter eine große Bedeutung für die Gesundheit zu, und es gelingt ihnen mühelos, jede Befindlichkeitsstörung dem Wetter anzulasten: Kopfschmerzen kann man haben, wenn

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sich ein Hoch nähert oder ein Tief, wenn es windig oder windstill ist, wenn es regnet oder auch wenn es leider nicht regnet. Man kann auch ein eisernes Vertrauen in Medikamente entwickeln, bessert sich der Gesundheitszustand nach der Einnahme, dann schreibt man das der bewährten Medizin zu und übersieht leicht, dass sich viele Beschwerden ganz spontan wieder verlieren. Man liebt eingefahrene Überzeugungen, seien sie nun so harmlos wie die, dass das Nordseeklima gesund sei (auch wenn man sich bei manchem Urlaub eine Bronchitis zuzieht) oder weniger harmlos wie die, dass Rauchen unschädlich sei (gern wird darauf hingewiesen, dass nicht wenige Intensivraucher sehr alt werden). Am eindrücklichsten zeigt sich die Bestätigungstendenz bei einem Vorurteil: Fakten, die diesem widersprechen, werden geflissentlich übersehen, als Täuschung abgetan, zur Ausnahme erklärt usw. Die unglücklichsten Wirkungen hat die Bestätigungstendenz, wenn man von sich selbst eine schlechte Meinung hat. Menschen, die zu Depressionen neigen, finden in allem was sie tun und denken Aspekte, die ihre Depressionen rechtfertigen (Beck 1976). Wer nicht bereit ist, seine Meinungen zu ändern, kann nichts lernen, wer auf eine Meinung festgelegt ist, wird nicht objektiv sein. Verschiedene Studien zeigen, dass sich die Beteiligten in (nachgestellten) Gerichtsverhandlungen schon sehr früh ein Urteil bilden, das sich im weiteren Verlauf des Prozessgeschehens verfestigt, weil die neu auftauchenden Tatbestände parteiisch zugunsten des vorgefassten Urteils interpretiert werden (Carlson/Russo 2001). Dass Bestätigungstendenzen auch im politischen Bereich verbreitet sind, dürfte niemanden überraschen. Ein eindrückliches Beispiel liefert die Wirtschaftspolitik der letzten Jahre, in der man immer wieder und trotz der vielen „aufrüttelnden“ Krisen und Ereignisse auf die alten Rezepte zurückgreift (Brost/Schieritz 2010). Ein bekanntes literarisches Beispiel für die Bestätigungstendenz liefert Polonius, der alle absonderlichen Verhaltensweisen Hamlets mit seiner Verliebtheitsthese erklärt. Jane Austens Roman Stolz und Vorurteil handelt von der Kränkung, die Elizabeth Bennet durch das bornierte Verhalten von Fitzwilliam Darcy erleiden muss. Die schließlich unternommenen Annäherungsversuche des Mr. Darcy und zumal dessen Heiratsantrag empfindet Elizabeth als beleidigend (und der empathische Leser ebenfalls), was der Sach- und Gefühlslage aber nicht angemessen ist, sondern nur aus Elizabeths Voreingenommenheit resultiert, die die Liebe bezeugenden Signale im Verhalten Darcys nicht zur Kenntnis nimmt. Immerhin findet die Geschichte ein romantisches Ende. Tragisch endet dagegen die Verblen-

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dung Othellos, dessen Eifersucht es ihm unmöglich macht, sich von dem eingeredeten Verdacht gegen Desdemona zu befreien.

3.1.3 Erklärung Wie kommt es, dass man häufig seine Überzeugungen selbst dann nicht aufgibt, wenn klare Belege vorliegen, die gegen sie sprechen oder wenn es ein Leichtes wäre, an derartige Belege zu gelangen? (1) Nicht selten ergibt sich die Weigerung, eine Überzeugung in Frage zu stellen, aus einem starken Glaubensverlangen („desire to believe“). Auf die Wahrheit der Überzeugung kommt es dann nicht in erster Linie an, man möchte sich einfach dem Glauben hingeben und duldet daher auch keine Zweifel. Mitunter stecken dahinter kindliche Vorstellungen, deren illusorischen Charakter man vielleicht sogar einsieht, die man deswegen aber dennoch nicht hergeben will. Meist wird man einer Überzeugung aber deswegen anhängen, weil sie Orientierung verspricht, weil sie Hoffnung gibt, weil sie einen vor Ängsten bewahrt. Eine Überzeugung aufgeben müssen, kann bedeuten, Sicherheit gegen Unsicherheit einzutauschen, was nicht immer einfach ist. Unter Umständen stützt man seine ganze Hoffnung auf eine bestimmte Überzeugung, die man sich dann natürlich nur ungern nehmen lässt. Und nicht wenige Überzeugungen dienen vor allem dem Zweck, Ängste in Schach zu halten. Schützenswert scheinen uns auch Überzeugungen, die so eng mit uns verwachsen sind, dass wir uns selbst in Frage stellen würden, wenn wir sie aufgeben müssten. Und schließlich gibt es Überzeugungen, für die man gekämpft hat, die man seinen Mitmenschen gegenüber immer wieder als die einzig richtigen verteidigt hat und die man nicht aufgeben kann, ohne einen erheblichen Gesichtsverlust zu erleiden. Die Bestätigungstendenz ist besonders stark, wenn die Hypothesen und Überzeugungen, um die es geht, nicht allein und isoliert stehen, sondern eine zentrale, exemplarische oder hoch symbolische Bedeutung für ein ganzes Hypothesen- und Überzeugungssystem sind. Wenn eine tragende Säule wegbricht, kann ein ganzes Glaubenssystem zusammenstürzen und das Selbstverständnis einer Person erheblich erschüttern. Tatsächlich sind es aber nicht immer nur die zentralen Überzeugungen, die man verteidigt, oftmals ist gar nicht so recht klar, was als essentiell und was als nebensächlich zu gelten hat, daher werden manchmal selbst gänzlich un-

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wesentliche Überzeugungen mit großer Hartnäckigkeit verteidigt. Zu beachten ist schließlich außerdem, dass Glaubenssysteme oft eng mit einer sozialen Praxis verwoben sind, gibt man sie auf, dann besteht die Gefahr, dass man sozial ausgegrenzt wird und dass man sich den Zorn mächtiger Autoritäten zuzieht. Zusammengefasst: Ein starkes Glaubensverlangen ist häufig Ausdruck des Bemühens, mentale und soziale Bedrohungen abzuwehren, man schafft sich einen geschützten Denkraum, der dem Zweifel, der Kritik und der diskursiven Argumentation den Zutritt verwehrt. Daneben gibt es aber auch harmlosere Arten des Glaubensverlangens. Hierzu gehört das so genannte Pollyanna-Prinzip. Pollyanna ist die Hauptfigur in dem gleichnamigen Roman von Eleanor Porter. Sie zeichnet sich durch einen ansteckenden Optimismus aus und besitzt die Fähigkeit, noch in den unerfreulichsten Situationen das Erfreuliche zu erblicken. (2) Vielfach erklärt sich die Bestätigungstendenz aus dem Bedürfnis nach kognitiver Konsistenz und Vermeidung kognitiver Dissonanz. Widersprüchliche Überzeugungen bewirken ein mitunter erhebliches Unbehagen, das man vermeiden und beseitigen will. Widersprechen bestimmte Informationen einer bislang vertretenen Überzeugung, dann ist allerdings noch nicht entschieden, welchen Ausgang man aus dieser Situation findet. Gemäß der Theorie der kognitiven Dissonanz (Festinger 1957; Irle 1990; Aronson 1992) werden sich diejenigen Überzeugungen durchsetzen, die fest in das persönliche Überzeugungssystem eingebunden, die also eng mit anderen Überzeugungen und mit dem eigenen Selbstverständnis verknüpft sind. In der empirischen Forschung befasst man sich meistens mit Widersprüchen, die sich zwischen bestehenden Einstellungen und neuartigen Informationen auftun. Die Theorie ist hierauf allerdings nicht festgelegt, kognitive Dissonanzen findet man bei allen Arten von „Kognitionen“, ganz gleich, ob es um Einstellungen, um Überzeugungen, Werthaltungen oder sonstige mentale Einheiten geht, ob man über die persönliche Geschichte reflektiert, ob man andere Personen bewertet oder ob man mit Informationen konfrontiert wird, die mit den eigenen Weltbildern, Ideologien und Theorien nicht vereinbar sind. Was die Theorienprüfung angeht, argumentieren manche Wissenschaftstheoretiker im Übrigen ganz ähnlich wie die Psychologen. Die „Duhem-Quine-These“ etwa besagt, dass man eine Hypothese oder Theorie nicht anhand einer einzelnen empirischen Studie widerlegen kann. Theorien seien ganzheitlich zu verstehen, das heißt sie bestünden normalerweise aus einem Hypothesengeflecht. Man werde ihnen daher nicht gerecht, wenn man einzel-

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ne Hypothesen herauslöst und einer isolierten Betrachtung unterwirft (Duhem 1906; Quine 1951). Dazu kommt, dass man bei einer konkreten Hypothesenprüfung Ableitungsschritte durchlaufen muss, die sich nicht so ohne weiteres empirisch nachvollziehen lassen. Außerdem kommen bei jeder Hypothesenprüfung unvermeidlich Hintergrundannahmen und Hilfshypothesen zum Zug, die sich nicht immer vollständig explizieren lassen. Ergeben sich daher bei der empirischen Analyse Widersprüche, so ist es alles andere als einfach, die Stelle zu identifizieren, die für diesen Widerspruch verantwortlich gemacht werden kann. Immerhin sagt die Dissonanztheorie voraus, dass Menschen Widersprüche nicht einfach hinnehmen. Bei dem Bemühen, sie zu beseitigen, muss man nicht die Prüfinformationen anzweifeln, man kann auch sein Überzeugungssystem ändern oder zumindest neu organisieren. Meistens entschließt man sich jedoch zur Abwertung der „störenden“ Befunde. Daneben gibt es noch die Möglichkeit, Dissonanzen einfach zu übergehen. Diese wird gar nicht so selten ergriffen, doch meistens nur bei relativ banalen Angelegenheiten, die einen nicht sonderlich berühren und die man leicht vergessen kann. (3) Allerdings gibt es nicht selten auch pragmatische Gründe, die einen davon abhalten können, seine bisherigen Überzeugungen trotz gegenläufiger Evidenzen in Frage zu stellen. Möglicherweise ist man einfach mit anderen Problemen beschäftigt, hat für eine nähere Klärung keine Zeit und behält daher lieber erst einmal seine bewährten Auffassungen. Oder man vertritt ganz generell eine pragmatische Weltauffassung, in der es weniger um die Wahrheit als vielmehr um die Nützlichkeit von Überzeugungen geht. Empirische Widersprüche wird man in diesem Fall leidenschaftslos hinnehmen, zumal dann, wenn man weiterhin mit seinen Überzeugungen gut „arbeiten“ kann, wenn sie einem helfen, viele Dinge zu verstehen, Ereignisse vorauszusagen und andere Personen zu beeindrucken. Auch hinsichtlich dieses alltagspragmatischen Umgangs mit Hypothesen gibt es ein wissenschaftstheoretisches Pendant: den so genannten Instrumentalismus (Lakatos 1970; Caldwell 1980). Für den Anhänger dieser Lehre sind Theorien keine wahrheitsfähigen Abbilder der Realität, sondern Instrumente, die ihm dabei helfen sollen, Gedanken zu klären und Modelle zu entwerfen. Ein bewährtes (geistiges) Instrument wird nicht dann aufgegeben, wenn es mit empirischen Befunden in Konflikt gerät, sondern nur, wenn ein anderes (geistiges) Instrument die Arbeit erleichtert, beispielsweise elegantere Beweisführungen ermöglicht oder eine größere Anschlussfähigkeit zu seinem Hintergrundwissen verspricht.

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(4) Für manche Aussagen lässt sich der Nachweis ihrer Falschheit aus logischen Gründen nicht führen. Wie wollte man beispielsweise jemandem das Gegenteil beweisen, der behauptet, die meisten Verbrechen würden früher oder später aufgedeckt oder der davon ausgeht, irgendwann werde er einen Unfall erleiden oder das große Los ziehen? Personen, die derartige Aussagen lieben, werden sie nicht in Frage stellen. (5) Etwas anders liegt der Fall, wenn der Nachweis der Falschheit einer Aussage zwar nicht logisch unmöglich ist, sich praktisch aber schwer erbringen lässt. Wie will man beispielsweise herausfinden, ob das Frühstücksei wirklich ein „Bio-Ei“ ist? Der Einfachheit halber verlässt man sich bezüglich derartiger Fragen auf die Verpackungsaufschrift. Manchmal sind die positiven Belege auch einfach sichtbarer als die negativen: Die Winter sind kalt, die Sommer verregnet – wo bleiben da der vielbeschworene Klimawandel und die damit einhergehende Erderwärmung? (6) Ein wichtiger Grund für das Beharren auf seinen Hypothesen ist schlichte Einfallslosigkeit. Mitunter kann man sich einfach nicht vorstellen, wie ein hypothesenkonträres Ergebnis aussehen sollte oder wie man einen Gegenbeweis führen könnte. Einen Spezialfall bildet das Phänomen der funktionalen Fixiertheit. Wissenschaftler entwickeln häufig eine Vorliebe für bestimmte Forschungsmethoden. Meistens handelt es sich dabei um Methoden, mit denen sie sehr erfolgreich arbeiten und die sie sehr gut beherrschen. Nun eignen sich die einzelnen Methoden zwar oft hervorragend für die Untersuchung bestimmter Fragestellungen, für die Bearbeitung anderer Fragestellungen sind sie dagegen eher unbrauchbar bis hinderlich. Wer sich bei seinen Studien beispielsweise immer nur der Methode der Regressionsrechnung bedient, verlernt unter Umständen die Fähigkeit, sich mit komplexeren Zusammenhängen abzugeben, die sich regressionsanalytisch nicht behandeln lassen. (7) Ein weiterer Erklärungsansatz ergibt sich aus dem Tatbestand, dass es Menschen oft gar nicht in den Sinn kommt, die eigenen Hypothesen zu hinterfragen. Wenn sich keine irritierenden Erfahrungen einstellen, wenn keine überzeugenden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die eigenen Überzeugungen falsch sein können, nimmt man zunächst einfach an, dass die in Frage stehende Hypothese richtig ist. Entschließt man sich dann doch, genauer hinzusehen, so folgt man häufig einer „positiven Teststrategie“ (manchmal auch „Kongruenz-Heuristik“ genannt): eine einmal ins Auge gefasste Hypothese wird danach beurteilt, ob man für sie positive

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Anhaltspunkte findet, was meistens gelingt (Wason 1960; Baron/Beattie/Hershey 1988). (8) Schließlich kommt es zu einem Bestätigungsverhalten (ohne dass dahinter bewusst oder unbewusst Bestätigungsabsichten stecken müssen) manchmal auch einfach dadurch, dass Menschen die Logik von Aussagen und die Methodik einer angemessenen Hypothesenprüfung nicht hinreichend durchschauen (Hager/Weißmann 1991). So kennen viele nicht den Unterschied zwischen einer konditionalen und einer bi-konditionalen Aussage, was dazu führen kann, dass man statt einer Falsifikationsstrategie einer umständlichen Bestätigungsstrategie folgt (Gadenne 1982).

3.1.4 Studie Wissenschaftler bilden keine besondere Gattung, sie unterliegen denselben kognitiven Beschränkungen und Handlungstendenzen wie alle anderen Menschen auch. Michael Mahoney (1977) demonstriert dies am Beispiel der Bestätigungstendenz, und zwar in einer der ersten systematischen Studien zu der Frage, wie Wissenschaftler die Forschungsergebnisse ihrer Kollegen bewerten. Hierzu schickte er an 75 Gutachter der Zeitschrift „Journal of Applied Behavioral Analysis“ ein weitgehend identisches Manuskript, das sich allerdings in einem wesentlichen Punkt unterschied. Völlig wortgleich waren die Einleitung und der geschilderte Versuchsaufbau, Unterschiede gab es jedoch hinsichtlich der Ergebnisse, diese fielen entweder im Sinne der Gutachter aus („positive Ergebnisse“) oder sie widersprachen den Auffassungen der Gutachter („negative Ergebnisse“). Außerdem wurden die Ergebnisse in dem Aufsatz diskutiert oder nicht diskutiert. Die Gutachtergruppe wurde entsprechend aufgeteilt und mit unterschiedlichen Manuskripten bedacht: – Gruppe 1: Positive Ergebnisse, keine Ergebnisdiskussion – Gruppe 2: Negative Ergebnisse, keine Ergebnisdiskussion – Gruppe 3: Keine Ergebnisse, keine Ergebnisdiskussion – Gruppe 4: Gemischte Ergebnisse, positive Ergebnisdiskussion – Gruppe 5: Gemischte Ergebnisse, negative Ergebnisdiskussion. Der Chefherausgeber der Zeitschrift verschickte die Manuskripte mit der Bitte, die mangelnde Vollständigkeit zu entschuldigen, die fehlenden Teile

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würden nachgeliefert, man brauche allerdings schon mal ein Gutachten auf Basis des gelieferten Textes. In der vorgeblich echten Studie geht es um ein Experiment, das die so genannte Verdrängungsthese prüft. Die Verdrängungsthese behauptet, dass extrinsische Belohnungen intrinsische Motivationen beschädigen. Wer etwas aus freien Stücken tut, beispielsweise aus Freude an der Aufgabe, wird dann, wenn man ihn dafür belohnt, sein spontanes Engagement verlieren und sich der in Frage stehenden Sache nur noch halbherzig und nur bei entsprechender Belohnung widmen. Diese These wurde seinerzeit einhellig und vehement von behavioristisch orientierten Psychologen bestritten. Dies muss man wissen, weil Mahoney in seinem Experiment davon ausging, dass die von ihm angeschriebenen Gutachter des „Journal of Applied Behavioral Analysis“ alle diese Ablehnung teilen (die Zeitschrift galt seinerzeit gewissermaßen als Hort des Behaviorismus). Die Ergebnisse sind ernüchternd. Obwohl sich die Beschreibung des methodischen Vorgehens in den Manuskripten in nichts unterschied, wurde die Methodik in den Beiträgen, die über „positive“ – also über im Sinne der Gutachter hypothesenkonforme – Ergebnisse berichtet wird, wesentlich besser beurteilt. Gleiches galt für die Beurteilung der Datenpräsentation (obwohl sich auch diese bis auf die „Vorzeichen“ nicht unterschied) und für die Beurteilung des Erkenntnisbeitrags. Die Annahme- bzw. Ablehnungsempfehlungen fielen entsprechend aus: „Die identischen Manuskripte ereilte ein sehr unterschiedliches Schicksal je nach Richtung der Daten. War diese positiv, lautete die übliche Empfehlung, den Beitrag mit geringfügigen Modifikationen anzunehmen. Negative Ergebnisse erhielten eine deutlich schlechtere Bewertung, die vom durchschnittlichen Beurteiler mit der Empfehlung versehen wurde, das Manuskript abzulehnen oder zum Zwecke einer größeren Überarbeitung zurückzugeben“ (Mahoney 1977, S. 176). Bemerkenswert ist weiter, dass die Gutachter der Gruppen 4 und 5 die Manuskripte häufig sehr geringschätzten, weil die gemischten Ergebnisse keinen Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt erbrächten. Mahoney zitiert verschiedene Kommentare (S. 172): „Dies ist eine sehr mangelhafte Studie, sowohl was das Konzept als auch was die Analyse angeht.“ und „Dieser Bericht ist ein klassisches Beispiel für Hypothesenkurzsichtigkeit … Die Autoren kommen zu Schlussfolgerungen, die von ihren eigenen Ergebnissen in keiner Weise gestützt werden.“ Die angeführten Ergebnisse von Mahoneys Studie stimmen bedenklich. Wissenschaftliche Zeitschriften sind gewissermaßen die Schaufenster,

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in denen Forschungsresultate bekannt gemacht und dem wissenschaftlichen Diskurs übergeben werden. Beiträge, die es nicht in die wichtigsten Zeitschriften schaffen, werden schlichtweg nicht beachtet. Diese Gefahr droht natürlich auch den Autoren, was nicht wenige dazu verführen dürfte, sich den jeweils gerade gängigen Vorstellungen in der Wissenschaftsgemeinde anzupassen (aus der umfänglichen Diskussion zu Begutachtungsverfahren in der Wissenschaft, Rankings und Reputationen vgl. Frey 2003; Starbuck 2005; Akst 2010).

3.1.5 Zusammenhänge In gewisser Weise bringt einen die Frage, ob man eine Überzeugung behalten oder verwerfen soll, in einen Konflikt. Bei Entscheidungen vergleicht man die verfügbaren Alternativen. Wenn keine bzw. keine prägnanten Alternativen ins Blickfeld rücken, dann wird man die Welt eben weiterhin im Lichte der vorgeprägten Überzeugungen interpretieren und sie nicht etwa nur deswegen aufgeben, weil sich die eine oder andere Beobachtung nicht gänzlich in sie einfügen will. Entscheidungsrelevant ist außerdem der (kognitive) Aufwand, den man betreiben muss, um eine Überzeugung oder Hypothese auf ihre Haltbarkeit hin zu prüfen. Dieser Punkt fällt oft zuungunsten von Alternativen aus und zwar deswegen, weil eine gegebene Überzeugung die für sie sprechenden „positiven“ Informationen normalerweise gleich mitliefert, negative Informationen dagegen erst beschafft und auf ihre Relevanz hin untersucht werden müssen. Kaum jemand beispielsweise liest Zeitungen, die Weltanschauungen oder politische Haltungen vertreten, die den eigenen Auffassungen widersprechen, man abonniert vielmehr Zeitungen, die mit den eigenen Vorstellungen übereinstimmen. Die Kommentierungen der Weltereignisse in den präferierten Publikationsorganen liefern die Argumente, die für die eigenen Überzeugungen sprechen, gewissermaßen frei Haus. Schließlich ist noch zu beachten, welchen Lösungsbeitrag alternative Überzeugungen liefern, insbesondere, ob sie in der Lage sind, mit Unbestimmheiten in der Datenlage umzugehen. Diese lassen sich nun nicht nur durch vermehrte Informationstätigkeiten beseitigen (sie können damit sogar vergrößert werden), sondern auch durch größere Bestimmtheit in den Überzeugungen. In einer Studie von Lord, Ross und Lepper (1979) wurden den Versuchsteilnehmern Informationen über die abschreckende Wirkung der Todes-

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strafe vorgelegt (in Form von zusammenfassenden Forschungsberichten). Wurde der Forschungsstand als unentschieden dargestellt, dann führte dies nicht etwa dazu, dass die ursprüngliche Haltung zur Todesstrafe abgemildert wurde, sie wurde im Gegenteil noch extremer vertreten. Wie bei allen anderen Entscheidungsdefekten, kommt es auch bei der Bestätigungstendenz sehr stark auf die individuellen Verhaltensdispositionen an. Menschen unterscheiden sich beispielsweise in ihrem Bedürfnis, etwas genauer wissen und verstehen zu wollen. Wo der eine sich mit einer oberflächlichen Erklärung zufriedengibt (oder gar schon durch den vagen Hinweis auf die Möglichkeit einer Erklärung), akzeptiert ein anderer ein Argument erst, wenn er es vollständig verstanden und die Datenlage genau inspiziert hat. Ähnliche Unterschiede gibt es im Hinblick auf die oben bei den motivationsbasierten Erklärungen angesprochenen Bedürfnisse, also zum Beispiel das Konsistenzbedürfnis, das Kontrollbedürfnis und das Bedürfnis nach Selbstbestätigung (Pyszczynski/Greenberg 1987). Solche Bedürfnisse sind nun allerdings nicht einfach vorhanden und ein für alle Mal zu akzeptieren (z. B. „angeboren“), sie bilden sich vielmehr im Zuge der Sozialisation und der Erziehung heraus und lassen sich auch durch Selbstreflektion und Übung verändern. Wer in einem dogmatischen Geist erzogen wurde, der wird Kritik an seinen Anschauungen möglicherweise unverständlich finden und die Äußerungen von Zweifel vielleicht sogar für einen Frevel halten. Und wer nicht gelernt hat, irgendeine Sicht der Dinge ernst zu nehmen, der lässt sich leicht einmal von dieser und ein andermal von jener Meinung überzeugen. Und wer überhaupt nur gelernt hat, dass es darauf ankommt, Recht zu behalten, der wird seine vorgefassten Überzeugungen durch alles bestätigt sehen. Schließlich ist für die Stärke der Bestätigungsneigung auch der Einfluss des Sozialen von einiger Bedeutung. Je schwieriger ein Thema ist und je kontroverser es diskutiert wird, desto größer ist die Neigung, sich in seiner Urteilsbildung an jene herausgehobenen Personen und Meinungsführer zu orientieren, die Auffassungen vertreten, die man selbst hegt. Und je mehr eine Überzeugung mit Symbolik aufgeladen, je nachdrücklicher sie in rituellen Handlungen bekräftigt wird, desto unempfänglicher wird man für Argumente und Informationen, die der eigenen Überzeugung entgegenstehen. Die Bestätigungsneigung ist nicht zuletzt deswegen so stark im menschlichen Denken verankert, weil sie mit einer Reihe von positiven Wirkungen verknüpft ist. Ein unmittelbarer Nutzen der Bestätigungs-

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neigung ergibt sich beispielsweise aus den Vorteilen und Bequemlichkeiten, die einem ein unangefochtenes harmonisches Weltbild verschaffen kann und aus dem Behagen, das die Übereinstimmung mit sich selbst, die Abwesenheit von Selbstzweifeln, mit sich bringt. Manchmal überwiegen aber eindeutig die Nachteile. Insbesondere wenn es um handlungsnahe Überzeugungen geht, drohen erhebliche negative Konsequenzen, wenn man unbelehrbar falschen Auffassungen folgt. Negativ kann sich die Bestätigungstendenz auch auf das eigene Wohlbefinden auswirken. Bereits oben wurde auf die Selbstbestätigungstendenz einer depressiven Weltsicht hingewiesen. Pennebaker und Skelton (1978) beschreiben exemplarisch das Verhalten des Hypochonders. Dieser registriert jede noch so unbedeutende körperliche Regung und interpretiert sie als Ausdruck der vielen eingebildeten Leiden, die ihn plagen. Er wird außerdem dazu verführt, sich über alle möglichen Krankheiten und deren Symptomatik ausführlich zu informieren. Fatalerweise wird er daraufhin noch mehr und noch subtilere Hinweise dafür finden, dass etwas mit seiner Gesundheit nicht stimmt und dass er unbedingt des ärztlichen Beistands bedarf.

3.1.6 Würdigung Unabhängig von den angeführten psychologischen Funktionen, die die Bestätigungstendenz erfüllen kann, wird häufig argumentiert, sie habe durchaus auch erkenntnispraktische Vorzüge. In der Wissenschaft werde damit einem konservativen Element Rechnung getragen, das verhindere, dass solide und bewährte Hypothesen voreilig aufgegeben werden. Auch die sozialen Funktionen von festgefügten unbeirrbaren Überzeugungen seien nicht zu unterschätzen. So hätten die Pilgrim Fathers die Anfechtungen und Entbehrungen bei der Kolonisierung der Neu-England-Staaten kaum bestanden, wenn sie dem Zweifel und dem Dissens bezüglich ihrer Mission Raum gegeben hätten. Weder das erkenntnislogische noch das sozialtheoretische Argument ist überzeugend. Der Wunsch, dass sich eine Hypothese bestätigen möge, ist nicht die logische Alternative zu ihrer kategorischen Verwerfung. Stellt sich bei einer kritischen Prüfung heraus, dass die in Frage stehende Hypothese als problematisch zu gelten hat, dann wird man sie deswegen nicht „verdammen“ und für immer dem Vergessen anheimgeben. Man wird dadurch aber dazu angehalten, die

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eigene Parteilichkeit zu hinterfragen und mit seiner Hypothese vorsichtiger umzugehen. Ob man sie früher oder später hinter sich lässt, hängt unter anderem davon ab, ob man eine alternative Hypothese findet, die sich besser bewährt und mit deren Hilfe sich mehr (Erkenntnis-) Probleme lösen lassen. Und was die Behauptung angeht, Glaubensfestigkeit, die sich nicht um reale Widersprüche kümmere, könne notwendig sein, um eine Gemeinschaft voranzubringen: Einer solchen Auffassung wird man bei einem näheren Blick in die Geschichte kaum zustimmen können. Zuversicht und Optimismus sind wertvolle soziale Tugenden, sie haben aber nichts mit Dogmatismus und Glaubensstarre zu tun, Eigenschaften, die autoritären Kräften den Weg bereiten, die eine Gesellschaft nicht voranbringen, sondern zu Unfreiheit und Rückschritt führen.

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3.2 Aberglaube Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer. Titel einer Radierung von Francisco Goya

3.2.1 Begriff Der Aberglaube ist ein falscher Glaube. Für manchen ist der Aberglaube ein frevelhafter Anti-Glaube, für andere ein harmloser Tick. Die sehr unterschiedliche Einschätzung liegt aber nicht am Phänomen des Aberglaubens selbst, sondern an seinem breiten Bedeutungsspektrum. Härtere Formen des Aberglaubens wie beispielsweise okkulte Praktiken sind kaum vergleichbar mit dem zwar ebenso abergläubischen, aber harmlosen Vertrauen auf den Hundertjährigen Kalender oder mit der Lektüre von Horoskopen wie sie in (fast) jeder Tageszeitung abgedruckt werden. Aberglaube ist also vieles, zum Beispiel Glaube an die Macht der Magie und an alle möglichen übernatürlichen Dinge wie Wahrsagerei, Hellsehen, Wunder, Wiedergeburt, außersinnliche Wahrnehmung, Gedankenlesen, Gedankenübertragung, Telekinese, Spuk, Déjà-vu-Erlebnisse, Vorbedeutungen, Geister und Dämonen, Animismus, Reliquien, Krankenheilung durch Handauflegung, Graphologie, Handlesen, Ufos, Glücks- und Unglückszahlen, Erdstrahlen, das Mondlicht, die Verdammnis und die Wirkung von Verfluchungen. Stark abergläubische Elemente findet man daneben in Verschwörungstheorien, Geheimrezepten, Ritualen und Mythen und in pseudowissenschaftlichen Sonderlehren, etwa der Welteislehre, der Hohlwelttheorie, der Orgonologie usw. (Bächtold-Stäubli 2000; Göttert 2003; Dawkins 2007; Harmening 2009) und schließlich in vielen irrigen Vorstellungen des Alltags, die man gar nicht ohne weiteres als Aberglauben erkennt (z. B. in Hausrezepten, Erziehungspraktiken oder politischen Überzeugungen). Angesichts der Vielfalt abergläubischer Phänomene ist es nicht ganz leicht, eine allgemein gültige Definition des Aberglaubens zu finden. Häufig wird die Haltlosigkeit abergläubischer Überzeugungen der Erprobtheit wissenschaftlicher Erkenntnisse gegenübergestellt. Dieser Begriffsbestimmung wird verschiedentlich entgegengehalten, dass auch wissenschaftliche Einsichten kein festes Fundament hätten, sie veränderten sich ständig und lieferten damit keinen wirklichen Maßstab für die Beurteilung

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von Überzeugungen. So seien beispielsweise alchimistische Vorstellungen heutzutage zwar obsolet, in der Welt des Mittelalters hätten sie aber durchaus dem Stand der Forschung entsprochen. Verschiedentlich wird daraus sogar der (logisch durchaus unbegründete) Schluss gezogen, alle Erkenntnis, also auch die wissenschaftliche, sei relativ und damit ebenso gut oder schlecht wie jede andere Erkenntnis. Das ist nun allerdings wiederum eine Auffassung, die – ganz unabhängig von der in ihr zutage tretenden maßlosen Naivität – zuallererst einem Abergläubischen verdächtig erscheinen muss. Wie bei vielen anderen Allgemeinbegriffen ist auch bei der Beschreibung des Aberglaubens eine messerscharfe sprachliche Eingrenzung nicht möglich. Dessen ungeachtet lassen sich einige wesentliche Merkmale benennen, die kennzeichnend für abergläubisches Denken und Handeln sind. Aberglauben, so unfasslich er einem erscheinen mag, lässt sich gedanklich also durchaus bestimmen und man kann sich damit den Fragen nach seiner Entstehung und seiner Wirkungsweise sinnvoll zuwenden. Ein typisches abergläubisches Merkmal ist der Bezug zum Übernatürlichen, der Verweis auf Kräfte, die jenseits der normalen Naturvorgänge angesiedelt sind (z. B. auf Energieformen, die der Physik unbekannt sind, auf die schicksalshafte Bestimmung usw.). Die dabei in Anspruch genommenen Wirkkräfte zeichnen sich außerdem oft durch eine erhebliche kausale Ferne zum Erklärungsgegenstand aus, insbesondere bleibt offen, über welche vermittelnden Vorgänge sie sich konkret umsetzen. So findet man zwar die Auffassung, das Unheil der Firma Enron habe sich schon in ihrem „unausgeglichenen“ Logo angekündet, die Frage, wie sich die Logo-Wirkung konkret vermittelt haben soll, bleibt allerdings unbeantwortet. Außerdem sind abergläubische Überzeugungen „motiviert“, der Abergläubische hat also ein Interesse an seinen Vorstellungen, er scheut deren kritische Überprüfung, er möchte sie für wahr halten und vermeidet es, die in Frage stehenden Überzeugungen kritischen Einwänden auszusetzen. Abergläubische Praktiken sind normalerweise sehr rigide, man darf keinen Schritt auslassen, sonst sind sie völlig wirkungslos oder sogar schädlich. Außerdem darf man nie versäumen, sie einzusetzen, wann immer der hierfür gebotene Anlass vorliegt, sonst ist mit Unglück zu rechnen. Abergläubischen Riten wohnt also eine erhebliche Zwanghaftigkeit inne. Wenn man die verschiedenen Merkmale abergläubischer Überzeugungen und Verhaltensweisen auf einen Nenner bringen will, dann bezeichnet man sie am besten als „vernunftwidrig“. Aberglaube entzieht sich allem, was vernünf-

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tiges Denken verlangt: distanzierte (objektive) Betrachtung, empirische Prüfung, kritische Diskussion und argumentative Begründung.

3.2.2 Beispiele Jeder Schüler weiß dank Schiller um die Sternengläubigkeit Wallensteins und von Nancy Reagan wird erzählt, dass sie jahrelang von einer Sternendeuterin die Pläne ihres Mannes beurteilen ließ (ob deren Ratschläge die Entscheidungen des Präsidenten beeinflusst haben, ist umstritten). Aberglauben findet man jedenfalls nicht nur in der dumpfen Volksseele, sondern auch in der so genannten Intelligenz-Schicht, also beispielsweise bei Dichtern (Alexander Puschkin, James Joyce), Philosophen (Lichtenberg, Kant) und Künstlern (Michelangelo, Picasso), bei Unternehmern (Alfred Krupp, Henry Ford), Militärs (Napoleon, Ludendorff), Herrschern (Elisabeth I., Ludwig XI.) und Politikern (Abraham Lincoln, Otto von Bismarck). Die spanischen Eroberer Mexikos, die selbst viel Aberglauben mit sich herumschleppten, besiegten die Azteken bekanntlich wegen deren Aberglauben, deswegen, weil Montezuma glaubte, Cortes sei der wiedererschienene Priestergott Quetzalcoatl (Galeano 1983, 87 ff.). Auch Kunst und Literatur widmen dem Thema Aberglaube breiten Raum. „Macbeth“ ist ein Stück voller Hexentreiben und Vorbestimmung, im „Hamlet“ bleibt offen, ob der Geist des Vaters ein Trugbild ist, der „Schimmelreiter“ lebt einzig im Aberglauben der Küstenbewohner, die höllischen Figuren von Hieronymus Bosch wecken Angst und Schrecken, Goyas „Schlaf der Vernunft“ ist von unheimlichem Nachtgetier umlagert. In unserer Zeit hat sich die Trivialliteratur der abergläubischen Seite des Geschichtenerzählens bemächtigt. In der Welt von Comic und Fantasy hausen übermächtige, geisterhafte Wesen, sie folgen eigentümlichen Regeln, die man tunlichst beachten sollte, wenn man als normal Sterblicher Ungemach und Schlimmeres vermeiden will. Ein Bereich, in dem abergläubische Praktiken besonders gut gedeihen, ist der Leistungssport. Es wird von Sportlern berichtet, die sich vor jedem Wettkampf in einem rituellen Akt willentlich übergeben, die immer zuerst mit dem linken Fuß das Spielfeld betreten oder die am Wettkampftag nur Geflügel essen – das natürlich auf eine ganz spezifische Art zubereitet sein muss. Man konnte die Verwandten eines berühmten Tennis-Stars beobachten, wie sie ständig auf den Boden spuckten, um der Treffsicherheit

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ihres Idols aufzuhelfen, es gibt Pferdehalterinnen, die immer mit schlammigen Schuhen zum Rennen gehen, Fußballspieler, die ihren Frauen verbieten, ins Stadion zu kommen und was dergleichen Kuriositäten mehr sind. Nicht wenige Personen vertrauen auf Glücksbringer, sie tragen bei Prüfungen besondere Kleidung (sie kleiden sich entweder besonders fein oder besonders schlampig), vermeiden die Begegnung mit unglücksbringenden Personen, benutzen nur ganz bestimmte Wege. Spieler glauben an die Existenz von Glücks- oder Pechsträhnen, Sportler sprechen von einem „Lauf“, wenn sie gerade eine Serie positiver Ergebnisse aufweisen können und sie unterliegen dabei einer „hot hand fallacy“, einer scheinbaren Aufhebung statistischer Gesetze. Martin Gimpl und Stephen Dakin (1984) erörtern die abergläubischen Züge, die vielen Managementpraktiken anhaften. Große Irrationalität findet man insbesondere in den unzähligen ausgeklügelten Versuchen, die Zukunft erkennen und bestimmen zu wollen. Dummerweise ist die Zukunft ungewiss, eine Einsicht, die Manager nicht daran hindert, unverdrossen untaugliche Prognosemethoden zum Einsatz zu bringen, etwa Trendschätzungen mithilfe der Regressionsrechnung, Methoden der Investitionsplanung, das Assessment Center usw. Dabei müsste man eigentlich ja wissen, dass diese Methoden nicht halten können, was sie versprechen und konsequenterweise verzichtet man auch ganz bewusst darauf zu prüfen, ob die Voraussagen eingetreten sind. Das ist auch insoweit folgerichtig, als man die Managementpraktiken nicht um ihres Erfolgs, sondern um ihrer psychologischen Funktionen willen einsetzt. Schließlich ist es (angeblich) besser, irgendeine Information zu haben als gar keine Information, und Zukunftsängste wollen beiseite gedrängt werden. Managementmethoden sind diesbezüglich hilfreich, weil das ihnen innewohnende systematische Vorgehen suggeriert, dass man die Dinge in der Hand behält. Eric Tsang (2004) berichtet über eine gänzlich unverhüllte abergläubische Praxis bei der Personalauswahl von Flugbegleitern, in der ein „Physiognomist“ zum Einsatz kommt, dem die Aufgabe zufällt, aus der Mimik der Kandidaten herauszulesen, ob in ihr die Anlage zu Flugzeugabstürzen zu erkennen ist. So offen wird der Aberglauben aber meist nicht betrieben, außerdem werden die meisten abergläubischen Auswahlentscheidungen unbewusst getroffen. Der Aberglaube kommt gewissermaßen über Sekundärmerkmale ins Spiel und orientiert sich beispielsweise an der Frage, ob ein Kandidat schon oft in seinem Leben „Pech“ gehabt hat, oder daran, ob er aus einer Firma kommt, die Konkurs anmelden musste. Dass abergläu-

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bische Assoziationen (Kauf-) Entscheidungen beeinflussen können, konnten Kramer und Block (2007) in mehreren Laborstudien zeigen. Wie oben bereits angesprochen, tut man gut daran, nicht hart zwischen Glauben und Aberglauben zu unterscheiden, Aberglaube tritt in eher milden, aber auch in härteren Formen auf. Dass sich in manchen Hochhäusern kein 13. Stock findet, dass etliche Hotels die Zimmernummer 13 nicht vergeben, dass nicht wenige Personen den Freitag, zumal den dreizehnten, für einen Unglückstag halten, dass Menschen dreimal auf Holz klopfen, dass sie sich gegenseitig Hals- und Beinbruch wünschen usw. sind relativ harmlose Kuriositäten. Dass sich nicht wenige Personen pseudomedizinischen und pseudopsychologischen Behandlungen unterziehen (Aura-Therapie, Bachblüten, energetische Psychotherapie, Neurolinguistische Programmierung usw.) ist schon wesentlich bedenklicher. Nachgerade beunruhigend ist allerdings der Zulauf, den esoterische Zirkel und Veranstaltungen verzeichnen können. Einen Eindruck davon, in welcher Weise auch gebildete Bevölkerungsschichten dem Unsinn der Esoterik anheimfallen, vermittelt beispielhaft die Lektüre der mehr als 400 Leserkommentare zu einem Zeit-Online-Artikel vom 31. 5. 2011 mit dem Titel „Der akademische Geist“ (www.zeit.de/zeit-wissen/2011/04/DossierEsoterik-Esoterisierung). Gustav Jahoda (1971) unterscheidet vier Formen des Aberglaubens. Die erste (öffentliche) Form ist oft Bestandteil einer allgemein geteilten Weltanschauung, sie umfasst alle Überzeugungen, die auf „höherer Einsicht“ beruhen und dabei mit wissenschaftlichem Geltungsanspruch auftreten, den Regeln der Wissenschaft aber bewusst nicht ausgesetzt werden. Eine zweite Form des (öffentlichen) Aberglaubens zeigt sich in tradierten, aber unsinnigen Glaubenssätzen und Regeln, wie die, dass man nicht unter Leitern hindurchgehen soll oder dass schwarze Katzen Unglück bringen, wenn sie unseren Weg von links (oder rechts?) kreuzen. Eine dritte Form des Aberglaubens richtet sich auf okkulte Erlebnisse von Einzelpersonen, wie beispielseise Spukerfahrungen oder das Hellsehen. Die vierte Form ist der persönliche Aberglaube und daher äußerst vielgestaltig, er richtet sich auf je eigene Glückszahlen, Maskottchen, magische Handlungen oder was auch immer. Konrad Zucker (1948) unterscheidet zwischen einem magischen, einem mystischen und einem auf Ahnungen beruhenden Aberglauben. Beim mystischen Aberglauben geht es primär darum, sich auf die übernatürliche kosmische Ordnung der Dinge einzustellen, etwa durch sakral-mystische Handlungen, Orakel, Opfergaben und Astrologie. Beim

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magischen Aberglauben kommt ein aktives Moment zum Zuge, es geht darum, das Geschehen in seinem Sinne zu lenken, also um die Wirksamkeit von Amuletten und Talismanen, um Hexenglaube und Zauberei. Der ahnende Aberglaube umfasst unter anderem Vorgefühle und die Traumdeutung sowie das Dämonen- und Gespensterwesen. Die von Zucker beschriebenen Formen stellen sehr stark auf das „jenseitige“ Moment des Aberglaubens ab. Es gibt aber auch einen „diesseitigen“ Aberglauben, der in seiner Bedeutung wahrscheinlich noch gewichtiger ist als der magische, mystische oder ahnende Aberglaube. Der diesseitige Aberglaube umfasst Überzeugungen und Handlungsgewohnheiten, auf die man in einem profanen Sinne „schwört“, von denen man sich nicht trennen will, weil sie einem das größte Glück versprechen oder die man nicht aufgeben kann, weil das mit den schlimmsten Konsequenzen verbunden wäre. Man erlaubt sich nicht die kleinste ideologische Abweichung, vertraut rückhaltlos der Weisheit der Autorität, ist auf strengste Weise prinzipientreu, hält sich strikt an Diät-, Kleider- oder Hygiene-Vorschriften, führt Handlungen nur auf die einzig als richtig erkannte Weise aus, schreckt nicht nur davor zurück, vom richtigen Pfad abzuweichen, allein schon die Vorstellung weckt größtes Unbehagen usw. Die Grenze zum Pathologischen ist beim profanen Aberglauben manchmal fließend, was aber natürlich im selben Maße auch für den jenseitigen Aberglauben gilt. Interessant ist dabei jedoch – und darüber sind sich fast alle Forscher einig – dass selbst Menschen, die mental völlig gesund sind, manchmal die abenteuerlichsten abergläubischen Vorstellungen entwickeln. Allerdings gelingt die Abschottung des normalen zum abergläubischen Denken nicht durchgängig; kognitive Dissonanzen aufgrund der widersprüchlichen Denkhaltungen sind nicht gänzlich zu vermeiden. Tsang berichtet beispielsweise von der Scham eines Managers, der seinem ehemaligen Professor gegenüber eingestand, dass er bei seinen Finanzentscheidungen eher dem Rat Gottes als der Cash-Flow-Analyse vertraut (Tsang 2004, S. 99).

3.2.3 Studie David Boynton (2003) berichtet über die Ergebnisse von drei Experimenten, in denen es (vordergründig) um die eingeschränkte Fähigkeit von Menschen geht, die Zufälligkeit von Ereignissen zu beurteilen und zu verstehen, weshalb bei deren Deutung leicht abergläubische Überlegungen

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zum Zuge kommen. Es ist bekannt, dass es Menschen schwer fällt abzuschätzen, ob eine Reihe von Ereignissen zufällig zustande gekommen ist oder ob dahinter ein bestimmtes Muster steckt. Geht man bei der Betrachtung einer Ereignisfolge von der Annahme aus, dass sich dahinter eine Systematik verbirgt, wird man selbst dann, wenn es sich um eine Zufallsreihe handelt, ein wie immer geartetes Muster entdecken. Verantwortlich hierfür ist unter anderem der bereits mehrfach erwähnte „Positive Bias“. Gemeint ist damit, dass Menschen sehr häufig ihre Aufmerksamkeit in erster Linie auf die Fälle richten, die den eigenen Vorstellungen entgegenkommen und die übrigen Fälle eher vernachlässigen. Ein derartiger „Bias“ führt zwangsläufig dazu, dass man seine Erwartungen bestätigt sieht. Umgekehrt kommt es zu einer Erwartungsenttäuschung, wenn man von einem Zufallsprozess ausgeht und dabei feststellen muss, dass ein bestimmtes Ereignis „unplausibel“ häufig auftritt (beim Roulette fällt die Kugel mehrmals hintereinander auf eine „Rot“-Zahl). In diesem Fall glauben viele Menschen, dass sich aufgrund dieser vorgeblich unwahrscheinlichen Ereignisfolge die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass beim nächsten Mal dieses Ereignis nicht wieder auftreten wird. Das ist die so genannte „Gambler’s Fallacy“, die manchen Spieler schon ein Vermögen gekostet hat. Die übliche Argumentation zur Erklärung dieser beiden Effekte stützt sich auf die Annahme, dass Menschen von einer Art lokaler Repräsentativität ausgehen, also glauben, dass der Ereignisausschnitt, den sie beobachten, das Gesamtgeschehen „repräsentativ“ wiedergibt. Boynton vertritt eine etwas andere Hypothese. Für die beiden Effekte seien häufig zufallsbedingte Erfolge bzw. Misserfolge verantwortlich, die falsch interpretiert würden. Die positive Scheinkorrelation in Zufallsfolgen – also der Positive Bias Effekt – wäre danach das Ergebnis abergläubischen Lernens: Wenn man wiederholt – zufällig – die richtige Voraussage gemacht hat, dann wird damit die dahinterstehende Hypothese verstärkt und entsprechend nicht so einfach wieder aufgegeben. Der Gambler’s Fallacy Effekt resultiert, so die Argumentation, aus einem falschen Umgang mit falschen Voraussagen. Ergibt sich beispielsweise die Ereignisfolge HHT (H und T sind die beiden möglichen sich ausschließenden Ereignisse), dann wird man beim nächsten Mal eher T erwarten als wenn die voranlaufende Ereignisfolge THT lautet (im ersten Fall ist T seltener aufgetreten). Ähnlich wird man nach der Ereignisfolge THT eher ein T erwarten als nach HTT (die Folge HTTT erscheint einem unwahrscheinlicher als die Folge THTT, weil

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in ihr dasselbe Ereignis dreimal und nicht wie im zweiten Fall nur zweimal hintereinander eintritt). In seinem ersten Experiment verwendete Boynton 100 zufällig angeordnete Karten, die je zur Hälfte entweder einen grünen oder einen rosafarbenen Punkt aufwiesen. Die Versuchsteilnehmer mussten voraussagen, welches Zeichen die jeweils nächste Karte aufweisen werde, die Karte wurde dann aufgedeckt, nach der nächsten Voraussage wurde die nächste Karte aufgedeckt usw. bis alle 100 Karten aufgedeckt waren. Aus dieser Versuchsanordnung ergeben sich zwei wichtige Informationen: Erstens die richtigen und falschen Voraussagen und zweitens das Muster der Ereignissequenzen. Boynton betrachtete jeweils die letzten vier Ereignisse vor der nächsten Voraussage. Eine mögliche Ereignissequenz ist beispielsweise: „grüner Punkt, grüner Punkt, grüner Punkt, rosa Punkt“, eine andere „rosa Punkt, rosa Punkt, rosa Punkt, rosa Punkt“. Die „abhängige Variable“ in dem Experiment ist die Häufigkeit, mit der eine zuvor getroffene Voraussage wiederholt wurde (wenn ein grüner Punkt vorausgesagt wurde, wurde dann das nächste Mal erneut ein grüner Punkt vorausgesagt? Wenn ein rosa Punkt vorausgesagt wurde, wurde dann das nächste Mal erneut ein rosa Punkt vorausgesagt?). Es stellte sich heraus, dass die Versuchsteilnehmer häufiger bei ihrer Voraussage blieben, wenn sie mit ihr richtig gelegen waren, wenn die Voraussage nicht eintraf wurde damit verglichen häufiger die Voraussage verändert. Das ist aber nicht das entscheidende Ergebnis. Von besonderem Interesse ist vielmehr der Interaktionseffekt, der sich aus dem Zusammenwirken der beiden unabhängigen Variablen ergibt, also aus dem Erfolg bei der Voraussage und aus der vorangegangenen Ergebnissequenz. Ist man mit seiner Voraussage erfolgreich, dann sollte – so die Hypothese von Boynton – die vorangegangene Ergebnissequenz keine Rolle spielen. Es sei in diesem Fall zu erwarten, dass man mehrheitlich bei seiner „erfolgreichen“ Voraussage bleibt (man folge dann einer „WinStay“ Strategie). Diese Hypothese wird vom Ergebnis des Experiments tatsächlich bestätigt. Was geschieht aber, wenn man mit seiner Voraussage nicht erfolgreich war: Folgt man in diesem Fall einer „Win-Shift“ Strategie, macht man das nächste Mal dann die gegenteilige Voraussage? So einfach ist es nicht. Vielmehr kommt es in diesem Fall, das zeigen jedenfalls die Ergebnisse von Boynton, sehr auf die vorangegangene Ereignissequenz an. Nach einer Sequenz „rosa-grün-rosa-grün“ beispielsweise wird man – falls man das letzte Mal falsch lag, im genannten Beispiel also „rosa“ vorausgesagt hat – beim nächsten Mal seine getroffene Voraussage noch relativ

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häufig wiederholen (also erneut „rosa“ voraussagen). Das ist deutlich anders zum Beispiel nach der Sequenz „rosa-grün-rosa-rosa“ und ganz dramatisch nach der Sequenz „rosa-rosa-rosa-rosa“: In diesen Fällen kommt es ganz überwiegend zu einem Wechsel der Voraussage, kaum jemand erwartet dann beim nächsten Mal nochmals eine rosa Karte – ein typischer Fall von Gambler’s Fallacy. Die beiden weiteren Experimente von Boynton waren ganz ähnlich aufgebaut, in ihnen kommen allerdings keine Karten, sondern Computerprogramme zum Einsatz, außerdem wurden in die Experimente verschiedene Kontrollvariablen eingebaut – im Kern ergaben sich dabei dieselben Resultate wie im ersten, hier geschilderten Experiment. Festgehalten werden kann, dass die Ergebnisse die oben angeführten Hypothesen von Boynton bestätigen: (A) Wenn man keinen Erfolg hat, versucht man aus dem Ergebnismuster herauszulesen, welche Strategie angemessen ist, das gelingt allerdings nicht, weil man dem Zufall eine Regelmäßigkeit unterstellt, die ihm nicht zukommt (Gambler’s Fallacy). (B) Im Erfolgsfall spielt das Muster der Ereignisse keine Rolle, dennoch verhält man sich nicht rational, vielmehr lässt man sich von seinem Erfolg dazu verführen, sein Verhalten auch für richtig zu halten, es kommt zu einem abergläubischen Lernen (vgl. auch Hake/Hyman 1953).

3.2.4 Erklärung (1) Es gibt einen berühmten Aufsatz aus dem Jahr 1948 von Burrhus Skinner, dem Hauptvertreter einer behavioristischen Psychologie, der sich explizit mit dem Thema „Abergläubisches Lernen“ befasst. Zwar geht es darin um die Konditionierung von Tauben, die Übertragung der in den Tierexperimenten gewonnenen Erkenntnisse auf das menschliche Verhalten bereitete Skinner aber bekanntlich keine grundsätzlichen Schwierigkeiten. Der Mechanismus, der in Skinners Experiment das abergläubische Verhalten hervorbringt, ist die zeitliche Kontiguität, das heißt die Gleichzeitigkeit von Belohnung und Verhalten (also ein ganz ähnlicher Mechanismus wie der im oben angeführten Experiment von Boynton). Im Falle der abergläubischen Konditionierung ist die Gleichzeitigkeit völlig vom Zufall bestimmt. Alle 15 Sekunden erhalten die Tauben eine Futterpille. Die Tauben sitzen nun nicht still da und warten geduldig auf die Pille (sie „durchschauen“ die Regelmäßigkeit der Futtergabe nicht, dafür haben sie nicht das notwendige Zeitgefühl), sondern sie bewegen sich in dem Käfig

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auf ihre je eigene Art. Je nachdem nun, welche der zufällig gerade ausgeführten Bewegungen mit der Belohnung zusammenfällt, ergibt sich im Laufe der Zeit ein jeweils ganz eigenes rituelles Verhaltensmuster. Manche Tauben schlagen beispielsweise regelmäßig zweimal mit den Flügeln, andere drehen sich zweimal links im Kreis, dann einmal rechts und beginnen wieder von vorn usw. Dieses Verhalten hat ja durchaus keinen Zweck, es leistet auch keinerlei Beitrag, um an das Futter zu gelangen, selbst wenn dies den Tauben anders erscheinen mag. Übertragen auf das menschliche Verhalten liegt der Aberglaube also in der falschen Überzeugung begründet, dass man mit seinem Verhalten einen kausalen Einfluss auf das Geschehen ausübt. Diese Überzeugung kann sich fälschlich aus der Beobachtung rein zufälliger Übereinstimmungen von Handlungen und Belohnungen herausbilden. Der einmal gebildete Aberglaube lässt sich umso weniger korrigieren, je nachdrücklicher er durch die „verabreichten“ Belohnungen verstärkt wird. Konditionierbar sind – das zeigen zahlreiche Studien des Skinnerschen Forschungsprogramms – nicht nur einfache Verhaltensweisen, sondern auch äußerst komplizierte Verhaltensabläufe, die hartnäckig und rigide immer wiederholt werden müssen. Vyse erklärt dies damit, dass wir im Alltag daran gewöhnt sind, etwas sehr genau und gewissenhaft zu machen (das Kuchenbacken kann z. B. leicht misslingen, wenn man sich nicht genau an das Rezept hält und wenn man nicht die vorgeschriebene Vorgehensweise einhält) und wir diese Verhaltensanforderungen auch bei unserem abergläubischen Tun einhalten (Vyse 1999, S. 101). Und wenn unser abergläubisches Verhalten nicht zum Erfolg führt, geben wir es nicht einfach auf, weil ja die Möglichkeit (und bei komplizierten Vorgängen die hohe Wahrscheinlichkeit) besteht, dass man die Regeln nicht richtig beachtet hat: „Wenn es einem Schamanen nicht gelingt, kranke Stammesangehörige zu heilen oder durch magische Rituale Regen hervorzubringen, stellt seine Gemeinde die Wirksamkeit der Magie in der Regel nicht in Frage; statt dessen vermutet man eher, bei dem Ritual sei ein Fehler passiert oder der Schamane sei ein Scharlatan“ (Vyse, 1999, S. 102). Eine ganz entscheidende Vorbedingung für abergläubisches Lernen ist, wie beschrieben, dass man die kausale Struktur des jeweiligen Geschehens nicht durchschaut. Für Killeen (1977) kommt es außerdem entscheidend darauf an, wie wichtig die Belohnung ist und mit welchem Aufwand das abergläubische Verhalten verbunden ist. Damit hätte der Aberglaube auch seine ökonomische Seite. Zollo (2009) weist darauf hin, dass es in konkreten Fällen nicht nur

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eine kausale Unbestimmtheit gibt, sondern dass oft außerdem das Ergebnis des Verhaltens mehrdeutig ist. Auch dieser Tatbestand kann zu abergläubischem Verhalten beitragen, denn schließlich eröffnet sich durch die Unbestimmtheit die Möglichkeit, die Ergebnisse seines Handelns als Erfolge zu interpretieren und damit umso stärker an seinen vermeintlich wirksamen Verhaltensweisen festzuhalten. Eine erhebliche Bedeutung kommt außerdem der „Erfahrung“ zu, eine Größe, die gern ins Feld geführt wird, um für sich besondere Kompetenz zu reklamieren. Wenn sich die Erfahrung aber aus dem Nebel abergläubischen Lernens zusammenbraut (was nicht selten der Fall ist), kann sie im höchsten Grade schädlich sein. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, an wichtigen Entscheidungen immer auch Personen mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen zu beteiligen und das Wissen, auf das man sich bei seinen Entscheidungen stützt, explizit zu machen, weil es nur dann auch nachvollziehbar und kritisierbar wird. (2) Die gängigste Erklärung für den Aberglauben stellt auf das Kontrollbedürfnis ab. Wenn man sich sonst nicht helfen kann, greift man auf symbolische Formen der Kontrolle zurück und um nicht ganz hilflos dazustehen und überhaupt nichts zu tun, nimmt man Zuflucht zu Handlungen, die einem wenigstens die Illusion geben, das Geschehen beeinflussen zu können. Empirische Studien zeigen denn auch, dass mit zunehmender Unsicherheit die Neigung wächst, zu abergläubischem Denken und Handeln Zuflucht zu nehmen (Langer 1975; Case u. a. 2004). Berühmt ist die Darstellung von Malinowski, der über magische Praktiken in der Südsee berichtet. Beim ungefährlichen Fischen in der Lagune verzichteten die Tobriander vollständig auf den Einsatz magischer Praktiken, das mit wesentlich größeren Gefahren verbundene Fischen in der Tiefsee wurde dagegen von umfangreichen Zeremonien begleitet (Malinowski 1954). (3) Unsicherheit ist oft (nicht immer) mit Angst besetzt. Deshalb sehen viele Forscher in abergläubischem Verhalten auch einen Mechanismus zur Angstreduktion. Man bannt die Gefahr angesichts drohender konkreter Gefahren, und man begegnet existenziellen Ängsten, indem man sich bestimmter Praktiken bedient, die Orientierung und Halt geben. Oft ist es aber auch genau umgekehrt: Wenn man es mit abergläubischen Praktiken zu tun bekommt, dann entstehen eigentlich erst die Ängste, die es zu vermeiden gilt. Aber das ist wahrscheinlich gar kein Paradox, sondern lediglich Ausdruck der engen Verbindung, die Angst und Aberglauben eingehen.

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(4) Die Angstverminderungs-These ist ein typischer „funktionaler“ Erklärungsansatz. Abergläubische Überzeugungen und Verhaltensweisen tragen dazu bei, die für die Handlungsfähigkeit notwendige psychische Stabilität zu gewährleisten. Neben der Vermeidung unkontrollierter Ängste gibt es eine ganze Reihe von weiteren, insbesondere auch von sozialen Funktionen, die der Aberglaube bedienen kann. Ein Beispiel ist die Affirmation der gegebenen Verhältnisse: Man vergewissert sich mit abergläubischen Riten seiner Traditionen und wehrt damit Forderungen nach Veränderungen ab, auf die man nicht vorbereitet ist oder aus denen Konflikte erwachsen könnten, denen man sich nicht stellen will oder kann. Nicht selten dienen abergläubische Praktiken umgekehrt dazu, Veränderungen zu initiieren oder gefahrvolle Unternehmungen zu starten. Die martialischen Riten, die Kampftruppen vor dem Beginn einer Schlacht praktizieren, liefern hierfür eindrückliche Beispiele. Gemeinsame rituelle Praktiken stärken außerdem die Gemeinschaft und tragen zum inneren Zusammenhalt bei. Bemerkenswert ist, dass der Aberglaube – so irrational er ist – auch eine rationale Funktion haben kann. Ein Beispiel ist das Orakel der Labrador Indianer, von dem Omar Moore (1957) berichtet. Bei diesem Orakel wird der Schulterknochen eines Karibus über das Feuer gehalten. Die sich durch die Erhitzung im Knochen bildenden Sprünge dienen als Landkarte, aus der man die Richtung für den anstehenden Jagdzug herausliest. Ein solches Vorgehen führt natürlich ebenso zu zufälligen Ergebnissen wie das Werfen von Münzen und es ist genauso rational: Wenn man den richtigen Weg nicht kennt, kann man gleich den Zufall entscheiden lassen, er nimmt einem immerhin eine schwierige Entscheidung ab und im vorliegenden Fall ergibt sich sogar ein ökologischer Nutzen, denn dadurch, dass man – zufallsgesteuert – immer verschiedene Gegenden des Jagdgebietes durchstreift, wird eine Überjagung und damit eine mögliche Ausrottung der Jagdtiere vermieden. (4) Die am häufigsten angeführte psychoanalytische Erklärung des Aberglaubens stützt sich auf die in der Natur des Menschen verankerte Neigung zur Projektion, das heißt auf die Tendenz, die jeweils eigenen Gefühle und Wünsche auf die Umwelt zu projizieren, also die eigenen Bestrebungen und Befürchtungen anderen und nicht sich selbst zuzuschreiben. Der Dämonenglaube etwa resultiert (nach Freud) aus den eigenen feindseligen Gefühlen, die die Überlebenden gegenüber den Verstorbenen hegen, aus Gefühlen, die man sich nicht eingestehen kann und die

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man daher den Verstorbenen zuschreibt (Freud 1956, S. 71 f.). Dieser Ansatz lässt sich problemlos auch auf jede Form des „positiven“ oder „negativen“ Aberglaubens des Alltags übertragen, dieser wäre dann schlichtweg Ausdruck des Wunschdenkens oder uneingestandener Gefühle. (5) Eine wesentlich bodenständigere Erklärung für das Entstehen abergläubischer Überzeugungen liegt in der Eindrücklichkeit, die kontrafaktisches Denken besitzen kann (Miller/Taylor 2002). Kontrafaktische Gedanken sind Gedanken, die sich auf nicht eingetretene oder auf nur möglicherweise eintretende Geschehnisse beziehen. Sie finden Ausdruck in Fragen wie „Was wäre, wenn …“ oder „Was wäre geschehen, wenn nicht …“. Sie drängen sich auf, wenn wir beispielsweise gerade noch einem Unglück entgangen sind oder knapp ein Ziel verfehlt haben. Wegen ihrer Eindrücklichkeit brennen sie sich ins Gedächtnis ein – und werden bei gegebenem Anlass daher leicht erinnert. Besonders stark ist die Wirkung, wenn kontrafaktisches Nachdenken durch eigenes Handeln veranlasst wird, wenn man also etwa in einen Unfall verwickelt wurde, „nur“ weil man einmal einen anderen Weg als sonst genommen hat oder wenn man das Spiel hätte gewinnen können, wenn man vor dem Anpfiff nicht dummerweise die falschen Schuhe gewählt hätte usw. Man wird durch solche Überlegungen dazu verführt, immer nur den gewohnten Weg zu gehen und immer nur mit den „richtigen“ Schuhen Fußball zu spielen. Kontrafaktisches Denken wird aber nicht nur durch Erinnerung an Geschehenes, sondern auch durch die Vorausschau auf noch nicht eingetretene, aber mögliche Geschehnisse ausgelöst und durch das mögliche Bedauern, das eine falsche Entscheidung veranlassen kann. Wer sich immer wieder der vielen Komplikationen erinnert, die ihm einmal ein verpasster Zug eingebracht hat, wird leicht die Angewohnheit entwickeln, immer zu früh am Bahnhof zu sein und sich davon auch von der Ungemütlichkeit zugiger Bahnsteige nicht abbringen lassen. (6) Selten angeführt, aber umso interessanter ist die Verankerung des Aberglaubens in der „Theorie von der Gerechten Welt“ (Lerner 1980). Viele Menschen hängen der Vorstellung an, dass die Welt im letzten Grunde „in Ordnung“ sei und es „letztlich“ auf ihr auch gerecht zugehe. Ausdruck findet diese Vorstellung beispielsweise in der Überzeugung, dass jeder das bekommt, was er auch verdient. Brevers u. a. (2011) sind der Auffassung, damit ließe sich erklären, warum viele Spitzensportler vor dem anstehenden Start abergläubische Rituale vollziehen. Nach all den Vorbereitungen, den Entbehrungen und Anstrengungen versichere man

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sich durch derartige Praktiken, dass man nun wirklich nichts unterlassen hat, um sein Ziel schließlich zu erreichen. Diese Erklärung ist aber nicht sehr überzeugend, denn wenn man ohnehin schon alles getan hat, was man billigerweise erwarten kann, wozu bedarf es dann noch magischer Übungen? Der Aberglaube, man müsse rituelle Praktiken praktizieren um schließlich erfolgreich zu sein, wird bei dieser Art der Betrachtung ja schon vorausgesetzt und nicht etwa erklärt. Dennoch ist der angeführte Erklärungsansatz nicht völlig abwegig und zwar deswegen nicht, weil ja auch der Glaube an eine gerechte Welt ein Aberglaube ist, hinter dem sich viele weitere abergläubische Überzeugungen versammeln können. Wer meint, es ginge immer gerecht zu, wird bei allem Negativen, was geschieht, stark versucht sein, auch einen „Schuldigen“ auszumachen, Zufallseinflüsse zu leugnen und Verschwörungstheorien anzuhängen usw. Dass aus Aberglauben weiterer Aberglauben folgt, gilt natürlich nicht nur für den Aberglauben von einer gerechten Welt, sondern ebenso für alle anderen abergläubischen (und allgemeiner: für alle ideologiedurchtränkten) Grundüberzeugungen. Diese verführen ihre Anhänger dazu, für alles vermeintlich Unerklärliche Erklärungen zu finden – und seien sie noch so abstrus und abergläubisch – wenn sie nur geeignet sind, die eigenen Grundüberzeugungen zu stützen. (7) Man kann einer abergläubischen Überzeugung interessanterweise auch deswegen anhängen, weil sie sich bewährt hat, weil die abergläubische Praxis die Wirkungen hervorbringt, die man sich erwünscht (z. B. Damisch/Stoberock/Mussweiler 2010). Praktische Bewährung setzt schließlich keine Wahrheit voraus. Man sieht dies besonders eindrücklich beim so genannten Placebo-Effekt – und der Aberglauben kann ein starkes Placebo sein. Es gibt zahlreiche Studien, die die Wirksamkeit von Placebos belegen. Eine dieser Studien stammt von Kirsch und Weixel (1988). Sie gaben ihren Versuchspersonen koffeinfreien Kaffee zu trinken. Diese berichteten anschließend, sie fühlten sich wacher und angespannter, es wurden sogar Blutdruckveränderungen festgestellt und das alles nur deswegen, weil die Versuchspersonen glaubten, es handele sich um „echten“ Kaffee, also Kaffee mit Koffein. Besonders interessant an diesem Experiment ist der beobachtete Autoritätseffekt. In einer der Versuchsbedingungen wurde den Teilnehmern gesagt, es handele sich um einen Doppel-Blind-Versuch, bei dem weder die Versuchsperson noch der Versuchsleiter zum Zeitpunkt der Kaffeegabe weiß, ob es sich im konkreten Fall um koffeinhaltigen oder koffeinfreien Kaffee handelt. Die Teilnehmer mussten daher damit rech-

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nen, dass sie eventuell einem Placebo aufsitzen. In der anderen Versuchsbedingung wurde den Versuchsteilnehmern vom Versuchsleiter unmissverständlich gesagt, dass es sich um „echten“ Kaffee handele (obwohl das nicht stimmte). Die angeführten Placebo-Effekte zeigten sich nur in der betrügerischen Situation, also in der Situation, in der die Versuchsteilnehmer nicht mit möglichen Placebo-Wirkungen rechneten. Die Logik hinter der Placebo-Wirkung ist einfach: Es ist nicht der Wirkstoff der wirkt (er ist beim Placebo ja gar nicht vorhanden), sondern die Placebo-Gabe: Sie stößt psychische Prozesse an, die die erwarteten Wirkungen – bei Medikamenten-Placebos also eine Besserung des Befindens – herbeiführen oder zumindest unterstützen können (Zuversicht, Ablenkung, Aufgeben der Leidenshaltung, Aktivität usw.). Der Aberglaube kann als Placebo also durchaus „positive“ Wirkungen haben, weil er beispielsweise zu besonderen Leistungen stimuliert, zu mentaler Beruhigung beiträgt usw. Mancher Aberglaube kann, als so genannter „Nocebo“, aber auch genau das Gegenteil bewirken, also Furcht einflössen, einschüchtern und handlungsunfähig machen.

3.2.5 Zusammenhänge Alle Faktoren, die die im vorangegangenen Abschnitt angeführten Wirkgrößen begünstigen, führen – jedenfalls in einem statistischen Sinne – zu einem Anstieg der Wahrscheinlichkeit abergläubischen Verhaltens. Brevers u. a. (2011) befragten Sportler zu unterschiedlichen Wettkampfszenarien und ihren jeweiligen Ritualen in der Vorbereitung dieser Wettkämpfe. Es stellte sich heraus, dass Sportler dann vermehrt von abergläubischen Gefühlen heimgesucht werden und zu abergläubischen Ritualen Zuflucht nehmen, wenn sie dem jeweiligen Wettbewerb große Bedeutung beimessen und wenn ihnen der Ausgang sehr ungewiss erscheint. Der Bezug zu der oben angeführten bedürfnisorientierten Erklärung liegt auf der Hand: Die induzierte psychische Spannung löst das Bedürfnis nach Kontrolle aus, das abergläubische Ritual ist das Mittel, um diese Kontrolle herbeizuführen. Abergläubische Reflexe dürften in Situationen der Mehrdeutigkeit und Ungewissheit vor allem bei Personen hervortreten, die über eine nur geringe Ambiguitätstoleranz verfügen, die mehrdeutige Situationen also als psychisch besonders belastend empfinden (Gimpl/Dakin 1984; Keinan 1994). „Günstige“ Bedingungen für das

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Erwecken abergläubischen Denkens findet man ganz generell in Stresssituationen und außerdem immer dann, wenn starke Gefühle im Spiel sind. Festgestellt wurde außerdem, dass negative Verstärkungen eher geeignet sind abergläubische Reaktionen hervorzurufen als positive Verstärkungen (Aeschleman/Rosen/Williams 2003). Auch in den menschlichen Denkstrukturen finden sich Anlagen zum Aberglauben. So führen fest verankerte kognitive Schemata und Skripts oft zu „gedankenlosen“ Attributionen und Handlungsweisen und bleiben erhalten, solange die Ergebnisse nicht verblüffen und so lange man Fehlattributionen oder negative Konsequenzen hinwegerklären kann. Sie tragen damit zu abergläubischem Lernen bei (Ashforth/Fried 1988). Kramer und Block (2007) stellten fest, dass der Effekt von abergläubischen Assoziationen insbesondere dann stark ist, wenn diese unbewusst zustande kommen. Auch Denkstrategien haben Einfluss auf die Entwicklung abergläubischer Überzeugungen. Ein Beispiel hierfür ist das induktive Vorgehen. Induktives Vorgehen ist dadurch gekennzeichnet, dass man bei der Analyse einer Situation von den vorliegenden Informationen ausgeht und sich die dazu passende Überzeugung sucht. Damit setzt man sich sehr stark dem Risiko aus, Scheinkorrelationen und den darauf beruhenden abergläubischen Überzeugungen aufzusitzen, eine Gefahr, die bei einem deduktiven Vorgehen wesentlich geringer ist (Rice 1985). Schließlich gibt es, wie zu erwarten war, auch eine Reihe von Persönlichkeitseigenschaften, die die Neigung, abergläubische Vorstellungen zu entwickeln, verstärken können. Beispiele hierfür sind Ängstlichkeit, Neurotizismus, Ich-Schwäche, Materialismus, ein geringes Selbstwertgefühl und eine geringe Intelligenz (Vyse 1999; Mowen/Carlson 2003; Damisch 2008). Wie so oft bei der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Verhalten belegen die einschlägigen empirischen Studien zwar den beschriebenen Einfluss der genannten Eigenschaften, die ermittelten Korrelationen sind in aller Regel aber nicht sonderlich stark.

3.2.6 Würdigung Es mag sein, dass es „durch und durch“ abergläubische Menschen gibt, das ist aber selten. Aberglaube ist keine Persönlichkeitseigenschaft. Manche Menschen sind in der einen, andere in einer anderen Hinsicht abergläubisch, die abergläubischen Überzeugungen sind außerdem meistens nur

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lose (mitunter aber auch enger) mit den „normalen“ Überzeugungen verknüpft. Sehr häufig geht der Aberglauben außerdem nicht besonders tief, er ist dann eher eine Art „Halbglauben“. Wenn man abergläubische Sportler daraufhin befragt, bestreiten viele denn auch, dass hinter ihrem abergläubischen Tun tatsächlich ein echter Glaube steckt, gleichzeitig sagen sie aber auch, dass Glücksbringer und Rituale ja vielleicht doch helfen, jedenfalls könnten sie einen darin unterstützen, sich auf den Wettkampf einzustimmen (Case u. a. 2004). Möglicherweise ist diese paradoxe Einstellung zu den eigenen Ritualen auch nur eine Entlastungsstrategie, man verwischt die Grenzen zwischen Aberglauben und Psychotechnik und ist damit auf der sicheren Seite. Etwas rationales Licht borgt sich auch das Argument, dass Menschen ihren Aberglauben ja normalerweise leicht durchschauen und ihn daher in seine Grenzen verweisen könnten. Und einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Rechtfertigung des Aberglaubens geht derjenige, der darauf hinweist, dass es manchmal besser oder zumindest einfacher ist, sich auf ihn einzustellen als ihn zu bekämpfen. Warum sollte man sich nicht neue Büroräume mit einer positiven Ausstrahlung suchen, wenn die Kollegen über die negativen energetischen Schwingungen ihrer Arbeitsplätze klagen? Und wie ist es mit folgendem Beispiel? In China gilt die vier als Unglückszahl, in der Taiwanesischen Marine vermeidet man es daher, den Schiffen eine Nummer zu verpassen, die sich auf vier addiert (die Aussprache des chinesischen Wortes für „Vier“ klingt ähnlich wie für das Wort „Tod“). Soll man nur um der Vernunft zu ihrem Recht zu verhelfen, die Ängste und Befürchtungen der Matrosen ignorieren? Tsang (2004), von dem die beiden Beispiele stammen, plädiert dafür, anzuerkennen, dass es durchaus vernünftig sein kann, den Aberglauben der Leute zur Kenntnis zu nehmen und sich darauf einzustellen. Stuart Vyse geht noch weiter und vertritt die Auffassung, das abergläubische Verhalten selbst könne rational sein (Vyse 1999, S. 206 ff.). Hierzu unterscheidet er zwischen einer Rationalität der Überzeugungen und einer Rationalität des Handelns. Er gesteht zu, dass abergläubische Überzeugungen nicht rational sind und zwar schon aus rein begriffslogischen Gründen nicht, denn schließlich ist der Aberglaube dadurch definiert, dass er sich über vernünftige Einsichten hinwegsetzt. Aber abergläubisches Verhalten könne „nützlich“ sein, bestimmte abergläubische Handlungen seien völlig unschädlich, das heißt sie behinderten die Zielerreichung nicht und legten ihr auch keine sonderlichen Kosten auf. Sie stifteten unter Umständen aber einen Nutzen, sie trügen angesichts großer Herausforderungen zur Be-

Aberglaube

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ruhigung bei, sie mobilisierten Energie, stärkten die Zuversicht usw. Als Beispiel nennt Vyse das Verhalten eines Kollegen, der als Student an Prüfungstagen immer ein Rubbellos gekauft hat, nur um sich zu vergewissern, dass er wieder nichts gewonnen hatte. Was ganz in seinem Sinne war, denn, so seine Auffassung, zweimal am Tag könne er schließlich nicht Pech haben, also müsse die Prüfung gut ausgehen. Sofern man zugestehen will, dass es manchmal „taktisch“ gesehen von Vorteil ist, sich selbst zu überlisten, kann man auch zugestehen, dass aus Aberglauben ein (kurzfristiger) Profit erwachsen kann, vernünftig wird man ein derartiges Verhalten aber doch nicht nennen können. Denn zur Vernunft gehört, dass sie zur Anwendung kommt, dass man aufgrund von Gründen handelt und dass man sich Rechenschaft über diese Gründe gibt. Man kann vernünftiges Handeln nicht von vernünftigem Denken trennen, die Vernunft auszuschalten ist nicht vernünftig. Aber ist das nicht zu streng, folgt man nicht einem übertrieben puristischen Vernunftverständnis, wenn man Vernunft selbst dort einfordert, wo die Unvernunft nützlicher ist? Aberglauben kann Ängste bannen, ist das nicht hinreichend, um ihn zuzulassen? Jedenfalls ist es nicht hinreichend bedacht, denn es gibt ja durchaus auch vernünftige Möglichkeiten, um gegen Ängste anzugehen (Besonnenheit, Verhaltenstherapie, Persönlichkeitsentwicklung usw.), warum sollte man sich daher auf esoterischen Hokuspokus einlassen, der das Denken und damit die Haltung zu sich selbst korrumpiert? Aber ist Aberglaube nicht viel harmloser als das der letzte Satz suggeriert, kann ein kleiner Aberglaube zum Hausgebrauch wirklich so schädlich sein? Schließlich tun Menschen viel „Unvernünftiges“, sie essen Buttercremetorten, rauchen dicke Zigarren, sammeln Krawattennadeln und Bierdeckel, schunkeln und schnalzen mit der Zunge. Was spricht aus dieser Sicht dagegen, sich einen kleinen Zoo harmlosen Aberglaubens zuzulegen? Natürlich soll man jedem seinen Tick lassen, sofern er sich selbst und andere nicht schädigt oder belästigt – man muss und sollte Ticks aber nicht vernünftig nennen. Doch darum geht es ja eigentlich auch nicht, denn harmlose Unvernunft kann einen ja ganz generell kalt lassen, dass Aberglaube aber immer harmlos ist, wird man kaum ernsthaft behaupten wollen, nicht im ganz privaten und schon gar nicht im politisch-gesellschaftlichen Bereich, wie eigentlich jeder weiß.

4 Wünsche und Motivationen 4.1 Egoismus Was könnte die Lösung sein? Wir konnten keine finden, die gefällt. Soll es ein anderer Mensch sein oder eine andere Welt? Vielleicht nur andre Götter? Oder keine? Bertolt Brecht: Der gute Mensch von Sezuan. Epilog

4.1.1 Begriff Dieses Buch beschäftigt sich mit Entscheidungsdefekten. Welchen Platz hat da ein Kapitel über den Egoismus? Geht es bei der Rationalität nicht um die Maximierung des eigenen Nutzens? Und ist dieses Verhalten nicht die Grundlage rationaler Entscheidungen? Wäre daher ein nicht-egoistisches Verhalten der eigentliche Entscheidungsdefekt? Oder erübrigt sich nicht eigentlich jede Diskussion, weil letztlich alles Verhalten von Menschen dem Eigennutz dient? In diesem Fall ginge es in der Tat nicht darum, die abträglichen Folgen des Egoismus zu untersuchen, sondern darum, zu verstehen, wie es dazu kommt, dass Menschen ihren Egoismus nur unvollkommen umsetzen, warum es nicht jeder und immer schafft, auch ein rationaler Egoist zu sein. Christine Korsgaard (2004) nennt die Auffassung, alle Wünsche seien egoistisch, „Psychologischen Egoismus“. Davon zu unterscheiden sei der „Rationale Egoismus“. Dieser setzt voraus, dass man neben egoistischen eben auch nicht-egoistische Projekte verfolgen kann. Ein Element des Rationalen Egoismus ist der Ich-Bezug. Aber nicht jeder Ich-Bezug ist auch gleich egoistisch. Es gibt Dinge, die man für sich selbst will und Dinge, die man für andere will, und es gibt Dinge, die man „unpersönlich“ will (Korsgaard 2004, S. 173). Einem Wissenschaftler, der sich um die Veröffentlichung einer Forschungsarbeit bemüht, geht es vielleicht primär um das Ansehen, das ihm die Publikation verschafft, möglicherweise will er aber auch einen Kollegen unterstützen, dessen

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Wünsche und Motivationen

Theorie durch die eigenen Forschungsergebnisse untermauert wird, vielleicht sind ihm aber weder Ruhm noch Parteinahme wichtig und ihn bewegen einfach sein Erkenntnis- und Wahrheitsstreben und der Wunsch, seine Einsichten der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, gleichgültig ob diese nun dem Sinnbedürfnis des Publikums entsprechen oder zu Desillusionierung und Depression Anlass geben. Neben dem (speziellen) IchBezug gehört zum Egoismus die Befolgung des „Instrumentellen Prinzips“, womit Korsgaard die Aufforderung bezeichnet, immer auch die (geeigneten) Mittel für die je individuellen Zwecke zu ergreifen. Oft spricht man in diesem Fall auch von formaler Rationalität. Wer das Instrumentelle Prinzip befolgt, ist deswegen jedoch noch nicht egoistisch, denn dieses Prinzip sagt ja nichts darüber aus, um welche Zwecke es gehen soll. Das wäre anders, wenn man unterstellen könnte, dass eine Person immer gerade das will, was sie gerade will. Davon kann man jedoch nicht ausgehen. Verfolgt man ein Projekt, dann muss man beispielsweise andere Projekte zurückstellen; wenn man ein Ziel anstrebt, muss man oft Mühsal und Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen, man muss andere Pläne aufgeben, auf die Befriedigung von Bedürfnissen, die einem ebenfalls wichtig sind, verzichten usw. Menschliches Handeln verlangt also, dass man abwägt, was gut für einen ist. Das Abwägen allein ist jedoch noch nicht egoistisch. Das Egoistische im Egoismus ist die „Form des Abwägens“, die er empfiehlt: „Es ist das Streben nach Befriedigung“ (Korsgaard 2004, S. 173). Damit ist man allerdings noch nicht am Ende. Denn man sollte Befriedigung nicht mit Hedonismus (Vergnügen) verwechseln. Außerdem muss man zwischen objektiver und subjektiver Befriedigung unterscheiden. Subjektive Befriedigung (Egoismus) ist eine besondere Form des Vergnügens, ein Vergnügen am Wissen oder Glauben, dass ein Wunsch befriedigt worden ist. „Subjektive Befriedigung ist die angenehme Wahrnehmung einer objektiven Befriedigung und somit begrifflich abhängig von objektiver Befriedigung“ (Korsgaard 2004, S. 174). Offenbar ist es also nicht so einfach mit der Bestimmung des Egoismus. Das mag erstaunen, weil es uns im Alltagshandeln in aller Regel leicht fällt, egoistisches Verhalten als solches zu erkennen und von nichtegoistischem Verhalten abzugrenzen. Auch kennt die Sprache viele Wörter und Redensarten, in denen die verschiedensten Formen, Varianten und Schattierungen des Egoismus zum Ausdruck gebracht werden. Wer beispielsweise ichbezogen oder selbstsüchtig, narzisstisch, geizig, gierig, materialistisch, unsozial, feige, hartherzig, lieblos, gefühllos, rücksichtslos,

Egoismus

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gewissenlos, zügellos oder unmenschlich ist, der demonstriert damit ein gerüttelt Maß an Egoismus. Und ein Zeitgenosse, dem sein Hemd näher ist als sein Rock, der anderen gern das Fell über die Ohren zieht, dünne Bretter bohrt, niemanden mitkommen lässt oder mit gezinkten Karten spielt, ein solcher Zeitgenosse wird gar nicht verstehen, was es heißt, brüderlich zu teilen. Und auch der Wissenschaft fällt es offenbar nicht schwer, Egoismus zu identifizieren. Jedenfalls gibt es eine Reihe von Skalen, mit denen man versucht, primär ich-bezogene Eigenschaften und Einstellungen abzuschätzen. Bemerkenswerterweise richtet sich das Interesse dabei aber nicht so sehr auf den Egoismus als vielmehr auf den Altruismus (z. B. Sawyer 1966; Lee/Lee/Kang 2003; vgl. aber Weigel/Hessing/Elffers 1999; De Vries u. a. 2009), der als das natürliche Gegenstück des Egoismus betrachtet wird (was, nebenbei gesagt und wie oben schon beschrieben wurde, eine Vereinfachung ist, weil es neben ich- und sozialbezogenen Motivationen ja auch Motivationen gibt, die ganz andere Bezugspunkte, z. B. Prinzipien, Aufgaben, Aktivitäten usw., aufweisen). Aber nicht nur bei der Skalenkonstruktion, auch ganz generell richtet sich das wissenschaftliche Interesse primär auf den Altruismus und nicht etwa auf den Egoismus. In der Datenbank „Business Source Premier“ beispielsweise finden sich (Ende Juni 2011) nur wenige Beiträge (nämlich 31), in denen im Titel das Wort „Egoismus“ auftaucht, und recht viele Beiträge (nämlich 467), mit dem Begriff „Altruismus“ im Titel. Dies kann durchaus als Hinweis dafür gelten, dass Verhaltensforscher im Altruismus das interessantere Phänomen sehen, also das Phänomen, das im eigentlichen Sinne erklärungsbedürftig ist und zwar vermutlich deswegen, weil die meisten Verhaltenstheorien wie selbstverständlich davon ausgehen, dass die Grundmotivation des Menschen egoistisch ist. Auf den Gegensatz zwischen selbst- und sozialbezogenen Orientierungen gründet Morton Deutsch (1973) eine systematische Zusammenstellung verschiedener Motivlagen (Tabelle 1). Diese Übersicht ist vor allem auch deswegen interessant, weil sie zeigt, dass schon zwei Dimensionen genügen, um ein differenziertes Motivspektrum auszumachen, das im Übrigen, wenn man ganz konkrete Situationen betrachtet, noch wesentlich vielschichtiger sein dürfte. Denn schließlich geht es Menschen – anders als in dem Schema von Deutsch unterstellt wird – nicht nur um „Ergebnisse“, sie wollen mit ihren Handlungen nicht nur positive Ergebnisse erzielen oder negative Ergebnisse vermeiden, sie wollen mit ihren Aktionen auch

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Wünsche und Motivationen

etwas sagen, sie wollen belehren, warnen, beeindrucken, bestrafen, belohnen und nicht zuletzt auch (sich selbst und andere) „motivieren“. Motivationale Orientierung

VerhaltensMaxime

Motivationale Orientierung

VerhaltensMaxime

Individualistisch

max. S!

Rivalisierend

max. (S – O)!

Masochistisch

min. S!

Egalitär

min. (S – O)!

Altruistisch

max. O!

Selbsterniedrigend

max. (O – S)!

Feindlich

min. O!

Defensiv

min. (O – S)!

Kollektivistisch

max. (S + O)!

Nihilistisch

min. (S + O)!

Tabelle 1: Motivationale Orientierungen (nach Deutsch 1973, S. 182 aus Irle 1975, S. 423 f.)

4.1.2 Beispiele Beispiele für Egoismus aufzuzählen macht wenig Sinn, sie sind ohne Zahl und jeder ist täglich mit ihnen konfrontiert. Es gibt Philosophen (Epikur, Thomas Hobbes, Max Stirner, Ayn Rand usw.), literarische Gestalten (Falstaff, Don Juan, Peer Gynt usw.) und Prediger (Marktliberale, Motivationstrainer, Chauvinisten usw.) des Egoismus, und es gibt natürlich auch viele Geschichten zum Egoismus. Interessant sind dabei weniger die Schurkenstücke, als vielmehr die Fälle, in denen vorgeblich edle Motive als zutiefst egoistisch entlarvt werden (William Elliot in Jane Austens „Persuasion“) sowie die Fälle, in denen sich scheinbar egoistisches Verhalten als selbstlos und ehrenhaft entpuppt (Cordelia in Shakespeares „King Lear“). Solche Geschichten folgen üblicherweise einem Denkschema, das egoistisches Verhalten als schädlich verdammt und selbstloses Verhalten begrüßt, weil es nützlich ist. Das muss natürlich nicht immer stimmen. In seiner provokativen Schrift „Die Bienenfabel. Private Laster und öffentliche Vorteile“ aus dem Jahr 1714 beschreibt Bernard Mandeville, wie aus dem selbstsüchtigen Handeln der Bürger Wohltaten für das Gemeinwesen entstehen können. Adam Smith gründet seine Theorie von der unsichtbaren Hand auf ähnliche Vorstellungen. Danach stachelt die freie Wirtschaftstätigkeit den (egoistischen) Erwerbstrieb an, woraus – gebändigt und gelenkt durch die Institutionen der Marktwirtschaft – der Wohlstand der Nationen erwächst. Die Hoffnung, dass Wettbewerbsverhalten nütz-

Egoismus

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lich ist, findet man häufig auch im Sport, etwa wenn ein Fußballtrainer hartes Konkurrenzdenken unter den Spielern fördert, um ganz allgemein das Leistungsniveau anzuheben, was es ihm außerdem ermöglicht, aus dem Pool der Besten eine erfolgreiche Mannschaft zusammenzustellen. In beiden Fällen wird der Egoismus ganz bewusst instrumentalisiert. Es gibt daneben aber auch den Fall, in dem sich positive Nebenwirkungen gewissermaßen unabsichtlich einstellen. Ein Beispiel sind die Eltern, die vor allem deswegen Kinder bekommen, damit sie sich sozial gut präsentieren können und im Alter nicht allein sind. Diese Eltern handeln damit aus selbstsüchtigen Motiven heraus und nicht, weil sie sich dem Wohl ihrer Kinder verpflichtet fühlen; quasi „nebenbei“ liefern sie damit aber immerhin einen Beitrag zur Sicherung der Rente aller. Egoistisches Verhalten kann also „prosozial“ sein, sofern die positiven sozialen Nebenwirkungen die negativen Direktwirkungen übertreffen. Und umgekehrt kann auch prosoziales Verhalten schädlich sein, nämlich dann, wenn die negativen Nebenwirkungen dieses Verhaltens größer sind als die positiven Direktwirkungen. Auch hierfür sei ein Elternbeispiel angeführt: Nicht wenige Eltern sind „überfürsorglich“ um ihre Kinder bemüht, sie wollen sie vor allen Beeinträchtigungen und Belastungen bewahren, sie glücklich machen und erfüllen ihnen daher jeden Wunsch – Erziehungsmuster, die dem Wohl ihrer Kinder sicher nicht förderlich sind. Prosoziales Verhalten wird von den Interaktionspartnern mitunter leider auch einfach falsch verstanden, Nachgiebigkeit gilt als Schwäche, ein Entgegenkommen als Einladung zur Ausbeutung, Freundlichkeit als Beweis der Zuneigung. Hilfe, die die Selbsthilfe unterminiert (ein Vorwurf, der vielen Maßnahmen der Entwicklungshilfe gemacht wird) ist nicht wirklich hilfreich, belohnt man Liebe mit Geld, wird die Liebe beschädigt, wer sich mit jedem gemein macht, wird selber gemein. Egoistisches Verhalten kann also nützlich sein und prosoziales Verhalten schädlich. Ähnliche Paradoxa ergeben sich für egoistische und prosoziale Einstellungen. Man kann etwas gut meinen und schlecht machen, zum Beispiel Nachhilfeunterricht geben und den Schüler mehr verwirren als ihm helfen. Und man kann etwas gut meinen, aber das Falsche tun, denn nicht jeder hat denselben „Geschmack“, das heißt man kann das verkehrte Geschenk machen, das falsche Lob anbringen, dem andern die eigenen Vorlieben und Überzeugungen einreden. Auf der Egoismus-Seite gilt ähnliches. Man kann etwas schlecht meinen und gut machen und man kann etwas schlecht meinen aber das Gute machen. Ein Beispiel für den

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ersten Fall ist der etwas denkfaule Schüler, der sich einen etwas denkfreudigeren Mitschüler zum Freund macht und zwar einzig deswegen, damit ihn dieser bei den Schularbeiten unterstützt. Der Freund erntet dann zwar keine echte Freundschaft, aber er profitiert in anderer Weise: Herausgefordert, seinem phlegmatischen Kameraden die Aufgaben und deren Lösungen zu erklären, gewinnt er selbst ein tieferes Verständnis über den Lernstoff, als wenn er sich dieser Aufgabe nicht stellen müsste. Ein Beispiel für den zweiten Fall liefert das Kind, das dem Bruder den Brei wegisst, den dieser ohnehin nicht mag. Allerdings gibt es doch eine Asymmetrie, es passiert leichter, dass gute Absichten in der Ausführung missraten als dass schlechte Absichten sich bei ihrer Verwirklichung zum Guten wenden. Schließlich stellt sich noch die Frage, die dem vorliegenden Kapitel ja eigentlich zugrunde liegt: Inwieweit beeinträchtigt Egoismus das Entscheidungsverhalten, inwieweit schadet sein Egoismus also dem Egoisten selbst? Bei dieser Frage ist zu beachten, dass sie sich auf die egoistische Neigung richtet, also nicht etwa auf das egoistische Verhalten. Egoistisches Verhalten zeitigt neben dem Nutzengewinn, den man damit vielleicht einstreicht, sicher auch negative Konsequenzen, es kann beispielsweise soziale Ablehnung hervorrufen. Aber diese Problematik soll uns hier nicht interessieren, an dieser Stelle geht es, wie gesagt, um die Frage, inwieweit egoistische Neigungen die Qualität einer Entscheidung beeinträchtigen. Angesichts des üblichen Begriffsverständnisses sollte man annehmen, Egoismus fördere rationales Verhalten, denn schließlich umgreift das egoistische Prinzip ja die Forderung nach einer umfassenden Abwägung der Handlungsfolgen vor dem Hintergrund der je eigenen Bedürfnisstruktur. Begrifflich wäre die Sache damit geklärt, Egoisten entscheiden rationaler als Nichtegoisten. Aber da es nicht um Begriffsübungen, sondern um reale Vorgänge gehen soll, muss erst noch untersucht werden, wie aus der Egoismus-Neigung auch ein nutzenmaximales Verhalten entsteht. Dazu muss man die zwei Seiten des Egoismus, die meist zusammengedacht werden, jeweils gesondert betrachten. Die eine Seite betrifft das Bedürfnis nach subjektiver Befriedigung, die andere Seite das Abwägen der Mittel. Beobachtet man das Verhalten von Kindern, dann kann man leicht den Eindruck gewinnen, dass der Egoist einen stärkeren Impuls verspürt, seine Wünsche zu befriedigen als der Nicht-Egoist. Das dürfte im Erwachsenenalter nicht grundsätzlich anders sein, auch wenn es einem Erwachsenen eher gelingt, seine Verhaltensäußerungen zu kontrollieren. Ein Egoist lässt sich von seinen Wünschen also stärker bedrängen als ein Nicht-Egoist. Das

Egoismus

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folgt im Übrigen schon fast logisch aus der Disposition des Nicht-Egoisten, weder seiner Person noch seinen (egoistischen) Wünschen und Bedürfnissen zu viel Bedeutung beizumessen. Die zweite Seite betrifft, wie gesagt, das zielbewusste Vorgehen des Egoisten. Es ist durchaus plausibel anzunehmen, dass Egoisten strategischer und mit mehr Raffinesse agieren als Nicht-Egoisten, eben weil es ihnen wichtiger ist, ihr Ziel zu erreichen. Ob sie allerdings immer die optimalen Mittel wählen, kann bezweifelt werden, denn wem es allzu sehr um das Ergebnis geht, der verliert leicht aus dem Blick, in welchem Verhältnis Mitteleinsatz und Gewinn stehen. Zusammengefasst geht es bei der Entscheidungsqualität egoistischer Haltungen nicht um begriffliche Übungen, sondern um die Frage, welche Einflüsse von der egoistischen Disposition auf die Informationssuche und -verarbeitung ausgehen; lenkt sie das Denken, die Urteilsfindung und die Willensbildung in eine Richtung, die den Egoisten zu Entscheidungen veranlasst, deren Konsequenzen er nicht wünscht. Ein Beispiel soll diesen Gedanken erläutern. Es geht von der allgemeinen Beobachtung aus, dass Menschen dazu neigen, anderen Menschen die Motive zuzuschreiben, die sie selbst hegen. Egoisten unterstellen ihren Interaktionspartnern daher eher egoistische als nicht-egoistische Motive. In Situationen, in denen es sich auszahlt, dem anderen zu vertrauen, ist das natürlich keine hilfreiche Annahme, und entsprechend entgehen dem Egoisten regelmäßig mögliche Kooperationsgewinne (Deutsch 1973). Jeder ist einmal mehr oder weniger egoistisch gestimmt, die motivationale Orientierung wechselt mit der Handlungssituation, den sich stellenden Herausforderungen und den gegebenen Handlungsmöglichkeiten. Nicht jeder ist daher ein Egoist, der sich hin und wieder egoistisch verhält. Trotz der situativen Relativierung, die man vornehmen muss, kann man aber davon ausgehen, dass der Egoismus bei manchen Menschen stärker verankert ist als bei anderen, dass es also Menschen gibt, die zuallererst an sich denken und ihr Verhalten zum Zwecke der Befriedigung selbstsüchtiger Bedürfnisse instrumentalisieren. In der Persönlichkeitspsychologie gilt der Egoismus interessanterweise nicht als eigenständige Persönlichkeitseigenschaft, sondern wird in anderen (komplexeren) Persönlichkeitsmerkmalen verortet, wie im Narzissmus, im Machiavellismus und im negativen Pol der „Verträglichkeit“. Narzisstische Menschen sind selbstverliebt, wollen bewundert werden und haben das dazu passende grandiose Selbstbild. Machiavellisten zeichnen sich durch rücksichtslose Interessenverfolgung aus, und unverträgliche Menschen sind egozentrisch, kompetitiv und

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Wünsche und Motivationen

misstrauisch. Eine Person, die mit derartigen egoistischen Persönlichkeitszügen ausgestattet ist, verhält sich durchaus nicht im Sinne eines rationalen Egoisten, ihr Verhalten ist – ganz im Gegenteil – von vielen Irrationalitäten geprägt. Es sind aber nicht nur die egoistischen Dispositionen, die einem Menschen wenig Nutzen bringen, auch egoistische Neigungen, die ganz konkrete Handlungssituationen heraufbeschwören (und zwar für jeden, also sowohl für Egoisten als auch für Nicht-Egoisten), richten oft mehr persönlichen Schaden als Nutzen an. Das Musterbeispiel egoistischer Grund- und Situationsmotivation liefert die Kunstfigur des homo oeconomicus, für die nichts als der eigene Vorteil zählt. Nicht ohne Grund attestiert man dem homo oeconomicus ein sehr dürftiges Vernunftverständnis und man müsste ihn daher nicht weiter beachten, gäbe es nicht so viele reale Akteure, die sich an ihm orientieren und damit noch weniger Rationalität beweisen als man ihrem Idol zuschreiben kann. Der Hauptkritikpunkt an einem Verhalten, das sich ausschließlich am Eigeninteresse orientiert, richtet sich auf die damit in zweifacher Hinsicht einhergehende Horizontverengung. Egoismus verführt erstens dazu, in kurzen Zeiträumen zu denken, denn je weiter die Bedürfnisbefriedigung in die Zukunft verschoben wird, desto weniger kann man sicher sein, dass man seiner Selbstsucht die gewünschte Nahrung wird liefern können. Und Egoismus begnügt sich zweitens mit einem sehr eingeschränkten inhaltlichen Spektrum an Überlegungen. Aufmerksamkeit erheischen in einer egoistischen Motivationslage nämlich primär solche Probleme, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den eigenen Bestrebungen stehen. Und bei der Auswahl der Lösungen kommen vor allem die sehr subjektiven (und oft nur die unmittelbar greifbaren, z. B. die materiellen) Gesichtspunkte zum Zuge. Beide Effekte beeinträchtigen die Qualität einer Entscheidung und fördern auch noch die fatale Neigung, externe Effekte auszublenden, also Verhaltenswirkungen nicht zu beachten, die einen selbst nicht unmittelbar betreffen. Das kann sich sehr rächen, denn es liegt in der Natur externer Effekte, die ignoranten Akteure früher oder später wieder einzuholen. Die unersprießliche Engführung egoistischer Bestrebungen ist schlimm genug, sie ist aber nicht das Hauptproblem. Das Hauptproblem des Egoismus entspringt der Haltung, die er vermittelt. Aus egoistischer Sicht ist die Welt der Willkür ihrer Bewohner anheimgegeben, alles Verfügbare steht dem zu, der es am besten versteht, es sich zu eigen machen. Die Dinge besitzen im Übrigen (vermeintlich) keinen Eigenwert, alles was

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sie auszeichnet ist ihr Nutzwert. Egoismus hat kein Problem mit der Ausbeutung, weder real noch mental, seine Beschränktheit und seine Selbstgefälligkeit machen ihn zu einem schlechten Ratgeber für menschliche Entscheidungen.

4.1.3 Erklärung Was genau soll im Folgenden erklärt werden? Angesichts der philosophischen und logischen Probleme, die in der genauen Bestimmung dessen liegen, was egoistisches Verhalten denn nun sein soll und angesichts der Tatsache, dass viele Wissenschaftler egoistisches Verhalten schlichtweg mit nutzenorientiertem oder auch nur mit zielorientiertem Verhalten gleichsetzen, wäre es sicherlich eine lohnende Aufgabe, die zuletzt angestellten Überlegungen weiterzuführen, also theoretisch unterfüttert zu klären, in welcher Weise egoistische Neigungen zu schlechten Entscheidungen führen können. Das kann durchaus erhellend sein; ich will auf die Fortführung dieser Überlegungen aber verzichten und es bei den gemachten Anmerkungen belassen. Sie müssten hinreichend deutlich gemacht haben, dass es sinnvoll ist, zwischen motivationalen Orientierungen und dem schließlich resultierenden Verhalten zu unterscheiden und dass es sich daher lohnt, sich der Frage zuzuwenden, wie egoistische Orientierungen zustande kommen. Die Erklärung des Egoismus sieht sich mit dem Problem konfrontiert, dass die meisten Verhaltenstheorien – wenngleich oft unausgesprochen – unterstellen, dass Menschen egoistisch handeln, diesen Sachverhalt also gar nicht erklären wollen. Man sollte meinen, dass diese Theorien daher zur Erklärung des Egoismus nicht taugen. Das ist aber nur bedingt richtig, denn erstaunlicherweise wird zum Beispiel die „egoistische“ Nutzentheorie durchaus dazu verwendet, um nicht-egoistisches Verhalten zu definieren. Implizit wird damit natürlich auch gezeigt, unter welchen Umständen es nicht zu nicht-egoistischem Verhalten kommt, wann also der Egoismus Platz greift. Auf den ersten Blick scheint es allerdings schwierig zu sein, zu allgemeinen Aussagen über egoistisches oder auch über nicht-egoistisches Verhalten zu gelangen, denn die Phänomene, die damit bezeichnet werden, sind doch sehr verschieden, sie umfassen so unterschiedliche Verhaltensweisen wie informieren, spenden, teilen, schenken, seine Steuern

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zahlen, nicht betrügen, jemanden retten, Verantwortung übernehmen, nachsichtig sein, erdulden und helfen. Und wenn man jemandem mit einer Briefmarke aushilft, ist das sicher von einer anderen Dimension, als wenn man sein Vermögen, seine Gesundheit oder sein Leben opfert, um anderen aus ihrer Bedrängnis zu helfen. Das ist aber kein prinzipieller Einwand, so verschiedenartige Formen nicht-egoistisches Verhalten auch annehmen mag, und so unterschiedlich seine Dimensionen sein mögen, möglicherweise sind die Mechanismen, die es hervorbringen, dennoch miteinander vergleichbar. (1) Der wohl prominenteste Vertreter eines „Psychologischen Egoismus“ ist Thomas Hobbes. Nach dessen Auffassung ist die Selbstsucht der Natur des Menschen gewissermaßen eingebrannt. Im vorstaatlichen „Naturzustand“ herrsche Krieg, jeder Mensch sei jedem anderen Menschen ein Feind, und zügeln ließen sich die egoistischen Triebe nur durch eine starke Ordnungsmacht, die dem Eigennutz und der Gesetzlosigkeit Einhalt gebietet. Und nicht nur die menschliche Natur sei in diesem „Naturzustand“ höchst defizitär, die menschlichen Lebensbedingungen seien nicht minder beklagenswert und kaum geeignet, das eigensüchtige Streben zu mildern, denn „… das menschliche Leben ist einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz“ (Hobbes 1991, S. 96). Wie soll man dieses zutiefst pessimistische Menschenbild beurteilen? Angesichts der Grausamkeiten, die Menschen begangen haben, kann man der Hobbesschen These, dass die unzivilisierte Natur des Menschen sogar noch schlimmer sei als die der Tiere, durchaus einiges abgewinnen. Widerlegen lässt sich der Psychologische Egoismus nicht. Dass der ganz normale Zeitgenosse doch sehr friedlich und mitunter sogar freundlich ist, muss man nicht als Gegenargument gelten lassen, die zivilisierte Art, in der Menschen miteinander umgehen können, kann im Gegenteil geradezu als Beleg für die Unverzichtbarkeit der gesellschaftlichen Institutionen gelten. Nimmt man den gesellschaftlichen Zwang zurück und gibt man den menschlichen Strebungen freien Lauf, dann führt das zu den bekannten Exzessen, die der menschlichen Natur das ihr gebührende schlechte Zeugnis ausstellen. Die Unwiderlegbarkeit der Hobbesschen Theorie ist allerdings ihre größte Schwäche, eine Theorie, die man (aus logischen Gründen) nicht widerlegen kann, hat bekanntlich keinen Informationsgehalt: Wenn man nicht sagt, was nicht möglich ist, sagt man eigentlich nichts. (2) Die Hobbessche Theorie ist zweifellos eine extreme Variante aus der Gruppe von Egoismus-Theorien, die insbesondere das ökonomische

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Denken beeinflusst haben. Egoismus-Theorien geben normalerweise durchaus zu, dass menschliches Verhalten auch von altruistischen Empfindungen bestimmt wird. Adam Smith beispielsweise widmete den moralischen Gefühlen ein dickes Buch und sieht in der Sympathie die Grundlagen einer menschlichen Ethik. Letztlich kommt er aber nicht umhin festzustellen, dass humane Empfindungen und edelmütiges Denken nur sehr schwache Kräfte sind, die sich gegen die Selbstliebe nicht behaupten können (Smith 1977, S. 202 f.). Es macht daher wenig Sinn, sich bei der Gestaltung eines Staatswesens auf die altruistischen Neigungen der Menschen zu verlassen. Die gesellschaftlichen Institutionen müssen vielmehr den egoistischen Neigungen angemessen Rechnung tragen, die ihnen innewohnenden positiven Impulse nutzen und die schädlichen begrenzen. Dass die egoistischen Antriebe so stark sind, ist vermutlich ein Produkt der Evolution (Wuketits 1997). Zurückzustehen und anderen zu helfen bringt schließlich kaum selektive Vorteile. Richard Dawkins (1994) spricht gar vom Egoismus der Gene, denn diese haben naturbedingt nichts anderes im Sinn, als sich zu reproduzieren, und die Organismen sind lediglich die Vehikel, die den Genen dazu dienen, ihnen ein potenziell unendliches Leben zu sichern. Damit der einzelne Organismus seine Gene weitergeben kann, muss er Verhaltensweisen entwickeln, die seine Chancen erhöhen, sich fortzupflanzen und er muss sicherstellen, dass die Nachkommen selbst auch wieder die Fortpflanzungsreife erreichen. Langfristig wird man daher nur solche Arten finden, in deren genetischem Code die Disposition angelegt ist, sich gegenüber potenziellen Rivalen bei der Partnerwahl und gegenüber Konkurrenten um knappe Ressourcen zu behaupten. Interessanterweise hantiert die Soziobiologie dennoch mit Begriffen wie Kooperation und Altruismus (Voland 2000, S. 99 ff.). Kooperation hat hier allerdings einen gänzlich eigensüchtigen Sinn. Als Beispiel kann die Schwarmbildung gelten. Sie nützt jedem, weil sie für jeden einzelnen das Risiko vermindert, einem Fressfeind in die Fänge zu geraten. Soziobiologische Kooperation ist mit keinem Opfer verbunden, man spricht daher besser auch von „Mutualismus“. Auch eine weitergehende Form des Altruismus, der so genannte „reziproke Altruismus“ zahlt sich letztlich aus, beruht also auf Kostenvorteilen. Beim reziproken Altruismus stellt das Individuum seine eigenen Interessen in einer gegebenen Situation zurück und wird dafür zu einem späteren Zeitpunkt belohnt. Wenn man sich in wechselnden Notsituationen jeweils gegenseitig aushilft, haben alle etwas

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davon. Beim „nepotistischen Altruismus“ geht es um Verwandtenhilfe. Engen Verwandten hilft man eher als weitläufig Verwandten oder gar Fremden. Der Grund liegt darin, dass man mit Verwandten Erbgut teilt, bei Kindern immerhin die Hälfte, bei Neffen und Nichten ein Viertel usw. Hilft man seinen Verwandten, trägt dies zum Fortbestand der eigenen Gene bei. Schließlich gibt es – aber nur hypothetisch – noch den genetischen Altruismus, also die Bereitschaft, zugunsten anderer auf die Weitergabe der eigenen Gene zu verzichten: „Auf der Bühne des Gebens und Teilens befindet sich kein einziger Akteur, der durch die biologische Evolution zu einem wahrhaftigen genetischen Altruisten geformt worden wäre und aus seiner Veranlagung heraus bereit wäre, Gesamtfitness-Nettoeinbußen auf sich zu nehmen“ (Voland 2000, S. 112). (3) Ein bevorzugtes Thema in der Erforschung altruistischen Handelns ist das Hilfeverhalten. Intuitiv ist es einleuchtend, dass jemand, der anderen hilft ohne dazu verpflichtet zu sein, von altruistischen Überlegungen geleitet wird. Betrachtet man allerdings die Modelle, die entwickelt wurden, um das Hilfeverhalten zu erklären (Überblicksdarstellungen findet man z. B. bei Schneider 1988 und bei Bierhoff 2010), muss man feststellen, dass sie im Kern dann doch auf Nutzen-Kosten-Überlegungen rekurrieren, also auf die selbstbezogene Seite prosozialen Verhaltens abstellen. Shalom Schwartz und Judith Howard (1982) beispielsweise stellen in ihrem „Modell der altruistischen Handlung“ drei motivationale Größen heraus: Kosten-Nutzen-Analysen, soziale Normen und persönliche Normen. Verlangt eine Hilfeleistung beispielsweise einen sehr hohen persönlichen Einsatz, entstehen also hohe materielle oder immaterielle Kosten, dann erhält die Hilfsbereitschaft einen starken Dämpfer. Problematisch ist es außerdem, gegen soziale Normen zu verstoßen, aber nicht so sehr aus kategorischen Gründen, sondern weil hieraus soziale und psychologische Kosten entstehen. Und auch die persönlichen Normen – also Werte, denen man sich verpflichtet fühlt – führen kein nutzenfreies Eigenleben, sie liefern vielmehr die Kriterien, anhand derer man die Vorteilhaftigkeit des (unterlassenen) Hilfeverhaltens bemisst. Wie man auch an diesem Beispiel sieht, bewegt man sich mit Nutzenbetrachtungen immer am Rande der Tautologie (vgl. die harsche Kritik von Etzioni 1994 an den Interpretationskünsten von Rational Choice Theoretikern, die auch offensichtlich altruistisches Verhalten als egoistisch ausdeuten). Man muss daher darauf achten, Altruismus möglichst „nutzenfrei“ zu definieren, etwa in dem Sinne, dass nur der altruistisch handelt, der eine prosoziale Tat um

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ihrer selbst willen vollbringt, dessen – auf das Wohlergehen anderer gerichtete – Tat also Selbstzweck und nicht Mittel zum Zweck ist. Daniel Batson und Laura Shaw (1991) behaupten nun, dass es ein derartiges Verhalten gibt. Dazu beschreiben sie zunächst zwei „egoistische Pfade“ des Helfens. Auf dem ersten Pfad geht es darum, Belohnungen zu erlangen oder Bestrafungen zu vermeiden. Wenn in einer Gruppe die Norm besteht, sich gegenseitig zu helfen, dann wird man dagegen nicht verstoßen, weil man sonst auf soziale Ablehnung stößt, und wenn man sich dadurch profilieren kann, einem Kollegen zu helfen, dann wird man das auch tun – es sei denn, es sprechen andere Gründe dagegen, beispielsweise weil die Hilfe zu viel Zeit in Anspruch nimmt, die man besser anders verwenden kann. Auf dem zweiten Pfad geht es um die Abwehr negativer Gefühle. Jemanden in Not zu sehen, kann emotional sehr belastend sein und manchmal ist es dann das einfachste, der Not abzuhelfen. Möglicherweise entzieht man sich den negativen Gefühlen (Bedrängnis, Ängstlichkeit, Verwirrung usw.) auch schlichtweg durch „Verlassen des Feldes“. Auch auf diesem zweiten Pfad kommt es also zu einer Nutzen-Kosten-Abwägung, die unter Umständen zugunsten des Helfens ausfällt. Batson und Shaw beschreiben nun noch einen dritten, einen altruistischen Pfad des Hilfeverhaltens. Helfen wird in diesem Fall durch Empathie veranlasst. Man versetzt sich gewissermaßen in die psychologische Situation des Hilfsbedürftigen und entwickelt aus dieser Perspektive heraus eine Haltung, die mit den auf das Eigeninteresse gerichteten Motivationen der ersten beiden Pfade nicht vergleichbar ist; es geht dann nicht darum, die eigenen negativen Gefühle, die einen als unbeteiligten Beobachter beschleichen können, zu beseitigen (wie auf Pfad 2), sondern es sind Gefühle des Mitleidens, der Wärme und Sympathie, die einem zum Helfen veranlassen. Möglicherweise ist das phänomenologisch korrekt, unklar bleibt aber, warum Batson und Shaw in diesem Fall von einer altruistischen Motivation sprechen, denn es geht auch hier darum, dass man sich am Ende besser fühlt – und man wird auch in diesem Fall nicht unbedingt helfen, das heißt man wird die negativen Gefühle ertragen, wenn man sich vom Nichthelfen einen größeren materiellen oder immateriellen Gewinn verspricht. (4) Prosoziales Verhalten ist manchmal einfach Tauschhandeln. Man tauscht Hilfe gegen Dank, Wahlgeschenke gegen Stimmen, Vertrauen gegen Vertrauen, Loyalität gegen Schweigegeld usw. Zweckmäßigerweise unterscheidet man zwischen einem ökonomischen Tausch und einem sozialen Tausch. Der ökonomische Tausch richtet sich auf ganz spezifische

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Güter und auf genau bezeichnete Anlässe, es handelt sich um ein unmittelbares Geben und Nehmen, bei dem die Wertrelationen immer im Gleichgewicht sind und dessen Erfüllung man gegebenenfalls auch durch juristische Mittel absichert. Beim sozialen Tausch werden die Tauschgüter nicht näher spezifiziert, sie haben in der Regel keine gemeinsame Verrechnungsbasis und man besteht nicht auf unmittelbarer Erfüllung, sondern geht davon aus, dass sich die Tauschverhältnisse über die Zeit hinweg ausgleichen. Ähnlich wie bei der Nutzenbetrachtung geraten Erklärungen mit Hilfe der Tauschtheorie hart an die Grenze der Tautologie, sie haben etwas Beliebiges, weil es ja immer noch ein Tauschgut geben kann, dessen Existenz der Forscher (oder auch die handelnde Person selbst) „übersehen“ haben könnte und eben dieses Gut den Ausschlag dafür gibt, ob sich jemand beim Tausch eher engherzig oder großzügig zeigt. Ein kritischer Punkt im Tauschgeschehen ist die Fairness. Was als gerechtes Leistungs-Gegenleistungs-Verhältnis gelten kann, dürfte nicht immer einheitlich gesehen werden, es ist sogar anzunehmen, dass im Fairness-Urteil selbst schon ein egoistischer Anteil steckt (Greenberg 2001). Wenngleich die Gründe dafür, warum man etwas als unfair empfindet, sehr subjektiv sein können, in der Reaktion auf wahrgenommene Ungerechtigkeit reagieren alle Menschen gleich. Erstens werden sie verstimmt sein, zweitens werden sie versuchen, das Gleichgewicht im Tauschverhältnis wieder herzustellen und drittens werden sie darüber nachdenken, ob es Sinn macht, das Tauschverhältnis aufzukündigen, sie werden es aber häufig nicht tun, weil es gewichtige Gründe geben kann, die Ungerechtigkeit lieber zu ertragen (z. B. weil man keine anderen Alternativen hat). Ganz sicher wird sich aber die Qualität der Beziehung verschlechtern, das gegenseitige Wohlwollen wird Schaden nehmen, wirklich altruistische Gefühle werden kaum aufkommen, der Verhaltensstil wird kantiger werden und man wird seltener ungefragt in Vorleistung treten. (5) Egoismus ist auch Erziehungssache. Lawrence Kohlberg (1995) unterscheidet in seinem berühmten Modell zur Moralentwicklung drei Stufen. Auf der untersten Stufe herrscht eine Moral des Zwangs. Personen, die sich auf dieser Stufe befinden, glauben an das Recht des Stärkeren (Strafe und Gehorsam) oder huldigen einem kruden instrumentellen Hedonismus. Auf der zweiten Stufe herrscht eine Moral der Konvention. Man orientiert sich am Vorteil der Binnengruppe oder an Gesetz und Ordnung. In beiden Stufen ist wenig Platz für Altruismus. Dieser kann allenfalls auf der dritten der postkonventionellen Stufe Platz greifen, in

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der eine Moral der Prinzipien herrscht. Leider erreichen nur wenige Personen diese Moralstufe. Welche moralische Reife der Einzelne erreicht, ist nicht zuletzt eine Frage der in einer Gesellschaft gelebten Moral, es hat aber auch viel mit dem Vorbildverhalten im sozialen Umfeld der heranwachsenden Menschen zu tun. Aus pädagogischer Sicht sollte man sich – so Kohlberg – beispielsweise darum bemühen, das Reflexionsniveau über moralische Fragen anzuheben, wobei es nicht ausreichend sei, den Wert der Moral und der Tugend herauszustellen, es müsse vielmehr darum gehen, anhand schwieriger Fragen, also etwa am Beispiel von moralischen Dilemmata, die Reichweite moralischer Begründungsansätze zu problematisieren. Moral dürfe außerdem nicht nur als kognitives Problem gelten (zu dem jeder eine „Meinung“ hat), entscheidende Bedeutung komme der Primärerfahrung zu, die man selbst als moralischer Akteur mache. Entsprechend wichtig sei es, frühzeitig demokratische Praktiken einzuüben und Kinder und Jugendliche anzuhalten, Probleme der Gemeinschaft gemeinsam und kooperativ selbst zu lösen (Power/Higgins/Kohlberg 1989). (6) In gewisser Weise ist der Mensch der Knecht seiner Bedürfnisse. Eine Person mit einem hohen Geltungsbedürfnis „kann gar nicht anders“, als sich immer wieder in den Vordergrund zu spielen, ein Mensch mit einer hohen Leistungsmotivation bringt wenig Verständnis für Dinge auf, die ihn von seiner Aufgabe ablenken könnten, also beispielsweise für mögliche Befindlichkeitsverschattungen seiner sozialen Umwelt, er wird sich daher nicht darauf einlassen, sondern sich auf die Erreichung seiner Ziele konzentrieren. Prosoziales oder egoistisches Verhalten ist aus dieser Sicht nicht so sehr Ergebnis moralischen Nachdenkens, sondern Ausdruck des Bedürfnisinventars einer Person. Bedürfnisse sind allerdings nicht egoistisch, sie sind nur mehr oder weniger stark. Es gibt Bedürfnisse, die Anlass geben, sich eher egoistisch zu verhalten und es gibt Bedürfnisse, die sich eher durch nicht-egoistische Verhaltensweisen befriedigen lassen. Je nachdem, welche Bedürfnisklassen ein Mensch in sich vereinigt, erscheint er also als mehr oder weniger egoistisch. Das hört sich allerdings sehr statisch und sehr passiv an. Tatsächlich setzen sich Bedürfnisse nicht im Verhältnis eins zu eins in Verhaltensweisen um, es gibt immer verschiedene Wege und statt sofort den egoistischen Weg zu gehen, kann man oft auch einen nicht-egoistischen Pfad finden, der zur Bedürfnisbefriedigung führt. Wer beispielsweise einen starken Wunsch nach Anerkennung hat, muss sich nicht auf Kosten anderer profilieren, er kann sein Bedürfnis auch auf

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einem nicht-kompetitiven Feld ausleben, also in einem Gebiet, in dem es nicht darum geht, sich gegenüber anderen hervorzutun, sondern schlicht um die Hervorbringung von Wohltaten (Kunstförderung, Unterstützung sozialer Einrichtungen usw.). Außerdem weisen Bedürfnisse und Bedürfnisstrukturen eine nicht unerhebliche Plastizität auf, denn die meisten Bedürfnisse (und die Wege ihrer Befriedigung) werden gelernt, weshalb man sie auch wieder verlernen und durch andere Bedürfnisse ersetzen kann. Das ist natürlich nicht immer leicht, die aktive selbstreflexive Persönlichkeitsgestaltung gehört vielleicht zu den schwersten Aufgaben eines Menschen. Zwar wird allseits das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung beschworen, man meint damit aber sehr oft nur die bequeme Seite, den Anspruch auf Unabhängigkeit und die Entfaltung der eigenen Fähigkeiten und Strebungen und übersieht dabei gern die eigentlich gedachte und sehr beschwerliche Seite der Selbstbestimmung und Selbsterziehung.

4.1.4 Studie Allenthalben hört man die Klage, Menschen hätten zu wenig Empathie, denn wenn sie sich mehr darum bemühen würden, sich in ihre Mitmenschen und deren Lage hineinzuversetzen, dann würden sie sich weniger egozentrisch und egoistisch verhalten. Nicolas Epley, Eugene Caruso und Max Bazerman (2006) bezweifeln diesen Gemeinplatz und zeigen, dass es die sozialen Beziehungen durchaus nicht verbessern muss, wenn man sich mit der Sichtweise seiner Mitmenschen beschäftigt. Tatsächlich konnten sie in einer Serie von Experimenten zeigen, dass der Wechsel der Rollenperspektive (genauer: die geistige Beschäftigung mit den Überlegungen, die ein Interaktionspartner anstellen könnte) selbstsüchtiges Verhalten verstärken kann. Sie nennen dieses Phänomen „Reaktiven Egoismus“. Das erste Experiment, über das die Autoren berichten, befasst sich mit einem typischen Gemeingut-Problem. Die (studentischen) Versuchsteilnehmer versetzen sich in die Rolle von Vertretern vier unterschiedlicher Firmen, die sich mit dem Haifang beschäftigen. Zwei der Firmen betreiben touristischen, eine größere und eine kleinere Firma betreiben gewerblichen Fischfang. Die Fangquote muss, um eine Überfischung zu verhindern, insgesamt um 50 % gesenkt werden. Auf einer gemeinsamen (simulierten) Konferenz ist mit den Vertretern der anderen drei Firmen darüber zu beraten, in welchem Umfang die Fangquoten jeweils zu reduzieren sei-

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en. Zur Diskussionsvorbereitung erhalten die Teilnehmer Informationen zur Durchführung von Gewinnkalkulationen auf der Basis der Fangquoten aller vier Firmen. Nachdem sie diese durchgearbeitet haben, geben sie (schriftlich und jeder für sich) ein Urteil darüber ab, welche Fangquoten sie jeweils als fair empfinden würden. Anschließend kommt es zur Beratung mit den anderen Firmenvertretern. Danach geben die Teilnehmer erneut (wiederum schriftlich und jeder für sich) ihr Fairnessurteil ab. Ganz zum Schluss teilen die Teilnehmer noch mit, wie viele Fische sie im nächsten Jahr tatsächlich zu fangen beabsichtigen. Um die Unabhängigkeit der Urteilsfindung zu wahren, wurden die einzelnen Phasen zeitlich und räumlich gegeneinander abgepuffert. Außerdem wurde das Experiment unter zwei Versuchsbedingungen durchgeführt. Die eine Hälfte der Teilnehmer beantwortete die Frage: „Was denken Sie, wäre ein fairer prozentualer Anteil Ihrer Firma am gesamten Fangvolumen?“ Die zweite Hälfte der Teilnehmer bekam die folgende Instruktion: „Bitte nehmen Sie sich die Zeit über die anderen Gruppen nachzudenken. Wie Sie sich vorstellen können, haben diese andere Prioritäten als Sie und sehen die Situation aus einer anderen Perspektive. Wenn Sie daran denken, welches Fangvolumen werden diese Gruppen als fair empfinden? Was, meinen Sie, sind faire Fangquoten für diese Gruppen und für Sie selbst?“ In der ersten Versuchsbedingung werden die anderen Gruppen also gar nicht in den Blick genommen, in der zweiten erfolgt dagegen der explizite Hinweis, die möglichen Überlegungen der anderen Gruppen bei der eigenen Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Das Experiment erbrachte die beiden folgenden Ergebnisse: a) Die Teilnehmer mit dem Perspektivenwechsel beanspruchen geringere Fangquoten für sich als die Teilnehmer ohne diesen Perspektivenwechsel, d. h. sie akzeptieren geringere Fangquoten als jene und halten sie auch für „fair“. b) Tatsächlich halten sich die Teilnehmer mit dem Perspektivenwechsel nicht an ihre Fairnesseinschätzung, sondern entscheiden sich für höhere Fangquoten als die Teilnehmer ohne Perspektivenwechsel. In den übrigen Experimenten von Epley, Caruso und Bazerman geht es darum, alternative Interpretationsmöglichkeiten zu prüfen, sie richten sich zwar inhaltlich auf etwas andere Fragen (Verteilung von Ressourcen, gemeinsame Ressourcennutzung, Koalitionsbildung), sind aber ansonsten ganz ähnlich aufgebaut. Insgesamt kommen jedenfalls alle Experimente

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zum selben Ergebnis: Die Berücksichtigung der Perspektive der anderen reduziert die selbstzentrierte Voreingenommenheit im Hinblick auf das, was als fair zu gelten hat, dessen ungeachtet und dem entgegengerichtet führt der Perspektivenwechsel aber auch zu einem egoistischeren Verhalten. Wie kommt es zu diesem Auseinanderfallen zwischen Urteil und Handeln? Offenbar sind es unterschiedliche Prozesse, die das Fairnessurteil einerseits und das Verhalten andererseits hervorbringen. Dass man in seiner Urteilsfindung zu Egozentrismus neigt, ist leicht zu verstehen. Schließlich hat man einen schnelleren „Zugriff“ auf die eigenen Auffassungen als auf die anderer Personen, diese muss man sich unter Umständen erst noch mühsam erschließen. Ähnliches gilt für die Beurteilung der eigenen im Vergleich zu den fremden Leistungsbeiträgen, und da man außerdem zu selbstwertdienlichen Attributionen neigt, ist man, was die Beurteilung der Fairness angeht, kaum völlig objektiv. Wird man nun – wie in den Experimenten geschehen – damit konfrontiert, sich auch in die Rolle der andern Teilnehmer hineinzuversetzen, dann werden diese Voreingenommenheiten abgemildert. Die objektivere Sicht auf die Fairness muss sich allerdings nicht auch im Verhalten niederschlagen. Einsichten werden nicht immer umgesetzt. Außerdem schalten Fairnessurteile strategische Überlegungen nicht aus. Das wichtigste Argument für Epley, Caruso und Bazerman ist allerdings, dass durch den Wechsel der Rollenperspektive auch der Blick für den Egoismus der anderen Partei geschärft wird. Menschen gehen normalerweise davon aus, dass sie selbst fairer seien als andere, die Beschäftigung mit deren Perspektive ruft diese Überzeugung ins Bewusstsein und macht sie konkret und greifbar. Viele Menschen unterstellen außerdem ihren Mitmenschen das Fehlen jeglicher Fairnessvorstellungen und sehen in deren Handlungen den puren Egoismus. Die Konfrontation mit dieser Überlegung weckt den Wunsch, sich diesem Egoismus entgegenzustellen und sich nicht übervorteilen zu lassen. In einem Satz zusammengefasst: Der „reaktive Egoismus“ resultiert schlicht aus einem „naiven Zynismus“, der durch den Perspektivenwechsel ins Bewusstsein gehoben wird. Bei alldem sind zwei Einschränkungen zu machen. Erstens findet sich der beschriebene Zusammenhang nur in kompetitiven Situationen, also dort, wo es Interessenkonflikte zwischen den Parteien gibt. In Situationen, die auf Kooperation ausgelegt sind, trägt Empathie durchaus zu weniger egoistischem Verhalten bei (ein Ergebnis, das von Epley, Caruso und Schwartz in ihren Experimenten vier und fünf ermittelt wurde). Zwei-

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tens untersuchen die Autoren nur die kognitive Seite des Perspektivenwechsels, wesentliche Elemente der Empathie, insbesondere die des „Einfühlens“, werden nicht berücksichtigt, sie dürften in der gegebenen Situation aber auch wenig Relevanz besitzen. Das gilt wohl generell für jede Form marktlicher Beziehungen. Überall dort, wo man sich primär um den eigenen Vorteil bemüht, besteht die „Gefahr“, dass Fairnessüberlegungen durch strategische Überlegungen in den Hintergrund gedrängt werden und dass altruistischen Neigungen wenig Nahrung gegeben wird.

4.1.5 Zusammenhänge Wie bereits ausgeführt, umfasst „Altruismus“ ein breites Spektrum an Verhaltensweisen, entsprechend mannigfaltig sind deren Einflussgrößen (einen guten Überblick verschaffen Schneider 1988; Batson u. a. 2003; Jonas/Streicher 2005). Aus entscheidungstheoretischer Sicht kommen alle Größen in Betracht, die sich mit den – aus Sicht des Handelnden – positiven Konsequenzen des altruistischen Verhaltens befassen, also beispielsweise das Ansehen, das man durch prosoziales Verhalten (z. B. durch Spenden) erlangen kann. Ebenso wichtig sind die negativen Konsequenzen, die man vermeiden kann, zum Beispiel die soziale Missbilligung, die unterlassene Hilfeleistung hervorrufen kann. Zu dem entscheidungstheoretischen Kontext gehören außerdem Größen wie die Sichtbarkeit des Verhaltens, also im positiven Fall: „Wird mein großzügiges Verhalten überhaupt wahrgenommen und gewürdigt?“ und im negativen Fall: „Wie wahrscheinlich ist es, dass mein egoistisches Verhalten bemerkt wird?“ Große Bedeutung haben außerdem Normen, die egoistisches Verhalten eindämmen und prosoziales Handeln einfordern, man denke nur an die Norm, sich in der Kirche an der Kollekte zu beteiligen. Ein anderes Beispiel ist die Reziprozitätsnorm, die verlangt, dass man Gutes mit Gutem vergilt, sich nicht nur beschenken, einladen, helfen lässt, sondern die Gaben und Dienste bei Gelegenheit erwidert. Ähnliches gilt für die Gerechtigkeitsnorm, an der man andererseits sehr schön sehen kann, dass sich prosoziale Normen auch instrumentalisieren lassen um antisoziales Verhalten zu rechtfertigen. Studien haben gezeigt, dass die Arbeitnehmer, die ihren Arbeitgeber bestehlen, dies oft ohne schlechtes Gewissen tun, weil sie – so die Argumentation – letztlich nur versuchen, ein ungerechtes, sie benachteiligendes, Arbeitsverhältnis wieder mehr ins Lot zu bringen (Greenberg/Tomlin-

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son 2004). Neben Normen, die schlicht Einhaltung reklamieren, gibt es Werthaltungen, Maximen, Tugenden, die ein aktives Engagement für das Gute fordern. Solche prosozialen Attitüden sind meist in religiösen Glaubenssystemen und humanistischen Weltanschauungen verankert, werden allerdings nur von einer Minderheit als wirklich verpflichtend und lebensbestimmend angenommen. Unabdingbar sind hierfür charakterliche Eigenschaften, die einem dabei helfen, sich egoistischen Versuchungen zu widersetzen, wie zum Beispiel Verantwortungsbewusstsein und Ich-Stärke. Eine in der Persönlichkeit verankerte Egoismus-Neigung (Weigel/ Hessing/Elffers 1999) ist diesbezüglich naturgemäß kontraproduktiv. Ähnliches gilt für andere tief in der Persönlichkeitsstruktur verankerte Antriebe, wie beispielsweise eine negative Emotionalität (Krueger/ Hicks/McGue 2001). Egoistische Tendenzen werden nicht unwesentlich auch vom kulturellen Umfeld bestimmt (Cohen 1978). In kollektivistischen Kulturen kann der Drang, die eigenen Bedürfnisse in besonderer Weise zur Geltung zu bringen, weniger Raum greifen und auch das individuelle Selbstverständnis orientiert sich stärker an den Bedürfnissen der Gemeinschaft als in individualistischen Kulturen (Markus/Kitayama 1991). Allerdings dürften die diesbezüglichen Unterschiede innerhalb der Kulturen größer sein als zwischen den Kulturen, zumal es innerhalb jeder Gesellschaft ganz unterschiedliche Handlungsfelder gibt, die sich im Ausmaß des erlaubten oder geforderten Egoismus deutlich unterscheiden (Schwartz 1993). Innerhalb einer Familie wird man beispielsweise kaum einen ungezügelten Egoismus antreffen; wenn es um Preisverhandlungen in hart umkämpften Wirtschaftsbereichen geht, wird man wenig altruistisch gestimmte Akteure antreffen. Viele Menschen meinen, der Markt sei ein Ort, der egoistisches Verhalten geradezu einfordere, eine Auffassung, die zu der allgemeineren Beobachtung von Dale Miller (1999) passt, dass es Normen gibt, die von uns verlangen, eigensüchtig zu sein, was zeigt, dass soziale Normen nicht unbedingt „sozial“ im Sinne von altruistisch sein müssen. Zahlreiche Determinanten „entgegenkommenden“ Verhaltens findet man in der Literatur zur Kooperationsforschung. Diese bedient sich, soweit es sich um Laborforschung handelt, meist spezieller „Spielsituationen“, in denen man abwägen muss, welche Handlungsalternative einem den größten Nutzen bringt. Am beliebtesten ist das so genannte Gefangenendilemma, in dem man gute Resultate erzielt, wenn man kooperiert – allerdings nur dann, wenn dies auch der Partner tut, ansonsten sind die

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Resultate nicht so gut, am schlechtesten sind sie, wenn beide Parteien nicht kooperieren. Dabei geht es in diesem Spiel nicht im eigentlichen Sinne um prosoziales Verhalten, es wird kein wirkliches „Opfer“ gefordert, vielmehr geht es um eine Art Risikoeinschätzung. Der egoistische Impuls, sein Ergebnis zu maximieren, wird nicht hinterfragt, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt. Das Gefangenendilemma stellt einen also vor die Frage, wie wahrscheinlich es ist, dass der Partner kooperiert oder nicht kooperiert (Luce/Raiffa 1957). Angesichts dieser Frage verwundert es nicht, dass die einschlägige Forschung Determinanten der Kooperationsneigung gefunden hat, die etwas mit Vertrauen zu tun haben, mit sozialer Nähe und den Möglichkeiten zur Kommunikation und zur Verständigung (Martin 2001; Jonas/Streicher 2005). Um einen Hauch mehr prosozialen Verhaltens geht es im „Diktator-Spiel“ (Guala/Mittone 2010). Hier erhält der Versuchsteilnehmer einen gewissen Geldbetrag (z. B. 20 Euro), den er vollständig selbst einstreichen kann. Er kann aber auch seinem Partner etwas abgeben. Wie sich herausstellt, behalten die Versuchsteilnehmer selten alles für sich, manche teilen „brüderlich“. Dass man mehr als die Hälfte des leicht zugeflossenen Geldes abgibt, kommt praktisch nicht vor, das hat aber wohl auch kein Experimentator wirklich erwartet. Ähnliche Ergebnisse findet man im „Ultimatum-Spiel“, in dem der Empfänger eines bestimmten Betrages darüber entscheidet, ob er die Gabe überhaupt annimmt oder beispielsweise wegen der Knausrigkeit des Partners darauf verzichtet, was dazu führt, dass beide leer ausgehen. Wenngleich die Datenlage einigermaßen klar ist (man verhält sich nicht so egoistisch wie ein Homo oeconomicus), ist ihre Interpretation durchaus umstritten (Thaler 1988; Zamir 2001). Für das unmittelbare Handeln wichtiger als die persönlichen Dispositionen, der sozio-kulturelle Kontext, Rollen oder Normen, ist die Aktualmotivation, also die Motivationslage, die sich in einer konkreten Handlungssituation einstellt. Von großer Bedeutung ist hierfür die Definition der Situation, die wiederum bestimmt wird von den Problemen, denen sich eine Person stellen muss. Schicksalsschläge beispielsweise sind geeignet, die Maßstäbe zurechtzurücken, deren sich Menschen gern bedienen, um sich ihrer eigenen Großartigkeit zu versichern. Es ist sicher kein Zufall, dass nach Naturkatastrophen die Spendenbereitschaft deutlich steigt. Wie eine Situation beurteilt wird, welches das „angemessene“ Sozialverhalten ist, ergibt sich nicht zuletzt auch aus dem institutionellen Kontext, in dem das Handeln stattfindet. Ich habe weiter oben schon auf die Rolle hinge-

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wiesen, die man als „Wirtschaftssubjekt“ übernimmt. Wer sich als Mitspieler in einem von Eigeninteresse geprägten Marktgeschehen sieht, der wird sich den dort geltenden Regeln anpassen. Sehr schön wird dies in einer Studie von Liberman, Samuels und Ross (2004) demonstriert, in der ein und dasselbe Gefangenendilemma-Spiel zu ganz unterschiedlichem Verhalten führt, je nachdem, ob man es als „Wall Street Spiel“ oder als „Gemeinde-Spiel“ bezeichnet. Welche Bedeutung für das egoistische Verhalten schließlich auch der Motivlage zukommt, zeigt sich sehr anschaulich am so genannten Trittbrettfahrerproblem, also bei der Frage, ob man sich bei passender Gelegenheit mit eigenen Beiträgen lieber zurückhält, um kostenfrei von den Leistungen seiner Mitstreiter zu profitieren. Hierbei kommen zwei sehr unterschiedliche Motive ins Spiel (Dawes u. a. 1986; Jonas/Streicher 2005, S. 170 f.). Entweder hält man sich zurück, weil man davon ausgeht, dass sich kaum ein anderer einbringen wird (im Extremfall steht man ganz allein), zumal die meisten nur von den Leistungen anderer profitieren (Angst). Oder man bleibt im Hintergrund, weil man weiß, dass sich die anderen um die Leistungserbringung kümmern und man selbst nichts machen muss (Gier). Keine der beiden Erklärungen ist besser, denn schließlich können sich beide Motivationen einstellen, das kommt eben ganz auf die individuellen Haltungen der Akteure und auf deren Einschätzung der Situation an (vielleicht kennt man ja die Arbeitswut seiner Partner und weiß, dass diese mehr auf den Erfolg angewiesen sind als man selbst).

4.1.6 Würdigung Egoismus ist ein Entscheidungsdefekt. Wer von egoistischen Motiven durchdrungen ist, schadet sich selbst, denn er wird in der Regel keine guten Entscheidungen treffen, auch wenn ihm dies selbst anders vorkommen mag. Diese Einschätzung bezieht sich nicht so sehr auf den eigentlichen Entscheidungsakt, also den Entschluss, diese oder jene Alternative zu wählen, sondern auf den gesamten Entscheidungsprozess: In allen Phasen der Willensbildung steht die „egoistische Haltung“ der Rationalität im Wege. Die Auffassung, Menschen seien grundsätzlich immer egoistisch, weil angeblich jedes Verhalten der individuellen Nutzenmehrung dient, kann nur jemand haben, der bereit ist, dem Egoismusbegriff jeden Gehalt

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zu nehmen. Manche Menschen rechtfertigen ihren eigenen Egoismus sogar damit, dass schließlich jeder ein Egoist sei, nur auf verschiedene Weise, mehr oder weniger raffiniert. Diese Lehre von einem „Naturalistischen Egoismus“ ist aber ganz offenkundig falsch. Wenn man dem egoistischen Prinzip folgt, dann steht dahinter ein Entschluss, der auch anders ausfallen könnte, denn man wird dazu ja nicht gezwungen. Es wäre also ebenso möglich, dass man beispielsweise den Kategorischen Imperativ zum Leitbild seines Verhaltens macht – oder eben ein anderes nichtegoistisches Prinzip. Und selbst wenn man zugesteht, dass die Ich-Triebe stark sind, wird man nicht behaupten können, dass man seinen persönlichen Dispositionen völlig hilflos ausgeliefert sei. Wer sich seinen egoistischen Trieben willig hingibt, folgt keinem Naturgesetz, sondern gibt eine ganz persönliche Antwort auf die Frage, was für ein Mensch er sein will.

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4.2 Besitztumseffekt Geben ist seliger denn Nehmen. Apostelgeschichte 20, 35

4.2.1 Begriff Der Besitztumseffekt lässt sich bündig mit einem Satz beschreiben: „Der Besitz eines Gegenstands erhöht seinen Wert.“ Das ist allerdings eine sehr allgemeine Definition. Häufig wird eine engere, auf das Ökonomische bezogene Betrachtung angestellt. Der Besitztumseffekt äußert sich danach darin, dass Menschen beim Verkauf eines Gutes oft viel mehr verlangen als sie beim Erwerb des Gutes selbst zahlen würden (Kahneman/ Knetsch/Thaler 1991, S. 194). Das klingt einigermaßen banal. Schließlich hat man beim Kauf und Verkauf seinen Vorteil im Auge und wird daher versuchen, ein möglichst gutes Geschäft zu machen. Der Besitztumseffekt wäre aus dieser Sicht also lediglich Ausdruck leicht nachvollziehbarer taktischer Überlegungen. Darum geht es beim Besitztumseffekt aber nicht. Gemeint ist vielmehr eine „echte“ Präferenzänderung: Man empfindet ein Gut dann als wertvoller, wenn man es besitzt und zwar einzig aufgrund der Tatsache, dass man es eben besitzt. Das ist nun wieder einigermaßen erstaunlich, weil einem sofort Beispiele einfallen, die das genaue Gegenteil belegen. Man braucht ja nur anzusehen, was die Leute aus ihrem Haus schaffen, wenn der Sperrmüll abgeholt wird. Wofür man einmal viel Geld ausgegeben hat, wird ertragsfrei entsorgt und zwar nicht nur, weil es beschädigt oder abgenutzt ist, sondern auch weil man es satt hat, weil man sich lange genug damit herumgeärgert hat oder weil man es einfach nicht mehr sehen kann. Außerdem geht es einem bei vielen Dingen so, dass sie uns nur so lange begehrenswert erscheinen, solange wir sie nicht besitzen. Sobald wir sie erworben haben, verlieren sie sehr rasch ihren Reiz, man räumt sie in die Ecke und schaut sich nach Neuem um. Es gibt also offenbar auch einen „negativen Besitztumseffekt“. Aber vielleicht ist es nur eine Frage des betrachteten Zeitraums? Vielleicht gibt es anfangs immer einen Neuigkeitswert, der sich bei unterschiedlichen Gütern unterschiedlich schnell abnutzt? Und vielleicht macht es auch einen Unterschied ob es um „normale“ Güter geht, die einen hohen oder geringen monetären Preis haben oder ob man „immaterielle“ Güter betrachtet,

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also zum Beispiel Beziehungen, Lebensverhältnisse oder Charaktereigenschaften.

4.2.2 Beispiele Menschen besitzen gern. Es macht ihnen Freude, über etwas zu verfügen, denn Besitz verleiht Bedeutung und gibt einem das Gefühl von Sicherheit. Und auch der Erwerb von Besitztümern ist eine erfreuliche Angelegenheit. Man wälzt Kataloge, lässt sich ausführlich beraten und geht auf Einkaufstour. Nicht wenige Menschen scheinen jedenfalls von einem starken Erwerbstrieb und von einem lustbringenden Besorgungsverlangen beseelt zu sein. Ein TV-Spot der Internet-Handelsfirma „eBay“ bringt dies auf den Punkt. Bei eBay macht der Käufer ein Preisangebot und harrt der Dinge, die da kommen. Spannend wird es, wenn die Bietezeit zu Ende geht und die bange Frage im Raum steht, ob doch noch jemand kommt, um das eigene Angebot zu überbieten, bis schließlich die frohe Botschaft verkündet wird: „… drei, zwei, eins und es ist deins!“ und auf dem Bildschirm erscheinen freudig erregte und jubelnde Glückskunden. Zweifellos gibt es viele Dinge, die wir gern wieder los wären, bei anderen Dingen wiederum fällt es uns schwer, sie einfach abzugeben. Was tun wir, wenn ein Freund unseren Bücherschrank durchstöbert und an einem Buch, das wir ebenfalls sehr schätzen, großen Gefallen findet? Fällt es uns leicht, es ihm spontan zu schenken? Wir könnten uns das Buch jederzeit im Buchhandel neu erwerben, sein Preis ist kaum erheblich, wir haben unserem Freund ohne mit der Wimper zu zucken schon erheblich teurere Geschenke gemacht. Dennoch zögern wir und nehmen uns vor, ihm demnächst ein neues Exemplar dieses Buches zum Geburtstag zu schenken. Von einem rationalen Standpunkt aus ist dieses Verhalten nicht leicht zu verstehen. Leichter zu erklären (wenngleich ebenfalls wenig rational) ist es, wenn unsere Erbtante uns zum wiederholten Male ihren wertvollen Schmuck zeigt und dazu wie immer bemerkt: „Das wird alles einmal Dir gehören.“ Von Richard Thaler, der den Begriff des Besitztumseffekts („endowment effect“) geprägt hat, stammt das folgende Beispiel: Man stelle sich vor, die Nachbarn veranstalteten einen privaten Flohmarkt, sie bieten uns an, die Dinge, die wir ihnen zur Verfügung stellten, zum halben ehemaligen Einkaufspreis für uns zu verkaufen. Von welchen Gegenständen würden wir uns zu diesen Bedingungen trennen wollen? Man stelle sich in einem wei-

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teren Gedankenexperiment vor, eben diese Gegenstände seien uns gestohlen worden. Unsere Versicherung erstattet uns die Hälfte der ehemaligen Einkaufspreise. Welche der Gegenstände würden wir unter diesen Umständen neu erwerben? Das Ergebnis der Überlegungen lautet häufig wie folgt: Zwar gibt es viele Gegenstände, die man auf keinen Fall auf dem Flohmarkt verkaufen würde, weil sie einem deutlich mehr wert wären als die angegebenen 50 % des Einkaufspreises, dennoch würde man diese Gegenstände nicht zu diesen günstigen Konditionen wieder erwerben, wenn sie einem durch einen Diebstahl abhandengekommen wären. Geschäftstüchtige Kaufleute können den Besitztumseffekt ausnutzen. Ein Beispiel ist die Gewährung der so genannten „Geld-zurück-Garantie“. Der Kunde darf das erworbene Gut mitnehmen und bei Nichtgefallen gegen Erstattung des bezahlten Preises wieder zurückgeben. Ein derartiges Vorgehen wird nicht jedem Kaufmann einleuchten, manchem sogar bedrohlich klingen, es ist aber, eben wegen des Besitztumseffektes, häufig eine relativ risikofreie Verkaufsstrategie. Verschiedentlich wird der Besitztumseffekt auch für den geringen Erfolg der so genannten Immobilienrente verantwortlich gemacht. Dabei handelt es sich um einen speziellen Kredit, bei dem die Bank sich verpflichtet, dem Kreditnehmer regelmäßige Auszahlungen zukommen zu lassen, wobei die Immobilie des Kreditnehmers als Sicherheit dient und nach Ablauf der Rente zur Tilgung des Kredits verwendet wird, also verkauft wird oder ins Eigentum der Bank übergeht. Die „Weggabe“ des eigenen Hauses ist zweifellos ein emotional bedeutsamer Schritt, die meisten Menschen dürften davor zurückschrecken oder aber deutlich überhöhte Gegenleistungen verlangen.

4.2.3 Studie Eine schöne Demonstration des Besitztumseffektes findet man bei Knetsch (1989). Die Teilnehmer an einem Seminar erhielten einen Kaffeebecher ausgehändigt, danach füllten sie einen kurzen Fragebogen aus. Anschließend wurde ihnen eine 400-Gramm-Tafel Schweizer Schokolade gezeigt und sie erhielten die Möglichkeit, ihre Becher gegen die Schokolade zu tauschen. In einer zweiten Gruppe verlief die Prozedur genau umgekehrt, die Teilnehmer erhielten erst die Schokolade und konnten sie nach Ausfüllen des Fragebogens gegen die Kaffeebecher umtauschen. Nur sehr

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wenige Personen, nämlich 11 % im ersten Fall und 10 % im zweiten Fall nahmen die Tauschmöglichkeit tatsächlich in Anspruch. Die „klassischen“ Besitztums-Studien stammen von Kahneman, Knetsch und Thaler (1990). Eines der zentralen Experimente verlief wie folgt: Die Hälfte der Teilnehmer erhielt einen Kaffeebecher geschenkt, der mit dem Emblem der Cornell Universität versehen war (und der ansonsten am Verkaufsstand der Universität für $ 6 angeboten wurde). Die anderen Teilnehmer konnten die Becher genau inspizieren und sie erwerben, wenn die Besitzer der Becher bereit waren, sie auch zu verkaufen. In vier Marktrunden sollten dann von beiden Seiten Preisangebote abgegeben werden. Die Angebote wurden vom Versuchsleiter notiert, der daraus den Marktpreis errechnete, der bekanntgegeben wurde. Die Teilnehmer mussten damit rechnen, dass ihre Angebote tatsächlich zum Zuge kamen (eine der vier Runden wurde im Nachhinein per Zufallsverfahren als Ernstfall bestimmt). Es war nun zu erwarten, dass es zu regen Transaktionen kam. Das folgt jedenfalls aus der ökonomischen Theorie. Danach soll das Marktgeschehen dafür sorgen, dass am Ende diejenigen die Becher besitzen werden, die sie am meisten schätzen. Die Versuchsteilnehmer können nach ihrer Wertschätzung der Becher angeordnet werden. Die obere Hälfte in dieser Rangfolge nennen Kahneman, Thaler und Knetsch „Becher-Freunde“ (mug lovers), die untere Hälfte „Becher-Feinde“ (mug haters). Die Becher waren zufällig zugeteilt worden, deswegen konnte erwartet werden, dass in beiden Gruppen je zur Hälfte Freunde und Feinde der Becher vertreten waren. Da 22 Becher verteilt wurden, waren statistisch gesehen je Runde 11 Transaktionen zu erwarten. Tatsächlich kam es in den einzelnen Runden aber nur zu 4, 1, 2 und 2 Transaktionen. Ganz ähnliche Ergebnisse erzielten die Autoren mit einem strukturgleichen Experiment, bei dem es um Kugelschreiber ging. Der Grund für die geringen Marktaktivitäten fand sich in den hohen Reservationspreisen der Verkäufer. Im Mittel wollten die Besitzer ihre Becher nicht für weniger als $ 5,25 verkaufen, die Käufer wollten im Mittel nicht mehr als $ 2,25 bis $ 2,75 bezahlen. Um auszuschließen, dass die Ergebnisse auf ein fehlendes Verständnis über die Logik der Markttransaktionen zurückzuführen war, hatten die Autoren zuvor das Vorgehen anhand fiktiver Wertpapiere „geprobt“. Hierbei kam es, anders als im eigentlichen Experiment, zu den erwarteten Transaktionen – es ging nun ja auch nicht um wirklichen Besitz. Im Übrigen wurde das Experiment sehr häufig mit verschiedenen Personengruppen wiederholt und erbrachte immer wieder dieselben ro-

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busten Ergebnisse. Das Verhältnis zwischen dem gebotenen und dem verlangten Preis bewegte sich bei diesem Experiment immer etwa im Verhältnis von 1 : 2. Bei anderen Studien, mit anderen Methoden und anderen Tauschobjekten, gab es ähnliche Größenordnungen, bei einem Experiment zum Erwerb von Lizenzen zur Hirschjagd betrug das Verhältnis 1 : 6,9, in Umfragen zu Lizenzen für die Elchjagd betrug das Verhältnis 1 : 2,6 (zitiert nach Kahneman/Knetsch/Thaler 1990, S. 1327).

4.2.4 Erklärung (1) Am häufigsten wird zur Erklärung des Besitztumseffekts auf die Verlustangst („loss aversion“) verwiesen und damit auf eine menschliche Disposition, die auch für viele andere Defekte des Entscheidungsverhaltens verantwortlich gemacht wird (Samuelson/Zeckhauser 1988). Etwas zu verlieren wird danach als belastend erlebt, was man sich durch einen überhöhten Preis bezahlen lässt. Man könnte den Besitztumseffekt allerdings auch damit erklären, dass man das erworbene Gut für besonders wertvoll hält. Befragt man die Versuchsteilnehmer danach, stellt sich allerdings heraus, dass die Personen, die das Gut (also z. B. den Kaffeebecher) besitzen, dieses nicht als wertvoller beurteilen als die Personen, die es nicht besitzen. Es ist also nicht so, dass die Attraktivität des Besitztums (aufgrund eben des Besitztums) steigt, es ist eher so, dass es Schmerzen bereitet, etwas, das man besitzt, wieder herzugeben – es sei denn, man habe es bereits in Überfülle (vgl. z. B. das Experiment von Morewedge u. a. 2009). Diese Risikoangst kann ein beträchtliches Ausmaß erreichen. Zwar nimmt man vorhandene Risiken durchaus in Kauf, aber man schätzt sie nicht und ist daher auch bereit, etwas dafür zu bezahlen, um sie zu reduzieren. Jedenfalls müssen die Anreize dafür, dass man ein höheres Risiko eingeht, schon sehr stark sein. Viscusi, Magat und Huber (1987) baten Kunden eines Einkaufszentrums um die Beurteilung eines neuen Insektizids. Der Preis für eine Flasche betrug $ 10. Die Kunden wurden darüber informiert, dass bei fehlerhaftem Gebrauch ein gewisses Gesundheitsrisiko durch Inhalation bzw. Hautverätzungen bestand (in 15 von 10 000 Fällen). Danach befragt, welchen Aufschlag sie zahlen würden, um die Gefährdungen zu reduzieren oder zu beseitigen, ergab sich ein durchschnittlicher Preisaufschlag von $ 3,78. Umgekehrt danach gefragt, wie hoch der Preisabschlag sein müsste, damit man ein Insektizid kaufen würde, das ein etwas (näm-

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lich um 1/10000) höheres Risiko aufwies, erklärten 77 % der Befragten, dass sie ein derartiges Mittel überhaupt nicht kaufen würden. Die Verlustangst betrifft alle Lebensbereiche: Es ist bitter, seine Heimat zu verlassen, Freunde zu verlieren, in der Vitalität nachzulassen und was dergleichen traurige Geschehnisse alles sein können. Und selbst wenn es um erfreuliche Angelegenheiten geht, steht die Verlustangst bereit. Erhält man beispielsweise ein attraktives Stellenangebot, dann muss es oft schon sehr attraktiv sein, damit man es auch annimmt. Denn man gibt ja auch viel auf: Den kurzen Anfahrtsweg, die netten Kollegen, das Ansehen, das man sich erworben hat usw. und das alles für etwas mehr Geld und vage Versprechungen? Man wechselt daher die Arbeitsstelle vor allem dann, wenn man mit der bisherigen Stelle unzufrieden ist und nicht etwa deswegen, weil man eine bessere Stelle angeboten bekommt (vgl. z. B. die Studie von Grund 2003). (2) Eine andere Erklärung macht geltend, dass Opportunitätskosten (so sie überhaupt wahrgenommen werden) eine geringere Wertschätzung erfahren als unmittelbar fällig werdende und zur Auszahlung kommende Kosten („out of pocket costs“). Richard Thaler führt folgendes Beispiel an: „Herr R. erstand in den späten 1950er Jahren eine Sendung Wein. Er zahlte $ 5 je Flasche. Einige Jahre später bot ihm ein Weinhändler an, den Wein zurückzukaufen und zwar zu $ 100 je Flasche. Herr R. schlug das Angebot aus, obwohl er nie Wein kauft, der mehr als $ 35 je Flasche kostet“ (Thaler 1980, S. 43). Die Opportunitätskosten sind erheblich: Würde Herr R. seinen Wein verkaufen, könnte er für den Erlös nur einer Flasche fast drei Flaschen Wein erwerben, die seinen höchsten Ansprüchen genügten. Aber offenbar zählt für Herrn R. nicht so sehr, was ihm damit entgeht, sondern vielmehr das, was ihm als großer Verlust erscheint. Dass auch die Rechtsprechung Probleme mit Opportunitätskosten hat, zeigt ein Beispiel, von dem Cohen und Knetsch (1990) berichten. Ein Lkw-Fahrer hatte einen Unfall verschuldet, der zu einem erheblichen Produktionsausfall führte. Vor Gericht konnte der geschädigte Unternehmer zwar die Löhne für seine Arbeiter geltend machen (die wegen des Produktionsausfalls untätig herumstehen mussten), aber nicht den entgangenen Gewinn. (3) Jenseits dieser ökonomischen Überlegungen (bzw. genauer, deren Missachtung) können auch ganz andere Kräfte zum Zuge kommen, um den Besitztumseffekt hervorzurufen. Hiervon zeugt das zweite Beispiel, das Thaler (1980) anführt: „Herr H. mäht seinen Rasen. Der Nachbarsohn würde seinen Rasen für $ 8 mähen. Herr H. selbst wäre andererseits

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nicht bereit, das gleichgroße Rasenstück seines Nachbarn zu mähen, selbst dann nicht, wenn ihm dieser $ 20 dafür zahlte.“ Auch diesbezüglich lässt sich die Vernachlässigung von Opportunitätskosten ins Spiel bringen. Craig Mackenzie bietet eine wesentlich einfachere Erklärung an, nämlich die wahrscheinlichen inhaltlichen Überzeugungen des Herrn H. Dieser werde – wie vermutlich viele andere – der Auffassung sein, dass es die Pflicht eines jeden Hausbesitzers sei, sich um seinen Rasen selbst zu kümmern: „Mein fauler Nachbar soll seinen verdammten Rasen gefälligst selbst mähen“. (Mackenzie 1997, S. 134) Dass er dessen Sohn nicht an seinen Rasen lässt, kann ähnlich motiviert sein: So, wie man andere nicht seinen Abwasch machen lässt, kümmert man sich auch um seinen eigenen Rasen selbst. In die gleiche Richtung geht die Erklärung von Jon Elster, der auf die Wirksamkeit sozialer Normen hinweist, die es normalerweise unmöglich machen, dass man den Rasen seines Nachbarn mäht (Elster 1991, S. 123). (4) Eine ganz unmittelbare Erklärung des Besitztumseffektes ergibt sich aus der Neigung, den gegenwärtigen Verhältnissen eine besondere Wertschätzung entgegenzubringen. Dieser so genannte „Status quo Bias“ entfaltet seine Wirkung unabhängig, ist jedoch oft an die Verlustangst gekoppelt. Er ist unter anderem mitverantwortlich dafür, dass viele Menschen Entscheidungen hinausschieben oder auch einfach gar keine Entscheidungen treffen, also sozusagen die Alternative des Nichtstuns wählen. Ein derartiges Verhalten widerspricht natürlich der traditionellen Entscheidungstheorie, nach der Menschen diejenige Handlungsalternative wählen, die ihnen (unter Beachtung eventueller Transaktions- und Veränderungskosten) den größten Ertrag verspricht, dem gegebenen Zustand (der Alternative, alles beim alten zu lassen) kommt danach kein privilegierter Status zu. In zahlreichen Studien konnte allerdings gezeigt werden, dass es mitunter erheblicher Anreize bedarf um jemanden zur Veränderung des Status quo zu veranlassen. Das zeigt sich schon in einfachen „Framing“-Experimenten, über die Samuelson und Zeckhauser (1988) berichten: Wird eine Alternative als „Status quo“-Alternative beschrieben, dann wird sie wesentlich häufiger gewählt, als wenn die Alternativenformulierung in neutraler Weise erfolgt oder wenn die in Frage stehende Alternative eine Veränderung des bisherigen Verhaltens impliziert. Die Autoren demonstrieren die Wirksamkeit des Status quo Bias außerdem anhand von Zahlen über die Wahl und den Wechsel von Kranken- und Rentenversicherungen. Dass es vielen Menschen schwer fällt, ihr Verhalten

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zu ändern, einen Vertrag aufzukündigen, sich nach neuen Möglichkeiten umzusehen, ist eine alltägliche Erfahrung. Man wechselt den Stromanbieter nur schwer, selbst wenn einem dies leicht gemacht wird, Unternehmen verharren bei ihren suboptimalen Strategien (Starbuck 1983), Menschen lieben ihre einmal gefassten Meinungen (Abelson 1986) usw. Ein eindrückliches Beispiel liefert auch die geringe Berufsmobilität. Anders als von den meisten Theorien der Arbeitsökonomie unterstellt wird, tun sich Menschen nämlich schwer, ihren Beruf zu wechseln, ein Tatbestand, auf den nicht selten hingewiesen wird, um den Arbeitnehmern in ideologischer Weise mangelhafte Mobilitätsbereitschaft zu unterstellen. Die Erklärung des Besitztumseffektes mit Hilfe des Status Quo Bias ist ein typisches Beispiel dafür, dass sich manche Entscheidungsdefekte mit anderen Entscheidungsdefekten erklären lassen. (5) Eine interessante Alternative zu der oben genannten Standarderklärung, die auf die Verlustangst rekurriert, stammt von Brett Inder und Terry O’Brien (2003). Das zentrale Gefühl, das sich bei der Preisfestsetzung oft einstellt, ist nach der Vorstellung dieser beiden Autoren die Unsicherheit. Unsicherheit erzeugt Angst. Damit sind aber noch nicht alle Gefühle beschrieben, die im Spiel sein können. Wenn die Wahrscheinlichkeit für einen negativen Ausgang sehr groß ist, dennoch aber eine gewisse Aussicht dafür besteht, dass es zu einem positiven Ergebnis kommt, dann verknüpft sich damit das Gefühl der Hoffnung. Umgekehrt wird man bei der Erwartung eines positiven Ergebnisses, dessen Eintritt aber nicht ganz sicher ist, ein gewisses Maß an Besorgnis nicht vermeiden können. Es sind die Nettoeffekte der antizipierten psychologischen Reaktionen, die – gemeinsam mit den Gewinn- und Verlustaussichten – dafür verantwortlich sind, welche Entscheidungen man trifft. Die Festlegung des richtigen Preises ist nun in der Tat oft eine unsichere Angelegenheit. Entsprechend ist auch mit den beschriebenen psychologischen Reaktionen zu rechnen, man befürchtet, als Käufer zu viel zu bieten, als Verkäufer, zu wenig zu verlangen. Daraus ergibt sich bei einem gegebenen Güternutzen zwangsläufig ein Besitztumseffekt (es sei denn, es entstehen auf beiden Seiten keine psychischen Kosten durch Unsicherheit), denn der Käufer wird nur bereit sein den Preis zu zahlen, bei dem die aus der Unsicherheitsbelastung entstehenden psychischen Kosten abgegolten sind, und der Verkäufer wird umgekehrt seine Unsicherheitskosten aufschlagen. Mit Hilfe dieser Überlegungen lässt sich unter anderem plausibel machen, warum sich die Preisvorstellungen bei mehrfachen Durchläufen der Preisexperimente

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einander oft annähern: Man lernt die Reaktionen des Transaktionspartners kennen, damit reduziert sich die Unsicherheit und die durch die Unsicherheit motivierten Preisaufschläge und Preisabschläge werden immer kleiner. (6) Besitz schafft eine spezielle Objektbeziehung. Manchmal kommt es sogar zu einer psychischen Verschmelzung von Subjekt und Objekt: Der Gegenstand des Besitzes wird gewissermaßen zu einem Teil von einem selbst, sich von ihm zu trennen, ist entsprechend schwer. Dinge, mit denen man sich umgibt, sind gewissermaßen „Identitätszeichen“, man kann sich in ihnen spiegeln, sie symbolisieren, was man ist, sie sagen etwas darüber aus, was man erreicht hat, welche Beziehungen man pflegt, was man für bedeutsam hält (Belk 1991; Ferraro/Escalas/Bettman 2011). Die Symbolik des Besitzes richtet sich aber nicht nur nach innen, sie hat auch starke soziale Bezüge, sie ist nicht selten das Ergebnis sozialer Definitionsprozesse, die dem Besitzer Status und Bedeutung verleihen, Besitz ist also auch ein Vermittler sozialer Identität (Dittmar 1992). Bei allen Gütern, die mit einer starken Symbolik aufgeladen sind, dürfte der Besitztumseffekt daher in besonderer Weise zur Geltung kommen. Der „objektive“ Wert spielt dabei nur eine Nebenrolle, es geht bei diesen Gütern also nicht nur um Kunstwerke, Prestigegüter und erlesenen Geschmack, sondern auch um gewöhnliche Sammelobjekte, Erinnerungsstücke und persönliche Eigenheiten. Und manchmal geht es auch um die Verteidigung und Rechtfertigung einer bestimmten Handlung oder um den Beweis, dass einem ein überteuert erworbenes Gut tatsächlich lieb und teuer ist. (7) Es gibt neben den angeführten eine ganze Reihe weiterer Erklärungsansätze für den Besitztumseffekt. Sevdalis, Harvey und Bell (2009) weisen beispielsweise darauf hin, dass die Verkäufer nicht hinreichend in der Lage sind, die Gefühlserlebnisse einzuschätzen, die mit dem Besitz eines Gutes verbunden sind. Das hat dann wohl etwas damit zu tun, wie jemand seinen Nutzen einschätzt, ob er ein klares Bild von seinen Präferenzen hat usw., ein Punkt, der sicher seine Bedeutung hat, aber doch eigentlich eben das ist, was nach einer Erklärung verlangt. Mackenzie (1997) macht, wie bereits erwähnt, geltend, dass es einen ganz direkten Weg zur Erklärung von Besitztumseffekten gibt, man müsse beispielsweise in dem oben angeführten Wein-Beispiel nicht auf die Opportunitätskosten rekurrieren, vielmehr könne man aus der Motivlage eines Menschen oft bereits erkennen, warum er einen „überhöhten“ Preis verlange. So schätzen Weinliebhaber die Möglichkeit, Weine verschiedener Lagen und Jahr-

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gänge zu vergleichen, sie erfreuen sich an Sammlerstücken, sie nutzen den Wein als Geldanlage, sie lassen gern in ein Gespräch einfließen, wie wertvoll die Weine sind, die in ihrem Keller lagern, sie wollen besondere Anlässe mit einem besonderen Umtrunk begehen usw. Die Motiverklärung widerspricht allerdings nicht unbedingt der Opportunitätskostenerklärung, beide Deutungen können sich ergänzen. Gleiches gilt für weitere Erklärungsansätze. Nach Carmon und Ariely (2000) richten Käufer und Verkäufer ihre Aufmerksamkeit jeweils auf das, was sie verlieren, die Käufer also auf ihr Geld, die Verkäufer dagegen auf ihren Besitz. Entsprechend werden die Käufer eher die positiven, die Verkäufer dagegen eher die negativen Eigenschaften der in Frage stehenden Tauschgüter ins Auge fassen (Nayakankuppam/Mishra 2005). Brenner u. a. (2007) betrachten neben den Verlusten, die aus dem Besitzverlust entstehen können, auch die Fälle, in denen mit dem Besitzverlust ein Wertgewinn einhergeht und in denen durch den Besitzgewinn Wertverluste und -gewinne entstehen. Sie differenzieren daher bei der Verlustangst zwischen der Besitz-Verlustangst und der Wert-Verlustangst und kommen demgemäß zu entsprechend differenzierteren Aussagen.

4.2.5 Zusammenhänge Bei einem Thema wie dem Besitz spielen Emotionen natürlich eine große Rolle. Wer Geld oder Gut verliert, hat damit große Probleme. Dass auch aus der bloßen Möglichkeit etwas zu verlieren ein starker Vorbehalt gegen zu große Leichtfertigkeit im Umgang mit seinem Gut entsteht, ist daher leicht nachzuvollziehen. Die negativen Gefühle, die aus der Befürchtung entstehen, man könne etwas unter Wert weggeben, sind denn auch maßgeblich für den Besitztumseffekt mit verantwortlich, woraus sich die Frage ergibt, von welchen Einflussgrößen wiederum die negativen Antizipationen abhängig sind. Interessanterweise kommt dabei erneut eine emotionale Größe zum Zuge, nämlich die während der Transaktion vorliegende persönliche Stimmung. Eine gute Stimmung ist ein Indikator dafür, dass man es mit einer freundlichen Situation zu tun hat – was negative Erwartungen reduziert und zu einer Abmilderung des Besitztumseffekts führen dürfte. Eine negative Stimmungslage ist dagegen eher ein Indikator für mögliche Bedrohungen und dürfte daher die Neigung zu negativen Antizipationen und damit den Besitztumseffekt eher verstärken (Zhang/

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Fishbach 2005). Lin u. a. (2006) kommen allerdings in einer Studie zum gegenteiligen Ergebnis: Der Besitztumseffekt zeigt sich danach nur in der positiven Stimmung und löst sich in einer negativen Stimmung auf. Die Autoren dieser Studie begründen dies mit einem Generalisierungseffekt: wenn man sich in einer negativen Stimmung befindet, werden sich die vorhandenen negativen Gefühle auch auf das Besitztum übertragen, man wird es also nicht so überschätzen wie in einer positiven Stimmung. Dass negative Antizipationen die Befürchtung, etwas unter Wert herzugeben und damit den Besitztumseffekt verstärken dürften, ist allerdings „fast“ logisch. Eine Möglichkeit, diesen Befürchtungen etwas entgegenzusetzen, besteht darin, sich daran zu erinnern, welche Konsequenzen aus verpassten Gelegenheiten entstehen können (Zhang/Fishbach 2005). Bei manchen Geschäfts- oder Transaktionsideen verbieten sich taktische Überlegungen. Kahneman, Knetsch und Thaler (1991) illustrieren dies an folgendem fiktiven Beispiel: Angenommen ein Investor möchte den Grand Canyon kaufen und einen Freizeitpark daraus machen. Was würde man verlangen? Und umgekehrt, wenn der Investor schon das Recht dazu erworben hat, den Freizeitpark einzurichten, was würde man bezahlen um dieses Recht zurückzukaufen? Mitchell und Carson (1989) weisen darauf hin, dass bei solcherart Fragen schnell moralisch argumentiert wird („Der Ausverkauf der Natur kann grundsätzlich nicht gestattet werden!“), so dass Preisbetrachtungen für die Befragten überhaupt nicht in Frage kommen. Nicht zu unterschätzen sind außerdem kulturelle Einflüsse. In Kulturen, in denen die Werte Unabhängigkeit und Selbstbestätigung betont werden, dürfte der Besitztumseffekt stärker sein als in Kulturen, die eher Gemeinschaftswerte betonen. Wie Maddux u. a. (2010) zeigen, kommt es hierbei allerdings darauf an, ob das in Frage stehende Gut irgendeine symbolische Bedeutung im Hinblick auf die Grundwerte der Kultur, also zum Beispiel auf die „Selbstbestätigung“ oder die „Gemeinschaft“ besitzt. Aus diesem Grund verbietet sich die angeführte Verallgemeinerung, weil beispielsweise Geschenke von Freunden oder Kollegen in gemeinschaftsorientierten Kulturen zu einem eher stärkeren Besitztumseffekt führen dürften als in individuumszentrierten Kulturen. Das Besitztumsverhalten dürfte schließlich auch von den persönlichen Dispositionen einer Person bestimmt werden, etwa von ihrer materialistischen Orientierung. Für einen Materialisten kreist alles im Leben um „Erwerb und Besitz“. Beides sind wesentliche Quellen seiner Zufriedenheit

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und seines Wohlbefindens sowie der Maßstab, an dem er den Erfolg seiner Mitmenschen bemisst (Richins/Rudmin 1994). Zwar gibt es nur wenige Studien, die die Beziehung zwischen Materialismus und Besitztumseffekt unmittelbar untersucht haben (vgl. z. B. Lens/Pandelaere/Warlop 2009), die Bezüge zwischen diesen beiden Variablen liegen aber auf der Hand. Das zeigen unter anderem verschiedene Untersuchungen zum Spende-Verhalten: Materialisten sind weniger bereit zu Organspenden, sie teilen nicht gern und zwar selbst dann nicht, wenn ihnen ein Gewinn zufällig in die Hände gefallen ist, und sie spenden weniger an wohltätige Einrichtungen (Richins/Rudmin 1994, S. 224 f.). Dass auch Persönlichkeitsfaktoren wie die Ängstlichkeit oder Besorgtheit eine Rolle spielen dürften, versteht sich eigentlich von selbst (Ganesan/Saqib 2010). Daneben kommt es darauf an, wie sich der Entscheidungsprozess gestaltet. Die Aufmerksamkeit, die man einer Alternative widmet, lässt attraktive Alternativen wertvoller, unattraktive Alternativen weniger wertvoll erscheinen (Dhar/Nowlis/Sherman 1999), ein enger zeitlicher Rahmen verstärkt, ein weiter zeitlicher Rahmen vermindert den Besitztumseffekt (Chatterjee/Irmak 2010). Bedeutsam sind außerdem die Wahl des Referenzpreises und die damit verknüpften Vorstellungen von einem guten oder schlechten Geschäft (Isoni 2010). Besonderes Interesse verdient ein zwiespältiger Mechanismus, der Zufriedenheit und Verlangen bestimmt, nämlich die Frustration, die entsteht, wenn einem ein Gut vorenthalten wird. Sie steigert einerseits das Verlangen („wanting“) nach dem buchstäblichen „Objekt der Begierde“, sie vermindert andererseits aber auch die Wertschätzung („liking“), des in Frage stehenden Gutes (Litt/Kahn/Shiv 2010), etwa im Sinne des Saure-Trauben-Effekts (Elster 1983). Als wichtige Einflussgröße gilt schließlich noch die Professionalität der Akteure. Eine der wenigen Studien, die sich auf das Verhalten bei realen Finanztransaktionen beziehen, stammt von Furche und Johnstone (2006). Sie konnten zeigen, dass sich der Besitztumseffekt durchaus auch bei der Angebotsstellung auf Finanzmärkten zeigt, er ist bei professionellen Händlern allerdings schwächer ausgeprägt als bei privaten Händlern. Plott und Zeiler (2005) weisen darauf hin, dass der Besitztumseffekt wesentlich an Bedeutung verlieren würde, wenn die Akteure die Natur von Tauschgeschäften besser verstünden, wenn sie eine strategische Haltung einnähmen und wenn die Transaktionen anonym durchgeführt würden.

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4.2.6 Würdigung Der Besitztumseffekt gilt vielen als vielfach bestätigter und sehr robuster Beleg für die beschränkte Rationalität des Menschen selbst im Umgang mit Geld und Gut. Wie nicht anders zu erwarten, wird seine Bedeutung aber auch verschiedentlich bestritten. So wird nicht selten argumentiert, die in den einschlägigen Studien nachgewiesenen Effekte seien oft nur Artefakte, denn wenn die Versuchsteilnehmer über das richtige Verhalten aufgeklärt wären, wenn sie hinreichend Erfahrungen machen könnten, wenn sie die Regeln des Marktes beachteten, dann verhielten sie sich auch so, wie es die traditionelle Nutzentheorie verlange. Wie häufig in derartigen Diskussionen über den Wert und die Grenzen einer eher ökonomisch oder einer eher verhaltenswissenschaftlich fundierten Nutzentheorie, ist das auch im Hinblick auf den Besitztumseffekt ein müßiger Streit (Knetsch/Tang/ Thaler 2001; List 2004; Plott/Zeiler 2005; Kahneman/Knetsch/ Thaler 2008). Denn niemand wird bestreiten, dass Menschen in der Lage sind, die Regeln eines Spiels – und damit auch die Regeln eines strikt auf den eigenen Vorteil bedachten Markttauschs – zu erlernen und anzuwenden. Und niemand wird bestreiten, dass Menschen an ihrem Besitz hängen, dass es ihnen schwerfällt, etwas herzugeben, zumal dann, wenn es ihnen ans Herz gewachsen ist, ganz gleichgültig ob einem Dritten die Gründe hierfür nun einleuchten mögen oder nicht.

5 Selbst 5.1 Selbsttäuschung The removal of self-deception is also a change in the self. Martha Nussbaum: Love’s Knowledge, S. 504 Selbsttäuschung ist ein einfaches und gleichzeitig ein schwieriges Phänomen. Einfach ist die Logik der Selbsttäuschung: Wenn man in einer bestimmten Handlungssituation etwas glaubt, obwohl man es „eigentlich“ nicht glaubt (d. h. obwohl man es „eigentlich“ besser „weiß“), dann täuscht man sich selbst. Wer also von sich denkt, er sei klug, ehrlich usw., wer glaubt, seine Frau sei schön, treu usw., wer annimmt, dass er mit Gesundheit, Wohlstand und Glück gesegnet sei – und wer gleichzeitig „weiß“, dass diese Überzeugungen in ihrem Kern alle falsch sind, dieses Wissen aber verharmlost, beschönigt, ignoriert, verdrängt, der erliegt einer Selbsttäuschung. Schwierig ist die Diagnose der Selbsttäuschung: Ob man einer Selbsttäuschung unterliegt, lässt sich auf Anhieb nur bei einfachen Dingen feststellen. Ob jemand zu viel ausgibt, kann man an den Bewegungen seines Bankkontos feststellen, ob ein Vortrag wenig Anklang findet, kann man am ausbleibenden Beifall bemessen usw. Wer sich diesbezüglich etwas vormacht, braucht nur genauer hinzuschauen, um sich eines Besseren zu belehren. In vielen Bereichen ist dies anders, vor allem bei Dingen, die eine erhebliche Bestimmungsleistung verlangen. Woran will ein Schriftsteller etwa erkennen, ob seine Arbeit Anklang findet? An den geringen Verkaufszahlen? An den unvorteilhaften Verträgen, die ihm sein Verleger aufzwingt, an der liebevollen Post treuer Leser, an den arroganten Einlassungen der selbstverliebten Literaturkritik, daran, ob er zu Talkshows eingeladen wird, dass er immer wieder mal für den einen oder anderen Literaturpreis im Gespräch ist oder daran, dass seine engsten Freunde mit ihm lieber nicht über seine Bücher sprechen? Bei der Selbsttäuschung geht es nicht nur darum, welche Aspekte (nicht) in die Beurteilung eingehen, sondern außerdem darum, ob man die jeweiligen

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Aspekte auch richtig einschätzt, ob also eine Rezension wirklich herablassend oder vielleicht nur nachlässig war usw. Bei vielen Sachverhalten besteht ein großer Deutungsbedarf, etwa bei der Beurteilung von Charaktereigenschaften, sozialen Beziehungen, Erfolgen und Misserfolgen oder beim Treffen schwieriger Entscheidungen, bei der Bewältigung von Stress und beim Umgang mit Unsicherheit und der Ambivalenz von Gefühlen. In diesen Fällen ist nicht immer leicht auszumachen, an welcher Stelle das Bemühen um eine realistische Einschätzung vorhanden ist und wo Selbsttäuschungen zum Zuge kommen. Selbsttäuschung lässt sich daher paradoxerweise oft daran erkennen, dass es sich jemand einfach macht. Wenn ein Politiker glaubt, er sei ein guter Politiker, nur weil er beliebt ist, wenn ein Familienvater denkt, er sei schon deswegen eine treusorgende Seele, weil sein Einkommen der Familie ein komfortables Leben erlaubt, wenn Wissenschaftler von sich behaupten, sie seien gute Wissenschaftler, weil sie viele Veröffentlichungen vorzuweisen haben, dann kann man seine Zweifel haben, ob diese Personen ehrlich mit sich umgehen.

5.1.1 Begriff Selbsttäuschungen richten sich auf Überzeugungen. Im Hinblick auf eine Überzeugung p liegt – so Alfred Mele – dann Selbsttäuschung vor, wenn folgende Bedingungen gegeben sind: „(1) Die Überzeugung p, die [die Person] S übernimmt, ist falsch. (2) S behandelt Daten, die für die Beurteilung der Wahrheit von p relevant sind (oder zumindest relevant erscheinen) in einer voreingenommenen Weise. (3) Diese voreingenommene Behandlung ist eine nichtzufällige [„nondeviant“] Ursache für die Übernahme von p durch S. (4) Die vorliegenden Daten, über die S verfügt, sprechen eher für nicht-p als für p“ (Mele 2001, S. 50 f.). Man kann darin eine abgeschwächte Version der „traditionellen Auffassung“ sehen, die sich nicht mit der Voreingenommenheitsannahme begnügt, sondern auf das durchaus absichtsvolle Handeln abstellt, sich vom Gegenteil von p zu überzeugen, obwohl man glaubt oder weiß, dass p richtig ist (Davidson 1985; vgl. auch die Diskussion zwischen Audi 2007 und Mele 2010). Gemeinsam ist beiden Auffassungen, dass es nicht genügt, bloß falsche Überzeugungen oder Ignoranz zu unterstellen, wenn man über Selbsttäuschung spricht. Selbsttäuschung liegt erst dann vor, wenn es eine „innere Dynamik“ gibt, die darauf gerichtet ist, unangenehme Wahrheiten oder

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Schlussfolgerungen zu vermeiden (Martin 2008). Selbsttäuschung ist also mehr als nur ein voreingenommenes Argumentieren, es ist ein aktives sich Belügen, ein Vertuschen, ein bemühtes Zurückdrängen von akzeptiertem Wissen. Die Merkmale und damit die Arten der Selbsttäuschung variieren, es gibt relativ belanglose Täuschungen, die sich beispielsweise darauf richten, ob man ein guter Autofahrer ist ober ob man sich ausreichend auf die Klausur vorbereitet hat und die eher belanglose Tatbestände betreffen wie die, dass man gewisse Unarten, die man sich angewöhnt hat, bagatellisiert. Daneben unterliegen nicht wenige Menschen aber auch gravierenden Täuschungen: Man überschätzt die eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten, man blendet unliebsame Tatbestände aus, die die Ideologien und Dogmen, denen man anhängt, nachdrücklich in Frage stellen und man „strickt“ an seinen kleinen und großen Lebenslügen. Es gibt aber nicht nur unerhebliche und erhebliche, es gibt außerdem starke und schwache Täuschungen, man kann sich also „sehr“ täuschen oder nur „ein wenig“. Man kann außerdem mehr oder weniger Kraft und Imagination brauchen, um seine Täuschungen aufrechterhalten zu können, die Täuschungen können selten oder häufig ins Bewusstsein dringen und sie können dicht unter der Oberfläche „lauern“ oder sich tief im Innern der Psyche verbergen. Um das Phänomen der Selbsttäuschung richtig einzuschätzen, ist es hilfreich, es von einigen nahe verwandten Begriffen abzugrenzen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Fehleinschätzungen nicht immer „motiviert“ sind, sondern auch einfach auf einer unzureichenden Wirklichkeitswahrnehmung beruhen können – in diesem Fall spricht man besser von einem Irrtum als von einer Täuschung. Wobei es hier natürlich eine Grauzone gibt, weil man sich ja entweder mehr oder weniger darum bemühen kann, einen Irrtum aufzudecken oder sich mehr oder weniger gern mit ihm einrichtet. Ähnliches gilt für „schwankende“ Überzeugungen, also für eine gewisse Unstetigkeit im Urteil. Weil es nicht immer leicht zu bestimmen ist, ob man etwas für wahr oder für falsch halten soll, lässt sich nicht immer zweifelsfrei entscheiden, ob eine absichtsvolle oder eine absichtslose Fehleinschätzung vorliegt. Selbsttäuschung sollte außerdem nicht mit Wunschdenken gleichgesetzt werden. Wunschdenken ist zwar ebenfalls motiviertes Denken, aber mit ihm geht keine Täuschungsabsicht einher (vgl. den entsprechenden Abschnitt im vorliegenden Buch). Selbsttäuschung als Glaube an falsche Überzeugungen ist außerdem nicht dasselbe wie das Vertrauen in bislang nicht bewiesene Überzeugungen, die

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sich immerhin noch als wahr herausstellen könnten. Träume und Hoffnungen machen unser Leben erträglicher und erfreulicher, ihnen liegen nicht notwendigerweise Eskapismus oder Täuschungsabsichten zugrunde. Eine Zwischenstellung nehmen Selbstbeschwichtigungen ein, bei denen man sich einredet, „alles im Griff“ zu haben. Dabei geht es – wenn man so will – um den ganz bewussten Versuch, sich etwas vorzumachen, was auch gelingen kann, jedenfalls dann, wenn das Bedürfnis nach Sicherheit stark und die Fähigkeit der Autosuggestion groß ist. Selbstbeschwichtigungen sind aber in gewissem Sinne „kalkulierte“ Aktionen und daher nur bedingt Täuschungen. Doch auch Selbstbeschwichtigungen funktionieren paradoxerweise nur (ebenso übrigens wie Selbsttäuschungen), wenn es einem gelingt, die taktische Dimension, die sie bestimmen, aus dem Bewusstsein auszublenden. Über eine „positive“ Form der Selbsttäuschung berichtet Jon Elster. Eine Person, die Schwierigkeiten mit dem Alkohol hat, kann folgende Überlegung anstellen: „(1) Wenn ich mir jetzt einen „Drink“ genehmige, kann ich bei den nächsten Gelegenheiten darauf verzichten, und es entsteht kein Schaden. (2) Aber habe ich wirklich irgendein Argument dafür, dass ich mich bei zukünftigen Gelegenheiten anders verhalten werde als jetzt? (3) Wenn ich darüber nachdenke, ist es besser jetzt zu verzichten, denn sonst werde ich fast sicher das nächste Mal in Versuchung geführt“ (Elster 1985, S. 8). Die vorgestellte künftige Situation unterscheidet sich eben doch von der augenblicklichen Situation, denn nun weiß der Protagonist ja, wie er sich in der ersten Situation verhalten hat. Diese Information beschränkt die Möglichkeiten, sich das eigene Selbstbild zurechtzubiegen. Durch die Selbsttäuschung (man ist ja kein anderer, ob man nun in der ersten Situation getrunken hat oder nicht) erzeugt man gewissermaßen eine positive sich selbst erfüllende Prophezeiung. Im geschilderten Fall geht es nicht nur um eine Selbsttäuschung, sondern auch um eine Selbstüberlistung. Sie zielt auf das Arrangieren einer Handlungssituation, die einen dazu veranlasst, etwas zu tun, das man „eigentlich“ gar nicht tun will. George Ainslie spricht in diesem Zusammenhang von einem rationalen Umgang mit der eigenen Rationalität. Arrangements, die in der Lage sind, das Handeln zu kanalisieren und damit ein „Prä-Commitment“ erzeugen, können dazu beitragen, das Dominanzstreben kurzfristig ausgerichteter Verhaltensimpulse zu begrenzen – oder einfacher gesagt: Versuchungen zu widerstehen (Ainslie 1985, S. 144). Auf den Unterschied zwischen Selbsttäuschungen und Einbildungen

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oder Illusionen weist Thomas Schelling hin. Er führt dazu folgende Überlegung an: „Wenn ich weiß, dass eine Person geschminkt schöner aussieht, als wenn sie ungeschminkt ist, und wenn ich ihr geschminktes Aussehen vorziehe, denke ich dann, dass Kosmetika sie schöner machen oder reagiere ich nur auf einen Anblick, der sowohl die Schminke als auch das Gesicht einschließt?“ (Schelling 1985, S. 187) Selbsttäuschung („self-deception“) ist für Schelling ein rein intellektueller Vorgang, macht man sich dagegen Illusionen („self-delusions“), betrifft das umfassender die gesamte Eindrucksbildung. Um das Phänomen der Selbsttäuschung angemessen einschätzen zu können, ist zu beachten, dass es auch eine „verdrehte“ Selbsttäuschung gibt, nämlich dass sich Menschen merkwürdigerweise mitunter absichtsvoll der Täuschung hingeben, etwas sei anders, als sie es wollen. Eifersüchtige Personen beispielsweise reden sich gerade das schlecht, was sie am meisten begehren (Mele 2001). Und schließlich ergibt sich für den Begriff der Selbsttäuschung eine ganz große Schwierigkeit aus dem Tatbestand, dass es verschiedene psychische Instanzen gibt (Argumente, Gefühle, Verhaltensimpulse, Wahrnehmungen usw.), die für sich in Anspruch nehmen, die wahre Überzeugung zum Ausdruck zu bringen (vgl. z. B. Funkhouser 2009), so dass – zumindest im konkreten Einzelfall – oft alles andere als klar ist, an welcher Stelle und ob überhaupt von einer Selbsttäuschung gesprochen werden kann. Abschließend sei nochmals darauf hingewiesen, dass es bei Selbsttäuschungen nicht immer unmittelbar um die eigene Person geht (um Eigenschaften, Motive, Verhaltensweisen usw.), Selbsttäuschungen können auch alle anderen Objekte betreffen, die für eine Person von Bedeutung sind, also soziale Beziehungen, politische Programme, Theorien, Weltanschauungen, Küchengeräte, Kunst, Kindererziehung, Organisationen, Schauspieler, Hausmeister, Apfelsorten usw.

5.1.2 Beispiele Jeder Mensch unterliegt Selbsttäuschungen. Menschen geben sich zuversichtlich, auch wenn sie verzagt sind, gleichgültig, selbst wenn sie große Sorgen plagen, gläubig, trotz größter Zweifel, klug in all ihrer Ignoranz usw. Dass Menschen gern zu semantischen Verdrehungen Zuflucht nehmen, muss daher nicht verwundern. Im Bedarfsfall gilt Heimtücke dann schon mal als Raffinesse, Sturheit als Beständigkeit, Begierde als Liebe,

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Wahrheit als relativ und Geiz als geil. Selbsttäuschungen sind aber nicht nur im Alltag an der Tagesordnung, sie sind auch ein Lieblingsthema der Literatur. Klassiker des Lebenslügen-Theaters sind „Die Wildente“ von Henrik Ibsen und „Der Tod eines Handlungsreisenden“ von Arthur Miller. In seinem berühmten Roman beschreibt Leo Tolstoi das traurige Schicksal der „Anna Karenina“, die, außerehelich liiert mit dem Grafen Wronsky und zwangsweise getrennt von ihrem schmerzlich vermissten Sohn Sergej, sich lange Zeit einredet, glücklich zu sein – bis sie schließlich, von ihren beklagenswerten Verhältnissen bedrängt, ihrem Leben ein Ende setzt. Tatsächlich wird Selbsttäuschung in der schöngeistigen Literatur vor allem unter dem Gesichtspunkt betrachtet, inwieweit sie dazu beitragen kann, das Lebensunglück erträglicher zu machen, was aber oft nicht gelingt (Martin 2011), manchmal aber scheinbar doch, wie etwa bei den Protagonisten des Romans „Confidence“ von Henry James. Bei der Selbsttäuschung geht es aber nicht immer nur um das Lebens- und Liebesglück, sondern auch um die Aushöhlung von Weltanschauungen wie etwa im Roman „Buddenbrooks“ von Thomas Mann, um die Verblendungswirkung von Äußerlichkeiten in der Erzählung „Kleider machen Leute“ von Gottfried Keller, um die Illusion, einen einmal eingeschlagenen Weg wieder verlassen zu können im Drama „Die Räuber“ von Friedrich Schiller (zu weiteren Beispielen vgl. Marcus 2007). Im allgemeinen Sprachgebrauch gibt es ebenfalls ein starkes Bewusstsein für die Anfechtungen der Selbsttäuschung. Es findet seinen Ausdruck in Sprichwörtern wie „Alt und klug, schützt nicht vor Selbstbetrug“ oder in Redensarten wie der, wonach „nicht sein kann, was nicht sein darf“ (vgl. das Gedicht „Die unmögliche Tatsache“ von Christian Morgenstern). In der Geschichte und Politik drängeln sich die Akteure, die sich durch grandiose Selbsttäuschungen hervorgetan haben. Sie alle aufzuzählen bedürfte es gesonderter Bücher (vgl. z. B. Triandis 2009). Ganz generell kann man davon ausgehen, dass beispielsweise beim Ausbruch von Kriegen die Selbsttäuschung an vorderster Front steht. Kriege sind immer Abenteuer, weil niemand wirklich voraussehen kann, welchen Verlauf sie nehmen werden, und sie brauchen daher eine wie immer geartete Verklärung. Bemerkenswerterweise spielt die Selbsttäuschung auch in der Geistesgeschichte eine große Rolle. Folgt man Friedrich Nietzsche, dann war es nicht so sehr die Ergriffenheit von der christlichen Botschaft, die Paulus zum 13. Apostel machte, sondern seine Auseinandersetzung mit der Gesetzlichkeit des jüdischen Glaubens, die ihm – in Anbetracht seiner psy-

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chischen Ausstattung – große Probleme bereitete. Die von ihm mit missionarischem Eifer vertretene neue Lehre lieferte Paulus den idealen Fluchtpunkt, um mit seinen eher persönlichen Problemen zurechtzukommen. Mit der ihm eigenen Polemik schreibt Nietzsche in diesem Zusammenhang: „Die Ehrlichkeit ist die große Versucherin aller Fanatiker“ (Nietzsche 1990, S. 289, Abschnitt 511). Auch für die Entwicklung von Wissenschaft und Kunst kommt der Selbsttäuschung eine große Bedeutung zu. Das ist jedenfalls die Auffassung von Sigmund Freud, dem Begründer der psychoanalytischen Schule. Kulturleistungen sind, so seine Auffassung, Sublimierungsleistungen. Sie werden möglich, wenn es gelingt, die Energie, die in den niederen triebhaften Regungen des Menschen steckt, auf höherwertige geistige Objekte zu richten. Ob es sich bei diesem Prozess bloß um eine Triebumleitung oder um eine echte Verwandlung des menschlichen Antriebs handelt, ist umstritten. Jedenfalls gelingt es nicht allen Menschen, den Sublimierungsakt wirklich zu vollziehen, kulturell angepasstes Verhalten ist für Freud daher oft nur Kulturheuchelei, und es ist aus seiner Sicht daher auch nicht verwunderlich, dass Überforderungen durch kulturelle Imperative neurotische Reaktionsbildungen auslösen können (Freud 1986, S. 44).

5.1.3 Erklärung (1) Einen zentralen Stellenwert in der Freudschen Theorie und im gesamten psychoanalytischen Schrifttum besitzt die Frage nach der Rolle des Unbewussten. Ganz unabhängig davon, wie man diese Theorie grundsätzlich beurteilen will, durch die Aufteilung in eine bewusste und eine unbewusste Sphäre löst sich jedenfalls das logische Rätsel auf, wie es möglich sein kann, dass man gleichzeitig etwas glaubt und nicht glaubt (Lockie 2003). Selbsttäuschung ist im Lichte der Tiefenpsychologie einfach ein psychologischer Akt, der unpassende Informationen ins Unbewusste verschiebt. Das bedeutet nicht, dass die unerwünschte Information damit ihre psychologische Kraft verlöre, das Gegenteil ist oft der Fall, die Widersprüchlichkeit ist der Person lediglich nicht mehr bewusst – und kann damit das Verhalten bestimmen, ohne dass man dessen inne wird. Einen Wissenschaftler treibt daher vielleicht nicht so sehr – wie er meinen könnte – seine Wahrheitsliebe als vielmehr seine Ehrsucht, es geht einer Mutter unter Umständen nicht um die beste Fürsorge für ihre Kinder, sondern

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einzig um die Befriedigung ihres Machtbedürfnisses, man diskutiert nicht um einer Sache willen, sondern um seine Aggressionen abzureagieren usw. Es stellt sich natürlich die Frage, wie es möglich ist, dass die „wahren“ Verhaltensantriebe aus dem Blickfeld des Bewusstseins verschwinden. Eine zentrale Rolle spielen hierbei verschiedene „Abwehrmechanismen“, sie sorgen dafür, dass das Ich von Anforderungen entlastet wird, die es nicht bewältigen kann. Es gibt eine ganze Reihe von Katalogen, in denen Abwehrmechanismen beschrieben werden (u. a. Freud 1936; Sandler/ Freud 1985; Cramer 1991; Vaillant 1992), zum Beispiel die Projektion (die eigenen Antriebe werden einer anderen Person zugeschrieben), die Rationalisierung (man sucht und findet rationale Gründe für seine Überzeugungen), die Verleugnung (man bestreitet die Existenz unangenehmer Wahrheiten) oder die Isolierung (man trennt eigentlich zusammengehörige Überzeugungen voneinander ab). Die größte unmittelbare Bedeutung für die Selbsttäuschung kommt der Verdrängung zu. Freud schreibt hierzu: „Wir werden … durch die psychoanalytische Erfahrung … zu dem Schluß genötigt, daß die Verdrängung kein ursprünglich vorhandener Abwehrmechanismus ist, daß sie nicht eher entstehen kann, als bis sich eine scharfe Sonderung von bewußter und unbewußter Seelentätigkeit hergestellt hat, und daß ihr Wesen nur in der Abweisung und Fernhaltung vom Bewußten besteht“ (Freud 1982, S. 108). „Motiv und Absicht“ der Verdrängung ist die Vermeidung von Unlust, insbesondere von angstbesetzten Vorstellungen (vgl. ebenda, 114). Die Tatsache, dass die Verdrängung nicht immer gelingt, dass das Verdrängte ein Eigenleben entwickelt und nicht immer leicht identifizierbare Abkömmlinge schafft, ist ein Hauptgegenstand der Psychoanalyse. Eine befriedigende Antwort auf die Frage, unter welchen Umständen es zu einer Verdrängung kommt und unter welchen Umständen die anderen Abwehrmechanismen zum Einsatz kommen, gibt es nicht (Freud 1936). (2) Einen sehr rationalen Erklärungsansatz bietet die Pragmatische Handlungstheorie. Danach bestimmt sich nicht nur das menschliche Handeln aus der Abwägung von Nutzen und Kosten, sondern auch das Denken selbst, wodurch selbst der Übernahme von Überzeugungen kalkulatorische Überlegungen zugrunde liegen (Friedrich 1992; Trope/Liberman 1996). Gemäß dieser Theorie stellt man zweierlei Kosten gegenüber: (a) die Kosten, die entstehen, wenn man sich bei seinem Handeln von der Annahme leiten lässt, „p“ sei wahr, obwohl „p“ tatsächlich nicht wahr ist (Fehler erster Art) und (b) die Kosten, die entstehen, wenn man davon

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ausgeht, dass „nicht-p“ gilt, tatsächlich aber „p“ wahr ist (Fehler zweiter Art). Daraus lässt sich auch eine eindeutige Antwort auf die Frage ableiten, welcher Überzeugung man folgen soll, sie ergibt sich aus der Abwägung der beiden Fehler und daraus, welchen Fehler man eher vermeiden will. Warum man manchmal manches nicht so genau wissen will, lässt sich damit leicht erklären: Die Kosten, dass man die falsche Hypothese übernimmt und dieser dann folgt, können einem schlichtweg zu hoch sein. Herauszufinden, dass man einem falschen Glauben anhängt, kann sich als sehr nachteilig erweisen, denn damit wird vieles in Frage gestellt, was man sich im Zuge seines Lebens angeeignet hat; man gilt als unbeständiger oder gar haltloser Charakter, man wird aus der sozialen Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen usw. Daher glaubt man lieber weiter, erklärt Glaubenszweifel als normal und sieht in ihnen vielleicht sogar den Ausdruck eines wirklich ernsthaften Glaubens und lässt die Anfechtungen, die einen immer wieder einmal befallen, ins Leere laufen. (3) Im Lichte der Theorie der kognitiven Dissonanz ist Selbsttäuschung die Lösung für ein Erkenntnisproblem, das daraus resultiert, dass man zwei Überzeugungen für glaubwürdig hält, obwohl diese nicht miteinander vereinbar sind. Selbsttäuschung kommt dann ins Spiel, wenn man nicht unvoreingenommen und objektiv klärt, welche der beiden Überzeugungen die größere Plausibilität beanspruchen kann, sondern sich bei der Analyse und Abwägung der Informationen und Argumente, die für die eine oder die andere Überzeugung sprechen, von seinen Wünschen und Hoffnungen leiten lässt. Wie ist das aber möglich, weshalb können Wünsche und Hoffnungen die Gewinnung, die Gewichtung und Interpretation der Informationen beeinflussen, weshalb findet keine „objektive“ Klärung der Geltungsfrage statt? Die Antwort lautet: weil die in Frage stehenden Überzeugungen eng mit vielen weiteren Überzeugungen verknüpft sind, die wiederum mit mehr oder weniger großen Hoffnungen und Erwartungen beladen sind. Gemäß der Theorie der kognitiven Dissonanz setzen sich jene Überzeugungen durch, die am ehesten geeignet sind, Dissonanzen zu vermeiden, zu beseitigen oder abzumildern. Eine Überzeugung, die zu starken Dissonanzen führt, wird man mit dem ganzen kognitiven Arsenal bekämpfen, das einem zur Verfügung steht. Dion Scott-Kakures erläutert den Mechanismus der Selbsttäuschung am Beispiel einer jungen Mutter, die befürchten muss, an einem unheilbaren Leiden erkrankt zu sein. Würde sie diese Befürchtung annehmen, würden alle ihre Wünsche und Hoffnungen, die sie mit ihrem Leben, der Begleitung

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ihres Kindes auf dessen Lebensweg, verknüpft, zunichte. Es geht daher nicht nur um die „Wahrheitsfrage“, darum, ob sie nun erkrankt ist oder nicht, sondern um den ganzen Bestand ihrer Überzeugungen und Wünsche. „Daten oder Hypothesen, die in einem freundlichen Verhältnis zu der Überzeugung stehen, gesund zu sein, werden mit derselben Zähigkeit verfolgt und umklammert wie unfreundliche Fakten abgewehrt oder wegerklärt werden“ (Scott-Kakures 2009, S. 100). Es kommt zur Selbsttäuschung dann, wenn es gelingt, die Überzeugungen und Informationen, die die Selbsttäuschung bewirken, in ein einigermaßen konsistentes Überzeugungssystem zu überführen, das die andere Alternative – ein Überzeugungssystem, das die ungeschminkte Wahrheit enthält – deutlich dominiert. (4) Die gemeinsame Grundlage kognitiver Theorien ist die Einsicht, dass im Denken Bearbeitungsprozesse auf unterschiedlichen Ebenen, in unterschiedlichen Auflösungsgraden, zum Teil zeitlich versetzt, oft aber auch parallel ablaufen, woraus sich eine ganz eigene Dynamik entwickelt (vgl. aus dem umfangreichen Schrifttum zum Informationsverarbeitungsansatz des Denkens und Entscheidens u. a. Simon 1994; Goleman 1997; Dörner 1999). Da es nicht möglich ist, sich im fortlaufenden Verhaltensstrom allen wichtigen Aspekten einer Problematik gleichermaßen zu widmen, kommt der Aufmerksamkeitslenkung eine bedeutende Rolle zu. Sie übernimmt einerseits eine steuernde Funktion, eröffnet andererseits aber auch den Raum für Manipulationen und macht es so möglich, dass „eigentlich“ zusammengehörige Überzeugungen „dissoziieren“ und voneinander abgetrennt werden. Bestimmt wird die Aufmerksamkeit von den jeweils aktivierten Bedürfnissen, der emotionalen Befindlichkeit und insbesondere der Definition der Situation, in der sich die Handlungsziele, Handlungsprogramme und kognitiven Schemata zusammenfinden, die für die Handlungssteuerung verantwortlich sind. Kognitive Schemata liefern die Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster, die unser Denken bestimmen. Neben ihren inhaltlichen Bezügen übernehmen sie auch vielfältige Signalfunktionen. Sie zeigen unter anderem an, welche Probleme mit besonderen Gefahren verknüpft sind und was für Folgen sich aus einer bestimmten Entscheidung ergeben, wie aufwändig ein Problembearbeitungsprozess vermutlich sein wird und ob überhaupt eine Lösung gefunden werden kann. Aus dieser Sicht ist es nur allzu plausibel, dass es häufig zu motivational verzerrtem Denken und damit auch zu vielfältigen Formen der Selbsttäuschung kommt. Wie oben bereits angedeutet, arbeitet

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die Wahrnehmung außerdem mit unterschiedlichen Auflösungsgraden, man muss also gar nicht den genauen Inhalt einer das Bewusstsein erreichenden Information erfassen, um bestimmte Grundmerkmale, wie beispielsweise das mögliche Gefahrenpotenzial, zu erkennen. Das kann dazu führen, dass man schlichtweg die weitere Beschäftigung mit bestimmten Informationen abwehrt. Es ist daher eine fast natürliche Reaktion, dass man das Thema wechselt, wenn sich das Gespräch auf ein Ereignis richtet, bei dem man sich ordentlich blamiert hat oder dass man seine Gedanken von peinlichen Erinnerungen abwendet, die das eigene Selbstbild in Frage stellen. Entsprechende Blockaden durch die zum Zuge kommenden kognitiven Schemata und Verhaltensprogramme gibt es, wie man sich leicht vorstellen kann, nicht nur bei der Lenkung der Aufmerksamkeit, sondern bereits bei der Informationssuche, bei der Informationsverwendung und beim Abruf von Informationen aus dem Gedächtnis (Balcetis 2008). (5) Einen unkonventionellen Ansatz vertreten William von Hippel und Robert Trivers. Nach deren Auffassung ist die Neigung zur Selbsttäuschung im Zuge der Evolution aus den selektiven Vorteilen entstanden, die jemand verbuchen kann, der es versteht, seine Mitmenschen geschickt zu täuschen (von Hippel/Trivers 2011). Das sei gar nicht so einfach, weil man Täuschungsversuche an mehr oder weniger subtilen Zeichen wie Nervosität, Muskelanspannung, angestrengtem Sprachverhalten usw. erkennen könne. So müsse ein Lügner beispielsweise sehr darauf bedacht sein, dass er die wahren und die vorgetäuschten „Tatsachen“ nicht durcheinanderbringe – eine kognitive Belastung, die nicht immer einfach zu bewältigen sei. Jemand, der glaubt, was er sagt, könne wesentlich freier und damit glaubwürdiger auftreten. Wer es also fertigbringt, sich zuerst selbst zu täuschen, dem fällt es leichter, auch andere zu täuschen. Selbsttäuschung hat aber nicht nur diese ursprünglich soziale Funktion, sie weist auch im Umgang mit sich selbst Vorzüge, nämlich insbesondere hedonische Qualitäten auf (das Denken verläuft reibungsloser und klarer, man tritt selbstbewusster auf usw.), die die Nachteile der Selbsttäuschung, die zweifellos ebenfalls bestehen (man stützt sein Handeln ja auf falsche Informationen), oft überkompensieren. Eine Erklärung liefert dieser Ansatz – wenn man ihn denn akzeptiert (vgl. hierzu die z. T. sehr kritischen Kommentare in der Ausgabe der Zeitschrift, in der der angeführte Aufsatz erschienen ist) – zunächst nur für die Frage, weshalb es überhaupt eine Neigung zur Selbsttäuschung geben sollte. Unter welchen Umständen sie dann auch zum Zuge kommt, wird nicht näher erörtert. Eine implizite Schlussfolgerung wäre, dass es vor

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allem die sozial erfolgreichen Personen sind, die sich etwas vormachen – eine sicherlich interessante, aber auch eine nicht sonderlich glaubwürdige Hypothese. An den Grundgedanken des beschriebenen Ansatzes anknüpfend, ließe sich aber immerhin begründet vermuten, dass man immer dann, wenn es einem lohnenswert erscheint andere zu täuschen, den Impuls verspürt, sich gleichfalls selbst zu täuschen. Ob dies tatsächlich immer der Fall ist, sei dahingestellt, dass es manchmal geschieht, kann wohl jeder nachvollziehen. Ob man, um diese Tendenz zu erklären, die menschliche Evolutionsgeschichte heranziehen muss, ist allerdings fraglich, schließlich geht es bei Täuschungen einfach um die Verletzung einer gesellschaftlichen Norm, und entsprechend kann man in der Selbsttäuschung vor allem ein psychisches Ausweichmanöver sehen, das dazu dient, sich vor Schuldgefühlen zu schützen. (6) Eine grundsätzliche Frage ist die nach der Möglichkeit der Selbsttäuschung. Es ist schlicht ein logisches Problem, wie kann es möglich sein, etwas zu wissen und gleichzeitig nicht zu wissen. Diese Frage stellt sich insbesondere die Rational-Choice-Theorie, die ja von einem selbstbestimmten Akteur ausgeht und nicht etwa von einem Wesen, das sich als Spielball irgendwelcher geheimnisvoller psychischer Kräfte umhertreiben lässt. Wir stoßen hier auf zwei Formen der Erklärung der Selbsttäuschung. In der ersten Form geht es darum, rationale Gründe für das konkret vorliegende Phänomen zu finden, denn dann löst sich das Unerklärliche (das „Irrationale“) auf: Wenn ein Akteur für die (scheinbare) Koexistenz widersprüchlicher Überzeugungen gute Gründe geltend machen kann, dann wird damit – so diese Betrachtungsweise – sein Verhalten überhaupt erst erklärbar, es liegt also nur vermeintlich eine Selbsttäuschung vor, die Erklärung bringt es an den Tag. Für viele Rational-ChoiceTheoretiker ist dies die einzige vorstellbare Möglichkeit, mit dem Problem der Selbsttäuschung umzugehen. Bei Donald Davidson ist das etwas anders, er akzeptiert, dass es durchaus andere als rationale, also irrationale, Ursachen für ein bestimmtes Verhalten geben kann. Dennoch bleibt auch Davidson der Denkweise der Rational-Choice-Theorie verhaftet, was sich unter anderem darin zeigt, dass er die anderen Ursachen, die er ins Spiel bringt, als „irrational“ bezeichnet. Die beiden Erklärungsansätze schlagen jedenfalls unterschiedliche Lösungen für das logische Problem (etwas zu wissen und es gleichzeitig nicht zu wissen) vor. Als Vertreter des strikten Rational-Choice-Ansatzes stellt Pears (1985) auf das Vergessen und Bach (1981) auf das Anzweifeln ab, Davidson (1985) dagegen sieht die Lösung

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im Isolieren der widersprüchlichen Informationen. Damit bleibt für ihn der inkonsistente Zustand weiter bestehen, während er bei den Lösungen von Pears und Bach schlichtweg verschwindet: Nachdem der Prozess der gedanklichen Klärung durchlaufen ist, gibt es keinen Widerspruch mehr. Das ist bei Davidson anders. Ganz glücklich ist dessen Lösung aber nicht, denn auf die Frage, wie es zu dieser Isolierung kommen kann, weiß Davidson auch keine Antwort. Insbesondere besteht nach wie vor das Problem, wie der Widerspruch der Selbsttäuschung ins Gedächtnis rücken kann („zufällig“ oder „systematisch“?) und wie eine Person das zu vermeiden sucht und ob sie das überhaupt kann, da sie ja bei der angenommenen Isolierung – definitionsgemäß – nichts von dem Widerspruch weiß, und wenn sie ihn dennoch latent kennt (oder ahnt), wie sie damit umgeht. Bezüglich dieses letzten Punktes wäre man aber wieder am Ausgangspunkt des Problems angelangt: Kann ich mich selbst täuschen? (Vgl. zu dieser Diskussion auch Löw-Beer 1990; Beier 2010.) Ganz offensichtlich gibt es keine logische Lösung für dieses Rätsel, es geht um Psychologie und diesbezüglich ist die Antwort eigentlich auch recht klar: Menschen können mit ihren Widersprüchen durchaus leben, sie können sich damit auch selbst betrügen. Und die Bedingungen, die das möglich machen, stecken in der Architektur der menschlichen Psyche (dem Aufbau des Gedächtnisses und den kognitiven Zugriffsmöglichkeiten) und in dem Tatbestand, dass die Denk- und Handlungsströme aus dynamischen Prozessen resultieren, in denen sich immer wieder neue Bewusstseinskonstellationen bilden (Martin 2011).

5.1.4 Zusammenhänge Die angeführten Erklärungsansätze weisen auf eine ganze Reihe von Bedingungen hin, die das Auftreten von Selbsttäuschungen erleichtern. Wie beschrieben, ist die Urteilsbildung ein manchmal sehr verwickelter Prozess, der etliche Freiheitsgrade aufweist und damit Interpretationsspielräume eröffnet. Entsprechend viele Ansatzpunkte bieten sich zu einer bewussten oder unbewussten, motivierten oder unmotivierten Fehlinterpretation an. Je mehr derartige Ansatzpunkte zur subjektiven Deutung bestehen (je komplexer also der jeweilige Sachverhalt ist), desto wahrscheinlicher ist es, dass Menschen den damit verknüpften Versuchungen zur Selbsttäuschung unterliegen. Eine „erfolgreiche“ Selbsttäuschung

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stützt sich daneben natürlich auch auf die Vorstellungskraft, die es einer Person erst ermöglicht, sich entsprechende Deutungsmöglichkeiten zu erschließen. Und auch in den Besonderheiten einer Handlungssituation stecken Möglichkeiten und Hindernisse, auf Täuschungsangebote und kognitive Manöver zurückzugreifen. Wenn man für anspruchslose Studenten kocht, kann man sich leicht für einen Spitzenkoch halten, ist aber die Schwiegermutter mit ihren jahrzehntelangen Kocherfahrungen eingeladen, dürfte dies nicht so leicht gelingen; hat man noch nicht vergessen, wie sehr man sich gerade blamiert hat, dann fällt es schwer, sich etwas vorzumachen, mit der Zeit verblasst die Erinnerung und es ergibt sich damit die Möglichkeit, das Geschehene neu zu deuten usw. Eine weitere Einflussgröße ergibt sich paradoxerweise aus einer intensiven gedanklichen Beschäftigung mit einem Gegenstand. Je mehr man sich mit einer Sache befasst hat, je umfänglicher man sein Vorgehen geplant hat, desto größer ist die Neigung, „Störungen“ bei der schließlich erfolgenden Handlungsausführung zu ignorieren oder kleinzureden. Neben der Kontrollillusion, die ein solches Verhalten veranlassen kann, steckt darin möglicherweise auch der Wunsch, sich das, was man sich so schön ausgedacht hat, nicht durch die Widrigkeiten einer profanen Realität verderben zu lassen. Um das Phänomen der Selbsttäuschung zu erklären, wird häufig auch auf das Vorliegen anderer Entscheidungsdefekte verwiesen. Ein Beispiel ist die „Anschaulichkeit“. Je lebendiger und plastischer sich bestimmte Informationen präsentieren, desto stärker drängen sie sich ins Bewusstsein und können damit die ohnehin schon vorhandenen Täuschungstendenzen verstärken. Ein anderer „Bias“, der die Selbsttäuschung befördern kann, ist die Bestätigungstendenz (vgl. den entsprechenden Abschnitt im vorliegenden Buch). Je mehr man ihr unterliegt, je mehr man also an einer einmal gefassten Überzeugung hängt, desto eher ist man bereit, über widersprüchliche Informationen hinwegzusehen. Andererseits kann man auch den gegenteiligen Effekt beobachten: Je fester meine Überzeugungen nämlich sind, desto weniger werde ich widersprüchliche Informationen überhaupt ernst nehmen, desto weniger gerate ich also überhaupt in die Situation, mich täuschen zu müssen. Aus psychoanalytischer Sicht kommt es vor allem auf den Grad der „Anstößigkeit“ der unerwünschten Regungen und Vorstellungen an und auch darauf, welche Kraft jemand aufbringen muss, um die unerwünschten Regungen und Vorstellungen zu unterdrücken. Auf die Bedeutung der Angst wurde bereits hingewiesen, je mehr Angst einer unerwünschten In-

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formation innewohnt, desto stärker ist das Bedürfnis, sie zu unterdrücken. Es sind aber nicht nur negative Gefühle (also z. B. die Angst), die zu Selbsttäuschungen Anlass geben, starke positive Gefühle – genauer gesagt: das Streben danach – können ebenso wirksam sein: Wen die süßen Kirschen in Nachbars Garten verlocken, der „vergisst“ leicht, wie wertvoll der nachbarliche Frieden ist. Wie bei allen anderen menschlichen Verhaltensweisen, spielen auch bei der Selbsttäuschung die persönlichen Dispositionen eine große Rolle, insbesondere der Narzissmus und das Selbstbewusstsein. Wessen Selbst sehr robust ist und wessen Selbstbestätigungsbedürfnisse befriedigt sind, der lässt sich von unangenehmen Wahrheiten nicht so leicht aus dem Konzept bringen und kann ihnen daher auch leichter ins Auge sehen. Und was die narzisstischen Neigungen angeht, die mehr oder weniger stark in jedem Menschen vorhanden sind, so steckt schon allein in diesem Begriff eine starke Selbsttäuschungskomponente. Ausgesprochene Narzissten neigen zu einer erheblichen Selbstüberschätzung, sie sind in Größenphantasien befangen, sehen sich als „einmalige“ Persönlichkeiten, sind gleichgültig gegenüber den Auffassungen anderer Personen und ohne Sensibilität für deren Bedürfnisse (American Psychiatric Association 2000; Schütz/Markus/Selin 2004; Bierhoff/Herner 2009). Narzissten sind von daher geradezu dazu prädestiniert, alle Wahrheiten an sich abprallen zu lassen, die ihr grandioses Selbstbild beeinträchtigen könnten (Raskin/Navacek/Hogan 1991).

5.1.5 Studie In theoretischen Überlegungen wird sehr häufig auf die hedonistische Funktion der Selbsttäuschung abgestellt. Selbsttäuschung dient danach primär zur Abwehr von Ängsten und zur Aufrechtrechterhaltung bzw. zur Wiedergewinnung des emotionalen Gleichgewichts. Diese Argumentation liegt auch einer Studie von Amir Erez, Diane Johnson und Timothy Judge (1995) zugrunde. Die theoretische Argumentation dieser drei Autoren folgt gleichermaßen einem „Top-Down“ als auch einem „Bottom-Up“-Ansatz des subjektiven Wohlbefindens. Der Top-Down-Ansatz stellt heraus, dass das tägliche Erleben und dessen Bewertung sehr stark von den individuellen Dispositionen der Menschen bestimmt werden. Personen, die dem täglichen Geschehen mit einer positiven Haltung ent-

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gegentreten, werden daher zufriedener sein als solche mit einer eher negativen Haltung. Der Bottom-Up-Ansatz hält dagegen, dass das Wohlbefinden der Menschen von der Zahl positiver Ereignisse (den „happy moments in their lives“) bestimmt wird. Eine Vermittlung zwischen diesen beiden Ansätzen sei möglich, so Erez, Johnson und Judge, wenn man den „Denkstil“ in die Betrachtung einbezieht. Dass die Art des Denkens für das subjektive Erleben von großer Bedeutung ist, zeigen verschiedene empirische Studien. Negative Wirkungen ergeben sich beispielsweise durch Perfektionismus und Übergeneralisierung, positive Wirkungen dagegen durch Kontrollillusionen und übertriebenen Optimismus. Unklar bleibt bei diesen Befunden, warum bei manchen Menschen Denkprozesse in Gang gesetzt werden, die das Wohlbefinden steigern, bei anderen wiederum Prozesse ablaufen, die ihr Wohlbefinden beeinträchtigen. An dieser Stelle kommt – so Erez, Johnson und Judge – die Selbsttäuschung zum Zuge. Selbsttäuschung definieren die Autoren in Anlehnung an Sackeim und Gur (1978) als unbewusste Tendenz, sich selbst in einem positiven Licht zu betrachten und Informationen zu bezweifeln, die das eigene Selbstbild bedrohen. Angestoßen durch eine eher positive Grunddisposition lenken selbsttäuschende Tendenzen die Gedanken so, dass sie positive Aspekte des Geschehens und deren Bedeutung für die Person hervorheben, negative Aspekte dagegen abwehren. Zur Erfassung der emotionalen Reaktionsbereitschaft betrachten Erez, Johnson und Judge unter anderem die Kontrollüberzeugung und die Affektive Disposition. Die Affektive Disposition bestimmt die Neigung, auf Ereignisse in einer vorbestimmten stimmungsbezogenen Weise zu reagieren, bei positiver Affektivität geht es also beispielsweise darum, eine ohnehin schon positive Stimmung möglichst beizubehalten. Hierzu eignen sich die Finten der Selbsttäuschung in geradezu idealer Weise, denn dadurch, dass man kleinere Kritikpunkte übersieht, Fehlschläge kleinredet, Erfolgserwartungen stärkt, kann man auch in kritischen Situationen sein Wohlbefinden erhalten. Die Kontrollüberzeugung betrifft die Frage, ob das, was einem zustößt, eher auf das eigene Handeln oder auf externe Einflussgrößen zurückzuführen ist. Personen, die glauben, ihr Schicksal in der eigenen Hand zu halten, werden eher zuversichtlich in die Zukunft blicken, allerdings ist diese Zuversicht angesichts der realen Verhältnisse nur sehr bedingt begründet und es bedarf daher nicht selten einer erheblichen Selbsttäuschung, um diese aufrechtzuerhalten. Tatsächlich deuten empirische Stu-

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dien auf einen positiven (!) Zusammenhang zwischen interner Kontrollüberzeugung und Selbsttäuschung hin. Bei ihren Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Selbsttäuschung und Wohlbefinden stellen Erez, Johnson und Judge auf empirische Studien ab, die positive Korrelationen zwischen der Selbsttäuschung und Größen wie Leistungsmotivation und Selbstbewusstsein und negative Korrelationen der Selbsttäuschung mit depressiven Neigungen ermittelt haben. Die Mechanismen, die die Selbsttäuschung mit dem Wohlbefinden verknüpfen, sind – so Erez, Johnson und Judge – das Abblocken negativer Informationen und die aktive Suche nach Informationen, die das eigene Selbstbild bestärken. Die empirischen Daten ihrer eigenen Studie ermittelten die Autoren durch eine Befragung von 211 Angehörigen einer Universität im Mittleren Westen der USA. Zur Erfassung der Variablen verwendeten sie eine ganze Reihe von bewährten psychometrischen Skalen. Die Selbsttäuschung wurde mit zwei Skalen mit je 20 Fragen erfasst. Eine typische Frage lautet, ob man sich um die Meinung anderer Leute kümmert, eine andere, wie häufig man Schuldgefühle hat. Die ermittelten Daten bestätigen die skizzierten Hypothesen. Abbildung 2 zeigt die Ergebnisse einer entsprechenden Modellschätzung. Danach gehen von der Selbsttäuschung starke Wirkungen auf das subjektive Wohlbefinden aus. Außerdem entfalten die emotionalen Grunddispositionen ihren Einfluss – wie vermutet – ebenfalls vornehmlich über den indirekten Wirkungspfad der Selbsttäuschung. Für die nicht näher analysierten direkten Wirkungspfade der Grunddispositionen auf das Wohlbefinden sind, so die Vermutung der Autoren, weitere Denkprozesse, wie zum Beispiel die Rationalisierung, verantwortlich. Dadurch, dass die erhobenen Daten alle aus derselben Quelle stammen, kann es zu Artefakten kommen. Die befragten Personen geben Auskunft über die abhängige Variable (ihr Wohlbefinden) und sie liefern auch die Antworten auf die Fragen, die die unabhängigen Variablen (also beispielsweise das Ausmaß, in dem jemand zur Selbsttäuschung neigt) messen sollen. Möglicherweise werden in den Ergebnissen daher eher die Theorien der Befragten als die tatsächlichen Wirkungszusammenhänge sichtbar. Um dies zu prüfen, wurden zusätzlich enge Bezugspersonen (Ehepartner, Kinder usw.) darum gebeten, eine Einschätzung des subjektiven Wohlbefindens der Befragten vorzunehmen. Tatsächlich stimmen die Einschätzungen der Befragten selbst und die ihrer Bezugspersonen nicht

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Abb. 2: Selbsttäuschung als Determinante des subjektiven Wohlbefindens (Erez/Johnson/Judge 1995, S. 607)

völlig überein (die Korrelationen der verwendeten Skalen liegen in der Größenordnung von r  0,50). Für die Struktur der Zusammenhänge ergibt sich daraus jedoch keine Änderung, das heißt das angeführte Modell bewährt sich auch bei Verwendung der durch die Fremdeinschätzungen gewonnenen Daten. Eine Einschränkung der Aussagekraft ergibt sich allerdings daraus, dass sich die Studie nur sehr pauschal mit Selbsttäuschungstendenzen beschäftigt; sie erfasst zwar typische Reaktionsmuster, nicht aber konkrete Selbsttäuschungsfälle (was ja von der Anlage der Studie her auch gar nicht möglich gewesen wäre). Kritisch einwenden lässt sich daher, dass nicht das tatsächliche Täuschungsverhalten ermittelt wurde, sondern lediglich Einschätzungen der Täuschungsneigungen vorgenommen wurden. Doch davon ganz unabhängig, bemerkenswert sind die Ergebnisse allemal: Sich

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selbst zu täuschen wird man kaum als ehrenhaft bezeichnen wollen, gleichwohl ist es nützlich und vielleicht sogar notwendig, um sein emotionales Gleichgewicht zu stabilisieren. Unaufrichtigkeit sich selbst gegenüber wird damit aber noch nicht zur Tugend, zumal – das sollte man nicht vergessen – eine verzerrte Realitätswahrnehmung nicht gerade die beste Grundlage für Entscheidungen ist.

5.1.6 Würdigung Die begriffliche Klärung ist für eine angemessene Analyse der Selbsttäuschung von besonderer Bedeutung, weil es eine ganze Reihe von Phänomenen gibt, die große Ähnlichkeiten mit der Selbsttäuschung aufweisen und die alle ineinander zu fließen scheinen. Selbsttäuschungen sind allerdings durchaus etwas anderes als beispielsweise selbstwertdienliche Attributionen, Illusionen oder Irrtümer, sie erschöpfen sich außerdem nicht in Beurteilungsverzerrungen im Hinblick auf die eigene Person, und sie liegen nicht primär im Wunschdenken begründet. Außerdem sollte man im Auge behalten, was genau erklärt werden soll. In den vorliegenden Arbeiten ist dies oft nicht recht klar, im Wesentlichen geht es um die folgenden Fragen: a) Wie kommt es zu Selbsttäuschungen? b) Wie geht man mit Selbsttäuschungen um: a. Was tut man, um Selbsttäuschungen zu beseitigen? b. Was tut man, um die Selbsttäuschung aufrechtzuerhalten? c) Welche Verhaltensweisen resultieren aus Selbsttäuschungen? d) Wie ist Selbsttäuschung überhaupt möglich? Das sind alles gleichermaßen wichtige Fragen, die zwar in einem inneren Zusammenhang stehen, deren Beantwortung aber dennoch jeweils unterschiedliche Herangehensweisen verlangt. Außerdem ist zu beachten, dass bestimmte täuschungsbezogene Handlungen – je nach Handlungskontext – verschiedene Bedeutungen annehmen können. So kann ein Manöver, das darauf gerichtet ist, unerwünschten Informationen auszuweichen, aus einer Selbsttäuschung resultieren, es kann aber auch dazu dienen, eine Selbsttäuschung aufrechtzuerhalten oder – ganz im Gegensatz hierzu – einer Selbsttäuschung entgegenzuwirken. Angenommen, jemand leidet seit einiger Zeit unter einer Reihe von charakteristischen Symptomen, die

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auf eine schwere Krankheit hindeuten. Dessen ungeachtet geht er nicht zum Arzt. Man kann darin ein Verhalten sehen, das in einer Selbsttäuschung gründet. Das wäre zum Beispiel dann plausibel, wenn es dem Patienten gelingt, die Symptome zu bagatellisieren und er aus diesem Grund keine Notwendigkeit sieht, den Arzt aufzusuchen. Das gleiche Verhalten kann aber auch dazu dienen, eine Selbsttäuschung aufrechtzuerhalten. Dies wäre nämlich dann der Fall, wenn der Patient sich selbst als eine Person erlebt, die mit einer robusten Gesundheit gesegnet ist, der es bisher immer gelungen ist, mit körperlichen Misshelligkeiten von allein fertigzuwerden und wenn er dessen ungeachtet, gleichzeitig befürchtet, von seinem Arzt eine Diagnose zu erhalten, die diese Überzeugung erschüttert. Interessanterweise kann das gleiche Verhalten auch dazu dienen, einer drohenden Selbsttäuschung vorzubeugen. Dies wäre dann der Fall, wenn der Patient „weiß“, dass die Symptome eine unheilbare Krankheit anzeigen und wenn er davon ausgeht, dass sein Arzt eine Therapie beginnen würde, die zwar mit großer Sicherheit ohne jede substantielle Wirkung sein wird, die aber dennoch die Illusion nähren wird, dass es vielleicht doch zu einer Besserung kommen kann – eine Selbsttäuschung, die er sich ersparen will. Neben den angeführten „Wie“-Fragen interessieren natürlich auch die „Warum“-Fragen. Hierauf finden sich gegenwärtig nur bedingt befriedigende Antworten. Es kann jedenfalls nicht allein darum gehen, die Vorgänge zu beschreiben, die mit Selbsttäuschungen einhergehen; künftige Studien sollten sich stärker als bisher auch darum bemühen, die Kräfte und Mechanismen zu analysieren, die diese Vorgänge auslösen und bestimmen.

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5.2 Kontrollillusion Macbeth. Wenn es uns mißlünge – Lady. Mißlingen? Führt es nur mit Standhaftigkeit aus, so kann es nicht mißlingen. William Shakespeare, Macbeth. 1. Akt, 7. Szene (übersetzt von Christoph Martin Wieland) Damit Menschen überhaupt handeln können, müssen sie in der Lage sein, ihre Handlungssituation zu beeinflussen. Es ist daher nur natürlich, dass wir ein starkes Interesse daran besitzen, unsere Umwelt zu kontrollieren (Heider 1958; White 1959). Doch davon ganz unabhängig, also ganz gleichgültig wie schwach oder stark, wie bescheiden oder wie krankhaft der Wunsch nach Kontrolle auch sein mag, eigentlich ist es unabdingbar, dass man sich bei jeder Handlung klar macht, welche Wirkungen man mit ihr erzielt und wie man sicherstellen kann, dass man seine Ziele auch erreicht. Um diesen zuletzt genannten Punkt – und nicht so sehr um das Kontrollbedürfnis – geht es bei der Kontrollillusion: Um die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten und des eigenen Einflusses bei der Erreichung der anvisierten Ziele. Dabei gibt es durchaus eine enge Beziehung zwischen Motivation und Einsicht: weil man weiß, dass man ohne Kontrollmöglichkeiten nichts erreicht und weil es eigentlich immer unsicher ist, ob man auch erreichen kann, was man beabsichtigt, bedient man sich zur Motivationsstärkung gern des Glaubens, dass man die Dinge beherrscht, dass man die Fähigkeit hat, die Geschicke in die gewünschte Richtung zu lenken.

5.2.1 Begriff Sehr knapp definiert Ellen Langer die Kontrollillusion als Überschätzung der Wahrscheinlichkeit, mit seinen Handlungen erfolgreich zu sein (Langer 1975, S. 313). Das ist eine sehr zurückhaltende Definition. Worauf die falsche Einschätzung der eigenen Kontrollchancen beruht (auf Borniertheit, Unwissenheit, Berechnung?) wird in dieser Definition offen gelassen. Auch geht es in dieser Begriffsbestimmung nicht um Gewissheiten, nicht um den festen Glauben, man könne etwas (kontrafaktisch) kontrollieren. Die falsche Einschätzung richtet sich lediglich auf Wahrschein-

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lichkeiten. Wie groß die Fehleinschätzung sein muss, damit man sinnvollerweise von einer Kontrollillusion sprechen kann, wird nicht gesagt. Außerdem bleibt dunkel, worin das Illusorische der Kontrollillusion liegt: Schließlich muss man sich bezüglich der eigenen Kontrollmöglichkeiten ja keine Illusionen machen, man könnte sich diesbezüglich ja auch einfach irren. Landläufig sagt man, jemand mache sich Illusionen, wenn er es mit der Realität nicht so genau nimmt, wenn er sich nicht um ein wirklichkeitsgerechtes Bild von seiner Lage und seinen Möglichkeiten bekümmert, wenn er seine Fähigkeiten überschätzt oder auf den Beistand von Dritten hofft, obwohl diese Hoffnung offensichtlich auf Sand gebaut ist. Damit es überhaupt Sinn macht, von Kontroll-Illusionen zu sprechen, muss der illusionäre Charakter der falschen Einschätzung oder Prognose deutlich gemacht werden. Anders gesagt: Kontrollillusionen enthalten ein starkes Element der Selbsttäuschung, die mehr oder weniger bewusst, mehr oder weniger passiv-vermeidend oder aktiv-unaufrichtig betrieben wird. Außerdem geht es bei der Kontrollillusion nicht so sehr um die Einschätzung von präzisen Wahrscheinlichkeiten als um eine „grobe“ Beurteilung der Erfolgsaussichten. Ganz generell denkt und hantiert kaum jemand in seinem Handeln mit der Kategorie der „Wahrscheinlichkeit“, man beurteilt eine Handlungssituation anhand von Begriffen wie Veränderbarkeit, Günstigkeit, Geschick und Fügung. Und schließlich handelt es sich beim Phänomen der Kontrollillusion (jedenfalls was die interessanten Fälle angeht) nicht um harmlose Gedankenspielereien, sondern um Überzeugungen mit handfesten Implikationen. Ein Beispiel hierfür ist die Auffassung, die sich in den Köpfen vieler Zeitgenossen festgesetzt hat, man könne das Verhalten anderer Menschen durch selektive Anreizgewährung steuern (Camerer 1995). Die Vorstellung, Menschen richteten ihr Verhalten primär an den Anreizen aus, die man ihnen offeriert, ist sicherlich nicht völlig verkehrt, ihre Übertreibung führt allerdings in die Irre. Man sieht dies deutlich an dem um sich greifenden Ökonomismus und seinen Folgen. Managergehälter, Forschungsmittel, aber auch Budgets für Kultureinrichtungen werden eng an fragwürdige Leistungskriterien geknüpft, was dazu führt, dass die Ziele, um die es „eigentlich“ gehen sollte (nachhaltiges Wirtschaften, tiefgreifende Erkenntnisse, Aufklärung und Bildung) grandios verfehlt werden und zwar aus dem einfachen Grund, weil sich kreative und komplexe Leistungen nicht auf derart klägliche Weise durch simple Kennziffern (Aktienkurse, Zahl von Publikationen und Zuschauerquoten) abbilden lassen, wie das gern suggeriert wird. Erklären lässt sich das merk-

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würdige Vertrauen in die Wirkungskraft ökonomischer Anreize wohl vor allem aus dem Wunsch heraus, alles „managen“ und „steuern“ zu wollen und der ideologischen Verblendung, hierzu auch über die richtigen Mittel zu verfügen.

5.2.2 Beispiele Die Wirksamkeit der Kontrollillusion zeigt sich am prägnantesten, wenn Menschen sich mit Zufalls-Aufgaben abplagen, wenn sie versuchen, ihre Handlungsergebnisse zu beeinflussen, selbst wenn diese vollständig vom Zufall abhängen. Beispielsweise neigen viele Menschen beim Würfelspiel dazu, die Würfel besonders kräftig zu schütteln, wenn sie eine hohe Punktzahl erreichen wollen und umgekehrt mit den Würfeln sehr sacht umgehen, wenn sie sich eine geringe Punktzahl wünschen (Henslin 1967). Oldman (1974) berichtet, dass die Kartengeber an den Spieltischen von Spielbanken nach einer Serie von Verlusten den Tisch wechseln. Auch ihre Arbeitgeber sind offenbar von dieser Art Kontrollillusion angesteckt, diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls, wenn man bei Goffman (1967) liest, dass die Kartengeber ihren Job riskieren, wenn sich an ihrem Tisch die für die Spielbank „negativen“ Ergebnisse häufen. In den vielbeachteten Experimenten von Ellen Langer (1975) geht es ebenfalls darum, wie Menschen mit dem Zufall umgehen. In einem dieser Experimente erhielten Büroangestellte Lotteriescheine geschenkt, auf denen entweder vertraute Buchstaben oder aber fremde Symbole aufgedruckt waren. Die Teilnehmer konnten ihre Lotteriescheine zur Hälfte der Fälle selbst aussuchen, zur anderen Hälfte nicht. Anschließend wurde ihnen angeboten, ihre Scheine gegen Lose mit einer deutlich besseren Gewinnchance zu tauschen. Personen, die sich ihre Lotteriescheine selbst ausgesucht hatten und Personen, deren Lotteriescheine mit einem vertrauten Symbol versehen waren, schlugen dieses Angebot häufiger aus als die übrigen Personen. Langer erklärt dieses Verhalten mit einer veränderten Wahrnehmung der Teilnehmer. Die Wahlmöglichkeit und die Vertrautheit mit den Symbolen suggerieren – so Langer – eine gewisse Einflussmöglichkeit, die (objektiv unveränderte) Zufallssituation wird gewissermaßen mit „Skill“-Elementen angereichert, die die Kontrollillusion induzieren. Auch im normalen Alltag, also jenseits von Lotteriespielen, zeigt sich, dass Menschen ihre Einflussmöglichkeiten oft erheblich überschätzen. So

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glauben die meisten Menschen beispielsweise, dass ihnen in ihrem Leben mehr Positives begegnet und dass ihnen weniger Negatives widerführe als anderen Menschen (McKenna 1993). Überschätzt werden die eigenen Einflussmöglichkeiten auch im politischen Bereich: Bei Wahlen hat man nur eine Stimme unter vielen Millionen, Gesetze werden ohne direkte Beteiligung des Bürgers entworfen und verabschiedet, Demonstrationen gelten als Symbolhandeln und beeindrucken Politiker kaum, dessen ungeachtet sind viele Personen der Meinung, sie könnten durch ihr politisches Handeln politische Entscheidungen maßgeblich beeinflussen (Opp 2001). Dass auch die Welt der Wirtschaft und der Manager anfällig für Kontrollillusionen ist, kann man sich leicht vorstellen, schließlich gehören Entscheidungsfreude und Selbstsicherheit zu den vielgepriesenen Tugenden von Wirtschaftsführern. Lai (1994) zeigt am Beispiel der großenteils selbstverschuldeten Bankenkrise in Norwegen zu Anfang der 1990er Jahre, welche negativen Folgen die selbstgefällige Überschätzung der eigenen Fähigkeiten haben kann. Kontrollillusionen aufzusitzen ist für „Entscheidungsträger“ aber nicht nur eine reale Gefahr, nicht selten nutzen sie die Kontrollillusionen anderer Leute auch zu ihrem eigenen Vorteil aus. Regelmäßig kann man dies bei Veränderungsprozessen in Organisationen beobachten. Es ist einer der Hauptsätze der so genannten „Organisationsentwicklung“, dass man die von den Veränderungen Betroffenen an dem Veränderungsprozess beteiligen solle. Und dieser Appell wird dann auch tatsächlich häufig beherzigt – allerdings nur zum Schein, der allein schon genügt, um den Betroffenen das Gefühl zu geben, sie könnten bei der Gestaltung ihrer Arbeitsverhältnisse mitwirken, während sie in Wirklichkeit mithelfen, sich überflüssig zu machen. Ein instruktives historisches Beispiel findet sich anlässlich der Gründung der Académie Française im Jahr 1635 durch Kardinal Richelieu (den mächtigen Staatsminister in der Regentschaft von Ludwig XIII). Oppositionelle Intellektuelle ließen sich durch ihre Aufnahme in die Akademie „bestechen“, sie wurden auf ein unschädliches Terrain geführt und in das Staatsgefüge eingebunden. Diese Taktik der vermeintlichen Einflussleihe findet in vielen Organisationen und Gremien Anwendung und ist erstaunlicherweise sehr erfolgreich und gut geeignet, auch aus Klugen Dumme zu machen. Das eindrücklichste und gleichzeitig bedrückendste Anschauungsmaterial zur Kontrollillusion liefern die Kriegstreiber aller Zeiten, die kurze, verlustfreie und heroische Siege versprechen, ihre Völker aber in Wahrheit nur in den Irrsinn und das Leid letztlich immer unberechenbarer Kriege führen. In der Literatur wird

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das Thema Kontrollillusion vor allem im Zusammenhang mit Fragen von Macht und Hybris behandelt. Treffend und humorvoll illustriert wird die Kontrollillusion in Goethes Gedicht vom Zauberlehrling, der sich zutraut „mit Geistesstärke“ Wunder zu tun, obwohl seine kümmerlichen Kräfte nur dazu ausreichen, um Unheil anzurichten, weshalb ihm schließlich nur die Einsicht bleibt: „Die ich rief die Geister, werd ich nun nicht los.“

5.2.3 Erklärung Wie kommt es zur Kontrollillusion? Die Ursachen können in der jeweiligen Person liegen, insbesondere in ihrer Motiv- oder Persönlichkeitsstruktur, sie können aber auch ganz allgemein in der menschlichen Natur angelegt sein, etwa in der Art und Weise, wie man seine Umwelt und seine Handlungsmöglichkeiten wahrnimmt, und schließlich können situationsbedingte Einflüsse dafür verantwortlich sein, dass man seine Handlungsmöglichkeiten falsch einschätzt. (1) Auf allgemeinpsychologische Ursachen stützt sich die „Verwechslungshypothese“ (Langer 1983). Sie macht geltend, dass man in konkreten Handlungssituationen häufig nicht erkennen kann, ob sich die anstehenden Probleme durch eigene Anstrengungen bewältigen lassen oder ob man zufallsbedingten Einflüssen ausgeliefert ist. Zur Beantwortung dieser Frage orientiert man sich beispielsweise daran, ob einem die Situation irgendwelche Wahlmöglichkeiten lässt, oder auch, ob es sich um eine Wettbewerbssituation handelt. Beide Größen suggerieren, dass es ganz wesentlich darauf ankommt, seine Fähigkeiten richtig einzusetzen, wenn man Erfolg haben will. Weist eine Situation also Merkmale einer „Fähigkeitssituation“ auf, dann neigt man dazu, Kontrollmöglichkeiten wahrzunehmen, auch wenn diese gar nicht bestehen. In Leistungssituationen denkt man zum Beispiel über mögliche Handlungsstrategien nach. Geschieht dies auch in einer Zufallssituation, so führt das leicht zu der beschriebenen Verwechslung. Ähnliches gilt in Fällen, in denen man sich aktiv in die Situation einbringt und nicht etwa nur als passiver Beobachter fungiert oder in Situationen, in denen man irgendwelche Aktivitäten im Zusammenhang mit der jeweiligen Aufgabe unternommen hat, selbst wenn diese eher Ausweichmanöver sind und nicht als echte Bemühungen zur Bewältigung der Aufgabe gelten können. Der Prozess des Verfertigens von Seminar- und Diplomarbeiten beispielsweise ist sehr häufig dadurch

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gekennzeichnet, dass man sich zunächst vor allem mit Sammeln und Kopieren beschäftigt, die inhaltliche Auseinandersetzung mit den manchmal schwierigen und unübersichtlichen Texten dagegen scheut. Die Tatsache, dass man sehr aktiv ist und alles Nötige zusammenstellt, kann einem das beruhigende Gefühl geben, alles unter Kontrolle zu haben und auf dem richtigen Weg zu sein. Man kann nun die angeführte Verwechslungshypothese verallgemeinern und auf alle Situationen ausdehnen, in denen es zu einem Zusammenwirken von systematischen und zufälligen Einflussgrößen kommt – also auf den Normalfall. Je mehr Merkmale ins Auge springen, die für eine Fähigkeitssituation charakteristisch sind, desto größer ist die Gefahr, einer Kontrollillusion aufzusitzen. Aus diesem Grund findet man unter Kartenspielern – zumal bei „wettbewerbsorientierten“ Kartenspielen – sehr häufig die Auffassung, es gebe eben gute und schlechte Spieler und der Bessere werde sich in aller Regel auch durchsetzen. Die starke Zufallskomponente, die jedem Kartenspiel innewohnt, wird bei Personen mit derartigen Auffassungen einfach ausgeblendet. Ähnliches findet man bei Urteilen über den beruflichen Erfolg. Die Karriere, die jemand macht, wird zweifellos auch von seinen Fähigkeiten bestimmt, dennoch kommt es auch und gerade bei dem Streben nach dem Berufserfolg zu einem ganz erheblichen Teil auf Zufälligkeiten an (hat man die „richtige“ Berufsausbildung gemacht, studiert, was einem liegt, eine aussichtsreiche Einstiegsstelle gefunden, Gelegenheiten bekommen, sich zu bewähren usw.). Dessen ungeachtet findet man häufig die Auffassung, jeder sei seines Glückes Schmied, wer es zu nichts bringe, sei ein Versager usw. Dasselbe gilt nicht nur für den Berufsweg, sondern auch für einzelne Leistungserfolge (einen lukrativen Vertragsabschluss, die Anerkennung durch Vorgesetzte und Kollegen, das Erzielen des „entscheidenden“ Fußballtores). Je stärker die jeweils vorliegende Situationsanmutung die oben angeführten fähigkeitsaffinen Merkmale ins Bewusstsein hebt, desto eher wird man zu dem Glauben verführt, dass es vor allem auf die eigenen Fähigkeiten ankomme – worin man sich, wie gesagt, stark täuschen kann. (2) Eine zweite Erklärung setzt auf die Anwendung der „Kontrollheuristik“. Nach Thompson, Armstrong und Thomas (1998) sind für die Beurteilung der persönlichen Kontrolle zwei Elemente von Bedeutung, erstens das Verfolgen einer bestimmten Absicht und zweitens die Wahrnehmung einer Beziehung zwischen Handlung und Ziel. Wenn man also ein bestimmtes Ziel erreichen will und zwischen dem eigenen Handeln

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und der Zielerreichung einen kausalen Zusammenhang erkennt, dann schreibt man sich auch einen entsprechenden Einfluss zu. Diese Erklärung klingt einigermaßen trivial, schließlich ist es ja – schon rein begrifflich – richtig, dass jemand, der das Geschehen in seinem Sinne beeinflussen kann, auch über Handlungskontrolle verfügt. Thompson u. a. machen nun aber geltend, dass die Wahrnehmung nicht richtig sein muss und dass man nicht selten auch in Situationen, in denen der Zufall herrscht, Kausalüberzeugungen hegt. Sie führen hierzu das folgende Beispiel an: Paul ist es wichtig, das Gefühl zu haben, dass er etwas für seine Gesundheit tun kann. Er nimmt aus diesem Grund zu Beginn der kalten Jahreszeit regelmäßig ein pflanzliches Mittel ein, das Vorbeugung gegen grippale Infekte verspricht. Weil er sich in der folgenden Zeit gesundheitlich immer wohlauf befindet, hegt er die Überzeugung, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen der Mittelverwendung und seiner Gesundheit gibt, obwohl dieser objektiv gesehen gar nicht bestehen muss. Die Anwendung der Kontrollheuristik führt vor allem deshalb nicht selten in eine Kontrollillusion, weil sich Menschen häufig mit sehr geringer Evidenz zufriedengeben, um zu ihren Überzeugungen zu gelangen. Kommt es zu einer zeitlichen Nähe zwischen der eigenen Handlung und dem Handlungserfolg, tritt ein, was man sich von seinem Handeln erwartet hat, gibt es eine semantische Ähnlichkeit zwischen der Beschreibung der jetzigen und einer anderweitigen Handlungssituation, die erfolgreich war, all dies genügt uns oft als Beweis für die Existenz einer Kausalbeziehung zwischen unserem eigenen Handeln und dem Handlungserfolg. Letztlich läuft diese Erklärung der Kontrollillusion also darauf hinaus, dass man sich leicht von den gerade verfügbaren Informationen täuschen lässt. Diese Neigung wird besonders stark sein, wenn einem das Ziel, das man vor Augen hat, als außerordentlich begehrenswert erscheint. (3) Der zuletzt genannte Punkt bringt eine Motiverklärung ins Spiel: Was man sich sehr wünscht, hält man leicht für wahr oder möglich oder – in unserem Kontext – eben auch für machbar. Wir hätten es, soweit diese Erklärung greift, bei der Kontrollillusion also mit einer bestimmten Form des Wunschdenkens zu tun. Eine andere Motiverklärung stellt auf die Bedeutung starker Kontrollbedürfnisse ab. Je stärker man darauf bedacht ist, seine Umwelt zu kontrollieren, desto eher unterliegt man dem so genannten „Hindsight Bias“ (Wissen im Nachhinein). Der Hindsight Bias (Fischhoff 1975) verführt einen dazu zu glauben, dass man das, was geschehen ist, von vornherein erwartet hat und diese Haltung bestärkt einen wieder-

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um in den Kausalerwartungen, die die Kontrollillusion anfeuern. Aber nicht nur „hindsight“, sondern auch „foresight“ kann zum Entstehen von Kontrollillusionen beitragen. „Es gibt ein Jetzt in dem manches richtig ist, eine Zukunft in der andere Dinge richtig sein können und eine noch spätere Zukunft, in der wir über die Vergangenheit nachsinnen. Wenn wir eine Entscheidung treffen, denken wir diese Linie entlang und wir antizipieren außerdem, dass wir einmal zurückblicken werden“ (Lopes 1987, S. 289). Im Antizipieren des Erinnerns will man sich angesichts wichtiger Entscheidungen nicht als Opfer unberechenbarer Kräfte sehen, sondern als jemand, der souverän und mit Tatkraft sein Handeln bestimmt. (4) Eine weitere Erklärung stellt auf die jeweils vorliegende Bewusstseinslage ab, also auf eine situative Größe. Gollwitzer (2003) unterscheidet zwischen zwei deutlich voneinander unterschiedenen Phasen in einem Entscheidungsprozess. Befindet man sich noch in der Phase der Überlegung, dann arbeitet das Bewusstsein mit einem „offenen mind-set“, der einen davor bewahrt, sich ohne weiteres irgendwelchen Illusionen hinzugeben, während es in der Phase, in der es um die Umsetzung einer Entscheidung geht, in einen „implementierungsbezogenen mind-set“ umschaltet, in dem sich Kontrollillusionen leichter bilden können: wenn man sich entschlossen hat, einer Entscheidung zu folgen, dann entsteht daraus gewissermaßen auch die Zuversicht, das anvisierte Ziel zu erreichen. (5) Nicht zu vernachlässigende Einflussgrößen beim Entstehen von Kontrollillusionen sind außerdem persönliche Haltungen. Herausgestellt wird in unserem Zusammenhang vor allem die Neigung zu übertriebenem Optimismus, den man bei manchen Menschen antrifft (Harris 1996). Besonders starke Kontrollillusionen findet man naturgemäß bei Personen, die sich gern Machbarkeitsphantasien hingeben sowie bei Persönlichkeiten, denen Dünkel und Größenwahn den Verstand vernebeln.

5.2.4 Zusammenhänge Was kann Kontrollillusionen „induzieren“? Zur Beantwortung dieser Frage sollte man direkt an den bereits angeführten Erklärungsmustern ansetzen. Die Verwechslungshypothese stellt, wie beschrieben, Merkmale heraus, die für Kontrollsituationen typisch sind. Eine wichtige Einflussgröße ist danach beispielsweise, inwieweit in der Handlungssituation irgendwel-

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che Wahlmöglichkeiten wahrgenommen werden, ganz unabhängig davon, ob diese auch mit dem realen Entscheidungsproblem in einem Zusammenhang stehen. Daran anknüpfend lässt sich die Kausalkette nach vorne verlängern, man kann sich nämlich fragen, wovon die Auffassung bestimmt wird, dass man tatsächlich eine Wahl hat. Bei der Beantwortung dieser Frage stößt man auf Einflussgrößen wie die Zahl der Verhaltensalternativen oder das Ausmaß sozialer Normierung, die selbst wieder von weiteren Einflussgrößen bestimmt werden usw. Ein anderes Beispiel ist, wie erwähnt, die Wahrnehmung sozialen Wettbewerbs, die sich selbst wieder aus der Wahrnehmung von (vermeintlichen) Knappheiten, aus Rivalitäten oder aus bestimmten weltanschaulichen Grundhaltungen speist. Auch diese Größen werden wiederum von weiteren kausal vorgelagerten Bestimmungsfaktoren beeinflusst. Ganz analog kann man mit den anderen Variablen verfahren, die die Forschung als Determinanten der Kontrollillusion identifiziert hat (Presson/Benassi 1996; Thompson/Armstrong/Thomas 1998). Nicht alle dort beschriebenen Wirkungen sind allerdings auf Anhieb plausibel. So findet man bei Personen, denen man die Gelegenheit gibt, sich vor der eigentlichen Versuchsphase mit der (Zufalls-) Aufgabe vertraut zu machen, häufiger Kontrollillusionen, was einigermaßen erstaunlich ist, denn schließlich ist es genauso plausibel, das man aufgrund der größeren Vertrautheit mit der Aufgabe deren Zufallscharakter leichter erkennt. Möglicherweise erweckt aber auch die Tatsache, dass „man schon mal Üben“ darf, den Eindruck, bei der Aufgabe brauche man vor allem ein besonderes Geschick. Ähnlich verhält es sich mit den Instruktionen, die in der Experimentalsituation gegeben werden. Versuchsteilnehmer, die im Vorfeld des Tests darüber informiert wurden, dass so etwas wie Telekinese durchaus möglich sein könnte, glaubten nach dem Experiment tatsächlich häufiger als die übrigen Personen, dass sie rein mit Geisteskraft telekinetische Wirkungen erzeugt hätten. Man hätte aber auch das genau gegenteilige Ergebnis erwarten können, denn schließlich neigt man angesichts kompletten Unsinns eher zu einem Abwehrverhalten. Möglicherweise lassen sich die Teilnehmer an solchen Experimenten aber auch davon beeindrucken, dass die Versuchsleiter eigentlich gebildete Menschen sind und wissen sollten, was sie sagen. Ein weiteres interessantes Studienergebnis lässt sich leicht lerntheoretisch erklären: Personen, die zu Anfang einer Versuchsserie überzufällig häufig für ihr (tatsächlich wirkungsloses) Verhalten und für ihren (vermeintlichen) Erfolg belohnt werden, entwickeln häufiger Kon-

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trollillusionen als Personen, die erst gegen Ende der Versuchsserie überproportional häufig belohnt werden. Offenbar löst sich eine einmal wirksam gewordene Konditionierung nicht so schnell auf. Ebenfalls mit lerntheoretischen Prinzipien vereinbar ist, dass sich Kontrollillusionen leichter bilden, wenn es um das Erlangen positiver Ergebnisse und nicht um die Vermeidung negativer Ergebnisse geht. Schließlich ergaben verschiedene Studien außerdem, dass eine positive Stimmung der Entstehung von Kontrollillusionen eher förderlich ist als eine negative Stimmung. Die Bedeutung von soziographischen Merkmalen auf die Kontrollillusion ist bislang nicht ausführlich analysiert worden. Einige Hinweise liefern Untersuchungen zu den Determinanten der Kontrollillusion. So fand man beispielsweise im Hinblick auf das Kontrollbedürfnis keine altersbedingten Unterschiede. Frauen scheinen etwas seltener als Männer starke Kontrollbedürfnisse zu entwickeln. Bedeutsamer ist wahrscheinlich der berufliche Faktor: Bei Lokomotivführern fand eine Studie beispielsweise weniger Kontrollbedürfnisse als bei Lehrern und Studenten (Burger/Cooper 1979; Gebhardt/Brosschot 2002).

5.2.5 Studie Die meisten Studien zur Kontrollillusion finden im Labor statt, die Versuchsteilnehmer sind überwiegend Studierende und untersucht wird in aller Regel, welche Faktoren das Zustandekommen von Kontrollillusionen fördern. Die Studie, auf die ich hier kurz eingehen will, weicht deutlich von diesem Schema ab. Sie befasst sich nicht mit dem Zustandekommen von Kontrollillusionen, sondern mit ausgewählten Wirkungen der Kontrollillusion, und die Versuchsteilnehmer sind nicht Studierende, sondern Mitglieder einer Berufsgruppe, die sich Kontrollillusionen einerseits nicht leisten sollten, deren Arbeitssituation andererseits die besten Voraussetzungen dafür bietet, um ihnen zu erliegen. Mark Fenton-O’Creevy und seine Kollegen und Kolleginnen untersuchten, ob sich Kontrollillusionen auf die Arbeitsleistung und das Einkommen auswirken. Für ihre Studie konnten sie 107 Händler und Makler aus vier Londoner Investmentbanken gewinnen. Das Investment-Geschäft von Banken verlangt selbstständige und risikobehaftete Entscheidungen, die Arbeitsbedingungen sind oft von Stress gekennzeichnet, es herrscht ein hoher Leistungsdruck und die Händler zeigen ein ausgeprägtes Wettbewerbsverhalten. Das

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Bonussystem belohnt das Erreichen hoher Ziele und induziert damit einen Bewusstseinsmodus, der eher auf Umsetzung und weniger auf Reflektion ausgerichtet ist. Außerdem können die Investment-Händler unter vielen Handlungsoptionen wählen, sie müssen die Finanzprodukte, die sie anbieten, sehr gut kennen und sie identifizieren sich normalerweise sehr stark mit ihrer Tätigkeit. Wie oben bereits beschrieben, bieten diese Merkmale die besten Voraussetzungen für das Entstehen von Kontrollillusionen. Die Neigung zu Kontrollillusionen wurde mit Hilfe eines Tests ermittelt, der die Teilnehmer mit folgender Aufgabe konfrontiert: Auf einem Computerbildschirm werden im Takt von einer halben Sekunde Indexpunkte angezeigt, die sich zu einer Indexlinie verbinden. Die Teilnehmer haben die Möglichkeit, drei Knöpfe zu bedienen, um den Verlauf der Indexlinie zu beeinflussen. In den ersten beiden Durchgängen suggerieren die auf dem Bildschirm angezeigten Ergebnisse einen positiven Trend, im dritten Durchgang simuliert das Computerprogramm einen fallenden und im vierten Durchgang einen gleichbleibenden Verlauf. Nach jeder Runde geben die Teilnehmer ein Urteil darüber ab, in welchem Maße es ihnen gelungen ist, den Kurs positiv zu beeinflussen. Da die Bedienknöpfe tatsächlich völlig funktionslos sind (was den Teilnehmern nicht bekannt ist) und die angezeigten Werte einzig durch einen Zufallsprozess erzeugt werden, kann die Auffassung, man habe den Trend stark beeinflussen können, als Ausdruck einer einigermaßen ausgeprägten Kontrollillusion gelten. Bewertungen der Vorgesetzten über die Leistungen der Teilnehmer im Arbeitsalltag dienten in der Studie als „abhängige Variablen“. Außerdem wurden als „objektive“ Größen das Einkommen der (in aller Regel sehr gut verdienenden) Teilnehmer und deren Leistungsbeitrag zum Unternehmensgewinn erfasst. Die Auswertung der Daten erbrachte statistisch bedeutsame Zusammenhänge zwischen all diesen Leistungsgrößen und dem Ausmaß der Kontrollillusionen, das durch die beschriebene Aufgabe erfasst wurde – und zwar selbst dann, wenn andere wichtige Einflussgrößen wie das Bildungsniveau und die Erfahrung mit der Tätigkeit konstant gehalten wurden. Bemerkenswert sind unter anderem die folgenden Ergebnisse: Besitzt man im Vergleich mit seinen Kollegen einen höheren Bildungsabschluss, dann verbessert sich das Jahreseinkommen mit jeder höheren Bildungsstufe (es wurden sechs Bildungsniveaus erfasst) um £ 68000; jedes zusätzliche Jahr, das man als Investment-Händler tätig ist, bringt zusätzlich £ 19000 und jede Standardeinheit Kontrollillusion führt zu einem Einkommensverlust von £ 58000 (Fenton-O’Creevy 2003

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u. a.). Die Maßeinheit für die Kontrollillusion klingt etwas befremdlich. Die Kontrollillusion wurde, wie oben beschrieben, durch die Urteile über den wahrgenommenen Einfluss erfasst, die nach jedem der vier Durchgänge erfragt wurden. Vorgegeben waren jeweils Skalenwerte von 0 (keinerlei Einfluss) bis 100 (sehr viel Einfluss). Da für derartige Messungen keine inhaltlich klar benennbaren Skaleneinheiten existieren, ist es sinnvoll, eine statistische Maßgröße als Einheit zu verwenden. Die Standardabweichung ist ein Maß für die Streuung der ermittelten Werte. Personen, deren Wert mehr als eine Standardabweichung über dem Mittelwert liegt, verdienen im Durchschnitt also £ 58000 weniger als Personen, deren Kontrollillusions-Wert dem Mittelwert entspricht. Personen, deren Wert mehr als zwei Standardabweichungen nach oben vom Mittelwert abweichen, verdienen nochmals £ 58000 weniger. Umgekehrt verdienen Personen, deren Wert eine Standardabweichung unter dem Mittelwert liegt £ 58000 mehr usw. Sich vor Kontrollillusionen zu schützen zahlt sich also aus und zwar erheblich. Bei der Beurteilung der Studie ist positiv zu vermerken, dass die Autoren selbst auf mögliche Schwachpunkte der gewonnenen Erkenntnisse hinweisen. Möglicherweise existiert die unterstellte Kausalität nämlich überhaupt nicht, und die Korrelationen zwischen der Kontrollillusion und den Leistungsergebnissen lassen sich durch dritte „Hintergrundfaktoren“ erklären. Beispielsweise könnte ein starkes Kontrollbedürfnis dafür verantwortlich sein, dass jemand sowohl hohe Kontrollillusionen als auch (relativ) schlechte Leistungsergebnisse aufweist. Außerdem ist eine umgekehrte Kausalrichtung denkbar: Bei Personen, die weniger verdienen und deren Leistungen nicht sonderlich gut sind, könnten Kontrollillusionen als psychologische Abwehrmaßnahmen zur Bewahrung eines positiven Selbstbilds dienen. Interesse verdient schließlich noch der Hinweis, dass die untersuchten Investment-Händler erfolgsverwöhnt waren. Da die Untersuchung in eine Periode fiel, in der die Investmentbanken große Gewinne erzielten, kann man vermuten, dass die Händler auf das Gefühl hin konditioniert wurden, erfolgreich zu sein, eine Lernerfahrung, die der Entstehung von Kontrollillusionen naturgemäß Vorschub leistet. In wirtschaftlich schlechten Zeiten mag genau das Gegenteil passieren: eine negative Erfolgskonditionierung dürfte die Wahrscheinlichkeit dafür erhöhen, dass sich negative Kontrollillusionen ausbreiten.

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5.2.6 Würdigung Untersuchungen zur Kontrollillusion fanden, wie bereits erwähnt, bislang vor allem im Labor statt. Außerdem befassen sie sich häufig mit sehr einfachen Aufgaben in einem überschaubaren Kontext, was die Frage provoziert, ob die Ergebnisse auch für das Leben außerhalb der Versuchsanordnungen Geltung beanspruchen können. Diese Frage drängt sich vor allem deswegen auf, weil die ermittelten Bestimmungsgründe der Kontrollillusion (also beispielsweise „Vertrautheit“ mit der Aufgabe, aktive Beschäftigung mit dem jeweiligen Problem, Wahlfreiheit usw.) in realen Kontexten sehr bedeutungsvoll klingen, in den Experimentalbedingungen allerdings ein deutlich kleineres Format annehmen. In dieser Feststellung liegt nicht unbedingt eine grundsätzliche Kritik. Experimente abstrahieren bewusst von der Vielfalt der Realität, es geht ihnen darum, grundlegende Verhaltensmechanismen freizulegen, die dann in komplexen Handlungssituationen, neben anderen Einflussgrößen (ergänzend, störend usw.), ihre Wirkung entfalten. Und dass sich die berichteten Zusammenhänge in der konkreten Wirklichkeit oft entdecken lassen, kann wohl jeder aus eigener Erfahrung bestätigen. Ein anderes methodisches Problem ergibt sich aus der konkreten Erfassung des zunächst ja eher abstrakten Konzepts der Kontrollillusion. Bei der Kontrollillusion geht es um eine Fehleinschätzung des persönlichen Einflusses auf die Ergebnisse des eigenen Handelns. Diese betrifft im engeren Sinn die Einschätzung des jeweiligen persönlichen Einflusses auf mögliche Handlungsergebnisse, tatsächlich erfasst werden in den diversen Studien aber oft nur „Surrogate“ dieser Größe, beispielsweise die Einschätzung der eigenen Fähigkeit zur Vorhersage positiver Handlungserfolge, die Zuversicht, eine bestimmte Aufgabe erledigen zu können oder die Bereitschaft, Lotterietickets umzutauschen. Presson/Benassi (1996) empfehlen daher, nicht von illusorischer Kontrolle, sondern von illusorischen Urteilen zu sprechen. Diese Kritik wiegt allerdings nicht sonderlich schwer, da die angeführten Größen in einem engen Zusammenhang mit der „eigentlichen“ Kontrollillusion stehen dürften. Von einigem Interesse ist die Frage, ob es immer irrational ist, Kontrollillusionen zu hegen. Psychologisch können Illusionen ja durchaus hilfreich sein, da mit ihnen positive Gefühle einhergehen und weil sie Optimismus induzieren und damit die Tatkraft stärken (Taylor/Brown 1994; Flammer 1995). Andererseits kann es fatale Folgen haben, wenn man sein Handeln auf unrealistische Einschätzungen gründet. Außerdem

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wird kaum jemand bereit sein, jemanden vernünftig zu nennen, der sich Illusionen darüber macht, was er erreichen kann und was nicht. Abschließend sei noch auf ein Ergebnis verschiedener Studien hingewiesen, welches geeignet scheint, die Bedeutung der Kontrollillusionen zu relativieren. Danach sollen sich Kontrollillusionen relativ leicht auflösen lassen, etwa indem man den Versuchsteilnehmern das Wirken des Zufalls anschaulich vor Augen führt, indem man also mehr Realität in die Handlungssituation eindringen lässt. Das mag in künstlichen Versuchssituationen tatsächlich relativ leicht gelingen (man kann z. B. zu Versuchsbeginn ein Würfelspiel durchführen lassen, womit die Sensibilität für die Wirksamkeit des Zufalls gestärkt wird), inwieweit man in realen Situationen mit diesem Ratschlag durchkommt, ist aber doch sehr fraglich. Mitunter besitzen Kontrollüberzeugungen eine tiefe psychologische Verankerung, die sich durch Belehrungen nicht so ohne weiteres lösen lässt.

6 Das Soziale 6.1 Emotionale Ansteckung Wie kam es, dass Pidras kleine Hände auf einmal von denen des Professors umschlossen waren? Wie kam es, dass Pidra lächelte, während sie die vom Weinen geröteten Lider gesenkt hielt? Und wie kam es, dass der Professor ohne Gesten, ohne große Worte sprach, gerührt und bang? Maria Messina: Der Brunnen und der Professor

6.1.1 Begriff Menschen lassen sich von den Gefühlen ihrer Mitmenschen anstecken. Dass das den Verstand benebeln und das Handeln irreleiten kann, steht außer Frage. Erschreckende Beispiele fallen einem sofort ein: Der durch Demagogen angestachelte Hass, die Massenbegeisterung für den Krieg, die bleierne Müdigkeit, die sich im Umfeld von depressiven Personen verbreiten kann, die zerstörerische Kraft von Gefühlen wie Neid oder Missgunst. Und das Positive? Ist es etwa nicht gut, wenn sich Mitglieder einer Arbeitsgruppe mit ihrer Begeisterung anstecken? Zeigen nicht theoretische Überlegungen und empirische Studien, dass eine gute Stimmung in der Gruppe die Kooperationsbereitschaft verbessert, die Konfliktneigung vermindert und zu einem engagierteren Arbeitsverhalten beiträgt (George/ Brief 1992; Barsade 2002)? Niemand kann ernsthaft die beflügelnden Wirkungen positiver Emotionen bestreiten. Andererseits können positive Emotionen auch negative Wirkungen haben, indem sie unrealistische Erwartungen wecken, zu einer Unterschätzung der gegebenen Probleme führen, das kritische Denken beeinträchtigen usw. Aber um die Wirkungen von Emotionen geht es im vorliegenden Kapitel gar nicht (jedenfalls nicht

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primär), sondern um die Frage, warum sich Menschen so leicht von den Gefühlen ihrer Mitmenschen anstecken lassen. Weil Gefühle eine große Macht über unser Denken haben, ist es höchst problematisch, wenn sie sich ungefragt Raum verschaffen können. Unsere Entscheidungen sollten ja nicht von umherschweifenden Gefühlen bestimmt werden, sondern Ergebnis einer wohlüberlegten Willensbildung sein. Die Gefühlsansteckung ist aber nicht nur deswegen problematisch, weil sie zu Fehlurteilen und Fehlentscheidungen beitragen kann. Sie ist auch unwürdig. Emotionale Ansteckung hat also auch eine ethisch-normative Dimension, die nur jemand ignorieren kann, der den Menschen den Anspruch abspricht, als souveräne Akteure ihr Denken und Handeln selbst bestimmen zu können. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass mächtige Personen sich weniger von den Gefühlen anderer Menschen beeindrucken lassen als Personen, die nur über geringen sozialen Einfluss verfügen (Snodgrass 1985; Kimura/Daibo/Yogo 2008). Es gibt offenbar eine Asymmetrie der Ansteckung, die der ethisch-moralischen auch noch eine politische Dimension hinzufügt. Worauf bezieht sich die Gefühlsansteckung, kann man die vielen verschiedenen Gefühlsphänomene überhaupt miteinander vergleichen? Als Grundgefühle gelten unter anderem Freude, Ärger, Schuld, Scham, Leid, Furcht, Überraschung und Ekel. Es handelt sich dabei um relativ einfache Befindlichkeiten mit einem klar ausgeprägten Erscheinungsbild. Daneben existieren aber auch komplexere Gefühle, in die sich stark idiosynkratische Elemente mischen wie Ehrfurcht, Scheu, Begehren und Verzweiflung. Außerdem gibt es paradoxe Emotionen wie zum Beispiel die Gefühlskälte. Ähnlich weit gefächert ist das Spektrum der „Stimmungen“. Mit Stimmungen bezeichnet man psychologische Zustände wie Nervosität, Unrast, Müdigkeit, Entspannung, Begeisterung oder Langeweile. Schließlich gibt es noch die „Sentiments“, das sind Emotionen und Anmutungen, die sich auf Personen oder irgendwelche Objekte richten (Eltern, Freundschaftsdienste, Arztbesuche, Bahnreisen usw.). Hier findet man die größte Vielfalt, weil es sich bei den Sentiments um ein Konglomerat von Handlungstendenzen, Erinnerungen, Einstellungen und Überzeugungen handelt, das sich mit den unterschiedlichsten affektiven Untertönen vermischt. Man kann sich grundsätzlich bei allen Gefühlsinhalten gut vorstellen, dass sie sich durch soziale Ansteckung übertragen lassen. Fraglich ist allerdings, ob hierbei stets dieselben Mechanismen wirksam sind, ob also beispielsweise Angst, Freudlosigkeit und Abneigungen in gleicher Weise

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weitergegeben werden wie Begeisterung und Glück. In der Literatur wird die Frage nach den Übertragungsmechanismen nicht selten bereits mit der gewählten Begrifflichkeit beantwortet. Manche Autoren sprechen nur dann von einer Ansteckung, wenn die Gefühlsübertragung quasi-automisch und unbewusst erfolgt. Andere Autoren stellen auf die Herausbildung gemeinsamer Emotionen durch sozialpsychologische Definitionsprozesse ab, wieder andere beziehen auch bewusste Inszenierungen und Aktivitäten der Akteure, also eine Art des affektiven Eindrucksmanagements, mit ein (Hatfield/Cacioppo/Rapson 1994; Kelly/Barsade 2001). Grundsätzlich muss man sich hierbei nicht festlegen, es gibt verschiedene Wege, wie es zu kollektiv geteilten Affekten kommt. Allerdings stellt sich die weitere und ganz grundsätzliche Frage, was man sich unter einem kollektiven Affekt eigentlich vorzustellen hat. Schließlich sind Kollektive keine empfindenden Wesen, Gefühle haben nur einzelne Personen. Eine Ansteckung an Kollektivgefühlen kann es also gar nicht geben. Man spricht daher besser von kollektiv definierten Gefühlsphänomenen. Außerdem macht es wenig Sinn, den „Gefühlen eines Kollektivs“ (also z. B. den Gefühlen einer Gruppe) eine Wirkung zuzuschreiben. Scheinbar im Gegensatz zu dieser Aussage steht das Ergebnis einer Studie von Kimberly Jinnett und Jeffrey Alexander (1999). Sie fanden heraus, dass die „Gruppenunzufriedenheit“ die Bereitschaft zum Verbleib in der Gruppe beeinträchtigt und zwar gänzlich unabhängig von der individuellen Zufriedenheit. Verantwortlich sei der affektive Grundton in einer Arbeitsgruppe, dieser habe einen unmittelbaren Effekt auf die Bleibemotivation. Das ist allerdings nur in einem technischen Sinne richtig, das heißt die Autoren ermitteln einen so genannten „direkten“ statistischen Effekt, also einen Effekt, der von keinen der sonst in der empirischen Studie betrachteten Variablen moderiert wird. Was die realen Wirkungszusammenhänge betrifft, so sei hier festgehalten: Damit der affektive Grundton einer Gruppe auf die einzelnen Mitglieder abfärben kann, muss er zunächst wahrgenommen und positiv oder negativ bewertet werden.

6.1.2 Beispiele In seinem Romanzyklus Joseph und seine Brüder schildert Thomas Mann in grandioser Weise, wie sich allmählich und kollektiv Emotionen herausbilden und verfestigen. Jakobs Söhne sind zunehmend frustriert über das

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selbstgefällige Auftreten ihres Bruders und die Sonderbehandlung, die dieser bei ihrem Vater genießt. In ihren Gesprächen und Beratungen ergehen sie sich in mehr oder weniger vagen Andeutungen über ihre Gefühlslage, sie reden in Gleichnissen und wählen subtile Formulierungen, die anfangs eher vorsichtig, dann aber zunehmend deutlicher ihrer Eifersucht und ihrem Zorn Ausdruck geben. Schließlich braucht es nur einen geringen Anlass, um über Joseph herzufallen und ihn an einen „Ismaeliten“ zu verkaufen (Mann 1983). Die Bedeutung des Ansteckungseffekts liegt in dem Tatbestand begründet, dass unsere Urteile sehr stark von den zum Handlungszeitpunkt jeweils gegebenen Emotionen beeinflusst werden. Wenn wir positiv gestimmt sind, beurteilen wir andere Personen freundlicher, wir sind zuversichtlicher und wir glauben zufriedener zu sein, als wir sind; bei guter Laune erinnern wir uns eher an angenehme, bei schlechter Laune eher an unangenehme Dinge, und selbst bei der Bewertung der Erinnerungen lassen wir uns von unserer Stimmung leiten (Doherty 1998; Kelly/Barsade 2001). Spezielle Gefühle haben ihre speziellen Effekte, machen sich beispielsweise Neid und Missgunst breit, dann verliert eine Gruppe ihren Zusammenhalt, die Gruppenmitglieder neigen zu „sozialem Faulenzen“, ihre Leistungsbereitschaft sinkt (Duffy/Shaw 2000). Fußballmannschaften, die sich von einem Gegentor beeindrucken lassen, verlieren ihr Spiel, ängstliche Bergsteiger stürzen ab, passionierte Segler lassen sich von einem Mastbruch nicht schrecken. Der Einfluss, der dem sozialen Element hierbei zukommt, lässt sich kaum überschätzen. Die Begeisterung eines einzelnen Gruppenmitglieds mag noch so stark sein, ziehen seine Gefährten gefühlsmäßig nicht mit, dann wird sie verpuffen. Umgekehrt ist es genauso, ist einmal eine Gefühlswelle in Schwung gekommen, also beispielsweise eine Demonstration aus dem Ruder gelaufen und haben sich Erbitterung und Wut breitgemacht, dann wird es den friedfertigen Mitdemonstranten kaum mehr gelingen, die Wogen zu glätten. Panik und Massenhysterie entstehen aus einer sozial bedingten, emotionalen Ansteckung. Gleiches gilt für Ausschreitungen, Pogrome und Lynchjustiz. Wenn der Mob regiert, entfaltet sich die ganze Wucht unheilvoller Emotionen. Diese kommen selbstverständlich nicht aus dem Nichts. Die Ansteckung verstärkt „lediglich“ ohnehin vorhandene Ressentiments. Als Beispiel seien die so genannten „Hep-Hep-Unruhen“ angeführt, die sich im Jahr 1819 in vielen Städten des Deutschen Reiches ereigneten. Bei diesen Pogromen rotteten sich vor

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allem Kleingewerbetreibende und Studenten unter den Hetzrufen „Hep Hep“ zusammen, misshandelten ihre jüdischen Mitbürger und plünderten deren Geschäfte. Die Krawalle wurzelten in einem verbreiteten Judenhass, der sich angesichts wirtschaftlicher Probleme und – angestiftet durch üble Pamphlete – ein Ventil suchte (Brenner/Jersch-Wenzel/Meyer 1996, S. 43 ff.). Damit Gefühle nicht „überschießen“, damit sie nicht „ausufern“, werden sie in gesellschaftlichen Institutionen eingefangen, um in gesitteter Form Ausdruck zu finden, wie beispielsweise in parlamentarischen Debatten, Hochzeiten, Trauerfeiern und Gedenktagen. Allerdings lassen sich nicht sämtliche Gefühlsansteckungen „zähmen“. Naturkatastrophen, Terroranschläge, politische Unrast, aber auch persönliche Schicksalsschläge können einen emotionalen Druck erzeugen, der sich nur sehr schwer, wenn überhaupt, kanalisieren lässt und sich daher oft völlig ungesteuert entlädt. Weniger sichtbar, aber für das tägliche Leben ebenso bedeutsam, äußern sich schleichende Gefühlsentwicklungen. Ein Beispiel hierfür ist die zunehmende Ausbreitung von Depressionen. Nach Michael Yapko (2009) handelt es sich bei dieser besorgniserregenden Entwicklung nicht darum, dass plötzlich die menschliche Biologie in die Irre läuft. Depression ist eine sozial vermittelte Krankheit, die auch die Angehörigen der davon Betroffenen in ihren Bann zieht, Yapko spricht vom „Second Hand Blues“, der sich im sozialen Umfeld der Depressiven breit macht. Je enger soziale Beziehungen sind, desto größer ist die emotionale Ansteckungsgefahr. Ein ständig nörgelndes Familienmitglied kann jeden noch so attraktiven Familienausflug in ein absolutes Stimmungstief führen. Bedeutsam sind außerdem Machtfragen, man lässt sich beispielsweise wesentlich stärker von den mürrischen Kommentaren des Chefs entmutigen als von der Skepsis der Kollegen. Manchmal ist es auch einfach die „Natur“, die unser Fühlen bestimmt. So muss man schon einen einigermaßen verbogenen Charakter haben, wenn man sich nicht von einem herzlichen Kinderlachen anstecken lässt. Anders ist das schon beim TeenagerGekicher, das so manch einen Pädagogen nervt – was die Lachlust der Heranwachsenden nur umso mehr entfacht. Man kann wohl generell sagen: Je mehr Lacher, desto schwerer haben es die hartnäckigen Nichtlacher. Was analog für alle Massengefühle gilt. Wer nicht mitmachen will, kann nur fliehen und kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen, wie sich ganz normale Menschen nicht entblöden beim Blauen Bock zu schunkeln und zu singen oder bei ohrenbetäubenden Rockkonzerten grölen und in ekstati-

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sche Zuckungen verfallen. Der Blaue Bock und das Rockkonzert sind natürlich inszenierte Gefühlsveranstaltungen, man sucht sie ja gerade wegen der Gefühle, die sie entfachen, auf. Das gilt für viele „Events“, so beispielsweise auch für viele Showveranstaltungen, in denen es immer häufiger darum geht, dass Menschen selbst ihre privatesten Gefühle zur Schau stellen. Medienereignisse werden ständig stärker emotional aufgeladen, das Gefühl soll überspringen, man möchte die Protagonisten weinen oder jubeln sehen, damit man selbst mitweinen und mitjubeln kann. Der Kitsch kennt keine Grenzen: Mit falschem Pathos, öligen Ritualen und bombastischer Musik wird eine Gefühlskulisse erzeugt, die jeder nüchternen Beschreibung spottet. Wie echt oder unecht die dabei hervorgerufenen Gefühle sind, darüber lässt sich trefflich streiten, das ist aber nicht unser Thema. Es geht uns vielmehr um die Mechanismen der Gefühlsansteckung, die die Entscheidungsfindung beeinträchtigen. Über eine einschlägige Studie sei im Folgenden berichtet.

6.1.3 Studie In mehreren Fallstudien untersuchten Sally Maitlis und Hakan Ozcelik (2004), wie die emotionale Dynamik organisationaler Abläufe „toxische“ Entscheidungsprozesse hervorbringen kann. Es geht in den insgesamt sechs Fällen um die Frage, wie man mit Mitarbeitern verfahren soll, die in ihrer Leistung nachlassen und damit auch zu einer Belastung für ihre Kollegen werden. Die Daten zu dieser Studie wurden im Zuge von teilnehmenden Beobachtungen in drei Symphonieorchestern Englands gewonnen. Die Kollegen der betroffenen Mitarbeiter waren in mehr oder weniger intensiver Weise an der Entscheidungsfindung beteiligt, und zwar durch ihre Mitwirkung in den jeweiligen Musiker-Komitees. Die emotionale Brisanz der Angelegenheit ergibt sich allein schon aus dem Tatbestand, dass die Musiker ihre berufliche, aber auch ihre persönliche Identität sehr stark mit ihrem musikalischen Talent verknüpfen und entsprechend sensibel auf das Nachlassen ihrer Fähigkeiten und auf die Reaktionen ihres Umfeldes reagieren. Dazu kommt, dass sich Leistungsschwächen in einem Orchester kaum verbergen lassen und jeder sozusagen unter jedermanns Beobachtung steht. Die Forscher ermittelten drei typische Phasen im Umgang mit dem Problem. Die erste Phase ist durch eine Verschleppung des Problems gekennzeichnet, in der zweiten Phase kommt

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es zur „Detonation“ und in der dritten zum Versuch, die geweckten Emotionen einzukapseln. Die Trägheit in der ersten Phase erklärt sich aus der Scheu vor dem Thema, es gilt als „gefährlich“, sich damit zu beschäftigen. Man meidet die Gefahrenzone, weil sich jeder sehr gut vorstellen kann, wie es wäre, wenn ihn selbst das Schicksal der Kollegen ereilte. Die Kollegen, aber auch die Verantwortlichen, reagieren daher ängstlich und besorgt. Sie vermeiden es, das Leistungsthema anzusprechen und das konkret gegebene Problem offensiv anzugehen. In der zweiten Phase werden die Verantwortlichen endlich tätig. Weil sie lange gezögert haben und eher unter dem Druck der Verhältnisse als vorausschauend handeln, kommen ihre Maßnahmen gewissermaßen aus heiterem Himmel und lassen oft die gebotene Sensibilität vermissen. Die betroffenen Musiker empfinden vor allem Scham, die Kollegen, die das Geschehen beobachten, reagieren dagegen mit Ärger, Angst und Empörung. In der dritten Phase versuchen die Entscheider, die Angelegenheit vergessen zu machen, indem sie die negativen Emotionen ignorieren. Sie gehen nicht etwa dazu über, Sympathie für die Betroffenen zu zeigen oder sich zu rechtfertigen, stattdessen spielen sie die Bedeutung der Angelegenheit herunter und weisen die Verantwortlichkeit zurück. Bestimmt wird dieses Verhalten von der Vorstellung, dass Emotionen in Organisationen nichts zu suchen haben und dass man möglichst rasch zu der eigentlichen Aufgabenerfüllung zurückkehren sollte. Dieses Verhalten trägt aber nur auf der Oberfläche zur Beruhigung bei. Die Leugnung der Vorgänge und der emotionalen Turbulenzen wird von den Mitarbeitern nicht vergessen und hat entsprechende Auswirkungen für die weitere Zusammenarbeit. Man lernt auch nichts aus der Erfahrung. Statt bei ähnlichen Problemen nun rasch und entschlossen zu reagieren, neigen die Entscheider – eben wegen der schlechten emotionalen Erfahrungen – dazu, das Thema eher noch zögerlicher anzugehen, was dazu führt, dass der beschriebene Zyklus neu durchlaufen wird. Es entsteht ein Klima aus Angst und Misstrauen, in dem die Entscheidungen der Leitung zunehmend kritischer betrachtet werden, woraus oft zusätzlicher Ärger erwächst. Allerdings kommt es nicht immer und überall zu einer Frontstellung zwischen den Mitarbeitern und der Leitung. Nicht wenige Mitarbeiter entwickeln durchaus Verständnis für die Handlungszwänge ihrer Vorgesetzten, tun sich aber schwer damit, sich hierzu zu bekennen und bleiben emotional eher auf Seiten ihrer Kollegen. Die eigentliche Gefühlsausbreitung geschieht in der zweiten Phase. Die Autoren dieser Studie machen hierfür zwei Mechanismen verantwort-

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lich. Je näher die Kollegen dem betroffenen Mitarbeiter stehen, desto eher empfinden sie Mitleid mit seinem Geschick, und je mehr sie in den Entscheidungsprozess verwoben sind, desto mehr machen sie sich Gedanken über ihre eigene Zukunft und umso stärker empfinden sie Schuld und Pein. Maitlis und Ozcelik nennen diesen Mechanismus „empathische Übertragung.“ Den zweiten Mechanismus bezeichnen die Autoren nun als „emotionale Ansteckung“. Dieser wird aber leider nicht näher erläutert. Sally Maitlis und Hakan Ozcelik beziehen sich im Wesentlichen auf den auch in anderen Studien belegten empirischen Befund, dass starke Emotionen wie Angst, Frustration und Ärger ansteckend wirken. Ausdruck verschaffen die Kollegen ihren Gefühlen in Pausengesprächen und privaten Treffen, aber auch in lautstarken Protesten gegenüber den Verantwortlichen. Der Austausch dieser unguten Gefühle trägt maßgeblich zur Verbreitung der negativen Stimmung und der „kollektiven Toxitität“ in der Organisation bei.

6.1.4 Erklärung Wie bei der Analyse aller anderen Entscheidungsdefekte, stellt sich auch bei Betrachtung des Phänomens der Emotionalen Ansteckung schnell heraus, dass sich begriffliche und theoretische Fragen nur schwer voneinander trennen lassen. Das Phänomen der Emotionalen Ansteckung gewinnt also, je nachdem, mit welchem theoretischen Blick man es betrachtet, ganz spezifische Konturen. Das ist nicht von vornherein nachteilig, angesichts des komplexen Emotionsgeschehens ist die theoretische Vielfalt eher positiv zu bewerten, weil sie jeweils andere Aspekte ans Licht bringt. (1) Von Elaine Hatfield, John Cacioppo und Richard Rapson (1993) stammt ein sehr geradliniges Erklärungsschema, das zwei Stufen umfasst. Auf der ersten Stufe kommt es zur Imitation des Ausdrucksverhaltens (der Stimmlage, Gestik, Mimik, Körperhaltung, Bewegung) einer anderen Person. Wenn eine andere Person also zum Beispiel lächelt, werden wir unwillkürlich ebenfalls lächeln, und selbst wenn wir willentlich das Lächeln unterdrücken, werden unsere Gesichtsmuskeln dennoch von den für das Lächeln zuständigen Nervenzellen angeregt. Es kommt beim Beobachter also (zumindest ansatzweise) zu einer Imitation der Mimik, Gestik usw. Mit diesem gespiegelten Ausdrucksverhalten verknüpfen sich bestimmte Empfindungen, die in einer Art innerer Beobachtung wahr-

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genommen, interpretiert und in Gefühlsqualitäten transformiert werden. Dies kann auf unterschiedlichen Wegen geschehen, die sich nicht gegenseitig ausschließen. Der direkteste Weg ist der, dass die zentralnervösen Prozesse, die das imitierte Ausdrucksverhalten auslösen, gleichzeitig auch schon die Gefühlsempfindungen bewirken. Unter Umständen werden diese Gefühlsempfindungen aber auch erst durch die afferenten Prozesse, die vom Ausdrucksverhalten ausgelöst werden, festgelegt. Und schließlich ist es auch denkbar, dass erst die Wahrnehmung des eigenen Ausdrucksverhaltens die Gefühlsqualität bestimmt. Hat die erste Person gelächelt, lächelt die zweite Person also zurück, was deren ursprüngliches FreudeGefühl, das sie zum Lächeln veranlasste, verstärken dürfte usw. Entsprechend führt Ärger zu Ärger und verstärktem Ärger usw. Hartfield, Cacioppo und Rapson nennen diesen Mechanismus „primitive emotionale Ansteckung“, weil er unbewusst und gewissermaßen zwangsläufig ausgelöst wird. Den Autoren ist sehr wohl bewusst, dass Emotionen auch auf anderem Wege übertragen werden können. Die Macht der quasi-automatischen Ansteckung sollte ihrer Meinung nach allerdings nicht unterschätzt werden. In einer ihrer Studien stellte sich heraus, dass sich Versuchspersonen bei der Beurteilung der Emotionen ihrer Interaktionspartner durchaus davon beeindrucken lassen, was diese „offiziell“ darüber berichten. Gleichzeitig nahmen die Versuchspersonen aber dennoch (unbewusst) wahr, was die Interaktionspartner tatsächlich fühlten und zwar dadurch, dass sie auf ihre eigenen Emotionen achteten, die durch die non-verbalen Signale ihres Gegenübers ausgelöst wurden. (2) Emotionale Ansteckung ist ein sozialer Prozess und damit zwangsläufig eine soziale Konstruktion. In einem berühmten Experiment konnten Stanley Schachter und Jerome Singer (1962) zeigen, dass bei der Bestimmung dessen, was man fühlt, Zuschreibungen eine wichtige Rolle spielen. Die Gefühlsqualität wird danach (unter anderem) davon bestimmt, welche Deutungsangebote gerade zur Verfügung stehen. Den Versuchspersonen wurde Adrenalin gespritzt, dabei wurden sie aber im Glauben gelassen, es handle sich um ein harmloses Vitaminpräparat, das das Sehvermögen stärken sollte. Adrenalin hat eine unmittelbare Wirkung auf das Nervensystem und führt unter anderem zu Unruhe und Herzklopfen. Die Versuchspersonen wurden mit anderen Personen zusammengebracht. Diese Personen waren heimliche Verbündete der Versuchsleiter und zeigten im einen Fall zunehmende Verärgerung, im anderen Fall große Euphorie. Je nachdem, mit welcher Gruppe die Versuchspersonen zusammen

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waren, zeigten sie ebenfalls das eine (ärgerliche) oder andere (euphorische) Verhalten. Dieses Experiment löste eine heftige und kontroverse Diskussion aus, die uns an dieser Stelle aber nicht näher interessieren muss (vgl. u. a. Reisenzein 1983; Rofé/Lewin 1988). Unbestritten dürfte sein, dass die konkrete Gefühlsqualität oft nicht unmittelbar erkennbar ist, sondern sich innerhalb eines physiologisch-emotional-kognitiven Prozesses herausbildet, in dem die jeweils vorliegenden Hinweisreize eine große Rolle spielen (Russell 2003; Barrett u. a. 2007). Dass dabei (auch) den Gefühlsäußerungen der Mitmenschen eine große Bedeutung zukommt, dürfte naheliegen. Dies wird jedenfalls auch von Forschern so gesehen, die sich mit der Wirksamkeit sozialer Vergleichsprozesse befassen. Danach orientiert man sich bei der Bestimmung der eigenen Gefühlsqualität daran, was die anderen tun (Barsade 2002; Walter/Bruch 2008), aber natürlich nur, wenn die eigenen Empfindungen einigermaßen undeutlich sind, also tatsächlich nach einer erst noch zu erbringenden Bestimmungsleistung verlangen. Es ist schließlich nur schwer vorstellbar, dass sich die eigene tief empfundene Dysphorie allein schon deshalb in Euphorie verwandelt, weil die Mitmenschen ausgelassen und fröhlich sind. Zumindest was die Häufigkeit der Verursachung der emotionalen Ansteckung angeht, dürfte daher ein anderer Aspekt sozialer Einflussnahme von größerer Bedeutung sein. Gruppen machen gemeinsame Erfahrungen und müssen darauf kollektiv reagieren – und zwar auch emotional. Entsprechendes Gewicht bekommt das „soziale Lernen“, das insbesondere von Albert Bandura (1986) untersucht wurde. Danach kommt Vorbildern oder „Modellen“ eine große Bedeutung für die Weitergabe von Verhaltensweisen zu. Reagieren die sozialen Modelle beispielsweise auf bedrohliche Situationen mit aggressiven Gefühlen, dann ist zu erwarten, dass sich auch in der Gruppe der Beobachter bei entsprechenden Gelegenheiten ein hohes Aggressionspotenzial aufbaut. Reagiert das Vorbild dagegen eher gelassen, werden auch seine Kollegen lernen, entspannter mit der entsprechenden Konstellation umzugehen. Will man die Entwicklung gleichlaufender Gruppenemotionen verstehen, muss man beachten, dass natürlich nicht jedes Gruppenmitglied gleichermaßen als „Modell“ akzeptiert wird. Und man muss auch die intervenierenden Prozesse berücksichtigen, die von Bandura beschrieben werden, um zu erklären, wie es zum Modelllernen kommt: Auf welche Phänomene richtet sich die Aufmerksamkeit? Wie kommt es zur Integration der Beobachtung in das kognitive System? Können die Gruppenmitglieder die beobachteten Verhaltensweisen repro-

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duzieren? Welche motivationalen Kräfte sind in der Beobachtungssituation am Werk? (3) Ein weiterer Erklärungsansatz gründet in dem Nachfühlungsvermögen der Menschen, also in der Empathie. Wir können uns in die Gefühlswelt unserer Mitmenschen hineinversetzen, also mitfühlen, was ein anderer empfindet. Diese Fähigkeit ist allerdings nicht bei allen Menschen in gleicher Weise hoch entwickelt und außerdem muss jeweils die Bereitschaft vorhanden sein, sich auf die Empfindungen anderer Personen einzulassen. Die Motivation zum empathischen Verhalten hängt beispielsweise von dem Interesse ab, das man einer anderen Person entgegenbringt, von der Art des Gefühls, um das es geht (angenehmen Gefühlen wird man lieber nachspüren als unangenehmen) und davon, ob man erwartet, auch künftig mit der anderen Person in einem engen Verhältnis zu stehen (Duan 2000). (4) Während die Empathie primär auf die Empfänger emotionaler Signale abstellt, geht es beim „Charisma“ um den Sender emotionaler Botschaften, um dessen Wirkung auf Dritte, also darum, welche Gefühle, Einstellungen und Handlungsbereitschaften er auslöst. Häufig sieht man hier besondere Fähigkeiten des Charismatikers am Werk, die Managementlehre bemüht sich sogar darum, Rezepte für Führungskräfte zu entwickeln, damit diese ihre Mitarbeiter „charismatisch“ traktieren können (House/ Shamir 1995). Letztlich laufen entsprechende Ratschläge darauf hinaus, bestimmte Kommunikationstechniken anzuwenden, die geeignet erscheinen, seine Mitmenschen in besonderer Weise zu beeindrucken. Mit „Charisma“ hat das aber nichts zu tun. Charisma ist keine Fertigkeit, die man beliebig zum Einsatz bringen kann, und es ist auch keine außerordentliche Persönlichkeitseigenschaft, die jemanden wie eine Aura umschwebt, Charisma ist Ausdruck einer spezifischen sozialen Situation. Dies ist jedenfalls die Auffassung von Max Weber. Die Autorität des charismatischen Führers ergibt sich aus seinem Erfolg: „Er muß Wunder tun, wenn er ein Prophet, Heldentaten, wenn er ein Kriegsführer sein will. Vor allem aber muß sich seine göttliche Sendung darin ‚bewähren‘, daß es denen, die sich ihm gläubig hingeben, wohlergeht“ (Weber 2005, S. 835). Charismatische Führung entsteht nur, wenn auch entsprechende Voraussetzungen gegeben sind. Die „Heilserwartungen“, die die Anhänger des Charismatikers hegen, die „Versprechen“, die der Charismatiker verkörpert, entstehen also nicht aus dem Nichts, sie gründen in einer „latenten charismatischen Situation“, die gekennzeichnet ist durch krisenhafte Ereignisse, für die sich keine konven-

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tionelle Lösung abzeichnet, und durch eine einheitliche Kultur, aus der heraus gemeinsame Projektionen auf einen Heilsbringer entstehen können (Lepsius 1993, S. 95 ff.). Aus der latenten wird eine manifeste charismatische Situation, wenn es einem Anwärter gelingt, die Gunst der Stunde zu nutzen und sich selbst als Retter zu empfehlen. Etablieren kann sich ein charismatischer Führer aber, wie gesagt, nur, wenn er den Erwartungen seiner Anhänger gerecht wird, Erwartungen, die er selbst willentlich oder unwillentlich geweckt haben mag. Charismatischer Einfluss ist daher sehr labil. Ein Beispiel ist der Verfall des Ansehens, das der große Erneuerer Martin Luther hinnehmen musste, als er sich in seinen Schriften gegen die Bauernaufstände wandte: „Luther büßte im Bauernkriegsjahr mehr an Charisma ein als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt seines Lebens“ (Kaufmann 2009, S. 501). (5) Die emotionale Ansteckung kann auch auf Berechnung beruhen. Wenn sich wichtige Personen von einer Idee begeistert zeigen, wenn man weiß, dass sie diese Zustimmung erwarten, dann lassen sich nicht wenige Menschen ganz opportunistisch auf dieses Spiel ein und demonstrieren ebenfalls große Lebhaftigkeit in der Unterstützung der Idee (Kelly/Barsade 2001). Großes Interesse an „affektivem Impression Management“ haben vor allem Dienstleistungsunternehmen. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen Enthusiasmus zeigen, um damit auch ihre Kunden anzustecken. Der Enthusiasmus muss dabei nicht echt sein, er muss lediglich echt wirken. Dieses Beispiel zeigt, dass es keineswegs immer nützlich ist, sich von positiven Emotionen anstecken zu lassen. Dies gilt umso mehr für negative Emotionen: Wenn man selbst ohnehin schon zum Pessimismus neigt, ist es sicher nicht hilfreich, sich von seinen mutlosen Mitmenschen noch mehr in dieser Haltung bestärken zu lassen. (6) Funktionalistische Erklärungen des Ansteckungsverhaltens stellen die Vorteile heraus, die sich aus einer Verhaltenssynchronisierung ergeben (z. B. Burgoon/Stern/Dillman 1995). Danach ist immer dann mit einer affektiven Übereinstimmung zu rechnen, wenn diese für die Erbringung der kollektiven Leistung von besonderer Bedeutung ist. Wenn eine Gruppenaufgabe zum Beispiel beständige Konzentration und Aufmerksamkeit fordert, ist zu erwarten, dass sich die Gruppe gegenseitig befeuert, um das Erregungsniveau hoch zu halten. Ähnliches gilt für das Durchhaltevermögen; ohne kontinuierliche positive emotionale Stimulanz besteht die Gefahr, an schwierigen und langwierigen Aufgaben an motivationaler Erschöpfung zu scheitern.

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(7) Mit seiner Affekt-Infusions-Theorie versucht Joseph Forgas (1994) zu erklären, warum Gefühle manchmal Einfluss auf die soziale Urteilsfindung nehmen und manchmal nicht. Diese Theorie befasst sich nicht so sehr mit der emotionalen Ansteckung, sondern vor allem mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Emotionen unser Denken und Urteilen beeinflussen. Dessen ungeachtet lässt sich die Affekt-Infusions-Theorie auch auf unsere Fragestellung anwenden. Sie befasst sich ganz allgemein mit dem Einfluss, der von Emotionen ausgeht und gibt damit Auskunft darüber, welche Beachtung wir Emotionen schenken, ob also überhaupt die Voraussetzungen dafür gegeben sind, dass wir uns von ihnen anstecken lassen. Nach Forgas ergibt sich der Zugang der Emotionen zu unserem Denken aus dem Prozess der Urteilsbildung, den er in vier Kategorien unterteilt: einen direkten Zugang sowie einen motivierten, heuristischen und einen substantiellen Prozess. Beim direkten Zugang greift man einfach auf eine schon gespeicherte Bewertung zurück („Ich mag nicht tanzen!“). Bei einem motivierten Prozess geht man sehr selektiv vor und hat bereits seine sehr konkrete Vorstellung seiner Beurteilung („Die Argumente meines Chefs können nicht gut sein!“). Beide Zugänge lassen wenig Raum für Emotionen, sie laufen quasi-automatisch bzw. strikt-zielorientiert ab. Dies ist anders bei der heuristischen Urteilsfindung. Man findet sie bei Problemen mit geringer persönlicher Relevanz, wenn es nicht auf Genauigkeit ankommt und wenn die verfügbaren kognitiven Ressourcen begrenzt sind. Die heuristische Vorgehensweise lässt Raum für emotionale Assoziationen, die entsprechend in die Urteilsfindung einfließen. Dies ist noch wesentlich stärker der Fall, wenn der Prozess der Urteilsfindung sehr umfassend angelegt ist, man also zahlreiche Überlegungen anstellt, viele Informationen sammelt und gewissenhafte Abwägungen vornimmt. Insgesamt kommt man also zu dem etwas paradoxen Ergebnis, dass in die Beurteilung eines Sachverhaltes desto mehr Emotionen einfließen, je gründlicher man sie vornimmt. Lassen sich diese Überlegungen direkt auf die emotionale Ansteckung übertragen? Eher nicht, denn es handelt sich hierbei zwar um einen analogen, aber inhaltlich entgegengesetzten Vorgang. Bei der Affekt-Infusions-Theorie geht es um die Einwirkung von Affekten auf sachliche Überlegungen, also um das Verhältnis zwischen Kognitionen und darum, ob Affekte in dieses Verhältnis eindringen können. Bei der emotionalen Ansteckung geht es dagegen um das Verhältnis zwischen (wahrgenommenen) Affekten und (übernommenen) Affekten und darum, ob sich in dieses Verhältnis intervenierende

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kognitive Prozesse einschieben. Und hier ergeben sich nun zwei genau entgegengesetzte Wirkungen: Im Rahmen einer sehr umfänglichen „Erkundung“ der emotionalen Befindlichkeit wird die emotionale Ansteckung an Bedeutung verlieren, weil hier zahlreiche Denkoperationen zum Zuge kommen, die den freien Lauf von Emotionen hemmen. In Prozessen mit einem direkten Zugriff, also bei einer engen assoziativen Verknüpfung emotionaler Befindlichkeiten, ist sie dagegen von unmittelbarer Relevanz. Wer der Stimmung in einer Gruppe in allen ihren Verästelungen nachgeht, wird sich davon also weniger beeinflussen lassen als der, der reflexhaft auf emotionale Stimmungsindikatoren anspringt.

6.1.5 Zusammenhänge Menschen unterscheiden sich in ihrer persönlichen Empfänglichkeit für emotionale Signale (Laird/Bresler 1990; Hatfield u. a. 1994; Hareli/ Rafaeli 2008), mancher lässt sich von den Emotionen seiner Umgebung nicht sonderlich beeindrucken, andere reagieren dagegen mit übertriebener Sensibilität. Eine weitere wichtige Bestimmungsgröße emotionaler Ansteckung ist die Ähnlichkeit zwischen dem Emotionssender und dem Emotionsempfänger (Stockert 1994; Kulik/Mahler 2000; Kelly/Barsade 2001 Walter/Bruch 2008). Ähnlich oder unähnlich ist beispielsweise die Situation, in denen sich die Interaktionspartner jeweils befinden. Die Bedeutung dieser Größe dürfte kaum strittig sein, schließlich bestimmt die Handlungssituation den Erfahrungsraum einer Person und damit die Anregungsbedingungen für deren Emotionen. Wichtiger ist allerdings die psychologische Situation, denn physisch mögen sich Menschen am selben Ort aufhalten, die Situation aber doch gänzlich anders empfinden (z. B. Lehrer und Schüler) und entsprechend für sehr unterschiedliche emotionale Signale empfänglich sein. Ähnlich oder unähnlich können auch die persönlichen Eigenschaften der Beteiligten sein. Auch hier ist die Einflussbeziehung recht klar, man versteht Personen, deren Eigenschaften den eigenen ähneln, besser als Personen mit gänzlich anderen Orientierungen. Ansteckungseffekte werden dabei sowohl durch gleiche Persönlichkeitseigenschaften wie Geselligkeit, Lebhaftigkeit oder Besorgtheit als auch durch Übereinstimmungen im Hinblick auf Beruf, Bildung, Geschlecht, Alter usw. ausgelöst. Außerdem vergleicht man sich eher mit ähnlichen Personen und achtet entsprechend intensiver auf deren emotio-

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nale Gestimmtheit. Haben die Interaktionspartner ähnliche Positionen inne, dann dürfte es ebenfalls leicht zu Ansteckungseffekten kommen. Andererseits lassen sich Menschen – wie oben bereits beschrieben – vor allem von den Emotionen höhergestellter Personen beeindrucken. Die Empfänglichkeit für die emotionale Ansteckung wird schließlich vor allem von der Art und Weise bestimmt, wie jemand empfindet und auf welche Gefühle er besonders sensibel reagiert (Schachter 1959). Wer nicht versteht, was den anderen bewegt, weil er die Ereignisse anders erlebt, lässt sich nicht so leicht von dessen Gefühlen anstecken. Je länger man jemanden kennt, desto mehr wird man auch seine Emotionen einschätzen können. Manchmal reicht für eine emotionale Reaktion aber schon, dass die Person, mit der man es zu tun bekommt, Ähnlichkeiten mit jemandem hat, den man schon sehr gut kennt (Berk/Andersen 2000). Dennoch ist die Dauer der Bekanntschaft bzw. der gemeinsamen Gruppenzugehörigkeit zweifellos eine wichtige Einflussgröße für die emotionale Ansteckung (Bartel/Saavreda 2000) und im Übrigen auch für die Entwicklung von „Gefühlsnormen“ (Hatfield/Cacioppo/Rapson 1993; Bartel/Saavreda 2000; Kelly/Barsade 2001). Ärzte lernen beispielsweise im Umgang mit ihren Patienten, ihre Emotionen zurückzuhalten, Verkäufer sollen dagegen möglichst viele (positive) Emotionen zeigen und diese auch weitergeben. Selbst für den scheinbar unregulierbaren Bereich der Emotionen entwickeln sich also offenbar Regeln, man lernt, wann und inwieweit man auf die Emotionen seiner Mitmenschen Acht haben soll, wann welche Emotion angebracht ist und welche Botschaften sich mit einem bestimmten emotionalen Ausdrucksverhalten verknüpfen. Entsprechend wichtig sind kulturelle Einflüsse. Zugespitzt zeigt sich die Bedeutung kultureller Voreingenommenheit in einer Studie, in der sich herausstellte, dass kanadische Studenten die Äußerungen von Personen mit einem russischen Akzent als ärgerlicher wahrnehmen als die Äußerungen von Personen mit einem englischen Akzent (Holden/Hogan 1993). Generell ist jedenfalls davon auszugehen, dass Angehörige desselben Kulturkreises die emotionalen Signale ihrer Mitmenschen eher verstehen als Kulturfremde (Hareli/Rafaeli 2008, S. 49). Ganz unmittelbar wird die emotionale Ansteckung schließlich vom konkreten Interaktionsgeschehen bestimmt, das sich insbesondere dann intensiv gestaltet, wenn die Aufgaben der Beteiligten eng miteinander verschränkt sind und wenn starke soziale Abhängigkeiten und Bezüge gegeben sind (Bartel/Saavedra 2000; Felps/Mitchell/Byington 2006).

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Dabei spielt natürlich auch die Art der Beziehung eine Rolle, ob man es also beispielsweise mit Verwandten oder Freunden, Kollegen oder Vorgesetzten zu tun hat (Kimura u. a. 2008). Und insbesondere kommt es auf die emotionale Qualität der Interaktion selbst an. Eine angenehme und reibungslose Kommunikation beispielsweise dürfte den emotionalen Zugang zum Interaktionspartner wesentlich erleichtern, und stark aktivierende Gefühle geben eher Anlass zur Verbreitung als vorrangig sachte und wenig auffällige Gefühle (Bartel/Saavedra 2000). Wichtig ist schließlich auch die emotionale Umgebung, in der die Interaktion stattfindet, ob man sich beispielsweise bedroht fühlt oder ganz generell unter Stress steht (Kulik/Mahler 2000).

6.1.6 Würdigung Emotionen müssen nicht ansteckend sein, sie rufen auch nicht zwangsläufig identische Emotionen hervor. Emotionen sind Signale, die, je nachdem wie sie gedeutet werden, unterschiedliche Reaktionen auslösen. So kann man den Ärger einer anderen Person mit Ärger beantworten, man muss es aber nicht, möglicherweise war man auf die Ärgerreaktion ja bereits gefasst, hat sie vielleicht sogar gezielt provoziert und reagiert daher eher gelassen, vielleicht sogar mit einer gewissen Belustigung. Vielleicht spürt man aber doch ebenfalls Ärger in sich aufsteigen, will diesen aber nicht zeigen und bringt es fertig, dem Ärger ganz bewusst eine andere Emotion entgegenzusetzen – man zeigt sich etwa überrascht oder betroffen und manövriert sich und den Partner damit in eine andere Gefühlslage. Andererseits sollte man die Macht fremder Emotionen nicht unterschätzen. Den perfiden Mitteln der emotionalen Massensuggestion zu widerstehen, ist alles andere als einfach, die Kommunikationsindustrie arbeitet mit immer neuen Tricks, um beim Publikum die gewünschten Gefühlswirkungen zu erzeugen und Demagogen, Verhandler und Verführer verstehen es oft nur zu gut, Stimmungen zu erzeugen und sie für ihre Zwecke zu nutzen. Dennoch ist man dem nicht völlig wehrlos ausgeliefert. Menschliches Handeln hat eine Doppelnatur. Es gibt die quasi-determinierte Seite psychologischer und sozialpsychologischer Mechanismen. Diese laufen im Hintergrund des mentalen Geschehens ab und sind nur bedingt dem willentlichen Zugriff zugänglich. Aber sie „greifen nicht automatisch“, ob sie zum Zuge kommen hängt vielmehr von der spezifischen Einstellung ab,

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die in der jeweiligen Handlungssituation präsent ist (Martin 2011). Zwar kann eine an Dritten beobachtete Emotion daher tatsächlich auch eine direkte Ansteckung bewirken, beispielsweise stimuliert fremder Ärger eigenen Ärger, wenn man sich ohnehin schon in einer Konfliktstimmung befindet. Der Ärger einer anderen Person kann aber auch Schuldgefühle auslösen, zum Beispiel wenn man ohnehin gerade von Selbstzweifeln geplagt ist. Ähnlich führt Freude nicht immer zu Freude, sie kann auch Besorgnis erzeugen usw. Die zweite Seite der menschlichen Natur zeigt sich in ihrer Fähigkeit zu vernünftigem Handeln. Mit Hilfe der Vernunft kann es (bedingt) gelingen, in die beschriebenen quasi-deterministischen psychologischen Abläufe einzugreifen, sie zu antizipieren und Vorkehrungen gegen ihr Wirksamwerden zu treffen. Die entscheidende Rolle spielt hierbei nicht die „Einstellung“, sondern die „Haltung“, die man gegenüber dem Geschehen einnimmt. Die Einstellung gehört in stärkerem Maße der psychologisch naturhaften Sphäre an, die Haltung ist eine Vernunftkategorie. Mit der „richtigen“ Haltung kann man sich gegen emotionale Beeinflussung wappnen. Andererseits: Natürlich darf und sollte man sich auch auf die Gefühle seiner Mitmenschen einlassen und „darf“ sich sogar von ihnen tragen lassen, nämlich dann, wenn sich damit Wohlbefinden und Wohlergehen verknüpfen. Der Umgang mit Emotionen braucht keine spezifischen Vernunftregeln, er sollte sich vielmehr an den Maximen orientieren, die man ganz generell allen seinen Handlungen zugrunde legt.

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6.2 Macht korrumpiert Laß sehen, wie man mich entbehrt. Die Welt ist noch auf einen Abend mein. Ich will ihn nützen, diesen Abend, daß nach mir kein Pflanzer mehr in zehen Menschenaltern auf dieser Brandstatt ernten soll. Er [der Marquis de Posa] brachte der Menschheit, seinem Götzen, mich zum Opfer; die Menschheit büße mir für ihn! Friedrich Schiller: Don Carlos, 5. Akt, 9. Auftritt

6.2.1 Begriff Macht ist nützlich, dem der sie hat. Er kann seinen Willen durchsetzen und zwar auch gegen Widerstand. So jedenfalls lautet die bekannte Definition von Max Weber (Weber 2005, S. 38). Macht ist also eine Fähigkeit, weshalb sollte einen eine Fähigkeit „korrumpieren“? Lässt sich nicht eher korrumpieren, wer nur wenig Macht hat? Mächtige müssen niemanden bestechen, und sie müssen sich auch nicht bestechen lassen, sie erreichen ihre Ziele schon allein, weil sie über Macht verfügen. Was meint also der berühmte Satz von Lord Acton, dass Macht korrumpiert – und absolute Macht absolut korrumpiert (Dalberg-Acton 1949, S. 364)? Es gibt mindestens vier verschiedene Varianten des Korruptionsgedankens. Die erste Variante stellt den Machtmissbrauch heraus. Ausgehend von der Tatsache, dass Macht – wie jedes starke Mittel – gefährlich sein kann, ist gegenüber der Zusammenballung von Macht vor allem dann Vorsicht geboten, wenn die Machthaber nicht zur Verantwortung gezogen werden können, wenn es also nichts gibt, was man der Macht entgegensetzen kann. Die erste Form der Machtkorruption besteht also in der Versuchung, das Eigeninteresse in den Vordergrund zu schieben und zwar ohne Rücksicht auf den möglichen Schaden für Dritte. Als Zweites verführt Macht zum Machterhalt und zur Machtvermehrung. Wer also einmal eine Machtposition errungen hat, der gibt sie nur äußerst ungern her und greift nicht selten bedenkenlos zu äußerst fragwürdigen Mitteln, um seinen Einfluss zu sichern. Die dritte Variante der Machtkorruption richtet sich „nach innen“, sie schlägt sich in einer Verbiegung der Persönlichkeit und in einer egozentrischen Veränderung von Überzeugungen und Werthaltungen nieder. Die vierte Form korrumpierter Macht äußert sich in Verhaltensdefekten. Dass

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sich Menschen, wenn sie einmal in Machtpositionen gelangt sind, anders und manchmal sehr merkwürdig verhalten, wird durch zahlreiche Studien belegt. Das Handeln mächtiger Personen ist in gewisser Weise oberflächlicher als das Handeln von Personen mit weniger Einfluss (Keltner/Gruenfeld/Anderson 2003) und leider auch nicht selten moralisch fragwürdiger (Desai/Brief/George 2010). Machthaber denken weniger komplex und machen sich weniger Gedanken über die Konsequenzen ihres Handelns, sie lassen sich stark von Stereotypen leiten (Fiske 1993; Lerner/ Keltner 2000). Sie ignorieren häufig die nonverbalen Signale ihrer Interaktionspartner, und sie besitzen ganz generell wenig soziale Sensitivität. Verschiedentlich wird der Tatbestand, dass Männer häufiger in einer besseren Machtposition sind als Frauen, dafür verantwortlich gemacht, dass sie weniger soziale Fähigkeiten haben als das andere Geschlecht.

6.2.2 Beispiele Bei der Machtkorruption denkt man zu Recht vor allem an die politische Macht. Man findet korrumpiertes Verhalten aber in allen Machtverhältnissen, in praktisch jeder sozialen Beziehung. Also nicht nur im (staats-) politischen Raum, sondern auch in kleinräumigeren Verhältnissen, in jeder Organisation, in jeder Gruppe und selbst im persönlichen Umgang von nur zwei Personen. Die Beispiele aus der Geschichte sind Legion und zwar für alle vier Machtkorruptionseffekte. Was den skrupellosen Machtmissbrauch angeht, fallen einem wohl vor allem die Taten barbarischer Potentaten ein, man muss den Machtmissbrauch allerdings in allen Weltgegenden beklagen, in denen autoritäre Regime herrschen. Außerdem denkt man beim Stichwort Machtmissbrauch primär an materielle Ausbeutung, physische Bedrängnis, Demütigungen und Freiheitsberaubung und vergisst dabei leicht die vielen mehr oder weniger subtilen Zu- und Übergriffe auf das Denken und die Seele der Menschen. Die so genannten geistlichen Führer (Ideologen, Priester, Gelehrte usw.) lassen sich ebenso leicht von ihrer Macht verführen wie Gewaltherrscher. Sie beuten das Sinnstreben und die existentiellen Ängste der Menschen aus, um „das gemeine Volk“ psychisch zu unterwerfen und in geistiger Gefangenschaft zu halten. Dass sich auch die Revolutionäre und die Befreier von materieller und spiritueller Knechtschaft bereitwillig mit der errungenen Macht an-

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freunden und wie ihre Vorgänger deren Versuchungen erliegen, ist leider nicht nur eine belanglose Fußnote der Geschichte. Reichlich Anschauungsmaterial für die Exzesse der Machtsicherung und Machtvermehrung findet man in der gesamten Weltliteratur, besonders eindrücklich in den Königsdramen Shakespeares (wenngleich diese nicht immer der tatsächlichen Historie entsprechen). Das wohl prominenteste historische Beispiel für die Unersättlichkeit des Machtstrebens lieferte der Eroberer Alexander: „Die Sitten von zu Hause, die vernünftig bemessene Macht der makedonischen Könige, ihre Stellung als Bürger, schienen ihm seiner Größe nicht angemessen. So nahm er sich den Stolz der persischen Monarchie zum Vorbild, der der Majestät der Götter gleichkam“ (Wiesehöfer 2009, S. 24). Selbst der „natürliche“ Abschied von der Macht fällt schwer. Ein bekanntes bundesrepublikanisches Beispiel lieferte Konrad Adenauer, der nach immerhin drei Amtszeiten durchsetzen konnte, auch noch ein viertes Mal (wenn auch nur „übergangsweise“) die Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Ein Standardthema der Managementliteratur ist die Schwierigkeit, die viele Firmeninhaber damit haben, die Geschicke ihres Unternehmens in andere Hände zu legen. August Thyssen beispielsweise schloss seine Kinder von der Geschäftsführung aus und übertrug selbst seinem designierten Nachfolger Fritz Thyssen nur untergeordnete Aufgaben (Wegener 2008, S. 89 ff.). Ein Beispiel aus der neueren deutschen Wirtschaftsgesichte ist Max Grundig, der die von ihm berufenen Geschäftsführer zur Verzweiflung trieb (Bronnenmeyer 1999, S. 92 f.) und als ein Beispiel aus der amerikanischen Glamour-Industrie in Hollywood sei Harry Warner angeführt, der sich lange gegen den Willen seiner Brüder stemmte, das gemeinsame Unternehmen „Warner Bros.“ zu verkaufen, weil er, obwohl schon alt und nicht mehr ganz gesund, seinen Posten als Leiter des Unternehmens nicht verlieren wollte (Sperling/ Millner 1994, S. 295 ff.). In den modernen Konzernen hat sich nicht zufällig die Unsitte eingebürgert (die durch ein inzwischen verabschiedetes Gesetz zurückgedrängt werden soll), dass die ehemaligen Vorstände übergangslos in den Aufsichtsrat wechseln. Über Persönlichkeitsdefizite der Mächtigen zu sprechen ist deswegen etwas schwierig, weil man oft nicht klar sagen kann, ob die in Frage stehenden Personen durch ihre Machtkarriere verdorben wurden oder ob es nicht gerade an ihrem Charakterdefizit lag, dass sie überhaupt in eine hohe Position gelangt sind. Bei extremen Fällen wie Caligula, Pol Pot, Idi Amin usw. fällt die Antwort leicht, man ist stark versucht, derartige Per-

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sonen als geborene Verbrecher zu bezeichnen (die es natürlich nicht gibt). Im Normalfall wird man aber davon ausgehen können, dass man erst dann auf Machtpraktiken zurückgreift, wenn man auch in Machtspiele verstrickt ist. Das gilt auch für die unerquicklichsten Arten der Einflussnahme, denn man muss erst lernen, wie es geht, heimtückische Intrigen zu spinnen, infame Nachreden zu initiieren, Rivalen kaltzustellen und Kreaturen zu verpflichten, die sich stellvertretend die Hände schmutzig machen. Je härter das Machtspiel, umso übler sind die verwendeten Mittel und umso größer die Gefahr der Korruption. Das gilt auch im Kampf der Unterdrückten gegen ihre Peiniger. Die abscheulichen Verhältnisse, die sie zu beseitigen versuchen, sind jedenfalls kein gültiges Alibi für eigene Schurkereien. Man muss nicht jedes Machtspiel mitmachen, besser ist es allemal – so mühselig das auch sein mag – zu versuchen, die Spielregeln der Macht zu ändern. Auch für den Realitätsverlust der Mächtigen finden sich leider zahlreiche extreme Beispiele. Man denke nur an die vielen Größenwahnsinnigen aller Zeitalter. Auch im kleineren Maßstab kann das noch schlimm genug sein. In der so genannten Spiegel-Affäre wurden 1962 anlässlich eines Artikels über die Leistungsfähigkeit der Bundeswehr die Räume des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ durchsucht (wegen des Verdachts von Landesverrat, der sich im Übrigen als unhaltbar erwies). Außerdem wurden der Autor Ahlers und der Herausgeber Augstein verhaftet. Eine unrühmliche Rolle spielte hierbei der damalige Verteidigungsminister Strauß. Er trieb das Verfahren bei der Justiz voran (was einem Angehörigen der Exekutive nicht gestattet ist) und veranlasste über einen Mittelsmann die Auslieferung von Ahlers durch die spanische Polizei. Der hohen Intelligenz von Franz Josef Strauß hatte man eine so wenig durchdachte Aktion eigentlich nicht zugetraut, sehr wohl aber seinem Machtwillen. Strauß stritt zunächst alles ab. Als die Wahrheit ans Licht kam, musste er zurücktreten (zu Fallbeispielen über den Realitätsverlust von Politikern vgl. Wirth 2002). Die Selbstüberschätzung der Mächtigen gibt es natürlich auch in anderen Lebensbereichen, also beispielsweise im Wirtschaftsleben. Die Firmeneigner und Manager, über deren Misserfolgsgeschichten gern berichtet wird, werden in den einschlägigen Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträgen nicht selten als „rechthaberisch“ und „beratungsresistent“ beschrieben. Tatsächlich sind die Mächtigen nicht selten von ihrer eigenen Klugheit sehr überzeugt, was aber nicht jeden Zeitgenossen beeindruckt. Der ehemalige Staatsminister des wenig einflussreichen (Groß-) Herzog-

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tums Weimar, Johann Wolfgang Goethe, konnte sich jedenfalls schon mal über die Besserwisserei der Preußen lustig machen (Biedermann 1889, S. 191).

6.2.3 Studie David Kipnis (1972) zeigte mit einem einfachen Experiment, dass die Möglichkeit, Macht auszuüben, das Verhalten und die Einstellungen von Menschen erheblich verändern kann (vgl. auch die sich ergänzenden Studien in Kipnis 1976). Die Versuchsteilnehmer bekamen die Aufgabe, als Manager die Leistung von vier Arbeitern, die in einem anderen Gebäude untergebracht waren, zu überwachen. Tatsächlich gab es diese Arbeiter gar nicht, die Rückmeldungen über deren Leistungen erfolgten durch den Versuchsleiter nach einem vorgegebenen Schema. Je Produktionseinheit ergab sich (fiktiv) ein Lohn für die Manager von $ 2, die Arbeiter erhielten davon (ebenfalls fiktiv) $ 1. Die Aufgabe der Arbeiter bestand darin, in einem Schriftstück bestimmte Symbole durch andere zu ersetzen. In einer alternativen Aufgabe mussten bestimmte Zeichen aus dem Schriftstück gestrichen werden. Diese Aufgabe wurde den Teilnehmern als weniger gewinnbringend für die Manager und als langweiliger für die Arbeiter beschrieben. Die Manager bekamen alle drei Minuten eine schriftliche Nachricht über die Leistung ihrer vier Arbeiter. Als Standardleistung waren für diese Zeitintervalle jeweils 85 codierte Zeichen (erste Aufgabe) bzw. 65 gestrichene Zeichen (zweite Aufgabe) vorgegeben. Die Manager wurden angehalten, höhere Leistungen zu stimulieren, weil dies erstens für die Firma profitabel sei und sie damit zweitens ihre Managementfähigkeiten beweisen könnten. Die Manager konnten per Telefon Kontakt mit ihren Arbeitern aufnehmen, sich mit ihnen unterhalten und Anweisungen geben. Die Hälfte der Versuchsteilnehmer bekam nun eine Reihe von Machtmitteln an die Hand. Sie konnten beispielsweise eine Lohnerhöhung von 10 ¢ je gefertigtem Stück versprechen oder auch tatsächlich gewähren, sie konnten aber auch eine Lohnsenkung von 10 ¢ je gefertigtem Stück androhen oder veranlassen, sie konnten damit drohen, den Arbeitern die andere, weniger attraktive Aufgabe zuzuweisen, und sie konnten den Arbeitern mit Entlassung drohen oder sie auch tatsächlich entlassen. Die andere Hälfte der als Manager agierenden Versuchsteilnehmer konnte nur auf die Mittel der Überredung zurückgreifen, eine Möglichkeit, die

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den mächtigen Managern natürlich ebenfalls zur Verfügung stand. Um die Ergebnisse des Experiments zu verstehen, muss man nun noch wissen, dass den Managern in beiden Versuchsgruppen Informationen über die Leistungen der Arbeiter zurückgespielt wurden. Dieses vom Versuchsleiter manipulierte Feedback zeigte, dass die Leistungen der Arbeiter durchweg über der Standardleistung lag, und dass sie sich langsam aber stetig nach einem irregulären Muster steigerten. Ein erstes Ergebnis dieses Experimentes war, dass die Machtmittel auch genutzt wurden. Manager, die über die angeführten formalen Machtmittel verfügten, kontaktierten ihre Arbeiter wesentlich häufiger, als die machtmittellosen Manager. Erstere nahmen dabei die Möglichkeiten der verbalen Beeinflussung (Loben, Ziele vereinbaren, Druck ausüben) sehr selten in Anspruch, stattdessen setzten sie lieber gleich die formalen Mittel ein, die ihnen zur Verfügung standen. Die mächtigen Manager bewerteten ihre Arbeiter – und dies ist das zweite zentrale Ergebnis des Experiments – außerdem deutlich schlechter als die Manager ohne Machtmittel (ihre Leistung, ihre Fähigkeiten usw.). Dies galt besonders für die Manager, die sehr viele Interventionen unternahmen, um ihre Arbeiter zu größerer Leistung zu motivieren. Außerdem veranlasste der Machteinsatz die Manager dazu, den sozialen Kontakt zu vermeiden, je „härter“ der Machteinsatz war, desto weniger Interesse hatten die Machthaber, sich nach dem Experiment mit ihren Arbeitern (z. B. auf einen Kaffee) zu treffen. Kipnis fasst die Ergebnisse seines Experiments wie folgt zusammen: „(a) Mit der Möglichkeit Macht auszuüben geht die Versuchung einher, das Verhalten anderer zu beeinflussen. (b) Mit dem tatsächlichen Einsatz von Machtmitteln verknüpft sich die Auffassung, das Verhalten der anderen sei nicht selbstbestimmt, sondern werde vom Machtinhaber verursacht, (c) was erklärt, warum es zu einer Abwertung von deren Leistung kommt. Außerdem veranlassen die Einflussversuche die Mächtigen, sich (d) psychologisch von den weniger Mächtigen zu distanzieren und diese als Objekte zu betrachten, die man manipulieren kann“ (Kipnis 1972, S. 40).

6.2.4 Erklärung (1) Macht ist belohnend: „Macht zu haben, fühlt sich gut an und man kann mit Macht andere Belohnungen erlangen“ (Scholl 2007, S. 34). Das ist zunächst zwar nur eine Erklärung für den Wunsch nach Macht,

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aber in diesem Wunsch steckt nicht selten bereits der Wunsch nach mehr Macht. Mächtige vergessen selbst in demokratischen Systemen leicht, dass Macht nur geborgt ist, sie gehen davon aus, dass der Machtkampf unentwegt tobt und dass sie gut daran tun, sich darauf einzurichten und zwar durch immer stärkere Anhäufung von noch mehr Macht. In der Wertschätzung der einmal errungenen Macht mag auch eine Art Besitztumseffekt zum Ausdruck kommen: Sich vorzustellen, auf die gewonnenen Annehmlichkeiten verzichten zu müssen, kann dazu führen, dass man sich immer mehr an die Macht klammert und sie bewahren will. (2) Mächtige genießen ein hohes Prestige, jedenfalls bei denen, die nicht unter ihnen leiden müssen, sondern von ihnen profitieren oder von ihnen zu profitieren hoffen. Das Streben nach (äußerer) Anerkennung ist eine starke Triebfeder menschlichen Handelns (zwar nicht unbedingt bei den philosophisch hellsten Köpfen, aber sicher bei der großen Mehrheit der Menschen), ein Wesenszug, der sich aus der großen Bedeutung ergibt, die das Soziale für das Handeln und Wohlbefinden der Menschen hat. Personen, die großen Wert auf Anerkennung legen, haben entsprechend auch ein stärkeres Interesse an Machtgewinnung und Machterhalt. Aber es gibt natürlich nicht nur Motive, die das Machtstreben befeuern können, Macht kann auch gänzlich losgelöst von anderen Motiven selbst zu einem starken Bedürfnis werden. David McClelland und David Burnham (1976) machen dabei eine etwas zweifelhafte Unterscheidung zwischen persönlichem Machtstreben und sozialisierter Macht. Während das persönliche Machtstreben in eher hedonistischen Antrieben gründe, sei das sozialisierte Machtstreben altruistisch inspiriert. Wenn Machtstreben und persönliche Kontrolle ausbalanciert seien, werde die Macht nicht für sich selbst, sondern „für andere“ eingesetzt. Bei dieser Betrachtung sollte man allerdings nicht vergessen, dass jeder Machteinsatz einen Gegner voraussetzt. Zwischen gutem und bösem Machtwillen zu unterscheiden bleibt daher eine prekäre Angelegenheit, denn es ist ja nicht viel damit gewonnen, wenn der persönliche Egoismus durch einen Gruppenegoismus ersetzt wird, auch könnte es ja sein, dass der Gegner „der Gute“ ist. Konsequentes Machtstreben wird oft auch als „Machiavellismus“ bezeichnet, nach Nicolo Machiavelli, der in seinem berühmten Buch „Der Fürst“ die Geisteshaltung beschreibt, die notwendig ist, damit man in Amt und Würden kommt und in ihnen verweilen kann. „Man muß nämlich wissen, daß es zweierlei Waffen gibt: die des Rechtes und die der Gewalt. Jene sind dem Menschen eigentümlich, diese den Tieren. Aber da die ersten oft nicht

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ausreichen, muß man gelegentlich zu den anderen greifen“ (Machiavelli 1983, S. 104). Tugenden seien durchaus gut, der Machtstrebende solle sie besitzen, schließlich würden sie von den Mitmenschen ja geschätzt, aber man müsse auch wissen, wann man sie beiseite lässt: „So muß der Fürst Milde, Treue, Menschlichkeit, Redlichkeit und Frömmigkeit zur Schau tragen und besitzen, aber wenn es nötig ist, imstande sein, sie in ihr Gegenteil zu verkehren“ (ebenda, 105). Was Machiavelli im Einzelnen schreibt ist zweifellos lesenswert, seine Ratschläge aber auch tatsächlich zu befolgen (es sei besser gefürchtet als geliebt zu werden, man solle geizig und nicht etwa freigebig sein, den Pöbel solle man durch den Augenschein täuschen usw.), ist dagegen höchst fragwürdig, wenngleich ein typischer „Machtmensch“ dies anders sehen mag. In der psychologischen Forschung herrscht keine Einigkeit darüber, ob sich so etwas wie eine persönliche Disposition zum „Machiavellismus“ eindeutig abgrenzen lässt. Sinnvoll erscheint es, verschiedene Teilaspekte des Machiavellismus auseinanderzuhalten, beispielsweise die zynische Geisteshaltung, die hinter berechnendem Machthandeln steckt, die Billigung von Betrug und Täuschung und die Befürwortung des Einsatzes manipulativer Taktiken (Christie/Geis 1970; Fehr/Samsom/Paulhus 1992). Ein interessantes Paradox ergibt sich aus dem Tatbestand, dass machiavellistisches Handeln ein erhebliches Räsonnement erfordert, die Inhaber von Machtpositionen aber ja eigentlich zu eher wenig komplexem Denken neigen. (3) Die maßlose Wertschätzung von Macht und das damit verbundene Streben nach Machterhalt können auch einfach das Ergebnis einer massiven „Fehlkonditionierung“ sein. Wer mächtig ist, macht häufig Erfahrungen, die ihm suggerieren, dass er etwas ganz Besonderes sei und dass ihm die Rechte, die er sich herausnimmt, deshalb auch fraglos zustehen. Wenn ein Machthaber sich seine Position gegen starke Konkurrenz erstritten hat, dann kann ihm das als Beweis seiner besonderen Fähigkeiten oder gar seiner Berufung gelten. Mächtige Menschen erleben ihre Mitmenschen häufig als Diener, Schmeichler und Bittsteller, woraus eine gewisse Geringschätzung entstehen kann und die (wohl berechtigte) Überzeugung, dass es ein erbärmliches Los sei, von anderen abhängig zu sein. Die Idee, dass man daher die Machtunterschiede verringern sollte, kommt allerdings wenigen; naheliegender scheint vielen die Schlussfolgerung, dass man eben „Amboss oder Hammer“ sein müsse (womit man die Aussage des „Kophtischen Liedes“ von Goethe, in dem diese Sentenz vorkommt, natürlich völlig verkennt). Der vielleicht wichtigste Bestimmungsgrund einer

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machtinduzierten Wahrnehmungsverbiegung ergibt sich aus den moralischen Gratwanderungen, die Menschen in hohen Stellungen oft unternehmen müssen. Aus „Verantwortung“ für das Gemeinwesen oder wegen der Verpflichtungen, die sie ihren politischen Ideen gegenüber empfinden, treffen sie häufig Entscheidungen, die dem Normalbürger als moralisch höchst bedenklich erscheinen müssen. Auch dies bestätigt ihre Sonderstellung und lässt sie nicht selten ernsthaft glauben, dass die übliche Moral nur für andere gelte. (4) In der Bestätigung eigener Grandiosität spielen natürlich Attributionsprozesse eine große Rolle. Bekanntlich schreibt man sich Erfolge gern selbst zu, Misserfolge dagegen anderen. Je größer die eigenen Erfolge sind, je mehr Macht man errungen hat, desto positiver gerät das Bild, das man sich von sich selbst macht. Außerdem kassieren Menschen gern auch Sekundärerfolge ein, was einem Mächtigen besonders leicht fällt. Wenn er beispielsweise eine bestimmte Person fördert, dann vollbringt er erstens eine gute Tat und er kann sich zweitens, falls diese reüssiert, deren Erfolge auch noch selbst zuschreiben. Macht stärkt sich selbst, erstens durch den Erfolg, den sie möglich macht und zweitens durch das Selbstbewusstsein, das aus ihm entsteht. (5) Eine sehr naheliegende Erklärung für die Ignoranz der Mächtigen, das heißt für ihre geringe Aufmerksamkeit gegenüber den Bedürfnissen und Intentionen anderer, ergibt sich aus ihrer Stellung. Etwas salopp ausgedrückt: Wer die Macht hat, hat es einfach nicht nötig, sich allzu viele Gedanken darüber zu machen, ob seine Entscheidungen wohlbegründet sind; im Zweifel werden seine Vasallen seine fehlgeleiteten Entscheidungen gerade biegen, er kann sie auch wieder rückgängig machen, andere dafür zur Verantwortung ziehen oder auch alles, was sich ihm in den Weg stellt, einfach beiseite räumen (lassen). (6) Robert Michels ist bekannt für den von ihm formulierten Satz: „Wer Organisation sagt, sagt Tendenz zur Oligarchie“ (Michels 1986, S. 25). Diese Tendenzaussage wird von ihm an anderer Stelle auch als „Ehernes Gesetz der Oligarchie“ bezeichnet (ebenda, S. 342). Jede soziale Kraft, die etwas erreichen will, muss sich organisieren, und jede Organisation braucht eine Führung. Aus ihrer Führungsfunktion erwachsen den leitenden Personen nun aber sehr wirksame Handhaben, um ihre einmal gewonnene Stellung zu behaupten. Ganz entscheidende Bedeutung kommt hierbei der Verfügungsgewalt über die Bürokratie zu, ohne die keine größere Organisation existieren kann. Die Bürokratie schafft privi-

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legierte Zugänge zu Informationen, materiellen Ressourcen und Entscheidungsgelegenheiten und sie erleichtert es den Mandatsträgern, Koalitionen gegen Konkurrenten zu formieren. „[Die] … Organisation ist die Mutter der Herrschaft der Gewählten über die Wähler, der Beauftragten über ihre Auftraggeber, der Delegierten über die Delegierenden“ (ebenda S. 370 f.). Die Bürokratisierung bietet den Führern also eine hervorragende Ausgangsbasis zur Sicherung von Pfründen und Positionen. Hinzukommen muss aber noch der menschliche Wille, die gegebenen Möglichkeiten auch zu nutzen. Michels verweist daher auch auf einige individualpsychologische Aspekte, die zur „Steigerung der natürlichen, dem Menschen inhärente Herrschgelüste“ beitragen, wie das Bewusstsein vom eigenen Wert, Geschicklichkeit, Rednergabe und Intelligenz (ebenda, S. 368). (7) Einen Erklärungsansatz für die Tendenz der Mächtigen, ihre Stellung zu missbrauchen findet man in Karl Poppers Auseinandersetzung mit Platos politischer Philosophie. Diese kranke, so Popper, an der falschen Ausgangsfrage. Plato fragt „Wer soll herrschen?“ – und beantwortet diese Frage bekanntlich einigermaßen voreingenommen mit der Vorstellung, es seien die Liebhaber der Wahrheit, die Philosophen, die einen Staat regieren sollten. Aber warum ist die Frage „falsch gestellt“? Weil sie auf einer fragwürdigen Unterstellung beruht, der Unterstellung, der Herrschende müsse zwangsläufig „souverän“ sein, also von keiner anderen Macht kontrolliert und begrenzt. Unbegrenzte Macht ist aber von Übel, wie die Herrschaft von Tyrannen nachdrücklich demonstriert. Die Ausgangsfrage einer politischen Theorie sollte daher lauten: „Wie können wir politische Institutionen so gestalten, dass schlechte oder unfähige Herrscher daran gehindert werden können, großen Schaden anzurichten?“ (Popper 1966, S. 121). Macht und Herrschaft müssen kontrolliert werden, denn ihre Inhaber neigen zu ihrer Verabsolutierung. Und dies gilt nicht weniger für Philosophenkönige. Deren Interessen begründen sich aus dem Anspruch ihrer vorgeblichen Weisheit. Diese soll Geltung erhalten und zur herrschenden Lehre werden. Wer sie übernimmt, nein, wer sie verinnerlicht, hat Chancen, nach strenger Auslese in den erlauchten Kreis der Herrschenden aufgenommen zu werden, Häretiker werden dagegen naturgemäß als „Unwissende“ ausgegrenzt. Wer über privilegiertes Wissen verfügt, lässt sich außerdem nicht in seine Entscheidungen hineinreden, insbesondere kann nur er erkennen, wann Veränderungen angebracht sind, nämlich eigentlich nie, denn es gilt die vorhandene, als gut befundene, weil selbst

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geschaffene Ordnung zu verteidigen. Auch Philosophen sind borniert, sie sind oft nicht einmal in der Lage, dies zu erkennen. (8) Machthaber sind Rechthaber. Wer Entscheidungen trifft, findet diese im Normalfall auch richtig. Wer Entscheidungen gegen Widerstand durchsetzt, steht unter einem besonderen äußeren wie inneren Rechtfertigungsdruck, er muss daher seine Entscheidungen in besonderem Maße für richtig befinden. Diese Schlussfolgerung ergibt sich aus der Theorie der kognitiven Dissonanz (Festinger 1957). Nun könnte man meinen, dass sich mächtige Personen, um diesem Rechtfertigungsdruck zu begegnen, in besonderem Maße um eine fundierte Entscheidungsfindung bemühen. Tatsächlich mag dies auch vorkommen (wenngleich diesem Streben meist wirksame Kräfte entgegenstehen), im Ergebnis werden aber bei komplexen Entscheidungen immer Unsicherheiten bleiben und zwar allein deswegen schon, weil niemand die Zukunft kennen kann. Mächtige Personen können es sich nun aber nicht leisten, diese Unsicherheiten zu akzeptieren, sie werden ihre Entscheidungen schon allein deswegen nicht anzweifeln, weil dies ihre Glaubwürdigkeit beschädigen würde und auch ihr Selbstverständnis lässt das nicht zu, weil unsicher zu sein sich ganz ähnlich anfühlt wie machtlos zu sein.

6.2.5 Zusammenhänge Dort wo die Macht dem freien Spiel der Kräfte überlassen wird, herrschen Despotie, Anarchie und Unrecht. Ganz entscheidende Bedeutung für das Wohlergehen sozialer Systeme kommt daher der Frage zu, ob es gelingt, wirksame Formen der Machtkontrolle zu implementieren. Es gibt hierzu eine ganze Reihe von Ansatzpunkten. Prinzipiell kann man zwischen der Machtteilung, der Machtbeschränkung und der Machtbändigung unterscheiden (Riklin 1980). Bei der Machtteilung geht es um die Dezentralisierung der Macht, also darum zu verhindern, dass alle Macht an einer Stelle zusammenläuft. Die Leitidee der Machtbändigung lässt sich in dem Satz zusammenfassen: Herrschen sollen nicht Personen, sondern Gesetze, womit auch Vorschriften, Genehmigungsverfahren, Abstimmungsregeln und dergleichen gemeint sind. Die Machtbeschränkung setzt auf die Pflichten, die sich aus einem Mandat ergeben, wie beispielsweise Auskunfts-, Sorgfalts- und Beratungspflichten sowie auf die Einschränkung von Verfügungsrechten über die organisatorischen Machtmittel und auf die Be-

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grenzung von Amtszeiten. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist außerdem die Ausgestaltung der Führungsstrukturen. Strukturen, die dialektische Kräfte induzieren, die sich gegenseitig stimulieren und gleichzeitig kontrollieren, dürften in besonderer Weise geeignet sein, Machtexzesse zu verhindern (Martin 2006). So ist es beispielsweise durchaus nicht verkehrt, wenn Führungskräfte große Verhaltensspielräume erhalten, wenn gleichzeitig sichergestellt ist, dass sie ihre Handlungen rechtfertigen und verantworten müssen. Außerdem sollte das Verfahren, wie wichtige Führungsentscheidungen zustande kommen, einem klaren Reglement unterliegen, gleichzeitig aber auch durchlässig sein und wichtigen Anspruchsgruppen den Zugang zum Entscheidungsprozess ermöglichen. Doch wie gut auch immer die formalen Mittel zur Machtkontrolle funktionieren mögen, sie bieten keinen vollständigen Schutz gegen Machtmissbrauch und Machtkorruption. Neben regulatorischen Vorkehrungen sollte man daher bei der Beobachtung politischer Prozesse auch auf die gegebenen sozialpsychologischen und psychologischen Faktoren achten. Wenn sich Machtbeziehungen dauerhaft etabliert haben, dann ist beispielsweise eher zu erwarten, dass die Mächtigen ihre Machtvorteile auch ausnutzen und ausspielen als in Zeiten der Unrast und des Wandels, in denen sie darauf angewiesen sind, wachsam zu sein und sich taktisch klug zu verhalten (Keltner/Gruenfeld/Anderson 2003). Die Verführung der Macht ist außerdem dann besonders groß, wenn Führungskräfte schwache Leute um sich versammeln, die ihnen nach dem Munde reden, wenn man es mit einer autoritären Führungskultur zu tun hat und wenn sich die Führung von den Geführten sozial abkapselt (Kets de Vries 1979). Und natürlich spielen auch Persönlichkeitsaspekte eine Rolle (vgl. z. B. Vredenburgh/Brender 1998), insbesondere das Verantwortungsbewusstsein, also das Ausmaß, in dem jemand moralische Standards verinnerlicht hat und sich für die Folgen seines Handelns verantwortlich fühlt, und damit zeigt, dass ihm seine Mitmenschen etwas bedeuten. (Winter/Wesleyan/Barenbaum 1985). Eine große Rolle spielt außerdem das Bedürfnis nach individueller Größe und nach Selbstaufwertung („self-enhancement“), ein Bedürfnis, das nicht zuletzt kulturell bedingt ist (Pfeffer/ Fong 2005). In jedem Fall sollte man egoistische und kontrollsüchtige Menschen daran hindern, in Führungsrollen zu gelangen (Bedeian 2002).

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6.2.6 Würdigung Macht ist eine soziale Naturtatsache. Wann immer Menschen zusammenkommen, entsteht eine Machtbeziehung. Verschiedentlich wurde deswegen behauptet, dem Machtbegriff käme in den Sozialwissenschaften dieselbe Bedeutung zu wie dem Energiebegriff in der Physik. Das ist zweifellos eine Übertreibung. Schließlich ist Macht nur eine Dimension in dem normalerweise äußerst vielschichtigen Sozialgeschehen, in dem es eben nicht nur um Macht geht, sondern auch um Zuwendung, Hilfe, Kooperation, Arbeit, Erkenntnis, Sinn und vieles mehr. Andererseits ist Macht die wohl „gefährlichste“ soziale Dimension, weshalb es durchaus angebracht ist, ihr besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Verschiedentlich findet man nun auch hier die Warnung vor einer Übertreibung. „Macht“ werde vielfach als Angstwort gehandelt und wer über Macht verfüge, unterliege von vornherein einem Generalverdacht, dabei sei Macht schlichtweg unvermeidlich und auch notwendig, schließlich ließen sich Neuerungen und Verbesserungen oft ohne den Einsatz von Machtmitteln gar nicht durchsetzen. Man kann dem zustimmen, muss aber der Schlussfolgerung widersprechen, die hieraus oft abgeleitet wird, dass man nämlich den Mächtigen ihre Macht lassen solle und dass es Positionen braucht, die über eine große Machtfülle verfügen. Es handelt sich hierbei nämlich nicht um einen logisch gültigen Schluss und zwar deswegen nicht, weil Macht ein Relationsbegriff ist. Die Welt ist nicht etwa deswegen oft so schlecht, weil die Guten zu wenig, sondern weil die Bösen zu viel Macht haben.

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8 Stichwortverzeichnis Aberglaube 62 ff. Abergläubisches Lernen 70 f. Abwehrmechanismen 124 Affekt-Infusions-Theorie 163 Affektive Disposition 132 Affirmation 73 Ähnlichkeit 164 Aktualmotivation 101, 154 Altruismus 83 Ambiguitätstoleranz 76 Angst 72, 102, 111, 124, 130, 157 Anschaulichkeit 28, 130 Antizipieren des Erinnerns 144 Assimilationstendenz 49 Attribution 77, 176 Aufmerksamkeit 27, 115, 126 Autoritätseffekt 75 Base Rate Fallacy siehe Relative Häufigkeiten Bedauern 33, 40, 74 Bedürfnisse 59, 72, 76, 95, 124 Begutachtungsverfahren 56 Belohnung siehe Verstärkung Besitztumseffekt 104 ff., 174 Bestätigungstendenz 47 ff., 130 Bewusstseinskonstellation 129, 144 Charisma 161 Commitment 40, 120 Confirmation Bias siehe Bestätigungstendenz

Definition der Situation 101, 126 Depression 155 Diktator-Spiel 101 Dogmatismus 61 Dopingproben 28 Duhem-Quine-These 53 Egoismus 81 ff. Ehernes Gesetz der Oligarchie 176 f. Eifersucht 121 Eindrucksmanagement 153, 162 Einstellung 156 Emotionale Ansteckung 151 ff. Empathie 93, 96, 158, 161 Endowment-Effect siehe Besitztumseffekt Entscheidungsdefekt 11, 22 Entscheidungsstruktur 179 Eskalierendes Commitment Internetseiten der WBG: www.wbgwissenverbindet.de, Bereich Service – Downloads Fairness 94 Framing-Effekte Internetseiten der WBG: www.wbg-wissenverbindet.de, Bereich Service – Downloads Freude am Denken 59 Führungsstruktur 179 Fundamentaler Attributionsfehler 22 Funktionale Fixiertheit 55 Funktionalistische Erklärung 162

198 Gambler’s Fallacy 68 Gefangenendilemma 101 Gefühlsnormen 165 Gefühlsveranstaltungen 156 Geld-Zurück-Garantie 106 Genetischer Altruismus 92 Gerechtigkeitsnorm 99 Gesichtsverlust 43, 52 Gier 102 Glaubensverlangen 52, 61 Gruppendenken Internetseiten der WBG: www.wbg-wissenverbindet.de, Bereich Service – Downloads Haltung 156 Hindsight Bias 48, 143, 160 Hinweisreize 160 Hypochonder 60 Ich-Stärke 100 Illusion 121, 149 Imitation 158 Immobilienrente 106 Individualismus 100, 114 Induktives Vorgehen 77 Informationsüberlastung 26 Instrumentalismus 54 Intuition 17 Irrtum 119 Isolierung 124, 129 Isolierung 129 Katalog der Entscheidungsdefekte Internetseiten der WBG: www.wbgwissenverbindet.de, Bereich Service – Downloads Kognitive Dissonanz 39 f., 53, 67, 125, 178 Kollektivgefühle 153 Kongruenz-Heuristik 55 Konjunktionsregel 20, 23 Kontrafaktisches Denken 74

Stichwortverzeichnis

Kontrollbedürfnis 137, 143, 148 Kontrollheuristik 142 Kontrollillusion 130, 132, 137 ff. Kontrollüberzeugung 132 Kooperationsforschung 100 f. Leistungssport 64 Leugnung 157 Linda-Problem 20 Machiavellismus 88, 174 f. Macht 141, 152, 155, 168 ff. Machtkorruption 168 ff. Machtmissbrauch 169 Machtsicherung 170 Managementpraktiken 65 Massenhysterie 154 Materialismus 114 f. Medizinische Diagnostik 28 Meinungsführer 59 Mentale Buchführung 38, 44 Mentale Investition 35 Modell-Lernen, 160 Moral 94, 114, 152, 169, 176 Motivationale Orientierungen 83 f. Mutualismus 91 Narzissmus 87, 131 Naturalistischer Egoismus 103 Nepotistischer Altruismus 92 Neuigkeitswert 104 Nocebo 76 Normative Entscheidungstheorie 11 f. Objektbeziehung 112 Ökonomismus 138 Opportunitätskosten 109 Persönlichkeitseigenschaften 77, 87, 100, 115, 131 f., 144, 161, 164, 170, 179 Persönlichkeitseigenschaften 115

Stichwortverzeichnis

Placebo 75 Pollyanna-Prinzip 53 Positive Bias 68 Präferenzänderung 104 Pragmatische Handlungstheorie 124 Preferential Bias siehe Bestätigungstendenz Projektion 73, 124 Prosoziales Verhalten 85, 100 Prospect Theorie 38 Psychologie der Vergangenheit 32 Psychologischer Egoismus 81 Psychotechnik 78 Rational Choice Theorie 128 Rationaler Egoismus 81 Rationalisierung 124 Reaktiver Egoismus 96 Realitätsverlust 171 Rechthaberei 49 Relative Häufigkeiten 17 ff. Repräsentativitäts-Heuristik 23 Reservationspreis 107 Reziproker Altruismus 91 Reziprozitätsnorm 99 Saure-Trauben-Effekt 115 Scheitern 42 Schemata 77, 127 Schuldgefühl 128, 133 Selbstbeschwichtigung 120 Selbstbestätigungstendenz 60 Selbstbild 127 Selbsttäuschung 116 ff., 138 Selbstüberlistung 79, 120 Selbstverwirklichung 96 Selbstwertdienliche Attributionen Internetseiten der WBG: www.wbgwissenverbindet.de, Bereich Service – Downloads Selektive Vorteile 91, 127 Sensitivität eines Tests 18

199 Sentiment 152 Sich selbst erfüllende Prophezeiung 120 Sichtbarkeit 25, 155 Soziale Identität 112 Sozialer Tausch 94 Sozialisierte Macht 174 Spezifität 26 Spezifitätsregel 23 St. Petersburg-Paradox Internetseiten der WBG: www.wbgwissenverbindet.de, Bereich Service – Downloads Status Quo Bias 110 Stimmung 113, 146, 152 Subjektives Wohlbefinden 131 Sublimierung 123 Sunk Costs siehe Versunkene Kosten Täuschung 127 Tautologie 92 f., 94 Taxi-Problem 19 Theorie von der Gerechten Welt 74 f. Theorieanwendung 10 Trittbrettfahrer 102 Überzeugungsfestigkeit 47 Überzeugungssystem 52, 125 f. Ultimatum-Spiel 101 Umgekehrter Sunk Cost Effekt 45 Unbewusstes 123 Verantwortlichkeit 42 Verdrängung 124 Verdrängungsthese 57 Verfügbarkeit 143 Verlangen 115 Verleugnung 124 Verlustangst 108 Verstärkung 77, 145 f., 173, 175 Versuchung 131 Versunkene Kosten 31 ff.

200 Verwechslungshypothese 141 Voreingenommenheit 118 Vorurteil 27, 51 Wahlmöglichkeiten 145 Wahrscheinlichkeit 17, 19, 138 Wertschätzung 115 Wunschdenken 119, 143

Stichwortverzeichnis

Zeitdruck 26, 115 Zufriedenheit 153 Zugänglichkeit 25 Zwanghaftigkeit 63 Zwei-Stufen-Modell der Urteilsbildung 24 Zwei-Uhr-Regel 36